Die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot [1 ed.] 9783428554911, 9783428154913

Das Argument der Gesetzesumgehung hat im unvollständig kodifizierten Arbeitsrecht traditionell große Bedeutung. Im Vergl

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German Pages 375 Year 2019

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Die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot [1 ed.]
 9783428554911, 9783428154913

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 351

Die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot

Von

Tanja Rudnik

Duncker & Humblot · Berlin

TANJA RUDNIK

Die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 351

Die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Vom Sachgrunderfordernis zum Rechtsmissbrauchsverbot

Von

Tanja Rudnik

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Fakultät II für Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-15491-3 (Print) ISBN 978-3-428-55491-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85491-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2017/2018 von der Fakultät II für Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Mitte 2017 berücksichtigt. Den Personen, die mich während der Promotionszeit unterstützt haben, danke ich ganz herzlich. An erster Stelle gebührt mein Dank Frau Prof. Dr. Christiane Brors für die herausragende Betreuung dieser Arbeit. Sie hatte die Idee zum Thema und hat mich bei der Umsetzung unterstützt und motiviert, wann immer es nötig war. Nur dank ihres außergewöhnlichen Engagements konnte der gegen Ende recht ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hamann danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für die schöne und lehrreiche Zeit, die ich als Mitarbeiterin an dem von ihm geleiteten Lehrstuhl für Wirtschaftsprivat- und Arbeitsrecht verbringen durfte. Den Herausgebern der Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“ danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit. Schließlich danke ich allen Personen in meinem privaten und beruflichen Umfeld, die mir durch ihre Unterstützung die Erstellung dieser Arbeit ermöglicht oder erleichtert haben. Gelsenkirchen, im August 2018

Tanja Rudnik

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

§ 1 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 A. Problemaufriss .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Ziele der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I.

Was sind die zivilrechtlichen Grundlagen der „Gesetzesumgehung“ und des „Rechtsmissbrauchs“?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Wie löst das BAG Fälle mit Umgehungsverdacht?  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Wie hat sich die Umgehungsrechtsprechung im Zeitverlauf entwickelt?  19 IV. Welche Abweichungen zur zivilrechtlichen Dogmatik sind erkennbar?  20 C. Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Erster Teil

Dogmatik der Gesetzesumgehung und des Rechtsmissbrauchs  21

§ 2 Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Definitionsvorschläge und Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Historische Entwicklung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Merkmale der Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Umgehungsfähiges Gesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Wirksames Mittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Verstoß gegen das Ziel des Gesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 D. Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Wozu Methoden?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Auslegung von Normen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Grundsätze der Auslegung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Auslegung zur Lösung von Umgehungsfällen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Rechtsfortbildung praeter legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Gesetzeslücke im engeren Sinne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Ausfüllung anhand einfachgesetzlicher Wertungen  .. . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Analogie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Grundsätze der Analogie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Analogie in Umgehungsfällen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Teleologische Reduktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Erreichen der Eingriffsschwelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Bedeutung der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Eingriffsschwelle bei der gesetzesimmanenten Rechtsfort­bildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Inhaltsverzeichnis

8

IV. Rechtsfortbildung extra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Grundsätze der Rechtsfortbildung extra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Gesetzeslücke im weiteren Sinne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Maßstäbe der Lückenfeststellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Kategorien von Gesetzeslücken im weiteren Sinne  . . . . . . . 50 c) Erreichen der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 d) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 e) Keine Rechtsfortbildung contra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Rechtsfortbildung extra legem in Umgehungsfällen  . . . . . . . . . . . . . . . 55 V. Allgemeine und umgehungsspezifische Wertungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Wertungen bei der Auslegung und Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . 57 2. Bedeutung von Wertungen in Umgehungsfällen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Umgehungsspezifische Wertungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Objektive Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Besonderheiten des umgangenen Gesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb) Weitere objektive Wertungskriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Subjektive Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 VI. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Anwendung der umgangenen Norm  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Andere Rechtsfolgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 E. Alternative Lösungsansätze  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I.

Eigenständige Lehre von der Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Bedeutung gesetzlicher Umgehungsregelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Literaturmeinungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Bedeutung bei der Lösung von Umgehungsfällen  . . . . . . . . . . . . 72 2. Bedeutung von Analogieverboten  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Sittenwidrigkeit von Umgehungsgeschäften  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Scheingeschäft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. Sachverhaltsauslegung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 F. Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 § 3 Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 A. Definitionsvorschläge und Grundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Historische Entwicklung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Kategorien des Rechtsmissbrauchs  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Individueller Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Institutioneller Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 D. Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Inhaltsverzeichnis

9

I. Rechtsmissbrauch und Auslegung des § 242 BGB  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Institutioneller Rechtsmissbrauch und teleologische Reduktion  . . . . . . 91 1. Reichweite der teleologischen Reduktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Verhältnis von teleologischer Reduktion und institutionellem Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 III. Lösung von Fällen des Rechtsmissbrauchs im Wege der Rechts­fortbildung extra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Bestehen einer Sonderverbindung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Gesetzeslücke im weiteren Sinne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Maßstäbe der Lückenfeststellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Rechtsmissbrauch als innerrechtliche Ausnahme  . . . . . . . . . 100 cc) Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs  .. 102 (2) Fallgruppen des institutionellen Rechtsmissbrauchs  104 d) Erreichen der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Maßstäbe der Lückenfüllung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Einzelne Rechtsfolgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Prozessuale Durchsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 § 4 Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . 113 A. Spezialität oder Aliud  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Auffassungen in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Ergebnis der dogmatischen Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Aliud-Verhältnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Überschneidung von Umgehung und Rechtsmissbrauch  .. . . . . . . . . . 117 B. Prüfungsreihenfolge .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Vorgehensweise in Literatur und Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Ergebnis der dogmatischen Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Präzisierung der Fragestellung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Richtige Prüfungsreihenfolge  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Auswirkungen der Methodenwahl auf das Ergebnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Anwendungsbereich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Eingriffsschwelle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Rechtsfolgen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Rechtssicherheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 C. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Inhaltsverzeichnis

10

Zweiter Teil Rechtsprechung der obersten Gerichte zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  128



§ 5 Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 A. Begründung der „objektiven Gesetzesumgehung“ d urch eine Leitentscheidung des Großen Senats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Rechtlicher Hintergrund  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Entscheidung des Großen Senats  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“  .. . . . . . . . . . . . 133 I. Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm  . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten  . 135 1. Missbrauch als Verstoß gegen die Ziele der Rechtsordnung  . . . . . . . 136 2. Wertungsabhängigkeit des Missbrauchsbegriffs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Institutioneller Rechtsmissbrauch als Voraussetzung der Umgehung?  139 C. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Gesetzesumgehung als Nutzung von Gesetzeslücken  .. . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Lösung von Umgehungsfällen durch Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . . 141 D. Praktische Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung des BAG  . . . . . . . . . . 144 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 § 6 Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch in der Rechtsprechung anderer oberster Gerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 A. Bundesgerichtshof .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I.

Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  .. . . . . . 148 1. Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Prüfung des Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Rechtsfolgen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Verhältnis von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . 151 II. Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Bundesverwaltungsgericht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I.

Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  .. . . . . . 153 1. Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Prüfung des Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 C. Bundesfinanzhof  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Prüfung der Steuerumgehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 D. EuGH .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis

11

I.

Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch  .. . . . . . 159 1. Fokussierung auf den Missbrauch von Gemeinschaftsrecht  .. . . . . . . 159 2. Prüfung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . 161 II. Übertragbarkeit auf das deutsche Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Dritter Teil

Lösungswege des BAG in Umgehungsfällen  167

§ 7 Erfordernis eines sachlichen Grundes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 A. Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 I.

Befristungsrechtsprechung bis zum Inkrafttreten des TzBfG  .. . . . . . . . 169 1. Tatbestand der Gesetzesumgehung durch Befristung  . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Durch Befristung umgangene Kündigungsschutzvorschrift  .. 170 b) Fehlen eines sachlichen Grundes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Rechtsfolgen unzulässiger Befristungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Prozessuale Durchsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Dogmatische Kritik an der Umgehungsrechtsprechung  .. . . . . . . . . . . 181 2. Alternative Begründungen für das Erfordernis eines sachlichen Grundes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Kritik am Erfordernis eines sachlichen Grundes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Gesetzliche Regelungen zum befristeten Arbeitsverhältnis  .. . . . . . . . . . 185 IV. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Art der Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem  . 190 a) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Möglichkeit analoger Anwendung von Kündigungs­ bestimmungen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Möglichkeit teleologischer Reduktion des § 620 BGB  . . . 194 b) Gesetzeslücke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Erreichen der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Bestimmung der konkreten Eingriffsschwelle  . . . . . . . . . . . . 196 bb) Überschreitung der Eingriffsschwelle bei sachgrundloser Befristung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 e) Keine Rechtsfortbildung contra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen  . . . . . . . . . . 202 I.

Auflösende Bedingung und bedingte Aufhebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

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1. Rechtsprechung und Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Rechtliche Vergleichbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Kündigung kurz vor Verschärfung des Kündigungsschutzes  . . . . . . . . . 207 1. Rechtsprechung und Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Rechtliche Vergleichbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Aufhebungsvertrag mit langer Auslauffrist  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 C. Befristung zur Umgehung der Lohnfortzahlungspflicht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Rechtsprechung und Literatur  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 D. Mittelbares Arbeitsverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Rechtsprechung und Literatur  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Gesetzliche Regelungen zum mittelbaren Arbeitsverhältnis  . . . . . . . . . . 217 E. Umgehung von Arbeitnehmerrechten durch Stellengestaltung  . . . . . . . . . . . . 218 I.

Kündigung wegen Änderung des Anforderungsprofils  . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Rechtsprechung und Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Verlängerungsanspruch nach § 9 TzBfG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Rechtsprechung und Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 F. Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs  .. . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Rechtsprechung des BAG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Scheingeschäft oder Vertragsauslegung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Erfordernis eines sachlichen Grundes für Änderungsverträge  . . . . . 230 a) Art der Rechtsfortbildung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Gesetzeslücke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Wertungsähnlichkeit mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 dd) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 IV. Gesetzliche Regelung von Änderungsvereinbarungen  .. . . . . . . . . . . . . . . 235 G. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Herleitung des Sachgrunderfordernisses bei Befristungen  . . . . . . . . . . . 236 II. Übertragung auf andere Fallgruppen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Fallgruppenübergreifende Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

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§ 8 Kernbereichslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 A. Änderungsvorbehalte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Rechtsprechung des BAG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Art der Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem  . 245 a) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Gesetzeslücke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Erreichen der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 d) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Gesetzliche Regelung von Änderungsvorbehalten  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 B. Null-Stunden-Verträge .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Befristung einzelner Arbeitsbedingungen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 D. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 § 9 Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 A. Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung  . . . . . . . . . . . . 257 I.

Rechtsprechung und Literatur  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Bedingtes Wettbewerbsverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Vorvertrag .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Geheimhaltungs- oder Mandantenschutzklausel  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 B. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 § 10 Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 A. Umgehung von Kündigungsfristen durch auflösende Bedingung  . . . . . . . . . 264 B. Anwesenheitsprämien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 C. Zusammenrechnung von Arbeitsverhältnissen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 D. Umgehung von § 84 AktG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 § 11 Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Problemstellung in der Rechtssache „Kücük“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Rechtsprechung des EuGH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Entwicklung der BAG-Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 III. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

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Inhaltsverzeichnis 1. Einwände gegen die BAG-Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Subsidiarität des institutionellen Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . 280 b) Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs  . 280 c) Mangelnde Effektivität der Missbrauchskontrolle  . . . . . . . . . . . . 281 2. Vorschläge der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Lösung nach dem Gesetzeswortlaut  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 4. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Rahmenvereinbarung mit befristeten Einzelverträgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Rechtsprechung und Literatur  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 C. Wiederholte sachgrundlose Befristung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 I. Rechtsprechung des BAG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 III. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem  . 297 a) Gesetzeslücke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Subsidiarität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 aa) Lösung durch Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG  .. 298 bb) Lösung durch analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Gemeinschaftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (2) Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 c) Erreichen der Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 d) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 D. Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG  . . . 307 I. Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Objektive Eignung und subjektive Ernsthaftigkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Aufnahme in der Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 III. Einordnung in die Methodenlehre  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 1. Individueller oder institutioneller Rechtsmissbrauch?  . . . . . . . . . . . . . 314 2. Subsidiarität der Rechtsfortbildung extra legem  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 3. Zweistufige Lösung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I. Befristung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 III. Fallgruppenübergreifende Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

Inhaltsverzeichnis

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§ 12 Fallgruppenübergreifende Analyse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 A. Gemeinsamkeiten der Fallgruppen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 I. Verzicht auf (offene) Methodenanwendung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 II. Wertungsabhängigkeit der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 B. Zielsetzungen der Umgehungsrechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 I. Arbeitnehmerschutz durch Inhaltskontrolle von Verträgen  . . . . . . . . . . . 324 II. Verwirklichung des Normzwecks  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Europarechtskonformität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 C. Thesen zur Erklärung der Umgehungsrechtsprechung des BAG  .. . . . . . . . . . 327 I. Regelungslücken im Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Ausschluss gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 III. Niedrigere Eingriffsschwelle  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 IV. Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Gesetzesumgehung  . . . . . . . . . . 330 D. Haupttendenzen in der zeitlichen Entwicklung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 I.

Vom Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zum individu­ellen und institutionellen Rechtsmissbrauch  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Von der Einzelfallgerechtigkeit zur Rechtssicherheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 III. Von der Ersatzgesetzgebung zur minimalen Gesetzeskorrektur  . . . . . . 335 E. Ergebnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 § 13 Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 A. Beantwortung der Untersuchungsfragen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 I.

Was sind die zivilrechtlichen Grundlagen der „Gesetzesumgehung“ und des „Rechtsmissbrauchs“?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 II. Wie löst das BAG Umgehungsfälle?  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 III. Wie hat sich die Umgehungsrechtsprechung im Zeitverlauf entwickelt?  340 IV. Welche Abweichungen zur zivilrechtlichen Dogmatik sind erkennbar?  341 B. Handlungsbedarf .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Sachwortregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

Zu den in der Arbeit verwendeten Abkürzungen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin 2015.

§ 1  Einführung A.  Problemaufriss Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch sind zwei Rechtsfiguren, die von der zivilrechtlichen Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt wurden, um Verstößen gegen Ziele des Gesetzes entgegenzuwirken.1 Es handelt sich keineswegs um typisch arbeitsrechtliche Phänomene, aber in keinem anderen Rechtsgebiet ist ihre Bedeutung so groß wie in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit.2 Gerade im Arbeitsrecht mit seinen zahlreichen Gesetzeslücken und nur punktuell wirkenden Schutzbestimmungen scheint die Vermeidung von gesetzlichen Regelungen einfach – und der wirtschaftliche Anreiz dazu ist erheblich. Der Rechtsfortbildung, dem sogenannten „Richterrecht“, kommt deshalb eine besondere praktische Relevanz zu.3 In der Rechtsprechung des BAG nimmt die Gesetzesumgehung die Spitzenposition als am häufigsten verwendetes Argumentationsmuster ein.4 Weil Entscheidungen des BAG eine weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben, ist es wichtig, dass sie eine klare Linie erkennen lassen.5 Tatsächlich ist aber häufig nicht vorhersehbar, ob Arbeitsgerichte am Gesetzeswortlaut haften oder einen Fall der Umgehung oder des Rechtsmissbrauchs annehmen werden. In der Praxis herrscht deshalb erhebliche Rechtsunsicherheit.6 Nach heute ganz überwiegender Ansicht sind auch Fälle mit Umgehungsverdacht anhand der üblichen Methoden, insbesondere durch erweiternde Auslegung und Analogie, zu lösen.7 Das BAG geht seit Jahrzehnten gegenüber der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur einen dogmatischen Sonderweg,8 indem es die Gesetzesumgehung immer noch als eigenständige, über die Analogie hinausgehende Rechtsfigur anerkennt. Zudem hat das BAG seine eigene Variante der „objektiven Gesetzesumgehung“ entwickelt, die im Gegensatz zur früher verbrei1 

BGH, Urteil v. 16. 03. 2009 – II ZR 302/06, BB 2009, 1318, 1320; Sieker, S. 17 ff. Benecke, S. 196; vgl. Gliederungspunkt § 5 D. 3  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388. 4  Preis, S. 156 f. 5  BAG, Urteil v. 15. 02. 1962 – 2 AZR 322/60, BAGE 12, 278. 6  Schurig, in: FS Ferid, S. 381 f.; Benecke, S. 3. 7  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. 8 Vgl. Benecke, S. 195 ff.: „Sonderfall Arbeitsrecht?“; Preis, S. 157, sieht in der Rspr. des BAG eine „ausdehnende und zum Teil abweichende Handhabung des Verbots der Gesetzesumgehung“. 2 Ebenso

§ 1  Einführung

18

teten Auffassung keine Umgehungsabsicht voraussetzt.9 Diese Handhabung wirft die Fragen auf, welche Unterschiede sich in der Fallbearbeitung im Vergleich zu einer Lösung durch Auslegung und Analogie ergeben und ob Besonderheiten des Arbeitsrechts eine eigenständige Rechtsfigur der Gesetzesumgehung rechtfertigen. In jüngerer Zeit sorgt die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung für zusätzliche Verwirrung, indem sie in einigen aktuellen Entscheidungen, z. B. zur wiederholten Befristung mit sachlichem Grund nach § 14 Abs. 1 TzBfG10 oder zur Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG11, nicht mehr klar zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch trennt. Unstreitig ist, dass Ähnlichkeiten bestehen. Maßgeblich für das Vorliegen sowohl einer Gesetzesumgehung als auch eines institutionellen Rechtsmissbrauchs ist ein Verstoß gegen das durch Auslegung ermittelte Ziel einer Norm oder eines Rechtsinstituts.12 Zwischen Tatbestandserschleichung und institutionellem Rechtsmissbrauch besteht eine besondere Nähe.13 Auch wenn Einzelheiten streitig sind, unterscheiden sich die Rechtsinstitute nach der zivilrechtlichen Dogmatik aber erheblich in ihrem Anwendungsbereich und in ihren Rechtsfolgen. Das BAG hingegen spricht von „rechtsmissbräuchlicher Umgehung“14 oder einer „Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle“15, ohne klarzustellen, welche Voraussetzungen geprüft und wie die Rechtsfolgen bestimmt werden. Da einige Instanzgerichte16 diesem Weg folgen, sind Entscheidungen für die Praxis schwer kalkulierbar. Auch wenn Gerechtigkeitsvorstellungen und Wertungen eine wichtige Rolle spielen, müssen Entscheidungen nach dem Rechtsstaatsprinzip so weit wie möglich auf intersubjektiv nachvollziehbarem und damit prognostizierbarem Wege mit Hilfe anerkannter Methoden gefunden werden.17 Das Schrifttum wirft dem BAG deshalb vor, es habe „klare Umgehungstatbestände […] zu bloßen Missbrauchsindizien herabgestuft und die Prüfung von der Subsumtion in eine 9 

Grundlegend BAG, Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65. BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1359. 11  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 474/13, juris (Rn. 18); v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214. 12  BGH, Urteil v. 16. 03. 2009 – II ZR 302/06, BB 2009, 1318, 1320; Mader, S. 140. 13  Mader, S. 138; Schurig, in: FS Ferid, S. 406. 14  BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214; v. 27. 09. 2012 – 2 AZR 838/11, NJW 2013, 1692. 15  Neuerdings st. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; erstmals im Urteil v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 429. 16  Z. B. ArbG Stuttgart, Urteil v. 08. 04. 2014 – 16 BV 121/13, juris; ArbG Cottbus, Beschluss v. 06. 02. 2014 – 3 BV 96/13, juris; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 08. 01. 2014 – 3 TaBV 43/13, DB 2014, 489; Sächsisches LAG, Urteil v. 30. 05. 2013 – 9 Sa 477/12, juris. 17  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388 f.; Zippelius, S. 51. 10 

B.  Ziele der Untersuchung

19

unkonturierte Rechtsmissbrauchskontrolle verlagert“18, und fordert „Methodenehrlichkeit“19 in der Rechtsprechung. In der bisher vorliegenden Literatur wird die Vorgehensweise des BAG bei Umgehungssachverhalten meist nicht allgemein und fallgruppenübergreifend, sondern mit Bezug auf eine einzelne aktuelle Problematik betrachtet. In ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 2004 stellt Benecke auf elf Seiten 20 einige Besonderheiten der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Gesetzesumgehung dar. Eine neuere und umfassendere Analyse des Umgangs des BAG mit Umgehungsfällen, die auch das Verhältnis zum Rechtsmissbrauch einbezieht, fehlt jedoch.

B.  Ziele der Untersuchung Im Laufe der Untersuchung sollen die folgenden Fragen beantwortet werden: I.  Was sind die zivilrechtlichen Grundlagen der „Gesetzesumgehung“ und des „Rechtsmissbrauchs“? Welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen haben Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch nach der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik? – In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? – In welcher Reihenfolge sind sie zu prüfen? II.  Wie löst das BAG Fälle mit Umgehungsverdacht? Welche Voraussetzungen stellt das BAG an Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch? – In welchen Fallgestaltungen prüft das BAG das Vorliegen von Gesetzesumgehung und/oder Rechtsmissbrauch? – Lassen sich Fallgruppen bilden, die eine einheitliche Handhabung aufweisen? – Unterscheiden sich die Obersätze nach dem jeweils zu entscheidenden Gegenstand? – Welche Rechtsfolgen nimmt das BAG an? III.  Wie hat sich die Umgehungsrechtsprechung im Zeitverlauf entwickelt? Welche Änderungen haben sich in der Rechtsprechung des BAG im Zeitverlauf ergeben? – Welche Einflussfaktoren (z. B. politische oder arbeitsmarktpolitische Situation, Gesetzesänderungen, Zusammensetzung des Gerichts) haben zu einer Rechtsprechungsänderung geführt? – Inwieweit wurden Entwicklungen in der Literatur aufgegriffen und berücksichtigt? 18 

Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 154. Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 121. 20  S. 195 bis 206. 19 

§ 1  Einführung

20

IV.  Welche Abweichungen zur zivilrechtlichen Dogmatik sind erkennbar? Inwieweit weicht die Dogmatik des BAG zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch von der heute h. M. in der Literatur und der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichte ab? – Wie wirken sich die Unterschiede auf die Entscheidung des jeweiligen Falles aus? – Begründet das BAG eventuelle Abweichungen? – Lassen sich Erklärungsansätze für die Vorgehensweise des BAG finden?

C.  Gang der Untersuchung Die Untersuchung wird in drei Schritten vorgenommen: Im ersten Teil wird die Dogmatik der Gesetzesumgehung und des Rechtsmissbrauchs nach dem heutigen zivilrechtlichen Verständnis dargestellt. Geklärt werden soll neben ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen insbesondere das Verhältnis zwischen ihnen. Das Ziel besteht darin, eine theoretische Basis zu schaffen und Schlussfolgerungen für die methodisch abgesicherte Lösung von Fällen mit Umgehungs- und Missbrauchsverdacht zu ziehen. Im zweiten Teil wird anhand der grundlegenden Leitentscheidung des Großen Senats21 untersucht, welche Voraussetzungen der Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ nach der Rechtsprechung des BAG hat. Zum Vergleich wird auch die Rechtsprechung anderer oberster Gerichte einschließlich des EuGH betrachtet. Der dritte Teil schließlich dient der intensiven Betrachtung der einzelnen Fallgruppen, in denen das BAG eine Gesetzesumgehung in Betracht gezogen hat. Den Schwerpunkt bildet die Einordnung der unterschiedlichen Lösungswege des BAG in die Methodenlehre. Dieser Teil endet mit einer fallgruppenübergreifenden Analyse der Umgehungsrechtsprechung hinsichtlich typischer Muster und Entwicklungstendenzen. Zum Abschluss werden die oben aufgeworfenen Fragen beantwortet.

21 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798.

Erster Teil

Dogmatik der Gesetzesumgehung und des Rechtsmissbrauchs § 2  Gesetzesumgehung 1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

A.  Definitionsvorschläge und Grundlagen Paulus1: „Contra legem facit, qui id facit, quod lex prohibit; in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius circumvenit.“2 Teichmann 3: Umgehung ist der „Verstoß gegen den Sinn einer Norm, ohne dass der Wortlaut verletzt wird.“ BAG4: „Eine Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden.“ Armbrüster5: „Verstößt ein Rechtsgeschäft zwar bei einer eng am Gesetzeswortlaut haftenden Auslegung nicht gegen ein gesetzliches Verbot, ist es aber so konzipiert, dass im Ergebnis ein dem Sinn des Verbotsgesetzes zuwiderlaufender Erfolg eintritt, so spricht man von einem Umgehungsgeschäft.“ Franzen6: „Ein Umgehungstatbestand liegt vor, wenn Parteien ihre vertraglichen Beziehungen so gestalten, dass die entsprechende gesetzliche Regelung nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Normgehalt nicht angewandt werden kann, obwohl deren Zweck die Anwendung gebieten würde.“ Sieker7: „Die Gesetzesumgehung ist keine eigenständige Rechtsfigur […], sondern ein tatsächliches Phänomen, das Sachverhalte „mit Manipulationsverdacht“ umfasst, die bestimmte für einen Umgehungsversuch charakteristische Merkmale aufweisen.“

1 

Digesten I, 3, 29. „Gegen das Gesetz verstößt, wer tut, was das Gesetz verbietet; das Gesetz umgeht, wer ohne Verstoß gegen den Wortlaut des Gesetzes den Sinn des Gesetzes hintergeht.“ 3  JZ 2003, 761, 762. 4  Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65 = NJW 1961, 798. 5  In: MüKoBGB, § 134 Rn. 11. 6  In: MüKoBGB, § 487 Rn. 8. 7  S. 45. 2  Übersetzung:

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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Seitdem es Gesetze gibt, gibt es auch Menschen, die das Gesetz nicht brechen, sondern „überlisten“ wollen.8 Obwohl Juristen wie Laien den Begriff der Gesetzesumgehung oft verwenden und eine bestimmte Idee damit verbinden, zeichnet er sich immer noch durch seine Konturenlosigkeit aus.9 Wie die obigen Beispiele zeigen, hat sich keine einheitliche Definition der Gesetzesumgehung durchgesetzt. Die Vorstellungen über umgehungsfähige Normen differieren ebenso wie diejenigen über geeignete Methoden zur Verhinderung einer Gesetzesumgehung und über ihre Rechtsfolgen. Der Begriff der Gesetzesumgehung ist zwar universell und wird auch in anderen Rechtsgebieten verwendet. Häufig diskutiert wird die Umgehung etwa im Internationalen Privatrecht10 und im Steuerrecht11. Weil andere Rechtsgebiete aber dogmatische Besonderheiten aufweisen (z. B. der Gesetzesvorbehalt im öffentlichen Recht, das Analogieverbot im Strafrecht, die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht), soll bei der Darstellung einer theoretischen Basis vorwiegend auf das deutsche Zivilrecht Bezug genommen werden, dem auch das in dieser Arbeit betrachtete Arbeitsvertragsrecht angehört.

B.  Historische Entwicklung Die Gesetzesumgehung war bereits im römischen Recht als Problem bekannt.12 Die aus dieser Zeit stammende Bezeichnung „fraus legis“ ist heute noch gebräuchlich.13 Bis zur Klassik bildete das römische Recht wegen der pedantischen Fassung des Gesetzeswortlauts und dem strikten Haften an diesem Wortlaut einen idealen Nährboden für Umgehungen.14 Jener Zeit sind viele Grundstrukturen heute noch gebräuchlicher Umgehungsgestaltungen zu verdanken. Beispielsweise haben Frauen Strohmänner eingesetzt, um das für sie geltende Verbot der Bürgschaft und des Geldaufnehmens zu umgehen.15 Ein Ackergesetz, das die Größe des persönlichen Grundbesitzes begrenzte, wurde umgangen, indem ein Vater seinen Sohn emanzipierte und ihm das darüber hinausgehende Land übereig8 

Schurig, in: FS Ferid, S. 375. Vor etwa einem Jahrhundert konstatierte Ähnliches bereits Vetsch, S. 2 ff. 10 Dazu Basedow, in: FS Stathopoulos, S. 159 ff.; Schurig, in: FS Ferid, S. 375 ff.; ausführlich Benecke, S. 219 ff., und Heeder, S. 85 ff. 11 Ausführlich Fischer, DB 1996, 644; Söffing, BB 2004, 2777; zum Umgang des BFH mit Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch vgl. Gliederungspunkt § 6 C. I. 12  Behrends, S. 24. 13  Benecke, S. 11; Teichmann, S. 3 f.; vgl. die Titel der Monographien von Behrends und Heeder; der lat. Begriff fraus hat im Deutschen verschiedene Bedeutungen: Betrug, Täuschung, Bosheit, Hinterlist; Schaden, Nachteil; Verbrechen, Vergehen, Frevel. 14  Honsell, in: FS Kaser, S. 113; Schurig, in: FS Ferid, S. 377; Behrends, S. 3; Benecke, S. 8 ff.; Pfaff, S. 8; Teichmann, S. 4. 15  Benecke, S. 9. 9 

B.  Historische Entwicklung

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nete.16 Selbst Cato, bekannt für sein Einstehen für Moral und Recht, betrieb für Senatoren verbotene Handelsgeschäfte unter dem Namen seines Freigelassenen Quintio.17 Zinsverbote wiederum inspirierten zu einer Vielzahl unterschiedlicher Scheingeschäfte, z. B. zum Vorschieben eines Kaufvertrages, zur Rückzahlung eines höheren Wertes in Weizen oder zur Vereinbarung einer unter allen Umständen fälligen Vertragsstrafe.18 Da weder eine Lehre vom Scheingeschäft noch von der Umgehung existierte, waren neue Rechtsnormen die einzige Möglichkeit, Manipulationen entgegenzuwirken.19 Erst um die Zeitwende wurde eine Analogiebildung bei ähnlichen Fällen für zulässig erachtet.20 Grundlage dafür war die Einsicht, dass Gesetze bei aller Sorgfalt stets lückenhaft und fragmentarisch bleiben.21 Aus dieser Zeit stammt die oben wiedergegebene Definition des Paulus22. Ob parallel zur Umgehungsverhinderung durch Analogien ein eigenständiges Rechtsinstitut der fraus legis existierte, ist unter Historikern umstritten.23 Im Mittelalter galten die Rechtsordnungen der deutschen Volksrechte und des rezipierten römischen Rechts nebeneinander. Das deutsche Recht kannte zwar das Problem der Gesetzesumgehung, begegnete ihm aber nur im Wege der Gesetzgebung.24 Das führte zur Entstehung einer Reihe von Rechtssprichwörtern wie „Sobald Gesetz ersonnen, wird Betrug begonnen“ oder „Wo Lex voran, da Fraus Gespann“.25 Aus dem antiken römischen Recht des Corpus Iuris Civilis entwickelten die als Glossatoren bezeichneten Rechtsgelehrten des 12. und 13. Jahrhunderts eine eigenständige Rechtsfigur der Gesetzesumgehung. Diese „fraus“ wurde als eigennütziges Verhalten definiert, das sich gegen das Gesetz, gegen den Staat oder gegen einen Dritten richtet.26 Sie beruhte nicht auf einer einheitlichen theoretischen Grundlage, sondern wurde anhand von Fallgruppen identifiziert.27 Daneben war auch die Rechtsfigur des Scheingeschäfts bekannt. In der Praxis 16 

Honsell, in: FS Kaser, S. 115. Honsell, in: FS Kaser, S. 115. 18  Honsell, in: FS Kaser, S. 115; Benecke, S. 9. 19  Honsell, in: FS Kaser, S. 113; Schurig, in: FS Ferid, S. 377; Behrends, S. 99; Benecke, S. 10 f. 20  Honsell, in: FS Kaser, S. 121; Schurig, in: FS Ferid, S. 377; Benecke, S. 11. 21  Honsell, in: FS Kaser, S. 122. 22  Digesten I, 3, 29: „Contra legem facit, qui id facit, quod lex prohibit; in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius circumvenit.“ – „Gegen das Gesetz verstößt, wer tut, was das Gesetz verbietet; das Gesetz umgeht, wer ohne Verstoß gegen den Wortlaut des Gesetzes den Sinn des Gesetzes hintergeht.“ 23 Ausführlich Honsell, in: FS Kaser, S. 112 ff., 122 ff. 24  Benecke, S. 13; Teichmann, S. 6. 25  Pfaff, S. 8; Teichmann, S. 5, jeweils mit weiteren Beispielen. 26  Schurig, in: FS Ferid, S. 378; Benecke, S. 12; Teichmann, S. 5. 27  Benecke, S. 12; Teichmann, S. 5. 17 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

24

behandelte man Rechtsgeschäfte ohne systematische Abgrenzung mal als Umgehung, mal als Scheingeschäft, denn die Rechtsfolge war in beiden Fällen identisch – die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.28 Berühmtheit erlangten in jener Zeit die sog. „Kuhverstellungen“ zur Umgehung des kanonischen Zinsverbots:29 Nachdem der Darlehensnehmer seine Kuh an den Darlehensgeber verkauft und übereignet hatte, mietete er sie von diesem und zahlte einen Mietzins entsprechend dem vereinbarten Darlehenszins. Nach Ablauf der vereinbarten Darlehenszeit kaufte er die Kuh zurück. Hatte der Darlehensnehmer keine eigene Kuh, dann wurde sie mit Kreide an die Wand gemalt und er mietete quasi eine fiktive Kuh. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich das Schrifttum intensiv mit der dogmatischen Einordnung der Gesetzesumgehung. Dabei entwickelten sich drei Hauptströmungen. Savigny rückte 1840 die Gesetzesumgehung in die Nähe des Scheingeschäfts. Die Lösung sah er in der Sachverhaltsauslegung, da der wahre Wille der Parteien die Natur des Geschäfts bestimme und zur Anwendung zutreffender Rechtsnormen führe.30 Eine solche Behandlung nach den Grundsätzen der Simulation wird heute in Rechtsprechung und Literatur kaum mehr vertreten, was auch auf einem geänderten Verständnis des Scheingeschäfts beruht.31 1851 erweiterte Thöl diese Sichtweise, indem er die „ausdehnende oder ändernde“ Auslegung des Gesetzes als zusätzliche Möglichkeit zur Verhinderung einer Gesetzesumgehung ins Spiel brachte.32 Zu jener Zeit begann die Ablösung der bis dahin herrschenden subjektiven Auslegung, die den Willen des historischen Gesetzgebers in den Mittelpunkt stellt, durch die objektive Auslegung, die dem Richter mehr Spielraum bei der Auslegung nach Sinn und Zweck einer Norm und bei der analogen Anwendung von Normen lässt.33 Auch die Entscheidung des Gesetzgebers, keine Regelung zur Gesetzesumgehung ins BGB aufzunehmen, beruhte auf der Vorstellung, dass es sich dabei um ein Problem der Auslegung und Analogie handele.34 Vorangetrieben durch die 1962 erschienene Dissertation von Teichmann35 hat sich diese Auffassung mittlerweile im allgemeinen Zivilrecht in Deutschland durchgesetzt.36 28 

Schurig, in: FS Ferid, S. 378; Benecke, S. 12 f.; Teichmann, S. 5. Benecke, S. 13. 30  Savigny, Bd. 1, S. 324 f. 31  Vgl. Gliederungspunkt § 2 E. III. und IV. 32  Thöl, S. 160. 33  Teichmann, JZ 2003, 761, 765; Benecke, S. 14 f.; Schröder, S. 68 ff. 34  Mugdan I, S. 725. 35  „Die Gesetzesumgehung“, S. 69 f.; S. 105. 36  BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 986; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; Palandt/Ellenberg, § 134 Rn. 28; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40; Bickel, JuS 1987, 861, 863; Fischer, DB 1996, 644, 647; Huber, JurA 1970, 784, 797; Mül29 

B.  Historische Entwicklung

25

Eine dritte Ansicht schließlich betrachtete die Gesetzesumgehung als eigenes Rechtsinstitut, das besondere, über die allgemeine Methodik hinausgehende Voraussetzungen und Rechtsfolgen aufweist. Die fraus legis stelle eine Art Betrug am Gesetz dar und erfordere dementsprechend eine Umgehungsabsicht oder Arglist der Parteien. Diese führe zu einem Verbot bzw. zur Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts und damit zu dessen Nichtigkeit nach § 134 oder § 138 BGB. Diese Auffassung wurde vom Reichsgericht37 und vom Reichsarbeitsgericht38 vertreten und fand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst die meiste Zustimmung in der Literatur.39 Auch heute wird ein eigenständiges Rechtsinstitut der Umgehung von einigen Autoren für erforderlich gehalten.40 Problematisch an dieser Auffassung ist, dass identische Rechtsgeschäfte in Abhängigkeit von den subjektiven Vorstellungen der Parteien (oder deren Beweisbarkeit) unterschiedlich behandelt werden.41 Beispielsweise vertrat das Reichsarbeitsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung zu Kettenarbeitsverträgen, dass eine wiederholte Befristung nur unwirksam sei, wenn der Arbeitgeber ausschließlich in der Absicht handele, den gesetzlichen Kündigungsschutz zu umgehen.42 Verfolgte er auch andere Ziele oder konnte der Arbeitnehmer eine Umgehungsabsicht nicht nachweisen, blieb die Befristung wirksam. Auch das BAG betrachtet die Gesetzesumgehung als eigenständige Rechtsfigur, hat allerdings seine eigene Variante der „objektiven Gesetzesumgehung“ entwickelt, die auf den Nachweis einer Umgehungsabsicht verzichtet.43

ler, NJW 2003, 1975; Teichmann, JZ 2003, 761, 767; Behrends, S. 11; Sieker, S. 8 ff.; Teichmann, S. 67 ff., S. 105. 37  RG, Urteil v. 02. 06. 1890 – Rep. VI 68/90, RGZ 26, 180, 183; v. 10. 01. 1885 – Rep. I 431/84, RGZ 13, 200; v. 03. 02. 1882 – Rep. III 529/81, RGZ 6, 181. 38  RAG, Urteil v. 05. 01. 1938 – RAG. 181/37, ARS 32, 174, 176; v. 02. 07. 1932 – RAG. 186/32, ARS 16, 66; v. 10. 09. 1931 – RAG. 136/31, ARS 13, 42. 39  Kegel, ÖJZ 1958, 15; Stritzke, JW 1934, 597, 599; Bähr, S. 52 f.; Capodistrias, S. 29; Pfaff, S. 1 ff. 40  In jüngerer Zeit noch Mayer-Maly, SAE 1976, 256; Wollenschläger, AuR 1975, 222, 223; Heeder (1998), S. 78 ff.; Schick (2008), S. 213; Thies (2007), S. 355 ff. 41  Teichmann, JZ 2003, 761, 764; Sieker, S. 40. 42  RAG, Urteil v. 05. 01. 1938 – RAG. 181/37, ARS 32, 174, 176; v. 02. 07. 1932 – RAG. 186/32, ARS 16, 66; v. 10. 09. 1931 – RAG. 136/31, ARS 13, 42. 43  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, vgl. Gliederungspunkt § 5.

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

C.  Merkmale der Gesetzesumgehung Die Definition Siekers44 betont, dass die Gesetzesumgehung nach dem heute im deutschen Zivilrecht herrschenden Verständnis kein eigenständiges Rechtsinstitut ist.45 Vielmehr handelt es sich um ein besonderes Rechtsproblem mit typischen Merkmalen.46 Gesetzesumgehung ist ein Sammelbegriff für Fälle, in denen die Vermutung naheliegt, dass Unterschiede zwischen dem Wortlaut einer Norm und den dahinterstehenden Zielen ausgenutzt werden sollen. Allen Fällen der Gesetzesumgehung ist gemeinsam, dass sich eine oder mehrere Rechtsnormen ausmachen lassen, die für einen Rechtsunterworfenen nachteilig sind. Häufig wählt dieser dann eine auf den ersten Blick ungewöhnlich anmutende rechtliche Gestaltung, die nicht unter den Wortlaut der Norm fällt, im Übrigen aber ein entsprechendes Ergebnis erzielt.47 Bei der Falllösung ist zu klären, ob diese Gestaltung die gewünschten Wirkungen entfalten oder wegen Vorrangs des Gesetzeszwecks abweichend vom Gesetzeswortlaut behandelt werden soll. Der Begriff der Gesetzesumgehung beschreibt also nicht eine Methode der Rechtsfortbildung als Lösungsweg, sondern eine Aufgabe für den Rechtsanwender.48 I.  Umgehungsfähiges Gesetz Als Gesetzesumgehung bezeichnet man nicht jeden Versuch, die Anwendbarkeit einer Rechtsnorm zu vermeiden, sondern nur diejenigen Fälle, in denen die Tatbestandsvermeidung nach den Wertungen des Gesetzes nicht zum gewünschten Erfolg führen darf. Gesetze sind deshalb nur umgehungsfähig, wenn die Vermeidung ihres Tatbestandes ein Problem für die Rechtsordnung als ganze darstellen kann.49 Nicht umgehungsfähig sind rein begünstigende Normen. „Umgeht“ etwa ein Bürger gezielt die Voraussetzungen einer staatlichen Förderung, so steht ihm dies in aller Regel frei und bedarf keines korrigierenden Eingriffs. Betrachtet man die obigen Definitionsvorschläge, so hat Armbrüster50 ausschließlich die Umgehung von Verbotsgesetzen im Blick. Das ist in der Litera-

44  S. 45: „Die Gesetzesumgehung ist keine eigenständige Rechtsfigur […], sondern ein tatsächliches Phänomen, das Sachverhalte „mit Manipulationsverdacht“ umfasst, die bestimmte für einen Umgehungsversuch charakteristische Merkmale aufweisen“. 45  So auch BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 986; MüKoBGB/ Armbrüster, § 134 Rn. 15; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40; Bickel, JuS 1987, 861, 863; Fischer, DB 1996, 644, 647; Huber, JurA 1970, 784, 797; Müller, NJW 2003, 1975; Teichmann, JZ 2003, 761, 767; Behrends, S. 10 f.; Teichmann, S. 67 ff., S. 105. 46  Schurig, in: FS Ferid, S. 398; Benecke, S. 90; Sieker, S. 45. 47  Kegel, ÖJZ 1958, 15. 48  Kegel, ÖJZ 1958, 15; Benecke, S. 209. 49  Benecke, S. 94.

C.  Merkmale der Gesetzesumgehung

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tur nicht selten der Fall, weshalb die Umgehung häufig im Zusammenhang mit § 134 BGB erörtert wird.51 Bei Verboten sind Umgehungsversuche besonders naheliegend. Die Betrachtung der Gesetzesumgehung im Zusammenhang mit Verbotsgesetzen ist aber auch historischen Ursprungs. So hielt das Reichsgericht in seinen Entscheidungen vor Erlass des BGB eine Umgehung zunächst nur bei Verbots- und Gebotsgesetzen für möglich.52 Nach heute h. M. sind aber auch andere Gesetze umgehungsfähig, die eine von mindestens einer Partei unerwünschte Rechtsfolgenanordnung enthalten.53 So sind Formvorschriften wegen ihrer Warn- und Dokumentationsfunktion nicht selten lästig für eine Vertragspartei und sollen umgangen werden. Beispielsweise hatte der BGH über die Umgehung des Schriftformgebots bei einer Bürgschaft nach § 766 BGB durch Erteilung einer unwiderruflichen Vollmacht – konkret einer „Blankobürgschaft“ – zu entscheiden.54 Ist der Vollmachtgeber bereits in gleicher Weise gebunden wie durch das Rechtsgeschäft selbst, so bedarf die Vollmacht entgegen § 167 Abs. 2 BGB ausnahmsweise selbst der vorgeschriebenen Form,55 da andernfalls der Schutz des Schriftformgebots bei der Bürgschaft umgangen würde. Auch gesellschaftsrechtliche Vorschriften wie die Pflicht zur Kapitalaufbringung und -erhaltung sind häufig Gegenstand von Umgehungsversuchen.56 Wie das BAG57 in seiner Definition betrachtet ein Teil der Literatur nur zwingende Rechtsnormen als umgehungsfähig.58 Denkbar ist aber auch die Umgehung dispositiven Rechts, wenn eine Abbedingung für eine der Parteien nicht eigenständig oder nur mit Nachteilen durchführbar ist.59 So kann der Vertreter, der nicht vom Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB befreit ist, diese Beschränkung durch eine Unter50

50  In: MüKoBGB, § 134 Rn. 11: „Verstößt ein Rechtsgeschäft zwar bei einer eng am Gesetzeswortlaut haftenden Auslegung nicht gegen ein gesetzliches Verbot, ist es aber so konzipiert, dass im Ergebnis ein dem Sinn des Verbotsgesetzes zuwiderlaufender Erfolg eintritt, so spricht man von einem Umgehungsgeschäft.“ 51  BeckOK BGB/Wendtland, § 134 Rn. 19; HK-BGB/Dörner, § 134 Rn. 11; MüKo­ BGB/Armbrüster, § 134 Rn. 11 ff.; Enneccerus-Nipperdey, § 190 III., S. 819. 52  RG, Urteil v. 02. 06. 1890 – VI 68/90, RGZ 26, 180, 184; so ebenfalls noch v. Gamm, WRP 1961, 259, 260. 53  Benecke, RdA 2016, 65, 68; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1303; Schurig, in: FS Ferid, S. 380; Benecke, S. 94; Tamussino, S. 58; a.A. Hohmeister, NZA 2000, 408, 409. 54  BGH, Urteil v. 29. 02. 1996 – IX ZR 153/95, NJW 1996, 1467. 55  BeckOK BGB/Wendtland, § 125 Rn. 12. 56  Benecke, ZIP 2010, 105 ff. 57  Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65: „Eine Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden.“ 58  Koziolek, S. 86. 59  Benecke, S. 94 f.; Tamussino, S. 59 ff.

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

vollmacht umgehen wollen. Das Reichsgericht hat dies zugelassen,60 während der BGH § 181 BGB analog anwendet.61 Nicht nur formelle Gesetze, sondern auch Gewohnheitsrecht und Richterrecht sind grundsätzlich umgehungsfähig.62 Dass es an einem konkreten Wortlaut fehlt und eher anhand eines allgemeinen Rechtsgedanken entschieden wird, erschwert eine Umgehung jedoch.63 In der Praxis kommt es vor, dass nicht nur die Anwendung einzelner Rechtsnormen, sondern ganze Regelungsgebiete gemieden werden sollen. Paradebeispiel ist die Umgehung des Kündigungsschutzes durch die (Ketten-)Befristung von Arbeitsverträgen,64 die lange Zeit nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt war. Indem er eine Kündigung überflüssig macht, will der Arbeitgeber alle möglicherweise anwendbaren allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz- und Kündigungsnormen ausschalten. Selbst eine Umgehung gesamter Rechtsordnungen ist möglich und bei unterschiedlichem Schutzniveau besonders effektiv, weshalb die Gesetzesumgehung im internationalen Privatrecht erhöhte Aufmerksamkeit erfährt65 und durch gesetzliche Mindeststandards begrenzt wird66. Beispielhaft genannt sei die Ausflaggung eines Schiffs ohne jeden Anknüpfungspunkt an die gewählte Nationalität, um die Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts zu vermeiden.67 Begrifflich kann sogar der rechtsfreie Raum umgangen werden. Denkbar ist nämlich auch der umgekehrte Fall, dass nicht eine unerwünschte Rechtsfolge vermieden, sondern eine erwünschte Rechtsfolge durch gezielte Erfüllung des Wortlauts eines begünstigenden Gesetzes herbeigeführt werden soll.68 Diese Vorgehensweise wird als „Gesetzesergehung“69, „Norm(en)erschleichung“70 oder „Tatbestandserschleichung“71 bezeichnet. Häufig vermeidet man dabei aber zugleich die Anwendbarkeit einer anderen Norm. Beispielsweise wird gezielt der Tatbestand einer Ausnahmeregelung verwirklicht, um ein Verbot zu umgehen. Weil die damit verbundenen Rechtsprobleme spiegelbildlich jenen der Gesetzes­ 60  RG, Urteil v. 27. 09. 1924 – V 367/23, RGZ 108, 405, 406; v. 04. 11. 1903 – I 228/03, RGZ 56, 104. 61  BGH, Urteil v. 24. 09. 1990 – II ZR 167/89, NJW 1991, 691. 62  Schurig, in: FS Ferid, S. 375; Benecke, S. 95. 63  Pfaff, S. 7. 64  BAG, Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65. 65 Vgl. Schurig, in: FS Ferid, S. 385 ff.; Benecke, S. 219 ff.; Heeder, S. 85 ff. 66  Z. B. der Ordre-Public-Vorbehalt nach Art. 6 EGBGB. 67  Heeder, S. 300 ff. 68  Teichmann, S. 48; Thöl, S. 159 Fn. 2. 69  Englisch, StuW 2009, 3, 9; Benecke, S. 34. 70  Huber, JurA 1970, 784, 797; Behrends, S. 3. 71 MüKoBGB/Wendehorst, § 312k Rn. 13; MüKoBGB/S. Lorenz, § 475 Rn. 34; Honsell, in: FS Kaser, S. 111; Teichmann, S. 48.

C.  Merkmale der Gesetzesumgehung

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umgehung entsprechen, ist eine gesonderte Betrachtung nicht erforderlich.72 Die Ausführungen zur Gesetzesumgehung gelten in gleicher Weise für die „Gesetzes­ ergehung“. II.  Wirksames Mittel Ein erfolgversprechender Umgehungsversuch erfordert ein wirksames und taugliches Umgehungsgeschäft. Gegen diese Voraussetzung kann die Aussage Kegels eingewendet werden, „das Recht erschein[e], vom Ergebnis aus gesehen, einer Umgehung unzugänglich“73. Eine Gesetzesumgehung sei unmöglich, da ihre Erkennung bereits ihr Scheitern in sich trage und es somit stets bei einem Versuch bleiben müsse.74 Obgleich theoretisch schlüssig, wird man dem für die Praxis nicht zustimmen können. Häufig führt schon die Verschleierung des anzuwendenden Rechts gegenüber dem Vertragspartner zum gewünschten Erfolg, da nicht jedes Umgehungsgeschäft zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht und durch die Gerichte aufgedeckt wird. Zur Umgehung tauglich kann ein Geschäft nur dann sein, wenn das umgangene Gesetz bei isolierter Betrachtung des Wortlauts jedenfalls auf den ersten Blick nicht anwendbar erscheint. Erfasst bereits der Wortlaut einer Rechtsnorm ein Rechtsgeschäft eindeutig, so kann nach den obigen Definitionen von einer Umgehung nicht gesprochen werden. Deshalb kommt nach heute überwiegender Auffassung die Auslegung nicht als Lösung für Umgehungssachverhalte in Betracht, da ihre Grenze der mögliche Wortsinn einer Norm ist.75 Darüber hinaus muss das Umgehungsgeschäft – jedenfalls bis zur Aufdeckung der Umgehung – rechtswirksam sein. Nur so kann es die gewünschten Rechtsfolgen nach sich ziehen. Deshalb ist ein Scheingeschäft nach heutiger Definition ungeeignet zur Gesetzesumgehung.76 Es ist von den Parteien nicht ernstlich gewollt und bleibt gemäß § 117 Abs. 1 BGB ohne Rechtsfolgen.77 Häufig wird man auf eine Gesetzesumgehung nicht unmittelbar anhand ihrer Merkmale aufmerksam, sondern durch eine auffällige, unnötig kompliziert anmutende Vertragsgestaltung. Dabei wiederholen sich bestimmte Grundmuster, die als Hinweis auf eine Gesetzesumgehung gedeutet werden können. Sie72 

Schurig, in: FS Ferid, S. 398; Benecke, S. 37. S. 349; ebenso Bickel, JuS 1987, 861, 863. 74 Jauernig/Mansel, § 134 Rn. 17; Heeder, S. 80. 75  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. II. 1. und 2. 76  BAG v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205, 1206; Jauernig/Mansel, § 117 Rn. 3; Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 145; Schurig, in: FS Ferid, S. 378; Teichmann, JZ 2003, 761, 763; Benecke, S. 23; Sieker, S. 103 f.; Teichmann, S. 8. 77  Zur Abgrenzung zwischen Scheingeschäft, Sachverhaltsauslegung und Umgehungsgeschäft vgl. Gliederungspunkt § 2 E. III. und IV. 73 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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ker unterscheidet vier typische Umgehungsstrategien78: die Verschleierung der zivilrechtlichen causa, die Aufspaltung einer einheitlichen Gestaltung, gegenläufige Geschäfte und die planmäßige Vorschaltung oder Zwischenschaltung einer anderen Person. Die Einordnung in eine dieser Fallgruppen kann den Verdacht einer Umgehungsgestaltung begründen oder verstärken, vermag aber die Umgehungsproblematik weder vollständig zu erfassen noch zu lösen. Unbeantwortet bleibt nämlich die Frage, ob die Gestaltung ihr Ziel erreichen kann oder ob eine Tatbestandsvermeidung als unzulässige Gesetzesumgehung unterbunden werden muss. Zudem fordert eine Systematisierung von Fallgruppen anhand bestimmter Merkmale weitere Umgehungen geradezu heraus, da sich niemals alle denkbaren Umgehungsgestaltungen erfassen lassen.79 III.  Verstoß gegen das Ziel des Gesetzes Nach den gängigen Definitionen setzt die Gesetzesumgehung einen Verstoß gegen Sinn und Zweck der umgangenen Rechtsnorm voraus. Diese Formulierung legt eine Gleichsetzung mit dem Sinn und Zweck im Rahmen der teleologischen Auslegung nahe.80 Dann müssten sich alle Umgehungsfälle durch teleologische Auslegung lösen lassen, während nach heute überwiegender Auffassung die Gesetzesumgehung erst jenseits der Auslegung beginnt. Benecke schlägt deshalb vor, zur Unterscheidung stattdessen von einem Verstoß gegen das „Ziel“ einer Rechtsnorm zu sprechen.81 Das Ziel einer Rechtsnorm sei ebenfalls mit den Mitteln der Auslegung zu bestimmen, wobei hier jedoch die Wortlautgrenze nicht gelte.82 Bei wirtschaftlichen Fragestellungen kann die Auslegung der Norm durch eine ökonomische Analyse ergänzt werden.83 So umfasst das Ziel einer Rechtsnorm ihren Sinn und Zweck, geht aber darüber hinaus, wenn eine Norm aufgrund ihres zu engen Wortlauts der Verfolgung ihres Ziels nicht vollumfänglich dienen kann.84 Beispielsweise verbietet § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG, dass der Dienstvertrag mit einem Vorstandsmitglied länger läuft als seine Amtszeit. Ziel dieser Norm ist der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats bei seinem Beschluss über eine Verlängerung der Amtszeit. Bei weiterlaufenden Dienstverträgen könnten wirtschaftliche Zwänge dazu führen, dass die Amtszeit des Vorstandsmitglieds nur verlängert wird, um eine mehrfache Belastung durch Gehälter aktueller und 78 

Sieker, S. 46 ff. Benecke, S. 123. 80  Teichmann, S. 62 f. 81  Benecke, S. 91. 82  Benecke, S. 93. 83  Benecke, S. 92; Sieker, S. 74 ff. 84  Benecke, S. 92 f., S. 118. 79 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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ehemaliger Vorstandsmitglieder zu vermeiden. Sogar wenn der Aufsichtsrat selbst eine längere Bindung wünscht, ist sie nach dem Gesetz nicht zulässig. Eine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 AktG sah das BAG in einer Vereinbarung, wonach der Dienstvertrag nach Ende der Amtszeit inhaltlich unverändert als Arbeitsvertrag weitergeführt werden sollte.85 Denn auch hier würde der unzulässige Erfolg – eine mögliche Beeinflussung des Aufsichtsrats durch eine Pflicht zur fortgesetzten Entgeltzahlung – eintreten, so dass der Wortlaut des Verbots zu eng ist.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung Nach dem im heutigen Zivilrecht ganz überwiegenden Verständnis86 lassen sich alle Fälle der Gesetzesumgehung mit den allgemeinen Methoden der Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung lösen. Insbesondere Auslegung und Analogie werden als Lösungswege genannt. Eigene Tatbestandsvoraussetzungen – etwa eine Umgehungsabsicht – hat die Umgehung nach diesem Verständnis nicht.87 Gerichte haben vielmehr zu prüfen, ob die Rechtsfolgen der umgangenen Norm nach Auslegung oder Rechtsfortbildung für die Umgehungsgestaltung gelten. Dabei müssen sie die Grenzen der angewandten Methoden einhalten. Ist eine bestimmte, angemessen erscheinende Rechtsfolge auch nach Ausschöpfung sämtlicher Methoden nicht auf eine Gestaltung anwendbar, dann muss dieses Ergebnis hingenommen werden. Die im Arbeitsrecht anwendbaren Methoden unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen des übrigen Zivilrechts.88 Deshalb werden im Folgenden die Methoden der Auslegung und Rechtsfortbildung in allgemeiner Weise in ihren Voraussetzungen und Grenzen dargestellt. Dabei wird insbesondere die Methodenlehre mit den von Larenz und Canaris89 verwendeten Begrifflichkeiten zugrunde gelegt. Zudem wird erörtert, inwieweit die jeweilige Methode zur Lösung von Fällen der Gesetzesumgehung in Betracht kommt. Anhand dieses Instrumentariums kann später die Rechtsprechung des BAG zur Gesetzesumgehung darauf hin untersucht werden, ob sie mit der Methodenlehre in Einklang steht. 85 

BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205. § 134 Rn. 15; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40; Bickel, JuS 1987, 861, 863; Fischer, DB 1996, 644, 647; Huber, JurA 1970, 784, 797; Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5; Müller, NJW 2003, 1975; Teichmann, JZ 2003, 761, 767; Behrends, S. 10 f.; Koziolek, S. 89; Möller, S. 120; Sieker, S. 8 ff.; Streicher, S. 258; Tamussino, S. 123 f. 87  Teichmann, S. 105. 88  Zöllner, § 6 VII., S. 76. 89  Canaris, S. 55 ff.; Larenz, S. 313 ff. und 366 ff.; Larenz/Canaris, S. 133 ff. und 187 ff. 86 MüKoBGB/Armbrüster,

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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I.  Wozu Methoden? Warum müssen Gerichte bei Auslegung und Rechtsfortbildung die Voraussetzungen und Grenzen der angewandten Methoden einhalten? Gerade in Umgehungsfällen könnte man es doch für ausreichend halten, dass ein der Rechtsordnung widersprechender Erfolg erzielt werden soll, den es zu verhindern gilt. Methoden haben aber nicht nur eine Bedeutung als Hilfsmittel für den Rechtsanwender, sondern ihre Anwendung ist verfassungsrechtlich geboten. Nur eine im Wesentlichen klare und verbindliche Methodik garantiert, dass die Rechtsprechung innerhalb des Rahmens von „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG) bleibt.90 Eine völlig freie Rechtsfindung durch die Judikative ohne ein Mindestmaß an methodischer Absicherung verstieße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung,91 weil die Gerichte ihr eigenes Gerechtigkeitsempfinden an die Stelle der Wertungen des Gesetzgebers setzen könnten. Auch für die Praxis ist eine gleichförmige Anwendung und Offenlegung von Methoden wünschenswert, denn sie macht die Rechtsprechung in Umgehungsfällen nachvollziehbar, prognostizierbar und überprüfbar.92 Sorgfältige Methodenanwendung gewährleistet eine Gleichbehandlung gleicher Rechtsfälle und damit die Beachtung des Art. 3 Abs. 1 GG.93 Die erhebliche Rechtsunsicherheit durch eine Vielzahl zusammenhangsloser Einzelfallentscheidungen, wie sie gerade in Umgehungsfällen auftreten, wird vermieden.94 Durch die Bindung an Methoden wird eine Berücksichtigung aller relevanten Wertungen und Wertungskriterien nicht ausgeschlossen, sondern in eine strukturierte Begründung gefasst.95 Dazu ein Beispiel: Das BAG erklärte im Jahr 1960 die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund wegen Umgehung des Kündigungsschutzes für unzulässig und nahm als Rechtsfolge die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses an.96 Obwohl die Ergebnisse dieser Rechtsprechung mehrheitlich für sachgerecht gehalten wurden, war die Begründung jahrzehntelang äußerst umstritten – das Problem der befristeten Arbeitsverhältnisse galt dogmatisch nicht als gelöst. Aus der Literatur kamen immer neue Lösungsvorschläge und von den Instanzgerichten wurde die Rechtsprechung des BAG wiederholt 90 

53.

Rüthers, JZ 2006, 53; Schick, S. 131. § 42 AO Rn. 8; Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97, 98; Rüthers, JZ 2006,

91 Klein/Ratschow,

92  Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 121; Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97, 98; Rüthers, JZ 2006, 53. 93  Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97, 98; Rüthers, JZ 2006, 53. 94  Rüthers, JZ 2006, 53; Schick, S. 130 f. 95  Schick, S. 131. 96  BAG, Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798; dazu ausführlich Gliederungspunkt § 5 A.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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herausgefordert.97 Hätte das BAG seine Vorgehensweise offen als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bezeichnet und dargelegt, dass deren Voraussetzungen vorlagen,98 dann wäre die Rechtssicherheit wohl deutlich größer gewesen. Doch damit nicht genug: Nach damaliger Rechtslage entstand bei Befristung des Arbeitsverhältnisses auf bis zu vier Wochen Dauer kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Das BAG übertrug das Sachgrunderfordernis auch auf diesen Fall; die für den Arbeitnehmer nachteilige Rechtsfolge sollte nur eintreten, wenn ein sachlicher Grund für die kurze Befristung vorlag.99 Tatsächlich bestand hier keine Gesetzeslücke, sondern das BAG machte gegen den Willen des Gesetzgebers eine Ausnahmeregelung praktisch wirkungslos.100 Damit verstieß das BAG gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Bei klarer Methodenanwendung wäre dem Gericht dieser Fehler nicht unterlaufen. Allerdings wurde in der Literatur der Verdacht geäußert, das BAG habe bewusst eine rechtspolitisch umstrittene Norm ausschalten wollen.101 Auch ein solches Vorgehen wäre bei klarer Methodik allzu offenkundig und daher praktisch nicht möglich. Aktuell wird die methodische Vorgehensweise des BAG vor allem bei der Lösung von Fällen wiederholter Befristung mit oder ohne Sachgrund kritisiert102 – wie sich zeigen wird, zu Recht.103 Denn der vorschnelle Rückgriff auf die Figur des institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchs führt in vielen Fällen zu anderen Ergebnissen, als eine Prüfung streng nach der Methodenlehre sie hervorbringen würde. II.  Auslegung von Normen 1.  Grundsätze der Auslegung Die Betrachtung der verfügbaren Methoden beginnt mit der Auslegung der Norm, die der erste Schritt jeder Gesetzesanwendung ist.104 Die h. M. betrachtet den Wortsinn einer Norm als Ausgangspunkt und zugleich als Grenze der Auslegung.105 97 

Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 99  BAG, Urteile v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 264/86, NZA 1988, 464 und 5 AZR 150/87, juris (Rn. 12); grundlegend Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, NZA 1986, 469; vgl. Gliederungspunkt § 7 C. I. 100  Vgl. Gliederungspunkt § 7 C. II. 101  Schwerdtner, NZA 1988, 593, 596. 102  Adam, AuR 2013, 394, 395 f.; Bruns, NZA 2013, 769, 771 f.; Busemann, MDR 2015, 314, 316 f.; Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 121; Preis/Greiner, RdA 2010, 148 ff. 103  Vgl. Gliederungspunkte § 11 A. III. und C. III. 104  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 731. 105  BVerfG, Beschluss v. 23. 10. 1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108, 115; Staudinger/Sack/Seibl, § 134 BGB Rn. 146; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1303; Honsell, in: 98 

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

Diese Grenze ist überschritten, wenn die Anwendung einer Norm auf einen Sachverhalt nicht mehr von ihrem möglichen Wortsinn gedeckt ist; dann handelt es sich um Rechtsfortbildung.106 Dieses Verständnis bezeichnet man als objektive Auslegung, weil sie den für einen sorgfältigen Leser im Anwendungszeitpunkt objektiv erkennbaren Sinngehalt des Gesetzes in den Mittelpunkt stellt.107 Die Gegenposition der subjektiv-historischen Auslegung, die den Willen des historischen Gesetzgebers für das maßgebliche Kriterium hält, wird heute – mit durchaus beachtlichen Argumenten – soweit ersichtlich nur noch von Rüthers vertreten.108 Deshalb soll der Begriff der Auslegung auch hier künftig i. S. d. objektiven Auslegung verwendet werden. Gerichte müssen bei der Falllösung also nicht das Verständnis und den Willen des historischen Gesetzgebers zugrunde legen, sondern können in den Grenzen des Wortlauts anhand der weiteren Auslegungsmethoden (systematische, historische und teleologische Auslegung) zwischen verschiedenen Bedeutungsvarianten wählen.109 Als Rechtsfortbildung intra oder secundum legem bezeichnet man die erweiternde Auslegung, bei der eine Norm auf einen Sachverhalt angewandt wird, der zwar noch von ihrem Wortlaut umfasst wird, aber nicht in ihren Kernbereich fällt.110 Als Beispiel wird die Einziehungsermächtigung genannt, deren Zulässigkeit zunächst umstritten war. Sie kann aber allein durch Auslegung des § 185 Abs. 1 BGB hergeleitet werden, weil auch die Einziehung einer Forderung eine Form der Verfügung ist und damit unter den Wortlaut der Norm fällt.111 Dabei muss natürlich mit Hilfe anderer Auslegungsmethoden begründet werden, warum eine die Einziehungsermächtigung umfassende Auslegung den Vorzug gegenüber einer engeren Auslegung verdient. Bei subjektiver Auslegung könnte man die Einziehungsermächtigung hingegen allenfalls im Wege der Rechtsfortbildung zulassen, weil der historische Gesetzgeber sie bei der Abfassung des § 185 BGB noch nicht vor Augen hatte.

FS Mayer-Maly, S. 384; Peter, RdA 1985, 337, 338; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409; Bydlinski, S. 467 ff.; Larenz, S. 322; Larenz/Canaris, S. 143; Meier-Hayoz, S. 42; Sieker, S. 87; Zippelius, S. 39; a.A. Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 734. 106  Zippelius, S. 39. 107  Bydlinski, S. 428. 108  Rüthers, JZ 2006, 53, 57 und 60; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 820. 109  Larenz, S. 343. 110  Larenz/Canaris, S. 252; Benecke, S. 186. 111  Larenz/Canaris, S. 252.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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2.  Auslegung zur Lösung von Umgehungsfällen Ob man Fälle der Gesetzesumgehung durch Auslegung lösen kann, ist umstritten. Die eingangs zitierte Definition von Franzen112 legt nahe, dass eine Umgehung erst dann vorliegt, wenn ein Sachverhalt von einer Norm auch nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden nicht erfasst wird. Diese Position wird von einem Teil des Schrifttums vertreten.113 Nach der Gegenansicht können Fälle der Gesetzesumgehung sowohl im Wege der Auslegung als auch der Analogie gelöst werden.114 Zutreffend ist, dass Sachverhalte, die eindeutig unter den Wortlaut einer Norm subsumiert werden können, nicht als Gesetzesumgehung zu bezeichnen sind. Es fehlt bereits auf den ersten Blick an einem zur Vermeidung der unerwünschten Rechtsfolgen tauglichen Mittel. Darüber hinaus gibt es keine richtige oder falsche Abgrenzung der Gesetzesumgehung. Da der Begriff nur als Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Sachverhalten mit ähnlichen Merkmalen dient, sind seine Grenzen nicht logisch zwingend festgelegt. Die Anforderungen an die Ähnlichkeit können weiter oder enger definiert werden. Um alle Geschäfte zu erfassen, bei denen die Anwendbarkeit einer Norm trotz Verstoßes gegen ihr Ziel in Zweifel stehen kann, soll hier ein weites Verständnis gewählt werden, das auch die versuchte Ausnutzung eines mehrdeutigen Wortlauts einschließt. Zudem kann es in der Praxis Grenzfälle geben, in denen unklar ist, ob es sich noch um Subsumtion oder bereits um analoge Anwendung handelt.115 Umgehungstypische Fragen können sich vor allem dann stellen, wenn ein Sachverhalt nicht unter das naheliegende oder übliche Verständnis des Wortlauts zu subsumieren ist, sondern einer erweiternden Auslegung bedarf.116 Weil die Gesetzesumgehung einen Verstoß gegen das Ziel einer Rechtsnorm voraussetzt, ist zu ihrer Verhinderung insbesondere die teleologische Auslegung von Bedeutung. Lässt der Wortlaut in möglichen Umgehungsfällen unterschiedliche Ergebnisse zu, so entscheidet der Telos einer Norm darüber, ob eine Subsumtion gelingt oder nicht. Dabei kann das Umgehungsargument – also der Hinweis auf die Zielset112  In: MüKoBGB, § 487 Rn. 8: „Ein Umgehungstatbestand liegt vor, wenn Parteien ihre vertraglichen Beziehungen so gestalten, dass die entsprechende gesetzliche Regelung nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Normgehalt nicht angewandt werden kann, obwohl deren Zweck die Anwendung gebieten würde.“ 113 Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 36; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1303; Söffing, BB 2004, 2777, 2785; Benecke, S. 84 ff.; Teichmann, S. 50 ff.; Westerhoff, S. 205. 114 MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; v. Gamm, ZIP 1961, 259; Huber, JurA 1970, 784, 797; Schurig, in: FS Ferid, S. 408; Knop, S. 184; Möller, S. 125 f.; Schröder, S. 11 f.; Sieker, S. 8; Tamussino, S. 129; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 37 f., wobei Letzterer die Analogie als Auslegungsmethode betrachtet und deshalb von einer Lösung aller Umgehungsfälle allein im Wege der Auslegung ausgeht. 115  Benecke, S. 85. 116  Benecke, S. 87.

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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zung der Norm – als Argument für ein bestimmtes Auslegungsergebnis genutzt werden, nicht aber eine Auslegung ersetzen.117 Umgehungsfälle können jedenfalls dann durch Auslegung gelöst werden, wenn das Gesetz ein ausdrückliches Umgehungsverbot enthält. In der Rechtsprechung des BAG hat vor allem § 75d Satz 2 HGB erhebliche Bedeutung erlangt. Diese Vorschrift regelt die Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung bei Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots und ist nach § 110 Satz 2 GewO auch auf Arbeitsverhältnisse anwendbar. Das BAG kann die einschlägigen Fälle durch Auslegung der Umgehungsregelung sowie der umgangenen Normen lösen, ohne die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung berücksichtigen zu müssen.118 III.  Rechtsfortbildung praeter legem Lässt sich ein Umgehungfall nicht im Wege der Auslegung lösen, so sind Methoden der Rechtsfortbildung in Betracht zu ziehen. Von einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung oder Rechtsfortbildung praeter legem119 spricht man, wenn zur Verwirklichung des Ziels eines Gesetzes dessen Anwendungsbereich gegen den Wortlaut ausgedehnt oder eingeschränkt wird. Dazu ist die Rechtsprechung nach allgemeiner Ansicht befugt. So formuliert das BVerfG: „Am Wortlaut einer Norm braucht der Richter aber nicht haltzumachen. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes.“120

Auch wenn das geschriebene Gesetz kein (adäquates) Ergebnis beinhaltet, müssen Gerichte aufgrund des Justizverweigerungsverbots eine Entscheidung treffen.121 Richter sind nach Art. 20 Abs. 3 GG „an Gesetz und Recht gebunden“. Daraus wird geschlossen, dass neben bestehenden Rechtsnormen auch allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen in die Rechtsanwendung einfließen dürfen.122 Eine das Gesetz ergänzende oder umbildende Rechtsfortbildung ist im Gegensatz zur Auslegung allerdings an besondere Voraussetzungen gebunden. Um deren Ein-

117 

Benecke, S. 82 f. Ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 9. 119  Bydlinski, S. 473; Canaris, S. 17; Engisch, S. 186; Larenz/Canaris, S. 187 und 189. 120  BVerfG, Beschluss v. 19. 06. 1973 – 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, 263, 279. 121  BVerfG, Beschluss v. 26. 01. 1991 – 1 BvR 779/85 (Aussperrung, Arbeitskampf), BVerfGE 84, 212, 226 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 823. 122  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287; BeckOK GG/Huster/Rux, Art. 20 Rn. 171. 118 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

37

haltung und damit die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu gewährleisten, muss jede Rechtsfortbildung als solche offengelegt werden.123 1.  Gesetzeslücke im engeren Sinne Die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung erfordert eine Gesetzeslücke im engeren Sinne.124 Eine Gesetzeslücke definiert man üblicherweise als „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“125. Als Gesetz wird dabei das positive Recht aufgefasst, das sich aus dem geschriebenen Gesetz und dem Gewohnheitsrecht zusammensetzt.126 Eine Lücke in diesem Sinne ist nicht jede unterbliebene Regelung, sondern nur das Fehlen einer Regelung ganz bestimmten Inhalts, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes und seinem Gesamtzusammenhang zu erwarten ist.127 Regelt das Gesetz einen Sachverhalt in bestimmter Weise, ohne auch einen anderen, wertungsgleich liegenden Fall zu erfassen, so lässt das Fehlen einer solchen Regelung das Gesetz unvollständig erscheinen.128 Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann man nur sprechen, wenn das Gesetz für einen bestimmten Bereich überhaupt eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt.129 Da im Arbeitsrecht oft nur punktuelle Regelungen bestehen und ganze Problemfelder ungeregelt bleiben, sind Gesetzeslücken im engeren Sinne eher selten. Das Schrifttum hat unterschiedliche Kategorien von Lücken entwickelt. Zunächst werden Lücken nach ihrem Umfang eingeordnet. Bei den praktisch wenig bedeutsamen logischen oder echten Lücken bzw. Normlücken ist eine Einzelnorm ihrer Struktur nach unvollständig, weil zu ihrer Anwendung notwendige Bestandteile, etwa die Angabe der Rechtsfolgen, fehlen.130 Ist eine Rechtsnorm bei wertender Betrachtung zu weit oder zu eng formuliert, wird dies als „teleologische oder unechte Lücke“131, als „Wertungsmangel“132, als „Regelungslücke“133 123 

Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 755b. Benecke, S. 186 f.; Bydlinski, S. 472 ff.; Larenz/Canaris, S. 252. 125 Allg. A.: BAG, Urteil v. 13. 12. 2006 – 10 AZR 674/05, NZA 2007, 751, 752; v. 10. 05. 1989 – 6 AZR 660/87, NZA 1989, 759, 760; BGH, Urteil v. 20. 12. 1996 – V ZR 259/95, ZIP 1997, 242; MüKoBGB/Kindler, VO (EG) 1346/2000 Art. 25 Rn. 14; Richardi/ Richardi, § 87 BetrVG Rn. 840; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Brodführer, S. 31; Bydlinski, S. 473; Canaris, S. 39; Larenz, S. 373, m. w. N. 126  Brodführer, S. 31; Engisch, S. 237; Larenz, S. 370. 127  Engisch, S. 239; Larenz/Canaris, S. 196. 128  Larenz, S. 375. 129  BAG, Urteil v. 12. 11. 1992 – 8 AZR 157/92, NZA 1993, 409, 410; Larenz, S. 371. 130  Brodführer, S. 28 f.; Bydlinski, S. 473 f.; Larenz/Canaris, S. 193; Larenz, S. 372; Pawlowski, Rn. 464 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 843 und 847 ff. 131  Bydlinski, S. 474. 132  Zippelius, S. 52. 133  Larenz, S. 372. 124 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

38

oder teilweise auch schlicht als „Gesetzeslücke“134 bezeichnet, während andere Autoren den Begriff der Gesetzeslücke als Oberbegriff für sämtliche Lücken in der Gesetzgebung wählen.135 Im Folgenden wird für diese Art der Lücke der Begriff der Gesetzeslücke im engeren Sinne verwendet. Denn es gibt auch sog. Gesetzeslücken im weiteren Sinne, die nicht dem tradierten Lückenbegriff unterfallen und eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung erfordern.136 Eine offene Lücke liegt vor, wenn das Gesetz für eine Fallgruppe keine anwendbare Regel enthält, obwohl es diese nach seinem Zweck enthalten müsste, also zu eng formuliert ist. Bei einer verdeckten Lücke hingegen enthält das Gesetz zwar eine dem Wortlaut nach anwendbare Regel, deren Anwendung erscheint ihrem Sinn und Zweck nach aber für einige Sachverhalte nicht passend, sie ist also zu weit gefasst.137 Die Definition als „planwidrige Unvollständigkeit“ bedeutet keineswegs, dass Gesetzeslücken dem Gesetzgeber nicht bewusst sein können.138 Nicht selten wird die Regelungsbedürftigkeit einer Materie zum Zeitpunkt der Gesetzgebung übersehen oder sie tritt erst später ein. In beiden Fällen weist das Gesetz eine dem Normensetzer unbewusste, planwidrige Lücke auf.139 Sieht der Gesetzgeber hingegen von der Regelung einer Rechtsfrage oder eines Rechtsbereiches ab, obgleich deren Relevanz ihm gegenwärtig ist, liegt eine bewusste Lücke vor. Zu den bewussten Gesetzeslücken kann man auch Generalklauseln wie die §§ 138, 226 und 242 BGB zählen.140 Denn sie verkörpern eine Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Rechtsanwendung entstehende Detail- oder Wertungsfragen nicht selbst zu beantworten. Geplant ist eine bewusste Unvollständigkeit nur dann, wenn der Gesetzgeber die eigentlich zu erwartende Regelung ablehnt und durch beredtes Schweigen des Gesetzes einen rechtsfreien Raum schaffen will.141 Eine bewusste und dennoch planwidrige Lücke liegt hingegen vor, wenn der Gesetzgeber einen zusätzlichen Regelungsbedarf grundsätzlich anerkennt und auch nicht durch einen gezielten Regelungsverzicht seine Ablehnung für eine bestimmte Lösung zum Ausdruck 134 

Brodführer, S. 29; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 844 und 850. So z. B. Larenz/Canaris, S. 191 ff.; Larenz, S. 370 ff. 136  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b). 137  Brodführer, S. 27; Larenz/Canaris, S. 198; Larenz, S. 377; Pawlowski, Rn. 470; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 866 f., bezeichnen verdeckte Lücken als „teleologische Lücken“; gegen die Verwendung des Lückenbegriffs in diesem Zusammenhang Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 382. 138  Brodführer, S. 24 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 835 und 851; Larenz/Canaris, S. 199. 139  BAG, Urteil v. 18. 12. 2008 – 8 AZR 660/07, AP BGB § 613a Nr. 366. 140  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 836. 141  BAG, Urteil v. 18. 12. 2008, a. a. O. 135 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

39

bringen will.142 Grund für die Untätigkeit ist in diesen Fällen häufig, dass der Gesetzgeber sich nicht zwischen verschiedenen Tatbestandsabgrenzungen oder Rechtsfolgen entscheiden kann und zunächst die weitere Rechtsentwicklung abwarten will.143 Auch die Mehrheitsverhältnisse in den Gesetzgebungsorganen oder die politische Bedeutung eines Themas können gesetzliche Regelungen blockieren. Die Verantwortung wird dann auf „Wissenschaft und Praxis“ abgewälzt.144 Dies kommt im Arbeitsrecht häufig vor. Beispielsweise wollte der Gesetzgeber sowohl die inhaltliche Definition des Merkmals „vorübergehend“ bei der Arbeitnehmerüberlassung als auch die Entscheidung über das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG analog als Sanktion für eine nicht vorübergehende Überlassung der Rechtsprechung überantworten.145 Das BAG spielte den Ball allerdings zurück und argumentierte, für eine Rechtsfortbildung fehle es an einer planwidrigen Unvollständigkeit und somit an einer Gesetzeslücke, weil der Gesetzgeber bewusst auf eine vorgeschlagene Regelung ebendieses Inhalts verzichtet habe.146 Mittlerweile hat der Gesetzgeber die Problematik selbst geregelt.147 2.  Ausfüllung anhand einfachgesetzlicher Wertungen Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung setzt voraus, dass sich eine Gesetzeslücke entsprechend einem dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsplan anhand von gesetzesimmanenten Wertungen schließen lässt, ohne dass man auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgreifen muss.148 Dazu dienen insbesondere die Methoden der Analogie, des Umkehr- und Erst-recht-Schlusses sowie der teleologischen Extension und Reduktion.149 Das Rechtsmissbrauchsverbot setzt dagegen nicht einfach die vom Gesetz für den konkreten Fall vorgegebene Wertungen um, sondern erfordert eine Eigenwertung des Rechtsanwenders.150 Folglich zählt es nicht zu den Methoden gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung. 142 

Brodführer, S. 41 ff.; Bydlinski, S. 475. Brodführer, S. 25. 144  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 835. 145  Düwell, ZESAR 2011, 449; vgl. BT-Drs. 17/5238, S. 9. 146  BAG, Urteil v. 10. 12. 2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196. 147  Seit dem 01. 04. 2017 enthält § 1 Abs. 1b AÜG wieder eine Regelung zur Überlassungshöchstdauer, deren Überschreitung in §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 AÜG auch ausdrücklich mit der Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher sanktioniert wird. 148  Larenz/Canaris, S. 232. 149  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 935. 150  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. II. und III. 1. c). 143 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

40

Nach ganz überwiegender Ansicht151 sind Fälle mit Umgehungsverdacht in erster Linie durch Methoden der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung zu lösen. Da Analogie und teleologische Reduktion dabei die größte Bedeutung haben, sollen ihre Voraussetzungen und Grenzen nach der Methodenlehre sowie ihre Anwendbarkeit auf Fälle der Gesetzesumgehung hier näher betrachtet werden. Später wird dann untersucht, inwieweit das BAG zur Lösung von Umgehungsfällen auf diese Methoden zurückgreift und ob sich seine Vorgehensweise mit jener der im Zivilrecht herrschenden Auffassung deckt.152 a)  Analogie aa) Grundsätze der Analogie Die Analogie dient der Schließung offener Gesetzeslücken.153 Dazu wird der Anwendungsbereich einer ihrem Sinn, nicht aber ihrem Wortlaut nach einschlägigen Norm ausgeweitet.154 Die Norm muss zunächst analogiefähig sein, d.h. es darf kein Analogieverbot bestehen. Während im Strafrecht wegen des Vorrangs der Rechtssicherheit eine Analogie zu Lasten des Täters nach Art. 103 Abs. 2 GG verboten ist,155 sind zivilrechtliche Normen grundsätzlich analogiefähig.156 Der Grundsatz, dass Ausnahmevorschriften nicht analogiefähig sind, ist heute nicht mehr anerkannt.157 Nur wenn aus einer Norm klar hervorgeht, dass eine abschließende Ausnahmeregelung getroffen werden soll, ist eine Analogie nicht zulässig.158 Zum Teil wird eine Unterscheidung zwischen Auslegung und Analogie für verzichtbar gehalten,159 da es sich in beiden Fällen um zulässige Normanwendung handele. Das überzeugt aber nicht. Dass die Erfassung eines Sachverhalts von einer Norm für den juristisch nicht geschulten Normadressaten nicht erkennbar ist, muss bei ihrer Anwendung berücksichtigt werden.160 Denn daraus ergeben

151 Grundlegend

Teichmann, S. 105, vgl. Gliederungspunkt § 2 D. m. w. N. Vgl. Gliederungspunkt § 10. 153  Larenz, S. 381 ff.; Larenz/Canaris, S. 202. 154  Bydlinski, S. 475 f.; Larenz, S. 381; Sieker, S. 87. 155 BVerfG, Beschluss v. 01.  09. 2008 – 2 BvR 2238/07, NStZ-RR 2009, 138; v. 19. 03. 2007 – 2 BvR 2273/06, NJW 2007, 1666; Bydlinski, S. 471. 156  Möller, S. 137. 157  BAG, Urteil v. 16. 12. 2010 – 6 AZR 423/09, DB 2011, 766, 768 m. w. N.; Würdinger, JuS 2008, 949; Canaris, S. 181. 158  So etwa § 253 BGB zum Schmerzensgeld, vgl. BAG, Urteil v. 21. 02. 2013 – 8 AZR 68/12, NZA 2013, 955, 957; BeckOK BGB/Spindler, § 253 Rn. 3; oder enumerative Aufzählungen, die mit „nur“ eingeleitet werden, vgl. Canaris, S. 184. 159  Möller, S. 136 ff.; Wank, S. 23 ff. 160  Bydlinski, S. 468 ff.; Larenz, S. 366 f.; Sieker, S. 88. 152 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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sich zusätzliche Wertungsgesichtspunkte.161 Zudem ist die Abgrenzung von Auslegung und Analogie relevant, wenn ein Analogieverbot besteht.162 Die Analogie beruht auf dem Gebot des Art. 3 GG, wertungsmäßig gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln.163 Deshalb setzt eine analoge Anwendung von Vorschriften neben einer Gesetzeslücke voraus, dass ein vom Gesetz geregelter Tatbestand und ein nicht geregelter Tatbestand in allen für die rechtliche Bewertung maßgebenden Gesichtspunkten übereinstimmen.164 Das BVerfG fragt im Fall einer Gesetzeslücke nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung.165 Da bei der Gesetzeslücke i. e. S. eine bestimmte, nach Sinn und Zweck des Gesetzes zu erwartende Regelung fehlt, liegt Feststellung und Ausfüllung der Lücke regelmäßig ein einheitlicher Gedankengang zugrunde.166 Seltener sind Fälle, in denen zur Ausfüllung einer Lücke unterschiedliche Regelungen dienen können. Als z. B. das nachvertragliche Wettbewerbsverbot noch nicht für alle Arbeitnehmer gesetzlich geregelt war, wäre eine analoge Anwendung der Vorschriften für kaufmännische (§§ 74 ff. HGB) oder für technische Angestellte (§ 133f GewO a.F.) in Betracht gekommen. Von einer Gesamtanalogie spricht man, wenn aus dem Wortlaut mehrerer Gesetzesvorschriften ein Grundgedanke herausgearbeitet und auf einen nicht erfassten, aber für wertungsgleich erachteten Sachverhalt übertragen wird.167 Diese Vorgehensweise bewegt sich schon im Grenzbereich zur gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung.168 Beispielsweise hat die Rechtsprechung vor Einführung des § 314 Abs. 1 BGB im Wege einer Gesamtanalogie aus den Vorschriften der §§ 626, 723 BGB ein generelles Recht zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund abgeleitet.169

161 

Vgl- Gliederungspunkt § 2 D. V. Möller, S. 137; Sieker, S. 88; Tamussino, S. 142 f. 163  BAG, Urteil v. 21. 02. 2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515, 516; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Canaris, S. 183; Zippelius, S. 55. 164  BAG, Urteil v. 10. 12. 2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, 198; Larenz, S. 381. 165  St. Rspr. des BVerfG, z. B. Urteil vom 16. 03. 2004 – 1 BvR 1778/01, NVwZ 2004, 597; Beschluss v. 07. 10. 1980 – 1 BvL 50, 89/79 u.a., NJW 1981, 271, 272. 166  Canaris, S. 73, 75, 148 ff.; Larenz/Canaris, S. 220; Larenz, S. 401. 167  A. Bruns, JZ 2014, 162, 163; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409; Larenz, S. 383 f. 168  A. Bruns, JZ 2014, 162, 163. 169  BGH, Urteil v. 15. 06. 1951 – V ZR 86/50, NJW 1951, 836; v. 26. 09. 1996 – I ZR 265/95, NJW 1997, 1702. 162 

42

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

bb) Analogie in Umgehungsfällen Die Analogie wird allgemein als das wichtigste Instrument zur Bekämpfung von Umgehungsversuchen bezeichnet.170 Denn sie erlaubt – natürlich nicht nur in Umgehungsfällen – die Anwendung des Gesetzes auf einen vom Wortsinn nicht erfassten Sachverhalt. Zu den Voraussetzungen der Gesetzesumgehung lassen sich Entsprechungen bei der Analogie finden: Wie soeben dargestellt,171 setzt die Analogie eine Gesetzeslücke i. e. S. voraus. Nach dem Sprachgebrauch der Gesetzesumgehung liegt eine solche vor, wenn eine wirksame Gestaltung nicht vom Wortlaut der umgangenen Norm erfasst wird, obwohl sie gegen ihre Zielsetzung verstößt.172 Außerdem erfordert die analoge Anwendung eine Rechtsnorm, die wertungsmäßig gleichgelagerte Sachverhalte regelt. Bei der Umgehung ist dies die umgangene Norm. Teilweise wird vertreten, die Vorgehensweise bei Gesetzesumgehung und Analogie sei nicht identisch; vielmehr handele es sich um parallele, aber in umgekehrter Richtung verlaufende Prozesse.173 Bei der Analogie werde zunächst die Gesetzeslücke festgestellt und dann nach einer passenden Norm zu ihrer Ausfüllung gesucht. Bei der Umgehung hingegen stehe die möglicherweise passende Norm zuerst fest, anschließend werde geprüft, ob überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt oder ob die vermeintliche Umgehung nur eine zulässige Tatbestandsvermeidung ist. Diese Unterscheidung überzeugt aber nicht. Vielmehr sind Lückenfeststellung und -ausfüllung auch bei der Analogie in der Regel ein einheitlicher Vorgang.174 Eine Gesetzeslücke i. e. S. erkennt man gerade daran, dass eine ganz bestimmte, nach der Systematik des Gesetzes zu erwartende Regelung fehlt bzw. eine bestehende Regelung zu eng gefasst ist. Damit beinhaltet der Analogieschluss wie die Feststellung der Gesetzesumgehung zwei Gedankenschritte: Die Idee, dass eine Norm möglicherweise auch auf einen vom Wortlaut nicht erfassten Sachverhalt erstreckt werden müsste, begründet zunächst die Vermutung einer Gesetzeslücke und in Umgehungsfällen den Umgehungsverdacht. Gäbe es die umgangene Norm nicht, käme man meist gar nicht auf den Gedanken, es könne bezüglich des nicht von ihr geregelten Sachverhalts eine Gesetzeslücke vorliegen. Der wertende Ähnlichkeitsvergleich entscheidet anschließend darüber, ob ein Analogieschluss möglich ist und eine Gesetzesumgehung vorliegt.175 170 MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; Benecke, S. 111; Sieker, S. 89; Teichmann, S. 105. 171  § 2 D. III. 1. 172 Ähnlich Benecke, S. 165. 173  Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1304; Benecke, S. 165 ff.; ähnlich Delahaye, WuW 1987, 877, 882. 174  Bydlinski, S. 474; Canaris, S. 73, 75, 148 ff.; Larenz, S. 401; Larenz/Canaris, S. 220; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 873; Sieker, S. 90.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

43

Wenn etwa der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nach jeweils knapp vier Wochen kündigt und wenige Tage später neu begründet, um einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall zu vermeiden, gelangt man durch folgenden Gedankengang zur Falllösung: § 3 Abs. 3 EFZG könnte lückenhaft sein und eine Umgehung ermöglichen, weil die Norm den hier beschriebenen Sachverhalt ihrem Wortlaut nach nicht erfasst. Damit hat man zugleich eine mögliche Lösung gefunden, nämlich die analoge Anwendung der Vorschrift auf bestimmte unterbrochene Arbeitsverhältnisse.176 Eine Aufspaltung in zwei Gedankenschritte – Lückenfeststellung und Suche nach einer zu ihrer Schließung passenden Norm bzw. Erkennen einer umgangenen Norm und Frage nach ihrer Anwendbarkeit – erschiene künstlich. Sodann ist nur noch zu entscheiden, ob das unterbrochene Arbeitsverhältnis im konkreten Einzelfall wertungsmäßig einem ununterbrochenen im Wesentlichen gleicht. 175

Im Arbeitsrecht lassen sich nicht viele Beispiele für eine Verhinderung der Gesetzesumgehung durch analoge Anwendung einer Norm finden. Denn häufig passt die Rechtsfolge einer umgangenen Spezialnorm nicht zum Umgehungsgeschäft.177 Sollen etwa die Nachteile der Arbeitnehmerüberlassung durch den Einsatz von Fremdpersonal vermieden werden, das dauerhaft im Rahmen von Werkverträgen im Betrieb tätig ist, so können die Bestimmungen des AÜG nicht eins zu eins auf die Arbeitnehmer des Werkunternehmers übertragen werden. Deshalb ein Beispiel178 aus dem Mietrecht: Nach § 654 BGB ist der Anspruch auf den Maklerlohn ausgeschlossen, wenn der Makler dem Inhalt des Vertrags zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist. Das neu eingeführte Bestellerprinzip beim Maklerlohn verhindert aber eine Beauftragung durch beide Parteien. Deshalb ist es denkbar, dass zwei Makler in der Weise gezielt zusammenarbeiten, dass sich einer stets von Vermietern, der andere von ihren Mietern beauftragen lässt und beide die erhaltenen Provisionen jeweils hälftig teilen. In diesem Fall ist § 654 BGB auf die von den Maklern gebildete Innengesellschaft analog anwendbar; der Mieter braucht nach § 2 Abs. 1a WoVermittG keine Provision zu zahlen. Im Gesellschaftsrecht wendet der BGH die Gründungsvorschriften des GmbHG einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle analog an, wenn die Kapitalaufbringungsvorschriften bei der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH umgangen werden sollen, indem der Mantel einer alten, früher aktiven aber nunmehr unternehmenslosen GmbH genutzt wird.179 175 

Benecke, S. 111; Sieker, S. 90; Teichmann, S. 83 ff. demselben Ergebnis, wenn auch mit unklarer methodischer Begründung, gelangt BAG, Urteil v. 22. 08. 2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 690. 177  Benecke, S. 107. 178 Nach Duchstein, NZM 2015, 417, 423. 179  BGH, Beschluss v. 07. 07. 2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318; v. 09. 12. 2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158. 176  Zu

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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b)  Teleologische Reduktion Das Gegenstück zur Analogie ist die teleologische Reduktion bzw. Restriktion.180 Sie setzt eine verdeckte Lücke voraus.181 In Umkehrung der Analogie verlangt die teleologische Reduktion einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz in der Weise, dass ungleiche Sachverhalte durch den Wortlaut einer Norm willkürlich gleich behandelt werden.182 Die Lücke wird geschlossen, indem man den Anwendungsbereich einer ihrem Wortlaut nach eindeutig anwendbaren Vorschrift einschränkt.183 Das Bedürfnis nach dieser Einschränkung muss aus der dem Gesetz immanenten Teleologie selbst folgen.184 Ist bei einer begünstigenden Rechtsnorm der Wortlaut weiter gefasst, als ihre Zielsetzung es verlangt, so ermöglicht das eine „Gesetzesergehung“, der mit teleologischer Reduktion zu begegnen ist.185 Im Arbeitsrecht ist sie vor allem denkbar, wenn Arbeitnehmerschutzrecht durch zu weit gefasste Ausnahmevorschriften eingeschränkt wird. Da sich Analogie und teleologische Reduktion spiegelbildlich zueinander verhalten, ist es oft nur eine Frage der Sichtweise, welche der beiden Methoden zum Einsatz kommt. Die Umgehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs durch gezielte Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses wurde im vorigen Gliederungspunkt so gelöst, dass die Anspruchsgrundlage des § 3 Abs. 1 entgegen § 3 Abs. 3 EFZG auf bestimmte unterbrochene Arbeitsverhältnisse analog anzuwenden ist. Ebenso gut könnte man aber sagen, dass der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 EFZG teleologisch eingeschränkt werden muss. 3.  Erreichen der Eingriffsschwelle a)  Bedeutung der Eingriffsschwelle Nicht jeder Verstoß gegen das Ziel eines Gesetzes führt zu dessen Anwendung unter Umgehungsgesichtspunkten. Zu allererst ist die Änderung von ungerecht 180 

Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 383. Beschluss v. 12. 01. 2016 – XI ZR 366/15, ZIP 2016, 642, 643; Bydlinski, S. 480; Larenz, S. 391 ff.; Larenz/Canaris, S. 210. 182  BAG, Urteil v. 21. 02. 2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515, 516; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Bydlinski, S. 480; Larenz, S. 392; Larenz/Canaris, S. 211. 183  Allg. A., z. B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 19. 05. 2015 – 2 BvR 1170/14, juris (Rn. 51); BAG, Urteil v. 21. 02. 2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515, 516; BGH, Urteil v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 380 und S. 383; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2408; Bydlinski, S. 480; Larenz, S. 391; Larenz/ Canaris, S. 210; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 902 ff.; ablehnend Herzberg, NJW 1990, 2525, 2527. 184  Larenz, S. 391; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 903; ausführlich zur teleologischen Reduktion und ihren theoretischen Grundlagen vgl. Gliederungspunkt § 3 D. II. 1. 185  Schurig, in: FS Ferid, S. 400. 181 BGH,

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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oder unpraktikabel erscheinenden Gesetzen Aufgabe des Gesetzgebers.186 Das Prinzip der Gewaltenteilung und das Erfordernis der Rechtssicherheit sprechen dagegen, Entscheidungen abweichend vom Wortlaut eines Gesetzes zu treffen.187 Andererseits können Gründe für eine richterliche Ergänzung oder Berichtigung des Gesetzeswortlauts bestehen, insbesondere der Wunsch nach materieller Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit sowie die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs. Vor jeder Rechtsfortbildung ist eine Abwägung zwischen diesen widerstreitenden Prinzipien vorzunehmen.188 Schurig hat für diesen Vorgang bei der Gesetzesumgehung den anschaulichen Begriff der Eingriffsschwelle geprägt,189 der von anderen Autoren übernommen wurde.190 Entscheidend sei nicht nur, ob die Nichtanwendung der umgangenen Norm unangemessen erscheint, sondern auch in welchem Maße.191 Die Eingriffsschwelle legt fest, wie hoch die Hürde für eine bestimmte Art der richterlichen Rechtsfortbildung ist, inwieweit die Gründe für eine Rechtsfortbildung also die gegen sie sprechenden Gründe überwiegen müssen, damit der Richter vom Gesetzeswortlaut oder gar vom Regelungszweck einer Norm abweichen darf. b)  Eingriffsschwelle bei der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung Die Eingriffsschwelle für eine Rechtsfortbildung liegt umso höher, je weiter sich eine Entscheidung vom geschriebenen Gesetz in seiner Gesamtheit entfernen würde.192 Bei Analogie und teleologischer Reduktion bleiben die Wertungen der angewandten Rechtsnorm erhalten.193 Es ist daher hinreichend, dass die Gründe für eine Analogie oder teleologische Reduktion die entgegenstehenden Gründe nach der Wertung des Rechtsanwenders (nur) überwiegen. In rechtsähnlichen Fällen tun sie das wegen der überragenden Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes in aller Regel; hier ist vielmehr der Verzicht auf die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung begründungsbedürftig.194 Die Schließung einer Gesetzeslücke i. e. S. durch den Richter setzt deshalb nur voraus, dass das nach dem Wortlaut entstehende Ergebnis wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz „unbil186 

Larenz, S. 376; Zippelius, S. 53 f. Zippelius, S. 53 f. 188  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961; Zippelius, S. 53 f., S. 57. 189  In: FS Ferid, S. 401. 190  BeckOK BGB/Lorenz, EGBGB Einl. Rn. 73; Benecke, S. 120; Sieker, S. 12; Kleinschmidt, S. 341; Zippelius, S. 57, spricht von „Legitimationsschwelle“, Knop, S. 184, von „Toleranzschwelle“. 191  Schurig, in: FS Ferid, S. 402. 192  Zippelius, S. 57. 193  Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409. 194  Canaris, S. 183 f. 187 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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lig“ ist.195 Unbilligkeit setzt voraus, dass auch unter Berücksichtigung von Gewaltenteilung und Rechtssicherheit das Bedürfnis nach einer Rechtsfortbildung zur Schaffung materieller Gerechtigkeit im Einzelfall überwiegt.196 Ein besonders qualifiziertes Maß der Unbilligkeit ist nicht erforderlich. IV.  Rechtsfortbildung extra legem Im Arbeitsrecht gab und gibt es Bereiche, die nur punktuell oder überhaupt nicht geregelt sind. Das führt häufig dazu, dass zwar eine Einschränkung oder Ergänzung des Gesetzeswortlauts unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit notwendig erscheint, aber keine auf den entschiedenen Sachverhalt übertragbare Regelung existiert. In solchen Fällen müssen Arbeitsgerichte prüfen, ob die strengen Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung extra legem vorliegen. Ist dies der Fall, steht ihnen bei der Bestimmung der Rechtsfolgen ein weiter, aber keineswegs unbegrenzter Spielraum zur Verfügung. 1.  Grundsätze der Rechtsfortbildung extra legem Eine „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung“197, „Rechtsfortbildung extra legem“198 oder „Rechtsergänzung“199 kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Gesetzesanwendung nicht hinnehmbar erscheint, dabei jedoch entweder keine Gesetzeslücke i. e. S. vorliegt oder sich eine solche Lücke nicht durch Übertragung einfachgesetzlicher Wertungen schließen lässt.200 Sie kann nicht nur zulässig, sondern sogar verfassungsrechtlich geboten sein.201 Das Resultat wird häufig als „Richterrecht“202 bezeichnet. Das BVerfG formuliert die Aufgabe der Gerichte bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung wie folgt: „Die Gerichte müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung, etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, notwendig wäre […]. Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden.“203 195 

Zippelius, S. 55 f. Zippelius, S. 54. 197  Larenz, S. 413. 198  Benecke, S. 186; Larenz/Canaris, S. 252; Meys, S. 8. 199  Benecke, S. 191. 200  A. Bruns, JZ 2014, 162, 163; Larenz, S. 428; Reiser, S. 76. 201  Dieterich, RdA 1993, 67 ff.; Jobs, DB 1982, 2081, 2085. 202  Z. B. BAG, Urteil v. 12. 11. 1971 – 3 AZR 116/71, AP HGB § 74 Nr. 28; Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97; Jobs, DB 1982, 2081; Redeker, NJW 1972, 409, 410. 196 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

203

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a)  Subsidiarität

Die Rechtsfindung durch den Richter darf sich „vom geschriebenen Gesetz nur in dem zur Rechtsverwirklichung im konkreten Fall unerlässlichen Maße“204 entfernen. Vor jeder gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung muss daher zumindest gedanklich geprüft werden, ob eine Lösung durch Auslegung oder gesetzesimmanente Rechtsfortbildung möglich und ausreichend ist.205 Wenn etwa die analoge Anwendung einer Norm in Betracht kommt, ist vor einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung zu verdeutlichen, aufgrund welcher Wertungsunterschiede der Weg der Analogie nicht gewählt wird. Denn die Entscheidung für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung führt zu einer größeren Wertungsfreiheit des Richters und ist nur rechtmäßig, wenn der Gesetzgeber für vergleichbare Fälle noch keine eigene Wertung getroffen hat. Aus diesem Grunde wurde die frühere Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristungen in der Literatur häufig mit dem Argument kritisiert, vorrangig seien die umgangenen Kündigungsschutzvorschriften auf den jeweiligen Sachverhalt analog anzuwenden.206 Heute stellt sich die Frage der Subsidiarität gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung bei der Lösung von Fällen wiederholter Befristung mit oder ohne Sachgrund.207 Das BAG greift unmittelbar auf die Figur des Rechtsmissbrauchs zurück, die – wie sich zeigen wird 208 – eine Methode der Rechtsfortbildung extra legem ist. Zahlreiche Stimmen in der Literatur fordern dagegen eine Lösung im Wege der Analogie oder teleologischen Reduktion,209 also eine vorrangige Anwendung von Methoden der Rechtsfortbildung praeter legem. b)  Gesetzeslücke im weiteren Sinne Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist zulässig, wenn eine Gesetzeslücke im weiteren Sinne vorliegt. Dabei ist das Fehlen einer Regelung zwar nicht planwidrig und unterfällt damit nicht dem engeren Begriff der Gesetzeslücke, 203  BVerfG, Beschluss v. 26. 06. 1991 (Aussperrung, Arbeitskampf) – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212, 226 f. 204  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65 (Soraya), BVerfGE 34, 269, 292. 205  Larenz, S. 426. 206  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. 3. m. w. N. 207  Vgl. Gliederungspunkt § 11 A. und C. 208  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 209 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 36a; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 21; Bayreuther, NZA 2013, 23, 24 f.; Brose, NZA 2009, 706, 710; dies., DB 2008, 1378, 1381; Busemann, MDR 2015, 314, 316; Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; ders., ZESAR 2014, 357, 362; Schlachter, in: FS Wank, S. 504; Sieker, in: FS Kohte, S. 352 und S. 356; Dommermuth-Alhäuser, S. 234 f.; Loth, S. 254 ff.

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

erscheint aber, gemessen an den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung, als behebungsbedürftige Unvollständigkeit.210 aa) Maßstäbe der Lückenfeststellung Die bloße Behauptung, dass eine bestimmte gesetzliche Regelung fehle, genügt zur Rechtfertigung einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung nicht. Vielmehr muss der Rechtsanwender die Lückenhaftigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit des Gesetzes mit spezifisch rechtlichen Argumenten ausdrücklich begründen.211 Änderungen von Tatsachen oder Wertvorstellungen im Zeitverlauf vermögen eine Rechtsfortbildung extra legem nicht zu begründen, solange sie nicht rechtlich verankert sind.212 Die Ergebnisse sowohl der Gesetzesauslegung als auch der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung müssen so unzureichend sein, dass sie rechtlichen und praktischen Mindestanforderungen nicht genügen.213 Solche Anforderungen ergeben sich aus übergeordneten Rechtsgrundsätzen oder -prinzipien. Deshalb bezeichnet man die auf dieser Grundlage festgestellte Unvollständigkeit des Gesetzes auch als „Prinzip- oder Wertlücke“214. Wie bei der Analogie die Feststellung, der Wortlaut einer Norm genüge ihrem Ziel nicht, sowohl der Lückenfeststellung als auch der Lückenausfüllung zugrunde liegt,215 dienen auch die im folgenden genannten Rechtsgrundsätze zugleich als Wertmaßstab für die Ergänzungsbedürftigkeit des Gesetzes und als Mittel zu seiner Ergänzung.216 In erster Linie kann die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung auf rechtsethische Prinzipien gestützt werden, die der gesamten Rechtsordnung zu Grunde liegen. Darunter versteht man „richtunggebende Maßstäbe rechtlicher Normierung“217, die als Grundwertungen oder Rechtsideen der Rechtsordnung immanent sind, aber nicht oder nicht vollständig in geschriebenen Rechtssätzen verwirklicht wurden.218 Hierzu zählen beispielsweise der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit219, 210  BGH, Urteil v. 14. 12. 2006 – IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994; Larenz/Canaris, S. 246. 211  Larenz/Canaris, S. 246. 212  Peter, RdA 1985, 337, 339; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 959. 213  BAG, Urteil v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85; Boemke/Luke/Ulrici, S. 41; Dommermuth-Alhäuser, S. 105; Larenz, S. 426. 214  Canaris, S. 141. 215  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. 2. a) bb). 216  Canaris, S. 93 f. 217  Larenz, S. 421. 218  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287; Canaris, S. 96. 219  Larenz, S. 423 f.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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das Prinzip der Waffengleichheit im Prozess220 und der Grundsatz von Treu und Glauben221, aber auch die Grundrechte222. Im Bereich des Arbeitsrechts haben sich die Grundsätze des Bestandsschutzes223 und des Inhaltsschutzes224 von Arbeitsverhältnissen zu allgemeinen Rechtsprinzipien von Verfassungsrang entwickelt. Gerichte müssen als Voraussetzung für eine methodenkonforme Rechtsfortbildung extra legem ein konkretes entgegenstehendes Rechtsprinzip benennen und, sofern es nicht allgemein anerkannt ist, seine Geltung anhand von Rechtsnormen darlegen. Ein bloßer Hinweis, dass nicht näher benannte „Grundwertungen der Rechtsordnung“225 eine bestimmte Entscheidung gebieten, genügt nicht. Zur Begründung einer Gesetzeslücke i.w.S. werden außerdem die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs226 und die Praktikabilität der Rechtsnormen 227 angeführt. Die Rechtsprechung prüft das Vorliegen „unabweisbarer Bedürfnisse des Rechtsverkehrs“228, wenn sie die Zulässigkeit eines von der Praxis entwickelten, aber gesetzlich nicht vorgesehenen oder gar dem Gesetzeswortlaut widersprechenden Rechtsinstituts erörtert. Auf diesem Wege haben etwa die Sicherungsübereignung, die Einziehungsermächtigung und das Anwartschaftsrecht Einzug in das deutsche Recht gehalten.229 Eine Rechtsfortbildung wegen der Bedürfnisse des Rechtsverkehrs kommt im Arbeitsvertragsrecht praktisch nicht in Betracht, weil dazu der gesetzlich vorgesehene Arbeitnehmerschutz eingeschränkt werden müsste. Umstritten ist das eher rechtsphilosophisch anmutende Argument der „Natur der Sache“.230 Traditionell verstand man darunter die „den Lebensverhältnissen und ihren Zwecken angemessene, den Lebensverhältnissen innewohnende Ord220 

Canaris, S. 109. Larenz, S. 421. 222  BAG, Urteil v. 27. 01. 2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645, 652; BGH, Urteil v. 14. 12. 2006 – IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994. 223  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 21. 06. 2006 – 1 BvR 1659/04 (Kündigung während der Probezeit), NZA 2006, 913; Beschluss v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 (Kleinbetriebsklausel I), BVerfGE 97, 169; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 391 f.; Krause, RdA 2016, 49, 53 f.; Linder, DB 1975, 2082, 2085; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87; Persch, S. 139 f. 224  BAG, Urteil v. 29. 09. 2004 – 6 AZR 442/03, NZA 2005, 475, 477; Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146; Hromadka, in: FS Konzen, S. 327; Konow, NZA 1987, 117. 225  So z. B. OLG Zweibrücken, Beschluss v. 07. 09. 2015 – 3 W 89/15, juris (Rn. 14). 226  Larenz/Canaris, S. 233 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961. 227  Larenz, S. 426; Larenz/Canaris, S. 245 f.; krit. aber BAG, Urteil v. 07. 07. 2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068, 1073; v. 12. 11. 1992 – 8 AZR 157/92, NZA 1993, 409, 410. 228  BAG, Urteil v. 27. 01. 2010 – 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645, 652; BGH, Urteil v. 14. 12. 2006 – IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994. 229  Larenz, S. 414. 230  Krit. dazu Benecke, S. 188, und v.a. Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 915 ff. 221 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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nung“231. Nach heutiger Ansicht ist das Prinzip der Natur der Sache als Ausprägung des negativen Gleichheitsgrundsatzes aufzufassen, genauer als Verbot, aufgrund tatsächlicher Unterschiede ungleiche Sachverhalte willkürlich gleich zu behandeln.232 Deshalb lassen sich vor allem Ausnahmen von allgemeinen Regelungen mit der Natur der Sache begründen, z. B. die Vertretungsfeindlichkeit von Verlöbnis und Eheschließung233 oder die Einschränkung der Lehre vom Betriebsrisiko bei Annahmeverzug des Arbeitgebers infolge von Streikmaßnahmen234. Das BAG hat die Natur der Sache als Grund dafür angeführt, dass Arbeitsverträge mit studentischen Hilfskräften typischerweise nur vorübergehend bestehen und deshalb befristet abgeschlossen werden können.235 bb) Kategorien von Gesetzeslücken im weiteren Sinne Auch Gesetzeslücken i.w.S. lassen sich nach unterschiedlichen Merkmalen einteilen. Zunächst können sie offen zutage liegen oder durch eine vermeintlich anwendbare Norm verdeckt sein. Verdeckte Gesetzeslücken i.w.S. finden sich häufig in der Form, dass Ausnahmeregelungen fehlen, obgleich sie aufgrund der Natur der Sache oder eines übergeordneten Rechtsprinzips geboten sind. Von einer „Rechtslücke“236 oder „Gebietslücke“237 spricht man, wenn ein ganzer Bereich innerhalb der Rechtsordnung, der nach den Erfordernissen des Rechtsverkehrs und den Erwartungen der Rechtsgemeinschaft einer Regelung bedarf, ungeregelt bleibt. Beispielhaft sei dazu das Arbeitskampfrecht genannt.238 Bei einer Gebietslücke handelt es sich nicht um eine planwidrige Unvollständigkeit, da ein Plan des Gesetzgebers zur Regelung des Rechtsgebiets nicht existiert.239 Andererseits darf das Fehlen gesetzlicher Regelungen auch nicht auf einem gezielten Willen des Gesetzgebers beruhen, dass dieser Problemkreis nicht von der Rechtsordnung erfasst werden soll, da sonst eine bewusste Entscheidung und somit keine Lücke vorliegt.240 Rechts- oder Gebietslücken lassen sich nicht mit Hilfe einer (Gesamt-)Analogie schließen.241 Es fehlt an einer für wertungs231 

Dernburg, Pandekten I, § 38, 2, S. 84. Dommermuth-Alhäuser, S. 106; Meys, S. 90 ff.; in diese Richtung bereits Canaris, S. 121; Larenz, S. 418. 233  Canaris, S. 121. 234  Canaris, S. 122. 235  BAG, Urteil v. 07. 06. 1984 – 2 AZR 273/83, juris (Rn. 30). 236  Brodführer, S. 29; Engisch, S. 238 ff. 237  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 855. 238  Rüthers, NZA-Beil. 2011, 100, 102; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 857. 239  Larenz, S. 376. 240  Larenz, S. 376. 241  Larenz/Canaris, S. 252; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 908. 232 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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gleiche Fälle entwickelten, übertragbaren Regelung. Möglich ist nur der Rückgriff auf allgemeine rechtliche Prinzipien. Die Rechtslücke erfordert daher eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. Nach dem Zeitpunkt ihres Eintretens unterscheidet man anfängliche und nachträgliche Lücken. Es gibt Fälle, in denen die Rechtsprechung nicht nur vom Wortlaut, sondern auch vom Zweck einer Norm abweicht und eine wirksame gesetzliche Regelung durch entgegenstehendes Richterrecht ersetzt. Diese Form der Rechtsfortbildung wird nur für zulässig gehalten, wenn der Normzweck im Anwendungszeitpunkt keine Geltung mehr beanspruchen kann.242 Voraussetzung dafür ist ein grundlegender Wandel gesellschaftlicher Tatsachen und Regelungsbedürfnisse, der Gesamtrechtsordnung oder allgemeiner Wertvorstellungen nach Inkrafttreten des Gesetzes. Entsprechend dem kirchenrechtlichen Grundsatz „Cessante ratione legis, cessat lex ipsa“243 wird das Gesetz durch Wegfall des Normzwecks im Zeitverlauf unvollständig. Deshalb bezeichnet die Literatur diese Konstellation auch als sekundäre oder nachträgliche Gesetzes- oder Regelungslücke.244 Auch das BVerfG spricht in solchen Fällen von einer Lücke.245 In der Soraya-Entscheidung246 hat es eine Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung bejaht, sofern das geschriebene Gesetz ein zu entscheidendes Rechtsproblem nicht lösen kann. Gesetze seien durch tatsächliche und rechtliche Entwicklungen einem Alterungsprozess unterworfen, der eine Regelung ergänzungsbedürftig werden lassen könne. Die Gerichte seien daher „befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen „Recht“ i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG ist“247. Das wird bestätigt durch Vorschriften wie §§ 132 Abs. 4 GVG, 45 Abs. 4 ArbGG, 511 Abs. 4 Nr. 2, 522 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, die die Fortbildung des Rechts als Aufgabe der Gerichte, insbesondere der Großen Senate des BAG und des BGH definieren.248 Der Gesetzgeber kann sowohl eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung durch die Schaffung neuer Regelungen im Voraus unterbinden als auch eine politisch unerwünschte Rechtsprechung durch Gesetzesreform beenden.249 Häufiger 242 

Larenz, S. 428; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 952; Zippelius, S. 53. der Zweck einer Norm entfällt, entfällt auch die Norm selbst“, zit. nach Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 955. 244  Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Bydlinski, S. 585; Engisch, S. 246; Larenz/ Canaris, S. 248; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 861 f., 871 f. 245  Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287; v. 11. 10. 1978 – 1 BvR 84/74, NJW 1979, 305, 306 246  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973, a. a. O. 247  BVerfG, Beschluss v. 03. 04. 1990 – 1 BvR 1186/89, NJW 1990, 1593. 248  Wiedemann, NJW 2014, 2407; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 824. 249  Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; durch Gesetz beendet wurde die Rspr. des BGH etwa im Fall der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG. 243  „Wenn

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

tut er jedoch das Gegenteil und gießt die neue Rechtsprechung in Gesetzesform, nachdem sie sich bewährt hat.250 Das Schulbeispiel für eine Rechtsfortbildung aufgrund einer sekundären Gesetzeslücke i.w.S. ist die weitgehende Gleichstellung des nichtrechtsfähigen Idealvereins mit dem rechtsfähigen Verein.251 Der vom Gesetzgeber mit § 54 BGB und § 50 Abs. 2 ZPO a.F. ursprünglich verfolgte Zweck bestand darin, die Bildung missliebiger Körperschaften wie Parteien und Gewerkschaften durch das Eintragungserfordernis quasi einer staatlichen Konzession zu unterwerfen.252 Spätestens mit Einführung des Art. 9 GG konnte dieser Zweck keine Geltung mehr beanspruchen, so dass die Vorschrift ihre Berechtigung verlor und das Gesetz hinsichtlich des auf nichtrechtsfähige Vereine anzuwendenden Rechts lückenhaft wurde.253 Gerichte griffen zur Ausfüllung dieser Lücke auf das ihnen am geeignetsten erscheinende Recht zurück und wandten die Vorschriften für eingetragene Vereine an, soweit sie nicht gerade an die Eintragung anknüpfen.254 Im Arbeitsvertragsrecht entstand eine sekundäre Gesetzeslücke, als der Gesetzgeber im Zeitverlauf die Zulässigkeit von Kündigungen immer mehr einschränkte, ohne vergleichbare Regelungen auch für Befristungen zu treffen.255 Aus der Gesamtheit aller Kündigungsschutzvorschriften leitete das BAG den allgemeinen Rechtsgrundsatz ab, dass Arbeitsverhältnisse nach dem Willen des Gesetzgebers Bestandsschutz genießen. Weil dieser Grundsatz in Bezug auf Befristungen nicht hinreichend umgesetzt war, sah sich das BAG zu einer Ergänzung des Gesetzes berechtigt, indem es für Befristungen einen sachlichen Grund forderte.256 Ob die Voraussetzungen für eine solche gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung tatsächlich vorlagen, wird später noch zu untersuchen sein.257

250  So etwa bei der Befristung mit Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG, bei der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, bei der culpa in contrahendo nach § 311 Abs. 2 BGB. 251  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 942. 252 BGH, Urteil v. 11. 07. 1968 – VII ZR 63/66, NJW 1968, 1830 m. w. N.; BeckOK BGB/Schöpflin, § 54 Rn. 15; Jauernig/Mansel, § 54 Rn. 2; Mugdan I, S. 640. 253 MüKoBGB/Reuter, § 54 Rn. 4; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 942. 254  BGH, Urteil v. 21. 05. 1957 – VIII ZR 202/56, NJW 1957, 1186 (keine Haftung der Mitglieder); v. 11. 07. 1968 – VII ZR 63/66, NJW 1968, 1830 (aktive Parteifähigkeit); v. 02. 04. 1979 – II ZR 141/78, NJW 1979, 2304 (Austritt statt Kündigung). 255  Vgl. Gliederungspunkt § 5 A. II. 256  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, vgl. Gliederungspunkt § 5 A. III. 257  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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c)  Erreichen der Eingriffsschwelle Allein die Feststellung einer Gesetzeslücke i.w.S. berechtigt Gerichte noch nicht zu einer Rechtsfortbildung extra legem. Für eine Normzweckkorrektur müssen besonders schwerwiegende Gründe vorliegen.258 Auch wenn das Gerechtigkeitsgefühl eine Abweichung vom Normzweck verlangt, ist Zurückhaltung zu üben. Die Rechtsprechung darf nur eigene Regelungen aufstellen, „wenn andernfalls ein Zustand entstehen würde, der mit den elementaren Anforderungen des Rechts hinsichtlich eines Mindestmaßes von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit nicht vereinbar wäre“259. Denn die Abweichung vom Zweck einer geltenden Rechtsnorm beeinträchtigt die Rechtssicherheit stärker als die bloße Abweichung von ihrem Wortlaut zur Verwirklichung ihres Zwecks.260 Die Verfolgung eines erkennbaren Gesetzeszwecks durch ein Gericht – selbst wenn sie dem Wortlaut zuwiderläuft – ist eher zu erwarten als eine Verwerfung des Gesetzeszwecks. Die Eingriffsschwelle liegt deshalb deutlich höher als bei der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung. d)  Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung Rechtmäßig ist eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung nur, wenn auch die gewählte Rechtsfolge im Einklang mit der Rechtsordnung steht. Weil eine Orientierung an der gesetzesimmanenten Teleologie zur Schließung von Gesetzeslücken i.w.S. untauglich ist, dienen die bereits zur Lückenfeststellung verwendeten Rechtsgrundsätze261 – rechtsethische Prinzipien, Bedürfnisse des Rechtsverkehrs und die Natur der Sache – auch zur Ausfüllung dieser Lücken.262 Während man jedoch einen Sachverhalt unter eine analog anwendbare Norm subsumieren kann, erlauben diese Rechtsprinzipien und -werte aufgrund ihrer Allgemeinheit keine unmittelbare Subsumtion, sondern weisen nur die Richtung der Lösung und müssen für den Einzelfall konkretisiert werden.263 Damit steht den Gerichten ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.264 Vor allem die obersten Bundesgerichte entscheiden praktisch nicht nur über den konkreten Einzelfall, sondern verkünden generelle Wertmaßstäbe für ganze Fallgruppen.265 Dennoch darf die 258 

Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961; Zippelius, S. 57. Larenz, S. 376. 260  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961. 261  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa). 262  Canaris, S. 160 ff. Im österreichischen Recht ist die Ausfüllung von Lücken nach den „natürlichen Rechtsgrundsätzen“ sogar ausdrücklich vorgeschrieben, § 7 Satz 2 ABGB. 263  Canaris, S. 161. 264  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 909. 265  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 909. 259 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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Rechtsprechung ihre eigenen Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitsvorstellungen nicht zur Grundlage einer Rechtsfortbildung machen. Diese muss sich stets an der verfassungsmäßigen Wertordnung orientieren und in diese einfügen.266 Das BVerfG formuliert, eine Gesetzeslücke sei auszufüllen „nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“267. Diese entstammen insbesondere den Wertungen der Verfassung und den Grundrechten.268 Es darf kein Widerspruch zu anderen gesetzlichen Regelungen entstehen, seien sie auch fernliegend oder anderen Rechtsgebieten zugehörig. Damit bleiben die Gestaltungsmöglichkeiten der Rechtsprechung hinter denen des Gesetzgebers zurück.269 Das BAG dürfte selbst bei einer berechtigten Rechtsfortbildung nicht jede Rechtsfolge festlegen, die dem Gesetzgeber offenstünde. e)  Keine Rechtsfortbildung contra legem Wegen eines Verstoßes gegen die Prinzipien der Demokratie und der Gewaltenteilung grundsätzlich verfassungswidrig ist die Rechtsfortbildung con­ tra legem, weil die Gerichte nicht ihre eigenen rechtspolitischen Vorstellungen an die Stelle einer Entscheidung des Gesetzgebers setzen dürfen.270 Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung hat die Rechtsprechung das Normsetzungsprimat des Gesetzgebers zu respektieren. Die gesetzgeberische Grundentscheidung, die sich im Sinn und Zweck der Normen widerspiegelt, muss auch unter geänderten Bedingungen möglichst zuverlässig umgesetzt werden. Deshalb setzt eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung voraus, dass bei der vom Gericht zu beurteilenden Interessenlage auch ein hypothetischer Gesetzgeber angesichts der ihn leitenden Wertungen und Ziele entgegen dem ursprünglichen Normzweck entscheiden würde.271 Das BVerfG warnt: „Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.“272 266 

