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German Pages 31 [32] Year 1870
Die
Gemeinschaft der Faeultäten. Rede »um
Eintritt in dir philosophische Facnltät der
Rheinischen Friedrich - Wilhelms - Universität gehalten am 9. Januar 1869
von
Jürgen Bona Meyer Prof, der Philosophie.
Bonn, bei Adolph Marcns. 1869.
Die zunehmende Arbeitstheilung der Wissenschaften
mit
ihrer Gefahr wachsender Zersplitterung
in
endlose
Detailforschung und die Abwehr dieses Uebels durch sorg same Pflege der Gemeinschaft des Wissens an
unseren
Hochschulen sind gerade in letzter Zeit mehr als
einmal
zum Gegenstände der Betrachtung in akademischen Reden gemacht worden.
Auch an diesem Platze sind im letzten
Decennium beachtenswerthe Worte über die besagte Ge
fahr und ihre natürliche Abhülfe gesprochen *). Die Ge fahr lasse sich nicht verhehlen, daß der Einzelne, um der
strengen Gewissenhaftigkeit der immer mehr sich zersplit ternden Detailforschung zu genügen, um wenigstens
an
einem Punkte Befriedigendes zu leisten, sich isolire und
das Ganze seiner Disciplin aus dem Auge verliere, daß vielleicht noch mehr die einzelnen Disciplinen das sichere einbüßten, welcher sie mit
Gefühl des Zusammenhangs
einander und zu einem Ganzen verbinde, Doch
versität es darstellen solle.
die
wie die Uni
sei diese Gefahr als
nothwendige Folge der naturgemäßen Entwickelung
der Wissenschaft anzusehen und getrost
ein gutes Ende
zu erwarten, eingedenk der Wahrheit des alten griechischen
Sprüchworts:
„Wer die Wunde schlug, der wird sie auch
heilen."
Eine Gefahr, welche durch die gesunde Ent
wickelung
der Wissenschaft
hervorgerufen sei, werde die
Wissenschaft auch abwenden.
Die echte Detailforschung
4 müsse doch immer wieder in den gemeinsamen Zusammen
hang allen Wissens zurückführen, denn nur durch Anwen
dung und Beziehung zu anderem Wissen erhalte das ver einzelte Factum
seinen
wissenschaftlichen Werth.
Diese
sieben Jahren hier gesprochenen Worte mußten ge
vor
rade damals auf mich einen besonderen Eindruck machen.
Zu der Zeit hatte ich den Entschluß gefaßt, mein verein zeltes
Wissenschaftsleben
aufzugeben,
Hamburg zu verlassen und an
einer Universität zu
meine
meine
Vaterstadt
akademische Laufbahn
beginnen, um in einer solchen
Gemeinschaft des Wissens,
wie sie jede deutsche Univer
sität vertritt, fruchtbare Förderung der eigenen Studien zu finden und auch selbst nach Kräften diese Gemeinschaft
fördern zu helfen.
Mein Freund Ueberweg war vor
Kurzem von dieser Hochschule abberufen worden; der Ge danke lag mir nahe zu versuchen, die durch ihn hier ein getretene Privatdocenten-Lücke auszufüllen,
auch zog die
alte Anhänglichkeit an den Ort meiner ersten Studienzeit
mich hierher.
Mit dem ihm eigenen Wohlwollen suchte
diese meine Neigung zu verstärken eben der Mann, dessen
Nachfolger zu sein ich nun die noch unverdiente Ehre habe.
Meine Entscheidung
führte
mich nicht
hierher, sondern
nach Berlin, aber der Gedanke an die schöne Hochschule
am Rhein kam mir so bald nicht aus dem Sinn.
So
fielen denn jene hier gesprochenen Worte in meiner Seele auf einen besonders empfänglichen Boden.
Trotz aller
mir wohl bekannten Schwierigkeiten oder vielleicht gerade
wegen
derselben erschien es mir besonders lohnend und
dankbar, hier an
dieser Hochschule als Lehrer
an dem
gemeinsamen Bau des Wissens mitwirken zu dürfen. Nun
5 ist mir das Glück zu Theil geworden, diese Mitarbeiter
schaft als meine Pflicht betrachten zu müssen. Sie, daß mich die Erinnerung an
Verzeihen
jene Worte unseres
verehrten Kollegen zu diesem vielleicht schon zu persönlich
gewordenen Ausdruck der Freude über die Verwirklichung meiner damaligen Wünsche geführt hat,
aber lassen Sie
mich, dem Zuge der Erinnerung folgend,
dem Inhalt jener Worte, Antrittsrede ein
verweilen bei
verstatten Sie mir in meiner
verwandtes Thema
zu besprechen,
die
innere Wissensgemeinschaft der uns vereinigenden Facul-
täten.
Liegt doch auch dieses Thema dem Philosophen
nahe, der ohne diese Gemeinschaft nicht
erfolgreich wir
ken kann, und der die Ueberzeugung haben muß, daß auch
die Vertreter aller Facultäten seiner Wissenschaft bedür
fen.
Die zartesten und
nach allen Seiten verschlungen-
sten Fäden in dem Bande, das uns alle bindet, die wir auf den verschiedenen Gebieten des Wissens die Wahrheit
suchen, webt doch die Wissenschaft, die einst
die Mutter
aller Wissenschaften war. Sie erhebt nicht mehr den Anspruch, die mündig gewordenen Töchter zu beherrschen, aber sie
bewahrt den mütterlichen Wunsch, daß unter ihrem Dache sich alle hin und wieder friedlich zusammen finden mögen. Das
Bewußtsein
der
Familiengemeinschaft
kann eben keine mehr wünschen als sie.
zu stärken
Lassen Sie mich
also reden von dieser philosophischen Pflege der Gemein schaft der Facultäten. Anknüpfen
mögte
ich
diese Betrachtungen an eine
berühmte Schrift des vorigen Jahrhunderts, die den ent
gegengesetzten Titel
führt,
an Kant's 1798 erschienene
Schrift „der Streit der Facultäten"2).
Schon in einer
6
anderen akademischen Rede3) ähnlichen Inhalts, wie die meinige, in der vom derzeitigen Rector Dr. v. Vierordt zu Tübingen am 6. März 1865 gehaltenen Rede „die Einheit der Wissenschaften"
ist beiläufig
über
auf die
seitdem veränderte Zeitanschauung hingewiesen, die uns aus dieser Schrift entgegentritt.
Dürfen wir auch die
in ihr ausgesprochenen Ansichten nicht kurzweg für damals allgemeine Zeitanschauung halten, so bleibt es doch immer
hin
gewiß ein Zeichen der Zeit,
daß ein Mann wie
Kant damals so denken konnte, wie heut zu Tage ein Mann seines Geistes und seiner Stellung nicht mehr zu denken vermögte.
Insofern hebt ein Blick auf sie in der
That besonders lehrreich hervor, was wir seitdem gewon
nen haben in Ansehung sowohl der gemeinsamen Wissen schaftspflege an den Universitäten, wie der Stellung dieser zum öffentlichen Leben.
