Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg in ihrer Bedeutung für die Wissenschaft 1872–1918: Rede, gehalten in der Gedenkfeier der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in der Aula der Universität Heidelberg [am 2. Juni 1922] [Reprint 2019 ed.] 9783111661957, 9783111277585


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German Pages 31 [32] Year 1923

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Table of contents :
I. Hochansehnliche Versammlung!
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
Hochansehnliche Festversammlung!
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Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg in ihrer Bedeutung für die Wissenschaft 1872–1918: Rede, gehalten in der Gedenkfeier der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in der Aula der Universität Heidelberg [am 2. Juni 1922] [Reprint 2019 ed.]
 9783111661957, 9783111277585

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Die

in ihrer Bedeutung für die Wissenschaft 1872-1918

Rede, gehalten in der Gedenkfeier der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in der Aula der Universität Heidelberg von

D. Dr. Gustav Anrieh Professor in Bonn

1923

Walter

de G r u y t e r & Co.

vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp. Berlin u n d Leipzig

Die hier gedruckte Rede ist gehalten worden in der aus Anlaß der fünfzigsten Wiederkehr des Tages der Gründung der deutschen Universität Straßburg, 1. Mai 1872, von der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft am 2. Juni 1922 in der Aula der Universität Heidelberg veranstalteten Gedenkfeier.

Sie folgte dort auf eine Darstellung der Organisation

und äußeren Entwicklung der Universität durch

Professor

Otto Mayer, die in der Hausbücherei des „Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich" und als Separatdruck für unsere Mitglieder unter dem Titel: „Die Kaiser-WilhelmsUniversität Straßburg.

Ihre Entstehung und

Entwicklung.

Berlin u. Leipzig, Vereinigung wissensch. Verleger, 1922" erschienen ist.

Wie diese Schrift ist sie eine Vorarbeit für die

große Geschichte der Kaiser-Wilhelms-Universität, die von unserer Gesellschaft vorbereitet wird. H e i d e l b e r g im Februar 1923.

Der Vorstand der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in Heidelberg.

Hochansehnliche Versammlung! Wie könnten wir an diesem Tage weihevoller Erinnerung von dem schweigen, was unserer Straßburger Universität innerstes Wesen war, wodurch sie weiterleben und -wirken wird fort und fort, von ihrer wissenschaftlichen Bedeutung. Denn als eine wissenschaftliche Anstalt ersten Ranges, nicht wenige ihrer älteren Schwestern hinter sich lassend, hat binnen kürzester Zeit die jüngste der deutschen Hochschulen dagestanden. Das hing in erster Linie daran, daß es dem Freiherrn von Roggenbach, dem die ehren- und verantwortungsvolle Aufgabe der Einrichtung der neuen Hochschule zugefallen w a r , dank seinem Weitblick, seinen Verbindungen und seiner Kunst der Menschenbehandlung glückte, einen erlesenen Kreis von Gelehrten für Straßburg zu gewinnen, allesamt zur Einheit verbunden durch die nationale Begeisterung jener Tage und der Größe, seltener schon der Schwierigkeit der Aufgabe sich bewußt, an der Stätte alter deutscher Kulturblüte deutsches Wesen geistig neu zu begründen. Waren doch auch Männer unter ihnen, die etwas von ihrem eigensten Selbst für Deutschlands Neugeburt eingesetzt hatten: Anton Springer, der Böhme, den innere Glut und vulkanisches Pathos der Rede im Rheinland zu einer politischen Potenz hatten werden lassen; Wilhelm Scherer, der Österreicher, der Preußens Beruf erkannt und verkündet; Hermann Baumgarten, der als Publizist und politischer Historiker für die Einigung Deutschlands gewirkt und gekämpft hatte. Bei den Berufungen aber hatte der Grundsatz gewaltet, möglichst die tüchtigsten jüngeren Kräfte zu gewinnen. So kam zu dem nationalen Hochgefühl etwas von jugendlichem Schwung und Wagemut. Es war ein Kreis von Zukunftsfrohen, kräftig Aufstrebenden; Gelehrte, in denen die neueste Entwicklung der Wissenschaft sich darstellte, die Induktion und Experiment end-

giltig zur Grundlage der exakten Wissenschaften erhoben hatte, die nach Arbeitsgemeinschaft zwischen Lernenden und Lehrenden und nach methodischer Anleitung zu selbständiger Arbeit verlangte. Und hier durften diese frischen Kräfte sich regen und ihre Schaffensfreudigkeit großzügig entfalten. Denn hier galt es, in jeder Beziehung einen Neubau zu errichten; hier hemmten keinerlei veralteten Traditionen, und vor allem, hier boten das damalige Durchschnittsmaß weit übersteigende Mittel Gelegenheit, in der äußeren Gestaltung des Studienbetriebs binnen weniger Jahre zu verwirklichen, was sonstwo noch geraume Zeit Wunsch und Ideal bleiben mußte. Neben die Vorlesungen traten von vornherein als gleichberechtigt die Seminare, die, hier zuerst mit namhaften Bibliotheken ausgestattet, zu wirklichen Arbeitsstätten wurden, und in verhältnismäßig kurzer Zeit entstanden die beiden prächtigen Gruppen der medizinischen und naturwissenschaftlichen Institute, von denen manche durch ihre Vorbildlichkeit Weltruf erlangt haben. Diese mustergiltigen Einrichtungen haben mit beigetragen, den Ruf Straßburgs als Arbeitsuniversität zu begründen. In der Tat würde eine Zusammenstellung aller aus diesen Stätten der Forschung hervorgegangenen Veröffentlichungen ein eindrückliches Bild ergeben von der hier geleisteten wissenschaftlichen Arbeit wie von der Höhe der gestellten Anforderungen. Nicht von ungefähr hat der Straßburger Doktor hoch im Werte gestanden. In dem eben Gesagten dürfte beschlossen liegen, inwiefern für die ersten Jahrzehnte der Straßburger Hochschule von einer wissenschaftlichen Eigenart derselben gesprochen werden kann. Darüber hinaus hat, das Wissenschaftliche betreffend, Straßburg eine besondere Gesamtphysionomie nicht gehabt, noch haben können. Von einer Straßburger Schule in dem Sinne, in dem man etwa von einer Bonner Philologie oder einer Marburger Philosophie spricht, wird man kaum in einem einzigen Fache reden k ö n n e n ; von einer durch Hereinspielen elsäßischer Geistesart bedingten bodenständigen T ö n u n g konnte, wie die Dinge lagen, zunächst nicht die Rede sein. So wird eine Gesamtcharakteristik der Straßburger Hochschule einfach dahin zu lauten haben, daß sie ein zeitweise glänzender, allezeit hochbedeutsamer Mikrokosmos deutscher Wissenschaft gewesen ist.



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Mag nun die äußere Einrichtung noch so vollkommen sein, ausschlaggebend bleiben in der Wissenschaft immer die Persönlichkeiten. Von den Persönlichkeiten muß man darum reden, will man die wissenschaftliche Bedeutung der Straßburger Hochschule zu greifbarem Ausdruck bringen. Reden, soweit es bei erst werdender geschichtlicher Distanz tastendem Versuche möglich ist. Von den Lebenden aber kann man nicht reden, sondern nur in registrierender Statistik berichten, wozu die heutige Feier nicht der Ort ist. So mögen d i e uns heute vor Augen treten, deren Arbeit getan ist, die Führer und Meister vor allem, deren Name in der Geschichte der Wissenschaft auf immer mit dem der Universität Straßburg verbunden bleiben wird. In diesem Sinne lenken wir den Blick auf die einzelnen von den fünf Straßburger Fakultäten eigenartig abgegrenzten und zusammengefaßten Wissenschaftsgebiete.

II. Es war ein denkwürdiger Augenblick, als der Senior der bisherigen Straßburger Theologen, der ehrwürdige J o h a n n Friedrich B r u c h , das mächtige Haupt trotz seiner achtzig Jahre von einer Fülle schwarzer Locken umrahmt, als erster Rektor der deutschen Universität die Gründungsfeier im Schloßhofe durch eine geistvolle Rede einleitete. Das ist wie ein Symbol der Tatsache, daß nirgendwo sonst eine s o starke persönliche wie inhaltliche Kontinuität bestanden hat und bestehen konnte, wie in der e v a n g e l i s c h - t h e o l o g i s c h e n Fakultät. Es lag dies daran, daß die bisherigen Anstalten, Fakultät und Protestantisches Seminar, innerlich und äußerlich Erben und Fortsetzer der alten, in den Stürmen der Revolution untergegangenen deutschen Hochschule, nicht wie die übrigen Fakultäten vollen französischen Typus aufwiesen. Erst seit 1848 hatte an ihnen die französische Sprache das Übergewicht erlangt, ohne je zu ausschließlicher Herrschaft zu gelangen, und der Lehrbetrieb ließ die alten deutschen Grundlagen um s o leichter noch erkennen, als grade die ältere Generation der hier wirkenden Lehrer noch durchaus deutscher Bildung war.