Larenz/Canaris, S. 232; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 887. BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287. 268  BVerfG, Beschluss v. 03. 04. 1990 – 1 BvR 1186/89, NJW 1990, 1593. 269  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 887 u. 910. 270  BVerfG, Beschluss v. 25. 01. 2011 – 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836, 838; v. 03. 04. 1990 – 1 BvR 1186/89, NJW 1990, 1593; v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80 und 486/80, AuR 1984, 121; v. 11. 10. 1978 – 1 BvR 84/74, NJW 1979, 305, 306 f.; Peter, RdA 1985, 337, 345 f. 271  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961. 272  BVerfG, Beschluss v. 25. 01. 2011 – 1 BvR 918/10, NJW 2011, 836, 838. 267 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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Von einer Rechtsfortbildung contra legem kann man nach dem zugrunde gelegten weiten Lückenverständnis nur in zwei Fällen sprechen:273 Sie ist anzunehmen, wenn keine Gesetzeslücke vorliegt und entgegen einem auch den entschiedenen Fall umfassenden und fortgeltenden Gesetzeszweck entschieden wird. Wenn trotz Lückenhaftigkeit des Gesetzes das zwingende Erfordernis einer Rechtsfortbildung extra legem sich mit rechtlichen Argumenten nicht hinreichend begründen lässt und somit die Eingriffsschwelle nicht erreicht wird, dürfen Gerichte gleichfalls nicht selbst das Recht fortbilden, sondern müssen dies dem Gesetzgeber überlassen. So hat das BVerfG274 einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG in der Rechtsprechung des BAG275 gesehen, wonach Abfindungsansprüche aus Sozialplänen als bevorrechtigte Konkursforderungen angesehen wurden. Die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung seien eindeutig überschritten, weil die gesetzliche Ordnung des Konkursrechts keinen Anhaltspunkt für dieses Ergebnis biete. Nur wenn wegen Versagens des Gesetzgebers ein Rechtsnotstand droht, wird in der Literatur ausnahmsweise die Zulässigkeit einer Entscheidung contra legem erwogen.276 Selbst dann hätte die Rechtsprechung zunächst die Möglichkeit einer Verwerfung des Gesetzes wegen Verstoßes gegen die Verfassung in Betracht zu ziehen.277 In der Bundesrepublik Deutschland ist bisher noch kein Fall aufgetreten, in dem diese Frage praktisch relevant wurde. 2.  Rechtsfortbildung extra legem in Umgehungsfällen Nach ganz überwiegender Ansicht ist die Gesetzesumgehung ein Problem von Auslegung und Analogie;278 allenfalls werden noch weitere Methoden der geset­zes­immanenten Rechtsfortbildung zur Lösung von Umgehungsfällen zugelassen.279 In ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 2004 – der bisher neuesten Arbeit mit dem Schwerpunkt der Gesetzesumgehung im Zivilrecht – vertritt Benecke die Auffassung, dass zur Lösung von Umgehungsfällen auch Methoden der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung angewandt werden dürfen und müssen.280 Dogmatisch spricht nichts dagegen, in Fällen mit Umgehungsverdacht auf sämt273 

Larenz/Canaris, S. 251. BVerfG, Beschluss v. 19. 10. 1983 – 2 BvR 485/80 und 486/80, AuR 1984, 121. 275 BAG (GS), Beschluss v. 13. 12. 1978 – GS 1/77, BAGE 31, 177; BAG, Urteil v. 19. 12. 1979 – 5 AZR 743/75, juris. 276  Larenz, S. 427; Larenz/Canaris, S. 521. 277  Bydlinski, S. 499 f.; Larenz/Canaris, S. 251. 278 MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; Schurig, in: FS Ferid, S. 408; Behrends, S. 10; Sieker, S. 214; Teichmann, S. 105, bezeichnet die Analogie in Umgehungsfällen ausdrücklich als „letzte Möglichkeit der Zuordnung“ von Sachverhalten zu einer Norm. 279 MüKoBGB/Franzen, § 487 Rn. 9; Huber, JurA 1970, 784, 798. 280  Benecke, S. 187 ff.; in diese Richtung auch Heeder, S. 82, der darin aber einen Versuch sieht, ein erwünschtes Ergebnis „irgendwie“ zu begründen. 274 

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

liche Methoden der Gesetzesauslegung und -fortbildung zurückzugreifen, sofern die Voraussetzungen ihrer Anwendung erfüllt sind.281 Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist deshalb auch in Umgehungsfällen nur erlaubt, wenn eine Lösung im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung nicht möglich ist. Angesichts der höheren Eingriffsschwelle im Vergleich zur Analogie wird die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bei der Lösung von Umgehungsfällen in der Praxis gleichwohl eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Gerade im Bereich des Arbeitsrechts führen Auslegung und Analogie nicht immer zu befriedigenden Ergebnissen.282 Das BAG hat wiederholt Fälle als Gesetzesumgehung eingestuft und sie dann im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung gelöst.283 Als Beispiel kann die Rechtsprechung des BAG zur Befristung von Arbeitsverträgen vor Erlass des TzBfG284 angeführt werden: Obwohl das KSchG bereits galt, war die Befristung von Arbeitsverträgen nach dem Wortlaut des Gesetzes uneingeschränkt zulässig. Um die Umgehung „zwingender Bestimmungen des Kündigungsrechts“ zu verhindern, hat das BAG die entsprechenden Regelungen aber nicht analog angewandt. Denn eine Analogie scheidet aus, wenn es an einer Vergleichbarkeit hinsichtlich aller wesentlichen Merkmale fehlt oder eine Übertragung der Rechtsfolgen der umgangenen Norm zu unangemessenen Ergebnissen führt.285 Einerseits sind Befristungen und Kündigungen nicht vergleichbar, weil der Beurteilungszeitpunkt – Anfang bzw. Ende des Arbeitsverhältnisses – ein anderer ist. Außerdem sah das BAG in der analogen Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen einen Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, der ihre generelle Geltung für Befristungen in der Gesetzesbegründung ausdrücklich abgelehnt hatte.286 Stattdessen verlangte das BAG als Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Befristung einen sachlichen Grund – ein Erfordernis, das sich so nirgends im Gesetz fand und nur im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung eingeführt werden konnte.287 Ob dieses Vorgehen berechtigt war und sich in der Rechtsprechung des BAG tatsächlich Fälle der Gesetzesumgehung finden, die im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung gelöst werden mussten, wird noch genauer zu untersuchen sein.288 281 Ebenso Reiser, S. 80; nach Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 37, steht der Judikative bei der Umgehung „das gesamte methodische Instrumentarium einschließlich Analogie und teleologischer Reduktion zur Verfügung“. 282  Benecke, S. 171. 283  Vgl. Gliederungspunkte § 7 und § 8. 284  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, AP § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 5 A. 285  Benecke, S. 191. 286  BT-Drs. I/2090, S. 12. 287  Ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 288  Vgl. Gliederungspunkte § 7 und § 8.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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Zur Begründung der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ist bei der Lückenfeststellung und -ausfüllung auf die anerkannten Maßstäbe zurückzugreifen. In Umgehungsfällen sind insbesondere rechtsethische Prinzipien und die Natur der Sache von Bedeutung.289 So verstößt es gegen ein ethisches Prinzip, wenn die Umgehung gesetzlicher Schutzvorschriften dadurch ermöglicht wird, dass eine Vertragspartei (meist der Arbeitgeber) aufgrund gestörter Vertragsparität einseitig die Vertragsbedingungen vorgeben kann. Die Natur der Sache kann zur Begründung dienen, wenn in besonderen Konstellationen eine Abweichung von den allgemeinen Regeln (z. B. der Beweislast oder der Vertragsfreiheit) erforderlich ist, damit vorhandene gesetzliche Vorschriften überhaupt ihre Wirkung entfalten können.290 Die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs sprechen regelmäßig gegen die Verhinderung einer Gesetzesumgehung, da dem Rechtsverkehr mit einem Vorrang der Vertragsfreiheit und der Rechtssicherheit eher gedient ist.291 V.  Allgemeine und umgehungsspezifische Wertungen 1.  Wertungen bei der Auslegung und Rechtsfortbildung Auslegung und insbesondere Rechtsfortbildung sind keine rein logischen Schlussfolgerungen, sondern erfordern stets Wertungen. Bei der Rechtsfortbildung sind drei Wertungsschritte vorzunehmen: bei der Lückenfeststellung, der Bestimmung der Eingriffsschwelle und der Ausfüllung der Lücke. Bereits die Annahme einer Gesetzeslücke i. e. S. setzt die Wertung voraus, dass das Gesetz gegen seine immanente Teleologie verstößt, indem es seinem Wortlaut nach in unbilliger Weise Gleiches ungleich oder Ungleiches gleich behandelt.292 Entscheidend ist also, welche Ziele das Gesetz nach dem Verständnis des Rechtsanwenders verfolgt. Deutlich wird die Relevanz von Wertungen insbesondere bei der Annahme verdeckter Lücken, wo die Wertung, ein Sachverhalt dürfe nach dem Zweck einer Norm entgegen ihrem Wortlaut nicht von ihr erfasst werden, der Rechtsprechung den Weg „aus der Enge der Gesetzesbindung in das Reich der Freiheit richterlicher Normsetzungskompetenz“293 eröffnet. Für Gesetzeslücken i.w.S. gilt dies in besonderem Maße. Die Annahme einer nachträglichen Lücke i.w.S. beinhaltet etwa eine Einschätzung des Rechtsanwenders, dass die ursprüngliche Wertung des Gesetzgebers keine Gültigkeit mehr beanspruchen kann.294 Ob man aus einer Reihe von Einzelbestimmungen ein all289 

Benecke, S. 189 f. Beispiele nach Benecke, S. 189 f. 291  Benecke, S. 189. 292  Larenz/Canaris, S. 220; Larenz, S. 374 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 825 u. 834. 293  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 873. 294  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 820. 290 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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gemeines Rechtsprinzip ableiten kann oder ob es sich um punktuelle Regelungen handelt, ist ebenfalls eine Wertungsfrage. In der Rechtsprechung des BAG hat sich gezeigt, dass dies von den Senaten nicht immer gleich beurteilt wird. In einem Urteil zu einem mittelbaren Arbeitsverhältnis295 vertrat der Dritte Senat, der Arbeitgeber dürfe unter verschiedenen möglichen Gestaltungsformen nicht willkürlich diejenige auswählen, die zu einem geringeren Schutz des Arbeitnehmers führe.296 Der Siebte Senat hielt dem entgegen, im geltenden Recht gebe es keinen zwingenden arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass eine bestimmte Gestaltung gewählt werden müsse, weil der Arbeitnehmer sonst schlechter gestellt wäre.297 Als allgemeine Grenze der Zulässigkeit trat in der Entscheidung (nur) § 242 BGB hervor. Im nächsten Schritt ist anhand einer Wertung zu ermitteln, ob die Eingriffsschwelle erreicht ist, ob also das Bedürfnis nach einer Abweichung vom Wortlaut des Gesetzes höher einzuschätzen ist als jenes nach Rechtssicherheit.298 Bei der Rechtsfortbildung extra legem muss an dieser Stelle beurteilt werden, ob die bisher gefundene Lösung so extrem ungerecht und untragbar ist, dass ein erheblicher Einschnitt in die Rechtssicherheit hinzunehmen ist. Auch die Ausfüllung der Lücken ist wertungsabhängig. Teichmann hat gezeigt, dass sich bereits die Frage nach der Zulässigkeit einer Analogie zur Schließung einer Gesetzeslücke nicht im Wege eines rein logischen Schlusses beantworten lässt.299 Die analoge Anwendung einer Vorschrift erfordert die Wertung, dass die übereinstimmenden Elemente zweier Tatbestände für die rechtliche Beurteilung wesentlich, die Unterschiede dagegen unwesentlich sind, so dass das Gleichheitsgebot eine identische Behandlung verlangt.300 Vor allem aber Gesetzeslücken i.w.S. lassen der Rechtsprechung einen großen Entscheidungsspielraum, weil eine nach dem zugrundeliegenden Rechtsprinzip angemessene Rechtsfolge zu wählen ist. Neben den gesetzlichen fließen in diese Entscheidung stets auch richterliche Wertungen ein.301 Der Rechtsanwender hat seine Wertungen als solche offenzulegen und nachvollziehbar darzustellen, welchen Grundentscheidungen der Rechtsordnung er

295 

Vgl. Gliederungspunkt § 7 D. BAG, Urteil v. 20. 07. 1982 – 3 AZR 446/80, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 297  BAG, Urteil v. 11. 11. 1988 – 7 AZR 603/87, juris (Rn. 40 ff.); v. 29. 06. 1988 – 7 AZR 552/86, AP HRG § 25 Nr. 1. 298  Benecke, S. 120 ff.; S. 208; Schurig, in: FS Ferid, S. 401 f. 299  Teichmann, S. 81 ff.; ebenso Huber, JurA 1970, 784, 798; Benecke, S. 111. 300  Larenz, S. 382; Teichmann, S. 86. 301  Redeker, NJW 1972, 409, 411. 296 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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mit ihnen folgt.302 Nur so lässt sich die Entscheidung nachvollziehen und überprüfen,303 indem etwa die Vollständigkeit der zu berücksichtigenden Rechtsgüter sichergestellt wird. Bei der Güter- oder Interessenabwägung ist zu verdeutlichen, welche Rechtsgüter oder berechtigten Interessen betroffen sind und warum eine Seite den Vorzug verdient.304 Dieser Pflicht darf sich das Gericht nicht durch Scheinargumente entziehen, z. B., eine bestimmte Lösung folge ohne weiteres aus der „Natur der Sache“305 oder aus den „Umständen des jeweiligen Falles“306. In der Rechtsprechung des BVerfG ist die Vollständigkeit der berücksichtigten Grundrechte und Verfassungsgüter häufig ausschlaggebend dafür, ob eine Entscheidung verfassungsgemäß ist. So hat das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zulässigkeit von Flashmob-Aktionen als Arbeitskampfmaßnahme deshalb nicht zur Entscheidung angenommen, weil das BAG alle relevanten Beurteilungskriterien erkannt und berücksichtigt habe.307 Folgendes Beispiel verdeutlicht die Wertungsabhängigkeit der Rechtsfortbildung aufgrund eines unterschiedlichen Verständnisses des Wortlauts und Ziels einer Rechtsvorschrift: Zur Beschränkung des Vorbeschäftigungsverbots des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG auf einen Zeitraum von drei Jahren ist das BAG308 seiner Auffassung nach im Wege der teleologischen Auslegung gelangt mit der Begründung, der Wortlaut umfasse auch dieses Verständnis. Die h. M. im Schrifttum309 und Teile der instanzgerichtlichen Rechtsprechung310 verstehen den Wortlaut dagegen eindeutig im Sinne eines zeitlich unbeschränkten Verbots. Diese Ansicht 302 MüKoBGB/Säcker,

Einl. Rn. 105; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 825. Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 825. 304  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388 f. 305  Dazu ausführlich Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 919 ff. 306  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 389. 307  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26. 03. 2014 – 1 BvR 3185/09, NZA 2014, 493. 308  BAG, Urteil v. 06. 04. 2011 – 7 AZR 716/09, NZA 2011, 905, 906 ff. 309 APS/Backhaus, § 14 TzBfG, Rn. 381; MAH/Schulte, § 41 Rn. 26; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 257 f.; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 79; Schaub/Koch, § 39 Rn. 12 f.; Gräfl, in: FS Bauer, S. 379 f.; Heidl, RdA 2009, 297, 299 f.; Höpfner, NZA 2011, 893 ff.; Hromadka, BB 2001, 621, 627; Kliemt, NZA 2001, 296, 300; Preis/Gotthardt, DB 2000, 2065, 2072; Schmalenberg, NZA 2001, 938; Straub, NZA 2001, 919, 926; a.A. Bauer, BB 2001, 2473, 2475; Löwisch, BB 2001, 254, 255. 310  LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 13. 10. 2016 – 3 Sa 34/16, juris; v. 11. 08. 2016 – 3 Sa 8/16, ZTR 2017, 187; v. 21. 02. 2014 – 7 Sa 64/13, LAGE TzBfG § 14 Nr. 82; v. 26. 09. 2013 – 6 Sa 28/13, AuR 2014, 30; v. 25. 10. 2002 – 5 Sa 8/02, juris; LAG Niedersachsen, Urteil v. 16. 02. 2016 – 9 Sa 376/15, juris; LAG Hamm, Urteil v. 23. 05. 2002 – 8 Sa 154/02, juris (Rn. 15); ArbG Gelsenkirchen, Urteil v. 26. 02. 2013 – 5 Ca 2133/12, AuR 2013, 267; der neuen Rspr. des BAG zust. dagegen LAG Köln, Urteil v. 28. 06. 2016 – 8 Sa 1015/15, juris; Sächsisches LAG, Urteil v. 24. 03. 2015 – 1 Sa 639/14, LAGE TzBfG § 14 Nr. 94; LAG Hamm, Urteil v. 22. 01. 2015 – 11 Sa 1228/14, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 09. 08. 2012 – 2 Sa 239/12, juris. 303 

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

hatte zunächst auch das BAG vertreten;311 die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wegen angeblicher Verletzung der Berufsfreiheit nahm das BVerfG mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung an.312 Zum Teil wird die nunmehr vorgenommene zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbots durch das BAG als zulässige teleologische Reduktion verstanden.313 Zweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sei nur die Verhinderung von Kettenbefristungen und er erfordere zur Vermeidung willkürlicher Gleichbehandlung eine zeitliche Begrenzung, so dass eine planwidrige Unvollständigkeit vorliege. Nimmt man hingegen einen darüber hinaus gehenden Gesetzeszweck an und verneint deshalb eine verdeckte Gesetzeslücke i. e. S., so könnte es sich allenfalls um gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handeln.314 Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber trotz der zuvor geübten Kritik eine sachgrundlose Befristung bewusst nur bei der „erstmaligen Beschäftigung eines Arbeitnehmers durch einen Arbeitgeber“315 zulassen wollte, dürfte das BAG aber verfassungswidrig contra legem entschieden haben.316 2.  Bedeutung von Wertungen in Umgehungsfällen Das BAG verlangt in seiner Definition als Merkmal der Gesetzesumgehung die „missbräuchliche“ Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten.317 Der vom BAG nicht näher definierte Begriff des Missbrauchs birgt zwar die Gefahr, dass eine Verwechslung der Gesetzesumgehung mit anderen Rechtsfiguren, insbesondere dem individuellen oder institutionellen Rechtsmissbrauch, naheliegt. Zu Recht wird durch dieses Erfordernis aber hervorgehoben, dass nicht jede Tatbestandsvermeidung auch eine zu unterbindende Gesetzesumgehung ist. Vielmehr stellen sich in Umgehungsfällen zwei Wertungsfragen: Verstößt die Gestaltung nicht nur gegen den Zweck der umgangenen Norm, sondern gegen die Ziele der Rechtsordnung insgesamt? Und ist dieser Verstoß so gravierend, dass die Eingriffsschwelle erreicht ist? Bisweilen wird versucht, anstelle einer Wertung auf die vermeintlich objektive Unterscheidung abzustellen, ob die umgangene Norm ein Wegverbot oder

311  BAG, Beschluss v. 29. 07. 2009 – 7 AZN 368/09, ZTR 2009, 544; Urteil v. 13. 05. 2004 – 2 AZR 426/03, juris; v. 06. 11. 2003 – 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218. 312  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 11. 11. 2004 – 1 BvR 930/04, juris. 313  So z. B. ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 99; Bauer, NZA 2011, 241, 243. 314  Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409. 315  BT-Drs. 14/4374, S. 14. 316  So MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 259; Höpfner, NZA 2011, 893, 899; Lakies, AuR 2011, 190, 191; Wendeling-Schröder, AuR 2012, 92, 93. 317  Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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ein Zweck- bzw. Zielverbot enthält.318 Inhaltlich führt diese Unterscheidung aber nicht weiter. Zwar ist das Erreichen des Ziels auf anderen Wegen immer dann eine Gesetzesumgehung, wenn die Norm ein Zielverbot und nicht nur ein Wegverbot enthält. Die Frage, ob eine Tatbestandsvermeidung eine Umgehung darstellt oder nicht, wird damit aber nicht beantwortet, sondern nur anders formuliert.319 Wertungen in Umgehungsfällen weisen einige typische Besonderheiten auf.320 Der Umgehungsverdacht beinhaltet bereits die Vermutung, dass das Gesetz lückenhaft ist, weil die nicht geregelte Umgehungsgestaltung dem Tatbestand der umgangenen Norm in allen wesentlichen Punkten gleicht.321 Damit kommt der Frage, ob die Eingriffsschwelle erreicht ist, ob also die nach dem Wortlaut geltende Rechtsfolge wegen Verstoßes gegen die Wertentscheidungen der Rechtsordnung unterbunden werden muss, maßgebliche Bedeutung zu. Die Antwort darauf hängt zum Teil von der Einstellung zu Umgehungsversuchen ab, die von Empörung bis zu Bewunderung reichen kann.322 Gerade im Arbeitsrecht handelt es sich aber häufig auch um eine Frage der politischen Einstellung: Soll der vom Gesetzgeber intendierte Arbeitnehmerschutz effektiv auch über den Wortlaut hinaus umgesetzt werden oder soll die durch den Wortlaut begründete Erwartungshaltung des Arbeitgebers hinsichtlich der Grenzen dieses Schutzes erfüllt werden? Auch wenn die objektiven Voraussetzungen der Rechtsfortbildung erfüllt sind, übt die Rechtsprechung manchmal Zurückhaltung. Teilweise wird der „kreative“ Umgang mit dem Gesetz bewusst zugelassen, um außerhalb des Normzwecks liegende, rechtlich anerkannte und vorrangige Ziele zu erreichen. Auf diese Weise entwickelt sich das Recht weiter und passt sich neuen Gegebenheiten an.323 Beispielsweise wird die Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Arbeitnehmerschutzvorschriften mit dem Argument abgelehnt, sie verhindere die Schaffung oder den Erhalt von Arbeitsplätzen.324

318  BAG, Urteil v. 23. 11. 2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868; Erman/Arnold, § 134 Rn. 23; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 17; Palandt/Ellenberger, § 134 Rn. 28; Delahaye, WuW 1987, 877, 882; Keller, S. 18. 319  Schurig, in: FS Ferid, S. 380; Benecke, 96 f.; v. Lackum, S. 58; Tamussino, S. 113 f. 320  Benecke, S. 114 f.; Westerhoff, S. 205. 321  Benecke, S. 114. 322  Benecke, S. 123. 323  Schurig, in: FS Ferid, S. 376. 324  So hat das BAG im Urteil v. 31. 10. 1974 – 2 AZR 483/73; AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 39 und im Urteil v. 28. 09. 1961 – 2 AZR 97/61, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 21, das Interesse künftiger Bewerber um die Stelle als Argument für die Zulässigkeit einer Befristung anerkannt; anders dagegen BAG, Urteil v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64; v. 03. 07. 1970 – 2 AZR 380/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 33.

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Als Paradebeispiel für die Relevanz von Wertungen sei die besitzlose Sicherungsübereignung genannt, die entwickelt wurde, um den Einsatz einer beweglichen Sache als Sicherheit bei gleichzeitiger Nutzung zu ermöglichen. Nach dem Gesetz stand als Sicherungsmittel nur das Pfandrecht zur Verfügung, dessen Übergabeerfordernis als den Anforderungen des Wirtschaftsverkehrs nicht mehr genügend angesehen wurde. Ob in der Sicherungsübereignung eine zulässige Tatbestandsvermeidung oder eine missbräuchliche Gesetzesumgehung liegt, ist eine Wertungsfrage.325 Maßgeblich ist, ob dem Publizitätsprinzip des Sachenrechts oder den praktischen Bedürfnissen des Rechtsverkehrs eine höhere Bedeutung beigemessen wird. Deshalb wird die Sicherungsübereignung in Deutschland bereits seit der Rechtsprechung des Reichsgerichts im 19. Jahrhundert326 als zulässig erachtet und ist heute weit verbreitet,327 während sie in Österreich328 und in der Schweiz329 als Umgehung der Pfandrechtsvoraussetzungen abgelehnt wird. 3.  Umgehungsspezifische Wertungskriterien Gerichte sind nach Art. 20 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, die Begründung ihrer Entscheidungen nachvollziehbar und damit vorhersehbar abzufassen.330 Diese Pflicht erstreckt sich auch auf Wertungen und Interessenabwägungen.331 In gerichtlichen Entscheidungen stehen bei Umgehungsfällen Wertungen häufig im Vordergrund, während selten erwähnt wird, welche Methode der Auslegung oder Rechtsfortbildung das Gericht anwendet und welche Voraussetzungen und Grenzen es dabei einzuhalten gedenkt. Das führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, ist aber insoweit nachvollziehbar, als bei der erweiternden Auslegung, der Analogie und der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung letztendlich dieselben Wertungskriterien ausschlaggebend sind, wenn es um die Entscheidung der Frage geht, ob eine unzulässige Gesetzesumgehung oder eine zu akzeptierende Tatbestandsvermeidung vorliegt.332

325 

Benecke, S. 208. RG, Urteil v. 02. 06. 1890 – Rep. VI 68/90; RGZ 26, 180, 182 f.; v. 10. 01. 1885 – Rep. I 431/84, RGZ 13, 200, 203 f. 327  Ausführlich zur Entwicklung der Rspr. Vetsch, S. 53 ff.; krit. Larenz, S. 428. 328  OGH, Urteil v. 18. 12. 1996 – 3 Ob 2442/96f, www.ris.bka.gv.at; v. 23. 10. 1968 – 3 Ob 112/68, SZ 41/140; Bydlinski, S. 480. 329  Art. 717 Abs. 1 ZGB: „Bleibt die Sache infolge eines besondern Rechtsverhältnisses beim Veräußerer, so ist der Eigentumsübergang Dritten gegenüber unwirksam, wenn damit ihre Benachteiligung oder eine Umgehung der Bestimmungen über das Faustpfand beabsichtigt worden ist.“ 330  Schick, S. 131. 331  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388 f. 332  Benecke, S. 116. 326 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansätze, den Wertungsprozess in Umgehungsfällen transparenter und vorhersehbarer zu gestalten: Sieker hat Gruppen von typischen Umgehungskonstruktionen entwickelt.333 Lässt sich ein Sachverhalt in eine dieser Fallgruppen einordnen, so spreche das für eine Gesetzesumgehung. Damit lässt sich eine Abgrenzung zwischen zulässiger Tatbestandsvermeidung und Gesetzesumgehung aber nicht vornehmen. Auf diese Weise kann zwar ein Umgehungsverdacht begründet werden, eine Wertung im Einzelfall bleibt aber weiter erforderlich.334 Benecke hat eine Reihe objektiver und subjektiver Kriterien herausgearbeitet, welche die Eingriffsschwelle tendenziell erhöhen oder senken.335 a)  Objektive Kriterien aa) Besonderheiten des umgangenen Gesetzes Ein Kriterium für die Höhe der Eingriffsschwelle ist die Eigenart des umgangenen Gesetzes. Zu einigen Normen des BGB ist ausdrücklich bestimmt, dass sie auch im Falle einer (versuchten) Umgehung Anwendung finden sollen.336 Dabei handelt es sich jeweils um Vorschriften zum Verbraucherschutz bei typischerweise besonders riskanten Geschäften.337 Auch außerhalb des Zivilrechts finden sich vereinzelt gesetzliche „Umgehungsverbote“.338 Vor allem im Gesellschaftsrecht werden auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung bestimmte Vorschriften als „umgehungsfest“ bezeichnet.339 Diese haben regelmäßig die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals zum Gegenstand. Die Gläubiger und der Rechtsverkehr sollen in ihrem Vertrauen auf die gesetzlich vorgesehene Kapitalausstattung der Gesellschaft geschützt werden. In der Rechtsprechung des BAG hat vor allem § 75d Satz 2 HGB Bedeutung erlangt.340 Diese Norm regelt die Umgehung 333 

Sieker, S. 46 ff. Benecke, S. 124. 335  S. 123 ff. 336  Z. B. in § 241a Abs. 3 Satz 2 BGB für die Unentgeltlichkeit unbestellter Leistungen; § 306a BGB für die AGB-Kontrolle; § 312k Abs. 1 Satz 2 BGB für Verbraucherverträge; § 361 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Rücktritt; § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB für Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf; § 478 Abs. 4 Satz 3 BGB für den Rückgriff des Unternehmers; § 487 Satz 2 BGB zu Wohnrechteverträgen; § 511 Satz 2 BGB zum Darlehensvertrag; § 655e Abs. 1 Satz 2 BGB zur Vermittlung von Verbraucherdarlehensverträgen. 337  Koziolek, S. 64. 338  § 75d HGB für die Entschädigung beim Wettbewerbsverbot; § 42 Abs. 1 AO über den Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht. 339  OLG Rostock, Teilurt. v. 30. 01. 2013 – 1 U 75/11, NZG 2013, 543, 544; ähnl. OLG Hamm, Urteil v. 23. 10. 1996 – 8 U 63/96, BB 1997, 433, 434; Hölters/Solveen, § 52 AktG Rn. 29; MüKoAktG/Pentz, § 27 Rn. 79; MüKoGmbHG/Liebscher, § 50 Rn. 30; Schmidt, BB 2011, 707, 708; Ulmer, GmbHR 2010, 1298. 340  Ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 9. 334 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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der Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten. Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass das Gesetz jeweils den in einer konkreten Situation Schwächeren schützen will. Zwar dient letztendlich jede Norm dem Schutz irgendwelcher Rechtsgüter. In den hier beschriebenen Konstellationen führt jedoch die unbeschränkte Ausübung der Privatautonomie typischerweise nicht zu angemessenen Ergebnissen. Grund dafür kann – wie im Verbraucherschutz-, Wohnraummiet- und Arbeitsrecht – die wirtschaftliche und informationelle Unterlegenheit einer Partei sein, die durch soziale Schutznormen ausgeglichen werden soll. Der Schuldnerschutz, vor allem der Pfändungsschutz, beruht ebenfalls auf sozialen Erwägungen. Gläubigerschutzvorschriften, vor allem in der Insolvenz, müssen hingegen umgehungsfest sein,341 weil die Betroffenen nicht selbst Einfluss auf für sie möglicherweise nachteilige Geschäfte nehmen können.342 Im Familienrecht können persönliche Bindungen die Bereitschaft begründen, Verträge zur Umgehung von Schutzvorschriften zu schließen.343 Wenn Vorschriften umgangen werden, die Privatpersonen vor einseitiger Ausnutzung der Privatautonomie schützen sollen, lässt sich allein ihrem Gesetzeszweck ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Notwendigkeit einer niedrigen Eingriffsschwelle zur Verwirklichung des intendierten Schutzes entnehmen.344 Je mehr das Gesetz also dem Schutz des Schwächeren dient, umso niedriger ist tendenziell die Eingriffsschwelle.345 So erklärt sich auch, dass im Arbeitsrecht, welches bekanntermaßen in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht ist, die Rechtsprechung zur Gesetzesumgehung traditionell eine vergleichsweise große Bedeutung hat.346 bb) Weitere objektive Wertungskriterien Objektive Kriterien können als Indiz für subjektive Einstellungen dienen, aber auch als eigenständige Faktoren die Bewertung eines Verhaltens beeinflussen.347 Für ein Überschreiten der Eingriffsschwelle spricht die Nähe eines Umgehungsgeschäfts zur Sittenwidrigkeit und zum Rechtsmissbrauch, selbst wenn deren Voraussetzungen letztlich nicht vollständig erfüllt sind.348 Beispielsweise nahm der BGH ein „sittenwidriges Umgehungsgeschäft“ an, wenn zur Umgehung ei341 

Vgl. BGH, Urteil v. 06. 12. 1990 – IX ZR 44/90, BB 1991, 235. Benecke, S. 127. 343  OLG Hamm, Urteil v. 27. 09. 1976 – 8 U 66/76, FamRZ 1977, 566. 344  Benecke, S. 127. 345  Benecke, S. 131. 346  Benecke, S. 128. 347  Benecke, S. 124. 348  Benecke, S. 145 ff.; Sieker, S. 135; zum Verhältnis zwischen Umgehung und Rechtsmissbrauch vgl. Gliederungspunkt § 4. 342 

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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nes Vorkaufsrechts anstelle eines Kaufvertrags ein anderes, wirtschaftlich vergleichbares Geschäft geschlossen wird.349 Dem Vorkaufsberechtigten wäre hier mit der Nichtigkeit des Geschäfts nach § 138 BGB nicht geholfen, weil dann der Vorkaufsfall nicht einträte.350 Um ein Umgehungsgeschäft handele es sich nur bei „solchen Abmachungen, die durch ihren Gesamtcharakter oder die Art und Weise ihres Zustandekommens das Gepräge der Sittenwidrigkeit erhalten“.351 Die Sittenwidrigkeit wird hier zum Kriterium für eine Umgehung. Denn in diesen Fällen bringt das Gesetz seine Ablehnung des Geschäfts unter anderen Gesichtspunkten als nur der Umgehung zum Ausdruck. Das verhindert eine Akzeptanz der Tatbestandsvermeidung aus Gründen, die außerhalb der umgangenen Norm liegen. Bisweilen gelten auch atypische, gekünstelt erscheinende Gestaltungen als Kriterium der Gesetzesumgehung, das für die Notwendigkeit einer gerichtlichen Korrektur spricht.352 Wie die Anerkennung der besitzlosen Sicherungsübereignung und der GmbH & Co. KG/KGaA im deutschen Recht zeigt, bedingt die Atypizität aber nicht grundsätzlich eine ablehnende Wertung.353 Allerdings kann sie mittelbar von Bedeutung sein, weil sie die Annahme einer Umgehungsabsicht rechtfertigt.354 Die genannten Beispiele illustrieren zugleich, dass die praktischen Bedürfnisse des Rechtsverkehrs andererseits auch Anlass für eine Erhöhung der Eingriffsschwelle bieten können. Das gilt insbesondere dann, wenn die umgangene Norm eine bloße Ordnungsvorschrift ist, die nicht dem Schutz konkreter Personen dient.355 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Eingriffsschwelle umso höher ist, je mehr Nutzen für den Rechtsverkehr und je weniger Schaden für Personen die Gesetzesumgehung im Einzelfall verursacht. b)  Subjektive Kriterien Die Gesetzesumgehung erfordert nach heute in Deutschland ganz überwiegender Auffassung keine Umgehungsabsicht.356 Begründet wird dies mit dem Argu349 

BGH, Urteil v. 11. 12. 1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540. Benecke, S. 146. 351  BGH, Urteil v. 11. 12. 1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540. 352  Huber, JurA 1970, 784, 796 ff.; Römer, S. 17 ff.; maßgeblich ist dieser Gesichtspunkt vor allem im Steuerrecht, vgl. z. B. BFH, Urteil v. 01. 02. 2001 – IV R 3/00, BFHE 194, 13; Urteil v. 27. 07. 1999 – VIII R 36/98, DStR 1999, 1848; Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 48; Koenig/Koenig, § 42 AO Rn. 19. 353  So ausdrücklich BGH, Beschluss v. 24. 02. 1997 – II ZB 11/96, BHGZ 134, 392. 354  Benecke, S. 145; Westerhoff, S. 206; zur Bedeutung der Umgehungsabsicht vgl. § 2 IV. 4 c) bb) gleich im Anschluss. 355  Benecke, S. 151. 356  BAG, Urteil v. 24. 02. 2010 – 10 AZR 1038/08, AP Art. 3 GG Nr. 320; grundlegend Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65; BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, LS: „Der Umgehungstatbestand setzt keine Umgehungsab350 

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

ment, bei der Rechtsanwendung im Wege der Auslegung oder Analogie gelte das Gesetz aus eigener Kraft. Zum Teil wird deshalb vertreten, subjektive Umstände seien in Umgehungsfällen ausschließlich von Belang, soweit die umgangene Norm selbst sie vorsieht.357 Eine differenzierende Ansicht betrachtet die Umgehungsabsicht zwar ebenfalls nicht als Voraussetzung der Gesetzesumgehung, aber als bedeutsam für die Wertung, ob die Eingriffsschwelle erreicht ist.358 Dabei wird keineswegs bestritten, dass eine zu unterbindende Gesetzesumgehung auch beim Fehlen jedes subjektiven Elements möglich ist, z. B. bei der objektiven Umgehung von Schutzgesetzen im Arbeitsrecht. Allerdings könne eine Umgehungsabsicht die Eingriffsschwelle senken. Nach Ansicht des BAG können „bei der Prüfung des Umgehungstatbestands subjektive Momente den Ausschlag geben“.359 So kann eine Kündigung kurz vor Ende der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ohne soziale Rechtfertigung oder kurz vor Eintritt einer tarifvertraglichen Unkündbarkeit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber den Eintritt des erweiterten Kündigungsschutzes verhindern will, aber eine lange Kündigungsfrist wählt, um den Arbeitnehmer zunächst weiterbeschäftigen zu können.360 Denn dann bezweckt die Kündigung eher eine Umgehung des Kündigungsschutzes als eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dient andererseits die lange Kündigungsfrist dazu, dem Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Probezeit eine weitere Bewährungsmöglichkeit zu bieten, dann ist die Kündigung wirksam.361 Inwieweit subjektive Einstellungen berücksichtigt werden können, hängt allerdings von der jeweils angewandten Methode der Rechtsfortbildung ab. Im Bereich sicht voraus“; BeckOK ArbR/Jacobs, § 306a BGB Rn. 4; Jauernig/Stadler, § 306a BGB Rn. 1; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 16; MüKoBGB/Franzen, § 487 Rn. 8; Palandt/ Ellenberger, § 134 Rn. 28; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40; Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 145; Clausen, DB 2003, 1589, 1593; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299; v. Gamm, WRP 1961, 259, 260; Liebscher, ZIP 2003, 825, 832; Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1111; Römer, S. 45; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1285; Sieker, S. 43 f.; Teichmann, S. 69 f.; Vetsch, S. 219; Wolf/Neuner, § 45 Rn. 27; ebenso für die schweiz. Lehre Keller, S. 13 m. w. N.; a.A. wohl LAG Hamburg, Urteil v. 04. 05. 2016 – 6 Sa 2/16, juris (Rn. 113): „bewusste und damit rechtswidrige Gesetzesumgehung“; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 04. 11. 2014 – 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186, 190; Kegel, ÖJZ 1958, 15. 357  v. Lackum, S. 239; Sieker, S. 43 ff. 358 Palandt/Ellenberger, § 134 Rn. 28; Schermaier, AcP 196 (1996), 256, 261; Schurig, in: FS Ferid, S. 403 f.; Benecke, S. 115, S. 121 f., S. 153 ff., S. 186; Kracht, S. 139 f.; Westerhoff, S. 206; ähnl. Schick, S. 114 ff. 359  BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205, 1207; vgl. Gliederungspunkt § 7 B. II. 360  BAG, Urteil v. 20. 07. 1989 – 2 AZR 515/88, ZTR 1990, 23; v. 16. 10. 1987 – 7 AZR 204/87, BAGE 57, 1. 361  BAG, Urteil v. 07. 03. 2002 – 2 AZR 93/01, BB 2002, 2070; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 06. 05. 2015 – 4 Sa 94/14, LAGE § 1 KSchG Nr. 21.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung kommt der Umgehungsabsicht im Ergebnis keine Bedeutung zu,362 weil hier die Eingriffsschwelle nicht die entscheidende Hürde ist. Ist das Gesetz lückenhaft und der ungeregelte dem geregelten Sachverhalt hinreichend ähnlich, dann ist eine Analogie vorzunehmen, ohne dass subjektive Kriterien eine Rolle spielen.363 Begründungsbedürftig wäre vielmehr der Verzicht auf eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung.364 Anders verhält es sich bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, die eine höhere Eingriffsschwelle aufweist, weil sie die Rechtssicherheit stärker beeinträchtigt. Hier kann ein objektiv identischer Sachverhalt bei Vorliegen einer Umgehungsabsicht als Gesetzesumgehung, bei ihrem Fehlen aber als hinzunehmende Tatbestandsvermeidung zu bewerten sein.365 Subjektive Elemente einzubeziehen, entspricht dem Gerechtigkeitsempfinden.366 Wer bewusst und zielgerichtet den Zweck eines Gesetzes unterlaufen will, ist bei der Entscheidung über die Anwendung des Gesetzes über seinen Wortlaut hinaus weniger schutzwürdig – die Eingriffsschwelle sinkt.367 Die Berücksichtigung subjektiver Elemente steht auch im Einklang mit der Dogmatik der Rechtsfortbildung, solange sie in die Wertung einfließen und nicht zu Tatbestandsvoraussetzungen erhoben werden, wie es in der Rechtsprechung bisweilen geschieht. So nimmt das BAG eine unzulässige Ergehung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG nur dann an, wenn der Bewerber ausschließlich die Absicht verfolgt, nach diskriminierender Ablehnung seiner Bewerbung eine Entschädigung zu fordern.368 Auch bei der Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens stellt das BAG darauf ab, ob beide Arbeitgeber bewusst und in Umgehungsabsicht zusammenwirken.369

362 

So auch v. Lackum, S. 55. v. Lackum, S. 55. 364  Canaris, S. 183 f. 365  Benecke, S. 157 ff. mit weiteren Beispielen; Schurig, in: FS Ferid, S. 403 f.; Teichmann, S. 89. 366  Schurig, in: FS Ferid, S. 404; Koziolek, S. 26 Fn. 144; Westerhoff, S. 150. 367  Benecke, S. 159; Westerhoff, S. 206. 368  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris; v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 D. I. 369  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 C. I. 363 

68

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

VI.  Rechtsfolgen 1.  Anwendung der umgangenen Norm Die regelmäßige Rechtsfolge der Gesetzesumgehung ist nach heute allgemeiner Meinung die sog. Gleichstellung, also die Anwendung der Rechtsfolgen der umgangenen Norm auf den Umgehungssachverhalt.370 Dies folgt aus der Tatsache, dass Umgehungsversuchen meist mit erweiternder Auslegung oder analoger Anwendung der Norm begegnet wird. Doch selbst wer in Umgehungsfällen einen anderen Lösungsweg beschreitet, hält eine Gleichstellung mit der umgangenen Norm meist für die angemessene Rechtsfolge.371 Auch die ausdrücklichen, gesetzlichen Umgehungsregelungen sehen in der Regel eine Ausdehnung der umgangenen Vorschriften auf Umgehungsgestaltungen vor.372 2.  Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts Die ältere Rechtsprechung nahm als Rechtsfolge einer Gesetzesumgehung meist die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts an.373 Dem folgte ein Teil der Literatur.374 Dieser Auffassung lag die Vorstellung zugrunde, dass jede zwingende Norm ein Verbot ihrer Umgehung in sich trage, dessen Verletzung zur Anwendbarkeit des § 134 BGB führe.375 Deshalb wird die Gesetzesumgehung im allgemeinen Zivilrecht traditionell im Zusammenhang mit § 134 BGB diskutiert.376 Nach heutigem Verständnis ist das der Umgehung dienende Rechtsgeschäft aber nur ausnahmsweise nichtig. Weil regelmäßig die umgangene Norm direkt oder analog angewandt wird, setzt die Nichtigkeit voraus, dass der Zweck des

370 BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 494/11, NZA 2013, 1267; BGH, Urteil v. 11. 10. 1991 – V ZR 127/90, BGHZ 115, 335; Benecke, ZIP 2010, 105, 107; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Brors, AuR 2013, 108, 112; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299; Liebscher, ZIP 2003, 825, 832; Schurig, in: FS Ferid, S. 400 und 406; Benecke, S. 90; Koziolek, S. 93 f.; Römer, S. 50; Sieker, S. 136 f.; Teichmann, S. 105; Westerhoff, S. 86 ff.; für das Steuerrecht vgl. § 42 Abs. 1 Satz 3 AO. 371 Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 152 f.; Heeder, S. 223 f. 372  Eine Ausnahme bildet § 75d HGB, wonach eine Umgehung der Karenzentschädigungspflicht dazu führt, dass sich der Arbeitgeber nicht auf die Wettbewerbsvereinbarung berufen kann. Im Umgehungsfall ist der Arbeitnehmer deshalb oft bessergestellt als bei Einhaltung der gesetzlichen Regelungen. 373 BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, BAGE 47, 314; BGH, Urteil vom 06. 12. 1990 – IX ZR 44/90, MDR 1991, 755; v. 23. 06. 1971 – VIII ZR 166/70, BGHZ 56, 285; v. 25. 01. 1961 – V ZR 80/59, BGHZ 34, 200. 374  v. Gamm, WRP 1961, 259, 260. 375  Kempff, DB 1976, 1576. 376  BeckOK BGB/Wendtland, § 134 Rn. 19 ff.; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 11 ff.

D.  Lösung durch Auslegung und Rechtsfortbildung

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umgangenen Gesetzes ebendies erfordert.377 Das ist der Fall, wenn auch eine unmittelbare Anwendung der Norm zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts führen würde. So kann einerseits die Vorschrift selbst die Nichtigkeitsfolge enthalten. Beispielsweise hielt das BAG einen Aufhebungsvertrag aufgrund eines Betriebsübergangs für nichtig, weil er der unzulässigen Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB diene, der entsprechende Kündigungen für unwirksam erklärt.378 Andererseits kann die Umgehung eines Verbotsgesetzes zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen, weil § 134 BGB diese Rechtsfolge auch bei direkten Verstößen vorsieht.379 In der mehr als fünfjährigen Bindung einer Aktiengesellschaft an ein Vorstandsmitglied durch Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses gleichen Inhalts für die Zeit nach Ende des Dienstverhältnisses sieht das BAG eine Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG.380 Da es sich hierbei um eine Verbotsnorm handele und diese für den Umgehungssachverhalt entsprechend gelte, sei der Vertrag nach § 134 BGB nichtig. 3.  Andere Rechtsfolgen Vor allem im Arbeitsrecht finden sich Umgehungsfälle, in denen die Gleichstellung mit einer umgangenen Norm nicht möglich oder nicht sachgerecht ist. So hat das BAG in seiner Befristungsrechtsprechung nicht das umgangene Kündigungsschutzrecht analog angewandt, sondern das Erfordernis eines Sachgrundes aufgestellt.381 Wie sich zeigen wird, kann eine solche Vorgehensweise dogmatisch zulässig sein.382 Wenn eine analog anwendbare umgangene Norm nicht zur Verfügung steht oder ihre Rechtsfolgen zur Lösung des Umgehungsfalls ungeeignet erscheinen, kann die Gesetzesumgehung nur noch durch eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung verhindert werden.383 Hier ist der Rechtsanwender freier in der Wahl der Rechtsfolgen, aber, wie oben dargestellt,384 dennoch stets an die Wertungen der Rechtsordnung gebunden. In derartigen Konstellationen ist eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsfolgen denkbar.

377 MüKoBGB/Armbrüster,

§ 134 Rn. 17. BAG, Urteil v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367. 379 Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 145; Schurig, in: FS Ferid, S. 406. 380  BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, BAGE 132, 27; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 10 D. 381  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65. 382  Vgl. Gliederungspunkte § 7 A. IV. und § 8 A. III. 383  Benecke, S. 191. 384  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa). 378 

70

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

E.  Alternative Lösungsansätze Obgleich die heute herrschende Meinung Fälle der Gesetzesumgehung durch Auslegung und Rechtsfortbildung mit allenfalls geringen methodischen Besonderheiten löst, gibt es nach wie vor einige Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die andere Lösungsansätze befürworten. Teilweise wird eine eigenständige Rechtsfigur der Gesetzesumgehung mit besonderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen für notwendig erachtet. Nach anderen Auffassungen handelt es sich bei der Umgehung um einen Unterfall der Sittenwidrigkeit oder des Scheingeschäfts. Schließlich wird vertreten, dass nach einer zutreffenden Auslegung des Umgehungsgeschäfts eine Subsumtion unter die umgangene Norm problemlos möglich sei. Diese Ansätze sollen nun im Einzelnen betrachtet und auf ihre Eignung zur Lösung von Umgehungsfällen untersucht werden. I.  Eigenständige Lehre von der Gesetzesumgehung Die bis zur Mitte des 20. Jhd. in Deutschland und bis heute in Frankreich herrschende Vorstellung von der Gesetzesumgehung als eigenständiges Rechts­ institut385 hat nach wie vor einige Befürworter386. Auch in Entscheidungen des BAG klingt sie an.387 In einigen Urteilen wird ausdrücklich vom „Tatbestand“ der Gesetzesumgehung gesprochen.388 Problematisch ist dabei, dass ein alle Umgehungsfälle umfassender, subsumtionsfähiger Umgehungstatbestand mit einheitlichen Rechtsfolgen bisher nicht formuliert werden konnte.389 Nachdem die Befugnis der Rechtsprechung zu teleologischer Auslegung und Rechtsfortbildung heute allgemein anerkannt ist, wird eine Rechtsfigur der Gesetzesumgehung von der h. M. aber auch nicht mehr für erforderlich gehalten.390 Von einer Mindermeinung werden als Argumente für ihre Existenz die gesetzlichen Umgehungsregelungen und Schranken bei der Analogiebildung angeführt. 385  BGH, Urteil v. 17. 11. 1959 – V ZR 18/59, NJW 1960, 524; Enneccerus-Nipperdey, § 190 III., S. 819; Pfaff, S. 1 ff.; Römer, S. 48 f. 386  So in jüngerer Zeit noch Mayer-Maly, SAE 1976, 256; Wollenschläger, AuR 1975, 222, 223; Heeder, S. 78 ff.; Schick, S. 213; Thies, S. 355 ff. 387  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1093; grundlegend BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65, 70. 388  BAG, Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, NZA 1986, 470; v. 19. 12. 1974 – 2 AZR 565/73; NJW 1975, 1531, 1532; v. 03. 05. 1962 – 2 AZR 451/61, NJW 1962, 1587. 389  Benecke, S. 181; Sieker, S. 25; Teichmann, S. 105. 390  BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 986; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; Palandt/Ellenberg, § 134 Rn. 28; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 40; Bickel, JuS 1987, 861, 863; Fischer, DB 1996, 644, 647; v. Gamm, WRP 1961, 259; Huber, JurA 1970, 784, 797; Müller, NJW 2003, 1975; Teichmann, JZ 2003, 761, 767; Behrends, S. 11; Schröder, S. 12; Sieker, S. 8 ff.; Teichmann, S. 67 ff., S. 105.

E.  Alternative Lösungsansätze

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1.  Bedeutung gesetzlicher Umgehungsregelungen Der Gesetzgeber hielt bei Erlass des BGB eine allgemeine Regelung zum Verbot der Gesetzesumgehung für überflüssig, weil er die Umgehung als Frage der Auslegung des rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Tatbestandes verstand.391 Insbesondere findet sich eine solche Regelung nicht in § 134 BGB,392 obgleich diese Norm häufig als Grundlage eines angeblichen Umgehungsverbots herangezogen wird. Jedoch enthält das Zivilrecht mittlerweile eine ganze Reihe spezieller Regelungen zur Gesetzesumgehung (z. B. §§ 241a Abs. 3 Satz 2, 306a, 312k Abs. 1 Satz 2, 361 Abs. 2 Satz 2, 475 Abs. 1 Satz 2, 478 Abs. 4 Satz 3, 487 Satz 2, 511 Satz 2, 655e Abs. 1 Satz 2 BGB, §§ 75d Satz 2, 341t Abs. 6 Satz 2 HGB). Die für diese Normen häufig gewählt Bezeichnung als „Umgehungsverbote“ ist unzutreffend, weil ein Umgehungsversuch keineswegs verboten ist, er entfaltet nur nicht die beabsichtigten Wirkungen.393 a)  Literaturmeinungen Welche Bedeutung diese Bestimmungen haben, ist umstritten. Teilweise werden sie im Wege der Verallgemeinerung als Grundlage für eine eigenständige, über Auslegung und Analogie hinausgehende Rechtsfigur der Gesetzesumgehung angeführt.394 Außerdem wird ihre Bedeutung darin gesehen, bei der Umgehung einer bestimmten Norm jeweils die passende Rechtsfolge herbeizuführen.395 Einer anderen Auffassung nach erweitern Umgehungsregelungen die Zulässigkeit der Normanwendung über den Wortlaut hinaus und können dadurch Versuche einer Gesetzesumgehung wirksamer unterbinden.396 So soll das Erfordernis einer Gesetzeslücke in Umgehungsfällen entfallen.397 Zugleich werde aber die Möglichkeit der Analogiebildung beschränkt, sofern der Schutzzweck einer Norm nicht berührt sei.398 Diese Ansicht stützt sich vor allem auf Besonderheiten des Verbraucherschutzrechts, dessen punktuelle Regelungen eine Analogie nur sehr begrenzt zuließen, aber zugleich anfällig gegen Aushöhlungen seien.399 Dem ist entgegenzuhalten, dass in solchen Konstellationen nicht nur die Analogie in Betracht zu ziehen ist, sondern auch andere Methoden der Rechtsfortbildung. 391 

Mugdan I, S. 725. Delahaye, WuW 1987, 877, 883. 393 Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 7. 394  Heeder, S. 82; in diese Richtung auch Schick, S. 123; Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 151, die aber letztendlich einer Lösung über § 138 BGB den Vorzug geben. 395  v. Gamm, WRP 1961, 259, 260; Römer, S. 47. 396  Benecke, S. 77 f. und 85 f. 397  Benecke, S. 77; Westerhoff, S. 92 f. 398  Benecke, S. 77; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1305. 399  Benecke, S. 78. 392 

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

Überwiegend wird den Umgehungsregelungen jedoch kein eigenständiger Regelungsgehalt, sondern eine rein deklaratorische, klarstellende Bedeutung beigemessen.400 Der nationale Gesetzgeber wolle damit lediglich den strengen Anforderungen des EuGH an die Umsetzung von Richtlinien genügen und den ohnehin gewährleisteten Umgehungsschutz eindeutig erkennbar machen.401 An dieser Gesetzgebungstechnik wird kritisiert, dass sie die Rechtssicherheit nicht erhöhe.402 Gesetzliche Umgehungsregelungen werden sogar als Gefahr angesehen, weil sie den Gesetzgeber bei der Abfassung von Vorschriften und den Richter bei ihrer Anwendung zu mangelnder Sorgfalt veranlassen können.403 b)  Bedeutung bei der Lösung von Umgehungsfällen Letztgenannter Auffassung ist zuzugestehen, dass die meisten Umgehungsregelungen für den Eintritt von Rechtsfolgen entsprechend der umgangenen Norm nicht erforderlich sind, zumal eine gesetzesimmanente oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bei Schutzgesetzen ohnehin eher möglich ist als bei reinen Ordnungsvorschriften.404 Zu Recht weist Koziolek allerdings darauf hin, dass geltende Vorschriften nach dem Rechtsstaatsprinzip auch dann anzuwenden sind, wenn sie für überflüssig gehalten werden und sich nicht auf das Ergebnis auswirken.405 Denn die Anwendung positiven Rechts hat Vorrang vor der Rechtsfortbildung. Deshalb sind Entscheidungen vorrangig auf die umgangene Norm und die Umgehungsregelung statt auf die Grundsätze der Rechtsfortbildung zu stützen.406 Konstitutiv wirken Umgehungsregelungen dann, wenn sie – wie etwa § 75d Satz 2 HGB407 – eine von der umgangenen Vorschrift abweichende Rechtsfolge bestimmen. Zudem können deklaratorische Umgehungsverbote die Eingriffsschwelle senken. Da der Gesetzgeber seinen Willen zur Anwendbarkeit einer Norm auch in Umgehungsfällen erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, kann das Argument der fehlenden Rechtssicherheit nicht gegen eine Ausweitung der Norm angeführt werden.408 Der Umgehungswillige wird durch das Gesetz ausdrücklich vor dem 400  BeckOK BGB/H. Schmidt, § 306a Rn. 1; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; MüKoBGB/Wendehorst, § 312k Rn. 15; Benecke, S. 128; v. Lackum, S. 186; Sieker, S. 39; Westerhoff, S. 201. 401 MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15. 402  Schröder, S. 127. 403  Schröder, S. 127; Sieker, S. 39. 404  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. V. 3. a) aa). 405  Koziolek, S. 90. 406  BeckOK BGB/Maume, § 312k Rn. 8; Spindler/Schuster/Schirmbacher, § 312k BGB Rn. 8; Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1304. 407  Vgl. Gliederungspunkt § 9. 408  Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1305; Koziolek, S. 92; in diese Richtung auch Benecke, S. 72.

E.  Alternative Lösungsansätze

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Scheitern seiner Umgehungsstrategie gewarnt, so dass er eines Schutzes gegen die Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus nicht bedarf.409 Bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen – die durch die Umgehungsregelung nicht verkürzt werden – wird eine Ausweitung des Anwendungsbereichs deshalb regelmäßig nicht an der Eingriffsschwelle scheitern.410 2.  Bedeutung von Analogieverboten Vereinzelt werden die Grenzen der Analogie angeführt, um das Bedürfnis nach einer eigenständigen Umgehungslehre zu begründen.411 So wird teilweise vertreten, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen und deshalb einer Analogie unzugänglich seien.412 Im Steuerrecht wird die Bedeutung des § 42 AO bisweilen darin gesehen, dass er in Umgehungsfällen eine Analogiebildung stets erlaube, obwohl eine Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen grundsätzlich nur sehr eingeschränkt zulässig sei.413 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass außer im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) Analogieverbote weder gesetzlich festgeschrieben noch allgemein anerkannt sind.414 Deshalb können zur Lösung von Umgehungsfällen nicht nur Analogien, sondern sämtliche Formen der Rechtsfortbildung eingesetzt werden, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Wenn eine vermeintliche Gesetzesumgehung auch durch Ausschöpfung aller zulässigen Methoden nicht verhindert werden kann, ist aber auch dieses Resultat hinzunehmen. Eine Umgehungslehre darf nicht eigens dazu geschaffen werden, angeblich bestehende Analogieverbote und andere Grenzen der Rechtsfortbildung zu umgehen. II.  Sittenwidrigkeit von Umgehungsgeschäften Sack/Seibl betrachten Umgehungsgeschäfte als Verstoß gegen die guten Sitten.415 Umgehungsfälle wollen sie deshalb, soweit kein spezielles Umgehungsver409 

Koziolek, S. 86. I.E. ähnlich Gramlich/Zerres, ZIP 1998, 1299, 1300; Koziolek, S. 89. 411  Heeder, S. 83. 412 BGH, Urteil v. 06.  11. 1953 – I ZR 97/52, BGHZ 11, 135, 143; BSG, Urteil v. 23. 10. 1958 – 8 RV 619/57, NJW 1959, 168, 169; Benecke, S. 173 ff.; a.A. Würdinger, JuS 2008, 949. 413  In diese Richtung Klein/Gersch, § 4 AO Rn. 37 f.; Benecke, S. 47; Schaumburg/ Schaumburg, in: FS Gocke, S. 262 und S. 272 f.; Sieker, S. 214. 414  Gegen ein generelles Analogieverbot bei Ausnahmevorschriften etwa BAG, Urteil v. 16. 12. 2010 – 6 AZR 423/09, DB 2011, 766, 768 m. w. N.; MüKoBGB/Häublein, § 566 Rn. 9; Häublein, WuM 2010, 391, 395; ausführlich Würdinger, JuS 2008, 949; differenzierend Larenz/Canaris, S. 175 f. 415 Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 152 f. 410 

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

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bot anwendbar ist, nach § 138 BGB lösen. Die unpassende Nichtigkeitssanktion könne eingeschränkt werden und ein subjektiver Tatbestand sei verzichtbar. Zur Schließung der rechtlichen Lücke bei der Umgehung habe der Gesetzgeber § 138 BGB vorgesehen, nach dessen Anwendung kein Raum für eine Analogie verbleibe.416 Auch die ältere Rechtsprechung nahm bei Umgehungsgeschäften gelegentlich Nichtigkeit nach § 138 BGB an, falls beide Vertragspartner eine Umgehungsabsicht hatten.417 Nach h. M. gibt es zwar Geschäfte, die sowohl der Gesetzesumgehung dienen als auch sittenwidrig sind, dennoch sei § 138 BGB nicht generell zur Lösung von Umgehungsfällen geeignet.418 Die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit sind enger als die der Gesetzesumgehung, weil nicht jeder Verstoß gegen Ziele einer Rechtsnorm zugleich einen Verstoß gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ durch Inhalt, Zweck und Umstände des Rechtsgeschäfts419 umfasst. § 138 BGB enthält im Gegensatz zu § 134 BGB keinen ausdrücklichen Normzweckvorbehalt, so dass andere Rechtsfolgen als die Nichtigkeit nur sehr eingeschränkt in Betracht kommen.420 Eine Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der umgangenen Norm lässt sich über § 138 BGB also nicht begründen. Bei einer Gleichsetzung mit der Sittenwidrigkeit würde die Umgehung einer Norm damit andere (und häufig nachteiligere) Rechtsfolgen auslösen als ihre unmittelbare Geltung. Diese unterschiedliche Behandlung wesentlich gleicher Sachverhalte verstieße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wendet man hingegen mit der h. M. die umgangene Norm analog auf den Umgehungssachverhalt an, so kann die sittenwidrige Rechtsfolge gar nicht erst eintreten.421 Folglich hat die Verhinderung der Gesetzesumgehung durch Auslegung und Analogie Vorrang vor der Anwendung des § 138 BGB. III.  Scheingeschäft Ähnlich wie eine Gesetzesumgehung kann auch die Verschleierung des tatsächlichen Charakters eines Rechtsgeschäfts dazu dienen, die Anwendung einer unerwünschten Norm zu vermeiden. Voraussetzung ist eine Dreieckskonstella­ 416 Staudinger/Sack/Seibl,

§ 134 Rn. 153. BGH, Urteil v. 08. 06. 1983 – VIII ZR 77/82, NJW 1983, 2873; v. 23. 04. 1968 – VI ZR 217/65, NJW 1968, 2286, 2287; offengelassen in Urteil v. 27. 01. 2016 – XII ZR 33/15, NJW 2016, 2652, 2654. 418 MüKoBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 54; Schurig, in: FS Ferid, S. 407; Benecke, S. 44 f. und S. 145; Römer, S. 26; Sieker, S. 135; Teichmann, S. 71. 419 Dies ist nach st. Rspr. Voraussetzung der Sittenwidrigkeit, z. B. BAG, Urteil v. 25. 04. 2013 – 8 AZR 453/12, NZA 2013, 1206, 1208; BGH, Urteil v. 06. 02. 2009 – V ZR 130/08, NJW 2009, 1346. 420 MüKoBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 157; Benecke, S. 45. 421 MüKoBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 54; Schurig, in: FS Ferid, S. 407. 417 

E.  Alternative Lösungsansätze

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tion, in der die Vertragsparteien zusammenwirken, um Rechte eines Dritten – im untechnischen Sinne – zu umgehen. Im Arbeitsrecht wird im Zusammenhang mit § 117 BGB etwa das Problem des gezielten Scheinwerkvertrags erörtert.422 In der Literatur heißt es beispielsweise: „Mit Scheinwerk- und Scheindienstverträgen […] wird versucht, die Arbeitnehmer­ überlassung und damit die Schutzmechanismen des AÜG zu umgehen.“423

Um die nachteiligen Rechtsfolgen der Arbeitnehmerüberlassung faktisch nicht eintreten zu lassen, spiegeln Auftraggeber und Auftragnehmer einvernehmlich den Arbeitnehmern das Vorliegen eines Werkvertrags vor. Für die Einordnung als Scheingeschäft reicht nach h. M. eine bewusste Falschbezeichnung aber nicht aus. Liegt der wirklich gewollte Vertragsinhalt offen zutage, kann der Fall durch Sachverhaltsauslegung gelöst werden.424 Bei einem Scheingeschäft muss eine Täuschung über den Vertragsinhalt – beim Scheinwerkvertrag etwa über Weisungsstrukturen oder Gewährleistungspflichten425 – hinzutreten.426 Ganz überwiegend herrscht heute die Ansicht, dass Scheingeschäft und Gesetzesumgehung zwei unterschiedliche und überschneidungsfreie Problembereiche sind.427 Bei einem Scheingeschäft wollen die Parteien einvernehmlich nur den Schein eines bestimmten Rechtsgeschäfts hervorrufen, nicht aber dessen Rechtsfolgen wirklich eintreten lassen; bei der Gesetzesumgehung dagegen müssen die Rechtsfolgen des Geschäfts tatsächlich eintreten, um dann ihrerseits die gewünschten rechtlichen Wirkungen auszulösen. Gesetzesumgehung und Scheingeschäft schließen einander damit logisch aus. Ist das vereinbarte Rechtsgeschäft nicht ernstlich gewollt, so greift vorrangig § 117 BGB ein. Gemäß Abs. 1 entfaltet das simulierte Geschäft keinerlei Rechtsfolgen; das nach Abs. 2 maßgebliche dissimulierte Geschäft wird in aller Regel nicht zur Gesetzesumgehung tauglich 422  BAG, Urteil v. 12. 07. 2016 – 9 AZR 359/15, juris (Rn. 19); LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 18. 12. 2014 – 3 Sa 33/14, BB 2015, 955; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 28. 05. 2015 – 2 Sa 689/14, NZA-RR 2015, 625, 627; SH/Hamann, § 1 Rn. 195; Hamann, NZA-Beil. 2014, 3, 9; ders./Rudnik, NZA 2015, 449, 453; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1310; Seewald, NZS 2014, 481, 488; Zieglmeier, DStR 2016, 2858, 2860 f. 423  Francken, NZA 2013, 985. 424  Vgl. Gliederungspunkt § 2 E. IV. 425  Maschmann, NZA 2013, 1305, 1309 f., spricht dabei von „Umgehungsstrategien“. 426 MüKoBGB/Armbrüster, § 117 Rn. 18; Benecke, RdA 2016, 65, 67; Hohmeister, NZA 2000, 408, 409; Sieker, S. 103 f. 427  BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205, 1206; BGH, Beschluss v. 04. 04. 2007 – III ZR 197/06, NJW-RR 2007, 1209, 1210; Erman/Arnold, § 117 Rn. 2; HK-BGB/Dörner, § 117 Rn. 4; Jauernig/Mansel, § 117 Rn. 3; MüKoBGB/Armbrüster, § 117 BGB Rn. 19; Soergel/Hefermehl, § 117 Rn. 12; Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 145; Benecke, RdA 2016, 65, 68; Hohmeister, NZA 2000, 408, 409; Schurig, in: FS Ferid, S. 378 und S. 382; Teichmann, JZ 2003, 761, 763 f.; Benecke, S. 37; Heeder, S. 101; v. Lackum, S. 60 ff.; Römer, S. 20; Sieker, S. 104; Teichmann, S. 7 f.

1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

76

sein, da es von den Parteien ja niemals für eine rechtliche Beurteilung vorgesehen war.428 Ist der Scheincharakter einer Vereinbarung erkannt, so führt die Anwendung des § 117 BGB also problemlos zur richtigen Lösung. Folglich ist ein Scheingeschäft im Gegensatz zur Gesetzesumgehung nicht ein Problem der Normanwendung, sondern der Tatbestandsfeststellung.429 Gerade das macht es aber zu einem besonders wirkungsvollen Mittel der Rechtsfolgenvermeidung zu Lasten eines Dritten. Anders als bei der Gesetzesumgehung, wo der Richter in Kenntnis des Tatbestandes selbständig über die anzuwendenden Normen befindet (iura novit curia), kommt bei Scheingeschäften der Frage der Darlegungs- und Beweislast eine zentrale Bedeutung zu (da mihi facta, dabo tibi ius). Macht der Arbeitnehmer bei einem Scheinwerkvertrag Rechte nach dem AÜG geltend, so liegen die primäre Darlegungslast und die Beweislast de lege lata bei ihm als Kläger.430 Da er an den zwischen den Unternehmen geschlossenen Verträgen selbst nicht beteiligt ist und auch in die Vertragsdurchführung nur punktuell Einblick erlangt, gelingt dem Arbeitnehmer der Nachweis eines Scheinwerkvertrags daher nur selten.431 Im Einklang mit der h. M. prüft das BAG das Vorliegen eines Scheingeschäfts vorrangig und das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts getrennt davon.432 Scheingeschäfte sind in die Untersuchung der Umgehungsrechtsprechung deshalb nicht zu einzubeziehen. IV.  Sachverhaltsauslegung Vom Scheingeschäft, aber auch vom Umgehungsgeschäft zu unterscheiden sind Fälle, in denen die Parteien ihren Vertrag bewusst oder unbewusst falsch bezeichnen, ohne aber den vereinbarten Inhalt zu verschleiern.433 Hierzu zählt häufig die Scheinselbständigkeit, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer behaupten und oftmals auch annehmen, sie hätten einen freien Dienstvertrag geschlossen, während der offen zu Tage liegende Vertragsinhalt tatsächlich der eines Arbeits428 

Benecke, S. 42. Tamussino, S. 32 ff.; entsprechend meint Kegel, ÖJZ 1958, 15: „Die Simulation begleitet die Gesetzesumgehung wie die Lüge die Wahrheit.“ 430  BeckOK ArbR/Kock, § 1 AÜG Rn. 50; Francken, NZA 2013, 985, 986; eine Übertragung auf den beklagten Unternehmer wird de lege ferenda etwa gefordert von Brors, NZA 2014, 1377 f.; Brors/Schüren, NZA 2014, 569, 572; Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, 453. 431  Brors, NZA 2014, 1377 f.; Francken, NZA 2014, 1064 f. 432  BAG, Urteil v. 18. 03. 2009 – 5 AZR 355/08, NZA 2009, 663; v. 19. 06. 1996 – 10 AZR 908/95, juris. 433 MüKoBGB/Armbrüster, § 117 Rn. 18; Hohmeister, NZA 2000, 408, 409; a.A. Benecke, RdA 2016, 65, 67, die Fälle einer bewussten Falschbezeichnung zu den Scheingeschäften zählt. 429 

E.  Alternative Lösungsansätze

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vertrages ist. Maßgeblich ist allein der Inhalt eines Vertrages, nicht seine Bezeichnung oder rechtliche Qualifikation durch die Parteien.434 Das BAG löst diese Fälle durch eine Gesamtwürdigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zur Bestimmung des zutreffenden Vertragstyps, wobei die praktische Durchführung des Vertrags Vorrang vor schriftlichen Vereinbarungen hat.435 Fälle der Gesetzesumgehung lassen sich auf diese Weise nicht lösen,436 weil hier das Umgehungsgeschäft so wie vereinbart und zutreffend deklariert auch gelten soll in der Überzeugung, dadurch bestimmte Rechtsfolgen auszulösen oder zu vermeiden. Zum Teil wird dennoch dieser Weg beschritten. Statt des vereinbarten und tatsächlich gewollten Rechtsgeschäfts sei ein fiktives, zu den dahinterstehenden Zielen der Parteien passenderes Rechtsgeschäft anzunehmen, das dann unmittelbar unter die umgangene Norm subsumiert werden könne.437 Diese Vorgehensweise greift aber unzulässig in die Privatautonomie ein.438 Wenn Parteien den Inhalt eines bestimmten Geschäftes ernsthaft gewollt haben, darf ihnen nicht ein nach Ansicht des Gerichts besser geeignetes Geschäft unterstellt werden – wohl aber können dessen unerwünschte Rechtsfolgen im Wege der Analogie eingreifen, sofern die Voraussetzungen einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung vorliegen. Zudem birgt eine überdehnende Sachverhaltsauslegung das Risiko versteckter Rechtsfortbildung, wie das folgende Beispiel illustriert: Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach „vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses“. Um eine Entgeltfortzahlung trotz geringfügiger Unterbrechungen zu erreichen, greift das BAG nicht explizit auf eine Analogie zurück. Dazu hätte dargelegt werden müssen, dass ein für einen unwesentlichen Zeitraum unterbrochenes Arbeitsverhältnis dem ununterbrochenen wertungsmäßig nach allen entscheidenden Gesichtspunkten gleichsteht. Stattdessen sollen bei der Erfüllung der Wartezeit mehrere Arbeitsverhältnisse zusammengerechnet werden, wenn zwischen ihnen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht.439 Bestimmte unterbrochene Arbeitsverhältnisse gelten also als ununterbrochen und lassen sich somit unmittelbar unter die Norm

434 MüKoBGB/Armbrüster,

§ 117 Rn. 18. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 11. 08. 2015 – 9 AZR 98/14, BeckRS 2015, 73319; v. 15. 04. 2014 – 3 AZR 395/11, AP § 1 BetrAVG Nr. 71; v. 15. 02. 2012 – 10 AZR 301/10, NZA 2012, 731; v. 13. 08. 2008 – 7 AZR 269/07, EzAÜG § 10 AÜG Fiktion Nr. 121; v. 05. 03. 1980 – 5 AZR 952/77, juris. 436  So bereits Teichmann, S. 62. 437  Behrends, S. 11; Sieker, S. 95 ff.; Crezelius, StuW 1995, 313, 314 und 321; im 19. Jhd. bereits Savigny, Bd. 1, S. 324 f. 438  Benecke, S. 39. 439  BAG, Urteil v. 22. 08. 2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610. 435  St.

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1. Teil: § 2  Gesetzesumgehung

subsumieren. Auch wenn das Urteil im Ergebnis Zustimmung erfahren hat,440 korrigiert das BAG darin das Gesetz, ohne darzulegen, dass die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung erfüllt sind.

F.  Ergebnisse Wenn später die Rechtsprechung des BAG zur Gesetzesumgehung untersucht wird, können die folgenden Ergebnisse als theoretische Basis dienen. Durch Vergleich dieser Auffassung der herrschenden zivilrechtlichen Dogmatik mit der Vorgehensweise des BAG sollen eventuelle Abweichungen aufgezeigt und auf ihre Berechtigung überprüft werden. • Eine Rechtsfigur der Gesetzesumgehung mit eigenen Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen gibt es nach heute im deutschen Zivilrecht ganz überwiegendem Verständnis nicht. • Allenfalls hat der Begriff der Gesetzesumgehung als Mittel zur Veranschaulichung von Fällen mit einer besonderen Problematik seine Berechtigung. Er weist den Rechtsanwender auf einen Widerspruch zwischen Ziel und Wortlaut des Gesetzes und auf ein mögliches Bedürfnis hin, das Gesetz über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden. • Wenn die Rechtsprechung einen Sachverhalt als Gesetzesumgehung einordnet und ihren Erfolg unterbinden will, kann sie dazu (nur) auf alle Methoden der Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung zurückgreifen. Anstelle der Voraussetzungen einer Gesetzesumgehung sind die Voraussetzungen dieser Methoden – insbesondere der erweiternden Auslegung und der Analogie – zu prüfen. • Man kann vier Stufen der Rechtsfortbildung unterscheiden: ◦ intra oder secundum legem, erweiternde Auslegung, ◦ praeter legem, gesetzesimmanente Lückenfüllung, ◦ extra legem, gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung, ◦ contra legem, Rechtsfortbildung gegen einen gültigen Normzweck. • Jede Rechtsfindung muss sich so nah wie möglich am Gesetz orientieren. Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung setzt deshalb zwingend voraus, dass weder im Wege der Auslegung noch der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung eine tragfähige Lösung zu erreichen ist. • Die Rechtsfortbildung erfordert neben der Anwendung juristischer Methoden auch Wertungen des Rechtsanwenders. Um Entscheidungen intersubjektiv überprüfbar zu machen, sind diese Wertungen offenzulegen und nicht als logische Schlussfolgerung juristischer Methodenanwendung auszugeben. 440 ErfK/Reinhard, § 3 EFZG Rn. 33; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG Rn. 51; Schaub/Linck, § 98 Rn. 54; Streckel, Anm. zu EzA § 3 EFZG Nr. 8.

F.  Ergebnisse

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• Der Begriff der Eingriffsschwelle ermöglicht die Berücksichtigung von nach dem Gerechtigkeitsempfinden wichtigen Kriterien – die Art des umgangenen Gesetzes, subjektive Elemente, gesetzliche Umgehungsregelungen –, innerhalb eines dogmatischen Schemas, ohne die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung für Umgehungsfälle grundsätzlich abändern zu müssen. • Abhängig von der Art der Rechtsfortbildung variiert die Eingriffsschwelle. Während für die Schließung von Gesetzeslücken i. e. S. die Unbilligkeit der nach dem Wortlaut geltenden Rechtsfolgen ausreicht, erfordert die Rechtsfortbildung extra legem, dass die gesetzliche Lösung den praktischen oder rechtlichen Mindestanforderungen nicht (mehr) genügt, und eine Rechtsfortbildung contra legem käme allenfalls bei einem langfristigen Rechtsnotstand in Betracht. • Bei der Umgehung lassen sich typische Wertungskriterien ausmachen: Bei Normen zum Schutz von Personen, wie sie im Arbeitsrecht der Regelfall sind, ist die Eingriffsschwelle tendenziell niedriger als bei Ordnungsvorschriften. Auch die Nähe zu Sittenwidrigkeit und Rechtsmissbrauch senkt die Eingriffsschwelle. Bedürfnisse des Rechtsverkehrs können dagegen die Akzeptanz von Umgehungskonstruktionen begünstigen. • Eine Umgehungsabsicht ist nicht Voraussetzung der Umgehung. Sie kann aber die Eingriffsschwelle bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung senken, weil sie die Schutzwürdigkeit des Umgehungswilligen entfallen lässt. Atypische Gestaltungen können als Indiz für eine Umgehungsabsicht herangezogen werden. • Die typische Rechtsfolge der Gesetzesumgehung ist die Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der umgangenen Norm. Führt die direkte Anwendung der Norm zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, so ist auch das Umgehungsgeschäft nichtig. Ist zur Lösung eines Umgehungsfalls eine Rechtsfortbildung extra legem erforderlich, so können im Einklang mit gesetzlichen Wertungen andere Rechtsfolgen gewählt werden. • Nach alldem ist es weder möglich noch erforderlich, bei der folgenden Untersuchung der Umgehungsrechtsprechung des BAG eine eindeutige, subsumtionsfähige Definition der Gesetzesumgehung vorauszusetzen. Es handelt sich nach heutigem Verständnis in der zivilrechtlichen Dogmatik nicht um einen Rechtsbegriff im eigentlichen Sinne, sondern um eine allgemeinsprachliche Bezeichnung für Sachverhalte, in denen der Gedanke naheliegt, dass eine Gesetzeslücke genutzt werden soll, um auf scheinbar legalem Weg einen von der Rechtsordnung missbilligten Erfolg zu erreichen. Sollte das BAG die Gesetzes­ umgehung bei der Falllösung tatsächlich wie eine eigenständige Rechtsfigur behandeln, stünde es damit im Widerspruch zur herrschenden Dogmatik.

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

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§ 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch 1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

A.  Definitionsvorschläge und Grundlagen Schubert1: „Historisch hat sich der Rechtsmissbrauch als individueller entwickelt, bei dem das Unwerturteil aus der speziellen Rechtsbeziehung bzw. dem individuellen Verhalten der Parteien resultiert. […] § 242 fungiert beim institutionellen Rechtsmissbrauch bis heute als Innenschranke des Rechts, wobei ein rein objektiver Maßstab zugrunde gelegt wird. Die Art und Weise der Rechtsausübung muss mit den außerpositiven Vorgaben von Recht und Sittlichkeit unvereinbar sein.“ Raiser2: Institutioneller Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn „die Ausübung eines Rechts gegen den Zweck des Rechtsinstituts verstößt, dem es funktionell zugehört.“ Grüneberg3: Beim institutionellen Rechtsmissbrauch „geht es darum, dass sich die aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm (scheinbar) ergebenden Rechtsfolgen u.U. zurücktreten müssen, wenn sie zu einem mit Treu und Glauben unvereinbaren, schlechthin untragbaren Ergebnis führen.“ Chelidonis4: „Der institutionelle Rechtsmissbrauch weist […] auf eine Pathologie des subjektiven Rechts hin, indem dessen Ausübung nicht seinem Inhalt entspricht.“ BAG5: „Rechtsmissbrauch setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich rechtlich mögliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm und des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Beim institutionellen Missbrauch ergibt sich der Vorwurf bereits aus Sinn und Zweck des Rechtsinstituts, beim individuellen Rechtsmissbrauch dagegen folgt er erst aus dem Verhalten […]. Die institutionelle Rechtsmissbrauchskontrolle verlangt daher weder ein subjektives Element noch eine Umgehungsabsicht. […] Die nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs vorzunehmende Prüfung verlangt eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.“

In letzter Zeit greift das BAG häufig auf die Figur des individuellen oder in­ stitutionellen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB zurück, um Fälle der Gesetzes­ umgehung zu lösen. Die praktisch wichtigsten Fallgruppen sind wiederholte Befristungen mit und ohne Sachgrund nach § 14 Abs. 1 bzw. Abs. 2 TzBfG.6 Welche Voraussetzungen eine Fallkonstellation erfüllen muss, damit die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots methodisch zulässig und damit rechtmäßig ist, soll im Folgenden betrachtet werden. 1 

In: MüKoBGB, § 242 Rn. 210 f. In: Summum ius, S. 151. 3  In: Palandt, § 242 Rn. 40. 4  Jura 2010, 726, 731. 5  Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351, 1357. 6  Vgl. Gliederungspunkt § 11 A. und C. 2 

A.  Definitionsvorschläge und Grundlagen

81

Rechtsmissbrauch bezeichnet im allgemeinen Zivilrecht die missbilligte Inanspruchnahme eines Rechts, die unzulässige Rechtsausübung.7 Der Gesetzgeber hat jeweils bestimmte typisierte Konfliktlagen vor Augen, die er durch auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite mehr oder weniger unbestimmte und auslegungsbedürftige Rechtsvorschriften regelt. Nun kann eine Konfliktsituation von diesem Typus abweichen, indem zwar alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, aber außergewöhnliche Umstände hinzutreten, die die Rechtsfolgenanordnung extrem ungerecht erscheinen lassen.8 Hier schafft die Lehre vom Rechtsmissbrauch Abhilfe. Obwohl einer Partei ein subjektives Recht bei Anwendung des Gesetzes zusteht, muss dieses ausnahmsweise aufgrund einer atypischen Interessenlage zurücktreten.9 Das rechtssoziologische Ziel besteht darin, die Rechtsordnung in besonderen Einzelfällen gegen Missbrauch zu schützen, ohne die Anerkennung und Ausübung privater Rechte grundsätzlich zu versagen oder zu beschneiden.10 Dem BAG ist zuzugeben, dass sowohl in Fällen der Gesetzesumgehung als auch beim Rechtsmissbrauch gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes entschieden wird, um im Einzelfall eine gerechtere Entscheidung herbeizuführen. Die grundsätzliche Berechtigung des individuellen Rechtsmissbrauchs ist unbestritten. Seine Fallgruppen wurden vor allem durch die Rechtsprechung des BGH weitgehend konkretisiert.11 Auch das BVerfG erkennt den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen individuellen Rechtsmissbrauchs an.12 Dagegen sind Begriff, Definition und Dogmatik des institutionellen Rechtsmissbrauchs noch relativ ungeklärt; seine Berechtigung ist insgesamt umstritten. In der arbeitsrechtlichen Literatur ist sogar zu lesen, das BAG habe die Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs im Anschluss an die Kücük-Entscheidung13 des EuGH zur Kettenbefristung von Arbeitsverträgen14 erst entwickelt.15 Um später beurteilen zu können, ob das BAG sich methodenkonform verhält, wenn es Fälle der Gesetzesumgehung mit dem Rechtsmissbrauchsverbot löst, soll der Rechtsmissbrauch in diesem Kapitel in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen näher beschrieben und in die juristische Methodenlehre eingeordnet werden. Weil es dogmatisch schwer nachvollziehbar sein mag, warum die Ausübung einer vom 7 MüKoBGB/Schubert,

§ 242 Rn. 202. Rebe, JA 1977, 6, 7. 9 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 206. 10  Chelidonis, Jura 2010, 726, 731; Habersack, S. 39; Siebert, S. 157. 11  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 1. c) cc) (1). 12  BVerfG, Beschluss v. 02. 02. 2015 – 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 693. 13  EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135. 14  Zu dieser Thematik vgl. Gliederungspunkt § 11 A. I. 15  Müller, NZA-RR 2015, 72; Spaniol, StBW 2015, 393; das trifft nicht zu, vgl. Gliederungspunkt § 3 B. 8 

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

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Gesetz verliehenen Rechtsmacht ohne jedes vorwerfbare Verhalten rechtswidrig sein kann,16 soll ein besonderes Augenmerk auf den institutionellen Rechtsmissbrauch gerichtet werden.

B.  Historische Entwicklung Ihren Ursprung findet die Rechtsmissbrauchslehre bereits im römischen Prozessrecht. Dort war der Beklagte – entgegen dem Grundsatz „qui suo iure utitur neminem facit iniuriam“17 – durch die Figur der exceptio doli geschützt gegen arglistiges klägerisches Verhalten, das der praetor sowohl bei der Entstehung des Anspruchs (exceptio doli praeteriti oder specialis) als auch bei seiner prozessualen Geltendmachung (exceptio doli praesentis oder generalis) berücksichtigen konnte.18 Ursprünglich setzte eine Ausnahme von der Leistungsverpflichtung tatsächlich einen dolus des Klägers, eine subjektive Vorwerfbarkeit voraus.19 Durch zunehmende Objektivierung dieses Verschuldensvorwurfs bei der exceptio doli generalis ergab sich ein Anwendungsbereich, der sich mit dem des heutigen Rechtsmissbrauchs in weiten Teilen überschneidet.20 Auf Basis der exceptio doli nahm das Reichsgericht bereits im 19. Jhd. eine Billigkeitskontrolle vor.21 Aus einer Entscheidung des Jahres 1898 stammt folgende Definition: „Die sog. Exceptio doli generalis dient zum Schutze gegen ein Klagbegehren, welches an sich in den Gesetzen begründet sein, dessen Erfüllung aber eine offenbare Unbilligkeit in sich schließen würde.“22

Der Gesetzgeber lehnte es trotz zahlreicher Anträge ab, eine allgemeine Vorschrift in das BGB aufzunehmen, die eine missbräuchliche Ausübung von Rechten ausdrücklich untersagt.23 Der Grund dafür ist nicht ganz eindeutig. Einerseits sah der Gesetzgeber offenbar die Gefahr, durch eine ausdrückliche Regelung des Rechtsmissbrauchs werde 16 So

Chelidonis, Jura 2010, 726, 730 ff. nach Chelidonis, Jura 2010, 726, 727; Übersetzung: „Wer sein Recht einfordert, tut niemandem Unrecht.“ 18  Haferkamp, S. 22; Mader, S. 29 f.; Steudle, S. 8. 19  Dernburg, Pandekten I, § 138, 4, S. 322. 20 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 209; Haferkamp, S. 23; Wiedmann, S. 6 f. 21  RG, Urteil v. 01. 05. 1899 – Rep. VI 59/99, RGZ 44, 131, 133; v. 24. 04. 1888 – Rep. III 24/88, Bolze VI, Nr. 992; v. 26. 01. 1881 – Rep. I 154/81, RGZ 4, 100; v. 21. 01. 1881 – Rep. I 736/80, RGZ 5, 73; v. 16. 03. 1880, Bähr, S. 106 ff.; v. 09. 03. 1880, Bähr, S. 103 ff.; ausführlich Haferkamp, in: BGB und seine Richter, S. 10 ff. m. w. N. 22  RG, Urteil v. 25. 05. 1898 – Rep. V 412/97, JW 1898, 425. 23 HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 47; Haferkamp, in: BGB und seine Richter, S. 19 ff.; Mugdan II, S. 1310 f. 17  Zitiert

B.  Historische Entwicklung

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„in höchst bedenklicher Weise an Stelle der festen Rechtsnorm das subjektive Gefühl des Richters gesetzt und die Grenze zwischen Recht und Moral verwischt“.24

In der zweiten Beratung des Reichstags trug jedoch v. Dziembowski vor: „Ich wollte […] im GB. eingefügt haben die exc. doli generalis, die Einrede der Arglist. Gegenüber diesem Antrage wurde regierungsseitig ausgeführt, daß die Annahme dieses Antrages sich aus dem Grunde nicht empfehle, weil das BGB. bereits auf dem Standpunkte basirt sei […].“25

Die Rechtsprechung jedenfalls hielt auch nach Inkrafttreten des BGB unbeirrt an der Lehre von der exceptio doli fest. Zur tatbestandlichen Anbindung zogen die Gerichte nach Inkrafttreten des BGB zunächst meist § 226 BGB oder § 826 BGB heran;26 teilweise beriefen sie sich auch auf § 242 BGB, um mit dem Verstoß gegen Treu und Glauben ein objektives Kriterium zu nennen.27 Bis zur Zeit der Weimarer Republik versuchte das Reichsgericht, durch Bildung von Fallgruppen bei größtmöglicher Einzelfallgerechtigkeit eine Vorhersehbarkeit von Entscheidungen zu gewährleisten.28 Bereits damals bekannt waren etwa die Fallgruppen der Verwirkung29, des venire contra factum proprium30, der arglistigen Herbeiführung der Verjährung31 sowie der arglistigen Berufung auf Formvorschriften32. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entbrannte im Schrifttum ein Streit über die dogmatische Rechtfertigung der Rechtsmissbrauchslehre. Die Vertreter der Außentheorie sahen in den Vorschriften der §§ 226, 242 und 826 BGB bloße Ausübungsbegrenzungen eines grundsätzlich schrankenlosen subjektiven Rechts.33 Das Recht werde von der Rechtsordnung oder den Parteien festgelegt und bestehe inhaltlich unverändert fort. Nach der 1895 durch v. Gierke34 begrün24 

Haferkamp, FHI 9707, Rn. 14. Mugdan II, S. 1311. 26  RG, Urteil v. 24. 03. 1926 – Rep. V 191/25, BeckRS 1926, 100002; v. 05. 11. 1903 – Rep. IV 172/03; JW 1903, 432. 27  RG, Urteil v. 17. 03. 1932 – Rep. IV 372/31, RGZ 135, 376; v. 17. 09. 1904 – Rep. V 61/04, RGZ 58, 425, 428; v. 30. 06. 1904 – Rep. VI 485/03, RGZ 58, 356. 28  Haferkamp, S. 339 f. 29  RG, Urteil v. 25. 03. 1929 – Rep. IV 458/28, RGZ 124, 40; v. 23. 09. 1927 – Rep. (VII) VI 198/27, RGZ 117, 358; v. 27. 01. 1925 – Rep. VI 378/24, RGZ 110, 127, 133. 30  RG, Urteil v. 17. 09. 1904 – Rep. V 61/04, RGZ 58, 425, 429; v. 30. 06. 1904 – Rep. VI 485/03, RGZ 58, 356 f. 31  RG, Urteil v. 09. 11. 1915 – Rep. III 236/15, RGZ 87, 281, 283; v. 24. 03. 1904 – Rep. VI 460/03, RGZ 57, 376, 376 f. 32  RG, Urteil v. 21. 05. 1927 – Rep. V 476/26, RGZ 117, 121; v. 28. 11. 1923 – Rep. V 802/22, RGZ 107, 357, 362; v. 10. 10. 1919 – Rep. III 73/19, RGZ 96, 313, 315. 33  Z. B. Hager, S. 45; Pape, S. 10. 34  S. 319 ff. 25 

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

84

deten Innentheorie ist ein Missbrauchsverbot dagegen ein der Rechtsordnung immanentes Prinzip.35 Die einem jeden Recht innewohnenden Schranken bestimmen sich stets auch nach dem Zweck der dabei angewandten Rechtsnorm oder des Rechtsinstituts.36 Indem sie den Inhalt jedes subjektiven Rechts relativiert, ermöglicht die Innentheorie eine sehr viel weitergehende Einschränkung von Rechtspositionen.37 Die Entwicklung des institutionellen Rechtsmissbrauchs aus der exceptio doli generalis erfolgte auf äußerst unrühmliche Weise und belegte ihn langfristig mit einem Stigma: Siebert griff 1934 den Grundgedanken der Innentheorie zur Rechtfertigung seiner allgemeinen, fallgruppenübergreifenden Rechtsmissbrauchslehre auf.38 Mit ihrer Hilfe konnten Gerichte nationalsozialistische Grundsätze wie „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ in das Privatrecht implementieren, noch ehe der Gesetzgeber selbst entsprechende Änderungen vorgenommen hatte.39 Ein Beispiel40: Das Reichsarbeitsgericht hatte in mehreren Urteilen41 über Ruhegeldansprüche ehemaliger jüdischer Angestellter zu entscheiden. Es bejahte deren Bestehen nach dem geschriebenen Gesetz, schränkte dann aber ein, es sei „Aufgabe der Rechtsprechung […], dem Rassegedanken […] auf dem Boden des bestehenden Rechts Geltung zu verschaffen.“42 Der Grundsatz von Treu und Glauben nach §§ 157, 242 BGB biete die Möglichkeit, den Fortbestand der vertraglichen Rechte nach dem „an der nationalsozialistischen Weltanschauung ausgerichteten Volksbewußtsein“43 zu beurteilen, das im Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck komme. Danach sei es einem deutschen Unternehmer nicht zumutbar, gegenüber ehemaligen jüdischen Angestellten vertragliche Ruhegeldverpflichtungen einhalten zu müssen. Rüthers weist zutreffend darauf hin, dass das Gericht hier rein methodisch (!) einwandfrei den Inhalt von Treu und Glauben bestimmt bzw. ein allgemeines Rechtsprinzip aus gesetzlichen Wertungen hergeleitet hat.44 35 

Haferkamp, S. 343. Teichmann, JA 1985, 497, 498; Raiser, in: Summum ius, S. 163 f. 37 HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 74; Siebert, S. 156. 38  Siebert, S. 89 ff. 39 HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 74; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211; Staudinger/ Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 75 ff.; Gernhuber, JuS 1983, 764; Haferkamp, FHI 9707, Rn. 47 ff.; Rüthers, S. 345 f. – Ähnlich verfuhr die DDR in § 15 Abs. 2 ZGB-DDR: „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn damit den Rechtsvorschriften oder den Grundsätzen der sozialistischen Moral widersprechende Ziele verfolgt werden.“ 40 Nach Rüthers, S. 226. 41  RAG, Urteile v. 07. 02. 1940 – RAG. 254/39, ARS 38, 252; RAG. 211/39, ARS 38, 290; Urteile v. 09. 01. 1940 – RAG. 209/39, ARS 38, 285; RAG. 186/39, ARS 38, 281; RAG. 207/39, ARS 38, 262. 42  RAG, Urteil v. 09. 01. 1940 – RAG. 207/39, ARS 38, 262, 272 f. 43  RAG, Urteil v. 09. 01. 1940 – RAG. 207/39, ARS 38, 262, 273. 44  Rüthers, S. 226. 36 

C.  Kategorien des Rechtsmissbrauchs

85

Nach 1945 nutzte die Arbeitsgerichtsbarkeit die durch die Lehre vom Rechtsmissbrauch hinzugewonnene Flexibilität weiter, um Einzelfallgerechtigkeit trotz noch unvollkommener gesetzlicher Grundlagen herzustellen.45 Eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch fand sich erstmalig46 in einem Lehrbuch von Esser47 aus dem Jahre 1949. Trotz ihrer historischen Vorbelastung ist die Innentheorie heute im deutschen Zivilrecht herrschend.48 Haferkamp beobachtete im Jahre 1995, dass außer der Schweiz, wo der Rechtsmissbrauch ausdrücklich gesetzlich geregelt ist,49 kein europäisches Land den Gerichten derart weitreichende Möglichkeiten zur Rechtsbeschränkung biete wie Deutschland.50

C.  Kategorien des Rechtsmissbrauchs Der Begriff des Rechtsmissbrauchs ist von den Gerichten durch zahlreiche Entscheidungen konturiert worden und umfasst mittlerweile eine große Zahl sehr unterschiedlicher Fallgruppen.51 Literatur und Rechtsprechung unterscheiden heute die Kategorien des individuellen und des institutionellen Rechtsmissbrauchs.52 45  Z. B. LAG Stuttgart, Urteil v. 10. 03. 1948 – Sa 119/47, NJW 1948, 638; LAG Hamm, Urteil v. 04. 11. 1947 – Sa 190/47, NJW 1948, 318; ArbG Fulda, Urteil v. 16. 09. 1947 – A 49/47, RdA 1948, 36; ArbG Heide, Urteil v. 25. 03. 1947 – Ca 29/47, FHArbSozR 1 Nr. 129; LAG Hamburg, Urteil v. 05. 02. 1947 – 20 Sa 187/46, DB 1949, 156. 46 Laut Haferkamp, S. 300. 47  SchR (1 .Aufl.), § 48, 2, S. 46 f.; expliziter und ausführlicher Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5 – 8, S. 114 ff. 48  BAG, Urteil v. 23. 06. 1994 – 2 AZR 617/93, BAGE 77, 128; BGH, Urteil v. 16. 02. 2005 – IV ZR 18/04, NJW-RR 2005, 619, 620; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 47; Erman/ Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 101 f.; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 21; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 84; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 38; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 8, S. 117; Hohmann, JA 1982, 112; Raiser, in: Summum ius, S. 163 f.; Siebert, S. 87 f.; Sieker, S. 13. 49  Art. 1 Abs. 2 Schweiz. ZGB: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.“ Art. 2 Abs. 2 Schweiz. ZGB: „Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.“ 50  Haferkamp, S. 341 f. 51  Vgl. z. B. MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 243 ff. 52  BAG, Urteil v. 29. 05. 2002 – 5 AZR 105/01, EzA § 2 NachwG Nr. 4; BGH, Urteil v. 30. 06. 2015 – II ZR 142/14, NZA 2015, 1227, 1232; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 BGB Rn. 51; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 22; Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 34; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 40; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 210; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 13; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 217; Chelidonis, Jura 2010, 726, 731; Teichmann, JA 1985, 497, 498; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5 – 8, S. 114 ff.; Fastrich, S. 47 f.; Fischer, in: FS Reiß, S. 634 ff.; Heinrich, in: FS Laufs, S. 591 ff.; Herlitzius, S. 105; Knop,

86

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

I.  Individueller Rechtsmissbrauch Beim individuellen Rechtsmissbrauch wird die Ausübung eines an sich bestehenden subjektiven Rechts aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise als treuwidrig angesehen.53 Das Unwerturteil resultiert aus dem vergangenen oder gegenwärtigen Verhalten einer Partei oder der konkreten Rechtsbeziehung dieser beiden Parteien.54 Das frühere Verhalten war entweder missbräuchlich oder steht einer späteren Rechtsausübung entgegen. Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs sind z. B. der Einwand des widersprüchlichen Verhaltens, der Verwirkung oder des tu quoque sowie die unzulässige Berufung auf Formmängel.55 Folgendes Beispiel soll die Unterscheidung zwischen institutionellem und individuellem Rechtsmissbrauch illustrieren: Ein Arbeitnehmer wird formell richtig und inhaltlich zutreffend wegen verspäteten Erscheinens an seinem Arbeitsplatz abgemahnt. Kommt der Arbeitnehmer nur deshalb deutlich zu spät, weil ihn der Geschäftsführer auf dem Parkplatz trotz Hinweises auf den bevorstehenden Arbeitsbeginn in ein längeres Gespräch verwickelt hat, wäre die Abmahnung wegen widersprüchlichen, vertrauenerweckenden Vorverhaltens56 individuell rechtsmissbräuchlich. Lässt man die Vorgeschichte außer Acht, hätte die Verspätung eine Abmahnung rechtfertigen können. II.  Institutioneller Rechtsmissbrauch Auch beim institutionellen Rechtsmissbrauch soll ein subjektives Recht oder eine Rechtsstellung in unzulässiger Weise in Anspruch genommen werden.57 Die Unzulässigkeit basiert aber nicht auf einem persönlichen, missbilligten Verhalten, sondern auf einem rein objektiven Maßstab bei der Abwägung der berechtigten Interessen.58 Nicht die Art und Weise des Rechtserwerbs oder der Rechtsausübung ist anstößig, sondern die Tatsache, dass ein Recht trotz einer konkreten, der Rechtslage widersprechenden objektiven Interessenlage ausgeübt werden soll.59 S. 182; Möller, S. 115 ff.; Sieker, S. 13; Steudle, S. 26; Teichmann, S. 76; Wiedmann, S. 18; Zeiss, S. 62; Zimmermann, S. 128. 53  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 BGB Rn. 51; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 6, S. 115; Sieker, S. 13. 54 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 210; Möller, S. 115 f. 55  Chelidonis, Jura 2010, 726, 731; Esser/Schmidt, § 10 III. 2., S. 175 ff. 56 Vgl. dazu etwa MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 319; Heinrich, in: FS Laufs, S. 596 ff. 57  Raiser, in: Summum ius, S. 151. 58 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5, S. 114 f.; Habersack, S. 37. 59  Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 7, S. 116; Wieacker, S. 33 ff.

C.  Kategorien des Rechtsmissbrauchs

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Die Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch nimmt an, dass die Ausübung von subjektiven Rechten nicht nur die Erfüllung der formellen Voraussetzungen verlangt, sondern sich materiell auch im Rahmen des mit der Ordnung des jeweiligen Rechtsinstituts gesetzten Zwecks bewegen muss.60 Beim institutionellen Rechtsmissbrauch weicht die objektive Interessenlage der Parteien ab von der typischen Situation, die der Gesetzgeber bei der Schaffung einer Norm oder eines Rechtsinstituts vor Augen hatte.61 Wie die eingangs zitierte Definition von Grüneberg62 erkennen lässt, können Rechte entgegen dem Zweck eines Rechtsinstituts oder einer Rechtsnorm ausgeübt werden. Daher umfasst der institutionelle Rechtsmissbrauch – bei uneinheitlicher Verwendung der Begrifflichkeiten63 – die Varianten des Normenmissbrauchs64 und des Institutsmissbrauchs65. Rechtsnormen66 oder Rechtsinstitute – z. B. Vertragstypen67 oder Gesellschaftsformen68, das Eigentum oder die Ehe69 – werden formal richtig, aber außerhalb oder entgegen ihrer Zweckbestimmung eingesetzt.70 Die Rechtsverfolgung ist dann nicht mit grundlegenden Gerechtigkeits- und Paritätsvorstellungen zu vereinbaren.71 Zum institutionellen Rechtsmissbrauch zählen etwa Fälle des dolo agit qui petit quod statim redditurus est72 sowie die Schranken der Geringfügigkeit und der Verhältnismäßigkeit73. Praktisch wichtige Anwendungsbereiche sind z. B. Kettenarbeits-

60  Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 171 f.; Fischer, in: FS Reiß, S. 634 f.; Heinrich, in: FS Laufs, S. 591. 61  Rebe, JA 1977, 6, 7. 62 In: Palandt, § 242 Rn. 40: „Beim institutionellen Rechtsmissbrauch geht es darum, dass sich die aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm (scheinbar) ergebenden Rechtsfolgen u.U. zurücktreten müssen, wenn sie zu einem mit Treu und Glauben unvereinbaren, schlechthin untragbaren Ergebnis führen.“ Ebenso Möller, S. 116. 63 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 34. 64 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 34; Pestalozza, S. 68. 65  Raiser, JZ 1972, 732 ff.; ders., in: Summum ius, S. 152; Benecke, S. 47 f.; Habersack, S. 36 ff.; Mader, S. 143. 66  Vgl. BGH, Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94, 106. 67  Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 171. 68  BGH, Urteil v. 17. 03. 1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204, 208; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 22; Oetker/Oetker, § 171 Rn. 33. 69  Habersack, S. 36. 70  Gernhuber, JuS 1983, 764, 766; Raiser, in: Summum ius, S. 152; Mader, S. 145; Sieker, S. 13 f. 71  Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 171. 72  Raiser, in: Summum ius, S. 151; Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 174. 73 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 446 ff. und 450 ff.

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

88

verträge mit Sachgrund74 oder die Durchgriffshaftung bei Missbrauch einer juristischen Person75. Im obigen Beispiel handelt es sich um institutionellen Rechtsmissbrauch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund einer erstmaligen Verspätung um wenige Sekunden abmahnt. Die Ahndung eines ganz geringfügigen Verstoßes mit vergleichsweise weitreichenden Sanktionen ist missbräuchlich,76 weil sie zur Durchsetzung vertraglicher Rechte zwar möglicherweise geeignet, aber unverhältnismäßig ist.77 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip findet nach h. M. – wie die Grundrechte78 – nur mittelbar über Generalklauseln wie eben § 242 BGB Eingang in das Zivilrecht.79 Dass eine unverhältnismäßige Rechtsausübung missbräuchlich ist, gilt nicht nur aufgrund von Besonderheiten in der Beziehung der Parteien oder ihrer Vorgeschichte, sondern bei einer solchen Interessenlage generell.80 Obgleich formell im Recht, verwendet der Arbeitgeber die Abmahnung nicht zweckentsprechend.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre Wie oben beschrieben,81 müssen bei jeder Methodenanwendung bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden, damit die Entscheidung Gesetz und Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG entspricht. Insbesondere darf sich der Rechtsanwender niemals weiter als nötig vom geschriebenen Gesetz entfernen.82 Die Methodenlehre unterscheidet zwischen den Stufen der Auslegung, der gesetzesimmanenten und der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Nun soll festgestellt werden, 74 

Grundlegend BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351. Urteil v. 08. 07. 1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224; v. 22. 10. 1987 – VII ZR 12/87, BGHZ 102, 95; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 40; Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 173. 76 HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 446; Hohmann, JA 1982, 112, 114; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 7 c), S. 116. 77 Vergleichbar ist im Strafrecht das Schulbeispiel zum Missbrauch des Notwehrrechts: Der gehunfähige Rentner darf nicht mit der Schrotflinte auf das Kirschen stehlende Kind schießen, obwohl ihm formell ein Notwehrrecht zusteht. 78  Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss v. 28. 03. 2000 – 1 BvR 1460/99, NJW 2000, 2658; APS/Preis, 1. Teil J. Rn. 63; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 57; Canaris, JuS 1989, 161 ff.; Dieterich, RdA 1993, 67, 70; Preis, S. 582 (These 12 c)). 79  Canaris, JuS 1989, 161 ff.; Medicus, AcP 1992, 35, 43 ff. 80  Allerdings sind auch Gegenausnahmen denkbar, bei denen das Interesse des Arbeitgebers an der Abmahnung aufgrund bestimmter Umstände des Einzelfalls überwiegt, z. B. wenn der Arbeitgeber ein besonderes Interesse an einer pünktlichen Arbeitsaufnahme hat oder der Arbeitnehmer seinerseits missbilligenswerte Zwecke verfolgt. 81  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. 82  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65 (Soraya), BVerfGE 34, 269, 292. 75  BGH,

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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wie sich das Verbot des Rechtsmissbrauchs in diese Systematik einfügt. Das BAG greift in letzter Zeit regelmäßig auf diese Rechtsfigur zurück, wenn es über Fälle der Gesetzesumgehung entscheidet.83 Dieses Vorgehen ist nur rechtmäßig, wenn im entschiedenen Fall die entsprechende Stufe der Rechtsanwendung eröffnet ist. Deshalb ist zu klären, ob es sich beim Verbot des Rechtsmissbrauchs um einen Fall der Auslegung des § 242 BGB, um eine teleologische Reduktion als Methode der Rechtsfortbildung praeter legem oder um eine Form der Rechtsfortbildung extra legem handelt. I.  Rechtsmissbrauch und Auslegung des § 242 BGB Das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs wird im Zivilrecht üblicherweise auf den in § 242 BGB festgeschriebenen Grundsatz von Treu und Glauben gestützt.84 Deshalb wird zum Teil die Auffassung vertreten, es handele sich um die bloße Anwendung einer – wenn auch durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägten – Rechtsnorm, die Unzulässigkeit der Rechtsausübung ergebe sich durch Auslegung des Gesetzes.85 Durch bloße Anwendung einer Rechtsvorschrift lassen sich Missbrauchsfälle aber nur in Rechtsordnungen lösen, die ein ausdrückliches und allgemeines Verbot des Rechtsmissbrauchs beinhalten.86 Ein solches fehlt im BGB.87 § 242 BGB hat seinem Wortlaut nach nur die Inhaltsbestimmung von Leistungspflichten zum Gegenstand, die Art und Weise der Leistungserbringung, soweit diese nicht bereits ausdrücklich gesetzlich oder vertraglich geregelt ist.88 Davon ist das Verbot des Rechtsmissbrauchs mit seiner Schranken- und Korrekturfunktion in besonderen Ausnahmefällen zu unterscheiden.89 Für ein Rechtsmissbrauchsverbot enthält § 242 BGB nach h. M.

83 

Vgl. Gliederungspunkt § 11. Z. B. BAG, Urteil v. 29. 04. 2015 – 7 AZR 310/13, NZA 2015, 928, 930; BGH, Urteil v. 04. 06. 2013 – XI ZR 505/11, BGHZ 197, 335 Rn. 22; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 BGB Rn. 51; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211. 85 So Fikentscher/Heinemann, Rn. 198, Rn. 219; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 202 ff. und 213 ff. 86  Mader, S. 80 ff.; in diese Richtung auch Wieacker, S. 34 f.; vgl. z. B. Art. 2 Abs. 2 Schweiz. ZGB. 87  RG, Urteil v. 30. 06. 1904 – Rep. VI 485/03, RGZ 58, 356; Heeder, S. 114; Wiedmann, S. 12. 88 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 1; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 1; Medicus/Lorenz, § 14 IV. 1., Rn. 137; Steudle, S. 10; Weber, JuS 1992, 631, 634; Wieacker, S. 42. Laut Weber, JuS 1992, 631, 632, beinhaltet die ursprüngliche Bedeutung der Paarformel „Treu und Glauben“ nur die zuverlässige Einhaltung von Vereinbarungen, nicht aber die Abweichung von Verpflichtungen nach Billigkeitsgesichtspunkten. 89 Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 1. Zur Unterscheidung ausführlich Jaun, S. 239 ff. 84 

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

keine eigenen subsumtionsfähigen Tatbestandsmerkmale.90 Wenn die Schrankenfunktion des Rechtsmissbrauchsverbots mit dem Argument auf § 242 BGB gestützt wird, der Schuldner sei nach dem Wortlaut nur verpflichtet, die Leistung nach Treu und Glauben zu bewirken,91 so ist anzumerken, dass die Norm das für eine Beschränkung maßgebliche Wort „nur“ gerade nicht enthält. Eine ebenfalls mit dem Verbot des Rechtsmissbrauchs gerechtfertigte Entstehung zusätzlicher Ansprüche92 lässt sich mit dem Wortlaut des § 242 BGB erst recht nicht begründen. Dieses Ergebnis bestätigt die historische Auslegung der Norm. Der Gesetzgeber des BGB verzichtete ganz bewusst auf ein allgemeines Verbot des Rechtsmissbrauchs93 und nahm nur eine Bindung an Treu und Glauben bei der Erfüllung von Leistungspflichten in § 242 BGB auf.94 Systematisch spricht gegen ein Verständnis des § 242 BGB im Sinne eines allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots, dass das Schikaneverbot des § 226 BGB dann als bloßer Unterfall dieser Vorschrift von vornherein überflüssig gewesen wäre.95 Nach Inkrafttreten des BGB nahm das Reichsgericht bei seiner Missbrauchsrechtsprechung zunächst weiterhin auf die gemeinrechtliche exceptio doli generalis und auf das subjektive Kriterium des § 826 BGB Bezug.96 Indem die Rechtsprechung später hier ihre Missbrauchskontrolle verortete, erlangte § 242 BGB im Zeitverlauf eine weit über die Intentionen des historischen Gesetzgebers hinausgehende Bedeutung.97 Nach ihrem heutigen Verständnis bietet die Vorschrift der Rechtsprechung einen sprachlichen Anknüpfungspunkt für eine Fortbildung des Rechts.98 Damit dient 90 BeckOK/Sutschet, § 242 Rn. 2; Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 5; MüKoBGB/ Schubert, § 242 Rn. 2; Gernhuber, JuS 1983, 764, 765; Medicus/Lorenz, § 14 III., Rn. 136; Steudle, S. 2 und S. 14. 91  So Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 214. 92  Z. B. BAG, Urteil v. 27. 02. 1997 – 2 AZR 160/96, NJW 1997, 2257, 2258. 93 Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 215; Weber, JuS 1992, 631, 634; ausführlich Haferkamp, S. 93 ff.; Mugdan II, S. 1310 ff. 94  Hingegen enthält Art. 2 Abs. 1 Schweizerisches ZGB eine Verpflichtung zum Handeln nach Treu und Glauben, während Abs. 2 dem Missbrauch von Rechten den Rechtsschutz versagt. 95  So auch HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 74; Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 20; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 213; Siebert, S. 130. 96  RG, Urteil v. 24. 03. 1926 – Rep. V 191/25, BeckRS 1926, 100002; v. 17. 09. 1904 – Rep. V 61/04, RGZ 58, 425, 428; v. 13. 02. 1904 – Rep. I 411/03, RGZ 58, 356. 97 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 24; Bydlinski, S. 482; Heinrich, in: FS Laufs, S. 590; Medicus/Lorenz, § 14 I. 2., Rn. 129; Weber, JuS 1992, 631, 633. 98 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 24 und Rn. 156; Rebe, JA 1977, 6; Siebert, S. 91; Wieacker, S. 43 f.; krit. Fikentscher/Heinemann, Rn. 221, die die Bedeutung des § 242 BGB ausschließlich in der Bestimmung von Vertragspflichten, aber nicht in der Auslegung von Gesetzen sehen.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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§ 242 BGB nunmehr der Implementierung höherrangigen Rechts und allgemeiner Rechtsprinzipien in das einfache (Zivil-)Recht und insbesondere der Einbeziehung tatsächlicher, grundgesetzlicher und europarechtlicher Entwicklungen.99 Die Anknüpfung an eine Generalklausel ermöglicht es dem Rechtsanwender, wertende Rechtsfortbildung in der äußeren Form einer Subsumtion und damit scheinbar wertungsfrei und neutral vorzunehmen.100 Im Wege bloßer Auslegung des § 242 BGB kann man ein Rechtsmissbrauchsverbot also nicht herleiten. Es wurde vielmehr durch eine Fortbildung des Rechts entwickelt, die auch den u.a. in § 242 BGB zum Ausdruck gebrachten Grundsatz von Treu und Glauben im Blick hatte.101 Nach der heute im Zivilrecht herrschenden Innentheorie ist ein explizites gesetzliches Missbrauchsverbot ohnehin überflüssig, da jede Norm ein Verbot ihres Missbrauchs in sich trägt.102 Metho­ denehrlicher hätte die Rechtsprechung die einzelnen Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs statt mit § 242 BGB mit ihrer Befugnis zur Rechtsfortbildung rechtfertigen können. II.  Institutioneller Rechtsmissbrauch und teleologische Reduktion Während die Notwendigkeit des individuellen Rechtmissbrauchsverbots unstreitig ist, wird von Teilen der Literatur einer Rechtsfigur des Normenmissbrauchs103 oder gar des institutionellen Rechtsmissbrauchs insgesamt104 jede Berechtigung abgesprochen. Die darunter gefassten Sachverhalte ließen sich sämtlich durch einschränkende Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm105 und durch teleologische Reduktion106 lösen. Führten diese nicht zum Ziel, so sei die objektive Zweckverfehlung einer Rechtsnorm nur ein Scheinargument für gewünschte Ergebniskorrekturen.107 Sollte sich diese Ansicht als richtig erweisen, dann wäre die Lösung von Umgehungsfällen durch das BAG im Wege des institutionellen Rechtsmissbrauchs dogmatisch generell unhaltbar. 99 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 25; Staudinger/ Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 110. 100 HKK/Haferkamp, § 242 Rn. 87; Fastrich, S. 50; Haferkamp, S. 12; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 836; Wagner, DuR 1980, 243, 244. 101  BGH, Beschluss v. 06. 10. 2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225. 102  Rebe, JA 1977, 6, 7. 103  Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 387; Sieker, S. 15 f. 104  P. Bruns, NZA 2013, 769, 771; Dommermuth-Alhäuser, S. 143 ff.; Teichmann, S. 77. 105  Teichmann, S. 77. 106  Dommermuth-Alhäuser, S. 148; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 380; in diese Richtung auch Zeiss, S. 62, der den Begriff des institutionellen Rechtsmissbrauchs aber aus Tradition beibehalten will. 107  Dommermuth-Alhäuser, S. 144.

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

1.  Reichweite der teleologischen Reduktion Die teleologische Reduktion kann das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs entbehrlich machen, wenn sie sich zur Lösung aller darunter gefassten Fälle eignet. Wie weit der Anwendungsbereich der teleologischen Reduktion reicht, ist allerdings umstritten. Unstreitig kann eine teleologische Reduktion nach dem Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst geboten sein, wenn ihre Zielsetzung die Erfassung bestimmter, vom Wortlaut eingeschlossener Fälle entweder nicht verlangt oder sogar verbietet.108 Beispielhaft sei hierzu das Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB genannt, das zum Schutz des Vertretenen nicht erforderlich ist, wenn das Rechtsgeschäft für diesen lediglich rechtlich vorteilhaft ist.109 Nach h. M. ist eine Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm gegen ihren Wortlaut im Wege der teleologischen Reduktion auch dann zulässig, wenn andere Gesetzesvorschriften in Widerspruch zu dieser Norm stehen.110 Beispielsweise greift die Vermutung der Gesamtnichtigkeit nach der grundsätzlich subsidiären Norm des § 139 BGB dann nicht, wenn das Gesetz zum Schutz eines Vertragspartners die Nichtigkeit einzelner Vertragsbestimmungen anordnet, ohne ihm die Vorteile des Vertrags insgesamt entziehen zu wollen.111 Auch die richtlinienkonforme teleologische Reduktion stützt sich auf die Gesetzessystematik.112 Schließlich wird vertreten, dass sogar die Natur der Sache (die nach heutigem Verständnis nur eine Ausprägung des negativen Gleichheitsgrundsatzes ist113) und dem Gesetz immanente Prinzipien114 eine teleologische Reduktion recht-

108  Brandenburg, S. 35 ff. und 40 ff.; Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 50; Jaun, S. 122 f.; Larenz, S. 392; Larenz/Canaris, S. 211; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 902 f. 109  St. Rspr., z. B. BGH, Beschluss v. 18. 09. 1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 96 ff.; Urteil v. 10. 11. 1954 – II ZR 165/53, BGHZ 15, 168. 110  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 19. 05. 2015 – 2 BvR 1170/14, juris (Rn. 51); BGH, Urteil v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427; Brandenburg, S. 46 ff.; Bydlinski, S. 480; Larenz, S. 391 f. und 394; a.A. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 903 f. 111  BAG, Urteil v. 09. 09. 1981 – 5 AZR 1182/79, NJW 1982, 461, 462; MüKoBGB/ Busche, § 139 Rn. 3 ff. m. w. N. 112  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 19. 05. 2015 – 2 BvR 1170/14, juris (Rn. 51); BGH, Urteil v. 07. 05. 2014 – IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, 2647 f.; v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427. 113  Dommermuth-Alhäuser, S. 106; Meys, S. 90 ff.; in diese Richtung bereits Canaris, S. 121; Larenz, S. 418. 114  Zur Natur der Sache und allg. Rechtsprinzipien vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa).

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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fertigen würden.115 Nach dieser Ansicht wäre jede Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm, jede Begründung von Ausnahmen als teleologische Reduktion einzuordnen.116 Zur dogmatisch stimmigen Begrenzung der teleologischen Reduktion kann man auf ihre Einordnung in der Methodenlehre zurückgreifen.117 Die teleologische Reduktion ist nach einhelliger Ansicht eine Form der Rechtsfortbildung praeter legem, der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung.118 So wie zwischen der erweiternden Auslegung, der Analogie und der Rechtsfortbildung extra legem ein Stufenverhältnis besteht, gilt dies auch für die einschränkende Auslegung, die teleologische Reduktion und die Rechtsfortbildung extra legem. Die gesetzes­ immanente Rechtsfortbildung setzt neben einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes die Möglichkeit einer Ausfüllung dieser Lücke im Sinne des gesetzlichen Regelungsplans und der ihm immanenten Wertungen voraus.119 Fehlt es hingegen an einer Gesetzeslücke oder einer übertragbaren Wertentscheidung des Gesetzgebers, ist also ein Rückgriff auf nicht (vollständig) kodifizierte allgemeine Prinzipien erforderlich, so kommt anstelle einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion allenfalls eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung in Betracht. Daraus ergibt sich eine vermittelnde Grenzziehung. So kann man in diesem Sinne von einer teleologischen Reduktion sprechen, wenn der durch Auslegung ermittelte Zweck der Norm selbst die Einschränkung ihres Wortlauts erfordert. Auch wenn der Wortlaut einer Norm gegen den Zweck einer nach dem Willen des Gesetzgebers erkennbar vorrangigen Vorschrift verstößt (z. B. bei einer europarechtskonformen Einschränkung), gibt der gesetzliche Regelungsplan eine klare Wertung vor. Wenn geschriebene oder ungeschriebene übergeordnete Rechtsprinzipien (z. B. die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder des Vertrauensschutzes oder das Prinzip von Treu und Glauben) eine Einschränkung des 115  Häublein, WuM 2008, 391, 395; Brandenburg, S. 50 ff.; Larenz, S. 391 f. und S. 394; Larenz/Canaris, S. 211; a.A. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 903 f. 116  Anders allerdings Häublein, WuM 2008, 391, 395, der ein Vorgehen nach § 242 BGB für zulässig hält, wenn abstrakt-generelle Kriterien für eine teleologische Reduktion (noch) nicht subsumtionsfähig umschrieben werden können. 117  So auch Häublein, WuM 2008, 391, 395. Zu widersprechen ist aber seiner Auffassung, dass es sich immer dann um eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung handele, wenn der Norm nach Durchführung der teleologischen Reduktion noch ein Anwendungsbereich verbleibt. Nach diesem Verständnis könnte der Rechtsanwender durch geschickte Formulierung der Einschränkung selbst über deren Voraussetzungen disponieren. 118 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 19. 05. 2015 – 2 BvR 1170/14, FamRZ 2015, 1263, 1267 f.; Nebeling/Dippel, NZA-RR 2004, 617, 621; Bydlinski, S. 472 und 480; Jaun, S. 29; Larenz, S. 391; Larenz/Canaris, S. 191 und 210; Meys, S. 8. 119  Kuhn, JuS 2016, 104; Jaun, S. 29; Larenz, S. 413; Larenz/Canaris, S. 232 und 245.

