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German Pages 340 Year 1992
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 158
Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB Die funktionale Struktur der Gefährdungshaftung als Auslegungshintergrund für die Risikoverteilung im Tierschadensrecht
Von
Wolfgang Lorenz
Duncker & Humblot · Berlin
WOLFGANG LORENZ Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 158
Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB Die funktionale Struktur der Gefährdungshaftung als Auslegungshintergrund für die Risikoverteilung im Tierschadensrecht
Von
Wolfgang Lorenz
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lorenz, Wolfgang: Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB : die funktionale Struktur der Gefährdungshaftung als Auslegungshintergrund für die Risikoverteilung im Tierschadensrecht / von Wolfgang Lorenz. — Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 158) Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07470-X NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07470-X
Vorwort Läßt sich zur Tierhalterhaftung heute noch etwas Neues sagen? Ihre dogmatischen Standardfragen und die dazu angebotenen vielfältigen Antworten sind bereits hinreichend dokumentiert. Richtet sich das wissenschaftliche Interesse dagegen auf die A r t und Weise, in der diese Fragen zumeist gestellt und beantwortet werden, dann zeigt sich, daß gerade die entscheidende Frage bisher weitgehend offen bleibt: W i e fügen sich die vielschichtigen Teilprobleme dieser unübersichtlichen Rechtsmaterie zusammen zu „der Tierhalterhaftung" als Fall der Gefährdungshaftung? Fügen sie sich überhaupt zusammen? Die vorliegende Untersuchung zielt deshalb i n erster Linie auf die Funktionszusammenhänge innerhalb des Tierhaltertatbestandes, die sich aus dessen Ausgestaltung nach dem Prinzip der Gefährdungshaftung ergeben und damit auf den Auslegungshintergrund, vor dem sich die dogmatischen Einzelfragen überhaupt erst sinnvoll erörtern lassen. Methodisch geht es u m die Abkehr von der isolierten Betrachtung einzelner Tatbestandsmerkmale zugunsten der strikten Bezugnahme auf das Ganze der Normstruktur. Dies bedingt eine durchweg kritische Haltung gegenüber allen dogmatischen Aussagen, sofern oder soweit sie sich eben nicht aus diesen Grundlagen herleiten lassen. Dieser Ansatz geht von der Beobachtung aus, daß innerhalb der Vielzahl von Problemen i n Rspr. und Lit. letztlich nur ein begrenzter Kreis — wenn auch in unterschiedlichster Gestalt —
immer
wiederkehrender Lösungsgesichtspunkte erkennbar wird. Daraus ergibt sich die Annahme, daß hinter den zahlreichen Einzelfragen i m Recht der Tierhalterhaftung nur wenige innerlich zusammenhängende Grundfragen und dazu passende Antworten stehen und daß diese selbst wieder verschiedene Ausprägungen des einen Grundprinzips der Gefährdungshaftung sind. Diese Rückführung der dogmatischen Vielfalt auf die Einheit des Gefährdungsprinzips bringt nicht zuletzt eine philosophische Grundhaltung zum Ausdruck. Dementsprechend versteht sich die Untersuchung als methodisches Abschreiten eines Weges, dessen Mitgehen auch dem Leser ohne Abkürzung zugemutet wird. Wer sie nicht i m Ganzen — gemäß ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung — als sich selbst fortschreitend präzisierende Gesamtanalyse eines dogmatischen Funktionszusammenhangs lesen und verstehen wollte, sondern etwa — wie besonders die hier kritisch betrachteten Kommentare, Lehr- und Handbücher zur Tierschadensrecht selbst — nur als weitere Kompilation von Einzelaussagen, würde jedenfalls „auf eigene Gefahr" handeln.
Vorwort
6
Stets w i r d die Anerkennung und Achtung der Tiere als eigenständige Lebensform vorausgesetzt, auch wenn sich die nachfolgenden Überlegungen m i t ihnen nur noch unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten befassen. I m juristischen Funktionsgefüge der Tierhalterhaftung w i r d das Tierverhalten als Gefahrenquelle eingeordnet. Für den begrenzten Zweck der angemessenen Verteilung von Vermögenseinbußen mögen Tiere durchaus so behandelt werden können, als ob sie bloße Risikofaktoren wären. Die — gemessen an ihren eigenen Belangen als Lebewesen — bisher allgemein unbefriedigende oder sogar skandalöse Stellung der Tiere i m Recht gibt aber hinreichenden Anlaß, dieses „als ob" besonders deutlich zu unterstreichen. Das Tierschadensrecht löst allein haftungsrechtliche Zurechnungsfragen und macht damit keinerlei Aussagen zum Eigenwert der Tiere, denn „als Gefahrenquelle" besteht zwischen Menschen, Tieren und Sachen kein haftungsrelevanter Unterschied. Die Arbeit entstand i m Anschluß an meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Kurt Kuchinke i n Würzburg und wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg i m Wintersemester 1990/ 91 als Dissertation angenommen. Die bis Mitte November 1991 veröffentlichten Entscheidungen und Literaturäußerungen zum Tierschadensrecht wurden — soweit möglich — noch berücksichtigt. Vielfältigen Dank schulde ich meinem Lehrer und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Kurt Kuchinke für das wissenschaftliche Gespräch bei der Entstehung der Arbeit und seine freundliche Unterstützung bei ihrer Veröffentlichung. Dank gebührt auch dem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski. Würzburg, i m März 1992 Wolf gang Lorenz
Inhaltsübersicht 1. Teil Grundlagen — Normzweck und Normstruktur der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB
27
§ 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode bei der dogmatischen Aufarbeitung des Tierschadensrechts
27
§ 2 Die Regelung des § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung § 3 Die Problematik der Auslegungsgesichtspunkte ohne Zusammenhang mit der Ausgestaltung des § 833 S. 1 BGB als Gefährdungshaftung § 4 Die Normstruktur des § 833 S. 1 BGB als Auslegungshintergrund für die Verteilung des Verletzungsrisikos
34
57 74
2. Teil Die Tiergefahr — Bestimmung der Gefahrenquelle und Feststellung ihrer Relevanz gegenüber Fremdbeiträgen
81
§ 1 Überblick zur Entwicklung und Veränderung des Merkmals der Tiergefahr ....
81
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
84
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
146
§ 4 Das Merkmal der Tiergefahr als Ausprägung der Strukturkomponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung
170
3. Teil Der Tierhalter — Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen
179
§ 1 Die Unterscheidung von Strukturelementen und Indizien der Halterschaft ..
179
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
184
§ 3 Die Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkonstellationen der Halterschaft
209
§ 4 Das Merkmal der Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung
222
8
Inhaltsübersicht 4. Teil Der Verletztenbeitrag — Gegenüberstellung der Erfolgsbeiträge von Tierhalter und Anspruchsteller
229
§ 1 Die dogmatischen Ansatzpunkte zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags
229
§ 2 Der persönliche Schutzbereich — Beschränkung der Gefahrzurechnung innerhalb des Haftungstatbestandes
231
§ 3 Die Mitverursachung — Einbringen der Selbstgefährdung in die Gegenüberstellung aller Verletzungsbeiträge der Beteiligten
268
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß — Risikoverteilung unter Rückgriff auf den Parteiwillen
290
§ 5 Die haftungsrechtliche Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung auf den Verletztenbeitrag im Tierschadensrecht
316
5. Teil Zusammenfassung — Die Normsstruktur des Tierschadensrechts als Ordnungsrahmen für die Auslegung des § 833 S. 1 BGB
323
§ 1 Die Normstruktur des Tierschadensrechts
324
§ 2 Der Ertrag der Strukturbetrachtung und die Folgerungen für das Tierschadensrecht
326
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Grundlagen — Normzweck und Normstruktur der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB
27
§ 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode bei der dogmatischen Aufarbeitung des Tierschadensrechts
27
A. Problemstellung: Die Unübersichtlichkeit des Tierschadensrechts als Folge dogmatischer Konzeptlosigkeit in der Gefährdungshaftung
27
I. Der Beitrag von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur zu den ungeklärten Streitfragen des Tierschadensrechts
28
II. Die Zusammenhanglosigkeit in den Überlegungen zum Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung
30
B. Problemlösung: Die Betonung des Funktionszusammenhangs als Grundlage eines dogmatischen Ordnungsrahmens für das Tierschadensrecht
31
I. Die „Struktur" als funktionsbestimmtes Ordnungsgefüge und ihre Bedeutung für die juristische Auslegung
31
II. Die Normstruktur als Ordnungsrahmen für die Streitfragen des Tierschadensrechts
32
III. Die strukturbezogene Ordnungsmethode und das Erkenntnisinteresse der Untersuchung
34
§ 2 Die Regelung des § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
34
A. Die Tatbestandsmerkmale des § 833 S. 1 BGB
35
B. Die Grundlagen der Gefährdungshaftung
35
I. Die Grundgedanken zum Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung
35
1. Die Quelle erhöhter Gefahr
36
2. Die Verantwortung des Beherrschers und Nutzers der Gefahrenquelle
38
3. Die Schutzwürdigkeit des Verletzten
40
II. Die Zurechnung als verbindendes Ordnungsprinzip der Gefährdungshaftung 1. Die Zurechnungsschritte im Haftungsrecht
41 41
nsverzeichnis
10
2. Die Normstruktur der Gefährdungshaftung
43
a) Die verschuldensunabhängige Zurechnung
43
b) Der Funktionszusammenhang von Gefahrenquelle, Gefahrzurechnung und Gefahrverantwortung
44
c) Die Entwicklung der Normstruktur aus den Grundgedanken der Gefährdungshaftung
46
3. Die inhaltlichen Kriterien der Gefahrzurechnung
46
a) Das Verhältnis von Kausalität und Zurechnung
46
b) Die äquivalente Kausalität
47
c) Die Adäquanz
48
d) Die Kriterien des sachlichen und persönlichen Schutzbereichs der Norm
49
C. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
52
I. Die Tierdefinition
52
II. Die verletzten Rechtsgüter
52
III. Die Verwirklichung der Tiergefahr
53
IV. Die haftungsbegründende objektive Zurechnung
54
V. Der Tierhalter
54
VI. Das haftungsausschließende Verhalten des Verletzten
55
VII. Die haftungsausschließenden Fremdrisiken
55
VIII. Der Entlastungsbeweis nach § 833 S. 2 BGB
56
IX. Die Schadensfolgen
57
§ 3 Die Problematik der Auslegungsgesichtspunkte ohne Zusammenhang mit der Ausgestaltung des § 833 S. 1 BGB als Gefährdungshaftung
57
A. Die funktionale Irrelevanz der verschuldensabhängigen Haftungsausnahme des § 833 S. 2 BGB für die Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB
58
I. Die Gefährdungshaftung nach Satz 1 und der Exkulpationsbeweis nach Satz 2
58
II. Literaturansichten zur Bedeutung von § 833 S. 2 BGB
59
1. Exkulpationshaftung mit unwiderlegbarer Vermutung
59
2. Verschuldenshaftung im mittleren Gefahrenbereich
59
3. Satz 1 und Satz 2 als getrennte Anspruchsgrundlagen
60
III. Gefährdungshaftung nahme
mit
verschuldensabhängiger
Haftungsaus61
1. Grundsätzliche Gefährdungshaftung nach Satz 1 in der Rechtsprechung
61
2. Satz 2 als Ausnahmevorschrift zu Satz 1
62
nsverzeichnis B. Die begrenzte Bedeutung der historischen Überlieferung im Funktionszusammenhang der Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB I. Die Tradition der Haftung für Tierschäden
11
64 65
1. Altorientalisches und griechisches Recht
65
2. Römisches Recht
66
a) Die actio de pauperie
66
b) Sonstige Klagen bei Tierschäden
68
3. Deutsches Recht
68
4. Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts
69
II. Die Entstehung des § 833 BGB als Gefährdungshaftung
70
1. Die Entwürfe zur ursprünglichen Fassung von 1900
70
2. Die Einführung von Satz 2 durch die Novelle im Jahr 1908 ...
71
III. Der Bedeutungswandel der Tierhalterhaftung in faktischer und dogmatischer Hinsicht
72
1. Bedeutungswandel der Tierhaltung zwischen Agrargesellschaft und technischer Zivilisation
72
2. Die Bestätigung des Bedeutungswandels im Fallmaterial zu § 833 BGB
73
3. Der dogmatische Wandel von der verschuldenslosen Haftung zur Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB
73
§ 4 Die Normstruktur des § 833 S. 1 BGB als Auslegungshintergrund für die Verteilung des Verletzungsrisikos
74
A. Die Normstruktur als funktionaler Zusammenhang der Grundgedanken der Tierhalterhaftung
74
B. Die Komponenten der Normstruktur und ihre Ausprägung im Tatbestand des § 833 S. 1 BGB
76
I. Gefahrenquelle
77
II. Gefahrabgrenzung
77
III. Gefahrverantwortung
78
IV. Gefahrabwägung und Beitragsabwägung C. Die strukturbezogene Sichtweise des Normzwecks als Leitfaden der Untersuchung
78 79
2. Teil Die Tiergefahr — Bestimmung der Gefahrenquelle und Feststellung ihrer Relevanz gegenüber Fremdbeiträgen § 1 Überblick zur Entwicklung und Veränderung des Merkmals der Tiergefahr
81
81
A. Die Fallgruppenbildung in der Rechtsprechung
81
B. Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
83
nsverzeichnis § 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
84
A. Die ursprüngliche Umschreibung der Tiergefahr als Verletzung durch „willkürliches" Verhalten
84
I. Willkürliches Verhalten als Tierverhalten aus eigenem Antrieb ...
84
II. Bedenken in der Literatur gegen die Willkürlichkeit tierischen Verhaltens
85
B. Das Gesamtgefüge der Ausnahmefallgruppen zur Eingrenzung der Tiergefahr
87
I. Die Haftungsausnahmen beim aktiven Tierverhalten 1. Physiologischer Zwang
87 87
a) Das erzwungene Tierverhalten als nicht willkürliches Verhalten
87
b) Die Abgrenzungsversuche zwischen unwiderstehlichen und anderen Außenreizen
89
(1) Die „innere Freiheit" des Tieres
89
(2) Die neurologische Reizverarbeitung im Tier
89
(3) Triebzwang bei Deckakten ohne menschliche Aufsicht ...
91
(4) Die Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit des Reizes
91
c) Ablehnung des physiologischen Zwangs in der Literatur ...
92
d) Die NichtUnterscheidbarkeit von widerstehlichen und unwiderstehlichen Außenreizen
93
2. Menschliche Leitung
94
a) Das Tier in der Hand des Menschen
94
b) Tierisches Verhalten infolge menschlicher Willensherrschaft
95
(1) Unmittelbare Verhaltenssteuerung (2) Bloße Aufsicht c) Tierisches Verhalten trotz menschlicher Einflußnahme (1) Auflehnung gegen den menschlichen Willen (2) Wechselwirkungen menschlichen und tierischen Verhaltens
95 96 98 98 99
d) Literaturmeinungen zur menschlichen Leitung
100
e) Die Problematik der menschlichen Leitung
101
(1) Menschlicher Einfluß als Fremdursache
101
(2) Menschliche Leitung als Abruf von Verhaltensprogrammen
102
(3) Menschliche Leitung als Problem der Zurechnung zum menschlichen Willen 3. Natürliches Verhalten a) Krankheitsübertragung durch Beschnüffeln
103 105 105
b) Ausscheidungen und Absonderungen
106
c) Deckakte als Anlaß der Neukonzeption durch den BGH ...
107
d) Literaturmeinungen zum natürlichen Verhalten
109
e) Natürliches Verhalten als Kriterium der Gefahrzurechnung ...
110
nsverzeichnis II. Der Haftungsausschluß bei passiver Tierexistenz 1. Körperliche Massewirkung a) Mechanisches Werkzeug b) Tote Masse c) Hindernis (1) Lebende Tiere (2) Tierkadaver 2. Sonstige passive Mitwirkung a) Das Tier als bloßer Keimträger b) Bloßer Anblick eines ruhenden Tieres 3. Literaturansichten zu den Fällen der Passivwirkung 4. Die Passiv Wirkung als Problem der Rückgriffsbegrenzung bei der Gefahrzurechnung
13 111 112 112 113 114 114 115 116 116 117 117 119
III. Die „externe" Haftungsbegrenzung durch höhere Gewalt und die Analogie zu § 7 I I I StVG
120
IV. Die Haftungsbegrenzung durch Kriterien der objektiven Zurechnung 1. Objektive Zurechnung und Tiergefahr 2. Die unterbrochene Kausalität als Frage der Gefahrzurechnung .... 3. Die Adäquanz 4. Der Zurechnungs- oder Risikozusammenhang
121 121 122 124 125
C. Die Neubestimmung der Tiergefahr als Wirkung der „tierischen Unberechenbarkeit"
127
I. Ersetzen des willkürlichen Verhaltens durch die tierische Unberechenbarkeit
127
II. Auswirkungen auf die Rechtsprechung zu den Ausnahmefallgruppen 1. Ablehnung von physiologischem Zwang und natürlichem Verhalten 2. Beibehalten der übrigen Fallgruppen III. Kritik der Literatur an der Unberechenbarkeit 1. Argumente gegen die Unberechenbarkeit 2. Die Wirkungslosigkeit der Argumente ohne Bezugnahme auf die Normstruktur D. Die Grundlinien der Fallgruppenkonzeption I. Das frühere Konzept des willkürlichen Verhaltens 1. Der innere Zusammenhang des willkürlichen Verhaltens und der Ausnahmefallgruppen 2. Der Kausalzusammenhang von Tiernatur und Rechtsgutsverletzung a) Der Zusammenhang von Tierverhalten und Verletzung b) Die Entstehung des Tierverhaltens (1) Tiernatur oder bloßer Außenreiz (2) Das Fehlen brauchbarer Abgrenzungskriterien zwischen Tiernatur und Außenreiz 3. Die innere Widersprüchlichkeit des „willkürlichen" Verhaltens ohne tierische Willensfreiheit
129 129 130 131 131 132 134 134 134 135 135 137 137 138 140
14
nsverzeichnis II. Das gegenwärtige Konzept der tierischen Unberechenbarkeit 1. Die Neubestimmung der Tiergefahr a) Der Verzicht auf die Tiernatur als Gefahrenquelle b) Die Ergänzung der Kausalität durch Gewichtungskriterien der objektiven Zurechnung 2. Relevanz des Fallgruppenbestandes a) Die weitere Verwendbarkeit der Passiv Wirkung, des natürlichen Verhaltens und des Risikozusammenhangs b) Die Unhaltbarkeit von physiologischem Zwang und menschlicher Leitung
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur A. Verzicht auf das Merkmal der Tiergefahr (Haase) I. Die strikte Verursacherhaftung II. Die Undurchführbarkeit der strikten Verursacherhaftung 1. Die Folgen des Verzichts auf die Tiergefahr 2. Die Notwendigkeit der Haftungsbegrenzung außerhalb der adäquaten Kausalität 3. Genauere Bestimmung der Tiergefahr statt Verzicht B. Haftungskanalisierung auf den Halter zum Schutz des Verletzten I. Der Opferschutzgedanke (Deutsch) 1. Die Schadloshaltung des Verletzten 2. Die Unangemessenheit des Opferschutzgedankens im Hinblick auf die Funktion der Tiergefahr 3. Die Unergiebigkeit des Opferschutzgedankens für den Ausschluß von Fremdrisiken II. Die kollektive Schadensvorsorge (Mertens) 1. Schadenskanalisierung auf die .Haftpflichtversicherung des Halters 2. Die Unergiebigkeit des Ausweichens in versicherungsrechtliche Überlegungen C. Die nähere Betrachtung von Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung
141 141 141 142 143 143 144 146 146 146 147 147 148 149 149 150 150 151 152 153 153 155 155
I. Die Tiergefahr als Auswirkung der typischen Eigenschaften eines lebenden Organismus (Kreft) 1. Das Tier als unvernünftiges Lebewesen 2. Die typischen Eigenschaften lebender Organismen und die tiertypischen Eigenschaften a) Das aktive Tierverhalten als Summe der tiertypischen Eigenschaften b) Die Differenzen im Bereich der Passivwirkung 3. Die Notwendigkeit von Zurechnungsbeschränkungen
157 158 159
II. Die Tiergefahr als Wirkung eines unberechenbaren Mechanismus (Greiff)
160
III. Die Tiergefahr als Fehlen menschlicher Leitung 1. Fehlende menschliche Tatherrschaft (Schünemann) 2. Fehlender menschlicher Wille (Schmid)
156 156 157
161 161 162
nsverzeichnis IV. Die Tiergefahr als Grenze des erlaubten Risikos (Weber) D. Die Abhängigkeit des Tierbegriffs von der Bestimmung der Gefahrenquelle I. Haftung für laborgezüchtete Mikroorganismen? II. Die Unbeachtlichkeit von Mikroorganismen als Gefahrenquelle .. E. Grundlinien der Normzwecküberlegungen in der Literatur I. Die Berufung auf den Verletztenschutz
15 162 163 164 164 166 166
II. Die Bestimmung der Gefahrenquelle 1. Die Erweiterung der Gefahrenquelle 2. Die Verengung der Gefahrenquelle auf tierarttypisches Verhalten
167 167 168
III. Die Begrenzung der Gefahrzurechnung bei typischerweise ungefährlichem Tierverhalten
169
§ 4 Das Merkmal der Tiergefahr als Ausprägung der Strukturkomponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung
170
A. Die Gefahrenquelle
170
I. Die Funktion der Gefahrenquelle II. Die Inhaltsbestimmung der Gefahrenquelle III. Die Folgen für die Tierdefinition B. Die Gefahrzurechnung
170 171 172 173
I. Die Funktion der Gefahrzurechnung II. Die Wertungskriterien zur Begrenzung der Gefahrzurechnung .... 1. Die Unverwertbarkeit konkreter äußerer Einwirkungen auf das Tierverhalten a) Das fehlende normative Gewicht von Außenreizen b) Kein normativer Vorrang der Verschuldenshaftung vor der Gefährdungshaftung 2. Die herabgesetzte Erfolgs Wirksamkeit der Gefahrenquelle
173 173 173 173 174 175
III. Die Gefahrzurechnung als Problem des Zusammenwirkens der Gefahrenquelle mit Zwischenursachen 1. Gefahrabschwächung durch die Länge der Ursachenkette 2. Gefahrerhöhung durch die Bandbreite möglicher Fremdursachen
176 176 177
C. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung gegenüber Fremdbeiträgen
177
3. Teil Der Tierhalter — Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen § 1 Die Unterscheidung von Strukturelementen und Indizien der Halterschaft A. Die Kriterien der Haltereigenschaft I. Die Umschreibungen des Halters in der Rechtsprechung II. Die Typusbildung in der Literatur
179 179 179 179 181
16
nsverzeichnis B. Der Funktionszusammenhang der Halterkriterien I. Die beiden Strukturelemente Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt II. Die Kriterien mit Indiz Wirkung
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien A. Das Strukturelement Eigeninteresse I. Verrichtung am Tier oder Nutzung im Eigeninteresse II. Die Indizien des Eigeninteresses 1. Sorge für Obdach und Unterhalt 2. Kostentragung für den Unterhalt des Tieres 3. Verlustrisiko 4. Versicherung 5. Nutzung im Haushalts- oder Wirtschaftsbetrieb
182 182 183 184 184 184 186 186 187 188 188 189
III. Die unmittelbare Verwendung des Eigeninteresses als Kriterium . 1. Nutzung allein durch den Eigentümer 2. Nutzung auch durch Nichteigentümer a) Leistungsverhältnisse mit zusätzlicher Nutzungsmöglichkeit b) Nutzungsüberlassungsverträge c) Kaufvertrag
191 191 192 192 194 194
IV. Zusammentreffen verschiedener Nutzungsinteressen 1. Mithalterschaft bei geteiltem Interesse 2. Der überwiegend Interessierte als Halter a) Die Nutzungsdauer als Gewichtungskriterium b) Der Schwerpunkt der Indizien des Nutzungsinteresses als Gewichtungskriterium
194 195 195 195
B. Das Strukturelement Entscheidungsgewalt
197 198
I. Unmittelbarer Einfluß auf das Tier oder Entscheidungsgewalt über Existenz und Verwendung
198
II. Die Indizien der Entscheidungsgewalt 1. Tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit bzw. unmittelbarer Besitz 2. Kontakt zum Tier 3. Eigentum 4. Mittelbarer Besitz und Bestimmungsbefugnis 5. Einstellen in den Haushalts- oder Wirtschaftsbetrieb
199 200 201 202 203 205
III. Die unmittelbare Anwendung der Entscheidungsgewalt
206
IV. Verteilung der Entscheidungsgewalt auf mehrere Personen
207
C. Das funktionale Zusammenspiel von Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt
207
§ 3 Die Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkonstellationen der Halterschaft
209
A. Die Halterschaft bei Leistungsverträgen und bei Nutzungsverhältnissen ....
210
I. Die grundsätzliche Halterschaft des Eigentümers bei Verträgen über Leistungen an oder mit dem Tier
210
nsverzeichnis II. Die Konkurrenz um die Halterschaft bei Miete und Leihe 1. Der Eigentümer bleibt Halter 2. Der Nutzende wird Halter
17 211 211 212
III. Die Konkurrenz um die Halterschaft bei gemischten Verträgen mit Nutzungsberechtigung (PensionsVerträge)
213
IV. Die Halterschaft des Nutzenden bei Pacht, Nießbrauch und Ehe .
214
B. Die Halterschaft in der Phase der Übereignung (Kauf)
215
I. Abstellen auf Übergabe oder Versendung
215
II. Abstellen auf die Strukturelemente der Halterschaft C. Die Halterschaft bei Entlaufen, Fund und Diebstahl I. Entlaufene Tiere
216 217 217
II. Gefundene und zugelaufene Tiere III. Gestohlene Tiere
218 219
D. Der Schutz des minderjährigen Halters
220
§ 4 Das Merkmal der Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung
222
A. Die Strukturelemente Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse in ihrem Funktionszusammenhang
222
B. Der Modellcharakter der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse für die Halterbestimmung
222
I. Die Bestimmungsbefugnis des Eigentümers II. Beschränkung der Entscheidungsgewalt durch Überlassen der Nutzungsvorteile
222 223
III. Die Typologie der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse
225
IV. Halterschaft in der Phase des Eigentumsübergangs
226
C. Die Bestimmung des Halters ohne rechtsgeschäftliche Grundlage
226
D. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahrverantwortung ..
227
4. Teil Der Verletztenbeitrag — Gegenüberstellung der Erfolgsbeiträge von Tierhalter und Anspruchsteller
229
§ 1 Die dogmatischen Ansatzpunkte zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags
229
§ 2 Der persönliche Schutzbereich — Beschränkung der Gefahrzurechnung innerhalb des Haftungstatbestandes
231
A. Die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags als Frage der Gefahrzurechnung
231
I. Die strukturelle Funktion des persönlichen Schutzbereichs
231
nsverzeichnis II. Die Grenzen der Schutzwürdigkeit nach dem Normzweck des § 833 S. 1 BGB 1. Die Entwicklung von Wertungskriterien
232 232
2. Bedenken gegen die Haftungsbegrenzung nach dem Normzweck
233
B. Der soziale Zwang und die soziale Notwendigkeit
235
I. Haftungsausnahme beim Fehlen sozialen Zwanges 1. Die Schutzgarantie als Ausgleich für erzwungene Gefahrnähe .... 2. Kein sozialer Zwang bei Freizeitunfällen
235 235 236
II. Verzicht auf das Kriterium des sozialen Zwangs 1. Die Unbestimmbarkeit des Zwangskriteriums und die Irrelevanz der bloßen Gefahrnähe 2. Die Verwerfung des sozialen Zwangs durch den BGH und die übrige Rechtsprechung 3. Ablehnung des sozialen Zwangs in der Literatur
237
238 239
III. Die strukturbezogene Kritik des sozialen Zwangs 1. Kein Wertungsunterschied von Freizeit und Beruf 2. Keine Gefahrerhöhung durch bloße Nähe zur Gefahrenquelle .
240 240 241
C. Die Gefahrbeherrschung im Eigeninteresse I. Überwiegendes Eigeninteresse 1. Anwendung des Kriteriums a) Überwiegen des Verletzteninteresses über das Halterinteresse b) Kein Überwiegen des Verletzteninteresses 2. Zweifel an der Brauchbarkeit des überwiegenden Eigeninteresses II. Gefälligkeit
237
243 244 244 244 245 246 247
III. Gefahrbeherrschung 1. Haftungsausschluß kraft Lenkung der Gefahrenquelle 2. Kein Haftungsausschluß ohne Fehler in der Gefahrbeherrschung
247 247 248
IV. Die strukturbezogene Kritik von Gefahrbeherrschung und Eigeninteresse
249
D. Handeln auf eigene Gefahr I. Die Aspekte des Handelns a. e. G II. Das Handeln a. e. G. in der Rechtsprechung 1. Die unterschiedlichen Anwendungsfälle und dogmatischen Einordnungen a) Die Entwicklung der Anwendungsfälle des Handelns a. e. G. b) Einwilligung, Mitverursachung oder selbstwidersprüchliches Verhalten bei Mitfahrten im Kfz und sportlichen Wettkämpfen c) Beschränkung des Anspruchs nach Sinn und Zweck der Norm bei der Tierhalterhaftung 2. Die Aspekte des Handelns a. e. G. in der Tierhalterhaftung ... a) Sichbegeben in eine Situation besonders erhöhter Gefahr .. (1) Situationen erhöhter Gefahr (2) Situationen gewöhnlicher Gefahr (3) Die Irrelevanz der bloßen objektiven Gefahrerhöhung für die Schutzwürdigkeit des Verletzten
251 251 252 252 252 25 3 254 255 255 256 257 258
nsverzeichnis
19
b) Kenntnis der erhöhten Gefahr
260
c) Fehlen eines triftigen Grundes
260
III. Das Handeln a. e. G. in der Literatur 1. Überwiegende Anerkennung als sachgemäße Haftungsgrenze 2. Handeln a. e. G. als Konkretisierung des persönlichen Schutzbereichs
262
3. Bewußte Annäherung an die Gefahrenquelle als Problem der Mitverursachung gem. § 254 BGB
264
E. Die Behandlung des Verletztenbeitrags als Problem der Gefahrzurechnung bzw. des persönlichen Schutzbereichs
266
I. Die Unergiebigkeit des Rückgriffs auf Gefahrbeherrschung und Eigeninteresse
266
II. Das Erfordernis der Gefahrerhöhung durch weitere Umstände ....
267
§ 3 Die Mitverursachung — Einbringen der Selbstgefährdung in die Gegenüberstellung aller Verletzungsbeiträge der Beteiligten
268
A. Die Struktur der Beitragsabwägung I. Die dogmatische Bedeutung des § 254 BGB
261 261
268 268
II. Die Beiträge von Anspruchsteller und Anspruchsgegner innerhalb der Abwägung 1. Die Halterbeiträge 2. Die Verletztenbeiträge a) Die Verantwortung des Verletzten für die Verletzungsursache (1) Selbstschädigende Handlungen des Verletzten (2) Gefahrenquellen unter der Verantwortung des Verletzten
270 270 271 271 271 272
(3) Bewußter Eintritt in eine Gefahrensituation b) Der Zurechnungszusammenhang von Ursache und Erfolg . 3. Die Abwägung der Beiträge
273 273 274
B. Die Rechtsprechung zur Mitverursachung durch den Verletzten I. Mitwirkende Gefahrenquellen des Verletzten II. Mitwirkendes Handeln des Verletzten
275 275 276
1. Der bewußte Eintritt in eine Situation besonders erhöhter Gefahr a) Vermeidbare Annäherung an Tiere b) Besondere Schwäche des Verletzten c) Gesteigerte Verletzungsträchtigkeit des Tieres d) Gefahrerhöhung durch äußere Umstände 2. Herbeiführen der Verletzung durch sonstige Verhaltensfehler . a) Fehler im Umgang mit Tieren b) Fehler bei der Abwehr einer Tierbedrohung c) Unzureichende Vorsorge des Verletzten gegen mögliche Tiereinwirkungen
277 277 278 279 281 282 282 283 285
III. Die Bewältigung des Eintritts in die Gefahrensituation im Rahmen von § 254 BGB
286
nsverzeichnis C. Die Anwendung von § 254 BGB in der Literatur
287
D. Die Einfügung des Tierschadensrechts in die Struktur der Beitragsabwägung
288
I. Die umfassende Abwägung aller Beiträge
288
II. Die Abwägungsgesichtspunkte
289
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß — Risikoverteilung unter Rückgriff auf den Parteiwillen A. Ausdrücklicher ausschluß
und stillschweigender rechtsgeschäftlicher
Haftungs-
B. Das Verletztenverhalten innerhalb bestehender Verträge I. Haftungsfreistellung wegen Vertragspflichtverletzung 1. Beweis sorgfältigen Verhaltens durch den Verletzten 2. Beweislast des Halters für Verstöße gegen das Selbstschutzinteresse des Verletzten 3. Die unzulässige Aufwertung des Selbstschutzes zur vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht II. Auswirkung gesetzlicher Haftungsmilderungen 1. Der Ausschluß der Halterhaftung bei vertraglicher Haftungsmilderung 2. Die Irrelevanz vertraglicher Haftungsmaßstäbe für die Gefährdungshaftung III. Risikoübernahme innerhalb typischer Vertragsgestaltungen 1. Der zweifelhafte Ansatzpunkt der ergänzenden Vertragsauslegung 2. Leistungen an oder mit dem Tier des Halters a) Die selbständige Herrschaft über das Tier b) Der Umgang mit einer besonders erhöhten Gefahr c) Das Eigeninteresse des Leistungsverpflichteten 3. Nutzungsberechtigung des Verletzten a) Überwiegendes Eigeninteresse am Tier b) Störung des Vereinslebens 4. Vertragsleistungen des Halters mit seinen Tieren C. Die Problematik isolierter rechtsgeschäftlicher Haftungsausschlüsse I. Gefälligkeit 1. Stillschweigender vertraglicher Haftungsausschluß bei Gefälligkeit a) Die vertragslose Leistung und der vertragliche Haftungsausschluß b) Abschluß einer Versicherung als Indiz der Interessenlage .. c) Literaturansichten zum Haftungsausschluß 2. Die Art und Weise der Gebrauchsüberlassung als Kriterium des persönlichen Schutzbereichs II. Einwilligung
290 291 292 293 293 294 295 297 297 298 299 299 300 301 302 304 305 305 306 307 307 308 308 308 309 310 310 311
nsverzeichnis D. Die Verzichtbarkeit des Rückgriffs auf den Parteiwillen I. Haftungsbegrenzung durch die Ermittlung des Parteiwillens
21 312 313
II. Die Unselbständigkeit der Kriterien für die vertragliche Risikoverteilung
313
III. Die Irrelevanz isolierter rechtsgeschäftlicher Haftungsausschlüsse ..
315
IV. Die Übereinstimmung von fingiertem Parteiwillen und Normstruktur
315
§ 5 Die haftungsrechtliche Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung auf den Verletztenbeitrag im Tierschadensrecht
316
A. Die Grundüberlegungen zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags ...
316
B. Die dogmatische Bewältigung des Verletztenbeitrags
317
I. Der Verletztenbeitrag als Grenze der Gefahrzurechnung
317
II. Der Verletztenbeitrag als Komponente der Beitragsabwägung ....
319
C. Die Überlegenheit der Mitverursachung gegenüber dem Handeln a. e. G. bei der Berücksichtigung des Eintritts in Situationen erhöhter Gefahr ...
319
D. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahr- bzw. Beitragsabwägung gegenüber Verletztenbeiträgen
321
5. Teil Zusammenfassung — Die Normsstruktur des Tierschadensrechts als Ordnungsrahmen für die Auslegung des § 833 S. 1 BGB
323
§ 1 Die Normstruktur des Tierschadensrechts
324
§ 2 Der Ertrag der Strukturbetrachtung und die Folgerungen für das Tierschadensrecht
326
A. Verletzung durch ein Tier I. Gefahrenquelle II. Gefahrzurechnung III. Tierdefinition
326 326 327 327
B. Haltereigenschaft
328
C. Verletztenbeitrag
329
I. Persönlicher Schutzbereich und vertraglicher Haftungsausschluß II. Mitverursachung Literaturverzeichnis
329 329 331
Abkürzungsverzeichnis * a. A.
anderer Ansicht
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich
Abschn.
Abschnitt
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
a. e. G.
auf eigene Gefahr
AG
Amtsgericht
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGBG
Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz)
AgrarR
Agrarrecht
AK-BGB
Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
AMG
Arzneimittelgesetz
AtomG
Atomgesetz
Aufl.
Auflage
Bad. LandR
Badisches Landrecht
Bay. Entw.
Bayerischer Entwurf
Bd.
Band
Bearb., bearb.
Bearbeiter, bearbeitet
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
Bl.
Blatt, Blätter
B1GBW
Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht
C. c. fr.
Code civil français
D.
Digesta Iustiniani
Diss.
Dissertation
DJT
Deutscher Juristentag
DJZ
Deutsche Juristenzeitung
Dresdn. Entw.
Dresdner Entwurf
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
EEPW
Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften
Einl.
Einleitung
Entw.
Entwurf
* Im übrigen vgl. auch Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache.
Abkürzungsverzeichnis E I, I I
= Erster, Zweiter Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch (usw.)
ff, ff.
= folgende
Fn.
= Fußnote(n)
FS
= Festschrift
Gruch. Beitr.
= Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts; begründet von Gruchot
GoA
= Geschäftsführung ohne Auftrag
HaftPflG
= Haftpflichtgesetz
Hess. Entw.
= Hessischer Entwurf
Hg., hg.
= Herausgeber, herausgegeben
h. M.
= herrschende Meinung
HRR
= Höchstrichterliche Rechtsprechung
Hrsg., hrsg.
= Herausgeber, herausgegeben
I.
= Institutiones Iustiniani
idF, i. d. F.
= in der Fassung
idR, i. d. R.
= in der Regel
insbes.
= insbesondere
iSv, i. S. v.
= im Sinne von
iSd, i. S. d.
= im Sinne des
iVm, i. V. m. = in Verbindung mit Jh, Jh.
= Jahrhundert
JhJb
= Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts
jur.
= juristisch
JR
= Juristische Rundschau
Jura
= Juristische Ausbildung
JuS
= Juristische Schulung
JW
= Juristische Wochenschrift
JZ
= Juristenzeitung
Kap.
= Kapitel
KF
= Karlsruher Forum, Beilage zum Versicherungsrecht
Kfz
= Kraftfahrzeug
KfzG
= Kraftfahrzeuggesetz
KpV
= Kritik der praktischen Vernunft (Kant)
L.
= Liber
LG
= Landgericht
Lit. LM
= Literatur = Lindenmaier-Möhring; Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs; hrsg. von Lindenmaier, Möhring u. a.
LuftVG
= Luftverkehrsgesetz
MDR
= Monatsschrift für Deutsches Recht
MünchKomm = Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch m. w. N.
= mit weiteren Nachweisen
NdsRPfl NJW
= Niedersächsische Rechtspflege = Neue Juristische Wochenschrift
23
24
Abkürzungsverzeichnis
NJW-RR
= NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht
Nr.
= Nummer
OLG
= Oberlandesgericht; Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts, herausgegeben von Mugdan u. Falkmann
OLGZ
= Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen, einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit
OR
= Schweizerisches Obligationsrecht
pr.
= principium
ProdHaftG
= Produkthaftungsgesetz
Preuß. ALR
= Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten
RdL
= Recht der Landwirtschaft
Recht
= Das Recht, begründet von Soergel
RG
= Reichsgericht
RGBl
= Reichsgesetzblatt
RGRK
= Reichsgerichtsrätekommentar
RGZ
= Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RHaftPflG
= Haftpflichtgesetz
RIDA
= Revue Internationale des Droits de l'Antiquité
Rspr.
= Rechtsprechung
S.
= Satz, Seite
Sächs. BGB
= Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch
SchlHA
= Schleswig-Holsteinische Anzeigen
Seuff. Arch.
= Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den Deutschen Staaten
Seuff. Bl.
= Seufferts Blätter für Rechtsanwendung
Sp.
= Spalte
Staud.
= Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
StVG
= Straßenverkehrsgesetz
Tit.
= Titel
u.
= und
ua, u. a.
= und andere(n); unter anderem
Urt.
= Urteil
uU, u. U.
= unter Umständen
usf.
= und so fort
usw.
= und so weiter
v.
= von, vom
VersR
= Versicherungsrecht
vgl.
= vergleiche
Vor
= Vorbemerkung
Warn. Rspr.
= Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, hrsg. von Warneyer = Wasserhaushaltsgesetz
WHG
Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel zitiert Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung zum Teil
7. Teil
Grundlagen — Normzweck und Normstruktur der Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB § 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode bei der dogmatischen Aufarbeitung des Tierschadensrechts Gegenstand dieser Untersuchung ist die zersplitterte Dogmatik der Tierhalterhaftung als Fall der Gefährdungshaftung, ihr Z i e l ist die Gewinnung eines verbindenden dogmatischen Orientierungsrahmens zur Neuordnung der vielfältigen Einzelprobleme, ihre Methode besteht i n der strikten Bezugnahme allein auf die dogmatischen Grundgedanken der Gefährdungshaftung und ihren Funktionszusammenhang (Normstruktur).
A. Problemstellung: Die Unübersichtlichkeit des Tierschadensrechts als Folge dogmatischer Konzeptlosigkeit in der Gefährdungshaftung Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 B G B wirft bis heute eine erstaunliche Vielzahl ungelöster Streitfragen auf. Die dogmatische Unübersichtlichkeit 1 dieses begrenzten Rechtsgebiets offenbart zugleich die Unklarheit über grundlegende Fragen der Gefährdungshaftung überhaupt. 2 Sie ist das Ergebnis einer unzureichenden dogmatischen Ordungsmethode, die auf vereinzelte Argumente baut, dabei die inneren Zusammenhänge der Probleme und Lösungsvorschläge aber weitgehend unberücksichtigt läßt.
1 Bondzio, RdL 1972, 147; Schräder, NJW 1975, 676; Bornhövd, JR 1978, 50; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; Schlund, FS Schäfer, 223. 2 Vgl. z. B. Stötter, MDR 1970, 100, 102/103.
28
1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
I. Der Beitrag von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur zu den ungeklärten Streitfragen des Tierschadensrechts Der Gesetzgeber schuf i n § 833 S. 1 B G B m i t wenigen Worten eine verschuldensunabhängige Haftung und überließ deren nähere Ausgestaltung und dogmatische Einordnung der Rspr. und Lit. Dies führte nach und nach zu einem scheinbar unentwirrbaren Geflecht strittiger Fragen, 3 die von der Bedeutung einzelner Tatbestandsmerkmale bis hin zum Sinn und Zweck der Vorschrift selbst reichen. M i t vielen Verästelungen i m Detail erstrecken sich die Meinungsverschiedenheiten auf die Definition des Tieres, die Feststellung seiner schadensträchtigen Eigenschaften, das Gewicht seiner M i t w i r k u n g am Verletzungserfolg i m Vergleich zu anderen Ursachen, die Bestimmung des Tierhalters und die Haftungsbegrenzung durch den Eigenbeitrag des Verletzten. 4 M a n streitet darüber, ob ungeschriebene Tatbestandsmerkmale innerhalb dieser Vorschrift eine Berechtigung haben und nach welchen Gesichtspunkten die geschriebenen oder ungeschriebenen Merkmale näher bestimmt werden können. 5 Während die Rspr. durchweg das Bestreben zeigt, den Anwendungsbereich der Vorschrift gegenüber ihrem Wortlaut einzuschränken und dabei kasuistisch vorgeht, zeigt die Lit. überwiegend die Tendenz zur Ausdehnung der Einstandspflicht und stützt sich dabei auf systematische Erwägungen. 6 Mitunter w i r d sogar erörtert, ob § 833 S. 1 B G B als Verschuldens- statt als Gefährdungshaftung anzusehen ist. 7 Z u dieser Lage haben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur jeweils ihren Teil beigetragen. Schon die Väter des B G B sahen die verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung als Fremdkörper i n einem Gesetzbuch, das von der Verschuldenshaftung ausgeht. 8 M a n hatte von Anfang an kein durchdachtes Konzept für die inhaltliche Ausgestaltung des Gefährdungstatbestandes, geschweige denn für sein Verhältnis zu den Verschuldenstatbeständen der §§ 823 ff. B G B . Durch seine unentschiedene Haltung überlieferte der Gesetzgeber die Vorschrift den Zufällen des GesetzgebungsVerfahrens. Dieses führte zu einer knappen Formulierung, die alle Fragen offenläßt und der Auslegung kaum Anhaltspunkte bietet und ermöglichte später die Einfügung der verschuldensabhängigen Haftungsausnahme nach § 833 S. 2 B G B , welche die Auslegung weiter erschwert. A u c h der Rspr. gelang es i n der Folge nicht, die Leistung des Gesetzgebers nachzubessern und der Vorschrift verläßliche Konturen zu geben. Zwar sind Schäden durch Tiere häufig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten gewesen und 3 Ausdrückliche Zweifel an der Auffindbarkeit eines gemeinsamen Nenners äußert z. B. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000. 4 Zu diesen Streitfragen im einzelnen vgl. unten 2.-4. Teil. 5 Vgl. unten 2 § 3 A u. 4 § 2 A I I 2. 6 Vgl. unten 2 § 1 B. 7 Berglar, 75; Geigei / Schlegelmilch, 1; Scheffen, NJW 1990, 2658, 2662. s Vgl. unten 1 § 3 B II.
§ 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode
29
beschäftigen bis heute i n beträchtlicher Zahl die Obergerichte und den B G H . 9 Dennoch ist man nur i n Teilbereichen über die bloße Kasuistik hinaus wenigstens zur Bildung von Fallgruppen gelangt. Deren Herleitung und Berechtigung blieb offen und strittig. 1 0 Die dabei verwendeten Leitbegriffe 1 1 sind irreführend und haben eine Sondersprache hervorgebracht, die zu Mißverständnissen und zur dogmatischen Isolation des Tierschadensrechts beiträgt. Zwar w i r d versucht, die Verbindung zu anderen Gebieten des Haftungsrechts aufrecht zu erhalten, indem man auf Rechtsüberlegungen zurückgreift, die auch außerhalb des Tierschadensrechts allgemein verwendet werden, etwa die besondere Gefahr, den Risiko- oder Gefahrzusammenhang, die Mitverursachung (§ 254 B G B ) oder das Handeln auf eigene Gefahr. 1 2 Durch die bloße Übertragung scheinbar allgemeingültiger Begriffe bleibt deren Funktion gerade innerhalb des § 833 S. 1 B G B aber offen, so daß auch sie schnell spezifische und eigenständige Bedeutungsgehalte angenommen haben. 1 3 Die L i t . hat sich von Anfang an ausführlich mit den Besonderheiten des § 833 S. 1 B G B befaßt. 1 4 Die Spezialuntersuchungen zu einzelnen Problemen waren zu Beginn des Jahrhunderts zahlreich, sind i n jüngerer Zeit aber immer spärlicher geworden, die Gesamtbearbeitungen i n der Kommentarliteratur spiegeln bis heute die Unübersichtlichkeit der Rspr. wieder, indem sie deren Ergebnisse mit Argumenten aus dem Stand kritisieren, 1 5 ohne sie damit i n maßgeblicher Weise zu fördern oder zu erschüttern. Insbesondere ist es nicht gelungen, Querverbindungen zu den übrigen Tatbeständen der Gefährdungshaftung zu schaffen, weder durch A n a l o g i e , 1 6 geschweige denn durch die Entwicklung eines „Allgemeinen Teils" der Gefährdungshaftung. Die Gefährdungshaftung hat in Spezialgesetzen für besondere Sachbereiche zumeist ausführliche Regelungen erfahren, die deshalb nicht i n gleicher Weise der Aufarbeitung bedürfen, wie das Tierschadensrecht. Sie betreffen zudem überwiegend technische Abläufe, m i t denen das Tierverhalten auf den ersten B l i c k noch weniger gemeinsam hat, als m i t dem menschlichen Handeln, das den Tatbeständen der §§ 823 ff. zugrunde liegt. Dadurch blieb § 833 S. 1 B G B sogar innerhalb der Gefährdungshaftung ein Sonderfall.
9 Vgl. Deutsch, JuS 1987, 673; Kreft, VersR 1983, KF, 153 und die fortlaufenden Rechtsprechungsnachweise z. B. in der Zeitschrift VersR. 10 Vgl. unten 2 § 1. 11 Z. B. willkürliches und natürliches Verhalten, Unberechenbarkeit; vgl. unten 2 § 2 C I I I 2. 12 Vgl. unten 2 § 2 B IV; C I; 4 § 1; § 2 D. 13 Vgl. etwa zum „Handeln a. e. G." unten 4 § 2 D I I 1. 14 Zur älteren Literatur vgl. Planck / Greiff, Vor 1; Enneccerus / Lehmann, 1014 Fn. * *; Staud. / Schäfer, Vor 1, Schrifttum. 15 Vgl. unten 2 § 2 C I I I 2. 16 Vgl. unten 2 § 2 B III; § 3 B I 3.
30
1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
II. Die Zusammenhanglosigkeit in den Überlegungen zum Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung Als verläßlicher dogmatischer Festpunkt i m Tierschadensrecht erscheint zwar die Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B gerade als Fall der Gefährdungshaftung. 17 A u c h die nachdrückliche Bezugnahme auf den Sinn und Z w e c k 1 8 der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung hat der Orientierungslosigkeit i n der Dogmatik dieses Rechtsgebiets bisher aber nicht abhelfen können. Stattdessen stößt schon die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale auf beträchtliche Schwierigkeiten. Wer sich nicht auf die schlichte Behauptung beschränken w i l l , das von ihm jeweils angestrebte Ergebnis ergebe sich aus „dem N o r m z w e c k " , 1 9 muß zunächst darlegen, welche dogmatische Bedeutung er dem weitverbreiten
Terminus
„ N o r m z w e c k " zuschreibt, 2 0 ob er diesen nur nach A r t eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals verwendet oder ob er damit richtigerweise die teleologische Auslegungsmethode i m ganzen bezeichnet. A u c h i m letzteren Fall besteht aber Unklarheit über die inhaltliche Bestimmung „des Normzwecks". Denn bei der Auslegung des § 833 S. 1 B G B nach seinem Sinn und Zweck als Gefährdungstatbestand w i r d eine ganze Reihe — teilweise widerstreitender — Gesichtspunkte herangezogen, 21 etwa das Tier als Quelle besonders erhöhter Gefahr, die Notwendigkeit der Ausscheidung gefahrfremder Umstände (die auf den Verletzten oder Dritte zurückgehen), die Verantwortlichkeit des Halters kraft Beherrschung und Nutzung des Tieres oder die besondere Schutzwürdigkeit des Verletzten. Diese Überlegungen werden mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit als Gesichtspunkte der teleologischen Auslegung verwendet, ohne daß jeweils ersichtlich wäre, weshalb einem Gesichtspunkt überhaupt Bedeutung für die Auslegung zukommt bzw. weshalb gerade ein bestimmtes Kriterium generell oder wenigstens auf ein bestimmtes Auslegungsproblem Anwendung findet. Die unreflektierte und beliebige Handhabung vereinzelter Auslegungsgesichtspunkte macht auch die Ergebnisse beliebig und bestreitbar. Sie konnte nicht zur Begründung einer brauchbaren dogmatischen Ordnung führen, denn die Ordnung und Systematisierung eines Rechtsgebietes erfordert die Herstellung von Sinnzu17 Zur Ausgestaltung als Gefährdungshaftung vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 363, 369; Unerlaubte Handlungen, 353; NJW 1978, 1998; JuS 1987, 673; Larenz, Schuldrecht II, 700; Medicus, Schuldrecht II, 389; MünchKomm / Mertens, 1-6; RGRK/Kreft, 2-4; Kreft, VersR 1983, KF, 153; A K - B G B / K o h l , 1; Schünemann, JuS 1978, 376, 377; Schmid, JR 1987, 274, 275; Weber, L M § 833 BGB Nr. 9, Bl. 2; Staud. / Schäfer, 4. 18 Deutsch, NJW 1978, 1998; RGRK / Kreft, 2 u. 4; AK-BGB / Kohl, 4 u. 9; MünchKomm / Mertens, 6 u. 7; Staud. / Schäfer, 38 u. 69; BGH VersR 1976,1090, 1091; 1977, 864, 865; vgl. unten 2 § 3; 4 § 2 A. Dies beklagen Larenz, Schuldrecht I, 445; Deutsch, Haftungsrecht, 237. 20 Zu den verschiedenen Bedeutungen vgl. unten 1 § 2 B I I 3 d. 21 Vgl. z. B. Berglar, 75 (Quelle erhöhter Gefahr); Deutsch, JuS 1987, 673, 674 (Opferschutz) u. 677 (Gefahrbeherrschung); Zweibrücken, VersR 1971, 724, 725 (Zwangsrisiko); vgl. unten 1 § 2 B I.
31
§ 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode
sammenhängen. 22 Die Zusammenhanglosigkeit der Aussagen zum Tierschadensrecht ist letztlich Ausdruck der fortbestehenden Unklarheiten über die Konzeption der Gefährdungshaftung selbst und ihre Einordnung in das Haftungsrecht. Denn da die Vorschrift des § 833 S. 1 B G B neben ihrer Ausgestaltung als Gefährdungshaftung keine dogmatischen Orientierungspunkte bietet, sind Rspr. u. L i t . genötigt, hier bis auf die Grundlagen der Gefährdungshaftung selbst zurückzugreifen. Dabei zeigt sich, daß — jenseits der einzelnen Tatbestände —
verwertbare
Vorstellungen von den Zusammenhängen innerhalb der Gefährdungshaftung, sowie zwischen dieser und dem übrigen Haftungsrecht bisher kaum bestehen. Rspr. u. L i t . sind daher aufgefordert, i m Tierschadensrecht eigene Vorstellungen von den wesentlichen Grundsätzen der Gefährdungshaftung und deren Zusammenhang überhaupt erst zu entwickeln. W e i l diese Frage aber nicht i m Zentrum der Aufmerksamkeit steht, sind dabei bislang keine maßgeblichen Fortschritte erzielt worden.
B. Problemlösung: Die Betonung des Funktionszusammenhangs als Grundlage eines dogmatischen Ordnungsrahmens für das Tierschadensrecht Die Dogmatik des Tierschadensrechts kann demnach nur festen Boden gewinnen, wenn die beliebige Verwendung von Argumenten durch die bewußte Orientierung an Funktionszusammenhängen (Strukturen) ersetzt wird. Dann fügt sich die Vielzahl der Auslegungsgesichtspunkte zu einem Ordnungsrahmen, der den Maßstab dafür liefert, ob und weshalb es i m konkreten Fall gerade auf einen bestimmten Gesichtspunkt „ankommt". Dies erst ermöglicht die Beurteilung einzelner Streitfragen.
I . Die „Struktur" als funktionsbestimmtes Ordnungsgefüge und ihre Bedeutung für die juristische Auslegung Bei der wissenschaftlichen Untersuchung von Ordnungszusammenhängen spielen die Begriffe System 2 3 und Struktur eine wesentliche Rolle. Werden beliebige Einzelteile so zu einem Ganzen geordnet, daß die Teile (Komponenten) ihre Bedeutung nicht mehr aus sich selbst, sondern aus ihrer Funktion für das 22
Zur topischen und systematischen Methode vgl. z. B. Larenz, Methodenlehre, 145 ff.; Viehweg, 81 ff.; Diederichsen, NJW 1966, 896; Zippelius, NJW 1967, 2229. 23 Das „System" ist ein Grundbegriff der Natur-, wie der Geistes- und Sozialwissenschaften; Schmidt / Schischkoff, 711 u. 786; Lorenz, 47-53; EEPW / Steinbach, 500 ff.; Juristische Anwendung findet der Systemgedanke seit der Epoche des Vernunftrechts. Dabei geht es zunächst um die Herleitung einzelner Begriffe und Grundsätze aus allgemeinen Prinzipien, nicht in erster Linie um deren wechselseitigen Funktionszusammenhang; Wieacker, 253-258, 275-276; Schlosser, 80-90.
32
1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
Ganze gewinnen, so bezeichnet man dieses funktionsbestimmte Ordnungsgefüge als System, wenn das Augenmerk den einzelnen Komponenten gilt, als Struktur, wenn deren Funktionszusammenhang i m Mittelpunkt steht. 2 4 Die Funktion einer Komponente besteht i m Inbegriff ihrer Beziehungen zu den übrigen Komponenten und damit auch zum Ordnungsgefüge i m ganzen. Die Struktur 2 5 ist insofern nicht nur ein anderes Wort für Aufbau, Ordnung oder Zusammenhang, sondern bezeichnet die Ordnung von Komponenten zu einem gegliederten Ganzen aufgrund eines Funktionszusammenhangs. Dieser „Relationismus" steht am Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft überhaupt, denn er bringt den Verzicht auf die Suche nach dem inneren Wesen (Essenz) eines Gegenstandes. Dessen Seinsgrund liegt nicht i n ihm, sondern in seiner Beziehung zu anderen Gegenständen. Jede wissenschaftliche Methode beruht seither auf der Untersuchung ihres Gegenstandes hinsichtlich seiner Funktion innerhalb eines Ordnungsgefüges. 26 A u c h die teleologische Auslegungsmethode 2 7 der Rechtswissenschaft läßt sich vor diesem Hintergrund verstehen als Verfahren zur Sinnermittlung unter Bezugnahme auf normative Funktionszusammenhänge. Dabei w i r d jede normative Aussage als Komponente i n einer Gesamtheit von Aussagen begriffen, deren Funktionszusammenhäng (Struktur) ihre Bedeutung bestimmt. Die Bedeutung des einzelnen Tatbestandsmerkmals ergibt sich aus seiner Funktion innerhalb der Norm, die Bedeutung der N o r m aus ihrer Funktion innerhalb ihres Rechtsgebietes. Die Auslegung einer normativen Aussage erfolgt durch ihre Einordnung in den Sinnzusammenhang funktionsbestimmter normativer Ordnungsgefüge.
II. Die Normstruktur als Ordnungsrahmen für die Streitfragen des Tierschadensrechts Werden diese Überlegungen für das Tierschadensrecht nutzbar gemacht, so ergibt sich die Bedeutung des § 833 S. 1 B G B als Fall der Gefährdungshaftung zunächst aus seiner Funktion innerhalb des Haftungsrechts. Sämtliche Haftungstatbestände dienen der weitenden Zuordnung eines Vermögensschadens zum Schadensverantwortlichen. 28 Die Gefährdungshaftung leistet dies unter Verzicht 24 Rombach, SSS I, 15-25; Strukturontologie, 25 - 32; Auf dieser Betonung des Funktionszusammenhangs beruht die Untersuchungsmethode dieser Arbeit und ihre (gemessen an der Strukturontologie allerdings konventionelle) Verwendung des Strukturbegriffs. 25 Als „Struktur" wurde zunächst in der Sprachwissenschaft der verdeckte Funktionszusammenhang zwischen den Komponenten eines Sprachsystems bezeichnet, später wurde dieser „Strukturalismus" zu einer verbreiteten Methode in allen Sozialwissenschaften; Schmidt / Schischkoff, 701; EEPW / Bora, 461-465. Die juristische Literatur verwendet „Struktur" zumeist nur in der ursprünglichen rhetorischen Bedeutung als „Aufbau"; z. B. Vieh weg, 13; Haft, 25/26; Larenz, Methodenlehre, Sachverzeichnis. 2 * Rombach, SSS I, 14; Descartes, 18/19. 2 7 Vgl. z. B. Larenz, Methodenlehre, 333-339.
§ 1 Die strukturbezogene Ordnungsmethode
33
auf die Berücksichtigung des menschlichen Willens und die Tierhalterhaftung speziell für die Folgen tierischen Verhaltens. 2 9 Die Tierhalterhaftung erscheint insofern als besondere Ausprägung der Gefährdungshaftung und diese als Ausprägung des Haftungsrechts überhaupt. Das ermöglicht die Heranziehung allgemeiner Überlegungen zur Funktion der Gefährdungshaftung i m Haftungsrecht als spezielle Auslegungsgesichtspunkte i m Tierschadensrecht. Bei der Auslegung des § 833 S. 1 B G B nach seinem Sinn und Zweck werden für bestimmte Tatbestandsmerkmale jeweils bestimmte Gesichtspunkte herangezogen. 3 0 Diese sind für sich betrachtet Grundgedanken zum Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung, in denen die haftungsrechtliche Funktion dieses Tatbestandes, d. h. die verschuldensunabhängige Zuordnung eines Vermögensschadens zum Schadensverantwortlichen zum Ausdruck kommt. Betrachtet man diese Grundgedanken indessen nicht mehr einzeln, sondern unter dem Gesichtspunkt ihres Zusammenwirkens zum Zweck der verschuldensunabhängigen Zuordnung, dann erscheinen sie als Komponenten eines Ordnungsgefüges, die durch ihren Funktionszusammenhang verbunden sind (Struktur). Sie gewinnen ihre jeweilige Bedeutung aus ihrer Funktion i m Gesamtgefüge aller Grundgedanken. Der Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung erschließt sich dann nicht aus einzelnen unverbundenen oder gar aus einem einzigen dieser Grundgedanken, sondern letztlich gerade aus der A r t und Weise ihres Zusammenwirkens. Die auslegungsrelevanten Grundgedanken in ihrem Funktionszusammenhang bilden ein dogmatisches Grundgerüst oder Ordnungsgefüge, das als Normstruktur bezeichnet werden kann. Dieser Ordnungsrahmen w i r d i m Ganzen zum Auslegungshintergrund der Vorschrift, aus dem sich die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale herleiten läßt, die ihrerseits als konkrete, auf den Einzelsachverhalt anwendbare Ausprägung der Grundgedanken i n ihrem Funktionszusammenhang (Normstruktur) verstanden werden können. Daraus erklärt sich, daß die Merkmale des haftungsrechtlichen Tatbestands nicht beliebig aneinandergefügt sind, sondern ihrerseits i n einem Funktionszusammenhang stehen, der eine bestimmte Prüfungsreihenfolge erfordert. „Struktur" bedeutet i m Rahmen dieser Untersuchung daher allgemein „Komponenten i n ihrem Funktionszusammenhang", „strukturell" bedeutet „unter Bezugnahme auf die Komponenten in ihrem Funktionszusammenhang" und „Normstruktur" bedeutet speziell „auslegungsrelevante Grundgedanken der Tierhalterhaftung in ihrem Funktionszusammenhang".
28 Vgl. unten 1 § 2 B I I 1. 29 Vgl. unten 1 § 2 B I I 2. 30 Vgl. unten 1 § 2 B I; C; § 4 B. 3 Lorenz
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
III. Die strukturbezogene Ordnungsmethode und das Erkenntnisinteresse der Untersuchung A m Beginn der Arbeit steht daher die Entwicklung eines Modells der Normstruktur, das die auslegungsrelevanten Grundgedanken der Gefährdungshaftung, deren Funktionszusammenhang und deren Ausprägung i n einzelnen Tatbestandsmerkmalen verdeutlicht und Gesichtspunkte außerhalb dieses Funktionszusammenhangs als irrelevant abweist (1. Teil). Die Normstruktur gibt den Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen — unter gleichzeitiger Konkretisierung und weiterer Ausfaltung 3 1 dieser Normstruktur — die einzelnen Sachfragen des Tierschadensrechts in geordneter Weise behandelt werden (2.-4. Teil). Dabei geht es nicht i n erster Linie darum, die insoweit bestehende Meinungsvielfalt nochmals zu erweitern, sondern darum, sich auf der Grundlage der Normstruktur zu vergewissern, wie es zu diesen Einzelproblemen überhaupt kommen kann, wie sie zusammenhängen und welcher Stellenwert demzufolge den hierfür bisher vorgeschlagenen Lösungen und ihren historischen Abwandlungen zukommt. Dabei kann sich indessen ergeben, daß nur ein neuer Vorschlag dem Funktionszusammenhang Rechnung trägt. Diese dogmatische Arbeitsmethode, die ihre Beurteilungsmaßstäbe und Einzelargumente nicht i n beliebiger Weise aus dem Stand, sondern aus den Funktionszusammenhängen eines Rechtsgebietes gewinnen w i l l , kann sich naturgemäß nicht auf ausgewählte Sachfragen beschränken, sondern muß die wesentlichen Problemkreise des § 833 S. 1 B G B anhand dieser Funktionszusammenhänge neu sichten. Die strukturbezogene Untersuchung des Tierschadensrechts ist damit notwendigerweise umfassend, dient aber i n erster Linie gerade der grundlegenden Entwicklung und Entfaltung eines dogmatischen Ordnungsrahmens. Das Hauptaugenmerk liegt dabei nicht auf den Einzelfragen, sondern auf der Ordnungsmethode selbst, die zugleich einen tieferen Einblick in die Grundlagen und Zusammenhänge der Gefährdungshaftung als solcher erlauben soll.
§ 2 Die Regelung des § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung I m ersten Schritt der Untersuchung sind demnach die Umrisse der Normstruktur der Tierhalterhaftung darzustellen. Dabei geht es u m die Frage, worin die strukturellen Eigenheiten der Gefährdungshaftung liegen und wie diese den inneren Zusammenhang und die Funktion der Tatbestandsmerkmale des § 833 S. 1 B G B prägen.
3i Zur dialektischen Entwicklung eines Gedankens durch Entfaltung vgl. allgemein Hegel, 31-33.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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A. Die Tatbestandsmerkmale des § 833 S. 1 BGB Nach dem Wortlaut des § 833 S. 1 B G B ist der Halter eines Tieres zum Schadensersatz verpflichtet, wenn durch das Tier bestimmte Rechtsgüter verletzt werden und dies zu einem Schaden führt. Die Tierhalterhaftung erfordert demnach weder menschliches Handeln, noch Rechtswidrigkeit oder Verschulden. Stattdessen gehören zum Tatbestand nach h. M . die ungeschriebenen Merkmale der Tiergefahr und nach verbreiteter Auffassung auch des persönlichen Schutzbereichs. 3 2 Z u m Tatbestand werden überwiegend folgende Merkmale gerechnet: 33 (1) Tierdefinition (2) Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Sachen des Anspruchstellers (3) Haftungsbegründende Kausalität und Zurechnung (4) Verletzung „durch" ein Tier (a) Sachlicher Schutzbereich = Verwirklichung der Tiergefahr (b) Persönlicher Schutzbereich = Schutzwürdigkeit des Anspruchstellers (5) Haltereigenschaft des Anspruchsgegners (6) Schaden, haftungsausfüllende Kausalität und Zurechnung
B. Die Grundlagen der Gefährdungshaftung Nach h. M . handelt es sich bei § 833 S. 1 B G B u m einen Fall der Gefährdungshaftung. 3 4 Diese setzt kein konkretes rechtswidriges und schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners voraus, sondern die Schaffung und Unterhaltung einer Quelle besonderer Verletzungsgefahr. 35
I . Die Grundgedanken zum Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung Unter der Bezeichung „Gefährdungshaftung" w i r d eine Reihe von Tatbeständen zusammengefaßt, die eine verschuldensunabhängige Haftung vorsehen und überwiegend in Spezialgesetzen außerhalb des B G B geregelt sind. 3 6 Schon i m 32 Vgl. unten 2 § 1 u. 4 § 2 A. 33 Vgl. z. B. Staud. / Schäfer, 1 ff.; Soergel / Zeuner, 1 ff.; RGRK/Kreft, 1 ff.; A K B G B / K o h l , 1 ff.; MünchKomm / Mertens, 1 ff.; Brüggemeier, 931. 34 Vgl. oben 1 § 1 A II. 35 Larenz, Schuldrecht II, 698; Esser / Weyers, 637; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, 7; Haftungsrecht, 30; JuS 1981, 317, 318. 36 Im Bereich des Zivilrechts sind dies im wesentlichen: §§ 33 ff., 44 ff. LuftVG v. 1.8.1922 idF v. 14.1.1981 (BGBl I 61); § 7 StVG v. 19.12.1952 (BGBl I 837; früher KfzG v. 3.5.1909); §§ 25, 26 AtomG v. 23.12.1959 (BGBl I 814) idF v. 31.10.1976 (BGBl I 3053); § 84 A M G v. 24.8.1976 (BGBl I 2245); § 22 WHG v. 16.10.1976 (BGBl I 3017); §§1, l a HaftPflG v. 14.1.1978 (BGBl I 145; früher RHaftPflG v. 3*
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
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Jahr 1838 hat der Gesetzgeber erstmals eine Vorschrift dieser A r t geschaffen, 37 die Bezeichnung „Gefährdungshaftung" wurde von Rümelin i m Jahr 1896 geprägt. 3 8 Zur rechtstheoretischen Begründung 3 9 dieser verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände wurde nach und nach eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt, die heute bei der Auslegung dieser Tatbestände nach dem Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung durchweg nebeneinander Anwendung finden, 4 0 wenn auch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. 4 1 A u f dieser grundsätzlichen Ebene sind aber bereits alle Überlegungen zusammengetragen, die dann bei der Auslegung einzelner Merkmale nach dem Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung eine Rolle spielen. Grundgedanken der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung können dabei aber letztlich nur solche Überlegungen sein, die sich auf den Gefährdungstatbestand selbst prägend auswirken. 4 2 Die Gefährdungshaftung befaßt sich nicht mit den Folgen rechtswidrigen und schuldhaften menschlichen Handelns, sondern m i t der sozial angemessenen Verteilung des Risikos, das sich gerade aus einer Quelle besonders erhöhter Verletzungsgefahr ergibt. Die grundsätzlichen Überlegungen zur Gefährdungshaftung gruppieren sich daher u m drei Schwerpunkte: die Gefahrenquelle, den Gefahrverantwortlichen und den Verletzten.
1. Die Quelle erhöhter Gefahr Die Gefahr geht von bestimmten Gegenständen (Sachen, Anlagen, Unternehmen), Abläufen oder Verhaltensweisen aus, deren Verletzungsträchtigkeit gegenüber dem alltäglichen Lebensrisiko als ungewöhnlich erhöht erscheint, weil sie besonders schwer beherrschbar sind bzw. durch sie besonders häufige oder beson7.6.1871); §§ 1 ff. ProdHaftG v. 15.12.1989 (BGBl I 2198); Übersichten bei Staud./ Schäfer, Vor § 823,16; Soergel / Zeuner, Vor § 823,14-26; RGRK / Steffen, Vor § 823, 16; Deutsch, JuS 1981, 317, 319/320. 37 § 25 Preußisches Eisenbahngesetz v. 3.11.1838; Will, 2-4; Rinck, 3. 38 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, 343. 39 Übersichten zur älteren Literatur und den dort vertretenen Theorien z. B. bei Berglar, 64-69; Heß, 18-32; Rinck, 3-5; Kötz, AcP 170, 1, 19-21; Hübner, VersR 1983, KF, 126, 127-128. 40 Zur kumulativen Verwendung unterschiedlicher Gesichtspunkte in der Gefährdungshaftung vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 364; JuS 1981, 317, 319. 41 Zum Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung: Deutsch, Haftungsrecht, 363-366; Unerlaubte Handlungen, 4 u. 344; JuS 1981, 317, 319; Larenz, Schuldrecht II, 698699; VersR 1963, 593, 597; Esser / Weyers, 637; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 12; RGRK / Steffen, Vor § 823,15; Staud. / Schäfer, Vor § 823,7; Filthaut, Einl., 2; Giemulla/Schmid, § 33, 2; Hübner, VersR 1983, KF, 126, 128; Kötz, AcP 171, 1, 21; Esser, Grundlagen, 92-102; Heß, 36-41. 42 Überlegungen, die sich bei der Behandlung der Einzelfragen des § 833 S. 1 BGB als unbrauchbar erweisen (z. B. Rechtmäßigkeit der Gefährdung, nichterzwungene Gefahrnähe, Steuerung der Gefahrenquelle; im einzelnen vgl. unten 2.-4. Teil), werden regelmäßig aus solchen Grundüberlegungen hergeleitet, deren Relevanz für die Gefährdungshaftung gerade schon auf der Normzweckebene Zweifeln unterliegt.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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ders schwere Rechtsgutsverletzungen herbeigeführt werden. 4 3 Die Gefahrenquell e 4 4 läßt sich erfahrungsgemäß nur begrenzt steuern, so daß auch bei sorgfältigem Umgang mit ihr die Verletzung anderer nicht durchweg vermieden werden kann. Gefährdungshaftungen sind daher zuerst für die Risiken normiert worden, die mit den Gegebenheiten der technischen Zivilisation verbunden sind, insbesondere mit hohen Geschwindigkeiten oder großen Energiemengen (z. B. Atomkraftwerke, Energie- und Rohrleitungen, Flugzeuge, Eisenbahnen, Kraftfahrzeuge), aber auch für die Haltung von Tieren, 4 5 da diese aufgrund ihrer „Eigenenergie" sich der Beherrschung durch den Menschen jederzeit entziehen und daher gerade auch innerhalb der technisierten W e l t besonders verletzungsträchtig wirken können. 4 6 I m ganzen besteht eine Tendenz zur Ausbreitung der Gefährdungshaftung auf immer weitere Gebiete, i n jüngster Zeit etwa auch auf das Gebiet der Produkthaftung. Gerade das Erfordernis der erhöhten Gefahr hat aber auch die Frage nahegelegt, ob es bei den normierten Einzeltatbeständen sein Bewenden haben kann oder ob die Ausdehnung der Gefährdungshaftung auf weitere Gefahrenquellen angezeigt wäre, etwa durch die Einführung einer Generalklausel nach dem V o r b i l d anderer Staaten, etwa auch der ehemaligen D D R . 4 7 Dabei würde sich dann die Frage nach der konkreten Bestimmung des erforderlichen Gefährdungsgrades stellen. 4 8 Umgekehrt ist i m Bereich des Tierschadensrechts mitunter bezweifelt worden, ob die Gefahrintensität ausreicht, u m gerade hier eine Gefährdungshaftung zu rechtfertigen. 4 9 Tatsächlich kann die Einschätzung der Gefahrintensität in verschiedenen Gesellschaften und zu verschiedenen Zeiten auch i m Bezug auf dieselbe Gefahrenquelle durchaus unterschiedlich sein. Soweit sich diese Untersuchung m i t dem geltenden Tierschadensrecht befaßt, läßt sich anhand des vorliegenden Fallmaterials darstellen, daß tierisches Verhalten sowohl unter dem Gesichtspunkt des regelmäßigen Verletzungsumfangs, als auch insbesondere wegen seiner Unbeherrschbarkeit, die neuerdings eben der Umschreibung der „Tiergefahr" dient, 5 0 gerade innerhalb der technisierten W e l t eine Quelle besonders erhöhter Gefahr darstellt. 43 Kötz, AcP 170, 1, 21; Deutsch, Haftungsrecht, 363; JuS 1981, 317, 319; Larenz, Schuldrecht II, 699; Filthaut, Einl., 2; Esser, Grundlagen, 95; Heß, 34; Esser / Weyers, 637 u. 639-640; RGRK/Steffen, Vor § 823, 15. 44 Der Terminus Gefahrenquelle ist allgemein verbreitet; vgl. Larenz, Schuldrecht II, 699; VersR 1963, 593, 597; Esser / Weyers, 637; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 12; Hübner, VersR 1983, KF, 126, 128; Will, 280. 45 Deutsch, Haftungsrecht, 30 u. 364; JuS 1981, 317; Larenz, Schuldrecht II, 698/ 699; Staud./Schäfer, 3; RGRK / Kreft, 2. 46 Vgl. unten 1 § 3 B I I I 1 u. § 2 C III. 47 Zur Diskussion um die Generalklausel vgl. z. B. Deutsch, Haftungsrecht, 383; Kötz, AcP 170, 1, 41; Will, 267. 48 Will, 280; Berglar, 71 u. 77; Heß, 34; Kötz, AcP 170, 1, 29. 49 Geigei / Schlegelmilch, 1; Berglar, 62 u. 75; vgl. unten 1 § 3 A I I 1 u. 2. so BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1976, 1175, 1176; vgl. unten 2 § 1 A u. § 2 C.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
2. Die Verantwortung des Beherrschers und Nutzers der Gefahrenquelle Die Gefährdungshaftung geht davon aus, daß die Interessenlage i m Bezug auf die Gefahrenquelle nicht bei allen Personen gleich ist und enthält insofern wesentliche Momente der Interessenabwägung und des Interessenausgleichs. 51 Wer eine Gefahrenquelle schafft und die Vorteile ihrer Nutzung genießt, der soll i m Gegenzug dafür, daß er auf deren Nutzung nicht verzichtet und anderen Menschen deren Bestand und dessen mögliche Verletzungsfolgen zumutet, auch die wirtschaftliche Last tragen, wenn sich die Gefährdung i n einer Verletzung realisiert. Die Unterhaltung und die Nutzung der Gefahrenquelle begründen die haftungsrechtliche Verantwortung. 5 2 Der Verantwortliche w i r d zum einen dadurch gekennzeichnet, daß er sein eigenes Interesse verfolgt, indem er die Vorteile aus dem Bestand der Gefahrenquelle zieht. 5 3 Die Gefährdungshaftung w i r d daher mitunter auch als Ausprägung des Aufopferungsgedankes verstanden, da die Nutzung der Gefahrenquelle erlaubt und rechtmäßig sei und der Verletzte daher ihren Bestand zu dulden habe. 5 4 Es gehe u m die Kollision rechtmäßiger Interessen. Gegen diese Bezugnahme auf die Rechtmäßigkeit der Gefährdung bestehen jedoch Bedenken. Dies mag häufig zutreffen, muß aber nicht durchweg der Fall sein. Es ist allgemein anerkannt, daß die Rechtswidrigkeit i m Bereich der Gefährdungshaftung für das einzelne Verletzungsereignis keine Rolle spielt, 5 5 denn die Gefährdungstatbestände stellen die Frage nach der Rechtswidrigkeit nicht. Dies muß aber i n gleicher Weise auch für die Schaffung und den Bestand der Gefahrenquelle selbst gelten. Der Haftungseintritt hängt nicht davon ab, ob die Schaffung und Unterhaltung einer Gefahrenquelle i m Einzelfall gegen die Rechtsordnung verstößt, sondern nur davon, daß sie faktisch besteht. 5 6 Wer einen gemeingefährlichen Hund oder ein nicht verkehrssicheres K f z anschafft oder unterhält, haftet hierfür auch aus Gefährdung. 5 7 Die regelmäßige Erlaubtheit der Haltung kann nur plausibel machen, weshalb ein bestimmter T y p von Gefahrenquellen überhaupt existiert, für das Eingreifen der Haftung ist die Rechtmäßigkeit der Schaffung einer konkreten Gefahrenquelle aber nicht mehr relevant. 51 Deutsch, Haftungsrecht, 364; JuS 1981, 317, 319. 52 Esser, Grundlagen, 95,97 u. 100; Deutsch, JuS 1981, 317, 319; Larenz, Schuldrecht II, 699; Esser / Weyers, 637; Soergel / Zeuner, Vor § 823,12; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 7; Siegfried, 11; Stoll, Handeln, 347. 53 RGRK/Steffen, Vor § 823, 15; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 12; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 7; Larenz, VersR 1963, 693, 695; Siegfried, 10; Kötz, AcP 170, 1, 21; Caemmerer, Reform, 15. 54 Deutsch, Haftungsrecht, 364; Larenz, Schuldrecht II, 698; Esser / Weyers, 637; Soergel/Zeuner, Vor § 823, 12; RGRK / Steffen, Vor § 823, 15; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 7; Esser, Grundlagen, 75. 55 Esser/Weyers, 637; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 7. 56 Kötz, AcP 170, 1, 21; Caemmerer, Reform, 15; Stoll, Handeln, 345 u. 347. 57 Stoll, Handeln, 345; Greger, § 7 StVG, 18.
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I n diesem Zusammenhang w i r d gelegentlich auch darauf hingewiesen, daß der Bestand bestimmter Gefahrenquellen nicht verboten werde, w e i l er sozial nützlich oder sogar unverzichtbar sei und daher letztlich dem Vorteil der Allgemeinheit diene. 5 8 Diese Überlegung eignet sich indessen eher dazu, die Verantwortung des unmittelbaren Nutzers abzuschwächen, denn man könnte fragen, weshalb gerade er die volle Last aus einem Vorgang tragen soll, dessen Vorteile letztlich der Allgemeinheit einschließlich des Verletzten selbst zugute kommen. Dies führt dann aus der individuellen Schadensverteilung überhaupt heraus und zur Umlage des Schadens auf die Allgemeinheit, 5 9 etwa durch die Möglichkeit der Versicherung. Die Umlagemöglichkeit ist damit aber noch kein wesentlicher Grundgedanke der Gefährdungshäftung als solcher, denn auch die Gefährdungshaftung begründet nach der individualistischen Konzeption des Schadens- und Haftungsrechts 6 0 primär die Verantwortung einer bestimmten Person. M a n kann zwar versuchen, dem V o r w u r f zu begegnen, daß die Allgemeinheit Vorteile aus dem Bestand von Gefahrenquellen ziehe, die Lasten aber dem Einzelnen aufbürde, indem man dagegenhält, daß dieser die Lasten weitergeben könne, 6 1 z. B. indem er sich versichert. Ob diese Umlage i m Einzelfall möglich ist und gelingt, bleibt aber sein Risiko. Sie erfolgt unabhängig v o m Haftungsrecht selbst 6 2 und gehört nicht mehr zu dessen Problemen. Die Verantwortlichkeit knüpft nicht nur an die Nutzung, sondern zum anderen auch an die Schaffung und Unterhaltung der Gefahrenquelle an. 6 3 Verletzungen fallen in den Risiko- und Wagnisbereich dessen, der darüber bestimmt, daß die Gefahrenquelle existiert und i n bestimmter Weise verwendet wird. Dabei geht es u m die abstrakte Entscheidung, während die konkrete Einwirkung auf die Gefahrenquelle durch jedermann erfolgen kann und für den haftungsrechtlichen Interessenausgleich daher nicht relevant w i r d . 6 4 Mitunter w i r d die Auffassung vertreten, die Verantwortung beruhe insbesondere auf der Möglichkeit des Bestimmenden, präventive Maßnahmen zum Schutz vor den Wirkungen der Gefahrenquelle zu veranlassen. 65 Diese Möglichkeit ist aber für die Haftung nicht wesentlich, denn die Gefährdungshaftung geht v o m Bestand eines grundsätzlich 58 Larenz, Schuldrecht II, 699; RGRK / Steffen, Vor § 823, 15; Esser, Grundlagen, 90; Filthaut, Einl., 2. 59 Berglar, 70; Hübner, VersR 1983, KF, 126, 127; Deutsch, Haftungsrecht, 365; JuS 1981, 317, 319; RGRK/Steffen, Vor § 823, 15; MünchKomm/Mertens, 2 - 6 u. 1316; Esser, Grundlagen, 120. 60 Dunz, JZ 1987, 63, 65; Esser / Schmidt, 520; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 3. 61 Deutsch, Haftungsrecht, 365; RGRK / Steffen, Vor § 823, 15; Esser, Grundlagen, 127/128; Deutsch, JuS 1981, 317, 325. 62 Esser, Grundlagen, 127/128; Berglar, 70. 63 Deutsch, Haftungsrecht, 365; JuS 1981, 317, 319; Larenz, Schuldrecht II, 699; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 12; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 7; Berglar, 94; Kötz, AcP 170, 1, 21; Will, 267; Esser, Grundlagen, 97 u. 100; Enneccerus / Nipperdey, 1342. 64 Anders teilweise früher die Rspr.; vgl. unten 3 § 2 B I. 65 Vgl. Filthaut, Einl., 2; Stoll, Handeln, 347; RGZ 62, 79, 84 u. 85.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
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unbeherrschbaren Risikos aus. 6 6 M a n kann die Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle i n milderem Licht erscheinen lassen, indem man darauf hinweist, daß der Verantwortliche sich selbst durch vorbeugende Maßnahmen sichern könne. Für das Eingreifen oder den Umfang der Haftung spielt dies aber keine Rolle, denn sie tritt auch ein, wenn eine Sicherung gar nicht möglich war.
3. Die Schutzwürdigkeit des Verletzten Die Gefährdungstatbestände wollen durch den haftungsrechtlichen Ersatzanspruch das Ungleichgewicht beseitigen, das zwischen dem Beherrscher und Nutzer der Gefahrenquelle und den Inhabern der von einer Verletzung betroffenen Rechtsgüter besteht. Diese befinden sich gegenüber der „Herrscherposition" des Gefahrverantwortlichen regelmäßig i n der „Opfersituation". Durch den Bestand der Gefahrenquelle werden sie m i t einem schwer beherrschbaren Risiko belastet, dessen Verwirklichung sie jederzeit treffen kann. Als Ausgleich für diese Zumutung soll ihnen durch einen Ersatzanspruch zumindest das finanzielle Risiko abgenommen werden, da es unbillig wäre, sie mit diesem zu belasten. 67 A u c h dabei geht es letztlich nur u m den faktischen Bestand der Gefahrenquelle, nicht darum, daß die Gefährdung rechtmäßig wäre und der Verletzte sie daher dulden müsse und nicht präventiv gegen sie vorgehen könne. 6 8 Wenn man das Augenmerk auf die Schutzmöglichkeiten des Verletzten richtet, dann w i r d man sagen müssen, daß diese gerade auch faktisch nicht bestehen, selbst wenn sie rechtlich i n Betracht kämen. W i r d ein Mensch durch ein verkehrsunsicheres K f z verletzt, dann hängt die Haftung nicht davon ab, daß er dessen Betrieb präventiv hätte unterbinden können. Der Verletzte kann und muß nicht wissen, wer i n rechtswidriger Weise eine Gefahrenquelle unterhält und ob deren Risiko ihn einmal treffen wird. I n diesem Zusammenhang ist auch v o m Zwangsrisiko die Rede, 6 9 dem der Verletzte ausgesetzt werde. A u c h dabei kann es nur u m die faktische Bedrohung gehen, die v o m Bestand der Gefahrenquelle ausgeht, nicht um eine rechtliche Duldungspflicht. Diese Zwangswirkung ist stets die notwendige Begleiterscheinung, gewissermaßen das Kennzeichen der Opfersituation. Das Zwangsrisiko ist ein Synonym für den Bestand der Gefahrenquelle, mit dem es zwangsläufig verbunden ist. M a n kann daher nicht annehmen, daß die Gefahrenquelle zwar 66 Heß, 32 u. 37. 67 Deutsch, Haftungsrecht, 365; JuS 1981, 317, 319; Larenz, VersR 1963, 593, 597; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 12; Staud. / Schäfer, Vor § 823,7; Heß, 38; Esser, Grundlagen, 102. 68 So aber Larenz, Schuldrecht II, 699; Esser, Grundlagen, 91; Giemulla / Schmid, § 33, 2. 69 RGRK/Steffen, Vor § 823, 15; Giemulla / Schmid, § 33, 2; Deutsch, JuS 1987, 673, 674; Esser, Grundlagen, 90; Zweibrücken VersR 1971, 724, 725.
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besteht, der Verletzte aber nicht von vornherein deren Zwangsrisiko ausgesetzt ist, sondern sich diesem später erst selbst ausgesetzt h a t . 7 0 Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit des Verletzten aufgrund seiner schwachen Position i m Bezug auf Gefahrenquellen kann daher nur durch Umstände herabgesetzt werden, die außerhalb der Gefahrenquelle liegen und die Standardsituation des bloßen Ausgesetztseins dadurch grundlegend verändern. 7 1
II. Die Zurechnung als verbindendes Ordnungsprinzip der Gefährdungshaftung Der Gedanke, daß die Schadensfolgen aus einer Gefahrenquelle haftungsrechtlich den Gefahrverantwortlichen treffen, muß indessen auch in konkrete Haftungstatbestände umgesetzt werden. Dort geschieht die Zuordnung von Schaden und Verantwortlichem durch eine Kette von Zurechungsüberlegungen, welche die Grundgedanken der Gefährdungshaftung weiter präzisieren und für Einzelfälle verwertbar machen. Dabei w i r d dann auch der Funktionszusammenhang dieser Überlegungen deutlich.
1. Die Zurechnungsschritte im Haftungsrecht Das Haftungsrecht regelt die gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche aufgrund unfreiwilliger Vermögenseinbußen (Schäden), die sich aus Pflicht- oder Rechtsgutsverletzungen ergeben. Die Vermögensminderung bleibt nicht beim Geschädigten, sondern w i r d durch Rechtsansprüche auf das Vermögen des Verantwortlichen verlagert. Sie soll letztlich denjenigen treffen, i n dessen Verantwortungsbereich das schädigende Ereignis seinen Ursprung hat. Die Verknüpfung von Schaden und Verantwortlichem geschieht i m gesetzlichen Haftungstatbestand durch die dreifache Zuordnung: — des Schadens zum verletzten Rechtsgut, — des verletzten Rechtsguts zur Verletzungsursache und — der Verletzungsursache zur verantwortlichen Person bzw. deren Vermögen. Dies schafft die juristisch wertende Verbindung zwischen dem Haftenden, dem haftungsauslösenden Ereignis, der Verletzung und dem Schaden. 7 2 Der erste Schritt kann dabei als haftungsausfüllende, der zweite als haftungsbegründende Zurechnung bezeichnet werden. 7 3 Bei der Zuordnung von Verletzungsursache 70 Z. B. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2002 u. unten 4 § 2 B I I I 2 u. D I I 2a. 71 Vgl. z. B. Stoll, Handeln, 348; Heß, 30. 72 Deutsch, Haftungsrecht, 22-26. 73 Durchweg bezogen auf die Kausalität als Teilaspekt der Zurechnung; vgl. MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 38; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 55-56; Soergel/Mertens, Vor § 249, 116; Larenz, Schuldrecht I, 432; Geigei / Rixecker, 1. Kap., 1.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
und Verletzungserfolg geht es letztlich u m die Abgrenzung der haftungsrelevanten Ereignisse von zufälligem Geschehen. 74 Diese erfolgt durch die Feststellung der Kausalität und durch weitere wertende Kriterien, wie Adäquanz, Rechtswidrigkeits- oder Risikozusammenhang. 7 5 Die Notwendigkeit solcher Zurechnungsüberlegungen ergibt sich aus den grundlegenden Vorgaben des Haftungsrechts, wonach konkrete Ereignisse einem individuell Verantwortlichen zugerechnet werden und dies nicht durch eine generelle Haftungsnorm geschieht, sondern durch einzelne Tatbestände mit unterschiedlichen Haftungsgründen. 7 6 Diese erfassen dann nur die Verletzungsfolgen, die sich gerade aus ihrem jeweiligen Haftungsgrund ergeben. Haben auch andere Umstände derart wesentlich mitgewirkt, daß der Haftungsgrund selbst demgegenüber nicht mehr ins Gewicht fällt, dann scheidet die Haftung aus.
Verantwortung X Haftender
haftungsbegr. Zurechnung
X VerletzungsUrsache
haftungsausf. Zurechnung
> X verletztes Rechtsgut
>X Schaden
Schema Nr. 1
Die Zuordnung der Verletzungsursache zum Verantwortlichen knüpft an diesen ersten Schritt an und entwickelt ihn weiter. Bei den für das Haftungsrecht grundlegenden Tatbeständen der Verschuldenshaftung beruht die Verantwortlichkeit auf der Freiheit des menschlichen W i l l e n s . 7 7 Die Verantwortlichkeit ist gegeben, wenn sich aus der A r t und Weise des Gebrauchs der Willensfreiheit ein V o r w u r f herleiten läßt. Dies setzt voraus, daß entweder schon das Verhalten des Verantwortlichen oder zumindest der Erfolg von der Rechtsordnung objektiv mißbilligt wird, also rechtswidrig ist. 7 8 Dieser Grundsatz der Handlungsverantwortung zeitigt indessen auch Auswirkungen auf den ganzen Aufbau des Tatbestandes, insbesondere auf den vorhergehenden Zurechnungsschritt. Daher k o m m t schon als Verletzungsursache nur menschliches Handeln i n Betracht, d. h. menschliches Verhalten das v o m W i l l e n gesteuert oder steuerbar i s t . 7 9 Es wäre sinnlos, andere Ursachen zu betrachten, wenn sich auf diese ohnehin kein Verschuldensvorwurf gründen läßt. Außerdem muß die Rechtsgutsverletzung gerade auf dem rechtswidrigen Handeln beruhen, was häufig auch als Rechtswidrigkeitszusammenhang 74 Deutsch, Haftungsrecht, 22. 75 Vgl. unten 1 § 2 B I I 3. 76 Deutsch, Haftungsrecht, 1 u. 2; Larenz, Schuldrecht II, 591. 77 Deutsch, Haftungsrecht, 23; Esser / Weyers, 637; Larenz, Schuldrecht II, 595; Esser, Grundlagen, 51. 78 Vgl. Larenz, SchuldR II, 593 u. 595; R G R K / Steffen, § 823, 106-108. 79 Larenz, Schuldrecht II, 589; Esser / Schmidt, 353; Deutsch, Haftungsrecht, 123.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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bezeichnet w i r d . 8 0 Erst die wertende Betrachtung menschlichen Handelns auf mehreren Stufen der Zurechnung begründet letztlich die Haftung.
2. Die Normstruktur der Gefährdungshaftung a) Die verschuldensunabhängige
Zurechnung
Die Gefährdungshaftung wurde häufig als bloße Ausnahme v o m Verschuldensprinzip angesehen, 81 als Haftung ohne Verschulden. 8 2 Zunehmend findet indessen der Gedanke Anerkennung, daß es sich dabei u m ein eigenständiges Zurechnungsprinzip handelt. 8 3 Bei diesem geht es nicht u m die subjektive Verantwortung für schuldhaftes Handeln, sondern u m die objektive Zurechnung der Folgen aus dem Bestand einer Gefahrenquelle. 8 4 Die Gefährdungshaftung sieht von der Willensbestimmtheit konkreten menschlichen Verhaltens (Handeln) und dessen Verwirklichung i m Verletzungserfolg genauso ab, wie von der Notwendigkeit eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung und dem darauf gegründeten Verschuldensvorwurf. Über die Folgen des Absehens von Handeln, Rechtswidrigkeit und Verschulden für den Aufbau der Gefährdungstatbestände, insbesondere i m Bereich der haftungsbegründenden Zurechnung von Gefahrenquelle und Verletzung, sind in Rspr. u. Lit. indessen einige Unklarheiten entstanden. I n der L i t . w i r d mitunter die Auffassung vertreten, es gebe insofern zumindest keinen grundsätzlichen Unterschied zur Verschuldenshaftung, als sich auch bei der Gefährdungshaftung die Zurechnung letztlich auf die Willensherrschaft des Gefahrverantwortlichen über die Gefahrenquelle stütze. 8 5 Häufig führe gerade der menschliche Umgang mit der Gefahr zum Schaden, so daß auch die Haftung für besondere Gefahren letztlich eine Handlungshaftung sei. 8 6 Diese Sichtweise trifft die Situation indessen nur zum Teil. Zwar liegt auch i n der Entscheidung über die Existenz und Verwendung einer Gefahrenquelle ein menschliches Handeln, das v o m W i l l e n bestimmt ist. 8 7 Diese Entscheidung begründet allgemein die Verantwortung für die Gefahrenquelle und damit die Haftung, kommt aber 80 MünchKomm / Grunsky, Vor § 249, 44; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 86; Deutsch, Haftungsrecht, 240; Esser / Schmidt, 539; Larenz, Schuldrecht I, 446; Geigei / Rixecker, I. Kap., 7. 81 Vgl. dazu Deutsch, JuS 1981, 317; Staud. / Schäfer, 4; RGRK / Steffen, Vor § 823, 17. 82 Vgl. Staud. / Schäfer, Vor § 823, 14 u. 15. 83 Larenz, Schuldrecht II, 700; Deutsch, NJW 1981, 317; Haftungsrecht, 30 u. 367; RGRK/Steffen, Vor § 823, 17; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 4. 84 Deutsch, Haftungsrecht, 30; Bauer, FS Ballerstedt, 305, 318; Larenz, Schuldrecht II, 698. 85 Deutsch, Haftungsrecht, 30; Unerlaubte Handlungen, 4; Stoll, VersR 1983, KF, 184, 185/186. 86 Deutsch, Haftungsrecht, 370; Rother, FS Michaelis, 250, 254 u. 261. 87 Esser, Grundlagen, 94.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
selbst gerade nicht als haftungsrelevante Verletzungsursache i n Betracht. Für die Zurechnung von Ursache und Erfolg k o m m t es bei den Tatbeständen der Gefährdungshaftung auf das konkrete menschliche Handeln und den konkreten menschlichen W i l l e n gerade nicht an, sondern allein auf die W i r k u n g der Gefahrenquelle. Falls diese auch menschliches Verhalten einschließt, dann muß bei der Zurechnung von dessen Willensbestimmtheit, also von seiner Handlungsqualität gerade abgesehen werden, w e i l die Vorwerfbarkeit des Verhaltens als Handeln eben keine tatbestandliche Bedeutung haben kann. Wenn auf die Berücksichtigung des konkreten menschlichen Willens verzichtet wird, dann liegt darin ein grundsätzlicher Unterschied zur Verschuldenshaftung und zwar nicht nur i m dogmatischen Ansatz, sondern auch unmittelbar i n der Ausgestaltung der Tatbestände. 88 Gerade diesen Unterschied hat der B G H scharf betont, indem er wiederholt die Ansicht vertrat, daß die Zurechnung von Ursache und Erfolg bei der Verschuldens» und der Gefährdungshaftung „wesensverschieden" sei. Zwar sei die Ausgrenzung nicht mehr zurechenbarer Kausalabläufe i n beiden Fällen gleichermaßen vorzunehmen. Bei der Gefährdungshaftung komme es aber — i m Unterschied zur Verschuldenshaftung — nicht darauf an, ob die Verletzung anhand bisheriger Erfahrungen voraussehbar gewesen sei, sondern darauf, ob es sich um eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahr gehandelt habe, hinsichtlich derer der Verkehr schadlos gehalten werden solle. 8 9 Diese Ausführungen gehen indessen ihrerseits zu weit, wenn sie die augenfälligen inhaltlichen Unterschiede von Handlung und Handlungszusammenhang einerseits, von Gefahrenquelle und Gefahrzusammenhang andererseits zur Wesensverschiedenheit steigern. Entscheidend ist vielmehr die Funktion der Zurechnung i m Gesamtzusammenhang der jeweiligen Haftungsnorm (also ihr Sinn und Zweck). Dieser aber besteht bei der Verschuldens- und der Gefährdungshaftung gleichermaßen darin, die Einstandspflicht auf die spezifischen Folgen des jeweiligen Haftungsgrundes zu beschränken, mag sich dies dann auch inhaltlich in unterschiedlichen Erwägungen niederschlagen, j e nachdem, ob der Haftungsgrund i m menschlichen Handeln liegt oder i n einer Gefahrenquelle. b) Der Funktionszusammenhang von Gefahrenquelle, Gefahr Zurechnung und Gefahrverantwortung Die haftungsrechtliche Entsprechung i m Bereich der Zurechnung des Erfolges zum Verantwortlichen ist demnach zwar keine inhaltliche, aber eine funktionale. 9 0 A u c h bei der Gefährdungshaftung können die Verletzung und der Schaden zeitlich auseinanderfallen, 91 so daß der Unterschied von haftungsbegründender und haf88 Für eine nur graduelle Abstufung von Verschulden u. Gefährdung aber z. B. Deutsch, Haftungsrecht, 25; Rother, FS Michaelis, 250 ff. 89 BGH NJW 1962,1676,1677; 1981,983; 1982,1046,1047; vgl. Deutsch, Unerlaubte Handlungen, 58 u. 348; Stoll, VersR 1983, KF, 184, 185. 90 Rother, FS Michaelis, 250, 253.
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tungsausfüllender Zurechnung berechtigt ist. Faßt man die Gefährdungshaftung als eine mögliche Ausgestaltung des Zuordnungsgedankens i m Haftungsrecht auf, bei der v o m konkreten menschlichen W i l l e n abgesehen wird, dann geht es nicht um die einzelne verletzende Handlung, sondern u m die Begründung und Erhaltung der Gefahrenquelle, nicht u m den Handlungs- oder Rechtswidrigkeitszusammenhang, sondern u m den Gefahrzusammenhang. 92 A n die Stelle der konkreten Handlung tritt als Verletzungsursache die konkrete Gefahrenquelle. 93 Diese mag i n einem Gegenstand, einem Vorgang oder auch i n einem menschlichen Verhalten liegen. 9 4 Gerade bei letzterem kommt es dann aber nicht auf die konkrete Willensbestimmtheit an, so daß es eben nur u m ein Verhalten geht, nicht u m ein Handeln. Da sich i m Unterschied zur Handlungshaftung der Kreis möglicher Verletzungsursachen nicht von selbst ergibt, muß dieser als Gefahrenquelle eigens umschrieben werden. Die Zuordnung eines Ereignisses zum Kreis dieser haftungsrelevanten Ursachen kann selbst als Zurechnungsvorgang begriffen werden. Die Gefahrzurechnung stellt dann die Verbindung her zwischen der konkreten Gefahrenquelle und dem Verletzungserfolg, indem festgestellt wird, ob gerade die wesentlichen Merkmale der Gefahrenquelle sich maßgeblich i m Erfolg ausgewirkt haben. A n die Stelle der Verantwortung wegen konkreten Verschuldens einer Person tritt deren allgemeine Verantwortung für den Bestand der Gefahrenquelle. Der Funktionszusammenhang (die Struktur) aus Gefahrverantwortung, Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung bildet den Hintergrund für die Auslegung von Tatbeständen der Gefährdungshaftung und prägt demnach auch § 833 S. 1 B G B . Soweit dabei von Verletzungen die Rede ist, sind stets Rechtsgutsverletzungen gemeint. Der Verletzte ist der Inhaber des betroffenen Rechtsguts. Die haftungsausfüllende Zurechnung und der Schaden eröffnen einen neuen Problemkreis mit eigenständigen Fragestellungen (Schadensersatzrecht) und bleiben insoweit außer Betracht. haftungsbegründende haftungsausfüllende Zurechnung = Zurechnung Gefahrverantwortung Gefahrzurechnung X X > X -> X Verletzungsverletztes VermögensVerantwortRechtsgut ursache = licher = einbuße Gefahrenquelle Halter (Schaden) Schema Nr. 2 91 Deutsch, JuS 1981, 317, 322. 92 Larenz, Schuldrecht II, 698; Deutsch, Haftungsrecht, 372/373; NJW 1981, 317, 318. 93 Larenz, VersR 1963, 593, 598; Schuldrecht II, 698; Will, 280. 94 Kötz, AcP 170, 1, 25; Larenz, Schuldrecht II, 698; Filthaut, §1,71; Esser / Weyers, 639/640.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der c) Die Entwicklung aus den Grundgedanken
ierhalterhaftung
der Normstruktur der Gefährdungshaftung
Demnach läßt sich aus (nur) drei Grundgedanken der Gefährdungshaftung in Verbindung m i t dem allgemeinen haftungsrechtlichen Prinzip der Zurechnung der Verletzung zum Verantwortlichen das Funktionsgefüge des Gefährdungstatbestandes entwickeln: — Die Haftung erfaßt die Folgen aus einer bestimmten, v o m Gesetzgeber jeweils näher umschriebenen Quelle besonderer Verletzungsgefahr (Gefahrenquelle). — Sie besteht nur für diejenigen Rechtsgutsverletzungen, die maßgeblich gerade auf den Eigenarten der Gefahrenquelle beruhen und nicht auf anderen mitwirkenden Faktoren, die auf den Verletzten oder sonstige fremde Einwirkungen zurückgehen (Gefahrzurechnung). — Die Folgen dieser Rechtsgutsverletzungen soll nicht der Verletzte tragen, sondern der Beherrscher und Nutzer der Gefahrenquelle (Gefahrverantwortung).
3. Die inhaltlichen Kriterien der Gefahrzurechnung Die haftungsbegründende Zurechnung ist ein allgemeines Institut des Haftungsrechts, gewinnt aber i n der Gefährdungshaftung besondere Bedeutung, da sich hier die Frage nach den Haftungsgrenzen konzentriert. a) Das Verhältnis
von Kausalität
und Zurechnung
Die Zuordnung von Verletzung und Verletzungsursache erfolgt i m Haftungsrecht allgemein durch die Feststellung der Kausalität und durch zusätzliche wertende Kriterien, wie die Adäquanz und den Rechtswidrigkeits- oder Risikozusammenhang. Diese Zurechnung, bei der es auf den menschlichen W i l l e n grundsätzlich nicht ankommt, w i r d i n der L i t . und v o m B G H auch als objektive oder normative Zurechnung bezeichnet. 9 5 Während das Kriterium der Kausalität allein die naturgesetzliche Verbundenheit von Ursache und W i r k u n g betrifft, bedeutet die Zurechnung darüber hinaus eine normative Zuordnung, die auf dem Kausalzusammenhang aufbaut. Denn die allein an der Kausalität orientierte Haftung ginge nach allgemeiner Ansicht erheblich zu weit, insbesondere hinsichtlich der immer weiter entfernten Folgen des haftungsbegründenden Vorgangs. Es sind daher haftungsbeschränkende Kriterien neben der Kausalität herausgearbeitet worden. 9 6 95 Z. B. Larenz, FS Honig, 79; Kramer, AcP 171, 422, 434; Gernhuber, 342; BGH NJW 1971,1981 u. 1982; Deutsch, Haftungsrecht, 23-25 sieht demgegenüber als objektive Zurechnung offenbar jede Form der Haftungsbegründung an, mit Ausnahme der Verschuldenshaftung für Vorsatz.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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I m Bereich der Verschuldenshaftung können solche Beschränkungen noch auf der Rechtswidrigkeits- und Verschuldensebene erfolgen. Schon bei der haftungsausfüllenden Zurechnung k o m m t aber auch dort das Verschuldenserfordernis als Korrektiv nicht mehr i n Betracht, so daß der Haftungsumfang durch zusätzliche Kriterien begrenzt werden m u ß . 9 7 Dieses Problem stellt sich u m so mehr bei der Gefährdungshaftung, da das Verschulden dort überhaupt keine Rolle spielt. A l l e i n die objektiven Zurechnungskriterien müssen sicherstellen, daß nur für die Verletzungfolgen aus der Gefahrenquelle gehaftet wird. Daraus ergeben sich für die Gefahrzurechnung einige Besonderheiten.
b) Die äquivalente
Kausalität
Zunächst muß der Ursachenzusammenhang von Gefahrenquelle und Verletzungserfolg nach dem Äquivalenzgedanken 9 8 feststehen. Danach beruht jeder Erfolg auf zahllosen Ursachen, die untereinander gleichwertig sind. 9 9 Eine Differenzierung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Einflußfaktoren findet auf dieser Ebene nicht statt. 1 0 0 Kausal ist daher jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß damit auch der Erfolg entfiele. 1 0 1 Häufig ist von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, von überholender oder alternativer Kausalität die R e d e . 1 0 2 Dies gilt für das Dazwischentreten Dritter, für Handlungen oder psychische Reaktionen des Verletzten selbst oder auch für beliebige sonstige Ursachen, aufgrund derer die Verletzung ohnehin ebenso eingetreten w ä r e . 1 0 3 Dabei w i r d aber letztlich nicht die Kausalität als solche modifiziert, sondern eine weitere juristische Wertung vorgenommen, 1 0 4 u m trotz bestehender Kausalität eine als zu weitgehend empfundene Haftung auszuschließen. Der Kausalzusammenhang darf nicht so entfernt sein, daß ein Einstehenmüssen des Schädigers nicht mehr zumutbar erscheint. A u c h diese Fragen gehören daher letztlich zum Problemkreis der Gefahrzurechnung. 1 0 5
96 MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 37 u. 38-46; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 57-64; Larenz, Schuldrecht I, 434; Esser/Schmidt, 521 u. 523. 97 MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 38. 98 Zur äquivalenten Kausalität vgl. Esser / Schmidt, 521-527; Larenz, Schuldrecht I, 431-435; Deutsch, Haftungsrecht, 134-142; Unerlaubte Handlungen, 41-49; MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 36-39; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 57; R G R K / Alff, Vor § 249, 14-31; Soergel/Mertens, Vor § 249, 116-119; Staud. /Medicus, § 249, 29; RGRK/Steffen, § 823, 73-77. 99 MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 36; Palandt/Heinrichs, Vor § 249, 57. 100 Soergel/Mertens, Vor § 249, 117; MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 36. 101 Larenz, Schuldrecht I, 433; Esser / Schmidt, 522. 102 MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 52; Soergel/Mertens, Vor § 249, 119. 103 MünchKomm/Grunsky, Vor § 249, 53-78; Staud./Medicus, § 249, 68; Staud./ Schäfer, Vor § 823, 100-120. 104 Deutsch, Haftungsrecht, 37 / 38. los Vgl. unten d.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der c) Die
ierhalterhaftung
Adäquanz
Nach der Adäquanztheorie 1 0 6 führen ganz unwahrscheinliche Kausalverläufe nicht zur H a f t u n g . 1 0 7 Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der A r t des eingetretenen generell i n nicht unerheblicher Weise erhöht h a t . 1 0 8 Die Haftung w i r d dadurch auf die Erfolge beschränkt, die infolge der als Haftungsgrund in Betracht kommende Ursache wahrscheinlicher geworden s i n d . 1 0 9 Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn eine Bedingung nach der Lebensauffassung ungeeignet war, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen oder die konkrete Kausalkette den Erfolg nicht aufgrund dieser Eignung zustandegebracht hat, sondern aufgrund davon unabhängiger Faktoren, d. h. wenn ein nur entfernter Zusammenhang besteht, 1 1 0 bzw. eine ganz außergewöhnliche Verkettung von Umständen eingetreten i s t . 1 1 1 V o r dem Hintergrund der Normzwecktheorien 1 1 2 ist die Bedeutung des Adäquanzkriteriums indessen zweifelhaft geworden. Es w i r d die Auffassung vertreten, daß es überhaupt nicht mehr anwendbar i s t 1 1 3 oder zumindest nicht auf die haftungsbegründende Zurechnung. 1 1 4 Die Anwendbarkeit des Adäquanzgedankens auf die Tatbestände der Gefährdungshaftung ist darüber hinaus grundsätzlich umstritten. Manche Autoren behaupten, auch die abstrakte Gefahr müsse sich in einer konkreten Gefährdung realisieren. Die Adäquanz könne daher ein Indiz sein, ob diese konkrete Gefährdung für den Erfolg relevant, d. h. kausal wesentlich gewesen sei. Die Vorhersehbarkeit könne eine Rolle spielen, da auch die Gefährdungshaftung regelmäßig an die Unterhaltung der Gefahrenquelle anknüpfe, also an menschliches Verhalt e n . 1 1 5 Nach Auffassung des B G H und vieler A u t o r e n 1 1 6 ist das Vorhersehbar106 Zur Adäquanz vgl. Esser / Schmidt, 528-535; Larenz, Schuldrecht I, 435-440; Deutsch, Haftungsrecht, 143-154; Unerlaubte Handlungen, 50-59; MünchKomm/ Grunsky, 37-42; Palandt/Heinrichs, Vor §249, 58-61; Soergel/Mertens, 120-145; Staud. / Schäfer, 83-85; RGRK / Steffen, § 823, 78-89; Staud. / Medicus, § 249, 34-39. 107 MünchKomm / Grunsky, Vor § 249, 40; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 58-60; Larenz, Schuldrecht I, 436. los Staud. / Schäfer, Vor § 823, 84; Esser / Schmidt, 528; BGHZ 3, 261, 265. 109 Soergel / Mertens, Vor § 249, 120. ho Esser/Schmidt, 528. in RGZ 78, 270, 272; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 83. 112 Vgl. dazu unten d. 113 MünchKomm / Grunsky, Vor §249, 42; AK-BGB / Rüßmann, Vor §249, 50; Dunz, VersR 1984, 600, 601 (Scheinkriterium). 114 Esser / Schmidt, 530; Deutsch, Haftungsrecht, 151; Gernhuber, 346; anders aber: Soergel / Mertens, Vor § 249, 121; Staud. / Medicus, § 249, 48 / 49 (nicht bei Vorsatz); Übersicht bei RGRK / Steffen, § 823, 80; offengelassen wird die Frage z. B. in BGH NJW 1971, 1980; 1971, 1981, 1982; VersR 1980, 87, 88. 115 Stoll, VersR 1983, KF, 184, 185; Soergel / Mertens, Vor § 249, 125-126; Schünemann, NJW 1981, 2796, 2797. 116 Larenz, Schuldrecht I, 439 u. 441 Fn. 65; RGRK / Steffen, Vor § 823, 24; Will, 301; Gernhuber, 346.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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keitsurteil der Adäquanz aber nicht auf die Gefährdungshaftung zugeschnitten, da diese Haftung gar nicht an ein menschliches Verhalten, d. h. an die Steuerbarkeit des Geschehens durch den Menschen anknüpft. Der vorhersehbare Verlauf (Adäquanz) sei ein zu weites Kriterium gegenüber der Zurechnung zur Gefahrenquelle. Bei dieser werde mehr verlangt als die Vorhersehbarkeit, nämlich daß sich gerade die geschaffene Gefahr i m Erfolg verwirklicht habe. 1 1 7 Die Gefahr, deretwegen die Haftung geschaffen wurde, sei nämlich enger umgrenzt und konkreter ausgerichtet, als die allgemeine Schadensvorhersehbarkeit der Adäquanz. 1 1 8 Die Wertung, welche Person der Gefahrenquelle am nächsten stehe und wem die Schadenstragung am ehesten zugemutet werden kann, ersetzt die Adäquanz. 1 1 9 Dieser Streit findet i n Lit. und Rspr. zur Tierhalterhaftung indessen kaum Resonanz. Soweit man das Vorliegen der Adäquanz ausdrücklich verl a n g t , 1 2 0 w i r d diese in Form der „adäquaten Kausalität" zumeist problemlos bejaht. 1 2 1 Für die Entscheidung von Sachfragen des Tierschadensrechts hat die Adäquanz bisher keinen maßgeblichen Beitrag geleistet. Ihre gelegentliche A n wendung i n Rspr. und L i t . erfolgt ohne entsprechendes Problembewußtsein. 1 2 2 Die Frage nach der Gefahrverwirklichung i m Erfolg deckt die Problemstellungen der objektiven Zurechnung vollständig ab, so daß es naheliegt, i m Bereich der Tierhalterhaftung auf die Verwendung des Adäquanzbegriffs ganz zu verzichten.
d) Die Kriterien des sachlichen und persönlichen Schutzbereichs der Norm I m Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen bei der Zurechnung von Gefahrenquelle und Erfolg heute die Überlegungen zum Schutzzweck oder Schutzbereich der Norm, deren Ableitung unmittelbar unter Berufung auf den Normzweck erfolgt. Dabei muß zunächst berücksichtigt werden, daß der Begriff Normzweck i m Haftungsrecht in einer weiteren und einer engeren Bedeutung Verwendung findet. Die teleologische Auslegung nach dem Sinn und Zweck der N o r m zählt neben der grammatischen, systematischen und historischen Auslegung zum klassischen Instrumentarium der juristischen Methodenlehre. 1 2 3 Der Normzweck w i r d herangezogen, u m die Bedeutung einzelner Tatbestandsmerkmale, z. B. der Tiereigenschaft, der verletzten Rechtsgüter oder des Halters näher zu umreißen. Die i n BGH NJW 1962, 1676, 1677; 1981, 983; 1982, 1046, 1047; Deutsch, Haftungsrecht, 277; Unerlaubte Handlungen, 58 u. 348; Larenz, Schuldrecht I, 439; Geigei/ Schlegelmilch, 1. Kap., 19. Aufl., 6; Geigei / Rixecker, 1. Kap., 12. Iis Deutsch, Haftungsrecht, 154. 119 Deutsch, JuS 1981, 317, 322/323. 120 Als Kriterium verworfen von Deutsch, Haftungsrecht, 366; JuS 1981, 317, 322; 1987, 673, 674; A K - B G B / K o h l , 3. 121 Z. B. Staud. / Schäfer, 38; Soergel / Zeuner, 4. 122 Vgl. unten 2 § 2 B I V 3; § 3 A I I 1 u. 2. 123 Larenz, Methodenlehre, 320-348. 4 Lorenz
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
Bezugnahme auf den Normzweck bedeutet insofern die Anwendung der teleologischen Auslegung. 1 2 4 Diese geht von den Zielen aus, die hinter einer Vorschrift stehen und bestimmt von dort her den Inhalt ihrer einzelnen Merkmale. Der Normzweck ist dann der umfassende Auslegungshintergrund einer Vorschrift. I n der haftungsrechtlichen Dogmatik hat sich daraus die Lehre v o m Schutzzweck oder Schutzbereich der N o r m entwickelt, 1 2 5 die den Begriff des Normzwecks demgegenüber i n einer engeren und spezifischeren Bedeutung zur Gewinnung spezieller Kriterien der objektiven Zurechnung verwendet. Diese stellen durch normative Wertung den Zusammenhang zwischen Verletzungsursache und verletztem Rechtsgut her. Die Lehre v o m Schutzzweck der N o r m ist somit ein besonderer Anwendungsfall der teleologischen Auslegung auf das Tatbestandserfordernis der Zurechnung von Verletzung und Verletzungsursache. 126 Bei der Gefährdungshaftung bedeutet dies nach deren Sinn und Zweck, daß sich in der Verletzung gerade diejenige Gefahr verwirklicht haben muß, deren Folgen der Gefahrverantwortliche tragen soll. Es kommt darauf an, ob der Verletzte unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes gerade gegen die konkrete Gefahrenquelle vernünftigerweise Schutz erwarten durfte. 1 2 7 Dabei geht es um weitere wertende Kriterien der Gefahrzurechnung neben der Kausalität. Die Überlegungen zur Gefahrzurechnung bewegen sich nach zwei Richtungen, indem sie sich mit der Relevanz der Gefahrenquelle gegenüber den Beiträgen des Verletzten einerseits und gegenüber sonstigen äußeren Umständen andererseits befassen. 128 Die Schutzzweckerwägungen zum sachlichen und persönlichen Schutzbereich, die grundsätzlich i m ganzen Haftungsrecht Anwendung finden, können vor dem Hintergrund des Normzwecks der Gefährdungshaftung so ausgelegt werden, daß sie als konkrete Ausformungen der Gefahrzurechnung erscheinen. 1 2 9 Danach muß zum einen der Schaden an den Rechtsgütern und bei den Personen entstanden sein, deren Schutz die betreffende N o r m bezweckt. Der Verletzte darf insbesondere nicht i n solcher Weise selbst am Geschehen beteiligt gewesen sein, daß sein Schutz durch die Haftungsnorm nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dies w i r d auch als persönlicher Schutzbereich 1 3 0 umschrieben und mitunter durch 124 Esser/Schmidt, 535. 125 Zum Schutzzweck und Schutzbereich der Norm vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 234250; Unerlaubte Handlungen, 106-113; Larenz, Schuldecht 1,440-447; Esser / Schmidt, 535-541; MünchKomm / Grunsky, Vor § 249, 43-46; Palandt / Heinrichs, Vor § 249, 62-63; Soergel/Mertens, Vor §249, 146-149; Staud./Schäfer, Vor § 823, 86-89; R G R K / A l f f , Vor § 249, 19; R G R K / Steffen, § 823, 90-105; Staud. /Medicus, § 249, 40-44. 126 Vgl. dazu Deutsch, Haftungsrecht, 237; RGRK / Steffen, Vor § 823, 24; § 823, 90; MünchKomm / Grunsky, § 249,44; Soergel / Mertens, Vor § 249,123; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 86; Staud. / Medicus, § 249,43; Esser / Schmidt, 535; Larenz, Schuldrecht I, 441. 127 Stoll, VersR 1983, KF, 184, 186. 128 Vgl. unten 1 § 4 A. 129 Deutsch, Haftungsrecht, 372/373; JuS 1987, 673, 675-678; A K - B G B / K o h l , 4 u. 9; Staud. / Schäfer, 35 u. 38; MünchKomm / Mertens, 6 u. 25.
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spezielle Kriterien konkretisiert, wie z. B. das Handeln auf eigene Gefahr oder das Fehlen sozialen Zwanges. Außerdem muß gerade die konkrete Risikoverwirklichung i m Plan des Gesetzes gestanden haben. 1 3 1 Die Verletzung muß in ihrer Entstehungsweise gerade durch die besondere Gefahr oder das spezifische Ereignis bedingt sein, die den Haftungsgrund bilden und nicht durch andere von außen einwirkende Umstände. Die Haftung greift nur, wenn die Rechtsgutsverletzung als Verwirklichung gerade derjenigen Gefahr angesehen werden kann, die von dem Gefährdungstatbestand erfaßt w i r d . 1 3 2 Die Verletzung muß demnach auch innerhalb des sachlichen Schutzbereichs liegen, 1 3 3 d. h. die Haftung erfaßt nur solche Verletzungen, die sich als Verwirklichung der Gefahr darstellen, u m deretwillen der Gesetzgeber die Regelung getroffen hat und nicht als Wirkung gefahrfremder sonstiger Ursachen. Diese Erfordernisse werden i m Gefährdungstatbestand von Rspr. u. Lit. (überwiegend mit Blickrichtung auf den sachlichen Schutzbereich) durch verschiedene Begriffe umschrieben, insbesondere als Zurechnungs-, Risiko-, Gefährdungsoder Gefahrzusammenhang. 1 3 4 Die gleiche Bedeutung hat die Rede v o m inneren Zusammenhang zwischen Gefahrenquelle und Verletzung 1 3 5 und von der Gefahrverwirklichung.
136
Letztlich geht es um die Relevanz gerade der Gefahrenquelle
für den Verletzungserfolg, also u m das Grundanliegen der Gefahrzurechnung überhaupt. Dies w i r d oft so ausgedrückt, daß der Kausalzusammenhang von Gefahrenquelle und Verletzungserfolg nicht genügt, sondern daß auch der Risikozusammenhang als Korrektiv und Grenze der Haftung hinzukommen m u ß . 1 3 7 Manche Tatbestände der Gefährdungshaftung stellen auch schon durch ihren Wortlaut (z. B. „ b e i m Betrieb", „durch ein Tier") oder durch spezielle Ausnahmetatbestände für gefahrfremde Eingriffe klar, daß dem Halter nicht jede durch sie entstandene Verletzung zugerechnet wird, sondern nur diejenige, die gerade aus der spezifischen Gefahrenquelle erwachsen i s t . 1 3 8 130 Deutsch, Haftungsrecht, 242 u. 372; JuS 1987, 673, 676-678; 1981, 317, 323324; Staud./Schäfer, 68; A K - B G B / K o h l , 9; MünchKomm/Mertens, 6 u. 25. 131 Esser/Schmidt, 537. 132 Soergel / Mertens, Vor § 249, 123; Larenz, Schuldrecht I, 441. 133 Deutsch, Haftungsrecht, 243 u. 372; JuS 1987, 673, 675-676; 1981, 317, 321323; A K - B G B / K o h l , 4; MünchKomm/ Mertens, 6; Brüggemeier, 936; BGH VersR 1976, 1175, 1176. 134 Zum Gefahr- oder Risikozusammenhang vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 373; Unerlaubte Handlungen, 346; JuS 1981, 317, 322; Larenz, Schuldrecht II, 701; VersR 1963, 593, 598; Esser/Weyers, 641; 6. Aufl., 542; RGRK/Steffen, Vor § 823, 24; Staud./ Schäfer, 35 u. 38; Vor § 823, 86; Filthaut, § 1, 79 u. 82; Giemulla / Schmid, § 33, 9; Greger, § 7 StVG, 30 u. 44; Will, 301; Schünemann, NJW 1981, 2296, 2297; BGH NJW 1981, 983, 984; VersR 1976, 1090, 1091; 1978, 515; Celle VersR 1980, 430, 431. 135 Staud. / Schäfer, Vor § 823, 86; Filthaut, § 1, 61, 77 u. 81. 136 Vgl. unten 1 § 2 C III. 137 RGRK / Steffen, Vor § 823, 24; Deutsch, JuS 1981, 317, 322; Larenz, Schuldrecht II, 701. 138 Esser/Schmidt, 536/537; Greger, § 7 StVG, 30 u. 44; Becker / Böhme, I A, 19; Filthaut, § 1, 81. 4*
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
C. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung So wie die Gefährdungshaftung eine mögliche Verwirklichung der allgemeinen haftungsrechtlichen Zurechnungsstruktur für den Bereich der Gefahrenquellen darstellt, ist die Tierhalterhaftung ihrerseits eine konkrete Ausgestaltung der grundsätzlichen Struktur der Gefährdungshaftung für den speziellen Gegenstandsbereich des Tierverhaltens. Unter dem Gesichtspunkt der Haftung für besondere Gefahr zeigt der Tatbestand des § 833 S. 1 B G B wesentliche strukturelle Übereinstimmungen m i t anderen Tatbeständen der Gefährdungshaftung, aber auch einige Besonderheiten. 1 3 9 D u r c h die knappen Worte des Gesetzgebers ergibt sich hier besonders viel Spielraum für die Gestaltung durch Rspr. und L i t .