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Für B r u c h , den Pfälzer hugenottischer Abkunft, bedeutete die Mitarbeit an der Gründung der neuen Hochschule den Abschluß einer über halbhundertjährigen akademischen Wirksamkeit, die ihn in Verbindung mit vielseitiger kirchlicher und kirchenregimentlicher Tätigkeit zum letzten Kirchenvater des protestantischen Elsaß gemacht hat. Das eigentliche Bindeglied aber zwischen alter und neuer Zeit wurde Eduard R e u ß , dessen Marmorbüste im Lichthof des Kollegiengebäudes von der Verehrung zeugt, die dem „Altmeister" aus den Kreisen der Universität wie der elsäßischen Geistlichkeit entgegengebracht wurde. War doch auch seine „Theologische Gesellschaft", die er erst im höchsten Alter mit ihrer zweitausendsten Sitzung schloß, Jahrzehnte hindurch der einzige Ort seminaristischer Arbeitsgemeinschaft gewesen. Ein begeisterter und begeisternder Lehrer von edlem Pathos und sprühendem Witz, in seinen Schriften ein Meister der deutschen Sprache, die er in goldenen, unvergeßlichen Worten als die naturgegebene Sprache des Elsaß gepriesen, war Eduard Reuß längst auf dem weiten Gebiete der Bibelwissenschaft eine in Deutschland anerkannte Autorität. Historische Intuition und feinen Formensinn mit riesigem Wissen paarend, hat er die hergebrachte Disziplin der biblischen Einleitung zur Literaturgeschichte gewandelt und die hernach durch den Namen Wellhausens gekennzeichnete Auffassung von der Entwicklung der israelitischen Religion divinatorisch vorweggenommen. Ein durch und durch deutscher Geist, hat er zugleich in Frankreich bahnbrechend gewirkt, weil er der durch die Zeitverhältnisse ihm gestellten besonderen Mission sich nicht versagte, dem französischen Protestantismus Methode, Geist und Ergebnisse der deutschen Bibelwissenschaft zu vermitteln. Mit Reuß sind seine Mitarbeiter an der großen Calvinausgabe in die neue Fakultät übergetreten, J o h a n n Wilhelm B a u m und Eduard C u n i t z , jener, bald hoffnungslos erkrankt, in der riesigen Materialsammlung seines auf der Straßburger Bibliothek liegenden „Thesaurus Baumianus", dieser in der seinen Namen tragenden Stiftung weiterlebend, mit der unsere Wissenschaftliche Gesellschaft einst in enger Arbeitsgemeinschaft verbunden war. Miteingetreten ist auch, halb widerwillig allerdings, Charles S c h m i d t , der unermüdliche Forscher, der Verfasser grund-

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legender Arbeiten über Katharertum, deutsche Mystik und elsässischen Humanismus, der Geschichtschreiber des Thomasstifts und Neuordner seines Archivs, um sich allerdings, durch die Kriegsereignisse dem neuen Deutschland endgiltig entfremdet, nach einigen Jahren in die völlige Einsamkeit seiner Gelehrtenklause unnahbar zu verschließen Die beiden auf ihn folgenden Vertreter der Kirchengeschichte, der Balte Richard Z o e p f f e l , im Andenken der Universität fortlebend als der hochverdiente, hingebungsvolle Rektor des Unglücksjahres 1887, dann sein Nachfolger, der Altelsässer Ernst L u c i u s , seinen Schülern wert durch die feinsinnige und großzügige Art seiner Geschichtsbetrachtung, sind beide auf der Höhe des Lebens dahingerafft worden, ehe ihre wissenschaftliche Lebensarbeit getan war. Neben Reuß aber trat bald als neuer Stern Heinrich H o l t z mann. Heidelberg hatte ihm seine geistige Prägung gegeben, und Heidelberger ist er im Grunde allezeit geblieben. Ein Menschenalter hat er unserer Straßburger Fakultät angehört, und auf seinem Namen in erster Linie beruhte ihr Ansehen über ganz Deutschland hin. Führend auf seinem Spezialgebiete, der Wissenschaft vom Neuen Testament, wo er die Arbeit der Tübinger Schule vertiefend und berichtigend weiterführte, war Holtzmann, überall geistvoller Beobachter und scharfsinniger Kritiker und gleich erstaunlich an Arbeitskraft, Gedächtnis und umfassender Belesenheit, einer der letzten Großen, die noch fast das ganze Gebiet der Theologie von hoher Warte übersahen. Über Dogmengeschichte, Pädagogik und Religionsunterricht hat er hochgewertete Vorlesungen gehalten, und die Prinzipienfragen der Systematik und Religionsphilosophie haben ihn dauernd beschäftigt. Schule hat er nicht gemacht, noch machen wollen; er war dazu ein zu komplizierter, zu zurückhaltender und zu vorsichtig wägender Geist. Aber reiche Anregungen sind von ihm ausgegangen, und das große Ansehen, das er in der Gesamtuniversität wie im Lande genoß, beruhte nicht zuletzt auf der ethischen Höhe seiner Persönlichkeit. Neben der evangelischen hatte von Anfang an, so lag es im Plane des Freiherrn von Roggenbach, eine k a t h o l i s c h - t h e o l o g i s c h e Fakultät stehen sollen. Die Schwierigkeiten, die seiner



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Verwirklichung entgegenstanden, ließen den Plan zunächst und für geraume Zeit zurückstellen, nicht zum Vorteil der Einwurzelung der deutschen Universität in dem zu vier Fünfteln katholischen Lande. Erst ein Menschenalter später ist die Gründung geglückt. Nur elf Jahre wissenschaftlicher Tätigkeit sind dieser jüngsten unter den Fakultäten beschieden gewesen, und sie fand ihr Ende, als ihre Tätigkeit eben in mehr als einer Hinsicht segensreiche Frucht zu tragen begann. S o gehört die kurze Zeit ihrer Wirksamkeit noch zu sehr der Periode der Lebenden an, als daß der Versuch einer Charakteristik ihrer wissenschaftlichen Bedeutung jetzt bereits gewagt werden dürfte. III. Konnte die evangelisch-theologische Fakultät an Vorhandenes anknüpfen, s o mußte die r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e völlig neu gestaltet werden. Dabei ist ihr das Glück widerfahren, zwei Männer ihr eigen nennen zu dürfen, die, s o grundverschieden, ja gegensätzlich sie als Gelehrte wie als Menschen gewesen sind, sie durch ihr gemeinsames Wirken sofort auf eine in ganz Deutschland anerkannte Höhe gehoben haben: Sohm und Laband. Paul L a b a n d ist recht eigentlich die Verkörperung der Straßburger Rechtsfakultät, der er fast während ihrer ganzen Dauer angehört hat. Sein Vortrag auf dem Katheder spiegelte sein Wesen: ganz und gar verstandesmäßige Sachlichkeit, begriffliche Schärfe, bestimmte und knappe Formulierung, ein Zusatz von beißendem Sarkasmus. Das deutsche Privatrecht, in dem er sich zuerst hervorgetan, blieb fort und fort ein Hauptgegenstand seiner Vortragstätigkeit wie seiner Forschung. Sein großer Wurf aber war das „Staatsrecht des deutschen Reiches". Denn indem er die staatsrechtlichen Verhältnisse als ein gegebenes hinnahm, sie nach der Methode des Privatrechts bearbeitete, feste Rechtsbegriffe aus ihnen abstrahierte und aus diesen in strenger Logik die einzelnen Rechtssätze ableitete, löste er das Staatsrecht von der Politik und erwarb ihm durch diese neue Methode die volle Gleichberechtigung unter den juristischen Disziplinen. Jahrzehnte hindurch hat dies monumentale Werk seinem Verfasser die führende Stellung in der Wissenschaft des Staatsrechtes ge-



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sichert. Und mag jetzt nicht bloß die Reichsverfassung, die es juristisch erfassen wollte, eine gewesene Größe sein, sondern auch d i e Frage sich mehr und mehr aufdrängen, ob solche formal-logische Betrachtungsweise das Wesen der Sache zu erfassen imstande sei, eine große Leistung wird Labands Staatsrecht immer bleiben. Straßburg und das Staatsrecht! Unwillkürlich schauen wir hundert Jahre rückwärts in die letzten Jahrzehnte der alten Straßburger Hochschule, da der Elsäßer Christoph Wilhelm Koch sein geschichtlich und politisch orientiertes Staatsrecht vor den werdenden Diplomaten aus Deutschlands und Frankreichs hohem Adel vortrug, und wir stehen unter dem Eindruck des Wechsels der Zeiten und der Anschauungen. Und nun Rudolf S o h m ! Fünfzehn Jahre hindurch durch seine Persönlichkeit der Mittelpunkt der Fakultät, unvergeßlich jedem, der ihn gehört. Ein Prophet seiner Wissenschaft, s o stand er da, wenn er, ganz innere Spannung, leuchtenden Auges in völlig freier, vorwärtsstürmender und mitreißender Rede seine Gedanken entwickelte. Wie wußte er die deutsche Rechtsgeschichte mit dem Zauber poetischer Verklärung zu umweben, das Kirchenrecht unter neue, überraschende Gesichtspunkte zu stellen, deren tiefste Intuitionen daher entsprangen, daß für ihn selbst die Kirche grade in der religiösen Bedingtheit ihres innersten Wesens lebendige Realität war. Die zwingende Kraft, mit der er von e i n e r großen Idee aus die Fülle des Lebens meisterte, hat auch da, wo sie als großartige Einseitigkeit empfunden wurde, die Forschung angeregt und die Erkenntnis vertieft, und seine Meisterschaft geistvoller, manchmal gewaltsam vereinfachender Formulierung ließ seine „Institutionen des römischen Rechts" zu einem Studentenlehrbuch werden, dessen Erfolg ebenso beispiellos war, wie seine Entstehung im Straßburger Universitätssprechzimmer in der Kollegspringstunde desjenigen Semesters, in dem Sohm, plötzlich zum Pandektisten umgewandelt, seine erste Vorlesung über römisches Recht zu halten hatte. Seiner geistigen Bedeutung nach muß diesen beiden Adolf M e r k e l an die Seite gestellt werden, einer der feinsten Köpfe, die Straßburg besessen hat, mit deshalb freilich zu wenig ein Mann der glatten Lösungen, um ein Lehrer für die Masse zu werden. Den „Begründer einer positiven Rechtsphilosophie"