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Anwendungsbereichs einer Norm verlangen, kann man hingegen nicht mehr von gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung im Wege teleologischer Reduktion sprechen.120 Denn hier findet der Rechtsanwender keine übertragbaren gesetzlichen Wertentscheidungen vor, sondern nur noch allgemeine Wertungskriterien. Die Wertung kann er allenfalls im Rahmen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung selbst vornehmen.121 Dasselbe gilt, wenn die Ziele mehrerer Normen einander widersprechen, ohne dass zwischen ihnen ein klares, gesetzlich vorgegebenes Rangverhältnis besteht (z. B. bei kollidierenden Grundrechten). Ein Beispiel aus dem Arbeitsrecht: Vor Erlass des TzBfG wurde in der Literatur teilweise vertreten, eine Beschränkung der Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse könne mit einer teleologischen Reduktion des § 620 BGB begründet werden.122 Dazu hätte sich durch Auslegung dieser Norm oder aus eindeutig vorrangigen Vorschriften ein entsprechender Wille des Gesetzgebers ergeben müssen.123 Nur dann kann man von einer Übertragung vorgefundener gesetzlicher Wertungen sprechen. § 620 BGB selbst ist jedoch zweckneutral.124 Höherrangige Rechtsnormen, denen eine klare Wertung dahingehend zu entnehmen war, dass die Befristung von Arbeitsverhältnissen in bestimmter Weise einzuschränken sei, existierten ebenfalls nicht. Dass sich dieses Ergebnis möglicherweise aus allgemeinen Rechtsprinzipien herleiten ließ – dieser Frage wird noch nachzugehen sein125 –, vermag eine gesetzesimmanente teleologische Reduktion hingegen nicht zu begründen.126 Denn auf diesem Wege kann nur eine Rechtsfortbildung extra legem gerechtfertigt werden, die an deutlich strengere Voraussetzungen gebunden ist.127

120  Nebeling/Dippel, NZA-RR 2004, 617, 621; Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 51; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 903a; ähnlich Jaun, S. 123 ff.; in diese Richtung auch Larenz, S. 395 f. – Widersprüchlich sind insofern die Ausführungen von Larenz und Larenz/Canaris: Einerseits betrachten sie die Natur der Sache und rechtsethische Prinzipien als mögliche Gründe für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung (Larenz, S. 417 ff., S. 421 ff.; Larenz/Canaris, S. 236 ff., 240 ff.). Nur die teleologische Reduktion, die sie als gesetzesimmanente Rechtsfortbildung einordnen, soll dennoch auch auf diese Argumente gestützt werden können (Larenz, S. 392; Larenz/Canaris, S. 211). Bei der Darstellung eines Beispiels bemerkt Larenz (S. 395 f.) dann allerdings selbst, dass es sich auch im Falle einer Wortlauteinschränkung bereits um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handeln kann. 121  So grds. auch Larenz, S. 417 ff., S. 421 ff.; Larenz/Canaris, S. 236 ff., S. 240 ff. 122  Koch, BB 1978, 1218, 1220; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 123  Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50. 124  Blomeyer, RdA 1967, 406, 408, Fn. 25. 125  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. 126 Ebenso Benecke, S. 198. 127  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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2.  Verhältnis von teleologischer Reduktion und institutionellem Rechtsmissbrauch Zu Recht weist die den institutionellen Rechtsmissbrauch ablehnende Ansicht darauf hin, dass die teleologische Reduktion einer Norm – sofern man sie mit der h. M. wie hier als Methode der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung betrachtet – Vorrang vor dem Argument des institutionellen Rechtsmissbrauchs hat. Der Anwendungsbereich des Normenmissbrauchs wird hierdurch stark eingeschränkt.128 Die Erklärung, beim institutionellen Rechtsmissbrauch müsse „die Rechtsfolge, die sich aus einer Rechtsnorm ergibt, zurücktreten, weil sie insbesondere den Zweck der Norm nicht hinreichend verwirklicht“129, überzeugt deshalb nicht. Gebietet der Normzweck selbst eine Einschränkung ihrer Rechtsfolgen, so ist dem in aller Regel mit einer teleologischen Reduktion abzuhelfen. Ein Rückgriff auf die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist für solche Fälle des Normenmissbrauchs nicht erforderlich oder zulässig. Das BAG beachtet diese methodische Vorgabe nicht immer. So löst es Fälle der wiederholten Befristung von Arbeitsverträgen mit sachlichem Grund über das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs.130 Der dogmatisch nachvollziehbaren Forderung der Literatur, stattdessen eine teleologische Reduktion der rechtfertigenden Sachgründe nach dem Zweck des § 14 Abs. 1 TzBfG vorzunehmen,131 kommt das BAG nicht nach. Jedoch kann nur ein methodisch unstimmiges, sehr weites Verständnis der teleologischen Reduktion, das auch die Einschränkung des Wortlauts im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung einschließt, zu der Ansicht führen, ein Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs sei vollständig entbehrlich.132 Es gibt nämlich auch Fälle, in denen der Normzweck zwar eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich rechtfertigen kann und auch keine ausdrücklich entgegenstehenden Rechtsvorschriften existieren, aber übergeordnete Rechtsprinzipien eine Ausnahme verlangen. Gründe dafür können die oben beschriebenen Maßstäbe zur Feststellung einer Gesetzeslücke i.w.S. sein – unabweisbare Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, rechtsethische Prinzipien oder die Natur der Sache133. In diesen Fällen kann der Rechtsanwender auf die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs zurückgreifen. 128 

Dazu ausführlich Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 369 ff. § 242 Rn. 27. 130 St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382; v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354; v. 10. 02. 2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617, 620; grundlegend Urteile v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09 und 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1351 bzw. NZA 2012, 1359; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 131  Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; Dommermuth-Alhäuser, S. 237. 132  Jaun, S. 219. 133  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa). 129 MüKoBGB/Schubert,

1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

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Das obige Beispiel134 zur Abmahnung wegen verspäteter Arbeitsaufnahme verdeutlicht dies: Der Zweck der Abmahnung, den Arbeitnehmer zur Vertragstreue anzuhalten, kann – nach dem Motto „Wehret den Anfängen!“ – durchaus für eine Abmahnung auch bei einmaliger Verspätung um wenige Sekunden sprechen. Der übergeordnete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht ihr aber in besonders drastischen Einzelfällen entgegen. Dieser ist im Zivilrecht zwar nicht unmittelbar anwendbar135 – der Arbeitgeber ist in seinen unternehmerischen Entscheidungen grundsätzlich frei und nicht verpflichtet, stets verhältnismäßig zu handeln. Völlig unverhältnismäßige Rechtsausübung verstößt aber gegen das allgemeine Prinzip von Treu und Glauben und ist deshalb unzulässig. Die Abmahnung erfolgt dann rechtsmissbräuchlich. Auch in Fällen des Institutsmissbrauchs führt eine teleologische Reduktion häufig nicht zum Ziel. Denn hier kann eine angemessene Lösung vielfach nicht durch die Einschränkung einer einzelnen Norm, sondern nur durch differenzierte Voraussetzungen oder Rechtsfolgen herbeigeführt werden. So wird die Durchgriffshaftung der Gesellschafter beim Missbrauch von Gesellschaftsformen nicht durch eine Beschränkung konkreter gesellschaftsrechtlicher Rechtsnormen erreicht. Vielmehr wird auf den übergeordneten Grundsatz zurückgegriffen, wonach einer juristischen Gestaltung im Missbrauchsfall die rechtliche Anerkennung versagt werden kann.136 III.  Lösung von Fällen des Rechtsmissbrauchs im Wege der Rechtsfortbildung extra legem Nach all dem kann der Figur des individuellen und institutionellen Rechtsmissbrauchs eine eigenständige Bedeutung nur als Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung zukommen.137 Dazu muss sie die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem erfüllen. Durch diese Anforderung wird sichergestellt, dass die Lehre vom Rechtsmissbrauch im Einklang mit der allgemeinen Methodenlehre des Zivilrechts steht. Daraus lassen sich bereits Zulässigkeitsvoraussetzungen und Grenzen für die Figur des Rechtsmissbrauchs herleiten. Die Entwicklung einer eigenständigen Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs verfolgt den Zweck, die unendliche Vielzahl von Möglichkeiten der 134 

Vgl. Gliederungspunkt § 3 C. II. Canaris, JuS 1989, 161 ff.; Medicus, AcP 1992, 35, 43 ff. 136 Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 13 GmbHG Rn. 131. 137 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 32 f.; Larenz, S. 422; Mader, S. 86; Wieacker, S. 42 f.; zum schweiz. Recht Jaun, S. 239 ff; in diese Richtung auch MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 52 und 127; Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 169, spricht von einer „berechtigten Entscheidung contra legem“; gegen eine Anerkennung des institutionellen Rechtsmissbrauchs als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Dommermuth-Alhäuser, S. 145 ff. 135 

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

97

Rechtsfortbildung extra legem auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite einzugrenzen und für den Rechtsanwender wie für den Rechtsunterworfenen berechenbarer zu machen. Deshalb ist es erforderlich, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des individuellen und institutionellen Rechtsmissbrauchs so exakt wie möglich und zugleich so allgemein wie zur Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit nötig zu definieren. 1.  Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs a)  Bestehen einer Sonderverbindung Während § 242 BGB seinem Wortlaut nach ein bestehendes Schuldverhältnis verlangt, geht der heute anerkannte Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben darüber hinaus.138 Nach überwiegender Ansicht setzt der Einwand des Rechtsmissbrauchs lediglich das Bestehen einer Sonderverbindung voraus.139 Dieser Begriff wird im weitesten Sinne verstanden; neben vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen, nichtigen Rechtsgeschäften, Vertragsverhandlungen und nachvertraglichen Beziehungen falle darunter jeder qualifizierte soziale Kontakt. Damit kommt dem Erfordernis der Sonderverbindung kaum eine begrenzende Wirkung zu.140 Keine Sonderverbindung besteht nur bei Rechten und Pflichten gegenüber jedermann, z. B. beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder bei der Verkehrssicherungspflicht.141 b)  Subsidiarität Eine Lösung über das Rechtsmissbrauchsverbot als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist nur zulässig, wenn eine tragbare Lösung nicht bereits im Wege der Auslegung oder der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung möglich ist.142 Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs setzt deshalb zunächst voraus, dass nach Ausschöpfung dieser Methoden formell noch eine Rechtsposition besteht,

138 

Weber, JuS 1992, 631, 635. BAG, EuGH-Vorlage v. 20. 05. 2010 – 8 AZR 287/08 (A), NZA 2010, 1006, 1008 f.; BGH, Urteil v. 05. 06. 1985 – I ZR 53/83, BGHZ 95, 274, 279; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 14; Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 10; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 93 ff.; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 5; noch weiter geht BGH, Urteil v. 22. 10. 1987 – VII ZR 12/87, NJW 1988, 255, 257, wo sogar ausdrücklich offengelassen wird, ob eine solche Tatbestandsvoraussetzung überhaupt verlangt werden könne; a.A. Staudinger/Looschelders/ Olzen, § 242 Rn. 125 ff., die das Rechtsmissbrauchsverbot durch bloße Auslegung des § 242 BGB begründen wollen und dementsprechend auch ein Schuldverhältnis verlangen. 140  Weber, JuS 1992, 631, 635. 141 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 95. 142 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 213; Larenz/Canaris, S. 245 f.; Larenz, S. 426. 139 

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

die missbraucht werden kann.143 So betonte das BAG richtigerweise, dass ein in­ stitutioneller Rechtsmissbrauch der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach früherer Rechtslage schon deshalb ausschied, weil diese nach zutreffender Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a.F. gegen ein gesetzliches Verbot verstieß.144 Methodisch möglich und vorrangig in Erwägung zu ziehen wäre eine analoge Anwendung der an vergleichbare Rechtsverletzungen geknüpften Sanktionen gewesen. c)  Gesetzeslücke im weiteren Sinne Als weitere Voraussetzung der Rechtsfortbildung extra legem muss die aus dem einfachen Gesetz folgende Lösung untragbar, das Gesetz mithin lückenhaft sein. Anders als bei einer Gesetzeslücke i. e. S. fehlt aber keine ganz bestimmte, angesichts des Regelungsplans zu erwartende Regelung.145 Eine Gesetzeslücke i.w.S. liegt vielmehr vor, wenn das Fehlen einer Regelung zwar nicht nach dem Plan des einzelnen Gesetzes, aber gemessen an den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung als behebungsbedürftige Unvollständigkeit erscheint.146 Ob die Ausfüllungsbedürftigkeit von Generalklauseln wie § 242 BGB als Gesetzeslücke zu betrachten ist, ist streitig.147 Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Zusammenhang aber nicht an. Ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot lässt sich, wie oben gezeigt,148 dem Wortlaut des § 242 BGB allein ohnehin nicht entnehmen, sondern ist erst im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden.149 Der dahinterstehende Gedanke war, dass nach Treu und Glauben eine formelle Rechtsposition nicht durchgesetzt werden darf, wenn dem die objektive Interessenlage in besonderem Maße entgegensteht.150 Es genügt aber nicht, einen Sachverhalt als Rechtsmissbrauch oder Verstoß gegen Treu und Glauben zu bezeichnen, um im konkreten Fall eine Gesetzeslücke zu bejahen. Das Gericht muss in jedem Einzelfall eines angeblichen Rechtsmissbrauchs anhand spezifisch rechtlicher Kriterien nachweisen, dass der konkrete Sachverhalt in den Bereich einer Gesetzeslücke i.w.S. fällt und deshalb nach den Wertungen der Gesamtrechtsordnung eine Ausnahmeregelung gelten muss. 143  Fastrich, S. 50; Sieker, S. 14; in diese Richtung bereits Siebert, S. 249; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 7 a), S. 116. 144  BAG, Urteil v. 10. 12. 2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196, 200. 145  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. 1. 146  Larenz/Canaris, S. 246. 147  Dafür etwa Hahn, IStR 2007, 323, 325; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 836; dagegen Brodführer, S. 40. 148  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. I. 149  BGH, Beschluss v. 06. 10. 2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225. 150  Larenz, S. 421 f.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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Beim Rechtsmissbrauch liegt meist eine verdeckte Gesetzeslücke vor, weil vermeintlich anwendbare Regelungen existieren, die modifiziert werden müssen. Die Gesetzeslücke i.w.S. ist in Fällen des Rechtsmissbrauchs nicht planwidrig, weil der Gesetzgeber solche atypischen Sachverhalte gerade nicht im Blick hatte und folglich auch nicht in seinem Regelungsplan erfassen konnte. Obwohl die Figur des Rechtsmissbrauchs der Kontrolle und Korrektur des geschriebenen Rechts dient,151 handelt es sich deshalb auch nicht um eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem. aa) Maßstäbe der Lückenfeststellung Zur Begründung einer Gesetzeslücke können die oben dargestellten Maßstäbe der Lückenfeststellung152 dienen – der Rechtsordnung immanente rechtsethische Prinzipien, die Natur der Sache und unabweisbare Bedürfnisses des Rechtsverkehrs. In erster Linie kann eine Gesetzeslücke in Fällen des Rechtsmissbrauchs durch übergeordnete, rechtsethische Prinzipien begründet werden. Allein das Prinzip von Treu und Glauben reicht zur Begründung aber nicht aus, weil es lediglich als inhaltsleeres Einfallstor für übergeordnete Wertungen in das Zivilrecht dient. Welche Verhaltensweisen gegen Treu und Glauben verstoßen und damit rechtsmissbräuchlich sind, ist den überrechtlichen sozialen Prinzipien und ethischen Geboten zu entnehmen, die als verfassungsrechtliche Prinzipien der Rechtsordnung zugrunde liegen.153 Beim Rechtsmissbrauch verfolgt der Begünstigte trotz formal einwandfreier Rechtsstellung entweder keine schutzwürdigen Interessen oder deutlich überwiegende Interessen eines anderen Beteiligten stehen der Rechtsausübung entgegen.154 Das Gericht muss im jeweiligen Einzelfall darlegen, welche Grundwertungen der Rechtsordnung ein Interesse als unberechtigt oder besonders schutzwürdig erscheinen lassen. Die Herleitung mehrerer Missbrauchsfälle aus denselben Grundwertungen führt zur Entstehung einheitlicher Fallgruppen, die im Folgenden155 dargestellt werden. Denkbar ist ausnahmsweise auch eine atypische Interessenlage aufgrund der Natur der Sache in ihrer heutigen, eingeschränkten Bedeutung.156 Diese weist insoweit Ähnlichkeit zur teleologischen Reduktion auf, als beide auf den negativen Gleichheitsgrundsatz zurückzuführen sind. Es fallen jeweils bestimmte Ausnah151  Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 11; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 24; Gernhuber, JuS 1983, 764, 766; Weber, JuS 1992, 631, 634. 152  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa). 153 Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 143. 154 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5 a) und b), S. 114. 155  Vgl. Gliederungspunkte § 3 D. III. 1. c) cc) (1) und (2). 156  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. b) aa).

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

mefälle aus dem Anwendungsbereich einer Norm heraus. Nur verlangt bei der teleologischen Reduktion der Zweck der eingeschränkten oder einer übergeordneten Norm eine Ungleichbehandlung, während bei der Rechtsfortbildung extra legem die Natur der Sache – also ein tatsächlicher Unterschied, der eine Gleichbehandlung mit üblichen Sachverhalten verbietet – zu diesem Ergebnis führt.157 So wird im UN-Kaufrecht ein Rechtsmissbrauch nach Art. 7 Abs. 1 CISG aufgrund der Natur der Sache angenommen, wenn die objektiv unmögliche Erfüllung eines Anspruchs geltend gemacht wird.158 Ein Rückgriff auf nationale Regelungen wie § 275 BGB sei dann nicht erforderlich.159 Im Arbeitsrecht spielt diese Begründung des Rechtsmissbrauchs aber praktisch keine Rolle. Auch die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs können bei der Feststellung eines Rechtsmissbrauchs außer Betracht bleiben. Sie sprechen tendenziell gegen eine Rechtsmissbrauchskontrolle, weil diese die Rechtssicherheit senkt. bb) Rechtsmissbrauch als innerrechtliche Ausnahme Wenn ein Gericht eine nach dem geschriebenen Recht formell bestehende Rechtsposition verwerfen kann, kann die Einhaltung des Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG) in Frage stehen.160 Gerichte stellen durch die Annahme einer Gesetzeslücke den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung selbst auf 161 und legen die angemessenen Rechtsfolgen fest, die an die Stelle der als untragbar empfundenen gesetzlichen Folgen treten sollen. Damit die Figur des Rechtsmissbrauchs rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und nicht zu einer reinen Billigkeitsrechtsprechung führt, müssen sich die Interessenbewertungen möglichst eng am Gesetz orientieren.162 Heranzuziehen sind daher Maßstäbe, die in geltenden Rechtsnormen ihren Niederschlag gefunden haben und somit von der Rechtsordnung bereits als verbindlich anerkannt werden.163 Diese Vorgabe der Wertungskriterien durch die Rechtsordnung als Ganze macht den institutionellen Rechtsmissbrauch zu einer innerrechtlichen Rechtsfigur.164 Damit unterscheidet er sich vom Anwendungsbereich der Radbruchschen Formel, nach welcher übergesetzliche Gerechtigkeitsvorstellungen gesetzliche Regelungen verdrängen können, wenn diese als unerträglich ungerecht empfunden werden.165 157 

Canaris, S. 123. BeckOK BGB/Saenger, Art. 28 CISG Rn. 8. 159 MüKoBGB/Gruber, Art. 28 CISG Rn. 11. 160 Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 104. 161  Haferkamp, S. 343. 162 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 212. 163  Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 9 f.; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 52; Boemke, NZA 1993, 532, 533. 164  So für alle Anwendungsbereiche des § 242 BGB Wieacker, S. 7. 165  Radbruch, SJZ 1946, 105, 107. 158 

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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Soweit vorgeschlagen wird, dass auch soziale Standards eine Abweichung vom geschriebenen Recht erlauben,166 ist dem zu widersprechen. Andernfalls besteht eine Missbrauchsgefahr, denn es wird einem Gericht in aller Regel nicht möglich sein, allgemeingültige soziale Normen167 oder auch nur eine tatsächliche Überzeugung der Bevölkerung von der Geltung sozialer Standards empirisch festzustellen. Selbst wenn die Mehrheit eine bestimmte Ansicht vertritt, wird diese dadurch nicht rechtsverbindlich. Zudem lehrt die historische Erfahrung mit der Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs einen vorsichtigen Umgang mit der Implementierung nicht kodifizierter gesellschaftlicher Überzeugungen.168 Wie Rüthers gezeigt hat, führt das Argument von Treu und Glauben zwar auch beim Rückgriff auf gesetzliche Wertungen zu untragbaren Ergebnissen, wenn die Gesetze selbst unerträglich ungerecht sind.169 Das Problem ist dann aber dem Inhalt des geschriebenen Rechts geschuldet, nicht der Anwendung einer juristischen Methode.170 Daher dürfen bei der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs nur solche Verhaltensstandards berücksichtigt werden, die in gesetzlichen Wertungen und Regeln niedergelegt sind.171 In der Praxis wird der Richter zwangsläufig, und sei es unbewusst, auch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen einfließen lassen.172 Um rechtsstaatlich zu handeln, hat er seinen Abwägungsvorgang und die dabei maßgeblichen Wertungen so genau wie möglich im Urteil darzustellen. So kann er sie einer Selbstkontrolle unterziehen und macht sie für Dritte nachvollziehbar und überprüfbar. Dies ist insbesondere beim institutionellen Rechtsmissbrauch wichtig, wo eine Abwägung der berechtigten Interessen im Vordergrund steht und Fallgruppen – die ja auch nur der Wertung früherer Rechtsanwender entspringen – nicht so klar definiert sind wie beim individuellen Rechtsmissbrauch.173 cc) Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs Nach der gängigen Definition kann der Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchs jede atypische Interessenlage umfassen, die ein Abweichen von den an sich geltenden Rechtsfolgen des Gesetzes gebietet.174 Damit soll Einzelfallgerech166 

So etwa Gernhuber, JuS 1983, 764; Hohmann, JA 1982, 112, 117. Wieacker, S. 12 ff. 168  Vgl. Gliederungspunkt § 3 B. 169  Rüthers, S. 226 f. 170  So auch Rüthers, S. 432 ff. 171  Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 12; Fastrich, S. 49; Larenz, S. 427; Rebe, JA 1977, 6, 8 f. 172  Haferkamp, S. 344; Wieacker, S. 14 f. 173 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438. 174 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 206. 167 Dazu

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

tigkeit zu Lasten der Rechtssicherheit geschaffen werden. Ausgangspunkt der Wertung sind die Interessen der Parteien.175 Auch Interessen Dritter und öffentliche Interessen können in die Abwägung einfließen.176 Das Ergebnis der Interessenabwägung beruht auf einem Werturteil, da der Rechtsanwender die widerstreitenden Interessen als berechtigt oder unberechtigt, als mehr oder weniger schutzwürdig gewichtet und sodann einer Seite den Vorrang einräumt.177 Über das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs ist anhand aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden.178 Deshalb kann sich das Ergebnis der Interessenabwägung im Zeitverlauf ändern, wenn sich die tatsächlichen Umstände ändern.179 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Interessenabwägung ist derjenige der beabsichtigten Rechtsausübung, also der Geltendmachung des Rechts bzw. der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung.180 Diese Einzelfallabwägung beeinträchtigt die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen in hohem Maße. In Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass zur Erhöhung der Rechtssicherheit Fallgruppen gebildet werden sollten.181 Lässt sich ein Sachverhalt einer Fallgruppe zuordnen, so ist ein Rechtsmissbrauch noch nicht festgestellt, aber er liegt immerhin nahe. Der Zuschnitt der Fallgruppen ist im Detail umstritten; auch Überschneidungen werden gesehen.182 (1) Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs Beim individuellen Rechtsmissbrauch verliert eine Partei ihre Rechtsstellung nicht wegen eines objektiv untragbaren Rechtszustandes, sondern wegen ihres missbilligten oder widersprüchlichen Verhaltens auf dem Weg zu diesem Zustand. Weil seine Fallgruppen meist sehr genau konkretisiert und oft schon seit langem anerkannt sind, prüft die Rechtsprechung in der Regel nicht, ob die 175 MüKoBGB/Schubert, 176 MüKoBGB/Schubert,

§ 242 Rn. 50; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 221. § 242 Rn. 219 f.; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242

Rn. 224; Siebert, S. 118. 177  Siebert, S. 118. 178  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354; BGH, Beschluss v. 06. 10. 2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 14. 179  BGH, Urteil v. 08. 10. 1969 – I ZR 7/68, NJW 1970, 141, 142; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 50; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 21; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 38; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 328. 180  BGH, Urteil v. 29. 05. 1954 – II ZR 223/53, NJW 1954, 1402, 1403; BeckOK BGB/ Sutschet, § 242 Rn. 50; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 38; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 218. 181 APS/Greiner, § 623 BGB Rn. 41; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 48; Medicus/ Lorenz, § 14 IV., Rn. 136; krit. Weber, JuS 1992, 631, 636. 182  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 57; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 243, Rn. 450.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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allgemeinen Voraussetzungen eines individuellen Rechtsmissbrauchs vorliegen, sondern ob die Merkmale der einschlägigen Fallgruppe erfüllt sind.183 Die Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs lassen sich auf zwei Grundwertungen der Rechtsordnung zurückführen: Einige Fallgruppen basieren auf den Grundgedanken, dass ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten keine Früchte tragen darf. Dieser Gedanke liegt einer Vielzahl von Vorschriften zugrunde, z. B. §§ 123, 162, 226, 823 Abs. 2 BGB. Er versagt etwa den Erfolg bei missbilligter Art und Weise der Rechtsausübung, z. B. bei einer Kündigung in unwürdiger Form184 oder zur Unzeit (§ 627 Abs. 2 BGB). Außerdem hindert er die Rechtsausübung, wenn der Inhaber seine Rechtsstellung missbräuchlich begründet oder ihr entgegenstehende Rechte der anderen Partei missbräuchlich vereitelt hat. Beispielsweise erachtete das BAG eine fristlose Kündigung für rechtsmissbräuchlich, die ausgesprochen wurde, weil sich der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft befand und seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen konnte, nachdem ihm (unzutreffend) eine Beteiligung an Straftaten des Arbeitgebers vorgeworfen worden war.185 Rechtsmissbräuchlich ist nach aktueller Rechtsprechung des BAG auch die Entschädigungsklage eines Scheinbewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn es ihm mit seiner Bewerbung nicht um die Erlangung einer Arbeitsstelle, sondern allein um den Status als Bewerber ging – in der Hoffnung auf eine diskriminierende Ablehnung.186 Das missbilligte Verhalten muss der Partei zurechenbar sein, bei darauf beruhenden Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs ist daher ein Verschulden erforderlich.187 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes dient dagegen als Basis in den Fällen des venire contra factum proprium, wo sich die Rechtsmissbräuchlichkeit aus einem Widerspruch zwischen früherem und aktuellem Verhalten ergibt. So hielt das BAG eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers wegen wirtschaftlicher Probleme für rechtsmissbräuchlich, nachdem dieser sich kurz zuvor einer Eigenkündigung des abkehrwilligen Arbeitnehmers trotz dessen Angebots einer 183  Z. B. BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; BGH, Urteil v. 16. 03. 2016 – VIII ZR 146/15, NJW 2016, 1951, 1952; v. 28. 10. 2015 – IV ZR 526/14, NJW 2016, 233, 234 f. 184  LAG München, Urteil v. 06. 07. 1949 – I 178/48, NJW 1950, 399 f. 185  BAG, Urteil v. 16. 03. 1967 – 2 AZR 64/66, BB 1967, 630. 186 BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 44); v. 14. 11. 2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489, 490; v. 22. 08. 2013 – 8 AZR 563/12, NZA 2014, 82, 84; v. 24. 01. 2013 – 8 AZR 188/12, NZA 2013, 896, 897; v. 23. 08. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 38; v. 16. 02. 2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669; grundlegend Urteil v. 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, AP AGG § 15 Nr. 9. 187  BGH, Urteil v. 23. 01. 1991 – VIII ZR 42/90, NJW-RR 1991, 568, 570; MüKoBGB/ Schubert, § 242 Rn. 215; Dommermuth-Alhäuser, S. 76; a.A. Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 43.

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Abfindungszahlung widersetzt hatte.188 Auch die Verwirkung eines Rechts durch Zeitablauf lässt sich hier einordnen. Zu dem Zeitmoment muss ein Umstandsmoment hinzutreten, das ein Vertrauen darauf begründet, ein subjektives Recht werde auch künftig nicht ausgeübt.189 In dieser Fallgruppe hält die Rechtsprechung auch ein unbewusst vertrauensbegründendes Verhalten für ausreichend.190 (2) Fallgruppen des institutionellen Rechtsmissbrauchs Die Fallgruppen des institutionellen Rechtsmissbrauchs sind bisher weniger klar strukturiert als die des treuwidrigen Verhaltens.191 Sie haben gemeinsam, dass die Geltendmachung eines Rechts allein aufgrund eines groben Missverhältnisses der objektiven Interessen der Parteien verwehrt wird. Entscheidend ist also nicht, auf welche Art und Weise ein Recht entstanden ist oder ausgeübt wird, sondern was es zum Inhalt hat. Die Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist damit äußerst vielgestaltig. Da Rechte durch die unterschiedlichsten Rechtsprinzipien und gesetzlichen Zielsetzungen begrenzt werden, passen nicht alle denkbaren Fälle des Rechtsmissbrauchs in das gängige Schema der Fallgruppen.192 Neue Formen der zweckwidrigen Verwendung von Instituten und Normen können jederzeit ersonnen werden. Beim institutionellen Rechtsmissbrauch ergibt sich der Korrekturbedarf gerade aus einer den Zielen der Rechtsordnung widersprechenden Verwendung von Normen und Rechtsinstituten. Der Vorwurf eines institutionellen Rechtsmissbrauchs kann sich entweder auf die Ziele des angewandten Rechtsinstituts oder auf übergeordnete Rechtsquellen wie Grundrechte, Menschenrechte oder Unionsrechte oder eine gefestigte Verkehrssitte stützen.193 Wird eine konkrete Norm außerhalb ihrer eigenen inneren Zwecksetzung verwendet, dann kann dieser Fall bereits durch teleologische Reduktion gelöst werden.194 In der Regel wird ein institutioneller Rechtsmissbrauch deshalb durch übergeordnete Rechtsprinzipien

188 

BAG, Urteil v. 08. 06. 1972 – 2 AZR 336/71, NJW 1972, 1878, 1879. Rspr., BAG, Urteil v. 15. 12. 2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703, 706; v. 26. 10. 2016 – 5 AZR 168/16, NZA 2017, 323, 326; BGH, Urteil v. 11. 10. 2016 – XI ZR 482/15, NJW 2017, 243, 246; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 363; Schaub/Linck, § 72 Rn. 24. 190  BGH, Urteil v. 12. 11. 2008 – VII ZR 134/04, NJW 2009, 1343, 1346; v. 12. 06. 2002 – VIII ZR 187/01, NJW 2002, 3110, 3111. 191 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438. 192 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 208; Hohmann, JA 1982, 112, 115; Wiedmann, S. 17. 193 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 212; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 146 ff. 194  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. II. 2. 189 St.

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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begründet. Beispielsweise können die Grundsätze der Geringfügigkeit195, der Verhältnismäßigkeit196 und des fehlenden schutzwürdigen Eigeninteresses197 zur Unzulässigkeit der Rechtsausübung führen. Gemeinsam ist diesen Fallgruppen, dass das berechtigte Interesse an einer Rechtsposition jedenfalls im Vergleich zu den Interessen der Gegenseite verschwindend gering ist. Eine trotz mangelnder Sinnhaftigkeit versuchte Rechtsausübung weist auf die Verfolgung anderer, von der Norm oder dem Rechtsinstitut nicht anerkannter Zwecke hin.198 In ähnlicher Weise lässt sich auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des dolo agit qui petit quod statim redditurus est als institutioneller Rechtsmissbrauch qualifizieren.199 Da die Partei mit der formalen Gläubigerposition eine Erfüllung ihres Anspruchs im Ergebnis nicht erreichen wird, kann die Rechtsverfolgung nur anderen, von der Rechtsordnung nicht anerkannten Zwecken dienen. In dem Beispiel zur Abmahnung wegen einer erstmaligen Verspätung um wenige Sekunden hat der Arbeitgeber allenfalls ein äußerst geringes berechtigtes Interesse daran, den Arbeitnehmer in formalisierter Weise unter Androhung einer Kündigung zur Vertragstreue anzuhalten. Tut er es trotzdem, mag er andere Zwecke wie etwa eine Maßregelung damit verfolgen. Trotz seines formellen Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten überwiegt regelmäßig das Interesse des Arbeitnehmers am Unterbleiben einer Abmahnung. Ihre Unzulässigkeit ergibt sich bei dieser atypischen Interessenlage aus dem öffentlich-rechtlichen Grundsatz der Geringfügigkeit bzw. der Verhältnismäßigkeit, der im Wege der Rechtsfortbildung über das Verbot des Rechtsmissbrauchs Einzug auch in das Zivilrecht gehalten hat. Auch eine zweckwidrige Verwendung von Rechtsinstituten ist dem Bereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs zuzuordnen.200 Ein bestimmter Zweck eines Rechtsinstituts kann nicht einfach behauptet werden, sondern ist durch teleo-

195  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 103 ff.; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 446 ff.; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 262 ff.; Hohmann, JA 1982, 112, 114 f. 196 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 450 ff.; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 53; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 277 f.; Canaris, JZ 1987, 1002; Hohmann, JA 1982, 112, 115. 197  BGH, Urteil v. 23. 08. 2012 – VII ZR 242/11, NJW 2012, 3426; v. 30. 06. 2000 – V ZR 149/99, NJW 2000, 2894; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 81; Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 76; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 458 ff.; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 50 f.; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 258 ff.; Hohmann, JA 1982, 112, 114; Steudle, S. 20. 198 Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 50; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 259; Hohmann, JA 1982, 112, 114; in diese Richtung auch Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 174. 199  BAG, Urteil v. 10. 11. 2011 – 6 AZR 357/10, NZA 2012, 205, 208; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 52; Raiser, in: Summum ius, S. 151; Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 174. 200  Pfeiffer in: jurisPK-BGB, § 242 Rn. 71 ff.

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

logische Auslegung aller darauf bezogenen Einzelnormen zu belegen.201 So liegt im Vertragsrecht ein institutioneller Rechtsmissbrauch vor, wenn ein oder beide Vertragspartner den Vertrag als Mittel für Zwecke einsetzen, die über die von der Rechtsordnung dem Vertrag zugewiesenen Funktionen hinausgehen.202 Einen Institutsmissbrauch mit der Folge der Durchgriffshaftung kann die zweckwidrige Verwendung von Gesellschaftsformen begründen.203 Auch die Rechtsprechung des BAG zur Kettenbefristung bei ständigem Vertretungsbedarf 204 lässt sich im Bereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs wegen Zweckverfehlung der Befristung von Arbeitsverhältnissen verorten.205 Denn der Zweck der Befristung liegt gerade nicht darin, den Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen dauerhaft auszuschließen. Der institutionelle Rechtsmissbrauch setzt nach ganz überwiegender Ansicht weder eine bewusste Zweckentfremdung von Rechtsinstituten und Normen noch eine subjektive Vorwerfbarkeit voraus.206 Trifft eine Partei ein Verschulden, so vermag dies allein weder einen Ausgang der Interessenbewertung zu ihren Lasten zu begründen noch einen solchen zu ihren Gunsten auszuschließen.207 Allerdings kann das Verschulden bei der Abwägung der berechtigten Interessen berücksichtigt werden.208 Wie bei der Wertung in Umgehungsfällen 209 können auch 201 

Habersack, S. 38; Steudle, S. 26. Habersack, S. 37. 203 BGH, Urteil v. 22. 10. 1987 – VII ZR 12/87, BGHZ 102, 95; Roth/Altmeppen/ Altmep­pen, § 13 GmbHG Rn. 131; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 40; Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 173 204  Z. B. Urteil v. 11. 02. 2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617, 620 f.; v. 19. 02. 2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408; grundlegend Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351. 205  Dazu ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 206  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351, 1357; v. 27. 02. 1997 – 2 AZR 160/96, NJW 1997, 2257, 2258; BGH, Urteil v. 12. 11. 2008 – XII ZR 134/04, juris (Rn. 41); v. 31. 01. 1975 – IV ZR 18/74, BGHZ 64, 5, 9; KG, Urteil v. 20. 04. 1972 – 8 U 1831.71, OLGZ 1973, 1, 5; Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 35; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 39; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 216; Kiel, JbArbR 2013, 25, 43; Raiser, JZ 1972, 732; Schlachter, in: FS Wank, S. 504; Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 172; Habersack, S. 37; Ottersbach, S. 41; a.A. Hofmann, S. 84; Wieacker, S. 34 ff., der die subjektive Vorwerfbarkeit damit begründet, dass ein „gerade noch hinlänglich loyaler Rechtsgenosse“ seine Rechte aufgrund der Interessenbewertung nicht ausüben würde. 207  BGH, Urteil v. 31. 01. 1975 – IV ZR 18/74, NJW 1975, 827, 828; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 14. 208  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 20; Erman/Hohloch/Böttcher, § 242 Rn. 14; HKBGB/Schulze, § 242 Rn. 14; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 54; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 39; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 144 und Rn. 222; Steudle, S. 26; Wied­ mann, S. 17. 209  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. V. 3. b). 202 

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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subjektiv verfolgte Zwecke mit in die Interessenabwägung einbezogen werden, weil sie die Schutzwürdigkeit einer Partei determinieren.210 d)  Erreichen der Eingriffsschwelle So wie die erfolgreiche Tatbestandsvermeidung von der Gesetzesumgehung abzugrenzen ist, muss auch zwischen (noch) legitimem Rechtsgebrauch und unzulässigem Rechtsmissbrauch unterschieden werden. Wann ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist in erster Linie eine Wertungsfrage. Der Rechtsanwender wertet selbst, ob eine Norm oder ein Rechtsinstitut gebraucht oder missbraucht wird. Als Methode der Rechtsfortbildung extra legem hat der Rechtsmissbrauch eine hohe Eingriffsschwelle zu überwinden. Um eine reine Billigkeitsrechtsprechung zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, muss vor allem der Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs nach allgemeiner Ansicht eng bleiben.211 Im Gegensatz zur Rechtsfortbildung praeter legem reicht ein unbilliges Ergebnis der Rechtsanwendung nicht aus.212 Grundsätzlich sind nach Ausschöpfung aller Methoden der Rechtsanwendung auch dem Gerechtigkeitsempfinden widersprechende Ergebnisse zur Erhaltung der Rechtssicherheit hinzunehmen. Der Verstoß gegen materielle Gerechtigkeitsvorstellungen muss zur Anwendung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs besonders intensiv ausfallen.213 Die Rechtsanwendung muss zu einem „mit Treu und Glauben unvereinbaren, schlechthin untragbaren Ergebnis“214 führen. Der institutionelle Rechtsmissbrauch erlaubt nur bei „grob und unerträglich empfundener Unbilligkeit“215 eine Beschränkung von Rechtspositionen.216 Er ist als wertendes Korrektiv besonders gelagerten Ausnahmefällen vorbehalten.217 Teilweise wird sogar ein Rechtsnot210 MüKoBGB/Schubert,

§ 242 Rn. 214; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 39. BAG, Urteil v. 28. 05. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015, 1131, 1136; BeckOK BGB/ Sutschet, § 242 Rn. 2; Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 2 u. 6; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 208; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 219; Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 158; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 7 e), S. 117; Wieacker, S. 42. 212 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 41; Heinrich, in: FS Laufs, S. 591. 213  Herlitzius, S. 104. 214  BGH, Urteil v. 3. 12. 1958 – V ZR 28/57, NJW 1959, 626; v. 27. 10. 1967 – V ZR 153/64, NJW 1968, 39; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 BGB Rn. 51. 215 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 221; Benecke, S. 48. 216  Ebenso BAG, Beschluss v. 19. 04. 1989 – 7 ABR 6/88, BAGE 61, 340; BGH, Urteil v. 05. 12. 1984 – IVa ZR 24/83, MDR 1985, 828; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 22; Jauernig/ Mansel, § 242 Rn. 41; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 2; Busemann, MDR 2015, 314, 316; ähnl. für das schweiz. Recht Jaun, S. 222 und S. 240 f. 217 Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 104; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 385; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 154; Benecke, S. 48. 211 

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

stand gefordert,218 der dann allerdings weiter definiert wird als in der oben dargestellten Methodenlehre nach Larenz. Damit kommt der Frage, ob die Eingriffsschwelle erreicht ist, in der Falllösung die entscheidende Bedeutung zu. Wird ein institutioneller Rechtsmissbrauch in Betracht gezogen, so wird ein Verstoß des Ergebnisses gegen Grundwertungen der Rechtsordnung und das daran orientierte Gerechtigkeitsempfinden bereits außer Zweifel stehen. Zu bewerten ist dann, ob dieser Widerspruch so unerträglich ausfällt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit durch die Unterbindung der Rechtsausübung hinzunehmen ist. 2.  Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs a)  Maßstäbe der Lückenfüllung Die Rechtsfolgen des institutionellen Rechtsmissbrauchs ergeben sich durch Ausfüllung der Gesetzeslücke i.w.S. im Einklang mit der Rechtsordnung. Grundsätzlich erfolgt die Ausfüllung einer Gesetzeslücke i.w.S. anhand derselben Maßstäbe wie ihre Feststellung.219 Wenn etwa bei Scheinbewerbungen allein zur Erlangung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG eine Gesetzeslücke mit der Erwägung begründet wurde, dass ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten keine Früchte tragen darf, dann muss dem Bewerber der Erfolg versagt bleiben,220 selbst wenn eine Sanktionierung der diskriminierenden Ablehnung aus Präventionsgründen vielleicht wünschenswert wäre.221 Anders als bei der Rechtsfortbildung praeter legem ergibt sich aus der Feststellung einer Lücke aber nicht in allen Fällen automatisch auch der eine, richtige Weg zu ihrer Ausfüllung. Das Missbrauchsurteil allein liefert noch keinen Maßstab für die eintretenden Rechtsfolgen.222 Denn der Gesetzgeber hat ja für Fälle des Rechtsmissbrauchs gerade keine unmittelbar übertragbaren Wertungen zur Verfügung gestellt.223 Im Vergleich zu anderen Normen, die die Entstehung und Ausübung von Rechten beschränken (z. B. §§ 134, 138, 226 BGB), ermöglicht die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs es dem Anwender, adäquater auf den Einzelkonflikt zu reagieren, während sie andererseits auch die Rechtsunsicherheit vergrößert.224 Die Rechtsfolgen sind aus dem Einzelfall abzuleiten,225 218 

Medicus/Lorenz, § 14 IV. 3., Rn. 143. Canaris, S. 169 f. 220  So die ganz h. M., vgl. dazu ausführlich Gliederungspunkt § 11 D. II. m. w. N. 221  So Schiek/Kocher, § 15 Rn. 45; Rolfs, NZA 2016, 586, 589 f. 222  Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 159; Römer, S. 58; Sieker, S. 15. 223  Steudle, S. 2. 224  Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 170. 225 Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 130. 219 

D.  Rechtsmissbrauch in der Methodenlehre

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indem das konkrete Rechtsgeschäft „institutskonform zugeschnitten“226 wird. Damit stehen dem Rechtsanwender unterschiedliche Möglichkeiten offen, von denen er die am besten geeignete anhand einer wertenden Betrachtung zu ermitteln hat. Bei dieser Wertung muss er sich an den Wertungskriterien der Rechtsordnung orientieren. b)  Einzelne Rechtsfolgen Die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs begrenzt die Ausübung von Rechten. Dieser destruktiven Funktion kommt unter der Bezeichnung der unzulässigen Rechtausübung praktisch die größte Bedeutung zu.227 „Verstößt die Rechtsausübung im einzelnen Falle gegen Treu und Glauben, so ist sie missbräuchlich und kann von der Rechtsordnung nicht geduldet werden.“228 Wenn der missbräuchlich handelnden Partei nach dem Gesetz bestehende Rechtspositionen versagt werden, kann das einerseits zur Folge haben, dass sie einen eigenen Anspruch nicht geltend machen kann. Möglich ist eine teilweise oder vollständige Aberkennung von Rechten, die auch zeitlich begrenzt sein kann.229 Umgekehrt können für die missbräuchlich handelnde Partei günstige Tatsachen unberücksichtigt bleiben, so dass ein nach dem Gesetzeswortlaut nicht bestehender Anspruch der Gegenseite bejaht wird.230 Treten die aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm sich ergebenden Rechtsfolgen zurück, so können sie durch „angemessene Rechtsfolgen“ ersetzt werden.231 Welche Rechtsfolgen an ihre Stelle treten, ist nicht allgemein festgelegt. Insbesondere ist das Rechtsgeschäft nicht in jedem Falle unwirksam.232 Um ein der Billigkeit entsprechendes Ergebnis zu erhalten, werden entweder nach Treu und Glauben erforderliche zusätzliche Tatbestandsmerkmale in eine Norm eingeführt oder ihre Rechtsfolgen werden abgeschwächt, erweitert oder modifiziert.233 Die angemessene Rechtsfolge kann ausnahmsweise auch darin bestehen, dass der anderen Seite Rechte zugesprochen werden, die das Gesetz nicht vorsieht.234 So nahm das BAG einen Wiedereinstellungsanspruch an, weil sich bei 226 

Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 171. BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 52; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 204. 228  BGH, Urteil v. 27. 01. 1954 – VI ZR 16/53, NJW 1954, 508. 229 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 226 f.; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 9, S. 117; Haferkamp, S. 344; Heinrich, in: Laufs, S. 591; Wieacker, S. 47. 230  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 52; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 226. 231 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 203. 232  Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 171; Habersack, S. 39 f. 233 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 206. 234  BAG, Urteil v. 27. 02. 1997 – 2 AZR 160/96, NJW 1997, 2257, 2258; BGH, Urteil v. 22. 10. 1976 – V ZR 247/75, JZ 1977, 95; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 47; Jauernig/ 227 

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

einer betriebsbedingten Kündigung die Prognose der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit noch während der Kündigungsfrist als unzutreffend erwiesen hatte.235 Der Arbeitgeber verhalte sich rechtsmissbräuchlich, wenn er ein auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtetes Vertragsangebot des Arbeitnehmers nicht annehme. Als verletztes übergeordnetes Rechtsprinzip wurde das Recht des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz angeführt.236 Absolute Rechte kann ein institutioneller Rechtsmissbrauch hingegen nicht begründen.237 3.  Prozessuale Durchsetzung Nach heute einhelliger und zutreffender Ansicht begründet der institutionelle Rechtsmissbrauch eine Einwendung und nicht nur eine Einrede.238 Dies ergibt sich aus der Innentheorie, nach der die Beschränkung durch das Missbrauchsverbot Eigenschaft eines jeden subjektiven Rechts und damit bei der Rechtsanwendung von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die ein formell rechtmäßiges Verhalten ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, liegt bei der Partei, die sich auf einen Rechtsmissbrauch der Gegenseite beruft.239 Dabei kommen ihr die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugute.240 Dennoch wird sie hinreichende Indizien für einen Rechtsmissbrauch und insbesondere subjektive Tatsachen häufig kaum beweisen können. Selbst wenn objektive Kriterien auf zweckwidriges Handeln hindeuten,241 wird man die Verfolgung unterschiedlicher, darunter auch zulässiger Zwecke meist nicht ausschließen können. So muss etwa der Arbeitnehmer bei einer Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nach der Rechtsprechung des BAG beweisen, dass der Austausch der Vertragsarbeitgeber ausschließlich Mansel, § 242 Rn. 36; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 203; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 225. 235  BAG, Urteil v. 27. 02. 1997 – 2 AZR 160/96, NJW 1997, 2257, 2258. 236  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 393 f. 237  Wieacker, S. 48 f. 238  BGH, Hinweisbeschl. v. 25. 05. 2011 – IV ZR 191/09, NJW 2011, 3149, 3150; Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94, 106; Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 19; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 25; Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 63; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 88; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 40; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 320; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5, S. 115; Medicus/Lorenz, § 14 V., Rn. 145; Wieacker, S. 46. 239 BAG, Urteil v. 04.  12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; BGH, Urteil v. 31. 01. 1975 – IV ZR 18/74, NJW 1975, 827, 829; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 21; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 329. 240  BAG, Urteil v. 04. 12. 2013, aaO. 241  Ottersbach, S. 41.

E.  Ergebnisse

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deshalb vorgenommen wurde, um über die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vor­ gesehenen Befristungsmöglichkeiten hinaus sachgrundlose Befristungen an­ einanderreihen zu können.242 Sobald zusätzliche Gründe wie eine Änderung des Vertragsinhalts für den Wechsel in Betracht kommen, könne ein rechtsmiss­ bräuchliches Verhalten nicht bewiesen werden.243 Ebenso fällt dem Arbeitgeber der Nachweis schwer, dass ein Bewerber allein das Ziel eines Entschädigungsan­ spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG verfolgt.244

E.  Ergebnisse Bei der Analyse der BAG-Rechtsprechung in Fällen eines möglichen Rechts­ missbrauchs können folgende Thesen der zivilrechtlichen Dogmatik vorausge­ setzt werden: • Die Figur des Rechtsmissbrauchs dient der Gesetzeskorrektur in atypischen Ausnahmefällen. Der institutionelle Rechtsmissbrauch ist durch eine objek­ tiv atypische Interessenlage gekennzeichnet, die die gegenwärtige Rechtsaus­ übung treuwidrig erscheinen lässt. Der individuelle Rechtsmissbrauch setzt dagegen ein treuwidriges Verhalten in der Vergangenheit oder ein wider­ sprüchliches Verhalten einer Partei im Einzelfall voraus. • Der institutionelle Rechtsmissbrauch umfasst die Kategorien des Instituts­ missbrauchs und des Normenmissbrauchs. Beim Institutsmissbrauch verstößt die Rechtsanwendung gegen den immanenten Zweck des angewandten Rechts­ instituts. Dieser Zweck ist durch Auslegung aller einschlägigen Vorschriften zu bestimmen. Um einen Fall des Normenmissbrauchs handelt es sich, wenn übergeordnete Rechtsprinzipien eine Einschränkung des Anwendungsbe­ reichs einer Norm verlangen. Ermöglicht der Wortlaut einer Norm eine An­ wendung, die nicht dem Zweck dieser Norm entspricht, so erfordert dies in der Regel nur eine teleologische Reduktion. • Das deutsche Zivilrecht enthält kein ausdrückliches Verbot des Rechtsmiss­ brauchs. Die Figur des Rechtsmissbrauchs lässt sich dogmatisch als gesetzes­ übersteigende Rechtsfortbildung einordnen, die von der Rechtsprechung an­ hand des Grundsatzes von Treu und Glauben entwickelt wurde. • Nicht jede zweckwidrige Verwendung von Normen oder Rechtsinstituten ist über das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu verhindern. Als 242  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147. 243  BAG, Urteil v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147, 1150; v. 09. 02. 2011 – 7 AZR 32/10, NZA 2011, 791, 794. 244  Bauer/Krieger, NZA 2016, 1041, 1042; Krieger/Müller, ArbRAktuell 2017, 57, 59.

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1. Teil: § 3  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ist es erst anwendbar, wenn Verstöße nicht durch Auslegung oder gesetzesimmanente Rechtsfortbildung beseitigt werden können. • Die Klassifizierung als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung führt zu einer hohen Eingriffsschwelle. Nur wenn die nach dem Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen unerträglich ungerecht erscheinen, kann ein Rechtsmissbrauch bejaht werden. • Der Grundsatz von Treu und Glauben erlangt seinen konkreten Inhalt erst durch andere Prinzipien und Wertungsmaßstäbe, die der Rechtsordnung zugrunde liegen. Der Rechtsanwender bestimmt durch wertende Abwägung der Parteiinteressen, ob der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllt ist. • Um die Missbrauchsgefahr zu senken und das Prinzip der Gewaltenteilung einzuhalten, müssen sich diese Wertungen möglichst eng an den durch Auslegung ermittelten Zwecken des Rechtsinstituts und den Wertmaßstäben der Gesamtrechtsordnung orientieren. Vorsatz oder Verschulden sind nicht Voraussetzung des institutionellen Rechtsmissbrauchs und des individuellen Rechtsmissbrauchs wegen widersprüchlichen Verhaltens; sie können aber bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Rechtsmissbrauch wegen treuwidrigen Verhaltens setzt dagegen Verschulden voraus. • Die Qualifikation als Rechtsmissbrauch führt regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung subjektiver Rechte und der Berufung auf Rechtsstellungen. An die Stelle der gesetzlichen Rechtsfolgen treten Rechtsfolgen, die nach den Wertmaßstäben der Rechtsordnung den Umständen des Einzelfalls angemessen sind. • Für die weitere Bearbeitung soll folgende Definition vorausgesetzt werden: Institutioneller Rechtsmissbrauchs ist anzunehmen, wenn die objektive Interessenlage der Parteien sich im konkreten Einzelfall derart vom typischen Tatbestand der gesetzlichen Regelungen unterscheidet, dass der Zweck des angewandten Rechtsinstituts oder übergeordnete Rechtsgrundsätze eine Abweichung von den an sich geltenden Rechtsfolgen zur Beseitigung eines unerträglichen Verstoßes gegen Gerechtigkeitsvorstellungen zwingend gebieten.

A.  Spezialität oder Aliud

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§ 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch 1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

Auf Basis der oben dargestellten methodischen Grundlagen sollen nun Kriterien für die praktische Falllösung entwickelt werden. Weil weder Gesetzesumgehung noch institutioneller Rechtsmissbrauch über einen eigenen subsumtionsfähigen Tatbestand verfügen, beide eine teleologische Auslegung des Gesetzes und zum Teil ähnliche Wertungen erfordern, ist gerade zwischen ihnen eine eindeutige Grenzziehung schwierig. Für die praktische Handhabung ist es dennoch unerlässlich, das Verhältnis beider Rechtsfiguren zu bestimmen und eine klare Abgrenzung vorzunehmen. Wie oben dargestellt, gibt die Methodenlehre eine bestimmte Reihenfolge bei der Anwendung und Fortbildung des Rechts vor.1 Die Lösung eines Umgehungsfalles durch das BAG entspricht Gesetz und Recht nur dann, wenn diese Reihenfolge eingehalten wird. Für die praktische Falllösung stellen sich vor allem zwei Fragen: 1.  Sind Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch gemeinsam oder getrennt zu prüfen? 2.  Welche Rechtsfigur ist vorrangig in Betracht zu ziehen?

A.  Spezialität oder Aliud Entscheidend für die Beantwortung der ersten Frage ist, ob Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch dogmatisch in einem Spezialitätsverhältnis stehen oder ob es sich um unterschiedliche Kategorien des Rechts handelt. Sollte ein Spezialitätsverhältnis bestehen, so hätte die Prüfung der einen Rechtsfigur bereits eine Weichenstellung für die andere zur Folge. Damit wäre ein gemeinsamer Einstieg in die Prüfung vorgezeichnet. I.  Auffassungen in der Literatur In der Literatur sind die Auffassungen zum Verhältnis zwischen Gesetzes­ umgehung und Rechtsmissbrauch unterschiedlich. Die Beantwortung der Frage hängt zunächst vom jeweiligen Verständnis des Missbrauchs ab. Dieses differiert zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten.2 So wird etwa im Steuerrecht3 und im internationalen Privatrecht4 der Missbrauch als Kriterium für das Vorliegen 1 

§ 2 D. II. bis IV. Benecke, S. 47. 3  § 42 Abs. 1 Satz 1 AO: „Durch Missbrauch […] umgangen“. 4  OLG Düsseldorf, Urteil v. 15. 12. 1994 – 6 U 59/94, NJW-RR 1995, 1124; Riezler, S. 331 ff.; Römer, S. 39 ff. und S. 73 ff. 2 

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1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

einer Umgehung betrachtet. Dieser Missbrauchsbegriff ist allerdings nicht identisch mit dem gegen Treu und Glauben verstoßenden Rechtsmissbrauch des Zivilrechts.5 Deshalb sollen Einordnungen jenseits des Zivilrechts im weiteren Verlauf außer Betracht bleiben. Auch im Zivilrecht werden Gesetzesumgehung und institutioneller Rechtsmissbrauch teilweise in einem Spezialitätsverhältnis gesehen. Vor allem im älteren Schrifttum findet sich bisweilen das Verständnis von der Gesetzesumgehung als Sonderfall des Rechtsmissbrauchs.6 Zeiss begründet dies damit, dass die Umgehung bei Identität der sonstigen Voraussetzungen zusätzlich eine gezielte Umgehungshandlung zur Schaffung der sodann missbrauchten Befugnis erfordere, während diese beim institutionellen Rechtsmissbrauch bereits vorgefunden werde.7 Auch Heeder spricht von einer Gleichstellung beider Rechtsfiguren, die sich allenfalls in ihren subjektiven Voraussetzungen unterscheiden sollen.8 Umgekehrt sehen neuere Auffassungen den institutionellen Rechtsmissbrauch als Spezialfall der Gesetzesumgehung.9 Beim institutionellen Rechtsmissbrauch handele es sich durchweg um Fälle der Gesetzesergehung oder Tatbestandserschleichung, die sich allein durch Auslegung und teleologische Reduktion lösen ließen; deshalb komme ihm keine eigenständige Bedeutung zu. Benecke scheint den institutionellen Rechtsmissbrauch für eine spezielle Form der Gesetzesumgehung zu halten, wenn sie meint, seine Voraussetzungen seien „enger“; eine Norm werde „nicht nur umgangen, sondern sogar missbraucht“ 10. Auch die Rechtsprechung des BAG deutet in diese Richtung, wenn es von einer „Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle (§ 242 BGB)“11 spricht. Demgegenüber besteht nach heute überwiegendem zivilrechtlichen Verständnis zwischen Rechtsmissbrauch und Gesetzesumgehung ein Aliud-Verhältnis.12 Heeder empfiehlt deshalb, bei der Bekämpfung der Gesetzesumgehung auf den 5  Fischer, DB 1996, 644, 648; Römer, S. 54; nach Clausen, DB 2003, 1589, bedeutet Rechtsmissbrauch im Steuerrecht „Wahl einer dem wirtschaftlichen Ziel unangemessenen rechtlichen Gestaltung“. 6  Wollenschläger, AuR 1975, 222, 223; Thomä, S. 64; Zeiss, S. 66 f.; ebenso wohl Esser/Schmidt, § 10 III. 1., S. 173, die das Umgehungsgeschäft als Unterfall des institutionellen Rechtsmissbrauchs erörtern. 7  Zeiss, S. 67. 8  Heeder, S. 113 f. 9  Dommermuth-Alhäuser, S. 143; v. Lackum, S. 62 ff. 10  Benecke, S. 48 und S. 148. 11  BAG, Urteil v. 15. 02. 2017 – 7 AZR 143/15, juris (Rn. 30); v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; v. 09. 12. 2015 – 7 AZR 117/14, NZA 2016, 552, 556; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840. 12 Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 398; Brors, AuR 2013, 108, 112; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Fischer, in: FS Reiß, S. 622; Römer, S. 54 ff.; Teichmann, S. 77 f.

A.  Spezialität oder Aliud

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Begriff des Rechtsmissbrauchs zu verzichten, um Verwechslungen mit dem Rechtsmissbrauch im institutionellen Sinne vorzubeugen.13 Römer warnt davor, die Gesetzesumgehung mit einem Verstoß gegen Treu und Glauben zusammenzubringen.14 Damit übertrage man die der Generalklausel des § 242 BGB entgegengebrachte Zurückhaltung zu Unrecht auch auf die Gesetzesumgehung, obwohl diese „auf wesentlich festeren Füßen“ stehe.15 Geht man von einem Aliud-Verhältnis von Gesetzesumgehung und institutionellem Rechtsmissbrauch aus, schließt sich die Frage an, ob es zwischen ihnen Überschneidungen gibt. Vertreter der Auffassung, dass alle Umgehungsfälle im Wege der Auslegung oder Analogie zu lösen seien, gelangen zu dem Ergebnis, dass die Gesetzesumgehung logisch betrachtet niemals mit einem institutionellen Rechtsmissbrauch zusammenfallen kann.16 Denn ein zu missbrauchendes Recht könne nach extensiver oder sinngemäßer Anwendung der umgangenen Norm gar nicht mehr bestehen. Überwiegend wird in der Literatur aber vertreten, dass die Übergänge fließend seien und einzelne Fallkonstellationen beiden Begriffen zugeordnet werden können.17 Bisweilen werde eine Norm missbraucht, um eine andere zu umgehen.18 II.  Ergebnis der dogmatischen Einordnung 1.  Aliud-Verhältnis Legt man die oben entwickelte Einordnung der Gesetzesumgehung und des institutionellen Rechtsmissbrauchs in die Methodenlehre zugrunde, so ergibt sich eindeutig ein Aliud-Verhältnis zwischen ihnen. Denn es handelt sich um zwei juristische Begriffe unterschiedlicher Kategorien. Das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist eine im Wege der gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung entwickelte Rechtsfigur mit bestimmten, wenn auch weiten und auslegungsbedürftigen Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Im Gegensatz dazu ist die Gesetzesumgehung ein methodisch an sich irrelevanter, aber in der Praxis hilfreicher Sammelbegriff für Fälle mit einer vergleichbaren Problematik. Er bringt zum Ausdruck, dass ein – in aller Regel absichtlicher – Verstoß gegen die Ziele des Gesetzes vermutet wird, obwohl dessen Wortlaut jedenfalls auf den ersten

13 

Heeder, S. 116. Römer, S. 26. 15  Römer, S. 26. 16  So z. B. Teichmann, S. 77 f., und 105; Sieker, S. 16. 17  Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Schurig, in: FS Ferid, S. 406; Benecke, S. 49; Zimmermann, S. 186. 18  Benecke, S. 149; Römer, S. 57 f. 14 

116

1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

Blick nicht einschlägig ist.19 Ein Umgehungsverdacht sensibilisiert den Rechtsanwender dafür, eine Anwendung des Gesetzes über seinen Wortlaut hinaus in Betracht zu ziehen. Wie oben gezeigt,20 lassen sich die weitaus meisten dieser Fälle bereits durch Auslegung oder gesetzesimmanente Rechtsfortbildung – vor allem Analogie oder teleologische Reduktion – lösen. Folglich ist eine gemeinsame Prüfung von Gesetzesumgehung und institutionellem Rechtsmissbrauch in aller Regel nicht angezeigt. Eine Gesetzesumgehung ohne institutionellen Rechtsmissbrauch ist der Regelfall. Beispielsweise erwirbt der Arbeitnehmer einige Rechtspositionen erst nach einer bestimmten ununterbrochenen Dauer des Arbeitsverhältnisses.21 Der Arbeitgeber könnte durch gezielte Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses Arbeitnehmerrechte umgehen. Das BAG wendet diese Vorschriften jedoch bei unwesentlichen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses im Ergebnis analog an.22 Damit wird die Umgehung im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung unterbunden; für eine Rechtsmissbrauchsprüfung besteht kein Bedarf mehr. Wenn dennoch die missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten als Voraussetzung der Gesetzesumgehung genannt wird,23 ist nicht der gegen Treu und Glauben verstoßende, individuelle oder institutionelle „Rechtsmissbrauch im technischen Sinne“ gemeint.24 Stattdessen wird mit dem Begriff des Missbrauchs ein „allgemeines Unwerturteil“25 gefällt, das die zulässige und erfolgreiche Tatbestandsvermeidung von der zu unterbindenden Gesetzesumgehung abgrenzt. Wenn eine analoge Anwendung der umgangenen Vorschrift möglich ist, dann bleibt keine Rechtsposition mehr, die missbraucht werden könnte.

19  So formuliert Kegel, ÖJZ 1958, 15, der Begriff der Gesetzesumgehung bezeichne „die Stufe der Frage und des Zweifels, nicht die Stufe der Antwort und der Gewissheit“. 20  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. II. 2. und III. 2. a) bb). 21  § 1 Abs. 1 KSchG, § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, § 3 Abs. 3 EFZG, § 4 BUrlG, § 622 Abs. 2 BGB; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 10 C. 22  BAG, Urteil v. 19. 06. 2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103; v. 22. 09. 2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429, 430; v. 22. 08. 2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610, 612; Urteile v. 20. 08. 1998 – 2 AZR 76/98 und 2 AZR 83/98, NZA 1999, 481 und 314; v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris; v. 10. 05. 1989 – 7 AZR 450/88, BAGE 62, 48; v. 18. 01. 1979 – 2 AZR 254/77, DB 1979, 1754; v. 23. 09. 1976 – 309/75, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 1. 23  So die gängige Formulierung des BAG seit dem Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65; ebenso noch BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091; BGH, Urteil v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, BB 2012, 2455, 2457; es handelte sich um eine übliche Formulierung bereits vor der Entscheidung des Großen Senats, vgl. Römer, S. 39 ff., m. w. N. 24  Heeder, S. 116; Römer, S. 54; für eine Gleichsetzung aber wohl Benecke, S. 149. 25  Westerhoff, S. 122.

A.  Spezialität oder Aliud

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Auch Fälle des institutionellen Rechtsmissbrauchs, in denen kein Gesetz umgangen wird, treten regelmäßig auf. Denn zu den Voraussetzungen des institutionellen Rechtsmissbrauchs zählt zwar ein Verstoß gegen den Zweck des angewandten Rechtsinstituts oder gegen übergeordnete Rechtsgrundsätze. Anders als ein umgangenes Gesetz sind dies aber ungeschriebene, nicht vollständig in einfaches Recht umgesetzte Beschränkungen. Verlangt etwa der Vorbehaltseigentümer die Herausgabe einer Sache, obwohl die Zahlung der letzten Rate unmittelbar bevorsteht, so verstößt er gegen den Grundsatz „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“ und handelt deshalb rechtsmissbräuchlich,26 doch ein umgangenes Gesetz ist nicht ersichtlich. Auch im obigen Beispiel des Arbeitgebers, der den Arbeitnehmer wegen einer einmaligen Verspätung um wenige Sekunden abmahnt, liegt keine Gesetzesumgehung vor. Gleichwohl wird sich stets irgendeine „ergangene“, also zu Unrecht angestrebte Rechtsposition identifizieren lassen. Denn der institutionelle Rechtsmissbrauch wird ja mit einem bestimmten Ziel begangen. So will der rechtsmissbräuchlich abmahnende Arbeitgeber vielleicht die Möglichkeit erlangen, zu einem späteren Zeitpunkt leichter eine Kündigung auszusprechen. Der Vorbehaltseigentümer verspricht sich durch den Besitz der Sache einen Vorteil. Diese Zwecke würde man aber nicht als Gesetzesumgehung bezeichnen, weil gar kein umgangener oder ergangener Rechtssatz erkennbar ist. Das Argument der Gesetzesumgehung erfüllt nur dann einen Sinn, wenn sich durch Verweisung auf ein konkretes umgangenes Gesetz die Wertung, die zur Aberkennung von Rechtspositionen führt, nachvollziehbarer begründen lässt. 2.  Überschneidung von Umgehung und Rechtsmissbrauch Wie oben bereits dargelegt,27 gibt es aber einige Fälle der Umgehung und entsprechend der „Ergehung“ von Rechtsnormen, die eine Rechtsfortbildung ex­tra legem erfordern. Dann sind sämtliche Methoden der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung in Betracht zu ziehen – darunter auch das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs.28 Die rechtsmissbräuchliche Umgehung existiert als spezieller Fall, in dem sich Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch überschneiden. Durch das gemeinsame Merkmal des Verstoßes gegen Ziele der Rechtsordnung ist eine solche Überschneidung auch nicht fernliegend. Dennoch handelt es sich um einen sehr kleinen Ausschnitt der Fälle, die als Gesetzesum- oder -ergehung bezeichnet werden, und auch nur um einen Teilbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Zwar ist es möglich, dass eine Norm umgangen wird, indem

26 

BGH, Urteil v. 21. 05. 1953 – VI ZR 192, 52, NJW 1953, 1099. Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 2. 28 Ebenso Mader, S. 141 f. 27 

118

1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

ein Rechtsinstitut, z. B. ein Vertrag oder die Ehe, missbräuchlich genutzt wird.29 Eine Lösung über das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs kommt aber nur in Betracht, wenn eine analoge Anwendung oder teleologische Extension der umgangenen Norm ausnahmsweise ausscheidet, etwa weil die Rechtsfolgen trotz Ähnlichkeit der Sachverhalte unpassend sind oder weil eine generelle Erstreckung auf die gesamte Gruppe vergleichbarer Fälle unbillig erscheint und stattdessen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen. Eine Fallgruppe, die nach Ansicht des BAG als Gesetzesumgehung durch institutionellen Rechtsmissbrauch einzuordnen ist, ist die Kettenbefristung von Arbeitsverträgen zur Umgehung eines Dauerarbeitsverhältnisses. Statt einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsleistung ständig benötigt wird, unbefristet einzustellen, beruft sich der Arbeitgeber auf einen sachlichen Grund i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG, dessen tatsächliche Voraussetzungen im Betrieb dauernd vorliegen, und schließt mit dem Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum immer nur befristete Arbeitsverträge. Das BAG hält dies grundsätzlich für zulässig, sieht darin nach einer bestimmten Gesamtdauer und/oder Anzahl von Arbeitsverträgen aber einen institutionellen Rechtsmissbrauch, der zur Unwirksamkeit der Befristung und zur Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses führt.30 Ob dieser Lösungsweg des BAG methodisch überzeugend ist, wird noch genauer zu untersuchen sein.31

B.  Prüfungsreihenfolge Im nächsten Schritt ist zu klären, wie man in der Fallprüfung vorzugehen hat, wenn sowohl eine Gesetzesumgehung als auch ein institutioneller Rechtsmissbrauch in Frage kommen. Allein aus dem Aliud-Verhältnis zwischen Gesetzes­ umgehung und institutionellem Rechtsmissbrauch kann man noch keine Schlüsse darauf ziehen, welches von beiden zuerst zu prüfen ist. Fest steht nur, dass keine gemeinsame Prüfung erforderlich ist.32 Daher ist über die richtige Verortung im Gutachten oder in der gerichtlichen Entscheidung nachzudenken.

29 

Keller, S. 12. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382; v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354; v. 10. 02. 2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617, 620; grundlegend Urteile v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09 und 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1351 bzw. NZA 2012, 1359. 31  Ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 32  Vgl. Gliederungspunkt § 4 A. II. 1. 30 St.

B.  Prüfungsreihenfolge

119

I.  Vorgehensweise in Literatur und Rechtsprechung In der Literatur wird nur selten erörtert, ob die Gesetzesumgehung oder der Rechtsmissbrauch in der Falllösung Vorrang hat. Da die h. M. die Gesetzesumgehung nicht als eigenständig zu prüfende Rechtsfigur auffasst, ist das nur folgerichtig. Aus den wenigen Stellungnahmen zu dieser Frage ergibt sich ein zwiespältiges Bild: Benecke vertritt die Ansicht, dass das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs vorrangig zu prüfen sei.33 Er sei das weitergehende Institut mit den engeren Voraussetzungen, so dass es auf eine Umgehung des Gesetzes nicht mehr ankomme, wenn ein Missbrauch der ergangenen oder umgangenen Norm vorliege. Die Rechtsfolge sei in beiden Fällen dieselbe. Gernhuber34 und Honsell35 kritisieren demgegenüber, dass die Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs in der richterlichen Praxis gern zu früh bemüht werde, da die Fälle oft schon durch teleologische Interpretation oder teleologische Reduktion gelöst werden könnten. Auch Heeder meint, dass die Umgehung als Auslegungsproblem dem Rechtsmissbrauch methodisch vorgelagert sei.36 Zu Recht weist Benecke darauf hin, dass in der Rechtsprechung häufig nur der institutionelle Rechtsmissbrauch geprüft wird.37 Selbst wenn die Umgehung einer Norm in Betracht kommt, werden andere Methoden bei der Falllösung in der Regel nicht angesprochen.38 Wie bereits erwähnt, nimmt das BAG neuerdings aber ausdrücklich eine sogenannte „Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle (§ 242 BGB)“39 vor, was auf eine gemeinsame Prüfung von Rechtsmissbrauch und Umgehung hinweist. Sofern Gerichte allerdings Gesetzes­ umgehung und Rechtsmissbrauch in derselben Entscheidung getrennt voneinander thematisieren, prüfen sie die Voraussetzungen der Gesetzesumgehung soweit ersichtlich immer vor jenen des Rechtsmissbrauchs.40

33 

Benecke, S. 50 und S. 148. JuS 1983, 764, 766. 35  In: FS Mayer-Maly, S. 379 ff. 36  Heeder, S. 115. 37  Benecke, S. 148 f. 38 Z. B. BAG, Urteil v. 11. 05. 1993 – 1 AZR 649/92, BAGE 73, 141; KG, Urteil v. 20. 04. 1972 – 8 U 1831.71, OLGZ 1973, 1, 2 ff. 39  BAG, Urteil v. 15. 02. 2017 – 7 AZR 143/15, juris (Rn. 30); v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; v. 09. 12. 2015 – 7 AZR 117/14, NZA 2016, 552, 556; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840. 40  BGH, Urteil v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, BB 2012, 2455, 2457 f.; v. 16. 03. 2009 – II ZR 302/06, BB 2009, 1318, 1319 f. 34 

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1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

II.  Ergebnis der dogmatischen Einordnung 1.  Präzisierung der Fragestellung Die Frage, ob eine Gesetzesumgehung vor oder nach einem institutionellen Rechtsmissbrauch zu prüfen ist, ist unter Berücksichtigung der bisherigen Erkenntnisse bereits falsch gestellt. Strenggenommen kann von einer „Prüfung der Gesetzesumgehung“ nämlich keine Rede sein, weil sie keine eigenständige Rechtsfigur mit konkreten Voraussetzungen und Rechtsfolgen ist. Es handelt sich um einen Sammelbegriff für Fälle mit „Manipulationsverdacht“41, in denen gesetzliche Rechtsfolgen offenbar gezielt vermieden werden sollen. Zur Lösung solcher Fälle können sämtliche Methoden eingesetzt werden, darunter auch das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Richtigerweise müsste man also fragen: In welcher Reihenfolge sind bei Sachverhalten mit Umgehungsverdacht die in Betracht kommenden Methoden auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen und an welcher Stelle kann das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs zum Zuge kommen? In eindeutigen Fällen des institutionellen Rechtsmissbrauchs ohne um- oder ergangene Norm kann natürlich direkt auf diese Rechtsfigur zurückgegriffen werden. 2.  Richtige Prüfungsreihenfolge Nach der Methodenlehre muss sich die Lösung jedes Rechtsfalls so nah wie möglich am Gesetz orientieren.42 Die Auslegung hat deshalb Vorrang vor der Rechtsfortbildung. Wie oben dargestellt,43 können Fälle der Gesetzesumgehung nur selten durch extensive Auslegung gelöst werden. Dennoch ist zunächst zu prüfen, ob der Gesetzeswortlaut bei weitestem Verständnis auch den potentiellen Umgehungssachverhalt umfassen kann. Im nächsten Schritt ist zu überlegen, ob eine Methode der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung zur Falllösung geeignet ist. Umgehungsfälle lassen sich in der Regel durch analoge Anwendung der umgangenen Vorschrift lösen. Wird eine vorteilhafte Regelung zu Unrecht „ergangen“, so kann dem meist durch eine teleologische Reduktion abgeholfen werden. Die große Mehrheit der Umgehungsfälle findet im Bereich der gesetzes­ immanenten Rechtsfortbildung also bereits eine Lösung. Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung darf schließlich nur in Betracht gezogen werden, wenn die Unmöglichkeit einer den praktischen Anforderungen gerecht werdenden Lösung im Wege gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung – also durch Analogie oder teleologische Reduktion – außer Zweifel steht.44 In 41 

Sieker, S. 45. BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 292. 43  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. II. 2. 44  Larenz, S. 426; Dommermuth-Alhäuser, S. 105; Fleischer, JZ 2003, 865, 870. 42 

B.  Prüfungsreihenfolge

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Umgehungsfällen ist ein Rückgriff auf Methoden der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung daher nur in wenigen Ausnahmefällen erforderlich und zulässig. Die Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch wurde oben als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung qualifiziert.45 Deshalb darf sie nur zum Einsatz kommen, wenn Auslegung, Analogie und teleologische Reduktion nicht anwendbar sind oder nicht zu einem tragbaren Ergebnis führen.46 Der Auffassung von Benecke, dass der institutionelle Rechtsmissbrauch vorrangig zu prüfen sei,47 ist damit zu widersprechen. Sie mag in der Praxis zu einer sachgerechten Lösung führen, wenn ein Rechtsmissbrauch im Ergebnis bejaht wird. Allerdings entfernt sich der Rechtsanwender damit weiter vom Gesetz, als es notwendig und gerechtfertigt ist, wenn auch eine Lösung auf anderem Wege in Betracht käme. Auch die Vorgehensweise des BAG, Umgehung und Rechtsmissbrauch gemeinsam zu prüfen,48 kann nur methodenkonform sein, wenn das Gericht eine mögliche Anwendung anderer Methoden zur Lösung des Umgehungsfalls zuvor ausgeschlossen hat. III.  Auswirkungen der Methodenwahl auf das Ergebnis Die Wahl der richtigen Methode und die Einhaltung der durch die Methodenlehre vorgegebenen Prüfungsreihenfolge sind keineswegs von rein akademischem Interesse. Vielmehr wirkt sich die Vorgehensweise in vielen Fällen auf das Endergebnis aus.49 In der Praxis zeigt sich der erhebliche Einfluss einer abweichenden Methodenwahl auf das Ergebnis insbesondere, wenn man die Rechtsprechung des BAG zu wiederholten Befristungen mit und ohne Sachgrund mit den Resultaten vergleicht, die eine der zivilrechtlichen Dogmatik entsprechende Vorgehensweise erbringt.50 1.  Anwendungsbereich Bereits im Tatbestand zeigt sich ein Unterschied zwischen dem institutionellen Rechtsmissbrauch auf der einen und den sonstigen Methoden zur Lösung von 45 

Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 52 und Rn. 213; Staudinger/Looschelders/ Olzen, § 242 Rn. 350; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Fastrich, S. 50; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 385; Mader, S. 142; Sieker, S. 14. 47  Benecke, S. 50, S. 148. 48  BAG, Urteil v. 15. 02. 2017 – 7 AZR 143/15, juris (Rn. 30); v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; v. 09. 12. 2015 – 7 AZR 117/14, NZA 2016, 552, 556; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840. 49  Peter, RdA 1985, 337, 345. 50  Vgl. Gliederungspunkte § 11 A. III. und C. III. 46  Ebenso

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1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

Umgehungsfällen auf der anderen Seite:51 Wendet man die Methoden der Analogie oder der teleologischen Reduktion an, um eine Umgehung zu verhindern, dann wird der Anwendungsbereich des Gesetzes durch eine allgemein formulierte Regelung für eine ganze Gruppe ähnlich gelagerter Fälle entgegen dem Wortlaut ausgeweitet oder eingeschränkt. Eine Lösung über das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs verlangt dagegen bereits auf Tatbestandsseite eine Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Hier kann kein genereller Missbrauchstatbestand für alle Fälle mit bestimmten Merkmalen formuliert werden.52 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist als Notbehelf für außergewöhnliche Sachverhalte angelegt; zur Lösung typischer Fallkonstellationen eignet es sich nicht. Selbst wenn eine der vom BGH entwickelten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs einschlägig ist, gilt dies nur als Indiz für einen Rechtsmissbrauch, das eine Einzelfallprüfung nicht entbehrlich macht.53 Indem der Rechtsanwender nicht alle Fälle mit ähnlichen Sachverhalten, sondern nur ausgewählte Einzelfälle sanktioniert, ergibt sich in Umgehungsfällen durch die alleinige Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs ein engerer Anwendungsbereich.54 In der Praxis verstärkt sich dieser Effekt weiter,55 weil derjenige, der sich auf einen Rechtsmissbrauch der Gegenseite beruft, erst einmal hinreichend viele Indizien für ein missbräuchliches Verhalten darlegen und gegebenenfalls beweisen muss.56 In seinen Entscheidungen zur wiederholten sachgrundlosen Befristung bei formell unterschiedlichen, aber zusammenwirkenden Vertragsarbeitgebern57 lehnt das BAG eine erweiternde Auslegung des Arbeitgeberbegriffs in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ab.58 Vor der Prüfung eines Rechtsmissbrauchs hätte es allerdings die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 51 Ähnl.

Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 379 und S. 385. Zutreffend BGH, Urteil v. 23. 02. 2016 – VIII ZR 321/14, juris: Das Aufstellen einer allgemeinen Regel, dass ein bestimmtes Verhalten immer rechtsmissbräuchlich sei, weil es gegen das Ziel einer Rechtsnorm verstößt, läuft auf eine analoge Anwendung dieser Norm hinaus. 53 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 206 f. 54  Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120. 55 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 207; Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120; vom Stein, NJW 2015, 369, 373. 56  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 50); v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426. 57  Ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 C. I. 58  BAG, Urteil v. 24. 02. 2016 – 7 AZR 712/13, NZA 2016, 758, 759; v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, juris (Rn. 24); v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 429; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1216; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147; v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443, 444. 52 

B.  Prüfungsreihenfolge

123

TzBfG auf eine abgrenzbare, vom Wortlaut nicht erfasste Fallgruppe erörtern müssen. Denkbar wäre eine analoge Anwendung des Vorbeschäftigungsverbots beispielsweise auf Fälle, in denen die erneute Befristung zwar nicht denselben Arbeitgeber, aber denselben Konzern und/oder denselben Arbeitsplatz betrifft59 oder auf Gemeinschaftsbetriebe, in denen die Arbeitgeberfunktion durch eine einheitliche Leitung ausgeübt wird60. Auf diese Weise würde ein größerer Anteil möglicher Umgehungsfälle von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG erfasst. Die Ablehnung einer Analogie für die gesamte Fallgruppe hätte das BAG zunächst begründen müssen, statt unmittelbar auf das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs im Einzelfall zurückzugreifen. 2.  Eingriffsschwelle Ein wesentlicher Unterschied zwischen Analogie und teleologischer Reduktion auf der einen sowie Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs auf der anderen Seite liegt in der Höhe der Eingriffsschwelle. Die Methoden der gesetzes­ immanenten Rechtsfortbildung sind immer dann anwendbar, wenn das Ergebnis der Auslegung unbillig erscheint. Diese Unbilligkeit folgt ohne weiteres aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn zwei Sachverhalte nach dem Gesetzeswortlaut ungleich zu behandeln sind, obwohl sie sich in allen rechtlich wesentlichen Punkten gleichen. Wird eine Ähnlichkeit in allen nach dem Gesetzeszweck relevanten Merkmalen bejaht, so ist nicht die analoge Anwendung der umgangenen Norm begründungsbedürftig, sondern ihr Unterlassen, das allenfalls mit einem besonderen Bedürfnis nach Rechtssicherheit gerechtfertigt werden kann.61 Die Eingriffsschwelle bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung liegt dagegen deutlich höher. Eine Rechtsfortbildung extra legem erfordert besonders schwerwiegende Gründe.62 Dementsprechend ist auch der Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs nach einhelliger Ansicht auf besonders gelagerte Ausnahmefälle zu beschränken.63 Es genügt nicht, dass das Ergebnis der Gesetzesanwendung bloß unbillig ist; nur bei „grob und unerträglich empfunde59  In diese Richtung auch Greiner, NZA 2014, 284, 286, der eine „extensive Auslegung des Vorbeschäftigungsverbots“ vorschlägt. 60  BAG, Beschluss v. 11. 02. 2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618; Schönhöft/Lermen, BB 2008, 2515, 2516; Hamann, S. 44. 61  Canaris, S. 183 f. 62  Larenz, S. 376; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961; Zippelius, S. 57. 63  BAG, Urteil v. 28. 05. 2014 – 7 AZR 360/12, NZA 2015, 1131, 1136; BeckOK BGB/ Sutschet, § 242 Rn. 2; Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 2 u. 6, Rn. 104; MüKoBGB/ Schubert, § 242 Rn. 208; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 219; Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 158; Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 385; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 154; Benecke, S. 48; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 7 e), S. 117; Wieacker, S. 42.

124

1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

ner Unbilligkeit“64 können Rechtspositionen beschränkt werden. Ein „Überspringen“ der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung führt deshalb zu dem Resultat, dass nur besonders drastische Einzelfälle der Gesetzesumgehung unterbunden werden. Das Ziel des Gesetzes wird nicht mehr vollumfänglich verwirklicht. 3.  Rechtsfolgen Schließlich unterscheiden sich die Methoden der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung und das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs auch in ihren Rechtsfolgen. Wird ein Umgehungsfall durch Analogie oder teleologische Extension gelöst, so ist die Rechtsfolge eindeutig: Die vermeintlich umgangene Norm wird angewandt; ihre unliebsamen Rechtsfolgen treten ein. Das Urteil des institutionellen Rechtsmissbrauchs führt dagegen für sich genommen nur zu der Rechtsfolge, dass das missbrauchte Recht nicht ausgeübt werden kann, ohne dabei einen Maßstab für die weiteren, im Verhältnis der Parteien eintretenden Rechtsfolgen zu bieten.65 Wird zugleich eine Gesetzesumgehung festgestellt, kann die umgangene Norm dem Rechtsanwender dennoch einen Fingerzeig geben, welche Rechtsfolge nach den Zielen des Gesetzes angemessen sein könnte. Diese Rechtsfolge kann bisweilen schlicht übernommen werden.66 So macht es das BAG bei der als rechtsmissbräuchlich eingestuften Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots durch miteinander verbundene Arbeitgeber, indem es die zeitlich letzte sachgrundlose Befristung für unwirksam erklärt.67 Die Rechtsfolge kann aber auch an besondere Merkmale des Umgehungsgeschäfts angepasst werden.68 Den Interessen des Arbeitnehmers eher dienlich und vielleicht sogar europarechtlich geboten69 wäre ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Inhaber desjenigen Betriebs, in dem sich der Arbeitsplatz befindet. Weil in Fällen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung eine große Freiheit bei der Wahl der angemessenen Rechtsfolgen herrscht, ist jede Rechtsfolge methodisch zulässig, die überzeugend mit Wertungen der Gesamtrechtsordnung begründet werden kann.70 Deshalb verschafft sich der Rechtsanwender eine erhebliche Gestaltungsfreiheit auf der Rechtsfolgenseite, wenn er die Methoden der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung übergeht und sofort auf das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu sprechen kommt. 64 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 221; Benecke, S. 48. 65  Gernhuber, in: FS Schmidt-Rimpler, S. 159; Römer, S. 58; Sieker, S. 15. 66  Benecke, S. 195; Römer, S. 58. 67  BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1216 f. 68  Benecke, S. 195, spricht von einem „teleologischen Analogieschluss“. 69  Greiner, NZA 2014, 284, 287. 70 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 203.

B.  Prüfungsreihenfolge

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4.  Rechtssicherheit Bei Analogie und teleologischer Reduktion wird im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung quasi eine neue Regelung aufgestellt, die das Ziel der umgangenen oder ergangenen Norm umfassender verwirklicht. Wird diese Rechtsfortbildung allgemein anerkannt, ermöglicht sie eine ebenso zuverlässige Subsumtion wie die gesetzliche Vorschrift selbst. Anders verhält es sich beim Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs, das stets eine Einzelfallbetrachtung verlangt. Geringste Abweichungen im Sachverhalt können dazu führen, dass ein Fall im Ergebnis anders beurteilt wird als ein früherer, in den meisten Merkmalen identischer Fall. Zudem stellt sich in jedem Einzelfall die Frage, ob die Eingriffsschwelle erreicht ist, ob das Ergebnis des Rechtsmissbrauchs also „unbillig genug“ ist. Auch die Rechtsfolgen sind nicht immer zuverlässig vorherzusagen, weil sie ebenfalls von Fall zu Fall variieren können. Die Lösung von Fällen über das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs beeinträchtigt somit die Rechtssicherheit stärker als die Anwendung anderer Methoden.71 In der Praxis ist eine Lösung im Wege des institutionellen Rechtsmissbrauchs daher für beide Seiten nachteilig. Der Arbeitgeber will einerseits lukrative Gestaltungsmöglichkeiten nicht ungenutzt lassen, andererseits aber das Risiko unwirksamer Gestaltungen vermeiden. Den Arbeitnehmer trifft ein erhebliches Prozessrisiko, wenn er gegen einen (vermeintlichen) Rechtsmissbrauch vorgehen will. Beispielhaft sei hier an die Rechtsprechung des BAG zur Kettenbefristung in Vertretungsfällen72 erinnert, wo nach mehreren Entscheidungen immer noch unklar war, ob in einem bestimmten Fall bereits die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschritten ist oder nicht. Prognosen waren kaum möglich,73 so dass es sich für beide Seiten immer wieder lohnte, den Weg durch die Instanzen zu gehen. Das wiederum führte zu zusätzlicher Arbeitsbelastung für die Gerichte. Das BAG hat mittlerweile mit der Angabe relativ fester Höchstgrenzen reagiert,74 die der Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs als Korrektiv im Einzelfall aber dogmatisch widersprechen.

71 In diese Richtung auch Esser, in: Summum ius, S. 24; Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961. 72  BAG, Urteile v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 41/15 und 7 AZR 342/14, juris; v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354; v. 29. 04. 2015 – 7 AZR 310/13, NZA 2015, 928, v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1359; v. 25. 03. 2009 – 7 AZR 34/08, NZA 2010, 34; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 73  Baumgarten, BB 2016, 885. 74  BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382.

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1. Teil: § 4  Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

C.  Ergebnisse • Nach zivilrechtlichem Verständnis stehen Gesetzesumgehung und (institutioneller) Rechtsmissbrauch in einem Aliud-Verhältnis. Während die Gesetzes­ umgehung als nicht in der Methodenlehre verortete Sammelbezeichnung für Fälle mit „Manipulationsverdacht“75 dient, handelt es sich beim Verbot des Rechtsmissbrauchs um eine eigenständige Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, die eine Gesetzeskorrektur in atypischen Einzelfällen erlaubt. • Jede Rechtsfindung muss sich so nah wie möglich am Gesetz orientieren. Auch in Umgehungsfällen müssen deshalb die Methoden der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung – vor allem Analogie und teleologische Reduktion – vorrangig zum Einsatz kommen. Dann verbleiben nur wenige Fälle, die sich sowohl der Gesetzesumgehung als auch dem institutionellen Rechtsmissbrauch zuordnen lassen. • Nach alldem muss sich der Rechtsanwender in Fällen mit Umgehungsverdacht die nachstehenden Fragen in genau dieser Reihenfolge stellen: 1. Kann der vorliegende Sachverhalt bei weitestem Verständnis unter den Wortlaut der möglicherweise umgangenen Rechtsnorm subsumiert werden? 2. Falls nicht, kann der Anwendungsbereich der möglicherweise umgangenen Norm im Wege der Analogie in der Weise ausgedehnt werden, dass eine allgemeine, über den Wortlaut hinausgehende Regel formuliert wird, die auch den vorliegenden Sachverhalt erfasst? 3. Falls nicht, kann die Rechtsfolge der möglicherweise umgangenen Norm dennoch auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt werden, weil die Umstände des Einzelfalls einen Rechtsmissbrauch erkennen lassen? Verlangen die Wertungen der Rechtsordnung eine abweichende Rechtsfolge? Dieselbe Prüfung ist mit „umgekehrten Vorzeichen“ durchzuführen, wenn eine „Gesetzesergehung“ in Betracht kommt. • Wird die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung übergangen und stattdessen sofort ein institutioneller oder individueller Rechtsmissbrauch geprüft, so führt dies zu einem anderen Ergebnis der Rechtsanwendung: ◦ Durch die Einzelfallbetrachtung und die höhere Eingriffsschwelle verengt sich der Anwendungsbereich auf besonders drastische Einzelfälle. Umgehungen, die „nur“ zu einem unbilligen Ergebnis führen, sind entgegen dem Zweck der umgangenen Norm erfolgreich.

75 

Sieker, S. 45.

C.  Ergebnisse

127

◦ Bei der Wahl der Rechtsfolgen hat der Rechtsanwender einen größeren Spielraum. ◦ Entscheidungen, die auf dem Verbot des institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchs beruhen, beeinträchtigen die Rechtssicherheit stärker als die Anwendung von Methoden der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung.

Zweiter Teil

Rechtsprechung der obersten Gerichte zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG 2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

Indem das BAG die Gesetzesumgehung als eigenständige Rechtsfigur auffasst, geht es traditionell einen eigenen Weg. Bevor die Fallgruppen der Umgehung in der Rechtsprechung des BAG im Einzelnen untersucht werden, soll zunächst der Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ dargestellt und bezüglich seiner allgemeinen Voraussetzungen analysiert werden.

A.  Begründung der „objektiven Gesetzesumgehung“ durch eine Leitentscheidung des Großen Senats Grundlegend für die Rechtsprechung des BAG zur Gesetzesumgehung war ein Beschluss des Großen Senats aus dem Jahre 1960 zur Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen.1 Zwar ist der konkrete Inhalt dieser Befristungsrechtsprechung nach Erlass des TzBfG überholt, sie kann jedoch weiterhin zur Interpretation des Gesetzes herangezogen werden.2 Darüber hinaus bilden die in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze das Fundament für die gesamte Judikatur des BAG zur Gesetzesumgehung. Diese Grundsätze werden nach wie vor angewandt, wenn Kündigungsschutzvorschriften durch Gestaltungen umgangen werden sollen, die nicht in den Anwendungsbereich des TzBfG fallen. Auch auf die Umgehung anderer Rechte des Arbeitnehmers hat das BAG sie übertragen. Deshalb ist eine Betrachtung dieser Entscheidung sinnvoll, um den Umgang des BAG mit Umgehungsfällen und die dabei im Zeitverlauf auftretenden Entwicklungen und Veränderungen nachvollziehen zu können.

1  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59 (3 AZR 65/56), BAGE 10, 65 = NJW 1961, 798 = AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16. 2 MüArbR/Wank, § 95 Rn. 8; Benecke, S. 197.

A.  Begründung der „objektiven Gesetzesumgehung“

129

I.  Sachverhalt Dem Beschluss des Großen Senats3 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war als Schreibkraft mit tariflicher Bezahlung bei dem Beklagten beschäftigt. Nach dem Anstellungsvertrag war das Arbeitsverhältnis vom 01. 10. 1954 bis zum 31. 03. 1955 wegen ungewisser Haushaltslage im Folgejahr befristet. Im Januar 1955 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie schwanger sei. Daraufhin lehnte der Beklagte eine Weiterbeschäftigung nach Befristungsende wegen fehlender Haushaltsmittel ab. Andere befristet eingestellte Arbeitnehmer wurden jedoch auf Planstellen weiterbeschäftigt. Zudem stellte der Beklagte zum 01. 04. 1955 fünf neue Schreibkräfte zu einem niedrigeren Tariflohn ein. Der Große Senat sollte nach einer Vorlage des Dritten Senats beantworten, ob ein befristeter Arbeitsvertrag rechtsunwirksam ist, wenn keine besonderen Gründe für eine Befristung sprechen. Außerdem wollte der Dritte Senat wissen, ob der Arbeitgeber zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Befristungsende verpflichtet ist, wenn eine Arbeitnehmerin während der Befristung schwanger wird und eine Weiterbeschäftigung ihm möglich und zumutbar ist. II.  Rechtlicher Hintergrund Die Frage nach der Zulässigkeit von Befristungen war für die Praxis deshalb so bedeutsam, weil die gesetzlichen Regelungen zum Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen zu jener Zeit widersprüchlich waren.4 Einerseits galt ein ausgeprägter Kündigungsschutz. Am 14. 08. 1951 war das KSchG5 in Kraft getreten, womit „eine neue Stufe der Entwicklung des Kündigungsrechtes erreicht“6 war. Daneben war ab 1950 sukzessive ein gesetzlicher Kündigungsschutz für besondere Personengruppen entstanden, z. B. für Schwerbehinderte7, Schwangere8, Heimkehrer9, Mitglieder von Betriebsräten und Personalvertretungen10. Für Befristungen dagegen gab es nur eine einzige gesetzliche Regelung. § 620 Abs. 1 BGB11 lautete wie heute: „Das Dienstverhältnis endigt mit dem Ablaufe der Zeit, für die es eingegangen ist.“ In Verbindung mit dem Grundsatz der Vertragsfrei3 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960, a. a. O. § 95 Rn. 5. 5  BGBl. I v. 13. 08. 1951, S. 499. 6  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 7  § 14 SchwbG, BGBl. I v. 18. 06. 1953, S. 389. 8  § 9 MuSchG, BGBl. I v. 30. 01. 1952, S. 59. 9  § 8 HeimkehrerG, BGBl. I v. 26. 06. 1950, S. 221. 10  § 15 KSchG. 11  RGBl. 1896, S. 195 ff. 4 MüArbR/Wank,

130

2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

heit legte dieser Gesetzeswortlaut nahe, dass eine Befristung von Dienst- und damit auch Arbeitsverträgen ohne Beschränkungen möglich sei. In der Literatur und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass dieses Ergebnis nicht zutreffen könne. Zum Teil wurde die Kettenbefristung von Arbeitsverträgen als Problem der Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften betrachtet.12 Wie oben beschrieben,13 befand sich das Verständnis der Gesetzesumgehung zu jener Zeit mitten in einem Umbruch, weg von einer Betrachtung als eigenständige Rechtsfigur und hin zu einer Frage der Gesetzesgeltung über den Wortlaut hinaus. Das Reichsarbeitsgericht hatte in seiner ständigen Rechtsprechung zu Kettenarbeitsverträgen vertreten, dass eine Befristung nur unwirksam sei, wenn der Arbeitgeber ausschließlich in der Absicht handelt, den gesetzlichen Kündigungsschutz zu umgehen.14 Mittlerweile war jedoch umstritten, ob eine Umgehungsabsicht tatsächlich erforderlich15 oder angesichts eines objektiven Verstoßes gegen den Gesetzeszweck entbehrlich sei16. Daneben gab es andere dogmatische Ansätze zur Begrenzung von Befristungen. So sollte nach Alfred Hueck eine sachgrundlose Befristung zu einer Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht führen.17 Der Zweite Senat des BAG hatte in zwei früheren Entscheidungen eine Begrenzung der Zulässigkeit von Kettenbefristungen18 und einmaligen sachgrundlosen Befristungen19 aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitet. Molitor dagegen hielt eine Kettenbefristung nur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für unwirksam, wenn der Arbeitnehmer wegen mehrfacher Verlängerung des Arbeitsvertrages auch für die Zukunft stets mit weiteren Verlängerungen rechnen konnte.20

12  LAG Niedersachsen v. 17. 12. 1952 – Sa 594/52, BB 1953, 235; Bötticher, BB 1955, 673, 674. 13  Vgl. Gliederungspunkt § 2 B. 14  RAG, Urteil v. 05. 01. 1938 – RAG. 181/37, ARS 32, 174, 176; v. 02. 07. 1932 – RAG. 186/32, ARS 16, 66; v. 10. 09. 1931 – RAG. 136/31, ARS 13, 42. 15  A. Hueck, RdA 1953, 85, 86; Kegel, ÖJZ 1958, 15. 16  LAG Niedersachsen v. 17. 12. 1952 – Sa 594/52, BB 1953, 235; Bötticher, BB 1955, 673, 674; Römer, S. 46. 17  A. Hueck, RdA 1953, 85, 87; ebenso Nikisch, BB 1955, 197; krit. Molitor, BB 1954, 504. 18  BAG, Urteil v. 21. 10. 1954 – 2 AZR 25/53, juris (Rn. 20). 19  BAG, Urteil v. 21. 10. 1954 – 2 AZR 40/53, juris (Rn. 8). 20  Molitor, BB 1954, 504, 505; neuerdings in dieselbe Richtung Schlachter, in: FS Wank, S. 509 ff.

A.  Begründung der „objektiven Gesetzesumgehung“

131

III.  Entscheidung des Großen Senats Der Große Senat stellte die Frage in den Mittelpunkt, ob die Arbeitsvertragsparteien die Rechtsform des befristeten Arbeitsvertrages verwenden dürfen, wenn sie dadurch zwingende Bestimmungen des Kündigungsrechts umgehen.21 Damit folgte er im Ansatz der Linie des Reichsarbeitsgerichts. Allerdings vertrat er dann die Theorie der objektiven Gesetzesumgehung, die von Nipperdey, zur Zeit des Beschlusses Präsident des BAG und mithin nach § 45 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 2 ArbGG Vorsitzender des Großen Senates, zuvor bereits in seinem Lehrbuch vertreten worden war.22 Der Große Senat definierte die Gesetzesumgehung folgendermaßen: „Eine Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden. […] Dabei kommt es entgegen der früher viel vertretenen Ansicht […] nicht auf eine Umgehungsabsicht oder eine bewußte Mißachtung des zwingenden Rechtssatzes an. Entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Der Große Senat folgt in dieser Rechtsfrage der objektiven Theorie […]. Die Durchsetzung von Sinn und Zweck einer unabdingbar gestalteten Rechtsnorm gebietet es, ihre Umgehung auch dort zu vereiteln, wo es an einer Umgehungsabsicht oder einem Bewußtsein der Umgehung fehlt. Mit der Autorität der Rechtsordnung ist es nicht zu vereinbaren, daß zwingenden Regeln durch sie umgehende Vereinbarungen auch nur objektiv zuwider gehandelt wird, selbst wenn diese den Schein des Rechtes wahren.“23

Anhand einer Gesamtbetrachtung aller Regelungen zum Kündigungsrecht stellte das BAG ein grundsätzliches Ziel der Rechtsordnung fest, „dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu erhalten, das freie Kündigungsrecht des Arbeitgebers zu begrenzen und zwingend in bestimmten Formen zu regeln.“24 Dieser Schutz lasse sich aber nicht schlechthin auf befristete Arbeitsverhältnisse ausdehnen, nachdem der Gesetzgeber in Kenntnis des § 620 BGB darauf verzichtet habe. Im Hinblick auf die Entwicklung des Bestandsschutzes sei die Vertragsfreiheit dennoch einzuschränken. Befristete Arbeitsverhältnisse seien nicht unzulässig, bedürfen aber eines sachlichen Grundes. Dieser könne sich aus den wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnissen der Parteien oder einer Partei ergeben. Ein sachgrundlos befristeter Arbeitsvertrag sei objektiv funktionswidrig, weil er den Arbeitnehmer des Bestandsschutzes für sein Arbeitsverhältnis beraube. Dann seien eine Umgehung des Gesetzes und ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. Das formelle Recht zur Befristung von Arbeitsverträgen müsse seine innere Schranke darin finden, von ihm nur einen vernünfti21 

Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. Enneccerus-Nipperdey, § 190 III., S. 819; ebenso Vetsch, S. 217. 23  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798 f. 24  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 22 

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

gen, sachlichen, den allgemeinen Zwecken der Rechtsordnung entsprechenden Gebrauch zu machen. Andernfalls könne sich der Arbeitgeber nicht auf die Befristung berufen. Dabei hielt es der Große Senat für bedeutsam, dass Schrifttum und Rechtsprechung diese Grundauffassung jedenfalls im Ergebnis teilten. Einen Sachgrund wollte das BAG beispielsweise annehmen bei Probe- und Aushilfsarbeitsverhältnissen, Arbeitsverhältnissen im Saisongewerbe und im Baugewerbe, Verträgen mit Künstlern oder Befristungen auf Wunsch des Arbeitnehmers. Ohne sachliche Gründe für eine Befristung liege objektiv eine Umgehung zwingender Kündigungsschutzvorschriften vor, falls solche für das Arbeitsverhältnis in Betracht kommen. Zu den Rechtsfolgen einer Gesetzesumgehung führte der Große Senat aus: „Diese Gesetzesumgehung führt grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrages überhaupt. Es handelt sich bei den umgangenen Kündigungsbestimmungen um Schutzvorschriften zu Gunsten der Arbeitnehmer. Ihr Zweck und damit die Vereitelung der Umgehung wird dadurch erreicht, daß die umgangene Norm auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet, d.h., daß anstelle des befristeten Arbeitsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Dauer tritt, auf das die (umgangenen) Kündigungsschutzbestimmungen zur Anwendung gelangen.“25

Weil eine Vermutung für die Rechtswirksamkeit von Befristungen spreche, müsse der Arbeitnehmer das Fehlen sachlicher Gründe darlegen und prima facie beweisen. Liegen sachliche Gründe vor, so sollen nachträgliche Ereignisse wie der Eintritt einer Schwangerschaft die Wirksamkeit der Befristung nicht mehr erschüttern könne. Da die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers mit dem Arbeitsverhältnis ende, können sie keine Weiterbeschäftigungspflicht begründen. Die Berufung auf eine wirksame Befristung sei schließlich auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig. In der Folgezeit blieb das BAG bei seinem Verständnis der objektiven Gesetzesumgehung und verwendet auch in einigen neueren Entscheidungen die oben zitierte Definition fast unverändert, wenn das Vorliegen einer Umgehung geprüft wird.26 Demgegenüber nutzen die obersten Gerichte der anderen Rechtszweige den Begriff der Gesetzesumgehung heute allenfalls noch als Argument für eine bestimmte Auslegung oder Rechtsfortbildung.27 Deshalb kann man diese Prüfung des „Tatbestandes der Gesetzesumgehung“28 mittlerweile mit Recht als Sonderweg des BAG bezeichnen.29 25 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. Z. B. BAG, Urteil v. 24. 02. 2010 – 10 AZR 1038/08, AP GG Art. 3 Nr. 320, Rn. 26; v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205, 1207; v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NJW 2009, 3260, 3261. 27  Zur Umgehungsrechtsprechung anderer oberster Gerichte vgl. Gliederungspunkt § 6. 28  BAG, Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, NZA 1986, 470; v. 03. 05. 1962 – 2 AZR 451/61, NJW 1962, 1587. 26 

B.  Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“

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B.  Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ Der Große Senat stellte in seiner oben wiedergegebenen Leitentscheidung30 die Voraussetzungen der Gesetzesumgehung nicht nur für Befristungsfälle auf, sondern formulierte zugleich einen allgemeinen Tatbestand der objektiven Gesetzesumgehung. Im Folgenden sollen die beiden Tatbestandsvoraussetzungen – Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm und Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – näher betrachtet werden. Damit kann später bei der Betrachtung der einzelnen Fallgruppen der Gesetzesumgehung31 überprüft werden, ob das BAG den vom Großen Senat aufgestellten Prinzipien in seiner weiteren Rechtsprechung treu geblieben ist, wenn es die Figur der Gesetzesumgehung auch in ganz anderen Konstellationen herangezogen hat. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Frage gerichtet, wie sich die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen der objektiven Gesetzesumgehung in die Methodenlehre einfügen.32 29

Wie oben bei der historischen Entwicklung der Gesetzesumgehung aufgezeigt,33 ergab sich um die Mitte des 20. Jhd. ein Richtungswechsel in der Dogmatik. Die ältere, auch vom Reichsarbeitsgericht vertretene Auffassung verlangte für eine Gesetzesumgehung eine zwingende Rechtsnorm, ein wirksames Umgehungsgeschäft und insbesondere eine Umgehungsabsicht.34 Demgegenüber lehnte die damals neuere und heute im deutschen Recht vorherrschende Auffassung, die auch die theoretische Grundlage dieser Arbeit bildet, eine eigenständige Rechtsfigur der Gesetzesumgehung ab und wollte die darunter gefassten Fälle sämtlich durch Auslegung und insbesondere Analogie lösen.35 Das wiederum setzt eine Gesetzeslücke und die Vergleichbarkeit hinsichtlich aller rechtlich wesentlichen Merkmale voraus. Die Entscheidung des Großen Senats36 fiel genau in diese Umbruchphase. Die darin vertretene Position liegt in gewisser Weise in der Mitte und entspricht damit durchaus dem damaligen Stand der Diskussion. Einerseits verzichtete das BAG bereits auf die häufig schwer nachweisbare Umge29  Benecke, S. 195, spricht von einer „Sonderstellung des Arbeitsrechts“ bei der Gesetzesumgehung; Preis, S. 157, sieht eine „ausdehnende und zum Teil abweichende Handhabung des Verbots der Gesetzesumgehung“. 30  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 31  Vgl. Gliederungspunkte § 7 bis § 11. 32  Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. 33  Vgl. Gliederungspunkt § 2 B. 34  RAG, Urteil v. 05. 01. 1938 – RAG. 181/37, ARS 32, 174, 176; v. 02. 07. 1932 – RAG. 186/32, ARS 16, 66; v. 10. 09. 1931 – RAG. 136/31, ARS 13, 42. 35  Teichmann, S. 105; weitere Nachweise vgl. Gliederungspunkt § 2 D. 36  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798.

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

hungsabsicht,37 andererseits ging es noch von einer eigenständigen Rechtsfigur der Gesetzesumgehung aus und prüfte deshalb ebenso wenig die Voraussetzungen einer analogen Normanwendung. Das führte in Teilen des Schrifttums zu der Einschätzung, die Gesetzesumgehung habe in der Rechtsprechung des BAG jede Kontur verloren und könne fast beliebig angenommen werden.38 Als Beleg dafür wird auch angeführt,39 dass das BAG in Einzelfällen sogar darauf verzichtete, ausdrücklich eine konkrete umgangene Norm zu benennen.40 Gleichwohl nannte auch der Große Senat bestimmte Voraussetzungen: „Eine Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden.“41

Im Folgenden soll untersucht werden, ob diese Voraussetzungen zu einer methodisch vertretbaren Rechtsanwendung führen oder ob sie inhaltsleer sind und beliebige Entscheidungen ermöglichen. Außerdem ist zu betrachten, welche Wertungen und Wertungskriterien das BAG bei der Feststellung der Gesetzesumgehung und bei der Bestimmung ihrer Rechtsfolgen für relevant hält. I.  Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm Die Annahme einer Gesetzesumgehung erfordert zunächst eine umgangene Rechtsnorm, deren Zweck vereitelt wird. Unter „Vereiteln“ versteht man laut Duden „etwas, was ein anderer zu tun beabsichtigt, [bewusst] verhindern, zum Scheitern bringen, zunichtemachen“.42 Ein Umgehungsgeschäft verhindert also, dass eine Rechtsnorm ihren Zweck erreicht. Gemeint ist dabei der Zweck der umgangenen Norm (hier z. B. einer Kündigungsschutznorm), und nicht der Zweck der zur Umgehung „missbrauchten“ Norm (hier § 620 BGB), die das BAG als „andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeit“ bezeichnet.43 Ergibt die Auslegung, dass eine Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck eine bestimmte, nicht von ihrem Wortlaut erfasste Gestaltung regeln müsste, dann liegt eine Tatbestandsvermei37  Zum Vergleich: Der BGH hat das Erfordernis der Umgehungsabsicht erst im Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, ausdrücklich aufgegeben. 38  In diese Richtung Benecke, S. 128; Teichmann, S. 55; krit. zum Verzicht auf eine Umgehungsabsicht auch Zimmermann, S. 222. 39  Benecke, S. 128. 40  BAG, Urteil v. 10. 05. 1962 – 5 AZR 452/61, NJW 1962, 1537, 1539. Allerdings hat sich das BAG nur ergänzend auf eine Gesetzesumgehung berufen und hätte mit dem Kündigungsrecht des Arbeitnehmers nach § 622 Abs. 1 BGB oder der Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 GG durchaus umgangene Normen benennen können. 41  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798 f. 42 www.duden.de/rechtschreibung/vereiteln. 43  Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Grotheer, S. 52 f.; Zeiss, S. 65 f.

B.  Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“

135

dung vor. Die erforderlichen Wertungen zur ersten Tatbestandsvoraussetzung, zum Handeln wider den Normzweck, können also durch teleologische Auslegung der umgangenen Norm gewonnen werden. Die Frage, ob diese Tatbestandsvermeidung von der Rechtsordnung akzeptiert wird oder als unzulässige Gesetzes­ umgehung einzustufen ist, ist damit noch nicht beantwortet. Betrachtet man, wie Dörner als damaliger Vorsitzender des für Befristungen zuständigen Siebten Senates in einem Aufsatz die Vorgehensweise als „Suche nach der Umgehungsnorm“44 beschreibt, erkennt man aber auch den erheblichen Spielraum, der dem Rechtsanwender zur Verfügung steht: Will dieser ein bestimmtes Ergebnis mit einer Umgehung des Gesetzes begründen, so kann er sämtliche Rechtsvorschriften nach einem möglicherweise beeinträchtigten Zweck durchsuchen – und wird häufig fündig. Dennoch ist eine vermiedene Norm eine unverzichtbare Mindestvoraussetzung für jede sinnvolle Begrenzung der Umgehungsrechtsprechung. Auch wenn das BAG bei der weiteren Prüfung der Gesetzesumgehung durch Befristungen nicht mehr auf die einzelne umgangene Norm, sondern auf die Gesamtheit der Kündigungsschutzbestimmungen als Bestandsschutz vermittelnde Einheit abstellt, wird in diesem ersten Prüfungspunkt zunächst festgestellt, ob auf das befristete Arbeitsverhältnis überhaupt eine kündigungsbeschränkende Norm anwendbar gewesen wäre. Ist das nicht der Fall, so kann ein Ergebnis nicht mit einer Gesetzesumgehung begründet werden.45 Dementsprechend hielt das BAG eine erstmalige Befristung bis zur Dauer von sechs Monaten ohne sachlichen Grund in der Regel für zulässig, weil für das Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Abs. 1 KSchG noch kein Kündigungsschutz galt, der hätte umgangen werden können.46 In Befristungsfällen ist diese Voraussetzung meist einfach festzustellen. In anderen Konstellationen kann hier aber der Schwerpunkt der Prüfung liegen. Bei einer möglichen Umgehung des § 613a BGB47 ist die entscheidende Frage, ob ein Rechtsgeschäft den Zweck dieser Norm vereitelt. Wird dies bejaht, dann ist die Gestaltung in aller Regel auch missbräuchlich und eine unzulässige Gesetzesumgehung wird bejaht. II.  Missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten Nach dem Beschluss des Großen Senats setzt eine Gesetzesumgehung außerdem voraus, dass „rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwen44 

Dörner, ZTR 2001, 485. Dörner, a. a. O. 46 BAG, Urteil v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris (Rn. 30); v. 25. 02. 1983 – 2 AZR 203/81, juris; v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 208/81, BAGE 41, 381; grundlegend Urteil v. 11. 11. 1982 – 2 AZR 552/81, NJW 1983, 1443. 47  Vgl. dazu Gliederungspunkt § 7 f. 45 

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

det werden“.48 Diese Voraussetzung grenzt die zulässige Tatbestandsvermeidung von der zu verhindernden Gesetzesumgehung ab. 1.  Missbrauch als Verstoß gegen die Ziele der Rechtsordnung Eine Umgehungshandlung als „Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten“ zu bezeichnen, war schon vor dem Beschluss des Großen Senats üblich.49 Man verstand darunter eine Gestaltung, die „von den mit solchem Handeln üblicherweise verbundenen oder im Sinne der Rechtsordnung liegenden Zwecken abweicht und dadurch in ein fremdes Interesse, sei es ein privates oder ein öffentliches des Staates, verletzend oder in einer offenbar gefährdenden Weise eingreift“.50

Bei einer solchen Interessenverletzung könne die vermeintliche Zulässigkeit einer Gestaltung – egal ob diese auf eine konkrete Erlaubnisnorm oder die allgemeine Vertragsfreiheit gestützt werde – den Verstoß gegen den Normzweck nicht rechtfertigen.51 Entscheidend für die Annahme einer Umgehung sei daher, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der beabsichtigte Erfolg insgesamt und nicht nur eine bestimmte Art von Geschäften verhindert werden solle.52 Bereits damals war anerkannt, dass es auch Fälle der nicht missbräuchlichen Tatbestandsvermeidung gibt. Denn das Reichsgericht akzeptierte die besitzlose Sicherungsübereignung,53 obwohl sie bei wirtschaftlicher Betrachtung zu demselben Erfolg führt wie ein Pfandrecht.54 Das damit vermeintlich umgangene Übergabeerfordernis des Pfandrechts nach § 14 EG RKO55 bzw. später nach §§ 1205 Abs. 1, 1206 BGB wurde dennoch nicht analog angewandt, weil es sich bei der Sicherungsübereignung um eine zulässige Nutzung anderer rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten handele.56 Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten wurde erst dann angenommen, wenn nicht nur gegen den Zweck

48 

Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798 f. etwa Riezler (1949), S. 331; Römer (1955), S. 39; ähnl. bereits Pfaff (1892), S. 158 f. 50  Riezler, S. 331; ähnl. Römer, S. 57. 51  Römer, S. 39 ff. 52  Enneccerus-Nipperdey, § 190 III., S. 819. 53  RG, Urteil v. 02. 06. 1890 – Rep. VI 68/90; RGZ 26, 180, 182 f.; v. 10. 01. 1885 – Rep. I 431/84, RGZ 13, 200, 203 f. 54 Jauernig/Berger, § 930 Rn. 20; MüKoBGB/Oechsler, § 930 Rn. 2. 55 Einführungsgesetz zur Konkursordnung für das Deutsche Reich, RGBl. v. 05. 03. 1877, S. 390 ff. 56  RG, Urteil v. 02. 06. 1890 – Rep. VI 68/90; RGZ 26, 180, 182 f.; v. 10. 01. 1885 – Rep. I 431/84, RGZ 13, 200, 203 f. 49 Vgl.

B.  Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“

137

einer Einzelnorm, sondern zugleich gegen die Ziele und Wertungen der Rechtsordnung insgesamt verstoßen wurde. Nach diesem Verständnis, das der Große Senat gekannt und vorausgesetzt haben dürfte,57 soll der Begriff des Missbrauchs „nicht mehr bedeuten als ein allgemeines Unwerturteil“58. Durch die Voraussetzung des Missbrauchs werden diejenigen normzweckwidrigen Handlungen aus dem Bereich der Gesetzesumgehung herausgenommen, mit denen andere, von der Rechtsordnung als legitim anerkannte Ziele – bei der Sicherungsübereignung z. B. die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs – verfolgt werden.59 Die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses betrachtete das BAG als legitim, sofern ein sachlicher Grund dafür vorlag.60 Der Große Senat forderte, die Parteien müssten von dem formellen Recht zur Befristung von Arbeitsverträgen einen „vernünftigen, sachlichen, den allgemeinen Zwecken der Rechtsordnung entsprechenden Gebrauch“61 machen. Die Befristung mit Sachgrund verstößt zwar ebenfalls gegen das durch den Kündigungsschutz verfolgte Ziel des Bestandsschutzes für Arbeitsverhältnisse. Dieser Verstoß war nach Auffassung des BAG aber gerechtfertigt und daher nicht missbräuchlich.62 Warum gerade ein sachlicher Grund das geeignete Kriterium sein soll, eine unzulässige Umgehung des Kündigungsschutzes von einer zulässigen Vermeidung des Kündigungserfordernisses abzugrenzen, wird später noch untersucht.63 2.  Wertungsabhängigkeit des Missbrauchsbegriffs Als Trennlinie zwischen der zulässigen Tatbestandsvermeidung und der unzulässigen Gesetzesumgehung ist der Begriff der missbräuchlichen Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten in hohem Maße von Wertungen abhängig. Aufgabe des Rechtsanwenders ist es, alle maßgeblichen Wertungskriterien zu berücksichtigen und seine Wertungen nachvollziehbar darzustellen. In der Literatur wird teilweise behauptet, dass Befristungen immer zu einer Umgehung des Kündigungsschutzes führen, sobald auf ein Arbeitsverhältnis Kündigungsschutzvorschriften anwendbar wären.64 Das ist aber zu kurz gedacht.65 Unter 57 Auch Zeiss, S. 63, geht davon aus, dass der GS den Begriff des Missbrauchs in diesem Sinne verwendet hat. 58  Westerhoff, S. 122. 59  Westerhoff, S. 123. 60  Grundlegend BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 7 A. I. 1. 61  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 62  Säcker, RdA 1976, 91, 95. 63  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. 64  Grotheer, S. 20 und S. 51; in diese Richtung auch Söllner, SAE 1966, 255. 65 Ebenso Säcker, RdA 1976, 91, 93; Keyser, S. 25.

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

einer Gesetzesumgehung versteht man nicht jede, sondern nur die zu unterbindende, unzulässige, rechtswidrige Tatbestandsvermeidung. Das endgültige Urteil über die (Un-)Zulässigkeit ergibt sich aus einer Betrachtung aller einschlägigen gesetzlichen Wertungen und Wertungskriterien. Denn es besteht die Möglichkeit, dass eine Gestaltung gegen die Ziele einer Norm verstößt, durch andere Wertungen der Rechtsordnung aber gerechtfertigt wird. Betrachtet man ausschließlich den Wortlaut der Regelungen zum Kündigungsschutz, dann hätte das BAG eine Umgehung anwendbarer Kündigungsschutzbestimmungen in der Tat sehr effektiv durch generelles Verbot oder Unwirksamkeit aller Befristungen verhindern können. Allerdings ist der Gesetzeszweck durch sämtliche Auslegungsmethoden zu ermitteln. Für das KSchG als praktisch wichtigste Kündigungsbeschränkung ergibt die historische Auslegung eindeutig, dass eine Erstreckung des Bestandsschutzes auf alle befristeten Arbeitsverhältnisse gesetzgeberisch nicht beabsichtigt war.66 Das KSchG sollte bei Vereinbarung befristeter Arbeitsverhältnisse ausdrücklich nicht gelten, wenn ein „berechtigtes Bedürfnis“ für die Befristung bestehe; der Gesetzesumgehung dürfe die Befristung jedoch nicht dienen.67 Auch für andere Kündigungsvorschriften – im entschiedenen Fall für § 9 MuSchG – entnahm der Große Senat dem Gesetz in systematischer Auslegung zwei gegensätzliche Wertungsansätze: Dem Ziel des Bestandsschutzes durch Kündigungsschutzregelungen stand die dem Wortlaut nach unbegrenzte Vertragsfreiheit bei Befristungen gegenüber.68 Befristungen hatte der Gesetzgeber bewusst nicht in seine Regelungen zum Bestandsschutz einbezogen, obwohl zumindest die Problematik der Kettenverträge allgemein bekannt war. Wenn aber der Gesetzgeber mit der Abfassung des vermeintlich zu engen Wortlauts von Kündigungsschutzbestimmungen bewusst eine dem Zweck dieser Normen an sich widersprechende andere Gestaltungsmöglichkeit eröffnen bzw. erhalten wollte, dann war die unvollständige Zweckverwirklichung nicht planwidrig, eine sich auf den engen Wortlaut und die Vertragsfreiheit berufende Gestaltung nicht per se missbräuchlich. Eine analoge Anwendung der Kündigungsvorschriften auf alle Befristungen hätte bedeutet, diese gesetzgeberische Entscheidung zu ignorieren. Es schien dem Großen Senat darum zu gehen, wertungsmäßig einen Mittelweg zwischen den Extremen des Bestandsschutzes, wie er bei Kündigungen gilt, und der unbegrenzten Vertragsfreiheit zu finden. Diesen sah er in dem Erfordernis eines sachlichen und billigenswerten Grundes für eine Befristung. Die Wertungsabhängigkeit seiner Entscheidung schien dem Großen Senat durchaus bewusst zu sein, wenn er zur Rechtfertigung des Sachgrunderfordernisses abschließend anführte: „Es ist bedeutsam, daß die hier vertretene Grundauffassung 66 

BT-Drs. I/2090, S. 12. BT-Drs. I/2090, a. a. O. 68  So bereits A. Hueck, RdA 1953, 85, 86. 67 

B.  Allgemeiner Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“

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des Großen Senats jedenfalls im Ergebnis – ungeachtet der juristischen Konstruktion – vom bisherigen Schrifttum und von der Rechtsprechung im wesentlichen geteilt wird.“69 Tatsächlich schien der Große Senat mehr um die Transparenz und Akzeptanz seiner Wertungen als um die Offenlegung der angewandten Methoden bemüht zu sein. 3.  Institutioneller Rechtsmissbrauch als Voraussetzung der Umgehung? Die Voraussetzung einer „missbräuchlichen Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten“ wird zum Teil im Sinne eines – meist institutionellen – Rechtsmissbrauchs verstanden, wie er im Zusammenhang mit § 242 BGB erörtert wird.70 In der Literatur wird wegen dieser Verwechslungsgefahr von der Verwendung des Missbrauchsbegriffs im Zusammenhang mit der Gesetzesumgehung abgeraten.71 In späteren Entscheidungen hat auch das BAG teilweise nur noch von einer „objektiv funktionswidrigen“ Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten gesprochen und auf den Begriff des Missbrauchs verzichtet.72 Die oben beschriebene Missbrauchsprüfung des BAG, die nach einem sachlichen Grund als Rechtfertigung für eine bestimmte Vertragsgestaltung fragt, ist bereits inhaltlich nicht identisch mit der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Oben wurde dargelegt, dass der Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs sich auf atypische Sachverhalte beschränkt, durch eine umfassende Interessenabwägung beider Parteien festgestellt wird und auf Fälle extremen Interessenungleichgewichts beschränkt ist.73 Ein Sachgrund kann dagegen schon bejaht werden, sobald eine Partei ein berechtigtes Interesse geltend macht, ohne dass entgegenstehende Interessen der anderen Partei stets berücksichtigt werden müssen. Für eine klare Unterscheidung spricht auch, dass der Große Senat einen Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB zusätzlich zur Gesetzesumgehung prüfte. Denn am Ende der Entscheidung fragte er danach, ob sich der Arbeitgeber auf die – bereits als zulässig und rechtswirksam erkannte – Befristung auch nach Eintritt einer Schwangerschaft berufen dürfe oder ob dies wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig sei und er die schwangere Arbeitnehmerin deshalb doch weiterbeschäftigen müsse.74 Mit dieser „Berufung“ auf eine wirk69 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. Blomeyer, RdA 1967, 406, 407 Fn. 14. und 408; Teichmann, S. 76 f.; für eine Gleichsetzung auch Tamussino, S. 112. 71  Heeder, S. 116. 72  Z. B. BAG, Urteil v. 26. 07. 2000 – 7 AZR 51/99, BB 2000, 2576, 2578; v. 04. 12. 1991 – 7 AZR 84/90, juris (Rn. 20); v. 15. 11. 1989 – 7 AZR 601/88, juris (Rn. 38); v. 24. 02. 1988 – 7 AZR 454/87, NZA 1988, 545, 546; v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 150/87, juris (Rn. 12); v. 26. 03. 1986 – 7 AZR 599/84, NZA 1987, 238, 239. 73  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 1. 74  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 800. 70 

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

same Befristung war aber die Geltendmachung einer Rechtsposition gemeint, die ohne vorwerfbares Verhalten wirksam erworben wurde, nun aber der objektiven Interessenlage widerspricht – mithin ein institutioneller Rechtsmissbrauch. Eine unzulässige, rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine wirksame, folglich nicht missbräuchliche Befristung nahm das BAG später auch in einigen besonders gelagerten Einzelfällen unter Berücksichtigung spezieller Arbeitnehmerinteressen an.75 In Übereinstimmung mit der Methodenlehre prüfte das BAG den institutionellen Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB dabei jeweils erst, nachdem eine Gesetzesumgehung – und mit ihr der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten – bereits verneint worden war. Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten als Voraussetzung jeder Gesetzesumgehung darf in der Rechtsprechung des BAG daher nicht mit dem (institutionellen) Rechtsmissbrauch als Korrektiv in besonders gelagerten Einzelfällen gleichgesetzt werden. Missbräuchlich ist eine Gestaltung bereits dann, wenn der mit ihr verbundene Verstoß gegen den Zweck einer Norm nicht durch andere gesetzliche Wertungen gerechtfertigt ist.

