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German Pages 563 Year 2005
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1008
Die Funktionen der Rechtsverordnung Der gesetzgeberische Zuschnitt des Aufgaben- und Leistungsprofils exekutiver Rechtsetzung als Problem des Verfassungsrechts, ausgehend vom Referenzgebiet des Umweltrechts
Von
Johannes Saurer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JOHANNES SAURER
Die Funktionen der Rechtsverordnung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1008
Die Funktionen der Rechtsverordnung Der gesetzgeberische Zuschnitt des Aufgaben- und Leistungsprofils exekutiver Rechtsetzung als Problem des Verfassungsrechts, ausgehend vom Referenzgebiet des Umweltrechts
Von
Johannes Saurer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Deutschen Bundestags Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11828-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im November 2004 als Dissertation angenommen. Entstanden ist das Buch in meiner Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine und Vergleichende Staatslehre. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind überwiegend auf dem Stand vom Herbst 2004, vereinzelt konnten noch Nachträge erfolgen. Herzlich zu danken habe ich meinem Lehrer und Förderer Prof. Dr. Oliver Lepsius, für die Aufnahme an seinem Bayreuther Lehrstuhl, die Betreuung der Dissertation und nicht zuletzt für die Erstellung des Erstgutachtens. Zugleich danke ich Herrn Prof. Dr. Wilfried Berg, der das Zweitgutachten erstellt hat und mir wichtige Anregungen gab. Meinen Eltern Krystyna und Roland danke ich für all die Jahre vorbehaltloser Unterstützung, ebenso meinen Geschwistern. Meiner Partnerin Dr. Sigrid Emmenegger danke ich für die vielfache Ermutigung. Stellvertretend für alle Begleiter meiner Tübinger Studienzeit gilt mein Dank meinem Freund Roman Romanowski. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Deutsche Bundestag haben die Veröffentlichung mit großzügigen Druckkostenbeihilfen gefördert. Mannheim, im April 2005
Johannes Saurer
Inhaltsübersicht Einleitung
19
I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Erster Teil Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung am Beispiel des Umweltrechts I. Das Umweltrecht als Referenzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionen der Rechtsverordnung in der rechtspolitischen Projektion . . . . . . . . . . . . . V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59 59 63 147 177 187
Zweiter Teil Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik der Rechtsverordnung I. Die Abhängigkeit der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung: Konstituierung durch die Primärfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Steuerungsmodus der Rechtsverordnung: Speicher der Sekundärfunktionen . . IV. Originärer Bereich und eigenständiges Leistungsprofil der Rechtsverordnung . . . . .
192
192 201 235 237
Dritter Teil Die Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung
240
I. Regelungsstrukturen gegenwärtigen Staatshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen und Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
10
Inhaltsübersicht
III. Auflösung der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Funktionale, verfahrensrechtliche und Rechtswirkungskonvergenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verordnungsfunktionen und Bundesstaatsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verknüpfung der Rechtsverordnung mit gesellschaftlichen und parlamentarischen Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 311 329 352 365
Vierter Teil
I. II. III. IV.
Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
402
Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . .
404 411 429 440
Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quantitative und qualitativ-funktionale Dimensionen der Rechtsverordnung . . . 2. Die gesetzgeberische Funktionszuordnung mit Statuierung der Delegationsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodische Erweiterung der Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlbestände in Theorie und Dogmatik exekutiver Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die verfassungsgeschichtliche Verknüpfung von Rechtsetzungsorganisation und Verfassungsordnung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Exekutive Rechtsetzungsbefugnisse im ausländischen öffentlichen Recht . . . . . . 2. Delegierte Rechtsetzung im Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 19 23 26 27 30 32 38 44 45 48 50 51 56
Erster Teil Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung am Beispiel des Umweltrechts I. Das Umweltrecht als Referenzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausweitung staatlicher Regelungsaktivitäten im Bereich der Ökologie . b) Anwendungsfelder der Rechtsverordnung als Instrument der Regulierungsexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regulierungsexpansion im Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Regulierungsexpansion im Chemikalienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Regulierungsexpansion im Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verfahrensrecht der Regulierungsexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Untergesetzliche Regulierungsexpansion in konkurrierenden Rechtsetzungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsverordnung als Instrument der Rechtsetzungsbeschleunigung . . .
59 59 63 63 65 69 69 71 75 77 79 82 82
12
Inhaltsverzeichnis
3.
4.
5.
6.
(1) Beschleunigungseffekte auf der Ebene des Normersterlasses . . . . . . . . . . . (a) Die Rechtsverordnung als die grundsätzlich schnellere und flexiblere Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Nivellierung der Rechtsetzungsgeschwindigkeit durch den Prozess der Normerzeugung, die einfachgesetzliche Verfahrensgestaltung und den politischen Gestaltungswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschleunigungseffekte auf der Ebene der Normaktualisierung . . . . . . . . b) Anwendungsfelder der Rechtsverordnung als Beschleunigungs- und Flexibilisierungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschleunigung und Flexibilisierung im Chemikalienrecht . . . . . . . . . . . . . (2) Divergierende Effekte im Immissionsschutz-, Abfall- und Gentechnikrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschleunigung und Flexibilisierung im Verhältnis von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Vorsorgeprinzip als Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bewältigung der Vorsorgeorientierung durch Rechtsverordnungen: Die Umsetzung des vorsorgerechtlichen Konzeptierungsgebots als Anwendungsfall aus dem Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsvariante: Die Umsetzung des Vorsorgegebots durch Rechtsverordnungen nach dem Gentechnikgesetz – Rechtsverordnungen als Teil einer Rechtsetzungsstruktur mit experimentellem Charakter und Innovationsimplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Zustandekommen der Rechtsverordnungen im Bereich des Vorsorgeprinzips und die funktionalen Äquivalenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raumbezogene Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsverordnung als Instrument der raumbezogenen Planung . . . . . . . . . b) Anwendungsfelder der verordnungsrechtlichen Umweltplanung in der Rechtsform der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Raumbezogene Planung im Wasser- und Immissionsschutzrecht . . . . . . . (2) Raumbezogene Planung im Naturschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adaption des staatlichen Instrumentenwandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Instrumentenwandel in der Umweltpolitik. Das Kooperationsprinzip als Versuch einer dogmatischen Klammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsfelder ökonomischer, reflexiver und kooperativer Elemente in der Verordnungsgebung des Umwelthaftungs-, Immissionsschutz- und Abfallrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ökonomische Instrumente im Umwelthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Reflexive Elemente in der Störfallverordnung (12. BImSchV) . . . . . . . . . . (3) Nutzung privater Vorarbeiten im Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kooperationssteuerung im Abfallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vereinheitlichung verwaltungsbehördlicher Einzelentscheidungen durch Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Neuordnung des Bundes-Bodenschutzrechts als Anwendungsfeld der Vereinheitlichung der verwaltungsbehördlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 83
87 90 91 91 93 94 96 97
101
105 111 115 116 119 119 121 124 124
129 129 130 131 132 138 139 140
Inhaltsverzeichnis c) Das Immissionsschutzrecht als Anwendungsfall der bundesstaatlichen Vereinheitlichungswirkungen der Bundes-Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendungsfelder für Rechtsverordnungen zur Regionalisierung des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vereinheitlichung und Regionalisierung durch Verwaltungsvorschriften . . . . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inkorporation des EG-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsverordnung als Instrument der EG-Rechts-Inkorporation . . . . . . . . b) Anwendungsfälle der EG-Rechts-Inkorporation durch Rechtsverordnungen (1) Spezialermächtigungen im Immissionsschutz- und Gentechnikrecht . . . . (2) Globalermächtigungen im Wasser-, Immissionsschutz- und Abfallrecht . c) Die Beendigung des funktional äquivalenten Einsatzes von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften durch den Europäischen Gerichtshof . 2. Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsverordnung als Instrument der Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsverordnungen im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsverordnungen im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . b) Umweltrechtliche Anwendungsfelder der verordnungsrechtlichen Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewältigung normstruktureller Systembrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Systembruch zwischen konditionalen und finalen Normstrukturen in der Konfrontation des deutschen mit dem europäischen Verwaltungsrecht . . . . . b) Die IVU-Richtlinie als paradigmatische Vorgabe einer finalen Normstruktur c) Die Bewältigung normstruktureller Systembrüche durch Einsatz der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die divergierenden Umsetzungskonzeptionen des deutschen Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implementation in das bestehende Regelwerk und Integrationsarbeit durch den Verordnungsgeber des Immissionsschutz- und Abfallrechts . . (3) Konkurrierende Rechtsetzungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionen der Rechtsverordnung in der rechtspolitischen Projektion . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konzeption einer UGB-Kodifikation und ihr (vorläufiges) Scheitern . . . . . . . 2. Die Recht- und Regelsetzung nach dem Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hierarchischer Vorrang für die Rechtsverordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zentrale Verordnungsermächtigung zur Grenz- und Richtwertfestsetzung in § 11 UGB-KomE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Periodische Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Konzept der verordnungsersetzenden Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Reform der Beteiligungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Mitwirkung der Umweltkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beteiligung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 143 145 146 147 147 148 150 151 152 153 155 157 158 158 161 161 164 165 167 170 170 171 175 176 177 177 179 180 181 182 182 183 183 183 185
14
Inhaltsverzeichnis
c) Suspendierung der Beteiligungsvorschriften bei besonderer Dringlichkeit . . 4. Die Rechtsetzungsorganisation nach dem Kommissionsentwurf als Rezeption der gegenwärtigen Verordnungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strukturierung der Analyse und Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsverordnung als quantitativ und qualitativ-funktional dominierende Rechtsetzungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die politische Bedeutung der Verordnungsgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammentreffen modernisierungsspezifischer und tradierter Verordnungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 186 187 187 188 190 190
Zweiter Teil Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik der Rechtsverordnung I. Die Abhängigkeit der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansätze zur verfassungsrechtlichen Systematisierung der Verordnungsfunktionen in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik und Erweiterung der bisherigen Ansätze. Einführung der Differenzierung nach Primär- und Sekundärfunktionen, Grund- und Steuerungsmodus. Zur Funktionsstruktur des Delegationsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung: Konstituierung durch die Primärfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entlastung des Parlaments (Primärfunktion im Verhältnis zum Gesetz) . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Zuordnung der Entlastungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsexklusivität im Verhältnis der Rechtsetzungsformen . . . . . . . . . . . . . . 2. Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts (Primärfunktion im Verhältnis zu den Satzungen und Verwaltungsvorschriften) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliche Zuordnung der allgemeinverbindlichen Rechtswirkung. Mit einem Begründungsversuch zur konstitutiven Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsexklusivität im Verhältnis der (untergesetzlichen) Rechtsetzungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abgrenzung zur Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abgrenzung zu den Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Primärfunktion: Die Setzung abstrakt-genereller Normen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Erfordernis abstrakt-genereller Normsetzung als Element eines materiellen Verordnungsbegriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum nur-formellen Verordnungsbegriff des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ebenfalls keine Primärfunktion: Die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Grundgesetz bestimmt (nur) den Grundmodus der Verordnungsgebung . . . . III. Der Steuerungsmodus der Rechtsverordnung: Speicher der Sekundärfunktionen . . IV. Originärer Bereich und eigenständiges Leistungsprofil der Rechtsverordnung . . . . . 1. Die Konzeption einer Theorie des Regulatory Choice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192
192 193
195 201 202 202 204 207
209 214 214 219 222 223 226 231 234 235 237 238
Inhaltsverzeichnis
15
2. Der originäre Bereich der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Dritter Teil Die Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung I. Regelungsstrukturen gegenwärtigen Staatshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normstrukturen und verfassungsrechtliche Implikationen im Referenzgebiet des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bipolare Programmierung durch ambivalente Zweckbestimmungen . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsetzungsorganisation in der Umsetzung wissenschaftstheoretischer Grundpositionen: Die normstrukturelle Ausrichtung am Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vom institutionellen Erkenntnisvermögen zur normativen Festlegung (Paradigmenwechsel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konsequenzen aus dem Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Perpetuierung des Normsetzungsmodells der parlamentarischen (Selbst-) Beschränkung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch die Kalkar-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abstufungen in der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Strukturierung des Verordnungsermessens in der Literatur . . . . . . . . . . . . . b) Die verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Absicherung der Rechtsverordnung als Instrument der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen und Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zusammenhang zwischen gesetzgeberischer Funktionenzuordnung und Beschaffenheit der Verordnungsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Einwirkung einzelner Funktionen auf die Verordnungsermächtigung . . b) Das Zusammentreffen mehrerer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verordnungsfunktionen und verfassungsrechtliche Vorgaben im Widerstreit 2. Verordnungsfunktionen und Ermächtigungsnormen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlinien der Verfassungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unter der Hegemonie der Wesentlichkeitsdogmatik . c) Das Kriterium der „hinreichenden Bestimmtheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die verdeckte Kontinuität des Möglichkeitskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verordnungsfunktionen als Legitimationsfiguren, modifiziert durch Grundrechtswesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Methodenentwicklung und Absicherung der Gesetzgebungspraxis . . . . . . . . . g) Zur Kritik der Verfassungsrechtsprechung. Mit einem Vorschlag für ein Rechtsregime verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . III. Auflösung der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung des Konzepts der dualen Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdungen der dualen Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eröffnung der Vollzugsfähigkeit auf Verordnungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herausbildung einer „mittleren Steuerungsebene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verlust der Steuerungsfähigkeit und Bedeutung des Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 241 242 248
249 253 256
257 260 260 261 265 265 266 267 268 268 268 275 281 281 284 288 293 298 298 301 301 303 303
16
Inhaltsverzeichnis
4. Die duale Struktur der Rechtsverordnung in Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Annäherung an Autonomiekonzeptionen (Satzungsrecht): Von der Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber zur Selbststeuerung der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zum Substitutionspotential der Wesentlichkeitsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Vermittlung einer materiellen Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Vermittlung dogmatischer Eigenständigkeit gegenüber dem Satzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einerseits: Stabilisierung der Regelungsform Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Andererseits: Aufweichung der Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Rechtfertigung der gegenwärtigen Richtlinientransformation durch Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstes Legitimationsmodell: Determinierung durch Ausrichtung auf die Gesetzeszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweites Legitimationsmodell: Rechtfertigung durch nachgelagerte Zustimmung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittes Legitimationsmodell: Rechtfertigung durch europarechtliche Zweckrichtung der Verordnungsgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zur Argumentation in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Problem der zweistufigen Exekutivrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Funktionale, verfahrensrechtliche und Rechtswirkungskonvergenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionale Äquivalenzen als Resultat gesetzgeberischer Funktionszuordnungen zu Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Parallelisierung der Ermächtigungsstrukturen und des Verfahrensrechts . . . . 3. Schnittmengen in der Rechtsqualität von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzeptionen der (partiellen) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Entfaltung vielfältiger Argumentationsfiguren in der Literatur: „Tatbestandlicher Beurteilungsspielraum“, „Selbstbindung der Verwaltung“, „Normative Ermächtigungslehre“ und Netzwerktheorie . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Rechtsprechung von BVerwG und BVerfG zu „antizipierten Sachverständigengutachten“ und „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kritik der dogmatischen Konstruktionen zur Begründung unmittelbarer Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften nach der Theorie des originären exekutiven Verordnungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verordnungsfunktionen und Bundesstaatsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Mitwirkung des Bundesrates an der Verordnungsgebung des Bundes . . . . . . 2. Die Verdrängung von Landeskompetenzen durch Rechtsverordnungen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Verlust von Gesetzgebungskompetenzen der Länder als Element der Verfassungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304 305 309 310 310 311 312 317 318 318 319 319 320 321 326 329 330 331 333 333
334
338 340 345 352 352 355 355
Inhaltsverzeichnis b) Blockade und Einengung von Länderkompetenzen durch Bundes-Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beteiligung der Landesparlamente im Bereich der Verordnungsgebung des Bundes als Ausdruck funktionaler Äquivalenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verknüpfung der Rechtsverordnung mit gesellschaftlichen und parlamentarischen Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Zustandekommen der Rechtsverordnung a) Die gesetzliche Strukturierung der Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsfolgen der Verletzung von Beteiligungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . 2. Parlamentarische Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die gesetzgeberische Intention des Zusammenhangs zwischen offener Ermächtigungsformulierung und nachgeschalteter Parlamentsbeteiligung . . . . b) Stand der Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zustimmungsvorbehalte verfassungsgemäß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Änderungsvorbehalte umstritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Änderungsvorbehalte verfassungsrechtlich zulässig . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Änderungsvorbehalte als verfassungswidrige Mitwirkungsform . . . (c) Differenzierung nach fakultativen und obligatorischen Änderungsvorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Kritik und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Aufhebungsvorbehalte umstritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beteiligungsrechte von Parlamentsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompensationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompensation durch Öffentlichkeitsbeteiligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kritik der rechtswissenschaftlichen Legitimationsmodelle. Mit einer Rekonstruktion von Art. 80 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlicher Kompensationsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kompensation und Verfahrenslegitimation in der Verfassungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompensation durch Beteiligung des Parlaments? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompensation durch Zweckrichtung der Verordnungsermächtigung? . . . . . .
17 357 363 365 365 365 369 371 372 373 373 375 376 377 378 378 379 380 381 383 385
385 395 397 401
Vierter Teil Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung I. Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Postulat abstrakt-genereller Rechtsetzung in verfassungs- und ideengeschichtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Postulat abstrakt-genereller Rechtsetzung unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur gegenwärtigen Dogmatik des Rechtsschutzes gegenüber Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zu den prozessualen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Inzidenter und prinzipaler Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Saurer
402 404 405 408 411 411 411 413 413
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Inhaltsverzeichnis
(2) Rechtsverordnungen der Länder und des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz und Verfassungsbeschwerde . . . 2. Kontrastierung zu den rudimentären Rechtsschutzoptionen gegenüber Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die restriktive Grundposition der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bemühungen um eine Ausweitung des Rechtsschutzes in der Literatur . 3. Überlegungen zum Rechtsschutz gegenüber untergesetzlichen Normen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rationalität durch Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rationalität der Regierungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimationsaspekte der Regierungsrechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regierungsrechtsverordnungen (legislative Rechtsverordnungen) versus Verwaltungsrechtsverordnungen (administrative Rechtsverordnungen) . . . . . 4. Der Kompromisscharakter der Rechtsetzungsform Rechtsverordnung . . . . . . . . . . a) Rechtspolitische Kompromissbildung auf der Ebene des einfachen Gesetzes b) Die einfachgesetzliche Ausgestaltung als Nachzeichnung der Kompromissbildung auf Verfassungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an die zukünftige Rechtsetzungsorganisation unter modernisierungsspezifischen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung . . . . . . . b) Stärkung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Untergesetzlicher Vorrang für die Rechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere: Zur Integration von Ungewissheitsbedingungen in die gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als absolute Delegationssperre für Fälle umfassender Ungewissheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die absolute Delegationssperre als Konsequenz der Orientierung am Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das normative Grundverständnis staatlicher Regelbildung als Ausweg . b) Zur verfassungsrechtlichen Verzichtbarkeit des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . 3. Die Gewährleistung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen als Aufgabe der Politik. Die parlamentarische Beratung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
414 416 422 423 425 426 429 429 431 433 433 437 438 438 439 440 441 441 446 452 454 454 455 458 461
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Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556
Einleitung I. Problemaufriss 1. Quantitative und qualitativ-funktionale Dimensionen der Rechtsverordnung Wer sich dem Problembereich der staatlichen Rechtsetzungsorganisation nähert, begegnet erstaunlichen Relationen: Für den Zeitraum bis zum Ende der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestages werden allein für den Bund 19.400 Rechtsverordnungen erfasst, die im Verhältnis zu 6.400 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen stehen. 1 Die Analyse einzelner Rechtsgebiete zeitigt ähnlich deutliche Ergebnisse. So sind nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen die Rechtsquellen hoheitlicher Umweltstandards insgesamt zu nur 6 % in Gesetzesform, hingegen zu 74 % in Rechtsverordnungen und zu 20 % in Verwaltungsvorschriften geregelt. 2 Danach stellt sich die Rechtsverordnung jedenfalls in quantitativer Hinsicht als vorherrschende Rechtsetzungsform gegenwärtigen Staatshandelns dar. 3 Diese quantitative Dominanz ist in der Rechtswissenschaft gut dokumentiert.4 Weitaus geringere Erkenntnisse liegen demgegenüber hinsichtlich des qualitativen Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung vor. Die dieser Handlungsform in rechtsetzungsorganisatorischer Hinsicht zugeordneten Zwecke, mithin die Funktionen der 1 Vgl. die Angaben für die Zeit von der 1. bis zur 13. WP bei J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 3; A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 1; F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.27, 33: pro Werktag eine Rechtsverordnung; zur Entwicklung in der 14. WP die Angaben der Bundesregierung in BT-Drs. 14/9993, S.5 und BT-Drs. 15/1979, S.2; allgemein und insbes. zur Entwicklung in der 15. WP bis zum 1.9.2004 Bundesrat (Hrsg.), Hdb. d. Geschäftsj. 2004/2005, S. 304 ff. 2 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 748. 3 Zur praktischen Bedeutung der Rechtsverordnung als der „häufigsten Fundstelle für geltende Rechtssätze“ T. v. Danwitz, Rechtsverordnungen, Jura 2002, S. 93, 93; ders., Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 21 mit Fn. 25; P. Kirchhof, in: FG 25 Jahre BVerfG II, 1976, S. 50, 82. 4 Vgl. neben den in Fn. 3 genannten H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 25, Rn. 30; U. Karpen, in: Zehn Jahre DGG/Zehn Jahre ZG, 1998, S.371, 383; M. R. Deckert, ZRP 1995, S. 63, 65; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 109; R. Holtschneider, Normenflut und Rechtsversagen, 1990, S. 31 ff. mit dem Topos der „Verordnungsflut“; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 40 mit Fn. 40; M. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337, 340; F.-J. Peine, ZG 1988, S. 121, 122; J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 190 ff.
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Einleitung
Rechtsverordnung, 5 wurden bislang kaum untersucht. 6 Die tradierte Staatsrechtslehre misst der Rechtsverordnung in demgemäß funktionaler Perspektive gegenüber dem Gesetz eine deutlich nachgeordnete Bedeutung bei. So klassifiziert etwa Christian Starck in seiner eingehenden Untersuchung zum Gesetzesbegriff des Grundgesetzes die Verordnung als „nichts anderes als eine intentional vom Gesetz vorausbestimmte, selbst vorausbestimmende Anordnung der Verwaltung“. 7 Hartmut Maurer legt in seinem führenden Standardwerk zum Allgemeinen Verwaltungsrecht dar, der verordnungsgebenden Exekutive dürfe „nur die Regelung von Detailfragen im Rahmen des gesetzgeberischen Programms übertragen werden“.8 Nach Norbert Achterberg hat der Verordnungsgeber „vor allem die Aufgabe von fachorientierten Anordnungen und technischen Detailregelungen zu entlasten“. 9 Inwieweit diese im Verhältnis zum Gesetz zurückgenommene Positionierung der Rechtsverordnung in der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis Entsprechungen und Ausprägungen findet, erscheint klärungsbedürftig. Denn diesbezüglich ergeben sich einige Zweifel. Zunächst sind es die prägenden Elemente des gegenwärtigen politisch-ökonomischen Modernisierungsprozesses, deren rechtliche Bewältigung nach der Analyse vieler Autoren 10 und teilweise auch nach der Rechtsprechung 11 zur Ver5 Vgl. hierzu die Unterscheidung von juristischem und soziologischem Funktionsbegriff bei N. Luhmann, AöR 94 (1969), S. 1, 3 ff. 6 Vgl. den Beitrag von A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S.107, 107, welcher seine Einführung zur Dominanz der Rechtsverordnung als Handlungsinstrument der Verwaltung dahingehend relativiert, dass dies „zumindest in einem quantitativen Sinne“ Gültigkeit beanspruche. Entsprechende Forschungslücken spiegeln sich auch in der Darstellung von T. v. Danwitz, Rechtsverordnungen, Jura 2002, S.93, 93 f., welcher zunächst unter detaillierter Aufbereitung statistischen Materials die besondere Bedeutung der Rechtsverordnung als „zunächst rein quantitativ“ darstellt, sodann nachlegt, die Verordnungsgebung stelle „auch qualitativ“ eine „besondere Form der staatlichen Rechtsetzung“ dar, diesen zweiten Teil aber weitaus weniger dicht zu belegen vermag. 7 Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 316. 8 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 17. Vgl. auch dens., Staatsrecht, Bd.1, 3. Aufl. 2003, § 17, Rn. 140: Art. 80 Abs. 1 GG lasse nur „Annex-Regelungen zur Konkretisierung und Ergänzung formeller Gesetze“ zu. K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 653 beschreibt die regelmäßige Aufgabe von Rechtsverordnungen als „Ausführung, Verdeutlichung und Ergänzung des förmlichen Gesetzes“. 9 N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2.Aufl. 1986, § 23, Rn. 3; ähnlich F. Hufen¸ Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 275: Die Rechtsverordnung als ein Instrument der Verlagerung an sich parlamentarischer Regelungskompetenzen „im Detail“. Charakterisierung der Rechtsverordnung als Instrument der exekutiven Detailregelung auch bei S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 825. 10 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994; D. Murswiek, in: VVDStRL 48 (1990), S. 230 (These 4); dens., in: FS Kriele, 1997, S. 651, 651; F. Nicklisch, NJW 1982, S. 2633 ff.; R. Breuer, AöR 101 (1976), S. 46 ff.; F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 107 f., 215 ff.; F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 37: Die Dynamik der Technik lasse Festschreibungen im Gesetz grundsätzlich nicht zu; E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 11 ff. 11 BVerwGE 72, 300, 317 (Wyhl) im Anschluss an BVerfGE 49, 89, 140 (Kalkar): Grundsätzliche Überlegenheit der Exekutive gegenüber der Legislative sowie den Verwaltungsge-
I. Problemaufriss
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drängung des parlamentarisch beschlossenen Gesetzes und entsprechender Aufwertung der exekutiven Rechtsetzung führt. 12 Derartige Ergebnisse beruhen insbesondere auf Studien zum Bereich der technisch-industriellen Entwicklungsschübe13 und der hierbei zu Tage tretenden strukturellen Ungewissheitsbedingungen 14 sowie zu den Konsequenzen der Einordnung des Nationalstaates in übernationale Strukturen. 15 Darüber hinaus scheint im Zuge des angedeuteten Modernisierungsprozesses mit dem Gesetz als Handlungsform des Parlaments das grundgesetzliche System der Handlungsformen insgesamt unter Druck geraten zu sein,16 wobei derartige Überlegungen oft im Kontext des Aufkommens erheblicher Zweifel an der Steuerungsfähigkeit des Rechts insgesamt stehen. 17 Der (scheinbaren) Erosion der zentralen Stellung des Parlaments und seiner genuinen Handlungsform korrespondiert die Analyse einer Ausweitung exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse sowie der Auslagerung richten hinsichtlich der rechtlichen Handlungsformen zur bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. 12 F. Ossenbühl nennt vier Aspekte der „Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlichtechnischen Zeitalter“: (1) Gesteigerte Komplexität neuer Technologien, (2) zwingende, notorische Verspätung gesetzgeberischer Regelungen gegenüber der technischen Entwicklung, (3) Entscheidungsbedarf ohne Vorliegen ausreichender Erkenntnisse oder Erfahrungen sowie (4) Bedürfnis nach schnellem und flexiblem Reagieren, auf welches die Prozeduren des Gesetzgebungsverfahrens nicht eingestellt seien, ders., Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 20. 13 Vgl. die Nachweise in den vorhergehenden Fn. sowie die Skizze zum historischen Ablauf der informationstechnologischen Revolution bei M. Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, 2004, S. 42 ff. 14 Zur Entwicklung der Technik als einer maßgeblichen Ungewissheitsursache bereits W. Berg, Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 27 ff.; vgl. weiterhin A. Scherzberg, VerwArch 84 (1993), S. 485, 485 ff., 493 ff.; dens., in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 115; R. Wolf, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 65, 83; F. Nicklisch, NJW 1986, S. 2287 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 171 sowie U. Beck, in: Reflexive Modernisierung, 1996, S. 289 ff. 15 P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl., 2003, S. 539: Die supranationale „Verklammerung“ des Gemeinschaftsrechts und der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten verdränge die nationalen Parlamente und damit das Gesetz aus der dem älteren Verfassungsstaat eigentümlichen Schlüsselstellung; P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, passim; Ch. Walter, DVBl. 2000, S. 1 ff.; zum Wandel im Verhältnis der Nationalstaaten sowie supra- und internationaler Herrschaftsverbände auch J. Habermas, in: Die postnationale Konstellation, 1998, S. 91 ff.; R. Wahl, in: Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 17 ff.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999 (Neuausgabe 2002), S. 166 ff.; Ch. Ohler, in: Recht und Ökonomik, 2004, S. 309 ff.; M. Kotzur, Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa, 2004, S. 57 ff., 64 ff. 16 U. Di Fabio, NZS 1998, S. 449, 449: Nachhaltige Bewegungen im Rechtsquellensystem in der Folge der Öffnung des Staates nach innen und nach außen mit der potentiellen Konsequenz des Bedeutungsverlusts für Gesetz und Rechtsverordnung. 17 Vgl. N. Luhmann, Zf. f. Rechtssoziologie 12 (1991), S. 142 ff.; dens., Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 156 ff.; G. Teubner, in: Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 115 ff.; aus neuerer Zeit die außerordentlich skeptische Infragestellung der normativen Eigenständigkeit des Rechts gegenüber der Wirtschaft bei U. Di Fabio, in: Techniksteuerung und Recht, 2000, S. 9 ff.
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von Kompetenzen auf nicht-staatliche Akteure. 18 So wird etwa von Armin von Bogdandy die These von der gubernativen Hegemonie vertreten. 19 Danach hätten sich die Machtverhältnisse im Gefüge der Staatsorgane und ihrer Handlungsformen gegenüber der grundgesetzlichen Grundkonstellation geradezu verkehrt. 20 Verschiedentlich kommt es zu Versuchen der Neuordnung oder Ergänzung des Systems der staatlichen Handlungsformen, teils als Interpretation des bestehenden Normgefüges, 21 teils mit Vorschlägen de lege ferenda. 22 Auch auf der Ebene der Europäischen Union kommt im Zuge der Entwicklung hin zur Kodifikation einer Europäischen Verfassung Bewegung in das System der Handlungsformen, insbesondere soll zugunsten der EU-Kommission erstmals auf europäischer Ebene das Handlungsinstrument einer „delegierten Verordnung“ konstituiert werden. 23
18 Vgl. neben den vorhergehenden Fn. den zusammenfassenden Beitrag von K.-P. Sommermann, DÖV 2003, S. 1009, 1013: Der sinkende Einfluss der Parlamente bei gleichzeitiger Stärkung der Rolle der Regierungen sei kein lediglich mit der Supranationalisierung und Internationalisierung verbundenes Phänomen. Im kooperativen Staat sei es auch im Innern die Exekutive, die in erster Linie den Dialog mit den Bürgern und gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden führe. Zentrale Entscheidungen des Gemeinwesens, die ein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderten, würden durch Aushandlungsprozesse zwischen Regierung und Verbänden vorgeprägt, so etwa bei dem sog. Atom-Konsens. 19 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000. Andere konstatieren eine „Entparlamentarisierung, die von Entgouvernementalisierung begleitet ist“, so M. Ruffert, DVBl. 2002, S. 1145, 1146 f. Diese Beobachtung wird daran festgemacht, dass „informale Gremien die bedeutenden, umstrittenen, „hochpolitischen“ Entscheidungen als eine Art „Überregierung“ an sich ziehen und dadurch auch Bundesregierung und Bundeskanzler selbst an Einfluss verlieren“, ders., ebd. 20 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 8 zu der Intention, die „Fortentwicklung und Änderung der Rechtsordnung außerhalb der Gerichte nicht vom Organ Parlament, sondern vom Organ der Regierung aus zu begreifen“. 21 F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S.1, 4: Offene Verordnungsermächtigung und nachgeschaltete Parlamentsbeteiligung als (verfassungsrechtlich zulässige) „Dritte Form der Gesetzgebung“. Zum Konzeptionswandel zur „gubernativen Rechtsetzung“ bei A. v. Bogdandy vgl. die Nachweise in den vorhergehenden Fn. Auf der Interpretationsebene bewegt sich auch die Einordnung der Gesetzgebung zur Umsetzung von Richtlinien des EG-Rechts als „eigene Form der Gesetzgebung“ bei E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff. 22 Vgl. D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 668 ff. Zu einem Modell der „Grundlagengesetzgebung“ F. Hufen, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 11, 21 ff. 23 Nach dem Konventsentwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag (VVE) vom Mai 2003 soll die bisherige EG-Verordnung zum „Europäischen Gesetz“ (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 VVE) werden, die bisherige EG-Richtlinie zum „Europäischen Rahmengesetz“ (Art.32 Abs. 1 UAbs. 3 VVE). Neu ist das Institut der „Europäischen Verordnung“, im Entwurfstext auch als „delegierte Verordnung“ bezeichnet (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 4; Art. 35 VVE). Vgl. den Abdruck des Verfassungsentwurfs des Konvents vom 24. Mai 2003 in EuGRZ 2003, 315 ff., insbes. 320 ff. und die nachfolgende Darstellung unter Einl., III., 2.
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2. Die gesetzgeberische Funktionszuordnung mit Statuierung der Delegationsnorm Die vorgenannten Aspekte belegen die Notwendigkeit einer Analyse und Systematisierung der Funktionen der Rechtsverordnung unter den Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns. Des Versuchs einer demgemäß umfassenden Untersuchung des Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung will sich die vorliegende Arbeit annehmen. Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang beim Verständnis des Vorgangs der Ermächtigung als „Delegation“ 24 von Rechtsetzungsmacht. 25 Danach überträgt auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 GG der parlamentarische Gesetzgeber 26 als grundsätzlicher Inhaber der Rechtsetzungsmacht27 deren Ausübung 28 für 24 Vgl. die grundlegende begriffliche Fassung des Delegationsbegriffs bei H. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942 (Nachdruck 1974), S.23: „Unter Delegation im Sinne des öffentlichen Rechts verstehe ich den Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen (...) Zuständigkeit, also der Staat (...) seine Kompetenz ganz oder zum Teil auf ein anderes Subjekt überträgt. Delegation bedeutet Kompetenzverschiebung, und zwar enthält sie, im strengen Sinne genommen, gleichzeitig Abschiebung und Zuschiebung einer Zuständigkeit, beides beruhend auf dem Willen dessen, der an Zuständigkeit verliert. Der Delegierende muss mithin eine Zuständigkeit besessen haben, über die er nunmehr ‚verfügt‘.“ Zur Unterscheidung von echter und unechter Delegation ders., aaO, S. 51 ff. Näher G. Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, 1962, S. 11 ff., 17 ff., 53 ff. Zu Leben und Werk H. Triepels vgl. U. M. Gassner, Heinrich Triepel – Leben und Werk, 1999; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts III, 1999, S. 112 ff., 117 f., 186 ff., 257 f. Zur Wirkmächtigkeit der Begriffsprägung Triepels zum Charakter der Delegation die Rezeption bei C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 17 f.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 40 mit Fn. 119 als „allgemeine Meinung“; ähnlich W.-R. Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118, 120 ff. 25 Das Bundesverfassungsgericht erfasst die Einräumung von Rechtsetzungsmacht auf dem Wege der Verordnungsermächtigung in ständiger Rechtsprechung als Prozess der Delegation, so etwa in BVerfGE 2, 307, 327 f. (Gerichtsverfassung Niedersachsen); BVerfGE 7, 244, 253 (Reblausbekämpfung); BVerfGE 15, 153, 165 (§§ 6, 18 UStG 1951); 24, 184, 199 (Apostille); 58, 257, 277 (Schulentlassung); BVerfGE 91, 148, 165 (Umlaufverfahren). 26 Zu Schwierigkeiten in der begrifflichen Erfassung wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kamen vgl. zunächst BVerfGE 18, 407, 417, wo es heißt, der Gesetzgeber „begebe“ sich mit der Ermächtigung seines Rechts zur Ausübung eigener materieller Rechtsetzungsbefugnisse und sodann – korrigierend – BVerfGE 22, 330, 346 mit der Klarstellung, es könne dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, eine zunächst dem Verordnungsgeber überlassene Regelungsbefugnis wieder für sich in Anspruch zu nehmen. Die gesetzgeberische Delegation nach Art. 80 Abs. 1 GG ist also „zuschiebend“, nicht aber „abschiebend“; M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 25. 27 Zu einem übergeordneten Verständnis von Normensystemen als Delegationsordnungen A. Ross, Theorie der Rechtsquellen, 1929 (Nachdruck 1989), S.375; H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1976), S. 228 ff., 332 f.; H. Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942 (Nachdruck 1974), beispielsweise S. 110 f.; R. Walter, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 144 ff. 28 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 40; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 3: Ermächtigung als der Akt, mittels dessen bestimmten Organen der Exekutive eine in der Form von Rechtsverordnungen auszuübende rechtsetzende Gewalt (Verordnungsgebungskompetenz) verliehen werde; F.-J. Peine, ZG 1988, S. 121, 136 f.; M. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337, 347: Die Ermächtigung des Art. 80 Abs. 1 GG bedeute zwar nicht ei-
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Einleitung
eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Materie auf den Ermächtigungsadressaten. 29 Dieser Umstand bringt das Funktionsprofil der Rechtsverordnung in Abhängigkeit vom Gesetzgeber. 30 Dabei steht es dem Gesetzgeber, soweit nicht gegenläufige Verfassungsprinzipien einer Übertragung der Rechtsetzungsmacht auf die Exekutive entgegenstehen, nach dem Grundgesetz frei eine Materie selbst zu regeln oder einen Verordnungsgeber zu ermächtigen bzw. zu beauftragen. Diese Wahlfreiheit hinsichtlich der Handlungsformen und die damit einhergehende Hoheit in der Funktionszuordnung kommt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich zum Ausdruck. In der grundlegenden Kalkar-Entscheidung BVerfGE 49, 89 führt das Gericht mit Blick auf das Umwelt- und Technikrecht aus: „Um die Erkenntnisse und Entwicklungen von Wissenschaft und Technik im Wege einer Normgebung, die damit Schritt hält, rechtlich verbindlich werden zu lassen, stehen dem Gesetzgeber grundsätzlich mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.“ 31 Die hierin liegende Anerkennung einer grundsätzlichen legislativen Wahlfreiheit eröffnet als mögliche Regulierungsalternative zur gesetzlichen Vollregelung, die bereits für sich genommen einen spürbaren Gestaltungsfreiraum etwa hinsichtlich der Ausgestaltung einzelner Vollzugselemente nutzen kann, die Übertragung von Rechtsetzungskompetenzen. Dies kann nicht nur durch die Statuierung von Ermächtigungsnormen zugunsten eines nachfolgenden Verordnungsgebers, sondern etwa auch durch die Einrichtung satzungsautonomer Körperschaften geschehen. 32 In der nachfolgenden nen Verzicht des Gesetzgebers auf eigenes Tätigwerden, wohl aber eine Delegation der Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutive mit der Folge, dass der Verordnungsgeber zum Träger einer eigenen – wenn auch abgeleiteteten – Rechtsetzungskompetenz werde. 29 Kritisch zur dogmatischen Orientierung am Begriff der Delegation indes G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung, 1979, S. 187 ff. Dieser legt vor dem Hintergrund der schweizerischen Verfassungsordnung dar, in der Bezugnahme auf den Delegationsbegriff liege eine „schon im Ansatz verfehlte Betrachtungsweise des Verhältnisses von Gesetzgeber und verordnungsberechtigter Behörde“ (S. 187). Denn es gebe keine „Delegation“, keine „Übertragung“ von Rechtsetzungskompetenzen und deshalb auch keine „Schranken der Ermächtigung“, Verordnungen beruhten nicht auf einer „Ermächtigung“ des Gesetzgebers (ebd.). Vielmehr sei es die Verfassung selbst, welche die Regelungen zuteile: dem Gesetzgeber die wichtigen, dem Verordnungsgeber die weniger bedeutungsvollen (ebd.). Die von der Verfassung verliehenen Kompetenzen dürfe der Gesetzgeber nicht delegieren, sondern müsse sie selber ausüben (ebd.). Vgl. hierzu die grundsätzlich zustimmende Rezension von P. Häberle, DÖV 1981, 550, 551 und vorhergehend mit Blick auf Art. 80 Abs. 1 GG die Argumentation bei R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene Normen“, 1971, S. 163, wonach die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen keine „Übertragung“ oder „Delegation“ von Rechtsetzungsbefugnissen darstelle. 30 Zur Verantwortung des Parlaments für das „Aussehen“ unserer Rechtsordnung hinsichtlich der grundsätzlichen Entscheidung über die Delegation an den Verordnungsgeber und die Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß in der Ermächtigungsnorm F.-J. Peine, ZG 1988, S. 121, 126. 31 BVerfGE 49, 89, 135 f. (Kalkar); zum Verständnis der Einräumung von Satzungsautonomie als Prozess der Übertragung von Rechtsetzungsmacht grundlegend BVerfGE 33, 125 (Facharzt) und aus neuerer Zeit BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen); näher hierzu 2. Teil, II., 2., b), (1) sowie 3. Teil, IV., 5. 32 Hierzu P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 156 ff.
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Rechtsprechung ergänzt das Gericht, grundsätzlich bleibe die auf einem Rechtsgebiet für erforderlich gehaltene Regelungsdichte der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen. 33 Die Freiheit der Rechtsformenwahl des Gesetzgebers ermögliche nicht nur die Statuierung einer entsprechenden Verordnungsermächtigung, sondern darüber hinaus auch, „den Verordnungsgeber zum Erlass von Normen zu verpflichten“. 34 In ähnlicher Weise hatte das Gericht bereits in der vorhergehenden Entscheidung BVerfGE 77, 381 dargelegt, dass der dem Gesetzgeber bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten zukommende Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich auch die Wahl der Instrumente des Umweltschutzes erfasse. 35 Nach dieser Grundlegung des Bundesverfassungsgerichts liegt die Entscheidung über den funktionalen Zuschnitt einer Rechtsverordnung also beim Gesetzgeber. 36 Dieser ordnet der Rechtsverordnung spezifische Funktionen zu und bestimmt so über Umfang und Qualität der seitens der Rechtsverordnung zu erbringenden Steuerungs- und Legitimationsleistungen. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers erfasst auch die Ausgestaltung des Verfahrens der Verordnungsgebung, also etwa die Statuierung von Beteiligungsrechten zugunsten anderer Verfassungsorgane oder gesellschaftlicher Organisationen und Sachverständiger. 37 Die Zuordnung einer Verordnungsfunktion lässt sich danach idealtypisch rekonstruieren als der zweite Abschnitt der gesetzgeberischen Entscheidung über die Regulierungskonzeption eines Sachbereichs: Im ersten Abschnitt legt der Gesetzgeber BVerfGE 79, 174, 178 f. (Anliegerschutz vor Verkehrslärm). BVerfGE 79, 174, 178 f. (Anliegerschutz vor Verkehrslärm). 35 BVerfGE 77, 381, 403 ff. (Zwischenlager Gorleben). Die nämliche Argumentation findet sich in jüngerer Zeit etwa in BVerfG-K, NJW 1997, 2509, 2509 (Trafostation): Die Justiziabilität des Staatshandelns in Umsetzung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wird hier ausdrücklich in Beziehung zur legislativen Rechtsformwahlfreiheit gesetzt. Von dieser hatte der Gesetzgeber nach Ansicht des Gerichts in zulässiger Weise Gebrauch gemacht durch die Statuierung von Vorschriften des zivilen und öffentlichen Nachbarrechts einerseits und durch die Konkretisierung der Anforderungen zum Schutz vor und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen sowie die Festlegung von Grenzwerten in der Verordnung über elektromagnetische Felder andererseits. Vgl. zu dieser Entscheidung die Anmerkung von L. Determann, NJW 1997, S. 2501, 2503. 36 Zu dieser grundsätzlichen Entscheidungsfreiheit des funktionszuordnenden Gesetzgebers auch T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 57. Hier setzt T. v. Danwitz „Rechtsetzungsfunktion“ und „Rechtsanwendungsfunktion“ der Rechtsverordnung auseinander (S. 54 ff.). Einer allgemein funktionalen Typisierung und Zuordnung seien diejenigen Regelungen entzogen, die der Gesetzgeber im Einzelfall als notwendig und politisch wünschenswert erachte (S. 57). Insoweit lasse sich nur sagen, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen stehe, durch entsprechend strikte normative Vorgaben die Verordnungsregelung funktional auf den Bereich der Rechtskonkretisierung zu beschränken (S. 57). Vgl. insgesamt G. Zimmer, Funktion – Legitimation – Kompetenz, 1979. 37 Den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl der anzuhörenden Verbände und Sachverständigen betont BVerfGE 36, 321. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Freiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Verfahrens der Verordnungsgebung BVerwGE 59, 48, 49, 55 (Fachhochschullehrer) sowie BVerwGE 56, 308, 315 (Kriminalbeamte). 33 34
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eine zu erfüllende Aufgabe oder einen zu erreichenden Zweck fest, noch ohne Festlegung der operationalisierenden Rechtsform. Im zweiten Abschnitt macht der Gesetzgeber von seinem grundsätzlichen Rechtsformermessen Gebrauch und weist die Erfüllung der definierten Aufgabe der Rechtsverordnung zu (Auswahl- und Zuordnungsentscheidung). In der Gesetzgebungspraxis fallen beide Abschnitte der Entscheidung über die Regulierungskonzeption häufig zusammen. Gleichwohl dient die aufgezeigte Differenzierung der Erlangung normstruktureller Klarheit über den Einsatz der Rechtsverordnung und ermöglicht die Analyse des gesetzgeberischen Gebrauchmachens von den gegebenen Delegationsoptionen. Aufzuzeigen bleibt die Verortung der Auswahl- und Zuordnungsentscheidung 38 im Prozess des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 76 ff. GG: Die Funktionszuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung erfolgt mit der Statuierung der einschlägigen Delegationsnorm seitens des Gesetzgebers. Das Gebrauchmachen von der Ermächtigung durch den exekutiven Verordnungserlass erweist sich dann gewissermaßen als Aktualisierung der legislativen Funktionszuordnung. 39 Aus dem bis hierhin Aufgezeigten ergibt sich als eine erste Zielsetzung der Arbeit die Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsform der Rechtsverordnung (hierzu der 1. Teil). 3. Methodische Erweiterung der Zielsetzungen Eine dem Vorrang des Verfassungsrechts verpflichtete normative Untersuchung darf bei der Analyse und Systematisierung des einfachen Rechts jedoch nicht stehen bleiben. 40 Der Vorrang des Verfassungsrechts, der als Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung in Art. 20 Abs. 3 GG 41 und als lückenlose Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt in Art. 1 Abs. 3 GG 42 seine exponierte normative 38 Hierzu nochmals die Nachweise aus BVerfGE 49, 89 (Kalkar), BVerfGE 79, 174 (Anlieger-Lärmschutz) und BVerfG-K, NJW 1997, 2509 (Trafostation). 39 Zur Entscheidungstheorie des nachfolgenden Verordnungserlasses H. Stolzlechner, in: FS Winkler, 1997, S. 1161, 1172 ff. mit Unterscheidung von „Erlassentscheidung“ und „Gestaltungsentscheidung“. 40 R. Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff.; ders., NVwZ 1984, S. 401 ff.; zur Verfassungsbindung des Gesetzgebers auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 20, Rn. 26 ff.; Leitentscheidungen des BVerfG zum Vorrang der Verfassung sind für den Grundrechtsteil der Verfassung BVerfGE 12, 45, 53 (Kriegsdienstverweigerung); 17, 306, 313 f. (Mitfahrzentrale); 23, 98, 106 (Ausbürgerung); 34, 269, 286 ff. (Soraya); 39, 1, 51 ff. (Schwangerschaftsabbruch) I; 59, 216, 229 (Söhlde). 41 M. Sachs, in: ders., GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 20, Rn. 94; K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 243 ff. 42 Wie hier mit der verfassungstextlichen Verankerung des Vorrangs der Verfassung in Art. 20 Abs. 3 GG und für dessen grundrechtsbezogene Bestätigung in Art. 1 Abs. 3 GG E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 28 und G. Hermes, in: VVDStRL 61 (2002), S. 119, 123; vgl. darüber hinaus W. Höfling, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 1, Rn. 72 ff., 76 ff.
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Verankerung gefunden hat, 43 ist als Grundsatz der Verfassungsordnung anleitend und verpflichtend für eine jede dogmatische und theoretische Untersuchung des geltenden Rechts. 44 Analyse und Systematisierung der einfachgesetzlichen Funktionenzuordnung sind demnach mit den Vorgaben des Grundgesetzes zu konfrontieren. Hierin liegt eine zweite Zielsetzung der Arbeit (hierzu der Zweite und Dritte Teil). Es gilt, die im Kontext der Zuordnung der Verordnungsfunktionen aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Probleme zu identifizieren und auseinanderzusetzen. 45 Vor dem Hintergrund der in der Staatsrechtslehre erörterten Umwälzungen im grundgesetzlichen System der staatlichen Rechtsetzungsformen46 kommt diesem Problemfeld besondere Aufmerksamkeit zu. Neben dem Rechtsetzungsverhältnis von Rechtsverordnung und Gesetz sind also auch funktionale und rechtsdogmatische Verschiebungen und Konvergenzen zwischen Rechtsverordnung und Satzung bzw. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften zu fokussieren, auch hier unter Bezugnahme auf die Rückwirkung der internationalrechtlichen Überwölbung der nationalen Rechtsordnung. 4. Fehlbestände in Theorie und Dogmatik exekutiver Rechtsetzung Die Rechtswissenschaft hat – losgelöst von spezifischen verfassungsrechtlichen Problemen – die Notwendigkeit einer übergeordneten, grundlegenden dogmatischen Durchdringung des Instituts der Rechtsverordnung des Öfteren dargetan. 47 Konstatiert wird mehrheitlich ein – auch im Verhältnis zu Gesetz 48, Verwaltungsvor43 Zur Rückführbarkeit dieses Grundsatzes der Verfassungsordnung auf die Stufenbaulehre Merkls und Kelsens vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925 (Nachdruck 1966), S.233 ff., insbes. S. 234 zur Verfassung als dem Gesetz gegenüber höherer Rechtsstufe sowie A. J. Merkl, in: Gesammelte Schriften I, 1993, S. 437 ff. 44 Dies verdeutlicht in ungebrochener Aktualität das Wort von F. Werner vom „Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht“ ders., DVBl. 1959, S. 527 ff., insbes. S. 527 unter aufschlussreicher Abgrenzung zu dem Wort von O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd.1, 3. Aufl. 1924 (Nachdruck 1969), Vorwort, wonach „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ und (mehr noch) in Abgrenzung zu dessen spezifischer Rezeption in der deutschen Staatsrechtslehre. 45 Als folgenreich wird sich beispielsweise erweisen, dass durch eine funktionale Erweiterung des Verordnungsbestandes der Druck auf die gesetzliche Verordnungsermächtigung vor allem im Hinblick auf die Bestimmtheitsklausel des Art.80 Abs. 1 S. 2 GG weiter erhöht wird. Das hier eintretende weitere Aufweichen der Verfassungsanforderungen ist dabei dann die Folge aus Erweiterungen bei den Verordnungsfunktionen. Umgekehrt könnten aber auch Funktionszuweisungen zur Legitimation und Kompensation gegenwärtiger verfassungsrechtlicher Defizite beitragen. 46 Vgl. hierzu die vorhergehenden Nachweise unter Einl., I., 1. 47 Vgl. dazu das Referat von F. Ossenbühl in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27 ff., insbes. S. 35 und in demselben Band die anschließenden Diskussionsbeiträge sowie Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 23. 48 Vgl. aus dem Kreis der Arbeiten zum Gesetzesbegriff des Grundgesetzes G. Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969; Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, Nachwort, S. 375 ff.; allgemein K. Eichenberger, in: VVDStRL 40 (1982), S. 7 ff.
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schriften 49 und Satzung 50 – spürbares analytisches wie verfassungstheoretisches Defizit. 51 Als ein wesentlicher Grund hierfür erscheint die dogmatisch schwer zu fassende Stellung der Rechtsverordnung im Schnittpunkt zwischen Legislative und Exekutive, zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht, zugleich als Gesetzesvollziehung und Rechtsetzung, Rechtsgrundlage und exekutive Handlungsform. 52 Die rechtswissenschaftlich defizitäre Situation schlägt sich in einer Vielzahl offener, praktisch höchst relevanter Rechtsfragen nieder: So etwa im Hinblick auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz insbesondere gegenüber Rechtsverordnungen des Bundes, 53 die korrespondierenden verfassungsprozessualen Fragen, 54 die Zulässigkeit verschiedener Formen parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte, 55 die Entwicklung eines Verfahrensstandards für die Verordnungsgebung 56 oder die Einschränkung von Gesetzgebungskompetenzen der Länder durch die Verordnungsgebung des Bundes. 57
49 Zur Dogmatik der Verwaltungsvorschriften wegweisend F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969; aktuell: A. Leisner, JZ 2002, S. 219 ff.; R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571 ff.; B. Remmert, Jura 2004, S. 728 ff. 50 Vgl. zum Satzungsrecht E. Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981; A. Hamann, Autonome Satzungen und Verfassungsrecht, 1958; M. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986; M. Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern, 1988. 51 Nachdrücklich A. Bleckmann, Zur Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1999, S. 374: „Die Rechtsverordnung ist bisher in der Literatur stark vernachlässigt worden.“ Ähnlich deutlich die Analyse von F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27 ff.; A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 108 konstatiert „rechtswissenschaftliches Desinteresse“ an der Rechtsverordnung. 52 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2004, §4, Rn.19; K. König/N. Dose, Klassifizierungsansätze staatlicher Handlungsformen, 1989, S.25; A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 109: Rechtsverordnung als Handlungsinstrument der Verwaltung und Rechtsquelle für nachfolgende Maßnahmen der Verwaltung in Vollzug der Verordnung; mit Blick auf das österreichische Verfassungsrecht R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 2. Aufl. 1974, S. 41 ff. 53 Vgl. hierzu BVerwGE 111, 276 (An- und Abflugstrecken) mit Anmerkung von H. H. Rupp, NVwZ 2002, S. 226 ff.; BVerwGE 119, 245; Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001; J.-Ch. Pielow, Die Verwaltung 32 (1999), S. 445 ff. 54 BVerfG-K, NVwZ-RR 2002, 545 (KfZ-Sachverständige); BVerfG-K, NVwZ 1998, 169 (Abflugstrecke); BVerfG-K, NJW 1999, 2031 (Fahrlehrer). 55 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999; C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999; J. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen, 2002; W. Schwanengel, Die Beteiligung der Landesparlamente an der Verordnungsgebung, 2002. 56 Dazu Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, z. B. S. 26 ff., 103 ff., 217 ff.; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990. 57 Hierzu P. Unruh/J. Strohmeyer, BayVBl. 1999, S. 609 ff.; H. Sendler, UPR 2002, S. 281 ff.
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Das theoretische wie dogmatische Defizit im Blick auf die Rechtsverordnung ist gleichermaßen Aufgabe und Chance für die rechtswissenschaftliche Forschung. Zurückgreifen lässt sich hierbei auf verschiedene Studien aus dem jüngeren Schrifttum, die Probleme des Verhältnisses von legislativer und exekutiver Rechtsetzung auseinandersetzen. 58 Auf der Folie der Analyse ihres Aufgaben- und Leistungsprofils wird in der vorliegenden Arbeit die dogmatische Struktur der Rechtsverordnung einer eingehenden verfassungsrechtlichen Untersuchung unterzogen. In der Auseinandersetzung funktional bedingter verfassungsrechtlicher Probleme soll darüber hinaus versucht werden, die gewonnenen Erkenntnisse für einen Beitrag zur Verfassungstheorie der Rechtsverordnung zu nutzen. Hierin liegt eine dritte Zielsetzung der Arbeit (hierzu der Zweite und Dritte Teil). Insbesondere soll versucht werden aufbauend auf der einfachgesetzlichen Erörterung zu einer modalen Strukturanalyse der Rechtsverordnung und ihrer Funktionen zu finden. Hieraus können sich wichtige Rückschlüsse für einen Beitrag zu einer Theorie der rechtlichen Regelungsformen ergeben, ein im Kontext des Verständnisses der Rechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft 59 häufig angemahntes und auch bereits angegangenes Forschungsprojekt. 60 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Maxime der Notwendigkeit einer Theorie darüber, welche rechtlichen Regelungsformen in Zeiten einer „regulatorischen Überforderung des Staates“ zur Lösung der komplexen Steuerungsaufgaben zur Verfügung stehen sollten, wie ihr Verhältnis zueinander beschaffen sein sollte und nach welchen Kriterien unter ihnen eine Auswahl getroffen werden könnte und müsste. 61 Gelegentlich werden ähnliche Überlegungen unter dem Begriff der „Rechtsetzungsorganisationslehre“ vorgetragen. 62 58 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000; P. Axer, Exekutive Normsetzung in der Sozialversicherung, 2000; H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999; Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000; vorhergehend T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989; J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986. 59 Zum Projekt einer verstärkten Implementation steuerungswissenschaftlicher Elemente in die Rechtswissenschaft G. F. Schuppert, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65, 72 ff.; Ch. Engel, in: Methodische Zugänge zu einem Recht der Gemeinschaftsgüter, 1998, S. 11 ff.; zur Konzentration und Zusammenführung diesbezüglicher Überlegungen im DFG-Forschungsprojekt „Reform des Verwaltungsrechts“ unter Federführung von Wolfgang Hoffmann-Riem und Eberhard Schmidt-Aßmann die zwischenzeitliche Bestandsaufnahme von A. Voßkuhle, VerwArch 92 (2001), S. 184 ff. sowie den Beitrag von Ch. Möllers, VerwArch 93 (2002), S. 22 ff. 60 G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 960; ders./Ch. Bumke, in: Die Zukunft des deutschen Bilanzrechts, 2000, S. 71 ff.; aktuell auch G. F. Schuppert, Gute Gesetzgebung, 2003. 61 G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S.960, 961. Vgl. auch die bei A. Voßkuhle, in: Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 171, 179 ff. für die Rechtswissenschaft vorgeschlagene Schwerpunktverlagerung von der „anwendungsbezogenen Interpretationswissenschaft“ zur „rechtsetzungsorientierten Entscheidungswissenschaft“. 62 P. Lerche, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.55 unter Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen im Referat von F. Ossenbühl im selben Band, S. 27 ff.
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Weiterhin gilt es, Ansatzpunkte zu finden für eine Rekonstruktion der Rechtsverordnung als Rechtsform spezifischer Rationalitätsgarantien. In dieser vierten Zielsetzung der Arbeit verbirgt sich die Option auf eine verfassungsorientierte Ausgestaltung der Rechtsetzungsorganisation, die in normativ bedeutenden Bereichen die demokratisch und rechtsstaatlich defizitäre Rechtsform der Verwaltungsvorschriften überflüssig macht (hierzu der Vierte Teil).
II. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in historischer Perspektive Die enge Ausrichtung der Arbeit auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Rechtsetzungsorganisation findet starke Bestätigung in der Verfassungsgeschichte. Die verfassungshistorische Perspektive 63 zeigt die unauflösbare Abhängigkeit des Systems originärer und abgeleiteter Rechtsquellen von der jeweiligen Staatsform und Verfassungsordnung: 64 Wenigstens für den Zeitraum gewaltenteilender Staatlichkeit lassen sich die Erscheinungsformen staatlicher Rechtsetzung unter wechselnden Verfassungen auf die Begriffe „Gesetz“ und „(Rechts-)Verordnung“ zurückführen. Als Rechtsbegriffe sind „Gesetz“ und „Verordnung“ jedoch keineswegs ahistorisch oder a priori feststehende Termini. 65 Sie werden vielmehr geprägt durch die „funktionale Abhängigkeit der staatsrechtlichen Begriffsbildungen von der jeweiligen Verfassungsstruktur“. 66 Das Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung unterliegt also in Bezogenheit auf die Verfassungslage einem beständigen Wandel. 67 Historische Voraussetzung für die Herausbildung der Verordnung als vom Gesetz unterschiedener verfassungsrechtlicher Kategorie ist die Aufspaltung der rechtsetzenden Gewalt zwischen Parlament und Exekutive. 68 Diese Aufspaltung geht mit dem Ausgang aus der absolutistisch-monarchischen monokratischen 63 Vgl. zum Folgenden: T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 159 ff.; W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Nachdruck 1964), S. 20 ff., 84 ff., 122 ff. 64 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64 Rn. 8; J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 44 ff. 65 Zum Umgang mit Anknüpfungen des Grundgesetzes an traditionelle Vorstellungen des Staatsrechts unter Hervorhebung der Bestimmungen des Grundgesetzes als methodischen Ausgangspunkt H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1984), S. 135, 151, 168. 66 D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 6; zur Diskontinuität verfassungsrechtlicher Gewährleistungen H. Heller, Staatslehre, 4. Aufl. 1970, S. 275 f.: „Die Verfassungsurkunden enthalten zwar typische Inhalte; theoretische Grundsätze für einen Vorbehalt des Verfassungsgesetzes existieren aber nicht. Darüber, was die Verfassungsurkunde regelt, entscheiden, wie beim allgemeinen Gesetzesvorbehalt, die Tradition, die politische Zweckmäßigkeit, die Machtlage und das Rechtsbewußtsein.“ 67 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 18; A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 117. 68 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 9; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 141; F.-J. Peine, ZG 1988, S. 121, 121 mit Fn. 1.
II. Die Verfassungsabhängigkeit in historischer Perspektive
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Staatsform 69 und gleichermaßen mit der Herausbildung differierbarer Staatsgewalten 70 einher. 71 Vorher war die Verordnung als Oberbegriff für jede Äußerung der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit herangezogen worden, 72 so dass die einsetzende Unterscheidbarkeit von Gesetz und Verordnung die rechtsdogmatische Erfassung des Verordnungsbegriffs erheblich erschwerte. 73 Zwar sahen die klassischen Theoriker der Gewaltenteilung wie John Locke und Charles de Montesquieu die Übertragung rechtsetzender Gewalt von der Legislative auf die Exekutive zunächst als systemwidrig und unzulässig (Locke) 74 oder wenigstens bedenklich (Montesquieu) 75 an. Auch die ersten geschriebenen Verfassungen gingen von einem starren Verständnis der Gewaltenteilung aus und betrachteten demgemäß Rechtsetzungsdelegationen im Grundsatz als unzulässig, so die ameri69 Zur Spiegelung der heutigen Unterscheidung von Gesetz und Rechtsverordnung in Rechtsformen aus römischer, germanischer und fränkischer Zeit und dem Mittelalter T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 159 ff.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 2. 70 Zur Entwicklung des Verfassungsbegriffs in Reichspublizistik und Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts von der Verfassung als „rechtlichem und tatsächlichem Gesamtzustand eines Territoriums“ über die Bedeutungsverlagerung auf die rechtliche Verfassung zur „Verfassung als in einer Verfassungsurkunde niedergelegter umfassender normativer Staatsordnung“ D. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 154 f. 71 W. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl. 1958, S. 89 ff. und die nachfolgenden Fn. 72 E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 237 f. mit Fn. 1; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 9; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 3 zur im Absolutismus fehlenden Unterscheidbarkeit in der Rechtswirkung von ungeteilt landesherrlicher Gesetzgebung in Form von Verordnungen, Statuten, Regelwerken oder Ordern. 73 Hierzu bereits G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, Freiburg 1887 (Nachdruck Aalen 1964), S. 366: „Nicht minder vieldeutig als der Begriff des Gesetzes ist der der Verordnung. Zuerst vor Beginn der constitutionellen Staatsordnung jede obrigkeitliche Anordnung bedeutend und nur an dem richterlichen Urtheil ihren Gegensatz findend, besitzt sie in keiner Sprache einen allgemein anerkannten Terminus. Erst mit dem constitutionellen Staate, der den formellen Begriff des Gesetzes scharf ausbildet, wird der Kreis der als Verordnungen zu bezeichnenden Willensakte des Staates derart verringert, dass er alle nicht als formelle Gesetze und Urtheile sich qualificirenden Aeusserungen des Staatswillens in sich schliesst.“ 74 John Locke schrieb im Jahr 1690 im „Second Treatise of Civil Government“, Chapter XI Ziff. 141: „The Legislative cannot transfer the Power of Making Laws to any other hands. For it being but a delegated power from the people, they who have it, cannot pass it over to others.“ Zitat nach der Ausgabe von P. Laslett, Two Treatises of Government, 1994, S. 362. 75 Charles de Montesquieu brachte seine Befürchtungen im Hauptwerk „De l’esprit des lois“ zum Ausdruck. In Livre XI, Chapitre VI heißt es zunächst: „Lorsque dans la même personne ou dans le même corps de magistrature, la puissance législative est réunie á la puissance exécutrice, il n’y a point de liberté, parce qu’on peut craindre que le même monarque ou le même sénat ne fasse des lois tyranniques, pour les exécuter tyranniquement.“ und nachfolgend „Si le monarque prenoit part à la législation par la faculté de statuer, il n’y a auroit plus de liberté“. Zitate nach Montesquieu, De l’esprit des lois, in: ders., Œuvres complètes, Tome second, 1784, S.33 (1. Zitat) und S. 44 (2. Zitat). Zur Kontrastierung gegenüber der vorgenannten Position von John Locke vgl. K.-P. Sommermann, JZ 1997, S.434, 434. Zur Lehre Montesquieus als Grundlegung der permanenten, institutionalisierten Gesetzgebung als Aufgabe des modernen Staates M. Draht, in: Rechts- und Staatslehre als Sozialwissenschaft, 1977, S. 71 ff., insbes. 76 ff.
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kanische Verfassung von 1787 76 oder die französische Verfassung von 1791. 77 Dennoch kam es sukzessive zu einer Verteilung der normgebenden Gewalt zwischen Legislative und Exekutive, begünstigt von Ideen der checks and balances und der Herausbildung eigenständiger demokratischer Legitimation der Exekutive. 78 1. Konstitutionalismus In der deutschen Verfassungsentwicklung setzt Anfang des 19. Jahrhunderts eine erste Auflösung des landesherrlichen Rechtsetzungsmonopols ein. Die süddeutschen Verfassungen sahen eine Beteiligung der Stände am Erlass von Gesetzen vor, die in Freiheit und Eigentum der Untertanen eingriffen. 79 Der übrige Bereich blieb – 76 Article 1, Section 1 der amerikanischen Verfassung von 1787 besagt: „All legislative Powers herein granted shall be vested in a Congress of the United States, which shall consist of a Senate and House of Representatives.“ Art. 2, Section 1 der Verfassung spricht von „the executive power“ und ordnet diese dem Präsidenten zu. Auf diesen Vorschriften baut die nondelegation doctrine des US-amerikanischen Verfassungsrechts auf, vgl. hierzu und zur weiteren dogmatischen Entwicklung L. H. Tribe, American Constitution Law, Vol. 1, 3. Ed., 2000, S.977 ff., auch zu der sich gleichwohl herausbildenden Delegationspraxis; aus der deutschsprachigen Literatur mit eingehenden Nachweisen zum Stand der Literatur sowie zur Entwicklung der amerikanischen Rechtsprechung zur Rechtsetzungsdelegation O. Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, S. 184 ff. 77 Article premier, Section première, Chapitre III, Titre III der französischen Verfassung von 1791 ordnete die Rechtsetzungsbefugnisse in umfassender Weise der Legislative zu: „La Constitution délègue exclusivement au Corps législatif les pouvoirs et fonctions ci-après: 1° De proposer et décréter les lois: le roi peut seulement inviter le Corps législatif a prendre un objet en considération; (...)“. Zitat nach J. Godechot, Les Constitutions de la France depuis 1789, 1984, S. 50. 78 Zu dieser Ursache für die Durchsetzung von Delegationskonzeptionen vgl. M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 18 ff. 79 Titel VII § 2 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (26.5.1818) lautete: „Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freyheit der Person oder das Eigentum des Staats-Angehörigen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben werden.“ Zitat nach E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl. 1978, S. 166; nach dems., ebd. handelt es sich hier um das erste Mal, dass die Freiheit- und Eigentum-Klausel in einer deutschen Verfassung auftaucht. In der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg (25.9.1819) lautete § 88: „Ohne Beistimmung der Stände kann kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erläutert werden“, §89: „Der König hat aber das Recht, ohne die Mitwirkung der Stände die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen und Anstalten zu treffen und in dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates das Nöthige vorzukehren.“; Zitat nach E. R. Huber, aaO, S. 198. In der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden (22.8.1818) lautete §65: „Zu allen andern, die Freyheit der Personen oder das Eigentum der Staatsangehörigen betreffenden allgemeinen neuen Landesgesetzen, oder zur Abänderung oder authentischen Erklärung der bestehenden, ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit einer jeden der beyden Kammern erforderlich.“; § 66: „Der Großherzog bestätigt und promulgirt die Gesetze, erlässt die zu deren Vollzug und Handhabung erforderlichen – die aus dem Aufsichts- und Verwaltungsrecht abfließenden – und alle für die Sicherheit des Staats nöthigen Verfügungen, Reglements und allgemeinen Verord-
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wie bisher – verfassungsrechtlich der Autonomie der Krone vorbehalten. 80 Dem Landesherrn verblieb dabei das Recht, ohne Mitwirkung der Stände, „die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen“ zu treffen und in „dringenden Fällen zur Sicherheit des Staates das Nötige vorzukehren“. 81 In der Staatsrechtslehre findet sich entsprechend dieser Verfassungslage bereits in der Zeit des Vormärz, so etwa bei Robert von Mohl, die terminologische Unterscheidung zwischen Gesetzen einerseits, d. h. solchen Normen, welche die Rechte der Bürger betrafen und ständischer Zustimmung bedurften, und Verordnungen andererseits, d. h. Normen, die ohne Teilnahme der Stände einseitig erlassen wurden. 82 Abgesehen von dieser Einschränkung der Verordnungsgewalt gab es zunächst keine inhaltlich-gegenständliche (materiell-rechtliche) Abgrenzung von Gesetz und Verordnung. 83 Da das Verordnungsrecht der Krone zunächst für diejenige Regelungsbereiche vorbehalten blieb, welche die Verfassung nicht ausdrücklich der Gesetzgebung übertragen hatte, war das normative Betätigungsfeld des Verordnungsgebers entsprechend groß. 84 Das Recht zum Erlass von Rechtsverordnungen wurde dabei aus dem monarchischen Prinzip abgeleitet. 85 Die Verordnung war geltender Staatsnungen. Er erlässt auch solche, ihrer Natur nach zwar zur ständischen Berathung geeignete, aber durch das Staatswohl dringend gebotene Verordnungen, deren vorübergehender Zweck durch jede Verzögerung vereitelt würde.“ Zitat nach E. R. Huber, aaO, S. 181. 80 W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 11. 81 Vgl. nochmals § 89 der Verfassungsurkunde Württemberg, abgedruckt bei E. R. Huber, aaO, S. 198. Zum Anknüpfen der süddeutschen Verfassungsbewegung nach 1815 an Gedanken der französischen Charte von 1814 und die damit verbundene mittelbare Rezeption des englischen Staatsrechts T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 164 f. und D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776–1866, 1988, S. 114 f. 82 R. v. Mohl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Bd. 1, 2. Aufl. 1840, S. 66 ff.; zu von Mohls Württembergischem Staatsrecht als Ausgangspunkt der sich alsbald allgemein durchsetzenden klaren terminologischen Abgrenzung von Gesetz und Verordnung D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 141; zur Rezeptionsgeschichte des Werks Robert von Mohls U. Scheuner, Der Staat 18 (1979), S. 1 ff. 83 K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 649. Zur begrifflichen Erfassung auch C. F. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880 (Nachdruck 1969), S. 155 in der Auslegung der Freiheit- und Eigentum-Klauseln verschiedener Landesverfassungen: „Nach diesen Verfassungen wird ein bedeutender Teil der Gesetzgebung, d. h. der staatlichen Festsetzung allgemeiner Normen von der Notwendigkeit ständischer Zustimmung ausgenommen, so dass man dann Gesetze unterscheiden muss, welche der Monarch nur mit, und Gesetze, welche er ohne Zustimmung der Stände ertheilen kann. Die letzteren kann man zum Unterschiede von jenen Verordnungen nennen, aber sie sind ihrer innern Kraft nach nicht weniger wirkliche und wahre Gesetze.“ 84 Hierzu M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 29 ff. 85 Vgl. etwa F.-J. Stahl, Staatslehre, 3. Aufl. 1856 (Neuausgabe 1910), S. 198 zur Verordnungstätigkeit des Fürsten als Ausdruck des monarchischen Prinzips und dessen Beschränkung durch den Parlamentarismus. Die Verordnungen seien keineswegs darauf beschränkt, zum Vollzuge der Gesetze zu dienen; dies sei nur eine Seite der Regierung, das Wesen der eigentlichen Regierung aber sei es im Gegenteil, unabhängig vom Gesetz etwas Neues, Positives, in freier, schöpferischer Tätigkeit hervorzubringen, die Zustände nach Zwecken zu fördern, ders., aaO, S. 60. 3 Saurer
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wille in Ermangelung eines Gesetzes. 86 Zur Kompetenzverteilung in nicht geregelten Fällen oder in Zweifelsfragen führte Heinrich Zoepfl aus: „Nach dem geschichtlichen Ursprunge und der Grundidee der repräsentativen Verfassung in Deutschland, wonach die Krone nur in bestimmten Beziehungen an die Mitwirkung der Stände gebunden werden kann, spricht im Zweifel die Vermutung für das Verordnungsrecht der Krone, bis aus dem Wortlaute oder dem Geiste der Verfassung und aus der Natur des betroffenen Gegenstandes nachgewiesen werden kann, dass derselbe in das Bereich der Gesetzgebung gehört.“ 87 Die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 regelte das Verordnungsrecht 88 indem § 80 FRV festlegte: „Der Kaiser hat das Recht des Gesetzvorschlages. Er übt die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmäßigen Beschränkungen aus. Er verkündigt die Reichsgesetze und erlässt die zur Vollziehung derselben nöthigen Verordnungen.“ 89 Nach der Analyse von Jörg-Detlef Kühne war die Verordnung nach dem System der Frankfurter Reichsverfassung als gesetzesabhängig bzw. subsidiär gedacht und qualitativ auf die Regulierung untergeordneter Details beschränkt. 90 Aus der in der FRV an verschiedenen Stellen verankerten Grundausrichtung des Vorstoßens der Grundrechte in Bereiche, die im Vormärz der Verordnungskompetenz der Exekutive überlassen waren (Polizeiverwaltung, besondere Gewaltverhältnisse des Militärs, der Schule, der Strafvollziehung) und deren wenigstens teilweiser Öffnung für den gesetzgeberischen Zugriff, folgte eine Zurückdrängung des selbständigen monarchischen Verordnungsrechts, das in diesem Bereich im Vormärz dominiert hatte und auch nach 1849 wieder dominierte.91 Art. 45 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850 lautete: „Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt und entlässt die Minister. Er befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erlässt die zu deren Ausführungen nöthigen Verordnungen.“ 92 Eingeschränkt wurde hierdurch die Regel des Art. 62, der die ge86 So etwa L. von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 1, Abt. 1, 1869, S. 78: Die Verordnung könne „ihrer wahren Aufgabe nicht durch einen mechanistischen Dienst gegenüber dem Gesetze genügen; sie muss vielmehr von dem Wesen, von der Forderungen, von den Zielen der Staatsidee innerlich durchdrungen sein, immer eben so sehr, oft noch lebendiger als die Gesetzgebung, weil sie die Staatsidee mitten unter den Verschiedenheiten örtlicher und zeitlicher Zustände festhalten soll; ja sie muss beständig das Gesetz ersetzen, über dasselbe hinausgehen, es im Grunde noch breiter auffassen als die Gesetzgebung selbst, denn wo das Gesetz mangelt, da ist sie selbst die höchste Gewalt“. 87 H. Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, Zweiter Teil, 5. Aufl. (Nachdruck 1975), S. 522. 88 Unter Betonung des rein integralen Charakters dieser Regelung T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 166. 89 Zitat der Frankfurter Reichsverfassung nach E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl. 1978, S. 382 f. 90 J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl. 1998, S. 518. 91 J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2.Aufl. 1998, S.515 ff.; W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 11 ff. 92 Zitat nach E. R. Huber, aaO, S. 505.
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meinschaftliche Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch den König und zwei Kammern statuierte. 93 In der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 enthielt zwar Art. 5 94 eine dem Art. 62 der preußischen Verfassungsurkunde vergleichbare Regel, eine dem Art. 45 der preußischen Verfassung entsprechende Anordnung fehlte jedoch. 95 Die spätkonstitutionelle Staatsrechtslehre 96 entwickelte insbesondere in der Person von Paul Laband 97 auf der verfassungstextlichen Grundlage der Preußischen Verfassungsurkunde eine grundlegende Neuausrichtung des Verhältnisses von Gesetz und Rechtsverordnung und der gesamten Rechtsetzungsorganisation, deren dogmatische Grundzüge auch zur Erfassung der Verfassungslage im Deutschen Reich nach 1871 herangezogen wurden. 98 Laband unterwarf zum einen jede Rechtsverordnung dem Erfordernis einer einfachgesetzlichen Ermächtigung, 99 zum ande93 Art. 62 S. 1 und S. 2 der Preußischen Verfassung vom 31.1.1850 lauteten: „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich.“ Art.63 regelte ein Notverordnungsrecht: „Nur in dem Falle, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortung des gesammten Staatsministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.“ Zitate nach E. R. Huber, aaO, S. 507. 94 Art. 5 der Verfassung des Deutschen Reiches (16.4.1871) lautete: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.“ Zitat nach E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, 3. Aufl. 1986, S. 387. 95 Die Reichsverfassung von 1871 sah nur für einzelne Materien, nämlich Post und Telegraphie, Marine und Militär in den Art. 50, 53, 63 ein Verordnungsrecht des Kaisers vor. 96 Überblick bei G. Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des königlichen Verordnungsrechts nach preussischem Staatsrecht, 2. Aufl. 1901. 97 Zur Dominanz der Grundlegungen Labands zur Dogmatik der Rechtsetzungsformen innerhalb der spätkonstitutionellen Staatsrechtslehre vgl. die Hervorhebung der zentralen Bedeutung Labands für alle „tiefer dringende Untersuchungen über Arten und Rechtsgrundlagen der Verordnungen“ bei E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 236 f. mit Fn. 1 und die Darstellung der deutschen Entwicklung des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung bei C. Schmitt, ZaÖRV VI (1936), S.252, 260 f.; allgemein zu Labands Stellung H. Triepel, Staatsrecht und Politik, 1927, S. 9: „Labands Staatsrecht hat mehr als eine Generation deutscher Publizisten vollständig beherrscht.“ 98 Für die preußische Verfassung P. Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preussischen Verfassungsurkunde, Berlin 1871 (Nachdruck 1971), S.12; für die Reichsverfassung P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911 (Nachdruck 1964), S. 85 ff., 97. 99 Die Auffassung Labands war zwar als „die in der Theorie herrschende Ansicht“ anerkannt (so etwa G. Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des königlichen Verordnungsrechts nach preussischem Staatsrecht, 2. Aufl. 1901, S. 15, 17; A. Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reiches, 1884, S. 25), wurde gleichwohl nicht von allen Autoren geteilt, vgl. die eingehende Kritik des Postulats des Erfordernisses einer einfachgesetzlichen Ermächtigung bei A. Arndt, aaO, 1884, S.25–34. Die-
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ren entwickelte er die Differenzierung von Verwaltungsverordnungen und Rechtsverordnungen am Merkmal ihrer Rechtswirkungen.100 Im Argumentationsgang der 5. Auflage des Staatsrecht des Deutschen Reiches von 1911 gelangt Laband ausgehend von der Qualifizierung der „Vertretung des Gesetzes durch eine Verordnung“ als „Abweichung von der verfassungsmäßigen Organisation und Funktion der gesetzgebenden Faktoren“ 101 über die Feststellung, die Reichsverfassung erteile keinem Organ des Reiches eine „allgemeine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen behufs Ergänzung oder Ausführung von Reichsgesetzen“ unter Auseinandersetzung der Staatspraxis zum Ergebnis, dass auch unterhalb einer ausdrücklichen verfassungstextlichen Kompetenz der Erlass von Rechtsverordnungen zulässig sei, soweit eine einfachgesetzliche Ermächtigung vorliege: „Jede Verordnung, welche Rechtsvorschriften enthält, kann nur gültig erlassen werden auf Grund einer speziellen reichsgesetzlichen Delegation.“ 102 Der Kreis möglicher Delegatare auf der Grundlage von Reichsgesetzen bestehe aus Bundesrat, Kaiser, Reichskanzler oder anderer Reichsbehörde sowie den Einzelstaaten. 103 Weiterführend ist ein von Laband zur Verfassungslage unter der Reichsverfassung von 1871 vorgetragenes Argument, dessen Rezeption die Stellung des damaligen Bundesrates als des maßgeblichen Verordnungsgebers zu bedenken hat: Das Erfordernis der einfachgesetzlichen Ermächtigung erfahre seine verfassungsrechtliche Herleitung daraus, dass dem Bundesrat nach der Verfassung von 1871 ser sah in Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung („Der Bundesrat beschließt über die zur Ausführung der Reichsgesetzes erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist“) eine Ermächtigung des Bundesrates zum Erlass von Rechtsverordnungen: Durch diese Vorschrift sei dem Bundesrat die allgemeine Befugnis übertragen worden, die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen, die auch Rechtsnormen enthalten dürften, ders., aaO, 1884, S.35 ff., zusammenfassend etwa S. 57. Teilweise wurde aus Art. 17 der Reichsverfassung (Übertragung der „Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze“) eine Befugnis des Kaisers zum Erlass von Ausführungsverordnungen hergeleitet, andere nahmen davon losgelöst ein selbständiges Recht des Bundesrates zum Erlass von Rechtsverordnungen an, vgl. den Überblick bei G. Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien, 2. Aufl. 1901, S. 112 ff. zu den konträr zur herrschenden Meinung stehenden Positionen von E. Mayer (S. 112 ff.), R. v. Gneist (S. 114 ff.), C. Bornhak (S. 122 ff.) und P. Zorn (S. 132 ff.). 100 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911 (Nachdruck 1964), S. 87: Die Verordnungen zerfallen in Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen. Zur Rezeption dieser Unterscheidung G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Nachdruck 1964), S. 384, Fn. 28: „Von den meisten Autoren acceptirt.“ Den in der Reichsverfassung von 1871 etwa in Art. 7, Ziff. 2 als Rechtsbegriff verwandten Terminus der „Verwaltungsvorschriften“ ordnet Laband ausschließlich dem staatlichen Binnenbereich zu; vgl. zur abweichenden Position Arndts die Nachweise in der vorangegangenen Fn. 101 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911 (Nachdruck 1964), S. 89 im Anschluss an A. Haenel, Studien zum Deutsche Staatsrechte, Band II, Teilb. 2, 1988, S. 64. 102 P. Laband, aaO, S. 96 f. Zustimmend G. Anschütz, Die gegenwärtigen Theorien über den Umfang der gesetzgebenden Gewalt, 2. Aufl. 1901 (Nachdruck 1971), z. B. S. 16: Rechtsverordnungen könnten nur auf formell gesetzlicher Ermächtigung erlassen werden. 103 P. Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, 7. Aufl. 1919 (Nachdruck 1969), S. 138 ff.
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schon deshalb kein selbständiges Verordnungsrecht zugesprochen werden könne, weil er sein Dasein und alle seine Befugnisse nur aus der Verfassung ableitete. 104 Das Erfordernis einer Ermächtigungsnorm wird für Laband zum wesentlichen Aspekt der Unterscheidung von Gesetz und Rechtsverordnung: „In der Form des Gesetzes kann das Reich, so wie jeder souveräne Staat, jeden Willensakt, gleichviel worin sein Inhalt besteht, rechtswirksam erklären; die Rechtsverordnung kann dagegen nur auf Grund einer besonderen Ermächtigung erlassen werden.“105 Georg Jellinek modifizierte die Systematisierung Labands zur Unterscheidung von „selbständigen“, also unmittelbar auf der Verfassung beruhenden, und „unselbständigen“ Verordnungen, die in Existenz und Wirksamkeit durch ein spezielles Gesetz bestimmt würden. 106 Hervorzuheben ist, dass nach der Grundlegung von Laband der gesetzgeberischen Delegation jenseits der Schaffung einer formalgesetzlichen Ermächtigungsnorm keine engeren inhaltlichen Grenzen gesetzt sind: „Der Kreis der durch Verordnung zu regelnden Rechtsbeziehungen kann ein sehr weiter sein; ein Gesetz kann möglicherweise weiter nichts enthalten als die Anordnung, dass eine gewisse Materie durch Verordnung normiert werden soll.“ 107 Diese Bestimmung der Rechtsetzungsorganisation nach der Verfassung von 1871, nach der einerseits das ursprünglich selbständige Verordnungsrecht des Monarchen in einem gesetzlichen delegierten Verordnungsrecht aufgeht, andererseits der Delegationsfreiheit des Gesetzgebers keine Grenzen gesetzt sind, spiegelt den im Verlaufe des 19. Jahrhunderts eintretenden Wandel zu einem von materiellen Staatszwecken abstrahierenden formalen Rechtsstaatsverständnis. Nachdem der Rechtsstaat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere von Karl Theodor Welcker und Robert von Mohl 108 als „materiell staatsrechtlicher Begriff, d. h. als ‚Staat der Vernunft‘“ 109 entfaltet worden war, 110 traten neben und vor die eingeführten materiellen 104 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd.2, 4. Aufl., 1901, S. 83 f.; Hervorhebung nach der Rezeption Labands bei P. Schoen, AöR 45 (1923/24), S. 133, 141; vgl. auch G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Nachdruck 1964), S. 124, 126 f. 105 P. Laband, aaO, S. 106. 106 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Nachdruck 1964), S. 366 ff. 107 P. Laband, aaO, S. 107. Zum Verständnis dieses Satzes die Interpretation bei C. Schmitt, ZaÖRV VI (1936), S. 252, 261: „Der Ausdruck ‚gewisse Materie‘ bedeutet hier nicht etwa die Forderung einer ‚bestimmten Materie‘, im Sinn einer inhaltlichen Begrenzung, sondern besagt nur, daß die Ermächtigung natürlich irgendwie angeben muß, worauf sie sich bezieht.“ Auch nach Richard Thoma ging Laband von der unbeschränkten Delegationsbefugnis des Gesetzund Verfassungsgebers aus, vgl. R. Thoma, in: HdbDStR II, 1932, S.221, 227 mit Fn. 17. Demgegenüber entnimmt F. Poetzsch zur Unterfütterung der eigenen Forderung nach der Begrenzung der Delegation auf „ein bestimmtes Lebensverhältnis“ dem Werk Labands das Erfordernis, wonach die Delegation immer auf „einen bestimmten Kreis von Anordnungen“ abstellen müsse, vgl. dens., in: Verhandlungen des 32. DJT, 1922, S. 35, 43. 108 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: FS A. Arndt, 1969, S. 53, 54 f. 109 Wie Böckenförde, ebd. führt auch K. Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 769 die Einführung des Terminus „Rechtsstaat“ in die Staatsrechtswissenschaft auf Robert von Mohl zurück.
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Elemente des Rechtsstaatsverständnisses zunehmend formale Aspekte. 111 Der Rechtsstaat wird nunmehr vor allem charakterisiert durch die Rechtsgebundenheit des Staatshandelns. Betont werden insbesondere die „Existenz des Rechts als Ordnungsvoraussetzung, die Bindung des Staatshandelns an das Gesetz und seine Überprüfbarkeit durch unabhängige Gerichte; die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung mit dem Vorbehalt des Rechts, später des formellen Gesetzes; schließlich die Haftung von Staat und Beamten für schuldhafte Rechtsverletzungen“. 112 Die Grundposition der einerseits zwar erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsnorm, andererseits aber unbegrenzten inhaltlichen Reichweite der Delegation ermöglichte während des Ersten Weltkriegs 113 eine fortschreitende Kompetenzdelegation, 114 die der Exekutive unter Ausschaltung des Parlaments eine führende Rolle bei der Ausgestaltung des Kriegswirtschaftsrechts zuwies und nicht selten den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung verwischte. 115 Verfassungspolitisch entfaltete dies eine weitreichende Vorbildwirkung 116 für eine Kette von Ermächtigungsgesetzen in der Weimarer Zeit. 117 2. Weimarer Republik Mit der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 erhielt der deutsche Staat erstmals eine auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufbauende republikanische Verfassungsordnung. 118 Art. 1 der Weimarer Reichsverfassung 119 lautete: 110 H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 20 (R), Rn. 12 charakterisiert dieses frühe Rechtsstaatsverständnis dahin, dass dem Rechtsstaat danach die wesentliche Aufgabe zukomme, die Hindernisse für eine allseitige Entfaltung bürgerlicher Freiheit des autonomen Individuums zu beseitigen, namentlich durch parlamentarische Gesetze und durch Gewährleistung von Gleichheit und Verhältnismäßigkeit mit Hilfe von Gerichten und Verwaltung. 111 Zum Beruhen der Reichsverfassung von 1871 auf einem von materiellen Zwecken abstrahierenden formalen Rechtsstaatsverständnis H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260 ff.; vgl. auch den Abriß der Geschichte des Rechtsstaatsgedankens bei E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 13 f. 112 H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 20 (R), Rn. 13. 113 Vgl. § 3 des Reichsgesetzes über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen vom 4. August 1914: „Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen als notwendig erweisen“, RGBl.I S. 327. Zu diesem Ermächtigungsgesetz E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. V, 1978, S. 63: „Ein Verfassungsereignis von epochalem Rang.“ Eingehend M. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich 1914–1933, 1985, S. 5 ff. 114 Vgl. die Darstellung bei C. Schmitt, ZaÖRV VI (1936), S. 252, 261, der die Delegationspraxis während des Ersten Weltkriegs als Ausdruck der Übereinstimmung von Staatspraxis und Verfassungsdogmatik bewertet. 115 Hierzu die Analyse von M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 2. 116 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 11. 117 H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 2; W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 18; F. Ossenbühl, ZG 1997, S. 305, 307. 118 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933 (Nachdruck 1960), S. 97 f.
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„Das Deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ In Art. 68 der Weimarer Reichsverfassung fand sich eine umfassende Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen an den Reichstag: „Die Gesetzesvorlagen werden von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichtages eingebracht. Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen.“ 120 Wilhelm Mößle skizziert diese elementare Umwälzung der Funktion staatlicher Rechtsetzung durch die Weimarer Reichsverfassung dahin, dass es sich nunmehr bei der Gesetzgebung „nicht mehr um eine von Regierung und Parlament gemeinsam und einvernehmlich wahrzunehmende Funktion, sondern um eine von der Verfassung ausschließlich dem Parlament zugewiesene Domäne“ gehandelt habe. 121 Gerade auch aus der umfassenden Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen an den Reichtag gem. Art. 68 Abs. 2 WRV ergab sich, dass materielle Rechtssätze grundsätzlich nur im Wege der formellen Gesetzgebung zu erlassen waren – die Delegation auf die Exekutive war gleichsam nur als Ausnahme zulässig. 122 Mit der Abschaffung der Monarchie sowie der Begründung eines parlamentarisch-demokratischen Systems und der darin liegenden Anerkennung des Prinzips der Volkssouveränität war eine Zweiteilung der Rechtsetzungskompetenz in parlamentarisches Gesetzgebungsrecht und autonome (monarchische) Verordnungsgewalt also ausgeschlossen. 123 Eine ausdrückliche Regelung der allgemeinen Verordnungsgebung enthielt die Verfassung vom August 1919 gleichwohl nicht. 124 Nur für einzelne Bereiche war die Verordnungsgebung ausdrücklich verfassungsrechtlich angeordnet, 125 so in Art. 88 WRV für das Post- und 119 RGBl. 1919, 1383, Zitat nach E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, 3. Aufl. 1992, S. 151. 120 Art. 68 Weimarer Reichsverfassung zitiert nach E. R Huber, aaO, S. 161. 121 W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 24. 122 Vgl. F. Poetzsch, in: Verhandlungen des 32. DJT, 1922, S. 35, 37: Als Verbürgung des Rechtsstaates müssten die Rechtssätze nach Art. 68 der Reichsverfassung grundsätzlich den Weg der Gesetzgebung gehen; Verordnungsermächtigungen seien zulässig als der einfachen Gesetzgebung gestattete „vereinzelte Ausnahmen“. 123 D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 98, allgemeingültig für den Übergang von absolutistisch-monarchischen zu rechtsstaatlich-demokratischen Staatsformen: „Die Exekutive hat – im Gegensatz zur konstitutionellen Monarchie – ihre Basis nicht mehr in einem aus einer früheren staatsrechtlichen Epoche in den modernen Verfassungsstaat hinübergeretteten Eigenbereich. Ihre Kompetenzen sind nicht nur durch die Verfassung beschränkt und im übrigen absolutisch unbeschränkt, sondern fließen allein aus der Verfassung selbst. Die Verfassung ist also nicht ein Mittel, um gewisse Bereiche der Zuständigkeit und der freien Verfügung der Exekutive zu entziehen, sondern die Verfassung ist die Quelle, aus der auch die Exekutive ihre Rechte allein ableiten kann.“ 124 Hierzu E. Roethe, AöR 59 (1931), S.194 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI, 1981, S. 434 ff.; S. Magiera, Der Staat 13 (1974), S. 1, 1 ff.; O. Lepsius, in: Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, S. 366 ff. 125 Näher zu den Ermächtigungen des Art.176 WRV, welcher den Reichspräsidenten beauftragte, das Nähere über die hier angeordnete Vereidigung der „öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht“ durch Verordnung zu bestimmen und des Art. 179 Abs. 2, welcher bestimmte, dass die bei Emanation der Reichsverfassung dem Staatenausschuss zustehende Befugnis zum Erlass von Verordnungen auf die Reichsregierung übergeht, die Darstellung bei P. Schoen, AöR 45 (1923/24), S. 133, 142 ff.
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Telegraphenwesen 126 und in Art. 91 für den Bereich der Eisenbahnen. 127 Eine stillschweigende Ermächtigung wurde von Anfang an in Art. 48 WRV gesehen, 128 dem entnommen wurde, dass zu den „nötigen Maßnahmen“, die der Reichspräsident im Falle des sog. Ausnahmezustandes treffen dürfe, auch der Erlass von Rechtsverordnungen gehöre. 129 Der dünne verfassungstextliche Regelungsrahmen begünstigte die weitestgehende Übernahme der auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie gewachsenen Begriffe, Definitionen und Abgrenzungen. 130 In der Staatsrechtslehre wurde die im Kaiserreich entwickelte Unterscheidung von Gesetz und Verordnung einerseits sowie Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen andererseits nahezu bruchlos fortgeführt. 131 Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts wurde weiterhin nach dem Vorliegen eines Eingriffs in Freiheit und Eigentum bestimmt. 132 Damit richtete sich auch die Unterscheidung zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung danach, ob sich die jeweilige Norm an die Behörden wandte oder aber „bindend und befehlend in Freiheit und Eigentum der Bürger“ eingriff und damit, „ihrem inneren Wesen nach“, Gesetzescharakter hatte. 133 Das von Laband für die Preußische Verfassung von 1850 und die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 entwickelte Erfordernis der Abhängigkeit der Rechtsverordnungen von spezifischen parlamentsgesetzlichen Ermächtigungen wurde unter Geltung der Weimarer 126 Art. 88 Abs. 3 WRV (11.8.1919) lautete: „Die Reichsregierung erlässt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, welche Grundsätze und Gebühren für die Benutzung der Verkehrseinrichtungen festsetzen. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den Reichspostminister übertragen.“ Zitat nach E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, 3. Aufl. 1992, S. 164 (hier auch zur Aufhebung der Bestimmung 1924). 127 Art. 91 WRV lautete: „Die Reichsregierung erlässt mit Zustimmung des Reichsrats die Verordnungen, die den Bau, den Betrieb und den Verkehr der Eisenbahnen regeln. Sie kann diese Befugnis mit Zustimmung des Reichsrats auf den zuständigen Reichsminister übertragen.“ Zitat nach E. R. Huber, aaO, S. 165. 128 Vgl. P. Schoen, AöR 45 (1923/24), S. 133, 142 sowie die Entscheidung des Reichsgerichts vom 29.10.1920, RGSt. 55, 116. 129 Art. 48 Abs. 2 WRV lautete: „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten.“ 130 P. L. Lindseth, The Yale Law Journal 113 (2004), S. 1341, 1365; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 152. 131 W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 24 spricht davon, die von der „vorrevolutionären Staatsrechtslehre“ erarbeitete Systematik sei der WRV „stillschweigend zugrunde gelegt“ worden; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 152 f. 132 D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 152. 133 Vgl. W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 23 mit näheren Nachweisen. Aufrechterhalten blieb auch die Differenzierung zwischen bloßen Ausführungsverordnungen zur näheren Entfaltung und Detaillierung der gesetzlichen Regelung, und „selbständigen“ Verordnungen, die von der – selbständigen und eigenständigen – Ergänzung eines Gesetzes bis zur vollständigen Regelung einer Materie reichen konnten, hierzu A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 46 f.; W. Mößle, aaO, S. 23 f.
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Reichsverfassung durchgehend anerkannt. 134 Eine verfassungsrechtliche Grundlage für diesen Schluss wurde in Art. 77 WRV 135 gesehen. 136 Entscheidende staatsrechtliche Frage war also in Weimarer Zeit nicht das grundsätzliche Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm, sondern vielmehr die Reichweite der gesetzlichen Delegationsbefugnis, mithin die notwendige Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur. Die in dieser Frage divergierenden Auffassungen in der Staatsrechtslehre sahen sich mit einer Staatspraxis konfrontiert, 137 deren Rechtsetzung mit dem Rückzug des parlamentarischen Gesetzgebers auf weitreichende Ermächtigungsgesetze anknüpfte an die Zeit vor Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung. 138 Wirtschaftliche Notlagen, parteipolitische Gegensätze im Parlament, die Komplexität der Verwaltungsaufgaben im Wirtschafts- und Sozialstaat und die „machtpolitischen Tendenz der Bürokratie, immer mehr Rechtsetzungsbefugnisse an sich zu ziehen“ führten zu einer weitgehenden Zurückdrängung der förmlichen Gesetzgebung. 139 Grundsätzlich anerkannt waren dabei sowohl gesetzesvertretende als auch gesetzesausführende Rechtsverordnungen. 140 Der Deutsche Juristentag setzte angesichts der delegationsextensiven Staatspraxis bereits im Jahr 1921 das Thema auf die Tagesordnung, ob und in welchem Umfang das Parlament unter der Herrschaft einer demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassung sein Gesetzgebungsrecht überhaupt delegieren dürfe. 141 Die Bericht134 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 47; D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 152 f. 135 Art. 77 WRV lautete: „Die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften erlässt, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen, die Reichsregierung. Sie bedarf dazu der Zustimmung des Reichsrats, wenn die Ausführung der Reichsgesetze den Landesbehörden zusteht.“ 136 Vgl. G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933 (Nachdruck 1960), S. 411. 137 Zum Nachfolgenden die Analyse bei P. L. Lindseth, The Yale Law Journal 113 (2004), S. 1341, 1361 ff. 138 Zu der Ermächtigungsgesetzgebung von 1914 vgl. oben; zu den drei noch vor Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung auf der Grundlage des „Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt“ vom 10.2.1919 von der Nationalversammlung erlassenen Ermächtigungsgesetzes (RGBl. 1919, S.169) und ihrer jeweils generalvollmachtartigen Delegation gesetzgebender Gewalt an die Exekutive vgl. A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 48; hier auch im Wortlaut wiedergegeben die Ermächtigung des § 1 des „Gesetzes über eine vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft“ vom 17.4.1919; RGBl. 1919, S. 394. 139 H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 3; E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 239; hierzu die Darstellung der Weimarer Rechtsetzungspraxis bei Ch. Möllers, in: Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, S. 415, 417 ff. und M. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich 1914–1933, 1985, S. 47 ff. sowie Anhang, Teil III, Nr. 1, S. 1–7 mit einer Aufstellung von 98 Verordnungen, die allein auf der Grundlage des Gesetzes über eine vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft vom 17.4.1919 ergingen. 140 E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236 ff. 141 W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 24. Zur Diskussion um verfassungsrechtliche Vorkehrungen zur Eindämmung namentlich von Blankoermächtigungen und dem
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erstatter Heinrich Triepel und Fritz Poetzsch sahen die der Reichsregierung erteilten Vollmachten aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit und übertriebenen Weite als mit der republikanisch-demokratischen Verfassung nicht vereinbar an. 142 Wenn die Verfassung der Volksvertretung die Gesetzgebungskompetenz zuweise, könne das Parlament diese nicht beliebig und nach Gutdünken auf ein anderes Organ übertragen, ohne die Verfassung samt ihrer Aufgabenverteilung in Frage zu stellen. 143 Beide Berichterstatter mahnten eine weitgehende Rücknahme der Delegationspraxis an, ohne allerdings eine ausdrückliche Regelung der Grenze zwischen Gesetz und Verordnung in der Verfassung zu fordern. 144 Sowohl die Staatspraxis als auch der weit überwiegende Teil der Rechtswissenschaft 145 gingen über die vorgetragenen Bedenken jedoch hinweg. 146 Dementsprechend waren gesetzesvertretende, gesetzesaufhebende, gesetzesändernde und sogar verfassungsändernde Verordnun-
Insistieren der herrschenden Lesart auf der prinzipiell unbeschränkten Delegationsbefugnis H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061, 1067. 142 Deutlich F. Poetzsch, in: Verhandlungen des 32. DJT, 1922, S. 35, 46 ff. mit Beispielen zu „den Rahmen der Verfassung überschreitenden Ermächtigungen“. Ähnlich H. Triepel, aaO, S. 55 (Ls. 1): die gesetzlichen Ermächtigungen litten vielfach an Unbestimmtheit des Inhalts und an übertriebener Weite. Die auf deren Grundlage ergehenden Rechtsverordnungen griffen häufig tief in die wichtigsten Lebensverhältnisse ein und nähmen an dem bestehende Gesetzesrechte wichtiger Bereiche einschneidende Änderungen vor. Gegen diese Verordnungspraxis erhebe sich entschiedener Widerspruch. 143 H. Triepel, in: Verhandlungen des 32. DJT (1922), S. 17, 26 f.; hierzu die Darstellung bei W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 24. 144 H. Triepel, in: Verhandlungen des 32. DJT (1922), S. 56 (Ls. 4.): Die genaue Absteckung der Grenzen zwischen Gesetz und Rechtsverordnung sei der Wissenschaft und der Praxis überlassen. Von den an der Reichsgesetzgebung beteiligten Stellen müsse erwartet werden, dass sie in Zukunft die Verleihung von Verordnungsrecht auf das mit der Verfassung verträgliche und auf das unumgänglich notwendige Maß beschränken, von den Gerichten, dass sie das ihnen zustehende Prüfungsrecht ohne Rücksicht handhabten. F. Poetzsch, in: Verhandlungen des 32. DJT (1922), S. 35, 47 f. hielt eine Verfassungsänderung für nicht notwendig, da das Verordnungsrecht nach der gegenwärtigen Verfassung bereits genügend beschränkt sei und mahnte gleichermaßen die „gesetzgebenden Faktoren, auch den Erlass von Verfassungsgesetzen zur Ermöglichung eines über die dargelegten Grenzen hinausgehenden allgemeinen Verordnungsrechts auf die dringendsten Fälle zu beschränken“. 145 Vgl. zur herrschenden Meinung in der Weimarer Staatsrechtslehre, welche zwar unter Hinweis auf das Prinzip des gewaltenteilenden Rechtsstaates ein sog. selbständiges Verordnungsrecht ablehnte, aber prinzipiell umfassende gesetzliche Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen zuließ, unter eingehender Kritik an den Positionen Triepels auch die Darstellung bei P. Schoen, AöR 45 (1923/24), S. 133, 150 ff. 146 Nicht zu übersehen ist aber, dass einige Autoren an der verfassungsrechtlich begründeten Position der inhaltlichen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung festhielten, so etwa R. Thoma, in: HdbDStR II, 1932, S.221, 227, nach welchem sich der Gebrauch der gesetzgeberischen Delegationsfreiheit in „gewissen äußerßten (schwer formulierbaren) Grenzen“ halten müsse, jenseits derer ein verfassungswidriger Missbrauch vorläge. Die Argumente für diese Position gewinnt Richard Thoma aus dem Demokratieprinzip und aus dem Bundesstaatsprinzip, wenn er (ebd.) darlegt: „Man beachte, dass die Übertragung der Normsetzung an ein Verwaltungsorgan die parlamentarischen Minderheiten und das Volk, ferner im Reich den Reichsrat, in Preußen den Staatsrat ihrer Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung beraubt.“
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gen 147 möglich. Zur praktischen Bedeutung dieser Rechtsform am Ende der Weimarer Republik verzeichnete Erwin Jacobi ein „Überhandnehmen der Rechtsverordnungen“, welches „das förmliche Gesetz fast zur Ausnahmeerscheinung gegenüber der Rechtsverordnung macht und damit das Verfassungsprinzip der Trennung von Gesetzgebung und Verwaltung in die Gefahr bringt, leere Formel zu werden.“ 148 Die Staatspraxis der frühen 1930er Jahre war dominiert von Notverordnungen des Reichspräsidenten auf der Grundlage von Art. 48 WRV. 149 Die zugrunde liegende „Überschreitung der Tatbestandsmerkmale“ des Art. 48 Abs. 2 WRV, dessen Wortlaut 150 für die praktizierte Ausweitung der Verordnungsbefugnisse des Reichspräsidenten nichts hergab, ist von Staatspraxis, Rechtsprechung und Lehre gemeinsam entwickelt worden. 151 Begünstigt wurde diese Fehlentwicklung von der anhaltenden Infragestellung des Prinzips des Vorrangs der Verfassung seitens vieler Staatsrechtslehrer. 152 Am 20. Juli 1932 erging auf der Grundlage von Art. 48 WRV die „Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen“, die als „Preußenschlag“ bekannt gewordene Absetzung der Regierung des Landes Preußen durch die Reichsregierung von Papen. 153
147 Vgl. hierzu den Nachweis zu § 1 S. 2 des Ermächtigungsgesetzes vom 13. Oktober 1923, RGBl. I, S. 943 („Dabei kann von den Grundrechten der Reichsverfassung abgewichen werden“) bei A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 49. 148 E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 239, der die Ursache für diese Rechtsentwicklung unter anderem darin erblickte, dass „ein moderner Regierungs- und Verwaltungsorganismus“ strukturell besser in der Lage sei, die schweren Nöte der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung zu bewältigen als „ein nach Hunderten zählendes Parlament“. 149 Zu dieser Entwicklung Anfang der 1930er Jahre bis hin zur „Anerkennung eines praktisch unbegrenzten verfassungsunmittelbaren Verordnungsrechts der Exekutive“ J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 60 ff. und die Darstellung bei H. Schneider, in: HStR I, 3. Aufl. 2003, § 5, Rn. 53 ff.; mit Periodisierung der rechtlichen Interpretation und Anwendung des Art.48 WRV U. Scheuner, in: FS H. Brüning, 1967, S.249 ff.: Zu unterscheiden seien eine erste Periode bis 1924, der folgende Zeitabschnitt 1925–1929, der dritte entscheidende Zeitraum der beiden Jahre der Regierung Brüning 1930–1932, schließlich die vierte und letzte Epoche einer rechtlich nicht gehemmten Anwendung der Verfassungsnorm bis zum 30.1.1933. 150 Vgl. zum Normtext die vorhergehenden Fn. 151 So M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts III, 1999, S. 116; zurückhaltender zum Anteil der Staatsrechtslehre U. Scheuner, in: FS H. Brüning, 1967, S. 249 ff. insbes. 252. 152 Vgl. G. Anschütz, Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung, 14. Aufl. 1933, Nr. 2 zu Art. 76 zur Gültigkeit der parlamentsbeschlossenen Gesetze selbst im Fall der Nichtbeachtung materieller verfassungsrechtlicher Prinzipien: Zulässigkeit der stillschweigenden Verfassungsdurchbrechung, Negation eines qualitativen Unterschiedes zwischen Verfassung und Gesetz. 153 Umfassend, auch zum Prozess vor dem Staatsgerichtshof, H. Grund, „Preußenschlag“ und Staatsgerichtshof im Jahre 1932, 1976; Abdruck des Normtexts der von Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler von Papen unterzeichneten Verordnung aaO, S. 9.
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3. Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus zielte auf die Beendigung und Zerstörung des demokratischen und gewaltenteilenden Verfassungsstaates. 154 In der nationalsozialistischen Rechtslehre war das Deutsche Reich ein „deutscher Führerstaat, in dem sich die gesamte Staatsgewalt in der Hand des Führers und Reichskanzlers vereinigt“. 155 Ernst Rudolf Huber schrieb 1939 die „nationalsozialistische Revolution“ habe den „parlamentarischen Gesetzgebungsstaat vollends zerstört“. 156 Das „neue Reich“ sei „kein gewaltenteilender Staat“. 157 Zum Problem der Erforderlichkeit gesetzlicher Ermächtigungsnormen und der notwenigen Regelungsdichte legte Carl Schmitt dar: „Das Verfassungsrecht des nationalsozialistischen Deutschen Reiches hat die gesamte, aus dem gewaltenteilenden Gesetzesbegriff entstehende Problematik der gesetzgeberischen Ermächtigung hinter sich gelassen.“158 In der Rechtsetzungspraxis hatte das der Notverordnung Hindenburgs zum „Schutz von Volk und Staat“ 159 nachfolgende Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 160 zur Folge, dass Reichsgesetze nunmehr auch durch die Reichsregierung beschlossen werden konnten. Die Differenz von Gesetz und Verordnung war folglich prinzipiell aufgehoben und damit auch die normative Grundlage für delegierte Rechtsetzung überhaupt. 161 Gleich154 Aus der zeitgenössischen Staatsrechtslehre z.B. E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl. 1939, S. 236. Zu Entwicklung und Wandel juristischer Methode im Nationalsozialismus B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968; zu Methodenentwicklungen in der Weimarer Republik und ihrem Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswissenschaft im Nationalismus O. Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994. 155 W. Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. 169 mit der Ergänzung: „Der Führer und Reichskanzler ist der Gesetzgeber.“ Hierzu die Analysen bei W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 28 ff. und H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1962, S. 539 f., 580 ff. 156 E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl. 1939, S. 236. 157 E. R. Huber, ebd. 158 C. Schmitt, ZaÖRV VI (1936), S. 252, 266. Hierzu die Analyse der Techniken antidemokratischer Verfassungstheorie bei F. Neumann, Behemoth, 1942/1944 (Nachdruck 1998), S. 68 ff. 159 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933, RGBl. I, 83. Zu der hier angeordneten formell temporären Suspendierung, faktisch aber dauerhaften Außerkraftsetzung der Grundrechte H. Dreier, in: HdbGR I, 2004, § 4, Rn. 54. 160 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.3.1933, RGBl. I, 141. Zur Rechtsetzungsmacht der Reichsregierung nach Art. 4 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reichs vom 30.1.1934, RGBl. I, 75, H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 4. 161 Zum Reichsgesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich als „entscheidendem Schritt zur Aufhebung der Trennung von Legislative und Exekutive“ C. Schmitt, ZaÖRV VI (1936), S. 252, 266; W. Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. 171: „Der Name der Verlautbarung (ob ‚Gesetz‘, ‚Verordnung‘, ‚Erlaß‘) ist ohne rechtliche Bedeutung.“ Dazu und zu gleichwohl fortgeführten Differenzierungen W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 22, 28 ff.; vgl. D. Kirschenmann, „Gesetz“ im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des Nationalismus, 1970, S. 122: „Zwar wurden im nationalsozialistischen Staat Form und Formeln für Ausfertigung und Verkündung, für Über- und Unterschriften meist aus dem nach-ab-
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wohl wurde an der terminologischen Unterscheidung von Gesetz und Verordnung festgehalten. 162 Die nationalsozialistische Rechtslehre suggerierte weithin die Systematisierbarkeit der staatlichen Handlungsformen nach den Ordnungsmustern „Gesetz“ und „Verordnung“, so hieß es etwa: „Das Gesetz ist leitender Führerwille, die Verordnung ausführender Wille der nachgeordneten Dienststellen“. 163 4. Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes Die Verfassungsordnung des Grundgesetzes vom 23.5.1949 steht überdeutlich unter dem Eindruck der Erfahrungen des Nationalsozialismus und dessen Zerstörung der Weimarer Demokratie. Auch die Rechtsetzungsorganisation des Grundgesetzes ist nachhaltig von den Erfahrungen der Vergangenheit geprägt: Zum einen wird die Exekutive verstanden als „Macht, die es zu zügeln gilt“. 164 Zum anderen soll dem Parlament 165 die „Flucht aus der Verantwortung“ versperrt werden. 166 Auf diesen Prämissen beruht der Aufbau des Verfassungsrahmens exekutiver Rechtsetzung, 167 deren unabdingbare Notwendigkeit das Grundgesetz angesichts der Komplexität modernen Staatshandelns gleichwohl anerkennt. solutistischen Staatsrecht übernommen, aber ein eindeutig festgelegtes Erscheinungsbild des Gesetzes besteht nicht mehr, beliebig veränderte Formen, bewusst gesprengte Regeln, gehören im NS-Staat auch zum äußeren Erscheinungsbild. Insbesondere der Namen für staatliche Gebote höchsten Ranges wechselt, neben Gesetz tritt als Bezeichnung auch Verordnung und Erlass.“ 162 Zur vielfachen Heranziehung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933, RGBl.I, 83 als Rechtsgrundlage für die Erweiterung staatlicher Handlungsbefugnisse vgl. die dogmatische Verortung als einer jener delegierten Normen, die „zu Zeiten verblassen, aber sich notfalls der Polizei später wieder darbieten“ bei T. Maunz, in: Idee und Ordnung des Reiches II, 1943, S. 25 und zur Heranziehung dieser Verordnung als „Rechtsgrundlage“ für das Handeln der Gestapo dens., aaO, S. 49. Vgl. hierzu H. Dreier, in: HdbGR I, 2004, § 4, Rn. 54; dens., Der Staat 43 (2004), S. 235 ff. sowie die Untersuchung des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung bei H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1962, S. 369 ff. 163 E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl. 1939, S. 251 ff.; vgl. auch W. Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. 173; T. Maunz, Verwaltung, 1937, S. 34 ff. mit Ausführungen zur Frage inhaltlicher Grenzen der gesetzgeberischen Delegation auf S. 37; U. Scheuner, AöR 63 (1934), S. 261 ff., zur Abgrenzung von Verordnung und Gesetz S. 307 f.: Das unterscheidende Merkmal gegenüber dem Gesetz könne nicht mehr darin liegen, dass das Gesetz vom Parlament, die Verordnung von der Exekutive erlassen werde; abzugrenzen sei nunmehr nach dem Inhalt der Regelung. Das Gesetz regle wichtige Inhalte, die Verordnung Aspekte der Ausführung. 164 BVerfGE 33, 125, 157 (Facharzt). 165 Zur grundgesetzlichen Zentrierung des Parlaments im Mittelpunkt der Verfassung H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260, 292 sowie ders., in: Konsens und Konflikt – 35 Jahre Grundgesetz, 1986, S. 267 ff. 166 BVerfGE 34, 52, 60 (Hessisches Richtergesetz). Hierzu U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 7. 167 Vgl. M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 196.