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nannte ihn die Berliner Akademie, als sie ihn als Nachfolger Jherings zu ihrem Mitglied wählte. Den philosophischen Grundlagen des Strafrechts galten in der Tat seine tiefsten Arbeiten, die mit ihren Aufstellungen über die Begriffe Schuld und Strafe und ihrer Verteidigung des Vergeltungsprinzips vom deterministischen Standpunkt aus bis in die Gegenwart befruchtend gewirkt haben. Bedeutsames und grundlegendes ist auch sonst zu verzeichnen. Die Palingenesie des römischen Zivilrechts ist in Straßburg entstanden, das französische Zivil- und Verwaltungsrecht hier zum ersten Male deutscherseits in ein System gebracht worden, das auf die Behandlung des deutschen Verwaltungsrechts nachhaltig einwirken sollte, und die sozialem Empfinden entsprungene unentgeltliche Rechtsberatung erwies sich mit ihren Rechtsfällen auch für die wissenschaftliche Behandlung der Probleme von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Mit der Rechtswissenschaft waren die S t a a t s w i s s e n s c h a f t e n zu einer Fakultät verbunden worden. Sie haben in den ersten zehn Jahren im Zeichen Gustav S c h m o l l e r s gestanden. Der Hauptvertreter der historischen Richtung der Nationalökonomie, erhob er anderseits eben damals als Mitbegründer des „Vereins für Sozialpolitik", dessen geistiges Haupt er bald werden sollte, den Ruf nach wirtschaftlichen Reformen, die den arbeitenden Stand der bestehenden Staatsordnung harmonisch einfügen sollten. In Straßburg hat Schmoller das staatswissenschaftliche Seminar gegründet, das in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre eine Stelle beanspruchen darf. Für sein eigenes Wirken wurde Straßburg insofern bedeutungsvoll, als die durch reiches archivalisches Material ermöglichte Anschauung von sozialer Gestaltung und Zunftwesen der mittelalterlichen Reichsstadt ihm nicht bloß zum Paradigma mittelalterlicher Wirtschaftsentwicklung wurde, sondern auch auf die Ausbildung seiner gewerbepolitischen Anschauungen ihren Einfluß geübt hat. Die Mitarbeiter und Nachfolger Schmollers, die in jeweils selbständiger Weise die von ihm begründete Tradition und den Ruf des Seminars aufrecht erhielten, gehören mit Ausnahme von Wilhelm L e x i s noch zu den Lebenden. Von einem derselben können wir trotzdem nicht einfach schweigen. Denn von der Straßburger Nationalökonomie reden, heißt den Namen Georg Friedrich



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K n a p p aussprechen. Hat doch Knapp, der 1874 an Schmollers Seite getreten, bis zu ihrem letzten Augenblicke als einer ihrer Veteranen an unserer Universität gewirkt, auch er in seinem großen agrarpolitischen Werke ein Meister der induktiv-historischen Methode und mit seiner Theorie des Geldes grade jetzt von aktuellstem Interesse. IV. Die m e d i z i n i s c h e Fakultät konnte s o bedeutsam und s o einheitlich gestaltet werden, daß sie in den 70er und 80er Jahren als eine der ersten, wenn nicht als die erste in Deutschland gegolten hat. Ihr langjähriges Haupt, mehr noch, ihr Mitschöpfer als Berater Roggenbachs war Friedrich von R e c k l i n g h a u s e n , in Virchows Nachfolge der Gestalter der Zellularpathologie und nach dessen Tode der anerkannteste Vertreter seiner Wissenschaft, eine der Größen der deutschen Medizin. In eigner, geistvoller und jeweils wechselnder Methodik, sorgsam, ja skeptisch prüfend und wägend und nur aus sicher festgestellten Tatsachenreihen seine Schlüsse langsam reifen lassend, suchte er die Zusammenhänge der Lebensvorgänge zu erfassen und ihre Gesetze zu ergründen. Sein die Forschung zusammenfassendes und schöpferisch weiterführendes großes Lehrbuch wie sein Werk über die Knochenkrankheiten, deren Erforschung der letzte Abschnitt seiner Lebensarbeit ausschließlich galt, gehören auf immer zu den Schätzen der medizinischen Literatur. Seine 34jährige Tätigkeit hat, aus Prag kommend, wo er die längste Zeit gewirkt, Hans C h i a r i weitergeführt, der Schüler Rokitanskys, in nimmermüder, vielseitiger Arbeit, von der eine Unzahl Einzeluntersuchungen zeugen, in stets jugendlicher Begeisterung seinem Fache zugewandt, bis er, der von Schonung nichts wissen wollte, unter den gehäuften Anforderungen der Kriegszeit zusammengebrochen ist. Recklinghausen zur Seite stand vierzehn Jahre lang als Lehrer der normalen Anatomie sein erst vor Jahresfrist als Nestor seiner Wissenschaft dahingegangener Freund Wilhelm W a l d e y e r , ein umfassender Geist und ein Riese an Leistungsfähigkeit. Dank



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seinen grundlegenden Untersuchungen zur Krebsforschung schon bei seiner Berufung eine anerkannte Autorität, sollte er späterhin in der Reichshauptstadt eine Stellung in der Gelehrtenwelt gewinnen, wie sie nur wenigen Akademikern beschieden ist. Der Nachruf, den er von Berlin aus seinem aus der französischen Fakultät jung übernommenen altelsässischen Fachkollegen J o h a n n Georg J o e s s e i als tüchtigem Lehrer und treuem deutschen Mann gewidmet hat, ist für beide Männer gleich ehrenvoll. Sein Nachfolger Gustav Albert S c h w a l b e hat sich in den dreißig Jahren seiner Straßburger Wirksamkeit zum bahnbrechenden, weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus anerkannten Anthropologen entwickelt, der dadurch, daß er die Anatomie der Primaten und Säuger zur Grundlage der Anatomie des Menschen machte, das Problem der Entstehung des Menschen wieder auf die feste Grundlage stellte, auf der die Jüngeren weiterbauen. Nun eine Trias von großen Forschern. Der erste, Friedrich Leopold G o l t z , der Physiologe von Weltruf, der einst als Autodidakt durch geniales Experiment mit einfachsten Mitteln grundlegendes zu erreichen gewußt, bis seine Entdeckung der Funktionen der Bogengänge im Ohrlabyrinth die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte; in Straßburg, wo seine Arbeit lange Jahre hindurch der Erforschung der Funktionen des Großhirns galt, als großzügiger und zugleich humorvoller Lehrer geschätzt. Der zweite, Felix H o p p e - S e y l e r , einer der Begründer der neueren physiologischen Chemie, die seinen Arbeiten über Eiweißkörper und Blutfarbstoffe und über die Chemie der Zelle entscheidende Anstöße verdankt, der Meister, aus dessen Schule die meisten deutschen und eine namhafte Zahl von ausländischen Vertretern der physiologischen Chemie hervorgegangen sind. Und der dritte Oswald S c h m i e d e b e r g , der Balte, der gleich Waldeyer erst vor Jahresfrist sein bis zuletzt arbeitsfrohes Leben beschlossen hat, der einzige, der der Universität Straßburg von ihrer Gründung bis zu ihrem jähen Ende, über 46 Jahre, als im Amte stehender Dozent angehört hat, zugleich derjenige ihrer Lehrer, der sich des ausgedehntesten internationalen Ansehens erfreute. War er doch der eigentliche Gestalter der von seinem Dorpater Lehrer Buchheim geschaffenen experimentellen Pharmakologie, ganz verwachsen mit dem von ihm geschaffenen mustergiltigen Institut,