C.  Einordnung in die Methodenlehre Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich die Theorie der objektiven Gesetzesumgehung in die Methodenlehre einfügt. Sind Unterschiede rein sprachlicher Natur oder geht das BAG auch in der Sache einen anderen Weg, der der anerkannten zivilrechtlichen Dogmatik widerspricht? I.  Gesetzesumgehung als Nutzung von Gesetzeslücken Teichmann bezeichnet das Problem der Gesetzesumgehung als „eine Frage der Regelung von Gesetzeslücken“76. Nach seiner im Zivilrecht mittlerweile herrschenden Auffassung nutzt eine Umgehungsgestaltung eine Gesetzeslücke aus, die in aller Regel durch analoge Anwendung der umgangenen Norm geschlossen werden kann. Das wirft die Frage auf, ob sich auch in der Rechtsprechung des BAG die Voraussetzungen einer Gesetzesumgehung mit denen einer Gesetzeslücke decken oder sie umfassen. Unter einer Gesetzeslücke versteht man üblicherweise eine „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“.77 Unvollständig ist das Gesetz, wenn es einen Sachverhalt regelt, dabei einen wertungsgleich erscheinen75  BAG, Urteil v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, NJW 1964, 567; v. 13. 12. 1962 – 2 AZR 38/62, BAGE 14, 11. 76  Teichmann, S. 78. 77 Allg. A.: BAG, Urteil v. 13. 12. 2006 – 10 AZR 674/05, NZA 2007, 751, 752; v. 10. 05. 1989 – 6 AZR 660/87, NZA 1989, 759, 760; BGH, Urteil v. 20. 12. 1996 – V ZR 259/95, ZIP 1997, 242; MüKoBGB/Kindler, VO (EG) 1346/2000 Art. 25 Rn. 14; Richardi/

C.  Einordnung in die Methodenlehre

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den Sachverhalt aber nicht mit erfasst.78 Planwidrigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass der Gesetzgeber nicht deshalb bewusst auf eine Regelung verzichtet hat, weil er einen rechtsfreien Raum erhalten wollte.79 Das BAG prüft zunächst, ob durch eine Gestaltung der Zweck einer Rechtsnorm vereitelt wird. Übersetzt in den Sprachgebrauch der Methodenlehre bedeutet dies, die Rechtsnorm müsste wertungsmäßig eigentlich auch diese Gestaltung erfassen, tut dies ihrem Wortlaut nach aber nicht. Die Voraussetzung der Planwidrigkeit findet man im Missbrauchsgedanken wieder. Wenn der Gesetzgeber eine Fallgruppe gezielt aus dem Anwendungsbereich gesetzlicher Regelungen herausgehalten hat, dann ist die Lücke nicht planwidrig und die Nutzung dieser bewusst eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten nicht missbräuchlich. Stellt das BAG also anhand der Definition des Großen Senats eine Gesetzesumgehung fest, so prüft und bejaht es damit die Voraussetzungen einer Gesetzeslücke. Die Definitionen der Gesetzesumgehung durch Teichmann und durch den Großen Senat unterscheiden sich demnach nur in sprachlicher Hinsicht. Umgekehrt können nicht alle Gesetzeslücken im Arbeitsrecht mit dem Argument der objektiven Gesetzesumgehung erfasst werden, weil zusätzlich zur Lücke eine umgangene Norm erforderlich ist. Beispielsweise ist das Arbeitskampfrecht gesetzlich kaum geregelt,80 ohne dass deshalb bei jeder Arbeitskampfmaßnahme ein Umgehungsverdacht besteht. Denn zusätzlich zur Gesetzeslücke wäre eine umgangene Norm erforderlich, die einen wertungsgleichen Fall regelt. Fehlt es auch daran, so ist aufgrund der Justizgewährungspflicht zwar dennoch eine Ausfüllung der Gesetzeslücke vorzunehmen, das Argument der Gesetzesumgehung kann dabei aber nicht eingesetzt werden. II.  Lösung von Umgehungsfällen durch Rechtsfortbildung Gesetzeslücken werden nach der oben beschriebenen Methodenlehre im Wege der (gesetzesimmanenten oder gesetzesübersteigenden) Rechtsfortbildung geschlossen.81 Wenn die Umgehung also ein Problem lückenhafter Gesetze ist, liegt die Lösung in einer Rechtsfortbildung durch das Gericht. Welche Methode der Rechtsfortbildung nach der Methodenlehre eingesetzt werden kann, hängt von der Art der Lücke sowie von der Verfügbarkeit übertragbarer gesetzlicher Wertungen ab. Der Einsatz einer Methode, deren Voraussetzungen nicht vorliegen, führt zu einem Verstoß des Gerichts gegen „Gesetz und Recht“ i.S.v. Art. 20 Richardi, § 87 BetrVG Rn. 840; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2411; Brodführer, S. 31; Bydlinski, S. 473; Canaris, S. 39; Larenz, S. 373, m. w. N. 78  Larenz, S. 375. 79  Brodführer, S. 41 ff.; Bydlinski, S. 475. 80 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn. 168; MüArbR/Ricken, § 193 Rn. 1. 81  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. und IV.

142

2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

Abs. 3 GG.82 Denn die Methodenwahl bestimmt maßgeblich das Resultat der Rechtsanwendung. Einerseits determiniert sie die Eingriffsschwelle und beeinflusst dadurch die Abgrenzung der erfolgreichen Tatbestandsvermeidung von der zu verhindernden Gesetzesumgehung. Anhand der gewählten Methode und der aus ihr folgenden Eingriffsschwelle werden die Eigenschaften der zu Unrecht vom Gesetzeswortlaut nicht erfassten Fälle und damit die genauen Konturen der Gesetzeslücke definiert. Andererseits wirkt sich die Methode auch auf die in Betracht kommenden Rechtsfolgen einer unzulässigen Umgehung aus. Warum das so ist, zeigen folgende Überlegungen. Teichmann geht davon aus, dass Gesetzeslücken in Umgehungsfällen ausschließlich durch analoge Anwendung der umgangenen Norm zu schließen seien.83 Welche Fälle als Umgehung zu werten sind, ergibt sich damit aus den Voraussetzungen der Analogie, vornehmlich aus der Ähnlichkeit des geregelten Sachverhalts und des Umgehungssachverhalts. Teichmann bildet dazu einen „Ähnlichkeitskreis“84 um die Norm. Fälle, die innerhalb dieses Kreises liegen, sind als unzulässige Umgehung zu werten. Fälle, bei denen eine hinreichende Ähnlichkeit in allen rechtlich wesentlichen Aspekten nicht festgestellt werden kann, gelten als zulässige Tatbestandsvermeidung.85 Aus der Methode der Analogie folgt auch die Rechtsfolge der Gleichstellung. Diese Überlegungen lassen sich auf andere Methoden der Rechtsfortbildung, die ebenfalls zur Lösung von Umgehungsfällen eingesetzt werden können, übertragen. Soweit ersichtlich, sprach Benecke im Jahre 2004 erstmals den Gedanken aus, dass in Umgehungsfällen auch eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung grundsätzlich zulässig und bisweilen erforderlich sei.86 Das führt zu einer anderen Abgrenzung der Umgehungssachverhalte und gegebenenfalls auch zu anderen Rechtsfolgen. Bei einer Lösung im Wege des institutionellen Rechtsmissbrauchs etwa ist eine so weitgehende Ähnlichkeit des geregelten und des ungeregelten Sachverhalts wie bei der Analogie nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr, dass eine objektiv atypische Interessenlage der Parteien nach den Prinzipien und Wertungskriterien der Rechtsordnung eine Abweichung von den eigentlichen Rechtsfolgen gebietet.87 Insoweit wird der Kreis potentieller Umgehungsfälle ausgedehnt. Dabei muss allerdings eine sehr hohe Eingriffsschwelle überwunden werden,88 d.h. das Resultat der Rechtsanwendung muss extrem unbillig und völlig 82 

Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. I. Teichmann, S. 105. 84  Teichmann, S. 82 ff. 85  Teichmann, S. 102 ff. 86  Benecke, S. 187 ff. 87 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 206. 88  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 1. d). 83 

C.  Einordnung in die Methodenlehre

143

untragbar sein.89 Das schränkt den Bereich der Gesetzesumgehung gegenüber der Analogie deutlich ein. Wählt der Rechtsanwender also das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs zur Schließung einer Gesetzeslücke, dann umfasst der Kreis der unzulässigen Umgehung andere und weniger Fälle, als hätte er eine Lösung der Umgehungsproblematik durch analoge Anwendung der Norm gewählt. Die Rechtsfolge kann zwar auch beim institutionellen Rechtsmissbrauch in einer Gleichstellung mit einem gesetzlich geregelten Sachverhalt bestehen. Im Unterschied zur Analogie muss dies aber nicht immer zutreffen, sondern alternativ kann eine angemessenere Rechtsfolge anhand allgemeiner Prinzipien der Rechtsordnung ermittelt werden.90 Obwohl die Grundstruktur der Umgehungsprüfung stets identisch ist – (1) Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm (2) durch Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – hat das BAG in verschiedenen Fallkonstellationen auf ganz unterschiedliche Weise konkretisiert, wann ein Missbrauch und damit eine Gesetzesumgehung vorliegt. Eine unzulässige Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristung setzt voraus, dass ein sachlicher Grund fehlt. Unterbricht der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, um die Erfüllung der Wartezeit zu verhindern und auf diese Weise den Kündigungsschutz zu umgehen, kommt es dagegen nicht auf einen sachlichen Grund für die Unterbrechung, sondern auf einen engen sachlichen Zusammenhang der Arbeitsverhältnisse an.91 Diese Unterschiede ergeben sich aus den Methoden, die das BAG jeweils zur Abgrenzung zwischen unzulässiger Umgehung und zulässiger Tatbestandsvermeidung einsetzt. In den folgenden Gliederungspunkten92 werden verschiedene Gestaltungen zur Gesetzesumgehung, mit denen sich das BAG zu befassen hatte, geordnet dargestellt. Dabei werden Fallgruppen nach den vom BAG eingeschlagenen Lösungswegen gebildet, da diese für die dogmatische Einordnung maßgeblich sind. Um zu klären, ob die Rechtsprechung des BAG im Einklang mit der Me89 BAG, Beschluss v. 19.  04. 1989 – 7 ABR 6/88, BAGE 61, 340; BGH, Urteil v. 05. 12. 1984 – IVa ZR 24/83, MDR 1985, 828; v. 27. 10. 1967 – V ZR 153/64, NJW 1968, 39; v. 3. 12. 1958 – V ZR 28/57, NJW 1959, 626; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 BGB Rn. 51; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 22; Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 41; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 438; Palandt/Grüneberg, § 242 Rn. 2; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 221; Busemann, MDR 2015, 314, 316; Benecke, S. 48. 90 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 203; ausführlich vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 2 m. w. N. 91 BAG, Urteil v. 22.  09. 2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429, 430; Urteile v. 20. 08. 1998 – 2 AZR 76/98 und 2 AZR 83/98, NZA 1999, 481 und 314; v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris; v. 10. 05. 1989 – 7 AZR 450/88, BAGE 62, 48; v. 18. 01. 1979 – 2 AZR 254/77, DB 1979, 1754; v. 06. 12. 1976 – 2 AZR 470/75, BAGE 28, 252; v. 23. 09. 1976 – 309/75, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 1; vgl. Gliederungspunkt § 10 C. 92  Vgl. Gliederungspunkte § 7 bis § 11.

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

thodenlehre steht, wird jeweils untersucht, welche Methoden der Auslegung oder Rechtsfortbildung das BAG zur Konkretisierung des Missbrauchskriteriums eingesetzt hat. Anschließend kann geprüft werden, ob die Voraussetzungen der angewandten Methode vorlagen.

D.  Praktische Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung des BAG Von allen Rechtsgebieten hat der Begriff der Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht bei weitem die größte praktische Bedeutung.93 Nach einer Analyse von Preis aus dem Jahre 1993 verwendete das BAG gerade bei der Kontrolle von Arbeitsverträgen kein anderes Argumentationsmuster häufiger.94 Dabei zeigen sich zwischen den Senaten erhebliche Unterschiede. Die wichtigste Rolle spielt die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des Siebten Senats. Das vermag nicht zu verwundern, ist dieser doch seit 1990 allein zuständig für die „Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses […] aufgrund einer Befristung, aufgrund einer Bedingung oder aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“95. Zuvor hatte er sich die Zuständigkeit für Befristungen mit dem Zweiten Senat geteilt,96 der in seinen Entscheidungen ebenfalls überdurchschnittlich oft von einer Gesetzesumgehung spricht. Deutliche Unterschiede zeigen sich auch im Zeitverlauf. In den 1950er Jahren – also vor dem Beschluss des Großen Senats97 – betrug der Anteil von Entscheidungen zur Gesetzesumgehung nur 1,5 % und lag damit noch auf dem Niveau der Rechtsprechung des BGH. In den folgenden Jahrzehnten bewegte er sich stets zwischen 2 und 3 %. In den 1980er Jahren erreichte die praktische Bedeutung der Gesetzesumgehung ihren Höhepunkt. Etwa 4,5 % aller Entscheidungen des BAG erwähnten damals ausdrücklich dieses Stichwort; beim Zweiten und Siebten Senat lag die Quote über 10 %. Damit einher ging ein massiver Anstieg der Befristungsfälle von etwa 9 % aller Entscheidungen in den 70er Jahren auf fast das Doppelte im folgenden Jahrzehnt. In der Literatur wurde die These vertreten, das BAG habe durch seine großzügige Rechtsprechung zu einer Zunahme

93  Zu diesem Ergebnis kommt auch Benecke, S. 196. Die Begriffe „Gesetzesumgehung“ und/oder „Umgehung“ finden sich in folgender Häufigkeit in der bis einschließlich 2016 bei juris veröffentlichten Rspr. der obersten Gerichte: BAG: 2,76 %; BGH: 1,36 %; BVerwG: 0,98 %; EuGH: 2,03 %; BFH: 0,56 %. 94  Preis, S. 157. 95  B. 7.1, S. 12 Gvpl. BAG 2016. 96  Nach A. 2. und 7., S. 25 f. Gvpl. BAG 1989 war der Zweite Senat zuständig für Fragen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Privatwirtschaft, der Siebte Senat im Öffentlichen Dienst. 97  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798.

D.  Praktische Bedeutung der Umgehungsrechtsprechung des BAG

145

von befristeten Arbeitsverträgen beigetragen.98 Es dürfte dem Inkrafttreten des TzBfG zum 01. 01. 2001 zu verdanken sein, dass der Anteil von Entscheidungen zur Gesetzesumgehung später wieder zurückging, ohne dass der Anteil der Befristungsfälle sank. Das Argument der Gesetzesumgehung führt das BAG aber auch in anderen Fallkonstellationen an. Mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des BAG waren beispielsweise • die Umgehung eines unmittelbaren Arbeitsverhältnisses99 • die Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 BGB100 • die Umgehung von Lohnzahlungspflichten durch Widerrufsvorbehalte101 • die Umgehung der Karenzentschädigung102 • die Umgehung des Beschäftigungsrisikos103 • die Umgehung von Kündigungsfristen durch auflösende Bedingungen104 • die Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG105. Alle Fälle der Gesetzesumgehung haben gemeinsam, dass eine Rechtsfolge entgegen dem Gesetzeszweck möglichst vermieden werden soll. Im Arbeitsrecht, das bekanntlich in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht ist, ist es in der Regel der Arbeitgeber, der die Anwendbarkeit einer ihn belastenden Vorschrift durch gezielte Gestaltungen verhindern will. Vereinzelt gibt es aber auch Fälle, in denen Arbeitnehmer den Anwendungsbereich einer sie schützenden Norm auf zweckwidrige Weise „ergehen“ wollen – man denke nur an den vom EuGH entschiedenen Fall von Scheinbewerbungen zur Erlangung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG.106 Ein Beispiel aus dem Kollektivarbeitsrecht sind die hier nicht näher untersuchten Koppelungsgeschäfte des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber zu dem Zweck, seine Mitbestimmung über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus auszuweiten.107 98 

Leser, BB 1965, 1151, 1152; Linder, DB 1975, 2082, 2083 f. Vgl. Gliederungspunkt § 7 D. III. 100  Vgl. Gliederungspunkt § 7 f. 101  Vgl. Gliederungspunkt § 8 A. 102  Vgl. Gliederungspunkt § 9. 103  Vgl. Gliederungspunkte § 8 B. und § 11 B. 104  Vgl. Gliederungspunkt § 10 A. 105  Vgl. Gliederungspunkt § 11 C. 106  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014. 107  BAG, Urteil v. 26. 05. 1998 – 1 AZR 704/97, NZA 1998, 1292, 1295; Eich, ZfA 1988, 93; Gentz, NZA 2004, 1011; Fritz, S. 1 ff.; vgl. aber auch BAG, Urteil v. 18. 09. 2007 – 3 AZR 639/06, NZA 2008, 56, wo umgekehrt der Arbeitgeber die Zusage von Leistungen an den Abschluss einer Betriebsvereinbarung geknüpft hat. 99 

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2. Teil: § 5  Tatbestand der „objektiven Gesetzesumgehung“ des BAG

E.  Ergebnisse • Das BAG weicht seit einem Beschluss des Großen Senats aus dem Jahre 1960 von der Vorgehensweise der herrschenden zivilrechtlichen Dogmatik ab, indem es die Gesetzesumgehung wie eine Rechtsfigur mit eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen behandelt. • Das BAG wurde zu seiner Judikatur zur Gesetzesumgehung dadurch veranlasst, dass die gesetzlichen Regelungen zum Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen lückenhaft und dadurch in ihren Wertungen widersprüchlich waren. Es wird zu untersuchen sein, ob diese Unvollständigkeit der Gesetzgebung eine Besonderheit des Arbeitsrechts ist, die eine abweichende Rechtsprechung zu rechtfertigen vermag. • Die objektive Gesetzesumgehung des BAG hat allgemein zwei Voraussetzungen: (1) Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm (2) Missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten • Ob der Zweck einer Rechtsnorm durch eine Gestaltung vereitelt wird, ist durch Auslegung dieser Norm mittels aller Auslegungsmethoden zu ermitteln. • Der Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in der traditionellen Umgehungsrechtsprechung des BAG ist nicht gleichzusetzen mit dem institutionellen Rechtsmissbrauch, der als Notbehelf bei atypischen Sachverhalten mit extremem Interessenungleichgewicht dient. Vielmehr geht es bei der Abgrenzung der zulässigen Tatbestandsvermeidung von der unzulässigen Gesetzesumgehung um die Frage, ob ein Verstoß gegen den Zweck einer Norm nach den Wertungen der Gesamtrechtsordnung gerechtfertigt ist. Sollte sich deshalb erweisen, dass das BAG den Missbrauchsbegriff in späteren Entscheidungen i. S. d. institutionellen Rechtsmissbrauchs verwendet, dann würde es sich um eine Änderung der Voraussetzungen der objektiven Gesetzesumgehung handeln. • Ordnet das BAG einen Fall als Gesetzesumgehung ein, so ist damit zunächst nur klargestellt, dass eine Gestaltung eine Gesetzeslücke nutzt. Die Voraussetzungen der Gesetzeslücke sind in jenen der objektiven Gesetzesumgehung enthalten. Bei der Umgehung kommt hinzu, dass eine umgangene Norm für wertungsmäßig vergleichbare Fälle existieren muss. • Bei der Ausfüllung von Gesetzeslücken handelt es sich definitionsgemäß um Rechtsfortbildung. Die zur Lösung eines Umgehungsfalls gewählte Methode der Rechtsfortbildung entscheidet über die genaue Kontur der Gesetzeslücke, über die Eingriffsschwelle sowie über die möglichen Rechtsfolgen der Umgehung.

E.  Ergebnisse

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• Das BAG löst die Umgehungsproblematik nicht einheitlich. Deshalb kann nicht generell beurteilt werden, ob die Rechtsfigur der objektiven Gesetzes­ umgehung gegen die Methodenlehre verstößt oder nicht. Vielmehr ist für jede Fallgruppe der Gesetzesumgehung separat zu prüfen, welche Methode der gesetzesimmanenten oder gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung angewandt wird und ob ihre Voraussetzungen vorliegen. • Die Etablierung als eigenständige Rechtsfigur hat der Gesetzesumgehung zu erheblicher Bedeutung in der Rechtsprechung des BAG verholfen, die statistisch deutlich größer ist als in der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte und des EuGH. Die Figur der objektiven Gesetzesumgehung wird v.a. in Befristungsfällen, aber auch in zahlreichen anderen Konstellationen eingesetzt.

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2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

§ 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch in der Rechtsprechung anderer oberster Gerichte 2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

Zum Vergleich soll nunmehr untersucht werden, wie andere oberste Gerichte in ihren Entscheidungen mit Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch verfahren. So kann später beurteilt werden, ob und auf welche Weise die Rechtsprechung des BAG von jener der anderen Gerichtszweige abweicht. Außerdem ist zu überlegen, inwieweit die Rechtsprechung anderer Gerichte nach der juristischen Dogmatik überhaupt auf das Arbeitsrecht übertragen werden könnte.

A.  Bundesgerichtshof I.  Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch 1.  Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung In der Rechtsprechung des BGH spielt die Gesetzesumgehung eine vergleichsweise geringe Rolle.1 In früheren Entscheidungen ging der BGH von einer eigenständigen Rechtsfigur der Gesetzesumgehung aus und verlangte bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen auch eine Umgehungsabsicht.2 Mit der Zeit stellte er dann eher die objektiven Auswirkungen eines Umgehungsgeschäfts in den Mittelpunkt,3 bis er sich im Jahre 1990 ausdrücklich der Sichtweise Teichmanns4 anschloss: „Die Gesetzesumgehung ist eine Frage der Rechtsanwendung, die an die Rechtsgeltung und die Durchsetzbarkeit des Regelungsinhaltes einer Norm aus eigener Kraft anknüpft. […] Sie kann von einem subjektiv vorwerfbaren Verhalten im Sinne einer Absicht nicht berührt werden.“5

Der Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung ist bis heute im Detail nicht einheitlich. Unterschiede gibt es sowohl zwischen den Senaten als auch zwischen Entscheidungen desselben Senats, weil es in der Rechtsprechung des BGH an einer Leitentscheidung wie der des Großen Senats des BAG6 fehlt.7 Eine relativ 1  Das Wort „Umgehung“ ist nur in ca. 1,2 % der BGH-Entscheidungen, aber in 2,6 % der BAG-Entscheidungen enthalten. 2  BGH, Urteil v. 17. 11. 1959 – V ZR 18/59, NJW 1960, 524 f.; v. 19. 06. 1953 – V ZR 83/51, NJW 1953, 1587. 3  Nach BGH, Urteil v. 20. 04. 1970 – III ZR 247/68, NJW 1971, 188, 189, sollten „die subjektiven Momente zunächst in den Hintergrund treten.“ 4  S. 69. 5  BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 986. 6  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 7  Benecke, S. 131.

A.  Bundesgerichtshof

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bedeutende Rolle spielt die Gesetzesumgehung etwa in der Rechtsprechung des für das Gesellschaftsrecht zuständigen Zweiten Senats. Dieser schließt sich in einer neueren Entscheidung der Definition des BAG an, indem er eine unzulässige Gesetzesumgehung dann bejaht, „wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden.“8 Bei der Anwendbarkeit der umgangenen Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus stellt er in erster Linie auf ihren durch Auslegung ermittelten Sinn und Zweck ab, ohne dabei von einer Analogie zu sprechen.9 Entscheidungen anderer Senate betrachten die Gesetzesumgehung teilweise als Verstoß gegen die guten Sitten, der die Unwirksamkeit des Umgehungsgeschäfts nach § 138 BGB begründe.10 In anderen Entscheidungen werden Umgehung einer Norm und Sittenwidrigkeit eines Geschäfts hingegen getrennt geprüft.11 Bisweilen nimmt der BGH eine Umgehung auch dann an, wenn ein Rechtsgeschäft bei wirtschaftlicher Betrachtung denselben Erfolg erzielt wie ein an besondere Voraussetzungen gebundenes Geschäft.12 Die Nichtigkeit von Geschäften, die der Umgehung einer Verbotsnorm dienen, wird mit § 134 BGB begründet.13 Diese Beispiele zeigen, dass die Argumentation mit dem Begriff der Gesetzes­ umgehung dem jeweils zu entscheidenden Fall angepasst wird. Weder hat sich ein einheitlicher Obersatz durchgesetzt, noch wird eine gleichförmige Rechtsfolge gewählt. Den Begriff der Gesetzesumgehung versteht der BGH als Begründungshilfe, aber nicht als eigenständige Rechtsfigur.14 Damit liegt er im Ergebnis – wenn auch nicht immer in der Wortwahl – auf der Linie der oben beschriebenen zivilrechtlichen Dogmatik. 2.  Prüfung des Rechtsmissbrauchs Der Begriff des Rechtsmissbrauchs taucht in den Entscheidungen des BGH mit ähnlicher Häufigkeit auf wie jener der Gesetzesumgehung.15 Die heute unter Bezugnahme auf § 242 BGB genannten Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs 8 

BGH, Urteil v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, BB 2012, 2455, 2457. BGH, Urteil v. 29. 07. 2014 – II ZR 353/12, BB 2014, 2450, 2452 f.; v. 10. 07. 2012 – II ZR 48/11, BB 2012, 2522, 2523. 10  BGH, Urteil v. 27. 01. 2016 – XII ZR 33/15, NJW 2016, 2652, 2654; Beschluss v. 29. 01. 2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101, 1106. 11  BGH, Urteil v. 06. 11. 2012 – II ZR 176/12, juris; v. 06. 07. 2012 – V ZR 122/11, NJW 2012, 3162, 3163 ff. 12  BGH, Urteil v. 04. 02. 2004 – XII ZR 301/01, NVwZ 2004, 763. 13  BGH, Beschluss v. 29. 01. 2014 – XII ZB 303/13, NJW 2014, 1101, 1106. 14  Benecke, S. 23 und S. 131. 15  Das Wort „Rechtsmissbrauch“ findet sich in etwa 1,1 % der Entscheidungen. 9 

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2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

entstammen überwiegend der Rechtsprechung des BGH.16 Dabei unterscheidet er nur in wenigen Fällen ausdrücklich zwischen individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch.17 Meist prüft der BGH das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs in seinen Entscheidungen als letzten Punkt, wie es seine subsidiäre Stellung nach der Methodenlehre gebietet. a)  Tatbestand In seinem grundlegenden Urteil zum Rechtsmissbrauch18 argumentiert der BGH entsprechend der Innentheorie, dass jedes Recht seinem Inhalt nach nur so weit gehe, wie die guten Sitten und Treu und Glauben dies gestatten. Unter Bezugnahme auf Siebert wird ein Rechtsmissbrauch angenommen, „wenn eine gesetzliche Vorschrift außerhalb ihres ursprünglichen Zusammenhangs in einer zweckfremden Weise und mit zweckfremdem Ziel verwandt wird“.19 Dazu zähle „die Ausnutzung formeller Möglichkeiten der Gesetze entgegen ihrem unzweideutigen Rechtsgedanken“.20 Die Entscheidung demonstriert die besondere Wertungsabhängigkeit dieser Rechtsfigur. Während Siebert den Rechtsmissbrauch zur Implementierung nationalsozialistischen Gedankenguts trotz unveränderter Gesetzeslage vorgesehen hatte,21 führte der Rechtsmissbrauch in der Entscheidung des BGH zur persönlichen Haftung eines Amtsträgers entgegen § 839 BGB, weil dieser im nationalsozialistischen Regime im Einklang mit Befehlen der Führung, aber ohne gesetzliche Grundlage einen Menschen getötet hatte. 22 Ein einheitlicher, fallgruppenübergreifender Obersatz zur Rechtsmissbrauchs­ prüfung hat sich nicht herausgebildet. Ein subsumtionsfähiger Tatbestand ergibt sich teilweise aus Fallgruppen der gefestigten Rechtsprechung.23 Ansonsten wird der Obersatz für den jeweiligen Einzelfall entwickelt. Häufig stellt der BGH bei der Prüfung eines Rechtsmissbrauchs die Diskrepanz zwischen der Motivation des Handelnden und dem Gesetzeszweck in den Mittelpunkt. Als maßgebliche Voraussetzung des Rechtsmissbrauchs bezeichnet das Gericht etwa die

16 Vgl. die Beispiele in den Kommentierungen, z.  B. MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 244 ff.; HK-BGB/Schulze, § 242 Rn. 21 ff.; BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 57 ff.; eine kurze Zusammenfassung findet sich bei Hohmann, JA 1982, 112 ff. 17 Z. B. in BGH, Urteil v. 30. 06. 2015 – II ZR 142/14, NZG 2015, 1227, 1232; v. 22. 05. 1989 – II ZR 206/88, NJW 1989, 2689, 2691 f. 18  BGH, Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94. 19  BGH, Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94, 102. 20  BGH, Urteil v. 12. 07. 1951, aaO. 21  Vgl. Gliederungspunkt § 3 B. 22  BGH, Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94. 23 Jauernig/Mansel, § 242 Rn. 35.

A.  Bundesgerichtshof

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Verfolgung rechtsmissbräuchlicher Motive24, die Verfolgung von Zielen, die in Widerspruch zu den Zielen des Gesetzes stehen25 bzw. von sachfremden, nicht schutzwürdigen Zielen und Interessen26, beispielsweise arglistiges Verhalten mit dem Ziel, die andere Partei zu schädigen oder zu schikanieren 27. Dabei handelt es sich um Fälle des individuellen Rechtsmissbrauchs. Dagegen verneint der BGH die Erforderlichkeit subjektiver Elemente wie Verschulden oder Missbrauchsabsicht in den Fällen, die dem institutionellen Rechtsmissbrauch zuzuordnen sind. Der Verstoß gegen Treu und Glauben müsse nur objektiv vorliegen.28 b)  Rechtsfolgen Konsequenz des Rechtsmissbrauchs ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig, dass sich der missbräuchlich Handelnde nicht auf eine für ihn vorteilhafte Rechtslage berufen kann. Die daraus folgenden konkreten Rechtsfolgen sind aber äußerst vielgestaltig: Der Handelnde haftet entgegen dem Gesetzeswortlaut persönlich, weil die Berufung auf einen gesetzlichen Haftungsausschluss rechtsmissbräuchlich ist.29 Ein Beschluss ist nichtig, weil das Recht zur Beschlussfassung missbräuchlich ausgeübt wurde.30 Ansprüche verjähren, weil ein rechtsmissbräuchlich eingeleitetes Güte- oder Mahnverfahren die Verjährung nicht hemmt.31 Ein Räumungsanspruch des Vermieters scheidet aus, weil die Berufung auf eine wirksame Kündigung des Mietvertrags rechtsmissbräuchlich ist.32 Diese Beispiele zeigen, dass sich auch die Rechtsfolgen im Ergebnis nach den Umständen des Einzelfalls richten. Neben der Vernichtung von Ansprüchen des missbräuchlich Handelnden kommt auch die Begründung von Ansprüchen der Gegenseite oder die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften in Betracht. 3.  Verhältnis von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch Kommen nach einem Sachverhalt sowohl Gesetzesumgehung als auch Rechtsmissbrauch in Betracht, so prüft der BGH das Vorliegen beider Vorwürfe getrennt 24 

BGH, Urteil v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, BB 2012, 2455, 2458. BGH, Urteil v. 16. 03. 2009 – II ZR 302/06, BB 2009, 1318, 1320; v. 18. 12. 1989 – II ZR 254/88, NJW-RR 1990, 350, 353. 26  BGH, Urteil v. 03. 03. 2016 – I ZR 110/15, NJW 2016, 3306, 3307. 27  BGH, Urteil v. 16. 03. 2016 – VIII ZR 146/15, BB 2016, 1108. 28  BGH, Urteil v. 13. 01. 2016 – IV ZR 284/13, juris (Rn. 24); v. 12. 11. 2008 – XII ZR 134/04, NJW 2009, 1343, 1346; v. 31. 01. 1975 – IV ZR 18/74, NJW 1975, 827, 828. 29  BGH, Urteil v. 12. 07. 1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94. 30  BGH, Urteil v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, BB 2012, 2455, 2458. 31  BGH, Urteil v. 25. 05. 2016 – IV ZR 110/15, juris (Rn. 34 ff.); v. 28. 10. 2015 – IV ZR 526/14, NJW 2016, 233, 234 f.; v. 16. 07. 2015 – III ZR 238/14, NJW 2015, 3162, 3163 f. 32  BGH, Beschluss v. 23. 02. 2016 – VIII ZR 321/14, juris. 25 

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2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

voneinander.33 Dabei wird die Gesetzesumgehung jeweils vor dem Rechtsmissbrauch erörtert. Der vom BAG heute verwendete Begriff der „rechtsmissbräuchlichen Umgehung“ gehört nicht zum Sprachgebrauch des BGH.34 Dennoch wird die Möglichkeit von Überschneidungen anerkannt, wenn der Rechtsmissbrauch durch ein Umgehungsgeschäft begangen35 oder in einem Verstoß gegen Treu und Glauben zugleich eine unzulässige Umgehung gesehen wird36. Wie oben beschrieben, betrachtet der BGH die Gesetzesumgehung nicht als eigenständige Rechtsfigur. Da die weitaus meisten Fälle der Umgehung durch analoge Anwendung der umgangenen Vorschrift gelöst werden können, ist auch ein Blick auf das Verhältnis von Analogie und Rechtsmissbrauch in seinen Entscheidungen hilfreich. Der BGH prüft vorrangig, ob ein Recht durch analoge Anwendung einer Norm eingeschränkt werden kann. Wird eine Analogie verneint, so untersucht der BGH danach bei entsprechenden Anhaltspunkten die Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs.37 Die Vorgehensweise des BGH in Umgehungsfällen deckt sich also mit der oben entwickelten zivilrechtlichen Dogmatik. II.  Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht Arbeitsvertragliche Regelungen sind dem Zivilrecht zuzuordnen, da der Arbeitsvertrag nach § 611a BGB eine spezielle Form des in § 611 BGB geregelten Dienstvertrages ist.38 Im Arbeitsvertragsrecht gilt daher wie im allgemeinen Zivilrecht grundsätzlich die Vertragsfreiheit, auch wenn sie durch zwingende Regelungen begrenzt wird.39 Deshalb lässt sich die Dogmatik des allgemeinen Zivilrechts jedenfalls auf das Arbeitsvertragsrecht übertragen. Inhaltliche Besonderheiten des Arbeitsrechts wie sein Schutzcharakter lassen sich im Rahmen von Interessenabwägungen und Wertungen und bei der Bestimmung der Eingriffsschwelle berücksichtigen.40 Strukturelle Besonderheiten des Arbeitsrechts wie seine geringe Regelungsdichte mögen dazu führen, dass eine Rechtsfortbildung

33 BGH,

Urteil v. 24. 08. 2016 – VIII ZR 100/15, juris (Rn. 39 und Rn. 48 ff.); v. 17. 07. 2012 – II ZR 55/11, MDR 2012, 1174, Rn. 21 ff. und 30 ff.; v. 16. 03. 2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154, Rn. 9 f. und 11 ff. 34  Er wird zwar ausnahmsweise im Urteil v. 23. 10. 2013 – VIII ZR 262/12, NVwZ 2014, 313, 316, genannt, dabei aber als Zitat aus der BT-Drs. 16/8148, S. 50, übernommen. 35  BGH, Urteil v. 22. 11. 2013 – V ZR 96/12, WuM 2014, 98, 101. 36  BGH, Urteil v. 27. 05. 2004 – III ZR 302/03, NJW-RR 2004, 1434, 1435. 37  BGH, Urteil v. 24. 08. 2016 – VIII ZR 100/15, ZIP 2017, 21; Beschluss v. 23. 02. 2016 – VIII ZR 321/14, juris. 38 ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 1; Zöllner, § 6 IV., S. 72. 39  Boemke, NZA 1993, 532, 533; Säcker, RdA 1976, 91, 92. 40  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388; Benecke, S. 128 ff. und S. 195 f.

B.  Bundesverwaltungsgericht

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häufiger erforderlich wird als in anderen Rechtsgebieten.41 Es ist aber kein zwingender Grund ersichtlich, warum das BAG in methodischer Hinsicht grundsätzlich anders mit Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch umgehen müsste als der BGH. Eine Ausnahme kann für das Tarifvertragsrecht gelten. Dort gilt zwar auch die Privatautonomie, und Gerichte müssen zu einem angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Tarifparteien gelangen. Die Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG macht jedoch zusätzlich grundrechtliche Erwägungen erforderlich, so dass das Tarifvertragsrecht teilweise auch dem öffentlichen Recht zugehörig ist.42 Allerdings spielt die Gesetzesumgehung in diesem Bereich ohnehin keine so große Rolle wie im übrigen Arbeitsrecht,43 so dass er im Folgenden nicht näher betrachtet wird.

B.  Bundesverwaltungsgericht I.  Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch 1.  Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung In den Entscheidungen des BVerwG findet sich der Begriff der Umgehung relativ selten44 und mit unterschiedlicher Bedeutung. Neben einer Umgehung von Normen kennt das BVerwG auch eine Umgehung von Rechtsinstituten.45 Den Hinweis, eine Umgehung öffentlich-rechtlicher Vorschriften sei zu befürchten oder eben nicht zu befürchten, verwendet das BVerwG dabei meist als zusätzliches Argument, um ein weites oder enges Auslegungsergebnis zu begründen.46 Auch die – nicht als solche bezeichnete – analoge Anwendung von Normen wird bisweilen mit einer ansonsten drohenden Umgehung gerechtfertigt.47 Während die Gesetzesumgehung in diesen Fällen als unzulässig betrachtet wird, verwendet 41  Esser, in: Summum ius, S. 25; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388; Benecke, S. 107. 42  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 389: „Das kollektive Arbeitsrecht hat seine eigenen Gesetzlichkeiten.“; Zöllner, § 6 IV, S. 72. 43  Benecke, S. 206. 44  Das Wort „Umgehung“ taucht in weniger als 1 % der bei juris verfügbaren Entscheidungen auf (von denen sich zudem nicht wenige auf Umgehungsstraßen beziehen) und damit noch seltener als in der Rspr. des BGH. 45  BVerwG, Urteil v. 27. 11. 2014 – 2 C 24/13, NVwZ 2015, 1061, 1063. 46  BVerwG, Beschluss v. 30. 06. 2016 – 2 B 3/15, NVwZ 2016, 1653, 1654; Urteil v. 23. 03. 2016 – 10 C 23/14, NZA 2016, 779, 781; v. 04. 02. 2016 – 5 C 12/15, NVwZ 2016, 1579; v. 27. 08. 2015 – 3 C 14/14, NVwZ 2016, 695, 698; v. 16. 06. 2015 – 10 C 15/14, NVwZ 2015, 1764, 1765; v. 10. 12. 2014 – 1 C 15/14, NVwZ-RR 2015, 313, 315. 47  BVerwG, Beschluss v. 23. 06. 2015 – 4 B 19/15, NVwZ-RR 2015, 759.

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2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

das Gericht den Begriff der Umgehung vereinzelt auch im Sinne einer zulässigen Tatbestandsvermeidung.48 Wird die Umgehung als bloßes Auslegungsargument verwendet, so wird sie häufig ohne nähere Untersuchung bejaht oder verneint. Auch sonst prüft das BVerwG das Vorliegen einer Gesetzesumgehung nicht anhand eines einheitlichen Obersatzes. Der Achte Senat nennt mit einem Verstoß gegen den Zweck der umgangenen Norm ein rein objektives Kriterium als Voraussetzung einer Gesetzesumgehung.49 Dagegen verlangt der Sechste Senat ein Handeln in der alleinigen Absicht, die Anwendbarkeit einer Vorschrift zu vermeiden – also eine Umgehungsabsicht.50 Dementsprechend nimmt er eine Umgehung der Mitbestimmung des Hauptpersonalrats nur dann an, wenn die Landesregierung eine Angelegenheit ausschließlich in der Absicht an sich zieht, ein sonst erforderliches Mitbestimmungsverfahren zu vermeiden.51 In manchen Entscheidungen wird eine Regelungslücke als Voraussetzung der Umgehung genannt,52 womit das ­BVerwG einen Zusammenhang zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsfortbildung anerkennt. Nach alldem kann man in der Rechtsprechung des BVerwG allenfalls punktuell eine eigenständige Rechtsfigur der Gesetzesumgehung erkennen. Rechtsfolge einer Gesetzesumgehung ist auch nach der Rechtsprechung des BVerwG grundsätzlich die Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der umgangenen Norm.53 Eine praktisch wichtige Rolle spielt die Umgehung von prozessualen Regelungen, die zur Unzulässigkeit von Prozesshandlungen führen kann.54 So nimmt das BVerwG eine unzulässige Umgehung des Vertretungszwangs an, wenn ein Prozessbevollmächtigter zur Begründung eines Antrags pauschal auf Schriftstücke Bezug nimmt, die der Antragssteller persönlich verfasst und unterschrieben hat.55 2.  Prüfung des Rechtsmissbrauchs Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG gilt der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als allgemeiner Rechtsgedanke auch im öffent48 

BVerwG, Urteil v. 11. 12. 1963 – V C 65.62, BVerwGE 17, 253, 254. BVerwG, Beschluss v. 11. 12. 2012 – 8 B 58/12, NVwZ-RR 2013, 341, 342. 50  BVerwG, Beschluss v. 14. 09. 2011 – 6 PB 14/11, ZTR 2012, 249; v. 08. 10. 2008 – 6 PB 21/08, ZTR 2009, 45. 51  BVerwG, Beschluss v. 08. 10. 2008 – 6 PB 21/08, ZTR 2009, 45 52  BVerwG, Urteil v. 17. 08. 2016 – 6 C 24/15, NVwZ-RR 2016, 952, 955. 53  BVerwG, Beschluss v. 14. 09. 2011 – 6 PB 14/11, ZTR 2012, 249. 54  BVerwG, Beschluss v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris; v. 15. 02. 2013 – 8 B 58/12, juris (Rn. 28); v. 11. 12. 2012 – 8 B 58/12, NVwZ-RR 2013, 341; v. 08. 05. 1995 – 4 NB 16/95, NVwZ 1996, 372, 374. 55  BVerwG, Beschluss v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris; v. 11. 12. 2012 – 8 B 58/12, NVwZ-RR 2013, 341. 49 

B.  Bundesverwaltungsgericht

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lichen Recht.56 Eine unzulässige Ausübung von Rechten sei gegeben, wenn eine atypische Situation vorliegt, die die Geltendmachung eines an sich vorgesehenen Rechtes aufgrund eines grob unbilligen Ergebnisses als missbräuchlich erscheinen lasse.57 Mit der Aussage, ein außerhalb von Treu und Glauben liegender Anspruch sei kein Recht, sondern Rechtsüberschreitung, schließt sich das BVerwG der herrschenden Innentheorie an.58 Dabei unterscheidet das BVerwG nicht ausdrücklich zwischen individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch. Seine Entscheidungen zum Rechtsmissbrauch lassen sich dennoch beiden Fallgruppen zuordnen und variieren entsprechend in ihren Voraussetzungen. Einerseits nimmt das BVerwG einen Rechtsmissbrauch dann an, wenn ein Recht in gesetzwidriger, zweckwidriger oder ein rechtliches Instrument missbrauchender Art und Weise eingesetzt wird.59 Das entspricht dem institutionellen Rechtsmissbrauch. Aber auch ein missbilligenswertes oder widersprüchliches Vorverhalten könne zur Unzulässigkeit der Rechtsausübung führen.60 Diese Fälle sind dem individuellen Rechtsmissbrauch zuzurechnen. Der Rechtsprechung des EuGH folgend,61 fordert das ­BVerwG dann teilweise das Vorliegen subjektiver Voraussetzungen, etwa eine Täuschungsabsicht.62 Zutreffend weist das BVerwG selbst darauf hin, dass es bei der Rechtsmissbrauchsprüfung je nach Fallgruppe unterschiedliche Obersätze verwendet.63 In allen Fällen sei jedoch eine Beurteilung des Einzelfalls erforderlich.64 Die übliche Rechtsfolge ist auch im Verwaltungsrecht, dass eine missbräuchliche Rechtsausübung unzulässig ist.65 Somit orientiert sich das BVerwG beim Umgang mit dem Rechtsmissbrauch an der Rechtsprechung des BGH. Die geringere Falldichte im öffentlichen Recht hat bisher zu einer weniger differenzierten 56 BVerwG, Urteil v. 11.  10. 2012 – 5 C 22/11, NJW 2013, 629, 631; Beschluss v. 08. 10. 2008 – 6 PB 21/08, ZTR 2009, 45; Urteil v. 18. 01. 2001 – 3 C 7/00, BVerwGE 112, 351; v. 08. 12. 1973 – 1 C 34/72, NJW 1974, 2247, 2248. 57  BVerwG, Urteil v. 11. 10. 2012 – 5 C 22/11, NJW 2013, 629, 631; v. 23. 11. 1993 – 1 C 21/92, NJW 1994, 954, 955. 58  BVerwG, Urteil v. 08. 12. 1973 – 1 C 34/72, NJW 1974, 2247, 2248. 59  BVerwG, Beschluss v. 27. 01. 2016 – 8 B 5/15, juris (Rn. 5); v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris; v. 22. 08. 2013 – 2 AV 5/13, NVwZ-RR 2014, 371. 60  BVerwG, Urteil v. 09. 10. 2014 – 5 C 26/13, NVwZ-RR 2015, 46, 49; v. 14. 03. 2013 – 5 C 10/12, NVwZ-RR 2013, 689, 690; v. 23. 11. 1993 – 1 C 21/92, NJW 1994, 954, 955; v. 08. 12. 1973 – 1 C 34/72, NJW 1974, 2247, 2248; v. 18. 01. 2001 – 3 C 7/00, BVerwGE 112, 351. 61  EuGH, Urteil v. 29. 09. 2011 – C 187/10 (Unal), NVwZ 2012, 31, 33. 62  BVerwG, Urteil v. 14. 05. 2013 – 1 C 16/12, NVwZ 2013, 1336, 1338. 63  BVerwG, Beschluss v. 30. 04. 2008 – 6 B 16/08, juris (Rn. 7). 64  BVerwG, Beschluss v. 28. 12. 2000 – 4 BN 37/00, BauR 2001, 1060. 65  BVerwG, Urteil v. 08. 12. 1973 – 1 C 34/72, NJW 1974, 2247, 2248.

156

2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

Ausformung von Fallgruppen geführt. Wie die Gesetzesumgehung findet sich auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs häufiger in prozessrechtlichen Entscheidungen. Eine rechtsmissbräuchliche Prozesshandlung kann unbeachtlich sein.66 So führt nach ständiger Rechtsprechung ein „offenbarer Missbrauch“ des Ablehnungsrechts dazu, dass die abgelehnten Richter ausnahmsweise mit über das Ablehnungsgesuch entscheiden dürfen.67 In einigen Konstellationen sieht das Gericht sowohl die Gefahr einer Gesetzesumgehung als auch die eines Rechtsmissbrauchs.68 Dann wird entweder die Umgehung zuerst geprüft69 oder es wird eine gemeinsame Prüfung vorgenommen, bei welcher der Rechtsmissbrauch als Voraussetzung der Umgehung aufgefasst wird70. In einigen Fällen verwendet das BVerwG auch den Begriff der „(rechts)missbräuchlichen Umgehung“71. II.  Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht Teilbereiche des Arbeitsrechts sind dem öffentlichen Recht zuzurechnen. Dazu zählt etwa das Arbeitsschutzrecht,72 wo den Arbeitgeber Pflichten gegenüber dem Staat treffen, die auch mittels Verwaltungsakt durchgesetzt werden können.73 Auch das Personalvertretungsrecht fällt in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit.74 Insoweit besteht eine Verbindung zum Aufgabenbereich des BAG. Im öffentlichen Recht geht es allerdings um Eingriffsbefugnisse des Staates, während im Zivilrecht ein angemessener Interessenausgleich zwischen Privatpersonen angestrebt wird. Deshalb sind in beiden Rechtsgebieten bei der Anwendung des Rechts über seinen Wortlaut hinaus unterschiedliche Erwägungen 66  BVerwG, Beschluss v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris; v. 22. 08. 2013 – 2 AV 5/13, NVwZ-RR 2013, 317. 67 BVerwG, Beschluss v. 12. 03. 2013 – 5 B 9/13, juris; v. 31. 01. 2013 – 2 AV 4/13, DRiZ 2014, 144. 68  BVerwG, Beschluss v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris; Urteil v. 25. 01. 2012 – 9 A 6/10, NVwZ 2012, 567, 568; Beschluss v. 08. 10. 2008 – 6 PB 21/08, ZTR 2009, 45; Urteil v. 21. 11. 2006 – 1 C 10/06, NVwZ 2007, 465, 468. 69  BVerwG, Beschluss v. 17. 09. 2013 – 8 B 12/13, juris. 70  BVerwG, Beschluss v. 08. 10. 2008 – 6 PB 21/08, ZTR 2009, 45. 71  BVerwG, Urteil v. 07. 12. 2006 – 4 C 16/04, NVwZ 2007, 576, 578; v. 22. 09. 2004 – 6 C 29/03, NZG 2005, 265, 269; v. 22. 08. 2000 – 1 C 6/00, NJW-RR 2001, 350, 351. 72 Schaub/Vogelsang, § 151 Rn. 4. 73  Vgl. z. B. VG Münster, Beschluss v. 30. 06. 2016 – 9 L 863/16, BeckRS 2016, 48021; VG Regensburg, Urteil v. 05. 02. 2015 – RN 5 K 14.1327, BeckRS 2015, 44189. 74  Vgl. z. B. § 83 BPersVG; § 79 LPVG Nordrhein-Westfalen; § 92 LPVG Baden-Württemberg.

C.  Bundesfinanzhof

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anzustellen.75 Wegen dieser spezifisch öffentlich-rechtlichen Problematik warnt das BVerwG selbst davor, dass eine „Analogie nicht zur Umgehung des verfassungsrechtlich fundierten Gesetzesvorbehalts“ führen dürfe.76 Im Zivilrecht ist eine Analogie hingegen stets möglich, wenn geregelte und ungeregelte Sachverhalte in allen wesentlichen Punkten vergleichbar sind. Eine besondere Eingriffsberechtigung der Gerichte ist nicht erforderlich. Das BVerwG schließt eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung von Vorschriften für einzelne Bereiche wie das Besoldungsrecht sogar ganz aus,77 weil diese vom Gesetzgeber bereits „in einer materiell aufs äußerste differenzierten und verfeinerten Weise durch formelle und zwingende Vorschriften stark kasuistischen Inhalts“ geregelt seien.78 Auf das Arbeitsrecht lässt sich diese Formulierung eindeutig nicht übertragen. Beim institutionellen Rechtsmissbrauch ergibt sich ein praktisch wichtiger Unterschied dadurch, dass derjenige, der sich auf einen Rechtsmissbrauch der Gegenseite beruft, im Verwaltungsrecht nicht die Darlegungs- und Beweislast für die relevanten Tatsachen trägt. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO gilt dort der Untersuchungs- oder Amtsermittlungsgrundsatz. Dieser wird in der Praxis allerdings durch die Mitwirkungslast eingeschränkt, welche die Beteiligten verpflichtet, alle zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlichen Tatsachen aus ihrer Sphäre vorzutragen und bei Bedarf auch zu beweisen.79 Ohne Anhaltspunkte wird auch das Verwaltungsgericht nicht nach einem möglichen Rechtsmissbrauch forschen. Wegen der genannten Unterschiede kann die Rechtsprechung des ­BVerwG zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch nicht auf Entscheidungen des BAG übertragen werden.

C.  Bundesfinanzhof Weil im Steuerrecht anders als im Zivilrecht eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu Gesetzesumgehung und Rechtmissbrauch besteht, soll auch die Rechtsprechung des BFH kurz angerissen werden. Im Steuerrecht gilt der Anreiz, das Gesetz zu umgehen und sich dadurch wirtschaftliche Vorteile zu Lasten

75 

Möller, S. 137 f.; Zimmermann, S. 6. BVerwG, Urteil v. 27. 03. 2014 – 2 C 2/13, NVwZ-RR 2014, 689, 691. 77  BVerwG, Urteil v. 26. 01. 2006 – 2 C 43/04, NJW 2006, 1828; v. 22. 03. 1990 – 2 C 11/89, juris (Rn. 18). 78  BVerwG, Urteil v. 22. 03. 1990 – 2 C 11/89, juris (Rn. 18). 79  BVerwG, Urteil v. 26. 01. 2006 – 2 C 43/04, NJW 2006, 1828, 1829; v. 07. 11. 1986 – 8 C 27/85, NVwZ 1987, 404; BeckOK VwGO/Breunig, § 86 Rn. 46; Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, § 87b VwGO Rn. 15. 76 

158

2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

des Staates zu verschaffen, als besonders groß.80 Dem begegnet der Gesetzgeber neben einer Reihe von Spezialvorschriften81 mit der Generalklausel des § 42 AO. I.  Prüfung der Steuerumgehung Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden. Umstritten ist, ob diese Norm konstitutiv82 oder entsprechend der Innentheorie nur deklaratorisch83 zu verstehen ist. Aufgrund des Gesetzeswortlauts wird der Rechtsmissbrauch im Steuerrecht als Voraussetzung einer – im Ergebnis erfolglosen – Gesetzesumgehung verstanden.84 Gemeint ist allerdings nicht der Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt ein steuerrechtlicher Rechtsmissbrauch vor, „wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist“.85

Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in seiner Legaldefinition des § 42 Abs. 2 AO mittlerweile weitgehend nachgebildet.86 Dabei macht allein das Motiv der Steuerersparnis eine Gestaltung noch nicht unangemessen; die Angemessenheit richtet sich vielmehr nach dem Sinn und Zweck des umgangenen Gesetzes.87 Der BFH verlangt zudem eine Umgehungsabsicht, doch lässt er als Indiz hierfür eine rechtliche Gestaltung ausreichen, die objektiv einzig und allein unter steuerlichen Gesichtspunkten sinnvoll erscheint.88 Der Versuch, das Steuergesetz durch Rechtsmissbrauch zu umgehen, führt zur Anwendung der vermeintlich umgangenen Vorschriften. Dazu führt der BFH aus:

80 Klein/Ratschow,

§ 42 AO Rn. 8. Z. B. §§ 2a, 34c, 50d Abs. 1a EStG; § 8a KStG; § 1 Abs. 2 GrEStG. 82  Clausen, DB 2003, 1589 ff.; Söffing, BB 2005, 2101, 2105. 83  Fischer, DB 1996, 644, 650; Sieker, S. 18 f.; Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 8, spricht vermittelnd von einer „Warn- und Hinweisfunktion“ der Norm. 84 Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 12. 85  BFH, Urteil v. 24. 02. 2015 – VIII R 44/12, DB 2015, 1449, 1450; v. 22. 01. 2013 – IX R 18/12, juris (Rn. 20); v. 21. 08. 2012 – VIII R 32/09, BB 2012, 3068, 3069; Beschluss v. 23. 10. 2002 – I R 39/01, GmbHR 2003, 308, 309. 86 Klein/Ratschow, § 42 AO Rn. 45. 87  BFH, Urteil v. 18. 12. 2013 – I R 25/12, BeckRS 2014, 94879 (Rn. 17 f.). 88  BFH, Urteil v. 14. 06. 2005 – VIII R 37/03, juris (Rn. 27); Beschluss v. 09. 02. 1998 – VIII B 20/97, juris (Rn. 18 f.); v. 09. 07. 1997 – VIII B 40/97, juris (Rn. 55); Urteil v. 05. 02. 1992 – I R 79/89, juris (Rn. 25). 81 

D.  EuGH

159

„Die Rechtsfolge eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts besteht […] darin, dass an die Stelle der tatsächlich gewählten Gestaltung die angemessene Gestaltung tritt. Damit fingiert § 42 AO a.F. für Besteuerungszwecke einen anderen als den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt. Für die Bestimmung der Reichweite der Fiktion sind diejenigen steuerlichen Folgen in den Blick zu nehmen, die mit der gewählten Gestaltung umgangen werden sollten.“89

Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich § 42 AO nur zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken; eine Steuerminderung könne nicht mit der Anwendbarkeit umgangener Vorschriften begründet werden.90 II.  Übertragbarkeit auf das Arbeitsrecht Die Definition des Rechtsmissbrauchs als steuermindernde, den wirtschaftlichen Vorgängen unangemessene und vom Gesetz missbilligte Gestaltung ist wesentlich spezieller als das zivilrechtliche Verständnis einer Rechtsausübung wider Treu und Glauben.91 Im Steuerrecht wird der Rechtsmissbrauch – anders als im Zivilrecht92 – als Voraussetzung der Gesetzesumgehung betrachtet. Wegen seines Eingriffscharakters sind rechtsstaatliche Grundsätze im Steuerrecht in anderer Weise zu berücksichtigen als im Zivilrecht.93 Zudem gilt nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO im Steuerrecht der Amtsermittlungsgrundsatz. Die steuerrechtliche Behandlung von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch durch den BFH lässt sich aus diesen Gründen nicht auf das Arbeitsrecht übertragen.

D.  EuGH I.  Rechtsprechung zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch 1.  Fokussierung auf den Missbrauch von Gemeinschaftsrecht Der Begriff der Gesetzesumgehung fällt in den Entscheidungen des EuGH durchaus nicht selten.94 Gleichwohl haben sich daraus weder gefestigte Grundsätze im Umgang mit derartigen Fällen noch eine eigenständige Rechtsfigur entwickelt.95 Der EuGH unterscheidet nämlich nicht klar zwischen Gesetzesumgehung, Scheingeschäft, individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch sowie Be89 

BFH, Urteil v. 02. 03. 2016 – I R 73/14, BB 2016, 1822. BFH, Beschluss v. 07. 05. 2014 – VIII B 110/13, juris (Rn. 21). 91  Fischer, DB 1996, 644, 652; Römer, S. 54. 92  s.o. Gliederungspunkt § 4 A. II. 1. 93  Römer, S. 42, Fn. 15. 94  Der Begriff wird in 2,03 % aller Entscheidungen und damit deutlich häufiger verwendet als von allen obersten deutschen Gerichten mit Ausnahme des BAG. 95  v. Lackum, S. 247. 90 

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2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

trug.96 In all diesen Fällen thematisiert der EuGH in erster Linie die Möglichkeit eines Missbrauchs von Gemeinschaftsrecht. Damit erscheint die Umgehung in der Rechtsprechung des EuGH als Unterfall des (europarechtlichen) Rechtsmissbrauchs.97 Nach der Standardformel des EuGH, die auch in Umgehungskonstellationen verwendet wird, „ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht […] nicht erlaubt“98. Das Gemeinschaftsrecht selbst enthält zur Verhinderung eines Missbrauchs durch Privatpersonen zwar nur punktuelle Regelungen,99 die nicht ausreichen, um daraus einen allgemeinen Grundsatz des Rechtsmissbrauchs abzuleiten.100 Dennoch erkannte der EuGH erstmals im Jahre 2007 in der Entscheidung „Kofoed“ ausdrücklich einen „allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts [an], wonach Rechtsmissbrauch verboten ist“101. Dieser Grundsatz kann nach überwiegender Ansicht nicht aus dem Recht der EU, sondern aus einer Gesamtbetrachtung der Rechtsordnungen aller Mitgliedsstaaten hergeleitet werden.102 Anders als der EuGH unterscheidet die Literatur beim Missbrauch von Gemeinschaftsrecht unterschiedliche Fallgruppen:103 In einigen Konstellationen sollen Grundfreiheiten genutzt werden, um nationale Regelungen zu umgehen. Im Fall „Centros“ beispielsweise wurde eine Gesellschaft in England angemeldet, um ausschließlich durch eine Niederlassung in Dänemark Geschäfte zu betreiben, ohne dabei die strengeren Vorschriften des dänischen Gesellschaftsrechts einhalten zu müssen.104 Der EuGH prüfte – und verneinte – hier lediglich einen Missbrauch des Gemeinschaftsrechts. Im Ergebnis billigte er damit eine von ihm selbst ausdrücklich als Umgehung bezeichnete Vorgehensweise. 96  Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 216; Fischer, in: FS Reiß, S. 622 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1277 ff. 97  Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 216. 98  EuGH, Urteil v. 14. 04. 2016 – C-131/14 (Cervati und Malvi), juris (Rn. 32); ähnl. EuGH, Urteil v. 05. 07. 2007 – C-321/05 (Kofoed), juris (Rn. 38); v. 09. 03. 1999 – C-212/97 (Centros), NJW 1999, 2027, 2028; v. 02. 05. 1996 – C-206/94 (Paletta II), NJW 1996, 1881, 1882. 99  Z. B. Art. 102 und 263 Abs. 2 AEUV, Art. 11 Abs. 1 lit. a RL 2005/19/EG, Art. 3 Abs. 3 und Anhang der RL 93/13/EWG. 100  Fleischer, JZ 2003, 865, 871. 101  EuGH, Urteil v. 05. 07. 2007 – C-321/05 (Kofoed), juris (Rn. 38); ähnl. bereits im Urteil v. 12. 09. 2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), juris (Rn. 35). 102  Basedow, in: FS Stathopoulos, S. 166 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 871; Ranieri, ZEuP 2001, 169, 171 ff.; Zimmermann, S. 180; a.A. Schön, in: FS Wiedemann, S. 1283. 103  Baudenbacher, ZfRV 2008, 205; Englisch, StuW 2009, 3, 5; Fleischer, JZ 2003, 865, 869; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1272 f.; Knop, S. 179. 104  EuGH, Urteil v. 09. 03. 1999 – C-212/97 (Centros), NJW 1999, 2027; ähnl. EuGH, Urteil v. 17. 07. 2014 – C-58/13 und C-59/13 (Torresi), NJW 2014, 2849.

D.  EuGH

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Eine zweite Fallgruppe ist einschlägig, wenn Vorteile aus sekundärem Gemeinschaftsrecht „ergangen“ werden. So spricht der EuGH in der Rechtssache „General Milk Products“, die eine Gesetzesergehung durch Export und sofortigen Reimport von Cheddar-Käse zum Gegenstand hat, von „Scheingeschäften, die zu dem einzigen Zweck getätigt worden seien, in missbräuchlicher Weise Währungsausgleichsbeträge zu erhalten“105. Der EuGH prüfte auch hier sofort und ausschließlich einen Rechtsmissbrauch, ohne eine einschränkende Auslegung der Anspruchsgrundlage auch nur in Betracht zu ziehen. Schließlich umfasst der Missbrauch von Gemeinschaftsrecht auch Fälle, in denen nationale Regelungen missbraucht werden, die in Umsetzung europäischer Richtlinien erlassen wurden.106 So entschied der EuGH in der Rechtssache „Kratzer“, dass sich ein Scheinbewerber mit dem hauptsächlichen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu erhalten, missbräuchlich auf den Schutz der dem AGG zugrundeliegenden Richtlinien berufe.107 2.  Prüfung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsmissbrauchs Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seit der Entscheidung „Emsland-Stärke“108 im Jahr 2000 setzt der Missbrauch des Gemeinschaftsrechts ein objektives und ein subjektives Element voraus.109 Deshalb prüft der EuGH das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs in zwei Schritten: Zunächst müsse sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das durch Auslegung ermittelte Ziel der einschlägigen Regelung nicht erreicht werde. Außerdem müsse ersichtlich sein, „dass […] im Wesentlichen bezweckt wird, einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu erlangen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden“110. Diese Missbrauchsabsicht könne anhand „einer Reihe objektiver Anhaltspunkte“111 festgestellt werden. Im deutschen Schrifttum stößt 105  EuGH, Urteil v. 03. 03. 1993 – C-8/92 (General Milk Products), juris (Rn. 13); ähnl. EuGH, Urteil v. 14. 12. 2000 – C-110/99 (Emsland-Stärke), juris, wo ein Unternehmen Kartoffelstärke exportierte und dafür eine Ausfuhrerstattung erhielt, um die Stärke dann sogleich zu reimportieren. 106  EuGH, Urteil v. 12. 05. 1998 – C-367/96 (Kefalas), EuZW 1999, 56. 107  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15, juris (Rn. 43 f.). 108  EuGH, Urteil v. 14. 12. 2000 – C-110/99, juris (Rn. 52 f.). 109  EuGH, Urteil v. 14. 04. 2016 – C-131/14 (Cervati und Malvi), juris (Rn. 33 f.); v. 13. 03. 2014 – C-155/13 (SICES), juris (Rn. 31 ff.); v. 21. 07. 2005 – C-515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb), juris (Rn. 39). 110  EuGH, Urteil v. 14. 04. 2016 – C-131/14 (Cervati und Malvi), juris (Rn. 34). 111 EuGH, Urteil v. 28.  07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014, 1015; v. 14. 04. 2016 – C-131/14 (Cervati und Malvi), juris (Rn. 34); v. 13. 03. 2014 – C-155/13 (SICES), juris (Rn. 30).

162

2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

das Erfordernis eines subjektiven Elements überwiegend auf Kritik.112 Wie oben gezeigt,113 erfordert nach der in Deutschland herrschenden zivilrechtlichen Dogmatik weder die Gesetzesumgehung noch der institutionelle Rechtsmissbrauch eine Umgehungs- oder Missbrauchsabsicht; es genügt ein Verstoß gegen Ziele der Rechtsordnung. Dem EuGH wird deshalb vorgeworfen, er verenge den Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchs und relativiere so die Geltung umgangener nationaler Normen zu Gunsten des Gemeinschaftsrechts.114 Liegt nach der Rechtsprechung des EuGH ein Rechtsmissbrauch vor, so ist als Rechtsfolge dem missbräuchlich Handelnden die Berufung auf das Gemeinschaftsrecht verwehrt.115 Entweder fällt das missbräuchliche Verhalten schon nicht in den Schutzbereich der an sich einschlägigen Grundfreiheit116 bzw. der in nationales Recht umgesetzten Richtlinie117, oder eine Beschränkung des Gemeinschaftsrechts durch nationale Vorschriften zwecks Verhinderung eines Missbrauchs gilt als gerechtfertigt118. Das Unionsrecht ist im Ergebnis jedenfalls unanwendbar; die sich daraus ergebenden Vorteile treten nicht ein. Soll durch den Missbrauch das Recht eines Mitgliedsstaats umgangen werden, so hält der EuGH statt einer Einschränkung der missbrauchten Grundfreiheit auch die Anwendung der umgangenen nationalen Rechtsvorschriften für zulässig.119 In aller Regel stellt sich die Frage nach einem Rechtsmissbrauch durch Privatpersonen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens. Hält der EuGH das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs generell für möglich, so überlässt er seine konkrete Feststellung den nationalen Gerichten.120 Diese können einen Missbrauch des Gemeinschaftsrechts auch anhand innerstaatlicher Vorschriften wie § 242 BGB feststellen.121 Jedoch setzen ihnen die Ziele der unionsrechtlichen Bestimmungen dabei Grenzen, weil andernfalls die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechts – der Grundsatz des „effet utile“ – beeinträchtigt werden

112  Englisch, StuW 2009, 3, 13; Fischer, in: FS Reiß, S. 623; v. Lackum, S. 247; a.A. Zimmermann, S. 222. 113  Vgl. Gliederungspunkte § 2 D. V. 3. b) und § 3 D. III. 1. c) dd) (3). 114  Fischer, in: FS Reiß, S. 623; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1284 ff. 115 EuGH, Urteil v. 14. 04. 2016 – C-131/14 (Cervati und Malvi), juris (Rn. 32); v. 13. 03. 2014 – C-155/13 (SICES), juris (Rn. 29 f.); v. 02. 05. 1996 – C-206/94 (Paletta II), NJW 1996, 1881, 1882. 116  EuGH, Urteil v. 06. 11. 2003 – C-413/01 (Ninni-Orasche), NZA 2004, 87, 89. 117  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), juris (Rn. 30). 118  EuGH, Urteil v. 12. 09. 2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), juris (Rn. 55). 119  EuGH, Urteil v. 05. 10. 1994 – C-23/93 (TV 10), juris (Rn. 21 ff.). 120  EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005 – C-515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb), juris (Rn. 40). 121  EuGH, Urteil v. 23. 03. 2000 – C-373/97 (Diamantis), ZIP 2000, 663; v. 12. 05. 1998 – C-367/96 (Kefalas), EuZW 1999, 56.

D.  EuGH

163

könnte.122 Vor allem in den Fällen der Umgehung nationaler Vorschriften durch primäres Gemeinschaftsrecht macht der EuGH den nationalen Gerichten dezidierte Vorgaben zur Anwendung der unionsrechtlichen Normen.123 Dabei haben die Gerichte stets alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen,124 so dass eine grundsätzliche Beschränkung des Gemeinschaftsrechts vermieden wird. II.  Übertragbarkeit auf das deutsche Arbeitsrecht Viele arbeitsrechtliche Regelungen beruhen auf europarechtlichen Vorgaben. Für ihre Auslegung ist deshalb die Rechtsprechung des EuGH von zentraler Bedeutung. Wegen ihrer einheitlichen Geltung in allen Mitgliedsstaaten der Union muss die Bedeutung von allgemeinen, auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen des Gemeinschaftsrechts aber nicht mit ihrer nationalen Bedeutung übereinstimmen.125 Die oben beschriebene Gleichsetzung unterschiedlicher Rechtsbegriffe durch den EuGH mag darauf beruhen, dass die Bezeichnungen auch in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten nicht einheitlich verwendet werden.126 Ein weiterer Grund kann die noch fehlende „dogmatische Durchbildung“ des Europarechts sein.127 Jedenfalls entspricht der Sprachgebrauch des EuGH bezüglich Umgehung und Rechtsmissbrauch nicht der Dogmatik des deutschen Zivilrechts.128 Damit stehen die nationalen Gerichte vor der Aufgabe, jeweils die passende Methode zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung in nationales Recht zu wählen. Nach einer Auffassung in der Literatur ist der Missbrauch europäischer Rechtsvorschriften oder ihrer nationalen Umsetzungsvorschriften von den nationalen Gerichten regelmäßig als institutioneller Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB, als zweckwidrige Verwendung von Normen und Rechtsinstituten einzu-

122  EuGH, Urteil v. 21. 07. 2005 – C-515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb), juris (Rn. 40); v. 12. 05. 1998 – C-367/96 (Kefalas), EuZW 1999, 56, 58; v. 02. 05. 1996 – C-206/94 (Paletta II), NJW 1996, 1881, 1882; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 76; Baudenbacher, ZfRV 2008, 205, 217; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1280; Zimmermann, S. 185. 123  Vgl. etwa EuGH, Urteil v. 06. 11. 2003 – C-413/01 (Ninni-Orasche), NZA 2004, 87; v. 02. 05. 1996 – C-206/94 (Paletta II), NZA 1996, 635. 124  EuGH, Urteil v. 13. 03. 2014 – C-155/13 (SICES), juris (Rn. 34); v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 138. 125 EuGH, Urteil v. 27. 01. 2005 – C-188/03 (Junk), NZA 2005, 213 f.; Brose, NZA 2009, 706, 709; Fischer, DB 1996, 644, 645. 126  EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts v. 04. 09. 2008 – C-396/07 (Juuri), juris (Fn. 15). 127  Fleischer JZ 2003, 865, 870. 128 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211; Basedow, in: FS Stathopoulos, S. 160 ff.; Englisch, StuW 2009, 3, 22; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1278.

164

2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

stufen.129 Auch das BAG wählt diesen Weg, z. B. wenn es prüft, ob die wiederholte Befristungsmöglichkeit wegen Vertretungsbedarfs missbraucht wird.130 Diese Einordnung ist aber keineswegs zwingend.131 In Fällen der Gesetzesumgehung kommt oft auch eine europarechtskonforme erweiternde Auslegung, Analogie oder teleologische Reduktion in Betracht.132 Führt es zu einer Beschränkung des Gemeinschaftsrechts, dann müssen die Gerichte das Rechtsmissbrauchsverbot unionsrechtskonform, d.h. eng anwenden.133 Problematisch kann insbesondere der Umgang mit dem vom EuGH geforderten subjektiven Element sein, weil der Rechtsmissbrauch nach der deutschen Dogmatik in vielen Fallgruppen keine Umgehungs- oder Missbrauchsabsicht erfordert.134 Die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Umsetzung in nationales Recht zeigt folgendes Beispiel: Nach der Rechtsprechung des EuGH kann es als Rechtsmissbrauch bewertet werden, wenn sich jemand nur deshalb um eine Arbeitsstelle bewirbt, weil er den formalen Status eines Bewerbers erhalten und nach Ablehnung durch den Arbeitgeber eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend machen will.135 Dieser Fall der Gesetzesergehung könnte im deutschen Recht entweder durch eine enge Auslegung des Bewerberbegriffs in § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG, durch eine teleologische Reduktion des § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG entsprechend dem Zweck der RL 2000/78/EG oder durch das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs verhindert werden.136 Nationale Gerichte müssen nun überlegen, welche Vorgehensweise der Methodenlehre am ehesten entspricht und zu angemessenen und unionsrechtskonformen Ergebnissen führt.137 Das BAG entschied sich wiederum für den Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB.138

129 

Englisch, StuW 2009, 3, 6; Knop, S. 183; Ottersbach, S. 33. BAG, Urteil v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 41/15, juris (Rn. 28); v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354, 356; grundlegend Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351, 1356 f.; ausführlich zur dieser Fallgruppe vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 131  Englisch, StuW 2009, 3, 11 f.; Krieger, EuZW 2016, 696, 698; Schlachter, in: FS Wank, S. 503 ff. 132  In diese Richtung auch Englisch, StuW 2009, 3, 11 f. 133 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 76. 134  Vgl. dazu die Gliederungspunkte § 2 D. V. 3. b) und § 3 D. III. 1. c) dd) (3). 135  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NJW 2016, 2796, 2798; ausführlich zu dieser Fallgruppe vgl. Gliederungspunkt § 11 D. 136  In diese Richtung auch Krieger, EuZW 2016, 696, 698. 137  Dazu ausführlich Gliederungspunkt § 11 D. III. 138  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 809/14, juris (Rn. 24 ff.). 130  Z. B.

E.  Ergebnisse

165

E.  Ergebnisse • Der BGH löst Fälle der Gesetzesumgehung heute meist entsprechend der herrschenden zivilrechtlichen Dogmatik: ◦ Die Gesetzesumgehung versteht der BGH nicht als separat zu prüfende Rechtsfigur, sondern als Argument für eine bestimmte Lösung im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung. ◦ Das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs prüft der BGH subsidiär. Tatbestand und Rechtsfolge hängen vom Einzelfall ab, wobei sich einheitliche Fallgruppen herausgebildet haben. ◦ Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch prüft der BGH unabhängig voneinander, wobei in einigen Fällen Überschneidungen gesehen werden. ◦ Der BGH unterscheidet ausdrücklich die fallgruppenbezogene Analogie vom einzelfallbezogenen Rechtsmissbrauch. ◦ Dogmatisch spricht nichts gegen eine Übertragung der BGH-Rechtsprechung auf das Arbeitsrecht. • Die Rechtsprechung des BVerwG zu Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch orientiert sich an jener des BGH: ◦ Ein einheitlicher Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung hat sich nicht herausgebildet. Überwiegend wird die Umgehungsgefahr als Argument für eine bestimmte Auslegung herangezogen. ◦ Der Grundsatz von Treu und Glauben soll als allgemeines Rechtsprinzip auch im öffentlichen Recht gelten. Auch die Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs übernimmt das BVerwG aus der Rechtsprechung des BGH. ◦ Besonderheiten des öffentlichen Rechts wie der Vorbehalt des Gesetzes und das Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger begründen Unterschiede zur Methodik des Zivilrechts. • In der Rechtsprechung des BFH wird der Missbrauch entsprechend dem Wortlaut des § 42 Abs. 1 AO als Voraussetzung einer Gesetzesumgehung betrachtet und nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt. Eine Übertragung auf das Arbeitsrecht scheidet daher aus. • Der EuGH unterscheidet nicht klar zwischen Gesetzesumgehung, Scheingeschäft, Betrug und Rechtsmissbrauch. ◦ In allen Fällen der zweckwidrigen Berufung auf Gemeinschaftsrecht prüft der EuGH in erster Linie das Vorliegen eines (Rechts-)Missbrauchs. Zum Schutz des Gemeinschaftsrechts stellt er dabei hohe Anforderungen und verlangt auch ein subjektives Element. ◦ Die Umgehung kann in der Rechtsprechung des EuGH als Sonderfall des Rechtsmissbrauchs aufgefasst werden.

166

2. Teil: § 6  Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch

◦ Die erst in Ansätzen entwickelte Dogmatik des europäischen Rechts lässt sich nicht auf das deutsche Zivilrecht übertragen. Dass der EuGH in Umgehungsfällen regelmäßig einen Rechtsmissbrauch prüft, sagt also nichts über die im deutschen Arbeitsrecht anzuwendende Methode aus. Diese muss das nationale Gericht vielmehr entsprechend der nationalen Methodenlehre wählen. • Keines der betrachteten Gerichte prüft das Vorliegen einer Gesetzesumgehung als eigenständige Rechtsfigur mit bestimmten Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Damit bestätigt sich die Einschätzung der Literatur, dass das BAG hier einen grundsätzlich anderen Weg geht. Welche Auswirkungen dies auf die Ergebnisse der Entscheidungen hat, wird im Folgenden zu betrachten sein. • Außerdem wird zu untersuchen sein, ob die Fokussierung des EuGH auf die Rechtsmissbrauchsprüfung auch die Methodenanwendung durch das BAG beeinflusst haben könnte.

Dritter Teil

Lösungswege des BAG in Umgehungsfällen Das BAG hat für Fälle der objektiven Gesetzesumgehung unterschiedliche Lösungsstrategien entwickelt. Eine objektive Gesetzesumgehung setzt nach den bisherigen Erkenntnissen voraus, dass eine Gestaltung eine Gesetzeslücke nutzt.1 Zur Abgrenzung dieser Lücken und zur Bestimmung der Eingriffsschwelle greift das BAG zurück auf • das Erfordernis eines sachlichen Grundes (§ 7), • die Kernbereichslehre (§ 8), • die Auslegung und Anwendung gesetzlicher Umgehungsregelungen (§ 9), • die analoge Anwendung gesetzlicher Vorschriften (§ 10) sowie • das Verbot des individuellen und institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 11). Diese Lösungswege sollen im Folgenden anhand von Rechtsprechung und Literatur dargestellt werden. Ohne eine vollständige Erfassung der äußerst umfangreichen Umgehungsrechtsprechung auch nur zu versuchen, werden ihnen praktisch wichtige Fallgruppen zugeordnet. Dabei wird betrachtet, welche Eigenschaften einen Umgehungsfall für einen bestimmten Lösungsweg qualifizieren. Auf diese Weise werden durchgängige und wiederkehrende Muster in der Judikatur des BAG offengelegt. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Frage gerichtet, ob die Lösungswege und Ergebnisse des BAG mit der zivilrechtlichen Dogmatik vereinbar sind. Wie oben gezeigt,2 stehen zur Lösung von Umgehungsfällen alle Methoden der Auslegung, der Rechtsfortbildung praeter legem und der Rechtsfortbildung extra legem zur Verfügung. Gerichtliche Entscheidungen sind nur rechtmäßig, wenn sie die Voraussetzungen und Grenzen dieser Methoden einhalten.3

§ 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes 3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

In seiner bereits ausführlich dargestellten4 grundlegenden Entscheidung zur Gesetzesumgehung statuierte der Große Senat erstmals das Vorliegen eines 1 

Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. I. Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. II. bis IV. 3  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. I. 4  Vgl. Gliederungspunkt § 5 A. 2 

168

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

sachlichen Grundes als Voraussetzung für eine wirksame Befristung des Arbeitsverhältnisses.5 An dieser Voraussetzung entschied sich, ob die Vereitelung des Normzwecks von Kündigungsschutzbestimmungen zulässig oder missbräuchlich war. Das Sachgrunderfordernis in Befristungsfällen soll nunmehr genauer betrachtet und auf seine Vereinbarkeit mit der zivilrechtlichen Dogmatik untersucht werden. Später löste das BAG auch andere – aber keineswegs alle – Umgehungsfälle anhand des Kriteriums eines sachlichen Grundes. Das wirft die Frage auf, welche besonderen Eigenschaften eine Fallgruppe für diesen Lösungsweg qualifizieren und ob die Übertragung in allen Fällen dogmatisch gerechtfertigt war.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes Das Kündigungsschutzrecht, laut Preis das „Nervenzentrum des Arbeitsvertragsrechts“6, dürfte die für Arbeitgeber schmerzhafteste Einschränkung der Vertragsfreiheit sein. Gleichwohl ist es verfassungsrechtlich unentbehrlich, weil der Gesetzgeber auf diese Weise die kollidierenden Grundrechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu einem angemessenen Ausgleich gebracht hat.7 Das Kündigungsschutzrecht erschwert es dem Arbeitgeber erheblich, das von ihm zu tragende8 wirtschaftliche Risiko auf Arbeitnehmer abzuwälzen. Folgerichtig haben die meisten Entscheidungen in der Umgehungsrechtsprechung des BAG auch Gestaltungen zur Vermeidung des Kündigungsschutzes zum Gegenstand.9 Größter Beliebtheit erfreut sich in der Praxis die Befristung, vermag sie doch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz ohne Kündigung herbeizuführen. Auch andere Rechte des Arbeitnehmers, z. B. die Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall10 oder auf gesetzlichen Urlaub11, können durch Befristung umgangen werden. Diese Fälle erfordern aber andere Überlegungen und werden deshalb später separat betrachtet. Die Rechtsprechung des BAG lässt sich in zwei Epochen unterteilen: Bis zum Ende des Jahres 2000 war die Befristung von Arbeitsverträgen gesetzlich nicht 5 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. Preis, NZA 1997, 1073. 7  BVerfG, Urteil v. 24. 04. 1991 – 1 BvR 1341/90, NJW 1991, 1667; APS/Preis, 1. Teil J. Rn. 63; MüArbR/Wank, § 100 Rn. 8; MüKoBGB/Hergenröder, Einl. KSchG, Rn. 15 f.; Preis, NZA 1995, 241, 242; Söllner, AuR 1991, 45, 52. 8  BAG, Beschluss v. 22. 12. 1980 – 1 ABR 2/79, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70; ErfK/Preis, § 615 Rn. 121. 9  Benecke, S. 196. 10  BAG, Urteil v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 264/86, NZA 1988, 464; v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, BAGE 50, 292; vgl. Gliederungspunkt § 7 C. 11  Beitzke, SAE 1980, 186; vgl. Gliederungspunkt § 10 C. 6 

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

169

geregelt. Das BAG stand vor der Aufgabe, im Wege der Rechtsfortbildung Grundsätze zum Umgang mit Befristungsfällen zu entwickeln. Mit dem „Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen“12 (TzBfG) kodifizierte der Gesetzgeber dieses Richterrecht mit nur geringfügigen Änderungen, so dass die Rechtsprechung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt wurde. Deshalb wird hier zunächst nur die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des TzBfG betrachtet. I.  Befristungsrechtsprechung bis zum Inkrafttreten des TzBfG Bis zum Inkrafttreten des TzBfG blieb das BAG der vom Großen Senat13 vorgezeichneten Linie im Wesentlichen treu, obwohl sich die Literatur mit Kritik und Alternativvorschlägen nicht zurückhielt.14 Wenn im Folgenden Tatbestand, Rechtsfolgen und Wertungen in der Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristungen betrachtet werden, soll das Augenmerk weniger auf einzelne Sachgründe als vielmehr auf allgemeine Grundsätze und Entwicklungstendenzen gerichtet werden. 1.  Tatbestand der Gesetzesumgehung durch Befristung Der „Tatbestand der Gesetzesumgehung“15 in Befristungsfällen besteht in „der Vereitelung des Bestandsschutzes nach dem Kündigungsschutzrecht durch die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts des befristeten Arbeitsvertrages“16. Der allgemeine Tatbestand der objektiven Gesetzesumgehung wurde oben17 definiert als (1) Vereitelung des Zwecks einer zwingenden Rechtsnorm (2) durch missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Für eine erfolgreiche Entfristungsklage verlangte das BAG dementsprechend zwei kumulativ vorliegende Voraussetzungen, die die allgemeinen Tatbestandsmerkmale konkretisieren, nämlich (1) die Umgehung von Kündigungsschutzbestimmungen und (2) das Fehlen eines Sachgrundes für die Befristung.18

12 

BGBl. I v. 28. 12. 2000, S. 1966 ff. BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 14  Vgl. dazu den folgenden Gliederungspunkt § 7 A. II. 1. bis 3. 15  Z. B. BAG, Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, AP LohnFG § 1 Nr. 65; ähnl. Urteil v. 03. 05. 1962 – 2 AZR 451/61, NJW 1962, 1587. 16  BAG, Urteil v. 03. 05. 1962 – 2 AZR 451/61, NJW 1962, 1587. 17  Vgl. Gliederungspunkt § 5 B. 18  BAG, Urteil v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 259/89, NZA 1991, 18, 19; v. 19. 08. 1981 – 7 AZR 252/79, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 60; v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1768; v. 02. 08. 1978 – 4 AZR 58/77, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 46; vgl. APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 3. 13 

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

170

a)  Durch Befristung umgangene Kündigungsschutzvorschrift Dörner, von 1996 bis 2009 Vorsitzender des für Befristungen zuständigen Siebten Senates, beschreibt die Vorgehensweise des BAG in einem Aufsatz so, dass am Anfang jeder Befristungskontrolle die „Suche nach der Umgehungsnorm“19 gestanden habe. Sei diese Suche erfolglos geblieben, so habe das BAG die Klage abweisen müssen. Weil eine wirksame Befristung den Ausspruch einer Kündigung stets entbehrlich macht, ließ sich die Vereitelung des Zwecks einer Rechtsnorm in aller Regel leicht feststellen: Sobald auf das Arbeitsverhältnis eine Kündigungsschutznorm anwendbar gewesen wäre, wurde ihr Zweck durch die Befristung vereitelt. Bei Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags oder bei nachträglicher Befristung eines laufenden Arbeitsverhältnisses20 drohte am häufigsten eine Umgehung des § 1 KSchG. Doch auch bei Bestandsschutznormen außerhalb des KSchG nahm das BAG eine Umgehung durch Befristungen an. So wurde beispielsweise eine Befristung bis zum Zeitpunkt der Veräußerung eines Kleinstbetriebs i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG wegen Umgehung des Kündigungsschutzes nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB für unzulässig gehalten, wenn sie ohne sachlichen Grund erfolgte.21 Weil das BAG bei der Beurteilung der Rechtswirksamkeit von Befristungen streng auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellte, erlangte die Umgehung besonderer Bestandsschutznormen (z. B. § 18 BErzGG, § 15 KSchG22, § 15 SchwbG23) nur geringe praktische Bedeutung. Wurde eine Arbeitnehmerin während des Arbeitsverhältnisses schwanger, dann konnte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses § 9 MuSchG noch nicht umgangen werden;24 nur wenn die Arbeitnehmerin bei Vertragsschluss bereits schwanger und dem Arbeitgeber dies bekannt war, musste die grundsätzlich immer noch mögliche25 Befristung sachlich gerechtfertigt werden.26 Eine Umgehung des Sonderkündigungsschutzes für Personalratsmitglieder nach § 15 Abs. 2 KSchG bejahte das BAG in einem Fall, in dem der Arbeitsvertrag mit einem zwischenzeitlich in den Personalrat gewählten Arbeitnehmer nach Ablauf der Befristung wiederum nur befristet verlängert wurde.27 19 

Dörner, ZTR 2001, 485. Urteil v. 17. 11. 1998 – 9 AZR 542/97, juris; v. 24. 01. 1996 – 7 AZR 496/95, NZA 1996, 1089. 21  BAG, Urteil v. 02. 12. 1998 – 7 AZR 579/97, NZA 1999, 926; zur Umgehung des § 613a BGB durch Befristung vgl. auch Urteil v. 30. 10. 2008 – 8 AZR 855/07, NZA 2009, 723; v. 15. 02. 1995 – 7 AZR 680/94, NZA 1995, 987; v. 17. 10. 1990 – 7 AZR 614/89, juris. 22  BAG, Urteil v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 481/81, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 14. 23  BAG, Urteil v. 28. 02. 1963 – 2 AZR 345/62, BAGE 14, 108. 24  BAG, Urteil v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 26; Schüren, SAE 1987, 237, 238. 25  BAG, Urteil v. 06. 11. 1996 – 7 AZR 909/95, BB 1997, 1797. 26  Schwerdtner, NZA 1988, 593, 595; Sowka, BB 1994, 1001, 1004. 20  BAG,

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

171

Wenn auf ein konkretes Arbeitsverhältnis ohnehin keine Kündigungsschutznorm anwendbar gewesen wäre, dann konnte eine solche Regelung auch nicht durch Befristung umgangen werden. In diesen Fällen war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses auch ohne sachlichen Grund wirksam. Denn das Sachgrund­ erfordernis diente als Ausgleich für den Verlust eines an sich bestehenden gesetzlichen Kündigungsschutzes.28 Dementsprechend wurde die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses bis zu sechs Monaten Dauer generell ohne sachlichen Grund für zulässig erachtet, weil aufgrund der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch kein Kündigungsschutz gegolten hätte.29 In der Literatur wurde beanstandet, dass gerade in den dringendsten Fällen – nämlich bei befristeten Arbeitsverhältnissen von besonders kurzer Dauer – keine Befristungskontrolle vorgenommen werde.30 Ebenso konnten in Kleinstbetrieben i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG Arbeitsverhältnisse generell ohne Sachgrund beliebig befristet werden.31 Instanzgerichte haben diese Einschränkung der Befristungskontrolle auf die Konstellation erstreckt, dass das KSchG nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung anwendbar war.32 27

b)  Fehlen eines sachlichen Grundes Durch die Voraussetzung des Fehlens eines sachlichen Grundes konkretisierte das BAG, wann der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages als missbräuchliche Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten anzusehen war. Dieses Merkmal verlieh dem Tatbestand der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristung also seine Kontur. Nur wenn ein Sachgrund für die Befristung spreche, liege eine erlaubte Tatbestandsvermeidung und keine unzulässige Gesetzesumgehung vor. In zahlreichen Entscheidungen erwähnte das BAG umgangene Kündigungsvorschriften gar nicht oder nur am Rande. Auch die allgemeinen Voraussetzungen des Umgehungstatbestandes wurden nicht immer angesprochen. Nach dem Obersatz wurde stattdessen allein das Vorliegen eines sachlichen Grundes geprüft, ohne dessen Notwendigkeit anders als mit der ständigen Rechtsprechung des BAG zu rechtfertigen.33 Damit entsteht der Eindruck, dass das Sachgrunderfor27 

BAG, Urteil v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 481/81, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 14. Sowka, BB 1994, 1001, 1003. 29  BAG, Urteil 09. 08. 2000 – 7 AZR 339/99, juris; v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris (Rn. 30); v. 25. 02. 1983 – 2 AZR 203/81, juris; v. 17. 02. 1983 – 2 AZR 208/81, BAGE 41, 381; grundlegend Urteil v. 11. 11. 1982 – 2 AZR 552/81, NJW 1983, 1443. 30  M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38. 31  BAG, Urteil v. 13. 06. 1986 – 7 AZR 650/84, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 19. 32  LAG Köln, Urteil v. 10. 03. 1995 – 13 Sa 842/94, NZA-RR 1996, 202. 33  Z. B. BAG, Urteil v. 01. 12. 1999 – 7 AZR 449/98, BB 2000, 1525; v. 13. 02. 1985 – 7 AZR 48/84, juris; v. 24. 07. 1980 – 2 AZR 685/78, juris; v. 30. 09. 1971 – 5 AZR 146/71, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 36; v. 15. 03. 1966 – 2 AZR 211/65, AP BGB 28 

172

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

dernis bei Befristungen mit der Zeit als feststehender „Rechtssatz“34 betrachtet wurde, dessen Herkunft von nachrangiger Bedeutung war. Diese Vorgehensweise dürfte auch der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass in den meisten Fällen die Anwendbarkeit möglicherweise umgangener Kündigungsschutzvorschriften eindeutig feststand und deshalb nicht für erwähnenswert gehalten wurde. Der Große Senat verlangte für eine Befristung einen „verständigen, sachlich gerechtfertigten Grund“; die Parteien müssen von der Befristungsmöglichkeit einen „vernünftigen, sachlichen, den allgemeinen Zwecken der Rechtsordnung entsprechenden Gebrauch“ machen.35 Die Anforderungen an einen zulässigen Befristungsgrund differenzierte das BAG mit der Zeit immer weiter aus. Auf subjektive Voraussetzungen verzichtete es in allen Entscheidungen. Maßgeblich war allein, ob die Befristung objektiv nach Einschätzung des Gerichts der Billigkeit entsprach.36 Allerdings hat das BAG nie eine subsumtionsfähige Definition des sachlichen Grundes entwickelt, sondern stets anhand der Umstände des Einzelfalls entschieden.37 Damit beruhte die Abgrenzung zwischen wirksamen und unwirksamen Befristungen zu erheblichen Teilen auf Wertungen. Die Bildung von Fallgruppen sollte zwar eine Prognose erleichtern, doch sie hatte nur begrenzte Aussagekraft.38 So wurde die branchenspezifische Üblichkeit im Arbeitsleben als Indiz für die Zulässigkeit von Befristungen gewertet, das aber aufgrund der Umstände des Einzelfalls, wenn sie besonderes Gewicht hatten, in den Hintergrund treten konnte.39 Anders als beim institutionellen Rechtsmissbrauch fand aber keine umfassende Abwägung aller Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer in jedem Einzelfall statt. So ließ das BAG die persönliche Situation des Arbeitnehmers bei der Sachgrundprüfung unberücksichtigt. In besonderen Härtefällen konnte die Berufung des Arbeitgebers auf eine wirksame Befristung aus einem Grund aus der Sphäre des Arbeitnehmers jedoch wegen Rechtsmissbrauchs für unzulässig erklärt werden.40 § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 28; v. 05. 05. 1961 – 1 AZR 65/56, AuR 1962, 55; v. 03. 08. 1961 – 2 AZR 117/60, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 19. 34  Vgl. BAG, Urteil v. 03. 05. 1962 – 2 AZR 451/61, juris (Rn. 10); v. 03. 08. 1961 – 2 AZR 117/60, BAGE 11, 236. 35  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 36  Säcker, RdA 1976, 91, 95. 37  BAG, Urteil v. 30. 09. 1971 – 5 AZR 146/71, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 36; v. 04. 02. 1971 – 2 AZR 144/70, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 35; v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, BAGE 15, 132; krit. Kempff, DB 1976, 1576. 38  Persch, S. 294. 39  BAG, Urteil v. 19. 06. 1986 – 2 AZR 570/85, juris (Rn. 15); v. 22. 03. 1973 – 2 AZR 274/72, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38. 40  BAG, Urteil v. 13. 12. 1962 – 2 AZR 38/62, BB 1963, 310.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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Der Vorteil dieser Vorgehensweise für den Rechtsanwender liegt in ihrer Flexibilität. Er kann in jedem Einzelfall entscheiden, ob er ein Motiv als sachlichen Grund billigt oder nicht. In der Literatur wurde die daraus resultierende Rechtsunsicherheit kritisiert.41 Dass der sachliche Grund nicht allgemein definiert, sondern anhand von Beispielen beschrieben werde, trage zu einer Unvorhersehbarkeit der Rechtsprechung in Befristungsfällen bei. Andererseits wurde darauf hingewiesen, dass Gerichte in erster Linie die Lösung des jeweiligen Einzelfalls nach Gesetz und Recht im Blick haben müssen und nicht die Schaffung einfach zu handhabender, allgemeingültiger Regelungen.42 Größer war die Rechtssicherheit, wenn ein Tarifvertrag die Befristung gestattete. Das BAG hielt dann eine Einzelfallprüfung für entbehrlich, weil die Tarifvertragsparteien bereits den erforderlichen Sachgrund festgestellt haben.43 Die Rechtsprechung des BAG zum Erfordernis eines sachlichen Grundes blieb in ihren Grundprinzipien fast 40 Jahre lang relativ konstant, wenn auch geringfügige Richtungsänderungen im Zeitverlauf nicht ausblieben. Dazu zwei Beispiele: Entscheidend war nach der Rechtsprechung des BAG zunächst nicht nur, dass überhaupt ein sachlicher Grund vorlag, sondern er musste auch die Dauer der Befristung rechtfertigen können.44 Die gerichtlich nachprüfbare Prognose des Arbeitgebers müsse auf „greifbaren Tatsachen“ beruhen und mit „einiger Sicherheit“ eintreten.45 Obwohl eine Befristung zwecks Erprobung eines Arbeitnehmers beispielsweise für zulässig erachtet wurde, konnte sie den Abschluss von fünf befristeten Arbeitsverträgen mit einer Gesamtlaufzeit von mehr als drei Jahren nicht rechtfertigen.46 Später gab das BAG diese Sichtweise auf und hielt die Dauer der Befristung nur noch für beachtlich, wenn sie Rückschlüsse darauf zuließ, dass der Befristungsgrund nur vorgeschoben war.47 Diese Änderung erleichterte die wirksame Vereinbarung von Befristungen. 41  Dammann, AuR 1978, 65, 66; Kempff, DB 1976, 1576; Koch, BB 1978, 1218, 1220; Pestalozza, SAE 1974, 162; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 88. 42  Picker, JZ 1984, 153, 154 ff. 43  BAG, Urteil v. 30. 09. 1971 – 5 AZR 146/71, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 36; v. 04. 12. 1969 – 5 AZR 84/69, AuR 1970, 56. 44  BAG, Urteil v. 27. 01. 1988 – 7 AZR 53/87, AP BGB § 620 Hochschule Nr. 6; v. 29. 09. 1982 – 7 AZR 147/80, NJW 1983, 1444, 1445; v. 19. 08. 1981 – 7 AZR 252/79, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 60; v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1768; v. 02. 08. 1978 – 4 AZR 58/77, BAGE 31, 40; v. 16. 06. 1976 – 2 AZR 630/74, AuR 1976, 382; grundlegend Urteil v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, BAGE 15, 132. 45  BAG, Urteil v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64. 46  BAG, Urteil v. 15. 03. 1966 – 2 AZR 211/65, SAE 1966, 252. 47  BAG, Urteil v. 11. 12. 1990 – 7 AZR 621/89, juris; v. 28. 11. 1990 - 7 AZR 625/89, juris; v. 26. 09. 1990 – 7 AZR 566/89, juris; grundlegend Urteil v. 26. 08. 1988 – 7 AZR 101/88, DB 1989, 1677, 1678 f.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Nach dem Beschluss des Großen Senats mussten „die wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse der Parteien oder jedenfalls einer Partei“48 für eine Befristung des Vertrages sprechen. Einem Wandel unterlag die Rechtsprechung des Zweiten Senats zu der Frage, ob dabei auch die Interessen Dritter – insbesondere potentieller Bewerber – zu berücksichtigen sind. In einigen Entscheidungen wurde dies bejaht.49 In einem Urteil aus dem Jahre 1970 verlangte der Zweite Senat dagegen, dass „ein konkreter, das betreffende Vertragsverhältnis berührender Umstand vorliegt, der die Befristung […] rechtfertigt“50, wozu die Interessen künftiger Bewerber um den Arbeitsplatz nicht zählen sollten.51 In folgenden Fällen sah das BAG die Befristung des Arbeitsverhältnisses beispielsweise durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt: • Wunsch des Arbeitnehmers,52 • Vereinbarung in gerichtlichem Vergleich,53 • Erprobung des Arbeitnehmers,54 • vorübergehender Bedarf an der Arbeitsleistung,55 • Vertretung eines anderen Arbeitnehmers,56 • berechtigte Branchenüblichkeit,57 • Verlängerung aus sozialen Gründen.58 48 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. Urteil v. 31. 10. 1974 – 2 AZR 483/73; AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 39; v. 28. 09. 1961 – 2 AZR 97/61, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 21. 50  BAG, Urteil v. 03. 07. 1970 – 2 AZR 380/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 33. 51 Ebenso BAG, Urteil v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64. 52  BAG, Urteil v. 13. 05. 1982 – 2 AZR 87/80, DB 1982, 2708; v. 22. 03. 1973 – 2 AZR 274/72, BAGE 25, 125; BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 53  BAG, Urteil v. 04. 03. 1980 – 6 AZR 323/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 53; 03. 08. 1962 – 2 AZR 117/60, DB 1961, 1262. 54 BAG, Urteil v. 15. 03. 1978 – 5 AZR 831/76, DB 1978, 1744; v. 15. 03. 1966 – 2 AZR 211/65, SAE 1966, 252; v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 26. 55  BAG, Urteil v. 29. 09. 1982 – 7 AZR 147/80, BAGE 40, 176; v. 30. 09. 1981 – 7 AZR 467/79, BAGE 36, 235. 56  BAG, Urteil v. 08. 09. 1983 – 2 AZR 438/82, DB 1984, 621; 30. 09. 1981 – 7 AZR 602/79, DB 1982, 437. 57  BAG, Urteil v. 13. 05. 1982 – 2 AZR 87/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 68; v. 21. 05. 1981 – 2 AZR 1117/78, BAGE 35, 309; 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, DB 1980, 1498, 1499; v. 02. 08. 1978 – 4 AZR 58/77, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 46; BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 58  BAG, Urteil v. 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, DB 1980, 1498, 1500. 49  BAG,

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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Hingegen erkannte das BAG folgende Tatbestände nicht als Sachgrund an: • Unsicherheit über die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs,59 • ungewisse Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln,60 • ständiger Vertretungsbedarf,61 • Lebensalter des Arbeitnehmers,62 • Altersstruktur im Unternehmen,63 • Einstellungsinteresse späterer Bewerber.64 2.  Rechtsfolgen unzulässiger Befristungen Während der Große Senat die Gesetzesumgehung hinsichtlich ihrer Voraussetzungen noch recht klar definierte, blieb die dogmatische Herleitung der Rechtsfolgen eher vage: Die Gesetzesumgehung führe nicht zur Gesamtnichtigkeit des Arbeitsvertrages. Der Gesetzeszweck und eine Vereitelung der Umgehung werden durch Anwendung der umgangenen Norm auf den Arbeitsvertrag erreicht. An die Stelle des befristeten trete ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, auf das dann die umgangenen Kündigungsschutzbestimmungen anwendbar seien. Daher könne sich der Arbeitgeber nicht auf eine Befristung berufen, wenn diese dem Arbeitnehmer zwingenden Kündigungsschutz entziehe.65 Eindeutig nennt das BAG hier nur das Ziel, die Umgehung, d.h. die Vereitelung des Zwecks einer Rechtsnorm, ihrerseits zu vereiteln. Es geht also darum, den Zweck der umgangenen Rechtsnormen zu verwirklichen. Auf welche Weise, nach welchen Prinzipien, durch Anwendung welcher Methoden dies geschehen soll, bleibt jedoch im Dunkeln. Zwar klingt in der Entscheidung die Idee an, dass eine Umgehung durch Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der umgangenen Norm verhindert werden sollte, wenn auf die Anwendbarkeit der Kündigungsschutzbe59  BAG, Urteil v. 16. 08. 1995 – 7 AZR 1044/94, juris (Rn. 25); v. 03. 12. 1986 – 7 AZR 354/85, NZA 1987, 739. 60  BAG, Urteil v. 30. 09. 1981 – 7 AZR 789/78, BAGE 36, 229; 25. 01. 1980 – 7 AZR 69/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 52; v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85; v. 05. 05. 1961 – 1 AZR 65/56, RdA 1961, 378. 61  BAG, Urteil v. 30. 09. 1981 – 7 AZR 602/79, DB 1982, 437; v. 07. 05. 1980 – 5 AZR 593/78, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 36. 62  BAG, Urteil v. 05. 03. 1970 – 2 AZR 175/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 34. 63  BAG, Urteil v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64. 64  BAG, Urteil v. 14. 01. 1982, a. a. O.; v. 03. 07. 1970 – 2 AZR 380/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 33. 65  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799 f.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

stimmungen hingewiesen wird.66 Der Zweck der Kündigungsschutzvorschriften werde erreicht, indem an die Stelle des befristeten ein unbefristetes, dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis trete. Allerdings geht das BAG den bei Umgehungen üblichen Weg der Gleichstellung hinsichtlich der Rechtsfolgen gerade nicht. Dafür müsste es die jeweils umgangene Kündigungsschutzvorschrift analog anwenden, was in Rechtsprechung und Literatur nicht von wenigen gefordert67, vom BAG aber nie praktiziert und in einer späteren Entscheidung ausdrücklich abgelehnt68 wurde. Rechtsfolge einer unwirksamen Befristung war nach der ständigen Rechtsprechung des BAG vielmehr, dass „anstelle des befristeten Arbeitsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Dauer“69 trete. Auf welchem Wege genau das befristete in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wird, wurde nicht erläutert.70 Bereits die Entscheidung des Großen Senats zeigt Schwierigkeiten bei der Erklärung. Als nichtig bezeichnet das BAG die Befristungsabrede jedenfalls nicht. Dann würde § 139 BGB regelmäßig zur Nichtigkeit des gesamten Arbeitsvertrages führen, weil der Arbeitgeber diesen ohne die Befristung meist nicht geschlossen hätte.71 Weil diese Rechtsfolge dem Arbeitnehmerschutz aber gerade zuwiderlaufen würde, könnte sie allerdings über eine teleologische Reduktion des § 139 BGB verhindert werden. Die Unsicherheit des BAG kommt auch in einem späteren Urteil zum Ausdruck, wo ausdrücklich offengelassen wird, warum zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht: „[…] sei es, weil das beklagte Land sich auf die Befristung mindestens des letzten Vertrages nicht berufen durfte, oder sei es, weil das [vorherige] Arbeitsverhältnis als unbefristetes gemäß § 625 BGB fortgesetzt worden ist.“72 In der Folgezeit begründete das BAG eine Unwirksamkeit der Befristungsabrede teilweise mit § 134 BGB, ohne allerdings ein konkretes gesetzliches Verbot zu benennen.73 Wahrscheinlich beruhte diese Herleitung auf der Idee eines allge66 

Blomeyer, RdA 1967, 406, 407. etwa, wenn auch mit erheblichen Unterschieden im Detail, LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 05. 1977 – 18 Sa 169/77, DB 1977, 2380; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408 f.; Bötticher, BB 1955, 673, 675; ders., SAE 1961, 128, 129; Kempff, DB 1976, 1576 f.; Koch, BB 1978, 1218, 1220 ff.; Grotheer, S. 58. 68  BAG, Urteil v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1767. 69  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 70 Krit. E. Wolf/van Gelder, SAE 1970, 122, 123; Söllner, SAE 1966, 255; Grotheer, S. 53. 71  Blomeyer, RdA 1967, 406, 408, Fn. 29; Söllner, SAE 1966, 255; f. Böhm, S. 79; Grotheer, S. 53 f. 72  BAG, Urteil v. 15. 03. 1966 – 2 AZR 211/65, SAE 1966, 252, 254. 73  BAG, Urteil v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64; v. 12. 02. 1981 – 2 AZR 1108/78, juris (Rn. 27). 67 So

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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meinen Verbots der Gesetzesumgehung. Gegen die Anwendung des § 134 BGB spricht aber, dass die Befristungsabrede rechtlich nicht völlig ohne Wirkung blieb. Die Dauer der vereinbarten Befristung – gleich ob diese wirksam oder unwirksam war – sollte als Mindestlaufzeit des Vertrages fortgelten, sofern die Parteien nicht ausdrücklich ein Kündigungsrecht vereinbart hatten.74 Eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB blieb natürlich immer möglich.75 Außerdem konnte der Arbeitnehmer sich weiterhin auf die Befristung berufen, wenn er eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum vereinbarten Termin wünschte.76 Eine methodisch überzeugende Begründung für die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses führte das BAG also nicht an. Auf der Wertungsebene lässt sich die Bestimmung der Rechtsfolge aber sehr wohl nachvollziehen. Auch in der Literatur herrschte weitgehend Einigkeit, dass nur die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses die wertungsmäßig angemessene Rechtsfolge einer unzulässigen Befristung sein könne.77 Allein durch die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses könne der Grundgedanke sämtlicher Kündigungsvorschriften, dem Arbeitnehmer Sicherheit durch Bestandsschutz zu gewähren, sinngemäß auf Befristungen übertragen werden.78 Wenn der Große Senat meinte, der Arbeitgeber könne sich dem Arbeitnehmer gegenüber nicht auf die Befristung berufen, sofern mit ihr Kündigungsschutzvorschriften umgangen werden, klingt diese Formulierung zwar nach einem Fall der unzulässigen Rechtsausübung.79 Wie oben gezeigt,80 prüfte der Große Senat die objektive Gesetzesumgehung und den Rechtsmissbrauch aber getrennt und anhand unterschiedlicher Maßstäbe. Selbst eine wirksame Befristung hatte deshalb nicht zwingend zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis zum vereinbarten Zeitpunkt endete. In einigen Fällen nahm das BAG an, dass die Berufung auf eine an sich wirksame Befristung rechtsmissbräuchlich sei.81 Beispielsweise konnte sich der Arbeitgeber nicht auf eine zunächst wirksam vereinbarte Probezeitbe74  BAG, Urteil 22. 05. 1986 – 2 AZR 392/85, NZA 1987, 60, 61; v. 14. 01. 1982, a. a. O.; v. 19. 06. 1980 – 2 AZR 660/78, NJW 1981, 246; v. 02. 12. 1965 – 2 AZR 91/65, BAGE 18, 8. 75  BAG, Urteil v. 19. 06. 1980 – 2 AZR 660/78, BAGE 33, 220. 76  Schwerdtner, NZA 1988, 593, 596. 77  A. Hueck, RdA 1953, 85, 87; Linder, DB 1975, 2082, 2085; Molitor, BB 1954, 504, 505; Söllner, SAE 1966, 255, 256 f. Böhm, S. 80 f.; a.A. Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Bötticher, SAE 1961, 128, 129. 78  A. Hueck, RdA 1953, 85, 87. 79  Söllner, SAE 1966, 255; f. Böhm, S. 79. 80  Vgl. Gliederungspunkt § 5 B. II. 3. 81 BAG, Urteil v. 16. 03. 1989 – 2 AZR 325/88, NZA 1989, 719; v. 28. 11. 1963 – 2 AZR 140/63, BAGE 15, 132; v. 13. 12. 1962 – 2 AZR 38/62, BAGE 14, 11; in BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 800, wurde dies ebenfalls geprüft, aber i.E. verneint.

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fristung berufen, wenn sich die Arbeitnehmerin voll bewährt hatte und er die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich wegen einer im Laufe der Probezeit eingetretenen Schwangerschaft ablehnte.82 Nach § 625 BGB bestand zudem die Möglichkeit einer stillschweigenden Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit mit Wissen des Arbeitgebers nach Befristungsende fortsetzte und der Arbeitgeber nicht unverzüglich widersprach.83 3.  Prozessuale Durchsetzung In prozessualer Hinsicht kamen vor allem dem Prüfungsgegenstand der Entfristungsklage, der vom Arbeitnehmer einzuhaltenden Klagefrist sowie der Beweislastverteilung erhebliche Bedeutung zu. Welche Arbeitsverträge Gegenstand der Befristungskontrolle waren, wurde nach dem vom Arbeitnehmer gestellten Antrag bestimmt. Fehlten darin ausdrückliche Angaben zum Prüfungsumfang, so prüfte der Zweite Senat nur die Wirksamkeit der Befristung im letzten Arbeitsvertrag,84 während der Siebte Senat zunächst auch frühere Verträge in seine Prüfung einbezog.85 Habe wegen der Unwirksamkeit früherer Befristungen bei Vertragsschluss bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden, so könne die erneute Befristung nur rechtliche Bedeutung gewinnen, wenn zugleich ein Aufhebungsvertrag geschlossen werde.86 Nach einem Wechsel im Senatsvorsitz87 gab der Senat diese Sichtweise jedoch auf und meinte fortan, die Parteien wollten durch den vorbehaltslosen Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages ihr Arbeitsverhältnis auf eine neue, nunmehr allein maßgebliche Rechtsgrundlage stellen.88 82 

BAG, Urteil v. 28. 11. 1963, a. a. O. Urteil v. 12. 09. 1980 – 7 AZR 748/78, juris (Rn. 19 ff.); v. 11. 11. 1966 – 3 AZR 214/65, SAE 1967, 177. 84  BAG, Urteil v. 06. 05. 1982 – 2 AZR 1037/79, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 67; v. 04. 02. 1971 – 2 AZR 144/70, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 35. 85  BAG, Urteil 30. 09. 1981 – 7 AZR 467/89, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 62; v. 19. 08. 1981 – 7 AZR 252/79, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 60; v. 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 54. 86  BAG, Urteil v. 07. 03. 1980, a. a. O. 87  Zum 01. 05. 1984 übernahm Dr. Walter Seidensticker den Vorsitz von Hubert Bichler. 88 BAG, Urteil v. 01. 12. 1999 – 7 AZR 449/98, BB 2000, 1525; v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 376/92, NZA 1994, 258, 259; v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 259/89, NZA 1991, 18, 19; v. 26. 08. 1988 – 7 AZR 101/88, DB 1989, 1677, 1678; grundlegend BAG, Urteil v. 08. 05. 1985 – 7 AZR 191/84, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97. – Dass der Arbeitnehmer, betrachtet vom objektiven Empfängerhorizont des Arbeitgebers, mit seiner Willenserklärung zur Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ein evtl. bereits bestehendes unbefristetes Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beenden will, überzeugt nicht. 83  BAG,

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Diese Beschränkung des Prüfungsgegenstandes wirkte sich zum Vorteil des Arbeitgebers aus, der eine misslungene Befristung durch Abschluss eines neuen, wirksam befristeten Arbeitsvertrages aus der Welt schaffen konnte und zudem ein geringeres Prozessrisiko zu tragen hatte. Völlig bedeutungslos wurden frühere Befristungen dennoch nicht. Denn bei Kettenbefristungen sollten die Anforderungen an den Sachgrund mit der Häufigkeit des befristeten Vertragsschlusses steigen,89 obwohl der Siebte Senat an die Prognose des Arbeitgebers im Zeitverlauf immer geringere Anforderungen stellte.90 Außerdem konnte nach unwesentlichen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses eine Zusammenrechnung mit früheren Beschäftigungszeiten erst dazu führen, dass bei einer Vertragsdauer von weniger als sechs Monaten eine Umgehung von § 1 KSchG in Betracht kam und ein sachlicher Grund erforderlich wurde.91 Eine feste Klagefrist musste der Arbeitnehmer bei der Entfristungsklage nicht einhalten. Obwohl dies von einigen Landesarbeitsgerichten vertreten wurde,92 lehnte das BAG es stets ab, die materiellrechtliche Ausschlussfrist nach §§ 4, 7 KSchG auf die Nichtverlängerungsmitteilung des Arbeitgebers oder auf das vorgesehene Ende des Arbeitsverhältnisses als Klagefrist analog anzuwenden.93 Allerdings zog das BAG die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG zur Konkretisierung des Zeitmoments bei der Prüfung einer Verwirkung des Klagerechts nach § 242 BGB heran.94 Eine Verwirkung sollte aber nur eintreten, wenn besondere Umstände hinzutraten, aus denen der Arbeitgeber das Vertrauen ableiten konnte, der Arbeitnehmer werde keine Entfristungsklage mehr erheben.95 Allenfalls mögen für diese Sichtweise prozessökonomische Erwägungen sprechen, vgl. Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 149. 89  BAG, Urteil v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 376/92, NZA 1994, 258, 259 f.; v. 11. 12. 1991 – 7 AZR 431/90, NZA 1992, 883; v. 21. 01. 1987 – 7 AZR 265/85, NZA 1988, 280; v. 30. 11. 1977 – 5 AZR 561/76, DB 1978, 704. 90  Im Urteil v. 02. 07. 2003 – 7 AZR 529/02, NZA 2004, 1055, 1056, wollte das BAG z. B. den Sachgrund der Vertretung nur dann nicht anerkennen, wenn der zu vertretende Arbeitnehmer vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages bereits verbindlich erklärt habe, nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. 91  BAG, Urteil v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris. 92  Z. B. LAG Köln, Urteil v. 16. 07. 1986 – 7 Sa 377/86, juris. 93  BAG, Urteil v. 15. 08. 1990 – 7 AZR 470/89, juris (Rn. 18 f.); v. 28. 02. 1990 – 7 AZR 143/89, BAGE 64, 220; v. 12. 06. 1987 – 7 AZR 461/86, juris; v. 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 54; v. 22. 08. 1980 – 7 AZR 674/78, juris (Rn. 10); in einem obiter dictum ausdrücklich offengelassen in BAG, Urteil v. 11. 11. 1982 – 2 AZR 552/81, juris (Rn. 32); v. 26. 04. 1979 – 2 AZR 431/77, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 47. 94  BAG, Urteil v. 12. 06. 1987 – 7 AZR 461/86, juris (Rn. 40); v. 15. 12. 1983 – 2 AZR 166/82, juris. 95  BAG, Urteil v. 15. 12. 1983, a. a. O.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Auf besondere Kritik stieß die Beweislastverteilung des Großen Senats.96 Die dem BAG folgende Minderheit in der Literatur berief sich auf die allgemeinen Grundsätze der Beweislast und meinte, der klagende Arbeitnehmer müsse das Fehlen eines sachlichen Grundes als Anspruchsvoraussetzung beweisen.97 Vertreter der Gegenansicht argumentierten, weil das unbefristete Arbeitsverhältnis der Normalfall im Arbeitsleben sei, müsse eine Abweichung hiervon durch den Arbeitgeber begründet werden.98 Zudem könne der Arbeitgeber die Befristungsgründe leichter beweisen, weil sie in aller Regel zu seiner Organisationssphäre gehören.99 Auch in der Folgezeit beließ das BAG die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen eines sachlichen Grundes jedenfalls dem Wortlaut nach lange beim Arbeitnehmer.100 Dem BAG wurde deshalb vorgeworfen, mit seiner Rechtsprechung zu einer Zunahme befristeter Arbeitsverträge zum Nachteil der Arbeitnehmer beigetragen zu haben.101 Allerdings konnten sich Arbeitnehmer auf den Beweis des ersten Anscheins berufen, an den das Gericht so geringe Anforderungen stellte, dass in der Praxis von einer Beweislast des Arbeitgebers auszugehen war.102 Beispielsweise wurden Kettenarbeitsverträge prima facie als unzulässig angesehen mit der Folge, dass die Beweislast für ihre Rechtmäßigkeit stets beim Arbeitgeber lag.103 Erst im Jahre 1994 entschied das BAG ausdrücklich, das Vorliegen einer wirksamen Befristung sowie ihre Dauer müsse die Partei bewei96  Dammann, AuR 1978, 65, 72; Falkenberg, DB 1971, 430, 433; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 392; Jobs/Bader, DB-Beil. 21/81, 1, 3; Kempff, DB 1976, 1576, 1577; Koch, BB 1978, 1218, 1221; Linder, DB 1975, 2082, 2084 f.; Säcker, RdA 1976, 91, 95; Wiedemann, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 35; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 89; M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38; Hueck/Nipperdey, § 55 III. 2, S. 533; Stiller, S. 212; ausführlich Leser, BB 1965, 1151, 1153 f.; begrenzt auf Chefarztdienstverträge Siegmund-Schultze, NJW 1976, 360; dem BAG zust. dagegen Bielefeld, NJW 1976, 1139; Blomeyer, RdA 1967, 406, 410; Rehbinder, RdA 1971, 211, 212. 97  Blomeyer, RdA 1967, 406, 410. 98  Dammann, AuR 1978, 65, 72; Falkenberg, DB 1971, 430, 433; Jobs/Bader, DBBeil. 21/81, 1, 3; Siegmund-Schultze, NJW 1976, 360; Stiller, S. 212. 99  Jobs/Bader, DB-Beil. 21/81, 1, 3; Wiedemann/Palenberg, RdA 177, 85, 89. 100  BAG, Urteil v. 02. 04. 1981 – 2 AZR 111/79, juris (Rn. 32); v. 14. 02. 1974 – 5 AZR 298/73, BAGE 25, 505, 513; v. 05. 03. 1970 – 2 AZR 175/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 34; v. 05. 05. 1961 – 1 AZR 65/56, AuR 1962, 55; zweifelnd in einem obiter dictum BAG, Urteil v. 26. 04. 1979 – 2 AZR 431/77, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 47. 101  Leser, BB 1965, 1151, 1152; Linder, DB 1975, 2082, 2083 f. 102  Jobs/Bader, DB-Beil. 21/81, 1, 3, Fn. 37; Koch, NZA 1985, 345, 352; Sowka, BB 1994, 1001, 1007. 103  BAG, Urteil v. 19. 06. 1986 – 2 AZR 570/85, juris (Rn. 16); v. 14. 01. 1982 – 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64; v. 30. 11. 1977 – 5 AZR 561/76, DB 1978, 704; v. 05. 03. 1970 – 2 AZR 175/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 34.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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sen, die sich darauf beruft, weil es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handele.104 II.  Aufnahme in der Literatur Die arbeitsrechtliche Literatur hat dem Beschluss des Großen Senats und insbesondere dem Argument der Gesetzesumgehung in erster Zeit nicht die Bedeutung beigemessen, die ihm aus heutiger Sicht zukommt. In einer frühen Anmerkung widmete Frey seine größte Aufmerksamkeit noch der darin am Rande angesprochenen Begrenzung der Fürsorgepflicht auf den Zeitraum des Arbeitsverhältnisses.105 Mit der Entscheidung war die Diskussion über die Beschränkung von Befristungen auch keineswegs beendet. Vielmehr nahm die kritische Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Großen Senats und seinen Folgeentscheidungen erst in den 1970er Jahren – wohl wegen der Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse – „Fahrt auf“.106 1.  Dogmatische Kritik an der Umgehungsrechtsprechung Wurde die Entscheidung des Großen Senates in der Literatur diskutiert, so lag der Fokus weitaus häufiger auf der praktischen Folge des Sachgrunderfordernisses bei Befristungen als auf dessen dogmatischer Herleitung. Von denjenigen, die sich auch mit dieser methodischen Frage auseinandersetzten, folgte kaum jemand dem BAG in allen Punkten seiner Argumentation. Stimmten Autoren im Ansatz mit dem BAG darin überein, dass die Befristungsproblematik nach den Grundsätzen der Gesetzesumgehung zu lösen sei, dann gelangten sie i.d.R. zu einer anderen Rechtsfolge, nämlich zur direkten oder analogen Anwendung umgangener Kündigungsschutzvorschriften.107 Folgten sie dem BAG dagegen im Ergebnis, dann begründeten sie das Erfordernis eines sachlichen Grundes auf andere Weise.108 Unter dogmatischen Gesichtspunkten wurde die Vorgehensweise des BAG, Befristungsfälle mit Hilfe der objektiven Gesetzesumgehung als Rechtsfigur

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BAG, Urteil v. 12. 10. 1994 – 7 AZR 745/93, NJW 1995, 2941. Frey, AuR 1962, 94, 95 f. 106  Linder, DB 1975, 2082, 2083 m. w. N. 107  Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408 ff.; Bötticher, BB 1955, 673, 674; Dammann, AuR 1978, 65, 70; Kempff, DB 1976, 1576; Grot­ heer, S. 58 ff. 108  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 392 f.; Heinze, DB 1986, 2327 f.; Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50; Säcker, RdA 1976, 91, 96; Söllner, SAE 1966, 255 f.; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87; M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38; f. Böhm, S. 81 ff. 105 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

zu lösen, überwiegend beanstandet.109 Die zum Zeitpunkt der Entscheidung im Vordringen befindliche und später herrschende Auffassung verstand die Gesetzesumgehung nicht mehr als eigenständige Rechtsfigur, sondern als Frage der Gesetzesgeltung kraft Auslegung und Analogie.110 Da sich der Große Senat mit dieser Ansicht überhaupt nicht auseinandergesetzt und auch den Verzicht auf die Umgehungsabsicht nicht weiter begründet hatte, hielten Stimmen im Schrifttum seine Vorgehensweise für dogmatisch nicht hinreichend abgesichert.111 Die Theorie der objektiven Gesetzesumgehung liefere nur eine formale Begründung, aber enthalte selbst keine Wertungsgrundlagen für eine Differenzierung zwischen erlaubter und unerlaubter Befristung.112 Das BAG habe sich selbst die Legitimationsgrundlage für eine Inhaltskontrolle von Befristungsabreden geschaffen.113 Die Definition der Gesetzesumgehung als missbräuchliche Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten ermögliche es dem BAG, „in jedem Fall frei zu entscheiden, ob eine Befristung gerecht und billig ist oder nicht“114. Tatsächlich prüfe das BAG deshalb, ob ein Rechtsmissbrauch vorliege.115 Soweit das Schrifttum den vom BAG verlangten „Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten“ mit einem institutionellen Rechtmissbrauch i. S. d. § 242 BGB gleichsetzte, verwarf es dieses Merkmal als unbrauchbar.116 Der Verzicht auf die Umgehungsabsicht wurde überwiegend begrüßt,117 war aber ebenfalls nicht unumstritten: Bötticher stimmte dem BAG darin zu, dass die Absicht zur Umgehung des Kündigungsschutzes nicht das alleinige Motiv für die Befristung sein müsse; sie müsse aber das ausschlaggebende Motiv bleiben, da eine rein objektive Definition der Umgehung die Vertragsfreiheit übermäßig einschränke.118 Alfred Hueck und Molitor hielten eine Umgehungsabsicht zwar für entbehrlich, wollten allein eine objektive Gesetzesumgehung für die Unzu109  Bickel, JuS 1987, 861, 863; Blomeyer, RdA 1967, 406, 407; Heinze, DB 1986, 2327 f.; Säcker, RdA 1976, 91, 95 f.; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 86 f.; M. Wolf, RdA 1988, 270 f.; Grotheer, S. 50 ff.; Teichmann, S. 55; für die erstmalige Befristung auch Preis, S. 386 ff. 110  Bickel, JuS 1987, 861, 863; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Richardi, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 74; E. Wolf/van Gelder, SAE 1970, 122, 123; Teichmann, S. 105. 111  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Blomeyer, RdA 1967, 406, 407 f.; Grotheer, S. 52. 112  Blomeyer, RdA 1967, 406, 407; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 113  Säcker, RdA 1976, 91, 95. 114  Säcker, a. a. O. 115  Blomeyer, RdA 1967, 406, 407; Säcker, RdA 1976, 91, 95; Grotheer, S. 20. 116  So etwa Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Grotheer, S. 52 f.; Teichmann, S. 78; wohl auch Bickel, JuS 1987, 861, 864; Koch, BB 1978, 1218, 1221. 117  Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 393; Kempff, DB 1976, 1576, Fn. 1; Koch, BB 1978, 1218, 1220; f. Böhm, S. 77; Keyser, S. 16. 118  Bötticher, SAE 1961, 128, 130.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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lässigkeit der Befristung aber ebenfalls nicht genügen lassen119. Frey sah in der Ex-nunc-Beurteilung der Wirksamkeit von Befristungen eine verkappte Umgehungsabsicht, weil weiterhin auf subjektive Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss abgestellt werde.120 2.  Alternative Begründungen für das Erfordernis eines sachlichen Grundes Die Lösung des BAG überzeugte das Schrifttum weitaus eher im Ergebnis als in seiner Herleitung.121 Das Erfordernis eines Sachgrundes für die Zulässigkeit der Befristung stieß im Grundsatz weitgehend auf Zustimmung.122 Die Anknüpfung an die Gesetzesumgehung unter Verzicht auf eine Umgehungsabsicht akzeptierten aber nur wenige als Begründung.123 Deshalb brachte die Literatur eine Reihe alternativer Begründungen für ein Sachgrunderfordernis bei Befristungen hervor. Die bereits vor der Entscheidung des Großen Senats124 vertretene Ansicht, sachgrundlose Befristungen als Verletzung der Fürsorgepflicht einzustufen125, konnte sich wegen des erforderlichen Verschuldens des Arbeitgebers nicht durchsetzen. Die meiste Zustimmung fand ein Vorschlag Söllners, wonach die Arbeitgeberentscheidung zum Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages unbillig sei, sofern ein sachlicher Grund für die Befristung fehle.126 Weil es sich rechtlich oder zumindest faktisch um einseitige Leistungsbestimmungen des Arbeitgebers handele, könne das Gericht nach § 315 Abs. 3 BGB analog durch Gestaltungsurteil ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründen.127 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte Manfred Wolf mit der Begründung, nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes 119  A. Hueck, RdA 1953, 85, 86; Molitor, BB 1954, 504; auch Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 86, bezweifeln die Existenz einer objektiven Gesetzesumgehung. 120  Frey, AuR 1962, 94, 95; ähnl. Kracht, S. 140. 121 Vgl. Säcker, RdA 1976, 91, 95, der zwar die Vorgehensweise des BAG dogmatisch kritisiert, aber meint, das BAG sei „ausnahmslos zu billigenswerten und sachgerechten Ergebnissen gekommen“. 122  Barwasser, DB 1977, 1944; Beitzke, SAE 1980, 186; Birk, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 37; Falkenberg, DB 1971, 430, 432; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 392 f.; Hromadka, RdA 1983, 88, 91; Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50; Säcker, RdA 1976, 91, 97; Schwerdtner, ZIP 1983, 406, 407; Söllner, SAE 1966, 255 f.; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85; M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38; f. Böhm, S. 81 ff.; Keyser, S. 69 f. 123  Barwasser, DB 1977, 1944; Bielefeld, NJW 1976, 1139; Falkenberg, DB 1971, 430, 432. 124  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 125  A. Hueck, RdA 1953, 85, 87; Nikisch, BB 1955, 197 ff. 126  Söllner, SAE 1966, 255 f.; ihm folgend Heinze, DB 1986, 2327 f.; Säcker, RdA 1976, 91, 96; f. Böhm, S. 81 ff. 127  Söllner, SAE 1966, 255 f.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

könne man eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers bei Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages verneinen.128 Hätte das BAG diese Ansätze aufgegriffen, dann hätte es allerdings nicht nur eine Befristungskontrolle, sondern eine umfassende Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen am Maßstab der Billigkeit vornehmen können und müssen.129 Wiedemann/Palenberg schließlich begründeten das Sachgrunderfordernis mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzprinzip, das eine teleologische Restriktion des § 620 BGB verlange.130 3.  Kritik am Erfordernis eines sachlichen Grundes Andere Autoren widersprachen dem BAG auch im Ergebnis und kritisierten, aus einer drohenden Umgehung des Kündigungsschutzes lasse sich kein Sachgrunderfordernis für Befristungen ableiten.131 Schließlich vereitele jede Befristung die Anwendung zwingender Kündigungsschutzbestimmungen.132 Stattdessen verlangten einige Literaturstimmen (mit erheblichen Unterschieden im Detail) eine direkte oder analoge Anwendung von Kündigungsschutzvorschriften, um eine echte Gleichstellung mit den umgangenen Regelungen herbeizuführen. So meinte Blomeyer, dass das Erfordernis eines sachlichen Grundes als gleichförmige Rechtsfolge der Umgehung nicht hinreichend nach dem Zweck der jeweils umgangenen Norm differenziere.133 Stattdessen schlug er vor, bei Fehlen eines sachlichen Grundes jede einzelne Norm des Kündigungsrechts durch sinngemäße Auslegung auf ihre Anwendbarkeit im konkreten Fall zu überprüfen und dann gegebenenfalls analog anzuwenden.134 Koch135 wollte Kündigungsregelungen unmittelbar auf die Befristungsabrede anwenden, während Bötticher136, Kempff 137 und Grotheer138 das Unterlassen der Weiterbeschäftigung nach Befristungsende am Maßstab des KSchG prüfen wollten. Deutlich weiter in der Beschränkung von Befristungen gingen Vertreter der Auffassung, § 620 BGB sei wegen des Machtgefälles der Parteien generell nicht 128 

M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38. Tatsächlich forderte Söllner, SAE 1966, 255 f., eine solche Vertragskontrolle. 130  Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 131  Bötticher, SAE 1961, 128, 129; Grotheer, S. 53. 132  Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Grotheer, S. 20 und S. 51; in diese Richtung auch Söllner, SAE 1966, 255. 133  Blomeyer, RdA 1967, 406, 408. 134  Blomeyer, RdA 1967, 406, 409; in diese Richtung zuvor bereits Bötticher, BB 1955, 673, 675. 135  BB 1978, 1218, 1220 ff. 136  SAE 1961, 128, 129; ihm folgend Schwerdtner, NZA 1988, 593, 596. 137  DB 1976, 1576 f. 138  S. 58 ff. 129 

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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auf Arbeitsverträge, sondern nur auf freie Dienstverträge anwendbar.139 Deshalb wollten sie ein befristetes Arbeitsverhältnis ausschließlich auf Wunsch des Arbeitnehmers zulassen. Andere Autoren wollten die Position des Arbeitnehmers stärken, indem bei der Befristungskontrolle auch seine Interessen, z. B. die Auswirkungen der Befristung auf seine berufliche Entwicklung, zumindest immer in angemessener Weise berücksichtigt werden müssten.140 Einige Stimmen in der Literatur sahen in der Rechtsprechung des BAG dagegen bereits eine unangemessene Beschneidung der Vertragsfreiheit und hielten Befristungen ohne generelle Einschränkung für zulässig, begrenzt nur durch den Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot der Sittenwidrigkeit.141 III.  Gesetzliche Regelungen zum befristeten Arbeitsverhältnis Der Gesetzgeber verweigerte lange eine ausdrückliche Regelung der Befristung von Arbeitsverhältnissen. Im Jahre 1969 wurde das KSchG reformiert und ohne Regelung zu befristeten Arbeitsverhältnissen neu verkündet.142 Diese sollte bis zum geplanten Erlass eines Arbeitsgesetzbuches nochmals überdacht werden.143 Das BAG sah sich dadurch nicht zu einer grundlegenden Änderung seiner Rechtsprechung veranlasst. Es nahm auch danach abweichende Ansichten aus dem Schrifttum144 und der Rechtsprechung der Instanzgerichte145 zwar zur Kenntnis, hielt aber stets ausdrücklich an den Grundsätzen des Großen Senats über die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge fest und lehnte eine weitere Rechtsfortbildung ab.146 Für besondere Arten von Arbeitsverträgen schrieb der Gesetzgeber das Erfordernis eines sachlichen Grundes später ausdrücklich fest. Erstmals fand sich bereits 1972 in der ursprünglichen Fassung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG147 der 139  Linder DB 1975, 2082, 2085 ff.; ähnl. Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Dammann, AuR 1978, 65, 70. 140  Koch, BB 1978, 1218, 1220; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 88. 141  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Eich, DB 1978, 1785, 1789; Weber, SAE 1985, 70 f.; Weiler, BB 1985, 934, 936, unter Hinweis auf eine Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung; E. Wolf/van Gelder, SAE 1970, 122, 123 ff., halten Befristungen grds. für wirksam, es sei denn, die Parteien sind sich bei Vertragsschluss bereits darüber einig, dass sie das befristete Arbeitsverhältnis immer wieder verlängern wollen, so dass die Befristung entsprechend § 117 BGB nur zum Schein vereinbart wird. 142  BGBl. I v. 27. 08. 1969, S. 1317. 143  Säcker, RdA 1976, 91, 93. 144  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. 145  Z. B. LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 05. 1977 – 18 Sa 169/77, DB 1977, 2380. 146  BAG, Urteil v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85; v. 04. 02. 1971 – 2 AZR 144/70, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 35. 147  BGBl. I v. 11. 08. 1972, S. 1393 (S. 1396).