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Dreh- und Angelpunkt der exekutiven Rechtsetzung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist Art. 80 Abs. 1 GG, der in Satz 1 unter dem Vorbehalt des Vorliegens einer gesetzlichen Ermächtigungsnorm die grundsätzliche Option des Erlasses von Rechtsverordnungen eröffnet und in Satz 2 die Anforderungen an die Regelungsdichte der Ermächtigungsnorm konkretisiert. 168 Durch die Verwendung der Begriffe „Gesetz“ und „Rechtsverordnung“ schließt das Grundgesetz in begrifflicher Hinsicht an die staatsrechtliche Tradition an, 169 insbesondere an das von Laband 170 entwickelte Konzept. 171 Dies gilt umso mehr als etwa in Art. 84 Abs. 2 GG und 85 Abs. 2 GG auch die „Allgemeinen Verwaltungsvorschriften“ verfassungstextlich rezipiert werden. Dennoch ist Art. 80 Abs. 1 GG in historischer Sicht insbesondere mit der Bestimmtheitsklausel des Satzes 2 ein „Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte“. 172 Der „Ermächtigungsgesetzgebung“ soll ein Riegel vorgeschoben und eine geräuschlose Verlagerung der Rechtsetzungsmacht auf die Exekutive sowie die damit verbundene Veränderung des Verfassungssystems verhindert werden. 173 Die Bestimmungen der deutschen Landesverfassungen über den Erlass von Rechtsverordnungen 174 entsprechen im Kern der Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 GG. 175 168 Vgl. R.W. Füßlein, JöR n. F. 1 (1951), S. 588 ff.; D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGKIII, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. II 1 c: Art. 80 GG als Antwort des Verfassungsgebers auf den Verfall rechtsstaatlich-demokratischer Grundsätze während der Weimarer Republik und des Deutschen Reiches. 169 Der uneinheitliche Gebrauch der Bezeichnungen „Rechtsverordnung(en)“ und „Verordnung“ steht dem Befund der Verwendung klassischer staatsrechtlicher Begriffe nicht entgegen, da die Verwendung durchweg inhaltsgleich ist. In Art.80 findet sich sowohl im Titel als auch in Abs. 1 S. 1, S. 4, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 der Begriff „Rechtverordnung(en)“. Demgegenüber spricht Art. 80 Abs. 1 S. 3 verkürzt von „Verordnung“. Von „Rechtverordnung(en)“ ist auch die Rede in Art. 82 Abs. 2 S. 1, 109 Abs. 4 S. 2, S. 3, 115 k Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und Art. 129 Abs. 1 S. 1 GG; demgegenüber in Art. 119 S. 1 von „Verordnungen“. 170 Hierzu die Ausführungen soeben unter II., 1. 171 Zur Frage der Kontinuität staatsrechtlicher Kategorien und Begriffe nochmals D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 5 f. 172 W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 9. 173 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 13. Plastisch M. Nierhaus, in: BKGG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 197: Ohne formellgesetzliche Ermächtigung dürfe der Verordnungsgeber nicht handeln; er lebe aus der Hand des Gesetzgebers. 174 Vgl. Art. 61 LVerf Baden-Württemberg; Art. 55 Nr. 2, Art. 70 Abs. 3 LVerf Bayern; Art.64 LVerf Berlin; Art. 80 LVerf Brandenburg; Art. 124 LVerf Bremen; Art. 53 LVerf Hamburg; Art. 118 LVerf Hessen; Art. 57 LVerf Mecklenburg-Vorpommern; Art. 43 LVerf Niedersachsen; Art. 70 LVerf Nordrhein-Westfalen; Art. 110 LVerf Rheinland-Pfalz; Art. 104 LVerf Saarland; Art.75 LVerf Sachsen; Art.79 LVerf Sachsen-Anhalt; Art.38 LVerf Schleswig-Holstein; Art.84 LVerfG Thüringen. 175 Abweichend insoweit nur Art. 124 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21.10.1947 und Art.55 Nr. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 8.2.1946, die generelle Ermächtigungen für den Erlass von Ausführungsverordnungen enthalten – beide Verfassungen stammen aus der Zeit vor Verabschiedung des Grundgesetzes am 23.5.1949. Dies gilt auch für den weniger in systematischer als vielmehr in textlicher Hinsicht abweichenden Art. 118 der Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946: „Durch Gesetz kann der Landesregierung die Befugnis zum Erlass von Verordnungen über bestimmte einzelne Gegenstände, aber nicht die Gesetzgebungsgewalt im ganzen oder für Teilgebiete übertragen werden.“ Die übrigen Lan-
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Das Bundesverfassungsgericht würdigte in einer seiner ersten Entscheidungen die verfassungsrechtliche Neuausrichtung in ausdrücklicher Kontrastierung der zurückliegenden Staatspraxis: „In bewusster Abkehr von der Weimarer Praxis fordert Art. 80 GG als Grundlage von Rechtsverordnungen jeder Art eine gesetzliche Ermächtigung, die nach Inhalt, Zweck und Ausmaß genau umgrenzt ist. Das Grundgesetz entscheidet sich hier wie an anderer Stelle für eine strengere Teilung der Gewalten. Das Parlament soll sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entziehen können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Regierung überträgt, ohne genau die Grenzen dieser übertragenen Kompetenzen bedacht und bestimmt zu haben. Die Regierung andererseits soll nicht, gestützt auf unbestimmte Ermächtigungen zum Erlass von Verordnungen, an die Stelle des Parlaments treten. Ob die Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend begrenzt ist, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Jedenfalls fehlt es dann an der nötigen Beschränkung, wenn die Ermächtigung so unbestimmt ist, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können.“ (BVerfGE 1, 14, 59 f. – Südweststaat)
In ständiger Rechtsprechung betont das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Art. 80 GG als Ausdruck tragender Verfassungsprinzipien, 176 so des Demokratieprinzips, des Rechtsstaatsprinzips und des Bundesstaatsprinzips.177 Die demokratietheoretische Dimension betont Fritz Ossenbühl, nach welchem „Art. 80 GG in erster Linie eine Antwort auf den Verfall des demokratischen Funktionensystems darstellt, wie er sich in der Weimarer Ära bereits deutlich gezeigt und in der nationalsozialistischen Zeit vollendet hat“. 178 Im Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG heißt es weiter: „Im Vordergrund steht demzufolge nicht der Rechtsschutz des Bürgers, sondern die Bewahrung der politischen Verantwortung des Parlaments, nicht die Sicherung des Rechtsstaatsprinzips, sondern die Funktionsfähigkeit des Demokratiegebots.“ 179 Die rechtsstaatlichen desverfassungen entsprechen auch in der Rezeption der Inhalt-, Zweck- und Ausmaß-Klausel der Regelung des Art. 80 GG. 176 BVerfGE 18, 52, 59; 34, 52, 58 ff. (Hessisches Richtergesetz); BVerfGE 41, 251, 265 f. (Schulverweis); BVerfGE 55, 207, 225 f. (Nebentätigkeitsverordnung NRW); BVerfGE 58, 257, 277 (Schulentlassung); BVerfGE 73, 388, 400; BVerfGE 78, 249, 272 (Fehlbelegungsabgabe); BVerfGE 102, 197 (Spielbankengesetz Baden-Württemberg). 177 Hierzu aus der Literatur H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 12; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 2; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 24 ff. mit ergänzenden Hinweisen auf grundrechtliche Bezüge; H. D. Jarass/ B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 1; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 2; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 82 ff.; mit einem engeren, auf das Rechtsstaatsprinzip zentrierten, Verständnis demgegenüber T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 44, insbesondere zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzip. 178 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 17. 179 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2.Aufl. 1996, §64, Rn.17; zum abgeleiteten Verordnungsrecht nach Art. 80 Abs. 1 GG als Ausprägung des Demokratieprinzips auch M. Brenner, in: v. Man-
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Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit werden durch die Begrenzung von Rechtsetzungsdelegation, das Bestimmtheitsgebot (Art.80 Abs. 1 S. 2 GG) und das Zitiergebot (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG) konkretisiert. 180 Als Ausformungen des Bundesstaatsprinzips lassen sich die Ermächtigungsbefugnis zugunsten der Landesregierungen, die Beteiligung des Bundesrates sowie dessen Initiativrecht für zustimmungsbedürftige Rechtsverordnungen werten. 181 5. Die verfassungsgeschichtliche Verknüpfung von Rechtsetzungsorganisation und Verfassungsordnung im Überblick Die zuvor dargestellte historische Entwicklung belegt nachdrücklich die „funktionale Abhängigkeit der staatsrechtlichen Begriffsbildungen von der jeweiligen Verfassungsstruktur“. 182 Die Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzende Differierbarkeit parlamentarischer und exekutiver Rechtssätze ist bereits das Ergebnis eines Voranschreitens der Verfassungsentwicklung, nämlich der Herausbildung unterscheidbarer Staatsgewalten. 183 Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entsteht auf der Folie der Entfaltung der formalen Dimension des Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit 184 der doppelte Dualismus der Außenrechtssätze („Gesetz“ und „Rechtsverordnung“) und der exekutiven Normen („Rechtsverordnungen“ und „Verwaltungsverordnungen“). 185 Mit der einsetzenden Verfassungsfundierung der Staatsorgane wird auch die grundsätzliche Bindung der Rechtsverordnung an das Bestehen einer einfachgesetzlichen Ermächtigung entwickelt. 186 Diese Bindung lässt die Rechtsverordnung prinzipiell teilhaben an der Funktion des Gesetzes im konstitutionellen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts, die dahin geht, die monarchische Exekutive einzuhegen, soweit es um Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger geht. 187 Jedoch ist in der Konsequenz der formal-rechtsstaatlichen Ausrichtung188 der Verfassung goldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 11 und M. Nierhaus, in: BK-GG VII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 82. 180 H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 12; H. Sinn, Die Änderung gesetzlicher Regelungen durch einfache Rechtsverordnung, 1971, S. 38 ff. 181 Hierzu C. Brodersen, in: GedS W. Martens, 1987, S. 57 ff. 182 D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 6; näher bereits unter Einl., II., vor 1. 183 Vgl. Einl., II., vor 1. 184 Zum historischen Vorangehen des Rechtsstaates im „formalen“ Sinne mit dem zentralen Inhalt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vor dem „materialen“ Rechtsstaat, der das Gesetz mit rechtlicher Kraft an inhaltliche Verfassungsnormen bindet, P. Badura, in: Öffentliche Verwaltung in Deutschland, 1997, S. 55, 59. 185 Vgl. die Darstellung zur Position von Laband oben Einl., II., 1. 186 Vgl. oben II., 1. 187 Vgl. oben II., 1 und I. Maus, in: Rechtstheorie und Politische Theorie, 1986, S. 11 ff. sowie E.-W. Böckenförde, in: FS A. Arndt, 1969, S. 53, 64 f. 188 Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Grundkomponenten des Rechtsstaats bei R. Thoma, JöR 4 (1910), S. 196, 214: „Omnipotenz des Gesetzes, aber nur des Gesetzes; Bindung der Verwaltung an das Gesetz, aber nur eines Gesetzes, das der freien Initiative gebührenden Spiel-
II. Die Verfassungsabhängigkeit in historischer Perspektive
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und des entsprechenden Fehlens materieller Verfassungsbindungen die Delegationsmacht des Gesetzgebers grundsätzlich nicht beschränkt. Dementsprechend entfällt der demokratische und grundrechtliche Gewährleistungsgehalt des Ermächtigungserfordernisses. 189 Im Verfassungsstaat des 20. Jahrhunderts erfahren mit der Verfassung 190 auch die staatlichen Handlungsformen einen grundlegenden Bedeutungswandel, der zunächst das Gesetz erfasst, sodann aber auf die gesetzesakzessorische Rechtsverordnung ausstrahlt. 191 Das Gesetz wird vom parlamentarisch-ständischen Instrument der Abwehr und Begrenzung staatlicher Herrschaft zur Grundlage des Staatshandelns. Das Demokratieprinzip fordert die Rückführbarkeit jeglichen Staatshandelns auf den Willen des Volkes in institutioneller, personaler und sachlich-inhaltlicher Hinsicht. 192 Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit des Gesetzes erfasst auch das Delegationsverhältnis von Legislative und Exekutive. Für die Verordnungsgebung ist danach nicht nur deren formale, sondern auch eine materielle Koppelung an das ermächtigende Gesetz verlangt. In der Konsequenz der Entwicklung zum demokratischen Rechts- und Sozialstaat 193 kommt es zu einer grundlegenden Neuausrichraum gewährt; justizmäßige Haftung von Staat und Beamten für schuldhafte Ueberspringung der gesetzlichen Schranken; Sicherung gegen falsche und parteiische Handhabung der Gesetze durch Verwaltungsgerichte und unabhängige Behörden; endlich: Begründung eines ins einzelne entwickelten öffentlichen Rechts durch fortschreitende juristische Formung der bisher allzu sehr nur politisch und verwaltungstechnisch geformten Gesetzgebung.“ 189 Vgl. insbesondere die vorhergehenden Nachweise zur Position Labands. 190 Zum Bedeutungswandel der Verfassung mit dem Übergang zur Weimarer Demokratie von der Schranke monarchischer Machtvollkommenheit zur Grundlage und zum konstituierenden Prinzip aller staatlichen Herrschaftsgewalt und weitergehend zur rechtlichen Grundordnung nicht nur des Staates, sondern des Gemeinwesens insgesamt in allen seinen Sach- und Lebensbereichen E.-W. Böckenförde, in: FS Gmür, 1983, S. 7, 16 ff. Zur Erfassung des Fortgangs der staatsrechtlichen Dogmatik von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik als „Weiterentwicklung“ und nicht als „Wandel“ (so vorhergehend zum Übergang vom Kaiserreich her) P. Badura, Der Staat, Beih. 11 (1996), S. 133, 149 ff. 191 Zur diesbezüglichen Parallelität beider Rechtsetzungsformen E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132, Fn. 2; auch die Stufenbautheorie der Reinen Rechtslehre Kelsens erhellt diesen Zusammenhang: Nach dieser finden sich Gesetz und Verordnung als wiederum gegliederte Stufen gemeinsam auf der Stufe der generellen Rechtserzeugung in der positiven Gestaltung der einzelstaatlichen Ordnungen, ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1976), S. 235. Durch die Regelung dieser Stufe der positiven Gestaltung der einzelstaatliche Ordnungen durch die Verfassung strahlen deren Grundentscheidungen sukzessive auf Gesetz und Verordnung aus, vgl. dens., ebd. 192 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 68, 1, 109 (Nachrüstung). 193 Zur Kontrastierung des Rechtsstaatsbegriffs des Grundgesetzes gegenüber vorhergehenden Verfassungslagen K. Hesse, in: FS Smend, 1962, S. 71, 77: „Im Rechtsstaat des Grundgesetzes gilt der Primat des Rechts im Sinne der Bindung nicht nur an das Recht als solches, sondern an bestimmte Inhalte des Rechts; er ist nicht nur formeller, sondern auch materieller Rechtsstaat.“ In Auseinandersetzung mit E. Forsthoff, in: FS C. Schmitt, 1959, S.35 ff., insbes. S.61 legt Hesse unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 GG, Art. 19 Abs. 2 GG und die Charakterisierung als „sozialer Rechtsstaat“ in Art. 28 Abs. 1 GG als „Grundlagen heutiger Rechtsstaatlichkeit“ dar, dass nach dem Grundgesetz ein nur formales Verständnis des Rechtsstaats ausgeschlossen sei, ders., aaO, S.71, 77 mit Fn.24; vgl. zum Ganzen O. Bachof, in: VVDStRL 12 4 Saurer
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tung der Delegationsmacht des Gesetzgebers. Danach sind auf der Ebene des Gesetzes die Inhalte der Ermächtigung vorzuzeichnen und deren Grenzen festzusetzen. Gelingt die dementsprechende Rückführbarkeit der Verordnungsgebung auf den Volkswillen nicht, so bleibt dem Gesetzgeber die Delegationsoption versperrt. Waren diese Grundsätze bereits in der Weimarer Reichsverfassung angelegt, 194 so konnten sie sich doch in der Staatspraxis nicht durchsetzen und wurden gar in ihr Gegenteil verkehrt. 195 Dementsprechend finden die Anforderungen des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaats an die Verordnungsgebung im Grundgesetz, welches „erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte dem Prinzip des Vorrangs der Verfassung uneingeschränkt bindende Kraft verliehen“ 196 hat, in der Norm des Art. 80 GG an zentraler Stelle ihre Verankerung. 197 Die bemerkenswerte historische Kontinuität der Begriffe „Gesetz“, „Rechtsverordnung“ und „Verwaltungsverordnungen/Verwaltungsvorschriften“ über den Wandel der Verfassungen hinweg steht dem gefundenen Ergebnis der unmittelbaren Verfassungsbedingtheit des jeweiligen Rechtsetzungssystems nicht entgegen. Im Gegenteil: Die terminologische Kontinuität lässt die Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von der jeweiligen Verfassungslage nur umso deutlicher hervortreten.
III. Die Verfassungsabhängigkeit der Rechtsetzungsorganisation in vergleichender Perspektive Die enge Verfassungsgebundenheit der Rechtsetzungsorganisation, die sich in historischer Perspektive so nachdrücklich erwiesen hat, bestätigt sich auch in der Rechts- und Verfassungsvergleichung. 198 Ein Überblick über die Rechtsetzungsorganisation ausgewählter Verfassungsordnungen des ausländischen öffentlichen (1954), S. 37 ff.; W. Abendroth, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 114 ff.; J. Habermas, in: Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S.293 ff.; E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 81 ff. 194 Vgl. nochmals die aus dem Demokratieprinzip entnommenen Argumente für eine Einschränkung der gesetzgeberischen Delegationsbefugnis bei R. Thoma, in: HdbDStR II, 1932, S. 221, 227. Hierzu bereits oben Einl., II., 3. 195 Hierzu unter Einl., II., 2.; dort insbes. die Bezugnahme auf die Nachweise bei M. Frehse, Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich 1914–1933, 1985. 196 K. Hesse, in: FS Smend, 1962, S. 71, 76. 197 Zum Verbot der generellen Ermächtigung der Exekutive gem. Art. 80 Abs. 1 GG als Ausdruck eines materiellen Verständnisses des Rechtsstaates im Grundgesetz Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 63. 198 Vgl. zum zugrunde liegenden methodischen Ansatz bereits U. Scheuner, in: Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 118 ff.; A. Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reichs, 1884 und G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887 (Nachdruck 1964); aus neuerer Zeit zur Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen im Rechtsvergleich G. Winter, in: Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 13 ff.; P. Lindseth, in: Good Governance in Europe’s Integrated Market, 2002, S. 139, 144 ff.; G. Haibach, VerwArch 90 (1999), S. 98 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 162 ff.; T. F. Sanjuan, Revista Española de Derecho Constitucional 10 (1990), S. 119 ff.
III. Die Verfassungsabhängigkeit in vergleichender Perspektive
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Rechts und des Verfassungsverbundes der Europäischen Union zeigt vom Grundgesetz erheblich abweichende Organisationsstrukturen in der Zuordnung normativer Befugnisse im Verhältnis von Legislative und Exekutive: Zwar ist die exekutive Rechtsetzung im Verordnungswege bereits aufgrund der begrenzten parlamentarischen Regelungskapazitäten ein verbindendes Element jeder modernen Verfassungsstaatlichkeit, jedoch divergiert die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Rechtsquellensystems beträchtlich. 1. Exekutive Rechtsetzungsbefugnisse im ausländischen öffentlichen Recht Ein signifikanter Kontrast ergibt sich im Verhältnis der deutschen zur französischen Verfassungsordnung. Denn nach französischem Verfassungsrecht kommt der Exekutive eine eigenständige, gesetzesunabhängige Verordnungsgewalt zu (règlement autonome). 199 Nach der Verfassung von 1958 sind die legislativen Zuständigkeiten des Parlaments enumerativ aufgelistet. Der Katalog des Art. 34 der französischen Verfassung überträgt dem Parlament die Befugnis zur gesetzlichen Regelung von Sachgebieten grundsätzlicher Art. 200 Erfasst sind vor allem die Bürger- und Freiheitsrechte, die Staatsangehörigkeit, weite Teile des Zivilrechts, das Strafrecht, das Steuerrecht, das Erziehungswesen, das Wahlrecht und die Verteidigungspolitik. Alle übrigen, nicht in diesem Katalog enthaltenen Sachgebiete sind der Exekutive nach Art. 37 zur Regelung durch Verordnungen überlassen. 201 Zu den „autonomen“ Verordnungen in den durch Art. 37 erfassten Bereichen treten gesetzesausführende Verordnungen in Umsetzung der auf der Grundlage von Art. 34 erlassenen Gesetze. 202 Weiterhin sieht Art.38 der französischen Verfassung den Erlass sog. Ordinanzen (ordonnances) aufgrund gesetzlicher Ermächtigung vor. 203 Obgleich Staatspraxis und Verfassungsauslegung im Verlaufe der Jahrzehnte erhebliche Modifikationen zeitigten, 204 stehen sich Gesetz und Verordnung also nach dem Grundkonzept der franzö199 M. Miaille, in: Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 141, 168 ff., 172 ff. 200 Hierzu R. Grote, Das Regierungssystem der V. französischen Republik, 1995, S. 93 ff.; G. Härdle, Das Verordnungsrecht der französischen Exekutive nach der Verfassung der V. Republik, 1972, S. 35 ff., 42 ff., 96 ff. 201 Art. 37 S. 1 der Verfassung legt fest: „Les matières autres que celles qui sont du domaine de la loi ont un caractère réglementaire.“ Näher H. Stolzlechner, in: Theorie der Rechtssetzung, 1988, S. 241, 246 sowie T. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 207. 202 J. Gundel, Die Einordnung des Gemeinschaftsrechts in die französische Rechtsordnung, 1997, S. 89 f., 398. 203 Zum komplexen Rechtsregime der sog. Ordinanzen mit weiteren Nachweisen A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 300 ff. sowie E. Picard, in: Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 67 ff. 204 Näher zur sukzessiven Verengung der Liste der für den Erlass „autonomer“ Verordnungen in Betracht kommenden Sachgebiete R. Grote, Das Regierungssystem der V. französischen Republik, 1995, S. 105: Heute gehörten dazu im Wesentlichen noch die Fragen der Verwaltungs-
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sischen Verfassung als voneinander unabhängige und originäre Regelungsgewalten gegenüber. 205 Demgegenüber verfügt die Regierung nach dem traditionell parlamentszentrierten Verfassungssystem Großbritanniens über keine vergleichbare originäre Verordnungsbefugnis. 206 Gleichwohl überträgt auch der parlamentarische Gesetzgeber Großbritanniens in weitem Umfang die Erzeugung von Aus- und Durchführungsvorschriften auf die Exekutive („Delegated“ bzw. „subordinate legislation“ in variierender Terminologie). 207 Ein bestimmtes Ausmaß gesetzlicher Vorzeichnung des Verordnungsinhalts wird grundsätzlich nicht gefordert.208 Kennzeichnend ist ein ausdifferenziertes System von Kontroll- und Rückholbefugnissen des Parlaments bzw. eines parlamentarischen Überprüfungsausschusses (Scrutiny Committee), die dem eigentlichen Verordnungserlass nachgelagert sind. 209 Das Rechtsquellensystem der spanischen Verfassung von 1978 konstituiert sich einerseits in bewusster Abgrenzung zum Verordnungsbegriff der Fünften Französischen Republik von 1958, andererseits sind auch die Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Grundgesetz gering. Das Rechtsetzungsinstrumentarium des Bonner Grundgesetzes ist, anders als verschiedene wesentliche Institute aus den Bereichen der Grundrechte, der Staatsorganisation und der Verfassungsgerichtsbarkeit, im Entstehungsprozess der spanischen Verfassung von 1978 kaum nachhaltig rezipiert worden. 210 Vielmehr finden sich neben der nur unvollkommen geregelten gesetzesakzesorganisation und des Verwaltungsverfahrensrechts, des Zivilprozess- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Vgl. dens., S. 103 u. 105 zum Nachweis der für die neuere Verfassungsauslegung maßgeblichen Entscheidungen des Conseil Constitutionell vom 30.7.1982, 19./20.7. 1983 u. v. 19.1.1984, wonach die Trennung zwischen Gesetzes- und Verordnungsbereich keinen zwingenden Charakter habe, und des Conseil d’Etat vom 26.6.1959, wonach auch die Verordnungen nach Art. 37 Abs. 1 der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen und, anders als die Gesetze, nicht von den allgemeinen Rechtsprinzipien (principes généraux) abweichen dürfen. 205 J.-L. Thiébault, in: Delegation and Accountabilty in Parliamentary Democracies, 2003, S. 325 ff.; M. Reulos, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 115 ff. Danach haben in der französischen Verfassungswirklichkeit verschiedene Faktoren dazu geführt, dass das verfassungsmäßige System der Aufgabenteilung zwischen Parlament und Regierung weitgehend zugunsten des Gesetzgebers aufgeweicht wurde. 206 E. Ellis, in: Feldman, English Public Law, 2004, S. 44, 51; R. Macrory, in: Sources and Categories of EU law, 1996, S. 69 ff., 79 sowie bereits H. Ridder, in: Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 295 ff. mit einem Abriss der bis ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte der „delegated legislation“ S. 300 ff. 207 H. Barnett, Constitutional and Administrative Law, 1995, S.376 ff.; E. Ellis, in: Feldman, English Public Law, 2004, S. 44; K. Loewenstein, Staatsrecht und Staatspraxis von Großbritannien, Band I, 1967, S. 356 ff. mit vielfachen Nachweisen zur variierenden Terminologie von (der Krone zuzurechnenden) „Proclamations“ und „Orders in Council“ und (den Ministerien entstammenden) rules, orders, regulations, directions und schemes. 208 H. Stolzlechner, in: Theorie der Rechtssetzung, 1988, S. 241, 247; G. Haibach, in: Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 53, 65. 209 D. Oliver, in: Feldman, English Public Law, 2004, S. 112, 115 ff.; S. Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 91 ff. 210 Vgl. K. Volmich, Gesetz- und Verordnungsgebung auf der zentralstaatlichen Ebene Spaniens, 2000, S. 405 ff. zur entstehungsgeschichtlichen Abgrenzung zum französischen Verfassungsrecht und S.481 ff. zur Rezeption des Grundgesetzes, insbes. 482: Das Rechtsquellensys-
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sorischen Rechtsverordnung 211 die gesetzesvertretende Verordnung (Decreto legislativo, Art. 82 bis 85 Constitución Española) und das Gesetzesdekret (Decreto-ley, Art. 86 C. E.) 212 als Regelungsformen der verstärkten Regierungsrechtsetzung. 213 Die griechische Verfassung von 1975/1986 normiert eine dreistufige Abschichtung der exekutiven Rechtsetzungsbefugnisse. Auf der ersten Stufe finden sich zum einen die delegierte Rechtsetzung der Exekutive aufgrund einfachgesetzlicher Ermächtigung, zum anderen verschiedene unmittelbar durch die Verfassung zugewiesene Verordnungsbefugnisse des Staatspräsidenten (Art. 43 Vf GR). Auf der zweiten Stufe wird dem Staatspräsidenten die Rechtsetzungsmacht „in Ausnahmefällen eines außerordentlich dringenden und unvorhergesehenen Notstandes“ (Art. 44 Abs. 1 Vf GR) erteilt. Auf der dritten Stufe gilt schließlich die gesetzliche Ermächtigung wiederum des Staatspräsidenten in Fällen äußerer und innerer Gefahr (Art. 48 Vf GR). 214 Das Nebeneinander von gesetzesakzessorischen Verordnungen und Notverordnungsbefugnissen findet sich auch in der italienischen Verfassung. Nach Art. 76, 77 Costituzione italiana kann der Regierung die Befugnis zum Erlass von Gesetzesverordnungen (Decreti legislativi) nur für eine bestimmte Zeit und bestimmte Zwecke übertragen werden, wobei zudem die „leitenden Prinzipien“ und „Kriterien“ angegeben werden müssen. 215 Weiterhin kann die Regierung jedoch gem. Art. 77 Abs. 2 Cost. in Fällen „von außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit“ vorläufige Anordnungen mit Gesetzeskraft „in eigener Verantwortung“ erlassen (Decreti legge). In der italienischen Staatspraxis wurde von diesem Institut der Gesetzesdekrete vielfach Gebrauch gemacht. 216 Unter dem Oberbegriff der „Regolamenti“ erfasst das italienische Verfassungsrecht Verordnungen, die nicht ordentlichen Gesetzen gleichgestellt, sondern ihnen untergeordnet sind. 217 In Bereichen, in denen kein Gesetzesvorbehalt gilt, sollen derartige Verordnungen von tem könne als der am wenigsten durch das Grundgesetz beeinflusste Bereich der spanischen Verfassung angesehen werden. 211 Hierzu A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 295 ff. sowie L. M. Díez-Picazo, in: Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 185, 197 ff., 203 ff. 212 Weiterhin konstituiert das spanische Verfassungsrecht den Rechtsquellentyp des Organgesetzes (Ley orgánica), den das Grundgesetz gleichfalls nicht kennt. Weiterführend A. G. Anabitarte/A. M. Rexach, in: Spanisches Verfassungsrecht, 1993, S. 407, 416 ff. 213 Im Überblick zur delegierten Rechtsetzung in der Verfassungsordnung der Republik Portugal H. Lunshof, in: Constitutional Law of 15 EU Member States, 2004, S. 651, 689. 214 Eingehend unter Analyse der Rezeption anderer Verfassungsordnungen P.-M. Efstratiou, JÖR 39 (1990), S.495 ff.; im Überblick G. Trantas/P. Zagoriti u. a., in: Delegation and Accountabilty in Parliamentary Democracies, 2003, S. 376 ff. 215 Zur exekutiven Rechtsetzung in Italien E. Hirsch Ballin, in: Constitutional Law of 15 EU Member States, 2004, S. 479 ff., 519 ff.; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 295 ff.; weiterführend J. M. Selle, Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung, 2000, zum Vergleich mit dem Rechtsetzungsinstrumentarium des Grundgesetzes insbes. S. 199 f. 216 T. Ritterspach, JÖR n. F. 37 (1988), S. 65, 77, der den häufigen Einsatz des Notverordnungsrechts auf den weiten Ermessensspielraum zurückführt, den der Begriff der „dringenden Notwendigkeit“ eröffnet. 217 J. M. Selle, Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung, 2000, S. 175 ff.
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der gesamten Regierung oder einzelnen Ministerien nicht nur aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung, sondern auch aufgrund der allgemeinen Ermächtigung eines spezifischen Ausführungsgesetzes zu Art. 95 der italienischen Verfassung zulässig sein. 218 Auch die Rechtsetzungsorganisation nach den Verfassungen der Schweiz und Österreichs unterscheidet sich von derjenigen nach dem deutschen Grundgesetz. Die Bundesverfassung der Schweiz kennt sowohl vollziehende Verordnungen, die der Bundesrat unmittelbar gestützt auf seine verfassungsrechtliche Vollzugskompetenz erlässt (Art. 174 BV), als auch gesetzesvertretende Verordnungen, die auf einer Gesetzesdelegation im Sinne des Art. 182 BV beruhen. 219 Nach dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz unterliegt der Verordnungsgeber einer prinzipiell strengen Gesetzesbindung. 220 Gleichwohl besitzen nach Art. 18 Abs. 2 B-VG die Verwaltungsbehörden im Bereich der Durchführungsverordnungen die Kompetenz zum Verordnungserlass, ohne an eine einzelgesetzliche Ermächtigung gekoppelt zu sein, solange sie sich im Rahmen der inhaltlichen Gesetzesvorgaben und des Zuständigkeitsbereichs einer Behörde halten. 221 Art. 18 Abs. 3–5 B-VG statuiert ein Notverordnungsrecht des österreichischen Bundespräsidenten.222 Nach Art.92 der Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997 vermag der parlamentarische Gesetzgeber zum Erlass von Rechtsverordnungen (rozporza˛dzenie) zu ermächtigen, die materiell der Gesetzesdurchführung dienen. Dabei bedarf es nach Art. 92 Abs. 1 einer „ausführlichen durch Gesetz erteilten Ermächtigung“, die zudem das für den Erlass der Rechtsverordnung zuständige Organ und den übertragenen Gegenstandsbereich bezeichnen soll. 223 Art. 92 Abs. 2 der polnischen Verfassung un218 Näher zu Art. 17 des Ausführungsgesetzes zu Art.95 itVerf v. 23.8.1988, Nr. 400 und zur umstrittenen Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Ermächtigung J. Luther, JöR n. F. 43 (1995), 475, 497 f.; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 285 ff. sowie J. M. Selle, Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung, 2000, S. 183 ff. 219 G. Müller, in: Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 70, Rn. 27 ff. Zur Unterscheidung von selbständigen und unselbständigen Verordnungen des schweizerischen Bundesrates M. Buttlinger, Die Verordnungstätigkeit der Regierung, 1993, S. 20 ff. Vgl. auch A. Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, 1989, S.261 f. zum Recht der Regierung nach der Verfassungsordnung des Fürstentums Liechtenstein, in den vom Vorbehalt des Gesetzes nicht umfassten Bereichen (generell-abstrakte) Verordnungen ohne formell-gesetzliche Grundlage zu erlassen. 220 L. K. Adamovich/B.-Ch. Funk/G. Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, 1998, S. 145; allgemein zur Verordnung im österreichischen Verfassungsrecht H. Mayer, Die Verordnung, 1977; F. Koja, JBl. 1978, S. 532 ff.; R. Moritz, ZfV 1995, S. 141 ff. 221 Vgl. H. Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht, 3. Aufl. 2002, S. 124 ff. Zur Abgrenzung von Spezialermächtigung und Generalermächtigung sowie weitergehend zu Begriff und Rechtswirkung der Verordnung nach dem österreichischen B-VG bereits A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927 (Nachdruck 1969), S.177 ff., insbes. S. 181 f. Vgl. im Zusammenhang auch die Ausführungen zu Art. 55 Nr. 2 der BayVerf und Art. 124 BremVerf in den Fn. unter Einl., II., 4. 222 Näher L. K. Adamovich/B.-Ch. Funk/G. Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, 1998, S. 150, 160. 223 Hierzu und zum folgenden F. E. Schnapp, osteuroparecht 2001, S. 171, 176.
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tersagt die Subdelegation der in Abs. 1 bezeichneten Kompetenzen. Nach der abschließenden Regelung der polnischen Verfassung kommen als Delegatare der Staatspräsident (Art. 142 Abs. 1), die Regierung (Art. 146 Abs. 4 Nr. 2), der Ministerpräsident (Art. 148 Nr. 3), ein einzelner Minister mit eigenem Geschäftsbereich (Art.149 Abs.2 S.1) und der Nationale Rundfunk- und Fernsehrat (Art.213 Abs.2) in Betracht. 224 Das Verfassungsrecht der Russischen Föderation vermag gegenwärtig nur in geringem Maße strukturierende Kraft für die exekutive Normsetzung zu entfalten. 225 Wesentliche Gründe hierfür werden darin gesehen, dass die Regelungen zur Normsetzung der Regierung aus der Verfassung der UdSSR wörtlich in die VerfRF übernommen und das umfangreiche und weitverzweigte sowjetische Behördensystem mit weitgehend verselbständigten Behörden und eigenen Normsetzungsbefugnisse keine grundlegende Verwaltungsreform erfahren hat. 226 Im US-amerikanischen Verfassungsrecht galt lange Zeit, ausgehend von der klassischen Differenzierung der Gewalten in Art. I, II und III der Verfassung von 1787, die Unzulässigkeit jeglicher Delegation legislativer Macht. 227 Gleichwohl entwickelte die Verfassungspraxis weitreichende Modelle des exekutiven Erlasses von Verordnungen (orders bzw. rules). 228 Dies hat auch die Billigung des Supreme Court erfahren, der spätestens seit Ende der 1920er/Mitte der 1930er Jahre die Delegation legislativer Macht an die Exekutive akzeptierte. 229 Die rechtsstaatlichen und demokratischen Defizite in der Folge weitreichender Ermächtigungsnormen sind nach amerikanischem Verfassungsrecht durch prozedurale Regelungen auszugleichen („from standards to safeguards“). 230 Als kompensatorische Sicherungsmechanismen kommen die Beteiligung von betroffenen Bürgern oder Sachverständigen und 224 Vgl. zu Verfassungstheorie und Staatspraxis delegierter Rechtsetzung in den skandinavischen Ländern Dänemark, Finnland, Schweden, Island und Norwegen und dem diesbezüglichen Einfluss des Europäischen Einigungsprozesses T. Bergman/E. Damgaard (Hrsg.), Delegation and accountability in European integration, 2000; im Überblick zur exekutiven Rechtsetzung in den Niederlanden K. Kraan, in: Constitutional Law of 15 EU Member States, 2004, S. 589, 624. 225 Ch. Schaich, Exekutive Normsetzung in der Russischen Föderation, 2004, S. 247 ff. 226 Ch. Schaich, Exekutive Normsetzung in der Russischen Föderation, 2004, S. 249. 227 In der Entscheidung Field v. Clark, 143 U.S. 649, 692 (1892) entschied der Supreme Court: „That Congress cannot delegate legislative power to the President is a principally universally recognized as vital to the integrity and maintenance of the system of government ordained by the Constitution.“ Vgl. zur Analyse der frühen Rechtsprechung des Supreme Court W. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2.Aufl. 2001, S. 214. Rechtsvergleichend zum Verordnungsrecht nach US-amerikanischem Verfassungsrecht U. Kischel, Administrative Law Review 46 (1994), S. 213 ff. 228 H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 32 ff. 229 Vgl. J.W. Hampton & Co. v. United States, 276 U.S. 394 (1928) und aus späterer Zeit, insbesondere zur erforderlichen gesetzlichen Regelungsdichte, Industrial Union Department, AFL-CIO v. American Petroleum Institute, 448 U.S. 607 (1980); zum Ganzen W. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S. 216: Die ‚non-delegation doctrine‘ sei durch den Supreme Court nicht förmlich außer Kraft gesetzt, sondern faktisch zu Grabe getragen worden. 230 H. Pünder, ZG 1998, S. 242, 244, 248, 252 f.
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Einleitung
die Verpflichtung der Behörden auf die Setzung von internen Verfahrensstandards in Betracht. 231 2. Delegierte Rechtsetzung im Recht der Europäischen Union Auf der Ebene des (Verfassungs-)Rechts der Europäischen Union ist die Dogmatik abgeleiteter Rechtsetzungsbefugnisse bis heute ungeklärt.232 Primärrechtlich kommt dies in der in Art. 249 EGV normierten Begrenzung der abstrakt-generellen Handlungsformen auf Verordnungen und Richtlinien zum Ausdruck, die beide durch den Rat als dem Haupt-Rechtsetzungsorgan der EU erlassen werden. 233 Gleichwohl kennt auch das gegenwärtige Verfassungssystem der Europäischen Union Elemente der delegierten Rechtsetzung. 234 So vermag der Europäische Rat als zentrales Rechtsetzungsorgan auf der Grundlage der Art. 202 UAbs. 3 EGV und 211 UAbs. 4 EGV normative Befugnisse der sog. Durchführungsrechtsetzung auf die EU-Kommission zu übertragen. 235 Dieser Vorgang lässt sich seiner Rechtsstruktur nach als Begründung neuer Befugnisse der EU-Kommission, mithin als Delegation verstehen. 236 Die Ausübung der delegierten Rechtsetzungsbefugnisse ist gekennzeichnet durch die sog. Komitologieausschüsse, die vom Europäischen Rat bei der Kommission eingerichtet wurden und im Komitologieverfahren Stellungnahmen zu den Durchführungsvorhaben der Kommission abgeben. 237 Umfang und W. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S. 216 ff. X. A. Yataganas, Delegation of Regulatory Authority in the European Union, 2001, S.19 ff.; G. Majone, ELJ 8 (2002), S.319, 337 im Blick auf das seitens der EU-Kommission vorgelegte „White Paper on European Governance“: „Non-delegation is still the official doctrine.“ 233 Ergänzt durch die Handlungsformen der Entscheidung (verbindlich für diejenigen, die sie bezeichnet), Empfehlung und Stellungnahme (nicht verbindlich). Vgl. zur Unvollständigkeit der Enumeration des Art. 249 EGV und weiteren Beispielen für primärrechtlich abgesicherte und sonstige Rechtshandlungen M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand: 2004, Art. 249 EGV, Rn. 74 ff. 234 A. v. Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, ZaöRV 62 (2002), S. 78, 139 ff.; J. Kalbheim/G. Winter, in: Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583, 584 ff., 587 ff. 235 S. Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 157 ff., 293 ff., insbesondere auch zur Mitwirkung des Europäischen Parlaments an der Statuierung der Delegationsnormen. Vgl. im Zusammenhang auch dies., S. 30 sowie D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 99 ff. zu weiteren Varianten der Durchführungsrechtsetzung, etwa in Form des Tätigwerdens einer Vielzahl vertragsfremder Einrichtungen in Gestalt von verselbständigten Agenturen, Ämtern und Behörden mit eigenen spezifischen Aufgabenbereichen und eigener Rechtspersönlichkeit sowie durch die Auslagerung weiter Bereiche der Normierungstätigkeit auf privatrechtlich organisierte Standardisierungsorganisationen wie die CEN (Comité Européen de Normalisation), CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique) und ETSI (European Telecommunication Standard Institute). Speziell zur Dogmatik des Art. 202 UAbs. 3 EGV M. Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand: 2004, Art. 202 EGV, Rn. 26 ff. 236 Mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH und der Literatur X. A. Yataganas, Delegation of Regulatory Authority in the European Union, 2001, S. 20. 237 G. Schäfer, in: Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S.3 ff.; G. Haibach, VerwArch 90 (1999), S. 98 ff.; ausführlich zur theoretischen Bedeutung und prak231 232
III. Die Verfassungsabhängigkeit in vergleichender Perspektive
57
Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen sind vom Europäischen Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen näher bestimmt worden. 238 Maßgebliches Kriterium ist dabei die „Wesentlichkeit der zu regelnden Materie“, wobei diese wesentlichen Elemente in der Grundvorschrift enthalten sein müssen und gerade nicht delegiert werden dürfen. 239 Eine weitergehende Verfassungsbindung der Delegationsbefugnisse des Europäischen Rates zeichnet sich ab im Zuge der Entwicklung hin zur Kodifikation einer Europäischen Verfassung: Der vom Konvent der Europäischen Union im Mai 2003 vorgelegte Entwurf für einen Europäischen Verfassungsvertrag (VVE) sieht in Art. 32 ff. VVE eine teilweise Neuausrichtung der Rechtsetzungsformen vor. 240 Danach wird die bisherige EG-Verordnung (Art. 249 Abs. 2 EGV) zum „Europäischen Gesetz“, welches in allen seinen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 VVE). Die bisherige EG-Richtlinie (Art. 249 Abs. 3 EGV) wird zum „Europäischen Rahmengesetz“, welches für jeden Mitgliedstaat, an den es gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 VVE). Völlig neu ist die Etablierung der „Europäischen Verordnung“, im Entwurfstext auch als „delegierte Verordnung“ bezeichnet (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 4; Art. 35 VVE). Gemäß Art. 35 VVE sind die delegierten Verordnungen möglich, um bestimmte nicht wesentliche Vorschriften eines Europäischen Gesetzes oder eines Europäischen Rahmengesetzes zu ergänzen oder zu ändern. Zum Erlass derartiger gesetzesergänzender oder gesetzesändernder 241 delegierter Verordnungen kann die Kommission in der Form der Gesetzes und des Rahmengesetzes ermächtigt werden. In den betreffenden Gesetzen und Rahmengesetzen sind Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Übertragung ausdrücklich festzulegen. 242 tischen Funktionsweise der ca. 400 Durchführungsausschüsse der Europäischen Union A. E. Töller, Komitologie, 2002, v. a. S. 15 ff., 27 ff., 95 ff., 155 ff., 231 ff., 323 ff.; dies., ÖZP 1999, 333 ff. 238 EuGH, Rs. C-25/70, Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide und Futtermittel, Köster, Slg. 1970, 1161, 1172; Rs. C-230/78, Eridania/Minister für Landwirtschaft und Forsten, Slg. 1979, 2749, 2765; Rs. C-240/90, Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383, 5434; Rs. C-417/93, Parlament/Rat, Slg.195, I-1185 (1219 Rn.30); Rs.C-303/94, Parlament/Rat, Slg. 1996, I-2943, 2969. Analyse und Systematisierung der Rechtsprechung des EuGH bei A. Türk, in: Shaping European Law and Policy, 1996, S. 167 ff. 239 S. Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 191; D. Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 236. 240 Vgl. zum Ganzen den Abdruck des Verfassungsentwurfs des Konvents vom 24. Mai 2003 in EUGRZ 2003, S.315 ff., insbes. 320 ff., zu den Einzelberatungen 336 ff. sowie die Darstellung bei W. Obwexer, europablätter 2002, S. 4, 7 ff. und A. Maurer, integration 2003, S. 440, 444 f. 241 W. Obwexer, aaO, S. 4, 8. 242 Die Delegation wird zum einen kontrolliert durch delegationsgesetzliche Festlegung der Möglichkeit des Widerrufs der Übertragung durch Europäisches Parlament oder Rat, zum anderen durch die delegationsgesetzliche Kopplung mit einem vor Inkrafttreten liegenden Ein-
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Einleitung
Nach dem vorhergehenden analytischen Überblick zeigt sich die grundlegende Bedeutung der Verfassungsgebundenheit der Rechtsetzungsorganisation über die historische Perspektive hinaus auch in der Rechts- und Verfassungsvergleichung. Die ganze Vielfalt der Verfassungsordnungen – auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen verbindenden Prinzipien 243 – bildet sich auch in der Rechtsetzungsorganisation ab. Verfassungskonstituierte Modelle weitgehender, originär exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse werden kontrastiert von Normensystemen, die streng auf Verfassungsprinzipien wie die Gewaltenteilung oder die Gesetzesbindung orientiert sind. Die kontrastierenden Organisationsstrukturen in der Verteilung der Rechtsetzung zwischen Legislative und Exekutive werden in unterschiedlicher Weise modifiziert durch Prozeduralisierungskomponenten und Notverordnungsrechte und erweisen sich als nachdrücklicher Beleg für die methodische Erweiterung und enge Ausrichtung dieser Arbeit auf die Verfassungsgebundenheit der Rechtsetzungsorganisation.
spruchsvorbehalt zugunsten des Europäischen Parlaments oder des Rats (Art. 35 VVE). Schließlich führt Art. 36 VVE die Handlungsform des Durchführungsrechtsakts der Mitgliedstaaten ein, wobei diese der Kommission und dem Rat eine Durchführungsbefugnis übertragen können. 243 Vgl. P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 694 ff., S. 1083 ff.; dens., EuGRZ 1991, S. 261 ff.
Erster Teil
Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung am Beispiel des Umweltrechts Auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 GG überträgt der parlamentarische Gesetzgeber als grundsätzlicher Träger der Rechtsetzungsmacht deren Ausübung für eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Materie auf den Verordnungsgeber. 1 Dieses Rechtsregime bringt das Funktionsprofil der Rechtsverordnung in Abhängigkeit vom Gesetzgeber. Die mit Statuierung der Delegationsnormen erfolgende Festlegung des Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung stellt sich auch als Auswahl- und Zuordnungsentscheidung im Verhältnis differierender Rechtsetzungsformen dar. 2 Vor diesem Hintergrund zielt der nachfolgende Abschnitt auf die systematische Analyse der verwaltungsrechtlichen Ausprägungen der Rechtsverordnung. Das einfachgesetzliche Normmaterial wird systematisiert im Hinblick auf die Funktionen der Rechtsverordnung unter den Paradigmen gegenwärtigen Staatshandelns, also insbesondere in Auseinandersetzung mit technologisch-industriellen Umbrüchen, strukturellen Ungewissheitsbedingungen und der Überwölbung nationalstaatlichen Handelns durch supranationale und internationale Zusammenhänge.3
I. Das Umweltrecht als Referenzgebiet In jüngerer Zeit hat sich für Studien, die unter Auseinandersetzung einfachgesetzlichen Normmaterials auf Erkenntnisse zum Stand der allgemeinen Dogmatik des Verwaltungs- und Verfassungsrechts abzielen, die Arbeit mit Referenzgebieten durchgesetzt. 4 Die Eingrenzung auf die exemplarische Untersuchung einzelner Ge1 Näher zum Verständnis der die Verordnungskompetenz begründenden Ermächtigung als Delegation von Rechtsetzungsmacht vorhergehend unter Einl., I., 2. 2 Näher vorhergehend unter Einl., I., 2.; inwieweit diese Auswahl- und Zuordnungsentscheidung ihrerseits auf einer Vorstrukturierung oder gar Determinierung durch das Grundgesetz beruht ist Gegenstand des Zweiten Teils dieser Arbeit. 3 Näher Einl., I., 1. 4 E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S.8 ff.; O. Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im Öffentlichen Recht, 2002, S.9 ff.; A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 11 ff.; ders., in: Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 171 ff.; W. Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), S. 400 ff.; P. M. Huber, AöR 114 (1989),
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
biete des besonderen Verwaltungsrechts ermöglicht es, angesichts des unüberblickbaren Gesamtbestands an Normen überhaupt zu aussagefähigen Erkenntnissen zur gegenwärtigen Rechtsentwicklung zu gelangen. 5 Der referenzgebietsbezogenen Analyse des Normmaterials wird die Fähigkeit zugesprochen, die verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Probleme gegenwärtiger Rechtsetzung aufzuhellen sowie die Speicherung gefundener Lösungen und die Spiegelung bestehender Regelungsbedürfnisse zu ermöglichen. 6 Im Anschluss an diese methodische Entwicklung wird auch in der vorliegenden Arbeit versucht, die Vorteile einer referenzgebietsbezogenen Untersuchung zu nutzen. Im Blick auf das hier verfolgte Anliegen eines Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung im Recht der modernen Industriegesellschaft ist für die Auswahl des geeigneten Referenzgebiets anleitend, dass dieses eine besondere Aussagefähigkeit für die Rechtsentwicklung unter den spezifischen Bedingungen des gegenwärtigen politisch-ökonomischen Modernisierungsprozesses aufweisen sollte, der insbesondere durch ausgreifende technisch-industrielle Entwicklungsschübe, strukturelle Ungewissheitsbedingungen und die Internationalisierung der Rechtsordnung gekennzeichnet ist. 7 In dieser Hinsicht finden sich besonders interessante Entwicklungen im Umweltrecht. Dieses ist als junges Rechtsgebiet prädestiniert für die Rezeption und Ausprägung moderner Rechtsentwicklungen.8 Das Umweltrecht erfuhr seine Entfaltung als Rechtsgebiet seit Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre, also lange nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. Das Umweltrecht wird heute aus einer Vielzahl teils älterer, teils jüngerer, teils medienbezogener, teils stoffbezogener Einzelgesetze gebildet, die bereits in ihren Überschriften Auskunft geben über die Rezeption und Ausprägung immer neuer Rechtsentwicklungen. Aus dem gegenwärtigen Umweltrecht des Bundes seien insoweit genannt das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz, das S. 252 ff.; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 4 ff.; H.-H. Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1989; ders., Die Verwaltung, Beih. 2 (1999), S. 9 ff.; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 1 ff. 5 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 387, 403 f. 6 Hierzu die Skizze der Referenzgebietsmethode bei A. Schmitt Glaeser, Vorverständnis als Methode, 2004, S. 242 f. 7 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 4; S. Böschen/Ch. Lau/ A. Obermeier/P. Wehling, in: Entgrenzung und Entscheidung, 2004, S. 123 ff. 8 Zum Umweltrecht als Referenzgebiet H. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 27 (1994), S. 277, 277 f., der dessen „typenbildende Kraft für die Aufgaben der Verwaltung, für das Verwaltungshandeln in seiner Formenvielfalt und die Aufgaben der Verwaltungsdogmatik“ hervorhebt. M. Kloepfer, JZ 1991, S. 737 ff. spricht vom Umweltrecht als „Regulierungslaboratorium für die gesamte Rechtsordnung“; näher W. Hoffmann-Riem, in: Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 115 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 54; H. Hill, JbUTR 1994, S. 91, 92; M. Schmidt-Preuß, DVBl. 2000, S. 767 ff.; R. Gröschner, in: VVDStRL 63 (2004), S. 344, 349 f.
I. Das Umweltrecht als Referenzgebiet
61
Chemikaliengesetz, das Atomgesetz, das Düngemittel-Gesetz, das Fluglärmgesetz, das Gentechnikgesetz, das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das Umweltauditgesetz, das Umwelthaftungsgesetz, das Umweltinformationsgesetz und das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz. Die enorme Aktualisierungs- und Erweiterungsfrequenz im Normbestand des Umweltrechts ist ungebrochen. Beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung gibt eine Aufstellung wesentlicher Gesetzesänderungen und Novellierungen in der jüngsten Rechtsentwicklung: Verwiesen sei allein auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz, 9 das Artikelgesetz 2001, 10 das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, 11 die Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes, 12 das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergienutzung, 13 das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 14 und das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz. 15 Bis heute fand der rasch anwachsende Normbestand keinen Eingang in eine konzentrierende Umweltrechtskodifikation. 16 Die apostrophierten spezifischen Paradigmen gegenwärtigen Staatshandelns kommen im Umweltrecht überdeutlich zum Ausdruck. In weiten Teilen ist das Umweltrecht Recht des Technikeinsatzes, der Technikfolgeneinstufung und der Technikfolgenbearbeitung. 17 Seinem Gegenstand und seinem Regelungsanspruch nach ist das Umweltrecht dabei insbesondere gekennzeichnet als Recht unter Ungewissheitsbedingungen. 18 Helmuth Schulze-Fielitz spricht von der „dem Umweltrecht eigentümlichen Situation, dass Rechtsetzung regelmäßig unter den Bedingungen der Ungewissheit, d. h. ohne genaue Kenntnis und Voraussehbarkeit von Risiken erfolgt“. 19 Wissensdefizite bestehen dabei sowohl hinsichtlich des Entstehens und des Weiterwirkens von Umweltschädigungen als auch in Bezug auf Optionen der GeBGBl. I 2000, 305; neugefasst durch Gesetz v. 21.7.2004, BGBl. I 1918. Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz, BGBl. I 2001, 1950. 11 Gesetz für die Erhaltung, die Mobilisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung v. 19.3.2002, BGBl. I 1092. 12 BGBl. I 2002, 1193. 13 BGBl. I 2002, 1351. 14 BGBl. I 2002, 3622. 15 Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen v. 8.7.2004, BGBl. I 1578. 16 Zum (vorläufig) gescheiterten Projekt eines Umweltgesetzbuches R. Wahl, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 237 ff., insbes. S. 253, eingehend nachfolgend unter 1. Teil, V., 1. 17 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443 ff.; J. Ipsen/D. Murswiek/B. Schlink, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177 ff., 207 ff., 235 ff.; R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S. 6 ff.; W. Berg, in: Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Kap. H, Rn. 2; ders., JZ 1985, S. 401 ff. 18 Näher K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994; Ch. Engel/J. Halfmann/M. Schulte (Hrsg.), Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002; E. Brandt, Die Verwaltung, Beih. 4 (2001), S. 123, 124 mit Fn. 10. 19 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR, 2003, S. 443, 470. 9
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
gensteuerung. Aufgrund dieser Prägung des Umweltrechts durch die „Tatsache fortdauernder Ungewissheit“ 20 lässt sich von einem Rechtsgebiet der strukturellen Ungewissheitsbedingungen sprechen. 21 Bereits vom Gegenstand her ist das Umweltrecht auf internationale Zusammenhänge bezogen. Die Schutzbedürftigkeit der natürlichen Lebensgrundlagen ist Ausdruck einer globalen Gefährdungslage, die nach Regulierung in eben diesem Maßstab verlangt. 22 Hinzu tritt die Globalisierung der Ökonomie und damit eines wesentlichen Teils der staats- und privatwirtschaftlichen Regelungsadressaten umweltpolitischer Maßnahmen. 23 Infolgedessen unterliegen auch die Rechtsstrukturen des Umweltrechts wachsenden internationalrechtlichen Einflüssen. 24 Es bestehen verschiedene völkerrechtliche Abkommen mit entsprechender Ausstrahlungswirkung auf das nationale Recht. 25 Vor allem aber unterliegt das Umweltrecht einer weitgehenden Vergemeinschaftung. Die umfassenden Vorgaben des EG-Umweltrechts stellen für die Rechtswissenschaft spätestens seit der Etablierung durch die Einheitliche Europäische Akte 1986 26 eine anhaltende Herausforderung dar, sowohl hinsichtlich der Durchdringung und Aufarbeitung einzelner Institute des EGRechts 27 als auch hinsichtlich der weitreichenden Konsequenzen für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts 28 und immer mehr auch für die Europäi20 Zur „Tatsache fortdauernder Ungewissheit bei allen Entscheidungen im Umweltrecht“ R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S.171. Zum Paradox der Steigerung von Nichtwissen durch Wissen ders., aaO, S. 35. 21 Näher I. Appel, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 327 ff.; K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 68 ff. 22 Vgl. nur E. U. v. Weizsäcker, Erdpolitik, 5. Aufl. 1997, S. 9 ff., 51 ff.,113 ff.,203 ff. 23 Zum Zusammenhang von Globalisierung und Verfassungsrecht Ch. Walter, DVBl. 2000, S. 1 ff. 24 Vgl. A. Boyle, Codification of International Environmental Law, in: International Law and Sustainable Development, 1999, S. 61, 62 ff. 25 Hierzu aus der rasch wachsenden Literatur zum Umweltvölkerrecht W. Heintschel von Heinegg, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 23; A. Epiney/M. Scheyli, Umweltvölkerrecht, 2001; dies., Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998; dies., Die Aarhus-Konvention, 2000; A. Boyle/D. Freestone (Hrsg.), International Law and Sustainable Development, 1999 mit einer detaillierten Übersicht wichtiger völkerrechtlicher Verträge und Entscheidungen S. XV–XVIII und weiterer Instrumente des Umweltvölkerrechts S. IXX–XXVII; R. Wolfrum/N. Matz, Conflicts in international environmental law, 2003; U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 2000; S. Riedinger, Die Rolle nichtstaatlicher Organisationen bei der Entwicklung und Durchsetzung internationalen Umweltrechts, 2001. 26 Vgl. D. H. Scheuing, EuR 1989, S. 152 ff., auch zu den bereits vorher ergriffenen umweltpolitischen Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaften. 27 Vgl. A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997; W. Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993; Ch. Knill, Europäische Umweltpolitik, 2003. Zur jüngsten Rechtsentwicklung im Überblick Ch. Trüe, JZ 2004, S. 779 ff. 28 Hierzu J. Schwarze (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1996; M. Zuleeg und H.-W. Rengeling, in: VVDStRL 53 (1994), S.202 ff.; T. v. Danwitz, Verwaltungs-
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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sierung des nationalen Verfassungsrechts. 29 Schließlich zählt zu den hervorstechenden Eigenschaften des Umweltrechts seine Prägung durch das untergesetzliche Regelwerk. 30 Der weitaus größte Teil der Umweltstandards findet sich nicht in den im parlamentarischen Verfahren zustandegekommenen Gesetzen, sondern vielmehr in exekutiv gesetzten Normen, also in Rechtsverordnungen oder – in abgeschwächtem Maße – in Verwaltungsvorschriften. 31 Nach alledem erscheint das Umweltrecht für das hier verfolgte Ziel eines Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung unter den Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns als bestens geeignetes Referenzgebiet. Im Folgenden wird daher die gesetzgeberische Zuordnung einzelner Funktionen zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung auf der Grundlage des Umweltrechts typisierend entwickelt.
II. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen 1. Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion In erheblichem Umfang wird die Rechtsverordnung eingesetzt zur Operationalisierung der Ausweitung der staatlichen Regulierungstätigkeit auf immer neue rechtliches System und europäische Integration, 1996; J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers, für die Durchsetzung des Rechts, 1998, S. 175 ff. 29 Hierzu H. Bauer, JBl. 2000, S. 750 ff.; E. Klein, in: FS Stern, 1997, S. 1301 ff.; J. A. Frowein, in: FS 50 Jahre BVerfG I, 2001, S. 209 ff.; M. Nettesheim, EU-Recht und nationales Verfassungsrecht, 2002; P. Häberle, EuGRZ 1991, S.261 ff.; aus europarechtlicher Perspektive die Beiträge in A. v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003. 30 Zur untergesetzlichen Regelsetzung im Umweltrecht Ch. Streffer, Umweltstandards, 2000; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004; G. Lübbe-Wolff, in: Effizientes Umweltordnungsrecht, 2000, S. 99 ff.; dies., aaO, S. 65 ff.; dies., aaO, S. 151 ff.; dies., ZG 1991, S. 219 ff.; G. J. Rieger, in: Alte und neue Streitfragen im Bau-, Umwelt- und Telekommunikationsrecht, 2000, S. 57 ff.; G. Winter (Hrsg.), Grenzwerte, 1986; A. Roßnagel, UPR 1986, S. 46 ff.; Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff.; T. Zubke-v. Thünen, Technische Normung in Europa, 1999; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990; R. Steinberg, in: Reform des Atomrechts, 1994, S. 82 ff., 87 ff.; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998; K. Hüttermann, Funktionen der Grenzwerte im Umweltrecht, 1993; Ch. Bönker, Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften, 1992; V. M. Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, 1996; H. v. Lersner, NuR 1990, S. 193 ff.; R. Lukes, in: Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81 ff.; ders., in: Normalisierung der friedlichen Nutzung der Kernenergie, 1985, S. 38 ff.; H. D. Jarass, in: Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 437 ff.; M. Seibel, BauR 2004, S. 266 ff. 31 Vgl. hierzu die Nachweise in der Einl., I., 1. sowie E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 122: Wichtigster Repräsentant der administrativen Normsetzung im Umweltrecht sei die Rechtsverordnung.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Sachbereiche. Die Rechtsentwicklung ist aus dem 19. Jahrhundert heraus 32 über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg gekennzeichnet durch die beständige Entfaltung neuer Rechtsgebiete. 33 Die Beschränkung des Staates auf die klassische Aufgabe der Ordnungswahrung wurde unter entsprechendem Komplexitätszuwachs sukzessive erweitert um die Staatsaufgaben der gerechten Verteilung sozialer Entschädigungen und der Bewältigung kollektiver Gefährdungslagen. 34 Dieser dreistufigen Periodisierung korrespondieren die „idealtypischen Staatsformen Rechtsstaat – Sozialstaat – Sicherheitsstaat“ (Habermas). 35 Unter Fokussierung auf die Spezifika des Rechtsgebiets wird die zeitlich jüngste Erweiterung in der Umweltrechtswissenschaft reformuliert als Eintritt in die Periode des „Umweltstaates“.36 Die Rechtswissenschaft hatte bereits für die Phase der Entfaltung des Sozial- bzw. Leistungsstaates als Folge der Industrialisierung und Pluralisierung einen „Normhunger der Verwaltung“ 37 konstatiert, den der parlamentarische Gesetzgeber nicht zu stillen vermöge. 38 Insoweit wirkte der erhebliche Normbedarf im Bereich der Ökologie potenzierend für ein bereits vorher gegebenes Phänomen. 32 Hierzu M. Stolleis, in: Konstitution und Intervention, 2001, S.253 ff.; S. Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2005, § 14, II., 1. 33 M. Stolleis, in: Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 1 ff. 34 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 524. 35 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 525. Gebräuchlich für das Einsetzen sozialstaatlicher Aktivitäten ist auch der Begriff des „Leistungsstaates“, hierzu P. Häberle, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff.: „Leistungsstaat ist der vom Grundgesetz konstituierte Staat, der durch Organisation und Verfahren mittelbar oder unmittelbar für Bürger und Gruppen Leistungen erbringt, die im weiteren Sinn primär positiven Grundrechtsbezug intendieren.“ Die Dominanz sicherheitsstaatlicher Elemente wird auch mit dem Begriff des „Präventionsstaates“ erfasst, vgl. E. Denninger, KJ 1988, S. 1 ff. sowie R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 379 ff., der von der „Auflösung des liberalen Verfassungsstaates durch den Präventionsstaat“ spricht. Zum ganzen auch M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 17 ff. 36 Begriffsprägend M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, 1989; ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft, 1994; Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001; zum präventiven Charakter des Umweltstaates H. Hofmann, in: Umweltstaat, 1989, S. 1 ff., 33; vgl. weiterhin dens., in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873 ff. sowie R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1 ff., 13 ff., 58 ff. Andere erfassen die Phase des „ökologischen Verfassungsstaates“ als 5. Stufe der Verfassungsentwicklung, so R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 45. Kritisch zum Begriff des „Umweltstaates“ W. Berg, in: FS Stern, 1997, S. 421 ff., zusammenfassend S. 440 f. 37 E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 136. Aus späterer Zeit mit diesem Befund P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 543 f.; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 344; G. Müller, ZfSVR 99 (1998), S. 1, 1. 38 Der Feststellung des „Normhungers der Verwaltung“ korrespondiert bereits in den 1970er Jahren das Schlagwort von der „Normenflut“, begleitet von Forderungen nach Deregulierung, hierzu H.-J. Vogel, JZ 1979, S. 321 ff. Zu entsprechenden Analysen aus neuerer Zeit vgl. R. Herzog, Strukturmängel der Verfassung? 2000, S. 49, S. 56 f. mit der Diagnose des „Übels“ einer „wirklichen Normenflut“; W. Köck, VerwArch 93 (2002), S.1, 1 mit dem einleitenden Befund „zu vieler und zu schlechter Gesetze“; U. Karpen, in: Zehn Jahre DGG/Zehn Jahre ZG, 1998, S.371, 383 sowie dens., in: Wirkungsforschung zum Recht IV, 2003, S.148, 163 zur weitergehenden Analyse einer „Gesetzesflut auch aus Brüssel und Straßburg“.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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a) Die Ausweitung staatlicher Regelungsaktivitäten im Bereich der Ökologie Die enorme staatliche Regelungsaktivität auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist auf verschiedene Ursachen zurückführbar. Politische und rechtliche Gründe kommen zusammen. Die bedeutendste Ursache für die Entfaltung umweltrechtlicher Regelungsaktivitäten ist die Entdeckung der Umweltpolitik als Betätigungsfeld staatlichen Handelns. 39 Die Anfänge der Umweltpolitik im engeren Sinne werden gemeinhin auf die Zeit zwischen Mitte der 1960er Jahre und Beginn der 1970er Jahre datiert. 40 In diesem Zeitraum fallen die Anfänge umweltpolitischer Aktivitäten im internationalen 41 und im nationalen 42 Maßstab. Entscheidend ist der Übergang von traditionellen Konzeptionen staatlicher Technikkontrolle, oftmals gekennzeichnet von starker Rücknahme des Staates gegenüber privatwirtschaftlichen Regulierungssystemen, zur Entfaltung der „Staatsaufgabe Umweltschutz“. 43 Danach zählt die Ausrichtung auf die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu den übergeordneten Maximen des Staatshandelns. 44 Die verfassungsrechtliche Ableitbarkeit der „Staatsaufgabe Umweltschutz“ war nie unumstritten. Verschiedene Autoren begründeten den Umweltschutz als notwendigen Staatszweck, der als Element des 39 Zur Geschichte der Umweltpolitik im globalen Maßstab J. R. Mc Neill, Something New Under the Sun, 2000; bahnbrechend der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit: D. Meadows/D. Meadows/E. Zahn/P. Milling, Die Grenzen des Wachstums, 1972. Zu Aspekten der deutschen Entwicklung M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994 und die offizielle Publikation zum 15jährigen Bestehen des Bundesumweltministeriums Mitte 2001 unter http://www.bmu.de/files/15JahreBMU.pdf (Abrufd. 15.9.2004). 40 F. Vahrenholt, in: HdUR II, 2. Aufl. 1994, Sp. 2237, 2238. 41 Im internationalen Maßstab wird Japan und den USA eine Vorreiterrolle zugesprochen, so etwa M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 95 und R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 46. Hierbei wird insbesondere auf die Verabschiedung des „National Environmental Policy Act“ (Publ. L. 91–190, 42 USC 4321–4347, vom 1.1.1970) und die Gründung der „Environmental Protection Agency“ (EPA) abgestellt, vgl. hierzu L. Petersen, KJ 1993, S. 351 ff. Wesentliche Bedeutung für die Entwicklung des Umweltvölkerrechts hatte die Umweltkonferenz von Stockholm vom 5.–16.6.1972 mit ihrer „Stockholmer Erklärung“, abgedruckt bei P.W. Birnie/A. Boyle, Basic Documents on International Law and the Environment, 1995 sowie die Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durch die GV-Res. 1997 (XXVII) vom 15.12.1972. Die Europäische Gemeinschaft veröffentlichte 1973 erstmals ein Umweltaktionsprogramm (vgl. ABl. EG 1973 C 112, S. 1 ff.), das seitdem in einem 5-jährigen Turnus novelliert wird. 42 Auf nationaler Ebene war von großer Bedeutung das Umweltprogramm der Bundesregierung vom 21. September 1971, BT-Drs. VI/2710; hierzu M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 98 mit Fn. 492. 43 Zur Entfaltung der „Staatsaufgabe Umweltschutz“ im Überblick H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873 ff.; M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 59 ff.; zu früheren Einschätzungen D. Rauschning/W. Hoppe, in: VVDStRL 38 (1980), S. 167 ff. und S. 211 ff.; E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 31 ff., 45 f. 44 Hierzu die Rekonstruktion des „unendlichen Diskurses über Gemeinwohl und Staatsaufgaben“ bei A. Voßkuhle, in: VVDStRL 62 (2003), S. 266, 273 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Staatsbegriffs auch Verfassungszweck und somit verfassungsrechtlich geltendes Staatsziel sei. 45 Andere verwiesen demgegenüber darauf, dass jede Aussage über staatliche Verantwortungsbereiche den „Sprung ins Normative nur von der rechtlichen Grundlage aus schaffen kann, die ein konkretes Gemeinwesen konstituiert und die Suche nach den normativen Grundlagen staatlicher Verantwortung deshalb ausschließlich auf die Verfassung angewiesen sei“. 46 Insgesamt hat die diesbezüglich in der rechtswissenschaftlichen Literatur ausgetragene Kontroverse 47 durch die verstetigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur Pflicht des Staates zum Schutz gegen Grundrechtsgefährdungen 48 und die Implementation von Art. 20 a GG 49 zwischenzeitlich eine deutliche Entschärfung erfahren. 50 Der Anstoß zur Etablierung umweltrechtlicher Regelungen ist jedoch nicht allein auf ökologisch motiviertes gesellschaftspolitisches Handeln zurückzuführen. Erhebliche Regulierungsinteressen haben auch Akteure wie die Betreiber emittierender Großanlagen 51 oder jene, die biotechnologische Verfahren für eigene wissen45 So etwa D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 71 ff., 85; vgl. vorhergehend H. Hofmann, in: Umweltstaat, 1989, S. 1 ff.; frühe Befürworter einer verfassungsrechtlichen Ableitbarkeit waren etwa H.-P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S.224, der auf die Grundrechte, Art.2 Abs.1 und 2 GG sowie das Sozialstaatsprinzip verweist: „Wenn der Staat überhaupt Aufgaben hat, dann gehört dazu, dass er die natürlichen (‚biologischen‘) Grundlagen menschlichen Lebens schützt“ und P.-Ch. Storm, in: FS Schad, 1978, S. 451, 451; W. Weber, DVBl. 1971, S. 806, 806: Es könne kein Zweifel daran bestehe, dass Umweltschutz eine vom Grundgesetz selbst legitimierte und geforderte Aufgabe sei. 46 G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 158 f. Ihm folgend R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 57; zu frühen Stimmen, die der Ableitbarkeit der Staatsaufgabe Umweltschutz aus der Verfassung skeptisch gegenüberstanden zählen etwa D. Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), 167 ff.; M. Kloepfer, DVBl. 1979, S. 639 ff.; BDI (Hrsg.), Umweltschutz und industrielle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 43 f.; zu neuerer Kritik vgl. R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S.1 ff. 47 Hierzu die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 48 BVerfGE 39, 1, 41 f. (Fristenlösung I); 46, 160, 164 f. (Schleyer); 49, 89, 141 f. (Kalkar); 53, 30, 57 f. (Mülheim-Kärlich); BVerfGE 56, 54, 73 (Fluglärm), BVerfGE 88, 239, 151 (Fristenlösung II); BVerfGE 77, 381, 403 (Gorleben); BVerfGE 90, 145, 192 (Cannabis); hierzu Ch. Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351, 362 ff. sowie die kritische Darstellung bei O. Lepsius, Leviathan 32 (2004), S. 64 ff., 84 f. und P. Preu, JZ 1991, S. 265 ff. 49 Zu Art. 20 a GG vgl. D. Murswiek, in: Sachs, GGK, 3.Aufl. 2003, Art.20 a, Rn. 1 ff.; dens., NVwZ 1996, S. 222 ff.; R. Steinberg, NJW 1996, S. 1985, 1990 ff.; K. Waechter, NuR 1996, S. 321 ff.; A. Schink, DÖV 1997, S. 221 ff.; T. Brönneke, Umweltverfassungsrecht, 1999. 50 Zur Rezeption der Rechtsprechung des BVerfG und zur Fortentwicklung der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten vgl. G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 1 f., 58 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S.121 ff.; J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 38 f.; kritisch E.-W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 ff.; mit partieller Kritik R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 410 ff. 51 Zur Initiierung der Umweltschutzgesetzgebung aus Gründen wirtschaftlicher Wettbewerbsgleichheit H. Steiger, Verfassungsrechtliche Grundlagen, in: Salzwedel, Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 21, 25 ff.; vgl. auch E. Brandt, Die Verwaltung, Beih. 4 (2001), S. 123 ff., insbes. S. 126 mit einer Skizze zur Vorliebe der Normadressaten für herkömmliche Regelungstypen. Zu den Forderungen der Wirtschaft nach einer bundeseinheitlichen Verrecht-
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schaftliche und wirtschaftliche Zwecke einsetzen. 52 Für den Anlagenbetreiber bedeutet die Statuierung einer hoheitlichen Regel regelmäßig einen nicht unbeachtlichen Zuwachs an Rechts- und damit auch an Investitionssicherheit. 53 Zudem interessiert die Regulierung eines Sachbereichs auch als Ordnungsrahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbs der Marktsubjekte. 54 Die mit der politischen Grundentscheidung zugunsten eines ausgedehnten staatlichen Engagements auf dem Gebiet des Umweltschutzes und ihren verfassungsrechtlichen Implikationen verbundene Expansion der staatlichen Normsetzung wird potenziert durch die enormen Technikbezüge 55 umweltrelevanter Handlungen. 56 Hier gilt: Je höher der Technikbezug des Regelungsgegenstandes desto höher die Zahl der benötigten Normen. 57 Der Zusammenhang von Technik und Ökologie ist dabei von einer grundsätzlichen Ambivalenz geprägt: Zum einen führt der Technikeinsatz zu Schäden im Naturhaushalt, zum anderen ist der Technikeinsatz unabdingbarer Bestandteil vieler Maßnahmen zur Erzielung ökologischer Verbesserungen. 58 lichung des Bodenschutz- und Altlastenrechts im Vorfeld des Erlasses des Bundes-Bodenschutzgesetzes 1998 M. Kloepfer, Umweltschutz in Bund und Ländern, 2003, S. 91 sowie den Tagungsbericht von S. Assenmacher, DVBl. 1996, S. 1358 ff. 52 Vgl. M. Reinhardt, in: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie, 2003, S. 19, 37, 39. 53 Zu den Anforderungen der Wirtschaft an das Umweltrecht im Kontext der Überlegungen zu einem Umweltgesetzbuch D. Frank, Umweltrecht und Wirtschaft, 2000. 54 F. Vahrenholt, in: HdUR II, 2. Aufl. 1994, Sp. 2237, 2253 f. 55 Zur zivilisationsprägenden Dimension der Technik und den Folgen für die Rechtsentwicklung W. Berg, JZ 1985, S. 401 ff., insbes. S. 406: „Hervorstechendstes Kennzeichen unserer gegenwärtigen Zivilisation sind die gewaltigen externen Effekte nahezu aller Technologien.“ Vgl. weiter die Beiträge in M. Kloepfer (Hrsg.), Technik und Recht im wechselseitigen Werden, 2002 sowie D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 652: Das Recht stehe zur Technik in keinem prinzipiell anderen Verhältnis als Sein und Sollen ganz allgemein. Es beziehe sich auf die Technik nicht prinzipiell anders als auch sonst auf das Verhalten der Menschen und auf seine Hervorbringungen. Was die Technik für das Recht zu einem spezifischen Problem mache, sei die Dynamik mit der sie sich entwickle und die das gesamte von ihr beeinflusste Sein in Bewegung bringe. 56 Zur Prägung des Umweltrechts durch die Einflüsse der Technik vgl. H. Hill, JbUTR 1994, S. 91, 92; F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 10 f. hebt vier charakteristische „Besonderheiten der modernen Technik“ hervor: (1) Steigerung menschlicher Handlungsmöglichkeiten, deren Machtentfaltung über die Natur und Veränderungskraft für natürliche und soziale Umwelt einer „zweiten Genesis“ nahe kommt, (2) enorme Geschwindigkeit des naturwissenschaftlichen-technischen Entwicklungsprozesses, (3) Nicht-Ermittelbarkeit und Nicht-Bewältigbarkeit der Risiken, Neben- und Folgewirkungen mit Erfahrungssätzen, (4) Zunahme der Notwendigkeit staatlicher Schadensvorsorge mit Entwicklung der Technik und Erweiterung des Erkenntnishorizontes der Naturwissenschaften. 57 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 656: Das technisch-ökonomische System benötige exakte, d. h. notwendig hochdifferenzierte, spezialisierte und daher auch außerordentlich viele Normen, die als Funktionsbedingungen des Gesamtsystems von diesem selbst erzeugt und vom Staat lediglich rezipiert würden. Die vielfachen Klagen aus der Wirtschaft über die „Normenflut“ gingen insoweit fehl. 58 Man denke an die Technologien im Bereich der Solarenergie, vgl. zum zugrunde liegenden Spannungsverhältnis die Beiträge in M. Schulte (Hrsg.), Technische Innovation und Recht, 1997 5*
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Die Errichtung und der Betrieb technischer Anlagen erfordern eine Erweiterung des Blickfelds, dahingehend, dass über das Umweltmedium und den Akzeptor hinaus Regelungen in Bezug auf den Emittenten zu treffen sind. 59 Hinzu treten Regulierungserfordernisse im Blick auf die mit dem Anlagenbetrieb verbundene Verwendung und Erzeugung verschiedenartiger Stoffe und Produkte. 60 Zu einem Gutteil ist die Ausweitung des hoheitlichen Regulierungsanspruchs auch Folge der Aufnahme von Zielsetzungen anderer Politikfelder, so etwa der Arbeitsschutz- und Wirtschaftspolitik. 61 Die Ausweitung des Normbedarfs ist in starkem Maße Folge der Ausweitung der mit einem einzelnen Gesetz verfolgten Ziele; je breiter der Katalog gesteckter Ziele, desto mehr Normen sind zu ihrer Erreichung erforderlich. Demzufolge verlangt die Aufladung von Einzelgesetzen mit Regelungsaufgaben nach Ausgleich durch erhöhte Normproduktion. 62 Die Gesetzesvorbehalte des Grundgesetzes sind nur sekundär Auslöser des Regelungsaktivität. Vielmehr verhalten diese sich in diesem Kontext akzessorisch zur Entfaltung der Staatsaufgabe: Erst wenn der Staat einen Politikbereich definiert und reguliert ist den Anforderungen der Gesetzesvorbehalte zu genügen. 63 Verschiedene Umstände politischer und rechtlicher Art führen also zur Ausweitung hoheitlicher Regulierungsansprüche. In Verbindung mit den Besonderheiten des Regelungsgegenstandes ergeben sich als rechtspraktische Folge enorme Anforderungen und Erwartungen an die staatliche Generierung und Bereitstellung ausdifferenzierter Normkomplexe.
sowie P. Kirchhof, NVwZ 1988, S.97 ff. und D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S.651, 653: Der technisch-wissenschaftliche Forschritt könne Gefahren hervorbringen, aber auch Gefahren vermeiden, Risiken reduzieren helfen. 59 Dieses Ergebnis ergibt sich idealtypisch bereits aus dem Vergleich des medienbezogenen WHG (1957) und des auf die Anlagengenehmigung ausgerichteten AtomG (1959), die in der Regelungsstruktur ihres Ersterlasses als Vorläuferregelungen des Umweltrechts gelten können; vgl. zum Charakter als Vorgängerregelung M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 81 ff. 60 Im Umweltgutachten 2002 des SRU heißt es dazu (Tz. 184) bildhaft: „Eine Gesellschaft, die in Produktion und Konsum mit über hunderttausend chemischen Stoffen in mehr als einer Million Zubereitungen umgeht, darf nicht hoffen, die daraus resultierenden Risiken mit wenigen Federstrichen des Gesetzes bewältigen zu können. Komplexer Regelungsbedarf ergibt sich gerade aus dem Bedürfnis, wirtschaftliche Interessen und ökologische Gesichtspunkte auf abgewogene und dementsprechend differenzierte Weise Rechnung zu tragen – beispielsweise durch differenzierte Grenzwerte anstelle pauschaler Erlaubnis oder Verbotslösungen.“ 61 Hierzu nachfolgend 1. Teil, II., 1., b), (2). 62 Vgl. O. Lepsius, NVwZ 2003, S. 1182 ff. 63 Hierzu M. Kloepfer, in: VVDStRL 40 (1982), S. 63 ff., 74 f.: Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und allgemeiner Gesetzesvorbehalt seien zwar eine erhebliche rechtliche Ursache für den Normenzuwachs (S. 74), insgesamt habe die Übernormierung jedoch primär politische, nicht rechtliche Gründe (S. 75). Zur Auswirkung der Veränderung von Staatsaufgaben, Staatsform und Verfassung auf das Anforderungsprofil des Prinzips des Gesetzesvorbehalts vgl. auch dens., JZ 1984, S. 685, 686 ff.
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b) Anwendungsfelder der Rechtsverordnung als Instrument der Regulierungsexpansion Die skizzierte Regulierungsexpansion im Bereich des Umweltrechts wird in umfänglicher Weise in der Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung operationalisiert. Dies soll im Folgenden an den Normstrukturen des Immissionsschutz-, Chemikalien- und Abfallrechts dargelegt werden. 64 (1) Regulierungsexpansion im Immissionsschutzrecht In welch erheblichem Maße sich der Gesetzgeber der Rechtsverordnung als Instrument der Regulierungsexpansion bedient, zeigt sich beispielhaft im Immissionsschutzrecht. Die Verarbeitung des ausgeweiteten hoheitlichen Regulierungsanspruches wird nahezu vollständig im untergesetzlichen Regelwerk vollzogen. 65 Dieses enthält den weit überwiegenden Teil der rechtspraktisch relevanten Inhalte und vermag Rechtsänderungen losgelöst vom Bundesimmissionsschutzgesetz aufzunehmen. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz als zentrales Gesetz dieses Rechtsgebiets 66 ist trotz einiger Novellierungen 67 in den 30 Jahren seit seinem Erlass im Jahr 1974 ein überschaubares Gesetz geblieben. Der Ausgangsbestand von 73 Paragrafen wurde insgesamt kaum erweitert; einige Normen entfielen, andere wurden um Annexregeln wie etwa §§48 a, 48 b BImSchG erweitert. Die Handlungsform der Rechtsverordnung kommt in ausgreifender Weise zum Einsatz, je nach Zählweise enthält das Bundes-Immissionsschutzgesetz aktuell zwischen 31 und 35 Verordnungsermächtigungen. 68 Der Normbestand des Immissionsschutzrechts wird, gestützt auf diese Verordnungsermächtigungen, über das Bundes-Immissionsschutzgesetz hinaus erweitert durch eine Vielzahl von Rechtsverordnungen, so etwa die Verordnung 64 Vgl. zum Einsatz der Rechtsverordnung zur Bewältigung des „rasch anwachsenden Aufgabenbereichs“ außerhalb des Umweltrechts H. Stolzlechner, in: Theorie der Rechtssetzung, 1988, S. 241, 244 f. 65 S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 200; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 157 ff., 186 ff.; Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105, 108. 66 Zum Bundes-Immissionsschutzgesetz als „Leitgesetz“ nicht nur des Immissionsschutz-, sondern des gesamten Umweltrechts H. D. Jarass, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381, 382. 67 Vgl. zuletzt das inzwischen Siebte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 11.9.2002, BGBl. I 3622 und die Änderungen im Kontext der Einführung des Emissionshandels durch das Gesetz vom 8.7.2004, BGBl. I 1578. 68 Verordnungsermächtigungen enthält das Bundes-Immissionsschutzgesetz in § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 (Abs. 2, 3), § 7 Abs. 4 S. 1, § 7 Abs. 4 S. 2; § 10 Abs. 10, § 10 Abs. 11, § 22 Abs. 1, § 23 Abs. 1 (Abs. 2), § 27 Abs. 4, § 32 Abs. 1, § 33 Abs. 1, § 34 Abs. 1, § 34 Abs. 2, § 35 Abs. 1, § 37 Abs. 1, § 38 Abs. 2, § 39, § 40 Abs. 3, § 43 Abs. 1, § 44 Abs. 2, § 47 Abs. 7, § 48 a Abs. 1, § 48 a Abs. 1 a (S. 1, 2), § 48 a Abs. 3, § 49 Abs. 1, § 49 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 55 Abs. 2, § 58 a Abs. 1, § 58 e, § 59 BImSchG. Dabei richten sich verschiedene Ermächtigungen unmittelbar an die Länder, so etwa § 46 Abs. 1 S. 3, § 49 BImSchG.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
über kleine und mittlere Feuerungsanlagen (1. BImSchV), 69 die HKW-Verordnung (2. BImSchV), 70 die Anlagenverordnung (4. BImSchV), 71 die Beauftragtenverordnung (5. BImSchV), 72 die Genehmigungsverfahrensverordnung (9. BImSchV), 73 die Störfall-Verordnung (12. BImSchV), 74 die Großfeuerungsanlagen-Verordnung (13. BImSchV), 75 die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), 76 die Abfallverbrennungsanlagenverordnung (17. BImSchV), 77 die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV), 78 die Immissionswerteverordnung (22. BImSchV), 79 die Verkehrswegeschallschutz-Verordnung (24. BImSchV), 80 die Elektrosmog-Verordnung (26. BImSchV), 81 die Bio-Abfallanlagen-Verordnung (30. BImSchV), 82 die Lösemittel-Verordnung (31. BImSchV) 83 oder die Gerätelärmschutz-Verordnung (32. BImSchV). 84 Zwischenzeitlich wurde als 33. BImSchV die Verordnung zur Verminderung von Sommersmog, Versauerung und Nährstoffeinträgen beschlossen und verkündet, die insbesondere der Umsetzung zweier EG-Richtlinien dienen soll.85 69 Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. März 1997, BGBl. I 490, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.8.2003, BGBl. I 1614. 70 Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen halogenierten organischen Verbindungen vom 10. Dezember 1990, BGBl.I 2694, zuletzt geändert durch Verordnung vom 21.8.2001, BGBl. I 2180. 71 Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.3.1997, BGBl. I 504, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.1.2004, BGBl. I 2. 72 Verordnung über Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte vom 30. Juli 1993, BGBl. I 1433, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.9.2001, BGBl. I 2331. 73 Verordnung über das Genehmigungsverfahren in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Mai 1992, BGBl. I 1001, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.8.2003, BGBl. I 1614. 74 Störfall-Verordnung vom 26. April 2000, BGBl. I 603. 75 Verordnung über Großfeuerungsanlagen vom 22. Juni 1983, BGBl. I 719 in der Fassung vom 20.7.2004, BGBl. I 1717. 76 Verkehrslärmschutzverordnung vom 12. Juni 1990, BGBl. I 1036. 77 Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen vom 23. November 1990, BGBl. I 2545, ber. 2832, neugefasst durch Bekanntmachung vom 14.8.2003, BGBl. I 1633. 78 Sportanlagenlärmschutzverordnung vom 18. Juli 1991, BGBl. I 1588, ber. 1790. 79 Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft vom 11. September 2002, BGBl. I 3626, geändert durch Verordnung vom 13.7.2004, BGBl. I 1612. 80 Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung vom 4. Februar 1997, BGBl. I 172, ber. 1253, geändert durch Verordnung vom 23.9.1997, BGBl. I 2329. 81 Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16. Dezember 1996, BGBl. I 1996. 82 Verordnung über Anlagen zur biologischen Behandlung von Abfällen vom 20. Februar 2001, BGBl. I 305. 83 Verordnung zur Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen bei der Verwendung organischer Lösungsmittel in bestimmten Anlagen vom 21.8.2001, BGBl.I 2180. 84 Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung vom 29.8.2002, BGBl. I 3478, geändert durch Gesetz vom 6.1.2004, BGBl. I 2, ber. 219. 85 Verordnung zur Verminderung von Sommersmog, Versauerung und Nährstoffeinträgen (33. BImSchV) vom 13.7.2004, BGBl. I 1612 zur Umsetzung der EU-Richtlinien 2002/3/EG über den Ozongehalt der Luft und 2001/81/EG über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe. Zur im Zusammenhang mit dem Erlass des Treibhausgasemissions-
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Über die bloße Zahl der Rechtsverordnungen hinaus wird der Normbestand des Immissionsschutzrechts 86 erweitert um die umfangreichen Anhänge vieler zum Bundes-Immissionsschutzgesetz ergangener Rechtsverordnungen. 87 (2) Regulierungsexpansion im Chemikalienrecht Der Einsatz der Rechtsverordnung als Instrument der Regulierungsexpansion lässt sich nicht nur im anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht, sondern auch in jenen Umweltrechtsgebieten nachweisen, die das Anlagengenehmigungsrecht nach dem sektoralen Grundmuster des deutschen Umweltrechts im Hinblick auf die Regelung der stofflichen Folgewirkungen durch weitere Gesetze ergänzen und unter dem Begriff des Gefahrstoffrechts zusammengefasst werden. 88 Leitgesetz des Gefahrstoffrechts ist das Chemikaliengesetz vom 16.9.1980, das anfangs 31 Paragrafen umfasste. 89 Diese übersichtliche Grundstruktur hat das Chemikaliengesetz beibehalten. 90 Die zahlreichen Änderungen und Erweiterungen des Gesetzes wurden regelungstechnisch über die Anfügung einzelner Buchstaben verarbeitet, so auch die Integration des Rechts der Biozidprodukte in den neu geschaffenen §§ 12 a bis j ChemG. 91 Einige Paragrafen entfielen ersatzlos. Das Stagnieren der Zahl chemikaliengesetzlicher Regelungen auf äußerst niedrigem Niveau steht in deutlichem Gegensatz zu dem bereits grundsätzlich hohen und noch immer ansteigenden Normbehandelsgesetzes geplanten 34. BImSchV (Verordnung zur Umsetzung der EmissionshandelsRichtlinie für Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz) vgl. die von der Bundesregierung verabschiedeten Fassung in BR-Drs. 955/03. 86 Vgl. zur vergleichbaren Regelungstechnik im Bereich des technischen Geräte- und Produktsicherheitsrechts T. Wilrich, GPSG, 2004, § 3, Rn. 3 ff. mit einer Übersicht zu den bisher 14 Rechtsverordnungen, die auf der Basis des alten GSG erlassen wurden, aber unter dem neuen Geräte- und Produktsicherheitsgesetz fortgelten. Diese Rechtsverordnungen (GPSGV) setzten die materiellen Sicherheitsanforderungen zur Beschaffenheit an Produkte zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit und zum Schutz sonstiger Rechtsgüter im Wesentlichen durch Verweis auf die Anhänge der europarechtlichen Harmonisierungsrichtlinien um, ders., aaO, § 3, Rn. 11. 87 Vgl. etwa die Anhänge I–VI zur 12. BImSchV (StörfallVO), BGBl. I 2000, 611. Bereits die 1. BImSchV zur Regelung kleiner und mittlerer Feuerungsanlagen, BGBl.I 1997, 490, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.8.2003, BGBl. I 1614 verweist auf mehrere Anhänge, so in § 2 Nr. 10 a, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 3, § 9, § 12, § 14 Abs. 3 und § 21 1. BImSchV. 88 Als Regelwerk des Allgemeinen Gefahrstoffrechts gilt das Chemikaliengesetz, als gefahrstoffliche Spezialregelungen gelten etwa: Pflanzenschutzgesetz, Düngemittelgesetz, Futtermittelgesetz, Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, Arzneimittelgesetz, Tierseuchengesetz, Wasch- und Reinigungsmittelgesetz, Benzinbleigesetz, Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter; zu dieser Einteilung E. Pache, in: Koch, Umweltrecht, 2002, § 12, Rn. 10. Zum Verhältnis von Chemikaliengesetz und Spezialgesetzen allgemein BVerwG, NVwZ 1992, 964. 89 Chemikaliengesetz vom 16.9.1980, BGBl. I 1218. 90 Zu Zielsetzung und Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 33, Rn. 9 ff.; G. Winter, DVBl. 1994, S. 913 ff.; E. Rehbinder/D. Kayser/H. Klein, Chemikaliengesetz, 1985, Einl., Rn. 15 ff. 91 Vgl. P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 1 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
darf auf dem Feld der Chemikalienregulierung. 92 Laut Umweltbundesamt sind heute etwa 8 Millionen chemische Substanzen bekannt, zu diesen kommen jährlich hunderte hinzu. 93 Die Zahl der am EU-Markt registrierten Chemikalien wird auf ungefähr 100.000 geschätzt. 94 Allein im Jahr 2002 wurden in Deutschland 122 neue Stoffe angemeldet. 95 Den hier ersichtlichen Regulierungsbedarf sucht das Chemikalienrecht zum weit überwiegenden Teil in der Rechtsform der Rechtsverordnung zu erfüllen. 96 So finden sich verteilt über den begrenzten Normbestand des Chemikaliengesetzes insgesamt 20 Verordnungsermächtigungen. 97 Der Normbestand des Chemikalienrechts wird durch die einschlägigen Rechtsverordnungen in enormer Weise ausgeweitet, so etwa durch die Gefahrstoffverordnung, 98 die Chemikalien-Verbotsverordnung, 99 die Prüfnachweisverordnung, 100 die Giftinformationsverordnung, 101 die FCKW-Halon-Verordnung, 102 die Chemikalien Straf- und Bußgeldverordnung 103 oder neuer92 Hierzu F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 10. 93 Nachweise bei R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 11, Rn. 458; W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 32, Rn. 3. 94 E. Pache, in: Koch, Umweltrecht, 2002, § 12, Rn. 3; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, 5. Aufl. 2003, § 11, Rn. 458: enthalten in über 1.000 000 Zubereitungen. 95 Tabelle zur Anmeldung neuer Stoffe nach dem Chemikaliengesetz auf der Homepage des Umweltbundesamtes unter www.env-it.de/umweltdaten (Abrufd. 15.9.2004). 96 Vgl. den Überblick zu den chemikalienrechtlichen Rechtsverordnungen bei W. Hoppe/ M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 33, Rn. 3. 97 Vgl. § 3 a Abs. 4; § 3 b Abs. 2; § 12 j Abs. 5; § 14 Abs. 1; § 16 c Abs. 2; § 16 d Abs. 1; § 16 e Abs. 5 Nr. 1; § 17 Abs. 1; § 18 Abs. 1; § 19 Abs. 1; § 19 d Abs. 2; § 20 Abs. 6; § 20 b Abs. 1; § 21 Abs.2 a; § 25; §25 a Abs.2; §27 Abs.1 Nr. 3; § 28 Abs.5; §28 Abs.10; §28 Abs.11 ChemG. Die Berücksichtigung des Bezuges einzelner Verordnungsermächtigungen auf mehrere Nummern eines Paragrafen würde zu einer noch steigenden Gesamtzahl der Verordnungsermächtigungen führen. Auch P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 11 erfasst 20 Ermächtigungsnormen. 98 Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Stoffen vom 26.10.1993, BGBl. I 1783 idF der Bekanntmachung vom 15.11.1999, BGBl. I 2233, ber. BGBl. I 2000, 739, zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.2.2004, BGBl. I 328. 99 Verordnung über Verbote und Beschränkungen des Inverkehrbringens gefährlicher Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse nach dem Chemikaliengesetz vom 14.10.1993, neugefasst durch Bekanntmachung vom 13.6.2003, BGBl. I 867, zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.2.2004, BGBl. I 328. 100 Verordnung über Prüfnachweise und sonstige Anmelde- und Mitteilungsunterlagen nach dem Chemikaliengesetz vom 1.8.1994, BGBl. I 1877, zuletzt geändert durch Verordnung v. 18.7.2002, BGBl. I 2666. 101 Verordnung über die Mitteilungspflichten nach § 16 e des Chemikaliengesetzes zur Vorbeugung und Information bei Vergiftungen vom 17.7.1990, BGBl.I 1424, neugefasst durch Bekanntmachung vom 31.7.1996, BGBl. I 1198, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.8.2002, BGBl. I 3082. 102 Verordnung zum Verbot von bestimmten die Ozonschicht abbauenden Halogenkohlenwasserstoffen vom 6.5.1991, BGBl.I 1090, zuletzt geändert durch Verordnung vom 29.10.2001, BGBl. I 2785.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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dings die Biozid-Zulassungsverordnung. 104 Die chemikalienrechtlichen Rechtsverordnungen weisen des öfteren umfangreiche Anhänge auf, 105 die zur Mehrung des Verordnungsrechts im Verhältnis zu alternativen Regelungsformen wie dem Chemikaliengesetz selbst, aber auch entsprechender Verwaltungsvorschriften, entscheidend beitragen. 106 Mit verschiedenen Regelungstechniken verweisen die chemikalienrechtlichen Rechtsverordnungen anstelle der Formulierung eines genuinen Normtexts auf den materiellen Gehalt einschlägiger EG-Richtlinien.107 Beispielsweise ordnet § 1 a GefahrstoffVO für die Verweisungen der Gefahrstoffverordnung 108 in pauschaler Weise an, dass die in Bezug genommenen EG-Richtlinien in der „jeweils geltenden Fassung“ anzuwenden seien, die dem Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften entnommen werden könne. 109 Ausweislich der Aufstellung in Anhang 1 verweist die Gefahrstoffverordnung aktuell auf insgesamt sieben EG-Richtlinien.110 In ähn103 Verordnung zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen über Stoffe und Zubereitungen vom 25.4.1996, BGBl. I 662, zuletzt geändert durch Verordnung v. 18.10.1999, BGBl. I 2059. 104 Verordnung über die Zulassung von Biozid-Produkten und sonstige chemikalienrechtliche Verfahren zu Biozid-Produkten und Biozid-Wirkstoffen vom 4.7.2002, BGBl. I 2514. 105 Vgl. etwa Anhang IV und V der Gefahrstoffverordnung, BGBl. I 1999, 2257–2265 und 2266–2279 oder den Anhang zu § 1 Chemikalien-Verbotsverordnung, BGBl. I 2003, 872–884. 106 Aufschlussreich auch das Beispiel von V. Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, S. 225 zur Chemikalien-Altstoffverordnung (ChemG AltstoffV), welche im Anhang auf mehreren hundert Seiten Altstoffe auflistete; diese Altstoffverordnung wurde am 2.12.1981 erlassen und trat schon am 10.12.1981 in Kraft. Die Altstoffliste hatte dabei nur vorläufigen Status und sollte später durch ein EG-Altstoffinventar ersetzt werden (European Core Inventory, 1982, mit 34.000 Stoffen). 107 Zur dynamischen Einbeziehung europarechtlicher Normen bereits die skeptische Darstellung bei M. Kloepfer, NJW 1981, S. 17, 22. 108 Näher W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 33, Rn. 52. 109 § 1 a Abs. 1 Gefahrstoffverordnung lautet: „Die in dieser Verordnung in Bezug genommenen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften sind im Anhang I aufgeführt; sie sind in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Werden diese Richtlinien geändert oder nach den in diesen Richtlinien vorgesehenen Verfahren an den technischen Fortschritt angepasst, gelten sie in der geänderten im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung nach Ablauf der in der Änderungs- oder Anpassungsrichtlinie festgelegten Umsetzungsfrist. Die geänderte Fassung kann bereits ab Inkrafttreten der Änderungs- oder Anpassungsrichtlinie angewendet werden.“ 110 BGBl. I 1999, 2256; Anh. I Nr. 2, 4, 6, 7, 10 idF der Verordnung vom 4.7.2002, BGBl. I 2514. Im Einzelnen wird verwiesen auf 1. Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. EG Nr. L 196 S. 1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 96/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. September 1996 (ABl. EG Nr. L 236 S. 35), zuletzt angepasst durch die Richtlinie 98/98/EG der Kommission vom 15. Dezember 1998 (ABl. EG Nr. L 355 S. 1); 2. Richtlinie 1999/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 1999 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (ABl. EG Nr. L 200 S. 1); 3. Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Be-
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
licher Weise verweist Abschnitt 20 des Anhangs zu § 1 Chemikalienverbotsverordnung, der das Inverkehrbringen einzelner Stoffe und Zubereitungen untersagt, zur Bestimmung der einschlägigen Stoffe seinerseits auf den Anhang der einschlägigen EG-Richtlinie „in ihrer jeweils geltenden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung“. 111 Auch zur Bestimmung von Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 26 ChemG wird in dynamischer Weise auf den jeweiligen Stand einer spezifischen EG-Richtlinie verwiesen, so in § 5 Nr. 5 der Chemikalien Straf- und Bußgeldverordnung. 112
schränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (ABl. EG Nr. L 262 S. 201), zuletzt geändert durch die Richtlinie 97/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 1997 (ABl. EG Nr. L333 S.1), zuletzt angepasst durch die Richtlinie 97/64/EG der Kommission vom 10. November 1997 (ABl. EG Nr. L 315 S. 3); 4. (weggefallen); 5. Richtlinie 75/324/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aerosolpackungen (ABl. EG Nr. L 147 S. 40), geändert durch Anhang III der Richtlinie 80/232/EWG des Rates vom 15. Januar 1980 (ABl. EG Nr. L 51 S. 1), angepasst durch die Richtlinie 94/1/EG der Kommission vom 6. Januar 1994 (ABl. EG Nr. L 23 S. 28); 6. (weggefallen); 7. (weggefallen); 8. Richtlinie 91/155/EWG der Kommission vom 5. März 1991 zur Festlegung der Einzelheiten eines besonderen Informationssystems für gefährliche Zubereitungen gemäß Artikel 10 der Richtlinie 88/379/EWG des Rates (ABl. EG Nr. L 76 S. 35), geändert durch die Richtlinie 93/112/EG der Kommission vom 10. Dezember 1993 (ABl. EG Nr. L 314 S. 38); 9. Richtlinie 96/59/EG des Rates vom 16. September 1996 über die Beseitigung polychlorierter Biphenyle und polychlorierter Terphenyle (PCB/PCT) (ABl. EG Nr. L 243 S. 31); 10. Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (ABl. EG Nr. L 123 S. 1). 111 Wörtlich verweist Spalte 1 des Abschnittes 20 (Krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe) des Anhangs zu §1 ChemVerbotsVO auf: „Stoffe, die in den Listen 1 bis 6 der Anlage zu den Nummern 29 bis 31 des Anhangs I der Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (Abl. EG Nr.L262 S.201) in ihrer jeweils geltenden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung enthalten sind.“ 112 § 5 Nr. 5 Chemikalien Straf- und Bußgeldverordnung lautet: „Ordnungswidrig im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 11 Satz 1 des Chemikaliengesetzes handelt, wer gegen die Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (ABl. EG Nr. L 84 S. 1) verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig (...) entgegen Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 oder 3 a) einen neuen Verwendungszweck eines Stoffes, b) neue Daten über die physikalisch-chemischen Eigenschaften, die toxikologischen oder öko-toxikologischen Wirkungen eines Stoffes, c) eine Änderung der vorläufigen Kennzeichnung nach Maßgabe der Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. EG Nr. L 196 S. 1) in der jeweils geltenden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Fassung oder d) eine Änderung des Produktions- oder Einfuhrvolumens der Kommission nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilt.“
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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(3) Regulierungsexpansion im Abfallrecht Der vermehrte Bedarf an Normsetzung im Bereich des Umweltschutzes ist teilweise auch das Resultat der sukzessiven Integration politischer Zielvorgaben nicht umweltspezifischen Charakters in die gesetzliche Regelungsstruktur. 113 Denn je breiter der Katalog gesteckter Ziele, desto mehr Normen sind zu ihrer Erreichung erforderlich. Im Abfallrecht hat die Integration nicht umweltspezifischer Zielsetzungen Tradition. 114 Die insbesondere mit der Aufnahme wirtschaftspolitischer Zielvorstellungen verbundene Regulierungsexpansion ist erheblich. 115 Während das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 schwerpunktmäßig die Entsorgung regelte, 116 enthielt das Abfallgesetz von 1986 117 bereits Maßnahmen zur Abfallverwertung. Das 1996 in Kraft getretene Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 118 zielt erweiternd darauf ab, durch Regelungen über die Produktverantwortung (§§ 22 ff. KrW-/AbfG) bereits auf die Produktion mit dem Ziel einzuwirken, durch vorausschauendes Denken den Abfall zu vermeiden, zu minimieren und in seinen Schadstoffbestandteilen zu reduzieren. 119 Durch die Statuierung der Zielhierarchie des §4 Abs. 1 KrW-/AbfG und damit des Vorrangs der Verwertung vor der Beseitigung zielt das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz auf die Initiierung einer Kreislaufwirtschaft ab. 120 Diese Ausweitung der Regelungsgegenstände bringt eine erhebliche Ausweitung der Normsetzungstätigkeit mit sich. Dabei weist das KrW-/AbfG als solches (64 Paragrafen) gegenüber dem Abfallgesetz von 1972 keinen nennenswert gesteigerten Umfang auf. Einmal mehr ist das untergesetzliche Verordnungssystem der Ort hoheitlicher Regulierungsexpansion. 121 Die Zahl der abfallrechtlichen Rechtsverordnungen des Bundes ist in113 Hierzu L. Diederichsen, BayVBl. 1996, S. 649 ff.; A. Schink, in: Symbolische Umweltpolitik, 2000, S. 102 ff.; K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 27 ff. 114 Umfassend zu den differierenden Aufgaben des Abfallrechts Ch. Engel, Abfallrecht und Abfallpolitik, 2002, engführend z. B. S. 290 ff. 115 Dazu A. Schink, in: Symbolische Umweltpolitik, 2000, S. 102, 104 ff. sowie O. Lepsius, NVwZ 2003, S. 1182 ff. 116 Näher zum Regelungsgehalt des Abfallbeseitigungsgesetzes von 1972 L. Diederichsen, BayVBl. 1996, S. 649, 651; ders., Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 19 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 20, Rn. 8. 117 Gesetz über die Verwertung und Entsorgung von Abfällen vom 27.8.1986, BGBl. I 1410, ber. 1510; näher M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 20, Rn. 9 ff. 118 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen v. 27.9.1994, BGBl. I S. 2705. 119 A. Schink, in: Symbolische Umweltpolitik, 2000, S.102, 104 f.; L. Diedrichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 31 ff., 117 f. 120 Näher M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 41 sowie A. Schink, in: Symbolische Umweltpolitik, 2000, S. 102 ff., 106 ff.; dort auch zur Einschätzung der Normen über das Vermeidungsgebot als „typische symbolische Gesetzgebungsakte“. 121 L. Diederichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 28 ff.; vorhergehend F. Ossenbühl, DVBl. 1996, S. 19, 20: Auffällig sei, dass sich das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in weiten Partien auf Grundprinzipien und konzeptionelle Aussagen beschränke und die Konkretisierung dieser Grundsätze und Direktiven im Einzelnen in umfangreichen Verord-
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
zwischen auf über 20 angestiegen, 122 darunter die Verordnung über Betriebsbeauftragte für Abfall, 123 die Abfallwirtschaftskonzept- und -bilanzverordnung, 124 die Abfallablagerungsverordnung, 125 die Gewerbeabfall-Verordnung, 126 die Klärschlammverordnung, 127 die Batterieverordnung, 128 die Bioabfallverordnung, 129 die Altölverordnung, 130 die Abfallverzeichnis-Verordnung, 131 die Verpackungsverordnung 132 und die Altauto- bzw. Altfahrzeugverordnung. 133 Zu den abfallrechtlichen Verordnungen des Bundes treten Rechtsverordnungen nach dem Landesrecht. 134 Beispielsweise umfasst das Abfallrecht des Landes Baden-Württemberg neben dem Landesabfallgesetz unter anderem die SonderabfallVerordnung, 135 die Abfallbilanzverordnung 136, die Verordnung über die Altlastennungsermächtigungen der Bundesregierung und dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aufgebe. Ähnlich M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 37. 122 Zur deutlichen Steigerung der Zahl der Verordnungsermächtigungen im KrW-/AbfG 1994 gegenüber dem Abfallgesetz 1986 S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 200. 123 Verordnung über Betriebsbeauftragte für Abfall v. 26.10.1977, BGBl. I 1977, 1913. 124 Verordnung über Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen vom 13. September 1996, BGBl. I 1447, ber. BGBl. I 1997, S. 2862, zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.6.2002, BGBl. I 2247. 125 Verordnung über die umweltverträgliche Ablagerung von Siedlungsabfällen vom 20.2.2001, BGBl. I 305, geändert durch Verordnung vom 24.7.2002, BGBl. I 2807. 126 Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen v. 19.6.2002, BGBl. I 1938. 127 Klärschlammverordnung v. 15.4.1992, BGBl. I 912, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.11.2003, BGBl. I 2373. 128 Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren v. 27.3.1998, BGBl. I, 658 in der Fassung der Bekanntmachung v. 2.7.2001, BGBl. I 1486, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.9.2001, BGBl. I 2331. 129 Verordnung über die Verwertung von Bioabfällen auf landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Böden vom 21.9.1998, BGBl. I 2955, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.11.2003, BGBl. I 2373. 130 Altölverordnung v. 27.10.1987, BGBl. I 2335 idF v. 16.4.2002, BGBl. I 1368. 131 Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis v. 10.12.2001, BGBl.I 3379, zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.7.2002, BGBl. I 2833. 132 Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen vom 21.8.1998, BGBl. I 2379, zuletzt geändert durch Verordnung vom 15.5.2002, BGBl. I 1572. 133 Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 1997, 1666. v. 4.7.1997, BGBl. 1666 in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.6.2002, BGBl. I 2214 als Verordnung über die Überlassung, Rücknahme und umweltverträgliche Entsorgung von Altfahrzeugen, zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.11.2003, BGBl. I 2304. Näher, auch zur Umbenennung von Altautoverordnung in Altfahrzeugverordnung nachfolgend unter 1. Teil, II., 5., b), (4). 134 Allgemein hierzu F. Ossenbühl, DVBl. 1996, S. 19 ff. 135 Verordnung der Landesregierung und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr über die Aufgaben der Sonderabfallagentur und die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle (Sonderabfallverordnung-SAbfVO) vom 20.12.1999, GBl. S. 683, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11.12.2001, GBl. S. 686.