Die Herausgabe der Schrift Kant's hatte einen besonderen äußeren Anlaß. Unter dem Könige Friedrich Wilhelm II. war im Jahre 1788 ein Religionsedict und
bald nachher ein die Schriftstellerei überhaupt sehr einengendes Censuredict erlassen.
Die Folgen dieser Edicte
waren auch Kant persönlich fühlbar geworden, als er seine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver
nunft" herausgegeben hatte.
Kant war
zufolge dieser
Schrift in einem auf Specialbefehl des Königs erlassenen
Rescript des Minister Woellner (vom 1. Octob. 1794) be schuldigt worden, daß er seine Philosophie zu Entstellung
und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren
der heiligen Schrift und des Christenthums mißbrauche,
und
war bedeutet worden, sich künftighin Nichts der-
7 gleichen zu Schulden kommen zu lassen. — Kant hielt
es zwar für Pflicht, die eigene Ueberzeugung nie zu ver leugnen, aber er hielt es für geboten,
unter Umständen
nicht Alles zu sagen, was man für Wahrheit hält.
In
Beantwortung des königlichen Rescripts wies Kant ent
schieden die gegen
ihn erhobene Anschuldigung
zurück,
indem er behauptete, daß die von ihm dargethane Ueber
einstimmung des Christenthums mit dem reinsten mora lischen Bernunstglauben die beste und dauerhafteste Lob
rede des Christenthums sei, weil eben dadurch, nicht durch historische Gelehrsamkeit, das so oft entartete Christen thum immer wieder hergestellt worden sei,
und
ferner
bei ähnlichen gewiß nicht ausbleibenden Schicksalen allein wiederum hergestellt werden könne. Im Uebrigen gelobte er, als Sr. Königl. Majestät getreuer Unterthan,
sich
fernerhin aller öffentlichen Vorträge, die Religion betref
fend, in Vorlesungen und Schriften gänzlich zu enthalten. Dies Versprechen
hat Kant
mit bekümmertem Herzen
über den Lauf der Dinge bis zum Tode des Königs im
Jahre 1797
gehalten.
Nur
bis
zum Eintritt dieses
Todes galt sein Gelöbniß, jetzt als Unterthan des neuen
Königs hielt er sich frei.
Auch übernahm nun die Lei
tung der Cultursachen des Landes „ein (nach Kant's Ur
theil) erleuchteter Staatsmann, seitige Vorliebe für ein
welcher nicht durch ein
besonderes Fach derselben (die
Theologie), sondern in Hinsicht auf das ausgebreitete In
teresse des ganzen Lehrstandes, zur Beförderung desselben Beruf, Talent und Willen habe und so das Fortschreiten der Cultur im Felde der Wissenschaften wider alle neue
Eingriffe der Obscuranten sichern werde." — In Anbe-
8 tracht dieser Lage der Dinge fühlte sich Kant getrieben, trotz seines bereits hohen Alters noch ein frisches Wort zu Gunsten der Freiheit des
unerläßlichen Kampfes der
oder wie Kant es faßte, des
Wissenschaften zu sagen,
nothwendigen Streites der unteren (philosophischen) Facultät mit den drei oberen Facultäten.
Aus diesem An
trieb entsprang die genannte Schrift.
Eine kurze Dar
legung ihres Haupt-Inhalts wird uns zeigen, wie sehr
sich seitdem
bei
gesteigerter Freiheitsforderung für die
Entwickelung der Wissenschaften die Ansicht über ihre Stel lung zu einander und zum öffentlichen Leben geändert hat. Schon die Unterscheidung und Scheidung
der Ge
lehrten, mit der Kant seine Betrachtungen anhebt, zeigt
einen
unsrer Zeitanschauung
fremden Zuschnitt.
Oben
an stehen die eigentlich zünftigen Gelehrten, die Univer
sitäts-Professoren und
Doctoren, als
und Depositäre der Wissenschaft;
öffentliche Lehrer
neben
ihnen
als die
zunftfreien Gelehrten die Akademiker, die blos einen Theil des Inbegriffs der Gelehrsamkeit bearbeiten, und die freien
Liebhaber der Wissenschaft, die gleichsam im Naturzustände der Gelehrsamkeit leben, deren Jeder für sich ohne öffent die Wissenschaft zu fördern
liche Vorschrift und Regel
bemüht ist. — Von diesen eigentlichen Gelehrten sind zu
unterscheiden die studirten Praktiker, Geistliche, Justizbe amte und Aerzte, die Geschäftsleute oder Werkkundige der Gelehrsamkeit.
Kant nennt
Werkzeuge der Regierung
Zweck (nicht eben
sie die Literaten,
von
die als
dieser zu ihrem eigenen
zum Besten der Wissenschaften) mit
einem Amte bekleidet werden. Diese Literaten müssen zwar aus der Universität ihre Schule gemacht, können aber
9 Vieles davon, was die Theorie betrifft, vergessen haben,
wenn ihnen nur die empirische Kenntniß ihrer Statuten übrig geblieben ist.
Sie haben nicht die Freiheit, aus
eigener Weisheit, sondern nur unter Censur der Facul-
täten von der Gelehrsamkeit öffentlichen Gebrauch zu machen. Sie haben in ihrem Fache nicht
die gesetzgebende, nur
zum Theil die ausübende Gewalt, und müssen, weil sie sich unmittelbar ans Volk wenden, welches aus Idioten besteht, von der Regierung sehr in Ordnung
gehalten
werden, damit sie sich nicht über die den Facultäten zu
stehende richtende Gewalt wegsetzen. Den Geschäftsleuten der Gelehrsamkeit ist daher zu
verwehren, daß sie den
ihnen in Führung ihres Amtes von der Regierung zum
Vortrage
anvertrauten
Lehren
öffentlich
widersprechen
und den Philosophen zu spielen sich erkühnen. Das kann nur den Facultäten, aber nicht den von der Regierung be
stellten Beamten erlaubt sein.
Diese nothwendige Abhängigkeit der studirten Prak tiker von der betreffenden Facultätslehre hat eine noth wendige Folge für die nur bedingte Freiheit der sogenann
ten oberen Facultäten, der theologischen, juristischen und
medicinischen. Sie sind der Regierung verantwortlich für
die Instruction und Belehrung, die sie ihren Geschäfts leuten geben; die Regierung hat daher ein berechtigtes
Interesse an dem Festsetzen
ihrer Lehrnormen. Jede Re
gierung interessirt am meisten, wodurch sie sich den stärksten und dauerndsten Einfluß aufs Volk verschafft,
und der
gleichen sind die Gegenstände der oberen Facultäten, die eben wegen dieser ihrer Wichtigkeit von der Regierung
die oberen genannt worden sind.