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in dem Forscher aus allen Ländern und Weltteilen sich einfanden. In welchem Maße seine Straßburger Schule lange Zeit d i e Schule der Pharmakologie schlechthin gewesen, davon hat das internationale Gepräge seiner Siebzigjahrfeier beredtes Zeugnis abgelegt. Endlich die Vertreter der Fächer, in denen die Forschung Hand in Hand geht mit der praktischen Betätigung: Albert L ü c k e , der Chirurg, dessen Name mit der klinischen Behandlung der Geschwülste verbunden bleibt, ein treffsicherer Diagnostiker. Wilhelm Alexander F r e u n d , der der gynäkologischen Wissenschaft seiner Zeit die Richtung gewiesen, insonderheit ihren operativen Zweig durch die von ihm zuerst geübte operative Heilung des Gebärmutterkrebses zu neuer Entwicklung gebracht und durch sein Wirken der Gynäkologie eine neue bedeutsame und bis heute nachwirkende Tradition an d e r Stätte geschaffen hat, die in ihrer 1737 errichteten Hebammenschule die erste wissenschaftliche Lehranstalt der Geburtshilfe besessen hatte. Dann Friedrich J o l l y , unter den Psychiatern seiner Zeit der Berufensten einer. Endlich in der bedeutsamen Reihe der inneren Kliniker ein Name, der in Straßburg und in Heidelberg mit gleicher Dankbarkeit genannt wird: Adolf K u ß m a u l , der als L e y d e n s Nachfolger im reichsten und reifsten letzten Dezennium seiner Lehrtätigkeit unserer Hochschule angehört hat, wissenschaftlich wie menschlich betrachtet der große, der ideale Arzt, gleich herzlich verehrt von den Lernenden wie von den von allen Seiten, Frankreich nicht a u s g e n o m m e n , ihm zuströmenden Leidenden und hochgeschätzt wie wenige in weiten Kreisen des Landes. V. An die Medizin seien die übrigen auf Naturbeobachtung sich gründenden Wissenschaften angeschlossen, die in Straßburg nach wenigen Jahren zu einer besonderen Fakultät zusammengeschlossen worden s i n d , der m a t h e m a t i s c h - n a t u r w i s s e n schaftlichen. Denn natürlich mußte die Grundlage aller Naturwissenschaft, die M a t h e m a t i k , in diesen Kreis mit einbezogen werden. Sie

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hat in Straßburg drei namhafte Vertreter gehabt. Bruno C h r i s t o f f e l war vor allem eine machtvolle Persönlichkeit und ein Lehrer von unvergleichlicher Meisterschaft des Vortrags. Früh als einer der originellsten Mathematiker anerkannt, hat er allerdings später die Ergebnisse seiner Forschung fast nur in seinen Vorlesungen zur Darstellung gebracht, die hauptsächlich der Funktionentheorie gewidmet waren. Ein um so fruchtbarerer Schriftsteller war sein Nachfolger Heinrich W e b e r , auf dem Gebiete der reinen wie der angewandten Mathematik einer der vielseitigsten deutschen Vertreter seiner Wissenschaft, durch seine klassischen Lehrbücher von allgemeiner Wirkung. Recht eigentlich verkörpert aber ist der mathematische Unterricht der Straßburger Hochschule in Theodor R e y e , der über ein Menschenalter an ihr gelehrt und das mathematische Seminar in einer für andere Universitäten vorbildlich gewordenen Weise gestaltet hat. Für jeden Mathematiker, und nicht bloß in Deutschland, ist sein Name mit der Geometrie der Lage unzertrennlich verknüpft. Angewandte Mathematik ist vor allem die A s t r o n o m i e . August W i n n e c k e , dem Schüler Argelanders und Mitarbeiter Struves in Pulkowa, fiel die herrliche Aufgabe zu, in Straßburg eine Sternwarte zu schaffen, die an Vollkommenheit in Deutschland ihresgleichen nicht hatte und, nach neuen Gesichtspunkten eingerichtet, späteren Gründungen vielfach zum Muster diente. Bald nach ihrer 1880 erfolgten Fertigstellung senkte sich die Nacht auf diesen edeln Geist und genialen Beobachter, dessen Namen mehrere Kometen verewigen. So konnte das neue Institut erst in den neunziger Jahren, als es in Ernst B e c k e r wieder einen eiLter erhalten, seine Arbeit großzügig aufnehmen. Von glänzender rechnerischer Befähigung, in seinen Ergebnissen als unantastbar geltend, dazu von rast- und selbstloser Hingabe an seine Wissenschaft, hat sich Becker auf dem weiten Gebiete der rechnenden und messenden Astronomie wie wenige betätigt. Was an Sternkatalogen wie an großen Beobachtungsreihen über Nebelflecken und Doppelsterne veröffentlicht vorliegt, gibt freilich nur ein unvollständiges Bild von dem, was unter ihm und nach ihm die Sternwarte geleistet, an der ein namhafter Teil von deutschen, amerikanischen und russischen Astronomen ihre Ausbildung empfangen haben. Denn ein gewaltiges Beobachtungs-

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tnaterial, das großenteils noch in Straßburg liegt, hat aus Mangel an Personal zunächst nicht bearbeitet werden können. Angewandte Mathematik ist auf der andern Seite die P h y s i k . Die große Trias der Straßburger Physiker eröffnet August K u n d t , der einzigartige Lehrer und anerkannt erste Experimentalphysiker seiner Zeit, der auch die Theorie in bisher ungeahntem Umfang dem Experiment zugänglich zu machen wußte. Das von ihm errichtete Musterinstitut ist unter seiner Leitung d i e Pflanzschule der Physik für Deutschland gewesen. Ihm zur Seite als Vertreter der theoretischen Physik Emil W a r b ü r g , dann kurze Zeit Wilhelm R ö n t g e n , beides Namen von großer Zukunft. Wieder ein Lehrer großen Styls war in andrer Art Friedrich K o h l r a u s c h , später Helmholtz' Nachfolger an der physikalisch-technischen Reichsanstalt. Die Art, wie er, der Meister der exakten Methoden der Berechnung und Messung, die Laboratoriumsübungen zu einem das ganze Gebiet der Physik umfassenden Lehrgang gestaltend, die Praktikanten zu methodischer Beobachtung zu erziehen wußte, ist für den physikalischen Unterricht vielfach vorbildlich geworden, und weit über Deutschlands Grenzen ist sein Lehrbuch der praktischen Physik der unentbehrliche Ratgeber für jeden selbständig arbeitenden Physiker. Endlich Ferdinand B r a u n , der Nobelpreisträger von 1909, der schlichte Mann mit dem goldnen Humor und dem intuitiven Blick in die Zusammenhänge der Natur, der, von bedeutenden Mitarbeitern unterstützt, der drahtlosen Telegraphie die Grundlage geschaffen, auf der ihre seitherige glänzende Entwicklung beruht. Sein tragischer Lebensausgang in der Einsamkeit des Feindeslandes jenseits des Weltmeeres war ein dem Vaterlande gebrachtes Opfer. Der erste Inhaber des Lehrstuhles für C h e m i e war Adolf B a e y e r , der in Straßburg an seiner berühmten Synthese des Alizarins arbeitete, während in seinem provisorischen Laboratorium der blutjunge Emil Fischer das Phenylhydrazin entdeckte, das für seine späteren bahnbrechenden Arbeiten die Grundlage bilden sollte. Da Baeyer schon nach wenigen Jahren auf Liebigs Münchener Lehrstuhl berufen wurde, bleibt der Betrieb der Chemie in Straßburg mit zwei anderen Namen verbunden. Über 25 Jahre hat Rudolf F i t t i g hier gelehrt, das neue Institut geschaffen und durch zahlreiche Arbeiten auf die Entwicklung der organischen

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Chemie bedeutenden Einfluß geübt. Ihm folgte J o h a n n e s T h i e l e , schon in jungen Jahren durch bahnbrechende Arbeiten in die vorderste Reihe gerückt, gleich bedeutend durch seine wissenschaftlichen Forschungen, die auch die neu in Fluß geratenen Grundlagen der chemischen Wissenschaft umfaßten, durch die Energie seines Organisationstalentes, die auch den Laboratoriumsbetrieb neu gestaltete, wie durch die hervorragende Experimentalkunst seiner Vorlesungen. Sein Kriegsdienst auf dem Gebiete seiner Wissenschaft hat zu seinem frühen Tode mit beigetragen. Während sonst in Deutschland auch die P h a r m a z e u t i k im chemischen Institut ihr Heim zu haben pflegt, ist sie in Straßburg in Fortsetzung der französischen E c o l e d e P h a r m a c i e ganz selbständig gestaltet worden. So glückte es, den Berner Staatsapotheker Friedrich August F l ü c k i g e r für ihren Lehrstuhl zu gewinnen, der in der wissenschaftlichen Pharmazie seiner Zeit an erster Stelle stand. Seine Lebensarbeit hat der Pharmakognosie gegolten, die er zu einer selbständigen wissenschaftlichen Disziplin neben der pharmazeutischen Chemie erhoben hat. Wie seine Lehrbücher Weltruf genossen, so ward sein Straßburger Laboratorium von weither aufgesucht. Die Wissenschaft von den Heilmitteln des Pflanzenreiches leitet zur B o t a n i k über. Hier tritt uns Anton d e B a r y entgegen, der Schöpfer des botanischen Gartens und des botanischen Instituts, des dritten und vollkommensten, das er schaffen durfte; durch seine klassischen Arbeiten über die parasitischen Pilze, auf denen sich die Bekämpfung der Pilzkrankheiten der höheren Pflanzen aufbauen konnte, und seine grundlegende Behandlung der Pflanzenanatomie ein führender Meister in seinem Fach und durch die methodische Strenge seiner Untersuchung der Begründer einer großen und dauerhaften Schule. Nicht minder hervorragend als Persönlichkeit; ziert doch seine Marmorbüste mit der von Eduard Reuß den Lichthof der Universität, deren erster gewählter Rektor er gewesen ist. Seine Richtung setzte sich fort in seinem Schüler Hermann Graf zu S o l m s L a u b a c h , bei allen Absonderlichkeiten ein umfassend gebildeter Geist, ein begeisterter und fesselnder Lehrer und ein warmherziger, stets hilfsbereiter Mensch. Neben morphologischen, pflanzengeographischen und entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten hat er durch