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Sachgrund als Voraussetzung einer wirksamen Befristung. Später bestimmte § 57b HRG148, dass befristete Arbeitsverträge an Hochschulen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein müssen. Mit Wirkung zum 01. 05. 1985 wurde in § 1 BeschFG 1985149 erstmals die Zulässigkeit von Befristungen für alle Arten von Arbeitsverträgen ausdrücklich geregelt. Fortan sollten für einen begrenzten Zeitraum sachgrundlose Befristungen bis zu 18 Monaten zulässig sein, wenn Arbeitnehmer neu eingestellt oder im Anschluss an eine Berufsausbildung mangels Dauerarbeitsplatz vorübergehend weiterbeschäftigt wurden. Indem der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BAG für bestimmte Fälle modifizierte, erkannte er das Sachgrunderfordernis grundsätzlich als verbindlich an.150 Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung wurde später wiederholt verlängert und ausgeweitet.151 Veranlasst durch die Europäische Richtlinie 1999/70/EG musste der Gesetzgeber die Zulässigkeit von Befristungen schließlich doch umfassend selbst regeln. Erst die Kodifikation im TzBfG, das zum 01. 01. 2001 in Kraft trat, führte zu einer grundsätzlichen Ablösung des „Richterrechts“ durch geschriebenes Recht. Die Regelung der §§ 14 ff. TzBfG bildete der Gesetzgeber nach eigenem Bekunden zwar in weiten Teilen der Rechtsprechung des BAG nach,152 dennoch gibt es einige inhaltliche Unterschiede. Eine wichtige Neuerung war die Abkopplung der Befristungskontrolle vom Kündigungsschutz.153 Weil der Gesetzgeber die aus den §§ 1 Abs. 1 und 23 KSchG hergeleiteten Einschränkungen der Befristungskontrolle nicht übernommen hat, kann sich der Arbeitnehmer nun auch in Kleinbetrieben und bei Verträgen mit einer Befristungsdauer unter sechs Monaten auf die Unwirksamkeit einer Befristung berufen.154 Diese Ausgestaltung des Gesetzes wurde wegen des Wertungswiderspruchs zum Kündigungsschutzrecht kritisiert,155 doch lässt die zugrundeliegende Richtlinie nach überwiegender Auffassung keine so umfassende Bereichsausnahme mehr zu.156 Andererseits ver148 

BGBl. I v. 25. 06. 1985, S. 1065. BGBl. I v. 30. 04. 1985, S. 710. 150  So ausdrücklich die Begründung des BeschFG 1985, BR-Drs. 393/84, S. 16; ebenso ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 2; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 2; Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Heinze, DB 1986, 2327, 2328 f.; Benecke, S. 199; mit Bezug auf §§ 57a ff. HRG und § 21 BErzGG Dörner, ZTR 2001, 485, a.A. Weiler, BB 1985, 934, 935. 151 BeschFG 1990, BGBl. I v. 29.  12. 1989, S. 2406; BeschFG 1996, BGBl. I v. 27. 09. 1996, S. 1476 ff. 152  BT-Drs. 14/4374, S. 13 und S. 18. 153 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 7; Dörner, ZTR 2001, 485 f. 154  BAG, Urteil v. 13. 05. 2004 – 2 AZR 426/03, juris (Rn. 20); v. 06. 11. 2003 – 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218; BeckOK ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG Rn. 1; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 7; MüArbR/Wank, § 95 Rn. 9. 155  Dörner, ZTR 2001, 485, 486. 149 

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

187

mögen Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes die Zulässigkeit von Befristungen nicht mehr einzuschränken.157 156

Anknüpfend an das auslaufende BeschFG 1996 hat der Gesetzgeber außerdem in § 14 Abs. 2 bis 3 TzBfG nunmehr dauerhaft die Möglichkeit einer zeitlich begrenzten sachgrundlosen Befristung eröffnet. In § 17 TzBfG geht der Gesetzgeber den vom BAG stets abgelehnten Weg und führt eine dreiwöchige Klagefrist ein, auf die die §§ 5 bis 7 KSchG entsprechend anwendbar sind. Die Rechtsprechung des BAG zur Befristung von Arbeitsverträgen ist mit Erlass des TzBfG keineswegs vollständig bedeutungslos geworden. Sie kann weiterhin zur Konkretisierung der enumerierten sachlichen Gründe sowie zur Begründung weiterer, im Gesetz nicht aufgeführter Sachgründe herangezogen werden.158 IV.  Einordnung in die Methodenlehre Nunmehr soll untersucht werden, ob die Rechtsprechung des BAG, nach der Befristungen nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig waren, im Einklang mit der zivilrechtlichen Dogmatik stand. Dazu muss zunächst ermittelt werden, welche der oben beschriebenen159 Methoden der Rechtsanwendung – Auslegung, gesetzesimmanente oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung – zu diesem Resultat führen konnte. Ob die Voraussetzungen für die gewählte Methode vorlagen und das BAG sich somit im Rahmen seiner grundgesetzlichen Befugnisse bewegte, wird anschließend zu untersuchen sein. 1.  Art der Rechtsfortbildung Der Große Senat selbst ging nicht auf die Frage ein, wie sich seine Entscheidung in die Methodenlehre einfügt. Der Vierte Senat nahm aber, veranlasst durch eine Entscheidung der Vorinstanz160, in einem späteren Urteil dazu Stellung und bezeichnete die Lösung des Großen Senats als „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“.161 156 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 11; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 7a; MHH/ Meinel, § 14 TzBfG Rn. 3; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 3; Däubler, ZIP 2000, 1961, 1967; Hromadka, NJW 2001, 400, 404; a.A. Schiefer, DB 2000, 2118, 2121. 157  BAG, Urteil v. 25. 06. 2014 – 7 AZR 847/12, NZA 2014, 1209, 1210; v. 05. 12. 2012 – 7 AZR 698/11, NZA 2013, 515; ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 8. 158 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 30; MüArbR/Wank, § 95 Rn. 8; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 12. 159  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. II. bis IV. 160  LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 05. 1977 – 18 Sa 169/77, DB 1977, 2380. 161  Die missglückte Formulierung in BAG, Urteil v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1767, lautet: „Damit wurde durch gesetzesimmanente Rechtsfortbildung § 620 BGB in Übereinstimmung mit dem im Gesetz selbst zum Ausdruck gekommenen Grundgedanken ausgelegt.“

188

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Diese Ansicht bestätigte der Siebte Senat kurz darauf.162 § 620 BGB und die Vertragsfreiheit seien insoweit eingeschränkt, dass befristete Arbeitsverhältnisse nur zulässig seien, wenn ein sachlicher Grund für die Befristung bestehe. Damit dürfte eine teleologische Reduktion gemeint sein. Auch im Schrifttum wird die Vorgehensweise des BAG vereinzelt als teleologische Reduktion des § 620 BGB verstanden.163 Der Zweite Senat äußerte jedoch kurze Zeit später Zweifel, ob es sich nicht doch um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handele.164 Die Literatur stufte den Lösungsweg des BAG ebenfalls ganz überwiegend als Rechtsfortbildung extra legem ein.165 Zum Teil wurde auch behauptet, es handele sich um eine Rechtsfortbildung contra legem.166 Entscheidend für die Art der Rechtsfortbildung ist, wie eine Gesetzeslücke – deren Vorliegen als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung jeder Rechtsfortbildung zu prüfen ist – abgegrenzt und ausgefüllt wird. Ob es sich um eine gesetzesimmanente oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handelt, hängt davon ab, ob konkrete Wertungen der umgangenen oder einer anderen, vorrangigen Rechtsnorm auf den ungeregelten Fall übertragen werden oder ob der Rechtsanwender anhand gesetzlicher Prinzipien und Wertungskriterien eine eigene Wertung vornimmt.167 Damit man von einer Rechtsfortbildung praeter legem sprechen könnte, müsste das BAG die Wertungen konkreter Normen, z. B. der umgangenen Kündigungsschutzregelungen, auf Befristungen übertragen haben. Hätte der Große Senat beispielsweise bei Anwendbarkeit des KSchG entsprechend § 1 Abs. 2 KSchG auch für eine Befristung eine soziale Rechtfertigung durch „Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder […] dringende betriebliche Erfordernisse“ verlangt, dann wäre eine gesetzliche Wertung auf einen ungeregelten Fall übertragen worden und es hätte sich um eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung gehandelt. Bei einer Umgehung des Schutzes nach § 9 Abs. 1 MuSchG hätte die Befristung etwa dann als unwirksam gelten können, wenn vor 162  BAG, Urteil v. 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 54. 163 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 2. 164 BAG, Urteil v. 09.  09. 1982 – 2 AZR 248/80, juris (Rn. 37); ebenso Urteil v. 05. 12. 1985 – 2 AZR 61/85, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 10. 165  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Benecke, S. 194 und S. 198; Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50; Schwerdtner, ZIP 1983, 406, 407; Söllner, SAE 1966, 255; in diesem Sinne, wenn auch nicht ausdrücklich, Beitzke, SAE 1980, 186; wohl auch Jobs, DB 1982, 2081, 2082, der von „aus Richterrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen“ spricht; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 166  Boemke, NZA 1993, 532, 538. 167  A. Bruns, JZ 2014, 162, 163; Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50; Larenz/Canaris, S. 232; Larenz, S. 413 f.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

189

oder innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsschluss oder Beschäftigungsbeginn der Eintritt einer Schwangerschaft mitgeteilt wird. Die Anforderungen hätten sich bei einer Rechtsfortbildung praeter legem nach der jeweils umgangenen Vorschrift gerichtet und wären somit unterschiedlich gewesen. Diesen Weg wählte der Große Senat aber gerade nicht. Stattdessen verlangte er einen sachlichen Grund als einheitliche Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Befristung, die die Anwendbarkeit irgendeiner Kündigungsschutzvorschrift verhindert. Zu erwägen wäre noch, ob diese Voraussetzung im Wege einer Gesamtanalogie gewonnen wurde. Dabei wird aus dem Wortlaut mehrerer Gesetzesvorschriften ein Grundgedanke herausgearbeitet und auf einen vom Geltungsbereich nicht umfassten, aber für wertungsgleich erachteten Sachverhalt übertragen.168 Allerdings sind die Kündigungsschutzbestimmungen sowohl in ihren Beschränkungen als auch in ihren Zielsetzungen unterschiedlich: Geschützte Rechtsgüter des § 1 KSchG sind der Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers;169 § 15 KSchG dagegen dient dem Schutz der Unabhängigkeit und der personellen Kontinuität von Arbeitnehmervertretungen;170 § 9 MuSchG wiederum soll die Gesundheit von Mutter und Kind vor seelischen Zusatzbelastungen durch den Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und durch einen Kündigungsschutzprozess schützen.171 Hier einen einheitlichen Grundgedanken abzuleiten, ist kaum möglich. Auch die vom Gesetz angewandten Mittel sind verschieden und umfassen das Verbot ordentlicher Kündigungen, das Erfordernis behördlicher Genehmigungen oder der Anhörung oder gar Zustimmung der Arbeitnehmervertretung, das Erfordernis einer sozialen Rechtfertigung etc. An keiner Stelle im Kündigungsschutzrecht findet sich ein allgemeines Sachgrunderfordernis. Die für Kündigungen geltenden Beschränkungen gehen in allen Fällen darüber hinaus. Einige anerkannte Sachgründe lassen sich nicht einmal aus den Kriterien einer konkreten Kündigungsschutzvorschrift herleiten.172 So gibt es für die Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers kein Pendant im Kündigungsschutzrecht.173 Demnach lässt sich das Sachgrunderfordernis auch nicht mit einer Gesamtanalogie begründen. Vielmehr schuf das BAG das Erfordernis eines sachlichen Grundes selbst,174 indem es mehrere allgemeine, sogar gegensätzliche Wertungen der Rechtsord168 

A. Bruns, JZ 2014, 162, 163; Wiedemann, NJW 2014, 2407, 2409; Larenz, S. 383 f. BT-Drs. I/2090, S. 11. 170 MüKoBGB/Hergenröder, § 15 KSchG Rn. 1. 171  BAG, Urteil v. 31. 03. 1993 – 2 AZR 595/92, NZA 1993, 646; BAG (GS), Beschluss v. 26. 04. 1956 – GS 1/56, NJW 1956, 1454. 172  Benecke, S. 171 f.; Keyser, S. 56. 173  Benecke, S. 172. 174  Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 169 

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

190

nung aufgriff und miteinander verband. Einerseits wurden die unterschiedlichen Bestimmungen zum Kündigungsschutz von Arbeitsverhältnissen berücksichtigt, andererseits der bewusste Verzicht des Gesetzgebers auf einen entsprechenden Bestandsschutz durch Einschränkung der Befristungsmöglichkeit. Die Aufgabe der Abwägung und des Ausgleichs widersprüchlicher Rechtsprinzipien kann sich aber nur bei einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung stellen. Auch die Rechtsfolge einer unzulässigen Befristung, die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsvertrages ohne vollständige Unwirksamkeit der Befristungsabrede, hat das BAG nicht durch direkte oder entsprechende Anwendung von gesetzlichen Regelungen gewonnen, sondern aus dem Rechtsprinzip des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen abgeleitet. Somit löste das BAG Fälle der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristung von Arbeitsverhältnissen im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Es bleibt aber durchaus möglich, dass das BAG andere Fälle der Gesetzesumgehung im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung gelöst hat, sofern es Gesetzeslücken allein durch die Übertragung von Wertungen der umgangenen Norm schließen konnte. 2.  Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem Wie oben dargestellt,175 wurde und wird die generelle Zulässigkeit der Rechtsfortbildung extra legem durch Gerichte nicht bestritten. Dass speziell Fälle der Gesetzesumgehung ebenfalls im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung gelöst werden können, war aber noch nicht anerkannt, als der Große Senat die Grundsätze seiner Umgehungsrechtsprechung entwickelte.176 Insofern kann die dogmatische Kritik aus dem Schrifttum177 nicht überraschen. Das Umgehungsargument ersetzt jedoch nicht die Prüfung der Voraussetzungen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung.178 Das BAG allerdings verzichtete auf eine ausdrückliche Prüfung weiterer Voraussetzungen der Rechtsfortbildung, sobald es auf eine umgangene Norm verweisen konnte. Fraglich ist, ob das BAG jeweils ein Äquivalent für die Voraussetzungen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung prüfte. Dann wären die Abweichungen zur herrschenden Meinung im Zivilrecht, wie teilweise behauptet wird,179 tatsächlich eher sprachlicher Natur oder Folge eines anderen Blickwinkels, weil die Problematik der Rechtsanwendung über den Wortlaut hinaus nicht 175 

Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. hielt Söllner, SAE 1966, 255 f., Rechtsgestaltung durch Gerichte nur unter den Voraussetzungen des § 315 BGB für zulässig. 177  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. 178  Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50. 179  Hromadka, RdA 1983, 88, 90 f.; in diese Richtung auch Benecke, S. 165 ff. 176  So

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

191

aus Sicht des methodisch vorgehenden Rechtsanwenders, sondern aus Sicht des Umgehers betrachtet wurde. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist zu untersuchen, ob die Voraussetzungen wenigstens objektiv gegeben waren. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das BAG allein deshalb zur Rechtsfortbildung extra legem berechtigt war, weil der Gesetzgeber eine Beschränkung der Zulässigkeit von Befristungen durch die Gerichte ausdrücklich verlangte und dabei dezidierte Vorgaben zu ihrem Inhalt machte.180 Denn er schloss in der Begründung zum KSchG zwar eine Anwendung des Gesetzes auf befristete Verträge aus, forderte aber zugleich, dass Befristungen nicht der Gesetzesumgehung dienen dürfen. Zur Beurteilung dieser Frage seien Rechtsprechung und Schrifttum insbesondere zur Beschränkung von Kettenarbeitsverträgen heranzuziehen. Die Gesetzesbegründung zählt eine Reihe von Fällen auf, in denen ein berechtigtes Bedürfnis für eine befristete Beschäftigung gesehen wird, z. B. ein zeitlich begrenzter oder saisonaler Arbeitsanfall oder die Erprobung des Arbeitnehmers.181 Nach Art. 80 GG ist der Gesetzgeber berechtigt, in begrenztem Umfang Normsetzungsbefugnisse auf Exekutivorgane zu übertragen. Eine entsprechende Ermächtigung zur Übertragung legislativer Aufgaben auf die Gerichtsbarkeit durch Gesetzesbegründung existiert aber nicht.182 Deshalb kann die entsprechende Passage nur zur historischen Auslegung des KSchG herangezogen werden. Sie ersetzt aber nicht die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Rechtsfortbildung. a)  Subsidiarität Oben wurde bereits betont, dass sich jede Rechtsanwendung so nah wie möglich am geschriebenen Gesetz orientieren muss.183 Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist deshalb nur zulässig, wenn sich ein Fall nicht im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung lösen lässt.184 Teile der Literatur und Instanzenrechtsprechung hielten aber Methoden der Rechtsfortbildung praeter legem für geeignet zur Lösung von Befristungsfällen. Sollte das zutreffen, wäre der Lösungsweg des BAG rechtswidrig.

180 

BT-Drs. I/2090, S. 12 BT-Drs. I/2090, a. a. O. 182  Vgl. dazu auch Weiler, BB 1985, 934, 936, der daraus folgert, die Rechtsprechung des BAG verstoße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. 183  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65 (Soraya), BVerfGE 34, 269, 292; vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. a). 184  Larenz, S. 428. 181 

192

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

aa) Möglichkeit analoger Anwendung von Kündigungsbestimmungen Die am häufigsten vorgeschlagene Alternative zum Sachgrunderfordernis war die analoge Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen auf die Befristungsabrede oder auf die Entscheidung, den Arbeitnehmer nicht weiter zu beschäftigen.185 Das BAG lehnte eine Analogie ab, weil diese als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung unzulässig sei, nachdem der Große Senat die Gesetzeslücke bei Befristungen bereits im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung geschlossen habe.186 Dieses Argument vermag in mehrfacher Hinsicht nicht zu überzeugen. Zunächst wäre eine zulässige Analogie als gesetzesimmanente, die Vorgehensweise des Großen Senats dagegen als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung einzuordnen.187 Wäre eine analoge Anwendung der Kündigungsschutzvorschriften methodisch möglich gewesen, hätte sie daher Vorrang gehabt. Außerdem kann das Vorliegen einer Gesetzeslücke nicht deshalb verneint werden, weil ein Gericht diese in einer früheren Entscheidung bereits ausgefüllt hat. Selbst Entscheidungen des Großen Senats haben keine grundsätzliche Bindungswirkung,188 geschweige denn Gesetzeskraft.189 Allerdings scheiterte die Analogie an einer anderen Voraussetzung. Denn es fehlte an einer Vergleichbarkeit von Befristung und Kündigung hinsichtlich aller rechtlich wesentlichen Merkmale.190 Zunächst ist der Beurteilungszeitpunkt bei einer Befristung ein anderer als bei einer Kündigung nach womöglich langjähriger Beschäftigung.191 Die Befristung wird vor Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbart, so dass etwa das Verhalten des Arbeitnehmers noch gar nicht berücksichtigt werden kann.192 Die Wartezeit bis zur Erlangung des Kündigungsschutzes (§ 1 Abs. 1 KSchG, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SchwbG a.F.) und die Pflicht zur Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bei der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) brachten bereits damals zum Ausdruck, dass das Maß des Be185  Mit erheblichen Unterschieden im Detail LAG Düsseldorf, Urteil v. 03. 05. 1977 – 18 Sa 169/77, DB 1977, 2380; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Bötticher, BB 1955, 673, 675; ders., SAE 1961, 128, 129; Kempff, DB 1976, 1576 f.; Grotheer, S. 58 ff. 186  BAG, Urteil 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, EzA KSchG 1969 § 4 Nr. 17; v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1767. 187 Ähnl. Benecke, S. 172. 188 GMP/Prütting, § 45 ArbGG Rn. 46 f. Dies folgt im Wege des Umkehrschlusses aus § 45 Abs. 7 GG, wonach die Entscheidung des GS „in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend“ ist. 189  Beitzke, SAE 1980, 186. 190  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Herschel, EzA KSchG 1969 § 4 Nr. 17; Kempff, DB 1976, 1576; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87; in diese Richtung auch Benecke, S. 178 f. und S. 194 f. 191  Beitzke, SAE 1980, 186; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87; Benecke, S. 172. 192  Hromadka, RdA 1983, 88, 91.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

193

standsschutzes auch von der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängen sollte. Ein Arbeitnehmer kann sich zum Zeitpunkt der Befristung nicht auf einen Besitzstand am Arbeitsplatz, auf erbrachte Leistungen und einen mit der Betriebs­z ugehörigkeit gewachsenen Schutzanspruch berufen.193 Deshalb wurde teilweise vorgeschlagen, nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf die Berufung des Arbeitgebers auf die Befristung abzustellen und diese nur bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes anzuerkennen.194 Das brachte zunächst praktische Probleme mit sich, weil im Falle einer Befristung am Ende des Arbeitsverhältnisses keine weitere rechtsgeschäftliche Handlung des Arbeitgebers in Form einer ausdrücklichen „Berufung“ auf die Befristung erforderlich ist.195 Zudem ließ diese Auffassung außer Acht, dass der Arbeitnehmer durch den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages selbst an der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mitwirkt und sich dadurch von vornherein auf das geplante Ende des Arbeitsverhältnisses einstellen kann.196 Demgegenüber werden Kündigungen einseitig und oft unerwartet vom Arbeitgeber ausgesprochen und beeinträchtigen das Bestandsschutzinteresse dadurch stärker.197 Dagegen lässt sich mit Recht einwenden, dass der Arbeitnehmer beim Abschluss eines Arbeitsvertrages in der Regel unter mehr oder weniger hohem Druck steht, weil er kurzfristig einen neuen Arbeitsplatz benötigt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.198 Das spricht zwar für eine Befristungskontrolle im Allgemeinen, vermag aber eine völlige Gleichbehandlung ein- und zweiseitiger Rechtsgeschäfte nicht zu begründen. Entscheidend ist letztlich, dass die analoge Anwendung der Kündigungsschutzvorschriften auf Befristungen dem durch Auslegung ermittelten Willen des Gesetzgebers widersprochen hätte. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn eine Auslegung der Norm ergibt, dass sie ihrer Zielsetzung nach auch für einen Fall gelten müsste, der von ihrem Wortlaut nicht erfasst wird. Der Gesetzgeber wollte aber – in Kenntnis der Problematik der Kettenarbeitsverträge – die Vertragsfreiheit bei Befristungen bewusst nicht in demselben Umfang einschränken wie bei arbeitgeberseitigen Kündigungen und auch keine Gleichstellung der beiden Beendigungsgründe herbeiführen. Für das KSchG als praktisch wichtigste Beschränkung hat er dies ausdrücklich ausgesprochen und seine Vorstellungen von einem deutlich geringeren Schutz gegen Befristungen zum Ausdruck ge-

193 

Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. Bötticher, SAE 1961, 128, 129; Kempff, DB 1976, 1576 f.; Grotheer, S. 58 ff. 195  Blomeyer, RdA 1967, 406, 411; Grotheer, S. 50. 196  Singer, RdA 2006, 362, 365. 197  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Persch, S. 134. 198  Dammann, AuR 1978, 65, 70; Koch, BB 1978, 1218, 1220; Linder DB 1975, 2082, 2085 ff.; M. Wolf, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 38. 194 

194

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

bracht.199 Eine analoge Anwendung von Kündigungsschutzbestimmungen auf sämtliche Befristungen musste deshalb – ebenso wie umgekehrt die Annahme einer unbeschränkten Vertragsfreiheit bei Befristungen – an gesetzlichen Wertungen scheitern.200 bb) Möglichkeit teleologischer Reduktion des § 620 BGB Zum Teil wurde vertreten, die Befristung von Arbeitsverhältnissen könne durch eine teleologische Reduktion des § 620 BGB angemessen beschränkt werden.201 Wie oben gezeigt, ermöglicht die teleologische Reduktion, sofern sie als Methode der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung verstanden wird, aber nicht jede beliebige Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm.202 Vielmehr müsste sich durch Auslegung der einzuschränkenden Norm selbst oder aus eindeutig vorrangigen Vorschriften ein entsprechender Wille des Gesetzgebers herleiten lassen.203 Nur dann kann man von einer Übertragung vorgefundener gesetzlicher Wertungen sprechen. Das war im Fall von Befristungen aber nicht möglich. § 620 BGB selbst ist zweckneutral.204 Höherrangige Rechtsnormen, denen eine klare Wertung dahingehend zu entnehmen ist, dass die Befristung von Arbeitsverhältnissen in bestimmter Weise einzuschränken ist, existierten nicht. Dass sich dieses Ergebnis möglicherweise aus allgemeinen Rechtsprinzipien herleiten ließ – diese Frage wird noch zu untersuchen sein –, vermochte eine gesetzesimmanente teleologische Reduktion hingegen nicht zu begründen.205 Damit war eine Lösung der Befristungsproblematik im Wege gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung nicht möglich. Das öffnet den Weg für eine Rechtsfortbildung extra legem, sofern ihre weiteren Voraussetzungen – Feststellung und zutreffende Ausfüllung einer Gesetzeslücke sowie Erreichen der Eingriffsschwelle – vorlagen. b)  Gesetzeslücke Jede Rechtsfortbildung erfordert eine Gesetzeslücke, eine „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“206. Wie oben dargestellt, prüft das BAG mit dem Vorliegen einer objektiven Gesetzesumgehung zugleich die Voraussetzungen ei199 

BT-Drs. I/2090, S. 12. Beitzke, SAE 1980, 186; Koch, BB 1978, 1218, 1220; Keyser, S. 55. 201  Koch, BB 1978, 1218, 1220; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87. 202  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. II. 1. 203  Kraft, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50. 204  Blomeyer, RdA 1967, 406, 408, Fn. 25. 205 Ebenso Benecke, S. 198. 206  Allg. A., Nachw. in Gliederungspunkten § 2 D. II. und § 5 C. I. 200 Ähnl.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

195

ner Gesetzeslücke unter anderen Bezeichnungen.207 Dennoch ist zu hinterfragen, ob das Ergebnis dieser Prüfung zutreffend ist. Dazu müsste das Gesetz hinsichtlich der Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse unvollständig gewesen sein. Eine ausdrückliche Regelung dieser Problematik gab es nicht. § 620 Abs. 1 BGB sollte nach überwiegender Ansicht die Zulässigkeit der Befristung nicht konstitutiv regeln, sondern setzt sie aufgrund der Vertragsfreiheit als gegeben voraus.208 Das Fehlen einer Regelung begründet eine Unvollständigkeit des Gesetzes aber nur, wenn sie nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes und seinem Gesamtzusammenhang zu erwarten ist.209 Eine Gesetzeslücke im engeren Sinne setzt voraus, dass eine ganz bestimmte Regelung auf wertungsgleiche Fälle ausgedehnt werden müsste.210 Wie soeben gezeigt, war diese Voraussetzung in Bezug auf befristete Arbeitsverhältnisse nicht erfüllt. Eine Gesetzeslücke im weiteren Sinne kann man immer dann bejahen, wenn das Fehlen einer Regelung, gemessen an den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung, als behebungsbedürftige Unvollständigkeit erscheint.211 Der Rechtsanwender muss das Fehlen von Regelungen mit spezifisch rechtlichen Argumenten ausdrücklich begründen.212 Dazu kann er auf rechtsethische Prinzipien zurückgreifen, die als Grundwertungen oder Rechtsideen der Rechtsordnung immanent sind, aber nicht oder nicht vollständig in geschriebenen Rechtssätzen verwirklicht wurden.213 Ob bereits bei der Entstehung des BGB eine Lücke vorlag, weil der Gesetzgeber etwa unbewusst die Möglichkeit missbräuchlicher Kettenarbeitsverträge übersehen hat, kann dahinstehen. Eine Gesetzeslücke kann nämlich auch nachträglich entstehen, wenn neu eingeführte Gesetze in einen Wertungswiderspruch zu früheren Normen treten.214 Mit zunehmender Dichte der Kündigungsschutznormen hat das Gesetz immer deutlicher die Wertung zum Ausdruck gebracht, dass Arbeitsverhältnisse grundsätzlich Bestandsschutz genießen sollen. Daraus lässt sich der allgemeine Rechtsgrundsatz ableiten, dass Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz nicht ohne jeden Grund verlieren dürfen.215 Eine vollkommen uneinge207 

Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. I. Beitzke, SAE 1980, 186; Heinze, DB 1986, 2327; Koch, BB 1978, 1218, 1220; Leser, BB 1965, 1151, 1152; Grotheer, S. 53; a.A. Preis, S. 386. 209  Engisch, S. 239; Larenz/Canaris, S. 196. 210  Larenz, S. 375. 211  BGH, Urteil v. 14. 12. 2006 – IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994; Larenz/Canaris, S. 246. 212  Larenz/Canaris, S. 246. 213  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287; Canaris, S. 96. 214  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 862. 215  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 21. 06. 2006 – 1 BvR 1659/04 (Kündigung während der Probezeit), NZA 2006, 913; Beschluss v. 27. 01. 1998 – 1 BvL 15/87 (Kleinbe208 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

schränkte Befristungsmöglichkeit würde gegen dieses Prinzip verstoßen.216 Deshalb war das Fehlen jeder Regelung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen als Gesetzeslücke i.w.S. zu betrachten. Die Argumentation des BAG mit der Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften ist intuitiv nachvollziehbar,217 übergeht aber den Schritt der Herleitung eines allgemeinen Rechtsprinzips. Eine Gesetzeslücke i.w.S. muss nicht planwidrig im eigentlichen Sinne sein, da es an einem Plan des Gesetzgebers zur abschließenden Regelung der Thematik fehlt.218 Eine Gesetzeslücke i.w.S. ist vielmehr dann zu verneinen, wenn das Fehlen gesetzlicher Regelungen auf einem gezielten Willen des Gesetzgebers beruht, eine Frage nicht durch Rechtsnormen zu erfassen.219 In der Begründung des KSchG erkannte der Gesetzgeber aber ausdrücklich die Notwendigkeit an, den Abschluss befristeter Arbeitsverträge – insbesondere wenn sie der Umgehung des Kündigungsschutzes dienen – zu regulieren.220 Damit handelt es sich um eine bewusste, nicht aber um eine geplante Gesetzeslücke.221 c)  Erreichen der Eingriffsschwelle aa) Bestimmung der konkreten Eingriffsschwelle Fraglich ist, ob die Eingriffsschwelle für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung erreicht war. Während eine Rechtsfortbildung praeter legem immer erlaubt ist, sobald eine Ungleichbehandlung unbillig erscheint,222 liegt die Eingriffsschwelle für eine Rechtsfortbildung extra legem deutlich höher. Letztere setzt voraus, dass „andernfalls ein Zustand entstehen würde, der mit den elementaren Anforderungen des Rechts hinsichtlich eines Mindestmaßes von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit nicht vereinbar wäre.“223 Fragt man in Befristungsfällen nach der Eingriffsschwelle, so geht es um die Entscheidung, welche triebsklausel I), BVerfGE 97, 169; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 391 f., entwickelt aus den gesetzten Normen ein grundrechtsgleiches Recht am eigenen Arbeitsplatz, das „breiter Analogie zugänglich“ sei und „in seinem Kernbereich durch einfaches Gesetz nicht mehr angetastet werden“ könne; ähnl. Krause, RdA 2016, 49, 53 f.; Linder, DB 1975, 2082, 2085; Persch, S. 139 f.; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 87, meinen, dass eine Einschränkung der Befristungsmöglichkeit vom „allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzprinzip“ gefordert werde. 216  Benecke, S. 198; Persch, S. 139 f. 217  Keyser, S. 69. 218  Larenz/Canaris, S. 246. 219  Larenz, S. 376. 220  BT-Drs. I/2090, S. 12. 221  Blomeyer, RdA 1967, 406, 409; Keyser, S. 55. 222  Zippelius, S. 55 f. 223  Larenz, S. 376.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

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Befristungen (noch) hinzunehmen sind – obwohl sie doch, worauf häufig hingewiesen wird, ebenfalls zur Ausschaltung des Kündigungsschutzes führen224 – und welchen Befristungen eine erfolgreiche Gesetzesumgehung versagt bleiben muss. Als Kriterien, die die Eingriffsschwelle in einer bestimmten Fallgruppe senken können, wurden oben der Schutzcharakter des umgangenen Gesetzes und das Umgehungsbewusstsein herausgestellt.225 Die intensive Beeinträchtigung der Rechtssicherheit durch eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung rührt daher, dass normalerweise nicht nur gegen den Wortlaut, sondern auch gegen den Zweck einer geltenden Rechtsnorm entschieden wird.226 Da § 620 BGB als rein deklaratorisch betrachtet wurde,227 existierte damals aber keine Vorschrift, die die Befristung von Arbeitsverträgen allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärte. Daher wurde in diesem Fall lediglich entgegen der nach dem Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkten Vertragsfreiheit entschieden. Das führte zu einem geringeren Schutz gegen Beschränkungen, als wäre die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse gesetzlich ausdrücklich bestimmt gewesen, weil das schutzwürdige Vertrauen in eine schrankenlose Vertragsfreiheit geringer ist als in die Geltung von speziellen Erlaubnisnormen. Auch die Schutzfunktion der umgangenen Kündigungsschutzvorschriften führte zu einer niedrigeren Eingriffsschwelle, als sie bei Umgehung reiner Ordnungsvorschriften gelten würde.228 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine Umgehungsabsicht zwar nicht Voraussetzung einer Gesetzesumgehung ist, nach h. M. aber die Eingriffsschwelle senken kann, weil der bewusst Handelnde weniger schutzwürdig ist.229 Der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages ohne jeden sachlichen Grund lässt als atypische Gestaltung auf das Vorliegen einer Absicht schließen, den Kündigungsschutz zu umgehen.230 Insgesamt lag die Eingriffsschwelle für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zur Lösung der Befristungsproblematik damit vergleichsweise niedrig.

224  Kempff, DB 1976, 1576; Singer, RdA 2006, 362, 364; Söllner, SAE 1966, 255; Grot­ heer, S. 20 und S. 51. 225  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. V. 3. 226  Rüthers/Fischer/Birk, Rn. 961. 227  Beitzke, SAE 1980, 186; Heinze, DB 1986, 2327; Koch, BB 1978, 1218, 1220; Leser, BB 1965, 1151, 1152; Grotheer, S. 53. 228  Benecke, S. 131; vgl. Gliederungspunkt § 2 D. V. 3. a) aa). 229 Palandt/Ellenberger, § 134 Rn. 28; Schermaier, AcP 196 (1996), 256, 261; Schurig, in: FS Ferid, S. 403 f.; Benecke, S. 115, S. 121 f., S. 153 ff., S. 186; Kracht, S. 139 f.; Westerhoff, S. 206; ähnl. Schick, S. 114 ff. 230  Benecke, S. 145; Westerhoff, S. 206.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

bb) Überschreitung der Eingriffsschwelle bei sachgrundloser Befristung Das BAG sah diese Eingriffsschwelle als überschritten an, wenn eine Befristung ohne „einen verständigen, sachlich gerechtfertigten Grund“231 vorgenommen wurde. Demnach müsste eine sachgrundlose Befristung im Gesamtkontext der Rechtsordnung unerträglich ungerecht erscheinen, eine sachlich begründete Befristung hingegen (noch) nicht. Im Schrifttum wurde das Vorliegen eines sachlichen Grundes ebenfalls mehrheitlich für ein taugliches Abgrenzungskriterium gehalten.232 Das kann durchaus als Indiz für die Richtigkeit der zugrundeliegenden Wertungen dienen. Dass in der Literatur zum Teil beanstandet wurde, der Befristungsschutz bleibe in seiner Intensität hinter dem Kündigungsschutz zurück,233 belegt gerade die Eignung des Sachgrunderfordernisses als Instrument der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Sie muss die Prinzipien des Bestandsschutzes und der Vertragsfreiheit zu einem angemessenen Ausgleich bringen. Deshalb darf sie eben nur „die Spitze des Eisbergs“ erfassen und nicht zu einer vom Gesetzgeber abgelehnten Gleichstellung mit dem Niveau des umgangenen Kündigungsschutzes führen. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, das BAG habe sich selbst die Rechtsgrundlage für eine Inhaltskontrolle geschaffen, um unbillige Befristungsabreden für nichtig zu erklären.234 Der Begriff des sachlichen Grundes ist für sich genommen völlig unbestimmt. Die genaue Höhe der Eingriffsschwelle wird daher erst durch die Entscheidung festgelegt, welche Sachgründe als berechtigt anerkannt oder eben abgelehnt werden. Aufgrund der Vielfalt möglicher Sachgründe erscheint eine subsumtionsfähige Definition unter Verzicht auf die Einzelfallbetrachtung nicht möglich.235 Wie die oben aufgezählten Beispiele236 zeigen, sind die Anforderungen an den rechtfertigenden sachlichen Grund in der Rechtsprechung des BAG eher gering.237 Für die Befristung müssen lediglich die „wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse der Parteien oder jedenfalls einer Partei“238 sprechen. Es reicht also aus, dass die Befristung allein im Interesse des 231  BAG, Urteil v. 26. 06. 1986 – 2 AZR 590/85, juris (Rn. 44); v. 19. 12. 1974 – 2 AZR 565/73, NJW 1975, 1531, 1532; grundlegend BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 232  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. 2. 233  Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Blomeyer, RdA 1967, 406, 408; Kempff, DB 1976, 1576. 234  Säcker, RdA 1976, 91, 95; ähnl. Sowka, BB 1994, 1001, 1002. 235  Säcker, RdA 1976, 91, 96; Persch, S. 293 f. 236  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. I. 1. b). 237  Dammann, AuR 1978, 65, 66; Kempff, DB 1976, 1576; Linder, DB 1975, 2083 f. 238 BAG, Urteil v. 31. 08. 1988 – 7 AZR 630/86, juris (Rn. 28); v. 03. 07. 1970 – 2 AZR 380/69, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 33; BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799, Hervorhebungen durch Verf.

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

199

„verständig denkende[n] Arbeitgeber[s]“239 liegt. Übrig bleiben damit nur diejenigen Fälle, in denen der Arbeitgeber ohne Geltung des Kündigungsschutzrechts keinerlei Interesse an einer Befristung des Arbeitsverhältnisses hätte.240 Die Interessen des Arbeitnehmers werden nicht in jedem Fall berücksichtigt.241 Auffällig ist, dass auch der Wunsch des Arbeitnehmers und ein gerichtlicher Vergleich als Sachgründe anerkannt waren, obwohl sie inhaltlich keine Befristung rechtfertigen können.242 Diese Sonderfälle kann man so deuten, dass nur vom Arbeitgeber vorformulierte Befristungsabreden eines sachlichen Grundes bedürfen, nicht aber vom Arbeitnehmer vorgeschlagene oder tatsächlich ausgehandelte Befristungen. Damit zeigt die Befristungskontrolle Parallelen zu der im Arbeitsrecht damals untersagten Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dennoch ist das Postulat eines sachlichen Grundes nicht mit einer echten Interessenabwägung, wie sie bei der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgenommen wird, zu vergleichen. Wenn ein Rechtsverstoß voraussetzt, dass jeder sachliche Grund für eine Befristung fehlt, handelt es sich der Sache nach zwar ebenfalls um eine Billigkeitsprüfung, aber um eine solche mit sehr hoher Eingriffsschwelle. Damit entspricht das Abgrenzungskriterium der Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund den Anforderungen der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. d)  Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung Schließlich bleibt zu prüfen, ob das BAG die Rechtsfolge der unzulässigen Befristung in Übereinstimmung mit den Wertungskriterien der Rechtsordnung gewählt hat. Anders als in Umgehungfällen, die durch gesetzesimmanente Rechtsfortbildung gelöst werden können, ist bei einer Rechtsfortbildung extra legem nicht in jedem Falle eine Gleichstellung mit den umgangenen Rechtsnormen herbeizuführen. Vielmehr kann die Rechtsfolge ebenso wie das Vorliegen einer Gesetzeslücke mit allgemeinen Prinzipien der Rechtsordnung begründet werden.243 Die Besonderheit der Gesetzesumgehung legt aber eine Orientierung an den umgangenen Bestimmungen nahe. Deshalb schlägt Benecke folgendes Vorgehen bei der Bestimmung der Rechtsfolge in Umgehungsfällen vor: Zunächst soll eine Gleichstellung mit den Rechtsfolgen der umgangenen Normen erwogen werden. 239  BAG, Urteil v. 11. 02. 2004 – 7 AZR 362/03, NZA 2004, 978, 980; v. 03. 07. 1970, a. a. O.; v. 05. 05. 1961 – 1 AZR 65/56, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 17. 240  Säcker, RdA 1976, 91, 93. 241 Krit. Linder, DB 1975, 2082, 2083 f.; Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, 85, 88, die stets eine Berücksichtigung auch der Interessen des Arbeitnehmers und Dritter fordern, z. B. bezüglich der Auswirkungen einer Befristung auf die berufliche Entwicklung. 242  Preis, S. 165. 243  Canaris, S. 160 ff.

200

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Falls diese nicht möglich oder sachgerecht ist, sei eine Vereitelung der Umgehung durch Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts in Betracht zu ziehen. Führe auch das zu einem unbefriedigenden Ergebnis, so seien die Kriterien für die Bestimmung der Rechtsfolge aus Zielen und Wertungen der umgangenen Bestimmungen abzuleiten.244 Wie oben dargelegt,245 schied eine Gleichstellung mit den Kündigungsschutzvorschriften aus, insbesondere weil sie gesetzgeberisch nicht gewollt war. Die Nichtigkeit des befristeten Arbeitsvertrages führte ebenfalls nicht zum Ziel. Selbst wenn man mit der h. M. eine isolierte Nichtigkeit der Befristungsabrede für möglich hält,246 entspricht diese nicht uneingeschränkt dem Bestandsschutz­ interesse des Arbeitnehmers, da ihm auf diese Weise auch die zugesagte Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses verloren ginge. Bei Entbehrlichkeit oder Vorliegen eines Kündigungsgrundes könnte der unbefristete Arbeitsvertrag dann sogar vor dem vereinbarten Beendigungstermin gekündigt werden. Damit blieb die Bestimmung der Rechtsfolgen nach den Wertungskriterien der umgangenen Normen. Das Vorliegen einer Gesetzeslücke wurde mit dem Rechtsprinzip des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen begründet. Bei der Ermittlung der zutreffenden Rechtsfolge ist also zu überlegen, wie diesem Prinzip am besten Geltung verschafft werden kann. So gelangt man zu dem vom BAG gewählten Ergebnis, dem Wegfall der vereinbarten Laufzeit als Höchstdauer unter Beibehaltung ihrer Bedeutung als Mindestdauer.247 Der Große Senat begründete die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ebenfalls damit, dass die umgangenen Kündigungsschutzbestimmungen dem Schutz des Arbeitnehmers dienen und dieser Zweck durch die Wahl der Rechtsfolge verwirklicht werden müsse.248 Diese Argumentation entspricht zwar nicht „technisch“, aber zumindest inhaltlich den Vorgaben der Methodenlehre. e)  Keine Rechtsfortbildung contra legem Teilweise wird behauptet, als weitere Voraussetzung der Rechtsfortbildung extra legem durch den Großen Senat sei ein Rechtsnotstand aufgrund langfristiger Untätigkeit des Gesetzgebers erforderlich gewesen.249 Da dieser nicht vorgelegen habe, sei die Rechtsprechung des BAG abzulehnen. Das entspricht aber nicht der 244 

Benecke, S. 195. Vgl. Gliederungspunkte § 7 A. IV. 2 a) aa) und bb). 246  Zweifelnd etwa E. Wolf/van Gelder, SAE 1970, 122, 123. 247  BAG, Urteil 22. 05. 1986 – 2 AZR 392/85, NZA 1987, 60, 61; v. 14. 01. 1982, 2 AZR 245/80, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 64; v. 19. 06. 1980 – 2 AZR 660/78, NJW 1981, 246; v. 02. 12. 1965 – 2 AZR 91/65, BAGE 18, 8. 248  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. 249  Bickel, JuS 1987, 861, 864; Herschel, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 4. 245 

A.  Befristung zur Umgehung des Kündigungsschutzes

201

Methodenlehre, die einen Rechtsnotstand allein für eine Rechtsfortbildung contra legem voraussetzt.250 Von einer solchen kann man aber nur sprechen, wenn eine Gesetzeslücke fehlt und deshalb gegen einen fortgeltenden Gesetzeszweck entschieden wird oder wenn eine Rechtsfortbildung extra legem vorgenommen wird, obwohl die Eingriffsschwelle nicht erreicht ist.251 Da das Gesetz hinsichtlich der Zulässigkeit von Befristungen lückenhaft und die Eingriffsschwelle überschritten war, entschied das BAG nicht contra legem.252 Ein Rechtsnotstand war nicht erforderlich. 3.  Zwischenergebnis Die Vorgehensweise des BAG, für eine wirksame Befristung von Arbeitsverhältnissen einen sachlichen Grund zu verlangen und bei dessen Fehlen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit Mindestlaufzeit anzunehmen, kann als gesetzes­ übersteigende Rechtsfortbildung eingeordnet werden. Die Voraussetzungen dafür lagen objektiv vor, so dass die Rechtsfortbildung im Ergebnis rechtmäßig war. Die Vertragsfreiheit – bzw. § 620 BGB, sofern man ihm einen eigenen Regelungsgehalt zugesteht – wurde wegen des Grundsatzes des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen auf vertretbare Weise eingeschränkt. Bedenklich ist, dass der Große Senat die Rechtsfortbildung extra legem bei der Begründung seiner Rechtsprechung weder als Methode benannt noch ihre Voraussetzungen ausdrücklich geprüft hat. Stattdessen wurden die zur Rechtsfortbildung erforderlichen Wertungen in den Vordergrund gerückt und dabei auch durchaus transparent und treffend dargestellt. Dem Argument der Gesetzesumgehung kommt dabei methodisch keine eigenständige Bedeutung zu. Sie als Rechtsfigur zur Lösung dieser Fälle heranzuziehen, ist nicht nur überflüssig,253 sondern auch irreführend. Denn es geht nicht darum, einen vom Gesetz missbilligten Erfolg zu verhindern.254 Jede Befristung (wie auch jeder Aufhebungsvertrag und jede Arbeitnehmerkündigung) führt zum Ausschluss des Kündigungsschutzes,255 ohne dass das BAG stets eine Umgehung darin sieht. Rein umgangssprachlich verstanden, veranschaulicht der Hinweis auf die Umgehung des Kündigungsschutzes aber das Vorliegen einer Gesetzeslücke und den Weg zur angemessenen Rechtsfolge durch Übertragung gesetzlicher Wertungen. 250 

Larenz, S. 427; Larenz/Canaris, S. 521. Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. d) bb). 252  Benecke, S. 198; a.A. Boemke, NZA 1993, 532, 538. 253 Ähnl. Keyser, S. 70. 254 Vgl. Preis, S. 164 f. 255  Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; Grotheer, S. 20 und S. 51; in diese Richtung auch Söllner, SAE 1966, 255. 251 

202

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

B.  Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen I.  Auflösende Bedingung und bedingte Aufhebung Die für Befristungsfälle entwickelte Lösung, dass zur Gesetzesumgehung geeignete Gestaltungen nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig sind, übertrug das BAG auf auflösend bedingte Arbeitsverträge und bedingte Aufhebungsverträge. Bei einem auflösend bedingten Arbeitsvertrag wird die Bedingung, die zur Beendigung führt, bereits bei Vertragsschluss einbezogen, während ein bedingter Aufhebungsvertrag bei gleicher Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt separat geschlossen wird. Auflösende Bedingung und bedingte Aufhebung weisen große Ähnlichkeit zur Befristung auf, weil das Arbeitsverhältnis jeweils aufgrund einer Vereinbarung bei oder nach Vertragsschluss ohne Kündigung endet. Die hier behandelten Gestaltungen sind gleichwohl mit einer zusätzlichen Unsicherheit für den Arbeitnehmer behaftet, weil unklar ist, ob das auflösende Ereignis eintreten wird oder nicht.256 Der mögliche Beendigungszeitpunkt kann wie bei der kalendermäßigen Befristung feststehen oder wie bei der Zweckbefristung ebenfalls noch unbekannt sein.257 1.  Rechtsprechung und Literatur Bereits in einem Urteil vom 17. 05. 1962 übertrug der Zweite Senat die zur Befristung entwickelten Grundsätze auf ein auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis.258 Dabei ging es um den recht speziellen Fall einer Frau, die ihren Ehemann, einen gelernten Melker, bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützte. Weil die Frau „aus städtischen Verhältnissen“ stammte und deshalb zu Melkarbeiten nur „unter der Anleitung ihres Ehemannes“ eingesetzt werden konnte, waren beide Arbeitsverhältnisse dergestalt miteinander verknüpft, dass durch eine dem Ehemann gegenüber ausgesprochene Kündigung ohne weiteres auch ihr Arbeitsvertrag aufgelöst werden sollte. Das BAG bejahte einen Sachgrund für diese Vertragskonstruktion und lehnte eine Weiterbeschäftigungspflicht trotz zwischenzeitlich eingetretener Schwangerschaft ab. Dieses Urteil fand Zustimmung im Schrifttum.259 Mehr Aufmerksamkeit erregte eine Entscheidung aus dem Jahre 1974260, weil das BAG eine damals nicht unübliche Praxis261 zu beurteilen hatte: Der Arbeitge256  Enderlein, RdA 1998, 90, 91; Hromadka, RdA 1983, 88, 89; W. Böhm, BB 1982, 371. Wenn für die Parteien feststeht, dass die auflösende Bedingung eintreten wird, handelt es sich tatsächlich um eine Zweckbefristung. 257  Enderlein, RdA 1998, 90, 91; Hromadka, RdA 1983, 88, 89. 258  BAG, Urteil v. 17. 05. 1962 – 2 AZR 354/60, DB 1962, 969. 259  W. Böhm, BB 1982, 371, 372. 260  BAG, Urteil v. 19. 12. 1974 – 2 AZR 565/73, BAGE 26, 417. 261 Vgl. G. Hueck, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3 m. w. N.

B.  Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen

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ber befürchtete, ein Arbeitnehmer türkischer Herkunft und Staatsangehörigkeit werde nicht oder nicht rechtzeitig aus seinem Urlaub in der Türkei zurückkehren. Deshalb vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis sofort enden solle, falls der Arbeitnehmer seine Arbeit am vereinbarten Tag – egal aus welchem Grunde – nicht wiederaufnehmen sollte. Das BAG wertete diese Vereinbarung als bedingten Aufhebungsvertrag. Dieser sei zwar grundsätzlich zulässig, dürfe aber nicht zur Umgehung zwingender Vorschriften des Kündigungsschutzrechts genutzt werden. Grundsätzlich sei von den Erwägungen des Großen Senats zum Begriff der Gesetzesumgehung auszugehen. Die Vereinbarung diene hier nicht dazu, das Arbeitsverhältnis nach bestimmter Zeit zu beenden, sondern den Arbeitnehmer unter Androhung einer sofortigen Beendigung zur vereinbarten Wiederaufnahme der Arbeit anzuhalten. Der Arbeitnehmer könne nur begrenzt überblicken und beeinflussen, ob er diese Bedingung werde erfüllen können. Der Arbeitgeber verschaffe sich eine Möglichkeit zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines Vertragsverstoßes unter Umgehung der zwingenden Vorschrift des § 626 BGB. Das Interesse des Arbeitgebers an einer pünktlichen Wiederaufnahme der Arbeit sei zwar anzuerkennen. Dennoch werde der bedingte Auflösungsvertrag objektiv funktionswidrig verwendet, weil das Vorliegen eines wichtigen Grundes und die Möglichkeit der Klage gegen eine arbeitgeberseitige Beendigung nicht abbedungen werden können. Die Regelung sei deshalb unwirksam. Ebenso hat das BAG ähnliche Sachverhalte beurteilt, in denen die Parteien einen unbedingten Aufhebungsvertrag zum Urlaubsende mit bedingter Wiedereinstellung im Falle pünktlicher Rückkehr vereinbart hatten.262 In einem sehr anschaulichen Fall hielt das BAG eine auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag eines Lizenzfußballspielers für unwirksam.263 Das Arbeitsverhältnis sollte automatisch enden, wenn der Arbeitgeber, ein Verein der Zweiten Bundesliga, vom DFB wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit keine neue Lizenz erhält. Die Vereinbarung sei objektiv funktionswidrig, weil sie zur Umgehung des § 626 BGB führe und dem Arbeitnehmer vollständig das vom Arbeitgeber zu tragende Beschäftigungsrisiko aufbürde. Mit einem obiter dictum im Leitsatz dieser Entscheidung sorgte der Zweite Senat – unter einem neuen Vorsitzenden 264 – für Aufsehen. Er kündigte eine mögliche Rechtsprechungsänderung dahingehend an, dass auflösende Bedingungen wegen wesentlicher sachlicher Unterschiede künftig nicht mehr nach den für Befristungen geltenden Grundsät262  BAG, Urteil v. 25. 06. 1987 – 2 AZR 541/86, NZA 1988, 391; v. 13. 12. 1984 – 2 AZR 294/83, NZA 1985, 324. 263  BAG, Urteil v. 09. 07. 1981 – 2 AZR 788/78, NJW 1982, 788; vgl. aber das Urteil v. 04. 12. 2002 – 7 AZR 492/01, BAGE 104, 110, wonach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Fall eines Abstiegs im Interesse eines Fußballtrainers liegen und deshalb sachlich gerechtfertigt sein kann. 264  Am 01. 09. 1980 übernahm Wilfried Hillebrecht den Vorsitz des Zweiten Senats.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

zen beurteilt, sondern generell für unzulässig erachtet werden könnten, wenn sie nicht vornehmlich im Interesse des Arbeitnehmers liegen oder ihr Eintritt nicht allein von dessen Willen abhänge.265 Das Echo in der Literatur war geteilt. Die wohl überwiegende Ansicht hielt auflösende Bedingungen in Arbeitsverträgen grundsätzlich für zulässig.266 Unter ihren Vertretern bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass die auflösende Bedingung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein müsse,267 an den teilweise höhere Anforderungen gestellt wurden als bei einer Zeitbefristung.268 Die vom BAG angekündigte Rechtsprechungsänderung wurde auch in dogmatischer Hinsicht beanstandet, weil der Senat durch das obiter dictum seine Befugnisse zur Bildung von Richterrecht durch Entscheidung konkreter Fälle überschreite.269 Doch die vom Zweiten Senat erwogene Sichtweise fand auch Zustimmung. Nach einer durchaus verbreiteten Ansicht in der Literatur vor Erlass des TzBfG waren auflösend bedingte Arbeitsverträge – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als unzulässig einzustufen.270 In einem Urteil aus dem Jahre 1984 distanzierte sich der Zweite Senat aber wieder von dieser Ankündigung und erkannte ausdrücklich an, dass auch auflösend bedingte Arbeitsverträge sachlich gerechtfertigt sein können.271 Damit reagiere der Senat auf Bedenken aus der Literatur.272 Einer größeren Unsicherheit im Vergleich zur Befristung könne dadurch Rechnung getragen werden, dass an die sachliche Rechtfertigung besonders strenge Anforderungen gestellt werden.273 In der Folgezeit legte das BAG jedoch an Befristungen und auflösende Bedingungen denselben Prüfungsmaßstab an und unterschied schließlich überhaupt

265 

BAG, Urteil v. 09. 07. 1981, a. a. O. Bauschke, BB 1993, 2523, 2526; Bickel, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 8; W. Böhm, BB 1982, 371; Gaul/Laghzaoui, ZTR 1996, 300, 302; Hoß/Lohr, MDR 1998, 313, 315; Stiller, S. 213; Vollstädt, S. 165. 267  A.A. aber Bickel, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 8, der bei auflösenden Bedingungen wie auch bei Befristungen als Grenze nur § 138 BGB anerkennt. 268  Bauschke, BB 1993, 2523, 2526. 269  Herschel, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 4 sieht darin eine „eigenmächtige Novellierung des Gesetzes“, die einen Rechtsnotstand erfordere; Picker, JZ 1984, 153 ff., betrachtet eine Rechtssetzung durch Gerichte unabhängig vom entschiedenen Fall als Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. 270  Ehrich, DB 1992, 1186, 1188 f.; Falkenberg, DB 1979, 590; Füllgraf, NJW 1982, 738, 739; Hromadka, RdA 1983, 88, 93; Zöllner, § 21 I. 4., S. 220. 271  BAG, Urteil v. 09. 02. 1984 – 2 AZR 402/83, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 7. 272  BAG, Urteil v. 20. 12. 1984 – 2 AZR 3/84, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 9. 273  BAG, Urteil v. 24. 09. 1997 – 7 AZR 669/96, NZA 1998, 419; v. 09. 02. 1984 – 2 AZR 402/83, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 7. 266 

B.  Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen

205

nicht mehr klar zwischen beiden Gestaltungen.274 Beispielsweise wurden Altersgrenzen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zunächst als auflösende Bedingung eingeordnet.275 In seiner späteren Judikatur ließ das BAG die rechtliche Qualifikation ausdrücklich dahinstehen, da die Vereinbarung einer Altersgrenze in jedem Falle eines sie rechtfertigenden Sachgrundes bedürfe, unabhängig davon, ob sie als Befristung oder als auflösende Bedingung zu qualifizieren sei.276 Den Grundsätzen der Befristungskontrolle entsprechend, unterzog das BAG auch eine auflösende Bedingung dann keiner Überprüfung, wenn (noch) keine Kündigungsschutzvorschrift anwendbar war.277 Mittlerweile stellt das Gesetz in § 21 TzBfG die auflösende Bedingung hinsichtlich des Erfordernisses eines sachlichen Grundes mit der Befristung gleich, so dass auch hier die Anknüpfung an eine Umgehung des Kündigungsschutzes entfallen ist. 2.  Rechtliche Vergleichbarkeit Wie befristete wurden auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse aufgrund der Vertragsfreiheit vom Gesetz als zulässig vorausgesetzt (§§ 158 Abs. 2, 620 Abs. 1 und 2 BGB). Und wie Befristungen können auflösende Bedingungen dazu genutzt werden, die Notwendigkeit einer Kündigung zu vermeiden. Häufig können auflösende Bedingungen sogar derart umformuliert werden, dass eine Befristung des Arbeitsvertrags mit bedingter Verlängerungsoption vorliegt.278 Gegen eine Vergleichbarkeit wird die größere Unsicherheit für den Arbeitnehmer angeführt, weil er nicht weiß, ob sein Arbeitsverhältnis überhaupt enden wird.279 Zudem bestehe bei auflösend bedingten Arbeitsverträgen ein grundsätzlicher Fortsetzungswille des Arbeitnehmers, bei befristeten dagegen nicht.280 274  BAG, Urteil v. 23. 02. 2000 – 7 AZR 126/99, NZA 2000, 776, 777; v. 02. 12. 1998 – 7 AZR 644/97, NZA 1999, 480; v. 17. 11. 1998 – 9 AZR 542/97, juris; v. 12. 02. 1992 – 7 AZR 100/91, NZA 1993, 998, 1000; in diese Richtung bereits BAG, Urteil v. 20. 12. 1984 – 2 AZR 3/84, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 9. 275  BAG, Urteil v. 05. 07. 1990 – 2 AZR 542/89, juris (Rn. 39); v. 06. 03. 1986 – 2 AZR 262/85, AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 1; v. 20. 12. 1984 – 2 AZR 3/84, NZA 1986, 325; Boemke, NZA 1993, 532, 538; anders noch BAG, Urteil v. 25. 03. 1971 – 2 AZR 185/70, AP BetrVG 1952 § 57 Nr. 5, wo eine betriebliche Altersgrenze als Befristung des Arbeitsverhältnisses angesehen wurde. In der Lit. wird die Altersgrenze häufig als Befristung gesehen, z. B. Hoß/Lohr, MDR 1998, 313, 317; Hromadka, NJW 1994, 911, 912; Vollstädt, S. 163. 276  BAG, Urteil v. 31. 07. 2002 – 7 AZR 140/01, NZA 2002, 1155; v. 20. 02. 2002 – 7 AZR 748/00, NZA 2002, 789, 791, v. 12. 02. 1992 – 7 AZR 100/91, NZA 1993, 998, 999 f. 277  BAG, Urteil v. 20. 10. 1999 – 7 AZR 658/98, NZA 2000, 717. 278  LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 15. 12. 1981 – 1 Sa 39/81, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 5. 279  Enderlein, RdA 1998, 90, 94; Hromadka, RdA 1983, 88, 92. 280  Enderlein, RdA 1998, 90, 94; Hromadka, RdA 1983, 88, 92.

206

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Diese Argumente für eine unterschiedliche Behandlung überzeugen nicht. Das BAG geht auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen davon aus, dass ein Arbeitnehmer regelmäßig an einer Dauerbeschäftigung interessiert ist.281 Dann ist das mögliche Ausbleiben des Bedingungseintritts – sprich: die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses – für ihn aber nicht nachteilig. Zudem ist eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer möglich, wenn die Bedingung nicht mehr eintreten kann und deshalb ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entstanden ist.282 Der Unterschied zwischen den Gestaltungen relativiert sich in der Praxis weiter dadurch, dass der Arbeitnehmer auch bei Befristungen häufig auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt spekuliert und durchaus überrascht werden kann, wenn er kurzfristig erfährt, dass diese nach mehrfacher Verlängerung nunmehr ausbleiben wird. Auch der Hinweis auf die größere Planungssicherheit des Arbeitnehmers bei Befristungen 283 überzeugt deshalb nicht. Soll beispielsweise ein Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen, erkrankten Arbeitnehmers eingestellt werden, so ist die Vereinbarung einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Rückkehr des Vertretenen wohl nicht belastender als eine wiederholte Befristung. Die Nachteile für den Arbeitnehmer durch Vereinbarung der auflösenden Bedingung hängen vom konkreten Sachverhalt und weniger von der Qualifikation als Befristung oder auflösende Bedingung ab. Deshalb können sie am besten im jeweiligen Einzelfall bei den Anforderungen an den sachlichen Grund, also quasi auf der Rechtfertigungsebene, berücksichtigt werden. Eine Besonderheit der auflösenden Bedingung, die sie allerdings mit der Zweckbefristung teilt, ist die Gefahr eines überraschenden Eintritts des beendigenden Ereignisses. Wenn die Befristung in ihrer Wirkung einer ordentlichen Kündigung gleicht, könnte die auflösende Bedingung u.U. wie eine außerordentliche Kündigung wirken.284 Im Schrifttum wurde deshalb vertreten, dass die auflösende Bedingung in ihrer Wirkung identisch sei mit einer – anerkanntermaßen unzulässigen – Vereinbarung, nach der der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aussprechen darf, auch ohne die Voraussetzungen des § 626 BGB zu erfüllen.285 Diese Schlussfolgerung – das Resultat entspricht einer Kündigung, also müssen deren Voraussetzungen vorliegen – wurde oben286 aber bereits für Befristungen 281  Ohne besondere Anhaltspunkte geht auch das BAG regelmäßig davon aus, dass eine Befristung nicht auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolgt, vgl. z. B. Urteil v. 26. 04. 1985 – 7 AZR 316/84, DB 1985, 2566. 282 APS/Backhaus, § 21 TzBfG Rn. 32. 283  Hromadka, RdA 1983, 88, 92. 284  Hromadka, RdA 1983, 88, 92. 285  Enderlein, RdA 1988, 90, 93; Hromadka, RdA 1983, 88, 92. 286  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. a) aa).

B.  Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen

207

widerlegt. Das BAG löste dieses Problem nicht durch einen den Anforderungen des § 626 BGB entsprechenden Prüfungsmaßstab, sondern durch analoge Anwendung der konkret geltenden Mindestkündigungsfrist als Auslauffrist.287 Der Hinweis der Literatur288, nach dem Gesetz bedürfe jede Beendigung des Arbeitsverhältnisses dreier Voraussetzungen – Grund, Form und Frist –, konnte damit nicht mehr zur generellen Unzulässigkeit von auflösenden Bedingungen wegen Umgehung führen, weil diese Voraussetzungen vorlagen. Auflösende Bedingungen sind hinsichtlich der Gefahr einer Umgehung des Kündigungsschutzes mit Befristungen vergleichbar, was der Gesetzgeber in § 21 TzBfG ausdrücklich anerkannt hat. Auch sie bedürfen daher eines sachlichen Grundes, der die auflösende Bedingung im konkreten Einzelfall rechtfertigen kann. II.  Kündigung kurz vor Verschärfung des Kündigungsschutzes 1.  Rechtsprechung und Literatur Kündigungen kurz vor Eintritt des gesetzlichen Kündigungsschutzes überprüfte das BAG bereits vor der Leitentscheidung des Großen Senats zur Umgehung des Kündigungsschutzrechts289 darauf hin, ob sie ausnahmsweise treuwidrig i. S. d. § 242 BGB den Eintritt des gesetzlichen Kündigungsschutzes vereiteln sollten.290 In einem Urteil aus dem Jahre 1978 schloss es eine solche Treuwidrigkeit grundsätzlich aus, wenn für die Kündigung ein sachlicher Grund vorliege.291 Die Rechtsprechung prüft bei Kündigungen mit überlanger Frist zwar nach wie vor eine Treuwidrigkeit gemäß § 242 BGB, diese abweichende Argumentation ist aber in erster Linie historisch bedingt. Mit dem Erfordernis eines sachlichen Grundes hat sich das BAG in der Sache bereits der Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Befristungen angenähert. In zwei Fällen hatte das BAG über die Wirksamkeit von Kündigungen zu entscheiden, die der Arbeitgeber jeweils kurz vor Eintritt der tariflichen Unkündbarkeit der Arbeitnehmer ausgesprochen hatte, die aber nicht zum nächstmöglichen, sondern erst zu einem späteren Termin wirken sollten.292 Das Gericht urteilte, die tarifliche Regelung werde objektiv funktionswidrig umgangen, weil der Ar287  BAG, Urteil v. 25. 08. 1999 – 7 AZR 75/98, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 24; vgl. Gliederungspunkt § 10 A. 288  Füllgraf, NJW 1982, 738. 289  Vgl. Gliederungspunkt § 5 A. 290  BAG, Urteil v. 20. 09. 1957 – 1 AZR 136/56, AP KSchG § 1 Nr. 34; zur Entwicklung vgl. Fiedler, S. 158 f. 291  BAG, Urteil v. 28. 09. 1978 – 2 AZR 2/77, BAGE 31, 83. 292  BAG, Urteil v. 20. 07. 1989 – 2 AZR 515/88, ZTR 1990, 23; v. 16. 10. 1987 – 7 AZR 204/87, BAGE 57, 1.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

beitgeber keinen (berechtigten) sachlichen Grund für einen so frühzeitigen Ausspruch der Kündigung anführen könne. Im Leitsatz zitierte das BAG die Ausführungen des Großen Senats zur Gesetzesumgehung wörtlich und begründete damit die Treuwidrigkeit der Kündigung.293 Den Umgehungsgedanken übertrug das LAG Baden-Württemberg294 auf die arbeitgeberseitige Kündigung in der Wartezeit: Wenn der Arbeitgeber kurz vor Eintritt des Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG eine Kündigung mit sehr langer Kündigungsfrist ausspreche, könne diese Kündigung objektiv funktionswidrig zur Umgehung des Kündigungsschutzes dienen und deshalb treuwidrig sein. Denn der Arbeitgeber wolle sich vorerst gar nicht von dem Arbeitnehmer trennen, sondern nur den Eintritt des Kündigungsschutzes vereiteln. Im Schrifttum ist diese Rechtsprechung auf Zustimmung gestoßen.295 2.  Rechtliche Vergleichbarkeit Weil die Interessenlage der Parteien mit jener bei der Befristung vergleichbar ist, ist diese Rechtsprechung jedenfalls im Ergebnis sachgerecht. Während der Arbeitgeber bei Befristungen die Vertragsfreiheit in Kombination mit dem Machtgefälle der Parteien nutzt, um die Entstehung von Kündigungsschutz zu vereiteln, verfolgt er hier dasselbe Ziel durch ein ebenfalls vermeintlich zulässiges Rechtsgeschäft, nämlich durch Ausübung eines noch (unbegrenzt) bestehenden Gestaltungsrechts. In beiden Fällen initiiert er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt unter erleichterten Bedingungen und verstößt damit gegen gesetzliche Wertungen. Ein Unterschied besteht darin, dass der Arbeitgeber bei der Befristung eine Beendigung ganz ohne Ausspruch einer Kündigung erreichen will, während er hier nur die Anwendbarkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes zu vermeiden sucht, ohne dass eine Kündigung insgesamt entbehrlich ist. Dieser Unterschied wirkt sich aber nicht bei der Frage aus, wann die Vorgehensweise missbräuchlich ist, sondern bei der Rechtsfolge. Weil hier ohnehin ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliegt, besteht die Rechtsfolge der Umgehung darin, dass die vermeintlich umgangene Kündigungsbeschränkung in analoger Anwendung des § 162 BGB bereits zum früheren Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gilt und der Arbeitnehmer deshalb unkündbar bzw. nur mit sozialer Rechtfertigung kündbar ist.296 293 

BAG, Urteil v. 20. 07. 1989, a. a. O. Urteil v. 06. 05. 2015 – 4 Sa 94/14, LAGE § 1 KSchG Nr. 21. 295 APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 34; Fuhlrott, ArbRAktuell 2015, 320; Lembke, DB 2002, 2648, 2649. 296  LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 06. 05. 2015 – 4 Sa 94/14, LAGE § 1 KSchG Nr. 21. 294 

B.  Umgehung des Kündigungsschutzes durch andere Gestaltungen

209

Wegen der genannten Parallelen zur Befristung kann auch hier die Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund als Voraussetzung dafür verlangt werden, dass der Kündigungsschutz nicht greift. Methodisch ebenso gut möglich ist aber ein Festhalten an dem früheren Kriterium des – in diesem Fall institutionellen – Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB. Da es sich in beiden Fällen um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handelt, besteht kein eindeutiges Rangverhältnis der Methoden. Allerdings zeigt sich in dieser Fallgruppe, dass das BAG zwischen dem Verbot des Rechtsmissbrauchs und dem auf eine objektive Gesetzesumgehung gestützten Sachgrunderfordernis nicht immer klar unterscheidet. Nach der Methodenlehre – insbesondere zur Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG – müsste sich das BAG zur Lösung gleichartiger Fälle auf eine Methode festlegen und deren Voraussetzungen prüfen.297 III.  Aufhebungsvertrag mit langer Auslauffrist Als Aufhebungsvertrag bezeichnete Gestaltungen bedürfen teilweise ebenfalls eines sachlichen Grundes. Das BAG legt diese Vereinbarungen zunächst aus, um festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine kontrollfreie Aufhebungsvereinbarung handelt oder ob nicht vielmehr eine Befristung des Arbeitsvertrages erreicht werden soll. Trifft letzteres zu, dann unterliegt die Vereinbarung der Befristungskontrolle. Wird ein Aufhebungsvertrag zeitgleich mit dem Arbeitsvertrag geschlossen, so wertet das BAG dies grundsätzlich als Befristungsabrede.298 Durch eine bewusste oder unbewusste Falschbezeichnung soll die Anwendbarkeit der Befristungskontrolle – früher nach den Grundsätzen der Umgehungsrechtsprechung, heute nach dem TzBfG – im untechnischen Sinne „umgangen“ werden.299 Denn eine einheitliche Vereinbarung wird künstlich aufgespalten, um die Rechtsfolgen der Befristung zu vermeiden. Wie oben gezeigt,300 handelt es sich in solchen Konstellationen nicht – wie bei der Gesetzesumgehung – um ein Problem der Normanwendung, sondern der zutreffenden Auslegung des Sachverhalts. Ist die Vereinbarung als Befristung erkannt, können die allgemeinen Regeln zur Lösung von Befristungsfällen angewandt werden. Auch bei Aufhebungsverträgen, die nach Beginn des Arbeitsverhältnisses geschlossenen werden, ist nach der Rechtsprechung des BAG der durch Auslegung ermittelte Regelungsgehalt der Vereinbarung entscheidend.301 Bestehe dieser in 297 

Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97, 98; Rüthers, JZ 2006, 53. BAG, Urteil v. 29. 05. 1991 – 7 AZR 79/90, NZA 1991, 942, 943. 299  Richardt, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 33, spricht deshalb von einer „doppelten Gesetzesumgehung“, die darauf abzielt, die Anwendung der Rechtsprechung zur Verhinderung einer Umgehung des Kündigungsschutzes ihrerseits zu umgehen. 300  Vgl. Gliederungspunkt § 2 E. IV. 301  BAG, Urteil v. 15. 02. 2007 – 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614, 616. 298 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

der befristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses statt in dessen Beendigung und Abwicklung, dann sei ebenfalls zu prüfen, ob eine funktionswidrige Verwendung der Befristungsmöglichkeit in Betracht komme.302 Eine überlange, die regelmäßige Kündigungsfrist deutlich übersteigende Auslauffrist sei als Indiz für einen Fortsetzungswillen zu werten. Die h.L. stimmt der Abgrenzung durch das BAG zu.303 Teilweise wird aber kritisiert, dass die Durchführung der Befristungskontrolle nicht vom Parteiwillen abhängen dürfe.304 Andererseits wird vertreten, dass kein Bedürfnis zur Befristungskontrolle bestehe, wenn der Arbeitnehmer ohne Not auf bereits geltenden Kündigungsschutz verzichte.305 Thies ist dagegen der Auffassung, dass eine Lösung durch Vertragsauslegung nicht möglich sei, weil die Parteien gerade keine Befristung ihres Arbeitsverhältnisses gewollt haben.306 Es handele sich vielmehr um ein Umgehungsgeschäft, das nur durch ein eigenständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung sachgerecht gelöst werden könne.307 Diese Ansicht überzeugt aber nicht. Sicherlich ist bei der Auslegung von Verträgen der Parteiwillen maßgeblich, aber die Dispositionsbefugnis der Parteien erstreckt sich nur auf den Inhalt und nicht auf die rechtliche Einordnung eines Vertrages. Wenn sie etwa vereinbaren, dass eine bewegliche Sache gegen Zahlung eines Geldbetrages zu übereignen sei, dann schließen die Parteien einen Kaufvertrag, selbst wenn sie das entschieden ablehnen und darauf bestehen, es handele sich nach ihrem ausdrücklichen Willen um einen Mietvertrag. Auch in den hier betrachteten Fällen geht es um die Frage, ob die Parteien dem Vertragsinhalt nach tatsächlich einen Aufhebungsvertrag oder eine unzutreffend bezeichnete sofortige oder nachträgliche Befristungsvereinbarung geschlossen haben. Die wahre Rechtsnatur ist durch Auslegung des Vertrags unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände zu ermitteln. Stellt sich heraus, dass es sich um eine Befristung handelt, so unterliegt diese unproblematisch der Befristungskontrolle.

C.  Befristung zur Umgehung der Lohnfortzahlungspflicht Befristungen brachten dem Arbeitgeber nach früherer Rechtslage nicht nur Vorteile bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sie konnten auch die 302  BAG, Urteil v. 07. 03. 2002 – 2 AZR 93/01, BB 2002, 2070; v. 12. 01. 2000 – 7 AZR 48/99, BAGE 93, 162. 303 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 15; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 19; Lembke, DB 2002, 2648, 2649; Richardt, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 33. 304 APS/Backhaus, § 3 TzBfG Rn. 37; Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16. 305  Adam, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16. 306  Thies, S. 352 f. 307  Thies, S. 355 ff.

C.  Befristung zur Umgehung der Lohnfortzahlungspflicht

211

Pflicht zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausschließen. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 LFZG308 war ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitern ausgeschlossen, wenn ein befristetes Arbeitsverhältnis von höchstens vier Wochen Dauer begründet wurde und es sich nicht um ein Probearbeitsverhältnis handelte. I.  Rechtsprechung und Literatur Der Fünfte Senat des BAG übertrug die vom Großen Senat entwickelten Grundsätze zur Befristungskontrolle in drei Entscheidungen auch auf diese Problematik.309 Wenn die vom Gesetz eigens geschaffene Gestaltungsmöglichkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses auf höchstens vier Wochen funktionswidrig verwendet werde, liege der Tatbestand der Gesetzesumgehung vor. § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 LFZG wolle den Arbeitgeber entlasten, wenn er Arbeitsverhältnisse höchstens für vier Wochen begründet, ohne ihn aber allgemein für die ersten vier Wochen von der Lohnfortzahlungspflicht freizustellen. Diese Ausnahme komme dem Arbeitgeber nur zugute, wenn das Arbeitsverhältnis auf höchstens vier Wochen befristet sei und dafür ein besonderer Grund als sachliche Rechtfertigung vorliege.310 Daran habe sich auch durch die Zulässigkeit sachgrundloser Befristungen bis zu 18 Monaten Dauer nach § 1 Abs. 1 BeschFG 1985 nichts geändert.311 Fehle eine sachliche Rechtfertigung, dann müsse die umgangene Norm des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG auf den Arbeitsvertrag angewandt werden. Der Arbeitgeber unterliege der Lohnfortzahlungspflicht wie bei einem unbefristeten Vertrag von Beginn des Arbeitsverhältnisses an und für eine Dauer bis zu sechs Wochen, gegebenenfalls auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus.312 Das Arbeitsverhältnis selbst bleibe aber entsprechend der vertraglichen Vereinbarung befristet. In der Literatur wurde diese Rechtsprechung überwiegend abgelehnt.313 Es sei nicht erklärbar, warum die Nutzung einer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht, eine Umgehung der Lohnfortzahlungs-

308 

BGBl. I v. 30. 07. 1969, S. 946; aufgehoben zum 01. 01. 2006. BAG, Urteil v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 264/86, NZA 1988, 464; v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 150/87, juris (Rn. 12); grundlegend Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, NZA 1986, 469. 310  BAG, Urteil v. 11. 12. 1985, a. a. O. 311  BAG, Urteil v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 264/86, NZA 1988, 464; v. 27. 01. 1988 – 5 AZR 150/87, juris. 312  BAG, Urteil v. 11. 12. 1985 – 5 AZR 135/85, NZA 1986, 469, 470. 313  Corts, BB 1986, 1363; Schwerdtner, NZA 1988, 593, 594 ff.; Sowka, BB 1994, 1001, 1004; Preis, S. 162 f.; dem BAG zust. LAG Berlin, Urteil v. 11. 04. 1986 – 14 Sa 22/86, NZA 1986, 642, und jedenfalls i.E. Kleveman, AiB 1988, 224, Schüren, SAE 1987, 237, 238 ff. 309 

212

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

pflicht sein solle.314 Der Ansatz des BAG sei falsch, seine Argumentation logisch nicht schlüssig.315 Entscheidend sei allein, ob die Voraussetzungen der Norm erfüllt sind.316 Dass die Befreiung von der Lohnfortzahlungspflicht als Ausnahme geregelt sei, führe nicht zu einem Begründungszwang bei ihrer Nutzung.317 Auf Widerspruch stieß auch die Pflicht zur Lohnfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Dass hinsichtlich der Lohnfortzahlungspflicht ein weitergehender Bestandsschutz gelten solle als für das Arbeitsverhältnis insgesamt, sei problematisch.318 Die „Sanktion“ für eine Gesetzesumgehung könne nicht weiter reichen als die Rechtsfolge der umgangenen Norm selbst.319 Der Entscheidung sei deshalb ein gewisser Strafcharakter nicht abzusprechen.320 II.  Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, dass jede Befristung, die die Anwendbarkeit von Rechtsnormen verhindert, unweigerlich einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. Wie oben dargestellt, wurde das Sachgrunderfordernis vom BAG zur Schließung einer Gesetzeslücke bei widersprüchlichen gesetzlichen Wertungsvorgaben – Vertragsfreiheit und Bestandsschutz – entwickelt.321 Entscheidender Anknüpfungspunkt ist also nicht die Tatsache der Befristung, sondern die Vermeidung des Bestandsschutzes. Auf eine Umgehung des Bestandsschutzes konnte sich die Rechtsprechung in diesem Fall nicht berufen, da bei maximal vierwöchigen Arbeitsverhältnissen gar kein Kündigungsschutz galt. Bezüglich der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers war das Gesetz hingegen nicht lückenhaft. Es galt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, gegen deren Anwendbarkeit keine allgemeinen Rechtsprinzipien angeführt werden konnten. Auch die grundsätzliche Pflicht zur Lohnfortzahlung konnte nicht als entgegenstehende Wertung herangezogen werden, da der Gesetzgeber sie ja für genau diesen Fall eingeschränkt hatte. Ebenso wenig könnte man z. B. den Kündigungsschutz während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes ausschließen mit dem Argument, die Regelung widerspreche dem Prinzip des Bestandsschutzes.322 Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nur 314 

Sowka, BB 1994, 1001, 1004; Preis, S. 162. Corts, BB 1986, 1363. 316  Corts, BB 1986, 1363. 317  Schwerdtner, NZA 1988, 593, 594. 318  Kleveman, AiB 1988, 224; Schwerdtner, NZA 1988, 593, 594 f. 319  Corts, BB 1986, 1363; Kleveman, AiB 1988, 224. 320  Schüren, SAE 1987, 237, 238. 321  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. 322  Vgl. auch das Beispiel bei Schwerdtner, NZA 1988, 593, 594: Soll der Arbeitgeber eine sachliche Rechtfertigung für seine Betriebsgröße benötigen, wenn die Anwendbarkeit des KSchG nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG ausgeschlossen ist? 315 

D.  Mittelbares Arbeitsverhältnis

213

für Arbeiter, nicht aber für Angestellte einzuschränken, mag rechtspolitisch verfehlt gewesen sein.323 Mangels entgegenstehender gesetzlicher Wertungen durfte der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 LFZG von einem Gericht aber nicht durch ein Sachgrunderfordernis generell und weitgehend eingeschränkt werden. Inzwischen hat der Gesetzgeber die Problematik in § 3 Abs. 3 EFZG einheitlich dahingehend gelöst, dass alle Arbeitnehmer erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall haben. Diese Rechtsprechung verdeutlicht die Wichtigkeit sorgfältiger Methodenanwendung: Hätte das BAG die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem geprüft, statt für andere Sachverhalte erarbeitete Lösungen auf vermeintlich ähnliche Fälle zu übertragen, dann hätte es zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass das Gesetz hier nicht lückenhaft und ergänzungsbedürftig war. Stattdessen hat das BAG die Zwecke einer geltenden Rechtsvorschrift durchkreuzt und damit eine rechtswidrige Rechtsfortbildung contra legem vorgenommen.

D.  Mittelbares Arbeitsverhältnis I.  Rechtsprechung und Literatur Auch in einigen Fällen des sogenannten mittelbaren Arbeitsverhältnisses hat das BAG die Gefahr einer Umgehung von gesetzlichen und tariflichen Regelungen gesehen und deshalb einen sachlichen Grund für die Gestaltung verlangt. Nach der Rechtsprechung des BAG liegt ein mittelbares Arbeitsverhältnis vor, wenn ein Arbeitnehmer von einem Mittelsmann beschäftigt wird, der seinerseits selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, und die Arbeit mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird.324 Eine solche Gestaltung kann punktuelle, im Einzelnen umstrittene Ansprüche gegen den Hintermann begründen,325 führt aber grundsätzlich nicht zur Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Hintermann und dem Arbeitnehmer.326 Das BAG prüfte mehrfach einen Missbrauch des mittelbaren Arbeitsverhältnisses. Er wurde etwa in Betracht gezogen, wenn ein Orchesterleiter selbst als Arbeitgeber der Musiker auftrat327 oder wenn 323 

Schwerdtner, NZA 1988, 593, 596. Urteil v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 208/03, ZTR 2005, 160, 162; v. 11. 04. 2000 – 9 AZR 94/99, juris (Rn. 19); v. 09. 04. 1957 – 3 AZR 435/54, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 2. 325 Vgl. Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5 m. w. N. 326  Vgl. dazu BAG, Urteil v. 15. 05. 1987 – 7 AZR 544/85, juris (Rn. 23); v. 08. 08. 1958 – 4 AZR 173/55, BAGE 6, 232; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 172 ff.; anders noch BAG, Urteil v. 09. 04. 1957 – 3 AZR 435/54, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 2. 327  BAG, Urteil v. 20. 01. 2010 – 5 AZR 99/09, DB 2010, 788; v. 24. 08. 1983 – 7 AZR 485/81 u.a., juris; v. 22. 07. 1982 – 2 AZR 57/81, EzAÜG Nr. 116; v. 26. 11. 1975 – 5 AZR 324  BAG,

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

ein angestellter Wissenschaftler zur Besetzung drittmittelfinanzierter Arbeitsplätze im eigenen Namen Verträge mit seinen Mitarbeitern schloss328. Voraussetzung für die Missbrauchskontrolle sei aber, dass durch die Gestaltung die Anwendbarkeit des KSchG vollständig ausgeschlossen wird.329 Dass tarifliche Ansprüche nicht bestehen oder der Kündigungsschutz nur faktisch schwächer ist, weil etwa betriebsbedingte Kündigungen leichter ausgesprochen werden können, solle dagegen keinen Umgehungsverdacht begründen.330 Im Ergebnis verneinte das BAG eine unzulässige Gesetzesumgehung stets.331 Meist lag schon kein mittelbares Arbeitsverhältnis vor, weil der unmittelbare Arbeitgeber selbst nicht als Arbeitnehmer, sondern als selbständiger Unternehmer eingestuft wurde.332 Verschärft wurde die Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe in einer Entscheidung des Dritten Senats aus dem Jahre 1982, in der ein mittelbares Arbeitsverhältnis bejaht wurde.333 Eine Stadt hatte ihre Schulhausmeister angewiesen, die Reinigung der Schulgebäude entweder selbst durchzuführen oder im eigenen Namen nach vorgegebenen Richtlinien Arbeitsverträge mit Reinigungskräften zu schließen. Die Stadt selbst veranlasste für diese Personen Einstellungsuntersuchungen, führte Einstellungsgespräche, stellte Arbeitsnachweiskarten zur Verfügung und errechnete Löhne, die die Hausmeister auszahlten. Das KSchG war auf die Arbeitsverhältnisse der Reinigungskräfte anwendbar. Das BAG hielt einen Missbrauch der Rechtsform des mittelbaren Arbeitsverhältnisses zur Umgehung von Gesetzen und Tarifverträgen dennoch für möglich. Die Stellung der mittelbaren Arbeitnehmer sei insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes und bei der Anwendung von Tarifverträgen deutlich schwächer, als wenn sie eine unmittelbare vertragliche Beziehung mit der Stadt gehabt hätten. Die Entscheidung für ein mittelbares Arbeitsverhältnis müsse durch einen sachlichen Grund gerecht337/74, BAGE 27, 340; v. 09. 04. 1957 – 3 AZR 435/54, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 2. 328  BAG, Urteil v. 11. 11. 1988 – 7 AZR 603/87, juris; v. 29. 06. 1988 – 7 AZR 552/86, BAGE 59, 104; v. 15. 05. 1987 – 7 AZR 544/85, juris; v. 26. 05. 1983 – 2 AZR 439/81, NZA 1984, 264. 329  BAG, Urteil v. 24. 08. 1983 – 7 AZR 485/81, juris (Rn. 39); v. 22. 07. 1982 – 2 AZR 57/81, juris (Rn. 58); v. 26. 11. 1975 – 5 AZR 337/74, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 19. 330  BAG, Urteil v. 26. 11. 1975, a. a. O.; krit. Mayer-Maly, SAE 1976, 256. 331  Vgl. BAG, Urteil v. 14. 02. 1991 – 2 AZR 363/90, juris (Rn. 63) m. w. N. 332  Z. B. BAG, Urteil v. 20. 01. 2010 – 5 AZR 99/09, DB 2010, 788; v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 208/03, ZTR 2005, 160, 162; v. 12. 12. 2001 – 5 AZR 253/00, NZA 2002, 787; v. 11. 04. 2000 – 9 AZR 94/99, juris (Rn. 19). Die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer ist ein Indiz für Selbständigkeit, vgl. LAG Hamburg, Urteil v. 27. 02. 2008 – 5 Sa 65/07, juris; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1282. 333  BAG, Urteil v. 20. 07. 1982 – 3 AZR 446/80, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5; bestätigt im Urteil v. 11. 04. 2000 – 9 AZR 94/99, juris (Rn. 19).

D.  Mittelbares Arbeitsverhältnis

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fertigt sein. Dabei verwies das BAG auf die Leitentscheidung des Großen Senats zur Befristung von Arbeitsverhältnissen.334 Ein sachlicher Grund liege vor, wenn der Mittelsmann eigene unternehmerische Entscheidungen treffen und durch die Beschäftigung einen Gewinn erwirtschaften könne. Fehle ein sachlicher Grund, könne es zu unmittelbaren Vertragsbeziehungen zwischen der Stadt und den Reinigungskräften kommen. Von Interesse für die gesamte Umgehungsproblematik ist die Begründung, die der Dritte Senat unter dem Vorsitz von Dieterich für diese Entscheidung anführte: Im Anschluss an die Lehre vom Rechtsformzwang im Arbeitsrecht335 wurde ausgeführt, unter verschiedenen möglichen Gestaltungsformen dürfe der Arbeitgeber nicht willkürlich diejenige auswählen, die zu einem geringeren Schutz des Arbeitnehmers führe.336 Einige Jahre später hielt der Siebte Senat unter seinem Vorsitzenden Seidensticker337 dem entgegen, im geltenden Recht gebe es keinen zwingenden arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem mittelbaren Arbeitgeber als begründet angesehen werden müsse, weil der Arbeitnehmer sonst kündigungsschutzrechtlich schlechter gestellt wäre.338 Als allgemeine Grenze der Zulässigkeit trat in der Entscheidung (nur) § 242 BGB hervor. Damit sind zwei gegensätzliche Positionen zur Begrenzung von Gesetzesumgehungen beschrieben: Darf der Arbeitgeber grundsätzlich nur aus einem billigenswerten sachlichen Grund von der typischen, gesetzlich geregelten und im Ergebnis arbeitnehmerfreundlichsten Gestaltung abweichen? Oder darf bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs zum Vorteil des Arbeitgebers und zum Nachteil des Arbeitnehmers jede rechtlich mögliche Gestaltung gewählt werden? Die praktische Bedeutung des mittelbaren Arbeitsverhältnisses ist stets gering geblieben.339 Wohl auch deshalb wird die Rechtsprechung im Schrifttum meist nur knapp thematisiert, aber in der Regel als richtig akzeptiert.340 Waas hat da334 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. Konzen, ZfA 1982, 259, 292 ff. 336  BAG, Urteil v. 20. 07. 1982 – 3 AZR 446/80, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 337  Nachdem dieser den Senatsvorsitz übernommen hatte, beschränkte der Siebte Senat seine Überprüfung von Befristungen auf den jeweils letzten Vertrag, vgl. Gliederungspunkt § 7 A. I. 3. 338  BAG, Urteil v. 11. 11. 1988 – 7 AZR 603/87, juris (Rn. 40 ff.); v. 29. 06. 1988 – 7 AZR 552/86, AP HRG § 25 Nr. 1. 339 APS/Preis, 1. Teil f. VII., Rn. 35; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 172; MüKoBGB/ Müller-Glöge, § 611 Rn. 1282; Heinze, NJW 1985, 2112, 2120. 340 APS/Preis, 1. Teil f. VII., Rn. 35; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 175; MüKoBGB/ Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 16; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1282; Schaub/Koch, § 182 Rn. 1; Heinze, NJW 1985, 2112, 2120; Zeiss, SAE 1983, 49; i.E. auch Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 335 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

gegen herausgestellt, dass die Rechtsfigur des mittelbaren Arbeitsverhältnisses überflüssig sei und sich der damit begründete Arbeitnehmerschutz auch nach den allgemeinen Vorschriften erreichen lasse.341 Koller kritisiert die Argumentation des BAG mit Umgehung und Rechtsmissbrauch als „Leerformel“ zur Begründung einer Angemessenheitskontrolle, die unternehmerische Entscheidungen durch gerichtliche Werturteile ersetze.342 Auch Streicher sieht in der Entscheidung eine unzulässige, sozialpolitisch motivierte Rechtsfortbildung.343 II.  Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses Einen rechtfertigenden Grund zu verlangen, wenn das mittelbare Arbeitsverhältnis zur Ausschaltung des Kündigungsschutzes genutzt wird, ist nach der Rechtsprechung zu befristeten Arbeitsverhältnissen folgerichtig. Auch hier wird eine aufgrund der Vertragsfreiheit an sich zulässige Gestaltung dazu eingesetzt, den Kündigungsschutz auszuhebeln. Daraus auf ein Sachgrunderfordernis für jede Benachteiligung des Arbeitnehmers zu schließen, geht weit darüber hinaus. Nicht alle Schutznormen zugunsten des Arbeitnehmers sind wie der Bestandsschutz nach dem KSchG vertraglich unabdingbar. Die Zulässigkeit von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung zeigt, dass das Gesetz kein Recht des Arbeitnehmers anerkennt, stets vertraglich mit demjenigen potentiellen Arbeitgeber verbunden zu sein, dem die Arbeitsleistung im Ergebnis zugutekommt. Wenn demnach das mittelbare Arbeitsverhältnis legal ist,344 kommt es tatsächlich auf die Frage an, ob der Arbeitgeber immer die für den Arbeitnehmer günstigste Vertragsgestaltung wählen muss. Ein solcher Grundsatz des Vorrangs der Arbeitnehmerinteressen lässt sich der Rechtsordnung nicht entnehmen, da sowohl die Berufsausübung des Arbeitnehmers (Art. 12 GG) als auch die unternehmerische Freiheit (Art. 12 und 14 GG) verfassungsrechtlich geschützt sind. Nur wo dem Arbeitnehmer ein Mindestschutz entzogen wird, liegt ein Verstoß gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung vor. Bei Umgehung des Kündigungsschutzes ist ein Sachgrunderfordernis folgerichtig zu bejahen, weil sich der Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen zu einem allgemeinen Rechtsprinzip verdichtet hat, dessen Vermeidung gerechtfertigt werden muss.345 Dass andere für den Arbeitnehmer günstige Vorschriften nicht anwendbar sind, begründet dagegen nicht generell eine Umgehung. Vielmehr

341  Waas, RdA 1993, 153, 162; ähnl. Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5; Otto, AP HRG § 25 Nr. 1. 342  Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5; zust. Streicher, S. 263. 343  Streicher, S. 266. 344  Reuter, JuS 1983, 478. 345  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. b).

D.  Mittelbares Arbeitsverhältnis

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muss ihre – gegebenenfalls analoge – Anwendung von Fall zu Fall geprüft werden.346 III.  Gesetzliche Regelungen zum mittelbaren Arbeitsverhältnis Der Gesetzgeber hat das mittelbare Arbeitsverhältnis immer noch nicht ausdrücklich geregelt. Allerdings weist es Parallelen zur Arbeitnehmerüberlassung auf. Im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses lässt der Arbeitnehmer als Verleiher seine eigenen Arbeitnehmer für einen Dritten nach dessen Weisungen tätig werden. Der entscheidende Unterschied wird traditionell darin gesehen, dass der Verleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung selbständig ist, während der Mittelsmann selbst Arbeitnehmer des Dritten ist.347 Mittlerweile verzichtet das Gesetz bei der Definition der Arbeitnehmerüberlassung allerdings auf die Voraussetzung der Gewerbsmäßigkeit.348 Verleiher müssen lediglich „im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) Arbeitnehmer überlassen, worunter sich auch die Überlassung aufgrund eines eigenen Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher subsumieren lässt. Damit ist auch das Merkmal der Selbständigkeit entfallen. Auch Art. 3 Abs. 1a) RL 2008/104/EG setzt keine Selbständigkeit des Verleihers voraus, was den deutschen Gesetzgeber aber ohnehin nicht an der Regelung eines umfassenderen Arbeitnehmerschutzes bei Dreiecksverhältnissen gehindert hätte. Die Zielsetzung des AÜG, Arbeitnehmer vor Nachteilen aufgrund einer gespaltenen Arbeitgeberstellung zu schützen,349 spricht ebenfalls für eine Einbeziehung. Bei mittelbaren Arbeitsverhältnissen handelt es sich heute also um einen Spezialfall der Arbeitnehmerüberlassung. Verfügt der Mittelsmann nicht über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, dann entsteht gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein (unmittelbares) Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer des Mittelsmannes. Teile der Literatur wollen ohne konkrete Begründung an dem Merkmal der Selbständigkeit des Verleihers festhalten.350 Doch auch unter dieser Prämisse wird man die Bestimmungen des AÜG zumindest analog auf mittelbare Arbeitsverhältnisse anwenden müssen.351 346 Ähnl.

Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. § 5 BetrVG Rn. 101; Schaub/Koch, § 120 Rn. 23 und § 182 Rn. 1; SH/Hamann, § 1 AÜG Rn. 230; a.A. Streicher, S. 308, der die Auffassung vertritt, der Mittelsmann handele auch als Arbeitnehmer gewerbsmäßig. 348  Das Merkmal wurde zum 01. 12. 2011 aufgegeben, BGBl. I v. 29. 04. 2011, S. 642. 349 SH/Schüren, Einl. Rn. 6. 350  So etwa ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn. 31; Schaub/Koch, § 120 Rn. 23. 351  So HaKo-BetrVG/Brors, § 7 Rn. 26; ebenso bereits zur früheren Rechtslage SH/ Hamann, § 1 Rn. 231 f.; Konzen, ZfA 1982, 259, 296 ff.; Waas, RdA 1993, 153, 161; abl. MüArbR/Schüren, § 317 Rn. 18. 347 Richardi/Richardi,

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

218

E.  Umgehung von Arbeitnehmerrechten durch Stellengestaltung In den bisher betrachteten Fallgruppen war das zur Umgehung eingesetzte Mittel jeweils eine vertragliche Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, der auf diese Weise an der Beschränkung seiner Rechte mitgewirkt hat. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Arbeitgeber allein eine Umgehung des Arbeitnehmerschutzes erreichen kann, indem er seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit so einsetzt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Rechtsnormen nicht erfüllt werden. I.  Kündigung wegen Änderung des Anforderungsprofils 1.  Rechtsprechung und Literatur Eine betriebsbedingte Kündigung setzt voraus, dass eine unternehmerische Entscheidung zum Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten führt.352 Gerichtlich voll überprüfbar ist, ob diese Entscheidung tatsächlich umgesetzt wird und damit das Beschäftigungsbedürfnis der gekündigten Arbeitnehmer entfällt. Die Entscheidung selbst unterliegt dagegen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.353 Allein der Entschluss, einem Arbeitnehmer zu kündigen, gilt aber nicht als freie unternehmerische Entscheidung in diesem Sinne, weil andernfalls der Schutz gegen betriebsbedingte Kündigungen außer Kraft gesetzt würde.354 In einigen Konstellationen ist eine Organisationsentscheidung äußerlich aber nicht von einem reinen Kündigungsentschluss unterscheidbar. Im Rahmen seiner unternehmerischen Gestaltungsfreiheit kann der Arbeitgeber etwa grundsätzlich frei entscheiden, welche Qualifikationen er von Arbeitnehmern zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten verlangt. Auch diese Vorgaben können von Gerichten nur auf Willkür und offenbare Unsachlichkeit überprüft werden.355 Deshalb könnte ein Arbeitgeber seine Organisationsfreiheit nutzen, um durch eine Änderung von Stellenanforderungen gezielt die Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung bestimmter Arbeitnehmer zu schaffen. Das BAG hatte über Sachverhalte zu entscheiden, in denen der Arbeitgeber das Anforderungsprofil von Arbeitsplätzen derart verschärft hatte, dass die bereits langjährig dort beschäftigten Arbeitnehmer für ihre Tätigkeit plötzlich 352 ErfK/Oetker,

§ 1 KSchG Rn. 212. § 1 KSchG Rn. 455. 354 APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 456; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 214; Krause, RdA 2016, 49, 51. 355  BAG, Urteil v. 22. 10. 2015 – 2 AZR 582/14, NZA 2016, 33; v. 24. 06. 2004 – 2 AZR 326/03, NZA 2004, 1268; v. 10. 11. 1994 – 2 AZR 242/94, NZA 1995, 566, 568. 353 APS/Vossen,

E.  Umgehung von Arbeitnehmerrechten durch Stellengestaltung

219

nicht mehr die erforderliche Qualifikation aufwiesen. Mangels Beschäftigungsmöglichkeit sollten ihre Arbeitsverhältnisse dann aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt werden. Nach Ansicht des BAG droht in solchen Fällen eine Umgehung des Kündigungsschutzes der betroffenen Arbeitnehmer.356 Wenn die Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich seien, könne die allgemeine Vermutung, dass Unternehmerentscheidungen stets aus sachlichen Gründen getroffen werden, nicht ohne weiteres greifen.357 Deshalb sei der Grundsatz der Organisationsfreiheit einzuschränken. Der Arbeitgeber könne sich nicht auf eine gerichtlich nur auf offenbare Unsachlichkeit überprüfbare Unternehmerentscheidung berufen, sondern er müsse einen arbeitsplatzbezogenen Sachgrund für den gestiegenen Qualifikationsbedarf darlegen und gegebenenfalls beweisen.358 Als sachliche Gründe kommen etwa eine Änderung des Arbeitsvolumens oder des Inhalts der Arbeitsaufgabe wegen Umstrukturierungen oder Neuausrichtung der Geschäftstätigkeit in Betracht.359 Das Schrifttum hat die intensivere Überprüfung kündigungsnaher Unternehmer­ entscheidungen zustimmend aufgenommen.360 2.  Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses Wie in den zuvor erörterten Fallgruppen will das BAG auch hier durch das Erfordernis eines sachlichen Grundes einen Ausgleich zwischen zwei widerstreitenden Rechtsgrundsätzen schaffen. Dem Grundsatz des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen steht diesmal allerdings nicht der Grundsatz der Vertragsfreiheit, sondern die Organisationsfreiheit des Arbeitgebers als Ausprägung seiner unternehmerischen Freiheit nach Art. 12 und 14 GG gegenüber.361 Damit dient das Sachgrunderfordernis nicht der Inhaltskontrolle von Verträgen, sondern der Überprüfung von unternehmerischen Entscheidungen, die im Allgemeinen 356  BAG, Urteil v. 20. 06. 2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208, 209; v. 24. 05. 2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, 1225; v. 10. 07. 2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314; v. 07. 07. 2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266, 268 f. 357  BAG, Urteil v. 10. 07. 2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314; v. 07. 07. 2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266, 269; v. 12. 04. 2002 – 2 AZR 740/00, NZA 2002, 1175; v. 17. 06. 1999 – 2 AZR 141/99, NZA 1999, 1098. 358  BAG, Urteil v. 22. 10. 2015 – 2 AZR 582/14, NZA 2016, 33, 34; v. 20. 06. 2013 – 2 AZR 295/12, NZA 2014, 208, 209; v. 24. 05. 2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223, 1225; v. 10. 07. 2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314; v. 07. 07. 2005 – 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266, 268 f. 359  BAG, Urteil v. 10. 07. 2008, a. a. O. 360 APS/Kiel, § 1 KSchG Rn. 479; Grosch, AuA 2013, 714; Hunold, NZA-RR 2013, 57; Krause, RdA 2016, 49, 55; zur grds. Kritik an der Freiheit einer unternehmerischen Entscheidung, die zu betriebsbedingten Kündigungen führt vgl. Krause, RdA 2016, 49, 51  ff. m. w. N. 361  Krause, RdA 2016, 49, 53 f.

220

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

kontrollfrei sind, wie es auch arbeitsvertragliche Regelungen bis zur Schuld­ rechtsreform waren. Diese Parallelen zur Gesetzesumgehung durch vertragliche Vereinbarungen rechtfertigen eine Übertragung der dort entwickelten Grundsätze auf Fälle der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers. II.  Verlängerungsanspruch nach § 9 TzBfG 1.  Rechtsprechung und Literatur Eine neuere Problematik, die das BAG durch das Erfordernis eines arbeitsplatzbezogenen sachlichen Grundes löst, ist die Umgehung von § 9 TzBfG. Die Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer – gleiche Eignung vorausgesetzt – bei der Besetzung eines „entsprechenden freien Arbeitsplatzes“ bevorzugt zu berücksichtigen, wenn dieser ihm den Wunsch einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat. Damit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vertragsänderung362 entsteht, muss ein passender Arbeitsplatz frei sein. Auch bei zusätzlichem Personalbedarf ist der Arbeitgeber nach h. M. nicht verpflichtet, einen solchen Arbeitsplatz eigens für den Arbeitnehmer einzurichten.363 Diese Organisationsfreiheit darf der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG aber nicht zur Umgehung des § 9 TzBfG nutzen.364 Für die Entscheidung, weitere Teilzeitarbeitsplätze ohne höhere Arbeitszeit einzurichten, statt die Arbeitszeiten von aufstockungswilligen Teilzeitbeschäftigten zu verlängern, müsse er deshalb arbeitsplatzbezogene Sachgründe anführen.365 Arbeitsplatzunabhängige Unterschiede zwischen der aktuellen und der neuen Beschäftigung, z. B. eine abweichende Vergütung, können dem Verlängerungsanspruch nicht entgegengehalten werden.366

362 

BAG, Urteil v. 15. 08. 2006 – 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255, 256. Urteil v. 13. 02. 2007 – 9 AZR 575/05, NZA 2007, 807; v. 15. 08. 2006 – 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255, 257; zu einer ähnl. Tarifregelung so bereits BAG, Urteil v. 25. 10. 1994 – 3 AZR 987/93, AuR 2001, 146, 147; BeckOK ArbR/Bayreuther, § 9 TzBfG Rn. 4; ErfK/Preis, § 9 TzBfG Rn. 5; Laux/Schlachter/Laux, § 9 TzBfG Rn. 24; MHH/ Heyn, § 9 TzBfG Rn. 16; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 9 TzBfG Rn. 6; Kliemt, NZA 2001, 63, 69; Rolfs, RdA 2001, 129, 139 f.; differenzierend Hanau, NZA 2001, 1168, 1174; a.A. Hinrichs, AiB 2001, 65, 72. 364  BAG, Urteil v. 01. 06. 2011 – 7 ABR 117/09, NZA 2011, 1435, 1438; v. 08. 05. 2007 – 9 AZR 874/06, NZA 2007, 1349; v. 13. 02. 2007 – 9 AZR 575/05, NZA 2007, 807, 808. 365  BAG, Urteil v. 01. 06. 2011 – 7 ABR 117/09, NZA 2011, 1435, 1438; v. 13. 02. 2007 – 9 AZR 575/05, NZA 2007, 807, 808; v. 15. 08. 2006 – 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255, 258. 366  BAG, Urteil v. 08. 05. 2007 – 9 AZR 874/06, NZA 2007, 1349, 1351 f. 363  BAG,

E.  Umgehung von Arbeitnehmerrechten durch Stellengestaltung

221

In der Literatur trifft diese Rechtsprechung nur teilweise auf Zustimmung.367 Ob die Verlängerungsproblematik in einem spiegelbildlichen Verhältnis zur betriebsbedingten Kündigung steht, so dass beide durch arbeitsplatzbezogene Gründe gerechtfertigt werden müssen, ist umstritten.368 Teilweise wird an der Rechtsprechung des BAG kritisiert, dass § 9 TzBfG das Vorhandensein eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes voraussetze und die unternehmerische Entscheidung über dessen Schaffung lediglich einer Rechtsmissbrauchskontrolle zu unterziehen sei, die nur offensichtlich unsachliche Entscheidungen unberücksichtigt lasse.369 Mit dem Argument der Umgehung prüfe das BAG aber die Zweckmäßigkeit der Entscheidung und greife durch das Erfordernis eines arbeitsplatzbezogenen sachlichen Grundes zu intensiv in die unternehmerische Freiheit ein.370 Anderen Autoren geht die Rechtsprechung des BAG hingegen nicht weit genug. Sie verlangen dringende betriebliche Gründe, die nach dem Gesetz für eine Ablehnung bei Vorhandensein eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes erforderlich sind, bereits für einen dem Verlängerungswunsch entgegenstehenden Zuschnitt des neuen Arbeitsplatzes.371 2.  Übertragbarkeit des Sachgrunderfordernisses Das BAG wählt das Erfordernis eines arbeitsplatzbezogenen sachlichen Grundes als Mittelweg, um einen im Gesetz angelegten Widerspruch aufzulösen: § 9 TzBfG verlangt für die Versagung eines Verlängerungsanspruchs bei Vorliegen eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes „dringende betriebliche Gründe“. Dieser hohen Anforderung steht die grundsätzlich unbeschränkte, nur auf offensichtliche Unsachlichkeit und Willkür zu überprüfende Organisationsfreiheit des Arbeitgebers bei der vorgelagerten Entscheidung über die Deckung seines Personalbedarfs gegenüber. In der Literatur wird vertreten, dass eine freie unternehmerische Entscheidung über den Arbeitsplatzzuschnitt wegen der Umgehungsgefahr nicht gelten könne.372 Andererseits kann man die hohe Hürde bei der Ablehnung des Änderungsangebots gerade damit erklären, dass es an diesem Punkt nur noch um die Auswahl zwischen verschiedenen geeigneten Bewerbern für einen freiwillig geschaffenen und zeitlich passend zugeschnittenen Arbeitsplatz geht. Der Gesetzgeber hat sich dagegen entschieden, einen Verlängerungsanspruch bereits immer dann zu gewähren, wenn zusätzlicher Personalbedarf durch Beschäfti367 

Schmalenberg, AP TzBfG § 9 Nr. 1. Schmalenberg, AP TzBfG § 9 Nr. 1; a.A. Schmidt, RdA 2008, 41, 42. 369  Mühlhausen, NZA 2007, 1264, 1267 f. 370  Mühlhausen, NZA 2007, 1264, 1268. 371 MHH/Heyn, § 9 TzBfG Rn. 23 f.; Schmidt, RdA 2008, 41, 43. 372 Vgl. Schmidt, RdA 2008, 41, 43, die daraus schließt, dieses Ergebnis könne nicht richtig sein. 368 Dafür

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

gung eigener Arbeitnehmer gedeckt werden soll. Auch das Gemeinschaftsrecht gibt eine solche Pflicht nicht vor.373 Da sich das Erfordernis eines arbeitsplatzbezogenen Sachgrundes in § 9 ­TzBfG nicht wiederfindet und eine auf die Norm übertragbare gesetzliche Wertung dieses Inhalts nicht ersichtlich ist, handelt es sich auch hier um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. Fraglich ist, ob ihre Voraussetzungen vorlagen. Obwohl die beiden hier betrachteten Fallgruppen – Umgehung von § 9 TzBfG und Umgehung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen – aus unterschiedlichen Bereichen stammen, weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf. In beiden Fällen kann der Arbeitgeber durch die Ausgestaltung von Arbeitsstellen Einfluss auf die Entstehung von Arbeitnehmerrechten ausüben. Die Entscheidung des Arbeitgebers führt jeweils ohne wesentliche Zwischenschritte zum Wegfall von Arbeitnehmerrechten. Dennoch ist eine Übertragung des Sachgrunderfordernisses auf Gestaltungen zur Umgehung des Verlängerungsanspruchs problematisch. Der Bestand eines Arbeitsverhältnisses ist rechtlich stärker geschützt als der Anspruch auf eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit. Im Gegensatz zum Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ist der Verlängerungsanspruch nicht Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Verfassungsrang, der der unternehmerischen Freiheit als gleichberechtigtes Prinzip entgegengehalten werden kann. Erst durch einen übergeordneten Rechtsgrundsatz, der dem Gesetzeswortlaut entgegensteht, lässt sich aber eine Gesetzeslücke im weiteren Sinne begründen. Weil ein solcher hier fehlt, steht die gesetzübersteigende Rechtsfortbildung nicht im Einklang mit der Methodenlehre. Auf diesem Wege kann das BAG eine drohende Vereitelung des Verlängerungsanspruchs also nicht verhindern. Methodisch käme eine Auslegung der Wendung „eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes“ in Betracht, die nur auf den Inhalt der auszuübenden Tätigkeit abstellt. Die aus diesem Verständnis resultierende Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitsplätze zeitlich passend für den verlängerungswilligen Arbeitnehmer zuzuschneiden, hat das BAG aber bereits abgelehnt.374 Da auch Ansätze für eine Rechtsfortbildung praeter legem nicht erkennbar sind, müsste es das BAG bezüglich des zeitlichen Zuschnitts von Arbeitsplätzen bei der üblichen Willkürkontrolle unternehmerischer Entscheidungen belassen. Soweit dies zu unbilligen Ergebnissen führt, ist der Gesetzgeber gefragt.