Die lebhaftesten Jn-
*
10 teressen aller Menschen gehen auf ihr ewiges, ihr bürger
liches und ihr leibliches Wohl.
ist dem Menschen
Nach dem Naturinstinkt
der wichtigste Mann, weil
der Arzt
er ihm sein Leben fristet, darauf der Rechtserfahrene, der verspricht, und nur
ihm das zufällig Seine zu erhalten
zuletzt (fast nur, wenn es zum Sterben kommt) wird um der ewigen Seligkeit willen der Geistliche gesucht. Nach der
Vernunft dagegen ist
die
umgekehrte Rangordnung der
Interessen die richtige. Um diese Hauptinteressen der Men
schen kümmern sich
nun
oberen Facultäten und der
die
Vernunftordnung gemäß steht die Theologie an der Spitze und die Medizin
derselben.
am Ende
Einflusses, den die
oberen Facultäten
sorge für die Hauptinteressen
der
Wegen dieses
durch ihre Für
Menschen
aufs Volk
haben, hat sich die dabei interessirte Regierung das Recht
vorbehalten, die Lehren derselben zu sanctioniren. tutarische Vorschriften der Regierung
in
Ansehung
Sta der
öffentlich vorzutragenden Lehren werden immer sein müs sen, weil die unbeschränkte Freiheit, alle seine Meinungen in's Publikum zu schreien, theils
der Regierung, theils
aber auch dem Publikum selbst gefährlich werden müßte.
Die Regierung
lehrt
zwar
nicht selbst (sie würde sich
durch diese Pedanterei um die ihr schuldige Achtung brin gen, zumal das Gelehrtenvolk, das keinen Scherz versteht.
Alle, die sich
mit Wissenschaften bemengen,
Kamm schiert);
aber sie will
doch,
über einen
daß gewisse Lehren
von den respectiven Facultäten in ihren öffentlichen Vor trag ausgenommen und die ihnen entgegengesetzten davon
ausgeschlossen werden. sie befehligt
die,
Die Regierung lehrt nicht, aber
welche lehren.
Demgemäß bindet sie
11 die öffentlichen Lehrer der einflußreichen oberen Facultäten
an gewisse von ihnen
selbst angenommene Lehrnormen.
Nun gründen die drei oberen Facultäten die ihnen von der Regierung anvertrauten> Lehren auf Schrift, als einer
beständigen, Jedermann zugänglichen Norm.
Der bib
lische Theologe nimmt seine Lehren nicht aus der Ver nunft, sondern aus der Bibel, der Rechtslehrer nicht aus dem Naturrecht, sondern aus dem Landrecht, der Arznei
gelehrte seine ins Publikum gehende Heilmethode
aus der Physik des menschlichen Körpers,
nicht
sondern aus
der Medicinalordnung. Die Regierung sanctionirt gesetz lich diese Lehrnormen und duldet eine Abweichung von
denselben oder einen Widerspruch gegen dieselben ebenso
in der Praxis der Werkleute der Gelehrsamkeit,
wenig
wie in dem Lehrvortrag der Gelehrten der oberen Fa-
cultäten.
Allein diese den oberen Facultäten von der Regie rung auferlegten Lehren sind doch nur Statuten, die von
ihrer Willkühr ausgehen, nicht unfehlbar.
und als menschliche Weisheit
Deßhalb muß noch der freien Wahx-
heitsprüfung eine Bahn geöffnet werden.
unbedingte Freiheit und Unabhängigkeit
Es wird die
einer
Facultät
nothwendig, weil ohne eine solche, zum Schaden der Re
gierung selbst, die Wahrheit nicht an den Tag kommen
würde.
Eine solche Facultät muß die philosophische sein.
Sie steht nur unter der Gesetzgebung der Vernunft und
dient in Ansehung der drei oberen Facultäten dazu, sie zu controliren und ihnen eben dadurch nützlich zu wer
den.
Die philosophische Facultät kann alle Lehren in
Anspruch nehmen,
um ihre Wahrheit der Prüfung zu
12 unterwerfen.
Sie kann von der Regierung, ohne daß
diese ihrer eigentlichen, wesentlichen Absicht zuwider han
nicht mit einem Jnterdict belegt
dele,
werden und die
oberen Facultäten müssen sich ihre Einwürfe und Zweifel,
die sie öffentlich vorbringt, gefallen lassen. In diesem nothwendigen Streit der oberen Facul
täten mit der unteren müssen die
ersteren wohl bedacht
darauf sein, sich mit der unteren ja nicht in Mißheirath einzulassen, sondern sie fein weit in ehrerbietiger Entfer
nung von sich abzuhalten suchen, damit das Ansehen ihrer Statuten nicht durch die freien Vernünfteleien der letzte ren Abbruch leide.
Von ihnen selbst also kann man die
freie Prüfung der Wahrheit ihrer Lehrnormen nicht ver langen, erwarten
darf man nur,
angestellten Vernünfteleien ein offenes Ohr schenken.
der
daß sie den darüber
philosophischen Facultät
Diese hat allezeit für das
Recht der blos durch Vernunft nothwendigen Lehren, gegen das Recht der durch Statut festgesetzten Lehren zu streiten.
Kant erläutert
spiele.
diesen Kampf anhangsweise durch Bei
Lebendig schildert er den Streit der theologischen
und philosophischen Facultät um die Wahrheit der geof fenbarten oder der natürlichen Religion.
Weniger glück
lich wirst er als Streitobject zwischen der juristischen und philosophischen Facultät die
Frage nach
dem sittlichen
Rückgang, Stillstand oder Fortschritt der Menschheit auf. Am wenigsten passend behandelt er als Streitfrage zwi
schen dem Mediciner und dem Philosophen die verschie
dene Berücksichtigung der körperlichen oder geistigen Diä tetik in der kleinen als Separatschrift wohl bekannten,
weit verbreiteten Abhandlung „Von der Macht des Ge-
13 müths durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle
Meister zu sein." — Die Einzelheiten thun hier wenig zur Sache, wo es besonders aus die Grundsätze des Strei
tes ankommt.
Diese Grundsätze
Freiheit
fordern:
der
Vernunftforschung für die philosophische Facultät, Gehör-
deren Resultate und
für
freie Prüfung derselben
von
Seiten der oberen Facultäten, Führung des Streites mit
den erlaubten Mitteln geistiger Ueberzeugungskunst und Schlichtung des Streites nicht durch friedliche Beilegung,
sondern durch rechtskräftige Sentenz des allein competenten Richters, durch Urtheilsspruch der Vernunft. Bei sol
chem Streit allein
soll
die Wahrheit den Sieg davon
tragen können. — Diesem Streit der Facultäten kann die Regierung gelassen zusehen, für das Volk ist derselbe ge
fahrlos, denn das Volk bescheidet sich,
daß Vernünfteln
seine Sache ist, und nimmt daher praktisch von
nicht
dem Streit der Gelehrten keine Notiz.
Also Sinn
dies ist, um es
der Kant'schen Schrift.
philosophischen Facultät
und
kurz zu
Zwischen
den
täten besteht ein nothwendiger und um
die Wahrheit,
nunstforschung,
die
es
wiederholen, der
drei
der
unteren
oberen Facul
gesetzmäßiger Streit
ist der Kampf der freien Ver-
nur ihr eigenes inneres Recht und
Gesetz anerkennt, wider die feste Lehrsatzung, die ihre Sanction von der Staatsmacht erhalten hat. Dieser Streit
ist nothwendig, weil durch seine freie Entwickelung allein
die Wahrheit gewonnen werden kann; aus diesem Grunde ist
er zugleich heilsam für’§ Gemeinwohl.