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ein großes Werk die Kunde von der Flora der früheren Erdperioden, die Paläophytologie, zu einer modernen botanischen Wissenschaft emporgehoben ; auch im Ausland, insonderheit in England, ist damit der Name des Vielgereisten zu hohem Ansehen gelangt Mit diesem Werke lenkte Solms zum Arbeitsgebiet eines der tüchtigsten altelsässischen Gelehrten, zu Wilhelm Philipp S c h i m p e r zurück. Gleich seinem genial - absonderlichen badischen Vetter von Haus aus Botaniker, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der anerkannt beste Kenner der Moose, hatte sich Schimper mit Arbeiten über die Struktur der Vogesen der Geologie zugewandt und das weit zerstreute Material über die fossile Pflanzenwelt erstmalig zusammenfassend bearbeitet. In die deutsche Hochschule übertretend, obwohl man sich französischerseits alle Mühe gab, ihn nach Paris zu ziehen, hatte er diesem neuen Arbeitsgebiete entsprechend eine Professur für Paläontologie inne. Die G e o l o g i e als Gesamtwissenschaft fand ihre persönliche Verkörperung in Wilhelm B e n e c k e , dem streng methodischen Forscher und dabei s o milden und gütigen Menschen, der fast äifersüchtig darauf bedacht war, die Linke nicht wissen zu lassen, was die Rechte überreichlich Gutes tat. Fünfundvierzigjährige geologische Arbeit ließ ihn mit der neuen Heimat so innig verwachsen wie nur wenige. Ihr galten, neben andern, seine grundlegenden Arbeiten über die elsässische Trias- und Juraformation, und als Leiter der geologischen Landesanstalt hat er unter eifriger iigener Mitarbeit der geologischen Aufnahme des Landes aufs beste die Wege gewiesen. Sein geologisches Institut aber war dadurch, daß er aus eigenen Mitteln dessen Sammlung zu einer ier hervorragendsten Deutschlands gestaltete, in doppelter Weise sein persönliches Werk. Als Vertreter der M i n e r a l o g i e stand hm im ersten Jahrzehnt der Hochschule Paul G r o t h zur Seite, ier hervorragendste Vertreter der chemischen Krystallographie, loch heute als bald Achtzigjähriger in München tätig; in den irsten Jahren als Extraordinarius auch Harry R o s e n b u s c h , der spätere Heidelberger, der Begründer der modernen petrographischen Schule in Deutschland, schon in seiner Straßburger Zeit, ier sein klassisches Werk über die Vogesenschiefer angehört, /on ausländischen Schülern aufgesucht.

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Die Z o o l o g i e endlich hat zuerst Oskar S c h m i d t gelehrt, der Verfasser vielgebrauchter Lehrbücher, neben Haeckel einer der ersten Vertreter des orthodoxen Darwinismus in Deutschland. Lange J a h r e hat dann Alexander G o e t t e in Straßburg gewirkt, ein Balte von scharfumrissener Eigenart, der in seiner Wissenschaft seine eigenen Wege ging. Die Entwicklungsgeschichte der Tiere war das große Thema, dem er von seiner Studentenzeit an eine Forscherarbeit von zwei Menschenaltern gewidmet hat, um als Achtzigjähriger in einem Werke von jugendlicher Geistesfrische, „über die empirischen Zusammenhänge in die letzten Tiefen der theoretischen Vorstellungen und Begriffe" zurückgreifend, seine Ergebnisse zu einem wissenschaftlichen Glaubensbekenntnis eigenster Prägung zusammenzufassen. In dem prachtvollen Institut, das er geschaffen, fand auch das der Stadt Straßburg mitgehörende zoologische Museum seine endgiltige Stätte. In französischer Zeit gegründet und jahrzehntelang von Schimper geleitet, war es unter Ludwig D o e d e r l e i n s langjähriger Pflege s o emporgeblüht, daß es zu den ersten Sammlungen Deutschlands gehörte, zugleich das Volkstümlichste, was die Universität an Sehenswürdigkeiten barg. VI. Auf unserem Rundgang kehren wir nun zu den Geisteswissenschaften zurück, zu der Fakultät, die trotz aller Abstriche, denen sie in Straßburg unterworfen worden war, die universitas literarum immer noch am umfassendsten darstellte; mit derjenigen Wissenschaft beginnend, die als die universellste ihr den Namen gegeben, der P h i l o s o p h i e . Die erste markante G e s t a l t b a r hier Ernst L a a s , zuerst ein Mann der Schule und durch pädagogische Arbeiten bekannt geworden, dann der selbständige Fortsetzer von Hume und Mill, Fortsetzer deutscher Art, sofern er den Positivismus einerseits in der Geschichte verankerte und von Protagoras ab als Gegenbild des Piatonismus durch die Jahrhunderte verfolgte, während er ihn anderseits durch scharfe Abrechnung mit den Denkern der Vorzeit, Plato und Kant in erster Linie, tiefer zu begründen suchte. Neben ihm wirkte zehn J a h r e Otto L i e b m a n n , der



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spätere Jenenser, nächst Helmholtz zeitlich der erste unter den modernen P h i l o s o p h e n , der sich dem System Kants wieder zuwandte und von dieser Grundlage aus eine kritische Metaphysik anstrebte. In anderer Art wieder baute auf Kantscher Grundlage Wilhelm W i n d e l b a n d , der glänzende Redner und Schriftsteller, der feine Essayist, der in Straßburg seine schaffensfreudigste Zeit gehabt hat. Ist seine Geschichte der Philosophie, die heute erst recht ihren Triumphzug feiert innerhalb der akademischen Jugend, mit ihrer problemgeschichtlichen Anlage vielleicht die höchste philosophiegeschichtliche Leistung, so hat er als Systematiker der Philosophie die Aufgabe gestellt, aus der Geistesgeschichte der Menschheit absolute Normen und Werte herauszuarbeiten, woraus ihm eine besondere Einschätzung von Kultur und Geschichte erwuchs: Richtlinien und Ausblicke, die die von ihm ausgehende sog. badische Schule weiter verarbeitet hat. Ganz anderer Art wieder Theobald Z i e g l e r , wie Laas vom Gymnasialberuf k o m m e n d und auf dem Gebiete der Pädagogik verdient, aber nie eigentlicher Fachphilosoph geworden. Tief ethisch orientiert und leidenschaftlich national empfindend, blieb der einstige schwäbische Theologe und nachmalige Biograph von David Friedrich Strauß für den weiteren Kreis der Studenten wie der Gebildeten der Pädagoge großen Styls, der Prediger der auf Sittlichkeit gegründeten freien Laienkultur, des sozialen Gedankens und des nationalen Staates, im Weltkriege vorbildlich in nationaler Pflichterfüllung bis zum Tode draußen bei den Kämpfenden der Front, deren Mut und Willen durch sein Wort zu straffen er sich nicht wollte nehmen lassen. Kurz vor ihm war eine andre ganz eigenartige Persönlichkeit dahingegangen, Georg S i m m e l , der wunderbar feine, biegsame, in stets neuer Durchdenkung der verschiedenen Möglichkeiten in ständigem Wandel begriffene Geist. Er ist vom extremsten Relativismus und pragmatistischer Wahrheitstheorie zu eigenartiger Begründung von geltenden Normen auf logischem und ethischem Gebiete fortgeschritten, hat das Problem der Geschichtswissenschaft erkenntniskritisch durchdacht und zu den Begründern der Soziologie deutschen Gepräges gehört, die ihm die.Wissenschaft von den Formen der Vergesellschaftung war. Vor allem war er der Lebensphilos o p h , dem es um bewußtes Leben, Erleben und Nacherleben



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ging, der darum auch mit Vorliebe Kunst und Lebensanschauung der ganz G r o ß e n zu dem Zwecke zergliedernd betrachtete, daraus jeweils die typischen,

überzeitlichen Inhalte nacherlebend heraus-

zuheben. Und nun die G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t e n , für die Straßburg mit seiner großen Vergangenheit und seinen archivalischen Schätzen und das immer wieder in weltgeschichtliches Geschehen verwobene Land mit der Fülle seiner geschichtlichen Denkmäler von vornherein die denkbar günstigste Stätte zu sein schienen. Zwei Männer sind es, die hier dem Geschichtsbetrieb in den ersten Jahrzehnten persönliche Prägung g e g e b e n : Hermann B a u m garten und der als Nachfolger Julius W e i z s ä c k e r s ihm stehende Paul Scheffer-Boichorst. Baumgarten, politischer

bald neben

Gegensätze fast in allem!

der als politischer Publizist begonnen,

Historiker

neben

Sybel

dann als

und Treitschke zu den

Pro-

pheten der deutschen Einigung gehört und in Karlsruhe seinen G e schichtsunterricht der sittlichen und politisch-nationalen Erziehung der J u g e n d dienstbar gemacht hatte, ganz auf Erfassung der Zusammenhänge

und

großzügige

Darstellung

eingestellt,

in

der

Universalität der Betrachtungsweise, der Vorsicht und der O b j e k tivität des Urteils immer mehr Ranke'scher Art sich nähernd, in der Nachfolge im öffentlichen Gefahren

Dahlmanns

die Bedeutung der sittlichen

Leben stark betonend

eines zu selbstbewußten,

und darum

zu

Mächte

im Alter die

militärisch-machtpolitisch

orientierten Nationalismus sorgenvoll ahnend und ihm gegenüber die

Humanitätsideale

der klassischen

Zeit und die religiös

gründete Innerlichkeit deutschen Wesens hochhaltend. metral

anders S c h e f f e r - B o i c h o r s t ,

der nur seiner

be-

Wie diaWissen-

schaft und seinen Studenten lebende, von der leisen, mit Ironie gepaarten Melancholie des Skeptikers je und je umschattete G e lehrte!