I . Die Tierdefinition Jede Gefährdungshaftung betrifft nur einen bestimmten Gegenstandsbereich, der i m Tatbestand zumindest grob umschrieben wird. Dies mag eine Schienenoder Schwebebahn sein (§ 1 I HaftPflG), ein Kraftfahrzeug (§ 7 StVG), ein Luftfahrzeug (§ 33 I L u f t V G ) , eine Kernanlage (§ 25 I A t o m G ) oder auch ein Tier (§ 833 S. 1 B G B ) . Die Voraussetzungen der Tiereigenschaft werden indessen nur ganz ausnahmsweise problematisiert, wenn es darum geht, ob z. B. auch für Schäden durch Mikroorganismen gehaftet w i r d . 1 4 0
I I . Die verletzten Rechtsgüter Die Tierhalterhaftung schützt, wie die meisten Tatbestände der Gefährdungshaftung, nur bestimmte Rechtsgüter, nämlich Leben, Körper und Gesundheit des Menschen selbst, sowie dessen Sachen vor Beschädigung. Dabei ist das Merkmal der Beschädigung weit auszulegen und umfaßt auch die Entziehung einer Sache, z. B. Verschleppen und Vergraben durch einen Hund, sowie die Beeinträchtigung ihres Nutz- und Gebrauchswertes. Da Tiere Sachen sind, w i r d auch das ungewollte Decken eines Muttertieres durch ein anderes Tier erfaßt. 1 4 1 Nicht geschützt ist demgegenüber das Eigentum oder das Vermögen schlechthin, sowie die Freiheit, etwa wenn der Schaden dadurch entsteht, daß ein bissiger Hund einen Menschen am Vorbeigehen hindert. 139 Zum Aufbau der Gefährdungstatbestände vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 370-382; Unerlaubte Handlungen, 345-347; JuS 1981, 317, 321-325; Larenz, Schuldrecht II, 700-701; Esser/Weyers, 639-648; RGRK / Steffen, Vor § 823, 19-24; Kötz, Deliktsrecht, 351-370. 140 Vgl. unten 2 § 3 D. 141 Köln JZ 1972, 408; BGH VersR 1976, 1090, 1091.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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I I I . Die Verwirklichung der Tiergefahr Die besondere Gefahr als Haftungsgrund findet i n den Tatbeständen der Gefährdungshaftung regelmäßig Ausdruck i n Formulierungen wie „ b e i m Betrieb" (§§ 11 HaftPflG, 7 1 StVG, 331 L u f t V G ) oder „durch", „beruhen a u f , „zurückgehen a u f 4 (§§ 2 I HaftPflG, 25 I 1, 26 I 1 A t o m G , 833 S. 1 B G B ) . Hinter den Worten „durch ein T i e r " steht daher nach überwiegender Ansicht das ungeschriebene Merkmal der Tiergefahr. Es genügt nicht, wenn irgendeine M i t w i r k u n g des Tieres zur Verletzung führt. Grundlage und Kern der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung ist die besondere Gefahr, die von Tieren ausgeht, 1 4 2 denn dieser N o r m liegt die Vorstellung zugrunde, daß Tierschäden besonders hoch und besonders häufig sind und sich trotz aller Sorgfalt oft nicht vermeiden lassen. Die besondere Gefährlichkeit von Tieren w i r d überwiegend i n ihrer Fähigkeit zu eigenständiger Bewegung und Kraftentfaltung gesehen, in ihren arteigenen instinktgeleiteten Verhaltensweisen, insbesondere dem Fehlen leitender
Ver-
nunft. 1 4 3 Diese Eigenschaften führen unter den Gegebenheiten der technischen Zivilisation zur gesteigerten Verletzungsträchtigkeit von Tieren. Das Merkmal der Tiergefahr erfüllt zwei Funktionen. Z u m einen fehlt es bei der Tierhalterhaftung i m Gegensatz zu anderen Gefährdungshaftungen an einer näheren Bestimmung der Gefahrenquelle, wonach der verletzungsträchtige Gegenstand zumeist nur i n bestimmter Hinsicht haftungsauslösend wirkt, z. B. „ b e i m B e t r i e b " . 1 4 4 Denn solche Wendungen betreffen nicht nur die Gefahrverwirklichung, sondern schon die Gefahrenquelle. So k o m m t etwa ein K f z , das sich nicht i n Betrieb befindet, schon als Gefahrenquelle nicht i n Betracht. 1 4 5 E i n Tier ist demgegenüber—je nach Sichtweise — entweder immer oder nie „ i n B e t r i e b " . 1 4 6 Die Überlegungen zu den Gefahrenquellen bei technischen Betriebsvorgängen können daher nicht ohne weiteres auf die Tiergefahr angewendet werden. Welche Mitwirkungen des Tieres an der Verletzung als haftungsrelevante Ursachen i n Betracht kommen, muß von Rspr. u. L i t . überhaupt erst geklärt werden. Zwar liegt es nahe, die Gefahrenquelle i m Tierverhalten zu sehen. Sie könnte jedoch auch auf jede tierische M i t w i r k u n g , also auf die bloße Existenz des Tieres ausgedehnt oder auf ganz bestimmte Verhaltensweisen eingeschränkt werden. 1 4 7 Die zweite Funktion der Tiergefahr w i r d durch die Begriffe Gefahrzurechnung oder Gefahrverwirklichung umschrieben. Es handelt sich u m das Problem der objektiven Zurechnung, wonach die Rechtsgutsverletzung gerade auf der Gefahr 142 Soergel / Zeuner, 5; AK-BGB / Kohl, 4; Erman / Schiemann, 4; Kreft, VersR 1983, KF, 153; Medicus, Schuldrecht II, 390; MünchKomm / Mertens, 13; Siegfried, 55. 143 Staud. / Schäfer, 3; RGRK/Kreft, 2; Bondzio, RdL 1972, 147. 144 Deutsch, JuS 1981, 317, 320; Esser/ Weyers, 640-641; Kötz, Deliktsrecht, 359362; Larenz, VersR 1963, 593, 598; RGRK / Steffen, Vor § 823, 18. 145 Greger, § 7 StVG, 30-31 u. 44. 146 Haase, JR 1977, 155, 156. 147 Vgl. unten 2 § 3 E II.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
beruhen muß, die v o m Tier ausgeht und nicht auf anderen Ursachen. Die Unterscheidung von Gefahrenquelle und Gefahrverwirklichung, die sich aus der Struktur der Gefährdungshaftung zwangsläufig ergibt, w i r d zwar grundsätzlich anerkannt, 1 4 8 jedoch in Rspr. u. Lit. nicht durchgehalten. Daher tritt der Zurechnungsoder Risikozusammenhang mitunter als eigenständiges Merkmal auf, zumeist w i r d er jedoch i m Rahmen der Tiergefahr „mitbehandelt", soweit es u m den sachlichen Schutzbereich g e h t . 1 4 9 Der persönliche Schutzbereich findet seine Ausprägung i n eigenständigen Kriterien, wie dem Handeln a. e. G. oder dem sozialen Z w a n g . 1 5 0
I V . Die haftungsbegründende objektive Zurechnung Das Verhältnis der Tiergefahr zu den allgemeinen Kriterien der objektiven Zurechnung, wie Kausalität, Adäquanz oder Risikozusammenhang w i r d in Rspr. u. Lit. nicht thematisiert. Unter dem Stichwort der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs w i r d die W i r k u n g von Zwischenursachen erörtert, während die Adäquanz überhaupt keine maßgebliche Rolle spielt. 1 5 1 Die Frage nach ihrer Berechtigung i m Bereich der Gefährdungshaftung w i r d in der Spezialliteratur nicht gestellt. Unter dem allgemeinen Kriterium des Zurechnungs- oder Risikozusammenhangs behandelt die Rspr. mitunter Fragen des sachlichen Schutzbereichs. Unter dem Oberbegriff des persönlichen Schutzbereichs werden von manchen Autoren und v o m B G H Überlegungen zusammengefaßt, die sich m i t dem Beitrag des Verletzten zum Verletzungserfolg befassen (Handeln a. e. G., sozialer Zwang) und daher auch unter den Gesichtspunkten der Mitverursachung oder des vertraglichen Haftungsausschlusses behandelt werden. 1 5 2
V . Der Tierhalter Die Tatbestände der Gefährdungshaftung umschreiben den Anspruchsgegner ganz unterschiedlich. I n Frage kommt der Eigentümer, der Inhaber, der Betriebsunternehmer oder der Halter (§§ 1 I, 2 I 1 HaftPflG, 7 I StVG, 33 I L u f t V G , 25 I, 26 I A t o m G , 22 I I W H G ) . Für das Tier verantwortlich ist derjenige, der das Tier hält, nicht einfach der Eigentümer. Es geht darum, wer das Tier in seinem Interesse nutzt und wer die bestimmende Herrschaft über seine Existenz und Verwendung ausübt. Diese Voraussetzungen ergeben sich unmittelbar aus den Grundgedanken der Gefährdungshaftung. Die Bestimmung des Halters ist alleres 149 150 151 152
BGH VersR Vgl. unten 2 Vgl. unten 4 Vgl. unten 2 Vgl. unten 4
1976, 1090, 1091. § 2 B I V 4. § 2 A I I 1. § 2 B I V 2-3. § 3 u. § 4.
§ 2 § 833 S. 1 BGB als Ausprägung der Gefährdungshaftung
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dings höchst umstritten, insbesondere wenn mehrere Personen nebeneinander als Inhaber der Nutzung oder der Entscheidungsgewalt i n Frage k o m m e n . 1 5 3
VI. Das haftungsausschließende Verhalten des Verletzten Der eigene Beitrag des Verletzten zur Verletzung w i r d in vielen gesetzlichen Regelungen in besonderer Weise haftungsbeschränkend berücksichtigt. Dies geschieht mit verschiedenen Erwägungen, wie etwa: — die Tätigkeit des Verletzten beim Betrieb der Gefahrenquelle (§ 8, 2. A l t . StVG), — die Eröffnung des Unabwendbarkeitsnachweises, inbesondere gegenüber dem Verhalten des Verletzten (§§ 1 I I 2 HaftPflG, 7 I I StVG), — der Mitverursachung durch den Verletzten ( § § 4 HaftPflG, 9, 17 I 1 StVG, 34 L u f t V G , 27 A t o m G , 254, 840 I I I B G B ) , — dem vertraglichen Haftungsausschluß gegenüber dem Verletzten (§ 26 I V Nr. 2 AtomG). Der Tatbestand des § 833 S. 1 B G B selbst enthält hierzu keine Regelungen. Dennoch w i r d der Beitrag des Verletzten von Rspr. u. Lit. auch i m Tierschadensrecht durch eine Reihe von Überlegungen berücksichtigt. 1 5 4 Z u m einen wurden innerhalb von § 833 S. 1 B G B selbst Kriterien entwickelt, die — i n Entsprechung zum sachlichen Schutzbereich — unter dem Oberbegriff des persönlichen Schutzbereiches zusammengefaßt werden und somit i n den Zusammenhang der Gefahrzurechnung gehören (persönlicher Schutzbereich, Handeln a. e. G.). Z u m anderen kommen auch allgemeine Rechtsinstitute i n Betracht, wie etwa § 254 I B G B , wobei aber die Sondervorschriften der §§ 840 I I I B G B , 17 I I S t V G zu beachten sind. Der Beitrag des Verletzten w i r d außerdem i m Zusammenhang m i t dem vertraglichen Haftungsausschluß erörtert.
VII. Die haftungsausschließenden Fremdrisiken Gefahrenlagen, die der Gesetzgeber als untypisch und von niemandem zu kontrollieren ansieht, werden in der Gefährdungshaftung häufig durch besondere negative Tatbestände von der Haftung ausgenommen. 1 5 5 Entscheidend ist, daß ein von außen kommendes Ereignis (Intervention) und nicht eigentlich die Gefahrenquelle sich i m Verletzungserfolg ausgewirkt h a t . 1 5 6 Diese eingreifenden Fremdursachen können innerhalb oder außerhalb menschlicher Verantwortung liegen. Unter dem Oberbegriff „höhere Gewalt" erfaßt man sowohl die W i r k u n g 153 154 155 156
Vgl. unten 3. Teil. Vgl. unten 4 § 1. RGRK/Steffen, Vor § 823,21; Esser/Weyers, 640; Deutsch, JuS 1981,317,324. RGRK / Steffen, Vor § 823, 22; Deutsch, Haftungsrecht, 376.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der l ierhalterhaftung
elementarer Naturkräfte, als auch außergewöhnliche Handlungen betriebsfremder Dritter, die von außen auf den Betrieb einwirken und nicht zu den typischen Risiken aus der Unterhaltung einer Gefahrenquelle gehören, also nicht oder nicht vollständig Ausfluß der normalen Gefahr sind. Der Schaden w i r d dann von Kausalfaktoren bestimmt, die nicht unter der Kontrolle des Verantwortlichen stehen. 1 5 7 Die vis major begrenzt auf diese Weise „ v o n außen" die Gefährdungshaftung und umschreibt den Bereich von Ursachen jenseits der Gefahrenquelle (§§ 1 I I 1, 2 I I I Nr. 3 HaftPflG). Eingriffe dritter Personen werden mitunter auch durch eigenständige Ausnahmevorschriften berücksichtigt, etwa wenn ein Dritter die Gefahrenquelle gesteuert hat, als sich die Gefahr verwirklichte (§ 7 I I I StVG). Die Tierhalterhaftung kennt solche besonders normierten Haftungsausnahmen für gefahrfremde Interventionen nicht. A u c h ihre Funktion w i r d daher durch die Gefahrzurechnung wahrgenommen, also i m wesentlichen beim M e r k m a l der Tiergefahr. § 833 S. 1 B G B gewinnt dadurch gewissermaßen exemplarischen Charakter für die Konzeption der Gefährdungshaftung überhaupt, da hier Rspr. u. Lit. ihre Vorstellungen von diesem Haftungsprinzip weitgehend ohne Vorgaben des Gesetzgebers verwirklichen können und müssen.
V I I I . Der Entlastungsbeweis nach § 833 S. 2 B G B Bei der Gefährdungshaftung kann es dem Verantwortlichen gestattet sein, sich durch den Nachweis zu entlasten, daß er jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§§ 1 I I 1, 2 I I I Nr. 3 HaftPflG, 7 I I StVG, 2 6 1 2 AtomG). Dies ist insbesondere bei der M i t w i r k u n g eines unabwendbaren Ereignisses vorgesehen. Darunter können sowohl das Verhalten des Verletzten oder Dritter fallen, wie auch ein Naturvorgang, nicht aber die Gefahrenquelle selber. 1 5 8 Unabwendbar kann auch die Verwirklichung einer typischen Betriebsgefahr sein, sofern ihr selbst m i t äußerster Sorgfalt nicht gesteuert werden konnte. Die Ausschlußwirkung des unabwendbaren Ereignisses reicht insofern weiter, als die der höheren Gewalt. Andererseits ist die Schwelle für das Unabwendbare höher und anders bemessen, als für das Unverschuldete, 1 5 9 so daß es nicht nur um die Umkehr der Beweislast nach dem V o r b i l d der Exkulpationshaftung geht. Das Abstellen auf Sorgfaltsanforderungen erinnert aber immerhin an die Verschuldenshaftung, so daß mitunter auch von „unreiner" Gefährdungshaftung die Rede i s t . 1 6 0 § 833 S. 2 B G B enthält eine vergleichbare Regelung, deren Verhältnis zu S. 1 indessen besonders problematisch i s t , 1 6 1 da es sich eben nicht nur um den Unabwendbarkeitsnachweis handelt, sondern um einen Exkulpationsbeweis, also ausdrücklich um einen Wechsel zur Verschuldenshaftung. 1 6 2 !57 158 159 160 161
Esser / Weyers, 641. Deutsch, JuS 1981, 317, 324; Greger, § 7 StVG, 389; Becker / Böhme, I A, 33. RGRK/Steffen, Vor § 823, 23; Greger, § 7 StVG, 382a. Stoll, VersR 1983, KF, 184, 187. Vgl. unten 1 § 3 A.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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I X . Die Schadensfolgen Nicht jeder von einem Tier verursachte Schaden w i r d auch ersetzt. Dabei geht es häufig um die Frage des Affektionsinteresses, wenn z. B. ein anderes Tier verletzt w u r d e . 1 6 3 Mitunter kann auch fraglich sein, ob ein Schaden noch auf die Rechtsgutsverletzung zurückgeht, bzw. ob sich i m Schaden noch die besondere Gefahr verwirklicht hat. Diese Fragen werden unabhängig von der Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Gefährdungshaftung nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen gelöst und bleiben hier außer Betracht. Die Übernahme der Haftung w i r d dem Verantwortlichen häufig dadurch erleichtert, daß er nur bis zu bestimmten Höchstsummen aus Gefährdung haftet ( § § 9 , 10 HaftPflG, 12 StVG, 37 L u f t V G , 31 I I AtomG). Die Kosten des Betriebsrisikos werden dadurch für ihn leichter kalkulierbar und gezielt versicherbar. 1 6 4 Nach dem Wortlaut des § 833 S. 1 B G B ist der Ersatzanspruch nicht i n dieser Weise auf einen Höchstbetrag begrenzt. Der Halter haftet daher auch ohne Verschulden in unbegrenzter Höhe. Der Umfang dieses Haftungsrisikos 1 6 5 legte für die Rspr. die Einführung gerade auch materieller Haftungsbeschränkungen besonders nahe. Wegen der systematischen Stellung des § 833 S. 1 B G B innerhalb des Deliktsrechts kann der durch ein Tier Verletzte zudem gem. § 847 B G B Schmerzensgeld verlangen. 1 6 6 Dies hat der B G H ausdrücklich bestätigt, obschon die Haftung hierdurch über den üblichen Umfang der Gefährdungshaftung erweitert wird.
§ 3 Die Problematik der Auslegungsgesichtspunkte ohne Zusammenhang mit der Ausgestaltung des § 833 S. 1 BGB als Gefährdungshaftung Mitunter werden von Rspr. u. Lit. i m Tierschadensrecht auch Überlegungen herangezogen, die sich letztlich nicht auf die Grundgedanken der Gefährdungshaftung zurückführen lassen. Stattdessen werden diese Auslegungsgesichtspunkte aus dem systematischen Zusammenhang von § 833 S. 1 u. S. 2 B G B , sowie aus der Geschichte des Tierschadensrechts gewonnen. Sie lassen sich indessen gegenüber der funktionalen Verankerung des § 833 S. 1 B G B i m Recht der Gefährdungshaftung als unmaßgeblich abweisen.
162 Vgl. unten 1 § 3 A I. 163 Z. B. Berg, JuS 1978, 672; AG Hamburg VersR 1988, 700; LG Gießen NJW 1987, 711. 164 RGRK/Steffen, Vor § 823, 15; Deutsch, JuS 1981, 317, 325. 165 Auch für den versicherten Halter bleibt damit z. B. eine Diskrepanz zwischen Haftung und Deckung möglich. 166 BGH VersR 1977, 864, 866; vgl. z. B. A G Kenzingen VersR 1987, 271; Schleswig NJW-RR 1990, 470, 471; Düsseldorf NJW-RR 1991, 605, 606.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
A. Die funktionale Irrelevanz der verschuldensabhängigen Haftungsausnahme des § 833 S. 2 BGB für die Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB Aus dem unklaren Verhältnis von § 833 S. 1 u. S. 2 B G B ergeben sich mitunter Zeifel daran, ob die Tierhalterhaftung i m ganzen überhaupt von den Grundgedanken der Gefährdungshaftung geprägt wird. Es läßt sich indessen zeigen, daß die Ausnahmevorschrift des S. 2 unabhängig von S. 1 allein nach den Grundsätzen der Verschuldenshaftung behandelt werden muß. Sie steht m i t den Merkmalen von S. 1 in keinem inneren Funktionszusammenhang und bleibt für deren Auslegung und damit auch für diese Untersuchung ganz außer Betracht.
I . Die Gefährdungshaftung nach Satz 1 und der Exkulpationsbeweis nach Satz 2 Handelt es sich bei dem schädigenden Tier u m ein Nutzhaustier, so steht nach § 833 S. 2 B G B dem Halter der Beweis offen, daß er entweder seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist oder daß die Rechtsgutsverletzung auch bei Beobachtung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Hierdurch w i r d dem Halter der Exkulpationsbeweis eröffnet, 1 6 7 wie er auch i n den §§ 831, 832 B G B vorgesehen ist. Dabei handelt es sich jeweils u m Fälle der Verschuldenshaftung, bei denen die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens umgekehrt wird. Die Kausalität von Handlung und Erfolg, sowie der Verstoß gegen Sorgfaltspflichten werden vermutet. Diese grundsätzliche Vermutung kann der Anspruchsgegner widerlegen. § 833 S. 1 und S. 2 B G B beruhen somit nach ihrem Wortlaut auf unterschiedlichen Haftungsprinzipien. S. 1 normiert eine Gefährdungshaftung, bei der es auf menschliches Handeln und auf Verschulden nicht ankommt. S. 2 stellt auf das schuldhafte Handeln des Halters a b , 1 6 8 denn Maßstab für die Exkulpation ist die Beachtung der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dieses unklare Verhältnis beider Vorschriften hat seinen Ursprung in der Entstehungsgeschichte des § 833 B G B . 1 6 9 Es w i r d aber gerade dadurch zum Prüfstein für die Normstruktur der Tierhalterhaftung und für die Relevanz des Fallmaterials, das zu S. 1 bzw. S. 2 vorliegt.
167 Palandt/Thomas, 14 u. 22; Planck / Greiff, 6; Soergel / Zeuner, 1; Staud./ Schäfer, 5. 168 RGRK / Kreft, 5; Soergel / Zeuner, 1; Staud. / Schäfer, 5. 169 Vgl. unten 1 § 3 B II.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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II. Literaturansichten zur Bedeutung von § 833 S. 2 BGB 1. Exkulpationshaftung mit unwiderlegbarer Vermutung Schlegelmilch schlägt vor, die Vorschrift des § 833 B G B i m ganzen als Fall der Verschuldenshaftung zu sehen. 1 7 0 M a n könne argumentieren, daß es sich bei der Haftung aus S. 1 ebenfalls um eine Haftung für vermutetes Verschulden handle, bei welcher der Entlastungsbeweis ausgeschlossen sei. Dies erkläre zwanglos auch die Anwendbarkeit des § 847 B G B . Die Auffassung von Schlegelm i l c h erscheint indessen dogmatisch schwer begründbar. Eine Haftung, bei welcher das Verschulden des Halters weder bewiesen werden muß, noch widerlegt werden kann, geht letztlich nicht von der konkreten Willensbestimmtheit menschlichen Verhaltens als Zurechnungsgrund aus. Es ist sinnlos, v o m Verschulden zu reden, wenn dieses grundsätzlich gar keine Rolle spielen kann. A u c h Tatbestände der Gefährdungshaftung, z. B. § 53 I I I L u f t V G , gewähren mitunter ein Schmerzensgeld, so daß allein die Anwendbarkeit von § 847 B G B nichts besagt.
2. Verschuldenshaftung im mittleren Gefahrenbereich Nach Berglar dürfen die Vorschriften in S. 1 und S. 2 nicht getrennt betrachtet werden. 1 7 1 Vielmehr sei darauf abzustellen, welche Haftungskonstruktion die Rechtsordung für einen bestimmten Gefahrtyp grundsätzlich vorsehe. Für vergleichsweise geringe Gefahren sei regelmäßig die Verschuldenshaftung, für sehr große Gefahren dagegen die Gefährdungshaftung gegeben. Die Exkulpationshaftung betreffe den mittleren Gefahrenbereich zwischen beiden Konstruktionen. 1 7 2 Ein Tier sei gefährlicher als ein Mensch, aber nicht so gefährlich wie ein K f z oder ein Atomkraftwerk. S. 1 und S. 2 seien als Teilregelungen einer einheitlich konzipierten Vorschrift anzusehen, die als Ganze diesen mittleren Gefahrenbereich betreffe. Bei § 833 B G B gehe es daher letztlich u m einen Fall der Verschuldenshaftung, bei der für Luxustiere die Entlastungsmöglichkeit ausgeschlossen sei. A u c h der Gedanke des mittleren Gefahrenbereichs wirkt indessen nicht überzeugend. I h m liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Zurechnungskriterien der haftungsrechtlichen Tatbestände immer enger werden, j e geringer die Verletzungsgefahr eingeschätzt wird, daß also die Größe der Verletzungswahrscheinlichkeit von der Verschuldenshaftung über die Exkulpationshaftung bis hin zur Gefährdungs- und Kausalhaftung stetig z u n i m m t . 1 7 3 M a n kann aber daran zweifeln, ob der Gefahrbegriff über den Bereich der Gefährdungshaftung hinaus 170 171 172 173
Geigei /Schlegelmilch, 1. Ähnlich auch Scheffen, NJW 1990, 2658, 2662. Berglar, 62. Berglar, 75. Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 77 u. 186-189; Rother, FS Michaelis, 250, 254-260.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
ierhalterhaftung
überhaupt von Belang sein k a n n , 1 7 4 ob z. B. vorsätzliches schuldhaftes Handeln die geringste oder umgekehrt gerade die größte Gefahr darstellt 1 7 5 und an welchem Maßstab eigentlich die Größe einer Gefahr zu bemessen ist. Gerade i n den Fällen der Beweislastumkehr, also auch bei der Exkulpationshaftung, liegt der Grund für diese Ausgestaltung zumeist nicht i n der A r t und Größe einer Gefahr, sondern i n den Beweisschwierigkeiten des Anspruchstellers für Umstände aus einer fremden Lebenssphäre. 1 7 6 Die Beurteilung des Verletzungspotentials einer Gefahrenquelle hängt zudem von vielen Umständen ab. Maßgeblich ist die Wahrscheinlichkeit des Verletzungseintritts i m Verhältnis zum Verletzungsumfang. Es liegt auf der Hand, daß ein Hundebiß regelmäßig nicht mit einem Flugzeugabsturz zu vergleichen ist. Dagegen muß ein außer Kontrolle geratenes K f z für Insassen oder Dritte nicht grundsätzlich gefährlicher sein, als ein durchgegangenes Pferd für Reiter und Passanten. Dem spezifischen Gefahrenpotential, das i n der tierischen Fähigkeit zu selbständigem Verhalten liegt, kann man durch den Vergleich m i t Maschinen überhaupt nur bedingt gerecht werden.
3. Satz 1 und Satz 2 als getrennte Anspruchsgrundlagen Häufig werden in § 833 S. 1 u. S. 2 B G B auch zwei getrennte Anspruchsgrundlagen gesehen, 1 7 7 wobei S. 1 eine Gefährdungshaftung für Luxustiere normiert und S. 2 eine Verschuldenshaftung für Nutzhaustiere. Diese Ansicht geht davon aus, daß S. 2 nicht nur eine Ausnahme von S. 1 regelt, sondern selbst implizit eine Anspruchsgrundlage bereitstellt. Die genaue Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen von S. 2 würde diese Meinung indessen vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Dies gilt insbesondere für die Haus- bzw. Luxustiereigenschaft und für die Tiergefahr. Denn die Annahme getrennter Anspruchsgrundlagen führt zwangsläufig dazu, daß S. 1 nur noch für Luxustiere gilt. Daraus folgt, daß sich die Anwendungsbereiche beider Vorschriften nicht überschneiden, denn es besteht Einigkeit darüber, daß die Haftung nach S. 1 in keinem Fall eingreift, wenn der Exkulpationsbeweis nach S. 2 gelingt. Daher müßte immer zuerst geprüft werden, ob für ein Nutztier oder für ein Luxustier gehaftet wird. Die Nutztiereigenschaft müßte selbst eine Voraussetzung des Anspruchs nach S. 2 sein, also v o m Verletzten dargelegt werden. Dies widerspricht aber schon dem Wortlaut der Vorschrift und der i n Rspr. und L i t . anerkannten Beweislast für die Voraussetzungen von S. 2 . 1 7 8 Umgekehrt müßte die Luxustiereigenschaft Voraussetzung
174 Prävention und Schadensabnahme als Kriterien bei Deutsch, Haftungsrecht, 77/78. 175 So Rother, FS Michaelis, 250, 254. 176 Baumgärtel, Handbuch, § 831, 12; Staud. / Schäfer, § 832, 4. 177 MünchKomm / Mertens, 2 u. vor 28; Staud. / Schäfer, § 834, 1; Erman/Schiemann, 1; Jauernig / Teichmann, 1; Wussow / Kuntz, 399; Baumgärtel, Handbuch, 1; Haase, JR 1973, 10; Siegfried, 2; Emmerich, BGB-Schuldrecht, 336; Brüggemeier, 932; Hofmann, Haftpflichtrecht, 3. Jetzt auch in der Rspr. Bamberg NJW-RR 1990, 735.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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von S. 1 sein, was von der Rspr. i n keinem Fall gepüft wird. Die Rechtsstellung des Verletzten würde in ungerechtfertigter Weise geschmälert, wenn er sich nur noch gegenüber Luxustieren auf S. 1 berufen könnte. Bei getrennten Anspruchsgrundlagen müßte auch erklärt werden, weshalb und mit welchem Inhalt das Merkmal der Tiergefahr bei Vorliegen der Nutztiereigenschaft geprüft wird. Denn dieses kann i m Rahmen eines Verschuldenstatbestandes nicht dieselbe Bedeutung haben, wie innerhalb der Gefährdungshaftung, deren Grundgedanken überhaupt erst seine Einführung bedingt haben. Selbst wenn die besondere Verletzungsträchtigkeit von Tieren auch ein M o t i v für die Haftung nach S. 2 wäre, so könnten doch die Gefahrenquelle und die Gefahrzurechnung als kennzeichnende Strukturkomponenten gerade der Gefährdungshaftung i n diesem Tatbestand nicht dieselbe Funktion haben, wie i n S. I . 1 7 9 Das Merkmal der Tiergefahr müßte deshalb in S. 1 u. S. 2 unterschiedlich ausgelegt werden, was in Rspr. u. Lit. indessen nicht geschieht. Demnach ist die Annahme getrennter Anspruchsgrundlagen nicht haltbar.
I I I . Gefährdungshaftung mit verschuldensabhängiger Haftungsausnahme 1. Grundsätzliche Gefährdungshaftung nach Satz 1 in der Rechtsprechung Ohne sich zum Verhältnis der Vorschriften ausdrücklich zu äußern, geht die Rspr. überwiegend einen anderen Weg. Sie entwickelt ihre Lösungen zunächst allein auf der Grundlage der Gefährdungshaftung, geht also stets von S. 1 aus, auch wenn es u m die Haftung für Nutztiere geht. Die Gerichte prüfen grundsätzlich bei allen Tieren das Merkmal der Tiergefahr. 1 8 0 W i r d die Nutztiereigenschaft bewiesen, scheitert aber der Exkulpationsbeweis, dann richtet sich die Haftung ausschließlich nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung, obschon S. 2 dann immerhin einschlägig i s t . 1 8 1 Wenn § 833 B G B überhaupt eingreift, dann haftet der Halter auch für Nutztiere aus Gefährdung, nicht wegen vermuteten Verschuldens. Die Gerichte behandeln S. 2 somit nicht als eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern als Ausnahmevorschrift zu S. 1. A u c h einige K o m m e n t a r e 1 8 2 betrachten S. 2 systematisch als eine unter mehreren Haftungsbegrenzung für die Gefährdungshaftung nach S. 1.
178 Staud. /Schäfer, 91; Baumgärtel, Handbuch, 6; A K - B G B / K o h l , 17; Soergel/ Zeuner, 50; RGRK / Kreft, 82; RG JW 1911, 45 Nr. 32; vgl. unten I I I 1. 179 Schünemann, JuS 1978, 376, 377 Fn. 21; unzutreffend insoweit Deutsch, NJW 1978, 1998. 180 BGH VersR 1983, 393; 1985, 665, 666; 1986, 1077, 1078 / 1079; München VersR 1987, 493; 1989, 861; vgl. auch Esser / Weyers, 596/597; Larenz, Schuldrecht II, 646. 181 BGH VersR 1953, 808; Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179; München, VersR 1989, 861. S. 2 als Anspruchsgrundlage jetzt in Bamberg NJW-RR 1990, 735. 182 A K - B G B / K o h l , vor 9 u. 12-15; Soergel/Zeuner, vor 21, 27-44 u. 50.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
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Das Vorgehen der Rspr. ergibt sich aus der Beweislastverteilung 1 8 3 i n § 833 B G B , die für S. 1 und S. 2 von den Gerichten einheitlich gehandhabt wird. Bei der Klage aus § 833 B G B muß der Verletzte und Kläger die i h m günstigen Umstände darlegen und beweisen. Dies sind jedenfalls Tiereigenschaft, Rechtsgutsverletzung, Kausalität, Halterschaft und Schaden. Strittig ist, inwieweit er die Verwirklichung der Tiergefahr beweisen muß. Einerseits w i r d behauptet, die Beweislast obliege dem Kläger, da es sich eben um eine Haftungsvoraussetzung handle, 1 8 4 andererseits w i r d darauf hingewiesen, daß die Tiergefahr überwiegend zur Ausscheidung von Fallgruppen aus der Halterhaftung dient, also den Halter begünstigt, sofern er sich auf eine solche Ausnahme beruft. 1 8 5 Strittig ist auch, ob der Kläger fehlendes Eigenverschulden bei der Erfüllung vertraglicher Sorgfaltspflichten auch i m Bezug auf seine eigene Verletzung beweisen m u ß 1 8 6 oder ob es dem Halter obliegt, sich zu seiner Verteidigung auf Haftungseinschränkungen zu berufen, die sich aus dem Verhalten des Verletzten ergeben, 1 8 7 etwa auf einen vertraglichen Haftungsausschluß, auf Selbstgefährdung des Verletzten oder auf Mitverursachung. Unstreitig ist aber, daß der Verletzte S. 2 von sich aus gar nicht zur Anwendung bringen kann. Nur der beklagte Halter kann sich zu seiner Verteidigung auf diese Regelung berufen und muß dann beweisen, daß es sich bei dem schädigenden Tier um ein Nutzhaustier handelt 1 8 8 und daß er seine Sorgfaltspflicht erfüllt hat. A m Halter allein liegt es, ob S. 2 i m Prozeß eine Rolle spielt. 2. Satz 2 als Ausnahmevorschrift zu Satz 1 Diese Behandlung der Beweislast, die sich aus dem Wortlaut von S. 2 ergibt, zeigt die innere Systematik von § 833 B G B auf. Die Rspr. verfährt ebenso wie 183 Zur Beweislastverteilung: AK-BGB / Kohl, 17; Palandt / Thomas, 21-22; Soergel / Zeuner, 48-50; MünchKomm / Mertens, 25 u. 44-49; RGRK / Kreft, 73 u. 82; Staud./ Schäfer, 88 u. 91; Baumgärtel, Handbuch, 1-18; VersR 1983, KF, 85-89; Honseil, MDR 1982, 798-802. 184 Honsell, MDR 1982, 798, 799; Soergel / Zeuner, 48; Palandt / Thomas, 21; AKB G B / K o h l , 17; Jauernig/Teichmann, 4a; Brüggemeier, 948; BGH VersR 1956, 127; Düsseldorf VersR 1970, 333, 334; 1981, 82, 83. iss Staud. / Schäfer, 30; MünchKomm / Mertens, 44; RGRK / Kreft, 73; Baumgärtel, Handbuch, 3; VersR 1983, KF, 85, 86; RG JW 1905, 392 Nr. 10; 1914, 36 Nr. 6; dieses Problem wird zum Teil erledigt, wenn man die hier im wesentlichen gemeinten Ausnahmefälle der menschlichen Leitung u. des physiologischen Zwangs nicht mehr anerkennt; vgl. unten 2 § 2 D I I 2 b. 186 BGH VersR 1972, 1047; RGZ 61, 54, 56; Düsseldorf, NJW 1976, 2137; AKBGB /Kohl, 17; weitere Nachweise bei Baumgärtel, VersR 1983, KF, 85, 87 Fn. 46; die Aufwertung des Selbstschutzes zur Vertragspflicht ist regelmäßig nicht gerechtfertigt; vgl. unten 4 § 4 B I 2 u. 3. 187 So die h. M.: MünchKomm / Mertens, 25; Staud. / Schäfer, 88; Soergel / Zeuner, 49; Baumgärtel, VersR 1983, KF, 85, 87; Knütel, NJW 1978, 297, 299; Honsell, MDR 1982, 798, 801. 188 Dies wird unproblematisch vorausgesetzt; vgl. die impliziten Aussagen z. B. in RG JW 1911, 45 Nr. 32; BGH VersR 1986, 345, 346; vgl. auch RGRK /Kreft, 82; Staud. / Schäfer, 91; Palandt / Thomas, 22.
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bei den §§ 7 I und I I S t V G 1 8 9 und behandelt S. 2 wie eine Ausnahmevorschrift, obwohl dogmatisch ein Wechsel zwischen Haftungsprinzipien vorliegt. Bei einer selbständigen Haftung für vermutetes Verschulden nach S. 2 obläge dem beklagten Halter nur der Exkulpationsbeweis, während die übrigen Voraussetzungen der Haftungsnorm, z. B. die Nutzhaustiereigenschaft, der verletzte Kläger darlegen müßte. Umgekehrt muß der Verletzte nicht beweisen, daß er gerade durch ein Luxustier verletzt wurde, wenn er sich auf die Gefährdungshaftung nach S. 1 berufen w i l l , denn diese gilt nach ihrem Wortlaut grundsätzlich für alle Tiere. Der Halter kann aber ausnahmsweise die Exkulpationshaftung für sich zur A n wendung bringen, indem er sämtliche Voraussetzungen von S. 2 beweist. Dies kann dogmatisch so erklärt werden, daß § 833 B G B dem Halter die W a h l eröffnet, wie er sich verteidigen w i l l . Er kann sich durch Berufung auf die NichtVerwirklichung der Tiergefahr oder die M i t w i r k u n g des Verletzten genauso von der Haftung befreien, wie durch Exkulpation. Er kann auch dann die Verwirklichung der Tiergefahr bestreiten, wenn ein Haustier den Schaden verursacht hat. Er kann es bei der Gefährdungshaftung belassen und sich auf deren Grenzen beziehen. Es liegt bei ihm, ob er sich zur Haustiereigenschaft überhaupt äußert. Er kann sich aber auf das Gebiet der Verschuldenshaftung begeben, indem der alle Voraussetzungen von S. 2 beweist. Dann beruft er sich nicht auf fehlende Gefährdung, sondern auf mangelndes Verschulden. S. 2 enthält eben keine eigene Anspruchsgrundlage, da der Verletzte selber sich gar nicht auf diese Vorschrift stützen kann. Es liegt allein beim Halter, sich die Wohltat der Entlastung i m Rahmen der Verschuldenshaftung zu verschaffen. Äußert sich der Beklagte nicht zum Sorgfaltserfordernis, dann haftet er für Tierschäden nur aus Gefährdung, nicht etwa aus S. 2 für eigenes Verschulden, für welches ihm der Entlastungsbeweis mißlungen i s t . 1 9 0 Die Einführung von Ausnahmeregelungen, die andere Maßstäbe setzen, als die Gefährdungshaftung selbst, ist umstritten, aber nicht ungewöhnlich. Dies zeigt sich etwa an § 7 1 u. I I S t V G als sogenannter „unreiner" Gefährdungshaftung, 1 9 1 wonach der Halter sich durch den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses entlasten kann. Die Sorgfaltsmaßstäbe bei der Exkulpation und beim Unabwendbarkeitsnachweis sind indessen unterschiedlich. Der strikte und typisierende Maßstab des unabwendbaren Ereignisses paßt noch eher i n den Rahmen der Gefährdungshaftung, als der individualisierende Fahrlässigkeitsmaßstab nach § 833 S. 2 B G B . § 7 I I S t V G wirft daher auch keine vergleichbaren dogmatischen Zweifelsfragen a u f . 1 9 2 Die Verwendung beider Haftungsprinzipien nebeneinander in unterschiedlicher Funktion zeigt sich i n ähnlicher Weise auch innerhalb von § 834 B G B , der zwar i m ganzen als Exkulpationshaftung g i l t , 1 9 3 dessen Verweisung auf § 833 189 190 191 192
Zum StVG vgl. Greger, § 7 StVG, 382 a u. 527-529. Ebenso für § 834 BGB Honsell, MDR 1980, 798, 801. Stoll, VersR 1983, KF, 184, 187; Greger, § 7 StVG, 1. Greger, § 7 StVG, 1 u. 382a.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der
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B G B aber ohne weiteres auch auf die Verwirklichung der Tiergefahr bezogen w i r d . 1 9 4 W i l l man i m Gegensatz zur gängigen Praxis das Verhältnis von § 834 S. 1 und S. 2 B G B nicht in entsprechender Weise erklären, 1 9 5 wie hier für § 833 B G B geschehen, dann muß man annehmen, daß zwar der Tierhüter stets aus vermutetem Verschulden haftet und sich durch Erbringen des Exkulpationsbeweises entlasten kann. Da er aber keinesfalls strenger haften soll, als gegebenenfalls der Halter haften würde, bilden die Grenzen der Gefährdungshaftung zugleich die äußersten Grenzen seiner Verschuldenshaftung. Die Verwirklichung der Tiergefahr erscheint dann als Kontrollüberlegung, deren Einzelheiten sich auch i m Rahmen von § 834 B G B allein nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung richten. Wenn danach § 833 S. 2 B G B trotz des materiellen Wechsels zum Verschuldensprinzip formal als haftungsbegrenzende Ausnahmeregelung verstanden wird, dann ergibt sich daraus auch, daß S. 2 sich auf die Normstruktur von § 833 S. 1 B G B als Fall der Gefährdungshaftung grundsätzlich nicht modifizierend auswirkt und insofern hier außer Betracht bleiben kann. Denn wenn die Halterhaftung durchgreift, dann stets nur als Gefährdungshaftung. Dies bedeutet, daß alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale und alle Einwendungen außerhalb von S. 2 allein unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung betrachtet werden können, denn diese gilt grundsätzlich für alle Tiere. Das Merkmal der Tiergefahr tritt nicht i n verschiedenen Funktionen innerhalb der Gefährdungshaftung und innerhalb der Verschuldenshaftung auf. Welche Überlegungen in den Fällen eine Rolle spielen, i n denen es dem Halter gelingt, die Haftung zunächst auf sein eigenes Verschulden zu beschränken und sich für dieses gleichzeitig zu entlasten, braucht daher nicht Gegenstand dieser Untersuchung zu sein.
B. Die begrenzte Bedeutung der historischen Überlieferung im Funktionszusammenhang der Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB Die besonderen Haftungsvorschriften für Tierschäden haben eine lange Tradition, die weit hinter die Entstehung der Gefährdungshaftung i n ihrer heutigen F o r m 1 9 6 und des § 833 S. 1 B G B zurückreicht. Vermittelt durch die historisch ausgerichtete Arbeitsweise der beiden Redaktionskommissionen und die langjährige Entscheidungspraxis des R G 1 9 7 zum gemeinen Recht, haben Überlegungen 193 Staud. / Schäfer, § 834, 1; Soergel / Zeuner, § 834, 1; MünchKomm / Mertens, § 834, 1. 194 Geprüft z. B. in Braunschweig VersR 1983, 347, 348; BGH VersR 1987, 198, 199 u. 200; vgl. Staud. / Schäfer, § 834, 14; § 833, 13 ff. 195 Honsell, MDR 1980, 798, 801 sieht § 834 S. 2 BGB genauso wie § 833 S. 2 BGB als Ausnahme zur Gefährdungshaftung. 196 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, 343; Benöhr, FS Käser, 689, 694-709.
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gerade aus der historisch überlieferten verschuldenslosen Haftung auch die bis heute grundlegenden frühen Entscheidungen der Rspr. zur Gefährdungshaftung nach § 833 B G B — insbesondere die Fallgruppen zur Tiergefahr — beeinflußt. I n der L i t . w i r d die ungeprüfte Übernahme „archaischer" Vorstellungen für eine Reihe von Ungereimtheiten in der Rspr. zur Tierhalterhaftung verantwortlich gemacht. 1 9 8 Wenn aber die dogmatische Ordnung des Tierschadensrechts angesichts der veränderten Bedeutung des Tieres als Gefahrenquelle innerhalb der technischen Zivilisation nunmehr allein aus der Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B nach dem Prinzip der Gefährdungshaftung gewonnen werden soll, dann besteht ein besonders Interesse daran, aus anderen Quellen überlieferte Gedanken als solche zu erkennen, u m sie dann i m geeigneten Zusammenhang auf ihre Bedeutung i m Funktionsgefüge der Gefährdungshaftung prüfen zu können.
I . Die Tradition der Haftung für Tierschäden 1. Altorientalisches und griechisches Recht Die frühesten Überlieferungen stammen aus den altorientalischen Keilschriftrechten. 1 9 9 Diese Texte sind (entgegen ihrer sprachwissenschaftlichen Bezeichnung) juristisch keine vollständigen Kodifikationen, 2 0 0 sondern Ergänzungen und Erläuterungen i m Einzelfall zu dem als bekannt vorausgesetzten geltenden Recht. Es werden Fälle behandelt, in denen stößige Rinder oder Ochsen andere Tiere oder Menschen verletzen oder töten, Rinder oder Schafe fremde Felder abweiden oder verwüsten und bissige Hunde Menschen verletzen oder töten. Rechtsfolge ist jeweils die Zahlung einer hohen Geldsumme durch den Eigentümer. Nach den Gesetzen von Esnunna, 2 0 1 dem Codex H a m m u r a b i 2 0 2 und den hethitischen Gesetzen 2 0 3 besteht für den Eigentümer der schädigenden Tiere eine abgeschwächte Erfolgshaftung. Die Einstandspflicht ist unabhängig v o m Verschulden, greift aber nur, wenn der Verantwortliche der Gefahr innerhalb seines Machtbereiches objektiv begegnen konnte, also nicht bei Zufall oder höherer G e w a l t . 2 0 4 Ähnliche Regelungen enthalten auch das mosaische, 2 0 5 altägyptische 2 0 6 und ptole197 RGZ 14, 316, 317; 20, 199, 200; 20, 205; 48, 259, 260. 198 Vgl. z.B. Deutsch, NJW 1976, 1137; 1978, 1998, 1999; JuS 1987, 673, 675; Schünemann, JuS 1978, 376, 377; Schlund, FS Schäfer, 223, 224; Staud. / Schäfer, 1; vgl. unten 2 § 2 A I u. II. 199 Haase, RIDA X I V , 11; JR 1973, 10. 200 Haase, RIDA X I V , 11, 39. 201 §§ 53-57; Übersetzungen der Keilschrifttexte bei Haase, RIDA X I V , 11, 54-60. 202 §§ 57-58, 250-252. 203 §§ 79, 86, 90 u. 107. 204 Haase, RIDA X I V , 11, 52; JR 1973, 10; Müller, 522. 205 Müller, 522; Haase, RIDA X I V , 11, 17, 23-24 u. 41; vgl. auch Haymann, ZRG RA 42, 357, 368 Fn. 7. 206 Müller, 522 m. w. N.; Haase, JR 1973, 10. 5 Lorenz
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mäische R e c h t . 2 0 7 I m griechischen Recht mußte nach einem Gesetz Solons der bissige Hund dem Geschädigten i m Halseisen ausgeliefert werden. 2 0 8 Diese Regelung soll das römische Zwölftafelgesetz beeinflußt haben. 2 0 9 Piaton hielt es für geboten, daß ein schuldiges Tier über die Grenze geschafft und dort getötet wurde. Dies deutet auf entsprechende Gepflogenheiten h i n . 2 1 0
2. Römisches Recht a) Die actio de pauperie Das römische Recht gewährte seit dem Zwölftafelgesetz eine besondere Klage wegen Tierschäden, 2 1 1 die actio de pauperie, deren ursprüngliche Textfassung nicht überliefert ist. Das Zwölftafelgesetz steht bereits am Ende der vermuteten Entwicklung der Tierschadenshaftung aus magischen Anfängen. 2 1 2 Danach war die Verletzung ursprünglich dem Tier selbst bzw. dem i m Tier wohnenden Dämon zugerechnet worden, woraus sich als Folge die Rache am Tier ergab. Die actio de pauperie erfordert kein Verschulden. 2 1 3 Sie beruht auf dem Grundsatz der Noxalhaftung, wonach der Gewalthaber über Sklaven und Tiere auch ohne eigenes Verschulden für deren Verhalten einzustehen h a t . 2 1 4 Denn bei Gewaltunterworfenen konnte der Verletzte nicht i m Wege der Strafklage gegen den Schädiger selbst vorgehen. Er hielt sich deshalb i m Wege der Noxalklage an den Gewalthaber. 2 1 5 Beklagter war der jeweilige Eigentümer zur Zeit der Streitbefestigung. 2 1 6 Z u ersetzen waren Sach- und Personenschäden. 217 Der Beklagte mußte den Schaden i n Geld ersetzen, als ob er ihn selbst herbeigeführt hätte. Er konnte aber auch das schädigende Tier dem Verletzten lebend übereignen 2 1 8 und damit den Schaden auf den Wert des Tieres begrenzen. Die Haftung galt zunächst nur für vierfüßige Tiere, wurde in der klassischen Zeit aber entsprechend auf alle Tiere angewend e t . 2 1 9 Die justinianischen Kompilatoren grenzten wilde Tiere, d. h. solche, denen 207 Müller, 522 f.; Taubenschlag, 567 ff. 208 Haase, JR 1973, 10; Müller, 523. 209 Haymann, ZRG RA 42, 357 Fn. 2; Müller, 523. 210 Haase, JR 1973, 10. 211 D. 9, 1. 212 Müller, 524-525; Lisowski, 657; Haymann, ZRG RA 42, 357, 366 ff.; Isay, JhJb 39, 209, 223 ff. 213 D. 9, 1, 1, 3; I. 4, 9 pr. 214 Müller, 522 u. 526; Lisowski, 659 ff. 215 I. 4, 8; D. 9, 4; zur Noxalklage Bekker, 183 ff.; Lisowski, 587 u. 605; Käser, 231. 216 D. 9, 1, 1, 12. 217 D. 9, 1, 2. 218 D. 9, 1, 1 pr.; D. 9, 1, 1, 14; Käser, 231; Dernburg, System, 829; Benöhr, FS Käser, 689, 691; Müller, 521; Lisowski, 658. 219 D. 9, 1, 4; Lisowski, 657; Müller, 524.
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Wildheit angeboren war, aus der Haftung aus. 2 2 0 Die Klage war auch dann gegeben, wenn ein Tier den Schaden nur mittelbar verursacht hatte, etwa indem es ein anderes reizte oder eine Sache, z. B. einen Wagen, i n Bewegung setzte. 2 2 1 Die Klage war nicht gegeben, wenn der Schaden letzlich auf menschliches Verschulden zurückging, z. B. weil ein Mauleseltreiber unachtsam gewesen war oder den Mauleselkarrren überladen hatte oder w e i l der Eigentümer seinen Hund nicht genügend festhielt. 2 2 2 Dann griff die Verschuldenshaftung der actio de lege A q u i l i a e i n . 2 2 3 Die Klage war auch dann nicht gegeben, wenn das Tier durch ein äußeres Ereignis gereizt worden war, etwa durch den Schlag eines Menschen oder durch sonstigen Schmerz 2 2 4 oder durch mechanische Zwangswirkung, etwa einen zurückrollenden W a g e n . 2 2 5 Das Tier muß den Schaden „wider seine Natur (contra naturam)" verursacht haben. 2 2 6 Dies gilt als Hinzufügung aus der justinianischen Z e i t , 2 2 7 während der weitere Zusatz „sui generis" überhaupt nicht quellenmäßig ist und der späteren Kommentarliteratur entstammt. 2 2 8 Die Bedeutung dieser Wendungen ist nicht völlig geklärt. Es wird angenommen, daß hier noch die Auffassung fortwirkte, Täter sei letztlich der Tierdämon. 2 2 9 Das Tier müsse sich entgegen seiner natürlichen Friedfertigkeit oder entgegen seinen natürlichen Trieben verhalten haben. 2 3 0 Besondere Bedeutung für die Auslegung des § 833 S. 1 B G B 2 3 1 hat aber immerhin die aus der pandektistischen Literatur übernommene Sichtweise des Reichsgerichts erlangt, wonach die actio de pauperie ein Quasiverschulden des Tieres voraussetzte, welches darin lag, daß für sein Verhalten kein genügender äußerer Anlaß bestand. 2 3 2 Nur das ungewöhnlich bösartige und tückische, durch die innere Motivation des Tieres veranlaßte und daher v o m normalen L a u f der Dinge abweichende Tierverhalten begründete danach die Haftung. 2 3 3 Aus alledem folgte für das RG, daß die actio de pauperie nur durchgriff, wenn das Verhalten des Tieres nicht durch menschliches Handeln und auch nicht durch einen sonstigen starken äußeren Anreiz hervorgerufen w u r d e . 2 3 4 Hierdurch sollte die Wendung 220 D. 9, 1, 1, 10; Haymann, ZRG RA 42, 357, 374. 221 D. 9, 1, 1, 8 u. D. 9, 1, 1, 9. 222 D. 9, 1, 1, 4 (Mauleseltreiber); D. 9, 2, 52, 2 (Mauleselwagen); D. 9, 1, 1, 5. (Hundeführer); Haymann, ZRG RA 42, 357, 358 ff. u. 378. 223 D. 9, 1, 1, 4. 224 D. 9, 1, 1, 6; D. 9, 1, 1, 7. 225 D. 9, 2, 52, 2. 226 D. 9, 1, 1, 7; I. 4, 9 pr. 227 Müller, 525; Haymann, ZRG RA 42, 357, 364 ff.; Isay, JhJb 39, 209, 224. 228 Eisele, JhJb 24, 480, 481; Hagelberg, 15; Müller, 525. 229 Müller, 524-525; Lisowski, 657; Haymann, ZRG RA 42, 357, 366 ff.; Isay, JhJb 39, 209, 223 ff.; RGZ 14, 316, 317. 230 Eisele, JhJb 24, 480, 498; Hagelberg, 15. 231 Vgl. unten 2 § 2 A I u. II. 232 RGZ 48, 259, 261. 233 Dernburg, Pandekten, § 133 S. 366; Brinz, 814; Vangerow, 597; Sintenis, 792. 5*
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
„contra naturam" m i t dem übrigen Inhalt der Digestenstelle i n Einklang gebracht werden. M i t der Wendung, daß die Haftung gerade bei „aufgereizter W i l d h e i t " des Tieres eingreifen s o l l , 2 3 5 ist diese Sichtweise aber dennoch schwer zu vereinbaren. b) Sonstige Klagen bei Tierschäden B e i m Tierverhalten „secundum naturam" hatte der Verletzte die Klage nach der „actio de pastu", wenn das V i e h fremde Früchte fraß oder ein fremdes Grundstück abweidete. 2 3 6 I m Unterschied zur actio de pauperie setzte sie schuldhaftes Handeln eines Menschen voraus, etwa die Unachtsamkeit des Hirten. Wenn der Schaden nachweislich auf menschliches Verhalten 2 3 7 zurückging war die Klage aus der lex A q u i l i a gegeben. Dies galt besonders bei physischem Zwang, etwa durch zu schweres Beladen von Tieren, sowie bei mitwirkendem Verschulden, etwa durch Reizen eines Hundes, oder auch bei nicht ordnungsgemäßer Bewachung gefährlicher Tiere. Die actio de pauperie war daneben ausgeschlossen. Zusätzlich zur actio de pauperie haftete derjenige, der ein gefährliches Tier an öffentlich zugänglichen Stellen hielt, wo es Menschen gefährlich werden konnte, nach dem ädilizischen E d i k t . 2 3 8 Er hatte als Buße bis zum Doppelten des angerichteten Schadens zu entrichten. Die Pandektisten hielten diese Regelung für nicht rezipiert.
3. Deutsches Recht A u c h i m germanischen und deutschen Recht galt ursprünglich das Tier selbst als Täter und war der handhaften Rache ausgesetzt. 239 Es gab Tierstrafen und Tierprozesse. V o n den Volksrechten, 2 4 0 coutumes, Rechtsbüchern, 2 4 1 Stadtrechten und Weistümern des Mittelalters bis hin zu den ersten landesherrlichen Gesetzen des Absolutismus vollzieht sich eine Entwicklung, die das römische Recht bereits m i t dem Zwölftafelgesetz abgeschlossen hatte. V o m Vorgehen gegen das Tier geht das Recht über zur Sachhaftung des Herrn für die Tiere, die sich i n seiner Machtsphäre befinden und für die er die Verantwortung trägt. Die Haftung setzt nur das Herrenverhältnis (munt) voraus. 2 4 2 A u c h dem deutschen 234 Lisowski, 657; Eisele, JhJb 24, 480, 498. 235 D. 9, 1, 1, 4; I. 4, 9 pr. 236 Müller, 523; Haymann, ZRG RA 42, 357 Fn. 1. 237 D. 9, 1, 5; D. 9, 2. 238 I. 4, 9, 1; Haase, JR 1973, 10, 11; Müller, 528; Motive II, 809; Hagelberg, 16. 239 Zur Tierschadenshaftung im deutschen Recht vgl. Mitteis / Lieberich, 136. 240 Zu den Quellen Isay, JhJb 39, 209, 257 ff.; Hagelberg, 7. 241 Z. B. Sachsenspiegel Landrecht I I 40. 242 Haase, JR 1973, 10, 11; Motive II, 809; Hagelberg, 7-12; Isay, JhJb 39, 209, 245 ff.; Sachsenspiegel Landrecht I I 40 §§1-2.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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Recht war die Möglichkeit bekannt, sich durch Preisgabe des Tieres von der persönlichen Haftung zu befreien. Umgekehrt konnte der Herr das Objekt durch eine Sühneleistung lösen. 2 4 3 Für bekanntermaßen bösartige Tiere bestand keine Haftung, wohl aber für wilde, obgleich gezähmte Tiere. Die Auswirkungen des deutschen Rechts auf § 833 B G B waren letztlich geringer, als die des gemeinen Rechts.
4. Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts Die Kodifikationen und Gesetzentwürfe, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts i m deutschsprachigen Raum Bedeutung erlangten, haben unterschiedliche Regelungstypen v e r w i r k l i c h t . 2 4 4 Der französische Code civile (1804), das Badische Landrecht (1810) und das Sächsische B G B (1865), 2 4 5 ließen den Eigentümer ohne Rücksicht auf sein Verschulden haften. Nach dem Code und dem Bad. LandR haftete außerdem, wer sich des Tieres bediente. Nach Bad. Landrecht und Sächs. B G B konnte sich der Haftende durch Hingabe des Tieres befreien, nach dem Sächs. B G B aber nur, wenn es sich nicht u m ein der Gattung nach wildes Tier handelte und nachweislich kein Verschulden bei der Beaufsichtigung vorlag. Der Code ließ eine Berufung auf höhere Gewalt zu, um sich von der Haftung zu befreien. Diese Möglichkeit wurde v o m R G aber sehr eng gefaßt. 2 4 6 Nach dem Bayerischen Entwurf (1861), dem Dresdner Entwurf (1866) und dem Schweizerischen Obligationsrecht (1883), 2 4 7 haftete derjenige, der nicht beweisen konnte, daß er das Tier gehörig verwahrt oder beaufsichtigt hatte. Es gab also die Möglichkeit der Exkulpation. Diese entfiel nach dem Bay. Entwurf bei reißenden Tieren. Das Preuß. A L R (1794), das österreichische A B G B (1811) und der Hessische Entwurf (1853), 2 4 8 kannten eine Haftung grundsätzlich nur bei nachgewiesener Schuld. Nach dem Hess. Entwurf bestand aber bei reißenden Tieren eine unbedingte Haftung, ebenso nach dem Preuß. A L R für Tiere, die ohne Erlaubnis gehalten wurden oder deren Haltung i m städtischen Haushalt unüblich w a r . 2 4 9
243 Haase, JR 1973, 10, 11. 244 Texte vgl. Goslich, Gruch. Beitr. 47, 1 ff., Fn. 4-5 u. 7-12; Hagelberg, 18-26; Isay, JhJb 39, 209, 289 Fn. 2-3; 290 Fn. 1-4, 291-292. 245 Art. 1385 C. c. fr.; Satz 1385, 1385 a Bad. LandR; §§ 1560, 1561 Sächs. BGB (vgl. Motive II, 810. Diese Regelung könnte auch als Exkulpationshaftung gesehen werden; vgl. Isay, JhJb 39, 209, 289/290). 246 RGZ 14, 316, 319. 247 Art. 948 Bayr. Entw.; Art. 1025 Dresdn. Entw.; Art. 65 OR. 248 Preuß. ALR I 6 §§ 70-78; § 1320 ABGB; Art. 670 Hess. Entw. 249 Motive II, 810; Isay, JhJb 39, 209, 289 ff.; Haase, JR 1973, 10, 11.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
II. Die Entstehung des § 833 BGB als Gefährdungshaftung I n bewußter Anknüpfung an die historischen Sonderbestimmungen der Tierschadenshaftung ist i m B G B die Vorschrift des § 833 geschaffen worden. Dessen Entstehung und seine Ausgestaltung als Gefährdungshaftung war jedoch von Konzeptlosigkeit und Zufällen gekennzeichnet. 2 5 0
1. Die Entwürfe zur ursprünglichen Fassung von 1900 Nach dem 1. E n t w u r f 2 5 1 sollte der Tierhalter gem. § 734 E I nur für erwiesenes Verschulden haften, soweit er nicht diejenigen Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, die der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters entsprachen. M a n sah sich der aquilischen Haftung des römischen Rechts verpflichtet und wollte nicht ohne zwingenden Grund mit einer Haftung ohne Verschulden den Boden des Deliktssystems verlassen und eine „ i n das Rechtssystem sich schwer einfügende gesetzliche Obligation schaffen". 2 5 2 M a n sah auch keine Veranlassung, von den allgemeinen Beweislastregeln abzuweichen. Beides geschah aber dann i n § 756 E I I , 2 5 3 der für Haustiere eine Entlastungsmöglichkeit des Halters vorsah, ihn für alle übrigen Tiere aber ohne Verschulden haften ließ, also weitgehend der Fassung des heutigen § 833 B G B entsprach (mit Ausnahme der Nutztiereigenschaft). A u c h in anderen Vorschriften des Haftungsrechts hatte der E I I Regelungen mit Exkulpationshaftung gebracht. 2 5 4 Dies geschah m i t der Begründung, wer ein Tier halte, setze i n seinem Interesse die Mitmenschen der Gefahr aus, die von dem Tier ausgehe. Die Rechtsordnung müsse Schutz gegen Beschädigungen gewähren, die aus der Tierhaltung zu befürchten seien. Der Unternehmer müsse m i t ordnungsgemäßer Sorgfalt die zur Schadensabwendung erforderlichen Vorkehrungen treffen. U m den Beschädigten nicht schon an der Beweislast scheitern zu lassen, müsse diese dem Halter auferlegt werden. Die bloße Verpflichtung zur Sorgfalt erschien den Verfassern dieses Entwurfs zum Schutz des Verkehrs dann nicht ausreichend, wenn es u m Nichthaustiere ging. Denn m i t dem Halten wilder und gefährlicher Tiere seien besondere Gefahren verbunden und die hieraus entstehenden Schäden müßten aus dem Unternehmen gedeckt werden, ohne Rücksicht darauf, ob dem Unterneh-
250 Zu den Gesetzgebungsmaterialien vgl. die Zusammenstellungen bei Planck/ Greiff, vor 1 und Staud. / Schäfer, Vor 1. Zur Entstehungsgeschichte: BGH VersR 1976, 1090, 1091; Deutsch, NJW 1976, 1137; 1978, 1998, 1999; JuS 1987, 673; Enneccerus/ Lehmann, 1014/ 1015; Schlund, FS Schäfer, 223, 224. 251 Litten, Ersatzpflicht, 11; Goslich, Gruch. Beitr. 47, 1, 4; Hagelberg, 29; Isay, JhJb 39, 209, 301. 252 Motive II, 811. 253 Litten, Ersatzpflicht, 11; Goslich, Gruch. Beitr. 47, 1, 4; Hagelberg, 30; Isay, JhJb 39, 209, 303. 254 Benöhr, FS Käser, 689, 711.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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mer ein Verschulden zur Last falle. Den Gefahren solcher Unternehmungen lasse sich allein mit der i m Verkehr üblichen Sorgfalt nicht vorbeugen. Anders als bei Haustieren habe sich der Verkehr auf die Haltung solcher Tiere nicht eingerichtet.255 Gleichlautend m i t § 756 E I I (Regierungsvorlage) sind § 818 revidierter E I I (Bundesratsvorlage) und § 817 E I I I (Reichstagsvorläge). M i t Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit, welche eine besonders strenge Haftung für Tiere erfordere, führte die Reichstagskommission schließlich eine unbedingte verschuldensunabhängige Haftung für alle Tiere ein und stützte sich dabei auch auf die guten Erfahrungen damit i m französischen Recht. Diese Fassung wurde als § 833 B G B auch zunächst Gesetz. 2 5 6 E i n weiterer Änderungsantrag i m Sinne von § 756 E I I scheiterte i n der 3. Lesung aus formellen Gründen. Die bereits erfolgte Abstimmung mußte wiederholt werden, da der Änderungsantrag nicht i n gedruckter Form vorgelegen hatte. Der Antrag fand dann keine Mehrheit m e h r . 2 5 7
2. Die Einführung von Satz 2 durch die Novelle im Jahr 1908 I n den ersten Jahren nach Inkrafttreten des B G B hatten die Interessenvertreter der Landwirtschaft die Auswirkungen des § 833 B G B als ruinös dargestellt. Die Versicherungsprämien wurden als unzumutbare Belastung beklagt. Die Regelung treffe auf die Dauer gerade die mittleren und kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, die auf das Halten von Tieren wirtschaftlich angewiesen seien. Dem war von Befürwortern der Regelung entgegengehalten worden, daß es noch ungerechter sei, den Verletzten mit den Schadensfolgen oder den Prämien einer Unfallversicherung zu belasten. Entgegen der Empfehlung des 28. Deutschen Juristentages von 1 9 0 6 2 5 8 wurde m i t dem Nachtragsgesetz v o m 30.5.1908, i n Kraft getreten am 20.6.1908, als Satz 2 des § 833 B G B für Nutztiere die Exkulpationsmöglichkeit des Halters vorgesehen. 2 5 9 Der Gesetzentwurf hatte schon einmal 1906 dem Reichstag vorgelegen, seine Behandlung war aber verschoben worden, u m die Stellungnahme des Juristentags auszuwerten.
255 Protokolle II, 647; Goslich, Gruch. Beitr. 47, 1, 5. 256 Benöhr, FS Käser, 689, 711; Haase JR 1973, 10, 11; Schlund, FS Schäfer, 223, 224; Staud. / Schäfer, 2; Litten, Ersatzpflicht, 12; Hagelberg, 31-33; Isay, JhJb 39, 209, 303-304; Goslich, Gruch. Beitr. 47, 1, 5-6; Protokolle II, 647-648. 257 Marwitz, 28. DJT 2, 86, 89; Hagelberg, 32-33. 258 Marwitz, 28. DJT 2, 86-114 und Traeger, 28. DJT 2, 116-160 sowie das Referat von Enneccerus mit anschließender Diskussion, 28. DJT 3, 71-133 und 620-659. 259 RGBl 313; Staud. / Schäfer, 2; Schlund, FS Schäfer, 223, 224; Planck / Greiff, 1; Haase JZ 1973, 10, 11; Benöhr, FS Käser, 689, 712; Deutsch, NJW 1978, 1998, 1999.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
III. Der Bedeutungswandel der Tierhalterhaftung in faktischer und dogmatischer Hinsicht 1. Bedeutungswandel der Tierhaltung zwischen Agrargesellschaft und technischer Zivilisation A u c h wenn manche Rechtsfragen der Haftung für Tierschäden und deren Begrenzung eine beachtliche historische Konstanz bewiesen haben, so hat sich die Bedeutung der Tierhalterhaftung i m Gesamtzusammenhang des Rechts doch erheblich gewandelt. Die überlieferten Regelungen sind auf die sozialen Verhältnisse innerhalb von Agrargesellschaften zugeschnitten, in denen das Zusammenleben von Mensch und Tier unabdingbar notwendig w a r . 2 6 0 Das Tier diente als Hilfsmittel für Arbeitsleistung und Fortbewegung, war Nahrungsquelle und zählte zu den Hausgenossen des Menschen. Der Kontakt von Mensch und Tier war von daher besonders eng und unvermeidlich. Diese Situation hat sich seit dem Heraufkommen der technischen Zivilisation m i t zunehmender Geschwindigkeit verändert. 2 6 1 Wesentliche Aufgaben des Tieres sind von Maschinen übernommen worden. Gerade Nutztiere werden überwiegend an Orten gehalten, die sich kaum mehr mit dem Wohn- und Lebensbereich der Bevölkerungsmehrheit berühren. V o n einer notwendigen Lebensgemeinschaft von Mensch und Tier kann keine Rede mehr sein. Die heutige Haftung für das Tier als Quelle außergewöhnlicher Gefahr kann daher nicht ohne weiteres als Schutzgarantie aufgrund zwangsläufiger tatsächlicher Nähe zu Tieren aufgefaßt werden. 2 6 2 Der Tierschadensfall ist heute oft ein Verkehrs- oder ein Sportunfall unter Beteiligung von T i e r e n . 2 6 3 Die besondere Gefährlichkeit von Tieren beruht demnach heute weniger auf dem Kontakt zum Tier als tägliche notwendige Realität, sondern auf der Existenz von Tieren innerhalb einer technischen Zivilisation, i n der sie gerade aufgrund ihrer Tiereigenschaft zum „Fremdkörper" geworden sind. Die technische Zivilisation funktioniert i m Zusammenwirken des vernünftigen Menschen m i t streng regelabhängigen Maschinen. Das Tier ist weder Mensch noch Maschine. Soweit es aufgrund seiner eigenständigen Aktionsfähigkeit i n die Zusammenhänge der technischen Zivilisation von sich aus eingreift, etwa indem es sich i m Straßenverkehr bewegt, sind die Folgen für Mensch und Tier zumeist gravierend. Gerade beim Aufenthalt i m Straßenverkehr kann die v o m Tier allein ausgehende Gefahr aufgrund seines Zusammenwirkens m i t den äußeren Gegebenheiten der technischen Zivilisation noch weiter erhöht werden. 2 6 4 A u c h soweit der Mensch den Kontakt mit dem Tier von sich aus herstellt, etwa beim Reitsport, ist das Tier 260 Bondzio, RdL 1972, 147; Haase, RIDA X I V , 11. 261 Bondzio, RdL 1972, 147; Kreft, VersR 1983, KF, 153; RGRK / Kreft, 6; MünchKomm/Mertens, 1; Schräder, NJW 1975, 676; Siegfried, 3. 262 Dies ist auch kein Grundgedanke der Gefährdungshaftung; vgl. oben 1 § 2 B I 1 u. 3. 263 Schäfer, Vor § 823, 73-79; Dunz, JZ 1987, 63. 264 Vgl. unten 2 § 4 B I I I 2 u. 4 § 2 E II.
§ 3 Auslegungsgesichtspunkte außerhalb der Gefährdungshaftung
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ein unabsehbarer Risikofaktor. Denn die gegenseitige Gewöhnung infolge des Zusammenlebens von Mensch und Tier besteht nicht mehr. Der stundenweise Kontakt m i t dem Tier reicht idR nicht aus, um das Tierverhalten vertraut, vorhersehbar und beherrschbar zu machen. Die Seltenheit des Kontaktes m i t Tieren, macht diesen u m so gefährlicher, wenn er dann stattfindet. Die Gefährdungshaftung für Tiere gewährt Ausgleich für den Bestand einer Risikoquelle, auf welche die technische Zivilisation letztlich nicht eingerichtet ist.
2. Die Bestätigung des Bedeutungswandels im Fallmaterial zu § 833 BGB Eine große Anzahl grundlegender Entscheidungen zur Halterhaftung stammt aus der Zeit zwischen 1902 und 1908, als für alle Tiere ohne Exkulpationsmöglichkeit gehaftet wurde. I n dieser Anfangsphase hat das R G i n Anlehnung an die actio de pauperie die Grundlagen zur Dogmatik der verschuldensunabhängigen Tierhalterhaftung gelegt. A u c h die Literatur hat sich unmittelbar i m Anschluß an die Schaffung der N o r m und nochmals i m Zusammenhang m i t der Reform von 1908 den Besonderheiten dieser verschuldensunabhängigen Haftung eingehend gewidmet. 2 6 5 Anzahl und Inhalt der seit 1908 ergangenen Entscheidungen zeigen, daß die Bedeutung der Haltung von Luxustieren zunächst stark zurückgegangen ist und erst seit Beginn der 70er Jahre eine Wiedergeburt erlebt hat. M i t wachsendem Wohlstand hat sich die Luxustierhaltung stark ausgedehnt. Dies ist besonders auf den immer weiter verbreiteten Reitsport zurückzuführen und auch auf die Haltung von Rassehunden. 2 66 Reitunfälle mit Verletzungen des Reiters selbst sind heute der „klassische" Haftungsfall geworden. Die Bedeutung der Nutztierhaltung ging dagegen stetig weiter zurück, da insbesondere die Rolle der Zug- und Lasttiere seit Anfang des 20. Jh. durch das A u t o m o b i l und die Industrialisierung der Landwirtschaft entscheidend abnahm. 2 6 7 Dieser Rückgang verlief bis in die 50er Jahre langsam, seitdem allerdings mit großer Geschwindigkeit. Eine gewisse Bedeutung haben heute noch die Schadensfälle durch ausgebrochene Weidetiere.
3. Der dogmatische Wandel von der verschuldenslosen Haftung zur Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB Die Geschichte der Tierschadenshaftung hat eine Reihe rechtlicher Überlegungen hervorgebracht. Die Einstandspflicht war oft, aber doch nicht i n allen Fällen und zu allen Zeiten, unabhängig v o m menschlichen Verschulden. Sie erfaßte 265 Vgl. Planck /Greiff, Vor 1; Enneccerus / Lehmann, 1014, Fn.**. 266 Herrmann, JR 1980, 489; Schräder, NJW 1975, 676; Dunz, JZ 1987, 63; MünchKomm / Mertens, 1. 267 MünchKomm / Mertens, 1; Bondzio, RdL 1972, 147.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
regelmäßig nicht jedes Tierverhalten, sondern nur besonders gefährliches, bestimmte die besondere Gefährlichkeit jedoch unterschiedlich. So wurden Haustiere zum T e i l als typischerweise weniger gefährlich angesehen, als Wildtiere. Das Verhalten „contra naturam" kennzeichnete i m gemeinen Recht gerade das „wildgewordene" Tier, das als besonders gefährlich galt. M a n schloß die Haftung häufig aus, wenn nicht allein das Tier, sondern letztlich ein Mensch den Schaden verursacht hatte. A u c h bei Schäden infolge anderer, von außen kommender Einwirkungen wurde für das Tier oft nicht gehaftet. M a n begrenzte schließlich die Höhe der Haftung mitunter auf das Tier selber, sei es auf dessen Wert, sei es auf die Hingabe von dessen Sachsubstanz. Die Rspr. zu § 833 S. 1 B G B ist teilweise — schon wegen fehlender Anhaltspunkte i m Gesetz — zu vergleichbaren Unterscheidungen gelangt, wie die historische Tierschadenshaftung. 268 Dabei hat sie nicht immer m i t der notwendigen Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß die Begründungen hierfür innerhalb von § 833 S. 1 B G B zumindest jeweils neu durchdacht werden mußten. Denn diese Vorschrift ist auch i n der Rspr. von Anfang an vor dem dogmatischen Hintergrund der Gefährdungshaftung verstanden worden, d. h. als Haftung für ein bestimmtes Risiko, welches nicht der Verletzte tragen sollte, sondern der Gefahrverantwortliche. 2 6 9 Der Inhalt dieses Risikos wurde mitbestimmt von den Gegebenheiten der technischen Zivilisation. Die überlieferten Unterscheidungen — etwa der Haftungsausschluß bei äußerer Einwirkung oder menschlicher Leitung — müssen sich nunmehr gerade i m gewandelten dogmatischen Funktionszusammenhang der Gefährdungshaftung als brauchbar erweisen. Für das Verständnis der Tierhalterhaftung sind daher auch beim Aufgreifen überlieferten Gedankengutes letztlich allein die Grundgedanken der Gefährdungshaftung entscheidend.
§ 4 Die Normstruktur des § 833 S. 1 BGB als Auslegungshintergrund für die Verteilung des Verletzungsrisikos A. Die Normstruktur als funktionaler Zusammenhang der Grundgedanken der Tierhalterhaftung Demnach kommen allein die Grundgedanken 2 7 0 der Gefährdungshaftung und ihre Ausprägung i m Tatbestand des § 833 S. 1 B G B als Grundlagen der Dogmatik des Tierschadensrechts i n Betracht. A u c h aus der inneren Systematik und der Geschichte der Vorschrift können sich keine abweichenden Gesichtspunkte ergeben. Diese maßgeblichen Grundgedanken der Tierhalterhaftung als Gefährdungs268 Vgl. unten 2 § 1 A. 269 Vgl. unten 2 § 1 A. 270 Vgl. oben 1 § 2 B I u. C.
§ 4 Die Normstruktur als Auslegungshintergrund
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haftung stehen indessen nicht einfach unverbunden nebeneinander, sondern weisen einen charakteristischen funktionalen Zusammenhang auf, der für die Auslegung jedes einzelnen Tatbestandsmerkmals grundlegend ist und daher als die Normstruktur der Tierhalterhaftung bezeichnet werden kann. Sie umfaßt die Zuordnung des Verletzungserfolges zur Gefahrenquelle (Gefahrzurechnung) und der Gefahrenquelle zum haftenden Halter (Gefahrverantwortung). Der Halter haftet nur, wenn die M i t w i r k u n g des Tieres an der Verletzung sich auch unter Berücksichtigung aller übrigen mitwirkenden Faktoren noch als haftungsrechtlich relevant erweist und seine Einstandspflicht rechtfertigt. Dies führt zunächst zur Zweiteilung der an einem Geschehen möglicherweise mitwirkenden Faktoren i n die zur Gefahrenquelle gehörenden einerseits und alle übrigen andererseits. Denn bei der Gefährdungshaftung kommt nicht schon aus der Natur der Sache bestimmten Verletzungsursachen besondere Bedeutung zu, wie etwa den menschlichen Handlungen bei der Verschuldenshaftung. Daher muß der Kreis der Verletzungsursachen, die überhaupt unter die Gefahrverantwortung des Halters fallen können, als Gefahrenquelle erst ausdrücklich festgestellt werden. Dieser stehen alle sonstigen mitwirkenden Umstände gegenüber, die sich unter dem Gesichtspunkt der materiellen und prozessualen Durchsetzung des Haftungsanspruchs nochmals zweiteilen lassen. Da der Verletzte selbst am Prozeß beteiligt ist, kann seine M i t w i r k u n g in gleicher Weise Gegenstand detaillierter haftungsrechtlicher Überlegungen sein, wie die des Halters, während andere Beiträge nur in pauschaler Weise den Beitrag einer Prozeßpartei irrelevant machen können oder auch nicht. A u f diese unterschiedlichen Vergleichspunkte für die Relevanz der Gefahrenquelle kann bei der Gefahrzurechnung auch die verbreitete Unterscheidung von persönlichem und sachlichem Schutzbereich zurückgeführt werden, wobei die Gefahrzurechnung i m Verhältnis zu Fremdbeiträgen als Gefahrabgrenzung und zu Verletztenbeiträgen
als Gefahrabwägung
bezeichnet
werden
könnte. 2 7 1 Verletzungsbeiträge können demnach zuzuordnen sein: — dem Halter, insbesondere der v o m Gesetz umschriebenen Gefahrenquelle (Halterbeiträge), — dem Inhaber des verletzten Rechtsguts (Verletztenbeiträge) oder — keinem von beiden, also entweder dritten Personen oder gar keiner Person bzw. Haftungsmasse (Fremdbeiträge).
27i Diese Bezeichnungen werden zur besseren Differenzierung eingeführt, um auf die entsprechenden Überlegungen der Strukturebene Bezug nehmen zu können, ohne sie jeweils im einzelnen zu wiederholen.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
B. Die Komponenten der Normstruktur und ihre Ausprägung im Tatbestand des § 833 S. 1 BGB Entsprechend den Komponenten dieser Struktur erfolgt die Zuordnung der Rechtsgutsverletzung zum Tierhalter in mehreren Schritten, denen sich dann alle geschriebenen und ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale zuordnen lassen. Diese Strukturkomponenten sind die Gefahrenquelle, die Gefahrverantwortung und die Gefahrzurechnung als wertende Zuordnung i m Vergleich m i t Fremdbeiträgen (Gefahrabgrenzung) und Verletztenbeiträgen (Gefahrabwägung).
Fremdbeiträge X Gefahrabgrenzung Gefahrverantwortung Gefahrzurechnung + X X > X Rechtsgutsverletzung Halter Gefahrenquelle Gefahrabwägung X Verletztenbeiträge Schema Nr. 4
§ 4 Die Normstruktur als Auslegungshintergrund
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I. Gefahrenquelle Zunächst muß die Gefahrenquelle bestimmt werden, also derjenige Kreis möglicher Verletzungsursachen, für welche die Tierhalterhaftung überhaupt i n Frage kommen soll. D e m entspricht das Merkmal der Tiereigenschaft (Tierdefinition). A u c h die Tiergefahr ist eine Ausprägung dieser Strukturkomponente, sofern es zunächst u m die nähere Umschreibung „der Tiereigenschaft" durch einzelne Eigenschaften geht, z. B. als lebender Organismus, bewegungsfähiger Organismus, körperliche Masse oder aktives Tierverhalten. 2 7 2
II. Gefahrabgrenzung Die Gefahrabgrenzung ist der erste von zwei Aspekten der Gefahrzurechnung, bei der es um die Zuordnung der Verletzung gerade zur Gefahrenquelle geht. Dabei w i r d die haftungsrechtliche Relevanz der Gefahrenquelle in Bezug gesetzt zur Erfolgswirksamkeit von Fremdbeiträgen, 2 7 3 die entweder einem Dritten oder gar keiner bestimmten Person zugeordnet werden. A u f die Risikoverteilung zwischen den streitenden Parteien können sich diese Beiträge nur dann auswirken, wenn der Gefahrenquelle ihnen gegenüber gar keine maßgebliche Bedeutung mehr zukommt. Sie müssen daher nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip behandelt werden, d. h. sie können die Halterhaftung entweder ausschließen oder fortbestehen lassen. Ausprägungen dieser Strukturkomponente sind die Kriterien der objektiven Zurechnung (unterbrochene Kausalität, Risikozusammenhang), soweit sie als eigenständige Merkmale auf Fremdbeiträge bezogen werden und insbesondere die Tiergefahr selbst, soweit es dabei um die „Gefahrverwirklichung" g e h t . 2 7 4 Dieser Zurechnungsaspekt der Tiergefahr w i r d auch als sachlicher Schutzbereich bezeichnet. Die Tiergefahr ist demnach ein komplexes Merkmal, das zwei Funktionen erfüllt. I n Rspr. und L i t . werden die Ausdrücke Tiergefahr, Risikozusammenhang oder Gefahrverwirklichung zwar synonym gebraucht. Es empfiehlt sich aber, i m Interesse der terminologischen Klärung innerhalb des umfassenden Merkmals der „Tiergefahr" die Problematik der Gefahrenquelle von den Fragen der Gefahrzurechnung klar zu unterscheiden, die — jeweils m i t bestimmter Akzentuierung — auch als Gefahrverwirklichung, sachlicher Schutzbereich oder Risikozusammenhang bezeichnet werden können.
272 Vgl. unten 2 § 4 A. 273 Deutsch, Jus 1981, 317, 322; Esser/ Weyers, 640-641; 6. Aufl., 542. 274 BGH VersR 1976, 1090, 1091.
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
III. Gefahrverantwortung Schließlich muß diejenige Person ermittelt werden, i n deren Verantwortungsbereich die Gefahrenquelle f ä l l t , 2 7 5 die also mit ihrem Vermögen für den von dieser hervorgerufenen Schaden letztlich einzustehen hat. Es handelt sich u m die Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen. Dies setzt die Bestimmung der Gefahrenquelle bereits voraus. Dem entspricht auf der Tatbestandsebene das Merkmal der Haltereigenschaft. Für sie spielen die Kriterien der Beherrschung und Nutzung der Gefahrenquelle und deren Zusammenwirken eine wesentliche Rolle.
IV. Gefahrabwägung und Beitragsabwägung Zuletzt muß die Zurechnungskette zwischen Halter und Rechtsgutsverletzung denjenigen Beiträgen gegenübergestellt werden, m i t denen der Verletzte selbst am Erfolg mitgewirkt h a t . 2 7 6 Dies erfolgt i m Tierschadensrecht durch unterschiedliche Rechtsüberlegungen. Innerhalb des § 833 S. 1 B G B kann dies geschehen durch den zweiten Aspekt der Gefahrzurechnung, der auch als persönlicher Schutzbereich bezeichnet w i r d und sich m i t dem Gewicht der Gefahrenquelle gegenüber den Beiträgen aus dem Bereich des Verletzten selbst befaßt. Dabei sind ähnliche Überlegungen anzustellen, wie i m Rahmen der Gefahrabgrenzung. Unter Berufung auf den persönlichen Schutzbereich oder ganz allgemein auf den Normzweck werden i m Tierschadensrecht eine Reihe von Kriterien erörtert, wie das Fehlen sozialen Zwanges oder das Handeln auf eigene Gefahr, bei deren Vorliegen die Haftung mangels Schutzwürdigkeit des Verletzten v ö l l i g ausscheiden soll. Zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags w i r d aber auch vielfach über den Tatbestand des § 833 S. 1 B G B hinaus auf andere Rechtsinstitute des Haftungsrechts zurückgegriffen, wie den vertraglichen Haftungsausschluß oder die Mitverursachung. Der vertragliche Haftungsausschluß führt m i t ähnlichen Überlegungen wie die Gefahrzurechnung zum völligen Wegfall der Haftung. Die Mitverursachung nach § 254 B G B eignet sich besonders auch zur Berücksichtigung von Verletztenbeiträgen, die auf vorwerfbarem Handeln beruhen und ermöglicht zudem die Risikoverteilung nach Quoten unter Einbeziehung aller weiteren Beiträge des Halters, auch wenn diese über die Tierhalterhaftung hinausgehen. Insoweit kann man von der Erweiterung der Gefahrabwägung zur Beitragsabwägung sprechen.
275 Vgl. unten 3. Teil. 276 im einzelnen vgl. unten 4. Teil.
§ 4 Die Normstruktur als Auslegungshintergrund
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C. Die strukturbezogene Sichtweise des Normzwecks als Leitfaden der Untersuchung Die Ausprägung des Prinzips der Gefährdungshaftung in konkrete Tatbestandsmerkmale erfolgt über mehrere Ebenen der Konkretisierung. A u f der ersten Ebene artikuliert sich das haftungsrechtliche Prinzip der verschuldensunabhängigen Zuordnung von Verantwortlichem und Schaden i n den drei Grundgedanken der Gefährdungshaftung. A u f einer zweiten Ebene entfalten sich diese Grundgedanken i n ihrem Funktionszusammenhang zur Normstruktur der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung. Diese bestimmt den Aufbau des Tatbestandes und zeichnet die Beziehung und Bedeutung der Tatbestandsmerkmale vor. Der Funktionszusammenhang kann auch über den engeren Tatbestand des § 833 S. 1 B G B selbst hinausgreifen, indem bei Bedarf allgemeine Institute des Haftungsrechts nutzbar gemacht werden. Diese dritte Ebene bringt somit eine zu einzelnen Merkmalen konkretisierte Fassung der Normstruktur und ist insofern zugleich deren Entfaltung und Verkürzung. Sie muß i m Zeifel durch Rückgriff auf die Normstruktur ergänzt werden, d. h. durch Auslegung der geschriebenen und Einführung von ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen nach dem „Sinn und Z w e c k " der Norm. Prinzip
Grundgedanken
besondere Gefahr
Normstruktur
Tatbestandsebene
Gliederung
r Tierbegriff -Gefahrenquelle L nähere Bestimmung der Eigenschaften
Tiergefahr 2. Teil
r sachlicher Schutzbereich (Gefahrzurechnung) r Gefahrabgrenzung Gefährdungs- • haftung
nur • diese Gefahr
- verletzte Rechtsgüter - persönlicher Schutzbereich (Gefahrzurechnung)
Gefahr- bzw. - Beitrags- — abwägung
• vertraglicher
Haftungsausschluß
4. Teil
- Mitverursachung
Nähe zur Gefahr
- Gefahrverantwortung
|- Bestimmungsbefugnis "1 -Halter—I > 3. Teil eigenschaft LNutzungsinteresse J
Schema Nr. 5 Dieser Strukturentwurf der Tierhalterhaftung gibt einen Ordnungsrahmen vor, der die Behandlung der Sachprobleme unter Berücksichtigung ihres inneren Zusammenhangs erlaubt. Das Vorgehen w i r d dabei nicht i n erster Linie von den Merkmalen der Tatbestandsebene bestimmt, sondern von den Komponenten der
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1. Teil: Normzweck und Normstruktur der Tierhalterhaftung
Normstruktur. Daraus ergibt sich, daß der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf denjenigen Tatbestandsmerkmalen liegt, i n denen die entscheidenden strukturellen Gesichtspunkte zum Ausdruck kommen. V o r diesem Hintergrund muß daher zunächst der Inhalt und die Erfolgswirksamkeit der Tiergefahr gegenüber äußeren Ursachen betrachtet werden, dann die Zuordnung des Tieres zum verantwortlichen Halter erfolgen und schließlich der Beitrag des Verletzten Berücksichtigung finden.
2. Teil
Die Tiergefahr — Bestimmung der Gefahrenquelle und Feststellung ihrer Relevanz gegenüber Fremdbeiträgen § 1 Überblick zur Entwicklung und Veränderung des Merkmals der Tiergefahr Die Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 B G B schützt nur vor dem Verletzungsrisiko, das gerade v o m Tier ausgeht. Daher muß zunächst feststehen, welche Verletzungsursachen i m einzelnen als Gefahrenquelle in Betracht kommen und ob gerade sie sich i m Erfolg verwirklicht haben oder andere Verletzungsbeiträge, die gar nicht aus dem Bereich des Tierhalters oder des Anspruchstellers stammen (Gefahrzurechnung). Diese beiden Funktionen nebeneinander erfüllt das komplexe Merkmal der Tiergefahr, über dessen Auslegung in Rspr. u. L i t . erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.
A. Die Fallgruppenbildung in der Rechtsprechung Die Gerichte waren sich stets darüber i m klaren, daß der Gesetzgeber die Vorschrift des § 833 S. 1 B G B als Gefährdungshaftung konzipiert hatte. 1 Diese wurde indessen anfangs nicht als eigenständiges Zurechnungsprinzip behandelt, sondern als Ausnahme v o m Grundsatz der Verschuldenshaftung 2 und war schon deshalb eng auszulegen. Das Erfordernis der Rechtsgutsverletzung „durch ein Tier" gab dem R G Anlaß, die Halterhaftung zu beschränken, indem die „ V e r w i r k lichung der Tiergefahr" als zusätzliches ungeschriebenes Merkmal in den Tatbestand hineingelesen wurde. Die inhaltlichen Anhaltspunkte dafür bezog das R G nicht zuletzt aus seiner Judikatur zur actio de pauperie (also auch aus der historischen Überlieferung) und zu Art. 1385 Code c i v i l . 3 Die Gefahrzurechnung wurde als Kausalitätsproblem behandelt. 4 Danach trat die Haftung ein, wenn die Verlet1 RGZ 60, 301, 303; 80, 237, 238; 141, 406, 407; BGH VersR 1976, 1090. 2 MünchKomm / Mertens, 3; Deutsch, JuS 1981, 317. 3 RGZ 14, 316; 20, 205; 48, 259. 4 Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186; RGZ 50, 180, 181; 54, 73, 74; BGH VersR 1956, 127, 128. 6 Lorenz
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2. Teil: Die Tiergefahr
zung auf „ w i l l k ü r l i c h e m Verhalten" bzw. auf der „ N a t u r " des Tieres (Gefahrenquelle) beruhte und schied aus, wenn „eigentlich" eine andere Ursache die Tiernatur verdrängt und den Erfolg herbeigeführt hatte. Diese haftungsausschließenden gefahrfremden Wirkungen wurden zu Fallgruppen zusammengefaßt, wie etwa die M i t w i r k u n g des Tieres unter physiologischem Zwang oder menschlicher Leitung, als mechanisches Werkzeug oder tote Masse und unter Federführung des R G i m L a u f der Zeit zu einem vielschichtigen Geflecht von Ausnahmen und Gegenausnahmen weiter ausdifferenziert. Diese Entscheidungspraxis auf der Grundlage des „willkürlichen Verhaltens" führte der B G H fort, u m sie allmählich an die veränderten Gegebenheiten der Industriegesellschaft anzupassen. Das Merkmal der Tiergefahr wurde dabei, entsprechend der weiterentwickelten Dogmatik des Haftungsrechts, nunmehr als Kriterium der haftungsbegründenden objektiven Zurechnung verstanden und als solches erneut ausdrücklich i n den dogmatischen Zusammenhang der Gefährdungshaftung gestellt. 5 Die wachsende Diskrepanz der Rspr. zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Verhaltensforschung, die unvorhersehbar gewordene Entscheidungspraxis der Instanzgerichte i n einzelnen Bereichen und nicht zuletzt die Fortentwicklung der haftungsrechtlichen Dogmatik haben den B G H i m Jahre 1976 schließlich veranlaßt, die Funktion der Tiergefahr neu zu überdenken und — i n Anlehnung an E r w i n Deutsch 6 — als Problem des sachlichen Schutzbereichs der Gefährdungshaftung (Gefahrzurechnung) einzuordnen. Die entscheidende haftungsrelevante Ursache (Gefahrenquelle) liegt nicht mehr i m „willkürlichen Verhalten" oder der „Tiernatur", sondern vielmehr i n der „tierischen Unberechenbarkeit". 7 Die Fallgruppen des physiologischen Zwangs und des natürlichen Verhaltens wurden als unbrauchbar verworfen. Dennoch erfolgte die Inhaltsbestimmung der Tiergefahr grundsätzlich weiterhin nach Fallgruppen, wobei die Relevanz des traditionellen Fallgruppenbestandes jedoch nicht mehr als gesichert gelten kann. Überhaupt wurde die dogmatische Bedeutung dieses Wechsels i n der Rspr. bisher nicht hinreichend geklärt. A l s Folge dieser Situation haben sich die Bestrebungen der Instanzgerichte zur Beschränkung der Halterhaftung i n jüngerer Zeit von der Tiergefahr zunehmend auf die Fragen des Verletztenbeitrages, insbesondere des persönlichen Schutzbereichs verlagert.
5 Zur dogmatischen Behandlung der Gefahr vgl. z. B. Keft, VersR 1983, KF, 153 u. RGRK/Kreft, 11; MünchKomm/Mertens, 13; Larenz, Schuldrecht II, 701; Esser/ Weyers, 640-641; 6. Aufl., 542; LG Kleve MDR 1973, 49; BGH VersR 1976, 1090 u. 1091; 1976, 1175, 1176; Celle VersR 1980, 430, 431; vgl. unten 2 § 2 B I V 1. 6 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 234-246, 363-386, insbesondere 372 ff. 7 BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1976, 1175, 1176.
§ 1 Entwicklung und Veränderung des Merkmals der Tiergefahr
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B. Die Normzwecküberlegungen in der Literatur Die Rspr. zur Tiergefahr und zu den Ausnahmefallgruppen ist i n weiten Teilen der L i t . schon immer auf grundlegende Bedenken gestoßen. Während die Gerichte die Halterhaftung kasuistisch beschränken, plädiert die Mehrzahl der Autoren für deren Erweiterung. Mitunter w i r d schon die Notwendigkeit des ungeschriebenen Merkmals der Tiergefahr bestritten, zumeist w i r d die Brauchbarkeit des methodischen Ansatzes der Fallgruppenbildung und seiner konkreten Ergebnisse i n Zweifel gezogen. Viele Autoren versuchen eine systematisch angelegte Neubestimmung des Merkmals der Tiergefahr, indem sie den Normzweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung i n den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rücken. 8 Sie betonen indessen durchaus unterschiedliche Grundgedanken der Gefährdungshaftung und gelangen dadurch jeweils zu eigenständigen, mehr oder weniger ausdrücklich formulierten Inhaltsbestimmungen der Tiergefahr. Dabei werden — zumindest implizit — unterschiedliche Vorstellungen von der Gefahrenquelle und auch von den Kriterien der Gefahrzurechnung entwickelt. Aufgrund dieser Vorgaben beurteilt die L i t . dann auch die Ergebnisse der Rspr. Deren Inhaltsbestimmung der Tiergefahr als willkürliches Verhalten oder als Unberechenbarkeit, sowie die Fallgruppe des physiologischen Zwangs stoßen überwiegend auf Ablehung, während die übrigen Haftungsausnahmen durchaus differenziert gesehen werden, ohne daß sich dabei eine einheitliche Tendenz absehen ließe. Die hierbei verwendeten Argumente fließen letztlich aus zwei Quellen. Z u m einen w i r d der Normzweck und die hieraus entwickelte Inhaltsbestimmung der Tiergefahr zum Maßstab für die Ergebnisse der Rspr. 9 Da die L i t . hierbei aber unterschiedliche Schwerpunkte setzt, können die Autoren aus ihrer jeweiligen Interpretation des Normzwecks nicht i m Bezug auf alle Fallgruppen überzeugende Argumente herleiten. Die Lit. bezieht ihre Argumente daher nicht nur aus ihrer jeweils eigenen Bestimmung der Tiergefahr, sondern betreibt daneben auch „ i m manente K r i t i k " , indem sie darlegt, inwiefern die Ergebnisse der Rspr. nicht sachgerecht oder i n sich nicht schlüssig sind. 1 0 Da die L i t . je nach Bedarf zwischen immanenter K r i t i k und eigenständigen Normzwecküberlegungen wechselt, läßt sich aus der Ansicht eines Autors zum Inhalt der Tiergefahr nicht zwangsläufig auch seine Haltung zu einzelnen Fallgruppen ableiten. Zwar haben Normzwecküberlegungen ihrerseits auch Eingang i n die Rspr. gefunden, jedoch ist die Harmonisierung des kasuistischen und des systematischen Vorgehens i n Rspr. u. L i t . noch nicht überzeugend gelungen. Dieser Lage kann am ehesten Rechnung getragen werden, indem die strukturelle Betrachtung der Tiergefahr diese beiden Lösungswege zunächst als gegeben hinnimmt. Erst aus der Zusammenschau 1 1 s Vgl. unten 2 § 3 B - C . 9 Vgl. unten 2 § 3. 10 Vgl. unten 2 § 2 A II; B I l c ; 2d; 3d; B I I 3; C I I I 1. Vgl. unten 2 § 4. 6*
2. Teil: Die Tiergefahr
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der Fallgruppenbildung durch die Rspr. — einschließlich des diesbezüglichen Meinungsstandes in der L i t . — und der Normzwecküberlegungen der Lit. in ihren unterschiedlichen Gestaltungen, ergibt sich ein Gesamtüberblick zur Funktion des Merkmals der Tiergefahr als Ausprägung der beiden Strukturkomponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung Die Grundlage der Diskussion zur Tiergefahr ist bis heute i m Kern die umfangreiche und differenzierte Judikatur zu den Ausnahmefallgruppen geblieben. Diese müssen daher auf ihre strukturelle Bedeutung geprüft werden, also auf ihren Beitrag zur Bestimmung der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung. Dabei ist zu beachten, daß die Rspr. zur Tiergefahr i n den 90 Jahren ihrer Entwicklung zumindest zwei grundlegende dogmatische Wandlungen vollzogen hat. Die Konzeption des „willkürlichen Verhaltens" wurde abgelöst von der Konzeption der „tierischen Unberechenbarkeit". Zugleich wurde die Zurechnung allein mittels Kausalitätserwägungen durch zusätzliche wertende Kriterien zur „objektiven Zurechnung" fortentwickelt. U m diesen Wandlungen und ihrer dogmatischen Bedeutung gerecht zu werden, erfolgt daher zunächst die zusammenhängende Betrachtung der Überlegungen zum willkürlichen Verhalten und sämtlicher hieraus ursprünglich entwickelter Ausnahmefallgruppen. 1 2 A u f dieser Grundlage können die gegenwärtige Rspr. des B G H zur tierischen Unberechenbarkeit und deren bisher erkennbare Auswirkungen auf das Gefüge der Fallgruppen entwickelt werden. 1 3 Dies erlaubt schließlich die Untersuchung der unterschiedlichen Aussagen beider Konzeptionen über Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung und die entsprechende Einordung auch der daneben verwendeten allgemeinen Zurechnungskriterien.
A. Die ursprüngliche Umschreibung der Tiergefahr als Verletzung durch „willkürliches" Verhalten I . Willkürliches Verhalten als Tierverhalten aus eigenem Antrieb Die Rspr. verstand den Wortlaut „durch ein Tier" von Anfang an so, daß es nicht ausreichte, wenn das Tier für eine Rechtsgutsverletzung einfach nur irgendwie mitursächlich geworden war. Vielmehr mußte die Verletzung gerade auf das Tier zurückgehen und nicht auf Ursachen anderer A r t . 1 4 Bei wertender Betrach12 Vgl. unten 2 § 2 A u. B. 13 Vgl. unten 2 § 2 C. 14 RGRK / Kreft, 11; Staud. / Schäfer, 3; RGZ 50, 180, 181; 50, 219, 221; 54, 73, 74; 82, 112, 113; JW 1905, 318 Nr. 5; Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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tung mußte die eigentliche, die entscheidende Ursache gerade „durch das Tier" gesetzt worden sein. A u c h wenn „rein äußerlich betrachtet" die Verletzung durch ein Tier verursacht war, forschte das R G weiter nach der „ i n Wahrheit eigentlichen den Schaden bewirkenden Ursache". 1 5 Die Verletzung war nur dann durch ein Tier herbeigeführt, wenn sie auf ein der tierischen Natur entsprechendes, aus den Trieben der tierischen Natur entspringendes, selbständiges bzw. selbsttätiges, durch kein vernünftiges W o l l e n geleitetes, willkürliches Verhalten des Tieres zurückging. 1 6 Die Tiergefahr lag i m gefährlichen Ausbruch der tierischen Natur, i n der von keinem vernünftigen W o l l e n geleiteten Entfaltung der tierischen organischen Kraft, i n der selbsttätigen Entwicklung einer nach W i r k u n g und Richtung unberechenbaren tierischen Energie. 1 7 Willkürliches Verhalten sah das R G problemlos dann als gegeben an, wenn das Tier sein typisches Aggressionsverhalten zeigte, wie Ausschlagen, Stoßen, Treten, Beißen, Bellen, Anspringen, Scheuen, Durchgehen. 1 8 Das Element der Gewaltsamkeit war notwendig, aber nicht ausreichend. Davon unterschieden wurden Fälle, i n denen eine äußere Ursache das Tierverhalten hervorbrachte oder ein Tierverhalten überhaupt nicht vorlag.
I I . Bedenken in der Literatur gegen die Willkürlichkeit tierischen Verhaltens Die Bestimmung der Tiergefahr als „willkürliches" Verhalten wurde in der Lit. überwiegend abgelehnt. 1 9 Sie ist damit der späteren Neuorientierung der Rspr. in dieser Frage teils vorausgeeilt, teils ist sie ihr später gefolgt. Anlaß zur K r i t i k gibt zumeist schon das Wort „ w i l l k ü r l i c h " . Es sei mißverständlich und beruhe auf der Vorstellung, daß dem Tierverhalten irgendein dem menschlichen vergleichbares W o l l e n oder eine Motivation i m menschlichen Sinne zugrunde liege. Die Rspr. übertrage die Beschreibung menschlichen willensbestimmten Verhaltens i m Wege des Analogieschlusses auf das Tier. Dadurch werde das Tierverhalten in unzulässiger Weise vermenschlicht und personalisiert. 2 0 Da es ein vernünftiges W o l l e n bei Tieren nicht geben könne, fielen gerade auch Fälle
15 RGZ 54, 73, 74. 16 RGZ 54, 73, 74; 80, 237, 238; 141, 406, 407; RG JW 1911, 215 Nr. 13; BGH VersR 1959, 853, 854; 1966, 1073, 1074; 1971, 320; NJW 1975, 867, 868. 17 RGZ 60, 65, 69; 80, 237, 238. 18 Vgl. Erman/Schiemann, 4; RGRK/Kreft, 12; A K - B G B / K o h l , 4; RGZ 80, 237, 239. 19 Nur wenige Autoren sprechen vom willkürlichen Verhalten, ohne daran eine Kritik anzuschließen: z. B. Bondzio, RdL 1972, 88 u. 229, 231; Bornhövd, VersR 1979, 398; Wussow / Kuntz, 400; vgl. unten 2 § 3. 20 Staud. / Schäfer, 3; Wolf, 672; Kreft VersR 1983, KF, 153, 155; Deutsch, NJW 1978, 1998; JuS 1987, 673, 675; Stötter, MDR 1970, 100, 102; Haase, JR 1973, 10, 12; Schünemann, JuS 1978, 376, 377.
2. Teil: Die Tiergefahr
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unwillkürlichen Verhaltens unter die Tiergefahr. Die anachronistische Ansicht v o m willensbestimmten Tierverhalten erinnere zudem an archaische Vorstellungen, wonach das Tier bzw. den i n i h m lebenden Tierdämon ein Quasiverschulden an der Verletzung treffe. 2 1 Gegen die Vorstellung v o m „ w i l l k ü r l i c h e n " Verhalten sprächen auch die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Verhaltensforschung. 22 Danach werde tierisches Verhalten gerade nicht von Entschlüssen geleitet, sondern von angeborenen oder erworbenen Verhaltensprogrammen. Das Tier sei aber auch kein Reflexautomat, da sein Bewegungsbedürfnis von einer zentralnervösen Erregungsproduktion abhänge, die nicht einmal bei allen Tieren derselben Gattung gleich hoch sei. Das Tierverhalten könne die A n t w o r t des Gesamtorganismus auf einen auslösenden Außenreiz darstellen. Blieben Außenreize längere Zeit aus, so könnten die Verhaltensprogramme jedoch auch ohne Auslöser von selbst ablaufen. Diesen Erkenntnissen müsse sich die geisteswissenschaftlich orientierte Rechtsprechung öffnen. Die Rspr. — insbesondere das R G — hat indessen selbst wiederholt darauf hingewiesen, daß die „ W i l l k ü r l i c h k e i t " des Tierverhaltens nicht wörtlich, sondern i m übertragenen Sinn zu verstehen sei. Dadurch solle dem Tier keine Vernunft oder Willensfreiheit unterstellt werden. 2 3 Gemeint ist dabei letztlich nur das nicht maßgeblich von anderen Ursachen veranlaßte, sondern aus eigenem Antrieb erfolgte Tierverhalten. Trotz dieser ausdrücklichen Klarstellungen ist dem Tier aber i n der Rspr. doch — auch v o m R G selbst — häufig ein „ W i l l e i n gewissem Sinne", „Willensfreiheit" oder „Wahlfreiheit" zuerkannt worden. 2 4 Dabei mag es sich um Mißverständnisse handeln, die gar nicht den Grundannahmen der Rspr. über den Inhalt der Tiergefahr entsprechen, sondern von einer unglücklichen Terminologie provoziert wurden. Diese Terminologie könnte aber ihrerseits auch Indizwirkung haben für die Verfehltheit der ihr zugrundeliegenden Annahmen zur Tiergefahr. 2 5
21 A K - B G B / K o h l , 4; Haase, JR 1973, 10, 12; Schünemann, JuS 1978, 376 u. 377; Deutsch, JuS 1987, 673, 675. 22 Staud. / Schäfer, 3; MünchKomm / Mertens, 13; RGRK / Kreft, 21; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155; Deutsch, JuS 1987, 673, 675; Haase, JR 1973, 10, 12/13; Schmid, JR 1976, 274, 275; Schünemann, JuS 1978, 376, 377; Stötter, MDR 1970, 100, 102; JZ 1972, 409. 23 RG JW 1912, 797 Nr. 14; 1933, 693 Nr. 5; Köln JZ 1972, 408. 24 Stuttgart OLG 14, 45, 47; LG Hechingen VersR 1958, 733; RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 21; JW 1911, 45 Nr. 31; 1922, 286 Nr. 3; zum tierischen Willen vgl. unten 2 § 2 D I 2b (2). 25 Vgl. unten 2 § 2 D I 3.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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B. Das Gesamtgefüge der Ausnahmefallgruppen zur Eingrenzung der Tiergefahr Die positive Umschreibung der Tiergefahr war stets untrennbar verbunden, mit der negativen. Die Rechtsprechung hat keine Kriterien für das willkürliche Tierverhalten selbst herausgearbeitet, sondern die Verwirklichung der Tiergefahr i m wesentlichen indirekt durch das NichtVorliegen einer Ausnahmefallgruppe bestimmt. Diese Ausnahmen zur Tiergefahr lassen sich ihrerseits nach vier Gesichtspunkten gliedern: 2 6 — die Haftungsausnahmen beim aktiven Tierverhalten (I), — der Haftungsausschluß bei passiver Tierexistenz 2 7 (II), — die analoge Anwendung normierter Haftungsbegrenzungen aus anderen Bereichen der Gefährdungshaftung (III), — die Zurechnungsbeschränkung durch allgemeine Rechtsinstitute (IV).
I . Die Haftungsausnahmen beim aktiven Tierverhalten Mehrere Fallgruppen stimmen darin überein, daß die Tiergefahr sich nicht verwirklicht haben soll, obwohl ein tierisches Verhalten vorlag. Stand das Tier unter physiologischem Zwang oder menschlicher Leitung, dann soll sein Verhalten überwiegend durch eine andere Ursache 2 8 ausgelöst worden sein und nicht nur seinem eigenem Antrieb entspringen. B e i m natürlichen Verhalten kommt es demgegenüber nicht darauf an, wodurch das Tierverhalten hervorgerufen wurde, sondern darauf, ob es typischerweise verletzungsträchtig ist.
1. Physiologischer Zwang a) Das erzwungene Tierverhalten
als nicht willkürliches
Verhalten
Die Halterhaftung sollte nach Ansicht des R G insbesondere dann nicht eingreifen, wenn ein äußeres Ereignis auf den Körper oder auf die Sinne des Tieres 26 Da die Fallgruppen in der alten und in der neuen Konzeption den Kern der Rspr. ausmachen, ohne daß sich diese selbst für deren Herleitung interessiert, werden sie hier im Zusammenhang dargestellt, auch soweit sie neuerdings zweifelhaft geworden sind (wie der physiologische Zwang und das natürliche Verhalten). Entscheidungen, in denen die Rspr. auch nach der Neuorientierung des BGH (oder unbeeindruckt von dieser) auf die Fallgruppen zurückgreift, werden daher bereits hier berücksichtigt; vgl. unten 2 § 2 CIL 2v Deutsch JuS 1987, 673, 676 unterscheidet „Aktiv- und Passivgefahr", um die Haftung auf letztere auszudehnen. Neutraler erscheint deshalb der Ausdruck Passivwirkung; zur passiven Mitwirkung vgl. RGZ 69, 399, 400. 28 Die Rspr. beachtet die Herkunft gefahrfremder Verletzungsursachen aus unterschiedlichen Risikobereichen regelmäßig nicht und belastet die Tiergefahr schon dadurch oft mit Abgrenzungsproblemen, die dort nicht funktionsgerecht lösbar sind; vgl. 1 § 4 A; 2 § 2 B I 2e (3); 4 § 2 A.
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2. Teil: Die Tiergefahr
mit solcher Gewalt wirkte, daß Tiere der i n Frage kommenden A r t nach physiologischen Gesetzen nicht widerstehen konnten. Der Schaden war dann nicht „durch das Tier", sondern letztlich „durch das Ereignis" verursacht. 2 9 Dabei kam es nicht auf die Eigenschaften des individuellen Tieres an, also darauf, ob das Verhalten des konkreten Tieres mit der allgemeinen Natur seiner Gattung in Widerspruch stand oder ob das betreffende Tier einen individuellen Fehler hatte. 3 0 Der Maßstab war nicht das schädigende Tier selbst, sondern Tiere gleicher Art und gewöhnlicher Beschaffenheit. Obschon die Rspr. diese Fallgruppe von A n fang an sehr häufig erörterte, ist das Vorliegen ihrer Voraussetzungen tatsächlich nur i n vergleichsweise wenigen Einzelfällen bejaht worden, 3 1 so daß der Fallgruppe letztlich überhaupt nur beschränkte praktische Bedeutung zukam. Die meisten Erwägungen hierzu wurden hilfsweise oder in obiter dicta angestellt. Die Rspr. des B G H zur „tierischen Unberechenbarkeit" hat dieses Merkmal schließlich ausdrücklich abgelehnt. 3 2 V o n anderen Gerichten w i r d die Fallgruppe mitunter auch heute noch erwähnt. A l s wichtiger gedanklicher Ausgangspunkt der Fallgruppenkonzeption verdient sie jedenfalls eingehende Betrachtung. Der ausgeübte Zwang mußte unwiderstehlich sein und „nach A r t einer mechanischen Ursache" w i r k e n . 3 3 Diese Formulierung, wie auch das Erfordernis der Einwirkung auf „den Körper oder die Sinne" des Tieres, führte gelegentlich zu terminologischen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von anderen Fallgruppen. B e i m physiologischen Zwang geht es darum, daß ein Außenreiz auf das Tier einwirkt und dieses daraufhin nach physiologischen Gesetzen zwangsläufig ein bestimmtes Verhalten zeigt. Nicht erfaßt werden indessen rein mechanische Einwirkungen auf den Tierkörper, bei denen dieser als tote Masse oder mechanisches Werkzeug einer anderen physischen Kraft w i r k t . 3 4 Wenn das Tier unter der Wucht eines darauffallenden Gegenstandes zusammenbricht, von einem anderen Tier mitgeschleift oder von einem K f z erfaßt w i r d , 3 5 dann fehlt es schon am eigenen Verhalten des Tieres. Für diese Fälle sind die selbständigen Fallgruppen der Passivwirkung entwickelt worden, bei denen daher nicht — wie gelegentlich in der Rspr. 3 6 — von physiologischem Zwang die Rede sein sollte. Zwischen der tatsächlichen W i r k u n g einer mechanischen Ursache und der W i r k u n g eines Reizes „nach A r t " einer mechanischen Ursache ist daher klar zu unterscheiden.
29 RGZ 54, 73, 75. 30 RGZ 60, 65, 70; JW 1911, 215 Nr. 13. 31 RGZ 69, 399, 400; L G Kassel VersR 1955, 699, 700; LG Hechingen VersR 1958, 733; Nürnberg VersR 1970, 1059, 1060; München VersR 1978, 334. 32 Vgl. unten 2 § 2 C I I 1. 33 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 21; 1911, Nr. 242. 34 Vgl. unten 2 § 2 B I I 1. 35 Vgl. Kassel OLG 14, 51. 36 Vgl. Kassel OLG 14, 51; RG JW 1914, 36 Nr. 6; JW 1922, 286 Nr. 3. RG JW 1910, 579 Nr. 13 nennt umgekehrt den physiologischen Zwang „physisch".
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung b) Die Abgrenzungsversuche und anderen
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zwischen unwiderstehlichen Außenreizen
Da ein Tier ständig äußeren Reizen ausgesetzt ist, konnte die Rspr. nicht jede Einwirkung auf das Tier als „physiologischen Z w a n g " ansehen, denn dann wäre die Halterhaftung letztlich nie i n Frage gekommen. Die so erforderliche Abgrenzung zwingender Einflüsse von gewöhnlichen Einwirkungen kann bei der A r t des Reizes ansetzen oder bei seiner Verarbeitung durch den Organismus. I n allen Fällen bereitete sie indessen beträchtliche Schwierigkeiten. (1) Die „innere Freiheit" des Tieres Die Einwirkung nach A r t einer mechanischen Ursache ist angenommen worden, als ein gefesselter und zwecks Operation niedergeworfener Hengst durch Umsichschlagen einen festhaltenden Helfer tötete. 3 7 Nach Ansicht des R G war dem Pferd nicht die innere Freiheit gelassen, m i t seinen Bewegungen zurückzuhalten. Diese waren vielmehr eine unwillkürliche und unausbleibliche Folge des Niederwerfens. Jedes Tier in gleicher Lage habe versuchen müssen, vermöge seiner Bewegungen in die aufrechte Lage zurückzugelangen. Die Verletzung sei somit nicht „durch das T i e r " entstanden, sondern infolge des am Tier vorgenommenen Gewaltaktes. Ursache sei nicht das Pferd gewesen, sondern die Einwirkung auf dieses. A u c h i n anderen Entscheidungen ist immer wieder von Freiwilligkeit, innerer Freiheit, Wahlfreiheit, 3 8 v o m tierischen T u n 3 9 und dann sogar von tierischem W i l l e n 4 0 oder Schuld des Tieres 4 1 die Rede. I n letzter Konsequenz hatte sich die Tiergefahr nur dann verwirklicht, wenn dem Tier noch die „ W a h l " blieb, so oder auch anders zu „handeln". E i n Hund handelte daher „ w i l l k ü r l i c h " als er eine Katze verfolgte, denn i h m war die W a h l geblieben, die Katze zu verfolgen oder auch n i c h t . 4 2 (2) Die neurologische Reizverarbeitung i m Tier Das R G hat, wenn auch i n einem obiter dictum, eine weitere Parallele zwischen Mensch und Tier gezogen. Wenn ein Mensch oder ein Tier während einer Operation unter den Einwirkungen des Schmerzes krampfhafte Bewegungen ausführten, dann sollten die hierdurch zugefügten Verletzungen nicht durch den Menschen
37 RGZ 69, 399, 400. 38 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 21; JW 1911, 45 Nr. 31; 1922, 286 Nr. 3; Nürnberg VersR 1959, 573, 574; BGH VersR 1959, 853, 854; München VersR 1978, 334; zum tierischen Willen vgl. unten 2 § 2 D I 2b (2). 39 RGZ 54, 407, 408; 60, 65, 66. 40 Stuttgart OLG 14, 45, 47; LG Hechingen VersR 1958, 733. 41 RG Recht 1909, Nr. 1779. 42 Stuttgart OLG 14, 45, 47.
2. Teil: Die Tiergefahr
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oder das Tier entstanden sein. 4 3 M i t dieser Äußerung offenbarte das R G letztlich seine Bedenken darüber, ob für ein Tier auch bei Verhaltensweisen gehaftet werden soll, bei denen der Halter selber (als Mensch) nicht haften würde und zwar v ö l l i g unabhängig von der Frage seines Verschuldens. Denn bei Reflexbewegungen, unbewußtem Handeln oder vis absoluta fehlt es an der Möglichkeit der Willenssteuerung und damit schon an der menschlichen Handlung. 4 4 Das Tier teilt mit dem Menschen die Eigenschaft als lebender Organismus. Daher liegt die Frage nahe, ob Organismen gleich behandelt werden müssen, wenn die Reizverarbeitung i n ihrem Inneren auf niedriger neurologischer Ebene erfolgt, auf der eine bewußte Steuerung gar nicht mehr i n Frage kommt. Dies ist nur sinnvoll, wenn man die Möglichkeit derartiger Steuerung auch beim Tier i n Betracht zieht. Die Überlegungen zur „inneren Freiheit" oder „Willensfreiheit" des Tieres werden auf diese Weise m i t naturwissenschaftlichen Argumenten fortgesetzt. Zur Reflexbewegung des Tieres hat das R G sich widersprüchlich geäußert. Als ein Pferd infolge des Aufstechens einer Eiterbeule mehrfach ausschlug, 45 wollte das Gericht die Tiergefahr nur bei Reflexbewegungen ausschließen, nicht aber bei den Bewegungen, die (wie in diesem Fall) dem eigentlichen Reflex erst nachfolgten. Später wollte es das R G jedoch nicht mehr als erheblich ansehen, ob eine tierische Bewegung von einem mehr oder weniger zentralen T e i l des Körpers ihren Ausgang genommen hatte, also etwa v o m Gehirn oder nur v o m Rückenmark, wie bei einer reinen Reflexbewegung. 4 6 Es erschien dem R G offenbar fragwürdig, nach der A r t der Verarbeitung des Außenreizes i m Tierorganismus zu unterscheiden. Da sich der Grad der Unwiderstehlichkeit physiologischen Zwanges m i t Blickrichtung auf den Tierorganismus aber nur danach bemessen kann, auf welcher neurologischen Ebene die Reizumsetzung in tierisches Verhalten erfolgt, war damit die ganze Fallgruppe des physiologischen Zwangs fragwürdig geworden. A u c h in einem anderen Fall „unbewußten Handelns" ist die Haftung verneint worden. E i n Betäubungsmittel hatte heftige, nicht v o m Bewußtsein gesteuerte Muskelkontraktionen ausgelöst, weshalb ein Hund sich während der Operation aufgebäumt und die Tierärztin verletzt hatte. 4 7 Diese Verletzung war „durch das Betäubungsmittel" verursacht, nicht durch das Tier. Ob das Aufbäumen eine Wirkung der Krämpfe selbst war oder eine Schmerzreaktion, hat das Gericht nicht untersucht. I m Fall einer unmittelbaren Kontraktion des Muskelgewebes würde es sogar an der M i t w i r k u n g des Rückenmarks fehlen, so daß von einer 43 RGZ 69, 399, 401. 44 Deutsch, Haftungsrecht, 123; Larenz, Schuldrecht II, 589; Esser / Weyers, 556; Esser / Schmidt, 353. 45 RG JW 1910, 579 Nr. 13; Angedeutet schon in RGZ 60, 65, 68. 46 RG JW 1912, 797 Nr. 14. 47 München VersR 1978, 334.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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neurologischen Reizverarbeitung nur noch bedingt die Rede sein könnte. Großer Schmerz ist als physiologischer Zwang anerkannt worden, als ein Hund v o m Bolzenschußgerät wegen zu schwacher Treibladung nicht sofort tödlich verletzt wurde und i n einer Abwehrreaktion den Tierarzt b i ß . 4 8 Gewaltanwendung und Schmerzempfindung hätten hier dem Tier die Möglichkeit des Andershandelns v ö l l i g genommen. Jeder Hund habe sich einer solchen Behandlung durch Beißen erwehren müssen. Es lag indessen keine reine Reflexbewegung vor, sondern ein zielgerichteter Biß. Es handelte sich insofern u m einen Sonderfall der Reizverarbeitung, bei dem der Außenreiz zunächst eine Schmerzempfindung verursachte und diese dann zum Tierverhalten führte. (3) Triebzwang bei Deckakten ohne menschliche Aufsicht Deckakte wurden von der Rspr. unter allen drei Fallgruppen des aktiven Tierverhaltens erörtert. Für Deckakte ohne oder entgegen menschlichem W i l l e n haben einige Gerichte erwogen, ob das Tier unter dem physiologischen Zwang des Geschlechtstriebes gestanden h a t . 4 9 Dem ist von anderen Gerichten m i t dem Argument widersprochen worden, daß eben gerade kein äußeres Ereignis vorliege, sondern ein Geschehen, das aus dem Tier selbst k o m m e . 5 0 Indessen war i n den kritisierten Entscheidungen gerade auf den Außenreiz abgestellt worden, der v o m weiblichen Tier ausging. Dies zeigt deutlich das Problem: jeder Außenreiz w i r d i n irgendeiner Weise auch v o m Tierorganismus verarbeitet. Ob der Reiz oder die Reizverarbeitung i m Tier der für das Tierverhalten entscheidende Faktor ist, kann durchaus fraglich bleiben. Der B G H hat i m C h o w - C h o w - F a l l 5 1 schließlich klargestellt, daß der ungewollte Deckakt nicht von der Haftung ausgenommen werden kann, weder unter dem Gesichtspunkt des physiologischen Zwanges, noch unter dem des natürlichen Verhaltens. D e m lag indessen schon die noch eigens und i m Zusammenhang zu betrachtende Neubestimmung der Tiergefahr als „tierische Unberechenbarkeit" zugrunde, anläßlich derer gleichzeitig die ganze Fallgruppe des physiologischen Zwanges als ungeeignet verworfen wurde. 5 2 (4) Die Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit des Reizes Hatte das äußere Ereignis für das Verhalten des Tieres keine zwingende Veranlassung gegeben, dann lag nach Ansicht der Rspr. die eigentliche Ursache der Verletzung beim Tier und es fehlte am physiologischen Zwang. Vorkommnisse des täglichen Lebens und des gewöhnlichen Verkehrs waren keine unwiderstehli48 LG Hechingen VersR 1958, 733. 49 Karlsruhe DJZ 1906, 1379; LG Kassel VersR 1955, 699, 700; Nürnberg VersR 1970, 1059, 1060. so Oldenburg VersR 1963, 444; Köln JZ 1972, 408. 51 BGH VersR 1976, 1090, 1091. 52 BGH VersR 1976, 1175, 1176; vgl. unten 2 § 2 C I I 1.
2. Teil: Die Tiergefahr
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che Gewalt. Es lag vielmehr in der tierischen Natur, durch plötzliche Einwirkungen erschreckt und zu jähen gewaltsamen Bewegungen veranlaßt zu werden. Dies galt etwa für flatternde Wäsche, den Pfiff einer Lokomotive, spielende Kinder, ein sich näherndes lautes K f z oder M ü c k e n . 5 3 Es galt auch für den Fall, daß der Anreiz i n dem Verhalten oder A n b l i c k eines anderen Tieres bestand. Dies ist als i n der Regel nicht so außergewöhnliches Ereignis angesehen worden, daß physiologischer Zwang vorgelegen hätte. 5 4 So etwa, als ein bellender und herumspringender Hund Pferde zum Durchgehen brachte, ein Hund einen anderen i n eine Beißerei verwickelte, ein Hund eine Katze verfolgte oder ein Reh vor ein Motorrad trieb. 5 5 Diese Fälle wurden häufig zusätzlich unter dem Oberbegriff der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs behandelt. 5 6 Hat ein Mensch auf das Tier eingewirkt, dann könnte dies als Sonderfall des Außenreizes gegebenenfalls auch unter die spezifische Fallgruppe der menschlichen Leitung fallen. 5 7 c) Ablehnung
des physiologischen
Zwangs in der Literatur
Die Fallgruppe des physiologischen Zwangs wurde und w i r d von der Lit. abgelehnt, 5 8 soweit sie überhaupt mit Argumenten dazu Stellung n i m m t . 5 9 W i e schon dem „willkürlichen Verhalten" w i r d ihr vor allem entgegengehalten, daß die innere Freiheit des Tieres durch äußere Einwirkungen schon deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, weil es eine solche innere Freiheit nicht gebe. Die Unterscheidung zwischen widerstehlichen und unwiderstehlichen Außenreizen sei daher weder möglich, noch sinnvoll. Darüber hinaus w i r d daraufhingewiesen, daß gerade die Beeinflußbarkeit eine typisch tierische Eigenschaft sei. Durch seine v ö l l i g unbeherrschte und unvernünftige Reaktion auf Außenreize unterscheide sich das Tier v o m Menschen und sei gerade dadurch besonders gefährlich. Die Auslösbarkeit der tierischen Bewegungsenergie durch äußere Einflüsse unterscheide das Tier auch von toten Gegenständen.
53 RGZ 54, 73, 75; 60, 65, 67; 82, 112, 113; JW 1905, 392 Nr. 10; 531 Nr. 12; Warn. Rspr. 1909, Nr. 21; Colmar OLG 14, 49; BGH VersR 1971, 320. Anders jetzt LG Göttingen VersR 1991, 1072, 1073 zum gewalttätigen Öffnen einer Tür mit Fußtritt. 54 Stuttgart OLG 14, 45. 55 RG JW 1905, 691 Nr. 14; Nürnberg VersR 1967, 361; 1959, 573; Stuttgart OLG 14, 45, 47. 56 Vgl. unten 2 § 2 B I V 2. 57 Vgl. unten 2 § 2 B I 2a. 58 AK-BGB / Kohl, 5; Erman / Drees, 5; Soergel / Zeuner, 8; MünchKomm / Mertens, 13; RGRK/Kreft, 22; Esser, Schuldrecht, 859; Enneccerus/Lehmann, 1016; Planck/ Greiff, 2b; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155; Deutsch, JuS 1987, 673, 676; Schmid, JR 1976, 274, 276; Weimar, JR 1958, 377; Siegfried, 129. 59 Ohne ausdrückliche Kritik Bornhövd, VersR 1978, 398, 399; Staud. / Schäfer, 26; Wussow / Kuntz, 403.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung d) Die NichtUnterscheidbarkeit widerstehlichen und unwiderstehlichen
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von Außenreizen
B e i m physiologischem Zwang muß ein äußeres Ereignis zwingend und unwiderstehlich nach A r t einer mechanischen Ursache zu einem Tierverhalten führen. I m Ergebnis kann aber keiner der Gedankengänge überzeugen, welche die Rspr. zur Kennzeichnung von haftungsausschließenden Einwirkungen anstellte. Bei der Abgrenzung von zwingenden und anderen Außenreizen ist die „innere Freiheit" des Tieres 6 0 letztlich kein taugliches Kriterium. E i n „freier" tierischer W i l l e kam in der geisteswissenschaftlich-philosophischen Tradition und besonders in der Rechtswissenschaft niemals i n Betracht. 6 1 Darüber war sich die Rspr. selbst i m klaren und hat dies auch wiederholt geäußert. 62 Soweit sie dennoch von innerer Freiheit sprach, fiel sie entweder (vorübergehend) selbst ihrer eigenen mißverständlichen Bestimmung des „ w i l l k ü r l i c h e n " Verhaltens zum Opfer oder sie unterstellte entgegen ihrer eigenen Aussage doch die Willensfreiheit. I n beiden Fällen erweist sich das Fehlen innerer Freiheit nicht als taugliches Kriterium zur Begrenzung der Halterhaftung. W i e die Rspr. selbst zutreffend ausführte, kann es auch darauf, ob die Reizverarbeitung i m Tierkörper auf höherer oder niedrigerer neurologischer Ebene erfolgt, 6 3 nicht ankommen, denn dabei handelt es sich lediglich u m eine naturwissenschaftliche (und damit inadäquate) Formulierung des Willensproblems. Diese Unterscheidung macht nur bei menschlichem Handeln Sinn, wenn man also i m konkreten Einzelfall ermitteln w i l l , ob eine Steuerung durch den freien W i l l e n möglich war. B e i m Tier ist dies aber zwecklos, da die Willensfreiheit (Bestimmbarkeit seines Verhaltens durch Vernunft 6 4 ) grundsätzlich nur dem Menschen zugeschrieben w i r d und geradezu als Unterscheidungskriterium von Mensch und Tier gilt. Darüber hinaus sieht aber die Gefährdungshaftung von der Willensfreiheit v ö l l i g ab, indem sie grundsätzlich nur das Verhalten als Gefahrenquelle anerkennt, nicht das Handeln. 6 5 Selbst wenn dem Tier daher ein solcher W i l l e zugeschrieben würde, könnte dieser aufgrund der Struktur der Gefährdungshaftung innerhalb von § 833 S. 1 B G B keine Rolle spielen. Diese Schwierigkeiten konnte die Rspr. auch nicht dadurch umgehen, daß sie die W i r k u n g auf das Innenleben des Tieres außer Betracht ließ und nur auf die Außergewöhnlichkeit des Reizes selbst abstellte. 6 6 Denn dieses Kriterium ist mehrdeutig. Es kann sich auf die besondere Intensität oder die ungewöhnliche Seltenheit eines Reizes beziehen, es kann die Wahrscheinlichkeit seines Auftre60 61 62 63 64 65 66
Vgl. oben 2 § 2 B I l b (1). Über Willen u. Willensfreiheit des Tieres vgl. unten 2 § 2 D I 2b (2). RG JW 1912, 797 Nr. 14; 1933, 693 Nr. 5; Köln JZ 1972, 408. Vgl. oben 2 § 2 B I l b (2) u. l b (3). Vgl. Kant, KpV, 27. Vgl. oben 1 § 2 B I I 2 b. v g l . oben 2 § 2 B I l b (4).