Nur muß,
wenn Unheil für die Volksbildung vermieden werden soll, der Kampf innerhalb der Schule durchgefochten werden.
14 Darauf hat die Regierung zu achten, daß diese Schranke
Die Regierung muß
nicht vorzeitig durchbrochen werde. den Streit der Gelehrten unter willen frei lassen, sie
sich um der Wahrheit
kann dies ohne Gefahr
thun, da
das Volk sich um denselben nicht kümmert. Binden aber muß die Negierung die Lehrer der Theologie, des Rechts und der Medicin an
die
angenommene Lehrsatzung in
ihrer Unterweisung der studirenden Praktiker und diesen
selbst muß
jede Einmischung in den Streit der Gelehr
ten gänzlich untersagt sein. Sie werden mir Recht geben, daß von diesen Ge danken nur
noch
die
allgemeine Forderung freier Forschung
einen Anklang in unserer Seele finden
kann; die
ganze Allsführung schlägt keine Töne ähnlichen Klanges in unseren Anschauungen an.
Alles berührt uns fremd,
wie ein Kleid aus alter Zeit,
das
wir
nicht
mehr zu
tragen, in dem wir uns nicht mehr zu bewegen verstehen.
Die strenge Kluft, die nach Kant Schule und Leben, Theorie und Praxis scheiden soll, ist verschwlinden, von beiden
Seiten zugeworfen. Wir wissen einerseits, daß das sogenannte Volk sich nicht mehr bescheidet zu meinen, vernünfteln sei
seine Sache nicht; wir wünschen andererseits, daß es dem Streit der Gelehrten nicht den Rücken kehre, da wir gelernt haben, daß die Beziehung zum Leben für den Kampf des
Wissens selber von gedeihlichem Einfluß ist. Gerade wir
Deutschen setzen unsern Stolz darein, daß in unsern studirten Praktikern noch Etwas von dem idealen Zug des Wissenwollens aus
dell Universitätsjahren mit hinüber
genommen wird in das praktische Leben.
Zunstgelehrten der Universitäten
suchen
Wir deutschell die berechtigten
15 Mitarbeiter nicht blos an den Akademien und Societäten;
viel größer noch ist unsere Freude
über jeden rüstigen
und gewissenhaften Mitstreiter im Ringen nach Wissen, der aus dem Kreise
der Praktiker sich
uns
zu
gesellt.
Wir rufen die Regierung nicht auf, ihm das Dreinreden zu verbieten, und stellen ihm keine andere Forderung, als
die wir gültig für uns selber erachten, nämlich die, sich
der echten Kampfesart der Wissenschaft zu bedienen. Wahr heitsmonopole der Wissenden halten wir mit Lichten
berg für Beleidigungen der Menschheit. niß wie die, welche Reimarus
Eine Besorg-
hinderte,
seine Frag
mente zu veröffentlichen, die Furcht, dadurch die gläubigen Gemüther des Volkes zu beunruhigen, kennt unsere Zeit
nicht mehr.
Eine Aufforderung, wie
an Lessing gerichtete, doch Latein
die
von Goeze
zu schreiben, damit
das unwissende Volk dem Streite um die religiöse Wahr
heit fremd bleiben müsse, könnte jetzt kaum mehr gewagt werden. Ein Geistlicher, der, wie S chle i ermach e r's Vater, nach eigenem Geständniß
aus Bescheidenheit gegen
Volkslehre zwölf Jahre lang
die
predigt, wovon er selbst
nicht überzeugt ist, nur um dem Volke den gewohnten Trost nicht zu nehmen, mag auch jetzt noch vorkommen,
aber er ist kein Mann mehr unserer Zeit. Der Wissens
trieb unserer Zeit ist unbedingt, wir wollen keinerlei Hülle
und fürchten keinerlei unüberwindliche Gefahr von dem Anblick der nackten Wahrheit. daß wider
Ueberzeugungskampf
ist.
Vor Allem glauben wir,
mögliche Gefahren der die
einzig
freie wissenschaftliche
verläßliche
Schutzwehr
Unser Vertrauen auf den endlichen Sieg der Wahr
heit ist sogar so groß, daß wir selbst der unvermeidlichen
16 Abirrungen vom rechten Wege ohne äußerliche Mithülfe der Regierung durch freien inneren Kampf glauben Herr werden zu
können.
Unsere Freiheitsforderung für die
Entwickelung der Wissenschaft ist somit eine unbeschränktere geworden. Das dieser Rechtsforderung entsprechende Pflicht bewußtsein muß aber natürlich um eben so viel an Strenge
zunehmen.
Und daran vor Allem müssen wir Lehrer der
Jugend uns allzeit erinnern.
Wir insbesondere haben uns
zu hüten, nicht vorschnell das Hypothetische zu erhaschen, das
Mögliche für bewiesen auszugeben, toir vor Allem haben die Pflicht, behutsam von dem Möglichen oder Wahrschein
lichen den festen Niederschlag des Wissens zu scheiden und den Kern der Lehre, die wir der Jugend überliefern, aus
diesem gesicherten Boden zu suchen.
Das Ungewisse sollen
wir zeigen, aber nur um den Trieb
in den zukünftigen
Jüngern der Wissenschaft zu wecken, es wenn möglich in ein Gewisses zu verwandeln.
Wir versündigen uns an un
serem Amt, wenn wir statt dessen den falschen Schein eines
schon errungenen Wissens verbreiten, selbst
wenn unser
Fehler nur darin bestände, daß wir uns nicht sorgsam genug, nicht gewissenhaft genug vor Selbsttäuschung schützen. Das vor Allem soll der wissenschaftliche Geist unserer Hoch schulen bewirken,
Meinens und
daß wir lernen, die Grenzlinien des
des Wissens zu ziehen, daß wir nie ver
gessen, wissenschaftliche Arbeit
Arbeit.
Nur
durch
sei zugleich eine
sittliche
solche Gegenleistung strengster Ge
wissenhaftigkeit des Forschens und Lehrens werden unsere
Hochschulen in dem freieren Meinungskampf unserer Zeiten für den Verlauf desselben Das leisten, was mit Recht
gerade von ihnen erwartet wird. Nur so werden sie sich
17 das sie nicht rechts nicht links
das Vertrauen erhalten,
blickend nur das eine Ziel verfolgen, die Gewißheit des
Je näher
Wissens zu fördern, der Wahrheit zu dienen.
die Hochschulen diesem Ideale bleiben oder kommen, um
so größer bleibt oder wird ihre Bedeutung für Wissen
schaft und Leben. diesem Wege nun des gemeinsamen Strebens,
Auf
das
uns Alle durchdringt,
meinschast gehören,
auf
Abirren
die
die
bewahrt
wir
uns
zur Universitätsge-
nichts
besser vor dem
den Richtweg durchkreuzenden
überall
Seitenwege, als daß wir den Richtweg in friedlicher Ge
meinschaft zusammen gehen. Auch in diesem Punkte kann
Einen
die Ansicht Kant's nicht mehr die unsrige sein.