D a ß er Historiker sein k o n n t e ,

ohne daß Politik

und

öffentliches Leben an die Tiefen seiner Seele rührten, lag nicht nur

daran,

daß er sich

in

der Welt

des Mittelalters

bewegte,

sondern war vor allem dadurch bedingt, daß er nicht Geschichtschreiber großen Styls gewesen ist, dafür aber der an den KaiserRegesten und Monumenten herangebildete scharfsinnigste kritische F o r s c h e r seiner Zeit, dessen Arbeiten zur Quellenkritik und Ur-



21



kundenforschung Kabinetstücke bleiben. So hat er denn am nachhaltigsten durch sein Seminar gewirkt, wo er an paradigmatischen Einzelproblemen in die kritische Methode einführte und nicht selten die Ergebnisse seiner eigenen Forschungen vor seinen Schülern organisch erwachsen ließ. Auch weiterhin hat sich die Straßburger Geschichtswissenschaft auf bedeutsamer Höhe gehalten. Um von Lebenden zu schweigen, sei neben Konrad V a r r e n t r a p p , dem trefflichen Lehrer, und Wilhelm W i e g a n d , dem feinen Kenner Friedrich des Großen, noch an zwei treffliche Gelehrte erinnert, die uns vorzeitig entrissen wurden, an Ernst S a c k u r , den Forscher über Cluniazenser und Sibyllinen, und Theodor L u d w i g mit seinem trefflichen Werke über die französische Besitzergreifung des Elsaß. Neben der politischen Geschichte aber hat in Straßburg von Anfang an die K u n s t g e s c h i c h t e gestanden. Daß dies s o kommen konnte, daran gebührt ein Hauptverdienst dem Manne, der nur eben als glänzendes Meteor am Straßburger Himmel aufleuchtete, Anton S p r i n g e r , dessen größter Ehrentag es war, als er am 1. Mai 1872 der neuen Universität die Weiherede halten durfte; hatte er doch die von ihm als Ganzes großzügig erfaßte Kunstgeschichte fest in der Historie verankert und ihr damit endgiltig das Heimatrecht an der Universität erobert. Zwei seiner Nachfolger haben das Elsaß in besonderem Maße zum Gegenstande ihrer Arbeiten gemacht: Franz Xaver K r a u s , vor seinem Eintritt in die Freiburger theologische Fakultät einige Jahre als christlicher Archäologe und Kunsthistoriker in Straßburg, hat in seinen v^er Bänden „Kunst und Altertum in ElsaßLothringen" eines der ersten Denkmälerinventare eines deutschen Landes geschaffen, und die kurze Tätigkeit des frühverstorbenen Alfred W o l t m a n n schenkte uns eine Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß. Hubert J a n i t s c h e k , der Verfasser der grundlegenden Geschichte der deutschen Malerei, hat die seminaristische Unterweisung bedeutsam organisiert. Am nachhaltigsten aber wird mit der Straßburger Kunstgeschichte der Name des Mannes verbunden bleiben, der dem deutschen Volke soeben die Geschichte seiner Kunst geschenkt hat, eine Quelle der Erhebung in dunkler Zeit.



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Auch die noch jüngere M u s i k w i s s e n s c h a f t hat in Straßburg sehr bald ihre Stätte gefunden. Über dreißig Jahre hat sie Gustav J a c o b s t h a l vertreten, in der Verbindung strengster wissenschaftlicher Methode mit feinster künstlerischer, auch kompositorischer Begabung einer der tiefdringendsten musikwissenschaftlichen Forscher seiner Zeit, den freilich schwere Erkrankung um die Frucht seiner Arbeit brachte, als er eben darangegangen war, die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen über die Entwicklung der Vokalmusik und die Geschichte des liturgischen Gesanges abschließend zusammenzufassen. Zugleich mit dem Extraordinariat für Musikwissenschaft ward im Jahre 1875 ein Lehrstuhl für G e o g r a p h i e gegründet, den über ein Menschenalter Georg G e r l a n d innegehabt hat. Ein Geist von merkwürdiger wissenschaftlicher und künstlerischer Vielseitigkeit. Linguistische und mythologische Arbeiten hatten ihn zur Völkerkunde geführt, die Vollendung des Waitz'schen Werkes seinen Ruf als Ethnolog begründet. Als solcher hat er auch die Erkenntnis der primitiven Religionen wesentlich gefördert und durch die Betonung der Religion als Wurzel der Gestaltung des sozialen Lebens Max Weber präludiert. Erst seine Berufung führte ihn dann zur eigentlichen Geographie, die er als Erdkuride im strengsten Sinne des Wortes faßte, historische wie politische Geographie, und, freilich unter starkem Widerspruch, auch die Anthropologie aus ihr ausschließend. Auf dem Gebiete der Geophysik wandte sich seine Arbeit zuletzt der Erdbebenforschung zu, die er, Methode, Wege und Ziele weisend, zum selbständigen Wissenschaftszweige ausgebaut hat. Er hat nicht bloß die Errichtung der Hauptstation für Erdbebenforschung in Straßburg veranlaßt, sondern nach langen Bemühungen die Zentralisation der Forschung durch den Zusammenschluß von 24 Staaten der Welt zur „internationalen seismischen Organisation" erreicht, die nun endgiltig ein Opfer des Weltkrieges geworden ist. Seit den Zeiten, da die neugegründete Gelehrtenschule im Glänze von Johannes Sturms ciceronianischer Eloquenz erstrahlte, war in Straßburg eine gute p h i l o l o g i s c h e Tradition lebendig geblieben, die, um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts in Schweighäuser verkörpert, zuletzt am Protestantischen Seminar

— 23 — nachgewirkt hatte.

V o n da hat sie der Altelsässer Emil

in die neue Fakultät übergeführt und in soliden treten.

Der Hauptorganisator

rüber hinaus des

höheren

des neuen

Schulwesens

Heitz

Arbeiten

ver-

Lehrbetriebs und daim

Reichslande

wurde

der Latinist Wilhelm S t u d e m u n d , der Entzifferer des Plautusund

Gaius-Palimpsestes,

burger Verhältnisse

eine Herrschernatur,

schließlich

den

Kollegen

den und

die

Straß-

der Wissen-

schaft entfremdeten, zu der er erst wieder in Breslau den Weg zurückfand.

Er

Bedeutsamkeit zeugen,

hat

die

in einem

das

philologische

„Dissertationes Ausmaß

Seminar,

philologicae

von

dessen

Argentinenses"

angelegt, wie es damals

nirgendwo

bestand, und damit eine ideale Arbeitsstätte geschaffen.

Dies um

s o mehr, als überdies noch ein besonderes Institut für Altertumswissenschaft errichtet wurde, das der Philologie historisches Blut zuführte.

Hier bildete sich durch Ulrich K ö h l e r ,

manns,

Rudolf S c h ö l l

Tradition,

und B r u n o K e i l

Gustav

eine

die eine Fülle wertvoller Arbeiten

Wil-

kontinuierliche

aus den

Gebieten

der Epigraphik und der Staatsaltertümer hat erstehen lassen. Zehn J a h r e lang hat dann G e o r g K a i b e i an unserer Hochschule gewirkt.

Man

hat ihn als die bedeutendste Erscheinung

der Straßburger Philologie bezeichnet. Seine geschlossene Künstlernatur, die griechisch dachte und dichtete, hat sich, auf jeden, der ihm nahetrat, ihren Zauber übend, in Straßburg voll entfaltet und ihn von

der Epigraphik

auf die P o e s i e gewiesen.

stand ihm August K i e ß l i n g kritiker und Dichterinterpret. Kaibel

Bruno K e i l

nach

zur Seite,

Für die Altertumswissenschaft zog

Straßburg,

der

sich

Wissens wie durch erstaunliche Beweglichkeit rasch einen Namen erwarb. Philologie haben schichte,

Als Latinist

auch er ein feiner Styldurch und

Fülle

des

Vielseitigkeit

Die letzten Vertreter der Straßburger

in tiefschürfender Arbeit auch die Religionsge-

insonderheit die des ausgehenden

Altertums, in

ihren

Interessenkreis einbezogen und den Schriftstellern, den Urkunden und

der Geschichte

der christlichen Antike ihre Editions-

Forschertätigkeit gewidmet. unternehmens Vorangegangen

unserer

und

Hier liegt der Ursprung des Haupt-

Gesellschaft,

des großen

Konzilswerkes.

war in dieser Beziehung bereits der langjährige

Vertreter der alten Geschichte, Karl J o h a n n e s N e u m a n n ,

dessen

— reiches Wissen

24



leider nur teilweise

in fertigen Werken

an

die

Öffentlichkeit getreten ist. Kein Name indes ist mit der Straßburger schaft

so

anhaltend

bunden geblieben

verbunden

als der

gewesen

Altertumswissen-

und s o

des Archäologen

dauernd

Adolf

ver-

Michaelis,

der über dreißig J a h r e eine Zierde unserer Hochschule gewesen ist und Straßburg treu blieb, auch als sieben Akademien ihn zu ihrem Mitglied gewählt hatten.