2. Teil: Die Tiergefahr
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tens überhaupt oder die konkrete A r t und Weise seiner Einwirkung auf das Tier meinen, es kann die empirische Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses bezeichnen oder seine subjektive Vorhersehbarkeit. Die Verlagerung der Aufmerksamkeit von der Reaktion des Tieres hin zur Besonderheit des Reizes, läßt sich auch nicht durchhalten, da die Reizstärke nicht allein durch die A r t der Reizquelle und die Umstände ihres Wirkens definiert werden kann, sondern letztlich nur durch die W i r k u n g auf das Tier. Dann muß aber doch die Reizverarbeitung i m Tier einbezogen werden. Ob und wie sich die Verarbeitung eines „stärkeren" Reizes von der eines „schwächeren" unterscheidet, wäre aber nur dann ein juristisch brauchbares Kriterium für den Umfang der Halterhaftung, wenn es u m die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines tierischen Willens ginge. Dieser spielt i n der Gefährdungshaftung aber eben keine Rolle. Die von der Rspr. unter Berufung auf die Außergewöhnlichkeit eines Reizes erzielten Ergebnisse waren als solche dann auch nicht plausibel. Unter diesem Gesichtspunkt kann z. B. eine Schmerzreaktion die Haftung nicht ausschließen, denn schmerzhafte Einwirkungen sind genausowenig ungewöhnlich, wie die darauf folgende Abwehrreaktion des Tieres. Dasselbe gilt für die W i r k u n g eines Medikaments, da diese eben regelmäßig eintritt. Eine Schreckreaktion bzw. eine außergewöhnlich heftige Reaktion des Tieres auf einen außergewöhnlichen Reiz ist selbst nicht außergewöhnlich, sondern der Normalfall. Die Argumentation der Rspr. läßt sich sogar umkehren, indem man sagt, daß gerade die Reaktion des Tieres auf alltägliche Reize infolge der Gewöhnung in zwingenden und eingefahrenen Bahnen verläuft, so daß die „eigenständige" M i t w i r k u n g des Tieres besonders gering ist. Bei außergewöhnlichen Reizen muß das Tier dagegen auch ein außergewöhnliches Verhalten hervorbringen, welches gerade deshalb weniger durch die A r t der Einwirkung mitbestimmt wird, als v o m Tier selbst. Die Auslösereize, die konkret auf den Verletzten zurückgehen, sind darüber hinaus letztlich ein Problem des Verletztenbeitrags und nach den dort entwickelten Kriterien zu behandeln. 6 7 Nach alledem bleibt festzuhalten, daß zwingende oder auch nur nachvollziehbare Kriterien zur Unterscheidung von normalen Reizen und solchen, die als physiologischer Zwang die Haftung beseitigen, von der Rspr. nicht herausgearbeitet worden sind. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß diese Unterscheidung schon i m Ansatz verfehlt und der B G H schließlich zu recht von ihr abgerückt ist. 2. Menschliche Leitung a) Das Tier in der Hand des Menschen Die Halterhaftung ist nach der Rspr. auch dann ausgeschlossen, wenn ein Tier sich lediglich als Werkzeug i n der Hand eines Menschen bewegt hat, wenn es dem W i l l e n und der Leitung des Menschen gefolgt i s t . 6 8 Die eigentliche Schadens67 Vgl. unten 2 § 2 B I 2e (3) u. 4. Teil.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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Ursache w i r d dann i n der Handlung des Menschen gesehen. Das spezifische tierische Risiko soll sich demgegenüber gerade nicht verwirklicht haben. Dies w i r d oft auch so ausgedrückt, daß ein Tier dem aufgenötigten W i l l e n des Menschen gefolgt ist, unter seiner Botmäßigkeit und Zügelgewalt stand, ein Werkzeug in seiner Hand war und seinen Befehlen gehorchte. 6 9 Damit w i r d eine Gruppe von Außenreizen, die auf das Tier einwirken und ein Tierverhalten hervorrufen, besonders hervorgehoben. Es handelt sich u m Reize, hinter denen letztlich ein konkreter menschlicher W i l l e steht. W i e beim physiologischen Zwang, geht es bei der menschlichen Leitung u m eine äußere Einwirkung auf das Tier. I m Unterschied zur vorherigen Fallgruppe w i r d diese Einwirkung aber insofern ausdrücklich auf den Menschen zurückgeführt, als menschliches Verhalten tierisches Verhalten hervorruft. Die Rechtsgutsverletzung ist dann letztlich v o m Menschen verursacht. Innerhalb der technischen Zivilisation ist die U m w e l t des Tieres aber so stark v o m Menschen bestimmt, daß viele äußere Einwirkungen schließlich auf den Menschen zurückgeführt werden könnten. Der menschliche Einfluß auf das Tier muß daher — ebenso wie beim physiologischen Zwang — zusätzlich in besonderer Weise qualifiziert sein, u m den Haftungsausschluß zu rechtfertigen. Hierbei kann beim auslösenden Ereignis angesetzt werden oder bei der Reaktion des Tieres. Menschliches Verhalten könnte von besonderem Gewicht sein, weil es dem menschlichen W i l l e n zurechenbar, also nicht nur Verhalten ist, sondern Handeln. Dann müßten Überlegungen zum vorwerfbaren Handeln des einwirkenden Menschen und dessen Bedeutung gegenüber der Gefahrenquelle i m Tierverhalten angestellt werden. Menschlicher Einfluß könnte sich aber auch durch seine besonders nachhaltige Wirksamkeit auf den Tierorganismus auszeichnen. Dann wäre zu fragen, worauf dies beruht und weshalb es haftungsrechtlich relevant ist. besondere Wirksamkeit? X menschlicher Wille
X menschliches Verhalten = Handeln
> X tierisches Verhalten
>x Verletzungserfolg
Schema Nr. 6 b) Tierisches
Verhalten
infolge menschlicher
Willensherrschaft
(1) Unmittelbare Verhaltenssteuerung Zur menschlichen Leitung gehören zunächst die Fälle, i n denen das Tier als Werkzeug zur Verwirklichung einer menschlichen Absicht eingesetzt wird. A u f grund menschlicher Willensherrschaft w i r d m i t Hilfe des Tieres ein Verletzungs68 Staud./Schäfer, 17-25; RGRK/Kreft, 16-17, 23; MünchKomm/Mertens, 16. 69 RGZ 50,219, 221; 69, 399,400; JW 1905, 392 Nr. 10; 1909, 218 Nr. 6; Düsseldorf VersR 1981, 82, 83; unklar Schleswig VersR 1983, 470.
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2. Teil: Die Tiergefahr
erfolg herbeigeführt, der als solcher dem W i l l e n des Menschen entspricht. So etwa, wenn ein Knecht den Hund, der i h m gehorcht, i h m aber nicht gehört, mit dem andressierten Angriffsbefehl „ N e t t l packs" auf ein K i n d hetzt. 7 0 Die Verletzung hat in diesen Fällen nicht den Charakter eines Unfalls, sondern den eines Delikts. Zur menschlichen Leitung gehören auch Fälle, i n denen das Tierverhalten selbst zwar v o m Menschen hervorgerufen w i r d und seinem W i l l e n entspricht, nicht aber auch der Verletzungserfolg. So etwa, wenn der Kutscher m i t seinem Fuhrwerk unbeabsichtigt einen Passanten streift oder der Reiter v o m Pferd fällt, gerade w e i l das Tier seiner Zügelbewegung f o l g t . 7 1 Es ist unerheblich, ob die Verhaltensbefehle an das Tier mechanisch (wie beim Reitpferd), akustisch oder optisch übermittelt werden. A u c h ein Hund, der auf die Straße läuft, um befehlsgemäß einen B a l l zu apportieren und dabei einen Verkehrsunfall verursacht, steht unter menschlicher L e i t u n g . 7 2 Demgegenüber zieht die Rspr. den Haftungsausschluß wegen menschlicher Leitung nicht i n Betracht, wenn das Tierverhalten selbst v o m Menschen ausgelöst oder herbeigeführt wird, ohne daß dieses von i h m beabsichtigt war. V o n menschlicher Leitung ist überhaupt keine Rede z. B. beim Ausschlagen eines Pferdes infolge eines Klapses auf die Hinterhand, 7 3 des Aufstechens einer Eiterbeule 7 4 oder wegen der bloßen Annäherung eines Menschen. 7 5 A u c h wenn das Tierverhalten durch einen Menschen ausgelöst wurde, werden diese Fälle höchstens bei der Ausnahmefallgruppe des physiologischen Zwangs erörtert. 7 6 Der Unterschied zur haftungsausschließenden Leitung kann dabei weder i n der Unabsichtlichkeit der Verletzung liegen, noch darin, daß jeweils die einflußnehmende Person selbst verletzt wurde, denn beides findet sich genauso bei den Entscheidungen, i n denen die Haftung ausgeschlossen wird. E i n Unterschied besteht aber insofern, als i n den Fällen menschlicher Leitung das Tierverhalten selbst durchweg beabsichtigt ist, wenn auch nicht zwangsläufig die Verletzung. Nach der Vorstellung der Gerichte soll menschliche Leitung jedenfalls mehr bedeuten, als nur die Veranlassung tierischen Verhaltens durch den Menschen. Der Mensch darf sich nicht auf eine einmalige Einwirkung beschränken, sondern sein W i l l e muß wenigstens grundsätzlich auf die länger dauernde Kontrolle des Tierverhaltens gerichtet sein. (2) Bloße Aufsicht I n manchen Entscheidungen wurde menschliche Leitung sogar bejaht, obschon die unmittelbare Herbeiführung eines Tierverhaltens nicht erfolgte und auch gar 70 München OLG 28, 295, 296. 71 RGZ 50, 180; Düsseldorf VersR 1971, 1177; 1981, 82, 83. 72 Oldenburg VersR 1954, 27, 28; vgl. München OLG 28, 295, 296. 73 RG JW 1906, 740 Nr. 8. 74 RG JW 1910, 579 Nr. 13; 1912, 797 Nr. 14. 75 Vgl. z. B. RG JW 1910, 579 Nr. 13. 76 Zur menschlichen Leitung als Unterfall des physiologischen Zwangs vgl. Deutsch, JuS 1987, 673, 676.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
97
nicht erfolgen konnte. So ließ das R G die Haftung für Zugpferde entfallen, als deren Pferdeknecht ohne die Zügel zu halten, auf der rechten Seite neben dem Wagen herging und durch Zuruf lenkte. Die Tiere sollen auch dann dem tatsächlichen W i l l e n des Lenkers gefolgt sein, als dieser am Straßenrand seine Notdurft verrichtete und die Pferde währenddessen ohne nach links oder rechts abzuweichen oder die Gangart zu verändern geradeaus weitergingen und dabei eine von dem Pferdeknecht gar nicht wahrgenommene entgegenkommende Passantin überfuhren. 7 7 A u c h hier entsprach zwar nicht der Erfolg, w o h l aber das Verhalten der Pferde i m Augenblick der Verletzung dem W i l l e n des Lenkers, obschon i n diesem Moment eine aktive Einflußnahme auf die Tiere gar nicht mehr vorlag, sondern bloße Aufsicht aus der Entfernung. Grundsätzlich k o m m t auch Unterlassen als menschliche Handlung i n Betracht. Die bloße Billigung des Tierverhaltens durch den Menschen kann aber für die menschliche Leitung nicht ausreichen, da diese eine tatsächliche Einwirkung auf das Tierverhalten voraussetzt. Entscheidend konnte demnach eigentlich nur sein, daß der Lenker die Bewegung der Tiere ursprünglich i n Gang gesetzt hatte. Es spielt dann offenbar keine Rolle, ob der verhaltensauslösende menschliche Befehl an die Tiere erst unmittelbar vor dem Verletzungserfolg erging oder von diesem zeitlich weit entfernt liegt. Daß es auf die tatsächliche Einwirkung ankommen muß, zeigt sich besonders dann, wenn der Kutscher auf dem Bock einschläft und die Pferde währenddessen Richtung und Tempo nicht verändern. 7 8 Hier soll grundsätzlich noch die Möglichkeit der Einflußnahme bestehen, denn selbst eine unbewußte Zügelbewegung des schlafenden Kutschers soll noch als menschliche Leitung i n Frage kommen. Dies muß indessen schon nach allgemeinen Grundsätzen daran scheitern, daß bei unbewußten Bewegungen i m Schlaf die Zurechnung zum menschlichen W i l len mangels Handlung ausscheidet. 79 Die bloße Anwesenheit eines Menschen ohne Einflußnahme kann nicht ausreichen. Da sich die Eingriffsmöglichkeit des Kutschers i m übrigen zur Zeit der Verletzung vollständig verflüchtigt hat, kann diese keine maßgebliche Voraussetzung der menschlichen Leitung sein. Es kann nur auf den Befehl des Lenkers an die Tiere abgestellt werden, der vor dem Einschlafen erteilt wurde. Einige Gerichte haben menschliche Leitung insbesondere dann angenommen, wenn bei Deckakten unter menschlicher Aufsicht ein Tier verletzt w u r d e . 8 0 Dabei soll offenbar die bloße Anwesenheit von Menschen ausreichen, soweit sie das Tierverhalten billigen. A u c h hier kann aber nicht die bloße Aufsicht entscheidend sein, sondern nur die Veranlassung des Tierverhaltens durch den Menschen. W o r i n indessen der maßgebliche Außenreiz liegt, ist nicht mehr ohne weiteres feststellbar. A l l e i n die menschliche Einwirkung führt jedenfalls nicht zum Tier77 78 79 so
RGZ 65, 103, 105. Colmar OLG 14, 52 (ohne Sachverhalt). Larenz, Schuldrecht II, 590; Esser / Schmidt, 353. LG Mainz MDR 1960, 496; Düsseldorf MDR 1975, 229.
7 Lorenz
2. Teil: Die Tiergefahr
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verhalten, denn i m Unterschied zu den bisher erörterten Fällen menschlicher Leitung w i r d das Tierverhalten hier nicht durch den A b r u f einer bestimmten Dressurleistung herbeigeführt, wie etwa bei der Lenkung von Pferden oder Hunden. Wenn man dem Einfluß äußerer Ursachen überhaupt noch haftungsrechtliche Bedeutung beimessen w i l l , 8 1 könnten Deckakte auch bei menschlicher Aufsicht höchstens als Fall des physiologischen Zwangs angesehen werden. c) Tierisches
Verhalten
trotz menschlicher
Einflußnahme
Innerhalb der Ausnahmefallgruppe der menschlichen Leitung hat sich ein besonders schwer nachvollziehbares Geflecht von Gegenausnahmen und „GegenGegenausnahmen" entwickelt. Es geht dabei hauptsächlich u m die Frage, wann und i n welchem Umfang ein Tierverhalten noch v o m menschlichen W i l l e n gedeckt ist. (1) Auflehnung gegen den menschlichen W i l l e n Die Rspr. hat entschieden, daß es bei menschlicher Leitung nicht erforderlich ist, daß ein Tier die v o m Menschen gewünschte Bewegung m i t vollster Genauigkeit ausführt oder nur genau die von i h m berechnete Kraft aufwendet. 8 2 Bei unerheblichen Abweichungen sollte die menschliche Leitung demnach bestehen bleiben. Andererseits sollte der Umstand, daß sich ein Tier i m allgemeinen unter der Herrschaft seines Lenkers befand, nicht schlechthin die Entfaltung eines willkürlichen Verhaltens ausschließen. 83 Dies kann aber nicht bedeuten, daß die Verwirklichung der Tiergefahr trotz menschlicher Leitung möglich ist, denn dann wäre die menschliche Leitung als Grenze der Haftung unbrauchbar. Das Tier kann aber jederzeit zu einem Verhalten übergehen, das dem W i l l e n des Lenkers nicht mehr entspricht, z. B. durch Beißen, Ausschlagen oder Hochsteigen, d. h. es kann die menschliche Leitung von sich aus verhindern, unterbrechen oder abschütteln. Dies gilt besonders dann, wenn ein Tier einen Befehl gar nicht annimmt oder sich gerade entgegen der menschlichen Weisung verhält, sich also gegen die Willensmacht des Lenkers auflehnt. Dies ist hauptsächlich der Fall, wenn Pferde scheuen und durchgehen, etwa wenn ein Kutscher über sein Gespannpferd, 84 ein Reiter über sein Reitpferd 8 5 oder Sprungpferd 8 6 v ö l l i g die Kontrolle verliert. Es gilt aber z. B. auch, wenn ein Hund sich losreißt. 8 7 81 Vgl. oben 2 § 2 B I 1 b (3). 82 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 582. 83 RGZ 80, 237, 240; JW 1909, 218 Nr. 6; Düsseldorf VersR 1970, 333, 334; BGH VersR 1966, 1073, 1074. 84 RGZ 54, 73, 74; 60, 65, 68; RG JW 1905, 318 Nr. 5; 1909, 218 Nr. 6; Warn. Rspr. 1909 Nr. 21. 85 BGH VersR 1952, 403; 1986, 1077, 1078; 1987, 198, 200; Köln VersR 1989, 62. 86 BGH VersR 1966, 1073, 1074. 87 KG VersR 1981, 1035.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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Demgegenüber soll nach der Rspr. ein Tier der menschlichen Leitung nicht widerstreben, wenn es Befehle nicht annimmt, weil es sie gar nicht annnehmen kann. Wenn ein Rennpferd vor Menschen, die i n die Rennbahn drängen, nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht werden kann, dann soll der Reiter die Gewalt über sein Pferd nicht verloren und dieses nicht der Leitung des Reiters widerstrebt haben. A u c h für ein williges Pferd sei es unmöglich gewesen, seine Bewegung jäh abzubrechen. 88 Die Rede v o m „ w i l l i g e n " und „ u n w i l l i g e n " Pferd bzw. v o m „Widerstreben" zeigt, daß i m Hintergrund auch hier die Vorstellung v o m tierischen W i l l e n steht. Wenn das Tier einen Befehl nicht annimmt, dann müßte konsequenterweise die Haftung eingreifen, da es an der Verursachung des tierischen Verhaltens durch den Menschen fehlt. (2) Wechselwirkungen menschlichen und tierischen Verhaltens Der menschliche W i l l e soll für das Tier auch dann nicht mehr bestimmend wirken, wenn er in einer durch das Tier hervorgerufenen Situation gar nicht mehr anders gebildet werden konnte. Bleibt einem Reiter wegen vorangegangenen Scheuens des Pferdes gar keine andere Wahl, als sein Tier zu einem Sprung zu veranlassen 89 oder w i r d eine Lenkungsmaßnahme des Kutschers durch das vorangehende Scheuen des Pferdes veranlaßt, 9 0 dann steht das Tier nicht mehr unter menschlicher Leitung, auch wenn es nunmehr dem W i l l e n des Lenkers folgt, denn dieser ist nicht frei gebildet, sondern v o m vorangegangenen Tierverhalten zwingend beeinflußt worden. M a n könnte auch sagen, daß die Unterbrechung der menschlichen Leitung durch das Scheuen des Tieres auch dann fortwirkt, wenn es sich dem menschlichen W i l l e n anschließend wieder unterordnet. Es wirkt besonders erstaunlich, daß es hier an der menschlichen Leitung fehlen soll, obschon das Tier ganz konkret und genau den menschlichen Befehlen folgte. Der Grund dafür ist letztlich, daß der menschliche W i l l e nicht frei, sondern unter Zwang gebildet wurde. Hält demgegenüber ein Reiter sein Tier nicht zurück, weil es i m M a u l besonders empfindlich ist, dann hätte dies nach Ansicht des B G H i h m ohne weiteres gestattet, seinen W i l l e n auch anders zu bilden und das Tier anzuhalten. 91 E i n Testfall für die Voraussetzungen der menschlichen Leitung liegt vor, wenn ein Blindenhund einen Verkehrsunfall mitverursacht, weil er seinen Herrn nicht vor einem herannahenden Fahrzeug warnt. Nach der Rspr. steht das Tier unter menschlicher Leitung. Denn hier bestimmt der Blinde, wohin er gehen w i l l und kann den Hund jederzeit zum Anhalten oder Weitergehen veranlassen. Der Hund hat die Aufgabe, den Blinden vor dem Anrennen an Hindernisse zu bewahren ss 89 90 91 7*
RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 377. BGH VersR 1966, 1073, 1074. RG Recht 1906, Nr. 460. BGH VersR 1952, 403.
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2. Teil: Die Tiergefahr
und auf herankommende Fahrzeuge aufmerksam zu machen. Diese Tätigkeiten sind i h m durch Dressur v o m Menschen aufgegeben und entsprechen nicht seinen angeborenen Verhaltensweisen. 9 2 Dieser Fall zeigt, wie sehr es darauf ankommt, dem Schlagwort „menschliche Leitung" eine präzise Bedeutung zu geben. Wer unter wessen Leitung steht und i n welcher Hinsicht ist nicht mehr ohne weiteres bestimmbar, wenn Mensch und Tier sich gegenseitig beeinflussen. Solange das Tier tut, worauf es dressiert ist, nämlich den Blinden leitet, steht es seinerseits unter menschlicher Leitung. Die Rspr. stellt auf die Möglichkeit des Blinden ab, das Tier zum Anhalten zu veranlassen. Dies erweist sich als besonders problematisch, da der Blinde den Hund zwar grundsätzlich jederzeit anhalten, aber letztlich doch nicht sinnvoll leiten kann. Der Blinde könnte den Hund z. B. vor einem Hindernis nur zum Stehen bringen, wenn er vorher von diesem darauf aufmerksam gemacht worden wäre. Letztlich lenkt der Blinde den Hund nicht durch einzelne Anweisungen und es kommt auch nicht auf die Möglichkeit hierzu an. Entscheidend ist vielmehr, daß der Blinde i m Tier ein besonders kompliziertes und anspruchsvolles Dressurprogramm auslöst. Unter diesem Gesichtspunkt steht der Hund nicht unter dem konkreten Einfluß des von i h m geleiteten Menschen, sondern er w i r d durch das Programm gesteuert. Diese Dressur ermöglicht die Wirksamkeit auch sehr weit entfernt liegender und umfangreicher Verhaltensanweisungen. Der Unfall ist entstanden, w e i l der Hund sich nicht diesen Anweisungen entsprechend verhalten hat. Daher hätte eigentlich ein Fall der Auflehnung gegen die menschliche Leitung angenommen werden müssen. Demgegenüber kann nicht darauf abgestellt werden, was der H u n d nicht getan hat, denn das Unterlassen ist eine Erscheinungsform menschlichen Handelns, nicht tierischen Verhaltens. 9 3 Als Anknüpfungspunkt kommt nur in Betracht, wie sich das Tier tatsächlich verhalten hat, also daß es den Blinden i n die Straße führte, obwohl der Programmbefehl ein anderes Verhalten von i h m verlangt hätte. d) Literaturmeinungen
zur menschlichen
Leitung
Die Ansichten zu dieser Fallgruppe sind i n der L i t . geteilt. Viele Autoren sehen keinen überzeugenden Grund, das Tier unter menschlicher Leitung von der Haftung auszunehmen. 94 Der Anspruch eines verletzten Passanten könne nicht davon abhängen, ob auf dem ausschlagenden Pferd zufällig ein Reiter saß, ob der beißende H u n d gehetzt wurde oder sich selbst von der Leine losgerissen habe. A u c h unter menschlicher Leitung bleibe der natürliche Bewegungsdrang der Tiere erhalten. Die Ursache einer Verletzung liege auch bei diesen Fällen 92 Hamburg VersR 1964, 1273, 1274. 93 Zum Unterlassen vgl. Esser / Schmidt, 354; Deutsch, Haftungsrecht, 125. 94 A K - B G B / K o h l , 5; Erman/Schiemann, 4; MünchKomm/Mertens, 16; R G R K / Kreft, 23; Soergel / Zeuner, 7; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 676; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; Siegfried, 126 u. 132.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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stets i n der Fähigkeit des Tieres zur selbständigen Bewegung. Die Möglichkeit menschlicher Einflußnahme auf das Tier mache dieses gerade besonders gefährlich. Andere Autoren verteidigen indessen die Fallgruppe. 9 5 Die Ursache der Verletzung sei in diesen Fällen die Gefährlichkeit des leitenden Menschen, nicht die des Tieres. Das Tier wirke nur wie jedes andere gefahrbringende Werkzeug in menschlicher Hand. A u c h bestehe kein Grund, von der seit Jahrzehnten praktizierten Rspr. zur menschlichen Leitung abzuweichen und damit die Rechtssicherheit auf dem Gebiet des Tierschadensrechts i n Frage zu stellen. 9 6 Bei Verzicht auf die Fallgruppen müßten zur Ermittlung der nicht haftbar machenden Risiken v ö l l i g neue Kriterien entwickelt werden. Gerade das letzte Argument ist aber nicht überzeugend, denn daß die Fallgruppenbildung die Rechtssicherheit gefördert hat, kann (gerade m i t B l i c k auf die menschliche Leitung zu recht) bezweifelt werden. 9 7 Angesichts der Ausnahmen und Gegenausnahmen sind die Entscheidungen nur bedingt vorhersehbar. e) Die Problematik
der menschlichen
Leitung
(1) Menschlicher Einfluß als Fremdursache Das Tierverhalten begründet nach der Rspr. nur dann die Halterhaftung, wenn gerade das Tier und nicht das menschliche Handeln die wesentliche Ursache der Verletzung darstellt. Das Tierverhalten selbst muß dann offenbar zumindest durch menschliche Einflußnahme herbeigeführt sein und i m wesentlichen seinem W i l len entsprechen. Da ein Tier stets äußeren Einflüssen ausgesetzt ist, müssen diese schwerer wiegen, als der Eigenbeitrag des Tieres. Dieses Übergewicht kann — entsprechend der Lage beim physiologischen Zwang — als tatsächliche gegenseitige Verdrängung von Wirkursachen gedacht werden oder auch — der Besonderheit dieser Fallgruppe eher angemessen — als haftungsrechtliches Übergewicht des menschlichen Handelns gegenüber tierischem Verhalten. Die Rspr. zum willkürlichen Verhalten orientierte sich ursprünglich i m wesentlichen an Kausalitätsüberlegungen. Danach war die Haftung ausgeschlossen, wenn durch menschliche Willensherrschaft das eigenständige Tierverhalten beiseite gedrängt wurde. Diese Überlegung kann sowohl bei der Beeinflußbarkeit des Tieres ansetzen, als auch beim auslösenden Menschen. Die Gerichte haben versucht, unter dieser Prämisse i m Einzelfall noch vertretbare Ergebnisse zu erzielen, sich dabei jedoch in ein Labyrinth von Ausnahmen und Gegenausnahmen verwickelt. Die Bedeutung der menschlichen Leitung ist zunehmend unklar und in sich widersprüchlich 95 Bondzio, RdL 1972, 258; Bornhövd, VersR 1979, 398; Erman/Drees, 6; Haase, JR 1977, 155, 156; Wussow / Kuntz, 403; Planck / Greiff, 2b; Schmid, JR 1976, 274, 276; Schünemann, JuS 1978, 376, 378. 96 Staud. / Schäfer, 21; Honsell, MDR 1982, 798, 799. 97 MünchKomm / Mertens, 4.
2. Teil: Die Tiergefahr
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geworden. Sie kann bestehen, obwohl das Tier v o m Menschen konkret gar nicht beeinflußt werden konnte (beim schlafenden Kutscher) oder nicht bestehen, obw o h l das Tier tatsächlich dem Menschen gehorcht hat (bei erzwungenen Lenkungsmaßnahmen) . (2) Menschliche Leitung als A b r u f von Verhaltensprogrammen Fragt man danach, worin die besondere Wirksamkeit menschlicher Befehle gegenüber sonstigen äußeren Einwirkungen auf das Tier besteht, dann zeigt sich, daß menschlicher Einfluß regelmäßig Dauerwirkungen auch über erhebliche Zeiträume hinweg hervorruft, auch wenn eine erneute Einflußnahme nicht erfolgt. 9 8 Die besondere W i r k u n g der menschlichen Leitung geht über den einmaligen Außenreiz hinaus. Dieser Gedanke beeinflußt offenbar auch die Rspr., wenn diese einen dauernden „Lenkungswillen" zugrundelegt und auch Befehle als menschliche Leitung anerkennt, die zeitlich weit von der Verletzung entfernt liegen. Eine genauere Betrachtung zeigt indessen, daß diese Dauerwirkung nicht i n der Eigenart menschlicher Willensbetätigung ihren Ursprung hat, sondern i n der Wirkung auf das Tier. Menschliche Befehle können überhaupt nur dadurch wirksam werden, daß durch sie i m Tier ein vorgezeichnetes Verhaltensprogramm abgerufen wird. E i n Befehl w i r k t auf das Tier nicht ohne weiteres, sondern nur, wenn er auf v o m Menschen bereits geschaffene Voraussetzungen trifft. Folgt das Tier dem Befehl, dann zeigt es ein Verhalten, welches der Mensch durch Dressur in i h m angelegt hat. M a n kann sagen, das Tierverhalten w i r d durch dieses erworbene Programm gesteuert, nicht durch seine eigenen Antriebe, d. h. die i h m angeborenen Verhaltensprogramme. Insofern steht das Tier kontinuierlich unter einer Fremdgesetzlichkeit, die ohne den Menschen nicht i n i h m wirken würde. Indessen ist auch diese Sichtweise problematisch, da sie letztlich auf die A r t der Reizverarbeitung i m Tier abstellt, die sich schon beim physiologischen Zwang nicht als juristisch brauchbares Unterscheidungskriterium erwiesen hat. 9 9 Die Dressurleistung eines Tieres braucht nicht notwendig so betrachtet zu werden, daß sie die Eigenständigkeit tierischen Verhaltens aufhebt. M a n kann auch sagen, daß i n dieser Eigenständigkeit die Möglichkeit der Dressur überhaupt erst ihre Grundlage h a t . 1 0 0 Das Problem der Selbständigkeit oder Gebundenheit tierischen Verhaltens w i r d durch das Abstellen auf die A r t der Reizverarbeitung letztlich immer verfehlt. E i n Tier ist, wie jeder Organismus, stets von Außenwirkungen beeinflußbar und beeinflußt. Keiner dieser Einwirkungen wohnt aber eine letzte Zwangsläufigkeit inne, da sich das Tier auch dem menschlichen Verhaltensprogramm jederzeit entziehen kann. Dies hat die Rspr. i n den Fällen der Auflehnung 98 Vgl. oben 2 § 2 B I 2b. 99 Vgl. oben 2 § 2 B I 1 d. 100 So z. B. RGRK / Kreft, 23; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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anerkannt. Zur Begründung eines haftungsrechtlich relevanten Unterschiedes gegenüber beliebigen anderen äußeren Einflüssen reicht diese Überlegung daher nicht aus. (3) Menschliche Leitung als Problem der Zurechnung zum menschlichen W i l l e n Es liegt daher nahe, den Grund für die Ausgrenzung dieser Fallgruppe aus der Haftung überhaupt nicht i n den tatsächlichen Unterschieden zu suchen, die möglicherweise hinsichtlich der Beeinflußbarkeit tierischen Verhaltens bestehen, sondern i n der Konkurrenz zweier haftungsrechtlicher Prinzipien. Der Gefährdungsbeitrag des Halters könnte hinter den Verschuldensbeitrag des leitenden Menschen zurücktreten. Die objektive Zurechnung der Verletzung zum Tierverhalten und zum Halter w i r d dann überspielt durch die subjektive Zurechenbarkeit derselben Verletzung zum Handeln und zum W i l l e n des Lenkers. Dieser Gedanke ist durch das Verhältnis der actio de pauperie zur actio de lege A q u i l i a schon i m römischen Recht angedeutet. 1 0 1 Dies setzt aber voraus, daß die Zurechnung der Verletzung zum leitenden Menschen haftungsrechtlich möglich ist, daß also etwa bei der Leitung durch einen Dritten auch die Voraussetzungen eines Anspruchs gegen diesen aus Verschuldenshaftung vorlägen. Da die Rspr. beim Haftungsausschluß wegen menschlicher Leitung zunächst auf die Kausalität abstellte, nicht auf die normative Gewichtung von Erfolgsbeiträgen, wurde und w i r d die Frage nach dem Verschulden des leitenden Menschen so nicht ausdrücklich gestellt, obschon sie i m Hintergrund steht. Denn die Erwägung, ob der W i l l e des Lenkers frei gebildet wurde, ist nur sinnvoll i m Zusammenhang m i t der Verantwortlichkeit für menschliches Handeln. 1 0 2 Soweit die Rspr. die Haftung wegen menschlicher Leitung ausschließt, beruht diese dann auch regelmäßig auf vorwerfbarem Handeln des Lenkers. I m Bezug auf das Tierverhalten w i r d ohnehin Absicht vorausgesetzt, i m Bezug auf die daraus folgende Rechtsgutsverletzung w i r d sich regelmäßig ein vorwerfbarer Verhaltensfehler des Lenkers darlegen lassen. Wenn der Lenker den Passanten absichtlich überfährt oder das Überfahren vorhersieht und billigt, ohne einzugreifen, dann verwendet er die Pferde als Werkzeuge seines Handelns, für das er aus Verschulden haftet. Bei Nichterkennen einer Verletzungsgefahr kann i h m die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolges als Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Dies gilt für das Handeln durch Tun, wie durch Unterlassen. Dies gilt auch dann, wenn das menschliche Handeln zeitlich weit v o m verletzenden Tierverhalten entfernt lag. D e m eingeschlafenen Lenker kann vorgeworfen werden, daß er keine Vorkehrungen gegen das Einschlafen getroffen hat. I n den Fällen der Auflehnung w i r d man demgegenüber regelmäßig sagen können, daß 101 Vgl. oben 1 § 3 B I 2a. 102 Vgl. oben 1 § 2 B I I 1 u. 2 § 2 B I 2c (1).
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2. Teil: Die Tiergefahr
der Lenker die Verletzung auch durch sorgfältiges Handeln nicht hätte abwenden können, so daß eine Handlungshaftung ausscheidet. W i r d der Haftungsauschluß wegen menschlicher Leitung i n dieser Weise auf die Konkurrenz von Verschuldens- und Gefährdungsbeiträgen zurückgeführt, dann gelangt ein noch grundlegenderes Problem ins Blickfeld, das sich aus der strukturellen Funktion des Merkmals der Tiergefahr innerhalb der Gefährdungshaftung ergibt und das ganz allgemein in der Rspr. zu den Fallgruppen keine hinreichende Beachtung findet. Die Tiergefahr kann nur der Ausscheidung von Verletzungsbeiträgen dienen, die nicht auf das Tier zurückgehen, sondern auf Ursachen, die weder dem Halter selbst, noch dem Verletzten zuzurechnen sind (Fremdbeiträge). Es kann zunächst nicht darum gehen, die Haftung auch dann auszuschließen, wenn der Verletzte, der Halter oder eine Person, für die einer von beiden haftungsrechtlich (§ 831 B G B ) einzustehen hätte, das Tier lenkt. Denn die Abwägung sämtlicher Erfolgsbeiträge der Prozeßparteien selbst erfolgt i n angemessener Weise nicht durch die Alles-oder-nichts-Entscheidung i m Rahmen der Tiergefahr, sondern durch eigenständige Überlegungen zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags. 1 0 3 Die haftungsrechtliche Zuordnung des Lenkers kann daher nicht dahingestellt bleiben. Setzt der Halter durch seine Einwirkung auf das Tier eine zusätzliche Verletzungsursache, dann kann er sich nicht ausgerechnet dadurch von der strengeren Halterverantwortung befreien, 1 0 4 selbst wenn i h m aufgrund seines Handelns zusätzlich ein Verschuldensbeitrag zur Last f ä l l t . 1 0 5 Denn es ist i n der Rspr. anerkannt, daß die Gefährdungshaftung und die Verschuldenshaftung des Halters nebeneinander stehen können. 1 0 6 Dies ist indessen ein Konkurrenzproblem, das über den Tatbestand der Halterhaftung hinausgeht und nicht i m Rahmen der Gefahrzurechnung gelöst wird, sondern nach § 254 B G B . Dies gilt auch für Einwirkungen durch Hilfspersonen des Halters, 1 0 7 für die sich dieser nicht exkulpieren kann. A u c h die M i t w i r k u n g des Verletzten selbst w i r d durch § 254 B G B oder durch besondere Kriterien des persönlichen Schutzbereiches berücksichtigt. Dies wäre überflüssig, wenn seine M i t w i r k u n g schon die Verwirklichung der Tiergefahr ausschlösse. 108 Daher kann es i m Rahmen der Tiergefahr letztlich nur u m die Leitung durch Dritte gehen. Diese Situation ist vergleichbar m i t der Steuerung eines K f z durch Dritte, wie sie z. B. in § 7 I I I S t V G ausdrücklich geregelt i s t . 1 0 9
103 Vgl. unten 4. Teil. 104 So aber z. B. RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 377; Hamburg VersR 1964, 1273, 1274. 105 Zur Kumulation von Gefährdung u. Verschulden z. B. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; vgl. oben 2 § 2 B I 2d u. unten 4 § 3. 106 Vgl. unten 4 § 3 A I I 3. 107 Ohne Erörterung der Stellung des Lenkers Haftungsausschluß angenommen z. B. in RGZ 50, 180; 65, 103, 105. 108 So aber Düsseldorf VersR 1971, 1177; 1981, 82, 83. 109 Vgl. unten 2 § 2 B III.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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Die Lenkung des Tieres darf dann aber gerade nicht dazu führen, daß i m Ergebnis weder der Lenker noch der Halter haftet. A u c h bei § 7 I I I S t V G geht die Haftung des Halters nicht einfach unter, sondern w i r d ersetzt durch die Einstandspflicht des Lenkers. Selbst wenn man Wertungswidersprüche aber dadurch vermeidet, daß die Halterhaftung nur ausgeschlossen wird, wenn dem Verletzten in jedem Fall ein Anspruch gegen den Dritten verbleibt, ist die grundsätzliche Verdrängung des § 833 S. 1 B G B durch die Verschuldenshaftung des Dritten m i t den gesetzlichen Wertungen nicht vereinbar. Überlegungen hierzu passen auch nicht i n den Rahmen der Gefahrzurechnung und der Tiergefahr, sondern sind eine Frage der Konkurrenz zwischen Haftungsnormen, die über den Haltertatbestand selbst hinausgeht. Die gleichzeitige Haftung eines Dritten aus Verschulden setzt dabei nicht ohne weiteres die Gefährdungshaftung des Halters außer Kraft. I m Haftungsrecht hat schuldhaftes Handeln gegenüber einer bloßen Gefahrenquelle nicht grundsätzlich die Vermutung besonderen Gewichtes für s i c h , 1 1 0 sondern es müßten Kriterien gefunden werden, die das Übergewicht der menschlichen M i t w i r k u n g überzeugend begründen. Ein Nachrang der Tierhalterhaftung gegenüber der Verschuldenshaftung des Dritten ergibt sich zwar für das Innenverhältnis der Schädiger aus § 840 I I I B G B . 1 1 1 Die Vorschrift setzt aber das grundsätzliche Nebeneinander der Halterhaftung und der Verschuldenshaftung des Dritten gebenüber dem Verletzten gerade voraus. Durch das Hinzutreten eines Verschuldenstatbestandes kann dem Verletzten nicht der günstigere Anspruch aus der Gefährdungshaftung genommen werden. Nach alledem erscheint der Haftungsaiisschluß bei menschlicher Leitung unter keinem Gesichtspunkt als gerechtfertigt. 3. Natürliches Verhalten I n den Fällen des natürlichen Verhaltens wurde die Haftung nicht deshalb ausgeschlossen, weil es am willkürlichen Verhalten fehlte, sondern weil dieses in manchen Fällen nicht als hinreichend verletzungsträchtig angesehen wurde. Dadurch ist es i n Rspr. u. Lit. häufig zu Mißverständnissen gekommen, bis der B G H die Brauchbarkeit auch dieser Fallgruppe teilweise i n Frage gestellt hat. a) Krankheitsübertragung
durch Beschnüffeln
Der Ursprung dieser Fallgruppe liegt i m Schnüffelfall. 1 1 2 Als zwei Zugpferde nebeneinander standen, hatte ein Tier das andere durch Beschnüffeln m i t einer 110
Zur Gewichtung von Handeln und Gefahrenquelle innerhalb von § 254 BGB vgl. MünchKomm/Grunsky, §254, 10 u. 64; R G R K / A l f f , § 254, 32; Soergel / Mertens, §254, 118. m Zu § 840 I I I vgl. MünchKomm/Mertens, § 840, 29; Staud. / Schäfer, § 840, 8286; Soergel/Zeuner, §840, 30; Erman/Schiemann, 16; RGRK/Kreft, 52; Staud./ Schäfer, 61. ii2 RGZ 80, 237, 239/240.
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2. Teil: Die Tiergefahr
tödlichen Krankheit angesteckt. Hier nahm das R G an, daß das Beschnüffeln ein selbständiges, der tierischen Natur entsprechendes (also willkürliches) Verhalten sei, jedoch an und für sich ungefährlich und nicht geeignet, Verletzungen herbeizuführen. Das Beschnüffeln habe nur die Gelegenheit zur Übertragung von Bakterien geschaffen. Diese Übertragung ihrerseits, die auch bei unwillkürlicher Berührung der Tiere hätte statthaben können, sei jedoch kein willkürliches Verhalten. Das R G hat also das Geschehen aufgespalten in — den Vorgang des Beschnüffeins, der zwar w i l l k ü r l i c h aber an sich ungefährlich ist und — den Vorgang der Übertragung von Bakterien, der zwar gefährlich aber eben gar kein Tierverhalten ist. Das R G bekräftigt i n dieser Entscheidung, daß für ein der „tierischen Natur entsprechendes" Verhalten i n der Regel gehaftet wird. Es stellt dann aber ausnahmsweise auf die grundsätzliche Ungefährlichkeit des Beschnüffeins ab. Damit w i r d jenseits der bloßen Kausalitätsüberlegungen das Wertungskriterium der typischen Verletzungsträchtigkeit eingeführt. Diese Unterscheidung des R G zwischen Tierverhalten und Gefährlichkeit geht letztlich auf die Funktion des Merkmals der Tiergefahr zurück, die auf den beiden Komponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung beruht. 1 1 3 I n der Frage nach der typischen Gefährlichkeit tierischen Verhaltens liegt ein Ansatz zur Bestimmung des Gefahrzusammenhangs, 1 1 4 der später i m Kriterium des Risikozusammenhangs 1 1 5 seine Fortsetzung findet. Die Überlegungen des R G sind insofern zwar von grundsätzlicher Bedeutung, die konkrete Fallösung wirkt aber dennoch nicht zwingend. Das R G nennt kein Kriterium für die Unterscheidung von gefährlichem und ungefährlichem Verhalten. Immerhin könnte man sagen, daß gerade wegen der spezifischen Gefahr der Krankheitsübertragung das Beschnüffeln eine gefährliche Verhaltensweise darstellt. Das Ergebnis des R G läßt sich nur begründen, indem man die Eigenschaft des Tieres als Keimträger nicht als Bestandteil der Gefahrenquelle ansieht (da es sich nicht u m Tierverhalten handelt), die Übertragung der Bakterien und ihre W i r k u n g aber als zusätzlich mitwirkende Fremdereignisse behandelt, deren Relevanz für den Verletzungserfolg schwerer wiegt, als das Tierverhalten (Schnüffeln) selbst. 1 1 6 Dies muß nicht überzeugen. b) Ausscheidungen
und
Absonderungen
Später hat das R G lakonisch festgestellt, daß sich Ausscheidungen von Bienen, durch welche zum Trocknen ausgelegte gegerbte Tierhäute verunreinigt worden waren, gerade nicht als Ausfluß der gefährlichen tierischen Natur darstellten. 1 1 7 113 114 unten 115 116
Vgl. oben 1 § 4 B I u. II. Die Frage, ob jedes Tierverhalten gefährlich ist, wirft auch die Literatur auf; vgl. 2 § 3 E III; § 2 B I V 4. Vgl. unten 2 § 2 B I V 4. Vgl. unten 2 § 2 B I 3e.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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A u c h dieses Ergebnis w i r d nicht näher begründet. I n Frage k o m m t eine ähnliche Überlegung wie i m Schnüffelfall: Durch Ausscheidungen von Bienen w i r d regelmäßig niemand verletzt. Dazu bedarf es der M i t w i r k u n g weiterer Umstände. Bei einem Verkehrsunfall durch Kuhdung ist von „nur mittelbarer Verursachung" durch natürliche Ausscheidungen von Tieren die Rede. 1 1 8 Das Tierverhalten erscheint danach u m so weniger verletzungsträchtig, je mehr weitere Ursachen hinzutreten müssen, u m die Verletzung herbeizuführen. Dabei geht es offensichtlich u m die Zurechnung von Gefahrenquelle und Verletzungserfolg. Als Entenfedern die Frischwasserzirkulation eines Fischteiches verstopft hatten und die Fische eingingen, hatte dies nach Ansicht des Gerichts seine Ursache i n einer v ö l l i g natürlichen Lebens- und Verhaltensweise der Tiere, die nicht Ausdruck der eigentümlichen Gefährlichkeit der tierischen Natur sei. 1 1 9 I n diesen Entscheidungen geht es durchweg u m Verhaltensweisen, die sich nicht unmittelbar aggressiv gegen den Menschen richten. Der Haftungsausschluß bei friedlichem Verhalten ist über den Bereich der Ausscheidungen hinaus erstreckt worden, als ein Reitschüler durch ein nicht mehr i m einzelnen ermittelbares Verhalten seines Pferdes verletzt wurde, das nach Ansicht des Gerichts jedenfalls dem natürlichen und üblichen Verhalten eines Reitpferdes beim Reitunterricht entsprach. 1 2 0 Die Gefahrenquelle liegt dabei jeweils nicht einfach i m Verlust der Federn oder i m Verlieren von Fäkalien, sondern i m Tierverhalten (Umherschwimmen bzw. Umherlaufen). Dieses führt dann durch Hinzutreten weiterer Umstände (Verstopfen des Abflusses, Liegenbleiben der Fäkalien) innerhalb eines längeren Zeitraums zur Verletzung. Fraglich ist dann, ob diese Umstände die Erfolgsrelevanz des Tierverhaltens aufheben können. Es erscheint daher naheliegend, das Kennzeichen dieser Fälle gerade i n der M i t w i r k u n g zusätzlicher Einflüsse zu sehen, die nicht zur Gefahrenquelle gehören, durch die sich aber die Zurechnungskette zwischen Tierverhalten und Verletzung i n ungewöhnlicher Weise verlängert. Unter diesem Gesichtspunkt kommt dann jedenfalls beim Reitunfall kein Haftungsausschluß i n Betracht. c) Deckakte als Anlaß der Neukonzeption
durch den BGH
I n der Zeit zwischen 1956 und 1976 bildete sich bei einigen Gerichten die Gepflogenheit heraus, Deckakte ohne menschliche Aufsicht als der natürlichen Tierveranlagung entsprechend anzusehen und gerade deshalb von der Halterhaftung auszunehmen. Sie sollten nicht zu den spezifisch mit der Tierhaltung verbundenen Gefahren gehören. 1 2 1 Unter Berufung auf die Entscheidungen des R G i m i n RGZ 141, 406, 407. Ob es sich um Wachs handelt, läßt das RG offen. Von "natürlichem Verhalten" ist in dem Urteil allerdings nicht die Rede. Iis L G Köln MDR 1960, 924. ii9 Oldenburg VersR 1976, 644. 12° Düsseldorf VersR 1980, 270. Haftung aber trotz natürlichem Verhalten beim Schwanzwedeln eines Hundes: Nürnberg NJW-RR 1991, 741.
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2. Teil: Die Tiergefahr
Schnüffelfall und i m Bienenwachsfall wurde behauptet, das natürliche Verhalten stehe i m Gegensatz zum willkürlichen Verhalten. Wenn sie Deckakte aber nicht als willkürliches Verhalten betrachtete, mußte die Rspr. zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse dann auf weiter entfernt liegendes Tierverhalten zurückgreifen. Waren männliche Tiere gewaltsam i n den umfriedeten Aufenthaltsort weiblicher Tiere eingedrungen, dann wurde mitunter nicht auf den Deckakt selbst, sondern auf das Eindringen abgestellt, welches als willkürliches und gefährliches Verhalten die Haftung begründete. 1 2 2 Dadurch wurde dann die Frage aufgeworfen, welches Tierverhalten letztlich als Ansatzpunkt für die Zurechnung i n Betracht kommt. Diese Umwege sind indessen ganz überflüssig, denn der Haftungsausschluß bei Deckakten läßt sich auf die Überlegungen des R G nicht stützen. Dieses befaßte sich m i t der typischen Verletzungsträchtigkeit gerade des willkürlichen Verhaltens, so daß von einem Gegensatz zwischen willkürlichem und natürlichem Verhalten gar keine Rede sein konnte. Sowohl unter dem Gesichtspunkt der tierischen Eigenaktivität und selbsttätigen Freisetzung tierischer Energie (willkürliches Verhalten), wie auch unter dem der typischen Verletzungsträchtigkeit, erscheint der Deckakt geradezu als Musterfall haftungsbegründenden Tierverhaltens. Es war auch stets anerkannt, daß allein schon i m ungewollten Decken weiblicher Tiere eine Sachbeschädigung liegt. A l s diese Entscheidungspraxis drohte, sich auszuweiten, hat der B G H schließlich i m Chow-Chow-Fall die Deckakte ausdrücklich der Halterhaftung unterstellt, denn gerade sie seien w i r k l i c h gewordene Tiergefahr. 1 2 3 Er hat darauf hingewiesen, daß weder der B G H noch das R G die Formulierung „natürliches Verhalten" je verwendet hätten und dieses Kriterium für die Begrenzung der Tiergefahr als unbrauchbar bezeichnet. Die Berechtigung des Haftungsausschlusses bei Krankheitsübertragung und tierischen Ausscheidungen hat er demgegenüber ausdrücklich dahinstehen lassen. Darüber hinaus hat er die Rspr. zur Tiergefahr auf eine neue Grundlage gestellt, indem er die Umschreibung als „willkürliches Verhalten" durch die „tierische Unberechenbarkeit" ersetzte. A l l e i n u m die Haftung für Deckakte zu begründen, war die Neuorientierung indessen nicht erforderlich, denn dieses Ergebnis folgte schon aus den Überlegungen des RG. A u c h die Ablehnung des natürlichen Verhaltens durch den B G H bezieht sich letztlich nur auf die Rspr. der Obergerichte zu den Deckakten, während der Haftungsausschluß bei Krankheitsübertragung und tierischen Ausscheidungen weiterhin möglich bleibt. Zwar wurde die Formulierung „natürliches Verhalten" überhaupt erst i m Zusammenhang m i t den Deckakten geprägt, während z. B. i m Schnüffelfall nur von einem der „tierischen Natur entsprechenden" Verhalten die Rede ist. Über 121 LG Stade VersR 1958, 812, 813; Karlsruhe VersR 1969, 808, 809; München OLGZ 1971, 404, 405; vgl. auch Düsseldorf VersR 1956, 226. 122 Oldenburg VersR 1965, 1087, 1088; NJW 1976, 573; vgl. auch Düsseldorf VersR 1956, 226. 123 BGH VersR 1976, 1090, 1091; ähnliche Erwägungen schon in Köln JZ 1972, 408 u. Oldenburg NJW 1976, 573.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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die Deckakte hinaus hat sich aber i n der L i t . die Bezeichnung des natürlichen Verhaltens gerade auch für die Fälle des ungefährlichen Tierverhaltens eingebürgert, so daß es gerechtfertigt erscheint, sie auch weiterhin so zu bezeichnen, wobei aber „natürlich" dann als „typischerweise nicht verletzungsträchtig" zu lesen ist. d) Literaturmeinungen
zum natürlichen
Verhalten
Die Haltung der L i t . zu diesen Fällen ist besonders schwer zu ergründen, denn die meisten Autoren gehen stillschweigend oder ausdrücklich v o m Gegensatz des willkürlichen und des natürlichen Verhaltens aus. 1 2 4 Dann sprechen gegen das natürliche Verhalten zwangsläufig sämtliche Argumente, die schon grundsätzlich gegen die Überlegungen zum willkürlichen Verhalten ins Feld geführt werden. 1 2 5 Zusätzlich w i r d daraufhingewiesen, daß die römischrechtliche Unterscheidung zwischen dem Tierverhalten „secundum" und „contra naturam" bei der Ausarbeitung des B G B gerade nicht übernommen worden s e i . 1 2 6 Beim natürlichem Verhalten wirkten -— schon nach der Wortbedeutung — gerade typisch tierische Eigenschaften, bei denen jederzeit mit Schäden zu rechen sei. 1 2 7 Nur vereinzelt w i r d ausdrücklich die eigentliche Fragestellung der Gerichte aufgegriffen, wonach es typisch tierisches bzw. willkürliches Verhalten gibt, welches erfahrungsgemäß so wenig verletzungsträchtig und damit so ungefährlich und alltäglich ist, daß die Haftung ausscheidet. 128 Dann w i r d betont, daß die Grenze zwischen gefährlichem und ungefährlichem Tierverhalten letztlich schwer gezogen werden könne. I n der Lit. besteht infolgedessen keine übereinstimmende Vorstellung davon, welche Fallkonstellationen überhaupt zum natürlichen Verhalten zu zählen sind, so daß die einschlägigen Probleme zumeist nochmals eigenständig behandelt werden. Bei Deckakten ohne menschliche Aufsicht verwirklicht sich nach einhelliger Ansicht die Tiergefahr. 1 2 9 Es handelt sich u m die Folge von Triebkonstellationen i m Tier, die sich menschlicher Herrschaft und Voraussicht entzieht. W i r d dieser Fall als physiologischer Zwang behandelt, dann gelten zusätzlich die 124 Staud. / Schäfer, 31; RGRK / Kreft, 14; Soergel / Zeuner, 5; MünchKomm / Mertens, 13; Medicus, Schuldrecht II, 391; Wussow / Kuntz, 402a; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 154; Bondzio, RdL 1972, 229, 231; Stötter, MDR 1970, 100, 101; Haase, JR 1973, 10, 12; Bornhövd, VersR 1979, 398, 399; Deutsch, VersR 1978, 1998, 1999; JuS 1987, 673, 675; Weber, L M § 833 BGB Nr. 9. 125 Z. B. Deutsch, JuS 1987, 673, 675; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155; Wolf, 672; vgl. oben 2 § 2 A II. 126 Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155. 127 A K - B G B / K o h l , 5; Bondzio, RdL 1972, 229, 231; Haase, JR 1977, 155, 156; MünchKomm / Mertens, 15; RGRK/Kreft, 21; Schünemann, JuS 1978, 377, 378; Stötter, MDR 1970, 100, 102/103. 128 Staud./Schäfer, 31 u. 32; Weber, L M § 833 BGB Nr. 9, Bl. 2. 129 AK-BGB / K o h l , 5; Erman/ Schiemann, 4; MünchKomm/ Mertens, 13; R G R K / Kreft, 21; Soergel / Zeuner, 10; Staud. / Schäfer, 27; Siegfried, 118.
2. Teil: Die Tiergefahr
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Überlegungen, die gegen diese Fallgruppe sprechen. 1 3 0 Die Halterhaftung erfaßt auch das Bellen und nichtaggressive Anspringen durch Hunde oder das Fressen von V i e h auf fremder Weide, sofern dies als natürliches Verhalten aufgefaßt w i r d . 1 3 1 Dabei soll es sich zwar um natürliches Tierverhalten handeln. Dieses ist aber so verletzungsträchtig, daß die Tierhalterhaftung eingreifen muß. Umstritten ist die Lage dagegen bei den tierischen Ausscheidungen und Absonderungen. Sie werden von einigen Autoren zur Tiergefahr gerechnet. 1 3 2 Es handle sich u m tierische Lebensäußerungen, die gerade auch i m Straßenverkehr zur erheblichen Gefährdung führen können. Andere Autoren halten die Haftung nicht für gerechtfertigt.
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Ausscheidungen seien nicht gefährlich und daher nicht v o m Normzweck
erfaßt. Der Verkehr müsse sich hierauf einstellen. Es gehe bestenfalls u m Belästigungen, die nach § 1004 B G B abgewehrt werden könnten. A u c h bei der Krankheitsübertragung durch Beschnüffeln sind die Ansichten geteilt. Manche Autoren wollen die Haftung hierfür ausschließen. 134 Schnuppern sei an sich ungefährlich und ermögliche nur die Wirksamkeit einer anderen Ursache, nämlich durch Übertragung von Krankheitskeimen. E i n krankes Tier könne keine stärkeren Ansprüche auslösen, als ein kranker Mensch. Das letzte Argument trifft indessen das Problem sicher nicht. Die Unterscheidung tierischen Verhaltens und menschlichen Handelns liegt der Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Fall der Gefährdungshaftung schon zugrunde. Die Nichthaftung beim kranken Menschen ist ein Problem des Handlungsbegriffs i m Rahmen der Verschuldenshaftung. Sie läßt nicht den Schluß zu, eine Krankheit werde deshalb i m Bereich der Gefährdungshaftung auch nicht als Gefahrenquelle angesehen. Manche Autoren sehen demgegenüber in der Krankheitsübertragung eine Verwirklichung der Tiergefahr. 1 3 5 Gerade das Schnuppern und Schnüffeln sei unvernünftig und typisch tierisch, sowie auch eine Folge der tierischen Eigenenergie. Der Tierorganismus als Keimträger begründe eine besondere Ansteckungsgefahr. e) Natürliches
Verhalten
als Kriterium
der Gefahrzurechnung
Diese Ausnahmefallgruppe geht — wie schon der physiologische Zwang und die menschliche Leitung — v o m Tierverhalten aus, fragt aber nicht nach dessen äußerem Anlaß, denn das Tier hat beim natürlichen Verhalten sogar regelmäßig ein Verhalten allein aus eigenem Antrieb gezeigt. Dennoch tritt die Haftung nicht 130 Vgl. oben 2 § 2 B I 1 c. 131 Staud. / Schäfer, 32. Vgl. auch Nürnberg NJW-RR 1991, 741. 132 A K - B G B / K o h l , 5; Erman/ Schiemann, 4; Haase, JR 1977, 155, 156; Soergel/ Zeuner, 9; Siegfried, 112; RGRK / Kreft, 21. 133 Erman /Drees, 4; Stötter, MDR 1970, 100, 103; Wussow / Kuntz, 401; Staud./ Schäfer, 32. 134 A K - B G B / K o h l , 6; Erman/Drees, 4; Soergel / Zeuner, 6; Staud. / Schäfer, 16; Stötter, MDR 1970, 100, 103; Wussow / Kuntz, 402a. 135 Erman /Schiemann, 4; Haase, JR 1977, 155, 156; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155; MünchKomm/Mertens, 15; RGRK/Kreft, 21; Siegfried, 107.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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ein, da aufgrund dieser Verhaltensweisen nicht typischerweise Verletzungen entstehen. Die „Typizität" ist indessen dogmatisch schwer einzuordnen. Sie ist jedenfalls nicht einfach eine Frage der Adäquanz, da die Verletzung, z. B. bei Krankheitsübertragung oder Wachsausscheidung, nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegen muß. Es w i r d aber auch nicht v ö l l i g klargestellt, ob schon das jeweilige Verhalten für Tiere überhaupt oder wenigstens für bestimmte Tierarten untypisch sein muß oder ob es allein um die typische Verletzungsträchtigkeit des Verhaltens geht. I m einen Fall steht das Problem der Gefahrenquelle i m Mittelpunkt, i m anderen die Typizität des Zusammenhangs von Tierverhalten und Verletzung als einem möglichen Kriterium der Gefahrzurechnung. Aufgrund der vorliegenden Entscheidungen läßt sich vermuten, daß es weniger darauf ankommt, ob das Tier sich friedfertig oder aggressiv verhält, sondern eher darauf, wie lang die Zurechnungskette zwischen Verhalten und Verletzung ist. Denn i n diesem Fall wächst die Anzahl der sonstigen mitwirkenden Ursachen ins Unabsehbare. Ähnliche Überlegungen werden in späteren Entscheidungen beim Kriterium des Risikozusammenhangs angestellt. Unter diesem Gesichtspunkt haben dann die von der Rspr. zum natürlichen Verhalten erzielten Ergebnisse durchaus unterschiedliche Überzeugungskraft. Während i m Bienenfall, beim Reiten und beim bellenden Hund die Rechtsgutsverletzung unmittelbar durch das Tierverhalten eintrat, mußte i m Schnüffelfall die Langzeitwirkung der Krankheitskeime hinzukommen und beim Kuhdung oder erst recht bei den Entenfedern ist der Zusammenhang von Tierverhalten und Verletzung schon sehr entfernt. Es läßt sich demnach sagen, daß der Zeitfaktor und die dadurch gegebene Einheitlichkeit des Verletzungsvorgangs für die Verletzungsrelevanz tierischen Verhaltens i m Rahmen dieser Fallgruppe eine wichtige Rolle spielen.
I I . Der Haftungsausschluß bei passiver Tierexistenz E i n Tier kann an einer Verletzung beteiligt sein, auch wenn es selbst in keiner Weise aktiv wird, d. h. wenn gar kein Tierverhalten vorliegt. Für die Rspr. scheidet das passive Tier als Ansatzpunkt der Haftung, d. h. als Gefahrenquelle grundsätzlich aus. Dann geht es darum, inwieweit auf vorhergehendes aktives Tierverhalten zurückgegriffen werden darf, also u m die Gefahrzurechnung. Hier beginnt daher ein breites Übergangsfeld zwischen der Fallgruppenbildung und der unmittelbaren Verwendung allgemeiner Kriterien der objektiven Zurechnung, wie der unterbrochenen Kausalität und dem Risikozusammenhang. Bei der passiven M i t w i r k u n g von Tieren sind mehrere Konstellationen möglich. Das Tier kann zur Verletzung durch seine Massewirkung beitragen, indem der Tierkörper durch eine andere Kraft i n Bewegung gesetzt w i r d (Tier als mechanisches Werkzeug), indem das Tier infolge der Schwerkraft stürzt (Tier als tote Masse) oder indem ein anderes Objekt auf den ruhenden Tierkörper prallt (Tier als Hindernis). Dabei k o m m t es zunächst nicht darauf an, ob die W i r k u n g auf den Verletzten
2. Teil: Die Tiergefahr
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unmittelbar eintritt oder erst durch eine Flucht- oder Ausweichbewegung des Verletzten herbeigeführt wird, denn dies unterliegt als Zurechnungsproblem i n der Rspr. selbständiger W ü r d i g u n g . 1 3 6 Das Tier kann aber auch unabhängig von seiner Masse rein passiv beteiligt sein, indem sein Organismus eine Krankheit überträgt oder der bloße A n b l i c k des regungslosen Tieres zu einer verletzungsursächlichen menschlichen Reaktion führt.
1. Körperliche Massewirkung a) Mechanisches Werkzeug W i r d ein Tier nur nach A r t einer Billardkugel durch eine andere einwirkende Kraft bewegt und trägt es i n dieser Weise zur Verletzung bei, dann tritt die Haftung nicht ein, denn es fehlt am Tierverhalten überhaupt. 1 3 7 Dies gilt etwa, wenn ein Pferd von einem anderen mitgerissen wird, unter der Wucht eines darauffallenden Gegenstandes zusammenbricht 1 3 8 oder beim seitlichen Abrutschen des Fuhrwerks durch die Deichsel i n mechanischer Weise zur Straßenmitte hin gedreht w i r d . 1 3 9 Innerhalb der Rspr. umstritten ist demgegenüber die Lage bei Verkehrsunfällen. E i n Hund war vor ein Auto gelaufen und von diesem wie ein Geschoß nach A r t eines leblosen Gegenstandes gegen ein zweites und von jenem schließlich gegen ein drittes K f z geschleudert worden. Das Gericht nahm nur hinsichtlich der Beschädigung am ersten K f z einen Tierschaden an, nicht aber bei den übrigen. 1 4 0 Nach dem ersten Zusammenstoß habe die Bewegung des Tieres nicht mehr auf typischem Tierverhalten beruht. Vielmehr sei der Hund, als er gegen die weiteren K f z geschleudert wurde, nur noch Spielball der von den K f z ausgehenden Kräfte gewesen. Dagegen wurde eingewendet, daß es genüge, wenn nur eine Bedingung des Unfalls durch die typische Tiergefahr gesetzt werde. 1 4 1 Das Tier müsse nicht die alleinige oder überwiegende Ursache sein. Es genüge M i t w i r k u n g . I n einem ähnlichen Fall wurde daher auch die Beschädigung des weiteren K f z als Verwirklichung der Tiergefahr angesehen, da der Hund von selbst vor das erste A u t o gelaufen war. Es geht also i n diesen Fällen darum, inwieweit bei passiver M i t w i r k u n g des Tieres auf vorhergehendes aktives und selbständiges Tierverhalten zurückgegriffen werden darf. Es w i r d gefragt, ob sich das Tier durch eigenes Verhalten erst i n die Wirkungslinie der fremden Kraft gebracht hat und ob dieses Verhalten noch bis i n die konkrete
136 V g l . unten 2 § 2 B I V .
137 515. 138 139 140 141
Vgl. RGZ 69, 399, 400; 80, 237, 239; RG JW 1922, 286 Nr. 3; BGH VersR 1978, Obiter dicta in RG JW 1914, 36 Nr. 6; Kassel OLG 14, 51. München VersR 1958, 424. LG Kiel VersR 1969, 456, 457. LG Kleve MDR 1973, 49.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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Verletzung hinein fortwirkt. Das Merkmal der Tiergefahr zeigt sich hier i n seiner Funktion als Kriterium der objektiven Zurechnung von Tierverhalten und Verletzungserfolg.
142
A l s „andere Kraft" kommt grundsätzlich auch die rein mechanische Einwirkung durch einen Menschen in Frage, die sich v o m Hervorrufen eines Tierverhaltens, d. h. also von den Fällen der menschlichen Leitung unterscheidet. Die menschliche Kraft ist jeder anderen mechanischen Ursache gleichwertig. I n den einschlägigen Fällen ist indessen oft nicht zweifelsfrei feststellbar, ob allein die menschliche Kraft die Verletzung bewirkte oder ob sich das Tier infolge der Einwirkung doch noch selbst bewegt hat. Der Fall, daß ein Mensch eine Katze wirft, ist bisher nur i n der Lit. behandelt w o r d e n . 1 4 3 Die Rspr. hat geprüft, ob eine Verletzung infolge des Zurückdrängens von Pferden durch den Körper eines Menschen entstand 1 4 4 oder ob ein Pferd so kurz am Zügel geführt wurde, daß es den vorangehenden Führer t r a t . 1 4 5 Dann hätte es wegen der rein mechanischen W i r k u n g jeweils am aktiven Tierverhalten gefehlt. b) Tote Masse E i n Tier kann auch allein durch sein Körpergewicht, d. h. als „Werkzeug der Schwerkraft" wirken. Der Fall, daß der Boden eines Transportwagens durch das Gewicht des Tieres einbricht, ist i n der Lit. konstruiert w o r d e n . 1 4 6 Jedoch sind gelegentlich Fälle vorgekommen, i n denen Pferde sich nicht auf den Beinen halten konnten, zur Seite umgestürzt sind und dabei Menschen verletzt haben. 1 4 7 Hier wurde jeweils die Haftung ausgeschlossen, ohne daß i n Betracht gezogen wurde, ob das Tier vorher von selbst an den Unfallort gelangt war. M a n kann vermuten, daß auch dies nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, da die Tiere vor der Verletzung jeweils unter menschlicher Leitung standen. Die W i r kung des Pferdes als tote Masse wurde auch bejaht, als ein Pferd nach einem verunglückten Sprung m i t seinem ganzen Gewicht auf den Reiter fiel und dieser nicht darlegen konnte, daß der Sturz des Pferdes die Folge eines vorangehenden willkürlichen Tierverhaltens w a r . 1 4 8 Wäre dies gelungen, dann hätte sich für das Gericht zusätzlich das Problem der menschlichen Leitung und deren Ausschluß durch eine eventuelle Auflehnung des Tieres gestellt.
142 So ausdrücklich LG Kleve MDR 1973, 49. 143 Larenz, Schuldrecht II, 707; RGRK / Kreft, 25. 144 RGZ 61, 316, 318 (bleibt offen). 145 Schleswig VersR 1983, 470. Ob das Pferd noch selbst gelaufen ist oder durch äußere Kraft bewegt wurde, bleibt unklar. 146 Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156. 147 Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186; Frankfurt Recht 1907, Nr. 456. 148 Braunschweig VersR 1983, 347, 348. 8 Lorenz
2. Teil: Die Tiergefahr
114
c) Hindernis Der Tierkörper kann als bloßes Hindernis i m Wege sein und durch den Aufprall von anderen Gegenständen oder Menschen zur Verletzung beitragen. Diese Fälle sind vergleichbar m i t der W i r k u n g des Tieres als mechanisches Werkzeug, denn ob der Tierkörper sich auf den Verletzten zubewegt oder dieser sich auf das ruhende Tier, ist häufig gar nicht klar zu unterscheiden. 1 4 9 Das Tier kann auch nacheinander als Hindernis und mechanisches Werkzeug wirken, so daß die Überlegungen zu beiden Fallgruppen aufeinander übertragbar sind. Das Tier kann bei der Verletzung noch leben oder schon tot sein. Die Verletzung kann unmittelbar durch den Aufprall entstehen oder erst vermittelt durch eine Ausweichreaktion. (1) Lebende Tiere Das R G hat zwar ausgeführt, daß es für den Haftungsausschluß keine Rolle spielt, ob der Tierkörper sich beim Aufprall selbst i n Ruhe oder i n Bewegung befand, etwa wenn ein Mensch m i t einem Tier an einer unübersichtlichen Ecke zusammenstößt oder ein Radfahrer auf einen laufenden H u n d auffährt. 1 5 0 Indessen erscheint eine Differenzierung doch angebracht. Hat das sich bewegende Tier durch eigenes Verhalten zur Verletzung beigetragen, so k o m m t ein Haftungsausschluß unter dem Gesichtspunkt der Passivwirkung gar nicht in Frage. Erfolgt die Bewegung des Tierkörpers nicht selbständig, sondern durch eine andere Kraft, dann wirkt das Tier als mechanisches Werkzeug. E i n tierisches Hindernis besteht demgegenüber, wenn der Mensch über das ruhig daliegende Tier stürzt. 1 5 1 Tritt der Mensch auf einen schlafenden Hund und bringt erst das aufspringende Tier ihn zu Fall, dann hat es indessen nicht als Hindernis gewirkt. Entscheidend ist vielmehr das aktive Aufspringen. 1 5 2 Anders läge der Fall nur, wenn der Mensch unmittelbar über den liegenden Hund gestolpert wäre. A u c h dann könnte aber sicher nicht darauf abgestellt werden, ob der Hund an der bewußten Stelle liegen durfte, 1 5 3 denn diese Überlegung paßt höchstens zur Verschuldenshaftung des Halters. Bei § 833 S. 1 B G B kann es nur darum gehen, wie und wann der Hund an diese Stelle gelangt ist. Halten sich Tiere auf der Straße auf und verursachen dadurch einen Zusammenstoß, z. B. entlaufene Hunde oder Pferde, die aus der Weide ausgebrochen sind, so begründen manche Gerichte demgegenüber die Verwirklichung der Tiergefahr damit, daß es der „tierischen Natur" entspreche, auf den Verkehr keine Rücksicht
149 150 151 152 153
Vgl. z. B. RG Recht 1909, Nr. 1779. RG Recht 1906, Nr. 3194; 1909, Nr. 1779. RG Recht 1909, Nr. 1779. BGH VersR 1959, 853, 854. So aber Staud. / Schäfer, 15 u. Larenz, Schuldrecht II, 707.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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zu nehmen und sich unbekümmert in die Fahrbahn eines K f z zu begeben. 1 5 4 Diese Überlegung ist nicht sachdienlich, denn die Frage nach der Vernünftigkeit kann sich nur bei menschlichem Handeln stellen, nicht aber bei tierischem Verhalten. 1 5 5 A u c h wenn die Tiere z. B. auf der Fahrbahn den Fahrzeugen ausgewichen wären, wäre dieses Verhalten vorteilhaft, deshalb aber noch nicht „vernünftig" gewesen. Es könnte jedoch umgekehrt den menschlichen Verkehrsteilnehmern zu denken geben, daß es „typisch tierisch" sein soll, sich i m Verkehr unbekümmert und rücksichtslos zu verhalten. Solcher Erwägungen bedarf es i m konkreten Fall dann aber gar nicht, denn die Tiere sind jeweils durch eigenes aktives Verhalten auf die Fahrbahn gelangt. Dann geht es nur noch darum, ob die Gefahr dieses vorangehenden Verhaltens sich i n der Verletzung verwirklicht hat. Die Frage der Passivwirkung w i r d von der Rspr. regelmäßig gar nicht erst aufgeworfen, wenn ein Autounfall dadurch herbeigeführt wird, daß der Fahrer dem lebenden Tier ausweicht, ohne m i t ihm selbst zu kollidieren. 1 5 6 Dann geht man ohne weiteres gleich v o m aktiven Tierverhalten aus.
(2) Tierkadaver E i n besonderes Problem ergibt sich, wenn das Tier i m Unfallzeitpunkt nicht mehr lebt. W i r d ein Hund eine halbe Stunde nachdem er überfahren worden und tot liegengeblieben ist zur Ursache eines weiteren Unfalls durch einen ausweichenden Fahrer, dann kann der Tierkadaver durch eine beliebige andere entsprechend große und schwere Masse ersetzt gedacht werden, ohne daß der Erfolg entfiele. I m Gegensatz zum „verlorenen S c h i n k e n " 1 5 7 ist das Tier aber, als es noch lebte, von selbst auf die Fahrbahn gelangt. Daß es nicht allein entscheidend sein kann, ob das Tier zur Zeit des Unfalls noch lebte oder schon tot war, w i r d deutlich, wenn man annimmt, daß es zunächst von einem K f z angefahren und (als mechanisches Werkzeug) auf der Stelle tot zur Seite geschleudert w i r d . 1 5 8 M i t zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen der Tötung des Tieres und dem späteren Unfall kann der Zurechnungszusammenhang von Tierverhalten und Verletzung aber zweifelhaft werden und schließlich zu verneinen sein. 1 5 9 Es kommt darauf an, ob sich die Tiergefahr noch i m Erfolg verwirklicht hat. Die „Verdünnung" des Zurechnungszusammenhangs durch Zeitablauf könnte so erklärt werden, daß die Zahl der weiteren für den Unfall nacheinander ursächlichen 154 BGH VersR 1956, 127, 128; LG Kleve MDR 1973, 49; Celle VersR 1980, 430, 431. 155 Weber, L M § 833 Nr. 9., Bl. 2. 156 Koblenz VersR 1955, 424; BGH VersR 1961, 346; Nürnberg, VersR 1963, 759; LG Kiel NJW 1984, 2297. 157 Celle VersR 1980, 430, 431. iss Vgl. LG Kleve MDR 1973, 49. 159 Celle VersR 1980,430,431 mit Haftung wegen engen zeitlichen Zusammenhangs. 8'
116
2. Teil: Die Tiergefahr
Faktoren m i t fortschreitender Zeit so anwächst und die Ursachenkette sich derart verlängert, daß die in der ursprünglichen Tötung verwirklichte Tiergefahr demgegenüber nicht mehr ausschlaggebend ins Gewicht fällt. Es ist offen, ob die Aufhebung des Zurechnungszusammenhangs durch Zeitablauf in gleicher Weise auch bei lebenden Tieren i n Betracht kommt. M a n könnte auf die Gefahrenquelle abstellen und auch i m Liegen oder sogar i m Schlafen des Tieres ein haftungsrelevantes „Verhalten" sehen. Die bislang erörterten Fälle der Passivwirkung zeigen indessen, daß die Rspr. als Anknüpfungspunkt der Haftung verlangt, daß das Tier ein äußerlich erkennbares aktives Verhalten gezeigt hat. Die bloße lebendige Existenz des Tieres genügt insoweit nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es tierisches Unterlassen nicht gibt, denn dies wäre eine Form des Handelns, nicht des Verhaltens. M a n könnte aber auch auf den Gefahrzusammenhang abstellen und behaupten, daß die mit dem aktiven Verhalten einmal gesetzte Verletzungsursache sich durch die bloße lebendige Existenz des Tieres fortlaufend erneuert. 1 6 0 Der Anknüpfungspunkt für die Haftung ist dann zwar das ursprüngliche aktive Tierverhalten, dessen Relevanz für den Erfolg w i r d aber wesentlich durch die zwischenzeitliche, wenn auch rein passive, lebendige Existenz des Tieres vermittelt. Diese fortbestehende Tierexistenz könnte zumindest den Gefahrzusammenhang wahren, auch wenn sie als Gefahrenquelle selbst nicht i n Betracht gezogen wird. Dies schließt aber letztlich nicht aus, daß es auch beim lebenden Tier m i t dem Zeitablauf irrelevant wird, wie der Tierkörper urspünglich in die Wirkungslinie der aufprallenden Kräfte gekommen ist. Andernfalls würde man die Gefahrenquelle letztlich doch i n der bloßen lebendigen Tierexistenz selbst sehen, nicht i m aktiven Tierverhalten.
2. Sonstige passive Mitwirkung a) Das Tier als bloßer
Keimträger
Schon das R G hat i m Schnüffelfall angedeutet, daß die bloße Übertragung einer Krankheit, die auch ohne aktives Beschnüffeln der Tiere möglich gewesen wäre, jedenfalls nicht ausgereicht hätte, um die Halterhaftung zu begründen. 1 6 1 Das Tier wirke insoweit nur unwillkürlich als Träger von Krankheitskeimen. Der B G H hat die Richtigkeit dieser Überlegung i m Chow-Chow-Fall ausdrücklich dahinstehen lassen, jedenfalls aber nicht in Frage gestellt. 1 6 2 A u c h i m Varroatosefall wurde i n der Übertragung einer Krankheit zwischen Bienenvölkern keine Verwirklichung der Tiergefahr gesehen. 1 6 3 A u c h hier hätte ohne aktives Verhalten
160 161 162 163
Zur bloßen Existenz als Gefahrenquelle vgl. Haase, JR 1977, 155, 156. RGZ 80, 237, 239/240; vgl. oben 2 § 2 B I 3a. BGH VersR 1976, 1090, 1091. Frankfurt VersR 1985, 1189, 1190.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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der Bienen und der daraus sich ergebenden gegenseitigen Berührung die Krankheitsübertragung (vermutlich) nicht stattgefunden, so daß die v o m R G vorgenommene Aufspaltung des Vorgangs i n (harmloses) Tierverhalten und Krankheitsübertragung ihre Fortsetzung fand. Es läßt sich aber jedenfalls feststellen, daß die bloße Eigenschaft des lebendigen Tierorganismus, Träger von Krankheitskeimen zu sein, von der Rspr. nicht als Gefahrenquelle angesehen wird.
b) Bloßer Anblick
eines ruhenden Tieres
Schon der bloße A n b l i c k des passiven Tieres kann zu Verletzungen führen, insbesondere durch Flucht-, Ausweich-, Abwehr- oder Schreckreaktionen des Verletzten selber. I n der Lit. w i r d gelegentlich die Flucht vor dem still daliegenden Tiger erörtert. 1 6 4 Dabei hätte dann kein Tierverhalten, sondern die bloße passive Existenz des Tieres durch Vermittlung einer psychische Zwischenursache zur Verletzung geführt, indem der Mensch ein Verhalten des Tieres nur i m Geiste vorwegnimmt, ohne daß es tatsächlich eintritt. Dabei geht es offenbar nicht u m die Gefahrzurechnung selbst, sondern u m deren Ansatzpunkt, also die Gefahrenquelle. Die Fallgruppe der Passivwirkung wurde geschaffen, w e i l die Rspr. diese — i m Gegensatz zu Teilen der L i t . — allein in der körperlichen Eigenbewegung des Tieres sieht. V o m Tigerfall zu unterscheiden sind daher die Fälle, i n denen aktives Tierverhalten zur menschlichen Reaktion führt, etwa aus Schreck vor einem herumlaufenden oder bellenden Hund. Dann geht es für die Rspr. nur noch darum, ob das dazwischentretende menschliche Handeln den Zurechnungszusammenhang m i t dem Tierverhalten unterbricht. 1 6 5 Anders gelagert sind auch die Entscheidungen, i n denen die tierische Körpermasse erst durch die Ausweichreaktion des Verletzten wirksam wird. B e i m liegenden Tiger geht es aber weder um seine Masse, noch u m seine Bewegungen, sondern um seine Tigerexistenz schlechthin.
3. Literaturansichten zu den Fällen der Passivwirkung Bei nur passiver M i t w i r k u n g des Tieres ergeben sich i n der L i t . einige Unklarheiten, weil diese Fälle nicht immer als zusammengehörige Fallgruppe gesehen werden und man außerdem die Terminologie für die unterschiedlichen Konstellationen der Passivwirkung nicht einheitlich verwendet. I m Ergebnis sind die Abweichungen von der Rspr. indessen gering. Soweit das Tier nur als mechanisches Werkzeug einer anderen Kraft gewirkt hat, ist sich die Lit. darin einig, daß keine Haftung in Frage kommt. Dann fehlt es gerade an der Eigenbewegung 164 Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; im einzelnen vgl. unten 2 § 3 C I 2b. 165 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 156; JW 1906, 349 Nr. 7; Nürnberg VersR 1965, 93, 94; A G Amberg VersR 1972, 497; Hamm VersR 1981, 85.
118
2. Teil: Die Tiergefahr
bzw. an der Auswirkung der typischen tierischen Eigenschaften. 1 6 6 Die Haftung tritt indessen ein, wenn das Tier sich selbst i n die Wirkungslinie der fremden Kraft gebracht h a t . 1 6 7 Diese Überlegungen gelten grundsätzlich auch, wenn ein Tier als Hindernis wirkt. Dann w i r d davon ausgegangen, daß es regelmäßig von selbst an die Stelle gelangt ist, an welcher es später zum Hindernis w u r d e . 1 6 8 Dies gilt auch, wenn die Verletzung nicht durch Zusammenprall ensteht, sondern durch eine Ausweichreaktion. 1 6 9 Stürzt ein Tier infolge der Schwerkraft als tote Masse zu Boden, dann soll es nach einem T e i l der L i t . an der eigenen Bewegung des Tieres fehlen. 1 7 0 Das Tier wirke wie jede andere Masse gleicher Größe, wenn es z. B. durch den Boden eines Transportwagens bricht. Geht der Sturz aber auf ein aktives Tierverhalten zurück, etwa indem das Tier beim Laufen stolpert, dann tritt auch hier die Haftung ein. Andere Autoren weisen darauf hin, daß gerade deren geballte körperliche Masse eine typische Eigenschaft bestimmter Tierarten und daher als solche auch unabhängig von deren Eigenbewegung gefährlich sei. 1 7 1 Schließlich gehöre es gerade zu den Eigenschaften lebender Organismen, daß sie sich nur unter stetigem Kraftaufwand aufrecht halten können. Darin kommt eine weiter gefaßte Vorstellung von der Gefahrenquelle zum Ausdruck, als sie von der Rspr. vertreten w i r d . 1 7 2 W i r k t der lebende Organismus ohne aktives Verhalten als bloßer Keimträger, so w i r d darin i n der L i t . keine Verwirklichung der Tiergefahr gesehen. 1 7 3 Hat das Tier die Krankheit durch eigenes Verhalten übertragen, dann behandelt auch die Lit. diese Frage i m Zusammenhang m i t dem natürlichen, also typischerweise ungefährlichen Verhalten. Veranlaßt die rein passive tierische Existenz ein menschliches Verhalten, etwa indem der still daliegende Tiger Menschen zur Flucht veranlaßt, dann befürworten einige Autoren die H a f t u n g , 1 7 4 w e i l die tierische Fähigkeit zur Eigenbewegung letztlich zur Verletzung geführt habe. Das Tier sei gefährlich, weil es derartige Reaktionen auslösen könne. A u c h hier w i r d die Gefahrenquelle anders gesehen, als i n der Rspr. Hat das Tier dagegen durch aktives Verhalten auf die Psyche eines Menschen eingewirkt, etwa durch Bellen 166 MünchKomm/Mertens, 14; Staud. / Schäfer, 14; RGRK/Kreft, 24-25; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; Planck / Greiff, 2b; Wussow / Kuntz, 400; Bornhövd, VersR 1979, 398; Stötter, MDR 1970, 100, 103; Siegfried, 82. 167 MünchKomm/Mertens, 14; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; RGRK/Kreft, 24; Staud. / Schäfer, 14; Schmid, JR 1976, 274, 276. 168 Staud. / Schäfer, 15; Medicus, Schuldrecht II, 391; MünchKomm / Mertens, 15; RGRK/Kreft, 25-26; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; Schmid, JR 1976, 274, 276; Soergel / Zeuner, 10. 169 Vgl. Deutsch, JuS 1987, 673, 676; RGRK/Kreft, 24; Soergel/Zeuner, 10. no Honsell, MDR 1982, 798, 799; Haase, JR 1977, 155, 156; Staud. / Schäfer, 15; Erman/Drees, 5; RGRK/Kreft, 27; MünchKomm/Mertens, 14. ni AK-BGB / Kohl, 5; Deutsch, JuS 1987,673,676; Schünemann, JuS 1978,376,378. 172 Vgl. unten 2 § 3 C I 2b; E I I 1. 173 MünchKomm / Mertens, 15; Planck/ Greiff, 2b; Staud. / Schäfer, 16. 174 RGRK/Kreft, 26; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; Deutsch, NJW 1978, 1998,
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§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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oder plötzliches Auftauchen, dann geht es auch in der Lit. u m Fragen der Gefahrzurechnung, bei der dann die typische Gefährlichkeit und die Kriterien der objektiven Zurechnung i m Mittelpunkt stehen, insbesondere die Unterbrechung der Kausalität und der Risikozusammenhang. I n diesen Fällen w i r d die Haftung teils verneint, 1 7 5 weil das Tierverhalten ungefährlich und keine Äußerung der typischen Tiergefahr sei, teils bejaht, 1 7 6 w e i l es sich u m eine typische tierische Lebensäußerung handelt, auf welche die Verletzung auch kausal zurückgeht. Hier zeigt sich, daß v o m natürlichen Verhalten, über die Fälle der Passivwirkung, bis hin zu den Kriterien der objektiven Zurechnung ein fließender Übergang i n den Erwägungen besteht, die letztlich alle dasselbe Problem betreffen, die Grenzen der Gefahrzurechnung. 4. Die Passivwirkung als Problem der Rückgriffsbegrenzung bei der Gefahrzurechnung Das passive Tier w i r d von der Rspr. nicht als haftungsrelevante Gefahrenquelle i n Betracht gezogen. Dies gilt sowohl bei mechanischer Zusammenwirkung des Tierkörpers mit anderen Kräften, wie auch in seiner Eigenschaft als Keimträger oder als Objekt des bloßen Anblicks bzw. der menschlichen Vorstellungskraft. Das Tier w i r d nur für verletzungsträchtig gehalten, soweit es i n irgendeiner Weise äußerlich aktiv wird. A u c h seine M i t w i r k u n g kraft bloßer lebendiger Existenz reicht nicht aus. Hat das Tier nur passiv mitgewirkt, dann geht es darum, inwieweit stattdessen auf vorheriges aktives Verhalten zurückgegriffen werden darf. Dieser Rückgriff kann nicht beliebig erfolgen, denn sonst käme als Gefahrenquelle stets das letzte eigene Aktivverhalten des Tieres vor der Verletzung i n Betracht und die Haftung ließe sich schließlich immer herbeiführen. Daher müssen Kriterien gefunden werden, welche die Gefahrzurechnung begrenzen. Außer der Einheitlichkeit des Verletzungsvorganges, also dem Zeitablauf zwischen Verhalten und Verletzung, sind solche Kriterien i n der Rspr. zur Passivwirkung aber nicht ersichtlich. Dies zeigt sich auch daran, daß die Fälle, in denen die Rspr. wegen nur passiver M i t w i r k u n g des Tieres tatsächlich die Halterhaftung verneint hat, außerordentlich selten s i n d , 1 7 7 obschon die Problematik selbst häufig erörtert wird. Die Zurechnungsbegrenzung durch Zeitablauf könnte so erklärt werden, daß mit fortschreitender Zeit die Länge der Ursachenkette zwischen Tierverhalten und Verletzung, also die Zahl der zusätzlichen Z w i schenursachen anwächst und dadurch gleichzeitig die Bedeutung des Tierverhaltens abnimmt. Insofern berühren sich diese Überlegungen m i t den Fällen des natürlichen Verhaltens. B e i m Tier als Keimträger w i r d die Zurechnung zum HS AK-BGB / K o h l , 6; Stötter, MDR 1970, 100, 103. 176 Staud. / Schäfer, 32 u. 35; Wussow / Kuntz, 404; RGRK / Kreft, 28. 177 Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 156; Frankfurt Recht 1907, Nr. 456; München VersR 1958, 424; L G Kiel VersR 1969, 456, 457; Braunschweig VersR 1983, 347, 348; unklar bei Schleswig VersR 1983, 470.
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2. Teil: Die Tiergefahr
vorhergehenden Tierverhalten (Schnüffeln) verneint, w e i l dieses als grundsätzlich ungefährlich angesehen wird. Die Rspr. deutet an, daß der Gefahrzusammenhang mit dem aktiven Tierverhalten beim toten Tier eher bezweifelt werden kann, als beim lebenden, während die mechanische oder nur psychische W i r k u n g des Tierkörpers hierfür keine Rolle spielt.
I I I . Die „externe" Haftungsbegrenzung durch höhere Gewalt und die Analogie zu § 7 I I I S t V G Einige sondergesetzliche Regelungen der Gefährdungshaftung grenzen gefahrfremde Einwirkungen aus, indem sie besondere tatbestandlich umschriebene Haftungsbeschränkungen vorsehen. 1 7 8 Sie gestalten den Haftungsumfang nicht allein durch Zurechnungsüberlegungen „ v o n innen", sondern durch zusätzliche Voraussetzungen, die außerhalb des eigentlichen Haftungstatbestandes normiert s i n d . 1 7 9 Dies gilt etwa für die Überlegungen zur höheren Gewalt, bei der sich nicht die Gefahrenquelle, sondern andere Ursachen i m Erfolg auswirken, z. B. das Eingreifen Dritter oder Naturkatastrophen. Die Frage der gefahrfremden Einwirkungen ist i n der Tierhalterhaftung nicht gesetzlich geregelt, sondern w i r d i m Rahmen der Tiergefahr mitbehandelt, insbesondere durch die Fallgruppen der menschlichen Leitung und des physiologischen Zwangs. Die höhere Gewalt als eigenständiges Institut i m Bereich des Tierschadensrechts war noch dem R G aus der Anwendung des Art. 1385 Code c i v i l bekannt, der zeitweilig i n Teilen des linksrheinischen Reichsgebietes galt und nach dessen Worlaut die Haftung i m Falle höherer Gewalt ausgeschlossen ist. Überlegungen zur höheren Gewalt bei § 833 S. 1 B G B sind aber nur in einigen frühen Entscheidungen angestellt worden. Dabei hat die Rspr. sich i m Ergebnis nicht auf diese Rechtsüberlegung gestützt 1 8 0 und greift auch seither nicht mehr ausdrücklich auf sie zurück. Einige Autoren wollen die Haftung bei höherer Gewalt grundsätzlich ausschließen, weil sich dann die tierspezifischen Gefahren gerade nicht realisierten. 1 8 1 Andere Autoren weisen demgegenüber daraufhin, daß es auch bei höherer Gewalt letztlich darauf ankomme, ob ein selbständiges Verhalten des Tieres durch die höhere Gewalt ausgeschlossen sei. 1 8 2 Dieses w i r d aber regelmäßig nicht ausgeschlossen, sondern gerade erst ausgelöst. Insoweit liege i n der höheren Gewalt eine äußere Einwirkung, für die nichts anderes gelte, als allgemein für äußere Einwirkungen, die schon m i t den Fallgruppen erfaßt werden. In der L i t . w i r d 178 Vgl. oben 1 § 2 C VII. 179 Vgl. oben 1 § 2 C V I u. VII. 180 RGZ 54,407,408; 60,65,67. Im Zusammenhang mit dem physiologischen Zwang aber wieder LG Göttingen VersR 1991, 1072, 1073. 181 Deutsch, JuS 1987, 673, 676; vgl. auch A K - B G B / K o h l , 6. 182 Staud. / Schäfer, 29; Planck/ Greiff, 2b; Stötter, MDR 1970, 100, 101; Siegfried, 146.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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z. T. auch die analoge Anwendung von § 7 I I I S t V G befürwortet, für den Fall, daß sich ein Dritter ohne Wissen und W o l l e n des Halters eines Tieres bemächtigt. 1 8 3 Teilweise w i r d es aber auch gerade i m Tierschadensrecht als unerheblich angesehen, ob ein tierisches Verhalten durch menschliche Einwirkung veranlaßt wurde, mag diese auch auf einen unbefugten Dritten zurückgehen. 1 8 4 Zudem widerspräche dieses Vorgehen der grundsätzlichen Haftungskonkurrenz zwischen dem Halter und dem D r i t t e n . 1 8 5
I V . Die Haftungsbegrenzung durch Kriterien der objektiven Zurechnung 1. Objektive Zurechnung und Tiergefahr Die Rspr. erörtert Fragen der Zurechnung von Verletzungserfolg und Tierverhalten auch außerhalb der „klassischen" Fallgruppen m i t Hilfe der i m Haftungsrecht allgemein verwendeten Kriterien. Dabei geht es i n den älteren Entscheidungen u m die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs oder die Adäquanz, i n neueren Entscheidungen auch u m den Zurechnungs- oder Risikozusammenhang. Diese Überlegungen dienen der Feststellung, ob gerade das Tierverhalten sich i m Verletzungserfolg niedergeschlagen hat und entsprechen daher — soweit sie sich gerade mit der Ausscheidung von Fremdbeiträgen befassen — i m Ziel, vor allem aber i n der Funktion denjenigen, die auch innerhalb der Fallgruppen zur Tiergefahr angestellt werden. Denn die Verwirklichung der Tiergefahr wurde v o m R G ursprünglich als Frage der Kausalität behandelt und ist heute entsprechend der weiterentwickelten Dogmatik zum Kriterium der haftungsbegründenden objektiven Zurechnung geworden. 1 8 6 Da die Gefahrzurechnung — nach der in dieser Untersuchung vorgeschlagenen Terminologie — eine Komponente der Normstruktur darstellt, die das Merkmal der Tiergefahr prägt, kann die Verwendung der allgemeinen Zurechnungskriterien insofern als eine „Auffangfallgruppe" für die Bestimmung der Tiergefahr angesehen werden. Darin zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen der kasuistischen und der systematischen Behandlung desselben Grundproblems, die stufenlos ineinander übergeht. Es wurde möglich, die Fallgruppen über lange Zeit unverändert beizubehalten, da jedes neu anfallende Problem letztlich auch als Zurechnungsfrage behandelt werden kann, ohne den gefestigten Fallgruppenbestand zu berühren. Das Verhältnis der Tiergefahr zu den i m Haftungsrecht allgemein verwendeten Kriterien der objektiven Zurechnung ist für die Rspr. selbst indessen bisher kein Thema.
183 Deutsch, JuS 1987, 673, 676. 184 Staud. / Schäfer, 34. iss Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3). 186 Celle VersR 1980, 430, 431; L G Kleve MDR 1973, 49; BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1976, 1175, 1176.
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2. Teil: Die Tiergefahr
A u c h i n der L i t . w i r d die Tiergefahr ihrerseits ausdrücklich oder stillschweigend als besonderes Wertungskriterium aus dem Bereich der haftungsbegründenden objektiven Zurechnung behandelt. 1 8 7 Einige Autoren sehen — wie die Rspr. — das Verhältnis von Kausalität und Tiergefahr so, daß die Kausalität von Tierverhalten und Verletzung allein nicht ausreicht, sondern daß die V e r w i r k l i chung der Tiergefahr i m Verletzungserfolg „hinzukommen" m u ß . 1 8 8 Darüber hinaus ist das Verhältnis der Tiergefahr zu diesen Kriterien auch für die Lit. nicht von vordringlichem Interesse. 189 Dies ist insofern erstaunlich, als die Zurechnungskriterien dem i n der L i t . verbreiteten Rückgriff auf den Normzweck zur Bestimmung der Tiergefahr sehr viel weiter entgegenkommen, als die Fallgruppen der Rspr., zumal es i n den eigenen Inhaltsbestimmungen der Tiergefahr durch die L i t . auch u m Fragen der Gefahrzurechnung g e h t . 1 9 0
2. Die unterbrochene Kausalität als Frage der Gefahrzurechnung Für die Rspr. kommt es nicht darauf an, ob tierisches Verhalten eine Verletzung unmittelbar herbeiführt oder erst durch Hinzutreten weiterer Umstände. Dies gilt bei rein mechanischer Einwirkung des Tieres auf seine Umgebung, aber auch wenn ein Tier Menschen oder andere Tiere zu einem Verhalten bewegte (psychische Kausalität). 1 9 1 Während sie die Haftung durch die Fallgruppen des physiologischen Zwanges und der menschlichen Leitung begrenzt, wenn äußere Ursachen auf das Tier einwirken, wollte sie die Haftung begründen, auch wenn das Tierverhalten erst durch Vermittlung von Zwischenursachen zum Verletzungserfolg geführt hatte. Sie fragt nach der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs bzw. der mittelbaren Ursächlichkeit, gelangt damit regelmäßig aber nicht zum Haftungsausschluß, ohne daß es darauf ankommt, in wessen Verantwortungsbereich die Zwischenursache fällt. Letztlich handelt es sich dabei nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Wertungsfrage i m Bereich der objektiven Zurechn u n g . 1 9 2 Da es hierbei nicht allein u m das Verhältnis des Tierverhaltens zu Fremdursachen geht, reichen diese Überlegungen teilweise auch über die Frage der Tiergefahr hinaus. Da die Haftung aber regelmäßig nicht ausgeschlossen wird, können sie hier zusammenfassend behandelt und bei der Würdigung des Verletztenbeitrags dann vorausgesetzt werden. 187 Kreft, VersR 1983, KF, 153; RGRK / Kreft, 11. iss Larenz, Schuldrecht II, 701; Esser / Weyers, 640-641; 6. Aufl., 542. Ähnlich auch Staud./Schäfer, 13; A K - B G B / K o h l , 4. 189 Die Kommentarliteratur behandelt die allgemeinen Zurechnungsfragen jedenfalls getrennt von der Tiergefahr: RGRK / Kreft, 28 - 34; MünchKomm / Mertens, 17; Staud. / Schäfer, 35 - 38; Soergel / Zeuner, 4. 190 Vgl. unten 2 § 3 A - C u. E III. 191 Die Einwirkung auf das Tier durch andere Ursachen wird demgegenüber innerhalb der Fallgruppen erörtert. 192 Gernhuber, 343.
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Es ist nicht erheblich, ob das Tier die Verletzung unmittelbar bewirkt hat oder nur mittelbar durch einen von i h m in Bewegung gesetzten Gegenstand. So etwa, wenn ein Pferd sich m i t dem Wagen i n Bewegung setzt, der den Verletzten überrollt oder einen Torpfeiler auf ihn stürzen läßt. 1 9 3 Die „psychische" Einwirkung eines Tieres auf ein anderes ist — v o m beeinflußten Tier aus betrachtet — eine Form des äußeren Anreizes und könnte daher insoweit auch als Problem des physiologischen Zwangs gesehen werden. 1 9 4 W i r k e n mehrere Tiere aufeinander ein, so ist der Schaden regelmäßig auch durch das nur mittelbar auf den Verletzten einwirkende Tier verursacht. So etwa, wenn ein bellender und herumspringender Hund Pferde zum Durchgehen bringt, wenn ein Hund einen anderen in eine Beißerei verwickelt oder wenn ein Hund ein Reh vor ein Motorrad treibt. 1 9 5 I n diesem Zusammenhang kann deshalb häufig offen bleiben, durch welches Tier die Verletzung dann unmittelbar erfolgt i s t . 1 9 6 Bei der psychisch vermittelten Einwirkung auf einen Menschen hat der Verletzte den Schaden erst durch seinen eigenen Entschluß herbeigeführt. Es handelt sich um Flucht-, Ausweich-, Gegenwehr- oder Schreckreaktionen. So etwa, wenn ein Mensch beim Weglaufen stürzt, wenn ein Motorradfahrer versucht, einem Hund auszuweichen, wenn ein Mensch gebissen wird, als er beißende Hunde trennen w i l l , wenn er v o m Wagen springt, als die Pferde durchgehen oder sich durchgehenden Pferden in den W e g stellt. 1 9 7 Das O L G H a m m hat neuerdings bezweifelt, ob der Zusammenhang noch besteht, wenn der Verletzte einen Hund nicht selbst gesehen hat, sondern erst durch einen entsprechenden Warnruf seiner Ehefrau erschreckt w u r d e . 1 9 8 Wegen der Verlängerung der Ursachenkette könnte auch hier höchstens der Risikozusammenhang in Frage gestellt, 1 9 9 wegen der Einheitlichkeit des Geschehens aber letztlich kaum verneint werden. Da es in diesen Fällen um das Zusammenwirken des Tieres m i t dem Verletzten geht, können sie erst bei der Berücksichtigung des Verletztenbeitrages, also auf der strukturellen Stufe der Gefahrabwägung, abschließend behandelt werden. 2 0 0 A u c h durch eine Schwäche i n der Konstitution des Verletzten w i r d die Kausalität nicht unterbrochen. So etwa, als ein Kriegsversehrter durch einen Hund an der verletzten Stelle gebissen wurde oder infolge der Verletzung eine latent vorhandene Krankheit ausbrach. 2 0 1 A l s ein Hund einen Menschen durch
193 RGZ 50, 219, 221; 60, 65, 66. 194 Nürnberg VersR 1959, 573; vgl. auch Stuttgart VersR 1978, 1123, 1124. 195 RG JW 1905, 691 Nr. 14; Nürnberg VersR 1967, 361; VersR 1959, 573; vgl. auch RG JW 1914, 36 Nr. 6; 471 Nr. 13; Stuttgart OLG 14, 45. 196 RG Warn. Rspr. 1914, Nr. 161; Nürnberg VersR 1967, 361. 197 Nürnberg VersR 1965, 93, 94; Schleswig VersR 1988, 700; RG JW 1906, 349 Nr. 7; Celle VersR 1981, 1057, 1058; RG JW 1907, 307 Nr. 8; RGZ 50, 219, 222. 198 Hamm VersR 1990, 400. 199 Vgl. unten 2 § 2 B IV 4. 200 V g l . unten 4 § 3 B I I 2 b.
201 BGH VersR 1981, 1178, 1179; Celle VersR 1981, 1057, 1058.
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2. Teil: Die Tiergefahr
Gebell so erschreckt hatte, daß dieser stürzte, verneinte das R G den mittelbaren Ursachenzusammenhang. Es habe sich um eine ungewöhnlich nervenschwache Person gehandelt und deren Schutz liege nicht innerhalb der v o m Gesetz gewollten Regelung. 2 0 2 I n den Fragen der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ist sich die Lit. weitgehend einig m i t der Rspr. Danach kann der Kausalzusammenhang auch ein mittelbarer sein. 2 0 3 Bei Einwirkung auf einen Menschen genügt die psychische Vermittlung, bei Einwirkung auf ein anderes Tier muß das Verhalten des anderen Tieres m i t einiger Wahrscheinlichkeit ausgelöst werden können. Vereinzelt w i r d die Auffassung vertreten, daß sich Überlegungen zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs erübrigen. Der Risikozusammenhang, der sich aus dem Schutzbereich der N o r m ergibt, trete als haftungsbegrenzendes Korrektiv an dessen Stelle. 2 0 4 Schulze hat bezweifelt, daß es sich bei der erhöhten Schadensdisposition i n der Person des Verletzten überhaupt u m eine Frage des Kausalzusammenhangs handelt und deshalb der Fortbestand der Haftung i n Frage gestellt. 2 0 5 Es trifft zwar zu, daß dieses Problem z. B. auch unter dem Gesichtspunkt der Unvorsichtigkeit des Verletzten beim Eintritt in eine Situation erhöhter Verletzungsgefahr gesehen werden kann. Dies führt dann aber gerade nicht in jedem Fall zum Haftungsausschluß. 2 0 6 3. Die Adäquanz I n der Rspr. w i r d bis in die jüngste Zeit von der adäquate Ursächlichkeit des Tierverhaltens für den Verletzungserfolg gesprochen. 2 0 7 Dabei w i r d gefordert, daß es nach dem normalen, gewöhnlichen Verlauf oder nach der Lebenserfahrung nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit oder Erwartung liegen darf, daß aufgrund eines bestimmten Tierverhaltens eine konkrete Verletzung eintritt. Dies ist besonders problematisch, da die Bedeutung des Adäquanzkriteriums bei der haftungsbegründenden Zurechnung umstritten i s t 2 0 8 und der B G H die Anwendbarkeit der Adäquanztheorie auf die Gefährdungshaftung überhaupt ablehnt. 2 0 9 Aus der Forderung nach adäquater Kausalität werden von der Rspr. indessen 202 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 156. 203 Enneccerus / Lehmann, 1016; MünchKomm / Mertens, 17; Palandt / Thomas, 8; Planck/Greiff, 2d; RGRK / Kreft, 28-31; Soergel / Zeuner, 4; Staud. / Schäfer, 35-36; Wussow / Kuntz, 404; Erman / Drees, 7; Erman / Schiemann, 5; AK-BGB / Kohl, 3. • 204 Deutsch, JuS 1987, 673, 675. 205 Schulze, VersR 1981, 1058, 1059. 206 Vgl. unten 4 § 3 B I I 1 b. 207 AG Amberg VersR 1972, 497; LG Kleve MDR 1973, 49; BGH NJW 1975, 867, 868; Celle VersR 1980, 430, 431; Hamm VersR 1981, 85; München VersR 1989, 861; Nürnberg VersR 1965, 93, 94; 1991, 1072. 208 Deutsch, JuS 1981, 318, 322; BGH NJW 1971, 1980 u. 1982; anders noch BGH NJW 1971, 509; vgl. auch oben 1 § 2 B I I 3c. 209 BGH NJW 1962, 1676, 1677; 1981, 983; 1982, 1046, 1047.
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regelmäßig keine wesentlichen Hilfen für die Fallösung gewonnen. I m Fall einer Schreckreaktion auf Hundegebell wurde die Adäquanz verneint, w e i l das Bellen eines erkannten Hundes regelmäßig nicht zu einem Schock führe. 2 1 0 Das R G hatte i n einem ähnlichen Fall wegen der besonders schreckhaften Konstitution der verletzten Person stattdessen die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs angenommen. 2 1 1 Ob es jedoch nach der Lebenserfahrung tatsächlich außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt, daß eine Person durch Hundegebell erschrickt, dürfte zweifelhaft sein. Bei Schreckreaktionen auf die Annäherung oder das Anspringen eines Hundes wurde die Adäquanz stattdessen mehrfach bejaht. 2 1 2 Ob aufgrund eines konkreten Tierverhaltens eine Verletzung wahrscheinlich ist, w i r d von der Rspr. i m übrigen regelmäßig als Frage der typischen Gefährlichkeit tierischen Verhaltens behandelt, also bei der Fallgruppe des sogenannten „natürlichen" Verhaltens. 2 1 3 V o n der Lit. w i r d die Adäquanz i m Bereich der Tierhalterhaftung überwiegend nicht problematisiert. Die meisten Autoren sprechen ohne weiteres von adäquater Kausalität als Haftungsvoraussetzung, 214 ohne indessen daraus konkrete Folgerungen für die Fallbehandlung abzuleiten. Einige Autoren halten die Adäquanz sogar für die einzige Grenze der Schadenszurechnung, 215 da sie auf das M e r k m a l der Tiergefahr verzichten wollen. Andere Autoren halten die Adäquanz bei der Tierhalterhaftung für ein überflüssiges und untaugliches Kriterium. Der Halter hafte nur für die Verletzungsfolgen der typischen Tiergefahr. Die Verletzung brauche daher nicht aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung voraussehbar zu sein. 2 1 6 M a n kann insofern sagen, daß die Adäquanz zur Lösung der tierschadensrechtlichen Probleme jedenfalls keinen Beitrag leistet.
4. Der Zurechnungs- oder Risikozusammenhang I n einigen neueren Entscheidungen ist von der Rspr. der Zurechnungs- oder Risikozusammenhang als Kriterium des sachlichen Schutzbereichs ausdrücklich erwähnt worden. Der B G H sieht in der Tiergefahr ein Abgrenzungskriterium, durch welches diejenigen Grenzfälle aus der Halterhaftung ausgeschieden wer210 A G Amberg VersR 1972, 497. 211 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 156. 212 Vgl. RG JW 1906, 349 Nr. 7; Nürnberg VersR 1965, 93, 94; 1991, 1072; Hamm VersR 1981, 85. 213 Entsprechung von Adäquanz und Typizität in der Gefährdungshaftung z. B. bei Esser /Schmidt, 526; vgl. oben 2 § 2 B I 3. 214 Bondzio, RdL 1972, 229, 231; Bornhövd, VersR 1979, 398; Erman/Drees, 7; Erman/Schiemann, 5; Haase, JR 1973, 10, 13; Larenz, Schuldrecht II, 707; MünchKomm/Mertens, 17; Planck / Greiff, 2d; Schlund, FS Schäfer, 223, 225; Schmid, JR 1976, 274, 275; Soergel / Zeuner, 4; Staud. / Schäfer, 35 u. 38. 215 Bondzio, SchlHA 1973, 126, 127; Haase, JZ 1977, 155, 156; vgl. unten 2 § 3 A. 216 Deutsch, JuS 1987,673,674. Ohne weitere Ausführungen auch AK-BGB / Kohl, 3.
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2. Teil: Die Tiergefahr
den, bei denen der Risikozusammenhang f e h l t . 2 1 7 Das Gericht hat dabei die Verwirklichung der Tiergefahr und das Bestehen des Risikozusammenhanges synonym verwendet. Es hat ausgeführt, daß der Tiergefahrbegriff nicht m i t der Frage vermischt werden dürfe, ob aus der Verwirklichung der Tiergefahr ein Schaden entstanden sei. Dies kann als Hinweis darauf verstanden werden, daß die Tiergefahr zur haftungsbegründenden und nicht zur haftungsausfüllenden Zurechnung gehört. Da die Rspr. zur Tiergefahr aber i m allgemeinen zwischen Verletzung und Schaden gar nicht deutlich unterscheidet, kann man die Aussage des B G H auch so interpretieren, daß die Fragen der Gefahrenquelle (Tiergefahr) und der Gefahrzurechnung (Verwirklichung i m Erfolg) zu trennen sind. Dies würde strukturell, wenn auch nicht i n der Verwendung der Begriffe, der hier vertretenen Zurückführung des Merkmals der Tiergefahr auf die beiden Komponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung entsprechen. V o m Risikozusammenhang spricht der B G H auch i n einem Fall, i n dem ein Pferd (möglicherweise) ein anderes während des Transports verletzt hatte. 2 1 8 Danach war der Risikozusammenhang gegeben und der Schutzbereich des § 833 S. 1 B G B eröffnet, denn das Verhalten des Pferdes war die typische Auswirkung der Tiergefahr und in der Verletzung hatte sich die typische Tiergefahr manifestiert. A u c h hier w i r d der Risikozusammenhang gleichgesetzt mit der V e r w i r k l i chung der Gefahr. Soweit der Risikozusammenhang die Erfolgswirksamkeit eines Tierverhaltens kennzeichnet, geht es dabei letztlich u m die Unterscheidung von gefährlichem und ungefährlichem Tierverhalten. W i r d ein i n die Straße gelaufenes Tier von einem K f z erfaßt und sofort gegen ein anderes geschleudert, so ist von der Verwirklichung der Tiergefahr oder auch von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs die Rede. 2 1 9 Bleibt das Tier dagegen tot auf der Fahrbahn liegen und führt der Kadaver längere Zeit später zu einem weiteren Unfall, dann wird zusätzlich noch der Zurechnungszusammenhang erörtert. Dieser kann mit fortschreitender Zeit zwischen der Tötung des Tieres und dem weiteren Unfall zweifelhaft werden, 2 2 0 nicht aber, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Damit w i r d der Zeitfaktor zum Kriterium für den Risikozusammenhang, also für die Verwirklichung der Tiergefahr. Durch die Vermehrung der aufeinanderfolgenden Verletzungsursachen (neben der Tiergefahr) schwächt sich die Bedeutung des Tierverhaltens als Verletzungsursache ab. A u c h in der Lit. w i r d die Verwirklichung der Tiergefahr von einigen Autoren ausdrücklich als ein Problem des sachlichen Schutzbereichs der N o r m und damit des Risikozusammenhangs gesehen. 2 2 1 Obschon der Normzweck i n der Lit. zu 217 BGH VersR 1976, 1090, 1091. 218 BGH VersR 1978, 515. 219 LG Kiel VersR 1969, 456; LG Kleve MDR 1973, 49. 220 Celle VersR 1980, 430, 431; Geigei / Schlegelmilch, 15. 221 A K - B G B / K o h l , 4 u. 6; MünchKomm/Mertens, 6; Staud. /Schäfer, 35 u. 38; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 675.
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§ 833 S. 1 B G B eine zentrale Rolle spielt, werden aus dem Zurechnungskriterium des Risikozusammenhangs regelmäßig keine weiterreichenden Folgerungen gezogen. Gerade der Begriff des Risikozusammenhangs verdeutlicht i m Zusammenhang m i t den Fallgruppen der Passivwirkung aber nochmals das Kernproblem der Gefahrzurechnung und ihrer Begrenzung. Selbst wenn eine bestimmte M i t w i r kung des Tieres an der Verletzung für sich noch keine Haftung begründet, so eröffnet die Frage nach dem Risikozusammenhang auch den Rückgriff auf vorausgegangenes Tierverhalten. Dies hat sich die Rspr. — mehr oder weniger ausdrücklich — schon i m Rahmen der Fallgruppen zunutze gemacht, um unzuträgliche Ergebnisse zu korrigieren. Sie hat das Problem des natürlichen Verhaltens bei Deckakten umgangen, indem sie stattdessen auf vorangehendes Verhalten abstellte und sie hat bei der passiven M i t w i r k u n g eines Tierkadavers nach dem Zurechnungszusammenhang m i t dem weiter zurückliegenden Tierverhalten geforscht. 2 2 2 Als Grenze dieses Rückgriffs wurde dann der enge zeitliche Zusammenhang vorgeschlagen.
C. Die Neubestimmung der Tiergefahr als Wirkung der „tierischen Unberechenbarkeit" I . Ersetzen des willkürlichen Verhaltens durch die tierische Unberechenbarkeit Der B G H und die übrige Rspr. haben die Überlegungen des R G zum w i l l k ü r l i chen Verhalten und die hierzu entwickelten Ausnahmefallgruppen zunächst übernommen. I m Laufe der Zeit verstärkten sich jedoch die Bedenken hiergegen auch bei den Gerichten. 2 2 3 I m Jahr 1976 setzte sich schließlich der B G H i m Chow-Chow-Fall und i m Dammhirsch-Fall grundsätzlich und kritisch m i t der bisherigen Rspr. zur Tiergefahr auseinander. I m Ergebnis verwarf er die Inhaltsbestimmung der Tiergefahr als willkürliches Verhalten zugunsten der neuen U m schreibung als Auswirkung der „tierischen Unberechenbarkeit" 2 2 4 und wandte sich gleichzeitig gegen die Fallgruppen des natürlichen Verhaltens und des physiologischen Zwangs. M i t diesen Grundsatzentscheidungen setzt der B G H rechtsdogmatische Akzente für die gesamte Tierhalterhaftung. Er betont, daß es sich bei § 833 S. 1 B G B u m einen Fall der Gefährdungshaftung handelt, deren Normzweck i m Schutz vor einer besonderen Gefahr liege. W i e i n allen Fällen der Gefährdungshaftung müsse deren gegenständlicher Schutzbereich festgestellt 222 Oldenburg VersR 1965, 1087,1088; NJW 1976, 573; Celle VersR 1980,430,431. 223 Oldenburg VersR 1963, 444; NJW 1976, 573; Köln JZ 1972, 408. 224 BGH VersR 1976,1090/1091 (Eine läufige Chow-Chow-Rassehündin wurde von ihrer Besitzerin ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen spazierengefühlt und unterwegs von einem Bastardrüden gedeckt); BGH VersR 1976, 1175, 1176 (Ein Besucher wurde im städtischen Wildgehege bei Annäherung an einen Dammhirsch von diesem verletzt).
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2. Teil: Die Tiergefahr
werden. 2 2 5 Eine den Bereich der Tiergefahr zutreffend umschreibende Definition müsse sich am Sinn und Zweck der N o r m orientieren. A u c h der B G H greift also zur Begründung seines Standpunktes ausdrücklich auf den Normzweck zurück und nimmt dann die Terminologie der Gefährdungshaftung und der objektiven Zurechnung, insbesondere die Überlegungen zum sachlichen Schutzbereich und zum Risikozusammenhang, 2 2 6 demonstrativ i n seine Ausführungen auf. Er bestätigt, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der M i t w i r k u n g eines Tieres und dem Schaden allein noch nicht ausreicht, um die Haftung zu begründen 2 2 7 und hält damit — i m Unterschied zu einigen Autoren i n der L i t . 2 2 8 — am Merkmal der Tiergefahr grundsätzlich fest. Die Unterscheidung von willkürlichem und natürlichem Verhalten hält er indessen nicht für geeignet, i n bestimmten Situationen, i n denen der Risikozusammenhang fehle, die Tierhalterhaftung auszuschließen, denn Fälle, i n denen tierisches Verhalten von vernünftigem W o l l e n geleitet sei, gebe es nicht. Diese Sichtweise halte insbesondere den Erkenntnissen der Verhaltensforschung nicht stand. Die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens beruhe danach nämlich nicht auf W i l l k ü r , sondern auf den quantitativen Beziehungen zwischen einem auslösenden Außenreiz und der Antwort, die der Organismus als Ganzes erteile. 2 2 9 Der B G H verwahrt sich dagegen, daß er selbst dem Tier implizit einen W i l l e n zugeschrieben habe. A u f die Motivation des Tieres komme es überhaupt nicht an. Der Grund der Halterhaftung liege i n der Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Tieres und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Rechtsgütern Dritter. Die Tiergefahr hat sich demnach verwirklicht, wenn die Verletzung auf eine selbständige, v o m W i l l e n des Menschen unabhängige Betätigung der nach Wirkung und Richtung nicht jederzeit und nicht v o l l beherrschbaren tierischen Energie zurückzuführen ist. Der B G H betont aber die Kontinuität seiner Rspr., indem er ausführt, schon i n früheren Entscheidungen sei m i t den Formulierungen „ein der tierischen Natur entsprechendes willkürliches Verhalten" und „eine von keinem vernünftigen W o l l e n geleitete Entfaltung der tierischen Kraft" eigentlich die Unberechenbarkeit gemeint gewesen. 2 3 0 Die Unberechenbarkeit als neue Inhaltsbestimmung der Tiergefahr ist auch von den übrigen Gerichten weitgehend übernommen worden, wenn auch mitunter in Form einer gemischten Formulierung aus der alten und der neuen Fassung. Die Verletzung muß danach verursacht sein durch ein der tierischen Natur entsprechendes willkürliches Verhalten, bei dem sich die in der Unberechenbarkeit des Tierverhaltens liegende Gefährdung Dritter ausgewirkt h a t . 2 3 1 Darin zeigt sich 225 226 227 228 229 230
BGH VersR 1976, 1175, 1176. Vgl. oben 1 § 2 B I I 3 d. BGH VersR 1976, 1090/1091. Vgl. unten 2 § 3 A. BGH VersR 1976, 1090/1091. Zur Unberechenbarkeit schon RG JW 1933, 832 Nr. 7; Planck/ Greiff, 2b.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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aber auch die Ungewißheit über die dogmatische Tragweite dieser Neubestimmung. Die ausschließliche Umschreibung der Tiergefahr als willkürliches Verhalt e n 2 3 2 kommt für die Rspr. jedoch seither letztlich nicht mehr in Frage.
I I . Auswirkungen auf die Rechtsprechung zu den Ausnahmefallgruppen Der Kern der Rspr. zur Tiergefahr lag stets i n den Ausnahmefallgruppen. Der B G H hat einige Fallgruppen verworfen, ist aber v o m Grundsatz der Fallgruppenbildung nicht abgerückt. Wenn die „tierische Unberechenbarkeit" indessen eine grundsätzliche Neubestimmung der Tiergefahr beinhaltet, so kann diese auf das Gesamtgefüge der Fallgruppen nicht ohne W i r k u n g bleiben. Hierzu hat sich der B G H bisher nicht richtungsweisend geäußert, so daß die Auswirkungen auf die Ausnahmefallgruppen erst nach und nach ersichtlich werden.
1. Ablehnung von physiologischem Zwang und natürlichem Verhalten I m Chow-Chow-Fall ist der B G H i n erster L i n i e der verbreiteten Meinung entgegengetreten, ungewollte Deckakte unterlägen als Fälle des natürlichen Verhaltens oder des physiologischen Zwangs nicht der Halterhaftung. 2 3 3 Der B G H hat klargestellt, daß sich auch bei Deckakten die Tiergefahr verwirklicht, selbst wenn das Tier damit seiner natürlichen Veranlagung folgt. Der Deckakt sei eine Betätigung der nach W i r k u n g und Richtung nicht jederzeit und nicht v o l l beherrschbaren tierischen Energie. Seither ist i n der Rspr. — soweit ersichtlich — kein Haftungsausschluß mehr für Deckakte erfolgt, weder unter Berufung auf das natürliche Verhalten, noch auf den physiologischen Zwang. Der B G H hat indessen ausdrücklich offen gelassen, ob die typischerweise ungefährlichen Verhaltensweisen, von denen die Überlegungen zum natürlichen Verhalten urspünglich ihren Ausgang genommen haben, z. B. Beschnüffeln und Wachsausscheidungen, weiterhin eine Haftungsausnahme begründen k ö n n e n . 2 3 4 Der Gesichtspunkt des typischerweise ungefährlichen Tierverhaltens w i r d jedenfalls i n der Rspr. auch weiter als haftungsausschließendes Kriterium in Betracht gezogen, 2 3 5 insbesondere auch bei der Krankheitsübertragung zwischen T i e r e n . 2 3 6 Der B G H hat 231 Düsseldorf VersR 1980, 270; München VersR 1987, 493; vgl. auch BGH VersR 1986, 1077, 1078; Stuttgart VersR 1978, 1123, 1124; KG VersR 1981, 1035; Braunschweig VersR 1983, 347. 232 z . B. noch bei Schleswig VersR 1983, 470. 233 Vgl. oben 2 § 2 B I l b (3); 2b (2); 3c. 234 BGH VersR 1976, 1090, 1091. 235 Vgl. Düsseldorf VersR 1980, 270; Nürnberg NJW-RR 1991, 741. 236 Frankfurt VersR 1985, 1189, 1190. 9 Lorenz
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2. Teil: Die Tiergefahr
i m Rahmen seiner Grundsatzentscheidungen auch die ganze Fallgruppe des physiologischen Zwangs als unbrauchbar abgelehnt. Die Annahme physiologischen Zwangs fuße auf der alten Unterscheidung von willkürlichem und natürlichem Verhalten und entspreche nicht mehr den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft, 237 da es willkürliches Tierverhalten nicht gebe. Der Haftungsausschluß aufgrund eines unwiderstehlichen Außenreizes w i r d i n der Rspr. seither nur noch selten i n Betracht gezogen. 2 3 8
2. Beibehalten der übrigen Fallgruppen Der B G H hat i n seinen Grundsatzentscheidungen jedoch ausdrücklich offengelassen, welche Folgerungen aus der Neubestimmung der Tiergefahr für die übrigen Fallgruppen zu ziehen s i n d , 2 3 9 Dies gilt insbesondere für die Deckakte unter menschlicher L e i t u n g . 2 4 0 Diese findet nunmehr sogar i n der Umschreibung der Unberechenbarkeit selbst Erwähnung. Die menschliche Leitung ist zwischenzeitlich v o m B G H selbst, wie auch von anderen Gerichten, mehrfach wieder geprüft worden und hat zumindest i n einem Fall auch zum Haftungsausschluß geführt. 2 4 1 Es ist jedoch die Tendenz zu bemerken, daß von menschlicher Leitung oder gar von Willensherrschaft zumeist auch dann nicht mehr ausdrücklich die Rede ist, wenn es inhaltlich um diese Fallgruppe geht. Die Konstellationen der Passivwirkung werden v o m B G H und der übrigen Rspr. weiterhin ohne Probleme als haftungsausschließend in Betracht gezogen. 2 4 2 A u c h der Risiko- oder Zurechnungszusammenhang w i r d v o m B G H und der übrigen Rspr. gelegentlich herangezogen, 2 4 3 wenn auch noch nicht klar wird, welcher Stellenwert dieser Erwägung gegenüber den „klassischen" Fallgruppen zukommen soll. Soweit diese i n der Rspr. somit auch nach 1976 verwendet wurden, sind sie bei der zusammenhängenden Erörterung des Fallgruppenbestandes bereits berücksichtigt w o r d e n . 2 4 4
237 BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1976, 1175, 1176. 238 z. B. München VersR 1978, 334; L G Göttingen VersR 1991, 1072, 1073; vgl. unten 2 § 2 D I I 2b. 239 BGH VersR 1976, 1175, 1176. 240 BGH VersR 1976, 1090, 1091. 241 Düsseldorf VersR 1981, 82, 83; vgl. auch BGH VersR 1986, 1077, 1078; 1987, 198, 200; K G VersR 1981, 1035; Köln VersR 1989, 62; vgl. unten 2 § 2 D I I 2b. 242 BGH VersR 1978, 515; Celle VersR 1980, 430, 431; Braunschweig VersR 1983, 347, 348; Schleswig VersR 1983, 470. 243 BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1978, 515; Celle VersR 1980, 430, 431. 244 Vgl. oben 2 § 2 B I - I V .