Gegensatz, wie Kant ihn schildert, zwischen den oberen
Facultäten
und
nicht zulassen.
der
einen unteren Facultät dürfen wir
Wir haben fast vergessen, wer am Tische
unserer Gemeinschaft oben,
ferner
weder
wer unten sitzt.
gebunden die Wissenschaft
an den Buchstaben der Bibel,
Wir halten
der Theologen
die Wissenschaft des Ju
risten durch das Landrecht, die Wissenschaft des Mediciner's durch die Medicinalordnung,
philosophischen
Facultät
Vernunftforschung.
ein
Der
noch geben wir der
alleiniges
Fortschritt
Recht
auf freie
der Wissenschaften
bildet sich für uns nicht dadurch, daß die freie Vernunft
forschung
der
philosophischen
Facultät sich streitbar er
hebt gegen die angenommenen sanctionirten Lehrsatzungen der oberen Facultäten,
welche
sich selbst hüten
dergleichen Vernünfteleien anzufangen,
aber
die
müssen, Pflicht
haben, die von der philosophischen Facultät angezettelten
Streitigkeiten anzuhören und sich gegen sie zu vertheidi-
18 gen. Das Alles sind Anschauungen, von denen wir kaum begreifen,
daß ein Kant sie noch am Ende des vori
Der Widerspruch,
gen Jahrhunderts aussprechen konnte.
den schon damals Herder^) am Schlüsse seiner 1799 erschienenen Metakritik
diese Ansichten
gegen
schauung viel näher.
der
zur Kritik
erhoben
reinen Vernunft
steht unserer An
hat,
Doch spricht auch aus ihm noch
ein anderes Zeitbewußtsein. Ein Lehrer der Theologie, der uns — wie Kant
annimmt
—
daß Gott
in
daß Gott sei, nur daraus beweisen will, der Bibel geredet hat,
noch ein brauchbarer Dorfpfarrer, Mann
der Wissenschaft.
Ein
ist für uüs kaum
geschweige
Rechtslehrer,
denn
ein
von
dem
man den Beweis der Wahrheit und Rechtmäßigkeit
sanctionirten Gesetzgebung nicht fordern
darf,
der
hat auf
die Würde eines Universitätslehrers kein Anrecht.
Ein
dessen Facultät nach Kant
aller
Lehrer der Medicin,
dings etwas freier dasteht als die anderen beiden oberen
Facultäten, der aber doch, so weit die Medicinalordnung ihn nicht
bindet, sein Wissen nur auf Borg von
philosophischen Facultät erhält, täten nicht mehr zu finden.
der
ist an unseren Universi
Ein Recht der Controle für
die Lehren der oberen Facultäten durch die philosophische
Facultät hat für uns keinen Sinn.
Wir verlangen von
jeder Facultätswissenschaft zunächst so viel eigene Vernunft,
um die Wahrheit ihres Wissens selbst zu controliren, und
sofern sich dieses mit anderem Wissen berührt, eine wechsel
seitige Controle aller Facultäten.
Rach dieser Anschauung
verwandelt sich der Streit der unteren und
oberen Fa
cultäten in das gemeinsame Streben aller nach Ermitte-
19 hing der Wahrheit.
Wir wünschen deshalb kein ehrer
bietiges Fernhalten der einen von der andern,
eine
entgegenkommende
Förderung. wendig,
Handreichung
Die verschiedenen Facultäten
gehen
noth
dem richtigen Principe der Arbeitstheilung
um
zu genügen,
sondern
gemeinsamer
zu
ihre
ihre beson
eigenen Wege, verfolgen
deren Ziele; aber ihre Wege liegen auf einem gemeinsa men
und Boden, durchschneiden
Grund
sich vielfach, gewiß in
und
einem
feindseligen
und
berühren
die Zielpunkte ihres Strebens
Lande,
Streiter
nur
das
kennt, denn
keinen Widerspruch in sich selber.
Bürger
liegen
keine
und
die Wahrheit
duldet
Wie sehr die verschie
denen Disciplinen in diesem ähnlichen, innerlich verbun denen Streben einander nützen können, das lehrt die Ge schichte der Wissenschaften auf jedem ihrer Blätter.
Doch
hinterläßt der hemmende Schaden vorzeitiger oder unge
schickter Vermischung
Eindruck,
zu
Zeiten
so
einen
nachhaltigen
daß er die Erinnerung an die Vortheile der
Gemeinschaft verwischt oder wenigstens
trübt;
und
als
Rückschlag all zu schroffe Absonderungen oder wenigstens Trennungsgelüste hervorruft.
In einem solchen Stadium
es
Zeit sich zu befinden;
scheint unsere
ist daher an
der Zeit, den Ruf der Gemeinschaft wieder zu erheben. Theologie
und Philosophie, die
einst in
vielleicht
all zu naher Verbindung beiderseitig ihr eigenthümliches
Wesen scheinbar stützten, werden jetzt
aber aufhoben,
in Wirklichkeit
schon seit geraumer Zeit
häufiger als in
feindliche Heerlager gespalten vorgestellt.
Richtiger viel
leicht wäre es noch zu sagen,
daß sie zur Zeit einander
weder eifrig suchen noch furchtsam fliehen.
Freidenkende
20 Philosophen fühlen sich durch theologische Verketzerungen
in ihrer eigenen Arbeit nicht mehr behindert, und streng haben allmählig die Kunst gelernt,
gläubige Theologen
selbst den strengsten Bibelglauben philosophischer
mit
lich
als
Naturanschauung
ihnen
an Stelle heftiger Feindschaft
befreite
Herrschaft
Geschichte
hat
So
darzustellen.
unrichtige Gleichgültigkeit getreten.
gischen
wie
Vernunsterkenntniß
neuer
und
so verträg
eben
einen
mit
ist zwischen
eine nicht minderDie von der theolo
Wissenschaft der Philologie
viel schwereren
Kampf der
Kritik unter den Theologen selbst hervorgerufen. Philologie und Naturwissenschaft,
sehr
verbunden
allein
aus
waren,
als
noch
den Büchern
der
Alten
die einst all zu die
Naturkunde
geschöpft
sind einander jetzt vielfach so fremd geworden, Vertreter
den
der einen
kein Verständniß
wurde, daß
eigenthümlichen Bildungswerth der anderen.
Einen
denken,
man
beschäftige
sich
die
mehr besitzen für Die
den alten
mit
Klassikern nur um der todten Sprachen willen,
die doch
im lebendigen Treiben der
Jetztzeit den Naturkundigen
weniger nützlich
die neueren
Anderen denken,
seien als
Sprachen;
die
das naturkundliche Wissen habe seinen
Nutzen vorzüglich nur in seiner Bedeutung für die Fort schritte des socialen Lebens.
Beide vergessen, daß
der
ideale Geist aller wissenschaftlichen Forschung zu allererst fordert, den Werth
des
Wissens überhaupt nicht nach
seinem problematischen Nutzen zu bemessen.
vergessen überdies
Die Einen
die geistige Bildungskraft der gedach
ten Sprachen, vergessen noch mehr, daß durch ihre Er
lernung uns der Zutritt eröffnet wird zu so inhaltvollen
21 Schätzen an künstlerischem und historischem Leben, wie sie in
andere Völker und
solcher Abgeschlossenheit
nicht darbieten.