Hellenische Schönheit und helle-

nische S o p h r o s y n e

in seinen Zügen, und die Abge-

prägte sich

klärtheit seines Wesens, verbunden

mit vorbildlicher Hingabe

an

alle gemeinsamen Aufgaben ließen ihn bei der Gründung unserer Gesellschaft als ihren gewiesenen Vorsitzenden

erscheinen.

Sein

einzigartiges Werk über den Parthenon, in dem sich Archäologie und Philologie die Hand reichten, seines F a c h e s emporgehoben,

hatte ihn unter die

Führer

und mochten auch seine Arbeiten

das ganze Gebiet der antiken Kunst umfassen, deren Entwicklung er zuletzt in großzügiger Zusammenfassung dargestellt h a t ,

so

hat doch stetsfort seine besondere Liebe dem Lande der Griechen gegolten.

Sein Lebenswerk in Straßburg, an dem er mit ganzer

S e e l e hing, war die herrliche, nach einheitlichem Plan angelegte S a m m l u n g von Abgüssen antiker Kunstwerke, von der der Bildhauer Rodin

erklärte, sie habe in ganz Frankreich

nicht

ihres-

gleichen. V o n der N e u p h i l o l o g i e

ist erst recht zu sprechen.

Hat

doch je einer der großen Vertreter der Germanistik, Anglizistik und Romanistik in Straßburg gelehrt. In ihren ersten J a h r e n hat unsere Universität das Glück gehabt, Wilhelm S c h e r e r

zu besitzen, den Österreicher,

der von

Wien aus der Gründung des Reiches zugejubelt und gleich darauf in

O t t o k a r Lorenz'

„Geschichte

des

Elsaßes"

Literatur ihr erstes Denkmal gesetzt hatte.

der

elsässischen

Nach Jahresfrist

ihm der Anglizist Bernhard t e n B r i n k zur Seite.

trat

Beide standen

sie alsbald in lebendigstem Austausch, der in der gemeinsamen Begründung

der

Kulturgeschichte druck fand.

„Quellen

und

Forschungen

zur

Sprach-

und

der germanischen V ö l k e r " seinen äußeren Aus-

Beide steckten sie der Philologie die höchsten Ziele,

indem sie sie als „die Wissenschaft vom Nationalen" auffaßten; beiden war, bei hervorragender sprachwissenschaftlicher Bildung,



25

-

die Literaturgeschichte die Krone der philologischen Wissenschaft, weil ihnen die Literatur, vor allem die Dichtung, Wesen und letzte Ziele des Volkstums enthüllte;

beide waren sie Meister der Dar-

stellung und der zusammenfassenden Beherrschung

ihres Stoffes,

beide abgesagte Feinde jeglichen gelehrten Banausen- und Spezialistentums.

Für den jugendlichen Scherer, den Mann der kühnen

Würfe und Hypothesen,

der immer neuen Fragestellungen,

dem

Anreger ohnegleichen, stand in seiner Straßburger Zeit die mittelalterliche Literatur im Mittelpunkte.

T e n Brinks Lebenswerk war

die langsam

eine hochbedeutsame

fortschreitende,

durch

über das germanische V o l k s e p o s englischen Literatur.

unterbrochene

Arbeit

Geschichte

der

Im blühenden Mannesalter dahingerafft, hat

er sie nicht vollenden dürfen;

ihren T o r s o hat man als die her-

vorragendste Geschichte der mittelalterlichen Literatur eines westeuropäischen Volkes bezeichnet. Hatte ten Brink in seinen ersten J a h r e n auch über romanische Literatur gelesen, s o trat 1880 Gustav G r ö b e r ein.

in diese Aufgabe

Ein Menschenalter hat er in Straßburg gelehrt, als Enzyklo-

pädiker und Organisator ersten Ranges die „Zeitschrift für r o m a nische Philologie",

den

„Grundriß der romanischen

Philologie"

und die „Bibliotheca r o m a n i c a " geschaffen, Aufgaben, Ziele Ideale der Romanistik

als erster

mustergiltig dargelegt

und

und die

erste, einen riesigen Stoff verarbeitende altfranzösische Literaturgeschichte in deutscher S p r a c h e verfaßt.

Mit eiserner Energie alle

diese Leistungen sich abringend, hat er die Straßburger Romanistik recht eigentlich in sich verkörpert.

Ebenfalls drei Dezennien hin-

durch stand neben G r ö b e r als Germanist Ernst M a r t i n .

Waren

ihm Redegabe, Großzügigkeit und essayistische Leichtigkeit Scherers versagt, s o hat er mit ausgebreiteter, auch die romanische Philologie umfassender Parzival

Gelehrsamkeit

und des R o m a n

in den großen

Ausgaben

de Renart sehr solide Arbeit

und durch seine „Elsässischen Literaturdenkmäler",

des

geleistet

seine „Alsa-

tischen Studien" und vor allem durch sein »Wörterbuch der Elsässischen

Mundarten"

seinen Namen

dauernd mit dem

Lande

verbunden, das ihm zur zweiten Heimat geworden war. Ausgiebige Pflege endlich hat in Straßburg von Anfang an die O r i e n t a l i s t i k gefunden.

Waren doch schließlich neben je



26



einem Lehrstuhle für Sprachvergleichung, Indologie, Ägyptologie und Semitistik noch Extraordinariate für Assyrisch, Armenisch und Türkisch errichtet worden. Es hat zum Glänze der neuen Hochschule beigetragen, daß in ihrem ersten Semester Max M ü l l e r aus Oxford an ihr Gastvorlesungen hielt über die Ergebnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft. Heinrich H ü b s c h m a n n , ein vorzüglicher Kenner des Armenischen, und der frühverstorbene Albert T h u m b , dem wir treffliche Arbeiten über das Neugriechische verdanken, haben hernach diese Disziplin gelehrt, während im ersten Jahrzehnt die Indologie durch den ebenfalls jung verstorbenen Siegfried G o l d s c h m i d t hervorragend vertreten wurde. Den Lehrstuhl für Ägyptologie hat über zwanzig Jahre Johannes D ü m i c h e n innegehabt, der sich durch seine Inschriftenpublikationen, eine Frucht heroischer Studienfahrten im Nillande, einen Namen gemacht hatte, neben Brugsch der Entzifferer der Hieroglypheninschriften der Ptolemäer- und Kaiserzeit und der Verfasser wertvoller Arbeiten zur altägyptischen Geographie. V o r allem aber ist Straßburg die Stätte der Semitistik gewesen. Wirkten hier doch N ö l d e k e und E u t i n g , als Menschen so verschieden, ja gegensätzlich als möglich, eben dadurch aber einander ergänzend und in treuer Freundschaft verbunden. Julius E u t i n g , wer kannte ihn nicht in Straßburg, den winzig kleinen Mann, der in seinem Riesenschlapphut einem wandelnden Pilze glich, den Gründer des Vogesenklubs, den unermüdlichen Vogesen- und Schwarzwaldwanderer, den sicheren Zeichner, Aquarellisten und Kartographen, den Meister der Schreibkunst, der statt der Feder den Calamus handhabte, den halben Orientalen, der da rauchte wie ein Türke, seinen Mokka braute und den Wein verachtete wie ein Araber, auf kühnen Reisen zum Wüstenbeduinen wurde und dabei allezeit ein echter, gemüt- und humorvoller Schwabe blieb. Der unerreichte Meister semitischer Kalligraphie, der Schöpfer mancher neuen semitischen Drucktype, hat er auf seinen Reisen, zum Teil unter Lebensgefahr, eine Fülle von Inschriften gesammelt und durch ihre genaue Nachzeichnung und Entzifferung eine neue Epoche der semitischen Epigraphik und Paläographie eingeleitet. Und dann Theodor N ö l d e k e !

Wir reden hier grundsätzlich

— 27 — nicht von den Lebenden.

Aber wie könnten wir von der wissen-

schaftlichen Bedeutung Straßburgs sprechen und dabei von T h e o d o r Nöldeke schweigen, den seit Jahrzehnten die ganze wissenschaftliche Welt als den ersten Meister der Semitistik verehrte, in dessen Studierzimmer die angehenden Orientalisten gegenden ihre Weihe empfingen?

aus allen Himmels-

Ist er doch überdies von den

im Gründungsjahre der Universität berufenen Lehrern der einzige, der noch

unter uns Lebenden

Geschichte

weilt, der einzige noch, der die

unserer Universität

von

ihrem

leuchtenden

Morgen

bis zu ihrem tragischen Ende fast lückenlos miterlebt hat.