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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I I I . K r i t i k der Literatur an der Unberechenbarkeit 1. Argumente gegen die Unberechenbarkeit Die L i t . hat es grundsätzlich begrüßt, daß der B G H die Unwissenschaftlichkeit seiner alten Terminologie anerkannt hat. Die Neubestimmung als Unberechenbarkeit hält die überwiegende Lit. indessen dennoch für verfehlt, 2 4 5 denn sie liest Unberechenbarkeit durchweg als Unvorhersehbarkeit. Dies hält sie für zu unscharf. 2 4 6 Es bleibe offen, ob die Unberechenbarkeit konkret als Unvorhersehbarkeit eines Verhaltens i m Einzelfall oder abstrakt als tierische Eigenschaft zu verstehen sei. Die Unberechenbarkeit könne nicht unvorhersehbares Verhalten i m Einzelfall bedeuten. 2 4 7 Es sei nicht erkennbar, auf wessen Erkenntnishorizont dabei abgestellt werden solle, 2 4 8 etwa den des Halters oder des Verletzten oder eines verständigen Rechtsgenossen. Zudem widerspreche es der Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Fall der Gefährdungshaftung. Diese knüpfe ganz allgemein nicht an eine konkrete, sondern an eine abstrakte Gefahr an. Wenn die Rechtsprechung danach unterscheiden wolle, ob das jeweilige Verhalten Ausdruck der tierischen Unberechenbarkeit sei, dann stelle sie aber auf die konkrete Unberechenbarkeit ab. Denn Tiere richteten i m allgemeinen Schäden auf eine A r t und Weise an, wie sie von einem Tier dieser A r t typischerweise zu erwarten seien. Beziehe sich die Unberechenbarkeit auf die konkrete Gefährlichkeit, so werde die Gefährdungshaftung nur noch als eine bloße Ergänzung der Verschuldenshaftung aufgefaßt. Der Charakter der Gefährdungshaftung als eigenständiges Haftungsprinzip neben der Verschuldenshaftung sei dann i n Frage gestellt. 2 4 9 Nach dem Sinn des § 833 S. 1 B G B solle die Haftung daher gerade auch dann eingreifen, wenn nach der Lebenserfahrung klar vorhersehbares Tierverhalten zur Verletzung führe. 2 5 0 Werde die Unberechenbarkeit indessen als abstrakte tierische Eigenschaft verstanden, so sei sie nur eine gefährliche Tiereigenschaft neben anderen. A u c h das v o m Tier einer bestimmten A r t typischerweise zu erwartende Verhalten könne gefährlich sein. 2 5 1 Jede angebliche Unberechenbarkeit bestehe letztlich nur in 245 A K - B G B / K o h l , 4-5; Staud. / Schäfer, 3; MünchKomm/Mertens, 13; R G R K / Kreft, 20; Soergel / Zeuner, 5; Medicus, Schuldrecht II, 391; Honseil, MDR 1982, 798; Bornhövd VersR 1979, 398, 399; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 676; Schünemann, JuS 1978, 377, 378; Siegfried, 68. 246 MünchKomm / Mertens, 13; Siegfried, 69. 247 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 676; MünchKomm / Mertens, 13. 248 Schünemann, JuS 1978, 377, 378. 249 Deutsch, JuS 1987, 673, 675/676. 250 Medicus, Schuldrecht II, 391; MünchKomm / Mertens, 13. Planck / Greiff, 2b sagen pointiert, bei Tieren müsse gerade mit unvorhersehbarem Verhalten gerechnet werden. 251 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 676; RGRK /Kreft, 20; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155. 9*
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2. Teil: Die Tiergefahr
einem Erkenntnisdefizit der Wissenschaft. 2 5 2 Damit knüpfe der B G H an die alten Überlegungen zum willkürlichen Verhalten an und verfalle erneut i n die archaische Vorstellung v o m willensbegabten T i e r . 2 5 3 Hier lebe der Gedanke wieder auf, natürliches Tierverhalten (secundum naturam) sei kalkulierbar, nicht aber Verhalten contra naturam. Durch diese Verengung ihres Blickwinkels auf die Unvorhersehbarkeit geht die K r i t i k der L i t . an der „tierischen Unberechenbarkeit" aber letztlich ins Leere. Sie führt damit nicht die Rspr. ad absurdum, sondern ihre eigene Interpretation derselben, indem sie beweist, daß sich die Unberechenbarkeit eben nicht als „Unvorhersehbarkeit" verstehen läßt, nicht aber, daß deshalb die neue Umschreibung grundsätzlich verfehlt wäre. A u c h die Verwerfung des physiologischen Zwangs und des natürlichem Verhaltens durch den B G H hat i n der Lit. naturgemäß Beifall gefunden, da die Lit. diese Fallgruppen schon immer kritisiert h a t . 2 5 4 A m Beispiel des natürlichen Verhaltens ist bereits dargestellt worden, daß auch die K r i t i k an den Fallgruppen den Standpunkt der Rspr. nicht immer t r i f f t . 2 5 5 Darüber hinaus w i r d die Beibehaltung der menschlichen Leitung vereinzelt für inkonsequent gehalten. Gehe man den v o m B G H eingeschlagenen Weg der „extensiven" Interpretation der Tiergefahr konsequent weiter, dann könne auch diese Fallgruppe nicht bestehen bleiben. Der B G H bringe sich in Widerspruch m i t sich selbst, wenn er einerseits beim physiologischen Zwang auf die Ursache eines Tierverhaltens nicht mehr abstellen w o l l e , 2 5 6 andererseits aber die Haftung bei menschlicher Veranlassung ausschließe. Dieses Argument spricht aber eigentlich nicht gegen die neue Umschreibung der Tiergefahr, sondern gegen die Beibehaltung der menschlichen Leitung trotz dieser neuen Umschreibung. Insofern ist dieser K r i t i k zuzustimmen. 2 5 7
2. Die Wirkungslosigkeit der Argumente ohne Bezugnahme auf die Normstrukur Die K r i t i k der L i t . hat den Grundansatz der Haftungsbegrenzung nach Fallgruppen bisher i m Ergebnis weder entscheidend fördern noch nachhaltig erschüttern können. A u c h die veränderte Rspr. des B G H w i r d von der Lit. selbst letztlich als Fortsetzung der alten Unterscheidungen angesehen. Die hiergegen vorgebrachten Argumente bringen regelmäßig ein allgemeines Unbehagen an der Methode und den Ergebnissen der Gerichte zum Ausdruck, treffen deren Standpunkt aber 252 Schünemann, JuS 1978, 376, 378. 253 A K - B G / K o h l , 5; Schünemann, JuS 1978, 376, 378; Weber, L M § 833 Nr. 9, Bl. 2; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000. Der Ausdruck „Unberechenbarkeit" selbst ist schon von Planck / Greiff, 2 b verwendet worden. 254 Vgl. oben 2 § 2 B I l c u. 3d. 255 Vgl. 2 § 2 B I 3d. 256 Wussow / Kuntz, 402 b. 257 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
133
nicht immer. Ein Grund hierfür liegt darin, daß sich die Lit. häufig nur an der von ihr unterstellten, d. h. insbesondere umgangssprachlichen oder naturwissenschaftlichen Bedeutung der in der Rspr. gängigen Formulierungen orientiert. Dabei unterliegt sie dann oft Mißverständnissen. Zwar muß die Terminologie der Rspr. zur Tiergefahr generell als sehr unvorteilhaft bezeichnet werden, da „ w i l l k ü r l i c h " eben nicht „infolge tierischen Willens" und „unberechenbar" eben nicht „unvorhersehbar" bedeuten sollen, sondern jeweils nur „aufgrund der Eigenenergie des Tierorganismus" und „natürliches Verhalten" als „typischerweise nicht verletzungsträchtiges Verhalten" gelesen werden muß. A u c h die Gerichte selbst kommen m i t dieser verwirrenden Terminologie nicht immer zurecht. Es liegt aber auf der Hand, daß die immanente K r i t i k dieser Rspr. nur W i r k u n g zeigen kann, wenn sie die v o m umgangssprachlichen und naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutungsgehalte ihren Ausführungen zugrundegelegt. Sonst kritisiert sie nicht die Rspr., sondern nur ihr eigenes Mißverständnis derselben. Der B G H ist mit seiner Bezugnahme auf die naturwissenschaftliche Verhaltensforschung der Lit. nur scheinbar entgegengekommen, denn er hat dadurch entsprechende Mißverständnisse noch begünstigt. Mögen die Formulierungen natürliches Verhalten, willkürliches Verhalten, physiologischer Zwang oder tierische Unberechenbarkeit naturwissenschaftlich oder zumindest umgangssprachlich anmuten, so handelt es sich doch letztlich u m juristische Konstruktionen, durch deren Verwendung die Halterhaftung unter Wertungsaspekten beschränkt werden s o l l . 2 5 8 Ihr Sinn erschließt sich daher nicht aus ihrer Bedeutung in der Umgangssprache oder der Naturwissenschaft, sondern aus ihrer Funktion i m Haftungstatbestand, d. h. aus ihrer teleologischen Auslegung nach dem Sinn und Zweck des § 833 S. 1 B G B . Es kann für die Rspr. nicht darum gehen, den A b l a u f tierischen Verhaltens zu erklären, sondern allein darum, ob die Halterhaftung unter Wertungsgesichtspunkten begründet ist. Letztlich geht es um die Herausarbeitung der Komponenten, auf denen das Merkmal der Tiergefahr beruht, also der Gefahrenquelle und des Gefahrzusammenhangs. Dieser Unterschied von juristischer Wertung und naturwissenschaftlicher Erkenntnis wurde zwar von einigen Autoren unterstrichen, 2 5 9 die L i t . hat daraus generell aber keine Konsequenzen gezogen. Wesentliche Argumente der Lit., wie etwa die, daß die Rspr. dem Tier einen menschlichen W i l l e n unterstelle oder daß sie auf die archaische Vorstellung des Tierdämons zurückgreife, 2 6 0 führen noch nicht zu haftungsrechtlich verwertbaren Ergebnissen, selbst wenn sie zutreffen. Denn es geht stets u m die dogmatische Bedeutung dieser Aussagen. Daß ein Tier von der Naturwissenschaft, wie auch von den Geisteswissenschaften, insbesondere von der klassischen Philosophie, nicht nach den gleichen Maßstäben behandelt werden kann, wie ein Mensch, 258 Vgl. RG JW 1912, 797 Nr. 14. 259 Bondzio, SchlHA 1973, 126; Weber, L M § 833 Nr. 9; Wolf, 673. 260 Vgl. oben 2 § 2 A II; B I 1 c; 2d; 3d.
2. Teil: Die Tiergefahr
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leuchtet jedermann ein. Entscheidend ist aber letztlich, inwiefern für menschliches und tierisches Verhalten gleiche oder unterschiedliche haftungsrechtliche Grundsätze gelten und welche Folgerungen hieraus zu ziehen sind. Die K r i t i k an der Rspr. bedarf daher eines rechtsdogmatischen Ansatzpunktes. Sie kann entweder den Standpunkt der Rspr. übernehmen und zeigen, daß deren Ergebnisse ihrem Ausgangspunkt nicht gerecht werden (immanente K r i t i k ) oder sie kann den Standpunkt der Rspr. verwerfen und zeigen, daß auf anderer Grundlage überzeugendere Ergebnisse zu gewinnen sind. 2 6 1 Beides setzt aber voraus, daß die dogmatischen Zusammenhänge innerhalb der Rspr. zur Tiergefahr durch Analyse des umfangreichen vorliegenden Fallmaterials überhaupt erst einmal offengelegt werden. Nachdem dieses Fallmaterial hier bereits dargestellt und vorläufig geordnet wurde, verbleibt seine abschließende Betrachtung unter Berücksichtigung der Funktion des Merkmals der Tiergefahr vor dem Hintergrund der Normstruktur des § 833 S. 1 B G B .
D. Die Grundlinien der Fallgruppenkonzeption A u c h wenn die Rspr. dies nicht ausdrücklich betont, stehen die von ihr entwikkelten Fallgruppen nicht einfach nebeneinander, sondern weisen innere Zusammenhänge a u f . 2 6 2 Sie sind verbunden durch Entsprechungs- und Ergänzungsbeziehungen, die sich aus der Funktion des Merkmals der Tiergefahr innerhalb der Normstruktur des § 833 S. 1 B G B ergeben. Dessen Einbindung i n das übrige Haftungsrecht kommt außerdem auch dadurch zum Ausdruck, daß die Rspr. dieselben Fragen der Gefahrzurechnung sowohl innerhalb der Fallgruppen behandeln kann, wie auch unter Rückgriff auf die allgemeinen Kriterien der objektiven Zurechnung. Das „ w i l l k ü r l i c h e " Verhalten und die „tierische Unberechenbarkeit" sind nicht bloße Schlagworte, sondern Gesamtkonzepte für die Risikoabgrenzung gegenüber gefahrfremden Beiträgen, d. h. sie beinhalten — wenn auch nicht klar genug ausgesprochen — jeweils eine bestimmte Sichtweise der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung.
I . Das frühere Konzept des willkürlichen Verhaltens 1. Der innere Zusammenhang des willkürlichen Verhaltens und der Ausnahmefallgruppen Die frühere Rspr. umschrieb das willkürliche Verhalten als ein der tierischen Natur entsprechendes, selbständiges, durch kein vernünftiges W o l l e n geleitetes Verhalten, als selbsttätige Entfaltung der tierischen organischen K r a f t . 2 6 3 Die 261 Vgl. unten 2 § 3 A - C . 262 Anders Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000, wonach die ungeordnete Masse der Fallrechtsprechung nicht mehr auf einen Nenner gebracht werden kann.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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Gerichte stützten ihre Entscheidungen aber nicht auf die Subsumtion unter die einzelnen Merkmale dieser Umschreibung, sondern auf die von ihnen entwikkelten Ausnahmefallgruppen. Die Tiergefahr hatte sich danach nicht verwirklicht, wenn ein Tier überhaupt kein Verhalten zeigte 2 6 4 oder dieses Verhalten als regelmäßig nicht verletzungsträchtig angesehen w u r d e , 2 6 5 wenn das Tier unter der Willensherrschaft eines Menschen stand 2 6 6 oder wenn ein äußeres Ereignis auf den Körper oder die Sinne des Tieres m i t solcher Gewalt einwirkte, daß es nach physiologischen Gesetzen nicht widerstehen k o n n t e . 2 6 7 Die Tiergefahr hatte sich demgegenüber verwirklicht, wenn keiner der Ausnahmefälle vorlag. Diese gingen nicht erst i m L a u f der Zeit als Reaktionen auf besondere Einzelprobleme aus der Umschreibung des willkürlichen Verhaltens hervor, sondern entstanden gleichzeitig m i t ihr und waren gewissermaßen ihr Negativ. Die Umschreibung des willkürlichen Verhaltens und die wichtigsten Ausnahmefallgruppen wurden schon i n den frühen Entscheidungen von der Rspr., insbesondere v o m RG, fertig präsentiert 2 6 8 und später nur noch weiter ausgestaltet.
2. Der Kausalzusammenhang von Tiernatur und Rechtsgutsverletzung Den Ausnahmefallgruppen entsprechen jeweils einzelne Teilaspekte i n den positiven Umschreibungen des willkürlichen Verhaltens durch die Rspr. Die Zusammenschau beider ergibt einen Überblick über ihren Funktionszusammenhang nach dieser Konzeption, der durch Kausalitätsüberlegungen realisiert wird. Das willkürliche Verhalten und die Ausnahmefallgruppen beschreiben danach eine durchgehende Kausalkette zwischen Gefahrenquelle und Verletzung, die nicht durch „äußere" Einflüsse unterbrochen sein darf. a) Der Zusammenhang
von Tierverhalten
und Verletzung
Die Haftung tritt demnach nur ein, wenn die Verletzung durch ein aktives Tierverhalten herbeigeführt wurde. Entscheidend ist daher zunächst das Vorliegen einer körperlichen Regung des Tieres aus eigenem A n t r i e b , 2 6 9 die von der Rspr. 263 Vgl. RGZ 50, 219, 221; 60, 65, 69; 80, 237, 238; JW 1905, 392 Nr. 10; 1911, 215 Nr. 13; BGH VersR 1956, 127; NJW 1975, 867, 868; vgl. oben 2 § 2 A I. 264 Vgl. Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186; RG Recht 1906, Nr. 3194; Frankfurt Recht 1907, Nr. 456; München VersR 1958, 424; LG Kiel VersR 1969, 456. 265 Z. B. RGZ 80,237,239; 141,406,407; Karlsruhe VersR 1969,808,809; Oldenburg VersR 1976, 644. 266 z . B. RGZ 50, 180, 181; 54, 73, 74; 60, 65, 68; 65, 103, 105; BGH VersR 1952,
403; 1966, 1073, 1074.
267 Vgl. RGZ 50, 219, 221; 69, 399, 400; LG Hechingen VersR 1958, 1059, 1060; Nürnberg VersR 1970, 1059, 1060. 268 RGZ 50, 180, 181 (menschliche Leitung); 50, 219, 221 u. 54, 73, 74 (physiologischer Zwang); 61, 316, 318 (mechanisches Werkzeug); 80, 237, 239 (natürliches Verhalten); RG Recht 1906, Nr. 3194 (Hindernis).
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2. Teil: Die Tiergefahr
auch als aktives Tun, selbständige Tätigkeit, aktives Handeln, Betätigung lebendiger Kräfte, Energie- oder Kraftentfaltung umschrieben wird. Dies bedeutet zum einen, daß wenigstens ein T e i l des Tierkörpers äußerlich aktiv geworden i s t . 2 7 0 Das bewegungslose Dasein auch des lebenden Tieres genügt nicht, sondern es muß eine äußerlich erkennbare Regung gezeigt, sich z. B. bewegt oder Laute ausgestoßen haben. A u c h die Übertragung einer Krankheit ist nur dann beachtlich, wenn sie durch eine Körperbewegung ermöglicht wurde, z. B. durch Beschnüffeln, nicht aber durch bloßes Nebeneinanderstehen der T i e r e . 2 7 1 Z u m anderen muß die Aktivität des Tierkörpers auf einer Lebensäußerung des Tieres selbst beruhen, also auf der Eigenenergie des Tierorganismus. Insbesondere darf der Tierkörper nicht nur durch andere, außerhalb liegende Kräfte mechanisch bewegt worden sein. 2 7 2 Damit sollen sämtliche Fälle der bloßen Passivwirkung, in denen zwar der Tierkörper mitgewirkt hat, nicht aber ein aktives Tierverhalten, von der Haftung ausgenommen sein. 2 7 3 Das haftungsrelevante Tierverhalten muß seinerseits die Rechtsgutsverletzung herbeigeführt haben. 2 7 4 Eine mechanische Kraftwirkung auf den Verletzten ist dabei nicht erforderlich. Es genügt eine Vermittlung durch psychische oder mechanische Zwischenursachen. A u c h bei nur passiver M i t w i r k u n g des Tieres kommt dann aber jedes vorangegangene aktive Verhalten des Tieres als Anknüpfungspunkt i n Frage, etwa das, m i t dem es sich ursprünglich selbst i n die gefährliche Lage gebracht h a t . 2 7 5 Die hieraus sich ergebende Frage, ob der Erfolg diesem entfernten Tierverhalten noch zurechenbar ist, wie auch das Problem der Zwischenursachen, erfordern Weitungskriterien, die über reine Kausalitätsbetrachtungen schon hinausweisen. Die Eigenaktivität des Tierorganismus muß insbesondere auch typischerweise gefährlich sein, d. h. regelmäßig zu Verletzungen führen. 2 7 6 Die Haftung scheidet aus, wenn durch grundsätzlich harmlose Verhaltensweisen, wie Beschnüffeln, Ausstoßen von Lauten oder tierische Ausscheidungen 2 7 7 dennoch ausnähme weise ein Mensch verletzt wird. Der untypische Verlauf w i r d zum Indiz dafür, daß die Verletzung auf gefahrfremden Wirkungen beruht, die normalerweise nicht mit dem Tierverhalten verbunden sind. Überle269 Vgl. RGZ 80,237,239; JW 1912,797 Nr. 14; Celle HRR 1935, Nr. 1658; Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186; Oldenburg VersR 1963, 444. 270 Vgl. oben 2 § 2 B I I l b - c u. 2b. 271 Vgl. oben 2 § 2 B I I 2a. 272 Vgl. oben 2 § 2 B I I 1 a. 273 Vgl. RGZ 61, 316, 318; 69, 399, 400; JW 1914, 36 Nr. 6; 1933, 693 Nr. 5; Recht 1906, Nr. 3194; 1909, Nr. 1779; Frankfurt Recht 1907, Nr. 456; München VersR 1958, 424; 1960, 572. 274 Vgl. oben 2 § 2 B I V 1-3. 275 Vgl. BGH VersR 1956, 127, 128; LG Kiel VersR 1969, 456, 457; LG Kleve MDR 1973, 49. 276 Vgl. oben 2 § 2 B I 3. 277 Vgl. RGZ 80, 237, 239; 141, 406, 407; LG Köln MDR 1960, 924; Oldenburg VersR 1976, 644.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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gungen i n dieser Richtung sind v o m R G erst vergleichsweise spät entwickelt und von Rspr. und L i t . meist als Gegenpol zum willkürlichen Verhalten mißverstanden worden. I n all diesen Überlegungen zeigt sich indessen die Entsprechung des willkürlichen Verhaltens und der Ausnahmefallgruppen, die sich jeweils auf die W i r k u n g gefahrfremder Einwirkungen beziehen. Das Erfordernis des aktiven Tierverhaltens korrespondiert mit den Fällen der Passivwirkung, das Erfordernis der Verletzungsträchtigkeit m i t denen des natürlichen Verhaltens und den nach und nach entwickelten Kriterien der objektiven Zurechnung.
b) Die Entstehung
des Tierverhaltens
(1) Tiernatur oder bloßer Außenreiz Das aktive Tierverhalten kann nach der Rspr. zum willkürlichen Verhalten seinerseits drei mögliche Ursachen haben. Die Reaktion des Tierorganismus kann durch äußere Einwirkungen veranlaßt sein. 2 7 8 Ereignisse, welche dem Tier keine andere W a h l lassen, fallen unter die Ausnahmegruppe des physiologischen Zwanges. Dabei sind unwiderstehliche Einflüsse von weniger starken Wirkungen abzugrenzen. 2 7 9 Hinter einem Ereignis, welches von außen auf das Tier einwirkt, kann auch die Zielrichtung eines konkreten menschlichen Willens stehen. 2 8 0 Dies sind die Ausnahmefälle der menschlichen Leitung. Dabei w i r d dann zwischen dem Wirksamwerden der Lenkungsmaßnahme und der Auflehnung des Tieres gegen die Lenkung unterschieden. W i r d ein Tierverhalten in Gang gesetzt, obwohl erkennbar keine dieser beiden Möglichkeiten äußerer Einwirkung mitgespielt hat, dann muß die Organismusreaktion zwangsläufig „ i m Tier selber" ihren Ursprung haben, d. h. sie ist die Folge einer nicht näher bestimmten Ursache „innerhalb" des Tieres. 2 8 1 Diese ist die Gefahrenquelle, der eigentliche Kern der Tiergefahr, umschrieben als die „tierische N a t u r " . 2 8 2 Nach dieser Konzeption schließen sich die drei möglichen Ursachen des Tierverhaltens gegenseitig aus. Es muß festgestellt werden, welche von ihnen i m konkreten Fall die Verletzung herbeigeführt h a t . 2 8 3 Es geht u m die Ermittlung 278 Vgl. oben 2 § 2 B I 1. u. 2. 279 Vgl. RGZ 54, 73, 75; 60, 65, 69; 61, 316, 317; 82, 112, 113; BGH VersR 1971, 320. 280 Vgl. RGZ 50, 180, 181; 60, 65, 68; 65, 103, 105; JW 1905, 392 Nr. 10; BGH VersR 1952, 403. 281 Vgl. oben 2 § 2 A I. 282 Vgl. z. B. RGZ 50, 219, 221; 54, 73, 74; JW 1905, 392 Nr. 10; 1911, 215 Nr. 13; Dresden Seuff. Arch. 58, 350 Nr. 186; Köln JZ 1972, 408; BGH VersR 1956, 127; 1971, 320; München OLGZ 1971, 404, 405; aber auch noch München VersR 1978, 334; 1987, 493; Düsseldorf VersR 1980, 270; Braunschweig VersR 1983, 347, 348; Schleswig VersR 1983, 470. 283 Vgl. RGZ 50, 180,181; 53,114,115; 54,73,74; 82, 112,113; JW 1905, 318 Nr. 5.
2. Teil: Die Tiergefahr
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der „eigentlichen", also letztlich allein wirksamen, die anderen Faktoren verdrängenden Ursache des Tierverhaltens und der Verletzung. N u r wenn diese in der Tiernatur liegt, tritt die Haftung ein und sie liegt nur dann i n der Tiernatur, wenn keine der anderen Ursachen sich ihr gegenüber durchgesetzt hat. Es geht nicht u m die wertende Abwägung zwischen mehreren zusammenwirkenden Ursachen, denn die Zurechnung erfolgt allein nach dem Kriterium der Kausalität. Diese kann nur entweder gegeben sein oder nicht. Die Bewertung von Kausalbeiträgen unter normativen Gesichtspunkten erfordert die Erweiterung der Kausalitätsüberlegungen durch die Kriterien der objektiven Zurechnung, die sich i n der Rspr. erst nach und nach durchsetzt. 2 8 4 Innerhalb des v o m R G ursprünglich entwickelten Konzepts des willkürlichen Verhaltens w i r d demnach die Gefahrenquelle i n der „Tiernatur" gesehen und die Gefahrzurechnung geschieht mit Hilfe der Fallgruppen aufgrund von Kausalitätsüberlegungen. V o n diesem Ausgangspunkt her hat die Rspr. seitdem einen Entwicklungsprozeß erlebt, durch den sich die inhaltliche Bedeutung der Gefahrenquelle und die Kriterien der Gefahrzurechnung schrittweise verändert haben. (2) Das Fehlen brauchbarer Abgrenzungskriterien zwischen Tiernatur und Außenreiz Der physiologische Zwang soll die Haftung ausschließen, wenn eine äußere Ursache der Tiernatur keine Möglichkeit zur W i r k u n g gelassen, diese also gleichsam überspielt und außer Kraft gesetzt hat. Der Außenreiz wirkt nur dann als physiologischer Zwang, wenn er unwiderstehlich ist, also nach A r t einer mechanischen Ursache den Einfluß der Tiernatur beiseite drängt und sich nach Kausalgesetzen ungehindert durch den Tierorganismus hindurch fortpflanzt. 2 8 5 Darin liegt letztlich eine Aussage zu der grundlegenden Frage des Verhältnisses von kausaler Notwendigkeit und willensbestimmter Handlungsfreiheit. Bei Anwendung auf die Gefährdungshaftung, insbesondere auf das Verhalten von Tieren, muß diese Sichtweise der Rspr. notwendig zu Widersprüchen und Mißverständnissen führen. Faßt man das verletzungsträchtige Tierverhalten als ein Ereignis auf, das innerhalb eines Geflechtes von Kausalzusammenhängen wirksam wird, dann ist es auch seinerseits immer von anderen Ursachen zwingend veranlaßt. A u c h die Tiernatur selbst kann dann keine letzte Ursache tierischen Verhaltens sein, sondern w i r d ebenfalls von äußeren Ursachen zwingend bestimmt. Ist die Tiernatur aber nur eine von vielen möglichen Ursachen tierischen Verhaltens, dann muß erklärt werden, weshalb nur und gerade ihre M i t w i r k u n g die Haftung begründet. Dieser Schwierigkeit kann durch die Annahme begegnet werden, daß die Tiernatur eben keine gewöhnliche Ursache ist, sondern selbst außerhalb des geschlossenen Zusammenhangs der Wirkursachen steht. Dies ist dann gleichbe284 Vgl. oben 2 § 2 B IV. 285 Vgl. oben 2 § 2 B I 1 a.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
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deutend m i t der Annahme eines freien Willens bei Tieren, der gewissermaßen „ v o n außen" i n die zwingenden Kausalzusammenhänge hineinwirken kann. Die philosophisch-geisteswissenschaftliche Tradition versteht den W i l l e n als einen geistigen A k t , der hinter einer Handlung steht. Dieser W i l l e ist frei, sofern er von der Vernunft und ihren Gesetzmäßigkeiten bestimmt werden k a n n 2 8 6 und somit jenseits der Bindung durch Kausalzusammenhänge steht, die das Erkenntnisvermögen allein nicht zu überwinden vermag. Nur als solcher ist er ethischen Maßstäben zugänglich und rechtlich relevant (Willenserklärung, Schuldformen usf.). Sofern in der Naturwissenschaft allen höheren Lebewesen ein W i l l e zugesprochen w i r d , 2 8 7 geht es u m die tatsächlichen seelischen Triebkräfte und Entwicklungsmomente von Verhalten, die wegen der philosophischen Vorbelastung des Willensbegriffs zumeist unter der Bezeichnung „ M o t i v a t i o n " behandelt werden. A u c h wenn ein Tier zwischen Verhaltensalternativen wählt, ist diese Entscheidung nicht vernunftbestimmt und insofern nicht frei. Dies kann nach der klassischen Vorstellung (auf der die juristische Willenskonzeption beruht) auch nicht verwundern, da die Naturwissenschaft allein den Bereich der kausalen Notwendigkeiten zum Forschungsgegenstand hat, i n dem Freiheit und Verantwortung keinen Raum haben. Geht man mit der geistesgeschichtlichen Tradition, auf welcher die juristische und damit auch die haftungsrechtliche Willenskonzeption beruht, indessen davon aus, daß der freie W i l l e gerade den vernünftigen Menschen als solchen kennzeichnet, dann ist die Abgrenzung von zwingenden und anderen äußeren Anlässen für das Tierverhalten — d. h. zwischen der M i t w i r k u n g und der Ausschaltung der Tiernatur — nicht sinnvoll. Dann kann aber nicht mehr begründet werden, wodurch sich die „Tiernatur" oder der „eigene Antrieb" von anderen Ursachen tierischen Verhaltens in haftungsrelevanter Weise unterscheidet. Der innere A n trieb zeichnet sich nicht durch besondere Wirkungsintensität aus, da er eben von anderen Reizen ohne weiteres überspielt werden kann und das Tierverhalten bleibt i n seinen Wirkungen gleichermaßen verletzungsträchtig, wie immer es herbeigeführt wurde. Damit w i r d aber die Unbrauchbarkeit dieser Umschreibung der Gefahrenquelle deutlich. Selbst wenn man einen tierischen W i l l e n unterstellen würde, könnte dieser bei der Bestimmung der haftungsrelevanten Verletzungsursache i m Rahmen der Gefährdungshaftung keine Rolle spielen. Willensbestimmtes Verhalten (Handeln) ist nur dann von Belang, wenn daran in einem weiteren Schritt schließlich ein Verschuldensvorwurf geknüpft werden s o l l . 2 8 8 A u c h bei der menschlichen Leitung zeigt sich grundsätzlich dasselbe Problem. Die Einwirkung durch den Menschen kann die Haftung unter den genannten Prämissen des R G nur dann ausschließen, wenn sie dem W i r k e n der Tiernatur keinen Raum gelassen, wenn das Tier sich also nicht gegen die Lenkung aufge286 Kant, KpV, 27; Schmidt / Schischkoff, 782. 287 Vgl. z. B. Popper/Eccles, 337-353. 288 Vgl. oben 1 § 2 B I I 1-2.
2. Teil: Die Tiergefahr
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lehnt hat. Dabei handelt es sich u m einen Sonderfall des Außenreizes, hinter dem ein menschlicher W i l l e steht. Die Überlegungen zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Tiernatur gegenüber dem menschlichen Befehl führen aber nicht weiter, da sich die Tiernatur eben nicht in haftungsrechtlich relevanter Weise von anderen Ursachen unterscheidet. Eine wesentliche Besonderheit ergibt sich aber daraus, daß beim Tierverhalten aufgrund menschlichen Befehls die Verletzung letztlich auf menschliches Handeln zurückgeführt werden kann. Dies führt zur Frage nach dem normativen Gewicht einer Gefahrenquelle gegenüber menschlichem Handeln, also i m Grunde nach dem Verhältnis von Verschuldensund Gefährdungshaftung. Dabei geht es dann nicht mehr u m die gegenseitige Verdrängung von Wirkursachen, sondern um die Konkurrenz von Haftungsnormen.
289
Z wi schenursachen X unterbrochene Kausalität physiologischer Zwang menschliche Leitung natürliches Verhalten X >X RechtsgutsTierverhalten verletzung (Passivwirkung ?)
Außenreize X
Tiernatur
Gefahrenquelle
Gefahrzurechnung Schema Nr. 7
3. Die innere Widersprüchlichkeit des „willkürlichen" Verhaltens ohne tierische Willensfreiheit Die Rspr. hat die Entstehung des Tierverhaltens ursprünglich nach dem M o d e l l einer Ursachenkette gedacht. Die eigentliche Gefahrenquelle lag in der Tiernatur, also in derjenigen Ursache, die gewirkt haben mußte, wenn das Tierverhalten nicht durch außergewöhnliche äußere Ereignisse oder durch den menschlichen W i l l e n hervorgerufen worden war. Dadurch wurde die Gefahrenquelle i n einen nicht mehr klar faßbaren Bereich jenseits des Tierverhaltens verlegt. Dies provozierte die Vermenschlichung des Tieres, 2 9 0 denn die Parallelen dieser Auffassung zum menschlichen Handeln sind offensichtlich. Der jenseits aller Kausalzusammenhänge stehende Antrieb des vernünftigen Menschen ist i n der philosophischen Tradition als freier W i l l e gedacht worden. 2 9 1 Obschon sie sich hiergegen immer 289 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3). 290 Vgl. Stuttgart OLG 14, 45, 47; Kassel OLG 14, 51. 291 Vgl. oben 2 § 2 D I 2b (2).
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
141
verwahrt h a t , 2 9 2 konnte die Rspr. niemals den V o r w u r f entkräften, sie unterstelle einen „tierischen W i l l e n " . Viele Gerichte haben immerhin ausdrücklich danach geforscht, ob dem Tier noch die „innere Freiheit" zu einem bestimmten „ T u n " verblieben sei. 2 9 3 Dabei hat der freie W i l l e Pate gestanden. Dies ist auch nicht erstaunlich, denn das Konzept des willkürlichen Verhaltens läßt sich letztlich nur auf dieser Grundannahme aufbauen. Andererseits hat zumindest das R G dieses Problem erkannt und selbst betont, daß die Tiernatur nicht i n Entsprechung zum freien W i l l e n gedacht werden d a r f . 2 9 4 W i r d sie aber nur als eine Wirkursache neben anderen verstanden, dann gerät sofort die ganze Konzeption ins Wanken. Die eigentliche Gefahrenquelle erscheint dann als die nicht durch eine zwingende äußere Ursache und auch nicht v o m menschlichen Willen, sondern von einer Vielzahl sonstiger Ursachen bestimmte, nicht näher erfaßbare besondere Ursache eines aktiven Tierverhaltens. Weshalb gerade diese die Haftung rechtfertigt, bleibt dann v ö l l i g offen und kann nicht überzeugen.
I I . Das gegenwärtige Konzept der tierischen Unberechenbarkeit A u f diesem Hintergrund w i r d erkennbar, welche Bedeutung der K r i t i k des B G H am „willkürlichen Verhalten" und der neuen Gefahrbestimmung als „Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens" zukommen muß. Es geht um das ausdrückliche Abrücken von der Gefahrenquelle i n der Tiernatur und auch von der Gefahrzurechnung auf der Grundlage bloßer gegenseitiger Verdrängung von Wirkursachen. 1. Die Neubestimmung der Tiergefahr a) Der Verzicht auf die Tiernatur
als Gefahrenquelle
Der B G H ist anfangs von der Konzeption des willkürlichen Verhaltens ausgegangen. U m zu begründen, daß unbeaufsichtigte Deckakte der Halterhaftung unterliegen, hat er dann aber die Umschreibung der Tiergefahr als willkürliches Verhalten zugleich m i t den Fallgruppen des natürlichen Verhaltens und des physiologischen Zwanges als unbrauchbar verworfen. 2 9 5 Daran ist bemerkenswert, daß Deckakte ohne weiteres als willkürliches Verhalten zu verstehen gewesen wären und daher eine Klarstellung auf der Grundlage der alten Konzeption ausgereicht hätte. Stattdessen wurde die Tiergefahr als „Unberechenbarkeit" neu 292 RG JW 1912, 797 Nr. 14; BGH VersR 1976, 1190. 293 RG Warn. Rspr. 1909 Nr. 21; JW 1911, 45 Nr. 31; 1922, 286 Nr. 3; BGH VersR 1959, 853, 854. 294 RG JW 1912, 797 Nr. 14; 1933, 693 Nr. 5; vgl. auch Köln JZ 1972, 408. 295 Vgl. oben 2 § 2 C I II.
2. Teil: Die Tiergefahr
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umschrieben, d. h. als selbständige Betätigung der niemals v o l l beherrschbaren tierischen Energie. Der B G H hat zur Erläuterung auf Erkenntnisse der Verhaltensforschung zurückgegriffen, wonach das Verhalten die Resultante der i m Tier vorhandenen Triebkonstellation sei und das Tier stets als ganzes auf jeden Reiz reagiere. Das Abstellen auf konkrete einzelne Ursachen für die Reaktion des Tierorganismus komme danach nicht i n Betracht. 2 9 6 Das Tierverhalten ist stets eine Resultante, deren einzelne Komponenten nicht isoliert werden und für sich allein genommen auch nichts bewirken können. Entscheidend ist vielmehr die rechtsdogmatische Bedeutung dieser Neubestimmung, die durch naturwissenschaftliche Bezugnahmen nur illustriert werden kann. Die Unberechenbarkeit bedeutet nicht einfach Unvorhersehbarkeit tierischen Verhaltens, denn Probleme der Vorhersehbarkeit sind nur sinnvoll i m Zusammenhang m i t der menschlichen Willensfreiheit, die i m Bereich der Gefährdungshaftung keine Rolle spielt. Die Neubestimmung der Tiergefahr ist ein Anzeichen für die nach und nach vollzogene Wandlung der Fallgruppenkonzeption als solcher. Das m i t der Tiernatur verbundene Dilemma kann aufgelöst werden, indem man die Gefahrenquelle eben nicht mehr in einer Ursache hinter dem aktiven Tierverhalten sieht, sondern allein i n diesem selbst. M i t der Verwerfung des willkürlichen Verhaltens und des physiologischen Zwangs w i r d die Vorstellung von der Gefahrenquelle in der Tiernatur endgültig verabschiedet und durch die Eigenaktivität des Tierorganismus ersetzt. Dann kann es für den Eintritt der Halterhaftung nicht mehr darauf ankommen, wodurch das Tierverhalten hervorgerufen wurde, solange überhaupt ein aktives Tierverhalten vorliegt. Damit w i r d der Versuch aufgegeben, die Reizverarbeitung i m Tier als juristische Zurechnungsfrage zu behandeln. Das Reiz-Reaktions-Geflecht, das dem Tierverhalten zugrundeliegt, muß nicht mehr Gegenstand haftungsrechtlicher Überlegungen sein. b) Die Ergänzung
der Kausalität durch Gewichtungskriterien der objektiven Zurechnung
Diese Sichtweise hat ihre Grundlage auch i n der veränderten Dogmatik der objektiven Zurechnung i n der Gefährdungshaftung. Die Annahme der tatsächlichen gegenseitigen Verdrängung von Kausalketten w i r d abgelöst von der Gewichtung der Ursachenbeiträge anhand von Wertungskriterien. Der B G H hat seine Argumente demonstrativ in die entsprechende Terminologie gekleidet. 2 9 7 Er spricht von spezifischer Gefahr und Gefahrverwirklichung, von Normzweck, sachlichem Schutzbereich und Risikozusammenhang. Dadurch bringt er seine Ablehnung gegenüber der Konzeption des willkürlichen Verhaltens zum Ausdruck, die letztlich auf Kausalitätserwägungen aufgebaut war. M i t den Überlegun296 BGH VersR 1976, 1090, 1091. 297 BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1976, 1175, 1176.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
143
gen zur Tiernatur war zudem die Struktur der Verschuldenshaftung auf das Tierschadensrecht übertragen worden. Bei der Gefährdungshaftung geht es aber nicht u m die Zurückführung des Verletzungserfolges auf einen konkreten Willen, also u m „tierisches Handeln", sondern allein u m die objektive Zurechnung des Erfolges zum Tierverhalten. Entscheidend ist die Relevanz der Gefahrenquelle für die Verletzung, also die Gefahrzurechnung bzw. die Gefahrverwirklichung i m E r f o l g . 2 9 8 Der Verletzungsbeitrag des Tieres muß daher m i t Hilfe von Wertungskriterien gegenüber anderen Ursachen gewichtet werden. Es geht darum, ob dem Tierverhalten als Gefahrenquelle innerhalb des Ursachengeflechts genügend Gewicht zukommt, u m die Halterhaftung zu rechtfertigen.
2. Relevanz des Fallgruppenbestandes Aus der veränderten Auffassung der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung ergeben sich notwendigerweise auch Folgen für die Ausnahmefallgruppen. 2 9 9 Soweit sie sich m i t dem Zusammenhang von Gefahrenquelle und Verletzungserfolg befassen, bleiben sie i m wesentlichen weiter verwendbar, soweit es aber um die Entstehung des Tierverhaltens geht, sollten sie als überholt betrachtet werden. a) Die weitere Verwendbarkeit der Passivwirkung, des natürlichen Verhaltens und des Risikozusammenhangs A u c h die gewandelte Rspr. des B G H sieht die Gefahrenquelle i m aktiven Tierverhalten. A l l e Überlegungen, die schon früher über den Zusammenhang von Tierverhalten und Rechtsgutsverletzung angestellt wurden, bleiben daher grundsätzlich relevant, werden aber durch weitere Kriterien verfeinert und ergänzt. Die Unberechenbarkeit äußert sich in der körperlichen Eigenaktivität des Tieres. Bei rein passiver M i t w i r k u n g des Tieres am Verletzungserfolg, also i n den Fällen der Passivwirkung, bleibt die Haftung daher ausgeschlossen, 300 denn die haftungsrechtlich relevante Gefahrenquelle war dann an der Verletzung nicht beteiligt. Die Rspr. kann aber auf das letzte eigene Verhalten des Tieres zurückgreifen und darauf abstellen, ob zwischen diesem und dem Verletzungserfolg noch der Zurechnungszusammenhang besteht. 3 0 1 Das Tierverhalten muß für den Erfolg mitursächlich sein, wobei die Vermittlung durch Zwischenursachen mechanischer oder psychischer A r t die Zurechnung 298 RGRK/Steffen, Vor § 823, 19; Esser / Schmidt, 526; Deutsch, Haftungsrecht, 372; JuS 1981, 317, 321. 299 Vgl. oben 2 § 2 C II. 300 BGH VersR 1978, 515; Celle VersR 1980, 430, 431; Braunschweig VersR 1983, 347, 348; Schleswig VersR 1983, 470. 301 Celle VersR 1980, 430, 431.
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2. Teil: Die Tiergefahr
regelmäßig nicht ausschließt. 3 0 2 Es genügt aber nicht jede M i t w i r k u n g des Tierverhaltens am Verletzungserfolg, sondern es muß sich gerade die dem Tierverhalten innewohnende Verletzungsträchtigkeit auch i m Erfolg realisieren. Dies wurde schon v o m R G unter dem Aspekt der Verletzungsträchtigkeit i n der Fallgruppe des „natürlichen Verhaltens" behandelt. A u f deren Verwendung w i l l der B G H zwar verzichten, bezieht dies aber ausdrücklich nur auf das Problem der Deckakte, denn Tiere sind gerade insoweit besonders verletzungsträchtig. Indessen läßt er die Frage des Haftungsausschlusses bei Krankheitsübertragung und Ausscheidungen ausdrücklich offen. 3 0 3 Dies bedeutet, daß auch weiterhin nicht jedes verletzungsursächliche Tierverhalten auch die Haftung auslöst. Da ohne das Tierverhalten weder eine Krankheit übertragen worden wäre, noch die Tierausscheidungen an die Stelle gelangt wären, an denen sie dann zum Schaden führten, handelt es sich letztlich um Fragen der Gefahrverwirklichung i m Erfolg. Diese werden überwiegend nicht mehr unter der Bezeichnung des natürlichen Verhaltens behandelt, sondern allgemein als Frage der objektiven Zurechnung, insbesondere des Risikozusammenhangs. 3 0 4 Es geht darum, welche Bedeutung das Tierverhalten i m Verhältnis zur M i t w i r k u n g anderer Ursachen hat. Dieser Gewichtung dienen die Überlegungen, ob ein Tierverhalten typischerweise verletzungsträchtig ist oder ob der zeitliche Abstand von Tierverhalten und Verletzung den Zurechnungszusammenhang aufgehoben h a t . 3 0 5 Konkrete Beiträge aus dem Bereich des Verletzten sollten daher nach dieser Konzeption konsequenterweise höchstens noch als Fragen der Beitragsabwägung behandelt werden. b) Die Unhaltbarkeit
von physiologischem
Zwang und menschlicher
Leitung
I n der Konzeption der Unberechenbarkeit 3 0 6 kann es auf die Entstehung des Tierverhaltens durch Innen- oder Außenreize nicht ankommen. Liegt eine andere Ursache vor dem Tierverhalten, dann w i r d dadurch dessen Verletzungsursächlichkeit nicht aufgehoben. Wertungsgesichtspunkte, nach denen das Gewicht des Tierverhaltens i m Verhältnis zu einem konkreten auslösenden Reiz zurücktritt, konnten bisher in der Rspr. nicht entwickelt werden und sind auch nicht ersichtlich. Die Reizverarbeitung i m Tier gibt kein haftungsrechtlich brauchbares Gewichtungskriterium, denn die Auslösbarkeit des selbständigen Tierverhaltens durch solche Reize ist gerade ein besonderes Kennzeichen dieser Gefahrenquelle. I n gleicher Weise scheidet auch die externe Haftungsbegrenzung z. B. durch 302 Stuttgart VersR 1978, 1123; Celle VersR 1981, 1057, 1058; Schleswig VersR 1988, 700. 303 BGH VersR 1976, 1090, 1091; vgl. auch Frankfurt VersR 1985, 1189, 1190. 304 BGH VersR 1976, 1090, 1091; 1978, 515; Celle VersR 1980, 430, 431. 305 Celle VersR 1980, 430, 431. 306 Übernahme des Begriffs z.B.: Stuttgart VersR 1978, 1123; Düsseldorf VersR 1980, 270; K G VersR 1981, 1035; BGH VersR 1986, 1077, 1078; München VersR 1984, 1095, 1096; 1987, 493; Koblenz NJW 1988, 1737.
§ 2 Die Fallgruppenbildung durch die Rechtsprechung
145
Überlegungen zur höheren Gewalt aus, 3 0 7 denn die Tiergefahr hat sich ohne weiteres auch dann verwirklicht, wenn das Tier von einem Dritten oder v o m Blitz erschreckt wurde. Der physiologische Zwang w i r d daher von der überwiegenden Rspr. zu recht heute nicht mehr herangezogen. 308 Es ist indessen nicht vertretbar, daß demgegenüber die Fallgruppe der menschlichen Leitung von der Rspr. überwiegend beibehalten w i r d und die v o m W i l l e n unabhängige Betätigung der tierischen Energie sogar i n die Umschreibung der Tiergefahr Aufnahme findet. 3 0 9 Soweit auch der menschliche Einfluß einen A u ßenreiz darstellt, gelten die Überlegungen zum physiologischen Zwang entsprechend. Wenn die besondere Wirksamkeit menschlicher Befehle auf das Tier als Gewichtungskriterium herangezogen würde, dann ginge es u m die Reizverarbeitung i m Tier, die haftungsrechtlich keine Rolle spielt. E i n Kriterium für das besondere Gewicht menschlichen Handelns läßt sich auch nicht daraus gewinnen, daß i m Haftungsrecht dem menschlichen Handeln als Verletzungsursache i n jedem Fall besondere Bedeutung zukäme. I m Rahmen der Tiergefahr dürfte überhaupt nur die Lenkung durch einen Dritten eine Rolle spielen, denn dieses Merkmal ermöglicht und erfordert allein die Ausgrenzung von Einwirkungen, die weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen. Selbst unter dieser Einschränkung kann die Halterhaftung nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, denn diese Lösung der Konkurrenz zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung entspräche der alten Vorstellung von der unselbständigen und subsidiären Bedeutung der Gefährdungshaftung. Die gesetzliche Regelung i n § 840 I I I B G B geht aber davon aus, daß beide Haftungen i m Außenverhältnis nebeneinander stehen. 3 1 0
Vielzahl von Fremdursachen X Risikozusammenhang (Zeitfaktor) „natürliches u Verhalten X Tierverhalten (Passivwirkung
v
V
Gefahrenquelle
-> X Rechtsgutsverletzung ?)
' Gefahrzurechnung Schema Nr. 8
307 Vgl. oben 2 § 2 B III. 308 Anders aber München VersR 1978, 334; L G Göttingen VersR 1991, 1072, 1073. 309 Düsseldorf VersR 1981, 82, 83; K G VersR 1981, 1035; BGH VersR 1986, 1077, 1078; 1987, 198, 200; Köln VersR 1989, 62. 310 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3). 10 Lorenz
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2. Teil: Die Tiergefahr
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur Die L i t . beschränkt sich nicht darauf, die Ergebnisse der Rspr. zu kritisieren, sondern entwickelt auch eigene Vorstellungen v o m Inhalt der Tiergefahr. Ihr methodischer Ansatz liegt aber i n ihrem jeweiligen Verständnis v o m Normzweck des § 833 S. 1 B G B und damit auch der Gefährdungshaftung überhaupt. V o n dort her befaßt sich die L i t . mit dem Schutz des Verletzen, dem Umfang der Gefahrenquelle und den möglichen Kriterien der Gefahrzurechnung. I n der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen, also den Fallgruppen der Rspr., erweist sich diese Bezugnahme auf den Normzweck indessen häufig als nur von begrenztem Aussagewert.
A. Verzicht auf das Merkmal der Tiergefahr (Haase) Vereinzelt w i r d das ungeschriebene M e r k m a l der Tiergefahr für überflüssig gehalten und stattdessen eine „Kausal- oder Verursacherhaftung" befürwortet. Die Tiergefahr sei kein Tatbestandsmerkmal. Durch ihre Einführung ändere die Rspr. den gesetzlichen Haftungstatbestand. 311 Der B G H hat diesen Überlegungen in seinen Grundsatzentscheidungen zur Tiergefahr eine klare Absage e r t e i l t 3 1 2 und auch die überwiegende L i t . behandelt die Vorschrift von j e her unproblematisch als Gefährdungshaftung. 3 1 3 Obwohl die Forderung nach dem Verzicht auf das Merkmal der Tiergefahr angesichts der Flut anderslautender Entscheidungen und Literaturmeinungen keine praktische Bedeutung erlangt hat, erfuhr sie insbesondere durch Haase eine ausführliche Begründung und bedarf daher der Erörterung. I . Die strikte Verursacherhaftung Haase lehnt die Tiergefahr als contra legem eingeführtes Merkmal ausdrücklich ab. Stattdessen soll nur maßgeblich sein, ob ein Tier den Schaden adäquat kausal durch seine Reaktion verursacht h a t . 3 1 4 Neben der Kausalitätsprüfung zieht er die Gewichtung des Tierbeitrags i m Verhältnis zu anderen Verletzungsursachen 311 Wolf, 673; Haase, JR 1973, 10, 13; 1977, 155, 156. 312 BGH VersR 1976, 1090; 1976, 1175, 1176. 313 Deutsch, Haftungsrecht, 369; Unerlaubte Handlungen, 353; NJW 1978, 1998; JuS 1987, 673; MünchKomm / Mertens, 2; RGRK / Kreft, 2; Kreft, VersR 1983, KF, 153; A K - B G B / K o h l , 1; Soergel/Zeuner, 1; Staud. / Schäfer, 4; Medicus, Schuldrecht II, 389; Esser/Weyers, 640; Kötz, Deliktsrecht, 360; Honsell, MDR 1982, 798; Schünemann, JuS 1978, 376, 377; Schmid, JR 1976, 274, 275. 314 Haase, JR 1973, 10, 13; 1977, 155, 156. Die Zurückführung der Kausalhaftung auf Esser, Schuldrecht, 858 (§ 833 S. 2) gibt dessen Ansicht im Ergebnis unzutreffend wider. Esser, Schuldrecht, 934 (§ 833 S. 1) nennt ausdrücklich die spezifische Tiergefahr und fordert generell die Begrenzung der Verantwortlichkeit gerade auf die Gefahren des übernommenen Betriebskreises; Esser, Grundlagen, 111; Schuldrecht, 830.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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m i t Hilfe zusätzlicher Wertungskriterien nicht i n Betracht. Weiterer Zurechnungsmerkmale außerhalb der Kausalität bedürfe es nur dort, w o das Setzen irgendeines Faktors für die Schadensentstehung noch nicht ausreiche. Wer ein Auto halte oder ein Taschenmesser kaufe setze damit zwar eine Gefahr. Die latente, beiden innewohnende Gefahr müsse aber erst Wirklichkeit, das Auto i n Betrieb gesetzt, das Messer in Stellung gebracht werden. Der Tierhalter schaffe schon allein dadurch, daß er ein Tier bei sich einstelle, eine schwer beherrschbare virulente Gefahr für andere. Als Lebewesen könne sich das Tier jederzeit entsprechend seinen Instinkten und Reflexen bewegen. Es sei in irgendeiner Form immer „ i n B e t r i e b " . 3 1 5 Die Gefährdungshaftung für Tiere soll demnach von v ö l l i g anderer A r t sein, als etwa die für Kraftfahrzeuge. Die Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Gefährdungshaftung soll zur A b w ä l zung des Schadensrisikos allein auf den Halter führen, da dieser andere Personen zwangsweise der Verletzungsgefahr aussetzt. A l s Regulativ könne § 254 B G B dienen. Dies sei praktikabler als die ausufernde Kasuistik der Rspr. Gehe man von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Verhaltensforschung aus, so erweise sich die Unterscheidung von willkürlichem und natürlichem Verhalten als ein anachronistisches Relikt aus der Zeit geisteswissenschaftlicher Beurteilung tierischen Verhaltens. 3 1 6 Haase verzichtet damit auf die haftungsausschließenden Fallgruppen des physiologischen Zwangs, des natürlichen Verhaltens durch tierische Ausscheidungen und durch Beschnuppern, sowie bei M i t w i r k u n g des Tieres als Hindernis auf der Fahrbahn. Demgegenüber erkennt er als Haftungsausnahmen an: die menschliche Leitung und das passive Tier als Wurfgeschoß (mechanisches Werkzeug) oder als tote Masse. I n diesen Fällen sei der Schaden eben nicht kausal auf die tierische Unberechenbarkeit zurückzuführen, sondern auf die Schwerkraft oder auf den W u r f . 3 1 7
I I . Die Undurchführbarkeit der strikten Verursacherhaftung 1. Die Folgen des Verzichts auf die Tiergefahr Haase w i l l auf das Merkmal der Tiergefahr verzichten und bei der Zuordnung von Ursache und Verletzungserfolg stattdessen allein auf die adäquate Kausalität abstellen. Er befürwortet eine Kausal- oder Verursacherhaftung, 3 1 8 deren dogmatische Bedeutung indessen nicht näher erläutert wird. Es kann sich jedenfalls nicht mehr u m einen Fall der Gefährdungshaftung handeln. Denn dort beruht das Merkmal der Tiergefahr auf zwei Strukturkomponenten, der Gefahrenquelle und 315 Haase, JR 1977, 155, 156. 316 Haase, JR 1973, 10, 11-13; 1977, 155, 156. 317 Haase, JR 1977, 155, 156; ähnlich Bondzio, SchlHA 1973, 126, 127. 318 Vgl. die Bezugnahmen auf Haase in: Staud. / Schäfer, 4; Schünemann, JuS 1978, 376, 378; BGH VersR 1976, 1090. 10*
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2. Teil: Die Tiergefahr
der Gefahrzurechnung. Berücksichtigt man diese Bedeutung der Tiergefahr für die Normstruktur des § 833 S. 1 B G B , dann müßte der ersatzlose Verzicht auf dieses M e r k m a l folgerichtig dazu führen, daß die Halterhaftung rigoros auf alle Fälle erstreckt wird, i n denen die Existenz eines Tieres für eine Verletzung irgendwie mitursächlich geworden ist. Dann kann es nur noch darauf ankommen, ob der Verletzungserfolg entfällt, wenn die Beteiligung des Tieres hinweggedacht wird. Die Haftung muß dann notwendigerweise bei physiologischem Zwang und natürlichem Verhalten eintreten, darüber hinaus aber auch bei menschlicher Leitung und i n allen Fällen der Passivwirkung. Die Folgen würden indessen noch weiter reichen und wären für den Halter untragbar. Verläßt der Reiter nach dem Ausritt den Pferdestall und bricht sich draußen ein Bein, überquert ein Passant die Straße, um ein Pferd aus der Nähe zu betrachten oder geht er um ein abgestelltes Fuhrwerk herum und w i r d dabei überfahren, dann müßte jeweils der Tierhalter haften. Denn denkt man die M i t w i r k u n g der Tiere hinweg, so entfällt die Verletzung. Wenn von Haase zusätzlich zumindest Adäquanz gefordert wird, so ist dies bereits ein Zugeständnis, um die weitreichenden Folgen der Kausalhaftung zu mildern. Die Adäquanz kann aber allein nicht helfen, denn keines der genannten Ereignisse liegt außerhalb jeder Lebenserfahrung.
2. Die Notwendigkeit der Haftungsbegrenzung außerhalb der adäquaten Kausalität So weit w i l l Haase letztlich dann doch nicht gehen. Er nimmt die Fälle der menschlichen Leitung und der Wirkung des Tieres als mechanisches Werkzeug oder tote Masse von der Haftung aus. Die Begründung, i n diesen Fällen sei das Tier eben nicht kausal geworden, sondern der Mensch oder die fremde Kraft, trifft jedoch nicht zu. W i r d die Tierexistenz hin weggedacht, dann entfällt auch die Verletzung. V o m Ausgangspunkt der Verursacherhaftung zur Anerkennung bestimmter Haftungsausnahmen führt kein Weg. Haase muß — wenn auch außerhalb der Tiergefahr — doch Einschränkungen anerkennen. 3 1 9 Obschon er davon ausgeht, allein die Haltung des Tieres, also dessen Existenz, sei gefährlich, zieht er letztlich doch nur tierische Eigenbewegungen als Ausgangspunkt der Zurechnung in Betracht, nicht schlechthin jede Beteiligung des Tieres am Erfolg. Dies entspricht den Überlegungen zur Gefahrenquelle als Element der Tiergefahr und erlaubt den Haftungsausschluß bei passiver M i t w i r k u n g von Tieren. A u c h bei menschlicher Leitung soll das Tier als Ursache weniger stark ins Gewicht fallen, als der Mensch. Haase nimmt demnach Kausalbeiträge von unterschiedlichem Gewicht a n . 3 2 0 Diese Wertung geht aber — wie auch schon die Adäquanz — 319 So auch Siegfried, 57. 320 Nach Schünemann, JuS 1978, 377, 378 operiert auch die Verursacherhaftung versteckt mit der Tiergefahr. Andernfalls müßte ein engerer Kausalitätsbegriff geschaffen werden; vgl. dazu Stötter, MDR 1970, 100; Bondzio, RdL 1972, 229, 231.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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über die bloße Kausalität hinaus und entspricht der Gefahrzurechnung. Es ist sinnlos, Einschränkungen i m Bezug auf die möglichen Verletzungsursachen und auf deren Gewicht zuzulassen, gleichzeitig aber das Merkmal der Tiergefahr abzulehnen, welches genau dieses leistet. Eine verschuldensunabhängige Haftung ohne jede Zurechnungsbegrenzung läßt sich prinzipiell nicht durchhalten, so daß dieser Vorschlag schon deshalb als undurchführbar ausgeschieden werden muß.
3. Genauere Bestimmung der Tiergefahr statt Verzicht Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Gründe, aus denen die Tiergefahr als Merkmal abgelehnt wird, sind letztlich nicht überzeugend. Angesichts der ganz h. M . i n Rspr. und Lit. bedürfte der Verzicht auf die Tiergefahr und die damit verbundene Ausscheidung des § 833 S. 1 B G B aus der Gefährdungshaftung eingehender Begründung. Soweit i n der L i t . die Ausgestaltung als Gefährdungshaftung überhaupt angezweifelt wird, gelangen diese Autoren unter Bezugnahme auf die systematische Beziehung von S. 1 und S. 2 zur Einordnung in die Verschuldenshaftung, also immerhin zum genau entgegengesetzen Ergebnis. 3 2 1 Das Fehlen der Tiergefahr i m Wortlaut der Vorschrift kommt als Argument nicht ernstlich i n Frage, denn auch die Kausalität w i r d i m Wortlaut nicht genannt. Soweit Haase die Haftung erweitern w i l l , um den Verletzten zu schützen, ist nicht erkennbar, weshalb sich daraus der Verzicht auf das Merkmal ergibt und nicht eine andere — möglicherweise bessere — Inhaltsbestimmung. Dies gilt auch insofern, als auf die naturwissenschaftliche Unhaltbarkeit des Standpunktes der Rspr. hingewiesen und dieser die Übernahme archaischer Gedanken vorgeworfen wird. Immerhin ist gerade die Verursacherhaftung nach Haase ihrerseits archaisch. 3 2 2 Es trifft zwar zu, daß ein Tier nicht nur in bestimmter Funktion verletzungsträchtig ist, sondern aufgrund seiner Lebensenergie. Aus alledem läßt sich aber jeweils nicht der Verzicht auf die Tiergefahr ableiten.
B. Haftungskanalisierung auf den Halter zum Schutz des Verletzten Manche Autoren betonen zwar die Ausgestaltung der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung, sehen aber deren Normzweck hauptsächlich i m Schutz des Verletzten. Obwohl sie das Merkmal der Tiergefahr grundsätzlich anerkennen, führt dies i m Ergebnis dazu, daß dessen haftungsbegrenzende Funktion weitgehend aufgehoben wird.
321 Geigei / Schlegelmilch, 1; Berglar, 75; vgl. oben 1 § 3 A II. 322 Vgl. Haase, RIDA X I V , 11; JR 1973, 10, 11-13.
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2. Teil: Die Tiergefahr I . Der Opferschutzgedanke (Deutsch) 1. Die Schadloshaltung des Verletzten
Deutsch legt die Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Fall der Gefährdungshaftung seiner Gefahrbestimmung zugrunde. 3 2 3 Der Zweck dieser Haftung liege i m Schutz des Verletzten durch Abnahme des Schadensrisikos und Kanalisierung der Schadenstragung auf den Tierhalter. 3 2 4 Das Opfer müsse passiv über sich ergehen lassen, daß es dem erlaubten Risiko der Tierhaltung schutzlos ausgesetzt sei, ohne etwas gegen diese Gefährdung unternehmen zu können. Diese Duldungspflicht könne i h m nur zugemutet werden, wenn es sich i m Fall der Realisierung der Gefahr unbedingt schadlos halten könne. Nicht der haftpflichtige Tierhalter solle daher i m Blickpunkt der Diskussion stehen, sondern der Verletzte. Entscheidend sei die Gefahr i n ihrer Relation zum Opfer. Es komme darauf an, ob die Schadensfolgen des realisierten Risikos dem Verletzten zugemutet werden könnten, oder ob sie zu den Kosten der Risikohaftung zählten. Die Last der Kanalisierung auf den Halter könne dieser durch eine Haftpflichtversicherung auffangen. Bedeutung und Inhalt der Tiergefahr seien demnach vor dem Hintergrund der Verhaltenslehre normativ zu bestimmen. 3 2 5 Dabei gehe es u m die Gefährlichkeit der jeweils einzelnen Tierart, denn Tiere richteten i m allgemeinen Schäden in einer A r t und Weise an, wie sie von einem Tier dieser A r t typischerweise zu erwarten sei. Nicht nur die Aktivgefahr, die sich aus dem natürlichen Bewegungsdrang des Tieres ergibt, sondern auch die Passivgefahr, welche auf dem reinen Dasein eines Tieres beruht, könne die Schutzfunktion der Halterhaftung auslösen. Dies führt zu einer erheblichen Erweiterung der Haftung gegenüber der R s p r . 3 2 6 Nach Deutsch kann es dem Opfer gleichgültig sein, ob das verletzende Tier unter menschlicher Leitung stand. A u c h bei Tieren unter physiologischem Zwang sei das Opfer schutzbedürftig. Die Tatsache, daß ein Tier unter äußerem Einfluß mit unbeherrschten Bewegungen oder sonstigen Verhaltensweisen reagiert, sei als besonders gefahrträchtige tierische Eigenschaft zu werten. W i r k t das Tier als tote Masse, etwa beim Fallgewicht eines Großtieres, dann w i r d seine schiere Masse, z. B. bei einem Elefanten, gerade zu seinen typisch tierischen Eigenschaften gezählt. Die Tiergefahr realisiere sich auch, wenn ein Tier aus eigenem Antrieb zum Hindernis geworden sei. Selbst beim bloßen A n b l i c k eines ruhig liegenden Tieres, etwa eines Tigers, realisiere sich in der Flucht der Menschen dessen nach allgemeiner Lebenserfahrung bestehende erhebliche Gefährlichkeit. 323 Deutsch, Haftungsrecht, 363-386; Unerlaubte Handlungen, 343-391; NJW 1978, 1998-2002; JuS 1987, 673-681; 1981, 317, 319-322. 324 Deutsch, NJW 1978,1998 u. 2000; JuS 1987,673,674 u. 675; besondere Betonung des Opferschutzes z. B. auch bei Stötter, MDR 1970, 100, 103; Siegfried, 76. 325 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000/2001; JuS 1987, 673, 675/676. 326 Zu den Fallgruppen vgl. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000/2001; JuS 1987, 673, 676.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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Allerdings w i l l Deutsch die Halterhaftung in Analogie zu § 7 I I I S t V G dann ausschließen, wenn ein Dritter sich ohne Wissen und W o l l e n des Halters des Tieres bemächtigt hat. Keine Haftung soll auch bestehen i n den Fällen höherer Gewalt, insbesondere bei schweren Naturkatastrophen und bei gänzlich außergewöhnlichen Handlungen Dritter, etwa wenn ein Selbstmörder vor einen Elefanten springt. I n diesen Fällen habe sich nicht die Gefährlichkeit des Tieres realisiert, sondern ein tierfremdes Risiko, für das der Halter nicht einstehen müsse. 3 2 7 Unter der höheren Gewalt versteht Deutsch Ereignisse, — die so außergewöhnlich sind und außerhalb des funktionalen Bereiches der Tiergefahr liegen, — daß der Halter nicht m i t ihnen zu rechnen braucht und — die auch bei größter Sorgfalt nicht zu vermeiden sind.
2. Die Unangemessenheit des Opferschutzgedankens im Hinblick auf die Funktion der Tiergefahr Deutsch stellt die Unzumutbarkeit des Schadensrisikos für das Opfer i n den Mittelpunkt. Damit greift er einen von mehreren Grundgedanken 3 2 8 der Gefährdungshaftung heraus und erhebt ihn zu deren wesentlichem Sinn und Z w e c k . 3 2 9 Diese Beschränkung läßt sich aber nicht durchhalten, wenn i m Bezug auf die Fallgruppen angemessene Ergebnisse erzielt werden sollen. Denn auch wenn die Tierhalterhaftung — wie jede Haftung — grundsätzlich dem Schutz des Verletzten dient, folgt hieraus noch keineswegs, daß dieser Schutz allumfassend sein soll. Der Tierhalter hat nach dem Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung nur für das bestimmte, von i h m geschaffene und i h m zugeordnete Risiko einzustehen. Unter Berücksichtigung aller Grundgedanken der Gefährdungshaftung geht es nicht einfach um Risikokanalisierung, sondern um Risikoverteilung. Die Bestimmung und Abgrenzung der haftungsbegründenden Gefahr geht ihrer Verteilung zwischen Halter und Verletztem notwendig voraus. 3 3 0 Es muß zunächst festgelegt werden, für welches Risiko der Halter überhaupt haftet (Gefahrenquelle) und ob sich gerade dieses i m Erfolg verwirklicht hat (Gefahrzurechnung). Bei Berücksichtigung der Normstruktur ergibt sich, daß die Frage des Opferschutzes erst eine Rolle spielt, wenn es um den Vergleich des Tierrisikos m i t dem Beitrag des Verletzten geht. Dieser w i r d nicht bei der Tiergefahr berücksichtigt, sondern durch eigenständige Kriterien und Rechtsinstitute. 3 3 1 Die Schutzwürdigkeit des Verletzten ist eine Frage des persönlichen Schutzbereichs und kann 327 Deutsch, NJW 1978, 1999; JuS 1987, 673, 676. 328 Vgl. oben 1 § 2 B I. 329 Staud. / Schäfer, 18; vgl. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000 („Hauptfrage"); JuS 1987, 673, 675 („ausschließlich"). 330 So auch Deutsch, JuS 1981, 317, 322. 331 Vgl. unten 4 § 1 u. § 2-4.
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2. Teil: Die Tiergefahr
nicht auch noch zur Bestimmung des sachlichen Schutzbereiches herangezogen werden. Selbst dort besteht dann kein absoluter Verletztenschutz, denn der Schaden w i r d nicht i n jedem Fall auf den Beherrscher und Nutzer der Gefahrenquelle abgewälzt. Es k o m m t vielmehr darauf an, ob der Verletzte überhaupt schutzwürdig ist. Schon die Bezeichnung des Verletzten als „Opfer" läßt vermuten, daß insofern das Ergebnis nicht abgeleitet, sondern vorausgesetzt wird. Denn es bedarf bei der Halterhaftung stets eingehender Erörterung, ob der Verletzte tatsächlich das Opfer ist oder sich den Schaden selbst zuzuschreiben hat. Anerkennenswert bleibt zwar das Bestreben, auch die Haftungsgrenzen des § 833 S. 1 B G B in die allgemeine Terminologie der Gefährdungshaftung einzubinden, was auch auf die Rspr. Auswirkungen gezeigt h a t . 3 3 2 Indem man den Schutz des Verletzten aber auf ein Tatbestandsmerkmal anwendet, für das i h m keine Funktion zukommt, w i r d er zur Leerformel, die letztlich nur noch besagt, daß die Haftung ausgedehnt werden soll. Gerade der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung als den Strukturkomponenten, die für die Tiergefahr maßgeblich sind, w i r d durch die Überbetonung des Verletztenschutzes zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Damit fallen die Kernfragen der Tiergefahr dem Opferschutzgedanken zum Opfer.
3. Die Unergiebigkeit des Opferschutzgedankens für den Ausschluß von Fremdrisiken Deutsch leitet aus dem Opferschutzgedanken die Notwendigkeit ab, den U m fang der Haftung gegenüber der Rspr. zu erweitern. 3 3 3 Die Gefahrenquelle sieht er in den jeweils für eine Tierart typischen Eigenschaften, die sich insbesondere auch durch das bloße passive Dasein des Tieres realisieren könnten. Es überzeugt aber nicht, wenn er z. B. Masse und Gewicht bestimmter Tierarten zu deren typischen Eigenschaften zählt. Größe und Masse sind weder typische Eigenschaften gerade von Tieren, noch können sie, für sich genommen, Verletzungen b e w i r k e n , 3 3 4 wenn nicht zusätzlich ein aktives Tierverhalten vorliegt. A u c h wenn die konkrete Bedeutung dieser „arttypischen Gefahr" nicht näher ausgeführt wird, liefe dies aber doch immerhin gegenüber der Rspr. auf eine Haftungsbeschränkung hinaus, da artuntypisches Verhalten konsequenterweise die Haftung nicht mehr auslösen könnte. 3 3 5 W i e dies m i t dem Ausgangspunkt des umfassenden Opferschutzes vereinbar ist, bleibt offen. A u f diese nebenbei eingeführten Überlegungen kann aber dann zurückgegriffen werden, wenn der Opferschutzgedanke allein nicht weiterführt.
332 333 C I. 334 335
Vgl. oben 2 § 2 C I. Zur Gefahrenquelle als Summe der tiertypischen Eigenschaften vgl. unten 2 § 3 Vgl. unten 2 § 3 C I 2a. Zur Arttypik als Kriterium der Gefahrzurechnung vgl. unten 2 § 3 E I I 2.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
153
Deutsch erkennt auch Fremdwirkungen durch Naturgewalten oder Dritte an, die außerhalb der Tiergefahr liegen und dem Halter daher nicht zugerechnet werden können. Dies w i l l er unter dem Stichwort der höheren Gewalt berücksichtigen, da es v o m Halter weder vorhergesehen noch vermieden werden kann. A u c h hier bleibt offen, wie sich die Vorstellung der gefahrfremden Intervention mit dem Gedanken des umfassenden Opferschutzes vereinbart. Für den Verletzten ist es nicht erheblich, ob er gerade von einem Pferdedieb niedergeritten oder deshalb niedergetrampelt wird, weil ein Selbstmordkandidat versucht hat, sich vor den Elefanten zu werfen. Solche Überlegungen dienen nicht dem Interesse des Opfers, sondern dem des Halters. Wenn aber der Gedanke des
risikofremden
Eingriffes auch bei Deutsch neben den Verletztenschutz tritt und diesen sogar verdrängen kann, dann w i r d damit auch seiner K r i t i k an der Rspr. letztlich der Boden entzogen. Denn diese berücksichtigt das Eingreifen von Verletzungsursachen, die auf Dritte oder überhaupt nicht auf menschliches Wirken zurückgehen, durch die Ausnahmefallgruppen zur Tiergefahr. Es bringt keinen Vorteil, wenn durch Analogie zu anderen Vorschriften und Rechtsinstituten der Gefährdungshaftung von außen her ein Gedanke in die Tierhalterhaftung eingebracht wird, den die Rspr. als das Hauptproblem der Tiergefahr aus dem Tatbestand des § 833 S. 1 B G B selbst zu entwickeln versucht. Es ist nicht zweckmäßig, zunächst eine Regelungslücke zu schaffen, um diese dann durch die entsprechende Anwendung von Vorschriften zu schließen, deren Anwendbarkeit auf das Tierschadensrecht angesichts der immerhin bestehenden Unterschiede zwischen § 833 S. 1 B G B und den Gefährdungshaftungen für technische Risiken zunächst eingehender Begründung bedürfte. 3 3 6 Diese Vorgehensweise überspringt gerade die Kernfrage nach der Grenze zwischen dem Tierrisiko und den risikofremden
Einflüssen.
I I . Die kollektive Schadensvorsorge (Mertens) A u c h Mertens argumentiert mit dem Normzweck der Gefährdungshaftung, 3 3 7 die allein dem Schutze des Verletzten dienen soll. Jedoch bezieht er seine Argumente überwiegend nicht aus dem Haftungsrecht, sondern aus dem Versicherungsrecht.
1. Schadenskanalisierung auf die Haftpflichtversicherung des Halters Nach Mertens bezweckt die Gefährdungshaftung i n Verbindung m i t der Haftpflichtversicherung des Tierhalters die Schadensvorsorge i m Interesse des Verletzten. Daher sprächen die besseren Argumente für eine eindeutige und umfassende Kanalisierung der Schadenstragung auf den Halter. 3 3 8 Grundsätzlich dürften 336 Vgl. oben 1 § 2 C; 2 § 2 B III. 337 MünchKomm/Mertens, 2-6, 13-16.
2. Teil: Die Tiergefahr
154
nicht der Halter und der potentiell Verletzte zur Versicherung desselben Risikos gezwungen werden. I m Verhältnis von pivater Unfallversicherung und Haftpflichtversicherung solle der Halter das Risiko tragen. Er könne den Schaden besser versichern, das Risiko rationeller abschätzen und abdecken und so die Kostenlastenfunktion am günstigsten gestalten. Da die Gefährdungshaftung stets ein Element der Schadensvorsorge für das potentielle Opfer enthalte, bestehe an der Versicherungsnahme auch ein soziales Interesse. Gerade i m Pferdesport verteile sich die Versicherungsbelastung auf eine Vielzahl von Vereinsmitgliedern. Die Versicherung werde die Achtsamkeit potentiell Verletzter nicht mindern. Die soziale Risikoverteilung sei wegen des Luxuscharakters der Tierhalterhaftung kein Gerechtigkeitsproblem. Die Prämienmehrbelastung durch die dann strengere Rspr. werde nicht erheblich ins Gewicht fallen. Gegenüber dieser Schutzfunktion der Gefährdungshaftung sollten nach Mertens differenzierende Zurechnungsargumente zurücktreten. 3 3 9 Die Rspr. solle sich auf diesem Gebiet selbst überflüssig machen, indem sie auf unscharfe Kriterien und individuelle Differenzierungen soweit als irgend möglich verzichte. Die komplizierte und schwer nachvollziehbare Rspr. müsse vorhersehbarer werden. Nur beim nichtversicherten Tierhalter könne i m Einzelfall die Haftung unter stärkerer Berücksichtigung von Zurechnungsargumenten enger bemessen werden. Bei der Einschätzung der Fallgruppen geht Mertens davon aus, daß die Haftung eintritt, soweit ein Tier überhaupt noch kraft eigener Lebensenergie handelt. Dies sei der Fall beim physiologischen Zwang und insbesondere bei Deckakten. 3 4 0 Aber auch bei menschlicher Leitung wirke sich die Tiergefahr aus. Bei Vorsatztaten spiele die Halterhaftung kaum eine Rolle, bei Fahrlässigkeitstaten sei das Tier idR eben nicht der vollständigen Leitung durch den Menschen unterworf e n . 3 4 1 A u c h wenn die Verletzung gerade auf einer Fehlsteuerung des Tieres durch den Menschen beruhe, wirke sich dessen spezifische Gefahr aus. Der Verletzungserfolg müsse aber jedenfalls auf die tierische Energie und das selbsttätige Verhalten eines Tieres zurückgehen. Daher fehle es am Tierverhalten, wenn das Tier nur als mechanisches Werkzeug oder als tote Masse gewirkt habe. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Tiergefahr, d. h. die Lebensenergie des Tieres dafür ursächlich gewesen sei, daß es in den Unfall überhaupt verwickelt w u r d e . 3 4 2 Wirke das Tier als Hindernis, so verwirkliche sich die Tiergefahr. Denn der Verletzungserfolg brauche nicht auf einen Bewegungsimpuls des Tieres zurückzugehen. Es genüge, wenn die Tierenergie den Gefahrenzustand begründet habe. Bei bloßer Krankheitsübertragung verwirkliche sich keine Tiergefahr, es sei denn durch eine tierische Aktivität, wie das Beschuppern oder Belecken. 3 4 3 338 fried, 339 340 341 342
MünchKomm / Mertens, 78; Stötter, MDR 1970, MünchKomm / Mertens, MünchKomm / Mertens, MünchKomm / Mertens, MünchKomm / Mertens,
4; Abstellen auf die Versicherbarkeit z. B. auch bei Sieg100, 103. 6. 13. 16. 15.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
155
2. Die Unergiebigkeit des Ausweichens in versicherungsrechtliche Überlegungen Die Versicherbarkeit von Tierschäden ist — schon wegen der fehlenden Haftungshöchstsumme — kein allein ausreichendes Argument für den völligen Verzicht auf materielle Haftungsbeschränkungen. 344 Die Rspr. sah sich deshalb veranlaßt, schon die Haftung durch Zurechnungsüberlegungen zu begrenzen. Es erscheint auch nicht selbstverständlich, die Betonung allein auf die Versicherung des Tieres zu legen, statt auch auf die des potentiellen Opfers selbst. Denn i m Zeitalter der technischen Zivilisation könnte genausogut jedermann empfohlen werden, sich gegen Risiken aller A r t zu versichern. Wer dies nicht tut, könnte die Folgen daraus zu tragen haben, auch bei Tierschäden. Die Versicherungsmöglichkeit erledigt deshalb nicht die Frage der Risikoverteilung, sondern setzt sie voraus. Jede Versicherung umfaßt nur ein bestimmtes Risiko. I m Versicherungsfall geht es darum, ob sich das Risiko verwirklicht hat, gegen das der Tierhalter versichert ist oder ein anderes Risiko, das gar nicht oder i n anderer Weise oder von anderen Personen versichert wurde. Es w i r k t daher nicht überzeugend, auf die Ebene der kollektiven Schadensvorsorge auszuweichen. Die Gefährdungshaftung regelt die Verteilung von Risiken. Ob dieses Risiko durch die Versicherung des Halters oder des Verletzten zu übernehmen ist, muß zuvor auf der Ebene der individuellen Risikoverteilung entschieden werden. 3 4 5 A u c h die kollektivrechtliche Akzentuierung des Opferschutzgedankens löst daher nicht die Fragen des Tierschadensrechts, sondern setzt deren Lösung voraus. Dies zeigt sich bei der Erörterung der Fallgruppen. Dort geht es letztlich auch bei Mertens darum, ob die Verletzung gerade auf der tierischen Eigenenergie beruht. Die Gefahrenquelle w i r d i m aktiven Tierverhalten gesehen. Die Gefahrzurechnung soll zwar keine Rolle spielen, muß aber zwangsläufig berücksichtigt werden, wenn über die passive M i t w i r k u n g hinaus auf das frühere Tierverhalten zurückgegriffen wird.
C. Die nähere Betrachtung von Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung Einige Autoren wenden sich schließlich unmittelbar den Kernfragen der Tiergefahr zu, also der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung. Sie stellen auf die typisch tierischen Eigenschaften ab oder auf das arttypische oder typischerweise 343 MünchKomm / Mertens, 16. 344 Ob und in welchem Umfang der Schaden schließlich durch eine Versicherung gedeckt ist, hängt von versicherungsrechtlichen Überlegungen ab, die außerhalb des Haftungsrechts stehen; vgl. oben 1 § 2 C IX. 345 Zur individualistischen Konzeption z. B. Dunz, JZ 1987, 63, 65; Esser / Schmidt, 520; Palandt/Heinrichs, Vor § 249, 3.
2. Teil: Die Tiergefahr
156
gefährliche Tierverhalten. Dabei geht es hauptsächlich u m die Unterscheidung des Tieres von der leblosen Sache oder Maschine einerseits und v o m vernünftigen Menschen andererseits.
I . Die Tiergefahr als Auswirkung der typischen Eigenschaften eines lebenden Organismus (Kreft) 1. Das Tier als unvernünftiges Lebewesen Nach K r e f t 3 4 6 kommt es bei der Tierhalterhaftung darauf an, ob die Verletzung sich gerade als Konkretisierung der v o m jeweils i n Betracht kommenden Tier ausgehenden Gefahr darstellt. 3 4 7 Diese Gefährlichkeit sei i n den spezifischen und typisch tierischen Eigenschaften zu sehen, die sich dann auch in der Schädigung ausgewirkt haben müßten. Es komme darauf an, daß gerade ein Tier beteiligt gewesen sei und nicht eine leblose Sache. Das Tier dürfe nicht durch einen beliebigen leblosen Gegenstand von gleicher Masse und Größe ersetzt gedacht werden können. Beschränkungen der Halterhaftung sollten dann i m wesentlichen nicht durch das Merkmal der Tiergefahr, sondern durch andere Rechtsinstitute wie Eigenverschulden, Normzweck, Handeln auf eigene Gefahr oder vertragliche Haftungsausschlüsse — also bei der Berücksichtigung des Verletztenbeitrages — vorgenommen werden. 3 4 8 Dies führt zur Ausdehnung der Haftung auf alle Fallgruppen m i t bestimmten Ausnahmen i m Bereich der Passivwirkung, 3 4 9 soweit sich dort die tierischen Eigenschaften i n keiner Weise ausgewirkt haben. Es sei gerade eine Folge seiner Eigenschaft als lebender Organismus i m Unterschied zur leblosen Sache, daß ein Tier auf starke Außenreize, d. h. auf physiologischen Zwang, unwillkürlich reagiere. Bei menschlicher Leitung mache sich der Mensch gerade die besonderen tierischen Eigenschaften zunutze. Natürliches Verhalten sei schon dem Namen nach typisches Tierverhalten. Das Beschnüffeln sei eine Folge tierischer Triebe i m Unterschied etwa zum vernünftigen Verhalten eines Menschen. Das Tier sei eben nicht nur Träger der Ansteckungsstoffe. Bei tierischen Ausscheidungen könne allenfalls bezweifelt werden, ob diese noch in jedem Fall v o m Schutzzweck der N o r m erfaßt würden. Falle ein Pferd aus Kraftlosigkeit u m und wirke so als tote Masse, dann beruhe auch dies auf typischen tierischen Eigenschaften. Werde ein Tier zum Hindernis, so komme es darauf an, wie das Tier an diese Stelle gelangt sei. Seine Bewegungsfähigkeit sei ebenso eine tierische Eigenschaft, wie seine Neigung, sich i m 346 347 348 349
RGRK/Kreft, 2 u. 20-27; Kreft, VersR 1983, KF, 153-156. Kreft, VersR 1983, KF, 153. RGRK/Kreft, 20; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155/156. RGRK/Kreft, 21-27; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 155-156.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
157
Straßenverkehr unbekümmert zu bewegen. Sei das Tier nur mechanisches Werkzeug gewesen, so hätten sich seine typisch tierischen Eigenschaften gar nicht auswirken können. W i r k e ein Tier allein durch sein Gewicht oder durch seine Größe, dann bestehe kein Unterschied zu einer anderen gleich schweren oder gleich großen Masse. Das Tier habe dann gewirkt wie ein lebloser Gegenstand. Die schädigende W i r k u n g dürfe aber nicht ihrerseits auf spezifisch tierischen Eigenschaften beruhen. Insbesondere bei Verkehrsunfällen könnten das ursprüngliche Tierverhalten und das weitere Geschehen bis zur Verletzung nicht isoliert betrachtet werden, sondern als einheitlicher Lebensvorgang. Flüchteten Menschen vor dem bloßen A n b l i c k eines Tieres, dann wirkten sich gerade hierin die gefährlichen Eigenschaften des Tieres aus.
2. Die typischen Eigenschaften lebender Organismen und die tiertypischen Eigenschaften Bei der Bestimmung der Tiergefahr steht für Kreft die Gefahrenquelle i m Mittelpunkt. Sie w i r d i n den jeweils typischen tierischen Eigenschaften gesehen, die das Tier von der leblosen Sache und v o m vernunftgeleiteten Menschen unterscheiden. A l s spezifische Eigenschaften werden dem Tier insbesondere Unvernünftigkeit, Lebendigkeit, Bewegungsfähigkeit, Beeinflußbarkeit, Größe und Gewicht zugeschrieben. Dadurch soll der Kreis möglicher Verletzungsursachen, also die Gefahrenquelle, gegenüber der Rspr. erweitert werden. Dabei bleibt außer Betracht, daß nicht schlechthin alle Eigenschaften eines lebendigen Organismus damit auch typisch tierische Eigenschaften sein müssen, denn offensichtlich sind nicht alle Lebewesen auch Tiere. Der Standpunkt von Kreft bringt keine Abweichungen von der Rspr., soweit die wesentlichen Tiereigenschaften i n der Fähigkeit zum selbständigen aktiven Verhalten bereits eingeschlossen sind, führt aber zu Unterschieden i m Bereich der Passivwirkung.
a) Das aktive Tierverhalten als Summe der tiertypischen Eigenschaften Lebendigkeit und Unvernunft sind Wesensmerkmale, die schon m i t der Tiereigenschaft untrennbar verbunden sind. Soweit überhaupt ein Tierverhalten vorliegt, erübrigt sich dessen weitere Kennzeichnung als unvernünftig. A u c h wenn gesagt wird, daß ein totes Tier nicht als Gefahrenquelle in Frage kommt, dann handelt es sich nur um die Klärung eines ungenauen Sprachgebrauchs, denn leblose Gegenstände sind letztlich keine Tiere. Wenn gefragt wird, ob sich bei der M i t w i r k u n g einer leblosen Sache anstelle des Tieres der Geschehensablauf geändert hätte, dann soll die Erfolgsrelevanz der M i t w i r k u n g gerade eines lebendigen Organismus ermittelt werden. Dies führt indessen nicht zwangsläufig zu verläßlichen Ergebnissen. Die Vernunft kann bei der objektiven Zurechnung i m
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2. Teil: Die Tiergefahr
Rahmen der Gefährdungshaftung weder als W i l l e , noch als Erkenntnisvermögen eine Rolle spielen, sondern nur bei der subjektiven Zurechnung zum Willen. Die subjektive Ebene ist bei der Gefährdungshaftung von vornherein abgeschnitten, denn diese klammert die Möglichkeit der Vernunftleitung v ö l l i g aus. Die Kennzeichnung von Tieren als Lebewesen reicht noch nicht einmal hin, u m sie auch von Pflanzen und Mikroorganismen zu unterscheiden. Dies kann nur geschehen, wenn man auf die Fähigkeit zur eigenständigen individuellen Bewegung infolge neurologischer Reizverarbeitung abstellt und leitet dann über zum Problem der Tiereigenschaft und zur Diskussion u m die Ausdehnung der Halterhaftung auf Mikroorganismen. 3 5 0 Soweit die Betrachtung aber auf Tiere beschränkt bleibt, umfaßt die Fähigkeit zur Eigenaktivität sowohl deren Beeinflußbarkeit, wie deren Bewegungsfähigkeit. Größe und Gewicht können allein keine Haftung begründen, da auch jeder leblose Gegenstand diese Eigenschaften hat. Daher muß auch der stürzende Elefant ein Verhalten zeigen, etwa beim Laufen stolpern oder trampeln, um zur Gefahr zu werden. Soweit auf die besondere Masse bestimmter Tierarten abgestellt w i r d , 3 5 1 geht es u m arttypische, nicht mehr um tiertypische Eigenschaften. I m Bezug auf die Fallgruppen des Aktivverhaltens und der mechanischen M i t w i r k u n g des passiven Tieres stimmen die Ergebnisse von Kreft daher mit denen der Rspr. zur Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens überein. 3 5 2 b) Die Differenzen
im Bereich der Passivwirkung
Differenzen zur Rspr. können sich aber insofern ergeben, als das passive Dasein eines lebenden Tieres durch nichtmechanische Zwischenursachen zu Verletzungen führt. Dieses Problem könnte nach dem V o r b i l d der übrigen Fälle der Passivwirkung gelöst werden, indem man darauf abstellt, ob sich das Tier durch eigenes Verhalten in die schadenbringende Situation gebracht hat. Wenn man m i t Kreft indessen die Gefahrenquelle i n den Organismuseigenschaften des Tieres sieht, dann kommt auch die bloße Anwesenheit des lebenden Tieres als Tierverhalten und damit als Ansatzpunkt der Zurechnung i n Frage. Rechnet man zur Gefahrenquelle auch den Tierorganismus als Träger von Krankheitskeimen, dann w i r d die Haftung aber gerade nicht auf die typischen Tiereigenschaften beschränkt. Denn Keimträger kann jeder Organismus sein, auch die Pflanze, darüber hinaus sogar der Tierkadaver. Folgerichtig geht auch Kreft davon aus, daß für das Tier als Keimträger keine Haftung besteht.
350 Vgl. unten 2 § 3 D. 351 So z. B. Deutsch, JuS 1987, 673, 676; NJW 1978, 1998, 2000; vgl. oben 2 § 3 B 1 1 u. unten 2 § 3 E I I 2. 352 Dies gilt insbesondere auch für die Haftung trotz menschlicher Leitung; vgl. oben 2 § 2 D I I 2b.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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Bei der Flucht vor dem liegenden Tiger geht es um die Aktionsfähigkeit als Eigenschaft des Tierorganismus. Eine Pflanze löst keine Fluchtreaktionen aus. Hier w i r d dann die bloß vorgestellte Möglichkeit eines aktiven Verhaltens zur Gefahrenquelle. Dies ist nicht überzeugend. Die Situation w i r d wesentlich dadurch geprägt, daß die Vermittlung zwischen Tierverhalten und Verletzung durch die menschliche Psyche als Zwischenursache erfolgt. 3 5 3 E i n w i r k l i c h absolut passives Tier, das keinerlei aktive Lebensäußerung von sich gibt, löst noch keine Fluchtreaktion aus. I n den bisher entschiedenen Fällen wurde die menschliche Reaktion nicht einfach v o m regungslosen Tier i n Gang gebracht, sondern durch bestimmte Lebensäußerungen, wie Körperbewegungen oder L a u t e , 3 5 4 denn nur diese vermitteln die Vorstellung eines lebendes Tieres. Auch ein totes Tier könnte eine Fluchtreaktion auslösen, wenn es irrtümlich für lebendig gehalten würde, obschon es als Gefahrenquelle keinesfalls in Frage kommt. Demnach reicht die Aktionsfähigkeit als Gefahrenquelle nicht aus, sondern nur die tatächliche Aktion.
3. Die Notwendigkeit von Zurechnungsbeschränkungen Gegenüber den Überlegungen zur Gefahrenquelle treten bei Kreft die Fragen der Gefahrzurechnung eher in den Hintergrund. Er w i l l die Verwirklichung der Tiergefahr immer annehmen, wenn eine typische Tiereigenschaft (bzw. Organismuseigenschaft) für den Erfolg ursächlich war und Zurechnungsbeschränkungen nur i m Bereich des Verletztenbeitrags vornehmen. Die Tiertypik enthält damit auch insofern eine Aussage zur Gefahrzurechnung, als zurechnungsbegrenzende Kriterien eben keine Rolle spielen sollen. Diese Sichtweise läßt sich aber letztlich nicht durchhalten, denn jede M i t w i r k u n g eines Tieres geht schließlich auf ein Tierverhalten zurück. Selbst wenn ein Tier durch den Boden des Transportwagens bricht oder zu weit aus diesem herausragt, 355 ist es aus eigener Kraft dorthin gelangt, wobei es keine Rolle spielt, ob dies unter menschlicher Leitung geschah. Wenn aber nicht jede Form passiver M i t w i r k u n g des Tierkörpers die Haftung begründen soll, dann muß gesagt werden, ob und inwieweit stattdessen auf früheres Verhalten zurückgegriffen werden darf. A u c h Kreft erkennt daher Grenzen des Risiko- oder Zurechnungszusammenhangs an, indem er bei der Passivwirkung nicht auf jedes noch so entfernte Tierverhalten zurückgreift, sondern auf die Einheitlichkeit des Geschehens abstellt. 3 5 6 Er äußert auch Zweifel, ob Schäden durch Schnüffeln oder Ausscheidungen noch v o m Normzweck gedeckt werden. 3 5 7 A u c h dabei geht es u m Zurechnungsbeschränkungen.
353 354 355 356 357
Vgl. oben 2 § 2 B I V 2. Vgl. oben 2 § 2 B I I 2b. Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156. R G R K / Kreft, 25. RGRK/Kreft, 21.
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2. Teil: Die Tiergefahr I I . Die Tiergefahr als W i r k u n g eines unberechenbaren Mechanismus (Greiff)
G r e i f f 3 5 8 wollte in erster Linie die Rspr. zum willkürlichen Verhalten erläutern, entwickelte dabei aber Überlegungen zum physiologischen Zwang und zur Unberechenbarkeit, auf die sogar der B G H später bei seiner Neubestimmung der Tiergefahr zurückgegriffen hat. Nach Greiff liegt die Gefährlichkeit des Tieres i n dem von ihm selbst ausgehenden Tun, in seiner Eigenbewegung. Das Tier spiele die Rolle, die bei anderen Haftungstatbeständen dem Täter zufalle. Haftungsgrund für den Halter sei, daß die eigene Energie des Tieres eine selbständige Kraft bilde, deren Wirkungsweise nicht vorhersehbar sei. Die inneren Vorgänge, die das Handeln eines Menschen bestimmen, seien bekannt und auch die Bewegungen einer Maschine folgten bekannten Gesetzen. I n die inneren Vorgänge der Tierseele bestehe demgegenüber kein Einblick, so daß tierisches Verhalten weder vorhersehbar noch berechenbar sei. Es müsse vielmehr stets damit gerechnet werden, daß ein Tier aus eigener Energie Bewegungen mache, ohne durch mechanische Naturgesetze hierzu genötigt zu sein. Bedenklich sei daher die Unterscheidung des R G zwischen Ereignissen, denen Tiere nach physiologischen Gesetzen nicht widerstehen können und solchen, die keine zwingende Veranlassung für ihr Verhalten darstellen. Gerade die starke Beeinflußbarkeit durch äußere Anreize sei tiertypisch. Äußere Einflüsse, die nach der Natur eines Tieres ein bestimmtes Verhalten zur Folge haben können, dürften daher die Haftung nicht ausschließen. E i n äußerer Einfluß könne gewissermaßen einen tierischen Entschluß hervorrufen und damit eine tierische Energieentfaltung auslösen. Dies sei bei einer Maschine niemals der Fall. E i n Kriterium für die Haftungsbegrenzung sei daher, ob eine Maschine auf das Ereignis i n gleicher Weise reagiert hätte. So könne ein sich niederlassender Bienenschwarm eine Maschine nicht zu einer Bewegung veranlassen. I m Ergebnis gelangt Greiff dennoch aber nur in den Fällen zur Haftung, die auch von der Rspr. als widerstehlicher Zwang angesehen wurden und damit letztlich zur Übernahme der von ihm kritisierten Unterscheidung. Diese Ausführungen sind aber insofern bemerkenswert, als sie noch auf der Grundlage des willkürlichen Verhaltens entwickelt wurden. Greiff bestimmt die Tiergefahr in Abgrenzung von der Maschine, die berechenbaren Gesetzen unterliegt. Er legt sich aber nicht fest, ob er deshalb die Gefahrenquelle schon i m Tierverhalten oder noch i n der Tiernatur sehen w i l l . Denn die Betonung der Unberechenbarkeit ist doppeldeutig. Einerseits w i r d dem Tier die Rolle zugewiesen, die bei anderen Haftungstatbeständen dem Täter zufällt und es ist von tierischem Entschluß, tierischem Handeln, Tierseele und Tiernatur die Rede. Die Unberechenbarkeit besagt insofern, daß ein Tierverhalten nicht nur v o m Kausalgesetz bestimmt w i r d und dies läuft auf die tierische Willensfreiheit hinaus. 3 5 9 358 Planck/Greiff, 2 b.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
161
Andererseits rückt bei Greiff die selbständige Energieentfaltung, also das Tierverhalten, i n den Mittelpunkt. Das Tier unterscheidet sich von leblosen Sachen, insbesondere Maschinen, gerade w e i l es durch äußere Einwirkungen zu eigener Aktivität veranlaßt werden kann. Versteht man unter der Unberechenbarkeit die Beeinflußbarkeit des Tieres als lebender Organismus, dann ergibt sich daraus, daß es auf die A r t der Einflüsse nicht mehr a n k o m m t . 3 6 0 Diesen naheliegenden Schritt vollzieht Greiff indessen noch nicht, denn sonst hätte er i m Gegensatz zum R G die Haftung auf alle Fälle äußerer Beeinflussung erstrecken müssen, insbesondere auf den physiologischen Zwang und die menschliche Leitung.
I I I . Die Tiergefahr als Fehlen menschlicher Leitung 1. Fehlende menschliche Tatherrschaft (Schünemann) Nach Schünemann 3 6 1 besteht keine generelle Einstandspflicht für die allgemeine Gefahr, daß jedes Tier einmal zur Verletzungsursache werden kann, sondern es sind diejenigen Fälle aus der Tiergefahr auszuscheiden, in denen das Tier während des Verletzungs vorganges v ö l l i g unter menschlicher Tatherrschaft stand. Entscheidend sei das Fehlen menschlicher Situationsgewalt, so daß die Tiergefahr gerade durch den Rest tierischen Potentials gekennzeichnet werde, der nach Abzug der menschlichen Tatherrschaft noch verbleibe. Sei ein Deckakt zu Zuchtzwecken geplant und gelenkt, so bleibe von der relevanten Tiergefahr naturgemäß nichts mehr übrig, während sich beim Deckakt ohne menschlichen W i l l e n die Tiergefahr ohne weiteres verwirkliche. Fehle es an der menschlichen Leitung, dann mache es auch keinen wertungsmäßigen Unterschied, ob ein Elefant in einen Porzellanladen eindringe oder stolpere und als tote Masse hineinfalle. Als Ausnahmefallgruppe anerkennt Schünemann daher nur die menschliche Leitung. Schünemann betont die Nichtmenschlichkeit, also die Unvernünftigkeit des Tieres als Kennzeichen der Tiergefahr. Dies überzeugt indessen nicht, denn die darin vorausgesetzte besondere Bedeutung des menschlichen Willens läßt sich i m Rahmen der Gefährdungshaftung nicht begründen. 3 6 2 Der Unterschied von menschlichem Handeln und tierischem Verhalten ist für die Tiergefahr nicht von Belang, denn die Zurechnung zum konkreten menschlichen W i l l e n spielt bei der Gefährdungshaftung keine Rolle. Zwischen menschlichem und tierischem Verhalten besteht kein haftungsrelevanter Unterschied, sofern sie als Gefahrenquelle in Betracht gezogen werden. Die völlige Verdrängung der M i t w i r k u n g des Tieres bei menschlicher Tatherrschaft erinnert an die Rspr. zum willkürlichen Verhalten. Als Folge dieser Auffassung müßte jede Beteiligung des Tieres ohne menschli359 360 361 362
Vgl. oben 2 § 2 D I 2b (2). Vgl. oben 2 § 2 C I. Schünemann, JuS 1978, 376, 378. Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3).
11 Lorenz
2. Teil: Die Tiergefahr
162
chen Einfluß zur Halterhaftung führen, also auch die rein passive M i t w i r k u n g . Dies widerspräche der Normstruktur der Gefährdungshaftung, denn dadurch würde die bloße Existenz des Tierkörpers zur Gefahrenquelle, obwohl diese allein keine besonders erhöhte Gefahr begründen kann. Das Tier ist nicht i n jeder Hinsicht gefährlich, sondern nur durch sein aktives Verhalten. Der menschliche Einfluß w i r d bei Schünemann schließlich auch zum einzigen Kriterium der Gefahrzurechnung. Damit würde aber der Haftungsumfang i m übrigen ins Unübersehbare wachsen. 3 6 3
2. Fehlender menschlicher Wille (Schmid) A u c h nach S c h m i d 3 6 4 reicht die bloße Gefahr für die Rechtsgüter Dritter nicht aus, um eine Gefährdungshaftung zu begründen. Die Haftung sei vielmehr auf die Fälle zu begrenzen, i n denen das Tier durch selbständiges, d. h. nicht auf dem W i l l e n eines Menschen beruhendes Verhalten, einen Schaden verursacht habe. 3 6 5 Das Tier unterscheide sich von allen anderen Sachen dadurch, daß es sich selbst bewegen und daher nicht i n jeder Situation v o m Menschen sicher beherrscht werden könne. Werde dem Tier, etwa durch Schmerzzufügung, keine Freiheit zu irgendeinem anderen Verhalten gelassen, so habe das Tier dennoch aufgrund der i h m eigenen Bewegungsmöglichkeit gehandelt. 3 6 6 Dies gelte auch, wenn ein Tier sich von selbst auf die Staße bewegt habe, auch wenn es sich i m Augenblick des Unfalls nicht mehr i n Bewegung befinde. Demgegenüber haftet der Halter nach Schmid nicht, wenn auf das Tier mit absoluter Gewalt eingewirkt wurde. Hier fehle es an der Reaktion des Tieres. Dasselbe gelte, wenn ein Tier so reagiere, wie von einem Menschen beabsichtigt. A u c h Schmid sieht die Gefahrenquelle letztlich i m aktiven Tierverhalten und scheidet die Passivwirkung aus der Haftung aus. Es bleibt aber auch hier offen, wie das besondere Gewicht menschlichen Handelns gegenüber dem Tierverhalten begründet werden soll.
I V . Die Tiergefahr als Grenze des erlaubten Risikos (Weber) Nach Ansicht von W e b e r 3 6 7 erfaßt die Halterhaftung nur solche Schäden, die der Verletzte nicht zu tragen brauchte, w e i l er ihnen nicht ausgesetzt wäre, wenn der Gesetzgeber durch die Statuierung der Gefährdungshaftung die Schaffung der Tiergefahr nicht erlaubt hätte. Gehaftet w i r d also für solche Akte, vor denen sich der Verletzte mit der actio negatoria hätte schützen können, wenn nicht die 363 364 365 366 36?
Vgl. oben 2 § 3 A I I 2. Schmid, JR 1976, 274. Schmid, JR 1976, 274, 275. Schmid, JR 1976, 274, 276. Weber, L M § 833 BGB Nr. 9 (1978), Bl. 2.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
163
Tierhaltung ausdrücklich erlaubt wäre. Demmach sollen solche Schäden, die jedes M i t g l i e d der Gesellschaft ohnehin als sein Risiko hinzunehmen habe, w e i l ihrer Entstehung vernünftigerweise kein Gesetz entgegentreten könnte, v o m Schutzzweck der Gefährdungshaftung nicht umfaßt sein. A u c h und gerade wenn Tiere einen Schaden „artspezifisch" oder „arttypisch" verursacht hätten, bedeute dies noch nicht, daß er deshalb unter die Tiergefahr falle. W e i l Menschen von je her m i t Tieren zusammenlebten, seien bestimmte Schäden aufgrund typischen Verhaltens, wie Krankheitsübertragung oder Ausscheidungen, ersatzlos hinzunehmen. A u c h hafte der Halter bei Tierfäkalien auf der Straße nur, wenn er nicht für Säuberung sorge. Weber sieht die Gefahrenquelle i m aktiven Tierverhalten und sucht nach Kriterien der Gefahrzurechnung. Dabei stellt er letztlich auf die typische Gefährlichkeit tierischen Verhaltens ab, wie dies auch die Rspr. beim natürlichen Verhalten tut und kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Diese Auffassung führt damit über die Frage nach dem tiertypischen oder tierarttypischen Verhalten hinaus zu dem Problem, welches Tierverhalten typischerweise gefährlich, d. h. verletzungsträchtig ist. Z u m Vergleich dient das allgemeine Lebensrisiko, wonach bestimmte Vorgänge zu alltäglich und ungefährlich sind, u m eine Haftung herbeizuführen. Die Begründungen für diese Auffassung sind indessen schwer nachvollziehbar. Ob es eine Rechtsüberlieferung gibt, nach welcher alltägliche Schäden als allgemeines Lebensrisiko hinzunehmen sind, spielt keine Rolle, denn hieraus ergibt sich nichts für die Gefährdungshaftung. Denn es liegt auf der Hand, daß die Wirkungen einer besonderen Gefahrenquelle deshalb der Haftung unterliegen, weil sie gerade nicht hinzunehmen sind. A u f die Erlaubtheit der Gefahrenquelle kommt es dabei nicht entscheidend an, sondern nur auf ihren Bestand. 3 6 8 Fraglich ist daher nur, welche Wirkungen gerade auf die Gefahrenquelle zurückgehen. A m Maßstab dafür fehlt es aber, denn es kann nicht ohne weiteres gesagt werden, ob und für wen es heute ein alltägliches oder ein ungewöhnliches Ereignis ist, v o m Hund gebissen oder v o m Pferd getreten zu werden.
D. Die Abhängigkeit des Tierbegriffs von der Bestimmung der Gefahrenquelle Die nähere Umschreibung der Gefahrenquelle geschieht i m Rahmen des Merkmals der Tiergefahr durch das Abstellen auf die typisch tierischen Eigenschaften. Darin w i r d aber schon vorausgesetzt, was ein Tier ist und worin demzufolge seine einzelnen Eigenschaften überhaupt liegen können. Die Ausdehnung der haftungsrelevanten Eigenschaften durch die L i t . kann daher auch zur Erweiterung des Tierbegriffes selbst führen. Unstreitig kommen als Tiere nur nichtmenschliche Lebewesen in Betracht. Problematisch ist aber, ob und wie eine weitere Präzisie368 Vgl. oben 1 § 2 B I 2. Ii*
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2. Teil: Die Tiergefahr
rung vorgenommen werden soll. W i r d diese gar nicht vorgenommen, dann kann auch die Erweiterung der Halterhaftung auf laborgezüchtete Mikroorganismen diskutiert werden.
I . Haftung für laborgezüchtete Mikroorganismen? Eine verbreitete Ansicht i n der L i t . w i l l die Tierhalterhaftung unmittelbar oder analog auch auf Mikroorganismen anwenden, die i n Labors gezüchtet werden. 3 6 9 Bei der Bestimmung des Tierbegriffs komme es weder auf den alltäglichen, noch auf den wissenschaftlichen Sprachgebrauch an, sondern juristisch allein auf eine funktionelle Betrachungsweise. Danach sei die nur unvollkommen kontrollierbare besondere Gefährlichkeit von Mikroorganismen das entscheidende Kriterium. Diese bestehe i n der Ausscheidung von Giftstoffen und i n der Fähigkeit zur rapiden Vermehrung. Für Fälle dieser A r t , in denen Dritte durch erlaubtes Verhalten einem unwägbaren Risiko ausgesetzt würden, sehe der Gesetzgeber üblicherweise eine Gefährdungshaftung vor. Die begriffliche Einordnung v o m Mikroorganismen als Tiere sei jedenfalls nicht ausgeschlossen und eine Analogie zum Tier noch am ehesten möglich. Die Gefährdung durch pathogene Mikroorganismen sei von derjenigen durch Makroorganismen strukturell nicht zu unterscheiden. Für den Fall, daß Mikroorganismen außer Kontrolle geraten, sollen danach dritte Personen, nicht aber Laborpersonal und Destinäre, an die bestimmungsgemäß Mikroorganismen gelangen, durch § 833 S. 1 B G B geschützt sein. 3 7 0 Als Halter kommen nur Forschungslabors, Krankenhäuser oder Pharmaunternehmen in Betracht, nicht aber unwissentlich infizierte Personen oder T i e r e . 3 7 1
I I . Die Unbeachtlichkeit von Mikroorganismen als Gefahrenquelle Die Gegenmeinung 3 7 2 lehnt die Haftung für Mikroorganismen i m wesentlichen mit drei Argumenten ab. Erstens w i r d angenommen, Mikroorganismen könnten schon deshalb nicht unter die Tierhalterhaftung fallen, w e i l das Bundesseuchengesetz für Mikroorganismen eine abschließende Regelung enthalte und diese gerade auf eine zivilrechtliche Gefährdungshaftung verzichte. 3 7 3 Dieses Argument steht 369 Deutsch, NJW 1976, 1137, 1138; 1990, 751, 752; JuS 1987, 673, 674; MünchKomm / Mertens, 10; AK-BGB / Kohl, 2; Erman / Schiemann, 2; Jauernig / Teichmann, 2; Medicus, Schuldrecht II, 390; Siegfried, 50. 370 Deutsch, NJW 1976, 1137, 1138; MünchKomm / Mertens, 10. 371 MünchKomm / Mertens, 10; AK-BGB / Kohl, 2; Deutsch, NJW 1976, 1137, 1138. 372 Staud./Schäfer, 9-11; Soergel/Zeuner, 2; Wussow/Kuntz, 402c-e; R G R K / Kreft, 8; Palandt / Thomas, 5; Erman/Drees, 3; Planck / Greiff, 2 a; Enneccerus / Lehmann, 1016/1017. Bei einer Infektion mit Laborviren erwähnt z. B. auch BGH NJW 1989, 2947, 2948 nur § 823 BGB. 373 Staud. / Schäfer, 11; Soergel / Zeuner, 2; Wussow / Kuntz, 402 e.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
165
und fällt mit dem überzeugenden Nachweis der abschließenden Regelung i m Seuchenrecht und bedarf jedenfalls der Flankierung durch Argumente aus dem B G B selbst. Zweitens w i r d daher behauptet, Mikroorganismen seien keine Tiere, sondern Pflanzen. 3 7 4 Schon grundsätzlich ist aber die Frage, wonach sich die Tiereigenschaft überhaupt bestimmt, ihrerseits umstritten. Nach einer Ansicht ist der Sprachgebrauch des täglichen Lebens wesentlich, 3 7 5 nach anderer Ansicht die wissenschaftliche L e h r e . 3 7 6 Argumente auf dieser Ebene sind indessen für die Lösung der Haftungsfrage kaum hilfreich. Denn letztlich kann die Tiereigenschaft als HaftungsVoraussetzung nur nach dem Sinn und Zweck der Halterhaftung normativ bestimmt werden. 3 7 7 Deshalb w i r d drittens auf den Normzweck des § 833 S. 1 B G B abgestellt. Es kommt darauf an, vor welcher Gefahrenquelle die Vorschrift schützen w i l l . Dies beantwortet gleichzeitig die Frage nach der Tiereigenschaft. Da der Fallgruppenkonzeption der Rspr. zur Tiergefahr zugleich eine feste Vorstellung von der Gefahrenquelle zugrundeliegt, w i r d dort auch der Tierbegriff regelmäßig nicht problematisch. 3 7 8 Organismen, die nicht durch ihre äußere Aktivität schaden, kommen für die Rspr. danach als Tiere iSv § 833 S. 1 B G B nicht i n Betracht. Soweit in der Lit. als Tiere nur Lebewesen gelten sollen, über die eine relativ nachhaltige menschliche Kontrolle möglich ist, die also gehalten werden könn e n , 3 7 9 werden Fragen der Gefahrverantwortung in funktionsfremder Weise mit solchen der Gefahrenquelle vermengt. Soweit auch in der Lit. die Gefahrenquelle i m aktiven Tierverhalten gesehen wird, kommen nach dem Normzweck als Tiere nur Lebewesen in Betracht, die durch ihre Tätigkeit auf die Außenwelt einzuwirken befähigt und insbesondere mit Sinnesorganen und Nervensystem ausgestattet s i n d . 3 8 0 Dann sind Mikroorganismen keine Tiere bzw. können haftungsrechtlich nicht wie solche behandelt werden. Nur wenn die Gefahrenquelle als Summe der Eigenschaften eines lebenden Organismus umschrieben wird, kann die Frage nach der Haftung für Mikrooganismen überhaupt sinnvoll gestellt werden. Es geht dann um Argumente für eine entsprechend erweiterte Umschreibung der Gefahrenquelle. Ob Mikroorganismen „als" Tiere oder „ w i e " Tiere (Analogie) behandelt werden, läuft dann auf dasselbe hinaus. Obschon die bisher übliche enge Auslegung der einzelnen Tatbestands374 Vgl. Staud. / Schäfer, 10; Planck/ Greif, 2b; Wussow / Kuntz, 403c. 375 Vgl. z.B. A K - B G B / K o h l , 1; Enneccerus / Lehmann, 1017. 376 Staud. / Schäfer, 6; RGRK / Kreft, 8; Planck / Greiff, 2a; Wussow / Kuntz, 402a; aber auch Siegfried, 50. 377 Bondzio, RdL 1972, 147, 148; Enneccerus/Lehmann, 1016/1017; Planck/ Greiff, 2 a; Soergel / Zeuner, 2; RGRK/Kreft, 9; Staud. / Schäfer, 6; vgl. oben 1 § 4 A u. § 2 B I I 3d. 378 Vgl. oben 2 § 2 D I I 1 a. 379 MünchKomm / Mertens, 9; RGRK/Kreft, 8. 380 RGRK/Kreft, 8-9; Palandt / Thomas, 5; Erman/Drees, 3; Wussow / Kuntz, 402 d; Staud. / Schäfer, 6-10; Planck / Greiff, 2 a.
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2. Teil: Die Tiergefahr
merkmale der Gefährdungshaftung zunehmend auf K r i t i k stößt, 3 8 1 wäre für die Erweiterung der Tierdefinition oder für eine Analogie zumindest ein überzeugender Vergleichspunkt zur anerkannten Umschreibung der Gefahrenquelle erforderlich. M i k r o - und Makroorganismen sind jedoch i n v ö l l i g verschiedener Weise verletzungsträchtig, Tiere durch ihren Körper und dessen Bewegungs- oder Massewirkung auf andere Körper, Mikroorganismen durch ihre Toxizität und Vermehrungsfähigkeit innerhalb eines anderen Organismus. 3 8 2 Die Gefahr geht nicht v o m einzelnen Exemplar aus, sondern v o m ihrem massenhaften Auftreten. Die Halterhaftung stellt dagegen immer auf das individuelle Tier ab. Die Gefahren sind daher zu verschiedenartig, um eine entsprechende Behandlung nahezulegen. Gemeinsam ist ihnen nur die Verletzungsmöglichkeit. E i n Grundsatz, daß für jede Gefahr auch eine Gefährdungshaftung gilt, besteht aber de lege lata n i c h t . 3 8 3
E. Grundlinien der Normzwecküberlegungen in der Literatur I n dem Bestreben, die Haftung über die von der Rspr. akzeptierten Grenzen hinaus auszudehnen, stellt die Lit. den Normzweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung in den Mittelpunkt. Ihre Aussagen dazu sind indessen unterschiedlich und oft erweist es sich als schwierig, die vertretenen Ergebnisse allein aus dem jeweiligen Verständnis des Normzweckes herzuleiten.
I . Die Berufung auf den Verletztenschutz Einige Autoren sehen die Grundidee der Gefährdungshaftung i m Schutz des Verletzten vor einem Zwangsrisiko, wenn auch nicht alle dies zum zentralen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen. 3 8 4 Die Bezugnahme auf den Verletzten kann indessen zur Bestimmung der Tiergefahr nichts beitragen, denn die Schutzwürdigkeit des Verletzten w i r d i m Rahmen der Beitragsabwägung eigens berücksichtigt. A u c h dort rechtfertigt sie indessen nur dann die Abwälzung des Schadens auf den Halter, wenn sich der Verletzte diesen nicht selbst zuzuschreiben h a t . 3 8 5 Bei der Tiergefahr geht es demgegenüber u m die Interessen des Halters, denn dieser haftet nur für das von i h m geschaffene Risiko. Die Bestimmung der Gefahrenquelle und die Ausscheidung von Fremdursachen durch die Gefahrzurechnung muß daher den Überlegungen zum Verletztenbeitrag voraus38i Deutsch, JuS 1981, 317, 325; Kötz, AcP 170, 1 ff.; Bauer, FS Beierstedt, 305 ff. 3 «2 Vgl. auch Siegfried, 147; Deutsch, NJW 1976, 1137, 1138. 383 Zur Diskussion um die Generalklausel vgl. z. B. Deutsch, Haftungsrecht, 383; Kötz, AcP 170, 1, 41; Will, 267. 384 Haase, JR 1973, 10, 13; Deutsch, NJW 1978, 1998, 1999; JuS 1987, 673, 674; Stötter, MDR 1970, 100, 103; MünchKomm/ Mertens, 4; A K - B G B / K o h l , 5; R G R K / Kreft, 20. 385 Vgl. unten 4 § 1.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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gehen. W i r d der Opferschutzgedanke auf die Tiergefahr angewendet, so dient er zumeist der Rechtfertigung von Ergebnissen, welche letztlich auf ein erweitertes Verständnis der Gefahrenquelle oder der Gefahrzurechnung zurückgehen. Dies zeigt sich darin, daß die Verfechter des Verletztenschutzes Haftungsbeschränkungen zulassen, die dem umfassenden Verletztenschutz eigentlich zuwiderlaufen. Stattdessen müssen gerade die Gefahrenquelle und die Gefahrzurechnung i m Mittelpunkt stehen.
I I . Die Bestimmung der Gefahrenquelle 1. Die Erweiterung der Gefahrenquelle Die Rspr. sieht die Gefahrenquelle in der körperlichen Eigenbewegung des Tieres, 3 8 6 also i m aktiven Tierverhalten und scheidet Fälle der passiven M i t w i r kung aus der Haftung aus. I n der L i t . w i r d versucht, diese Bestimmung der Gefahrenquelle auszuweiten. Der Kreis der relevanten Verletzungsursachen kann i n dreifacher Weise bestimmt werden. — Die Gefahrenquelle liegt allein in der Existenz des Tieres. Dann erfaßt die Haftung jede M i t w i r k u n g des Tierkörpers an der Verletzung. Es spielt keine Rolle mehr, daß gerade ein Tier die Verletzung herbeiführte, denn der Tierkörper ist durch jede andere Masse ersetzbar. Mangels besonderer Gefahr wäre eine Gefährdungshaftung hierfür aber nicht gerechtfertigt. 3 8 7 Diese Lösung widerspricht i m Ansatz den Grundgedanken der Gefährdungshaftung. Soweit einzelne Autoren zu dieser Haltung tendieren, können sie dies i n ihren Ergebnissen nicht durchhalten. 3 8 8 — Die Gefahrenquelle liegt i n sämtlichen Eigenschaften des Tieres als lebender Organismus, sofern es sich dadurch v o m vernünftigen Menschen und von toten Sachen unterscheidet. Die Gefahrenquelle ist das Tier als bloßer triebgesteuerter Organismus. 3 8 9 Dann k o m m t auch das ruhende Tier als Ansatzpunkt der Haftung i n Betracht, z. B. als Träger von Krankheitskeimen oder durch seinen bloßen Anblick. Die Gleichsetzung des Tieres m i t dem lebenden Organismus überzeugt aber nicht völlig, denn es gibt immerhin Organismen, die keine Tiere sind, z. B. Pflanzen. Wesentlich ist für Tiere deren Fähigkeit zur Eigenaktivität, insbesondere zur selbständigen Körperbewegung. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Mikroorganismen keine Tiere, da sie nicht durch ihre individuelle Bewegungsfähigkeit schaden, sondern durch ihre Toxizität und ihr massenhaftes Auftreten. 386 Vgl. oben 2 § 2 D I 2a; I I 1 a. 387 Vgl. oben 1 § 2 B I 1. 388 Haase, JR 1977, 155, 156; Schünemann, JuS 1978, 376, 378. 389 RGRK / Kreft, 20 u. 26; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; letztlich auch A K B G B / K o h l , 5; Deutsch, JuS 1987, 673, 676.
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2. Teil: Die Tiergefahr
— Die Gefahrenquelle muß demnach in den typischen Tiereigenschaften liegen, nämlich i n der Fähigkeit zur selbständigen körperlichen A k t i v i t ä t . 3 9 0 Dann ist die rein passive M i t w i r k u n g des Tieres von der Haftung ausgeschlossen. Dies stimmt mit dem Standpunkt der Rspr. überein.
2. Die Verengung der Gefahrenquelle auf tierarttypisches Verhalten Einige Autoren deuten an, daß die Tiergefahr gar nicht für alle Tiere einheitlich bestimmt werden könne, sondern daß dabei nach Tierarten unterschieden werden müsse. 3 9 1 Diese Überlegung w i r d regelmäßig nicht weiter ausgeführt, beinhaltet aber letztlich eine — gemessen an der generellen Tendenz der Lit. ungewöhnliche — Einschränkung der Gefahrenquelle auf das typische Verhalten bzw. die typischen Eigenschaften einzelner Tierarten. Wenn man diese Überlegung weiter verfolgt, dann läßt sich durchaus sagen, daß manche Tierarten Verletzungen üblicherweise durch bestimmtes Verhalten zufügen, obschon sie nicht grundsätzlich auf dieses Verhalten beschränkt sind. So schadet V i e h regelmäßig durch Umrennen, Treten oder Stoßen, nicht aber durch Beißen oder Abwerfen, Pferde durch Umrennen, Treten, Ausschlagen, Niedertrampeln, Abwerfen oder Erdrükken, seltener durch Beißen und Hunde durch Beißen oder Behindern, nicht aber durch Treten oder Abwerfen. Dabei spielen natürlich die spezifischen körperlichen Eigenschaften dieser Tierarten eine Rolle. Verletzungen entstehen durch Treten oder Schlagen mit den Hufen, durch Kratzen oder Reißen m i t den Krallen, durch Beißen m i t den Zähnen. Die Masse großer Tiere kann durch Erdrücken, Zusammenstoßen oder Umrennen zu Verletzungen führen. Selbst bei der M i t w i r kung einer psychischen Zwischenursache kommt es auch darauf an, welche tatsächlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen des Tieres i m Geiste vorweggenommenen werden. E i n Tiger w i r d eher eine Panik verursachen, als eine Hauskatze, ein Pferd eher zum Ausweichen veranlassen, als ein Huhn. Somit kann gesagt werden, daß durchaus ein Zusammenhang zwischen der Tierart und dem konkreten Verletzungsablauf besteht. Wesentlich ist aber, ob dieser auch für das Eingreifen der Gefährdungshaftung relevant werden kann. Denn man kann nicht sagen, daß artuntypisches Verhalten deshalb auch typischerweise ungefährlich sei. Seltenes Verhalten kann gerade deswegen besonders verletzungsträchtig wirken. Die Tiergefahr hat sich auch dann realisiert, wenn in einem konkreten Fall tatsächlich ein Mensch von einem Schwein gebissen, von einer K u h abgeworfen oder von einem Hund getreten wird. Außerdem können bestimmte Verletzungsabläufe von jedem Tier herbeigeführt werden, unabhängig von der Tierart, zumal wenn an dem A b l a u f mechanische oder psychische Z w i 390 MünchKomm/ Mertens, 14; Planck / Greiff, 2b; Schmid, JR 1976, 274, 276; Weber, L M § 833 BGB Nr. 9. 391 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000; JuS 1987, 673, 676; Stötter, MDR 1970, 100, 102; JZ 1972, 409; Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156; RGRK/Kreft, 20; A K - B G B / Kohl, 5; Honseil, MDR 1982, 798, 799.
§ 3 Die Normzwecküberlegungen in der Literatur
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schenursachen beteiligt sind. W i r d ein Mensch v o m plötzlichen Auftauchen eines Tieres erschreckt oder von einem Gegenstand getroffen, den ein Tier herabgestoßen hat, dann kommt es auf die Tierart gar nicht entscheidend an, sondern allein auf die tierische Bewegungsfähigkeit. A l l e besonderen Eigenschaften der Tiere spielen zwar notwendigerweise bei der konkreten Verletzung auch eine Rolle, wären aber für diese nicht hinreichend, wenn die entscheidende Fähigkeit zu eigenständigem aktivem Verhalten nicht gegeben wäre. Die arttypischen Eigenschaften haben demgegenüber für die Verletzungsträchtigkeit keine ausschlaggebende Bedeutung. Es geht letztlich um die allgemeine Bestimmung der Tiergefahr, nicht um eine spezielle Hunde-, Pferde- oder Rindergefahr. 3 9 2 Die Überlegungen zu den arttypischen Eigenschaften werden daher in der L i t . zu recht nicht näher ausgeführt und sollten fallengelassen werden.
I I I . Die Begrenzung der Gefahrzurechnung bei typischerweise ungefährlichem Tierverhalten Die Grenzen der Gefahrzurechnung sind — verglichen m i t der ausführlichen Erörterung der Gefahrenquelle — in der Lit. kein zentrales Thema. I m wesentlichen w i r d auf die allgemeinen Institute der Adäquanz, des Risikozusammenhangs oder der höheren Gewalt zurückgegriffen. Insoweit kann auf die Stellungnahmen der Lit. zur Rspr. verwiesen werden. 3 9 3 Nur vereinzelt w i r d i m Rahmen der Tiergefahr ausdrücklich nach dem normativen Gewicht tierischen Verhaltens gegenüber anderen Ursachen gefragt, also nach seiner typischen Verletzungsträchtigkeit. 3 9 4 Dann geht es darum, ob der Halter auch für ein Verhalten einzustehen hat, das üblicherweise gar nicht zu Verletzungen führt, wie tierische Ausscheidungen oder Beschnüffeln. Wenn auf die Typizität abgestellt wird, geht es regelmäßig um Fragen der Verletzungswahrscheinlichkeit. 3 9 5 Entscheidend ist die Wahrscheinlichkeit der Verletzung durch ein an sich übliches und häufiges Tierverhalten. Denn i n diesem Fall spricht eine dennoch eintretende Verletzung dafür, daß nicht gerade das Tierverhalten entscheidend war. Führt das Tierverhalten typischerweise zu Verletzungen, dann spricht dies für dessen besonderes Gewicht. Wenn nicht jedes Verhalten von Tieren in gleicher Weise verletzungsträchtig ist, ein solches Verhalten i m Einzelfall aber dennoch zur Verletzung führt, dann liegt die Vermutung nahe, daß dieses Verhalten für den Erfolg nicht relevant war, sondern eine andere Ursache. Diese Überlegungen erinnern an die Rspr. zum natürlichen, also typischerweise harmlosen Tierverhalten 3 9 6 und bringen i m ganzen daher keine wesentlichen Neuigkeiten. 392 393 394 395 396
So auch Siegfried, 29. Vgl. oben 2 § 2 B IV. Weber, L M § 833 BGB Nr. 9. Esser/Schmidt, 526. Vgl. 2 § 2 B I 3.
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2. Teil: Die Tiergefahr
§ 4 Das Merkmal der Tiergefahr als Ausprägung der Strukturkomponenten Gefahrenquelle und Gefahrzurechnung Die Ausgestaltung des § 833 S. 1 B G B als Gefährdungshaftung bestimmt die Funktion und den Inhalt des Tierbegriffs und besonders des Merkmals der Tiergefahr. Der Halter haftet nur, wenn die Verletzung gerade durch das Tier herbeigeführt wurde und nicht durch andere Ursachen, die dem Verantwortungsbereich dritter Personen oder gar keiner Person zuzuordnen sind. Diese Abgrenzung erfolgt durch das komplexe Merkmal der Tiergefahr, das sich als Ausprägung der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung erweist, die als selbständige K o m ponenten der Normstruktur unterschiedliche Funktionen haben. Die Gefahrenquelle umschreibt den Kreis der haftungsrelevanten Verletzungsursachen, die Gefahrzurechnung setzt den Verletzungsbeitrag der Gefahrenquelle unter Wertungsgesichtspunkten in Relation zum Beitrag der Fremdursachen.
A . Die Gefahrenquelle I . Die Funktion der Gefahrenquelle Ansatzpunkt der Zurechnung ist die Gefahrenquelle. Sie umfaßt alle Verletzungsursachen, die überhaupt zur Verantwortung des Tierhalters führen können. Ihre Umschreibung erfolgt i n zwei Schritten, nämlich durch Herausheben eines Gegenstandsbereichs und dessen nähere Kennzeichnung durch weitere Kriterien. Sie kann Gegenstände, Anlagen, Vorgänge und Verhaltensweisen umfassen und oft ist unklar, ob ein Gegenstand selbst oder der Umgang m i t i h m als Gefahrenquelle anzusehen i s t , 3 9 7 also z. B. das K f z oder das Fahren mit diesem. Bei der Tierhalterhaftung k o m m t als Gefahrenquelle nur das Tier selbst in Betracht, denn es ist auch und gerade dann besonders verletzungsträchtig, wenn kein Mensch m i t ihm umgeht. Die Gefährdungshaftung umfaßt aber ihren Gegenstand regelmäßig nicht i n jeder Hinsicht, sondern nur soweit von i h m eine besondere Gefahr ausgeht, welche die Gefährdungshaftung rechtfertigt. So ist ein K f z nur i n bestimmter Funktion gefährlich, nämlich „ i n Betrieb", also wenn es als Fortbewegungs- oder Transportmaschine i m Verkehr dient. W i r k t es i n anderer Funktion an einer Verletzung mit, z. B. als Arbeitsmaschine oder Sportgerät beim A n schleppen eines Drachenfliegers, dann ist es haftungsrechtlich nur eine beliebige Sache. 3 9 8 Bei Tieren kann dagegen auf deren v o m Menschen bestimmte Funktion als Zugpferd, Wachhund oder M i l c h k u h nicht abgestellt werden, da sie sich als Lebewesen von dieser Zweckbestimmung jederzeit auch lösen können und eben 397 Filthaut, § 1, 71-75; Giemulla/Schmid, § 33, 2 u. 9; Will, 278. 398 Becker /Böhme, I A, 13 u. 18; Greger, § 7 StVG, 26 u. 31.