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Bewertungskommission, 137 die Verordnung zur Entsorgung von Klinikabfällen des Rhein-Neckar-Kreises, 138 die Verordnung über die Beseitigung pflanzlicher Abfälle außerhalb von Abfallbeseitigungsanlagen 139 und die Verordnung über den Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg. 140 Ähnlich wie im Abfallrecht finden sich auch im Gefahrstoffrecht prägnante Muster für die Aufnahme von Zielsetzungen nicht-umweltrechtlicher Art, so etwa in der bereits vorhergehend thematisierten Gefahrstoffverordnung. 141 Diese auf §§ 14 Abs. 1, 17 Abs. 1, 19 und 25 ChemG gestützte Verordnung trifft Regelungen zur ordnungsgemäßen Verpackung, Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe sowie Zubereitungen und zum Umgang mit Gefahrstoffen einschließlich ihrer Aufbewahrung, Lagerung und Vernichtung. Dadurch berührt sie neben ökologischen Belangen auch solche des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer und des Verbraucherschutzes. 142 c) Das Verfahrensrecht der Regulierungsexpansion Die Rechtsverordnungen in Ausrichtung auf das Ziel der Operationalisierung der hoheitlichen Regulierungsexpansion im Bereich des Umweltschutzes kommen unter Beteiligung verschiedenster staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen zustande. Zunächst statuieren die allermeisten der hier untersuchten Verordnungsermächtigungen einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrates. Beispielsweise trifft das Chemikaliengesetz in 19 von 20 Verordnungsermächtigungen 143 136 Verordnung über die Erstellung vom Abfallbilanzen (AbfBilanzVO) v. 8.11.1991, GBl. S. 801, geänd durch VO v. 17.6.1997, GBl. S. 278. 137 Verordnung über die Altlasten-Bewertungskommission (KommissionsVO) v. 16.10.1990, GBl. S. 392, geänd. durch VO v. 17.6.1997, GBl. S. 278. 138 Verordnung zur Entsorgung von Klinikabfällen des Rhein-Neckar-Kreises in der Müllverbrennungsanlage des Klinikums der Universität Heidelberg – KMVO – v. 16.10.1995, GBl. S. 783. 139 Verordnung der Landesregierung über die Beseitigung pflanzlicher Abfälle außerhalb von Abfallbeseitigungsanlagen vom 30.4.1974, GBl. S. 187; zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.2.1996, GBl. S. 116; erlassen auf Grund von § 4 Abs. 4 S. 1 des Gesetzes über die Beseitigung von Abfällen in der Fassung vom 5.1.1977, BGBl. I 42. 140 Verordnung über den Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle v. 15.2.1999, GBl. S. 103. 141 Vgl. vorhergehend unter 1. Teil, II., 1., b), (2). 142 M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 19, Rn. 157 ff., insbes. 161 zum Überlappen von Arbeitsschutzrecht und Umweltrecht in der Gefahrstoffverordnung; vgl. zur Aufnahme wirtschaftsrechtlicher Aspekte in das Chemikaliengesetz auch J. Wolf, Umweltrecht, 2002, Rn. 504. 143 Nur Rechtsverordnungen nach § 25 a Abs. 2 ChemG bedürfen keiner Zustimmung des Bundesrates; vgl. die hierauf gestützte Verordnung über Kosten für Amtshandlungen der Bundesbehörden nach dem Chemikaliengesetz (Chemikalien-Kostenverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung v. 1.7.2002, BGBl. I 2442, geändert durch Gesetz vom 6.8.2002, BGBl. I 3083, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14.11.2003, BGBl. I 2283.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
eine solche Regelung. 144 Eine interessante Ausnahme enthält dabei die wichtige Ermächtigung des § 17 ChemG, 145 nach welcher die Bundesregierung unter anderem weitreichende Verbote und Beschränkungen für das Inverkehrbringen gefährlicher Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse erlassen kann.146 Nach § 17 Abs. 6 ChemG kann die Bundesregierung eine Verbots- oder Beschränkungsverordnung bei Gefahr im Verzug ohne die grundsätzlich erforderliche Zustimmung des Bundesrates und auch ohne Anhörung der beteiligten Kreise erlassen.147 Die Anhörung der beteiligten Kreise ist neben der Zustimmung des Bundesrates ein weiteres Element des Verfahrens der Verordnungsgebung. Die hier als Anwendungsfelder herangezogenen Umweltgesetze nutzen die Anhörung der beteiligten Kreise in unterschiedlichem Maße. Im Immissionsschutzrecht verweist eine Vielzahl von Verordnungsermächtigungen – so etwa §§ 4 Abs. 1, 7 Abs. 1, 10 Abs. 10, § 22 Abs. 1 S. 2, 23 Abs. 1 S. 1 BImSchG – auf § 51 BImSchG, 148 nach welchem ein jeweils auszuwählender Kreis von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Kreise, des beteiligten Verkehrswesens und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörde zu hören ist.149 Die Auswahl der Beteiligten obliegt also dem Verordnungsgeber, der an das Ergebnis der Anhörung seinerseits aber nicht gebunden ist. 150 In gleicher Weise ist nach § 60 KrW-/AbfG ein jeweils auszuwählender Kreis von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft, der für die Abfallwirtschaft zuständigen obersten Landesbehörden, der Gemeinden und Gemeindeverbände zu hören. 151 Auf § 60 verweisen etwa §§ 23, 24 Abs. 1 KrW/-AbfG, nicht aber § 57 KrW-/AbfG. Im Chemikalienrecht verlangen nur zwei der 20 Verordnungsermächtigungen (§ 17 Abs. 1 und § 28 Abs. 11 ChemG) eine Anhörung der beteiligten Kreise, wobei § 17 Abs. 7 ChemG die Zusammensetzung der beteiligten Kreise im Gegensatz zu den einschlägigen Regelungen in § 51 BImSchG und § 60 KrW-/AbfG ausdrücklich positi144 Zu den Beteiligungsstrukturen des Chemikaliengesetzes im Überblick P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 103. 145 § 17 ChemG ist normstrukturell von besonderem Interesse: Bei Rechtsverordnungen nach der Ermächtigung des §17 Abs. 1 ChemG, die unter anderem zum Verbot einzelner Stoffe ermächtigt, spricht die Literatur von sog. „einzelaktersetzenden Normen“, vgl. M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Vorbem. § 47, Rn. 12. 146 Zur Anhörung beteiligter Kreise nach § 17 Abs. 7 ChemG eingehend C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 283 ff. 147 Eine Verordnung nach § 17 Abs. 6 ChemG tritt aber spätestens zwölf Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft (§ 7 Abs. 6 S. 2 ChemG), es sei denn ihre Geltungsdauer wird mit Zustimmung des Bundesrates verlängert (§ 17 Abs. 6 S. 3). Vgl. zu dieser Vorschrift E. Pache, in: Koch, Umweltrecht, 2002, § 12, Rn. 67 sowie C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 207 f. 148 § 51 ist hingegen nicht erwähnt in § 48 a und § 48 a Abs. 1 BImSchG. 149 Ausführlich zu § 51 BImSchG C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 126–241. 150 H. Schmatz/M. Nöthlichs/H.-P. Weber, Immissionsschutz I, Stand: 2004, Kennz. 10053, S. 8. 151 C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 242–282.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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viert. 152 Daneben kennt das Chemikalienrecht auch institutionalisierte Beteiligungsformen, so den „Ausschuss für Gefahrstoffe“ nach § 52 GefStoffV. 153 Jenseits dieser Regelungen kommt es in der Staatspraxis auch ohne explizite gesetzliche Anordnung zu Anhörungen im Vorfeld der Verordnungsgebung, denn das Vorliegen einer gesetzlichen Anordnung ist für die Zulässigkeit behördlicher Beteiligtenanhörungen keineswegs konstitutiv. In neuerer Zeit kommt es verstärkt zur Statuierung von Beteiligungsrechten des Bundestags. Sowohl das Abfallrecht (durch die Normierung von § 59 KrW-/AbfG mit Erlass des Gesetzes im Jahr 1994)154 als auch das Immissionsschutzrecht (durch Einfügung des § 48 b BImSchG im Jahr 2002) verleihen dem Bundestag das Recht zur Ablehnung und Änderung von Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. 155 Das Chemikalienrecht kennt keine dementsprechende Regelung. d) Untergesetzliche Regulierungsexpansion in konkurrierenden Rechtsetzungsformen Das Anliegen der Operationalisierung der hoheitlichen Regulierungsexpansion trägt der Gesetzgeber nicht nur an die Rechtsverordnung heran. Auch in Form von Verwaltungsvorschriften wird dieses Ziel verfolgt. Insoweit lässt sich von einer funktionalen Äquivalenz beider Regelungsformen sprechen. Bereits die Anfänge des Umweltrechts kennen ein Nebeneinander verschiedener Regelungsinstrumente auf der Ebene der Rechtsetzung. So finden bereits die Gesetzgebungsarbeiten vor Erlass des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974156 die Verwaltungsvorschriften TA Luft (1964) 157 und TA Lärm (1968) 158 vor. 159 Diese auf die Gewerbeordnung ge152 § 17 Abs. 7 ChemG legt fest, dass bei Anhörungen im Vorfeld von Rechtsverordnungen nach § 17 Abs. 1 ChemG die beteiligten Kreise aus Vertretern der Wissenschaft, der Verbraucherverbände, der Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften, der beteiligten Wirtschaft, des Gesundheitswesens sowie der Umwelt-, Tierschutz- und Naturschutzverbände bestehen. § 17 Abs. 7 ChemG ist soweit ersichtlich die bis dato einzige Norm, in welcher die Beteiligung von Umwelt-, Tierschutz- und Naturschutzgruppen namentlich vorgeschrieben ist. 153 Der mit Sachverständigen aus zahlreichen Verbänden aus Wirtschaft und Gesellschaft besetzte Ausschuss hat die Aufgabe der Beratung in Fragen des Arbeitsschutzes einschließlich der Einstufung und Kennzeichnung nach der GefStoffV. Nach § 17 Abs. 1 S. 2 GefStoffV gehört es auch zu den Aufgaben des Ausschusses, die Regeln und Erkenntnisse über den arbeitsplatzbezogenen Umgang mit Gefahrstoffen sowie die Möglichkeiten der Erfüllung des Verordnungsinhalts zu ermitteln. Weiterhin soll der Ausschuss dem „jeweiligen Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin“ entsprechende Vorschriften vorschlagen. 154 Hierzu F. Ossenbühl, DVBl. 1996, S. 19, 20 f.; K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 405 ff. 155 Hierzu mit umfassenden Nachweisen J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176 ff. 156 Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15.3.1974, BGBl. I 721, ber. 1193; gegenwärtig idF der Bek v. 16.9.2002, BGBl. I 3830. 157 Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft vom 8.9.1964, GMBl. v. 14.9.1964. 158 Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 16.7.1968, Bundesanzeiger Nr. 137 (Beilage).
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
stützten Verwaltungsvorschriften wurden nicht etwa durch Rechtsverordnungen auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes abgelöst. Vielmehr wurden die Technischen Anleitungen fortgeschrieben durch die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung des § 48 BImSchG zum Erlass von Verwaltungsvorschriften, die unter anderem die Festsetzung von Immissions- und Emissionsgrenzwerten zum Inhalt haben können. 160 § 48 BImSchG enthält eine differenzierte Regelung für das Zustandekommen entsprechender Verwaltungsvorschriften, indem ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrates sowie die Anhörung der beteiligten Kreise angeordnet wird. 161 Dieses Nebeneinander von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen 162 war seinerseits systemprägend und hat in späteren Regelungssystemen Entsprechungen gefunden, so etwa im Nebeneinander 163 der Ermächtigungen in § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG zum Erlass von Rechtsverordnungen 164 und in § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG zum Erlass von Verwaltungsvorschriften über Anforderungen an die umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen. 165 Auf § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG stützen sich unter anderem die Technische Anleitung Abfall und die Technische Anleitung Sied159 Zur Rekonstruktion der gesetzgeberischen Intention, die der parallelen Statuierung von Ermächtigungen zur Verordnungsgebung und für Verwaltungsvorschriften, insbesondere in §7 BImSchG und § 48 BImSchG zugrunde lag Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105, 108: Der bewährte Bestand an Verwaltungsvorschriften sollte unangetastet bleiben, zugleich sollten aber neue Regelungen nur durch Rechtsverordnung zugelassen werden. Verwaltungsvorschriften sollten das Instrument des (gewerbe-)polizeilichen Umweltschutzes bleiben; Rechtsverordnungen dasjenige des weitergehenden, vorsorgenden Umweltrechts werden. Hieraus folgert Gusy eine gegenständliche Abgrenzung, nach welcher Verwaltungsvorschriften dem herkömmlichen bürgerlich-liberalen Gedanken des Rechtsgüterschutzes entsprechen, Rechtsverordnungen hingegen demjenigen des vorsorgend planenden Sozialstaates. 160 Vgl. zur Fortschreibung der Technischen Anleitungen die Neufassung der TA Luft vom 27.2.1986, GMBl. I S. 95, ber. S. 202, die TA Luft vom 14.7.2002, GMBl. I, S. 511 und die TA Lärm vom 26.4.1998, GMBl. v. 28.8.1998, 503. Hierzu aus der Literatur T. Gerhold, UPR 2003, S. 44 ff.; O. Otting, DVBl. 2001, S. 1792 ff.; K. Hansmann, NVwZ 2003, S. 266 ff.; I. Pflugmacher, Rechtsprobleme bei der Novellierung der TA Lärm, 2001; speziell zu den technischen Grundlagen der Lärmbewertung K. Tegeder, UPR 2000, S. 99 ff. 161 H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 48, Rn. 7; § 51, Rn. 1 ff. 162 Mit dem Befund des unklaren Verhältnisses von Rechtsverordnungen und Technischen Anleitungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgrund des Bestehens funktionaler Äquivalenzen H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471. 163 Zur Ermöglichung der Festlegung von Anforderungen an die umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen nach dem Stand der Technik nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG sowohl durch Rechtsverordnung als auch durch Verwaltungsvorschriften und der Nicht-Erkennbarkeit einer zugrunde liegenden gesetzgeberischen Differenzierung S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 202. 164 Auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG erging etwa die Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002, BGBl. I 2807, zuletzt geändert durch Verordnung vom 12.8.2004, BGBl. I 2190. 165 Das Zustandekommen von Verwaltungsvorschriften auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG bedarf sowohl der Zustimmung des Bundesrates als auch der vorhergehenden Anhörung der beteiligten Kreise gem. § 60 KrW-/AbfG.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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lungsabfall. 166 Symptomatisch für die faktische Äquivalenz der rechtspraktischen Wirkungen der Verwaltungsvorschriften einerseits und der abfallrechtlichen Rechtsverordnungen andererseits ist eine Aufstellung von Michael Kloepfer, der zu den rechtlichen Anforderungen an die Abfallentsorgung ausführt, die „wichtigsten bestehenden untergesetzlichen Regelwerke“ seien die Technische Anleitung Abfall und die Technische Anleitung Siedlungsabfall, die erste Verwaltungsvorschrift zum Schutz des Grundwassers bei der Lagerung und Ablagerung von Abfällen, die Abfallablagerungsverordnung (AbfAblV), die Bioabfallverordnung (BioAbfV) sowie die Klärschlammverordnung. 167 Für die Frage der hoheitlichen Regulierungsexpansion auf dem Feld der Chemikalienpolitik sind derzeit insbesondere drei Verwaltungsvorschriften relevant: die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung der Bewertung nach § 12 Abs. 2 S. 1 Chemikaliengesetz, 168 die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe 169 und die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Verfahren der behördlichen Überwachung der Einhaltung der Grundsätze der Guten Laborpraxis.170 Neuerdings bewirkt das Europarecht eine gewisse Verschiebung im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften. Die Rechtsverordnungen des Umweltrechts haben als Handlungsform zur Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion insofern erheblich an Bedeutung gewonnen, als die konkurrierende Rechtsform der Verwaltungsvorschriften eine einschneidende Einengung ihrer Anwendungsfelder erfahren hat. Folgenreich war vor allem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit der Umsetzung von bindendem EG-Recht durch Verwaltungsvorschriften, erstmals im Jahr 1991, später bestätigt.171 166 TA zur Lagerung, chemisch/physikalischen, biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen v. 12.3.1991, GMBl. Nr. 8 S. 131, zuletzt geändert am 21.3.1991, GMBl. Nr. 16, 23.5.1991, S. 469. TA zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen v. 14.5.1993, BAnz. Nr. 99 a v. 29.5.1993; vgl. zudem die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz über Anforderungen zum Schutz des Grundwassers bei der Lagerung und Ablagerung von Abfall (AbfVwV Grundwasser) v. 31.1.1990, GMBl. S. 74; aus der Literatur zu den Technischen Anleitungen der Abfallrechts S. Paetow, in: Kunig/ders./Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 12, Rn. 25; K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 655 ff. 167 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S.59 f. Die drei genannten allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruhen auf dem Abfallgesetz von 1986; sie gelten trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Überleitungsvorschrift fort. 168 ChemVwV-Bewertung v. 11.9.1997, GMBl. 1997, S. 447. 169 ChemVwV-Altstoffe v. 11.9.1997, GMBl. 1997, S. 450; ergangen zur Durchführung der VO (EWG) Nr. 793/93 vom 23. März 1993 und zur Regelung der Zusammenarbeit und Verfahren der Behörden bei Bewertung alter Stoffe. 170 ChemVwV-GLP v. 15.5.1997, GMBl. 1997, S.257; näher hierzu A. Theuer, NVwZ 1995, S. 127 ff. 171 Vgl. zu dieser Entwicklung nur EuGH, 28.2.1991, Rs. C-131/88 (Grundwasser), Slg. 1991, I-825; EuGH, 30.5.1991, Rs. C-361/88 (Kommission/Deutschland, Luftverschmutzung) sowie A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S.65 und H. v.Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 231 ff. Eingehend zur
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
2. Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung Nach den vorhergehend dargestellten Aufgaben der Rechtsverordnung in der Operationalisierung der staatlichen Regulierungsexpansion wird im Folgenden eine weitere Funktion im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen dargelegt. Gezeigt wird die Rechtsverordnung als Instrument der Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung. In einer Vielzahl von Konstellationen kommt es aus dieser Motivation heraus zur Statuierung von Verordnungsermächtigungen. Die entsprechenden gesetzgeberischen Zuordnungen werden in zahlreichen Beiträgen der rechtswissenschaftlichen Literatur aufgegriffen und reflektiert. 172 Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren wird als aufwendig und konfliktanfällig und dementsprechend als insbesondere für die detaillierte Erarbeitung von technisch geprägten Umweltstandards wenig geeignet angesehen. 173 Dem Einsatz der Rechtsverordnung wird der Effekt einer Beschleunigung des Rechtsetzungsprozesses und der Verbesserung der Aktualisierungsfrequenz des Normbestandes zugeschrieben. 174 Wegen des „unkomplizierten und schnell zu handhabenden Verfahrens“ solle die Rechtsverordnung „weitgehend die Normierungen auf wissenschaftlich-technischem Gebiet übernehmen“.175 Die Beschleunigungsfunktion bedient gleichermaßen Interessen der Innovationsförderung und Flexibilitätserhöhung. 176 a) Die Rechtsverordnung als Instrument der Rechtsetzungsbeschleunigung Der Begriff der Beschleunigung bezeichnet stets eine Relation. Beschleunigung steht nicht für sich, sondern erfolgt stets gegenüber einem anderen Zustand. Die Projektion von Beschleunigungserwägungen auf die Rechtsetzungsform der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und ihrer Bedeutung für die Rechtsetzungsorganisation nachfolgend unter 1. Teil, III., 1., c) und im 3. Teil, IV., 1. 172 Vgl. etwa F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S.108: Die Rechtsverordnung sei das einfacher handhabbare Rechtsetzungsinstrument. Das im förmlichen Verfahren zu beschließende Gesetz vermöge die dynamische Entwicklung der Sicherheitstechnik weniger „prompt“ zu erfassen als dies über Rechtsverordnung und unbestimmte Rechtsbegriffe möglich ist; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 51: Verordnungsgebung als flexibel handhabbares und in der Schnellebigkeit moderner Industriegesellschaft besonders funktionstüchtiges Verfahren; ähnlich C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 85; zum Flexibilisierungspotential der Rechtsverordnung auch Ch. Degenhart, Staatsrecht I, 20. Aufl. 2004, Rn. 281. 173 Mit weiteren Nachweisen H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S.443, 457; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 164 ff. 174 H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061, 1063, 1075; ders., in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 11: Die Delegationsnorm wolle „ohne zeitraubendes Gesetzgebungsverfahren eine beschleunigte, kurzfristige Anpassung des Rechts an sich ändernde Verhältnisse ermöglichen“. 175 F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 111. 176 Hierzu v. a. nachfolgend unter 1. Teil, II., 2., b) u. 3., c).
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Rechtsverordnung bedeutet die Inbezugsetzung von Verordnungsgebung und Gesetzgebung unter Aspekten der Rechtsetzungsgeschwindigkeit. (1) Beschleunigungseffekte auf der Ebene des Normersterlasses Eine Kontrastierung der formalen Vorgaben an die jeweiligen Rechtsetzungsverfahren ergibt prima facie Beschleunigungsvorteile für die Rechtsverordnung, unterliegt doch das Gesetzgebungsverfahren in mehrfacher Hinsicht Reglementierungen, die für das Verfahren der Verordnungsgebung nicht gelten. Jedoch – soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen – wird die nähere Betrachtung der normativen Effekte auf der Zeitschiene zeigen, dass diese Aussage einer erheblichen Relativierung bedarf, die vor allem durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens und die Inblicknahme des Normsetzungsprozesses innerhalb der Ministerialverwaltung bedingt ist. 177 (a) Die Rechtsverordnung als die grundsätzlich schnellere und flexiblere Rechtsform Zunächst gilt es, die formalen Vorgaben an das Gesetzgebungsverfahren einerseits und das Verfahren der Verordnungsgebung andererseits einer vergleichenden Analyse zu unterziehen: Die Rechtsbindungen des Gesetzgebungsverfahrens sind zunächst dem Grundgesetz und dabei insbesondere den Art. 76 ff. GG zu entnehmen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben beziehen sich vor allem auf die Strukturierung der Mitwirkung der beteiligten obersten Bundesorgane. 178 So ordnet etwa Art. 76 Abs. 2 GG an, dass Regierungsvorlagen 179 zunächst dem Bundesrat zuzugehen haben. 180 Art. 77 GG regelt nach Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen diffe177 Zur Unterscheidung von äußerem und „innerem“ Normsetzungsverfahren vgl. M. Kloepfer, DVBl. 1995, S. 441, 441 f.; bezogen auf das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren G. Schwerdtfeger, in: FS H.-P. Ipsen, 1977, S. 173 ff. 178 Vgl. im Überblick zum gegenwärtigen System der Gesetzesvorbereitung und -kontrolle unter besonderer Hervorhebung der Rolle der Ministerialverwaltung, namentlich des Bundesjustizministeriums R. Herten-Koch, Rechtsetzung und Rechtsbereinigung in Europa, 2003, S. 94 ff. 179 In der Gesetzgebungsgeschichte der Bundesrepublik überwiegen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung gegenüber solchen aus der Mitte des Bundestages; in der Zeit zwischen der 1. und der 13. Wahlperiode wurden beim Bundestag 4851 Gesetzesvorlagen der Bundesregierung und 2904 Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages eingebracht; vgl. die Aufstellung bei B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, nach Art. 76. 180 Der Sinn dieser Regelung wird insbesondere darin gesehen, den „exekutiven Sachverstand“ des Bundesrates frühzeitig zu mobilisieren, so dass in der Literatur zu Recht gefragt wird, warum eine frühzeitige Einschaltung bei Initiativen aus der Mitte des Bundestages weniger wichtig sein soll als bei Regierungsvorlagen, da dieses Anliegen für Bundestags-Vorlagen nicht weniger gerechtfertigt sei, vgl. B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 76 GG, Rn. 26. Zu entsprechenden Vorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes,
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
rierend das Verfahren für Fälle der Ablehnung im Bundestag beschlossener Gesetze seitens des Bundesrates. Nach Art. 82 GG fertigt der Bundespräsident die Gesetze nach Gegenzeichnung aus bevor sie im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Das Gesetzgebungsverfahren innerhalb des Bundestages wird vom Grundgesetz 181 der autonomen Regelung durch das Parlament überlassen, 182 die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Ausdruck gefunden hat.183 Nach der Geschäftsordnung des Bundestages wird ein Gesetz in der Regel in drei Lesungen behandelt (§ 78 GOBT), Ausnahmen sind Vertragsgesetze (ebd.). Die erste Lesung enthält normalerweise die Überweisung an die zuständigen Ausschüsse (§ 80 GOBT), wo die eigentliche Detailarbeit an den Gesetzen stattfindet. 184 An die Ausschussberatungen schließen sich die zweite (§ 81 GOBT) und dritte Lesung (§ 84 GOBT) an, die mit der Schlussabstimmung endet (§ 86 GOBT). Die drei Lesungen entsprechen deutscher parlamentarischer Tradition, sind jedoch nicht von der Verfassung vorgeschrieben. 185 Demgegenüber erfährt die Rechtsverordnung eine deutlich geringere Reglementierung. Art. 80 Abs. 2 GG ordnet zwar für vier Fallgruppen von Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder eines Bundesministers an, dass sie der Zustimmung des Bundesrates 186 bedürfen. 187 Jedoch besteht jenseits dieser Zustimmungspflichdie im Rahmen der Verfassungsreform 1993/1994 zwar vorgebracht, aber abgelehnt wurden, ders., aaO, Art. 76, Rn. 3 a. 181 Zu der Frage, ob das Grundgesetz über die in Art. 70 ff. GG ausdrücklich statuierten hinausgehende normative Vorgaben an das Gesetzgebungsverfahren enthält, G. Frankenberg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 20 (R), Rn. 49 in kritischer Auseinandersetzung mit der dies ablehnenden herrschenden Auffassung. 182 Hierzu BVerfGE 36, 321, 330: „Die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der durch die Verfassung vorgegebenen Regeln ist Sache der gesetzgebenden Organe.“ Zustimmend P. Badura, ZG 1987, S. 300, 309. 183 Hierzu ist festzuhalten, dass der GOBT keine Außenverbindlichkeit zukommt und dementsprechend Verstöße gegen die GOBT Gültigkeit und Wirksamkeit des Gesetzes unberührt lassen, es sei denn es läge zugleich auch ein Verstoß gegen Verfassungsrecht vor. Näher F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 63, Rn. 3; M. Kloepfer, DVBl. 1995, S. 441, 441 f.; K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 307. 184 Zur Arbeit von Parlamentausschüssen eingehend H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 82 ff. 185 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 76, Rn. 4; K. Stern, Staatsrecht II, 1980, § 37 Abs. 3 Rn. 5; a. A. D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. III 6 a; nach Vorschlag der Enquête-Kommission zur Verfassungsreform 1976 sollten zwei Lesungen der Regelfall werden, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 80 f.; der Vorschlag wurde 1993/94 nicht wieder aufgegriffen. Zum Ganzen bereits BVerfGE 1, 144, 151. 186 Erstens erfasst Art. 80 Abs. 2 GG sogenannte Verkehrsverordnungen, also bestimmte Rechtsverordnungen auf den Gebieten des Postwesens, der Telekommunikation und der Eisenbahnen des Bundes. Zustimmungsbedürftig sind zweitens Rechtsverordnungen auf Grund von Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, drittens Rechtsverordnungen auf Grund von Gesetzen, die die Länder im Auftrage des Bundes ausführen und viertens Rechtsverordnungen aufgrund von Gesetzen, die von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden.
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tigkeit 188 kein verordnungsrechtliches Äquivalent zu den Einspruchsgesetzen, womit ein Korridor von Rechtsverordnungen eröffnet ist, die gänzlich ohne Mitwirkung des Bundesrates ergehen können. Zudem statuiert Art. 80 Abs. 2 GG die Zustimmungsbedürftigkeit „vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung“. Die Zustimmungsbedürftigkeit kann also für alle vier erfassten Fallgruppen einfachgesetzlich abbedungen werden. 189 Voraussetzung ist ein Bundesgesetz, das seinerseits der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Von vorneherein nicht der Zustimmung der Bundesrates bedürfen Rechtsverordnungen aufgrund von bundesgesetzlichen Delegationen an die Landesregierungen. 190 Weiterhin findet sich in Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG 191 die Anordnung der Ausfertigung und Verkündung der Rechtsverordnung im Bundesgesetzblatt, ohne dass eine Beteiligung des Bundespräsidenten verlangt wäre. 192 Die Ausfertigung ist vielmehr dem erlassenden Organ selbst zugewiesen. 193 Ein allgemeines Begründungserfordernis besteht für Rechtsverordnungen nicht. 194 Beachtung verlangen die Regeln der Geschäftsordnungen der verordnungsgebenden Organe: 195 So sind nach § 15 b) GOBReg der Bundesre187 Nach BVerfGE 24, 184, 197 liegt bereits dann eine Rechtsverordnung „aufgrund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen“ vor, wenn das Ermächtigungsgesetz in seiner Gesamtheit, als rechtstechnische Einheit zustimmungsbedürftig ist, unabhängig davon, ob die einzelne Ermächtigungsnorm selbst eine zustimmungsbedürftige Materie betrifft. Hierzu und zu kritischen Stimmen mit weiteren Nachweisen U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 81. 188 Nach H. Maurer, Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2002, Rn. 153 erfasst Art. 80 Abs. 2 GG mit seiner Regelung des wesentlichen Teils der Zuständigkeitsfälle in der Praxis etwa die Hälfte der Rechtsverordnungen des Bundes; zur Bedeutung des Art. 80 Abs. 2 GG auch E. Bülow, in: HdbVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 59. 189 Näher U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 83 mit dem Hinweis, dass die anderweitige Regelung auch darin bestehen kann, dass der Kreis der zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen noch erweitert wird. 190 Hierzu J. Ipsen, Staatsrecht I, 15. Aufl. 2003, S. 218 und bereits R. Zippelius, NJW 1958, S. 445 ff. 191 Ausführlich zu Anforderungen und Gehalt des Art. 82 GG A. Wittling, Die Publikation der Rechtsnormen einschließlich der Verwaltungsvorschriften, 1991, S. 143 ff. 192 Zudem erfolgt die Verkündung der Rechtsverordnungen im Bundesgesetzblatt nach Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung“. Von dieser Ermächtigung wurde durch das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen (Gesetz vom 30.1.1950, BGBl. I 23) Gebrauch gemacht. Nach M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 66–68 mit Fn. 157 wurden in der 13. Legislaturperiode von insgesamt 1753 Rechtsverordnungen 1060 im BGBl. I 153 im BGBl. II und 540 im Bundesanzeiger veröffentlicht. 193 Näher C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 64. 194 Hierzu P. Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002, S. 96–101, insbesondere zum Verständnis des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG als „wesentliches Begründungselement“. 195 Hinzuweisen ist nochmals darauf, dass die Geschäftsordnungen nach h.M. keine Außenverbindlichkeit haben und demgemäß Verstöße gegen eine Geschäftsordnung nur dann zur Ungültigkeit der Entscheidung führen, wenn zugleich ein Verstoß gegen Verfassungsrecht vorliegt, vgl. M. Kloepfer, DVBl. 1995, S. 441, 441 f.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
gierung alle Entwürfe von Verordnungen der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten, 196 ebenso nach § 15 c) GOBReg alle „sonstigen Verordnungsentwürfe, wenn sie von besonderer politischer Bedeutung sind“. Auch bei allen übrigen Rechtsverordnungen haben nach § 26 Abs. 2 GOBReg die Minister des Innern und der Justiz ein Widerspruchsrecht bei Rechtsverstößen. Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien197 bezieht sich im 6. Abschnitt (§§ 62–68 GGO) auf „Vorbereitung, Ausfertigung und Verkündung von Rechtsverordnungen“. 198 § 92 GOBT regelt die parlamentarische Behandlung von Rechtsverordnungen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen oder deren Aufhebung der Bundestag innerhalb einer bestimmten Frist verlangen kann. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien weitaus geringere Wirkung entfaltet als die Geschäftsordnung des Bundestages. Dies liegt für den Bereich der Verordnungsgebung daran, dass die gesetzliche Ausgestaltung des Normsetzungsverfahrens Vorrang hat. So erklärt sich, dass es etwa zur Normierung von Änderungsvorbehalten zugunsten des Bundestages kommt, obgleich die GGO durch die Einbeziehung des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit dieser Beteiligungsform äußerst skeptisch gegenübersteht. 199 Die von Grundgesetz und Geschäftsordnungen vorgegebene Verfahrensverrechtlichung ist also sowohl hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anlage als auch hinsichtlich der Vorgaben der Geschäftsordnungen weniger ausgeprägt als jene des Gesetzgebungsverfahrens: Zunächst fehlt es für die Verordnungsgebung an der Verpflichtung auf die Durchführung dreier Lesungen, deren Verzögerungseffekte 196 Das Verfahren der Verordnungsgebung der Bundesregierung war im Rahmen der Entscheidung BVerfGE 91, 148 (Umlaufverfahren) Gegenstand verfassungsgerichtlicher Beratungen. 197 Vorliegend untersucht in der Fassung des Beschlusses des Bundeskabinetts vom 26. Juli 2000, abrufbar unter http://www.staat-modern.de/dokumente (Abrufd.: 10.9.2004); im Überblick zur Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Bundesministerien von 2000 B. Zypries/ C. Peters, ZG 2000, S. 316 ff. 198 In § 62 Abs.2 GGO werden viele bedeutende Vorschriften über die Gesetzgebung für entsprechend anwendbar erklärt, so die Geltung des vom BMI herausgegebenen Handbuchs der Rechtsförmlichkeit und der vom BMJ im Einzelfall gegebenen Erklärungen (§ 42 Abs. 3 GGO), die Verpflichtung zur sprachlich richtigen und möglichst für jedermann verständlichen Fassung des Textes (§ 42 Abs. 5 GGO) und zur qualifizierten Begründung der Regelung (§§ 42 Abs. 1, 43 Abs. 1 Nr. 5 bis 9 GGO) sowie zur Beteiligung der betroffenen Bundesministerien (§ 45 GGO) und zur Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden (§ 47 GGO). Der Verweis auf § 46 GGO ordnet an, dass der Vorlage eines Verordnungsentwurf zum Beschluss der Bundesregierung die Zuleitung an das BMJ zur Prüfung in rechtssystematischer und rechtsförmlicher Hinsicht vorauszugehen hat. Das BMJ und das BMI haben nach §26 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Bundesregierung das Recht gegen einen Verordnungsentwurf der Bundesregierung wegen dessen Unvereinbarkeit mit geltendem Recht Widerspruch zu erheben. Wird dieser Widerspruch erhoben, so ist über die Angelegenheit in einer weiteren Sitzung der Bundesregierung erneut abzustimmen (§26 Abs.2 iVm Abs.1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung). 199 BMJ (Hrsg.), Hdb. d. Rechtsförmlichkeit, 2. Aufl. 1999, S. 103 (Rn. 349).
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insbesondere im Publizitätserfordernis der parlamentarischen Debatte zu suchen sind. 200 Weiterhin sind nach dem Willen des Grundgesetzes die Mitwirkungsrechte des Bundesrates im Rahmen der Verordnungsgebung gegenüber der Gesetzgebung deutlich zurückgenommen, denn außerhalb des von Art. 80 Abs. 2 GG erfassten Bereichs besteht wie soeben gezeigt sogar ein Segment der Verordnungsgebung, das gänzlich frei ist von Mitwirkungsrechten des Bundesrates. Schließlich bedeutet auch die fehlende Beteiligung des Bundespräsidenten Vorteile auf der Zeitschiene. Dies führt bereits insoweit zu einer zeitlichen Straffung des Verfahrens, als dass neben dem Wegfall der Übermittlungsdauer auch die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten, eines „Fremdorgans“, entfällt. 201 Also stellt sich die Rechtsverordnung bei Gegenüberstellung der formalen Anforderungen an Gesetz- und Verordnungsgebung wie sie sich aus dem Grundgesetz und den Geschäftsordnungen der obersten Bundesorgane ergeben als die grundsätzlich gegenüber dem Gesetz schnellere 202 und damit auch flexiblere Rechtsetzungsform dar. 203 (b) Nivellierung der Rechtsetzungsgeschwindigkeit durch den Prozess der Normerzeugung, die einfachgesetzliche Verfahrensgestaltung und den politischen Gestaltungswillen Bei Heranziehung verschiedener weiterer relevanter Faktoren erfährt das prima facie gefundene Ergebnis der Rechtsverordnung als der grundsätzlich schnelleren und flexibleren Rechtsetzungsform eine weitgehende Relativierung, welche bei Zusammentreffen mehrerer der darzustellenden Faktoren Nivellierungstendenzen im Verhältnis der Normkategorien nachsichzieht. Als relativierend erweist sich zu200 Dieser Umstand zeigt, dass das Grundgesetz zur Garantie demokratisch-rechtsstaatlicher Verfasstheit Flexibilitäts- und Effizienzverluste bewusst in Kauf nimmt. Näher zur Publizität des parlamentarischen Verfahrens unter 3. Teil, VII., 3. 201 C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 64; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 14. 202 Von nur geringer Aussagekraft sind demgegenüber statistische Erfassungen durchschnittlicher Verfahrensdauern im Vergleich von Gesetzgebungs- und Verordnungsgebungsverfahren, wie sie sich etwa bei P. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, 1999, finden. Danach betrug die durchschnittliche Beratungsdauer einer Gesetzentwurfs von 1. bis 11. Wahlperiode 165 Tage; die kürzeste Beratungsdauer nahm im Fall des Energiesicherungsgesetzes vom 9.11.1973, BGBl.I 1585 drei Tage in Anspruch, ders., aaO, S.864 ff. Mit einem derartigen unmittelbaren Vergleich von Durchschnittswerten lassen sich wesentliche Faktoren nicht oder nur unzureichend erfassen, so etwa die Verlängerungen, die daraus resultieren, dass ein Sachbereich seine Erstkodifikation erfährt oder gesellschaftlich in besonderem Maße umstritten ist. Beide Aspekte dürften jenseits der reinen Verfahrensgestaltung bei Gesetzen wesentlich häufiger zu Verzögerungen führen als bei Rechtsverordnungen. Zum statistischen Vergleich der Verfahrensdauer von Gesetzen und Rechtsverordnungen vgl. auch J. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen, 2002, S. 140. 203 Teile der Literatur empfinden aber bereits die Verfahrensdeterminierung nach Grundgesetz und Geschäftsordnungen als zu lang, so spricht etwa U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 344 vom „zeitraubenden Verfahren bei der Verabschiedung von Rechtsverordnungen im Kabinett“.
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nächst der Prozess der Vorarbeiten und Entwürfe zu einer Rechtsverordnung. Hier kommt zum Tragen, dass die Entwicklung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesebene in der überwiegenden Zahl der Fälle durch die Ministerialverwaltung erfolgt. 204 Der von dieser benötigte Zeitraum für die Entwicklung einer Norm, etwa für die – in eigener Herleitung oder unter Heranziehung externer Sachverständiger erfolgende – Entwicklung eines Technikstandards, hängt regelmäßig nicht von der später gewählten Rechtsform ab. 205 Eine erhebliche Relativierung der grundsätzlichen Vorteile der Verordnungsgebung auf der Zeitschiene bedeutet auch die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens der Verordnungsgebung. 206 Hierbei bewirkt insbesondere die einfachgesetzliche Erweiterung der Mitwirkungsvorbehalte über die grundgesetzlich vorgesehenen Rechte des Bundesrates hinaus, spürbare Verzögerungen des Normsetzungsprozesses. Diese Entwicklung lässt sich zum einen festmachen an der extensiven Ausdehnung der Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Bundesrates 207 weit über das grundgesetzlich geforderte Maß hinaus.208 Zum anderen kommt es in steigendem Maße zur Statuierung von Mitwirkungsrechten zugunsten des Bundestages 209 und zur Verpflichtung des Verordnungsgebers zur Anhörung der beteiligten Kreise oder von Sachverständigenkommissionen. 210 Schließlich sind auch die politischen Einwirkungsmöglichkeiten jenseits der formalen Vorgaben an das Rechtsetzungsverfahren von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf die Schnelligkeit und Flexibilität der Rechtsetzungsorgane und Rechtsetzungsformen und damit auch auf die ausgemachten Geschwindigkeitsvorteile der Verordnungsgebung gegenüber der Gesetzgebung. 211 Zwar soll in vielen Fällen die Statuierung von Verordnungsermächtigungen gerade dadurch zur Rechtsetzungsbe204 Zum überragenden Anteil der Ministerialverwaltung am Gesamtprozess der Normerzeugung G. F. Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 560 ff. und bereits Ch. Gusy, ZRP 1985, S. 291, 292: „Das Parlament macht keine Gesetze, sondern macht sie verbindlich“; ähnlich A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 74 und J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 224 mit Fn. 119. 205 Eingehend U. Smeddinck/R. Tils, Normgenese und Handlungslogik in der Ministerialverwaltung, 2002. 206 Vgl. die Darstellungen bei T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73, 95 und H. Kremser, JZ 1997, S. 898, 899. 207 Näher bereits soeben im Text. 208 Hier spiegelt sich ein generelles Problem der Rechtsetzung des Bundes. Dieses kommt auf der Ebene der Gesetzgebung darin zum Ausdruck, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Bundesgesetze jene der Einspruchsgesetze deutlich übersteigt und damit die Regel des Art. 77 Abs. 3 GG in ihr Gegenteil verkehrt; vgl. näher 3. Teil, VI., 1. 209 Zur Infragestellung der mit dem Instrument der Verordnungsermächtigung auch verbundenen Funktion der Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens durch Änderungsvorbehalte zugunsten des Bundestages R. Schmidt/H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl. 2001, §8, Rn.57; am Beispiel des §59 KrW-/AbfG W. Berg/U. Hösch, JbUTR 1997, S.83, 100 f. 210 Zur Verzögerung der Rechtsetzung durch Öffentlichkeitsbeteiligung mit gleichwohl zustimmender Grundtendenz F. Merli, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S. 353, 378 f. 211 H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 48, Rn. 5, 25.
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schleunigung beitragen, dass zeitintensive politische Auseinandersetzungen aus dem öffentlichen Raum des parlamentarischen Verfahrens ausgelagert werden in die Nichtöffentlichkeit der exekutiven Rechtsetzung. 212 Jedoch finden sich demgegenüber auch Konstellationen, in denen die Rechtsetzungsgeschwindigkeit der Verordnungsgebung aufgrund politischer Weichenstellungen hinter jene des Gesetzes zurückfällt. Dies belegen zum einen Fälle, in denen über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg der Erlass einer Rechtsverordnung ausblieb, obgleich dieser Voraussetzung der Anwendbarkeit der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung war. 213 Zum anderen kennt die Staatspraxis sogar verfassungsgerichtlich gebilligte Konstellationen, in denen der Gesetzgeber aus Zeitgründen zum Gesetz greift und nicht zur Rechtsverordnung – so etwa in den Sachverhalten, die den Entscheidungen BVerfGE 24, 267, 403 (erhebliche Verzögerungen dringender Deichbauarbeiten) und BVerfGE 95, 1, 23 (Südumfahrung Stendal) 214 zugrunde lagen. 215 In jüngerer Zeit ist das Phänomen der Rechtsetzungsbeschleunigung durch Wahl der Gesetzesform unter ausdrücklicher Abstandnahme von der Alternative der Rechtsverordnung auch im Kontext der Frage nach der Zulässigkeit der Änderung von Rechtsverordnungen durch den Gesetzgeber und der Statuierung sogenannter Entsteinerungsklauseln formuliert worden. 216 Die ausgemachten Geschwindigkeitsvorteile der Verordnungsgebung gegenüber der Gesetzgebung erfahren also jenseits der Vorgaben des Grundgesetzes und der Geschäftsordnungen der obersten Bundesorgane eine weitgehende Relativierung, die beim Zusammentreffen der dargelegten Faktoren schnell zur vollständigen Nivellierung wird. Danach lässt sich wenigstens für den Prozess der erstmaligen Nor212 Vgl. die nachfolgenden Darstellungen zur Genese des Chemikaliengesetzes und des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. 213 Vgl. die Ausführungen zum Beispiel der Verordnungsermächtigung des § 43 BImSchG nachfolgend unter 1. Teil, II., 2., b), (2). Ähnlich der Fall von § 7 Abs. 2 BImSchG a. F., hierzu im Kontext der Vorsorgenormierung im 1. Teil, II., 3. 214 Wesentliches gesetzgeberisches Motiv des Gesetzes über die Südumfahrung der Ortschaft Stendal war, die Eisenbahntrasse nicht dem zeitraubenden fachplanungsrechtlichen Rechtsschutz auszusetzen, vgl. die Ausführungen bei F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.27, 34. Zur Stendal-Entscheidung auch 2. Teil, II., 3., a). 215 Ähnliche Rückschlüsse lassen sich auch aus der Behandlung verschiedener Reformgesetze in der jüngeren Gesetzgebungspraxis ziehen. Zu den enormen Beschleunigungseffekten im Zuge der sog. „AGENDA 2010“-Gesetzgebung vgl. die Übersicht „Der Weg der Gesetzgebung der Agenda 2010“ vom 15.3.2004 unter http://www.bundesregierung.de/Anlage631169/attachment (Abrufd. 10.9.2004), die aufzeigt, dass im ersten Jahr dieses Projektes der Bundesregierung insgesamt 11 Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht und weitgehend abgeschlossen wurden. Es ist kaum anzunehmen, dass die hier an den Tag gelegte Rechtsetzungsgeschwindigkeit auf dem Verordnungswege hätten übertroffen werden können. 216 Ch. Külpmann, NJW 2002, S. 3436, 3436 unter Bezugnahme auf die Zustimmungserfordernisse zugunsten des Bundesrates in §§ 4 Abs. 1 S. 3, 5 Abs. 2, 7 Abs. 1, 38 Abs. 2, 43 Abs. 1 BImSchG; §§ 7 Abs. 1, 22 Abs. 4, 23, 24 Abs. 1, 57 KrW-/AbfG, § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BbodSchG: Für den Gesetzgeber dürfte es oftmals praktikabel erscheinen, das politisch flexiblere Gesetzgebungsverfahren an Stelle des Verordnungserlasses zu wählen.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
mierung eines Sachbereichs nicht davon sprechen, dass die Rechtsform der Rechtsverordnung jener des Gesetzes an Schnelligkeit und Flexibilität generell überlegen wäre. Zu groß ist die Relevanz der Normerzeugung in der Ministerialverwaltung, der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Beteiligungsstrukturen und des politischen Gestaltungswillens. 217 (2) Beschleunigungseffekte auf der Ebene der Normaktualisierung Eine veränderte Einschätzung ergibt sich für den Prozess der Aktualisierung eines einmal gegebenen Normbestandes. Für diesen Teil der Rechtsetzung nehmen weite Teile der Literatur deutliche Beschleunigungseffekte der Verordnungsgebung gegenüber dem Gesetzgebungsverfahren an 218 und legen dar, die Handlungsform Rechtsverordnung erlaube, „gegenüber dem parlamentsbeschlossenen Gesetz schnellere und flexiblere Rechtsanpassungen“ 219 bzw. sei das „für die Verfeinerung und Ausdifferenzierung passendere und wegen ihrer leichteren Abänderbarkeit auch flexiblere Rechtsinstrument als das Gesetz“. 220 In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung festgehalten, dass der Verordnungsgeber „die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag, als der Gesetzgeber“. 221 Dies liegt in nicht unerheblichem Maße daran, dass Anhörungs- und Beteiligungserfordernisse zumeist nur in abgeschwächter Form zur Anwendung kommen. Auch sind die politischen Implikationen regelmäßig erheblich geringer, wenn mit dem Verordnungs-Ersterlass ein Regelungsbereich erst einmal eine Grundlage gefunden hat und nurmehr zur Änderung ansteht.222 Die Qualität der Rechtsverordnung als Instrument der Rechtsetzungsbeschleunigung ist also im Bereich des Norm-Ersterlasses zurückhaltend zu bewerten, kommt aber zur Entfaltung, wenn es um die Aktualisierung eines einmal aufgebauten Normbestandes geht.
217 Vgl. im 2. Teil, II., 3. zu der Frage, ob die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung eine verfassungsrechtlich vorgegebene Funktion der Rechtsverordnung (Primärfunktion) darstellt. 218 So etwa U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 344 f. Ähnlich Ch. Degenhart, Staatsrecht I, 20. Aufl. 2004, Rn. 281, der die Intention der „flexibleren Anpassung der Regelungen“ betont. Auch K. Grupp, DVBl. 1974, S. 177 ff. und M. Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187, 204 nehmen ein gegenüber der Gesetzesänderung gesteigertes Tempo der Verordnungsänderung an. 219 H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061, 1075. 220 E. Bülow, in: HdbVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 56. 221 BVerfGE 101, 1, 35 (Hennenhaltung), Hervorhebung nicht im Original. 222 Vgl. zu einem Gegenbeispiel aus jüngster Zeit, das den Einfluss der politischen Rahmenbedingungen aufzeigt die Auseinandersetzungen um die Verpackungsverordnung: Da die von der Bundesregierung im Kontext der Einführung des Dosenpfandes geplanten Änderungen politisch sehr umstritten waren, waren Verluste auf der Zeitschiene die unmittelbare Folge, hierzu der Überblick bei R. Jahn, GewArch 2003, S. 103 ff.
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b) Anwendungsfelder der Rechtsverordnung als Beschleunigungs- und Flexibilisierungsinstrument Die vorangehenden Ausführungen zur Funktion der Rechtsverordnung als Instrument der Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung lassen sich anhand vieler rechtspraktischer Anwendungsfelder näher darlegen. Im Normbestand des Umweltrechts finden sich vielfältige Beispiele für die entsprechende gesetzgeberische Handhabung der Rechtsverordnung. (1) Beschleunigung und Flexibilisierung im Chemikalienrecht Die Entwicklung des Chemikalienrechts liefert Beispiele für den Einsatz der Rechtsverordnung als Rechtsform, die gegenüber dem Gesetz zügigere Normierungen erlaubt. 223 Den politischen und rechtlichen Hintergrund der bundesdeutschen Regelbildung bestimmten das im Verlaufe der 1970er Jahre wachsende öffentliche Bewusstsein von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Chemikalienproblems, die Etablierung einschlägiger Gesetze in anderen Nationalstaaten224 sowie die verstetigte europarechtliche Überwölbung des Sachgebiets. Die auf Europäischer Ebene bereits von 1976 an verfolgte Handlungsoption der 6. Änderung der Richtlinie 67/548/EWG (Klassifizierung gefährlicher Stoffe) wurde im August 1979 verabschiedet. 225 Der nationale Gesetzgeber suchte in dieser Situation, in möglichst schneller Zeit einen Rechtsrahmen für einen Sachbereich zu schaffen, der ausweislich seines Regelungsgegenstandes von ca. 100.000 Stoffen, enthalten in 1.000.000 Zubereitungen oder mehr, 226 durch einen hohen Komplexitätsgrad und dementsprechend enormen Normbedarf gekennzeichnet war. Die gewählte Regelungsstrategie sah zunächst die Statuierung eines normativ weitestgehend zurückgenommenen Fachgesetzes vor. 227 Demgemäß zählte das Chemikaliengesetz vom 16.9.1980 nur 31 Paragrafen. 228 Diese waren zudem nicht auf die unmittelbare Formulierung steuerungsrelevanter Inhalte, sondern vielmehr wesentlich auf die Statuierung von Verordnungsermächtigungen ausgerichtet. 229 In Reaktion auf die prä223 Aus der Literatur zur Genese des Chemikaliengesetzes L. Heigl, GewArch 1981, S.73 ff.; M. Kloepfer, NJW 1981, S. 17 ff.; E. Rehbinder/D. Kayser/H. Klein, Chemikaliengesetz, 1985, Einf., Rn. 6 ff. 224 Chemikaliengesetze in der Schweiz 1968; in Schweden und Japan 1974; Gesetzesarbeiten in Frankreich von 1974 an; in den USA 1976, näher E. Rehbinder/D. Kayser/H. Klein, Chemikaliengesetz, 1985, Einf., Rn. 6 ff. 225 Näher V. Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, S. 183. 226 Zu diesen Zahlen bereits 1. Teil, II., 1., b), (2). 227 Zur fehlenden Vollzugsfähigkeit und Steuerungsunfähigkeit des Chemikaliengesetzes vor Erlass der Rechtsverordnungen vgl. P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 11. 228 BGBl. I 1980, 1718; näher bereits 1. Teil, II., 1., b), (2). 229 L. Heigl, GewArch 1981, S. 73, 76. Hierzu bereits vorhergehend unter 1. Teil, II., 1., b), (2) im Abschnitt zur Regulierungsexpansion im Chemikalienrecht.
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genden Umstände des wachsendenden Normbedarfs und des durch die politische Öffentlichkeit einerseits sowie die europarechtlichen Umsetzungsbedürfnisse andererseits ausgelösten Zeitdrucks setzte der Gesetzgeber also auf die Option der schnellen Multiplikation des Normbestandes durch Rechtverordnungen. 230 Insbesondere sollte auch die Klärung politisch strittiger Fragen wie der Festlegung der Anmeldestelle, deren übereinstimmende Festlegung durch die Bundesregierung und den Verband der Chemischen Industrie im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen kassiert worden war, durch die Delegation an den Verordnungsgeber einer raschen Entscheidung ohne weitere zeitraubende Erörterung zugeführt werden.231 Diese Strategie des Gesetzgebers ging weitgehend auf. 232 Im Anschluss an die Verkündung des Chemikaliengesetzes wurden zahlreiche Rechtsverordnungen noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1981 erlassen, so die Verordnung über Anmeldeunterlagen und Prüfnachweise am 30. November 1981, die Verordnung zur Bestimmung der Anmeldestelle am 2.12.1981, die Chemikalien-Altstoffverordnung, in welcher im Anhang auf mehreren hundert Seiten Altstoffe aufgelistet wurden, am 2.12.1981 und die Verordnung über die Gefährlichkeitsmerkmale von Stoffen und Zubereitungen nach dem Chemikaliengesetz am 18.12.1981.233 Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Chemikaliengesetzes am 1.1.1982 waren dessen wesentliche Rechtsverordnungen erlassen und damit die Vollzugsfähigkeit gesichert. 234 Dieser Zielerreichung hatte die Abhängigkeit aller dieser Rechtsverordnungen von der Zustimmung des Bundesrates offenkundig nicht entgegengestanden. Begünstigt wurde dieser Fall einer Erzielung von Beschleunigungseffekten beim Norm-Ersterlass in rechtlicher wie politischer Hinsicht durch das Fehlen von gesetzlichen Beteiligungsvorschriften zugunsten beteiligter Kreise und des Bundestages, durch die Verengung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers aufgrund der europarechtlichen Vorgaben, aber auch durch die befriedende Funktion mehrjähriger Vorarbeiten unter intensiver Beteiligung der betroffenen Lobbyverbände wie VCI und IGCPK. 235 Chemikaliengesetz und ausfüllende Rechtsverordnungen konnten sich als „Meilenstein deutscher und europäischer Umweltpolitik“ etablieren. 236
Vgl. die Beratungen in BT-Drs. 8/3319 und 8/4243. Hierzu mit eingehender Darstellung des politischen Hintergrundes und Verfahrens V. Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, S. 225. 232 M. Kloepfer, NJW 1981, S. 17, 22. 233 BGBl. I 1981, 1234; BGBl. I 1981, 1238; BGBl. I 1981, 1239; BGBl. I 1981, 1487. 234 V. Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, S. 225 ff. 235 V. Schneider, ebd. 236 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 11, Rn. 496. 230 231
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(2) Divergierende Effekte im Immissionsschutz-, Abfall- und Gentechnikrecht In anderen Regelungsbereichen hat die verstärkte Statuierung von Verordnungsermächtigungen wenigstens für den Bereich der erstmaligen Normierung keine messbare Beschleunigung der Rechtsetzung bewirkt. So lagen beispielsweise sechs Jahre zwischen der grundsätzlichen Kabinettsentscheidung für die Großfeuerungs-Anlagenverordnung (13. BImSchV) und deren Verkündung. 237 Im Fall der mit dem Zweiten Änderungsgesetz zum Bundes-Immissionsschutzgesetz implementierten neuen Grundpflicht des § 5 Nr. 4 BImschG, deren Vollziehbarkeit vom Erlass einer Rechtsverordnung nach §5 Abs.2 BImSchG abhing, verzögerte sich der Erlass der dringend notwendigen Abwärme-Verordnung um mehrere Jahre bis die Verordnungsermächtigung des § 5 Abs. 2 BImSchG schließlich aufgehoben wurde. 238 Ein beredtes Beispiel liefert auch die Verordnungsermächtigung des § 43 BImSchG, welche zum Erlass der zur Durchführung des § 41 BImSchG erforderlichen Rechtsverordnungen ermächtigt. Trotz zwingender Erforderlichkeit zum Vollzug der Normen, den auch die Rechtsprechung nachdrücklich betont hatte, 239 wurde die Verordnungsermächtigung erst 16 Jahre nach Erlass des Gesetzes durch Erlass der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) 240 ausgeschöpft. 241 Auch im Abfallrecht war die Erarbeitung wichtiger Rechtsverordnungen häufig von enormer Dauer. 242 Der Gesetzgeber wusste sich hier bei Erlass des KrW-/AbfG zu helfen, indem die aufgrund des vorhergehenden Abfallgesetzes ergangenen Rechtsverordnungen über das Erlöschen der einschlägigen Verordnungsermächtigungen hinaus ihre Gültigkeit behielten. 243 Eine generelle Überlegenheit der Verordnungsgebung gegenüber der Gesetzgebung unter Geschwindigkeitsaspekten ist also für den Prozess des Norm-Erst-Erlasses auch bei näherer Untersuchung der Rechtsetzungspraxis nicht festzustellen. Gleichermaßen bestätigt sich die Annahme, dass demgegenüber für die Aktualisierung eines einmal konstituierten Normbestandes erhebliche zeitliche Vorteile für die Verordnungsgebung zu verzeichnen sind. 244 So etwa bei Analyse des Verordnungsbestandes des Gentechnikrechts: 245 Hier erweist sich die Veränderung von Normen 237 E. Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, S. 275. Zur 13. BImSchV bereits die Nachweise unter 1. Teil, II., 1., b), (1). 238 Hierzu G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385, 387. 239 BVerwGE 61, 295, 298 und 300; korrigierend in Reaktion auf fortgesetztes gesetzgeberisches Nichthandeln BVerwGE 71, 150, 154 und BVerwGE 77, 285, 287. 240 Verkehrslärmschutzverordnung vom 12.6.1990 (BGBl. I 1036). 241 Vgl. hierzu H. Sendler, UPR 2002, S.281, 284 sowie dens., in: FS Weyreuther, 1993, S. 3, 10 ff. 242 C. Leitzke, UPR 1996, S. 177, 181, Fn. 39 sowie SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 388– 393 zu den seit 1991 geplanten Verordnungen zur Ausgestaltung des Abfallrechts des Bundes. 243 Vgl. die Darstellung 1. Teil, II., 1., b), (3). 244 Vgl. soeben unter II., 2., a), (2). 245 Im Überblick zu den Rechtsverordnungen des Gentechnikrechts M. Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), S. 295, 304 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
in der Rechtsform der Rechtsverordnung regelmäßig als schneller und flexibler durchführbar als in der Rechtsform des Gesetzes. Es kommt eine Intention des Gentechnikgesetzes zum Tragen, die bereits in der Regierungsbegründung zum Entwurf des Gesetzes deutlich zum Ausdruck gekommen war, wo erklärt wurde: „Ein großer Teil des materiellen Inhalts soll bewusst einer Regelung unterhalb der Gesetzesebene überlassen bleiben, damit eine gebotene Anpassung an den sich schnell weiterentwickelnden Stand von Wissenschaft und Technik möglichst rasch erfolgen kann.“ 246 Verzögerungen, die, wie das Beispiel der abfallrechtlichen Verpackungsverordnung lehrt, 247 auch bei Rechtsänderungen im Verordnungsbestand nicht völlig ausbleiben, sind häufig dann zu verzeichnen, wenn die Änderungen in ihren rechtspraktischen Konsequenzen den Charakter eines Systemwechsels haben und deswegen strukturell der Fallgruppe des „Norm-Ersterlasses“ zuzuordnen sind248 und stehen somit der gefundenen Regel, wonach die Rechtsverordnung im Bereich der Normaktualisierung als die gegenüber dem Gesetz schnellere und flexiblere Rechtsform angesehen werden kann, nicht entgegen.
c) Beschleunigung und Flexibilisierung im Verhältnis von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen Unter Geschwindigkeitsaspekten wird zuweilen argumentiert, dass jenseits des Abgleichs zum parlamentarischen Verfahren innerhalb der administrativen Normtypen die Verwaltungsvorschriften gegenüber der Rechtsverordnung Vorteile aufwiesen. 249 Insbesondere sei die Rechtsverordnung in Regelungsbereichen mit Kennzeichnung durch gravierende technologische Umbrüche und entsprechende Wissensdefizite die gegenüber den Verwaltungsvorschriften entscheidend schwerfälligere Regelungsform. 250 Derartigen Erwägungen folgt bisweilen auch der Gesetzgeber. Insbesondere in der Anfangsphase des Immissionsschutzrechts wurde die Rechtsform der Verwaltungsvorschriften unter Geschwindigkeits- und Flexibilitätserwägungen der Rechtsverordnung vorgezogen. So führte etwa die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf zu § 40 (jetzt § 48) BImSchG aus, nur ein zeit246 Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs (zu §26), BT-Drs. 11/5622, S.31; ähnlich bereits ebd., S. 21: „Im Interesse einer flexiblen Anpassung an die rasche Entwicklung und den sich verändernden Stand von Wissenschaft und Technik im Bereich der Gentechnik werden die konkreten organisatorischen, technischen und biologischen Sicherheitsmaßnahmen weitgehend durch Rechtsverordnungen festgelegt und durch Verwaltungsvorschriften ergänzt, die Anpassungsänderungen leichter zugänglich sind.“ 247 Näher zur Verpackungsverordnung K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 273 ff. und bereits 1. Teil, II., 2., a), (2). 248 Vgl. O. Lepsius, NVwZ 2003, S. 1182, 1185 ff. 249 So etwa F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24. Vgl. zu weiteren Nachweisen die nachfolgenden Fn. 250 A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 230; mit ähnlicher Stoßrichtung H. Hill, NVwZ 1989, S.401, 409; M. Reinhardt, DÖV 1992, S. 102, 108.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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lich flexibles Regelungsinstrument wie die Verwaltungsvorschriften könne den Anforderungen gerecht werden, die sich aus den verschiedenen Entwicklungen des Immissionsschutzrechts ergäben. 251 Die Rechtsform der Verwaltungsvorschriften wurde in der weiteren Folge kontinuierlich gegenüber der Regelungsalternative der Rechtsverordnung verteidigt. Beispielsweise wurde im Kontext der TA Luft 1986 geltend gemacht, eine Regelung durch Rechtsverordnungen erscheine für die sonstigen genehmigungsbedürftigen Anlagen wegen deren Vielfalt und Vielgestaltigkeit wenig zweckdienlich. 252 Die Plausibilität dieser Binnendifferenzierung zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften wird indes mit guten Gründen angezweifelt.253 Udo Di Fabio legt dar, dass die Rechtsetzungsgeschwindigkeit der Rechtsverordnung zwar beim Ersterlass hinter den Verwaltungsvorschriften zurückbleibe, dass sich die beiden Rechtsetzungsinstrumente jedoch hinsichtlich des Änderungsaufwandes weitgehend annäherten. 254 Mit der Rechtsverordnung könnten „wissenschaftliche Entwicklungen genauso schnell rezipiert werden wie mit Verwaltungsvorschriften“. 255 Auch die Erfahrungen der Rechtsetzungspraxis belegen keine spürbaren Beschleunigungseffekte zugunsten der Verwaltungsvorschriften. Dies zeigt sich am Beispiel der Technischen Anleitungen des Immissionsschutzrechts: Dem Argument der vermeintlich schnelleren Rechtsetzung durch die TA Luft 1964/1986/2002 256 werden deren bis zu achtjährige Übergangsfristen entgegengehalten, die darauf schließen ließen, dass bereits nach deren eigener Regelungskonzeption eine schnelle Änderung des Standes der Technik nicht erwartet werde und der Zeitfaktor demgemäß keine ausschlaggebende Rolle spiele. 257 Weiterhin wird auf die langjährige Dauer von Änderungen der Technischen Anleitungen aufmerksam gemacht, die für den Fall der TA Luft auf sechs bis neun Jahre geschätzt wird.258 Eine Neufassung der TA Lärm 1968 erfolgte erst nach 30 Jahren, obwohl die Änderungsnotwendigkeit von BT-Drs. 7/179, S. 45. Hierzu Punkt „C. Alternativen“ des vom Bundeskabinett am 29.1.1986 verabschiedeten Entwurfs (BR-Drs. 60/86, Vorblatt). 253 Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff.; ders., NVwZ 1995, S. 105 ff.; auch nach R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 242, K. Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 215, 228 mit Fn. 49 und M. Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 324 f. weisen Verwaltungsvorschriften gegenüber Rechtsverordnungen keinen erhöhten Flexibilitätsgrad auf; ähnlich bereits J.-F. Staats, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 192, 200: Um bei den Genehmigungsvoraussetzungen flexibel zu bleiben würde es ausreichen, die Ermächtigungen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften zu einer Verordnungsermächtigung umzugestalten. 254 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 344 f. 255 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 345 mit Nachweisen aus dem Arzneimittelrecht. 256 Detaillierte Nachweise zu den Fundstellen vorhergehend in den Fußnoten unter 1. Teil, II., 1., d). 257 Ch. Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzes, 1987, S. 254 ff. 258 M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, S. 28. 251 252
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Anfang an erkannt worden war. 259 Darüber hinaus unterliegen gerade die Technischen Anleitungen des Immissionsschutzrechts nach § 48 BImSchG verschiedenen Beteiligungserfordernissen, die den Normsetzungsprozess zusätzlich verlangsamen, so der Verpflichtung zur Anhörung der beteiligten Kreise und insbesondere dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesrates. 260 Schließlich verfügt die Rechtsform der Rechtsverordnung über eine Reihe von internen Flexibilisierungsmechanismen, so etwa die Statuierung von Dispensermächtigungen für das Vorliegen veränderter Rahmenbedingungen. 261 Hierher rechnet auch die Möglichkeit der zeitlichen Begrenzung von Rechtsverordnungen. Aufgrund dieser internen Flexibilisierungsmechanismen und den rechtsetzungspraktisch auf den Regelungsfeldern der Verwaltungsvorschriften zu verzeichnenden erheblichen Verzögerungen im Bereich der Norm-Aktualisierung lässt sich festhalten, dass die Rechtsverordnung im Hinblick auf Flexibilität und Geschwindigkeit hinter den Verwaltungsvorschriften nicht zurücksteht. 262 In dieser Hinsicht kann man unter Beschleunigungs- und Flexibilitätsaspekte von einer funktionalen Äquivalenz beider Rechtsformen sprechen. 263 Diese Äquivalenz bestätigt sich in der komplikationslosen Übernahme von Vorsorgewerten aus der TA Luft in die 22. BImSchV, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit der Richtlinienumsetzung durch Verwaltungsvorschriften Rechnung trug. 264 3. Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips Nachdem die Rechtsverordnung in den vorhergehenden Abschnitten als Instrument der Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion sowie beschleunigter und flexibilisierter Rechtsetzung gezeigt wurde, wird im Folgenden untersucht, auf welche Weise die Rechtsverordnung im Bereich des präventiven Staatshandelns zum Einsatz kommt. 265 Hier findet sich mit der Verrechtlichung des Vor259 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471; näher ders., in: Aktuelle Probleme des Immissionsschutzrechts, 1998, S. 191 ff. Vgl. im Einzelnen die TA Lärm v. 16.7.1968, BAnz Nr. 137 (Beilage) und die TA Lärm v. 26.4.1998, GMBl. v. 28.8.1998, 503. 260 Hierzu H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 48, Rn. 103. 261 Zu den Fähigkeiten der Rechtsverordnung gegenüber den Flexibilitätsanforderungen des besonderen Verwaltungsrechts W. Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltschutzes, 1987, S. 234; H. Hofmann, UPR 1984, S. 73, 83; H. Albers, DVBl. 1983, S. 1039, 1050; Ch. Degenhart, Kernenergierecht, 1981, S. 211 ff.; Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 242; M. Böhm, ZUR 2002, S. 6, 9. 262 Ch. Müller, Die TA-Luft als Rechtsproblem, 2001, S. 88 f. mit Belegen aus der Rechtsetzungspraxis: Keine größere formale Flexibilität der Verwaltungsvorschriften; ähnlich H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471 sowie W. Pauly, Der Staat 35 (1996), S. 149, 153 f. und die Nachweise in Fn. 256. 263 Hierzu H. D. Jarass, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381, 393 ff. 264 Näher Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff. und nachfolgend unter 1. Teil, III., 1., c). 265 Vgl. zum präventiven Charakter als prägendem Merkmal gegenwärtigen Staatshandelns die Ausführungen und Nachweise unter 1. Teil, II., 1., a).
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sorgeprinzips eine wesentliche Funktion der Rechtsverordnung. 266 Das Vorsorgeprinzip dient vor allem dem vorausschauenden und vorbeugenden Schutz des Menschen vor Umweltbeeinträchtigungen und Umweltqualitätsverlusten sowie dem Schutz der Umweltgüter vor dem Menschen und ist neben dem Verursacher- und dem Kooperationsprinzip eines der Grundprinzipien, die dem Umweltrecht und der Umweltpolitik traditionell zugeordnet werden. 267 Hinsichtlich ihres Gehalts und ihrer verpflichtenden Wirkung als allgemeine (Umwelt-)Rechtsgrundsätze sind die beiden letztgenannten 268 anhaltend umstritten. a) Das Vorsorgeprinzip als Rechtsprinzip Die allgemeine Anerkennung des Vorsorgeprinzips 269 als Rechtsprinzip des Umweltrechts beruht insbesondere auf der Rezeption seiner vielfältigen normativen Verankerungen, so etwa in Art. 174 Abs. 2 EGV 270 und verschiedenen Fachgesetzen des 266 Zur über das Umweltrecht hinausweisenden Dimension des Vorsorgeprinzips J. Aulehner, Polizeiliche Gefahren- und Informationsvorsorge, 1998; M. Böhm, ZLR 2000, S. 241 ff.; I. Appel, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S.327 ff.; zum Vorsorgeprinzip als Umweltrechtsprinzip die Nachweise in den nachfolgenden Fn. 267 Diese Prinzipien finden sich bereits im Umweltbericht der Bundesregierung ’76, BTDrs. 7/5684, S. 8 f., Tz. 4–9. Zu weiteren Prinzipien, die sich teilweise auch als Unterfälle der drei genannten Prinzipien verstehen lassen, H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 43 ff.; vgl. auch bei R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2, Rn. 8 ff. die Ausführungen zum „Nachhaltigkeitsprinzip“ (§ 2 Rn. 23–30) und zum „Gemeinlastprinzip“ (§ 2 Rn. 37). 268 Kritik am Verursacherprinzip bei M. Adams, JZ 1989, S. 787 ff.; O. Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, 2002, S. 459 ff.; E. Rehbinder, Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, 1973, S. 29 ff.; Kritik am Kooperationsprinzip bei D. Murswiek, ZUR 2001, S. 7 ff.; L. Jaeschke, NVwZ 2003, S. 563 ff.; H.-J. Koch, NuR 2001, 541 ff., 541; H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 885 f. 269 Aus der Literatur zur Entwicklung des Vorsorgeprinzips H.-J. Koch, in: ders., Umweltrecht, 2002, Rn. 119; E.-H. Ritter, NVwZ 1987, S. 929, 932 ff.; Ch. Engel, Die Verwaltung 29 (1996), S. 265 ff.; Ch. Calliess, VerwArch 94 (2003), S. 389 ff.; ders., DVBl. 2001, S. 1725 ff.; F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993; R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1 ff.; P. Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 2. Aufl. 1985; U. Riedel, UPR 1999, S.92 ff.; F. Ossenbühl, NVwZ 1986, S.161 ff.; M. Ronellenfitsch, DVBl. 1989, S.851 ff.; D. Sellner, NJW 1980, S. 1255 ff.; ders., NVwZ 1986, S. 616 ff.; H.-H. Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1989; I. Appel, NVwZ 2001, S. 395 ff.; E. Kutscheidt, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 437 ff.; W. Berg, ZLR 1998, S. 375 ff.; R. Fleury, Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht, 1995; M. Germann, Das Vorsorgeprinzip als vorverlagerte Gefahrenabwehr, 1993; R. Steinberg, in: Schadensvorsorge im Atomrecht, 1991, S. 9 ff.; E. Rehbinder, Das Vorsorgeprinzip im internationalen Vergleich, 1991; J. Falke, ZUR 2000, S. 265 ff.; F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, S.26 ff.; W. Köck, AöR 121 (1996), S.1 ff.; P. Badura, UTR 43 (1998), S. 43 ff. 270 Hierzu Mitteilung der Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, KOM (2000), 1 endg.; H.-W. Rengeling, DVBl. 2000, S. 1473 ff. Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV trennt explizit zwischen Vorsorge und Vorbeugung; zur Diskussion um die rechtliche Relevanz dieser Trennung vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. § 2, Rn. 18 sowie
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Umweltverwaltungsrechts. 271 Unterhalb der generellen Anerkennung als Rechtsprinzip ist der materielle Inhalt des Vorsorgeprinzips allerdings keineswegs geklärt. 272 Die Divergenzen der in der Rechtswissenschaft entwickelten Erklärungsmodelle lassen sich insbesondere auf die Konturierung des Vorsorgeprinzips aus der Abgrenzung der Begriffe von „Gefahr“ und „Risiko“ zurückführen. Nach polizeirechtlicher Dogmatik kennzeichnet der Begriff der Gefahr den Zeitpunkt, in dem Maßnahmen zur Schadensabwehr zulässig sind.273 Das Vorsorgeprinzip verpflichtet demgegenüber zu Maßnahmen gegenüber Risiken und setzt unterhalb des Überschreitens der Gefahrenschwelle an. Das Vorliegen eines Risikos kann danach gegeben sein, wenn die Realisierung der Gefahr in weiter Ferne liegt wie im Fall der Zerstörung eines Ökosystems, wenn die Folgen einer konkreten Umweltnutzung nicht vollständig erfassbar sind wie bei der gentechnischen Veränderung von Pflanzen und der Nutzung der Kernenergie, oder wenn viele für sich genommen ungefährliche Kausalfaktoren zusammenwirken wie beim Phänomen des Waldsterbens oder dem Abbau der schützenden Ozonschicht.274 Gemeinsam ist diesen Konstellationen das Fehlen von Erfahrungswerten, 275 die zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden könnten. 276 Die Eigenständigkeit des Vorsorgegrundsatzes neben der tradierten Dogmatik des Sicherheitsrechts ergibt sich aus dem Verlust der „strukturbildenden Kraft“ und der „Orientierungsfunktion“ des Kausalitätsparadigmas.277 W. Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174, Rn. 69 ff.: Vorbeugegrundsatz als weniger anspruchsvoller, auf die Abwehr von Gefahren beschränkter „Sockel des Vorsorgeprinzips“. 271 So etwa in § 1 UVPG, §§ 1, 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, §§ 1 a, 6 WHG, § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, §§ 1, 4 I, 6 I 2, 19, 22, 24, 37, 38 KrW-/AbfG, §§ 49, 50 BImSchG. Vgl. insbesondere zur Vorsorge als Zweck der Umweltverträglichkeitsprüfung H.-J. Peters, UVPG, 2. Aufl. 2002, Einl., Rn. 31 sowie insgesamt H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 74. 272 Vgl. hierzu auch die Kritik an der „inhaltlichen und instrumentellen Konturenlosigkeit“ des Vorsorgeprinzips bei R. Schmidt/H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl. 2001, § 1, Rn. 7. Ähnlich W. van den Daele, in: Gentechnik im nicht-menschlichen Bereich, 2001, S. 101 ff. 273 Zum Gefahrenbegriff des Polizeirechts E. Denninger, in: HdbPolR, 2. Aufl. 1996, Kap. E, Rn. 29 ff.; B. Pieroth/B. Schlink/M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 2, Rn. 2; E. Benda, in: Technische Risiken, 1981, S. 5, 5; F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 192; BVerwGE 45, 51, 57: „Nach allgemeiner Auffassung liegt eine ‚Gefahr‘ vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.“ 274 K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 207 f.; R. Sparwasser/ R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5.Aufl. 2003, § 2, Rn. 19; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 90. 275 Vgl. zur Prägung des Umweltrechts durch strukturelle Ungewissheitsbedingungen bereits unter 1. Teil, I., 1. 276 Hierzu U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 108 ff. 277 K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 120; vom Verlust des „Kausalnexus als Zurechnungsrückgrat“ als Augenblick des Verlassens des Bereiches der Gefahrenabwehr spricht mit Blick auf das Immissionsschutzrecht U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 90. Vgl. zu den Kausalitätsproblemen bei der verursachergerechten Zuordnung von Umweltschäden auch Ch. Herbst, Risikoregulierung durch Umwelthaftung und Versicherung, 1996, S. 78 ff., 86 ff.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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In der Rechtswissenschaft bestehen zwei grundlegend differierende Modelle zur Abgrenzung der Sphären von Gefahr und Risiko. 278 Nach dem klassischen Drei-Stufen-Modell erfolgt die Abgrenzung von Gefahr, Risiko und Restrisiko am Kriterium der geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit. 279 Das alternative neuere Modell löst den Begriff des Restrisikos auf und entwickelt einen weiten Risikobegriff, der auf das Vorliegen der bloßen Möglichkeit eines Schadenseintritts abstellt 280 und in einem Zwei-Stufen-Modell die Gefahr demnach als Unterfall des Risikos versteht. 281 Die Divergenzen beider Modelle spiegeln sich auch in Gesetzgebung und Rechtsprechung. 282 Während die nationale Rechtsordnung durch die Ausdehnung der Gefahrenabwehr von bloß geringeren Wahrscheinlichkeiten 283 auf die Abwehr möglicher Dies hat O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 266 ff. herausgearbeitet. Grundlegend BVerfGE 49, 89, 143 (Kalkar); ähnlich R. Breuer, NVwZ 1990, S. 211, 213 f.; J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 186 f.; vgl. zum Drei-Stufen-Modell auch die Darstellungen bei D. Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S.167, 192 f.; F. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 161, 162 f.; M. Ronellenfitsch, DVBl. 1989, S. 851, 859; W. Köck, in: Effizienz im Umweltrecht, 2001, S. 271 ff. 280 Vgl. stellvertretend F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlichtechnischen Zeitalter, 2000, S. 27: „Von einem Risiko spricht die herrschende Lehre dann, wenn sich die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens zur bloßen Möglichkeit verflüchtigt.“ und Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 163: Entscheidend für die rechtliche Abgrenzung von Gefahr und Risiko sei die Ersetzung der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ durch die reine „Möglichkeit“ eines Schadenseintritts an Umweltgütern. Vgl. zur soziologischen und etymologischen Dimension und zur Rückführung des Begriffs des Risikos auf den entstehenden Fern- und Seehandel in den italienischen Stadtstaaten des 12. und 13. Jahrhunderts H. Schmidt-Semisch, in: Glossar der Gegenwart, 2004, S. 222 ff. 281 Hierzu und zur Kritik des Möglichkeits-Kriteriums O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 266 ff. insbes. Fn. 14. Danach war vor allem das Aufgreifen des alternativen Zwei-Stufen-Modells im Rahmen der Entwicklung der Entwürfe zum Umweltgesetzbuch entscheidend für dessen Durchbruch. Vgl. hierzu die insbesondere im Anschluss an D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985 entwickelten Definitionen in: M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. Schmidt-Aßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch AT, 1990, § 2 Abs. 6: „Umweltrisiko im Sinne dieses Gesetze ist die Möglichkeit des Eintritts einer Umweltbeeinträchtigung, soweit sie nicht aufgrund praktischer Vernunft ausgeschlossen erscheint. Umweltgefahr ist dasjenige Umweltrisiko, welches unter Berücksichtigung des Grades seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und des möglichen Schadensumfangs nicht mehr hinnehmbar ist“, erläutert ebd., S. 119 f. sowie die modifizierten Definitionen in § 2 Nr. 4 und 5 UGB-KomE 1998: „4. Gefahr: die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer erheblichen nachteiligen Einwirkung auf ein Schutzgut dieses Gesetzbuches; je wichtiger die zu besorgende Einwirkung ist, desto geringer sind die an die Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellenden Anforderungen; 5. Risiko: die Möglichkeit des Eintritts einer nicht nur geringfügigen nachteiligen Einwirkung auf ein Schutzgut dieses Gesetzbuchs, soweit sie nicht praktisch ausgeschlossen erscheint“; erläutert ebd., S. 440–442. Dieses zweistufige Modell haben zwischenzeitlich zahlreiche Autoren adaptiert, vgl. etwa R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 88; Ch. Calliess, DVBl. 2001, S. 1725, 1727; A. Karthaus, Risikomanagement durch ordnungsrechtliche Steuerung, 2001, S. 58; U. Prall, in: Koch, Umweltrecht, 2002, § 11, Rn. 93; U. Di Fabio, ZLR 2003, S. 163 ff., 164, 166; W. Kahl, DVBl. 2003, S. 1105, 1108; H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 461. 282 Dazu O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 271 ff. 283 So noch im Atomgesetz und im Arzneimittelgesetz; hierzu H.-W. Rengeling, DVBl. 1988, S. 257 ff.; R. Steinberg, in: Schadensvorsorge im Atomrecht, 1991, S. 9 ff.; U. Di Fabio, 278 279
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Schäden 284 gekennzeichnet ist, ist für das Europarecht eine Rückkehr zum Maßstab des wahrscheinlichen Schadens zu verzeichnen. 285 Die dargelegte Auseinandersetzung verliert erheblich an Brisanz, wenn man die fließenden Grenzen zwischen Gefahr und Risiko, aber auch zwischen Risiko und Restrisiko hinreichend würdigt: Hier zeigt sich, dass die Abgrenzung dieser drei Stufen auf normativ-wertenden Entscheidungen beruht. 286 Nach überwiegender Auffassung in der deutschen Rechtswissenschaft 287 umfasst das Vorsorgeprinzip neben der hier skizzierten Risikovorsorge auch ein zweites Element der Ressourcenvorsorge. 288 Die Komponente der Ressourcenvorsorge verlangt im Hinblick auf Schadstoffeinträge und unmittelbaren Ressourcenverzehr die akkumulationspräventive Nichtausschöpfung ökologischer Belastungsschwellen (sog. Freiraumthese); folglich sind nach dieser Ansicht erneuerbare Umweltressourcen nachhaltig zu bewirtschaften und nichterneuerbare Umweltressourcen generell zu schonen, um Optionen für die Zukunft offenzuhalten. 289
Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 73 ff.; R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 196–200. 284 Beredter Ausdruck des Konzeptwandels ist das 1990 verkündete Gentechnikgesetz, das in § 1 Nr. 1 GenTG auf den Schutz vor der Möglichkeit eines Schadens abstellt; zum Gentechnikrecht im Überblick J. Lege, in: HdTR, 2003, S. 669 ff.; ders., in: Technikumsteuerung als Rechtsproblem, 2002, S. 67 ff.; R. Huth, Gentechnik und Umweltrechtskodifikation, 2001, S. 286 ff.; A. Meier, Risikosteuerung im Lebensmittel- und Gentechnikrecht, 2000; vorhergehend K.-H. Ladeur, NuR 1992, S. 254 ff. 285 Dazu O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 274, Fn. 36 unter Auseinandersetzung von EuGH, Urteil v. 9.9.2003 zur Novel-Food-Verordnung, C-236/01 (Monsanto Agricultura Italoa u. a.), Rn. 106–113; EuG, Urteil v. 11.9.2002, T-13/99 (Pizer Animal Health), Slg. 2002, II-3305 Rn. 139–148, 321 sowie EuG, Urteil v. 11.9.2002, T-70/99 (Alpharma), Slg. 2002, II-3495 Rn. 152–161. 286 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5.Aufl. 2003 §2, Rn.20; U. K. Preuß, in: Staatsaufgaben, 1994, S. 523, 529 f.; R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 90 f. Zum Hervortreten des politisch-wertenden Charakters von Risikomaßnahmen auch U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 108 ff.; V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003, S. 37: Je unsicherer die kognitiven Grundlagen seien, desto mehr sei eine wertende Entscheidung für die Qualifikation eines Vorgangs als Risiko oder Restrisiko erforderlich; K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 212; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 98. 287 Vgl. für einen demgemäß erweiterten Vorsorgebegriffs G. Feldhaus, DVBl. 1980, S. 133, 135 ff.; E. Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer I, Stand: 2004, § 7 BImSchG, Rn. 39 a ff.; F. Hansen-Dix, Die Gefahr im Polizeirecht, 1982, S. 212 ff.; vgl. zum Problem auch Ch. Calliess, DVBl. 2001, S. 1725, 1727; U. Di Fabio, in: FS Ritter, 1997, S. 807 ff.; F. Ossenbühl, NVwZ 1986, S. 161, 163; H.-W. Rengeling, DVBl. 1982, S. 622, 624. 288 Anders im Europarecht: EuGH, Rs. C-157/96, National Farmers’ Union u. a., Slg. 1998, I-2211, Rn. 62 ff.; Rs. C-180/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I.–2265, Rn. 98 ff.; näher hierzu W. Kahl, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 174, Rn. 72 mit Fn. 222. 289 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5.Aufl., 2003, §2, Rn.22; R. Schmidt, DÖV 1994, S. 749, 753.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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b) Die Bewältigung der Vorsorgeorientierung durch Rechtsverordnungen: Die Umsetzung des vorsorgerechtlichen Konzeptierungsgebots als Anwendungsfall aus dem Immissionsschutzrecht Eine durchgreifende rechtliche Strukturierung der staatlichen Vorsorgemaßnahmen bewirkte die Entwicklung des vorsorgerechtlichen Konzeptierungsgebots, welches wesentlich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 17. Februar 1984 zum Heidelberger Heizkraftwerk zurückgeht. 290 Zu entscheiden war über die Großfeuerungsanlagenverordnung (13. BImSchV), 291 die unter Bezugnahme auf die §§ 1, 5 BImSchG in ihrer zur Vorsorge ermächtigenden Dimension ergangen war. 292 Im zugrunde liegenden Fall hatte sich die Klägerin gegen die ihren Ölfeuerungsbetrieb betreffende behördliche Vorgabe an die Heizölqualität gewandt und zur Begründung geltend gemacht, die zugrunde liegende Großanlagenfeuerungsverordnung stelle unzulässigerweise auf Emissions- anstatt auf Immissionswerte ab, ferner sei sie unverhältnismäßig. 293 Aufschlussreich ist zunächst die seitens des Gerichts vorgenommene Charakterisierung von Vorsorgemaßnahmen: Deren originärer Bereich beginne dort, wo eine Zuordnung von Immissionen zu bestimmten Emittenten – wie beim Ferntransport von Luftschadstoffen – nicht mehr möglich sei. 294 Den mit der Zuordnungsauflösung verbundenen Risiken könne nur mit Maßnahmen der Vorsorge begegnet werden; diese sollten unabhängig von den geltenden Schädlichkeitsgrenzen das an Umweltqualität durchsetzen, was im Hinblick auf ein vorhandenes Potential an Vermeidungstechnologie realisierbar erscheine. 295 Die rechtlichen Bindungen des staatlichen Vorsorgehandelns entnimmt das BVerwG dabei in entscheidendem Umfang dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Die Vorsorgemaßnahmen müssten BVerwGE 69, 37 (Heidelberger Heizkraftwerk). Verordnung über Großfeuerungsanlagen (13. BImSchV) vom 22. Juni 1983, BGBl.I 719, geändert durch Gesetz vom 3.5.2000, BGBl. I 632; vgl. zur 13. BImSchV bereits 1. Teil, II., 1., b), (1) u. 2., b), (2). 292 Zur Verabschiedung der 13. BImSchV im zeithistorischen Zusammenhang B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 198 ff. Zum aktuellen materiellen Gehalt der Großanlagenfeuerungsverordnung im Überblick H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 129: Die Großfeuerungsanlagenverordnung gelte für Feuerungsanlagen mit einer Wärmeleistung von mindestens 50 MW. Für Neuanlagen würden Emissionsgrenzwerte festgesetzt, für Altanlagen enthalte sie ein Sanierungskonzept, das spezielle Anforderungen und Übergangsfristen für sanierungsbedürftige Altanlagen vorsehe, zB zur emissionsbegrenzenden Nachrüstung von Rauchgasentschwefelungsanlagen. Das Sanierungskonzept sei für kleinere, nicht der Großfeuerungsanlagenverordnung unterliegende Altanlagen durch ein ähnliches, in der TA Luft enthaltenes Konzept ergänzt worden. Da die Großfeuerungsanlagenverordnung nur das Vorsorgegebot konkretisiert, sei sie wie jenes nicht nachbarschützend. Anderer Ansicht zur nachbarschützenden Wirkung R. Sparwasser/R. Engel/ A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 10, Rn. 194. 293 Zur Großfeuerungsanlagenverordnung als Anwendungsfall des normativen Standardisierungsspielraums des Verordnungsgebers R. Breuer, NVwZ 1988, S. 104, 110. 294 BVerwGE 69, 37, 44 (Heidelberger Heizkraftwerk). 295 BVerwGE 69, 37, 44. 290 291
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nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential der Immissionen, die sie verhindern sollen, proportional sein. 296 Im Blick auf das Ziel der Vorsorge gegen den Ferntransport von Schadstoffen führt das Gericht weiter aus, die Verhältnismäßigkeit sei nicht mit auf die einzelne Anlage bezogenen betriebswirtschaftlichen Kategorien, sondern nur in volkswirtschaftlichen Kategorien erfassbar. 297 Dementsprechend gehe es auch nicht um eine sich in strenger rechtlicher Gebundenheit vollziehende Anordnung des „technisch Machbaren“, sondern „um eine komplexe Neubewertung der Frage, welche Emissionsbegrenzung künftig von allen Anlagen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als angemessene Vorsorge verlangt wird“. 298 Diese komplexe Neubewertung lasse sich wegen der Natur der dahinter stehenden umfassenden Problematik nicht in unmittelbarer Anwendung des § 5 Nr. 2 BImSchG auf den jeweiligen Einzelfall entscheiden, sondern setze vorab eine Konkretisierung auf untergesetzlicher Ebene voraus. Diese Konkretisierung wurde im entschiedenen Fall als durch die Großfeuerungsanlagenverordnung (13. BImSchV) erfüllt angesehen. 299 Das mit der Verordnung verfolgte Ziel sei „dem Risiko, dem entgegengewirkt werden soll, angemessen, weil es auf einem langfristigen, auf eine einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Konzept beruht“. 300 Es zeigt sich: Durch die Herabsenkung des hoheitlichen Eingriffsinstrumentariums unter die Gefahrenschwelle und die damit verbundene Umformung der Verursacherverantwortung zu einer Kollektivverantwortung von Risiken 301 ent-indiviBVerwGE 69, 37, 44. Zu beachten sind die Eigenheiten in der gerichtlichen Überprüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Vorsorgebereich: Wo untergesetzliche Konkretisierungen der Vorsorgepflicht vorhanden sind, wird heute ganz überwiegend davon ausgegangen, dass Verhältnismäßigkeitsaspekte bereits auf der Ebene der Regelsetzung berücksichtigt wurden, so dass eine einzelfallbezogene Prüfung in der Regel entbehrlich ist, BVerwG, NVwZ 1995, 994, 996. Hierzu K. Hansmann, in: Landmann/Rohmer I, Stand: 2004, §17 BImSchG, Rn.95. Zu beachten ist außerdem: Die Anwendung der traditionellen Verhältnismäßigkeitslehre wird insbesondere am Merkmal der Erforderlichkeit problematisch; aufgrund der enormen Defizite im Wissensstand lässt sich das Bestehen eines milderen Mittels nur schwerlich ermitteln. Um hier für eine verfassungsrechtliche Absicherung zu sorgen enthalten § 7 Abs. 2 und Abs. 3 BImSchG für den Bereich der Vorsorge nähere Angaben, hierzu H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 7, Rn. 18; § 7, Rn. 9 ff. 298 BVerwGE 69, 37, 45 im Anschluss an Sondergutachten März 1983 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen „Waldschäden und Luftverunreinigungen“, BT-Drucks. 10/113 Nr. 525 (S. 125). 299 BVerwGE 69, 37, 45. 300 BVerwGE 69, 37, 45. Hierzu A. Henke, Funktionaler Bodenschutz, 2003, S. 62 ff., 62 sowie W. Spoerr, JbUTR 1998, S.281 ff., insbes. 287: Ohne Konzeptierung drohten selektive Problemwahrnehmung, falsche Schwerpunktsetzungen, methodische Widersprüche und zu alldem die aufwendige Produktion einer letztlich nicht zu bewältigenden Datenmenge. 301 Zur Vorverlagerung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten und ihrer Verbindung mit einer Nivellierung und Verallgemeinerung der Maßnahmen R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 381 sowie R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 82 f. und H.-H. Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1989, S. 66. 296 297
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dualisiert der Vorsorgegrundsatz die Normstrukturen. 302 Die Anforderungen, die aus dem Vorsorgeprinzip an den einzelnen Anlagenbetreiber abzuleiten sind, lassen sich im Anschluss an die grundlegende Entscheidung zum Heidelberger Heizkraftwerk nicht mit Einzelentscheidungen normieren. 303 Es bleibt als Alternative für den Bereich des Vorsorgegrundsatzes nur die abstrakt-generelle Regelung von Umweltstandards. 304 Vorsorgepflichten wie jene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sind auf eine „konstitutive, allgemeingültige und somit rechtssatzmäßige Konstituierung angewiesen“. 305 Mit der Entscheidung zum Heidelberger Heizkraftwerk hat das Bundesverwaltungsgericht also zum einen die gesetzgeberische Zuordnung der Vorsorgenormierung zur Rechtsform der Rechtsverordnung gebilligt. Über die bloße Billigung hinaus wurde zum anderen das im Zusammenspiel von § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 1 BImSchG und der diese konkretisierenden 13. BImSchV vorgefundene Modell der Statuierung weitgezogener grundpflichtenbezogener Verordnungsermächtigungen zum Prototyp nachfolgender Normierungen. 306 Eine fast unmittelbare Folgewirkung der Entscheidung zum Heidelberger Heizkraftwerk war die Verankerung der konzeptgeleiteten Anlagensanierung im Gesetzestext durch das Zweite Gesetz zur Änderung vom 12.10.1985: 307 Die Bundesregierung wurde nunmehr in § 7 Abs. 2 BImSchG ermächtigt, zu bestimmen, inwieweit die Vorsorge-Anforderungen nach Ablauf bestimmter Übergangsfristen von Betreibern von Altanlagen erfüllt werden müssen. Die Orientierung auf das vorsorgerechtliche Konzeptierungsgebot in der Lesart des BVerwG kam in der Neuregelung dadurch zum Ausdruck, dass § 7 Abs. 2 BImSchG zunächst den schon nach §7 Abs. 1 BImSchG gegebenen Regelungsspielraum für den Verordnungsgeber bestätigte („inwieweit ... erfüllt werden müssen“), gleichzeitig aber dieser Regelungsspielraum durch eine differenzierte Ermächtigungsstruktur begrenzt wurde. 308 Durch die ausdrückliche Aufnahme in den Gesetzestext wurde der Stellenwert der zuvor in der Großfeuerungsanlagenverordnung bereits angewandten Programmatik der konzeptgeleiteten Anlagensanierung deutlich angehoben. 309 Ergänzt wurde dieses Sanierungskonzept in § 7 Abs. 3 und § 48
302 E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 114. 303 Hierzu F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S.316 ff.; H.D. Jarass, BImSchG, 5.Aufl. 2002, § 5, Rn. 42 f., 57 f. 304 So auch R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 536. 305 R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 536; H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 5, Rn. 46 ff. spricht von der „funktionalen Offenheit der Vorsorge“. 306 Vgl. L. Meinken, Emissions- versus Immissionsorientierung, 2001, S. 50 f. 307 BGBl. I 1985, 1950. 308 G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385, 388. 309 H. D. Jarass, NVwZ 1986, S. 607, 607; Anerkennung und Befürwortung der „Konzeptabhängigkeit“ als Wesensmerkmal des Vorsorgeprinzips nicht nur für das Immissionsschutzrecht, sondern für das gesamte Umweltrecht auch bei V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003, S. 42; R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 129; H.-H. Trute,
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Nr. 4 BImSchG durch die Ermächtigung zu einer verordnungsrechtlichen Kompensationsregelung. 310 Teil des 2. Änderungsgesetzes zum Bundesimmissionsschutzgesetzes war neben der Verstärkung der Vorsorge-Sanierung mit der Einführung des Reststoffvermeidungs- und Abwärmenutzungsgebots in den §§ 5 Nr. 3 und 4 BImSchG auch eine Ausdehnung der materiellen Vorsorgepflichten. § 5 Nr. 3 BImSchG wurde erweitert um die Pflicht, Reststoffe zu vermeiden. 311 In der Umsetzung der neu eingeführten Grundpflicht des § 5 Nr. 4 BImSchG sollten die Betreiber bestimmter genehmigungsbedürftiger Anlagen zur Abwärmenutzung verpflichtet werden, wozu eigens die Verordnungsermächtigung des § 5 Abs. 2 BImSchG geschaffen wurde. 312 Der Kreis der vorsorgeorientierten Rechtsverordnungen des Immissionsschutzrechts wurde im Anschluss an die Statuierung der Großanlagenfeuerungsverordnung Anfang der 1980er Jahre beständig erweitert. So dient etwa auch die 17. BImSchV über Verbrennungsanlagen für Abfälle 313 der Konkretisierung des Vorsorgeprinzips. 314 Die 22. BImSchV normiert der Vorsorge verpflichtete Grenzwerte für Schwefelstaub und Schwebestaub sowie einen Grenzwert für Bleigehalt in der Luft. 315 Derartige Grenzwerte waren ursprünglich lediglich durch Verwaltungsvorschriften der TA Luft als Immissionsgrenzwerte festgesetzt worden; 316 die Überführung in die Rechtsform der Rechtsverordnung stellt sich dabei als Folge der EuGH-Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Umsetzung europarechtliche Vorgaben in Verwaltungsvorschriften dar. Die 25. BImSchV mit Vorsorgewerten für die Titandioxid-Industrie zur Begrenzung bestimmter staub- oder gasförmiger Stoffe für Anlagen nach dem Sulfat-Verfahren oder Chloridverfahren 317 erging ebenfalls in der Umsetzung einer EG-Richtlinie. 318 Auch die 27. BImSchV enthält Elemente des Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1988, S. 66 f.; F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 316 f. 310 Dies bedeutete eine gewisse Erweiterung des Regelungsspielraums des Verordnungsgebers gegenüber § 7 Abs. 1 und Abs. 2, vgl. G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385, 391. 311 Hervorhebung nicht im Normtext. 312 Die hierauf zu stützende Rechtsverordnung war also konstitutiv für die Umsetzung der neuen vierten Grundpflicht – und wurde dennoch nie erlassen; nachdem anstelle der Abwärmenutzungsverordnung mehrfach Absprachen mit der Industrie erfolgt waren, wurde die Ermächtigung des § 5 Abs. 2 schließlich aufgehoben, vgl. G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385, 387. 313 Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe vom 23. November 1990, BGBl. I 2545, ber. 2832, neugefasst durch Bekanntmachung vom 14.8.2003, BGBl. I 1633. 314 Die Vorgaben waren verschiedentlich Gegenstand der Rechtsprechung. Nach BVerwG, NVwZ 1998, 1181 lassen die Emissionsgrenzwerte des § 5 der 17. BImSchV für Abfallverbrennungsanlagen zwar die generelle Anforderung unberührt, schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden; werden sie aber eingehalten kommt darüber hinaus eine Einzelfallprüfung nach Nr. 2.2.1.3 TA Luft nur ganz ausnahmsweise in atypischen Sonderfällen in Betracht. 315 22. BImSchV vom 26. Oktober 1993, BGBl. I 1819, aktuell in der Fassung v. 11.9.2002, BGBl. I 3626, geändert durch Verordnung vom 13.7.2004, BGBl. I 1812. 316 Nr. 2.5.1 TA Luft vom 27. Februar 1986, GMBl. 1986, 95. 317 25. BImSchV idF v. 8.11.1996, BGBl. I, 1722. 318 Richtlinie 85/203/EWG vom 7. März 1985, ABl.L 87/1. Vgl. dazu E. Kutscheidt, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 437, 443.
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vorsorgenden Umweltschutzes. 319 In der Umsetzung des Konzeptierungsgebots, wie es das BVerwG am Immissionsschutzrecht entwickelt hat, zeigt sich also beispielhaft, in welcher spezifischen Weise in der Juridifizierung des Vorsorgegebots die Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung zum Einsatz gebracht wird. c) Anwendungsvariante: Die Umsetzung des Vorsorgegebots durch Rechtsverordnungen nach dem Gentechnikgesetz – Rechtsverordnungen als Teil einer Rechtsetzungsstruktur mit experimentellem Charakter und Innovationsimplikationen Sowohl das Recht der Gentechnik als auch das Immissionsschutzrecht lassen sich in einer Grobeinteilung dem Spektrum des Risikoverwaltungsrechts zuordnen. 320 Trotz dieser Gemeinsamkeit weist das Recht der Gentechnik eine vom Immissionsschutzrecht deutlich abweichende Regelungsstruktur auf. 321 Unterhalb der sowohl im Gentechnikgesetz als auch im Bundesimmissionsschutzgesetz als gebundene Genehmigung ausgestalteten Anlagengenehmigung dominieren im Gentechnikgesetz Elemente in der Nähe von „Trial and Error“-Konzeptionen und die positivierte Inbezugnahme institutionalisierter außerparlamentarischer Wertungen, 322 namentlich der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS). 323 Die gesetzgeberische Entscheidungsschwäche ist im Gentechnikrecht Programm. Dies kommt bereits in der janusköpfigen Zweckbestimmung des § 1 GenTG zum Ausdruck, nach welcher der Gesetzeszweck sowohl darauf gerichtet ist, (1.) „Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen“ als auch (2.) „den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen“. Dieser zweite Teil der Zweckbestimmung bringt die starke Orientierung des Gentechnikgesetzes und seiner 319 Dazu und zu einzelnen Inhalten weiterer vorsorgebezogener Verordnungen des Immissionsschutzrechts H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 464. 320 Die Entfaltung des Begriffs der „Risikoverwaltung“ in der Rechtswissenschaft geht wesentlich auf Udo Di Fabio zurück, vgl. dens., Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, insbes. S. 5 mit Fn. 18 f.; eingehend zur Begriffsbestimmung und -abgrenzung A. Scherzberg/ O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S.214 ff.; S. 264 ff. sowie W. Kahl, DVBl. 2003, S.1105 ff. 321 A. Karthaus, Risikomanagement durch ordnungsrechtliche Steuerung, 2001; M. Kapteina, Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2000; S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2002; M. Schröder, Gentechnikrecht in der Praxis, 2001; Ch. Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, 2000; J. Lege, in: Technikumsteuerung als Rechtsproblem, 2002, S. 67, 74 ff. 322 Vgl. I. Appel, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 327, 336 ff. 323 Näher zur ZKBS nachfolgend unter II., 3., d) sowie eingehend S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, S. 68 ff.; P. Mesenburg, Erosion staatlicher Vollzugsbefugnisse im Gentechnikrecht, 2003.
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Rechtsverordnungen auf die sukzessive Integration wissenschaftlich-technischer Innovationen zum Ausdruck. 324 Diese vom Immissionsschutzrecht abweichende Regelungsstruktur hat ihren Grund in der veränderten Wahrnahme des Regelungsgegenstandes seitens des Gesetzgebers, 325 beginnend mit der Herauslösung der Genehmigung gentechnischer Anlagen aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen wird in seiner Ungewissheitsdimension als qualitativ andersartig eingestuft. 326 Die Ungewissheit wird als weit umfassender, jegliches Handeln des Staates wie beteiligter Privater als von vorneherein mit kognitiven Defiziten behaftet wahrgenommen. 327 Die Neuartigkeit der Schadensverläufe wird darin gesehen, dass die potentiell schädlichen Auswirkungen gentechnisch veränderte Organismen durch die Möglichkeit zur Mutation, Konjunktion und Multiplikation bei der Fortpflanzung und damit der Erzeugung von Mutationen in Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und sogar Menschen, ein extrem hohes Ausmaß erreichen. 328 Ob ein Herabsetzen der Grenzwerte auch das Risiko proportional mindern würde, wird auf Grund der Wissensdefizite als offen angesehen. 329 Das dem Atomgesetz, dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Chemikaliengesetz zugrunde liegende 324 Zur gesetzgeberischen Verarbeitung innovativer, in Wirkung und Folgen ungewisser Anlagen, Stoffe oder Produkte und zur „Umstellung der Risikosteuerung auf wissensgenerierende administrative Verfahren“ A. Scherzberg, in: VVDStRL 63 (2004), S. 214, 237 f. 325 K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 208 f. zu Abstufungen in den Ungewissheitsdimensionen einzelner Technologien, insbesondere bei Atom- und Gentechnologie und ihrem Verlust in einem übergeordneten Risikobegriff. 326 Zur qualitativen Neuartigkeit des Regelungsgegenstandes des Gentechnikrechts J. Lege, in: Technikumsteuerung als Rechtsproblem, 2002, S.67, 68: Das herausfordernd Neue sei wohl zweierlei: Zum einen verschwämmen in der Gentechnik in besonderer Weise Natur, Wissenschaft und Technik; zum anderen ermögliche die Gentechnik eine Beschleunigung der Evolution; vgl. auch G. Winter/M. Lemke, Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen, 2001 und die aufschlussreiche Fallstudie zur Wandel der Risikoerkenntnis am Beispiel der „Grünen“ Gentechnik bei S. Böschen/Ch. Lau/A. Obermeier/P. Wehling, in: Entgrenzung und Entscheidung, 2004, S. 123, 130 ff. 327 Hierzu F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 161 ff., die wesentliche Motive des Gesetzgebers nachzeichnet: Die rechtlich relevanten Besonderheiten der Gentechnik seien insbesondere die Schwierigkeiten der Verfolgbarkeit freigesetzten gentechnisch veränderten Materials, dessen unkontrollierte Ausbreitung über die Vielfalt der Transportwege durch praktisch alle Umweltmedien, die Möglichkeit der Veränderung der genetischen Information und Entwicklung pathogener Eigenschaften sowie der bei unerwünschten Auswirkungen pathogener Viren zu beobachtende Langzeiteffekt (S. 163). Diese Besonderheiten bewirkten, dass die im Rahmen konkreter Arbeiten ausgelösten Folgen und Ursachenzusammenhänge im Einzelnen häufig weder ex ante noch ex post ermittelt werden können (S. 163). 328 Hierzu die Darstellung bei S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2002, S. 40 ff. 329 G. Winter, KJ 1991, S. 18, 22 ff.; K.-H. Ladeur, NuR 1987, S. 60, 64; W. Graf Vitzthum/ T. Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 80; SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 75 f.
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„Grenzwertmodell“ sei auf die Bewertung von biologischen Risiken demzufolge nicht sinnvoll übertragbar. 330 Dem Gesetzgeber erscheint demnach eine Differenzierung zwischen Anforderungen auf der Ebene der Gefahrenabwehr 331 und der Vorsorge 332 wie im Immissionsschutz- und Atomrecht als nicht praktikabel. Die einfache Vorverlagerung der Eingriffsschwelle nach den Modellen der Grenzwertbestimmung mit Sicherheitszuschlägen 333 oder der Verpflichtung der Anlagenbetreiber zur verhältnismäßigen Reduzierung der Emissionen unterhalb bestimmter Grenzwerte334 wird als unzureichend angesehen. 335 Dieses veränderte Verständnis korrespondiert der oben skizzierten Ablösung des tradierten dreistufigen Risikobegriffs durch eine neue zweistufige Risikokonzeption, 336 die ein großer Teil der Rechtswissenschaft Anfang der 1990er Jahre vollzogen hatte. 337 Das Gentechnikgesetz zeigt, wie sich die Umorientierung und Ausweitung des staatlichen Regelungsanspruchs auf die Vorsorge gegenüber möglichen Umweltbeeinträchtigungen unter Ungewissheitsbedingungen auf die Gesetz- und Verordnungsgebung des Umweltrechts auswirkt. 338 Der Gesetzgeber rückt die Aspekte der konzeptgeleiteten Risikonormierung in den Hintergrund. Je mehr es um innovative, in Wirkung und Folgen ungewisse Anlagen, Stoffe oder Produkte gehe, desto weniger wird versucht, mit abstrakten Vorgaben des Sicherheitsniveaus die Risikoentscheidung zu determinieren. Die Risikosteuerung wird auf wissensgenerierende administrative Verfahren delegiert. 339 Der Prozess der Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips wird also im Gentechnikrecht ergänzt um die Aufnahme von Innovationszielen. 340 Leitvorstellung des Gentechnikgesetzes ist dabei das einer „staatlichen Vorsichtsordnung, die um ihre eigenen Defizite weiß, und F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 207. Vgl. in § 1 Abs. 1 1. Hs. BImSchG den Passus „Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen“. 332 Vgl. die Formulierung „dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorbeugen“ in § 1 Abs. 1 2. Hs. BImSchG. 333 So etwa in §§ 28 Abs. 3, 45 Abs. 1 Strahlenschutzverordnung; hierzu R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 196 ff. 334 So das Konzept der §§ 28 Abs. 1, 46 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV, 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. 335 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 135; K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 212. 336 Einordnung des Risikomodells des Gentechnikgesetzes als „zweistufiges-synergetisches Risikokonzept“ bei S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, S. 89 ff.; I. Appel, NuR 1996, S. 227, 231 ff. 337 Hierzu nochmals O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 266 ff. 338 Schon § 1 Nr. 1 GenTG spricht davon, dass die genannten Schutzgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen sind. 339 A. Scherzberg, in: VVDStRL 63 (2004), S. 214, 245 f. 340 Zur Verbindung von Innovationsintention und Rechtsstrukturen vgl. H.-J. Koch, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 273 ff.; W. Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 33 (2000), S.155 ff.; ders./E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994; J. Karstens, in: Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 50 ff. 330 331
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
die wissenschaftliche und technische Erfahrungsgewinne in Forschung und Produktion stufenweise beobachten und wenn nötig kontrollieren will“. 341 In der normativen Umsetzung dieser Leitvorstellung hat der Gesetzgeber das Gentechnikgesetz nur in geringem Maße mit materiellen Vorgaben versehen. 342 Statt dessen wurden zahlreiche Verordnungsermächtigungen statuiert; je nach Zählweise finden sich derzeit innerhalb der nur 42 Paragrafen des Gentechnikgesetzes zwischen 12 und 16 Verordnungsermächtigungen. 343 Auf deren Grundlage sind zwischenzeitlich zahlreiche Rechtsverordnungen ergangen, so die ZKBS-Verordnung, 344 die Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 345 die Gentechnik-Sicherheitsverordnung, 346 die Gentechnik-Anhörungsverordnung, 347 die Gentechnik-Verfahrensverordnung, 348 die Bundeskostenverordnung zum GenTG 349, die Gentechnik-Beteiligungsverordnung 350 und die Gentechnik-Notfallverordnung. 351 Das deutsche Gentechnikrecht ist U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 117 ff., 119. Zum gesetzgeberischen Einsatz der Regelungstechnik unbestimmter Rechtsbegriffe als Folge der Analyse von Wissensdefiziten und weitergehend zur Folgewirkung der Verlagerung von Ungewissheit beim Gesetzgeber auf Ungewissheit beim Rechtsanwender W. Berg, ZLR 1993, S. 455, 456 ff.; ders., Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S. 140 ff., 306 f. 343 Verordnungsermächtigungen bestehen in §2 Abs.2, §4 Abs.4; (§4 Abs.4 S.2), §6 Abs.3, § 7 Abs. 1, § 7 Abs. 2, § 14 Abs. 4, § 16 Abs. 6, § 18 Abs. 2, § 18 Abs. 3, § 24 Abs. 2, § 29 Abs. 4, § 30 Abs. 1, § 30 Abs. 2, § 36 Abs. 1 S. 1, § 36 Abs. 1 S. 2 GenTG. A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 321 mit Fn. 93 zählt 13 Ermächtigungsbestimmungen, die sich auf über 40 Einzelpositionen bezögen. Teilweise werden weitaus mehr Verordnungsermächtigungen gezählt, so geht etwa R. Lukes, DVBl. 1990, S. 273, 274 im Blick auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 11/5622 von „rund 50 Verordnungsermächtigungen“ aus. 344 Verordnung über die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit v. 30.10.1990, BGBl. I, 2418; neugefasst durch Bekanntmachung vom 5.8.1996, BGBl. I 1232; zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.3.2004, BGBl. I 454. 345 Verordnung über Aufzeichnungen bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken oder zu gewerblichen Zwecken v. 24.10.1990, BGBl. I 2338, in der Fassung der Bekanntmachung v. 5.8.1996, BGBl. I 1232, zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.8.2002, BGBl. I 3220. 346 Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen vom 24.10.1990, BGBl. I 2340; neugefasst durch Bekanntmachung vom 14.3.1995, BGBl. I 297; zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.3.2004, BGBl. I 454. 347 Gentechnik-Anhörungsverordnung v. 24.10.1990, BGBl.I 2375, idF v. 4.11.1996 (BGBl.I 1649), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.10.2001, BGBl. I 2702. 348 Verordnung über Antrags- und Anmeldeunterlagen und über Genehmigungs- und Anmeldeverfahren nach dem GenTG (Gentechnik-Verfahrensverordnung) v. 24.10.1990, BGBl. I 2378, neugefasst durch Bekanntmachung vom 4.11.1996, BGBl.I 1657, zuletzt geändert durch Gesetz v. 16.8.2002, BGBl. I 3220. 349 Bundeskostenverordnung idF vom 24. Juni 1996, BGBl. I 1416. 350 Verordnung über die Beteiligung des Rates, der Kommission und der Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Verfahren zur Genehmigung von Freisetzungen und Inverkehrbringen sowie im Verfahren bei nachträglichen Maßnahmen nach dem Gentechnikgesetz in der Fassung vom 17.5.1995, BGBl. I 733. 341 342
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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damit in seinen Grundstrukturen Verordnungsrecht. 352 Der umfassende Einsatz von Rechtsverordnungen beruht auf den spezifischen Erwartungen des Gesetzgebers an die Leistungsfähigkeit dieser Rechtsetzungsform im Bereich der Rezeption wissenschaftlich-technischer Innovationen. Dies kommt in der Regierungsbegründung zum Entwurf des Gentechnikgesetzes deutlich zum Ausdruck, wo erklärt wird: „Ein großer Teil des materiellen Inhalts soll bewusst einer Regelung unterhalb der Gesetzesebene überlassen bleiben, damit eine gebotene Anpassung an den sich schnell weiterentwickelnden Stand von Wissenschaft und Technik möglichst rasch erfolgen kann.“ 353 Der Gesetzgeber will eine dynamische Ausgestaltung der Rechtsetzungsstruktur, um das fortschreitende Risikowissen möglichst schnell rechtlich zu fassen. 354 Das Zusammenwirken von flexiblen Gesetzesvorgaben und prozeduralen Rechtsverordnungen wird als taugliches Instrumentarium angesehen, den Möglichkeiten „perverser Effekte“ und nicht-intendierter Folgen begegnen zu können, die mit der Umsetzung gutgemeinter Reform- und Regulierungsabsichten verbunden sein können. 355 Dabei bestand bereits im Rahmen der Vorarbeiten zum Gesetzesentwurf Klarheit über die regelungstechnischen Konsequenzen dieses Ansatzes, die dahin gehen, dass das Gentechnikgesetz ohne das nachfolgende Verordnungssystem ein vollzugsunfähiger Torso bleibt. 356 Unter den Rechtsverordnungen des Gentechnikgesetzes ist die Gentechnik-Sicherheitsverordnung von der materiell größten Bedeutung. 357 Die GenTSV regelt sowohl die Einordnung von Anlagen oder Arbeiten in eine der vier Risiko-Sicherheitsstufen gem. § 7 GenTG, 358 als auch die untergesetz351 Verordnung über die Erstellung von außerbetrieblichen Notfallplänen und über Informations-, Melde- und Unterrichtungspflichten in der Fassung vom 10.10. 1997, BGBl. I 2882. 352 Vgl. zur Kritik des Gentechnikgesetzes aus gesetzestechnischer und verfassungsrechtlicher Sicht U. Riedel/M. Führ/B. Tappeser, KJ 1989, S. 349 ff.; R. Lukes, DVBl. 1990, S. 273 ff. sowie die Stellungnahme des Bundesrates BR-Drs. 387/3/89; BT-Drs. 11/5622, S. 40 und die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, BT-Drs. 11/6778 v. 27.3.1990. 353 Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs (zu §26), BT-Drs.11/5622, S.31; ähnlich bereits ebd., S. 21: „Im Interesse einer flexiblen Anpassung an die rasche Entwicklung und den sich verändernden Stand von Wissenschaft und Technik im Bereich der Gentechnik werden die konkreten organisatorischen und technischen und biologischen Sicherheitsmaßnahmen weitgehend durch Rechtsverordnungen festgelegt und durch Verwaltungsvorschriften ergänzt, die Anpassungsänderungen leichter zugänglich sind.“ 354 R. Huth, Gentechnik und Umweltrechtskodifikation, 2001, S. 143; A. Scherzberg, VerwArch 84 (1993), S. 484, 498. 355 So R. Hasse, in: Risiko und Regulierung, 1997, S. 70, 72 mit Blick auf die Aufgaben der ZKBS bei der Verordnungsgebung, hierzu nachfolgend unter 1. Teil, II., 3., d). 356 Bereits in der Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf wurde ausgeführt, das Gesetz sei ohne konkretisierende Rechtsverordnungen nicht vollziehbar, BT-Drs. 11/5622, S. 39. 357 Dazu U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S.123; zur Risikoermittlung und Risikobewertung nach dem Konzept der Gentechnik-Sicherheitsverordnung I. Appel, NuR 1996, S. 227, 232 ff. 358 Die Einordnung in eine der vier Sicherheitsstufen nach §7 GenTG ist insoweit entscheidend für die rechtlichen Anforderungen an eine gentechnische Arbeit, als in §11 Abs. 1 Nr. 4 GenTG unmittelbar die Einhaltung der Anforderungen der jeweiligen Sicherheitsstufe voraus-
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
liche Ausgestaltung 359 der Sicherheitsbedingungen 360 jeder Sicherheitsstufe. 361 Die Zuordnung einzelner Arbeiten zu jeweiligen Sicherheitsstufen und damit die Normierung der Determinanten der Anlagen- und Arbeitsgenehmigungen erfolgt vollständig auf der Ebene der Gentechnik-Sicherheitsverordnung. Diese erst macht das Gesetz vollzugsfähig. 362 Der ungewissheitsspezifische Einsatz der Rechtsverordnung im Gentechnikrecht ist in der Literatur nicht ohne Kritik geblieben. Problematisiert wird die „vergleichsweise hohe Stabilität“ der Rechtsverordnung, insbesondere bei Ausfallen der durch den Verordnungsgeber vorzunehmenden Anpassung des Regelwerks an den Stand der Wissenschaft. Wenn der wissenschaftliche Erkenntnisprozess erkennbar über den in einer Verwaltungsvorschrift festgeschriebenen Standard hinausgehe, könnten die Gerichte Einzelinhalte der Verwaltungsvorschrift selbst flexibel anpassen, während bei einer Rechtsverordnung mit Eintritt der Rechtsfolge der Nichtigkeit für Gegesetzt wird. Im Rahmen der Genehmigungsentscheidungen nach § 16 fließt die Einordnung über die „nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen“ (§ 16 Abs. 1 Nr. 2) bzw. die „nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbaren schädlichen Einwirkungen“ (§ 16 Abs. 2) ein. 359 Die gesetzlichen Vorgaben des § 7 Abs. 1 GenTG für die Einordnung in die einzelnen Sicherheitsstufen bleiben dabei vage; vorgegeben wird lediglich die Differenzierung danach, ob „kein“ (Sicherheitsstufe 1), ein „geringes“ (Sicherheitsstufe 2), ein „mäßiges“ (Sicherheitsstufe 3) bzw. ein „hohes Risiko“ (Sicherheitsstufe 4) vorliegt. Kritisiert wird hinsichtlich der Vagheit der gesetzlichen Vorgaben an den Verordnungsgeber auch der inkonsistente und Gebrauch der Begriffe Risiko und Gefahr; vgl. R.-D. Drescher, ZUR 1994, S. 289 ff. 360 Die Sicherheitseinstufung gentechnischer Arbeiten erfolgt nach §§4 bis 7 GenTSV. Das nach § 4 GenTSV zu beachtende Gefährdungspotential von Spender- und Empfängerorganismus ergibt sich nach § 5 Abs. 1 GenTSV aus Anhang I Nr. 1 der Verordnung, das Gefährdungspotential der gentechnisch veränderten Organismen durch Bewertung der allgemeinen Kriterien nach Anhang I Nr. 2 bis 4. Nach § 5 Abs. 6 GenTSV veröffentlicht das Bundesministerium für Gesundheit regelmäßig eine Liste mit Legaleinstufungen von Mikroorganismen nach geltendem EG-Arbeitsschutzrecht sowie von Organismen, die den Risikogruppen nach den allgemeinen Kriterien gemäß Absatz 1 S. 1 zugeordnet wurden. Diese Beispiellisten ergingen vor 1995 in der Form der Rechtsverordnung, vgl. die Erste Verordnung zur Änderung der Gentechnik-Sicherheitsverordnung vom 14.3.1995, BGBl. I 285; Bekanntmachung der Neufassung der Gentechnik-Sicherheitsverordnung, aaO, S. 297 ff. Dazu und zu den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Problemen R. Huth, Gentechnikrecht und Umweltrechtskodifikation, 2001, S. 153, 155 f. In §§ 8 bis 13 ist der zweite Schwerpunkt der Gentechnik-Sicherheitsverordnung geregelt, d. h. die Regelung der in den einzelnen Stufen zu beachtenden Sicherheitsmaßnahmen, vgl. R. Huth, aaO, 2001, S. 151. Nach § 8 Abs. 2 hat der Betreiber einer gentechnischen Anlage die erforderlichen Maßnahmen nach der GenTSV sowie die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um eine Exposition der Beschäftigten und der Umwelt gegenüber dem GVO so gering wie möglich zu halten. 361 In § 8 Abs. 1 GenTSV wird, wer gentechnische Arbeiten durchführen lässt, im Hinblick auf den Schutz der Beschäftigten zur Ermittlung und Beurteilung möglicher Gefahren verpflichtet. Hierin kann man ein Instrument der Innovationsförderung erblicken, vgl. R. Huth, Gentechnik und Umweltrechtskodifikation, 2001, S. 151. 362 Die Herstellung der Vollzugsfähigkeit auf Verordnungsebene entspricht dem Willen des Gesetzgebers, vgl. BT-Drs. 11/5622, S. 39.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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richte und Verwaltung die gesetzliche Regelung entfalle. 363 Als vorzugswürdige Alternative zur verordnungsrechtlichen Regelung werden vor diesem Hintergrund Verwaltungsvorschriften in ihrer Funktion als „Experimentalnorm mit eingeschränkter Bindungswirkung“ empfohlen. 364
d) Das Zustandekommen der Rechtsverordnungen im Bereich des Vorsorgeprinzips und die funktionalen Äquivalenzen Im Bereich der Vorsorgenormierung bringt der Gesetzgeber die Rechtsform der Rechtsverordnung also auf verschiedene Weise zum Einsatz. Am Beispiel der vorsorgekonzipierenden Rechtsverordnungen des Immissionsschutzrechts einerseits und der auf Wissensgenerierung verpflichteten Rechtsverordnungen des Gentechnikrechts andererseits konnte gezeigt werden, dass sich unterschiedliche technologische und kognitive Voraussetzungen in einzelnen Rechtsgebieten und deren divergierende politische Bewertung im Aufgabenprofil der einschlägigen Rechtsverordnungen systemprägend niederschlagen. Die verdeutlichten Regelungsdivergenzen innerhalb der Vorsorgenormierung finden auch in der Ausgestaltung des Verfahrens der Verordnungsgebung ihren Ausdruck. Die (auch) auf das Vorsorgeprinzip ausgerichteten Verordnungsermächtigungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wie insbesondere § 7 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 und 3 BImSchG statuieren zunächst Beteiligungsrechte zugunsten des Bundesrates. 365 Weiterhin wird etwa die Ermächtigung zur Festsetzung von Emissionsgrenzwerten in § 7 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG von der Vorschrift des § 48 b BImSchG erfasst und unterliegt insoweit Ablehnungs- und Änderungsbefugnissen des Bundestages. 366 Schließlich wird auch im Erlassverfahren von Rechtsverordnungen zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips die Anhörung der beteiligten Kreise erforderlich. 367 Demgegenüber weist der Verordnungsgebungsprozess nach dem Gentechnikgesetz eine andere Schwerpunktsetzung auf. Zunächst unterliegt auch hier der weit überwiegende Teil der Rechtsverordnungen dem Erfordernis der Zustimmung des 363 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 125 mit Blick auf das Gentechnikrecht und insbesondere die Gentechnik-Sicherheitsverordnung. 364 U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S.345, zustimmend E. SchmidtAßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 494. Anderer Ansicht zur Flexibilität von Rechtsverordnungen ist etwa K. Berendes, ZfW 1996, S. 363, 368: Eine Rechtsverordnung könne mit unbestimmten Rechtsbegriffen operieren und so flexibel sein, wie dies von der Sache her geboten erscheint, so etwa durch Muss-, Soll- oder Kann-Vorschriften oder die Einräumung von Ermessenentscheidungen. In diese Richtung auch das Ergebnis der Behördenbefragung zum Problemkreis fallbezogener Entscheidungsspielräume bei G. Lübbe-Wolff, JbUTR 2000, S. 73 ff. Eingehend zum Problem mit weiteren Nachweisen 4. Teil, IV., 1., c). 365 Vgl. den Zustimmungsvorbehalt in § 7 Abs. 1 BImSchG. 366 Hierzu bereits mit näheren Nachweisen vorhergehend 1. Teil, II., 1., c). 367 Vgl. etwa den Verweis des § 7 Abs. 1 BImSchG auf § 51 BImSchG; vgl. 1. Teil, II., 1. c).