Und

wenn heute unsere Gedanken grüßend zu ihm hinübereilen nach der badischen Hauptstadt, s o sind wir uns bewußt, damit nicht bloß einem Fürsten der Wissenschaft zu huldigen:

in der lauteren

Schlichtheit seines W e s e n s wird uns der Mann, dem Prunk Titel ein Greuel w a r e n , sozusagen Verkörperung alles d e s s e n , was in unsrer Straßburger

und

Gelehrtenwelt

und wahrhaft, aufrecht und charaktervoll gewesen

ist.

und

Sinnbild schlicht Und mit

dem Dank dafür, daß er allen lockenden Rufen zum Trotz Straßburg die T r e u e bewahrt hat und bis zuletzt lehrend und forschend der unsre geblieben ist, verbindet sich heute der Wunsch,

daß

immer geistesfrische Arbeit und die Verehrung des Schüler- und Kollegenkreises

dem Nestor der deutschen Orientalistik

bis

ins

höchste Alter Quelle der Kraft und Freude bleiben mögen. VII. Unser Überblick ist zu Ende. Reihe nach die einzelnen

V o r unser Auge traten

Wissenschaftsgebiete

lichen Inhalten, ihren Zielen

und P r o b l e m e n ,

mit

ihren

traten

der sach-

anderseits,

ihnen hingegeben, von ihnen ergriffen und sich schöpferisch ihnen

betätigend,

lebendige

Persönlichkeiten

mit

der

in

Eigenart

ihrer menschlichen Eigenschaften, ihrer inneren Einstellung, ihrer Weltanschauung

und

ihrer

Methode.

Erst

in

dieser

wirkung und persönlichen Verlebendigung tritt uns die schaftliche Bedeutung

der

Straßburger

Hochschule

Wechselwissen-

anschaulich

v o r Augen. Die

Wissenschaft

ist letztlich

übernational.

Hinsicht auf die H ö h e , schöpferische Kraft und

Aber

wie

in

Vorbildlichkeit



wissenschaftlichen

28



Lebens im Wechsel der Zeiten ein V o l k

dem

andern die Fackel gereicht hat, s o bestehen in Bezug auf Organisation und Betrieb der Wissenschaft, in Hinsicht auf Zielsetzung, innere Art und Inhalt

zumal der geisteswissenschaftlichen Arbeit

Besonderheiten und Verschiedenheiten, in denen sich etwas, wie vom Geiste der Zeiten, s o von der Individualität und Psyche der Völker offenbart.

In diesem Sinne ist es deutsche Wissenschaft

gewesen,

unsrer

die

an

Straßburger

Hochschule

geblüht

hat.

Wir sagen das mit schlichtem Stolz, dem jede Selbstverherrlichung fernliegt, s o wenig ein Panegyrikus auf Personen angebracht ist, w o unsere Besten die unbedingte und selbstlose Hingabe an die Sache

als

Wesen

deutschen

Wissenschaftsbetriebes

empfunden

haben. J e d e wissenschaftliche Leistung ist Stückwerk, und der Weg zur Wahrheit führt je und je durch

Irrtum

und Abwege.

sollte das nicht auch von unsrer Hochschule gelten?

Wie

W a s von

dem, was an ihr gelehrt und vertreten wurde, nur Tageswahrheit war, ist verweht und wird verwehen; als Baustein

was solide Forschung, ist

eingefügt in den stets wachsenden, nie vollendeten

großen Bau der Wissenschaft;

was bedeutsame

Errungenschaft,

ist längst internationales Gemeingut, das auch denen dient, die heute die deutsche Wissenschaft als nicht vorhanden

betrachten

und insonderheit die deutsche Universität Straßburg gerne Vergessenheit

überantworten

möchten.

Standpunkt über solchen Erbärmlichkeiten

Wir

nehmen

der

unsern

des T a g e s , und kein

Wort der Herabsetzung fremden und andersartigen Wissenschaftsbetriebes soll unter uns laut werden.

E s k o m m t die Zeit, j a sie

ist s c h o n im Anbrechen, da man uns Deutschen

und der deut-

schen Wissenschaft draußen in der Welt wieder wird Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Dann wird auch

dort anerkannt

sein,

was die deutsche Universität Straßburg für die Wissenschaft bedeutet hat.

Hochansehnliche Festversammlung! Über die im Frühlingsschmuck prangende Rheinebene hin eilen heute immer wieder unsere Gedanken in wehmütig-stolzer Erinnerung nach der Stadt, nach der unsre Wissenschaftliche Gesellschaft sich nennt. Es will uns heute nicht loslassen, das alte, liebe Bild. Wie von selbst sucht der Blick zuerst den einzigen Turm, der, das Stadtbild beherrschend, golden und durchsichtig vom blauen Frühlingshimmel sich abhebt. Dann ruht er auf der altgewohnten Arbeitsstätte; vor uns steht der vornehme Bau mit der Aufschrift „Litteris et patriae" und anschließend, in Frühlingsgrün gebettet, die ganze Gruppe der prächtigen Institute, wirkungsvoll abgeschlossen durch die aus den Bäumen des botanischen Gartens aufstrebende Kuppel der Sternwarte. Das war unsre Straßburger Hochschule, gegründet im Hochgefühl nationaler Erfüllung, zusammengebrochen mit unsres Reiches Herrlichkeit, als sie nach fast idealer Jugendblüte dem Mittag und Alltag des Lebens entgegenging mit seiner Verbindung von Arbeit und Kampf, von Erfolgen und Hemmungen mancherlei Art. Lag und lastete doch auch auf der Universität je und je etwas von der tiefen Tragik, welche die politische Entwicklung des Reichslandes kennzeichnete und auch seiner Hochschule, bei aller Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Höhe und trotz tiefgehender Einwirkung auf die geistig aufstrebenden Schichten des Altelsässertums, die volle und restlose Einwurzelung in den elsässischen Boden versagte. Sinnend gedenken wir vergangener Zeiten, gedenken derer, die hier ihre Lebensarbeit getan, gedenken so mancher, mit denen lernend und lehrend hier verbunden gewesen zu sein wir zum Glück und Reichtum unsres Lebens zählen. Wie von selbst wird das Sinnen zum Schauen. Wir meinen sie mit uns hier stehen zu sehen, die einst hier ein- und ausgingen, die Dahin-



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-

gegangenen und die in alle Winde Zerstreuten, dann die Kommilitonen alle von ehedem, wie sie in diesen Maientagen zusammenströmen sollten zum großen Jubiläum. Und da ist's u n s , als sähen wir in Dank und Huldigung die Fahnen sich neigen vor einer großen Schöpfung, die „leuchtend niedersank". S o schauen wir zurück, bewegten Herzens, wie wir je und je zurückschauen werden, wie insonderheit unsere Wissenschaftliche Gesellschaft es sich nicht wird nehmen lassen, das Andenken dieser größten und erfolgreichsten deutschen Schöpfung im Elsaß allezeit hochzuhalten. Doch nicht auf das, was hinter uns liegt, bleibt darum der Blick gebannt, und nicht in dem Sinne schauen wir zurück, als ob das Heil beschlossen läge in der im ganzen wie im einzelnen stets unmöglichen einfachen Wiederherstellung dessen, was gewesen ist. Aus der Rückschau auf eine große Schöpfung, aus der Aufschau zu großen Gestalten Erhebung schöpfend, blicken wir vorwärts. Uns leuchtet auch weiter das goldene Wort, das, von Adolf Michaelis einst für das Straßburger Kollegiengebäude geprägt, nunmehr zum Wahlspruch unsrer Wissenschaftlichen Gesellschaft geworden ist: „Litteris et patriae!" Aus Verworrenheit und Dunkel der Gegenwart strebt heute, unter Schmerzen und Wehen nach Gestaltung ringend, Neues und Wertvolles zum Leben. Mitzuhelfen, daß einst ein neuer lichter Tag anbreche , ist die nationale Aufgabe der deutschen Wissenschaft. Unser Volk braucht, um seine Weltgeltung neu zu erringen, auch den altbewährten Ruf seiner Wissenschaft. Unser Volk braucht, um sich materiell zu behaupten, den Bund höchststehender Wissenschaft mit höchstgesteigerter Industrie und Technik. Unsere Jugend braucht die strenge Geisteszucht und den sittlichen Erziehungswert der wissenschaftlichen Arbeit, um nicht in unsäglich schwerem Daseinskampfe der niederziehenden Gier des Erraffens und Genießens zu verfallen oder, im enthusiastischen Rausch vermeintlichen unmittelbaren Erlebens nach den Sternen greifend ins Leere zu greifen. Litteris et patriae! 1872 und 1922: läßt sich ein größerer Gegensatz denken als der zwischen dem stillen, ernsten Gedenktag, den wir heute begehen, und dem leuchtenden Pestesglanze der Gründungsfeier im Straßburger Schloßhofe im strahlenden Frühling des neugeeinten Deutschland? Doch eines bleibt. Mit

-

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denen, die in jenen Zeiten nationaler Erfüllung und nationalen Hochgefühls an unsrer Straßburger Hochschule haben wirken dürfen, bleiben auch wir in schwerer, dunkler Zeit mit allen Vertretern deutscher Wissenschaft von der Gewißheit beseelt, daß wahrer Dienst der Wissenschaft zugleich ein Dienst am Aufbau des Vaterlandes ist, dem auch in dieser Stunde unsere heißen Wünsche gelten. Und wir sind allerdings so unbescheiden, zu meinen, daß wir, der Wissenschaft und dem Vaterlande dienend, damit zugleich der Menschheit und ihrer Zukunft dienen. Sursum corda!

Klod« & Silber, Heidelberg