Zeilen
die Philologen, beachten
Die anderen,
nicht, welche Kraft eigenthümlicher Bildung in der Schär
fung
unserer beobachtenden Sinne,
in
Erkenntniß
der
klar vorliegender Causalverhältnisse und allgemeiner Na turgesetze liegt.
Es wäre daher sehr zu beklagen, wenn
vereinzelte Ruf nach
der bisher nur noch
einer weiter
gehenden Trennung dieser Bildungssphären durch die von
beiden Seiten gezeigte Exclusivität einen wachsenden Nach somit
druck erhielte und
Gehör
dem
zu einem
zu verweigern
nicht länger möglich wäre.
vor allem die Pflicht,
Die Universitütsfacultäten haben
diesen
Ausgang
des
Nothschrei würde,
schon lange dauernden
Kampfes
zwischen Humanismus und Realismus nach Kräften ab zuwenden
durch Festhalten
Wissens.
Es wäre daher zu
an
der
Gemeinschaft
beklagen,
des
wenn die von
Hugo von Mohl^) bei der Eröffnung der abgesonder
ten naturwissenschaftlichen Facultät zu Tübingen ausge sprochene Hoffnung sich verwirklichen sollte, daß die deut schen Schwesteruniversitüten dem
nach!
in
der Zerspaltung der
losophischen Facultät bald Gemeinschaft der
das
Uns
bisher geeinigten phi
folgen mögten.
—
In der
getrennten und zu selbstständiger Be
wegung freien Glieder liegt zen,
Tübinger Rufe:
das wahre Heil des Gan
wachsende Schutzmittel gegen falsche Jsolirung
und gegenseitige Verkennung.
Auch Medicin, Naturkunde hen nicht
mehr
viel, wenn sie
in
dem
und Philosophie ste
alten Bunde,
einander kaum beachten,
es
ist schon
viel häufiger
22 ist
daß sie
es,
köpfe ,
in
die
den
schweben; piriker
die
Philosophen
lustigen
wie leiblose Engel
Wolken
die
Philosophen
wie Körper
Den Naturkun
schmähen.
einander
erscheinen
digen
ohne
Nebeldünsten
und
naturkundigen
sehende Augen.
können und sollen sie beide
mit Leib
Und
Em
doch
und Seele ausge
rüstet zusammen auf einem festen Boden der Welt stehen, die uns als
ein Ganzes
von
Natur
und
Geist,
Leib
und Seele erscheint.
Es ist für die Klarheit einer Aus
sicht gleich schlimm,
ob sie durch Staubwolken des auf
gewühlten Sandbodens oder durch Nebelwolken der Luft
verhüllt wird.
Das einseitige Verweilen in der Region
des Stoffs so gut, wie der einseitige Aufenthalt in Region
ein undurchsichtiges Medium erzeugen, Aussicht hat
der
des Geistes muß vor den Augen des Forschers
welches die klare
Davon
in's ferne Land der Wahrheit trübt.
die bodenlose
Abstraction der
letzt
überwundenen
Philosophie ebenso sehr Zeugniß abgelegt, wie der grund lose Materialismus und Empirismus unserer Tage. Indem wir aller dieser und anderer Gegensätze der
Wissenschaften gedenken,
die durch
all zu weit gehende
Jsolirung ihrer Betrachtungsweisen entstehen,
stellt sich
uns von selbst die hervorragende Bedeutung dar, welche der
Philosophie
kommt.
in
diesem Kampfe der Ansichten
In den meisten tieferen
cultäten ist die Philosophie activ
zu
Streitfragen der Fa-
und
passiv mit ver
wickelt, die tiefsten dieser Streitfragen führen in philoso phische Probleme zurück, ohne deren Lösung eine Ent scheidung unmöglich ist.
Die Philosophie ist daher auch
von hervorragender Bedeutung für den
endlichen
Frie-
23 densschluß der streitenden Disciplinen.
Um dieser Stel
lung willen hat sie vor Allem die Pflicht, an die Gemein schaft der Wissenschaften und an die Friedensabsicht ihres
Kampfes zu erinnern. Thut sie dies in der rechten Art, so wird
ihr
Gehör
schwerlich
Klage über Zurücksetzung, unserer
die
Zeit nicht selten;
fehlt es nicht ganz,
versagt werden.
Die
sie zu dulden hat, ist in
an Grund
zu
dieser Klage
wenn man auf landläufige Redens
arten über ihre Nichtigkeit hören oder, was wichtiger ist,
auf
mancherlei praktisch
der
letzten Decennien
eingreifende Studienordnungen
achten
will.
Trotzdem bleibt es
für die Philosophie gerathener, selbst noch in
freundlichen
Schmähung
ein
Zeichen
wenn
der
un
auch
nur
widerwilliger Theilnahme zu finden und in dem Kampf
wider sich als Wissenschaft das andauernde lebhafte In für philosophische Probleme
teresse
nicht
zu
verkennen.
Von dieser Seite angesehen sind die Wissenschaften, sind
alle Bildungssphären
unserer Zeit
erfüllt von philoso
phischen Problemen weit mehr als ehedem.
Um so mehr
hat die Philosophie die Aufgabe darnach zu streben, für
sich als Wissenschaft wie für den Geist aller Wissenschaf ten aus diesem Zustande die besten Früchte
zu ziehen.
Das wird sie thun, wenn sie ihre Mittlersrolle in wür diger und zugleich geschickter Weise erfaßt und ausführt. Vermittler freilich laufen allezeit Gefahr, bald nach der
einen, bald nach der anderen Seite das Richtige zu ver
fehlen. gangen.
Auch die Philosophie ist dieser Gefahr nicht ent Zwischen Dienst und
Herrschaft
verfehlte
sie
oft die rechte Mitte selbstständigen Daseins und Ringens. Sie
trägt
daher an ihrer zu verschiedenen Zeiten sich
24 wiederholenden
Zurücksetzung
eine
nicht
Mit
geringe
schuld.
Vor Zeiten beherrschte die Philosophie alle Wissen
schaften,
sie
hatte sich
das
ihren Erkenntnißtrieb alle
Verdienst erworben,
Wissenschaften
durch
in's Leben zu
rufen; ihr Fehler war es, durch die allzu lange fortge setzte Alleinherrschaft
die
selbstständige Entwickelung der
Später ließ die Philo
neuen Wissenskeime zu hindern.
sophie sich bereit finden, der neu erstandenen Wissenschaft der Theologie Magddienste zu thun,
einfachen
Glaubens wie
der
zum Schaden
Dann riß sie
sich los aus der Knechtschaft
nach
des
Umkehr
alten
des
freien Vernunftforschung. und strebte
Dienstverhältnisses.
Kant
meinte, man könne allenfalls der theologischen Facultät
den stolzen Anspruch lassen, daß die philosophische ihre Magd sei, nur bleibe die Frage, ob diese ihrer gnädigen
die Schleppe nachtrage oder die Fackel Vortrags.