§ 4 Gefahrenquelle und -Zurechnung im Merkmal der Tiergefahr
171
nicht nur i n bestimmter Funktion gefährlich sind, wie z. B. Maschinen, sondern allgemein i n ihrer Eigenschaft als T i e r e . 3 9 9 Trotzdem kann nicht gesagt werden, das Tier sei „ i m m e r in B e t r i e b " . 4 0 0 Denn auch von ihm geht nur dann eine besonders erhöhte Gefahr aus, wenn es gerade als Tier wirkt, also nicht wie eine beliebige Sache bzw. Maschine oder ein beliebiger lebender Organismus. 4 0 1 A u c h das Tier ist nicht i n jeder Hinsicht Gefahrenquelle, sondern nur aufgrund spezifischer Eigenschaften, die es zu bestimmen gilt.
I I . Die Inhaltsbestimmung der Gefahrenquelle Die Gefahrenquelle als eine Komponente, die das Merkmal der Tiergefahr prägt, w i r d i n Lit. u. Rspr. nicht immer von der Gefahrverwirklichung als zweiter Komponente unterschieden. Der Urspung vieler Meinungsverschiedenheiten liegt darin, daß unausgesprochen i n Lit. u. Rspr. ganz unterschiedliche Vorstellungen v o m Inhalt der Gefahrenquelle vorherrschen. A u f der Gefahrenquelle liegt gerade in der L i t . der Schwerpunkt der Ausführungen zur Tiergefahr. A l s Umschreibungen der Gefahrenquelle werden i n Betracht gezogen: — die Tiernatur, — das Tier als körperlicher Gegenstand, — das Tier als lebender Organismus, — das für die jeweilige Tierart typische Verhalten, — das aktive Tierverhalten (als Summe tiertypischer Eigenschaften). Die ältere Rspr. sah die Gefahrenquelle ursprünglich in der Tiernatur als der inneren Ursache des Tierverhaltens, die gewirkt hat, wenn das Tierverhalten nicht allein durch Außenreize veranlaßt w u r d e . 4 0 2 Dies ließ sich aber nur durchhalten, indem die Tiernatur nicht als gewöhnliche Ursache, sondern nach dem V o r b i l d des freien Willens gedacht w u r d e . 4 0 3 Bei der Bestimmung der Gefahrenquelle verbietet sich indessen die Bezugnahme auf den Willen, selbst wenn man ihn Tieren zugestehen würde. Die Bestimmtheit der Verletzungsursache durch den W i l l e n kann haftungsrechtlich nur von Belang sein, wenn die Verantwortung letztlich auf einem Verschuldensvorwurf beruht. Dies ist bei der Gefährdungshaftung grundsätzlich nicht der Fall. Einige Autoren sehen die Gefahrenquelle schon darin, daß ein Tier überhaupt an der Verletzung mitgewirkt hat, also in der bloßen Existenz des Tieres. 4 0 4 A u f die genauere Bestimmung der Tiergefahr w i r d verzichtet, so daß die Gefahrenquelle letztlich m i t der Tierdefinition übereinstimmt. 399
Daher kann der Betriebsbegriff für das Tierschadensrecht nicht nutzbar gemacht werden. 400 Vgl. Haase, JR 1977, 155, 156. 401 vgl. Kreft, VersR 1983, KF, 153, 156. 402 Vgl. oben 2 § 2 D I 2b. 403 Vgl. oben 2 § 2 D I 2b (2). 404 Z. B. Haase, JR 1977, 155, 156; vgl. oben 2 § 3 E I I 1.
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2. Teil: Die Tiergefahr
Dies widerspricht indessen einem Grundgedanken der Gefährdungshaftung, wonach das Tier nur als Gefahrenquelle i n Betracht kommt, wenn es eben nicht in beliebiger Weise, sondern gerade i n seiner spezifischen Eigenart als Tier an der Verletzung mitwirkt. Denn nur dies rechtfertigt die Haftung. Manche Autoren sehen daher die Gefahrenquelle in den Eigenschaften des Tieres als lebender Organismus, also in allem, was das Tier von toten Gegenständen unterscheidet. 4 05 Dies geht indessen zu weit, weil nicht alle Lebewesen auch Tiere sind und insbesondere auch Pflanzen und Mikroorganismen erfaßt würden. Mitunter w i r d i n der Lit. angedeutet, daß die Haftung nur dann in Frage kommt, wenn die Verletzung gerade auf die typischen Eigenschaften der jeweils beteiligten Tierart zurückgeht. 4 0 6 Diese Überlegung führt zur Verengung der Gefahrenquelle und zur Aufspaltung der Tiergefahr in eine Hunde- oder Pferde-, Bißoder Trittgefahr. Bei der Tierhalterhaftung geht es aber letztlich um die Suche nach der allen Tieren gemeinsamen Gefährlichkeit. B e i m Abstellen auf die einzelne Tierart bleibt außer Betracht, daß gerade auch artuntypisches Verhalten eben wegen seiner Ungewöhnlichkeit besonders verletzungsträchtig wirken kann. Die spezifischen tiertypischen Eigenschaften sind vielmehr zusammengefaßt i n der Fähigkeit zur selbständigen Aktivität, also i m aktiven Tierverhalten. Einige Autoren, insbesondere aber die neuere Rspr., sehen daher die Gefahrenquelle i m Tierverhalten und verstehen darunter diejenige äußerliche Aktivität (Bewegung) des Tierkörpers, die v o m Tierorganismus selbst hervorgebracht w i r d . 4 0 7 Ein Tier ist als aktionsfähiger Organismus gefährlich. Es kann Kräfte entfalten und A n strengungen anderer provozieren, u m diesen Kräften zu entgehen. A l s Gefahrenquelle kommt daher nur die äußerliche Aktivität des Tierkörpers i n Betracht, mag diese mechanisch wirken oder nicht. Hierunter fällt auch das Bellen, Beschnuppern oder Ausscheiden von Stoffen. Nur bei rein passiver M i t w i r k u n g gilt das Tier nicht als Gefahrenquelle.
I I I . Die Folgen für die Tierdefinition Daraus ergibt sich auch, wie das Tatbestandsmerkmal „ T i e r " in § 833 S. 1 B G B auszulegen ist. Es grenzt Tiere von Pflanzen und anderen Lebewesen ab, ist also unmittelbar davon abhängig, welche Eigenschaften man haftungsrechtlich als tiertypisch ansieht. Manche Autoren wollen laborgezüchtete Mikroorganismen als Tiere ansehen. 408 Diese schaden aber gerade nicht aufgrund individueller körperlicher Aktivität und sind daher keine Tiere iSv § 833 S. 1 B G B . 4 0 9 405 Vgl. RGRK / Kreft, 20 u. oben 2 § 3 D II. 406 Vgl. oben 2 § 3 E I I 2. 407 Vgl. oben 2 § 2 D I I 1 a; § 3 C I u. E I I 1. 408 Vgl. Deutsch, NJW 1976, 1137, 1138. 409 Vgl. RGRK / Kreft, 8 - 9; Erman / Drees, 3; Staud. / Schäfer, 6-11; Soergel / Zeuner, 2; vgl. oben 2 § 3 D II.
§ 4 Gefahrenquelle und -Zurechnung im Merkmal der Tiergefahr
173
B. Die Gefahrzurechnung I . Die Funktion der Gefahrzurechnung Die Zurechnung des Verletzungserfolges zum Tierverhalten erfolgt in zwei Schritten, nämlich durch die Feststellung seiner Kausalität und seine Gewichtung i m Vergleich zu anderen Ursachen. Der Halter haftet nur und gerade für die Folgen des aktiven Tierverhaltens. Dieses muß für die Verletzung nicht nur ursächlich gewesen sein, sondern gerade seine W i r k u n g muß sich i m konkreten Verletzungserfolg niedergeschlagen haben, 4 1 0 nicht die W i r k u n g von Fremdursachen, die weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen. I n § 833 S. 1 B G B sind gefahrfremde Interventionen durch Naturereignisse oder Eingriffe Dritter nicht ausdrücklich durch gesetzliche Haftungsausnahmen berücksichtigt. Sie müssen i m Rahmen der Gefahrzurechnung bewältigt werden, die das Haftungsrisiko immanent beschränkt. Das Merkmal der Tiergefahr leistet daher zusätzlich, was i n anderen Tatbeständen durch besondere Ausnahmevorschriften erreicht wird, die das Risiko von außen begrenzen. 4 1 1 Die Gefahrenquelle muß nicht nur für den Erfolg relevant sein, sondern diese Relevanz auch gegenüber Fremdursachen behaupten. Ihr normatives Gewicht muß ausreichen, um die Haftung noch als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. I n Lit. u. Rspr. sind hierfür eine Reihe von Überlegungen und Kriterien vorgeschlagen worden, die sich jedoch überwiegend als unbrauchbar erwiesen haben. M i t der Gefahrzurechnung befaßt sich insbesondere die umfangreiche Rspr. zu den Ausnahmefallgruppen der Tiergefahr.
I I . Die Wertungskriterien zur Begrenzung der Gefahrzurechnung 1. Die Unverwertbarkeit konkreter äußerer Einwirkungen auf das Tierverhalten Der Vergleich des aktiven Tierverhaltens mit den Ursachen, die dieses Verhalten selbst hervorbringen, erweist sich für die Begrenzung der Gefahrzurechnung als grundsätzlich unbrauchbar. a) Das fehlende
normative
Gewicht von Außenreizen
Die frühere Rspr. nahm an, daß sich bestimmte Außenreize, nämlich physiologischer Zwang und menschliche Leitung, gegenüber anderen Ursachen durch 410 Deutsch, Haftungsrecht, 372; JuS 1981, 317, 321; MünchKomm / Grunsky, Vor §249, 38; Larenz, Schuldrecht II, 701/702; Esser/Weyers, 640-641; 6. Aufl., 542; Esser/Schmidt, 536/537. 411 Vgl. oben 1 § 2 C V I u. VII.
174
2. Teil: Die Tiergefahr
ihre besonders nachhaltige Wirkungsintensität faktisch durchsetzen. 4 1 2 A u c h wenn solche Kausalitätsüberlegungen zur faktischen Verdrängung schwächerer Wirkursachen durch stärkere i n der jüngeren Rspr. nicht aufrecht erhalten werden, so könnte auch i m Rahmen der objektiven Zurechnung doch angenommen werden, daß wenigstens die normative Gewichtigkeit des Tierverhaltens durch die M i t w i r k u n g von Außenreizen herabgesetzt werden kann. Wenn aber die Gefahrenquelle in der Eigenaktivität des Tieres gesehen wird, dann gehört zu den typisch tierischen Eigenschaften gerade auch die Beeinflußbarkeit durch Außenreize. Während bei technischen Betriebsgefahren der Standpunkt vertretbar ist, daß äußere Einflüsse in „deren Betrieb" hineinwirken und die ursprüngliche haftungsbegründende Funktion der Gefahrenquelle überspielen, gehört das Zusammenwirken von Reiz und Reaktion gerade zu den besonderen Eigenarten des tierischen Verhaltens als Gefahrenquelle. Da die spezifische Verletzungsträchtigkeit von Tieren untrennbar damit verbunden ist, daß sie ständig unter Reizwirkungen unterschiedlichster A r t stehen, die Wirksamkeit von Außenreizen bei der Tierhalterhaftung also gewissermaßen zur Gefahrenquelle selbst gehört, läuft der Versuch einer Abwägung zwischen Tierverhalten und Außenreiz ins Leere. Aus der Normstruktur der Tierhalterhaftung lassen sich hierfür keine praktikablen Kriterien entwickeln. 4 1 3 Haftungsbegrenzungen, die i n dieser Weise auf höhere Gewalt oder Drittinterventionen abstellen, sieht das Gesetz selbst daher zu recht nicht vor. A u c h die entsprechende Anwendung von Regelungen aus anderen Bereichen der Gefährdungshaftung, wie sie i n der L i t . mitunter vertreten w i r d , 4 1 4 scheidet mangels einer Regelungslücke aus.
b) Kein normativer Vorrang der Verschuldenshaftung vor der Gefährdungshaftung Die Fälle menschlicher Leitung können angemessen nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, in welchem Verhältnis die Gefährdungshaftung des Halters zum möglichen Verschulden des Lenkers steht. Dabei geht es letztlich gar nicht mehr u m die Gefahrzurechnung, sondern u m den Vergleich zweier Haftungsprinzipien. 4 1 5 Dabei zeigt gerade die gesetzliche Regelung des § 840 I I I B G B , daß eine besondere Relevanz menschlichen Handelns gegenüber dem Tierverhalten überhaupt nur i m Innenverhältnis zwischen den Schädigern (oder durch analoge Anwendung der Vorschrift i m Rahmen der Mitverursachung gegenüber dem Verletzten) eine Rolle spielen könnte. Dem Verletzten soll durch einen zusätzlichen Anspruch aus Verschulden nicht ohne weiteres die für ihn günstigere Gefährdungshaftung genommen werden. Soweit der Halter oder der 412 413 414 415
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
oben oben oben oben
2 2 2 2
§2 §2 §2 §2
B D B B
I l a u . 2a. I 2b (2). III. I 2e (3).
§ 4 Gefahrenquelle und -Zurechnung im Merkmal der Tiergefahr
175
Verletzte selbst das Tier lenken, handelt es sich u m ein Problem der Beitragsabwägung.
2. Die herabgesetzte Erfolgswirksamkeit der Gefahrenquelle Die Schaffung des Gefährdungstatbestandes beruht regelmäßig darauf, daß von der Gefahrenquelle eine besonders erhöhte Gefahr ausgeht, daß also die Wahrscheinlichkeit eines Verletzungserfolges besonders hoch i s t . 4 1 6 Daher ist in Lit. und Rspr. darauf abgestellt worden, ob diese Verletzungsträchtigkeit i m Einzelfall durch weitere mitwirkende Ursachen herabgesetzt worden ist. Kriterien hierfür sind: — die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, — der Risikozusammenhang bzw. der Zeitfaktor, — das natürliche Verhalten bzw. die typische Verletzungsträchtigkeit. Dabei führt allein das Dazwischentreten konkreter weiterer Ursachen, etwa durch das Verhalten eines Menschen oder eines anderen Tieres, das unter dem Stichwort der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs behandelt wird, regelmäßig noch nicht zum Haftungsausschluß. U m die W i r k u n g von Zwischenursachen geht es auch bei dem allgemeinen haftungsrechtlichen Kriterium des Risikozusammenhangs. Danach soll die Haftung nur eintreten, wenn gerade das Tierverhalten i m Erfolg wirksam wurde. Damit ist aber noch nicht gesagt, wann dies der Fall ist. Es handelt sich insofern u m ein formales (strukturelles) Prinzip, welches selbst kein Kriterium bietet, sondern der inhaltlichen Ausfüllung bedarf. Soweit man i n Rspr. u. L i t . auf den Risiko- oder Gefahrzusammenhang ausdrücklich Bezug n i m m t , 4 1 7 geht es darum, ob das Tierverhalten auch dann noch wesentliche Bedeutung für den Erfolg hat, wenn das Verhalten zeitlich weit v o m Erfolg entfernt liegt und dadurch die Anzahl möglicher Zwischenursachen ins Unübersehbare anwächst. Dann ist die Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts nicht mehr gewahrt und die haftungsrechtliche Zuordnung der Verletzung gerade zum Tierverhalten nicht mehr gerechtfertigt. Diese Überlegung ist für die Funktionsfähigkeit der Halterhaftung grundlegend, denn andernfalls würde die Zahl der Verletzungen, die sich kausal auf ein Tierverhalten zurückführen lassen, ins Unübersehbare anwachsen. Da die Gefahrzurechnung das Merkmal der Tiergefahr prägt, werden entsprechende Überlegungen von Rspr. und Lit. auch i m Zusammenhang mit den Fallgruppen bzw. der Bestimmung der Tiergefahr nach dem Normzweck angestellt. Danach sind Haftungsbeschränkungen geboten, wenn ein an sich häufiges und harmloses Tierverhalten ausnahmsweise zu einer
Verletzung
f ü h r t . 4 1 8 Hierfür hat sich auch die Bezeichnung des „natürlichen Verhaltens"
416 Berglar, 71. 417 Vgl. oben 2 § 2 B I V 4. 418 Vgl. oben 2 § 3 E I I I u. § 2 B I 3.
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2. Teil: Die Tiergefahr
eingebürgert, obschon dies häufig Mißverständnisse hervorruft. Hat ein Verhalten zur Verletzung geführt, das üblicherweise keine Folgen hat, dann kann vermutet werden, daß die entscheidende Ursache der Verletzung nicht i m Tierverhalten lag, sondern in anderen Faktoren. Dabei spielt es keine Rolle, worin diese zusätzlichen verletzungsfördernden Ereignisse i m einzelnen bestehen. Sie können und müssen weder festgestellt, noch einer bestimmten Person zugeordnet werden.
I I I . Die Gefahrzurechnung als Problem des Zusammenwirkens der Gefahrenquelle mit Zwischenursachen Aufgrund der Eigenarten des Tierverhaltens als Gefahrenquelle erscheint nach alledem die Zurechnungsbeschränkung durch den inhaltlichen Vergleich des Tierverhaltens mit anderen konkreten Ereignissen als gar nicht durchführbar. M ö g l i c h ist nur die Frage nach der generellen Erhöhung oder Verminderung der von diesem Verhalten ausgehenden besonderen Gefahr aufgrund ihres formellen Zusammenwirkens mit anderen Ursachen, soweit diese nicht konkret auf den Halter oder den Verletzten selbst zurückführbar sind. Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Gefahrzurechnung als Komponente der Tiergefahr aufgrund der Besonderheiten der Gefahrenquelle i m Kern eine äußerste Grenze der Haftung darstellt, die den Rückgriff auf weit entfernte Ursachen ausschließt. I n dieser Funktion ist die Zurechnungsbegrenzung indessen unabdingbar, da nur dadurch innerhalb der Gefährdungshaftung ein beliebiger Rückgriff ausgeschlossen wird.
1. Gefahrabschwächung durch die Länge der Ursachenkette Führt ein Tierverhalten typischerweise zu Verletzungen, dann ist damit gesagt, daß ihm innerhalb des Ursachengeflechts ein solches Gewicht zukommt, daß es sich gegenüber der Vielzahl anderer Faktoren üblicherweise durchsetzt. Die Typizität w i r d zum Indikator für die normative Bedeutung des Tierbeitrags. Steigt die Anzahl der Fremdursachen derart, daß sich die Länge der Ursachenkette ausdehnt, dann nimmt die Bedeutung des ursprünglichen Tierverhaltens für den schließlichen Verletzungserfolg fortlaufend ab. Dies ist insbesondere der Fall, wenn zwischen Tierverhalten und Verletzung ein langer Zeitraum verstreicht. 4 1 9 W i r d ein liegendes Tier überfahren oder weggeschleudert, dann k o m m t es auf das letzte Tierverhalten, z. B. das Laufen auf die Straße an. Es geht darum, wie viele weitere Faktoren innerhalb der Ursachenkette hinzukommen müssen, bis das Gewicht dieses Ausgangsverhaltens bis zur Irrelevanz absinkt. Dies zeigt auch, daß es dabei nicht auf die Umstände ankommt, die ihrerseits das Tierverhalten ausgelöst haben, da die Aufmerksamkeit sich nur auf die Länge der Ursachen419 Celle VersR 1980, 430, 431; LG Kiel VersR 1969, 456; LG Kleve MDR 1973, 49; RGRK / Kreft, 25.
§ 4 Gefahrenquelle und -Zurechnung im Merkmal der Tiergefahr
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kette zwischen dem letzten Tierverhalten und der Verletzung richtet. Entscheidend ist allein, daß es sich formal u m die Ausdehnung der Ursachenkette zwischen Gefahrenquelle und Erfolg durch weitere Zwischenursachen handelt, die nicht individuell festgestellt zu werden brauchen. Dadurch „verdünnt" sich der Zurechnungszusammenhang.
2. Gefahrerhöhung durch die Bandbreite möglicher Fremdursachen Anders liegt der Fall, wenn die Zahl der mitwirkenden Faktoren anwächst, die nicht nacheinander, sondern gleichzeitig und nebeneinander auf das Tierverhalten einwirken oder zwischen das Tierverhalten und die Verletzung treten können. Dadurch w i r d die Verletzungsträchtigkeit der Gefahrenquelle gesteigert, denn jede Verbindung der Gefahrenquelle m i t einem dieser weiteren Umstände kann eine konkrete Ursachenkette begründen, die allein ausreicht, u m die Verletzung herbeizuführen. Eine solche Situation zusätzlich erhöhter Gefahr liegt beispielsweise i m sportlichen Wettkampf. Dabei w i r d in jedem Augenblick eine derartige Breite möglicher Auslösereize und Zwischenursachen zur Verfügung gestellt, daß die Verletzungswahrscheinlichkeit des Tierverhaltens dadurch nochmals gesteigert oder gar potenziert wird. Wenn auf öffentlichen Wegen ein Wettrennen zwischen Pferdefuhrwerken ausgetragen würde, dann wären Verletzungen nahezu zwangsläufig. Das Tierverhalten als Gefahrenquelle w i r d durch das gleichzeitige (nicht aufeinanderfolgende) Vorhandensein verletzungsträchtiger Umstände in seiner möglichen Erfolgswirksamkeit nicht abgeschwächt, sondern verbindet sich m i t ihnen zu einem besonders gefährlichen Konglomerat. Es handelt sich nicht um eine „Verdünnung" durch Zeitablauf, sondern u m eine „Verdichtung" der Gefahr durch Gleichzeitigkeit und rechtfertigt jedenfalls keine Begrenzung des sachlichen Schutzbereichs. Das Vorliegen einer solchen Situation w i r d aber häufig gegen der Verletzten gewendet, indem man i h m vorhält, daß er „auf eigene Gefahr" handelte, als er sich in die Situation begab, 4 2 0 in der die Tiergefahr über ihre ohnehin bestehende besondere Verletzungsträchtigkeit hinaus i n ihrer Wirksamkeit nochmals erhöht war. Dies ist dann eine Frage der Schutzwürdigkeit oder des persönlichen Schutzbereichs und ist dort zu erörtern.
C. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung gegenüber Fremdbeiträgen — Das Merkmal der Tiergefahr dient innerhalb der Normstruktur des § 833 S. 1 B G B der Bestimmung der Gefahrenquelle und der Gefahrzurechnung, also der Beurteilung, ob gerade die Gefahrenquelle für den Verletzungserfolg 420 V g l . unten 4 § 2 D I I 2 a u. § 3 B I I 1. 12 Lorenz
2. Teil: Die Tiergefahr relevant war oder Fremdbeiträge, die weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen. Die Überlegungen zur Schutzwürdigkeit bzw. zum Beitrag des Verletzten gehören demgegenüber strukturell zur Frage der Beitragsabwägung und können für die Bestimmung der Tiergefahr nichts leisten. Die Gefahrenquelle liegt i m Tierverhalten, also i n der äußerlichen Aktivität des Tierkörpers, während das Abstellen auf die Tiernatur, die Existenz des Tierkörpers, die Eigenschaften eines lebenden Organismus oder die typischen Eigenschaften einer Tierart nicht i n Frage kommt. Das passive Tier scheidet als Ansatzpunkt der Haftung daher aus, sei es als mechanisches Werkzeug, tote Masse, Hindernis, Träger von Krankheitskeimen oder Objekt des bloßen Anblicks. Dann kommt nur die Gefahrzurechnung zu vorangehendem Tierverhalten in Frage. Die aktive Körperbewegung als Gefahrenquelle prägt auch das Merkmal der Tiereigenschaft und schließt dessen Erstreckung auf Mikroorganismen aus. Die Gefahrzurechnung ist ausgeschlossen, wenn die Ursachenkette zwischen Tierverhalten und Verletzung so lang w i r d und so viele Fremdbeiträge mitwirken, daß das ursprüngliche Tierverhalten demgegenüber nicht mehr entscheidend ins Gewicht fällt, insbesondere bei großem zeitlichem Abstand. Diese Gefahrverdünnung führt zum Übergewicht von Fremdbeiträgen, während die Gefahrverdichtung zum Übergewicht von Verletztenbeiträgen führen könnte und dort zu behandeln ist. Verwertbare Kriterien der Gefahrabwägung sind daher die allgemeinen haftungsrechtlichen Überlegungen zum Zurechnungsoder Risikozusammenhang und die Erwägungen zur typischen Verletzungsträchtigkeit bzw. zum „natürlichen" Verhalten. Verhaltensauslösende Fremdbeiträge schließen als physiologischer Zwang oder menschliche Leitung die Gefahrzurechnung nicht aus, sondern können höchstens zur Konkurrenz der Halterhaftung m i t der Haftung eines Dritten führen. Die ältere Konzeption der Rspr. zum „willkürlichen Verhalten" sah die Gefahrenquelle i n der Tiernatur und leistete die Gefahrzurechnung m i t Kausaltätsüberlegungen. Die neue Konzeption der „tierischen Unberechenbarkeit" sieht die Gefahrenquelle i m Tierverhalten und stellt für die Gefahrzurechnung auf den Risikozusammenhang ab. Die Rspr. des B G H stimmt m i t der Normstruktur der Tierhalterhaftung weitgehend überein, wenn auf die Fallgruppe der menschlichen Leitung verzichtet wird. Die Normzwecküberlegungen der Lit. bringen demgegenüber dann keine dogmatischen Neuerungen.
3. Teil
Der Tierhalter — Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen § 1 Die Unterscheidung von Strukturelementen und Indizien der Halterschaft Wenn feststeht, daß eine Verletzung gerade auf das Verhalten eines Tieres zurückgeht, dann muß i m nächsten Zuordnungsschritt ermittelt werden, wer für die Gefahrenquelle verantwortlich ist, also wessen Vermögen für den Schaden letztlich haftet (Gefahrverantwortung). § 833 S. 1 B G B nennt als Verantwortlichen nicht ohne weiteres den Eigentümer, sondern denjenigen, „der ein Tier hält". Für die Ermittlung des Halters geben indessen weder das Gesetz, noch die Gesetzesmaterialien weiterführende Hinweise. 1 In Rspr. und L i t . ist daher eine ganze Reihe von Entscheidungskriterien entwickelt worden, die nebeneinander Verwendung finden. Die funktionsbezogene Betrachtung zeigt indessen deren durchaus unterschiedliche Bedeutung und Verwendbarkeit für die Strukturkomponente der Gefahrverantwortung.
A . Die K r i t e r i e n der Haltereigenschaft I . Die Umschreibungen des Halters in der Rechtsprechung Die Rspr. hat i m Laufe der Zeit i m wesentlichen drei verschiedene Umschreibungen der Halterschaft entwickelt, die jeweils mehrere Kriterien umfassen. Der zunächst für das Haftungsrecht zuständige V I . Senat des R G stellte auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch ab. Danach war Halter eines Tieres derjenige, der i m eigenen Interesse durch Gewährung von Obdach und Unterhalt die Sorge für das Tier übernommen hatte und zwar nicht nur zu einem ganz vorübergehenden Zweck, sondern für einen Zeitraum von gewisser Dauer. 2 Wenig später modifizierte der zwischenzeitlich 3 zuständige I V . Senat diese Formulierung so, wie sie 1 Vgl. etwa schon RGZ 52, 117, 118; 62, 79, 81. 2 RGZ 52, 117, 118; 55, 163, 166; Gruch. Beitr. 1903, 404 Nr. 16; vgl. auch BGH VersR 1977, 864, 865. 3 Entscheidungen zur Halterhaftung etwa aus den Jahren 1904-1916. 12*
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3. Teil: Der Tierhalter
später von der gesamten Rspr. bis hin zum B G H übernommen wurde. Danach ist Halter eines Tieres derjenige, der es in seinem Wirtschaftsbetriebe oder — i m weitesten Sinne verstanden — in seinem Haushaltungsbetriebe eingestellt hat, um es auf diese Weise dauernd seinen Zwecken dienstbar zu machen. 4 Obwohl die Sorge für Obdach und Unterhalt auch i n der späteren Rspr. mitunter erwähnt w i r d , 5 spielt sie jedoch keine entscheidende Rolle mehr, sondern w i r d ersetzt durch das Kriterium der Verwendung i m eigenen Haushalt oder Wirtschaftsbetrieb. Die dauernde Beziehung des Halters zum Tier w i r d zwar weiter als Regelfall angesehen, jedoch nicht mehr als zwingend erforderlich. Der Sprachgebrauch des täglichen Lebens, dem dieses Kriterium entnommen sei, gebe keinen Maßstab ab, nach dem sich Beginn und Ende des Tierhalterverhältnisses mit der erforderlichen juristischen Bestimmtheit feststellen ließen. Die Merkmale der Halterschaft seien vielmehr durch Rückgriff auf den Sinn und Zweck des Gesetzes zu ermitteln. Als Halter hafte, wer um seines Interesses w i l l e n andere der Tiergefahr aussetzte. I n diesem Fall müsse dann auch eine nur kurzfristige Beziehung zum Tier für die Halterschaft ausreichen. 6 Viele Obergerichte verwenden neuerdings demgegenüber nochmals eine andere Formulierung. 7 Sie wollen die Haltereigenschaft weiter fassen und sehen die Kriterien des R G zwar als regelmäßig hinreichende, nicht aber als schlechthin notwendige Voraussetzungen der Gefahrverantwortung an. Ausreichen soll vielmehr ein Eigeninteresse am Tier und eine Besitzstellung irgendwelcher Art, zumindest dann, wenn die Bestimmungsbefugnis darüber hinzukommt, ob und durch wen das Tier betreut werden und ob es am Leben bleiben, die Tiergefahr also fortbestehen soll. 8 Der B G H hat diese Umschreibung durch Ablehnung der Revision gegen die Entscheidung des O L G H a m m zunächst stillschweigend gebilligt und zuletzt auch teilweise selbst übernommen. 9 Neu ist dabei der besondere Stellenwert des mittelbaren Besitzes und der Bestimmungsbefugnis. Auch außerhalb der drei „klassischen" Umschreibungen ist von der Rspr. seit 1970 eine Reihe von Kriterien vorgeschlagen worden, die als Indizien für das Eigeninteresse dienen, wie die Tragung der Unterhaltskosten, der Versicherungsprämien oder des Verlustrisikos. 1 0 M i t dem Abstellen auf die Bestimmungsbefugnis ist
4 RGZ 62, 79, 81; Warn. Rspr. 1911, Nr. 121; BGH VersR 1956, 574; 1971, 320; 1988, 609, 610; Frankfurt VersR 1956,454; Hamm VersR 1970, 729; Düsseldorf VersR 1972, 403; Köln VersR 1976, 197; Nürnberg MDR 1978, 757. 5 RG Warn. Rspr. 1910, Nr. 332; BGH VersR 1977, 864, 865; Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179; Hamm VersR 1970, 729, 730; Saarbrücken VersR 1988, 752. 6 RGZ 62, 79, 81-83. 7 Hamm VersR 1973, 1054; Köln VersR 1976, 197; Celle AgrarR 1977, 178, 179; Frankfurt VersR 1976, 1138; KG VersR 1981, 1035; Düsseldorf VersR 1983, 543; Saarbrücken VersR 1988, 752. s Hamm VersR 1973, 1054. 9 I V ZR 184 / 72 in Redaktionsanmerkung zu Hamm VersR 1973, 1054; BGH VersR 1988, 609, 610.
§ 1 Die Strukturelemente und Indizien der Halterschaft
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auch das Eigentum wieder als Kriterium diskussionsfähig geworden, 1 1 während für lange Zeit die Halterschaft als rein tatsächliches Verhältnis angesehen und betont wurde, daß das Eigentum hierfür keine Rolle spiele. 1 2 Aus alledem ergibt sich ein Katalog von Kriterien, die von der Rspr. zur Bestimmung des Halters verwendet wurden und werden, wenn auch i n unterschiedlicher Kombination: — Nutzung für eigene Zwecke bzw. i m Eigeninteresse, — Sorge für Nahrung, Obdach und Unterhalt, —
Nutzungsdauer,
— Verwendung i m eigenen Hausstand oder Wirtschaftsbetrieb, — Tragen von Kosten, Versicherungsprämien oder Verlustrisiko, — Bestimmungsbefugnis, mittelbarer Besitz und Eigentum, — tatsächliche Verfügungsgewalt bzw. Gewalthaberschaft.
I I . Die Typusbildung in der Literatur I m Gegensatz zur Situation bei der Tiergefahr bestehen i m Bezug auf die Haltereigenschaft keine grundsätzlichen konzeptionellen Differenzen zwischen Lit. und Rspr. Zur Bestimmung des Halters werden jeweils dieselben Kriterien herangezogen, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung. So löst sich die Lit. von den festen Formeln der Rspr. und bevorzugt eine eher typisierende Betrachtungsweise. Die Haltereigenschaft w i r d nicht als B e g r i f f 1 3 konzipiert, dessen Merkmale zwingend gegeben sein müßten, u m die Haftung zu begründen. Denn i n diesem Falle wäre zu erörtern, ob alle Kriterien als Merkmale i n Frage kommen oder einige eventuell nur als Indizien für solche Merkmale und welche Kriterien dies jeweils sind. Dies wäre dann aber mit der Verschiedenheit der Umschreibungen in der Rspr. schwerlich in Übereinstimmung zu bringen. M a n betrachtet daher die Formulierungen in der Rspr. als exemplarisch gemeinte Typenbeschreibung. 1 4 Danach sprechen die dort verwendeten Kriterien zwar als Indizien für die Halterschaft, brauchen aber nicht alle gleichzeitig vorzuliegen, 1 5 denn es handelt sich eben nicht u m unverzichtbare Merkmale, bei deren Fehlen auch sofort die Haftung entfiele. Die Indizien können vielmehr bei unterschiedli-
10 Vgl. z. B. Hamm VersR 1970, 729, 731 (Kosten); BGH VersR 1977, 864, 865 (Verlustrisiko); Celle VersR 1979, 161 (Versicherung). 11 Vgl. Hamm VersR 1973, 1054; Frankfurt VersR 1976, 1138; Düsseldorf VersR 1983, 543. 12 RGZ 62, 79, 84; Warn. Rspr. 1910, Nr. 332; BGH VersR 1956, 574. Jetzt aber auch wieder BGH VersR 1988, 609, 610. 13 Staud. / Schäfer, 40. 14 Larenz, Methodenlehre, 218-220; Schuldrecht II, 705; Staud. / Schäfer, 41; MünchKomm / Mertens, 19. 15 RGRK / Kreft, 39; Staud. / Schäfer, 41.
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3. Teil: Der Tierhalter
chen Personen i n jeweils unterschiedlicher Ausprägung gegeben sein, so daß es auf die zusammenschauende Betrachtung und Gewichtung ankommt. A u c h bei dieser typisierenden Betrachtung behandeln viele Autoren die Kriterien aber nicht ohne weiteres als gleichwertig. 1 6 Manche halten das Eigeninteresse, 17 manche die Bestimmungsbefugnis 1 8 oder das E i g e n t u m 1 9 für Kriterien von besonderer und i m Zweifel ausschlaggebender Bedeutung. Einige Autoren befürworten die Kombination von Eigeninteresse und Bestimmungsbefugnis. 2 0
B. Der Funktionszusammenhang der Halterkriterien Die ganze Vielfalt dieser Kriterien läßt sich indessen auf zwei Grundaspekte der Gefahrverantwortung zurückführen, das Eigeninteresse und die Entscheidungsgewalt. Nur diese stehen schon auf der Ebene der Grundgedanken nebeneinander und dienen i n ihrem Zusammenwirken der Zuordnung der Gefahrenquelle zum Haftenden, die das Merkmal der Haltefeigenschaft prägt. Dieser Funktionszusammenhang zwischen den Kriterien und seine Folgerungen verdienen besondere Aufmerksamkeit, zumal sie i n Rspr. und Lit. erst ansatzweise berücksichtigt werden.
I . Die beiden Strukturelemente Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt Nach dem Sinn und Zweck der Gefährdungshaftung hat derjenige für die Gefahrenquelle einzustehen, den vernünftiger- und gerechterweise die soziale Verantwortung hierfür t r i f f t . 2 1 Für den Schaden durch ein Tier soll letztlich die Person haften, die u m ihres Interesses willen, also w e i l sie v o m Tier den Nutzen hat, andere Menschen der Tiergefahr aussetzt. Halter ist, wer dafür verantwortlich ist, daß die Gefahrenquelle überhaupt besteht und in bestimmter Weise verwendet w i r d und aus diesem Bestehen den Nutzen zieht. Wer über die Existenz und Verwendung des Tieres bestimmt, also die bestimmende Herrschaft über die Gefahrenquelle ausübt, soll auch für die hieraus sich ergebenden Folgen verantwortlich sein. Daneben steht gleichwertig der Gedanke des gerechten Vorteilsausgleichs. Wer den Nutzen aus dem Tier zieht, soll andererseits die hieraus entste16 Staud. / Schäfer, 44; MünchKomm / Mertens, 19; Larenz, Schuldrecht II, 705. 17 Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Erman / Schiemann, 7; Erman/Drees, 9; Larenz, Schuldrecht II, 705; Wussow / Kuntz, 397. 18 Berglar, 94; Bornhövd, VersR 1979, 398; JR 1978, 50, 51; Bondzio, RdL 1972, 229, 230. 19 Hoff, AcP 154, 344, 365; Medicus, Schuldrecht II, 390. 20 Vgl. z. B. MünchKomm /Mertens, 19; RGRK/Kreft, 39; Palandt/Thomas, 9. 21 Bornhövd, VersR 1979, 398; JR 1978, 50, 51; RGRK/Kreft, 2 u. 39; Esser/ Weyers, 643; RGZ 62, 79, 83; Frankfurt VersR 1956, 454; BGH VersR 1988, 609, 610; Saarbrücken VersR 1988, 752.
§ 1 Die Strukturelemente und Indizien der Halterschaft
183
henden Lasten tragen. Die Überlegungen zur Gefahrverantwortung kraft der bestimmenden Herrschaft über das Tier einerseits und kraft des Interesses an den Nutzungsvorteilen aus der Tierhaltung andererseits gehören unmittelbar zu den Grundgedanken der Gefährdungshaftung. 22 Da sich erst aus ihrem Funktionszusammenhang das Merkmal der Halterschaft bestimmt, sind sie nicht nur besonders gewichtige Kriterien, sondern letztlich sich ergänzende Aspekte der Gefahrverantwortung selbst. Sie werden deshalb i m folgenden als „Strukturelemente" bezeichnet, die gemeinsam die Strukturkomponente der Gefahrverantwortung bzw. das Tatbestandsmerkmal der Halterschaft prägen. I n der Rspr. haben Herrschaft und Interesse zwar stets eine Rolle gespielt. A l l e drei „klassischen" Formulierungen enthalten das Kriterium des Eigeninteresses und setzen sich nach und nach i n unterschiedlicher Deutlichkeit auch m i t dem Problem der Entscheidungsgewalt über das Tier auseinander. 23 Der V I . Senat des R G betonte überwiegend das Eigeninteresse und ging m i t der Gewährung von Obdach nur nebenher auf das Herrschaftselement ein, der I V . Senat stellte m i t dem Kriterium des Wirtschaftsbetriebs dann auch auf die Machtsphäre und die Herrschaftsgewalt über das Tier ab. Erst i n der Formel der O L G w i r d schließlich das Element der bestimmenden Herrschaft ausdrücklich formuliert und neben das Eigeninteresse gestellt. A u c h damit ist aber noch nicht gesagt, daß es bei der Bestimmung des Halters letztlich immer nur um diese beiden Strukturelemente geht und wie sich diese dann zu den übrigen Kriterien verhalten. A u c h die von der L i t . als besonders bedeutsam hervorgehobenen Kriterien konzentrieren sich zwar u m die beiden Elemente, 2 4 ohne daß aber daraus weitere Folgerungen gezogen werden. V o r dem Hintergrund der Normstruktur erweist sich indessen, daß eben nicht alle i n Rspr. u. L i t . nebeneinander verwendeten Kriterien auf gleicher Ebene stehen. Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse sind Strukturelemente, die unmittelbar aus dem Normzweck der Halterhaftung abgeleitet sind. Die übrigen Kriterien kommen nur als Indizien für das Vorliegen und die Intensität von jeweils einem dieser beiden Strukturelemente i n Betracht.
I I . Die Kriterien mit Indizwirkung Die Kriterien Obdach und Unterhalt, sowie die Tragung von Unterhaltkosten, Versicherungsprämien und Verlustrisiko sind Indizien für das Strukturelement Eigeninteresse. M a n geht davon aus, daß die Lasten aus der Existenz eines Tieres regelmäßig derjenige trägt, der auch die Nutzungsvorteile daraus zieht. Die Kriterien des unmittelbaren und mittelbaren Besitzes, sowie das Eigentum sind 22 Vgl. oben 1 § 2 B I 2. 23 Z. B. RGZ 52, 117, 118; 62, 79, 81; Hamm VersR 1973, 1054; BGH VersR 1988, 609, 610; vgl. oben 3 § 1 A I. 24 Vgl. MünchKomm/ Mertens, 19; RGRK / Kreft, 39; Berglar, 94; Larenz, Schuldrecht II, 705
184
3. Teil: Der Tierhalter
Anhaltspunkte für die bestimmende Herrschaft über Existenz und Verwendung des Tieres. Die Einstellung und Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb ist als Indiz doppeldeutig. Wer das Tier in seinen Wirtschaftsbetrieb einstellt, der nutzt und beherrscht es gleichzeitig. Zumeist werden mehrere Indizien nebeneinander verwendet.
Strukturkomponente
Gefahrverantwortung
i Entscheidungsgewalt
Eigeninteresse
Obdach/ Sorge
Unterhaltskosten
Verlustrisiko
Versieherungsprämien
Wirtschaftsbetrieb
unm. Besitz
mittelb. Besitz
Eigentum
Kriterien als Strukturelemente Kriterien mit Indizwirkung
Schema Nr. 9
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien A. Das Strukturelement Eigeninteresse I . Verrichtung a m Tier oder Nutzung i m Eigeninteresse I n allen drei von der Rspr. geprägten Umschreibungen spielt das Eigeninteresse eine Rolle, wenn auch i n unterschiedlicher Weise. 2 5 Der Halter muß an Nutzung, Haltung und Wohlergehen des Tieres ein „eigenes Interesse" oder „Privatinteresse" haben, das Tier muß „seinen Zwecken dienen", er muß das Tier „für sich verwenden" um daraus Nutzen, Ertrag, Vorteil oder Gewinn zu ziehen. Gängig sind auch Kombinationen wie „Eigeninteresse an der Nutzung", „selbstnützige Verwendung" oder „Verwendung zu eigenen Zwecken". Dabei geht es jeweils u m das Ziehen wirtschaftlicher oder ideeller Vorteile aus der Verwendung des Tieres, dessen Haltung auch wissenschaftlichen Zwecken, dem Sport, der Liebhaberei oder der Bequemlichkeit dienen k a n n . 2 6
25 Vgl. z. B. RGZ 52, 117, 118; 62, 79, 81; Warn. Rspr. 1908, Nr. 317; 1910, Nr. 332; 1911, Nr. 121; BGH VersR 1956, 574; 1977, 864, 865; 1988, 609, 610; Hamm VersR 1973, 1054; K G VersR 1981, 1035; Saarbrücken VersR 1988, 752. 26 Geigei / Schlegelmilch, 19. Aufl., 9; Wolf, 670.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
185
Dabei w i r d das Eigeninteresse i n ganz spezifischer Bedeutung verwendet. Denn man unterscheidet zwischen der Vorteilsziehung „aus dem Tier" und „ m i t tels des Tieres". Das für die Halterschaft erforderliche Eigeninteresse besteht nur, wenn das „ T i e r selbst" Gegenstand der Nutzung ist, wenn also die Substanz oder Leistung des Tieres verwertet werden. E i n rein gewerbliches Interesse, wenn also aus der Vermittlung, Verwahrung oder Versorgung von Tieren Gewinn gezogen wird, reicht dagegen nicht aus. 2 7 Wer Tiere vermittelt, transportiert oder versorgt, der w i r d aufgrund eines Auftrags-, Geschäftsbesorgungs-, Arbeits-, Dienst- oder Werkvertrages tätig. Dabei zieht er den Vorteil aus seiner eigenen Leistung am Tier oder mittels des Tieres, also aus seinem Kapital, seinem Boden, seiner Arbeit, nicht aber aus der Nutzung des Tieres. 2 8 Wer ein Tier dagegen aufgrund eines Leih-, Miet- oder Pachtvertrages nutzt, der zieht Vorteile aus dem Tier selbst und handelt insofern i m eigenen Interesse. Das Strukturelement des Eigeninteresses führt demnach zur Unterscheidung zwischen der Nutzung des Tieres und den bloßen Verrichtungen an oder m i t dem Tier. Wer nur Verrichtungen vornimmt, hat grundsätzlich i n diesem Sinne kein Eigeninteresse und kann deshalb nicht Halter sein. Diese Fälle können von vornherein ausgeschieden werden, so daß sich das Interesse auf die Nutzungverhältnisse am Tier konzentriert. Dort stellt sich dann die Frage nach dem Eigeninteresse zumeist i n der Weise, daß mehrere Personen gleichzeitig Nutzungsvorteile aus dem Tier ziehen, etwa beim Mietvertrag der Mieter unmittelbar durch Verwendung des Tieres, der Eigentümer mittelbar durch Erhebung des Mietzinses. I n der L i t . w i r d z. T. angenommen, an der Vermietung bestehe nur ein geschäftliches Interesse, das für die Halterschaft regelmäßig nicht ausreiche. 29 Dem w i r d entgegengehalten, die Vermietung sei eine Form der Dauernutzung auch durch den Eigentümer. 3 0 Dem folgt auch die Rspr. indem sie i n manchen Fällen den Eigentümer, in anderen aber den Nutzenden als Halter anerkennt. 31 Diese Interpretation des Eigeninteresses erscheint letztlich auch zutreffend, denn Tiere können allein zu dem Zweck angeschafft und gehalten werden, sie gerade durch Nutzungsübertragung auf andere für sich zu verwenden. Auch die Nutzungsüberlassung ist ein Fall der Nutzung durch den Überlassenden. Dann stellt sich indessen auch zwangsläufig die Frage nach dem überwiegenden Eigeninteresse.
27 Staud. / Schäfer, 46-47; Wussow/ Kuntz, 396 u. 397. 28 RGZ 66, 1, 3; 79, 246; 168, 331, 332. 29 Wussow / Kuntz, 396. 30 Larenz, Schuldrecht II, 705. 31 Eigentümer: RG Warn. Rspr. 1912, Nr. 254; BGH VersR 1982, 348; 1986, 1206; Nutzender: RGZ 62, 79, 85; Frankfurt VersR 1956, 454; Hamm VersR 1970, 729, 730; Celle VersR 1979, 161; vgl. unten 3 § 3 A II.
186
3. Teil: Der Tierhalter I I . Die Indizien des Eigeninteresses
Dem Strukturelement des Eigeninteresses liegt die Überlegung zugrunde, daß derjenige die Lasten der Tierhaltung tragen soll, der auch die Vorteile daraus zieht. 3 2 Die Haftung gehört zu den Betriebskosten einer gefahrträchtigen Veranstaltung. Dieser Gedanke w i r d für die Bestimmung des Halters nutzbar gemacht, indem man ihn umkehrt. Die Lasten und Versorgungskosten des Tieres übernimmt regelmäßig nur, wer sich auch den Vorteil daraus verspricht. Sie sind daher Indizien des Eigeninteresses.
1. Sorge für Obdach und Unterhalt Nach der ursprünglichen Formulierung des R G war Tierhalter, wer i m eigenen Interesse durch Gewährung von Obdach und Unterhalt die Sorge für das Tier übernommen hatte. 3 3 A u c h nachdem der I V . Senat demgegenüber das Einstellen i n den eigenen Wirtschaftsbetrieb i n den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte, 3 4 ist doch immer wieder die Sorge für Obdach und Unterhalt erwähnt worden, selbst durch den B G H . 3 5 A u c h eine Reihe von Autoren anerkennen die Sorge für Obdach und Unterhalt zumindest als Indiz der Halterschaft. 3 6 Diesem Kriterium kam jedoch nie entscheidungstragende Bedeutung zu, da i n den jeweiligen Fällen dann letztlich unmittelbar mit dem Nutzungsinteresse argumentiert wurde. Gelegentlich hat die Rspr. dabei einen Zusammenhang m i t der Vornahme konkreter Sorgemaßnahmen angedeutet, wie Fütterung oder Pflege. 3 7 Dies kann indessen nicht zutreffen, denn die Sorgemaßnahmen sind höchstens ein Anhaltspunkt für die Lastentragung, die ihrerseits auf das Eigeninteresse hinweist. Das Kriterium der Sorge für Obdach und Unterhalt kann als Indiz des Eigeninteresses sinnvollerweise nicht die Vornahme einzelner Handlungen kennzeichnen, sondern nur die letztendliche Lastentragung für den Unterhalt des Tieres. Dafür sind indessen andere Kriterien entwickelt worden, die dies deutlicher zum Ausdruck bringen. A u c h der B G H hat in anderem Zusammenhang klargestellt, daß nicht Halter wird, wer gelegentlich das V i e h eines Dritten mitversorgt und kontrolliert 3 8 , bzw. daß es auf die unmittelbare Einwirkung überhaupt nicht a n k o m m t . 3 9 32 Vgl. z. B. RGZ 62,79, 83; Frankfurt VersR 1956,454; BGH VersR 1988,609,610. 33 RGZ 52, 117, 118. 34 RGZ 62, 79, 82; Frankfurt VersR 1956, 454. 35 RG Warn. Rspr. 1910, Nr. 332; 1911, Nr. 121; BGH VersR 1977, 864, 865; Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179; Hamm VersR 1970, 729, 730; Saarbrücken VersR 1988, 752; LG Aachen VersR 1991, 356. 36 Schlund, FS Schäfer, 223, 225; Weimar, MDR 1967, 100; Larenz, Schuldrecht II, 704; Wussow / Kuntz, 395; Erman/Drees, 10; a. A. ohne Begründung jetzt Erman/ Schiemann, 7. 37 Vgl. z. B. RG Warn. Rspr. 1910, Nr. 332; Hamm VersR 1970, 729, 730. 38 BGH VersR 1985, 665.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
187
2. Kostentragung für den Unterhalt des Tieres Zwischen der unmittelbaren tatsächlichen Versorgung und der Lastentragung für diese Versorgung ist demnach zu unterscheiden. Die Versorgung des Tieres muß nicht nur tatsächlich erfolgen, sondern gerade auch „ i m eigenen Interesse" liegen. Die Rspr. verwendet den Gedanken der Lastentragung als wesentliches Indiz des Eigeninteresses, indem sie fragt, wer (überwiegend) die Unterhaltskosten für das Tier trägt. 4 0 I n der Lit. w i r d dieses Kriterium unter Bezugnahme auf die Rspr. nur gelegentlich und beiläufig erwähnt. 4 1 Der Eigentümer blieb Halter, als er sein Pferd auf einem H o f unterbrachte, wo es aufgezogen und ausgebildet wurde, da er am Wohlergehen des Tieres interessiert war und die Kosten hierfür trug, 4 2 selbst wenn der Verwahrer und Pfleger das Tier zusätzlich für eigene Zwecke benutzte. A l s ein Pferd dem Reitverein, bei dem es untergebracht war, auch zum Reitunterricht zur Verfügung stand, blieb der Eigentümer Halter, w e i l er die Kosten trug. 4 3 Dies galt auch, als ein Pferd zum Kutschpferd ausgebildet werden sollte, jedoch abredewidrig zum Reitunterricht verwendet wurde. 4 4 Halter wurde indessen ein Verwahrer, der alle Kosten für Unterhalt, Unterbringung und Tierarzt trug. 4 5 Entscheidend ist dabei, ob die geänderte Lastentragung darauf hinweist, daß auch der Schwerpunkt der Nutzung sich verschoben hat. 4 6 Gerade die Frage der Unterhaltskosten zeigt aber die Problematik des Umkehrschlusses aus der Lastentragung. Z u m einen belegt diese nur, wer sich einen Nutzungsvorteil verspricht, nicht auch, ob er ihn tatsächlich erlangt. Das Kostenargument verweist nur dann unmittelbar auf den Halter, wenn der Eigentümer eine Verrichtung am Tier vornehmen läßt, da er währenddessen regelmäßig die Unterhaltskosten trägt, sei es unmittelbar oder indem er dem Vertragspartner die entstandenen Kosten ersetzt. Darin beweist sich die Kostentragung als Indiz des Eigeninteresses. Bei der Nutzungsüberlassung ergibt sich demgegenüber kein eindeutiges Ergebnis. Regelmäßig w i r d der Nutzungsberechtigte die Kosten für die Unterhaltung des Tieres tragen, sei es unmittelbar, wenn er das Tier längerfristig mietet, sei es über den Mietzins, wenn er das Tier etwa nur für einen Ausritt i n Anspruch nimmt. Dadurch w i r d der Mieter aber noch nicht zwangsläufig zum Halter. Dem mittelbaren Nutzungsvorteil des Eigentümers aus dem Mietzins stehen dessen Lasten aus der Anschaffung des Tieres gegenüber, den 39 BGH VersR 1988, 609, 610. Die Sorgemaßnahmen liegen schon im Übergangsfeld zur Einstellung in den Wirtschaftsbetrieb und damit auch zur unmittelbaren Einflußnahme, die als Kriterium ausscheidet; vgl. 1 § 2 B I 2; 4 § 2 B I u. I I 1. 40 Hamm VersR 1970, 729, 731; Frankfurt VersR 1976, 1138; Celle VersR 1979, 161; 1986, 396; BGH VersR 1977, 864, 865; 1982, 348; 1988, 609, 610. 41 Larenz, Schuldrecht II, 705; RGRK / Kreft, 39 u. 44. 42 BGH VersR 1977, 864, 865. 43 BGH VersR 1982, 348; Bezugnahme auch in BGH VersR 1988, 609, 610. 44 BGH VersR 1988, 609, 610. 45 Celle VersR 1979, 161; Bezugnahme auch in BGH VersR 1982, 348. 46 BGH VersR 1982, 348; 1988, 609, 610; vgl. unten 3 § 2 A I V 2b; § 3 A III.
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3. Teil: Der Tierhalter
unmittelbaren Nutzungsvorteilen des Mieters aus der Verwendung des Tieres die Kosten, die i m Mietzins enthalten sind. Die Unterhaltskosten werden damit innerhalb einer „Interessenbilanz" zu einem von mehreren Faktoren, 4 7 dessen Stellenwert keineswegs letztlich ausschlaggebend sein muß. Aus der Kostentragung allein läßt sich noch kein endgültiger Hinweis darauf ableiten, wer das überwiegende Eigeninteresse am Tier hat.
3. Verlustrisiko Manche Autoren sehen i m wirtschaftlichen Risiko des Verlustes einen — mitunter sogar den wichtigsten — Hinweis auf die Halterschaft. 4 8 A u c h die Rspr. hat dieses Kriterium erwähnt, 4 9 wenn es auch bei der Fallösung bislang keine maßgebliche Rolle gespielt hat. Denn seine Bedeutung ist unklar. Wer das Verlustrisiko trägt, hat sicherlich ein Interesse an der Existenz des Tieres. Fraglich ist aber, worauf sich der Verlust bezieht. Das Verlustrisiko i m Bezug auf die Sache selbst trägt durchweg der Eigentümer (casum sentit dominus). Die einfache Gleichsetzung von Eigentümer und Halter bietet bei § 833 S. 1 B G B aber noch keine Lösung für die Bestimmung des Gefahrverantwortlichen. Beim Eigeninteresse geht es letztlich auch gar nicht u m das Interesse an der Existenz des Tieres, sondern u m die daraus gezogenen Nutzungsvorteile. W i r d das Tier durch Nutzungsüberlassung genutzt, also gleichzeitig direkt und indirekt, dann trifft sein Verlust als Sache den Eigentümer, der Wegfall der Vorteile aus der Nutzung des Tieres trifft Eigentümer und Nutzenden gleichermaßen. A u c h das Abstellen auf die vertragliche Leistungsgefahr führt nicht weiter, da sich eine Abweichung von der dargestellten Lage nur ergeben kann, wenn die vertragliche Leistungsverpflichtung über das konkret verlorene Tier hinausgeht. Dann können daraus i m Bezug auf die Halterschaft für dieses Tier keine Folgerungen gezogen werden. Dies kommt nur i n Betracht, wenn der Nutzungsberechtigte eine so starke Stellung hat, daß sie dem Eigentum vergleichbar ist. Dabei geht es aber nicht mehr um die Nutzung, sondern u m die Bestimmungsbefugnis, so daß die unmittelbare Heranziehung der hierfür einschlägigen Indizien näher l i e g t . 5 0
4. Versicherung Nicht eindeutig ist auch das Abstellen auf den Abschluß einer Versicherung. Manche Autoren in der L i t . sehen i m Zweifel denjenigen als Halter an, der das Tier versichert hat oder die Tiergefahr m i t dem geringsten Aufwand versichern 47 Vgl. unten I V 2 b. 48 RGRK / Kreft, 39; MünchKomm / Mertens, 19; Bornhövd, JR 1978,50,51; Erman / Schiemann, 7; Soergel / Zeuner, 12. 49 BGH VersR 1977, 864, 865; 1982, 348; 1988, 609, 610; Saarbrücken VersR 1988, 752. 50 Vgl. unten 3 § 2 B II.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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kann. 5 1 Dies kann sich auf die Sach- oder die Halterhaftpflichtversicherung beziehen. Das Abstellen auf die Sachversicherung gegen den Verlust des Tieres, wäre letztlich eine andere Formulierung für das Verlustrisiko. Ihr Abschluß liegt regelmäßig i m Interesse des Eigentümers. M a n kann indessen auch die Kosten der Sachversicherung als Unterhaltskosten i m weitesten Sinne auffassen, die der Eigentümer bei der Nutzungsübertragung dem Nutzer i n Rechnung stellen wird. Insofern gelten die Überlegungen zur Kostentragung. Ä h n l i c h ist die Situation, wenn auf die Haftpflichtversicherung für Tierschäden abgestellt wird, die ebenfalls einen Kostenfaktor darstellt. I n der Rspr. wurde angenommen, daß die Ehefrau neben ihrem Ehemann Halterin werde, wenn sie für einen i m ehelichen Haushalt gehaltenen Hund auf ihren Namen eine Haftpflichtversicherung abschließe. 5 2 A u c h ein Verein wurde Halter, bei dem ein Pferd v o m Eigentümer untergestellt war, w e i l er neben den Unterhalts- u. Unterbringungskosten auch die Kosten der Versicherung trug. 5 3 Haben die Parteien über die Versicherungspflicht eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, so ist dies ein wesentlicher Hinweis darauf, wen sie selbst als den überwiegend Interessierten angesehen haben. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, dann gibt der tatsächliche A b schluß der Versicherung nur einen Anhaltspunkt von begrenztem Wert. Er beweist, daß die betreffende Person glaubt, die Halterhaftung fürchten zu müssen. Dies zeichnet bestenfalls den Stand der Rspr. zur Haltereigenschaft nach, gibt dieser ihrerseits aber kein Entscheidungskriterium vor.
5. Nutzung im Haushalts- oder Wirtschaftsbetrieb Seit der Grundsatzentscheidung des I V . Senats 5 4 zur Haltereigenschaft stand für die Rspr. häufig die Frage i m Mittelpunkt, wer das Tier in seinen Wirtschaftsbetrieb eingestellt hat, u m es dadurch seinen Zwecken dienstbar zu machen. Er hat zugleich die Bestimmungsbefugnis und die Nutzungsmöglichkeit. Dieses Kriterium enthält i n der Bezugnahme auf die Nutzung oder Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb 5 5 damit zumindest auch einen Hinweis auf das Strukturelement des Eigeninteresses. Zwar ist i n Lit. u. Rspr. betont worden, daß die Verwendung eines Tieres i m eigenen Hausstand und Wirtschaftsbetrieb kein unerläßliches Merkmal sei, denn ein Tier könne auch halten, wer selbst gar keinen Hausstand oder Geschäftsbetrieb unterhalte. 5 6 Da die Haltereigenschaft indessen überwiegend als Typus gesehen wird, kann dieses Kriterium für die 51 MünchKomm/Mertens, 19; A K - B G B / K o h l , 8; Deutsch, JuS 1987, 673, 678. 52 K G VersR 1987, 1042. 53 Celle VersR 1979, 161. 54 RGZ 62, 79, 81. 55 Vgl. z. B. RGZ 62, 79, 81; JW 1911, 279 Nr. 8; Köln VersR 1976, 197; BGH VersR 1988, 609, 610. 56 Wolf, 670; RGRK / Kreft, 39; Hoff, AcP 154, 344, 348; Larenz, Methodenlehre, 219; Hamm VersR 1973, 1054.
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3. Teil: Der Tierhalter
Bestimmung des Halters dennoch hinreichend sein, auch wenn es keine notwendige Voraussetzung ist. M i t der überwiegenden L i t . 5 7 kann die Verwendung des Tieres i m eigenen Wirtschaftsbetrieb daher zumindest auch als Indiz des Eigeninteresses angesehen werden. Danach bleibt der Eigentümer Halter, wenn der Besitzer das Tier nicht nutzt, sondern nur Verrichtungen vornimmt. A l s ein Pferd dem Tiertrainer übergeben wurde, diente es weiterhin den Zwecken des Eigentümers, schied also nicht aus seinem Betrieb aus. 5 8 Problematischer w i r d die A n wendung des Kriteriums bei der Nutzungsübertragung. Bei stundenweiser Vermietung eines Pferdes zum Reiten sollte das Tier jedenfalls noch immer dem Wirtschaftsbetrieb des Eigentümers angehören und nicht (vorübergehend) aus diesem ausscheiden. 59 Gerade durch die Vermietung diente es weiterhin dessen eigenem Interesse und Nutzen. A u c h wer ein Pferd bei einem anderen in Pension gab, sollte es damit nicht notwendig aus seinem Wirtschaftsbetrieb ausscheiden. 60 I n einigen Fällen ist indessen ausnahmsweise gerade der nutzungsberechtigte Besitzer als Halter angesehen worden, da das Tier hierdurch aus dem Wirtschaftsbetrieb des Eigentümers ausgeschieden sei. 6 1 So sei eine Narrenzunft, die ein Pferd für einen Umzug entliehen hatte, für die Dauer der Überlassung Halterin geworden, w e i l das Tier aus dem Wirtschaftbetrieb des Eigentümers ausschied und ausschließlich den betriebsfremden Zwecken des Entleihers diente, nicht aber, auch nicht wenigstens zugleich, dem Wirtschaftsbetrieb seines seitherigen und künftig auch wieder i n diese Stellung einrückenden Halters. 6 2 A u c h als ein Eigentümer sein Zugpferd für eine Fahrt vermietet hatte, sollte das Tier zwar nicht auf Dauer, wohl aber für eine gewisse Zeit, aus dem Wirtschaftsbetrieb des Vermieters ausgeschieden und i n den des Mieters eingestellt worden sein. Es habe nicht mehr dem Eigentümer, sondern dem Mieter zu dessen alleinigem Nutzen als Betriebsmittel gedient, so daß die Tiergefahr nunmehr v o m Betrieb des Mieters ausging, nicht von dem des Eigentümers. 6 3 Auch bei Ehegatten kam es nicht darauf an, wer Eigentümer des Wachhundes war, der sich i m gemeinsamen Hausstand befand. Maßgebend für die Haltereigenschaft war nur, daß der Hund i m Hausstand und i m Eigeninteresse beider Ehegatten verwendet wurde, die dadurch zu Mithaltern wurden. 6 4
57 Staud. / Schäfer, 46; Bornhövd, JR 1978, 50, 51; Enneccerus / Lehmann, 1017; Erman / Schiemann, 7; Larenz, Schuldrecht II, 704; MünchKomm / Mertens, 20; Soergel/Zeuner, 12. 58 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317. 59 RG Warn. Rspr. 1912, Nr. 254; 1915, Nr. 237; JW 1915, 91 Nr. 7. 60 Köln VersR 1976, 197. 61 Vgl. dazu unten 3 § 2 A I V 2b; § 3 A II. 62 Frankfurt VersR 1956, 454. 63 RGZ 62, 79, 85. 64 Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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III. Die unmittelbare Verwendung des Eigeninteresses als Kriterium Soweit die bisher behandelten Kriterien danach überhaupt i n Frage kommen, können sie jeweils nur Indizwirkung entfalten, indem sie auf Teilaspekte des Strukturelements Eigeninteresse verweisen. I n einer Reihe von Entscheidungen verwendet die Rspr. daher auch direkt die Vorteilsziehung i m eigenen Interesse, wenn auch zumeist eben als eines von mehreren Kriterien. A u c h i n der Lit. sehen viele Autoren das Eigeninteresse als maßgebendes Kriterium an. 6 5 Daraus ergeben sich zwei Folgerungen. Wer keine Nutzungsvorteile aus dem Tier zieht, sondern nur Verrichtungen an i h m vornimmt, w i r d nicht Halter. W i r d das Tier von mehreren direkt oder indirekt genutzt, 6 6 dann k o m m t es auf den Nutzungsschwerpunkt an, bei dessen Ermittlung dann auch die Kriterien mit bloßer Indizwirkung wieder eine Rolle spielen können.
1. Nutzung allein durch den Eigentümer W i r d v o m Eigentümer keinerlei Nutzungsmöglichkeit übertragen, so bleibt er Halter. Wer nur Verrichtungen am Tier vornimmt, handelt nicht i m Eigeninteresse, sondern i n dem des Eigentümers. So diente nach Ansicht des R G ein Pferd, das dem Tiertrainer übergeben wurde, weiterhin den Zwecken seines Eigentümers, nicht etwa denen des Trainers, denn dieser versah nur eine i h m aufgetragene Verrichtung. Wenn der Trainer wegen des hierfür gezahlten Entgeltes aus seiner Tätigkeit auch einen eigenen Vorteil erlangte, so entstand dieser eben nicht aus der Nutzung des Pferdes, sondern war der Ertrag seiner A r b e i t . 6 7 Demgemäß diente auch ein Hund, der zum Tierarzt gebracht wurde, u m dort gebadet zu werden, weiter dem Interesse des Eigentümers. 6 8 E i n Verwalter, der den Betrieb v ö l l i g selbständig führte, wirtschaftete nicht i m eigenen Interesse, sondern i m Interesse und für Rechnung des Eigentümers der i m Betrieb gehaltenen Tiere und wurde nicht deren Halter. 6 9 E i n Verwalter, der für die Eigentümerin die Aufsicht über deren Pferde ausübte, wurde auch nicht dadurch zum Halter, daß er ein Pferdefuhrwerk ohne die erforderliche Erlaubnis zu eigenen privaten Zwekken verwendete. 7 0 Nach Ansicht des R G in dieser frühen Entscheidung sorgte er auch währenddessen weiter i m Interesse des Eigentümers für die Tiere. I n Anlehnung an spätere Überlegungen der Rspr. w i r d man indessen sagen müssen, 65 Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Erman / Schiemann, 7; Geigei / Schlegelmilch, 1; Larenz, Schuldrecht II, 704; MünchKomm / Mertens, 19; RGRK / Kreft, 39; Wussow / Kuntz, 397. 66 Vgl. oben 3 § 2 A I. 67 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317. 68 A G Berlin-Lichterfelde JW 1937, 3107 Nr. 36. 69 RG Gruch. Beitr. 1903, 404 Nr. 16. 70 RGZ 52, 117, 118.
192
3. Teil: Der Tierhalter
daß der Verwalter — wenn auch unberechtigt — i m eigenen Interesse Nutzungsvorteile aus dem Tier gezogen hat. Er wurde aber deshalb nicht Halter, w e i l der Nutzungsschwerpunkt dennoch beim Eigentümer verblieb. Eine Landwirtschaftskammer, die als Kommissionärin für die Landwirte den Verkauf von Schweinen vermittelte, wurde nach Ansicht des R G nicht Halterin, denn ihre Tätigkeit diente dem Interesse der Eigentümer, denen der Gewinn zufließen sollte. Sie brachte die Tiere nicht an sich, u m sie ihren Zwecken dienstbar zu machen oder irgendwelche Nutzungsvorteile aus ihnen zu ziehen. 7 1 N o c h das Berufungsgericht war der Ansicht gewesen, die Kammer werde berufsmäßig i m eigenen Interesse tätig, da sie Gebühren für ihre Leistung erheb e . 7 2 Das R G hielt dem entgegen, m i t der Vergütung decke die Kammer nur ihre Unkosten. M a n hätte aber auch hier darauf abstellen können, daß dieses Entgelt eben nicht als Nutzungsvorteil iSd Interessekriteriums anzusehen ist. Halter sollte schließlich auch nicht werden, wer aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrags das an der Laderampe ankommende V i e h v o m Bahnhof zum Schlachthof zu befördern und es während dieser Zeit zu füttern hatte. Er nutzte das V i e h nicht für sich selbst, sondern zog nur gewerblichen Nutzen aus seiner Beförderung. 7 3
2. Nutzung auch durch Nichteigentümer Dient das Tier — zumindest auch — einer anderen Person als dem Eigentümer, dann kann diese demnach (zumindest auch) als Halter in Betracht gezogen werden. a) Leistungsverhältnisse
mit zusätzlicher
Nutzungsmöglichkeit
Dies kann auch für Rechtsverhältnisse gelten, die nach ihrem allgemeinen T y p regelmäßig keine Nutzungsübertragung beinhalten, wenn das Nutzungsrecht ausnahmsweise besonders vereinbart ist, etwa bei Tierpensionsverträgen oder wenn die Nutzung unberechtigterweise erfolgt. I n der Rspr. w i r d zumeist angenommen, daß ein Tier trotzdem noch i m Interesse des Eigentümers gehalten wird. Dieser blieb Halter, als er seinen Jagdhund bei einem Förster unterbrachte, der das Tier auch für sich verwenden durfte, weil daneben der Eigentümer den H u n d noch regelmäßig selbst zur Jagd nutzte. 7 4 Zudem bestimmte der Eigentümer auch weiterhin über die Existenz des Tieres. Halter blieb auch der Eigentümer, der sein Pferd auf einem Gut unterbrachte, w o es versorgt wurde und Dritte es 71 72 73 74
RGZ 66, 1, 3. Hamburg OLG 14, 44, 45. RGZ 168, 331, 332. Hamm VersR 1973, 1054.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
193
aufgrund vertraglicher Vereinbarung reiten durften. Er behielt i m eigenen Interesse die Sorge für das T i e r . 7 5 Ergänzend wurde auf die Kosten und die Nutzungsdauer abgestellt. A u c h der Eigentümer, der sein Pferd zur Pflege und Ausbildung auf einem Reiterhof einstellte und hierfür sämtliche Kosten trug, blieb Halter, denn der Nutzungsschwerpunkt und das Gesamtinteresse lagen weiter bei ihm. Dies änderte sich auch nicht dadurch, daß der Verwahrer das Pferd ohne Erlaubnis zum Reitunterricht nutzte, denn diese Verwendung war nur kurzfristig. 7 6 Der Eigentümer blieb dagegen nicht Halter, als er sein Pferd einem Reitverein jahrelang als Schulpferd überließ. Denn das Tier diente dann i n erster Linie dem Interesse der Vereins, der alle Kosten für Unterhalt, Unterbringung und Pflege trug und dem die Gebühren aus der Nutzung des Pferdes zuflössen. Dieses Verhältnis unterschied sich nur unwesentlich von langfristiger Vermietung. 7 7 Die Vorgehensweise der Rspr. bei der Feststellung des (überwiegenden) Eigeninteresses verdeutlicht insbesondere eine Entscheidung des O L G Hamm. Danach wurde ein Forstbeamter zum Halter, der gegen Erstattung der Kosten einen Jagdhund zu sich nahm und über Jahre als Begleithund i m Revier benutzte. A u c h wenn dies dem Eigentümer die Eignung des Tieres als Jagdhund erhalten sollte, diente das Tier doch in erster L i n i e den Zwecken des Forstbeamten. Es ging nicht allein um die Verwahrung des Tieres, denn dabei hätte der Förster den Hund jederzeit auf Aufforderung zurückgeben müssen. Stattdessen war er in der Verwendung des Tieres v ö l l i g frei und die Herausgabe an den Eigentümer war von vornherein nicht vorgesehen. Dadurch ging der Gebrauchswert des Hundes nahezu v ö l l i g auf den Besitzer über. A u c h wirtschaftlich nutzte der Eigentümer das Tier nicht, denn er bekam keine M i e t e . 7 8 Entsprechende Entscheidungen ergingen zu anderen Rechtsverhältnissen, bei denen die Tiernutzung nicht i m Mittelpunkt steht. A l s der Gerichtsvollzieher einen Hund pfändete und den Gewahrsam dem Gläubiger übertrug, weil er selbst den bissigen Hund nicht verwahren wollte, wurde dieser Halter, denn er verwahrte das Tier nicht nur als Pfandstück, sondern behandelte es wie einen i h m gehörenden Haushund. Er machte den Gebrauch von dem Tier, zu dem dieses bestimmungsgemäß geeignet war und machte es damit in seiner Haushaltung seinen Zwecken dienstbar. 7 9 Ein Ehemann wurde Mithalter am Wachhund seiner Ehefrau, weil das Tier auch in seinem Interesse gehalten wurde. Solange er sich i n der Ehewohnung befand diente das Tier auch seinem Schutz, solange er abwesend war hatte er ein eigenes Interesse am Schutz seiner Ehefrau. 8 0
75 76 77 78 79 so
BGH VersR 1977, 864, 865. BGH VersR 1988, 609, 610. Celle VersR 1979, 161. Hamm VersR 1970, 729, 730. Colmar OLG 14, 50, 51. Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179.
13 Lorenz
3. Teil: Der Tierhalter
194 b)
Nutzungsüberlassungsverträge
Ähnliche Überlegungen werden angestellt, wenn die Nutzung der zentrale Gegenstand eines Vertrags zwischen den Beteiligten ist. A u c h dabei kann die Interessenlage unterschiedlich beurteilt werden. So bleibt der Eigentümer Halter, auch wenn seine Pferde für kurzzeitige Ausritte vermietet werden, 8 1 denn die Tiere dienen weiter seinem Interesse. A u c h als Pferde für die Arbeit unter Tage an eine Zeche vermietet waren, hatte diese deshalb noch nicht i m eigenen Interesse die Sorge für die Pferde übernommen. 8 2 Anders kann es sein, wenn die Überlassung außerhalb der Dauerbestimmung des Tieres liegt und ohne jede Beziehung zu den Interessen desjenigen ist, bei dem das Tier auf die Dauer eingestellt wurde. Eine Narrenzunft, die ein Pferd für einen Umzug entlieh, setzte daher i m eigenen Interesse andere Personen der Tiergefahr aus und hatte den Nutzen v o m T i e r . 8 3 A u c h wer von der ihm auf längere Dauer vorbehaltenen Nutzung von Arbeitspferden nur zeitweise Gebrauch machte, wurde dennoch Halter, denn die Tiere standen jederzeit zu seiner Verfügung. Sie wurden nicht allein i m Interesse des Eigentümers gehalten, sondern auch i n dem seinen. 8 4 c) Kaufvertrag A u c h beim K a u f kann darauf abgestellt werden, ob das Tier zur Zeit der Verletzung noch dem Interesse des Verkäufers oder schon dem des Käufers dient. 8 5 Als Tierhalter ist daher der Verkäufer angesehen worden, i n dessen Stall das verkaufte Pferd noch vorübergehend gestanden hatte. Bei einem Tiger, der während des Transportes auf hoher See ausbrach, lag das Interesse demgegenüber bereits ausschließlich auf Seiten des Käufers. 8 6
IV. Zusammentreffen verschiedener Nutzungsinteressen W i e sich gezeigt hat, kann gerade i m Fall der Nutzungsüberlassung das Nutzungsinteresse i m Bezug auf dasselbe Tier bei mehreren Personen gleichzeitig gegeben sein. Der Eigentümer kann sein Tier nutzen, gerade indem er es durch andere nutzen läßt. Der Mieter zieht Vorteile aus dem unmittelbaren Gebrauch, dem Eigentümer fließt der Mietzins zu. I n dieser Lage sind zwei Lösungen denkbar. Entweder werden beide Mithalter oder allein die Person m i t dem überwiegenden Interesse ist verantwortlich. 81 Köln VersR 1976, 197, 198; BGH VersR 1982, 348; 1987, 198, 200; vgl. unten 3 § 3 A II. 82 RG Warn. Rspr. 1915, Nr. 237. 83 Frankfurt VersR 1956, 454; A K - B G B / K o h l , 8. 84 RG JW 1911,279 Nr. 8. 85 RG Warn. Rspr. 1910, Nr. 332. 86 Hamburg HRR 1936, Nr. 872; vgl. auch unten 3 § 3 B.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
195
1. Mithalterschaft bei geteiltem Interesse Zunächst ist aber zwischen der Aufspaltung des Nutzungsinteresses und der Frage zu unterscheiden, ob daraus auch die Aufspaltung der Halterschaft selber folgen soll. I n L i t . und Rspr. w i r d die Mithalterschaft mehrerer Personen grundsätzlich für möglich gehalten. Dabei w i r d z. T. angenommen, daß zwar Miteigentümer und Mitbesitzer auch Mithalter sein können, nicht aber Eigentümer und unmittelbarer Besitzer. Hier gelte der Grundsatz der Ausschließlichkeit. 8 7 Überwiegend w i r d i n der L i t . jedoch vertreten, daß neben dem Eigentümer auch der unmittelbare Besitzer bzw. der Nutzende Halter sein k a n n . 8 8 A u c h die Rspr. hat in solchen Fällen Mithalterschaft in Betracht gezogen, i n denen Pferde gleichermaßen den Interessen mehrerer Personen dienten, Verwahrer und Hinterleger oder Eheleute einen Hund gemeinsam nutzten. 8 9 Die Lösung, sich nicht für einen Alleinhalter zu entscheiden, läßt indessen doch Fragen offen. Immerhin ist dann statt der einfachen eine zweifache Unterscheidung erforderlich. Es gibt keine Hinweise darauf, welche Intensität der Nutzungsvorteil mindestens erreichen muß oder höchstens erreichen darf, u m schon oder noch die Mithalterschaft zu begründen. Wenn die Vorteile der Mithalter unterschiedlich groß sind, dann könnte es möglicherweise auch eine Mithalterschaft zu unterschiedlichen Anteilen geben und man könnte fragen, ob diese nur i m Innenverhältnis zum Tragen kommt oder ob die Mithalter auch gegenüber dem Verletzten womöglich nur pro rata haften. 2. Der überwiegend Interessierte als Halter U m diese Schwierigkeiten zu vermeiden, w i r d daher vielfach versucht, die Nutzungsvorteile der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und so den überwiegend Interessierten als alleinigen Halter festzustellen. Mithalterschaft kommt nur noch in Betracht, wenn dies nicht gelingt. Daher müssen zunächst Gewichtungsmaßstäbe für die Intensität bzw. den Vergleich von Nutzungsinteressen vorgeschlagen werden. a) Die Nutzungsdauer
als
Gewichtungskriterium
A l s Kriterium für die Verteilung des Nutzungsinteresses wurde zunächst die Dauer der Nutzung durch den Nichteigentümer herangezogen. Der V I . Senat des R G wollte unter dem Halten eines Tieres nicht nur die augenblickliche Benutzung verstehen, sondern stets ein Verhältnis von gewisser Dauer. 9 0 Diese Ansicht hat 87
So Berglar, 104 unter Berufung auf die Rechtsklarheit. ss MünchKomm / Mertens, 20; RGRK / Kreft, 42; Bornhövd, VersR 1979, 398; Geigei / Schlegelmilch, 9. 89 BGH VersR 1956, 574; Hamm VersR 1973, 1054; Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179; wohl auch RG JW 1911, 279 Nr. 8. 90 RGZ 52, 117, 118; 55, 163, 166. 13*
196
3. Teil: Der Tierhalter
i n Rspr. 9 1 und L i t . 9 2 Aufnahme gefunden. Die momentane Nutzung sei noch keine Haltung. Das Interesse der Person, die ein Tier nur kurzfristig nutze, trete nahezu v ö l l i g hinter das derjenigen Person zurück, die das Tier überwiegend für ihre Zwecke gebrauchen wolle. I m Anschluß an die Grundsatzentscheidung des I V . Senats w i r d aber in L i t . u. Rspr. die Maßgeblichkeit der Dauer mitunter auch in Zweifel gezogen. 9 3 Das R G war ursprünglich von der Frage ausgegangen, ob kurzfristige Halterverhältnisse begrifflich überhaupt möglich sind und hatte dabei festgestellt, daß es auf die Dauer der Beziehung des Halters zum Tier nicht ankomme. Dabei war zunächst an den Händler oder den Metzger gedacht, die das Tier kaufen, u m es gleich weiterzuveräußern oder zu schlachten. 94 Diese Fälle sind aber eigentlich nicht problematisch, da eine Aufspaltung des Eigeninteresses gerade nicht vorliegt. Diese Erwägungen zum Verzicht auf das Erfordernis der Dauer werden dann aber schon von der Rspr. selbst auch auf die Interessenverteilung innerhalb von Nutzungsverhältnissen bezogen und gelegentlich auch der kurzfristige Nutzer als Halter angesehen, 95 da das Tier — wenn auch nur vorübergehend — aus dem Wirtschaftsbetrieb des jeweiligen Eigentümers ausgeschieden sei. I n der Rspr. führt das Abstellen auf die Nutzungsdauer somit nicht generell zu eindeutigen Ergebnissen. Einerseits kommt der Nutzer mitunter auch bei nur kurzfristiger Nutzungsüberlassung als Halter in Frage. 9 6 Andererseits soll aber auch die langfristige Nutzung durch ihn nicht zwangsläufig zum Wechsel der Halterschaft führen. So konnten langfristig vermietete Grubenpferde auch weiter dem Wirtschaftsbetrieb ihres Eigentümers dienen, da sein Betrieb gerade in der langfristigen Vermietung bestand 9 7 und Pferde auch weiterhin den Interessen ihres Eigentümers dienen, während sie längerfristig einem anderen in Pension gegeben und von diesem auch genutzt wurden. 9 8 Für die Verteilung der Nutzungsvorteile hat die Nutzungsdauer insofern nur begrenzte Aussagekraft, denn mit dem Zeitablauf summieren sich jeweils auf beiden Seiten die Nutzungsvorteile i m gleichen Verhältnis. Die Unterscheidungskraft der Nutzungsdauer kann sich nur i n Extremfällen beweisen. Wenn gesagt wird, die Nutzungsübertragung lasse die Halterschaft unberührt, sofern sie nur eine vorübergehende sei, dann könnte 91 RGZ 52, 117, 118; RG JW 1915, 91 Nr. 7; BGH VersR 1971, 320; 1987, 198, 200; Köln VersR 1976, 197, 198; Düsseldorf VersR 1972, 403; vgl. auch Hamm VersR 1970, 729, 730; Saarbrücken VersR 1988, 752. 92 Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Larenz, Schuldrecht II, 704/705; Staud. / Schäfer, 51-53; MünchKomm / Mertens, 19-20; Erman / Schiemann, 7 - 8 ; Palandt / Thomas, 9 12; Soergel / Zeuner, 12; Enneccerus / Lehmann, 1017. 93 RGZ 62, 79, 81 u. 84; Frankfurt VersR 1956, 454; Berglar, 103/104; RGRK / Kreft, 39; Wussow / Kuntz, 397; Geigei / Schlegelmilch, 19. Aufl., 9. 94 RGZ 62, 79, 82; vgl. auch oben 3 § 2 A I. 95 RGZ 62, 79, 81; Frankfurt VersR 1956, 454. 96 Vgl. vorherige Fußnote. 97 RG Warn. Rspr. 1915, Nr. 237. 98 BGH VersR 1977, 864, 865; 1988, 609, 610.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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man dies so verstehen, daß eine gemessen an der Lebenszeit des Tieres sehr lange Nutzungsübertragung letztlich dazu führt, daß der Einfluß des Eigentümers auf die Verwendung des Tieres sich soweit verdünnt, daß sie nur noch hypothetischen Charakter hat. Gerade bei Verträgen, die langfristig angelegt sind, i n denen der Eigentümer aber nicht nur die Nutzung überträgt, sondern auch selbst eine Leistung verlangen kann und die Möglichkeit der eigenen Nutzung des Tieres behält (Tierpension), verdünnt sich sein Einfluß aber eben nicht ohne weiteres allein durch Zeitablauf. Dann muß auf die konkrete Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses durch die Beteiligten abgestellt werden. Dabei mag dann die Dauer noch eine zusätzliche Rolle spielen.
b) Der Schwerpunkt der Indizien des Nutzungsinteresses als Gewichtungskriterium Die Rspr. und besonders der B G H bevorzugt daher i n jüngerer Zeit den Gedanken des Interessenschwerpunktes oder des Gesamtinteresses. Halter ist danach die Person, auf welche die Indizien des Eigeninteresses überwiegend zutreffen. Der Eigentümer blieb demnach Halter, als er sein Pferd für 10 Wochenstunden einem Reitverein zur Verfügung stellte. Er trug die Kosten für das Pferd und das Risiko seines Verlustes. Er kümmerte sich um das Tier und bewegte es auch regelmäßig. Der Schwerpunkt der Unterhaltung und Nutzung des Pferdes lag i n diesem Fall nicht bei dem Reitverein. 9 9 Das Gesamtinteresse und der Schwerpunkt der Nutzung verblieb auch dann beim Eigentümer, als dieser sein Pferd zur Pflege und zur Ausbildung langfristig an einen anderen übergeben hatte. Er trug weiterhin sämtliche Unterhaltskosten des Tieres. 1 0 0 M i t vergleichbaren Abwägungen ist auch eine Reihe weiterer obergerichtlicher Entscheidungen bei Pensions Verträgen zur Halterschaft des Eigentümers gelangt. 1 0 1 I n manchen Fällen ergab sich indessen auch die Halterschaft des Verwahrers. Z u m Halter wurde ein Verein, der das bei i h m eingestellte Pferd als Schulpferd benutzte, während gleichzeitig der Eigentümer selbst das Pferd auch außerhalb des Vereinszwecks reiten durfte. Hier wurde der Schulbetrieb als vorrangig angesehen. Wegen der vielfältigen Möglichkeiten, andere Pferde zu reiten, falle das Interesse des Eigentümers am Reiten dieses Pferdes gegenüber dem Interesse des Vereins an der Verwendung als Schulpferd nicht ins G e w i c h t . 1 0 2 Der Verein trug insbesondere auch sämtliche Unterhaltskosten des Tieres. Halter wurde auch ein Forstbeamter, der den bei i h m untergebrachten Hund jahrelang frei und eigenverantwortlich als Jagdhund benutzte, ohne daß die Rückgabe an den Eigen99 BGH VersR 1982, 348. 100 BGH VersR 1988, 609, 610. 101 Hamm VersR 1973, 1054; Köln VersR 1976, 197; Frankfurt VersR 1976, 1138; Celle VersR 1986, 396. 102 Celle VersR 1979, 161.
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3. Teil: Der Tierhalter
tümer vorgesehen war. Zudem trug er auch sämtliche Unterhaltskosten für das Tier. 1 0 3 D i e Schwerpunktbildung führt somit i n der Rspr. überwiegend zur Halterschaft des Eigentümers, gelegentlich aber auch zu der des Verwahrers. Dies gilt sogar dann, wenn jeweils der Eigentümer die Unterhaltskosten trägt, denen insofern eine besondere Bedeutung zukommt. A u c h das Kriterium des Gesamtinteresses ist demnach nicht ganz ohne Probleme zu handhaben und ermöglicht weite Spielräume. Diese Schwierigkeit läßt sich aber grundsätzlich nicht beseitigen, denn i n ihr spiegelt sich der Grundgedanke des Interessenausgleichs und der Risikoverteilung wider, der i m Normzweck und i n der Normstruktur der Gefährdungshaftung selbst angelegt i s t . 1 0 4
B. Das Strukturelement Entscheidungsgewalt I. Unmittelbarer Einfluß auf das Tier oder Entscheidungsgewalt über Existenz und Verwendung Die Herrschaft über das Tier hat i n Rspr. u. Lit. von Anfang an eine Rolle gespielt, wenn auch nicht immer in derselben ausdrücklichen Weise, wie das Eigeninteresse. I n der frühen Rspr. ist die Rede von der „tatsächlichen Gewalt", der „unmittelbaren Verfügungsgewalt", der „Einfluß- oder Einwirkungsmöglichkeit", häufig umschrieben durch das mehrdeutige Kriterium der Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb. 1 0 5 Später geht es dann u m die „Anordnungs- und Weisungsbefugnis" oder die "Entscheidungsgewalt". 1 0 6 V o n der konkreten tatsächlichen Einflußmöglichkeit verschiebt sich die Aufmerksamkeit hin zur abstrakten Entscheidungsgewalt über Existenz und Verwendung des Tieres. I n der Formulierung der O L G tritt sie als „Bestimmungsbefugnis" schließlich auch ausdrücklich neben das Eigeninteresse. 107 Dies ergibt sich unmittelbar aus Normzweck und Normstruktur der Halterhaftung. I m Herrschaftselement k o m m t die Abhängigkeit der Gefahrenquelle v o m W i l l e n des Verantwortlichen zum Ausdruck. Für Tierschäden soll einstehen, wer die Gefahrenquelle schafft und über die A r t ihrer Verwendung bestimmt. Hierfür maßgebend ist aber gerade nicht die unmittelbare Einflußmöglichkeit auf das Tier, sondern die Entscheidungsmöglichkeit über die Schaffung und Erhaltung der Gefahrenquelle. 1 0 8
103 Hamm VersR 1970, 729, 730. 104 Vgl. oben 1 § 2 B I 2. los Hamburg OLG 14, 44, 45; RGZ 62, 79, 85; 66, 1, 3; JW 1911 279 Nr. 8; 1916, 907 Nr. 6. 106 Hamm VersR 1973, 1054; Frankfurt 1976, 1138; K G VersR 1981, 1035; BGH VersR 1988, 609, 610. 107 Hamm VersR 1973, 1054. los Vgl. oben 1 § 2 B I 2; 3 § 1 B I.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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Das Herrschaftselement hat nur langsam Eingang i n die klassischen Umschreibungen der Halterschaft gefunden, wobei es besondere Schwierigkeiten bereitete, gerade die Unterscheidung von konkreter Einflußmöglichkeit und abstrakter Entscheidungsbefugnis zu bewältigen. Obschon diese deutliche Parallelen zur sachenrechtlichen Struktur aus Eigentum, mittelbarem und unmittelbarem Besitz zeigt, hat die Rspr. stets betont, daß auch ein Nichteigentümer Halter sein könne und daraus den Grundsatz abgeleitet, daß die Eigentumsverhältnisse für die Halterschaft überhaupt nicht relevant seien. Diese sei vielmehr ein rein tatsächliches Verhältnis. 1 0 9 Dadurch hat sie sich indessen die Behandlung des Herrschaftskriteriums und damit der Halterschaft i n unnötiger Weise erschwert. B e i m Eigeninteresse geht es um das Verhältnis der interessierten Personen zueinander. Dabei orientiert sich die Rspr. stets an den zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehungen, etwa an Nutzungsverträgen. Bei der Entscheidungsgewalt geht es u m das Verhältnis zum Tier, wobei die insoweit naheliegende Orientierung an Eigentum und Besitz erst erfolgen kann, wenn man nicht länger deren grundsätzliche Irrelvanz annimmt. Die neuere Rspr. verlangt insoweit neben der Bestimmungsbefugnis über Existenz und Verwendung auch eine Besitzstellung „irgendwelcher A r t " . 1 1 0 Dadurch w i r d gerade auch der mittelbare Besitz zum Kriterium bei der Feststellung des Halters. Dies führt dann aber zum gleichen Problem, wie schon das Eigeninteresse, da gerade in den Problemfällen der Nutzungsverhältnisse regelmäßig auch der Besitz aufgespalten ist, indem der Nutzende unmittelbarer Besitzer wird, der Eigentümer aber mittelbarer Besitzer bleibt. A u c h in der L i t . betonen viele Autoren die Bedeutung der Bestimmungsbefugnis. 1 1 1 Halter sei, wer — wenigstens durch eine Mittelsperson — über die A r t und Weise der Nutzung des Tieres, über sein W o h l und Wehe, aber auch über seine weitere Existenz und damit über die Tiergefahr zu bestimmen habe. Die Entscheidungsgewalt führe zur sozialen Verantwortung i m Bezug auf das Tier. Bei der Überlassung an Dritte komme es darauf an, ob diese über das Tier nach Ort und Zeit der Verwendung weitgehend selbständig bestimmen könnten. 1 1 2
II. Die Indizien der Entscheidungsgewalt Das Strukturelement der Entscheidungsgewalt über Existenz und Verwendung des Tieres bringt zum Ausdruck, daß derjenige, der über Bestand und Verwendung 109 RGZ 55, 163, 165; 62, 79, 84; BGH VersR 1956, 574; 1988, 609, 610; KG VersR 1981, 1035; Düsseldorf VersR 1983, 543; Saarbrücken VersR 1988, 752. HO Hamm VersR 1973, 1054; Frankfurt VersR 1976, 1138; Nürnberg VersR 1978, 757; K G VersR 1981, 1035. 111 RGRK / Kreft, 39; Palandt / Thomas, 9; MünchKomm / Mertens, 19; Staud. / Schäfer, 48 u. 50; Berglar, 94; Bondzio, RdL 1972, 229, 230; Bornhövd, VersR 1979, 398; JR 1978, 50, 51. 112 Bornhövd, VersR 1979, 398; JR 1978, 50, 51.
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3. Teil: Der Tierhalter
der Gefahrenquelle entscheidet, auch die Folgen hieraus tragen soll. Die Unterscheidung von abstrakter Entscheidungsgewalt und konkreter Einflußmöglichkeit i m Tierschadensrecht erinnert an die Unterscheidung von tatsächlicher und rechtlicher Sachherrschaft. Das Eigentum in Verbindung mit dem mittelbaren Besitz spricht regelmäßig auch für eine Bestimmungsbefugnis über die Verwendung des Tieres. Deshalb können der unmittelbare und mittelbare Besitz, wie auch das Eigentum, als Indizien der Halterschaft i n Betracht gezogen werden. Die Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb kann alle diese Möglichkeiten einschließen, wenn man den Wirtschaftsbetrieb als Einflußbereich ansieht.
1. Tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit bzw. unmittelbarer Besitz Das R G zog neben dem Eigentümer nach Maßgabe der Umstände zumindest auch den unmittelbaren Besitzer als Halter i n Betracht. 1 1 3 Gelegentlich hat es die tatsächliche Gewalt sogar als Indiz der Halterschaft verwendet. Aus dem Sinn und Zweck des § 833 S. 1 B G B wurde gefolgert, daß haftpflichtig sei, wer die tatsächliche Gewalt über das Tier ausübe, denn diese ermögliche es ihm, durch die A r t und Weise der Lenkung oder durch sonstige Maßnahmen der schadenbringenden Entfesselung des tierischen Naturtriebes vorbeugend entgegenzuwirken. 1 1 4 Daran fehle es beim Eigentümer, wenn dieser das Tier einem anderen zur selbständigen Verwendung überlasse. Infolgedessen wurde der Entleiher eines Pferdefuhrwerks als Halter angesehen. 115 I n einem anderen Fall sollte dies auch für den Nutzer eines Pferdefuhrwerks gelten, weil er rechtlich und tatsächlich in der Lage war, selbständig über die Tiere zu verfügen und die Anordnungen zu treffen, die i h m geeignet erschienen, Schädigungen Dritter zu verhindern. 1 1 6 A l s ein Hund nach der Pfändung der tatsächlichen Gewalt des Eigentümers entzogen und schon vor der Verwertung i n den Besitz des Pfandgläubigers gelangt war, wurde dieser als Halter angesehen. 1 1 7 Auch eine Reihe von Autoren halten den unmittelbaren Besitz des Halters für ein taugliches Kriterium der Halterschaft. 1 1 8 Es sei nicht vorstellbar, wie die geforderte Einflußmöglichkeit auf das Tier ohne unmittelbaren (oder wenigstens mittelbaren) Besitz tatsächlich aussehen solle. Dies ist zwar einleuchtend, aber doch nur i n einer Richtung schlüssig. Wer die Bestimmungsbefugnis innehat, ist regelmäßig auch unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer. Aus dem unmittelbaren Besitz allein ergibt sich umgekehrt aber keine Bestimmungsbefugnis. 113 RGZ 55, 163, 165; 62, 79, 85; JW 1911, 279 Nr. 8; 1916, 907 Nr. 6. 114 Zur Irrelevanz der Präventionsmöglichkeit für die Gefahrverantwortung vgl. oben 1 § 2 B I 2. Iis RGZ 62, 79, 84 u. 85. ii6 RG JW 1911,279 Nr. 8. i n Colmar OLG 14, 50, 51. Iis Bondzio, RdL 1972, 229, 230; Enneccerus/Lehmann, 1017; A K - B G B / K o h l , 8; Berglar, 94; Medicus, Schuldrecht II, 390; Jauernig / Teichmann, 2 b.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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Die Heranziehung der tatsächlichen Einflußmöglichkeit zur Ermittlung des Halters entspricht daher nicht der Funktion des Haltermerkmals. A l l e i n die M ö g lichkeit, auf das Tier unmittelbar einzuwirken, besagt nichts über die Verantwortlichkeit für Existenz und Verwendungsweise des Tieres. 1 1 9 A u c h die Anwendung von Schutzvorkehrungen kann überhaupt nur dann i n Betracht gezogen werden, wenn man darauf abstellt, wer diese Vorkehrungen anordnen kann, nicht darauf, wer sie tatsächlich vornimmt. Die überwiegende L i t . hält den unmittelbaren Besitz demnach für nicht maßgeblich. 1 2 0 A u c h in der Rspr. ist vielfach ausgesprochen worden, daß allein die tatsächliche Herrschaft über das Tier, d. h. der unmittelbare Besitz, für die Halterschaft keine Rolle spielt. 1 2 1 A l s ein Pferd sich i n der unmittelbaren Verfügungsgewalt des Tiertrainers befand, waren die Beziehungen des Eigentümers zum Pferd dennoch dadurch nicht vollständig gelöst, so daß er Halter b l i e b . 1 2 2 Durch eintägige Überlassung eines Hundes an einen Tierarzt wurde die Halterschaft des Eigentümers nicht aufgehoben, denn die nur vorübergehende Aufgabe der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit reichte hierfür nicht aus. 1 2 3 A u c h während des Transportes seines Pferdes blieb der Eigentümer Halter, obwohl er vorübergehend die Möglichkeit verlor, unmittelbar auf das Tier einzuwirken. 1 2 4 Die Halterschaft ging auch nicht dadurch verloren, daß eine Gemeinde für längere Zeit die unmittelbare tatsächliche Verfügungsgewalt aufgab, indem sie ihren Zuchtstier bei einem Bauern unterbrachte, der gegen Entgelt die Fütterung und Wartung des Tieres übernahm. 1 2 5 Halterin war schließlich die Käuferin eines Tigers geworden, der sich während des Transportes auf hoher See befand, auch wenn sie noch keinerlei Einflußmöglichkeit auf das Tier hatte. 1 2 6 Die Haltereigenschaft entfällt demnach weder durch die zeitweilige Aufgabe der unmittelbaren Verfügungsgewalt, noch durch die vorübergehende (unfreiwillige) Besitzentziehung. 1 2 7
2. Kontakt zum Tier M i t ähnlicher Zielrichtung hatte das O L G H a m m i n einer Entscheidung darauf abgestellt, daß Tierhalter sei, wer sich durch seine Nähe und den inneren Kontakt ]1 9 Zur abstrakten (nicht konkreten) Gefahrbeherrschung als Grundlage der Gefahrverantwortung Hübner, VersR 1983, 126, 128; Larenz, VersR 1963, 593, 597; Staud./ Schäfer, Vor § 823, 7; Berglar, 94; Will, 267. 120 MünchKomm / Mertens, 19; Staud. / Schäfer, 45; RGRK / Kreft, 38; Soergel / Zeuner, 12; Bornhövd, VersR 1979, 398; Larenz, Schuldrecht II, 704; Hoff, AcP 154, 344, 365. 121 BGH NJW 1965, 2397; VersR 1978, 515; 1988, 609, 610. 122 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317. 123 A G Berlin-Lichterfelde JW 1937, 3107 Nr. 36. 124 BGH VersR 1978, 515. 125 RG JW 1917, 287 Nr. 7. 126 Hamburg HRR 1936, Nr. 872. 127 BGH VersR 1978, 515; 1988, 609, 610.
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3. Teil: Der Tierhalter
zum Tier am besten eigne, den Tiergefahren entgegenzuwirken. 1 2 8 Später hat es aber selbst ausgeführt, daß die häufige Beschäftigung m i t dem Tier kein Erfordernis der Haltung sein könne. Gerade höherer Luxus bringe es m i t sich, daß Pferde auch von Personen angeschafft würden, die selber für die Tierbetreuung weder Zeit noch Unterbringungsmöglichkeiten hätten. Innere Kontakte von Mensch und Tier seien schon deshalb als Merkmal unbrauchbar, w e i l es Tierarten gebe, die keinen inneren Kontakt zum Menschen fänden. 1 2 9
3. Eigentum I n Rspr. und L i t . ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die Halterschaft ein rein tatsächliches Verhältnis sei und die rechtlichen Herrschaft, also das Eigentum am Tier, für die Ermittlung des Halters keine Rolle spiele. 1 3 0 A u f das Rechtsverhältnis einer Person zum Tier solle es nicht ankommen. Diese Sichtweise erschwert indessen unnötig und unangemessen die dogmatische Behandlung der Halterschaft. A u c h wenn man davon ausgeht, daß die Eigentümerstellung für die Bestimmung des Halters nicht allein ausschlaggebend ist, so folgt daraus nicht, daß ihr keinerlei Bedeutung zukäme. Die für die Halterschaft maßgebliche Entscheidungsgewalt über die Existenz und Verwendung des Tieres ergibt sich i m Gegenteil regelmäßig aus dem Eigentum und liegt nur ausnahmsweise bei anderen Personen, wenn sie diesen übertragen oder von ihnen unberechtigt in Anspruch genommen wird. A u c h diese Konstellation kann aber berücksichtigt werden, indem man sagt, daß der Nichteigentümer zum Halter wird, wenn er — berechtigt oder nicht — über die Verwendung des Tieres so bestimmt, wie es regelmäßig nur dem Eigentümer zukommt. Die Rspr. hat das Eigentum nur vereinzelt als Indiz herangezogen.
131
Jedoch
sieht eine Reihe von Autoren i m Eigentum zumindest einen bedeutsamen Hinweis auf den Halter, auch wenn dieser mit dem Eigentümer nicht immer personengleich sein m u ß . 1 3 2 Die Halterschaft sei kein rein tatsächlicher Begriff. E i n Eigentümer, der — gemessen an der Lebenszeit des Tieres — nicht dauernd an der Ausübung seiner Befugnisse gehindert ist, sei regelmäßig Halter. Hiervon gebe es A b w e i chungen, weil die Halterschaft auch entscheidend v o m Nutzen aus der Verwendung des Tieres abhänge. 1 3 3 H o f f sieht i m Eigentum sogar das zuverlässigste 128 Hamm VersR 1970, 729, 731. 129 Hamm VersR 1973, 1054. 130 RGZ 55, 163, 165; 62, 79, 81 u. 84; Warn. Rspr. 1910, Nr. 332; JW 1916, 907 Nr. 6; Hamburg OLG 14, 44; BGH VersR 1956, 574; 1988, 609, 610; Nürnberg VersR 1964,1178; Düsseldorf VersR 1972,403; K G VersR 1981,1035; Enneccerus / Lehmann, 1017; Erman / Schiemann, 7; Larenz, Schuldrecht II, 704; Soergel / Zeuner, 12. 131 Hamburg HRR 1936, Nr. 872; Hamm VersR 1973, 1054; Frankfurt VersR 1976, 1138; Düsseldorf VersR 1983, 543. 132 Staud. / Schäfer, 45; Bornhövd, VersR 1979, 398; Medicus, Schuldrecht II, 390. 133 Medicus, Schuldrecht II, 390; Wolf, 670.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
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Kriterium der Halterschaft. 1 3 4 Der Eigentümer behalte gerade auch innerhalb von Besitzmittlungsverhältnissen die Möglichkeit, auf das Tier einzuwirken. Er gebe nur einen T e i l seiner Rechte am Tier auf und bestimme weiter dessen Schicksal. H o f f räumt aber ein, daß das Eigentum allein noch nicht weit genug reicht und gegebenenfalls auch Nichteigentümer Halter sein können, etwa der Dieb, der unehrliche Finder, der Vorbehaltskäufer oder der bösgläubige Erwerber.
4. Mittelbarer Besitz und Bestimmungsbefugnis A l s Kriterium für die Entscheidungsgewalt w i r d neuerdings verstärkt der mindestens mittelbare Besitz i n Betracht gezogen, soweit damit auch die Bestimmungsbefugnis über die Existenz und Verwendung des Tieres verbunden i s t . 1 3 5 Daran ist zweierlei bemerkenswert. Z u m einen ist die Voraussetzung des „mindestens" mittelbaren Besitzes nicht ohne weiteres verständlich, da der unmittelbare Besitz regelmäßig keinen Hinweis auf die Halterstellung gibt. Diese Formulierung ist nur nachvollziehbar, wenn man den mittelbaren Besitz nicht als mindere Form des unmittelbaren sieht, sondern als Abschwächung gegenüber der Vereinigung von tatsächlicher und rechtlicher Sachherrschaft i n einer Person. Der mittelbare Besitzer ist regelmäßig auch Eigentümer, denn daraus folgt seine Entscheidungsbefugnis über die Existenz und Verwendung des Tieres. Z u m anderen setzt der mittelbare Besitz aber nur voraus, daß zwischen dem unmittelbaren Besitzer und einer anderen Person ein Rechtsverhältnis besteht, welches den unmittelbaren Besitzer auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet (Besitzmittlungsverhältnis) und daß der unmittelbare Besitzer seine Verpflichtung zur Herausgabe nach A b l a u f dieser Zeit auch anerkennt (Besitzmittlungswille). 1 3 6 Der mittelbare Besitzer hat dadurch eine Position inne, die letztlich v o m Verhalten des unmittelbaren Besitzers abhängt und i h m gegenüber Dritten entsprechende Befugnisse gibt, wie dem unmittelbaren Besitzer. Z u den begrifflichen Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes gehört aber nicht zwangsläufig die konkrete Weisungsbefugnis oder Entscheidungsgewalt i m Bezug auf das T i e r . 1 3 7 Entscheidend für die Bestimmungsbefugnis ist daher nicht der mittelbare Besitz als solcher, sondern die konkrete Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Eigentümer und dem unmittelbaren Besitzer, das dann regelmäßig auch ein Besitzmittlungsverhältnis sein wird. Die Nutzungsvereinbarung berechtigt zum Besitz auf Zeit und gestaltet gleichzeitig das Verhältnis der Beteiligten so aus, daß die Entscheidungsbefugnis des Eigentümers über sein Tier zugleich einschränkt und aufrecht erhalten wird. Die vertragliche Beschränkung der Entschei134 Hoff, AcP 154, 344, 359 u. 365. 135 Hamm VersR 1973, 1054; Frankfurt VersR 1976, 1138; K G VersR 1981, 1035. 136 MünchKomm/Joost, § 868, 17 u. 22; Soergel / Mühl, § 868, 11; RGRK/Kregel, § 868, 9; Palandt/Bassenge, § 868, 7 - 9 ; Staud./Bund, § 868, 12-23. 137 Anders beim bloßen Besitzdiener; Staud./Bund, § 868, 19.
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3. Teil: Der Tierhalter
dungsgewalt gewährt daher auch Einblick i n den Funktionszusammenhang von Eigeninteresse und Bestimmungsbefugnis. Wer zur Nutzung berechtigt ist, bestimmt über den Verwendungszweck des Tieres m i t und schwächt dadurch die Entscheidungsgewalt des Eigentümers. Dieser kann die Halterschaft auch verlieren, wenn seine Bestimmung über das Tier nur noch sehr schwach zur Geltung kommen kann. Daran zeigt sich, daß auch der mittelbare Besitz nur ein Indiz ist, das Halterschaft nicht zwangsläufig allein begründet. Die m i t einem Besitzmittlungsverhältnis verbundene Bestimmungsbefugnis über Existenz und Verwendung des Tieres hat i n der Rspr. immer weitere Verbreitung gefunden, da mit dieser Formulierung die Frage nach der Bedeutung des Eigentums umgangen werden kann. Dies hat auch eine Reihe von Autoren in der Lit. übernommen. 1 3 8 Tierhalter blieb danach ein Landwirt, der dem Viehhändler seine K u h in Kommission gab, denn auch nach dem Übergang des Besitzes hatte er noch die Möglichkeit, dem Kommissionär Weisungen hinsichtlich der K u h zu erteilen. 1 3 9 Halter blieb der Eigentümer, der die Aufsicht über sein Pferd dem Inhaber eines Gutes bzw. dem dortigen Reitlehrer übertragen hatte. Wenn auch das Tier dort aufgezogen wurde und eine Springausbildung erhielt, so verblieb doch dem Eigentümer die Weisungsbefugnis. 1 4 0 Die Haltereigenschaft behielt auch derjenige, der sein Pferd i m Stall eines Reitvereins unterstellte, es dort füttern und versorgen ließ und Dritten gestattete, das Tier nach Belieben zu reiten, denn er allein hatte nach wie vor darüber zu entscheiden, wer das Tier versorgte und was mit i h m geschehen würde, wenn das Tier — wegen bestimmter Unarten — eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen sollte. 1 4 1 Dasselbe galt für den Eigentümer, der seinen Jagdhund bei einem Forstbeamten in Pflege gab und die Kosten übernahm, auch wenn der Forstbeamte das Tier als Wachhund verwendete. Der mittelbare Besitzer konnte die Vereinbarung jederzeit widerrufen und die Tiergefahr durch Anordnung von Sicherungsmaßnahmen weitgehend oder durch Tötung des Tieres gänzlich ausschließen. 142 Daß die Heranziehung des mittelbaren Besitzes auch Probleme aufwerfen kann, zeigt eine Entscheidung des K G . Dieses sah einen mittelbaren Besitzer als Halter an, obwohl er nicht Eigentümer war. Der Besitzer gab einen Hund, dessen Eigentümer i m Gefängnis saß, bei einem Dritten in Pflege. Damit übernahm er nach Ansicht des Gerichts für mehrere Monate, also nicht nur vorübergehend, die Sachherrschaft und begründete dadurch seine Verantwortlichkeit für die Gefahrenquelle. Er bestimmte, daß der Hund nicht ins Tierheim kam, sondern durch den Dritten verwahrt wurde, bis der frühere Besitzer wieder aus der Haft
138 Geigei / Schlegelmilch, 10; Larenz, Schuldrecht II, 705; Palandt / Thomas, 9; RGRK / Kreft, 39; Staud. / Schäfer, 45 u. 48; Wussow / Kuntz, 395. 139 Celle AgrarR 1977, 178, 179. 140 Köln VersR 1976, 197, 198. 141 Frankfurt VersR 1976, 1138. 142 Hamm VersR 1973, 1054.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
205
entlassen wurde. Seine Handlungsweise sicherte die Existenz des Hundes und ließ ihn gefährdend auf die U m w e l t w i r k e n . 1 4 3 Diese Ansicht w i r d indessen den Gegebenheiten nicht gerecht. Das K G hat die Bestimmungsmöglichkeiten des Beklagten m i t denen des Verwahrers verglichen, statt mit denen des Eigentümers. Der Hinterleger übte die Entscheidungsgewalt über das Tier nicht nach seinen eigenen Vorstellungen und zu seinem Vorteil aus, sondern an Stelle des verhinderten Eigentümers und i n dessen Interesse. Er gab dem Tier keine eigene Zweckbestimmung, sondern erkannte die des Eigentümers an, indem er selbst nur zeitlich begrenzte und vorläufige Maßnahmen traf. Er entschied auch nicht selbst über die weitere Existenz des Tieres, sondern er respektierte den (vermuteten) W i l l e n des Eigentümers. Soweit ihm Kosten zur Last fielen, konnte er diese über den Aufwendungsersatzanspruch des Auftragsrechts oder zumindest der G o A letztlich an den Eigentümer weitergeben, der damit auch die Lasten trug. Daher blieb der Eigentümer Halter des Hundes.
5. Einstellen in den Haushalts- oder Wirtschaftsbetrieb Die Verwendung des Tieres i m eigenen Wirtschaftsbetrieb kann außer der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit für eigene Zwecke auch dessen Aufenthalt i m eigenen räumlichen Machtbereich (einschließlich der Möglichkeit tatsächlicher Einflußnahme) oder die Entscheidungsgewalt i m Bezug auf das Tier umfassen. Die Rspr. braucht diese Mehrdeutigkeit regelmäßig nicht aufzulösen. M i t dem Kriterium des Wirtschaftsbetriebs w i r d daher mitunter (zumindest auch) auf die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit des Betriebsinhabers angespielt, auf die es für die Haltereigenschaft gerade nicht ankommen k a n n . 1 4 4 So wurde bei kurzfristiger Leihe oder Miete von Pferden deren vollständiges Ausscheiden aus dem Wirtschaftsbetrieb des Eigentümers angenommen. Dieser habe dadurch keine Möglichkeit mehr gehabt, auf die Tiere einzuwirken. 1 4 5 Bei der Vermietung von Pferden an eine Zeche schieden diese dagegen nicht aus dem Wirtschaftsbetrieb des Eigentümers aus. 1 4 6 Er übte durch seinen Stallmeister weiterhin die Aufsicht aus, auch während die Tiere i n der Zeche eingesetzt wurden. Gelegentlich w i r d auch eine gedankliche Verbindung zwischen der Einstellung in den Wirtschaftsbetrieb und der Bestimmungsmacht über das Tier hergestellt. 1 4 7 So schied ein Pferd nicht aus dem Wirtschaftsbetrieb seines Eigentümers aus, als es dem Tiertrainer übergeben wurde, denn dieser führte nur die i h m aufgetragenen Verrichtungen aus. 1 4 8 Arbeitspferde dienten dem Wirtschaftsbetrieb ihres zeitwei143 144 145 146 147 148
K G VersR 1981, 1035. Vgl. oben 3 § 2 B I I 1. RGZ 62, 79, 85; Frankfurt VersR 1956, 454. RG Warn. Rspr. 1915, Nr. 237. Vgl. z. B. BGH VersR 1988, 609, 610. RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317.
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3. Teil: Der Tierhalter
ligen Nutzers u. a. deshalb, w e i l dieser selbständig über die Tiere verfügen und Anordnungen treffen k o n n t e . 1 4 9 Das M e r k m a l der Verwendung i m eigenen Haushaltungs- oder Wirtschaftsbetrieb läßt sich nicht immer sinnvoll einsetzen. Manchmal w i r d daher auch allgemeiner von der Einfluß- oder Machtsphäre gesprochen. Bei Reitpferden hat der Halter heute idR weder einen Wirtschaftsbetrieb, noch kann er das Tier i m eigenen Haushaltungsbetrieb unterbringen. 1 5 0 Das O L G Celle hat daher bei Überlassung eines Pferdes an einen Reitverein darauf abgestellt, daß dieses Vertragsverhältnis sich nur unwesentlich von langfristiger Vermietung unterschied. Das Pferd sei damit aus dem Einfluß- und Verfügungsbereich des Eigentümers praktisch ausgeschieden. 151 A u c h diese Formulierung kann sowohl die tatsächliche Einwirkung auf das Tier meinen, wie die Entscheidungsgewalt über dessen Existenz und Verwendung. Eine Ehefrau ist als Mithalterin eines Hundes angesehen worden, w e i l das Tier in den gemeinsamen Hausstand der Ehegatten eingegliedert war und dadurch unter deren Gewalt stand. 1 5 2 I n einem anderen Fall ergab sich die Halterschaft auch des Ehemannes daraus, daß der von der Ehefrau in den gemeinsamen Hausstand gebrachte Hund sich auch i n seiner Machtsphäre befand. 1 5 3
III. Die unmittelbare Anwendung der Entscheidungsgewalt I n der Rspr. sind die Bedenken gegen die Verwendung des Eigentums als Indiz der Entscheidungsgewalt nach wie vor zu spüren, so daß stattdessen überwiegend auf den mittelbaren Besitz abgestellt wird. I n den neueren Entscheidungen ist aber mehr und mehr — neben anderen Kriterien — auch ausdrücklich von der Bestimmungsbefugnis die Rede. 1 5 4 A u c h eine Reihe von Autoren erwähnt die Entscheidung über Existenz und Verwendung des Tieres als wesentliches Kriterium der Haltereigenschaft. 1 5 5 Die unmittelbare Heranziehung der Bestimmungs- oder Entscheidungsgewalt ohne den U m w e g über den mittelbaren Besitz oder das Eigentum ist jedoch bei der Fallösung bisher nicht üblich.
149 RG JW 1911, 279 Nr. 8. 150 Hamm VersR 1973, 1054. 151 Celle VersR 1979, 161. 152 Celle NJW 1970, 202. 153 Düsseldorf VersR 1972, 403. 154 Hamm VersR 1973, 1054; Celle AgrarR 1978, 178, 179; Frankfurt VersR 1976, 1138; KG VersR 1981, 1035; Düsseldorf VersR 1983, 543; Saarbrücken VersR 1988, 752; BGH VersR 1988, 609, 610. iss Berglar, 94; Bondzio, RdL 1972, 229, 230; Bornhövd, VersR 1979, 398; JR 1978, 50, 51; MünchKomm / Mertens, 19; Palandt / Thomas, 9; RGRK / Kreft, 39; Schlund, FS Schäfer, 223, 225.
§ 2 Bedeutung und Funktionszusammenhang der Halterkriterien
207
IV. Verteilung der Entscheidungsgewalt auf mehrere Personen M a n kann demnach sagen, daß Halter wird, wer uneingeschränkt über die Existenz und Verwendung eines Tieres entscheidet und daß niemand als Halter i n Frage kommt, der hierauf keinerlei Einfluß hat. Abgrenzungsprobleme entstehen dann, wenn die Entscheidungsgewalt über das Tier zwischen verschiedenen Personen aufgeteilt ist. Diese könnten als Mithalter betrachtet werden, 1 5 6 wie dies ohne weiteres bei Miteigentümern der Fall ist. Bestimmen auch Nichteigentümer über die Verwendung des Tieres, wie dies regelmäßig bei NutzungsVerhältnissen der Fall ist, dann ergibt sich dieselbe Problematik, wie schon beim geteilten Eigeninteresse. 157 Vereinzelt w i r d vertreten, daß die Mithalterschaft zwischen ungleichstufigen Gewalthabern aus Gründen der Rechtsklarheit nicht i n Betracht k o m m e , 1 5 8 überwiegend w i r d die Mithalterschaft von Eigentümer und nutzungsberechtigtem unmittelbarem Besitzer ohne weiteres für möglich gehalten. 1 5 9 I m merhin überträgt der Eigentümer einen T e i l seiner Gestaltungsmöglichkeiten auf den Nutzungsberechtigten. W i e beim geteilten Interesse geht es dann u m die Frage, welcher Grad von Entscheidungsbefugnissen zur Halterschaft führt und ob sich für den Nutzungsberechtigten zunächst die Mithalterschaft oder sofort die alleinige Halterschaft e r g i b t . 1 6 0 Dabei könnte die Dauer des Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten als Maßstab für die Intensität der v o m Eigentümer übertragenen Entscheidungsmöglichkeiten herangezogen werden. Jedenfalls bei dauernder Entziehung der Einflußmöglichkeit, etwa bei Diebstahl, geht die Halterschaft verloren. 1 6 1 Es könnte aber auch von Bedeutung sein, ob in dem Vertrag eine neue Verwendung des Tieres bestimmt wird, die von seiner bisherigen abweicht. 1 6 2
C. Das funktionale Zusammenspiel von Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt Die Rspr. setzt sich m i t dem Verhältnis der Kriterien Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt und der hierauf hinweisenden Indizien nicht auseinander, sondern verwendet sie j e nach Bedarf. Die Umschreibung der Halterschaft durch die O L G legt nahe, daß Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt kumulativ vorliegen müssen, während der B G H neuerdings verstärkt das Eigeninteresse (Ge156 RGRK / Kreft, 42 u. 44. 157 Darin zeigt sich die Entsprechung von Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse; vgl. oben 3 § 2 A IV. iss Berglar, 104. 159 Staud. / Schäfer, 48; RGRK/Kreft, 44; Bomhövd, VersR 1979, 398. 160 Vgl. oben 3 § 2 A IV. 161 RGRK/Kreft, 40; Staud. / Schäfer, 60. 162 AK-BGB /Kohl, 8; Frankfurt VersR 1956, 454; vgl. auch unten 3 § 4 B II.
3. Teil: Der Tierhalter
208
samtinteresse) favorisiert. 1 6 3 I n der L i t . w i r d von manchen Autoren das Herrschaftselement als letztlich maßgebendes Kriterium angesehen. 164 Es w i r d gesagt, daß ohne Verfügungsgewalt — wenigstens aufgrund mittelbaren Besitzes — auch das Eigeninteresse nicht gewahrt werden kann. 1 6 5 Andere Autoren halten stattdessen das Eigeninteresse für entscheidend. 1 6 6 Diesem Standpunkt liegt jedoch häufig die Gegenüberstellung von Eigeninteresse und tatsächlicher Einflußmöglichkeit zugrunde, auf die es für die Haltereigenschaft nicht ankommt. Manche Autoren verbinden beides. 1 6 7 Als hilfreich erweist sich dabei der Gedanke, daß der überwiegende Nutzer letztlich auch die Verwendung des Tieres maßgeblich bestimmt. 1 6 8 Die Favorisierung oder Verwerfung eines der beiden Strukturelemente läßt sich angesichts ihrer Herleitung aus den Grundgedanken der Gefährdungshaftung aber nicht überzeugend begründen 1 6 9 und würde durch die effektive Verwendung beider i n Rspr. u. Lit. letztlich auch widerlegt werden. Es geht vielmehr u m die Verdeutlichung ihres strukturellen bzw. funktionalen Zusammenhangs. Die Entscheidungsgewalt liefert ein weitreichendes, aber grobmaschiges Unterscheidungsraster. Ihre Anwendbarkeit ist unabhängig von vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten und besagt, daß nicht Halter sein kann, wer i n keiner Weise über die Existenz oder Verwendung des Tieres mitbestimmt und daß stets Halter ist, wer diese Entscheidung allein trifft. Abgrenzungsprobleme entstehen dann, wenn mehrere nebeneinander Entscheidungen i m Bezug auf die Existenz und Verwendung des Tieres treffen können, wie dies regelmäßig innerhalb von vertraglichen Nutzungsverhältnissen der Fall ist. Dabei beschränken die Beteiligten gegenseitig ihre Entscheidungsgewalt über das Tier. Solange der Vertrag läuft, kann keiner von ihnen über die Existenz und Verwendung des Tieres frei entscheiden. Dann muß die Halterschaft geteilt oder dem überwiegend Entscheidungsbefugten auferlegt werden. Darin zeigt sich der Zusammenhang von Herrschaft und Eigeninteresse, da gerade in der faktischen Nutzung eines Tieres zugleich eine Entscheidung über die A r t und Weise seiner Verwendung liegt. Erfolgt die Nutzung des Tieres durch einen Nichteigentümer ohne rechtliche Grundlage, so verringert auch dies die dem Eigentümer faktisch verbleibende Bestimmungsgewalt. Insofern enthält die Verteilung der Nutzungsvorteile ihrerseits einen Anhaltspunkt für die Verteilung der Entscheidungsgewalt über das Tier gerade innerhalb von Nutzungsverhältnissen. Das Verhältnis der Betroffenen untereinander — sei 163 164 165 166 167 168 169
BGH VersR 1982, 348; 1988, 609, 610; vgl. auch Hamm VersR 1973, 1054. Berglar, 94; Hübner, VersR 1983, 126, 128; vgl. oben 3 § 2 B III. Staud. / Schäfer, 45. Erman/ Drees, 9; Larenz, Schuldrecht II, 704; Wussow / Kuntz, 397. MünchKomm / Mertens, 19; RGRK / Kreft, 39. Deutsch, JuS 1987, 673, 678. Vgl. oben 1 § 2 B I 2.
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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es nun vertraglich ausgestaltet oder nicht — w i r d so zum Maßstab für ihre haftungsrechtliche Verantwortung i m Bezug auf das Tier. Das Eigeninteresse ist Kehrseite und Gradmesser der Entscheidungsgewalt und verfeinert dieses Kriterium für den Bereich der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse. Wer aus dem Tier weder durch unmittelbare Verwendung, noch mittelbar kraft eines Rechtsverhältnisses Nutzungsvorteile zieht, bestimmt auch i n keiner Weise dessen Verwendungszweck und w i r d nicht Halter. Wer diese Vorteile allein für sich i n Anspruch nimmt, bestimmt auch den Verwendungszweck und w i r d deshalb Halter. Das Eigeninteresse kann auch bei verschiedenen Beteiligten gleichzeitig vorliegen, jedoch in unterschiedlicher Intensität. Die typischen Vertragsverhältnisse zwischen den Beteiligten haben hierfür Modellcharakter und lassen sich i n zwei Gruppen teilen. Der unmittelbare Besitzer w i r d nicht Halter, wenn er keine Nutzungsvorteile aus der Verwendung des Tieres zieht, sondern nur Verrichtungen an oder mit dem Tier vornimmt, z. B. als Tiertrainer oder Hufschmied. Ist i h m die Nutzung übertragen, so kommt es darauf an, wessen Interesse in dieser Situation überwiegt. 1 7 0 Diese Verträge geben nur insoweit Anhaltspunkte für die Bestimmung des Halters, als sie m i t den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen. Dennoch w i r d man letztlich nicht sagen können, die Halterschaft sei ein rein tatsächliches Verhältnis. Zwar hat der Bestand und Inhalt anderer — dinglicher oder obligatorischer — Rechtsverhältnisse i m Bezug auf das Tier für sie nur indiziellen Chrakter. Berücksichtigt man indessen die strukturelle Funktion der Haltereigenschaft, dann erscheint es naheliegend, i n ihr selbst ein Rechtsverhältnis i m Bezug auf die Gefahrenquelle zu sehen, das seine eigenen Voraussetzungen und haftungsrechtlichen Folgen hat.
§ 3 Die Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkonstellationen der Halterschaft Die Strukturelemente der Halterschaft i n ihrem Funktionszusammenhang müssen ihre Unterscheidungskraft gerade dann unter Beweis stellen, wenn mehrere Personen nebeneinander als Gefahrverantwortliche i n Frage kommen. Daraus ergeben sich sowohl die i n Rspr. u. L i t . hauptsächlich diskutierten Problemkonstellationen, wie auch die Vorschläge zu deren Lösung. Die Kriterien mit Indizwirkung haben dabei letztlich dienende Funktion, ohne daß die Ergebnisse wesentlich davon abhängen, welche von ihnen konkret herangezogen werden und in welchen Kombinationen. Stattdessen kann nach den außervertraglichen und vertraglichen Beziehungen der Beteiligten unterschieden werden und innerhalb der letzteren zusätzlich nach Vertragstypen. Dahinter stehen aber stets die beiden Strukturelemente der Halterschaft als tragender Kern der Argumentation.