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Bundesrates. 368 Jedoch finden sich in der aktuellen Fassung keine verordnungsspezifischen Mitwirkungsrechte des Bundestages, nachdem die ehemals in §40 GenTG enthaltene Ablehnungs- und Änderungsbefugnis369 bereits mit der ersten Novelle zum Gentechnikgesetz im Jahr 1993 aufgehoben worden war. 370 Eine fundamentale Neuerung gegenüber der bisherigen Umweltgesetzgebung bedeutet die Statuierung der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS). 371 Nach der Aufgabenzuschreibung des § 5 GenTG obliegt der ZKBS 372 die Prüfung und Beratung sicherheitsrelevanter Fragen nach den Vorschriften des Gentechnikgesetzes, 373 die Abgabe diesbezüglicher Empfehlungen sowie die Beratung der Bundesregierung und der Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik. 374 Zudem ist die ZKBS verpflichtet, einen jährlichen Arbeitsbericht an die Öffentlichkeit abzugeben, § 5 S. 3 GenTG. 375 Die Zusammensetzung der Kommission ist in § 4 Abs. 1 GenTG und der auf § 4 Abs. 4 GenTG gestützten ZKBS-Verordnung 376 detailliert geregelt: Nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GenTG gehören der ZKBS zehn Sachverständige verschiedener Fachrichtungen an, zu diesen tritt nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GenTG je eine sachkundige Person aus den Bereichen der Gewerkschaften, des Arbeitsschutzes, der Wirtschaft, des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes und der forschungsfördernden Organisationen hinzu. 377 Die Berufung der ehrenamtlichen Kommissionsmitglieder erfolgt nach § 4 Abs. 2 GenTG durch 368 Ausnahmen etwa in § 24 Abs. 2 GenTG (Ermächtigung zur Bundeskostenverordnung zum Gentechnikgesetz), § 36 Abs. 1 S. 2 GenTG (Festsetzung der Deckungsvorsorge). 369 Vgl. zur ratio dieser Norm die Ausschussberatungen in BT-Drs. 11/5622, S. 39. 370 Zu § 40 GenTG a. F. die Darstellung bei G. Hirsch/A. Schmidt-Didczuhn/E.-L. Winnacker, Gentechnikgesetz, 1991, § 40, Rn. 1 ff. 371 Aus der neueren Literatur zur Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit P. Mesenburg, Erosion staatlicher Vollzugsbefugnisse im Gentechnikrecht, 2003; A. Karthaus, ZUR 2001, S. 61 ff.; Ch. Tünnesen-Harmes, Risikobewertung im Gentechnikrecht, 2000, S. 216 ff.; S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, S. 68 ff. sowie BTDrs. 14/6763, S. 16 ff. 372 Zur Rechtsnatur der ZKBS als „teilrechtsfähige Verwaltungsstelle mit verbandsmäßiger Struktur“ mit weiteren Nachweisen S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, S. 75 mit Fn. 404 f. 373 Vorher bestand die ZKBS bereits auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften, seit 1978 auf der Grundlage der Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren, BAnz Nr. 56 v. 21.3.1978, S. 3 ff. Die Errichtung und Aufgabenzuweisung in der Form des Gesetzes wird in der Literatur als gesetzgeberische Reaktion auf Kritik an der fehlenden Legitimation außerstaatlicher Expertengremien verstanden, so von R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 493. 374 Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen über die ZKBS F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt und Gentechnikrecht, 1995, S. 183 f., S. 192 ff. sowie G. Winter, KJ 1991, S. 18 ff.; U. Riedel/M. Führ/B. Tappeser, KJ 1989, S. 349, 352 f., 357 f. 375 R. Wahl, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, §§ 4, 5 GenTG, Rn. 33. 376 Verordnung über die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit v. 30.10.1990, BGBl. I, 2418; neugefasst durch Bekanntmachung vom 5.8.1996, BGBl. I 1232; zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.3.2004, BGBl. I 454. 377 Näher S. Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, S. 69 f.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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das Gesundheitsministerium, das sich darüber mit verschiedenen weiteren Ministerien ins Benehmen zu setzen hat. 378 Auch am Zustandekommen der Rechtsverordnungen nach dem GenTG ist die ZKBS beteiligt, wodurch sie ihre „Schlüsselrolle für die Konkretisierung und den Vollzug des Gentechnikgesetzes“ 379 erlangt. Zahlreiche Ermächtigungsnormen stellen den Verordnungserlass unter den Vorbehalt der vorherigen Anhörung der ZKBS, so § 6 Abs. 3 GenTG (Ermächtigung zur Regelung der Einzelheiten über Form und Inhalt der Aufzeichnungspflichten im Rahmen gentechnischer Arbeiten und Freisetzungen), § 30 Abs. 1 GenTG (Verantwortlichkeit und erforderliche Sachkunde des Projektleiters einer gentechnischen Arbeit) und § 30 Abs. 2 GenTG (nähere Bestimmungen zur Durchführung gentechnischer Arbeiten). Die Verordnungsgebung nach dem GenTG kennt neben der Anhörung der ZKBS keine weiteren Beteiligungsformen wie etwa die aus § 51 BImSchG oder § 60 KrW-/AbfG bekannte Anhörung der „beteiligten Kreise“, weswegen diese über ein „Anhörungsmonopol“ 380 beim Erlass von Rechtsverordnungen 381 verfügt. 382 Die materiell weitreichendste Mitwirkungskompetenz wird der ZKBS durch § 7 Abs. 1 S. 2 GenTG vermittelt. Hiernach hat die Bundesregierung die Kommission vor Erlass der Rechtsverordnung zur Risikoeinstufung einzelner gentechnischer Arbeiten in die Sicherheitsstufen 1–4 (Gentechnik-Sicherheitsverordnung) anzuhören, die als wichtigste Verordnung 383 zum Gentechnikgesetz gilt. In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit darüber, dass die Stellungnahmen und Empfehlungen der ZKBS keine rechtliche Bindungswirkung besitzen. 384 Dies belegt bereits der klare Wortlaut der Beteiligungsvorschriften, die im Vorfeld des Verordnungserlasses von 378 Die Mitglieder der Kommission werden gem. §4 Abs. 2 GenTG vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Bildung und Forschung, für Arbeit und Sozialordnung, für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Wirtschaft und Technologie für die Dauer von drei Jahren berufen, wobei eine Wiederberufung zulässig ist. 379 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 490. 380 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 493 unter Bezugnahme auf VG Freiburg, ZUR 2000, 216 ff. Das „Anhörungsmonopol“ der ZKBS wird kritisiert von R.-D. Drescher, ZUR 1994, S. 289, 298. 381 Zwar kennt das GenTG neben der Anhörung der Kommission das an § 10 BImSchG angelehnte Anhörungsverfahren nach § 18 GenTG und der Gentechnik-Anhörungsverordnung. Dieses bleibt jedoch beschränkt auf Entscheidungen über Zulassungen für Errichtung und Betrieb gentechnischer Anlagen der Sicherheitsstufen 2, 3 und 4 zu gewerblichen Zwecken und findet keine Anwendung auf die Verordnungsgebung. 382 Kritik am Anhörungsverfahren nach § 18 GenTG übt R. Scholz, in: FS Sendler, 1991, S. 93, 105: Eine solche Öffentlichkeitsbeteiligung unterstelle auch die Freiheit der gentechnischen Forschung und Betätigung einem Popularvorbehalt, wie er vor allem mit der verfassungsrechtlichen Freiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG nur schwer zu vereinbaren sei. 383 Mit weiteren Nachweise zur Gentechnik-Sicherheitsverordnung vorhergehend 1. Teil, II., 3., c). 384 Statt vieler M. Reinhardt, NVwZ 2003, S. 1446, 1450.
8 Saurer
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
„Anhörung“ sprechen, 385 im Vorfeld von Einzelentscheidungen von „Empfehlungen und Stellungnahmen“, die zu „berücksichtigen“386 sind. 387 Abschließend ist ein Blick zu werfen auf die vorsorgespezifische Anwendung von Verwaltungsvorschriften. Dabei ergibt sich für das Immissionsschutzrecht eine partielle funktionelle Äquivalenz im Bereich der Festsetzung von Emissionsgrenzwerten, da sich auch in der TA Luft Vorsorgenormierungen finden. 388 „Was für Großfeuerungsanlagen im Verordnungswege (13. BImSchV) geregelt wurde, wurde für alle anderen luftverunreinigenden genehmigungsbedürftigen Anlagen durch die TA Luft geregelt.“ 389 Diesen Gleichklang beider Rechtsformen hatte die grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum vorsorgerechtlichen Konzeptierungsgebot gebilligt. 390 Im Gentechnikrecht ergeben sich funktionale Parallelen von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften insbesondere aus der pauschalen Ermächtigung des § 30 Abs. 5 GenTG, der die Bundesregierung zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Gentechnikgesetzes und auf seiner Grundlage ergangener Rechtsverordnungen ermächtigt. 391 Jedoch ist festzustellen, dass diese Ermächtigung in ihrer rechtspraktischen Bedeutung weit hinter jener der Verordnungsermächtigungen wie etwa §§ 7, 30 Abs. 1 und Abs. 2 GenTG zurücktritt. 392 Für das Gentechnikrecht in seiner Ausrichtung auf die Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips ist also die Annahme eines funktional äquivalenten Einsatzfeldes von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften nur in geringem Maße berechtigt. Dies ist zu einem nicht unwesentlichen Teil Konsequenz des Europarechts. 393
§§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 1, 30 Abs. 1, 30 Abs. 2 GenTG. §§ 11 Abs. 7 S. 1, 12 Abs. 5 S. 1, 16 Abs. 5 GenTG. 387 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen im Kontext der „bedeutenden faktischen Regelbindungswirkung der ZKBS“ vgl. M. Reinhardt, NVwZ 2003, S. 1446, 1450. Dieser weist zutreffend darauf hin, dass faktischer Zwang nicht verfassungsrechtlich irrelevant sei: Dies belege die Auslegung des Demokratieprinzips durch das BVerfG und den überwiegenden Teil der Rechtsprechung in Bezug auf sogenannte konsultative Volksbefragungen, deren verfassungsrechtliche Unzulässigkeit an der Unwiderstehlichkeit des faktischen Drucks festgemacht werde, dem sich die staatlichen Entscheidungsträger nur schwer entziehen könnten, ders., aaO, S. 1450 mit Fn. 59 u. 60. 388 V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003, S. 58 f. 389 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471. 390 BVerwGE 69, 37 (Heidelberger Heizkraftwerk). 391 § 30 Abs.5 GenTG: „Die Bundesregierung kann nach Anhörung der Kommission mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.“ 392 M. Reinhardt, in: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie, 2003, S. 19, 49 mit Fn. 128. 393 Eingehend zur Rechtssprechung des EuGH die Nachweise unter 1. Teil, II., 1., a) und nachfolgend 1. Teil, III., 1., a). 385 386
II. Funktionen der Rechtsverordnung
115
4. Raumbezogene Planung Im vorangegangenen Abschnitt wurde der Einsatz der Rechtsverordnung als Präventionsinstrument dargestellt. Skizziert wurden variierende Anwendungsfelder unter starker Konzeptorientierung im Immissionsschutzrecht einerseits und unter Betonung der Ausrichtung auf die Bewältigung von Ungewissheitsbedingungen und die Erzielung von Innovationsgewinnen im Gentechnikrecht andererseits. Auch der im Folgenden aufzuzeigende Einsatz der Rechtsverordnung als Rechtsform raumbezogener Planung 394 weist Vorsorgeelemente auf, ist jedoch darüber hinaus auch materiellen Zielen wie der Verbesserung der Infrastruktur und der regionalen Wirtschaftsstruktur verpflichtet. 395 Am Beispiel des Umweltrechts lassen sich verschiedene verordnungsrechtlich organisierte Felder der Raumplanung aufzeigen, insbesondere finden sich Ermächtigungsnormen zur Inschutznahme oder Sanierung bestimmter Gebiete. 396
394 Vgl. für einen Überblick zu umweltrelevanten Planungsvorgängen aus der Literatur J. Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995; W. Hoppe, NJW 1992, S. 1993 ff.; dens., in: VVDStRL 38 (1980), S. 211 ff.; W. Erbguth, Weiterentwicklung raumbezogener Umweltplanungen, 1984; dens./B. Wiegand, Landschaftsplanung als Umweltleitplanung, 1994; B. Schütze, Aufgaben und rechtliche Stellung der Landschaftsplanung im räumlichen Planungssystem, 1994; R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 64. 395 Vgl. § 1 Abs. 2 Raumordnungsgesetz: Dieser beschreibt die Leitvorstellung des Gesetzes als „eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt“. Dabei seien „1. die freie Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft und in der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen zu gewährleisten, 2. die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, 3. die Standortvoraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen zu schaffen, 4. Gestaltungsmöglichkeiten der Raumnutzung langfristig offen zu halten, 5. die prägende Vielfalt der Teilräume zu stärken, 6. gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen herzustellen, 7. die räumlichen und strukturellen Ungleichgewichte zwischen den bis zur Herstellung der Einheit Deutschlands getrennten Gebieten auszugleichen, 8. die räumlichen Voraussetzungen für den Zusammenhalt in der Europäischen Gemeinschaft und im größeren europäischen Raum zu schaffen“. 396 Vgl. zur über das Umweltrecht hinausweisenden Dimension der Rechtsverordnung als Planungsinstrument beispielsweise die Verordnungsermächtigungen in § 17 ROG zur Festlegung wichtiger Rahmenbedingungen des Raumordnungsrechts und Art.14 Abs. 3 des Landesplanungsgesetzes Bayern: Danach werden die im Landesentwicklungsprogramm enthaltenen Ziele der Raumordnung und Landesplanung von der Staatsregierung mit Zustimmung des Landtags als Rechtsverordnung beschlossen. Näher zu dem seit einer entsprechenden Gesetzesänderung im Jahr 1961 praktizierten Zusammenwirken von Staatsregierung und Bayerischem Landtag bei der Festlegung der verordnungsrechtlichen Inhalte des Landesentwicklungsprogramms L. Heigl/R. Hosch/U. Höhnberg, Raumordnung und Landesplanung in Bayern, Stand 4/2003, Art. 14 LPlG, Rn. 44 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
a) Die Rechtsverordnung als Instrument der raumbezogenen Planung Umweltspezifische Planungsinstrumente lassen sich in ihrer Ausrichtung auf den Umweltschutz als wenn nicht alleiniges, so doch vorrangiges Planungsziel abgrenzen 397 von anderen Planungsvorgängen, die zwar „umweltrelevant“ sind und auch das Einstellen von Umweltbelangen in die Abwägung erfordern, primär aber auf wirtschaftliche, verkehrspolitische oder infrastrukturelle Interessen ausgerichtet sind, wie etwa die Straßenplanung nach § 16 FStrG oder die Eisenbahnplanung nach § 18 AEG. 398 In der Rechtsform der Rechtsverordnung findet raumbezogene Planung 399 demgegenüber nicht zur Realisierung einzelner, regelmäßig in den Naturhaushalt eingreifender Vorhaben statt, sondern zur Absicherung raum- und schutzgebietsbezogener Konzeptionen. Deren vorrangiges politisches Ziel ist es, Lebensräume oder Belastungsreserven wiederherzustellen und für die Zukunft offenzuhalten. 400 Teilweise wird hier auch von „Ressourcenvorsorge“ oder der „bewirtschaftungsrechtlichen Variante des Vorsorgeprinzips“ gesprochen. 401 Die hier skizzierte Funktion der „raumbezogenen Planung“ fasst Erscheinungsformen der Verordnungsgebung zusammen, die jenseits des ihnen gemeinsamen Raumbezugs unterschiedliche Abwägungsstrukturen aufweisen. 402 So werden Planungsnormen erfasst, die als Gestaltungsnormen konkurrierende und/oder konfligierende Raumnutzungsansprüche im Sinne eines gerechten Ausgleichs zu bewältigen suchen, hierunter fallen etwa Verordnungen zum Landschafts- und Naturschutz. 403 Weiterhin werden gleichermaßen 397 Zu dieser Abgrenzung W. Erbguth, Weiterentwicklung raumbezogener Umweltplanungen, 1984, S. 85 f. 398 Zum Begriff der „räumlichen Umweltplanung“ sowie zur Abgrenzung gegenüber Fachplanung, Landschafts-/Raumplanung sowie Gesamtplanung vgl. W. Erbguth, aaO, S. 82 ff., 90; W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 7, Rn. 10; R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 8. 399 Vgl. für einen Überblick über weitere Aspekte des politischen und rechtlichen Phänomens der Planung W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1975, insbes. S. 46 ff., S. 113 ff. 400 E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 116. 401 Vgl. E. Rehbinder, NVwZ 2002, S. 657, 660; R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 74 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 116 und bereits unter 1. Teil, II., 3., a). 402 Zur dogmatischen Erfassung derartiger abweichender Abwägungsstrukturen vgl. M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 103 ff. 403 So etwa in den Konstellationen, die VGH BW NuR 1984, 26; 1985, 114; NVwZ 1985, 59; DÖV 1985, 161; NuR 1988, 191; 1991, 19; UPR 1992, 71; OVG Berlin, NVwZ-RR 1992, 406; OVG RP NVwZ 1985, 61; 1987, 231; OVG Lüneburg, NuR 1990, 281; VerfGH NW, NuR 1988, 136 zugrunde lagen; vgl. zu dieser Klassifizierung M. Gerhardt, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 107, der als weiteres Beispiel die Ausweisung von Standortplänen für Abfallbeseitigungsanlagen in Verordnungsform nennt wie in BVerwGE 81, 128, 132 ff.; vgl. zu textlichen Beispielen für die Vielgestaltigkeit und Bandbreite der Naturschutzverordnungen K. Meßerschmidt (Hrsg.), Bundesnaturschutzrecht I, Stand: 2004, Materialien zu § 13 BNatSchG, S. 1 ff.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Rechtsverordnungen erfasst, die zwar Planungselemente aufweisen, bei denen jedoch die Normstruktur des ermächtigenden Gesetzes jener der Ermächtigung zum Handeln nach Ermessen nahe kommt und wie etwa bei Rechtsverordnungen des Gefahrenabwehrrechts 404 bilaterale Konflikte zwischen den gegenläufigen Interessen des Gemeinwohls und der Normunterworfenen im Vordergrund stehen. 405 Schließlich fallen in diesen Bereich auch Rechtsverordnungen zum Schutz bestimmter Güter im öffentlichen Interesse, bei denen in Bezug auf die Schutzwürdigkeit des Objekts kaum Ermessen des Normgebers besteht und Normerlass sowie Normgestaltung regelmäßig kaum vernetzte Abwägungsanstrengungen erfordern, so etwa die Ausweisung von Wasserschutzgebieten, Bannwäldern oder Landschaftsbestandteilen. 406 Die gemeinsame Subsumtion unter die Funktion der „raumbezogenen Planung“ rechtfertigt sich aus der Aufgabe der Analyse und Typisierung der Aufgabenzuordnungen zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung. In der Konsequenz ergibt sich ein weites Verständnis des Begriffes der Planung. Der Bereich der räumlichen Umweltplanung ist von besonderer Relevanz für das Verhältnis von Bundes- und Landesrechtsetzung. Im weit überwiegenden Teil der Bundes-Umweltgesetze werden die Bundesregierung bzw. einzelne Bundesminister zur Verordnungsgebung ermächtigt. Der Bereich der räumlichen Umweltplanung bildet hier eine Ausnahme. Die räumliche Umweltplanung liegt fast ausschließlich in Länderhand und bildet demgemäß den faktischen Schwerpunkt der umweltspezifischen Landes-Verordnungsgebung. 407 Die Gründe für diesen Umstand liegen zum einen in der größeren Sachnähe der Landesbehörden, zum anderen darin, dass die für den Bereich der räumlichen Umweltplanung wesentlichen Rechtsgrundlagen des Naturschutzes und des Wasserrechts Gegenstände der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG sind. So aufschlussreich wie eindrucksvoll ist hierzu eine Aufstellung des Ministers für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein vom 2.7.2002. 408 Danach bestand das umweltrelevante Regelwerk auf Landesebene in Schleswig-Holstein aus 12 Gesetzen, 345 Verordnungen sowie 127 einschlägige Richtlinien und Verwaltungsvorschriften. 409 Unter den 345 umweltrelevanten Rechtsverordnungen entstammten 280 aus dem Bereich NaturVgl. F. Schoch, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 2, Rn. 271 ff. M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, §47, Rn.105. 406 M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 107. Zum Abwägungsvorgang bei der Ausweisung von Wasserschutzgebieten VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 296 sowie OVG Koblenz, NVwZ-RR 1990, 126; zum Abwägungsvorgang bei der Ausweisung eines Bannwaldes BayVGH, BayVBl. 1994, 718, zur Ausweisung eines Landschaftsbestandteils OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1994, 574. 407 Vgl. aber für ein Beispiel der umweltrelevanten Planung durch Bundesbehörden die Festlegung von Flugrouten gem. § 27 a LuftVO durch das Luftfahrt-Bundesamt, näher hierzu Ch. Alber, Rechtsschutz gegen Fluglärm, 2004, S. 134 ff. 408 Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten H. M. TodsenReese (CDU), Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 15/2009. 409 Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 15/2009, S. 2. 404 405
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
schutz, Fortwirtschaft und Jagd und 54 dem Bereich der Wasserwirtschaft. 410 Sowohl die naturschutz-, forstwirtschafts- und jagdrechtlichen Rechtsverordnungen 411 als auch jene aus dem Gebiet des Wasserrechts 412 beziehen sich wiederum zum weit überwiegenden Teil auf die Festlegung von Schutzgebieten. 413 Die Zuordnung von Maßnahmen der räumlichen Umweltplanung zur Rechtsverordnung zieht einigen dogmatischen Klärungsbedarf nach sich. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei der Schutzgebietsfeststellung aufgrund der Inbezugnahme eines bestimmten Raumes für bestimmte Ge- oder Verbote um einen Vorgang mit tendenziell konkretem Charakter handelt. 414 Eine Feststellung durch Verwaltungsakt etwa in der Form der Allgemeinverfügung wird teilweise als grundsätzlich denkbar und verfassungsrechtlich zulässig angesehen. 415 Demgegenüber ist für andere Autoren die abstrakt-generelle Regelung der Schutzgebietsfestsetzung zwingend.416 Da sich die Schutzanordnungen an einen unbestimmten Personenkreis wendeten und für eine Vielzahl künftiger Nutzungsfälle gälten, sei eine abstrakt-generelle Regelung notwendig. 417 Die mit einer Gebietsfestsetzung einhergehende Schutzanordnung wende sich an einen von vorneherein nur insoweit bestimmbaren Personenkreis, als es sich hierbei um alle jeweils situationsbedingt Betroffenen handelt. 418 410 Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 15/2009, S. 2, weiterhin wurden aufgeführt 6 Rechtsverordnungen aus dem Bereich Immissionen, Biotechnologie, Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände sowie 5 Rechtsverordnungen aus dem Bereich Bodenschutz, Altlasten und Abfallwirtschaft. 411 Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 15/2009, S. 7–34. 412 Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drs. 15/2009, S. 39–43. 413 Zur vergleichbaren Rechtsetzungsorganisation in Bayern W. Berg, in: Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Kap. H, Rn. 68 ff. mit näheren Nachweisen zu 470 landesrechtlichen Naturschutzgebietsausweisungen in der Rechtsform der Rechtsverordnung. 414 Zur Einordnung raumbezogener Planung als Einzelakt oder abstrakt-genereller Handlungsform vgl. W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 7, Rn. 13 f. und W. Erbguth, in: HdUR II, 2. Aufl. 1994, Sp. 2221, 2222. 415 J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 16. 416 M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2003, §19, Rn. 14 zur Festlegung von Wasserschutzgebieten durch (landesrechtliche) Rechtsverordnung. 417 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 8, Rn. 239 zu Schutzgebieten nach § 19 WHG. Ähnlich M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2003, § 19, Rn. 14. Auf den unbestimmten Adressatenkreis stellt bereits BVerwGE 29, 207 ab, weswegen gegen die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets durch Verwaltungsakt grundsätzliche Bedenken bestünden (BVerwGE 29, 207, 208) und die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets der Rechtsverordnung bedürfe (BVerwGE 29, 207 – Leitsatz). 418 Vgl. hierzu am Beispiel des Wasserrechts M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 13, Rn. 176: Zwar sage § 19 WHG zur Rechtsform der Schutzgebietsfestsetzung nichts aus. Aus den im Wasserhaushaltsgesetz vorgesehenen komplexen Rechtswirkungen der Schutzgebietsfestsetzung ergebe sich aber, dass diese wirksam nur durch einen außenverbindlichen Rechtssatz (und nicht durch Verwaltungsvorschrift, aber auch nicht durch Verwaltungsakt) erfolgen könne. Vgl. weiterhin dens., aaO, Fn. 441 zum Gegenbeispiel in BVerwGE 70, 77 zu der als Verwaltungsakt zu treffenden Schutzbereichsanordnung nach § 2 des Gesetzes über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Die Wahl der Rechtsform einer raumbezogenen Umweltplanung hat erhebliche praktische Konsequenzen. Zunächst sind die Beteiligungsformen vor Erlass eines Verwaltungsaktes im Verwaltungsverfahrensgesetz festgelegt, 419 während die Rechtsverordnung von den Verwaltungsverfahrensgesetzen regelmäßig nicht erfasst wird und sich die Beteiligungsausgestaltung nach den einzelnen Umweltgesetzen und der Verwaltungspraxis richtet. 420 Dieser Unterschied schlägt sich auch in der Regelung der Bekanntgabe und der Frage der Begründungspflicht des Staatshandelns nieder, ebenso in den auseinandergehenden Rechtsfolgen bei Rechtswidrigkeit des Rechtsakts und der dementsprechenden Ausgestaltung des Rechtsschutzes bei Verwaltungsakten und Rechtsverordnungen. 421 Weiterhin sind rechtswidrige Rechtsverordnungen wie auch Gesetze nach deutscher Rechtstradition per se nichtig, wohingegen Verwaltungsakte auch in der Form von Allgemeinverfügungen lediglich vernichtbar sind. 422
b) Anwendungsfelder der verordnungsrechtlichen Umweltplanung in der Rechtsform der Rechtsverordnung Ausprägungen des Einsatzes der Rechtsverordnung als Instrument der räumlichen Umweltplanung finden sich in verschiedenen Umweltgesetzen. (1) Raumbezogene Planung im Wasser- und Immissionsschutzrecht Eine gesetzliche Ausprägung der räumlichen Planung findet sich etwa in § 19 WHG. Die Ausweisung von Wasserschutzgebieten gemäß § 19 WHG dient dazu, besondere Gebiete, die der Wassergewinnung dienen, strengeren Gewässerschutzanforderungen zu unterstellen. 423 Dort sind vor allem solche Handlungen verboten oder nur eingeschränkt zulässig, die sich auf Menge und Güte des Wassers auswirken können. 424 Die Berechtigung der Subsumtion unter den Begriff der räumlichen 419 Vgl. die Verfahrensgrundsätze der §9 ff. VwVfG, insbes. § 28 zur Anhörung und §29 zur Akteneinsicht sowie die Vorschriften über das Förmliche Verwaltungsverfahren in den §§ 63 ff. VwVfG und den §§ 72 ff. VwVfG über das Planfeststellungsverfahren. 420 Näher hierzu Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, z. B. S. 31 ff., 43 ff., auch zur Ausnahme im Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Schleswig-Holstein. 421 R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 616 ff.; näher zu den Unterschieden in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 16. 422 Vgl. H. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, BVerfGG, Stand: 2004, § 31, Rn. 139 ff., insbes. Rn.142, 145, 148; J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S. 148 ff.; M. Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, S. 137 ff. Zum Problem auch 4. Teil, II., 1. 423 S. R. Laskowski/C. Ziehm, in: Koch, Umweltrecht, 2002, § 5, Rn. 96. 424 R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 615 f.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Planung wurde bereits nachgewiesen. 425 Obwohl § 19 WHG zur Rechtsform keine ausdrückliche Vorgabe macht, 426 erfolgt die Schutzgebietsfeststellung nach allen Landeswassergesetzen durch Rechtsverordnung. 427 In Bayern erfolgt die Schutzgebietsfestlegung nach Art. 35 Abs. 1 S. 1 BayWG. 428 Zur Festsetzung werden darin die Kreisverwaltungsbehörden ermächtigt. 429 Nach Maßgabe von Art. 36 BayWG können auch aus anderen als den von § 19 Abs. 1 WHG bezeichneten Gründen Wasserschutzgebietsverordnungen ergehen; danach vermag die Kreisverwaltungsbehörde zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit oder Gesundheit Rechtsverordnungen zu erlassen, die auf die Reinhaltung der Einrichtungen, die der Wasserversorgung oder der Abwasserbeseitigung dienen sowie des für die Wasserversorgung bestimmten Wassers gerichtet sind. 430 Auch im gebietsbezogenen Immissionsschutz des Fünften und Sechsten Teils des BImSchG kommen Rechtsverordnungen verschiedentlich zum Einsatz. Den hier einschlägigen Maßnahmen liegen dabei nicht allein ökologische Zielsetzungen zugrunde, sondern es sollen gleichermaßen auch Freiräume für künftige wirtschaftliche Nutzungen geschaffen werden. Zum einen legen Rechtsverordnungen nach dem europarechtlich motivierten § 48 a Abs. 1 und nach § 48 a Abs. 1 a BImSchG Anforderungen und Maßstab der gebietsbezogenen Luftreinhaltemaßnahmen fest. Zum anderen sind Rechtsverordnungen wesentliche Rechtsformen im Instrumentenarsenal der §§ 44 ff. BImSchG. So ermächtigt § 44 Abs. 2 BImSchG zur Festlegung von Untersuchungsgebieten für atmosphärische Lärmverunreinigungen, der § 47 Abs. 7 BImSchG zu gebietsbezogenen Verboten und Beschränkungen in Gefahrensituationen, jeweils mittels (landesrechtlicher) Rechtsverordnung. Daneben werden Emissionskataster (§ 46 BImSchG) und Lärmminderungspläne (§ 47 a BImSchG) 431 eingesetzt. 432 Nach § 49 BImSchG vermögen Vgl. die vorhergehenden Ausführungen unter 1. Teil, II., 4., a). Im Entwurf des 5. Änderungsgesetzes zum WHG (BT-Drs. 10/3973, S. 4 f., 13) war vorgesehen, in § 19 Abs. 1 die ausdrückliche Bestimmung aufzunehmen, nach welcher die Festsetzung von Wasserschutzgebieten durch Rechtsverordnung der Landesregierungen erfolgt; die Regelung ist gleichwohl nicht Gesetz geworden. 427 R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 615 f.; M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2003, § 19, Rn. 14; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 13, Rn. 176. 428 Parallelregelungen anderer Landeswassergesetze finden sich etwa in § 110 Abs. 1 S. 1 Wassergesetz Baden-Württemberg („Wasserschutzgebiete, Quellenschutzgebiete und Überschwemmungsschutzgebiete werden durch Rechtsverordnung festgesetzt, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.“), § 14 Abs. 1 S. 1 Wassergesetz Nordrhein-Westfalen („Ein Wasserschutzgebiet wird durch ordnungsbehördliche Verordnung festgesetzt.“) und § 28 Abs. 1 S. 1 Wassergesetz Thüringen („Die Wasserbehörde kann durch Rechtsverordnung Wasserschutzgebiete festsetzen.“). 429 Vgl. zur verwaltungspraktischen und verwaltungsgerichtlichen Handhabung des § 19 WHG den Beschluss des BVerwG, DVBl. 2003, 1074. 430 Näher dazu M. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2003, § 19, Rn. 61. 431 Vgl. zum Ganzen R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 220 ff., auch zum „tatsächlichen wie rechtlichen Grundproblem“ des gebietsbezogenen Immissionsschutzes, dem „quellenunabhängigen“ Ansatz, näher H. D. Jarass, UPR 2000, S. 241, 245 ff. Dies schließe von vorneherein einen korrespondierenden, subsumtionsgeleiteten Geset425 426
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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die Länder in der Form von Rechtsverordnungen immissionsschutzrechtliche Schongebiete auszuweisen und festzusetzen, dass bestimmte Anlagen hierin nicht betrieben oder errichtet werden dürfen. 433 (2) Raumbezogene Planung im Naturschutzrecht Schutz, Pflege und Entwicklung von erhaltens- und wiederherstellenswerten Teilen von Natur und Landschaft sind Gegenstand der bundesrechtlichen Rahmenregelung der §§ 22 ff. BNatSchG. 434 Vorgesehen wird in § 22 Abs. 1 BNatSchG die landesrechtliche Bestimmung von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Biosphärenreservaten, Landschaftsschutzgebieten, Naturparks, Naturdenkmälern oder geschützten Landschaftsbestandteilen. 435 § 22 Abs. 2 BNatSchG gibt vor, dass die Erklärung der Inschutznahme den Schutzgegenstand, den Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote sowie, soweit erforderlich, die Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen oder die hierfür erforderlichen Ermächtigungen bestimmen muss. 436 Die Rechtsform der Schutzgebietsfestsetzung sowie die nähere Ausgestaltung bleiben dem Landesgesetzgeber überlassen. 437 Von wenigen Fällen der Unterschutzstellung durch Landesgesetz438 oder kommunale Satzung 439 abgesehen, statuiert der Landesgesetzgeber in der weit zesvollzug in der Weise aus, dass bestimmte Verursacher von Immissionen durch bestimmte Verwaltungsmaßnahmen zu normativ festgelegten Verhaltensweisen oder Handlungserfolgen verpflichtet werden könnten oder müssten, R. Breuer, ebd. Vielmehr führten gebietsbezogene Ermittlungen oder Feststellungen von Immissionen sowie vorgegebene Luftqualitätsziele notwendigerweise zu einer finalen Rechtsetzung und Vorhabenplanung nach den Motiven der Zweckrationalität und Abwägung, ders., ebd. 432 Dazu H. D. Jarass, NVwZ 2003, S. 257, 261 ff. 433 Näher M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 303 und nachfolgend unter 1. Teil, II., 6., d). 434 Eine Ausnahme innerhalb der §§ 22 ff. BNatSchG ist ausweislich der Regelung des § 11 BNatSchG der § 22 Abs. 4 S. 2 BNatSchG, der keine Rahmenregelung, sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht statuiert. 435 Zur historischen Entwicklung der einzelnen Schutzgebietskategorien J. SchmidtRäntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, Vor § 22, Rn. 1 f.; zum fortbestehenden numerus clausus ders., aaO, § 22, Rn. 4, 8. 436 Ähnlich wie im Gewässerschutzrecht ist das Verhältnis von naturschutzrechtlichen Schutzgebietsverordnungen und Art. 14 GG umstritten. Nach BVerwGE 112, 373, 378 f. gebietet Art. 14 Abs. 1 GG keine gesetzlichen Vorkehrungen dafür, dass naturschutzrechtliche Schutzgebietsverordnungen nur unter gleichzeitiger Festsetzung erforderlicher kompensatorischer Maßnahmen für die betroffenen Grundstücke erlassen werden dürfen. Kritisch hierzu R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 208, dort Fn. 296 mit weiteren Nachweisen. 437 J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 16. 438 Vgl. etwa § 22 a HambNatSchG oder § 21 Abs. 1 NatSchG M-V für Nationalparks, § 31 BbgNatSchG, § 27 LNatSchG M-V für Alleen, näher P. Fischer-Hüftle, NuR 1998, S. 347 ff. 439 Vgl. zu dieser Möglichkeit § 19 iVm § 16 Landschaftsgesetz NRW: Als Satzung zu beschließender Landschaftsplan mit Darstellung und rechtsverbindlicher Festsetzung der örtli-
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
überwiegenden Zahl der Fälle Verordnungsermächtigungen. 440 Das Bayerische Naturschutzrecht regelt den verordnungsrechtlichen Schutz von Flächen und einzelnen Bestandteilen der Natur in den Art. 7 ff. BayNatSchG. 441 Verordnungsermächtigungen enthalten die Art. 7 Abs. 3 BayNatSchG (Naturschutzgebiete), Art. 8 Abs. 1 BayNatSchG (Nationalparke), Art. 9 Abs. 3 BayNatSchG (Naturdenkmäler), Art. 10 Abs. 2 BayNatSchG (Landschaftsschutzgebiete), Art. 11 Abs. 2 BayNatSchG (Naturparke) und Art. 12 Abs. 1 BayNatSchG (Landschaftsbestandteile und Grünbestände). 442 Die Zuständigkeit für den Erlass der Rechtsverordnungen wird in Art. 45 BayNatSchG differenziert nach Verwaltungsebenen zugewiesen. 443 Eine raumbezogene Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundes enthält § 38 Abs. 3 BNatSchG: Diese Vorschrift ermächtigt das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Schutzausweisungen in Bezug auf Meeresflächen in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und auf dem Festlandsockel. 444 § 38 Abs. 3 BNatSchG dient der Zielsetzung des § 38 Abs. 1 BNatSchG, nach welcher auch in der AWZ und im Festlandsockel Vogelschutz- und FFH-Gebiete unter Schutz zu stellen sind. 445 Da auch der Bundesverordnungsgeber an den numerus clausus der Schutzausweisungskategorien in § 22 BNatSchG gebunden ist, kommen als adäquate Schutzkategorien für die verordnungsrechtliche Ausweisung von Flächen in der AWZ und auf dem Festlandsockel Naturschutzgebiete, aber auch marine Biosphärenreservate in Betracht. 446 chen Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Darüber hinaus ist nach teilweiser Auffassung auch eine Unterschutzstellung durch Allgemeinverfügung theoretisch möglich, vgl. J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 16. 440 Vgl. aus dem Landesrecht die Verordnungsermächtigungen der §§ 21, 22 NatSchG Baden-Württemberg (Erklärung zu Naturschutzgebieten und Landschaftsschutzgebieten durch Rechtsverordnung) und §§ 18–21 Landespflegegesetz Rheinland-Pfalz (Festsetzung von Landschaftsschutzgebieten, Naturparks, Geschützten Landschaftsbestandteilen, Naturschutzgebieten, Naturdenkmälern durch Rechtsverordnung); näher hierzu und zum Nachweis weiterer Ermächtigungsnormen M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11, Rn. 204, auch zur Rechtsform der nachträglichen Änderung und Aufhebung der Inschutznahme. 441 Näher zur naturschutzrechtlichen Ausweisung von Schutzgebieten in der Rechtsform der Rechtsverordnung nach bayerischem Landesrecht W. Berg, in: Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Kap. H, Rn. 68 ff. 442 Eine weitere Verordnungsermächtigung enthält Art. 5 Abs. 2 BayNatSchG. 443 Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG ermächtigt die Staatsregierung zur Festsetzung von Nationalparks, Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 ermächtigt die Regierungen als höhere Naturschutzbehörden zur Festsetzung von Naturschutzgebieten, Art.45 Abs. 1 Nr. 3 BayNatSchG die Landkreise und kreisfreien Gemeinden zur Festsetzung von Landschaftsschutzgebieten. Art. 45 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BayNatSchG regeln die Zuständigkeit der Kreisverwaltungen (untere Naturschutzbehörden) und Gemeinden. 444 § 38 BNatSchG gelangte im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens zur Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes 2002 erstmals in das Gesetz, vgl. BT-Drs. 14/7490, S. 28. Näher R. Lagoni, NuR 2002, S. 121 ff. 445 J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 38, Rn. 5. 446 J. Schmidt-Räntsch, aaO, § 38, Rn. 6.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Die naturschutzrechtlichen Verordnungsermächtigungen enthalten verschiedene alternative Regelungsformen zur Beteiligung der Öffentlichkeit und verschiedener staatlicher Instanzen am Zustandekommen raum- und schutzgebietsbezogener Rechtsverordnungen. 447 Für das Bayerische Naturschutzrecht ist zunächst Art. 46 BayNatSchG zu beachten, der in Abs. 1 anordnet, dass die Verordnungsentwürfe den beteiligten Stellen, Gemeinden und Landkreisen zur Stellungnahme zuzuleiten sind. 448 Art. 46 Abs. 2–4 BayNatSchG regeln die Beteiligung betroffener Bürger durch Auslegung der Verordnungsentwürfe und Prüfung der vorgebrachten Bedenken. Die das Naturschutzrecht des Bundes kennzeichnenden – wenigstens im Verhältnis zu anderen Umweltgesetzen – extensiven Vorschriften über die Verbandsbeteiligung 449 kommen auch im Bereich der Verordnungsgebung zum Tragen. 450 Die Rahmenvorschrift des § 60 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG ordnet an, dass einem von den Ländern anerkannten Verein bei der Vorbereitung von Verordnungen 451 und anderen im Rang unter dem Gesetz stehenden Rechtsvorschriften der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden der Länder Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist. 452 § 22 Abs. 4 BNatSchG sichert als unmittelbar geltendes Bundesrecht dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ein Mitspracherecht bei der Verabschiedung von Rechtsverordnungen der Länder, die ein Gebiet zum Nationalpark erklären. Rechtsverordnungen zur Festlegung von Schutzgebieten in der Außenwirtschaftszone und auf dem Festlandssockel nach § 38 Abs. 3 BNatSchG bedürfen nach dem ausdrücklichen Wortlaut zwar nicht der Zustimmung des Bundesrates, zu beteiligen sind aber die fachlich betroffenen Bundesministerien. 453 Analog anzu447 Allgemein zur naturschutzrechtlichen Beteiligung von Behörden und Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt sein könnte R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, S. 330. 448 Näher hierzu W. Brenner, in: Naturschutzrecht in Bayern, Stand: 2002, Art. 46, Rn. 3 ff. 449 Zustimmend zur Ausweitung der Verbandsbeteiligung der SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 112. 450 J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 16. Aus der Rechtsprechung zu der Frage, ob und ggf. welche Bürger, Verbände und Stellen zu beteiligen sind vgl. die Normenkontrollurteile des VGH Mannheim v. 13.11.1998 und 12.3.1999, NuR 1999, 514, 516; NuR 1999, 517, 518 sowie NuR 1999, 519. Zur naturschutzrechtlichen Verbandsbeteiligung an der raumbezogenen Normung nach dem BNatSchG a. F. I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 171 ff. 451 Näher U. Marzik/T. Wilrich, Bundesnaturschutzgesetz, 2004, § 60, Rn. 4. 452 Gleichermaßen ist die Verbandsbeteiligung in § 60 Abs. 5 Nr. 5 BNatSchG vorgeschrieben vor Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz vor Naturschutzgebieten, Nationalparken, Biosphärenreservaten und sonstigen Schutzgebieten im Rahmen des § 33 Abs. 2 BNatSchG (in Umsetzung der EG-Vogelschutzrichtlinie). 453 Bei der vorhergehenden Bewertung und Auswahl der in Betracht kommenden Flächen durch das Bundesamt für Naturschutz ist gem. §38 Abs. 2 BNatSchG die Öffentlichkeit zu beteiligen und das Benehmen mit den angrenzenden Ländern herzustellen. Vgl. hierzu die Seeanlagenverordnung vom 23.1.1997, BGBl. I 273, geändert durch Gesetz v. 25.3.2002, BGBl. I 1193 und die Darstellung bei Ch. Bönker, NVwZ 2004, S. 537, 537 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
wenden sind die Vorschriften der § 58 Abs. 3 und § 60 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, so dass beim Erlass dieser Rechtsverordnungen die durch das betroffene Land zugelassenen Verbände zu beteiligen sind. 454 Teilweise sind auch im Naturschutzrecht Mitwirkungsrechte des Parlaments statuiert, so steht etwa nach Art. 8 Abs. 1 BayNatSchG die Rechtsverordnung zur Erklärung eines Nationalparks unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Landtags. 455
5. Adaption des staatlichen Instrumentenwandels In den vorangegangen Abschnitten wurde das Aufgaben- und Leistungsprofil der Rechtsverordnung insbesondere im Bereich des vorsorgeorientierten Staatshandelns ausgeleuchtet. 456 Als prägende Entwicklungslinie des Staatshandelns im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen gilt neben der Vorsorgeorientierung der Wandel im Steuerungsinstrumentarium der Handlungsformen: 457 Nach einer gängigen These sind die Erscheinungsformen moderner Verwaltung zwischen den „Polen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung“ gekennzeichnet „durch die Abkehr vom klassischen Gestaltungsmodus imperativer Zweckverwirklichung zugunsten arbeitsteiliger Gemeinwohlkonkretisierung durch Staat und Private“. 458 Für die Fragestellung dieser Arbeit ist von besonderem Interesse, welche Steuerungsleistungen der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang der Rechtsverordnung zuordnet. a) Instrumentenwandel in der Umweltpolitik. Das Kooperationsprinzip als Versuch einer dogmatischen Klammer Zunächst gilt es den Rahmen der Neuorientierung staatlicher Steuerungsstrategien abzustecken, dessen Adaption der umweltrechtlichen Rechtsverordnung zuge454 J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 22, Rn. 27. Betroffenes Bundesland sei dasjenige, vor dessen Küste das in Aussicht genommene Gebiet liege oder das von den Wirkungen der Unterschutzstellung betroffen sein wird, also insbesondere die Küstenländer. 455 Näher hierzu W. Brenner, in: Naturschutzrecht in Bayern, Stand: 2002, Art.8, Rn. 7. Vgl. die vorhergehende Darstellung unter 1. Teil, IV., 4., vor a) zu Art. 15 Abs. 3 des Landesplanungsgesetzes Bayern, der den materiellen Kern des Landesentwicklungsprogramms in die Rechtsform einer Rechtsverordnung der Staatsregierung unter Zustimmung des Landtags bringt. Vgl. zum Naturschutzrecht des Landes Brandenburg, das auch Mitwirkungsbefugnisse zugunsten von Parlamentsausschüssen kennt, die Darstellung im 3. Teil, VII., 2., b), (4). 456 Hierzu für den Präventionscharakter des Vorsorgeprinzips 1. Teil, II., 3., vor a) und zu den Präventionselementen, die auch die raumbezogene Planung aufweist 1. Teil, II., 4. 457 Hierzu G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 102 ff., S. 115 ff., S. 120 ff.; A. Voßkuhle, in: VVDStRL 62 (2003), S. 266 ff. 458 M. Schmidt-Preuß, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160, 228, These 1. Zur Repräsentativität dieser These vgl. die Aussprache zum Bericht von Schmidt-Preuß, aaO, S. 283 ff.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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ordnet wird. 459 Vorzufinden ist anhaltende Kritik an ordnungsrechtlichen Strategien, denen in Teilen der Rechtswissenschaft 460 wie auch der Umweltökonomie 461 die Fähigkeit zur effektiven Beeinflussung umweltrelevanten menschlichen Verhaltens abgesprochen wird. Demgegenüber haben andere Autoren überzeugend dargelegt, dass der Rückgriff auf ordnungsrechtliche Instrumente in einer Vielzahl von Fällen unentbehrlich ist, 462 so etwa in Bereichen, in denen punktuelle Treffsicherheit von besonderer Bedeutung ist wie bei der Vermeidung bestimmter Schadstoffkonzentrationen. 463 Ordnungsrechtliche Regulierung bietet sich nach Gertrude Lübbe-Wolff an, wenn in einem Regelungsbereich die sinnvollsten Verhaltensoptionen und die sinnvollste Zuordnung der Verhaltensänderungslasten relativ gut bekannt oder bestimmbar sind; jedoch sollten ordnungsrechtliche Regeln nicht flächendeckend, sondern nur begrenzt und vorzugsweise so eingesetzt werden, dass Produzentenund Konsumentenfreiheit nicht in ihrem Kern, sondern nur peripher, am Rande, beschränkt werden. 464 Dementsprechend zeigt die Analyse der Umweltgesetzgebung zwar eine partielle Modifizierung unmittelbar verhaltenssteuernder Instrumente, keineswegs aber eine Substitution, sondern allenfalls eine Ergänzung durch neue Regulierungsstrategien. In diesem Sinne wird der Wandel des Instrumentariums des Umweltrechts in der Rechtswissenschaft dahingehend gekennzeichnet, dass „neben die klassischen, wenn auch sich verändernden Instrumentarien des Ordnungsrechts zunehmend Instrumente treten, die – anders als die gebietenden, verbietenden oder gestaltenden Instrumente der direkten Verhaltenssteuerung – durch ein mittelbares 459 H.-H. Trute, in: Rückzug des Ordnungsrechts im Umweltrecht, 1999, S. 13 ff.; U. Volkmann, JuS 2001, S. 521 ff.; C. Franzius, Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, 2000. 460 So heißt es etwa bei E.-H. Ritter, DÖV 1992, S. 641, 645: „Alle administrativen Kontrollsysteme, die mit direkter Verhaltenssteuerung arbeiten, müssen mit empfindlichen Defiziten rechnen: volkswirtschaftliche Verluste, Bevorzugung nachgeschalteter Reinigungstechniken gegenüber Vermeidungsstrategien, mangelhafte Anreize zu umweltfreundlichen Innovationen, schwaches Engagement der Normadressaten.“ Hieraus folge eine für das Recht insgesamt grundlegende Änderung seiner Funktionsweisen und letztlich eine Abschwächung seiner Wirkungskraft. 461 Vgl. etwa J. Pätzold/G. Mussel, Umweltpolitik, 1996, S.56: „Das Ordnungsrecht ist in aller Regel ökonomisch ineffizient“; gleichsinnig M. Leining, Dezentrale Lösungsansätze in der Umweltpolitik, 1998, S. 106 mit dem Resüme, das Instrument der Auflagen sei als „ökonomisch ineffizient“ zu bezeichnen. 462 F. Merli, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S. 353, 368: Herzstück des Umweltrechts bleiben Verbote und Gebote; A. Karthaus, Risikomanagement durch ordnungsrechtliche Steuerung, 2001; SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 113: „Weiche“ und flexiblere Steuerungsformen könnten nicht mehr als Ergänzungsfunktion haben können, wenn es um die Lösung persistenter Umweltprobleme. 463 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481, 483; vgl. dort auch zur Darstellung einiger „Legenden über das Umweltordnungsrecht“. Weiterführend dies., Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 73 ff., 139 ff., 158 ff. 464 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481, 483: Das klassische Umweltordnungsrecht habe seine Reglementierung auf periphere Aspekte also etwa auf Abluft, Abwässer, Abfälle bezogen, sei nun im Blick auf die erreichbaren umweltpolitischen Ziele am Ende angelangt. Dies spreche entscheidend für alternative Steuerungsformen.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Einwirken des Staates gekennzeichnet sind“. 465 Dabei werde auf eine strikte Determination des Verhaltens der Normadressaten verzichtet und statt dessen versucht, influenzierend und motivierend auf deren Entscheidungen Einfluss zu nehmen. 466 Die jüngere Rechtsentwicklung hat eine Vielzahl neuer Instrumente des Umweltschutzes hervorgebracht, die in der umweltrechtlichen Literatur breite Rezeption erfahren haben: Dabei handelt es sich zum einen um Modelle zur Etablierung und Nutzung ökonomischer Rationalitäten. Zu nennen wären hier etwa das Umwelthaftungsgesetz, 467 verschiedene Varianten und Konzepte von Umweltabgaben, 468 handelbare Umweltnutzungsrechte, 469 Instrumente zur Erzeugung von Markttransparenz, 470 der Transfer staatlicher Finanzmittel durch Subventionen und Ausgleichszahlungen. 471 Zum anderen lässt sich eine Gruppe der reflexiven und konsensualen Instrumente herausarbeiten. 472 Zu den reflexiven Instrumenten zählen die Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten für den Umweltschutz,473 zur Aufstellung von Abfallwirtschaftsbilanzen, 474 gesetzliche Mitteilungspflichten zur Betriebsorganisation 475 und das fakultative Öko-Audit. 476 Als Beispiel für konsensuale Instrumente sei auf die in verschiedenen Formen bekannten Umweltvereinbarungen verwiesen. 477 465 M. Kloepfer, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S.90 ff., der auch von einer „zunehmenden Flexibilisierung“ der Gestaltung der Instrumente spricht; grundsätzlich zustimmend SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 108: Neue Steuerungskonzepte könnten die traditionelle Umweltpolitik ergänzen und damit in ihrer Effektivität steigern. 466 M. Kloepfer, ebd. 467 Umwelthaftungsgesetz vom 10. Dezember 1990, BGBl. I 2634, geändert durch Gesetz v. 19.7.2002, BGBl. I 2674. 468 F. Kirchhof, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 38, zu Umweltabgaben in Deutschland insbes. Rn. 81 ff. 469 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz v. 8.7.2004, BGBl. I 1578; vgl. allgemein H.-J. Koch/A. Wieneke, DVBl. 2001, S. 1085 ff.; A. Voßkuhle, in: Energierecht zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, 2002, S. 159 ff. 470 Umwelt-Informationsgesetz vom 8. Juli 1994, BGBl. I 1490; neugefasst durch Bekanntmachung vom 23.8.2001, BGBl. I 2218. 471 L. Krämer, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 15, Rn. 55 ff. 472 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481, 490 f. 473 EG-Verordnung 761/2001 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem über das Umweltmanagement und die Betriebsprüfung, ABl. 2001, Nr. L 114, S. 1; M. Führ, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 99 ff.; M. Kotulla, GewArch 1994, S.177 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 13, 33 zum Beispiel des Umweltschutzbeauftragten. 474 F. Wehler, Betriebliche Abfallwirtschaftskonzepte und Abfallbilanzen, 1998. 475 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481, 490 f. 476 M. Schmidt-Preuß, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160, 194: Herausragendes Beispiel reflexiver Steuerung; eingehend H. Falk, Die EG-Umwelt-Audit-Verordnung und das deutsche Umwelthaftungsrecht, 1998, S. 8 ff. 477 U. Dempfle, Normvertretende Absprachen, 1994; zu Umweltvereinbarungen auf europäischer Ebene L. Krämer, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 15, Rn. 73 ff.; hierzu auch die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien vom 20.7.2000 – Anlage 7: „Prüfkatalog zur Feststellung von Selbstregulierungsmöglichkeiten“.
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Zu den in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung umstrittensten Fragen der vergangenen Jahre gehört die Frage, inwieweit sich die Entfaltung reflexiver, ökonomischer oder konsensualer Instrumente als Ausdruck eines übergeordneten „Kooperationsprinzips“ verstehen lässt. 478 Auf diese Weise wurde versucht, eine dogmatische Klammer für die neuen Umweltstrategien zu entwickeln. Die entsprechende politische Grundausrichtung des Umweltrechts fand Eingang in verschiedene Normtexte, so in Art. 34 Abs. 1 Einigungsvertrag als ausdrücklicher „Grundsatz des Umweltschutzes“. 479 Das Bundesverfassungsgericht hat sich im 98. Band der amtlichen Sammlung eingehend mit dem Kooperationsprinzip auseinandergesetzt. In BVerfGE 98, 83 führt das Gericht unter Bezugnahme auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG sowie § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV aus: „Insgesamt stellen sich die Regelungen des Bundes-Immissionsschutzrechts zur Konkretisierung der abfallrechtlichen Pflichten als ‚billigende Programmierung von kooperativem Verwaltungshandeln dar‘“. 480 Die einschlägigen Landesabfallgesetze seien „mit dem Kooperationsprinzip, wie es im Bundesimmissionsschutzgesetz für die Verminderung und Vermeidung von Abfällen vorgesehen ist, unvereinbar“. 481 In BVerfGE 98, 106 heißt es, das Kooperationsprinzip begründe eine „kollektive Verantwortung verschiedener Gruppen mit unterschiedlichen fachlichen, technischen, personellen und wirtschaftlichen Mitteln, in eigenständiger Aufgabenteilung und Verhaltensabstimmung das vorgegebene oder gemeinsam definierte Ziel zu erreichen“. 482 Abgegrenzt wird das Instrumentarium der „zielgebundenen Kooperation“ von jenem der „zielorientierten steuerlichen Lenkung“, insbesondere am Merkmal der Sanktion. 483 Mit dieser Rechtsprechung ist über den Charakter des Kooperationsprinzips jedoch noch längst keine Einigkeit erzielt worden. 484 Nur von Teilen der Literatur wird das Kooperationsprinzip uneingeschränkt als allgemeines Rechtsprinzip des Umweltrechts angesehen.485 Insgesamt 478 Vgl. für einen Überblick zur Auseinandersetzung um ein hinter den neuartigen umweltrechtlichen Instrumenten stehendes Kooperationsprinzip P. M. Huber (Hrsg.), Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1999; M. Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip, 1990; D. Murswiek, ZUR 2001, S. 7 ff.; J. Wieland, ZUR 2001, S. 20 ff.; L. Jaeschke, NVwZ 2003, S. 563 ff.; Ch. Gusy, ZUR 2001, S. 1 ff.; A. Voßkuhle, ZUR 2001, S. 23 ff.; M. Reese, ZUR 2001, S. 14 ff.; H.-W. Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1988; H.-J. Koch, NuR 2001, S. 541 ff.; U. Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff. 479 Einigungsvertrag v. 31.8.1990, BGBl. II 943. 480 BVerfGE 98, 83, 99 f. (Landesabfallabgaben) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf N. Dose/R. Voigt, in: Kooperatives Recht, 1995, S. 11, 17. 481 BVerfGE 98, 83, 99 f. (Landesabfallabgaben). 482 BVerfGE 98, 106, 121 f. (Verpackungssteuer). 483 BVerfGE 98, 106, 122 (Verpackungssteuer): „Wer der steuergesetzlich überbrachten Verhaltensempfehlung nicht folgt, hat die rechtsverbindliche Zahlungspflicht zu erfüllen; die Steuer wirkt wie ein Zwangsgeld für die Nichtbefolgung des Umweltprogramms. Eine zielgebundene Kooperation hingegen bestimmt rechtsverbindlich den zu erreichenden Umwelterfolg, verzichtet aber selbst bei Zielverfehlungen auf Sanktionen.“ 484 Zum Stand der Diskussion im Überblick R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2, Rn. 48 ff. 485 So etwa U. Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff. An anderer Stelle sucht Di Fabio, den prinzipiell kooperativen Charakter des Umweltrechts für das Atomrecht zu entfalten, vgl. U. Di Fa-
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überwiegt die Kritik am Kooperationsprinzips als Rechtsprinzip: 486 In der Abfallabgaben-Entscheidung habe das BVerfG eine wissenschaftliche Ansicht bei der Auslegung des einfachen Rechts zum verfassungsrechtlich relevanten Prüfungsmaßstab erhoben, eine Verfassungsbestimmung, die diesen Ausführungen zugrunde liegt, könne das Gericht nicht benennen. 487 Andere versuchen, die Unterscheidung politischer und rechtlicher Prinzipien zu verdeutlichen. Das Kooperationsprinzip habe seinen Ort in der Verwaltungswissenschaft, nicht im Verfassungs- oder Verwaltungsrecht. 488 Das Kooperationsprinzip sei im Umweltrecht „nur ein Schlagwort, nicht ein politisches oder gar rechtliches Prinzip des Umweltschutzes im präzisen Sinne des Wortes“. 489 Dem Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften ist ein Kooperationsprinzip – anders als Vorsorgeprinzip und Verursacherprinzip 490 – nicht bekannt. 491 Hat sich demnach die Konstruktion eines übergeordneten Kooperationsprinzips als nicht tragfähig erwiesen, so zeigt sich die gleichwohl vorzufindende Etablierung neuartiger Rechtsinstitute, die mit ökonomischen Rationalitäten, Reflexionsprozessen beim Rechtsadressaten und rechtlich flankierten Aushandlungsprozessen arbeiten, nicht als Nachvollzug übergeordneter Vorgaben, sondern als Ergebnis der gesetzgeberischen Ausrichtung des Steuerungsinstrumentariums. Insoweit konnte also der Rahmen der Neuorientierung staatlicher Steuerungsstrategien abgesteckt werden, dessen Adaption der Rechtsverordnung zugeordnet wird. Die Exemplifizierung dieses Zuordnungsprozesses wird im Folgenden unternommen.
bio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999. Kritisch hierzu J. Wieland, ZUR 2001, S. 20 ff. Optimistisch im Blick auf die Leistungsfähigkeit des Kooperationsprinzips als Rechtsprinzip aktuell H.-H. Trute/W. Denkhaus/D. Kühlers, Regelungsstrukturen der Kreislaufwirtschaft, 2004, S. 73 ff. 486 Vgl. O. Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002, S.486 ff., insbes. 493; R. Schmidt/L. Diederichsen, JZ 1999, S. 37 ff.; D. Murswiek, ZUR 2001, S. 7 ff.; A. Voßkuhle, ZUR 2001, S. 23 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/ders., Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2, Rn. 54; weitere Nachweise bei W. Kahl, in: Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111, 112 f. 487 O. Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002, S. 490. 488 J. Wieland, ZUR 2001, S. 20 ff. 489 D. Murswiek, ZUR 2001, S. 7, 13. 490 Hierzu die Ausführung oben 1. Teil, II., 3., a). 491 Hierzu W. Kahl, in: Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111, 112 mit Fn. 9.
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b) Anwendungsfelder ökonomischer, reflexiver und kooperativer Elemente in der Verordnungsgebung des Umwelthaftungs-, Immissionsschutz- und Abfallrechts (1) Ökonomische Instrumente im Umwelthaftungsrecht Haftungsrechtliche Rechtsverordnungen sind als ökonomische Instrumente der Verhaltenssteuerung 492 weniger in ihrer Ausgleichsfunktion als vielmehr in ihrer Präventivwirkung von Interesse. 493 Diese liegt in dem von der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit ausgehenden Anreiz, sich so zu verhalten, dass der Haftungsfall nicht eintritt. 494 Das deutsche Umwelthaftungsgesetz enthält an wichtiger Stelle eine Verordnungsermächtigung. Nach § 20 Abs. 1 UmweltHG wird die Bundesregierung zum Verordnungserlass über Höhe und Umfang der Deckungsvorsorge ermächtigt, zu der bestimmte Anlageninhaber nach § 19 UmweltHG iVm mit Anhang 2 des Gesetzes 495 verpflichtet sind. 496 Eine Parallelregelung zu § 20 UmweltHG findet sich in § 36 Abs. 1 GenTG, der die Bundesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, 497 die die Betreiber bestimmter gentechnischer Anlage der Sicherheitsstufen 2 bis 4 zur Deckungsvorsorge verpflichtet. 498 In ähnlicher Weise ermächtigt das Düngemittelgesetz zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds. Die in § 9 Abs. 3 DMG zugunsten der Bundesregierung statuierte Verordnungsermächtigung zugunsten der Bundesregierung wurde umgesetzt durch die Klärschlamm-Entschädigungsfond-Verordnung. 499 Rechtsverordnungen nach den genannten Verordnungsermäch492 Zum Einfluss der Theorien der ökonomischen Analyse des Rechts auf die Ausgestaltung des Umweltrechts C. Franzius, Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, 2000, S. 132 f.; Ch. Kirchner, in: Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 63 ff.; M. Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, 1985. 493 Ch. Herbst, Risikoregulierung durch Umwelthaftung und Versicherung, 1996, S. 29 ff. 494 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, S. 481, 485; vgl. auch S. Winter, Fondslösungen im Umweltrecht, 1993. 495 Zur politischen Bedeutung der Deckungsvorsorge nach dem Umwelthaftungsgesetz G. Hager, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, § 20 UmweltHG, Rn. 10; näher zum Deckungsvorsorgemodell Ch. Herbst, Risikoregulierung durch Umwelthaftung und Versicherung, 1996, S. 82 f. 496 Zur Versicherbarkeitsproblematik J. Schmidt-Salzer, UTR 17 (1992), S.35 ff.; Ch. Herbst, Risikoregulierung durch Umwelthaftung und Versicherung, 1996, S. 181 ff. 497 § 36 Abs. 2 GenTG sieht als alternative Instrumente der Erbringung der Deckungsvorsorge vor: den Abschluss einer Haftpflichtversicherung (Nr. 1), eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes (Nr. 2), eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung eines Kreditinstitutes, die jener nach Nr. 2 gleichkommt (S. 2). Näher hierzu F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt und Gentechnikrecht, 1995, S. 199 f. 498 Zur Deckungsvorsorge im Atomrecht vgl. die Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz vom 25. Januar 1977, BGBl.I 220; zuletzt geändert durch Verordnung v. 18.6.2002, BGBl. I 1869. 499 Verordnung über den Klärschlamm-Entschädigungsfonds v. 20.5.1998, BGBl. I 1048, zuletzt geändert durch Verordnung vom 5.4.2002, BGBl. I 1250.
9 Saurer
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tigungen unterliegen durchgehend dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesrates. 500 Hinzu kommt im Umwelthaftungsgesetz wie auch im Düngemittelgesetz ein Ablehnungs- und Änderungsvorbehalt zugunsten des Bundestages. 501 Mit diesen Regelungen sucht sich das Parlament die politische Hoheit insbesondere über die Höhe der Fondsbeiträge sowie Selbstbehalte und Entschädigungshöchstbeträge zu sichern. 502 (2) Reflexive Elemente in der Störfallverordnung (12. BImSchV) Reflexive Instrumente der gesetzgeberischen Verhaltenssteuerung sind auf die Auslösung von Reflexionsprozessen seitens des Adressaten ausgerichtet, die letztlich zu Verhaltensveränderungen führen sollen. In der Literatur wird reflexive Steuerung als „Typus nicht-imperativer staatlicher Beeinflussung des Verhaltens Privater“ dahingehend gekennzeichnet, dass der Staat hier „private Wirtschaftssubjekte internen Informations-, Lern- und Selbstkontrollprozessen aussetzt, die sie zu den gewünschten Gemeinwohlbeiträgen – gleichsam aus freier Einsicht – veranlassen sollen“. 503 Ansätze reflexiver Steuerung finden sich im Kontext gesetzlich angeordneter Berichtspflichten, aber auch bei verschiedenen Vorgängen auf freiwilliger Basis, wie etwa bei der Schaffung von Anreizen zur Selbstprüfung, Selbstkontrolle und Selbstverbesserung nach dem EMAS-System. 504 Derartige Reflexivinstrumente in Form der Rechtsverordnung sind beispielsweise Störfallverhinderungskonzept und Sicherheitsbericht in der auf §§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 23 Abs. 1, 58 a Abs. 1 S. 2 BImSchG gestützten Störfallverordnung. 505 Nach § 8 der Störfallverordnung ist vor Inbetriebnahme ein schriftliches Konzept zur Verhinderung von Störfällen auszuarbeiten, dessen Umsetzung sicherzustellen und unter näher skizzierten Voraussetzungen zu aktualisieren. § 9 der Störfallverordnung legt das Erfordernis und die Modalitäten des Sicherheitsberichts fest. Welche Anlagen überhaupt erfasst sind und wel-
Vgl. § 20 Abs. 1 UmweltHG; § 36 Abs. 1 GenTG, § 9 Abs. 3 DMG. Vgl. § 20 Abs. 2 UmweltHG, § 9 Abs. 4 DMG. Näher T. Brandner, JbUTR 1997, S. 119 ff. 502 Zu § 20 Abs. 2 UmweltHG vgl. G. Hager, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, § 20 UmweltHG, Rn. 10: Die Mitwirkung des Bundestages beruhe auf der großen Bedeutung der Deckungsvorsorge für die Geschädigten und die Unternehmen, BT-Drs. 11/7104, S. 22. Zunächst sei erwogen worden, im UmweltHG selbst auch die Einzelheiten der Deckungsvorsorge zu regeln. Um eine schnellere Anpassung auch an zukünftige Entwicklungen zu gewährleisten, sei jedoch der Weg über eine Regelung durch Rechtsverordnung unter Mitwirkung des Deutschen Bundestages vorgezogen worden. 503 M. Schmidt-Preuß, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160, 192 (Hervorhebung im Original). 504 S. Förster, ZUR 2004, S. 25 ff.; M. Langerfeldt, UPR 2001, S. 226 ff. 505 Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (StörfallVerordnung) vom 26.4. 2000, BGBl. I 603. Aus der aktuellen Rechtsprechung zur Störfall-Verordnung vgl. HessVGH, GewArch 2002, 212 Ls. 4 und 214 zur Frage der normativ nicht festgelegten Reichweite von Sicherheitsabständen. 500 501
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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che konkreten Anforderungen an Konzept und Berichte im Einzelnen zu stellen sind, ergibt sich erst aus den detaillierten Anhängen zur Störfallverordnung. 506 (3) Nutzung privater Vorarbeiten im Immissionsschutzrecht Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen privat organisierter Normentwicklung ist es eine gesetzgeberisch intendierte „Funktion der Verordnungsgebung“, 507 die private Vorarbeit nutzbar zu machen und die von den Privaten entwickelten Standards ganz oder teilweise staatlich festzuschreiben. 508 Dabei sieht sich die staatliche Rechtsetzung mit einer Vielzahl privater Normungsinstitute und Zusammenschlüsse technischer Sachverständiger konfrontiert, die sich in der industriellen Normsetzung betätigen. 509 Zu den bedeutendsten unter ihnen zählen das Deutsche Institut für Normung (DIN) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). 510 Die gesetzgeberische Einbeziehung der Normierungstätigkeit dieser Gremien in den Prozess der untergesetzlichen Regelbildung illustriert die Darstellung der Erarbeitung von Verfahrensregeln im Außenluftbereich im Umweltgutachten 1996 des Sachverständigenrates für Umweltfragen. 511 In diesem Bereich der Festlegung von Immissions- und Emissionsstandards sei der VDI als eine der maßgeblichen Institutionen im Sektor der privaten Normung „von großer Bedeutung im Vorfeld gesetzgeberischer Tätigkeit“. 512 Für den Umweltschutz und die Festlegung von Außenluftstandards seien insbesondere die VDI-Fachgliederungen „Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und DIN (KRdL)“ und „Normausschuss Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik im DIN und VDI (NALS)“ 513 hervorzuheben. 514 Dabei wird die Bildung der selbständigen Kommission „Reinhaltung der Vgl. Anhang I und Anhang III zur 12. BImSchV, BGBl. I 2000, 611–614. A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 75. 508 H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 25, Rn. 30 a: Nutzbarmachung des nichtstaatlichen Sachverstandes im Sinne kreativer Lösungen komplizierter Regelungsprobleme; H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 468: Typischer Weise vertraue der parlamentarische Gesetzgeber bei der Setzung von Umweltstandards statt der Regelung im Gesetz den „Festlegungen der sachverständig beratenen Verwaltungspraxis durch Rechtsverordnung“; H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 203 ff., 242 ff.; G. Lübbe-Wolff, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen II, 1990, S. 87 ff.; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 155 ff. 509 S. Rose-Ackerman, Umweltrecht und -politik, 1995, S. 121 ermittelt für die Bundesrepublik das Bestehen von 170 derartigen Akteuren. 510 Mit weiteren Beispielen R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 198. 511 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Abschnitt 4.2.3.4. 512 SRU, ebd. 513 SRU, ebd. 514 Zu unterschiedlichen und partiell konfligierenden Zielsetzungen privater Normsetzung, die vor allem wirtschaftliche Vorteile durch Vereinheitlichung ermöglichen wolle, einerseits und staatlicher Rechtsetzung andererseits A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 76 f. 506 507
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Luft“ im März 1990 vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ausdrücklich auf einen Anstoß des Gesetzgebers zurückgeführt, der das Angebot des VDI515 anerkannt habe, „im Vorfeld der Gesetzgebung in dieser Kommission auf technisch-wissenschaftlicher Ebene Grundlagen für die Reinhaltung der Luft in freiwilliger Selbstverantwortung und unter Beteiligung aller Interessengruppen zu erarbeiten“. 516 Diese Unterstützung spiegele sich auch in der institutionellen Förderung 517 durch Bundesmittel wider. 518 Bekannt geworden sind in jüngerer Zeit verschiedene rechtspraktische Anwendungsfälle der hier skizzierten Verordnungsfunktion aus dem Recht der Flugroutenfestlegung. 519 Hier bedient sich das nach § 27 a Abs. 2 S. 1 LuftVO für die Festlegung zuständige Luftfahrtbundesamt bei der Streckenplanung in weitem Umfang der Deutschen Flugsicherung GmbH (DFS). 520
(4) Kooperationssteuerung im Abfallrecht Das Abfallrecht entwickelt immer neue Formen der Kooperation und liefert der rechtswissenschaftlichen Forschung somit reichlich Anschauungsmaterial. 521 Insbesondere für den Bereich der Produktverantwortung wird ein „Vorrang kooperativer und freiwilliger Lösungen der beteiligten Kreise“522 angenommen. 523 Der Gesetzge515 Zu verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Problemen im Kontext der Beteiligung privater Normungsverbände an der Erarbeitung von Umweltstandards R. Sparwasser/R. Engel/ A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 197 ff.; H. Voelzkow, Private Regierungen in der Techniksteuerung, 1996, S. 25 ff., 219 ff.; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 212 ff. 516 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Abschnitt 4.2.3.4 mit näheren Ausführungen zur institutionellen Ausgestaltung der KRdL, in welcher etwa 1700 Sachverständige (Ingenieure, Mediziner, Botaniker, Physiker, Chemiker, Meteorologen sowie Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung) in über 200 Ausschüssen und Arbeitsgruppen ehrenamtlich tätig seien. 517 Zum staatlichen Einfluss auf die verbandliche Normsetzung am Beispiel der Kommissionen zur Reinhaltung der Luft im VDI und DIN ausführlich V. M. Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, 1996. 518 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Abschnitt 4.2.3.4. Die Richtlinien der KrdL sind in den sechs Bänden des VDI-Handbuches „Reinhaltung der Luft“ zusammengefasst. 519 Vgl. die Sachverhalte, die BVerwGE 111, 276; BVerwGE 119, 245; BVerwG NVwZ 2004, 473 zugrunde lagen. 520 Näher R. Pfaff/T. Heilshorn, NVwZ 2004, S. 412 ff. 521 Zum Regelwerk des Abfallrechts im Überblick L.-A. Versteyl, in: Kunig/Paetow/ders., KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, Einl., Rn. 108 ff.; zu den kooperativen Elementen eingehend H.-H. Trute/W. Denkhaus/D. Kühlers, Regelungsstrukturen der Kreislaufwirtschaft, 2004. 522 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN, BTDrs. 11/843, S. 5 zum Umsetzungskonzept zu § 14 des Abfallgesetzes 1986. Von dem Erlass nach Rechtsverordnungen nach § 14 AbfG werde die Bundesregierung Gebrauch machen, soweit mit den kooperativen und freiwilligen Lösungen keine Erfolge zu erreichen seien, ebd., S. 4 f.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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ber des Abfallrechts wendet sich innerhalb seines (begrenzten) Kooperationsmodells weniger einzelnen Marktsubjekten zu. 524 Kooperationspartner sind vielmehr zumeist (Wirtschafts-)Verbände. 525 Die Rechtsverordnung wird dabei in verschiedener Weise zum Einsatz gebracht. 526 Der auf der Basis des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (ähnlich bereits auf der Grundlage des vorhergehenden Abfallgesetzes) verhandelnde Staat nutzt die Option des Verordnungserlasses sowohl zur Vorbereitung, als auch zu Durchführung und Abschluss eines Verhandlungsprozesses. 527 Die Bedeutung der Rechtsverordnung liegt dabei zunächst darin, dass sie auf Seiten des Staates in Form der Drohung mit dem Verordnungserlass als gewichtiges Argument in die „Verhandlung“ über die zu bildenden Regeln eines spezifischen Sachbereichs eingebracht 528 wird. 529 So sind denn auch in der Rechtspraxis Selbst523 So Ch. Engel, StWStP 9 (1998), S. 535 ff., der eine lange Liste möglicher Begründungen dafür aufführt, warum der Staat statt Befehl und Zwang gerade den Weg des „politischen Vertrages“ wählt: a) Dem Ordnungsrecht unzugängliche Operationalisierung des Regulierungsziels; b) Präferenzänderung; c) Information und Innovation; d) Bewältigung von Komplexität; e) Finale Steuerung und Ergebnissteuerung; f) Hierarchie und Verhandlung; g) Geringerer Normwiderstand; h) Besserer Vollzug; i) Niedrigere Regulierungskosten; j) Schließen offener Flanken. 524 Vgl. dazu die Auflistung wesentlicher Elemente kooperativen Staatshandelns bei E.-H. Ritter, StWStP 1 (1990), S. 50 ff., zu Formen der „normsetzenden Kooperation“ ebd., S. 54 f. 525 Dabei werden die Mechanismen verbandsinterner Strukturen eingesetzt, um den Staat von Vollzugsaufgaben zu entlasten bzw. den Vollzug zu optimieren. Ein zwischenzeitlich „klassisches“ Beispiel für die Vollzugsoptimierung durch den verbandsinternen Gruppendruck ist die Verpackungsverordnung. Für den Fall, dass sich ein Hersteller nicht am sog. „Dualen System“ beteiligt, wird ihm seitens der Handelsverbände mit der Auslistung seiner Produkte gedroht. Dem Staat ist die Erzeugung eines vergleichbar wirkungsvollen Handlungsdrucks zur Durchsetzung von Rücknahmepflichten kaum möglich. Da sich der einzelne Händler gegenüber dem Handelsverband nicht auf Grundrechte berufen kann, sind dadurch nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufgeworfen; vgl. zum Ganzen A. Finckh, Regulierte Selbstregulierung im dualen System, 1998, S. 210 ff. 526 Über die im Folgenden dargestellten Einsatzfelder hinaus ist die Vorschrift des §25 Abs.1 KrW-/AbfG zu untersuchen, wonach die Bundesregierung für die freiwillige Rücknahme von Abfällen Zielfestlegungen treffen kann, die innerhalb angemessener Frist zu erreichen sind. Der Vorläufer in § 14 Abs. 2 AbfG war insofern noch enger mit einer Rechtsverordnungsermächtigung verknüpft, als es dort hieß, eine Rechtsverordnung könne erlassen werden, soweit die Abfallvermeidungs- oder -verringerungsziele nicht durch Zielfestlegung erreichbar seien, hierzu die Nachweise bei J. Fluck/K. Fischer, in: Fluck, KrW-/AbfG I, Stand: 2004, §25 KrW-/AbfG, Rn. 40. Diese Verknüpfung besteht im geltenden Recht nicht mehr, in der Gesetzesbegründung wird die Zielfestlegung lediglich als eine Alternative zur Verordnung bezeichnet, vgl. BTDrs. 12/5672, S. 15. Zur vorhergehenden Rechtslage J. Jekewitz, DÖV 1990, S. 51 ff. 527 E.-H. Ritter, StWStP 1 (1990), S. 50, 54 f. 528 H. Schulze-Fielitz, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 291, 297; L. Diederichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 117; Ch. Engel, Abfallrecht und Abfallpolitik, 2002, S. 155 f., 231. 529 Vgl. zu dieser Intention des Gesetzgebers des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes CDU/CSU/FDP, Koalitionsvereinbarung v. 13.11.1994, S. 35: „Zur Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes werden die notwendigen Verordnungen, mit denen die Produktverantwor-
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beschränkungsabreden 530 meistens in solchen Bereichen zustande gekommen, in denen der Gesetzgeber der Bundesregierung oder dem Bundesumweltministerium eine einschlägige Verordnungsermächtigung eingeräumt hatte. 531 Dieses Funktionsmuster findet sich in den Verordnungsermächtigungen zur Produktverantwortung nach §§ 23 ff. KrW-/AbfG, aber auch in den §§ 6, 7 KrW-/AbfG. Diese enthalten „Folterinstrumente, deren Vorzeigen andere Kooperationsformen veranlassen könnte“. 532 Nach § 6 Abs. 1 KrW-/AbfG kann der Vorrang einer Verwertungsart – stofflich oder energetisch – vorgeschrieben werden. § 7 Abs. 1 KrW-/AbfG enthält eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen, um die Erfüllung der in §5 KrW-/AbfG enthaltenen Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft durchzusetzen. 533 Eine weitere Erhöhung des Drohpotentials ergibt sich, wenn bereits ein verabschiedungsreifer Verordnungsentwurf vorliegt. 534 Die Literatur erfasst die Motivation des erkennbaren Bestrebens der Industrie, dem Erlass der Rechtsverordnung durch Selbstbeschränkungsabkommen zuvorzukommen, dahingehend, dass im Abkommen für gewöhnlich weniger einschneidende Regelungen enthalten sind als in den geplanten Rechtsverordnungen. 535 Zudem fördere ein „freiwilliges Abkommen“ zum Umweltschutz im weiteren Sinne das Image des betroffenen Industriezweigs. 536 Verordnungsvertretende Absprachen finden sich im Bereich verschiedenster Umweltgesetze. 537 So wurden etwa die Verordnungsermächtigungen des § 9 Abs. 2 des tung der Wirtschaft, insbesondere für Altautos, Elektronikschrott und Batterien geregelt wird, vorgelegt. Dabei sollen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft Vorrang haben.“ 530 Zu Vereinbarungen mit standardsetzendem, normähnlichem Charakter als Gegenstand öffentlich-rechtlicher Verträge F. Reimer, VerwArch 94 (2003), S. 543, 559. 531 Hierzu die Bewertung des SRU, Umweltgutachten 1998, Rn.280, wonach die Glaubwürdigkeit der Drohung mit staatlicher Regelung in erster Linie vom umweltpolitischen Klima und den dadurch begründeten Chancen auf eventuelle Durchsetzung der Zielvorstellungen im politischen Prozess abhänge. 532 D. Murswiek, JZ 1988, S. 985 ff., 988; Ch. Engel, Abfallrecht und Abfallpolitik, 2002, S. 232 f. Zur Ermächtigung des § 14 AbfG 1972 als „Knüppel im Sack“, der Anlass geben sollte, dass Fachleute in Staat und Privatwirtschaft gemeinsam Grenzwerte ermitteln, deren Überschreiten ein Verbot zur Folge haben sollte, BVerfGE 98, 106, 126 (Verpackungssteuer). 533 J. Fluck, UPR 2000, S. 281, 283. Auf dieser Grundlage können bestimmte Verwendungsbeschränkungen, Kennzeichnungspflichten oder Anforderungen an die Einsammlung von Abfällen festgeschrieben werden. 534 Ch. Engel, StWStP 9 (1998), S. 535, 542, der als Beispiel das Vorgehen des Bundesumweltministeriums 1993 bei den Papierabfällen anführt; hierzu auch K.W. Grewlich, DÖV 1998, S. 54, 55 f. 535 H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 227; generell zum Problem der Erforderlichkeit gesetzlicher Ermächtigungen für verordnungsvermeidende Absprachen T. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 136 f.; umfassend zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Absprachen S. Kautz, Absprachen im Verwaltungsrecht, 2002, S. 152 ff. 536 H.-W. Arndt, ebd.; zu Vor- und Nachteilen normativer Absprachen ausführlich L. Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2001, S. 203 ff. 537 Mit der Einschätzung normvertretender Absprachen als Ausdruck einer „zunehmenden Verfeinerung des umweltpolitischen Instrumentariums“, C. Franzius, Instrumente indirekter
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes nie genutzt. 538 Stattdessen wurde eine Absprache zwischen dem beteiligten Bundesministerium und vier Industrieverbänden getroffen. 539 Nie erfüllt wurde die gesetzliche Verpflichtung zum Erlass einer Wärmenutzungsverordnung, die in der – inzwischen aufgehobenen – Verordnungsermächtigung des § 5 Abs. 2 BImSchG lag, obwohl dies die Grundpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG weitgehend unanwendbar machte. 540 In der Literatur wird vermutet, dass die Beibehaltung des § 5 Abs. 2 BImSchG nur als Mittel zu dem Zweck diente, die deutsche Wirtschaft zu veranlassen, ihre unverbindliche Selbstverpflichtungserklärung zur Klimavorsorge einzuhalten. 541 Beide Beispiele verdeutlichen, dass die hier dargestellten Gesetzesstrukturen an der Grenze zur symbolischen Umweltrechtsetzung anzusiedeln sind. 542 Nach Abschluss einer Kooperationsregelung kommt bei Aufnahme des entsprechenden Ergebnisses in eine Rechtsverordnung dieser die Funktion eines „Ratifizierungsinstrumentes“ 543 zu. 544 Diese Verrechtlichung vermeide einerseits späteren Streit über den Inhalt der Absprache, erschwere andererseits die nachträgliche Einwirkung auf den Vertragsinhalt und verbessere so die Verhandlungsposition der staatlichen Vertragspartner, wenn die privaten Partner eine Abänderung des Vertrages verlangen. 545 Als praktische Beispiele können die Altautoverordnung 1997 546 Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, 2000, S. 167, Fn. 275. Hierzu auch die Bestandsaufnahme umweltrechtlichen Selbstverpflichtungen und Absprachen bei L. Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2001, S. 48 ff. 538 Dieses Beispiel referiert E. Bohne, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlung I, 1990, S. 217, 222, 223. 539 Zu weiteren Erscheinungsformen U. Dempfle, Normvertretende Absprachen, 1994; zu Umweltvereinbarungen auf europäischer Ebene L. Krämer, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 15, Rn. 73 ff. 540 Vgl. hierzu H. D. Jarass, NVwZ 1986, S. 607 ff.; G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385 ff. Teilweise ausgeschöpft ist die Ermächtigung allerdings durch § 8 der 17. BImSchV, vgl. H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 5, Rn. 104. 541 H. Sendler, UPR 2002, S. 281, 284. Vgl. des weiteren H.-J. Koch/C. Behrend, in: Klimaschutz im Recht, 1997, S. 161, 179, 181 ff. zu den Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft und zu der „im Gegenzuge“ dazu abgegebenen Erklärung der Bundesregierung, die Wärmenutzungsverordnung „einstweilen“ zurückzustellen. Zum Fall des Verzichts auf die ursprüngliche Version der Festbetrags-Anpassungsverordnung aufgrund einer Einmalzahlung der pharmazeutischen Industrie H. Dreier, FAZ v. 4.6.2002, S. 7. 542 Vgl. zum Problem der symbolischen Gesetzgebung unter Bezugnahme auf das Umweltrecht B. Hansjürgens/G. Lübbe-Wolff, Symbolische Umweltpolitik, 2000; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 77; M. Führ, KritV 2003, S. 5 ff.; H. D. Jarass, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381, 390 f. 543 Ch. Engel, StWStP 9 (1998), S.535 f. Diese Wirkung entspreche jener der notariellen Beurkundung eines privatrechtlichen Vertrages (ebd.). 544 Zur Verordnungsgebung als „rechtliches Passepartout für die Selbstverpflichtung“ H. Schulze-Fielitz, in: Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 291, 297. 545 Ch. Engel, StWStP 9 (1998), S. 535, 557; ders., Abfallrecht und Abfallpolitik, 2002, S. 233. 546 Nachweise zur Altautoverordnung in den nachfolgenden Fußnoten.
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und die Batterieverordnung 547 dienen, die beide auf Selbstverpflichtungserklärungen der Industrie basieren. 548 Darüber hinaus wird die Rechtsverordnung auch zur rechtsförmigen Erstreckung einer Absprache auf Dritte genutzt. Hierzu bedarf es des Tätigwerdens eines staatlichen Rechtsetzungsorgans. Dieses Vorgehen illustriert die Genese der Altautoverordnung 1997, 549 nach der die Entledigung von Altautos nur an anerkannte Verwertungsbetriebe erfolgen darf. Adressat der Rückgabepflicht sind danach die Altautobesitzer, nicht die Autohersteller bzw. Autovertragshändler. Die Grundlage für die Altautoverordnung stellt die Erklärung über die „Freiwillige Selbstverpflichtung zur umweltgerechten Autoverwertung (PKW) im Rahmen des KrWG“ vom 20.3.1997 dar, 550 in der verschiedene Verbände der Automobilindustrie und sonstiger beteiligter Wirtschaftszweige und Verbände zusagen, ihrer Produktverantwortung gerecht zu werden, die Verwertbarkeit von Altautos zu fördern und Automobile zurückzunehmen, soweit sie nicht älter als 12 Jahre sind. 551 Dieses Regelungsmodell hat zwischenzeitlich eine Modifizierung erfahren: Die im Jahr 2000 ergangene EG-Altfahrzeugrichtlinie 552 wurde 2002 umgesetzt durch das Gesetz über die Entsorgung von Altfahrzeugen (Altfahrzeug-Gesetz). 553 Die bisherige Altautoverordnung von 1997 wurde zu diesem Zweck entsprechend den Vorgaben der Richtlinie geändert und in Altfahrzeug-Verordnung umbenannt. 554 In ähnlicher Weise folgte der Verordnungsgeber bei der Batterieverordnung den Vorschlägen der einschlägigen Verbände. 555 Die Erstreckungswirkung bezieht sich dabei vor allem auf außenstehende Hersteller, 547 Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren v. 27.3.1998, BGBl. I, 658 in der Fassung der Bekanntmachung v. 2.7.2001, BGBl. I 1486, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.9.2001, BGBl. I 2331. 548 Hierzu H.-H. Trute/W. Denkhaus/D. Kühlers, Regelungsstrukturen der Kreislaufwirtschaft, 2004, S. 41 ff.; 57 ff., M. Schmidt-Preuß, in: Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, 1999, S. 195 ff. 549 Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 4. Juli 1997, BGBl. I 1997, 1666; hierzu die Nachweise in den vorhergehenden Fn. sowie C. Franzius, Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, 2000, S. 170, Fn. 291. 550 Abgedruckt bei L. Giesberts/J. Hilf, Kreislaufwirtschaft Altauto, 1998, S. 73 ff. 551 K. Fischer, NVwZ 2003, S. 321 ff. 552 Am 18.9.2000 von Rat und Europäischem Parlament auf der Grundlage des Art. 175 EG verabschiedet; abgedruckt in: Abl. EG Nr. L 269, S. 34 ff. 553 Dazu H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 225. Das Altfahrzeug-Gesetz sehe neben der Rücknahmepflicht für Altautos auch das Verbot bestimmter Schwermetalle bei der Produktion vor, wodurch ein zusätzlicher Innovationsschub bei den Verwertungs- und Recyclingverfahren ausgelöst werden solle. 554 Verordnung über die Entsorgung von Altautos und die Anpassung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 1997, 1666 v. 4.7.1997, BGBl. 1666 in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.6.2002, BGBl. I 2214 als Verordnung über die Überlassung, Rücknahme und umweltverträgliche Entsorgung von Altfahrzeugen, zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.11.2003, BGBl. I 2304. Näher hierzu K. Fischer, NVwZ 2003, S. 321 ff. 555 J. Fluck, in: Das Kooperationsprinzip, 1999, S. 85, 106 ff.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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die im Ergebnis in das „Kartell der vertragsschließenden Hersteller“ gezwungen werden. 556 Die kooperativen Funktionen der skizzierten Rechtsverordnungen kommen kaum im eigentlichen Verordnungstext zum Ausdruck; diese sind vielmehr mehrheitlich als reines Ordnungsrecht formuliert. 557 Das abfallrechtliche Verordnungssystem stellt sich also als äußerer Rahmen dar, innerhalb dessen Kooperationsprozesse stattfinden, der demnach auch die Kooperation reguliert und steuert. Insoweit zeigt sich das Verbleiben einer staatlichen Letztverantwortung. Gleichermaßen erhellt sich damit auch, warum es hier trotz der Analyse des eigentlichen Kooperationsverhältnisses als kleinteiligen Einigungsprozess in der Folge der strukturellen Unfähigkeit des modernen Gesetzgebers hinreichend konkrete Regelungen zu schaffen zur Statuierung von Verordnungsermächtigungen kommt: Delegationsnormen und Rechtsverordnungen zeigen sich als rahmenbildender Steuerungsversuch. 558 Die gesetzlichen Vorgaben an das Verfahren des Verordnungserlasses nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz lassen sich auch für sich genommen als Ausdruck kooperativen Staatshandelns verstehen. 559 Denn alle angesprochenen Verordnungsermächtigungen verweisen auf die Anhörung der beteiligten Kreise nach § 60 KrW-/AbfG. 560 Die Kooperationseffekte dieser Anhörungspflicht im Prozess der Rechtsetzung treten zu der oben beschriebenen abfallrechtlichen Kooperationsstrategie hinzu, die wie gesehen ihren eigentlichen Ort in einem der Rechtsetzung vor- bzw. nachgelagerten Raum hat. Danach ist die Kooperation durch die Anhörung der beteiligten Kreise also einer übergeordneten strategischen Ebene der „kooperativen Kooperationssteuerung“ zuzuordnen. Den gesellschaftlichen Kreisen kommt auf der Ebene der Kooperationssteuerung eine nur schwache Rechtsposition zu, denn die Anhörung vermag lediglich materielle Forderungen an den Verordnungsgeber als Steuerungsakteur heranzutragen. Die Anhörungsinhalte bleiben ohne Verbindlichkeit für das als Endprodukt gesetzte (Verordnungs-) Recht. Demgegenüber tritt der Staat innerhalb des als Steuerungsobjekt definierten Kooperationsraumes in einen Verhandlungsvorgang ein – wenn auch der Verhandlungs556 Zur diesbezüglichen Steuerungslogik des Gesetzgebers Ch. Engel, StWStP 9 (1998), S. 535, Abschnitt III 6: Für die staatlichen Akteure stehe und falle der Nutzen der Abrede mit dem Organisationsgrad des Verbandes. Deshalb werde zuweilen die Konstitution oder jedenfalls die Stärkung des Verbandes selbst zum Vertragsprogramm gemacht, so etwa bei der auf einer Selbstbeschränkungsabrede beruhenden Batterieverordnung. § 4 Abs. 3 BattV lasse prinzipiell zwar auch unternehmenseigene Rücknahmesysteme zu, privilegiere branchenübergreifende Rücknahmesysteme aber in zahlreicher Hinsicht, wodurch den Unternehmen praktisch nichts anderes übrig bleibe, als sich dem brachenübergreifenden System anzuschließen. 557 Am Beispiel der Verpackungsverordnung R. Schmidt/L. Diederichsen, JZ 1999, S.37, 39. 558 Vgl. J. Fluck, in: Das Kooperationsprinzip, 1999, S. 85, 98 f. 559 Zur Anhörung beteiligter Kreise vor dem Erlass von Rechtsverordnungen als Ausdruck kooperativen Staatshandelns W. Berg, in: Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 6. Aufl. 1996, Kap. H, Rn. 9; hierzu auch R. Breuer, in: Regelungsmaß und Steuerungskraft des Umweltrechts, 2000, S. 27 ff., 35. 560 Vgl. § 6 Abs. 1 (S. 4), § 7 Abs. 1, § 23 und § 24 Abs. 1 KrW-/AbfG.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
spielraum vorher festgelegt ist. 561 Schließlich berechtigt das Abfallrecht auch den Bundestag zur Mitwirkung an der Verordnungsgebung. Die Ablehnungs- und Änderungsbefugnis des § 59 KrW-/AbfG erfasst alle hier angesprochenen Verordnungsermächtigungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. 562 Zur Entwicklung des Verhältnisses von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften lässt sich feststellen, dass die Rechtsverordnung im Verhältnis zur Verwaltungsvorschrift im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (1994/1996) gegenüber dem Abfallgesetz (1986) an Bedeutung gewonnen zu haben scheint. Dies lässt sich beispielsweise festmachen daran, dass im Bereich der Abfallbeseitigung mit dem § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG eine Verordnungsermächtigung in einem Bereich geschaffen wurde, der vormals über Verwaltungsvorschriften gesteuert wurde. 563 Auf die Ermächtigung des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Erfüllung der in § 11 KrW-/AbfG festgelegten Grundpflichten der Abfallbeseitigung wurde beispielsweise die Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002 564 gestützt. 565
6. Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns Nach der vorhergehenden Darstellung der Rechtsverordnung als eines überaus variablen Instruments präventiven und kooperativen Staatshandelns soll im Folgenden insbesondere die verwaltungsorganisatorische Dimension der Verordnungsgebung untersucht werden. In dieser Hinsicht wird die Rechtsverordnung in teils ambivalenter Weise eingesetzt um die Breitenwirkung des Verwaltungshandelns zu steuern. Nach den Vorgaben des Bundesgesetzgebers hat die umweltrechtliche 561 Insoweit bestehen gewisse Parallelen zum Polizeirecht, wo begrenzt auf ein bestimmtes Gebiet ein ähnliches Instrument zum Einsatz kommt – das Institut des Austauschmittels; vgl. hierzu etwa Art. 5 Abs. 2 S. 2 bayPAG oder § 16 Abs. 2 BGSG: „Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird.“ Hierzu B. Drews/G. Wacke/K. Vogel/W. Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 429; B. Pieroth/B. Schlink/M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 10, Rn. 28. 562 § 59 KrW-/AbfG bezieht sich auf Rechtsverordnungen nach § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 4, §§ 23, 24 und 57 KrW-/AbfG. 563 Hierzu S. Paetow, in: FS Blümel, 1999, S. 403, 405 ff.; auch zum Verhältnis von § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG zur Ermächtigung des § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG zum Erlass von Verwaltungsvorschriften. 564 BGBl. I 2807, geändert durch Verordnung v. 26.11.2002, BGBl. I 4417. 565 Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich im Wasserrecht. Hier wurde die Allgemeine Rahmenverwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 8.9.1989 (GMBl. S. 518); zuletzt idF der Bekanntmachung vom 31.7.1996 (GMBl. S. 729) durch die Abwasserverordnung vom 21.3.1997, BGBl. I. S. 566, neugefasst durch Bekanntmachung vom 17.6.2004, BGBl. I 1108 abgelöst; vgl. dazu R. Breuer, DVBl. 1997, S. 1211, 1215 f.
II. Funktionen der Rechtsverordnung
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Rechtsverordnung zum weit überwiegenden Teil Vereinheitlichungsleistungen zu erbringen, 566 wobei grundsätzlich auf die Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns, und in besonderem Maße auf die Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen im Bundesstaat gezielt wird. 567 Die besondere Ambivalenz der hier dargelegten Funktion ergibt sich daraus, dass in anderen Fällen die Rechtsverordnung in strukturell entgegengesetztem Sinne als Instrument der Regionalisierung 568 und damit nicht der Vereinheitlichung, sondern der Differenzierung dient. 569 a) Die Vereinheitlichung verwaltungsbehördlicher Einzelentscheidungen durch Rechtsverordnungen Als regelmäßig abstrakt-generelle Rechtssätze werden Rechtsverordnungen zur Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis herangezogen. Die Rechtsverordnung wird zur gleichmäßigen Programmierung der Verwaltungsentscheidungen eines Sachbereichs gebraucht. 570 Dabei kann der spezifische Standardisierungsspielraum der Rechtsverordnung genutzt werden, der aus der erhöhten Gestaltungsfreiheit des Verordnungsermessens gegenüber dem „einfachen“ Verwaltungsermessen folgt. 571 Aus der Sicht der Adressaten wird durch die Erstreckung der Regelung auf das Verhalten einer Vielzahl von Personen in bestimmten, vertypten Situationen über einen gewissen Zeitraum hinweg 572 ein sachgerechter und die Gleichbehandlung sichern566 Zum Vereinheitlichungspotential der Rechtsverordnung BVerfGE 7, 267, 274 (Umsatzsteuer Volkshochschule) im Blick auf § 18 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1951: Die Vorschrift erlaube dem Verordnungsgeber, den gesetzlichen Bestimmungen Einzelvorschriften in Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten hinzuzufügen, die den „Umfang“ der Befreiungen und Ermäßigungen festlegen. Der Verordnungsgeber könne dadurch Rechtsanwendungsfragen einheitlich und verbindlich klären. Zur Vereinheitlichungsfunktion von Rechtssätzen allgemein vgl. die Beiträge in Ch. Starck (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, 1992. 567 Hierzu R. Breuer, NVwZ 1988, S. 104, 109 im Anschluss an P. Badura, in: FS Bachof, 1984, S. 169, 172, 173 f.; H. D. Jarass, NJW 1987, S. 1225, 1228 f. 568 Vgl. hierzu BVerfGE 42, 191 (Personenbeförderung). Hier rechtfertigte das BVerfG die Verordnungsermächtigung des § 51 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz zum Erlass regional differenzierter Beförderungsentgelte für den Gelegenheitsverkehr zum Zwecke des Krankentransports mit dem Argument, dass bei der Festsetzung der Entgelte im Krankentransportwesen auch regional oder örtlich begrenzte Verhältnisse erheblich sein können, die einer bundesoder landeseinheitlichen Regelung nur schwer zugänglich seien und der normativen Gestaltung durch den sachnah angesiedelten Verordnungsgeber vorbehalten bleiben dürften; BVerfGE 42, 191, 203. 569 Vgl. zur Hervorhebung der Funktion der Rechtsverordnung als Instrument der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten aus der Literatur W. Nagel, Die Rechtskonkretisierungsbefugnis der Exekutive, 1993, S. 61; S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 825. 570 K. König/N. Dose, Instrumente staatlichen Handelns, 1993, S. 28. 571 Vgl. dazu Ch. Weitzel, Justiziabilität des Rechtsetzungsermessens, 1998, hierzu die Besprechung von M. Möstl, AöR 126 (2001), S. 655 ff. 572 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 11.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
der Vollzug garantiert. 573 Mit der Vereinheitlichung der Einzelentscheidungen gehen erhebliche verwaltungsinterne Entlastungseffekte einher: So wird die Verwaltung dadurch entlastet, dass sie gleichgelagerte Fälle nicht einzeln zu entscheiden braucht, sondern eine generelle, alle Fälle erfassende Regelung treffen kann. 574 Durch diese wird gewährleistet, dass nicht in jedem Einzelfall alle grundsätzlichen Wertentscheidungen neu getroffen werden müssen. 575 Entlastungswirkungen resultieren auch daraus, dass abstrakt-generelle Regelungen die Speicherung gefundener Lösungen in die Zukunft hinein ermöglichen. 576 b) Die Neuordnung des Bundes-Bodenschutzrechts als Anwendungsfeld der Vereinheitlichung der verwaltungsbehördlichen Praxis Die weit überwiegende Zahl der Rechtsverordnungen des Umweltrechts ist auf die Vereinheitlichung verwaltungsbehördlicher Einzelentscheidungen gerichtet. Als ein Beispiel aus der jüngeren Umweltrechtsetzung des Bundes lässt sich die Rechtsentwicklung des Bodenschutz- und Altlastenrechts verstehen. 577 Die Neuordnung dieses Rechtsgebietes in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre durch den Erlass des Bundes-Bodenschutzgesetzes 578 und insbesondere der Bundes-Bodenschutzverordnung 579 war in erheblichem Maße von der Intention einer Vereinheitlichung auseinanderklaffender behördlicher Einzelentscheidungen getragen.580 Hierzu resümiert Michael Kloepfer, durch die Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für die Sanierung von schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten und die für den Erlass von einheitlichen Dokumenten erforderlichen Rechtsverordnungsermächtigun573 P. Badura, in: GedS W. Martens, 1987, S. 25, 25 f.; ähnlich M. Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187, 210. 574 A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S.107, 115; H. Maurer, in: FS W. Leisner, 1999, S. 583, 585, der diese Entlastungswirkung insbesondere von unteren Verwaltungsbehörden erlassenen Rechtsverordnungen zuordnet, die er als Verwaltungsrechtsverordnungen den Regierungsrechtsverordnungen der Ministerialverwaltung gegenüberstellt. 575 K. König/N. Dose, Instrumente staatlichen Handelns, 1993, S. 26. Zur Entlastungswirkung für die Behörden auch E. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1989, S. 533 ff. 576 Vgl. G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 139 ff. 577 R. Heiermann, ZG 1999, S. 215 ff.; H.-W. Rengeling, in: UTR 53 (2000), S. 43 ff.; F.-J. Peine, in: EUDUR II, Tb. 1, 2. Aufl. 2003, § 79. 578 Bundes-Bodenschutzgesetz v. 17.3.1998, BGBl. I 1998, 502, geändert am 9.9.2001, BGBl. I 2231. Zur Herleitung des Gesetzgebungskompetenzen des Bundes aus verschiedenen Normen des Art. 74 GG, so insbesondere aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 18, 24 GG vgl. BTDrs. 13/6701, S. 16 ff. Allerdings bewirkt der Erlass des Bundes-Bodenschutzgesetzes keine Zentralisierung des Bodenschutzrechts, vielmehr enthalten auch das Abfallrecht, das Immissionsschutzrecht, das Naturschutzrecht und das Wasserrecht bodenschutzrechtliche Regelungen. 579 Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung v. 12.7.1999, BGBl. I 1554. 580 F.-J. Peine, in: EUDUR II, Tb. 1, 2. Aufl. 2003, § 79, Rn. 116.