Frau
Die Philosophie nach ihm hat es versucht die Leuchte der Theologie an;
zu
sein.
Wir
die Philosophie
tragen,
sehen
die Sache jetzt anders
will weder Schleppe
noch
will selbst weder Magd noch Herrin sein.
Fackel
Sie
anerkennt nur Mitstreiter im Kampf um die Wahrheit. In dem Ziel dieses Kampfes fühlt sie sich einig mit der Theologie, es gilt unter den noch unausgeglichenen Ge gensätzen die Klarheit des religiösen Glaubens zu gewin nen.
Geht dabei die Philosophie von der Untersuchung
der natürlichen Voraussetzungen des Glaubens, die Theo logie von der
Vertiefung in die Lehren einer höheren
Offenbarung aus,
so
bildet das
keinen nothwendigen
Grund zur Feindschaft zwischen ihnen. Sie arbeiten doch
25 an einem gemeinsamen Werk und in dem, was wahr er funden wird, müssen sie gewiß dermaleinst Zusammen
treffen.
Wenn sie dann
ben, werden sie
endlich ihr Ziel
schwerlich noch
erreicht ha
mit einander darüber
rechten mögen, wer den größern Beitrag zur Wahrheit
geliefert habe. — Wie in dem Verhältniß von Theologie und Philosophie, so auch in den Beziehungen der Phi losophie zu den anderen Wissenschaften hat Dienst und
Herrschaft oftmals gewechselt.
Die Zeit, da die Philo
sophie unternahm, aus ihren Begriffen die Natur selber
zu
erzeugen
oder nach dem phantasievollen, aber
ver
standesleeren Spiel von Analogien die Wesenseinheit und
Wesensgemeinschast aller Naturkräste des
Himmels und
der Erde zu ergründen, ist uns noch nicht so fern; aber ihre Anschauung liegt schon weit ab von der unsrigen.
Die Anmaßung der Naturphilosophie ist gestürzt; aber die exacte Naturforschung, welche sie verdrängte, hat viel
fach die Mitschuld vergessen, ligen Vertreter
an
welche gerade ihre dama
dem verurtheilten
Zustande
jenes
Scheinwissens trugen. Ihre heutigen Meister und Jünger
vergessen auch allzu sehr den Dank für die trotz alle dem
aus den Kreisen der Naturphilosophie hervorgegangene Anregung.
Und manche unter ihnen hätten gerade jetzt
wieder Anlaß genug, dieses Dankes sowohl wie jener Ge fahren zu gedenken, die aus dem zwar geistvollen aber unsicheren Spiel mit Analogien und aus vorschnell auf sie gebauten Schlüffen und Systemen für die Gediegenheit
des Wissens erwachsen können. die angedeuteten Bestrebungen
forschung beweist
uns
deutlich
Ein ruhiger Blick auf
unserer heutigen Natur das
wieder
erwachende
26 Bedürfniß nach philosophischer Mitarbeiterschaft.
Den
Kampf um Atomistik und Dynamik, um den Begriff des Individuums und des Organismus, um die Bedeutung
des Art- und Gattungsbegriffs, um die Anwendung des
Zweckbegriffs, um das Verhältniß von Leib und Seele —
kann kein Sachkundiger, der unbefangen ist, ohne philo sophische Vertiefung
zu schlichten
hoffen.
Unsere Zeit
schmäht die Naturphilosophie, die verging, weil sie irrig
und schädlich war;
aber sie hat Bedürfniß nach einer
Naturphilosophie, die den Thatsachen und dem Begriffe zugleich gerecht werde.
Nicht anders verhält es sich mit den Beziehungen der Philosophie zu den Geschichts-, Staats- und Rechtswissen schaften.
Auch hier liegt die Zeit uns noch nahe, in der
die Philosophie sich anmaßte, Staat und Recht aus Ver nunftideen zu construiren und über die Geschichte der Zu
kunft als den nothwendigen Abschluß der von ihr ent
deckten Jdeenentwickelung zu bestimmen.
Wir preisen es
als ein Glück, daß das Geschichtsstudium sich von den
Fesseln
solcher
Geschichtsphilosophie
schätzen uns noch glücklicher,
hat;
befreit
wir
daß große Zeitbewegungen
angefangen haben, an die Stelle unkräftiger Vernunftspeculationen endlich Grund
zu legen
zu
vernünftigen
Entwickelungen in Staat und Recht unseres Vaterlandes.
Aber es ist thöricht darum zu meinen, daß bei dem, was noch zu thun ist, die Mithülfe irgend eines vernünftigen Wissens entbehrlich sei.
Die Aufgabe ist vielmehr
groß, daß keinerlei Hülfe bei Seite zu setzen ist.
so Die
Praxis der Staatslenkung und Rechtshandhabung bedarf
jederzeit der Staats- und Rechtswissenschaft,
und diese
27 bedarf jederzeit für ihre Grundbegriffe der philosophischen
Mithülfe.
Der Mißbrauch der Rechtsphilosophie recht
fertigt niemals ihre Vernachlässigung. — Nicht minder drängen
die Geschichtsstudien unserer Zeit
Versuch einer Philosophie der Geschichte.
zu erneutem
Bekunden dies
nicht in der That die, wenn auch nur von Liebhabern der Wissenschaft aufgeworfenen, doch mit lebhaftestem In
teresse
von
hervorragenden
Wissenschaft neuerdings
Gelehrten
erörterten
der
historischen
Probleme
über den
Causalzusammenhang, über die Gesetzmäßigkeit historischen Geschehens
und die daran geknüpften Folgerungen und
Hypothesen
über
die Grundbedingungen
des
sittlichen
Handelns der Menschen und der Menschheit? Kurz, auf welchen Punkt des wissenschaftlichen Trei
bens
der Gegenwart sich unser Blick auch wenden mag,
überall finden wir, daß philosophische Probleme mitten
aus den reichen Gebieten der Erfahrung erstehen und nach Lösung verlangen.
Eine Lösung dieser Probleme
aber kann nur die zusammenhängende Betrachtung einer Wissenschaft bringen, die es versteht, die Gemeinschaft des
vorliegenden Wissens in einem Brennpunkt zu vereinigen.
Den Versuch dies zu thun, wenn auch bei getheilter Ar beit, hat die Philosophie abermals
auf sich zu nehmen.
Sie hat die Zeit ihrer zurückgezogenen Besinnung gut
benutzt, um durch das gründliche Studium ihrer Geschichte vor der Illusion neuer Systemmacherei hinreichend be
wahrt zu sein.
Sie fühlt sich stark genug, auf Grund
dieser gewonnenen Aufklärung die ihr zugewiesene Arbeit mit mehr Vorsicht und Umsicht als ehedem von Neuem zu
beginnen und sie ist bereits rüstig am Werk mit verschie-
28 denen Kräften
an verschiedenen Punkten.