170 Vgl. oben 3 § 2 A I V 2 u. B IV. 14 Lorenz
3. Teil: Der Tierhalter
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A. Die Halterschaft bei Leistungsverträgen und bei Nutzungsverhältnissen Die Frage nach dem Halter stellt sich zunächst innerhalb von Rechtsverhältnissen, i n denen Tiere eine Rolle spielen und die zumeist auch Besitzmittlungsverhältnisse sind. Dann muß festgestellt werden, bei welcher Person die Entscheidungsgewalt und das Eigeninteresse allein oder überwiegend vorliegen. Dabei kann nach dem T y p der bestehenden Rechtsverhältnisse unterschieden werden.
I. Die grundsätzliche Halterschaft des Eigentümers bei Verträgen über Leistungen an oder mit dem Tier Bei Verträgen, die regelmäßig keine Nutzungsübertragung beinhalten, sondern eine Verrichtung an oder m i t dem Tier, also bei Arbeits-, Dienst-, Werk-, Verwahrungs-, Auftrags-
oder Geschäftsbesorgungsverträgen,
bleibt nach
Lit.
und Rspr. die Halterschaft des Eigentümers regelmäßig bestehen. 1 7 1 Der Vertragspartner mag dabei Besitzdiener s e i n 1 7 2 oder unmittelbarer Besitzer werden. Er handelt jedenfalls nicht i m eigenen Interesse, da er aus dem Tier selbst keine Nutzungsvorteile zieht und erlangt damit auch keine Entscheidungsgewalt über die Existenz und Verwendung des Tieres. Dies ergibt sich bei der bloßen Verwahrung schon aus der Natur des Vertrages. 1 7 3 Halter wurde nicht der Bauer, bei dem die Gemeinde ihren Zuchtstier unterbrachte und der gegen Entgelt dessen Fütterung und Wartung übernahm 1 7 4 oder wer einen Hund versorgte und betreute, während sich der Eigentümer i m Krankenhaus befand. 1 7 5 Halter wurde nicht, wer für einen anderen Pferde transportierte 1 7 6 und auch nicht ein Unternehmer, der aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrags das an der Laderampe ankommende V i e h zum Schlachthof zu befördern und es während dieser Zeit zu füttern hatte. 1 7 7 Dies galt auch für den Kommissionär. 1 7 8 E i n Verwalter wurde nicht Halter der zum Betrieb gehörenden T i e r e , 1 7 9 selbst wenn er die Wirtschaft selb171 RGZ 52, 117, 118; 55, 163, 166; 66, 1, 3; 168, 331, 332; Warn. Rspr. 1908, Nr. 317; 1911, Nr. 121; JW 1917, 287 Nr. 7; Celle AgrarR 1977, 178, 179; BGH VersR 1978, 515; Saarbrücken VersR 1988, 752; vgl. RGRK/Kreft, 45-46; Soergel/Zeuner, 13 u. 15; MünchKomm / Mertens, 24; Staud. / Schäfer, 46-47; Wussow / Kuntz, 396397; Erman/Drees, 12. 172 Staud. / Schäfer, 49; RGRK/Kreft, 49; MünchKomm / Mertens, 24. 173 RGRK / Kreft, 45; Soergel / Zeuner, 13; AK-BGB / Kohl, 8; Berglar, 100; MünchKomm / Mertens, 20. 174 RG JW 1917, 287 Nr. 7. 175 Saarbrücken VersR 1988, 752. 176 BGH VersR 1978, 515. 177 RGZ 168, 331, 332. 178 RGZ 66, 1, 3; Celle AgrarR 1977, 178, 179. 179 RG Gruch. Beitr. 1903, 404 Nr. 16; vgl. RG Warn. Rspr. 1911, Nr. 121.
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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ständig führte und auch dann nicht, als er ohne Erlaubnis des Eigentümers dessen Pferdefuhrwerk wiederholt zu eigenen Zwecken gebrauchte. 1 8 0 Halter wurden aber auch nicht selbständige Unternehmer, wie Tiertrainer oder Tierarzt. 1 8 1
II. Die Konkurrenz um die Halterschaft bei Miete und Leihe Miete und Leihe berechtigen den Besitzer zur Nutzung des Tieres auf Zeit. Dies führt zur Aufteilung von Nutzungsinteresse und Entscheidungsgewalt, so daß sich innerhalb dieser Vertragsverhältnisse die Frage nach dem überwiegend Verantwortlichen stellt. Dabei w i r d insbesondere m i t der Nutzungsdauer argumentiert, während der Interessenschwerpunkt zumeist bei den Tierpensionsverträgen eine Rolle spielt. 1 8 2 1. Der Eigentümer bleibt Halter Die L i t . 1 8 3 verwendet hier häufig die Nutzungsdauer als Kriterium. Danach bleibt die Halterschaft des Eigentümers bei kurzfristiger Miete oder Leihe ohne weiteres bestehen. 1 8 4 Insbesondere bei der Vermietung von Pferden an Freizeitreiter dienen die Tiere dem Vorteil des Vermieters und bleiben auch seiner Entscheidungsgewalt unterworfen. Miete und Leihe werden regelmäßig gemeinsam behandelt, obschon immerhin der Nutzungsvorteil des Eigentümers bei der unentgeltlichen Überlassung i m Einzelfall geringer ausfällt, als bei der Miete. Die Interessenabwägung soll offenbar gar nicht auf einzelne Nutzungsvorgänge bezogen werden, sondern auf den Nutzungszweck als solchen. Dann zieht der Eigentümer weiter den überwiegenden Vorteil, auch wenn er das Tier i m Einzelfall unentgeltlich einem anderen überläßt. Dessen Interesse fällt gegenüber dem des Eigentümers nicht ins Gewicht. K o h l w i l l auch darauf abstellen, ob und in welcher Weise durch die Nutzungsüberlassung der bisherige Verwendungszweck des Tieres geändert w i r d . 1 8 5 Dies hängt indessen davon ab, wie weit oder eng der vom Halter gesetzte Verwendungszweck verstanden wird. Da der Nutzungszweck der Tiere regelmäßig gerade in der Nutzungsüberlassung besteht, führt dies nicht zu abweichenden Ergebnissen. Einige Autoren betonen die Möglichkeit der Bestimmung über das T i e r . 1 8 6 Dabei kommt Berglar zu dem Ergebnis, daß Mieter
180 RGZ 52, 117, 118. 181 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317; A G Berlin-Lichterfelde JW 1937, 3107 Nr. 36. 182 Vgl. unten III. 183 Vgl. oben 3 § 2 A I V 2 a. 184 Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Larenz, Schuldrecht II, 704/705; RGRK / Kreft, 44; Soergel / Zeuner, 14; AK-BGB / Kohl, 8; MünchKomm / Mertens, 20; Palandt / Thomas, 9; Wolf, 670; Medicus, Schuldrecht II, 390. Bei Langfristigkeit vgl. unten I I 2. 185 AK-BGB / K o h l , 8. 186 Berglar, 98-100; Hoff, AcP 154, 344, 352. 14*
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3. Teil: Der Tierhalter
und Entleiher die Steuerung der Gefahr übernehmen und demgegenüber der Nutzungsdauer keine Bedeutung z u k o m m e . 1 8 7 I n der Rspr. kommt dem Kriterium der Nutzungsdauer nur begrenzte Unterscheidungskraft z u . 1 8 8 Bei Nutzungsüberlassungsverträgen bleibt es zumeist bei der Halterschaft des Eigentümers und zwar überwiegend bei kurzfristiger, mitunter aber auch bei langfristiger Nutzungsüberlassung. Der Eigentümer blieb Halter, als er sein Pferd zum Ausreiten vermietete 1 8 9 oder stundenweise einem anderen zum Ausreiten überließ 1 9 0 oder als er aus Entgegenkommen sein Pferd für einen Transport zur Verfügung stellte. 1 9 1 Die Tiere blieben dann i n seinem Wirtschaftsbetrieb, standen also weiter unter seiner Entscheidungsgewalt und dienten seinem Vorteil. I n einigen Fällen hat die Rspr. aber angenommen, daß die Vermietung auch dann nicht zum Verlust der Halterschaft führte, wenn sie nicht nur zum kurzfristigen Gebrauch erfolgte, sondern die Verwendung der Tiere für Zwecke eines anderen vertragsmäßig für längere Zeit festgelegt wurde, etwa bei der langjährigen Überlassung von Grubenpferden oder der ein wöchigen Vermietung von Zugpferden für Werbefahrten. 1 9 2 Es handelte sich zwar um längerfristige, aber doch vorübergehende Nutzungsüberlassungen, bei denen die Tiere weiter dem Eigentümer dienten und dieser auch seine Bestimmungsmöglichkeit nicht v ö l l i g verlor. 2. Der Nutzende wird Halter I n der Lit. w i r d häufig angenommen, daß der unmittelbar besitzende Vertragspartner Halter werden kann, wenn die Nutzungsüberlassung für längere Zeit erfolgt. 1 9 3 Dann geht die überwiegende Bestimmungsgewalt und Nutzungsmöglichkeit v o m Eigentümer auf den Nutzungsberechtigten über. Manche Autoren halten dann auch Mithalterschaft für möglich, wenn der Eigentümer noch ein Interesse am Tier h a t . 1 9 4 Dem widerspricht Berglar, wonach bei Miete und befristeter Leihe grundsätzlich die Entscheidungsgewalt für diese Zeit auf den Nutzenden übergeht, so daß dieser stets zum Halter w i r d und aus Gründen der Rechtsklarheit auch keine Mithalterschaft in Betracht k o m m t . 1 9 5 M a n w i r d bei den Nutzungs187 Berglar, 103; vgl. unten I I 2. iss RGZ 62, 79, 84; vgl. oben 3 § 2 A I V 2 u. unten I I 2. 189 RG Warn. Rspr. 1912, Nr. 254; JW 1915, 91 Nr. 7; BGH VersR 1986, 1206; 1987, 198, 200; vgl. auch RG Warn. Rspr. 1915, Nr. 237. 190 Köln VersR 1976, 197, 198. 191 RG JW 1915, 91 Nr. 7. 192 RG Warn. Rspr. 1915, Nr. 237; BGH VersR 1971, 320. 193 Larenz, Schuldrecht II, 705; RGRK / Kreft, 44; Deutsch, JuS 1987, 673, 678; MünchKomm / Mertens, 20; Soergel / Zeuner, 14; Bornhövd, VersR 1979, 398; vgl. oben I I 1. 194 RGRK/Kreft, 44; Wussow / Kuntz, 395; Bornhövd, VersR 1979, 398; Geigei/ Schlegelmilch, 9; Larenz, Schuldrecht II, 705 Fn. 6. 195 Berglar, 98-100.
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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Überlassungsverträgen aber eher von einer Gleichgewichtssituation ausgehen können, in welcher keine der beiden Parteien ohne weiteres aus der vertraglich festgelegten Verwendung ausbrechen kann. Die Rspr. ist bei langfristiger und kurzfristiger Nutzungsüberlassung nur gelegentlich zur Halterschaft des Nutzenden gelangt. I m Fall eines langfristigen Nutzungsrechts an Arbeitspferden wurde angenommen, die Tiere seien in den Betrieb des Nutzenden eingegliedert w o r d e n . 1 9 6 A u c h bei kurzzeitiger Überlassung wurde in einigen Fällen ein Halterwechsel angenommen. Der Entleiher eines Pferdes ist als Halter angesehen worden, w e i l das Tier zur Unfallzeit als Betriebsmittel allein seinem Nutzen gedient habe. 1 9 7 Es sei unerheblich, daß die Überlassung nur auf verhältnismäßig kurze Zeit berechnet war. A l s eine Narrenzunft für einen Umzug ein Pferd gemietet hatte, 1 9 8 wurde ausgeführt, daß die unentgeltliche vorübergehende Überlassung die Halterschaft nur dann nicht unterbreche, wenn damit noch immer Belange des Wirtschaftsbetriebes verfolgt würden, i n den das Tier auf Dauer eingestellt sei. Dies sei aber nicht der Fall, wenn die Überlassung außerhalb der Dauerbestimmung des Pferdes liege und daher keine Beziehung mehr zum Betrieb und den Interessen des Eigentümers habe.
III. Die Konkurrenz um die Halterschaft bei gemischten Verträgen mit Nutzungsberechtigung (Pensionsverträge) Verwahrungsverträge i m Bezug auf Tiere enthalten oft sehr komplexe Regelungen. I m Kern geht es u m die Verpflichtung zur Verwahrung, Pflege und Versorgung des Tieres gegen Entgelt. Gleichzeitig ist der Versorger häufig auch zur Nutzung des Tieres berechtigt, sei es um das Entgelt für seine Leistungen zu ermäßigen, sei es auch, u m zusätzlich die Ausbildung des Tieres zu fördern. Diese Gestaltung w i r d auch als Tierpensionsvertrag bezeichnet. Es handelt sich um einen Mischvertrag aus Werkvertrag (Ausbildungs- und Versorgungsleistungen), Miete (sowohl der Einrichtungen des Versorgers durch den Eigentümer, wie des Tieres durch den Versorger) und Verwahrung. Zusätzlich besteht häufig noch eine erweiterte unmittelbare Nutzungsmöglichkeit des Tieres durch den Eigentümer selbst unter Benutzung der Einrichtungen des Versorgers. I m Mittelpunkt steht indessen die Absicht des Eigentümers, sein Tier angemessen unterzubringen, so daß es berechtigt ist, i m Grundsatz von (atypischer) Verwahrung auszugehen. Die Kombination von Leistungspflicht und Nutzungsrecht des Versorgers führt zur Stellung des Pensionsvertrages zwischen Leistungs- und Nutzungsverträgen. Es k o m m t zur Aufteilung von Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse, wenn 196 RGJW 1911,279 Nr. 8. Indessen bleibt die Grundlage dieses Nutzungsrechts offen. 197 RGZ 62, 79, 85. 198 Frankfurt VersR 1956, 454.
3. Teil: Der Tierhalter
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auch die Position des Eigentümers schwerer ins Gewicht fällt als bei reinen Nutzungsverträgen und an den Übergang der Halterschaft strengere Anforderungen zu stellen sind, da der Versorger auch i m Interesse des Eigentümers tätig wird. I n der L i t . w i r d dabei überwiegend auf den Grad der dem Versorger eingeräumten Rechte und Nutzungsvorteile abgestellt, 1 9 9 ohne hierfür indessen einen Maßstab anzugeben. Die Rspr. hat gerade für diese Fälle die Vorstellung des Gesamtinteresses entwickelt. Durch Gegenüberstellung der von den Beteiligten gezogenen Vorteile und übernommenen Lasten ermittelt sie den überwiegend Interessierten. Damit gelangt sie meistens zur Halterschaft des Eigentümers 2 0 0 und nur ausnahmsweise zu der des Versorgers. 2 0 1 A u c h die Mithalterschaft w i r d i n Betracht gezogen. 2 0 2 Dabei geht es dann i m wesentlichen u m die Verteilung der Unterhaltskosten.
IV. Die Halterschaft des Nutzenden bei Pacht, Nießbrauch und Ehe Der Pachtvertrag w i r d i n der L i t . zumeist zusammen mit dem Mietvertrag behandelt. 2 0 3 Gehören Tiere zum Inventar eines gepachteten Landgutes, so soll der Pächter aber regelmäßig auch Halter werden. 2 0 4 Dasselbe w i r d zum Nießbraucher gesagt. Dies mag an der regelmäßigen Langfristigkeit dieser Rechtsverhältnisse liegen oder auch am erheblichen Umfang der übertragenen Nutzungsvorteile. Der Nießbraucher erwirbt als dinglich Berechtigter eine besonders starke Rechtsstellung. Die Beziehung zum Eigentümer muß zwar nicht vertraglich geregelt sein, es besteht aber jedenfalls ein gesetzliches Begleitschuldverhältnis nach den §§ 1041 f f B G B , auf welches sich die Strukturelemente der Halterschaft i n gleicher Weise anwenden lassen, wie auf vertragliche Nutzungsverhältnisse. A u c h Ehegatten wurden regelmäßig als Mithalter der i m gemeinsamen Haushalt lebenden Tiere angesehen, unabhängig davon, wer deren Eigentümer war. Die Nutzung des Tieres und die Entscheidung hierüber wurden grundsätzlich als gemeinsame angesehen. 205 Schloß die Ehefrau für den i m ehelichen Haushalt gehaltenen H u n d auf ihren Namen eine Haftpflichtversicherung ab, so war sie grundsätzlich neben ihrem Ehemann auch selbst H a l t e r i n . 2 0 6 Die Ehe erscheint 199 AK-BGB / Kohl, 8; Berglar, 100; Bornhövd, VersR 1979,398; Deutsch, JuS 1987, 673, 678; MünchKomm / Mertens, 20; RGRK / Kreft, 45. 200 BGH VersR 1977, 864, 865; 1982, 348; 1988, 609, 610; Hamm VersR 1973, 1054; Köln VersR 1976, 197; Frankfurt VersR 1976, 1138; Celle VersR 1986, 396. 201 Hamm VersR 1970, 729; Celle VersR 1979, 161; vgl. oben 3 § 2 A I V 2b. 202 BGH VersR 1977, 864, 865; Hamm VersR 1973, 1054. 203 Berglar, 89; Staud. / Schäfer, 48; Wolf, 670. 204 RGRK/Kreft, 44; Frankfurt VersR 1956, 454. 205 Düsseldorf VersR 1972,403; Celle NJW 1970, 202; Nürnberg VersR 1964, 1178, 1179; Staud./Schäfer, 58; RGRK/Kreft, 42. 206 KG VersR 1987, 1042.
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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insoweit nach Dauer und Umfang der Nutzungs- und Entscheidungsmöglichkeiten den weitestgehenden Nutzungsverhältnissen vergleichbar. Allerdings bleibt regelmäßig auch der Eigentümer selbst Halter, da angenommen wird, daß beide Ehegatten zusammenwirken.
B. Die Halterschaft in der Phase der Übereignung (Kauf) Der K a u f w i r d überwiegend als Problem der Aufeinanderfolge von Haltern behandelt. 2 0 7 Betrachtet man die Situation indessen so, daß die Beteiligten i n der Phase des Eigentumsübergangs nebeneinander i n Beziehung zum Tier stehen, dann läßt sich der Halter auch hier unter Bezugnahme auf die Strukturelemente der Halterschaft bzw. nach deren Schwerpunkt bestimmen. Herrschaft und Interesse gehen stufenweise auf den Käufer über. Dann muß die Gewichtsverteilung i m Augenblick des verletzenden Tierverhaltens ermittelt werden.
I. Abstellen auf Übergabe oder Versendung L i t . u. Rspr. richten ihr Augenmerk auf den Zeitpunkt, in dem die Haltereigenschaft v o m Verkäufer auf den Käufer übergeht und orientieren sich dabei überwiegend an kaufrechtlichen Kriterien. Danach bleibt der Verkäufer regelmäßig Halter bis zur Übergabe bzw. Versendung des Tieres an den K ä u f e r . 2 0 8 A l s Tiere verkauft, zur Zeit der Verletzung aber noch nicht übergeben waren, 2 0 9 blieb der Verkäufer danach Eigentümer und auch Halter. A l s ein Tiger während der Schiffsreise von Asien nach Europa ausbrach, wurde indessen der europäische Käufer schon als Halter angesehen. 210 Zwar könnten grundsätzlich mehrere Personen gleichzeitig Tierhalter sein. Dies gelte aber nicht für Rechtsnachfolger, wie Käufer und Verkäufer. Die Verkäuferin des Tigers habe aufgehört, Halterin zu sein, denn sie habe alles getan, was ihr nach dem Kaufvertrag oblag. Kaufvertragliche Überlegungen wurden auch angestellt, als ein Pferd nach erfolgter Übereignung noch kurze Zeit i m Stall des Verkäufers stand, die Eigentumsverschaffung also der Übergabe vorausging. Der Käufer wollte das i m Stall des Beklagten stehende Pferd schon nach A b l a u f weniger Minuten mitnehmen, der Verkäufer sollte aber bis dahin auch i m eigenen, der Erfüllung des Kaufvertrages dienenden Interesse, die Fürsorge für das Pferd fortsetzen. Das Gericht lehnte es ab, einen eigenständigen Verwahrungsvertrag anzunehmen, ging aber davon 207 Hamburg HRR 1936 Nr. 872. 208 RGRK / Kreft, 47; Staud. / Schäfer, 54; Soergel / Zeuner, 17; Weimar, VersR 1967, 100, 101; Erman/Drees, 11; MünchKomm / Mertens, 22. 209 Hamburg OLG 14, 44; RG JW 1930, 2421 Nr. 31. 210 Hamburg HRR 1936, Nr. 872.
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3. Teil: Der Tierhalter
aus, die Parteien seien sich darin einig gewesen, daß entsprechend dem bisherigen Zustand die Verkäuferin bis zur Wegführung des Pferdes Halterin bleiben sollt e . 2 1 1 Denn zur Zeit der Verletzung habe noch die Verkäuferin i m eigenen, der Erfüllung des Vertrages dienenden Interesse durch Gewährung von Obdach und Unterhalt die Sorge für das Tier ausgeübt. Obschon auch hier einfach darauf abgestellt hätte werden können, daß die Übergabe noch nicht erfolgt war, wurde zusätzlich das Eigeninteresse herangezogen. Schon i m Tigerfall wurde angedeutet, daß der Tiger die Verkäuferin nichts mehr anging und das Interesse und die Bestimmungsmöglichkeit schon während des Transports allein beim Käufer lag.212
II. Abstellen auf die Strukturelemente der Halterschaft Betrachtet man diese Bezugnahmen auf Bestimmungsbefugnis und Eigeninteresse, dann erscheint es nicht mehr zwingend, beim Verkauf nach einem bestimmten allgemeinverbindlichen Zeitpunkt für den Übergang der Halterschaft zu suchen. Der Kaufvertrag bestimmt das Verhältnis der Parteien in der Phase des Eigentumsübergangs, also vor der Übereignung und falls diese der Übergabe vorausgeht möglicherweise auch noch nachher. Solange der Verkäufer Eigentümer ist und das Tier nicht übergeben oder versandt hat, ist er Halter. Wenn der Eigentumsübergang und die Übergabe an den Käufer erfolgte, dann ist dieser Halter. Dabei geht es aber nicht um Fragen des Kaufrechts, sondern um das Vorliegen der Entscheidungsgewalt und des Eigeninteresses bei der jeweiligen Person. Abgrenzungsprobleme können sich nur dann ergeben, wenn das Tier noch beim Verkäufer bleibt, obwohl dieser nicht mehr Eigentümer ist oder wenn das Tier an den Käufer übergeben wird, obwohl er noch kein Eigentum erworben hat, wie beim Vorbehaltskauf. Dann stehen Käufer und Verkäufer i m kritischen Zeitraum als mögliche Verantwortliche nebeneinander. Diese Situation enspricht strukturell derjenigen bei den Leistungs- oder Nutzungsverhältnissen und kann entsprechend behandelt werden. 2 1 3 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beziehung der Parteien i m Kaufvertrag selbst oder i n einem selbständigen Vertrag geregelt wurde oder ob man nur auf das faktische Verhalten der Parteien abstellt. Entscheidend ist dann, i n wessen Interesse das Tier nunmehr verwendet w i r d und wer die Bestimmungsbefugnis ausübt. Dies kann schon der Käufer sein, auch wenn er noch nicht Eigentümer wurde oder obwohl die Übergabe an ihn noch nicht erfolgt ist.
211 RG Warn. Rspr. 1910, Nr. 332. 212 Hamburg HRR 1936, Nr. 872. 213 Auch wenn der Kauf allein regelmäßig nicht zum mittelbaren Besitz führt; vgl. RGRK/Kregel, § 868, 14; Soergel / Mühl, § 868, 21; Staud./Bund, § 868, 35.
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C. Die Halterschaft bei Entlaufen, Fund und Diebstahl A l s gesonderter Problemkreis w i r d von Rspr. u. L i t . der Erwerb und Verlust der Halterschaft behandelt, 2 1 4 soweit dieser ohne rechtsgeschäftlichen Hintergrund erfolgt. A u c h dabei liegt die Vorstellung zugrunde, daß mehrere Personen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander in Beziehung zum Tier stehen. Soweit sich indessen auch diese Situationen so verstehen lassen, daß neben dem Eigentümer eine weitere Person als Beherrscher oder Nutzer des Tieres i n Betracht kommt, können sie unter Rückgriff auf die Strukturelemente der Halterschaft gelöst werden.
I. Entlaufene Tiere E i n Tier kann seinem Halter entlaufen und danach Schaden anrichten, etwa wenn ein Hund Schafe reißt oder einen Verkehrsunfall verursacht. 2 1 5 Früher wurde auf die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit abgestellt und zwischen vorübergehender Besitzentziehung und endgültigem Besitzverlust unterschied e n . 2 1 6 Die Halterschaft war beendet, wenn keine oder nur geringe Aussicht bestand, das Tier wiederzuerlangen. Dafür reichte es indessen nicht aus, daß ein Tiger während des Schiffstransportes aus seinem Käfig entkam, denn das Tier habe sich auch dann noch in Gefangenschaft befunden, nämlich auf dem Schiff. 2 1 7 Der B G H hat sich dann aber auf den Standpunkt gestellt, daß allein mit dem Entlaufen eines Tieres die Haltereigenschaft und damit die Haftung grundsätzlich noch nicht entfalle, auch wenn das Tier für den Halter als endgültig verloren gelten müsse. 2 1 8 Es komme gar nicht darauf an, ob der Besitz endgültig verloren sei. Der Grund der Halterhaftung liege vielmehr i n der Tiergefahr und auch das Entlaufen stelle eine solche dar. Die Tiergefahr könne sich nach dem Entlaufen sogar i n besonderem Maße auswirken. Es entspreche daher dem Normzweck des § 833 S. 1 B G B , wenn der Halter auch für das Risiko des Entlaufens als einer typischen Auswirkung der Tiergefahr einstehen müsse. Das Entlaufen sei die entscheidende Ursache für den späteren Schaden. Dieser Standpunkt ist auch in der Lit. verbreitet. 2 1 9
214 Planck / Greiff, 3 a u. 3 b; MünchKomm / Mertens, 21-22; RGRK / Kreft, 48; Soergel / Zeuner, 18-19; Staud. / Schäfer, 55 - 60. 215 BGH NJW 1965, 2397; vgl. auch RG JW 1916, 907 Nr. 6. 216 Vgl. dazu Wilts, VersR 1965, 1019, 1020; Weimar, JR 1963, 414, 415; Palandt/ Thomas, 9 u. 12; Enneccerus / Lehmann, 1017. 217 Hamburg HRR 1936, Nr. 872. 218 BGH NJW 1965, 2397. 219 Bonzio, RdL 1972, 229, 230; Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Erman/Drees, 11; MünchKomm / Mertens, 21; Staud. / Schäfer, 59; Weimar, JR 1963, 414, 416.
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3. Teil: Der Tierhalter
Einige A u t o r e n 2 2 0 haben diesen Gedanken indessen dahingehend weiterentwikkelt, daß es für die Haftung auf die Beendigung der Halterschaft insoweit zunächst gar nicht ankommt. Die Haftung kann auch Ereignisse nach deren Beendigung erfassen, denn sie muß nicht i m Zeitpunkt der Verletzung bestehen, sondern zur Zeit des haftungsrelevanten Tierverhaltens. Selbst wenn die Voraussetzungen der Halterschaft nicht mehr vorliegen, muß damit nicht gleichzeitig die Haftung entfallen. Denn die Gefahrverantwortung bestand zumindest i n dem Zeitpunkt, als mit dem Entlaufen eine für die spätere Verletzung entscheidende Ursache gesetzt wurde. Sie wirkt m i t h i n noch nach. Diese Sichtweise ergibt sich folgerichtig, wenn man davon ausgeht, daß der Halter für die Schaffung und Unterhaltung der Gefahrenquelle haftet. Dann treffen ihn auch die Folgen des Entlaufens, da dieses Tierverhalten eine relevante Verletzungsursache ist. Z u m Schutz des Verletzten w i r d nicht das unmittelbar schadensstiftende Tierverhalten als Verletzungsursache gesehen, sondern das Entlaufen selbst. Da dann aber ohnehin nur eine Person als Gefahrverantwortlicher i n Betracht kommt, verlagert sich das Problem von der Gefahrverantwortung
(Halterschaft) zur Gefahrzurechnung
(Tiergefahr). Daraus ergibt sich auch, daß mit dem Zeitablauf die Bedeutung des Entlaufens als Beitrag zur Verletzung mehr und mehr a b n i m m t . 2 2 1 Dieser Rückgriff auf das Entlaufen als Tierverhalten, das vor dem unmittelbar verletzenden Tierverhalten liegt, ist aber nur zu rechtfertigen, wenn zur Zeit des unmittelbar verletzenden Tierverhaltens niemand verantwortlich ist. Dieser Zusammenhang w i r d daher unterbrochen, sobald eine andere Person (z. B. der Finder) zwischenzeitlich Halter w u r d e . 2 2 2
II. Gefundene und zugelaufene Tiere Nach L i t . 2 2 3 u. R s p r . 2 2 4 w i r d der Finder eines Tieres nicht Halter, solange er das Tier nicht i m eigenen Interesse i n Besitz nimmt, also solange er die Absicht zu erkennen gibt, das Tier an den Eigentümer zurückzugeben. Dies kann insbesondere der Fall sein, solange er das Tier für den i h m bekannten Halter verwahren w i l l oder solange er Ermittlungen nach dem unbekannten Halter anstellt. Der Finder w i r d selbst Halter, sobald er die Absicht kundtut, das Tier für sich zu behalten oder die zunächst vorhandene Rückgabeabsicht später aufgibt. Ein Hin220 wilts, VersR 1965, 1019, 1020; Soergel / Zeuner, 12; Larenz, Methodenlehre, 220; A K - B G B / K o h l , 8; RGRK/Kreft, 40 221 Vgl. oben 2 § 2 B I V 4; § 4 B I I I 1. 222 Zum Ende der Nachwirkung vgl. RGRK/Kreft, 40; Staud./Schäfer, 45 u. 5960; Wilts, VersR 1965, 1019, 1020; Soergel / Zeuner, 12. BGH NJW 1965, 2397 hatte dieses Problem ausdrücklich offengelassen. 223 A K - B G B / K o h l , 8; RGRK/Kreft, 48; Soergel/Zeuner, 19; Staud. / Schäfer, 45 u. 53; Erman/Drees, 11; Larenz, Schuldrecht II, 705; Medicus, Schuldrecht II, 390; Deutsch, JuS 1987, 673, 678. 224 LG Düsseldorf VersR 1968,99; L G Mönchengladbach VersR 1967,486; Nürnberg MDR 1978, 757
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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weis darauf kann sich auch aus der Besitzdauer ergeben. So ist angenommen worden, daß nach sechs Monaten der Finder genügend Zeit gehabt hätte, das Tier i n einem Tierheim unterzubringen oder beim Fundamt oder der Polizeibehörde abzugeben. Er hätte alles daran setzen müssen, den Hund anderweitig unterzubringen, denn es mußte i h m klar sein, daß die Ermittlung des Eigentümers nach so langer Zeit nicht mehr möglich w a r . 2 2 5 Der Finder w i r d danach insbesondere dann Halter, wenn er das Tier nicht nur für den Halter verwahrt, sondern i m eigenen Interesse verwendet. Bei der Aufnahme eines Hundes in ein Tierschutzheim konnte ein eigenes Interesse des Tierschutzvereins indessen nicht daraus hergeleitet werden, daß aufgrund der Tierliebe der Mitglieder die Pflege dem Zweck des Heims entsprach. Der Tierschutzverein unterscheide sich insofern nicht v o m normalen Finder, der ein Tier nur bei sich aufnehme, w e i l er Tierliebhaber sei. A u c h die Weitergabe der Tiere bei Nichtauffinden des Eigentümers erfolge noch unter Wahrung von dessen Interesse, da die Tiere bei Meldung des Eigentümers an diesen zurückgegeben werden müßten. Selbst aus dem schließlichen Verkauf des Tieres durch das Tierschutzheim könne nicht geschlossen werden, daß der Verein das Tier behalten wolle. Das Entgelt umfasse nicht die Substanz des Hundes, sondern decke nur die Unkosten der Verwahrung. 2 2 6 A u c h beim Fund spielen demnach die Bestimmung über die Verwendung des Tieres und die Nutzung i m eigenen Interesse die entscheidende Rolle. Es k o m m t darauf an, ob der Finder dem Tier selbst eine Zweckbestimmung gibt, oder ob er die Entscheidungsgewalt des i h m unbekannten Eigentümers respektiert. Übt er neben der unmittelbaren Gewalt auch die Bestimmungsbefugnis aus, dann w i r d er dadurch zum Halter. Dies kann allein aufgrund der langen Zeitdauer des Besitzes geschehen, m i t der sich der Einfluß des Eigentümers mehr und mehr abschwächt. Hierfür spricht aber insbesondere, wenn der Finder beginnt, das Tier für sich zu nutzen. Erkennt er indessen das Bestimmungsrecht des Eigentümers an, handelt er also nur vorläufig und i n dessen (mutmaßlichem) Interesse, dann löst der diesen nicht in der Halterposition ab. Selbst wenn die Beteiligten sich nicht kennen, entsprechen diese Überlegungen strukturell denjenigen zur Halterschaft innerhalb von Leistungs- oder Nutzungsverhältnissen. Die Halterschaft kann nach dem Umfang der v o m Finder tatsächlich i n Anspruch genommenen Bestimmungsbefugnis und Nutzungsvorteile bestimmt werden.
III. Gestohlene Tiere E i n Diebstahl soll die Halterschaft beenden, weil dadurch die Einwirkungsmöglichkeit auf Dauer entzogen w i r d . 2 2 7 A u c h hier kann man indessen auf die Ent225 Nürnberg MDR 1978, 757. 226 L G Mönchengladbach VersR 1967, 486.
3. Teil: Der Tierhalter
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scheidungsgewalt und die Nutzungsmöglichkeit abstellen. Diese liegen nunmehr beim Dieb, da dieser sich die Stellung des Eigentümers anmaßt. Der Dieb erkennt nicht dessen Bestimmungsbefugnis an, sondern bestimmt selbst über das Tier und nutzt es nicht für den Eigentümer, sondern für eigene Zwecke. Daher ist er Halter.
D. Der Schutz des minderjährigen Halters I n der L i t . w i r d mitunter die Frage gestellt, ob Geschäftsunfähige durch eigenen Entschluß Halter werden können. 2 2 8 D a b e i geht es aber eigentlich nicht um die Halterschaft, sondern u m den Schutz des Minderjährigen vor den Folgen der Halterhaftung. Hierfür werden zwei Wege vorgeschlagen. Die erforderlichen Regelungen lassen sich entweder aus den Bestimmungen über Rechtsgeschäfte (§§ 104 ff. B G B ) entnehmen oder aus dem Deliktsrecht (§§ 828 f B G B ) . Die rechtsgeschäftliche Lösung geht von dem Gedanken aus, daß ein Minderjähriger ohne weiteres Besitz und Eigentum an einem gefährlichen Tier erlangen kann, wenn es i h m z. B. geschenkt und übergeben wird, da i h m dies nur rechtlichen Vorteil bringt. Der gleichzeitige Erwerb der Halterschaft belastet ihn indessen m i t der Gefährdungshaftung. Daraus w i r d die Vorstellung entwickelt, daß der Erwerb der Halterschaft nicht aus eigenem Entschluß möglich sein kann. Macht man den Erwerb der Halterschaft von der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters abhängig, 2 2 9 dann entsteht zunächst ein Schwebezustand, während dessen die Haltereigenschaft unklar bleibt. Es stellt sich auch die Frage, welche Folgen für die Haltereigenschaft sich aus der verdeckten Unzurechnungsfähigkeit Volljähriger ergeben. Eine Reihe von Autoren befürwortet daher die Heranziehung der deliktischen Vorschriften. 2 3 0 Sie hebt hervor, daß § 833 S. 1 B G B eher dem Deliktsrecht nahestehe, da es u m den Eingriff in geschützte Rechtsgüter gehe. Hierfür spreche auch die systematische Stellung der Vorschrift. Allerdings kann auch hier wegen § 828 I I B G B die Feststellung des Halters für geraume Zeit in der Schwebe bleiben. Die Heranziehung von Vorschriften über die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder über unerlaubte Handlungen i m Bereich der Gefahrverantwortung verdeutlicht, daß auch die Gefährdungshaftung m i t dem Strukturelement der 227 Staud. / Schäfer, 60; RGRK/Kreft, 40; AK-BGB / K o h l , 8; Erman/Drees, 11; Medicus, Schuldrecht II, 390; MünchKomm / Mertens, 22. 228 RGRK/Kreft, 42; Soergel / Zeuner, 12; Erman/Drees, 10; A K - B G B / K o h l , 8; Weimar, MDR 1967, 100, 101; Bondzio, RdL 1972, 229, 230; Staud. / Schäfer, 56-57; MünchKomm / Mertens, 19 u. 23. 229 Canaris, NJW 1964, 1987, 1991; RGRK/Kreft, 42; Weimar, MDR 1967, 100, 101; Larenz, Schuldrecht II, 706. 230 MünchKomm / Mertens, 23; Staud. / Schäfer, 56; Medicus, Schuldrecht II, 390; Bondzio, RdL 1972, 229, 231; Deutsch, JuS 1981, 317, 324; 1987, 673, 678; Hofmann, NJW 1964, 228, 232; Caemmerer, FS Flume, 359, 363.
§ 3 Anwendbarkeit der Strukturelemente auf alle Problemkreise
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Entscheidungsgewalt des Halters noch ein Stück der Zurechnung zur menschlichen Willensfreiheit beinhaltet. 2 3 1 Die Verantwortlichkeit des Halters gründet auch in der willentlichen Schaffung und Unterhaltung der Gefahrenquelle. Dabei geht es aber keinesfalls u m den deliktischen oder rechtsgeschäftlichen W i l l e n , der sich auf konkrete Ereignisse bezieht, sondern nur noch darum, die grundsätzliche Willensfreiheit des Menschen in Erinnerung zu bringen und klarzustellen, daß der Mensch auch i m Recht der Gefährdungshaftung letztlich nicht wie eine Sache behandelt wird, die einzig und allein Zwangsläufigkeiten ausgesetzt ist. Diese Willensfreiheit könnte indessen nur durch die Beseitigung der Gefahrenquelle konkret realisiert werden, spielt jedoch positiv als Voraussetzung der Haftung keine Rolle, sondern nur als gedachte Möglichkeit. I n der Gefährdungshaftung bleibt der menschliche W i l l e eine hypothetische Voraussetzung und gedankliche Grundlage, die als Gegebenheit respektiert, von der aber kein konkreter Gebrauch gemacht wird. Dies reicht aber immerhin aus, um den Überlegungen zum Minderjährigenschutz ihre Berechtigung zu geben. Die Frage lautet dann, ob ein Mensch für den Bestand der Gefahrenquelle aufgrund seiner Einsichtsfähigkeit verantwortlich gemacht werden kann. Das Abstellen auf den Erwerb der Halterschaft w i r d den Besonderheiten der Gefährdungshaftung aber nicht gerecht, denn es provoziert in unnötiger Weise die Suche nach konkreten rechtsgeschäftlichen oder geschäftsähnlichen Handlungen, welche die Halterschaft begründen und auf die sich auch die erforderliche Zustimmung beziehen kann. Die Zurechnungsfähigkeit selbst ist ein Zustand, der von konkreten Handlungen unabhängig ist. Der Halter ist für das Tier verantwortlich, weil er die bestimmende Herrschaft über seine Existenz und Verwendung ausübt und die Vorteile aus der Nutzung zieht, ohne daß es darauf ankommt, wie diese Lage herbeigeführt wird. Die Zurechnungsfähigkeit ist keine Voraussetzung der Haltereigenschaft. Das Problem des Minderjährigenschutzes besteht deshalb nicht darin, ob dieser Halter i s t , 2 3 2 sondern darin, ob auch der minderjährige Halter haftet. Dabei w i r d man sich dann durch analoge Anwendung die haftungsrechtlichen Vorschriften in den §§ 828 f B G B zunutze machen. Da es also nicht um eine Frage der Halterschaft geht, spielen hier auch deren Strukturelemente keine Rolle.
231 Vgl. Deutsch, JuS 1987, 673, 678; Esser, Grundlagen, 94; Hofmann, NJW 1964, 228, 231 u. oben 1 § 2 B I I 2. 232 Anders ausdrücklich Hofmann, NJW 1964, 228.
3. Teil: Der Tierhalter
222
§ 4 Das Merkmal der Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung A. Die Strukturelemente Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse in ihrem Funktionszusammenhang A u f der Stufe der Gefahrverantwortung geht es u m die Zuordnung der verletzenden Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen. Diese Funktion übernimmt das Tatbestandsmerkmal der Halterschaft, zu dessen näherer Bestimmung i n Lit. u. Rspr. eine Reihe von Kriterien entwickelt wurden. Diese stehen aber nicht gleichwertig nebeneinander. Nach dem Normzweck der Tierhalterhaftung sind vielmehr zwei Momente maßgeblich, die Nutzung des Tieres i m Eigeninteresse und die Entscheidungsgewalt über dessen Existenz und Verwendung. 2 3 3 Wer v o m Tier den Nutzungsvorteil hat, soll gerechterweise auch die hieraus entstehenden Lasten tragen. Wer die Gefahrenquelle unterhält und damit auch die Situationen vorherbestimmt, i n denen sie wirksam werden kann, der soll auch für die hieraus entstehenden Folgen eintreten. Diese Überlegungen begründen i n ihrem Zusammenwirken die Gefahrverantwortung. Sie prägen das Merkmal der Halterschaft, indem sie sich gegenseitig ergänzen und bestätigen. Dadurch erweisen sie sich als doppelte Ausprägung derselben Strukturkomponente (Gefahrverantw o r t u n g ) 2 3 4 und können als Strukturelemente bezeichnet werden, aus denen sich ein Wertungsmodell für die Bestimmung des Gefahrverantwortlichen entwickeln läßt. Dadurch unterscheiden sie sich grundlegend von den übrigen Kriterien, die nur Indizwirkung für das Vorliegen oder die Intensität eines der Strukturelemente haben können, für sich allein aber nicht ausschlaggebend sind. 2 3 5
B. Der Modellcharakter der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse für die Halterbestimmung I. Die Bestimmungsbefugnis des Eigentümers Für die Halterstellung wesentlich ist die Bestimmungsmöglichkeit über die Verwendung des Tieres, nicht die Möglichkeit der tatsächlichen Einwirkung. Die Bestimmungsbefugnis liegt regelmäßig beim Eigentümer, während die unmittelbare Einwirkung auf das Tier ganz oder teilweise, kurzfristig oder dauernd, von anderen Personen ausgeübt wird, die Besitzdiener oder unmittelbare Besitzer sind. Sie bestimmen, ob das Tier nach rechts oder links gehen, stehen oder liegen, 233 V g l . o b e n 1 § 2 B I 2 .
234 Vgl. oben 3 § 2 C. 235 Vgl. oben 3 § 1 B.
§ 4 Die Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung
223
laufen oder fressen soll. Bei alledem erkennen sie aber die grundsätzliche Bestimmung über den allgemeinen Verwendungszweck des Tieres an, die der Eigentümer getroffen hat. Diese Situation ergibt sich zumeist innerhalb von Rechtsverhältnissen, die den Einwirkenden zu bestimmten Leistungen am oder m i t dem Tier verpflichten, ohne i h m aber eine Nutzungsbefugnis einzuräumen. Für die Gefahrverantwortung sind diese konkreten einzelnen Einwirkungen auf das Tier unerheblich. Wenn der Eigentümer sie anderen überläßt oder überträgt, dann bleibt er H a l t e r . 2 3 6 Wesentlich ist demgegenüber die Entscheidung über die Existenz und Verwendung des Tieres. Das Tier ist, wie jede Sache, stets einem bestimmten allgemeinen Zweck gewidmet. Es dient zu etwas. Dadurch w i r d es zum Reitpferd, Zugpferd, Wachhund, Schoßhund, Schlachtochsen oder Suppenhuhn. Diese Zweckbestimmung gestaltet das bloße Vorhandensein des Tieres faktisch aus und geht jeder konkreten Einflußnahme auf das Tier voraus. Einzelheiten über Inhalt und Bedeutung der allgemeinen Zweckbestimmung lassen sich der Rspr. u. Lit. zu § 833 S. 2 B G B entnehmen, zu dessen Tatbestandsvoraussetzungen u. a. die Zweckbestimmung eines Tieres für Beruf, Unterhalt oder Erwerbstätigkeit gehört. Danach ist z. B. für die Nutztiereigenschaft allein die v o m Halter dem Tier gegebene allgemeine Zweckbestimmung von B e l a n g . 2 3 7 Der Halter ist die für diese Bestimmung entscheidende Person. Deren äußerliche Erkennbarkeit w i r d nicht verl a n g t . 2 3 8 Es kommt allein auf den W i l l e n des Halters an. Die Entscheidung über die Existenz und Verwendung des Tieres liegt regelmäßig beim Eigentümer. Sie kann indessen auch auf andere Personen übertragen sein, die hierdurch neben oder anstelle des Eigentümers Halter werden können.
II. Beschränkung der Entscheidungsgewalt durch Überlassen der Nutzungsvorteile Diese Lage ergibt sich insbesondere dann, wenn der Eigentümer sein Tier nutzt, indem er anderen die Nutzungsmöglichkeit für eine gewisse Dauer einräumt. Die Regelung über den Umfang und Inhalt der Tiernutzung enthält gleichzeitig eine Bestimmung über den Verwendungszweck des Tieres oder zumindest über die Möglichkeit, den allgemeinen Verwendungszweck des Tieres während der Dauer des Rechtsverhältnisses zu bestimmen oder zu verändern. 2 3 9 Bei Nutzungsüberlassungverträgen erlangt der Vertragspartner die Möglichkeit, die Vorteile aus der Arbeitskraft oder Substanz des Tieres für sich in Anspruch zu
236 Vgl. oben 3 § 2 B I ; § 2 A I ; § 3 A I . 237 Vgl. z. B. Staud. / Schäfer, 105; RGRK / Kreft, 76; RG JW 1917, 286 Nr. 6; BGH VersR 1962, 807, 808. 238 RGRK/Kreft, 76. 239 Vgl. oben 3 § 2 C.
224
3. Teil: Der Tierhalter
nehmen. 2 4 0 Dies kann durch Schuldverträge geschehen, bei denen die Nutzungsüberlassung i m Mittelpunkt steht (Leihe, Miete, Pacht), durch andere Rechtsverhältnisse, die auch die Nutzung eines Tieres ermöglichen (Tierpensionsverträge, Ehe) oder auch durch Einräumen dinglicher Rechte (Nießbrauch). Durch die Nutzungsübertragung w i r d gleichzeitig die Bestimmungsgewalt des Eigentümers beschränkt, denn dieser verliert die Möglichkeit, die Zweckbestimmung des Tieres während der Vertragsdauer ohne weiteres zu ändern. Aber auch der Nutzungsberechtigte w i r d vertraglich auf diese Zweckverfolgung festgelegt. Der Umfang der Nutzungsübertragung beeinflußt den Umfang der verbliebenen oder übertragenen Bestimmungsbefugnis und w i r d dadurch zum Kriterium der Halterschaft. Diese hängt dann von der Ausgestaltung des Vertrages i m einzelnen ab. Der Nutzungsberechtigte erlangt nur eine schwache Stellung, wenn dem Eigentümer die Möglichkeit verbleibt, die Nutzungsübertragung jederzeit von sich aus aufzuheben. Dies gilt für die Leihe, für Verträge mit erweiterten Kündigungsmöglichkeiten oder m i t der Möglichkeit, i n sonstiger Weise auch nach Vertragsschluß noch auf den Verwendungszweck einzuwirken. Dabei verbleibt dem Eigentümer letztlich die Bestimmungsmöglichkeit und damit die Halterschaft. Eine starke Stellung erhält der Nutzer indessen, wenn i h m das Recht eingeräumt wird, über den Verwendungszweck des Tieres nach Vertragsschluß selbständig zu entscheiden, d. h. ihn von sich aus zu ändern. Dann verliert der Eigentümer jede Entscheidungsmöglichkeit und damit die Halterschaft. A u f derartige Vertragsgestaltungen werden sich die Beteiligten jedoch regelmäßig nicht einlassen. Während der Vertragsdauer kann i m Normalfall weder der Eigentümer noch der Nutzer über den Verwendungszweck oder gar über die Existenz des Tieres bestimmen. M a n kann aber in Betracht ziehen, wer diesen vertraglich festgeschriebenen Verwendungszweck maßgeblich bestimmt hat. M a n könnte sagen, daß dies grundsätzlich durch Eigentümer und Nutzer gemeinsam und einverständlich erfolgt ist und so zur Mithalterschaft beider gelangen. M a n könnte darauf abstellen, daß letztlich der Eigentümer sich entschieden hat, das Tier durch Nutzungsüberlassung zu nutzen und daß nach Vertragsablauf die Entscheidungsgewalt an ihn zurückfällt, so daß er Halter bleibt. M a n kann aber auch darauf abstellen, ob eine Partei die konkrete vertragliche Festlegung entscheidend beeinflußt hat. Entspricht diese der bisherigen Verwendung des Tieres, dann ändert sich nur die Person des Verwenders, der die unmittelbaren Nutzungsvorteile erlangt. Hinsichtlich der Zweckbestimmung hat sich der Eigentümer durchgesetzt und bleibt damit Halter. W i r d i m Vertrag indessen ein neuer Nutzungszweck für das Tier festgelegt, dann war der Nutzer die bestimmende Kraft beim Vertragsschluß und w i r d dadurch Halter. Diese Überlegung versagt aber, wenn i m Vertrag überhaupt erstmals eine Zweckbestimmung getroffen wurde. Dann kommt es darauf an, wer seine Vorstellung i m Vertrag durchgesetzt hat. Kriterien hierfür liegen i m Umfang der eingeräumten 240 Vgl. oben 3 § 2 A I; B I; § 3 A I I - I V .
§ 4 Die Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung
225
Nutzungsmöglichkeiten und in extremen Fällen auch in der langen Nutzungsdauer. Je länger der Nutzungsberechtigte unwiderruflich die Nutzung erlangt und j e größer sein A n t e i l an den Unterhaltslasten ausfällt, desto stärker sind auch die Anzeichen dafür, daß i m wesentlichen er über den Nutzungszweck bestimmt oder bestimmt hat. M a n könnte dies auch so ausdrücken, daß er zumindest „wirtschaftlich" die Stellung des Bestimmenden erlangt hat. Dadurch w i r d er Halter.
III. Die Typologie der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse Der Einfluß des Eigentümers auf den Verwendungszweck des Tieres w i r d demnach u m so geringer, je mehr Nutzungsrechte er einem anderen vertraglich einräumt und je unwiderruflicher diese Rechte bestellt sind. Je stärker die Stellung des Nutzungsberechtigten gegenüber dem Eigentümer ist, desto eher w i r d die Halterschaft auf ihn übergehen. Der Einfluß des Eigentümers ist am stärksten in Arbeitsverträgen und andereren Rechtsverhältnissen, die nicht einmal zum Besitz des Vertragspartners führen. Andere Leistungsverhältnisse, wie Dienst- u. Werkvertrag, können zwar zum unmittelbaren Besitz führen, begründen aber grundsätzlich keine Nutzungsbefugnis. Bei Verwahrung, Auftrag oder Geschäftsbesorgung hat der Verpflichtete typischerweise keine Nutzungsbefugnis, kann sie aber bei bestimmten Vertragsgestaltungen haben, etwa bei der Tierpension. Bei diesen Verträgen mit Nutzungsbefugnis oder bei solchen, die i m Kern auf Nutzungsüberlassung gerichtet sind, wie Miete und Leihe, kommen sowohl der Eigentümer, wie auch der Nutzer als Halter i n Betracht. Dabei w i r d auf den Schwerpunkt von Herrschaft und Interesse (Tierpension) oder auch auf die extrem lange Zeitdauer (Miete und Leihe) abgestellt. Einige Rechtsverhältnisse führen schließlich regelmäßig zur Halterschaft des Nutzenden, etwa die Pacht oder der Nießbrauch, der ein dingliches Recht einräumt und dem Nutzungsberechtigten insofern eine besonders starke Position verschafft. I n diesem Zusammenhang kann auch die Ehe gesehen werden, bei der die gemeinsame Entscheidung und die Dauer ins Gewicht fallen. Dadurch entsteht eine Stufenfolge von Rechtsverhältnissen, 2 4 1 aus der sich die Verteilung der Strukturelemente auf die Beteiligten und damit die Halterschaft ablesen läßt.
Eigentümer bleibt regelmäßig Halter
Ermittlung des Halters nach Schwerpunkt bzw. Dauer
Nichteigentümer wird regelmäßig (auch) Halter
Verträge über Verrichtungen am oder mit dem Tier
Verträge mit zusätzlichem Nutzungsrecht
z.B. Nießbrauch, Ehe, usf. (Mithalter)
Nutzungsüberlassungsverträge
Schema Nr. 10 24i Vgl. oben 3 § 3 A. 15 Lorenz
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3. Teil: Der Tierhalter
IV. Halterschaft in der Phase des Eigentumsübergangs Geht die Eigentümerstellung und die i n ihr enthaltene Bestimmungsbefugnis auf eine andere Person über, dann wechselt auch die Halterstellung. A u c h beim K a u f ist die Situation zwischen den Vertragspartnern strukturell dieselbe, wie bei den Leistungs- oder Nutzungsverhältnissen. 2 4 2 Es k o m m t nicht darauf an, ob i m Kaufvertrag selbst oder i n einer zusätzlichen Vereinbarung die Nutzungsund Bestimmungsmöglichkeiten für diese Übergangsphase geregelt sind oder nur faktisch von einem der Beteiligten i n Anspruch genommen werden. Unterstellt sich der Verkäufer bereits der Zweckbestimmung des Käufers, so w i r d dieser Halter. Die Typologie der Leistungs- und Nutzungsverhältnisse kann nutzbar gemacht werden, indem man darauf abstellt, welcher dieser vertraglichen Gestaltungen das Verhalten und die Interessenlage der Parteien am ehesten entspräche.
C. Die Bestimmung des Halters ohne rechtsgeschäftliche Grundlage Die Leistungs- und Nutzungsverhältnisse der Beteiligten haben zwar nur Indizwirkung für deren haftungsrechtliche Verantwortung i m Bezug auf das Tier. Die Typologie dieser Verträge hat aber Modellcharakter für das Verhältnis mehrerer Anwärter auf die Halterschaft auch ohne rechtsgeschäftliche Grundlage. 2 4 3 Denn fehlt es am Vertrag oder w i r d er nicht eingehalten, dann muß trotzdem der Gefahrverantwortliche bestimmt werden. A u c h dann geht es um die Verteilung der Verantwortlichkeit an Hand der Strukturelemente. Verliert der Eigentümer die Entscheidungsmöglichkeit über die Verwendung des Tieres, so kann diese einfach untergehen, wie beim schlichten Entlaufen des Tieres. Da aber zumindest das Entlaufen selbst ein Tierverhalten darstellt, für welches der Halter verantwortlich ist, kann die Gefahrzurechnung des Verletzungserfolges zu diesem Tierverhalten in Betracht kommen. Dadurch verschiebt sich das Problem von der Zurechnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen (Halterschaft) auf die Ebene der Zurechnung von Gefahrenquelle und Verletzungserfolg (Tiergefahr) und bemißt sich nach den Grundsätzen über die Gefahrzurechnung. 2 4 4 Erlangt ein Nichteigentümer ohne rechtsgeschäftliche Grundlage den Besitz am Tier, etwa der Dieb oder der Finder, so kann damit auch die Entscheidungsgewalt auf ihn übergehen. 2 4 5 Wesentlich ist, ob er durch sein Verhalten die Zweckbestimmung über das Tier für sich in Anspruch nimmt. Ignoriert er schon durch die A r t und Umstände der Besitzerlangung grundsätzlich die Zwecksetzung des Eigentümers und maßt sich diese selbst an, etwa beim Diebstahl, so geht auch 242 243 244 245
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
oben oben oben oben
3 3 3 3
§3 §3 §3 §3
B. C. C I. C II-III.
§ 4 Die Haltereigenschaft als Ausprägung der Gefahrverantwortung
227
die Halterschaft auf ihn über. Nutzt er das Tier in sonstiger Weise ohne Vertragsregelung oder über eine solche hinaus, dann kann die Vertragstypologie entsprechend nutzbar gemacht werden, u m festzustellen, i n welchem Umfang m i t der außervertraglichen Nutzung auch die Entscheidungsgewalt übergeht. Es geht dann nicht darum, welche Befugnisse dem Nutzer zustehen, sondern darum, welche er sich selbst herausnimmt. So kann man etwa fragen, wie über die Halterschaft zu entscheiden wäre, wenn die Beteiligten die tatsächlich bestehende Lage vereinbart hätten. Zieht der Besitzer aus dem Tier gar keine Vorteile, nutzt er das Tier nur i n geringem Umfang oder für kurze Zeit, dann geht die Entscheidungsgewalt nicht auf ihn über. Er ordnet sich der bestehenden Nutzungsbestimmung des Eigentümers unter, selbst wenn er deren Inhalt und die Person des Eigentümers gar nicht kennt. Dieser bleibt daher Halter. Nutzt der Besitzer das Tier jedoch überwiegend für sich, dann w i r d er Halter, auch wenn ihm die Nutzung letztlich nicht zusteht und er dem Eigentümer rechtlich zu deren Herausgabe oder zum Wertersatz verpflichtet wäre. Denn ob es hierzu kommt, ist offen.
D. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahrverantwortung — Das Merkmal der Haltereigenschaft leistet die Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen, also zu derjenigen Person, die das Tier i m eigenen Interesse nutzt und über seine Verwendung und Existenz entscheidet. — A l l e i n Rspr. und L i t . verwendeten Halterkriterien lassen sich als Indizien der Strukturelemente Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt verstehen. Das Nutzungsinteresse w i r d seinerseits zum Anhaltspunkt der Entscheidungsgewalt über die Zweckbestimmung des Tieres i m Rahmen von Nutzungsverhältnissen. Die Sorge für Obdach und Unterhalt des Tieres, das Verlustrisiko, die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit, der unmittelbare Kontakt und die Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb erweisen sich als unbrauchbare oder zweifelhafte Indizien, auf die verzichtet werden kann. Durch die Indizien Eigentum, mittelbarer Besitz und Lastentragung läßt sich feststellen, bei welcher von mehreren Personen die Strukturelemente überwiegend gegeben sind. — Die beiden Strukturelemente Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt bestimmen in jeder Situation, welche von mehreren Personen als Halter i n Betracht kommt. Aus den typischen Vertragsgestaltungen zwischen Konkurrenten um die Halterschaft läßt sich danach ein Wertungsmodell für ihre Gefahrverantwortung i m Bezug auf die Gefahrenquelle entwickeln, das auch beim Überschreiten oder Fehlen vertraglicher Befugnisse verwertbar bleibt. — Halter ist danach regelmäßig zunächst der Eigentümer oder die Person, die sich wie ein Eigentümer verhält. Wer nur Verrichtungen am Tier vornimmt, ohne Nutzungsvorteile aus i h m zu ziehen, w i r d nicht Halter. Wer dagegen 15*
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3. Teil: Der Tierhalter
das Tier sehr langfristig oder ausschließlich nutzt, w i r d Halter. K o m m e n mehrere Personen nebeneinander als Bestimmende oder als Nutzer des Tieres in Betracht, dann ist Halter, wer aufgrund sehr langer Nutzungsdauer oder überwiegender Lastentragung das überwiegende Eigeninteresse (Gesamtinteresse) am Tier und damit den überwiegenden A n t e i l an der Bestimmung über dessen Verwendung hat.
4. Teil
Der Verletztenbeitrag — Gegenüberstellung der Erfolgsbeiträge von Tierhalter und Anspruchsteller § 1 Die dogmatischen Ansatzpunkte zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags Der Tierhalter haftet nach § 833 S. 1 B G B nur für Rechtsgutsverletzungen, die gerade aus der i h m zugeordneten Gefahrenquelle entstehen. Das Merkmal der Halterschaft stellt den Zusammenhang von Gefahrenquelle und Gefahrverantwortlichem her, das Merkmal der Tiergefahr ordnet die Verletzung gerade der Gefahrenquelle zu. Es beinhaltet deren Bestimmung und die Feststellung ihrer Relevanz i m Vergleich zur Vielzahl gefahrfremder Faktoren, die weder in die Verantwortung des Halters, noch i n die des Verletzten fallen. A u f diese Weise w i r d der Verletzungsbeitrag ermittelt, der dem Schädiger gerade i n seiner Eigenschaft als Tierhalter zuzurechnen ist. Dabei ist aber noch nicht berücksichtigt, ob auch der Verletzte selbst zu seiner Verletzung beigetragen hat und wie stark dieser Beitrag gegenüber der M i t w i r k u n g des Tieres ins Gewicht fällt. Die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags erfolgt in Rspr. u. L i t . — wenn auch m i t inhaltlich ähnlichen Erwägungen — durch drei ganz unterschiedliche dogmatische Ansätze, die Ausprägungen derselben Strukturkomponente (Gefahr- oder Beitragsabwägung) sind: — die Begrenzung der Gefahrzurechnung nach dem Normzweck (persönlicher Schutzbereich), — den vertraglichen Haftungsausschluß, — die Berufung auf die Mitverursachung gem. § 254 I B G B . V o r dem Hintergrund der Normstruktur verdienen die unterschiedliche Überzeugungskraft der einzelnen Ansätze und die besonderen Schwierigkeiten bei der Entwicklung angemessener Kriterien (ohne funktionswidrigen Rückgriff auf Gefahrverantwortung und Gefahrabwägung) besondere Aufmerksamkeit. Der Beitrag des Verletzten kann zunächst durch die Einführung eines weiteren ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals schon innerhalb von § 833 S. 1 B G B selbst berücksichtigt werden, indem die Reichweite der Halterhaftung nach deren Normzweck von vornherein beschränkt w i r d . 1 Sie soll dem Verletzten nur zugute i Vgl. unten 4 § 2.
230
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
kommen, wenn dieser nicht selbst einen so gewichtigen Beitrag zur Verletzung leistet, daß sein Schutz durch diese Vorschrift als nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Durch die Ermittlung des persönlichen Schutzbereichs soll die Haftung i n entsprechender Weise begrenzt werden, wie dies auch durch das Merkmal der Tiergefahr geschieht, das den sachlichen Schutzbereich umschreibt. Dieser A n satz betont die strukturelle Übereinstimmung zwischen der Behandlung von Fremdbeiträgen und von Verletztenbeiträgen als Teilaspekten der Gefahrzurechnung. Daher geht es u m die Entwicklung entsprechender Wertungskriterien. Verletzter und Halter können auch durch vertragliche Vereinbarung eine eigenständige besondere Risikoverteilung vornehmen, die Haftung für Tierschäden also durch Rechtsgeschäft beschränken oder ausschließen. 2 E i n solches Sonderreglement der Risikoverteilung geht der allgemeinen gesetzlichen Risikoverteilung gem. § 833 S. 1 B G B vor. Dann ist zunächst nicht der Norm zweck der Halterhaftung Auslegungshintergrund, sondern der Parteiwille. Wenn eine ausdrückliche Vereinbarung über die Risikoverteilung aber nicht \ or liegt, wie dies meistens der Fall ist, muß dieser Parteiwille regelmäßig erst erschlossen werden. Hierfür ist die Gewichtsverteilung zwischen Halter- und Verletzteninteresse maßgeblich. Mangels anderer Anhaltspunkte steht dabei regelmäßig der konkrete Beitrag des Verletzten und seine Bewertung i m Mittelpunkt, so daß auch der vertragliche Haftungsausschluß letztlich zum Problem der Berücksichtigung des Verletztenbeitrags wird. Dies gilt für die ergänzende Auslegung bestehender Verträge und erst recht dann, wenn die Risikoverteilung durch ein eigenständiges Rechtsgeschäft erfolgen soll. Das Gesetz hält für die Gegenüberstellung von Halter- und Verletztenbeiträgen m i t § 254 I B G B schließlich eine Vorschrift bereit, die für das ganze Haftungsrecht gilt und demzufolge auch für das Tierschadensrecht nutzbar gemacht werden kann. 3 Diese N o r m erlaubt die generelle Abwägung aller Beiträge von Halter und Verletztem auch über die Tierhalterhaftung hinaus. Sie führt nicht zu einer Entweder-Oder-Entscheidung, sondern zur abgestuften Verteilung der Verantwortung zwischen den Streitbeteiligten, nötigenfalls nach prozentualen Quoten, wobei auch der Vergleich von Gefahrenquellen und menschlichem Handeln keine grundsätzlichen Schwierigkeiten bereitet. Die Vorschrift stellt aber nur den rein formalen Anknüpfungspunkt für die Beitragsabwägung bereit, nicht auch die Kriterien für die Relevanz und das Gewicht der Beiträge. Diese können letztlich nur aus dem Sinn und Zweck der N o r m ermittelt werden, in deren Zusammenhang § 2 5 4 1 B G B Anwendung findet, hier also aus dem Normzweck der Tierhalterhaftung. Die Struktur des Tierschadensrechts ist erst dann vollständig beschrieben und § 254 I B G B überhaupt erst nutzbar zu machen, wenn Kriterien für diese Beitragsabwägung entwickelt werden können.
2 Vgl. unten 4 § 4. 3 Vgl. unten 4 § 3.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
231
§ 2 Der persönliche Schutzbereich — Beschränkung der Gefahrzurechnung innerhalb des Haftungstatbestandes A. Die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags als Frage der Gefahrzurechnung I. Die strukturelle Funktion des persönlichen Schutzbereichs Nach dem Normzweck der Gefährdungshaftung gem. § 833 S. 1 B G B braucht der Tierhalter nur für die Verletzungen einzustehen, die sich gerade aus dem Tierverhalten ergeben. Die Wirkungen der Gefahrenquelle müssen daher auch von den Beiträgen abgegrenzt werden, die nicht aus dem Verantwortungsbereich des Halters kommen, sondern aus dem des Verletzten. Dieser Gedanke läßt sich umsetzen, indem die Gefahrzurechnung nicht nur durch den gegenständlichen Schutzbereich, also durch das M e r k m a l der Tiergefahr gegenüber den Fremdbeiträgen beschränkt w i r d , 4 sondern entsprechend auch gegenüber dem Verletztenbeitrag durch den persönlichen Schutzbereich. 5 Dieser kann als weiteres ungeschriebenes Merkmal des Haftungstatbestandes aufgefaßt werden. Danach scheidet die Haftung aus, wenn neben dem Tierverhalten auch ein Beitrag des Verletzten erfolgsursächlich war, der unter Wertungsgesichtspunkten die Halterhaftung als nicht mehr gerechtferigt erscheinen läßt. Den Anknüpfungspunkt für diese Vorgehens weise i m Wortlaut der Vorschrift bietet — wie schon bei der Tiergefahr — die Formulierung „durch" ein Tier (und nicht „durch den Verletzten"). Haftungsausschlüsse aufgrund der M i t w i r k u n g des Verletzten sind in einigen Gefährdungstatbeständen sogar ausdrücklich normiert. So schließt § 8 S t V G die Haftung gegenüber Personen aus, die selbst beim Betrieb des K f z tätig sind (z. B. dem Fahrer) und § 8a S t V G läßt den unentgeltlich Mitgenommenen ohne Anspruch. Diese Vorschriften unterscheiden damit insbesondere auch zwischen dem Aufenthalt in Gefahrnähe und der Tätigkeit beim Betrieb der Gefahrenquelle selbst. O b w o h l gerade die Regelung des § 8a S t V G innerhalb des S t V G selbst umstritten ist, 6 w i r d sie mitunter als allgemeiner Grundsatz der Gefährdungshaftung angesehen, 7 wonach der Anspruch nicht gegenüber Personen besteht, die sich aus eigenem Entschluß i n die Nähe der Gefahrenquelle begeben.
4 Deutsch, JuS 1981,317,321-323; 1987, 673,675-676; A K - B G B / K o h l , 4 ; MünchKomm/Mertens, 6; vgl. oben 1 § 2 B I I 3 d; C VI; § 4 B IV. 5 Deutsch, JuS 1981,317, 323-324; 1987,673,676-678; AK-BGB / Kohl, 9; MünchKomm / Mertens, 6 u. 25; Staud. / Schäfer, 68-75. 6 Greger, § 8a StVG, 1; Erman/Schiemann, 6; Kötz, Gefährdungshaftung, 1779, 1812-1814; Hohloch, VersR 1979, 199, 208. 7 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2002; JuS 1987, 673, 678; a. A. unter Hinweis auf § 1 HaftPflG Knütel, NJW 1978, 297.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
II. Die Grenzen der Schutzwürdigkeit nach dem Normzweck des § 833 S. 1 BGB I . Die Entwicklung von Wertungskriterien Überlegungen zum Normzweck der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung sind i n der Lit. zunächst angestellt worden, um Argumente gegen die Auslegung der Tiergefahr durch die Rspr. zu gewinnen. 8 Dieser Ansatz hat sich indessen sofort als ein allgemein nutzbares Ordnungsprinzip erwiesen. Viele Autoren berufen sich auf den Normzweck, wenn sie den Schwerpunkt der Haftungsbegrenzung i m Tierschadensrecht v o m Merkmal der Tiergefahr hin zum Verletztenbeitrag verschieben w o l l e n . 9 Die Entscheidungen des B G H zur tierischen Ünberechenbarkeit und die daraus resultierende Unsicherheit über die Relevanz der Ausnahmefallgruppen haben i n der Rspr. zu ähnlichen Tendenzen geführt. 1 0 Die ausdrückliche Ableitung von Zurechnungsargumenten aus dem Normzweck liegt beim Verletztenbeitrag sogar näher, als bei der Tiergefahr, denn es erübrigt sich die Abstimmung auf historisch gewachsene und gefestigte Fallgruppen. Normzwecküberlegungen zur Schutzwürdigkeit des Verletzten i m Tierschadensrecht sind sowohl von der Rspr. wie auch von der Lit. entwickelt worden, 1 1 ohne daß sich dabei die Befürwortung oder Ablehnung einzelner Gesichtspunkte an der Grenze zwischen Rspr. und Lit. orientiert. Anlaß solcher Erwägungen sind zumeist Freizeitunfälle von Reitsportlern, die i n den letzten 20 Jahren zum statistisch häufigsten und damit geradezu „klassischen" Tierschadensfall geworden sind. 1 2 Die Halterhaftung soll ausscheiden beim Fehlen sozialen Zwanges, bei überwiegendem Eigeninteresse des Verletzten, bei Gefahrbeherrschung durch diesen, bei Nutzungsüberlassung aus Gefälligkeit oder beim Handeln auf eigene Gefahr (a. e. G . ) . 1 3 Diese Formulierungen werden mitunter einfach wie selbständige Tatbestandsmerkmale gehandhabt. 14 Sobald man sich indessen um ihre dogmatische Einordung bemüht, beruft man sich auf die Anwendung des Normzwecks der Tierhalterhaftung. Danach soll der Halter nur dann haften, wenn nicht der eigene Beitrag des Verletzten so schwer wiegt, daß sein Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei den genannten Formulierungen geht es jeweils u m den Versuch, Wertungskriterien für diese Beurteilung zu gewinnen. I n der L i t . werden sie häufig alle unter der Bezeichnung des persönlichen Schutzbereichs zusammengefaßt 15 oder es werden zumindest s Vgl. oben 2 § 3 A - C . 9 Vgl. oben 2 § 3 B. 10 Vgl. oben 2 § 2 C II. 11 Vgl. z. B. Deutsch, NJW 1978,1998,2001; BGH VersR 1974,356; 1977, 864, 865. 12 Vorher ist die Rspr. mit Klagen des Reiters gegen den Halter erstaunlicherweise kaum befaßt worden; vgl. Dunz, JZ 1987, 63. 13 Vgl. Herrmann, JR 1980, 489, 490-491; BGH VersR 1977, 864, 865-866. 14 Vgl. Herrmann, JR 1980, 489 ff, Fn. 35-42.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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einzelne von ihnen als Folgerungen aus dem Normzweck dargestellt, wie das Handeln a. e. G . 1 6 oder das überwiegende Eigeninteresse. 17 Schon das R G hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob der Anwendungsbereich des § 833 S. 1 B G B noch eröffnet ist, wenn der Verletzte seine Schädigung erst selbst ermöglicht, indem er die räumliche Beziehung zwischen sich und dem Tier aus freien Stücken herstellt. Das Gericht hat diesen Gedanken zunächst als dem Gesetz fernliegend verworfen, 1 8 später aber dann doch anerkannt. 1 9 Dies lief i m Ergebnis auf eine Haftungbegrenzung nach dem Sinn und Zweck der Norm hinaus. Der B G H hat sich i m Anschluß an seine Grundsatzentscheidungen zum Verletztenbeitrag i m Turnierreiter- und i m Pferdepartnerschaftsfall
dann
ausdrücklich auf den Normzweck berufen. Danach könne ein Sachverhalt u. U. so gelagert sein, daß die Gefahrtragung durch den Halter nicht mehr dem gesetzgeberischen Gedanken entspreche, welcher der Tierhalterhaftung zugrundeliege. 2 0 Unter diesem Gesichtspunkt erörtert der B G H das Handeln a. e. G., das überwiegende Eigeninteresse des Verletzten an der Nutzung des Tieres, die Gefälligkeit, die Gefahrbeherrschung und den sozialen Zwang. Gleichzeitig betont er aber, daß der Gedanke, den Haftungsumfang nach dem Schutzzweck der N o r m zu begrenzen, letztlich nicht zur Aufweichung der Gefährdungshaftung führen dürfe. Seit dieser grundsätzlichen Stellungnahme des B G H ist es auch in der Rspr. allgemein üblich geworden, die entsprechenden Überlegungen zum Verletztenbeitrag als Folgerungen aus dem Normzweck darzustellen. 21
2. Bedenken gegen die Haftungsbegrenzung nach dem Normzweck Eine Reihe von Autoren lehnt die Berücksichtigung des Verletztenbeitrages unter dem Gesichtspunkt des Normzweckes aber grundsätzlich ab und w i l l stattdessen § 254 B G B anwenden. 2 2 Vereinzelt w i r d empfohlen, die i n Rspr. u. L i t . entwickelten Kriterien je für sich zu betrachten, da bezweifelt werden müsse, 15 Herrmann, JR 1980, 489, 492; Deutsch, JuS 1981, 317, 323; 1987, 673, 676/677; NJW 1978, 1998, 2001; MünchKomm/ Mertens, 25-27; A K - B G B / K o h l , 9; Staud. / Schäfer, 68-75. 16 RGRK / Kreft, 64-65; Schmid, JR 1976,274,277; Soergel / Zeuner, 25 - 26; Larenz, Schuldrecht II, 706. 17 Schräder, NJW 1975, 676, 677; Bornhövd VersR 1979, 398, 400. 18 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 353. 19 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357. 20 BGH VersR 1974, 356; 1977, 864, 865; 1978, 515; 1982, 366, 367; 1982, 348; 1982, 670, 671; 1986, 1206, 1207. 21 Vgl. z. B. Karlsruhe VersR 1979, 677, 678; Celle VersR 1981, 1057, 1058; 1986, 396; Frankfurt VersR 1981, 935; 1985, 670; Hamburg VersR 1982, 706, 707; Zweibrükken VersR 1986, 1228. 22 Bornhövd, VersR 1979, 398, 400; Herrmann, JR 1980, 489, 492; Knütel, NJW 1978, 297; MünchKomm / Mertens, 25 u. 27; Erman / Schiemann, 6; Jauernig / Teichmann, 2d.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
ob sich diese sämtlich aus dem Normzweck deduzieren ließen. 2 3 Dieser sei zu wenig konkret. Eine solche K r i t i k ist indessen nicht berechtigt, denn sie betrachtet den Normzweck selbst wie ein Tatbestandsmerkmal 2 4 und verkennt damit seine zentrale Funktion als Auslegungshintergrund der Tierhalterhaftung i m ganzen. Ob sich ein Kriterium aber aus dem so verstandenen Normzweck ableiten läßt, entscheidet letztlich über seine Brauchbarkeit. Wenn der Normzweck i n L i t . u. Rspr. mitunter nicht genügend konkret gefaßt bzw. als Leerformel verwendet wird, dann ist damit noch nicht erwiesen, daß der Grundansatz als solcher nicht brauchbar wäre. I n der L i t . w i r d die Bezugnahme auf den Normzweck letztlich vor allem deshalb kritisiert, weil man i n der Berührung des Verletzten m i t der Gefahrenquelle keine Grundlage für den völligen Haftungsausschluß sieht. 2 5 Diese Überlegung enthält i m Kern zwei Gedanken von unterschiedlicher haftungsrechtlicher Relevanz. Z u m einen w i r d damit bestritten, daß es in der Gefährdungshaftung einen allgemeinen Grundsatz gibt, wonach die Haftung allein aufgrund des freiwilligen Gefahrkontakts grundsätzlich ausgeschlossen ist. A u f die Gründe für die Berührung des Verletzten mit der Gefahrenquelle soll es nicht ankommen. A u c h enthielten nicht alle Vorschriften der Gefährdungshaftung Regelungen wie den (rechtspolitisch verfehlten) § 8a StVG, sondern sähen z. T. die Haftung auch gegenüber den beförderten Personen zwingend vor (§ 1 HaftPflG, § 44 L u f t V G ) . 2 6 Gerade wenn diese Überlegungen zutreffen, sprechen sie indessen gar nicht allgemein gegen die Haftungsbegrenzung nach dem Normzweck, sondern zunächst nur gegen die Brauchbarkeit der bloßen Gefahrnähe als Kriterium für die Schutzwürdigkeit des Verletzten. Bei dieser Argumentation geht es aber zum anderen auch darum, ob es überhaupt vertretbar ist, aufgrund irgendeines Verletztenbeitrages — wie gewichtig dieser auch immer sein möge — die Halterhaftung durch Einführung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals von vornherein auszuschließen. Denn die Überlegungen zum persönlichen Schutzbereich führen stets zum völligen Ausschluß der Haftung, was — verglichen m i t § 254 B G B — manchen Autoren als zu wenig flexibel und rechtspolitisch auch nicht notwendig erscheint. 2 7 Der Anwendungsbereich des § 833 S. 1 B G B dürfe nicht vorschnell reduziert werden. Die quotenmäßige Schadensverteilung durch die Mitverursachungsregelung gewährleiste interessengerechtere Ergebnisse. A l l e i n daraus ergibt sich dann folgerichtigerweise
auch die Verwerfung der einzelnen Kriterien des persönlichen
23 Herrmann, JR 1980, 489, 492. 24 Vgl. oben 1 § 2 B I I 3d u. § 4 C. 25 Herrmann, JR 1980, 489, 492; vgl. auch Knütel, NJW 1978, 297; MünchKomm/ Mertens, 25; Bornhövd, VersR 1979, 398, 400; JR 1978, 50, 53; Erman / Schiemann, 6. 26 Knütel, NJW 1978, 297; vgl. auch Medicus, Schuldrecht II, 391; Erman/Schiemann, 6. 27 Bornhövd, JR 1958, 50, 52; VersR 1979, 398, 400; Herrmann, JR 1980, 489, 493; Knütel, NJW 1978, 297; MünchKomm / Mertens, 27.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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Schutzbereichs zugunsten der Anwendung von § 254 I B G B . Damit w i r d die Haftungsbegrenzung aufgrund der Gegenüberstellung von Halter- und Verletztenbeitrag aber grundsätzlich anerkannt und nur die Zweckmäßigkeit des Vorgehens nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip i n Zweifel gezogen. M a g die Gefahrabwägung zum Haftungsausschluß oder nur zur Quotierung führen, so bleibt die Notwendigkeit von Abwägungskriterien doch immer bestehen. Diese bedürfen daher in jedem Fall der eingehenden Betrachtung.
B. Der soziale Zwang und die soziale Notwendigkeit I. Haftungsausnahme beim Fehlen sozialen Zwanges Die nachdrückliche Anwendung von Normzwecküberlegungen auf den Verletztenbeitrag erfolgte i n jüngerer Zeit zunächst durch das Kriterium des sozialen Zwangs bzw. der sozialen Notwendigkeit.
1. Die Schutzgarantie als Ausgleich für erzwungene Gefahrnähe Zur Entscheidung stand ein Fall, in dem der Beklagte sein Pferd unentgeltlich einer Gemeinde für einen Festumzug zur Verfügung gestellt und der Kläger sich der Gemeinde gegenüber bereit erklärt hatte, das Pferd beim Umzug zu reiten. Während eines Proberitts in Abwesenheit des Halters wurde der Kläger abgeworfen. 2 8 Das Gericht schloß die Halterhaftung aus, indem es den Gedanken des „sozialen Zwangs" einführte, denn die Zurechnung des Schadens nach dem Schutzzweck der haftungsbegründenden N o r m müsse zur teleologischen Reduktion der Haftungsbestimmung i m Wege richterlicher
Rechtsfortbildung führen.
Die Gefährdungshaftung gem. § 833 S. 1 B G B sei der v o m Gesetz bereitgestellte Ausgleich für die sozial erzwungene Hinnahme der Tiergefahr, gegen die dem Dritten Abwehrmaßnahmen versagt seien. Es handle sich um einen Fall gesteigerter sozialer Verantwortung. Daher erscheine es gerechtfertigt, den Tierhalter für alle Gefahren einstehen zu lassen, denen die Mitbürger durch das Halten des Tieres i n der Gemeinschaft kraft sozialen Zwanges notwendig ausgesetzt seien. Dies gelte vor allem, wenn der Geschädigte i n Ausübung seines Berufes in den Bereich der Tiergefahr gelange. Aus dem Gedanken der gesteigerten sozialen Verantwortung und damit aus dem ftormzweck der Vorschrift, ergebe sich jedoch dann eine Haftungsbegrenzung, wenn der Geschädigte außerhalb des durch das Leben i n der Gemeinschaft begründeten sozialen Zwanges, aufgrund eines interindividuellen, der allgemeinen Sozialsphäre entrückten Vorgangs die Berührung m i t der Tiergefahr herstelle. Wer sich einer solchen Gefahr bewußt und ohne soziale Notwendigkeit aussetze, 28 Zweibrücken VersR 1971, 724, 725.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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verlasse den Bereich der Schutzgarantie. 29 Der Kläger könne sich auf die Haftung daher nicht berufen, denn er habe den Ritt ohne soziale Notwendigkeit unternommen. Der soziale Kontakt der Parteien gehe vielmehr auf eine Gefälligkeit zurück, die beide der Gemeinde erweisen w o l l t e n . 3 0 Das O L G zieht somit neben dem sozialen Zwang zur Unterstützung noch ein weiteres Kriterium heran. Diese Tendenz zur mehrfachen Absicherung des Haftungsausschlusses läßt sich in der Rspr. immer wieder beobachten, erschwert jedoch die Feststellung der Relevanz einzelner Kriterien.
2. Kein sozialer Zwang bei Freizeitunfällen A u c h andere Gerichte haben den Gedanken des sozialen Zwangs aufgegriffen und die Haftung daher insbesondere für Reitunfälle bei Sport und Freizeit abgelehnt. Dabei haben neben dem sozialen Zwang aber durchweg immer auch andere Überlegungen eine Rolle gespielt. So wurde die Haftung ausgeschlossen, als der Verletzte zu seinem Vergnügen kurzfristig die Führung eines Pferdegespannes übernommen hatte. Wer sich bewußt der Tiergefahr aussetze, ohne daß er durch Beruf, Sitte oder Gesetz dazu gezwungen sei, verlasse den Bereich der Schutzgarantie. Er erzeuge damit selbständig eine für ihn bis dahin auch nicht latent vorhandene Gefahrenlage. Gerade durch die Übernahme der Zügelführung setze er sich besonders intensiv der Tiergefahr aus. 3 1 Es ist indessen nicht ohne weiteres ersichtlich, weshalb sich der Wagenlenker grundsätzlich einer größeren Gefahr aussetzt, als der bloße Mitfahrer. I m Hintergrund steht dabei der Gedanke, daß m i t zunehmender Nähe zur Gefahrenquelle das Verletzungsrisiko erhöht wird und mit der Gefahrsteuerung gewissermaßen das M a x i m u m an Gefahrnähe erreicht ist. Diese Überlegung wurde später auch als selbständiges Kriterium außerhalb des sozialen Zwangs verwendet. 3 2 Ä h n l i c h lag der Fall, als ein Halter dem Verletzten erlaubt hatte, sein Pferd kurzzeitig zu reiten. Es sollte am sozialen Zwang fehlen, da der Reiter auf eigenen Wunsch gehandelt habe. A u c h hier hatte er zudem die tatsächliche Herrschaft über das Tier inne. 3 3 Die Haftung wurde auch ausgeschlossen, als der Verletzte an einer m i t mehreren Reittieren veranstalteten Schleppjagd teilnahm und dabei v o m Pferd eines anderen Teilnehmers verletzt wurde. 3 4 A n diesem Fall ist bemerkenswert, daß der Verletzte die Gefahrenquelle gerade nicht selbst gesteuert hatte, sich also nur ganz allgemein in gefährlicher Situation befand. Bei einem ähnlichen Unfall 29 Zu den Begriffen Zwangsrisiko und Schutzgarantie vgl. Esser, Grundlagen, 90; Stoll, Handeln, 348; vgl. oben 1 § 2 B I 3. 30 Zweibrücken VersR 1971, 724, 726. 31 LG Wuppertal VersR 1975, 435. 32 Vgl. unten 4 § 2 C III. 33 LG Duisburg VersR 1972, 475. 34 LG Landau VersR 1976, 103, 104.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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während eines gemeinschaftlichen Ausritts mehrerer Reiter wurde entschieden, die verletzte Klägerin sei zur Teilnahme an dem Ausritt und generell am Reitsport durch keinerlei sozialen Zwang veranlaßt gewesen. Darüber hinaus wurde diese Entscheidung aber auch darauf gestützt, daß es in verschiedenen Sportarten Risikolagen gebe, denen sich der Teilnehmende zwangsläufig aussetze. Wer an solchen Veranstaltungen teilnehme, müsse auch mit Verletzungen rechnen und handle daher auf eigene Gefahr. Es sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn der Verletzte trotz bewußter Teilnahme an einer gefahrgeneigten Veranstaltung den Tierhalter in Anspruch nehmen wolle, denn dieser müsse nur einem unbeteiligten Dritten gegenüber haften. 3 5 Es geht in diesen Fällen also nicht nur um die erzwungene Nähe zur Gefahrenquelle, sondern um eine zusätzliche Erhöhung der Verletzungsgefahr, die nicht allein durch die Annäherung bedingt ist, sondern durch die Situation, i n der dies geschieht. Darin deutet sich das v o m sozialen Zwang unabhängige Kriterium des Handelns auf eigene Gefahr an. I m übrigen war gerade das Fehlen der beruflichen, rechtlichen oder moralischen Verpflichtung zum Aufenthalt i n der Nähe von Tieren eine der frühesten U m schreibungen dieses Rechtsinstitutes. 36
II. Verzicht auf das Kriterium des sozialen Zwangs 1. Die Unbestimmbarkeit des Zwangskriteriums und die Irrelevanz der bloßen Gefahrnähe Das Kriterium des sozialen Zwangs ist aber in der Rspr. von Anfang an auch auf K r i t i k gestoßen. So hat das O L G K ö l n in mehreren Entscheidungen am Beispiel von Unfällen i m Reitunterricht die Problematik des Zwangskriteriums dargelegt. Z u m einen sei bei Freizeitbeschäftigungen schon über das Vorliegen oder Fehlen sozialen Zwangs schwer zu entscheiden. Es sei fraglich, ob eine verletzte Reitschülerin unter einem unausweichlichen sozialen Zwang gestanden habe, als sie sich Unterricht in der Reitschule des beklagten Halters erteilen ließ. Andererseits könne man sich durchaus fragen, ob Reitunterricht nicht doch schon in den Rahmen des sozialen Zwangs falle, wenn man bedenke, welch weite Verbreitung der Reitsport mittlerweile gefunden habe. 3 7 Darüber hinaus führt das Gericht noch einen weiteren Gesichtspunkt ein. Zwar sei es gerechtfertigt, wenn man Überlegungen dazu anstelle, ob der Halter dem geschädigten Gelegenheitsreiter hafte, wenn dieser ein Pferd allein i m eigenen Interesse und aus v ö l l i g freiem Antrieb geritten habe, ohne daß der Halter hierzu Anlaß gegeben habe. 35 Frankfurt VersR 1976, 1138. 36 RGZ 130, 162, 169; RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 70. Insofern könnte das Fehlen sozialen Zwangs auch als eine Variante des Handelns a. e. G. angesehen werden; vgl. unten 4 § 2 D. 37 Köln NJW 1974, 2051.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Demgegenüber setze der Inhaber einer Reitschule i n Verfolgung seines Gewinnstrebens in seinem Interesse aber selbst den Anlaß für das Verhalten des Verletzten. Es stehe i h m daher schlecht an, wenn er geltend mache, seine Reitschüler besuchten die Reitschule ohne sozialen Zwang und müßten daher die Risiken des Reitunterrichts selber tragen. Das Gericht gründet seine Entscheidung insofern auf das überwiegende Interesse und das selbstwidersprüchliche Verhalten des Halters. Denn die bewußte Herstellung der Gefahrnähe läßt sich eben nicht nur dem Reiter entgegenhalten, sondern auch dem Halter. Zwar muß der Reiter wissen, was er tut, wenn er sich auf das Pferd setzt. A u c h der Halter muß aber wissen, was er tut, wenn er sein Tier dem Reiter überläßt und es allein zu diesem Zweck überhaupt hält. Die Nähe zur Gefahrenquelle rechtfertigt daher — zumindest i n diesen Fällen — keinen Haftungsausschluß. Später hat das Gericht diese Überlegungen noch weitergeführt. A u c h wenn der Kläger sich ohne soziale Notwendigkeit der Tiergefahr aussetze, so rechtfertige dies allein nicht die Annahme, daß dann die Haftung v o m Normzweck des § 833 S. 1 B G B nicht mehr gedeckt sei. I n vielen Fällen bestehe zwar für den Verletzten keine soziale Notwendigkeit, jedoch entspreche die Annäherung an die Gefahr dem sozial Üblichen und es sei verfehlt diesem Personenkreis allein deshalb den Schutz zu versagen, w e i l er der Gefahr hätte aus dem Wege gehen können. Es sei nicht gerecht und entspreche nicht dem Grundgedanken der Gefährdungshaftung, das Risiko auf den schuldlos Verletzten zu verlagern, etwa wenn dieser stundenweise ein Pferd gemietet habe. 3 8 A u c h das O L G Düsseldorf war der Auffassung, daß nach dem erklärten W i l l e n des Gesetzgebers der Halter die Tiergefahr schlechthin trage und für den Reiter insofern nichts anderes gelten könne. 3 9
2. Die Verwerfung des sozialen Zwangs durch den BGH und die übrige Rechtsprechung Der B G H hat sich zum sozialen Zwang zunächst skeptisch, dann eindeutig ablehnend geäußert. Als der Besucher eines städtischen Wildgeheges verletzt wurde, während er versuchte, einen Dammhirsch zu berühren, konnte die Gemeinde als Halterin nicht m i t dem Argument durchdringen, daß der Verletzte den Bereich der Schutzgarantie verlassen und sich bewußt und ohne soziale Notwendigkeit der Tiergefahr ausgesetzt habe. Zwar könne bei einer bewußten Selbstgefährdung die Haftung durchaus entfallen, etwa wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier unter Ausschluß der Einwirkungsmöglichkeiten des Tierhalters erlangt habe. Die Gemeinde habe jedoch die Herrschaft über die Tiere in ihrem Wildgehege behalten und der Verletzte habe das Risiko der Selbstgefährdung 38 Köln VersR 1976, 197, 198; 1977, 938. 39 Düsseldorf VersR 1975, 1123.
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weder erkannt noch übernommen. 4 0 O b w o h l der B G H zunächst zur Erörterung des sozialen Zwangs ansetzt, den er beim Freizeitaufenthalt i m Wildgehege konsequenterweise verneinen müßte, stellt er für die Fallösung dann auf zwei andere Kriterien ab. Z u m einen soll die Gefahrnähe nur dann zum Haftungsausschluß führen, wenn sie zur Gefahrbeherrschung gesteigert ist und zum anderen muß das Bewußtsein des Verletzten nicht nur die Annäherung an das Tier umfassen, sondern insbesondere deren Gefährlichkeit. Diese Überlegungen sind später auch v o m O L G Koblenz i n ähnlicher Weise an die Stelle des sozialen Zwangs gesetzt worden. 4 1 I m Pferdepartnerschaftsfall hat der B G H dann schließlich klar ausgesprochen, daß der Begriff des sozialen Zwangs als Abgrenzungskriterium nicht geeignet sei. 4 2 Die Feststellung dieses Merkmals könne Schwierigkeiten bereiten, soweit die Zwangslage, m i t einem Tier umgehen zu müssen, sich nicht eindeutig aus der A r t und Weise der Beschäftigung m i t dem Tier ergebe. Aus dem Zweck der Gefährdungshaftung als Ausgleich für sozial hinzunehmende Risiken folge noch nicht, daß derjenige, der sich zwar ohne soziale Notwendigkeit, aber doch i m Rahmen des sozial Üblichen, bewußt einer Tiergefahr aussetze, grundsätzlich keinen Anspruch aus § 833 S. 1 B G B habe. Daß der Verletzte sich freiwillig i n den Gefahrenbereich begebe, sei vielmehr über § 254 B G B zu berücksichtigen. Die überwiegende Rspr. schließt sich seither ausdrücklich dieser Argumentation des B G H a n 4 3 oder greift das Kriterium des sozialen Zwangs ohne nähere Begründung jedenfalls nicht mehr auf. 4 4
3. Ablehnung des sozialen Zwangs in der Literatur Die L i t . lehnt das Kriterium des sozialen Zwanges ab und übernimmt dabei i m Kern die beiden Argumente der Rspr. 4 5 Z u m einen sei das Merkmal zu unbestimmt, unklar und konturlos. Es gewährleiste keine exakte Abgrenzung, denn eine Definition werde nirgends mitgeteilt. Die Meinungen über das sozial Notwendige gingen vielmehr weit auseinander. Gerade der Umgang mit Tieren gehöre zum sozial Üblichen. Z u m anderen werde die Anwendbarkeit der Vorschrift durch dieses Kriterium entgegen ihrem klaren Wortlaut zu sehr eingeengt.
40 BGH VersR 1976, 1175, 1176. 41 Koblenz MDR 1979, 229. 42 BGH VersR 1977, 864, 866. 43 Celle VersR 1979, 161; LG Aachen VersR 1977, 940; München VersR 1981, 937; Schleswig VersR 1990, 869 44 Karlsruhe VersR 1979, 677; L G Wiesbaden VersR 1979, 636. 45 AK-BGB / Kohl, 9; MünchKomm / Mertens, 25; Geigei / Schlegelmilch, 19. Aufl., 2; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677; Stötter, JZ 1972, 409, 410; Bornhövd, JR 1978, 50, 53; VersR 1979, 398, 399; Herrmann, JR 1980, 489, 493; Knütel, NJW 1978, 297; Schmid, JR 1976, 274, 276.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Dies führe zu unbilligen Ergebnissen. Durch die Halterhaftung werde eben nicht nur geschützt, wer sich aus sozialer Notwendigkeit m i t einem Tier abgebe, sondern jedermann, dem die Entfaltung der Gefahr nur gegen Schadloshaltung zugemutet werden könne. Andernfalls würde der Halter nur noch haften, wenn der Verletzte überhaupt ohne eigenes Zutun verletzt worden sei. I m übrigen Haftungsrecht denke niemand daran, aufgrund von bloßer Mitverursachung den Anspruch grundsätzlich auszuschließen.
III. Die strukturbezogene Kritik des sozialen Zwangs Der soziale Zwang w i r d aus dem Normzweck der Tierhalterhaftung abgeleitet und ist damit ein Kriterium für die Reichweite des persönlichen Schutzbereichs. Der Halter soll nur für die Gefahr haften, der andere notwendig oder zwangsläufig ausgesetzt sind. Es muß für den Verletzten unmöglich oder unzumutbar sein, sich von der Gefahrenquelle fernzuhalten. Der soziale Zwang hat demnach zwei Aspekte: — die körperliche Nähe des Verletzten zur Gefahrenquelle, — das fehlende soziale Erzwungensein durch Beruf, Sitte oder Gesetz. Die K r i t i k an diesem Kriterium ergibt sich — wie vorher schon dessen Herleitung — aus dem Normzweck und bedarf daher noch genauerer Betrachtung.
1. Kein Wertungsunterschied von Freizeit und Beruf E i n wesentliches Argument gegen das Kriterium des sozialen Zwangs w i r d in Rspr. u. Lit. daraus hergeleitet, daß Anhaltspunkte für das Vorliegen oder Fehlen der sozialen Notwendigkeit des Aufenthalts in Tiernähe schwer zu finden seien. 4 6 Dies trifft die Situation nicht völlig, denn zumindest die Unterscheidung von Beruf und Freizeit ist i n den einschlägigen Enscheidungen häufig anzutreffen. 4 7 Letztlich geht es daher u m die Verwertbarkeit dieser Unterscheidung. Danach setzt sich der Hobbyreiter einer vermeidbaren Gefahr aus, während z. B. der Kontakt des Tierarztes mit dem Pferd kein Problem aufwirft. Beide könnten der Gefahr nur ausweichen, wenn sie einen anderen Beruf bzw. eine andere Freizeitbeschäftigung wählen. Dieser Unterscheidung liegt offenbar die Wertung zugrunde, die Berufstätigkeit des Arztes sei sozial notwendig, die Freizeitbeschäftigung des Reiters dagegen nicht, der Verzicht auf die Hobbyreiterei sei zumutbar, nicht dagegen der Verzicht auf den Tierarztberuf. Dies kann aber keine haftungsrechtliche Differenzierung begründen. Freizeit und Beruf erscheinen — nicht nur soziologisch — als gleichwertig nebeneinander 46 Vgl. oben 4 § 2 B I I 1 u. 3. 47 Vgl. oben 4 § 2 B I 2.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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bestehende Lebensbereiche. Denn die Tierhaltung zum Zwecke der Freizeitgestaltung macht heute einen bedeutenden T e i l der haftungsrechtlich relevanten Tierhaltung überhaupt aus. 4 8 Die Gefährdungshaftung für Tiere kann unter den Gegebenheiten der technischen Zivilisation nur so ausgelegt werden, daß gerade der Freizeitunfall von ihrem Normzweck erfaßt wird. Die Freizeitbeschäftigung m i t Pferden ist zu einer wesentlichen Ursache dafür geworden, daß Pferde überhaupt noch i n größerem Umfang gehalten werden. Die gegenseitige Bedingtheit von Beruf und Freizeit i m Bereich der Tierhaltung zeigt sich auch darin, daß gerade die Berufe, i n denen der Umgang mit dem Tier fraglos als sozial notwendig angesehen würde, etwa der Tierarzt oder Hufschmied, überwiegend oder sogar ausschließlich davon leben, daß Tiere zwecks Freizeitgestaltung gehalten werden. A u c h wenn gesagt wird, daß zumindest sozial übliches Verhalten die Haftung nicht ausschließt, dann ist dies auf die gesellschaftliche Etablierung des gesamten Freizeitbereiches zu beziehen, der von der Halterhaftung nicht ausgenommen werden kann. Welche Fälle demgegenüber dann als sozial unübliches Verhalten gelten sollen, ist nicht erkennbar.
2. Keine Gefahrerhöhung durch bloße Nähe zur Gefahrenquelle Das zentrale Argument gegen den sozialen Zwang richtet sich indessen gegen dessen Ausgangspunkt, wonach der Normzweck der Tierhalterhaftung i m Risikoausgleich für die erzwungene räumliche Nähe einzelner Personen zur Gefahrenquelle liegen soll und die Haftung daher entfällt, wenn diese Gefahrnähe vermeidbar i s t . 4 9 A u f die tatsächliche Gefahrnähe und deren Vermeidbarkeit kann es bei der Gefährdungshaftung aber aus grundsätzlichen Erwägungen nicht ankommen. 5 0 V o n der „Nähe zur Gefahr" ist dort überhaupt nur i n normativem Sinne die Rede, nämlich bei der Bestimmung des Gefahrverantwortlichen. Das Verständnis des § 833 S. 1 B G B als Haftungsausgleich für ein Zwangsrisiko w i r d demgegenüber seiner Normstruktur nicht gerecht. 5 1 Es ist schon ungenau, wenn überhaupt von Zwang die Rede ist, denn die Gefährdungshaftung knüpft allein an die Tatsache der Tierhaltung an, nicht daran, ob diese erlaubt und damit von anderen Personen hinzunehmen i s t . 5 2 Das diese treffende Risiko ergibt sich auch nicht erst aus ihrer konkreten Nähe zum Tier, sondern allein schon aus der Tatsache der Tierhaltung innerhalb der technischen Zivilisation.
48 Herrmann, JR 1980, 489; Schräder, NJW 1975, 676; Dunz, JZ 1987, 63. 49 Zum Zwangsrisiko vgl. Esser, Grundlagen, 90; RGRK / Steffen, Vor § 823, 15; Stoll, Handeln, 348/349; Zweibrücken VersR 1971, 724, 725. so Vgl. Herrmann, JR 1980, 489, 492. 51 Vgl. oben 1 § 2 B I 3. 52 Kötz, AcP 170, 1, 21; Esser / Weyers, 637; Caemmerer, Reform, 15; vgl. oben 1 § 2 B I 1. 16 Lorenz
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Für den Bereich der Tierhalterhaftung besteht auch kein Grund, die lenkende Person von der Haftung auszunehmen, etwa durch eine Analogie zu § 8 StVG. Die gängige Begründung für die Haftungsausnahme i m S t V G lautet, daß sich die „beim Betrieb tätige" Person freiwillig i n Gefahr begibt. 5 3 A l l e i n die Nähe des Verletzten zur Gefahrenquelle reicht für einen Haftungsausschluß indessen regelmäßig nicht aus. Dieser ergibt sich daher zumindest nicht aus den Grundgedanken der Gefährdungshaftung. 54 W i l l man sich nicht m i t der Berufung auf die Rechtspolitik 5 5 begnügen, dann könnte man diese Regelung immerhin als Konsequenz aus der Umschreibung der Gefahrenquelle ansehen. Diese liegt nicht nur i m K f z selbst, sondern i m Betrieb, also auch i m menschlichen Umgang m i t dem K f z , 5 6 d. h. i m Fahren. Der Fahrer w i r d durch sein Verhalten (nicht durch sein Handeln) auf diese Weise gewissermaßen zum Teil der Gefahrenquelle und steht dieser nicht nur als Verletzter gegenüber. Ob dies ausreicht, um seine Schutzwürdigkeit als Träger der verletzten Rechtsgüter zu beseitigen, mag offen bleiben. A u f die Tierhalterhaftung passen solche Überlegungen jedenfalls nicht, denn die Gefahrenquelle liegt allein i m aktiven Tierverhalten, nicht etwa i n der Lenkung durch den Reiter. Gefahrenquelle ist das selbständige Tierverhalten, nicht der „Betrieb" des Tieres. 5 7 Daher gibt es auch keine „beim Betrieb tätigen" Personen, deren Schutzwürdigkeit gegenüber „Außenstehenden" herabgesetzt wäre, denn i m Bezug auf diese Gefahrenquelle (Tierverhalten) ist jeder Verletzte außenstehend. Dies zeigt aber, daß es bei der Frage des persönlichen Schutzbereiches nicht i n erster Linie u m die tatsächliche Nähe des Verletzten zur Gefahrenquelle geht, sondern u m das normative Problem seiner Schutzwürdigkeit. Die Gefahrnähe ist generell die Voraussetzung einer Verletzung, da diese nur i m Zusammentreffen m i t der Gefahrenquelle stattfinden kann. Entscheidend ist das Verhältnis des Verletzten zum Halter. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken, daß für alle Folgen, die sich gerade aus der Gefahrenquelle ergeben, letztlich immer derjenige einzustehen hat, der die Gefahrenquelle beherrscht und nutzt. Tiere werden gehalten, indem sie genutzt werden und sie werden genutzt, indem Menschen i n ihre Nähe gelangen. Durch das Kriterium des sozialen Zwangs soll dann aber eine Unterscheidung eingeführt werden, die sich mit dem Normzweck nicht vereinbart. Nähert sich eine Person, die nicht selbst Halter ist, u m am Tier eine Verrichtung vorzunehmen, dann soll sie unter sozialem Zwang handeln und
53 BGH VersR 1962, 540, 541; Greger, § 8 StVG, 1 u. 5; Becker / Böhme, I C, 181; Kötz, Gefährdungshaftung, 1779, 1814. 54 Die Regelung in § 8 StVG ist daher umstritten; vgl. Kötz, Gefährdungshaftung, 1779, 1814. 55 Vgl. z. B. Kötz, Gefährdungshaftung, 1779, 1812 u. 1814. 56 Becker/Böhme, I A, 13; Greger, § 8 StVG, 5; zum Verhalten als Teil einer Gefahrenquelle vgl. auch Filthaut, § 1,71; Etmer / Lundt / Schiwy, § 84, 2 c aa; Giemulla/Schmid, § 33, 8; Will, 280; Kötz, AcP 170, 1, 25; Larenz, Schuldrecht II, 698. 57 Vgl. oben 2 § 4 A II.
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schutzwürdig sein, nutzt sie hingegen das Tier zum eigenen Vorteil, so w i r d sie nicht geschützt. Nutzt der Halter das Tier indem er alle Vorteile selbst zieht, dann soll er haften, nutzt er das Tier, indem er die unmittelbare Nutzung anderen überträgt, dann soll die Haftung ausscheiden, wenn diese verletzt werden. Dieser Gedankengang orientiert sich erkennbar an den Kriterien für die Bestimmung des Halters. 5 8 Selbst wenn die Nutzung durch den Verletzten selbst nicht genügend ausgeprägt war, u m dessen Halterschaft zu begründen, dann soll sie doch immerhin seine Schutzwürdigkeit aufheben. Es ist aber ein Widerspruch i n sich, einerseits die Folgen der Haltung und Nutzung von Tieren dem aufzuerlegen, der die Nutzungsvorteile zieht, gleichzeitig aber diesen Schutz dadurch zu entwerten, daß man den wesentlichsten und häufigsten Fall, nämlich die Nutzung durch Nutzungsübertragung von der Haftung ausnimmt. Wenn die Gefahrverantwortung allein beim Halter liegt, die Halterschaft des Verletzten aber zu verneinen ist, dann besteht keine Notwendigkeit, die Verantwortung des Halters durch Anwendung genau derselben Überlegungen auf den Verletztenbeitrag — sozusagen auf einem U m w e g — doch noch auszuschalten. Wenn diese auf der Haltung, also der Nutzung von Tieren beruht, der Aufenthalt von Menschen i n Gefahrnähe aber eine regelmäßige Begleiterscheinung der Nutzung ist, dann muß die Haftung alle diese Fälle erfassen. M a n kann nicht unter Berufung auf den Sinn und Zweck der N o r m einzelne Nutzungsweisen dadurch privilegieren, daß man die Schutzwürdigkeit der Personen in Zweifel zieht, derer der Halter für diese Form der Nutzung gerade bedarf. Die Schutzwürdigkeit des Verletzten kann daher durch den Zweck seines Aufenthalts in der Nähe der Gefahrenquelle weder erhöht noch abgeschwächt werden. I n jeder räumlichen Entfernung ist eine gleichartige normative „Nähe zur Gefahr" gegeben, die als solche weder vermieden werden kann, noch vermieden werden muß. Die so verstandene Gefahrnähe gilt als der Normalfall. Wenn die Nähe zum Tier haftungsausschließend wirken soll, dann muß dafür ein zusätzlicher normativer Grund bestehen. 59
C. Die Gefahrbeherrschung im Eigeninteresse Die Kriterien Gefahrbeherrschung und Eigeninteresse, die in den Bereich der Gefahrverantwortung gehören, spielen nicht nur verdeckt beim sozialen Zwang, sondern auch als eigenständige Kriterien des persönlichen Schutzbereichs eine Rolle.
58 Vgl. oben 3 § 2 C. 59 Vgl. Stoll, Handeln, 348 / 349 u. oben 1 § 2 B I 3. 16*
244
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
I. Überwiegendes Eigeninteresse 1. Anwendung des Kriteriums a) Überwiegen
des Verletzteninteresses
über das Halterinteresse
A l s i m Turnierreiterfall der Beklagte m i t seinem Pferd nicht zurechtgekommen war und der turniererfahrene Kläger sich erboten hatte, dem Tier eine Lektion zu erteilen, waren Pferd und Reiter gestürzt. Der B G H lehnte die Halterhaftung ab, weil das eigene Interesse des Klägers daran, seinen reiterlichen R u f unter Beweis zu stellen, das Interesse des Halters bei weitem überwogen habe, daß dem Pferd von einem erfahrenen Reiter eine Lektion erteilt werde. Der Verletzte habe sich geradezu mit der Bitte aufgedrängt, ihm das Pferd zu überlassen. Ein solcher Sachverhalt falle nicht mehr unter den Schutzzweck der Tierhalterhaft u n g . 6 0 Diese beruhe auf dem Zwang, die v o m Tier ausgehenden Gefahren zu dulden, so daß eine Haftung nicht i n Frage komme, wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier vorwiegend i m eigenen Interesse und i n Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr übernommen habe. Er sei dann nicht nur selbst i n der Lage, die Maßnahmen zu ergreifen, die seinen bestmöglichen Schutz gewährleisteten, sondern sein eigenes Interesse wiege i m Verhältnis zum Tierhalter den Gesichtspunkt auf, daß dieser den Nutzen des Tieres habe. 6 1 Damit betont der B G H neben dem überwiegenden Eigeninteresse zugleich den Kerngedanken der erzwungenen Nähe zur Gefahrenquelle, der schon das O L G Zweibrükken zum Haftungsausschluß wegen sozialen Zwangs geführt hatte und prägt damit die Formel der „Gefahrbeherrschung i m überwiegend eigenen Interesse", deren beide Komponenten, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ergebnissen, in der Rspr. weite Verbreitung gefunden haben. 6 2 Gerade für Unfälle m i t gemieteten Pferden hat der Gesichtspunkt des überwiegenden Eigeninteresses auch bei anderen Gerichten Anklang gefunden, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. 63 Einige Entscheidungen setzen i n dieser Weise dem Interesse des Halters die Möglichkeit unmittelbarer Gefahrbeherrschung durch den Reiter entgegen und kommen so zum Überwiegen des Reiterinteresses. So sollte der Tierhalter dann nicht haften, als der Verletzte m i t einem i h m unbekannten Pferd selbständig und ohne Einverständnis des Halters ausgeritten w a r . 6 4 Der Ausritt habe dann vorwiegend i m Interesse des Verletzten gelegen.
60 BGH VersR 1974, 356, 357 unter Verweis auf BGH VersR 1958, 414. 61 BGH VersR 1974, 356, 357 unter Verweis auf Zweibrücken VersR 1971, 724 u. LG Duisburg VersR 1972, 475. 62 Vgl. z. B. BGH VersR 1974, 356, 357; 1977, 864, 865; 1982, 348; 1982, 366, 367; Köln VersR 1976, 197, 198; 1977, 938; L G Aachen VersR 1977, 940; K G VersR 1986, 820,821; LG Waldshut-Tiengen MDR 1987,323,324; Celle VersR 1981,663; 1990,794. 63 Vgl. unten 1 b. 64 Celle VersR 1981, 663.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
245
D e m Halter eines Luxustieres dürfe keine uneingeschränkte Haftung aufgebürdet werden, wenn ein Dritter sich diesen Luxus nutzbar gemacht habe. 6 5 Diese Interessenabwägung beruht letztlich auf der Überlegung, daß der Geschädigte sich freiwillig und gleichsam unter Verdrängung der konkreten Einwirkungsund Schadensabwendungsmöglichkeit des Halters der Tiergefahr ausgesetzt hat. A u c h die Einflußmöglichkeit während des Transports eines Pferdes sollte aber zum überwiegenden Eigeninteresse des Transportierenden führen. 6 6
b) Kein Überwiegen
des Verletzteninteresses
V o n anderen Gerichten wurde bei der Interessenabwägung aber mitunter auch das wirtschaftliche Interesse des Halters an der Nutzung des Tieres als das überwiegende Interesse angesehen, so daß letztlich die Halterhaftung bestehen b l i e b . 6 7 Das Interesse des Verletzten am Reiten sei nichtwirtschaftlicher Natur. Dem Halter dagegen liege selber daran, daß sein Pferd geritten werde und er ziehe zusätzlichen Nutzen hieraus, indem er den Reiter hierfür bezahlen lasse. 68 Diese Überlegungen zur Interessenabwägung entsprechen bis i n die Einzelheiten denen, die auch angestellt werden, u m den Halter zu ermitteln und unterliegen deshalb erheblichen Bedenken. Schon i m Pferdepartnerschaftsfall konnte dann auch der B G H nicht zum Haftungsausschluß gelangen, sondern billigte die A n sicht der Vorinstanz, daß eine gleiche Interessenlage der Beteiligten vorgelegen hatte, als der Kläger — gegen Beteiligung am Unterhalt — das Pferd seines Bruders ritt, welchem es als Nichtreiter darauf ankam, daß das Pferd bewegt wurde. Das Gericht hob besonders hervor, daß der Verletzte tatsächlich i m überwiegenden eigenen Interesse gehandelt haben müsse und daß eine gleiche Interessenlage zwischen Reiter und Halter für den Haftungsausschluß keineswegs genüge. Der B G H räumte auch ein, daß die Bewertung der Interessenlage oft schwer vorzunehmen sei. A u c h wenn sich eine solche Wertung — wie i m Turnierreiterfall — geradezu aufdränge, dürfe dies nicht verallgemeinert werden. Der Schutzzweckgedanke dürfe nicht zur Aufweichung der Gefährdungshaftung führen. 6 9 Hinter dieser moderaten Formulierung lassen sich indessen bereits erhebliche Zweifel an der Brauchbarkeit des überwiegenden Eigeninteresses als Kriterium vermuten.
65 LG Waldshut-Tiengen MDR 1987, 323, 324 kommt zur Haftungsbegrenzung auf eine Quote, versteht dies also als Fall des § 254 BGB. 66 Celle VersR 1990, 794. 67 LG Aachen VersR 1977, 940; München VersR 1981, 937. 68 Köln NJW 1974, 2051; VersR 1976, 197, 198; 1977, 938. 69 BGH VersR 1977, 864, 865.
246
4. Teil: Der Verletztenbeitrag 2. Zweifel an der Brauchbarkeit des überwiegenden Eigeninteresses
Der B G H ist schließlich zu der Auffassung gelangt, daß die Wertung der Interessenlage allein für sich betrachtet i m allgemeinen nicht ausreiche, u m die Halterhaftung auszuschließen. A u f einem Gemeinschaftstransport wurde ein Pferd durch ein anderes verletzt, wobei der Hergang i m einzelnen ungeklärt blieb. Dabei war nicht zu erkennen, wer von den beteiligten Haltern das überwiegende Interesse an dem billigeren Gemeinschaftstransport hatte. 7 0 Das Interesse versagt offenbar als Kriterium, wenn es nicht um das Verhältnis von Nutzer und Halter i m Bezug auf dasselbe Tier geht, sondern u m die Beziehung von Haltern verschiedener Tiere. Der B G H hat zwar auch i n späteren Entscheidungen gelegentlich noch die Gefahrenübernahme i m eigenen Interesse erwähnt, allerdings m i t allmählicher Akzentverlagerung v o m Interesse zur Gefahrenübernahme und zur Gefahrbeherrschung h i n . 7 1 Trotz dieses Abrückens des B G H v o m Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses hat es i n der übrigen Rspr. dennoch mitunter weitere Verwendung gefunden. 7 2 Soweit i n der L i t . das Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses übernommen wird, erfolgt dies ohne nähere Begründung. 7 3 Soweit sie sich überhaupt mit dessen Berechtigung auseinandersetzt, lehnt die Lit. das Eigeninteresse als Kriterium indessen überwiegend a b . 7 4 Es handle sich um ein wenig hilfreiches, konturloses Merkmal, das zu unscharf abgrenze und zu Rechtsunsicherheit führe. Die Abwägung sei ein zu sehr i m Bereich von Wertungen befangenes unsicheres Element. Das Überwiegen eines Interesses sei oft schwer festzustellen. So sei fraglich, ob i m Turnierreiterfall das Interesse des Halters an der Bändigung des Pferdes oder das des Verletzten an der Demonstration seines reiterlichen Könnens i m Vordergrund stehe. Z u m T e i l w i r d auch angenommen, das Interesse des Reiters sei stets ein vorübergehendes, so daß das weitergehende Interesse stets beim Halter liege. 7 5 Schräder w i l l zwar bei überwiegendem Eigeninteresse in jedem Fall die Haftung ausschließen, hält dies aber sogar noch für eine zu enge Voraussetzung für den Haftungsausschluß. 76 V o m Standpunkt des B G H aus kann man auch dies als K r i t i k verstehen.
70 BGH VersR 1978, 515. 71 Vgl. zu dieser Entwicklung BGH VersR 1982, 366, 367; 1982, 348; 1986, 345, 346; vgl. unten III. 72 Vgl. z.B. München VersR 1981, 937; Celle VersR 1981, 663; 1990, 794; LG Waldshut-Tiengen VersR 1987, 323. 73 Erman/ Drees, 23; Haase, JR 1974, 238, 239; RGRK / Kreft, 65; Schräder, NJW 1975, 676, 677. 74 A K - B G B / K o h l , 9; Bornhövd, VersR 1979, 398, 399; JR 1978, 50, 53; Dunz, JZ 1987, 63, 64; Herrmann, JR 1980, 489, 493; MünchKomm / Mertens, 25 u. 27; Schlund, FS Schäfer, 223,226; Schmid, JR 1976,274,277; Soergel / Zeuner, 26; Staud. / Schäfer, 70. 75 Herrmann, JR 1980, 489, 493. 76 Schräder, NJW 1975, 676, 677.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
247
II. Gefälligkeit Der B G H hat auch geäußert, daß sich nach dem Schutzzweck der N o r m aus der A r t und Weise der Gebrauchsüberlassung ein Haftungsausschluß ergeben könne. Dies komme i n Betracht, wenn die Überlassung eines Pferdes eine Gefälligkeit darstelle, also einen rein tatsächlichen Vorgang sportskameradschaftlicher oder gesellschaftlicher A r t . 7 7 Wegen der Beteiligung des Reiters an den Unterhaltskosten und dem eigenen Interesse des Halters am Ritt schied diese Möglichkeit i m Fall jedoch aus. Die Gefälligkeit, die früher i m Zusammenhang m i t dem rechtsgeschäftlichen Haftungsausschluß eine Rolle spielte, 7 8 wurde damit unausgesprochen zum Indiz für das überwiegende Interesse. A u c h das O L G Celle sah dann das überwiegende Interesse auf Seiten dessen, dem ein Pferd aus Gefälligkeit unentgeltlich überlassen w a r . 7 9 Dies wurde von der Lit., soweit sie auf diesen dogmatischen Hintergrund der Gefälligkeit überhaupt einging, 8 0 teils ohne Begründung gebilligt, 8 1 teils wurde eingewendet, daß nur die Vertragshaftung ausscheide, die deliktische Haftung aber unberührt bleibe, wenn Vorteile unentgeltlich i n einer Weise geleistet würden, auf die der Empfänger keinen Anspruch habe. 8 2 Da der B G H zwischenzeitlich v o m Kriterium des überwiegenden Eigeninteresses abgerückt ist, 8 3 sollte auch die Gefälligkeit in diesem dogmatischen Zusammenhang nicht mehr herangezogen werden.
III. Gefahrbeherrschung 1. Haftungsausschluß kraft Lenkung der Gefahrenquelle Schon das O L G Zweibrücken hatte neben seinen Überlegungen zum Fehlen sozialen Zwangs ausgeführt, daß der Halter nicht hafte, wenn der Verletzte von der Tiergefahr nur deshalb betroffen werde, w e i l er sie i n voller Kenntnis ihrer Unberechenbarkeit auf sich gelenkt und dabei die tatsächliche Herrschaft über das Tier unter Ausschluß jeglicher Einwirkungsmöglichkeit des Halters ausgeübt habe. 8 4 I m Anschluß daran haben auch andere Gerichte mit der alleinigen Gefahrbeherrschung durch den Reiter argumentiert, wenn auch zumeist i m Rahmen der v o m B G H geprägten zusammenfassenden Formel der Gefahrübernahme i m über-
77 78 79 so 81 82 83 84
BGH VersR 1977, 864, 865; vgl. aber schon BGH VersR 1974, 356, 357. Vgl. unten 4 § 4 C I 1. Vgl. auch Celle VersR 1986, 396. Im übrigen vgl. unten 4 § 4 C I 1 c. Staud. / Schäfer, 69. Bornhövd, JR 1978, 50, 53. BGH VersR 1978, 515 (allerdings ohne Aussage zur Gefälligkeit). Zweibrücken VersR 1971, 724, 726; vgl. auch LG Duisburg VersR 1972, 475.
248
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
wiegenden Eigeninteresse. 85 So war i m Turnierreiterfall der Verletzte aufgrund seiner Herrschaft über das Tier selbst i n der Lage, Maßnahmen zu seinem bestmöglichen Schutz zu ergreifen. 8 6 Das K G sah beim selbständigen Ausritt die Übernahme der Beherrschung und Lenkung des Tieres durch den Reiter als so ausgeprägt an, daß es unbillig sei, sich auf die Halterhaftung zu berufen. 8 7 A u c h mit der Einflußmöglichkeit während des Transports eines Pferdes wurde der Haftungsausschluß begründet. 8 8 I n der L i t . hat besonders Deutsch darauf hingewiesen, 8 9 daß sich gerade beim Reitsport der Reiter nicht nur der Gefahrenquelle aussetzt, sondern daß er diese sogar beherrscht. Er sei nicht mehr nur einfach von der Gefahr bedroht, sondern er habe die Gefahrsteuerung übernommen. Er sei wenigstens grundsätzlich in der Lage, m i t Pferden umzugehen und m i t der Gefahr des Abgeworfenwerdens eng verbunden. 9 0 Aus diesem Grunde dürfe die Halterhaftung dem Reiter nicht zugute kommen. Nur so könne auch ein Wertungsunterschied zu § 8a S t V G vermieden werden. Diese Ansicht kann sich insbesondere auf Stoll berufen, 9 1 der i n der Übernahme der Sachherrschaft i m eigenen Interesse eine der seltenen Fallgestaltung des Handelns a. e. G. i m Bereich der Gefährdungshaftung sieht und dadurch Rspr. und L i t . beeinflußt hat. 9 2
2. Kein Haftungsausschluß ohne Fehler in der Gefahrbeherrschung Der B G H sah indessen letztlich keine gesetzliche Grundlage für eine allgemeine Einschränkung der Halterhaftung gegenüber dem Reiter. Zwar hat er — zunächst noch unter Rückgriff auf die Formel der Gefahrübernahme i m eigenen Interesse — mitunter erwogen, ob die Beherrschung des Tieres durch den Reiter so ausgeprägt war, daß deshalb eine Berufung auf § 833 S. 1 B G B ausscheidet. Dies hat er dann aber jeweils verneint. 9 3 Als eine Reitschülerin bei einer Galopprunde in der Reithalle gestürzt war, hat der B G H entschieden, daß jedenfalls soweit i m Reitunterricht das Reiten unter Aufsicht stattfindet und der Reiter sich sein Pferd auch nicht selbst aussuchen kann, die Gefahrbeherrschung nicht genü-
85 Vgl. oben 4 § 2 C I 1 a. 86 BGH VersR 1974, 356, 357. 87 KG VersR 1986, 820, 821. ss Celle VersR 1990, 794. 89 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2002; JuS 1987, 673, 677. 90 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 91 Stoll, Handeln, 357 u. 359. Die Sachherrschaft soll offenbar die typische Opfersituation des Verletzten und damit auch die korrespondierende Verantwortung des Halters beseitigen. 92 Stoll, Handeln, 357 u. 359; Esser / Weyers, 597; Larenz, Schuldrecht II, 706; Schuldrecht I, 542; BGH VersR 1974, 356, 357; 1982, 366, 367; vgl. unten 4 § 2 D. 93 BGH VersR 1982, 348; 1982, 366, 367; 1982, 670, 671; 1986, 345, 346. Der bloße Aufenthalt in einem Wildgehege führte schon in BGH VersR 1976, 1175, 1177 nicht zur Gefahrbeherrschung.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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gend ausgeprägt ist, u m einen Haftungsausschluß zu rechtfertigen. Die besonders intensive Einwirkung des Reiters auf das Pferd erfordere vielmehr einen besonders strengen Maßstab bei der Prüfung der Mitverursachung gem. § 254 B G B . 9 4 I n einer anderen Entscheidung hat der B G H diese Auffassung dahin präzisiert, der Haftung stehe nicht entgegen, daß sich der Verletzte der Tiergefahr selbst ausgesetzt habe. Eine Ausnahme davon könne es nur geben, wenn der Reiter bei der von i h m übernommenen Beherrschung der Gefahr versage. 95 Dies ist zurückhaltend formuliert, besagt aber i m Ergebnis, daß auch die extreme Gefahrnähe durch Lenkung der Gefahrenquelle allein nicht ausreicht, u m die Schutzwürdigkeit des Verletzten aufzuheben, wenn nicht die Gefahr durch einen Fehler des Lenkers zusätzlich erhöht wird. Damit stimmen i m Ergebnis auch andere Gerichte überein. 9 6 I n der L i t . w i r d die Gefahrbeherrschung, soweit man sie als eigenständiges Kriterium beurteilt, unter Berufung auf den B G H überwiegend abgelehnt. 9 7 A u f die konkrete Gefahrbeherrschung i m Einzelfall komme es bei der Gefährdungshaftung gerade nicht an. 9 8
I V . Die strukturbezogene K r i t i k von Gefahrbeherrschung und Eigeninteresse Die Kriterien des überwiegenden Eigeninteresses und der tatsächlichen Gefahrbeherrschung werden i n Rspr. u. L i t . unmittelbar aus dem Normzweck der Gefährdungshaftung hergeleitet. Die Beachtung der Normstruktur des § 833 S. 1 B G B zeigt indessen, daß diese Kriterien i m Zusammenhang mit dem Verletztenbeitrag keine Rolle spielen können und die insoweit in Rspr. u. Lit. geäußerten Bedenken gerechtfertigt sind. Wenn das Nutzungsinteresse des Pferdehalters dem Eigeninteresse des Reiters gegenübergestellt wird, u m dessen Schutzwürdigkeit zu ermitteln, dann ist offensichtlich, daß dieselben Erwägungen schon zur Bestimmung des Halters gedient haben. E i n Halter, dessen Nutzungsinteresse tatsächlich aufgewogen würde, verlöre die Haltereigenschaft und ein Nutzer, dessen überwiegendes Interesse sich darin dokumentierte, daß sein Nutzungsinteresse den Verwendungszweck des Tieres bestimmt, würde selbst zum Halter. Dasselbe gilt für die Gefahrbeherrschung. Halter wird, wer die bestimmende Herrschaft über die Verwendung des Tieres erlangt. 9 9
94 BGH VersR 1982, 366, 368. 95 BGH VersR 1982, 670, 671. 96 Köln VersR 1976,197,198; 1977,938; LG Waldshut-Tiengen MDR 1987,323,324. 97 AK-BGB / Kohl, 9; Staud. / Schäfer, 72-73; Herrmann, JR 1980,489,493. Anders aber Deutsch, JuS 1987 673, 677. 98 Herrmann, JR 1980, 489, 493. 99 Vgl. oben 3 § 2 C u. § 4 A.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Entscheidungsgewalt und Eigeninteresse sind, soweit sie sich aus dem Normzweck des § 833 S. 1 B G B herleiten lassen, Strukturelemente der Halterschaft, also der Gefahrverantwortung. 1 0 0 Wer sie i m Zusammenhang m i t dem Verletztenbeitrag verwendet, stellt nicht auf dessen normatives Gewicht ab, sondern w i l l letztlich die Halterverantwortung für die Gefahrenquelle lockern. M a n kann nicht behaupten, daß die Kriterien, welche für die Haltereigenschaft maßgeblich sind, eben für kurze Zeit auf der Seite des Reiters liegen. 1 0 1 Damit würde der Reiter — gewissermaßen i m Innenverhältnis zum Eigentümer — die Gefahrverantwortung übernehmen, während dieser i m Verhältnis zu dritten Personen Halter blieb e . 1 0 2 Das Ergebnis wäre eine relative Halterschaft. Die Doppeldeutigkeit des Begriffes der Gefahrnähe ermöglicht hier den Mißbrauch von Überlegungen aus dem Bereich der Gefahrverantwortung außerhalb ihres Funktionszusammenhangs. Die tatsächliche Nähe zur Gefahrenquelle w i r d so behandelt wie die „Nähe zur Gefahr" i m Sinne einer haftungsrechtlichen Letztverantwortung. Für diese ist allein die Bestimmung über Existenz und Verwendungszweck des Tieres maßgeblich. Nur wer diese erlangt w i r d Halter und ist dann verantwortlich für die Gefahrenquelle gegenüber jedermann. I m Bereich der Gefahrabwägung kann indessen dem Kriterium der Nutzung i m Eigeninteresse gar keine Bedeutung mehr zukommen. Unter der Gefahrbeherrschung kann nur die unmittelbare Einwirkung auf das Tier verstanden werden, die für die Halterschaft keine Rolle spielt. 1 0 3 Dies ist dann aber letztlich nur eine andere Umschreibung für die extreme tatsächliche Nähe zur Gefahrenquelle. Diese allein kann indessen — wie bereits dargestellt w u r d e 1 0 4 — die Gefährdungshaftung nicht ausschließen. Es kommt hinzu, daß Tiere regelmäßig durch Personen unmittelbar gelenkt werden, die nicht Halter sind. Dies gilt bei der Nutzung des Tieres, wie auch bei bloßen Verrichtungen am Tier. Die Privilegierung des Halters gerade gegenüber dieser Personengruppe, also letztlich allen Personen, die aufgrund der Nutzung des Tieres durch den Halter m i t diesem unmittelbar umgehen müssen, kann unter Berufung auf den Normzweck nicht gerechtfertigt werden. Der B G H spricht davon, daß die Herrschaft beim Ritt unter Aufsicht nicht genügend ausgeprägt sei, um die Haftung auszuschließen. 105 M a n w i r d sagen müssen, daß jede Verletzung als Indiz dafür zu werten ist, daß die tatsächliche Herrschaft über das Tier offenbar nicht genügend ausgeprägt war. Dies zeigt u m so deutlicher, daß auch die größte Nähe zur Gefahrenquelle durch Lenkung derselben allein für die Schutzwürdigkeit des Lenkers irrelevant ist. Nur wenn
10° Vgl. oben 3 § 1 B I u. 4 § 2 B I I I 2. 101 So aber im Ergebnis Larenz, Schuldrecht II, 705; Deutsch, JuS 1987, 673, 677; Herrmann, JR 1980, 489, 496; Erman/ Drees, 23. 102 Vgl. Larenz, Schuldrecht II, 706. 103 Vgl. oben 3 § 2 B I I 1 u. I. 104 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. los BGH VersR 1982, 366, 368; 1986, 345, 346.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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seine Verletzung nicht allein auf der Nähe zur Gefahrenquelle beruht, sondern auf weiteren gefahrerhöhenden Umständen, kann die Haftung ausscheiden.