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gen sei „zumindest eine Teilvereinheitlichung des bislang zerrissenen Rechtsbereichs erfolgt“. 581 Die Vereinheitlichungsperspektive dieser Neuordnung des Bodenschutzrechts erklärt sich aus der vorherigen Rechtslage, die unter verschiedenen Aspekten als unbefriedigend angesehen wurde: Die Eingriffsbefugnisse für behördliche Sanierungsanordnungen waren den Ländergesetzen zu entnehmen; je nach landesrechtlicher Regelung kamen dafür Landes-Bodenschutzgesetz, -Abfallgesetz, -Wassergesetz oder -Polizeigesetz in Betracht. 582 Erhebliche Abweichungen ergaben sich bei den Standards, die zur Konkretisierung der Voraussetzungen und damit als Grundlage der behördlichen Entscheidung über die Sanierung herangezogen wurden. Es existierten ca. 30 „Wertelisten“ unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Inhalts, aber ohne rechtsverbindliche Wirkung. 583 Als bekannteste dieser „Wertelisten“ galt die sog. Holland- oder Niederländische Liste, 584 daneben waren auch die sog. Kloke-Liste (Orientierungswerte für tolerierbare Gesamtgehalte einiger Elemente in Kulturböden), die Berliner Liste (Beurteilungskriterien für die Beurteilung kontaminierter Standorte in Berlin), die Hamburger Liste und die Brandenburger Liste in Gebrauch. Daraus ergaben sich teilweise erhebliche Abweichungen. 585 Diese Rechtslage warf vielfache Probleme auf, so etwa die Gefährdung der Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit des Staatshandelns, eines Gebots des Rechtsstaatsprinzips. Aus Sicht der betroffenen Grundrechtsträger, insbesondere von wirtschaftlichen Akteuren, wurde die Rechtslage bemängelt; kritisiert wurden dabei insbesondere die fehlende Rechtssicherheit und Planungssicherheit.586 Zur Behebung dieses Missstands setzte der Gesetzesgeber des Bundes-Bodenschutzgesetzes die Rechtsform der Rechtsverordnung ein, so durch die Verordnungsermächtigungen zur Normierung von Prüfwerten als Grundlage einzelfallbezogener Sanierungsuntersuchungen in § 8 Abs. 1 Nr. 1 BBodSchG und die Normierung von Maßnahmewerten als Grundlage für Sanierungsmaßnahmen in § 8 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG. 587 Die hinter M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 86. Näher W. Sandner, NJW 2000, S. 2542, 2542. 583 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S.91; U. Riedel, UPR 1999, S.92, 95, Fn. 24; A. Schmidt-Räntsch/J. Sanden, NuR 1999, S. 555, 558. 584 Zum gerichtlichen Umgang mit der sog. Holland-Liste OVG Lüneburg, GewArch 1998, 173. 585 Vgl. das Beispiel bei W. Sandner, NJW 2000, S. 2542, 2542, Fn. 10 zur Bewertung der Grundwasserbelastung mit Mineralölkohlenwasserstoffen in Berlin, Brandenburg und BadenWürttemberg. 586 Hierzu W. Erbguth/F. Stollmann, NuR 1999, S. 127, 130; H.-P. Vierhaus, NJW 1998, S. 1262, 1264. 587 In der Literatur werden aufgrund fehlender Maßstäbe zur Ermittlung der Werte gegen § 8 BBodSchG verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG geltend gemacht, so von Ch. Bickel, BBodSchG, 3. Aufl. 2002, § 8, Rn. 2: Die mangelnde Regelungsdichte der Ermächtigungsnorm liege darin begründet, dass man sich unter den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten zwar für eine Vereinheitlichung entschieden habe, sich aber nicht auf die Grundprinzipien dieser Vereinheitlichung einigen konnte, so dass 581 582
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dieser Verordnungskonzeption stehende Vereinheitlichungsintention des Gesetzgebers kam im Gesetzgebungsverfahren deutlich zum Ausdruck. So wurde in der Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf ausgeführt, das vorgesehene Regelwerk harmonisiere die zur Zeit unterschiedlichen Maßstäbe der Bundesländer. 588 Bundeseinheitliche Maßstäbe seien aus Gründen der Investitions- und Rechtssicherheit erforderlich. Wettbewerbsverzerrungen würden vermieden, da das vorgesehene Regelwerk die zur Zeit unterschiedlichen Maßstäbe der Bundesländer für die entscheidenden Belastungspfade 589 und für die Altlastensanierung harmonisiere. Indem Verfahren und Werte festgeschrieben würden, könne „die Sanierung im gesamtstaatlichen Interesse übereinstimmend gesteuert werden“.590 Vor diesem Hintergrund wurde 1999 die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung 591 erlassen, die durch Regelungen zur Untersuchung und Deutung von schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten, zu Sanierungsmaßnahmen und zu Vorsorgemaßnahmen die Verwaltungspraxis vereinheitlichen soll. 592 Deren System der Prüf- und Maßnahmewerte trat an die Stelle der höchst uneinheitlichen Bewertungspraxis auf der Grundlage einer Vielzahl nicht rechtsverbindlicher Listen. 593 Nach Auffassung verschiedener Autoren 594 ist durch den Erlass dieser Verordnung die Anwendung der verschiedenen Listen aufgrund der Sperrwirkung, welche Bundes-Bodenschutzgesetz sowie Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung gemäß Art. 72 GG entfalten, 595 generell ausgeschlossen. 596 man sie ausgeklammert und auf das Verordnungsverfahren delegiert habe. Genau dies wolle Art. 80 Abs. 1 GG verhindern, so dass die Ermächtigung an einem verfassungsrechtlichen Mangel leide. 588 BT-Drs. 13/6701, S. 18. 589 Als Belastungspfade angeführt werden die Nutzung des Bodens sowie Kontaminationen in sonstiger Weise durch eine wirtschaftliche Tätigkeit, BT-Drs. 13/6701, S. 18. 590 BT-Drs. 13/6701, S. 18. Weiterhin heißt es: Nur mit einem effizienten bundeseinheitlichen Altlastenmanagement gelinge es im übrigen, das in Deutschland verfügbare SanierungsKnow-How in wettbewerbsfähige Arbeitsplätze umzusetzen. Der Exportartikel „Sanierungstechnik und -beratung“ brauche im internationalen Wettbewerb verlässliche einheitliche Rahmenbedingungen. 591 Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung vom 12.7.1999, BGBl. I 1554. 592 Näher M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 109 f. 593 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zur früheren Rechtslage. 594 A. Henke, Funktionaler Bodenschutz, 2003, S.236; S. Kobes, NVwZ 2000, S.261 ff., 264. 595 Zu den gleichwohl fortbestehenden spezialgesetzlichen Bodenschutzvorschriften und der daraus abgeleiteten Erfassung des BBodSchG als Ausdruck einer „subsidiären Rechtsvereinheitlichung“ J. Wolf, Umweltrecht, 2002, Rn. 1183 ff. 596 Inwieweit die Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung tatsächlich die vom Gesetzgeber intendierten Ziele erreichen konnte, ist in der Literatur umstritten. So wird etwa festgestellt, aufgrund der unzureichenden Festsetzung von Maßnahmewerten erfülle die Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung die in sie gesetzten Erwartungen noch nicht, vgl. W. Sandner, NJW 2000, S. 2542, 2547; vgl. aber auch die erheblich optimistischere Darstellung bei A. Schmidt-Räntsch/J. Sanden, NuR 1999, S.555, 558. Nach teilweise vertretener Ansicht führt die fehlende Praxistauglichkeit einzelner Vorgaben zur Rückbesinnung auf die vormals domi-
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c) Das Immissionsschutzrecht als Anwendungsfall der bundesstaatlichen Vereinheitlichungswirkungen der Bundes-Rechtsverordnungen Rechtsverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen bezwecken nicht nur die allgemeine Vereinheitlichung verwaltungsbehördlicher Einzelentscheidungen, wie sie jedenfalls für den Bereich eines Bundeslandes auch mit landesrechtlichen Rechtsverordnungen erreichbar ist. Vielmehr sind entsprechende Verordnungsermächtigungen, soweit sie sich an Delegatare der Bundesebene wenden, auch auf ausgreifende Vereinheitlichungswirkungen im Bundesstaatsverhältnis gerichtet. Den weitreichendsten umweltrechtlichen Anwendungsfall derartiger bundesstaatlicher Vereinheitlichungswirkungen stellt die Verordnungsgebung des Bundes-Immissionsschutzrechts dar. Der verfassungsrechtliche Rahmen dieser Vereinheitlichungswirkung wird wesentlich von der doppelten Sperrwirkung gebildet, die sich zum einen aus der inhaltlichen Kollisionsregel des Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht“), zum anderen aus der Regelung der Art. 74 Abs. 1 iVm mit Art. 72 GG ergibt. Nach der Regelung des Art. 72 Abs. 1 GG entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder, sobald und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch macht. 597 Dabei wird die Blockade des Landesgesetzgebers nicht nur durch bundesgesetzliche „Vollregelungen“, sondern grundsätzlich ebenso durch bundesgesetzliche Verordnungsermächtigungen ausgelöst. 598 Die verfassungsrechtliche Grundlage für das Bundes-Immissionsschutzgesetz wurde 1972 durch eine Änderung des Grundgesetzes geschaffen, 599 indem durch die Aufnahme in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung für die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung übertragen wurde. Mit dieser Grundgesetzänderung ging eine „Hochzonung des Immissionsschutzrechts auf die Bundesebene“ 600 einher, denn zuvor war es bereits auf Landesebene zu entsprechenden gesetz-
nierenden Werte-Listen, so C. Nicklas, LKV 2000, S.376, 378 mit Blick auf die für den Fall des Fehlens eines Prüf- oder Maßnahmenwerts in § 4 Abs. 5 vorgesehene Ableitung eines entsprechenden Wertes nach den in Anhang 2 der BBodSchV herangezogenen Methoden und Maßstäben, die im BAnZ Nr. 161 a vom 28. August 1999 veröffentlicht sind; zum Rückbezug auf die sog. Holland-Liste OVG Lüneburg, DÖV 2000, 825. 597 Zur Einfügung der Worte „durch Gesetz“ im Rahmen der im Oktober 1994 beschlossenen Grundgesetzreform und der hiermit verfolgten Zielsetzung vgl. M. Böhm, DÖV 1998, S. 234, 234 f. und 3. Teil, VI., 2., b). 598 P. Schütz, NVwZ 1996, S. 37, 40. 599 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 14.4.1972, BGBl. I 593. 600 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 302 mit einer aufschlussreichen Darstellung des politischen Hintergrundes der Grundgesetzänderung, der entscheidend beeinflusst worden sei durch den zunehmend erforschten Ferntransport der Schadstoffe, die Verhinderung sowohl eines Deregulierungswettbewerbs der Länder wie auch dadurch bedingter Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Normierungen des Industrieanlagenzulassungsrechts, die Gleichbehandlung der Emittenten und Effizienzgesichtspunkte sowie im Laufe der Zeit auch durch die Verpflichtung zur Umsetzung europäischer Vorgaben.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
geberischen Aktivitäten gekommen. 601 Die Vereinheitlichungsintention des Gesetzgebers wurde bereits im Rahmen der Gesetzesberatungen deutlich zum Ausdruck gebracht: „Das beim Bund und in den Ländern stark zersplitterte Recht des Immissionsschutzes wird weitgehend vereinheitlicht; damit wird die Voraussetzung für einen rationelleren und effektiveren Immissionsschutz geschaffen.“ 602 Die mit den 1970er Jahren einsetzende „Unitarisierung des Immissionsschutzrechts“603 beruht zum überwiegenden Teil auf den Verordnungsermächtigungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf deren Grundlage ergangenen Rechtsverordnungen. Dies lässt sich zum einen bereits quantitativ am überragenden Anteil des Verordnungsrechts am Gesamtbestand der immissionsschutzrechtlichen Normen604 festmachen, zum anderen an der Vertiefung und Erweiterung des Anlagenbegriffs des § 3 Abs. 5 BImSchG und damit des Anwendungsbereiches des Gesetzes durch die Ermächtigungen der §§ 32, 605 33 606 und 38 607 BImSchG für Regelungen zur Beschaffenheit der ortsbeweglichen Anlagen, einschließlich der Verkehrsfahrzeuge 608 oder die Verordnungsermächtigungen der §§ 34 609 und 35 610 BImSchG für Regelungen zu Verkehrsfahrzeugen, Brennstoffen, Treibstoffen sowie Stoffen und Erzeugnissen insgesamt. 611
601 Zum Landes-Immissionsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen von 1962 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 302. 602 Vgl. die Ausführungen zum Erstentwurf zum Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 30.11.1971 in: BT-Drs. 6/2868, Vorblatt, S. 1; ähnlich auch ebd., S. 22 ff. zur intendierten bundesrechtlichen Vereinheitlichung des „beim Bund und in den Ländern stark zersplitterte Recht des Immissionsschutzes“. 603 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 302. 604 Vgl. hierzu die Ausführungen im 1. Teil, II., 1., b), (1). 605 § 32 BImSchG ist neben § 23 Abs. 1 u. 37 BImSchG Grundlage der Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung (32. BImSchV) v. 29.8.2002, BGBl. I 3478. 606 Hierzu die Gebührenverordnung für Maßnahmen bei Typprüfungen von Verbrennungsmotoren (29. BImSchV) v. 22.5.2000, BGBl. I 735, geändert durch Gesetz v. 9.9.2001, BGBl. I 2331, gestützt auf § 33 Abs. 1 BImSchG. 607 Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraftstoffen (10. BImSchV) v. 13.12.1993, BGBl. I 2036, zuletzt geändert durch VO v. 22.12.1999, BGBl. I 2845, gestützt u. a. auf § 38 Abs. 2 BImSchG. 608 Vgl. G. Feldhaus, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 9, 11. 609 Hierzu Verordnung über den Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe (3. BImSchV) v. 24.6.2002, BGBl.I 2243, gestützt auf §34 Abs.1 u. 2 sowie §37 BImSchG; Verordnung über Chlor- und Bromverbindungen als Kraftstoffzusatz (19. BImSchV) v. 17.1.1992, BGBl. I 75, geändert durch Gesetz v. 21.12.2000, BGBl. I 1956, gestützt auf § 34 Abs. 1 S. 1 BImSchG. 610 Altölverordnung vom 27.10.1987, BGBl. I 2335 in der Fassung der Bekanntmachung v. 16.4.2002, BGBl. I 1368, gestützt auf verschiedene Vorschriften des Abfall- und Chemikalienrechts sowie § 37 BImSchG. 611 Vgl. G. Feldhaus, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 9, 11, der die Lösung über Verordnungsermächtigungen ebd. als „prinzipiell richtigen Lösungsweg“ bezeichnet.
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d) Anwendungsfelder für Rechtsverordnungen zur Regionalisierung des Verwaltungshandelns Die Etablierung von Verordnungsermächtigungen, die auf den Einsatz der Rechtsverordnung als Instrument der bewussten regionalen Differenzierung zielen, ist im Umweltrecht nur selten anzutreffen. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass nach den vorherrschenden politischen Einschätzungen die Rolle des adäquaten Akteurs umweltpolitischen Handelns dem Bund zugeordnet wird.612 Demzufolge sind bundesgesetzliche Ermächtigungsnormen zugunsten von Landesorganen die Ausnahme. Anleitend sind für derartige Ausnahmen wiederum die Vorgaben des Grundgesetzes. So finden sich regional differenzierende Rechtsverordnungen insbesondere im Bereich der Rahmengesetzgebung, wo bereits von Verfassungs wegen das Zusammenwirken der Bundes- und Landesgesetzgebung vorgegeben ist. Verwiesen sei auf die Verordnungsgebung der Länder im Regelungsbereich des auf der Rahmenkompetenz des Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG beruhenden Bundesnaturschutzgesetzes und des auf der Rahmenkompetenz des Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG beruhenden Wasserhaushaltsgesetzes. 613 Eine auf regionale Differenzierung ausgerichtete Ermächtigungsnorm innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen findet sich indes in §49 BImSchG. Diese Vorschrift ermächtigt die Landesregierungen zur verordnungsrechtlichen Festsetzung von Schongebieten sowie zur Festlegung, dass bestimmte Anlagen hierin nicht betrieben oder errichtet werden dürfen. Hierdurch können grundsätzlich „die anlagenbezogenen Anforderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verschärft und regional differenziert werden“. 614 Allerdings ist diese Ermächtigung von den Ländern bislang kaum genutzt worden. Nach einer Untersuchung von Michael Kloepfer hat von der Möglichkeit des §49 Abs.1 BImSchG gegenwärtig nur ein Bundesland (Berlin) und auch nur hinsichtlich eines Einzelproblems Gebrauch gemacht (Schwefelgehalt von Braunkohle für Heizzwecke). 615 Auf der Grundlage des § 49 Abs. 2 sowie des § 40 Abs. 1 BImSchG wurden in allen Bundesländern Smog-Verordnungen erlassen, die aber später wieder aufgehoben wurden.616 Allein klarstellenden Charakter hat § 49 Abs. 3 BImSchG, der deutlich macht, dass die Länder, soweit sie selbst regelungsbefugt sind, auch die Gemeinden und Gemeindeverbände zu immissionsschutzrechtlichen Regelungen ermächtigen können. 617 612 Vgl. nochmals die Ausführungen bei M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 302 zu der politischen Mehrheitsmeinung, die die Einrichtung der Bundeskompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG für den Immissionsschutz ermöglichte. 613 Zur Verordnungsgebung im Wasserrecht bereits vorhergehend 1. Teil, II., 4., b), (1). 614 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 303. 615 M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 303, zu den Ergebnissen der Untersuchung ebd. 616 H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 49, Rn. 25, vgl. auch U. Repkewitz, VerwArch 86 (1995), S. 88 ff. 617 H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 49, Rn. 26.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
e) Vereinheitlichung und Regionalisierung durch Verwaltungsvorschriften Verwaltungsvorschriften dienen traditionell der Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns. Eine Ausweitung des klassischen – auf die Binnenprogrammierung des Verwaltungshandelns gerichteten – Anwendungsfeldes lässt sich dahingehend feststellen, dass umweltrechtliche Verwaltungsvorschriften wie TA Luft und TA Lärm nicht primär auf die Organisation und Steuerung verwaltungsinterner Abläufe, sondern auf die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens im Außenverhältnis zielen. 618 Insoweit ergibt sich hier ein weites rechtspraktisches Anwendungsfeld, in dem Verwaltungsvorschriften funktional äquivalent 619 zur Rechtsverordnung eingesetzt werden. 620 Dieser funktionalen Äquivalenz entsprechend ordnet § 48 BImSchG – vergleichbar der Rechtslage bei den Rechtsverordnungen nach den vorhergehend ausgewerteten Verordnungsermächtigungen – für die einschlägigen Verwaltungsvorschriften die formelle Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 51 BImSchG an, ebenso ein Zustimmungsrecht zugunsten des Bundesrates.621 Demgegenüber erfasst die Vorschrift des § 20 Bundes-Bodenschutzgesetz über die Anhörung der beteiligten Kreise verschiedene Verordnungsermächtigungen, nicht aber Verwaltungsvorschriften. 622 Eine Beteiligung des Deutschen Bundestages an der Verordnungsgebung ist im Bundes-Bodenschutzgesetz nicht vorgesehen. Das BImSchG enthält erst seit dem Jahr 2002 die Änderungsbefugnis des § 48 b BImSchG; für den Zeitraum der skizzierten Vereinheitlichungsleistung bestand keine Mitwirkungsregelung dieses Inhalts. 623 Nach § 20 S. 1 BBodSchG ist im Erlassverfahren nach den erfassten Verordnungsermächtigungen 624 ein jeweils auszuwählender Kreis von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der Wirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, der Natur- und Umweltschutzverbände, des archäologischen Denkmalschutzes, der kommunalen Spitzenverbände und der für den 618 Zur Einordnung von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften als einer einheitlichen Kategorie von Instituten, die der Verwaltung eine eigenständige Programmierung und die Möglichkeit der Breitensteuerung erschließen sollen, E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 78. 619 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 24, Rn. 7 ff.; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 180 ff. 620 Auch in umgekehrter Richtung finden sich funktionale Äquivalenzen in Konstellationen, in denen die Rechtsverordnung allein der Vereinheitlichung des Binnenhandelns der Verwaltung dient, vgl. mit näheren Nachweisen nachfolgend 2. Teil, II., 3. 621 Vgl. zur Literatur zu § 51 BImSchG bereits die Nachweise unter 1. Teil, II., 1., d). 622 Zu § 20 BBodSchG C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999 sowie Ch. Bickel, BBodSchG, 3. Aufl. 2002, § 20, Rn. 1 f. 623 Zu dieser Regelung näher 1. Teil, II. 1., d). 624 Erfasst werden vor allem auch §§ 6 und 8 BBodSchG, auf welche die Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung gestützt wurde. Dabei sprechen §§ 51 BImSchG und § 60 KrW-/AbfG von „Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen und Allgemeinen Verwaltungsvorschriften“, während § 20 BBodSchG nur Rechtsverordnungen in den Blick nimmt.
III. Internationalisierung der Rechtsordnung
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Bodenschutz, die Altlasten, die geowissenschaftlichen Belange und die Wasserwirtschaft zuständigen oberen Landesbehörden zu hören.625
7. Zwischenergebnis Die eingangs der Arbeit gestellte Frage nach der qualitativ-funktionalen Dimension der Rechtsverordnung wird im ersten Komplex der Analyse und Typisierung der Umweltrechtsetzung unter dem Aspekt untersucht, inwieweit der Gesetzgeber unter den Bedingungen technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen die Rechtsverordnung zum Einsatz bringt [vgl. Einl., I. sowie 1. Teil, vor I.]. Diesbezüglich kann gezeigt werden, dass der Gesetzgeber die rechtliche Regelung gegenwärtigen Staatshandelns weitestgehend auf der Ebene der Verordnungsgebung operationalisiert. Das Aufgaben- und Leistungsprofil der Rechtsverordnung wird in gleichermaßen enormer Weise sowohl ausgedehnt als auch ausdifferenziert [1. Teil, II., 1.–6.]. Dabei hat der Gesetzgeber in Ausgestaltung seiner grundsätzlichen Freiheit in der Wahl der Rechtsetzungsform die Rechtsverordnung auf vielen Anwendungsfeldern zu einem feingliedrigen, sachbereichsadäquaten und flexiblen Instrument staatlicher Rechtsetzung entwickelt, so etwa im Bereich der beiden Anwendungsvarianten in Umsetzung des Vorsorgeprinzips [1. Teil, II., 3.], beim Einsatz der Rechtsverordnung als Planungsinstrument [1. Teil, II., 4.], beim Wandel kooperativer bzw. ordnungsrechtlicher Regulierungsstrategien [1. Teil, II., 5.] sowie bei der Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns [1. Teil, II., 6.]. Demgegenüber deutet in anderen Bereichen, insbesondere unter dem Einfluss extensiver und beständig neu formierter Beteiligungsrechte zugunsten des Bundesrates, des Bundestages oder gesellschaftlicher Kreise, die Entwicklung eher auf eine Ausgestaltung des verordnungsrechtlichen Einsatzfeldes und Verfahrensrechts in größtmöglicher Nähe zu jenem des parlamentarisch beschlossenen Gesetzes [vgl. etwa 1. Teil, II., 1., c); II., 3., d)]. Im Bereich verschiedener Funktionszuordnungen ergeben sich Parallelregelungen in der Rechtsform von Verwaltungsvorschriften, wobei sich mehrfach eine insbesondere europarechtlich begründete Verdrängung derartiger funktionaler Äquivalenzen zugunsten der Rechtsverordnung abzeichnet [1. Teil, II., 1., d); II., 2., c); II., 3., d)].
III. Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung Nachdem im ersten Komplex der Analyse und Typisierung der Funktionen der Rechtsverordnung untersucht wurde, inwieweit der Gesetzgeber die Rechtsverord625 Näher zur Zusammensetzung der beteiligten Kreise L.-A. Versteyl/W. D. Sondermann, Bundes-Bodenschutzgesetz, 2002, § 20, Rn. 10 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
nung unter den spezifischen Bedingungen technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen zum Einsatz bringt, wendet sich das Interesse nunmehr der rechtsetzungsorganisatorischen Verarbeitung eines weiteren bedeutenden Paradigmas gegenwärtigen Staatshandelns zu: Im Folgenden wird dargestellt, welche Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung zugeordnet werden. 1. Inkorporation des EG-Rechts Bevor nachfolgend die verordnungsrechtliche Transformation völkerrechtlicher Vorgaben und normstruktureller Umbrüche dargestellt wird, ist zunächst auf die Funktion der Rechtsverordnung als Instrument der Inkorporation europarechtlicher Vorgaben einzugehen. In diesem Bereich nimmt die Internationalisierung der Rechtsordnung ihre stürmischste Entwicklung. In dementsprechend extensiver Weise überträgt der Gesetzgeber die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben in das Recht der Bundesrepublik Deutschland auf die Rechtsform der Rechtsverordnung. 626 Ausschlaggebend für die zugrunde liegende verstetigte Überwölbung der nationalen Rechtsordnung sind insbesondere zwei Gründe. Die erste wesentliche Ursache liegt in der gefestigten Vorrangstellung des EG-Rechts vor dem nationalen Recht. 627 Obgleich der EG-Vertrag hierzu keine ausdrückliche Regelung enthält, erfährt dieser Vorrang umfassende Anerkennung in Rechtsprechung und Literatur; umstritten ist allein die dogmatische Herleitung, wobei EuGH 628 und BVerfG 629 konträre Positionen beziehen. Die mit dieser alternativen Begründung verbundenen Grenzen der Akzeptanz der Vorrangregel, die nach BVerfGE 37, 271 (Solange I), BVerfGE 73, 339 (Solange II) und BVerfGE 89, 155 (Maastricht) insbesondere darin zu sehen sind, dass keine Aushöhlung staatlicher Souveränität stattfinden dürfe und den nationalen entsprechende Grundrechtsstandards zu gewährleisten seien, sind im bisherigen Integrationsverhältnis der Bundesrepublik 626 Hierzu bereits D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229, 234: Das Gemeinschaftsrecht lasse sich besonders einfach und zügig umsetzen, wo dies mit Hilfe von Rechtsverordnungen geschehen könne; zur Rückführbarkeit der diesbezüglichen Funktionszuordnung auf den Gesetzgeber M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 23. 627 Zu den rechtlichen Handlungsformen des EG-Rechts und der nationalen Umsetzungsrechtsetzung im Überblick statt vieler M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand: 2004, Art. 249 EGV, Rn. 104 ff. sowie R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl. 2003, Rn. 179 ff. 628 Der Europäische Gerichtshof entnimmt das Rangverhältnis dem Europarecht und dessen eigenständigem, autonomem Charakter; vgl. EuGH Rs. 6/64, Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251/1269 f. Eine primärrechtliche Verankerung des Anwendungsvorrangs wird dabei in Art. 10 EGV gesehen, hierzu A. v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand: 2003, Art. 10 EGV, Rn. 4. 629 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar mehrfach die Geltung des Anwendungsvorrangs und dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz betont, zur Begründung aber auf den nationalen Rechtsanwendungsbefehl im Zustimmungsgesetz zum EG-Vertrag abgestellt; BVerfGE 31, 145, 173 f.; BVerfGE 75, 223, 244; BVerfGE 89, 155, 190 (Maastricht).
III. Internationalisierung der Rechtsordnung
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Deutschland und der Europäischen Gemeinschaften kaum praktisch geworden. 630 Der Anwendungsvorrang des – primären wie sekundären – Europäischen Gemeinschaftsrechts konnte sich dementsprechend weitgehend entfalten und seinen Vorrang gegenüber den nationalen Gesetzen, Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften, ja sogar gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht umfassend durchsetzen. 631 Die zweite wesentliche Ursache liegt in der Zunahme europarechtlicher Regelungen 632 im Zuge der beständigen Ausweitung der Rechtsetzungsbefugnisse der Europäischen Gemeinschaften. Wichtige Erweiterungen der Gemeinschaftskompetenzen bedeuteten insbesondere die Einheitliche Europäische Akte von 1986, unter anderem mit der Einführung eines eigenen Kompetenztitels für Maßnahmen des Umweltschutzes, 633 und der Vertrag von Maastricht 1992. 634 Der Anteil der vergemeinschafteten Rechtsgebiete hat mehr und mehr zugenommen. Im Umweltrecht635 entstammt zwischenzeitlich weit über die Hälfte der Vorschriften dem EG-Recht oder anderen internationalrechtlichen Vorgaben. 636 Dabei sind nicht alle Teile des Umweltrechts gleichmäßig „europäisiert“; neben außerordentlich stark europarechtlich geprägten Bereichen wie dem Chemikalien- und Gentechnikrecht finden sich derzeit (noch) relativ europarechtsferne Materien, so etwa das Bodenschutzrecht. 637
630 Vgl. auch die Ausführungen zum Vorrang des EG-Rechts in den neueren Entscheidungen BVerfGE 102, 147 (Bananenmarkt) sowie BVerfG, NJW 2001, 1267 f., die in der Literatur als weitere Verengung der Prüfungskompetenz des BVerfG verstanden werden, da nicht mehr auf die Notwendigkeit des Grundrechtsschutzes in jedem Einzelfall, sondern auf die generelle Gewährleistung des Grundrechtsschutzes auf EG-Ebene abgestellt und zudem der detaillierte Nachweis eines entsprechenden Absinkens der europäischen Rechtentwicklung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard gefordert werde; vgl. etwa H. D. Jarass/S. Beljin, NVwZ 2004, S. 1, 2. Zur Kritik der Rechtsprechung des BVerfG auch M. Nettesheim, NVwZ 2002, S. 932 ff.; Ch. Schmid, NVwZ 2001, S. 249 ff. 631 W. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 40 ff.; zur Europäisierung des Verfassungsrechts bereits in den Fn. in der Einl., I., 1. 632 R. Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, 1993, S.26; ders., ZfW 1999, S. 220, 227 f.; W. Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 198. 633 Vgl. D. H. Scheuing, EuR 1989, S. 152 ff.; zu den vorher insbesondere auf der Grundlage der Art. 94 EGV und Art. 308 EGV getroffenen umweltpolitischen Maßnahmen R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl. 2003, Rn. 929. 634 A. Epiney/A. Furrer, EuR 1992, S. 369 ff.; zu den Neuerungen nach dem Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents von 2003 Ch. Trüe, JZ 2004, S. 779 ff. 635 Zum Umweltverfassungsrecht der Europäischen Union (Art. 174 EGV) vgl. D. H. Scheuing, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 129 ff. 636 Hierzu und zu historischen Entwicklungsstufen die Zahlenangaben bei M. Kloepfer, in: HdTR, 2003, 11, 136, Fn.144 und H. Reihlen, in: Selbstbeherrschung im technischen und ökologischen Bereich, 1998, S. 75, 80. 637 F.-J. Peine, in: EUDUR II, Tb. 1, 2. Aufl. 2003, § 79; zur relativen Europarechtsferne des Bodenschutzrechts aaO, Rn. 9 f.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
a) Die Rechtsverordnung als Instrument der EG-Rechts-Inkorporation Eine normative Einbindung des Gemeinschaftsrechts in die deutsche Rechtsordnung wird in erster Linie dann notwendig, wenn der zugrunde liegende EG-Rechtsakt in der Rechtsform der Richtlinie gem. Art.249 Abs. 3 EGV ergeht, da diese keine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten entfaltet. 638 Nur selten finden sich Regelungsaufträge an die nationale Umsetzungsrechtsetzung, die unmittelbar den Normen des EG-Vertrags 639 oder einzelnen EG-Verordnungen entstammen. 640 Auch nach der ratio des EG-Vertrages handelt es sich hierbei um Ausnahmen.641 Der weit überwiegende Teil der zu transformierenden EG-Rechtssätze ergeht in der Rechtsform der Richtlinie gem. Art. 249 Abs. 3 EGV. 642 Die Richtlinie ist nach dem Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“. 643 Innerhalb dieses europarechtlichen Rahmens erfolgt die Wahl der Umsetzungsrechtsform nach dem freien Ermessen des Gesetz638 Zum Gehalt des Art. 249 EGV als Zentralnorm der europarechtlichen Formensystematik eingehend J. Bast, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 479, 498 ff.; zu beachten sind die erheblichen Neuerungen im System der EG-rechtlichen Handlungsformen im Zuge der Entwicklung hin zu einer Europäischen Verfassung; näher hierzu bereits in der Einl., III., 2. 639 Für einen unmittelbar dem EG-Recht entstammenden Regelungsauftrag vgl. Art. 109 EGV. Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften spätestens bis zum Zeitpunkt der Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken mit EG-Recht in Einklang zu bringen. Entsprechende Durchführungspflichten waren in der früheren Fassung des EGVertrags häufiger gegeben, hierzu H. D. Jarass, DVBl. 1995, S. 954, 955; W. Pühs, Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 76; R. Streinz, in: HStR VII, 1992, § 182, Rn. 3. 640 Eine EG-Verordnung mit Regelungsauftrag an die nationale Rechtsetzung ist etwa die Umwelt-Audit-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 761/2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) v. 19.3.2001, ABlEG Nr. L 114, S. 1). Gem. Art. 4 Umwelt-Audit-Verordnung werden die Mitgliedstaten verpflichtet, ein System für die Zulassung unabhängiger Umweltgutachter und die Beaufsichtigung ihrer Tätigkeiten zu schaffen. Die Umsetzung im deutschen Recht erfolgte durch das Umweltauditgesetz (UAG, Bek. v. 4.9.2002, BGBl. I 3490) und auf dieses gestützte Rechtsverordnungen, so die EMAS-Privilegierungsverordnung mit Regelungen über immissionsschutz- und abfallrechtliche Überwachungserleichterungen vom 24.6. 2002 (BGBl. I 2247) und die UAG-Zulassungsverfahrensverordnung über das Verfahren zur Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachterorganisationen sowie zur Erteilung von Fachkenntnisbescheinigungen, Bek. v. 12.9.2002, BGBl. I 3654. 641 Dies erhellt sich aus der Feststellung des EuGH, dass die Mitgliedstaaten gem. Art. 10 Abs. 2 EGV alles unterlassen müssen, was die unmittelbare Geltung von Verordnungen auf das Spiel setzt, EuGH, Slg. 1973, 101 Rn. 16 f.; demgemäß ist etwa die Wiederholung EG-rechtlicher Verordnungsbestimmungen in Bestimmungen des nationalen Rechts nicht unbesehen zulässig, vgl. H. D. Jarass/S. Beljin, NVwZ 2004, S. 1, 7; H.-W. Rengeling, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, §28, Rn.2; M. Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/EGV, 2.Aufl., 2002, Art.249 EGV, Rn.41. 642 H.-W. Rengeling, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 889, 890. 643 Zur gegenwärtigen Dogmatik der EG-Richtlinie W. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 66 ff.; B. Biervert, Der Missbrauch von Handlungsformen im Gemeinschaftsrecht, 1999; A. v. Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, ZaöRV 62 (2002), S. 78 ff.
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gebers. 644 Oft sind es Praktikabilitätserwägungen auf der Ebene der Rechtspolitik, die die umsetzungsspezifische Rechtsetzungsorganisation steuern. Diese gehen nicht selten von dem Grundmoment aus, dass die Umsetzung jeder einzelnen Richtlinie durch förmliches Gesetz als „zu aufwendig und unpraktikabel“ ausgeschieden wird. 645 Oftmals gehen die politischen Interessen dahin, möglichst viele der vorhandenen und künftigen EG-Richtlinien mit einer einzelnen fachgesetzlichen Verordnungsermächtigung zu bewältigen. 646 Auftrieb gegeben hat der Richtlinienumsetzung durch Rechtsverordnung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit der Umsetzung von EG-Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften. 647 Mitunter fordert das EG-Recht auch die Überführung von Abkommen auf der Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen in die Form allgemeinverbindlicher Rechtsquellen, was sich beispielhaft in der Konfrontation des vormaligen Regelungsgebäudes der Verwertung und Beseitigung von Altautos mit der EG-Altfahrzeugrichtlinie nachvollziehen lässt. 648 Zur Umsetzung dieser Richtlinie erging auf Grund der rechtsqualitativen Untauglichkeit freiwilliger Selbstverpflichtungen zum einen das Gesetz über die Entsorgung von Altfahrzeugen, zum anderen wurde die bisherige Altautoverordnung von 1997 entsprechend der Vorgaben der Richtlinie geändert und in Altfahrzeug-Verordnung umbenannt. 649
b) Anwendungsfälle der EG-Rechts-Inkorporation durch Rechtsverordnungen Die Analyse der deutschen Umsetzungsrechtsetzung zeigt, dass die Rechtsform der Rechtsverordnung im Vordringen begriffen ist. Die Umweltgesetze enthalten eine wachsende Zahl von Verordnungsermächtigungen, die unmittelbar zur Umsetzung von EG-Recht berechtigen, 650 so etwa in §§ 7 Abs. 4, 37, 39, 44, 48 a BImSchG, § 52 Abs. 3 u. Abs. 6 BNatSchG, § 25 ChemG, § 6 a WHG. Ermächtigungsnormen jüngeren Datums sind etwa § 22 BBodSchG sowie § 2 Abs. 2 GenTG. Auch im Landesrecht finden sich entsprechende Ermächtigungen, so etwa die der bundesrahmen644 W. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 86; vgl. hierzu die Ausführungen im Urteil des BVerwG v. 20.3.2003, 3 C 10.02, Randzeichen 18. 645 K. Berendes, ZfW 1996, S. 363, 366 f. zu den rechtspolitischen Überlegungen im Vorfeld der Implementation des § 6 a WHG. 646 K. Berendes, aaO, S. 363, 367. 647 Vgl. dazu die Nachweise sogleich unter 1. Teil, III., 1., c) sowie insgesamt K. Faßbender, Die Umsetzung von Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft, 2001; M. Schröder, in: Richtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, 2001, S.113 ff. 648 Näher H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 225. 649 Hier erwies es sich als vorteilhaft, dass die freiwilligen Selbstbeschränkungen der Autoindustrie in der vorhergehenden Altauto-Verordnung bereits eine Ratifizierung gefunden hatten; näher hierzu vorhergehend 1. Teil, II., 5. 650 Zu Fällen der Richtlinienumsetzung unter Heranziehung von Verordnungsermächtigungen ohne ausdrücklichen textlichen Bezug auf die Ausführung von EG-Recht D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229, 234 mit Beispielen aus dem Wasserrecht.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
rechtlichen Vorschrift des § 6 a WHG ähnlichen § 14 a S. 1 Wassergesetz BadenWürttemberg und Art. 41 j des Bayerischen Wassergesetzes. 651 Unter diesen Verordnungsermächtigungen lassen sich wenigstens zwei grundlegende Modelle der Verordnungsermächtigungen unterscheiden: Spezialermächtigungen und Globalermächtigungen.
(1) Spezialermächtigungen im Immissionsschutzund Gentechnikrecht Unter Spezialermächtigungen werden hier Verordnungsermächtigungen verstanden, die innerhalb eines bestimmten thematischen Abschnitts eines Gesetzes zur Inkorporation dessen kontextueller europarechtlicher Belange ermächtigen. Derartige Verordnungsermächtigungen finden sich im Dritten und Vierten Teil des BundesImmissionsschutzgesetzes: Der Dritte Teil des Gesetzes trifft in den §§ 32 bis 37 BImSchG Regelungen zur Beschaffenheit von Anlagen, Stoffen, Erzeugnissen, Brennstoffen, Treibstoffen und Schmierstoffen. 652 Nach der Ermächtigung des § 37 BImSchG vermag die Bundesregierung zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften durch Rechtsverordnung „zu dem in § 1 genannten Zweck“ zu bestimmen, dass „Anlagen, Stoffe, Erzeugnisse, Brennstoffe oder Treibstoffe gewerbsmäßig oder im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie nach Maßgabe der §§ 32 bis 35 BImSchG bestimmte Anforderungen erfüllen“.653 Auf die Ermächtigung des § 37 BImSchG beziehen sich die Altölverordnung, 654 die Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung (32. BImSchV), 655 die Verordnung über den Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe (3. BImSchV), 656 die Verordnung über Emissionsgrenzwerte für Verbrennungsmotoren (28. BImSchV). 657 Der Vierte Teil des Bundes-Immissionsschutzgesetzes enthält in den §§38 bis 43 BImSchG das Immissionsschutzrecht der Beschaffenheit und des Betriebs von Fahrzeugen, Bau und Änderung von Straßen und Schienenwegen. § 39 BImSchG ermächtigt das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zur Erfüllung von bindenden Beschlüs651 652 653
Vgl. dazu R. Breuer, ZfW 1999, S. 220 ff. sowie M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85 ff. Vgl. die Ausführungen unter 1. Teil, II., 6., c). Näher zur Ermächtigungsnorm des § 37 BImSchG D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229,
234. 654 Altölverordnung idF der Bekanntmachung vom 16. April 2002, BGBl. I 1368. Zu dieser und den nachfolgend genannten Verordnungen und ihren Ermächtigungsgrundlagen bereits die Nachweise unter 1. Teil, II., 6., c). 655 Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung (32. BImSchV) v. 29.8.2002, BGBl. I 3478. 656 Verordnung über den Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe (3. BImSchV vom 24.6.2002, BGBl. I 2243). 657 Verordnung über Emissionsgrenzwerte für Verbrennungsmotoren (28. BImSchV) vom 20.4.2004, BGBl. I 614, ber. 1423, beruhend auf § 33 Abs. 1 Nr. 1, 37, 48 a Abs. 3 BImSchG.
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sen der Europäischen Gemeinschaften „zu dem in § 1 genannten Zweck“ durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die „in §38 genannten Fahrzeuge bestimmten Anforderungen an Beschaffenheit, Ausrüstung, Prüfung und Betrieb genügen müssen“. Im Hinblick auf die Regelungsdichte beider Vorschriften kann festgestellt werden, dass diese durch die Engführung auf einen geringen Kreis von Normen und die Angabe einer Anzahl spezifischer Verordnungsinhalte ein Mindestmaß an gesetzlicher Determinierung zu vermitteln vermögen. 658 Dies gilt gleichermaßen für die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs. 2 S. 1 GenTG, 659 nach welcher das Zustandekommen einer Rechtsverordnung unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesrates steht; zuvor bedarf es der Anhörung der Kommission nach den §§ 4 und 5 des Gentechnikgesetzes. Ein Beteiligungsrecht des Bundestages kennt das Gentechnikgesetz gegenwärtig nicht. 660 Die Normen der §§ 37 und 39 BImSchG weisen innerhalb der Verordnungsermächtigungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eine stark zurückgenommene Beteiligungsstruktur auf, die allein das Mitwirkungsrecht des Bundesrates festschreibt. Weder bedarf es der Anhörung der beteiligten Kreise nach § 51 BImSchG, noch greift die Ablehnungs- und Abänderungsbefugnis des Bundestags nach § 48 b BImSchG. (2) Globalermächtigungen im Wasser-, Immissionsschutzund Abfallrecht Andere Verordnungsermächtigungen des Umweltrechts nehmen in pauschaler Weise die Inkorporation des gesamten EG-Rechts in den Blick, welches im Kontext des jeweiligen ermächtigenden Fachgesetzes gesetzt wird. So lautet etwa § 6 a WHG: 661 „Soweit es zur Erfüllung bindender Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaften oder zwischenstaatlicher Vereinbarungen notwendig ist, kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über die Bewirtschaftung der Gewässer nach den Grundsätzen des § 1 a Abs. 1 erlassen, insbesondere Anforderungen an die 658 Vgl. zu §§ 37, 39 BImSchG D. Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes zur Durchführung von EG-Rechtsakten und völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Art. 80 Abs. 1, 2000, S. 54 ff., 57 f. 659 § 2 Abs. 2 S. 1 GenTG lautet: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Umsetzung der Entscheidungen der Kommission oder des Rates der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 21 der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L 117 S. 1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 98/81/EG des Rates vom 26. Oktober 1998 (ABl. EG NR.L 330 S. 13) zu Anhang II Teil C, nach Anhörung der Kommission durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates gentechnische Arbeiten mit Typen von gentechnisch veränderten Mikroorganismen ganz oder teilweise von den Regelungen dieses Gesetzes auszunehmen und Art und Umfang von Aufzeichnungspflichten zu regeln.“ 660 Vgl. zu der vormaligen Regelung des § 40 GenTG a. F. die Darstellung bei G. Hirsch/ A. Schmidt-Didczuhn/E.-L. Winnacker, Gentechnikgesetz, 1991, § 40, Rn. 1 ff. 661 § 6 a WHG existiert seit der 6. Novelle des WHG vom 11.11.1996, BGBl. I 1690.
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Beschaffenheit und die Benutzung von Gewässern sowie den Bau und Betrieb von Anlagen im Sinne des § 18 b Abs. 1, des § 19 a Abs. 1 und des § 19 g Abs. 1 und 2 festlegen.“ 662
§ 48 a Abs. 1 BImSchG lautet: „Zur Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften kann die Bundesregierung zu dem in § 1 genannten Zweck mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen über die Festsetzung von Immissions- und Emissionswerten einschließlich der Verfahren zur Ermittlung sowie Maßnahmen zur Einhaltung dieser Werte und zur Überwachung und Messung erlassen. In den Rechtsverordnungen kann auch geregelt werden, wie die Bevölkerung zu unterrichten ist.“ 663
Und schließlich § 57 KrW-/AbfG: „Zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften kann die Bundesregierung zu dem in §1 genannten Zweck mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung sowie umweltverträglichen Beseitigung erlassen. In den Rechtsverordnungen kann auch geregelt werden, wie die Bevölkerung zu unterrichten ist.“ 664
Diese Verordnungsermächtigungen weisen eine deutlich geringere Regelungsdichte auf als jene, die zur Exemplifizierung der Spezialermächtigungen herangezogen wurden. Zwar besteht insgesamt eine übereinstimmende Festlegung des Regelungsgegenstandes der „Erfüllung bindender Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaften“ und der Orientierung auf die (vermeintlich) maßstabbildenden Grundsätze der gesetzlichen Zweckbestimmungen in § 1 a WHG, § 1 BImSchG und § 1 KrW-/AbfG. 665 Jedoch fehlt es zum einen an der Engführung auf den Regelungskontext eines näher bestimmten Gesetzesabschnitts, zum anderen fehlt eine aussagekräftige Fixierung potentieller Verordnungsinhalte. 666 Das Zustandekommen der Rechtsverordnungen nach den dargelegten Globalermächtigungen steht zunächst in allen aufgeführten Fällen unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bundesrates. Zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Betroffenenoder Sachverständigenpartizipation kommt es nicht. Die einschlägigen Normen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (§§ 7 Abs. 4, 37, 39, 48 a BImSchG) entbehren allesamt eines Verweises auf den die Anhörung beteiligter Kreise anordnenden § 51 662 Auf Grundlage des § 6 a WHG erging die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 80/68/EWG des Rates vom 17.12.1979 über den Schutz des Grundwassers gegen bestimmte gefährliche Stoffe (Grundwasserverordnung) vom 18.3.1997, BGBl. I 542. 663 Auf § 48 a Abs. 1 BImSchG wurden u. a. die Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft (22. BImSchV) und die Verordnung zur Begrenzung von Emissionen aus der Titandioxid-Industrie (25. BImSchV) gestützt; vgl. für nähere Nachweise die Fn. unter 1. Teil, II., 1., b), (2) u. 3., b). 664 Auf die Ermächtigung des § 57 KrW-/AbfG stützen sich u. a. Altölverordnung, Batterieverordnung und Abfallverzeichnisverordnung, vgl. die Nachweise in den Fn. unter 1. Teil, II., 1., b), (3). 665 Näher S. Weihrauch, NVwZ 2001, S. 265 ff. 666 Zum Problem auch J. Ziekow, JZ 1999, S. 963 ff. sowie H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061 ff.
III. Internationalisierung der Rechtsordnung
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BImSchG. Im Abfallrecht ist die Situation vergleichbar: Auch hier ordnet der der Umsetzung von EG-Rechtsakten dienende § 57 KrW-/AbfG keine Verfahrensbeteiligung an, die sich im KrW-/AbfG nach der Vorschrift des § 60 richtet. Ebenso kommen die Rechtsverordnungen nach § 6 a WHG ohne Anhörung beteiligter Kreise zustande – wobei das WHG insgesamt keine den §§ 51 BImSchG und 60 KrW-/AbfG vergleichbare Vorschrift kennt. 667 Ein anderes Bild ergibt sich hinsichtlich der Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages an der Verordnungsgebung. Hier erscheint die Verordnungsermächtigung zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben geradezu als Mustervorlage für den Einsatz der verschiedenen Mitwirkungsvorbehalte. So verweist die Verordnungsermächtigung des § 57 KrW-/AbfG auf den § 59 KrW-/AbfG, der den Bundestag zur Ablehnung oder Änderung entsprechender Verordnungsentwürfe ermächtigt. Gleichermaßen erfasst § 48 b BImSchG die europarechtlich bedingten Rechtsverordnungen nach § 48 a Abs. 1 BImSchG. 668 c) Die Beendigung des funktional äquivalenten Einsatzes von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften durch den Europäischen Gerichtshof Nachdem lange Zeit in verschiedenen Konstellationen neben oder anstelle von Rechtsverordnungen auch Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben eingesetzt wurden, hat die dieser Praxis entgegenstehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwischenzeitlich nachhaltige Wirkungen entfaltet und die Verwaltungsvorschriften auf breiter Front verdrängt. 669 Ausgangspunkt war, dass die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise im Wasser- und Immissionsschutzrecht versuchte, EG-Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften um667 Offenkundig war der Gesetzgeber der Auffassung, dass die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben keiner spezifischen Anhörung bedarf. Dies verwundert angesichts der oben dargestellten verfassungsrechtlich prekären Offenheit der entsprechenden Verordnungsermächtigungen – wenigstens wenn man der Auffassung folgen wollte, dass derartige Anhörungs- und Beteiligungsvorschriften verfassungsrechtliche Defizite kompensieren sollen (eingehend hierzu 3. Teil, VII., 3.). Diese Überlegung lässt vermuten, dass der gesetzgeberische Wille bezüglich der entsprechenden Beteiligungsvorschriften in nur geringem Maße von legitimatorischen Kompensationserwägungen bestimmt ist, sondern in weitaus stärkerem Maße die Aquirierung privaten Sachverstands sowie die Konfliktprävention durch Einbindung der später Normunterworfenen anstrebt. Denn ein solcher Bedarf soll wenigstens auf den ersten Blick bei den einschlägigen Umsetzungsermächtigungen nicht gegeben sein – der sachverstandsbedürftige Abschnitt der Normformulierung scheint bereits auf EG-Ebene vollzogen; eine diskursive Konfliktprävention erscheint als wenig erfolgversprechend, da der Nationalstaat kaum mehr Verfügungsmasse hat, mit der er in eine Verhandlung eintreten könnte. 668 Zu § 48 b BImSchG und zur Vorgängerregelung in § 48 a Abs. 1 S. 3 und 4 BImSchG a. F. J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176 ff. und bereits 1. Teil, II., 1., c). 669 Vgl. dazu insgesamt K. Faßbender, Die Umsetzung von Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft, 2001, S. 75 ff., 133 ff.; M. Schröder, in: Richtlinien der EU und ihre Umsetzung in Deutschland und Frankreich, 2001, S. 113 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
zusetzen. 670 Nach Jahren der Auseinandersetzung erklärte der Europäische Gerichtshof diese Form der Umsetzung für unzulässig. 671 Ausschlaggebend war aus Sicht des EuGH die mangelnde Transparenz und zweifelhafte Rechtswirkung der Verwaltungsvorschriften. 672 Aus der Sicht des Europarechts kann also die Richtlinienumsetzung ausschließlich durch Gesetz und Rechtsverordnung erfolgen. Die Ausgangsentscheidungen aus dem Jahr 1991 sind zwischenzeitlich mehrfach bestätigt worden. 673 Die Staatspraxis hat der sich durchsetzenden Einstufung von Verwaltungsvorschriften als unzureichendes Umsetzungsinstrument zwischenzeitlich flächendeckend Rechnung getragen: Im Wasserrecht wurde im Bereich der schadstoffbezogenen Anforderungen für das Einleiten von Abwasser die Regelung des § 7 a WHG zum Erlass von Verwaltungsvorschriften in eine Verordnungsermächtigung umgewandelt. 674 Auf dieser Grundlage wurde die Allgemeine Rahmenverwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer 675 durch die Abwasserverordnung vom 21. Februar 1997 abgelöst. 676 Im Abfallrecht wurde mit dem § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG eine Verordnungsermächtigung im Bereich der Abfallbeseitigung geschaffen, der vormals über Verwaltungsvorschriften gesteuert wurde. 677 Aus den Gesetzgebungsmaterialien 678 ergibt sich, dass die Wahl der Rechtsform Rechtsverordnung insbesondere auf Zweifel an der europarechtskonformen Umsetzung europäischer Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften zurückzuführen ist. 679 § 12 Abs.1 KrW-/AbfG wurde beispielsweise als Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002 herangezogen. 680 Im Immissionsschutzrecht ist inzwischen in einer ganzen Reihe von Fäl670 Vgl. etwa die Rahmen-Abwasser-Verwaltungsvorschrift vom 8.9.1989, GMBl. S. 518, zuletzt idF v. 31.7.1996, GMBl. S. 729 ff. 671 EuGH, 28.2.1991, Rs. C-131/88 (Grundwasser), Slg. 1991, I-825; EuGH, 30.5.1991, Rs. C-361/88 (Kommission/Deutschland, Luftverschmutzung), Slg. 1991, I-2567; EuGH, 30.5.1991, Rs. C-59/89 (Luftreinhaltung: Blei), Slg. 1991, I-2607; EuGH v. 17.10.1991, Rs. C-58/89 (Oberflächenwasser), Slg. 1991, I-4983. 672 Hierzu W. Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 86; näher zum Ganzen unter 3. Teil, IV., 1. 673 EuGH v. 7.11.1996, Rs. C-262/95 (Ableitung gefährlicher Stoffe in Gewässer), Slg. 1996, I-5729; EuGH v. 12.12.1996, Rs. 298/95 (Fisch- und Muschelgewässer), Slg. 1996, I-6747; EuGH, Rs. C-96/95, Kommission/Deutschland, Slg. 1997, I-1653, Rn. 35 f. 674 Neufassung durch die 6. Novelle vom 11.11.1996, BGBl. I 1690. 675 Vgl. den Nachweis in den vorhergehenden Fn. 676 Abwasserverordnung vom 21.2.1997, BGBl. I 566, neugefasst durch Bekanntmachung vom 17.6.2004, BGBl. I 1108; hierzu R. Breuer, DVBl. 1997, S. 1211, 1215 f.; ders., Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 416, 422. 677 Näher S. Paetow, in: FS Blümel, 1999, S. 403, 405 ff. 678 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates in BT-Drs. 12/5672, S. 97. 679 Hierzu M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht III, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 4. 680 Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002, BGBl. I 2807, geändert durch Verordnung vom 26.11.2002, BGBl. I 4417.
III. Internationalisierung der Rechtsordnung
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len 681 die Wahl der Rechtsform der Rechtsverordnung auf die europarechtliche Determinierung zurückzuführen, so bei der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), 682 der Abfallverbrennungsanlagenverordnung (17. BImSchV), 683 der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) 684 und der Immissionswerteverordnung (22. BImSchV). 685 In der Folge dieser veränderten Staatspraxis ergibt sich, dass im Bereich der Inkorporation europarechtlicher Vorgaben die funktionalen Äquivalenzen im Verhältnis der untergesetzlichen Rechtsetzungsformen entfallen. Der Gesetzgeber anerkennt die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vermittelten exklusiven Qualitäten der Rechtsverordnung. 2. Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen Über die vorhergehend skizzierten Aufgaben in der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben hinaus weist eine weitere gesetzgeberische Funktionszuordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung die Rechtsverordnung auch als Instrument der Transformation (klassischer) völkervertraglicher Verpflichtungen aus. 686
681 Zur Verortung der Rechtsformenwahl in den nachfolgend genannten Fällen in der Konsequenz der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung H.-W. Arndt, in: Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 127 mit Fn. 193. 682 Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) vom 12.6.1990, BGBl. I 1036. 683 Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe vom 23. November 1990, BGBl. I 2545, ber. 2832, neugefasst durch Bekanntmachung vom 14.8.2003, BGBl. I 1633. 684 Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) vom 18.7.1991, BGBl. I 1588, ber. 1790. Ähnlich die Verordnung zur Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen beim Verfüllen und Lagern von Otto-Kraftstoffen (20. BImSchV) v. 27.5.1998, BGBl.I 1174, zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.6.2002, BGBl.I 2247 und die Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen (21. BImSchV) vom 7.10.1992, BGBl. I 1730, geändert durch Verordnung vom 6.5.2002, BGBl. I 1566. 685 Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft (22. BImSchV) vom 26. Oktober 1993, BGBl. I 1819, aktuell in der Fassung v. 11.9.2002, BGBl. I 3626, geändert durch Verordnung vom 13.7.2004, BGBl. I 1812. Zur 22. BImSchV als Umsetzungsinstrument Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff. 686 Vgl. zur Einordnung der Rechtsverordnung als maßgebliches Regelungsinstrument zur Umsetzung von internationalrechtlichen Verpflichtungen und für weitere Nachweise M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 23; J. Ziekow, JZ 1999, S. 963 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
a) Die Rechtsverordnung als Instrument der Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen Der Rechtsrahmen der Implementation völkervertraglicher Vereinbarungen ergibt sich wesentlich aus Art. 59 Abs. 2 GG. 687 Das Rechtsregime dieser Vorschrift unterscheidet in Satz 1 und Satz 2 mehrere Typen völkerrechtlicher Verträge. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass die Rechtsverordnung sowohl in Konstellationen nach Satz 1 als auch in solchen nach Satz 2 als Instrument der Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen herangezogen wird. 688 (1) Rechtsverordnungen im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG Völkerrechtliche Verträge im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG sind zum einen solche, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln, 689 zum anderen solche, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung 690 beziehen. 691 In beiden Fällen 687 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält das Gesetz nach Art.59 Abs. 2 GG sowohl die Ermächtigung zur Ratifikation als auch den Rechtsanwendungsbefehl, durch den der innere Vollzug gesichert wird, vgl. BVerfGE 68, 1, 85 f.; 90, 286, 358, hierzu I. Pernice, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 59, Rn. 47: Die Konstruktion des „Rechtsanwendungsbefehls“ trete an die Stelle der Transformationslehre, nach der das Vertragsgesetz die Umwandlung des Vertrages in innerstaatliches Recht bewirke und nähere sich der in der Lehre wohl überwiegend vertretenen Vollzugstheorie an. Normenhierarchisch habe das Erfordernis des Vertragsgesetzes zur Folge, dass das Vertragsvölkerrecht nur dessen Rang einnehmen könne. Eine Bindung von Behörden und Gerichten an die ggf. unmittelbar anwendbaren (self executing) Bestimmungen des jeweiligen Vertrages beginne erst mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des Vertrages. 688 Hierzu und zur ausnahmsweisen Konstellation der Verankerung von Verordnungsermächtigungen unmittelbar in völkerrechtlichen Verträgen K. Vogel, in: FS Lerche, 1993, S. 95, 103 mit Belegen aus dem Steuerrecht. 689 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer frühen Entscheidung ausgeführt, politische Beziehungen im Sinne des Art.59 Abs. 2 S. 1 GG seien solche, die „wesentlich und unmittelbar den Bestand des Staates oder dessen Stellung und Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemeinschaft betreffen“, BVerfGE 1, 372, 381, 382. Dies wird dahingehend präzisiert, dass es hierbei um Verträge gehe, welche „die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit“ betreffen oder darauf gerichtet sind, „die Machtstellung eines Staates gegenüber anderen Staaten zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern (...). Dazu gehören vor allem Bündnisse, Garantiepakte, Abkommen über politische Zusammenarbeit, Friedens-, Nichtangriffs-, Neutralitäts- und Abrüstungsverträge, Schiedsverträge und ähnliche Verträge“, BVerfGE 1, 372, 381. Zur Rezeption diese Rechtsprechung vgl. U. Fastenrath, in: Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 2000, S. 93, 93; O. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK II, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rn. 22. 690 Zur Bestimmung der „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“ wird allgemein nicht auf Materien im Sinne der Kompetenzkataloge der Art. 73 ff. GG abgestellt, sondern vielmehr auf „Gesetzgebung“ im Gegensatz zu „Verwaltung“, vgl. U. Fastenrath, in: Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 2000, S. 93, 93 f.: Danach könne sich das Vorliegen eines „Gegenstands der Bundesgesetzgebung“ aus dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes bei eingreifendem Staatshandeln, aus speziell normierten Gesetzesvorbehalten wie Art. 23 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1, 87 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 87 b Abs. 1 S. 3 und 4, Abs. 2 GG oder aus der Wesentlichkeitstheorie ergeben.
III. Internationalisierung der Rechtsordnung
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bedarf es vor der Ratifizierung durch den Bundespräsidenten der „Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes“. 692 Im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG soll nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur anstelle eines Vertragsgesetzes eine transformierende Rechtsverordnung ergehen können, wenn eine entsprechende Verordnungsermächtigung besteht, aufgrund derer die vertraglichen Pflichten in innerstaatliches Recht überführt werden können. 693 Dogmatisch wird dieses Ergebnis insbesondere damit begründet, dass der Begriff der „Mitwirkung“ in Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG auch die Möglichkeit einer antizipierten Zustimmung eröffne. 694 Diese antizipierte Zustimmung könne auch durch die gesetzliche Statuierung einer Verordnungsermächtigung zur Inkraftsetzung eines Vertrages durch Rechtsverordnung erfolgen. 695 Einschränkend wird in der Literatur verlangt, diese Verordnungsermächtigung müsse „auslandsbezogen“ sein,696 wobei die Auffassungen darüber auseinandergehen, wann ein entsprechender Auslandsbezug anzunehmen sei. Nach der verbreitet rezipierten Formel von Theodor Maunz sind „auslandsbezogene“ Ermächtigungen solche, deren „Ausnutzung zum Zweck der Durchsetzung völkerrechtlicher Übereinkünfte unter Berücksichtigung der im Gesetz behandelten Materie und der heutigen Vorstellung von der Möglichkeit einer zwischenstaatlichen vertraglichen Regelung nach dem maßgeblichen Willen des Gesetzgebers gestattet sein sollte“. 697 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit diese Konstruktion wird vom weit überwiegenden Teil der Literatur bejaht oder ohne Auseinandersetzung voraus691 Zur verbreiteten Bezeichnung von Verträgen, die nach Art.59 Abs. 2 S. 1 GG der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes bedürfen, als „Staatsverträge“ kritisch M. Zuleeg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 59, Rn. 23, der den Begriff der „Zustimmungsverträge“ vorschlägt. 692 Wortlaut Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG; hierzu H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 59, Rn. 15, auch zur Beteiligung des Bundesrates. 693 BVerfGE 1, 372, 390; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 59, Rn. 33. Teilweise abweichend M. Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments, 1989, S. 65 ff. 694 H. D. Treviranus, NJW 1983, S. 1948, 1948 f.; O. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK II, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rn. 42. Kritisch zur Begründung, übereinstimmend im Ergebnis U. Fastenrath, in: Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 2000, S. 93, 107: Es sei schon im Ansatz verfehlt, in einer auslandsbezogenen Verordnungsermächtigung eine antizipierte Zustimmung zu einem Vertragsabschluss zu sehen. Damit werde der (unzulässigen) Delegation eines parlamentarischen Beteiligungsrechts nur ein anderer Name gegeben. Die Zulässigkeit dieses Verfahrens sei nicht im „Austausch von Etiketten“ begründet, sondern darin, dass ein bestimmter Bereich auf Grund der Verordnungsermächtigung nicht mehr dem Vorbehalt des formellen Gesetzes unterliege. 695 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, S. 135; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 59, Rn. 49. Zur Erfassung dieser Konstellation mit dem Begriff des „normativen Verwaltungsabkommens“ mit weiteren Nachweisen M. Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments, 1989, S. 30. 696 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, S. 135. 697 T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK III, Stand: 2003, Art. 59, Rn. 45; zur Rezeption vgl. H. D. Treviranus, NJW 1983, S. 1948, 1949; U. Fastenrath, in: Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 2000, S. 93, 106; schärfere Anforderungen stellt etwa O. Rojahn, in: v. Münch/ Kunig, GGK II, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rn. 42.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
gesetzt. 698 Zur Rechtfertigung wird zum einen darauf verwiesen, dass die Legislative in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes kein striktes Monopol der Rechtsetzung in Anspruch nehme, zum anderen darauf, dass es sich beim Außenbereich um die „eigentliche Domäne der Regierung“ 699 handele. 700 Demgegenüber verweisen kritische Stimmen darauf, dass eine Rechtsverordnung in Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers für die Zukunft einzuengen vermöge. 701 Hebe der Gesetzgeber etwa die Ermächtigung zu einer Rechtsverordnung auf, so könne der völkerrechtliche Vertrag nicht rückwirkend der Kontrolle des Gesetzgebers unterworfen werden; der Vertragsschluss habe die Kontrolle durch den Gesetzgeber ausgeschaltet. 702 Daher könne eine vorhandene Ermächtigung zu einer Rechtsverordnung die Notwendigkeit eines Zustimmungsgesetzes nicht überspielen. 703 In ähnlicher Weise wird mit Blick auf die Regelung des § 6 a WHG gefolgert, dass von der dortigen Verordnungsermächtigung zur Umsetzung supranationaler Verpflichtungen nur insoweit Gebrauch gemacht werden könne, als die umzusetzende zwischenstaatliche Vereinbarung bereits durch ein Transformationsgesetz gebilligt worden sei. 704 Von völkerrechtlichen Verträgen zum Bereich der Gewässerwirtschaft seien innerhalb des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zwar nicht die „politischen Beziehungen des Bundes“ betroffen, wohl aber handle es sich um „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“, so dass der Gesetzesvorbehalt des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG gleichwohl ausgelöst werde. 705
698 So etwa I. Pernice, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 59, Rn. 47; O. Rojahn, in: v. Münch/ Kunig, GGK II, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rn. 42, 42 a; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK III, Stand: 2003, Art. 59, Rn. 45; H. D. Treviranus, NJW 1983, S. 1948, 1948 f.; nach überwiegender Auffassung kann auf ein Gesetz auch dann verzichtet werden, wenn die Rechtsverordnung der Zustimmung des Bundesrates bedarf, vgl. M. Zuleeg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 59, Rn. 28; R. Streinz, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 59, Rn. 37. Zur Einordnung der Entscheidung BVerfGE 1, 372, 390 H. D. Jarass/B. Pieroth, 7. Aufl. 2004, Art. 59, Rn. 14. 699 H. D. Treviranus, NJW 1983, S. 1948, 1949. Zum Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt BVerfGE 68, 1, 86 ff. (Nachrüstung), zur Kritik wegen nicht genügender Berücksichtigung der Schutzfunktion des Gesetzesvorbehalts nach Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 59 Abs. 2 GG das Minderheitenvotum von Mahrenholz BVerfGE 68, 111, 127 f. und insbes. S. 120: Die Mehrheitsauffassung ersetze den Gesetzesvorbehalt des Art. 24 Abs. 1 GG durch Ermächtigungsnormen, deren Offenheit auch diejenigen Maßstäbe hinter sich lasse, die Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für die nur innerstaatlich wirkenden Verordnungsermächtigungen setze; dies mache die Gewichtsverschiebung deutlich, die das Urteil zugunsten der Exekutive vornehme; zum Ganzen B.-O. Bryde, Jura 1986, S. 365 ff. Grundlegend zum Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte BVerfGE 90, 286 (Awacs/Somalia). 700 Zum diesbezüglichen Spannungsverhältnis der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung ausführlich W. Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 1986. 701 M. Zuleeg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 59, Rn. 28. 702 M. Zuleeg, ebd. 703 M. Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments, 1989; M. Zuleeg, aaO, Art. 59 Rn. 28. 704 M. Kotulla, ZfW 2000, S.85, 93 unter ausdrücklicher Berufung auf BVerfGE 1, 372, 388. 705 M. Kotulla, ebd.
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(2) Rechtsverordnungen im Bereich des Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG Verwaltungsabkommen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG sind alle völkerrechtlichen Verträge des Bundes, die nicht unter S. 1 dieser Vorschrift fallen, also insbesondere nicht die notwendige politische Bedeutung haben. Ähnlich wie im Fall der Verträge nach S. 1 hat auch der Abschluss von Verwaltungsabkommen nicht ohne weiteres innerstaatliche Geltung, sondern bedarf der innerstaatlichen Inkraftsetzung durch einen Rechtsakt der Exekutive. 706 Dieser Rechtsakt ergeht in vielen Fällen in der Rechtsform der Rechtsverordnung. 707 Voraussetzung ist wiederum eine Verordnungsermächtigung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere des Art. 80 Abs. 1 GG genügt. Die Rechtsverordnung kommt dabei auch in der Umsetzung von Verwaltungsabkommen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zum Einsatz, die ihrerseits völkerrechtliche Verträge ändern und aktualisieren. 708
b) Umweltrechtliche Anwendungsfelder der verordnungsrechtlichen Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen Das Umweltrecht kennt in verschiedenen Gesetzen Verordnungsermächtigungen mit völkerrechtlichen Bezügen. Im Immissionsschutzrecht sind es die Verordnungsermächtigungen der §§ 37 und 39 BImSchG, die jeweils zum Verordnungserlass zur „Erfüllung von Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen“ ermächtigen. 709 Im Wasserrecht findet sich eine entsprechende Ermächtigung in § 6 a WHG. 710 Verordnungsermächtigungen zur Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen kennt auch das Naturschutzrecht: Auf diesem Gebiet gibt es eine Reihe von bedeutsamen internationalen Übereinkommen wie etwa das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, die Bonner Konvention, die Berner Konvention, die Ramsar-Konvention, die Biodiversitätskonvention, die Alpenkonvention und die Helsinki-Konvention. 711 Der diesbezügliche Einsatz der Rechtsverordnung lässt sich am Beispiel der nationalen Umsetzung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens nachvollziehen. Das Bundesgesetz zu dem Übereinkommen vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen vom R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, S. 177. M. Zuleeg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 59, Rn. 38. 708 Näher hierzu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, S. 177. 709 Im Blick auf § 37 BImSchG H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 37, Rn. 6, der klarstellt, zu den „zwischenstaatlichen Vereinbarungen“ gehörten völkerrechtliche Verträge nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG sowie sog. normative Verwaltungsabkommen nach Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG, die zu ihrer Umsetzung einer Rechtsvorschrift bedürfen. 710 Hierzu M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 87, 93; J. Ziekow, JZ 1999, S. 963, 967. 711 Vgl. mit weiteren Nachweisen U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 2000, S. 184 ff. 706 707
11 Saurer
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
22. Mai 1975 712 statuiert in Artikel 2 eine weitreichende Verordnungsermächtigung. Mit dieser Ermächtigungsnorm delegiert der Gesetzgeber die Befugnis zur Inkraftsetzung und Änderung verschiedener Anhänge mit Aufstellungen einzelner Tierarten an den Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als Verordnungsgeber. Von der Verordnungsermächtigung wurde beispielsweise Gebrauch gemacht bei der verordnungsrechtlichen Adaption der Änderungen der ersten Vertragsstaatenkonferenz zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen in Bern am 6. November 1976. 713 Weitere Beispiele sind die Umsetzung der Änderungen durch die dritte Vertragsstaatenkonferenz in Neu Delhi am 8. März 1981 sowie weiterer Änderungen durch die Zweite 714 und Dritte Verordnung zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen. 715 Durch die sog. Artenschutznovelle von 1986 wurde der Artenschutz zu einem großen Teil in das BNatSchG inkorporiert. 716 Diese Novelle diente auch der Anpassung des nationalen Rechts an die EG-Verordnung 3626/82 zur Anwendung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens in der Gemeinschaft, 717 der für sich genommen gem. Art. 249 Abs. 1 EGV bereits unmittelbare Geltung im nationalen Recht zukam. 718 Hier lässt sich erkennen, in welchem Maße die Europäischen Gemeinschaften sukzessive auch in der Wahrnehmung vormaliger Außenkompetenzen neben bzw. an die Stelle der Mitgliedstaaten treten. Diese Veränderungen im Bereich der völkerrechtlichen Zuständigkeiten 719 wirken auch auf die Rechtsverordnung als Transformationsinstrument zurück: Teil der Artenschutznovelle 1986 war die Statuierung der „auslandsbezogenen“ Verordnungsermächtigung des §20 d BNatSchG a. F. (§ 52 Abs. 6 BNatSchG n. F.). Diese berechtigt das Ministerium für Umwelt, Naturschutz BGBl. II 1975, 773. Erste Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen der Anhänge I und II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens vom 23. März 1977, BGBl. II 381, ber. BGBl. II 659 und BGBl. II 1978, 1091. 714 Zweite Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen des Anhangs III des Washingtoner Artenschutzübereinkommens vom 22. Mai 1981, BGBl. II 246. 715 Dritte Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen der Anhänge I und II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens vom 22. Mai 1981, BGBl. II 221. Aus dem Bereich des Meeresumweltschutzes vgl. die Erste Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen der Anlage des Übereinkommens über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen vom 23. Februar 1983, BGBl. II 141 sowie die Zweite Verordnung zur Inkraftsetzung von Änderungen des Internationalen Übereinkommens von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in der Fassung des Protokolls von 1978 vom 23. Oktober 1986, BGBl. II 942 und die Dritte Änderungsverordnung zu diesem Abkommen vom 18. Oktober 1988, BGBl. II 974. 716 Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 10.12.1986, BGBl. I 2349. 717 Daneben war die Novelle auf die Umsetzung der Richtlinie 79/409/EWG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutz-RL) gerichtet. 718 Vgl. zu den Rechtsformen des EG-Vertrags und ihren Rechtswirkungen oben unter 1. Teil, III., 1., a). 719 Eingehend zum Ganzen A. Epiney/D. Groß, JbUTR 2004, S. 27 ff. 712 713
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und Reaktorsicherheit zum Verordnungserlass in der Umsetzung zweier näher bezeichneter EG-Richtlinien sowie „aus internationalrechtlichen Artenschutzübereinkommen ergehender Verpflichtungen“. 720 Auf die Ermächtigung des § 20 d BNatSchG a. F. (§ 52 Abs. 6 BNatSchG 2002) wurden wichtige Teile der Bundesartenschutzverordnung gestützt, 721 die ausweislich der Begründung des Bundesumweltministeriums zur Artenschutzverordnung in der Fassung des Jahres 1987 722 sowohl der Umsetzung der EG-Richtlinie über die Erhaltung wildlebender Vogelarten 723 als auch der Umsetzung der sogenannten Berner Konvention dient, eines völkerrechtlichen Vertrages zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume. 724 Die jetzige Bundesartenschutz-Verordnung ist das Resultat einer nachhaltigen Überarbeitung der Bundesartenschutzverordnung von 1986, 725 die wiederum Ausdruck der weitergehenden Überwölbung des Artenschutzes durch das EG-Recht ist. 726 Entsprechend haben die EG-rechtlichen Rechtsgrundlagen des Artenschutzes weiterhin an Gewicht gewonnen, was sich nicht nur in der unmittelbar geltenden EG-Artenschutz-Verordnung, sondern auch an den langwierigen Kontroversen zur nationalen Umsetzung der VogelschutzRichtlinie 727 und der FFH-Richtlinie 728 ins nationale Naturschutzrecht ablesen lässt, die schließlich Eingang in die §§ 22 ff., 32 ff. BNatSchG gefunden haben. 729 Die Rechtsentwicklung im Artenschutzrecht lässt sich demnach als Beispiel für eine allgemeine Rechtsentwicklung lesen, in der die Europäischen Gemeinschaften im Bereich der rechtlichen und faktischen Außenkompetenzen auf dem Gebiet des Völkerrechts mehr und mehr an die Stelle der Mitgliedstaaten treten.730 Dementspre720 Gem. § 11 BNatSchG sind die §§ 52 Abs. 1 bis 8 BNatSchG unmittelbar geltendes Bundesrecht. 721 Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten (Bundesartenschutzverordnung) v. 14.10.1999, BGBl. I 1955, ber. 2073, zuletzt geändert durch Gesetz v. 25.3.2002, BGBl. I 1193. 722 BR-Drs. 546/86, S. 1. 723 RL 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979. 724 Berner Übereinkommen vom 19. September 1979, Gesetz vom 17. Juli 1984, BGBl. II 618. Näher hierzu A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 52, Rn. 58 a ff. 725 Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) vom 19.12.1986, BGBl. I 2705. 726 Hierzu R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 246; A. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, 2. Aufl. 2003, Anh. § 52, Rn. 1. 727 RL 79/409/EWG über die Erhaltung wild lebender Vogelarten v. 2.4.1979, ABl. EG Nr. L 103/1, zuletzt geändert durch RL 97/49/EG v. 29.7.1997, ABl. EG Nr. L 223/9. Hierzu H. D. Jarass, ZUR 2000, S. 183 ff.; R. R. Vondung, VBlBW. 2002, S. 323, 324 ff. 728 RL/92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und wildwachsenden Pflanzen v. 21.5.1992, ABl. EG Nr. L 206/7, zuletzt geändert durch RL 97/62/EG v. 27.10.1997, ABl. EG Nr. L 305/42. 729 Hierzu S. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, 1998; T. Rödiger-Vorwerk, Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und Umsetzung in nationales Recht, 1998; M. Gellermann, NVwZ 2001, S. 500, 501 ff.; ders., Natura 2000, 2. Aufl. 2001. 730 Vgl. W. Frenz, Außenkompetenzen im Umweltbereich, 2001, S. 222 ff.; K.-A. Schwarz, ZEuS 2003, S. 51, 58 ff., 68 ff.; A. Epiney/D. Groß, JbUTR 2004, S. 27 ff.
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chend tritt auch die Bedeutung der Funktion der Rechtsverordnung als Instrument zur Umsetzung völkervertraglichen Umweltrechts tendenziell hinter die Funktion der Inkorporation des EG-Rechts zurück. Jedoch ist die umweltrechtliche Rechtsverordnung auch im Bereich des Art. 59 Abs. 2 GG weiterhin von Bedeutung. Der Inkorporation umweltvölkerrechtlicher Vorgaben dienende Rechtsverordnungen aus jüngerer Zeit sind beispielsweise die Vierte und Fünfte Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen internationaler Vorschriften über den Umweltschutz im Seeverkehr, 731 die 1. Ostseeschutz-Änderungsverordnung 732 oder die 8. Änderungsverordnung zum Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und des Protokolls zu diesem Abkommen von 1978. 733 3. Bewältigung normstruktureller Systembrüche Vorhergehend konnte gezeigt werden, inwieweit der Gesetzgeber sowohl zur Inkorporation des Europarechts als auch zur Erfüllung völkervertraglicher Verpflichtungen auf die Statuierung von Verordnungsermächtigungen setzt. Im Folgenden wird dargelegt, dass die Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung nicht nur zur Implementation supra- und internationaler Rechtsinhalte eingesetzt wird, sondern darüber hinausgehend auch als wesentliches Instrument zur Bewältigung struktureller Systembrüche, die mit der Öffnung der nationalen Rechtsordnung einhergehen. 734
731 Vierte Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen internationaler Vorschriften über den Umweltschutz im Seeverkehr vom 10. Januar 2001, BGBl. II 18; Fünfte Verordnung über die Inkraftsetzung von Änderungen internationaler Vorschriften über den Umweltschutz im Seeverkehr vom 13. Februar 2002, BGBl. II 304. 732 Erste Verordnung zu Änderungen der Anlagen III und IV zum Übereinkommen von 1992 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets vom 19. Dezember 2002, BGBl. II 2953. 733 Achte Verordnung über Änderungen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und des Protokolls von 1978 zu diesem Übereinkommen vom 26. Februar 2003, BGBl. II 130. 734 Zu Systembrüchen als Folge der gestuft verlaufenden Überformung des nationalen Rechts durch das Europarecht R. Wahl, in: Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 411, 428: Auf einer ersten Stufe zeige sich die Einwirkung des Gemeinschaftsrechts aus Anlass eines konkreten Rechtsetzungsaktes oder eines Urteils des EuGH im Hinblick auf einzelne Rechtssätze. Eine zweite Stufe mit gesteigertem Einwirkungs- und Überformungspotential werde erkennbar, wenn hinter der Änderung ein eigenständiger abweichender Systemgedanke des europäischen Rechts stehe. Die „Umsetzung“ vorrangigen Rechts beschränke sich dann längst nicht mehr auf einzelne Rechtssätze, sondern sie ziehe notwendigerweise weitere (System-)Kreise. Die letzte Stufe und zugleich der Höhepunkt der Einwirkungen sei erreicht, wenn die Änderungsnotwendigkeiten in Quantität und Qualität ein solches Ausmaß erreichen, dass sogar die Möglichkeit einer eigenständigen nationalen Systembildung im Verwaltungsrecht als gefährdet oder gar verloren angesehen werde.
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a) Der Systembruch zwischen konditionalen und finalen Normstrukturen in der Konfrontation des deutschen mit dem europäischen Verwaltungsrecht Wenn in der Rechtswissenschaft die Auswirkungen der verstetigten supranationalen Überwölbung auf die Entwicklung der nationalen Rechtsordnung beschrieben werden, so erfolgt der dogmatische Zugang oftmals über die Erfassung der Konsequenzen für das Kompetenzprofil der staatlichen Institutionen und deren Handlungsformen. 735 Eine partielle Erweiterung erfährt dieser Zugriff bei Inblicknahme von Parallelen und Divergenzen in den Rechtsetzungsstrukturen der aufeinandertreffenden Verwaltungsrechtsordnungen. Diese Perspektive wählt in jüngerer Zeit insbesondere Rüdiger Breuer. 736 Zur kategorialen Abgrenzung wird dabei der „fundamentale Systemunterschied zwischen konditionaler und finaler Rechtsetzung“ herangezogen. 737 Danach stellt sich das deutsche Verwaltungsrecht idealtypisch 738 als konditionale Rechtsordnung dar, die nach dem Wenn-Dann-Schema die Gesetzesvorschriften in einen rechtsbegrifflichen Tatbestand und die hiervon zu unter-
735 Vgl. etwa A. Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S. 23 ff.; L. Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, S. 17 ff. sowie H. Dreier, FAZ v. 4.6.2002, S. 7 zur „Umpolung und Umwertung bestehender Rechtslagen und gefestigter dogmatischer Institute durch die Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts“. 736 R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523 ff.; ders., in: FS Brohm, 2002, S. 3 ff.; ders., Die Verwaltung 36 (2003), S. 271 ff.; vgl. weiterhin W. Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 107 ff. und bereits P. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S. 92 ff. 737 R. Breuer, FS Brohm, 2002, S. 3, 11. Zur verwaltungswissenschaftlichen und rechtssoziologischen Formulierung verschiedener Möglichkeiten der Normierung als Gegensatz zwischen Konditionalprogrammen und Zweckprogrammen K. F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 2001, S. 217 f.; grundlegend N. Luhmann, AöR 94 (1969), S. 1, 3: Das typisch konditional programmierte Entscheidungsprogramm des heutigen Juristen habe die Form „WennDann“. Aufgabe sei es, herauszufinden, ob die „Wenn-“Bedingungen erfüllt sind, die das „Dann“ auslösen. Demgegenüber seien Zweckprogramme von andersartigem, entgegengesetztem Stil, da sie nicht auslösende Ursachen, sondern zu bewirkende Wirkungen konstant setzten; vgl. auch dens., Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 195 ff. 738 Zu final orientierten Rechtssätzen des deutschen Rechts, die sich beispielsweise im Recht der Leistungsverwaltung oder im Planungsrecht finden H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 7, Rn. 2; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 273 f. und bereits G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, 1983, S. 291 sowie R. Rubel, Planungsermessen, 1982, S. 48 ff. Zu Ermächtigungsnormen des „final-programmierenden“ Typus im deutschen Verwaltungsrecht als Ausdruck des Wegbewegens von verfassungsrechtlichen Vorgaben F. Hufen¸ Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 274; Betonung des idealtypischen Charakters der Unterscheidung von Finalprogrammen und Konditionalprogrammen unter Ausrichtung auf entscheidungs- und organisationstheoretische Erkenntnisinteressen bei W. Krebs, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 4, Rn. 98 f. Vgl. hierzu auch R. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, S. 68 ff.
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scheidende Regelung der Rechtsfolge 739 trennt. 740 Demgegenüber weisen insbesondere das französische 741 und das britische 742 Verwaltungsrecht eine finale Normstruktur auf, welche tendenziell keine Subsumtion unter rechtsbegriffliche Tatbestandsmerkmale fordert, sondern von materiellen und konditionalen Anforderungen weitgehend absieht und „der Gestaltung und dem Ermessen der Verwaltung weite Spielräume lässt und zu einer dezisionistischen Kasuistik der Rechtsprechung gerade zu herausfordert“. 743 Im britischen Verwaltungsrecht walte, so Breuer, ähnlich wie im französischen die Grundvorstellung, dass bereits die Unbestimmtheit gesetzlicher Vorschriften ein Verwaltungsermessen begründe; somit werde „nicht zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgeseite unterscheiden, sondern ein weiter und vieldeutiger Begriff des Ermessens (discretion) verwendet“. 744 Das Gericht prüft nach englischer Rechtsvorstellung primär den Vorgang, nicht aber das Ergebnis der Verwaltungsentscheidung – es sei denn, diese begegne dem Einwand der „unreasonableness“. 745 Das Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften hat unter dem Einfluss der oben skizzierten Rechtsordnungen mehr und mehr den Charakter einer finalen Rechtsetzungsstruktur erlangt. 746 Während sich etwa für die Umset739 Vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2004, § 7, Rn. 2: „Rechtsnormen sind konditional gefasste Anordnungen. Wenn ein konkreter Sachverhalt den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, soll die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge gelten.“ 740 Die konditionale Grundausrichtung bewirke systemimmanent und gewollt eine extreme Verrechtlichung des Verwaltungshandelns, strebe eine Entpolitisierung der Verwaltung und mache die „gerichtliche Letztentscheidung gerade auch in Sachfragen von existentieller Bedeutung für Staat und Gesellschaft zum allgegenwärtigen Fluchtpunkt des verwaltungsrechtlichen Systems“, R. Breuer, Die Verwaltung 36 (2003), S. 271, 275. 741 Näher hierzu R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 545 ff. 742 E. Riedel, in: VVDStRL 58 (1999), S. 180, 199 ff.; R. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, 1998, insbes. S.201 ff. zur Verwendung einer „subjective language“ als Mittel des englischen Gesetzgebers zur Einräumung von Verwaltungsermessen („discretion“). 743 E. Riedel, in: VVDStRL 58 (1999), S. 180, 187 ff. und Ls. 6; R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 544 mit Blick auf das französische Verwaltungsrecht: Es werde nicht zwischen Beurteilungs-, Ermessens- und Gestaltungsspielräumen der Verwaltung unterschieden; die zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgeseite einer Norm sei im französischen Verwaltungsrecht nicht geläufig; der „pouvoir discrétionnaire“ werde sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgeseite verwaltungsrechtlicher Entscheidungen anerkannt; V. Schlette, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, 1991, S. 115 ff., 359: Ermessensverwaltung sei der Regelfall, vollständige rechtliche Bindung der Verwaltung die Ausnahme. 744 R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 553 ff. 745 E. Schmidt-Aßmann, DVBl. 1997, S. 281, 284. Zur zugrunde liegenden ultra-vires-Doktrin des englischen Rechts, nach welcher sich die Überprüfung auf die Frage konzentriert, ob die Behörde ultra-vires, d. h. außerhalb der ihr eingeräumten Befugnisse, entschieden hat, E. Riedel, in: VVDStRL 58 (1999), S. 180, 201 f. 746 Zum finalen Charakter der UVP-Richtlinie von 1985 R. Breuer, Konditionale und finale Rechtsetzung, AöR 127 (2003), S. 523, 556 f., welcher abstellt auf das in dieser Richtlinie errichtete Erfordernis umfassender und medienübergreifender Untersuchungen und Bewertungen, das gemeinsam mit den ganzheitlichen und integrierten Zielen zu einem maximierten
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zung im französischen und britischen Recht keine grundlegenden Probleme ergeben, wird die konditional ausgerichtete deutsche Verwaltungsrechtsordnung in „tiefreichende Umsetzungsprobleme“ 747 gestürzt. 748 b) Die IVU-Richtlinie als paradigmatische Vorgabe einer finalen Normstruktur Aufbauend auf der getroffenen Unterscheidung zwischen finalen und konditionalen Normsetzungsstrukturen soll im Folgenden am Beispiel der EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung aus dem Jahr 1996 (sog. IVU-Richtlinie) 749 die typische Struktur einer finalen Richtlinienvorgabe der Europäischen Gemeinschaften 750 aufgezeigt und mit ihren spezifischen Umsetzungsproblemen dargelegt werden. 751 Die IVU-Richtlinie mit ihrer Ausrichtung auf einen nicht-sektoralen, medienübergreifenden Umweltschutz hat die Rechtswissenschaft aufgrund ihres besonderen normstrukturellen Gehalts über Jahre hinweg zu intensiven Auseinandersetzungen angeregt. 752 Die finale Normstruktur Prüfrahmen geführt und zugleich die materielle Inpflichtnahme der Verwaltung minimiert habe. 747 R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 557. Ähnlich skeptisch mit der Befürchtung der Gefährdung der Möglichkeiten einer eigenständigen nationalen Systembildung T. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäischen Integration, 1996, insbes. S. 184 ff., 326 ff., 334 ff. zur Diskrepanz in der gerichtlichen Kontrolldichte; vgl. weitergehend dens., aaO, S. 505 zur Etablierung eines „Prinzips der gegenseitigen Anerkennung der Verwaltungsrechtsordnungen“ in der Rechtsprechung des EuGH; dieses bedeute die Ausstattung der „identitätsbildenden Unterschiede“ der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen mit einem gemeinschaftsrechtlichen Eigenwert. Demzufolge gehe es im weiteren Prozess der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts um deren Bestandssicherung statt um die Abdrängung durch die Einstufung als nationale Integrationshindernisse. 748 Zu optimistischeren Stimmen in der deutschen Rechtswissenschaft, die die europäische Entwicklung als systemverträglich und gewinnbringend einstufen, vgl. C. D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1996, S. 192 ff.; mit Blick auf mögliche strukturelle Probleme bei der gerichtlichen Kontrolle des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten aaO, S.192: Die deutsche Rechtsordnung habe sich als hinreichend flexibel erwiesen, die Einflüsse des Gemeinschaftsrechts ohne Systembruch in sich aufzunehmen; D. H. Scheuing, in: Innovation und Flexibilität, 1994, S. 289 ff. und die Kontrastierung der divergierenden Positionen bei R. Wahl, in: Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, 2003, S. 411, 429 mit Fn. 41. 749 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24.9.1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EG Nr. L 257, S. 26. 750 Aktuell zu den Beschleunigungsrichtlinien für den Elektrizitäts- und den Erdgasbinnenmarkt als „erneutem Paradebeispiel für die finale Rechtsetzung auf der supranationalen Ebene des EG-Rechts“ R. Breuer, NVwZ 2004, S. 520, 527. 751 Zur nachhaltigen Prägung der IVU-Richtlinie durch das britische Recht mit weiterführenden Nachweisen zur englischsprachigen Literatur T. Pschera/I. Koepfer, NuR 2003, S. 517, 522 mit Fn. 284. 752 Die Literatur zur IVU-Richtlinie und den Aspekten ihrer Umsetzung ist zwischenzeitlich kaum mehr zu überblicken, vgl. etwa H. Kracht/A. Wasielewski, in: EUDUR I, 2. Aufl.
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der IVU-Richtlinie wird insbesondere in deren Art.3 deutlich, der die „Allgemeinen Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber“ regelt. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, damit die zuständigen Behörden sich darüber „vergewissern“, dass verschiedene näher ausgeführte Grundpflichten eingehalten sind. 753 In dem Merkmal des „Vergewisserns“ kommt die finale Normstruktur deutlich zum Ausdruck. 754 Nach Maßgabe dieses Begriffs vermögen die Mitgliedstaaten, die Einhaltung der Betreiberpflichten durch die Gewährung eines entsprechenden „Beurteilungsspielraums“ den nationalen Behörden zu überantworten. 755 Durch die Formulierung des Art. 3 S. 2 der IVU-Richtlinie, wonach es für die Einhaltung der 2003, § 35; P. Beyer, UPR 2000, S. 434 ff.; dens., Die integrierte Anlagenzulassung, 2001; K.-P. Dolde, NVwZ 1997, S. 313 ff.; R. Enders/M. Krings, DVBl. 2001, S. 1391 ff.; J. Falke, ZUR 2002, S. 113 ff.; J. Fante, ZUR 2001, S. 52 ff.; G. Feldhaus, ZUR 2002, S. 1 ff., J. Fluck, JbUTR 1998, S. 93 ff.; K. Hansmann, ZUR 2002, S. 19 ff.; K. Lange/A. Karthaus, in: Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, 1992, S. 25 ff.; G. LübbeWolff, in: Effizientes Umweltordnungsrecht, 2000, S. 151 ff.; H.-J. Koch, ZUR 2000, S. 359 ff.; dens./H. Siebel-Huffmann, NVwZ 2001, S. 1081 ff.; Ch. A. Maaß, DVBl. 2002, S. 364 ff.; R. Ludwig, NuR 2002, S. 144 ff.; J. Masing, DVBl. 1998, S. 549 ff.; R. Steinberg, NuR 1999, S. 192, 194; K.-H. Ladeur, ZUR 1998, S. 245 ff.; V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003; H.-W. Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1999; M. SchmidtPreuß, DVBl. 1998, S. 857 ff.; H. Sendler, ZAU 1998, S. 9 ff.; U. Volkmann, VerwArch 89 (1998), S. 363 ff.; R. Wahl, NVwZ 2000, S. 502 ff.; dens., ZUR 2000, S. 360 ff.; A. Wasielewski, ZUR 2000, S. 373 ff.; M. Wickel, UPR 2000, S. 92 ff.; SRU, Umweltgutachten 2002, S. 179; U. Volkmann, in: Immissionsschutz zwischen Integrationskonzepten und Verfahrensbeschleunigung, 1999, S. 99 ff.; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 10, Rn. 78 und Fn. 147. 753 Der betreffende Artikel lautet in Gänze: „Art. 3 (Allgemeine Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber). Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, damit die zuständigen Behörden sich vergewissern, dass die Anlage so betrieben wird, dass a) alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Umweltverschmutzungen, insbesondere durch den Einsatz der besten verfügbaren Techniken, getroffen werden; b) keine erheblichen Umweltverschmutzungen verursacht werden; c) die Entstehung von Abfällen entsprechend der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (...) vermieden wird; andernfalls werden sie verwertet oder, falls dies aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, beseitigt, wobei Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden oder zu vermindern sind; d) Energie effizient verwendet wird; e) die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um Unfälle zu verhindern und deren Folgen zu begrenzen; f) bei einer endgültigen Stillegung die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um jegliche Gefahr einer Umweltverschmutzung zu vermeiden und um einen zufriedenstellenden Zustand des Betriebsgeländes wiederherzustellen. Für die Einhaltung der Vorschriften dieses Artikels reicht es aus, wenn die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden bei der Festlegung der Genehmigungsstellen die in diesem Artikel aufgeführten allgemeinen Prinzipien berücksichtigen.“ 754 Zur Einordnung des „subjektivierenden und relativierenden Elements des behördlichen ‚Vergewisserns‘“ als Ausdruck einer „subjective language“ im Sinne des britischen Verwaltungsrechts R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 558 f. 755 J. Zöttl, NuR 1997, S. 157 ff., 163 zu Art. 3 IVU-RL als Ausdruck einer finalen Programmierung: Diese Rechtsstruktur vermöge den Prüfungsrahmen der Behörde nur um den Preis der Minimierung der materiellen Inpflichtnahme der Verwaltung zu minimieren.
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Vorgaben des Art. 3 S. 1 IVU-RL ausreicht, wenn „die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen die in diesem Artikel angeführten allgemeinen Prinzipien berücksichtigen“, wird klargestellt, dass „Art. 3 der IVU-Richtlinie keine konditionalen, rechtsbegrifflich strikten, positiven und justitiablen Betreiberpflichten regelt oder derartige Grundpflichten von der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung verlangt“. 756 Jenseits der skizzierten Vorgaben des Art. 3 IVU-RL lässt sich zudem bereits das dem integrierten Umweltschutz zugrunde liegende holistische Konzept der ganzheitlichen Beurteilung von Umwelteinwirkungen in ihrer Vernetztheit als final strukturiertes Optimierungsgebot verstehen. 757 Mit dieser europarechtlich vorgegebenen Normstruktur geht eine grundsätzliche Infragestellung der Konzeptionen abstrakt-genereller Problembewältigung einher, wie sie am Beispiel des Umweltrechts bereits mehrfach Gegenstand der Untersuchung waren. 758 Zu der sich daraus ergebenden Problematik wurde in der Literatur ausgeführt, das integrierte Konzept sei „generalisierungsfeindlich“ und widersetze sich damit auch strukturell der allgemeinen Festlegung strikt-minimierender Grenzwerte. 759 Eine generalisierte Minimierung einzelner Emissionen müsse die im integrativen Ansatz angelegte Komplexität übergehen und in eine sektorale Sichtweise zurückfallen. 760 Sinn der Gesamtbetrachtung sei es gerade, die Werte nicht als solche zu beurteilen, sondern sie in Relation zu den Gesamtauswirkungen zu setzen. 761 Demnach werde die „zentrale normative Steuerung der Umweltqualität“ erschwert; vielmehr würden Rahmenvorgaben oder abstrakte, in hohem Maße konkretisierungsbedürftige Prinzipien und Maßstäbe nahegelegt. 762 Dann hänge die Anwendung weithin von der Entscheidung der jeweiligen Behörde ab. 763 Die Orientierung auf abstrakt-generelle Vorgaben lasse nicht nur die Verfehlung des 756 R. Breuer, AöR 127 (2002), S. 523, 559: Die Mitgliedstaaten könnten sich ihrerseits mit einer finalen Rechtsetzung begnügen, die sich an die nationalen Behörden richte, diesen eine bloße Pflicht zur Berücksichtigung der wiedergegebenen „allgemeinen Prinzipien“ auferlege und die inhaltliche Konkretisierung der behördlichen „Festlegung der Genehmigungsauflagen“ im Einzelfall überlasse. 757 Hierzu J. Masing, DVBl. 1998, S. 549, 550 ff. 758 Hierzu vor allem die Ausführungen zur Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips, 1. Teil, II., 3. 759 J. Masing, DVBl. 1998, S. 549, 551. 760 Vgl. auch A. Epiney, in: Nationale und internationale Perspektiven der Umweltordnung, 2000, S. 47, 52 und insbes. 71: Führte man den integrierten Ansatz konsequent zu Ende seien Generalisierungen und damit auch die Formulierung generell-abstrakter Standards grundsätzlich nicht möglich, da in jedem Einzelfall andere Umstände vorzufinden seien, die die Bewertung der Auswirkungen auf die „Umwelt insgesamt“ beeinflussen (können). 761 J. Masing, ebd.; weiter heißt es: Die holistische Beurteilung habe Kompensation und Relativität zu ihrem Prinzip. Grenzwerte passten hierzu nur als Leit- und Orientierungswerte oder als Rahmenwerte minimalistischer Standards. 762 M. Schröder, NuR 2000, S. 481, 486. 763 M. Schröder, ebd.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Ziels eines verbesserten materiellen Umweltschutzniveaus befürchten, sondern gar eine Verschlechterung. 764 c) Die Bewältigung normstruktureller Systembrüche durch Einsatz der Rechtsverordnung Angesichts der aufgezeigten Kollision der final strukturierten europarechtlichen Vorgaben mit dem konditional ausgerichteten deutschen Verwaltungsrecht führt die Betrachtung der ergriffenen nationalen Umsetzungsmaßnahmen zu einem zunächst überraschenden Ergebnis. Denn wenigstens die letztlich unternommene Verankerung der materiellen Integration im untergesetzlichen Regelwerk scheint der Annahme einer tendenziellen Generalisierungsfeindlichkeit des europäischen Umweltrechts entgegenzustehen. 765 (1) Die divergierenden Umsetzungskonzeptionen des deutschen Umweltrechts Das Erfordernis der Umsetzung der IVU-Richtlinie wurde von vielen als Gelegenheit zur Einleitung tiefgreifender Strukturreformen im deutschen Anlagengenehmigungsrecht angesehen. 766 In den 1990er Jahren wurden mit der Perspektive einer integrierten Genehmigung als Teil eines Umweltgesetzbuches verschiedene Modelle einer Vereinheitlichung des Genehmigungsrechts entwickelt. 767 Im Jahr 1998 wurde der zusammenführende und systematisierende Entwurf der unabhängigen Sachverständigenkommission (UGB-KomE) veröffentlicht. 768 § 81 Abs. 1 UGB-KomE statuiert ein einheitliches Erfordernis der Anlagen- und Vorhabengenehmigung; nach den §§ 90, 99 UGB-KomE sollte zukünftig nur noch eine Behörde (Genehmigungsbehörde) über die Genehmigungserteilung entscheiden.769 Als In764 T. Pschera/I. Koepfer, NuR 2003, S. 517, 522: Bei Vorgabe abstrakt einheitlicher Regelungen auf der Grundlage des Standes der Technik bestehe das Problem, dass Belastungsverlagerungen in andere Umweltmedien unter Umständen nicht hinreichend Rechnung getragen werden könne. So gebe es Fälle, in denen allgemeine Standards etwa für die Luftreinhaltung nur durch eine aufwändige und energieintensive Abluftfilterung einzuhalten seien, im Einzelfall aber trotz Überschreitung der Emissionsgrenzwerte durch andere Maßnahmen eine für die Umwelt insgesamt verträglichere Lösung erreicht werden könne, bei der vergleichsweise weniger Abfälle produziert oder Abwassereinleitungen deutlich reduziert würden. 765 Vgl. zu dieser Annahme die vorhergehenden Ausführungen im Text und in den Fn. 766 Hierzu M. Schmidt-Preuß, DVBl. 1998, S. 857 ff. 767 Eingehende Nachweise zur Entwicklung des Projekts Umweltgesetzbuch nachfolgend unter 1. Teil, IV., 1. 768 BMU (Hrsg.), Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission für ein UGB, 1998; näher hierzu 1. Teil, IV., 1. 769 Näher H.-J. Peters, ZUR 1998, S. 295, insbes. 299; H. Sendler, JbUTR 1998, S. 7, 34 ff. Nach der sog. Integrationsklausel des § 83 Abs. 2 UGB-KomE 1998 sollte der Anlagenbetrei-
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strument der Integration sieht § 84 Abs. 3 UGB-KomE eine Optimierungsklausel vor, nach der ein Dispens von der Einhaltung einzelner Vorsorgewerte erteilt werden kann, wenn daraus unter Berücksichtigung des Einsatzes von Ressourcen und Energie Vorteile für die Umwelt in ihrer Gesamtheit erwachsen, die die Nachteile eindeutig und erheblich überwiegen. 770 Auf der Grundlage des Entwurfs der Sachverständigenkommmission von 1998 wurde im selben Jahr ein Arbeitsentwurf für ein „Umweltgesetzbuch I“ veröffentlicht, 1999 legte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit einen Referentenentwurf vor. 771 Jedoch zeichnete sich zu dieser Zeit bereits das jähe Scheitern der kurz- und mittelfristigen Kodifikationsperspektiven ab, die das Ende aller Versuche zur Etablierung einer integrierten Vorhabensgenehmigung bedeuteten. 772
(2) Implementation in das bestehende Regelwerk und Integrationsarbeit durch den Verordnungsgeber des Immissionsschutz- und Abfallrechts Entgegen der Versuche zur Etablierung einer integrierten Vorhabengenehmigung im Rahmen der Arbeiten zu einem Umweltgesetzbuch wurden in der letztlich gefundenen Umsetzungslösung die tradierten Genehmigungstatbestände mit integrativen Zusätzen ausgestattet, so insbesondere im Bundes-Immissionsschutzgesetz als wichtigster Rechtsgrundlage des Anlagengenehmigungsrechts.773 Hier wurde der Gesetzeszweck durch die Einfügung eines neuen § 1 Abs. 2 BImSchG erweitert durch die Ausrichtung auch auf die „integrierte Vermeidung und Verminderung schädlicher Umwelteinwirkungen durch Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft, um ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu erreichen“. Entsprechend schreibt § 1 a Abs. 1 S. 2 WHG unter Rückgriff auf Formulierungen aus Art. 1 und 9 IVU-RL vor, dass bei Schutz und bei Bewirtschaftung der Gewässer insbesondere mögliche Verlagerungen von nachteiligen Auswirkungen von einem Schutzgut auf ein anderes zu berücksichtigen seien und ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt zu gewährleisten sei. 774 Integrativ ausgerichtet wurden jeweils durch die Orientierung auf ein „hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ auch die Legaldefinition des „Standes der Technik“ in § 3
ber die Grundpflichten so erfüllen, dass die Umwelt in ihrer Gesamtheit möglichst wenig belastet wird. 770 Vgl. M. Krings, JbUTR 1998, S. 52, 63 f.; T. Pschera/I. Koepfer, NuR 2003, S. 517, 522. 771 Nähere Darstellung beider Entwürfe bei A. Wasielewski, NVwZ 2000, S. 15 ff. 772 Zur verfassungsrechtlichen Absage an die bisherigen UGB-Entwürfe vgl. Ch. Gramm, DÖV 1999, S. 540 ff.; näher hierzu unter 1. Teil, IV., 1. 773 Zu dieser zentralen Bedeutung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes H. D. Jarass, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381, 381 f. 774 H. Kracht/A. Wasielewski, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 35, Rn. 52. Dort heißt es weiter: Bereits vor dieser Ergänzung sei aus § 1 a Abs. 1 S. 1 WHG ein solches Verlagerungsverbot abgeleitet und in § 3 Abs. 2 der Abwasserverordnung aufgenommen worden.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Abs. 6 BImSchG, § 7 a Abs. 5 WHG und § 3 Abs. 12 KrW-/AbfG und der Grundpflichtenkatalog des § 5 BImSchG. 775 Zum überwiegenden Teil delegiert der Gesetzgeber die Steuerung der materiellen Integration an den Verordnungsgeber. Rechtstechnisches Instrument ist im BundesImmissionsschutzgesetz die Erweiterung der Verordnungsermächtigung in § 7 Abs. 1 S. 2 BImSchG um einen zweiten Halbsatz, der anordnet, dass „bei der Festlegung der Anforderungen insbesondere mögliche Verlagerungen von nachteiligen Auswirkungen von einem Schutzgut auf ein anderes zu berücksichtigen sind“ (§ 7 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BImSchG). Dabei sei ein „hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ zu gewährleisten (§ 7 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BImSchG). Entsprechend erweitert wurde § 36 c Abs. 1 KrW-/AbfG bzgl. der Rechtsverordnungen über die Anforderungen an Deponien. 776 Für die Abwasserverordnung gilt der entsprechende Grundsatz des § 1 a S. 2 WHG. 777 Also erfolgt nach der gewählten Umsetzungskonzeption die integrative Steuerung der Zulassungsentscheidung primär vermittelt über abstrakte Standards, die so auszugestalten sind, dass die Berücksichtigung möglicher Belastungsverlagerungen von einem in ein anderes Medium und der Schutz der Umwelt insgesamt sichergestellt werden. Anders als noch in den Entwürfen für ein UGB I findet eine zusätzliche einzelfallbezogene Optimierung im Hinblick auf medienübergreifende Aspekte durch die Genehmigungsbehörde nicht statt.778 Auch für zukünftige Umsetzungsrechtsakte im Bereich final strukturierter europarechtlicher Vorgaben wird auf die Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung abgestellt, so etwa im Energiewirtschaftsrecht. 779 Zur Umsetzung der Beschleunigungsrichtlinien für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt vom 26.6.2003 wird eine Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit zur Regelung der Tarife und Konditionen für den Netzzugang empfohlen, auch als Kompromiss zwischen Gesetz und autonomer gesellschaftlicher Regelung: Gegen die Gesetzesform spreche „der hohe Grad an Technizität sowie des Anpassungsbedarfs 775 H. Kracht/A. Wasielewski, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 35, Rn. 54 ff. Stand der Technik als „gemeinsame Basis für die Umsetzung des integrierten Konzeptes in untergesetzlichen Vorschriften und bei Entscheidungen mehrerer Behörden“; Grundpflichtenkatalog des § 5 BImSchG als „Herzstück des deutschen Anlagenzulassungsrechts“. Das Vorsorgegebot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG wurde auf sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen ausgeweitet, so dass nicht mehr nur über den Luftpfad wirkende, sondern auch alle in anderer Weise als Immissionen i. S. von § 3 S. 2 entstehenden Umweltbelastungen – also auch Einträge in Wasser und Boden – vermieden oder vermindert werden müssen, vgl. T. Pschera/I. Koepfer, NuR 2003, S. 517, 518. 776 Vgl. die Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002, BGBl.I 2807, zuletzt geändert durch Verordnung vom 12.8.2004, BGBl. I 2190. 777 Vgl. die Abwasserverordnung vom 21.3.1997, BGBl. I. S. 566, neugefasst durch Bekanntmachung vom 17.6.2004, BGBl. I 1108. 778 H. Kracht/A. Wasielewski, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 35, Rn. 61 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 14/4599, S. 82, 127 ff. 779 Vgl. zur entsprechenden Forderung der Bundesländer BT-Drs. 15/1510, S. 33 ff.; hierzu G. Britz, EuZW 2004, S. 462 ff.
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solcher Regeln“, die Überlassung der Tarifaufstellung an die Netzbetreiber käme „einer Delegation der Rechtsetzung an Private gleich“, wogegen gravierende verfassungsrechtliche Bedenken sprächen. 780 Die Integrationssteuerung durch Rechtsverordnung ist dabei nur in geringem Maße ein Ergebnis der gesetzgeberischen Entscheidung gegen die Umsetzung der IVU-Richtlinie durch ein Umweltgesetzbuch. Auch die Implementation der finalen Normstrukturen in einer UGB-Lösung hätte die materielle Integrationsarbeit zu einem wesentlichen Teil der Rechtsverordnung zugewiesen. 781 Die Integrationspostulate werden mit der Einfügung in bestehende Ermächtigungsstrukturen von den bestehenden Verfahrensordnungen erfasst. So erfolgt die Verordnungsgebung nach der Ermächtigung des § 7 Abs. 1 BImSchG mit ihrem Postulat eines „hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt“ sowohl unter Anhörung der beteiligten Kreise nach § 51 BImSchG als auch (bei Erfassung durch § 7 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) unter dem Vorbehalt der Ablehnung oder Änderung durch den Bundestag gem. § 48 b BImSchG. 782 Zurückzukehren ist noch einmal zu der Ausgangsfeststellung des grundsätzlichen Widerspruchs zwischen final und konditional strukturierten Verwaltungsrechtssystemen und der hieraus resultierenden Konfrontation des nationalen Gesetzgebers mit der Generalisierungsfeindlichkeit der europarechtlichen Vorgaben. Fragt man sich nun, wie dieser Ausgangsbefund mit dem sukzessive gefundenen Ergebnis der weitgehenden Konversion des Systembruchs in der abstrakt-generellen Form von Rechtsverordnungen in Übereinstimmung zu bringen ist, so ergibt sich zweierlei: (1) Zum einen lässt sich festhalten, dass die deutsche Umsetzung die Möglichkeiten einer weitergehenden Annäherung an die finale Rechtsetzungsstruktur des Europarechts nicht genutzt hat. Vielmehr wurde auf dem Wege einer konventionellen Richtlinienumsetzung versucht, die konditionalen Normstrukturen des nationalen Verwaltungsrechts weitestgehend aufrechtzuerhalten. Gemessen an den anspruchsvollen Vorgaben ist also eine Umsetzungsschwäche zu konstatieren. Ob die Qualität eines Verstoßes gegen EG-Recht erreicht ist, ist umstritten. 783 Feststellen lässt sich jedenfalls, dass das R. Breuer, NVwZ 2004, S. 520, 528. V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003, S. 140 zur Entscheidung des Kommissionsentwurfs von 1998, die Entscheidungsgrundlagen der integrierten Vorhabensgenehmigung und grundsätzlich die Emissionsgrenzwerte nicht einzelfallbezogen, sondern in der Regel in Form von allgemeinverbindlichen Vorschriften festzusetzen. 782 Vgl. zur Beteiligung nach §§ 48 b, 51 BImSchG bereits die Nachweise unter 1. Teil, II., 1., c) u. 3., d). Zur verordnungsrechtlichen Umsetzung der Beschleunigungsrichtlinien für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt vom 26.6.2003 wird vorgeschlagen, das Verfahren der Verordnungsgebung in einer „sachangemessenen und konsensstiftenden Weise“ zu gestalten, also etwa gesetzlich eine Anhörung der beteiligten Kreise oder ein förmlicheres Verfahren mit Beteiligungsrechten von Interessenten oder Verbänden sowie Publikations- und Begründungspflichten vorzuschreiben, hierzu R. Breuer, NVwZ 2004, S. 520, 529. 783 Teilweise wird der Einwand fehlender IVU-Konformität mit dem Argument erhoben, dass eine generelle Regelung den Besonderheiten des geografischen Standorts und den örtli780 781
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Artikelgesetz des Jahres 2001 den integrativen Ansatz nicht in seiner kompletten Dimension rezipiert. 784 Dies kommt insbesondere auch in der Abstandnahme von einer Optimierungsklausel zum Ausdruck, wie sie im Sachverständigenentwurf von 1998 noch vorgesehen war. Die defensive Rezeption erscheint geradezu als Voraussetzung für eine „erfolgreiche“ Bewältigung des Integrationsprozesses durch untergesetzliche Standardisierung, insbesondere durch Rechtsverordnungen. Hier zeigt sich, dass der integrative Ansatz ein Leistungsprofil in das BImSchG einführt, das dieses strukturell zu überfordern droht. 785 Diese Einschätzung findet Bestätigung in der Literatur. So wird konstatiert, dass die Konzeption des Artikelgesetzes im Hinblick auf die materielle Integration im untergesetzlichen Regelwerk auf halbem Weg stehen bleibe. 786 Zur weiterhin getrennten Berücksichtigung der medienübergreifenden Verlagerungsproblematik durch immissionsschutzrechtliche und wasserrechtliche Vorschriftengeber bei Schaffung und Überarbeitung ihrer jeweiligen medialen Standards wird festgestellt: „Dem Geist der IVU-RL würde es eher entsprechen, wenn Experten beider Fakultäten gemeinsam das untergesetzliche Regelwerk weiterentwickeln würden.“ 787 Demgegenüber vermag sich der Umsetzungsgesetzgeber auf die Vorschrift des Art. 9 Abs. 8 IVU-RL zu berufen, nach welcher die Mitgliedstaaten unbeschadet der Verpflichtung zur Durchführung eines Genehmigungsverfahrens im Sinne der Richtlinie „bestimmte Anforderungen für bestimmte Kategorien von Anlagen in Form von allgemeinen bindenden Vorschriften statt in Genehmigungsauflagen“ festlegen können, sofern „dabei ein integriertes Konzept und ein gleichwertiges hohes Schutzniveau für die Umwelt gewährleistet werden“. (2) Zum anderen bleiben die zur Umsetzung (weiter-)entwickelten Ermächtigungsstrukturen des Umweltrechts keineswegs frei von finalen Implantaten. Dies wird deutlich in der Neufassung der Einleitungsformel zum Grundpflichtenkatalog des §5 Abs.1 BImSchG, wonach alle dort normierten Pflichten „zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt bestehen“. Diese Neufassung wird durch die Inbezugnahme des §5 Abs. 1 chen Umgebungsbedingungen nicht ausreichend Rechnung tragen könne, vgl. P. Beyer, UPR 2000, S. 434, 437 ff. Auch wird die Unvollständigkeit der Umsetzung geltend gemacht mit dem Hinweis darauf, dass ein umfassendes integratives untergesetzliches Regelwerk weder derzeit noch in absehbarere Zukunft vorliege, hierzu R. Wahl, ZUR 2000, S. 360, 363 ff. Zum Ganzen K. Hansmann, ZUR 2002, S. 19 ff. 784 Damit ist noch kein Verstoß gegen das EG-Recht festgestellt, denn diese beschränkte Umsetzung ist bereits in der IVU-Richtlinie selbst angelegt; so lässt Art. 7 IVU-RL die Beibehaltung paralleler Genehmigungsverfahren zu, Art. 21 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 8 IVU-RL gestatten auch eine Konkretisierung der Anforderungen der IVU-RL durch allgemein bindende Vorschriften (Rechtsverordnungen) und Verwaltungsvorschriften, sofern dabei ein integriertes Konzept und ein gleichwertig hohes Schutzniveau für die Umwelt gewährleistet ist. 785 Zur Überforderung des umweltrechtliches Fachgesetzes durch die Anhäufung von Steuerungsaufgaben am Beispiel des KrW-/AbfG O. Lepsius, NVwZ 2003, S. 1182 ff. In Bezug auf das BImSchG warnte K. Hansmann bereits 1994 davor, dass angesichts der Effektivität des BImSchG die Versuchung groß sei, dieses Gesetz mit Anliegen außerhalb seiner eigentlichen Zweckbestimmung zu überfrachten, ders., in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 20 ff., 31 f. 786 H. Kracht/A. Wasielewski, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 35, Rn. 62. 787 H. Kracht/A. Wasielewski, ebd.