373 

Schmidt, RdA 2008, 41, 42 f. Urteil v. 13. 02. 2007 – 9 AZR 575/05, NZA 2007, 807; v. 15. 08. 2006 – 9 AZR 8/06, NZA 2007, 255, 257; dafür etwa Hinrichs, AiB 2001, 65, 72; Schmidt, RdA 2008, 41, 43. 374  BAG,

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs Das Gesetz schützt Bestand und Inhalt der Arbeitsverhältnisse bei Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen. Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber in alle arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten des Veräußerers ein. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB erklärt Kündigungen wegen Betriebsübergangs für unwirksam. Dass man einen Betriebsübergang nicht zum Anlass nehmen kann, sich von unliebsamen Arbeitnehmern zu trennen, macht Veräußerung und Erwerb von Betrieben weit weniger lukrativ. Da § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch für Betriebsveräußerungen in der Insolvenz gilt,375 wird er vielfach als das größte Hindernis bei übertragenden Sanierungen betrachtet.376 Dementsprechend hoch ist der Anreiz, die Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zu vermeiden. Die Praxis hat verschiedene Gestaltungen zur Umgehung des § 613a BGB hervorgebracht. I.  Rechtsprechung des BAG § 613a BGB wurde im Jahre 1972 zusammen mit dem BetrVG erlassen.377 Schon wenige Jahre später hatte das BAG über Umgehungsgestaltungen zu entscheiden, die sich gegen den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen richteten.378 Verzichtet der Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber auf betriebliche Sozialleistungen, so kann dies nach der Rechtsprechung des BAG eine zu missbilligende Umgehung des § 613a BGB bedeuten, sofern nicht sachliche Gründe für die Wirksamkeit dieses Erlassvertrages sprechen.379 In einem späteren Urteil führte das BAG dazu aus, der zwingende Schutzzweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB schränke die Vertragsfreiheit der betroffenen Arbeitnehmer ein.380 Denn Erlassverträge kommen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang typischerweise unter Druck zustande, weil Arbeitnehmer vor die Alternative gestellt werden, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder schlechtere Arbeitsbedingungen hinzunehmen.381

375  BAG, Urteil v. 28. 04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198, 199; v. 17. 01. 1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326. 376  So etwa Hanau, ZIP 1998, 1817; Nicolai, AuA 2010, 652; Pietzko, ZIP 1990, 1105; Willemsen, NZA 2013, 242; Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263. 377  BGBl. I v. 18. 01. 1972, S. 13 (S. 40 f.). 378  BAG, Urteil v. 26. 01. 1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470; v. 18. 08. 1976 – 5 AZR 95/75, AP BGB § 613a Nr. 4. 379  BAG, Urteil v. 26. 01. 1977, a. a. O. 380  BAG, Urteil v. 12. 05. 1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081. 381  BAG, Urteil v. 12. 05. 1992, a. a. O.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Nachdem das BAG Erlass- und Verzichtsverträgen anlässlich eines Betriebsübergangs eine Absage erteilt hatte, hatte es im Jahre 1987 über das sog. „Lemgoer Modell“ zu urteilen.382 Die Erwerberin eines insolventen Betriebs hatte allen Arbeitnehmern den Abschluss neuer Arbeitsverträge zugesagt, wenn diese ihre Verträge zuvor selbst kündigen. Als bevollmächtigter Vertreter aller Arbeitnehmer kündigte der Betriebsrat in einer Betriebsversammlung sämtliche Arbeitsverträge. Nach Auffassung des BAG verfolgte auch dieses Vorgehen allein den Zweck, „aus Anlaß des Betriebsüberganges den Inhalt sämtlicher Arbeitsverhältnisse zu verändern, soziale Besitzstände insgesamt erlöschen zu lassen“383. Darin liege eine Umgehung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB sowie – wenn unverfallbare Versorgungsanwartschaften betroffen seien – des § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG.384 Die Rechtsgeschäfte – die Kündigung wie auch der neue Arbeitsvertrag – seien wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig.385 Arbeitnehmerkündigungen und Aufhebungsverträge anlässlich eines Betriebsübergangs hält das BAG grundsätzlich für wirksam, wenn sie auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind.386 § 613a BGB werde aber umgangen, wenn zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt werde.387 Nach der häufig verwendeten Formel des BAG ist ein Aufhebungsvertrag gemäß §§ 613a Abs. 1, 134 BGB in der Regel nichtig, wenn er „die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes“388 bezwecke. Die „mehr oder weniger begründete Erwartung“ des Arbeitnehmers, er werde einen Arbeitsplatz beim Erwerber erhalten, führe hingegen nicht zur Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags mit dem Veräußerer.389 Wenn es sich für den Arbeit382 BAG, Urteil v. 28.  04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198; ähnl. Urteil v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367. 383  BAG, Urteil v. 28. 04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198, 199. 384  BAG, Urteil v. 28. 04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198. 385  BAG, Urteil v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367, 370; v. 28. 04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198, 199. 386  BAG, Urteil v. 23. 11. 2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866; v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; v. 11. 12. 1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262; v. 29. 10. 1975 – 5 AZR 444/74, NJW 1976, 535. Bei Täuschung über eine Betriebsstilllegung oder eine Neueinstellung durch den Erwerber kommt aber eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 1. Fall BGB in Betracht, vgl. Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868; Moll, NJW 1993, 2016, 2022; Willemsen, NZA 2013, 242, 244; Kracht, S. 153 f. 387  BAG, Urteil v. 25. 10. 2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436; v. 18. 08. 2011 − 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152; v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367. 388 Z. B. BAG, Urteil v. 25. 10. 2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436; v. 27. 09. 2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961; v. 11. 07. 1995 – 3 AZR 154/94, NZA 1996, 206. 389  BAG, Urteil v. 10. 12. 1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424.

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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nehmer um ein „Risikogeschäft“ handele und er mit einem endgültigen Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen müsse, sei der Aufhebungsvertrag ohne Sachgrund wirksam.390 Ein Losverfahren, mit dem etwa drei Viertel der Arbeitsplätze den bisherigen Arbeitnehmern zugeteilt werden, soll aber noch kein hinreichendes Risiko begründen.391 Auch der EuGH entschied, dass Arbeitnehmer nicht auf ihre Rechte nach der RL 77/187/EWG verzichten können und daher eine Änderungsvereinbarung mit dem Erwerber nur nach dem und unabhängig vom Betriebsübergang zulässig sei.392 Während Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang also über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses insgesamt disponieren können, erfordert eine Vereinbarung zur Änderung von Arbeitsbedingungen nach der Rechtsprechung des BAG einen sachlichen Grund.393 Das Sachgrunderfordernis lässt sich durch Zwischenschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) nur zum Schein nicht beseitigen.394 Als sachliche Gründe erkannte das BAG etwa an: • dauerhafte Erhaltung von Arbeitsplätzen,395 • Scheitern der Übernahme eines notleidenden Betriebs bei Bestand von erlassenen Ansprüchen,396 • Vermeidung drohender Insolvenz und Verlust sämtlicher Arbeitsplätze.397 Keine sachlichen Gründe sind: • der Betriebsübergang selbst,398 • Verlangen des potentiellen Erwerbers nach einer Vertragsänderung.399

390  BAG, Urteil v. 25. 10. 2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436; v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; v. 10. 12. 1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424. 391  BAG, Urteil v. 18. 08. 2011 − 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152. 392  EuGH, Urteil v. 10. 02. 1988 – 324/86 (Daddy‘s Dance Hall), Slg. 1988, 739; ihm folgend BAG, Urteil v. 07. 11. 2007 – 5 AZR 1007/06, NZA 2008, 530. 393  BAG, Urteil v. 18. 08. 2011 − 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, 154; v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1093; v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; v. 12. 05. 1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081; v. 17. 01. 1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326; v. 26. 01. 1977 – 5 AZR 302/75, NJW 1977, 1470. 394  BAG, Urteil v. 25. 10. 2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436. 395  BAG, Urteil v. 17. 01. 1980 – 3 AZR 160/79, AP BGB § 613a Nr. 18. 396  BAG, Urteil v. 27. 04. 1988 – 5 AZR 358/87, NZA 1988, 655, 657; v. 18. 08. 1976 – 5 AZR 95/75, DB 1977, 310. 397  BAG, Urteil v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147. 398  BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1093 f. 399  BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1094.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

II.  Aufnahme in der Literatur Einhellige Zustimmung erfährt die Ansicht des BAG, dass Arbeitnehmer auch anlässlich des Betriebsübergangs wirksam Aufhebungsverträge schließen können, wenn diese tatsächlich auf ein Ausscheiden aus dem Betrieb gerichtet sind.400 Dass das BAG Vereinbarungen mit Änderungscharakter bei Fehlen eines sachlichen Grundes für unwirksam hält, stößt auf geteiltes Echo. Viele Autoren stimmen der Differenzierung des BAG im Grundsatz zu.401 Teilweise wird aber dagegen angeführt, § 613a BGB wolle den Arbeitnehmer nur vor Verschlechterungen seiner Arbeitsbedingungen schützen, die einseitig vom Arbeitgeber ausgesprochen werden, nicht aber vor freiwilligen Zugeständnissen zur Rettung seines Arbeitsplatzes.402 Dass der Arbeitgeber diese veranlasse, sei rechtlich nicht entscheidend.403 Die Rechtsprechung des BAG sei zu streng, weil dadurch betriebsbedingte Änderungskündigungen einfacher möglichen seien als einvernehmliche Vertragsänderungen, welche eines sachlichen Grundes bedürfen.404 Diese Einschränkung der Vertragsfreiheit und das Erfordernis eines sachlichen Grundes fänden keine Grundlage in § 613a BGB, weil dieser nur Bestands-, aber keinen Inhaltsschutz vermittle.405 Umgangen werden könnten durch einen Neuabschluss des Arbeitsvertrages allenfalls andere zwingende Vorschriften, aber nicht § 613a BGB.406 Wenn bei Betriebsübergang das gesamte Arbeitsverhältnis zur Disposition des Arbeitnehmers stehe, müsse das für einzelne Arbeitsbedingungen erst recht gelten.407 Es sei auch nicht begründbar, warum ein stärkerer 400 APS/Steffan, § 613a BGB Rn. 196; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rn. 123; BeckOK BGB/Fuchs, § 613a Rn. 69; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 159; MAH ArbR/Cohnen, § 54 Rn. 180; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 202; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868; Fuhlrott, NZA 2012, 549, 553; Hamann, AP BGB § 613a Nr. 354; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821; Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2289, 2291; Moll, NJW 1993, 2016, 2022; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 454 f.; Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1109; Kracht, S. 149; Reiser, S. 45. 401 APS/Steffan, § 613a BGB Rn. 197; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rn. 124; BeckOK BGB/Fuchs, § 613a Rn. 70; Erman/Edenfeld, § 613a Rn. 65; MAH ArbR/Cohnen, § 54 Rn. 179; Bunte, NZA 2010, 319, 320 f.; Debong, NZA 1986, 665; Ende, NZA 1994, 494, 496; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821 f.; Kracht, S. 152 f. 402  Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2289, 2291; Willemsen, RdA 1987, 327, 329. 403  Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1110; Naber, S. 114. 404  Naber, S. 114. Der Behauptung des Autors, dass die Anforderungen an „dringende betriebliche Erfordernisse“ geringer sind als an „sachliche Gründe“, ist allerdings zu widersprechen, vgl. Adam, AuR 2013, 394. 405  Hamann, AP BGB § 613a Nr. 354; Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1110; Naber, S. 127; Reiser, S. 105. 406  Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1110 f.; Hamann, AP BGB § 613a Nr. 354; Willemsen, RdA 1987, 327, 329 ff. 407  Herrmann, BB 2008, 506; Reiser, S. 105.

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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Bestands- und Inhaltsschutz gelte als ohne den Betriebsübergang,408 zumal die Sachgrundprüfung des BAG im Zeitverlauf immer strenger geworden sei.409 Eine Überprüfung von Änderungsvereinbarungen sei nur nach den allgemeinen Regeln vorzunehmen.410 Als rechtsunsicheres und deshalb untaugliches Abgrenzungskriterium wird vielfach erachtet, ob der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer verbindlich in Aussicht gestellt wird oder nur eine „mehr oder weniger begründete Erwartung“ des Arbeitnehmers besteht.411 In der Literatur überwiegt etwa die Ansicht, dass auch in einem Losverfahren ein Risikogeschäft für den Arbeitnehmer liege, das folgerichtig zur Wirksamkeit der Aufhebungsverträge führen müsse.412 Deshalb werden alternative Abgrenzungskriterien vorgeschlagen. Teilweise wird gefordert, das Inaussichtstellen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber nur dann zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer bei Aufhebung bereits einen durchsetzbaren individuellen Anspruch auf den Neuabschluss eines Arbeitsvertrages hat.413 Andere Autoren wollen dagegen jeden gerade wegen des Betriebsübergangs geschlossenen Aufhebungsvertrag für unwirksam erklären, wenn keine autonome Entscheidung des Arbeitnehmers vorliege, seinen Arbeitsplatz endgültig aufzugeben.414 Das BAG hat diese Kritik aus der Literatur zur Kenntnis genommen, ist aber bei seiner Abgrenzung geblieben.415 Die damit verbundene Missbrauchsgefahr und die Drucksituation für den Arbeitnehmer dürfen seiner Ansicht nach nicht dazu führen, dass die Kriterien für eine unzulässige Umgehung so weit abgesenkt werden, dass dadurch Sanierungen notleidender Betriebe praktisch unmöglich werden.416 III.  Einordnung in die Methodenlehre Auch diese Judikatur soll nun auf ihre Vereinbarkeit mit der Methodenlehre untersucht werden. Dazu wird zunächst festgestellt, auf welchem methodischen 408 

Willemsen, RdA 1987, 327, 329; Reiser, S. 97 f. Moll, NJW 1993, 2016, 2022. 410 MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 89 und Rn. 200; Moll, NJW 1993, 2016, 2022; Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1110 ff. 411  Krit. APS/Steffan, § 613a Rn. 198; Mujan, NZI 2013, 317; Pils, NZA 2013, 125, 130; Willemsen, NZA 2013, 242, 243; Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263, 264. 412  BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rn. 124; MAH ArbR/Cohnen, § 54 Rn. 186; Fuhlrott, NZA 2012, 549, 552; Pils, NZA 2013, 125, 128. 413 MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 202; Willemsen, NZA 2013, 242, 245. 414 APS/Steffan, § 613a Rn. 198; in diese Richtung auch ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 159, der darauf abstellt, ob die Fortführung des Betriebs bereits geplant war. 415  BAG, Urteil v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147 f. 416  BAG, Urteil v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 148. 409 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Wege – Auslegung, gesetzesimmanente oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung – das BAG zu seinen Ergebnissen gelangt. Anschließend wird überprüft, ob die Voraussetzungen für die eingesetzte Methode vorliegen. Das BAG löst Fälle einer möglichen Umgehung des § 613a BGB in zwei Schritten: Zunächst wird betrachtet, ob die gesamte Vertragsgestaltung auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder auf eine Änderung seines Inhalts angelegt ist. Rechtsgeschäfte, die der Beendigung dienen, sind ohne weiteres wirksam, auch wenn später doch ein Arbeitsvertrag mit dem Erwerber geschlossen wird. Erweist sich die Vereinbarung hingegen als Änderungsvertrag im zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsübergang, dann wird im nächsten Schritt geprüft, ob dieser durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. 1.  Scheingeschäft oder Vertragsauslegung? Während eine Befristung den ansonsten bestehenden Kündigungsschutz immer vermeidet und deshalb die Frage nach ihrer Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund ins Zentrum rückt, muss bei Verträgen im Umfeld eines Betriebsübergangs zunächst geprüft werden, ob diese überhaupt gegen den Schutzzweck des § 613a BGB verstoßen. Der Zweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nach Auffassung des BAG darin, nicht nur den Fortbestand, sondern auch den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten.417 Nach der Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer durch einen Aufhebungsvertrag oder eine Eigenkündigung ohne weiteres auf den Bestandsschutz verzichten, nicht aber auf den Inhaltsschutz. Dabei behandelt das BAG bestimmte Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge nicht wie Beendigungs-, sondern wie Änderungsvereinbarungen. Auch in der Literatur wird vertreten, dass es sich bei diesen Rechtsgeschäften um Änderungsbzw. Verzichtsverträge handele.418 Es ist zu überlegen, ob und wie dies rechtlich begründbar ist. Es könnte sich bei den vermeintlichen Beendigungstatbeständen um Scheingeschäfte i. S. d. § 117 BGB handeln. Dann wäre das angebliche Geschäft nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig; die Rechtsfolgen des tatsächlich gewollten, verdeckten Geschäftes würden eintreten. Dazu müssten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber einig sein, dass die Beendigung des Arbeitsvertrages nicht eintreten, sondern nur ihr äußerer Schein hervorgerufen werden soll.419 Halten sie dagegen den Eintritt des rechtlichen Erfolges für notwendig und lehnen nur den daraus üblicherweise resultierenden wirtschaftlichen Erfolg ab, dann liegt kein Schein417 

BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1093. § 613a BGB Rn. 197; van Dorp/Link, AuA 2009, 588, 589; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821; Willemsen, NZA 2013, 242, 244. 419  Vgl. BGH, Urteil v. 20. 07. 2006 – IX ZR 226/03, NJW-RR 2006, 1555, 1556; MüKoBGB/Armbrüster, § 117 Rn. 1. 418 APS/Steffan,

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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geschäft vor.420 Ein ernstlich gewollter Vertrag wird nicht zum Scheingeschäft, nur weil der mit ihm bezweckte rechtliche Erfolg nicht erreicht wird.421 So verhält es sich hier. Der Arbeitnehmer hält oftmals eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer und die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber für notwendig, um seinen Arbeitsplatz zu behalten. Dies ist vor allem der Fall, wenn ihm die Regelung des § 613a BGB nicht bekannt ist. Auch die beteiligten Arbeitgeber meinen oft, dass durch wirksame Kündigung oder Aufhebung die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses unterbrochen werden könne, und bezwecken deshalb deren Wirksamkeit. Mit § 117 Abs. 1 BGB lässt sich die Nichtigkeit dieser Rechtsgeschäfte also nicht begründen. Möglicherweise gelangt man aber im Wege der Vertragsauslegung zu dem Ergebnis, dass die Parteien nur den Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses ändern, dieses aber nicht beenden wollten. Vom Ergebnis her gedacht, trifft dies zu. Die Beendigung und Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses, das unter normalen Umständen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergegangen wäre, bleibt – abgesehen von inhaltlichen Unterschieden zwischen den Verträgen – ohne rechtliche Konsequenzen. Weitere Voraussetzung für eine Auslegung als Änderungsvertrag ist, dass man die Rechtsgeschäfte als Einheit betrachten kann. Sieker hat unter Hinweis auf das Steuerrecht solche „gegenläufigen Gestaltungen“422, die sich in ihrer Wirkung teilweise neutralisieren, in ihre Liste typischer Umgehungsgeschäfte aufgenommen. Der BFH löst sie mittels der Figur des „Gesamtplans“.423 Ein Gesamtplan setzt einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Rechtsgeschäften und eine einheitliche Planung des Steuerpflichtigen voraus.424 Diese Kriterien lassen sich aber nicht unverändert auf Vereinbarungen bei Betriebsübergang übertragen, weil dabei mehrere Personen mit u.U. widersprüchlichen Interessen beteiligt sind. Dass der Arbeitnehmer bei Abschluss des Aufhebungsvertrages plant, einen Arbeitsvertrag mit dem Erwerber zu schließen, kann nicht ausreichen, um eine einheitliche Vereinbarung anzunehmen. Viel eher überzeugt da das Kriterium des BAG, das die Rechtsgeschäfte als Einheit betrachtet, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Fortführung bereits vereinbart oder verbindlich in Aussicht gestellt wurde. Hier wird man wie üblich auf den ob420  OLG Düsseldorf, Urteil v. 31. 03. 2015 – I-16 U 70/14, 16 U 70/14, juris (Rn. 70); MüKoBGB/Armbrüster, § 117 Rn. 14; Benecke, RdA 2016, 65, 69. 421 BGH, Urteil v. 20. 07. 2006 – IX ZR 226/03, NJW-RR 2006, 1555, 1556; LAG Rheinland Pfalz, Urteil v. 15. 02. 2013 – 6 Sa 451/11, juris (Rn. 49); Benecke, RdA 2016, 65, 69. 422  Sieker, S. 54. 423  St. Rspr., z. B. BFH, Urteil v. 16. 12. 2015 – IV R 8/12, DB 2016, 386; v. 17. 12. 2014 – IV R 57/11, DB 2015, 593. 424  BAG, Urteil v. 27. 10. 2005 – IX R 76/03, DB 2006, 429, 430.

3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

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jektiven Empfängerhorizont abstellen können: Wenn der Arbeitgeber davon ausgehen muss, dass der Arbeitnehmer die Kündigung oder Willenserklärung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages nur abgibt, weil er fest mit seiner Wiedereinstellung rechnet, dann handelt es sich tatsächlich um ein Änderungsangebot. Der darauf basierende Vertrag ist als Änderungs-, Verzichts- oder Erlassvertrag zu qualifizieren. 2.  Erfordernis eines sachlichen Grundes für Änderungsverträge a)  Art der Rechtsfortbildung Der als solcher entlarvte Änderungsvertrag soll nach der Rechtsprechung des BAG nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes wirksam sein. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes. Auf welchem methodischen Wege das BAG zu seiner Rechtsprechung gelangt, wird nicht vom Gericht selbst und auch nur ausnahmsweise in der Literatur thematisiert. Sieker ordnet die Rechtsprechung des BAG als teleologische Extension des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ein.425 Dann müsste eine Auslegung dieser Norm ergeben, dass ihre Rechtsfolge – die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts – auf bestimmte andere Konstellationen zu übertragen ist, damit der Normzweck verwirklicht wird.426 Als Methode der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung erfordert die teleologische Extension übertragbare gesetzliche Wertungen. Willemsen weist aber zutreffend darauf hin, dass das Postulat eines sachlichen Grundes für Änderungsvereinbarungen aus § 613a BGB rechtsdogmatisch nicht abzuleiten ist.427 Auch an anderer Stelle findet es sich nicht im Gesetz. Da also offenbar nicht die Wertungen einer Rechtsnorm unverändert auf Verzichtsvereinbarungen bei Betriebsübergang übertragen werden, handelt es sich wie beim Sachgrunderfordernis für die Befristung von Arbeitsverhältnissen um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung des BAG.428 b)  Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem aa) Gesetzeslücke In der hier betrachteten Situation will der Arbeitgeber wegen des bevorstehenden Betriebsübergangs eine Änderung der Arbeitsbedingungen herbeiführen. Dazu müsste er eigentlich eine Änderungskündigung aussprechen. § 613a Abs. 4 425 

Sieker, S. 92 f. Canaris, S. 89 ff.; Larenz, S. 397 ff.; Larenz/Canaris, S. 217 f.; Pawlowski, Rn. 497 ff. 427  Willemsen, RdA 1987, 327, 330. 428 Ebenso Reiser, S. 76. 426 

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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Satz 1 BGB erfasst allerdings nicht nur Beendigungs-, sondern auch Änderungskündigungen.429 Ohne den Nachweis dringender betrieblicher Erfordernisse ist eine Änderungskündigung unwirksam. Zudem ist selbst bei sozial gerechtfertigten Änderungskündigungen mit Kündigungsschutzklagen zu rechnen, die eine zügige und rechtssichere Übertragung des Betriebs erschweren. Fraglich ist, ob das Gesetz lückenhaft ist, weil es nur eine einseitige und nicht auch eine einvernehmliche Änderung von Arbeitsbedingungen erfasst. Eindeutig steht zunächst fest, dass § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht nur Bestands-, sondern auch Inhaltsschutz gewähren soll.430 Denn er ordnet einen Übergang der Arbeitsverhältnisse an, nicht nur eine Pflicht des Betriebserwerbers zum Neuabschluss von Arbeitsverträgen mit allen Arbeitnehmern. Auf den Bestandsschutz kann der Arbeitnehmer nach allgemeiner Ansicht verzichten.431 Normalerweise ist im laufenden Arbeitsverhältnis auch eine einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers möglich. Es müssten also besondere Anhaltspunkte im Gesetz dafür vorliegen, dass gerade im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers besonders eingeschränkt und ein Verzicht auf den Inhaltsschutz nicht bzw. nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen möglich sein soll. Zur Begründung nennt das BAG unterschiedliche umgangene Normen: § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB432, § 613a Abs. 1 BGB433, § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB434, oft auch nur § 613a BGB ohne nähere Angaben. Im Schrifttum wird eine Billigkeitskon429  BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rn. 116; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 158; MAH ArbR/Cohnen, § 54 Rn. 162. 430  BAG, Urteil v. 20. 04. 2011 – 5 AZR 184/10, juris; v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1093; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a Rn. 93; Greiner, EWiR 2009, 709, 710; Naber, S. 105 f. 431  EuGH, Urteil v. 16. 12. 1992 – C-132/91 (Katsikas), NZA 1993, 1969; BAG, Urteil v. 23. 11. 2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866; v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145; v. 11. 12. 1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262; v. 29. 10. 1975 – 5 AZR 444/74, NJW 1976, 535; APS/Steffan, § 613a BGB Rn. 196; BeckOK ArbR/Gussen, § 613a BGB Rn. 123; BeckOK BGB/Fuchs, § 613a Rn. 69; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 159; MAH ArbR/Cohnen, § 54 Rn. 180; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 202; Bissels/Jordan/ Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868; Fuhlrott, NZA 2012, 549, 553; Hamann, AP BGB § 613a Nr. 354; Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821; Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2289, 2291; Moll, NJW 1993, 2016, 2022; Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 454 f.; Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1109; Kracht, S. 149; Reiser, S. 45. 432  BAG, Urteil v. 27. 09. 2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961, 964; v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1092; v. 18. 08. 2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; v. 12. 05. 1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080. 433  BAG, Urteil v. 18. 08. 2011 − 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152, 154; v. 11. 07. 1995 – 3 AZR 154/94, NZA 1996, 206. 434  BAG, Urteil v. 28. 04. 1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

trolle von Änderungsvereinbarungen bei Betriebsübergang zusätzlich mit einer Analogie zu § 2 KSchG begründet.435 Wie oben gezeigt,436 ist die Herleitung eines gemeinsamen Grundgedanken aus unterschiedlichen Normen als Indiz für eine Gesetzeslücke i.w.S. zu werten. Diese erfordert eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung, weil eben nicht Wertungen einer konkreten Vorschrift auf den zu lösenden Fall übertragbar sind. Durch Auslegung mehrerer Bestimmungen müsste ein allgemeiner Rechtsgrundsatz herausgearbeitet werden, der sich mit „verstärkter Inhaltsschutz von Arbeitsverträgen bei Betriebsübergang“ umschreiben ließe. Nach wohl überwiegender und zutreffender Ansicht im Schrifttum kann ein solcher Rechtsgrundsatz allerdings weder dem Wortlaut der genannten Vorschriften noch der Rechtsordnung insgesamt entnommen werden.437 § 613a BGB dient nach dem Willen des Gesetzgebers mittlerweile auch zur Umsetzung der RL 77/187/EWG bzw. der im maßgeblichen Art. 3 gleichlautenden RL 2001/23/EG.438 Deshalb ist § 613a BGB europarechtskonform auszulegen.439 Eine unklare oder unvollständige Umsetzung von Richtlinien kann eine Gesetzeslücke allerdings nur dann begründen, wenn der Wortlaut der Norm dies zulässt. Hat der Gesetzgeber eine inhaltlich eindeutige, gegen die Richtlinie verstoßende Regelung getroffen, dann kann diese nicht im Wege der europarechtskonformen Rechtsfortbildung „überstimmt“ werden.440 Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass der Arbeitnehmer nicht wegen eines Betriebsübergangs auf Rechte nach zwingenden Vorschriften der Richtlinie verzichten kann.441 Eine Änderungsvereinbarung, die nicht im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang steht, sei dagegen nach allgemeinen Regeln zulässig. Zu den zwingenden Regelungen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 RL 77/187/EWG bzw. Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG zählt auch der inhaltlich unveränderte Übergang des Arbeitsverhältnisses.442 Deshalb ist eine Verkürzung arbeitsvertraglicher Rechte 435 

Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1114. Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 2. b). 437  Greiner, EWiR 2009, 709, 710; Hamann, AP BGB § 613a Nr. 354; Moll, NJW 1993, 2016, 2022; Willemsen, RdA 1987, 327, 329. 438  BT-Drs. 8/3317, S. 6. 439 ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 1; grundlegend vgl. EuGH, Urteil v. 10. 04. 1984 – 14/83 (v. Colson u. Kamann), NJW 1984, 2021, 2022. 440  BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26. 09. 2011 – 2 BvR 2216/06 u. 2 BvR 469/07, NJW 2012, 669; Grosche/Höft, NJW 2009, 2416, 2417; Michael/Payandeh, NJW 2015, 2392, 2395. 441  EuGH, Urteil v. 06. 11. 2003 – C-4/01 (Martin), NZA 2003, 1325; v. 10. 02. 1988 – 324/86 (Daddy’s Dance Hall), Slg. 1988, 739. 442  BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1094; Erman/Edenfeld, § 613a Rn. 65; Ende, NZA 1994, 494, 495 f.; a.A. noch BAG, Urteil v. 07. 11. 2007 – 5 AZR 1007/06, AP BGB § 613a Nr. 329: „§ 613a Abs. 1 BGB bezweckt zunächst einen 436 

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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anlässlich eines Betriebsübergangs selbst mit Zustimmung des Arbeitnehmers europarechtlich unzulässig.443 Eine Regelung zur Unabdingbarkeit durch Änderungsverträge fehlt in § 613a BGB. Andererseits stehen Wortlaut und Intention der Norm einem Verständnis, das die Wirksamkeit von Verzichtsverträgen begrenzt, auch nicht entgegen. Angesichts der europarechtlichen Vorgaben ist das Gesetz deshalb lückenhaft. Diese Lücke musste das BAG im Wege der Rechtsfortbildung schließen. bb) Subsidiarität Die Zulässigkeit der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung durch das BAG setzt weiter voraus, dass keine Lösung im Wege gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung möglich ist. Benecke stellt zutreffend fest, dass sich die Unwirksamkeit der Änderungsverträge nicht mit einer Analogie zu § 613a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 BGB begründen lässt.444 Abs. 4 erfasst nur einseitige (Änderungs-) Kündigungen, die nicht in allen rechtlich wesentlichen Punkten der einvernehmlichen Änderung gleichstehen. Die Rechtsfolgen des Abs. 1 treten in vollem Umfang auch nach Abschluss eines Änderungsvertrags mit dem Veräußerer ein, doch ist dem Arbeitnehmer damit allein nicht gedient. Weder das deutsche Recht noch die europäische Richtlinie enthalten somit übertragbare Wertungen für eine Begrenzung von Änderungsverträgen bei Betriebsübergang, so dass eine Rechtsfortbildung praeter legem ausscheidet. cc) Wertungsähnlichkeit mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen Bei der Definition des Umfangs der Gesetzeslücke hat sich das BAG an seiner Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen orientiert.445 Eine Gesetzesumgehung liege vor, wenn ein sachlicher Grund für eine Gestaltung fehle. Das wirft die Frage auf, ob die zu berücksichtigenden gesetzlichen Wertungen und Prinzipien in beiden Fallgruppen ähnlich sind. Das lässt sich gut begründen. In beiden Fällen stehen sich die Vertragsfreiheit der Parteien und der Arbeitnehmerschutz in einem begrenzten Bereich gegenüber. Anders als bei der oben bereits angesprochenen Umgehung des Bestandsschutzes nach § 613a Abs. 4 Satz 1 (nicht zwingenden) einzelvertraglichen Inhaltsschutz […]“; ebenso Moll, NJW 1993, 2016, 2022 f. 443  So nun ausdrücklich BAG, Urteil v. 17. 06. 2015 – 4 AZR 61/14, NZG 2016, 628, 632; ebenso bereits Ende, NZA 1994, 494, 495; a.A. Reiser, S. 103, die meint, wenn der EuGH Änderungsvereinbarungen mit dem Veräußerer nach dem Betriebsübergang zulasse, müsse dies konsequenterweise auch für Vereinbarungen vor dem Betriebsübergang gelten. Allerdings endet mit dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses die „Erpressbarkeit“ des Arbeitnehmers. 444  Benecke, S. 179. 445  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. I.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

BGB durch Befristungen bis zum Betriebsübergang446 haben die hier beschriebenen Gestaltungen jeweils eine Umgehung des Inhaltsschutzes zum Ziel. Die Situation des Arbeitnehmers ist aber in vielerlei Hinsicht vergleichbar. Der Arbeitgeber nutzt das Machtgefälle und die Tatsache, dass der Arbeitnehmer wirtschaftlich auf den Arbeitsplatz angewiesen ist, um eine erwünschte, aber einseitig nicht erreichbare Rechtsfolge – die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. die Änderung von Arbeitsbedingungen ohne soziale Rechtfertigung – durch Vertrag herbeizuführen. Der Arbeitnehmer lässt sich auf eine bei isolierter Betrachtung für ihn nachteilige Vereinbarung ein, um damit die Begründung bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.447 Zwar geht das Arbeitsverhältnis bei einem Betriebsübergang kraft Gesetzes über, aber den Arbeitnehmern wird suggeriert – und nicht selten stimmt dies auch –, dass der Betriebsübergang von einem Anspruchsverzicht abhängt. Dies wird auch der EuGH vor Augen haben, wenn er Änderungsvereinbarungen mit dem Erwerber nach Betriebsübergang entsprechend den allgemeinen Regeln zulässt, nicht aber vor oder bei Betriebsübergang.448 Indem das BAG die Änderungsvereinbarung auf sachliche Gründe prüft, will es eine unangemessene Übervorteilung der Arbeitnehmer verhindern. Entscheidend für den konkreten Inhalt der Rechtsfortbildung sind die vom BAG anerkannten Sachgründe. Hier zeigen sich wesentliche Unterschiede zur Befristung. Die sachlichen Gründe für eine Vertragsänderung bei Betriebsübergang ergeben sich durch Auslegung der zugrundeliegenden Richtlinie. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gilt angesichts des uneingeschränkten Wortlauts grundsätzlich auch in der Insolvenz.449 Dies ist nach Art. 5 RL 2001/23/EG europarechtlich nicht zwingend vorgeschrieben, aber auch nicht ausgeschlossen. Das BAG nutzt die von der Richtlinie eröffneten Möglichkeiten, indem es den Betriebsübergang selbst nicht als Sachgrund anerkennt, wohl aber eine wirtschaftliche Notlage oder Insolvenz des Unternehmens. dd) Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung Rechtsfolge einer ungerechtfertigten Änderungsvereinbarung ist ihre Nichtigkeit. Das BAG begründet die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften zur Umgehung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig mit § 134 BGB.450 Der später hin446 

Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. I. 1. a). Urteil v. 12. 05. 1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081; Herrmann, BB 2008, 506. 448  EuGH, Urteil v. 10. 02. 1988 – 324/86 (Daddy’s Dance Hall), Slg. 1988, 739. 449 BAG, Urteil v. 25. 10. 2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367; APS/Steffan, § 613a BGB Rn. 235; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 146; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 176 f.; vgl. auch § 128 InsO. 450  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 25. 10. 2012 - 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436; v. 18. 08. 2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152; v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091. 447  BAG,

F.  Änderung des Vertragsinhalts wegen Betriebsübergangs

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zugefügte Abs. 4451 sei nur eine spezialgesetzliche Regelung eines allgemeinen Verbots der Umgehung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.452 Allerdings handelt es sich bei § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht um ein Verbotsgesetz.453 Hanau meint, die Unwirksamkeit von Änderungsverträgen folge aus § 613a Abs. 4 BGB und nicht etwa aus Abs. 1.454 Deshalb könne eine Umgehung nur vorliegen, wenn Änderungen gerade wegen des Betriebsübergangs vereinbart werden.455 Weil hier eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung vorliegt, ist die Angabe einer konkreten Einzelnorm mit der passenden Rechtsfolge aber nicht nur entbehrlich, sondern auch methodisch irreführend. Stattdessen ist danach zu fragen, durch welche Rechtsfolge das zugrundeliegende Rechtsprinzip des besonderen Inhaltsschutzes bei Betriebsübergängen am besten verwirklicht werden kann. Damit die Änderungsvereinbarung nicht die beabsichtigte Wirkung entfalten kann, muss sie für nichtig erklärt werden.456 § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist dann auf den Vertrag mit seinem bisherigen Inhalt unmittelbar anwendbar. IV.  Gesetzliche Regelung von Änderungsvereinbarungen Eine Überprüfung von Vertragsinhalten wird heute in erster Linie nach den §§ 305 ff. BGB vorgenommen. Erlass- und Änderungsverträge werden aber nicht von der Inhaltskontrolle erfasst, weil der Erlass der Schuld bzw. die Änderung einzelner Vertragsbedingungen die gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB kontroll­ freie Hauptpflicht des Vertrags ist.457 Somit kann ihre Unwirksamkeit nach wie vor nur auf eine Umgehung des § 613a BGB – also in Wirklichkeit auf eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung – gestützt werden.458 Man könnte sagen, das BAG „umgehe“ mit seiner Rechtsprechung die Einschränkung der Inhaltskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Gleichwohl gebietet die RL 2001/23/ EG diese Rechtsfortbildung extra legem. Sie sollte aber als solche offengelegt und nachvollziehbar gestaltet werden. Wenn das Gelingen einer Sanierung auf einer Verringerung der Personalkosten basiert, ist es für einen potentiellen Betriebserwerber von zentraler Bedeutung, die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften mit Arbeitnehmern zuverlässig einschätzen zu können. Trotz zahlreicher Entscheidungen zu diesem Thema ist immer noch keine sichere Prognose möglich. 451 

BGBl. I v. 20. 08. 1980, S. 1308 (S. 1309). BAG, Urteil v. 18. 07. 1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148, 149. 453  Benecke, S. 109; Naber, S. 102. 454  Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821. 455  Hanau, ZIP 1998, 1817, 1821. 456  Benecke, S. 194. 457  BAG, Urteil v. 19. 03. 2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091, 1092 f.; zust. Bunte, NZA 2010, 319, 320; Greiner, EWiR 2009, 709. 458  Zweifelnd MüKoBGB/Müller-Glöge, § 613a Rn. 200. 452 

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

Eine klare und vollständige gesetzliche Umsetzung der Richtlinie würde Abhilfe schaffen. Dazu könnte in § 613a Abs. 4 BGB zusätzlich zum Kündigungsverbot ein Verbot von einvernehmlichen Änderungen des Arbeitsvertrags wegen eines Betriebsübergangs und von Gestaltungen mit gleicher Wirkung statuiert werden, das Ausnahmen im insolvenznahen Bereich vorsieht.

G.  Ergebnisse I.  Herleitung des Sachgrunderfordernisses bei Befristungen • Die erste und praktisch bedeutendste vom BAG entwickelte Methode zur Bewältigung von Fällen der objektiven Gesetzesumgehung war das Erfordernis eines sachlichen Grundes. Der Sachgrund wurde zur Rechtfertigung von Befristungen verlangt, durch die ein ansonsten bestehender Kündigungsschutz vereitelt wurde. • Welche Art der Rechtsfortbildung ein Gericht vornimmt, hängt davon ab, ob gesetzliche Wertungen übernommen (gesetzesimmanente Rechtsfortbildung) oder anhand von Rechtsprinzipien eigene Wertungen entwickelt werden (gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung). In den Fällen der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristung von Arbeitsverhältnissen entwickelte das BAG das Erfordernis eines sachlichen Grundes anhand eines allgemeinen Rechtsprinzips. Konkrete Wertungen einer Rechtsvorschrift wurden nicht übernommen, so dass es sich um eine Rechtsfortbildung extra legem handelt. • Das Gesetz war lückenhaft, weil die Zulässigkeit von Befristungen nicht ausdrücklich geregelt war, aber auch nicht unbegrenzt bleiben konnte. Der Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen ist in der Rechtsordnung von so herausragender Bedeutung, dass ihm der Rang eines allgemeinen, grundrechts­ ähnlichen Rechtsgrundsatzes zukommt. Das BAG musste daher zwei nicht vollständig kodifizierte Grundprinzipien der Rechtsordnung – die Vertragsfreiheit und den Bestandsschutz – zum Ausgleich bringen. • Eine Lösung von Umgehungsfällen durch gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung wurde zwar zur Zeit der Begründung der Umgehungsrechtsprechung durch den Großen Senat noch nicht allgemein anerkannt, aber sie ist nach der Methodenlehre zulässig, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. • Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung war objektiv berechtigt. Eine Lösung im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung nach den Vorgaben des Gesetzes war nicht möglich. Mit dem Fehlen eines sachlichen Grundes konkretisierte das BAG die Eingriffsschwelle in vertretbarer Weise, indem es nur in jeder Hinsicht unbillige Fälle der Umgehung verhinderte. Die Rechtsfolge wurde aus dem Prinzip des Bestandsschutzes zutreffend hergeleitet.

G.  Ergebnisse

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• Während der Große Senat seine Wertungen ausführlich und nachvollziehbar darstellte, beschäftigte er sich kaum mit Methodenfragen. Wenn dies in späteren Entscheidungen des BAG ausnahmsweise geschah, entsprachen die Aussagen nicht der Methodenlehre. II.  Übertragung auf andere Fallgruppen • Die für befristete Arbeitsverhältnisse entwickelten Grundsätze übertrug das BAG zu Recht auf auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse und bedingte Aufhebungsverträge. All diese Fälle wiesen die Gemeinsamkeit auf, dass unter Berufung auf die Vertragsfreiheit durch vermeintlich zulässige rechtliche Gestaltungen der Bestandsschutz vermieden werden sollte und eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlte. • Kündigungen kurz vor Verschärfung des Kündigungsschutzes prüft das BAG traditionell auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB, doch greift es bei überlangen Kündigungsfristen auch auf das Umgehungsargument zurück und verlangt einen sachlichen Grund für die vorgezogene Kündigung. Inhaltlich ist das vertretbar, weil sich der Arbeitgeber einen gesetzlich nicht vorgesehen Vorteil durch Verkürzung des Kündigungsschutzes verschaffen will. Allerdings setzt er dazu nicht die Vertragsfreiheit ein, sondern überschreitet die Grenzen eines zeitlich eingeschränkten Gestaltungsrechts. Unter methodischen Gesichtspunkten ist die Vorgehensweise des BAG zu beanstanden, weil es die Voraussetzungen unterschiedlicher Rechtsfiguren nicht trennt. • Auch für die gesetzlich vorgesehene Einschränkung der Lohnfortzahlungspflicht bei kurzen befristeten Arbeitsverhältnissen verlangte das BAG einen sachlichen Grund. Hier lag aber keine Gesetzeslücke, sondern eine vom Gesetzgeber bewusst geschaffene Ausnahmeregelung vor. Deren Nutzung verstieß nicht gegen ein übergeordnetes Rechtsprinzip. Deshalb handelte es sich um eine rechtswidrige Rechtsfortbildung contra legem. Diese Fehleinschätzung dürfte eine unmittelbare Folge des Verzichts auf eine methodisch korrekte Prüfung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung sein. • Bei mittelbaren Arbeitsverhältnissen ist zu differenzieren: Führt die Gestaltung zu einer Vereitelung des Kündigungsschutzes, dann ist die Interessenlage vergleichbar mit der einer Befristung. Die Vertragsfreiheit wird eingesetzt, um den gesetzlich vorgesehenen Bestandsschutz zu beseitigen. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht für alle Fälle verallgemeinern, in denen die gewählte Gestaltung für den Arbeitnehmer in irgendeiner Weise nachteiliger ist als eine unmittelbare Beschäftigung durch den Betriebsinhaber. Folglich ist nicht für jedes mittelbare Arbeitsverhältnis ein sachlicher Grund erforderlich. Heute sind bei mittelbaren Arbeitsverhältnissen die Vorgaben des AÜG einzuhalten.

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3. Teil: § 7  Erfordernis eines sachlichen Grundes

• Bei der Gesetzesumgehung durch organisatorische Entscheidungen des Arbeitgebers wird nicht die Vertragsfreiheit, sondern die unternehmerische Freiheit dazu eingesetzt, die Anwendbarkeit von arbeitnehmerschützenden Rechtsnormen auszuschließen. Typisches Merkmal der Umgehungskonstellationen in dieser Fallgruppe ist, dass die Entscheidung des Arbeitgebers kaum eine über den Ausschluss der Arbeitnehmerrechte hinausgehende Wirkung hat. Das BAG verlangt deshalb ausnahmsweise einen arbeitsplatzbezogenen sachlichen Grund für eine Entscheidung des Arbeitgebers. • Bei einer Umgehung durch unberechtigte Verschärfung des Anforderungsprofils einer Stelle verlangt der Grundsatz des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit. Damit ist das Gesetz lückenhaft und das Sachgrunderfordernis kann auf diesen Fall übertragen werden. Hingegen ist der Verlängerungsanspruch nach § 9 TzBfG nicht Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes von Verfassungsrang. Eine Abweichung vom Wortlaut des Gesetzes im Wege gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ist deshalb nach der Methodenlehre nicht möglich. Eine Korrektur der missbrauchsanfälligen Norm ist dem Gesetzgeber vorbehalten. • Bei Umgehung des § 613a BGB dient das Sachgrunderfordernis der Beschränkung von Vereinbarungen, die wegen des Machtgefälles der Arbeitsvertragsparteien vor oder bei einem Betriebsübergang geschlossen werden und einen Verlust von Ansprüchen oder eine Änderung von Arbeitsbedingungen zum Nachteil der Arbeitnehmer bewirken sollen. Diese Einschränkung ist europarechtlich geboten. Zunächst muss allerdings durch Vertragsauslegung ermittelt werden, ob es sich um eine Beendigung und Neubegründung oder um eine Änderung der Arbeitsverträge handelt. III.  Fallgruppenübergreifende Ergebnisse • Die Fallgruppen der Befristung und der auflösenden Bedingung werden nun ausdrücklich durch das TzBfG geregelt. Ein Rückgriff auf die Rechtsfigur der Gesetzesumgehung oder andere Methoden gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ist damit entbehrlich. Die Rechtsprechung des BAG dient nur noch als Auslegungshilfe. Bei Kündigungen kurz vor Verschärfung des Kündigungsschutzes hat das BAG immer entscheidend auf die Treuwidrigkeit nach § 242 BGB abgestellt und diese durch das Sachgrunderfordernis lediglich konkretisiert. Mittelbare Arbeitsverhältnisse sind heute nach den Vorschriften des AÜG zu behandeln. Die vermeintlich zur Umgehung der Lohnfortzahlungspflicht genutzte Regelung des LFZG wurde durch eine für alle Arbeitsverhältnisse einheitliche Bestimmung in § 3 Abs. 3 EFZG ersetzt. Damit hat das Fehlen eines sachlichen Grundes als Voraussetzung der Gesetzesumgehung seine praktische Bedeutung weitgehend eingebüßt.

G.  Ergebnisse

239

• Eine wichtige Ausnahme gibt es jedoch: Änderungs- oder Erlassverträge wegen Betriebsübergangs unterliegen als Hauptabreden eines Vertrages nicht der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB und müssen weiterhin durch eine Rechtsfortbildung extra legem beschränkt werden. Hier sollte der Gesetzgeber § 613a Abs. 4 BGB um ein Verbot der einvernehmlichen Änderung von Vertragsbedingungen wegen Betriebsübergangs erweitern. • Eine Betrachtung im Zeitverlauf zeigt, dass sich personelle Änderungen bei der Besetzung der Spruchkörper wiederholt auf die Rechtsprechung des BAG zur Gesetzesumgehung ausgewirkt haben. Nach einem Wechsel im Vorsitz des Siebten Senats wurde etwa der Prüfungsgegenstand einer Entfristungsklage zum Vorteil der Arbeitgeberseite auf die letzte Befristung beschränkt. Der Zweite Senat hat unter einem neuen Vorsitzenden ein grundsätzliches Verbot auflösender Bedingungen erwogen, nach Kritik aus der Literatur aber wieder verworfen. • Da sich das Erfordernis eines sachlichen Grundes dem einfachen Gesetz nicht entnehmen lässt, handelt es sich in allen Fallgruppen um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. Diese erfordert jeweils den Nachweis eines übergeordneten Rechtsprinzips, das eine Abweichung vom geschriebenen Recht gebietet. Fehlt es an einem solchen Rechtsprinzip, dann verstößt die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung gegen die Methodenlehre. • Mit einer Umgehung im eigentlichen Sinne kann das BAG das Sachgrunderfordernis nicht begründen, weil es nicht darum geht, einen unabhängig vom eingesetzten Mittel rechtlich missbilligten Erfolg zu unterbinden. Das Sachgrunderfordernis bewirkt vielmehr eine Angemessenheits-, Inhalts- oder Billigkeitskontrolle geringer Intensität. Im Vergleich zu Alternativen wie der umfassenden Interessenabwägung greift diese Lösung weniger in die Gestaltungsfreiheit ein, weil der Sachgrund keine besondere Qualifikation aufweisen muss und Interessen der Gegenseite unberücksichtigt bleiben können.

240

3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

§ 8  Kernbereichslehre 3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

Wie sich gezeigt hat, löste das BAG Fälle der objektiven Umgehung des Bestandsschutzes, indem es für die Gestaltung einen sachlichen Grund verlangte. Wenn zwar nicht der Bestand, aber der Inhalt des Arbeitsverhältnisses gefährdet war, zog das BAG eine objektive Gesetzesumgehung des Schutzes vor Änderungskündigungen in Betracht. Zu den bedenklichen Gestaltungen zählen Widerrufs- und andere Änderungsvorbehalte, Befristungen einzelner Arbeitsbedingungen sowie in letzter Zeit auch Null-Stunden-Verträge. Auf solche Gestaltungen hat das BAG die Grundsätze zur Umgehung des Bestandsschutzes nicht etwa übertragen, sondern einen eigenen Maßstab für das Vorliegen einer Gesetzesumgehung entwickelt – die sogenannte „Kernbereichslehre“1.

A.  Änderungsvorbehalte Das KSchG schützt nach Ansicht des BAG nicht nur den Bestand, sondern auch den Inhalt des Arbeitsvertrages vor einseitigen Dispositionen des Arbeitgebers. §§ 2 Satz 1, 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG verlangen auch für eine Änderungskündigung eine soziale Rechtfertigung. Wie der Arbeitnehmer durch Befristungen vertraglich auf den Schutz gegen Beendigungskündigungen verzichten kann, so sind aber auch Vereinbarungen denkbar, die dem Arbeitgeber eine einseitige Änderung des Vertragsinhalts zu einem ungewissen späteren Zeitpunkt erlauben. Die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Bestimmungen wird mit dem Anpassungsbedarf im Verlauf eines Arbeitsverhältnisses und den Beschränkungen durch den Kündigungsschutz begründet.2 Änderungsvorbehalte in Arbeitsverträgen kann man in zwei Gruppen einteilen.3 Einerseits gibt es Regelungen, die durch Erweiterung des Weisungsrechts eine Veränderung der Arbeitspflicht ermöglichen, z. B. Versetzungsklauseln, Klauseln zur Zuweisung einer anderen Tätigkeit oder zur Lage der Arbeitszeit.4 Andere Änderungsvorbehalte wirken sich auf die vom Arbeitgeber zu erbringende Gegenleistung aus, z. B. Widerrufsvorbehalte, Freiwilligkeitsvorbehalte, Anrechnungsvorbehalte oder Teilkündigungsvorbehalte.5 Freilich lassen sich einige 1 Vgl. Hromadka, in: FS Konzen, S. 324; Hümmerich/Bergwitz, BB 2005, 997, 999; Singer, RdA 2006, 362, 363; Willemsen/Grau, NZA 2005, 1137, 1141; Feuerborn, S. 542; – nicht zu verwechseln mit der früher von der Rspr. zur koalitionsmäßigen Betätigung nach Art. 9 Abs. 3 GG vertretenen Kernbereichslehre, z. B. BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 1981 – 2 BvR 384/78, AP GG Art. 140 Nr. 9. 2 Däubler/Dorndorf/Dorndorf, § 308 Nr. 4 Rn. 13 ff.; Kluge, S. 17. 3  Vgl. Hromadka/Söllner, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 20. 4 Däubler/Dorndorf/Dorndorf, § 307 Rn. 183 ff. 5  Feuerborn, S. 540.

A.  Änderungsvorbehalte

241

Klauseln beiden Gruppen zuordnen, weil eine Zuweisung einer niedriger bewerteten Tätigkeit oder eine Absenkung der Dauer der Arbeitszeit zu Entgelteinbußen führen kann.6 I.  Rechtsprechung des BAG Meist hatte das BAG über Widerrufsvorbehalte zur Flexibilisierung des Arbeitsentgelts zu entscheiden. Diese berechtigen den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer zugesagte Leistungen durch einseitige Erklärung zu mindern oder ganz entfallen zu lassen.7 Auch eine Ermächtigung zur Teilkündigung8 oder sog. Entwicklungsklauseln9, die organisatorische Änderungen in einem Betrieb ermöglichen sollen und sich vor allem in Chefarztverträgen finden, qualifiziert das BAG als Widerrufsvorbehalte. Ebenso werden andere Änderungsvorbehalte, die sich auf vom Arbeitgeber zu erbringende Leistungen – etwa seine Pflicht zur Stellung eines Dienstwagens – auswirken, als Widerrufsvorbehalte angesehen.10 Der von den Parteien gewählten Bezeichnung kommt für die rechtliche Einordnung keine entscheidende Bedeutung zu.11 Grundsätzlich hält das BAG die Vereinbarung eines Rechts zur einseitigen Änderung von Vertragsbedingungen für zulässig.12 Vor der Schuldrechtsreform wurde ihre Wirksamkeit nur durch die §§ 134, 138 und 242 BGB beschränkt.13 Nach einer grundlegenden Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1982 sollte ein Änderungsvorbehalt insbesondere gemäß § 134 BGB nichtig sein, wenn er zur Umgehung des Änderungskündigungsschutzes führt.14 Das sei der Fall, wenn der Arbeitgeber so wesentliche Elemente oder prägende Bestandteile des Arbeitsvertrages ändern könne, dass das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleis-

6 Däubler/Dorndorf/Dorndorf,

§ 307 Rn. 184. BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 322. 8  BAG, Urteil v. 07. 10. 1982 – 2 AZR 455/80, AP BGB § 620 Teilkündigung Nr. 5. 9  BAG, Urteil v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, BAGE 86, 61. 10 BAG, Urteil v. 17. 09. 1998 – 8 AZR 791/96, juris (Rn. 31); Sievers, NZA 2002, 1182, 1183. 11  BAG, Urteil v. 03. 06. 1998 – 5 AZR 552/97, NZA 1999, 306, 308; v. 12. 02. 1987 – 6 AZR 129/84, juris. 12  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 11. 10. 2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, 89; v. 15. 08. 2000 – 1 AZR 458/99, juris (Rn. 27); v. 17. 09. 1998 – 8 AZR 791/96, juris (Rn. 31); v. 16. 10. 1965 – 5 AZR 55/65, DB 1965, 1823; v. 09. 06. 1965 – 1 AZR 388/64, DB 1965, 1217; so bereits BAG, Urteil v. 11. 06. 1958 – 4 AZR 514/55, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 2. 13 APS/Künzl, § 2 KSchG Rn. 109; Hromadka, RdA 1992, 234, 240 ff. 14  BAG, Urteil v. 07. 10. 1982 – 2 AZR 455/80, AP BGB § 620 Teilkündigung Nr. 5. 7 

242

3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

tung – das vertragliche Synallagma – grundlegend gestört15 oder „der Bestand des Arbeitsverhältnisses gleichsam als Ganzes geändert und praktisch ein neues Arbeitsverhältnis begründet“16 würde. Diesen unantastbaren Mindestinhalt bezeichnet das BAG als „Kernbereich“ des Arbeitsverhältnisses.17 Eine klare Abgrenzung des Kernbereichs existierte nicht18. Insgesamt zeigte sich die Tendenz, dass Empfänger eines höheren Arbeitsentgelts eher Einbußen hinnehmen konnten19 und dass nur übertarifliche Entgeltbestandteile und Zusatzleistungen frei widerruflich ausgestaltet werden konnten20. So sollte ein Widerrufsvorbehalt beispielsweise auch dann noch zulässig sein, wenn er den Arbeitgeber zum Entzug einer Zusatzfunktion mit einer Entgelteinbuße von 15 % berechtigte21 oder wenn übertarifliche Lohnbestandteile i.H.v. 25 bis 30 % variabel ausgestaltet wurden 22. Selbst eine Entwicklungsklausel in einem Chefarztvertrag, die der Klinikleitung eine Aufspaltung der chirurgischen Station und eine Halbierung der für Privatpatienten verfügbaren Betten ermöglichte, so dass sich die Gesamteinnahmen des Chefarztes um bis zu 40 % verringerten, wurde nicht als Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses angesehen.23 Dagegen bejahte das BAG eine objektive Umgehung zwingender Vorschriften des Kündigungsschutzrechts bei einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung, nach der eine kommunale Musikschule berechtigt sein sollte, die Stundenzahl teilzeitbeschäftigter Musiklehrer bei arbeitszeitabhängiger Vergütung einseitig – in einigen Fällen bis auf null – zu reduzieren.24 Auch ein Leistungsbestimmungsrecht des 15 Bis zur Schuldrechtsreform st. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 15. 08. 2000 – 1 AZR 458/99, juris (Rn. 27); v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, BAGE 86, 61; v. 07. 10. 1982 – 2 AZR 455/80, AP BGB § 620 Teilkündigung Nr. 5. 16  BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 323; ähnl. BAG, Urteil v. 31. 01. 1985 – 2 AZR 393/83, juris (Rn. 28). 17 Z. B. BAG, Urteil v. 13. 04. 2010 – 9 AZR 113/09, NZA-RR 2010, 457, 459; v. 11. 10. 2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, 89; v. 15. 08. 2000 – 1 AZR 458/99, juris (Rn. 28); v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 297/92, NZA 1996, 476 f.; erstmals im Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 322 f. 18  Gaul, ZTR 1998, 245, 246; Sievers, NZA 2002, 1182, 1183. 19  BAG, Urteil v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, BAGE 86, 61; krit. Hümmerich/Bergwitz, BB 2005, 997, 1000. 20  BAG, Urteil v. 15. 11. 1995 – 2 AZR 521/95, NZA 1996, 603; v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 297/92, NZA 1994, 476 f.; v. 31. 01. 1985 – 2 AZR 393/83, juris (Rn. 25); v. 07. 01. 1971 – 5 AZR 92/70, AP BGB § 315 Nr. 12; 09. 06. 1965 – 1 AZR 388/64, AP BGB § 315 Nr. 10. 21  BAG, Urteil v. 15. 11. 1995 – 2 AZR 523/95, NZA 1996, 603. 22  BAG, Urteil v. 15. 08. 2000 – 1 AZR 458/99, juris (Rn. 28); v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, NZA 1997, 1160, 1162 f.; v. 13. 05. 1987 – 5 AZR 125/86, ZTR 1988, 61, 62. 23  BAG, Urteil v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, BAGE 86, 61. 24 BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, BAGE 47, 314 (das BAG geht hier ohne inhaltliche Unterschiede nicht von einem Widerrufsvorbehalt, sondern von einem Leistungsbestimmungsrecht zum Umfang der Arbeitszeit aus, a.A. LAG Düsseldorf, Ur-

A.  Änderungsvorbehalte

243

Arbeitgebers zur Höhe der Grundvergütung erachtete das BAG wegen Eingriffs in den Kernbereich für unwirksam.25 Rechtsfolge eines in den Kernbereich eingreifenden Änderungsvorbehalts im Arbeitsvertrag war dessen Unwirksamkeit nach § 134 BGB, während die vom ihm erfassten vertraglichen Bestimmungen, z. B. die Zusage übertariflicher Entgeltbestandteile, natürlich wirksam blieben.26 Erwies sich der Änderungsvorbehalt hingegen als wirksam, dann war im nächsten Schritt zu prüfen, ob der Arbeitgeber den Widerruf rechtmäßig, insbesondere nach billigem Ermessen gemäß § 315 BGB ausgeübt hatte.27 II.  Aufnahme in der Literatur Dass die Vereinbarung von Widerrufsvorbehalten nicht unbegrenzt zulässig sein kann, war bereits anerkannt, bevor der Gesetzgeber die AGB-Kontrolle auf das Arbeitsvertragsrecht ausdehnte.28 Die Herleitung der Grenzen aus § 2 KSchG wegen einer Umgehung des Schutzes gegen Änderungskündigungen überzeugte aber nur einen Teil des Schrifttums.29 Überwiegend stieß die Kernbereichslehre des BAG in dogmatischer Hinsicht auf Widerspruch.30 § 2 KSchG regele nicht den zulässigen Inhalt von Arbeitsverträgen, sondern ein Verfahren zur Vertragsänderung.31 Bereits der Ansatz, dass ein Arbeitsverhältnis einen kündigungsrechtlich besonders geschützten Kernbereich und einen weniger geschützten Randbereich habe, überzeugte einige Autoren nicht.32 Als problematisch wurde erachtet, dass eine allgemeine Bestimmbarkeit des Kernbereichs fehle33 und seine Abgrenzung teil v. 15. 07. 1983 – 3 Sa 553/83, n.v.; Zöllner, NZA 1997, 121, 124); ähnl. BAG, Urteil v. 31. 01. 1985 – 2 AZR 393/83, juris. 25  BAG, Urteil v. 22. 07. 2004 – 8 AZR 203/03, ZTR 2005, 198, 202. 26  BAG, Urteil v. 03. 06. 1998 – 5 AZR 552/97, NZA 1999, 306, 308. 27  BAG, Urteil v. 13. 05. 1987 – 5 AZR 125/86, ZTR 1988, 61; v. 07. 10. 1982 – 2 AZR 455/80, AP BGB § 620 Teilkündigung Nr. 5; v. 07. 01. 1971 – 5 AZR 92/70, AP BGB § 315 Nr. 12. 28  Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146; Hromadka, in: FS Konzen, S. 327; Konow, NZA 1987, 117. 29  Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146; Gaul, ZTR 1998, 245, 246; Kort, NZA 2005, 509, 511; Lindemann/Simon, BB 2002, 1807, 1811; Rieble, NZA-Beil. 2000, 34, 39. 30  Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73, 74; Hromadka, in: FS Konzen, S. 327; ders., RdA 1992, 234, 239; Leuchten, NZA 1994, 721, 725; Singer, RdA 2006, 362, 363 f. und 368; Zöllner, NZA 1997, 121, 124 f.; Feuerborn, S. 542 ff.; Preis, S. 166 ff. 31  Hromadka, in: FS Konzen, S. 326; Konow, NZA 1987, 117, 118; Singer, RdA 2006, 362, 364; Feuerborn, S. 542. 32 Hromadka/Söllner, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 23; Hümmerich/Bergwitz, BB 2005, 997, 1000; Zöllner, NZA 1997, 121, 125. 33  Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 147; Hromadka, in: FS Konzen, S. 328.

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3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

durch das BAG willkürlich34 und widersprüchlich35 sei. Wie bei der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristungen wurde auch hier argumentiert, dass im Grunde jeder Widerrufsvorbehalt eine Umgehung des § 2 KSchG bewirke.36 Vereinzelt forderten Autoren aber auch eine noch engere Definition des unantast­ baren Kernbereichs, mithin eine weitergehende Widerrufsmöglichkeit bei Ent­ geltzusagen.37 Im Schrifttum wurden andere Anknüpfungspunkte für eine Beschränkung von Änderungsvorbehalten erörtert. Als Alternative wurde etwa vorgeschlagen, Widerrufsvorbehalte zu untersagen, die das Betriebsrisiko zu weitgehend auf den Arbeitnehmer verlagern und damit gegen Sinn und Zweck des § 615 Satz 1 BGB verstoßen.38 Feuerborn und Preis forderten anstelle des Umgehungsargu­ ments eine „feinmaschigere“ Inhalts- bzw. Angemessenheitskontrolle nach § 242 BGB.39 Hromadka wollte „mit aller Behutsamkeit“ die – nach dem Gesetz auf das Arbeitsrecht gerade nicht anwendbaren – Grundsätze des AGBG auf die Beurtei­ lung von Arbeitsvertragsklauseln übertragen.40 Söllner und Leuchten betrachteten dagegen eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB als hinreichend, da diese der Kontrolle wegen Umgehung des § 2 KSchG materiell in nichts nachstehe.41 III.  Einordnung in die Methodenlehre 1.  Art der Rechtsfortbildung Die Art der Rechtsfortbildung bestimmt sich danach, ob zur Falllösung ge­ setzliche Wertungen „eins zu eins“ übertragen werden (gesetzesimmanente Rechtsfortbildung42) oder ob der Rechtsanwender anhand allgemeiner gesetz­ licher Wertungskriterien eigene Wertungen vornimmt (gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung43). Wie bei Befristungen zur Umgehung des Kündigungsschut­ 34 

Leuchten, NZA 1994, 721, 725. Preis/Lindemann, NZA 2006, 632, 633. 36  Hromadka, in: FS Konzen, S. 327 f.; Leuchten, NZA 1994, 721, 725; Zöllner, NZA 1997, 121, 125. 37  Rieble, NZA-Beil. 2000, 34, 44, der einen unantastbaren Kernbereich i.H.v. 50 % für ausreichend hält; begrenzt auf „hochdotierte Führungskräfte“ so auch Lindemann/Simon, BB 2002, 1807, 1811. 38  Hromadka, in: FS Konzen, S. 328; Singer, RdA 2006, 362, 368; in diese Richtung auf Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146 f. 39  Feuerborn, S. 544; Preis, S. 582 f. 40  Hromadka, RdA 1992, 234, 240. 41 Hromadka/Söllner, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 21 ff. Leuchten, NZA 1994, 721, 725; a.A. BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 322. 42  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. 43  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 35 

A.  Änderungsvorbehalte

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zes wandte das BAG auch hier die vermeintlich umgangenen Vorschriften der §§ 2 Satz 1, 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG nicht etwa analog an, indem es als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Änderungsvorbehalts eine soziale Rechtfertigung verlangte.44 Stattdessen differenzierte es nach zulässigen Ermächtigungen für Eingriffe in den Randbereich des Arbeitsvertrages und unwirksamen Änderungsvorbehalten, die den Kernbereich betreffen. Im Gesetz findet sich nirgendwo eine ausdrückliche Regelung zum Kernbereich eines Arbeitsvertrages; es handelt sich um eine richterrechtliche Schöpfung.45 Damit liegt auch hier eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung vor. 2.  Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem Nach dem oben Gesagten46 entspricht eine Rechtsfortbildung nur dann „Gesetz und Recht“ i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG, wenn ihre methodischen Voraussetzungen vorliegen. Bei der Rechtsfortbildung extra legem sind dies die Berücksichtigung der Subsidiarität, eine Gesetzeslücke im weiteren Sinne, das Erreichen der Eingriffsschwelle sowie die Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung. a)  Subsidiarität Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist ausgeschlossen, wenn bereits im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung ein tragbares Ergebnis erzielt werden kann.47 Als Lösungsmöglichkeit praeter legem wird in der Literatur erwogen, die Bestimmungen des KSchG zur Änderungskündigung analog anzuwenden.48 Gegen eine Gleichbehandlung des Widerrufsvorbehalts mit der Änderungskündigung spricht die Tatsache, dass letztere den Vertrag und damit den Grundsatz „pacta sunt servanda“ durchbricht, während der Vorbehalt gerade Änderungen innerhalb des Vertragsgefüges ermöglichen soll.49 Hier ist eine Parallele zur Befristungsproblematik erkennbar, weil jeweils eine Rechtsfolge in den Vertrag aufgenommen wird, die der Arbeitgeber allein nicht ohne weiteres herbeiführen könnte. Trotz des Machtgefälles der Parteien erlauben die Wertungen der Rechtsordnung nicht, die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers vollständig unberücksichtigt zu lassen. Wenn sich die Parteien auf die Möglichkeit eines Widerrufs einigen, bestehen daher größere Spielräume als bei einseitigen Ge44 

So etwa in Betracht gezogen von Zöllner, NZA 1997, 121, 125; Feuerborn, S. 542. Schwarze, RdA 2012, 321, 322. 46  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. I. 47  Larenz, S. 426. 48  Zöllner, NZA 1997, 121, 125; Feuerborn, S. 542. 49  Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73, 74; Hromadka, RdA 1992, 234, 239; Feuerborn, S. 542. 45 

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3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

staltungserklärungen einer Vertragspartei.50 Schied somit eine Gleichstellung des Änderungsvorbehalts mit der Änderungskündigung aus, dann war mangels übertragbarer gesetzlicher Wertungen eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zulässig. b)  Gesetzeslücke Als Voraussetzung der Rechtsfortbildung extra legem müsste das Gesetz lückenhaft gewesen sein, indem es die Zulässigkeit von Änderungsvorbehalten in Arbeitsverträgen nicht begrenzte. Um eine Gesetzeslücke i.w.S. zu begründen, muss das Fehlen einer nach der Gesamtrechtsordnung erforderlichen Regelung anhand rechtlicher Argumente dargelegt werden.51 Als vom geschriebenen Gesetz nur unvollständig verwirklichtes rechtsethisches Prinzip kommt hier der Inhaltsschutz von Arbeitsverhältnissen in Betracht – falls die Rechtsordnung ein solches Prinzip vor Ausdehnung der AGB-Kontrolle auf Arbeitsverträge bereits enthielt. Wie oben gezeigt,52 prüft das BAG bei der Feststellung einer Gesetzesumgehung in Wirklichkeit, ob eine Gesetzeslücke vorliegt. Das BAG begründete die Gesetzesumgehung durch Änderungsvorbehalte – ähnlich wie bei der Befristung – mit einer ganzen Reihe umgangener Rechtsnormen. In erster Linie verwies es auf den Schutz des Arbeitnehmers vor Änderungskündigungen gemäß §§ 2 Satz 1, 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG. Leistungsbestimmungsrechte bewirken eine „Verlagerung von Bestandsschutz- und Beschäftigungsrisiken, die der Arbeitgeber nach den zwingenden Vorschriften des Kündigungsschutzrechts (§§ 1, 2 KSchG) zu tragen“ habe.53 Mit dem Hinweis auf das Beschäftigungsrisiko bezog das BAG auch die Wertungen des § 615 BGB in seine Überlegungen ein. In einer Entscheidung zur Erweiterung des Direktionsrechts durch Tarifvertrag argumentierte das BAG außerdem mit den Grundrechten des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. Daraus folge ein Mindestschutz des Arbeitnehmers, „der sich auch auf den Schutz von Vertragsbedingungen vor einseitigen Eingriffen des Arbeitgebers erstreckt“ und dem der Gesetzgeber durch Erlass des KSchG Rechnung getragen habe.54 Deshalb müsse die Bestimmung mit den „Wertungen des § 2 KSchG in Einklang stehen“.55 Konnte der Arbeitgeber die Arbeitszeit einseitig ohne Einhaltung einer Frist verringern, wies das BAG zusätzlich auf eine Umgehung des (heutigen) § 622 Abs. 6 BGB hin.56 50 

Leuchten, NZA 1994, 721, 725; Singer, RdA 2006, 362, 365. Larenz/Canaris, S. 246. 52  Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. I. 53  BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 323. 54  BAG, Urteil v. 29. 09. 2004 – 6 AZR 442/03, NZA 2005, 475, 477. 55  BAG, Urteil v. 29. 09. 2004, a. a. O. 56  BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 322. 51 

A.  Änderungsvorbehalte

247

Eine Gesamtschau dieser Vorschriften führt in der Tat zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmerschutz nach den Wertungen der Rechtsordnung eine Einschränkung der Vertragsfreiheit auch bei Änderungsvorbehalten erfordert. Die Ziele des Kündigungsschutzes und die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos würden konterkariert, könnte der Arbeitgeber den Vertragsinhalt nach Durchsetzung einer entsprechenden Vertragsklausel stets gemäß seinen Vorstellungen frei anpassen. Das war auch im Schrifttum anerkannt.57 Da das Gesetz eine ausdrückliche Begrenzung nicht enthielt, war es lückenhaft. Zu erwägen wäre noch, ob bereits die Ausübungskontrolle nach § 315 BGB den Arbeitnehmer hinreichend gegen Vertragsänderungen absicherte.58 Allerdings kann schon die Ungewissheit aufgrund des Leistungsbestimmungsrechts und nicht erst dessen Ausübung die Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigen.59 Wenn er im Vorfeld nicht einschätzen kann, welche Vertragsänderungen der Arbeitgeber vorzunehmen berechtigt ist, verringert das seine Planungssicherheit erheblich. Weil das BAG den Inhaltsschutz aus der Umgehung des Schutzes vor Änderungskündigungen ableitete, konnte auch dieser nur gelten, wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar war.60 Demnach waren Arbeitsverhältnisse in den ersten sechs Monaten und solche in Kleinbetrieben gegen Eingriffe in den Kernbereich nicht geschützt.61 Es überzeugt aber nicht, wenn etwa bei Befristungen bis zu sechs Monaten Dauer – die ja auch zu Lasten des Arbeitnehmers als Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses galt – ein beliebiger Änderungsvorbehalt wirksam vereinbart werden konnte. Generell ist die Hemmschwelle zu einer Vertragsänderung für den Arbeitgeber viel geringer, wenn er nicht durch eine Änderungskündigung zugleich der Bestand des Arbeitsverhältnisses riskiert. Dass das BAG seine Rechtsprechung mit einer Umgehung begründete, statt methodisch richtig mit einem allgemeinen, zur Rechtsfortbildung berechtigenden Prinzip des Inhaltsschutzes bei Arbeitsverträgen zu argumentieren, war also nicht nur überflüssig, sondern führte auch zu teilweise problematischen Ergebnissen.62 Schließlich bleibt zu überlegen, ob der Gesetzgeber sich möglicherweise gezielt gegen einen Inhaltsschutz von Arbeitsverträgen entschieden hatte, als er bei 57  Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146; Hromadka, in: FS Konzen, S. 327; Konow, NZA 1987, 117. 58  So etwa Hromadka/Söllner, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 21 ff.; Leuchten, NZA 1994, 721, 725; ausdrücklich abgelehnt vom BAG, Urteil v. 12. 12. 1984 – 7 AZR 509/83, NZA 1985, 321, 322. 59 Däubler/Dorndorf/Dorndorf, § 308 Nr. 4 Rn. 5; Hümmerich/Bergwitz, BB 2005, 997, 998. 60  M. Wolf, RdA 1988, 270, 271; Lindemann, S. 40 f. 61  BAG, Urteil v. 11. 10. 2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, 89. 62  Vgl. auch Preis, S. 157: Ein weiterer Widerspruch zur Dogmatik bestehe darin, dass Tarifvertragsparteien nach dieser Rechtsprechung zur Gesetzesumgehung berechtigt wären.

248

3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

Erlass des AGBG eine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht statuierte.63 Dann wäre die Unvollständigkeit des Gesetzes Teil des gesetzgeberischen Plans gewesen und hätte hingenommen werden müssen. Die Bereichsausnahme begründete der Gesetzgeber damit, dass durch zwingende Vorschriften und kollektivrechtliche Vereinbarungen bereits ein hohes Schutzniveau vor unangemessenen Vertragsbedingungen erreicht sei, das bei Bedarf durch arbeitsrechtliche Sonderregelungen ausgebaut werden solle.64 Daraus lässt sich entnehmen, dass eine Inhaltskontrolle bei Arbeitsverträgen keineswegs für verzichtbar erachtet wurde. Vielmehr ging der Gesetzgeber damals wohl davon aus, dass die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen aufgrund arbeitsrechtlicher Besonderheiten diesen Zweck nicht erfüllen können. Da die für erforderlich gehaltenen Sonderregelungen zur Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht tatsächlich weder ausdrücklich im Gesetz noch in nennenswertem Maße in Kollektivverträgen enthalten waren,65 lag eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes und mithin eine Gesetzeslücke i.w.S. vor. c)  Erreichen der Eingriffsschwelle Bei einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ist die Eingriffsschwelle sehr hoch.66 Methodisch richtig war deshalb die Vorgehensweise des BAG, nur Umgehungsgestaltungen von besonderer Intensität zu erfassen, mithin nur den Arbeitnehmer besonders belastende Änderungsvorbehalte zu unterbinden. Das beantwortet die von der Literatur aufgeworfene Frage, warum eine Umgehung des Änderungsschutzes erst im unantastbaren Kernbereich vorliegen sollte, obgleich eine Änderungskündigung schon bei geringfügigen Änderungen des Vertragsinhalts erforderlich ist.67 Unzulässige Umgehungsgestaltungen mussten abgegrenzt werden von den noch zulässigen Änderungsklauseln. Auch wenn in methodischer Hinsicht einige Parallelen zur Befristungsrechtsprechung augenfällig sind, wäre dazu eine Übertragung des Sachgrunderfordernisses wegen tatsächlicher Unterschiede nicht sachgerecht gewesen. Bei Befristungen stellt sich nämlich nur die Frage, ob weiterhin ein Arbeitsverhältnis besteht oder nicht. Bei Änderungsvorbehalten ist aber das Maß der Änderung – i.d.R. also die Höhe der widerruflichen Leistung – entscheidend für die Belastung des Arbeitnehmers. Das BAG griff auf den vom BVerfG entwickelten Begriff des Kernbereichs68 zurück und bezeichnete damit ein „Mindestmaß an rechtlicher Bindung des Ar63 

§ 23 Abs. 1 AGBG, außer Kraft seit dem 01. 01. 2002. BT-Drs. 7/3919, S. 41. 65  Hromadka, RdA 1992, 234, 240. 66  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. IV. 1. c). 67  Friedhofen/Weber, NZA 1986, 145, 146; Hromadka, RdA 1992, 234, 236. 68  BVerfG, Beschluss v. 17. 02. 1981 – 2 BvR 384/78, AP GG Art. 140 Nr. 9. Die Rspr. des BVerfG bezog sich allerdings auf den Mindestumfang des geschützten Betätigungsrechts der Koalitionen nach Art. 9 Abs. 3 GG. 64 

A.  Änderungsvorbehalte

249

beitgebers an bestimmte Arbeitsbedingungen“69. Die Kernbereichslehre ermöglichte eine „grobmaschige Kontrolle, aufgrund derer ein Widerrufsvorbehalt bloß ausnahmsweise unwirksam“70 war. Dass der unantastbare Kernbereich im Regelfall etwa 70 % des Arbeitsentgelts umfasste, ist insoweit nachvollziehbar, als hier auch in anderen Konstellationen die Grenze der Zumutbarkeit von Einkommens­ einbußen gesehen wird.71 Die Literatur hat überzeugend herausgearbeitet, dass das BAG mit seiner Abgrenzung des Kernbereichs der Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers Rechnung trug.72 Damit kann man die auf den ersten Blick schwer nachvollziehbare und in der Literatur als willkürlich und widersprüchlich kritisierte73 Abgrenzung des Kernbereichs gut begründen. Änderungsvorbehalte dürfen nicht die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers bedrohen, nachdem dieser dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft überlassen hat, deren Verwertung i.d.R. seine Haupteinnahmequelle ist. Zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers war bei der Bestimmung des widerruflich ausgestaltbaren Anteils die absolute Entgelthöhe zu berücksichtigen,74 waren Sonderzahlungen weniger geschützt als laufendes Arbeitsentgelt und konnten nur übertarifliche Lohnbestandteile unter Vorbehalt gestellt werden.75 Mit der Kernbereichslehre definierte das BAG somit eine methodisch nicht zu beanstandende, hohe Eingriffsschwelle. d)  Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung Bei einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung ist auch die Rechtsfolge aus dem allgemeinen Prinzip herzuleiten, das zur Begründung der Gesetzeslücke angeführt wurde.76 Hier geht es also um die Verwirklichung des Inhaltsschutzes von Arbeitsverhältnissen. Das BAG erklärte Vereinbarungen, die den Arbeitgeber zu Eingriffen in den Kernbereich ermächtigten, durchweg für unwirksam. Damit verwirklichte es den von der Rechtsordnung geforderten Inhaltsschutz und agierte im Ergebnis entsprechend der Methodenlehre. 69 

Schwarze, RdA 2012, 321. Feuerborn, S. 542. 71 Ausführlich Schwarze, RdA 2012, 321, 327 ff.; Singer, RdA 2006, 362, 368, führt als Vergleichsgrößen die Höhe des ALG I (60 bzw. 67 %) und die Grenze des Lohnwuchers (ca. 2/3 des üblichen Entgelts) an. 72 Hromadka/Söllner, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 25; Schwarze, RdA 2012, 321, 325; in diese Richtung auch Hromadka, RdA 1992, 234, 241, der ein geringeres Schutzniveau annimmt, wenn das Grundeinkommen des Arbeitnehmers gesichert ist. 73  Leuchten, NZA 1994, 721, 725; Preis/Lindemann, NZA 2006, 632, 633. 74  BAG, Urteil v. 28. 05. 1997 – 5 AZR 125/96, BAGE 86, 61. 75  BAG, Urteil v. 07. 01. 1971 – 5 AZR 92/70, AP BGB § 315 Nr. 12; 09. 06. 1965 – 1 AZR 388/64, AP BGB § 315 Nr. 10. 76  Canaris, S. 160 ff. 70 

250

3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

Berücksichtigt man allerdings, dass das BAG seine Rechtsprechung auf eine Umgehung des Schutzes gegen Änderungskündigungen stützte, dann hätte die naheliegende Rechtsfolge darin bestanden, für vertraglich vorbehaltene Eingriffe in den Kernbereich wie für Änderungskündigungen eine soziale Rechtfertigung zu verlangen. Dass das BAG die umgangene Norm nicht auf den vermeintlichen Umgehungssachverhalt anwendete, ist ein weiteres Indiz für die Entbehrlichkeit des Umgehungsarguments in diesem Zusammenhang. IV.  Gesetzliche Regelung von Änderungsvorbehalten Der Gesetzgeber hat mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz77 zum 01. 01. 2002 die AGB-Kontrolle auch auf Arbeitsverträge erstreckt und damit eine gesetzliche Grundlage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit aller vom Arbeitgeber vorformulierten arbeitsvertraglichen Vereinbarungen geschaffen. Da frei ausgehandelte Widerrufsvorbehalte die Ausnahme sind, ist die Gesetzeslücke damit für die meisten Gestaltungen in der Praxis entfallen.78 Will sich der Arbeitgeber vorbehalten, von ihm selbst zu erbringende Leistungen zu ändern, ist § 308 Nr. 4 BGB anwendbar,79 während andere Änderungsvorbehalte an § 307 Abs. 1 BGB zu messen sind. Damit kann und muss die Unzulässigkeit von Widerrufsvorbehalten in Formulararbeitsverträgen nicht mehr mit einer Umgehung des Schutzes gegen Änderungskündigungen begründet werden, so dass die Anwendbarkeit des KSchG keine Rolle mehr spielt.80 Allerdings prüft das BAG im Rahmen der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB weiterhin, ob die Klausel den Arbeitgeber zu einem Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses ermächtigt. Dann ist ein Widerrufsvorbehalt in jedem Falle unwirksam.81 Dabei fasst das BAG den Kernbereich nunmehr enger und lässt nur noch Abweichungen von 25 % bis maximal 30 % zu.82 Die (äußerst seltenen) frei ausgehandelten Widerrufsvorbehalte sowie die in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen enthaltenen Widerrufsvorbehalte, die nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen,83 prüft das BAG weiterhin nach den oben beschriebenen Grundsätzen.84 77 

BGBl. I v. 29. 11. 2001, S. 3138 (S. 3147). BAG, Urteil v. 27. 07. 2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 44. 79  Feuerborn, S. 543 f. 80  BAG, Urteil v. 11. 10. 2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, 89; v. 12. 01. 2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465, 467; Schimmelpfennig, NZA 2005, 603, 606. 81  BAG, Urteil v. 21. 03. 2012 – 5 AZR 651/10, NZA 2012, 616, 617; v. 12. 01. 2005, a. a. O. 82  BAG, Urteil v. 11. 10. 2006 – 5 AZR 721/05, NZA 2007, 87, 89; v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423; v. 12. 01. 2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465, 467. 83 Däubler/Dorndorf/Dorndorf, § 308 Nr. 4 Rn. 9. 84  BAG, Urteil v. 07. 07. 2011 – 6 AZR 151/10, AP TVöD § 18 Nr. 2; v. 01. 02. 2006 – 5 AZR 187/05, BAGE 117, 44; v. 16. 12. 2004 – 6 AZR 658/03, ZTR 2005, 424; APS/Künzl, § 2 KSchG Rn. 109. 78 

B.  Null-Stunden-Verträge

251

B.  Null-Stunden-Verträge In letzter Zeit diskutiert die Literatur intensiv über sog. „Null-Stunden-Verträge“85 bzw. „Ein-Stunden-Verträge“86, die vor allem in Großbritannien bereits große praktische Bedeutung erlangt haben.87 Dabei handelt es sich um Arbeitsverträge, bei denen keine oder – damit es sich überhaupt um einen Arbeitsvertrag handelt – eine äußerst geringe Mindestdauer der Arbeitszeit (z. B. eine Stunde pro Woche) vereinbart wird mit dem Zusatz, dass der Arbeitgeber eine beliebige Zahl weiterer Arbeitsstunden – häufig bis zur nach dem ArbZG zulässigen Obergrenze – abrufen kann und auch nur die jeweils abgerufene Arbeit bezahlen muss. Im Gegensatz zu bloßen Rahmenvereinbarungen zur Vorbereitung einzelner Arbeitseinsätze88 ist der Arbeitnehmer nach diesen Verträgen verpflichtet, einem Abruf durch den Arbeitgeber Folge zu leisten. Da das Beschäftigungsrisiko vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert wird,89 bewirken Null-Stunden-Verträge mehr noch als Änderungsvorbehalte eine Vereitelung des gesetzlichen Schutzes vor Kündigungen und Änderungskündigungen sowie der Pflicht zur Zahlung von Annahmeverzugslohn. In der Praxis treten derartige Verträge in ganz unterschiedlicher Gestalt auf.90 Das BAG hatte über einen Vertrag zu entscheiden, den es dahingehend auslegte, dass Dauer und Lage der Arbeitszeit nicht festgelegt seien, sondern vollständig im Ermessen des Arbeitgebers stehen sollten.91 Nachdem der Arbeitnehmer in den ersten Monaten länger als die tariflich vorgesehene Vollzeit gearbeitet hatte, wurde er später nur noch in geringerem Umfang, aber stets mehr als zehn Stunden pro Woche herangezogen. Er verlangte Annahmeverzugslohn nach Maßgabe eines Vollzeitarbeitsverhältnisses. Das BAG nahm unter Berufung auf § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG an, dass bei fehlender Mindestdauer eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gelte. Auf eine Inhaltskontrolle der vertraglichen Vereinbarung nach den §§ 305 ff. BGB verzichtete das BAG dabei ohne jede Begründung. Sollte es bei dieser Rechtsprechung bleiben, könnten Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer bis zur Grenze des nach dem ArbZG Erlaubten einsetzen, ohne ihnen eine Beschäftigung von mehr als zehn Stunden pro Woche garantieren zu müssen. Den weit überwiegenden Teil des Beschäftigungsrisikos würde der Arbeitnehmer tragen. 85  Vgl. dazu etwa Bepler, FA 2016, 362; Bieder, RdA 2015, 388; Dzida, ArbRB 2016, 19; Forst, NZA 2014, 998; Preis, RdA 2015, 244; Raif/Nann, GWR 2016, 221, 223. 86  Bepler, FA 2016, 362, 366; Dzida, ArbRB 2016, 19, 21. 87  Bepler, FA 2016, 362, 363; Bieder, RdA 2015, 388; Preis, RdA 2015, 244. 88  Vgl. Gliederungspunkt § 11 B. 89  Sächsisches LAG, Urteil v. 16. 07. 2009 – 5 Sa 407/08, juris. 90  Vgl. die Beispiele bei Bieder, RdA 2015, 388 f. 91  BAG, Urteil v. 24. 09. 2014 – 5 AZR 1024/12, NJW 2014, 3471.

252

3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

In der Literatur stößt dieses Urteil auf deutliche Kritik.92 Es steht nicht nur in Widerspruch zu den Grundsätzen der Kernbereichslehre, sondern auch zu einem früheren Urteil des BAG93, das diese Grundsätze speziell für die Arbeit auf Abruf konkretisiert. Darin stellt das BAG klar, dass eine Vereinbarung von Arbeit auf Abruf der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB standhalten müsse. Entsprechend der Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten dürfen maximal 25 % der vereinbarten Mindestarbeitszeit zusätzlich flexibel abrufbar sein, damit der Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligt wird. Bei Unwirksamkeit der Vertragsklausel gelte die in der Vergangenheit durchschnittlich abgerufene Arbeitszeit als vertraglich vereinbarte Mindestarbeitszeit, die wegen der vertraglich gewollten Flexibilität wiederum um 25 % überschritten werden dürfe.94 Angesichts dieses Widerspruchs und der Kritik aus dem Schrifttum kann man nach einer einzigen Entscheidung des BAG zu Null-Stunden-Verträgen nicht von einer gesicherten Rechtsprechung ausgehen. Nach überwiegender Ansicht im Schrifttum unterliegen Null- oder Ein-Stunden-Verträge als Sonderfall der Arbeit auf Abruf sowohl der Überprüfung nach den §§ 305 ff. BGB als auch den Vorgaben des § 12 TzBfG.95 Zunächst muss die Vertragsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB standhalten. Dazu darf die flexible Arbeitszeitdauer schon nach der Vereinbarung im Arbeitsvertrag nicht mehr als 25 % der vereinbarten Mindestarbeitszeit betragen. Wenn gar keine oder eine extrem kurze Arbeitszeit und eine umfangreiche Abrufbarkeit zusätzlicher Arbeitsstunden vereinbart ist, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt,96 so dass die Arbeitszeitvereinbarung in einem Null- und Ein-Stunden-Vertrag unwirksam ist. Nur selten wird eine Klausel ihrem Wortlaut nach der AGBKontrolle standhalten, z. B. wenn nur eine sehr kurze Arbeitszeit vereinbart ist, ohne dass der Arbeitgeber ausdrücklich zum Abruf weiterer Arbeitsstunden ermächtigt wird. Dann kann ihre Nichtigkeit aber aus § 117 Abs. 1 BGB folgen, wenn die Parteien tatsächlich eine deutlich längere Arbeitszeit praktizieren wollen. 92  Bepler, FA 2016, 362, 366; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 48/2014 Anm. 1; Müller-Wenner, AuR 2015, 413; Preis, RdA 2015, 244, 247. 93  Urteil v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423. 94  BAG, Urteil v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423, 428 f. 95  Bepler, FA 2016, 362, 366 f.; Dzida, ArbRB 2016, 19, 20; Forst, NZA 2014, 998, 1001; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 48/2014 Anm. 1; Preis, RdA 2015, 244; a.A. Bieder, RdA 2015, 388, 394 f., der eine Kontrollfreiheit von Arbeitszeitvereinbarungen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB annimmt. 96  Bei einer Mindestarbeitszeit von einer Stunde pro Woche dürfte der Arbeitgeber nach dem Vertrag höchstens eine Stunde und 15 Minuten abrufen; eine vertragliche Mindestarbeitszeit von null Stunden kann wirksam überhaupt keinen Abruf erlauben, vgl. Dzida, ArbRB 2016, 19, 20.

C.  Befristung einzelner Arbeitsbedingungen

253

Fehlt es bei Null- und Ein-Stunden-Verträgen demnach in aller Regel an einer wirksam vereinbarten Mindestarbeitszeit, gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG zu Vertragsbeginn erst einmal eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden. Der Arbeitgeber darf entsprechend der grundlegenden Entscheidung des BAG97 zur Arbeit auf Abruf dann bis zu 12,5 Stunden pro Woche an Arbeitsleistungen abrufen. Geht er regelmäßig darüber hinaus, ist nach überwiegender Auffassung die im Durchschnitt tatsächlich geleistete Arbeitszeit maßgeblich für den Vertragsinhalt.98 In jedem Falle muss der Arbeitgeber die tägliche Mindestabrufdauer (§ 12 Abs. 1 Satz 4 TzBfG) und die Ankündigungsfrist (§ 12 Abs. 2 TzBfG) einhalten.99

C.  Befristung einzelner Arbeitsbedingungen Wenn der Arbeitgeber schon im Vorfeld einschätzen kann, nach welcher Zeitspanne und auf welche Weise bestimmte Vertragsinhalte geändert werden sollen, bietet sich als Alternative zu Änderungsvorbehalten die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen an. In der Praxis kommt es etwa vor, dass dem Arbeitnehmer eine höherwertige Stelle nur befristet übertragen wird100 oder dass Entgeltbestandteile wie Provisionen oder Zulagen nur befristet gezahlt werden101. Aus Arbeitnehmersicht hat dies den Vorteil, dass die Entwicklung des Vertragsinhalts besser einschätzbar ist, weil diese nicht von einer ungewissen Entscheidung des Arbeitgebers abhängt. Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes kombinierte das BAG für eine solche Befristung einzelner Arbeitsbedingungen zwei seiner Strategien zur Verhinderung von Gesetzesumgehungen – Sachgrunderfordernis und Kernbereichslehre. Eine unzulässige Umgehung setzte nach der Rechtsprechung des BAG voraus, dass (1.) das KSchG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar war, (2.) die Befristung den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betraf und (3.) ein

97 

Urteil v. 07. 12. 2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423, 428 f. Urteil v. 07. 12. 2005, a. a. O.; Sächsisches LAG, Urteil v. 16. 07. 2009 – 5 Sa 407/08, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10. 05. 2007 – 11 Sa 167/07, AE 2008, 25; LAG Köln, Urteil v. 07. 12. 2001 – 11 (6) Sa 827/01, NZA-RR 2002, 415; BeckOK ArbR/ Bayreuther, § 12 TzBfG Rn. 11; ErfK/Preis, § 12 TzBfG Rn. 16; MüArbR/Schüren, § 41 Rn. 15; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 12 TzBfG Rn. 12; Bepler, FA 2016, 362, 366 f.; Hamann/Rudnik, jurisPR-ArbR 48/2014 Anm. 1; Mühlmann, RdA 2006, 356, 359. 99  Bieder, RdA 2015, 388, 399. 100  Z. B. BAG, Urteil v. 26. 03. 1997 – 4 AZR 604/95, ZTR 1997, 413; v. 13. 06. 1986 – 7 AZR 650/84, BAGE 52, 197; v. 05. 09. 1973 – 4 AZR 549/72, AP BAT § 24 Nr. 3. Laut Maschmann, RdA 2005, 212, handelt es sich hierbei vornehmlich um ein Problem des öffentlichen Dienstes und dort v.a. der Anstellung von Lehrern. 101  Z. B. BAG, Urteil v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 297/92, NZA 1994, 476. 98  BAG,

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3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

sachlicher Grund für die Befristung der Vertragsbedingung fehlte.102 Dieser Vorgehensweise lag ebenfalls der Gedanke zugrunde, dass der gesetzliche Schutz vor Änderungskündigungen nur umgangen werde, wenn die Befristung einer Arbeitsbedingung eine Verschiebung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung bewirke.103 Im Gegensatz zum Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt im Arbeitsvertrag, wo ein Eingriff in diesen Kernbereich durchweg unzulässig sei, könne eine Befristung mit entsprechender Wirkung aber durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden. Wie zur Befristung des Arbeitsverhältnisses insgesamt schwieg das Gesetz damals auch zur Befristung einzelner Arbeitsbedingungen. Damit bestand ein ähnlicher Wertungswiderspruch zwischen der Vertragsfreiheit einerseits und dem Inhaltsschutz von Arbeitsverträgen andererseits. Zur Schließung dieser Gesetzeslücke dieselben Grundsätze anzuwenden wie bei Befristungen des gesamten Arbeitsverhältnisses, war nach überwiegender Auffassung in der Literatur folgerichtig.104 Wer bereits die Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge ablehnte, musste freilich auch ihrer Ausdehnung auf weitere Fallgruppen widersprechen.105 Andererseits wurde kritisiert, dass ein Sachgrund nur erforderlich sein sollte, wenn die befristeten Arbeitsbedingungen zum Kernbereich des Arbeitsvertrages zählten.106 In der Literatur wurde es teilweise als widersprüchlich betrachtet, dass das BAG eine Befristung einzelner Arbeitsbedingungen im Kernbereich in vielen Fällen zuließ, während Widerrufs- und Änderungsvorbehalte zugunsten des Arbeitgebers mit entsprechendem Inhalt unzulässig gewesen wären.107 Dem wurde allerdings entgegengehalten, dass der Arbeitnehmer bei einer festen Befristung der Leistung gerade kein schutzwürdiges Vertrauen in die Fortgewährung aufbaute.108 Zudem entspricht diese Unterscheidung den abgestuften Wertungen des Gesetzes, welches bei Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Beendigung durch Befristung erlaubt, nicht aber einen Vorausverzicht des Arbeitnehmers auf den Schutz gegen Beendigungskündigungen. 102  BAG, Urteil v. 14. 01. 2004 – 7 AZR 213/03, AP TzBfG § 14 Nr. 10; v. 15. 04. 1999 – 7 AZR 734/97, NZA 1999, 1115, 1116; v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 297/92, NZA 1994, 476; v. 13. 06. 1986 – 7 AZR 650/84, NZA 1987, 241. 103  BAG, Urteil v. 23. 01. 2002 – 7 AZR 563/00, NZA 2003, 104, 105; v. 09. 08. 2000 – 7 AZR 823/98, juris (Rn. 10); v. 21. 04. 1993 – 7 AZR 297/92, NZA 1994, 476. 104  Düttmann, EWiR 1987, 389; Hanau/Hromadka, NZA 2005, 73, 77; Mayer, AiB 1994, 509; Otto, EzA § 620 BGB Nr. 85; Sievers, NZA 2002, 1182, 1185; Zeiss, SAE 1987, 174 f. 105  Bickel, JuS 1987, 861, 863 f.; Wolf, RdA 1988, 270 ff. 106  Dagegen APS/Künzl, § 2 KSchG Rn. 86; Leuchten, NZA 1994, 721, 727; Maschmann, RdA 2005, 212, 215 f. 107  Leuchten, NZA 1994, 721, 727; Preis/Bender, NZA-RR 2005, 337, 338. 108  Willemsen/Grau, NZA 2005, 1137, 1141.

D.  Ergebnisse

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Mit der Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf Arbeitsverträge wäre ein Rückgriff auf das im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung geschaffene Sachgrunderfordernis für die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen methodisch nicht mehr zulässig und folglich rechtswidrig.109 Deshalb prüft das BAG heute zutreffend die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen nach § 307 BGB und verlangt nicht etwa einen Sachgrund gemäß § 14 TzBfG.110 Nur wenn eine befristete Erhöhung der Arbeitszeit einen so erheblichen Umfang aufweist, dass sie wie ein zusätzlicher befristeter Arbeitsvertrag wirkt, greift das BAG auf die Wertungen des § 14 Abs. 1 TzBfG zurück und bejaht eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB immer dann, wenn kein sachlicher Grund für diese Gestaltung vorliegt.111

D.  Ergebnisse • Das BAG entwickelte die Kernbereichslehre im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, um eine Umgehung des Inhaltsschutzes von Arbeitsverträgen zu verhindern. Die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem lagen auch hier objektiv vor, wurden vom BAG aber nicht ausdrücklich geprüft. • Durch die Ausdehnung der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB auf Formulararbeitsverträge hat der Gesetzgeber die zugrundeliegende Gesetzeslücke größtenteils geschlossen. Die Kernbereichslehre ist damit als Mittel zur Verhinderung von Gesetzesumgehungen durch Änderungsvorbehalte unmittelbar nur noch von praktischer Bedeutung für echte Individualvereinbarungen sowie für Bestimmungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Die ihr zugrundeliegenden Wertungen haben in der Rechtsprechung des BAG aber weiterhin Gültigkeit und werden zur Konkretisierung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. der Zumutbarkeit nach § 308 Nr. 4 BGB herangezogen. • Deshalb war es vom BAG inkonsequent, die Kernbereichslehre in einer Entscheidung zu einem sog. Null-Stunden-Vertrag nicht zu berücksichtigen. Es widerspricht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Bestands- und Inhaltsschutzes sowie der Risikoverteilung, wenn der Arbeitgeber hohe Arbeitszeit109  BAG, Urteil v. 27. 07. 2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 43 f.; Preis/Bender, NZA-RR 2005, 337, 338. 110  BAG, Urteil v. 10. 12. 2014 – 7 AZR 1009/12, NZA 2015, 811; v. 16. 05. 2012 – 10 AZR 252/11, juris (Rn. 21); v. 15. 12. 2011 – 7 AZR 394/10, NZA 2012, 674; v. 02. 09. 2009 – 7 AZR 233/08, BAGE 132/59; grundlegend Urteil v. 27. 07. 2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 43 f.; zur Unanwendbarkeit des § 14 TzBfG bereits Urteil v. 14. 01. 2004 – 7 AZR 213/03, AP TzBfG § 14 Nr. 10. 111  BAG, Urteil v. 15. 12. 2011 – 7 AZR 394/10, NZA 2012, 674.

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3. Teil: § 8  Kernbereichslehre

volumina abrufen kann, aber bei Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nur eine sehr geringe Stundenzahl bezahlen muss. • Sowohl bei der Begründung des Sachgrunderfordernisses als auch bei der Kernbereichslehre verweist das BAG auf die Umgehung mehrerer gesetzlicher Bestimmungen zugleich. Diese Vorgehensweise kann methodisch als Herleitung eines allgemeinen Rechtsprinzips verstanden werden, das zur Grundlage einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung wird. • Die Begründung mit einer Umgehung konkreter Rechtsnormen statt mit einem allgemeinen Rechtsprinzip kann unangemessene Einschränkungen der Rechtsfortbildung nach sich ziehen. Denn eine Gesetzesumgehung setzt eine grundsätzliche Anwendbarkeit der umgangenen Normen voraus und gibt die Richtung der Rechtsfolgen an. Daraus wird ersichtlich, dass das Umgehungsargument nicht nur überflüssig ist, sondern bisweilen sogar zu problematischen Ergebnissen führt. • Trotz inhaltlicher Unterschiede sind Gemeinsamkeiten mit der Fallgruppe des Sachgrunderfordernisses erkennbar: In beiden Konstellationen wird das Mittel des Vertrags genutzt, um Arbeitnehmerschutzvorschriften abzubedingen. Das BAG verfolgt in beiden Fällen das Ziel, diese vertraglichen Vereinbarungen zwar nicht vollständig zu neutralisieren, aber sie einer Inhalts- und Angemessenheitskontrolle zu unterziehen und ihnen bei wesentlichen Verstößen gegen Grundsätze des Arbeitsrechts die Wirksamkeit zu versagen.

A.  Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung

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§ 9  Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen 3. Teil: § 9  Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen

Wenn das Gesetz eine ausdrückliche Regelung für Umgehungsfälle enthält, ist eine Lösung allein durch Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift möglich. Das einzige gesetzliche Umgehungsverbot, das in der Rechtsprechung des BAG größere Bedeutung erlangt hat, ist § 75d Satz 2 HGB zur Umgehung der Entschädigungspflicht bei Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots.

A.  Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung Während im laufenden Arbeitsverhältnis nach §§ 60, 61 HGB bzw. § 241 Abs. 2 BGB ein umfassendes Wettbewerbsverbot gilt,1 muss der Arbeitgeber für die Zeit danach eine Vereinbarung über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot treffen, wenn er Konkurrenz durch den Arbeitnehmer verhindern will.2 Die gesetzlichen Vorgaben dazu finden sich in den §§ 74 ff. HGB. Während das BAG diese für Handlungsgehilfen geltenden Normen früher auf nicht-kaufmännische Arbeitnehmer analog anwendete,3 ist ihre Geltung für sämtliche Arbeitnehmer seit dem Jahre 2003 in § 110 Satz 2 GewO4 ausdrücklich gesetzlich normiert. Da der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags die stärkste Verhandlungsposition hat, kann er die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots am ehesten vor Beginn des Arbeitsverhältnisses durchsetzen. Insbesondere dass die Verbindlichkeit des Wettbewerbsverbots gemäß § 74 Abs. 2 HGB die feste Zusage einer Karenzentschädigung voraussetzt, erschwert dem Arbeitgeber die Abschlussentscheidung und führt zu zahlreichen Umgehungsversuchen. Diesen tritt § 75d HGB entgegen. Nach dieser Norm kann sich der Arbeitgeber nicht auf eine Vereinbarung berufen, die zum Nachteil des Arbeitnehmers von den §§ 74 ff. HGB abweicht oder eine Umgehung der Karenzentschädigungspflicht bezweckt. I.  Rechtsprechung und Literatur Von Beginn an bis heute tauchen in der Rechtsprechung des BAG immer wieder Fälle auf, in denen der Arbeitgeber versucht, seine Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung bei Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zu umgehen. Häufig begründet das BAG eine Umgehung nur mit einem Verstoß gegen Sinn und Zweck der umgangenen Rechtsnorm. In einigen Fällen hat es den Obersatz aber der Leitentscheidung des Großen Senats zur objektiven Geset1  BAG, Urteil v. 20. 09. 2006 – 10 AZR 439/05, NZA 2007, 977, 978; Schaub/Vogelsang, § 54 Rn. 3 f. 2  BAG, Urteil v. 19. 05. 1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200. 3  BAG, Urteil v. 30. 04. 1970 – 3 AZR 134/69, NJW 1971, 74. 4  BGBl. I v. 30. 08. 2002, S. 3412 (S. 3415).

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3. Teil: § 9  Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen

zesumgehung5 nachgebildet und eine objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts aufgrund missbräuchlicher Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten verlangt.6 Das BAG nimmt immer dann eine unzulässige Umgehung i. S. d. § 75d Satz 2 HGB an, wenn eine Vereinbarung dazu geeignet ist, Wettbewerb durch den Arbeitnehmer faktisch zu verhindern, ohne dass darin als Gegenleistung die gesetzlich vorgesehene Entschädigung bereits fest zugesagt wird.7 Die Rechtsfolge einer Umgehung besteht nach § 75d Satz 2 i.V.m. Satz 1 HGB darin, dass sich der Arbeitgeber auf die Vereinbarung des Wettbewerbsverbots „nicht berufen“ kann. Zunächst legte das BAG diese Formulierung so aus, dass der Arbeitnehmer das Wettbewerbsverbot zwar nicht zwingend einhalten müsse, aber auch im Falle seiner Befolgung eine Entschädigung nur erhalte, wenn der Arbeitgeber sich zuvor für die Geltung des Wettbewerbsverbots entschieden hatte.8 Die heutige Rechtsprechung sieht das Wahlrecht dagegen beim Arbeitnehmer: Er kann das unverbindliche Wettbewerbsverbot einhalten und die vertraglich vereinbarte Karenzentschädigung beanspruchen oder er kann in Konkurrenz zum ehemaligen Arbeitgeber treten.9 Dieses Wahlrecht kann auch konkludent ausgeübt werden.10 Im Ergebnis kann der Arbeitnehmer bei einem Umgehungsversuch damit besser gestellt sein, als wenn der Arbeitgeber die §§ 74 ff. HGB eingehalten hätte. 1.  Bedingtes Wettbewerbsverbot Im Zeitverlauf haben sich einige typische Gestaltungen zur Umgehung der Karenzentschädigungspflicht herausgebildet. Am häufigsten hatte das BAG über Vereinbarungen zu befinden, bei denen das Wettbewerbsverbot unter einer aufschiebenden oder auflösenden Potestativbedingung stand. Hängt der Eintritt der Bedingung für die Geltung des Wettbewerbsverbots allein vom Willen des Arbeitgebers ab, dann kommt die Wirkung einem entschädigungslosen Wettbewerbsverbot gleich.11 Bei der Suche nach einer Anschlussbeschäftigung muss der Arbeitnehmer nämlich die Möglichkeit des Verbotseintritts berücksichtigen 5 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, BAGE 10, 65 = NJW 1961, 798. BAG, Urteil v. 27. 06. 1973 – 3 AZR 443/72, AP HGB § 74 Nr. 32; v. 28. 01. 1966 – 3 AZR 374/65, AP HGB § 74 Nr. 18. 7  Winterstein, NJW 1989, 1463, 1465. 8  So noch BAG, Urteil v. 26. 11. 1971 – 3 AZR 127/71, DB 1972, 736; v. 30. 07. 1971 – 3 AZR 12/71, DB 1971, 2165; bereits zweifelnd BAG, Urteil v. 17. 12. 1973 – 3 AZR 283/73, NJW 1974, 767. 9  BAG, Urteil v. 07. 09. 2004 – 9 AZR 612/03, AP § 75 HGB Nr. 11; v. 05. 10. 1982 – 3 AZR 451/80, NJW 1983, 2896; grundlegend Urteil v. 19. 01. 1978 – 3 AZR 573/77, NJW 1978, 1023. 10  BAG, Urteil v. 22. 05. 1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263; BeckOK ArbR/Hagen, § 74 a HGB Rn. 3; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 342. 11  Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 347; Winterstein, NJW 1989, 1463, 1465. 6 

A.  Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung

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und wird deshalb nur solche Stellen in Betracht ziehen, die von der Klausel nicht erfasst sind. Damit hat der Arbeitgeber sein Ziel erreicht und kann auf das Wettbewerbsverbot und damit auf die Zahlung einer Entschädigung verzichten. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG12 und einhelliger Auffassung in der Literatur13 sind solche Vereinbarungen wegen Umgehung der Zusage einer Karenzentschädigung gemäß § 75d Satz 2 HGB i.V.m. § 74 Abs. 2 HGB für den Arbeitnehmer unverbindlich. Zulässig ist es hingegen, die Geltung des Wettbewerbsverbots an eine objektive Bedingung zu knüpfen, wenn der Arbeitgeber daran ein berechtigtes Interesse hat.14 In Betracht kommt etwa eine Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses oder das Erreichen einer bestimmten Hierarchieebene, bevor Wettbewerbsverbot und Entschädigungspflicht wirksam werden. 2.  Vorvertrag Ebenfalls eine unzulässige Umgehung der Entschädigungspflicht sieht das BAG in einem Vorvertrag, der den Arbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung zum späteren Abschluss einer Wettbewerbsvereinbarung verpflichtet.15 Wie bei einem bedingten Wettbewerbsverbot könnte der Arbeitgeber hier abwarten und auf den Vertragsschluss erst dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer eine unerwünschte Konkurrenztätigkeit aufzunehmen beabsichtigt. Grundsätzlich erkennt das BAG jedoch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an, über die Notwendigkeit eines Wettbewerbsverbots erst geraume Zeit nach Abschluss des Arbeitsvertrages zu entscheiden. Deshalb hat es ausdrücklich offengelassen, ob ein zeitlich beschränkter Vorvertrag wirksam ist.16 In der Literatur wird dies überwiegend 12 BAG, Urteil 31.  07. 2002 – 10 AZR 558/01, AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 48; v. 05. 09. 1995 – 9 AZR 718/93, NZA 1996, 700, 701 f.; v. 22. 05. 1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263; v. 13. 05. 1986 – 3 AZR 85/85, NZA 1986, 828, 829; v. 05. 10. 1982 – 3 AZR 451/80, AP § 74 HGB Nr. 42; v. 19. 01. 1978 – 3 AZR 573/77, NJW 1978 1023; v. 10. 08. 1973 – 3 AZR 338/72, AP HGB § 74 Nr. 33; v. 27. 06. 1973 – 3 AZR 443/72, AP HGB § 74 Nr. 32; v. 26. 11. 1971 – 3 AZR 127/71, DB 1972, 736; v. 30. 07. 1971 – 3 AZR 12/71, DB 1971, 2165; v. 30. 04. 1970 – 3 AZR 134/69, NJW 1971, 74; grundlegend BAG, Urteil v. 19. 01. 1956 – 2 AZR 123/54, AP HGB § 75a Nr. 1. 13  BeckOK ArbR/Hagen, § 74 HGB Rn. 13; ErfK/Oetker, § 74 HGB Rn. 12; MAH ArbR/Reinfeld, § 32 Rn. 49 f.; Schaub/Vogelsang, § 55 Rn. 26; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 347; Laskawy, NZA 2012, 1011, 1015; Urban, ArbRAktuell 2012, 241, 242 f.; Bauer/ Diller, Rn. 498. 14  BAG, Urteil v. 28. 06. 2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157, 1159; v. 13. 07. 2005 – 10 AZR 532/04, AP HGB § 74 Nr. 78; v. 27. 04. 1982 – 3 AZR 814/79; MAH ArbR/Reinfeld, § 32 Rn. 52; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 347; Urban, ArbRAktuell 2012, 241, 243; Bauer/Diller, Rn. 515 ff. 15  BAG, Urteil v. 14. 07. 2010 – 10 AZR 291/09, NZA 2011, 413; v. 18. 04. 1969 – 3 AZR 154/68, BB 1969, 1351. 16  BAG, Urteil v. 14. 07. 2010 – 10 AZR 291/09, NZA 2011, 413, 415.

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3. Teil: § 9  Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen

bejaht.17 Bei der Rechtsfolge des Vorvertrags wirkt sich die gesetzliche Regelung des Umgehungsverbots aus: Das BAG hat nicht etwa nur den Vorvertrag für nichtig gehalten, sondern wegen Umgehung gemäß § 75d HGB bereits ein für den Arbeitnehmer unverbindliches Wettbewerbsverbot angenommen.18 Obwohl der Arbeitgeber also seine vermeintlichen Rechte aus dem Vorvertrag nie geltend gemacht hat, kann der Arbeitnehmer daraus einen Entschädigungsanspruch herleiten. 3.  Geheimhaltungs- oder Mandantenschutzklausel Auch in Geheimhaltungs- und Mandantenschutzklauseln hat das BAG eine Umgehung des § 74 Abs. 2 HGB gesehen, wenn sie die Erwerbstätigkeit und die berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers in ähnlichem Maße einschränken wie ein Wettbewerbsverbot. Geheimhaltungsklauseln können grundsätzlich auch dann ohne Zusage einer Entschädigung wirksam sein, wenn sie sich auf die Zeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses erstrecken.19 Dadurch wird die nur punktuell nachwirkende Pflicht zur Verschwiegenheit über Betriebsgeheimnisse konkretisiert und erweitert.20 Bei der Abgrenzung zu einem entschädigungslosen Wettbewerbsverbot stellt das BAG21 wie auch das Schrifttum 22 auf den Umfang der geheimzuhaltenden Informationen sowie auf Art und Weise der geplanten Verwertung ab: Ein reiner Verkauf von Betriebsgeheimnissen durch den ehemaligen Arbeitnehmer kann ohne Zusage einer Entschädigung untersagt werden. Ein Verbot der Nutzung redlich erworbener Kenntnisse im Rahmen eines neuen Arbeitsverhältnisses bedarf zu seiner Wirksamkeit hingegen der gleichzeitigen Zusage einer Karenzentschädigung, sofern die Geheimhaltung die Berufsausübung des Arbeitnehmers spürbar beeinträchtigen würde.23 Mandanten- oder Kundenschutzklauseln sollen verhindern, dass der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses erworbene Kundenkontakte später als Selbständiger oder im Rahmen einer Tätigkeit für einen Konkurrenten nutzt. Allgemeine Mandantenschutzklauseln, die dem Arbeitnehmer die Betreuung von Mandanten seines ehemaligen Arbeitgebers verbieten, sind nur wirksam, wenn sie die Vorgaben der §§ 74 ff. HGB einhalten, also insbesondere die Zusage ei17 Schaub/Vogelsang, § 55 Rn. 29; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 347 f.; Hunold, NZA-RR 2013, 174, 175; Laskawy, NZA 2012, 1011, 1016; Bauer/Diller, Rn. 490 f. 18  BAG, Urteil v. 14. 07. 2010 – 10 AZR 291/09, NZA 2011, 413, 415. 19  BAG, Urteil v. 16. 03. 1982 – 3 AZR 83/79, NJW 1983, 134. 20  BAG, Urteil v. 16. 03. 1982 – 3 AZR 83/79, NJW 1983, 134. 21  BAG, Urteil v. 19. 05. 1998 – 9 AZR 394/97, NZA 1999, 200, 201 f.; 15. 06. 1993 – 9 AZR 558/91, NZA 1994, 502, 506. 22 MüArbR/Reichold, § 48 Rn. 44; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 348; Schwab, AiB 2011, 512, 514; Urban, ArbRAktuell 2012, 241; Bauer/Diller, Rn. 124. 23  BAG, Urteil v. 15. 06. 1993 – 9 AZR 558/91, NZA 1994, 502, 506.

A.  Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung

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ner Karenzentschädigung umfassen.24 Mandantenübernahmeklauseln dagegen erlauben das Abwerben von Mandanten, sehen aber die Abführung eines Anteils des dadurch erzielten Honorars vor. Sie stellen nach Ansicht des BAG jedenfalls dann eine Umgehung i.S.v. § 75d Satz 2 HGB dar, wenn die Konditionen so gestaltet sind, dass sich die Bearbeitung der Mandate wirtschaftlich nicht mehr lohnt.25 Denn auch in diesem Fall wird der ehemalige Mitarbeiter als Konkurrent faktisch ausgeschaltet, so dass es sich im Ergebnis um eine verdeckte Mandantenschutzklausel handelt.26 Das Schrifttum verlangt zum Teil eine weitergehende Einschränkung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil Mandantenübernahmeklauseln den Arbeitnehmer generell unangemessen benachteiligen sollen.27 In einer neueren Entscheidung hat das BAG diese Frage mangels Entscheidungsrelevanz ausdrücklich unbeantwortet gelassen.28 II.  Einordnung in die Methodenlehre Wie oben bereits dargestellt,29 ist die Bedeutung gesetzlicher Umgehungsverbote im Schrifttum umstritten. Der überwiegende Teil der Literatur hält sie nach dem heutigen Stand der zivilrechtlichen Dogmatik für rein deklaratorisch und im Grunde überflüssig.30 Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass durch ein Umgehungsverbot eine von den allgemeinen Regeln abweichende Rechtsfolge festgelegt werden kann.31 Auch § 75d Satz 2 HGB beschränkt sich nicht darauf, eine Umgehung der Pflicht zur Zusage einer Karenzentschädigung nur zu verbieten, sondern statuiert bei Verstößen die Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots für den Arbeitnehmer. Diese Rechtsfolgenanordnung hat das BAG im Zeitverlauf unterschiedlich ausgelegt.32 Zunächst sah es ein Wahlrecht des Arbeitgebers, 24  BAG, Urteil v. 16. 08. 1988 – 3 AZR 664/87, juris; v. 26. 02. 1985 – 3 AZR 162/84, NZA 1985, 809; v. 09. 08. 1974 – 3 AZR 346/73, BB 1974, 1531; v. 16. 07. 1971 – 3 AZR 384/70, AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 25; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1234. 25  BAG, Urteil v. 11. 12. 2013 – 10 AZR 286/13, NZA 2014, 433; v. 07. 08. 2002 – 10 AZR 586/01, NZA 2002, 1282, 1283. 26 MüKoBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 1234. 27 LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 01. 07. 2014 – 1 Sa 392/13, DStRE 2015, 311; Degen, NZA-RR 2013, 349; Hamann/Rudnik, Jura 2016, 341, 349; Meier, NZA 2013, 253, 256 f. 28  BAG, Urteil v. 11. 12. 2013 – 10 AZR 286/13, NZA 2014, 433, 435 f. 29  Vgl. Gliederungspunkt § 2 E. I. 1. a). 30 BeckOK BGB/H. Schmidt, § 306a BGB Rn. 1; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 15; MüKoBGB/Wendehorst, § 312k Rn. 15; Benecke, S. 128; v. Lackum, S. 186; Sieker, S. 39; Westerhoff, S. 201. 31  v. Gamm, WRP 1961, 259, 260; Römer, S. 47. 32  Vgl. Gliederungspunkt § 9 A. I.

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3. Teil: § 9  Auslegung und Anwendung von Umgehungsregelungen

später ein Wahlrecht des Arbeitnehmers über die Geltung des entschädigungspflichtigen Wettbewerbsverbots. Nach den allgemeinen Regeln der Auslegung und Rechtsfortbildung wäre ein Vertrag, der die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen nicht erfüllt, hingegen unwirksam und könnte keine Rechte begründen. Damit hat § 75d Satz 2 HGB einen eigenen Regelungsgehalt und ist nicht nur deklaratorisch. Selbst in Fällen, in denen ein Umgehungsverbot deklaratorisch ist, geht die Lösung über den Gesetzeswortlaut jeder Rechtsfortbildung vor.33 Wenn das Gesetz ein ausdrückliches Umgehungsverbot enthält, können Versuche der Gesetzes­ umgehung allein im Wege der Auslegung und Gesetzesanwendung unterbunden werden. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass die grundsätzliche Akzeptanz der Umgehungsrechtsprechung im Schrifttum bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten höher ist als in Fällen, die im Wege der Rechtsfortbildung gelöst werden. Zudem senkt die Warnfunktion des Umgehungsverbots die Eingriffsschwelle, weil bereits nach dem Gesetzeswortlaut damit zu rechnen ist, dass Umgehungsversuche ohne Erfolg bleiben werden. Das Problem, eine Gesetzes­ umgehung i. S. d. § 75d Satz 2 HGB abzugrenzen von einer zulässigen Nutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, besteht aber auch im Fall eines ausdrücklichen Umgehungsverbots. Die Abgrenzung erfolgt durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Umgehung und durch teleologische Auslegung der jeweils umgangenen Vorschrift. Auch hier dient das Umgehungsargument zur inhaltlichen Überprüfung von Vertragsklauseln auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesetzeszweck. Das Verhandlungsungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages soll auf diese Weise ausgeglichen werden.34 Da Wettbewerbsvereinbarungen in aller Regel vom Arbeitgeber vorformuliert sind, unterliegen sie nunmehr zusätzlich der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB.35 Insbesondere kommt nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Unwirksamkeit wegen Intransparenz in Betracht. Von der Angemessenheitsprüfung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind die Hauptpflichten – Umfang des Wettbewerbsverbots und Höhe der Karenzentschädigung – gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgenommen,36 finden ihre Grenzen aber in den §§ 74 ff. HGB.

33 

Vgl. Gliederungspunkt § 2 E. I. 1. b). § 75d HGB Rn. 1. 35  BAG, Urteil v. 28. 06. 2006 – 10 AZR 407/05, NZA 2006, 1157, 1159; Diller, NZA 2005, 250, 251. 36  LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 03. 08. 2012 – 9 SaGa 6/12, NZA-RR 2013, 15; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 30. 01. 2008 – 10 Sa 60/07, NZA-RR 2008, 508; Schaub/ Vogelsang, § 55 Rn. 52; Diller, NZA 2005, 250, 251; Hunold, NZA-RR 2013, 174, 175; Laskawy, NZA 2012, 1011, 1014; Straube, BB 2013, 117; Bauer/Diller, Rn. 354 ff. 34 ErfK/Oetker,

B.  Ergebnisse

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B.  Ergebnisse • Das BAG nimmt eine Umgehung i. S. d. § 75d Satz 2 HGB immer dann an, wenn der Arbeitnehmer durch eine Vereinbarung faktisch an der Ausübung einer Konkurrenztätigkeit gehindert ist, ohne dass ihm darin zugleich eine Karenzentschädigung fest zugesagt wird. Dies ist insbesondere der Fall bei bedingten Wettbewerbsverboten, zeitlich unbegrenzten Vorverträgen sowie Mandantenschutzklauseln. • Aus der Umgehung folgt ein Wahlrecht des Arbeitnehmers. Entscheidet er sich für die Einhaltung der Wettbewerbsvereinbarung, kann er auch eine nur bedingt zugesagte oder in einem Vorvertrag in Aussicht gestellte Entschädigung beanspruchen. • § 75d Satz 2 HGB ist keineswegs rein deklaratorisch, weil die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge der einseitigen Unverbindlichkeit nicht den üblichen Rechtsfolgen in Umgehungsfällen – Gleichstellung mit der umgangenen Norm oder Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts – entspricht. • Das Umgehungsverbot dient auch hier dazu, arbeitsvertragliche Vereinbarungen zum Schutz des Arbeitnehmers einer Inhaltskontrolle zu unterziehen. • Die höhere Akzeptanz der Umgehungsrechtsprechung spricht dafür, besonders umgehungsanfällige Rechtsnormen um ein ausdrückliches Umgehungsverbot zu ergänzen. • Wenn das Gesetz selbst ein ausdrückliches Umgehungsverbot enthält, lassen sich Umgehungsfälle durch Auslegung und Anwendung des Gesetzes lösen. Der Begriff der Umgehung ist dabei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Konkretisierung durch den Rechtsanwender bedarf.

3. Teil: § 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus

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§ 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus 3. Teil: § 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus

Eine Reihe von Fällen der Gesetzesumgehung löst das BAG, indem es den Umgehungssachverhalt hinsichtlich der Rechtsfolgen mit dem gesetzlich geregelten Fall gleichstellt. Im Folgenden werden einige Beispiele dargestellt.