D. Handeln auf eigene Gefahr I . Die Aspekte des Handelns a. e. G. Die gegenwärtig am häufigsten diskutierte Ausprägung des persönlichen Schutzbereichs der Tierhalterhaftung ist das Handeln a. e. G. Dabei geht es u m Fälle, i n denen der Verletzte sich freiwillig und bewußt in Gefahr begibt. Da die Tradition dieser Rechtsüberlegung weit zurückreicht, ergeben sich zwangsläufig eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten. Letztlich spielen drei Aspekte eine Rolle: — Der Verletzte begibt sich i n eine Situation besonders erhöhter Gefahr. Nach der überwiegenden Rspr. müssen dabei zum Tierverhalten weitere Umstände hinzutreten, welche die Verletzungsgefahr noch über das Maß hinaus erhöhen, das sich normalerweise i m Umgang mit Tieren e r g i b t . 1 0 6 Manche Autoren und Gerichte sehen demgegenüber die Gefahrerhöhung allein schon i n der besonderen Nähe zur Gefahrenquelle, wenn der Verletzte die Lenkung des Tieres übernimmt. 1 0 7 — Der Verletzte handelt bewußt in Kenntnis (oder trotz Erkennbarkeit) der Umstände, welche die Situation besonders erhöhter Gefahr begründen. 1 0 8 — Der Verletzte handelt freiwillig. Teilweise w i r d zusätzlich verlangt, daß die Selbstgefährdung für ihn vermeidbar ist, daß sie ohne triftigen Grund bzw. ohne rechtliche, berufliche oder moralische Verpflichtung erfolgt. 1 0 9 Teilweise w i r d auch Handeln i m eigenen Interesse, statt i m Interesse anderer Personen gefordert. 1 1 0
106 RGRK/Steffen, Vor § 823, 73; Staud./Schäfer, 69 u. Vor § 823, 69; Geigei/ Schlegelmilch, 2; A K - B G B / K o h l , 9; Soergel/Zeuner, 26; BGH VersR 1974, 356; 1978, 515; 1988, 609, 610. 107 Stoll, Handeln, 359; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677; Dunz, JR 1987, 63, 67; Larenz, Schuldrecht II, 706; Esser / Weyers, 598; K G VersR 1986, 820, 821; München VersR 1987, 493, 494. ios RGRK / Steffen, Vor § 823, 67; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 69; Soergel / Zeuner, 25; RGRK / Kreft, 64; BGHZ 2, 159, 161; BGH VersR 1955, 38, 39; 1955, 116; 1961, 284; 1974, 356; 1988, 609, 610. io9 RGRK / Steffen, Vor § 823, 67; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 69; AK-BGB / Kohl, 9; Soergel / Zeuner, 25; BGH VersR 1961, 284; Frankfurt VersR 1983, 1040; Zweibrükken VersR 1986, 1128, 1129. no Dunz, JR 1987, 63, 65.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
II. Das Handeln a. e. G. in der Rechtsprechung 1. Die unterschiedlichen Anwendungsfälle und dogmatischen Einordnungen a) Die Entwicklung
der Anwendungsfälle
des Handelns
a. e. G.
Der Gedanke des Handelns a. e. G. besagt, daß die Haftung gegenüber Personen ausgeschlossen sein kann, die sich selbst bewußt einer besonders erhöhten Verletzungsgefahr aussetzen. Er hat i n der Rspr. eine lange und wechselhafte Entwicklung erfahren. 1 1 1 Wichtige Anwendungsfälle des Handelns a. e. G. waren stets die unentgeltlichen Mitfahrten i m Pferdewagen, bei denen ein Anspruch aus den §§ 823 f f B G B oder aus § 833 B G B i n Frage k a m 1 1 2 und auch die entsprechenden Mitfahrten i m Kfz, bei denen wegen § 8 K f z G bzw. § 8a S t V G regelmäßig nur ein Anspruch aus Verschuldenshaftung gegeben w a r . 1 1 3 Das Rechtsinstitut bot damit eine andere Möglichkeit der Haftungsbegrenzung bei Gefälligkeitsmitfahrten, neben den gebräuchlichen Überlegungen zum stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluß. 1 1 4 Zeitweise wurde zwar vertreten, die Anwendung des Handelns a. e. G. beschränke sich bei Tier- oder Kfz-Schäden (bei Nichtinsassen) auf die Gefährdungshaftung. 1 1 5 Gerade i m Bereich der Kfz-Mitfahrten ist dann aber die Verschuldenshaftung zum Anwendungsgebiet geworden. Bis heute haben sich dann die Mitfahrt m i t dem erkennbar fahruntüchtigen Kfz-Fahrer, die aktive Teilnahme an gefährlichen Veranstaltungen, insbesondere an Wettkampfsportarten und das Betreten fremder Grundstücke und Anlagen trotz Warnung als häufige Anwendungsfälle dieses Rechtsinstituts herausgebildet. 1 1 6 Daneben liegt ein wichtiges Anwendungsfeld in der Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 B G B und erstreckt sich dabei über die Mitfahrt i m Pferdewagen hinaus ganz allgemein auf alle Fälle der bewußten Annäherung an Tiere. Indessen blieb die dogmatische Einordnung des Handelns a. e. G. stets problematisch. Sie hat sich i m Laufe der Zeit mehrfach gewandelt und dabei für seine verschiedenen Anwendungsfälle teilweise einen unterschiedlichen Verlauf genommen. Das Handeln a. e. G. läßt sich als v ö l l i g eigenständige Überlegung
m Zur Entwicklung des Handelns a. e. G. vgl. Weidner, 35-39; MünchKomm/ Grunsky, § 254, 34; RGRK/Steffen, Vor § 823, 67; Soergel/Mertens, § 254, 49-51; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 69-76; BGH VersR 1961, 284 u. 285. 112 RGJW 1906,710 Nr. 4; 1912,857 Nr. 10; Warn. Rspr. 1908 Nr. 353; 1909 Nr. 357. 113 RGZ 141, 262, 265; 145, 390, 394; JW 1938, 2354 Nr. 35; BGHZ 2, 159, 162. 114 Vgl. z.B. RGZ 65, 313, 315; 67, 431, 433; 128, 229, 333; 141, 262, 263; RG Warn. Rspr. 1908 Nr. 158 u. Nr. 353; 1909 Nr. 357. Iis RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357; JW 1911, 28 Nr. 5; RGZ 130, 162, 169. Die Anwendung auf die Verschuldenshaftung wurde aber z. B. schon in RG JW 1906, 710 Nr. 4 in Betracht gezogen. ii6 Stoll, Handeln, 14-92; Soergel / Mertens, § 254, 52-60; MünchKomm / Grunsky, § 254, 36-37; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 75-76; BGH VersR 1961, 284, 285; 1975, 137, 138.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
253
behandeln, ist aber auch unter den Gesichtspunkten der rechtsgeschäftlichen Einwilligung, der Mitverursachung gem. § 254 B G B , des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 B G B oder des Normzwecks bzw. des persönlichen Schutzbereichs erörtert worden. Sie kann insbesondere innerhalb der Verschuldens- und Gefährdungshaftung jeweils verschiedene Bedeutungen annehmen, da die Gefährdungshaftung ohnehin bereits auf die Wirkungen einer Quelle besonders erhöhter Gefahr abstellt. Nachdem sie alle diese Möglichkeiten durchgespielt hat, sieht die Rspr. zumindest i m Bereich der Tierhalterhaftung das Handeln a. e. G. heute als eine Konkretisierung des Normzwecks. b) Einwilligung, Verhalten
Mitverursachung
bei Mitfahrten
oder
selbstwidersprüchliches
im Kfz und sportlichen
Wettkämpfen
Das R G hat bei unentgeltlicher Mitfahrt i m K f z den Haftungsausschluß wegen Handelns auf a. e. G. zunächst unter dem Gesichtspunkt der rechtsgeschäftlichen Einwilligung des Verletzten behandelt. 1 1 7 I m Unterschied zum vertraglichen Haftungsausschluß genügte dafür dessen einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Dem ist anfangs auch der B G H gefolgt. 1 1 8 I n einer Grundsatzentscheidung lehnte er die Einwilligung in die Verletzung schließlich aber als Fiktion a b . 1 1 9 Wer sich einer Gefahr aussetze, wolle idR nicht auf den Ersatzanspruch verzichten. A u c h die L i t . nimmt an, dem Geschädigten werde insoweit ein rechtsgeschäftlicher W i l l e unterstellt, der idR Fiktion s e i . 1 2 0 Der Senat hielt es aber für möglich, den Gesichtspunkt des Handelns a. e. G. weiterhin für die Fälle in Betracht zu ziehen, in denen das Verhalten des Verletzten ohne künstliche Unterstellung als Einwilligung angesehen werden könne, etwa bei gefährlichen Sportarten wie Autorennen oder Felsenkletterei. 1 2 1 Seitdem hat der B G H das Handeln a. e. G. bei der Mitfahrt i m K f z dem Anwendungsbereich von § 254 B G B zugeordnet, m i t der Folge, daß nicht mehr ohne weiteres alle Ersatzansprüche ausgeschlossen sind, sondern eine Abwägung erfolgt. 1 2 2 Die wesentliche Veränderung bezieht sich insofern nicht auf die Voraussetzungen, sondern auf die Folgen des Handelns a. e. G. Entscheidend ist der Selbstwiderspruch, der in der Inanspruchnahme des Schädigers für Risiken liegt, die der Betroffene bewußt oder leichtfertig eingegangen ist. Für die Teilnahme an einem Fußballspiel hat der B G H ausdrücklich festgehalten, daß die bloße Abwägung nach § 254 B G B i n manchen Fällen aber nicht ausreiche, sondern das Handeln a. e. G. dann die
i n RGZ 141, 262, 265; RG JW 1934, 2033 Nr. 1; 1938, 2354 Nr. 35. Iis BGHZ 2, 159, 162; VersR 1952, 420. 119 BGH VersR 1961, 284, 285. 120 RGRK/Steffen, Vor § 823, 67; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 72; MünchKomm/ Grunsky, § 254, 34; Soergel / Mertens, § 254, 50. 121 BGH VersR 1961, 284, 285; 1974, 356. 122 BGH VersR 1961, 284, 285; vgl. Staud. / Schäfer, Vor § 823, 72; RGRK / Steffen, Vor § 823, 67; Soergel/Mertens, § 254, 50-51.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
254
Haftung unter dem Gesichtspunkt des § 242 B G B auch ganz ausschließen k a n n . 1 2 3 A u c h in der Tierhalterhaftung wurde hierauf Bezug genommen, indem man sagte, der Verletzte handle möglicherweise anstößig, wenn er versuche, den bewußt i n K a u f genommenen Schaden auf einen anderen abzuwälzen. 1 2 4 c) Beschränkung
des Anspruchs nach Sinn und Zweck der Norm bei der Tierhalterhaftung
I m Bereich der Gefährdungshaftung des Tierhalters hat indessen der Hauptstrom der dogmatischen Entwicklung demgegenüber einen anderen W e g genommen. Der B G H hat i n mehreren Entscheidungen zur Haftung gegenüber Freizeitreitern das Handeln a. e. G. als selbständiges Kriterium außerhalb von § 254 B G B verwendet und sich dabei auch nicht auf § 242 B G B gestützt, sondern auf den Sinn und Zweck der Tierhalterhaftung. 1 2 5 Er konnte dabei auf die schon v o m R G geübte Praxis zurückgreifen, welche das Handeln a. e. G. insbesondere i m Bereich des Tierschadensrechts und der Gefährdungshaftung generell schon vor der Behandlung dieses Instituts als rechtsgeschäftliche Einwilligung als eigenständiges Kriterium neben § 254 B G B verwendete. 1 2 6 Danach war die Haftung ausgeschlossen, wenn sich der Geschädigte ohne rechtliche, berufliche oder moralische Verpflichtung einer vermeidbaren Gefahr bewußt selbst ausgesetzt hatte. Nachdem das R G die Beschränkung der Tierhalterhaftung wegen freiwilliger Selbstgefährdung des Verletzten zuerst als dem Gesetz fernliegend abgelehnt hatte, 1 2 7 schloß es später doch die Haftung aus, wenn deren gesetzgeberischer Grund nicht zu passen schien. Als der Verletzte auf einem Dungwagen mitfuhr, der i h m nicht die Möglichkeit bot, sich festzuhalten, führte das R G aus, der Rechtsgedanke der freiwilligen Selbstgefährdung habe zwar i m B G B keinen positiven Ausdruck gefunden, entspreche jedoch einer allgemein i m Rechtsleben herrschenden Anschauung. Seine Anwendung sei daher geeignet, einer gerechten, i m Sinne des Gesetzes selbst liegenden Ausgleichung gegenüber der Gefährdungshaftung zu dienen. 1 2 8 Diese Überlegungen bedeuten nach der heutigen Terminologie eine Beschränkung der Gefährdungshaftung nach dem Sinn und Zweck der Norm. Der aktuelle dogmatische Standort des Handelns a. e. G. in der Rspr. zur Tierhalterhaftung ist daher weder die rechtsgeschäftliche E i n w i l l i g u n g , 1 2 9 noch 123 BGH VersR 1975, 137. 124 Karlsruhe VersR 1979, 677, 678; erwogen in Düsseldorf VersR 1986, 1244. 125 BGH VersR 1974, 356; 1977, 864, 865; 1978, 515; 1982, 348, 349; 1982, 670, 671; 1986, 1206, 1207; 1988, 609, 610. 126 RG JW 1906, 710 Nr. 4; 1912, 857 Nr. 10; Warn. Rspr. 1909, Nr. 357; RGZ 130, 162,169; vgl. auch BGH VersR 1961,284 / 285; Staud. / Schäfer, Vor § 823,70; RGRK / Steffen, Vor § 823, 67. 127 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 353. 128 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
255
§ 254 B G B , sondern der persönliche Schutzbereich der Norm. Unsicherheit hierüber ist zwar durch einen Passus i m Turnierreiterfall entstanden, i n dem der B G H gerade auf die gefährlichen Sportarten Bezug nimmt, für die er den völligen Haftungsausschluß wegen Handelns a. e. G. zunächst als Fall der rechtsgeschäftlichen Einwilligung und schließlich des § 242 B G B auch weiterhin zulassen w i l l . 1 3 0 V o n dieser Ausnahme könnten immerhin auch Reitunfälle erfaßt werden, soweit sie sich innnerhalb sportlicher Wettkämpfe ereignen. Schon i m Turnierreiterfall selbst und erst recht i m Pferdepartnerschaftsfall
131
hat der B G H aber auch klarge-
stellt, daß er bei der Verwendung des Handelns a. e. G. i n der Verschuldensund i n der Gefährdungshaftung gegebenenfalls unterschiedlichen Grundsätzen folgen w i l l und daß die rechtsgeschäftliche Einwilligung, die Mitverursachung und der Verstoß gegen Treu und Glauben zumindest i m Bereich der Tierhalterhaftung dabei nicht in Betracht gezogen werden. Das Handeln a. e. G. hat somit i n der Rspr. zur Tierhalterhaftung eine Sonderentwicklung erfahren und spielt dort gerade als Konkretisierung des Normzweckes eine eigenständige Rolle. I n dieser Bedeutung w i r d es von den Obergerichten dann auch häufig i n Betracht gezogen.
132
2. Die Aspekte des Handelns a. e. G. in der Tierhalterhaftung a) Sichbegeben in eine Situation
besonders erhöhter
Gefahr
Bei der Verletzung von Reitern hat der B G H stets die Ansicht vertreten, daß die Haftung wegen Handelns a. e. G. nur dann ausgeschlossen sein kann, wenn der Reiter — ähnlich wie bei anderen gefährlichen Sportarten — sich m i t der Übernahme des Pferdes einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise m i t dem Reiten verbundene Tiergefahr hinausgeht. Dies kann der Fall sein, wenn das Tier selbst erkennbar bösartiger Natur war oder erst zugeritten werden mußte, aber auch wenn der Ritt als solcher eigentümlichen Gefahren unterlag, wie beim Dressurreiten, Springen oder bei der Fuchsjagd. 1 3 3 Die Feststellung von Situationen erhöhter Gefahr steht für die Rspr. daher i m Zentrum ihrer Überlegungen. 129 Vgl. aber z. B. Herrmann, JR 1980, 489, 493; Borhövd, JR 1978, 50, 52; VersR
1979, 399, 401.
130 BGH VersR 1974, 356; vgl. auch BGH VersR 1961, 284, 285; 1975, 137. 131 BGH VersR 1974, 356; 1977, 864, 865. 132 Frankfurt VersR 1979, 961, 962; 1981, 935; 1983, 1040; 1985, 670; Karlsruhe VersR 1979, 677, 678; 1989, 860, 861; Celle VersR 1981, 1057, 1058; 1982, 704; Hamburg VersR 1982, 706, 707; K G VersR 1986, 820, 821; Zweibrücken VersR 1986, 1128, 1129; München VersR 1989, 861; Köln VersR 1989, 62; Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492; Düsseldorf VersR 1986, 1244; Koblenz VersR 1986, 247. 133 BGH VersR 1955, 116; 1974, 356; 1977, 864, 865; 1978, 515. Nach einem Urt. des BGH v. 19.11.1991 ( V I ZR 69 / 91; noch unveröffentlicht) muß sich die besondere Gefahrensituation aber auch ausgewirkt haben.
256
4. Teil: Der Verletztenbeitrag (1) Situationen erhöhter Gefahr
Situationen erhöhter Gefahr liegen insbesondere in Wettkämpfen. Wegen Handelns a. e. G. wurde die Tierhalterhaftung ausgeschlossen, als bei der Teilnahme an einem Pferderennen von der Bahnbegrenzung abgesplittertes Holz ein anderes Pferd verletzt hatte. Indem der Verletzte sein Pferd am Rennen teilnehmen lasse, bringe er es i n eine Situation, in der mit einem Schaden gerechnet werden müsse. Jeder Teilnehmer sei sich bewußt, daß die von i h m mitgeschaffene Lage ungewollt zu Verletzungen führen k ö n n e . 1 3 4 Demgegenüber ist aber i n der Rspr. auch vertreten worden, daß i m Pferderennen keine besonders erhöhte Gefahr liege, weil erwartet werden müsse, daß die Tiere von ihren Reitern beherrscht würden und die ordnungsgemäße Organisation der Veranstaltung Unfälle regelmäßig ausschließe. 135 Dabei w i r d indessen gerade auf den Wettkampfcharakter der Veranstaltung nicht eingegangen. Bei der Teilnahme an einem Springreitturnier wurde die Haftung ausgeschlossen, weil sich der Reiter einer besonderen Gefahr ausgesetzt habe. Durch seine freiwillige Beteiligung an einer gefährlichen Sportart habe er sich des Schutzes von § 833 S. 1 B G B entäußert. 1 3 6 Handeln a. e. G. wurde auch bejaht, als bei der Teilnahme an den Startvorbereitungen zu einer Fuchsjagd eine Reiterin v o m Pferd eines anderen Reiters getreten wurde. Die Fuchsjagd einschließlich der Startvorbereitungen zum Flachrennen als solches unterliege eigentümlichen Gefahren, die deutlich über die Risiken des Reitens i m allgemeinen hinausgingen und vor denen die Tierhalterhaftung nach ihrem Sinn und Zweck nicht schützen solle. Es habe sich nicht u m wenige, sondern u m 30-40 Pferde gehandelt. Diese stehen nach Ansicht des Gerichts vor dem Start unter nervöser Spannung und schlagen leicht aus, was wegen des dichten Beisammenstehens der Tiere häufig zu Unfällen führe. Bei Veranstaltungen dieser A r t sei auch stets ein Krankenwagen oder ein Arzt in Bereitschaft. 1 3 7 Der Reiter selbst soll die Gefahr des Schadenseintritts schließlich auch dann entscheidend erhöhen, wenn er an einem Stafettenzeitspringen teilnimmt. Dieses sei eine Form des Springreitens, also eine besonders gefährliche A r t des Reitens. Es unterliege spezifischen Gefahren, die mit dem Reiten normalerweise nicht verbunden seien, insbesondere wegen der Schnelligkeit und der Annäherung der Tiere bei Übergabe der Stafette. 1 3 8
134 Karlsruhe VersR 1979, 677, 678. 135 Zweibrücken MDR 1978, 315. 136 Frankfurt VersR 1979, 961, 962 (Verletzung beim Einordnen in die Riege der wartenden Pferde). 137 Frankfurt VersR 1981, 935. 138 Frankfurt VersR 1985, 670.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
257
(2) Situationen gewöhnlicher Gefahr Der bloße Aufenthalt in der Nähe der Gefahrenquelle ist für die Rspr. indessen keine Situation erhöhter Gefahr, auch wenn der Verletzte selbst die Lenkung des Tieres übernommen hat. Der B G H hat wiederholt darauf hingewiesen, daß nicht schon jeder auf eigene Gefahr handelt, der überhaupt ein Pferd reitet. 1 3 9 Es reiche nicht aus, wenn der Verletzte sich nur in die Gefahr begebe, abgeworfen zu werden, denn diese sei m i t dem Reiten normalerweise verbunden. 1 4 0 A u c h i m Turnierreiterfall hat sich danach der Verletzte keiner besonderen Gefahr ausgesetzt. Das gerittene Pferd sei ihm bekannt gewesen und auch der 14-jährige Sohn der Vorbesitzerin habe es ohne Zwischenfall geritten. Dies spreche gegen eine besondere Bösartigkeit des Tieres. 1 4 1 Der B G H hatte aber zunächst offen gelassen, ob die Situation beim selbständigen Ausreiten i m Hinblick auf „besondere Gefahrenkreise' 4 womöglich anders sein könne. Hierdurch schien das Gericht anzudeuten, daß es zwischen dem Ritt unter Aufsicht und dem selbständigen Ausritt unterscheiden wolle, mit der Folge, daß manche Gerichte allein i m selbständigen Ausritt ein Handeln a. e. G. gesehen haben. 1 4 2 Dieser Ansicht ist der B G H aber schließlich entgegengetreten, indem er ausführte, auch wer selbständig ausreite, übernehme keine erhöhte Gefahr, denn die dann gegebene Gefahrbeherrschung bestehe grundsätzlich immer, wenn jemand ein Pferd reite. Soweit er kein besonderes Risiko übernommen oder einen Reitfehler gemacht habe, werde die durch den Tierhalter gesetzte Gefahr nicht durch das eigenverantwortliche Handeln des Reiters verdrängt. 1 4 3 A u c h die übrige Rspr. ist nunmehr überwiegend der Auffassung, daß eine besondere Gefahrerhöhung allein durch die Lenkung eines Tieres nicht gegeben ist, weder bei einem selbständigen Ausritt oder einer Ausfahrt m i t dem Pferdewagen, 1 4 4 noch bei einer gewöhnlichen Reitstunde oder einem sonstigen Ritt unter A u f s i c h t . 1 4 5 Dies gilt auch für die Verletzung während einer Ehrenrunde nach einem Pferderennen. 146 U m so weniger reicht die bloße Nähe zum Tier aus, um eine Gefahrerhöhung zu begründen, wenn der Verletzte das Tier nicht selbst gelenkt hat. Dies gilt etwa dann, wenn ein abgesessener Reiter vom Pferd gebissen oder getreten oder wenn er verletzt wird, während er zwischen Pferden umhergeht, die von anderen Reitern bewegt werden. 1 4 7 Es gilt um so mehr für den Aufenthalt i n der Nähe 139 BGH VersR 1977, 864, 865; 1978, 515; 1982, 348, 349. 140 BGH VersR 1977, 864, 865. 141 BGH VersR 1982, 348, 349 (Bemerkung zum Turnierreiterfall). 142 KG VersR 1986, 820, 821; München VersR 1987, 493, 494. 143 BGH VersR 1986, 1206, 1207. 144 Hamburg VersR 1982, 706; München VersR 1989, 861; Köln VersR 1989, 62. 145 München VersR 1981, 937; Celle VersR 1982, 704. 146 Düsseldorf VersR 1986, 1244. 147 BGH VersR 1982, 670, 671; Schleswig VersR 1990, 869; Zweibrücken VersR 1986, 1128, 1129. 17 Lorenz
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
258
eines Pferdes beim Beschlagen. 1 4 8 Bei einem Gemeinschaftstransport werden die Pferde nach Ansicht des B G H zwar besonderen Bedingungen ausgesetzt. Dies stelle jedoch keine Gefahr dar, die über das normalerweise m i t der Pferdehaltung verbundene Risiko hinausgehe. 1 4 9 A u c h die Übernahme der Aufsicht über einen Hund ist nicht als Eintritt i n eine besonders gefährliche Situation gesehen worden.150 (3) Die Irrelevanz der bloßen objektiven Gefahrerhöhung für die Schutzwürdigkeit des Verletzten Bei der Anwendung des Handelns a. e. G. i m Bereich der Gefährdungshaftung ergibt sich insofern eine Schwierigkeit, als diese ohnehin v o m Bestehen einer besonderen Gefahr ausgeht, deren mögliche Verwirklichung gerade den Haftungsgrund bildet. Es hat sich bereits i m Zusammenhang m i t dem Kriterium des sozialen Zwangs gezeigt, daß allein die Nähe zur Gefahrenquelle — auch wenn sie auf der Lenkung der Gefahrenquelle beruht — regelmäßig keinen Haftungsausschluß rechtfertigt, da diese — besonders bei vermieteten Reitpferden — gerade der Normalfall i s t . 1 5 1 Die Gefährdungshaftung besteht deshalb, w e i l andere Personen m i t Tieren zwangsläufig i n Berührung kommen, unabhängig davon, zu welchem Zweck die Tiere gehalten werden. Die besonders erhöhte Gefahr kann demnach nicht allein durch die Gefahrenquelle begründet werden, sondern nur durch andere Umstände, welche die an sich schon gegebene Verletzungsträchtigkeit des Tierverhaltens weiter erhöhen. Diese weiteren Umstände können, wie alle Verletzungsbeiträge, grundsätzlich aus dem Bereich des Halters, des Verletzten oder der Fremdursachen stammen. 1 5 2 Die Rspr. sieht eine Gefahrerhöhung hauptsächlich dann als gegeben an, wenn entweder das Tier selber besonders verletzungsträchtige Eigenschaften aufweist oder wenn der Umgang m i t dem Tier eigentümliche Gefahren enthält, etwa bei der Teilnahme an einer Wettkampfveranstaltung. Dabei geht es also u m Faktoren, die aus dem Bereich des Halters (besondere Tiereigenschaften) oder aus dem Bereich der Fremdursachen stammen (Wettkampf). Gerade beim Wettkampf liegt die Verletzungsträchtigkeit weniger i m Tierverhalten oder den Handlungen des Halters oder des Verletzten, sondern i n der Gesamtsituation, die wesentlich durch die äußeren Umstände und durch das Verhalten weiterer mitwirkender Personen geprägt wird. Dabei läßt sich dann eine konkrete Zuordnung von Beiträgen auch kaum mehr vornehmen. Obschon auch die besonderen Eigenschaften des Tieres als gefahrerhöhende Umstände genannt werden, haben solche Fälle, soweit er-
148 149 150 151 152
München NJW-RR 1991, 478. BGH VersR 1978, 515. Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492, 1493. Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. Vgl. oben 1 § 4 A.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
259
sichtlich, bisher nicht zum Haftungsausschluß wegen Handelns a. e. G. geführt. Dies wäre auch bedenklich, denn jeder Beitrag zur Verletzung, der aus dem Bereich des Halters selbst stammt, insbesondere wenn er von der Gefahrenquelle ausgeht, begründet die Haftung und ist tendenziell kaum geeignet, die Gefahrzurechnung auszuschließen. Dies kommt höchstens i n Frage, wenn die Gefahr durch Umstände erhöht wird, die sich der Halter gerade nicht zurechnen lassen muß. Wer ein besonders gefährliches Tier hält und zu seinen Zwecken verwendet, hat eher die Folgen hieraus zu verantworten, als derjenige, der sich dem Tier nähert. Es wäre Sache des Halters, diese besondere Gefahrenquelle aus dem Verkehr zu ziehen. Er trägt die Verantwortung für den Bestand der Gefahrenquelle, welche konkrete Verletzungsträchtigkeit dieser auch immer zukommen mag. Dies macht deutlich, daß der Haftungsausschluß sich allein aus dem Eintritt in die Situation erhöhter Gefahr auch letztlich noch nicht begründen läßt. Denn dadurch w i r d das Gewicht des Verletztenbeitrags gegenüber der Gefahrenquelle objektiv noch nicht i n haftungsrelevanter Weise erhöht. Die Relevanz der Gefahrenquelle w i r d durch die gleichzeitig neben ihr wirkenden Faktoren tendenziell eben nicht abgeschwächt, sondern potenziert. Dies gilt ganz unabhängig davon, aus welchem Bereich die gefahrerhöhenden Umstände stammen. Die Situation w i r d dann geprägt durch zusätzliche Ursachen, die m i t der Gefahrenquelle i m Tierverhalten zusammenwirken. 1 5 3 Die Gefahr der Verletzung durch ein Tier erhöht sich, wenn dieses i m Wettkampf eingesetzt wird. Dies liegt nicht an den Tieren, sondern an der Situation „ W e r t k a m p f , die besonders viele Auslösereize und Zwischenursachen bereitstellt, durch die das Tierverhalten zur Verletzung führen kann. Für diese Umstände selbst braucht der Halter zwar nicht einzustehen, man kann aber auch nicht sagen, daß die Bedeutung der Gefahrenquelle durch sie gemindert oder aufgehoben wird, wie dies erforderlich wäre, u m den Ausschluß der Gefahrzurechnung zu rechtfertigen. Die Gefahrenquelle konnte sich i m Gegenteil in dieser Situation besonders nachhaltig verwirklichen. Dadurch w i r d die Wirksamkeit der Gefahrenquelle potenziert, nicht gemindert. W i l l man aber aus dieser Lage die Minderung der Schutzwürdigkeit des Verletzten herleiten, dann kann der Haftungsausschluß wegen Handelns a. e. G. letztlich nicht allein auf diese objektive Gefahrerhöhung gestüzt werden, denn die Relevanz der Gefahrenquelle selbst w i r d dadurch nicht vermindert. Die Schutzwürdigkeit des Verletzten kann nur abgeschwächt werden, wenn man zusätzlich auf die Bewußtheit oder Freiwilligkeit des Eintritts des Verletzten i n diese Situation, also auf dessen Handeln abstellt. Dies zeigt sich etwa auch darin, daß die Rspr. Fälle, i n denen zusätzliche gefahrerhöhende Umstände i n den persönlichen Eigenschaften des Verletzten selbst liegen, 1 5 4 von vornherein nicht beim Handeln a. e. G. erörtert, sondern i m Rahmen von § 254 B G B .
153 Vgl. oben 2 § 4 B I I I 2 u. 4 § 2 D I I 2a (3). 154 Vgl. unten 4 § 3 B I I 1 b. 17*
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
260
b) Kenntnis der erhöhten Gefahr Beim Handeln a. e. G. w i r d daher von der Rspr. zusätzlich verlangt, daß die erhöhte Gefährdung dem Verletzten bekannt (oder erkennbar) gewesen i s t . 1 5 5 So sei sich beim Pferderennen jeder Teilnehmer bewußt, daß die von ihm mitgeschaffene Lage ungewollt zu Verletzungen führen k ö n n e . 1 5 6 Die Selbstgefährdung w i r d insbesondere dann als erkennbar und vermeidbar angesehen, wenn der Verletzte Warnschilder nicht liest oder nicht beachtet, die ausdrücklich auf die besonderer Gefährlichkeit eines Tieres hinweisen. 1 5 7 Verletzungen, die sich aus der bekannten besonders bösartigen Natur eines Pferdes für den Jockey ergaben, begründeten die Haftung des Halters dann, als der Verletzte selbst sich der Möglichkeit einer Gefährdung nicht bewußt gewesen i s t . 1 5 8 A m erforderlichen Gefahrbewußtsein soll es auch fehlen, wenn ein Pferd plötzlich ausschlägt, nachdem es vorher stets ruhig gewesen i s t , 1 5 9 wenn der Kläger v o m Hund gebissen wird, obwohl er beim Betreten des Gundstückes keine Gefahr erkennen k o n n t e 1 6 0 oder wenn ein Pferd, das bei Annäherung zum Ausschlagen neigt, bei der Teilnahme an einer Veranstaltung nicht durch ein rotes Band erkennbar gemacht wird, wie dies allgemein üblich i s t . 1 6 1 c) Fehlen eines triftigen
Grundes
Mitunter w i r d zusätzlich noch darauf abgestellt, ob der Verletzte einen triftigen Grund hatte, sich in die erhöhte Gefahr zu begeben oder auch, ob er i m eigenen oder fremden Interesse gehandelt hat. Es geht um die Vermeidbarkeit der Selbstgefährdung und einen daraus ableitbaren V o r w u r f der Unvorsichtigkeit. 1 6 2 Hier zeigt sich eine deutliche Gedankenverbindung zu § 254 B G B , wonach sich der Verletzte nicht zu seinem eigenen Verhalten i n Widerspruch setzen darf. Der triftige Grund hat Ähnlichkeit mit einem „Rechtfertigungsgrund 4 ' für den Aufenthalt in Gefahrnähe und erinnert an die von der Rspr. i m Rahmen der Mitverursachung behandelten Selbstrettungsfälle. Er erinnert aber auch an die Fragen nach der erzwungenen Gefahrnähe oder dem überwiegenden Eigeninteresse, die sich in Anwendung auf den Verletztenbeitrag bereits als unbrauchbar erwiesen haben.
163
iss Vgl. RGZ 141, 262, 266; BGH VersR 1955, 38, 39; 1955, 116; 1974, 356; 1988, 609, 610. 156 Karlsruhe VersR 1979, 677, 678. 157 Frankfurt VersR 1983, 1040. iss BGH VersR 1955, 116 unter Bezugnahme auf BGHZ 2, 159, 163. 159 Köln VersR 1976, 197, 198 unter Hinweis auf BGH VersR 1955, 116; 1974, 356. 160 Düsseldorf VersR 1981, 1035, 1036. 161 Karlsruhe, VersR 1989, 860. 162 Frankfurt VersR 1983, 1040; Zweibrücken VersR 1986, 1128, 1129. 163 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2 u. C IV.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
261
So wurde das Handeln a. e. G. verneint, weil der Verletzte nicht „ f r e i w i l l i g ohne Grund" in den K a m p f zwischen einem fremden und seinem eigenen Hund eingriff, sondern aus berechtigter Sorge vor der Verletzung beider Tiere. Es soll eine für die Gefährdungshaftung typische Opfersituation vorgelegen haben. 1 6 4 Dabei ist die vorrangige Frage des Eintritts in eine Situation erhöhter Gefahr gar nicht erörtert worden. Schon dieser könnte fraglich sein, denn anders als in einer Wettkampfsituation geht es hier allein um die gesteigerte gegenseitige Aggressivität der Tiere des Halters und des Verletzten selbst. A u c h handelte es sich eigentlich nicht um den Eintritt in eine neue und besondere Gefahrenlage, denn der Hund des Verletzten und damit eines seiner Rechtsgüter stand bereits unter Angriffs Wirkung. Daher hätte sofort die Frage nahegelegen, ob der Verletzte bei der Abwehr eines Angriffs auf das Eigentum an seinem Hund einen Verhaltensfehler beging, der nach § 254 B G B zu berücksichtigen war und in welcher Weise die Tiergefahr seines eigenen Hundes an der Verletzung m i t w i r k t e . 1 6 5 Eine vermeidbare Selbstgefährdung i m Rahmen des Handelns a. e. G. sollte indessen gegeben sein, als der v o m Wachhund Verletzte sich durch aufgestellte Warnschilder, von denen er eines nicht gelesen und das andere nicht beachtet hatte, nicht v o m Betreten eines Hofes abhalten l i e ß . 1 6 6 Das eigentliche Argument lag aber darin, die Warnschilder hätten zur Verschaffung der erforderlichen Kenntnis ausgereicht. Die Überlegung zur Vermeidbarkeit hatte insofern gegenüber der Kenntnis von der Gefahrerhöhung keine eigenständige Funktion.
I I I . Das Handeln a. e. G. in der Literatur 1. Überwiegende Anerkennung als sachgemäße Haftungsgrenze Die Standpunktwechsel in der Rspr. zur dogmatischen Bedeutung des Handelns a. e. G. und die i m Ergebnis unterschiedlichen Einordnungen dieses Rechtsinstitutes für verschiedene Anwendungsfälle haben auch in der Lit. zu einer entsprechenden Meinungsvielfalt geführt. Einige Autoren wollen das Handeln a. e. G. i m Tierschadensrecht überhaupt nicht verwenden. 1 6 7 Es handle sich u m eine schillernde Figur, mit der nichts anzufangen sei, da ihre dogmatische Einordnung nicht feststehe. Es bleibe unklar, welcher Rechtsvorgang damit passenderweise zu bezeichnen sei. Es sei nicht zu erkennen, wann die von der Rspr. geforderte besondere Gefahr vorliegen solle. Das Handeln a. e. G. laufe letztlich auf die Unterstellung einer rechtsgeschäftlichen Einwilligung hinaus, die durchweg eine unzulässige Fiktion sei. Die Begründung dieses Standpunktes ist angesichts der 164 Celle VersR 1981, 1057, 1058. 165 So dann auch im Ergebnis Celle VersR 1981, 1057, 1058; ähnlich Koblenz VersR 1986, 247; vgl. unten 4 § 3 B I I 2 b. 166 Frankfurt VersR 1983, 1040. 167 Herrmann, JR 1980, 489, 493; Bornhövd, JR 1978, 50, 52; VersR 1979, 399, 401.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
klaren Aussagen der jüngeren Rspr. indessen weitgehend nicht haltbar. Dort ist das Handeln a. e. G. als Konkretisierung des persönlichen Schutzbereichs des § 833 S. 1 B G B eingeordnet und i n seinen Voraussetzungen und Anwendungsfällen umschrieben worden. 1 6 8 Eine rechtsgeschäftliche Konstruktion w i r d beim Handeln a. e. G., soweit ersichtlich, auch außerhalb des Tierschadensrechts von der Rspr. heute nicht mehr i n Betracht gezogen. 1 6 9 Viele Autoren sehen i m Handeln a. e. G. demzufolge eine sachgemäße Beschränkung der Halterhaftung. Sie behandeln diese Rechtsfigur dann zumeist als Konkretisierung des Normzwecks bzw. des persönlichen Schutzbereichs, 1 7 0 teilweise auch als besonderen Anwendungsfall von § 254 B G B . 1 7 1 Dabei ist mitunter von der Synthese zwischen § 254 B G B und dem persönlichen Schutzbereich die Rede. 1 7 2 Demnach geht es i n der Lit. zunächst um die Frage, ob der Eintritt i n Situationen erhöhter Gefahr dem persönlichen Schutzbereich zuzuordnen ist und damit zum völligen Haftungsausschluß führt oder auch i m Tierschadensrecht eher als Anwendungsfall des § 254 B G B gesehen werden muß und dadurch die Möglichkeit der Quotierung eröffnet wird.
2. Handeln a. e. G. als Konkretisierung des persönlichen Schutzbereichs Eine Reihe von Autoren sieht das Handeln a. e. G. i n Anlehnung an die Rspr. als Konkretisierung des Normzwecks bzw. des persönlichen Schutzbereichs der Tierhalterhaftung. 1 7 3 Gegen diese Einordnung des Problems sprechen dann die Argumente, die schon grundsätzlich zugunsten von § 254 B G B gegen die Haftungsbegrenzung aus dem Normzweck der Tierhalterhaftung vorgebracht werden. 1 7 4 Dabei geht es i m wesentlichen u m die Frage, ob die Selbstgefährdung des Verletzten die Haftung des Verantwortlichen aufhebt (Schutzbereich) oder
168 Vgl. oben 4 § 2 D I I 1 c. 169 Vgl. oben 4 § 2 D I I 1 b. 170 Larenz, Schuldrecht II, 706; Soergel/Zeuner, 25; A K - B G B / K o h l , 9; Staud./ Schäfer, 69; RGRK / Kreft, 64; Haase, JR 1974, 238; Schmid, JR 1976, 274, 277; Schräder, NJW 1975, 676, 677; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677; RGRK/Steffen, Vor § 823, 73; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 60 u. 67; Stoll, VersR 1983, KF, 184, 187; ohne ausdrückliche Einordnung anerkennend Dunz, JZ 1987, 63, 65; Stötter, JZ 1972, 409, 410; Geigei / Schlegelmilch, 2. 171 Herrmann, JR 1980,489,494; RGRK / Kreft, 64; Deutsch, NJW 1978,1998,2001. 172 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; Haftungsrecht, 329. 173 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677; Larenz, Schuldrecht II, 706; Haase, JR 1974, 238; Soergel/Zeuner, 25; AK-BGB / K o h l , 9; Schmid, JR 1976, 274, 277; Schräder, NJW 1975, 676, 677; Stoll, VersR 1983, KF, 184, 187. 174 Vgl. Bornhövd, JR 1978, 50, 53; VersR 1979, 398, 400; Herrmann, JR 1980, 489; Knütel, NJW 1978, 297; MünchKomm / Mertens, 27; Jauernig / Teichmann, 2d; Erman / Schiemann, 6; vgl. oben 4 § 2 A I I 2.
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nur abschwächt (§ 254 B G B ) . 1 7 5 Nur die wenigsten Befürworter dieser Einordnung des Handelns a. e. G. übernehmen aber ausdrücklich die zentrale Überlegung der Rspr., wonach auf eigene Gefahr nur handelt, wer sich i n eine Situation erhöhter Verletzungsgefahr begibt, die jedenfalls nicht nur i m Tierverhalten ihren Ursprung h a t . 1 7 6 Eine Anzahl von Autoren, die das Handeln a. e. G. als Problem des Schutzbereiches oder des Normzwecks sieht, w i l l vielmehr die weitere Gefahrerhöhung durch besondere Umstände gerade nicht als Voraussetzung anerkennen oder jedenfalls die Annäherung an die Gefahrenquelle hierfür ausreichen lassen, soweit damit eine Gefahrbeherrschung oder Gefahrübernahme verbunden i s t . 1 7 7 Z u m eigentlichen Kriterium des Haftungsausschlusses werden damit erneut Überlegungen zur Gefahrbeherrschung und zum überwiegenden Eigeninteresse gemacht, wenn auch nunmehr vorgetragen unter der Bezeichnung des Handelns a. e. G. I m Ergebnis handelt es sich letztlich u m eine klare Gegenposition zur heute etablierten Rspr. Deutsch sieht die von der Rspr. vorgenommene Risikoverteilung als sachlich verfehlt an. Es sei nicht sinnvoll, den Schutz des § 833 S. 1 B G B zwar grundsätzlich auch dem Reiter zukommen zu lassen, die Haftung dann aber fallgruppenweise unter dem Aspekt des Handelns a. e. G. oder der Mitverursachung wieder einzuschränken. Dies entspreche auch nicht den Bedürfnissen der Praxis, die dadurch zu vertraglichen Haftungsausschlüssen gezwungen werde. Es reiche aus, daß der Verletzte bewußt und freiwillig, also ohne sozialen Druck die Gefahrsteuerung übernommen habe, denn dadurch sei er m i t der Gefahr eng verbunden. 1 7 8 A u c h nach Larenz ist die Risikoabnahme durch § 833 S. 1 B G B wegen Handelns a. e. G. schon dann nicht gerechtfertigt, wenn sich der Verletzte freiwillig der Tiergefahr aussetzt. Dann entfalle der maßgebende Gesichtspunkt der Unvermeidbarkeit, so daß die Vorschrift der teleologischen Reduktion i m Bezug auf ihren Normzweck bedürfe. 1 7 9 Für Haase kommt Handeln a. e. G. nur in Betracht beim Handeln i m überwiegenden eigenen Interesse und bei Erlangen der unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeit, d. h. der Sachherrschaft über das T i e r . 1 8 0 Dunz hält das Erfordernis der besonderen Gefahr i n der Rspr. für fragwürdig. Der Reiz des Reitsportes liege darin, daß man sich gewissen Gefahren aus der Natur des Tieres aussetze und durch reiterliches Können zu beherschen suche. Wer sich in Gefahr begebe, u m diese zu beherrschen, müsse gegebenenfalls auch
175 Dies läßt sich indessen erst aus einem Gesamtüberblick beurteilen; vgl. unten 4 § 5 C. 176 A K - B G B / K o h l , 9; Soergel/Zeuner, 25-26; Staud. / Schäfer, 69; vgl. auch Geigei / Schlegelmilch, 2. 177 Vgl. Stoll, Handeln, 359 u. folgende Fußnoten. 178 Deutsch, NJW 1978, 1998, 2000/2001. 179 Larenz, Schuldrecht II, 706; vgl. auch Soergel / Zeuner, Vor § 823, 67. 180 Haase, JR 1974, 238.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
die Verwirklichung dieser Gefahr hinnehmen. Niemand dürfe die Folgen eigenen Wagnisses auf Dritte abwälzen. Wer vor einer Gefahr gewarnt sei und diese trotzdem eingehe, sei selber schuld, wenn er verletzt werde. 1 8 1 Das Handeln a. e. G. könne daher sinnvoll nur bei Reitunfällen zum Tragen kommen, wenn das Pferd i m eigenen Interesse geritten w i r d (und nicht in fremden Interesse, z. B. durch einen Zureiter), der Reiter aufgesessen ist (und nicht etwa abgesessen gebissen wird) und die reiterliche Aufgabe in der Gefahrbeherrschung besteht (anders als beim Reiten an der Führleine). 1 8 2 Damit zeigt sich aber, daß diese Autoren unter der Bezeichnung des Handelns a. e. G. letztlich Fragen der Gefahrnähe, der tatsächlichen Einwirkung auf das Tier und des überwiegenden Eigeninteresses vortragen. Diese sind für die Beurteilung des Verletztenbeitrages ungeeignet, sondern dienen der Ermittlung des Halters. 1 8 3 M a n kann auch nicht sagen, die Gefahr gehe i n diesen Fällen v o m Lenker des Tieres aus. Damit würde auf das Kriterium der menschlichen Leitung zurückgegriffen, die — wie bereits dargestellt w u r d e 1 8 4 — die Wirksamkeit des Tierverhaltens weder tatsächlich verdrängt, noch haftungsrechtlich irrelevant macht.
3. Bewußte Annäherung an die Gefahrenquelle als Problem der Mitverursachung gem. § 254 BGB Die Lit. außerhalb des Tierschadensrechts sieht das Handeln a. e. G. in Übereinstimmung mit dem B G H als Anwendungsfall der Mitverursachung an und geht davon aus, daß diese Fälle ebenso liegen, wie sonstige Sachverhalte der bewußten Selbstgefährdung, da der Geschädigte sich bewußt der Gefahr ausgesetzt und diese sich schließlich verwirklicht habe. 1 8 5 Der Geschädigte habe sich schuldhaft, d. h. unter Verletzung der i m eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt, in eine Gefahr begeben. 1 8 6 Der Terminus „Handeln a. e. G . " habe eigentlich keine Berechtigung, denn er erwecke den unzutreffenden Eindruck, der Geschädigte allein trage das Risiko.187 Manche Autoren sehen das Handeln a. e. G. indessen dennoch weder als Gegensatz zur Mitverursachung noch als deren Normalfall, sondern gerade als besondere Konstellation i m Rahmen des § 254 B G B , bei welcher der Verletzte an der eigentlichen Aktualisierung des Risikos nicht mitwirkt, sondern sich nur 181 Dunz, JZ 1987, 63, 65 spricht zwar nicht ausdrücklich vom Normzweck, sondern vom selbstwidersprüchlichen Verhalten, gehört aber inhaltlich in diesen Zusammenhang. 182 Dunz, JZ 1987, 63, 64. 183 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2 u. C IV; 3 § 1 B I. 184 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e u. D I I 2b. iss Soergel / Zeuner, Vor § 823, 62; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 69 -74; RGRK / Alff, § 254, 25. 186 Geigei /Schlegelmilch, 12. Kap., 40 und 3. Kap., 19. Aufl., 8. 187 MünchKomm / Grunsky, § 254, 34.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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sehenden Auges in eine bereits bestehende Gefahrenlage begibt. 1 8 8 Anders als bei der Mitgefährdung begründe der Geschädigte nicht selbst eine Gefahr, sondern setze sich fremder Gefahr aus. Das Handeln a. e. G. sei somit eine Entsprechung zum Übernahme- oder einleitenden Verschulden i m Bereich des § 254 B G B . 1 8 9 Anders als beim eigentlichen Mitverschulden richte sich beim Handeln a. e. G. die Sorgfalt nur auf die Kenntnis der Gefahr. 1 9 0 Das Handeln a. e. G. sei trotz mancher Berührung mit § 254 B G B eine durchaus abgesonderte Fallgestaltung. Diese setze auf einer zu § 254 B G B parallelen Stufe an. Der Geschädigte habe nicht — wie dort — eine eigene Gefahr gesetzt, sondern nehme an der Gefahr teil, deren Begründung den Schädiger haftbar mache. Es sei nun ein Problem der Zurechnung bzw. der Sphärenbetrachtung, wem das Risiko zugewiesen sei oder ob es in beide Verantwortungsbereiche falle. I m Grunde sei eine dem § 254 B G B entsprechende Abwägung mit objektiven Faktoren vorzunehmen. Innerhalb des Tierschadensrechts spricht sich Herrmann für eine „Erweiterung des Mitverschuldens" auf die Fälle der unvermeidbaren Annäherung an Tiere aus. 1 9 1 Diese Unvermeidbarkeit läuft dann aber — wenn auch unter Vermeidung des völligen Haftungsausschlusses — auf das Kriterium des sozialen Zwangs hinaus, das sich als nicht hilfreich erwiesen h a t . 1 9 2 Diese Ansicht unterscheidet demnach zwischen dem „eigentlichen" Anwendungsbereich des § 254 B G B , bei dem der Verletzte den Erfolg durch sein Handeln begünstigt hat und dem Handeln a. e. G. als einer „erweiterten" Anwendung dieser Vorschrift, bei der sich der Verletzte nur bewußt einer bereits bestehenden Gefahrenlage ausgesetzt hat. Dabei bleibt in der Schwebe, ob es sich um einen Unterfall des § 254 B G B oder um eine entsprechende Anwendung der Grundgedanken dieser Vorschrift handelt. Zwar zeigt sich bei der Anwendung dieser Überlegungen auf die Tierhalterhaftung dann die Tendenz, bereits in der Annäherung an das Tier eine ausreichende Gefahrenlage zu sehen, nicht (wie die Rspr.) erst in der Gefahrerhöhung durch weitere Umstände. 1 9 3 Immerhin w i r d aber mit dieser Sichtweise des Handelns a. e. G. der strikte Gegensatz zur Mitverursachung überwunden und damit ein Ansatzpunkt zur dogmatischen Behandlung auch von Situationen besonders erhöhter Gefahr i m Tierschadensrecht eröffnet. 1 9 4
iss RGRK/Steffen, Vor § 823, 68; Weidner, 35-43; RGRK/Kreft, 64. 189 Deutsch, Haftungsrecht, 329 siedelt das Handeln a. e. G. im Grenzbereich zwischen dem Normzweck und § 254 BGB an; vgl. auch Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001. 190 Deutsch, Haftungsrecht, 328-329; RGRK / Steffen, Vor § 823, 70. 191 Herrmann, JR 1980, 489, 494. 192 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 193 Vgl. Herrmann, JR 1980, 489, 494; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; R G R K / Kreft, 64. 194 Vgl. dazu unten 4 § 3 A I I 2a (3); B I I 1; C; § 5 C.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
E. Die Behandlung des Verletztenbeitrags als Problem der Gefahrzurechnung bzw. des persönlichen Schutzbereichs Der Halter soll den Schaden nur tragen, wenn die Verletzung gerade auf die Gefahrenquelle zurückgeht und nicht überwiegend auf den Beitrag des Verletzten selbst. Aus dem Normzweck des § 833 S. 1 B G B w i r d daher ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gewonnen, welches das Gewicht des Tierverhaltens i m Verhältnis zur M i t w i r k u n g des Verletzten feststellen soll. Hierzu sind eine Reihe von Kriterien entwickelt worden, die sich zunächst zu zwei Gruppen ordnen lassen.
I . Die Unergiebigkeit des Rückgriffs auf Gefahrbeherrschung und Eigeninteresse Z u m einen w i r d betont, daß derjenige haften soll, der i m eigenen Interesse andere Personen der Tiergefahr aussetzt und die Möglichkeit hat, über das Tier zu bestimmen. Daraus werden die drei Kriterien des überwiegenden Eigeninteresses, der Gefälligkeit (als Indikator für das überwiegende Eigeninteresse des Halters) und der Gefahrbeherrschung abgeleitet. Diese erweisen sich für die Behandlung des Verletztenbeitrages als grundsätzlich ungeeignet. 1 9 5 Herrschaft und Interesse spielen i m Tierschadensrecht nur dann eine Rolle, wenn es um die bestimmende Herrschaft über das Tier und deren Beschränkung durch Nutzungsbefugnisse anderer geht. Dabei handelt es sich u m die normative „Nähe zur Gefahr" und damit u m die Bestimmung des Gefahrverantwortlichen, also des Tierhalters. Wer diese Voraussetzungen erfüllt, ist für die Existenz und den Nutzungszweck des Tieres verantwortlich gegenüber jedermann. 1 9 6 Wer auf Herrschaft und Interesse abstellt, bewegt sich demzufolge auf der Ebene der Halterschaft und versucht, diese auszuhebein. Damit konzipiert er einen relativen Übergang der Gefahrverantwortung. V o m Halter aus gesehen soll der Verletzte für die Gefahrenquelle verantwortlich sein, v o m Standpunkt eines Dritten aus indessen nach wie vor der Halter. Sinnvoll ist i m Rahmen der Gefahrzurechnung demgegenüber nur ein Ansatz, der von der grundsätzlichen Gefahrverantwortung des Halters ausgeht und bestrebt ist, das Gewicht seines Beitrags i m Verhältnis zu dem des Verletzten zu ermitteln.
195 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2 u. C IV. 196 Vgl. oben 3 § 2 B I u. 4 § 2 C IV.
§ 2 Der persönliche Schutzbereich
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II. Das Erfordernis der Gefahrerhöhung durch weitere Umstände E i n aussagekräftiges Kriterium kann sich deshalb nur daraus ergeben, daß der Verletzte eine Gefahrenlage aufgesucht oder selbst geschaffen hat, die nicht nur auf die Gefahrenquelle zurückgeht, für die der Halter allein verantwortlich ist. Es geht u m den Aufenthalt des Verletzten i n einer Situation erhöhter Gefahr, wie sie bei den Kriterien des fehlenden sozialen Zwanges, der Gefahrsteuerung und des Handelns a. e. G. die Hauptrolle spielt. Dabei kann aber die extreme Annäherung an die Gefahrenquelle allein keine entscheidende Rolle spielen, denn die Nähe zum Tier ist der Normalfall bei der Tierhaltung. 1 9 7 Es macht auch keinen Unterschied, ob die Personen i n Tiernähe selbst für den Halter tätig sind. A u c h wer seine Tiere anderen überläßt und sie möglicherweise sogar allein zu diesem Zweck hält, bleibt für deren Existenz und für genau diese bestimmte Nutzung der Gefahrenquelle letztlich verantwortlich. Daher scheidet die bloße Nähe zum Tier, auch bei eigenhändiger Lenkung desselben, als Gewichtungskriterium genauso aus, wie das M o t i v , aus dem sich der Verletzte i n Gefahrnähe begeben hat. A u c h die Gefahrsteuerung und der soziale Zwang kommen als Kriterien somit nicht i n Betracht. W i c h t i g ist aber der Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung durch weitere Umstände, die über das Tierverhalten selbst hinausgehen, also des Handelns a. e. G. Diese besonderen Faktoren können aus dem Bereich des Halters, des Verletzten oder der Fremdursachen stammen. Dabei ist der Halter aber auch für ungewöhnliche Eigenschaften seines Tieres verantwortlich. Das Handeln a. e. G. berücksichtigt daher i m wesentlichen Umstände, die aus dem Bereich der Fremdursachen stammen, z. B. bei Wettkampfsituationen, in denen die Wirkungsmöglichkeit der Gefahrenquelle erhöht wird. Dies schwächt deren Erfolgsrelevanz aber letztlich nicht a b 1 9 8 und beseitigt schon gar nicht die Schutzwürdigkeit des Verletzten. Daher w i r d beim Handeln a. e. G. zusätzlich auf die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Eintritts i n die Gefahrensituation abgestellt. Damit w i r d innerhalb des persönlichen Schutzbereichs eine Vorwurfskomponente eingeführt, die dem Verletztenbeitrag besonderes Gewicht verleihen soll und sich etwa i n der Formulierung zusammenfassen läßt, daß der Verletzte i n gewisser Weise auch „selbst schuld" gewesen ist. Der Eintritt i n die Situation erhöhter Gefahr erhält dadurch aber Handlungsqualität, was sich allein i m Rahmen der Gefahrzurechnung nur schwer bewältigen läßt. Denn für den Vergleich von konkreten Handlungen mit Gefahrenquellen fehlt es dort an überzeugenden Kriterien. Dies hat sich schon i m Rahmen der Tiergefahr bei der Fallgruppe der menschlichen Leitung gezeigt. 1 9 9 Das besondere Gewicht menschlichen Handelns gegenüber einer Gefah197 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 198 Vgl. oben 2 § 4 B I I I 2. 199 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3).
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
renquelle läßt sich regelmäßig nur außerhalb von § 833 S. 1 B G B berücksichtigen. Dies legt i m Verhältnis zwischen Halter und Verletztem die Anwendung von § 254 I B G B nahe.
§ 3 Die Mitverursachung — Einbringen der Selbstgefährdung in die Gegenüberstellung aller Verletzungsbeiträge der Beteiligten Der Beitrag des Verletzten kann auch berücksichtigt werden, indem man ihn in die Gesamtbetrachtung aller Verletzungsursachen von Anspruchsteller und Anspruchsgegner einbringt, wie sie i m Haftungsrecht stets erfolgt und allgemein in § 254 B G B geregelt ist. Innerhalb der Gefährdungshaftung hat dieser Grundgedanke auch in einer Reihe von Spezialvorschriften Ausdruck gefunden ( § § 4 HaftpflG, 9, 17 I StVG, 34 L u f t V G , 27 A t o m G , 85 A M G ) , die i m wesentlichen seine Anwendbarkeit auf die mitwirkenden Gefahrenquellen sicherstellen sollen. 2 0 0 Er ermöglicht die Berücksichtigung aller Beiträge auf der Halter- und auf der Verletztenseite, auch soweit sie über § 833 S. 1 B G B hinausgehen und führt dadurch zur Gegenüberstellung der Verantwortungssphären der Prozeßparteien. Der Ersatzanspruch des Verletzten wird entsprechend seinem Beitrag gemindert oder in extremen Fällen ganz ausgeschlossen. Es kommt darauf an, welche Beiträge des Halters und des Verletzten i n diese Gesamtabwägung eingestellt werden können und nach welchen Kriterien die Gewichtung erfolgt, insbesondere i m Verhältnis zur M i t w i r k u n g des Tierverhaltens.
A. Die Struktur der Beitragsabwägung Bei der Mitverursachung kommt — mangels Spezialvorschrift i m Tierschadensrecht — regelmäßig die allgemeine haftungsrechtliche Regelung des § 254 I B G B unmittelbar zur Anwendung. Die Überlegungen hierzu sind in die Struktur der Tierhalterhaftung „einzublenden". Dies führt zur Einordnung der Normstruktur des § 833 S. 1 B G B in einen normübergreifenden haftungsrechtlichen Funktionszusammenhang. Die Gefahrabwägung w i r d zur umfassenden Beitragsabwägung erweitert.
I . Die dogmatische Bedeutung des § 254 B G B A u c h wenn die Vorschrift in der Praxis häufig angewendet wird, so werden doch zur dogmatischen Bedeutung des Mitverursachungsgedankens in Rspr. und 200 Vgl. Esser /Schmidt, 571.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
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Lit. unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach der h. M . darf der Verletzte seinen Schaden insoweit nicht beim Schädiger liquidieren, als er ihn billigerweise seinem eigenen früheren Verhalten zurechnen muß. Dem Schädiger soll die volle Ersatzpflicht in Höhe des Anteils erspart bleiben, i n dem ihm die Schadensvermeidung v o m Verantwortungsbereich des Geschädigten her in besonderer Weise erschwert wurde. 2 0 1 § 254 B G B gilt daher als spezielle Ausprägung des Verbotes selbstwidersprüchlichen Verhaltens (§ 242 B G B ) für den Bereich des Haftungsrechts. Nach anderer Ansicht läßt der Geschädigte seine eigenen Interessen außer acht, indem er selbst zur Verletzung beiträgt. Es besteht zwar keine Rechtspflicht des Geschädigten gegenüber dem Schädiger, den Schaden abzuwenden, aber eine nicht einklagbare Obliegenheit, bei deren Nichtbeachtung der Geschädigte den Nachteil hinnehmen muß, nicht seinen ganzen Schaden ersetzt zu erhalten. 2 0 2 Diese Ansicht bedient sich der Terminologie des Vertragsrechts und stößt daher in der Lit. auch auf Bedenken. Obliegenheiten sind danach nur auf der Grundlage einer bestehenden Rechtsbeziehung, also einer Sonderverbindung sinnvoll, innerhalb derer sie zur Modifizierung bestehender Verpflichtungen führen können. Die Annahme einer allgemeinen Obliegenheit zum Selbstschutz, die jeder konkreten deliktischen Rechtsbeziehung schon vorausgeht, wirkt nicht überzeugend. 2 0 3 Der Grundgedanke des § 254 B G B könnte aber auch in der rein formalen Gegenüberstellung der Verantwortungssphären des Verletzten und des Schädigers gesehen werden. 2 0 4 Genauso wie seine Ansprüche sich aus unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ergeben können, so kann auch die Berücksichtigung der Beiträge des Verletzten zu seiner eigenen Verletzung auf ganz unterschiedlichen materiellen Rechtsüberlegungen beruhen, für deren Berücksichtigung § 254 B G B nur einen formalen Ansatzpunkt bietet. 2 0 5 Der Verletzte ist insbesondere für Handlungen und Gefahrenquellen aus seiner Sphäre auch insofern verantwortlich, als diese an seiner eigenen Verletzung mitwirken. Durch diese funktionsbezogene Sichtweise des § 254 B G B läßt sich gerade die M i t w i r k u n g von Gefahrenquellen auf beiden Seiten angemessen erfassen. Denn bei der Gefährdungshaftung geht es eben darum, die Risikobereiche von Halter und Verletztem gegeneinander abzugrenzen, also festzustellen, welcher Anteil an der Verletzung in ihre jeweilige Verantwortung fällt. Der Halter haftet nur, soweit die Verletzung gerade auf den Beitrag der Gefahrenquelle zurückgeht. Diese Überlegung läßt sich dann erweitern zur umfassenden Gegenüberstellung aller Verletzungsursachen, die zur Verantwortungssphäre des Halters gerechnet werden (einschließlich des Tierverhal201 R G R K / A l f f , § 254, 1; Palandt / Heinrichs, § 254, 2; Staud. / Medicus, § 254, 23; BGH VersR 1981, 1178, 1179; dazu kritisch MünchKomm / Grunsky, §254, 2; Soergel / Mertens, § 254, 4. 202 MünchKomm / Grunsky, § 254, 2; Palandt / Heinrichs, § 254, 1; Deutsch, Haftungsrecht, 319; Weidner, 18; Larenz, Allgemeiner Teil, 206. 203 Soergel / Mertens, § 254, 4; Esser / Schmidt, 572; Weidner, 20. 204 Soergel / Mertens, § 254, 2; Esser / Schmidt, 569. 205 Weidner, 28; Esser / Schmidt, 571.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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tens) und derjenigen, die i n den Verantwortungsbereich des Verletzten gehören. Diese Sichtweise läßt es auch als angemessen erscheinen, i m Zusammenhang mit § 254 B G B nicht nur von „Mitverschulden" zu sprechen, sondern umfassender von Mitverursachung.
I I . Die Beiträge von Anspruchsteller und Anspruchsgegner innerhalb der Abwägung Es gilt daher zunächst, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welcher A r t die Beiträge der Beteiligten sein müssen, damit sie innerhalb dieser Abwägung überhaupt eine Rolle spielen k ö n n e n . 2 0 6 I m wesentlichen geht es um Handlungen und besondere Gefahrenquellen, für die einer der Beteiligten verantwortlich ist. Treffen bei einem von ihnen Handlungs- und Gefahrbeiträge zusammen, dann w i r d regelmäßig auf die Gefahrenquelle abgestellt und von einer „Gefahrerhöhung" durch weitere Umstände gesprochen. 2 0 7
1. Die Halterbeiträge A u f der Seite des Halters werden solche Beiträge i n die Abwägung eingestellt, die i h m aufgrund gesetzlicher Vorschriften zuzurechnen sind. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen müssen vollständig gegeben sein. Nach seinem Wortlaut ist § 254 B G B zunächst auf Normen anwendbar, die schuldhaftes eigenes Handeln des Haftenden (§§ 823 f f B G B ) oder Handeln von Personen voraussetzen, für die der Haftende einzustehen hat (§ 831 B G B ) . Über ihren Wortlaut hinaus w i r d die Vorschrift auch angewendet, wenn eine Gefahrenquelle m i t w i r k t , für die der Haftende verantwortlich i s t , 2 0 8 etwa das Verhalten eines Tieres. Dabei ist zu beachten, daß unter den Voraussetzungen des § 833 S. 2 B G B der Beitrag nach § 833 B G B v ö l l i g ausfällt. 2 0 9 Die Rspr. sieht zudem in der Mitverursachung einen allgemeinen Rechtsgedanken realisiert, der auch außerhalb des Haftungsrechts anwendbar ist, zumindest soweit dort Verschuldensbeiträge mehrerer Beteiligter gegeneinander abgewogen werden. 2 1 0 Dies spielt bei Tierschäden aber regelmäßig keine Rolle. 206 Übersichten bei R G R K / A l f f , § 254, 2-12; Palandt / Heinrichs, § 254, 3-6; Soergel/Mertens, §254, 6-18; MünchKomm/Grunsky, §254, 4-17; Staud. /Medicus, §254, 5-16. 207 Zur erhöhten Gefahr vgl. R G R K / A l f f , § 254, 29; Palandt/Heinrichs, § 254, 48; Soergel / Mertens, §254, 113. 208 RGRK / A l f f , §254, 5; MünchKomm / Grunsky, §254, 9; Soergel / Mertens, § 254, 9; Bornhövd, JR 1978, 50, 53; Mugdan II, 1404. 209 Vgl. oben 1 § 3 A III. 210 Vgl. R G R K / Alff, § 254, 8-12; MünchKomm / Grunsky, § 254, 12-14; Soergel / Mertens, § 254, 9-12; Staud. /Medicus, § 254, 19-28.
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§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB) 2. Die Verletztenbeiträge
Die Mitverursachung des Erfolges durch den Verletzten ist zwar erforderlich, aber allein noch nicht ausreichend, um die Minderung seines Ersatzanspruchs zu rechtfertigen, denn sonst wäre § 254 B G B immer schon deshalb anwendbar, w e i l der Verletzte seine Rechtsgüter überhaupt dem Zugriff des Anspruchsgegners ausgesetzt h a t . 2 1 1 Der Beitrag des Verletzten muß sich daher auch als haftungsrechtlich relevant erweisen, also dem Verletzten zurechenbar sein. Diese Relevanz kann auf genauso unterschiedliche Weise begründet werden, wie die des Halterbeitrags selbst. 2 1 2 Der Verletztenbeitrag hat demzufolge grundsätzlich dieselbe Struktur, wie der des Halters. Es geht u m Verletzungsursachen, für die einerseits der Verletzte verantwortlich ist und die sich andererseits auch i m Erfolg realisiert haben.
Ursache X-
Halter X —
Erfolg -> X
Beitragsabwägung Verantwortung Verletzter
Zurechnung Ursache
-> X Erfolg
Schema Nr. 11
a) Die Verantwortung
des Verletzten für die Verletzungsursache
W i e auch auf Seiten des Halters, kommen Handlungen oder Gefahrenquellen als Verletzungsursachen i n Betracht. 2 1 3 (1) Selbstschädigende Handlungen des Verletzten Über den Maßstab zur Feststellung der Verantwortung des Verletzten für sein mitwirkendes Handeln bestehen unterschiedliche Auffassungen. Nach einer A n sicht beruht § 254 I B G B auf dem Symmetriegedanken. Danach gelten für den Verletzten grundsätzlich dieselben Maßstäbe, die auch i m Fall eines Anspruches gegen ihn anzuwenden w ä r e n . 2 1 4 Sein Beitrag ist nur dann relevant, wenn die 211 212 213 214
MünchKomm / Grunsky, § 254,19; Deutsch, Haftungsrecht, 324; Weidner, 25 -26. Weidner, 28. Vgl. z. B. A K - B G B / K o h l , 16. Schünemann, JuS 1978, 376, 379.
272
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Voraussetzungen einer Haftungsnorm vorlägen, wenn man unterstellt, daß auch der Halter durch diesen Beitrag eine Verletzung erlitten hätte. 2 1 5 Nach richtiger Ansicht ist dies aber gerade nicht erforderlich, 2 1 6 da es bei der Mitverursachung eben allein um eine Einwirkung auf die Rechtsgüter des Verletzten geht. Dabei handelt es sich nicht um technisches Verschulden gem. § 276 B G B , denn auf die Verletzung einer Rechtspflicht gegenüber dem Schädiger kommt es gar nicht an. Es gibt keine Rechtsverpflichtung, sich nicht selbst zu schädigen. A u c h wenn die M i t w i r k u n g des Verletzten gleichzeitig zur Verletzung des Halters führt, sind beide Vorgänge haftungsrechtlich getrennt zu beurteilen, ohne daß die mögliche Zurechenbarkeit der Fremdschädigung auf die Selbstschädigung ausstrahlt. 2 1 7 „Mitverschulden" gem. § 254 B G B ist daher untechnisch zu verstehen, als Verstoß gegen das eigene Sicherheitsinteresse. Der Verletzte ist für seinen Beitrag verantwortlich, wenn er auf seine eigene Sicherheit nicht hinreichend bedacht war, wenn er die zu seinem eigenen Schutz gebotene Sorgfalt außer acht gelassen und nicht diejenigen Vorkehrungen getroffen hat, die nach der Verkehrsanschauung ein verständiger und ordentlicher Mensch in eigenen Angelegenheiten trifft, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. 2 1 8 Dem Verletzten muß insofern der V o r w u r f eines Verhaltensfehlers zu machen sein. 2 1 9 Dabei geht es auch i m Rahmen von § 254 I B G B um die Zurechnung menschlichen Handelns zum W i l l e n des Verletzten. (2) Gefahrenquellen unter der Verantwortung des Verletzten Eine Gefahrenquelle ist auf Seiten des Verletzten jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn er aufgrund eines Tatbestandes der Gefährdungshaftung für diese verantwortlich i s t . 2 2 0 Dies gilt auch, wenn nur der Verletzte selbst von der Gefahr betroffen w i r d und auch unabhängig davon, ob der Anspruchsgegner aus Verschulden oder Gefährdung haftet. Dabei stehen dem Verletzten alle Entlastungsgründe zur Verfügung, auf die er sich auch als Haftender berufen könnte. Manche Autoren wollen indessen weiter gehen und nicht nur gesetzlich normierte Gefahrenquellen in die Abwägung einbeziehen, 2 2 1 sondern hinsichtlich des Verletztenbeitrags so vorgehen, als ob zumindest insoweit eine Generalklausel für die Gefährdungshaftung bestünde. Danach sollen die engen Grenzen der gesetzlich 215 Soergel / Mertens, § 254, 25; AK-BGB / Rüßmann, § 254, 3; Köln VersR 1976, 197, 198. 216 MünchKomm / Grunsky, §254, 19; Weidner, 25; Deutsch, Haftungsrecht, 324; AK-BGB/Rüßmann, § 254, 3-4; Esser/ Schmidt, 572. 217 Soergel / Mertens, §254, 2; R G R K / A l f f , §254, 15; MünchKomm / Grunsky, § 254, 19. 218 MünchKomm/Grunsky, §254, 19; R G R K / A l f f , §254, 25; Soergel / Mertens, § 254, 2; RGRK / Kreft, 56; Staud / Schäfer, 74; BGH L M § 833 BGB Nr. 3 a. 219 MünchKomm / Grunsky, §254, 19. 220 MünchKomm/Grunsky, §254, 9; R G R K / A l f f , §254, 6; Soergel / Mertens, § 254, 24; Palandt / Heinrichs, § 254, 3. 221 Deutsch, Haftungsrecht, 324; Esser / Schmidt, 575; Weidner, 47-50.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
273
normierten Haftung, einschließlich der Gefährdungshaftung, für die Mithaftung nicht verbindlich sein. M a n brauche nicht bis zur gesetzlichen Einführung einer Generalklausel 2 2 2 zu warten, u m jede übermäßige Selbstgefährdung dem § 254 B G B zu unterwerfen. Dies soll etwa gelten, wenn die Verletzung auf die schwache Konstitution des Verletzten selbst zurückgeht. Es erscheint nicht förderlich, auf diesem U m w e g die Diskussion um die Generalklausel in der Gefährdungshaftung weiterzuführen. Die Überlegung ist aber insofern interessant, als man dann immerhin menschliches Verhalten i m Rahmen der Mitverursachung ohne weiteres auch nach A r t einer Gefahrenquelle behandeln könnte. Dann müßte man indessen auch auf das Erfordernis des Bewußtseins der Selbstgefährdung verzichten, denn dies paßt nicht zur Verantwortung für eine Gefahrenquelle. (3) Bewußter Eintritt in eine Gefahrensituation Soweit der Eintritt in eine Situation erhöhter Gefahr i m Rahmen des Tierschadensrechts als Fall des § 254 B G B gesehen w i r d , 2 2 3 w i r d die Lösung über ein erweitertes Verständnis der Mitverantwortung gesucht. E i n Verstoß gegen das eigene Sicherheitsinteresse soll schon darin liegen, daß der Verletzte sich in eine Situation erkennbar erhöhter Verletzungsgefahr b e g i b t . 2 2 4 Dadurch w i r d die Sorgfaltsprüfung vorverlagert v o m konkreten Verhaltensfehler auf die Frage des „Übernahmeverschuldens" beim bewußten Eintritt in eine Gefahrensituation, deren Bestehen selbst nicht unmittelbar auf das Handeln des Verletzten zurückgehen muß. Es w i r d mitunter auch so ausgedrückt, daß der Verletzte keine eigene Gefahr schaffe, sondern an einer fremden Gefahr teilnehme. Dies erscheint indessen nicht präzise, da die Teilnahme an der „fremden Gefahr" sich auf die Gefahrenquelle bezieht und insofern bei jeder Verletzung gegeben ist, hingegen aber das entscheidende Moment der außergewöhnlichen Gefahrerhöhung durch weitere Umstände außer Betracht bleibt. Der Unterschied zu anderen Verhaltensfehlern liegt in der Verdünnung des Zurechnungszusammenhangs durch den größeren Zeitabstand zwischen dem Eintritt i n die Situation und der späteren Verletzung. Daher ist diese für den Verletzten regelmäßig nicht konkret vorhersehbar, so daß nur noch die Kenntnis der besonderen gefahrerhöhenden Umstände gefordert werden kann. b) Der Zurechnungszusammenhang
von Ursache und Erfolg
Der Verletztenbeitrag hat grundsätzlich dieselbe haftungsrechtliche Struktur, wie der Halterbeitrag. Dies bedeutet, daß das Handeln oder die Gefahrenquelle zunächst für die Verletzung ursächlich gewesen sein müssen. Diese Zurechnung 222 Zur Generalklausel vgl. Deutsch, Haftungsrecht, 383; Kötz, AcP 170, 1, 41; Will, 267. 223 RGRK / Kreft, 64; Herrmann, JR 1980, 489, 490; vgl. oben 4 § 2 D I I I 3. 224 R G R K / A l f f , § 254, 25; RGRK/Kreft, 64; Herrmann, JR 1980, 489, 493; Bornhövd, VersR 1979, 398, 401; Deutsch, Haftungsrecht, 328; Weidner, 35-42. 18 Lorenz
274
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
durch Kausalität w i r d dann durch den Rückgriff auf Wertungskriterien begrenzt. 2 2 5 Die v o m Verletzten i m eigenen Interesse geforderte Sorgfalt muß geeignet sein, gerade die eingetretene Verletzung zu verhindern. Die Rede v o m „ N o r m z w e c k " ist i n diesem Zusammenhang ungenau, da eine entsprechende N o r m j a nicht bestehen muß. Soweit eine Gefahrenquelle aus dem Verantwortungsbereich des Verletzten mitwirkt, muß gerade sie auch i m Erfolg wirksam geworden sein. 3. Die Abwägung der Beiträge Die Schadensverteilung nach § 254 B G B ist davon abhängig, inwieweit die Verletzungsbeiträge der einen oder der anderen Seite überwiegen. Dabei soll es in erster Linie auf die feststehenden konkreten Unfallursachen ankommen, losgelöst von den auf beiden Seiten in Betracht kommenden Haftungsgrundlagen. Entscheidend ist die objektive Gewichtung der verschiedenen Beiträge, 2 2 6 d. h. ihre Erfolgsrelevanz. Erst i n zweiter L i n i e soll bei der Abwägung auch auf die übrigen Umstände abgestellt werden, insbesondere auf den Grad des Verschuldens beim Setzen der jeweiligen Bedingung. 2 2 7 Haftet indessen der Schädiger aus Verschulden und kommt auf Seiten des Verletzten nur der Gefährdungsbeitrag seines Tieres i n Betracht, dann ordnet der analog anwendbare § 840 I I I B G B i m Verhältnis zwischen ihnen das Übergewicht der Verschuldenshaftung ausdrücklich an, d. h. die Tiergefahr des Verletzten ist gegenüber dem schuldhaften Handeln des Schädigers überhaupt nicht anzurechnen. 2 2 8 I m übrigen bleibt die Entwicklung von Gewichtungskriterien Aufgabe der haftungsrechtlichen Dogmatil Halterbeitrag
Beitragsabwägung
Verletztenbeitrag / Verhaltensfehler \ / Gefahreintritt
Handeln (Verschuldenstatbestand)
Handeln
Gefahrenquelle (Gefährdungstatbestand)
Gefahrenquelle \ Gefährdungstatbestand Schema Nr. 12
225 MünchKomm/Grunsky, § 254,19-21; Soergel/Mertens, § 254, 32-33; Palandt/ Heinrichs, § 254, 14-15; Staud. /Medicus, § 254, 63-67. 226 R G R K / A l f f , § 254, 18-19 u. 26; Palandt/Heinrichs, §254, 45-51; Soergel/ Mertens, § 254, 111-114; Deutsch, Haftungsrecht, 325; RGRK / Kreft, 56; BGH VersR 1961, 638, 639; RGZ 67, 120, 122. 227 R G R K / A l f f , §254, 18-19; Deutsch, Haftungsrecht, 325; vgl. auch vorherige Fußnote. 228 Zur analogen Anwendung von § 840 I I I BGB auf die Mitverursachung: RGRK / Kreft, 60; Palandt / Thomas, 13; Staud. / Schäfer, 78; Schleswig NJW-RR 1990, 470.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
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B. Die Rechtsprechung zur Mitverursachung durch den Verletzten Die Rspr. zum Tierschadensrecht hat alle Konstellationen des Verletztenverhaltens von Anfang an nach § 254 B G B behandelt. Erst nach und nach sind manche Fälle des Eintritts i n Situationen besonders erhöhter Verletzungsgefahr unter dem eigenständigen Gesichtspunkt des Handels a. e. G. als Problem der Gefahrzurechnung innerhalb von § 833 S. 1 B G B selbst berücksichtigt w o r d e n . 2 2 9 Seither stehen für solche Fälle beide dogmatischen Wege zur Verfügung, während die ältere Rspr. diese Fragen regelmäßig nur unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung betrachtete. Da die Rspr. davon ausgeht, daß bei der Mitverursachung auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen ist, hat sich keine anerkannte Fallgruppenbildung eingebürgert, 2 3 0 wie dies für die Kriterien des persönlichen Schutzbereichs zu beobachten ist. Ohne die Gewichtung i m Einzelfall damit vorwegzunehmen, können aber aus der Normstruktur der Tierhalterhaftung doch Ordnungsgesichtspunkte hergeleitet werden, die i n der Beitragsabwägung eine Rolle spielen. Danach läßt sich eine Ordnung nach Fallgruppen auch für die Rspr. zur Mitverursachung vorschlagen.
I . Mitwirkende Gefahrenquellen des Verletzten Die W i r k u n g einer Gefahrenquelle kommt als Beitrag des Verletzten i n Betracht, wenn er für sie aufgrund eines Gefährdungstatbestandes verantwortlich ist. Dies gilt insbesondere für die Beteiligung eines Tieres oder eines K f z des Verletzten. Die Abwägung erfolgt gem. § 254 B G B (soweit keine Konstellation nach § 840 I I I B G B analog gegeben ist), wenn Tiere verschiedener Halter sich gegenseitig oder einen der Halter verletzen, etwa durch eine Beißerei unter H u n d e n 2 3 1 oder wenn ein Hund ein Pferd zum Durchgehen b r i n g t . 2 3 2 Die Halterin einer läufigen Chow-Chow-Hündin mußte sich die Tiergefahr ihres eigenen Tieres anrechnen lassen. 2 3 3 Dabei ist das v o m weiblichen Tier ausgehende Risiko, erhöht durch nachlässiges Handeln der Halterin, so hoch veranschlagt worden, daß die Haftung v ö l l i g ausgeschlossen wurde. A l s ein Pferd ausbrach und sich selbst verletzte, während es wegen eingedrungener Rinder von der Weide gebracht werden sollte, war die Tiergefahr des Pferdes zu berücksichtigen. 2 3 4 Sie wäre indessen nicht anzurechnen gewesen, wenn der Verletzte sich erfolgreich auf die NichtVerwirklichung der Tiergefahr berufen oder nach § 833 S. 2 B G B exkulpiert 229 Vgl. oben 4 § 2 D I I l c . 230 Ansätze in der Lit. vgl. RGRK/Kreft, 61-63; Staud. / Schäfer, 76-77. 231 Celle VersR 1981, 1058; Koblenz VersR 1984, 394; 1986, 247; LG Hanau VersR 1987, 166. 232 RGZ 67, 120, 122. 233 BGH VersR 1976, 1090, 1091. Vgl. auch Hamm NJW-RR 1990, 1052, 1053. 234 BGH VersR 1985, 665, 666.
18*
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
276
hätte. 2 3 5 A u c h der Halter eines K f z muß sich beim Zusammenstoß m i t einem Tier die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges anrechnen lassen, etwa wenn dieses beschädigt wird, als er versucht, einem Hund auszuweichen oder wenn er m i t einem ausgebrochenen Rind zusammenstößt. 2 3 6 Dabei treten die §§ 17 I u. I I S t V G als Sondervorschriften an die Stelle von § 254 B G B . Dem Tierhalter obliegt nach § 7 I S t V G die Beweislast für die Mitverursachung durch den Verletzten, während dieser sich nach § 7 I I S t V G entlasten k a n n . 2 3 7 Bei der Abwägung kann die Betriebsgefahr des K f z hinter die Tiergefahr auch v ö l l i g zurücktreten oder durch die ganz überwiegende Verursachung seitens des Tierhalters aufgewogen werden. 2 3 8 Die Betriebsgefahr eines K f z kann durch vorwerfbares Verhalten des Verletzten auch erhöht werden, z. B. durch einen Fahrfehler. 2 3 9 A l s Beitrag des Verletzten kommt etwa auch die Betriebsgefahr einer Schienenbahn nach dem HaftPflG in Betracht. 2 4 0
I I . Mitwirkendes Handeln des Verletzten Das Verhalten des Verletzten selbst w i r d in der Abwägung berücksichtigt, soweit i h m vorgeworfen werden kann, daß er dadurch gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse verstoßen hat. Der V o r w u r f der Mitverursachung trifft den Verletzten regelmäßig dann, wenn er i m Bezug auf das Tierverhalten als Gefahrenquelle unvorsichtig handelt (Verhaltensfehler). Dies ist der Normalfall des § 2 5 4 1 B G B . Der V o r w u r f kann aber auch dadurch begründet sein, daß der Verletzte sich bewußt und vermeidbar überhaupt erst i n eine Situation begibt, i n der die Verletzungsgefahr aus dem Tierverhalten weiter erhöht ist durch: — besondere Anfälligkeit der Rechtsgüter des Verletzten, — besondere Eigenschaften des Tieres oder — besondere äußere Umstände, die weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen. Die Gründe der Gefahrerhöhung selbst sind hier v o m Handeln des Verletzten unabhängig. I n diesen Fällen könnte neben § 254 B G B auch das Handeln a. e. G. als Kriterium des persönlichen Schutzbereichs angewendet werden. Häufig wirken auch mehrere dieser Sorgfaltsverstöße zusammen, so daß es zur Kumulation von Beiträgen auf Seiten des Verletzten k o m m t . 2 4 1 235 RG Warn. Rspr. 1914, Nr. 296; Vgl. auch München VersR 1984, 1095, 1096. 236 RG JW 1933, 832 Nr. 7; BGH VersR 1956, 127, 128; 1961, 346, 347; 1976, 1086, 1088; Frankfurt VersR 1974, 37, 38; 1982, 908; Celle VersR 1980, 430, 431. 237 BGH VersR 1956, 127, 128; 1961, 346, 347. 238 BGH VersR 1976, 1086, 1088; Frankfurt VersR 1982, 908. 239 BGH VersR 1961, 346, 347; Nürnberg VersR 1966, 42, 43; LG Wiesbaden VersR 1976, 179; Celle VersR 1980, 430, 431. 240 Celle AgrarR 1977, 178, 179; Hamm VersR 1982, 1009, 1010. 241 Vgl. z. B. Deutsch, Haftungsrecht, 325.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
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1. Der bewußte Eintritt in eine Situation besonders erhöhter Gefahr I n einer Gruppe von Fällen der Mitverursachung geht es darum, ob der Verletzte angesichts der i h m bekannten besonderen Umstände überhaupt in die Nähe des Tieres kommen durfte. Bei solchen Situationen erhöhter Gefahr kann dann entsprechend den möglichen Quellen der Gefahrerhöhung 2 4 2 nochmals unterschieden werden zwischen der Gefahrerhöhung durch äußere Umstände, durch Umstände aus dem Bereich des Halters und solche i n der Person des Verletzten. Dies soll die grundsätzliche Zusammengehörigkeit dieser Überlegungen indessen nicht verdecken. Bei ihnen ist Konkurrenz mit dem Gesichtspunkt des Handelns a. e. G. als Kriterium des persönlichen Schutzbereichs denkbar.
a) Vermeidbare
Annäherung
an Tiere
Früher ist dem Verletzten von der Rspr. häufig allein schon die vermeidbare Annäherung an Tiere als Mitverursachung angelastet worden, da er sich schon dadurch leichtfertig der Tiergefahr ausgesetzt habe. I n einem Fall war der Kläger dicht an einem Pferdegespann vorbeigegangen und von einem der Zugtiere gestoßen worden. Da genügend freier Raum zum Vorbeigehen war, sei der Verletzte ohne Not nahe an die Pferde herangegangen, ohne daß es hierfür einen zwingenden Grund gegeben habe. 2 4 3 Ebenso wurde entschieden beim Hindurchgehen zwischen einem Pferdegespann und einem Hundefuhrwerk „ohne zwingenden Grund" und beim Betreten einer schmalen Stallgasse. 2 4 4 Einem Reiter wurde vorgehalten, daß er ohne zwingenden Grund nicht neben, sondern versetzt hinter einem ausschlagenden Pferd geritten sei und dabei den Abstand zu diesem nicht so ausreichend bemessen habe, daß er außerhalb des Schlagbereiches der Hinterhand b l i e b . 2 4 5 I m Dammhirschfall trug die Verletzte zu ihrer Verletzung in zurechenbarer Weise selbst bei, weil sie sich nicht rechtzeitig aus dem Gefahrenumkreis des Hirsches entfernte, mindestens aber sich nicht i n der gebotenen Entfernung von dessen Geweih h i e l t . 2 4 6 E i n Mitverschulden sollte schließlich auch beim Biß durch einen angeleinten Hund vorliegen, weil die Verletzte hätte vermeiden können, daß sie in die Reichweite des Hundes geriet, indem sie die andere Seite einer breiten Treppe benutzte. 2 4 7 Die Mitverursachung sollte indessen regelmäßig ausscheiden, wenn für die Annäherung an das Tier ein sachlicher Grund bestand oder wenn sie gar nicht bewußt erfolgte. Ein sachlicher Grund bestand insbesondere dann, wenn die 242 243 244 245 246 247
Vgl. oben nach II. RG JW 1906, 739 Nr. 7. RG JW 1909, 136 Nr. 13; Warn. Rspr. 1908, Nr. 290. LG Darmstadt VersR 1975, 1133; ähnlich Frankfurt VersR 1976, 1138. BGH VersR 1976, 1175, 1177. Hamm VersR 1981, 85.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
278
Nähe zum Tier durch die besondere A r t einer Verrichtung erforderlich w a r . 2 4 8 Diese Überlegungen zum M o t i v der Annäherung an die Gefahrenquelle sind indessen hier genausowenig hilfreich, wie beim sozialen Z w a n g . 2 4 9 Denn allein diese Annäherung kann ohne weitere gefahrerhöhende Umstände noch nicht als Unvorsichtigkeit betrachtet werden. Häufig wurde die Annäherung als unvermeidbar angesehen, w e i l sie dem Verletzten nicht erkennbar war, etwa als eine Frau unmittelbar nach dem Eintreten durch die Stalltür von einen Hufschlag i m Gesicht getroffen wurde und sie weder vor dem Eintreten sehen konnte, daß ein Pferd nahe bei der Tür stand, noch beim Eintreten rechtzeitig bemerken konnte, daß sie in den Gefahrenbereich des Tieres geriet. 2 5 0 I n jüngerer Zeit vertritt die Rspr. nunmehr aber die Ansicht, daß die Annäherung an das Tier für die Mitverursachung i n keinem Fall ausreicht, aus welchen Gründen sie auch erfolgen mag. Dies wurde entschieden für den Aufenthalt in der Nähe eines Hundes, für das nahe Heranreiten an ein anderes Pferd, für das bloße Reiten eines Pferdes oder für das Durchqueren des Aufsitzraumes. 2 5 1 Da insoweit dieselben Überlegungen gelten, wie beim persönlichen Schutzbereich, erscheint es als die überzeugendere Lösung, allein aus der Annäherung an Tiere noch nicht den V o r w u r f der Unvorsichtigkeit abzuleiten. b) Besondere Schwäche des Verletzten Ein V o r w u r f folgt aber häufig daraus, daß sich ein Mensch trotz erhöhter eigener Verletzungsanfälligkeit überhaupt i n die Nähe von Tieren begibt oder gar deren Lenkung übernimmt. Dabei entsteht zwar die gefährliche Situation erst m i t Hinzutreten des Verletzten, beruht aber dennoch nicht auf einem konkreten Verhaltensfehler, sondern eben allein auf dem Eintritt i n diese Situation. 2 5 2 Die ungewöhnliche Anfälligkeit des Verletzten mag auf der besonderen Schwäche seiner Rechtsgüter oder einem Mangel an Abwehrfähigkeiten beruhen. Wer sich i m Vertrauen auf deren Beherrschbarkeit i n die Nähe der Gefahrenquelle begibt, wie etwa ein Reiter, kann schon deshalb gegen seine Interessen verstoßen, weil dies seine Möglichkeiten erkennbar übersteigt. Der Fehler liegt dann nicht i m bloßen Aufenthalt in Tiernähe und auch nicht i n der besonderen Verletzungsträchtigkeit der Gefahrenquelle, sondern i m Eintritt i n diese Situation i n Kenntnis besonderer persönlicher Eigenschaften des Verletzten, welche die Wirkungsmöglichkeit des Tierverhaltens auf seine Rechtsgüter erhöhen. E i n 10 Jahre altes Mädchen, das ein als besonders ungestüm bekanntes Pony ohne Aufsicht
ritt,
248 z. B. RG JW 1906, 740 Nr. 8; 1911, 215 Nr. 13; Warn. Rspr. 1909, Nr. 212; vgl. RGRK / Kreft, 61; Staud. / Schäfer, 76. 249 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 250 BGH VersR 1955, 38, 39. 251 Hamm VersR 1973, 1054,1055; Saarbrücken NJW-RR 1988,1492, 1493; Düsseldorf VersR 1986, 1244; Karlsruhe VersR 1989, 860; Köln VersR 1976, 197, 198; BGH VersR 1982, 366, 368; Schleswig VersR 1990, 1024. 252 Weidner, 39-42 u. 47-50; vgl. oben 4 § 2 D I I I 4b u. § 3 A I I 2 a (3).
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
279
obwohl es wußte, daß es selbst keine geübte und i m Umgang mit Pferden erfahrene Reiterin war, wurde für die Verletzung mitverantwortlich gemacht, die es durch das Tier e r l i t t . 2 5 3 Die besondere Gefahr aus der Eigenart des Tieres wurde durch eigenes Unvermögen offenbar weiter erhöht. Eine Unvorsichtigkeit kann auch darin liegen, daß der Mensch an konstitutionellen Mängeln leidet und sich dennoch der vermeidbaren Verletzungsgefahr durch ein Tier aussetzt, was m i t Rücksicht auf sein Befinden zu besonders schwerwiegenden Folgen führen kann. Dies war etwa der Fall, als ein Reitschüler, obwohl er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte und i m Verlauf der Reitstunde schon mehrfach abgeworfen worden war, trotzdem die besonders schwierige Übung „Reiten ohne Zügel und Bügel m i t verschränkten Armen hinter dem K o p f 4 mitmachte und dabei stürzte. Nach Ansicht des B G H hätte spätestens bei der Anordnung dieser schwierigen Reitübung der Verletzte seine Indisponiertheit zum Reiten kundtun und von der weiteren Teilnahme Abstand nehmen müssen, selbst wenn er bei einem derartigen Eingeständnis die Hemmschwelle sportlichen Ehrgeizes überwinden m u ß t e . 2 5 4 A u c h wer trotz leicht brüchiger Knochen („Glasknochen 44 ) weiterhin Reitsport betrieb, handelte unvorsichtig gegen sich selbst. Er betrieb eine ihrer Natur nach nicht ungefährliche Sportart, obwohl er sich aus Gründen, die i n seiner Person lagen, leichter verletzte, als andere. 2 5 5 Dem Verletzten ist die Kenntnis seiner eigenen Krankheit (Psoriasis) angelastet worden, als er versuchte, seinen Dackel m i t Gewalt von einer Beißerei fernzuhalten und stürzte, w e i l diesem dabei das Halsband über den K o p f rutschte. Der Kläger habe gewußt, daß die Krankheit jederzeit zum Ausbruch kommen konnte und sich ohne Rücksicht auf seine Konstitution i n Gefahr begeben. 2 5 6 Demgegenüber ist dem Verletzten der bloße Aufenthalt i n der Nähe eines Hundes trotz Kenntnis seiner Diabeteserkrankung nicht als Mitverursachung angerechnet worden, auch wenn er wußte, daß diese gelegentlich zu Anfällen und einer damit verbundenen kurzzeitigen Hilflosigkeit führen konnte. 2 5 7 Denn es habe kein Anlaß bestanden, anzunehmen, daß der Hund ihn währenddessen angreifen werde. c) Gesteigerte
Verletzungsträchtigkeit
eines Tieres
Häufig w i r d darauf abgestellt, daß es wegen erkennbar besonders erhöhter Verletzungsträchtigkeit eines Tieres angebracht gewesen wäre, sich von diesem fern zu halten. Mitunter werden Tiere schon dann für besonders gefährlich gehalten, wenn sie dem Verletzten fremd s i n d . 2 5 8 So handle unvorsichtig, wer sich
253 254 255 256 257 258
LG Berlin MDR 1974, 314. BGH VersR 1982, 348, 349. BGH VersR 1984, 286, 287. Celle VersR 1981, 1057, 1058; vgl. oben 2 § 2 B I V 2. Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492, 1493. RG JW 1906, 739 Nr. 7; 1909, 136 Nr. 13; BGH VersR 1955, 38, 39.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
ohne zwingenden Grund i n den Gefahrenbereich eines i h m unbekannten Pferdes begebe. Wer allein eine schmale Stallgasse betrete, ohne sich von einer m i t den Pferden vertrauten Person begleiten zu lassen und einem Pferd so nahe komme, daß es ausschlagen und ihn treffen könne, der habe den Unfall überwiegend selbst verursacht. 2 5 9 Diese Sichtweise läuft aber letztlich auf die überholte Rspr. zur bloßen Annäherung an Tiere hinaus. 2 6 0 I m Bernhardinerfall wurde der Kläger beim Durchqueren des Hofes einer Gaststätte von einem an der Kette liegenden Bernhardiner angesprungen und stürzte. Er hatte den Hund schon vorher i m Beisein einer Person passiert, die dem Hund vertraut war, ohne daß dieser unruhig geworden war. Der B G H ist der Ansicht des Berufungsgerichts zu recht nicht gefolgt, wonach das Fehlen der Begleitperson nunmehr ein anderes Verhalten des Tieres nahegelegt hätte und daher besondere Vorsicht geboten gewesen wäre. 2 6 1 Wesentlich ist i n diesen Fällen, ob dem Verletzten konkrete Umstände bekannt sind, aus denen sich eine besonders erhöhte Gefährlichkeit des Tieres ergibt. Dies wurde angenommen, als ein Passant dicht an einem Pferdegespann vorbeiging und von der Schnauze eines Zugpferdes so gestoßen wurde, daß er hinfiel. Das verletzende Pferd war durch einen Maulkorb als besonders gefährlich gekennzeichnet. 2 6 2 A u c h das Reiten auf einem als besonders ungestüm bekannten Pony wurde als unvorsichtig angesehen. 263 Eine Situation erhöhter Gefahr kann auch auf besonderen Eigenschaften der Tiere beruhen, etwa der bekannten Aggressivität einer Rasse v o m Kampfhunden. 2 6 4 Mitverschulden w i r d häufig angenommen, wenn der Verletzte vor der Annäherung an das Tier gewarnt w u r d e . 2 6 5 Dann kann es etwa darauf ankommen, ob er ein entsprechendes Warnschild überhaupt gesehen haben k o n n t e . 2 6 6 Es ist aber auch schon entschieden worden, daß er sogar aus dem Schild „bissiger H u n d " noch nicht schließen muß, daß der Hund deshalb frei auf dem Grundstück umherläuft. 2 6 7 Dies erscheint indessen nicht zutreffend, denn man w i r d sagen müssen, daß ein Warnschild regelmäßig ausreicht, um schon das Betreten eines bestimmten Terrains als unvorsichtig erscheinen zu lassen, selbst wenn der Verletzte allein daraus noch nicht entnehmen kann, worin die Gefahrerhöhung konkret besteht. Er muß aber zunächst davon ausgehen, daß es sich jedenfalls um ein besonders gefährliches Tier handelt.
259 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 290. 260 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 261 BGH L M § 833 BGB Nr. 3 a. 262 RG JW 1906, 739 Nr. 7. 263 LG Berlin MDR 1974, 314. 264 Koblenz MDR 1979, 229. 265 RG JW 1906, 349 Nr. 7. 266 LG Memmingen VersR 1979, 874. Entsprechende Erwägungen zum Handeln a. e. G. z. B. in Frankfurt VersR 1983, 1040. 267 Düsseldorf VersR 1981, 1035, 1036.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
281
I m Bernhardinerfall hatte der Verletzte den Hund zwar gesehen und „ m i t Bedacht" einen Sicherheitsabstand eingehalten, der sich dann als zu gering erwies. Da der Hund aber angekettet war, konnte er nach Ansicht des B G H davon ausgehen, daß dieser den von i h m benutzten Gehweg nicht erreichen könne. Außerdem sei keine besondere Vorsicht geboten gewesen, da Bernhardinerhunde allgemein als gutmütig gelten. Anlaß zu besonderer Vorsicht und größerem Abstand beim Vorbeigehen an dem Bernhardinerhund hätte nur bestanden, wenn der Verletzte damit hätte rechnen müssen, einen bissigen oder bösartigen Hund vor sich zu haben. 2 6 8 A u c h beim Eintreten in einen Stall mußte nicht die Möglichkeit i n Betracht gezogen werden, daß eines der in Türnähe eingestellten Pferde ein „Schläger" w a r . 2 6 9 E i n ungewöhnliches Verhalten von Tieren kann es schließlich als unvorsichtig erscheinen lassen, weiterhin i n deren Nähe zu bleiben. Dies war der Fall, als der Kläger beim Springreiten von einem Hindernisteil getroffen wurde, weil er sich nicht aus der Gefahrenzone entfernt hatte, obwohl er aus Erfahrung wußte, daß ein bestimmtes Sprungpferd üblicherweise Schwierigkeiten machte. 2 7 0 Hier könnte man indessen auch sagen, daß dem Verletzten nicht mehr der bewußte Aufenthalt vorgeworfen wird, sondern das Unterlassen des Sichentfernens in einem bestimmten Zeitpunkt. Dies zeigt, daß zwischen dem Eintritt in eine Gefahrenlage und den übrigen Verhaltensfehlern fließende Übergänge bestehen und sich die Unterscheidung hauptsächlich aus der (nur) insoweit bestehenden Konkurrenz zu den Fragen des persönlichen Schutzbereichs rechtfertigt.
d) Gefahrerhöhung
durch äußere Umstände
Nahes Heranreiten an ein anderes Pferd beim Start eines Galopprennens ist nicht als unvorsichtig angesehen worden, da dies üblich und unvermeidlich sei. 2 7 1 Zumeist werden diese Konstellationen indessen durch Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs behandelt. 2 7 2 M i t der dabei verbreiteten Annahme des Handelns a. e. G. bei Reiterwettkämpfen ließe sich diese Entscheidung nur vereinbaren, wenn gerade i m Start eines Pferderennens noch keine Situation erhöhter Gefahr gesehen würde. Dies erscheint schwer vertretbar. Als ein Pferd während einer Vorführung von durchfahrenden Fernzügen erschreckt wurde, war dem vorführenden Bediensteten nicht angelastet worden, daß er sich nach den Fahrzeiten dieser Züge nicht erkundigt hatte, denn er durfte darauf vertrauen, daß sein Dienstherr dies getan habe. 2 7 3 I h m wurde aber auch nicht zugemutet, die Vorführung der Tiere überhaupt zu verweigern, da ihn dies seine Stellung hätte kosten
268 269 270 271 272 273
BGH L M § 833 BGB Nr. 3 a. RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 290. BGH VersR 1966, 1073, 1074. Zeibrücken MDR 1978, 315. Vgl. oben 4 § 2 D I I 2a (1). RG Warn. Rspr. 1914, Nr. 249.
282
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
können. Das Gericht hat auf das Handeln bzw. Unterlassen abgestellt, obschon es den Fall auch als Situation erhöhter Gefahr durch äußere Umstände hätte behandeln können.
2. Herbeiführen der Verletzung durch sonstige Verhaltensfehler Der ureigene Anwendungsbereich der Mitverursachung sind i m Tierschadensrecht solche Unvorsichtigkeiten des Verletzten, die nicht allein i m Eintritt in eine Situation erhöhter Gefahr bestehen, sondern i n denen er selbst durch sein Handeln unmittelbar an der Verletzung mitwirkt, mag dies durch T u n oder Unterlassen geschehen. Es geht dann nicht darum, ob der Verletzte sich i n eine besondere Situation überhaupt begeben, sondern ob er mit Rücksicht auf die normalen Eigenschaften der Gefahrenquelle (Tierverhalten) in einer beliebigen Situation auf bestimmte Weise handeln durfte. 2 7 4 Dabei können die Sorgfaltsanforderungen zum Zwecke des Selbstschutzes nach der Nähe zur Gefahrenquelle bemessen werden. a) Fehler im Umgang mit Tieren Der B G H w i l l an den Selbstschutz des Reiters strenge Anforderungen stellen, 2 7 5 denn in diesem Fall habe der Verletzte selbst die unmittelbarste Einwirkungsmöglichkeit auf das Tierverhalten. Solche Reitfehler, die nicht ihrerseits durch die Angriffswirkung des Tieres erzwungen sind und deshalb besonderen Maßstäben unterliegen, 2 7 6 sind in den einschlägigen Fällen für die Gerichte dann aber zumeist nicht feststellbar gewesen. 2 7 7 Selbst einen Jockey sollte kein Mitverschulden treffen, wenn er nicht abgestiegen war und erst dadurch ermöglicht hatte, daß er am Boden liegend verletzt wurde, sondern abgeworfen worden w a r . 2 7 8 Demgegenüber ist es einem Verletzten angerechnet worden, daß er beim Reiten keine Schutzkappe getragen h a t . 2 7 9 Unvorsichtig war nicht der Ritt selbst, sondern das Unterlassen dieser Schutzvorkehrung. A u c h Personen, die sich in der Nähe von Tieren aufhalten und m i t diesen i n Kontakt kommen, ohne sie zu lenken, müssen i m Rahmen des Möglichen auf ihre eigene Sicherheit besonders bedacht sein. Bei Verrichtungen an Pferden, wie dem Kupieren des Schweifs, dem Beschlagen oder dem Vorschütten von Stroh, w i r d regelmäßig geprüft, ob der Verletzte dabei Fehler gemacht h a t . 2 8 0
274 275 276 277 278 279
Vgl. z. B. RGRK / Kreft, 56; Staud. / Schäfer, 74. BGH VersR 1982, 366, 368 Vgl. unten b. Z. B. Hamburg VersR 1982,706,707; BGH VersR 1982,366,368; 1986,345,346. BGH VersR 1955, 116. Düsseldorf VersR 1983, 1039.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
283
Aus der Nichtbeachtung umherlaufender Hunde ist dem Verletzten ein V o r w u r f gemacht worden, nicht dagegen aus der Annäherung an ein Pferd von hinten. 2 8 1 Die entsprechende Sorgfalt hatte ein Helfer gerade i m kritischen Augenblick nicht walten lassen, als er beim Verladen eines Pferdes getreten wurde, nachdem er das Tier auf die Bodenfläche des Transportwagens hinaufgeführt
hatte. 2 8 2
Dagegen ist einem Pferdetransporteur kein V o r w u r f gemacht worden, als ein Pferd scheute, w e i l es beim Transport nur am Halfter und nicht am Zügel geführt wurde. Nach Ansicht des Gerichts waren weitere Vorsichtsmaßnahmen nicht veranlaßt, nachdem das Tier bereits ohne Zügel an den Transporteur übergeben worden w a r . 2 8 3 E i n Mitverschulden ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Verletzte das Tierverhalten herausgefordert, das Tier etwa durch einen Schlag, Zuruf oder sonst durch sein Handeln gereizt h a t . 2 8 4 Wer i n Gegenwart eines Hundes dessen Halter auf die Schulter klopfe, riskiere dabei, daß dies v o m Tier als A n g r i f f interpretiert werde und zu einer Verteidigungsreaktion führe. 2 8 5 Wer einen m i t Bißwunden bedeckten Hund streichele, begehe eine Unvorsichtigkeit, auch wenn das Tier i n zutraulicher Weise herankomme, denn es bestehe die Gefahr, daß das Tier durch eine schmerzhafte Berührung seiner Wunden gereizt w e r d e . 2 8 6 Mitverursachung wurde schließlich auch angenommen, wenn sich der Verletzte zwar nicht selbst dem Tier genähert, aber dessen Annäherung bzw. die Einwirkung auf seine Rechtsgüter durch sein Handeln erst ermöglicht hatte, etwa bei der Aufforderung an den Halter, seinen Hund freizulassen, beim Nichtverschließen einer Stalltür oder bei der Erlaubnis für den Aufenthalt eines Hundes i m später beschädigten K f z . 2 8 7
b) Fehler bei der Abwehr einer Tierbedrohung Häufig werden Menschen verletzt, während sie versuchen, sich oder andere aus einer Gefahrenlage zu befreien, die durch ein Tier geschaffen wurde. Dann stehen Rechtsgüter unter der direkten Einwirkung tierischen Verhaltens, so daß Verletzungen unmittelbar bevorstehen oder zum T e i l schon eingetreten sind. Es 280 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 212; JW 1904, 57 Nr. 10; 1911, 215 Nr. 13; BGH VersR 1956, 574, 576; auch München VersR 1978, 334 (tierärztliche Behandlung eines Hundes). 281 L G Arnsberg VersR 1988, 65; RG JW 1906, 740 Nr. 8. 282 Hamburg VersR 1961, 643, 644. 283 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 495. 284 RG Recht 1915, Nr. 881; Warn. Rspr. 1908, Nr. 291; BGH VersR 1981, 1178, 1179; LG Rottweil NJW-RR 1988, 539. 285 Stuttgart VersR 1953, 293. 286 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 291. 287 Nürnberg VersR 1967, 361, 362; BGH NJW 1975, 867, 868; LG Nünberg-Fürth VersR 1989, 1278.
284
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
geht nicht mehr darum, ob der Verletzte sich in diese Situation begeben oder sie selbst herbeigeführt hat, sondern u m mögliche Verhaltensfehler bei Flucht oder Gegenwehr. Jeder Versuch, aus dem Gefahrenkreis des Tieres zu entkommen, dient grundsätzlich dem Selbstschutz. W i r d noch die schwierige psychische Situation eines Menschen unter Angriffswirkung berücksichtigt, so reduzieren sich häufig die Sorgfaltsanforderungen. Als ein Pferdefuhrwerk in schnellem Tempo eine abschüssige Wegstrecke hinunterraste und jeden Augenblick umzustürzen drohte, nachdem der Lenker die Kontrolle über das Zugpferd verloren hatte, sprang ein Mitfahrer v o m Wagen ab, um sich aus dieser bedrohlichen Situation zu retten. 2 8 8 Das R G wies zwar darauf hin, daß der Verletzte auch bei einer Rettungsaktion die nötige Aufmerksamkeit beobachtet haben müsse und sah eine „gewisse Unvorsichtigkeit" darin daß er den Sprung entgegen der Fahrtrichtung ausgeführt hatte und dies trotz seiner Ungeschicklichkeit und Unbeholfenheit aufgrund seines großen Körpergewichtes. Es verneinte indessen das M i t verschulden, w e i l dieses Verhalten aufgrund seiner Angst und großen Aufregung als „entschuldigt" angesehen werden durfte. 2 8 9 Die Selbstschädigung bei der Abwehr eines angreifenden Hundes ist einem Radfahrer angelastet worden, der die Vorsicht, welche i h m der Sitz auf seinem Rade gebot, außer acht ließ, als er sich zu einem Fußtritt m i t unbedachter Heftigkeit hinreißen l i e ß . 2 9 0 Panischer Schrecken beim vermeintlichen A n g r i f f eines Dackels führte zwar zur Ablehnung des Mitverschuldens, aber zur analogen Anwendung der §§ 829, 827 B G B . 2 9 1 A u c h einem Lenker wurde angerechnet, daß er auf das Scheuen des Pferdes seinerseits falsch reagierte. 2 9 2 Als ein Reitpferd die Parade verweigerte hat der B G H indessen darauf hingewiesen, daß aber denjenigen kein Mitverschulden trifft, der i n einer nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und sich daher unsachgemäß verhält. 2 9 3 Die Mitverursachung w i r d auch nicht allein dadurch begründet, daß der Verletzte sich der Tiergefahr aussetzt, um die Einwirkung des Tieres von anderen abzuwenden, etwa indem er versucht, durchgehende Pferde aufzuhalten. 2 9 4 Der Ursachenzusammenhang zwischen Tierverhalten und Schädigung w i r d durch diesen Eingriff des Verletzten nicht aufgehoben. 2 9 5 A u c h hier darf aber der Verletzte bei Abwendung der Gefahr nicht schuldhaft unvorsichtig handeln. 2 9 6
288 289 290 291 292 293
RG JW 1907, 307 Nr. 8. RG JW 1907, 307 Nr. 8. Hamburg OLG 14, 48. Nürnberg VersR 1965, 93, 94. München VersR 1989, 861. BGH VersR 1986, 345, 346. 294 RGZ 50, 219, 224. 295 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 99; vgl. oben 2 § 2 B I V 2. 296 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 99.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
285
Bei geringerwertigen Rechtsgütern, etwa dem Schutz eines eigenen oder gar fremden Tieres vor einem anderen, w i r d demgegenüber Verhaltensfehlern bei der Abwehr der Gefahr größeres Gewicht zukommen. Dies gilt etwa, wenn der Halter seine Gesundheit gefährdet, um ein Tier zu schützen. Mitverschulden liegt regelmäßig dann vor, wenn der Verletzte versucht, mit bloßen Händen beißende Hunde zu trennen und sich so der Gefahr aussetzt, selbst gebissen zu werden. 2 9 7 A u c h hier ist aber zu berücksichtigen, ob der Verletzte sich i n Bestürzung und Schrecken über den unvermuteten A n g r i f f zu diesem Handeln hat hinreißen lassen. 2 9 8 I m Versuch, eine Gans vor einem Hund zu schützen, ist indessen allein noch keine Mitverursachung gesehen w o r d e n . 2 9 9 Hierbei kann es zu Situationen kommen, i n denen der Verhaltensfehler darin besteht, daß außer den bereits angegriffenen Rechtsgütern noch weitere der Tiergefahr ausgesetzt werden. So kann beim Trennen beißender H u n d e 3 0 0 zwischen den betroffenen Rechtsgütern unterschieden werden. Während das Eigentum am eigenen Hund bereits unter Angriffswirkung steht und verteidigt werden soll, w i r d die Gesundheit des Verletzten von diesem erst selbst dem Einwirkungsbereich der Tiere ausgesetzt. I n dem Verhaltensfehler beim Schutz des angegriffenen Rechtsguts liegt dann zugleich das Einbringen des anderen Rechtsguts in eine Gefahrensituation. Diese Konstellation könnte daher zugleich als Problem des Eintritts i n eine Situation besonders erhöhter Gefahr behandelt werden, wenn man den K a m p f zwischen Tieren als solche ansehen w i l l .
c) Unzureichende Vorsorge des Verletzten gegen mögliche Tiereinwirkungen Das Tier kann sich von selbst dem Verletzten nähern. Vorwerfbar kann dann sein, daß dieser den präventiven Schutz seiner Rechtsgüter vernachlässigt hat, mag es sich um höchstpersönliche Güter wie Leben, Körper und Gesundheit handeln oder um Sachen, einschließlich eigener Tiere des Verletzten. So ist i m Chow-Chow-Fall ein Mitverschulden der Hundebesitzerin angenommen worden, die ihre läufige Rassehündin ohne weitere Schutzvorkehrungen spazierengeführt und damit ermöglicht hatte, daß diese unterwegs durch einen Bastardrüden gedeckt w u r d e . 3 0 1 E i n Mitverschulden traf auch einen Hundebesitzer, der beim Betreten eines Kasinos verletzt wurde, w e i l er seinen eigenen Hund nicht angeleint hielt. Denn dies hätte er auch ohne Leinenzwang tun müssen. 3 0 2 I m Unterschied 297 RG Warn. Rspr. 1914, Nr. 161; Koblenz MDR 1979, 229; VersR 1986, 247; Stuttgart VersR 1978, 1123, 1124; A G Hadamar VersR 1980, 175. 298 RG Warn. Rspr. 1914, Nr. 161. 299 LG Aurich VersR 1988, 66. 300 Vgl. z. B. Koblenz VersR 1986, 247; Celle VersR 1981, 1057, 1058. 301 BGH VersR 1976,1090,1091. Zur Sicherung eines Geländes gegen das Eindringen eines Bastardrüden vgl. Hamm NJW-RR 1990, 1052, 1053. 302 Stuttgart VersR 1978, 1123, 1124.
286
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
zum vorigen Fall war hier nicht nur das Eigentum am Hund, sondern die Gesundheit des Verletzten betroffen. Diese hätte er durch Anleinen seines eigenen Hundes schützen müssen. Schließlich kann der Verletzte auch ein Verhalten zeigen, das an sich schon eine Selbstgefährdung enthält, die sich aber gerade i m Zusammentreffen m i t einem Tier realisiert. Fuhr ein Motorradfahrer mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit und kam er deshalb beim Zusammenstoß mit einem Hund zu Fall, w e i l er sein Fahrzeug aufgrund der Geschwindigkeit nicht mehr beherrschen konnte, so hatte er selbst die Gefahr hervorgerufen, der er schließlich erlegen i s t . 3 0 3 Dasselbe galt für regelwidriges Verhalten eines Autofahrers, welches den Unfall i m Zusammenwirken mit einem Tier erst ermöglicht hatte. 3 0 4 Eine Schafherde durfte demgegenüber nachts ohne Aufsicht auf der Weide bleiben, ohne daß der Schäfer vorhersehen mußte, daß Hunde eindringen würd e n . 3 0 5 Der B G H hat auch das Mitverschulden eines Mannes verneint, der trotz einer Kriegsverletzung an der Bauchdecke kein schützendes Korsett getragen hatte, als er i n einer Gaststätte von einem Hund an dieser Stelle gebissen wurde. Das Gericht stellte darauf ab, daß das besondere Risiko eines unvermittelten Angriffs durch den Hund in die Verantwortungssphäre des Gaststätteninhabers und Hundehalters fiel. Dieser war gehalten und in der Lage, das Tierrisiko zu vermeiden und konnte dem Verletzten daher nicht vorhalten, daß dieser eine nützliche, aber i n seinem Belieben stehende Maßnahme unterlassen hatte. 3 0 6
I I I . Die Bewältigung des Eintritts in die Gefahrensituation im Rahmen von § 254 B G B Die Rspr. erkennt somit an, daß eine Verletzung u. U. auch überwiegend i m Rechtskreis des Geschädigten selber wurzeln kann. Dies mag auf eine Gefahrenquelle zurückgehen, für die der Verletzte verantwortlich ist oder auch auf vorwerfbares Handeln, das gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse verstößt. E i n besonderes Problem in der Beitragsabwägung ergibt sich dann, wenn der Schwerpunkt des Vorwurfs darin liegt, daß der Verletzte sich überhaupt i n der Nähe eines Tieres befunden hat. Denn je geringer man die Sorgfaltsanforderungen ansetzt, desto weniger w i r d der Eintritt i n eine Gefahrenlage unter dem Gesichtspunkt der Willensfreiheit und damit als menschliches willensbeeinflußtes Handeln gesehen, sondern nach den Grundsätzen der objektiven Gefahrzurechnung als bloßes Verhalten, d. h. als Gefahrenquelle. Der Eintritt i n eine Situation besonders erhöhter Gefahr eröffnet damit ein Übergangsfeld zwischen der Gefahrzurech-
303 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 11. 304 BGH VersR 1961, 346, 347; Nürnberg VersR 1966, 42, 43; LG Wiesbaden VersR 1976, 179, 180; Celle VersR 1980, 430, 431. 305 München VersR 1984, 1095, 1096. 306 BGH VersR 1981, 1178, 1179.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
287
nung, die i n Form der Gefahrabwägung gegenüber dem Verletztenbeitrag zur Normstruktur des § 833 S. 1 B G B selbst gehört und den Überlegungen zur Mitverantwortung aufgrund vorwerfbaren Handelns, die in überzeugender Weise nur durch das Hinausgreifen über den Gefährdungstatbestand, also durch die Beitragsabwägung i m Rahmen des § 254 B G B berücksichtigt werden können. Die Unterscheidung zwischen einem normalen Verhaltensfehler i m Bezug auf die Gefahrenquelle und dem Eintritt in eine Situation besonders erhöhter Gefahr i m Rahmen von § 254 B G B ergibt sich daraus, daß der Rspr. beim Gefahreintritt auch die Möglichkeit offensteht, unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schutzbereichs die Haftung v ö l l i g auszuschließen. Betrachtet man diese Fälle unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung, dann läßt sich jedenfalls sagen, daß die bloße Anwesenheit eines Menschen i n der Nähe der Gefahrenquelle für die Mitverantwortung nicht ausreicht, weil sie allein keinen subjektiven V o r w u r f der Unvorsichtigkeit begründen kann. A u c h bei der Anknüpfung an den Eintritt in eine Gefahrenlage läßt sich die Verantwortung des Verletzten kraft Willensfreiheit nur durch die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des konkreten Verletzungserfolges rechtfertigen. Darin liegt auch eine Verschärfung der i m eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt, denn die Kenntnis reicht schon aus, wenn sie sich nur ganz allgemein auf die gefahrerhöhenden Umstände bezieht, die nicht auf das Verhalten des Verletzten selbst zurückgehen. W i l l man auf dieses Moment der Verantwortung für eigenes Handeln nicht verzichten, dann können die Fälle des Eintritts i n eine Gefahrenlage letztlich nur innerhalb von § 254 B G B angemessen behandelt werden. Denn zur Gefahrabwägung nach dem Kriterium des Handelns a. e. G. paßt der Aspekt der Vorhersehbarkeit und des Vorwurfs i m Grunde nicht.
C. Die Anwendung von § 254 BGB in der Literatur Die Meinungen i n der L i t . 3 0 7 zu § 254 B G B bewegen sich i n denselben Bahnen wie die Rspr. M a n wendet § 254 B G B bei vorwerfbarer Selbstschädigung grundsätzlich an, soweit hierfür ohnehin keine Alternative besteht. 3 0 8 Problematisch sind allein die Sonderfälle des bloßen Eintritts i n eine gefährliche Situation. Diese sollen entweder schon gar nicht v o m Normzweck der Tierhalterhaftung erfaßt oder aber nach § 254 B G B behandelt werden. Einige Autoren wollen für diese Fälle die Haftung grundsätzlich ausschließen, weil der Verletzte seine Schutzwürdigkeit verliere. 3 0 9 Andere Autoren wollen auch dann gem. § 254 B G B
307 Vgl. auch oben 4 § 2 D III 3.
308 Vgl. z. B. AK-BGB / K o h l , 16; Bornhövd, VersR 1979, 398, 400; Herrmann, JR 1980, 489, 493; Erman/Drees, 24; MünchKomm/Mertens, 27; RGRK/Kreft, 56-63; Staud. / Schäfer, 74-77. 309 A K - B G B / K o h l , 9; Deutsch, JuS 1987, 673, 676; Schmid, JR 1976, 274, 277; Soergel / Zeuner, 25; Larenz, Schuldrecht II, 706; vgl. oben 4 § 2 D I I I 2.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
288
den Anspruch auf eine Quote reduzieren. Dabei w i r d auch der Eintritt in die Gefahrensituation teilweise als gewöhnlicher Anwendungsfall des § 254 B G B behandelt (Verstoß gegen das eigene Selbstschutzinteresse), 310 teilweise w i r d dies als Sonderfall innerhalb von § 254 B G B angesehen. 311
D. Die Einfügung des Tierschadensrechts in die Struktur der Beitragsabwägung I . Die umfassende Abwägung aller Beiträge § 254 B G B ermöglicht die formale Gegenüberstellung aller haftungsrechtlich relevanten Verletzungsbeiträge. Dabei kommt es zur Abwägung zwischen allen Erfolgsbeiträgen, die auf den Halter oder den Verletzten zurückgehen und damit zur Aufteilung der Verantwortlichkeit und letztlich auch des Schadens nach prozentualen Quoten. Die Anwendung dieser Vorschrift geht über die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags i m Rahmen der objektiven Gefahrzurechnung hinaus und bezieht das gesamte Haftungsrecht m i t ein. Dabei sind die abzuwägenden Beiträge nicht einfach Verletzungsursachen, sondern ganze Zurechnungszusammenhänge. Denn die Zurechenbarkeit von Verletzungserfolg und Verletzungsursache und die Verantwortlichkeit für diese Ursache muß feststehen, damit ein Beitrag i n die Abwägung überhaupt eingebracht werden kann. Diese Beiträge sind dann nach ihrem haftungsrechtlichen Gewicht gegeneinander abzuwägen. Der Verletzte trägt zwar allein durch seine Existenz immer zur Verletzung bei. Abwägungsrelevante Beiträge ergeben sich indessen nur, wenn er für eine Verletzungsursache auch verantwortlich ist. Dies ist der Fall bei Gefahrenquellen aufgrund gesetzlicher Normierung und bei vorwerfbarem Handeln gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse. 312 Aus der bloßen Nähe zum Tier läßt sich daher noch kein V o r w u r f der Unvorsichtigkeit ableiten. Der Verletztenbeitrag hat demnach zwei Aspekte: — das Herbeiführen einer Situation erhöhter Verletzungsgefahr, — die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit dieser Gefahr. Es geht um die objektive Erhöhung der Verletzungswahrscheinlichkeit durch den Verletzten und dessen Vorwerfbarkeit als Verstoß gegen eigene Sicherheitsinteressen. Dabei kann zum einen auf Verhaltensfehler abgestellt werden, durch die der Verletzte die Gefahrerhöhung selbst bewirkt hat. E i n Sonderfall ist aber gegeben, wenn der Verletzte sich ohne weiteren Verhaltensfehler i n eine Situation 310 Vgl. Bornhövd, VersR 1978, 50, 52; Knütel, NJW 1978, 297; MünchKomm/ Mertens, 25 u. 27; Erman / Schiemann, 6; Jauernig / Teichmann, 2d. 311 Herrmann, HR 1980, 489, 494; RGRK/Kreft, 64; Weidner, 35-42; Deutsch, Haftungsrecht, 328; NJW 1978, 1998, 2001. 312 Vgl. oben 4 § 3 A I I 2a.