Sie verlangt
nicht mehr zu herrschen, aber sie verlangt als eine gleich
berechtigte Mitkämpferin gleich jeder anderen Wissenschaft für vollgültig angesehen zu werden. Sie hat eine erste Auf
gabe, die sie zu lösen sicher im Stande ist, dies ist, die Gesetze
der
Erscheinungen
des
geistigen
Lebens
zu
erkennen; sie hat eine zweite Aufgabe, um deren Lösung
sie sich ein noch höheres Verdienst erwerben würde, näm
lich die, die Wahrheit in dem Streite Weltanschauungen des zu ermitteln.
Materialismus
der verschiedenen
und
Es ist möglich, daß sie
Idealismus
unfähig bleibt,
diesen Streit der Jahrtausende mit der Sicherheit eines
apodiktischen Beweises zu schlichten. Aber Manches kann sie auch hier mit Gewißheit erreichen:
Folgerichtigkeit inner
halb der einzelnen Weltansicht und Bescheidenheit in An sehung des Glaubens an die Beweiskraft einer jeden, Klar
heit der Gegensätze und damit Verständniß für einander.
Allein stehend könnte sie diese hohen, doch schweren Aufgaben nicht erfüllen;
sie vor Allem bedarf der Ge
meinschaft mit den übrigen Wissenschaften. Ihre nahrungs
bedürftigen Wurzeln erstrecken sich — um an ein Bild zu erinnern, das in der schon erwähnten Rectoratsrede hier am Orte von der Philosophie gebraucht ist — in
fruchtbare Erdreich aller
anderen
Wissensgebiete.
das
Sie
redet daher pro domo, wenn sie vor Allem Gewicht legt auf die Gemeinschaft der Facultäten.
nehmen, dies zugleich
im
Sie darf aber an
Interesse aller zu thun.
Sie
selber wird am glücklichsten sein, wenn die Früchte, die aus der gemeinsamen Nahrung auf ihrem Baume wachsen mögten, auch Andere zum Genuß einladen und sie hofft,
29 daß auch alle anderen Wissenschaften gleich ihr den Segen solcher Gemeinschaft empfinden und hoch halten mögen.
Dies das Ideal meines wissenschaftlichen Strebens,
dem nachzueifern mein
stetes Bemühen sein
diesem Streben glaube ich Hochschule
und
dem
wird.
In
dem Geiste unserer
zugleich
Sinne meines
Vor
allverehrten
gängers zu entsprechen. Unsere Hochschule im deutschen Grenzlande ist
vor
Allen berufen den Geist deutscher Universitäten zu wahren.
Dieser Geist ist der Geist der Gemeinschaft des Wissens. Ihn müssen wir bewähren im friedlichen Zusammenstreben, das den echten Kampf der Meinungen nicht ausschließt.
Es ist bekannt, daß von dem Geiste des Friedens auf un Ich bekenne frei, von
ser Universität üble Rede geht.
der Wahrheit dieser Nachrede bis lang so viel nicht ent
deckt zu haben, daß mir dadurch die echte Gemeinschaft
wissenschaftlichen Strebens irgend gehindert schiene, und es soll unablässig mein Bemühen
sein,
den Grund
zu
solcher Nachrede nie zu verstärken und den Irrthum der selben stets helfen zu entkräften.
Auch dies wie das Streben nach Pflege der Gemein schaft des Wissens halte ich fest aus eigener Neigung und zugleich im Andenken an meinen unserer Universität gerade
in diesen Eigenschaften gewiß unvergeßlichen Vorgänger. Wie treffend
hat derselbe
noch
in
seinem letzten
Werke o) das Wesen der Philosophie bezeichnet.
Philo
— ist Liebe zur Weisheit.
„Liebe
sophie — sagte er,
aber ist eine unmittelbare und unselbstische, unwidersteh liche Neigung zu Sachen und Personen, nicht zu irgend einem, durch
irgend
welche äußeren
Zwecke bedingten
30 Gebrauche, sondern um ihrer selbst willen; und Weis
heit ist einerseits ein
allumfassendes,
dem
zu Grunde
liegenden Sein vollkommen entsprechendes Wissen, ande
rerseits das einem solchen Wissen angemessene, daher voll kommene Wirken und Handeln —Wem träten nicht
aus diesen Worten die lebendigen Züge des trefflichen
Unselbstische Liebe zur Weisheit hat
Btannes entgegen!
er bewährt in der treuen, oft ängstlich gewissenhaften Hin gabe an das Studium der alten Philosophen zu einer
Zeit, da Andere es sich noch leichter machten mit Geschichtswahrheit
wenn
nur
gleichem
auf
der
Und
Arbeitsgebiete.
er auch seine volle Kraft wissenschaftlicher Arbeit
auf
einem Gebiete
der Philosophie zur
Geltung
brachte, schon dieses Gebiet selbst lag ja in einer Zeit, in der die noch ungeschiedene Gesammtheit des Wissens eine
Theilnahme für die verschiedensten Seiten forderte. Brandts kannte, weiß auch,
Wer
wie regsam und viel
seitig diese seine Theilnahme für alles Wissen war.
Die
Universität hat dies öffentlich dadurch bezeugt, daß sie
zur Vertretung ihrer und der Landesinteressen im Herren
hause keinen Bessern zu wählen wußte als ihn. Mit begreiflichem Zagen,
ich dieses Vorbildes.
meine Herren,
gedenke
An Anstrengung ihm nachzukom
men soll es nicht fehlen, aber ich bedarf Ihrer Nachsicht und Hülfe.
Und glücklich will ich mich schätzen, wenn
es mir nach Jahren gelingt, auch nur einen kleinen Theil der Liebe und Achtung, die mein Vorgänger unter Ihnen genossen hat, mir zu erwerben im gemeinsamen Wirken
an dieser Hochschule!
31
Anmerkungen. 1) Jahn, O., Die Universität und die Wissenschaft. Rede am 3.
Aug.
1862
im
Namen der
rheinischen
Friedrich-
Wilhelms-Universität gehalten. Bonn, Ad. Marcus. 1862.
2) Kant, Der Streit der Facultäten, Königsberg 1798 in Kant's Werken (Ausg. R.)
Bd. 10.
3) Vierordt, K. v., Die Einheit der Wissenschaften.
Rede geh. in der Aula der 6. März 1865.
Eine
Universität Tübingen am
Tübingen, I. Laupp'sche Buchhdl. 1865.
4) Herder, Neueste Nachricht von einer kritischen Facultät der reinen Vernunft. Zugabe zu Verstand und Erfahrung.
Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft.
1799.
(Werke z. Philos. d. Gejch. Th. 14).
5j Mohl, Hugo v., Rede gehalten bei der Eröffnung der naturwissenschaftlichen Facultät der Universität Tübingen.
Tübingen, I. Laupp'sche Buchhdlg. 1863.
Meinen Widerspruch gegen den in dieser Rede Mohl's ausgesprochenen Wunsch einer Theilung der philosophischen
Facultäten
nach
dem
Beispiele T übingens,
denke
ich
demnächst an einem anderen Orte ausführlich zu begründen.
6) Brandis, Chr. Aug., Geschichte der Entwickelungen der
griechischen Philosophie und ihrer Nachwirkungen im rö
mischen Reiche.
1864.
Bd. I, S. 4.
Bonn, Druck von Carl Georgi.