A.  Umgehung von Kündigungsfristen durch auflösende Bedingung Arbeitsverhältnisse, die durch Zweckerreichung oder auflösende Bedingung enden sollten, bedurften nach der Rechtsprechung des BAG schon vor Inkrafttreten des TzBfG ebenso wie Zeitbefristungen eines sachlichen Grundes.1 Im Vergleich zur Zeitbefristung stellte sich zusätzlich die Frage nach einer Umgehung gesetzlicher (§ 622 BGB) oder tarifvertraglicher Kündigungsfristen. Der Arbeitnehmer kann nämlich das Ende seines Arbeitsverhältnisses unter Umständen nicht rechtzeitig absehen und sich entsprechend nicht – z. B. durch Arbeitssuche oder Arbeitslosmeldung – darauf einstellen. Die gesetzlichen Mindestkündigungsfristen gelten jedoch zwingend und können durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur in sehr engen Grenzen abbedungen werden (§ 622 Abs. 5 BGB). Einige Stimmen in der Literatur haben mit der Umgehung dieser Kündigungsfristen die generelle Unzulässigkeit von auflösend bedingten Arbeitsverträgen begründet.2 Der Siebte Senat des BAG löste die Problematik aber auf andere Weise: Neben einem sachlichen Grund setze die Wirksamkeit einer Zweckbefristung oder auflösenden Bedingung voraus, dass der Zeitpunkt der Beendigung für den Arbeitnehmer frühzeitig erkennbar sei.3 Andernfalls könne die Vereinbarung wegen objektiver Umgehung zwingender Mindestkündigungsfristen unwirksam sein. Der Beendigungszeitpunkt müsse entweder bei Vertragsschluss bekannt sein oder vom Arbeitgeber rechtzeitig angekündigt werden. Sei diese Voraussetzung nicht eingehalten, führe das aber nicht zur Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Denn die Kündigungsfristen verfolgen nicht den Zweck des Bestandsschutzes, sondern sie wollen dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich auf das Ende des Arbeitsverhältnisses einzustellen.4 Vielmehr ende das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf einer entsprechenden Auslauf- oder Ankündigungsfrist. Deren Dauer habe sich an der Mindestkündigungsfrist zu orientieren, die für das konkrete Arbeitsverhältnis gesetzlich oder tarifvertraglich zwingend gilt. Diese Handhabung erfuhr in der Literatur überwiegend Zustimmung.5 1 

Vgl. Gliederungspunkt § 7 B. I. 1. Enderlein, RdA 1988, 90, 93; Hromadka, RdA 1983, 88, 92 ff. 3  BAG, Urteil v. 25. 08. 1999 – 7 AZR 75/98, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 24; v. 12. 06. 1987 – 7 AZR 8/86, NZA 1988, 201; v. 26. 03. 1986 – 7 AZR 599/84, NZA 1987, 238. 4  BAG, Urteil v. 26. 03. 1986 – 7 AZR 599/84, NZA 1987, 238, 240. 2 

B.  Anwesenheitsprämien

265

Der Wortlaut des § 622 BGB sowie der nach § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB erlassenen tarifvertraglichen Fristenregelungen erfasst ausdrücklich nur Kündigungen. Sinn und Zweck dieser Normen ist es, dem Arbeitnehmer genug Zeit einzuräumen, um sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzustellen,6 und dadurch möglichst ohne wirtschaftliche Nachteile seine Arbeitsstelle zu wechseln.7 Deshalb ist eine Übertragung auf andere Beendigungen angezeigt, die für den Arbeitnehmer ebenso unerwartet eintreten können und in dieser Hinsicht einer Kündigung gleichkommen. Eine Anwendung auch auf Beendigungsmitteilungen des Arbeitgebers bei zweckbefristeten oder auflösend bedingten Arbeitsverhältnissen lässt sich methodisch als berechtigte Analogie einordnen. 5

Mittlerweile bestimmen die §§ 15 Abs. 2 und 21 TzBfG, dass ein zweckbefristetes oder auflösend bedingtes Arbeitsverhältnis frühestens zwei Wochen nach schriftlicher Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber endet. Tritt die Zweckerreichung oder die auflösende Bedingung vorher ein, wird das vertraglich vorgesehene Ende durch diese Vorschrift hinausgeschoben.8 Eine analoge Anwendung von Mindestkündigungsfristen ist nicht mehr erforderlich oder zulässig.

B.  Anwesenheitsprämien Einige Arbeitgeber wollen ihre Arbeitnehmer durch finanzielle Anreize dazu motivieren, krankheitsbedingte Fehlzeiten möglichst gering zu halten. Deswegen zahlen sie einen Teil des Arbeitsentgelts in Abhängigkeit von der Anzahl der Krankheitstage. Nach dem Gesetz (§ 616 BGB; § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F., § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 LFZG a.F., § 133c GewO a.F.) war dem Arbeitgeber das im Krankheitszeitraum regelmäßig zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen, so dass hier Kürzungen nicht in Betracht kamen. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob der Gesetzeszweck auch einer anteiligen Kürzung von Sonderzahlungen und Gratifikationen entgegenstand, die nicht laufend gezahlt werden. Das Schrifttum verhielt sich dazu unterschiedlich.9

5  Gaul/Laghzaoui, ZTR 1996, 300, 304; Gaul/Otto, AP BGB § 620 Bedingung Nr. 25; Sowka, BB 1994, 1001, 1009; Wank, EWiR 1987, 35, 36; Stiller, S. 213. 6 APS/Linck, § 622 BGB Rn. 8; Staudinger/Preis, § 622 Rn. 9. 7 ErfK/Müller-Glöge, § 622 BGB Rn. 1; MüKoBGB/Hesse, § 622 Rn. 3. 8  BAG, Urteil v. 12. 08. 2015 – 7 AZR 592/13, AP TzBfG § 15 Nr. 7. 9  Für die Zulässigkeit von Anwesenheitsprämien: Franke, DB 1981, 1669, 1672 ff.; Meisel, SAE 1983, 181, 184; Schwarz, NZA 1996, 571, 575; Wassner, ZIP 1984, 1425; dagegen: Beuthien, AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 9; Blanke/Diederich, AuR 1991, 321, 325 ff.; Delheid/Schreven, RdA 1970, 10 ff.; Fenn/Bepler, RdA 1973, 218, 233 f.; differenzierend: Mayer-Maly, AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 15.

266

3. Teil: § 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus

Das BAG bejahte die Zulässigkeit krankheitsbedingter Kürzungen von Jahressonderzahlungen zunächst in ständiger Rechtsprechung.10 Nach einem Wechsel im Vorsitz11 erklärte der Fünfte Senat ab 1982 jedoch Vereinbarungen für nichtig, die eine Kürzung jährlich auszuzahlender Prämien vorsahen. Andernfalls werden durch die Vertragsklausel „zwingende, dem Schutz des Arbeitnehmers dienende Normen“ umgangen.12 Zweck des Gesetzes sei es, den Arbeitnehmer wirtschaftlich so zu stellen, als sei er nicht erkrankt. Zudem solle verhindert werden, dass der Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf seine Erkrankung arbeitet, um finanzielle Einbußen zu vermeiden. In seinen Entscheidungen übernahm der Fünfte Senat die Definition der Gesetzesumgehung aus der Leitentscheidung des Großen Senats zur Befristung von Arbeitsverhältnissen wörtlich.13 Damit dehnte das BAG die gesetzliche Pflicht zur Lohnfortzahlung auf nach dem Wortlaut nicht fortzuzahlenden Lohn aus, um den von ihm angenommenen Gesetzeszweck vollständig zu verwirklichen. Folgt man dieser Begründung des BAG, dann handelte es sich methodisch um eine Analogie. Diese Rechtsprechung sieht in Anwesenheitsprämien eine typische Gestaltung zur Gesetzesumgehung, weil auf einem vom Gesetz nicht erfassten Weg ein gesetzlich missbilligter und insgesamt verbotener Erfolg erreicht werden soll. Nachdem die Rechtsstreitigkeiten über die von dieser Frage betroffenen Gratifikationen und Sondervergütungen dem Sechsten Senat zugewiesen wurden,14 änderte sich die Rechtsprechung zu Anwesenheitsprämien erneut. Nunmehr erachtete das BAG Vertragsklauseln, nach denen Gratifikationen durch Krankheitszeiten gemindert werden, im Grundsatz wieder für zulässig.15 Allerdings prüfte der Senat im Rahmen einer Billigkeitskontrolle „entsprechend § 315 BGB“, ob durch die Klausel die Interessen beider Vertragsparteien gewahrt werden. Das sei in der Regel der Fall, wenn die Gratifikation nicht um mehr als 1/60 pro Fehltag gekürzt werde. Damit ging das BAG nicht mehr von einer Umgehung im Sinne der Herbeiführung eines verbotenen Erfolges aus, sondern beschränkte sich auf die Inhaltskontrolle einer generell zulässigen Klausel. Interessanterweise wählte 10  BAG, Urteil v. 09. 11. 1972 – 5 AZR 144/72, AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 9; v. 14. 02. 1967 – 1 ABR 7/66, BAGE 19, 236, 244; v. 21. 01. 1963 – 2 AZR 373/62, BAGE 14, 38, 39 ff. 11  Zum 01. 11. 1980 übernahm Dr. Werner Thomas den Senatsvorsitz von Prof. Dr. Marie-Luise Hilger. 12  BAG, Urteil v. 05. 06. 1985 – 5 AZR 459/83, juris (Rn. 24); v. 29. 02. 1984 – 5 AZR 239/82, juris (Rn. 26); v. 18. 05. 1983 – 5 AZR 114/81, juris; v. 08. 12. 1982 – 5 AZR 554/80, juris (Rn. 14 ff.); grundlegend Urteile v. 19. 05. 1982 – 5 AZR 466/80 u.a., BAGE 39, 67. 13  BAG, Urteil v. 08. 12. 1982 – 5 AZR 554/80, juris (Rn. 15); v. 19. 05. 1982 – 5 AZR 1242/79, juris (Rn. 16). 14  Vgl. Gvpl. des BAG 1989, S. 26. 15  BAG, Urteil v. 15. 02. 1990 – 6 AZR 381/88, NZA 1990, 601; bestätigt im Urteil v. 26. 10. 1994 – 10 AZR 482/93, NZA 1995, 266.

C.  Zusammenrechnung von Arbeitsverhältnissen

267

es den Weg über § 315 BGB analog, den einige Stimmen in der Literatur16 schon zur Begründung des Sachgrunderfordernisses bei Befristungen heranziehen wollten. Um die Kosten für Arbeitgeber zu senken17 und eine weitere Rechtsprechungsänderung zu ihren Lasten zu verhindern18, schrieb der Gesetzgeber diese Rechtsprechung durch das Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 in § 4a EFZG fest. Diese Norm ist zwar selbst keine Rechtsgrundlage für eine fehlzeitenbedingte Kürzung von Sonderzahlungen, sie regelt aber die Zulässigkeit solcher Klauseln in Einzelverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen.19

C.  Zusammenrechnung von Arbeitsverhältnissen Einige Rechte des Arbeitnehmers entstehen erst, wenn das Arbeitsverhältnis für einen bestimmten Zeitraum ununterbrochen bestanden hat. So tritt der Kündigungsschutz nach dem KSchG gemäß § 1 Abs. 1 KSchG erst ein, wenn das Arbeitsverhältnis „ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat“. Diese Wartezeit soll den Arbeitsvertragsparteien eine Prüfung ermöglichen, ob sie sich dauerhaft aneinander binden wollen.20 Einen ähnlichen Zweck verfolgt § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX a.F.). Danach bedarf die Kündigung eines Schwerbehinderten nicht der Zustimmung des Integrationsamts, solange das „Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht“ und der Schwerbehinderte der beabsichtigten Kündigung nicht widersprochen hat. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entsteht nach § 3 Abs. 3 EFZG „nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses“. Das gesetzgeberische Ziel des § 3 Abs. 3 EFZG besteht darin, die Kostenbelastung des Arbeitgebers bei Neueinstellungen zu verringern und das Prinzip von Leistung und Gegenleistung zu stärken.21 In all diesen Fällen betont das Gesetz, dass Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses der Begründung von Rechten entgegenstehen. Auch § 622 Abs. 2 BGB verknüpft die vom Arbeitgeber einzuhaltende Kündigungsfrist mit der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Nach § 4 BUrlG schließlich erwirbt der Arbeitnehmer erstmalig nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses den vollen Urlaubsanspruch.

16  Heinze, DB 1986, 2327 f.; Säcker, RdA 1976, 91, 96; Söllner, SAE 1966, 255 f.; f. Böhm, S. 81 ff. 17  BT-Drs. 13/4612, S. 2 und 11. 18  Heiden, RdA 2012, 225, 232. 19 ErfK/Reinhard, § 4a EFZG Rn. 2; Heiden, RdA 2012, 225, 232. 20  BAG, Urteil v. 20. 02. 2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 1083, 1085; v. 20. 06. 2013 – 2 AZR 790/11, juris (Rn. 12); v. 24. 11. 2005 – 2 AZR 614/04, NZA 2006, 366, 367. 21  BT-Drs. 13/4612, S. 2 und S. 11.

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3. Teil: § 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus

Diese Regelungstechnik des Gesetzgebers könnte dem Arbeitgeber eine Umgehung der genannten Schutzvorschriften durch gezielte Herbeiführung von Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses ermöglichen.22 Das BAG verhindert dies, indem es einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes nicht in jedem Fall eine rechtliche Bedeutung beimisst. Bestehe zwischen zwei Arbeitsverhältnissen derselben Parteien ein enger sachlicher Zusammenhang, dann führe eine kurzzeitige Unterbrechung nicht zum Neubeginn der jeweiligen Wartezeit.23 Ein Zeitraum von mehr als drei Wochen zwischen den Arbeitsverhältnissen schließe es im Allgemeinen aus, von einer sachlich nicht ins Gewicht fallenden Unterbrechung zu sprechen.24 Die Dauer der Unterbrechung sei aber nicht allein maßgeblich; auch Veranlasser und Anlass der Unterbrechung sowie Veränderungen bei der Weiterbeschäftigung seien zu berücksichtigen.25 So nahm das BAG noch einen engen sachlichen Zusammenhang bei zwei inhaltlich fast identischen Arbeitsverhältnissen einer Lehrerin an, zwischen denen eine sechswöchige Unterbrechung während der Sommerferien lag, weil sie in diesem Zeitraum ohnehin nicht hätte beschäftigt werden können.26 Für Wartezeiten nach § 622 Abs. 2 BGB und § 4 BUrlG, die nicht ausdrücklich einen ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhältnisses verlangen, gelten diese Grundsätze ebenfalls.27 Das BAG dehnt den Anwendungsbereich der genannten Rechtnormen aus, indem es bestimmte unterbrochene Arbeitsverhältnisse den nach dem Gesetzeswortlaut geforderten ununterbrochenen gleichstellt. Begründet wird dies jeweils mit dem Zweck des Gesetzes, der einen Neubeginn der Wartezeit nicht erfordere. Methodisch kann man darin eine analoge Anwendung der Rechtsnormen 22 

BAG, Urteil v. 20. 02. 2014 – 2 AZR 859/11, NZA 2014, 1083. Zu § 3 Abs. 3 EFZG: BAG, Urteil v. 22. 08. 2001 – 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610, 612; zu § 1 Abs. 1 KSchG: BAG, Urteil v. 22. 09. 2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429, 430; Urteile v. 20. 08. 1998 – 2 AZR 76/98 und 2 AZR 83/98, NZA 1999, 481 und 314; v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris; v. 10. 05. 1989 – 7 AZR 450/88, BAGE 62, 48; v. 18. 01. 1979 – 2 AZR 254/77, DB 1979, 1754; v. 06. 12. 1976 – 2 AZR 470/75, BAGE 28, 252; v. 23. 09. 1976 – 309/75, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 1; zu § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX: BAG, Urteil v. 19. 06. 2007 – 2 AZR 94/06, NZA 2007, 1103. 24  BAG, Urteil v. 22. 09. 2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429, 430; v. 09. 08. 2000 – 7 AZR 339/99, juris (Rn. 16); v. 18. 01. 1979 – 2 AZR 254/77, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 3. 25  BAG, Urteil v. 04. 04. 1990 – 7 AZR 310/89, juris (Rn. 25); v. 06. 12. 1976 – 2 AZR 470/75, BAGE 28, 252. 26  BAG, Urteil v. 20. 08. 1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481. 27 BAG, Urteil v. 20. 10. 2015 – 9 AZR 224/14, NZA 2016, 159; v. 18. 09. 2003 – 2 AZR 330/02, NZA 2004, 319, 320; APS/Linck, § 622 BGB Rn. 36; APS/Vossen, § 1 KSchG Rn. 37; BeckOK ArbR/Lampe, § 4 BUrlG Rn. 3; ErfK/Gallner, § 4 BUrlG Rn. 5; KR/ Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn. 108; MüKoBGB/Hesse, § 622 Rn. 27; Schaub/Linck, § 126 Rn. 10. 23 

D.  Umgehung von § 84 AktG

269

auf vom Wortlaut an sich nicht erfasste Sachverhalte sehen. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, schränkt das BAG die Tatbestandsvoraussetzung einer ununterbrochenen Wartezeit ein, indem es bestimmte Unterbrechungen nicht als solche im Sinne des Gesetzes ansieht. Daher könnte man auch von einer teleologischen Reduktion des Wartezeiterfordernisses sprechen. Dieses Beispiel kann als Beleg für die oben aufgestellte These28 angesehen werden, dass Analogie und teleologische Reduktion in einem spiegelbildlichen Verhältnis zueinander stehen. Denn beide stellen auf den Zweck der Norm ab, deren Umgehung geprüft wird.

D.  Umgehung von § 84 AktG Im Wege der Analogie löste das BAG auch einen Fall der versuchten Umgehung des § 84 Abs. 1 AktG.29 Nach dieser Norm kann ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft jeweils höchstens für fünf Jahre bestellt werden. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG kann auch der Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds maximal für die Dauer der Bestellung geschlossen werden.30 Im entschiedenen Sachverhalt ging es um eine vertragliche Vereinbarung, nach der das Anstellungsverhältnis bei Beendigung der Organstellung ohne inhaltliche Veränderung als Arbeitsverhältnis weitergeführt werden sollte. Das BAG prüfte anhand der Definition aus der Leitentscheidung des Großen Senats31, ob darin eine Gesetzesumgehung liegt. Dabei stellte es auf den Sinn und Zweck der Norm ab. § 84 Abs. 1 AktG solle vermeiden, dass aufgrund vertraglicher Regelungen wirtschaftliche Zwänge geschaffen werden, die den Aufsichtsrat faktisch daran hindern, nach Ablauf von fünf Jahren frei über eine erneute Bestellung eines Vorstandsmitglieds zu entscheiden. Das schließe ein Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Vorstandstätigkeit zwar nicht per se aus, doch müsse die Vereinbarung dann eine konkrete Tätigkeit als Arbeitnehmer und eine ihr angemessene Vergütung vorsehen. Wenn die Parteien den Vorstandsdienstvertrag aber ohne inhaltliche Veränderung in ein Arbeitsverhältnis umwandeln wollen, handele es sich um eine Gesetzesumgehung.32 Es liege zwar nicht der vom Gesetzeswortlaut geregelte, aber ein nach dem Zweck des Gesetzes einschlägiger Fall vor. Aus denselben Erwägungen entschied der BGH bereits im Jahre 1953, dass die Vereinbarung eines Übergangs- bzw. Ruhegeldes in Höhe der vollen Aktivbezüge

28 

Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. 2. b). BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205. 30 KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 84 Rn. 53; MAH ArbR/Moll/Eckhoff, § 81 Rn. 27. 31  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, vgl. dazu § 5 A. 32  BAG, Urteil v. 26. 08. 2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205, 1207. 29 

270

3. Teil: § 10  Anwendung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus

eines Vorstandsmitglieds wegen Umgehung des entsprechenden § 75 AktG a.F. unzulässig sei.33 Die Rechtsfolge ermittelte das BAG durch eine Gleichstellung mit der umgangenen Norm: Da es sich bei § 84 Abs. 1 AktG um ein Verbotsgesetz handele, sei die Vertragsklausel bei entsprechender Anwendung dieser Norm gemäß § 134 BGB nichtig. Denn ein verbotener Erfolg solle durch eine Gestaltung herbeigeführt werden, die nur scheinbar nicht von der Verbotsnorm erfasst werde. In der Literatur ist die Entscheidung des BAG sowohl auf Zustimmung34 als auch auf Ablehnung35 gestoßen.

E.  Ergebnisse • Auch im Arbeitsrecht existieren Fälle der Gesetzesumgehung im „klassischen“ Sinne. Diese setzen eine konkrete umgangene Rechtsnorm voraus. Beispiele dafür sind: ◦ Umgehung von § 622 BGB durch auflösende Bedingungen ◦ Umgehung von § 1 und 2 LFZG durch Anwesenheitsprämien ◦ Umgehung von § 1 Abs. 1 KSchG durch kurze Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses ◦ Umgehung von § 84 Abs. 1 AktG durch Weiterführung des Anstellungsvertrages als Arbeitsvertrag. • Wenn das BAG in einer Gestaltung einen Verstoß gegen den Zweck, aber nicht gegen den Wortlaut einer Vorschrift sieht, reagiert es darauf im Einklang mit der Methodenlehre mit einer analogen Anwendung der umgangenen Norm. Je nach Blickwinkel kann man ebenso von einer teleologischen Restriktion einer Anwendungsvoraussetzung sprechen.

33 

BGH, Urteil v. 28. 01. 1953 – II ZR 265/51, NJW 1953, 740. § 84 Rn. 15; Diller, AP AktG § 84 Nr. 2. 35  Pomberg, EWiR 2010, 73 f. 34 Schmidt/Lutter/Seibt,

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

271

§ 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch 3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

In neuerer Zeit ist das BAG dazu übergegangen, einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in Umgehungsfällen nur dann anzunehmen, wenn zugleich ein Fall des institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchs vorliegt. Häufig wird diese Vorgehensweise in europarechtlich geprägten Konstellationen gewählt, so dass Greiner in der Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs eine „universell nutzbare Geheimwaffe zur richterrechtlichen Entfaltung verfassungsund unionsrechtlicher Einflüsse“1 sieht. Im Folgenden wird untersucht, ob die Lösungswege des BAG im Einklang mit der zivilrechtlichen Methodik stehen.

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG Nachdem die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse gesetzlich geregelt wurde, hat die Umgehungsrechtsprechung des BAG viel an praktischer Bedeutung verloren. Doch es gibt Konstellationen, in denen Arbeitgeber die Ungereimtheiten des Gesetzeswortlauts nutzen können, um durch Befristungen Kündigungsschutz über das berechtigte Maß hinaus auszuschließen. Im Bereich der Sachgrundbefristung stellt sich vor allem das altbekannte Problem der Kettenverträge, und zwar fast ausschließlich im öffentlichen Dienst2 und dort fast nur bei Arbeitsverhältnissen von Frauen3. Einige Sachgründe des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG können bei demselben Arbeitgeber über längere Zeit oder sogar ständig vorliegen. Beispiele dafür sind ein ständiger Vertretungsbedarf in größeren Behörden oder Unternehmen (Nr. 3)4, aufeinanderfolgende oder mehrfach verlängerte Projekte (Nr. 1)5 oder eine Vergütung aus Haushaltsmitteln für befristete Beschäftigung (Nr. 7)6. Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmer nach dem Wortlaut des Gesetzes dann befristet beschäftigen, auch wenn nach dem Gesetzeszweck längst eine unbefristete Beschäftigung angezeigt wäre und ein Bedarf an der Arbeitsleistung aller Voraussicht nach dauerhaft besteht. In diesen Fällen droht auch unter Geltung des TzBfG eine Umgehung des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen.

1 

Greiner, ZESAR 2014, 357, 362. Bauer/v. Medem, SAE 2012, 25, 30; Bayreuther, NZA 2013, 23, 26; W. Böhm, DB 2013, 516, 518; Brose, NZA 2009, 706; vgl. auch Willemsen, RdA 2012, 291, 292. 3  Brose, NZA 2009, 706, 708; Preis/Greiner, RdA 2010, 148 f. 4  BAG, Urteil v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 41/15, NZA 2017, 307; v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351. 5  BAG, Urteil v. 24. 09. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301. 6  BAG, Urteil v. 13. 02. 2013 – 7 AZR 225/11, NZA 2013, 777. 2 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

I.  Rechtsprechung 1.  Problemstellung in der Rechtssache „Kücük“ Grundlegend für die heutige Rechtsprechung des BAG zur Missbrauchsprüfung bei Kettenbefristungen war der Fall „Kücük“7. Die Klägerin Bianca Kücük wurde nach ihrer Ausbildung als Justizangestellte beim Land NRW elfeinhalb Jahre lang aufgrund von 13 befristeten Arbeitsverträgen auf demselben Arbeitsplatz am Amtsgericht Köln eingesetzt. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Vertretung lagen vor. Dann wurde ihr Arbeitsverhältnis nicht mehr verlängert und sie griff die letzte Befristung gerichtlich an. Der Siebte Senat legte dem EuGH die Frage vor, ob es mit der RL 1999/70/EG und der Rahmenvereinbarung der Sozialpartner über befristete Arbeitsverträge vereinbar sei, dass eine nationale Rechtsvorschrift eine wiederholte Vertretungsbefristung auch dann erlaubt, wenn durch die Beschäftigung des Arbeitnehmers ein ständiger Vertretungsbedarf gedeckt wird und der Arbeitnehmer folglich auch unbefristet als sogenannter Springer für Vertretungsfälle beschäftigt werden könnte. In der Literatur war die großzügige Rechtsprechung des BAG nach der Entscheidung des EuGH in Sachen „Angelidaki“8 nämlich als europarechtswidrig bezeichnet worden.9 Vor Erlass des TzBfG hatte auch das BAG nicht die Vertretung als solche als sachlichen Grund anerkannt, sondern einen bloß vorübergehenden, zeitlich durch die Rückkehr des Vertretenen begrenzten Bedarf an zusätzlicher Arbeitsleistung verlangt.10 2.  Rechtsprechung des EuGH Europarechtlich werden Kettenbefristungen in § 5 der Rahmenvereinbarung der Sozialpartner zur RL 1999/70/EG geregelt. § 5 der Rahmenvereinbarung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, den Missbrauch aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse zu vermeiden. Die Regelung schlägt dazu drei Maßnahmen vor, (1) die Vorgabe rechtfertigender Sachgründe, (2) die Beschränkung der Gesamtdauer des wiederholt befristeten Arbeitsverhältnisses oder (3) die Beschränkung der zulässigen Anzahl von Vertragsverlängerungen. Der EuGH entschied, dass eine Beschäftigung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers grundsätzlich einen Sachgrund darstellen könne.11 Aus ei7 BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351; v. 17. 11. 2010 – 7 AZR 433/09 (A), NZA 2011, 34. 8 EuGH, Urteil v. 23. 04. 2009 – C-378/07 bis 380/07 (Angelidaki), AP RL 99/70/EG Nr. 6. 9  Brose, NZA 2009, 706, 709 f.; Preis/Greiner, RdA 2010, 148. 10  BAG, Urteil v. 24. 09. 1997 – 7 AZR 669/96, NZA 1998, 419; v. 26. 06. 1996 – 7 AZR 674/95, NZA 1997, 200.

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

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nem ständigen Vertretungsbedarf und der Möglichkeit seiner Deckung durch unbefristete Beschäftigung folge weder, dass kein sachlicher Grund für die Befristung vorliege, noch dass es sich um einen Missbrauch aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge handele. § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge diene jedoch dazu, eine Prekarisierung der Lage der Beschäftigten zu verhindern. Nationale Gerichte müssen konkret prüfen, ob die Verlängerung zur Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient oder ob die Befristungsmöglichkeit nicht in Wirklichkeit eingesetzt wird, um einen dauerhaften Arbeitskräftebedarf zu decken. Sie müssen objektive und transparente Kriterien für die Prüfung herausarbeiten, ob die Vertragsverlängerung einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Bei der Entscheidung, ob sachliche Gründe vorliegen, die die Verlängerung rechtfertigen, sei auch die Zahl und Gesamtdauer der aufeinanderfolgenden Arbeitsverträge zu berücksichtigen.12 Die Deckung eines ständigen Bedarfs durch befristete Arbeitsverhältnisse sei nicht i.S.v. § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge i.V.m. RL 1999/70/EG gerechtfertigt.13 11

In einem späteren Urteil zur Rechtssache „Samohano“ hob der EuGH den letztgenannten Aspekt noch einmal besonders hervor und verpflichtete die nationalen Gerichte zu prüfen, ob der aus sachlichen Gründen befristete Arbeitsvertrag tatsächlich zur Deckung eines zeitweiligen und nicht in Wirklichkeit eines dauerhaften Bedarfs dient.14 In einer neueren Entscheidung sah der EuGH einen Verstoß gegen § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung darin, dass eine Verwaltung nach nationalem Recht dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreifen darf, weil es zu wenig Planstellen zur Deckung des Bedarfs an Arbeitsleistung gibt oder diese nur befristet besetzt werden.15 In beiden Entscheidungen sieht die deutsche Literatur eine Verschärfung der Zulässigkeitsanforderungen an Kettenbefristungen gegenüber der Entscheidung in der Rechtssache „Kücük“.16

11 

EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135. EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 138 (Rn. 41). 13  So zuvor bereits EuGH, Urteil v. 23. 04. 2009 – C-378/07 bis 380/07 (Angelidaki), AP RL 99/70/EG Nr. 6. 14  EuGH, Urteil v. 13. 03. 2014 – C-190/13 (Samohano), NZA 2014, 475; ebenso EuGH, Urteil v. 21. 09. 2016 – C-614/15 (Popescu), NZA 2016, 1323. 15  EuGH, Urteil v. 14. 09. 2016 – C-16/15 (Pérez López), NZA 2016, 1265; ähnl. bereits Urteil v. 26. 11. 2014 – C-22/13 u.a. (Mascolo), NZA 2015, 153. 16  Gooren, NZA 2016, 1270, 1271; Hund/Weiss, DB 2016, 2729, 2730; Klenter, jurisPR-ArbR 21/2014 Anm. 5; Reinert, AuR 2017, 93. 12 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

3.  Entwicklung der BAG-Rechtsprechung Das BAG setzt die Vorgaben des EuGH um, indem es nunmehr eine zweistufige Prüfung vornimmt.17 Zunächst wird festgestellt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Sachgrundes vorliegen. Dabei hält das BAG uneingeschränkt an seinen früheren, großzügigen Kriterien fest. Insbesondere die Konzepte der mittelbaren Vertretung, der Organisationsvertretung, der Zuordnungsvertretung und der Gesamtvertretung18 bieten dem Arbeitgeber weite Spielräume. Auch nach wiederholter Befristung lehnt das BAG es ausdrücklich ab, seine Anforderungen an das Vorliegen eines Sachgrundes zu verschärfen.19 Entsprechend einem Vorschlag aus der Literatur20 wird anschließend in einem neu hinzugefügten zweiten Schritt nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs geprüft, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift. Den institutionellen Rechtsmissbrauch definiert das BAG entsprechend der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik und verlangt demnach weder eine Umgehungsabsicht noch andere subjektive Elemente.21 An einen institutionellen Rechtsmissbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen.22 Zwar dürfe die Kettenbefristung nicht zur dauerhaften Umgehung des auch durch das TzBfG gewährleisteten Bestandsschutzes führen. Andererseits müsse die Schwelle zum Missbrauch deutlich über derjenigen für die Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 2 TzBfG liegen. Besondere Bedeutung bei der Abwägung komme der Gesamtdauer und der Anzahl der mit demselben Arbeitnehmer zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen Arbeitsverträge zu. Längere zeitliche Unterbrechungen können ebenso gegen die Annahme aufeinanderfolgender Arbeitsverträge i. S. d. Richtlinie sprechen wie der Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz nach erneuter Befristung. Zu berücksichtigen sei außerdem, ob die Dauer der einzelnen Befristungen hinter dem zu erwartenden zeitlichen Bedarf zurückbleibt oder sich damit deckt. Auch branchenspezifische Besonderheiten sowie Grundrechte des Arbeitgebers wie die Presse- oder Forschungsfreiheit können eine Rolle spielen. 17 St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382; v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354; v. 10. 02. 2015 – 7 AZR 113/13, NZA 2015, 617, 620; v. 24. 09. 2014 – 7 AZR 987/12, NZA 2015, 301; v. 19. 02. 2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408; v. 10. 07. 2013 – 7 AZR 761/11, NZA 2014, 26; grundlegend Urteile v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09 und 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1351 bzw. NZA 2012, 1359. 18  Vgl. dazu etwa Eisemann, NZA 2009, 1113 ff.; Persch, BB 2013, 629, 630 ff. 19  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351; v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1359. 20  Brose, NZA 2009, 706, 710 f. 21  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351, 1357. 22  BAG, Urteil v. 10. 07. 2013 – 7 AZR 833/11, NZA 2013, 1292, 1295.

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

275

Die vom EuGH geforderte Einzelfallbetrachtung führe zwar zu einer gewissen Rechtsunsicherheit, ließ nach der zunächst vom BAG vertretenen Ansicht die Bezeichnung einer starren Grenze zum Missbrauch aber nicht zu. Um die geforderte Transparenz herzustellen, entwickelte das BAG eine als „Rechtsmissbrauchsampel“ bezeichnete Abstufung, die vor allem Auswirkungen auf die Darlegungsund Beweislast hat.23 Zur Bestimmung der Ampelphasen knüpft das BAG an die gesetzlichen Wertungen des § 14 Abs. 2 TzBfG an.24 Die Vorschrift definiere mit einer Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerung den unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Erst wenn diese Grenzen um ein Mehrfaches überschritten seien, bestehe bei Vorliegen eines Sachgrundes Anlass für eine Missbrauchsprüfung. Der Arbeitnehmer müsse dann Umstände vortragen, die für einen Missbrauch sprechen. Bei vier Arbeitsverträgen mit einer Gesamtdauer von weniger als acht Jahren sei dieser „gelbe“ Bereich noch nicht erreicht.25 Bei einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von 13 Jahren sah sich das BAG zwar zu einer Missbrauchskontrolle veranlasst, verlangte aber vom Arbeitnehmer den Vortrag weiterer, für einen Missbrauch sprechender Umstände.26 Liege eine alternative oder vor allem – wie im Fall „Kücük“ – eine kumulative Überschreitung in besonders gravierendem Ausmaß vor, sei ein Missbrauch indiziert.27 In diesem „roten“ Bereich obliege es dem Arbeitgeber, diese Annahme durch Vortrag besonderer Umstände zu entkräften. Dies gelang bei einer Gesamtdauer von fast neun Jahren mit 18 Vertragsverlängerungen beispielsweise durch Berufung auf branchenspezifische Besonderheiten des Schulbetriebs.28 Die Instanzgerichte setzten diese Vorgaben in der Folgezeit unterschiedlich um, so dass der Ausgang eines Befristungsrechtsstreits kaum zu prognostizieren war.29 In der Literatur wurde gegen die Rechtsprechung des BAG eingewandt, das Kriterium des institutionellen Rechtsmissbrauchs führe zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit.30 Teilweise wurden deshalb feste Höchstgrenzen für Anzahl 23  Vgl. dazu Kiel, JbArbR 2013, 25, 45 ff., der als Mitglied des 7. Senats an den Entscheidungen des BAG mitgewirkt hat; ders., NZA-Beil. 2016, 72, 83 f.; vom Stein, NJW 2015, 369, 371 ff. 24  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351; v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1359. 25  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 783/10, NZA 2012, 1359. 26  BAG, Urteil v. 19. 02. 2014 – 7 AZR 260/12, NZA-RR 2014, 408, 412. 27  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 433/09, NZA 2012, 1351, 1358. 28  BAG, Urteil v. 07. 10. 2015 – 7 AZR 944/13, NZA 2016, 354, 357 f. 29  Vgl. die Aufstellungen bei Baumgarten, BB 2016, 885, 888 ff.; Bonanni/Schmidt, ArbRB 2013, 216, 218; Klenter, PR 2014, 193, 197 ff. 30 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61n; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 61; Adam, AuR 2013, 394, 396; Bonanni/Schmidt, ArbRB 2013, 216; 218; P. Bruns, NZA 2013, 769, 771 f.; Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347; vom Stein, NJW 2015, 369, 374; a.A. W. Böhm,

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

und/oder Gesamtdauer von Kettenbefristungen gefordert.31 Entgegen seiner ursprünglichen Weigerung32 hat der Siebte Senat unter seiner neuen Vorsitzenden Gräfl33 die Grenzwerte der „Rechtsmissbrauchsampel“ mittlerweile sehr genau konkretisiert.34 Eine umfassende Missbrauchskontrolle sei geboten (gelber Bereich) bei einer Gesamtdauer von über acht Jahren, bei mehr als zwölf Verlängerungen oder, wenn kumulativ mindestens sechs Jahre und neun Vertragsverlängerungen erreicht werden. Indiziert sei ein Rechtsmissbrauch (roter Bereich) bei einer Gesamtdauer von mehr als zehn Jahren oder bei mehr als 15 Verlängerungen sowie bei mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von mehr als acht Jahren. Ausnahmen sollen weiterhin möglich sein, z. B. aufgrund besonderer Gegebenheiten einer Branche oder grundrechtlich garantierter Freiheiten.35 II.  Aufnahme in der Literatur Bei seiner Bewertung dieser BAG-Rechtsprechung ist das Schrifttum gespalten. Ein Teil stimmt dem BAG darin zu, dass ein Missbrauch i.S.v. § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung im deutschen Recht durch die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs festgestellt werden könne.36 Von anderen Autoren erfährt diese Vorgehensweise deutlichen Widerspruch. Methodisch wird bemängelt, dass die Missbrauchsprüfung außerhalb der Sachgrundprüfung angesiedelt sei und in Missbrauchsfällen nicht bereits das Vorliegen eines sachlichen Grundes verneint werde.37 „Sachlich begründet“ sei gleichzusetzen mit „rechtlich legitimiert“38. DB 2013, 516, 519, der meint, die Rechtsprechung zur Kettenbefristung führe zu einer Planungssicherheit, wie sie im Arbeitsrecht nur selten vorkomme. 31  Bayreuther, NZA 2013, 23, 25; Bonanni/Schmidt, ArbRB 2013, 216, 218; Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347; O. Müller, NZA-RR 2015, 72; Persch, BB 2013, 629, 633; dagegen Bauer/v. Medem, SAE 2012, 25, 29; Klenter, PR 2014, 193, 196. 32  So noch Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 83: „Die Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls schließt […] leicht nachprüfbare starre Grenzen aus. 33  Ab dem 01. 10. 2014 übernahm Edith Gräfl den Vorsitz von Wolfgang Linsenmaier. 34  BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382. 35  Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 84. 36 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61k; MüKoBGB/Schubert, § 242 BGB Rn. 274; Bauer, ArbRAktuell 2012, 373; Bayreuther, NZA 2013, 23, 24; W. Böhm, DB 2013, 516; Joussen, RdA 2015, 305, 315; Persch, BB 2013, 629, 632 f.; vom Stein, NJW 2015, 369, 371; vorher bereits ähnl. Bauer/v. Medem, SAE 2012, 25, 29 f.; Brose/Sagan, NZA 2012, 308, 310; Gooren, ZESAR 2012, 225, 230; Schmitt, ZESAR 2012, 369, 375. 37 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 36a; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 21; Bayreuther, NZA 2013, 23, 24 f.; Brose, NZA 2009, 706, 710; Busemann, MDR 2015, 314, 316; Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; ders., ZESAR 2014, 357, 362; Schlachter, in: FS Wank, S. 504; Sieker, in: FS Kohte, S. 352; Dommermuth-Alhäuser, S. 234 f.; Loth, S. 254 ff. 38  Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; allg. ebenso Feuerborn, S. 94.

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

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Auch nach europäischem Recht sei die Befristung entweder sachlich gerechtfertigt oder missbräuchlich.39 Rechtsdogmatisch überzeuge der Ansatz nicht, dass erlaubte Praktiken durch mehrfache Wiederholung rechtswidrig würden.40 Es sei widersprüchlich, wenn das BAG den Sachgrund der Vertretung auch bei ständigem Vertretungsbedarf anerkenne, die langjährige Nutzung dieser Möglichkeit dann aber mit dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs belege.41 Das BAG solle stattdessen zu seiner früheren Rechtsprechung zurückkehren und mit steigender Gesamtdauer höhere Anforderungen an die Prognose zum Vorliegen eines sachlichen Grundes stellen.42 Gegen den institutionellen Rechtsmissbrauch selbst als Rechtsfigur richtet sich die Kritik, wenn es heißt, dieser sei konturlos und erlaube die Berücksichtigung willkürlich ausgewählter Indizien bei einer bloßen Billigkeitskorrektur.43 Stattdessen solle sich das BAG zur Begründung der abgestuften Prüfung auf seine Befugnis zur Rechtsfortbildung berufen.44 Der Einwand des institutionellen Rechtsmissbrauchs eigne sich nur für Ausnahmefälle und nicht für grundsätzliche Beschränkungen.45 Nach teilweiser Auffassung sind die Anforderungen an einen institutionellen Rechtsmissbrauch der Befristung zu streng, als dass auf diesem Wege eine sachgerechte und europarechtskonforme Lösung herbeigeführt würde.46 Einige Autoren sehen die Grenze zum Missbrauch schon bei deutlich kürzerer Gesamtdauer überschritten.47 Im Schrifttum wird bezweifelt, dass die Missbrauchskontrolle des BAG den Anforderungen des EuGH genügt, solange der Arbeitnehmer die Beweislast für einen von ihm behaupteten Missbrauch trage.48 Deshalb solle die Beweislast im Rahmen der Missbrauchsprüfung dem 39 MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 21; Bayreuther, NZA 2013, 23, 24 f.; Busemann, MDR 2015, 314, 317; Greiner, ZESAR 2014, 357, 362. 40  Adam, AuR 2013, 394, 396. 41  Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347. 42 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 9a; MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 35; Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 121; Persch, BB 2013, 629 f.; Preis/Greiner, RdA 2010, 148 ff.; Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 17, 25 ff.; Wendeling-Schröder, AuR 2012, 92, 96; Willemsen, RdA 2012, 291, 293; a.A. Brose/Sagan, NZA 2012, 308, 309 f.; Sievers, RdA 2004, 291, 294 f.; abl. Kiel, JbArbR 2013, 25, 41. 43  P. Bruns, NZA 2013, 769, 771. 44  P. Bruns, NZA 2013, 769, 771 f.; Sieker, in: FS Kohte, S. 351. 45  Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1348. 46  Busemann, MDR 2015, 314, 316; Klenter, PR 2014, 193, 196; a.A. Bauer/v. Medem, SAE 2012, 25, 29. 47  Bayreuther, NZA 2013, 23, 25: jedenfalls auch bei 8 Jahren; Brose/Sagan, NZA 2012, 308, 310; Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; ders., EuZA 2012, 529, 539; Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 21, 33: 4 bis 5 Jahre. 48 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61l; Schmitt, ZESAR 2012, 369, 377 ff.; Dommermuth-Alhäuser, S. 237.

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Arbeitgeber auferlegt werden.49 Begründet wird dies u.a. mit dem Leitbild des unbefristeten Arbeitsverhältnisses.50 Auch die von Teilen der Literatur51 geforderten Grenzwerte für Kettenbefristungen stoßen nicht nur auf Zustimmung. Obwohl ihre Vorteile für die Rechtsklarheit anerkannt werden,52 wird den vom BAG genannten Höchstgrenzen53 entgegengehalten, dass das europäische Recht von den nationalen Gerichten verlange, „alle Umstände des Falles“54 zu berücksichtigen.55 Missbräuchlich sei die Befristung, wenn die Voraussetzungen des Sachgrundes zwar vorliegen, die Umstände aber erkennen lassen, dass es tatsächlich darum gehe, eine Entstehung arbeitsrechtlicher Besitzstände zu vermeiden.56 Auch der ständig wiederkehrende Vertretungsbedarf sei ein dauerhafter Bedarf i. S. d. Rechtsprechung des EuGH und könne eine Befristung deshalb nicht rechtfertigen.57 Ansonsten bleibe der Schutz des Arbeitnehmers nach dem TzBfG hinter dem durch die frühere Rechtsprechung des BAG zurück.58 Außerdem sei die Festlegung von Höchstgrenzen Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte.59 Zum Teil wird eine gewisse Rechtsunsicherheit sogar begrüßt, wird ihr doch eine disziplinierende Wirkung auf Arbeitgeber zugesprochen, die allzu weit vom Leitbild des Bestandsschutzes abweichen wollen.60 Die Orientierung an § 14 Abs. 2 TzBfG bei der zulässigen Gesamtdauer vermag den überwiegenden Teil der Literatur ebenfalls nicht zu überzeugen, weil diese Regelung mit der Beschäftigungsförderung eine andere Zielsetzung verfolge.61 49 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61l; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 22; Busemann, MDR 2015, 314, 317. 50  Busemann, MDR 2015, 314, 317. 51  Bayreuther, NZA 2013, 23, 25; Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347; O. Müller, NZA-RR 2015, 72; Persch, BB 2013, 629, 633. 52  Oberthür, ArbRB 2017, 79, 81. 53  Vgl. BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382. 54  EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NJW 2012, 989. 55 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61n; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 46; Junker, EuZA 2013, 3, 8; Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 21, 32; Dommermuth-Alhäuser, S. 238. 56  W. Böhm, DB 2013, 516, 518; Brose, NZA 2009, 706, 709; Busemann, MDR 2015, 314, 317; Schlachter, in: FS Wank, S. 510; Willemsen, RdA 2012, 291, 294. 57  Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 21, 29 ff. 58  Busemann, MDR 2015, 314, 318 f. 59  Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347; Junker, EuZA 2013, 3, 10; Kiel, Jb­A rbR 2013, 25, 43; Lakies, ArbRAktuell 2014, 94, 96; Dommermuth-Alhäuser, S. 238; Loth, S. 257. 60 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61n. 61  Bauer, ArbRAktuell 2012, 373; Bauer/v. Medem, SAE 2012, 25, 29; P. Bruns, NZA 2013, 769, 772; Drosdeck/Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347; Hunold, AuA 2015, 572; Kock,

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

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Die vom BAG genannten Indizien für einen Missbrauch finden weitgehend Zustimmung.62 Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber bei Anwendung dieser Kriterien dauerhafte Arbeitsverhältnisse durch rechtzeitiges Auswechseln oder „Rotieren“ von befristet Beschäftigten trotz Missbrauchskontrolle vermeiden können.63 Folgende weitere Kriterien sollen für eine Zulässigkeit der wiederholten Befristung sprechen: • Unmittelbarkeit des Vertretungsverhältnisses64 • Vertretung mehrerer ausgefallener Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Aufgaben nacheinander65. Als zusätzliche Indizien gegen die Wirksamkeit einer Befristung werden angeführt: • vorherige befristete Beschäftigung eines anderen Arbeitnehmers aus demselben Grund66 • durch Gesamtdauer und wiederholte Verlängerung gewachsenes Vertrauen des Arbeitnehmers auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Befristungsende67 • hoher prozentualer Anteil befristeter Arbeitsverträge bei vergleichbaren Beschäftigten im Unternehmen oder in der Behörde68.

NJW 2013, 1461, 1462; Schmitt, ZESAR 2012, 369, 376; a.A. Adam, AuR 2013, 394, 395 f., der dem Anknüpfungspunkt grds. zustimmt, jedoch nicht auf ein Mehrfaches dieser Werte abstellen will; Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 21, 33, die daraus schließen, ab der vierten Verlängerung sei das Fehlen eines Sachgrundes indiziert. 62  Greiner, NZA 2014, 284, 286; abl. dagegen P. Bruns, NZA 2013, 769, 771, der sie für „schlichtweg willkürlich“ hält. 63  Fuhlrott, GWR 2012, 530, 533; Hunold, NZA-RR 2013, 505, 511. 64  BeckOK ArbR/Bayreuther, § 14 TzBfG Rn. 49a; Bayreuther, NZA 2013, 23, 25 f.; Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 84; Preis/Loth, EzA TzBfG § 14 Nr. 80, 21, 35; Dommermuth-Alhäuser, S. 238; Hamann, S. 91. 65  Brose, NZA 2009, 706, 710 f.; Hunold, AuA 2015, 572, 574; offengelassen von Kiel, JbArbR 2013, 25, 47 f. 66  Adam, AuR 2013, 394, 396; Bonanni/Schmidt, ArbRB 2013, 216, 217; Drosdeck/ Bitsch, NJW 2013, 1345, 1347 f. 67  Schlachter, in: FS Wank, S. 509 f. 68  Hund/Weiss, DB 2016, 2729, 2730.

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

III.  Einordnung in die Methodenlehre 1.  Einwände gegen die BAG-Rechtsprechung a)  Subsidiarität des institutionellen Rechtsmissbrauchs Aus der Sicht der deutschen zivilrechtlichen Methodik sprechen einige Gründe dagegen, die europarechtlich geforderte Missbrauchskontrolle anhand der Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs vorzunehmen. Wie oben herausgearbeitet,69 erfolgt die institutionelle Rechtsmissbrauchskontrolle nicht durch bloße Anwendung des § 242 BGB,70 dessen Wortlaut kein Verbot des Rechtsmissbrauchs enthält. Vielmehr handelt es sich um eine Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, die aus dem allgemeinen Prinzip von Treu und Glauben abgeleitet wurde.71 Deshalb dürfte das BAG nur dann darauf zurückgreifen, wenn Auslegung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung nicht zu einem tragbaren Ergebnis führen.72 Den Weg der Rechtsfortbildung statt der Rechtsanwendung zu wählen, ist nicht nur ein „unnötiger Umweg“, wie es in der Literatur73 heißt, sondern ein Verstoß gegen die Methodenlehre und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip.74 Deshalb wird zu prüfen sein, ob es vorrangige Alternativlösungen gibt, die zu einem tragbaren Ergebnis führen. b)  Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs Problematisch ist auch, dass der Anwendungsbereich des institutionellen Rechtsmissbrauchs vom BAG weit überdehnt wird. Wie oben bei der Untersuchung der Rechtsprechung des EuGH festgestellt wurde, umfasst der dort verwendete Missbrauchsbegriff sämtliche Fälle missbilligter Anwendung von Rechtsvorschriften.75 In seinem Anwendungsbereich deckt sich der europarechtliche Missbrauchsbegriff nicht mit dem institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauch i.S.v. § 242 BGB. Der institutionelle Rechtsmissbrauch eröffnet dem Rechtsanwender einen weiten Gestaltungsspielraum. Seine Anwendung ist aber besonders gelagerten, atypischen Ausnahmefällen vorbehalten und nicht zur Aufstellung allgemeiner Regeln für häufig vorkommende Fälle geeignet.76 So stellte 69 

Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. I. So aber APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61k. 71  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 72  Schmitt, ZESAR 2012, 369, 374; Loth, S. 253. 73  Bayreuther, NZA 2013, 23, 24. 74  Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. I. 75  Vgl. Gliederungspunkt § 6 D. I. 1. 76 Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 104; Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 385; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 154; Benecke, S. 48. 70 

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

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der BGH in einer Entscheidung zum Mietrecht zutreffend fest, dass das Aufstellen einer allgemeinen Regel, wonach ein bestimmtes Verhalten stets rechtsmissbräuchlich sei, im Ergebnis einer (im entschiedenen Fall unzulässigen) Analogie entspräche.77 Allgemeingültige Einschränkungen sind im Wege teleologischer Reduktion oder – sofern diese nicht möglich ist – mit einer anderen Form der gesetzes­ übersteigenden Rechtsfortbildung, aber nicht mit einem Rechtsmissbrauch zu begründen. Der EuGH verlangt aber gerade von den nationalen Gerichten, „stets alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen“.78 Folgt man dem Ansatz des BAG, müssten Gerichte also in jedem einzelnen Fall wiederholter Befristung zumindest gedanklich prüfen, ob ein institutioneller Rechtsmissbrauch vorliegt.79 P. Bruns schlägt dementsprechend vor, das BAG möge sich offen auf seine gesetzliche Befugnis zur Rechtsfortbildung stützen, wenn es die Problematik der Kettenbefristung im Wege freier Rechtsschöpfung löse.80 Schlachter weist zutreffend darauf hin, dass es bei Vorliegen eines Befristungsgrundes an dessen zweckwidriger Verwendung als Voraussetzung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs fehle, da ein Befristungsgrund eben nur zur Begründung einer Befristung eingesetzt werden könne.81 Und Adam stellt zur Anwendung des Rechtsmissbrauchs treffend fest: „Wer viel mit Treu und Glauben arbeiten muß, steht im Verdacht, von einer unzutreffenden Rechtsansicht auszugehen, die ihn zu häufigen Ausnahmen von einer falschen Regel zwingt.“82

c)  Mangelnde Effektivität der Missbrauchskontrolle Selbst bei dieser dogmatisch unpassenden, zu weiträumigen Anwendung des Verbots des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist nicht gewährleistet, dass die heutige Rechtsprechung des BAG den europarechtlichen Anforderungen gerecht wird.83 Dass das BAG den Missbrauch losgelöst vom Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG prüft, ist europarechtlich nicht zu beanstanden. Der EuGH darf und will den nationalen Gerichten keine Methoden vorgeben, sondern verlangt eine effektive Umsetzung der Richtlinie. Ob diese Form der Missbrauchskon­ trolle hinreichend effektiv ist, darf aber bezweifelt werden. „Sachliche Gründe, 77 

BGH, Beschluss v. 23. 02. 2016 – VIII ZR 321/14, juris. Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 138 (Rn. 40); v. 23. 04. 2009 – C-378/07 bis C-380/07 (Angelidaki), AP RL 99/70/EG Nr. 6 (Rn. 157) – Hervorhebung durch Verf. 79 Ebenso Busemann, MDR 2015, 314, 316. 80  P. Bruns, NZA 2013, 769, 771 f. 81  Schlachter, in: FS Wank, S. 505. 82  AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16. 83  Zweifelnd etwa APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61l; Busemann, MDR 2015, 314, 316; Klenter, PR 2014, 193, 196; Dommermuth-Alhäuser, S. 237. 78  EuGH,

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

die die Verlängerung […] rechtfertigen“, wie sie zur Missbrauchsverhinderung in § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung vorgeschlagen werden, sind nicht identisch mit den enumerativ aufgezählten Sachgründen des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG.84 Wenn der EuGH Gesamtdauer und Anzahl der Arbeitsverträge bereits bei der Prüfung eines rechtfertigenden Sachgrundes berücksichtigt sehen will, dann kann es nicht um das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines gesetzlich benannten Sachgrundes gehen, sondern um dessen Eignung zur Rechtfertigung einer erneuten Befristung. Ein ständiger Bedarf an Arbeitsleistung darf nach der Rechtsprechung des EuGH generell nicht durch wiederholte Verlängerung befristeter Arbeitsverträge gedeckt werden.85 Diese Beschränkung gilt nicht erst bei besonders eklatantem oder langfristigem Missbrauch der Kettenbefristung. Zwischen der Dauerhaftigkeit des Beschäftigungsbedarfs und der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses eines bestimmten Arbeitnehmers besteht aber nicht zwingend ein Zusammenhang. Indem das BAG eine Rechtfertigung durch sachliche Gründe sehr großzügig bejaht und dann auf die Rechtsmissbrauchskontrolle verweist, werden die Anforderungen an den darlegungsbelasteten Arbeitnehmer so hoch geschraubt, dass die gerichtliche Kontrolle im Ergebnis oft wirkungslos bleibt.86 2.  Vorschläge der Literatur Als Alternative will ein erheblicher Teil der Literatur sämtliche Aspekte des Missbrauchs bereits im Rahmen der Sachgrundprüfung berücksichtigen und dazu die einzelnen Sachgründe enger fassen.87 Auch Formulierungen im Urteil „Kücük“ legen nahe, bereits das Vorliegen eines Sachgrundes i.S.v. § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung zu verneinen, wenn die wiederholte Befristung im Einzelfall nicht gerechtfertigt ist.88 Ein Vorschlag zur Begrenzung des Sachgrundes der Vertretung besteht darin, innerhalb der Grenzen des Wortlauts zu bleiben und wiederholte Befristungen nur zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers zuzulassen.89 Diese einschränkende Auslegung vermag das Problem der Kettenbefristung allerdings nicht umfassend zu lösen und verhindert andererseits auch Vertragsverlängerungen, gegen die im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch keine Bedenken bestehen. 84 

Brose, NZA 2009, 706, 709. EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 137 (Rn. 36). 86  Ebenso allg. Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120. 87 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 36a; Bayreuther, NZA 2013, 23, 24 f; Brose, NZA 2009, 706, 710; Busemann, MDR 2015, 314, 316; Greiner, ZESAR 2014, 354, 362; Schlachter, in: FS Wank, S. 504 f.; Dommermuth-Alhäuser, S. 239; Loth, S. 254 ff. 88  EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 136 (Rn. 27). 89  Brose, NZA 2009, 706, 710. 85 

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

283

Nach anderer Auffassung soll eine Vertretung immer ausgeschlossen sein, wenn die Umstände des Einzelfalls, v.a. die Befristungshistorie, einen ständigen Bedarf an der Arbeitsleistung erkennen lassen90 oder wenn die konkrete Vertragsgestaltung zu einer Prekarisierung des Arbeitsverhältnisses führen könne91. Diese Lösung käme einer teleologischen Reduktion des Merkmals der Vertretung gleich,92 weil der Anwendungsbereich der Norm gegen ihren Wortlaut und entsprechend ihrer durch europarechtskonforme Auslegung ermittelten Zielsetzung eingeschränkt würde. Denn im Lichte von § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung ausgelegt, soll das Sachgrunderfordernis nach § 14 Abs. 1 TzBfG auch verhindern, dass Arbeitgeber einen ständigen Bedarf an Arbeitsleistung durch befristete Arbeitsverhältnisse decken. Methodisch wäre eine teleologische Reduktion als gesetzesimmanente Rechtsfortbildung der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung durch die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs jedenfalls vorzuziehen.93 3.  Lösung nach dem Gesetzeswortlaut In erster Linie ist aber zu überlegen, ob das Problem der Kettenbefristung im Wege einer bloßen Gesetzesanwendung nach europarechtskonformer Auslegung gelöst werden kann.94 Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 TzBfG bietet dafür einen geeigneten Ansatz. Das Gesetz unterscheidet nämlich ausdrücklich zwischen dem Vorliegen eines sachlichen Grundes (§ 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG) und der Rechtfertigung der Befristung durch einen sachlichen Grund (§ 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG). Das legt eine zweistufige Prüfung des gesetzlichen Tatbestandes nahe,95 ähnlich wie sie bei der Frage nach der Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB durch einen wichtigen Grund vorgenommen wird.96 So heißt es in der Kommentarliteratur zu § 626 BGB: „In einem zweiten Prüfungsabschnitt ist nach Feststellung der grundsätzlichen Eignung des Sachverhaltes zur Rechtfertigung einer Kündigung zu untersuchen, ob die Kündigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (sozial) gerechtfertigt ist.“97 90 

Greiner, AP TzBfG § 14 Nr. 99; Dommermuth-Alhäuser, S. 237. Schlachter, in: FS Wank, S. 511. 92  Dommermuth-Alhäuser, S. 237. 93  Vgl. Gliederungspunkte § 2 D. III. 2 b) und § 3 D. II. 1. und 2. 94 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; MüKoBGB/Schubert, § 242 BGB Rn. 274. 95 Lt. Greiner, EuZA 2012, 529, 537, und Schlachter, in: FS Wank, S. 504, verlangt auch der EuGH eine zweistufige Prüfung, die zunächst nach dem abstrakten Vorliegen eines sachlichen Grundes fragt und anschließend die individuellen Umstände berücksichtigt. Sieker, in: FS Kohte, S. 352, will ebenfalls die generelle Eignung des Sachgrundes und dessen tatsächliche Verwendung prüfen, allerdings will sie dazu das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs als Binnenschranke in die Sachgrundprüfung integrieren. 96  Diese Parallele sieht auch Junker, EuZA 2013, 3, 9 f.; a.A. Loth, S. 252. 97 MüKoBGB/Henssler, § 626 BGB Rn. 80. 91 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Dies entspricht der Rechtsprechung des BAG zur Prüfung von Befristungen vor Erlass des TzBfG, wonach „zur sachlichen Rechtfertigung einer vereinbarten Befristung nicht die Feststellung genügt, daß ein bestimmter Tatbestand an sich geeignet ist, eine Befristung sachlich zu rechtfertigen, sondern daß stets auch geprüft werden muß, ob dieser vom Grundsatz her geeignete Befristungsgrund die im konkreten Einzelfall vereinbarte Befristung wirklich trägt“98.

Diese Rechtsprechung war dem Gesetzgeber des TzBfG bekannt und sollte im Wesentlichen unverändert kodifiziert werden. Dass der Gesetzgeber gerade an der tatsächlichen Rechtfertigungspflicht im Einzelfall etwas ändern wollte, legen weder der Gesetzeswortlaut noch andere Anhaltspunkte nahe. Analog zur Prüfung nach § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb in Bezug auf wiederholte Befristungen nach § 14 Abs. 1 TzBfG vorzugehen: Zuerst wird gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ermittelt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines benannten oder unbenannten Sachgrundes abstrakt erfüllt sind. Trifft dies zu, so wird anschließend nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG geprüft, ob die Befristung durch diesen Sachgrund im konkreten Fall gerechtfertigt ist. In den Fällen eines europarechtlichen Missbrauchs kann zwar ein an sich zur Rechtfertigung geeigneter sachlicher Grund vorliegen, aber im konkreten Fall vermag dieser die Befristung nicht zu rechtfertigen. Das ist nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich der Fall, wenn ein dauerhafter Personalbedarf gedeckt wird.99 Dann mögen zwar die tatsächlichen Voraussetzungen eines sachlichen Grundes erfüllt sein, aber nicht dieser, sondern das Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers ist in Wirklichkeit kausal für die Befristung.100 Bei der Vertretungsbefristung ist etwa zu prüfen, ob der vertretene Arbeitnehmer seine Tätigkeit voraussichtlich wieder aufnehmen wird und dann für den Vertreter kein sicher absehbarer Beschäftigungsbedarf mehr besteht.101 Bei Projektbefristungen ist die Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren, dass der Arbeitnehmer in einem Folgeprojekt eingesetzt werden kann. Dieses Verständnis des gesetzlichen Tatbestandes der Sachgrundbefristung ist nicht nur methodisch vorzugswürdig, sondern entspricht auch den Anforderungen der Richtlinie nach der Rechtsprechung des EuGH und hilft der Kritik der Literatur ab. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf sich eine nationale Vorschrift nicht darauf beschränken, Befristungen nach formalen, abstrakten Kriterien zuzulassen. Nur wenn die Vorschrift sicherstellt, dass die Befristung „tatsächlich einem echten Bedarf entspricht sowie zur Erreichung des verfolgten 98  BAG, Urteil v. 26. 08. 1988 – 7 AZR 101/88, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 124, Hervorhebungen durch Verf. 99  EuGH, Urteil v. 13. 03. 2014 – C-190/13 (Samohano), NZA 2014, 475. 100  Schlachter, in: FS Wank, S. 510. 101  Willemsen, RdA 2012, 291, 294 f.

A.  Kettenbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG

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Ziels geeignet und erforderlich ist“102, ist sie europarechtskonform. Versteht man § 14 Abs. 1 TzBfG wie hier, dann erfüllt die konkrete Rechtfertigungsprüfung diese Anforderungen. Unvermeidlich bleibt die durch jede Einzelfallbetrachtung verursachte Rechtsunsicherheit.103 Allerdings würde der vollständige Verzicht auf eine Interessenabwägung im konkreten Fall gegen europäisches Recht verstoßen. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung „Kücük“ auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint.104 Es seien sowohl Anhaltspunkte für eine zweistufige Prüfung als auch solche für eine Berücksichtigung sämtlicher Aspekte bei der Feststellung eines Sachgrundes nach § 5 Nr. 1 lit. a zu erkennen. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man zwischen dem Vorliegen eines an sich geeigneten Sachgrundes einerseits und eines im konkreten Fall rechtfertigenden Sachgrundes andererseits unterscheidet. Man gelangt zu einer zweistufigen Prüfung der in § 5 Nr. 1 lit. a der Rahmenvereinbarung aufgeführten „sachliche[n] Gründe, die die Verlängerung […] rechtfertigen“. Wie von der Literatur gefordert, ist das Vorliegen eines rechtfertigenden Sachgrundes bei gleichzeitigem Missbrauch ausgeschlossen; denkbar ist nur, dass die Voraussetzungen eines an sich geeigneten Sachgrundes in einem Missbrauchsfall abstrakt vorliegen. Anders als beim institutionellen Rechtsmissbrauch ist die Formulierung allgemeiner Regeln zur Konkretisierung von Generalklauseln wie § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG methodisch zulässig und sogar erforderlich. Das BAG kann alle seine zur Konkretisierung des institutionellen Rechtsmissbrauchs bei Befristungsketten entwickelten Kriterien und Indizien auf die Rechtfertigungsprüfung übertragen. Sodann kann die steigende Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen als Indiz gegen eine Rechtfertigung durch den abstrakt vorliegenden Sachgrund gewertet werden. Es gibt aber zwei praktisch wichtige Unterschiede zur Lösung durch das Verbot des institutionellen Rechtsmissbrauchs: Erstens ist die Eingriffsschwelle bei einer bloßen Gesetzesanwendung deutlich niedriger als bei einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Damit werden nicht nur Extremfälle der Kettenbefristung von der Zulässigkeit nach § 14 Abs. 1 TzBfG ausgenommen. Vielmehr ist vom Primat des unbefristeten Vertrags auszugehen, so dass Abweichungen begründet werden müssen. Nur bei erstmaligem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages kann das Vorliegen eines sachlichen Grundes die Rechtfertigung der Befristung europarechtskonform indizieren. Zweitens kann die Beweislast, wie in der Literatur105 gefordert, ohne methodische „Verrenkungen“ dem Arbeitgeber auferlegt werden.106 Denn dieser muss die Voraussetzun102 

EuGH, Urteil v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 136 (Rn. 28 f.). Fuhlrott, GWR 2012, 530, 532; Junker, EuZA 2013, 3, 18. 104  Schlachter, in: FS Wank, S. 504. 105 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61l; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 22 und 28; Busemann, MDR 2015, 314, 317. 106  Busemann, MDR 2015, 314, 316; vom Stein, NJW 2015, 369, 371. 103 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

gen einer wirksamen Befristung – ihre Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund – darlegen und beweisen. Das europarechtliche Missbrauchsverbot kann auf diese Weise deutlich effektiver umgesetzt werden. 4.  Zwischenergebnis Somit existiert ein Lösungsweg, der allein durch Auslegung des Gesetzeswortlauts zu tragfähigen und europarechtskonformen Ergebnissen führt. Die nach der Dogmatik subsidiären Methoden der teleologischen Reduktion und erst recht des institutionellen Rechtsmissbrauchs darf das BAG deshalb nicht anwenden. Vielmehr verstößt das BAG gegen die Methodenlehre, indem es auf den Rechtsmissbrauchseinwand zurückgreift, ohne vorrangige Möglichkeiten auszuschöpfen.

B.  Rahmenvereinbarung mit befristeten Einzelverträgen Eine effektive Kontrolle von Kettenbefristungen löst zugleich das Problem der Rahmenvereinbarung mit Einzelaufträgen. Zur Vermeidung eines Dauerarbeitsverhältnisses, aber auch von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Verzugslohn und Urlaub107 greifen Arbeitgeber bisweilen auf Rahmenvereinbarungen zurück, die zur Vorbereitung einer Vielzahl kurzer befristeter Einsätze von Arbeitnehmern dienen. Dabei vereinbart der Arbeitgeber mit einer Reihe geeigneter Arbeitnehmer zunächst die Arbeitsbedingungen, ohne dabei schon eine Arbeitspflicht zu statuieren. Sodann kontaktiert er die Arbeitnehmer, wenn er Bedarf an ihrer Arbeitsleistung hat, und schließt mit ihnen jeweils für einen kurzen Zeitraum – in der Regel für einen Tag bzw. eine Arbeitsschicht – einen Arbeitsvertrag. Praktische Bedeutung haben solche „Pool-Lösungen“108 vor allem bei der Beschäftigung studentischer Aushilfs- und Teilzeitkräfte,109 z. B. als Krankenpflegehelfer, Nachtwachen, Taxifahrer, Reisebegleiter, Zeitungseinleger, Sprachlehrer, Pförtner oder Gaststättenbedienung.110 Beispielsweise hatte das BAG über folgende Vereinbarung zur Beschäftigung von Studenten in einer Spielbank zu entscheiden: „Im Rahmen dieser Vereinbarung kann der Arbeitgeber mit der Aushilfe konkrete Einsätze in der Spielbank schriftlich vereinbaren. Das einzelne Arbeitsverhältnis gilt immer nur befristet für den jeweils schriftlich besonders vereinbarten Arbeitseinsatz. Durch diese Rahmenvereinbarung wird kein unbefristetes Dauerarbeitsverhältnis begründet, da diese Rahmenvereinbarung weder eine Verpflichtung des Arbeitgebers 107 

Reinecke, in: FS Däubler, S. 120. Reinecke, in: FS Däubler, S. 118. 109  Z. B. BAG, Beschluss v. 12. 11. 2008 – 7 ABR 73/07, juris; Urteil v. 16. 04. 2003 – 7 AZR 187/02, NZA 2004, 40; v. 31. 07. 2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1; v. 11. 11. 1998 – 5 AZR 119/98, NZA 1999, 828; v. 20. 03. 1996 – 7 AZR 524/95, juris; v. 19. 01. 1993 – 9 AZR 53/92, NZA 1993, 988; v. 13. 01. 1993 – 5 AZR 54/92, ZTR 1993, 248; v. 13. 02. 1985 – 7 AZR 345/82, juris; v. 18. 08. 1982 – 7 AZR 353/80, juris. 110  Reinecke, in: FS Däubler, S. 120. 108 

B.  Rahmenvereinbarung mit befristeten Einzelverträgen

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beinhaltet, Einsätze anzubieten, noch eine Verpflichtung des Studenten, ein entsprechendes Angebot anzunehmen.“111

Der entscheidende Unterschied zu den oben angesprochenen „Null-Stunden-Verträgen“112 besteht darin, dass der Arbeitnehmer nach der Rahmenvereinbarung nicht verpflichtet ist, einer Aufforderung zur Arbeitsleistung nachzukommen.113 Deshalb kann diese Vertragsgestaltung eventuell auch seinen Interessen entsprechen.114 Weil der Arbeitnehmer aber häufig jede Verdienstmöglichkeit ergreifen wird und befürchten muss, bei wiederholter Ablehnung von Einsätzen zukünftig nicht mehr eingeplant zu werden,115 kann das wirtschaftliche Ergebnis der Abrufarbeit nahekommen. Damit stellt sich bei Rahmenvereinbarungen die Frage nach einer unzulässigen Umgehung des § 12 TzBfG.116 I.  Rechtsprechung und Literatur Das BAG löst die Problematik aber nicht durch analoge Anwendung dieser Norm, sondern legt zunächst die Rahmenvereinbarung aus. Ein Vertrag, der selbst noch keine Verpflichtung zur Dienstleistung begründet, ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG kein Dienst- oder Arbeitsvertrag.117 Erst die Vereinbarungen zu den konkreten Einsätzen des Arbeitnehmers lassen sich als befristete Arbeitsverträge einordnen. Das BAG thematisiert zwar eine Gesetzesumgehung, sieht in dieser Aufspaltung jedoch keine missbräuchliche Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.118 § 12 TzBfG stehe dem Abschluss befristeter Einzelarbeitsverträge nicht entgegen. Der Arbeitnehmer bedürfe des Schutzes durch die Norm nicht, da er nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sei und daher über seine Zeit frei verfügen könne.119 Die einzelnen Arbeitsverträge unterliegen der Befristungskontrolle nach dem TzBfG.120 Demnach müssen sie nicht nur jeweils 111 

BAG, Beschluss v. 12. 11. 2008 – 7 ABR 73/07, juris (Rn. 2). Vgl. Gliederungspunkt § 8 B. 113  BAG, Urteil v. 15. 02. 2012 – 10 AZR 111/11, NZA 2012, 733, 735; Dzida, ArbRB 2016, 19, 20; Forst, NZA 2014, 998, 999 f.; Reinecke, in: FS Däubler, S. 118 f. 114  Reinecke, in: FS Däubler, S. 119. 115  Adam, MDR 2003, 398; Bepler, FA 2016, 362 f.; Dzida, ArbRB 2016, 19. 116  BAG, Urteil v. 31. 07. 2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1. 117  BAG, Urteil v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, 975; v. 15. 02. 2012 – 10 AZR 111/11, NZA 2012, 733, 735; Beschluss v. 12. 11. 2008 – 7 ABR 73/07, juris (Rn. 18); Urteil v. 16. 04. 2003 – 7 AZR 187/02, NZA 2004, 40; v. 31. 07. 2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1. 118  BAG, Urteil . 16. 05. 2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974; v. 15. 02. 2012 – 10 AZR 111/11, NZA 2012, 733, 736; v. 31. 07. 2002 – 7 AZR 181/01, AP TzBfG § 12 Nr. 1. 119  BAG, Urteil v. 31. 07. 2002, a. a. O. (Rn. 35). 120  BAG, Urteil . 16. 05. 2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, 976; v. 16. 04. 2003 – 7 AZR 187/02, NZA 2004, 40; v. 22. 04. 1998 – 5 AZR 92/97, NZA 1999, 82, 84. 112 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

schriftlich vereinbart werden (§ 14 Abs. 4 TzBfG),121 sondern ab dem zweiten Einsatz sei auch ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG erforderlich, da es sich bei den Einzelvereinbarungen nicht um Verlängerungen des Arbeitsverhältnisses i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG handele.122 An sachlichen Gründen für die kurze, oft tageweise Befristung wird es in aller Regel fehlen.123 Liegt in jedem Einzelfall ein Sachgrund vor, dann könne es sich immer noch um eine missbräuchliche Verwendung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse nach den soeben beschriebenen Grundsätzen handeln.124 Das Echo auf diese Rechtsprechung im Schrifttum fällt unterschiedlich aus. Der überwiegende Teil der Literatur stimmt dem BAG zu, dass die Rahmenvereinbarung für sich betrachtet noch kein Arbeitsvertrag und ohne besondere Voraussetzungen wirksam sei.125 Die Lösung über eine Befristungskontrolle der Einzelverträge wird mehrheitlich als hinreichend zum Schutz des Arbeitnehmers angesehen.126 Der Abschluss derart vieler befristeter Arbeitsverträge stelle für Arbeitgeber aufgrund der formellen und inhaltlichen Anforderungen ein großes Risiko dar.127 Im Einzelfall könne ein über lange Zeit geübtes, gleichförmiges Verhalten als Angebot zur konkludenten Änderung des Vertragsinhalts hin zu einem Arbeitsvertrag gedeutet werden.128 Sollte diese Vertragsgestaltung in größerem Ausmaß missbräuchlich genutzt werden, sei der Gesetzgeber gefragt.129 Es gibt aber auch eine ganze Reihe ablehnender Stimmen: Bieder vertritt die Auffassung, die Rahmenvereinbarung der Arbeitsvertragsparteien sei wegen Umgehung des Arbeitnehmerschutzes oder wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs bereits als Dauerarbeitsvertrag zu interpretieren.130 Reinecke verlangt einen sachlichen Grund nicht nur für die Befristung des einzelnen Einsatzes, 121  BAG, Urteil . 16. 05. 2012, a. a. O. (Rn. 27); APS/Greiner, § 14 TzBfG Rn. 449; MHH/ Meinel, § 14 TzBfG Rn. 332; Bieder, RdA 2015, 388, 390; Dzida, ArbRB 2016, 19, 20. 122  Bieder, RdA 2015, 388, 390; Buschmann, AuR 2003, 308, 309; Hunold, NZA 2003, 896, 898; Lindemann, BB 2003, 527 f. 123  Bieder, RdA 2015, 388, 390; Lindemann, BB 2003, 527. 124  BAG, Urteil v. 16. 05. 2012 – 5 AZR 268/11, NZA 2012, 974, 976 (Rn. 27). 125 APS/Backhaus, § 3 TzBfG Rn. 8; MAH ArbR/Reinfeld/Lüders, § 72 Rn. 76; MüKoBGB/Müller-Glöge, § 12 TzBfG Rn. 8; Schaub/Linck, § 43 Rn. 18; Forst, NZA 2014, 998, 1000; Hunold, NZA 2003, 896, 897; Kamanabrou, AP TzBfG § 12 Nr. 1; Lindemann, BB 2003, 527 f.; Mühlmann, RdA 2006, 356, 358; Plander, EWiR 2003, 81, 82; Reinecke, in: FS Däubler, S. 125. 126  Forst, NZA 2014, 998, 1000; Kamanabrou, AP TzBfG § 12 Nr. 1; Lindemann, BB 2003, 527 f.; Plander, EWiR 2003, 81, 82. 127  So aus Sicht eines Unternehmensberaters Hunold, NZA 2003, 896, 898; ebenso Dzida, ArbRB 2016, 19, 20; Forst, NZA 2014, 998, 1000 f. 128  Forst, NZA 2014, 998, 1000; Reinecke, in: FS Däubler, S. 125. 129  Forst, NZA 2014, 998, 1000. 130  Bieder, RdA 2015, 388, 390 f.

B.  Rahmenvereinbarung mit befristeten Einzelverträgen

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sondern auch dafür, dass der Arbeitgeber auf Kurzbefristungen anstelle von Abrufarbeit zurückgreift.131 Laut Buschmann ersetzt das BAG durch Hinweis auf die förmliche Vertragsgestaltung eine inhaltliche Begründung.132 Bepler will Null-Stunden-Verträge und Rahmenvereinbarungen rechtlich gleich behandeln, wenn der Arbeitnehmer von seinem Ablehnungsrecht praktisch kaum Gebrauch macht.133 Auch Adam hält die Zerlegung der Rechtsbeziehung zwischen den Parteien in einzelne Arbeitsverhältnisse für „lebensfern und konstruiert“.134 § 12 TzBfG solle gerade verhindern, dass das Arbeitsverhältnis rein faktisch ohne förmlichen Akt beendet werden könne, indem die Norm die Vereinbarung einer festen (Mindest-)Arbeitszeit verlange.135 Das LAG Berlin will die Problematik lösen, indem es die Klagefrist nicht mit Ablauf des letzten befristeten Arbeitsverhältnisses beginnen lässt, sondern erst mit einer Erklärung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer künftig nicht mehr einzusetzen.136 II.  Einordnung in die Methodenlehre In dogmatischer Hinsicht überzeugt der Ansatz des BAG, einen Rahmenvertrag ohne Statuierung einer Arbeits- und Entgeltpflicht nicht als Arbeitsvertrag einzustufen. Dieser Vertrag dient nur der Vorbereitung von Arbeitsverträgen und kann bei der rechtlichen Betrachtung der Vertragsdauer unberücksichtigt bleiben. Eine effektive Missbrauchskontrolle bei wiederholter Befristung nach den oben dargestellten Grundsätzen137 vorausgesetzt, zwingt der Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes nach heutigem Rechtsstand auch nicht zu einer Abweichung vom allgemeinen Vertragsrecht im Wege einer (weiteren) Rechtsfortbildung. Wegen der Fehleranfälligkeit und des Verwaltungsaufwandes bei wiederholtem Abschluss befristeter Arbeitsverträge bietet sich diese Vorgehensweise ohnehin nicht für eine massenhafte Nutzung an. Meist ist schon die zweite Befristung unwirksam, weil ein sachlicher Grund fehlt. Zudem wird auch die Anzahl von 15 Einzelverträgen, die beim Fehlen größerer Unterbrechungen einen Rechtsmissbrauch indiziert,138 schnell überschritten sein. Dann kann der Arbeitnehmer mit überschaubarem Risiko auf Feststellung eines nach § 16 Satz 1 TzBfG unbefristeten Arbeitsverhältnisses klagen. 131 

Reinecke, in: FS Däubler, S. 125. Buschmann, AuR 2003, 308, 309. 133  Bepler, FA 2016, 362, 363. 134  Adam, MDR 2003, 398. 135  Adam, MDR 2003, 398, 399. 136  LAG Berlin, Urteil v. 12. 01. 1999 – 12 Sa 113/98 und 122/98, LAGE BGB § 620 Nr. 59; abl. Kamanabrou, AP TzBfG § 12 Nr. 1. 137  Vgl. Gliederungspunkt § 11 A. 138  BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382. 132 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Zu befürchten ist dabei freilich, dass in der Praxis – wie in den meisten der vom BAG entschiedenen Sachverhalte – die dreiwöchige Klagefrist nach § 17 Satz 1 TzBfG oft schon abgelaufen sein wird, bevor der Arbeitnehmer merkt, dass der Arbeitgeber ihn endgültig nicht mehr zu Einsätzen heranzieht.139 Dass Arbeitnehmer ihre Rechte nicht wahrnehmen, weil sie sie nicht kennen, ist allerdings eine grundsätzliche Problematik, die durch andere Maßnahmen, z. B. bessere Information der Arbeitnehmer innerhalb der betroffenen Branchen, ausgeglichen werden müsste. Zusätzlich ist zu prüfen, ob konkludent durch langandauernde gleichförmige Vertragspraxis140 oder sogar durch ausdrückliche Zusage eines bestimmten regelmäßigen Einsatzvolumens ein Dauerarbeitsverhältnis begründet wurde. Schließlich kann auch die praktische Vertragsdurchführung zur Annahme eines Dauerarbeitsvertrags führen, wenn die Einsätze tatsächlich nicht durch Absprachen, sondern durch Weisungen des Arbeitgebers festgelegt werden.

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung Auch die sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG kann dazu genutzt werden, einen Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen in weiterem Umfang als gesetzlich vorgesehen zu vermeiden. Im Regelfall erlaubt § 14 Abs. 2 Satz 1 ­TzBfG eine befristete Beschäftigung bis zu einer Dauer von zwei Jahren, innerhalb derer die Befristungsdauer dreimal verlängert werden darf. Von dieser Möglichkeit kann ein Arbeitgeber nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nur Gebrauch machen, wenn er denselben Arbeitnehmer nicht bereits zuvor beschäftigt hat. Einfallstor für Umgehungsgestaltungen ist der streng formelle Arbeitgeberbegriff des BAG.141 Dieser ermöglicht eine Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots durch erneute sachgrundlose Befristung, wenn der Arbeitnehmer zwar auf demselben Arbeitsplatz weiterbeschäftigt wird, zu diesem Zweck aber einen Arbeitsvertrag mit einem anderen Vertragspartner schließt. I.  Rechtsprechung des BAG Die Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Anschlussverbots nahm ihre Anfänge bereits unter Geltung des BeschFG 1996. Dieses Gesetz ermöglichte 139 

Adam, MDR 2003, 398. Urteil v. 22. 04. 1998 – 5 AZR 92/97, NZA 1999, 82, 84; Reinecke, in: FS Däubler, S. 125. 141  BAG, Urteil v. 26. 04. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147; v. 10. 11. 2004 – 7 AZR 101/04, NZA 2005, 514; vgl. auch Gräfl, zunächst Richterin und mittlerweile Vorsitzende des 7. Senats, in: FS Bauer, S. 380 ff.: Der Gesetzgeber habe das Anschlussverbot nur an die Person des Arbeitgebers und nicht an andere Umstände wie den Beschäftigungsbetrieb oder den Arbeitsplatz geknüpft. 140  BAG,

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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bei Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen regelrechte „Personalkarusselle“142, weil eine erneute sachgrundlose Befristung bereits nach viermonatiger Unterbrechung wieder möglich war (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BeschFG 1996). Nach Auffassung des BAG konnte eine Nutzung dieser Möglichkeit unter engen Voraussetzungen rechtsmissbräuchlich sein. Den zum BeschFG entwickelten Obersatz verwendet das BAG auch heute fast unverändert, wenn es eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG prüft. Die erste Entscheidung des BAG143 zur Umgehung des Anschlussverbots unter Geltung des TzBfG betraf folgenden Sachverhalt: Eine Arbeitnehmerin wurde für zwei Jahre sachgrundlos befristet als Kundenbetreuerin beschäftigt. Noch währenddessen schloss sie einen ebenfalls sachgrundlos befristeten Vertrag mit einem Leiharbeitsunternehmen, das demselben Konzern angehörte. Der Verleiher überließ sie an ihren ehemaligen Arbeitgeber, wo sie dieselbe Tätigkeit ausführte wie zuvor. Das BAG betonte, dass Arbeitgeber i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ausschließlich die natürliche oder juristische Person sei, mit der der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag geschlossen habe, und nicht etwa der Konzern. Daher liege kein Verstoß gegen das Anschlussverbot vor. Ein Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, wenn mehrere rechtlich und tatsächlich verbundene Vertragsarbeitgeber in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge mit einem Arbeitnehmer ausschließlich deshalb schließen, um auf diese Weise über die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vorgesehenen Befristungsmöglichkeiten hinaus sachgrundlose Befristungen aneinanderreihen zu können.144 Ein Rechtsmissbrauch könne aber regelmäßig ausgeschlossen werden, solange die Beschäftigungsdauer in demselben Einsatzbetrieb vier Jahre nicht übersteige und damit innerhalb der Grenzen bleibe, die der Gesetzgeber nach § 14 Abs. 2a Satz 1 TzBfG für Befristungen in neugegründeten Unternehmen gezogen habe.145 Auch wenn neben der erneuten Befristungsmöglichkeit zusätzlich andere Gründe für den Wechsel zum Verleiher maßgeblich seien, liege kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor.146 Das sei etwa bei Änderungen des Vertragsinhalts anzunehmen.

142 APS/Backhaus,

§ 14 TzBfG Rn. 379a. BAG, Urteil v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443. 144  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147; ähnl. bereits zum BeschFG 1996 Urteil v. 25. 04. 2001 – 7 AZR 376/00, NZA 2001, 1384. 145  BAG, Urteil v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443, 445 f. 146  BAG, Urteil v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147, 1150; v. 09. 02. 2011 – 7 AZR 32/10, NZA 2011, 791, 794. 143 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Nach deutlichem Widerspruch aus dem Schrifttum147 und anlässlich einer abweichenden Entscheidung einer Vorinstanz148 gab das BAG die Vierjahresgrenze zum Rechtsmissbrauch ausdrücklich auf.149 Nach seiner heutigen Rechtsprechung kann in jeder Überschreitung der Zweijahresgrenze des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG im Prinzip ein Rechtsmissbrauch liegen. Der streng formale Arbeitgeberbegriff wurde aber beibehalten und in jeder Entscheidung zur Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots wird erneut deutlich herausgestellt, dass Arbeitgeber i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG allein der Vertragsarbeitgeber sei.150 Mittlerweile hat die Praxis – wieder einmal der öffentliche Dienst – mit den sogenannten „Jobcenter-Fällen“151 ein zusätzliches Anwendungsfeld für die Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Anschlussverbots hervorgebracht.152 In dieser Konstellation wird ein Arbeitnehmer in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen beschäftigt, die nacheinander mit ihm sachgrundlos befristete Arbeitsverträge schließen. Konkret wurden Arbeitnehmer erst aufgrund eines Arbeitsvertrages mit der Bundesagentur für Arbeit und dann aufgrund eines weiteren Vertrages mit der Kommune (oder umgekehrt) bis zu vier Jahre lang auf demselben Arbeitsplatz ohne sachlichen Grund befristet eingesetzt. Das LAG Köln hatte die am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen als „denselben Arbeitgeber“ i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG angesehen.153 Das BAG schloss sich dieser Auffassung in der Revision nicht an, sondern griff auch hier auf die Figur des Rechtsmissbrauchs zurück. Für die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig, wobei ihm die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugutekommen.154 Wegen der Schwierigkeit beim Nach147  Biermann, AiB 2011, 556, 559; ders., AiB 2010, 204; Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4; Brose, DB 2008, 1378, 1380 f.; Düwell/Dahl, DB 2010, 1759, 1760; Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 121; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 160 f.; dem BAG zust. dagegen Bauer/Fischinger, DB 2007, 1410, 1412 f.; Keckeisen, AuA 2008, 440; Mengel, RdA 2008, 175, 177. 148  LAG Köln, Urteil v. 25. 03. 2011 – 4 Sa 1399/10, LAGE TzBfG § 14 Nr. 63b; ebenso ArbG Köln, Beschluss v. 24. 09. 2009 – 17 BV 70/09, AiB 2010, 202. 149  BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214. 150  BAG, Urteil v. 24. 02. 2016 – 7 AZR 712/13, NZA 2016, 758, 759; v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, juris (Rn. 24); v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 429; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1216; v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147; v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443, 444. 151  Greiner, DB 2014, 1987. 152  BAG, Urteil v. 26. 04. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426. 153  LAG Köln, Urteil v. 09. 03. 2012 – 4 Sa 1184/11, juris. 154  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426.

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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weis der ausdrücklich erforderlichen „Umgehungsabsicht“155 hat sich der Senat um die Entwicklung objektiver Kriterien für einen Rechtsmissbrauch bemüht.156 Nachdem der Arbeitnehmer entsprechende Indizien aufgezeigt habe, könne der Arbeitgeber die Tatsachen bestreiten oder Umstände vortragen, „welche den Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen“.157 Als mögliche Indizien für einen Rechtsmissbrauch nennt das BAG: • rechtliche und tatsächliche Verbundenheit der Vertragsarbeitgeber, • nahtloser Anschluss des neuen Arbeitsverhältnisses an das vorherige, • ununterbrochene Beschäftigung auf demselben Arbeitsplatz oder in demselben Arbeitsbereich, • (im Wesentlichen) gleiche Arbeitsbedingungen, • unveränderte Ausübung des Weisungsrechts, • Vermittlung durch den früheren Arbeitgeber, • erkennbar systematisches Zusammenwirken der Arbeitgeber.158 Bei der Bestimmung der Rechtsfolge orientiert sich das BAG eng am Wortlaut des § 16 TzBfG. Die mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Rechtsfolge sei nicht der Vertragsschluss mit einem Dritten an sich, sondern die erneute sachgrundlose Befristung dieses Arbeitsverhältnisses.159 Der aktuelle Arbeitgeber könne sich deshalb nicht auf die Zulässigkeit der Befristung berufen, das neue Arbeitsverhältnis gelte also unbefristet. Dies soll auch dann zutreffen, wenn sich der Arbeitsplatz in einem Betrieb des früheren Arbeitgebers befindet; zu diesem entsteht nach der Rechtsprechung des BAG kein Arbeitsverhältnis.160 In methodischer Hinsicht wird in dieser Fallgruppe besonders deutlich, dass sich das BAG von der Figur der objektiven Gesetzesumgehung abgewendet hat. Obwohl es ausdrücklich von einer Umgehung des Anschlussverbots spricht, prüft das BAG in solchen Fällen nicht die Voraussetzungen einer objektiven Gesetzes­ umgehung, sondern ob eine Berufung auf die Befristung rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 242 BGB ist.161 In seinen Entscheidungen zur wiederholten sachgrundlosen Befristung verwendet das BAG den Begriff der „rechtsmissbräuchlichen 155 

BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1511. Kiel, Mitglied des Siebten Senats, JbArbR 2013, 25, 42 f. 157  BAG, Urteil v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840, 842. 158  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426. 159  Ausführlich BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1216 f. 160  A.A. LAG Köln, Urteil v. 25. 03. 2011 – 4 Sa 1399/10, LAGE TzBfG § 14 Nr. 63b, das in der Vorinstanz die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem „Beschäftigungsarbeitgeber“ angenommen hatte. 161  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510; v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, AP TzBfG § 14 Nr. 122; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214. 156 So

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Umgehung“.162 Eine Gleichsetzung verschiedener Rechtsfiguren zeigt sich auch daran, dass das BAG von einer „nach nationalem Recht gebotenen – Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle (§ 242 BGB)“163 spricht. II.  Aufnahme in der Literatur Neben einigen zustimmenden Erörterungen164 und Entscheidungen der Instanzgerichte165 erfährt die Rechtsprechung des BAG im Schrifttum viel Ablehnung. Ein häufiger Kritikpunkt ist, dass das BAG unter dem Arbeitgeber i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ausschließlich den Vertragsarbeitgeber versteht.166 Angesichts immer komplexerer Wirtschaftsstrukturen wird hier ein Umdenken gefordert.167 Der Begriff des Arbeitgebers sei teleologisch extensiv auszulegen.168 Insbesondere wenn in einem Konzern der formale Arbeitgeber nicht das wirtschaftliche Risiko trage und keinerlei tatsächlichen Einfluss auf die Beschäftigung ausübe, müsse der Beschäftigende als Arbeitgeber i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG angesehen werden.169 In der Rechtssache „Albron Catering“ gehe auch der EuGH von einem tätigkeitsbezogenen Arbeitgeberbegriff aus, der den Entleiher einschließe und möglicherweise auch auf Gemeinschaftsbetriebe übertragen werden könne.170 Wolle man den engen Arbeitgeberbegriff beibehalten, sei wegen Umgehung des Gesetzeszwecks im Wege der Analogie171 bzw. der teleologischen Extension172 ein Verstoß gegen das Vorbeschäftigungsverbot anzunehmen. Das Schrifttum wendet sich außerdem gegen die Wertung des BAG, dass die mehr als zweijährige sachgrundlose Befristung auf demselben Arbeitsplatz über162  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1511; v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, AP TzBfG § 14 Nr. 122; v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1217; v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 749/05, juris (Rn. 20). 163  BAG, Urteil v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840. 164 MüKoBGB/Hesse, § 14 TzBfG Rn. 81; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 280 ff.; Bauer/Fischinger, DB 2007, 1410; Dommermuth-Alhäuser, S. 243 ff. 165  LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 24. 02. 2016 – 6 Sa 469/15, LAGE TzBfG § 14 Rechtsmissbrauch Nr. 10a; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 19. 01. 2016 – 2 Sa 131/14, NZA-RR 2016, 462. 166 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; Biermann, AiB 2011, 556, 560; Brose, DB 2008, 1378, 1380; Greiner, NZA 2014, 284, 286; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 160. 167  Brose, DB 2008, 1378, 1380. 168 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; Brose, DB 2008, 1378, 1380; Greiner, DB 2014, 1987, 1988; ders., NZA 2014, 284, 286; ders., ZESAR 2014, 357, 362; a.A. Dommermuth-Alhäuser, S. 248. 169  Biermann, AiB 2011, 556, 560. 170  Greiner, DB 2014, 1987, 1990. 171  Brose, DB 2008, 1378, 1381. 172  Sieker, in: FS Kohte, S. 356.

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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haupt eine zulässige Nutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten sein könne. Eine mehrfache Nutzung der sachgrundlosen Befristung für dieselbe Beschäftigung verstößt nach Ansicht vieler Autoren gegen den Gesetzeszweck.173 Der Zweck des § 14 Abs. 2 TzBfG liege darin, den Arbeitnehmer nach zwei Jahren sachgrundloser Befristung unbefristet oder nur mit Sachgrund befristet zu beschäftigen, falls weiterhin ein Bedarf an seiner Arbeitskraft besteht.174 Eine sachgrundlos befristete Beschäftigung für mehr als zwei Jahre habe der Gesetzgeber gerade vermeiden wollen, so dass das Gesetz durch einen bloßen Wechsel des Vertragsarbeitgebers umgangen werde.175 Der Gesetzgeber habe nur deshalb an den Arbeitgeber und nicht an den Arbeitsplatz oder den Betrieb angeknüpft, damit eine geringfügige Änderung der Tätigkeit oder eine Versetzung innerhalb des Unternehmens nicht zur Zulässigkeit einer erneuten Befristung führe.176 Die gesetzliche Regelung sei im Vergleich zum BeschFG 1996 gerade verschärft worden, weil der Gesetzgeber Kettenbefristungen unterbinden wollte.177 § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zur RL 1999/70/EG gelte zwar nicht für Leiharbeitnehmer, aber für Gemeinschaftsbetriebe.178 Dass die Effektivität der Missbrauchskontrolle durch das BAG den Anforderungen dieser Norm genügt, wird vielfach angezweifelt.179 Ein Missbrauch müsse bereits dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer mehr als zwei Jahre lang sachgrundlos befristet auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt werde.180 Der überwiegende Teil der Literatur181 und offenbar auch der Siebte Senat selbst182 ordnen den vom BAG geprüften Rechtsmissbrauch bei sachgrundloser Befristung als individuellen Rechtsmissbrauch ein. Nur wenige Autoren sehen darin einen institutionellen Rechtsmissbrauch.183 Das Erfordernis einer – sogar 173 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400a; Biermann, AiB 2011, 556, 559; Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4; Brose, DB 2008, 1378, 1381; Gräfl, in: FS Bauer, S. 383; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 161. 174 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400a; Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4. 175  Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4. 176  Brose, DB 2008, 1378, 1381. 177 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 380a; Brose, DB 2008, 1378, 1381. 178 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400g. 179 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; Brose, DB 2008, 1378, 1381; Greiner, DB 2014, 1987, 1990; Klenter, PR 2014, 193, 200; vom Stein, NJW 2015, 369, 373; a.A. Dommermuth-Alhäuser, S. 248 f. 180  Klenter, PR 2014, 193, 200. 181 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400c; Klenter, PR 2014, 193, 199; Sieker, in: FS Kohte, S. 353 f.; vom Stein, NJW 2015, 369, 373; Dommermuth-Alhäuser, S. 244. 182  Kiel, Mitglied des Siebten Senats des BAG, JbArbR 2013, 25, 42; ders., NZA-Beil. 2016, 72, 77. 183 MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 26; Greiner, NZA 2014, 284, 285 f.; ders., ZESAR 2014, 357, 362.

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

ausschließlichen – Umgehungs- oder Missbrauchsabsicht wird überwiegend abgelehnt,184 u.a. mit Hinweis auf die langjährige Rechtsprechung des BAG zur objektiven Gesetzesumgehung. Greiner weist darauf hin, dass der Siebte Senat bei Kettenbefristungen mit Sachgrund selbst ausdrücklich auf subjektive Voraussetzungen verzichte, was überzeugender sei.185 Zur Vereinheitlichung der Befristungskontrolle solle das BAG auch hier auf die objektiven Kriterien eines institutionellen Rechtsmissbrauchs abstellen.186 Wie bei der Kettenbefristung mit Sachgrund lehnt das Schrifttum eine Lösung über das Verbot des Rechtsmissbrauchs auch deshalb ab, weil dadurch automatisch der Arbeitnehmer die primäre Darlegungs- und Beweislast trägt.187 Diese Hürde bei der Rechtsverfolgung sei zu hoch.188 Selbst Kiel als Mitglied des Siebten Senats gesteht ein, dass eine Umgehungsabsicht als subjektives Element schwer nachprüfbar und beweisbar sei.189 Die Indizien für einen Rechtsmissbrauch gelten als manipulationsanfällig.190 Deshalb führe eine Lösung durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit.191 Schließlich ist auch die vom BAG gewählte Rechtsfolge im Schrifttum umstritten. Dies gilt vor allem bei Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens. Einerseits wird angeführt, der Rechtsmissbrauch liege gerade darin, dass der bisherige Arbeitgeber trotz fortbestehenden Beschäftigungsbedarfs kein unbefristetes Arbeitsverhältnis eingehe; deshalb müsse ebendieses gesetzlich vorgesehene Resultat eintreten.192 In der bloßen Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher wird ein möglicher Verstoß gegen den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz gesehen.193 Man gebe dem Arbeitnehmer „Steine statt Brot“194, weil sein nur für einen bestimmten Entleiher geschlossener Arbeitsvertrag jederzeit betriebsbedingt gekündigt werden könne. Dieser Argumentation wird allerdings der Wortlaut des § 16 Satz 1 TzBfG entgegengehalten, der (nur) die Entstehung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses vorsehe.195 Auch 184 

Brose, DB 2008, 1378, 1381; Klenter, PR 2014, 193, 199; Sieker, in: FS Kohte, S. 353 f. Greiner, DB 2014, 1987, 1990. 186  Greiner, DB 2014, 1987, 1990; Klenter, PR 2014, 193, 200. 187 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; Greiner, DB 2014, 1987. 188  Klenter, PR 2014, 193, 199; a.A. Dommermuth-Alhäuser, S. 249. 189  Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 83; ders., JbArbR 2013, 25, 42. 190 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400j f.; Greiner, DB 2014, 1987, 1990. 191 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400f. 192 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400g; Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4; Greiner, NZA 2014, 284, 287. 193  Greiner, NZA 2014, 284, 287. 194  Greiner, NZA 2014, 284, 287. 195 ErfK/Müller-Glöge, § 14 TzBfG Rn. 93a; MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 276; Greiner, NZA 2014, 284, 287; vom Stein, NJW 2015, 369, 374. 185 

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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mit § 242 BGB und anderen Vorschriften könne man einen Wiedereinstellungsanspruch nicht begründen.196 III.  Einordnung in die Methodenlehre Wie oben dargestellt, ist die Figur des – individuellen wie auch institutionellen – Rechtsmissbrauchs eine Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung.197 Als solche darf sie nur eingesetzt werden, wenn die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem – Subsidiarität, Gesetzeslücke i.w.S., Erreichen der Eingriffsschwelle und Lückenfüllung im Einklang mit der Rechtsordnung – erfüllt sind. 1.  Erfüllung der Voraussetzungen der Rechtsfortbildung extra legem a)  Gesetzeslücke Das Gesetz ist unvollständig und lückenhaft, wenn der Wortlaut einer Norm ihren Zweck nicht vollständig zu verwirklichen vermag.198 Zweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist nach der Gesetzesbegründung die Verhinderung von Befristungsketten und „Personalkarussellen“, wie sie unter Geltung des BeschFG 1996 möglich waren.199 Damit soll die Norm das Prinzip des arbeitsvertraglichen Bestandsschutzes verwirklichen. Ein Austausch des Vertragsarbeitgebers ermöglicht aber weiterhin ein Aneinanderreihen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge zur Deckung desselben Beschäftigungsbedarfs Damit wird der Wortlaut dem Ziel des Anschlussverbots nicht vollumfänglich gerecht. Indem § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG an den Arbeitgeber und nicht an den Betrieb oder den Arbeitsplatz anknüpft, wollte der Gesetzgeber eine Umgehung durch Versetzungen verhindern und nicht etwa eine Umgehung durch Austausch des Vertragspartners ermöglichen.200 Somit ist die Unvollständigkeit des Gesetzes auch planwidrig. Auch eine europarechtskonforme Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass § 14 Abs. 2 TzBfG eine Gesetzeslücke aufweist. Betrachtet man die Rechtsprechung des EuGH201, dann ist die Befristungskontrolle tätigkeits- und arbeitsplatzbezo196 MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 276; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 283; vom Stein, NJW 2015, 369, 374. 197  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. I. bis III. 198  Zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. Gliederungspunkte § 2 D. III. 1 und IV. 1 b). 199  BT-Drs. 14/4374, S. 14 und S. 19. 200 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 380a; Brose, DB 2008, 1378, 1381. 201  Z. B. EuGH, Urteil v. 14. 09. 2016 – C-16/15 (Pérez López), NZA 2016, 1265; v. 13. 03. 2014 – C-190/13 (Samohano), NZA 2014, 475; v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135.

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

gen vorzunehmen. Denn der EuGH versteht den Begriff des sachlichen Grundes dahingehend, dass er „genau bezeichnete, konkrete Umstände meint, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen“202 – und eben nicht ein bestimmtes Vertragsverhältnis. Demgegenüber stellt § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG beim Anschlussverbot seinem Wortlaut nach auf „denselben Arbeitgeber“ ab. Die dadurch eröffnete Möglichkeit einer wiederholten (oder sogar dauerhaften) Befristung des Arbeitsverhältnisses auch bei Fehlen eines sachlichen Grundes allein aufgrund formaljuristischer Erwägungen ist mit dem Verständnis des EuGH nicht vereinbar.203 Da mithin der Wortlaut dem durch Auslegung ermittelten Gesetzeszweck nicht vollumfänglich gerecht wird, liegt eine Gesetzeslücke vor. b)  Subsidiarität Wie oben gezeigt, ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs als Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung subsidiär gegenüber der Auslegung und der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung.204 Nur wenn auf diesen Wegen keine tragbaren Ergebnisse erzielt werden, darf die Figur des Rechtsmissbrauchs in Betracht gezogen werden. aa) Lösung durch Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG Ein bedeutender Teil des Schrifttums favorisiert eine Lösung durch extensive Auslegung des Arbeitgeberbegriffs.205 Dazu müsste das BAG sein Verständnis des Arbeitgebers, das ausschließlich den Vertragsarbeitgeber umfasst,206 aufgeben. Sprachlich könnte der Begriff „Arbeitgeber“ auch denjenigen bezeichnen, bei dem die vom Arbeitnehmer ausgeübte Arbeit anfällt, also den Inhaber des Einsatzbetriebs. Auch der EuGH verwendet für Entleiher den Begriff des „nichtvertraglichen Arbeitgebers“.207 Unionsrechtlich ist eine extensive Auslegung des Arbeitgeberbegriffs deshalb aber nicht zwingend geboten. Die Verwendung von Rechtsbegriffen durch den EuGH ist für nationale Gerichte ebenso wenig 202 EuGH, Urteil v. 21.  09. 2016 – C-614/15 (Popescu), NZA 2016, 1323, 1325; v. 26. 01. 2012 – C-586/10 (Kücük), NZA 2012, 135, 136 (Rn. 27); v. 23. 04. 2009 – C-378/07 bis C-380/07 (Angelidaki), AP RL 99/70/EG Nr. 6 (Rn. 96); v. 13. 09. 2007 – C-307/05 (Del Cerro Alonso), NZA 2007, 1223, 1226 – Hervorhebung durch Verf. 203  Greiner, DB 2014, 1987, 1990. 204  Vgl. Gliederungspunkte § 3 D. III. 1. b) und § 4 B. II. 2. 205 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400e; Biermann, AiB 2011, 556, 560; Brose, DB 2008, 1378, 1380; Greiner, NZA 2014, 284, 286; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 160. 206  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 18. 10. 2006 – 7 AZR 145/06, NZA 2007, 443, 445 f.; ebenso bereits zum BeschFG 1996 BAG, Urteil v. 25. 04. 2001 – 7 AZR 376/00, NZA 2001, 1384. 207  EuGH, Urteil v. 21. 10. 2010 – C-242/09 (Albron Catering), NZA 2010, 1225, 1226.

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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verbindlich wie seine Methodenanwendung. Hinreichend, aber unabhängig von formalen Begrifflichkeiten auch notwendig208 ist, dass das Ergebnis dem Effektivitätsgrundsatz entspricht.209 Im deutschen Arbeitsrecht wäre die Erstreckung des Arbeitgeberbegriffs auf Entleiher und Gemeinschaftsbetriebe neu und bisher unüblich. Traditionell bezeichnet man als Arbeitgeber unabhängig vom Bedeutungszusammenhang den Vertragspartner des Arbeitnehmers.210 Zu Recht weist das BAG darauf hin, dass der Gesetzgeber bei seiner Formulierung auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber und nicht auf eine Beschäftigung in demselben Betrieb abgestellt hat.211 Der Wortlaut der Gesetzesbegründung ist dagegen ambivalent und lässt beide Ansichten zu.212 Deshalb ist es nicht zwingend, aber weiterhin vertretbar, unter „demselben Arbeitgeber“ i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nur den Vertragsarbeitgeber zu verstehen. bb) Lösung durch analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG Ein weites Verständnis des Arbeitgeberbegriffs ist nicht zwingend geboten, weil sich dasselbe Ergebnis möglicherweise auch im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung herbeiführen lässt. Stillschweigend und ohne nähere Begründung übergeht das BAG die Möglichkeit, § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG analog anzuwenden. Im Rahmen einer Analogie könnte man die Befristung etwa generell für unzulässig zu halten, wenn ein Arbeitnehmer nacheinander sachgrundlos befristet bei mehreren verbundenen Vertragsarbeitgebern und/oder auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt wird. Methodisch ist es möglich, die vorrangige analoge Anwendung der Norm abzulehnen und anschließend auf die Figur des Rechtsmissbrauchs zurückzugreifen. Dazu müsste man aber zunächst eine Vergleichbarkeit des geregelten und des ungeregelten Sachverhalts verneinen. Die Möglichkeit der Analogie sollte im Urteil zumindest angesprochen, ihre Ablehnung begründet werden. Ob man die vom BAG entschiedenen Fälle durch analoge Anwendung des Anschlussverbots lösen kann, ist eine Wertungsfrage. Durch Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist zu ermitteln, ob wesentliche Voraussetzung für das Anschlussverbot die Identität des Vertragsarbeitgebers ist oder ob andere Fallgrup208 

Greiner, DB 2014, 1987, 1990. BAG, Urteil v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840, 841 (Rn. 19 ff.). 210  Allg.A., z. B. APS/Preis, 1. Teil C. Rn. 73; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn. 183; MüKoBGB/Hergenröder, § 4 KSchG Rn. 40; dies folgt nun auch aus § 611a Abs. 2 BGB. 211  BAG, Urteil v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840, 841 (Rn. 18). 212 BT-Drs. 14/4374, S. 14: „Die erleichterte Befristung eines Arbeitsvertrages ist künftig nur bei einer Neueinstellung zulässig, d. h. bei der erstmaligen Beschäftigung eines Arbeitnehmers durch einen Arbeitgeber.“ 209 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

pen wertungsgleich sind. Eine analoge Anwendung der Norm ist möglich, wenn nach den Wertungen des TzBfG eine erneute sachgrundlose Befristungen in einer Fallkostellation stets unzulässig sein soll, wenn der Arbeitnehmer denselben Arbeitsplatz aufgrund von Verträgen mit unterschiedlichen Vertragspartnern besetzt. Sofern eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist, kommt eine Analogie nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Daher ist zwischen den vom BAG entschiedenen Fallkonstellationen zu differenzieren. (1) Gemeinschaftsbetrieb Zunächst soll betrachtet werden, ob das Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG analog angewandt werden kann, wenn der Arbeitnehmer in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen wiederholt sachgrundlos befristet beschäftigt wird. Ein solcher Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich durch einen einheitlichen Leitungsapparat aus, der die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten übernimmt.213 Eine zufällige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf demselben Arbeitsplatz ist daher nicht denkbar. Arbeitnehmer werden nicht in einem fremden Unternehmen eingesetzt, sondern in einem Betrieb, der (auch) zum eigenen Unternehmen gehört.214 Gemeinschaftsbetriebe haben auch kein weitergehendes berechtigtes Interesse an einer längerfristigen sachgrundlosen Befristung als Betriebe eines einzigen Unternehmens. Aufgrund der einheitlichen Leitung liegt bei wiederholter sachgrundloser Befristung nach Austausch des Vertragspartners ein Missbrauch nicht nur in besonderen Einzelfällen, sondern generell auf der Hand.215 Hier noch den Nachweis besonderer Indizien oder gar einer Umgehungsabsicht zu verlangen, ist überflüssig. Auch das BAG hat in typischen Fällen der Umgehung des Anschlussverbots durch einen Gemeinschaftsbetrieb einen Missbrauch als indiziert angesehen.216 Die Gefahr der Gesetzesumgehung durch Bildung von Gemeinschaftsbetrieben gilt nicht nur für sachgrundlose Befristungen, sondern auch für andere an die Rechtspersönlichkeit anknüpfende Beschränkungen. So gilt die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG für einen bestimmten Entleiher. 213  BAG, Beschluss v. 11. 02. 2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618; Schönhöft/Lermen, BB 2008, 2515, 2516; Hamann, S. 44. Nach § 44d Abs. 1, 4 und 6 SGB II werden auch die Jobcenter von einer Geschäftsführerin oder einem Geschäftsführer geleitet, die oder der bis auf die Begründung und Beendigung von Beamten- und Arbeitsverhältnissen alle Arbeitgeberbefugnisse wahrnimmt und bei Personalentscheidungen ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht hat. 214 ErfK/Wank, § 1 AÜG Rn. 29; Schönhöft/Lermen, BB 2008, 2515, 2518. 215 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 396b. 216  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510 f.; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 430.

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

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Gemeinschaftsbetriebe sind reine Innengesellschaften und können daher nicht Entleiher sein.217 Auch hier eröffnen sich Missbrauchsmöglichkeiten,218 die es rechtfertigen, einen Gemeinschaftsbetrieb wie einen Entleiher zu behandeln.219 Wegen der einheitlichen Leitung und Ausübung der Arbeitgeberfunktion kann man Gemeinschaftsbetriebe mehrerer Unternehmen bei der Anwendung vieler Arbeitnehmerschutzvorschriften mit einzelnen Unternehmen gleichsetzen. Eine Einzelfallbetrachtung ist obsolet. Deshalb ist es geboten, die Gesetzeslücke im Wege der Rechtsfortbildung praeter legem zu schließen und das Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG auf Gemeinschaftsbetriebe analog anzuwenden.220 (2) Arbeitnehmerüberlassung Anders verhält es, wenn jemand denselben Arbeitsplatz als Leiharbeitnehmer und als eigener Arbeitnehmer des Betriebsinhabers besetzt. Dabei sind Fälle denkbar, in denen die Wertungen des § 14 Abs. 2 TzBfG eine wiederholte sachgrundlose Befristung nicht ausschließen. Zunächst werden Personalentscheidungen von unterschiedlichen Unternehmen getroffen, so dass Konstellationen möglich sind, in denen das Vorbeschäftigungsverbot nicht greift. Beispielsweise kann ein zwischenzeitlicher längerer Einsatz als Leiharbeitnehmer bei einem anderen Entleiher vor einer zufälligen Rückkehr auf einen Arbeitsplatz bei einem früheren Arbeitgeber gegen eine einheitliche Betrachtung der beiden Vertragsarbeitgeber sprechen. Abgelehnt wird ein Verstoß gegen gesetzliche Wertungen auch im umgekehrten Fall der obigen BAG-Entscheidungen, dass ein Leiharbeitnehmer sachgrundlos befristet bei einem Entleiher eingesetzt wird und nach Ablauf von zwei Jahren und dem erhofften „Klebeeffekt“ mit dem Entleihunternehmen einen zunächst ebenfalls sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag schließt.221 Diese Beispiele zeigen, dass bei der Besetzung desselben Arbeitsplatzes als Stamm- und Leiharbeitnehmer die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Frage geht, ob zwei Unternehmen als „derselbe Arbeitgeber“ gelten sollten. Eine generelle Analogie scheidet in dieser Konstellation aus. Auch aus europarechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken gegen eine zurückhaltendere Form der Gesetzeskorrektur, weil § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zur RL 1999/70/EG auf Leiharbeitsverhältnisse nicht 217 SH/Hamann,

§ 1 AÜG Rn. 64 f. Vgl. etwa die Empfehlungen von Hund/Weiss, DB 2016, 2903 ff. 219  BeckOK ArbR/Kock, § 1 AÜG Rn. 99; Hamann/Rudnik, NZA 2017, 209, 214; a.A. Hund/Weiss, DB 2016, 2903, 2905 f. 220  Ähnl. APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 396b. 221  Hessisches LAG, Urteil v. 22. 01. 2016 – 14 Sa 966/15, juris; BeckOK ArbR/Kock, § 13a AÜG Rn. 17; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 282; Greiner, NZA 2014, 284, 288. 218 

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

anwendbar ist.222 Da die Fälle wiederholter sachgrundloser Befristung durch Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens nicht im Wege der Auslegung oder der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung angemessen gelöst werden können, ist der Weg frei für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots. c)  Erreichen der Eingriffsschwelle Wie oben dargestellt,223 dient die Festlegung der Eingriffsschwelle dazu, die (noch) akzeptable Nutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten abzugrenzen von der unzulässigen Gesetzesumgehung. Das BAG sieht die Eingriffsschwelle als erreicht an, „wenn mehrere rechtlich und tatsächlich verbundene Vertragsarbeitgeber in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem Arbeitnehmer aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge ausschließlich deshalb schließen, um auf diese Weise über die nach § 14 Abs. 2 TzBfG vorgesehenen Befristungsmöglichkeiten hinaus sachgrundlose Befristungen aneinanderreihen zu können.“224

Objektiv setzt die Umgehung des Anschlussverbots also voraus, dass die beteiligten Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich verbunden sind und zusammenwirken. Subjektiv ist nicht nur Vorsatz erforderlich, sondern die ausschließliche Absicht der Umgehung. Schon das Vorliegen zusätzlicher Motive veranlasst das BAG zur Ablehnung eines Rechtsmissbrauchs.225 Die h. M. in der Literatur ordnet die vom BAG verwendete Rechtsfigur zutreffend als individuellen Rechtsmissbrauch ein.226 Beim individuellen Rechtsmissbrauch beruht das Unwerturteil auf dem Verhalten der Handelnden, während beim institutionellen Rechtsmissbrauch der objektive Maßstab des Gesetzeszwecks zugrunde gelegt wird.227 Dass subjektive Elemente anhand objektiver Indizien nachgewiesen werden können und in der Praxis auch müssen, macht sie nicht zu objektiven Voraussetzungen. Das BAG selbst bezeichnet die Fälle wiederholter sachgrundloser Befristungen als „Umgehung des Anschlussverbots“.228 Angesichts der langen Tradition 222 

EuGH, Urteil v. 11. 04. 2013 – C-290/12 (Della Rocca), NZA 2013, 495. Vgl. Gliederungspunkt § 2 D. III. 3. a). 224  St. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 15. 05. 2013 – 7 AZR 525/11, NZA 2013, 1214, 1215 (Rn. 17) – Hervorhebungen durch Verf. 225  BAG, Urteil v. 09. 03. 2011 – 7 AZR 657/09, NZA 2011, 1147, 1150 (Rn. 22). 226 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400c; Kiel, JbArbR 2013, 25, 42; ders., NZA-Beil. 2016, 72, 77; Klenter, PR 2014, 193, 199; vom Stein, NJW 2015, 369, 373; DommermuthAlhäuser, S. 244; a.A. MHH/Meinel, § 14 TzBfG Rn. 26. 227 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211. 228  Z. B. BAG, Urteil v. 24. 02. 2016 – 7 AZR 712/13, NZA 2016, 758, 761 (Rn. 39); v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1509 f. (Rn. 24 und 26); v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, AP TzBfG § 14 Nr. 122. 223 

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

303

der objektiven Gesetzesumgehung stellt es einen Bruch in der Rechtsprechung des BAG dar, wenn plötzlich eine „Umgehungsabsicht“229 verlangt wird. Die ausschließliche Absicht der Gesetzesumgehung fand sich als Voraussetzung unzulässiger Kettenbefristungen zuletzt in der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts230, bevor sie vom Großen Senat231 ausdrücklich zugunsten der objektiv funktionswidrigen Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten aufgegeben wurde. Vor Wiedereinführung der Umgehungsabsicht hätte sich eine Divergenzvorlage an den Großen Senat nach § 45 Abs. 2 Alt. 2 ArbGG angeboten.232 Zwar hat sich die Rechtsgrundlage für befristete Arbeitsverhältnisse mittlerweile geändert, aber eine Vorlage wird auch bei Divergenz in der Auslegung identischer Rechtsbegriffe in unterschiedlichen Normen für nötig gehalten.233 Da das BAG weiterhin von einer Umgehung und nicht etwa nur von einem Rechtsmissbrauch spricht, liegt ein solcher Fall vor. Die Gesetzeslücke i. w. S. wurde mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz begründet, dass Arbeitsverhältnisse Bestandsschutz genießen und daher Kettenbefristungen unzulässig sind. Die Auffassung des BAG, dass sachgrundlose Kettenbefristungen nicht bei jedem Verstoß gegen den Gesetzeszweck, sondern nur bei verwerflichen Motiven der Beteiligten unzulässig sein sollen, führt zu einer sehr hohen Eingriffsschwelle. Die unterschiedliche Lösung objektiv identischer Fälle aufgrund subjektiver Elemente bzw. ihrer objektiven Indizien kann sich nicht auf Wertungen des Gesetzes oder Prinzipien der Rechtsordnung stützen. Worauf gründet das BAG etwa seine Auffassung, dass eine Veränderung der Arbeitsvertragsbedingungen (z. B. eine Lohnsenkung) eine ansonsten unzulässige Kettenbefristung mit dem Gesetz vereinbar werden lässt? § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG dient dem Schutz von Arbeitnehmern und nicht der Sanktionierung verwerflicher Motive von Unternehmern. Möglicherweise sollte der Grundgedanke des § 15 Abs. 5 TzBfG auf diesen Fall übertragen werden, indem nur die bewusste Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz die Unwirksamkeit der Befristung begründet. Dann ist das BAG mit dem Erfordernis der ausschließlichen Missbrauchsabsicht aber weit über das Ziel hinausgeschossen. Dass ein Arbeitnehmer rein zufällig und ohne Wissen des Arbeitgebers wieder auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt wird, dürfte in der Praxis die absolute

229 

BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1511. RAG, Urteil v. 05. 01. 1938 – RAG. 181/37, ARS 32, 174, 176; v. 02. 07. 1932 – RAG. 186/32, ARS 16, 66; v. 10. 09. 1931 – RAG. 136/31, ARS 13, 42. 231  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799. Vgl. dazu Gliederungspunkt § 5 A. III. 232  Dommermuth-Alhäuser, S. 245 f., zieht die Vorlagepflicht in Erwägung, lehnt sie aber i.E. ab. 233 GMP/Prütting, § 45 ArbGG Rn. 20. 230 

304

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Ausnahme sein.234 Solche Zufälle werden bereits durch das objektive Kriterium des Zusammenwirkens verbundener Arbeitgeber aus dem Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchs herausgenommen. Deshalb genügt der vom Gesetz missbilligte Erfolg, um eine unzulässige Umgehung anzunehmen.235 In der jetzigen Rechtsprechung liegt die Eingriffsschwelle unangemessen hoch. Um den Wertungen des § 14 Abs. 2 ­TzBfG und den europarechtlichen Vorgaben zu entsprechen, müsste bei Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens allein auf die Funktionswidrigkeit der Gestaltung abgestellt, mithin ein institutioneller Rechtsmissbrauch geprüft werden. d)  Ausfüllung der Gesetzeslücke im Einklang mit der Rechtsordnung Wenn man bei den Fallgruppen des Gemeinschaftsbetriebs und der Arbeitnehmerüberlassung zur Vermeidung der Gesetzesumgehung unterschiedliche Methoden anwendet, wirkt sich dies auch auf die in Betracht zu ziehenden Rechtsfolgen aus. Die analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG auf Gemeinschaftsbetriebe führt zur Gleichstellung mit den Rechtsfolgen dieser Norm. Die wiederholte sachgrundlose Befristung ist also unwirksam und das aktuelle Arbeitsverhältnis gilt unbefristet. Da der Arbeitnehmer in jedem Fall im Gemeinschaftsbetrieb eingesetzt wird und es häufig dem Zufall überlassen bleibt, in welcher Reihenfolge die Unternehmen als Vertragsarbeitgeber auftreten,236 bestehen gegen diese Lösung angesichts der gesetzlichen Wertungen keine Bedenken. Anders verhält es sich bei Fällen der Zwischenschaltung eines Verleihers, die mittels der Figur des Rechtsmissbrauchs gelöst werden. Eine Besonderheit des Rechtsmissbrauchs als Korrektiv für atypische Fälle wurde ja gerade darin erkannt, dass es keine einheitliche, typische Rechtsfolge gibt.237 Methodisch ist es nicht erforderlich, die Rechtsfolge irgendeiner konkreten Norm auf einen Fall des Rechtsmissbrauchs zu übertragen.238 Vielmehr ist die angemessene Rechtsfolge anhand desselben gesetzlichen Prinzips zu bestimmen, das zur Annahme einer Gesetzeslücke und zur Festlegung der Eingriffsschwelle herangezogen wurde.239 Zwar führt ein Verstoß gegen Treu und Glauben regelmäßig dazu, dass an sich bestehende Rechte nicht ausgeübt werden dürfen.240 Die Möglichkeiten bei der Rechtsfolgenwahl sind aber fast unbegrenzt, wie folgende Aussage Schuberts zeigt: 234 Ebenso

Düwell/Dahl, DB 2010, 1759, 1760. Wendeling-Schröder, AuR 2012, 92, 94. 236 Vgl. Greiner, DB 2014, 1987, 1988. 237  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 2. b). 238  Hypothetisch ebenso Sieker, in: FS Kohte, S. 357. 239  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 2. a). 240  BeckOK BGB/Sutschet, § 242 Rn. 52; MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 204. 235 Ebenso

C.  Wiederholte sachgrundlose Befristung

305

„Letztlich geht es darum, die zwischen den Parteien bestehende Interessenlage zu würdigen und die angemessene Rechtsfolge in Abweichung von den einschlägigen Rechtsnormen oder in Ermangelung einer solchen zu finden.“241

Das BAG nutzt diesen Spielraum nicht, sondern bestimmt die Rechtsfolge wie bei einer – auf der Tatbestandsseite nicht vorgenommenen – Analogie, indem es die Rechtsfolge des § 16 Satz 1 TzBfG auf einen vom Wortlaut nicht erfassten Fall überträgt. Nach der zivilrechtlichen Dogmatik wäre stattdessen zu überlegen, durch welche Rechtsfolge der Grundsatz des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes und des daraus resultierenden Verbots von Kettenbefristungen am besten verwirklicht wird. Die Gesetzesbegründung nennt als angestrebte Alternative zur Kettenbefristung nicht einen dauerhaften Einsatz als Leiharbeitnehmer, der nach § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG aktuell auch gar nicht mehr zulässig wäre, sondern die unbefristete Beschäftigung durch den Arbeitgeber, der zuvor die gesetzlich vorgesehenen Befristungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat und die Arbeitskraft weiterhin nutzen will.242 Teile des Schrifttums und der Instanzrechtsprechung halten dieses Ergebnis für angemessen.243 Das Verbot des Rechtsmissbrauchs lässt eine solche Rechtsfolge auch zu. In ähnlicher Weise stützte das BAG die Begründung eines Arbeitsverhältnisses auf § 242 BGB, als es einem Arbeitnehmer nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung einen Wiedereinstellungsanspruch zuerkannte, weil sich die Prognose der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit nachträglich als falsch erwiesen hatte.244 Die Parallelen sind unverkennbar: In beiden Konstellationen ist ein Arbeitsverhältnis trotz fortbestehenden Beschäftigungsbedarfs vermeintlich rechtmäßig beendet und der Arbeitnehmer um den gesetzlich intendierten Bestandsschutz gebracht worden. Ein Unterschied besteht darin, dass zur Annahme eines Wiedereinstellungsanspruchs nach betriebsbedingter Kündigung das Arbeitsverhältnis noch bestehen muss, während es im hier betrachteten Fall formell bereits beendet ist.245 Diese Abweichung ist aber nicht wesentlich, weil der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz ja weiterhin besetzt und der ehemalige Arbeitgeber noch nicht anderweitig darüber verfügt hat. Folglich fehlt auch nach dem Wechsel des Vertragspartners ein berechtigtes Interesse des ehemaligen Arbeitgebers, die Wiedereinstellung abzulehnen.