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BImSchG in der zentralen Ermächtigungsnorm des §7 Abs. 1 BImSchG unmittelbar relevant für die Verordnungsgebung. Dieser „Versuch einer Finalisierung und Optimierung der Betreiberpflichten“ 788 zeigt, dass der Boden einer rein konditionalen Normstruktur verlassen wird und es zu einer Kombination von konditionalen und finalen Elementen kommt. Rechtstechnisch erfolgt diese Kombination oder Harmonisierung der konfligierenden Normstrukturen durch Veränderungen in den Verordnungsermächtigungen. Die Kopplung von zweckorientiert aufgeladener Ermächtigungsstruktur und Abfederung der finalen Vorgaben in der nachfolgenden Verordnungsgebung erweist sich also als ein Weg der Kombination und Harmonisierung von Systemdifferenzen zwischen finalen und konditionalen Normstrukturen. In Ausrichtung auf dieses Ziel ordnet der Gesetzgeber der Rechtsverordnung die Funktion der Bewältigung von Systembrüchen in den Normstrukturen zu. (3) Konkurrierende Rechtsetzungsformen Wie die Verordnungsermächtigung des § 7 BImSchG für die Rechtsverordnung wurde auch § 48 BImSchG 789 für den Erlass von Verwaltungsvorschriften mit einer Verpflichtung auf eine integrierte Ausrichtung der Umweltstandards ausgestattet.790 Bedenken ergeben sich hier insbesondere auf Grund der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtsqualität von Verwaltungsvorschriften. 791 Hierzu wird in der Literatur unter Verweis auf die vorhergehend skizzierte Vorschrift 792 des Art. 9 Abs. 8 der IVU-RL, nach welcher bestimmte Anforderungen für bestimmte Kategorien von Anlagen in Form von allgemein bindenden Vorschriften statt in Genehmigungsauflagen festgelegt werden können, darauf aufmerksam gemacht, die Konkretisierung der integrativen Vorgaben in der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur könne „nur in Form von Rechtsverordnungen erfolgen“. 793 Insoweit sei mit der vollzogenen Umsetzung der IVU-Richtlinie die Chance verpasst worden, die Form der Verwaltungsvorschriften im Bundes-Immissionsschutzgesetz aufzugeben.794 R. Breuer, Konditionale und finale Rechtsetzung, AöR 127 (2003), 523, 565. Die Integrationsklausel in § 48 S. 2 BImSchG entspricht jener des § 7 Abs. 1 S. 2 BImSchG. 790 T. Pschera/I. Koepfer, NuR 2003, S. 517 ff. 791 Vgl. zur Rechtsprechung die eingehenden Nachweise unter 1. Teil, III., 1., c) u. nachfolgend 3. Teil, IV., 1. 792 Vgl. soeben 1. Teil, III., 3., c). 793 M. Böhm, ZUR 2002, S. 6, 9. Aufgrund der Vorgabe des Art. 13 IVU-RL, wonach die zuständigen Behörden Genehmigungsauflagen regelmäßig zu überprüfen und auf den neuesten Stand zu bringen hätten, folge zudem, dass die Rechtsverordnungen regelmäßig zu aktualisieren seien. Zur Kritik der Position, wonach in Verwaltungsvorschriften keine hinreichende Umsetzung der IVU-Richtlinie zu sehen sei der Tagungsbericht zur Tagung des Vereins für Umweltrecht und der UVP-Gesellschaft am 4. und 5.10.2001 in Bremen von J. Falke, ZUR 2002, S. 113, 114. 794 M. Böhm, ZUR 2002, S. 6, 9; ähnlich A. Wasielewski, ZUR 2000, S. 373, 378 mit der Forderung, den entsprechenden Verwaltungsvorschriften, wie z. B. der TA Luft, zumindest soweit sie materielle Standards enthalten, endlich „die höheren Weihen einer Rechtsnorm zu verlei788 789
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4. Zwischenergebnis Der zweite Abschnitt der Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zeigt, inwieweit die Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung zum Einsatz gebracht wird [1. Teil, III., 1.–3.]. Die Differenzierung nach europa- und völkerrechtlich motivierten Ermächtigungsnormen ist Ausdruck der zunehmenden Verselbständigung des Europarechts als des Rechts eines „Staatenverbundes“ (BVerfGE 89, 155, 190) und der damit verbundenen Aufgabe der Entwicklung adäquater rechtswissenschaftlicher Kategorien. Auch für die hier dargelegte Untersuchung hat sich die Unumgänglichkeit und strukturierende Kraft dieser Unterscheidung gezeigt. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Rechtsverordnung nur in seltenen Fällen im Bereich der unmittelbar geltenden EG-Verordnungen zum Einsatz kommt [vgl. etwa im Recht des Öko-Audit-Verfahrens, näher 1. Teil, III., 1., a)], sondern weit überwiegend in der Umsetzung von nur mittelbar geltenden EG-Richtlinien [1. Teil, III., 1., a)]. Demgemäß zeigen sich rechtstechnische Parallelen zwischen beiden dargelegten Verordnungsfunktionen im Kontext der Internationalisierung: Sowohl in der europarechtlichen als auch in der völkerrechtlichen Perspektive ist die Rechtsverordnung Teil einer mehrstufigen Rechtsetzungsstruktur und erbringt die Inkorporation internationalrechtlich vorgezeichneter Regelungen in die nationale Rechtsordnung. Im Bereich der europarechtlich motivierten Umsetzung schwankt der Gesetzgeber zwischen Verordnungsermächtigungen zur gezielten Umsetzung sachbereichsspezifischer Richtlinien und Globalermächtigungen [1. Teil, III., 1., b)], in der Umsetzung völkerrechtliche Verträge zwischen weit reichenden Verordnungsermächtigungen in Antizipation der Zustimmungspflicht aus Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG und gesonderter Delegation im parlamentarischen Transformationsgesetz [1. Teil, III., 2.]. Zudem wird gezeigt, dass die Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung nicht nur zur Implementation supra- und internationaler Rechtsinhalte eingesetzt wird, sondern darüber hinausgehend auch als wesentliches Instrument zur Bewältigung normstruktureller Systembrüche, die mit der Öffnung der nationalen Rechtsordnung einhergehen [1. Teil, III., 3.]. Diese Funktion der Rechtsverordnung lässt sich am Beispiel der IVU-Richtlinie illustrieren, deren Umsetzung den Systembruch zwischen konditionalen und finalen Normstrukturen in der Konfrontation des deutschen mit dem europäischen Umweltrecht zutage treten ließ. Dieser Systembruch wurde weitgehend durch finale Anreicherung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen verarbeitet, was einerseits zwar eine Mindestumsetzung der europarechtlichen Vorgaben ermöglicht, andererseits aber keine vollständige Umstrukturierung auf das finale Muster anderer Rechtsordnungen bedeutet. Die Rechtsverordnung erweist sich hier als Instrument zur Bewältigung normstruktureller Systembrüche [1. Teil, II, 3., b)]. Im Bereich des funktional äquivalenten Einsatzes von Rechtsverordnungen und Verwaltungs-
hen“. Zum Problem auch R. Wahl, ZUR 2000, S.360, 366 sowie D. Sellner, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 401, 409.
IV. Rechtsverordnung in der rechtspolitischen Projektion
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vorschriften hat die zur Rechtsverordnung tendierende Rechtsprechung des EuGH erhebliche Verschiebungen gezeitigt und die Verwaltungsvorschriften weitgehend verdrängt [1. Teil, III., 1., c)]. In vielen Bereichen ergingen europarechtlich vorgegebene Regelungen nur noch in der Form der Rechtsverordnung, auch wurden einige ältere Regelungskomplexe von der bisherigen Rechtsform der Verwaltungsvorschriften in jene der Rechtsverordnung überführt [1. Teil, III., 1., c)].
IV. Funktionen der Rechtsverordnung in der rechtspolitischen Projektion War in den vorangegangenen Abschnitten der Analyse und Typisierung des Umweltrechts das Aufgaben- und Leistungsprofil der Rechtsverordnung im geltenden Recht Gegenstand der Untersuchung, so soll im Folgenden untersucht werden, welche Konzeptionen und Überlegungen sich bezüglich des zukünftigen Funktionenzuschnitts der Rechtsverordnung erkennen lassen und inwieweit hierbei die gegenwärtigen Funktionenzuordnungen rezipiert bzw. fortentwickelt werden. Wie die Beteiligten des Gesetzgebungsverfahrens setzt sich auch die Rechtswissenschaft mit den Funktionen der Rechtsverordnung nicht nur in dogmatischer Hinsicht mit Blick auf das positive Recht, sondern in ähnlich starkem Maße auch mit rechtspolitischen Perspektiven der Rechtsetzung auseinander. 795 Eine nachhaltige Konzentration haben die Überlegungen zur adäquaten umweltrechtlichen Rechtsetzungsorganisation im Kontext der Bemühungen um die Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch erfahren, die im Jahr 1998 zur Veröffentlichung eines umfassenden Entwurfs für ein Umweltgesetzbuch durch die Unabhängige Expertenkommission beim Umweltministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit führten. 796
1. Die Konzeption einer UGB-Kodifikation und ihr (vorläufiges) Scheitern Das Projekt eines Umweltgesetzbuches hat die Rechtswissenschaft über Jahre hinweg beschäftigt. 797 Im Jahr 1990 wurde der sogenannte Professorenentwurf zum 795 Vgl. zur Rechtspolitik als Element der Rechtswissenschaft M. Holoubek, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S.9 ff. und bereits F. v. Calker, in: Handbuch der Politik I, 1912, S. 11 ff. 796 BMU (Hrsg.), UGB-KomE 1998; vorhergehend M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. SchmidtAßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch AT, 1990; H. D. Jarass/M. Kloepfer/P. Kunig/H.-J. Papier/F.-J. Peine/E. Rehbinder/J. Salzwedel/E. Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch BT, 1994; BMU (Hrsg.), Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch, 1994. 797 Vgl. für einen Überblick aus der Literatur zum Projekt des Umweltgesetzbuchs die Beiträge in H.-J. Koch (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992; M. Kloepfer/K. Meßerschmidt, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, 1986; M. Kloepfer/W. Durner, DVBl. 1997, S. 1081 ff.; A. Schink, DÖV 1999, S. 1 ff.; H.-W. Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches veröffentlicht. 798 Dieser Professorenentwurf beeinflusste die Arbeiten der vom Bundesumweltministerium eingesetzten Sachverständigenkommission maßgeblich, die 1998 ihren Entwurf für ein Umweltgesetzbuch vorlegte. Trotz des Regierungswechsels 1998 blieb die Schaffung eines Umweltgesetzbuches politisches Ziel der Bundesregierung. 799 Die Kodifizierung sollte anlässlich der Umsetzung der IVU-Richtlinie800 mit einem UGB I beginnen. 801 Jedoch ist die Umsetzung dieser Konzeptionen zwischenzeitlich in einige Ferne gerückt. 802 Auslöser dafür war das überraschende Auftreten erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken in der Ministerialverwaltung. 803 Diese gingen dahin, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehle. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Bund im Bereich des Wasserrechts lediglich über eine Rahmenkompetenz verfüge. Die in der Literatur herrschende Gegenauffassung nahm hingegen das Bestehen einer Bundeskompetenz an – hergeleitet aus einer Zusammenschau verschiedener Kompetenzen. 804 Der Bundesrat machte unter anderem rechtspolitische Bedenken gegen die eigenständigen Verfahrensvorschriften geltend. 805 Nach Ansicht des Sachverständigenrates für Umweltfragen sind mit dem (vorläufigen) Verzicht der Bundesregierung auf eine Kodifizierung dem Umweltrecht nicht nur Fortschritte verwehrt, sondern auch Rückschritte erspart geblieben.806 Ungeachtet dieser Entwicklung bleibt der Sachverständigen-Entwurf für ein Umweltgesetzbuch Grundlage für weitere Bestrebungen zu einem Umweltgesetzbuch und Steinbruch für den integrierten Umweltschutz, 1999; P. Vandrey, Neubau des Umweltrechts?, 1995; M. Riedel, Das Vorhaben der kodifikatorischen Vereinheitlichung des Umweltrechts, 1995; E. Hagenah, DVBl. 1998, S. 87 ff.; H.-J. Papier, DVBl. 1992, S. 1133 ff. 798 M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. Schmidt-Aßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch AT, 1990. 799 Vgl. SPD/Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Koalitionsvereinbarung v. 20.10.1998, S. 13: „Das zersplitterte Umweltrecht wird in einem Umweltgesetzbuch zusammengeführt, um es effizienter und bürgernäher zu gestalten.“ 800 Hierzu bereits die Darstellung im Rahmen der Verordnungsfunktion der Bewältigung normstruktureller Systembrüche unter 1. Teil, III., 3., c). 801 BMU (Hrsg.), UGB-KomE 1998, S. 106 mit Hinweis in Fn. 106 auf einen auf Vorschlag der Bundesumweltministerin A. Merkel gefassten Beschluss der Umweltministerkonferenz vom 4. und 5. Juni 1997. 802 Vgl. A. Wasielewski, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 213 ff. Das Scheitern bedauert R. Wahl, in: Umweltrecht im Wandel, Berlin 2001, S. 237, 253: „(...) unter den vielen Gründen für das Projekt UGB wurde das langfristig wichtigste am wenigsten offengelegt. Das UGB hätte eine Chance sein können – vielleicht war es die letzte –, das deutsche Umweltrecht nochmals geschlossen, konzeptionsorientiert und systematisch darzustellen, um es so besser zu rüsten für die zähen und andauernden Auseinandersetzungen um Einfluss auf die Rechtsetzung in Brüssel auf dem Weg zum europäischen Umweltrecht, der längst und im beschleunigten Tempo beschritten wird. Das UGB wäre so als eine Vorwärtsstrategie im Bestreben um Einfluss auf das Gemeinschaftsrecht zu verstehen gewesen (...).“ 803 Ch. Gramm, DÖV 1999, S. 540 ff.; vgl. zur Rückführbarkeit des UGB-Scheiterns auf weitere Gründe wie die mangelnde politische Unterstützung durch Industrie und Umweltverbände J. Sanden, ZfU 2004, S. 473, 480. 804 Statt vieler H.-W. Rengeling, DVBl. 1998, S. 997 ff. 805 A. Wasielewski, NVwZ 2000, S. 15 ff. 806 SRU, Umweltgutachten 2002, Tz. 303.
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für weitere legislative Überlegungen. 807 Die Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 16. Oktober 2002 benennt die „Straffung des zersplitterten Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch“ ausdrücklich als politisches Ziel 808 für die laufende 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags. 809
2. Die Recht- und Regelsetzung nach dem Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch 1998 Der Entwurf der Sachverständigen-Kommission umfasst 775 Paragrafen, beginnend mit einem Allgemeinen Teil (§§ 1–244). Das erste von acht Kapitel des Allgemeinen Teils („Allgemeine Vorschriften“) umfasst die §§ 1–66. Der dritte Abschnitt des Allgemeinen Teils ist überschrieben mit „Recht- und Regelsetzung“ (§§ 11–40) und gliedert sich in die vier Unterabschnitte „Rechtsverordnungen“ (§§ 11–24), „Verwaltungsvorschriften“ (§§ 25–30), „Technische Regelwerke“ (§§ 31–33) und „Zielfestlegungen, Selbstverpflichtungen, Verträge, Satzungen“ (§§ 34–40). 810 Die hier niedergelegte Konzeption der Rechtsetzungsorganisation ist im Rahmen dieser Untersuchung von besonderem Interesse. 811
807 Zur Position der Bundesregierung vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf Frage 155 der Großen Anfrage der FDP-Fraktion BT-Drs. 14/9186 v. 30.5.2002, S. 99: Die Vereinheitlichung des Umweltrechts werde von der Bundesregierung weiterverfolgt, allerdings auf der Grundlage einer noch zu schaffenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Grundgesetz. Der Deutsche Bundestag habe dieses gestufte Vorgehen in seiner Entschließung vom 5.4.2001 (BT-Drs. 14/5772) anlässlich der Beratungen über das Artikelgesetz ausdrücklich unterstützt. 808 SPD/Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Koalitionsvereinbarung v. 16.10.2002, S. 39 unter Anerkennung der Erforderlichkeit einer vorhergehenden Grundgesetzänderung. 809 Vgl. zu den Bestrebungen zur Schaffung einer dementsprechend einheitlichen Gesetzgebungskompetenz die Rede von Bundesumweltminister J. Trittin auf dem Deutschen Naturschutztag am 25.5.2004 in Potsdam, Umdruck, S. 2: „Die Kompetenzordnung muss das Umweltrecht verschlanken und entbürokratisieren. Wir brauchen einen einheitlichen ‚Kompetenztitel Umwelt‘ in der konkurrierenden Gesetzgebung.“ Aus der Literatur mit entschiedenem Plädoyer für einen neuen Anlauf zur Kodifizierung und Systematisierung des deutschen Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch J. Sanden, ZfU 2004, S. 473 ff. 810 Nach dem internen Geschäftsverteilungsplan der Sachverständigenkommission lag die Zuständigkeit für den Abschnitt „Recht- und Regelsetzung“ bei Michael Kloepfer; dies berichtet E. Böhm-Amtmann, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse? 1999, S. 189, 189. 811 Vgl. für einen Überblick über die Vorschläge zur Normsetzung nach dem UGB-Sachverständigenentwurf von 1998 H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 232 ff.; K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, S. 135 mit Fn. 535; Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens-)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 133–182; M. Kloepfer, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit?, 1999, S. 161 ff.; G. Lübbe-Wolff, ZAU 1998, S. 43, 46. Zum vorhergehenden Professorenentwurf von 1990 P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 170 ff.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
a) Hierarchischer Vorrang für die Rechtsverordnung? Der Sachverständigenentwurf hält am Nebeneinander von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften fest. Die in den §§ 25–30 UGB-KomE näher ausgestalteten Verwaltungsvorschriften werden als „notwendiges Instrument der Standardsetzung“ anerkannt, jedoch „nur dort, wo die Dynamik der wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnisbildung zu raschen Änderungen nötigt oder wo die Erwartung besteht, dass sich Ausnahmen häufen könnten“. 812 Im übrigen werde „aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der Rechtsverordnung gegenüber der Verwaltungsvorschrift Vorrang eingeräumt“. 813 Damit werde gleichermaßen das „im geltenden Recht bislang ungeregelte Konkurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Handlungsformen geklärt“. 814 Zustimmend erkennen viele Autoren in dieser Regelungsstruktur einen „hierarchischen Vorrang“ der Rechtsverordnung. 815 Dagegen interpretiert Eberhard Schmidt-Aßmann die Rechtsetzungskonzeption des UGB-KomE als tendenzielle Gleichordnung von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift. 816 Für die Verwaltungsvorschriften gehe es im Verhältnis zur Rechtsverordnung „weniger um ein ‚Ergänzungsrecht‘ als um einen eigenen, in gewisser Weise parallel zur Rechtsverordnung einsetzbaren Funktionsmodus“. Der Exekutive würden beide Handlungsformen angeboten, der entscheidende Unterschied liege in der Bindungsintensität. 817 In ähnlicher Weise verstehen andere Autoren den Vorschlag der Umweltgesetzgebungskommission als Vorschlag, in den erfassten Fällen „der Verwaltung zur näheren Regelung die Wahl zwischen Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften zu überlassen“. 818 812 UGB-KomE 1998, S. 487. Nach § 26 UGB-KomE besteht eine gesetzliche Vermutung, wonach Verwaltungsvorschriften „den Stand der Technik oder den Stand von Wissenschaft und Technik zutreffend wiedergeben“. Durch diese Regelung werde prozessual eine Umkehr der materiellen Beweislast bewirkt und „im Ergebnis eine gesteigerte Außenwirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften begründet“, so die Begründung in UGB-KomE, S. 489; vgl. dazu S. Paetow, in: FS Blümel, 1999, S. 403, 418. 813 UGB-KomE 1998, S. 487. 814 UGB-KomE 1998, S. 487. 815 Vgl. hierzu die Nachweise im Diskussionsbericht von R. Schunda, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit?, 1999, S. 216; zur „weiter steigenden Bedeutung“ der Handlungsform der Rechtsverordnung nach dem Professorenentwurf von 1990 zustimmend Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105, 108 mit Fn. 22. 816 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 493. Ähnlich Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 173 f. 817 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 494: Grenzwerte in Verwaltungsvorschriften repräsentierten also entwicklungsoffenere Normen. Sie ermöglichen eine in das gerichtliche Verfahren fortgeführte, sukzessive und diskursive Konkretisierung der im Gesetz nur generalklauselartig festgelegten Standards und seien folglich dann vorzugswürdig, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse oder technische Entwicklungen noch nicht hinreichend gesichert seien oder wenn trotz zulässiger Typisierung zu erwarten sei, dass eine Vielzahl von Einzelfällen zu Ausnahmen veranlasse. 818 A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 230 mit Fn. 150 unter Hinweis auf die Vorschriften zur Festlegung von Grenz- und Richtwerten für die Umweltqualität bzw. von Anforderungen und Be-
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b) Zentrale Verordnungsermächtigung zur Grenz- und Richtwertfestsetzung in § 11 UGB-KomE Im Sachverständigen-Entwurf wird unterschieden zwischen einzelnen Verordnungsermächtigungen in den Bereichen des Besonderen Teils und einer zentralen Verordnungsermächtigung im Allgemeinen Teil. Der zentralen Ermächtigung des § 11 UGB-KomE liegt die Einschätzung zugrunde, dass in Bezug auf den Regelungsgegenstand der Festlegung von Grenz- und Richtwerten für die Umweltqualität genügend Gemeinsamkeiten unter den Sachgebieten bestehen, die eine zusammenfassende Regelung ermöglichen. 819 Diese Ermächtigungsnorm soll in dualer Ausrichtung auf die Zwecke der Gefahrenabwehr und der Risikovorsorge in integrativ-medienübergreifender Ausrichtung die Umweltmedien Luft, Boden und Wasser erfassen. 820 Die Ermächtigung zur Festlegung (unverbindlicher) Richtwerte nach § 11 Abs. 2 UGB-KomE ist auf die Risikovorsorge beschränkt und wurde insbesondere zur Umsetzung von EG-Recht und zur Erreichung langfristiger Vorsorgeziele empfohlen. 821 In §§ 12 und 13 UGB-KomE wird der Versuch unternommen, die Grundsätze zu präzisieren, 822 die bei der untergesetzlichen Aufstellung von Umweltanforderungen zu beachten sind. 823 Die Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher und völkerrechtlicher Vorgaben soll nach der deklaratorischen 824 Vorschrift des § 14 UGB-KomE nicht auf spezifische „Umsetzungsermächtigungen“ wie etwa § 48 a
triebsweisen in §§ 11 und 13 UGB-KomE 1998 durch Rechtsverordnung einerseits und in §§ 25 ff. UGB-KomE durch Verwaltungsvorschriften andererseits. Dazu Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 103 ff. 819 M. Kloepfer, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit?, 1999, S. 161, 164. 820 Vgl. zu Konzeptionen und Problemen des sog. integrativen Umweltschutzes die Darstellung unter 1. Teil, III., 3., c). 821 So von M. Kloepfer, ebd. 822 Beispielsweise bestimmt § 12 Abs. 1 UGB-KomE, dass Grenzwerte zum Schutz vor Gefahren nach § 11 Abs. 1 und 2 so festzusetzen sind, dass unter Einhaltung eines angemessenen Sicherheitsabstandes der Schutz der Umwelt und des Menschen nicht beeinträchtigt werden kann. §12 Abs.2 UGB-KomE legt fest, dass Grenz- und Richtwerte zur Vorsorge gegen Risiken nach § 11 Abs. 1 und 2 so festzusetzen sind, dass unter Berücksichtigung von Art, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des festgestellten oder möglichen Risikos dem Entstehen von nachteiligen Einwirkungen auf die Umwelt und den Menschen angemessen vorgebeugt wird. § 12 Abs. 3 UGB-KomE fordert, dass Grenz- und Richtwerte für die Umweltqualität so festzusetzen sind, dass die Aufnahmefähigkeit und Belastbarkeit der Umwelt langfristig nicht überfordert wird. 823 Hierzu die Darstellung bei S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 202 f., der darlegt, diese Grundsätze bestünden zwar weitgehend wieder aus unbestimmten Rechtsbegriffen, wiesen jedoch einen größeren Konkretisierungsgrad auf und würden deshalb stärker als das geltende Recht der verfassungsrechtlichen Forderung gerecht, dass der Gesetzgeber selbst die wesentlichen Entscheidungen zu treffen habe. 824 So M. Kloepfer, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit?, 1999, S. 161, 164 mit dem Hinweis, dass eine allgemeine konstitutive Ermächtigung der Bundesregierung, Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu erlassen, verfassungsrechtlich unzulässig sei.
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BImSchG, 57 KrW-/AbfG, sondern sachspezifisch auf die allgemeinen Verordnungsermächtigungen gestützt werden. c) Begründungspflicht In § 16 des UGB-KomE ist für Verordnungsentwürfe nach §§ 11, 13 und 14 UGB-KomE 825 die Pflicht zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger sowie zur Anfügung einer Begründung statuiert. Danach sind „bei Vorschriften über Grenz- und Richtwerte für die Umweltqualität oder Anforderungen an Anlagen, Betriebsweisen, Stoffe, Zubereitungen und Produkte in der Begründung insbesondere die wissenschaftlichen Annahmen und Methoden sowie die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten darzulegen, auf denen der Vorschlag beruht“ (§ 16 S. 2 UGB-KomE). 826 d) Periodische Überprüfung Für Rechtsverordnungen mit Grenz- und Richtwerten ist die Pflicht zur inhaltlichen Überprüfung „nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums, spätestens jedoch zwölf Jahre nach dem Erlass“ vorgesehen (§ 24 Abs. 1 UGB-KomE). 827 Dem korrespondiert eine Pflicht zur Berichterstattung über Überprüfung und zu ziehende Folgen an Bundesrat und Umweltkommission, unter bestimmten Voraussetzungen auch an den Bundestag (§ 24 Abs. 2 UGB-KomE). Allerdings ist keine generell nur befristete Geltung von Rechtsverordnungen vorgesehen – anders als für Verwaltungsvorschriften, die gem. § 30 Abs. 3 UGB-KomE nach acht Jahren außer Kraft treten sollen. 828
825 § 13 UGB-KomE trifft besondere Anforderungen für Rechtsverordnungen mit Anforderungen an Anlagen, Betriebsweisen, Stoffe, Zubereitungen und Produkte. Zu §§ 11 u. 14 UGB-KomE vgl. soeben im Text. 826 Hierzu die Darlegung des Begründungserfordernisses bei M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 336 und H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 233 f. 827 Näher Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 168 f. 828 Vgl. dazu die Regelungen in den Polizeigesetzen der Ländern über die Befristung von Polizeiverordnungen; z. B. sieht § 17 Abs. 1 PolG Baden-Württemberg das Außerkrafttreten nach spätestens 20 Jahren vor, soweit die Verordnung nicht von der obersten Landespolizeibehörde erlassen ist, § 17 Abs. 2 PolG BW.
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e) Das Konzept der verordnungsersetzenden Verträge In den §§ 34–40 enthält der Kommissionsentwurf Vorschriften zu sog. normersetzenden Verträgen. 829 Intendiert ist eine rechtliche Regulierung des Instruments der Selbstverpflichtungen. 830 Als potentieller Regelungsgehalt derartiger Selbstverpflichtungen kommt nach der Konzeption des Kommissionsentwurfs alles in Betracht, was Inhalt von Rechtsverordnungen sein kann: Zunächst eröffnet § 34 Abs. 1 UGB-KomE die Möglichkeit von Zielfestlegungen für die „freiwillige Erfüllung von Anforderungen zur Vorsorge gegen Risiken für die Umwelt oder den Menschen“. 831 § 35 UGB-KomE regelt die Abgabe rechtlich unverbindlicher Selbstverpflichtungen durch Wirtschaftsverbände, sonstige Verbände oder einzelne Unternehmen, die innerhalb einer angemessen Frist freiwillig erfüllt werden sollen. § 36 UGB-KomE normiert den Abschluss öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen, die dezidiert darauf gerichtet sind, an die Stelle einer Rechtsverordnung zu treten. § 37 eröffnet schließlich die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung derartiger normersetzender Verträge, 832 gezielt wird dabei insbesondere auf die Verhinderung sog. Trittbrettfahrer. 833 3. Die Reform der Beteiligungsstrukturen Der Vorschlag der Sachverständigen-Kommission erklärt die Mitwirkung der Öffentlichkeit, sowie gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen zu einem zentralen Reformgegenstand der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Verordnungsgebung. 834 Nach der Konzeption des Kommissionsentwurfs 1998 sollen an der Verordnungsgebung neben dem Bundesrat eine „Umweltkommission“ sowie der Deutsche Bundestag beteiligt werden. a) Die Mitwirkung der Umweltkommission Die Mitwirkung Privater am Verfahren der Verordnungsgebung soll nach dem Vorschlag der Sachverständigen-Kommission im gesamten Umweltrecht über die An829 Hierzu J. Knebel/L. Wicke/G. Michael, Berichte des UBA 5/99; A. Zühlsdorff, Rechtsverordnungsersetzende Verträge unter besonderer Berücksichtigung des Umweltrechts, 2002. 830 Zu deren praktischer Häufigkeit J. Knebel, in: Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 243 ff., der ca. 130 Selbstverpflichtungen erfasst. 831 Eingegrenzt wird der Gegenstand derartiger Selbstverpflichtungen auf „alles was Gegenstand einer Rechtsverordnung im Sinne des § 13 UGB-KomE“ sein könne. 832 Vgl. zur Allgemeinverbindlicherklärung im Sozialrecht V. Neumann, Normenvertrag, Rechtsverordnung oder Allgemeinverbindlicherklärung?, 2002. 833 Hierzu H.-H. Trute, in: Rückzug des Ordnungsrechts im Umweltrecht, 1999, S. 13, 46 f. 834 C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 178 ff.; zur überwiegend positiven Rezeption der Vorschläge des Sachverständigenentwurfs in Bezug auf die Art und Weise des Zustandekommens untergesetzlicher Regelungen vgl. S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 203.
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hörung einer Umweltkommission erfolgen. 835 Durch die Einrichtung dieser Kommission, deren nähere Ausgestaltung nach den §§ 17–19 des Sachverständigenentwurfs 836 auch einen detaillierten Vorschlag für die Zusammensetzung enthält, 837 wird insbesondere der unmittelbare Zugang der interessierten Verbände zum Verordnungsgeber substituiert. 838 Die Umweltkommission 839 soll gewissermaßen stellvertretend die Interessen der Öffentlichkeit im Rahmen des Normsetzungsverfahrens wahrnehmen. 840 Dem in der Kommission nicht Vertretenen verbleibt außerhalb bestimmter Fälle einer verbreiterten Öffentlichkeitsbeteiligung (§§16, 20 UGB-KomE) die Möglichkeit, zu dem Verordnungsentwurf bei der Umweltkommission schriftliche Anregungen und Bedenken vorzubringen (§ 20 Abs. 1 UGB-KomE). Die Nichtberücksichtigung verschiedener Interessen als zwingende Folge der Kommissionsbildung wird in Reihen der Sachverständigenkommission für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. 841 Dazu wird darauf verwiesen, dass durch die Zusammensetzung der Kommission eine Repräsentation der widerstreitenden Standpunkte und Interessen gewährleistet sei, die durch Gegenmachtbildung und Kontrastinformation 835 Zur Umweltkommission im Überblick SRU, Umweltgutachten 2002, S. 113 sowie Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 143. 836 Die Umweltkommission berät bei der „Festsetzung von Grenz- und Richtwerten für die Umweltqualität, von Anforderungen an Anlagen, Betriebsweisen, Stoffe, Zubereitungen und Produkte sowie bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher oder internationaler Vorschriften“ (§ 17 Abs. 1 S. 2 UGB-KomE). Dabei umfasst der Begriff der Beratung die Anhörung vor dem Erlass von Rechtsverordnungen (§ 18 Abs. 1 UGB-KomE) sowie das Recht auf Unterrichtung und Stellungnahme vor einer Mitwirkung der Bundesregierung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Gemeinschaften (§ 18 Abs. 2 UGB-KomE). 837 In § 17 Abs. 2 UGB-KomE ist die Zusammensetzung der Kommission festgelegt, zum Ausdruck kommt das Ziel einer pluralistischen Zusammensetzung: je fünf Wissenschaftler und Vertreter von Ländern und Gemeinden; je sechs Vertreter der Naturschutzverbände und der Wirtschaft; drei Vertreter sonstiger gesellschaftlicher Gruppen. Zur Bewältigung ihres weitgezogenen Aufgabenkreises kann die Umweltkommission (§17 Abs. 6 S. 1 UGB-KomE) „gesellschaftliche Kommissionen und Fachkommissionen als Unterkommissionen“ bilden, wobei die Mitglieder der Unterkommissionen nicht der Umweltkommission angehören müssen (§ 17 Abs. 6 S. 2 UGB-KomE). 838 M. Kloepfer, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit? 1999, S. 161, 165: Mit der Umweltkommission solle eine gewisse Harmonisierung und Konzertierung der Beratungsgremien im Umweltrecht und eine kanalisierte Öffentlichkeitsbeteiligung an der exekutiven Rechtsetzung im Umweltrecht erreicht werden. 839 Kritisch E. Böhm-Amtmann, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse? 1999, S. 189, 192; skeptisch auch L.-A. Versteyl/W. D. Sondermann, Bundes-Bodenschutzgesetz, 2002, § 20, Rn. 27 und C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 179; demgegenüber mit der Bewertung der im Sachverständigenentwurf vorgesehenen Umweltkommission als „geeignetes Organ“ H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S.227, 233: Völlig offene Popularverfahren seien erfahrungsgemäß wenig effektiv. 840 A. v. Bogdandy, in: FS Hollerbach, 2001, S. 363, 365. 841 M. Kloepfer, in: Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit?, 1999, S. 161, 166.
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zu einer umfassenden Sachaufklärung beitrage. 842 Die Position der im Sachverständigenentwurf vorgesehenen Umweltkommission würde gegenüber der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit nach §§ 4, 5 GenTG erheblich gestärkt durch das Vorschlagsrecht des § 19 Abs. 1 UGB-KomE für den Erlass oder die Änderung von Rechtsverordnungen. 843 Die Verpflichtung zur Anhörung der Umweltkommission erfasst nach § 18 Abs. 1 UGB-KomE sämtliche auf Grund des Entwurfs ergehenden Rechtsverordnungen des Bundes. 844 Der vorhergehende sog. Professoren-Entwurf zu einem Umweltgesetzbuch von 1990 hatte die aktive Einbeziehung von Umweltverbänden bei der Verordnungsgebung generell vorgesehen, indem eine Verpflichtung zur Anhörung der „beteiligten Kreise“ vor dem Erlass von Rechtsverordnung statuiert wurde, wozu jeweils auszuwählende Vertreter betroffener Interessen und anerkannter Verbände gehören sollten. 845 Abweichend vom Professorenentwurf aus dem Jahr 1994 846 wird im Entwurf von 1998 wie gesehen die Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Umweltkommission vermittelt. b) Die Beteiligung des Bundestages Zugunsten des Bundestages statuiert der Sachverständigen-Entwurf einen Zustimmungsvorbehalt (§ 22 Abs. 1 UGB-KomE). Die Zustimmung wird nach drei Wochen ohne ausdrückliche Verweigerung fingiert (§ 22 Abs. 2 UGB-KomE). Auf das Instrument des Änderungsvorbehalts wurde mit dem Hinweis auf „ernstzunehmende verfassungsrechtliche Bedenken“ ausdrücklich verzichtet. 847 842 M. Kloepfer, ebd. unter Bezugnahme auf E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 180. Vgl. auch M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 336 f. 843 UGB-KomE 1998, S. 476; hierzu Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 143. 844 Als Instrument der Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltrecht ist auch die in § 45 des Entwurfes der Sachverständigenkommission eröffnete Möglichkeit der Verbandsklage zu sehen. Nach dem hier vorgesehenen Modell einer sog. altruistischen Verbandsklage kann ein auf Antrag gem. § 41 UGB-KomE anzuerkennender Verband ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, naturschutz- und umweltspezifische Maßnahmen oder Unterlassungen der Behörden einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Näher zu dem vorgeschlagenen Modell, zum Begriff der altruistischen Verbandsklage sowie zu den internationalrechtlichen Vorgaben an den Ausbau von Verbandsklageoptionen F. Merli, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S. 353, 376 mit Fn. 98; A. Epiney, NVwZ 1999, S. 485 ff.; J. Ziekow, VerwArch 91 (2000), S. 483, 484 f. 845 M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. Schmidt-Aßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch AT, 1990, § 132 zur aktiven Einbeziehung von anerkannten Umweltverbänden, § 152 zur Anhörungspflicht. 846 Die aktive Einbeziehung von anerkannten Umweltverbänden war in § 132 UGB-E des Professorenentwurfs von 1990 generell für die Vorbereitung der Verordnungsgebung vorgesehen; § 152 UGB-E verpflichtete vor dem Erlass von Rechtsverordnungen zur Anhörung der „beteiligten Kreise“, also jeweils auszuwählender Vertreter betroffener Interessen und anerkannter Verbände. 847 Vgl. UGB-KomE 1998, S. 481.
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c) Suspendierung der Beteiligungsvorschriften bei besonderer Dringlichkeit Die Beteiligungsvorschriften zugunsten Bundesrat, Umweltkommission und Bundestag können in zwei Fallgruppen suspendiert werden. 848 Zum einen bei Gefahr im Verzug (§ 23 S. 1 Alt. 2 UGB-KomE), zum anderen zur „gebotenen unverzüglichen Umsetzung von bindenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften“ (§23 S.1 Alt.2 UGB-KomE). Auf diesem Weg zustande gekommene Rechtsverordnungen sollen spätestens nach sechs Monaten außer Kraft treten (§ 23 S. 2 UGB-KomE). 849 4. Die Rechtsetzungsorganisation nach dem Kommissionsentwurf als Rezeption der gegenwärtigen Verordnungsfunktionen Der Sachverständigenentwurf zum Umweltgesetzbuch rezipiert die vorhergehend herausgearbeiteten Funktionen der Rechtsverordnung: Auch nach der Rechtsetzungsorganisation dieses Entwurfs ist die Rechtsverordnung das wesentliche Instrument zur Operationalisierung der mit der Entfaltung der Umweltpolitik einhergehenden Regulierungsexpansion. 850 Die Rechtsverordnung wird eingesetzt zur Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips sowie zur Beschleunigung und Flexibilisierung des Staatshandelns. Die Integration der Rechtsverordnung in die Handlungsformen des kooperationsorientierten Staates wird insbesondere in dem Abschnitt über die „verordnungsersetzenden Verträge“ in den §§ 34 ff. UGB-KomE versucht. 851 Auch der Sachverständigenentwurf ordnet der Rechtsverordnung Aufgaben im Bereich der Internationalisierung der Rechtsordnung zu.852 Ausgeweitet und 848 Näher Ch. Gößwein, Allgemeines Verwaltungs(verfahrens)recht der administrativen Normsetzung?, 2001, S. 167 f.; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 273. 849 Vgl. hierzu auch die Motive des Regelungsvorschlag des § 29 UGB-KomE, wonach für funktional vergleichbare Verwaltungsvorschriften grundsätzlich gleiche Verfahrensanforderungen wie für Rechtsverordnungen gelten sollen, eine Öffentlichkeitsbeteiligung indes nicht vorgesehen ist, weil Flexibilitätsanforderungen beim Erlass von Verwaltungsvorschriften ein höheres Gewicht besäßen, vgl. zu UGB-KomE 1998, S. 490; zum Ganzen M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 336 mit Fn. 701. 850 Vgl. die Erläuterungen zu der Vorschrift des § 11 UGB-KomE, mit welcher der Versuch der Konzentration und Systematisierung der weitverzweigten Verordnungsermächtigungen und Rechtsverordnungen unternommen wird. 851 Zur Kritik des Modells der §§ 34 ff. UGB-KomE vgl. J. Knebel, in: Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 243 ff. 852 Allerdings integriert in thematisch-sachbereichsspezifische Verordnungsermächtigungen, näher 1. Teil, IV., 2., b). Vgl. demgegenüber § 149 des Professorenentwurfs zum UGB von 1990 mit einem weitreichenden Harmonisierungsimpuls für europarechtlich intendierte Verordnungsermächtigungen: „Zum Zwecke der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten und zur Durchführung der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaften können Rechtsverordnungen nach diesem Gesetz erlassen werden, soweit dies zur Durchführung von Verordnungen, Richtlinien oder Entscheidungen des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Sachbereiche dieses Gesetzes betreffen,
V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung im Überblick
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vereinheitlicht wird das Verfahrensrecht der Verordnungsgebung. Mit dem Begründungserfordernis für Rechtsverordnungen wird Neuland betreten, gleichermaßen mit der Pflicht zur Selbstevaluation. Deutlich ausgeweitet wurde das Rechtsregime der Beteiligung am Verfahren der Verordnungsgebung. 853 Hier wird mit der Bildung der Umweltkommission ein dem deutschen Umweltrecht bislang unbekanntes Modell gewählt. 854 In dessen konzeptionelle Nähe kommt noch am ehesten die Kommission nach § 4, 5 GenTG. Diese stellte sich zuvörderst als Reaktion auf die spezifischen Wissenslücken jenes Sachbereichs dar. 855
V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung im Überblick Ziel der im Ersten Teil vorgenommenen Analyse und Typisierung der umweltrechtlichen Verordnungsfunktionen ist die Erfassung des Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung im Kontext gegenwärtigen Staatshandelns. Der funktionale Zuschnitt der Rechtsverordnung wird dabei rekonstruiert als Ergebnis einer gesetzgeberischen Auswahl- und Zuordnungsentscheidung im Verhältnis differierender Rechtsetzungsformen [Einl., I., 2.]. 1. Strukturierung der Analyse und Typisierung Im Referenzgebiet des Umweltrechts [1. Teil, I.] findet sich vielfältigstes Normmaterial zur Erfassung der rechtspraktischen Stellung der Rechtsverordnung im System der Rechtsetzungsorganisation. Dabei vermag die Analyse und Typisierung der Verordnungsfunktionen keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, weder für das Umweltrecht, noch darüber hinaus. Dies ist die zwingende Folge aus der gesetzgeberischen Freiheit in der Wahl des Normtyps, welche die Möglichkeit der Zuordnung beliebiger weiterer Funktionen impliziert. Die der Rechtsverordnung zugeerforderlich ist und Inhalt, Zweck und Ausmaß der zur Durchführung erforderlichen Regelungen in der Verordnung, Richtlinie oder Entscheidung bestimmt sind.“ 853 Zu den im Professorenentwurf von 1990 vorgesehenen generellen Regelungen über den Erlass von Verwaltungsvorschriften K. Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 215, 219 ff. mit Kritik dieser Regelungen auf S. 228. 854 Zustimmend zum vorgeschlagenen Modell im Hinblick auf die präzise Regelung der Beteiligung an der technischen Normsetzung als „wichtigem Vorstoß“ in Richtung der Schaffung organisatorischer und verfahrensrechtlicher Regelungen, die die „Unabhängigkeit und Vielfältigkeit des eingebrachten wissenschaftlichen Sachverstandes sichern und für Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindungsprozesse einschließlich einer Beteiligung der Öffentlichkeit sorgen“, R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 199. 855 Vgl. zur Kommission nach §§4, 5 GenTG die Darstellung unter 1. Teil, II., 3., d), auch zu den erheblichen Bedenken, die unter Aspekten der Praktikabilität wie auch der Verfassungsmäßigkeit vorgetragen werden, insbesondere auch aufgrund des „Initiativrechts“ für den Erlass und die Änderung von Rechtsverordnungen.
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
wiesenen Funktionen lassen sich zwei strukturierenden Komplexen zuordnen, die sich orientieren an der besonderen Prägung des Umweltrechts durch die Konfrontation mit technologisch-industriellen Umbrüchen und strukturellen Ungewissheitsbedingungen einerseits [1. Teil, II.] und die Ausrichtung auf die Bewältigung der zunehmenden Überwölbung der nationalen Rechtsordnung durch europa- und völkerrechtliche Vorgaben andererseits [1. Teil, III.]. Den ersten Komplex bilden demnach Funktionen im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen. Hier wird die Rechtsverordnung eingesetzt zur Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion [1. Teil, II., 1.], zur Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung [1. Teil, II., 2.], zur Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips [1. Teil, II., 3.], zur raumbezogenen Planung [1. Teil, II., 4.], zur Adaption des staatlichen Instrumentenwandels [1. Teil, II., 5.] sowie zur Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns [1. Teil, II., 6.]. Den zweiten Komplex bilden Funktionen im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung. Hier wird die Rechtsverordnung eingesetzt zur Inkorporation des EG-Rechts [1. Teil, III., 1.], zur Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen [1. Teil, III., 2.] sowie zur Bewältigung normstruktureller Systembrüche [1. Teil, II., 3.]. Schließlich wird untersucht, wie sich die anhaltenden rechtspolitischen Bestrebungen zur Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch zu der Typisierung der umweltrechtlichen Verordnungsfunktionen verhalten [1. Teil, IV.], die ihrerseits auf der Analyse der geltenden, medienbezogenen Fachgesetze beruht. Dabei zeigen sich die Verordnungsfunktionen in der rechtspolitischen Projektion des Sachverständigenentwurfs von 1998 in ihren wesentlichen Strukturen als Rezeption des für das geltenden Recht dargelegten status quo [1. Teil, IV., 4.]. Eine wesentliche Ausweitung erfährt in der Konzeption des Umweltgesetzbuchs indes das Verfahrensrecht der Verordnungsgebung, indem neben den Mitwirkungsrechten des Bundesrates ein ausgeweitetes Zustimmungsrecht zugunsten des Bundestages und ein Regel-Anhörungs- und Vorschlagsrecht für eine neu zu bildende Sachverständigenkommission vorgeschlagen werden [1. Teil, IV., 3.]. 2. Die Rechtsverordnung als quantitativ und qualitativ-funktional dominierende Rechtsetzungsform Die Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zeigt die Rechtsverordnung als nicht mehr allein quantitativ, 856 sondern nunmehr auch als qualitativ-funktional dominierende Rechtsetzungsform des gegenwärtigen Staatshandelns. Der Nachweis dieser These ergibt sich dabei noch nicht allein aus den ausdifferenzierten verwaltungsrechtlichen Ausprägungen [vgl. zu diesen 1. Teil, II., 1.–7. und III., 1.–4.]. Der Beleg der Dominanz der Rechtsverordnung erfordert vielmehr die vergleichende Inblicknahme des Verhältnisses zu den anderen Rechtsetzungsformen, namentlich zum Gesetz einerseits und zu den nicht-verordnungsrecht856
Einl., I., 1.; SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 748.
V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung im Überblick
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lichen untergesetzlichen Handlungsformen andererseits. Bestätigend fällt zunächst der Abgleich der qualitativ-funktionalen Ausgestaltung der Rechtsverordnung zum Gesetz aus: Die Zusammenschau des umfassenden und variantenreichen Funktionsbereichs der Rechtsverordnung mit dem dezidiert zurückgenommenen materiellen Gehalt der im parlamentarischen Verfahren erzeugten Gesetze zeigt die weitgehende Überantwortung der (umweltrechtlichen) Steuerungs- und Programmierungsarbeit an die exekutive Verordnungsgebung. 857 Weiterhin besteht die These von der qualitativ-funktionalen Dominanz auch gegenüber den nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Handlungsformen, zunächst unschwer im Abgleich zum Satzungsrecht, 858 sodann aber auch gegenüber den Verwaltungsvorschriften: Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Umweltgesetze verschiedentlich zur Regelung des identischen Regelungsgegenstandes Ermächtigungen sowohl zur Verordnungsgebung als auch zum Erlass von Verwaltungsvorschriften enthalten und der Gesetzgeber in derartigen Fällen beide Normtypen weitestgehend als funktionale Äquivalente behandelt. 859 Eine gesetzgeberische Regelungssystematik, die diesen funktionalen Äquivalenzen zugrunde liegen würde, erschließt sich regelmäßig nicht. 860 Jedoch bestehen derartige Parallelen keineswegs durchgängig. 861 Zudem nimmt der Raum für funktionale Äquivalenzen in der Konsequenz europarechtlicher Vorgaben beständig ab. 862 Das bei Inblicknahme des Verhältnisses zu den anderen Rechtsetzungsformen bestätigte Ergebnis der qualitativ-funktionalen Führungsrolle der Rechtsverordnung unterfüttert die Überlegung von Peter Badura, wonach die Verordnung das eigentliche „Steuerungselement des Rechtsstaates“ sei, „nicht das Gesetz“.863 857 Vgl. etwa die Darstellungen zum Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung im Immissionsschutzrecht [1. Teil, II., 1., a)], Abfallrecht [1. Teil, II., 1., c.)], Chemikalienrecht [1. Teil, II., 1., b)] und Gentechnikrecht [1. Teil, II., 2., b)]. 858 Zum Abgleich mit den qualitativ-funktionalen Anwendungsfeldern der Satzung vgl. G. Lübbe-Wolff/B.W. Wegener (Hrsg.), Umweltschutz durch kommunales Satzungsrecht, 3. Aufl. 2002. Speziell zu den verbleibenden satzungsrechtlichen Kompetenzen zum Schutz vor Luftverunreinigungen und Geräuschen A. Roßnagel, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 22, Rn. 69 ff. 859 Vgl. 1. Teil, II., 1, d); II., 2., c); II., 3., d); II., 6., e). 860 Zu diesem Ergebnis H.-J. Papier, DVBl. 1992, S. 1133, 1136 f. in Auseinandersetzung von Unstimmigkeiten im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften bei der gesetzgeberischen Wahl der Regelungsebene: Während die für die Rechtspraxis so erheblichen Festsetzungen der Grenzwerte bei der Luftverunreinigung vorrangig in einer aufgrund des § 48 BImSchG erlassenen Verwaltungsvorschrift (TA Luft) erfolgt seien, obschon diese Regeln durchaus politische Willensentscheidungen wertender und abwägender Art mit erheblichen ökonomischen, umweltpolitischen und sozialen Auswirkungen beinhalteten, würde das Inverkehrbringen und der Betrieb von Rasenmähern – „höher gezont“ – in einer Rechtsverordnung (8. BImSchV) normiert; vgl. auch die Darstellung bei H. D. Jarass, in: Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 381, 393 ff. 861 Vgl. die weitgehend alleinige Relevanz der Rechtsverordnung in wesentlichen Teilen der Adaption des staatlichen Instrumentenwandels, 1. Teil, II., 5. oder bei der Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips im Gentechnikrecht, 1. Teil, II., 3., d). 862 1. Teil, III., 1., c). 863 P. Badura, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 45, 46 mit Erläuterung dieses Gedankens zur Rechtsetzungsorganisation: Das Gesetz solle
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1. Teil: Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung
3. Die politische Bedeutung der Verordnungsgebung Mit der Vielzahl und Vielfalt der Verordnungsfunktionen erlangt die Rechtsverordnung eine auch unter politischen Aspekten erhebliche Bedeutung. Die Rechtsverordnung ist kaum einmal (mehr) technisches Instrument zum bloßen Normvollzug. 864 Vielmehr ist die Verordnungsgebung gekennzeichnet durch hochkomplexe Entscheidungsvorgänge unter Abwägung vielfältigster kollidierender Interessen und Rechtsgüter und die Aufgabe der normativen Erstgestaltung ganzer Regelungsbereiche. 865 Die Etablierung verschiedenster Varianten der Beteiligung gesellschaftlicher und staatlicher Stellen am Zustandekommen der Rechtsverordnungen kann zu einem guten Teil als Konsequenz dieser gesteigerten politischen Bedeutung angesehen werden. Über das – bereits für sich genommen erhebliche – verfassungsrechtlich geforderte Maß hinaus werden einfachgesetzlich Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Bundesrates statuiert [1. Teil, II., 2.]. Öffentlichkeitsbeteiligung findet während des Verfahrens der Verordnungsgebung durch Anhörung betroffener und interessierter Kreise, mitunter auch in institutionalisierter Form durch die Anhörung von Sachverständigenkommissionen statt [1. Teil, II., 3., d); IV., 3., a)]. In zunehmendem Maße finden sich auch Beteiligungsrechte des Bundestages, darunter Zustimmungs- und sogar Abänderungsvorbehalte [1. Teil, II., 1., c); 2. c); II., 1., c); IV., 3., b)]. Eine Systematik lässt sich hinter der vom Gesetzgeber gewählten Beteiligungsstruktur nicht erkennen, mitunter treffen alle oben genannten Beteiligungsformen zusammen, andere Gesetze kennen trotz erheblicher politischer Bedeutung keine oder nur eingeschränkte Beteiligungsvorgaben für Öffentlichkeit bzw. Bundestag [vgl. die Darstellungen 1. Teil, II., 4., b), (1) zum WHG und II., 6., b) zum BBodSchG]. 4. Zusammentreffen modernisierungsspezifischer und tradierter Verordnungsfunktionen Die am Beispiel des Umweltrechts aufgezeigte Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen erweist sich als Resultat des Zusammentreffens neuer, modernisierungsspezifischer Funktionen mit der Reproduktion tradierter Funktionsensembles. So weisen etwa die Funktionen der „Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips“, der „Adaption des staatlichen Instrumentenwandels“ oder der „Bewältigung normstruktureller Systembrüche“ einen dezidierten Bezug zum gegenwärtigen Modernials Rahmengebung „das festlegen, was die Exekutive nicht festlegen kann oder soll“, eigentliche Aufgabe der Verordnung sei das „Steuern“ als stark situationsabhängige Funktion der Normgebung. 864 Vgl. hierzu die senatsinterne Kontroverse in BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen), näher dargelegt im 3. Teil, I., 1., 7., b). 865 Hervorhebung des politischen Charakters der Verordnungsgebung in jüngerer Zeit auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, vgl. BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02, Umdruck S.5 (Beihilfevorschriften) und BVerwGE 116, 347 (Niedersächsische Kampfhunde-Verordnung).
V. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung im Überblick
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sierungsprozess der Rechtsetzungsstrukturen auf, der in der Hinwendung der Staatstätigkeit zum präventiven Staatshandeln und der fortschreitenden Öffnung für übernationale Herrschaftsordnungen wesentliche Ursachen hat.866 Hier kommen Paradigmen der Entwicklung moderner Rechtsstrukturen zum Ausdruck.867 Gleiches gilt für die Ausrichtung vieler Verordnungsermächtigungen auf die Umsetzung internationalrechtlicher Vorgaben, wenigstens insoweit es um die Inkorporation supranationalen Rechts der Europäischen Union geht, die ihrerseits als historisch neuartiger Rechtsraum unmittelbar geltender Hoheitsrechte verstanden werden kann. Bereits die Verordnungsfunktion der „Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion“ ist aber nicht mit dem Heraufkommen des Umweltrechts entstanden, sondern beispielsweise bereits ganz ähnlich zu verzeichnen im Kontext der Ausweitung sozialstaatlichen Handelns. 868 Frühere Untersuchungen zu gesetzgeberischen Regelungsstrategien zeigen zudem, dass die Rechtsordnung des Grundgesetzes bereits in ihren Anfängen internationalrechtlich motivierte Verordnungsermächtigungen kannte. 869 Dies gilt gleichermaßen für den Einsatz der Rechtsverordnung zur Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung in Sachbereichen, die nach einer schnellen Anpassung der staatlichen Regelungen an die sich laufend ändernden Verhältnisse verlangen. 870 Auch die „Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns“ lässt sich als umweltrechtliche Reproduktion einer Verordnungsfunktion rekonstruieren, die sich über die gesamte Geltungsdauer des Grundgesetzes verfolgen lässt. 871
D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489 ff. Näher Einl., I. sowie 1. Teil, II., 1. 868 Hierzu die Nachweise bei 1. Teil, II., 1. 869 W. Mößle, Regierungsfunktionen des Parlamentes, 1986, S. 178. 870 W. Mößle, Regierungsfunktionen des Parlamentes, 1986, S. 178 mit Beispielen der Verordnungsgebung in der Staatspraxis der 1950er und 60er Jahre im Recht der Konjunktursteuerung, Zollrecht und Außenwirtschaftsrecht. Vgl. zu diesen Funktionsbereichen der Rechtsverordnung auch die Entscheidung BVerfGE 8, 274, insbes. 321 zum Preisgesetz. Wilhelm Mößle macht ebd. für den Bereich der Konjunkturpolitik auch auf die Funktion der Rechtsverordnung als Instrument zur weitestgehenden Geheimhaltung politischer Maßnahmen aufmerksam. Zur Erreichung von konjunkturpolitischen Überraschungseffekten und dementsprechendem Ausschluss von Ausweichmanövern der Adressaten ziele das Stabilitätsgesetz vom 8.6.1967, BGBl. I 582 mit der Verlagerung entscheidender materieller Inhalte in das Verordnungsrecht auch darauf, unerwünschte Signaleffekte durch eine vorherige Behandlung im Parlament zu verhindern. Vgl. weiterhin mit Blick auf die notwendige Regelungsdichte wirtschaftsrechtlicher Verordnungsermächtigungen D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S.216 f. Aus gegenwärtiger Sicht zum Zusammenhang zwischen der politischen Wirksamkeit von Maßnahmen der Globalsteuerung und der zugrunde liegenden Rechtsform F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 36. 871 Vgl. bereits F. Klein, in: Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 7, 28 ff. 866 867
Zweiter Teil
Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik der Rechtsverordnung Die im Ersten Teil unternommene Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Handhabung der Rechtsverordnung hat deren Ausdifferenzierung zur nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ-funktional dominierenden Rechtsetzungsform gegenwärtigen Staatshandelns gezeigt. Daran anschließend soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwieweit die am Beispiel des Referenzgebiets des Umweltrechts dargelegten Funktionen der Rechtsverordnung Ausdruck eines allgemeinen Rechtssystems der Verordnungsfunktionen sind. Welche Erkenntnisse lassen sich treffen für die Normstruktur der Delegation nach Art. 80 Abs. 1 GG? Was ergibt sich für die Funktionsstruktur des Delegationsaktes? Inwieweit ist eine gesetzgeberische Funktionszuordnung an die Rechtsverordnung nur eine Wiederholung übergeordneter Vorgaben? Und demgegenüber: Inwieweit ist der Gesetzgeber frei in der Funktionenzuordnung? Lässt sich auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Zuordnung eine Aussage zum originären Bereich der Rechtsverordnung treffen und damit zum verordnungsspezifischen Gehalt einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen?
I. Die Abhängigkeit der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes Zu erinnern ist zunächst die Rückführbarkeit der dem positiven Recht entnommenen Funktionen der Rechtsverordnung auf Auswahl- und Zuordnungsentscheidungen des Gesetzgebers, die dieser mit Statuierung der Delegationsnorm vornimmt. 1 Maßstab dieser Zuordnungsvorgänge auf der Ebene des einfachen Gesetzes ist nach der Normenhierarchie des Grundgesetzes das Verfassungsrecht. 2 Eine rechtlich verbindliche Systematisierung der Verordnungsfunktionen kann also nur dem Grundgesetz entnommen werden. Näher hierzu in der Einl., I., 2. Zur Beziehung von einfachem Gesetz und den Maßstäben der Verfassung F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 26 ff., insbes. Rn. 28 f.; R. Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff.; ders., NVwZ 1984, S. 401 ff.; K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 243 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 28. 1 2
I. Die Abhängigkeit von den Vorgaben des Grundgesetzes
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1. Ansätze zur verfassungsrechtlichen Systematisierung der Verordnungsfunktionen in der Rechtswissenschaft In der gegenwärtigen Staatsrechtslehre stammt der weitreichendste Ansatz zu einer Systematisierung verfassungsrechtlicher Verordnungsfunktionen von Armin von Bogdandy. 3 Dabei werden von diesem Autor über die Rechtsverordnung hinaus die „verfassungsrechtlichen Funktionen der gesetzesakzessorischen Handlungsformen“ in Bezug genommen. 4 Vorgeschlagen wird die Differenzierung zweier Funktionskomplexe: Der erste Komplex umfasse „Funktionsbestimmungen, die dem Gesetz die Wahrnehmung seiner Funktionen ermöglichen“, der zweite Komplex enthalte „Funktionsbestimmungen, welche gesetzesakzessorische Handlungsformen angemessener als das Gesetz erfüllen können“. 5 In der Umschreibung des ersten Komplexes stimmt von Bogdandy mit einer Vielzahl von Autoren überein, 6 indem er den gesetzesakzessorischen Handlungsformen von Verfassungs wegen die Funktion der „Erhaltung der Rechtsetzungskapazitäten des Parlaments“ zuweist. 7 Zur Ausfüllung des zweiten Komplexes unternimmt der Autor den Versuch über den bisherigen Stand der Lehre hinauszugelangen. Hierbei wird zunächst in Abgrenzung zum Gesetz zu dessen Funktion ausgeführt: „Die prinzipale Funktion des Gesetzes beschränkt sich auf das Selbstverständnis der politischen Gemeinschaft betreffende Entscheidungen, wenige hochkontroverse Einzelfragen sowie die Regelungsprinzipien, ihre grundsätzliche Zuordnung und die Regelungskonzeption. Fragen, die jenseits dieser Komplexe liegen, erfasst seine Funktion nicht und haben deshalb an dem spezifisch höheren Legitimitätsgehalt 3 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, insbes. S. 208–214. Zu weiteren, weniger weitreichenden Ansätzen vgl. F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 2; N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1986, S. 398 f.; F. Kraatz, Der Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 111; G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung, 1979, S. 161 ff.; T. Kuhl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 146 ff.; T. v. Danwitz untersucht eingehend „Rechtsetzungsfunktion“ und „Rechtsanwendungsfunktion“ der Verordnungsgebung, ders., Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 53 ff. In funktionaler Perspektive lassen sich nach v. Danwitz Verordnungs- und Gesetzgebung unterscheiden aufgrund des „limitierten Aktionsfelds“ des Verordnungsgebers, das auf dessen Bindung an die gesamte einfach-gesetzliche Rechtsordnung zurückgehe, ders., aaO, S. 62. 4 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 208. 5 A. v. Bogdandy, ebd. 6 N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2.Aufl. 1986, S.398; R. Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 1994, S. 246; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 2: „Die Delegation von Rechtsetzungsgewalt auf die Exekutive hat den Sinn, den parlamentarischen Gesetzgeber zu entlasten.“ F. Kraatz skizziert die „Funktion der Verordnungsgebung“ bezugnehmend auf Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als „primär gesetzeskonkretisierend“. Die Kompetenzzuweisung an die Exekutive ziele darauf ab, deren größere Sachnähe und das ihr zur Verfügung stehende flexiblere Regelungsinstrumentarium zur Entscheidung der delegierten Sachfragen funktionsgemäß einzusetzen, dies., Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 111; D. Wilke, AöR 98 (1973), S. 196, 197; G. Hällßig, Normsetzung durch Richtlinien im Vertragsarztrecht, 2001, S. 34. 7 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 208.
13 Saurer
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
nicht teil.“ 8 Im Weiteren versucht von Bogdandy in einer negativen Abgrenzung unter Verweis auf verschiedene Fallgruppen der Ungeeignetheit des parlamentarischen Verfahrens die „Funktionsbestimmungen, welche gesetzesakzessorische Handlungsformen angemessener als das Gesetz erfüllen können“ zu gewinnen. 9 Eine derartige Ungeeignetheit des Gesetzes sei etwa gegeben bei „sich rasch ändernden Umständen“ des Regelungsgegenstandes, 10 bei geheimhaltungsbedürftigen Rechtsakten, 11 bei Eingreifen der Erfordernisse des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ 12 und bei Beabsichtigung einer strukturierten Beteiligung der interessierten und betroffenen Gruppen. 13 Darüber hinaus ermöglichten Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften als allgemeine Regelungsformen auf einer „mittleren Ebene“ die Verwirklichung der „rechtsstaatlichen Werte der überschaubaren Rechtslage und der gleichmäßigen Verwaltungsführung“. 14 Diese aufgeführten Funktionen seien als Ausdruck des vom Bundesverfassungsgericht geprägten Grundsatzes der funktionsgerechten und organadäquaten Aufgabenzuordnung von Verfassungs wegen den gesetzesakzessorischen Handlungsformen zuzuordnen.15 8 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 209. Es würden staatliche Kapazitäten, ein kostbares Gut, verschenkt, wenn Bestimmungen, die nicht diesen Komplexen zugehörig sind, im Gesetzgebungsverfahren prozessiert würden, ders., ebd. Ähnlich unter Berufung auf das Kriterium der „Funktionsgerechtigkeit“ T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 51 f., allerdings nicht auf die Handlungsform des Gesetzes, sondern auf die Institution der Legislative bezogen. 9 Im Bereich dieser Fallgruppen steht nach v. Bogdandy zu befürchten, dass die Wahl der Rechtsform „Gesetz“ zu Regelungsdefiziten führt, ders., aaO, S. 209 ff. 10 Da das parlamentarische Verfahren seiner Natur nach zu langsam sei zur Regelung sich rasch ändernder Umstände, ders., aaO, S. 209 ff. 11 Das parlamentarische Verfahren sei ungeeignet bei Rechtsakten, die ihren Regelungszweck allein unter den Voraussetzungen der Geheimhaltung bis zur Veröffentlichung erreichen können; die hier erfasste quantitativ geringe Zahl von Rechtsakten sei etwa bei der Geld- oder Außenwirtschaftspolitik von erheblicher Bedeutung, ders., aaO, S. 209 ff. 12 Dieses Erfordernis entnimmt A. v. Bogdandy, aaO, S. 211 insbesondere der Entscheidung BVerfGE 49, 89, 137, 140 (Kalkar); weiter heißt es, die regelmäßige Anpassung zahlreicher Bestimmungen könne in der Breite im Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht prozessiert werden; ebenso werde das parlamentarische Verfahren den einschlägigen „Beobachtungspflichten“ nicht gerecht; hier legt sich v. Bogdandy auch auf die innerhalb der untergesetzlichen Handlungsformen beste Rechtsform fest: dies seien die Verwaltungsvorschriften. 13 A. v. Bogdandy, aaO, S. 212: Die Beteiligung der interessierten und betroffenen Gruppen sei für eine erfolgreiche Normierung oft sinnvoll, bisweilen unerlässlich; das Gesetzgebungsverfahren lasse – zumindest im parlamentarischen Verfahren – eine entsprechende Beteiligung in verfahrensrechtlichen Formen kaum zu; demgegenüber böten die gesetzesakzessorischen Handlungsformen weitreichende Möglichkeiten differenzierter Verfahrensbeteiligung; dies belege die nicht nur spezifisch funktionale, sondern auch demokratische Qualität dieser Handlungsformen. 14 A. v. Bogdandy, aaO, S. 212, 216. Im Anschluss an diese Aufstellung vermag v. Bogdandy (ebd.) festzustellen, dass wenn manches Gesetz nur ergehe, um eine Grundlage für Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zu schaffen, dies grundsätzlich im Einklang, nicht im Widerstreit mit verfassungsrechtlichen Vorgaben stehe. 15 A. v. Bogdandy sucht unter Berufung auf BVerfGE 68, 1, 86 (Nachrüstung) Anschluss an den bei E. Schmidt-Aßmann, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 11, 46
I. Die Abhängigkeit von den Vorgaben des Grundgesetzes
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2. Kritik und Erweiterung der bisherigen Ansätze. Einführung der Differenzierung nach Primär- und Sekundärfunktionen, Grund- und Steuerungsmodus. Zur Funktionsstruktur des Delegationsakts Gegenüber der dargestellten Funktionssystematisierung erheben sich verschiedene Einwände. Problematisch erscheint bereits die einleitende Kontrastierung der Verordnungsfunktionen durch die Ausführungen zur Funktion des Gesetzes, nach welcher dieses auf „das Selbstverständnis der politischen Gemeinschaft betreffende Entscheidungen, wenige hochkontroverse Einzelfragen sowie die Regelungsprinzipien, ihre grundsätzliche Zuordnung und die Regelungskonzeption“ zurückgenommen sei. 16 Diese Konzeption zeigt sich angesichts der – durch die Staatszielbestimmungen der Art. 20 Abs. 1, 20 a GG und die objektiv-rechtlichen Dimensionen der Grundrechte maßgeblich beförderten 17 – „ungeahnten Aufgabenerweiterung des modernen Industriestaates“ und der „rauen Wirklichkeit des nehmenden und verteilenden, des planenden und experimentierenden Sozialstaates“ 18 als einigermaßen idealisierend und kaum geeignet, der Tatsache gerecht zu werden, dass das Gesetz unter dem Grundgesetz in erster Linie Instrument der Politik ist.19 Auch vermag die Argumentationsstruktur kaum zu überzeugen, nach welcher – vermeintliche oder dargelegten „Gedanken einer organisationsadäquaten Abarbeitung von Steuerungsaufträgen auch im inneradministrativen Bereich und in dem Kooperationsraum zwischen organisierter Staatlichkeit und Gesellschaft“ als „rechtlichen Gesichtspunkt bei der Festlegung der gebotenen gesetzlichen Dichte“ (Bogdandy). Einzubeziehen seien in verstärktem Maße steuerungstheoretische Gesichtspunkte, ders., ebd. bezugnehmend auf G. F. Schuppert, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 ff. Vgl. hierzu auch U. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, 1989, S. 31 f. u. 114 mit der Einordnung von BVerfGE 68, 1 als Schritt des Bundesverfassungsgerichts in die Richtung einer Neuordnung der Staatsfunktionen, als Abrücken von der Allzuständigkeit des Gesetzgebers, seines Rechts des ersten Zugriffs und der „Wesentlichkeitstheorie“. 16 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 209. 17 Vgl. hierzu die Darstellung der staatlichen Regulierungsexpansion und ihrer Ursachen im 1. Teil, II., 1. 18 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 22; ähnlich P. Badura, Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, 1986, S. 8 f.; U. Scheuner, in: FS H. Huber, 1981, S. 127 ff., 133 ff.; H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 375 ff. 19 Zur Entfernung des Gesetzesbegriffs von „der Vorstellung der reinen, gewissermaßen zielfreien Normierung“ und der damit einhergehenden „Aufnahme gewichtiger Elemente der Problembewältigung und der Steuerung gesellschaftlicher Geschehensabläufe“ etwa in Form sog. „Maßnahmegesetze“ bereits R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 20, Rn. 45. Unter Zugrundelegung dieses Gesetzesbegriffs besitze das unmittelbar vom Volk gewählte Parlament als Gesetzgeber den „Schlüssel zu einem der wichtigsten Steuerungsinstrumente, die der moderne Staat und seine Verfassung zu vergeben haben“. Zum Begriff des „Maßnahmegesetzes“ bereits P. Häberle, in: FS Küchenhoff, Hb. 2, 1972, S. 453 ff., 455 ff., der darüber hinaus typologisch unter anderem Lenkungs-, Plan- und Steuerungsgesetz unterscheidet; zu dieser Unterscheidung Häberles aus der neueren Literatur K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, S. 71. 13*
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
tatsächliche – Schwächen des parlamentarischen Verfahrens im Umkehrschluss positive Funktionen untergesetzlicher Handlungsform sein sollen, denn deren erhöhte Geeignetheit ist damit mitnichten belegt. Wenig plausibel erscheint auch von Bogdandys Aufhebung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung durch die Etablierung des übergeordneten Begriffs der „gesetzesakzessorischen Handlungsformen“. 20 Es steht zu befürchten, dass ohne Not Verluste im Bereich der grundgesetzlichen Normenklarheit und Formenstrenge eintreten, die nicht mehr ausgeglichen werden können. 21 Schließlich – und dies dürfte das gewichtigste Problem sein – vermag von Bogdandy nicht nachzuweisen, dass sich die Gesichtspunkte, unter denen „gesetzesakzessorische Handlungsformen die angemessenen Rechtsformen darstellen“, tatsächlich aus der Verfassung deduzieren lassen. 22 Ein derartiger Nachweis lässt sich auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur „funktionsadäquaten Organstruktur“ 23 nicht führen. Denn die hier dargelegte Funktionsadäquanz beruht ihrerseits auf den grundgesetzlichen Vorgaben an die Funktionszuordnung zum Gesetz einerseits und zur Rechtsverordnung andererseits. 24 Ein hiervon unabhängiger allgemeiner verfassungsrechtlicher Grundsatz des „angemessenen Einsatzes eines spezifischen Normtyps“ besteht nicht. Den maßstabbildenden Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere den Art. 76 ff. GG, kann nach keiner der gängigen Auslegungsmethoden 25 eine verfassungsrechtlich Zuordnung von Regelungsgegenständen im vorgeschlagenen Sinn entnommen werden. Eine derartige zwingende Zuordnung, die gleichermaßen eine Delegationspflicht an den exekutiven Normgeber bedeuten würde, besteht weder bei „Vorliegen sich rasch ändernder Umstände“ noch bei einer in untergesetzlicher Rechtsform vereinfachten Realisierbarkeit „dynamischen“ Grundrechtsschutzes 26 oder eines bestimmten Maßes an ÖfVgl. A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 8 u. 312 ff. Hierzu C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 66; W.-R. Schenke, DÖV 1986, S. 190 ff. 22 A. v. Bogdandy scheint diesbezüglich auch selbst letzte Zweifel zu hegen, wenn er (ders., aaO, S. 213) resümierend zum zukünftigen Rechtsetzungsverhältnis von Legislative und Exekutive feststellt, „sinnvoll, verfassungsrechtlich zulässig, wenn auch nicht geboten, erscheint eine Aufgabentrennung, ein gestuftes normatives Ausarbeiten der Regelungserfordernisse“. 23 BVerfGE 68, 1, 86 (Nachrüstung). Zur Rezeption dieser Entscheidung bei v. Bogdandy vgl. die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 24 Die Entscheidung des BVerfG wirft auch für sich genommen Zweifel auf, insbesondere in ihrem Abstellen auf die „möglichst richtige Entscheidung“. Es sind keine Kriterien bekannt, mit der eine Entscheidung der Exekutive oder Legislative jenseits rechtlicher Kriterien wie sie sich insbesondere aus dem Grundgesetz ergeben, auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnte. 25 Zu Wortsinn, Systematik, teleologischen Kriterien und den Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen als den Kriterien der Auslegung K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320 ff. 26 Hierzu etwa R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 195 mit Blick auf das Gebot des „dynamischen Grundrechtsschutzes“: Das Bedürfnis nach einer anpassungsfähigen Regelung begründe bei einer funktionalen Betrachtungsweise einen Rechtsetzungsauftrag der Exekutive für Regelungsgegenstände mit einer hohen Änderungsfrequenz. 20 21
I. Die Abhängigkeit von den Vorgaben des Grundgesetzes
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fentlichkeitsbeteiligung im Rechtsetzungsverfahren. 27 Die Konsequenz der Delegationspflicht legt auch die in der Annahme zwingender Zuordnungskriterien enthaltene Überdehnung der den „dynamischen Grundrechtsschutz“ prägenden KalkarEntscheidung offen. Denn diese hatte – unbesehen ihrer für sich genommen bedenklichen Grundstruktur 28 – die Billigung einer spezifischen Rechtsetzungsstruktur des Atomrechts zum Gegenstand, nicht aber eine Verpflichtungskonstellation, in der etwa ein Bürger aus dem Gesichtspunkt des dynamischen Grundrechtsschutzes einen Normsetzungsanspruch geltend gemacht hätte.29 Die von Armin von Bogdandy jenseits der Entlastung des Parlaments geltend gemachten Aspekte 30 stellen also keine verfassungsrechtlichen Maßstäbe, sondern Kriterien der Gesetzgebungspolitik oder Gesetzgebungslehre dar. 31 Der Gesetzgeber wird demnach nicht verpflichtet, sondern mit einer rechtspolitischen Handreichung konfrontiert. Gleichermaßen handelt es sich auch bei den angeführten „rechtsstaatlichen Werten“ der „überschaubaren“ Rechtslage und der „gleichmäßigen Verwaltungsführung“ nicht um verfassungsrechtliche Verpflichtungen des Gesetzgebers, sondern um rechtspolitische Kategorien. Für den Versuch einer Systematisierung der Verordnungsfunktionen ergeben sich aus der vorstehenden Analyse der bisherigen Ansätze in der Literatur zwei wesentliche Erkenntnisse: Zum einen schweigt die Verfassung zu einer Systematisierung der Verordnungsfunktionen am Maßstab des „angemessenen“ Einsatzfeldes der Rechtsverordnung und entsprechender Delegationspflichten. Vielmehr überlässt das Grundgesetz das „Ob“ der Delegation dem Gesetzgeber, soweit sich dieser im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben, insbesondere des Art. 80 Abs. 1 GG bewegt. 32 Sofern also Vor27 Im Vorgriff auf die Überlegungen zum Kompensationspotential der Öffentlichkeitsbeteiligung (eingehend 3. Teil, VII., 3.) sei an dieser Stelle vermerkt: Das Bundesverfassungsgericht steht Öffentlichkeitsbeteiligung am Verfahren der Verordnungsgebung zumeist neutral gegenüber; jedenfalls sieht es keine Beteiligungspflichten zugunsten der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern überlässt die diesbezügliche Verfahrengestaltung der Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber, vgl. etwa BVerfGE 42, 191, 205 (Personenbeförderung). Anders hat das Gericht für den Schutzbereich des Art.28 Abs. 2 GG und das Anhörungsrecht der Gemeinden entschieden, vgl. BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen), Ls. 3 und S. 320 mit ablehnenden Minderheitenvoten der Richter Wand und Niebler, aaO, S. 324 ff., insbes. S. 338 und des Richters Hirsch, aaO, S. 347. 28 Zur Kritik der Kalkar-Entscheidung H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 890 f.; D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 658 f.; R. Wolf, KJ 1984, S. 239, 242 ff. und nachfolgend 3. Teil, I., 6. 29 BVerfGE 49, 89 ff. (Kalkar). 30 Vgl. nochmals die Nachweise unter 2. Teil, I., 1. 31 Zur Verortung von Elementen der Gesetzgebungslehre nicht als Verfassungsauftrag, sondern als Maximen der Rechtspolitik G. F. Schuppert, Gute Gesetzgebung, 2003, S. 11; S. Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2005, § 14, IV. 32 Vgl. W. Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 GG, 1971, S. 91: Der Legislative komme eine völlige Delegationsfreiheit zu, d. h. sie könne frei entscheiden, ob Staatsorgane mit Rechtsetzungsbefugnissen überhaupt ausgestattet werden sollen. Die Legislative könne zu einer Übertragung ihrer Rechte nicht gezwungen werden. Vgl. zum Problem aber auch J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 278 ff., dahingehend, dass eine
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
gaben der Verfassung an den delegierenden Gesetzgeber bestehen, handelt es sich um modale Vorgaben, die sich nicht auf das „Ob“, sondern auf das „Wie“ der Delegation beziehen. Finden sich derartige Vorgaben, so besagen sie ihrer Anordnungsstruktur nach: Grundsätzlich steht die Delegation eines Regelungsgegenstandes im („Entschließungs“-) Ermessen des Gesetzgebers, hat er sich jedoch einmal für die Delegation entschieden, so gehen mit der Delegation spezifische verfassungsrechtliche Funktionszuordnungen zum Normtyp der Rechtsverordnung einher, deren Zuordnung dem Gesetzgeber entzogen ist. Zum anderen sollte die Abgrenzung der Rechtsverordnung zu den nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen nicht vernachlässigt werden. Hier liegt unerschlossenes dogmatisches Potential. Damit ist die Richtung vorgezeichnet, in welche die bisherigen Ansätze der Rechtswissenschaft zur verfassungsrechtlichen Systematisierung der Verordnungsfunktionen zu erweitern sind: Maßgeblich ist die Ausrichtung auf die Rekonstruktion des Standortes der Rechtsverordnung im System staatlicher Rechtsetzungsorganisation. Insoweit hat die Funktionsbestimmung der Rechtsverordnung unter besonderer Berücksichtigung der Beziehung zu den weiteren Formen staatlicher Rechtsetzung zu erfolgen, also zum Gesetz einerseits sowie zu den nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen – insbesondere Satzungen und Verwaltungsvorschriften – andererseits. 33 Leitmotiv der hier projektierten verfassungsrechtlichen Systematisierung ist demgemäß der Aspekt der Funktionsexklusivität der Rechtsetzungsform Rechtsverordnung. Für diesen Gedanken streiten die Systematik der Art. 76 ff. GG, die Gedanken der Formenstrenge 34 und Normenklarheit. 35 Das damit verbundene Erkenntnisinteausnahmsweise Delegationspflicht nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden könne, sowie T. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 104 f. 33 Zur Frage des numerus clausus untergesetzlicher Rechtsetzungsformen vgl. V. Neumann, Normenvertrag, Rechtverordnung oder Allgemeinverbindlicherklärung?, 2002; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S.238; hierzu die Besprechung von F.E. Schnapp, AöR 128 (2003), S. 488, 490 sowie BVerfGE 100, 249, 258 (Allgemeine Verwaltungsvorschriften): „Das Grundgesetz stellt der vollziehenden Gewalt weder einen abschließenden Katalog bestimmter Handlungsformen zur Verfügung noch werden ausdrücklich erwähnte Handlungsformen inhaltlich im einzelnen definiert.“ Vgl. demgegenüber die restriktiver formulierten Vorgaben in BVerfGE 8, 274, 323 (Preisgesetz), aufgestellt für den Bereich der allgemeinverbindlichen Rechtserzeugung: Das Grundgesetz kenne in dem hier in Frage stehenden Bereich Rechtsetzung nur in der Form des Gesetzes oder der Rechtsverordnung und lasse andere Formen der Rechtsetzung nicht zu. Hierzu T. Clemens, NZS 1994, S. 337, 337 mit Fn. 2. 34 Zur Formenstrenge als Kategorie des Verfassungsrechts und integralem Bestandteil des grundgesetzlichen Modells der (Außen-)Rechtserzeugung F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd.1, 8. Aufl. 2002, S. 384; W.-R. Schenke, DÖV 1986, S. 190, 191; ders., DÖV 1977, S. 27, 28; C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 66 unter Bezugnahme auf HessVGH, GewArch 1981, 143 und BVerfGE 10, 221, 227; P. Kirchhof, in: FG 25 Jahre BVerfG II, 1976, S. 50, 88. 35 Zum Gebot der Normenklarheit als verfassungsrechtlicher Grundpflicht der Legislative J. Lücke, ZG 2001, S. 1, 43, 48. Kritisch hierzu und mit Einordnung des Gebotes der Normen-
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resse ist die Bestimmung des originären Bereichs der Rechtsverordnung, des Spektrums verfassungsrechtlicher Exklusivität, das anderen Rechtsformen versperrt ist. Also ist nicht nur auf die positive Zuordnung einer Verordnungsfunktion durch das Grundgesetz abzustellen, sondern zudem gleichzeitig auf eine negative Voraussetzung, nach welcher es auf das Nicht-Vorliegen einer parallelen Funktionszuordnung an Gesetz, Rechtsverordnung und nicht-verordnungsrechtliche untergesetzliche Handlungsformen ankommt. Die Maßstäbe dieser negativen Voraussetzung sind dem Grundgesetz zu entnehmen, namentlich den Vorgaben der Art. 76 ff. GG. Nach der Normenhierarchie der deutschen Verfassungsordnung sind ausschließlich hier die Vorgaben zu finden, welche den Gesetzgeber soweit zu determinieren vermögen, dass er in seiner grundsätzlichen Freiheit der Funktionenzuordnung eingeschränkt wird.36 Mit dem Aspekt der Funktionsexklusivität werden allgemeine Funktionen von Recht 37 oder Rechtsetzung 38 ausgesondert. Derartige Strukturierungen, wie sie in jüngerer Zeit etwa von Helmuth Schulze-Fielitz, 39 Wolfgang Hoffmann-Riem, 40 Geklarheit als gesetzgeberischer Sorgfaltspflicht G. F. Schuppert, Gute Gesetzgebung, 2003, S. 11 f. sowie allgemein H. Schulze-Fielitz, DÖV 1988, S. 758, 767. 36 Vgl. hierzu nochmals BVerfGE 79, 174, 178 f. (Anlieger-Lärmschutz): „Es ist grundsätzlich seiner (des Gesetzgebers, Anm. d. Verf.) Entscheidung überlassen, welche Regelungsdichte er auf einem Rechtsgebiet für erforderlich hält. Er kann dabei auch den Verordnunggeber zum Erlass von Normen verpflichten.“ (Zur Frage, inwieweit der Gesetzgeber in den §§ 41 BImSchG einen Regelungsauftrag an den Verordnungsgeber erteilen durfte, welcher seinerseits eine Rechtsanwendungssperre zulasten von Verwaltung und Gerichten bedeutete). Vgl. zur Bedeutung dieser Rechtsprechung bereits in der Einl., I., 2. 37 Vgl. die Übersicht bei W. Hoffmann-Riem, in: Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229 ff.; weiterhin N. Luhmann, Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie I (1970), S. 175 ff.; U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 25 f. sowie zu Funktion und Funktionswandel des Rechts im Kontext sozialer Steuerung F.-X. Kaufmann, Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie XIII (1988), S. 65, 71 ff. 38 Vgl. G. Müller, in: FS Maurer, 2001, S. 227 ff. 39 H. Schulze-Fielitz spricht dem Recht eine „einerseits gesellschaftsordnende, andererseits staatliche Interventionen durchsetzende Aufgabe“ zu, vgl. dens., Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 205. Im Weiteren arbeitet Schulze-Fielitz als „zentrale Funktionen heutiger parlamentarischer Gesetzgebung“ heraus: Zum einen „Gesetzgebung als permanente Rechtsbereinigung“, zum anderen die „Anpassungsgesetzgebung“, in dem Sinne, dass „empirisch der größte Teil der heutigen Gesetzgebung aus der bloßen Anpassung einzelner (Teil-)Regeln eines bereits existierenden Gesetzgebungsbestandes an sich beschleunigenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandel, namentlich den technischen Fortschritt besteht“; ders., aaO, S. 204. 40 Vgl. zu einer auf gesellschaftsbezogene Funktionen zugeschnittenen Differenzierung W. Hoffmann-Riem, in: Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229 ff. Zunächst werden die „Typen der Regulierung durch Recht“ auf einer Skala mit dem Pol der traditionell hoheitlich-imperativen Regulierung und dem Gegenpol der privaten Selbstregelung (insbesondere im Bereich des Privatrechts) dargestellt (S. 243). Auf dem Weg zum Gegenpol findet sich dabei eine „Vielfalt von Zwischenformen, die einerseits als ‚hoheitliche Regulierung mit selbstregulativen Elementen‘ und andererseits als ‚hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregelung‘ bezeichnet werden können“. Welcher Regelungstyp zur Bewältigung eines bestimmten Problems der jeweils beste sei, lasse sich nicht abstrakt feststellen. In einer „anwendungsorientierten“ Perspektive unterscheidet Hoffmann-Riem sechs Funktionen des Rechts: (1) Bereitstel-
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
org Müller, 41 Wolfgang Kahl 42 und Arno Scherzberg 43 vorgelegt wurden, beziehen sich im Blick auf die Rechtsetzungsorganisation auf übergeordnete Fragen wie „staatliche versus gesellschaftliche Regulierung“ oder „Kodifikationskonzept versus Sonderrechtsregime“. Insoweit fehlt es notwendigerweise an Aussagekraft für den originären Bereich der Rechtsverordnung. Im Blick auf das Ziel der Vermessung des originären Bereichs der Rechtsetzungsform Rechtsverordnung sollte dabei nach wenigstens einer Seite die Exklusivität der Funktionszuordnung gegeben sein, also zumindest im Verhältnis zu Gesetz oder nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen. Eine Verordnungsfunktion, für welche sich die verfassungsrechtlich vermittelte Exklusivität in diesem Sinne nachweisen lässt, soll im Folgenden als Primärfunktion der Rechtsverordnung bezeichnet werden. 44 Aufgrund der verfassungsrechtlichen Fundierung der Funktionsexklusivität ist dem einfachen Gesetzgeber die Zuordnungshoheit über eine Primärfunktion entzogen. 45 Die rechtsetzungspraktische Konsequenz aus dem Vorliegen einer Primärfunktion ist, dass dieselbe jedem Delegationsakt immanent ist. Wenn sich der Gesetzgeber für eine Delegation an den Verordnungsgeber entscheidet, ist dies zwinlungsfunktion, (2) Schutzfunktion, (3) Rechtsgüter- und Interessenschutzfunktion („eingrenzendes Recht“), (4) Gestaltungsfunktion (Steuerung und Neugestaltung), (5) Konfliktbewältigungsfunktion (Ausgleich konfligierender Interessen, Bereitstellung von Möglichkeiten der Problembewältigung) und (6) Innovationsfunktion, die quer zu den übrigen Funktionen stehe. Zu dieser Unterscheidung und näheren Erläuterungen vgl. W. Hoffmann-Riem, aaO, S. 244. 41 Georg Müller unterscheidet als Funktionen der „Rechtsetzung im Gewährleistungsstaat“ die (1) Ordnung und Stabilisierung des Verhaltens, die (2) Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung, die (3) Legitimierung und Integration und die (4) Politische Auseinandersetzung und Konsensfindung; vgl. G. Müller, in: FS Maurer 2001, S. 227, 227 f. Zur Herleitung unterscheidbarer Gesetzesfunktionen H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, S. 182 ff., 237 ff., 276 ff. und im Überblick ders., Rechtstheorie 12 (1981), S. 9 ff., welcher nach „Normativfunktion“, „Verbesserungsfunktion“ sowie „Planungs- oder ‚Verfassungsfunktion‘“ unterscheidet sowie E. Rehbinder, ZG 1994, S. 125 ff. Weiterführend zu Inhalten und Funktionen des Parlamentsgesetzes im Verfassungsstaat P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 302 ff. 42 W. Kahl, in: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 67 ff. unterscheidet unter dem Aspekt der Zusammenstellung „positiver Funktionen der Kodifikation“: Rechtsvereinheitlichungsfunktion, Innovationsfunktion, Akzeptanz- und Effektuierungsfunktion, Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion, Entlastungsfunktion, Maßstabsfunktion, Rezeptionsleitfunktion, Impulsleitfunktion; vgl. zu dieser Aufstellung G. F. Schuppert, Gute Gesetzgebung, 2003, S. 53 f. 43 A. Scherzberg, in: Liber Amicorum H.-U. Erichsen, 2004, S. 177, 189 ff. unterscheidet (a) Recht als Mittel sozialer Kontrolle, (b) Recht als Mittel optimaler Zielverfolgung, (c) Recht als Instrument zur Gewährleistung optimaler Ressourcenallokation, (d) Recht als Instrument der Herstellung von Gerechtigkeit und (e) Recht als Instrument prozeduraler Rationalität. Vgl. zur Funktionsbestimmung aus systemtheoretischer Perspektive auch M. Schulte, in: FS Krawietz, 2003, S. 767, 781 ff. 44 Zur Herleitung der Primärfunktionen der Rechtsverordnung sogleich 2. Teil, II. 45 Vgl. vorhergehend im Text sowie die Erläuterungen zur methodischen Erweiterung der Aufgabenstellung dieser Arbeit in der Einl., I., 3.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
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gend mit der entsprechenden Funktionszuordnung verbunden. Die Primärfunktionen sind die dauerhaften, ständigen Funktionen der Rechtsverordnung. Demgegenüber erweisen sich Verordnungsfunktionen, die die Eigenschaft der verfassungsrechtlich vermittelten Funktionsexklusivität nicht aufweisen, in einer negativen Abgrenzung (Substraktionsmethode) als Sekundärfunktionen der Rechtsverordnung. 46 Die Entscheidung über ihre Zuordnung steht dem Gesetzgeber frei. Die Sekundärfunktionen sind dementsprechend wechselnd und auf Diskontinuität angelegt. Ihre Zahl ist nach oben offen. Für den gesetzgeberischen Delegationsakt ergibt sich also in normtheoretischer Perspektive eine Funktionsstruktur nach welcher ständige, dauerhafte Funktionen (Primärfunktionen) mit jeweils weiteren, nicht-ständigen Funktionen (Sekundärfunktionen) gekoppelt werden.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung: Konstituierung durch die Primärfunktionen Doch welches sind nun die Funktionen, die ein entsprechendes Abgrenzungspotential im Verhältnis zu anderen Rechtsetzungsformen aufweisen und demgemäß jedem Delegationsakt immanent sind? Die Suchbewegung vermag sich an den im Ersten Teil anhand des Umweltrechts ermittelten einfachgesetzlichen Funktionen zu orientieren, 47 ist jedoch nicht auf diese beschränkt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die dargelegte Funktionentypologie auch aus logischen Gründen nicht abschließenden, sondern exemplarischen Charakters ist. 48 Gemessen an der Häufigkeit der in verfassungsrechtlichen Kontexten erfolgten Hervorhebungen in der Literatur sind es insbesondere vier Funktionen der Rechtsverordnung, welche für eine Einordnung als Primärfunktion in Betracht kommen: Die Entlastung des Parlaments, 49 die Setzung allgemeinverbindlichen Rechts, 50 die Setzung abstrakt-genereller Normen 51 sowie die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung. 52
Zu den Sekundärfunktionen der Rechtsverordnung nachfolgend 2. Teil, III. Vgl. 1. Teil, II., 1.–6. und III., 1.–3. 48 Vgl. hierzu die Zusammenfassung des ersten Teils 1. Teil, V., 1. 49 Vgl. zur Einstufung der Entlastung des Parlaments als Funktion der Verordnungsgebung statt vieler M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 60 u. 298 ff.; weitere Nachweise unter 2. Teil, II., 1. 50 Hierzu mit weiteren Nachweisen M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 14; eingehend 2. Teil, II., 2. 51 Vgl. nur E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132; weitere Nachweise unter 2. Teil, II., 3. 52 Statt vieler zur gegenüber dem Gesetz „höheren Effizienz und Flexibilität“ der Rechtsverordnung T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 51; näher hierzu und zu weiteren Auffassungen nachfolgend unter 2. Teil, II., 4. 46 47
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
1. Entlastung des Parlaments (Primärfunktion im Verhältnis zum Gesetz) Zunächst wird also die Funktion der Parlamentsentlastung auf ihre Eigenschaft als Primärfunktion der Rechtsverordnung hin untersucht. Diesbezüglich kann angeschlossen werden an die Ausführungen zur Erhaltung der Rechtsetzungskapazitäten in der vorhergehenden Auseinandersetzung mit den bisherigen Systematisierungsansätzen der Literatur. 53 Nach den dargelegten Voraussetzungen einer Primärfunktion der Rechtsverordnung müsste die Funktion der Entlastung des Parlaments also zum einen verfassungsrechtlich intendiert, 54 zum anderen der Rechtsverordnung in dem skizzierten Umfang exklusiv zugeordnet sein. 55
a) Verfassungsrechtliche Zuordnung der Entlastungsfunktion Die Ausrichtung der Rechtsverordnung auf das Ziel der Parlamentsentlastung kommt im Grundgesetz deutlich zum Ausdruck. Die Delegationsoption des Art. 80 Abs. 1 GG „enthebt den Gesetzgeber der Notwendigkeit, alle Einzelheiten selbst zu regeln“. 56 Die Rechtsform der Rechtsverordnung ermöglicht es dem Gesetzgeber, sich unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben beispielsweise von der Regelsetzung im Bereich „sich schnell ändernder“ 57 bzw. „regional oder örtlich begrenzter Verhältnisse“ 58 zu entlasten oder auch „im Interesse flexibler Fortschreibungsmöglichkeiten die nähere Ausgestaltung der konzipierten Regelung dem Verordnungsgeber zu überlassen“. 59 Die dargelegten Auszüge aus der Verfassungsrechtsprechung zeigen die Verordnungsfunktion der Parlamentsentlastung auch in ihrer legitimatorischen Dimension. 60 Diese geht dahin, dass die Parlamentsentlastung durch ihre Orientierung auf den Verfassungswert der „Funktionsfähigkeit des Parlamentarismus“ die Verordnungsgebung als Rechtsetzung durch die Exekutive rechtfertigt, 61 also als Ausübung einer Funktion, die nach dem Prinzip der Gewal-
53 Vgl. die Nachweise unter 2. Teil, I., 1. sowie A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 208. 54 Hierzu sogleich 2. Teil, II., 1., a). 55 2. Teil, II., 1., b). 56 BVerfGE 7, 267, 274 (Umsatzsteuer Volkshochschule). 57 BVerfGE 8, 274, 321 (Preisgesetz). 58 BVerfGE 42, 191, 203 (Personenbeförderung). 59 BVerfGE 55, 207, 228 (Nebentätigkeitsverordnung NRW). 60 Besonders deutlich in BVerfGE 8, 274, 321 (Preisgesetz). 61 Die Darlegung der Entlastungsfunktion der Rechtsverordnung wird in den Kontext der Durchbrechung des Grundsatzes gerückt, wonach das Grundgesetz die Rechtsetzung grundsätzlich der Legislative vorbehalte, BVerfGE 8, 274, 321.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
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tenteilung im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts 62 grundsätzlich der Legislative zugeordnet ist. 63 Insoweit zeigt die an der „Schnittstelle von Gesetzgebung und Exekutive“ 64 liegende Regelung des Art. 80 GG, dass das Grundgesetz keinen starren Begriff der Gewaltenteilung zugrunde legt. Durch Art. 80 Abs. 1 GG erlangt die in der exekutiven Rechtsetzung liegende „Abweichung vom engen Gewaltenteilungsprinzip“ Verfassungsgeltung. 65 Die Verfassungsentscheidung des Art. 80 Abs. 1 GG hat ihren Grund in dem mit der Einrichtung der exekutiven Verordnungsgebung verfolgten Ziel der Absicherung des parlamentarischen Regierungssystems. Tragende Überlegung ist, dass die parlamentarische Demokratie schnell an ihre Grenzen stößt, wenn das Parlament als zentrale Legitimationsinstanz durch Überlastung mit Normproduktion seine Funktionsfähigkeit einbüßt und auszufallen droht. 66 Um dieser Gefahr zu begegnen, werden Ausnahmen von der grundsätzlichen Zuordnung der Rechtsetzung zur Legislative zugelassen. Das Grundgesetz hat diesem Erfordernis der Parlamentsentlastung unter anderem durch die Delegationseröffnung des Art. 80 GG Rechnung getragen, 67 die Modifikation des Gewaltenteilungsprinzips aber gleichzeitig als so weitreichend angesehen, dass sie mit den strengen Sicherungen 62 Vgl. die Nachweise in den beiden vorhergehenden Fußnoten sowie BVerfGE 95, 1, 15 f. (Südumfahrung Stendal): „Im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu.“ 63 Zur Kritik dieser Rechtsprechung und dem Versuch einer „Neuinterpretation“ vgl. C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 74 ff.: Art. 80 GG bilde kein Ausnahmevorschrift, sondern eine gleichrangige Norm wie etwa der Art. 77 Abs. 1 GG und konstituiere mit diesem und all den übrigen Bestimmungen erst das vom Grundgesetz beabsichtigte Konzept der Normsetzung (ebd., S. 75). Ähnlich bereits T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 48, ihm folgend M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 72: Die „stereotype Formulierung“ des BVerfG, wonach die Verordnungsgebung das Gewaltenteilungsprinzip ‚durchbricht‘, stelle eine einseitige und eher traditionelle Deutung des Verhältnisses von Art. 80 zur Gewaltenteilung dar. Art. 80 präge selbst das Gewaltenteilungsprinzip in der grundgesetzlichen Ordnung. Anders W. Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 GG, 1971, S. 71 ff.: Ambivalente Doppelwirkung gesetzlich dirigierter Normsetzung der Verwaltung, die den Gewaltenteilungsgrundsatz zugleich durchbreche und bestätige. 64 M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 8. 65 T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 1. 66 K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKII, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 264; in diesem Sinne auch M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKIII, 4. Aufl. 2001, Art.80, Rn. 8: Letztlich werde mit dieser an den Gesetzgeber gerichteten Entlastungsoption zum Ausdruck gebracht und anerkannt, dass in einer modernen Industriegesellschaft der immense und ständig zunehmende Normierungsbedarf nicht mehr vom Parlament allein bewältigt werden könne. 67 Eine weitere Verfassungsentscheidung zur Entlastung des Parlaments durch Auslagerung von Rechtsetzungskompetenzen stellt die Eröffnung verschiedener Satzungsbefugnisse dar. Durch die Verleihung von Satzungsautonomie wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und örtliche Verschiedenheiten berücksichtigen zu müssen, die für ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veränderung er nicht rasch genug reagieren kann, BVerfGE 33, 125, 156 f. (Facharzt). Kritisch M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17, 23; näher hierzu in den nachfolgenden Fn.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
des Art. 80 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG versehen wurde. 68 Die Rechtsverordnung erlitte demgemäß erhebliche Legitimationseinbußen, wenn sie ihre Ausrichtung auf die Entlastung des Parlaments verlöre. In diesem Sinne ist die Entlastung des Parlaments eine verfassungsrechtlich zwingende Funktion der Rechtsverordnung. b) Funktionsexklusivität im Verhältnis der Rechtsetzungsformen Weiterhin erfüllt die Funktion der Entlastung des Parlaments auch die zweite der oben herausgearbeiteten Voraussetzungen 69 für das Vorliegen einer Primärfunktion, nämlich die Funktionsexklusivität im Verhältnis zu den anderen grundgesetzlich vorgesehenen Rechtsetzungsformen. Diese weitere Voraussetzung wurde dahingehend präzisiert, dass die entsprechende Funktion der Rechtsverordnung wenigstens im Verhältnis zum Gesetz oder zu den nicht verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen exklusiv zukommen soll. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ergibt sich für die Entlastung des Parlaments im Verhältnis zum Gesetz: Da diese Handlungsform nach Art. 76 ff. GG dem Parlament vorbehalten ist, kann unmittelbar durch Gesetzgebung keine Parlamentsentlastung erreicht werden. Diese Funktion bleibt unter-gesetzlichen Handlungsformen, wie insbesondere der Rechtsverordnung, aber auch der Satzung 70 vorbehalten. Die Entlastung des Parlaments erweist sich mit Erfüllung dieser zweiten Voraussetzung der Funktionsexklusivität als erste Primärfunktion der Rechtsverordnung. Als einfachgesetzliche Konsequenz aus dem Vorliegen einer Primärfunktion wurde herausgearbeitet, diese sei einer jeden einfachgesetzlichen Delegation immanent. Ein Ergebnis, dass sich für die Funktion der Entlastung des Parlaments bei Inblicknahme der umweltrechtlichen Analysen des Ersten Teils bestätigt: Die Parlamentsentlastung ist Bestandteil aller erfassten einfachgesetzlichen Delegationsakte zur Zuordnung von Verordnungsfunktionen. Diese Zielrichtung der Verordnungsgebung findet sich gleichermaßen in den Bereichen der Bewältigung technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen wie im Kontext der zunehmenden Überwölbung durch internationales Regelwerk. 71 Jeweils sind die Funktionen 68 So auch die Skizze der Grundidee des Art. 80 Abs. 1 GG bei M. Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GGKIII, 4.Aufl. 2001, Art.80, Rn.8: Solle der moderne, vielfältigen Handlungsanforderungen unterworfene Staat funktions-, aktions- und reaktionsfähig bleiben, so müsse die Verfassung exekutive Rechtsetzung auf breiter Front, wenngleich in bestimmten Grenzen zulassen. 69 Vgl. soeben 2. Teil, I., 2., am Ende. 70 Vgl. nochmals BVerfGE 33, 125, 156 f. (Facharzt). Kritisch zur Verortung der Satzungsgebung als Instrument der Parlamentsentlastung im Blick auf das dahinter stehende Organisationsprinzip der Dezentralisation und das Motiv der Aktivierung gesellschaftlicher Kreise M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17, 23. Vgl. auch den Abgrenzungsversuch von D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV 4 b) unter Bezugnahme auf verschiedene Funktionen von Satzungs- und Verordnungsgewalt. 71 Vgl. etwa zur Entlastungswirkung der gemeinschaftsrechtsspezifischen Verordnungsermächtigungen H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061, 1075.
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der Rechtsverordnung wenigstens insoweit auf die Entlastung des Parlaments gerichtet, als die Regelung in Form der Rechtsverordnung entweder alternativ zur Regelung in Form des Gesetzes erfolgt oder neben die gesetzlich fixierte Regelung tritt und insoweit den Teilbereich einer Gesamtregelung übernimmt. 72 Die untersuchten Rechtsstrukturen enthalten über die im Ersten Teil dargestellten Normen hinaus in beachtlichem Umfang auch Verordnungsermächtigungen, die nicht im Mittelpunkt eines Regelungskomplexes stehen, sondern funktional gesehen an dessen Peripherie angesiedelt werden. So etwa bei Verordnungsermächtigungen zur Ausdifferenzierung bestimmter Finanzvolumina 73 oder zur Regelung spezifischer Betriebsabläufe. 74 Nur auf den ersten Blick von eher untergeordneter Bedeutung, erweisen sich derartige Verordnungsermächtigungen vor allem zur Erreichung des Ziels der Parlamentsentlastung als gleichermaßen notwendig wie wirkmächtig.75 Das ergänzende
72 Hierzu F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 2 f.; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 3. 73 Man denke etwa an die Ausdifferenzierung durch Kostenverordnungen wie die auf § 25 a ChemG und das Verwaltungskostengesetz gestützten Chemikalienkostenverordnung vom 1.7.2002, BGBl. I 2441, geändert durch Gesetz vom 6.8.2002, BGBl. I 3082, nach welcher die zuständige Behörde für die im Rahmen der Anmelde-, Mitteilungs- und Zahlungsverfahren und für die zur Bestätigung der Guten Laborpraxis vorzunehmenden Amtshandlungen Gebühren erhebt, hierzu P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorbem. ChemG, Rn. 22. Im Gentechnikrecht erhebt das Robert-Koch-Institut für Amtshandlungen nach dem Gentechnikgesetz Kosten nach der auf § 24 Abs. 2 GenTG und das Kostengesetz gestützten Bundeskostenverordnung zum Gentechnikgesetz vom 9.10.1991, BGBl. I 1972. 74 Vgl. etwa die Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, BGBl. I 1996, 1232, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.8.2002, BGBl. I 3220. Zum Regelungsgegenstand J. Fluck, DÖV 1990, S. 129 ff. 75 Auch die politische Bedeutung von Verordnungsermächtigungen, die auf den ersten Blick eher technischen Charakters zu sein scheinen, sind mitunter gewaltig. Dies zeigt sich etwa bei § 10 Abs. 2 UIG, der die Bundesregierung ermächtigt, für Amtshandlungen der Behörden des Bundes nach dem Umwelt-Informationsgesetz die Höhe der Kosten durch Rechtsverordnung festzulegen. Zur hierauf gestützten Umweltinformationskostenverordnung, BGBl. I 2001, S. 2247, F.-J. Moormann, in: Landmann/Rohmer III, Stand: Oktober 2003, Kommentierung zu § 10 UIG, auch zur Kritik des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, BT-Drs. 12/7138, S. 16. Die Höhe der Kosten ist die entscheidende Größe im Hinblick auf die rechtspraktische Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Umweltinformationsgesetz und demnach für die effektive Wirksamkeit dieses Gesetzes. Diesen Aspekt hat auch der EuGH in Auseinandersetzung mit der bundesdeutschen Rechtsetzungspraxis unterstrichen, die lange Zeit den Verpflichtungen zur Umsetzung der auf eine erweiterte Verwaltungsöffentlichkeit abzielenden europarechtlichen Vorgaben nur unzureichend nachgekommen war, vgl. J. Fluck/M. Wintterle, VerwArch 94 (2003), S. 437 ff. Im Überblick zu den Umsetzungsdefiziten und ihrer Behebung durch die 2001 vorgenommene Novellierung des Umwelt-Informationsgesetzes und Änderung der Umweltinformationskostenverordnung R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2, Rn. 187 ff. Vgl. auch die Darstellung bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 321 mit Fn. 93, der die Ermächtigung des § 10 Abs. 2 UIG aufgrund der ohne weitere Vorgaben erfolgenden Überweisung der konfliktträchtigen Frage der Kostenregelung an den Verordnungsgeber als Norm von stellvertretender Typik für die allgemein festzustellende staatspraktische Rücknahme des Anspruchsniveaus an Verordnungsermächtigungen zitiert.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
Hinzutreten zu den Verordnungsermächtigungen im Regelungszentrum 76 und die damit verbundene Verstärkung in der Ausrichtung des Verordnungssystems auf das Ziel der Parlamentsentlastung lässt ein Komplementärverhältnis entstehen, das darauf ausgerichtet ist, die Entlastung des Parlaments umfassend zu gewährleisten. Sämtliche der erfassten einfachgesetzlichen Funktionszuordnungen sind also Ausdruck des gesetzgeberischen Versuchs, die Menge der in Gesetzesform ergehenden Normen auf ein bewältigbares Maß zu reduzieren. Sie zielen dabei gleichermaßen auf die Entlastung und damit verbunden auch auf die Funktionssicherung des Gesetzes als dem Parlament von Verfassungs wegen zugeordneter Handlungsform. 77 Zu beachten ist in begrifflicher Hinsicht: Der Begriff „Parlamentsentlastung“ lässt sich reformulieren als „Entparlamentarisierung“78 oder sogar als „Parlamentsentmachtung“. 79 Damit ist auf die mit dieser Primärfunktion verbundenen demokratietheoretischen und rechtsstaatlichen Implikation hingewiesen. Die Bedeutung der Problematik der Verfassungsgefährdungen durch Entparlamentarisierung zeigt sich auch in der steigenden Zahl von einschlägigen Beiträgen in der Staatsrechtslehre. 80 76 Als Beispiel für das hier Intendierte sei auf das Verhältnis der Gentechnik-Sicherheitsverordnung (Zentrum des Rechtsgebiets, näher hierzu im 1. Teil, II., 3., c)) zur Bundeskostenverordnung zum Gentechnikgesetz und zur Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung (Peripherie des Rechtsgebiets) verwiesen. 77 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 2 f.; M. Buttlinger, Die Verordnungstätigkeit der Regierung, 1993, S. 18. 78 Vgl. die kritischen Beiträge zur gegenwärtigen Staatspraxis von H.-J. Papier, FAZ v. 27.11.2003, S. 8; D. Grimm, in: 50 Jahre Grundgesetz/50 Jahre BRD, 1999, S. 39, S. 53 f. zur Verdrängung speziell im parlamentarischen Prozess verbürgter Werte durch Verhandlungsmechanismen zwischen Bundesregierung und Bundesrat, S. 55 ff., 57 zur steigenden Zahl der Aushandlungsprozesse zwischen Staat und Gesellschaft: Die Vorteile des Aushandelns seien nicht kostenlos zu haben, den Preis zahle die Verfassung; P. Kirchhof, NJW 2001, S. 1332 ff.; R. Scholz, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 663 ff.; E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 11 ff.; H. Prantl, SZ v. 19.4.2004, S. 4: Auswanderung der Politik aus den parlamentarischen Gremien, Vorverlagerung der Entscheidungen in Expertenkommissionen, in denen nicht nur Parlamentarier, sondern Lobbyisten säßen und ihren Einfluss geltend machten. Anderer Ansicht W. Zeh, in: FS K. König, 2004, S.317 ff. in Rekonstruktion einer die gesamte Zeit des bisherigen Bestehens des Bundestages umspannenden „kurzen Geschichte der Verelendungstheorien“ sowie aus politikwissenschaftlicher Sicht mit optimistischer Grundtendenz P. Lösche, ZParl 2000, S. 926 ff. 79 D. Grimm, in: 50 Jahre Grundgesetz/50 Jahre BRD, 1999, S. 39, S. 57: „Das Grundgesetz verfasst die politische Herrschaft seinem umfassenden Anspruch zum Trotz nur noch partiell. Es existieren parakonstitutionelle Entscheidungsträger.“ Auch würden die von der Verfassung vorgesehenen Entscheidungsorgane und -verfahren entwertet: „Das gilt insbesondere für das Parlament und das parlamentarische Verfahren.“ Ähnlich P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 539: „Die außerparlamentarischen ‚Konsense‘ über wirtschafts- und sozialpolitische ‚Reformen‘ und Gesetze und selbst über Grundlagen des Rechts entziehen der Volksvertretung, sofern diese ihr Erstgeburtsrecht der Rechtsetzung nicht mit selbständiger politischer Kraft wahrnimmt, die Substanz parlamentarischer Gestaltungsfreiheit.“ 80 Vgl. neben den in den vorhergehenden Fn. genannten Autoren die Berichte zum 1. Beratungsgegenstand der St. Gallener Staatsrechtslehrertagung „Informalisierung und Entparla-
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2. Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts (Primärfunktion im Verhältnis zu den Satzungen und Verwaltungsvorschriften) Konnte im zurückliegenden Abschnitt die Entlastung des Parlaments als erste Primärfunktion der Rechtsverordnung verortet werden, sollen nun die spezifischen Rechtswirkungen dieser Rechtsetzungsform fokussiert werden. Von überragender Bedeutung ist hierbei der Charakter der Rechtsverordnung als Normtyp der Setzung allgemeinverbindlichen Rechts. Ergeht eine Regelung in der Rechtsform der Rechtsverordnung, so sind sowohl die Bürger, als auch die Behörden und Gerichte unterhalb der im Rechtswidrigkeitsfall auflebenden Verwerfungskompetenz an deren Inhalt gebunden. 81 Die im Ersten Teil unternommene Analyse und Systematisierung des Normmaterials des besonderen Verwaltungsrechts zeigt, dass die Nutzung der spezifischen, allgemeinverbindlichen Rechtswirkung der Rechtsverordnung in verschiedenen Konstellationen tragendes gesetzgeberisches Motiv bei der Zuordnung eines Regelungsgegenstandes zu dieser Rechtsetzungsform ist: Zunächst sind hier jene Konstellationen zu nennen, in denen nach den Kriterien der grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalte zwar einerseits eine gesetzliche Regelung gefordert ist, andererseits aber keine Verdichtung eines Gesetzesvorbehalts zum Parlamentsvorbehalt vorliegt, also eine „Regelungsobliegenheit“ besteht und sich dem Gesetzgeber die erforderliche Delegationsoption öffnet. In einer solchen Konstellation hat der Gesetzgeber etwa weite Teile des Gentechnikrechts in der Form von Rechtsverordnungen normiert. 82 Ähnlich auch im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht. 83 In beiden Fällen sucht der Gesetzgeber einerseits dem Gesetzesvorbehalt zu entsprechen, andererseits geht er vom Nicht-Vorliegen einer Verdichtung zum Parlamentsvorbehalt aus. 84 Ebenfalls auf die Nutzung der spezifischen Rechtswirkungen zielt die Überführung verschiedener Verwaltungsvorschriften in Rechtsverordnungen, die auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgeht. 85 Der EuGH hatte die Umsetzung von EGRichtlinien durch Verwaltungsvorschriften aufgrund deren unzureichender Rechtswirkungen für unzulässig erklärt. Der Gesetzgeber trug diesen Vorgaben des Europarechts dadurch Rechnung, dass eigens mehrere Verordnungsermächtigungen zur mentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?“ von M. Herdegen sowie M. Morlok, in: VVDStRL 62 (2003), S. 7 ff. und S. 37 ff. 81 Näher sogleich unter 2. Teil, II., 2., a). 82 Vgl. im 1. Teil, II., 3., c) sowie die Analyse bei M. Reinhardt, in: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie, 2003, S. 19, 49 mit Fn. 128. 83 Vgl. im 1. Teil, II., 1., a), (3). 84 Zu den diesbezüglichen Überlegungen des Gesetzgebers und den diesbezüglichen Bedenken vor dem Hintergrund von Wesentlichkeitstheorie und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vgl. die näheren Ausführungen im Dritten Teil, insbesondere im Abschnitt zur typischen Regelungsstruktur gegenwärtiger Gesetzgebung, 3. Teil, I., 1. 85 Vgl. die eingehende Darstellung im 1. Teil, III., 1., c).