§ 3 Die Mitverursachung (§ 254 BGB)
289
besonders erhöhter Gefahr begeben hat, deren Entstehung von seinem eigenen Verhalten i m übrigen unabhängig ist. I m einen Fall lautet die Frage, ob eine konkrete Handlung (Tun oder Unterlassen) des Verletzten bei Beachtung seines Sicherheitsinteresses vorgenommen werden durfte, i m anderen Fall, ob der Verletzte sich überhaupt i n Tiernähe befinden durfte, obschon erkennbar weitere gefahrerhöhende Umstände vorlagen. I m letzteren Fall ergeben sich Überschneidungen mit dem persönlichen Schutzbereich, wobei die Anforderungen an den V o r w u r f der Unvorsichtigkeit nicht so hoch angesetzt werden, wie bei anderen Verhaltensfehlern. 3 1 3 Es reicht die Kenntnis der gefahrerhöhenden Umstände. Während die Rspr. die Gefahrerhöhung durch weitere Umstände aus dem Bereich des Verletzten oder des Halters dann hauptsächlich i m Rahmen von § 254 B G B berücksichtigt, w i r d die Gefahrerhöhung durch außerhalb liegende Umstände zumeist
als Problem
des persönlichen
Schutzbereichs
gesehen
(Handeln
a. e. G . ) . 3 1 4
I I . Die Abwägungsgesichtspunkte Die Rspr. w i l l bei der Abwägung der konkreten Beiträge den jeweiligen besonderen Umständen beim Zustandekommen der Verletzung gerecht werden. 3 1 5 Der B G H hat gelegentlich angedeutet, daß ein besonders strenger Maßstab angelegt werden muß, wenn der Verletzte selbst unmittelbar auf das Tier einwirken konnte, z. B. der Reiter durch Übernahme der Herrschaft über das Pferd. 3 1 6 Das Gewicht des Tierbeitrages in der Abwägung hängt neben seinem objektiven Anteil an der Erfolgsherbeiführung auch davon ab, wie gravierend der Sorgfaltsverstoß des Verletzten gegen sein eigenes Interesse war. Er w i r d beim Verhaltensfehler regelmäßig größer sein, als beim bloßen Eintritt i n eine Gefahrenlage, denn dieser ist der M i t w i r k u n g einer Gefahrenquelle angenähert. Zunächst gelten die allgemeinen Überlegungen zur Abwägung innerhalb von § 254 B G B . Treffen auf beiden Seiten Gefahrbeiträge aufeinander, so w i r d die Verantwortung idR get e i l t . 3 1 7 Hat auf einer Seite neben einer Gefahrenquelle auch ein schuldhaftes Handeln mitgewirkt, dann liegt dort eine Gefahrerhöhung vor. Steht einem Verschuldensbeitrag des Anspruchsgegners allein ein Gefahrbeitrag des Verletzten durch ein Tier gegenüber, dann fällt wegen der analogen Anwendbarkeit von § 840 I I I B G B der Verletztenbeitrag nicht ins Gewicht. Lag auf beiden Seiten (auch) sorgfalts widriges Handeln vor, dann muß der Grad der jeweiligen Verstöße verglichen werden. Die Unvorsichtigkeit des Verletzten bedingt einerseits die Berücksichtigung seiner M i t w i r k u n g i m Rahmen von § 254 B G B und bestimmt 313 314 315 316 317
Vgl. oben 4 § 3 A I I 2a (3). Vgl. oben 4 § 2 D I I 2a (1). BGH VersR 1961, 284, 285; 1981, 1178, 1179. BGH VersR 1982, 366, 368. MünchKomm/Mertens, §254, 111-114; RGRK / Kreft, 56-58.
19 Lorenz
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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andererseits auch das Gewicht dieses Beitrages gegenüber dem Beitrag des Tierhalters. U m Abwägungskriterien zu gewinnen, könnten bei Verhaltensfehlern die Sorgfaltsanforderungen u m so höher angesetzt werden, j e näher sich der Verletzte an der Gefahrenquelle befindet. 3 1 8 Erhöhte Anforderungen bestehen dann, wenn der Verletzte m i t dem Tier umgeht oder es sogar lenkt. Die Anforderungen vermindern sich indessen, wenn der Verletzte versucht, sich der Angriffswirkung eines Tieres zu entziehen und bei der Vorsorge gegen die Annäherung von Tieren. Gründet sich der V o r w u r f auf den Eintritt i n eine Situation erhöhter Gefahr, dann kann die konkrete Nähe zur Gefahrenquelle keinen Maßstab liefern, da diese Nähe j a regelmäßig erst durch den Eintritt entsteht und dieser selbst beurteilt werden soll. Dann könnte man auf die Situation abstellen, in die der Verletzte eintritt, also auf die Herkunft der gefahrerhöhenden Umstände aus drei Bereichen:319 — besondere Schwächen bei Rechtsgütern oder Fähigkeiten des Verletzten, — besonders verletzungsträchtige Eigenarten des Tieres, — besondere Verletzungsträchtigkeit durch äußere Umstände. M a n könnte dann sagen, daß die Gefahrerhöhung durch Umstände aus dem Bereich des Verletzten tendenziell stark und durch solche aus dem Bereich des Halters tendenziell nur schwach zu Lasten des Verletzten ins Gewicht fällt, da jeweils der Verletzte bzw. der Halter für Umstände aus ihrem Bereich die stärkere Verantwortung tragen.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsauschluß — Risikoverteilung unter Rückgriff auf den Parteiwillen Die Gefährdungshaftung des Tierhalters kann — wie jede Haftung — durch rechtsgeschäftliche Erklärungen innerhalb der gesetzlichen Grenzen grundsätzlich ausgeschlossen werden. Es fehlt an entsprechenden Verboten, wie etwa in den §§ 8a I I StVG, 7 HaftPflG. Die Ermittlung eines nicht ausdrücklich geäußerten Parteiwillens geschieht durch Interessenabwägung und läuft darin schließlich wieder auf die objektive Gegenüberstellung von Halter- und Verletztenbeiträgen hinaus.
318 Zur Abhängigkeit von Sorgfaltsanforderungen und Risiko vgl. RGRK / Kreft, 56; vgl. oben 4 § 3 B I I 2. 319 Vgl. oben 4 § 3 B I I 1.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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A. Ausdrücklicher und stillschweigender rechtsgeschäftlicher Haftungsausschluß E i n rechtsgeschäftlicher Haftungsausschluß kann ausdrücklich erfolgen, sei es durch Individualabrede, sei es i m Rahmen von A G B . Er kann als eigenständiger Vertrag abgeschlossen werden oder T e i l eines anderen Vertrages sein. Gelegentlich werden Fälle erörtert, in denen der Halter damit gescheitert ist, einen ausdrücklichen Haftungsausschluß einzuführen. 3 2 0 Noch vor Inkrafttreten des A G B G ist entschieden worden, daß jedenfalls die Tragung unverschuldeter Gefahren auf der Rückseite einer Reitkarte, ebenso wie in einer Gestütsordnung, nur insoweit geregelt werden kann, als Umfang und Bedeutung der Risikoverlagerung darin hinreichend klargestellt werden bzw. ein deutlich sichtbarer Aushang erf o l g t . 3 2 1 I m Dammhirschfall hat der B G H den Haftungsausschluß durch das Schild „Handeln auf eigene Gefahr" für unzulässige Rechtsausübung gehalten, da gleichzeitig die Bürger aufgefordert worden waren, das Wildgehege zu besuchen und mit den als ungefährlich angesehenen Tieren Kontakt aufzunehmen. 3 2 2 Später hat er auch darauf hingewiesen, daß allein das i m Stallfenster ausgehängte Schild „Reiten auf eigene Gefahr" nicht ausreiche, u m die Haftung auszuschließen. 3 2 3 Das Nichtbeachten von Warnschildern w i r d i m übrigen zumeist als Frage der Mitverursachung oder des Handelns a. e. G. gesehen. 3 2 4 Darüber hinaus spielt der ausdrückliche vertragliche Haftungsausschluß i n der Rspr. zur Tierhalterhaftung praktisch keine R o l l e . 3 2 5 Unter der Bezeichnung des stillschweigenden Haftungsausschlusses w i r d der Parteiwille i n der Rspr. indessen besonders dann diskutiert, wenn keine der Parteien sich hierzu ausdrücklich geäußert hat bzw. wenn an die Frage gar nicht gedacht wurde. Der (hypothetische) Parteiwille i m Bezug auf die Verteilung des Tierrisikos muß dann aus anderen Anhaltspunkten ermittelt werden. Es geht u m die Frage, ob die Interessenlage i m Einzelfall von derjenigen abweicht, die innerhalb der Normstruktur der Tierhalterhaftung vorausgesetzt w i r d . 3 2 6 Es geht um die Interessenverschiebung zugunsten des Halters und die Herabsetzung der Schutzwürdigkeit des Verletzten. A u c h insofern stehen gerade dessen vertragliche Rechte und Pflichten, wie auch sein konkretes Verhalten i m Mittelpunkt. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Entweder das Verhältnis zwischen den Parteien ist durch einen Leistungs- oder Nutzungsvertrag geregelt. Dann ist 320 Köln VersR 1989, 62; KG VersR 1986, 820, 821; BGH VersR 1982, 366, 367; RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317; vgl. RGRK / Kreft, 66. 321 Düsseldorf VersR 1975, 1153 u. 1154. 322 BGH VersR 1976, 1175, 1177. 323 BGH VersR 1988, 609, 610. 324 z . B. Frankfurt VersR 1983, 1040; Düsseldorf VersR 1981, 1035, 1036; vgl. oben 4 § 2 D I I 2b u. § 3 B I I 1 c. 325 Vgl. z. B. RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 317. 326 Vgl. oben 1 § 2 B I 3. 19*
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nach dem besonderen Inhalt dieses Vertrages der Parteiwille durch ergänzende Auslegung zu ermitteln. 3 2 7 Oder aber zwischen den Parteien besteht i m übrigen kein Vertrags Verhältnis. Dann ist zu fragen, ob sich aus dem Verhalten der Parteien und aus den sonstigen Umständen Willenserklärungen entnehmen lassen, 3 2 8 die zu einer selbständigen vertraglichen Vereinbarung nur über den Haftungsausschluß führen (bei Gefälligkeit) oder denen ein Verzicht des später Verletzten zu entnehmen ist (Einwilligung). Der B G H war indessen bestrebt, rechtsgeschäftliche Überlegungen außerhalb bestehender Verträge überhaupt zurückzudrängen und behandelt diese Probleme nunmehr unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm, insbesondere des Handelns a. e. G . 3 2 9 I n der L i t . w i r d zwar der Unterschied zwischen dem ausdrücklichen und dem stillschweigenden Haftungsausschluß erwähnt, zwischen der ergänzenden Auslegung bestehender Verträge und der Konstruktion eines isolierten Haftungsausschlusses aber nicht immer unterschieden. Die ergänzende Auslegung von Verträgen w i r d überwiegend für möglich gehalten. 3 3 0 Einige Autoren entwickeln hierzu eine Systematik nach Vertragstypen. 3 3 1 I m übrigen sollen aber an den stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluß strenge Anforderungen gestellt werd e n . 3 3 2 Mitunter w i r d er als bloße Fiktion auch allgemein oder für bestimmte Fälle abgelehnt. 3 3 3
B. Das Verletztenverhalten innerhalb bestehender Verträge Besteht zwischen Verletztem und Halter i m Bezug auf das Tier ein Vertrag ohne ausdrücklichen Haftungsausschluß, dann kann der Verletztenbeitrag auf drei Arten berücksichtigt werden: — Der Verletzte könnte beim Umgang m i t dem Tier gegen Vertragspflichten verstoßen haben, m i t der Folge, daß seinen Ansprüchen aus § 833 S. 1 B G B ein Freistellungsanspruch des Halters aus Vertrag gegenüberstünde. — Das Recht des jeweiligen Vertragstyps kann Haftungsmilderungen für den Halter vorsehen, die auf die Halterhaftung durchschlagen könnten. 327 BGH NJW 1968, 1932; VersR 1977, 864, 866. 328 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 100; RGZ 67, 431, 433. 329 Vgl. unten 4 § 4 C I 2 u. II. 330 Bornhövd, VersR 1979, 398, 401; RGRK / Kreft, 67; Staud. / Schäfer, 81-84; Schmid, JR 1976, 274, 277; Erman/Drees, 21; MünchKomm / Mertens, 26. 331 Herrmann, JR 1980, 489, 495; Knütel, NJW 1978, 297, 298; im Ansatz auch RGRK/Kreft, 67-68. 332 A K - B G B / K o h l , 10-11; Bornhövd, VersR 1979, 398, 401; MünchKomm/Mertens, 26; Geigei / Schlegelmilch, 3. 333 z. B. Soergel / Zeuner, 23; Larenz, Schuldrecht I, 542; Herrmann, JR 1980, 489, 493; RGRK/Kreft, 72 (Gefälligkeit).
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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— Durch ergänzende Vertragsauslegung könnte sich ergeben, daß bei bestimmten Vertragstypen entsprechend der dort gegebenen Interessenlage die Risikoverteilung zwischen den Parteien abweichend von § 833 S. 1 B G B geregelt wurde.334 I m Ergebnis überzeugt indessen keine dieser Erwägungen.
I . Haftungsfreistellung wegen Vertragspflichtverletzung 1. Beweis sorgfältigen Verhaltens durch den Verletzten Schon i n den frühen Entscheidungen des R G ist die Ansicht vertreten worden, daß ein bestehender Vertrag auch dann Folgen haben könne, wenn darin kein Haftungsausschluß vereinbart sei. Der Verletzte solle als Vertragspartner nicht so günstig stehen, wie außerhalb einer Sonderverbindung und daher nur Ersatz verlangen können, wenn er einen Schaden erleide, obwohl er seinerseits alle Sorgfaltsanforderungen gegenüber dem Halter erfüllt habe. 3 3 5 Nur dann stehe der Schaden v ö l l i g außerhalb der Vertragsbeziehung und gebe dem Verletzten einen Anspruch gegen den Vertragspartner nicht als solchen, sondern gerade in seiner Eigenschaft als Halter. Der Verletzte müsse zumindest beweisen, daß er keinen Sorgfaltsverstoß begangen habe. Diese Ansicht wurde auf allgemeine Beweislastregeln i m Vertragsrecht gestützt und sollte zu dem gegenüber § 254 B G B eigenständigen Institut der „Vertragseinrede" führen. 3 3 6 Letztlich ging es dabei u m die analoge Anwendung der Beweislastumkehr nach § 282 B G B auf die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten. Eine noch schärfere Akzentuierung gewann diese Sichtweise durch die analoge Anwendung von § 834 S. 2 B G B . 3 3 7 Danach mußte sich der Tierhüter nicht nur gegenüber einem verletzten Dritten entlasten, sondern auch gegenüber dem Halter, wenn er als selbst Verletzter Ansprüche gegen diesen erhob. Die Überlegungen zur Beweislastumkehr hat der B G H zwar nicht selbst angewendet, aber doch mehrfach g e b i l l i g t . 3 3 8 A u c h die übrige Rspr hat hierauf häufig zurückgegriffen, insbesondere gegenüber Reitern. 3 3 9
334 Vgl. Z. B. RGRK / Kreft, 67; Erman/Drees, 21; RGRK / Steffen, Vor § 823, 62; BGH NJW 1968, 1932; VersR 1977, 864, 866. 335 RGZ 58, 410, 413; 61, 54, 56; JW 1905, 392 Nr. 10; 393 Nr. 11; Warn. Rspr. 1908, Nr. 318; Nr. 495. 336 RGZ 58, 410, 413; 61, 54, 56; vgl. Knütel, NJW 1978, 297, 299; Honsell, MDR 1982, 798, 800. 337 RGZ 50, 244, 248; Köln VersR 1976, 197, 198; Hamm VersR 1975, 865. 338 BGH VersR 1972, 1047, 1048; 1982, 366. 339 Hamm VersR 1975, 865; Köln VersR 1976, 197, 198; Düsseldorf NJW 1976, 2137; VersR 1981, 82, 83; LG Bonn VersR 1978,1176; LG Wiesbaden VersR 1979,636.
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A u c h eine Reihe von Autoren befürwortet diese Beweislastumkehr allgemein 3 4 0 oder wenigstens für den Fall, daß der Verletzte Tierhüter gewesen i s t . 3 4 1 Zur Begründung w i r d zusätzlich zu den Argumenten der Rspr. darauf hingewiesen, daß diese Beweislastumkehr sich aus dem Gedanken der positiven Forderungsverletzung und damit aus der analogen Anwendung von § 282 B G B erkläre. 3 4 2 Der Verletzte schulde dem Tierhalter hieraus Freistellung von der Halterhaftung, wenn er die erforderliche Sorgfalt bei der ordnungsgemäßen Beaufsichtigung des Tieres nicht beobachtet habe. Hierfür müsse er sich entlasten. Denn nur der Verletzte selbst könne beweisen, was sich i n seinem Gefahrbeherrschungsbereich abgespielt habe. Der Halter komme in unzumutbare Beweisnot, wenn er entsprechend § 254 B G B das Mitverschulden des Verletzten darlegen müsse. 3 4 3 2. Beweislast des Halters für Verstöße gegen das Selbstschutzinteresse des Verletzten V o n der überwiegenden L i t . w i r d diese Beweislastumkehr indessen abgel e h n t . 3 4 4 Es sei dogmatisch nicht zu rechtfertigen, daß die nach § 833 S. 1 B G B begründeten Ansprüche durch eine Beweislastumkehr nach Vertragsgrundsätzen entwertet würden. Die Einführung eines negativen Tatbestandsmerkmals (sorgfältiges Verhalten) komme nicht i n Betracht. Wer durch Vertrag die Aufsicht über ein Tier übernehme oder auch nur die Nebenpflicht, ein Tier sachgerecht zu behandeln, garantiere dem Halter gerade nicht die Vermeidung von Tierschäden, da er hierzu gar nicht i n der Lage sei. A u c h aus § 834 B G B lasse sich i m Innenverhältnis von Halter und Verletztem kein Verschuldensvorwurf ableiten, da sich die Vorschrift nur auf die Haftung gegenüber Dritten beziehe. Die M i t w i r kung des Verletzten könnte daher auch innerhalb von Verträgen nur gem. § 254 B G B Berücksichtigung finden, wofür nach den allgemeinen Beweislastregeln der Halter beweispflichtig sei. Sogar bei der Annahme eines Sorgfaltsverstoßes durch den Verletzten könne gegenüber dessen Anspruch aus Vertragsverletzung gem. § 254 B G B die M i t w i r k u n g des Tieres eingewendet werden, so daß es in jedem Fall zu einer Abwägung der Beiträge kommen müsse. Manche Autoren lehnen die Beweislastumkehr jedenfalls dann ab, wenn der Verletzte nicht die Pflichten eines Tierhüters gem. § 834 B G B verletzt, 3 4 5 ohne indessen näher zu erläutern, wie sich die Analogie zu dieser Vorschrift rechtfertigen läßt. 340 Planck/Greiff, 4 a; Erman/Drees, 21; Palandt / Thomas, 22; Baumgärtel, Handbuch, 14; Schräder, NJW 1975, 676, 677. 341 RGRK / Kreft, 69; § 834,7; MünchKomm / Mertens, 25; § 834,5; Staud. / Schäfer, 88; § 834, 18. 342 Baumgärtel, Handbuch, 15; Knütel, NJW 1978, 297, 299. 343 Baumgärtel, Handbuch, 16; VersR 1983, KF, 85, 88. 344 Herrmann, JR 1980, 489, 495; Honseil, MDR 1982, 798, 801; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677; Knütel, NJW 1978, 297, 299; Weimar, DRiZ 1956, 198; Bomhövd, VersR 1979, 398, 402. 345 RGRK/Kreft, 69; MünchKomm / Mertens, 25; Staud. / Schäfer, 88.
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3. Die unzulässige Aufwertung des Selbstschutzes zur vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht Letztlich geht es u m die Frage, ob eine vorwerfbare M i t w i r k u n g des Verletzten am Erfolg gem. § 254 B G B als bloßer Verstoß gegen eigene Interessen zu behandeln ist oder als Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht zu einem selbständigen Anspruch führt. Der entscheidende Unterschied liegt dabei in der Beweislast für den Sorgfaltsverstoß. Während beim bloßen Verstoß gegen eigene Sicherheitsinteressen gem. § 254 B G B die Beweislast nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen dem Halter obläge, der sich auf die Entlastung beruft, träfe sie i m zweiten wegen der analogen Anwendung von § 282 B G B oder § 834 S. 2 B G B den Verletzten selbst. Das Kernproblem der Vertragseinrede liegt demnach in der generellen Aufwertung des reinen Selbstschutzinteresses des Verletzten zur Vertragspflicht gegenüber dem Halter. Dies ist als allgemeiner haftungsrechtlicher Grundsatz für das Verhältnis von Vertragsund Deliktsrecht nicht haltbar, denn damit würde der Anwendungsbereich der Verpflichtung zum Selbstschutz nach § 254 B G B grundsätzlich auf das außervertragliche Haftungsrecht beschränkt. 3 4 6 Dadurch entstünde ein Widerspruch zu der Annahme, daß es sich dabei u m einen allgemeinen Rechtsgedanken handelt, der sogar über das Haftungsrecht hinaus g i l t . 3 4 7 Eine Unvorsichtigkeit i m Umgang mit der Gefahrenquelle begründet allein kein technisches Verschulden gem. § 276 B G B , wie es für die Vertragsverletzung erforderlich wäre. Es besteht keine grundsätzliche vertragliche Haupt- oder Nebenpflicht zum Selbstschutz. 3 4 8 A u c h die analoge Anwendung von § 834 S. 2 B G B auf den Verletzten zielt i n die gleiche Richtung und ließe sich nur unter der Annahme halten, daß der Tierhüter durch Vertrag mit dem Halter auch eine Pflicht zu Selbstschutz übernommen hätte. 3 4 9 Schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift geht es dort aber nur u m Pflichten i m Bezug auf Dritte. Die Beweislastumkehr läßt sich weder unter Berufung auf den Normzweck der Tierhalterhaftung rechtfertigen, noch unter Berufung auf die Besonderheiten der Beweislage. A u c h innerhalb vertraglicher Sonderverbindungen ist die Gefahrverantwortung des Tierhalters grundsätzlich nicht eingeschränkt, denn hierfür ergeben sich aus dem Normzweck der Halterhaftung keine Anhaltspunkte. 3 5 0 I m Gegenteil: Für das Tier haftet, wer es überwiegend nutzt und über seine Verwendung bestimmt. Diese Nutzung bedingt den Kontakt des Tieres m i t Menschen 346 Vgl. auch Weimar, DRiZ 1956, 198, 199. 347 Vgl. oben 4 § 3 A I I 1. 348 Honsell, MDR 1982, 798, 801: Knütel, NJW 1978, 297,299; Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; Weimar, DRiZ 1956, 198; vgl. oben 4 § 3 A I. 349 Vgl. auch Honsell, MDR 1982, 798, 801; Deutsch, JuS 1987, 673, 677; allgemein zur vertraglichen Übernahme von Obhutspflichten vgl. Staud. / Schäfer, § 832, 31; Soergel / Zeuner, § 832, 13; MünchKomm / Mertens, § 832, 13; RGZ 50, 244, 248. 350 Dies entspricht letztlich auch der Ansicht der Rspr.; RGZ 50, 244, 250; RG JW 1904, 57 Nr. 10; Warn. Rspr. 1908, Nr. 477.
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und dadurch die Möglichkeit von Verletzungen. Indem der Halter sein Tier nutzt, schließt der regelmäßig auch Verträge, i n denen er anderen Personen die Nutzung des Tieres überläßt oder diese zu Verrichtungen am Tier verpflichtet. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Schutzwürdigkeit eines Verletzten allein dadurch eingeschränkt sein soll, daß sein Kontakt zum Tier ausgerechnet auf vertraglicher Grundlage beruht. 3 5 1 Der Vertragspartner ist nicht schon von vornherein weniger schutzwürdig, als der Dieb oder der unehrliche Finder. Wenn überhaupt, dann kann eine Differenzierung nur nach dem konkreten Inhalt eines Vertrages erfolgen, nicht nach der Tatsache seines Bestehens. Die grundsätzliche Konkurrenz von Vertrags- und Tierschadensrecht ist letztlich auch in Rspr. und L i t . allgemein anerkannt. 3 5 2 A l l e i n das Bestehen eines Vertrages rechtfertigt auch nicht die Umkehr der Beweislast. 3 5 3 Dies könnte sich nur aus allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen ergeben, nicht aus dem Normzweck der Halterhaftung. I m Bezug auf einen konkreten Anspruch hat grundsätzlich jede Partei die ihr günstigen Umstände zu beweisen. 3 5 4 Die Beweislastumkehr ist gerade i m Haftungsrecht die Ausnahme und gilt für besondere Konstellationen, unter denen einem Anspruchssteiler der Beweis von Anspruchsvoraussetzungen regelmäßig nicht möglich und daher nicht zuzumuten ist, wie in der Arzthaftung und bei der Produzentenhaftung. Dies dient aber regelmäßig der Entlastung des Anspruchstellers, nicht seiner weiteren Belastung durch zusätzliche Erfordernisse. A u c h die Überlegung, daß beweisen müsse, wer beweisen könne, führt nicht weiter. Z u m einen gibt des keinen allgemeinen Grundsatz der Beweislastverteilung nach Machtsphären. 3 5 5 Z u m anderen überzeugt es nicht, daß ausgerechnet das Bestehen eines Vertrages diesen Grundsatz i n Kraft setzen soll. Denn auch beim Bestehen eines Vertrags spielt sich die M i t w i r k u n g des Verletzten nicht immer i n dessen eigenem Machtbereich ab, da sich das Tier aufgrund des Vertrages nicht zwangsläufig in seiner Machtsphäre befindet. Es ist noch nicht einmal klar, was insoweit überhaupt unter dem „Machtbereich" verstanden werden soll. So kann man z. B. nicht behaupten, daß sich das Pferd beim Ausritt i m Machtbereich des Reiters befindet und dieser deshalb leichter beweisen könnte, was bei einem Sturz tatsächlich geschehen i s t . 3 5 6 Eine Rechtfertigung für die Beweislastumkehr durch Ableitung entsprechender Vertragspflichten gegenüber dem Halter ergibt sich demnach weder aus dem Normzweck der Halterhaftung, noch aus den Grundsätzen des Beweisrechts. A u f die Überlegungen zur Beweislastumkehr sollte daher verzichtet werden.
351 352 353 354 355 356
Vgl. auch Herrmann, JR 1980, 489, 495; Bornhövd, 1979, 398, 402. Vgl. unten I I 1. Vgl. auch oben 1 § 3 A I I I 1. Rosenberg / Schwab, 717; Stein / Jonas / Leipold, § 286, 41. Rosenberg / Schwab, 719; Stein / Jonas / Leipold, § 286, 51. So auch Honsell, MDR 1982, 798, 801.
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I I . Auswirkung gesetzlicher Haftungsmilderungen Das Bestehen eines bestimmten Vertragstyps zwischen den Parteien, z. B. die Tierleihe, könnte den Umfang der Halterhaftung beeinflussen. Wenn etwa die vertragliche Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen ist, könnte daraus a maiore ad minus gefolgert werden, daß erst recht die Haftung für bloße Gefahrenquellen ausgeschlossen sein müsse.
1. Der Ausschluß der Halterhaftung bei vertraglicher Haftungsmilderung Die Rspr. hat stets angenommen, daß allein das Bestehen eines Vertrages zwischen Halter und Verletztem die Anwendbarkeit von § 833 S. 1 B G B nicht berührt. Die eingetretene Beschädigung stehe vielmehr grundsätzlich außerhalb der vertraglichen Beziehungen. Vertrags- und Deliktsrecht sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar. 3 5 7 A u c h in der Lit. w i r d heute die Anspruchskonkurrenz von Vertrags- und Halterhaftung angenommen. 3 5 8 Dies w i r d teils damit begründet, daß die Halterhaftung spezieller sei und neben dem Vertragsrecht gelten müsse, teils damit, daß das Gesetz keine Anhaltspunkt enthalte, ob der eine oder der andere Anspruch gelten solle. 3 5 9 I n keiner Richtung sei von Spezialität zu sprechen, da die Haftungsgründe hierfür zu verschieden seien. Diese grundsätzliche Konkurrenz könnte indessen bei vertraglichen Haftungsmilderungen zugunsten des Vertragsrechts durchbrochen werden. I n diesen Fällen könnte das Vertragsrecht auf das Deliktsrecht durchschlagen. 3 6 0 Der B G H bestätigte i m Turnierreiterfall durch ein obiter dictum den grundsätzlichen Vorrang des § 599 B G B gegenüber § 833 S. 1 B G B , weil andernfalls diese gesetzliche Risikoabwälzung auf den Entleiher gegenstandslos wäre. Diese Überlegung hat er indessen nicht aus dem Vertragsrecht entnommen, sondern ausdrücklich aus dem Schutzzweck der Halterhaftung abgeleitet. I m konkreten Fall wollte er aber dann zwischen den Parteien überhaupt keinen Leihvertrag annehmen. Vielmehr habe es sich bei der kurzzeitigen Überlassung eines Pferdes um einen Vorgang rein sportskameradschaftlicher A r t ohne rechtlichen Bindungs-
357 RGZ 50, 244, 248 u. 250; RG JW 1904, 57 Nr. 10; Warn. Rspr. 1908, Nr. 477; BGH VersR 1974, 356, 357. 358 Herrmann, JR 1980, 489, 495; Schräder, NJW 1975, 676, 677; Bornhövd, VersR 1979, 398, 402; Honsell, MDR 1982, 798, 801. Früher wurde unter Bezugnahme auf die Pandektistik der Vorrang des Vertragsrechts angenommen; vgl. Blume, Recht 1905, 481, 484; Litten, DJZ 1905, 339, 341 Fn. 2. 359 Schräder, NJW 1975, 676; Bornhövd, VersR 1979, 398, 402 Fn. 55; Herrmann, JR 1980, 489, 495. 360 Vgl. Staud. / Schäfer, Vor § 823, 56; Soergel / Zeuner, Vor § 823, 36; Deutsch, Haftungsrecht, 82.
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willen (Gefälligkeit) gehandelt. 3 6 1 I n seiner späteren Grundsatzentscheidung zur Rolle des Verletztenverhaltens hat der B G H dann ausdrücklich betont, es sei offen, ob § 599 B G B den § 833 S. 1 B G B beschränke und i m Ergebnis weder Leihe noch Gefälligkeit bei der Fallösung herangezogen. 3 6 2 I n derselben Entscheidung hat der B G H mangels tatsächlicher Anhaltspunkte auch offengelassen, ob i m Falle einer Pferdepartnerschaft von Halter und Geschädigtem zur gemeinsamen Nutzung eines Pferdes die Tierhalterhaftung durch die §§ 705 B G B beeinflußt sein könnte. I n der Lit. w i r d teilweise gefordert, die Tierhalterhaftung an die Vertragshaftung anzupassen, soweit letztere z. B. durch Haftungsbeschränkungen auf Vorsatz und Fahrlässigkeit eine von § 833 S. 1 B G B abweichende Regelung vorsieht, wie bei der Tierleihe gem. § 599 B G B . Andernfalls laufe die vertragsrechtliche Vorschrift leer. 3 6 3 Mitunter w i r d erwogen, ob diese Milderung wegen § 538 B G B auch für die Vermietung von T i e r e n 3 6 4 und wegen § 680 B G B bei der Notgeschäftsführung durch den Halter gelten soll. Es w i r d auch gesagt, daß die abweichende Risikoverteilung des Vertragsrechts nur durchschlagen kann, wenn der Halter die Gefahrenquelle nicht mehr i n seinem Interesse aufrecht erhält.
2. Die Irrelevanz vertraglicher Haftungsmaßstäbe für die Gefährdungshaftung Andere Autoren wenden sich jedoch gegen die Annahme einer Auswirkung des § 599 B G B auf die Halterhaftung. Sie weisen darauf hin, daß gerade umgekehrt auch beim Bestehen eines Leihverhältnisses § 833 S. 1 B G B nicht gegenstandslos werden dürfe. 3 6 5 Regelungen wie § 599 B G B beschränkten nur das allgemeine Deliktsrecht, nicht auch die spezielle Tierhalterhaftung, denn die besondere soziale Schutzfunktion der Gefährdungshaftung dürfe auch durch ein Vertragsverhältnis nicht aus den Angeln gehoben werden. 3 6 6 Schließlich könne das Eingreifen der Gefährdungshaftung nicht von einem wirksam abgeschlossenen Leihvertrag abhängen. 3 6 7 Denn das Bestehen oder Nichtbestehen eines Vertrages sei eher zufällig. 3 6 8 Zumindest sei aber die Heranziehung von § 599 B G B deshalb abzulehnen, w e i l damit nicht für alle Vertragstypen eine angemessene Regelung zu erzielen s e i . 3 6 9 361 362 363 364 365 366 367 368 369
BGH VersR 1974, 356, 357; ähnlich Köln VersR 1976, 197, 198. BGH VersR 1977, 864, 865. RGRK/Kreft, 71; Staud. / Schäfer, 87; A K - B G B / K o h l , 10. Knütel, NJW 1978, 297, 298. Schräder, NJW 1975, 676. Bornhövd, JR 1978, 50, 53; Schräder, NJW 1975, 676. Deutsch, NJW 1978, 1998, 2001; JuS 1987, 673, 677. Deutsch, Haftungsrecht, 82. Herrmann, JR 1980, 489, 495.
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D e m ist i m Ergebnis zuzustimmen. I n den §§ 599, 680 B G B geht es nicht in erster Linie u m Haftungsausschlüsse, sondern u m die Festsetzung eines von § 276 B G B abweichenden Haftungsmaßstabs. 370 Wer überwiegend zum Vorteil eines anderen handelt, soll dabei nicht den üblichen strengen Sorgfaltsanforderungen unterliegen. Dies kann indessen nur erreicht werden, wenn man die Maßstäbe der Vertragspflichtverletzung und der Rechtsgutsverletzung harmonisiert, für den Fall daß eine Handlung gleichzeitig beides bewirkt. Dieses Problem stellt sich aber für das Verhältnis von Vertragsrecht und Gefährdungshaftung nicht i n gleicher Weise. Die Harmonisierung der Sorgfaltsmaßstäbe ist nur innerhalb der Verschuldenshaftung erforderlich. Die gesetzliche Einstandspflicht für eine Gefahrenquelle kann als solche nicht gleichzeitig zu einer vertraglichen Haftung führen, w e i l diese nur für Handlungen besteht. Wegen dieser Unabhängigkeit der Gefahrverantwortung v o m konkreten W i l l e n und dessen Vorwerfbarkeit, ist es auch sinnlos zu behaupten, wer für leichte Fahrlässigkeit nicht hafte, hafte erst recht nicht für eine Gefahrenquelle. Zwischen der Verantwortung kraft W i l lensfreiheit und der Verantwortung für eine Gefahrenquelle fehlt es an der gemeinsamen Grundlage, die ein solches „erst recht" begründen könnte. A u c h die analoge Anwendung dieser Vorschriften — etwa als Kriterien des überwiegenden Eigeninteresses unter Bezugnahme auf den N o r m z w e c k 3 7 1 — führt nicht weiter. Wenn innerhalb der Gefährdungshaftung die unentgeltliche Überlassung des Tieres an einen anderen unter dem Gesichtspunkt des überwiegenden Eigeninteresses behandelt w i r d , 3 7 2 geht es nicht mehr nur u m die Haftung gegenüber dem Entleiher, sondern allgemein u m den Übergang der Halterschaft und damit der Gefahrverantwortung auf diesen. A u c h dann führt indessen allein die unentgeltliche Nutzung eines Tieres durch den Entleiher regelmäßig noch nicht den Übergang der Halterschaft herbei und hebt daher die Verantwortung des Entleihers nicht auf, weder gegenüber diesem, noch gegenüber irgendeiner anderen Person.
I I I . Risikoübernahme innerhalb typischer Vertragsgestaltungen 1. Der zweifelhafte Ansatzpunkt der ergänzenden Vertragsauslegung Ist zwischen den Parteien ein Vertrag geschlossen, auf dessen Grundlage der Verletzte in Kontakt m i t dem Tier kommt, so könnte dieser Vertrag lückenhaft sein, wenn die Gefahrverantwortung des Halters aufgrund der Eigenart des Vertrages nicht der Interessenlage der Beteiligten entspricht. Dann w i r d durch ergänzende Vertragsauslegung der hypothetische Parteiwille ermittelt. 3 7 3 Dabei soll allein
370 Vgl. Palandt / Putzo, § 599, 1; Staud. / Reuter, § 599, 1; Soergel / Kummer, § 599, 1; RGRK/Gelhaar, § 599, 1. 371 So angedeutet in BGH VersR 1974, 356, 357; 1977, 864, 865. 372 Vgl. oben 3 § 2 A I I I 2b u. I V 2b.
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das Vorliegen eines bestimmten Vertragstyps noch nicht maßgebend sein, sondern auf die Umstände des Einzelfalles und den besonderen Inhalt der einzelnen Vertragsabrede abgestellt werden. 3 7 4 Trotz dieser Ausführungen der Rspr. läßt sich indessen nicht verkennen, daß mangels ausdrücklicher Absprachen letztlich die vertragstypischen Rechte und Pflichten der Beteiligten den entscheidenden Inhalt des jeweiligen Vertrages ausmachen. 3 7 5 Der B G H hat sich i m Bezug auf Reitunterrichtsverträge mehrfach dahin geäußert, daß die Folgen eines Haftungsausschlusses dem Verletzten deutlich vor Augen geführt worden sein müssen. 3 7 6 Würde dies zum allgemeinen Grundsatz erhoben, dann käme ein Haftungsausschluß durch ergänzende Auslegung letztlich nicht mehr in Betracht. I n Lit. und Rspr. werden Rückschlüsse auf den Parteiwillen dennoch aus einer Reihe von Kriterien gezogen, wobei erneut die selbständige Herrschaft, das Eigeninteresse und die Übernahme einer erhöhten Gefahr i m Mittelpunkt steh e n . 3 7 7 Dabei geht es i m wesentlichen um die Konstellationen, die auch schon beim persönlichen Schutzbereich eine Rolle gespielt haben: — Leistungspflichten des Verletzten am oder mit dem Tier des Halters, — Nutzungsrechte des Verletzten am Tier, — Leistungpflichten des Halters gegenüber dem Verletzten unter Verwendung seiner Tiere, wobei etwa die Mitfahrt des Verletzten i m Pferdefuhrwerk des Halters meistens der vertraglichen Grundlage überhaupt entbehrt und deshalb unter dem Aspekt der Gefälligkeit eigens behandelt w i r d . 3 7 8 Diese Überlegungen wirken i m Gewände der ergänzenden Vertragsauslegung indessen nicht überzeugender, als beim persönlichen Schutzbereich, zumal sie überwiegend Fragen der Gefahrverantwortung betreffen.
2. Leistungen an oder mit dem Tier des Halters Die ergänzende Vertragsauslegung spielt überwiegend in den Fällen eine Rolle, i n denen Personen zu Schaden kamen, die vertraglich zu Verrichtungen am Tier verpflichtet waren. 373 Herrmann, JR 1980, 489, 496; RGRK / Kreft, 67; RGRK / Steffen, Vor § 823, 62; Palandt/Thomas, 2-3; Knütel, NJW 1978, 297, 298. 374 RG JW 1904, 57 Nr. 10; 1906, 553 Nr. 22; Warn. Rspr. 1909, Nr. 212; RGZ 58, 410, 412; BGH NJW 1968, 1332. 375 Vgl. Herrmann, JR 1980,489,495. Auch das RG forscht nach dem dem besonderen Inhalt des Vertrags mit dem Tierarzt, Stallmeister oder Tiertrainer: RG JW 1904, 57 Nr. 10; 1905, 143 Nr. 22; Warn. Rspr. 1911, Nr. 29. 376 BGH VersR 1977, 864, 866; 1982, 366, 367; VersR 1988, 609, 610; vgl. Soergel / Zeuner, 23; Erman / Schiemann, 6. 377 RGZ 58, 410, 412/413; BGH NJW 1968, 1332, 1333; Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492, 1493; Knütel, NJW 1978, 297, 298; Herrmann, JR 1980, 489, 496. 378 Colmar OLG 14, 49; RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 157; Nr. 158; Nr. 353; 1909, Nr. 22; Nr. 100; Nr. 357; RGZ 65, 313, 315; 67, 431, 433; vgl. unten 4 § 4 C I.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß a) Die selbständige Herrschaft
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über das Tier
I m Zentrum der Rspr. zur ergänzenden Vertragsauslegung stehen drei frühe Entscheidungen des RG, nach denen die Halterhaftung regelmäßig vertraglich ausgeschlossen sein soll, wenn der Verletzte zur Erfüllung seiner Leistungsverpflichtung während der Vertragsdauer die volle selbständige Herrschaftsgewalt über das Tier erlangt und dem Halter keine Möglichkeit der Einflußnahme verbleibt. Dies war der Fall beim Tiertrainer, der Pferde auf Trabrennen vorbereitete. Er bekam das Tier in seine unbedingte Herrschaft, um es abzurichten. Dabei stand das Pferd ausschließlich i n seiner Gewalt und war gleichzeitig dem Einfluß des Halters entzogen. 3 7 9 Dies galt auch für einen Stallmeister der es übernahm, Pferde zuzureiten und ihnen bestimmte Fehler abzugewöhnen 3 8 0 und für den Hufschmied, der in seiner eigenen Schmiede in Abwesenheit des Halters tätig w u r d e . 3 8 1 Das Kriterium der selbständigen Herrschaft wird auch i n der Lit. von einigen Autoren hervorgehoben. 3 8 2 Die überwiegende Rspr. zur ergänzenden Vertragsauslegung beschränkt sich aber jeweils auf Ausführungen dazu, weshalb die in diesen drei Fällen ausnahmsweise angenommenen Voraussetzungen jeweils nicht vorliegen. Dabei w i r d nicht v ö l l i g klar, was unter der selbständigen Herrschaft i m einzelnen zu verstehen ist, insbesondere ob sie sich auf die soziale Unabhängigkeit des selbständigen Unternehmers bezieht, auf die Übernahme des Tieres i n den eigenen räumlichen Machtbereich oder auf die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf das Tier. Keine dieser Möglichkeiten ist letztlich überzeugend. Die volle Haftung sollte jedenfalls gegenüber solchen Personen bestehen, die in einem bloßen Arbeitsverhältnis (sozialen Abhängigkeitsverhältnis) standen, kraft dessen ihnen keine selbständige Herrschaftsgewalt über das Tier eingeräumt war, wie etwa angestellte Kutscher oder Reitknechte. Diese befassen sich m i t der Wartung von Haustieren und haben nur einzelne Arbeiten an oder m i t dem Tier zu verrichten. Sie nehmen eine unselbständige Stellung ein und haben das Tier nicht unter ihrer allein maßgebenden Herrschaft, sondern unterstehen vielmehr der Aufsicht des Dienstherrn und müssen seine Anweisungen befolgen. 3 8 3 Dasselbe galt für den Stallknecht, der beim Kupieren eines Pferdeschweifes verletzt wurde. Mitunter w i r d auch i n der Lit. darauf hingewiesen, daß gerade diese Personen auf die Halterhaftung angewiesen seien, da sie kraft „sozialen Zwangs" bzw. sozialer Abhängigkeit m i t den Tieren i n Berührung k ä m e n . 3 8 4 Es 379 RGZ 58, 410, 412/413. 380 RG JW 1905, 143 Nr. 22. 381 RG Warn. Rspr. 1912, Nr. 430. 382 Erman / Drees, 22; Palandt / Thomas, 2; RGRK / Kreft, 67; Staud. / Schäfer, 84; Herrmann, JR 1980, 489, 496; Weimar, DRiZ 1956, 198, 199. 383 RGZ 58, 410, 411/412; JW 1905, 143 Nr. 22; 392 Nr. 10; Warn. Rspr. 1909, Nr. 212. 384 Staud. / Schäfer, 83; RGRK/Kreft, 68.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
ist indessen bereits dargestellt worden, daß der soziale Zwang für die Beurteilung des Verletztenbeitrags kein Kriterium bietet. 3 8 5 A u f die Weisungsabhängigkeit des Verletzten kann es schon deshalb nicht ankommen, w e i l auch selbständige Unternehmer sich auf die Halterhaftung berufen können. A n der unbedingten auschließlichen Gewalt über das Tier, wie sie der Trainer oder Stallmeister haben, sollte es auch beim selbständigen Hufschmied fehlen, zumindest wenn der Beschlag in Gegenwart oder sogar unter M i t h i l f e des Halters erfolgte, unabhängig davon, ob sich das Tier währenddessen i m Machtbereich des Halters oder i n der eigenen Schmiede des Verpflichteten befand. 3 8 6 Der Hufschmied, der in Gegenwart des Halters nur kurzfristig an dem Tier arbeite, habe nicht die volle Herrschaftsgewalt. Die Haftung kam aber auch dem Tierarzt 3 8 7 zugute und dem Transportunternehmer, 388 der die Beförderung von Tieren übernahm. Sowohl beim Tierarzt wie beim Transportunternehmer galt dies insbesondere auch dann, wenn sich das Tier in deren Machtbereich befand, ohne daß der Halter oder eine von ihm beauftragte Person anwesend waren. Damit kann aber die selbständige Gewalt des Verletzten nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, weder bei Abwesenheit des Halters, noch beim Verbringen des Tieres i n den eigenen räumlichen Machtbereich des Verpflichteten oder bei der Herrschaft kraft unmittelbarer Einwirkung auf das Tier. I m Rahmen der Tierhalterhaftung kommt der unmittelbaren Einflußnahme auf das Tier keine haftungsrelevante Bedeutung z u . 3 8 9 A u c h die Anwendung dieser Überlegung gerade auf Personen, die Leistungen am oder mit dem Tier erbringen, überzeugt nicht. Schließlich kann auch ein Nutzungsberechtigter das Tier in seinen Machtbereich verbringen, ohne daß hieraus ein vertraglicher Haftungsausschluß abgeleitet wird. A u c h die unmittelbare Lenkung des Tieres hat keine Bedeutung. Z u m einen wurde die Haftung auch beim Hufschmied ausgeschlossen, der das Tier nicht lenkt und zum anderen hat z. B. auch ein Reiter die tatsächliche Herrschaft über das Tier inne, ohne daß hieraus ein vertraglicher Haftungsausschluß gefolgert würde. b) Der Umgang mit einer besonders erhöhten
Gefahr
Die „Herrschaft" über das Tier läßt sich aber auch noch anders verstehen. Die Tätigkeiten von Trainer, Stallmeister, Jockey oder Domteur erfordern besondere Fertigkeitkeit, Erfahrung und Geschick bei der Behandlung der T i e r e , 3 9 0 so daß 385 Vgl. oben 4 § 2 B I I I 2. 386 RG JW 1906, 553 Nr. 22; Warn. Rspr. 1911, Nr. 29; BGH NJW 1968, 1932,1933. 387 RG JW 1904, 57 Nr. 10; 1912, 797 Nr. 14; AG Berlin-Lichterfelde JW 1937, 3107 Nr. 36. 388 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 495; Hamburg VersR 1961, 643, 644. 389 Vgl. oben 4 § 2 C I V u. B I I I 2. 390 Vgl. RG JW 1905, 143 Nr. 22; 1912, 797 Nr. 14; RGRK / Kreft, 67; Herrmann, JR 1980, 489, 496; Knütel, NJW 1978, 297, 299.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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diese Verrichtungen gewissermaßen eine „artistische" Komponente haben. Hiervon könnte man Personen unterscheiden, die nur einzelne handwerkliche Verrichtungen am Tier vornehmen, 3 9 1 für welche es keiner besonderen Kunstfertigkeit gerade i m Umgang m i t der Tiergefahr bedarf, wie z. B. der Tierarzt oder der Hufschmied, bei denen gerade kein Haftungsauschluß angenommen w i r d . 3 9 2 Es ist aber fraglich, ob ausgerechnet der Tierarzt oder der Hufschmied i m Umgang mit Tieren weniger geschickt sein müssen, als ein Tiertrainer. Immerhin hat auch das R G i n einem Fall für den Hufschmied die Haftung ausgeschlossen. 393 A u c h bleibt die Frage offen, weshalb gerade die besondere Kunstfertigkeit i m Umgang mit Tieren die Haftung ausschließen soll. Dies w i r d mitunter so beantwortet, daß die vertraglich geschuldete Leistung von Trainer, Stallmeister oder Jockey typischerweise über die bloße Lenkung des Tieres hinausgeht. Der Trainer oder der Stallmeister begeben sich i n besondere Gefahr, indem sie das aggressive Tierverhalten bewußt herausfordern, 3 9 4 i m Vertrauen darauf, daß sie geschickt genug sein werden, dem A n g r i f f auszuweichen. Die Lenkung der Tiere durch diese Personen beinhaltet gegenüber dem bloßen Lenken durch den Reiter noch eine Steigerungsstufe der Gefährdung, da sie gerade darauf abzielt, verletzungsträchtiges Tierverhalten herauszufordern. Die Übergabe von Tieren an diese Personen erfolgt, damit auf die Tiernatur eingewirkt und die entsprechenden Gefahren herausgefordert werden. 3 9 5 Der Zweck solcher Verträge liegt i n der Ablichtung von Tieren, also i n der Dressur. 3 9 6 Demgegenüber erfolgt die Übergabe an Tierpfleger, Tierarzt oder Hufschmied nur wie bei einer gewöhnlichen Sache. Sie gehen kein besonders erhöhtes Risiko ein und versuchen bei ihrer Tätigkeit, das Tier gar nicht erst zu reizen. A u c h bei Verlade- und Obhutsleistungen zieht der Verletzte keine Gefahr auf sich, die über die gewöhnliche hinausgeht. 3 9 7 Er muß gerade wegen seines Dienstes am Tier der Haftung des Halters gewiß sein. Es ist indessen schon zweifelhaft, ob hier überhaupt von einer relevanten Gefahrerhöhung die Rede sein kann. Wer ein Tier nicht nur durch A b r u f von Verhaltensprogrammen lenkt, wie ein Reiter, sondern durch Dressur hierfür erst die Voraussetzungen schafft, zeichnet sich durch seine extreme Nähe zur Gefahrenquelle aus. Die Gefahr geht aber weiterhin allein v o m Tier aus. Solange der lenkende Mensch selbst keinen Fehler begeht, ist allein das Tier die Quelle der 391 RGRK / Kreft, 68; Herrmann, JR 1980, 489, 496. 392 RG JW 1911, 89 Nr. 7; BGH NJW 1968, 1932, 1933; RG JW 1904, 57 Nr. 10; 1912, 797 Nr. 14; München VersR 1991, 478. 393 RG Warn. Rspr. 1912, Nr. 430. Diese Entscheidung stammt indessen nicht vom damals hauptsächlich mit dem Haftungsrecht befaßten IV., sondern vom III. Senat. 394 Hamburg VersR 1961, 643, 644; BGH NJW 1968, 1332, 1333; Staud. / Schäfer, 82; RGRK/Kreft, 67; Bornhövd, VersR 1979, 398, 402. 395 Staud. / Schäfer, 82; Hamburg VersR 1961, 643, 644. 396 RGZ 58, 410, 412; RG Warn. Rspr. 1911, Nr. 29. 397 Hamburg VersR 1961, 643, 644.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
Gefahr, für die der Halter einzustehen hat, auch wenn aggressiv gemachte Tiere besonders gefährlich sind. Die letzte Verantwortung dafür, daß Menschen in dieser Weise m i t den von i h m gehalteten Tieren umgehen, liegt beim Halter. Dies gilt auch dann, wenn besondere Eigenschaften des Tieres gegeben sind, wenn diesem etwa ein Fehler abgewöhnt werden s o l l . 3 9 8 M a n kann auch nicht sagen, daß derjenige auf die Haftung verzichtet, der sich von Berufs wegen der Tiergefahr besonders nachhaltig aussetzt. Denn dadurch erklärt der Verpflichtete zunächst nur, daß er bereit ist, sich der Gefahr auszusetzen und das Risiko einer tatsächlichen Verletzung auf sich zu nehmen, die für sich genommen schon eine erhebliche Unannehmlichkeit darstellt, nicht aber ohne weiteres auch, daß er den Halter zusätzlich von den finanziellen Folgen der Verletzung freistellen w i l l . 3 9 9 Denn nicht nur der Verpflichtete ist sich über das Risiko i m klaren, sondern auch der Halter. Wer als Halter andere Menschen dazu veranlaßt, auf seine Tiere einzuwirken, setzt die entscheidende Ursache für deren Verletzung und mag auch den Schaden daraus tragen. Der Unterschied von Reiter und Trainer ist insofern haftungsrechtlich nicht wesentlich. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Behandlung des Jockeys, dessen Kunstfertigkeit sich nicht auf die Dressur von Tieren bezieht, sondern auf das Reiten i m Wettkampf, also in einer anerkannten Situation besonders erhöhter Gefahr. Der B G H hat dabei einen vertraglichen Haftungsausschluß überhaupt nicht i n Erwägung gezogen, i m Zusammenhang m i t dem Handeln a. e. G. aber die Frage aufgeworfen, ob mit Rücksicht auf die berufliche Notwendigkeit der Umgangs m i t Tieren die Haftung beim Halter verbleiben müsse. 4 0 0 Dies zeigt, daß der professionelle Umgang m i t Tieren i n Situationen erhöhter Gefahr gerade umgekehrt dazu führen könnte, daß die Haftung des Halters nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann. Immerhin wurde i m Zusammenhang mit dem persönlichen Schutzbereich von der Rspr. zeitweilig gerade der berufliche Umgang m i t Tieren als sozialer Zwang anerkannt, bei dem die Haftung gerade eingreifen sollte. 4 0 1 A u c h die Verpflichtung zu einer ungewöhnlich gefährlichen Tätigkeit erlaubt daher nicht den Rückschluß auf eine vertragliche Risikoverteilung, die von der üblichen abweicht, so daß sich die entsprechenden Haftungausnahmen letztlich nicht halten lassen. c) Das Eigeninteresse
des Leistungsverpflichteten
Gelegentlich w i r d auch i m Zusammenhang mit Leistungen des Verletzten darauf abgestellt, ob dessen Tätigkeit vorwiegend in seinem eigenen Interesse
398 Wie z. B. in RG JW 1905, 143 Nr. 22. Dies könnte auch im Rahmen des Handelns a. e. G. die Haftung nicht ausschließen; vgl. oben 4 § 2 D I I 2 a (3). 399 Vgl. BGH NJW 1968, 1332, 1333. 400 BGH VersR 1955, 116. 401 Vgl. oben 4 § 2 B I.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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oder in dem des Halters erfolgte. 4 0 2 Dies soll insbesondere für die Verwahrung von Tieren gelten, bei welcher der Verletzte das Tier in seine Obhut nimmt. Dies geschehe regelmäßig i m alleinigen Interesse des Halters, ob es sich nun um Verwahrung handle oder u m Geschäftsbesorgung. 403 Der Halter soll daher als Auftraggeber haften, wenn der Verletzte i n seinem Interesse und Geschäftskreis tätig w u r d e . 4 0 4 Diese Überlegung ist indessen nicht hilfreich, denn sie dient allein der Ermittlung des Halters. A u c h i m Rahmen der Gefahrverantwortung ist aber anerkannt, daß jede Verrichtung an oder m i t dem Tier letztlich i m Interesse des Halters geschieht. Eine andere Sichtweise kommt überhaupt nur bei der Nutzungsüberlassung i n Betracht. A u c h die Höhe der für die bestimmte Leistung an dem Tier vertraglich vereinbarten Vergütung ist gelegentlich als Anhaltspunkt für die Interessenverteilung und damit für eine eventuelle Risikoübernahme herangezogen worden, soweit sie über das für die geschuldete Tätigkeit üblicherweise Bezahlte hinausging. 4 0 5 Diese Überlegung läßt sich auf alle entgeltlichen Verträge anwenden, ist aber letztlich nicht zwingend. Denn ein erhöhtes Entgelt soll regelmäßig den Vertragspartner dazu bewegen, sich auf eine riskante Tätigkeit, die i m Interesse des Halters liegt, überhaupt erst einzulassen. Die zusätzliche Überwälzung tatsächlich eintretender Schäden bedarf weiterer Anhaltspunkte. 4 0 6 Zudem liegt eine solche Vereinbarung hinsichtlich der Vergütung idR genausowenig vor, wie ein wörtlicher Haftungsausschluß.
3. Nutzungsberechtigung des Verletzten a) Überwiegendes
Eigeninteresse
am Tier
Nach einer in der L i t . verbreiteten Ansicht soll die Tierhalterhaftung nicht zur Anwendung kommen, wenn sich aus der A r t des Vertrages ergibt, daß der Halter die Gefahrenquelle nicht oder nicht mehr überwiegend i m eigenen Interesse aufrecht erhält. 4 0 7 Dies soll insbesondere auch dann der Fall sein, wenn ein anderer das Tier überwiegend nutzt. A u f dieser Grundlage versuchen manche Autoren, generell eine Risikoverteilung nach Vertragstypen einzuführen, 4 0 8 was
402 Herrmann, JR 1980, 489, 496; Knütel, NJW 1978, 297, 298; Palandt / Thomas, 2; RGRK / Kreft, 67 u. 71. 403 Saarbrücken NJW-RR 1988, 1492, 1493; Herrmann, JR 1980, 489, 496. 404 Knütel, NJW 1978, 297, 298. 405 Staud. / Schäfer, 84; Hamm OLG 34, 123, 124. 406 So generell für den Umgang mit einer Gefahrenquelle z. B. BGH NJW 1968, 1332, 1333. 407 Erman/Drees, 23; Herrmann, JR 1980, 489, 496; Knütel, NJW 1978, 297, 298; Palandt/Thomas, 2-3; RGRK/Kreft, 67; mit Zweifeln MünchKomm / Mertens, 26. 408 Knütel, NJW 1978, 297, 298; Hermann, JR 1980, 489, 496-497. 20 Lorenz
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
jedoch außerhalb der Nutzungsüberlassungsverträge nicht überzeugt. Danach soll der Inhalt des Vertrages, also der gewählte Vertragstyp, über die Interessenlage der Parteien Auskunft geben, indem die zugrundeliegenden Wertungen durch ergänzende Auslegung „zuendegedacht" werden. 4 0 9 Mieter und Entleiher treten danach vorübergehend an die Stelle des Halters, übernehmen das Tier i n ihrem Interesse und lenken es nach ihrem Willen. Knütel w i l l die Entgeltlichkeit der Nutzung als Indiz für das Interesse verwenden und deshalb Miete und Leihe verschieden behandeln. Die Leihe sei ein Gefälligkeitsvertrag und geschehe nicht i m Interesse des Verleihers, wie sich schon aus § 599 B G B ergebe. Demgegenüber nutze der Vermieter das Tier weiterhin i n seinem Interesse. 4 1 0 Die Rspr. konnte bei der Leihe oder Vermietung von Pferden bisher regelmäßig keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer abweichenden vertraglichen Risikoverteilung erkenn e n . 4 1 1 A u c h für die Fälle der Nutzungsüberlassung gilt, daß zum einen das Eigeninteresse auch ohne Bemühung vertragsrechtlicher Umwege berücksichtigt werden könnte, daß es aber zudem gar kein Kriterium sein kann, welches bei der Behandlung des Verletztenbeitrages weiterführt, 4 1 2 denn es dient der Bestimmung des Halters. b) Störung des Vereinslebens Nach dem O L G Celle soll die Inanspruchnahme eines Reitvereins durch ein Mitglied, das beim Reiten eines vereinseigenen Pferdes verletzt wurde, geeignet sein, das Vereinsdenken zu stören und zu gefährden. 4 1 3 Insbesondere werde der Verein hierdurch gezwungen, sich zu versichern und die Beiträge zu erhöhen. Das Interesse an der Aufrechterhaltung des Vereinszweckes sei aber höherrangig, als das rein persönliche Einzelinteresse des Verletzten. Das Gericht hat auf die dogmatische Einordnung dieses Ausschlußgrundes verzichtet und allgemein m i t dem Grundsatz von Treu und Glauben operiert. Letztlich geht es aber auch hier u m das vertragliche Verhältnis der Beteiligten, das den Verletzten zur Nutzung des Tieres berechtigt. E i n vereinsrechtlicher Grundsatz, wonach Schadensersatzansprüche von Mitgliedern gegen den Verein das Vereinsleben stören und daher generell ausgeschlossen sind, besteht indessen n i c h t . 4 1 4 Es geht um einen Anspruch, der nicht i m Vereinsrecht wurzelt, sondern i m gesetzlichen Haftungsrecht. Das Urteil ist ein Beispiel für die A r t und Weise, in welcher gelegentlich von Lit. u. Rspr. Kriterien zur Haftungsbegrenzung eingeführt werden. Wer die Halterhaftung — aus welchen Gründen auch immer — vermeiden w i l l , kann 409 Herrmann, JR 1980, 489, 496. 410 Knütel, NJW 1978, 297, 298; RGRK / Kreft, 71. 411 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 477; LG Wiesbaden VersR 1979, 636; K G VersR 1986,
820, 821.
412 Im Ergebnis auch MünchKomm / Mertens, 26. 413 Celle VersR 1982, 704, 705. 414 Kiel, VersR 1982, 705; Geigei / Schlegelmilch, 3; 19. Aufl., 3.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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dieses Ergebnis erzielen, indem er ein beliebiges Kriterium erfindet und sich dabei möglichst auf den Normzweck beruft. Dann fällt es kaum mehr auf, wenn auf die dogmatische Herleitung des Ergebnisses überhaupt verzichtet wird. 4. Vertragsleistungen des Halters mit seinen Tieren A u c h der Halter kann seine Tiere zur Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten einsetzen. Die Rspr. hat sich häufiger mit Verträgen über die Erteilung von Reitunterricht befaßt, dabei aber einen Haftungsausschluß aufgrund dieser Verträge durchweg abgelehnt 4 1 5 und stattdessen den Gesichtspunkt des Handelns a. e. G. geprüft. K e i n vertraglicher Haftungsausschluß ergab sich auch beim Deckvertrag oder beim Aufenthalt in einem Freizeitpark. 4 1 6 I n der Lit. werden auch diese Leistungsverpflichtungen des Halters noch unter dem fragwürdigen Aspekt des überwiegenden Interesses erörtert. Stellt man bei einem Reitunterrichtsvertrag nicht allein auf die mietvertragliche Komponente ab, sondern auf die Gesamtheit der Vertragsleistungen, dann handelt es sich u m einen gemischten Vertrag m i t Schwerpunkt i m Bereich des Dienstvertrags. Soweit sich der Halter nicht nach S. 2 entlasten kann, soll es nach Knütel bei der Halterhaftung bleiben, da der Reitlehrer das Tier i n seinem Interesse einsetze. 4 1 7 Wenn der Reitunterricht unentgeltlich erfolgt, w i l l Herrmann den Halter aber nur für Vertragspflichtverletzungen einstehen lassen, weil das überwiegende Interesse dann beim Verletzten liege. 4 1 8 Das Tier kann auch in die Erfüllung von Rechtspflichten aus Geschäftsbesorgungsverträgen oder Notgeschäftsführung eingeschaltet werden. 4 1 9 Betätigte sich der Halter bei einer Rettungsaktion als Notgeschäftsführer, dann handelte er i m Interesse des Verletzten, so daß die Haftung ausscheiden soll.
C. Die Problematik isolierter rechtsgeschäftlicher Haftungsausschlüsse A u c h außerhalb einer umfassenden Sonderverbindung kann die Halterhaftung durch Vereinbarung zwischen den Parteien oder durch einseitige Erklärungen ausgeschlossen werden. Die ausdrückliche Freistellung spielt indessen auch hier in der Rspr. regelmäßig keine Rolle. Es geht vielmehr um den stillschweigenden Haftungsausschluß aufgrund von Umständen i m Zusammenhang m i t der Kontaktaufnahme der Beteiligten. A u c h gegen diese Überlegungen zur Gefälligkeit und zur Einwilligung bestehen indessen erhebliche Bedenken. 415 Düsseldorf VersR 1975, 1153, 1154; Köln VersR 1977, 938; BGH VersR 1977, 864, 866; 1982, 366, 367; 1988, 609, 610. 416 Karlsruhe DJZ 1906, 1379; BGH VersR 1976, 1175, 1177. 417 Knütel, NJW 1978, 297, 298. 4iB Herrmann, JR 1980, 489, 497. 4i9 Knütel, NJW 1978, 297, 298. 20*
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag I . Gefälligkeit 1. Stillschweigender vertraglicher Haftungsausschluß bei Gefälligkeit a) Die vertragslose Leistung und der vertragliche Haftungsausschluß
Überlegungen zum stillschweigenden Haftungsausschluß außerhalb bestehender Verträge haben in der Rspr. zunächst bei der unentgeltlichen Mitnahme i m Pferdefuhrwerk Bedeutung erlangt. 4 2 0 Dabei sollte es sich hinsichtlich der Mitnahme u m eine bloße Gefälligkeit handeln, bei der es am rechtsgeschäftlichen Bindungswillen der Beteiligten regelmäßig fehlte. 4 2 1 Darüber hinaus ist die Gefälligkeit später auch in anderen Fällen des Umgangs mit Tieren i n Betracht gezogen w o r d e n , 4 2 2 insbesondere dann, wenn dem Verletzten unentgeltlich die Herrschaft über ein Pferdegespann oder ein Reitpferd überlassen wurde. Dabei handelte es sich nicht u m einen Vertrag, sondern u m einen rein tatsächlichen Vorgang sportskameradschaftlicher oder gesellschaftlicher Art. Fehlte es an der Unentgeltlichkeit oder bestand ein Rechtsbindungwille der Beteiligten, dann bestand auch ein Vertragsverhältnis (z. B. Miete oder Leihe) und es ging u m dessen ergänzende Auslegung. 4 2 3 War der Bestand eines Gefälligkeitsverhältnisses und damit das Fehlen eines Vertragsverhältnisses festgestellt, dann war i n einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob die Parteien sich i n einem isolierten Enthaftungsvertrag zumindest über den Ausschluß der Haftung geeinigt hatten. 4 2 4 Dabei war die Rspr. stets der Auffassung, daß allein das Vorliegen einer Gefälligkeit noch nicht ausreicht, u m deshalb auch einen Haftungsausschluß anzunehmen, sondern daß auf den insoweit erklärten W i l l e n der Parteien, auf die Verkehrssitte und die Umstände des Einzelfalles abzustellen sei. 4 2 5 E i n genereller Enthaftungswille könne nicht angenommen werden. Sei nichts besprochen worden, so deute das Verhalten der Parteien nicht durchweg auf eine Willenseinigung hin. A l s besonderer Umstand könne von Bedeutung sein, ob das Mitfahren i m Interesse des einen oder anderen Teils geschehe, insbesondere ob auf Einladung des Fuhrwerksbesitzers oder Ersuchen des Verletzten. Dies führe aber nicht zum Haftungsausschluß, 420 RGZ 67,431,434; RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 157; Nr. 158; Nr. 353; 1909, Nr. 22; Nr. 100; Nr. 357. 421 Staud. / Schäfer, Vor § 823, 57 u. 64; vgl. vorherige Fußnote. 422 BGH VersR 1974, 356, 357; LG Wuppertal VersR 1975, 435; Celle VersR 1986, 396; Köln VersR 1989, 62. 423 RGZ 65, 313, 314; RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 477; BGH VersR 1977, 864, 865; München VersR 1981, 937; 1987, 493. 424 RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 157; Nr. 158; Nr. 353; 1909, Nr. 357. 425 RGZ 65, 313, 315; 67,431,434; Warn. Rspr. 1908, Nr. 353; LG Wuppertal VersR 1975, 435.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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wenn die Mitfahrt i m beiderseitigen Interesse gelegen habe. 4 2 6 Anläßlich von Mitfahrten i m K f z ist aber auch entschieden worden, daß die Anforderungen an die Feststellung eines entsprechenden Parteiwillens bei unentgeltlicher Mitnahme regelmäßig geringer seien, 4 2 7 als bei entgeltlicher Mitnahme, also bei der ergänzenden Auslegung eines Beforderungsvertrages, weil die Gefälligkeitsmitnahme zumeist i m Interesse des Mitgenommenen liege. b) Abschluß einer Versicherung
als Indiz der Interessenlage
Das Bestehen einer Haftpflichtversicherung beim Halter soll u. U. gegen einen stillschweigenden Haftungsausschluß sprechen, 4 2 8 jedenfalls wenn der Vertragspartner davon wußte. Dies ist zuerst bei der unentgeltlichen Mitfahrt i m Pferdewagen, dann aber auch bei der Überlassung eines Pferdes zum selbständigen Ausritt in Betracht gezogen worden. Obschon es dabei zunächst u m Gefälligkeiten ging, sind diese Überlegungen i n gleicher Weise auf die ergänzende Auslegung bestehender Verträge anwendbar. 4 2 9 Es geht u m den Grundsatz von Treu und Glauben. Der Halter soll sich widersprüchlich verhalten, wenn er mit seiner Haftung rechnet und sich daher versichert, die Haftung aber dann i m konkreten Fall ausschließt. Der Vertragspartner könne darauf vertrauen, daß bei einem Unglück nicht der Halter persönlich, sondern die Versicherungsgesellschaft den Schaden tragen werde. Er habe keinen Anlaß gehabt, von vornherein auf Ersatz zu verzichten. 4 3 0 Nach anderer Ansicht soll eine abgeschlossene Versicherung i m Zweifel dahin auszulegen sein, daß der Halter die Haftung ausschließen w i l l , soweit die Versicherung das Risiko nicht deckt. 4 3 1 Diese Überlegungen sind indessen nicht überzeugend. Z u m einen hat der Halter die Versicherung nicht i m Bezug auf einen bestimmten Einzelfall abgeschlossen, sondern vorbeugend gerade für die Fälle, in denen er die Gefährdungshaftung nicht ausschließen kann. Da die Haftung für Tierschäden wegen der fehlenden Haftungshöchstsumme eine ganz besondere Belastung darstellen kann, w i r d letztlich jeder Halter eine Versicherung abschließen. U m sich vor einer möglicherweise ruinösen Einstandspflicht zu bewahren, handelt er dabei i m eigenen Interesse, nicht i n dem des Verletzten. I n dieser Lage ist das Bestehen einer Versicherung der Normalfall und deren Fehlen bestenfalls ein Anzeichen mangelnder wirtschaftlicher Vernunft des Halters, gibt aber keineswegs einen Anhaltspunkt für 426 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357. In BGH VersR 1974, 356, 357 zeigt sich indessen die Schwierigkeit dieser Interessenfeststellung; vgl. oben 4 § 2 C I. 427 RGZ 128, 229, 232; BGHZ 2, 159, 160. 428 Geigei/Schlegelmilch, 12. Kap., 31; MünchKomm / Mertens, 26; RGRK / Kreft, 72; Schmid, JR 1976, 274, 277; Bornhövd, JR 1978, 50, 54; RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 353; 1909, Nr. 22; Nr. 100. 429 Vgl. z. B. BGH VersR 1977, 864, 866; Bomhövd, JR 1978, 50, 54. 430 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 100. 431 Bornhövd, JR 1978, 50, 54.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
die Interessenlage der Parteien. 4 3 2 Diese ist vielmehr i n allen Fällen gleich. Daher spricht auch eine Unfallversicherung zugunsten des Verletzten nicht zwangsläufig für einen Haftungsausschluß. 433 Sie gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß er deshalb auf den möglicherweise weitergehenden Schadensersatzanspruch verzichten will. c) Literaturansichten
zum Haftungsausschluß
Die Lit. äußert sich zum Haftungsausschluß bei Gefälligkeitsverhältnissen in der Tierhalterhaftung nur am Rande. Sie unterscheidet insbesondere regelmäßig nicht klar zwischen unentgeltlichen Verträgen und Gefälligkeitsverhältnissen, sowie zwischen dem Gefälligkeitsverhältnis und der eigenständigen Frage des Haftungsausschlusses. Teilweise w i r d ein Haftungsausschluß bei Gefälligkeit ohne weiteres in Betracht gezogen. 4 3 4 Nach anderen Autoren soll es, wie in der Rspr., auf die Umstände des Einzelfalles ankommen. 4 3 5 Die allgemein für Gefälligkeitsfahrten maßgeblichen Überlegungen werden dabei auf andere Gefälligkeitserweise übertragen, etwa auf die Überlassung eines Reitpferdes. 4 3 6 Danach führt die Gefälligkeit nicht automatisch zum Haftungsausschluß, sondern nur ausnahmsweise bei besonderen Gegebenheiten. Für einen Haftungsausschluß ist dann — da reine Fiktion — i n aller Regel kein Raum. Grundsätzlich gegen den Haftungsausschluß w i r d auch eingewendet, daß bei Gefälligkeit mangels Vertrages zwar die Vertragshaftung ausgeschlossen sei, die außervertragliche Haftung aber eben unberührt bleibe. 4 3 7
2. Die Art und Weise der Gebrauchsüberlassung als Kriterium des persönlichen Schutzbereichs Der B G H hat zwar für die Mitnahme i m K f z die Anforderungen noch weiter verschärft. Danach müsse der weit verbreiteten Annahme vertraglicher Haftungsausschlüsse grundsätzlich entgegengetreten werden, denn dabei handle es sich regelmäßig u m eine bloße F i k t i o n . 4 3 8 Für den Bereich des Tierschadensrechts hat er dann aber i m Pferdepartnerschaftsfall den bisher bestehenden Zusammenhang von Gefälligkeitsverhältnis und isolierter vertraglicher Haftungsfreizeichnung überhaupt aufgehoben. Dort sieht er die unentgeltliche Gebrauchsüberlas432 Vgl. RG Warn. Rspr. 1908, Nr. 353; Erman/Drees, 21. 433 BGH VersR 1982, 366, 367 (für den Fall eines Reituntenichts Vertrages). 434 A K - B G B / K o h l , 10; Erman/Drees, 23; Schmid, JR 1976, 274, 277. 435 Staud. / Schäfer, 86-86 a; RGRK / Kreft, 72 u. nächste Fußnote. 436 Vgl. Staud. / Schäfer, 86-86a u. Vor § 823, 65-68; Soergel / Zeuner, 22-23 u. Vor § 823,55 - 56; RGRK / Kreft, 72 u. RGRK / Steffen, Vor § 823,64; Geigei / Schlegelmilch, 12. Kap., 28-29. 437 Bornhövd, JR 1978, 50, 53; VersR 1979, 398, 402. 438 BGH VersR 1966, 40, 41.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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sung ohne rechtlichen Bindungswillen i m Zusammenhang m i t dem Schutzzweck der Norm, wonach sich auch aus der A r t und Weise der Gebrauchsüberlassung ein Haftungsausschluß ergeben k a n n . 4 3 9 Dabei geht es unausgesprochen letztlich um das überwiegende Interesse des unentgeltlich Nutzenden. Dies hat zur Folge, daß der Anwendungsbereich der Gefälligkeit damit auf weitere Fälle der Tiernutzung jenseits der Mitfahrt erweitert wurde und es der Feststellung des rechtsgeschäftlichen Parteiwillens dabei nicht mehr bedarf, da es allein u m die Interessenlage der Beteiligten geht. Dem sind manche Gerichte gefolgt, 4 4 0 während andere nach wie vor auf die Erklärungen der Parteien abstellen und das Vorliegen einer Gefälligkeit allein noch nicht ausreichen lassen w o l l e n . 4 4 1 Diese Rspr. des B G H ist insofern zu begrüßen, als darin ein Abrücken von der Fiktion des rechtsgeschäftlichen Haftungsausschlusses bei Gefälligkeit liegt. Darüber hinaus sollte aber die Gefälligkeit auch unter dem Gesichtspunkt des überwiegenden Eigeninteresses keine Rolle mehr spielen, da auch der B G H selbst nicht mehr auf das Eigeninteresse zurückgreift. 4 4 2 Dies müßte genauso für die Gefälligkeit als dessen Indiz gelten.
I I . Einwilligung Die Einwilligung ist innerhalb der Verschuldenshaftung ein anerkannter Rechtfertigungsgrund und kommt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung zustande. 4 4 3 I m Unterschied zur vertraglichen Freizeichnung geht die Initiative v o m Verletzten selber aus und es bedarf keiner Einigung. Diese Überlegung wurde v o m R G zunächst insbesondere auch für Haftungsausschlüsse bei Mitfahrten i m K f z nutzbar gemacht, 4 4 4 in denen es sich unter der Bezeichnung des Handelns a. e. G. von den Voraussetzungen der vertraglichen Einigung lösen wollte. E i n Mitfahrer, der sich der hiermit verbundenen besonderen Gefahr bewußt sei, willige gleichzeitig auch in eine Körperverletzung ein, die möglicherweise während der Fahrt eintrete. 4 4 5 Der B G H hatte sich dem zunächst angeschlossen, 4 4 6 später jedoch das Handeln a. e. G. bei der Mitfahrt i m K f z als Fall des § 254 B G B , bei sportlichen Wettkämpfen auch unter dem Gesichtspunkt des § 242 B G B erörtert. Der Verletzte setze sich m i t seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er sich in eine besondere Gefahr begebe und dann Ersatz für hieraus entstehende Schäden fordere. Die rechtsgeschäftliche Einkleidung 439 BGH VersR 1977, 864, 865. 440 München VersR 1981, 937; 1987, 493; Celle VersR 1986, 396. 441 Köln VersR 1989, 62. 442 BGH VersR 1978, 515; vgl. oben 4 § 2 C IV. 443 RGZ 141, 262, 265; Staud. / Schäfer, Vor § 823, 456. 444 RGZ 145, 390, 394; JW 1934, 2033 Nr. 1; 1938, 2354 Nr. 35; vgl. oben 4 § 3 D II lb. 445 RGZ 141, 262, 265; Flad, Recht 1919, 13. 446 BGHZ 2, 159, 162; VersR 1952, 420; 1956, 574.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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des Handelns a. e. G. erschien dem Gericht als nicht mehr passend. 4 4 7 I n den Fällen der untentgeltlichen Mitfahrt ging es regelmäßig u m den Ausschluß der Verschuldenshaftung, da wegen § 8a StVG für Mitfahrten i m K f z die Haftung nach dem S t V G ohnehin nicht in Betracht kam. A u c h i n der Lit. ist die stillschweigende rechtfertigende Einwilligung für diese Fälle des Handelns a. e. G. stets auf K r i t i k gestoßen. 4 4 8 I m Zusammenhang der Tierhalterhaftung wurde das Handeln a. e. G. von der Rspr. indessen regelmäßig ohne Bezugnahme auf die Einwilligung erörtert. 4 4 9 Schon das R G und dann auch der B G H haben für diesen Bereich des Haftungsrechts das Handeln a. e. G. als Problem der Haftungsbeschränkung nach dem Sinn und Zweck der N o r m eingeordnet. 4 5 0 Soweit sich einige Gerichte auch i m Tierschadensrecht dennoch zur Einwilligung äußern, w i r d sie teils als künstliche Unterstellung verworfen, 4 5 1 teils aber auch als Möglichkeit diskutiert. 4 5 2 Dies ist problematisch, denn für die Gefährdungshaftung sind Fragen der Rechtswidrigkeit letztlich nicht relevant, so daß die Einwilligung eigentlich keine Funktion haben kann. A u c h die Spezialliteratur zur Tierhalterhaftung lehnt die Einwilligung a b . 4 5 3 Selbst bei gefährlichen Sportarten sei die Annahme einer Einwilligung in die Verletzung eine unzulässige Fiktion. Die E i n w i l l i g u n g i n den T o d oder schwere Verletzungen sei rechtlich unbeachtlich. Die Rechtswidrigkeit könne schon deswegen nicht durch Einwilligung entfallen, weil die Gefährdungshaftung keine Rechtswidrigkeit voraussetze. Bei diesen Erörterungen w i r d aber nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Rspr. das Handeln a. e. G. i m Rahmen der Tierhalterhaftung von Anfang an unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schutzbereichs und nicht unter dem der Einwilligung gesehen h a t . 4 5 4 Die E i n w i l l i gung sollte daher i m Tierschadensrecht überhaupt nicht mehr als maßgeblicher Gesichtspunkt erwähnt werden.
D. Die Verzichtbarkeit des Rückgriffs auf den Parteiwillen Gegen die Bezugnahme auf den Parteiwillen bei der Berücksichtigung des Verletztenbeitrags bestehen demnach grundsätzliche Bedenken. 447 BGH VersR 1961, 284, 285; 1974, 356; 1975, 137; vgl. schon BGH VersR 1958, 377, 379. 448 Zur Argumentation vgl. BGH VersR 1961, 284, 285; Bemmann, VersR 1958, 585; Böhmer, VersR 1957,205; 1959,746; Wangemann, NJW 1955,85; MDR 1956,385. 449 Vgl. BGH VersR 1955,38,39; 1955,116; anders aber BGH VersR 1956,574,576. 450 RG Warn. Rspr. 1909, Nr. 357; BGH VersR 1977, 864, 865; vgl. oben 4 § 2 D II lc. 451 Düsseldorf VersR 1975, 1153; Köln VersR 1977, 938. 452 Hamburg VersR 1982, 706; LG Stade NdsRPfl 1983, 156. 453 Bomhövd, VersR 1979, 398, 400; Hermann, JR 1980, 489, 493; Schräder, NJW 1975, 676, 677. 454 BGH VersR 1977, 864, 865; vgl. oben 4 § 2 D I I l c .
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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I. Haftungsbegrenzung durch Ermittlung des Parteiwillens Haftungsbeschränkungen können sowohl aus dem Normzweck der Tierhalterhaftung hergeleitet werden, wie aus dem rechtsgeschäftlichen W i l l e n der Parteien. Die rechtsgeschäftliche Risikoverteilung kann von der gesetzlichen abweichen und sie verdrängen. Haben die Beteiligten eine ausdrückliche vertragliche Regelung getroffen, so geht diese der gesetzlichen Risikoverteilung nach dem Normzweck des § 833 S. 1 B G B vor. Dieser Fall ist unproblematisch. I n den meisten entschiedenen Fällen besteht eine ausdrückliche Regelung aber gerade nicht. A u f der Suche nach den Grenzen der Halterhaftung wechselt man von der gesetzlichen Risikoverteilung auf die rechtsgeschäftliche Ebene über. Indem man nicht mehr nach dem Normzweck fragt, sondern nach dem Parteiwillen, w i r d durch Auslegung entweder ein bestehender Vertrag u m eine Regelung zur Risikoverteilung ergänzt oder eine rechtsgeschäftliche Haftungsbegrenzung überhaupt erst konstruiert.
II. Die Unselbständigkeit der Kriterien für die vertragliche Risikoverteilung Ist das Tier i n die Erfüllung eines Vertrages eingeschaltet, dann besteht eine besonders enge Beziehung der Parteien, schon bevor die Verletzung eintritt. Die Vertragspartner haben den Umgang m i t dem Tier einem Sonderreglement i n Form eines bestimmten Vertragstyps unterworfen. Fraglich ist dann, ob sich aus der Vertragsregelung Anhaltspunkte für die Verteilung des Verletzungsrisikos ableiten lassen. Dabei erweist es sich jedoch nicht als gangbarer Weg, die allgemeinen Selbstschutzobliegenheiten des Verletzten zu vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten aufzuwerten. 4 5 5 Dadurch würde § 254 B G B für den Bereich des Vertragsrechts außer Anwendung gesetzt. A u c h die Vorschriften der §§ 599, 6 0 0 , 5 3 8 , 6 8 0 B G B regeln nur den Sorgfaltsmaßstab für das Handeln des Verletzten und können sich daher auf die Gefahrverantwortung des Tierhalters nicht auswirken. 4 5 6 E i n Vertragstyp, nach dem Gegenstände jeder A r t behandelt werden, enthält eben nicht von vornherein Regelungen, die auf die Interessenlage von Tierhalter und Verletztem zugeschnitten sind. Zur Klärung dieser Interessenlage w i r d daher auch bei Vertragsverhältnissen i m Wege der ergänzenden Auslegung auf eine Reihe von Kriterien zurückgegriffen, die sich i m wesentlichen m i t der Stellung des Verletzten i m Bezug auf das Tier befassen: — Die räumliche Nähe zur Gefahrenquelle, verbunden m i t der Möglichkeit tatsächlicher Einwirkung durch den Verletzten (eigener Machtbereich),
455 Vgl. oben 4 § 4 B I 3. 456 Vgl. oben 4 § 4 B I I 2.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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— die Nutzung des Tieres i m überwiegenden Eigeninteresse (Gefälligkeit, Entgeltlichkeit, Höhe des Entgelts), — den bewußten Eintritt i n eine Situation besonders erhöhter Gefahr (erhöhte Vergütung, bewußte Übernahme erhöhter Gefahr, berufliche Notwendigkeit, soziale Abhängigkeit). Deren Übereinstimmung mit den Kriterien, die sich schon bei der Begrenzung des persönlichen Schutzbereichs und bei der Mitverursachung ergeben haben, ist offensichtlich. Es geht dabei letztlich gar nicht mehr um den Vertragsinhalt, sondern um die tatsächliche Situation, für welche die vertragliche Vereinbarung ihrerseits nur ein Indiz ist, die aber auch ohne jede vertragliche Regelung gegeben wäre. M a n könnte dies auch so erklären, daß dieselbe Interessenverteilung zwischen Halter und Verletztem, die der Schaffung des Gefährdungstatbestandes in § 833 S. 1 B G B zugrundeliegt, 4 5 7 letztlich auch die vertraglichen Beziehungen der Parteien beherrscht. Der Halter nutzt sein Tier und bestimmt über dieses, indem er Verrichtungen vornehmen läßt oder die Nutzung weiterüberträgt und hierüber Verträge schließt. Der verletzte Vertragspartner befindet sich demgegenüber in der schwächeren Position, solange er nicht selber zum Halter wird. Die vertragliche Risikoverteilung entspricht — soweit keine ausdrücklichen Vereinbarungen bestehen — der gesetzlichen. Dies w i r d am deutlichsten dadurch, daß i n beiden Fällen dieselben Überlegungen angestellt und dieselben Abwägungskriterien herausgearbeitet wurden. Die Nähe zum Tier und dessen Beherrschung, wie auch das Interesse an seiner Nutzung sind Probleme der Gefahrverantwortung und daher für die Beurteilung der Relevanz des Verletztenbeitrags i m Bezug auf den Erfolg nicht hilfreich. A u c h beim Rückgriff auf den Parteiwillen bleibt daher nur die Übernahme einer erhöhten Gefahr durch den Verletzten als mögliches Kriterium. Es bringt aber keinen Fortschritt, wenn dieses Problem i m Gewand einer fiktiven vertraglichen Regelung einhergeht. Es w i r d gefragt, was die Parteien gewollt hätten, wenn eine ausdrückliche Einigung erzielt worden wäre. Dann hätten sie diejenige Risikoverteilung gewählt, die sich aus der Situation ergibt, die stets i m Umgang m i t Quellen erhöhter Gefahr besteht und daher der Halterhaftung zugrunde liegt. Die Entwicklung von Anhaltspunkten für den Parteiwillen erscheint als überflüssiger Umweg. Da die fingierte Vertragsergänzung keinem anderen Zweck dient, als die gesetzliche Risikoverteilung des § 833 S. 1 B G B zur Geltung zu bringen, liegt es nahe, auf vertragliche Konstruktionen überhaupt zu verzichten.
457 Vgl. oben 1 § 2 B I 2-3.
§ 4 Der rechtsgeschäftliche Haftungsausschluß
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III. Die Irrelevanz isolierter rechtsgeschäftlicher Haftungsausschlüsse Dieser Umstand erklärt auch die wechselnde dogmatische Einordnung, welche gerade die Überlegungen zum isolierten Haftungsausschluß i n der Rspr. erfahren haben. Deren dogmatischer Standort hat i m Laufe der Zeit grundlegend gewechselt. Der Haftungsausschluß bei bloßen Gefälligkeiten wurde zunächst dem Vertragsrecht, später aber dem persönlichen Schutzbereich zugeordnet. 4 5 8 A u c h beim Handeln a. e. G. wurde für Mitfahrten i m K f z zunächst die rechtsgeschäftlichen Einwilligungslösung vertreten, während der B G H später zu § 254 B G B überwechselte und in Tierschadensfällen auf den Schutzzweck der N o r m zurückgreift. Die Rspr. hat damit die Ersetzbarkeit und letztlich die Überflüssigkeit rechtsgeschäftlicher Erwägungen i m Bezug auf den Beitrag des Verletzten demonstriert. Die Überlegungen zur Einwilligung und zur Gefälligkeit sind Interpretationsweisen des freiwilligen Eintritts i n eine Situation erhöhter Gefahr, die heute allgemein als Frage des Normzwecks gesehen w i r d . 4 5 9 Es ist nicht überzeugend, wenn der Parteiwille durch einen stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluß ins Spiel gebracht wird. Mangels vertragstypischer Regelungen kann der einzige Anhaltspunkt für den rechtsgeschäftlichen W i l l e n von vornherein nur in der objektiven Risikoverteilung zwischen den Beteiligten liegen, wie sie auch schon v o m Gesetz vorgenommen wird.
IV. Die Übereinstimmung von fingiertem Parteiwillen und Normstruktur Die rechtsgeschäftliche Verkleidung für die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags ist indessen nicht nur eine Frage der Effizienz. Gegen diese Tendenz bestehen vielmehr auch grundsätzliche Bedenken. Für die Gefährdungshaftung spielt der menschliche W i l l e bei der Haftungsbegründung schon i m Ansatz keine Rolle. Das Ausweichen ins Vertragsrecht erweckt indessen den Eindruck, als ob die dogmatischen Folgerungen aus dieser Vorgabe gescheut würden. Die Gefährdungshaftung w i r d „ins L o t " gebracht und nachgebessert, indem man den W i l l e n in der Form des vertraglichen Parteiwillens doch noch ins Spiel bringt und die gesetzliche Risikoverteilung durch eine fiktive Einigung der Parteien überspielen w i l l . Dadurch werden die eigentlichen Fragen der Gefährdungshaftung verdeckt, ohne daß sie letztlich umgangen werden können. Da man sich bei der Risikoverteilung auch dann letztlich nur an der objektiven Interessenlage orientieren kann, ergeben sich genau die Gesichtspunkte, die schon der Gefährdungshaftung des Halters zugrundeliegen. Damit w i r d bestätigt, daß die Form, welche die Halterhaf-
458 Vgl. oben 4 § 4 C I. 459 Stoll, Handeln, 93.
4. Teil: Der Verletztenbeitrag
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tung durch Rspr. u. L i t . gefunden hat, der Interessenlage der Beteiligten gerecht wird. Diese sollte ohne vertragliche Verkleidung sofort i n den Mittelpunkt gestellt werden.
§ 5 Die haftungsrechtliche Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung auf den Verletztenbeitrag im Tierschadensrecht Die Berücksichtigung des Verletztenbeitrages bildet den Schlußstein im Ordnungsgefüge des Tierschadensrechts. Die Tiergefahr hat die Zuordnung von Verletzung und Gefahrenquelle ermöglicht, die Halterschaft hat die Verbindung zwischen Gefahrenquelle und Verantwortlichem hergestellt. Dem Gefahrbeitrag des Tierhalters stehen schließlich die Beiträge des Verletzten gegenüber. Dieser ist ausnahmsweise nicht schutzwürdig, wenn er an der Verletzung durch zusätzliche Beiträge, die er selbst verantworten muß, i m maßgeblicher Weise mitgewirkt hat.
A. Die Grundüberlegungen zur Berücksichtigung des Verletztenbeitrags U m gegenüber dem Gefahrbeitrag des Tierhalters überhaupt Berücksichtigung zu finden, muß auch der Verletztenbeitrag i n entsprechender Weise haftungsrelevant sein, wie der Beitrag des Halters. I n Frage kommen daher die M i t w i r k u n g einer Gefahrenquelle oder von Handlungen des Verletzten. Eine Gefahrenquelle ist dem Verletzten zuzuordnen, soweit i h m die Verantwortung hierfür durch Gesetz auferlegt ist, für sein eigenes Handeln trifft ihn die Verantwortung, soweit er dabei gegen die zu seinem eigenen Schutz gebotene Sorgfalt verstößt. Die Berücksichtigung des Verletztenbeitrags erfolgt demnach in drei Schritten: — Einer oder mehrere Umstände, die zur Verletzung beigetragen haben, gehören zum Verantwortungsbereich des Halters (Halterbeitrag). Dies umfaßt insbesondere seine Verantwortlichkeit für tierisches Verhalten. — Eine oder mehrere Umstände, die zur Verletzung beigetragen haben, gehören zum Verantwortungsbereich des Verletzten (Verletztenbeitrag). Dies bedeutet, daß die Verletzung haftungsrechtlich — zumindest auch — dieser Ursache zuzurechnen ist und daß diese ihrerseits dem Verletzten zugeordnet werden kann, sei es als Handlung oder als Gefahrenquelle. — Das haftungsrechtliche Gewicht des Verletztenbeitrages gegenüber dem Halterbeitrag ist festzustellen (Abwägung).
§ 5 Die Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung
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B. Die dogmatische Bewältigung des Verletztenbeitrags Dieser Funktionszusammenhang w i r d in Rspr. u. L i t . durch drei dogmatische Ansätze verwirklicht, die unabhängig voneinander Anwendung finden. Es geht u m den persönlichen Schutzbereich (Gefahrabwägung), den vertraglichen Haftungsausschluß und die Mitverursachung gem. § 254 B G B . 4 6 0
I . Der Verletztenbeitrag als Grenze der Gefahrzurechnung Der Verletztenbeitrag kann als Frage der Gefahrzurechnung behandelt werden. M a n geht davon aus, daß der Halter nur dann haften soll, wenn die Verletzung gerade auf das Tierverhalten zurückgeht und nicht auf die M i t w i r k u n g des Verletzten. I n Entsprechung zur Tiergefahr, die den sachlichen Schutzbereich umschreibt, w i r d das Merkmal des persönlichen Schutzbereichs i n den Haftungstatbestand eingeführt. Die Halterhaftung ist ausgeschlossen, wenn der Verletzte selbst einen so gewichtigen Beitrag zu seiner Verletzung leistet, daß sein Schutz durch § 833 S. 1 B G B nicht mehr als gerechtfertigt erscheint. Dann geht es um die Entwicklung von Kriterien für die Grenze der Gefahrzurechnung aufgrund der M i t w i r k u n g des Verletztenbeitrags.
Verletztenbeitrag X
Gefahrzurechnung X Halter
X Tierverhalten
>X Verletzung
Schema Nr. 13
Die i n Rspr. u. Lit. hierfür verwendeten Überlegungen unterliegen indessen durchweg Bedenken. 4 6 1 Wenn die Gefahrbeherrschung und das überwiegende Nutzungsinteresse des Verletzten herangezogen werden, dann handelt es sich um die mißbräuchliche Verwertung der Strukturelemente, welche zusammen die Gefahrverantwortung begründen, über die Schutzwürdigkeit des Verletzten aber nichts aussagen. A u c h die sozial erzwungene Nähe zum Tier oder der Umgang m i t diesem sind nicht geeignet, die Haftung aufzuheben, denn auf die tatsächliche körperliche Nähe zur Gefahrenquelle oder auf die Motivation für den Kontakt 460 Vgl. oben 4 § 2-4. 461 Vgl. oben 4 § 2 E.
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4. Teil: Der Verletztenbeitrag
mit dem Tier kommt es für die Schutzwürdigkeit des Verletzten i n der Gefährdungshaftung nicht an. Diese Fälle sind vielmehr notwendig mit der Nutzung des Tieres durch den Halter verbunden und werden als der Normalfall angesehen. Daher bleibt als Abwägungskriterium i m Rahmen der Gefahrzurechnung letztlich nur das Handeln a. e. G., also der Eintritt in eine Situation besonders erhöhter Gefahr, die nicht allein auf dem Tierverhalten beruht, sondern auf anderen Ursachen. Diese mögen in besonderen Eigenschaften des Tieres, in der Person des Verletzten oder in Gegebenheiten liegen, die i m ganzen weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen (WettkampfSituation). A u c h dabei w i r d aber nicht allein auf den Eintritt in die Situation abgestellt, sondern auf den bewußten Eintritt. A l l e Überlegungen, die darauf abzielen, daß der Verletzte nicht schutzwürdig, sondern i n gewisser Weise an seiner Verletzung auch „selbst schuld" ist, knüpfen die Verantwortung letztlich an dessen konkretes willensbestimmtes Handeln. Dies ist aber allein i m Rahmen der Gefahrzurechnung, als eines Falles der objektiven Zurechnung, nicht zu bewältigen. Es paßt nicht in den Rahmen eines Gefährdungstatbestandes, 462 wenn der Verletzungserfolg eines konkreten Handelns m i t dem einer Gefahrenquelle verglichen wird. Die Unlösbarkeit dieses Problems i m Rahmen der Gefahrzurechnung hat sich schon beim Merkmal der Tiergefahr erwiesen. 4 6 3 Die Überlegungen zum vertraglichen Haftungsausschluß zeigen demgegenüber eine erstaunliche Übereinstimmung m i t denen zum persönlichen Schutzbereich, sowohl was das Ergebnis des völligen Haftungsausschlusses, wie auch was die verwendeten Kriterien betrifft. Die vertragliche Risikoverteilung geht zwar der gesetzlichen Halterhaftung vor. Indessen behandeln Rspr. u. Lit. zumeist den stillschweigenden Haftungsausschluß. Dabei geht es um die ergänzende Auslegung bestehender Verträge oder die Konstruktion von isolierten rechtsgeschäftlichen Haftungsausschlüssen. Zur Ermittlung des Parteiwillens w i r d dabei auf Kriterien zurückgegriffen, wie die räumlichen Nähe zur Gefahrenquelle, die Gefahrbeherrschung, das Eigeninteresse oder die besondere Gefahrerhöhung. Deren Übereinstimmung mit den Kriterien des persönlichen Schutzbereichs zeigt, daß die Ermittlung des Parteiwillens letztlich auf denselben Überlegungen beruht, die auch in die Normstruktur des § 833 S. 1 B G B eingegangen sind. Es fehlt an eigenständigen Orientierungshilfen für die Verteilung des Verletzungsrisikos durch Tiere aus dem Bereich des Vertragsrechts. M a n kann dies auch so sehen, daß die Parteien eine bestimmte vertragliche Gestaltung mit Rücksicht auf die Vorgaben wählen, die sich aus der besonderen Gefährlichkeit von Tieren ergeben und daher auch der Gefährdungshaftung zugrundeliegen. Der U m w e g über das Vertragsrecht und die Ermittlung eines hypothetischen Parteiwillens ist insofern überflüssig. 4 6 4 462 Vgl. oben 2 § 4 B III. 463 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3). 464 Vgl. oben 4 § 4 D.
§ 5 Die Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung
319
I I . Der Verletztenbeitrag als Komponente der Beitragsabwägung Der Verletztenbeitrag kann angemessen berücksichtigt werden, indem über den Haftungstatbestand des § 833 S. 1 B G B hinaus auf die allgemeine Vorschrift des § 254 B G B zurückgegriffen wird. Dies ermöglicht die gleichzeitige Berücksichtigung aller Beiträge von Halter und Verletztem und die Verteilung der Verantwortung nach prozentualen Quoten. 4 6 5 Der Verletztenbeitrag kann in der M i t w i r k u n g einer Gefahrenquelle bestehen oder auch in einem vorwerfbaren Verhalten gegen sein eigenes Selbstschutzinteresse. Soweit dieser V o r w u r f sich auf den bloßen Eintritt i n eine gefährliche Situation stützt, ließe sich dies grundsätzlich auch als Frage des persönlichen Schutzbereichs behandeln.
Verletzter X Verantwortung
Verletzungsursache — X Zurechnung
Verletzung -> X
Beitragsabwägung Gefahrverantwortung X Halter
Gefahrzurechnung X Tierverhalten
X Verletzung
Schema Nr. 14
C. Die Überlegenheit der Mitverursachung gegenüber dem Handeln a. e. G. bei der Berücksichtigung des Eintritts in Situationen erhöhter Gefahr Es bleibt daher die Frage, ob der Eintritt i n eine besondere Gefahrenlage i m Rahmen der Gefahrzurechnung (Handeln a. e. G.) oder des § 254 B G B bewältigt werden soll oder ob möglicherweise innerhalb dieser Fälle noch eine Differenzierung angezeigt i s t . 4 6 6 Es geht dabei insbesondere darum, ob die Verantwortlichkeit des Verletzten sich eher nach dem V o r b i l d der Verantwortung für ein Verhalten gestaltet oder nach dem V o r b i l d der Verantwortung für willensgetragenes Handeln.
465 Vgl. oben 4 § 3 D. 466 Vgl. oben 4 § 2 D I I 2 u. § 3 B I I 1.
320 Allgemeine Verhaltensfehler
4. Teil: Der Verletztenbeitrag Bewußter Eintritt
in eine Situation besonders erhöhter Gefahr
besondere Anfälligkeit des Verletzten
besondere Tiereigenschaften
besondere äußere Umstände (Wettkampf)
Mitverursachung (unvorsichtiges Handeln) Handeln a.e.G. (gefahrerhöhendes Verhalten)
Schema Nr. 15
Der Verletztenbeitrag ließe sich (als Handeln a. e. G.) i m Rahmen der Gefahrzurechnung berücksichtigen. W i e bei der M i t w i r k u n g von Fremdbeiträgen (deren Verhältnis zur W i r k u n g des Tierverhaltens i m Rahmen der Tiergefahr ermittelt wird), dürfte es dann auf die Zurückführbarkeit des Verletztenbeitrags auf den W i l l e n des Verletzten nicht ankommen. Dieser stünde als rein objektiv mitwirkender Faktor haftungsrechtlich auf einer Stufe mit der Gefahrenquelle selbst. W i e bereits beim Merkmal der Tiergefahr erkennbar w u r d e , 4 6 7 eignet sich die Gefahrzurechnung nicht für den Vergleich einzelner Ursachen, sondern ist auf formale Kriterien angewiesen, wie etwa die Gefahrabschwächung durch Zeitablauf oder die Gefahrerhöhung durch weitere Umstände. Daraus allein läßt sich aber für die Schutzwürdigkeit des Verletzten noch nichts herleiten. B e i m Handeln a. e. G. w i r d daher auch i m Rahmen des persönlichen Schutzbereichs auf den bewußten und vermeidbaren Eintritt i n eine Situation erhöhter Gefahr abgestellt. Damit geht es eben nicht mehr allein u m einen objektiven Beitrag, sondern u m eine Handlung. Der Vergleich von Handlungen und Gefahrenquellen führt über den Gefährdungstatbestand hinaus. Dies hat sich schon bei der menschlichen Leitung erwiesen, die nur als Konkurrenzproblem zwischen Verschuldens- und Gefährdungstatbestand angemessen erörtert werden kann, sich der abschließenden Behandlung innerhalb von § 833 S. 1 B G B aber entzieht. 4 6 8 Die Behandlung des Eintritts in Situationen erhöhter Gefahr als Problem der Gefahrzurechnung befriedigt auch in ihren Ergebnissen nicht. Das Handeln a. e. G. soll die Haftung generell ausschließen, während bei schwerer wiegenden Verhaltensfehlern regelmäßig nur eine prozentuale Anspruchsminderung nach § 254 B G B erfolgt. Während der völlige Haftungsausschluß bei der wesentlichen M i t w i r k u n g von Fremdbeiträgen deshalb unumgänglich ist, weil i m Zweipersonenprozeß zwischen Halter und Verletztem nur auf diese Weise berücksichtigt werden kann, daß der Halter ausschließlich für die Wirkungen des Tierverhaltens haften soll, ist diese strikte Alternative beim Vergleich der Beiträge der Prozeßparteien selbst nicht erforderlich. U m diese Gewichtsverteilung kann zwischen Halter
467 Vgl. oben 2 § 4 B I I I 2. 468 Vgl. oben 2 § 2 B I 2e (3).
§ 5 Die Struktur der Beitragsabwägung und ihre Anwendung
321
und Verletztem unmittelbar gestritten werden, so daß auch eine Quotierung in Betracht kommt. Der Normzweck der Halterhaftung kann daher unter Berücksichtigung des Verletztenbeitrags so umschrieben werden, daß der Halter nur i n dem Maße haften soll, i n dem der Erfolg auf das Tierverhalten zurückgeht und nicht auf den Beitrag des Verletzten. A u c h der bewußte Eintritt in eine Gefahrensituation sollte daher nach § 254 B G B behandelt werden. Das Übergangsfeld zu den übrigen Verhaltensfehlern, die ohnehin nur nach dieser Vorschrift berücksichtigt werden, ist fließend und manchmal überhaupt nicht genau auszumachen. Gerade gegenüber einem Gefährdungstatbestand erscheint es vertretbar, auch solche Handlungen als Verstöße gegen das Eigeninteresse des Verletzten anzusehen, die nicht unmittelbar selbst zur Verletzung führen.
D. Folgerungen für die Streitfragen im Bereich der Gefahr- bzw. Beitragsabwägung gegenüber Verletztenbeiträgen — Die Rechtsinstitute des persönlichen Schutzbereichs, des vertraglichen Haftungsausschlusses und der Mitverursachung dienen der Berücksichtigung des Verletztenbeitrags gegenüber der W i r k u n g des Tierverhaltens. — Der persönliche Schutzbereich ergänzt die Gefahrzurechnung i m Rahmen des sachlichen Schutzbereichs (Tiergefahr) durch die Gegenüberstellung von Gefahrenquelle und Verletztenbeitrag. Dabei sind die Überlegungen zur Gefahrbeherrschung, zum überwiegenden Eigeninteresse, zur Gefälligkeit und zum sozialen Zwang als Kriterien der Gefahrverantwortung für die Gefahrzurechnung nicht hilfreich. Das Handeln a. e. G. beinhaltet einen subjektiven Aspekt und paßt nicht fugenlos zur objektiven Gefahrzurechnung. — B e i m stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluß durch ergänzende Auslegung bestehender Verträge oder durch Konstruktion isolierter rechtsgeschäftlicher Haftungsausschlüsse entspricht die Einführung des Parteiwillens nicht dem objektiven Grundansatz der Gefährdungshaftung und ist als U m w e g abzulehnen. Sie beruht auf derselben Interessenlage, wie die gesetzliche Regelung und verwendet auch dieselben unzureichenden Kriterien, wie beim persönlichen Schutzbereich. Ganz unabhängig davon kommt die Aufwertung von Selbstschutzinteressen zur Vertragspflicht oder die Übertragung vertraglicher Haftungsmilderungen auf die Gefährdungshaftung nicht i n Betracht. — Die Verhaltensfehler des Verletzten und auch sein Eintritt i n eine Situation besonders erhöhter Gefahr sind als Verstöße gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse i m Rahmen der Beitragsabwägung gem. § 2 5 4 1 B G B zu berücksichtigen. Diese bewältigt alle Gefahr- und Verschuldensbeiträge des Halters und des Verletzten. Das Gewicht des Verletztenbeitrags bemißt sich neben seinem objektiven A n t e i l an der Verletzung nach dem Grad des Sorgfaltsverstoßes 21 Lorenz
322
4. Teil: Der Verletztenbeitrag gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse. Dieser könnte beim Eintritt i n eine Situation erhöhter Gefahr als u m so größer angesehen werden, je eher die
maßgebliche Gefahrverdichtung auf den Verletzten zurückgeht und als um so geringer, je mehr sie aus dem Bereich der Gefahrenquelle selbst stammt. Bei sonstigen Verhaltensfehlern können die Sorgfaltsanforderungen m i t der Nähe zur Gefahrenquelle gesteigert werden.
5. Teil
Zusammenfassung — Die Normstruktur des Tierschadensrechts als Ordnungsrahmen für die Auslegung des § 833 S. 1 BGB Bei der Behandlung der Streitfragen des Tierschadensrechts steht in L i t . u. Rspr. die Auslegung des § 833 S. 1 B G B gerade als Fall der Gefährdungshaftung i m Mittelpunkt. 1 Damit allein ist aber noch nichts gewonnen, da über die konkrete Bedeutung des Normzwecks der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung ihrerseits keine einheitliche Meinung besteht. Es gibt unterschiedliche Ansichten über den genauen Inhalt der Tiergefahr, über die Bedeutung des Verletztenschutzes und auch über die Feststellung des Halters. Diese Untersuchung wählt daher einen strukturbezogenen Zugang zum Normzweck der Tierhalterhaftung, indem sie betont, daß die Grundgedanken der Gefährdungshaftung in einem konkreten funktionalen Zusammenhang stehen. 2 Dieser Funktionszusammenhang, der bestimmte Tatbestandsmerkmale bestimmten Grundüberlegungen zuordnet, bildet als Normstruktur zugleich den Hintergrund für die Auslegung der geschriebenen Tatbestandsmerkmale und kann zur Einführung ungeschriebener Merkmale führen. Daher kommt es entscheidend darauf an, bei der Auslegung eines Merkmals gerade diejenigen Grundüberlegungen der Gefährdungshaftung heranzuziehen, die i h m als Komponenten auf der Strukturebene entsprechen und die daher für seine Funktion maßgeblich sind. V o n einer Auslegung nach dem Normzweck kann nur dann die Rede sein, wenn nicht beliebig auf alle Strukturkomponenten der Gefährdungshaftung zurückgegriffen w i r d (z. B. bei der Tiergefahr auch auf den Verletztenschutz oder beim Verletztenbeitrag auf die Kriterien der Halterschaft), sondern wenn der enge Funktions-, Ableitungs- und Auslegungszusammenhang zwischen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen und jeweils ganz bestimmten Grundgedanken der Gefährdungshaftung strikt gewahrt bleibt. I m einleitenden T e i l wurde daher in den Grundzügen entwickelt, worin die Grundgedanken der Tierhalterhaftung als Gefährdungshaftung und deren innerer Zusammenhang bestehen und wie sich dies i m Tatbestand und der Funktion seiner Merkmale abbildet. I n den drei weiteren Teilen wurden dementsprechend die Komponenten der Normstruktur i n ihrer konkreten Auswirkung auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale dargestellt. Es bleibt der Rückblick auf diesen Weg und seine Resultate. 1 Vgl. oben 1 § 1 A II. 2 Vgl. oben 1 § 1 B u. § 4 C. 21*
324
5. Teil: Zusammenfassung
§ 1 Die Normstruktur des Tierschadensrechts Die Gefährdungshaftung ist ein Teilgebiet des Haftungsrechts. Dieses dient dem Ausgleich unfreiwilliger Vermögenseinbußen, indem durch einzelne Tatbestände die wertende Verbindung zwischen einem Vermögensschaden und dem dafür individuell Verantwortlichen herstellt wird. Dabei erfolgt i n mehreren Zurechnungsschritten die haftungsrechtliche Zuordnung von Haftendem, Verletzungsursache, Rechtsgutsverletzung und Schaden. 3 Die Gefährdungshaftung realisiert diesen Funktionszusammenhang, indem sie einen bestimmten Kreis von Verletzungsursachen als Quelle besonderer Gefahr festlegt und fragt, ob sich eine Rechtsgutsverletzung gerade als Folge aus dieser Gefahrenquelle ergeben hat oder so maßgeblich auf anderen Faktoren beruht, daß die M i t w i r k u n g der Gefahrenquelle demgegenüber haftungsrechtlich nicht mehr ins Gewicht fällt. Für diese Gefahrenquelle ist verantwortlich, wer über ihre Verwendung bestimmt und sie i m eigenen Interesse nutzt. Die spezifische Problematik der Gefährdungshaftung ist dadurch geprägt, daß der konkrete menschliche W i l l e weder für die Umschreibung der Gefahrenquelle, noch für die Zurechnung von Gefahrenquelle und Erfolg relevant w i r d . 4 A u c h i m Rahmen der Gefahrverantwortung spielt der W i l l e nur insofern eine Rolle, als die Gefahrenquelle v o m Menschen überhaupt geschaffen und unterhalten wird, also auch wieder beseitigt werden könnte. Darin liegt die grundsätzliche Anerkennung der menschlichen Willensfreiheit, 5 ohne diese aber i m Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen zu verwenden. Grenzen der Haftung können sich insofern nur daraus ergeben, daß Ursachen außerhalb der Gefahrenquelle deren Relevanz für den Erfolg herabsetzen. Sie können aus dem Bereich des Verletzten selbst stammen oder als Fremdursachen einem Dritten oder gar keiner Person zuzuordnen sein. 6 Ihre Berücksichtigung i m Rahmen der Gefahrzurechnung ist indessen nur angemessen möglich, soweit auch bei ihnen die Zurückführung auf den W i l l e n keine Rolle spielt. Geht es indessen um willenbestimmte Handlungen, dann kann die M i t w i r k u n g Dritter nur i m Rahmen der Konkurrenz zwischen Anspruchsnormen, die M i t w i r k u n g des Verletzten i m Rahmen der Gesamtabwägung aller Verletzungsbeiträge zwischen Halter und Verletztem gem. § 254 B G B berücksichtigt werden. 7 Die Behandlung des Tierschadensrechts erfordert insoweit die Einbeziehung konkreter haftungsrechtlicher Funktionszusammenhänge auch über § 833 S. 1 B G B hinaus.
3 4 5 6 7
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
oben oben oben oben oben
1 1 3 1 2
§2 §2 §3 §4 §2
B I I 1. B I I 2b. D. A. B I 2e (3), § 4 B I I I u. 4 § 5 C.
§ 1 Die Normstruktur des Tierschadensrechts
325
Schema Nr. 16
A u f dieser Grundlage lassen sich die positiven und negativen Anspruchsvoraussetzungen der Tierhalterhaftung nach ihrer strukturellen Bedeutung innerhalb des Tierschadensrechts ordnen. Der Ordnungsrahmen besteht aus den vier K o m ponenten Gefahrenquelle, Gefahrzurechnung, Gefahrverantwortung und Beitragsabwägung. Er dient dazu, die Beiträge aus dem Bereich der Fremdursachen und des Verletzten selbst zu denen des Halters so ins Verhältnis zu setzen, daß i m Ergebnis die Einstandspflicht des Halters noch als gerechtfertigt erscheint. 8 Gegenüber dieser funktionalen Ausprägung des Normzwecks der Tierhalterhaftung kommt anderen Überlegungen keine maßgebliche Bedeutung für die Auslegung des § 833 S. 1 B G B zu. 9 § 833 S. 2 B G B erweist sich als bloße Ausnahme von der grundsätzlichen Gefährdungshaftung, da seine Voraussetzungen allein v o m Halter dargelegt werden können. Erkenntnisse aus der langen Geschichte des Tierschadensrechts sind nur verwertbar, soweit sie sich i n diese Struktur einfügen lassen.
s Vgl. oben 1 § 4 C. 9 Vgl. oben 1 § 3 A u. B.
5. Teil: Zusammenfassung
326
Gefahrverantwortung
Gefahrverantwortung —Halter
- Gefahrenquelle -
[
Tierbegriff
irh —I sachlicher Schutzbereich Tier—|- Gefahrabgrenzung schadensrecht
Gefahrenquelle
Tierverhalten Tiergefahr
Rechtsgüter
Gefahrzurechung
- persönlicher Schutzbereich Verletztenbeitrag L (Gefahr-/ Beitragsabwägung)
vertragl.
Haftungsausschluß
_ Mitverursachung
allgemeine haftungsrechtliche Überlegungen
Schema Nr. 17
§ 2 Der Ertrag der Strukturbetrachtung und die Folgerungen für das Tierschadensrecht A. Verletzung durch ein Tier 1 0 I . Gefahrenquelle — Das M e r k m a l der Tiergefahr erfüllt zwei Funktionen, denn es dient sowohl der näheren Bestimmung der Gefahrenquelle, als auch der Gefahrzurechnung. — Die Gefahrenquelle liegt i m aktiven Tierverhalten, also in den äußerlichen Regungen des Tierkörpers, denn diese machen die Besonderheit gerade von Tieren, also die tiertypischen Eigenschaften aus. — Demgegenüber lassen sich andere Vorschläge für die Bestimmung der Gefahrenquelle nicht halten. Die innere Tiernatur scheidet aus, w e i l sie sich nur in Analogie zum W i l l e n konstruieren läßt, auf den es bei der Gefahrzurechnung nicht ankommen kann. Die bloße Existenz des Tierkörpers und die Eigenschaften des Tieres als lebender Organismus fassen die Gefahrenquelle zu weit, w e i l sie eben nicht nur und gerade auf Tiere zutreffen. — Daraus ergibt sich, daß ein rein passives Tier als Ansatzpunkt der Haftung ausscheidet, sei es als mechanisches Werkzeug, tote Masse, Hindernis, Träger von Krankheitskeimen oder Objekt des bloßen Anblicks. M ö g l i c h ist nur der Rückgriff auf vorangehendes aktives Verhalten.
io Vgl. oben 2 § 4 C.
§ 2 Der Ertrag der Strukturbetrachtung
327
II. Gefahrzurechnung Die Haftung trifft den Halter nur dann, wenn die Rechtsgutsverletzung gerade auf das Tierverhalten zurückgeht und nicht maßgeblich auf andere Ursachen. Überlegungen i n der Lit., wonach auf diese Beschränkung der Gefahrzurechnung verzichtet werden kann, sind nicht vertretbar, da sie mangels subjektiver Zurechnungsschranken i n der Gefährdungshaftung zur unabsehbaren Ausweitung der Einstandspflicht führen würden. Die Gegenüberstellung des Tierverhaltens und anderer Ursachen kann i m Rahmen der Tiergefahr indessen nur geschehen, soweit es u m Faktoren geht, die weder auf den Halter, noch auf den Verletzten zurückgehen, sondern die Dritten oder gar keiner Person zuzurechnen sind. I m Zusammenhang m i t der Tiergefahr als dem sachlichen Schutzbereich sind Normzwecküberlegungen zur Schutzwürdigkeit des Verletzten nicht angebracht, denn sie haben ihre Funktion bei der Berücksichtigung des Verletztenbeitrags (z. B. durch die Kriterien des persönlichen Schutzbereichs). Bei der Gefahrzurechnung geht es um die Entwicklung von Wertungskriterien i m Verhältnis von Gefahrenquelle und Fremdbeiträgen. Solche konnten von Lit. u. Rspr. nur insoweit vorgeschlagen werden, als es nicht u m den Vergleich konkreter einzelner Ursachen geht, sondern um das Gewicht der Gefahrenquelle innerhalb einer Masse weiterer Ursachen. Die Gefahrzurechnung ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Ursachenkette zwischen Tierverhalten und Verletzung so lang wird, daß das ursprüngliche Verhalten die Haftung nicht mehr rechtfertigt, insbesondere bei großem zeitlichem Abstand. Die Überlegungen zum Risikozusammenhang und zur typischen Verletzungsträchtigkeit von Tieren bzw. zum natürlichen Verhalten befassen sich m i t dieser Verlängerung der Ursachenkette zwischen Tierverhalten und Verletzung und sind daher verwertbare Kriterien der Zurechnungsbeschränkung, während die Haftungsbegrenzung wegen konkreter gefahrfremder Interventionen durch Einwirkung auf das Tier, insbesondere menschlicher Leitung oder physiologischem Zwang, nicht i n Betracht kommt. Menschliche Leitung kann als Problem der Normkonkurrenz m i t der Handlungshaftung des einwirkenden Dritten aufgefaßt werden, auch dann aber wegen § 840 I I I B G B die Halterhaftung nicht von vornherein verdrängen.
III. Tierdefinition Mikroorganismen kommen als Tiere nicht i n Frage, da ihnen die typischen Eigenschaften der Gefahrenquelle gerade fehlen, insoweit als sie nicht als Individuen durch ihre äußerliche körperliche Aktivität schaden, sondern durch ihre Toxiziät und ihr massenhaftes Auftreten.
5. Teil: Zusammenfassung
328
B. Haltereigenschaft 11 Das Merkmal der Halterschaft dient der Zuordnung der Gefahrenquelle zum Gefahrverantwortlichen, also zu derjenigen Person, die das Tier i m eigenen Interesse nutzt und über seine Verwendung und Existenz entscheidet. A l l e in Rspr. u. L i t . vorgeschlagenen Halterkriterien lassen sich als Indizien der allein maßgeblichen Strukturelemente Eigeninteresse und Entscheidungsgewalt verstehen. Die überwiegende Nutzung des Tieres i m Eigeninteresse ist ihrerseits ein Indiz für die überwiegende Entscheidung über seine Verwendung, besonders innerhalb von Nutzungsverhältnissen. Die Sorge für Obdach u. Unterhalt, das Verlustrisiko, die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit, der unmittelbare Kontakt und die Verwendung i m eigenen Wirtschaftsbetrieb sind unbrauchbare oder zweifelhafte Indizien, auf die verzichtet werden kann. Demgegenüber sind Eigentum, mittelbarer Besitz und Lastentragung Indizien für eines der beiden Strukturelemente und erlangen ihre Bedeutung dann, wenn es darum geht, bei welcher von mehreren Personen die Entscheidungsgewalt und das Eigeninteresse überwiegend vorliegen. Die Strukturelemente sind in ihrem Zusammenwirken für die Bestimmung des Halters allein entscheidend, sobald mehrere Personen als Halter i n Frage kommen. Die Vertragsverhältnisse zwischen ihnen haben Modellcharakter für die Gefahrverantwortung i m Bezug auf das Tier, w e i l und soweit sie die Herrschafts- und Interessenverhältnisse konkret ausgestalten. Die Strukturelemente sind aber gerade auch dann anwendbar, wenn vertragliche Regelungen fehlen. Darin erweist sich die Gefahrverantwortung als Rechtsverhältnis mit selbständigen Voraussetzungen. Die Halterschaft liegt regelmäßig beim Eigentümer oder der Person, die sich (im Bezug auf Entscheidung und Nutzung) wie ein Eigentümer verhält (Dieb, unehrlicher Finder). Wer nur Verrichtungen am oder mit dem Tier vornimmt (Arbeits-, Dienst-, Werk-, Verwahrungsvertrag, ehrlicher Finder), ohne Nutzungsvorteile aus ihm zu ziehen, entscheidet auch nicht über das Tier und w i r d nicht Halter. Wer das Tier sehr langfristig oder ausschließlich für eigene Zwecke nutzt (Pacht, Nießbrauch, Ehe), bestimmt maßgeblich seine Verwendung und w i r d (zumindest auch) Halter. Nutzen mehrere Personen ein Tier sonst m i t oder ohne vertragliche Grundlage (Miete, Leihe, atypische Verwahrung, Kauf), dann w i r d Halter, wer aufgrund der Nutzungsdauer oder der Lastentragung das überwiegende Eigeninteresse am Tier und damit auch den überwiegenden A n t e i l an der Entscheidung über dessen Verwendung hat. ii Vgl. oben 3 § 4 D.
§ 2 Der Ertrag der Strukturbetrachtung
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C. Verletztenbeitrag 12 I . Persönlicher Schutzbereich und vertraglicher Haftungsausschluß — Bei der Berücksichtigung des Verletztenbeitrags scheiden dogmatische Ansätze aus, die auf dem Alles-oder-nichts-Prinzip beruhen. Dies betrifft sowohl den persönlichen Schutzbereich und seine einzelnen Kriterien, als auch den stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluß, der durch ergänzende Auslegung von Typenverträgen oder durch die Konstruktion von Enthaftungsverträgen herbeigeführt wird. — Der persönliche Schutzbereich ist ein Teilaspekt der Gefahrzurechnung, der sich auf das Verhältnis von Gefahrenquelle und Verletztenbeitrag bezieht. Die dabei verwendeten Abwägungskriterien der Gefahrbeherrschung, des überwiegenden Eigeninteresses und der Gefälligkeit haben ihre Funktion i m Rahmen der Gefahrverantwortung und sind i m Bereich der Gefahrzurechnung nicht verwendbar. Der soziale Zwang ist nicht relevant, da es auf die M o t i v e für die Nähe zur Gefahrenquelle nicht ankommt. Das Handeln a. e. G. bringt neben dem bewußten Eintritt i n eine Situation erhöhter Gefahr (Gefahrverdichtung) noch eine konkrete Willenskomponente (Handeln), die mit den formalen Massenkriterien der Gefahrzurechnung allein nicht befriedigend zu bewältigen ist. — B e i m Rückgriff auf den vertraglichen Haftungsausschluß werden dieselben Kriterien herangezogen, wie i m Rahmen des persönlichen Schutzbereichs. Dies ist funktionswidrig, soweit es um Fragen der Gefahrverantwortung geht. Es zeigt zudem, daß die Interessengegensätze i m Bezug auf eine Gefahrenquelle innerhalb und außerhalb von Verträgen letztlich dieselben sind, so daß der so ermittelte Parteiwille m i t der dem Gesetz zugrundeliegenden Risikoverteilung übereinstimmt. I m Rahmen der ansonsten willensunabhängigen Gefährdungshaftung muß dies als funktionswidriger U m w e g angesehen werden. Das Erfordernis der ordentlichen Vertragserfüllung durch den Verletzten setzt die Aufwertung von Selbstschutzobliegenheiten zu Vertragspflichten voraus, die allgemein nicht gerechtfertigt ist. Die analoge Anwendung geminderter vertraglicher Sorgfaltsmaßstäbe k o m m t bei der Gefährdungshaftung nicht in Frage, da die Sorgfalt dort keine Rolle spielt.
I I . Mitverursachung — Stattdessen sind sowohl die Verhaltensfehler des Verletzten in einer Gefahrenlage wie auch sein unvorsichtiger Eintritt in eine Situation besonders erhöhter 12 Vgl. oben 4 § 5 D.
330
5. Teil: Zusammenfassung Gefahr als Verstöße gegen sein eigenes Sicherheitsinteresse i m Rahmen der umfassenden Beitragsabwägung gem. § 2541 B G B zu berücksichtigen. Daneben können dort überhaupt alle haftungsrelevanten Beiträge der Parteien gegenübergestellt werden, mag es sich dabei um Handlungen oder Gefahrenquellen handeln.
— Das Gewicht des Verletztenbeitrags bemißt sich neben seinem objektiven Anteil an der Verletzung dann wesentlich nach dem Grad des Sorgfaltsverstoßes gegen das eigene Interesse. Dieser könnte dann beim Eintritt i n eine Gefahrensituation als u m so schwerwiegender angesehen werden, je eher die Gefahrverdichtung
schon ursprünglich aus dem Bereich des Verletzten
stammt, beim Verhaltensfehler als u m so schwerer, j e dichter sich der Verletzte an der Gefahrenquelle befindet.
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* Die Grundsätze der Zitierweise sind am Ende des Literaturverzeichnisses zusammengefaßt. Auch die in den Fußnoten verwendeten abgekürzten Zitierformen und Schlüsselworte sind durch Kursivschrift hervorgehoben.
332
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Anmerkungen zur Zitierweise: 1. Literatur — Literaturbeiträge werden mit dem Nachnamen des Autors oder einer speziellen Abkürzung zitiert, die im Abkürzungsverzeichnis enthalten und im Literaturverzeichnis kursiv hervorgehoben ist. — Aufsätze werden mit voller Quellenangabe zitiert, Beiträge aus Festschriften als solche gekennzeichnet. — Monographien werden allein mit dem Autorennamen zitiert. Weist das Literaturverzeichnis daneben weitere Monographien dieses Autors aus, wird zur Unterscheidung ein im Literaturverzeichnis kursiv hervorgehobenes Schlüsselwort aus dem Titel verwendet. — Werden mehrere Auflagen eines gleichnamigen Werks im Literaturverzeichnis ausgewiesen, dann beziehen sich Zitate ohne Angabe der Auflage auf die jeweils neueste Auflage. — Zitate aus Kommentaren und Handbüchern ohne nähere Angabe des § oder des Kapitels beziehen sich stets auf § 833 BGB. — Vorbemerkungen oder Einleitungen in Kommentaren werden einheitlich mit „Vor § ..zitiert. — Zahlenangaben beziehen sich im übrigen auf Randnummer oder Teilziffer, sofern die Quelle solche verwendet, ansonsten auf Seitenzahl oder Spaltennummer.
Literaturverzeichnis
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2. Rechtsprechung — Bei der Angabe des Gerichts wird auf die Bezeichnung OLG verzichtet. — Bei aneinandergereihten Zitaten aus derselben Quelle wird diese nur beim ersten Zitat angeführt. — Folgen mehrere Rechtsprechungsnachweise aufeinander, so werden bei den nachfolgenden Nachweisen die Angaben weggelassen, die mit dem jeweils Vorangehenden übereinstimmen. 3. Querverweise — Die Ziffer vor der Angabe des § in den Querverweisen bezieht sich auf die Teile 1 bis 5 der Arbeit; 4. Teil § 2 wird zitiert als 4 § 2. — Folgen mehrere Querverweise aufeinander, dann werden bei den nachfolgenden Verweisen die Angaben weggelassen, die mit dem jeweils vorhergehenden übereinstimmen.