241 MüKoBGB/Schubert,

§ 242 Rn. 203. BT-Drs. 14/4374, S. 14. 243  LAG Köln, Urteil v. 09. 03. 2012 – 4 Sa 1184/11, juris; APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 400g; Boemke, AP TzBfG § 14 Verlängerung Nr. 4; Greiner, NZA 2014, 284, 287; grds. wohl auch MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 283. 244  BAG, Urteil v. 27. 02. 1997 – 2 AZR 160/96, NJW 1997, 2257, 2258. 245 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 283. 242 

306

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Damit ist kein methodischer Grund ersichtlich, warum nicht auch eine unzulässige Umgehung des Anschlussverbots durch Zwischenschaltung eines Verleihers einen Anspruch auf (unbefristete) Wiedereinstellung oder – wegen der engeren Anbindung an das Gesetz vorzugswürdig – die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG begründen sollte.246 2.  Zwischenergebnis Die Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Anschlussverbots überzeugt in methodischer Hinsicht nicht. Zwar ist § 14 Abs. 2 TzBfG insofern lückenhaft, als er wiederholte sachgrundlose Befristungen des Arbeitsverhältnisses seinem Wortlaut nach nicht verhindert, wenn der Arbeitnehmer denselben Arbeitsplatz aufgrund von Verträgen mit unterschiedlichen Vertragsarbeitgebern besetzt. Befindet sich dieser Arbeitsplatz in einem Gemeinschaftsbetrieb, führt aber bereits eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zu einer methoden- und sachgerechten Lösung, indem entsprechend den Wertungen des Gesetzes alle am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen als „derselbe Arbeitgeber“ i. S. d. Vorschrift angesehen werden. Damit bleibt der Weg für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung versperrt. Bei Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens führt die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung dagegen nicht zu angemessenen Ergebnissen, weil die Zulässigkeit der Gestaltung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Deshalb kann das BAG auf das Rechtsmissbrauchsverbot zurückgreifen. Allerdings ist kein Grund dafür ersichtlich, warum eine Umgehung des Anschlussverbots nur bei verwerflicher Gesinnung der beteiligten Unternehmen unzulässig sein soll. Damit wird die Eingriffsschwelle sehr hoch angesetzt, ohne dass dies durch gesetzliche Wertungen gerechtfertigt ist. Wie bei der Kettenbefristung mit Sachgrund genügt auch hier ein gegen die Rechtsordnung verstoßender Erfolg, so dass die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs dem bislang gewählten individuellen Rechtsmissbrauch vorzuziehen ist.247 Damit wäre auch eine einheitliche Rechtsprechung des Siebten Senats zu Befristungsketten mit und ohne Sachgrund gewährleistet.

246  247 

A.A. MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 283. So auch Greiner, DB 2014, 1987, 1990; Klenter, PR 2014, 193, 200.

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

307

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG Eine weitere Fallgruppe, die das BAG mit der Figur des Rechtsmissbrauchs löst und die es bis zu einer Entscheidung durch den EuGH gebracht hat, ist die Problematik der als „AGG-Hopping“248 bezeichneten Scheinbewerbung mit dem Ziel, einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu erlangen. Das AGG beruht auf den europäischen Richtlinien 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) und 2006/54/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie). Danach darf es keine Diskriminierung geben in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit (§ 3 Abs. 1 lit. a RL 2000/78/EG und Art. 14 Abs. 1 lit. a RL 2006/54/EG). Bisweilen sucht ein Bewerber diesen Zugang aber tatsächlich nicht, sondern bewirbt sich nur zum Schein auf eine – typischerweise diskriminierend ausgeschriebene – Stelle. In Wirklichkeit spekuliert er auf eine Absage, um den Arbeitgeber auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verklagen zu können.249 Dabei kommt ihm die Beweislastumkehr des § 22 AGG zu pass: Weil eine diskriminierende Stellenausschreibung als Indiz für eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Kriteriums gewertet wird, muss der Arbeitgeber beweisen, dass seine Auswahlentscheidung nicht diskriminierend war.250 Angesichts des dadurch begründeten erheblichen Prozessrisikos kann die außergerichtliche Zahlung eines Geldbetrags für Arbeitgeber vorteilhafter sein.251 Die Vorgehensweise der Scheinbewerber diskreditiert das berechtigte Anliegen des Diskriminierungsschutzes252; dasselbe gilt allerdings für ihre Überbetonung im Schrifttum. Die bei Inkrafttreten des AGG geäußerten Befürchtungen der Arbeitgeberseite, Scheinbewerber könnten nun eine Vielzahl von Entschädigungsprozessen führen und Unternehmen erheblich schädigen, haben sich nicht bestätigt.253 In dieser Fallgruppe wird der in § 6 Abs. 1 AGG geregelte persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes nicht umgangen, sondern „ergangen“. Die Grundproblematik – die Ausnutzung einer Diskrepanz zwischen Wortlaut und Normzweck – ist aber dieselbe, zumal man ebenso gut von einer Umgehung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 AGG sprechen könnte.254 Im Unterschied zu den bisher 248 

586.

249 

Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 1218; Diller, NZA 2007, 1321; Rolfs, NZA 2016,

Diller, NZA 2007, 1321. Diller, NZA 2007, 1321. 251  Diller, NZA 2007, 1321. 252  Diller, NZA 2007, 1321, 1322; Schwarze, JA 2015, 869, 871. 253 Däubler/Bertzbach-Deinert, § 15 Rn. 17; Bauer/Krieger, NZA 2016, 1041; dies., SAE 2015, 75; Benecke, EuZA 2017, 47, 48; Rolfs, NZA 2016, 586. 254  Benecke, EuZA 2017, 47, 54. 250 

308

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

behandelten Fallgruppen ist diesmal der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber verantwortlich für einen Verstoß gegen den Gesetzeszweck. I.  Rechtsprechung 1.  Objektive Eignung und subjektive Ernsthaftigkeit Trotz geringer praktischer Bedeutung hat das BAG bereits einige Entscheidungen zu dieser Problematik getroffen. Nach Inkrafttreten des AGG nahm das BAG im Anschluss an seine frühere Rechtsprechung255 zu § 611a BGB a.F. und im Einklang mit der damaligen Literatur256 an, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nur in Betracht komme, wenn der Bewerber objektiv für die Stelle geeignet sei und sich subjektiv ernsthaft darum beworben habe.257 Die dogmatische Begründung dafür wechselte im Zeitverlauf mehrfach. Zunächst ging das BAG von einem materiellen Bewerberbegriff aus: Die Ernsthaftigkeit der Bewerbung sei Voraussetzung des Status als Bewerber und damit als Beschäftigter i.S.v. § 6 Abs. 1 AGG.258 Später vertrat das BAG die Auffassung, für den Bewerberstatus nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG sei es unerheblich, ob der Bewerber für die Stelle objektiv geeignet sei und sich subjektiv ernsthaft darum beworben habe.259 Sei der Bewerber objektiv ungeeignet für die Stelle, scheide aber eine Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG aus, weil er sich nicht in einer mit anderen Bewerbern vergleichbaren Situation befinde.260 Denn seinem Schutzzweck nach wolle das AGG eine ungerechtfertigte Benachteiligung verhindern und nicht eine unredliche Gesinnung des Arbeitgebers sanktionieren.261 Unter seiner neuen Vorsitzenden Schlewing262 hat der Achte Senat die objektive Eignung des Bewerbers als Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nunmehr vollständig aufgegeben.263 § 15 Abs. 2 AGG schließe für Personen, die 255  BAG, Urteil v. 27. 04. 2000 – 8 AZR 295/99, juris; v. 12. 11. 1998 – 8 AZR 365/97, NZA 1999, 371. 256  Bauer/Göpfert/Krieger, § 6 Rn. 10 ff.; Brors, jurisPR-ArbR 38/2007 Anm. 3; Walker, NZA 2009, 5, 6. 257  BAG, Urteil v. 17. 12. 2009 – 8 AZR 670/08, NZA 2010, 383, 384; v. 21. 07. 2009 – 9 AZR 431/09, NZA 2009, 1087, 1090. 258  BAG, Urteil v. 19. 08. 2010 – 8 AZR 466/09, NZA 2011, 203, 204. 259  BAG, Urteil v. 14. 11. 2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489, 490; v. 23. 08. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 38; v. 16. 02. 2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669. 260  BAG, Urteil 23. 01. 2014 – 8 AZR 118/13, AP AGG § 15 Nr. 18; v. 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, AP AGG § 15 Nr. 9; v. 19. 08. 2010 – 8 AZR 466/09, NZA 2011, 203. 261  BAG, Urteil v. 13. 10. 2011, a. a. O. 262  Prof. Dr. Anja Schlewing übernahm am 01. 09. 2015 den Vorsitz des Achten Senats von Friedrich Hauck. 263 BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 313; v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 90 ff.); v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394.

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

309

bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären, einen Entschädigungsanspruch nicht aus, sondern begrenze ihn nur in der Höhe.264 Zudem nennen Anforderungsprofile häufig auch gewünschte, aber nicht zwingende Voraussetzungen. Deshalb könne sich die objektive Eignung des Entschädigungsklägers möglicherweise nur durch einen Vergleich mit bevorzugten Bewerbern feststellen lassen. Dadurch würde das Erfordernis der objektiven Eignung aber eine Wahrnehmung der durch die Richtlinien verliehenen Rechte übermäßig erschweren.265 Im Anschluss an eine Entscheidung des BVerwG266 und unter Berufung auf das gemeinschaftsrechtliche Missbrauchsverbot ging das BAG dazu über, auch die Ernsthaftigkeit der Bewerbung nicht mehr bei den Voraussetzungen des Bewerberbegriffs zu prüfen. Eine fehlende subjektive Ernsthaftigkeit könne allenfalls den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB wegen treuwidrigen Verhaltens begründen.267 Unter seiner neuen Vorsitzenden scheint sich der Achte Senat nunmehr endgültig für einen streng formalen Bewerberbegriff entschieden zu haben.268 Beschäftigter i. S. d. § 6 Abs. 1 AGG sei, wer eine Bewerbung eingereicht habe.269 Eine zusätzliche Voraussetzung der subjektiven Ernsthaftigkeit ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck oder Gesamtzusammenhang des Gesetzes. Habe sich der Anspruchsteller diese günstige Rechtsposition aber gerade durch treuwidriges Verhalten verschafft, liege eine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB vor. Beide Änderungen in der Rechtsprechung stärken die Rechtsposition diskriminierter Bewerber und verengen umgekehrt den Anwendungsbereich des sog. AGG-Hoppings.270 Die Darlegungs- und Beweislast für einen Rechtsmissbrauch trägt allein der Arbeitgeber.271 Das BAG stellt in letzter Zeit an diesen Nachweis hohe Anforde264 

BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 91). BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 92 ff.). 266  BVerwG, Urteil v. 03. 03. 2011 – 5 C 16/10, NZA 2011, 977, 981. Mit der Rspr. des BAG zur fehlenden Ernsthaftigkeit hat sich das BVerwG dabei nicht auseinandergesetzt. 267 BAG, Urteil v. 11.  08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 44); v. 14. 11. 2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489, 490; v. 22. 08. 2013 – 8 AZR 563/12, NZA 2014, 82, 84; v. 24. 01. 2013 – 8 AZR 188/12, NZA 2013, 896, 897; v. 23. 08. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 38; v. 16. 02. 2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669; grundlegend Urteil v. 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, AP AGG § 15 Nr. 9. 268  BAG, Urteil v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 269  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 44). 270 Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert, § 6 Rn. 21c; Krieger, ArbRAktuell 2017, 70; ders./Müller, ArbRAktuell 2017, 57, 59 f. 271 BAG, Urteil v. 11.  08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 50); EuGH-Vorlage v. 18. 06. 2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063, 1066 (Rn. 26); Urteil v. 23. 08. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 40. 265 

310

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

rungen.272 Deshalb haben frühere Entscheidungen nur noch begrenzte Aussagekraft für die Anerkennung von Indizien. Der Arbeitgeber muss nun besondere Umstände vortragen, die ausnahmsweise einen Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit einer Bewerbung zulassen.273 Dabei muss ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Arbeitnehmers erkennbar sein, das auf eine Gewinnerzielungsabsicht durch Entschädigungsklagen als „Geschäftsmodell“ schließen lässt.274 Erforderlich ist die Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls. Als Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in diesem Sinne hat das BAG nach seiner Rechtsprechungsänderung bisher ausdrücklich nur den Umstand anerkannt, dass der Entschädigungskläger sich (fast) ausschließlich auf eindeutig diskriminierende Stellenausschreibungen beworben habe.275 Für sich genommen nicht ausreichend als Indizien für einen Rechtsmissbrauch seien dagegen: • unvollständige Erfüllung der Anforderungen in der Stellenausschreibung,276 • knappe, floskelhafte, nicht individualisierte Bewerbungsschreiben,277 • Vielzahl von Entschädigungsklagen eines Bewerbers,278 • Verwandtschaftsverhältnis des Klägers mit seinem Prozessbevollmächtigten,279 • Spezialisierung des Prozessbevollmächtigten im Bereich des AGG,280 • entschiedener Einsatz des Prozessbevollmächtigten für die Rechte des Klägers,281 • rechtsmissbräuchliches Entschädigungsverlangen des Klägers in anderen Verfahren.282

272  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 317; v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1398 f.; Bauer/Krieger, NZA 2016, 1041, 1042; Krieger/ Müller, ArbRAktuell 2017, 57, 59. 273  BAG, Urteil v. 23. 08. 2012 – 8 AZR 285/11, NZA 2013, 37, 40. 274  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 317. 275  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 317 f. 276  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 315 f. 277  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 315. 278  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 64); v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1400; v. 13. 10. 2011 – 8 AZR 608/10, AP AGG § 15 Nr. 9; v. 21. 07. 2009 – 9 AZR 431/09, NZA 2009, 1087. 279  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 61). 280  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016, a. a. O. 281  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016, a. a. O. 282  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 317.

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

311

2.  Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht Im Jahr 2015 legte das BAG dem EuGH die Frage vor, ob sich seine Rechtsprechung mit den Richtlinien vereinbaren lasse. In seinem Vorlagenbeschluss führte der Achte Senat aus, der Bewerberstatus sei seiner Ansicht nach davon abhängig, dass die Bewerbung das Ziel der Einstellung verfolge.283 Der Kläger sei kein Bewerber i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG, weil er mit der Formulierung seiner Bewerbung deren Ablehnung provoziert habe. An anderer Stelle desselben Beschlusses meinte das BAG sodann, ein Entschädigungsanspruch könne ausnahmsweise nach § 242 BGB wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Bewerbung ausgeschlossen sein.284 In der Literatur war umstritten, ob eine Vorlage an den EuGH überhaupt erforderlich 285 oder zumindest sinnvoll286 oder aufgrund der eindeutigen Rechtslage nicht ohnehin entbehrlich287 war. Der EuGH bestätigte im Grundsatz die Rechtsprechung des BAG. Er legte die Richtlinien dahingehend aus, dass Scheinbewerber „mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen“, nicht zu den Personen zählen, die Zugang zu Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit suchen.288 Wer eine Stelle gar nicht erhalten wolle, könne sich nicht auf den Schutz der Richtlinie berufen.289 Allerdings vermengte der EuGH die beiden Argumentationsstränge des BAG, indem er ausführte, dieses Verhalten könne bei Vorliegen der unionsrechtlichen Voraussetzungen als Rechtsmissbrauch bewertet werden. Ein Missbrauch im europarechtlichen Sinne verlange das Vorliegen objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale. Anhand einer Reihe objektiver Anhaltspunkte müsse das wesentliche Ziel der Bewerbung ersichtlich sein, nicht die Stelle anzutreten, sondern durch den Schutz der Richtlinie einen ungerechtfertigten Vorteil – sprich: eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG – zu erhalten.290

283  BAG,

EuGH-Vorlage v. 18. 06. 2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063, 1065 (Rn. 24). 284  BAG, EuGH-Vorlage v. 18. 06. 2015 – 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063, 1066 (Rn. 26). 285 So Schleusener, NZA-Beil. 2016, 50, 52; Schwarze, JA 2015, 869, 871. 286  So Däubler/Bertzbach-Deinert, § 15 Rn. 53; Horcher, NZA 2015, 1047, 1050; Kolb, GWR 2015, 348; Schmidt, ZESAR 2015, 427, 429 f.; Tutschek, ZESAR 2017, 181, 183. 287 So Bauer, ArbRAktuell 2015, 303; ders./Krieger, NZA 2016, 1041. 288  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014, Hervorhebungen durch Verf. 289  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014, 1015. 290  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016, a. a. O.

312

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

II.  Aufnahme in der Literatur Das Schrifttum pflichtet dem BAG fast einhellig bei, dass Scheinbewerber, denen es nur um die Erlangung eines Entschädigungsanspruchs gehe, denselben nicht haben.291 Vereinzelt wird ein Anspruch professioneller Entschädigungskläger aber auch bejaht, weil diese im Interesse der General- und Spezialprävention von Diskriminierungen handeln.292 Das AGG schütze nicht nur die Chancen des einzelnen Arbeitnehmers, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit am diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt.293 Gespalten ist die Literatur bezüglich der zutreffenden dogmatischen Begründung für das Ergebnis der BAG-Rechtsprechung. Ein Teil bevorzugt eine Lösung durch einschränkende Auslegung des Bewerberbegriffs.294 Die nicht ernsthafte Scheinbewerbung sei bereits keine Bewerbung i. S. d. Gesetzes, weil das AGG und die Richtlinie nur den diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt schützen.295 Andere Autoren befürworten dagegen einen formalen Bewerberbegriff und eine Lösung über § 242 BGB.296 Der Bewerberbegriff biete wenig Raum für eine einschränkende Auslegung.297 Die Motivlage spiele für den Status als Bewerber keine Rolle, maßgeblich sei allein der Versand einer Bewerbung.298 Gegen das Kriterium der Ernsthaftigkeit wird angeführt, dass Bewerbungen 291  Bauer/Krieger, § 6 AGG Rn. 10; BeckOK ArbR/Roloff, § 6 AGG Rn. 2 f.; ErfK/ Schlachter, § 15 AGG Rn. 13; MüKoBGB/Thüsing, § 15 AGG Rn. 6; Schaub/Linck, § 36 Rn. 16b und Rn. 93; Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 1218, 1219; Bauer/Krieger, NZA 2016, 1041 f.; dies., SAE 2015, 75, 77; Benecke, EuZA 2017, 47, 52; Brors, jurisPR-ArbR 38/2007 Anm. 3; Diller, NZA 2007, 1321, 1322; Fuhlrott/Hoppe, ArbRAktuell 2011, 32, 35; Horcher, NZA 2015, 1047; Hunold, NZA-RR 2009, 113, 123; Jacobs, RdA 2009, 193, 199; Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6; Krieger, EuZW 2016, 696, 697 f.; ders./Müller, ArbRAktuell 2017, 57, 59; Lingemann/Steinhauser, ArbRAktuell 2016, 515, 517; Mohr, NZA 2014, 459, 461 f.; Rolfs, NZA 2016, 586, 589; Schleusener, NZA-Beil. 2016, 50, 52; Schmidt, ZESAR 2015, 427, 428 f.; Schwarze, JA 2015, 869, 871; Stück, MDR 2017, 429, 434; Tutschek, ZESAR 2017, 181, 183; Vogt, StBW 2010, 860, 863 f.; Walker, NZA 2009, 5, 6; Windel, RdA 2011, 193, 194 f.; Zimmermann/Kallhoff, DB 2017, 791 f. 292 Schiek/Kocher, § 15 Rn. 45; zweifelnd auch Rolfs, NZA 2016, 586, 589 f. 293  Schwarze, JA 2015, 869, 871. 294  Bauer/Krieger, § 6 AGG Rn. 10 und 12 f.; Schaub/Linck, § 36 Rn. 16b und Rn. 93; Brors, jurisPR-ArbR 38/2007 Anm. 3; Mareck, AA 2017, 15; Mohr, NZA 2014, 459, 461 f.; Schleusener, NZA-Beil. 2016, 50, 52; Schmidt, ZESAR 2015, 427, 428 f.; Walker, NZA 2009, 5, 6. 295  Brors, jurisPR-ArbR 38/2007 Anm. 3. 296 MüKoBGB/Thüsing, § 15 AGG Rn. 6; Fuhlrott/Hoppe, ArbRAktuell 2011, 32, 35; Horcher, NZA 2015, 1047, 1048 f.; Hunold, NZA-RR 2009, 113, 123; Jacobs, RdA 2009, 193, 199; Windel, RdA 2011, 193, 194 f. 297  Benecke, EuZA 2017, 47, 53. 298  Horcher, NZA 2015, 1047, 1049.

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

313

grundsätzlich ohne Rechtsbindungswillen abgegeben werden.299 Zudem sei auch der Anwendungsbereich der Richtlinien nicht auf ernsthafte Bewerbungen beschränkt.300 Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz spreche für ein enges Missbrauchsverständnis und damit für eine Lösung über § 242 BGB.301 Einige Autoren schlagen auch eine zweistufige Lösung vor, 302 wie sie der Vorlagenbeschluss des BAG und die EuGH-Entscheidung nahelegen: Während bestimmte – unterschiedlich definierte303 – Fälle bereits nicht in den Schutzbereich des Gesetzes fallen, könne in anderen Konstellationen ein Rechtsmissbrauch vorliegen. In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, welche praktischen Auswirkungen sich aus der Entscheidung für einen dogmatischen Ansatz ergeben. Im Schrifttum wird überwiegend angenommen, dass der Arbeitgeber unabhängig vom dogmatischen Anknüpfungspunkt für die mangelnde Ernsthaftigkeit einer Bewerbung darlegungs- und beweisbelastet sei.304 Sofern die Ernsthaftigkeit einer Bewerbung als Merkmal des Bewerberbegriffs betrachtet wird, müsse die Darlegungs- und Beweislast nach den allgemeinen Regeln zwar beim Anspruchsteller liegen.305 Doch auch die Vertreter dieser Auffassung gehen meist davon aus, dass der Arbeitgeber sie im Ergebnis tragen müsse, damit die Zielsetzung des § 22 AGG nicht konterkariert werde.306 Der wesentliche Unterschied zwischen der Einschränkung des Bewerberbegriffs und der Prüfung eines Rechtsmissbrauchs wird dennoch bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gesehen: Habe der Arbeitgeber erst einmal substantiiert zum Fehlen der Ernsthaftigkeit einer Bewerbung als Tatbestandsmerkmal vorgetragen, dann müsse der Arbeitnehmer ihr Vorliegen beweisen, während der Arbeitgeber für einen Rechtsmissbrauch die volle Darlegungs- und Beweislast trage.307 Außerdem seien die Anforderungen an den 299 

Rolfs, NZA 2016, 586, 588.

300 Däubler/Bertzbach-Deinert,

§ 15 Rn. 53. Horcher, NZA 2015, 1047, 1049. 302  Benecke, EuZA 2017, 47, 52; Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6; Windel, RdA 2011, 193, 194 f. 303  Benecke, EuZA 2017, 47, 53, will etwa eine „vergleichbare Situation“ verneinen, wenn die Bewerbung nicht zur Stellenbeschreibung passt oder die Bewerbungsunterlagen grob mangelhaft sind; Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6, und Windel, RdA 2011, 193, 194, wollen nur „offensichtliche Scheinbewerbungen“ aus dem Schutzbereich herausnehmen. 304 ErfK/Schlachter, § 15 AGG Rn. 13; MüKoBGB/Thüsing, § 15 AGG Rn 17; Benecke, EuZA 2017, 47, 52; Krieger/Müller, ArbRAktuell 2017, 57, 59; Mareck, AA 2017, 15, 16; Windel, RdA 2011, 193, 194. 305  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 318; Windel, RdA 2011, 193, 194. 306  Bauer/Krieger, SAE 2015, 75, 77; Benecke, EuZA 2017, 47, 52. 307  Lingemann/Steinhauser, ArbRAktuell 2016, 515, 517; Mohr, NZA 2014, 459, 462; Schwarze, JA 2015, 869, 871; allg. MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 207. 301 

314

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Beweis höher, wenn ein Rechtsmissbrauch in Betracht kommt, als bei der Frage, ob der Kläger überhaupt in den Schutzbereich des AGG fällt.308 Eine weitere Abweichung soll darin liegen, dass die Prüfung eines Rechtsmissbrauchs stets eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall erfordere.309 Teilweise wird aber auch jede über die Dogmatik hinausgehende Bedeutung dieser Frage verneint.310 Das Schrifttum stimmt der Rechtsprechung grundsätzlich darin zu, dass die Anforderungen an die Annahme einer Scheinbewerbung hoch sein müssen.311 Kritisiert wird aber die Auffassung des EuGH, ein Missbrauch liege nur vor, wenn es keinen anderen Grund für das Verhalten des Bewerbers geben könne.312 So wird etwa auf die Möglichkeit halbherziger Bewerbungen hingewiesen, die nur der Vermeidung sozialrechtlicher Nachteile dienen und nach der Rechtsprechung des EuGH dennoch einen Entschädigungsanspruch auslösen können.313 Bemängelt wird zudem das Fehlen eindeutiger Kriterien für einen Missbrauch.314 III.  Einordnung in die Methodenlehre 1.  Individueller oder institutioneller Rechtsmissbrauch? In seinen Entscheidungen nach der EuGH-Vorlage prüfte der Achte Senat jeweils, ob ein Rechtsmissbrauch des Klägers vorliege. Er positionierte sich aber nicht ausdrücklich zu der Frage, ob es sich um einen Fall des institutionellen oder des individuellen Rechtsmissbrauchs handele. Bisweilen spricht er davon, der Anspruchsteller habe sich seine günstige Rechtsposition durch „treuwidriges Verhalten“ verschafft.315 Die Literatur geht teils von einem institutionellen316, teils von einem individuellen317 Rechtsmissbrauch aus. Das treuwidrige Verhalten ist ein Merkmal des individuellen Rechtsmissbrauchs, während der institutionelle Rechtsmissbrauch nur einen Verstoß gegen 308 

Benecke, EuZA 2017, 47, 52. Horcher, NZA 2015, 1047, 1048. 310  Bauer/Krieger, SAE 2015, 75, 77. 311  Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 1218, 1220; Jacobs, RdA 2009, 193, 199; Schmidt, ZESAR 2015, 427, 429. 312  Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6. 313  Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6; Rolfs, NZA 2016, 586, 588; gegen eine Herausnahme aus dem Schutzbereich Benecke, EuZA 2017, 47, 54. 314  Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 1218, 1220; Krieger, EuZW 2016, 696, 698. 315  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 314; v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 49); v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394, 1398; v. 17. 03. 2016 – 8 AZR 677/14, juris (Rn. 44). 316  Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6; Windel, RdA 2011, 193, 194. 317 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 267; wohl auch Benecke, EuZA 2017, 47, 55 f. 309 

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

315

Ziele des Gesetzes oder des Rechtsinstituts voraussetzt.318 Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung basiert auf einem rein objektiven Maßstab bei der Abwägung der berechtigten Interessen beider Parteien.319 Eine Missbrauchsabsicht oder ein anderes Element der subjektiven Vorwerfbarkeit ist dabei entbehrlich.320 Um einen solchen Fall geht es bei Scheinbewerbungen nicht. Zwar kann man das Interesse des Scheinbewerbers an einer Entschädigungszahlung als unberechtigt einstufen. Das Interesse eines diskriminierenden Arbeitgebers, nicht auf Zahlung einer Entschädigung in Anspruch genommen zu werden, ist aber ebenso wenig schutzwürdig und kann deshalb keine Abweichung vom Gesetzeswortlaut begründen. Vielmehr könnte man bei einer bloßen Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Präventionsziels zu dem Ergebnis kommen, dass der Arbeitgeber zu Recht mit einer Entschädigungspflicht sanktioniert wird. Zudem stellen BAG und EuGH entscheidend auf die Missbrauchsabsicht des Bewerbers ab, die beim institutionellen Rechtsmissbrauch nicht von Bedeutung ist. Nur beim individuellen Rechtsmissbrauch resultiert das Unwerturteil aus dem vergangenen oder gegenwärtigen Verhalten einer Partei, das entweder missbräuchlich war oder in Widerspruch zu einer späteren Rechtsausübung steht.321 Bei einer Scheinbewerbung verdankt der Kläger seine anspruchsbegründende Rechtsposition als diskriminierter Bewerber allein der Tatsache, dass er sich fälschlich als Interessent für eine Arbeitsstelle ausgegeben hat, also seinem treuwidrigen Verhalten in der Vergangenheit. Damit liegt ein Fall der exceptio doli praeteriti, des individuellen Rechtsmissbrauchs vor. 2.  Subsidiarität der Rechtsfortbildung extra legem Dass das AGG lückenhaft ist, wenn es um die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch Scheinbewerber geht, und dass die richtige Rechtsfolge in der Versagung dieser Ansprüche liegt, ist fast unumstritten und auch zutreffend. Wie oben festgestellt, handelt es sich beim Verbot des Rechtsmissbrauchs um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung, die aus dem Prinzip von Treu und Glauben abgeleitet wird.322 Als solche darf diese Methode nur subsidiär angewendet werden. Der derzeitige Lösungsweg des BAG entspricht damit nur der Methodenlehre, wenn eine Lösung durch einschränkende Auslegung des Gesetzes oder durch teleologische Reduktion nicht zu tragbaren – insbesondere mit den vom 318 

Vgl. Gliederungspunkt § 3 C. I. und II. § 242 Rn. 211; Esser, SchR (2. Aufl.), § 34, 5, S. 114 f.; Habersack, S. 37. 320  BAG, Urteil v. 18. 07. 2012 – 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351, 1357. 321 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 209 f.; Möller, S. 115 f.; zu den Fallgruppen des individuellen Rechtsmissbrauchs vgl. Gliederungspunkt § 3 D. III. 1. c) cc) (1). 322  Vgl. Gliederungspunkt § 3 D. 319 MüKoBGB/Schubert,

316

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

EuGH ausgelegten Richtlinien zu vereinbarenden – Ergebnissen führt. Nach einer Ansicht im Schrifttum kann die Problematik der Scheinbewerbungen aber bereits durch eine einschränkende Auslegung des Bewerberbegriffs gelöst werden. Entscheidend ist die Reichweite des Diskriminierungsschutzes durch das AGG. Eine Lösung über das Rechtsmissbrauchsverbot setzt voraus, dass dieser Schutz grundsätzlich auch für nicht ernsthaft an der Stelle interessierte Bewerber gilt und nur die Berufung auf daraus resultierende Ansprüche im Einzelfall unzulässig sein kann. Vorrangig ist daher zu prüfen, ob der systematisch handelnde Entschädigungskläger das Tatbestandsmerkmal des Beschäftigten, hier also des Bewerbers erfüllt.323 Fraglich ist, ob der Bewerberbegriff in § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG systematisch und europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass nur derjenige davon erfasst wird, der ernsthaft die Erlangung einer Stelle anstrebt. Dann wären sämtlich „AGG-Hopper“ bereits keine Bewerber. Dagegen sprechen aber folgende Erwägungen: Die Ernsthaftigkeit einer Bewerbung ist kein zweipoliges, sondern ein graduelles Kriterium.324 Eine Bewerbung ist grundsätzlich kein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages,325 weil dem Bewerber in diesem Stadium in aller Regel noch ein Rechtsbindungswille fehlt. Es handelt sich vielmehr um eine invitatio ad offerendum.326 Der Absender kann sich mal mehr, mal weniger vorstellen, ein mögliches Angebot des Arbeitgebers anzunehmen, zumal ihm meist relevante Informationen zur ausgeschriebenen Stelle fehlen. Doch selbst die Forderung nach einer minimalen Bereitschaft zum Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem Adressaten steht in Widerspruch zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Kratzer“327. Darin benennt der EuGH die subjektive Ernsthaftigkeit nicht als generelles Tatbestandsmerkmal von Bewerbungen. Vielmehr sind vom Schutzbereich der Richtlinien nur die Fälle ausgenommen, in denen der Bewerber das alleinige bzw. wesentliche Ziel verfolgt, eine Entschädigung geltend zu machen.328 Dafür ist das Fehlen der Ernsthaftigkeit notwendig, aber nicht hinreichend.329 Denkbar sind viele andere Motive, die den Arbeitnehmer zum Absenden einer nicht ernstgemeinten Bewerbung veranlassen können. Eine Bewerbung kann etwa den Zweck verfolgen, Chancen und Wert des Bewerbers auf dem Arbeitsmarkt zu ermitteln, der Arbeitnehmer könnte die Erlangung einer Einladung 323 

Bauer/Krieger, SAE 2015, 75, 76. Rolfs, NZA 2016, 586, 588. 325  So aber Vogt, StBW 2010, 860. 326  Benecke, EuZA 2017, 47, 54; Rolfs, NZA 2016, 586, 588. 327  EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014. 328  Schmidt, ZESAR 2015, 427, 429; Schwarze, JA 2015, 869, 871; vgl. EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014. 329  Schwarze, JA 2015, 869, 871. 324 Ähnl.

D.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG

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zum Vorstellungsgespräch allein zu Übungszwecken für die weitere Stellensuche anstreben, er könnte Stellenangebote nur für Entgeltverhandlungen mit seinem derzeitigen Arbeitgeber erhalten330 oder bei Arbeitslosengeldbezug seiner Pflicht zur Bewerbung auch auf unattraktive Stellen nachkommen wollen. In einigen dieser Fälle sucht der Bewerber durchaus Zugang zu Beschäftigung oder abhängiger Erwerbstätigkeit, nur eben nicht zu dieser Stelle bei diesem Arbeitgeber. Nimmt man den EuGH beim Wort, dann fallen aber auch diese Bewerbungen in den Schutzbereich der Richtlinie, weil sie eben nicht allein der Erlangung eines Entschädigungsanspruchs und damit dem Missbrauch des Europarechts dienen. Das Kriterium der Ernsthaftigkeit ist damit zur Abgrenzung des Bewerberbegriffs ungeeignet. Der Umstand, dass jemand nicht ausschließlich zu dem Zweck handeln darf, sich einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil zu verschaffen, ist kein positives Tatbestandsmerkmal, sondern die negativ formulierte Umschreibung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Eine europarechtskonforme Lösung des Problems im Wege der Gesetzesauslegung ist damit nicht möglich. 3.  Zweistufige Lösung Die etwas unklare Argumentation des BAG im Vorlagenbeschluss und die Antwort des EuGH bieten einen Ansatz für eine überzeugende zweistufige Lösungsvariante.331 Wenn bereits die „Bewerbung“, vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet, offensichtlich (!)332 erkennen lässt, dass es dem Verfasser nicht darum geht, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, kann das Schreiben nicht als Bewerbung im Rechtssinne ausgelegt werden.333 Der Absender ist daher kein Bewerber i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Zwar ist die Bewerbung als invitatio ad offerendum keine Willenserklärung, sofern sie aber wie hier Rechtsfolgen auslösen kann, kann man die Grundsätze der Auslegung von Willenserklärungen auf die Bewerbung entsprechend anwenden.334 Rechtschreibfehler, fehlende Zeugnisse oder andere Schwächen in Form und Inhalt der Bewerbung genügen freilich nicht, um das Vorliegen einer Bewerbung zu verneinen,335 völlig unpassende Inhalte und ein beleidigender Tonfall aber durchaus.336 Bei einer „Scheinbewerbung“ handelt es sich nicht um einen Fall des § 117 Abs. 1 BGB, weil das Einver330 

Rolfs, NZA 2016, 586, 588. Benecke, EuZA 2017, 47, 52; Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6. 332 Vgl. EuGH, Urteil v. 28. 07. 2016 – C-423/15 (Kratzer), NZA 2016, 1014, 1015 (Rn. 35). 333  Klocke, jurisPR-ArbR 37/2016 Anm. 6. 334 Ähnl. Windel, RdA 2011, 193, 194. 335  Windel, RdA 2011, 193, 195. 336  Vgl. etwa den Sachverhalt von LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 13. 08. 2007 – 3 Ta 119/07, juris. 331 Ähnl.

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3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

ständnis des Erklärungsempfängers fehlt. Auch die Voraussetzungen des § 118 BGB sind nicht erfüllt, denn der Absender will ja erreichen, dass sein Schreiben als Bewerbung ernstgenommen wird. Ein innerer, vom Empfänger nicht erkennbarer Vorbehalt ist ohne Bedeutung für die rechtliche Beurteilung.337 Ist der Entschädigungskläger nach dieser Auslegung als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG einzustufen, können im Einzelfall Umstände innerhalb und außerhalb der Bewerbung darauf schließen lassen, dass er ausschließlich einen Entschädigungsanspruch erlangen wollte.338 Diese Umstände sind bei der Prüfung eines individuellen Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Kettenbefristung muss der Missbrauchsbegriff bei Scheinbewerbungen eng gefasst werden, weil er dort der effektiven Durchsetzung, hier aber der Begrenzung des Gemeinschaftsrechts dient. Somit ist die aktuelle Rechtsprechung des BAG zu Scheinbewerbungen methodisch und inhaltlich nicht zu beanstanden.

E.  Ergebnisse I.  Befristung • Nach früherer Ansicht des BAG erlaubte § 14 Abs. 1 TzBfG bei Vorliegen eines sachlichen Grundes eine unbegrenzte Zahl aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse. Damit die Anwendung des Gesetzes den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts genügt, hat das BAG über die Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs Höchstgrenzen für Anzahl von Befristungen und Gesamtdauer von Befristungsketten eingeführt. • Um den europarechtlichen Anforderungen zu entsprechen, muss das BAG den Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots überdehnen. Während es nur zur Korrektur in atypischen Fallkonstellationen und nicht zur generellen Regelung gleichartiger Sachverhalte entwickelt wurde, verlangt der EuGH eine Missbrauchskontrolle in jedem Einzelfall wiederholter Befristung. • Dogmatisch noch überzeugender als die von der Literatur geforderte teleologische Reduktion der Sachgrundregelungen ist eine Lösung nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 TzBfG: Gemäß Satz 2 muss ein an sich geeigneter sachlicher Grund vorliegen. Gemäß Satz 1 muss dieser die Befristung auch im konkreten Fall rechtfertigen. Diese Anknüpfung wirkt sich auf die Eingriffsschwelle und die Beweislastverteilung aus; im Übrigen kann die Rechtsprechung des BAG zum Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs weiterhin zur Konkretisierung der Rechtfertigungsvoraussetzungen herangezogen werden. 337 

Windel, RdA 2011, 193, 194. Tutschek, ZESAR 2017, 181, 183, die die Argumentation des EuGH so versteht, dass nur bei Vorliegen der Missbrauchsvoraussetzungen ein Sachverhalt nicht in den Schutzbereich der RL fällt. 338 A.A.

E.  Ergebnisse

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• Die zur Kettenbefristung mit Sachgrund entwickelten Grundsätze lassen sich auch auf Rahmenvereinbarungen mit kurzen Einzelverträgen anwenden: Selbst wenn ausnahmsweise alle formalen und inhaltlichen Voraussetzungen für jede einzelne Befristung vorliegen sollten, ist spätestens nach dem 15. Einsatz ein institutioneller Rechtsmissbrauch (bzw. nach hier vertretener Auffassung eine fehlende Rechtfertigung der Befristung) indiziert. Fehlt es an einem sachlichen Grund oder ist die Schriftform nicht für jeden einzelnen Einsatz eingehalten, dann ist die Befristung schon vorher unwirksam. • Fälle der Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch Austausch des Vertragsarbeitgebers löst das BAG im Wege des individuellen Rechtsmissbrauchs. Dazu verlangt es erstmals seit Jahrzehnten entgegen der Leitentscheidung des Großen Senats zur Gesetzesumgehung eine – sogar ausschließliche – Umgehungsabsicht, die der Arbeitnehmer anhand mehrerer Indizien nachweisen muss. Die Eingriffsschwelle liegt in dieser Fallgruppe deshalb sehr hoch. • Vorzuziehen ist eine Differenzierung nach der zur Umgehung eingesetzten Gestaltung: Auf Gemeinschaftsbetriebe lässt sich das Anschlussverbot analog anwenden. Aufgrund des gemeinsamen Leitungsapparats können die beteiligten Unternehmen als derselbe Arbeitgeber i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 2 ­TzBfG betrachtet werden. Bei Zwischenschaltung eines Verleihunternehmens ist dagegen eine Einzelfallbetrachtung angezeigt, so dass diese Fälle über das Rechtsmissbrauchsverbot zu lösen sind. Da es nach dem hier vertretenen Verständnis nur auf den Verstoß gegen die Ziele des Gesetzes und nicht auf die Willensrichtung der beteiligten Arbeitgeber ankommt, ist der institutionelle dem individuellen Rechtsmissbrauch als Lösungsmethode vorzuziehen. Nach hier vertretener Ansicht ist das der einzige bisher praktisch relevante Fall, in dem eine Umgehung und ein institutioneller Rechtsmissbrauch zusammentreffen. • Die neuere Rechtsprechung des Siebten Senats zum Rechtsmissbrauch bemüht sich erkennbar um größtmögliche Rechtssicherheit, indem die Voraussetzungen eines Missbrauchs so konkret wie möglich umschrieben und in Betracht kommende Indizien aufgezeigt werden. Eine Betrachtung des Einzelfalls bleibt nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch unumgänglich. II.  Scheinbewerbung zwecks Entschädigungsklage nach § 15 Abs. 2 AGG • Fälle der Scheinbewerbung zur Erlangung eines Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG muss das BAG nach den Grundsätzen des individuellen Rechtsmissbrauchs lösen, um den Vorgaben des EuGH zur Gewährleistung des effet utile zu entsprechen. Der EuGH beschränkt den Schutz durch die

320

3. Teil: § 11  Institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch

Richtlinien nicht auf ernsthafte Bewerbungen, sondern sieht einen Missbrauch erst dann, wenn die Erlangung eines Entschädigungsanspruchs das alleinige bzw. wesentliche Ziel des Bewerbers ist. • Nur wenn bereits eine Auslegung des Anschreibens erkennen lässt, dass es sich um keine Bewerbung im Rechtssinne handelt, ist der Nachweis eines Rechtsmissbrauchs entbehrlich. Im Übrigen ist nicht der (ohnehin fragliche) Verstoß gegen den Gesetzeszweck, sondern die arglistige Erlangung des Anspruchs entscheidend. Dies ist nach der Methodenlehre die einzige Fallgruppe in der Rechtsprechung des BAG, in der sich Gesetzesergehung und individueller Rechtsmissbrauch überschneiden. III.  Fallgruppenübergreifende Ergebnisse • Offenbar betrachtet das BAG das Rechtsmissbrauchsverbot generell als geeignetes Mittel, um eine unvollkommene Umsetzung europäischer Richtlinien durch den deutschen Gesetzgeber „minimalinvasiv“ zu korrigieren. Indem das BAG in Fällen mit Umgehungsverdacht in letzter Zeit meist schematisch auf die Figur des institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchs zurückgreift, hat es seine Kontrolldichte deutlich gesenkt. • Der vorschnelle Einsatz der Figur des institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchs dürfte jedenfalls teilweise auch darauf zurückzuführen sein, dass der EuGH sämtliche Formen missbilligter Rechtsgestaltung und -ausübung als Missbrauch von Gemeinschaftsrecht bezeichnet. Daraus kann man für das deutsche Recht und seine Methodenanwendung keinerlei Schlüsse ziehen. Vielmehr muss für jede Fallkonstellation geprüft werden, auf welche Weise die Vorgaben des EuGH methodisch korrekt in die deutsche Rechtslandschaft eingefügt werden können.

A.  Gemeinsamkeiten der Fallgruppen

321

§ 12  Fallgruppenübergreifende Analyse 3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

A.  Gemeinsamkeiten der Fallgruppen I.  Verzicht auf (offene) Methodenanwendung Das BAG beschränkt sich in seinen Entscheidungen regelmäßig auf die Feststellung einer objektiven Gesetzesumgehung, die es entgegen der herrschenden zivilrechtlichen Dogmatik als eigenständige Rechtsfigur auffasst. Dafür genügen ihm die Nennung einer umgangenen Rechtsnorm und die Angabe von Rechtsvorschriften und Wertungskriterien, die die Funktionswidrigkeit der gewählten Gestaltung begründen. Nach der Begrifflichkeit der Methodenlehre hat das BAG damit aber nur die Feststellung getroffen, eine Gestaltung nutze eine Gesetzeslücke.1 Weder wird in den Entscheidungen ausgeführt, welche Methoden (z. B. Analogie oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung) zur Abgrenzung und Ausfüllung dieser Gesetzeslücke angewandt werden, noch werden die dogmatischen Voraussetzungen dieser Methoden geprüft. So stellte der Große Senat in seiner Leitentscheidung2 zur Zulässigkeit von Befristungen eine ganze Reihe gesetzlicher Wertungen dar, die eine Befristungskontrolle erforderlich machen sollen, ohne aber die Methode zu nennen, über die diese Wertungen in die Falllösung einfließen und zum Erfordernis eines sachlichen Grundes führen. Als dies in viel späteren Entscheidungen nachgeholt werden sollte,3 war die Einordnung als gesetzesimmanente Rechtsfortbildung unzutreffend. Wie bei den einzelnen Fallgruppen dargestellt, können ausnahmslos alle vom BAG als objektive Gesetzesumgehung eingeordneten Fälle im Wege der Auslegung, der gesetzesimmanenten oder der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung sachgerecht und methodenkonform gelöst werden. Und es fällt auf, dass die Ergebnisse der Umgehungsrechtsprechung in den meisten Fällen, in denen das BAG einen Sachgrund verlangt, einen Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses verhindert oder eine Norm über ihren Wortlaut hinaus angewandt hat, mit den Vorgaben der Methodenlehre übereinstimmen. Koller formuliert treffend, die Figur der objektiven Gesetzesumgehung könne verwendet werden, „um ohne großen dogmatischen Aufwand angemessene, aber im Sinne einer Bindung an das Gesetz auch wenig abgesicherte Lösungen zu erzielen.“4

1 

Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. I. BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 3  BAG, Urteil v. 07. 03. 1980 – 7 AZR 177/78, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 54; v. 29. 08. 1979 – 4 AZR 863/77, NJW 1980, 1766, 1767; vgl. Gliederungspunkt § 7 A. IV. 1. 4  Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 2 

322

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

Den Vorteil für das BAG sieht er darin, dass die Begründungslast erheblich vermindert und der Begründungsspielraum erheblich erweitert wird.5 Methodenanwendung ist aufwendiger als freie Wertung. Kritischer drückt Rüthers es aus: Der Verzicht der Gerichte auf Methoden „verschleiert erhebliche Mißstände.“6 Denn nur eine methodisch abgesicherte Rechtsanwendung stimmt überein mit „Gesetz und Recht“ i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG.7 Eine Rechtsfigur wie die „objektive Gesetzesumgehung“, die nach Feststellung einer Gesetzeslücke eine beliebige Rechtsfortbildung ohne Einhaltung weiterer dogmatischer Voraussetzungen erlaubt, muss deshalb aufgegeben werden. Die Untersuchung hat gezeigt, dass ein Verzicht auf offene Methodenanwendung bisweilen auch zu Fehlentscheidungen führte. So verlangte das BAG für den Ausschluss der Lohnfortzahlung nach dem mittlerweile aufgehobenen § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 LFZG bei kurzen befristeten Arbeitsverhältnissen ebenfalls einen sachlichen Grund, obwohl dadurch das allgemeine Rechtsprinzip des Bestandsschutzes nicht betroffen war und folglich keine Gesetzeslücke vorlag.8 Im Ergebnis konnte eine vom Gesetzgeber bewusst geschaffene Ausnahmeregelung nur sehr eingeschränkt genutzt werden. Es handelte sich um eine rechtswidrige Rechtsfortbildung contra legem. II.  Wertungsabhängigkeit der Ergebnisse Das Schrifttum stimmt den Entscheidungen des BAG häufig im Ergebnis zu und kritisiert nur den Weg dorthin. So fand das Erfordernis eines sachlichen Grundes bei Befristungen zwar weitgehend Zustimmung, doch die Literatur entwickelte eine ganze Reihe alternativer Begründungsansätze,9 weil die Herleitung aus einer Umgehung des Kündigungsschutzes kaum jemanden zu überzeugen vermochte. Dass unabhängig von einer korrekten Methodenanwendung sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können, lässt sich mit der großen Bedeutung von Wertungen nicht nur bei Umgehungssachverhalten, sondern bei der Rechtsfortbildung insgesamt erklären. Vor allem bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, wie sie der sog. objektiven Gesetzesumgehung häufig zugrunde lag, wird aus gesetzlichen Einzelwertungen ein allgemeines Rechtsprinzip abgeleitet, das dann wiederum auf einen ungeregelten Fall übertragen wird. Obwohl die Wertungen aus der Rechtsordnung hergeleitet werden müssen, führte wiederholt eine Änderung in der Zusammensetzung der zuständigen Se5 

Koller, a. a. O. Rüthers, JZ 2006, 53, 54. 7  Rüthers, JZ 2006, 53; Schick, S. 131; vgl. Gliederungspunkt § 2 D. I. 8  Dazu ausführlich Gliederungspunkt § 7 C. 9  Vgl. Gliederungspunkt § 7 A. II. 2. 6 

A.  Gemeinsamkeiten der Fallgruppen

323

nate zu einer Neubewertung der Missbräuchlichkeit von Gestaltungen. Zeitweise beurteilten verschiedene Senate des BAG dieselbe Rechtsfrage unterschiedlich.10 Erwähnenswert ist eine grundlegende „Auseinandersetzung“ zwischen dem Dritten Senat unter dem Vorsitz Dieterichs und dem Siebten Senat unter dem Vorsitz Seidenstickers, weil sie entgegengesetzte Einstellungen zur Gesetzesumgehung erkennen lässt. Der Dritte Senat vertrat in einer Entscheidung zum mittelbaren Arbeitsverhältnis die Ansicht, dass Arbeitgeber nicht willkürlich eine Gestaltungsform wählen dürften, die zu einer Vermeidung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und zu einer Reduzierung von Arbeitnehmerrechten führe.11 Für eine atypische Gestaltung zum Nachteil des Arbeitnehmers müsse ein sachlicher Grund angeführt werden. Der Siebte Senat hielt dem entgegen, im geltenden Recht gebe es keinen zwingenden arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass eine bestimmte Gestaltung gewählt werden müsse, weil der Arbeitnehmer andernfalls schlechter gestellt wäre.12 Stattdessen wurde die Vermeidung der vorgesehenen Rechtsfolgen bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs gebilligt – unzulässig wäre nach dieser Ansicht nur eine „rechtsmissbräuchliche Umgehung“. Ebenfalls unter dem Vorsitz Seidenstickers gab der Siebte Senat mit kaum überzeugender Begründung die zuvor übliche umfassende Befristungskontrolle auf und überprüfte nur noch die Befristung des letzten Arbeitsvertrags.13 Auch in jüngerer Zeit haben Wechsel im Senatsvorsitz zu Änderungen in der Rechtsprechung geführt. Nachdem Gräfl im Jahr 2014 den Vorsitz übernommen hatte, konkretisierte der Siebte Senat trotz ursprünglicher Ablehnung14 die Grenz­werte der „Rechtsmissbrauchsampel“ für Kettenbefristungen.15 Der Achte Senat gab unter dem Vorsitz Schlewings die Voraussetzung der objektiven Eignung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auf 16 und erhöhte die Anforderungen an einen Missbrauch deutlich17. Diese Beispiele zeigen, dass die (rechtspolitische) Grundeinstellung und das Vorverständnis von Richtern über die Beantwortung der Frage entscheiden können, ob eine Gestaltung miss10 

Z. B. den Prüfungsgegenstand einer Entfristungsklage, vgl. § 7 A. I. 3. Urteil v. 20. 07. 1982 – 3 AZR 446/80, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 12  BAG, Urteil v. 11. 11. 1988 – 7 AZR 603/87, juris (Rn. 40 ff.); v. 29. 06. 1988 – 7 AZR 552/86, AP HRG § 25 Nr. 1. 13  Grundlegend BAG, Urteil v. 08. 05. 1985 – 7 AZR 191/84, AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97. 14  So noch Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 83: „Die Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls schließt […] leicht nachprüfbare starre Grenzen aus 15  BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382. 16  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 4/15, NZA 2017, 310, 313; v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 90 ff.); v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 17  BAG, Urteil v. 11. 08. 2016 – 8 AZR 406/14, juris (Rn. 44); v. 19. 05. 2016 – 8 AZR 470/14, NZA 2016, 1394. 11  BAG,

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

324

bräuchlich ist oder nicht. Dem Ausspruch „Neue Richter, neues Recht“18 kann man jedenfalls für die Umgehungsrechtsprechung zustimmen.

B.  Zielsetzungen der Umgehungsrechtsprechung Mit dem Argument der „objektiven Gesetzesumgehung“ verfolgte das BAG drei unterschiedliche Zielsetzungen, denen sich alle oben betrachteten Fallgruppen zuordnen lassen. I.  Arbeitnehmerschutz durch Inhaltskontrolle von Verträgen Begründet wurde die Rechtsfigur der objektiven Gesetzesumgehung, um Vertragsabreden über eine Befristung des Arbeitsverhältnisses einer Billigkeitsprüfung zu unterziehen.19 Auch in anderen Konstellationen wurde ein sachlicher Grund für eine Vereinbarung verlangt, um Vertragsinhalte auszuschließen, die den Arbeitnehmer unsachlich benachteiligen. Die Kernbereichslehre diente (und dient, eingebettet in die Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) ebenfalls dazu, eine den Arbeitnehmer unangemessen belastende Vertragsgestaltung zu verhindern. Diese Fallgruppen der objektiven Gesetzesumgehung, die eigentlich der Inhaltskontrolle dienen, weisen Gemeinsamkeiten auf: Bei der Falllösung durch das Erfordernis eines sachlichen Grundes nannte das BAG nicht eine einzelne Norm, die umgangen werde, sondern berief sich auf die Umgehung des gesamten Kündigungsschutzrechts innerhalb und außerhalb des KSchG.20 Auch bei der Entwicklung der Kernbereichslehre zur Begrenzung von Änderungsvorbehalten führte das BAG eine Reihe umgangener Vorschriften an.21 Tatsächlich wurden auf diese Weise allgemeine Rechtsprinzipien – nämlich die Grundsätze des Inhalts- und Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen – aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsnormen abgeleitet. Die Lückenhaftigkeit des Gesetzes ergab sich daraus, dass es Eingriffe in diese Grundsätze durch einseitige Rechtsgeschäfte nur unter engen Voraussetzungen erlaubte, vertragliche Vereinbarungen mit derselben Wirkung – z. B. Befristungsabreden zur Vermeidung des Kündigungsschutzes oder Änderungsvorbehalte zur Vermeidung des Schutzes vor Änderungskündigungen – aber vermeintlich uneingeschränkt zuließ. Problematisch wird eine solche Diskrepanz, wenn zwischen den Vertragsparteien ein erhebliches Machtgefälle besteht, so dass die 18 

Hanau, NZA 1996, 841. diesem Sinne etwa Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1114; Säcker, RdA 1976, 91, 95; Sowka, BB 1994, 1001, 1002. 20  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798, 799; vgl. Gliederungspunkte § 5 A. III. und § 7 A. I. 1. a). 21  Vgl. § 8 A. III. 2. b). 19 In

B.  Zielsetzungen der Umgehungsrechtsprechung

325

überlegene Partei die Vertragsinhalte im Wesentlichen diktieren kann. Die Angemessenheitskontrolle von Vertragsklauseln mit dem Argument der Gesetzesumgehung diente der Schließung dieser Lücke. Heute übernimmt diese Funktion die gesetzlich geregelte AGB- und Befristungskontrolle. Mit einer verkappten AGB-Kontrolle lässt sich erklären, warum der Wunsch des Arbeitnehmers nach einer bestimmten Vertragsgestaltung in diesen Fallgruppen durchweg zu ihrer Zulässigkeit führte. Auch dass das BAG identische Gestaltungen in Arbeitsverträgen für unzulässig, in Tarifverträgen jedoch für wirksam erachtete, erklärt sich damit, dass es erst bei einem Machtgefälle der Parteien eine Inhaltskontrolle für erforderlich hielt. In den Fallgruppen der Billigkeitskontrolle steht also nicht der Erfolg an sich in einem Widerspruch zur Rechtsordnung, sondern die Tatsache, dass der Arbeitgeber diesen Erfolg faktisch einseitig herbeiführen kann. Typisches Merkmal der unzulässigen Umgehung ist aber, dass nicht nur ein bestimmter Weg, sondern der – auf beliebige Weise herbeigeführte – Erfolg im Widerspruch zu den Wertungen der Rechtsordnung steht.22 Es handelt sich bei den Fällen der Billigkeitskontrolle definitionsgemäß also nicht um Umgehungsfälle. Zudem hat sich gezeigt, dass das Umgehungsargument bei der zur Inhaltskontrolle vorgenommenen Rechtsfortbildung nicht nur überflüssig ist, sondern auch zu widersinnigen Ergebnissen führen kann.23 Weil das BAG etwa die Kernbereichslehre mit einer Umgehung des Schutzes gegen Änderungskündigungen begründete, hätten Änderungsvorbehalte des Arbeitgebers bei befristeten Arbeitsverhältnissen bis zu sechs Monaten Dauer ohne jede Einschränkung zulässig sein müssen. Hätte der Gesetzgeber die Gerichte früher zu einer Inhaltskontrolle von (Formular-)Arbeitsverträgen ermächtigt, wäre in diesen Fällen eine Rechtsfortbildung unter Berufung auf die Figur der objektiven Gesetzesumgehung nicht erforderlich gewesen. Als Alternative zu dieser Begründung für die nach allgemeiner Ansicht erforderliche Inhaltskontrolle wurde im Schrifttum eine „behutsame“ Übertragung der Grundsätze des AGB-Gesetzes vorgeschlagen.24 Weil dieses Gesetz allerdings für Arbeitsverträge ausdrücklich nicht gelten sollte, hätte es sich um eine Rechtsfortbildung contra legem gehandelt. Methodisch vertretbarer und ehrlicher erscheint eine als solche bezeichnete Inhaltskontrolle nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB,25 bei der es sich freilich ebenso um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung gehandelt hätte. Alternativ hätte die Rechtsfortbildung auf das vom BVerfG anerkannte26 allgemeine Rechtsprin22 

Preis, S. 387 f. Preis, S. 157. 24  Hromadka, RdA 1992, 234, 240. 25  So etwa gefordert von Feuerborn, S. 544; Preis, S. 582 f. 26 BVerfG, Urteil v. 06. 02. 2001 – 1 BvR 12/92 (Unterhaltsverzichtsvertrag), NJW 2001, 957; Beschluss v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89 und 1 BvR 1044/89 (Bürgschaftsver23 

326

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

zip gestützt werden können, dass Verträge mit strukturellem Ungleichgewicht der Parteien einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen müssen. II.  Verwirklichung des Normzwecks In einigen Entscheidungen setzt das BAG die Figur der objektiven Gesetzes­ umgehung dazu ein, die Zielsetzung einer Rechtsnorm über ihren Wortlaut hinaus vollständig zu verwirklichen. Dabei geht es etwa um die Umgehung von Kündigungsfristen durch auflösend bedingte Arbeitsverträge27 oder die Umgehung einzelner, wartezeitabhängiger Arbeitnehmerrechte durch Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses28. Diese Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass jeweils eine ganz konkrete, einzelne Gesetzesvorschrift – z. B. § 622 BGB oder § 1 Abs. 1 KSchG – als umgangene Norm ausgemacht werden kann. Selbst wenn die geschützten Personen freiwillig und ohne jeden Druck daran mitwirken, diese Vorschriften abzubedingen, versagt das Gesetz dem Umgehungsversuch den von den Parteien gewollten, von der Rechtsordnung aber missbilligten Erfolg. Damit entspricht diese Fallgruppe dem Bild einer typischen Gesetzesumgehung. Diese Vorgehensweise deckt sich mit der zivilrechtlichen Dogmatik und ist folglich nicht zu beanstanden. Allerdings nennt das BAG die angewandte Methode – meist handelt es sich um eine Analogie – auch in Entscheidungen dieser Fallgruppe nicht. III.  Europarechtskonformität In jüngerer Zeit setzt das BAG das Argument der Gesetzesumgehung auch dazu ein, das deutsche Recht den Vorgaben europäischer Richtlinien anzupassen, nachdem der Gesetzgeber diese nur unzureichend umgesetzt hat. Als Beispiel können insbesondere die Fälle wiederholter Befristung mit und ohne Sachgrund genannt werden, die § 14 Abs. 1 und 2 TzBfG bei isolierter Betrachtung des Wortlauts vermeintlich zulässt.29 Aber auch die Umgehung von § 613a BGB durch Änderungsvereinbarungen wegen Betriebsübergangs fällt in diese Kategorie. Hier ist jeweils der Wortlaut des nationalen Gesetzes zu eng oder unvollständig, so dass die Ziele des Gemeinschaftsrechts nicht effektiv verwirklicht werden. Die unvollständige Umsetzung von Richtlinien lässt die darauf basierende nationale Vorschrift bei europarechtskonformer Auslegung lückenhaft werden. Damit ermöglicht das deutsche Gesetz bei wörtlicher Auslegung eine Umgehung des europäischen Rechts, die durch Rechtsfortbildung zu unterbinden ist. trag), BVerfGE 89, 214; v. 07. 02. 1990 – 1 BvR 26/84 (Wettbewerbsverbot des Handelsvertreters), BVerfGE 81, 242. 27  Vgl. Gliederungspunkt § 10 A. 28  Vgl. Gliederungspunkt § 10 C. 29  Vgl. Gliederungspunkt § 11 A. und C.

C.  Thesen zur Erklärung der Umgehungsrechtsprechung des BAG

327

Der EuGH unterscheidet in seinen Entscheidungen nicht klar zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch, sondern prüft stets, ob ein Missbrauch des Gemeinschaftsrechts vorliegt. Diese erst ansatzweise entwickelte Methodik des EuGH beim Umgang mit Umgehung und Rechtsmissbrauch stimmt allerdings nicht mit der Dogmatik des deutschen Zivilrechts überein30 und lässt sich folglich auch nicht auf das deutsche Arbeitsrecht übertragen31. Vielmehr müsste jeweils entsprechend der Methodenlehre die nach nationalem Recht geeignete Methode zur Umsetzung der europarechtlich gebotenen Missbrauchsprüfung gewählt werden.32 Das BAG dagegen bejaht einen Missbrauch des Gemeinschaftsrechts in den neueren Fallgruppen nur unter den engen Voraussetzungen des individuellen oder institutionellen Rechtsmissbrauchs. Das führt zu einer sehr hohen Eingriffsschwelle auch in typischen Umgehungsfällen und zu einer Übertragung der Darlegungs- und Beweislast auf denjenigen, der sich auf einen Rechtsmissbrauch der Gegenseite beruft, meist also auf den Arbeitnehmer.

C.  Thesen zur Erklärung der Umgehungsrechtsprechung des BAG Einige Autoren haben nach Erklärungsansätzen für die abweichende Entwicklung der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung in Fällen der Gesetzesumgehung gesucht und dazu verschiedene Hypothesen aufgestellt. Diese sollen nun betrachtet und anhand der bisherigen Erkenntnisse auf ihre Plausibilität überprüft werden. I.  Regelungslücken im Arbeitsrecht Als häufigste Begründung für den Sonderweg des BAG bei der Gesetzesumgehung wird in der Literatur darauf verwiesen, dass das Arbeitsrecht im Vergleich zum übrigen Zivilrecht außergewöhnlich lückenhaft sei. Die Vielzahl von Gesetzeslücken habe zu einer größeren Bereitschaft des BAG zur Rechtsfortbildung und zur Begründung eines extensiven Richterrechts geführt.33 Der rasche Wandel tatsächlicher Umstände und dringende soziale Bedürfnisse führen nach Zöllner im Arbeitsrecht zu einer größeren „Diskrepanz zwischen normativer Ordnung und Wirklichkeit“, die die Annahme einer Gesetzeslücke und ein Abweichen vom 30 MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 211; Basedow, in: FS Stathopoulos, S. 160 ff.; Englisch, StuW 2009, 3, 22; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1278. 31  Vgl. Gliederungspunkt § 6 D. II. 32  Englisch, StuW 2009, 3, 11 f.; Krieger, EuZW 2016, 696, 698; Schlachter, in: FS Wank, S. 503 ff. 33  Esser, in: Summum ius, S. 25; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388; Höpfner, NZA-Beil. 2011, 97; Jobs, DB 1982, 2081; Rüthers, NZA-Beil. 2011, 100, 101; Benecke, S. 107; Zöllner, § 6 VII., S. 76.

328

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

Gesetzeswortlaut öfter und schneller begründe.34 Benecke nimmt an, das Arbeitsrecht sei seiner Struktur nach besonders umgehungsanfällig, weil das Ziel des Arbeitnehmerschutzes im Gesetz nur durch punktuelle Regelungen umgesetzt werde.35 Dieses Problem nehme durch europarechtliche Vorgaben weiter zu, weil sich die Umsetzungsnormen oft nicht übergangslos in das deutsche Recht einfügen.36 Entsprechend wird der fragmentarische Charakter des Gemeinschaftsrechts als Erklärung dafür herangezogen, dass auch im Europäischen Recht die Gesetzesumgehung überdurchschnittlich häufig erwähnt wird.37 Tatsächlich hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, praktisch wichtige Teilbereiche des Arbeitsrechts zu regeln, und die Ausfüllung dieser bewussten Lücken der Rechtsprechung überlassen – zunächst auch die Problematik der Zulässigkeit von Befristungen bei zunehmendem Kündigungsschutz38. Die gesetzgeberische Untätigkeit führte dazu, dass Arbeitsgerichte häufiger als Gerichte anderer Rechtszweige das Recht fortbilden mussten und teilweise immer noch müssen, damit es praktischen und rechtlichen Anforderungen genügt.39 Wenn das BAG eine objektive Gesetzesumgehung prüft, prüft es in Wirklichkeit das Vorliegen einer Gesetzeslücke.40 Allerdings können, wie die Untersuchung gezeigt hat, ausnahmslos alle Gesetzeslücken auch im Arbeitsrecht im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung angemessen abgegrenzt und ausgefüllt werden. Eine eigene Rechtsfigur oder eine auf sonstige Weise abweichende Methodik erfordern sie nicht. II.  Ausschluss gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung Neben der Häufigkeit von Gesetzeslücken wird auch auf ihre besondere Erscheinungsform im Arbeitsrecht hingewiesen. Das Arbeitsvertragsrecht sei keine durchgehend geregelte Materie mit vereinzelten Lücken, sondern ein weitgehend ungeregeltes Rechtsgebiet mit punktuellen Schutzvorschriften. Bei solchen Normen mit beschränktem und speziellem Geltungsbereich sei ein Analogieschluss oft nur schwer zu begründen.41 Eine Gleichstellung mit der umgangenen Norm sei häufig nicht sinnvoll, weil deren Rechtsfolgen nicht zu dem Umgehungsgeschäft

34 

Zöllner, § 6 VII., S. 76. Benecke, S. 106. 36  Benecke, S. 206. 37  v. Lackum, S. 247. 38  Z. B. BT-Drs. I/2090, S. 12. 39  BVerfG, Beschluss v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65 (Soraya), NJW 1973, 1221, 1225; Dieterich, RdA 1993, 67; Rüthers, NZA-Beil. 2011, 100, 103; Zöllner, § 6 VII., S. 76. 40  Vgl. Gliederungspunkt § 5 C. I. 41  Benecke, S. 205. 35 

C.  Thesen zur Erklärung der Umgehungsrechtsprechung des BAG

329

passen.42 Die Untersuchung hat dies bestätigt. In der Umgehungsrechtsprechung des BAG fanden sich viele Beispiele für eine notwendige gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung43, aber nur wenige, wo eine Lösung im Wege der Analogie44 möglich war. Das macht die Argumentation des BAG mit der objektiven Gesetzesumgehung zumindest nachvollziehbar. Die Leitentscheidung des Großen Senats45 erging zu eine Zeit, als ein Umgehungsverbot als eigenständige Begründung noch weitgehend anerkannt war. Kurz darauf erschien die Arbeit von Teichmann und führte zu einem Umdenken dahingehend, dass die Analogie als Standardlösung in Umgehungsfällen anerkannt wurde. Diesen Wandel vollzog die Rechtsprechung des BAG aber nicht mit. Die vom Großen Senat entwickelten Grundsätze wurden über Jahrzehnte angewandt, weil sie einen „bequemen“, scheinbar subsumtionsfähigen Lösungsansatz auch für solche Fälle lieferten, in denen eine Analogie ausschied und eine Rechtsfortbildung extra legem erforderlich war. Denn Arbeitsaufwand und Rechtfertigungsdruck sind bei einer – insbesondere gesetzes­ übersteigenden – Rechtsfortbildung ungleich höher als bei bloßer Anwendung von Normen46 oder von seit langem gebräuchlichen Rechtsprechungsformeln. III.  Niedrigere Eingriffsschwelle Der dritte Erklärungsansatz für den Sonderweg des BAG ist inhaltlicher Natur. Arbeitsrecht ist bekanntlich in erster Linie Arbeitnehmerschutzrecht. Die Eingriffsschwelle für eine Rechtsfortbildung wird bei Schutzgesetzen wie im Arbeits- oder Verbraucherrecht grundsätzlich niedriger gesehen.47 Wo man also bei der Umgehung von Ordnungsvorschriften der Rechtssicherheit den Vorzug vor der Einzelfallgerechtigkeit geben würde – man denke nur an die strenge Rechtsprechung zum Schriftformerfordernis beim Grundstückskauf –, wird der Verwirklichung eines gesetzlichen Schutzzwecks zugunsten einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe höhere Bedeutung eingeräumt als dem Wortlaut einer Norm. Diese Besonderheit wirkt sich bei der Methodenanwendung aus, indem eine Analogie, teleologische Reduktion oder gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zulässig wird, wo sie bei reinen Ordnungsvorschriften abzulehnen wäre. Dass sich diese Besonderheit bei der Methodenanwendung berücksichtigen lässt, spricht aber gerade gegen die Notwendigkeit abweichender Methoden im Arbeitsrecht. 42 

Benecke, S. 107 und S. 205. Vgl. Gliederungspunkte §§ 7, 8 und 11. 44  Vgl. Gliederungspunkt § 10. 45  BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 46  Dieterich, RdA 1993, 67, 69. 47  Benecke, S. 128 ff. und S. 195; vgl. Gliederungspunkt § 2 D. V. 3. a) aa). 43 

330

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

IV.  Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Gesetzesumgehung Als weitere Besonderheit des Arbeitsrechts, die das BAG zur Schaffung der Figur der objektiven Gesetzesumgehung veranlasst hat, wird das Machtungleichgewicht zwischen den Arbeitsvertragsparteien genannt. Nicht nur ist der Arbeitgeber wirtschaftlich und informationell überlegen, sondern er kann meist auch zwischen weitaus mehr potentiellen Vertragspartnern wählen als der Arbeitnehmer. Aus Unerfahrenheit oder mangels anderer Arbeits- bzw. Verdienstmöglichkeit verzichten Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags auf einen Teil des gesetzlich vorgesehenen Schutzes und ermöglichen damit die Gesetzesumgehung erst.48 Signale des Arbeitgebers, z. B. hinsichtlich einer in Zukunft möglichen „Entfristung“ bei Wohlverhalten, können die Selbstschutzmechanismen weiter außer Kraft setzen.49 Autoren, die die frühere Umgehungsrechtsprechung des BAG auch im Ergebnis ablehnten, argumentierten, durch das Sachgrunderfordernis als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Befristung werde auch die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers verletzt.50 Selbst die Menschenwürde des Arbeitnehmers wurde in Gefahr gesehen, sollte man ihn durch eine „ausufernde Billigkeitskontrolle quasi […] entmündigen und unter eine Art gerichtliche Vormundschaft […] stellen.“51 Dem wurde entgegengehalten, ein freies Aushandeln der Vertragsbedingungen durch zwei gleichwertige Vertragsparteien, die ihre Vertragsfreiheit ausleben, entspreche ohnehin nicht der Realität.52 In vielen Fällen könne der Arbeitgeber den Vertragsinhalt faktisch diktieren. Wie oben gezeigt, entstand die Befristungsrechtsprechung zum Ausgleich zwischen Vertragsfreiheit und Arbeitnehmerschutz. So könnte man die frühere Rechtsprechung des BAG zu Befristungen, Widerrufsvorbehalten und Änderungsvereinbarungen bei Betriebsübergang wie folgt zusammenfassen: Immer wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines drohenden Nachteils an einem Vertrag mitwirkt, der seinen gesetzlichen Schutz unangemessen verkürzt, muss er vor sich selbst geschützt werden, indem für die Wirksamkeit dieser Gestaltung ein sachlicher, vernünftiger, nachvollziehbarer, von der Rechtsordnung anerkannter Grund verlangt wird. Wegen des Machtungleichgewichts war eine Rechtsfortbildung des BAG unumgänglich, um eine Inhaltskontrolle zur Verwirklichung allgemeiner Rechtsgrundsätze, insbesondere des Bestands- und Inhaltsschutzes von Arbeitsverhältnissen, zu ermöglichen. Wie bei den einzelnen Fallgruppen dargestellt, war sie auch methodisch zulässig. Preis betont zu Recht, dass ins48 

Benecke, S. 205. Schlachter, in: FS Wank, S. 512. 50  Z. B. Bickel, JuS 1987, 861, 862. 51  Pietzko, ZIP 1990, 1105, 1115. 52  Koch, BB 1978, 1218, 1220. 49 

D.  Haupttendenzen in der zeitlichen Entwicklung

331

besondere das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen eine Harmonisierung der Rechtsprechung des BAG mit dem allgemeinen Zivilrecht erschwert hat.53 Das Umgehungsargument ist dabei jedoch fehl am Platze. Das Problem war nicht, dass die Parteien einen unzulässigen Erfolg herbeiführen wollten, sondern dass der Arbeitgeber Vertragsinhalte diktieren und damit faktisch Regelungen zum Arbeitnehmerschutz allein abbedingen konnte. Heute wird dieses Problem weitgehend durch die gesetzlich vorgeschriebene Befristungs- und AGB-Kontrolle gelöst, die ebenfalls nicht mit einer Gesetzesumgehung zusammenhängt. Die Mitwirkung des Arbeitnehmers begründete also das Erfordernis einer Rechtsfortbildung, aber keine methodisch abweichende Umgehungsrechtsprechung.

D.  Haupttendenzen in der zeitlichen Entwicklung I.  Vom Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zum individuellen und institutionellen Rechtsmissbrauch Der Große Senat definierte in seiner Leitentscheidung die objektive Gesetzes­ umgehung als „Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten“.54 Wie oben gezeigt, war dieser Missbrauch keineswegs gleichzusetzen mit dem Rechtsmissbrauch, wie er im Zusammenhang mit § 242 BGB erörtert wird.55 Später war stattdessen oft von einer „objektiv funktionswidrigen Verwendung“56 von Gestaltungen die Rede. Die Begriffe des Missbrauchs und der funktionswidrigen Verwendung bezeichneten einen Verstoß gegen die Ziele der Rechtsordnung insgesamt, also das Fehlen einer Rechtfertigung für einen Verstoß gegen ein Rechtsprinzip oder eine Norm.57 Nachdem das BAG auf eine Umgehungsabsicht verzichtet hatte, prüfte es bei der objektiven Gesetzesumgehung nur die Voraussetzungen einer Gesetzeslücke und füllte diese methodenunabhängig anhand verschiedener gesetzlicher Wertungen aus. Durch die Qualifikation von Gestaltungen als zulässig oder missbräuchlich wurde die Gesetzeslücke für die jeweilige Fallgruppe konturiert und die Eingriffsschwelle festgelegt. Im Zeitverlauf definierte das BAG den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten je nach Fallgruppe unterschiedlich. Ursprünglich wurde ein Missbrauch insbesondere angenommen, wenn es an einem sachlichen Grund für eine den Arbeitnehmerschutz verkürzende Gestaltung fehlte oder wenn eine Vereinbarung 53 

Preis, S. 581 (These 8). BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798. 55  Vgl. Gliederungspunkt § 5 B. II. 3. 56  Z. B. BAG, Urteil v. 26. 07. 2000 – 7 AZR 51/99, BB 2000, 2576, 2578; v. 04. 12. 1991 – 7 AZR 84/90, juris (Rn. 20); v. 24. 02. 1988 – 7 AZR 454/87, NZA 1988, 545, 546. 57  Vgl. Gliederungspunkt § 5 B. II. 1. 54 

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3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

einen Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses ermöglichte. In jüngerer Zeit wird in Fällen mit Umgehungsverdacht schematisch auf die Figur des Rechtsmissbrauchs zurückgegriffen, um den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu definieren. Dieser hat das Sachgrunderfordernis als Standardlösung in Umgehungsfällen abgelöst. Das BAG verzichtet darauf, die traditionellen Voraussetzungen einer objektiven Gesetzesumgehung, also einen Missbrauch oder eine funktionswidrigen Verwendung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, zu prüfen. Zwar wurde in einzelnen Entscheidungen auch früher schon von einer „rechtsmissbräuchlichen Umgehung“58 gesprochen, doch war damit noch kein Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB gemeint – die Norm wurde weder genannt noch wurde geprüft, ob die Gestaltung gegen Treu und Glauben verstößt. Indem das BAG heute von einer „nach nationalem Recht gebotenen Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle (§ 242 BGB)“59 spricht, setzt es unterschiedliche Rechtsbegriffe gleich und ordnet sie alle dem Bereich des § 242 BGB zu. So lehnt es das BAG beispielsweise ab, den Arbeitgeberbegriff des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG auf bestimmte nicht-vertragliche Beschäftigungen auszudehnen. Im nächsten Schritt erwägt es nicht etwa – wie von der Methodenlehre vorgegeben60 – eine analoge Anwendung auf vom Wortlaut nicht erfasste, aber gegen den Gesetzeszweck verstoßende Gestaltungen. Stattdessen prüft das BAG nur noch, ob ein individueller Rechtsmissbrauch vorliegt. Selbst das vor Jahrzehnten abgeschaffte Erfordernis der Umgehungsabsicht hat das BAG damit als Voraussetzung eines individuellen Rechtsmissbrauchs quasi „durch die Hintertür“ wieder eingeführt.61 Dieses Umdenken hat Auswirkungen auf die Eingriffsschwelle und auf die Beweislastverteilung: Die im Arbeitsrecht traditionell niedrige Eingriffsschwelle in Umgehungsfällen62 hat sich durch die Verlagerung zur Rechtsmissbrauchskontrolle deutlich erhöht.63 Als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung gebietet die Rechtsmissbrauchsprüfung nach § 242 BGB äußerste Zurückhaltung. Viele Umgehungsfälle lassen sich dagegen schon durch Auslegung oder gesetzes­ immanente Rechtsfortbildung lösen. Es ist methodisch vertretbar, eine Gesetzeslücke festzustellen und diese letztendlich (nur) im Wege des institutionellen oder 58  Z. B. BAG, Beschluss v. 23. 03. 1993 – 1 ABR 65/92, NZA 1993, 766, 768; Urteil v. 15. 10. 1987 – 2 AZR 612/86, juris (Rn. 37); v. 15. 05. 1987 – 7 AZR 544/85, juris (Rn. 19). 59  BAG, Urteil v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; v. 24. 02. 2016 – 7 AZR 712/13, NZA 2016, 758, 761; v. 09. 12. 2015 – 7 AZR 117/14, NZA 2016, 552, 556; v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 474/13, juris (Rn. 18), v. 23. 09. 2014 – 9 AZR 1025/12, juris (Rn. 25); erstmals im Urteil v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 429. 60  Vgl. Gliederungspunkte § 2 D. IV. 1. a) und § 4 B. II. 2. 61  BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1511. 62  Benecke, S. 128. 63  Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120.

D.  Haupttendenzen in der zeitlichen Entwicklung

333

individuellen Rechtsmissbrauchs zu schließen, wenn Auslegung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung ausscheiden, weil ihre dogmatischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es ist aber nicht vertretbar, den Rechtsmissbrauch bereits zur Voraussetzung einer Gesetzeslücke zu machen, diese dann abzulehnen und deshalb eine an sich mögliche gesetzesimmanente Rechtsfortbildung zu unterlassen. Damit wird anstelle der funktionswidrigen Verwendung nur noch die völlig unerträgliche Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten unterbunden. Durch die Verlagerung der Beweislast wird dieses Resultat verstärkt. Während jedenfalls faktisch und später auch rechtlich der Arbeitgeber beweisen musste, dass ein sachlicher Grund für eine Gestaltung vorlag und diese somit trotz Einschränkung des Arbeitnehmerschutzes nicht der Gesetzesumgehung diente, muss nun der Arbeitnehmer Indizien dafür darlegen und beweisen, dass eine Gestaltung rechtsmissbräuchlich ist. Greiner bezeichnet die Rechtsmissbrauchskontrolle deshalb als „Leerformel“, die einer zu großzügigen Judikatur pro forma nachgeschoben werde, aber in aller Regel wirkungslos bleibe.64 Das Sachgrunderfordernis folgte dem Grundgedanken, dass die Vertragspartner zwar von der typischen, die Prinzipien des Arbeitnehmerschutzes vollständig verwirklichenden Gestaltung abweichen dürfen, aber nicht ohne rechtfertigenden Grund.65 Umgekehrt geht die heutige Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitgeber bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs alle nach dem Gesetzeswortlaut möglichen Gestaltungsmöglichkeiten zu seinem Vorteil einsetzen darf. Der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen wurde verengt. Daher könnte man auch von einem Wandel weg vom Schutz des einzelnen Arbeitnehmers und hin zu mehr Vertragsfreiheit sprechen. Während das Verbot der Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des BAG früher ein eigenständiges Rechtsinstitut war, kann es heute als Unterfall des Rechtsmissbrauchsverbots nach § 242 BGB bezeichnet werden. De facto hat das BAG seinen früheren Sonderweg zur Bekämpfung von Umgehungsgestaltungen damit weitgehend aufgegeben. Allerdings stimmt auch die derzeitige Entscheidungspraxis nicht mit dem Vorgehen der anderen obersten Gerichte überein, die zur Lösung von Umgehungsfällen in erster Linie auf Auslegung und Analogie zurückgreifen und zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch trennen.66 Allein der EuGH bezeichnet sämtliche Verstöße gegen Sinn und Zweck des Gemeinschaftsrechts als Missbrauch.67 Seine sich noch in der Entwicklung befindende Methodik ist auf das deutsche Recht aber nicht übertragbar. 64 

Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120. Urteil v. 20. 07. 1982 – 3 AZR 44/80, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. 66  Vgl. Gliederungspunkt § 6 A. bis C. 67  Vgl. Gliederungspunkt § 6 D. I. 1. 65  BAG,

334

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

II.  Von der Einzelfallgerechtigkeit zur Rechtssicherheit In seinen früheren Entscheidungen zur objektiven Gesetzesumgehung betonte das BAG stets, dass die konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts entscheidend seien. Der Einzelfallgerechtigkeit wurde der Vorzug eingeräumt vor der Vorhersehbarkeit von Entscheidungen. Das Schrifttum akzeptierte dies angesichts der Vielzahl möglicher Sachverhalte als unvermeidbar.68 In der heutigen, vermehrt von Angehörigen rechtsberatender Berufe geprägten Literatur wird das Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen stärker in den Fokus gerückt. Auch das BAG bemüht sich ersichtlich darum, die Zulässigkeit von Gestaltungen berechenbarer zu machen. Dazu werden etwa Kataloge von Rechtsmissbrauchsindizien erstellt69 oder – trotz Hinweises auf die europarechtlich gebotene und natürlich stets erfolgende Einzelfallprüfung70 – feste Höchstgrenzen71 genannt. Die Schaffung größtmöglicher Rechtssicherheit ist europarechtlich72 und verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 GG) geboten. Bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen kommt sie Arbeitgebern zugute, die dadurch ohne großes Risiko bis an die Grenze des Erlaubten gehen können.73 Die geänderte Schwerpunktsetzung in der Rechtsprechung kann möglicherweise mit einer Verschiebung der arbeitsmarktpolitischen Ziele erklärt werden – vom Schutz des einzelnen Arbeitnehmers hin zur Schaffung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland durch arbeitgeberfreundlichere Bedingungen. Zeitlich kann der Beginn dieser Änderung des arbeitsmarktpolitischen Klimas am Erlass der BeschFG 1985 festgemacht werden, in dem der Gesetzgeber das Sachgrunderfordernis für Befristungen erstmals einschränkte.

68 

Säcker, RdA 1976, 91, 96; Persch, S. 293 f. für eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG vgl. BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1510; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840; v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426. 70  Kiel, NZA-Beil. 2016, 72, 84. 71 Für die „Rechtsmissbrauchsampel“ bei Befristungsketten mit Sachgrund vgl. BAG, Urteil v. 26. 10. 2016 – 7 AZR 135/15, NZA 2017, 382. 72  Z. B. EuGH, Urteil v. 14. 03. 2006 – C-177/04, juris (Rn. 48): „Die Bestimmungen, die die Umsetzung einer Richtlinie gewährleisten sollen, müssen daher eine hinreichend bestimmte, klare und transparente Rechtslage schaffen, um es den Einzelnen zu ermöglichen, von allen ihren Pflichten und Rechten Kenntnis zu erlangen […]“; ähnl. bereits EuGH, Urteil v. 28. 02. 1991 – C-131/88, NVwZ 1991, 973. 73 APS/Backhaus, § 14 TzBfG Rn. 61n. 69  Z. B.

E.  Ergebnisse

335

III.  Von der Ersatzgesetzgebung zur minimalen Gesetzeskorrektur In der Vergangenheit hat das BAG unter Berufung auf eine „objektive Gesetzesumgehung“ im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung wiederholt Richterrecht von großer praktischer Bedeutung geschaffen.74 Als Beispiele können insbesondere das Erfordernis eines sachlichen Grundes für zahlreiche, nach dem reinen Gesetzeswortlaut zulässige Gestaltungen sowie die Kernbereichslehre angeführt werden. Die Literatur hat die Bereitschaft des BAG, als „Ersatzgesetzgeber“ aufzutreten, zum Teil kritisch gesehen.75 Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber hat allerdings trotz offensichtlichen Handlungsbedarfs einen laufenden Diskurs häufig untätig beobachtet und eine gefestigte Umgehungsrechtsprechung des BAG ausdrücklich in Rechtsnormen festgeschrieben, wenn eine gesetzliche Regelung notwendig wurde. In jüngerer Zeit gibt es dagegen nur eine neue Fallgruppe, in der das BAG eigene allgemeine Regeln für Umgehungssachverhalte entwickelt hat – die Grenzwerte der „Rechtsmissbrauchsampel“ bei Befristungsketten mit sachlichem Grund, mit denen die Rechtssicherheit erhöht wird. Ansonsten beschränkt das BAG sich in möglichen Umgehungskonstellationen durchweg auf eine rudimentäre Missbrauchskontrolle als letztes, sehr zurückhaltend eingesetztes Korrektiv. Methodisch vorrangige Möglichkeiten wie Auslegung oder Analogie werden zum Teil nicht ausgeschöpft. In der Literatur wird nunmehr die Kritik geäußert, dass das BAG mit der oft wirkungslosen Rechtsmissbrauchskontrolle Verstößen gegen den Zweck des Gesetzes nicht entschieden genug entgegentrete.76

E.  Ergebnisse • Das BAG verzichtet in seiner Umgehungsrechtsprechung fast durchgängig auf offene Methodenanwendung. Wenn es eine objektive Gesetzesumgehung – und damit eigentlich nur die Nutzung einer Gesetzeslücke – feststellt, wird diese allein anhand von Wertungen oder Grundsätzen aus früheren Entscheidungen ausgefüllt. In den meisten, aber nicht in allen Fällen führt diese Vorgehensweise zu denselben Ergebnissen wie eine methodisch richtige Lösung. • Insbesondere die Ergebnisse einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung hängen in hohem Maße von Wertungen ab. Die Wertungskriterien werden regelmäßig entsprechend der Methodenlehre aus dem Gesetz abgeleitet. Den-

74 

Koller, AP BGB § 611 Mittelbares Arbeitsverhältnis Nr. 5. Picker, JZ 1984, 153 ff.; Rüthers, NZA-Beil. 2011, 100, 101 ff. 76  Greiner, NZA-Beil. 2011, 117, 120; Preis/Greiner, RdA 2010, 148, 154. 75 

336

3. Teil: § 12  Fallgruppenübergreifende Analyse

noch führte eine Veränderung der personellen Zusammensetzung eines Senats wiederholt zu einer Rechtsprechungsänderung. • Das BAG hätte in allen Fällen der „objektiven Gesetzesumgehung“ durch Anwendung von Methoden der Auslegung und Rechtsfortbildung zu ebenso sachgerechten, aber dogmatisch besser begründeten Ergebnissen gelangen können. • Mit dem Argument der objektiven Gesetzesumgehung verfolgte das BAG drei Ziele: ◦ eine Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, die heute weitgehend mittels Befristungs- und AGB-Kontrolle vorgenommen werden kann, ◦ die Verwirklichung des Ziels einer Rechtsnorm, zu der eine Analogie oder eine teleologische Reduktion eingesetzt werden kann, ◦ die vollständige Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben; dazu kann durch europarechtskonforme Auslegung eine Gesetzeslücke festgestellt werden, die im Wege der Auslegung oder Rechtsfortbildung ausgefüllt wird. • Die Erklärungsansätze in der Literatur für den Sonderweg des BAG vermögen diesen zwar tatsächlich nachvollziehbar zu machen, rechtlich begründen können sie ihn aber nicht. Damit bleibt es bei dem Ergebnis der zivilrechtlichen Dogmatik und der oben vorgenommenen Untersuchung der einzelnen Fallgruppen, dass eine eigenständige Rechtsfigur der objektiven Gesetzesumgehung überflüssig war und ist. • Im Zeitverlauf hat sich die Umgehungsrechtsprechung des BAG in ihrer Grundstruktur verändert. Früher prüfte das BAG, ob ein Missbrauch bzw. eine funktionswidrige Verwendung von Gestaltungsmöglichkeiten vorlag. Eine unzulässige Umgehung wurde bejaht, wenn für eine Gestaltung, die von Grundprinzipien des Arbeitnehmerschutzes abwich, eine Rechtfertigung fehlte. Heute wird dagegen jede nach dem Gesetzeswortlaut mögliche Gestaltung für zulässig gehalten, soweit sie nicht gegen das Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB verstößt. Die Gesetzesumgehung hat sich damit – wie in der Rechtsprechung des EuGH – zu einem Unterfall des Rechtsmissbrauchs entwickelt. • Praktische Konsequenzen dieser Entwicklung sind eine Erhöhung der Eingriffsschwelle für die Arbeitsgerichte und der Übergang der Beweislast auf den Arbeitnehmer. • Das BAG legt in seinen Entscheidungen zunehmend Wert auf Rechtssicherheit. Das kann zu Lasten der gerade vom EuGH in Sachverhalten mit Gemeinschaftsrechtsbezug geforderten Einzelfallgerechtigkeit gehen. • Früher setzte das BAG die Figur der objektiven Gesetzesumgehung dazu ein, allgemeine Rechtsprinzipien des Arbeitnehmerschutzes durch Schaffung von

E.  Ergebnisse

337

Richterrecht zu verwirklichen, wenn der Gesetzgeber untätig blieb. Heute werden Gesetzeskorrekturen bei Umgehungsverdacht nur noch sehr zurückhaltend in besonders drastischen Fällen vorgenommen.

§ 13  Zusammenfassung der Ergebnisse A.  Beantwortung der Untersuchungsfragen I.  Was sind die zivilrechtlichen Grundlagen der „Gesetzesumgehung“ und des „Rechtsmissbrauchs“? Nach dem heutigen Stand der zivilrechtlichen Dogmatik hat der Begriff der Gesetzesumgehung keine eigenständige methodische Bedeutung. Es handelt sich vielmehr um eine allgemeinsprachliche Sammelbezeichnung für Sachverhalte „mit Manipulationsverdacht“1. Die Schwierigkeit bei der Falllösung besteht darin, die Umgehung von der zulässigen und deshalb erfolgreichen Tatbestandsvermeidung abzugrenzen. Bei der Gesetzesumgehung soll durch eine vermeintlich wirksame Gestaltung ein Erfolg herbeigeführt werden, der den Zielen der Rechtsordnung widerspricht. Umgehungssachverhalte verstoßen nicht gegen ein ungeschriebenes Umgehungsverbot, sondern sind nach den allgemeinen Regeln der Gesetzesanwendung und Rechtsfortbildung zu lösen. Somit handelt es sich um ein Problem der Erkennung, Abgrenzung und Ausfüllung von Gesetzeslücken. Einheitliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen hat die Gesetzesumgehung nicht, da diese aus der jeweils umgangenen Norm folgen. Demgegenüber ist das Rechtsmissbrauchsverbot eine im Wege der gesetzes­ übersteigenden Rechtsfortbildung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Rechtsfigur. Sie dient zur Gesetzeskorrektur in atypischen Einzelfällen, wenn die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen unerträglich ungerecht erscheinen. Die zivilrechtliche Dogmatik unterscheidet zwischen dem individuellen und dem institutionellen Rechtsmissbrauch. Der individuelle Rechtsmissbrauch setzt ein treuwidriges oder widersprüchliches Verhalten voraus, während der institutionelle Rechtsmissbrauch allein aus einer objektiv atypischen Interessenlage folgt, die nach den Wertungen der Rechtsordnung eine an sich mögliche Rechtsausübung völlig untragbar erscheinen lässt. Rechtsfolge ist regelmäßig die Unzulässigkeit der Rechtsausübung, doch kommen auch andere, nach den Wertmaßstäben der Rechtsordnung angemessene Rechtsfolgen in Betracht. Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch stehen also in einem Aliud-Verhältnis. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs kann zur Lösung von Umgehungsfällen eingesetzt werden, wenn eine näher am Gesetzeswortlaut haftende Lösung nicht in Betracht kommt oder nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt. 1 

Sieker, S. 45.

A.  Beantwortung der Untersuchungsfragen

339

Zuerst ist die Möglichkeit einer erweiternden Auslegung der Norm zu prüfen. Lässt kein mögliches Verständnis des Wortlauts eine Einbeziehung zu, muss eine gesetzes­immanente Rechtsfortbildung – insbesondere eine Analogie oder teleologische Reduktion – erwogen werden. Bevor eine Methode der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung angewendet wird, sind diese vorrangigen Lösungsmöglichkeiten auszuschließen. Ein verfrühter Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot führt wegen der höheren Eingriffsschwelle dazu, dass nur die drastischsten Umgehungsversuche erfasst werden und andere Verstöße gegen den Gesetzeszweck erfolgreich sind. Zudem wird die Rechtssicherheit unnötig stark beeinträchtigt. II.  Wie löst das BAG Umgehungsfälle? Der Große Senat nahm in seiner Leitentscheidung aus dem Jahre 1960 eine objektive Gesetzesumgehung an, „wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden.“2

Mit diesem Missbrauch war kein Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB gemeint; ein solcher wurde bei entsprechenden Anhaltspunkten zusätzlich geprüft. Wenn das BAG untersuchte, ob der „Tatbestand der Gesetzesumgehung“ erfüllt war, prüfte es nach dem Verzicht auf eine Umgehungsabsicht tatsächlich nur noch, ob eine vermiedene Rechtsnorm benannt werden konnte und eine Gesetzeslücke vorlag. Sodann schloss es die Lücke allein anhand gesetzlicher Wertungen, ohne auf konkrete Methoden der Rechtsfortbildung zurückzugreifen. Die Fallgruppen der Gesetzesumgehung in der Rechtsprechung des BAG lassen sich drei unterschiedlichen Zielsetzungen zuordnen, die sich auch auf den Lösungsweg auswirken: Eine Inhalts- oder Angemessenheitskontrolle führte das BAG vor der Einführung gesetzlicher Regelungen durch, indem es für Gestaltungen, die gegen allgemeine Prinzipien der Rechtsordnung verstießen, einen sachlichen Grund verlangte oder sie wegen Eingriffs in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses für unwirksam erklärte. Dabei verwendete es entweder die Definition der objektiven Gesetzesumgehung als Obersatz oder prüfte unmittelbar das Fehlen eines sachlichen Grundes bzw. das Vorliegen eines Eingriffs in den Kernbereich. Rechtsfolgen wurden – im Ergebnis methodenkonform – aus dem verletzten Rechtsgrundsatz abgeleitet. Bei Umgehung einzelner Rechtsnormen wendet das BAG diese im Einklang mit der zivilrechtlichen Dogmatik analog auf den Umgehungssachverhalt an und stellt dabei auf den Normzweck ab.

2 

BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798 f.

340

§ 13  Zusammenfassung der Ergebnisse

Einer drohenden Umgehung von Gemeinschaftsrecht – meist wegen unzureichender Umsetzung von Richtlinien – begegnet das BAG mit einer institutionellen oder individuellen Rechtsmissbrauchskontrolle. Nach dem Obersatz wird hier keine objektive Gesetzesumgehung mehr geprüft, sondern eine „Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle“3 nach § 242 BGB vorgenommen. Die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs passt das BAG der jeweiligen Fallgestaltung an; bei den Rechtsfolgen beschränkt es sich auf die Unzulässigkeit der Rechtsausübung. III.  Wie hat sich die Umgehungsrechtsprechung im Zeitverlauf entwickelt? Das zunächst für Befristungen entwickelte Erfordernis eines sachlichen Grundes übertrug das BAG später auf zahlreiche weitere Gestaltungen, z. B. auf die Umgehung des Bestandsschutzes durch auflösende Bedingungen sowie Kündigungen und Aufhebungsverträge mit langer Auslauffrist, durch mittelbare Arbeitsverhältnisse oder Kündigungen wegen Änderung des Anforderungsprofils sowie auf Änderungsvereinbarungen anlässlich eines Betriebsübergangs. Für Änderungsvorbehalte entwickelte es dagegen einen neuen Ansatz, die sog. Kernbereichslehre. Die vor allem dogmatische Kritik aus der Literatur veranlasste das BAG nicht zu gravierenden Änderungen seiner Umgehungsrechtsprechung. Die genannten Fallgruppen lassen sich mittlerweile durch gesetzliche Regelungen lösen. Die Befristungskontrolle nach § 14 TzBfG und die Inhaltskontrolle vorformulierter Arbeitsvertragsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB haben eine Lösung im Wege der Rechtsfortbildung obsolet gemacht. Gleichwohl wirken Sachgrund­ erfordernis und Kernbereichslehre im Rahmen der Gesetzesanwendung fort. Praktisch bedeutsam geblieben ist die objektive Gesetzesumgehung als Begründung dafür, dass Änderungsvereinbarungen anlässlich eines Betriebsübergangs einen sachlichen Grund erfordern. Im Übrigen hat das BAG von einer Ersatzgesetzgebung, beruhend auf dem Argument der Gesetzesumgehung, weitgehend Abstand genommen. Heute nimmt es zur Gesetzeskorrektur nur noch eine – nach Auffassung einiger Literaturstimmen allzu zurückhaltende – Missbrauchskontrolle vor. Neuere Fallgruppen der Gesetzesumgehung löst das BAG anhand des Rechtsmissbrauchsverbots nach § 242 BGB. Damit folgt es dem Grundgedanken, dass der Arbeitgeber bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs jede vom Gesetz nicht verbotene Gestaltungsmöglichkeit auch ohne sachlichen Grund nutzen darf. Zu diesem Umdenken dürfte eine Änderung der arbeitsmarktpolitischen Situation in den 1980er Jahren beigetragen haben, die sich in mehreren Beschäftigungsförderungsgesetzen manifestiert 3  Neuerdings st. Rspr., z. B. BAG, Urteil v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; erstmals im Urteil v. 04. 12. 2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426, 429.

A.  Beantwortung der Untersuchungsfragen

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hat.4 Aber auch die persönliche Zusammensetzung der Senate hat wiederholt zu Richtungsänderungen geführt. Zudem betont das BAG heute verstärkt das Ziel der Rechtssicherheit, indem es auch für Rechtsmissbrauchskonstellationen feste Höchstwerte und Indizienkataloge vorgibt. Das ist dogmatisch nicht stimmig, weil das Rechtsmissbrauchsverbot als Korrektiv gerade für atypische Einzelfälle entwickelt wurde. IV.  Welche Abweichungen zur zivilrechtlichen Dogmatik sind erkennbar? Das BAG geht in seiner Judikatur zur Gesetzesumgehung konsequent eigene Wege. Zunächst entwickelte der Große Senat die Figur der „objektiven Gesetzes­ umgehung“ und verzichtete bereits 1960 auf die Voraussetzung der Umgehungsabsicht. Insoweit lag er auf einer Linie mit der neuen, im Zivilrecht vordringenden und heute ganz herrschenden Auffassung; der BGH folgte ihr erst im Jahre 1990.5 Doch die herrschende Lehre befürwortete eine Lösung von Umgehungsfällen durch Anwendung der allgemeinen Methoden der Rechtsfortbildung. Das BAG dagegen beließ es bei der Feststellung, eine Gestaltung umgehe auf missbräuchliche Weise zwingende Rechtsnormen, und sah dies als Freibrief für eine beliebige, allein von Wertungen geprägte Lösung des Falles. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich ausnahmslos alle Fälle, die das BAG mittels der Rechtsfigur der objektiven Gesetzesumgehung gelöst hat, auch ohne dieselbe anhand der gängigen Methoden sachgerecht hätten lösen lassen. Dabei fällt auf, dass die Ergebnisse nur in wenigen Fällen abweichen würden, weil Methoden eine Berücksichtigung aller gesetzlichen, grundgesetzlichen und europarechtlichen Wertungen zulassen. Beispielsweise hätte das BAG Sachgrunderfordernis und Kernbereichslehre als methodisch zulässige gesetzesübersteigende Rechtsfortbildungen entwickeln können, statt auf die Umgehung des Kündigungs- oder Änderungskündigungsschutzes abzustellen. Damit wären umstrittene Resultate wie die unbegrenzte Zulässigkeit von Befristungen und Änderungsvorbehalten bei Arbeitsverhältnissen bis zu sechs Monaten Dauer vermieden worden. Zudem wäre die Rechtsprechung bei Verwendung konkreter Methoden nachvollziehbarer, besser zu prognostizieren und weniger fehleranfällig gewesen. Auch der heutige Lösungsansatz des BAG in Umgehungsfällen entspricht nicht der zivilrechtlichen Dogmatik. Mit seiner „Rechtsmissbrauchs-, Vertragsgestaltungs- oder Umgehungskontrolle“6 nach § 242 BGB hat das BAG die Ge4 Vgl.

Jobs, DB 1982, 2081, 2082 f. BGH, Urteil v. 15. 01. 1990 – II ZR 164/88, NJW 1990, 982, 986. 6 BAG, Urteil v. 15.  02. 2017 – 7 AZR 143/15, juris (Rn. 30); v. 24. 08. 2016 – 7 AZR 625/15, NZA 2017, 244, 249; v. 09. 12. 2015 – 7 AZR 117/14, NZA 2016, 552, 556; v. 19. 03. 2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840. 5 

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§ 13  Zusammenfassung der Ergebnisse

setzesumgehung zu einem Unterfall des Rechtsmissbrauchs erklärt. Wenn der Wortlaut einer Norm nicht einschlägig ist (z. B. wegen des streng formalen Arbeitgeberbegriffs im Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG), prüft das BAG heute ohne den methodisch vorgeschriebenen Zwischenschritt der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung sofort, ob hinreichende Indizien für einen Rechtsmissbrauch vorliegen. Damit hat das BAG nicht nur die Eingriffsschwelle in Umgehungsfällen erhöht, sondern auch die Beweislast auf den Arbeitnehmer verlagert. Zudem hat das BAG die mittlerweile einhellig aufgegebene Voraussetzung der Umgehungsabsicht für bestimmte Fälle ausdrücklich wieder eingeführt, indem ein individueller Rechtsmissbrauch für eine unzulässige Gesetzesumgehung verlangt wird.7 Das BAG selbst begründet seine abweichende Vorgehensweise nicht. Das Schrifttum hat sich um Erklärungen bemüht, aber keine arbeitsrechtlichen Besonderheiten aufzeigen können, die eine eigenständige Figur der Gesetzesumgehung oder eine abweichende Methodik für den Bereich des Arbeitsrechts zu rechtfertigen vermögen. Dass Größe und Zahl der Gesetzeslücken im Arbeitsrecht häufiger eine Rechtsfortbildung erforderlich machen, heißt nicht, dass diese anhand anderer Methoden durchgeführt werden müsste. Historisch ist der Sonderweg des BAG nachvollziehbar, weil die prägende Leitentscheidung des Großen Senats8 zu einer Zeit erging, in der sich das Verständnis der Gesetzesumgehung im Umbruch befand. Auch praktisch ist es verständlich, dass eine vermeintlich anerkannte Rechtsfigur den Vorzug erhält vor einer aufwendig zu begründenden und vielfach kritisierten gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Die heutige Lösung von Umgehungsfällen über das Rechtsmissbrauchsverbot dürfte einer – methodisch abzulehnenden – Orientierung an der Rechtsprechung des EuGH geschuldet sein, da dieser ebenfalls nicht klar zwischen Umgehung und Missbrauch von Gemeinschaftsrecht trennt.

B.  Handlungsbedarf Für die künftige Entwicklung bleibt zu wünschen, dass das BAG seine Rechtsfindung enger an der Methodenlehre ausrichtet und die angewandten Methoden in seinen Entscheidungen offenlegt. Dann wäre die Rechtsprechung besser prognostizierbar und man käme dem Ziel der Rechtssicherheit – auch für künftige Fallgruppen der Gesetzesumgehung – näher. Zudem führt eine streng methodische Falllösung dazu, dass sich Entscheidungen nur im unvermeidlichen Maße von Wortlaut und Ziel des Gesetzes entfernen und somit dem Gewaltenteilungsund Rechtsstaatsprinzip entsprechen. Konkret müsste das BAG die Problematik 7  8 

BAG, Urteil v. 24. 06. 2015 – 7 AZR 452/13, NZA 2015, 1507, 1511. BAG (GS), Beschluss v. 12. 10. 1960 – GS 1/59, NJW 1961, 798.

B.  Handlungsbedarf

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der mehrfach befristeten Arbeitsverhältnisse in erster Linie durch Auslegung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung lösen; die erst ansatzweise entwickelte und abweichende Methodik des EuGH gibt keinen Fingerzeig bezüglich der nach nationalem Recht methodisch richtigen Lösung. An den Gesetzgeber kann appelliert werden, den (oft nicht freiwillig) eingeschlagenen Weg fortzusetzen und typische Umgehungskonstellationen ausdrücklich zu regeln. Beispielsweise sollte in § 613a Abs. 4 BGB ein Verbot von Änderungsvereinbarungen wegen eines Betriebsübergangs aufgenommen werden. Vor allem aber sollte der Gesetzgeber das Problem der unzulässigen Kettenbefristung von Arbeitsverhältnissen regeln, um Europarechtskonformität unzweifelhaft schon nach dem Gesetzeswortlaut zu gewährleisten.

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

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Sachwortregister Sachwortregister

Abmahnung 

86, 88, 96, 105, 117

AGB-Kontrolle siehe Inhaltskontrolle AGG-Hopping  67, 111, 145, 164, 307 ff. – Indizien  310 Ähnlichkeitskreis  Altersgrenze 

– (un)unterbrochenes  267 ff., 274

116, 143, 179,

Atypische Gestaltung  65, 79, 197 Aufhebungsvertrag 

178

– bedingter  202 ff.

142

– mit langer Auslauffrist  209 f.

205

Analogie  24, 31, 40 ff., 67, 68, 116, 120, 123, 142, 149, 152, 153, 184, 192 ff., 264 ff., 294, 299, 326, 328 f.

– wegen Betriebsübergangs  227, 229

– Gesamtanalogie 

– im Fußball  203

41, 189 226, 231, 240 ff.,

Änderungsvorbehalt  240 ff., 340 – Arten 

202 ff., 265

Auslauffrist  207, 209 f., 264

– Verbot  40, 73, 157 Änderungskündigung  250, 325

Auflösende Bedingung 

224, 226,

240

Auslegung 

29, 31, 33 ff.

– erweiternde  34, 120, 122, 294 – subjektive vs. objektive  24, 34

– Ermessenskontrolle  243, 244, 247

– teleologische  262

Anschlussverbot siehe Vorbeschäftigungsverbot

– Verhältnis zur Gesetzesumgehung  35 f., 153, 165, 257, 263, 282

Anwesenheitsprämie  265 ff.

– Wortlautgrenze 

Arbeit auf Abruf 

BAG-Senate

251 ff.

Arbeitgeber – Definition des BAG  332

290 ff., 298,

– nicht-vertraglicher  294, 298 Arbeitnehmerüberlassung  39, 43, 75, 98, 186, 217, 291, 301 f., 304, 306, 319 Arbeitsbedingungen – Änderung bei Befristung  303 – Befristung einzelner 

253 ff.

– Rahmenvereinbarung über siehe Rahmenvertrag Arbeitsverhältnis – mittelbares  213 ff., 237

– Unterschiede  323

30, 35, 106, 113, 135,

33 58, 144, 178, 215, 266,

– Vorsitz  131, 135, 170, 178, 239, 266, 276, 308, 309, 323 Bedürfnisse des Rechtsverkehrs  57, 65, 100

45, 49,

Befristung  – Branchenüblichkeit  275, 276 – Dauer 

172, 174, 274,

173

– mit Sachgrund  32, 47, 50, 52, 56, 69, 95, 118, 128 ff., 168 ff., 271 ff., 318 – sachgrundlose  60, 67, 122, 171, 186, 187, 290 ff.

Sachwortregister

Beschäftigungsförderungsgesetz  186, 187, 211, 290, 295, 297, 334, 340 Beschäftigungsrisiko  251, 256, 286

50, 203, 244, 246,

Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft  225 Besonderheiten, arbeitsrechtliche  152, 248, 327 ff.

19,

Bestandsschutzprinzip  49, 52, 131, 146, 177, 195 f., 198, 200, 212, 216, 219, 222, 231, 236 f., 264, 303, 305 Betriebsübergang  223 ff. Bewerberbegriff des AGG  316, 317 Chefarztvertrag 

308 f., 312,

241, 242

Darlegungs- und Beweislast  76, 110, 122, 132, 157, 180, 181, 277, 285, 292, 296, 307, 309, 313, 327, 333, 336 Durchgriffshaftung 

88, 96, 106

Effet utile  163, 281, 299, 318, 326

371

Geheimhaltungsklausel 

Gemeinschaftsbetrieb  123, 292, 294, 295, 297, 300 f., 304, 306, 319 Geringfügigkeit  87, 88, 105 Gesamtplan 

229

Gesetz – umgangenes  26 ff., 64, 68, 134 f., 170 f., 326 – Ziel  30, 104, 117, 326 Gesetzesergehung  29, 114, 117, 120, 307 Gesetzeslücke  – Ausfüllung  39 ff., 53 f., 58, 108, 141 ff., 146, 199 f. – bewusste  38 f., 185, 191, 328, 335 – Feststellung  194 ff.

37 ff., 47 ff., 99 f.,

– Gebietslücke 

– im weiteren Sinne  47 ff., 57, 98 ff., 194 f., 230 ff., 246 – nachträgliche 

– Bedeutung  44

– verdeckte 

– bei gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung  53, 199, 248

Gesetzesumgehung

Entgeltfortzahlung  43, 44, 77, 168, 210 ff., 237, 265 ff., 286 Entwicklungsklausel  Erlassvertrag 

241

223

50, 141

– im engeren Sinne  37 ff.

Eingriffsschwelle  44 ff., 53, 58, 61, 73, 79, 107 f., 112, 123 f., 142, 143, 262, 327, 329, 332, 336

– Bestimmung  63 f., 196 f., 304

260

– Nutzung 

51 f.

140 f.

– Rechtslücke siehe Gebietslücke 38, 50, 57, 99

– als Rechtsfigur  23, 25, 70 ff., 78, 128 ff., 146 f., 148, 154, 201, 210, 321, 328, 329, 333, 336 – als Rechtsproblem  26, 78, 115, 120, 126, 148, 149, 182, 321 – Definition 

21, 35, 79

EuGH-Rechtsprechung siehe Missbrauch von Gemeinschaftsrecht

– historische Entwicklung  22 ff., 132, 133, 142, 144, 331 ff., 340 f.

Europäische Richtlinien  164, 217, 225, 232, 234, 235, 272, 273, 295, 302, 307, 320, 328

– objektive  336

– Merkmale  26 ff. 17 f., 25, 128 ff., 258, 324,

Exceptio doli  82 f., 90, 315

– Literaturkritik  134, 169, 181 ff.

Formvorschriften 

– Voraussetzungen  133 ff., 169 ff.

27, 83

Fürsorgepflicht  130, 132, 181, 183

– praktische Relevanz 

144 f.

Sachwortregister

372

– Prüfungsreihenfolge  120 ff.

– Leitentscheidung 

132

– Rechtsfolge  68 f., 79, 124, 143, 154, 175 ff., 181, 199, 258, 260, 261, 263, 293, 296

Kücük-Entscheidung  282

81, 272, 273, 275,

– rechtsmissbräuchliche  18, 117, 152, 156, 160, 163, 165, 293, 323, 332, 336, 340

– überlange  207 f.

Kündigungsfrist  264 f. Kündigungsschutz 

129, 168, 170, 189

– Unmöglichkeit  29

Leistungsbestimmungsrecht 

– Verhältnis zum Rechtsmissbrauch  113 ff., 139 f., 146, 152, 156, 177, 182, 331, 333, 335, 338

Leitentscheidung des GS  331, 339, 342 Lemgoer Modell  224

– Wertungskriterien 

Machtungleichgewicht  64, 184, 185, 208, 234, 245, 262, 325, 326, 330, 331

62 ff.

Gesetzgebung  169, 185 ff., 217, 267, 284, 335, 337, 343 Gewaltenteilung  191, 342

32, 45, 54, 100, 112,

Gleichheitsgrundsatz  32, 41, 45, 50, 74, 99, 123, 209

Methoden  321 f.

183

128 ff., 148,

17 ff., 31 ff., 141, 175, 213,

Methodenlehre  31 ff., 113, 121, 209, 280, 327, 332, 333, 342

Grundrechte  49, 54, 104, 168, 246, 274

Methodenwahl  339

Härtefall 

– Auswirkungen  121 ff., 144, 146, 285

172

Hausmeisterentscheidung 

214

Inhaltskontrolle  198 f., 239, 243 f., 250, 252, 255, 256, 261, 262, 324 ff., 330, 336 Inhaltsschutzprinzip  49, 226, 228, 231, 232, 234, 235, 240, 246 ff., 249, 254, 255

281, 327, 329, 335, 336,

Missbrauch – als Unwerturteil  116, 137 – rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten  60, 116, 131, 135 ff., 158, 171, 332 – von Gemeinschaftsrecht  159 ff., 327, 333 Mitbestimmung 

145, 154

Innentheorie  84, 91, 110, 150, 158

Musikschulentscheidung  242

Insolvenz  64, 223, 225, 234

Nationalsozialismus 

Institutsmissbrauch 

Natur der Sache 

87, 96, 105, 111, 118

Internationales Privatrecht  Jobcenter-Fälle 

28

292, 300

Kapitalaufbringung und -erhaltung  27, 43, 63

84, 150

49, 50, 57, 59, 93, 99

Normenmissbrauch 

87, 91, 95, 111

Null-Stunden-Vertrag  251 ff., 255, 287, 289 Öffentlicher Dienst 

175, 271, 273, 292

Karenzentschädigung  257 ff.

Organisationsfreiheit 

Kernbereich, Definition 

Pacta sunt servanda  245

242, 244, 249

Kernbereichslehre  240 ff. Kettenbefristung  25, 28, 33, 81, 106, 118, 179, 180, 206, 271 ff., 318

218 ff.

Pool von Arbeitskräften siehe Rahmenvertrag

Sachwortregister

Prinzip – rechtsethisches siehe Rechtsprinzip Radbruch’sche Formel  Rahmenvertrag 

100

286 ff., 319

– Unterschied zum Null-Stunden-Vertrag  251, 287, 289 Rechtsformzwang  215 Rechtsfortbildung  31, 36 ff., 78, 141 ff., 169 – Bestimmung der Art  187 ff., 244 – contra legem  54 f., 200, 213, 237, 322, 325 – europarechtskonforme  232, 233, 271, 283, 298, 320, 326, 327

373

– Subsidiarität  97, 121, 126, 280, 283, 286, 298, 315 – Verbot  84, 89, 90, 111, 160, 164 – Verhältnis zur Gesetzesumgehung  siehe Gesetzesumgehung – Verhältnis zum Rechtsmissbrauch Rechtsmissbrauchsampel  335 Rechtspolitik 

275 ff., 334,

33, 61, 213, 216

Rechtsprinzip  48, 57, 58, 94, 95, 99, 105, 195, 219, 222, 236, 239, 256, 322, 324, 337 Rechtsstaatsprinzip  280, 322, 342

32, 33, 36, 142,

– gesetzesimmanente 36 ff., 67, 93, 120, 188, 328

Rechts(un)sicherheit  17, 18, 32, 62, 63, 108, 125, 173, 275, 278, 296, 334, 335, 336

– gesetzesübersteigende  33, 46 ff., 67, 69, 96 ff., 190, 329, 341

Richterrecht  335, 340

– Subsidiarität  47, 78, 95, 97, 120, 121, 191 ff., 233, 245, 280, 315, 339 – Rechtmäßigkeitsprüfung  245 ff.

90 ff.,

– versteckte  77, 91 Rechtsmissbrauch  – Definition 

33, 80 ff., 340

80 f., 112

– Einzelfallabwägung  122, 150, 155

101, 109, 118,

– Fallgruppen  101 ff., 150, 155, 156, 165 – historische Entwicklung 

82 ff., 150

– in der Methodenlehre  88 ff. – individueller  80, 81, 86, 102 ff., 111, 155, 164, 295 ff., 332, 338

46, 172, 204, 281, 324, 327,

Sachgrunderfordernis  167 ff., 332, 333 Sachverhaltsauslegung  209 f., 228 ff., 317

24, 75, 76 ff.,

Scheinbewerbung siehe AGG-Hopping Scheingeschäft  252, 318

24, 29, 76, 159, 161, 230,

Scheinselbständigkeit 

77

Scheinwerkvertrag  75, 76 Schwangerschaft  189, 202

129, 132, 139, 178,

Sicherungsübereignung 

49, 62, 136

Sittenwidrigkeit  25, 64, 73 f., 149, 185 Sonderkündigungsschutz  187

Sonderweg des BAG  17, 128, 166, 333, 336

– institutioneller    18, 80, 81, 86 ff., 107, 111, 121, 155, 209, 274, 338

– Begründungsversuche 

– Rechtsfolge  108 ff., 151, 155, 162, 293, 296, 304 ff.

Stellenprofil 

– subj. Voraussetzungen  103, 104, 106, 112, 150, 151, 161, 164, 274, 315

129, 170,

Sozialstaatsprinzip 

130

218 ff.

Steuerumgehung  157 ff.

327 ff.

Sachwortregister

374

Tarifvertrag 

173, 248, 250, 325

Tarifvertragsrecht 

153

Tatbestandsvermeidung  26, 30, 42, 60, 61, 62, 63, 67, 116, 135, 137, 138, 142, 146, 171, 338

Verhältnismäßigkeit 

49, 87, 88, 96, 105

Verlängerungsanspruch nach § 9 TzBfG  220 ff. Versetzungsklausel 

240

Teleologische Extension  39, 230, 294

Vertragsauslegung siehe Sachverhaltsauslegung

Teleologische Reduktion  44, 91 ff., 99, 111, 120, 188, 194, 269, 270, 283

Vertragsfreiheit  131, 152, 168, 185, 197, 198, 223, 233, 237, 245, 254, 256, 330

– Reichweite  92 ff.

Vertrauensschutz 

Treu und Glauben  49, 84, 89 ff., 101, 112, 115, 155, 165, 185, 325

Vertretungsbefristung  271 ff.

Treuwidrigkeit  86, 207, 309, 314, 315, 338

Verwirkung  83, 86, 104, 179

Überlange Frist 

66, 207, 210

103, 130, 279 174, 175, 206,

Vorbeschäftigungsverbot  18, 59, 60, 67, 111, 122, 124, 290 ff., 341

Umgehungsabsicht  18, 31, 65, 67, 79, 133, 154, 158, 172, 182, 183, 197, 274, 291, 293, 296, 302, 303, 319, 332, 342

Vorstandsdienstvertrag  31, 69, 269

Umgehungsgeschäft  29 f.

Wertungen  18, 32, 57 ff., 107, 137 ff., 172, 177, 182, 322 ff., 335, 341

– Nichtigkeit  224, 270

68 f., 74, 149, 176, 200,

Umgehungsstrategien 

30, 63, 209, 229

Umgehungstatbestand  171, 211, 339 Umgehungsverbote  36, 68, 71 ff., 177, 261, 262 Umgehungsverdacht  17, 40, 42, 56, 61, 63, 116, 120, 126, 214, 332 Unkündbarkeit  207 Unternehmerische Freiheit  219, 221, 238 Urlaubsanspruch 

168

Venire contra factum proprium  103 Verbundene Arbeitsverträge 

202

Wartezeit  66, 77, 171, 193, 208, 267 ff. Wegverbot 

61

– Offenlegung  59, 79, 101, 138, 201, 321 – umgehungsspezifische  Wettbewerbsverbot  – bedingtes  – Vorvertrag 

62 ff.

36, 64, 72, 257 ff.

258 259

Widerrufsvorbehalt siehe Änderungsvorbehalt Wiedereinstellungsanspruch  305 Zielverbot 

61, 325, 326, 331

Zweckvereitelung 

134 f., 146

110, 297,