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
Umsetzung europarechtlicher Vorgaben statuiert wurden, so etwa § 48 a BImSchG, § 6 a WHG, § 57 KrW-/AbfG. 86 Auf der Grundlage dieser Ermächtigungen wurden verschiedene Rechtsverordnungen neu erlassen, andere Regelwerke wurden von der Rechtsform der Verwaltungsvorschriften in diejenige der Rechtsverordnungen überführt. So erging auf der Grundlage des § 48 a BImSchG die 22. BImSchV, auf der Grundlage des § 6 a WHG löste die Rechtsverordnung die Allgemeinen Abwasserverwaltungsvorschriften ab. 87 Als „negative Anwendungsfälle“ sind diejenigen Situationen nicht minder interessant, in denen von einer Regelung in Form der Rechtsverordnung gerade aufgrund ihrer allgemeinverbindlichen Rechtswirkung Abstand genommen wird. Hierzu führt eine gewichtige Literaturmeinung aus, es sei „verständlich und geradezu zwingend“, dass die Exekutive „in neuen Technikbereichen nicht mit dem Instrument der Rechtsverordnung hantiert, die ihrerseits ebenso wie das parlamentsbeschlossene Gesetz Allgemeinverbindlichkeit auslöst“. 88 Eingehend, auch zum unmittelbar nachfolgenden 1. Teil, III., 1., c). Zur Ablösung der Allgemeinen Rahmenvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 8.9.1989 durch die Abwasserverordnung vom 21.2.1997 näher 1. Teil, III., 1., c). 88 F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24. Als entscheidenden Vorteil des alternativen Instruments der Verwaltungsvorschriften führt Ossenbühl, ebd. an: „Die Exekutive kann diese Vorschriften jederzeit ändern und sie erzeugen keine Allgemeinverbindlichkeit.“ In solchen Verwaltungsvorschriften könne die Exekutive mit vorläufigen Regeln und Erkenntnissen anfangen und diese kontinuierlich fortschreiben, bis sich ein gesicherter Bestand an technischem Wissen angesammelt habe, der weitere konkretere Ausformungen von technischen Regeln und Anforderungen ermögliche, ders., ebd. Andere Autoren legen dar, rechtsverbindliche Detailfestlegungen führten zu einer „Stagnation in der technischen Entwicklung“, da sie den Anreiz für den Technikanwender minderten, im Hinblick auf Werbewirksamkeit und Wettbewerbsfähigkeit die Produktionsund Produktsicherheit zu steigern, vgl. F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 108. Ähnlich die Analyse der Rechtsetzungspraxis bei Di Fabio, der darlegt, Verwaltungsvorschriften würden deshalb bevorzugt, „weil sie aufgrund ihrer im Vergleich zur Rechtsverordnung abgeschwächten Bindungswirkung auch dort etwa normieren können, wo die sachliche Ungewissheit eine legislative Bindungswirkung und eine entsprechende Verantwortungsübernahme wenig angemessen erschienen lässt“, U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 345. Da Verwaltungsvorschriften gerade Gerichte entweder nicht oder nur eingeschränkt bänden, bleibe eine wie immer bemessene inhaltlich-sachliche Normenkontrolle der Gerichte erhalten, obwohl die Verwaltungspraxis hinreichend normativ gesteuert werde, ebd. Damit wachse der Verwaltungsvorschrift mit ihrer Position zwischen innerbehördlichen Risikokonzepten und außenwirksamen Rechtsverordnungen die Eigenschaft einer „Experimentalnorm mit eingeschränkter Bindungswirkung“ zu. Andere Autoren kontrastieren hinsichtlich Rechtswirkung und Verfahren die Rechtsverordnung mit der Alternative der Rezeption privater technischer Regelwerke durch Technikklauseln wie den „Stand der Technik“, deren Vorzüge darin gesehen werden, dass sie mit wesentlich erhöhter Geschwindigkeit „laufend Anpassungen an den technischen Fortschritt unter Berücksichtigung der neuesten gesicherten Erkenntnisse ermöglichen“ und so eine „bestmögliche Gefahrenabwehr erlauben“, vgl. H. Kremser, JZ 1997, S. 898, 899 mit Blick auf die Regelwerke von Sachverständigengremien wie Strahlenschutzkommission und Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE. 86 87
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Ob es sich bei der Setzung allgemeinverbindlichen Rechts auch um eine Primärfunktion der Rechtsverordnung handelt, die jedem Delegationsakt immanent ist und zudem ein Abgrenzungspotential zu anderen Rechtsetzungsformen enthält, wird im Folgenden untersucht: Nach den aufgestellten Voraussetzungen müsste die Funktion der Setzung allgemeinverbindlichen Rechts zum einen verfassungsrechtlich intendiert, zum anderen der Rechtsverordnung in dem skizzierten Umfang exklusiv zugeordnet sein. a) Verfassungsrechtliche Zuordnung der allgemeinverbindlichen Rechtswirkung. Mit einem Begründungsversuch zur konstitutiven Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 GG Nach den dargelegten Voraussetzungen einer Primärfunktion geht es also zunächst um den Nachweis der verfassungsrechtlichen Zuordnung der Funktion der „Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ zur Rechtsverordnung. Zu verzeichnen ist zunächst eine Rechtsprechung und Literatur umfassende allgemeine Auffassung, nach welcher Rechtsverordnungen als hoheitliche Regelungen der Regierungs- und Verwaltungsorgane Rechtsquellen sind, aus denen allgemeinverbindliches, das heißt für den Bürger ebenso wie für den Beamten und den urteilenden Richter maßgebliches und zu beachtendes Recht fließt. 89 Das Bundesverfassungsgericht betont diese spezifische Rechtsqualität in ständiger Rechtsprechung.90 Gleichermaßen anerkannt ist, dass die Rechtsverordnung im Blick auf diese Bindungswirkung dem im parlamentarischen Verfahren zustande gekommenen Gesetz gleichsteht, 91 während hinsichtlich der Normverwerfungskompetenz grundlegende Unterschiede zu konstatieren sind. 92 In verfassungstheoretischer Hinsicht sichert die Allgemeinverbindlichkeit der Rechtsverordnung als Garantin der Anwendbarkeit auf alle einschließlich 89 Mit weiteren Nachweisen F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 12; H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 43. 90 , Vgl. etwa BVerfGE 18, 52, 59 (Verkehrsfinanzgesetz II) und BVerfGE 19, 17, 29 (Lemon-Squash). 91 Statt vieler M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 14; F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, Rn. 12; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 168. 92 A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 115 f. zur Differenz von Gesetz und Rechtsverordnung unter dem Aspekt der Normverwerfungskompetenz der (Verwaltungs-)Gerichte: Diese haben das Recht und die Pflicht zur Überprüfung der Rechtsverordnung auf ihre Rechtmäßigkeit hin. Mit weiterführenden Nachweisen zur Verwerfungskompetenz der Verwaltung bei Rechtsverordnungen R. Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 1994, S. 247: Die Verwaltung besitze die Verwerfungskompetenz, sofern die die Verwerfung beabsichtigende Stelle nicht im hierarchischen Instanzenzug (auf den notwendig erforderlichen Bericht der „verwerfenden“ Einheit) von einer vorgeordneten Instanz zur Anwendung der Rechtsverordnungs-Norm angewiesen wird. Unentschieden zur behördlichen Verwerfungskompetenz BVerfGE 112, 373, 381 f. Umfassend M. Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998; vorhergehend G. Groß, Inzidente Normenkontrolle durch die Exekutive?, 1967, S. 103 ff., 121 ff., 130 ff., 144 ff.
14 Saurer
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der Urheber des zugrunde liegenden Ermächtigungsgesetzes den „interessenbändigenden Nexus“ (Dieter Grimm) zwischen Autoren und Adressaten des Rechts.93 So unumstritten die Grundsätze zur Rechtswirkung im Ergebnis sind, werden sie doch in Schrifttum und Rechtsprechung weithin mehr vorausgesetzt als verfassungsrechtlich hergeleitet. 94 Ein gebräuchliches Argumentationsmuster weist unter Bezugnahme auf den diesbezüglich wenig aussagestarken Normtext des Art. 80 Abs. 1 GG darauf hin, dass das Grundgesetz den Begriff der Rechtsverordnung nicht ausdrücklich definiert, sondern im Grundsatz den Verordnungsbegriff übernommen habe, wie er maßgeblich von der konstitutionellen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts entwickelt worden war. 95 Nach diesem tradierten Verordnungsbegriff kommt der Rechtsverordnung die Wirkung eines „materiellen Gesetzes“ zu, welches definiert wird als „jede verbindliche, generelle, abstrakte Anordnung zur Regelung eines Verhaltens, die sich an eine Vielzahl von Personen richtet und der Ordnung einer Vielzahl von Fällen dient“. 96 Hiernach ergibt sich die allgemeinverbindliche Rechtswirkung der Rechtsverordnung also aus der begrifflichen Rückbindung an die Prägungen des konstitutionellen Staatsrechts. 97 D. Grimm, Bedingungen staatlicher Rechtsetzung, FS Habermas, 2001, S. 489, 491. Vgl. hierzu die in den vorhergehenden Fn. genannten Positionen. 95 Stellvertretend für viele U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 30: Das Grundgesetz definiere den Begriff der Rechtsverordnung nicht ausdrücklich, sondern gehe im Grundsatz von dem überkommenen materiell geprägten Verordnungsbegriff aus. Danach seien Rechtsverordnungen solche Regelungen der Exekutive mit Ausnahme der Satzungen und einigen Sonderformen, denen die Wirkung eines Gesetzes im materiellen Sinne zukomme. Typisch für die Rechtsverordnung sei, dass sie für den Bürger die gleiche Bindungswirkung entfalte wie ein Parlamentsgesetz. Diese Eigenschaften seien „auch heute noch“ für den Verordnungsbegriff des Grundgesetzes prägend. Vorhergehend T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 14: „Im Bereich der Lehre von Gesetz und Verordnung werden auch heute noch Unterscheidungen zugrunde gelegt, die im deutschen Staatsrecht bereits vor Jahrzehnten entwickelt worden sind und sich bewährt haben.“ Vgl. zur begrifflichen Kontinuität der Kategorien „Gesetz“ und „Verordnung“ in der deutschen Verfassungsgeschichte die Darstellung in der Einl., II., 1.–4. 96 T. Maunz, ebd. mit dem Hinweis, zwar werde dieser Begriff des materiellen Gesetzes im Grundgesetz nicht erwähnt, damit sei aber nicht gesagt, dass das Grundgesetz ihn verwerfe. Vgl. zur vorhergehenden Begriffsbestimmung etwa aus der Staatsrechtslehre zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung mit einer Fülle weiter zurückreichender Nachweise E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 237: Rechtsverordnungen seien alle „im allgemeinen Gewaltverhältnis ergehenden Anordnungen der Verwaltung“, welche „genereller (allgemeiner) Art“ seien, also „Anordnungen, die sich materiell als Rechtssätze (Gesetze) im Sinne des deutschen Staatsrechts darstellen“; aus der Zeit des konstitutionellen Staatsrechts C. F. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. Aufl. 1880 (Nachdruck 1969), S. 155 f. im Blick auf die Verfassungsanordnungen verschiedener Länder, nach welchen die Freiheit oder das Eigentum der Personen betreffenden Normen unter Mitwirkung der Stände zu erzeugen seien: Bei dieser Verfassungslage seien Gesetze zu unterscheiden, welche der Monarch nur mit, und Gesetze, welche er ohne Zustimmung der Stände erteilen könne: „Die letzteren kann man zum Unterschiede von jenen Verordnungen nennen, aber sie sind ihrer inneren Kraft nach nicht weniger wirkliche und wahre Gesetze.“ 97 Näher zu den Begriffsprägungen der konstitutionellen Staatsrechtslehre in der Einl., II., 1. 93 94
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Jedoch erscheint eine derartige begriffliche Rückanbindung zur Begründung spezifischer Normtypen und ihrer Rechtswirkungen der Auslegung des Grundgesetzes als einer wesentlich auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufbauenden Verfassung nicht angemessen. 98 Vielmehr sollte der mit dem Grundgesetz vollzogenen Neuausrichtung der Verfassungsordnung Rechnung getragen werden, wie sie gegenüber der konstitutionellen Verfassungslage bereits in der Konstituierung durch den Volkssouverän, aber auch gegenüber der Weimarer Reichsverfassung durch die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG oder die Etablierung der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Art. 93 ff. GG zum Ausdruck kommt. 99 Deswegen wird hier ein am Verfassungstext orientierter Weg vorgeschlagen, der die allgemeinverbindliche Rechtswirkung ohne konstitutionelle Rückbindungen allein aus dem Grundgesetz heraus zu begründen vermag: Ausgangspunkt der Überlegung ist Art. 20 Abs. 3 GG mit seiner im 2. Halbsatz konstituierten Bindung der Exekutive und Judikative an „Gesetz und Recht“. 100 Hieraus wäre für die Bindungswirkung der Rechtsverordnung jedoch nur dann unmittelbar etwas gewonnen, wenn sie durch die Formel „Gesetz und Recht“ erfasst würde. 101 Anhaltspunkte für eine solche Auslegung finden sich zunächst in der Verfassungsrechtsprechung. In BVerfGE 78, 214, 227 heißt es: „Die Gerichte sind bei der Kontrolle des Verwaltungshandelns an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Sie dürfen ihren Entscheidungen also nur materielles Recht – Verfassungsrecht, förmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, autonome Satzungen und auch Gewohnheitsrecht zugrunde legen. Allgemeine Verwaltungsvorschriften und sonstige Anweisungen, durch die eine vorgesetzte Behörde verwaltungsintern auf ein einheitliches Verfahren oder eine bestimmte Ermessensausübung, aber auch auf eine bestimmte Gesetzesauslegung und -anwendung durch die ihr nachgeordneten Behörden hinwirkt, sind keine Gesetze im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG und des Art. 97 Abs. 1 GG (...).“ 102 Die dezidierte Herausnahme der Verwaltungsvorschriften aus dem Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 3 GG lässt sich in der Zusammenschau mit der vorstehenden, die Rechtsverordnung einschließenden, Definition des Begriffes des „materiellen Rechts“ wenigstens prima facie als Subsumtion der
98 Vgl. zur Frage der Kontinuität verfassungsrechtlicher Begriffe bei Diskontinuität der Verfassung bereits in der Einl., II., vor 1. sowie A. Ross, Theorie der Rechtsquellen, 1929 (Nachdruck 1989), S. 371 f. 99 Hierzu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 119 ff. 100 Art. 20 Abs. 3 GG lautet: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ 101 Zur Subsumtion der Rechtsverordnung unter Art. 20 Abs. 3 GG M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S.17, 17 f. sowie K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GGKII, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 253 ff. 102 Vgl. auch BVerfG, JZ 1970, 411, 412 zur Auslegung des Begriffes „Gesetz“ im Bundesverfassungsgerichtsgesetz: „Im Sprachgebrauch des BVerfGG umfasst der Ausdruck ‚Gesetz‘ jedenfalls in der Regel auch Rechtsverordnungen.“
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
Rechtsverordnung unter Art. 20 Abs. 3 GG verstehen. 103 Auch in der Literatur finden sich vergleichbare argumentative Ansätze zur Begründung der Bindungswirkung von Rechtsverordnungen. 104 Ein solcher liegt etwa in der Auffassung, wonach die Formel „Gesetz und Recht“ als Ausdruck des Unterschiedes von formellem und materiellem Gesetz verstanden werden könne, womit die Erfassung der Rechtsverordnung als materielles Gesetz einherginge. 105 Jedoch widerspricht eine derartige argumentative Konstruktion der offenkundigen Grundlegung des Grundgesetzes, wonach der Verordnungsgeber seinerseits das einfache Recht (und nicht nur die Verfassung) zu achten hat. 106 Bei der Subsumtion unter Art. 20 Abs. 3 GG ist es demnach unausweichlich, die Verordnungsgebung nicht als Gesetzgebung im Sinne des 1. Halbsatzes zu verstehen, sondern zur vollziehenden Gewalt im Sinne des 2. Halbsatzes zu zählen, 107 da nur so die „unbezweifelbare Gesetzesbindung“ der verordnungsgebenden Gewalt zu erreichen ist. 108 Ohne dass letzte Unklarheiten darüber, was der parlamentarische Rat mit der Formel „Gesetz und Recht“ zum Ausdruck bringen wollte, 109 behoben werden können, lässt sich also festhalten, dass der Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG das im parlamentarischen Verfahren zustande gekommene Gesetz erfasst, nicht aber die Rechtsverordnung. 110 Der hier gewählte Ausgangspunkt des Art. 20 Abs. 3 GG erlangt seine Bedeutung für die Begründung der Rechtswirkung der Rechtsverordnung danach nicht unmittelbar, sondern mittelbar dadurch, dass die in Art. 20 Abs. 3 GG festgelegte Bindungswirkung des im parlamentarischen Verfahren zustandegekommenen Gesetzes 103 Zu den möglichen Interpretationen der zitierten Passage aus BVerfGE 78, 214, 227 K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GGKII, 4.Aufl. 2000, Art.20, Rn.254 mit Fn.117. 104 Vgl. etwa M. Sachs, in: ders., GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 20, Rn. 107: „Gesetz“ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG sei jede ungeschriebene Rechtsnorm des Bundes- und Landesrechts, also jedes (nicht nur) formelle Gesetz einschließlich der Verfassungsbestimmungen sowie namentlich Rechtsverordnungen und Satzungen, ferner unmittelbar anwendbares Recht. 105 Vgl. K. A. Bettermann, in: Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte III/2, 1959, S. 523, 529 f.; zu diesem Begründungsstrang die Darstellung bei Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 37 und R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 20, Rn. 24, 49 ff. 106 Mit Verweis auf die „Klarstellung“ dieses Grundsatzes in Art. 80 Abs. 1 GG G. Zimmer, Funktion – Legitimation – Kompetenz, 1979, S. 206. 107 Wie hier E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 37. 108 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 20, Rn. 15. 109 Vgl. zu verschiedenen Interpretationsansätzen BVerfGE 34, 269, 286 f., wonach die Formel „Gesetz und Recht“ das Bewusstsein aufrecht erhält, dass sich „Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken“; F. E. Schnapp, in: v. Münch/ Kunig, GGKII, 5.Aufl. 2001, Art.20, Rn.43: die Formel tendiere zu einer Tautologie; W. Meyer, in: von Münch/Kunig, GGKIII, 5. Aufl. 2003, Art.97, Rn. 23: „Gesetz und Recht“ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG bildeten keine Tautologie, auch die „Glaubensbekenntnisse“ des Grundgesetzes müssten als geltendes Verfassungsrecht aufgefasst werden; im Überblick F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 18. 110 So auch K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKII, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 254.
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über die nähere Ausgestaltung der „Gesetzgebung des Bundes“ im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes auf die Rechtsverordnung erstreckt wird: Die Rechtsverordnung findet über ihre Normierung in Art. 80 GG als einzige Rechtsetzungsform neben dem Gesetz im Sinne des Art. 76 ff. GG Aufnahme in das Instrumentarium der „Gesetzgebung des Bundes“. 111 Insbesondere finden die Satzung (Art. 28 Abs. 2 GG und weitere 112) und die Verwaltungsvorschriften (Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2, 86, 108 Abs. 7, 129 GG 113) ihre verfassungstextliche Verankerung außerhalb des Siebten Abschnitts des Grundgesetzes. Die Rechtsverordnung hingegen wird nach dem vorhergehend Dargestellten durch die in Art. 80 Abs. 1 GG statuierte Erstreckung der Rechtswirkungen des Art. 20 Abs. 3 GG mit den spezifischen, allgemeinverbindlichen Rechtswirkungen des Gesetzes konstituiert. 114 Damit erweist sich die Abwesenheit einer näheren Ausgestaltung der Rechtswirkungen der Rechtsverordnung in Art. 80 Abs. 1 GG nicht als problematische Definitionslücke, die unter Rückgriff aus das konstitutionellen Staatsrecht zu schließen ist, 115 sondern als systematische Konsequenz der mittels Aufnahme in die Regelung der „Gesetzgebung des Bundes“ herbeigeführten Ausdehnung der in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Rechtswirkungen des Gesetzes auf die Rechtsverordnung. Art. 80 Abs. 1 GG hat danach konstitutive Bedeutung für die allgemeinverbindliche Rechtswirkung der Rechtsverordnung, nicht lediglich deklaratorische. 116 Unumstritten ist die Begründbarkeit der Bindung der Justiz an die Rechtsverordnung über Art. 97 Abs. 1 GG, welcher lautet: „Die Richter sind unabhängig und nur 111 Wie hier J. Rödig, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 5, 7; anders E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 37 ff., der zwar die Verbindlichkeitsbegründung unmittelbar über Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls ablehnt (aaO, Rn. 37), sodann aber keine verfassungsrechtliche Begründung sucht, sondern darlegt, die Bindung hänge davon ab, inwieweit das parlamentarische Gesetz der Exekutive für den betreffenden Rechtsakt einen Raum letztverbindlicher Entscheidung normativ zugewiesen habe (aaO, Rn. 39). Vgl. weiterhin die Nachweise in den nachfolgenden Fn. 112 Näher zu den umstrittenen verfassungsrechtlichen Grundlagen des Satzungsrechts sogleich 2. Teil, II., 2., b), (1). 113 Näher zur verfassungstextlichen Verankerung der Verwaltungsvorschriften und zur staatspraktischen Handhabung der Vorschriften W. Blümel, in: HStR IV, 1999, § 101, Rn. 37 ff. u. 55 ff. sowie Ch. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 227 ff., 235 ff. v. a. zur – im Lichte der Regelzuständigkeit der Länder gem. Art.30 GG – konstitutiven Bedeutung der hier liegenden Ermächtigung des Bundes zur einheitlichen Steuerung des Gesetzesvollzugs. 114 Zu den verbleibenden Unterschieden in der gerichtlichen Überprüfbarkeit beider Rechtsformen U. Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2002, S. 29 mit der Bemerkung, an der Gesetzesgleichheit der Rechtswirkung könne man höchstens hinsichtlich der Verwerfungskompetenz zweifeln, stehe diese doch bei Rechtsverordnungen allen (Verwaltungs-)Gerichten, bei Gesetzen allein dem BVerfG zu. 115 Vgl. etwa die eingangs dieses Abschnitts zitierten Passagen bei U. Ramsauer sowie T. Maunz. 116 So aber die Konsequenz der Auffassungen, die zur Begründung der allgemeinverbindlichen Rechtswirkung unmittelbar auf Art. 20 Abs. 3 GG abstellen, vgl. vorhergehend im Text und in den Fn.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
dem Gesetz unterworfen.“ Der Gesetzesbegriff dieser Norm erfasst unstreitig nicht nur das Grundgesetz, die Landesverfassungen und das im parlamentarischen Verfahren zustande gekommenen Gesetz, 117 sondern auch das „von der vollziehenden Gewalt auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung ordnungsgemäß gesetzte Verordnungsrecht“. 118
b) Funktionsexklusivität im Verhältnis der (untergesetzlichen) Rechtsetzungsformen Weniger eindeutig erscheint das Vorliegen der notwendigen Funktionsexklusivität im Verhältnis der Rechtsetzungsformen. Aufgrund der parallelen Bindungswirkungen im Verhältnis zum Gesetz vermag sich die exklusivitätsbegründende Differenz insbesondere aus der Gegenüberstellung zu anderen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen zu ergeben, namentlich zu Satzungen und Verwaltungsvorschriften.
(1) Abgrenzung zur Satzung Die verfassungsrechtliche Erfassung der Rechtswirkungen des Satzungsrechts bereitet bereits insoweit gewisse Schwierigkeiten als es eine allgemeine Regelung der Satzung im Grundgesetz nicht gibt. Gleichwohl wird die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit autonomer Satzungsbefugnisse auch jenseits der verfassungstextlichen Einräumung der Satzungsgewalt an die Kommunen in Art. 28 Abs. 2 GG („regeln“) allgemein anerkannt, insbesondere für das weite Feld der funktionalen Selbstverwaltung. 119 Unter einer Vielzahl divergierender Begründungsansätze 120 finden sich auch übereinstimmend vorgetragene Argumente: Zum 117 Vgl. W. Meyer, in: von Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 97, Rn. 21; Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 37. 118 BVerfGE 18, 52, 59 (Verkehrsfinanzgesetz II); BVerfGE 19, 17, 31 (Lemon-Squash). 119 Vgl. H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 191 ff.; zur Typologie der Satzungen mwN H. Maurer, DÖV 1993, S. 185, 186; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 38 f.; speziell zum Erlass von Satzungen als Ausdruck der kommunalen Rechtsetzungshoheit H. Dreier, in: ders., GGK II, 1998, Art. 28, Rn. 133 f. und E. Schmidt-Jorzig, ZG 1987, S. 193 ff.; zur autonomen Rechtsetzung im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung M. Plantholz, Funktionelle Selbstverwaltung des Gesundheitswesens, 1998, S. 45 ff. Vgl. für die Darstellung einer Vielzahl von rechtspraktischen Beispielen für Erscheinungsformen von Satzungsmacht nachfolgend unter 3. Teil, III., 5. 120 Vgl. zu unterschiedlichen Ansätzen die historisch-gewohnheitsrechtlich Argumentation bei F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66, Rn. 24: Das Satzungsverfahren als Rechtsetzungsform sei jenseits der ausdrücklichen Anerkennung in Art. 28 Abs. 2 GG vom Verfassungsgeber historisch angetroffen und stillschweigend anerkannt worden; das Abstellen auf die Satzungsautonomie als Ausdruck der Selbstgesetzgebung demokratisch gewählter Organe bei T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 51; die teleologische Argumentation zugunsten einer funktionsfähigen Rechtsetzungsorganisation bei W. Zoller, Über die
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einen wird aus der Gewährleistung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts mit Einschluss des Satzungsrechts gem. Art. 28 Abs. 2 GG, aber auch aus den Geschäftsordnungsermächtigungen der Art. 40 Abs. 1, 52 Abs. 3, 65 S. 4, 77 Abs. 2 GG gefolgert, dass das Grundgesetz autonome Rechtsetzungsbefugnisse nicht ausschließe. 121 Zum anderen wird darauf abgestellt, dass das Grundgesetz nicht nur in Art. 28 Abs. 2 GG, sondern auch an verschiedenen weiteren Stellen körperschaftlich organisierte juristische Personen des öffentlichen Rechts zulasse oder vorsehe, so insbesondere in Art. 87, 88 GG. 122 Die genannten Normen werden in einer Gesamtschau als Ausdruck eines allgemeinen Verfassungsgrundsatzes verstanden, nach welchem die Anerkennung einer Selbstverwaltungskörperschaft 123 gleichzeitig die Zulässigkeit einer entsprechenden Ermächtigung 124 zur autonomen Rechtsetzung 125 bedeute; mit dem Körperschaftscharakter sei das Vorhandensein der Bedeutung des Art. 80 GG, 1971, S. 77 ff.; die Auslegung von P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 310, der die Verfassung dahingehend interpretiert, dass die dezidierte Aufführung der Rechtsverordnung in Art. 80 GG nur als ein Beispiel für exekutive Normsetzung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung anzusehen sei, weswegen das Grundgesetz auch formunabhängige Rechtsetzung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung zulasse, etwa durch Richtlinien oder Normenvertrag; näher zum letztgenannten Ansatz die zustimmende Darstellung bei J. Joussen, SGb 2004, S. 334, 335; zur Rückführbarkeit der verfassungsrechtlichen Legitimation von Normsetzungsverträgen in der funktionalen Selbstverwaltung auf eine Analogie zum Verhandlungsmodell des Art. 9 Abs. 3 GG H. D. Schirmer, MedR 1996, S. 404 ff., insbes. 411 u. zusammenfassend 416. 121 Vgl. etwa U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn. 38 f.; T. Maunz, in: ders./ Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 56. Das BVerfG hat auch die Geschäftsordnung des Bundestages als „autonome Satzung“ bezeichnet, BVerfGE 1, 144, 148; M. Nierhaus, in: BKGG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 165 stellt klar, das Geschäftsordnungen der obersten Bundesorgane Ausdruck der Parlamentsautonomie und nicht des autonomen Selbstverwaltungsrechts sind und Geschäftsordnungen insoweit staatliches Recht enthalten. 122 Vgl. T. Maunz, ebd; A. v. Mutius, Jura 1979, S. 55 ff., 167 ff. 123 Zu dem Problem, ob der Gesetzgeber nach Belieben rechtlich verselbständigten Verwaltungseinheiten Satzungsautonomie verleihen kann, F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66, Rn. 23 ff.; M. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986; J. Isensee, DB 1985, S. 2681, 2684. 124 Mit restriktiver Grundtendenz H. Faber, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 28, Rn. 36 zur Frage nach der Selbstverwaltung als einem allgemeinen Prinzip des Grundgesetzes: Der enge historische funktionale Zusammenhang der Einräumung der kommunalen Satzungsgewalt in Art. 28 Abs. 2 GG mit der staatsrechtlichen Homogenitätsklausel und die Rücksicht auf den föderalistischen Grundzug des Grundgesetzes stünden auch heute noch einer extensiven Interpretation des Art. 28 Abs. 2 GG entgegen. Das Recht auf außerkommunale Selbstverwaltung könne im Grundgesetz hier und da als Annex anderer Garantien auftreten (z. B. richterliche Selbstverwaltung als Annex der richterlichen Unabhängigkeit, Art. 97 Abs. 1 GG; die Autonomie der Rundfunkanstalten und der Hochschulen nach Art. 5 GG; gesellschaftliche Selbstverwaltung der Tarifpartner nach Art. 9 Abs. 3 GG; Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, Art.140 iVm Art. 137 Abs. 4 WRV), im übrigen sei die Materie aber eine Angelegenheit des Landesverfassungsrechts. 125 Ohne die grundsätzliche Einschränkung der in vorhergehenden Fn. dargestellten Auffassung F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 60: Die Satzungsgewalt sei teils unmittelbar durch die Verfassung verbürgt, teils beruhe sie auf der Grundlage einfacher
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Rechtsetzungsbefugnis zur Regelung eigener Angelegenheiten regelmäßig verbunden. 126 Das Bundesverfassungsgericht hat die Satzungsgewalt als einen legitimen Bestandteil der grundgesetzlichen Ordnung anerkannt:127 „Die Verleihung von Satzungsautonomie hat ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelungen solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern. Zugleich wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und örtliche Verschiedenheiten berücksichtigen zu müssen, die für ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veränderungen er nicht rasch genug reagieren könnte.“ 128 Im Kontext dieser Darlegung unterstreicht das Gericht, „dass sich der Autonomiegedanke sinnvoll in das System der grundgesetzlichen Ordnung einfügt“. 129 Auf der Grundlage dieser grundsätzlichen Anerkennung werden Satzungen nach überkommener Definition als „Rechtsetzungsakte selbständiger, dem Staate eingegliederter Verwaltungsträger zur einseitigen hoheitlichen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten“ erfasst. 130 Die Satzungen werden von Körperschaften des öffentlichen Rechts „kraft ihrer Autonomie erlassen“ und gelten „mit verbindlicher Wirkung für alle Mitglieder der Korporation“. 131 In den Worten der grundlegenden (förmlicher) Gesetze, so etwa bei Handwerksinnungen (§ 55 HandWO), Ärztekammern (§ 31 Abs. 2 HeilberG) und Rundfunkanstalten (§ 1 Abs. 2 ZDF-Staatsvertrag). 126 T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 56; Stimmen, die aus den vereinzelten Aufführungen der Satzungsgewalt im Grundgesetz folgern, dass nur in diesen genannten Fällen der Erlass von Satzungen zulässig sein soll, sind vereinzelt geblieben; so aber A. Hamann, Grundgesetz-Kommentar, 1956, Art. 80 B 3 b: Vorschriften über eine autonome Satzungsgewalt seien im Grundgesetz weder in Art.80 Abs. 1 GG noch an einer anderen Stelle erwähnt. Da die Verleihung einer solchen Satzungsgewalt in jedem Falle eine Durchbrechung der Gewaltenteilung bedeute, folge aus dieser Nichterwähnung der Satzungsgewalt, dass durch Bundesrecht eine solche Autonomie nicht mehr begründet werden könne. 127 Vgl. hierzu die Darstellung bei H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 190 f. 128 BVerfGE 33, 125, 156 f. (Facharzt); zu dieser Passage nochmals M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17 ff. 129 BVerfGE 33, 125, 157 (Facharzt) mit eingehenden Nachweisen aus der vorhergehenden Rechtsprechung. Aus neuerer Zeit BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen). 130 H.-J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 25 IX a 1; K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 588 f.; vgl. auch die Unterscheidung von Satzungen im engeren Sinne und Satzungen im weiteren Sinne bei H. Maurer, DÖV 1993, S. 185, 187, wobei unter die erstgenannten generell-abstrakte Regelungen der Gemeinde mit verbindlicher Wirkung für ihre Einwohner oder sonstige ihrer Hoheit unterworfenen Personen fallen sollen, unter die Satzungen im weiteren Sinne die übrigen als Satzungen bezeichneten Regelungen. 131 H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 190; vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, Die kommunale Satzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 4: „Wie der Wirkungsbereich dieser Verbände regelmäßig nicht über den Bereich ihrer
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Facharzt-Entscheidung des BVerfG: „Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit für die ihr angehörigen und unterworfenen Personen erlassen werden.“ 132 Die Rechtsverordnung ergeht demgegenüber in staatlicher Urheberschaft und betrifft keine Selbstverwaltungsangelegenheiten. 133 Ihre Bindungswirkung erfasst unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Selbstverwaltungskörperschaft alle juristischen und natürlichen Personen, die Grenze bestimmt sich nach der Reichweite staatlicher Hoheitsmacht. 134 Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Rechtswirkungen der Rechtsverordnung ist also im Unterschied zur Satzung nicht die Besonderheit einer dem Staat eingeordneten Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern die Allgemeinheit aller der Staatsgewalt Unterworfenen. 135 Dieser grundlegende Unterschied in der Rechtswirkung sollte für sich genommen genügen, um der Rechtsverordnung gegenüber den Satzungen die Funktionsexklusivität am Merkmal der Allgemeinverbindlichkeit zusprechen zu können: Denn wenn Rechtsverordnungen und Satzungen auch beiderseits Gerichte136 und Verwaltungsbehörden 137 binden, so sind eben gegenüber den Bürgern allein die Rechtsverordnungen allgemein bindend, während die Satzungen an den Status der Mitgliedschaft in einer spezifischen, staatlich inkorporierten Selbstverwaltungskörperschaft anknüpfen. 138 Dementsprechend bietet sich zur Charakterisierung der Satzungsgebung nicht das Operieren mit Begriffen der allgemeinen Verbindlichkeit, sondern vielmehr mit Kategorien der partiellen Verbindlichkeit an.
Mitglieder hinausreicht, so können durch ihre Rechtsetzungsakte regelmäßig nur Verbandsmitglieder berechtigt oder verpflichtet werden.“ 132 BVerfGE 33, 125, 156 (Facharzt). Auch BVerfGE 10, 45, 50 zum Verhältnis von Rechtsverordnung und Satzungen: „Satzungen sind objektives Recht. Sie haben mit den Rechtsverordnungen gemein, dass sie nicht in dem von der Verfassung für die Gesetzgebung vorgeschriebenen Verfahren zustande kommen. Sie unterscheiden sich aber von den Rechtsverordnungen dadurch, dass sie von einer nichtstaatlichen Stelle erlassen werden.“ 133 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 11. Zur Abgrenzung von Rechtsverordnung und Satzung am Merkmal der staatlichen bzw. nichtstaatlichen Rechtserzeugung P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 188. 134 Vgl. dazu und zu anderen Aspekten der Unterscheidung von Rechtsverordnung und Satzung F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 60 ff. sowie M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17 ff.; P. Badura, in: GedS W. Martens, 1987, S. 25 ff.; W. Ziegler, Die Verkündung von Satzungen und Rechtsverordnungen der Gemeinden, 1976, S. 34, 39 f.; K. Westbomke, Der Anspruch auf Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 68 ff. 135 Vgl. U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 38. 136 Hierzu H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 191. 137 E. Schmidt-Aßmann, Die kommunale Satzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 4. 138 Zum Problem der Geltungserstreckung auf Außenseiter außerhalb der autonomen Körperschaften T. Clemens, NZS 1994, S. 337, 346.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
Gleichwohl ist in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft die Subsumtion der Satzungsgebung unter die allgemeinverbindlichen Rechtsetzungsformen und die diesbezügliche Gleichsetzung zu den Rechtsverordnungen gebräuchlich. Oftmals werden Rechtsverordnungen und Satzungen gleichermaßen als „abgeleitete Rechtsquellen und materielle Gesetze mit allgemeinverbindlicher Wirkung“ bezeichnet. 139 Im Interesse der allgemeinen Anschlussfähigkeit der hier unternommenen Bestimmung der Primärfunktionen der Rechtsverordnung soll deswegen ein weiteres Abgrenzungskriterium aufgenommen werden. Hierzu bietet sich die Orientierung an den voneinander zu trennenden innerstaatlichen Organisationsprinzipien an, welche den Rechtsverordnungen einerseits und den Satzungen andererseits zugrunde liegen. 140 Durch Verordnungsermächtigung werden die dem Gesetzgeber zustehenden Normsetzungsbefugnisse als Ausdruck des Organisationsprinzips der Dekonzentration 141 partiell an eine Stelle der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive abgegeben. 142 Dagegen wird durch gesetzliche Verleihung der Autonomie als Ausdruck des Organisationsprinzips der Dezentralisation 143 einer selbständigen, vom staatlichen Verwaltungsapparat separierten Verwaltungseinheit die Befugnis eingeräumt, in dem umfassenden Rahmen ihres Kompetenzbereiches Recht zu setzen. 144 139 A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S.107, 111 f.; H. Maurer, DÖV 1993, S. 185, 186 für einen bedeutenden Teil der kommunalen Satzungsgebung; M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17, 21: Hinsichtlich der Normadressaten stimmten Satzung und Verordnung im Ansatz überein; beide seien abstrakt-generelle Regelung mit Außenwirkung und damit materielle Gesetze; ähnlich F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996 § 61, Rn. 16; vgl. aber auch dens., Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24: „Nach geltendem Verfassungsrecht steht neben dem parlamentsbeschlossenen Gesetz als weiteres Regelungsinstrument mit Allgemeinverbindlichkeit nur noch die Rechtsverordnung zur Verfügung.“ 140 M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17, 21; A. v. Mutius, Jura 1979, S. 55 ff., 167 ff.; zur verfassungsrechtlichen Absicherung dieser Unterteilung nach Organisationsprinzipien vgl. die oben dargelegten Ausführungen aus BVerfGE 33, 125, 156 f. (Facharzt) zur strukturellen Bedeutung des Instituts der Satzungsautonomie. 141 F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 62; zustimmende Rezeption bei P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 172 f. 142 Zur Rechtsverordnung als Ausdruck einer dekonzentrierten Rechtsetzung und zum hierin liegenden Abgrenzungspotential zur Satzung auch M. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 74 f.; U. Kischel, Die Begründung, 2003, S. 305 ff.; S. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 128. 143 Hervorhebung des dezentralen Charakters als eines wesentlichen Legitimationsaspekts der kommunalen und funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften und ihrer Rechtsetzungsbefugnisse bei E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 31 u. 33; vgl. weiterhin F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 62; zu Fällen, in denen die rechtspraktische Ausprägung autonomer Satzungsgewalt ausnahmsweise nicht dem Leitbild dezentralisierter Rechtsetzung entspricht, M. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), S. 17, 23. 144 M. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S.75 unter Betonung des hierin liegenden wesentlichen Unterschieds zwischen Satzungsrecht und Rechtsverordnung.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
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Stellt danach die gesetzliche Verleihung von Satzungsautonomie eine dezentralisierende Form der Delegation von Rechtsmacht dar, 145 so kommt der Rechtsverordnung aus der Perspektive des delegierenden Gesetzgebers die Funktion der dekonzentrierenden Rechtsetzung zu. Lässt man dieses Kriterium zu dem oben benannten der Setzung allgemeinverbindlichen Recht hinzutreten, so ergibt sich die „Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ als nicht nur verfassungsrechtlich intendierte, sondern zudem im Vergleich zur Satzung exklusive Funktion der Rechtsverordnung. (2) Abgrenzung zu den Verwaltungsvorschriften Nach den oben dargelegten Voraussetzungen einer Primärfunktion der Rechtsverordnung sollte sich diese in ihrer Funktion als Normtyp der „dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ nicht nur gegenüber der Satzung, sondern auch gegenüber den Verwaltungsvorschriften abgrenzen lassen. Dies erweist sich insoweit als begründungsbedürftig, als die Rechts- und Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft immer wieder zu anhaltenden Kontroversen führt. 146 Die Erfassung der rechtspraktischen Ausgestaltung und Anwendung von Verwaltungsvorschriften 147 mit der tradierten Definition, nach welcher Verwaltungsvorschriften die auf dem Weisungsrecht des Dienstherrn beruhenden, lediglich intern verbindlichen Anordnungen an nachfolgende Behörden und Amtsträger sind, 148 bereitet angesichts ihrer erheblichen rechtspraktischen Bedeutung 149 mitunter einige Schwierigkeiten. 150 Dies kommt in der verbreiteten Klassifizierung von Verwaltungsvorschriften als „Normen eigener Art“ 151 oder „ungesicherter dritter Kategorie des Rechts“ 152 deutlich zum Ausdruck. In verschiedensten Konzeptionen wurde in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung versucht, Rechtsbindungen der Verwaltungsvorschriften zu begründen, 153 die 145 Vgl. zur Einordnung der Verleihung von Autonomie als einer Form der Delegation von Rechtsmacht BVerfGE 33, 125, 156 (Facharzt) sowie U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 38. 146 Hierzu der Überblick bei A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 220 f. 147 Vgl. nochmals aus der Zusammenfassung der Untersuchung des umweltrechtlichen Normmaterials im 1. Teil, V., 2. 148 Vgl. BVerwGE 67, 222, 229 (Amtstracht). 149 Vgl. 1. Teil, V., 2. 150 Hierzu bereits F. Ossenbühl, in: VVDStRL 43 (1985), S. 205, 207 zur Analyse einer „eklatanten Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und juristischer Deduktion“ sowie W. Brohm, in: Drittes deutsch-polnisches Verwaltungssymposion, 1983, S. 11 ff.; zur Analyse einer „erheblichen Auseinanderentwicklung von Theorie und Praxis exekutiver Normsetzung“ aus jüngerer Zeit B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 1. 151 C. H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl. 1987, S. 162. 152 R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571 ff. 153 Eingehend zur Abgrenzung der Rechtswirkung von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften im 3. Teil, V., 3.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
über nachgeordnete Verwaltungsbehörden hinaus auch Justiz und Bürger erfassen. 154 Prominent geworden ist dabei etwa die Argumentationsfigur der „Selbstbindung der Verwaltung“, nach deren extremster Variante Bindungswirkungen bereits vor dem ersten Anwendungsfall der Verwaltungsvorschrift gegeben sein sollen. 155 Nach anderer Ansicht lassen sich entsprechende Bindungswirkungen aus tatbestandlichen Beurteilungsspielräumen herleiten, die auf entsprechenden einfachgesetzlichen Ermächtigungen 156 beruhen. 157 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat insbesondere für die Verwaltungsvorschriften des Atomrechts mit Hinweis auf deren Charakter als „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“ 158 eine (partielle) Bindungswirkung angenommen.159 Jedoch sehen auch die Befürworter weitergehender Bindungswirkungen von Verwaltungsvorschriften weit überwiegend keine vollständige Gleichrangigkeit von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnung vor. Deutlich wird dies etwa bei Fritz Ossenbühl, der grundsätzlich für einen erweiterten und in seinen Rechtswirkungen ausgebauten Einsatz der Verwaltungsvorschriften eintritt, und dabei diesen Normtyp wie folgt charakterisiert: „Die Exekutive kann diese Vorschriften jederzeit ändern und sie erzeugen keine Allgemeinverbindlichkeit.“ 160 In ähnlicher Ausrichtung spricht Eberhard Schmidt-Aßmann von den Verwaltungsvorschriften als „Handlungsformen der differenzierten Bindungswirkungen“ 161 und legt das aus „verfassungsrechtlichen Formgeboten“ abgeleitete Erfordernis der „funktionellen Distanz“ zwischen 154 Für einen Überblick B. Remmert, Jura 2004, S. 728, 728 f.; A. Rogmann, Die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, 1998, S. 6 ff.; R. Rudisile, Verwaltungsvorschriften in der Rechtsprechung, 1987, S. 13 ff., 91 ff., 107 ff., 187 ff., 215 ff., 274 ff. und bereits U. MeyerCording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 146 ff. 155 Näher F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 49; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 24, Rn. 21 ff. 156 Hierzu insbesondere die Entwicklung der „normativen Ermächtigungslehre“ bei E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185 ff.; ders., in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491: Verwaltungsvorschriften als „Handlungsformen der differenzierten Bindungswirkungen“; näher Ch. Müller, Die TA-Lärm als Rechtsproblem, 2001, S. 68. Einschlägige gesetzliche Ermächtigungen werden etwa in §§ 48 BImSchG oder § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG gesehen. 157 Vgl. zur Argumentation mit der Figur der „Sonderverordnung“ als Ausnahmefall einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsvorschrift im Überblick Y.-H. Ko, Verwaltungsvorschriften als Außenrecht, 1991, S. 76 ff.; befürwortend E.-W. Böckenförde/R. Grawert, AöR 95 (1970), S. 1 ff.; H. J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1974, § 25, VIII.; ablehnend zu Recht F. E. Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977, S. 229 ff.; H.-U. Erichsen, in: FS H. J. Wolff, 1973, S. 219 ff. 158 Vgl. BVerwGE 72, 300, 320 (Wyhl) sowie zum vorhergehenden Konzept der Verwaltungsvorschriften BVerwGE 55, 250, 255 (Voerde); eingehend auch zur aktuellen Entwicklung der Verwaltungsrechsprechung im 3. Teil, V., 3. 159 Das Bundesverfassungsgericht sucht demgegenüber an der Beschränkung der Verwaltungsvorschriften auf Rechtswirkung im Binnenbereich der Exekutive festzuhalten; vgl. insbesondere BVerfGE 78, 214, Ls. 1 (Unterhaltsleistungen für im Ausland lebende Personen); eingehend 3. Teil, V., 3. 160 F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
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Rechtsverordnungen und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften dar, welches sich vor allem in den Unterschieden der jeweiligen „Bindungswirkungen“ zu erweisen habe. 162 In der Literatur wird nahezu durchgehend eine Reihe von Ausnahmen anerkannt, 163 in denen die Bindungswirkung auch normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften entfallen soll, so etwa bei Überholung durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wegen Besonderheiten des Einzelfalls, nicht willkürfreier Ermittlung 164 oder der Nicht-Gewährleistung der Orientierung auf hinreichend konservative Annahmen. 165 Die dargelegten Konzeptionen zielen also nicht auf Gleichsetzung von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften im Merkmal der Bindungswirkung, sondern auf den Nachweis unterhalb der Allgemeinverbindlichkeit zu verortender Schnittmengen in der Rechtsqualität beider untergesetzlicher Handlungsformen. 166 161 162 163 164 165 166 Demnach bleibt im Verhältnis zur Verwaltungsvorschrift die Setzung allgemeinverbindlichen Rechts der Rechtsverordnung vorbehalten. Im Verhältnis der untergesetzlichen Handlungsformen kommt der Rechtsverordnung exklusiv die Funktion 161 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491; ähnlich T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S.73, 95: Abgestufte Verbindlichkeitswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 345. 162 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 206 b. 163 Vgl. aber für eine tendenziell gegenläufige Position R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598 und die unter 3. Teil, V., 3. genannten Autoren in Ausrichtung auf ein originäres exekutives Verordnungsrecht. 164 Zum anspruchsvollen Gehalt des hier aufgestellten Willkürverbots in Abgrenzung zur Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG D. Sellner, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 741, 749 f.: Willkürfreiheit im Kontext der Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften bedeute zunächst das Vorliegen einer plausiblen und nachvollziehbaren Begründung der behördlichen Entscheidung, auch müsse im gerichtlichen Verfahren belegt sein, wie die Behörde die Risikoermittlung durchgeführt und weshalb sie das Risiko in einer bestimmten Weise beurteilt habe; darzulegen sei, welche Gründe für die Nichtberücksichtigung abweichender Meinungen herangezogen worden seien; Willkürfreiheit bedeute auch, dass die Behörde sich ihrerseits an normkonkretisierende Richtlinien und Regelvorhaben halten müsse und von ihnen nicht ohne Grund abweichen dürfe; bei der behördlichen Entscheidung über Standort und Anlagenkonzept sei das Gewicht etwaiger verschiedener wissenschaftlicher Auffassungen abzuwägen und zu würdigen; Meinungsvielfalt und fortbestehende Unsicherheiten seien in den Blick zu nehmen. 165 Vgl. die Typologien der Fallgruppen des Entfallens der Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften bei T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73, 95; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 65, Rn. 52 ff., 56; Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185, 204 unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung; R. Wahl, NVwZ 1991, S.409, 414 f.; tendenziell anders jetzt ders., in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598, wonach Wahl die Außenwirkung spezifischer Verwaltungsvorschriften zukünftig ohne Ausnahmevorbehalt konzipieren will, da dadurch die Geltung der Verwaltungsvorschriften als Normkategorie vereitelt werde. 166 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 11: Rechtsverordnungen unterschieden sich durch ihre gesetzesgleiche Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften; eingehend zum Problem von Rechtswirkungskonvergenzen zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften unterhalb der Allgemeinverbindlichkeit im 3. Teil, V.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
der „Dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ zu. Die einfachgesetzliche Ausprägung des Vorliegens einer Primärfunktion wurde dahingehend skizziert, dass sich diese als jedem Delegationsakt immanent erweist. Dies bestätigt sich wiederum: Die Setzung allgemeinverbindlichen Rechts ist Bestandteil aller erfassten einfachgesetzlichen Delegationsakte zur Zuordnung von Verordnungsfunktionen. Alle Rechtsverordnungen teilen die ausnahmslos verbindliche Rechtswirkung sowohl gegenüber der Verwaltung als auch gegenüber Grundrechtsträgern und Rechtsprechung. Die Funktionsexklusivität der Rechtsverordnung innerhalb der untergesetzlichen Handlungsformen hinsichtlich der Setzung einer besonderen Rechtsqualität ist demnach gegeben. Also tritt neben die Entlastung des Parlaments die Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts als zweite Primärfunktion der Rechtsverordnung. 167
3. Keine Primärfunktion: Die Setzung abstrakt-genereller Normen Weiterhin könnte nach der Häufigkeit entsprechender Würdigungen in der Literatur auch das Kriterium der Setzung abstrakt-genereller Regelungen zu den Primärfunktionen der Rechtsverordnung zu zählen sein. 168 Der Aspekt des abstrakt-generellen Charakters einer Regelung wird traditionell mit den Begriffen der Norm, des Rechtssatzes und der Rechtsetzung in Verbindung gebracht und dem Kriterium des konkret-individuellen sowie den Begriffen der Einzelentscheidung und der Rechtsanwendung gegenüber gestellt. 169 Die begriffliche Erfassung und Definition des „abstrakt-generellen Charakters“ oder der „Allgemeinheit“ einer Regelung erfolgt keineswegs einheitlich. Übereinstimmung besteht in der Literatur insoweit, als dass zur Abgrenzung die Begriffspaare „abstrakt-generell“ und „konkret-individuell“ gegenübergestellt werden und eine Regelung jedenfalls dann als abstrakt-generell einzuordnen ist, wenn einerseits die Zahl der Regelungsgegenstände (abstrakt – konkret), andererseits die Zahl der Regelungsadressaten (generell – individuell) unbestimmt ist. 170 Nach dem Bundes167 Für die Rechtsunterworfenen schafft diese zweite Primärfunktion einen Grad an Rechtssicherheit, der durch andere Formen der untergesetzlichen Normsetzung nicht erreichbar ist; dies gilt regelmäßig auch gegenüber unmittelbar auf dem Gesetz beruhenden Einzelakten; vgl. hierzu F. Petersen, Schutz und Vorsorge, 1993, S. 318. 168 Vgl. T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 15; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132; N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S.131 ff. sowie die weiteren Nachweise in den vorhergehenden Fn. vor 2. Teil, II., 1. 169 Vgl. zum Ganzen R. A. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, 1979, S. 195 ff.; T. Jaag, Abgrenzung zwischen Rechtssatz und Einzelakt, 1985; M. Abelein, in: FS Küchenhoff, 2. Hb., 1972, S. 419 ff.; C. Ladenburger, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S. 408 ff.; U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 36 f. 170 Zu dieser Definition P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 37. Als für die Beurteilung maßgeblicher Zeitpunkt wird jener des Erlasses der Regelung angesehen, vgl. H.-U. Erichsen, in: ders./Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 12, Rn. 43.
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
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verfassungsgericht ist eine Norm „dann ein generelles Gesetz und kein Einzelfallgesetz, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen lässt, auf wie viele und welche Fälle es Anwendung findet“. 171 Diese Definition wird auch den nachfolgenden Untersuchungen zugrunde gelegt. In vielen Fällen unterhalb der Statuierung einer Regelung für eine unbestimmte Zahl von Personen für unbestimmt viele Sachverhalte ergeben sich erhebliche Abgrenzungsprobleme, die etwa virulent werden, wenn es um die Einstufung eines Rechtsakts als Norm oder Einzelakt geht. 172 Peter Axer fasst die zur Auflösung derartiger Kategorisierungsprobleme entwickelten Vorschläge dahingehend zusammen, dass ein Teil der Literatur die Individualität bzw. Generalität betone, 173 ein anderer hingegen das Merkmal der Konkretheit bzw. Abstraktheit in den Vordergrund rücke. 174
a) Das Erfordernis abstrakt-genereller Normsetzung als Element eines materiellen Verordnungsbegriffs? Die verfassungsrechtliche Fundierbarkeit des Erfordernisses abstrakt-genereller Verordnungsgebung könnte zunächst aus der grundgesetzlichen Konstituierung eines materiellen Verordnungsbegriffs hervorgehen. In der Rechtswissenschaft werden zur Frage der formellen oder materiellen Bestimmung des grundgesetzlichen Verordnungsbegriffs unterschiedliche Auffassungen vertreten. 175 Innerhalb der Vertreter eines Verordnungsbegriffs materieller Prägung sind die Einzelheiten umstritten. 176 Das Vorliegen abstrakt-genereller Normen ist nur eines BVerfGE 36, 383, 400 f.; vorhergehend BVerfGE 31, 255, 263 f.; BVerfGE 25, 371, 396. Derartige Abgrenzungsprobleme liegen bereits dem „Leading case“ BVerwGE 12, 87 ff. (Verbot von Endiviensalat) zugrunde, in welchem zu klären war, ob auf den konkreten Anlass der Typhusseuche oder auf die Vielzahl von Verkaufsfällen abzustellen sei, näher hierzu G. F. Schuppert/Ch. Bumke/I. Richter, Casebook Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2000, S. 127; zu ähnlichen Problemen bei der Rechtsnatur von Verkehrszeichen bereits K. Westbomke, Der Anspruch auf Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 39; beim Smog-Alarm D. Ehlers, DVBl. 1987, S. 972 ff.; H. D. Jarass, NVwZ 1987, S. 95 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 9, Rn. 36 a. 173 Zu dieser Richtung der Auflösung des Abgrenzungsdilemmas zählt Axer die Positionen von B. Drews/G. Wacke/K. Vogel/W. Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 359 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 60 ff. und W. Krebs, in: von Münch/Kunig, GGK I, 5. Aufl. 2000, Art. 19, Rn. 8; vgl. P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, S. 39 Fn. 104. 174 Diesem Schwerpunkt ordnet Axer H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, vgl. die Nachweise in den vorhergehenden Fn.; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl. 1999, § 45 Rn. 78; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 200 ff. zu, vgl. P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 39 Fn. 104. 175 Dazu der Überblick bei U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 30. 176 Vertreter eines materiellen Verordnungsbegriffs sind etwa D. Wilke, in: v. Mangoldt/ Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV 1–4; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 171 172
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
unter mehreren in der Literatur angeführten Kriterien.177 Teilweise wird vorgeschlagen, 178 als Rechtsverordnung solche Regelungen der Exekutive einzustufen, denen die Wirkung eines Gesetzes im materiellen Sinne zukommt. Abgestellt wird insbesondere auf die Allgemeinverbindlichkeit 179 und „Außenwirkung“ 180 der Rechtsverordnung. Jedoch beruht diese letztgenannte Argumentation im Grunde auf der Aussage, dass eine „Rechtsverordnung ist, was als Rechtsverordnung wirkt“ und damit auf einem Zirkelschluss. 181 Die Rechtswirkung einer Regelung ist eine Folge ihrer Qualifikation, kein konstitutives Merkmal. 182 Auf den Aspekt der „Außenwirkung“ als materielles Definitionskriterium kann auch insoweit nicht abgestellt werden, als die diesbezüglich unangefochtene Staatspraxis verschiedentlich inhaltsgleiche (Organisations- und Zuständigkeits-) Regelungen sowohl in Form der Rechtsverordnung als auch in Form von Verwaltungsvorschriften kennt. 183
2003, Art. 80, Rn. 17; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132; A. Hamann, Grundgesetz-Kommentar, 1956, Art.80 B 3, a. A. in der 2.Aufl. 1961, 3 b); E. Mayer, in: Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, 2004, S. 141, 148. 177 Vgl. dazu H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 25, Rn. 30; F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 53. 178 D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV 1–4; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 17: Letztlich entscheide „weder Bezeichnung noch Erlassungsform allein über den wirklichen Charakter einer Verordnung, sondern ihr Inhalt“. Weitere Nachweise bei U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 30. 179 So etwa K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S.653: „Begrifflich wird die Rechtsverordnung als ein von der Exekutive auf Grund gesetzlicher Ermächtigung erlassener Rechtssatz verstanden, der grundsätzlich allgemeine, für jedermann verbindliche Regelungen enthält“. 180 So D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV 1–4, Anm. IV 3: Rechtsverordnung sei jeder Rechtssatz der Exekutive mit Ausnahme der autonomen Satzung, durch den Beziehungen des Staates zur Allgemeinheit oder zu seinen Amtsträgern geregelt würden, wobei (im zweiten Fall) der Wille des Normgebers erkennbar sein müsse, dem Rechtssatz eine gegenüber der Verwaltungsvorschrift erhöhte Geltungskraft beizulegen; G. Huwar, Der Erlass von Rechts- und Verwaltungsverordnungen durch den Bundespräsidenten, 1967, S. 35: „Rechtverordnung und Verwaltungsverordnung unterscheiden sich (sowohl nach früherer als auch nach heutiger Ansicht) dadurch, dass jene einen materiellen Rechtssatz enthält, diese dagegen nicht. Eine Verordnung enthält dann einen materiellen Rechtssatz, wenn ihr Inhalt die Rechtssphäre des Staatsbürgers betrifft. Das geschieht dann, wenn sie in Individualrechte (Freiheit und Eigentum im weitesten Sinn) eingreift, dem Einzelnen staatliche Begünstigungen gewährt bzw. vorenthält oder sonst auf seinen Rechtskreis einwirkt.“ 181 So auch T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 24: Der Versuch, die Rechtsnatur einer Vorschrift durch ihre Rechtswirkungen zu bestimmen, offenbare einen Zirkelschluss; vgl. vorhergehend F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 179 f.; P. Selmer, VerwArch 59 (1968), S. 114, 116. 182 R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 10. 183 Beispielhaft zeigte sich dies im Beamtenrecht: Der Bund hat seine Beihilfebestimmungen als Verwaltungsvorschriften erlassen (BVerwGE 71, 342), die Länder dagegen in der Form von Rechtsverordnungen. Allerdings ist nach der Entscheidung BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02, nach welcher die Beihilfevorschriften gegen den Gesetzesvorbehalt verstoßen sollen, mit der Ablösung dieses Regelungsmodells zu rechnen. Zu Parallelentwicklungen im Recht der So-
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Unter den materiellen Kriterien verbleibt jenes des abstrakt-generellen Charakters 184 einer Regelung. 185 Danach wäre die Rechtsverordnung definiert als untergesetzliche Regelung, die eine unbestimmte Anzahl von Fällen und Personen betrifft. 186 Jedoch sind ähnlich wie auf der Ebene des Gesetzes187 auch auf der Ebene der Rechtsverordnung Ausnahmen zuzulassen; 188 dies ist eine Folge des demokratizialhilfe U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn.31 mit Fn.93 sowie T. v.Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 24 f. 184 Vgl. etwa die Definition des „Rechtsverordnungsbegriffs“ bei T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 15: Rechtsverordnungen wendeten sich an einen unbestimmten Kreis von Personen und seien insofern „abstrakt“. E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10.Aufl. 1973, S.132: Der Rechtsverordnung sei wesentlich, dass sie generelle Regeln des Verhaltens aufstelle; sie enthalte abstrakte Tatbestände, die nicht auf einen konkreten einzelnen Fall oder mehrere solcher Fälle sondern unter Absehung von der Tatbestandsverwirklichung in concreto mit allgemeiner Wirkung geschaffen seien und denen damit das Moment der Dauer innewohne. A. Hamann, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1956, Art. 80 B 3: Der Begriff der Rechtsverordnung könne nur materiell, d. h. vom Inhalt der Vorschrift her bestimmt werden; entscheidend sei, dass hier „generelle Verhaltensregeln“ aufgestellt würden. 185 Zum abstrakt-generellen Charakter als Kriterium der Rechtsverordnung auch H. J. Wolff/ O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, S. 121 sowie N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 131 ff. Achterberg nutzt die Gegenüberstellung des nach Art. 80 GG umfassenden Gesetzesvorbehalts bei Rechtsverordnungen (belastende und begünstigende Maßnahmen) und der umstrittenen Reichweite des Gesetzesvorbehaltes bei Verwaltungsakten zu einem Plädoyer für eine umfassende Erstreckung des Gesetzesvorbehalts auf den Bereich der begünstigenden Verwaltung. So lasse sich verhindern, dass die Verwaltung vom Erlass einer Maßnahmerechtsverordnung auf denjenigen eines Verwaltungsaktes ausweiche um sich den Anforderungen des Art. 80 GG zu entziehen. Mit der Erstreckung werde die Maßnahmerechtsverordnung entbehrlich, womit die abstrakt-generelle Natur zum Wesensmerkmal der Rechtsverordnung werde. 186 Vgl. die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 187 Zur Entwicklung eines formalisierten, inhaltlich offenen Gesetzesbegriffs vgl. N. Achterberg, in: Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 295 ff., insbes. S. 316 f. zu dessen besonderen Vorzügen: Überwindung der Dichotomie formelles/materielles Gesetz; Entfallen der Schwierigkeit der Einordnung besonderer Gesetzestypen wie Maßnahmegesetz und formelles Gesetz; Reduzierung des Problems der Rechtsnatur von Verordnungen als Rechtsverordnungen oder Verwaltungsverordnungen auf die Frage der vorhandenen oder fehlenden Außenwirkung; Ermöglichung der Umgreifung der Dynamik der Gesellschafts- und Rechtsordnung. 188 Vgl. zum Problem L. Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, 1992, S. 146 sowie H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 16 unter Bezugnahme auf BVerwGE 18, 154 und BVerwG, DÖV 1974, 426 mit rechtspraktischen Nachweisen für Rechtsverordnungen, denen es am abstrakt-generellen Charakter fehlt, so etwa im Fall von Eingemeindungsbeschlüsse der Landesregierung und Enteignungsbeschlüssen des Regierungspräsidenten. Vgl. aus der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, NVwZ 2003, 850 (Kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt): Hier hatte das Gericht über die Verordnungsermächtigung des § 4 a Abs. 1 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt zu entscheiden, nach welcher das Innenministerium mehrere Gemeinden zu einer Verwaltungsgemeinschaft zusammenfassen oder einer solchen zuordnen kann. 15 Saurer
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
schen Prinzips und seines Niederschlages in der zentralen Stellung des parlamentarischen Gesetzgebers 189 in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. 190
b) Zum nur-formellen Verordnungsbegriff des Grundgesetzes Nach den bisherigen Erkenntnissen verlangt die Verfassung keinen durchgängig abstrakt-generellen Charakter der Rechtsverordnung. Vielmehr stellt sie diesen zur wenigsten partiellen Disposition des Gesetzgebers.191 Das Grundgesetz konstituiert also auch hinsichtlich der Normstruktur keinen materiellen, sondern einen nur-formellen Verordnungsbegriff. Die allgemeine Bestimmung des Verordnungsbegriffs hat also nach formalen Kriterien zu erfolgen. 192 Dies entsprechend dem allgemeinen Zuteilungsmodus einer Verteilung der Rechtsetzungskompetenzen nicht nach materiellen, sondern nach formellen Maßstäben. 193 Für die Frage, ob im konkreten Fall eine Rechtsverordnung vorliegt, ist es unbeachtlich, ob die Verordnungsermächtigung die Rechtsverordnung deckt, denn dies ist eine Frage der Rechtmäßigkeit. 194 Weiterhin ist weder die Bezeichnung einer Regelung noch die Form ihres Erlasses entscheidend, kann doch bei Nichtbeachtung der für die Rechtsverordnung erforderlichen Formerfordernisse auch eine formfehler189 Hierzu unter Bemühung des umstrittenen Begriffs der Organsouveränität N. Achterberg, in: Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S.295, 316: Nur ein formalisierter, inhaltlich offener Gesetzesbegriff berücksichtige in vollem Umfang die in der Demokratie bestehende Organsouveränität des Parlaments – jede wie auch immer geartete inhaltliche Anreicherung des Gesetzesbegriffs würde demgegenüber seine Rechtsetzungsprärogative und damit seinen Kompetenzbereich unzulässigerweise beschränken. 190 Aus der neueren Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Einzelfall-Verordnung VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 24.1.2003, ESVGH 53, 137, Ls. 6: „Die Regelung von Anflugverfahren für einen Flughafen durch eine Rechtsverordnung ist kein unzulässiges Einzelfallgesetz.“; weitere Ausführungen aaO, S. 146. 191 So auch R. Stettner, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Bd. 5, 7. Aufl. 1989, Sp. 703, 704; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 27 mit Fn. 77, der unter Anerkennung von Maßnahme- bzw. Einzelfallverordnung von der Rechtsverordnung als „grundsätzlich abstrakt-genereller Regelung“ spricht. 192 So auch H. D. Jarass/B. Pieroth, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 2; U. Ramsauer, in: AKGG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 31; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 6 ff.; H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 14; M. Nierhaus, in: BKGG VIII, Stand: 2004, Art.80, Rn.142 konstatiert einen in der gegenwärtigen Staatsrechtslehre eindeutig auszumachenden Trend zur stärkeren Formalisierung des Verordnungsbegriffs; ähnlich A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 63. 193 Hierzu BVerfG-K, NVwZ 1997, 261, 262 (Bremisches Personalvertretungsgesetz) im Blick auf den Gegenstand eines Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG: Der formell-gesetzliche Charakter einer Vorschrift bestimme sich nicht nach dem Regelungskontext, in den sie hineingestellt sei, sondern ausschließlich nach dem Organ, das sie erlassen habe. Der Bundestag oder die Parlamente der Länder könnten nur Gesetze, nicht aber Rechtsverordnungen erlassen. 194 R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 11.
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hafte Verordnung vorliegen. 195 Konstitutives Begriffsmerkmal ist vielmehr, ob der Verordnungsgeber sich auf eine Verordnungsermächtigung stützen will, 196 also übertragene Rechtsetzungsmacht in Anspruch genommen werden soll.197 Es muss deutlich werden, dass die Norm „als abgeleitete (derivative) Rechtsquelle Ausdruck einer delegierten Rechtsetzung, einer Dekonzentration der Gesetzgebung ist“. 198 Die mit der Ausdifferenzierung des Verordnungssystems einhergehenden Annäherungen der Rechtsetzungsformen unterstreichen die alleinige Anwendbarkeit des formellen Verordnungsbegriffs nachhaltig. 199 Je mehr funktionale Äquivalenzen in den Verhältnissen von Gesetz und Rechtsverordnung, Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften auftauchen, desto weniger vermögen materielle Kriterien zur Unterscheidung staatlicher Normkategorien beizutragen. Nach den vorstehenden Ausführungen fehlt es der Rechtsverordnung bereits für sich genommen am Erfordernis des abstrakt-generellen Charakters. Darüber hinaus würde die Einordnung der „Setzung abstrakt-genereller Normen“ als Primärfunktion der Rechtsverordnung sogar dann scheitern, wenn der Rechtsverordnung diese Eigenschaft von Verfassungs wegen zugeordnet werden könnte: Denn zudem fehlt es am Exklusivitätspotential in der Abgrenzung zu den anderen Rechtsetzungsformen. Zunächst kann für den materiellen Gehalt der Rechtsverordnung nichts anderes gelten als für den des Gesetzes. 200 Denn dessen Bestimmung ist in der Konsequenz der oben dargelegten, durch die Verankerung im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes hergestellten, Erstreckung der Rechtswirkungen des Art. 20 Abs. 3 195 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn.32: Diese Kriterien könnten jedoch als Indizien herangezogen werden. 196 R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 11; U. Ramsauer, in: AKGG II, Stand: 2002, Art.80, Rn.32; ähnlich D. Wilke, AöR 98 (1973), S.198, 208 ff.; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGKIII, 5.Aufl. 2003, Art.80, Rn.3, der allerdings allein aufgrund des Ermächtigungszitats entscheiden will. T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 27: Konstitutives Merkmal einer Rechtsverordnung als von der Exekutive erlassene, grundsätzlich abstrakt-generelle Regelung sei die Wahrnehmung delegierter Rechtsetzungskompetenz. 197 U. Ramsauer, ebd.; ebenso M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 147; H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 2; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 26 ff.; B. Busch, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, S. 111; wohl auch H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 14. Dieser problematisiert, dass auch dieses Indiz keine völlig eindeutigen Ergebnisse erbringe, weil mitunter auch Verwaltungsvorschriften, soweit sie eine gesetzliche Grundlage haben, ausdrücklich auf diese Rechtsgrundlage verwiesen, ders., aaO, Art. 80, Rn. 14, Fn. 57. Dies erscheint wenigstens insoweit zutreffend, als sich die Verwaltungsvorschriften nicht auf die Ermächtigung durch eine einzelne Norm, sondern pauschal auf ein gesamtes ermächtigendes Gesetz beziehen. 198 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 147 im Anschluss an F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 1. 199 Zu diesem Zusammenhang M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 150 sowie E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 76 f. 200 E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132, Fn. 2; H. Stolzlechner, in: Theorie der Rechtsetzung, 1988, S. 241, 243.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
GG 201 auf die Rechtsverordnung zwingend abhängig von der diesbezüglichen Bestimmung des Gesetzes. 202 Demnach hätte die Annahme eines zwingend abstraktgenerellen Charakters des Gesetzes gleichzeitig die Annahme eines zwingend abstrakt-generellen Charakters der Rechtsverordnung bedeutet. In ähnlicher Weise ist auch gegenüber Verwaltungsvorschriften und Satzungen aufgrund des normstrukturellen Gleichklangs zur Rechtsverordnung eine Abgrenzung nach materiellen Kriterien nicht möglich. 203 Diese Ergebnisse werden auch durch die einfachgesetzliche Analyse bestätigt. 204 Die Auswertung der am Beispiel des Umweltrechts untersuchten RechtsverordnunVgl. vorhergehend unter 2. Teil, II., 2., a). Hierzu aus der neueren Literatur A. Bleckmann, DVBl. 2004, S. 333, 337 mit einer vergleichsweise restriktiven Position zur Frage der Ausnahmen vom abstrakt-generellen Charakter: Ausnahmen seien aufgrund der hiermit verbundenen Infragestellung der Gewaltenteilung nur dann zuzulassen, wenn der zu regelnde Fall unter den Gesetzesvorbehalt fällt, also eine gesetzliche Regelung erforderlich wird, der betreffende Fall aber offensichtlich nur einmal auftritt. 203 Vgl. die Definition der Verwaltungsvorschriften als „regelmäßig abstrakt-generelle Regelungen, die von übergeordneten Stellen in der öffentlichen Verwaltung an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen und dazu dienen, die Organisation und das Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen“ bei A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S.61, 62 und die Einordnung bei F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 62: Satzungen sollten Selbstverwaltungseinheiten instandsetzen, sich zu organisieren und ihre Aufgaben auch durch den Erlass abstrakt-genereller Anordnungen wirksam zu erfüllen. 204 Vgl. hierzu M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 366: Rechtsverordnungen enthielten in der Regel generell-abstrakte Regelungen. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass sie zur Regelung von Einzelfällen eingesetzt werden. Vgl. ebd. zu verschiedenen Fällen aus der Rechtsprechung, denen eine Einzelfall-Verordnung zugrunde lag, so etwa im Rahmen kommunaler Gebietsreformen im Blick auf die Regelung des Art. 9 Abs. 2 der Bayerischen Landesverfassung BayVerfGH, VerwRspr. 1981, 257; vorhergehend BayVBl. 1972, 43; OVG Magdeburg, LKV 1995, 195 (Zuordnung von Gemeinden zu Verwaltungsgemeinschaften), bei der Festlegung von Datenverarbeitungszentralen (zu § 9 II Gesetz über die Organisation der automatisierten Datenverarbeitung in Nordrhein-Westfalen (betr. Kommunale Datenverarbeitungszentren) VerfGH NW, NJW 1979, 1201; vgl. auch OVG Magdeburg, GewArch 1996, 70, (Neuregelung von IHK-Grenzen), sowie der Zwangsfusion von Sparkassen (zu § 32 II SpKG NW VerfGH NW, DÖV 1980, 691). Teilweise wird auch in § 4 Fluglärmgesetz 1971 eine Ermächtigung zur Einzelfall-Verordnung gesehen. Auch Rechtsverordnungen zur Festsetzung von Lärmschutzbereichen behandeln der Sache nach die Regelung eines konkreten Einzelfalles, so etwa der Richter Hirsch in einem Minderheitenvotum zur Entscheidung BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen), 347, 349. Eine derartige Rechtsverordnung sei dem Bund als unmittelbarer Durchgriff auf die Gemeinden durch die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes versagt und damit verfassungswidrig (dissenting vote des Richtes Hirsch, ebd.), aA die Mehrheit des Senates vgl. BVerfGE 56, 298 ff. (Flugplatz Memmingen). H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 16 führt als rechtspraktische Beispiele für Rechtsverordnungen, denen es am abstrakt-generellen Charakter fehlt Eingemeindungsbeschlüsse der Landesregierung und Enteignungsbeschlüsse des Regierungspräsidenten an. Dies dürfe freilich nicht zum Formmissbrauch führen. Gelegentlich findet sich für diese Phänomene die Bezeichnung der „Maßnahmeverordnung“, vgl. N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 131 ff.; hierzu nochmals M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 141: „Maßnahmegesetze lassen sich ebensowenig vermeiden wie Maßnahmerechtsverordnungen.“ 201 202
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gen ergibt zwar, dass diese in ihrer weit überwiegenden Zahl abstrakt-generelle Inhalte aufweisen. So ist etwa die Operationalisierungsfunktion aus sich heraus auf Breitenwirkung angelegt, indem der Regelungsgehalt des Ermächtigungsgesetzes so konkretisiert werden soll, dass möglichst viele Fälle erfasst werden. Dieses Ziel lässt sich nur mit abstrakt-generellen Regelungen erreichen, gleiches gilt etwa für die Verordnungsfunktion der „Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns“. Andere Funktionen werden in ausdrücklicher Absage an die Alternative konkret-individueller Regelungsmodelle der abstrakt-generellen Regelung durch Rechtsverordnung zugeordnet, so insbesondere im Kontext der „Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips“. Jedoch ist der abstrakt-generelle Charakter der Rechtsverordnung mitunter auch weniger eindeutig. 205 Zweifel haben sich insbesondere im Bereich der Funktion der raumbezogenen Planung ergeben. Hier ergehen Pläne in der Rechtsform der Rechtsverordnung, 206 die zum einen zwar insoweit abstrakt-generelle Elemente enthalten als sie gegenüber einer unbestimmten Vielzahl künftiger Nutzungsfälle Geltung beanspruchen, zum anderen jedoch in nicht unwesentlichem Umfang Regelungen individuell-konkreter Natur treffen, beginnend bei der Inschutznahme eines spezifischen Landschaftsteils. 207 Je kleinteiliger die entsprechenden Rechtsverordnungen sind, desto weiter treten die abstrakt-generellen Elemente in den Hintergrund. 208 Unter Einbeziehung dieser Ausprägungen der Verordnungsgebung lässt sich der Nachweis des durchgehend abstrakt-generellen Charakters kaum überzeugend führen.209 Vielmehr belegt die Auswertung des Referenzgebietes Umweltrecht das Bestehen von Ausnahmen, wie sie auch aus anderen Rechtsgebieten bekannt sind.210 Die Rechtmäßigkeit dieser Ausnahmen und damit die Antwort auf die Frage, ob die Setzung abstrakt-genereller Normen jeder Rechtsverordnung immanent ist, entscheidet sich auf der Ebene des Verfassungsrechts und hängt davon ab, ob die Ver205 R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 382; zu Problembeispielen aus dem Sozialrecht P. Axer, Normsetzung der Exekutive im Sozialversicherungsrecht, 2000, S.40, Fn.111 mit Verweis auf mehrere Verordnungsermächtigungen, die einen Einzelfall regeln, so etwa § 143 Abs. 2 SGB V (Abgrenzung von Ortskrankenkassen durch Rechtsverordnung) und §145 Abs.1 SGB V (Vereinigung von Ortskrankenkassen durch Rechtsverordnung). 206 Vgl. 1. Teil, II., 4.; zum Plancharakter der Ausweisung von Schutzgebieten zudem nochmals W. Hoppe/M. Beckmann/P. Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 7, Rn. 106 ff., zur Einordnung von Plänen als Darstellungen oder Festsetzungen normativen Charakters als Kriterium der verfassungsrechtlichen Würdigung parlamentarischer und exekutiver Planungsentscheidungen P. Badura, in: FS Hoppe, S. 167, 168. 207 Näher 1. Teil, II., 4. 208 Man denke an die gestuften Unterschutzstellungen des Bayerischen Naturschutzgesetzes: Hier erfolgt durch Rechtsverordnung sowohl die Feststellung eines Naturschutzgebiets als auch die Feststellung eines einzelnen Naturdenkmals, näher hierzu 1. Teil, II., 4., b). 209 Erschwert wird die Abgrenzung durch die verwaltungsverfahrensrechtliche Positivierung des Instituts der Allgemeinverfügung (vgl. § 35 S. 2 VwVfG); hierzu und zur Tragfähigkeit der Annahme von „Hoheitsakten mit Doppelcharakter“ (BVerwGE 6, 213; 16, 83), die teils Rechtsnorm, teils VA seien, H.-G. Henneke, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 35, Rn. 25 f. 210 Näher hierzu H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 16; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 193 f.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
ordnungsgebung durch das Grundgesetzes auf die Setzung abstrakt-genereller Regelungen verpflichtet und begrenzt wird, oder ob das Grundgesetz Ausnahmen zulässt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in jüngerer Zeit insbesondere im Beschluss vom 17.7.1996 zur Südumfahrung Stendal 211 mit der notwendig abstraktgenerellen Natur staatlicher Rechtsetzung vor dem Hintergrund eines möglichen Verstoßes gegen das Prinzip der Gewaltenteilung auseinandergesetzt. 212 Im Blick auf das zugrunde liegende Investitionsmaßnahmegesetz des Bundestages zur Eisenbahnplanung 213 führt das Gericht aus, die Planungsentscheidung stelle keine abstrakt-generelle Vorgabe für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen dar. 214 Dennoch erachtet es die Regelung durch Gesetz für zulässig. 215 Schließlich könne Planung ebensowenig als ein Vorgang der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale einer abstrakt-generellen Norm verstanden werden. 216 Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist also – unabhängig von den Zweifeln, die bezüglich der Anwendung dieser Grundsätze auf den entschiedenen Fall der Südumfahrung Stendal aufgrund dessen vorhabenbezogenen Charakters verbleiben 217 – also im Feld der Planungsentscheidungen ein großer Bereich des Staatshandelns anzuerkennen, der sich einer strengen Differenzierung nach abstrakt-generellen und konkret-individuellen Inhalten entzieht. Innerhalb dieses Feldes der Planungsentscheidungen steht der Delegation an die Verordnungsgebung grundsätzlich nichts entgegen; deren Rechtmäßigkeit bemisst sich insbesondere nach dem Maßstab des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. 218
211 BVerfGE 95, 1 (Stendal). Dazu U. Hufeld, JZ 1997, S. 302 ff., W. Blümel, DVBl. 1997, S. 205 ff.; Ch. Schneller, ZG 1998, S. 179 ff.; O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123 ff., 169. 212 Der Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung wurde darin gesehen, dass es sich bei der Planung um einen der Exekutive vorbehaltenen Akt der Rechtsanwendung handele; so die Position der Antragstellerin im Verfahren nach Art.93 Abs.1 Nr. 2 GG, §76 BVerfGG, der Hessischen Landesregierung, vgl. BVerfGE 95, 1, 7 ff. 213 Ähnlich erschwert ist die Abgrenzbarkeit staatlicher Handlungsformen bei Problem des Smog-Alarms, dazu H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 9, Rn. 21 sowie U. Repkewitz, VerwArch 86 (1995), S. 88 ff. Zu weiteren Nachweisen vorhergehend in den Fn. bei 2. Teil, II., vor 3., a). 214 BVerfGE 95, 1, 16. 215 Eingeschränkt wird die Planungsbefugnis des Gesetzgebers durch das Erfordernis des Nachweises „guter Gründe“. Solche guten Gründe hat der Gesetzgeber im Fall der „Südumfahrung Stendal“ aus Sicht des BVerfG mit dem Hinweis auf die schnellst mögliche Stärkung der Wirtschaft in den neuen Ländern und auf die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse nachweisen können, BVerfGE 95, 1, 18. 216 BVerfGE 95, 1, 16. Es handle sich vielmehr um einen komplexen Prozess der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel (unter Verweis auf BVerfGE 80, 137, 162). 217 Darüber hinausgehend F. Ossenbühl, in: FS Hoppe, 2000, S. 183, 186, der der gesetzgeberischen Planung der Südumfahrung Stendal den Normcharakter abspricht. 218 Vgl. hierzu die Darstellung der Rechtsverordnung als Planungsinstrument bei M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 177.
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Darüber hinaus lassen sich verschiedene durchaus bedenkenswerte Argumente, die gegen die Planungsentscheidung durch Bundesgesetz und ihre Satisfaktion durch das BVerfG vorgebracht werden, wie etwa die Gefährdung der Garantien des Art. 19 Abs. 4 GG sowie die Gefährdung der vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, gegenüber der Planungsentscheidung durch Rechtsverordnung nur abgeschwächt geltend machen. Zum einen kommt Art. 19 Abs. 4 GG nach allgemeiner Auffassung gegenüber Rechtsverordnungen voll zur Geltung, zum anderen sind die Delegatare der Planungsentscheidungen in Verordnungsform weit überwiegend Landesbehörden. 219 In vielen Fällen auf der Grenze zwischen abstrakt-genereller und konkret-individueller Regelung, wie etwa bei der Ausweisung von Wasserschutz- und Naturschutzgebieten, beruht bereits die Delegation auf Landesgesetz. 220 Es lässt sich festhalten, dass im Bereich der Planungsentscheidungen ein Feld eröffnet ist, das sich der Erfassung mit dem Begriffspaar abstrakt-generell/konkret-individuell entzieht. Mit der Anerkennung von Planungsentscheidungen in der Form der Rechtsverordnung steht gleichzeitig fest, dass die Statuierung abstrakt-genereller Inhalte kein zwingendes Merkmal der Verordnungsgebung, sondern lediglich der – für Ausnahmen offene – Regelfall ist. 221 4. Ebenfalls keine Primärfunktion: Die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung Neben der Entlastung des Parlaments, der Dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts und der Setzung abstrakt-genereller Normen wurde vorhergehend auch die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung als mögliche Primärfunktion der Rechtsverordnung genannt. 222 Bezug genommen wurde dabei auf die Vielzahl von Autoren, die der Rechtsverordnung eine besondere Befähigung zur Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung zuspre219 Hierzu die Aufstellung zur umweltrechtlichen Verordnungsgebung am Beispiel des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 1. Teil, II., 4., a). 220 Neben der Argumentation aus der spezifischen Natur von Planungsentscheidungen spricht auch die aus der Grundentscheidung der Verfassung für die parlamentarische Demokratie folgende exponierte Stellung des Parlaments dagegen, die Zulässigkeit einer Verordnungsermächtigung davon abhängig zu machen, dass die im Verordnungsrange nachfolgenden Normen abstrakt-genereller Natur sind, vgl. BVerfGE 25, 371, Ls. 1 und S. 396 mit der grundsätzlichen Anerkennung sogenannter Maßnahmegesetze; hierzu N. Achterberg, in: Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 295 ff. Die in Art. 76 ff. GG erfolgte Begrenzung auf das Rechtsetzungsinstrument des Gesetzes schränke die Gestaltungsfreiheit des Parlaments nur hinsichtlich der Handlungsform ein, eine Verpflichtung auf einen bestimmten materiellen Gesetzesbegriff gehe damit nicht einher, so C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 67 mit weiteren Nachweisen. 221 Zu den Rationalitätsgarantien, welche der Rechtsverordnung durch den regelmäßig abstrakt-generellen Charakter vermittelt werden, nachfolgend 4. Teil, I., 1. u. 2. 222 Vgl. 2. Teil, II., vor 1.
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2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
chen. 223 Hierzu konnte im Rahmen der einfachgesetzlichen Analyse der Beschleunigungs- und Flexibilisierungsfunktion gezeigt werden, dass die Topoi „Beschleunigung“ und „Flexibilisierung“ eine Relation beschreiben. Es liegen hier also jedenfalls keine der Rechtsverordnung abstrakt zugewiesenen Merkmale einer Funktionsexklusivität vor, sondern allenfalls Aussagen über das Verhältnis der Rechtsverordnung zu anderen Rechtsetzungsformen. 224 Eine Beschleunigungswirkung der Rechtsverordnung im Abgleich zu den nichtverordnungsrechtlichen untergesetzlichen Rechtsetzungsformen kommt auf der Grundlage der Untersuchung der rechtspraktischen Ausgestaltung dieser Alternativen kaum in Betracht. 225 Auch wenn sich viele in das Flexibilitätspotential der Verwaltungsvorschriften gesetzte Erwartungen rechtspraktisch nicht erfüllten, fällt dieses jedenfalls nicht hinter jenes der Rechtsverordnung zurück. 226 Die verfassungsrechtliche Zuordnung von Beschleunigungs- und Flexibilitätseffekten ist also im Verhältnis der Verordnungsgebung zur Gesetzgebung zu suchen. Bereits eine Analyse der unmittelbaren verfassungsrechtlichen Vorgaben zeigt, dass die Art. 76 ff. GG die Rechtsverordnung in erster Linie als exekutives Rechtsetzungsinstrument zur Entlastung des Parlaments konzipieren: Die Dauer und Struktur des exekutiven Normierungsprozesses und deren Relation zum Gesetzgebungsverfahren sind nur höchst mittelbar Regelungsgegenstand des Siebten Abschnitts des Grundgesetzes. 227 Bereits das Gesetzgebungsverfahren obliegt zu einem Gutteil der autonomen Ausgestaltung durch die Geschäftsordnung des Bundestages.228 Das Grundgesetz ordnet zwar die Beteiligung des Bundesrates und die Gesetzesausfertigung durch den Bundespräsidenten an, nicht aber die zeitintensiven Ausschussberatungen oder die Erstreckung der parlamentarischen Beratungen auf insgesamt drei Lesungen.229 In erheblichem Umfang liegt damit die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens nicht 223 Hervorhebung der Verordnungsgebung als „regelmäßig schnelleres Handeln der Exekutive“ etwa bei M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 8; ähnlich F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 218: Rechtsverordnungen seien wegen ihrer „flexiblen Struktur (...) geschmeidiger und leichter änderbar“ als das Gesetz; J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S.263: Die Rechtsverordnung als „flexibles Instrument zur Fortschreibung gesetzlicher Grundentscheidungen“; R. Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 1994, S. 246; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 686: Funktion der Rechtsverordnung als flexibles Instrument (im Zusammenhang mit der Herleitung der Zulässigkeit von Maßgabebeschlüssen des Bundesrates); T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.51: Im Vergleich zum Gesetzgebungsverfahren „höhere Effizienz und Flexibilität“ der Rechtsverordnung; M. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337, 340: Die Rechtsverordnung als das häufig „geschmeidigere und funktionstüchtigere Instrument“. 224 Zum Zusammenhang zwischen Flexibilisierung und Steuerungsfähigkeit des Rechts D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S.651, 655: Eine Norm, die so flexibel sei, dass man sie nach allen Seiten biegen könne, besitze keine Steuerungskraft mehr. 225 Hierzu die Nachweise unter 1. Teil, II., 2., c). 226 1. Teil, II., 2., c) und nachfolgend 4. Teil, IV., 1., c). 227 Vgl. 1. Teil., 2., a), (1). 228 Vgl. 1. Teil, II., 2., a), (1). 229 Vgl. nochmals §§ 78 ff. GOBT und die Erläuterungen im 1. Teil, II., 2., a), (1).
II. Der Grundmodus der Rechtsverordnung
233
nur in politischer, sondern auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in den Händen der am Rechtsetzungsprozess beteiligten Organe. 230 Für das Verfahren der Verordnungsgebung gilt dies in noch gesteigertem Maße. Hier regelt das Grundgesetz in Art. 82 die Beteiligungsrechte des Bundesrates, die aber gegenüber dem Gesetzgebungsverfahren bereits deutlich zurückgenommen sind. 231 Unterhalb der Verfassungsebene erfährt das Verfahren der Verordnungsgebung zunächst eine Reglementierung durch die Exekutive – also etwa durch die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. 232 Darüber hinaus unterliegt das Verfahren der Verordnungsgebung aber vor allem der Ausgestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Dieser vermag einfachgesetzlich erhebliche Verzögerungen des exekutiven Rechtsetzungsverfahrens herbeizuführen, indem er beispielsweise die Beteiligungsrechte des Bundesrates weit über das grundgesetzlich geforderte Maß hinaus ausdehnt, Anhörungserfordernisses zugunsten beteiligter oder interessierter Kreise oder sachverständiger Kommissionen statuiert oder Mitwirkungsbefugnisse zugunsten des Bundestages anordnet. 233 Für das Gebrauchmachen des Gesetzgebers von dieser Freiheit der Verfahrensgestaltung hat die Analyse des umweltrechtlichen Normmaterials vielfältige Beispielsfälle aufgezeigt, in denen die Verordnungsgebung aufgrund verschiedener Beteiligungsrechte gesellschaftlicher Kreise, des Bundesrates und des Bundestages enormen Zeitverzögerungen unterliegt. 234 Es zeigt sich also, dass die Entscheidung über das jeweilige Maß an Flexibilität und Rechtsetzungsgeschwindigkeit beim Gesetzgeber liegt. 235 Solange die LetztverHierzu die Nachweise in 1. Teil, II., 2. Ausführlich 1. Teil, II., 2., a), (1). Außerhalb der von Art. 82 GG erfassten Rechtsverordnungen besteht anders als im Verfahren der Gesetzgebung ein Feld der Rechtsetzungstätigkeit, das komplett frei ist von Mitwirkungsrechten des Bundesrates, da für die Verordnungsgebung kein Pendant zu den Einspruchsgesetzen besteht. Zudem besteht die Regelung des Art. 82 GG „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung“, was bedeutet, dass sich die Mitwirkungsrechte des Bundesrates einfachgesetzlich abbedingen lassen. Auch entfällt die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten. 232 1. Teil, II., 2., a), (1). 233 Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens der Verordnungsgebung wird in der Literatur oftmals zum Anlass genommen, der Rechtsverordnung als solcher eine besondere Langsamkeit und dementsprechende Rückständigkeit gegenüber Handlungsformen wie den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften oder der Rezeption privater Regelwerke zu attestieren, so etwa T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73, 95, bzw. H. Kremser, JZ 1997, S. 898, 899. 234 Deutlich zu dieser Konsequenz F. Merli, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S. 353, 378 f., der im Blick auf die Forderung nach einer „Demokratisierung der Verordnungsgebung“ durch verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung ausführt: „Selbstverständlich bedeutet dies Zeitverzögerungen; wenn wir Demokratie aber mindestens so ernst nehmen wie private Normungsvereine, sollten wir sie in Kauf nehmen.“ 235 Anderer Ansicht wohl R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 195, abstellend auf eine stärker verfassungsunmittelbare Determinierung: Mit Blick auf die Struktur des Entscheidungsverfahrens sei in Rechnung zu stellen, dass das Gesetzgebungsverfahren in den Art. 76 ff. GG 230 231
234
2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
antwortung des Verordnungsgebers gewahrt bleibt, ist von Verfassungs wegen auch eine Verfahrensgestaltung hinzunehmen, die einer effizienten Verordnungsgebung offenkundig entgegensteht 236 und die Gefahr läuft, sogar hinter den entsprechenden Parametern des Gesetzgebungsverfahrens zurückzubleiben. Dies bestätigt das Ergebnis der vergleichenden Analyse von Helmuth Schulze-Fielitz zur Rechtsetzungsgeschwindigkeit bei Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften: „Weniger die rechtlichen Handlungsformen als die rechtspolitischen Kontexte sind die entscheidenden Determinanten für staatliches Handeln.“237 Die Erzielung von Beschleunigungs- und Flexibilisierungseffekten ist also eine zwar rechtspolitisch wünschenswerte, nicht aber verfassungsrechtlich zwingende Eigenschaft der Rechtsverordnung. Eine Primärfunktion der Rechtsverordnung ist bei der „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“ nicht gegeben. 5. Das Grundgesetz bestimmt (nur) den Grundmodus der Verordnungsgebung Die vorhergehende Untersuchung war gerichtet auf die Aufklärung der verfassungsrechtlichen Determinierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung. In dieser Absicht wurden die dem Gesetzgeber vorgegebenen Primärfunktionen der Rechtsverordnung ermittelt. Nur zwei der vier in Betracht gezogenen Größen haben die dargelegten Voraussetzungen der (1) verfassungsrechtlichen Anordnung und der (2) Funktionsexklusivität im Verhältnis der Rechtsetzungsformen erfüllt: Primärfunktion der Rechtsverordnung ist zum ersten die „Entlastung des Parlaments“, zum zweiten die „Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“. Die Vorgaben des Grundgesetzes an die mit der Rechtsverordnung zu verfolgenden Zwecke sind also von begrenztem Umfang. In weitaus größerem Maße eröffnet das Grundgesetz den funktionalen Einsatz der Rechtsverordnung der Ausgestaltung durch den detailliert geregelt sei. Demgegenüber sei das Verfahren der Verordnungsgebung mit Ausnahme der Ausfertigung und Verkündung (Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG) und des Inkrafttretens grundgesetzlich überhaupt nicht normiert und bleibe statt dessen der Geschäftsordnungsregelung der Regierung überlassen. Da das hier vorgesehene Verfahren gegenüber dem Gesetzgebungsverfahren denkbar einfach und zudem an Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet sei, erweise sich das parlamentarische Verfahren grundsätzlich als wesentlich formalisierter, zeitaufwendiger und im Ganzen weniger flexibel und weniger zur raschen Rechtsetzung und Rechtsänderung geeignet. Vgl. auch die Schlussfolgerungen zur verfassungsrechtlich begründeten qualitativen Differenz zwischen dem Parlamentsgesetz und der Rechtsverordnung unter Zugrundelegung des Kriteriums der Funktionsgerechtigkeit bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 51 f.; vgl. auch nochmals die Nachweise zur Position von A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000 unter 2. Teil, I., 1. 236 In der Rechtswissenschaft wird mitunter sogar in entgegengesetzter Richtung angenommen, derartige Verfahrensbeteiligungen seien insbesondere im Hinblick auf die Öffentlichkeitsbeteiligung grundgesetzlich geboten; vgl. etwa G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219, 244; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 170; eingehend hierzu 3. Teil, VII., 3. 237 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR, 2003, S. 443, 471.
III. Der Steuerungsmodus der Rechtsverordnung
235
Gesetzgeber. 238 Auf die oben skizzierte Funktionsstruktur zurückkommend, nach welcher im gesetzgeberischen Delegationsakt die ständigen, dauerhaften Verordnungsfunktionen (Primärfunktionen) mit jeweils weiteren, nicht-ständigen Funktionen (Sekundärfunktionen) gekoppelt werden, lässt sich mithin feststellen: Die jeder Delegation an den Verordnungsgeber immanenten Funktionen sind die Entlastung des Parlaments und die dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts. Über die Zuordnung aller weiteren Verordnungsfunktionen entscheidet das spezifische Delegationsgesetz. Die Verfassung beschränkt sich also mit der Vorgabe weniger Verordnungsfunktionen darauf, einen Grundmodus der Verordnungsgebung zu konstituieren. 239 Dieser Grundmodus konstituiert sich nach den dargelegten Voraussetzungen durch die Primärfunktionen: 1. Entlastung des Parlaments (als Primärfunktion im Verhältnis zum Gesetz) 2. Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts (als Primärfunktion im Verhältnis zu den Satzungen und Verwaltungsvorschriften). Dem Grundmodus der Rechtsverordnung wird im Folgenden der korrespondierende Steuerungsmodus gegenüberstellt. Als solcher wird der – nicht nur im „Ob“, sondern auch im „Wie“ – der Ausgestaltung des delegierenden Gesetzgebers überlassene Funktionsbereich bezeichnet, der als Bereich der nicht-ständigen, wechselnden Sekundärfunktionen der Rechtsverordnung insbesondere das Feld der akteursbezogenen Regulierung eröffnet.
III. Der Steuerungsmodus der Rechtsverordnung: Speicher der Sekundärfunktionen Die Funktionsstruktur der Rechtsverordnung lässt sich nach den vorhergehend gefundenen Ergebnissen ausdifferenzieren nach Grundmodus und Steuerungsmodus. Den Grundmodus bestimmen die verfassungsrechtlich und funktionsexklusiv vorgegebenen Primärfunktionen der Entlastung des Parlaments und der Dekonzen238 Diese prinzipielle Freiheit des Gesetzgebers kommt auch bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 52 ff. zum Ausdruck, der im Rahmen der Auseinandersetzung von „Rechtsetzungsfunktion“ und „Rechtsanwendungsfunktion“ der Verordnungsgebung ausführt: Einer allgemeinen funktionalen Typisierung und Zuordnung von Verordnungsregelungen seien jedoch diejenigen Regelungen entzogen, die der Gesetzgeber im Einzelfall als notwendig und politisch wünschenswert erachte. Insoweit lasse sich nur sagen, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen stehe, durch entsprechend strikte normative Vorgaben die Verordnungsregelung funktional auf den Bereich der Rechtskonkretisierung zu beschränken. 239 Funktionsschemata wie jenes bei von T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 49 ff. zum Ausdruck kommende, nach welchem der Verordnungsgeber „zur Regelung entscheidungsarmer, nur kurzfristig relevanter oder technischer Gegenstände berufen“ sei (ders., aaO, S. 51), können demnach nur als rechtspolitische Forderung aktualisiert werden, nicht aber aber als verfassungsrechtliche Delegationspflicht. Vgl. zu ähnlich gelagerten Ansätzen, etwa von F. Kraatz und A. v. Bogdandy, nochmals die Nachweise bei 2. Teil, I., 1.
236
2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
trierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts. Dieser zurückgenommenen verfassungsrechtlichen Determinierung – nicht des „Ob“, sondern des „Wie“ der Funktionenzuordnung – steht ein ungleich größeres Feld von Verordnungsfunktionen gegenüber, die der freien Zuordnung durch den delegierenden Gesetzgeber unterliegen. In diesem weiten Feld des Steuerungsmodus finden sich alle Funktionen der Rechtsverordnung, die die oben dargelegten Voraussetzungen einer Primärfunktion nicht aufweisen, denen es also entweder an einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Zuordnung oder am Abgrenzungspotential im Verhältnis der Rechtsetzungsformen fehlt. Die Sekundärfunktionen ergeben sich also nach einer negativen Abgrenzung (Substraktionsmethode). 240 In der einfachgesetzlichen Ausprägung sind die im Steuerungsmodus anzusiedelnden Sekundärfunktionen spezifisch-partikularen Charakters und demnach keine verbindenden Elemente aller Verordnungsfunktionen. 241 Dem Steuerungsmodus der Rechtsverordnung zuzuordnende Funktionen sind nach den dargelegten Voraussetzungen: – die Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion – die Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips – die Setzung abstrakt-genereller Normen – die Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung – die Raumbezogene Planung – die Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns – die Adaption des staatlichen Instrumentenwandels – die Inkorporation des EG-Rechts – die Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen – die Bewältigung normstruktureller Systembrüche. 242 In Ermangelung verfassungsrechtlicher Vorgaben obliegt die Zuordnung der Bewältigung dieser Aufgaben zur Rechtsform der Rechtsverordnung allein dem Gesetzgeber. Um eine abschließende Aufstellung handelt es sich dabei nicht.243 Hierzu bereits oben 2. Teil, vor II. Vgl. umgekehrt zur einfachgesetzlichen Ausprägung der Primärfunktionen als Elemente einer jeden Funktionszuordnung und damit eines jeden Delegationsakts die Nachweise für die Entlastung des Parlaments unter 2. Teil, II., 1., b); für die Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts unter 2. Teil, II., 2., vor a). 242 Zur Einordnung der „Setzung abstrakt-genereller Normen“ sowie der „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“ eingehend unter II. Teil, II., 3. und 4. 243 Vgl. die Ausführungen zur Frage des abschließenden Charakters der am Beispiel des Umweltrechts erfassten Funktionen der Rechtsverordnung in der Zusammenfassung unter 1. Teil, V., 1. 240 241
IV. Originärer Bereich und eigenständiges Leistungsprofil der Rechtsverordnung 237
Eine bedeutende Frage ist auf der hier skizzierten Ebene der als Steuerungsmodus zusammengefassten Sekundärfunktionen noch nicht entschieden: Jene nach der materiellen Steuerungshoheit im Verhältnis von parlamentarischem Gesetzgeber und Verordnungsgeber. Das Problem des Zuschnitts des Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung mit Festsetzung der Ermächtigungsnorm lässt sich wenigstens gedanklich getrennt von der Frage erfassen, ob die Rechtsverordnung als Instrument der Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber zum Einsatz gebracht wird oder als Instrument der Selbststeuerung der Exekutive. 244 Die Ausrichtung des steuerungsinstrumentellen Charakters der Rechtverordnung hängt vielmehr in entscheidendem Maße von der Regelungsdichte und Determinationskraft ab, mit der die gesetzliche Ermächtigungsstruktur ausgestattet wird.245 Allerdings hat die Zusammenfassung des Ersten Teils bereits angedeutet, in welche Richtung sich die Verteilung der materiellen Steuerungshoheit im Verhältnis von Gesetz- und Verordnungsgeber entwickelt: Das parlamentarische Gesetz verliert an Steuerungskraft, die Rechtsverordnung wird zum „eigentlichen Steuerungsinstrument“ gegenwärtigen Staatshandelns. 246
IV. Originärer Bereich und eigenständiges Leistungsprofil der Rechtsverordnung In den vorgehenden Abschnitten konnte zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik der Rechtsverordnung gezeigt werden, dass der parlamentarische Gesetzgeber zum einen keinen Bindungen in der Entscheidung über das „Ob“ der Delegation eines Regelungsgegenstandes an den Verordnungsgeber unterliegt, zum anderen aber hinsichtlich des „Wie“ der Delegation mit den zwei vorgegebene Primärfunktionen der „Entlastung des Parlaments“ und der „Dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ operieren muss. Hieran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, welche Rückschlüsse sich aus dieser Erkenntnis für den rechtsetzungsorganisatorisch originären Bereich der Rechtsverordnung ableiten lassen. 247 In diesem Sinne wird nachfolgend versucht, die Erkenntnisse zum Funktionssystem der Rechtsverordnung unter dem Aspekt einer „Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsreformen“ nutzbar zu machen.
244 Vgl. zu dieser Unterscheidung F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 275. 245 Zu den Rückwirkungen einzelner und kombinierter Funktionszuordnungen auf die Beschaffenheit der Ermächtigungsnormen im 3. Teil, II., 1. 246 Hierzu 1. Teil, V. und das Zitat von P. Badura, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 45, 46. 247 Vgl. in der Einl., I., 3.
238
2. Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik
1. Die Konzeption einer Theorie des Regulatory Choice Die Entwicklung einer derartigen Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen wird in der Rechtswissenschaft seit geraumer Zeit verstärkt gefordert, 248 mitunter wird dasselbe Anliegen auch als Notwendigkeit der Entwicklung einer Theorie des „Regulatory Choice“ oder einer „Rechtsetzungsorganisationslehre“ 249 bezeichnet. 250 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Feststellung, dass es keine Theorie darüber gebe, welche rechtlichen Regelungsformen in Zeiten einer „regulatorischen Überforderung des Staates“ zur „Lösung der komplexen Steuerungsaufgaben“ zur Verfügung stünden, wie ihr Verhältnis zueinander beschaffen sei und nach welchen Kriterien unter ihnen eine Auswahl getroffen werden könne und müsse. 251 Hier soll nun in diesem Sinne versucht werden, aus der Analyse des Funktionssystems der Rechtsverordnung Rückschlüsse auf den Gegenstand einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen zu ziehen. 2. Der originäre Bereich der Rechtsverordnung Der gegenüber Gesetz, Satzung und Verwaltungsvorschriften originäre Bereich, gewissermaßen das spezifische Leistungsprofil der Rechtsverordnung gegenüber anderen Rechtsetzungsformen, ergibt sich aus der Zusammenschau der Primärfunktionen. Materielle Kriterien wie etwa der abstrakt-generelle Charakter der Regelung oder das Wirksamwerden der Regelung im Außenverhältnis sind nicht heranzuziehen. 252 Denn der abstrakt-generelle Gehalt von Rechtsverordnungen ist wie aufge248 Vgl. insbesondere G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 960; ders./ Ch. Bumke, in: Die Zukunft des deutschen Bilanzrechts, 2000, S. 71 ff. sowie W. HoffmannRiem, in: Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229 ff.; hierzu bereits die Darstellung unter 2. Teil, I., 2. 249 Vgl. P. Lerche, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 51 unter Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen im Referat von F. Ossenbühl in demselben Band, S. 27 ff. 250 Vgl. G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 960. Zu Versuchen über die Rechtsformwahl am Beispiel des Umweltrechts vgl. A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 70 ff.: Am Beispiel der Umweltstandards zeige sich, dass es keine feststehende Ebene in der Normenhierarchie für eine bestimmte zu treffende Regelung gebe; ähnlich auch P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 157, 160: Das Auswahlermessen hinsichtlich der Rechtsform sei gesetzlich nicht strukturiert und auch theoretisch kaum strukturierbar; vgl. weiterhin SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 892: In der Praxis erfolge die Wahl der Regelungsform unabhängig von dem jeweiligen Regelungsinhalt. Stattdessen könne auf eine „intuitive, quasi-vorrechtliche und kulturell geprägte Vorstellung davon zurückgegriffen werden, welche äußere Form zu welcher inhaltlichen Gestaltung passe“; zum Problem auch R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S.203 f.; M. Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187, 202 sowie H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 176. 251 G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 960, 961. 252 Dazu die Ausführungen unter 2. Teil, II., 3. u. 4.
IV. Originärer Bereich und eigenständiges Leistungsprofil der Rechtsverordnung 239
zeigt zwar regelmäßiger, nicht aber zwingender Inhalt. Die Orientierung am Außenverhältnis scheitert daran, dass der Verordnungsgeber bei Vorliegen einer entsprechenden Verordnungsermächtigung nicht gehindert ist, auch in den Bereichen Rechtsverordnungen zu erlassen, in denen er möglicherweise auch mit Verwaltungsvorschriften auskäme. 253 Hiernach erfolgt die Bestimmung der Rechtsverordnung in Beschränkung auf formale Kategorien. Das exklusive Potential der Rechtsverordnung besteht danach in der gleichzeitigen Erreichung der Entlastung des Parlaments (erste Primärfunktion) und der dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts (zweite Primärfunktion). Verfassungsrechtlich vorgegeben ist die strenge Gesetzesakzessorietät. 254 Im Blick auf die Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen bedeutet dies: Der Gesetzgeber greift immer dann zur Rechtsverordnung, wenn er einerseits eine Entlastung des Parlaments anstrebt, andererseits aber zugleich in dekonzentrierender Perspektive allgemeinverbindliches Recht setzen will. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben steht die Verordnungsgebung dabei in notwendiger Abhängigkeit von der einfachgesetzlichen Ermächtigungsnorm. 255 Danach stellt sich die Rechtsverordnung für die Bestimmung des Gegenstandes einer Theorie des Regulatory Choice dar als das Instrument der (1) gesetzesakzessorischen, (2) dekonzentrierenden, (3) auf Allgemeinverbindlichkeit abzielenden (4) Selbst-Entlastung des Parlaments.
253 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 31 in Abgrenzung zur Auffassung von D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV 5. 254 Statt vieler J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 5. 255 Vgl. hierzu in der Einl., I., 3. Zur Entwicklung eines Konzepts der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung, differenzierend nach einem formalen und einem materiellen Strang im 3. Teil, III., 1.
Dritter Teil
Die Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Die Analyse und Systematisierung der verwaltungsrechtlichen Ausprägungen der Rechtsverordnung im Ersten Teil der Arbeit hat die gesetzgeberische Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung zur nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativfunktional dominierenden Rechtsetzungsform des Staatshandelns unter den Bedingungen technologischer Umbrüche, struktureller Ungewissheitsbedingungen und verstetigter Internationalisierung gezeigt. 1 Weiterhin konnte im Zweiten Teil die Struktur der Rückbindung der einfachgesetzlichen Funktionszuordnungen an die Vorgaben des Grundgesetzes aufgehellt werden: Von Verfassungs wegen enthält die Funktionsstruktur eines jeden Delegationsakts an den Verordnungsgeber als Grundmodus der Rechtsverordnung die beiden Primärfunktionen der „Entlastung des Parlaments“ und der „Dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“. 2 Die Zuordnung weiterer Verordnungsfunktionen obliegt der Hoheit des Gesetzgebers. 3 Diese Sekundärfunktionen konstituieren demnach den Steuerungsmodus der Rechtsverordnung, da hier die eigentliche Programmierungs- und Steuerungsarbeit des besonderen Verwaltungsrechts stattfindet. 4 Diese Unterscheidung ermöglicht weitere Rückschlüsse zum gegenüber anderen Rechtsetzungsformen originären Bereich der Rechtsverordnung und dementsprechend zur Verortung der Rechtsverordnung innerhalb einer Theorie des Regulatory Choice als Instrument (1) der gesetzesakzessorischen, (2) dekonzentrierenden, (3) auf Allgemeinverbindlichkeit abzielenden (4) Selbst-Entlastung des Parlaments. 5 Der Vorrang des Verfassungsrechts 6 erfordert über die herausgearbeiteten Bausteine zur Funktionsstruktur der Rechtsverordnung hinaus eine eingehende verfassungsrechtliche Kritik der raumgreifenden einfachgesetzlichen Handhabung der Rechtsform der Rechtsverordnung. Noch ist nichts gesagt zu den verfassungsrechtVgl. die Zusammenfassung 1. Teil, V., 2. 2. Teil, II., 1. und 2. 3 2. Teil, II., 2., e). 4 2. Teil, III., 2. 5 2. Teil, IV. 6 Vgl. die Nachweise in der Einl., I., 3., im 2. Teil, vor I. sowie R. Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff. und in rechtsvergleichender Perspektive W. Heun, in: VVDStRL 61 (2002), S. 81 ff. 1 2
I. Regelungsstrukturen gegenwärtigen Staatshandelns
241
lichen Problemen, die mit der Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung verbunden sind, gleichermaßen nicht zur potentiellen Gefährdung kategorialer Prinzipien des Grundgesetzes. Demnach gilt es nun, herauszuarbeiten, welche verfassungsrechtlichen Probleme im Kontext der Funktionenzuordnung zur Rechtsverordnung aufgeworfen sind und diese auseinanderzusetzen. 7
I. Regelungsstrukturen gegenwärtigen Staatshandelns Zunächst lässt sich anknüpfen an die ausgangs des Ersten Teils getroffene Analyse der Verteilung qualitativ-funktionaler Steuerungselemente im Verhältnis der Rechtsetzungsformen. Die Zusammenschau des umfassenden und variantenreichen Funktionsbereichs der Rechtsverordnung mit dem dezidiert zurückgenommenen materiellen Gehalt der Umweltgesetze hatte die weitestgehende Überantwortung der umweltrechtlichen Steuerungs- und Programmierungsarbeit an die exekutive Verordnungsgebung gezeigt. Die demgemäß skizzierten Normstrukturen des Referenzgebiets Umweltrecht sollen im Folgenden auf ihre verfassungsrechtlichen Implikationen hin näher untersucht werden: Zunächst lässt sich aus der Aufstellung und Klassifizierung des Ersten Teils eine typische Regelungsstruktur umweltrechtlicher Gesetzgebung ersehen. Der Gesetzestext wird eröffnet mit offen gehaltenen Zweck- und Zielbestimmungen. 8 Die Festlegung der Regelungsgegenstände leitet Vgl. hierzu die Ausführung in der Einl., I., 3. Vgl. etwa § 1 Abs. 1 BImSchG: „Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“; §1 GenTG: „Zweck dieses Gesetzes ist, 1. Leben und Gesundheit von Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen und 2. den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen“; § 1 KrW-/AbfG: „Zweck des Gesetzes ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen und die Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen“; § 1 ChemG: „Zweck des Gesetzes ist es, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, insbesondere sie erkennbar zu machen, sie abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen“; § 1 BBodSchG: „Zweck dieses Gesetzes ist es, nachhaltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wiederherzustellen. Hierzu sind schädliche Bodenveränderungen abzuwehren, der Boden und Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewässerverunreinigungen zu sanieren und Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden zu treffen. Bei Einwirkungen auf den Boden sollen Beeinträchtigungen seiner natürlichen Funktionen sowie seiner Funktion als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte so weit wie möglich vermeiden werden“; § 1 a Abs. 1 S. 1 WHG: „Die Gewässer sind als Bestandteil des Naturhaushalts und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaften, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen, vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen und der direkt von ihm abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt unterbleiben und damit insgesamt eine nachhaltige Entwicklung gewährleistet wird.“ 7 8
16 Saurer
242 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung über zur Delegation an untergesetzliche Normgeber. 9 Die daraus folgende quantitative Dominanz des untergesetzlichen Normbestandes wird in der Literatur mit dem Bild der umweltrechtlichen „Regelungspyramiden“ dargestellt. 10 Dabei kennt das Umweltrecht verschiedene Ausprägungen von Typen privater, halbstaatlicher und staatlicher Normsetzung, 11 ein Phänomen, das gelegentlich unter der Bezeichnung der „kooperativen Standardsetzung“ firmiert. 12 1. Normstrukturen und verfassungsrechtliche Implikationen im Referenzgebiet des Umweltrechts Das Referenzgebiet des Umweltrechts wird dominiert von weit gefassten Ermächtigungsnormen und unbestimmten Rechtsbegriffen, die nur schwerlich eine steuerungsstarke Regelungsprogrammierung vorzugeben vermögen. 13 Der der Verwaltung erteilte „Vollzugsauftrag“ lässt regelmäßig nur unzulängliche Richtpunkte für den Ausgleich öffentlicher und privater Sicherheits- und Nutzungsinteressen erkennen. 14 Dies zeigt sich am Beispiel einzelner Normierungen, so etwa des BundesImmissionsschutzgesetzes (beginnend bei dem von § 7 Abs. 1 in Bezug genommenen Pflichtenkatalog des § 5 Abs. 1 BImSchG) 15 und des Kreislaufwirtschafts- und 9 Klassifizierung möglicher Delegatare und Beteiligungsstrukturen bei E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, Rn. 8 ff.; I. Lamb, Kooperative Normkonkretisierung, 1995, S. 150 ff. 10 A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 39. 11 Im Überblick H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 469 ff.; vgl. auch die Typologie der Normsetzungsverfahren des Kapitalmarktrechts bei S. Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, der „Verstaatlichte“ private Normsetzung (S. 124 ff.), Staatliche Rechtsnormsetzung unter Inbezugnahme privater Normen ((S. 173 ff.), Private Rechtsetzung innerhalb einer staatlichen Rahmenordnung (S.227 ff.) und Private Normsetzung ohne Rechtsverbindlichkeit (S. 278 ff.) unterscheidet. 12 I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 71. 13 Dazu Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S.185 ff.; F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.27, 37; D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 665; S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 199: Die Bestimmtheit umweltrechtlicher Normen als eines der zentralen rechtsstaatlichen Probleme des Rechtsgebiets; M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 333 f. Mit dem Ergebnis der Unvereinbarkeit der Verordnungsermächtigung des § 14 Abs. 2 AbfG 1986 mit den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG K. H. Friauf, in: FS B. Börner, 1992, S. 701, 711 ff. 14 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 129. Die Konkretisierung der gesetzlichen Schutzziele, etwa in Kriterien der Typisierung und Pauschalierung von Sachverhalten, in Konzepten zur Risikovorsorge und Maßstäben für den Risikovergleich und in fachgesetzübergreifenden Bewertungs- und Ausgleichsgrundsätzen sei administrativer Regelbildung überlassen. 15 Vgl. J. Wolf, JbUTR 2004, S. 87, 98 f.; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 208 und öfter; Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff.; zur Einschätzung der konkretisierungsbedürftigen zentralen Begriffe des BImSchG und des AtomG als „hochgradig unbestimmt“ und gleichwohl von erheblichem politischen Gewicht L. Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, 1992, S. 146 f.; zur Rückführbarkeit der Genehmigungsvorschriften des Atomgesetzes wie des Bundes-Immissions-
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Abfallgesetzes, wo der Gesetzgeber „die Konkretisierung des Abfallbegriffs sowie der gesetzlichen Grundsätze und Grundpflichten in weitem Umfang untergesetzlichen Regelwerken, insbesondere dem Verordnungsgeber“ 16 überlassen hat. 17 Ähnlich zurückgenommen ist auch der Steuerungsanspruch des Chemikaliengesetzes18 und des Gentechnikgesetzes. 19 Die inhaltliche Determinierung der Ermächtigungsnormen soll zu einem großen Teil über die Ausrichtung auf die allgemeinen Zweckbestimmungen des jeweiligen Gesetzes 20 erfolgen. 21 Deren Vorgaben gehen dabei oftmals kaum über das hinaus, was bereits an verfassungsrechtlicher Determinierung aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und der verfassungsunmittelbaren Staatsaufgabe Umweltschutz abgeleitet wird. 22 Besonders anschaulich sind diesbezüglich – da mit derselben Regelungsstruktur in all diesen Gesetzen enthalten – die Ermächtigungen zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften. 23 Die bloße Erhöhung der Zahl von Verordnungsermächtigungen führt zu keiner Änderung dieses Befundes; in Fällen wie dem des Chemikaliengesetzes mit seinen 20 Verordnungsermächtigungen 24 ist im Gegenteil keine erhöhte Steuerungskraft, sondern lediglich eine Zunahme an Unübersichtlichkeit zu verzeichnen. 25
schutzgesetzes auf das Strukturmodell der gewerberechtlichen Anlagengenehmigung U. K. Preuß, in: FS H. Simon, 1987, S. 553, 572. 16 M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 3, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 2; näher M. Beckmann, NuR 1999, S. 24 ff.; kritisch A. Schink, ZG 1996, S. 97 ff. 17 S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 200 mit Blick auf das KrW-/AbfG: Man könne sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, dass die inhaltlichen Vorgaben des Gesetzgebers nicht ohne weiteres den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügten. 18 Hierzu P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 11 und die Kritik an der gesetzlichen Regelungsstruktur bei M. Kloepfer, in: HdUR I, 2. Aufl. 1994, Sp. 342 ff., 347: Wegen ihrer Unbestimmtheit begegneten einzelne Verordnungsermächtigungen rechtsstaatlichen Bedenken, so etwa § 17 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ChemG. 19 Vgl. F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995; J. Lege, in: Technikumsteuerung als Rechtsproblem, 2002, S. 67 ff. 20 Vgl. die Auszüge aus den Normtexten der § 1 BImSchG, § 1 a WHG, § 1 ChemG, § 1 KrW/AbfG, § 1 GenTG, § 1 BBodSchG in den vorhergehenden Fn. 21 Zu dieser Regelungstechnik die zustimmende Darstellung bei T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 3 f. und H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, § 9, Rn. 238 sowie die Kritik bei F. Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht, 2001, S. 167; zur Zweckkonkretisierungsfunktion und weiteren Funktionen von Legaldefinitionen und deren praktischer Bedeutung eingehend S. Weber-Lejeune, Legaldefinitionen unter besonderer Berücksichtigung des Umweltrechts, 1997, S. 113 ff. 22 Zur Entwicklung und zur verordnungsrechtlichen Verarbeitung der grundrechtlichen Schutzpflichten und der Staatsaufgabe Umweltschutz im 1. Teil, II., 1. 23 Vgl. hierzu bereits im 1. Teil, III., 1., b) und dort insbesondere die Analyse der Globalermächtigungen der §§ 6 a WHG, 48 a Abs. 1 BImSchG, 57 KrW-/AbfG; kritisch im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des § 6 a WHG R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 222 ff.; ähnlich mit Blick auf § 57 KrW-/AbfG S. Krieger, in: Fluck, KrW-/AbfG II, Stand: 2004, § 57, Rn. 41 ff. Eingehend zu diesem Problemkomplex 3. Teil, I., 1. 24 Hierzu im 1. Teil, II., 1., b), (2). 25 Ähnlich die Einschätzungen für das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, hierzu H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 167 mit Fn. 18. Eingehender Überblick über Be16*
244 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung In der Literatur wird diese vorgabenschwache Delegationspraxis als Aufgabe der liberal-rechtsstaatliche Forderung nach „fest begrenzten Befugnissen der Verwaltung“ und Öffnung für ein „polyzentrisches System der Rechtserzeugung“ bezeichnet. 26 Mit Blick auf das technische Sicherheitsrecht bilanziert Dietrich Murswiek: „Die entscheidende Frage, wieviel Sicherheit ein technisches System bieten muss oder – umgekehrt formuliert – wie groß das von den Betroffenen und der Allgemeinheit hinzunehmende Restrisiko ist, wird von den Gesetzen nicht nur unbeantwortet gelassen und zur Beantwortung auf die Exekutive verlagert, sondern es fehlt auch jedes materielle Kriterium, an dem sich die untergesetzliche Konkretisierung orientieren könnte.“ 27 Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Verhältnis von legislativer und exekutiver Rechtsetzung erheben sich demnach gegenüber dem skizzierten Regelungsmodell des Umweltrechts erhebliche Bedenken, 28 die sich an den Anforderungen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts 29 und des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG festmachen lassen. 30 Im umweltrechtlichen Lehrbuch von Sparwasser/Engel/Voßkuhle heißt es zu der in den Umweltgesetzen vorherrschendeutung und Erscheinungsformen der Rechtsverordnung im (nationalen) Lebensmittelrecht bei M. Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S. 50 ff. 26 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 129. 27 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 662; ders., in: VVDStRL 48 (1990), S. 208 ff., 220. Murswiek beurteilt das sicherheitsrechtliche Regelungssystem dahin, dass das Recht der Technik entleert sei „zur bloßen Rechtstechnik (...), zu einem Gefüge von Organisations- und Verfahrensvorschriften, die den Konkretisierungsprozess organisieren, aber nicht steuern, so dass die dynamische und kontinuierliche Rezeption (...) technischer Normen zu einer weitgehenden technokratischen Selbstregulierung geführt“ habe. Hierzu auch H.-D. Assmann, in: Regelungsprobleme der Gen- und Biotechnologie, 1990, S.51 ff. und R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, 1988, S. 135. 28 Zur prekären Regelungsdichte der Umweltgesetze R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 218; F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 37. Zur Kritik an der Regelungsdichte des Gentechnikgesetzes U. Riedel/M. Führ/B. Tappeser, KJ 1989, S. 349 ff., R. Lukes, DVBl. 1990, S. 273 ff.; zur Unvereinbarkeit der europarechtlich motivierten Verordnungsermächtigungen mit einem „streng interpretierten“ Bestimmtheitsgebot D. Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes zur Durchführung von EG-Rechtsakten und völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Art. 80 Abs. 1, 2000, S. 174; zu verfassungsrechtlichen Zweifeln im Hinblick auf die Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung des § 8 BBodSchG, insbesondere aufgrund fehlender Maßstäbe zur Ermittlung der einschlägigen Umweltstandards, Ch. Bickel, Bundesbodenschutzgesetz, 3. Aufl. 2002, § 8, Rn. 2. 29 Vgl. etwa D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 663. Bekannt geworden ist das Wort von der im Umweltrecht geltenden „umgekehrten Wesentlichkeitstheorie“, nach welcher nur das Unwesentliche im Gesetz stehe; der Begriff wird überwiegend auf Jürgen Salzwedel zurückgeführt, vgl. R. Wahl, VBlBW. 1988, S. 387, 391 mit Fn. 40. 30 R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 201 ff.; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 90: Wenn man die Maßstäbe des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG getreu an Regelungen im Umweltschutzbereich anlegte, dann dürften diese im Grunde nur in Gesetzesform ergehen; kritisch zur Regelungsdichte der Umweltgesetze auch C. VogtBeheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, z. B. S. 122, 126 mit Plädoyer für eine präzisere Fassung der der Umweltstandardsetzung zugrunde liegenden Wertentscheidungen.
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den Statuierung von „Generalklauseln mit weit gefassten unbestimmten Gesetzesbegriffen“ und „weit gefassten Verordnungsermächtigungen“, dies sei eine „unter demokratischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unbedenkliche Praxis“. 31 Hasso Hofmann spricht im Blick auf die mit der Statuierung von Technikklauseln wie dem „Stand von Wissenschaft und Technik“ verbundene Verschiebung der Entscheidungsmacht vom Parlament auf die Behörden 32 und weiter zu privaten Sachverständigen von einem „Erosionsprozess legal-demokratischer Herrschaft“, 33 Heinrich von Lersner unter Bezugnahme auf die mächtige Position privater Normungsverbände im Prozess der Normerzeugung von einem „mehr oligarchischen als demokratischen Verfahren“. 34 Über die vorgenannten, im engeren Sinne verfassungsrechtlichen Bedenken hinaus werden unbestimmte Verordnungsermächtigungen teilweise auch als „Effektivitätshemmnis“ 35 angesehen. 36 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 180. Zu diesem Mechanismus bereits R. Lukes, in: Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81, 88 ff.: Wenn der Gesetzgeber das Ergebnis seiner Interessenermittlung und Interessenwertung nicht in Beschaffenheitsanforderungen im Tatbestand von Rechtsnormen festlege und damit die Konfliktlösung vornehme, würden die Konfliktsituationen notwendig auf die Ebene der Rechtsanwendung, also der Behörden und Gerichte, verlagert. Weiter heißt es mit Blick auf das Atomrecht: Ein Gesetzgeber, der „generelle Beschaffenheitsanforderungen nur mit immer noch weiteren und unterschiedlichen unbestimmten Rechtsbegriffen umschreibt, kommt seiner Aufgabe zur Konfliktlösung in der Gesellschaft nicht mehr nach“. Zu dem Befund des aus dem Lot geratenen Gewaltenteilungsmechanismus im Bereich technischer Risikokontrolle auch E. Benda, in: Technische Risiken, 1981, S.5, 10; ähnlich B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 208. 33 H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 890; vorhergehend H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 204; Kritik an der Gesetzgebungspraxis im Umweltrecht auch bei R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 201 ff.; ernüchternd demgegenüber das Fazit von M. Reinhardt, in: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie, 2003, S. 19, 48: Insbesondere im Umweltrecht wirke es „geradezu grotesk, sich als Apologet des Vorbehalts des Gesetzes zu gerieren“, zeichne sich dieses Rechtsgebiet doch gerade dadurch aus, dass „sich im parlamentarischen Gesetz kaum vollzugsfähiges Recht finden lässt“. 34 H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 231; vorhergehend S. 230 zu dem „verfassungsrechtlich nicht gerade befriedigenden Phänomen, dass die meisten der für die Praxis entscheidenden umweltrechtlichen Gebote und Verbote in keinem parlamentarisch beschlossenen Gesetz stehen, sondern in Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, die von den Bürokratien des Bundes und der Länder vereinbart werden und hinsichtlich der Meß- und Analyseverfahren wieder auf DIN-Vorschriften verweisen“. Zum Problem auch M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 333 ff. 35 So G. Britz, UPR 2004, S.55, 56 ff. im Blick u.a. auf die Verordnungsermächtigung des §7 Abs. 1 Nr. 2 a BImSchG und die entsprechenden Grundpflichten in § 5 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 4 BImSchG mit Kontrastierung der vorgenannten Vorschriften zum EnEG und der dazu ergangenen Energieeinsparverordnung als detaillierte und dementsprechend effiziente Darlegung des dortigen Energiespargebots. 36 Ähnlich die Quintessenz der Arbeit von B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 283 f.: Mangelnde Eignung des Instruments „unbestimmter Rechtsbegriff“ zur Erfüllung der anstehenden Probleme des Anlagengenehmigungsrechts; vielmehr ergebe sich das Erfordernis höherer normativer Dichte von materiellen Genehmigungsvoraussetzungen. 31 32
246 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Dennoch hat das für das Umweltrecht typische Regelungsmodell aus generalklauselartigem Parlamentsgesetz und Konkretisierungsdelegation in Rechtsprechung und Schrifttum vielfache Billigung erfahren – oft in detailgenauer Kenntnis der Problemlage. 37 Beispielweise stellt Fritz Ossenbühl, Autor einer Vielzahl grundlegender Beiträge zum Umwelt- und Technikrecht sowie zum Verfassungsrahmen exekutiver Normsetzung, 38 einerseits fest, dass „die Steuerungskraft der Gesetze gegen Null“ 39 gehe und sich die Normsetzung inzwischen „vom parlamentsbeschlossenen Gesetz auf die Ebene der Regierungsverordnung und darunter liegende Normsetzungsebenen“ verschoben habe. 40 Andererseits halte sich diese Verschiebung jedoch „aufs Ganze gesehen noch innerhalb des Toleranzrahmens der Verfassung“. 41 In ähnlicher Weise erörtert Friederike Kraatz in einem zentralen Abschnitt ihrer Studie zum Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht die verfassungsrechtlich wohl prekärsten Verordnungsermächtigungen des Gentechnikgesetzes in § 7 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 GenTG. 42 Diese ermächtigen die Bundesregierung ohne spezifizierte Vorgaben zur Einteilung einzelner gentechnischer Arbeiten in bestimmte Risikostufen, die ihrerseits unter anderem für die Erteilung der Anlagengenehmigung nach § 13 GenTG und der Freisetzungsgenehmigung nach § 16 GenTG von entscheidender Bedeutung sind. 43 Zunächst legt Kraatz dar, bei Betrachtung „allein anhand der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts“ fordere die Wesentlichkeit der Risikobewertung vom Gesetzgeber „grundsätzlich eine Regelung, die das Ausmaß der rechtlich gebotenen Sicherheit durch die nach dem jeweiligen Gefährlichkeitsgrad der verwendeten Organismen differenzierende Zuordnung gen37 Zur Zwangsläufigkeit der Erzeugung von Vollzugsdefiziten durch die zunehmend schwache Programmierung durch Gesetz am Beispiel der „Generalklausel“ des § 5 BImSchG a. F. P. Knoepfel/H. Weidner, ZfU 1983, S. 87, 90 ff.; vgl. auch E.-H. Ritter, NVwZ 1987, S. 929 ff., 936. 38 Vgl. nur F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968 sowie aus den umfassenden Beiträgen dess. im Handbuch des Staatsrechts, III. Band, 2. Aufl. 1996 „Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes“ (§ 62), „Rechtsverordnung“ (§ 64) sowie „Autonome Rechtsetzung der Verwaltung“ (§ 65). 39 F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 37. 40 F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 34; vgl. auch die vorhergehende Beobachtung, wonach „das verfassungsrechtliche Grundmuster auf dem Kopf zu stehen“ scheine, ders., aaO, S.25. Die wesentlichen technischen Regelungen stünden in Verwaltungsvorschriften und privaten technischen Regelwerken, die den Stand der Technik repräsentierten, im parlamentarischen Gesetz finde man bei Lichte betrachtet nur eine Leerstelle, eben ein Blankett, ders., ebd. 41 F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 34. 42 F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S.201–229. Hierzu die Rezension von A. v. Bogdandy, Die Verwaltung 31 (1998), S. 408 ff.; vgl. auch die Argumentation bei R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 200. 43 Näher zum materiellen Gehalt der Ermächtigung des §7 GenTG und der hierauf gestützten Gentechnik-Sicherheitsverordnung im 1. Teil, II., 3., c); kritisch zur Regelungstechnik des § 7 Abs. 1 GenTG M. Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), S. 295, 309.
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technischer Arbeiten zu den einzelnen Sicherheitsstufen festlege – oder jedenfalls durch Aufzählen einzelner Gefährlichkeitsmerkmale die Einstufung weitgehend vorprogrammiert – und generelle Anforderungen an die Anlagensicherheit festschreibt“ 44 und stellt ausdrücklich fest: „Entsprechend präzise Regelungen enthalten §§ 7, 13 GenTG indes nicht.“ 45 Demgegenüber gelangt die Studie nach Auseinandersetzung der dem Regelungsgegenstand des Gentechnikrechts geschuldeten Abstandnahme von „voreiligen Festlegungen rechtlicher Wertungen“ 46 und „gegenläufigen verfassungsrechtlichen (grundrechtlichen) Anforderungen, die Freiräume für Einschränkungen des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes schaffen“ 47 schließlich doch dazu, dass die fraglichen Verordnungsermächtigungen „unter Wesentlichkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden“ seien.48 F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 205, S. 208. F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 205, S. 208. Demgegenüber seien in § 7 EGenTG (BR-Drs. 387/89, S. 7, 25) sowohl materielle Differenzierungskriterien (Pathogenität) für die Risikozuordnung gentechnischer Arbeiten zu den vier Sicherheitsstufen vorgegeben wie auch der Risikobezug näher aufgeschlüsselt gewesen. R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 200 f. stellt fest, dass sich im Gentechnikgesetz weder für die einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen noch für die dabei einschlägigen Sicherheitsstufen detaillierte und abschließende Regelungen finden. Hieraus ergebe sich Klärungsbedarf bezüglich der Frage, ob „eine solche Regelungsdichte unter Berücksichtigung des Regelungsgegenstandes und der Regelungsintensität den Voraussetzungen des parlamentarischen Gesetzesvorbehaltes genügt“. Wie ders. im Weiteren darlegt, vermöge das Gemeinschaftsgut der „Volksgesundheit“, auf deren Sicherung die Erschließung der Gentechnik im Hinblick auf „Interferone zur Krebsbekämpfung, Humaninsulin und verschiedene Impfstoffe“ gerichtet sei, bei der „Entscheidung über die Genehmigung bestimmter gentechnischer Anlagen in der Angemessenheitsabwägung auf die Seite der Grundrechte der Technikbetreiber und Forscher zu treten und insofern mit einer gegenläufigen staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu Gunsten potentieller Drittbetroffener zu kollidieren“. Deswegen und aufgrund der demokratischen Wurzel des parlamentarischen Gesetzesvorbehaltes spreche vieles dafür, für die Genehmigungsentscheidung eine höchstmögliche gesetzgeberische Regelungsdichte zu verlangen. 46 F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S.205, S. 210: „Das Operieren mit Ungewissheit verlange damit – dies auch ein Gebot der Schutzpflicht – ein von vorneherein auf Anpassung und Selbstkorrektur angelegtes Regelungskonzept. Diesen Optimierungsprozess dürfen voreilige Festlegungen rechtlicher Wertungen nicht behindern. Um den jeweiligen neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse im Sicherheitsbereich rechtlich verbindlich werden zu lassen, hat der Gentechnik-Gesetzgeber den geforderten Sicherheitsstandard mit unbestimmten Rechtsbegriffen umschrieben.“ 47 F. Kraatz, aaO, S.205, S.215. Derartige „gegenläufige verfassungsrechtliche Anforderungen“ entnimmt die Autorin insbesondere der Kalkar-Entscheidung des BVerfG und der dortigen Maxime des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ (dies., aaO, S. 213 ff., insbes. S. 216) sowie der Nachrüstungs-Entscheidung des BVerfG und der Maxime der „funktionsadäquaten Organstruktur“ (dies., aaO, S. 219: Die Exekutive sei nach personeller Ausstattung und praktiziertem Verfahren besser geeignet, gentechnische Risiken zu ermitteln und zu bewerten, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu bestimmen und die Risikogrenzen nach dem „Stand von Wissenschaft und Technik“ festzulegen). 48 F. Kraatz, aaO, S. 205, S. 223. Ähnlich R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 202 zur aus „rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einer funktionalen Gewaltenteilung“ hergeleiteten Überlegenheit der Regelung auf Verordnungsebene gegenüber einer gesetzgeberischen Parallelregelung, der zur Begründung unter anderem ausführt, gentechnische Verfahren erreichten eine 44 45
248 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung 2. Bipolare Programmierung durch ambivalente Zweckbestimmungen Verschärft werden die aufgezeigten Verfassungsgefährdungen infolge der materiellen Entleerung der Ermächtigungsstrukturen durch offenkundige Ambivalenzen in den gesetzlichen Zweckbestimmungen und Grundpflichten. Für das Umweltrecht ergibt sich ein weitergehendes Absinken der gesetzlichen Determinierungsleistung daraus, dass die Gesetze zum einen den Schutz der Menschen und der Umwelt im Blick haben, zum anderen aber auch stets als Rechtsgrundlage für industrielles Engagement fungieren, welches seinerseits regelmäßig mit einer Beeinträchtigung der Schutzgüter einhergeht. Ein Musterfall 49 derartiger Ambivalenzen findet sich in der Zweckbestimmung des §1 GenTG, 50 dessen Nr.1 verschiedene Aspekte des Schutzes vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zum Zweck des Gesetzes erhebt, 51 während das Gentechnikrecht in Nr. 2 auf den Zweck der Förderung der Gentechnik verpflichtet wird. 52 Diese Ambivalenz findet sich auch in früheren Fassungen des Atomgesetzes. 53 Im Bundes-Immissionsschutzgesetz kommt das EntVielschichtigkeit, die sich einer pauschalierenden Regelung entzögen, und auch mit Blick auf die Dynamik des Regelungsgebietes erscheine eine genaue Bestimmung der Risikofaktoren und der Verfahren zu ihrer Ermittlung eher abträglich als förderlich. 49 Hierzu und übergeordnet zur Schutz- und Förderfunktion von Umwelt- und Technikgesetzen W. Graf Vitzthum/T. Geddert-Steinacher, Der Zweck im Gentechnikrecht, 1990. 50 § 1 GenTG: „Zweck dieses Gesetzes ist, 1. Leben und Gesundheit von Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen und 2. den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen.“ 51 Kritisch zur Vereinbarkeit des § 1 GenTG mit dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot R. Scholz, in: FS Sendler, 1991, S. 93, 104; dagegen mit grundrechtsorientierter Argumentation W. Erbguth/B. Wiegand, Landschaftsplanung als Umweltleitplanung, 1994, S. 147. 52 Näher hierzu S. Kraatz, Die Zweckambivalenz des Gentechnikgesetzes: der Schutz- und Förderzweck in § 1 GenTG, 1993. Zum hierarchischen Verhältnis beider Zwecke M. Führ, DVBl. 1991, S. 559, 563; R. Wahl/H. Melchinger, JZ 1994, S. 973, 980, R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 395; anders M. Ronellenfitsch, VerwArch 93 (2002), S. 295, 309: Der häufig propagierte absolute Vorrang des Schutzzwecks vor dem Förderzweck beruhe auf einer verfassungsrechtlichen Legende; vielmehr berühre die Nutzung der Gentechnik Grundrechte in positiver wie negativer Weise, so dass es auf praktische Konkordanz ankomme. 53 Vormals lauteten § 1 Nr. 1 und 2 AtG: „Zweck dieses Gesetzes ist, 1. die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern, 2. Leben und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen und durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachte Schäden auszugleichen.“ Durch Gesetz vom 22.4.2002, BGBl.I 1351 wurde § 1 Nr. 1 AtG geändert. Die Zweckbestimmung lautet nunmehr: „Zweck dieses Gesetzes ist, 1. die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden und bis zum Zeitpunkt der Beendigung den geordneten Betrieb sicherzustellen, 2. (wie bisher).“ Zur früheren Auseinandersetzung um die Hierarchie von Schutz- und Förderzweck vgl. BVerwG, DVBl. 1972, 678, 680 (Würgassen): „Der Schutzzweck des Atomgesetzes hat, obwohl er in § 1 AtG erst an
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gegenstehen der Regelungsziele nicht normtextlich in konträren Zweckbegriffen zum Ausdruck, sondern durch innere Gegensätze einzelner Formulierungen. Wenn etwa § 5 Abs. 1 BImSchG im Anschluss an die Zweckbestimmung des §1 BImSchG verlangt, dass von der Anlage keine „erheblichen Belästigungen“ bzw. „schädliche Umwelteinwirkungen“ ausgehen dürfen, so wird einerseits der Betreiber verpflichtet, Immissionen oberhalb der Schädlichkeitsschwelle zu vermeiden, andererseits der Betroffene verpflichtet, zumutbare Immissionen zu dulden. 54 Immissionsvermeidungspflicht des Anlagebetreibers und Immissionsduldungspflicht des Immissionsbetroffenen werden also durch dieselben unbestimmten Rechtsbegriffe eines doppelseitigen Rechtssatzes bezeichnet, sind aber materiell inkongruent und durch den Schutzzweck einerseits, den Förderzweck andererseits bipolar programmiert.55 3. Rechtsetzungsorganisation in der Umsetzung wissenschaftstheoretischer Grundpositionen: Die normstrukturelle Ausrichtung am Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens Die herausgearbeitete spezifisch umweltrechtliche Normstruktur ist zu einem Gutteil Folge des zugrunde liegenden tradierten Verständnisses wissenschaftlicher Erkenntnis. 56 Nach diesem galten das Wirkungsgefüge von Mensch, Technik und Umwelt und die zum Schutz des Menschen und der Umwelt erforderlichen Ge- und Verbote als objektiv 57 erfassbar. 58 Ausgegangen wurde von der Reversibilität, Linearität und grundsätzlichen Stabilität 59 natürlicher und sozialer Prozesse. 60 Infolzweiter Stelle genannt wird, den Vorrang vor dem Förderzweck.“ Kritisch zu dieser Rechtsprechung unter Auseinandersetzung der Doppeldeutigkeit des Begriffs „Nutzung der Kernenergie“ U. K. Preuß, in: FS H. Simon, 1987, S. 553, 556 ff. 54 D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 357 f.: Während die Vermeidungspflicht dem Schutz der Betroffenen diene, diene die Duldungspflicht nicht nur der Freiheitsausübung des Immissionsverursachers, sondern zugleich dem öffentlichen Zweck der Ermöglichung der realen Existenzbedingungen des Industriesystems (Förderungszweck). 55 D. Murswiek, ebd. 56 Aus der Literatur zur juristischen Rezeption wissenschaftstheoretischer Grundpositionen vgl. K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 84 ff., U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 109 ff.; A. Scherzberg, VerwArch 84 (1993), S. 484, 493 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 12 ff., 12: Nach der Überwindung des Newtonschen mechanistischen Weltbildes durch die moderne Physik mit den neuen Ansätzen der Feld-, Relativitäts- und Quantentheorie habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht mehr eine objektive Wirklichkeit beschreibt, sondern die menschliche Erfahrung dieser Wirklichkeit. 57 Vgl. zur Unterscheidung verschiedener Objektivitätsbegriffe J. Ritsert, Leviathan 26 (1998), S. 184, 185 ff. 58 U. K. Preuß, in: Staatsaufgaben, 1994, S. 522, 533 ff.; R. Wolf, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 65, 82 f. 59 Vgl. die Darstellung der tradierten Erkenntnismodelle in den Natur- und Sozialwissenschaften bei C. Böhret, in: Staat und Verwaltung im Dialog mit der Zukunft, 1994, S. 98 ff.
250 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung gedessen bildeten die „in der Natur vorgefundene(n) Kausalabläufe“ 61 den Maßstab für die Ordnung technischer Systeme. 62 Dementsprechend erschien es im Umweltrecht 63 als Aufgabe des Normgebers, die objektiv bestimmbare Schädlichkeitsschwelle in Rechtssätze umzuformen. 64 In der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt diese erkenntnistheoretische Grundposition in geradezu klassischer Weise 65 zum Ausdruck, wenn das Gericht im Blick auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG ausführt, Anlagengenehmigungen seien nur zulässig, wenn „es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, dass solche Schadensereignisse eintreten werden“ 66 und sodann die Dimension staatlicher Gefahrenabwehrmaßnahmen objektiv nach dem Erkenntnisvermögen bestimmt: „Ungewissheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.“ 67 Insoweit diese Orientierung am menschlichen Erkenntnisvermögen als solchem angewandt wird auf die staatliche Regelbildung, die im demokratischen Verfassungsstaat nicht anders als intersubjektiv und institutionalisiert organisiert sein kann, 68 lässt sich von der grundsätzlichen Ausrichtung von Rechtsetzung und Verfassungsrechtsprechung am Paradigma des „institutionellen Erkenntnisvermögens“ sprechen. In diesem Sinne wird in der Kalkar-Entscheidung zur Rolle des parlamen60 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113 ff., 115: Politik und Verwaltung seien bis in die jüngste Zeit hinein dem klassischen naturwissenschaftlichen Kausalitätsmodell verhaftet gewesen, dass die Reversibilität, Linearität und grundsätzliche Stabilität natürlicher und sozialer Prozesse postulierte; hierzu auch R. Wolf, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 65 ff. 61 U. K. Preuß, in: Staatsaufgaben, 1994, S. 522, 533; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 34 ff. 62 Einflussreich etwa die Grundlegungen von Helmut Schelsky, vgl. z. B. dens., Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, 1961, S. 21 f. dahingehend, dass „an die Stelle der politischen Normen und Gesetze (...) Sachgesetzlichkeiten der wissenschaftlichen Zivilisation treten, die nicht als politische Entscheidungen setzbar sind und als Gesinnungs- und Weltanschauungsnormen nicht verstehbar sind“. Hierdurch verliere die Idee der Demokratie sozusagen ihre klassische Substanz, an die Stelle eines politischen Volkswillens trete die Sachgesetzlichkeit. Vgl. hierzu F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 29 f. 63 Rückführung der Regelungsstrukturen des BImSchG auf das vorherrschende wirtschaftspolitische Denken Anfang der 1970er Jahre (keynesianische Wirtschaftspolitik, Globalsteuerung und technische Machbarkeit) bei J. Wolf, JbUTR 2004, S. 87, 100. 64 Die diesbezügliche – vermeintliche oder tatsächliche – Unfähigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers wurde dann zu Anlass und Rechtfertigung der Auslagerung der Normierung aus dem Parlament und der Über-Antwortung an Private. 65 Vgl. die Darstellungen bei H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 888 ff.; R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S. 333; K. Kastendieck, Der Begriff der praktischen Vernunft in der juristischen Argumentation, 2000, S. 24 ff., 93 ff. 66 BVerfGE 49, 89, 143 (Kalkar). Hervorhebung im Original. 67 BVerfGE 49, 89, 143 (Kalkar). 68 Vgl. O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123 ff.
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tarischen Gesetzgebers vermerkt: „Selbst in den seltenen Fällen, in denen ein technischer Erkenntnis- und Entwicklungsstand vorerst abgeschlossen erscheint, ist es ihm wegen der vielschichtigen und verzweigten Probleme technischer Fragen und Verfahren in der Regel nicht möglich, sämtliche sicherheitstechnischen Anforderungen, denen die jeweiligen Anlagen oder Gegenstände genügen sollen, bis ins einzelne festzulegen.“ 69 Heruntergebrochen auf die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG und die Auslegung des Tatbestandsmerkmal „Stand von Wissenschaft und Technik“ haben diese Darlegungen die Weiterverschiebung der Entscheidungsmacht zu den Behörden und von den Behörden auf den in vielfältiger Weise mitwirkenden privaten Sachverstand 70 zur Folge, wenn das Gericht feststellt: „Es muss diejenige Vorsorge getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird.“ 71 Vorausgesetzt, dass das Atomgesetz normstrukturell gesehen stellvertretenden Charakter für die Umweltrechtsetzung als solche hat,72 zeigt sich, dass die geringe Regelungsdichte der Umweltgesetze in der Lesart der Kalkar-Entscheidung die Folge der Zugrundelegung einer erkenntnistheoretischen Grundposition ist, die auf die objektive Erfassbarkeit der zum Schutz des Menschen und der Umwelt erforderlichen Ge- und Verbote setzt und dementsprechend im Feld der Regelbildung das institutionelle Erkenntnisvermögen von Legislative, Exekutive und nicht-staatlichen Stellen zur entscheidenden Größe erklärt. 73 Deutliche Belege für die Annahme, dass das umweltrechtliche Regelungsmodell auf dem Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens beruht, finden sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dies verdeutlicht zunächst die gerichtliche Darlegung der rechtlichen Bedeutung der TA Luft im Rahmen der Voerde-Entscheidung, 74 die in enger zeitlicher Nähe zur Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging. 75 In der Voerde-Entscheidung wurde der „naturwissenschaftlich fundierte fachliche Aussagegehalt“ 76 der in der TA Luft festgehaltenen Immissionswerte zum Auslöser BVerfGE 49, 89, 134 (Kalkar). H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 890; R. Streinz, BayVBl. 1989, S. 550, 551 im Blick auf das Immissionsschutzrecht: Das etwa in § 48 Nr. 4 BImSchG vorgesehene Ausweichen auf Verwaltungsvorschriften lasse sich nur so erklären, dass offenbar selbst die Exekutive als nicht hinreichend geeignet angesehen wird, Probleme der Technik durch ihre Möglichkeiten und Formen der Rechtsetzung in den Griff zu bekommen. 71 BVerfGE 49, 89, 136. Hierzu die Analyse von D. Lohse, Der Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft“ aus erkenntnistheoretischer Sicht, 1994, S. 130 f. 72 Hierzu M. Schmidt-Preuß, DVBl. 2000, S. 767 ff. 73 Als Ausdruck der Grundausrichtung auf das institutionelle Erkenntnisvermögen kann auch das Postulat aus BVerfGE 68, 1, 86 (Nachrüstung) gelten, wonach staatliche Entscheidungen „möglichst richtig, das heißt von Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“. 74 BVerwGE 55, 250 (Voerde). Hierzu und zu einem Überblick über den Diskussionsverlauf in der Literatur W. Berg, in: FS Menger, 1985, S. 537, 547 f. 75 BVerwGE 55, 250 (Voerde) vom 17.2.1978; BVerfGE 49, 89 ff. (Kalkar) vom 8.8.1978. 76 BVerwGE 55, 250, 256. 69 70
252 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung weitreichender Rechtswirkungen von Verwaltungsvorschriften, die diese aus ihrem vorherigen nicht-normativen Schattendasein befreiten. 77 Beruhend auf einer ausdrücklichen, auch das Verfahren regelnden Normierung des Gesetzgebers sei die TA Luft als zentral durch die Bundesregierung unter Heranziehung von Fachleuten verschiedener Fachgebiete ermitteltes „antizipiertes Sachverständigengutachten“ eine „geeignete, wenn nicht optimale Erkenntnisquelle“. 78 In der späteren Wyhl-Entscheidung löste sich das Bundesverwaltungsgericht zwar zugunsten der Erfassung der fraglichen Rechtsgrundlage als „normkonkretisierende“ Verwaltungsvorschrift von der Figur des „antizipierten Sachverständigengutachtens“, 79 an der Erkenntnis der Rechtslage am Maßstab des „institutionellen Erkenntnisvermögens“ änderte dies jedoch nichts: So legte das Gericht dar, die Exekutive verfüge „nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch im Verhältnis zu den Verwaltungsgerichten über rechtliche Handlungsformen, die sie für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsten“. 80 Dies sei „der eigentliche Grund für die relativ geringe Regelungsdichte, die § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG aufweist“. 81 In einer nachfolgenden Entscheidung zum KKW Emsland führt das Bundesverwaltungsgericht zu den sicherheitstechnischen Standards für die Prüfung einer Anlage am Maßstab des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG aus, es gehe dabei „nicht darum, ob solche Standards Ergebnis eines pluralistischen, politischen Meinungsbildungsprozesses sind, sondern um die fachliche Frage, ob sie dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen“. 82 In späteren Entscheidungen entwickelte das BVerwG unter terminologischer Rezeption des nachfolgend skizzierten wissenschaftstheoretischen Wandels eine Doppelformel, nach welcher die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften generelle Standards darstellten, die „entsprechend der Art ihres Zustandekommens ein hohes Maß an wissenschaftlich-technischem Sachverstand verkörpern und zugleich auf abstrakt-genereller Abwägung beruhende Wertungen des hierzu berufenen Vorschriftengebers zum Ausdruck bringen“. 83 Jedoch blieb diese Erweiterung 84 ohne 77 Vgl. BVerwGE 55, 250, 255, wo gleichfalls betont wird, die auf Grund des §48 BImSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften seien „keine Rechtsnormen“. 78 BVerwGE 55, 250, 256. 79 BVerwGE 72, 300, 320 (Wyhl). 80 BVerwGE 72, 300, 317 im Anschluss an BVerfGE 49, 89, 140 (Kalkar). 81 BVerwGE 71, 300, 317. 82 BVerwG, DVBl. 1993, 1149, 1151 (KKW Emsland). 83 BVerwGE 114, 342, 344 mit der Einordnung als „ständige Rechtsprechung“; vorhergehend BVerwGE 110, 216, 219 und BVerwG, NVwZ 1999, 651, 652, in der letztgenannten Entscheidung allerdings nicht zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, sondern zur Bayerischen Biergärten-Nutzungszeiten-Verordnung vom 27.6.1995, GVBl. S. 311. 84 Als Grundlage für eine weitergehende Neuausrichtung der Rechtsprechung des BVerwG lässt sich das Urteil vom 3.7.2002, DÖV 2003, 81 ff. (Niedersächsische Kampfhunde-Verordnung, in der amtlichen Sammlg. BVerwGE 116, 347) verstehen. Zu entscheiden war über die verordnungsrechtliche Einstufung verschiedener Hunderassen nach ihrem Bedrohungspotential, woran bestimmte Rechtsfolgen geknüpft wurden. Hierzu unterschied das BVerwG zu-
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erkennbaren Einfluss auf die gerichtliche Einordnung der demgemäß beschriebenen Verwaltungsvorschriften und die zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungsstrukturen, die ihrerseits gleichermaßen fortgeschrieben wurden.85 4. Vom institutionellen Erkenntnisvermögen zur normativen Festlegung (Paradigmenwechsel) Die erkenntnistheoretischen Grundannahmen der modernen Wissenschaftstheorie haben indes einen tiefgreifenden Wandel erfahren. 86 Karl-Heinz Ladeur beschreibt diesen dahingehend, dass in der Folge der Abschwächung der strukturbildenden Kraft des stabilen Naturgesetzes und des darauf basierenden Kausalitätsmodells eine Umorientierung zu verzeichnen sei, nach welcher die Orientierung auf die nächst zwischen verschiedenen Wissensstufen bei der Abgabe von Prognosen, BVerwG, DÖV 2003, 81, 82. Von der mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit sei die Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose betreffe. Das behördliche Einschreiten in einer derartigen Situation beruhe nicht auf der Feststellung einer Gefahr, sondern vielmehr würden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verblieben, BVerwG, ebd. Sodann heißt es zu den erforderlichen Rechtsgrundlagen eines derartigen behördlichen Einschreitens: „Das setzt eine Risikobewertung voraus, die – im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr – über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt – in diesem Sinne – ‚politisch‘ geprägt oder mitgeprägt ist.“, BVerwG, aaO, 82 f. Eine derart weitreichende Kompetenz stehe den Polizei- und Ordnungsbehörden aufgrund der Verordnungsermächtigungen nach Art. 55 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes nicht zu; vielmehr sei „allein der Gesetzgeber befugt, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen die Rechtsgrundlagen für Grundrechtseingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden sollen, für die – sei es aufgrund neuer Verdachtsmomente, sei es aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels oder einer veränderten Wahrnehmung in der Bevölkerung – Regelungen gefordert werden.“, BVerwG, aaO, 83. Indem hier zum einen eindringlich der politische Charakter von Risikomaßnahmen dargelegt wird und zum anderen der Gesetzgeber zur maßgeblichen Instanz berufen wird, löst sich das Bundesverwaltungsgericht von der Verhaftung im Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens nachdrücklich und macht den Weg frei für eine rationale Bewertung staatlicher Risikopolitik am Maßstab des grundrechtlichen und demokratischen Gesetzesvorbehalts. Ob dieser Wandel der Rechtsprechung zu einer veränderten Bewertung der im bisherigen Verlauf der Arbeit problematisierten Rechtsetzungsstrukturen führen wird, ist allerdings offen. Denn in der nämlichen Entscheidung deutet das BVerwG bereits an, dass der eingeschlagene Weg keineswegs zwingend bis zum Ende gegangenen wird, indem es exakt diejenigen Ermächtigungsnormen als Beispiele für eine verfassungskonforme Risikogesetzgebung ausweist, welche sich im Verlaufe dieser Arbeit als verfassungsrechtlich prekäre Unternormierung erwiesen haben, so namentlich § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 6 Abs. 2 GenTG, § 7 BBodSchG, vgl. BVerwG, aaO, 83. 85 Vgl. im Kontext der Ablösung der TA Luft von 1986 durch die TA Luft 2002 T. Gerhold, UPR 2003, S. 44 ff. sowie K. Hansmann, NVwZ 2003, S. 266 ff. 86 Zum veränderten naturwissenschaftlichen Denkmuster, welches die Komplexität, Irreversibilität und Dynamik systemischer Prozesse betont A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 115.
254 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Erkennbarkeit stabiler Ereignisketten und abstrakter Gesetzmäßigkeiten abgelöst werde durch die Operation mit der Relationierung und Vermessung von Variablen und der Entwicklung von Methodologien der Verknüpfung. 87 Arno Scherzberg führt aus, nach dem veränderten naturwissenschaftlichen Denkmuster sei die Welt in ihrer Grundstruktur nichtlinear und bringe aus dem Chaos lediglich einzelne „Inseln der Ordnung“ hervor, die sich den tradierten Konzepten von Kausalität und Reversibilität entsprechend verhalten. 88 Lineare Wahrscheinlichkeitsannahmen seien damit nur noch für ideale mechanische Modelle brauchbar, 89 reale Systeme könnten dagegen immer auch nichtlinearen Einflüssen unterliegen. 90 Hinzugetreten sind grundlegende Veränderungen im subjektiven und öffentlichen Verständnis der institutionalisierten Wissenschaft. Zum einen hat der Fortschritt des naturwissenschaftlichen Wissens den „Horizont des bewussten Nichtwissens“ überproportional erweitert. 91 Zum anderen wird weithin anerkannt, dass „wissenschaftliches Wissen als Garant von verlässlicher Erkenntnis selbst unsicher geworden ist und daher zunehmend als Bürgschaft für Sicherheit versagt“. 92 Demzufolge sei bei hochkomplexen Systemen wie etwa dem Wetter, dem menschlichen Gehirn, sozialen Systemen oder dem Ökosystem vom „Mythos der Prognostizierbarkeit“ Abschied zu nehmen. 93 Deren Zukunft lasse sich nicht als verlässliche Fortschreibung der Gegenwart begreifen, sondern sei – wie beispielsweise die Auswirkungen von Umweltverschmutzungen auf den Wald, auf den Boden- und Wasserhaushalt – als „trans-science“ einer sicheren Voraussage nicht zugänglich. 94 Als wesentliche Aspekte dieses Prozesses des „Reflexivwerdens“ der Risikoerkenntnis werden zu87 K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 84 f.: Die zunehmende Komplexität möglicher Wechselwirkungen, die nicht zuletzt durch die Verfeinerung der Methoden und Instrumente der Beobachtung selbst entstanden sei, mache die Vollständigkeit der Beobachtung mehr und mehr zum Grenzfall wissenschaftlichen Denkens. Aufgrund kognitiver Defizite müsse die „Fiktion der Entscheidung als rationaler Informationsverarbeitung aufgegeben werden“ (ders., aaO, S. 120 f.). Auch und gerade unter Komplexitätsbedingungen seien aber Stopp-Regeln erforderlich, die die Deliberation begrenzten (S. 121). 88 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 115 im Anschluss an F. Cramer, Chaos und Ordnung, 2. Aufl. 1989, S. 191, 219 ff. 89 Vgl. die Darstellung des Umdenkens in den Naturwissenschaften und deren Formulierung als Ausgangspunkt für ein Umdenken in der Rechtsetzung bei C. Böhret, in: Staat und Verwaltung im Dialog mit der Zukunft, 1994, S. 98 ff., insbes. 116 f. 90 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 116. Bei Überwiegen nichtlinearer Einflüsse sei mit unvorhersehbaren Entwicklungen zu rechnen. 91 E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, Rn.15; zum Verweis der Wissenschaft auf ihre eigenen Grenzen auch R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 29. 92 U. K. Preuß, in: Staatsaufgaben, 1994, S. 522, 533 im Anschluss an U. Beck, Risikogesellschaft, 1986, S. 254 ff.; R. Wolf, Der Stand der Technik, 1988, S. 182 f. 93 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 116 im Anschluss an F. Cramer, Chaos und Ordnung, 2. Aufl. 1989, S. 222 f., 277 f.; R. Wolf, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 65, 83. 94 A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 116; ders., VerwArch 84 (1993), S.484, 493; R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S.1, 4 ff.
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sammenfassend (1) die Erweiterung von Erwartungshorizonten der Risikoerkenntnis, (2) die Vervielfältigung der Risikoperspektiven und (3) der Perspektivenwechsel vom Wissen zum Nichtwissen genannt. 95 Auf der Grundlage dieses veränderten wissenschaftstheoretischen Erkenntnismodells hat sich die Einsicht, nach welcher „die Festlegung der Grenzen zulässiger Umwelteinwirkungen auf Mensch und Umwelt auch und vor allem eine politische Entscheidung ist“ (Gunnar Folke Schuppert), 96 durchzusetzen begonnen. 97 Welches Risiko „hingenommen werden kann oder welche Beeinträchtigung der Nachbarschaft oder der Allgemeinheit ‚unerheblich‘ ist, bleibt immer eine Wertungsfrage.“ 98 Mit kritischem Blick auf die Kalkar-Rechtsprechung des BVerfG resümiert Hasso Hofmann, die Außerbetrachtlassung bestimmter Risiken folge „nicht aus den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens“, sondern sei „das Ergebnis einer wertenden Entscheidung“. 99 Bei der (umweltrechtlichen) Normsetzung geht es also nicht um die Transformation objektiv erfassbarer Größen in Rechtssätze, 100 sondern um „Modellbildungen auf der Grundlage unvollständigen Wissens, die Anwendung (vielfach) umstrittener Methoden, die Formulierung subjektiver Wahrscheinlichkeitsannahmen und den Rekurs auf wissenschaftstheoretisch nicht in vollem Umfang begründbare Hypothesen“. 101 95 S. Böschen/Ch. Lau/A. Obermeier/P. Wehling, in: Entgrenzung und Entscheidung, 2004, S. 123, 144 ff. mit näherer Darstellung und weiteren Nachweisen. 96 G. F. Schuppert, in: Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit, 1990, S. 217, 219. 97 Ausdrückliche Hervorhebung des normativen Charakters der Regelbildung im (Umwelt-)Recht bei H. Sendler, UPR 1993, S. 321, 323; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 90; M. Böhm, UPR 1994, S. 133 ff.; W. Brohm, in: HStR II, 2. Aufl. 1998, § 36, Rn. 12; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S.170; Ch. Gusy, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen II, 1990, S. 109 ff., 116; H. v. Lersner, NuR 1990, S. 195 ff.; C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 99 f.; G. Winter, ZUR 1994, S. 20, 23; R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S. 101, 104; OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357, 357 f. (Buschhaus) im Blick auf Immissionsgrenzwerte: letztlich eine politische Willensentscheidung; H. D. Jarass, NJW 1987, S. 1225 ff.: Doppelnatur der Umweltstandards als sachverständige Aussage und zugleich wertende Entscheidung. 98 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 660; ders., in: VVDStRL 48 (1990), S. 219 ff. 99 H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 889 f.; prägnant D. Lohse, Der Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft“ aus erkenntnistheoretischer Sicht, 1994, S. 134: „Die Grenzen der Gefahrenabwehr ergeben sich aus dem Wollen und nicht aus dem Erkennen.“ 100 Zur Interpretation des Tatbestandmerkmals „Stand von Wissenschaft und Technik“ unter Zugrundelegung des veränderten Grundverständnisses umweltrechtlicher Regelbildung D. Lohse, Der Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft“ aus erkenntnistheoretischer Sicht, 1994, S. 136: Angeordnet werde, die maßgebliche Wissensbasis und die Grenzwerte, die dem Gefahrenausschluss zugrunde zu legen seien und die eine materielle Konkretisierung der anlagenrechtlichen Gefahrenabwehr darstellten, durch einen Volitivakt aus dem einschlägigen Stand der Wissenschaft zu bestimmen. Die Extrapolation müsse sich, um ihr ein Höchstmaß an Rationalität zu verleihen, auf fachwissenschaftliche Aussagen beziehen, die einen Stand der Wissenschaft darstellten. 101 K.-H. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, 1995, S. 188.
256 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Demnach entsteht der Normbestand des positiven Rechts nicht in der Addition objektiv erfassbarer Ableitungen, sondern vielmehr aus einer Mehrzahl von Risikoentscheidungen. 102 Dabei gilt: Je ungewisser eine Situation in ihren tatsächlichen Voraussetzungen und Auswirkungen ist, desto höher ist der Wertungsbedarf. 103 Das Instrumentarium normativer Regelbildung ist vom Grundgesetz vorgegeben. 104 Primär ist dies das Gesetz, nachgeordnet auch die Rechtsverordnung. Diese Rechtsformen sind berufen mit ihren spezifischen Rationalitätsgewährleistungen 105 Verbindlichkeit zu statuieren, die sich über naturwissenschaftliche Herleitungen nicht (mehr) erzielen lässt. 106 Die verfassungsrechtliche Vorgabe des Instrumentariums normativer Festlegung enthält dessen Alternativlosigkeit. 107 Das Argument parlamentarischer Regelungsschwäche erweist sich als irreführende Suggestion der Alternative eines „sachnäheren“ oder „fundierteren“ Entscheidungsträgers, die es von Verfassungs wegen nicht geben kann. 108 Demgemäß sollte sich die staatliche Rechtsetzungsorganisation nicht am Leitbild der institutionellen Erkenntnisfähigkeit ausrichten, sondern an der (verfassungstextlichen) Berufung zur normativen Festlegung. 5. Konsequenzen aus dem Paradigmenwechsel In der Folge des veränderten Verständnisses der Festlegung umweltbezogener Schädlichkeitsgrenzen war der Gesetzgeber gehalten, die Rechtsetzungsstruktur des Umweltrechts auf ihre Ausrichtung an der Notwendigkeit legitimierter politischer Entscheidung hin zu überprüfen. 109 Dabei hätte das Ergebnis einer partiellen ReParlamentarisierung im Bereich grundlegender Festlegungen durchaus nahegelegen. 110 Stattdessen blieb man auf halbem Wege stehen. Der Gesetzgeber versuchte, die überkommenen Strukturen über die Grundzüge hinaus aufrechtzuerhalten.111 Begriffsprägend U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994. U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 109. 104 Zur Verfassung als Grundlage der Ordnung und Verteilung der Rechtsetzungsbefugnisse G. Müller, ZfSVR 99 (1998), S. 1, 4 ff. 105 Eingehend im 4. Teil, insbes. IV. 106 Auch aus den von BVerfGE 68, 1, 86 (Nachrüstung) entwickelten Grundsätzen zur funktionsadäquaten Organstruktur lässt sich kein anderes Ergebnis gewinnen, denn diese vermögen den Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben nicht zu sprengen; kritisch zur funktionsadäquaten Organstruktur M. Reinhardt, NVwZ 2003, S. 1446 ff. Näher zur Rezeption von BVerfGE 68, 1 und dem Grundsatz von der funktionsadäquaten Organstruktur im 3. Teil, VII., 3. 107 Dies folgt einmal mehr aus dem Prinzip des Vorrangs der Verfassung, hierzu die Nachweise in der Einl., I., 3. und im 3. Teil, vor I. 108 Vgl. aber die Ausführungen von E.-H. Ritter, in: Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 207 ff. sowie (kritisch) H.-P. Vierhaus, NVwZ 1993, S. 36 ff. 109 Hierzu H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 203 ff. 110 Eingehend zu Möglichkeiten des Ausgleichs der Regelungsdefiziten der normativen Ebene im 4. Teil, IV. 111 Zum gesetzgeberisch intendierten Zusammenhang der nachfolgend skizzierten Beteiligungselemente mit der der „Grenzwertfestsetzung inhärenten politischen Bewertungskomponente“ R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S. 101, 104. 102 103
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Dem mit dem Paradigmenwechsel 112 einhergehenden Erfordernis der Ausrichtung der Rechtsetzungsorganisation am Leitbild der normativen Festlegung sollte mit prozeduralen Elementen wie einer verstärkten Anhörungspraxis zugunsten von beteiligten Kreisen 113 oder Sachverständigenkommissionen 114 Rechnung getragen werden. 115 Ähnliche Überlegungen lagen der Statuierung verschiedenartiger verordnungsbezogener Mitwirkungsbefugnisse zugunsten des Bundestages zugrunde,116 so insbesondere der Einräumung einer Befugnis zur Ablehnung und Änderung von Verordnungsentwürfen. 117 6. Perpetuierung des Normsetzungsmodells der parlamentarischen (Selbst-) Beschränkung durch die Rechtsprechung, insbesondere durch die Kalkar-Entscheidung des BVerfG Die Rechtsprechung hatte schon früh Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem in den ersten Umweltgesetzen gefundenen Regelungsmodell der parlamentarischen (Selbst-) Beschränkung auf eine denkbar offen formulierte gesetzliche Ermächtigung zur untergesetzlichen und nicht-staatlichen Konkretisierung. 118 Die verfassungsgerichtliche Würdigung in der Kalkar-Entscheidung 119 war gleichermaßen Weichenstellung 120 für zukünftige Regelungsstrukturen. 121 Gegenstand der Kalkar-Entscheidung war die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG. 122 112 Zum diskursprägenden Begriff des Paradigmas und jenem des Paradigmenwechsels T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl. 1978, S. 57 ff. 113 Vgl. die Regelungen in § 51 BImSchG und § 60 KrW-/AbfG, hierzu bereits ausführlich 1. Teil, II., 1., c). 114 Vgl. die Regelung in §§ 4, 5 GenTG und im Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch von 1998, hierzu 1. Teil, II., 3., d) und IV., 3. 115 Vgl. zur theoretischen Fundierung dieses Konzeptes K.-H. Ladeur, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 41, 59 ff.; näher zur verfassungsrechtlichen und kompensatorischen Dimension von Verfahrenselementen nachfolgend 3. Teil, VII. 116 Hierzu im Überblick J. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen, 2002; und näher im 3. Teil, VII., 2. 117 F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 37 f. 118 Zu dieser typischen Regelungsstruktur die Nachweise soeben unter 3. Teil, I., 1. 119 BVerfGE 49, 89 ff. (Kalkar). 120 Beispielhaft für die Wirkmächtigkeit dieser Rechtsprechung die Rezeption bei Rainer Schröder, der seinen 24-seitigen Überblick zum gegenwärtigen Verfassungsrahmen des einfachgesetzlichen Handelns im 2003 erschienen Handbuch des Technikrechts mit folgendem Satz eröffnet: „Der Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat dem Technischen Sicherheitsrecht Impulse vermittelt, die sich – auch wenn heute eher die Rechtsfrage des Ausstiegs aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen – bis in die aktuelle Gegenwart auswirken.“, vgl. R. Schröder, in: HdTR, 2003, S. 185, 185. 121 Zur Kalkar-Entscheidung als Bestätigung der gesetzgeberischen Ausrichtung am Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens vgl. bereits soeben 3. Teil, I., 3. 122 Zu den Maßstäben der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG vgl. F. O. Kopp/W. R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 114, Rn. 38.
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258 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Diese Vorschrift wurde im Hinblick auf Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes angezweifelt, insbesondere hinsichtlich der sog. Technikklauseln, die jeweils in erheblichem Umfang exekutive Regelungskompetenzen eröffnen. 123 Jedoch votierte das BVerfG in aller Deutlichkeit zugunsten des (atom-) gesetzlichen Regelungsmodells und empfahl die Technikklauseln als Instrumente zur Gewährleistung und Sicherung eines „dynamischen Grundrechtsschutzes“.124 Demgegenüber sei der Gesetzgeber nicht gehalten gewesen „die möglichen Risikoarten, Risikofaktoren, die Verfahren zu ihrer Ermittlung oder feste Toleranzwerte zu bestimmen“. 125 Damit waren die bereits gebildeten Normkomplexe des skizzierten Modells, im Atomgesetz aber auch im Bundes-Immissionsschutzgesetz, rückwirkend legitimiert. 126 Für die Fälle der Konkretisierung durch ein ausgreifendes System der Rechtsverordnungen ergibt sich eine um so stärkere Legitimierung, denn die Rechtsverordnung ist unter verfassungslegitimatorischen Aspekten der in der Kalkar-Entscheidung gebilligten Rezeption außerstaatlicher Standardsetzung mittels sogenannter Technikklauseln deutlich überlegen. 127 Gleichzeitig wurde zukünftigen Regelungsstrukturen dieser Art vorwirkend die Unbedenklichkeit bescheinigt. Anderen Regelungsmodellen wurden Entwicklungsmöglichkeiten abgeschnitten. Dementsprechend werden die Topoi der Kalkar-Entscheidung, insbesondere das Postulat des „dynamischen Grundrechtsschutz“ auch in der Literatur immer wieder herangezogen, um die Zulässigkeit verfassungsrechtlich umstrittener Regelungsstrukturen zu begründen. 128 123 Vgl. den Vorlagebeschluss des OVG Münster, DVBl. 1978, 62, der im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Kalkar-Entscheidung des BVerfG führte, insbes. S. 63: „§ 7 AtG verstößt nach Auffassung des Senats insofern gegen das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), gegen das Prinzip der parlamentarischen Demokratie (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), als er in der derzeitigen Fassung die Genehmigung auch von Schnellen Brutreaktoren ermöglicht.“ 124 BVerfGE 49, 89 (Kalkar); vgl. hierzu J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 148 ff. Kritisch zur Figur des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 891 sowie H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, Rn. 5, 25, 103. 125 BVerfGE 49, 89, 139 (Kalkar). 126 Ähnlich D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 659 mit weiteren Nachweisen zum Festhalten des BVerfG an seiner längst überholten Ausrichtung auf das institutionelle Erkenntnisvermögen weit über die Kalkar-Entscheidung hinaus, so etwa in BVerfGE 56, 54, 76 f. und BVerfGE 79, 174, 194 f. (Anlieger-Lärmschutz). 127 Eine (detaillierte) Normierung der Genehmigungsvoraussetzungen in der Form einer Rechtsverordnung hätte wohl bereits das im Fall der Kalkar-Entscheidung nach Art.100 Abs. 1 GG vorlegende OVG Münster für verfassungskonform erachtet; vgl. hierzu die Darstellung bei G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 967. 128 Vgl. etwa R. Schröder, in: HdTR, 2003, S.185, 191, 194 f.; F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S.18; T. v.Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73, 94 f. zur Begründung der Legitimation normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften aus dem „Gebot dynamischen Grundrechtsschutzes“; weiter M. Holle, Normierungskonzepte im Lebensmittelrecht, 2000, S.223; A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung,
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Der hier greifende Mechanismus einer „Rechtsetzungsleitfunktion der Verfassungsrechtsprechung“ bewegt sich dabei unterhalb der Ebene verfassungsrechtlich bindender Vorgaben, denn festgestellt wurde nicht mehr als die verfassungsrechtliche Billigung einer bestimmten Regelungsstruktur. Die unbesehen anderer Möglichkeiten fortdauernde gesetzgeberische Orientierung an den Rechtsetzungsstrukturen, die einmal die Billigung der Rechtsprechung gefunden haben, lässt sich auch mit Praktikabilitätserwägungen und Konfliktvermeidungsstrategien erklären. 129 Durch das Festhalten an einer einmal gefundenen Struktur lassen sich potentielle Auseinandersetzungen umgehen, die in politischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht mit einer strukturellen Neuregelung verbunden sein mögen. 130 Um diesen prägenden Einfluss der Rechtsprechung auf die Ausgestaltung der Gesetzgebungsstrukturen weiß auch das Bundesverfassungsgericht, 131 wenn es dieser Form der Konservierung einer einmal gefundenen Rechtsetzungsstruktur sogar einen rechtsstaatlichen Eigenwert zuspricht: So wird etwa in einer Entscheidung zum Prüfungs1999, S. 334 f.; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 120 f.; F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S.216 zur Legitimation der Verordnungsermächtigungen des GenTG: Nach den Grundsätzen des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ sei „eine offene Gesetzesfassung nicht nur zulässig, sondern verfassungsrechtlich geboten“, wenn dadurch die Verwirklichung und effektiver Schutz der Grundrechte am ehesten gewährleistet erschienen; H. Kremser, JZ 1997, S. 898, 899 im Blick auf die Regulierung elektromagnetischer Felder durch die Rezeption der technischen Regelwerke von ständischen Sachverständigengremien: Die Rezeption von technischen Regelwerken durch das offene Tatbestandsmerkmal „Stand der Technik“ erlaube aufgrund der gegenüber Verordnungsgebungs- und Gesetzgebungsverfahren erhöhten Geschwindigkeit der „laufenden Anpassungen an den technischen Fortschritt unter Berücksichtigung der neuesten gesicherten Erkenntnisse“ eine „bestmögliche Gefahrenabwehr“. Durch die Verweisung des Gesetzgebers auf „sich stets selbst regulierende und aktualisierende technische Regelwerke“ werde ein „dynamischer Grundrechtsschutz“ realisiert; F. Mühlenbruch, Außenwirksame Normkonkretisierung durch „Technische Anleitungen“, 1992, S. 156: Tauglichkeit der Verwaltungsvorschrift als Regelungsinstrument des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ aufgrund der „für Neuerungen in weitem Umfang aufgeschlossenen Bindungswirkung“, welche Rechtssicherheit schaffe, ohne der Gefahr mangelnder inhaltlicher Aktualität in gleichem Maße ausgesetzt zu sein wie das Verordnungsrecht. 129 Vgl. in diesem Zusammenhang die Überlegungen zu den funktionalen Differenzen zwischen der rechtsgestaltenden Dimension der Verfassungsrechtsprechung und der Rechtsetzung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bei J. Limbach, Das Bundesverfassungsgericht als Machtfaktor, 1995, S. 22: Der Aktionsrahmen des Gesetzgebers als zentralem Akteur in der Gestaltung der Gesellschaft sei umfassend, zumal dieser aus sich heraus aktiv werden könne und müsse. Dagegen könne das Gericht nur auf Grund eines äußeren Anstoßes, also reaktiv und kontrollierend und nur bezogen auf einen bestimmten Gegenstand tätig werden. Der punktuelle Eingriff und die damit notwendige Horizontverengung des justizförmig gestaltenden Rechtsgewinnungsverfahrens berge immer die Gefahr, dass das Gericht den zu regelnden sozialen Sachverhalt zu eindimensional erfasse. Dagegen könne der rechtsetzende Gesetzgeber eine Rechtsänderung in alle Folgeprobleme verfolgen und Fehlschläge selbst korrigieren. Der Gesetzgeber bleibe Herr seines Werkes, während der Richter die Folgen seines Eingriffs weitgehend sich selbst oder dem Gesetzgeber überlassen müsse. 130 Zur diesbezüglichen Konfliktscheu des Gesetzgebers des Umweltrechts J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 192; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 181. 131 Vgl. etwa BVerfGE 62, 203, 210 (Steuerberatung). 17*
260 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung recht der Steuerberater als Indiz der hinreichenden Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung angesehen, dass sich der Gesetzgeber bei deren Formulierung „an ein durch eine Reihe von Gerichtentscheidungen gebilligtes Regelungssystem gehalten“ habe. 132 Demgegenüber hat das Gericht andernorts die „besondere Verantwortung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers für die Anpassung der Rechtsordnung an wechselnde soziale Anforderungen und veränderte Ordnungsvorstellungen“ betont 133 und die Rechtsetzungsleitfunktion dadurch relativiert, dass in Bezug auf die Verfassungsrechtsprechung festgestellt wurde, das Bundesverfassungsgericht habe „Akte der gesetzgebenden Gewalt an der Verfassung selbst und nicht an verfassungsgerichtlichen Präjudizien zu messen“. 134 7. Abstufungen in der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers Die Fokussierung auf die strukturellen Parallelen einzelner verwaltungsrechtlicher Gesetze und ihrer Verordnungssysteme hindert nicht, die Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen, die im Maße der dem Verordnungsgeber zukommenden Gestaltungsfreiheit anzutreffen sind. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Angebote in der Literatur zur dogmatischen Verarbeitung des oben aufgezeigten Entwicklungsprozesses der Rechtsverordnung zum Instrument der Politik 135 unterbreitet werden und wie sich demgegenüber die Rechtsprechung positioniert. a) Die Strukturierung des Verordnungsermessens in der Literatur In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen zur Strukturierung des Verordnungsermessens. 136 Manche Autoren differenzieren zwischen Konkretisie132 BVerfGE 62, 203, 210 (Steuerberater). Vergleichbare Ermächtigungen zum Erlass von Prüfungsordnungen seien von der Rechtsprechung nicht beanstandet worden, so das Bundesverfassungsgericht ebd. mit einer Vielzahl von Einzelnachweisen aus der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts. 133 BVerfGE 77, 84, 104. 134 BVerfGE 77, 84, 104. Vgl. hierzu die Forderung von B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 338 nach dem Verzicht des Gerichts darauf, stärker initiativ zu werden und umfassende, auch für die Zukunft geltende Regelungen anzustreben. 135 Vgl. zu der mit dem Absinken der gesetzlichen Regelungsdichte wachsenden politischen Bedeutung der Rechtsverordnung bereits 1. Teil, V., 3. 136 Vgl. T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 187 ff.; M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 52 der das dem Verordnungsgeber überantwortete Verordnungsermessen ansiedelt „zwischen der Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers und dem auf den Einzelfall bezogenen administrativen, dem sog. Verwaltungsermessen“. Ablehnend zum Begriff des Verordnungsermessens Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 239: Der Ausdruck „Ermessen“ solle auf die einzelfallbezogene Rechtsanwendung beschränkt bleiben. Demgegenüber bereits im Titel programmatisch K. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000; allgemein zum Ermessen des Verordnungsgebers W. Nagel, Die Rechtskonkretisierungsbefugnis der Exekutive, 1993, S. 64 ff.
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rungsermessen und Rechtsfolgeermessen des Verordnungsgebers. 137 Andere unterscheiden in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht Rechtsverordnungen in der Konkretisierung gesetzlicher Regelungen von Rechtsverordnungen mit gesetzlichem Regelungsauftrag. 138 Nach Reinhard Hendler determiniert die einfachgesetzliche Normierung einzelner Technikstandards die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers. 139 Bei dem Standard der „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ sei die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers geringer als bei den Standards des „Standes von Wissenschaft und Technik“ und des „Standes der Technik“. 140 Mit Thomas von Danwitz lassen sich normstrukturell „kognitive“ und „volitive“ Elemente der Ermächtigungsnorm unterscheiden. 141 Kognitive Elemente haben danach eine strikte Bindung an die gesetzlichen Vorgaben zur Folge und determinieren insoweit eine lediglich rechtsanwendende Komponente der Verordnungsgebung. Demgegenüber eröffnen volitive Elemente des „Wertens, Bewertens und Abwägens“ einen gestalterischen Freiraum, den der Verordnungsgeber mit rechtspolitischem Gestaltungswillen entscheidend prägen kann. 142 b) Die verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Absicherung der Rechtsverordnung als Instrument der Politik Auch die Rechtsprechung geht von differierenden Spielräumen des Verordnungsgebers und einer dementsprechenden Nuancierung in der richterlichen Kontrolldichte aus. Diese Grundlinie kommt sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als auch in jener des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck. 137 So etwa Ch. Weitzel, Justiziabilität des Rechtsetzungsermessens, 1998, S. 71 ff., S. 72: Rechtsfolgeermessen definiert als Ermächtigung zur Auswahl einer Rechtsfolge aufgrund eigener Zielvorstellungen der Behörde; S. 117: Ergänzung um das Kriterium des „Nicht-Vorliegens einer näheren normativen Regelung“. 138 Vgl. zum Ganzen R. Bartlsperger, DVBl. 2003, S. 1473, 1486, Fn. 97. Zur Konkretisierung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit „öffentlicher Eigentumsbeschränkungen“ durch naturschutzrechtliche Schutzgebietsverordnungen BVerwGE 94, 1, 5 f. und F. Ossenbühl, in: FS W. Leisner, 1999, S. 689, 694. Es handelt sich um Vorgänge der Konkretisierung gesetzlicher Regelungen; anders bei gesetzlichen Regelungsaufträgen an den Verordnungsgeber, hierzu BVerfGE 79, 174, 193 f. (Anlieger-Lärmschutz). 139 R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S. 101, 109. Vgl. auch U. Kischel, Die Begründung, 2003, S. 306 zur Unterscheidung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers von jener des parlamentarischen Gesetzgebers am Merkmal der Bindung des ersteren an den Rahmen des gesamten Gesetzesrechts. 140 R. Hendler, ebd. Der Grund hierfür soll darin liegen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung der Exekutive einen eigenen Beurteilungsspielraum bei der Konkretisierung des technischen Standards des „Standes von Wissenschaft und Technik“ zuerkannt habe, ders., ebd. unter Bezugnahme auf BVerfGE 49, 89, 140 (Kalkar), BVerwGE 72, 300, 316 f. (Wyhl) und weitere. Ein solcher Beurteilungsspielraum sei auch für den Standard des „Standes der Technik“ anzunehmen, nicht aber für jenen der „allgemein anerkannten Regeln der Technik“. Zur Abgrenzung dieser drei Technikstandards im Überblick M. Seibel, BauR 2004, S. 266 ff. 141 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 188 f. 142 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 189.
262 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Die Entscheidungspraxis des BVerwG kennt deutliche Abstufungen in der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers. Dementsprechend finden sich uneinheitliche Justiziabilitätsmaßstäbe. So wird die Verordnungsgebung zuweilen unverkennbar den Rechtsgrundsätzen unterworfen, die das Gericht zur Dogmatik des allgemeinen Planungsrechts entwickelt hat, so etwa in BVerwGE 111, 276 zur verordnungsrechtlichen Festlegung von An- und Abflugstrecken. 143 In anderen Entscheidungen wird die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur planungsrechtlichen Abwägungskontrolle dezidiert verworfen, so insbesondere in BVerwGE 70, 318 zu einer Kapazitätsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen. 144 Hier führt das BVerwG aus, dem Normgeber sei ein Regelungsspielraum eröffnet, den dieser mit rechtspolitischem Gestaltungswillen auszufüllen habe. 145 Eine objektiv willkürfreie Normierung habe der rechtsgebundene Richter zu respektieren. 146 Das Bundesverfassungsgericht hat die Übertragung auch weitreichender, letztlich politischer Gestaltungsbefugnisse auf den Verordnungsgeber mehrfach gebilligt, 147 insbesondere in der Form der Übertragbarkeit von „Bewertungsspielräumen“ oder „Prognoseentscheidungen“. 148 In Bezug auf die Ermächtigung des § 51 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz zur Festsetzung von Beförderungsentgelten für den Gelegenheitsverkehr zum Zwecke des Krankentransports streicht das Gericht zunächst die Bedeutung der Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung für die dezidiert politische Aufgabe des Ausgleichs kollidierender Interessen heraus: Der Gesetzgeber habe die entsprechenden Verordnungsermächtigungen vorgesehen, „gerade um den hierbei zu treffenden Interessenausgleich mit hoheitlichen Mitteln zu ermöglichen“. 149 Dass die Ermächtigung zu einem derartigen Interessenausgleich zwingend das Erfordernis einer entsprechenden verordnungsgeberischen Gestaltungsfreiheit nach sich zieht, stellt das Gericht im Anschluss ausdrücklich fest und führt aus: Die Einräumung eines „Bewertungsspielraums im Rahmen des Ermächtigungszwecks“ sei „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden“, soweit die Ermächtigungsnorm ge143 BVerwGE 111, 276 (An- und Abflugstrecken); hierzu H. H. Rupp, NVwZ 2002, S.286 ff.; zu den prozessualen Aspekten G. Winter, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1029 ff., 1047. 144 BVerwGE 70, 318 (Kapazitätsverordnung); hierzu die Darstellung bei G. F. Schuppert/ Ch. Bumke/I. Richter, Casebook Verwaltungsrecht, 3.Aufl. 2000, S.98 ff., die die Entscheidung BVerwGE 70, 318 als „leading case“ zum Problem des „Regelungsermessens des Verordnungsgebers“ einstufen. 145 BVerwGE 70, 318, 332 (Kapazitätsverordnung). 146 BVerwGE 70, 318, 332: Dies gelte auch wenn der Richter die wertenden Einschätzungen des Normgebers, auf denen die anzuwendende Vorschrift beruhe nicht teile, weil er meine, dass zur Erreichung des Ziels eine bessere Regelung getroffen werden könnte. Vgl. zur neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung mit weiteren Nachweisen BSG, SGb 2004, 65 m. kritischer Anmerkung von S. Brandenburg, aaO, S. 70 ff. 147 Zur Frage, inwieweit das Maß der gerichtlichen Kontrolle als „flankierende Sicherung exekutiver Eigenständigkeit“ verstanden werden kann, A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 121 f. 148 BVerfGE 42, 191 (Personenbeförderung); BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen); BVerfGE 106, 1, 16 f. (Oberfinanzdirektion). Hierzu die nachfolgende Darstellung. 149 BVerfGE 42, 191, 202 (Personenbeförderung).
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wisse näher dargelegte Rahmenbedingungen gewährleiste. 150 Die Rechtsverordnung wird in diesem Kontext ausdrücklich als Instrument der „normativen Lenkung“ gewürdigt, 151 dessen Einsatz geboten sein könne, um die „vielfältigen Wandlungen und Entwicklungen der wirtschaftlichen Verhältnisse“ einer zügigen rechtlichen Regelung zu unterwerfen. 152 Der Entscheidung im 56. Band zum Flugplatz Memmingen liegt eine senatsinterne Kontroverse zugrunde, in der sich die übergeordnete Frage spiegelt, inwieweit die Rechtsverordnung als Instrument strikter Gesetzesvollziehung oder politischwertender Rechtsetzung zu sehen ist. 153 In Streit stand eine Rechtsverordnung des Bundes, mit der dieser auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 i.V. m. §§ 2 und 3 des Fluglärmgesetzes für die Umgebung des Flugplatzes Memmingen einen Lärmschutzbereich festgesetzt hatte. 154 Die Senatsmehrheit argumentierte, der Verordnungsgeber sei bei Festsetzung des Lärmschutzbereiches durch die §§ 2 und 3 FlugLG nicht auf das rein technisch-mathematische Verfahren der Verarbeitung ihm vorgegebener Daten verwiesen. 155 Die „Pflicht des Verordnungsgebers, bei der Ermittlung des äquivalenten Dauerschallpegels den voraussehbaren Flugbetrieb auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaus des Flughafens zu berücksichtigen“, enthalte „vielmehr einen Prognosespielraum, innerhalb dessen ausreichender Raum für die wertende Abwägung“ sei. 156 In völlig konträrer Ausrichtung führten die Richter Wand und Niebler in einem Minderheitenvotum aus, der Verordnungsgeber habe sich der von der Senatsmehrheit geforderten Interessenabwägung zu Recht enthalten, hätte er doch andernfalls den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung überschritten und damit gegen Art. 80 GG verstoßen. 157 Der Verordnungsgeber sei zutreffend davon ausgegangen, dass schon der Gesetzgeber selbst generell-abstrakt die Interessen der Gemeinden an weitgehender Freiheit von Eingriffen in ihre Planungshoheit gegen die Interessen der Bürger, wirksam vor gesundheitsschädlichen Lärmbelästigungen geschützt zu werden, abgewogen habe. 158 Diese Entscheidungsgründe verdeutlichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verordnungsgebung keineswegs auf BVerfGE 42, 191, 203. BVerfGE 42, 191, 203. 152 BVerfGE 42, 191, 203. 153 BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen). 154 Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereiches für den militärischen Flugplatz Memmingen vom 23. Juni 1975, BGBl. I 1490. 155 BVerfGE 56, 298, 314. 156 BVerfGE 56, 298, 316, Hervorhebungen im Original. Im der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt habe der Verordnungsgeber „unter Verkennung seines Abwägungsspielraums und der damit verbundenen Abwägungspflicht“ sich zu Unrecht „im wesentlichen auf eine technisch-mathematische Ermittlung der vom bisherigen Flugplatzbetrieb künftig zu erwartenden Geräuschimmissionen beschränkt“, BVerfG, aaO, 319. 157 BVerfGE 56, 298, 343. 158 BVerfGE 56, 298, 343. Als Ergebnis dieser gesetzgeberischen Interessenabwägung seien die Lärmschutzbereiche nur nach objektiv zu ermittelnden Lärmbelastungswerten zu bestimmen, so das BVerfG ebd. 150 151
264 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Elemente der strikten Gesetzesvollziehung begrenzt sieht. Vielmehr steht es dem Gesetzgeber frei dem Verordnungsgeber auch die Aufgabe politischer Wertungen zu übertragen. Ignoriert der Verordnungsgeber einen derartigen Gehalt der Ermächtigungsnorm, ist die Rechtsverordnung nichtig. Die Grundgedanken dieser Rechtsprechung führt das Gericht bis in die Gegenwart fort, so etwa in einer aktuellen Entscheidung vom 27. Juni 2002. 159 Hier setzt sich das Gericht auch eingehend mit der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Prognosespielräumen des Verordnungsgebers auseinander. 160 Der Entscheidung lag eine Rechtsverordnung des Bundesfinanzministers nach der Ermächtigung des § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zugrunde. Mit der angegriffenen Rechtsverordnung waren die Aufgaben der Zoll- und Verbrauchssteuerabteilungen sowie der Bundesvermögensabteilungen neugeordnet und übertragen worden, so dass einige Oberfinanzdirektionen alle Bundesaufgaben verloren. Das Bundesverfassungsgericht führt zunächst zu der Voraussetzung des § 8 Abs. 3 S. 1 FVG, wonach durch die Aufgabenübertragung „der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird“, aus, dabei handle es sich um unbestimmte Gesetzesbegriffe, die „vom Verordnungsgeber Entscheidungen mit prognostischen Elementen“ forderten. 161 Sodann werden die Maßstäbe zur Beurteilung von Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers umrissen.162 Entsprechendes gelte auch für die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Prognoseentscheidungen des Verordnungsgebers, wenn die Prognoseentscheidung durch den ermächtigenden parlamentarischen Gesetzgeber auf den Verordnungsgeber übertragen wurde. 163 Zur Bestimmung des Kontrollmaßstabes im vorliegenden Fall wird hervorgehoben, dass es sich bei der Beurteilung der Frage, ob durch die angegriffene Rechtsverordnung der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert werde, um eine Organisationsentscheidung auf dem Gebiet der Bundesexekutive handele, durch die „Grundrechte der Bürger nicht unmittelbar betroffen werden“. 164 Demzufolge sei dem Verordnungsgeber hier ein weiter Prognosespielraum einzuräumen. Die Prognose unterliege daher „lediglich einer Evidenzkontrolle“. 165 Vgl. BVerfGE 106, 1, 16 (Oberfinanzdirektion). BVerfGE 106, 1, 16 ff. (Oberfinanzdirektion). 161 BVerfGE 106, 1, 16 (Oberfinanzdirektion). 162 BVerfGE 106, 1, 16 f. (Oberfinanzdirektion) im Anschluss an BVerfGE 50, 290, 332 f.; 83, 120, 141: Der Beurteilung von Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers lege das Bundesverfassungsgericht je nach Zusammenhang differenzierte Maßstäbe zu Grunde, die von einer Evidenz- über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichten. Im Einzelnen maßgebend seien Faktoren wie die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilde, und die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. 163 BVerfGE 106, 1, 17 (Oberfinanzdirektion). 164 BVerfGE 106, 1, 17. 165 BVerfGE 106, 1, 17. Dementsprechend war die Entscheidung des Bundesfinanzministers im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. 159 160
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
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Die aufgezeigte Entwicklungslinie der Rechtsprechung bedeutet für die Rechtsverordnung die verfassungsrechtliche Absicherung ihres funktionalen Doppelcharakters als Instrument der Gesetzesvollziehung einerseits und der Gesetzgebung andererseits. 166 Denn um im letztgenannten Sinne politisch-wertend eingesetzt werden zu können bedarf es der Anerkennung von Gestaltungsfreiräumen oder Prognosespielräumen im dargelegten Sinne. 167 In diesem Ergebnis spiegelt sich das in der Zusammenfassung des Ersten Teils gefundene Resultat des Ausgangs der Rechtsverordnung aus dem Feld der Detailregelungen und ihr Avancieren zum Instrument der Politik. Diese Entwicklung ist für sich genommen also verfassungsrechtlich abgesichert, denn diesbezügliche Bedenken gegen die Rechtsprechung des Gerichts erheben sich nicht. 168 Festzuhalten ist allerdings, dass die Hoheit über den politischen Charakter der Rechtsverordnung seitens der Rechtsprechung dem Gesetzgeber überlassen wird. Dieser entscheidet darüber vor allem mit dem Maß der gesetzlichen Regelungsdichte.
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen und Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung Die vorhergehende Rekonstruktion der Regelungsstrukturen gegenwärtigen Staatshandelns hat aufgezeigt, dass die materielle Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen im Zuge der weitreichenden funktionalen Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung ernsthafte verfassungsrechtliche Probleme nach sich zieht. Soweit Verordnungsermächtigungen statuiert werden, vermögen diese oftmals der Verpflichtung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zur Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß nur schwerlich gerecht zu werden.169 1. Der Zusammenhang zwischen gesetzgeberischer Funktionenzuordnung und Beschaffenheit der Verordnungsermächtigungen Nachfolgend soll nun der Zusammenhang von Verordnungsfunktionen und (In-)Stabilität der Ermächtigungsstrukturen dargelegt werden. Zu untersuchen ist zum einen, inwieweit einzelne Verordnungsfunktionen, zum anderen inwieweit Funktionsmehrheiten (Funktionsbündel) die gesetzgeberische Formulierung der 166 Betonung dieses Doppelcharakters bei H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 19; vgl. auch R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 2. Aufl. 1974, S. 41 ff. 167 Vgl. nochmals die normstrukturelle Unterscheidung „kognitiver“ und „volitiver“ Elemente bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 188 f. 168 Vgl. die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor dem Hintergrund eines Verständnisses der Rechtsverordnung als Instrument der Politik bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 321 ff. und die Darstellung bei M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 77, 143 ff. 169 Vgl. soeben 3. Teil, I., 1. und 2.
266 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Verordnungsermächtigung beeinflussen. Von besonderem Interesse ist dabei die Verarbeitung dieses Prozesses in der Verfassungsrechtsprechung. a) Die Einwirkung einzelner Funktionen auf die Verordnungsermächtigung Unmittelbare Zusammenhänge zwischen den Eigenheiten der Funktionszuordnung und der gewählten Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung finden sich bereits bei der „Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion“. 170 Diese vermag der Gesetzgeber in umso stärkerem Maße auf den Verordnungsgeber abzuwälzen, als auf dezidierte gesetzliche Vorgaben verzichtet und so dem Verordnungsgeber beispielsweise auch dann das operationalisierende Tätigwerden ermöglicht wird, wenn keine detailgenaue gesetzestextliche Ermächtigung vorliegt. Ähnliches gilt für die Funktion der Beschleunigung und Flexibilisierung. 171 Diesbezüglich konnte für die Rechtsetzungsgeschwindigkeit im Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung vorhergehend bereits gezeigt werden, dass eine Beschleunigung der Rechtsetzung regelmäßig nicht bereits beim Ersterlass der Verordnung, sondern erst bei späteren Änderungen im Regelungsprogramm eintritt. 172 Hier erweist sich eine eingehende inhaltliche Determinierung als hinderlich: Die jeweilige Vorzeichnung des verordnungsbasierten Nachsteuerungsprozesses im ermächtigenden Gesetz würde die Beschleunigungswirkung auch bei der Rechtsetzungsänderung weitestgehend vereiteln. Demnach sollte die Änderung des Regelungsprogramms, um optimale Beschleunigungswirkung entfalten zu können, bei unverändertem Ermächtigungsgesetz erfolgen. Da die Ermächtigungsstruktur also darauf eingerichtet werden muss, die vorherige und die geänderte Rechtslage zu erfassen, wird der Gesetzgeber geneigt sein, diese möglichst weit zu formulieren – insbesondere, da die konkrete Ausgestaltung der Rechtsänderung unvorhersehbar und insoweit ein Freiraum einzuplanen ist. Ähnlich stellt sich die Rückwirkung der Funktion der „Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips“ auf die Verordnungsermächtigung dar, insbesondere in der Variante der Rechtsverordnungen nach dem Gentechnikgesetz als Teil einer auf Innovationsimplikationen ausgerichteten Regelungsstruktur. Hier soll ja ein Teil des benötigten Wissens erst auf der Ebene der Verordnungsgebung erzeugt werden; 173 zudem erfordern Konzepte des „trial and error“ per definitionem einen gewissen Spielraum. 174 In der Rechtsverordnung soll ein materieller Gehalt seinen Niederschlag finden, der bei Formulierung der Verordnungsermächtigung noch nicht bekannt ist. Die VerordVgl. 1. Teil, II., 1. Vgl. 1. Teil, II., 3., c). 172 Vgl. die Ausführungen zur Funktion der „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“ im 1. Teil, II., 2. 173 Vgl. Ausführungen der Regierungsbegründung zum GenTG (BT-Drs. 11/5622, S. 31) und zur GenTSV Regierungsbegründung zur GenTSV (BR-Drs. 226/90, S. 108) und ausführlich 1. Teil, II., 3., c). 174 Vgl. I. Appel, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 327, 343 ff. mit der Analyse des regelmäßigen Bestehens größerer administrativer Spielräume in Fällen bewußten gesetzgeberischen Umgangs mit Ungewissheit. 170 171
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nungsermächtigung wird also im Hinblick auf einen materiellen Regelungsgehalt formuliert, dessen empirische Grundlagen im Zeitpunkt der Statuierung der Ermächtigungsnorm (noch) nicht bekannt sind. Selbst die Vorgabe alternativer Regelungsszenarien für hypothetische Varianten des Erkenntnisfortschritts bleibt reine Spekulation. Die weite Formulierung der Verordnungsermächtigung ist also eine – unvermeidliche – Konzession an die gesetzgeberische Hoffnung, Wissenszugewinne zu erzielen und diese in enger zeitlicher Abfolge in Verordnungsrecht umzusetzen. Auch die Funktion der Adaption des staatlichen Instrumentenwandels 175 drängt auf eine weite Fassung der Verordnungsermächtigung. Denn beispielsweise lässt sich im Blick auf das Kooperationsprinzip die Dichte der Ermächtigungsstruktur reformulieren als der Grad an Freiheit, der der verhandelnden Verwaltung zugemessen wird. 176 Auch die Umsetzung europarechtlicher wie völkerrechtlicher Vorgaben verlangt, da es sich um periodisch wiederkehrende Vorgänge mit wechselndem Inhalt handelt, nach dehnbaren Ermächtigungsgrundlagen.177 Denn mit einer fachgesetzlichen Ermächtigung sollen möglichst viele der vorhandenen und künftigen EG-Richtlinien und internationalrechtlichen Verträge umgesetzt werden. 178 b) Das Zusammentreffen mehrerer Funktionen Beim Zusammentreffen mehrerer Funktionen gilt: Je weiter der Aufgabenkatalog gefasst ist, der der Verordnungsgebung zur Erledigung zugewiesen wird, desto höher ist der Bedarf an Entscheidungsfreiräumen. Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers wird dabei in entscheidendem Maße vom Grad der Determinierung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt. Je geringer die Dichte der Verordnungsermächtigung, desto weiter das Verordnungsermessen. 179 Die Weite des VerordHierzu 1. Teil, II., 5. Zur Konfrontation von Verordnungsfunktion und verfassungsrechtlichen Vorgaben auch F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 19: Eine restriktivere Handhabung des Bestimmtheitsgebotes würde die Vorteile der Verordnungsgebung neutralisieren und dem Entlastungsinteresse des Bundestages entgegenwirken. Mehr Bestimmtheit bedeute mehr Vorausschau und mehr Festlegungen des parlamentarischen Gesetzgebers. Verordnungsgebung solle demgegenüber auch die Möglichkeit bieten, „situationsnäher und treffsicherer“ regeln zu können, Erfahrungen zu sammeln und legislativ flexibler auszuwerten. Insoweit enthalte das Bestimmtheitsgebot eine innere Spannungslage, die einen mittleren Kontrollkurs erfordere. 177 Vgl. 1. Teil, III. 1. u. 2.; hierzu K. Berendes, ZfW 1996, S. 363, 366 f. mit Blick auf die rechtspolitische Intention der Etablierung des § 6 a WHG im Rahmen der 6. WHG Novelle. 178 Diese Intention des Gesetzgebers kommt in den Gesetzgebungsmaterialien zur Einfügung des § 6 a WHG in typischer Weise zum Ausdruck, wenn es in BT-Drs. 13/1207, S. 7 heißt: Für den Bereich des Bundes entfalte der neue § 6 a WHG eine zwar weit gefasste, den Anforderungen des Art. 80 GG aber noch entsprechende Verordnungsermächtigung zur Umsetzung von EG-Recht. Damit solle erreicht werden, dass „möglichst viele, zum Teil sehr unterschiedliche Gewässerschutz-Richtlinien der EG durch Verordnung umgesetzt werden können“ und dementsprechend der Einsatz des aufwendigen Instruments des Gesetzes entbehrlich werde. Hierzu die Darstellung bei R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 225. 179 Zum Begriff des Verordnungsermessens vgl. vorhergehend unter 3. Teil, I., 7. und F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 33 ff. 175 176
268 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung nungsermessens entscheidet auch über die Kontrolldichte der richterlichen und behördlichen Rechtsmäßigkeitsprüfung von Rechtsverordnungen. 180 Dementsprechend ist eine Verordnungsermächtigung prima facie umso eher als Grundlage zusammentreffender Verordnungsfunktionen geeignet, je weniger materielle Vorgaben sie enthält. Strukturell zielt das Zusammentreffen mehrerer Verordnungsfunktionen also in noch stärkerem Maße als bei einzelnen Funktionszuordnungen auf die Entleerung der Verordnungsermächtigung ab. c) Verordnungsfunktionen und verfassungsrechtliche Vorgaben im Widerstreit Es zeigt sich, dass Verordnungsfunktionen und verfassungsrechtliche Vorgaben einander entgegenstehen können. Beispielsweise kollidiert die Ausrichtung des Verordnungssystems an Operationalisierungs- und Beschleunigungs-, Innovationsoder Kooperationsmaximen mit den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. In gleicher Weise stößt der funktionenzuordnende Ermächtigungsgesetzgeber auch bei jenen Verordnungsermächtigungen, die auf die Inkorporation internationalrechtlicher Vorgaben gerichtet sind, auf die seitens der Verfassung in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gezogenen Beschränkungen. 2. Verordnungsfunktionen und Ermächtigungsnormen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Hat sich vorhergehend gezeigt, dass eine effektive Durchsetzung der mit der Rechtsverordnung verfolgten Funktionen unschwer in Kollision gerät mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, namentlich des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, so wendet sich die Arbeit nun der Frage zu, wie sich diese Spannungslage im Spiegel der Verfassungsrechtsprechung darstellt. Untersucht wird der Verlauf der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG insgesamt, insbesondere aber hinsichtlich der Frage, wie die gesetzgeberische Funktionenzuordnung zur Rechtsverordnung in der Auslegungspraxis verarbeitet wird. a) Grundlinien der Verfassungsrechtsprechung Die Analyse der Verfassungsrechtsprechung zur Regelungsdichte von Verordnungsermächtigungen erweist sich über die konkreten Auseinandersetzungen am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hinaus als überaus aufschlussreich für die Rezeption verschiedener bedeutender methodischer Weichenstellungen in der Recht180 Hierzu F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 74 ff., 79: Die Kontrolldichte umgekehrt proportional zum Verordnungsermessen. Unter Verweis auf T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 265 ff. führt Ossenbühl, ebd. zur Bestimmung der Kontrolldichte aus, diese werde im wesentlichen von den Verordnungstypen abhängen und sich an den Maßstäben der Evidenz und Vertretbarkeit zu orientieren haben.
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sprechung des BVerfG, wie sie etwa in der Öffnung für die verfassungskonforme Auslegung und der Entwicklung der Wesentlichkeitsdogmatik zu sehen sind. Die verstetigte Abkehr von der ursprünglichen Verfassungsinterpretation 181 wird sich als das Ergebnis dieser Weichenstellungen darstellen. 182 Für die ersten Jahre des Grundgesetzes ist eine durchaus restriktive Kontrolle am Maßstab der notwendigen Bestimmung von „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung“ zu verzeichnen. 183 In einer Vielzahl von Entscheidungen wurde die zugrunde liegende Verordnungsermächtigung für nichtig erklärt. So wurde bereits in einer Entscheidung im Ersten Band der Amtlichen Sammlung eine zentrale Verordnungsermächtigung des Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden, und Hohenzollern v. 4.5.1951 184 aufgehoben. Der fraglichen Verordnungsermächtigung des § 27 Abs. 2 des Zweiten Neugliederungsgesetzes 185 fehle es an der nötigen Bestimmtheit. 186 Im Zweiten Band wurde die Ermächtigung, die Gerichtsbezirke in ihrer Abgrenzung durch Verordnung zu ändern, für nichtig erklärt, weil eine „eindeutig klare Bestimmung des Ausmaßes“ fehlte und weil der Zweck „in dem Wortlaut (...) nicht mit der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck gekommen“ sei; es genüge nicht, dass der Zweck der Ermächtigung aus dem Charakter der Vorschrift zu entnehmen sei. 187 Weitere Verordnungs181 F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 27, 32: „Das BVerfG hat nach einer anfangs stringenten Rechtsprechung die Zügel locker gelassen und an den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 S. 2 nur Minimalanforderungen gestellt“; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 528; H.-P. Schneider, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 62, Rn. 5: Zunehmende Lockerung des Bestimmtheitserfordernisses; teilweise anders U. Battis, der für die Verfassungsrechtsprechung über die gesamte Gültigkeitsdauer des Grundgesetzes hinweg eine uneinheitliche Handhabung der Bestimmtheitsklausel diagnostiziert, mit dem Ergebnis einer nicht periodisierbaren Abfolge „strenger“ und „großzügiger“ Entscheidungen, ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage 2002, S. 30, Fn. 115. 182 Vgl. zum Ganzen die Rechtsprechungsübersichten bei H. Hasskarl, AöR 94 (1969), S. 85 ff.; R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und offene Normen, 1971, S. 168 ff.; D. Wilke, AöR 98 (1973), S.196 ff.; M. Lepa, AöR 105 (1980), S.337 ff.; W. Cremer, AöR 122 (1997), S. 248 ff.; G. Leibholz/H.-J. Rinck/D. Hesselberger, Grundgesetz, Bd. 2, Art. 80 (2000), Rn. 306 ff. 183 Vgl. die Darstellung bei B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGKIII, 5. Aufl. 2003, Art.80, Rn. 20 ff. 184 BGBl. I 1951, S. 284. 185 § 27 Abs. 2 des Zweiten Neugliederungsgesetzes lautete: „Der Bundesminister des Innern erlässt die zur Durchführung erforderlichen Rechtsverordnungen.“ Die Entscheidung des BVerfG hatte zur Folge, dass derartige Pauschalermächtigungen aus der Gesetzgebungspraxis verschwanden. 186 BVerfGE 1, 14, 60 (Südweststaat). Wenn die Ermächtigung zum Erlass aller Rechtsverordnungen erteilt werde, die erforderlich seien zur Durchführung eines aus 26 Paragrafen bestehenden Gesetzes, das die Einleitung und den Ablauf eines außergewöhnlichen, nicht einfachen Neugliederungsprozesses regle, dann seien die Fälle, in denen von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden könne, nicht mehr überschaubar, BVerfGE 1, 14, 60 (Südweststaat). 187 BVerfGE 2, 307, 334 f. (Gerichtsbezirke) zu § 1 Abs. 2 der Verordnung des Reichsministers der Justiz zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung v. 20.3.1935, RGBl. I 403.
270 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung ermächtigungen, die in der Folgezeit für unvereinbar mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erklärt wurden, waren beispielsweise § 44 KgfEG zur näheren Regelung von Entschädigungsansprüchen ehemaliger deutscher Kriegsgefangener, 188 § 8 und § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1951, 189 mehrere Ermächtigungen des Zweiten Abschnitts des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 190 und aus dem Bereich des Lastenausgleichsrechts, 191 § 80 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 1957, 192 § 24 Jugendwohlfahrtsgesetz, 193 Artikel II Ziffer 2 Buchstabe e des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsgesetzes 1950 194 und § 19 Abs. 1 Milch- und Fettgesetz. 195 188 BVerfGE 5, 71, 75 ff. (Kriegsgefangene); § 44 des Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener v. 30.1.1954, BGBl. I 5 ermächtigte die Bundesregierung zum Erlass näherer Vorschriften über die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs. 189 BVerfGE 7, 282 (Umsatzsteuergesetz) erklärte § 8 des Umsatzsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951, BGBl. I 791 und § 18 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes, soweit er die Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach § 8 ermächtigt, für unvereinbar mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, BVerfGE 7, 282, 283 (Entscheidungsformel). 190 BVerfGE 10, 251 (Verkehrsfinanzgesetz I). Interessant ist die getrennte Prüfung der Bestimmtheitstrias: Keine Bedenken erhob das Gericht hinsichtlicht der hinreichenden Bestimmung des „Inhalts“ (BVerfGE 10, 251, 255). Dagegen lasse die Ermächtigung die Grenze ihres Ausmaßes vermissen (BVerfGE 10, 251, 255 f.). Die Ermächtigung begrenze diesen Spielraum auch nicht durch ausdrückliche Angabe eines bestimmten Zweckes, den der Verordnungsgeber bei dem Gebrauch der Ermächtigung zu verfolgen habe (BVerfGE 10, 251, 256). Die Verfassungsmäßigkeit von Abschnitt II Artikel 3 Abs. 1 Nr. 1 des Verkehrsfinanzgesetzes war Gegenstand von BVerfGE 18, 52 (Verkehrsfinanzgesetz II) und wurde ebenfalls unter differenzierter Erörterung des Tatbestands von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für nichtig erklärt, BVerfGE 18, 52, 62 ff. 191 BVerfGE 19, 370 (Lastenausgleichsgesetz), bezüglich der streitigen Ermächtigungen des § 327 Abs. 2 des Gesetzes über den Lastenausgleich idF v. 29.7.1959, BGBl. I 545 und des § 30 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes über die Feststellung von Vertreibungsschäden idF v. 14.8.1952, BGBl.I 535. Hier ließ das Gericht zwar die hinreichende Bestimmung von „Inhalt“ sowie „Sinn und Zweck“ der fraglichen Verordnungsermächtigungen unbeanstandet, diese seien jedoch nicht hinreichend bestimmt hinsichtlich ihres Ausmaßes, BVerfGE 19, 370, 376. 192 BVerfGE 20, 257 (GWB). Die streitige Ermächtigung des §80 Abs. 2 GWB besagte, dass im Verfahren vor der Kartellbehörde Gebühren zur Deckung der Verwaltungskosten erhoben werden. Das Nähere über die Gebühren werde durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geregelt. Das Gericht führte aus, ob Inhalt und Zweck hinreichend bestimmt seien, könne dahingestellt bleiben. Denn da § 80 Abs. 2 S. 2 GWB nichts über die dem Verordnungsgeber gesetzten Grenzen sage, sei die Vorschrift hinsichtlich des Ausmaßes der Ermächtigung zu unbestimmt, BVerfGE 20, 257, 269. 193 BVerfGE 22, 180, 214 ff. (Jugendwohlfahrt). § 24 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt idF v. 11.8.1961, BGBl. I 1205 ermächtigte die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrats Ausführungsvorschriften zur Sicherung einer tunlichst gleichmäßigen Aufgabenerfüllung seitens der Jugendämter zu erlassen. Das BVerfG klassifizierte zunächst diese „Ausführungsvorschriften“ ausdrücklich als Rechtsverordnungen (S. 214) und stellte sodann fest, die Ermächtigung sei weder nach Inhalt noch nach Ausmaß hinreichend bestimmt. 194 BVerfGE 23, 62 (Freie Erfinder). Zwar habe der Zeck der Ermächtigung einen gewissen Rahmen für den Verordnungsgeber gesetzt (die Ermöglichung der steuerrechtlichen Begünstigung der Einnahmen der Erfinder aus der Verwertung ihrer Erfindung), es sei dennoch ein zu
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Die frühen Entscheidungen des BVerfG 196 stehen ganz im Zeichen der Annahme, leitendes Motiv der Statuierung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sei die Idee gewesen, das Parlament solle keine Möglichkeit haben, sich seiner Verantwortung zu begeben. 197 Das Gericht konnte sich dabei vor allem auf die Vorgaben des Parlamentarischen Rates stützen, welcher etwa in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG einen vormaligen Nebensatz des Herrenchiemseer Entwurfs zum Hauptsatz machte198 und zudem das Wort „ausweites Feld geblieben, in dem der Verordnungsgeber tätig werden konnte, ohne dass er an vom Gesetzgeber festgesetzte Grundsätze gebunden gewesen wäre, BVerfGE 23, 62, 72. 195 BVerfGE 23, 208 (Milch- und Fettgesetz). § 19 Abs. 1 des Milch- und Fettgesetzes idF vom 10. Dezember 1952 ermächtigte die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung zur Sicherung der Verwertung von Ölsaaten und Ölfrüchten sowie pflanzlichen und tierischen Ölen und Fettem inländischer Erzeugung, mit Ausnahme von Butter, die Betriebe der Ölmühlen-, Margarine- und Speisefett-Industrie zu verpflichten, diese Erzeugnisse in einem dem Verarbeitungsbedarf entsprechenden, jeweils festzusetzen Verhältnis zu den übrigen Rohstoffmengen zu verwenden, soweit dies möglich ist, ohne die Preisbildung wesentlich zu beeinflussen. Das BVerfG entschied, dass sich weder aus dem Wortlaut noch durch Auslegung der Ermächtigungsnorm die sachlichen Schranken der anzuordnenden Verwendungspflicht für die dort genannten Produkte zweifelsfrei ermitteln ließen, BVerfGE 23, 208, 223. § 19 Abs. 1 MFG war demnach wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nichtig, BVerfGE 23, 208, 228. 196 Vgl. zu weiteren Entscheidungen aus dem skizzierten Bereich der ersten beiden Jahrzehnte der Rechtsprechung, insbesondere auch zu Ermächtigungsnormen, die der Überprüfung durch das BVerfG standhielten, die Darstellung bei R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene Normen“, 1971, S. 167 ff. 197 Vgl. zu den diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen der Südweststaatsentscheidung (BVerfGE 1, 14, 59 f.) das grundlegende Zitat in der Einl., II., 4. In BVerfGE 2, 307, 331 (Gerichtsbezirke) heißt es: Das Grundgesetz habe eine außerordentlich umfassende und schwerwiegende Emächtigung wie Art. 48 WRV bewusst abgelehnt. Auch gegenüber der durch die Reichsverfassung von 1919 gebotenen Möglichkeit, notfalls im Wege der Verfassungsänderung oder -durchbrechung zu einer umfangreichen Ermächtigungsgesetzgebung zu kommen, weiche das Grundgesetz bewusst von der früheren Rechtslage und Rechtauffassung ab. Das Grundgesetz sei vielmehr bestrebt, von vorneherein jeden Ansatz einer missbräuchlichen Erteilung und Verwendung von Ermächtigungen auszuschalten. Nierhaus belegt für die Zeit der frühen Entscheidungen des BVerfG, die „frühe Tugend des Gerichts, sich auch außerhalb der Delegationskonstellation in der Sache an dem Grundgedanken des Art. 80 GG zu orientieren“, M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 101. So habe das Gericht in der Entscheidung zum Preisgesetz (BVerfGE 8, 274) aus allgemeinen rechtsstaatlichen und gewaltenteilenden Überlegungen für den Bereich der Freiheits- und Eigentums-Klausel Grundsätze zur Ausgestaltung von Ermächtigungen der Exekutive zum Erlass belastender Verwaltungsakte entwickelt, die den Bestimmtheitsanforderungen des Art.80 Abs.1 S. 2 GG wortgleich entsprächen, M. Nierhaus, aaO, Rn. 101, 103 mit weiteren Nachweisen zur Ausstrahlung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auch auf die Bestimmung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts. 198 Der Herrenchiemseer Entwurf schlug in Art. 102 folgende Regelung vor: „(1) Die Bundesgesetzgebung wird durch Bundestag und Bundesrat (Senat) ausgeübt. (2) Keines der beiden Häuser kann seine Befugnis zur Gesetzgebung übertragen, auch nicht auf einen von ihm gebildeten Ausschuss. Die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen können jedoch durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, sofern Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung ausreichend im Gesetz bestimmt sind. Die Weiterübertragung der Ermächtigung kann zugelassen werden, bedarf aber selbst der Form der Rechtsverordnung.“ Hierzu und zu dem Antrag des Abgeordneten v. Mangoldt, der zur Aufwertung des vormaligen Nebensatzes führte R.W. Füßlein, JöR n. F. 1 (1951), S. 587, 588 f.
272 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung reichend“ als nichtssagenden „Kautschukbegriff“ strich, 199 da in diesem die Anlage einer Durchbrechung der leitenden Idee der Verhinderung von Formaldelegationen gesehen wurde. 200 Zunächst hatte das BVerfG dem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Maßgabe der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung entnommen, modifiziert durch den Grundsatz einwandfreier Deutlichkeit: „Aus der Formulierung, dass Ermächtigungszweck, Ermächtigungsinhalt und Ermächtigungsausmaß im Gesetz angegeben sein müssen folgt schließlich, dass dies grundsätzlich ausdrücklich, jedenfalls aber mit einwandfreier Deutlichkeit geschehen muss.“ 201 Die Ermächtigungsnormen wurden als der verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich angesehen. 202 Für die Auslegungsausrichtung an Gesetzeszwecken wurde dezidiert festgestellt: „Es genügt nicht, den Zweck der Ermächtigung aus dem Inhalt der Vorschrift zu entnehmen.“ 203 In dem Konkretisierungsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wurde weithin ein allgemeiner Rechtsgedanken erblickt, der auch außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Verfassungsnorm zu beachten sei. 204 Auch gesetzgeberische Anpassungsleistungen waren zu verzeichnen, insbesondere verschwanden die pauschalen Ermächtigungen zur Umsetzung eines gesamten Gesetzes nach der Missbilligung im Südweststaatsurteil. 205 Später wurde für ausreichend erachtet, dass sich die von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Bestimmtheit „durch Auslegung im Rahmen der allgemeingültigen Auslegungsmethoden ermitteln und feststellen lässt“. 206 Zur Klärung von Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung „können also, wie auch sonst bei der Auslegung einer Vorschrift, der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestimmungen und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt wer199 Das Wort vom nichtssagenden Kautschukbegriff führt R.W. Füßlein, JöR n. F. 1 (1951), S. 588 ff. auf den zugrunde liegenden Streichungsantrag des Abgeordneten Löwenthal zurück. 200 T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 171. 201 BVerfGE 2, 307, 334 f. (Gerichtsbezirke); nochmals in BVerfGE 4, 7, 21 (Investitionshilfe) und BVerfGE 5, 71, 77 (Kriegsgefangene). 202 BVerfGE 1, 14, 59 ff. (Südweststaat-Urteil). Dazu D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 214. 203 BVerfGE 2, 307, 335 (Gerichtsbezirke). Hierzu R. Geitmann, Bundesverfassungsgericht und „offene“ Normen, 1971, S. 32 f. 204 So etwa R. Mussgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 128. 205 BVerfGE 1, 14 ff. (Südweststaat); vgl. bereits vorhergehend im Text. 206 BVerfGE 55, 207, 226 (Nebentätigkeitsverordnung NRW), vorhergehend etwa in BVerfGE 8, 274, 307 (Preisgesetz) und BVerfGE 7, 282, 291 (Umsatzsteuer). Aus der späteren Rechtsprechung vgl. BVerGE 58, 257, 277; BVerfGE 76, 130, 142 (SGG Gebühr); BVerfGE 80, 1, 21 (Approbationsordnung); BVerfGE 106, 1, 19 (Oberfinanzdirektion). Zur frühen Kritik an dieser Öffnung vgl. D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 215, Fn. 176.; aktuelle Kritik bei E. Stein, in: FS Maurer, 2001, S.803, 811, Fn.14: Wann sich Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung entgegen dem Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG durch Auslegung ermitteln ließen, wisse nur das Bundesverfassungsgericht. Dessen umfangreiche Rechtsprechung hierzu belege lediglich, dass es ihm bisher nicht gelungen sei, hierfür operationable Kriterien zu entwickeln.
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den“. 207 Auch die Entstehungsgeschichte der Norm könne herangezogen werden. 208 Teilweise wird ausdrücklich die „verfassungskonforme Auslegung“ der Ermächtigungsnorm zugelassen. 209 Gelegentlich finden sich auch Argumente aus der Abteilung „bekannt und bewährt“, so etwa wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt: „Bezieht sich eine Ermächtigung auf einen Sachbereich, der bereits durch eine Verordnung geregelt war, so geht der Gesetzgeber, wenn er nichts anderes zum Ausdruck bringt, in der Regel davon aus, dass der Verordnungsgeber sich an den bisherigen Grundsätzen orientieren wird.“ 210 Weiterhin entwickelte das BVerfG sukzessive den „Zweck“ zur eigentlich zentralen Kategorie innerhalb des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. 211 So heißt es wortgleich in den Beschlüssen zur Approbationsordnung für Ärzte vom 14. März 1989 sowie zur Aufgabenübertragung bei Oberfinanzdirektionen vom 27. Juni 2002, die gesetzlichen Vorgaben seien mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgesetze „insbesondere aus dem Zweck“ sowie aus dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes zu erschließen. 212 Wiederkehrendes Element in der Auslegung der Bestimmtheitsklausel sind verschiedene Formeln, die das BVerfG bereits in den 1950er Jahren entwickelte. 213 Nach der „Vorhersehbarkeitsformel“ ist eine Ermächtigung zu unbestimmt, „wenn nicht mehr vorhergesehen werden kann, in welchem Fall und mit welcher Tendenz BVerfGE 55, 207, 226 (Nebentätigkeitsverordnung NRW). BVerfGE 55, 207, 226 f. (Nebentätigkeitsverordnung NRW), in: BVerfGE 8, 274, 307 (Preisgesetz) noch mit dem einschränkenden Zusatz die Entstehungsgeschichte könne „vor allem zur Bestätigung des Ergebnisses der Auslegung“ bemüht werden. 209 BVerfGE 8, 274, 324 (Preisgesetz), einschränkend etwa BVerfGE 20, 257, 269 f. (GWB), wo es heißt, eine gesetzliche Ermächtigung müsse „selbst ein Minimum von materieller Regelung“ enthalten, die dem Verordnungsgeber als „Programm“ und als „Rahmen“ dienen solle und könne. Dazu D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S.215, Fn.177: „Damit ist anerkannt, dass Globalermächtigungen zulässig sind, wenn sie durch verfassungskonforme Interpretation und begrenzbar sind.“ Zu den hiermit verbundenen Problemen vgl. K. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986; R. Zippelius, in: FG 25 Jahre BVerfG II, 1976, S. 108 ff. 210 BVerfGE 62, 203, 210 (Steuerberaterprüfung); vorhergehend in BVerfGE 34, 52, 61. 211 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 22; zustimmend H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12: Wichtigste Kategorie sei der Zweck der Ermächtigung, da Inhalt und Ausmaß sich gut erschließen ließen, wenn der Zweck bestimmt sei. Diese Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung spiegelt sich wider in der Forderung der Enquête-Kommission Verfassungsreform der 1970er Jahre, nach welcher in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Worte „Inhalt“ und „Ausmaß“ gestrichen werden sollten und die bisherige Bestimmtheitstrias auf den „Zweck“ reduziert werden sollte, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 90, 265 f. sowie F. Dyckmans, Rechtsetzung zwischen Parlament und Regierung, 1979, S. 218 ff. 212 BVerfGE 80, 1, 21 (Approbationsordnung) und BVerfGE 106, 1, 19 (Oberfinanzdirektion). Vorhergehend findet sich eine besondere Bezugnahme auf die Begrenzung durch den Zweck der Ermächtigung bereits in BVerfGE 35, 179, 183 (Tabaksteuer); in diese Richtung auch BVerfGE 78, 249, 274 ff. (Fehlbelegungsabgabe), im Anschluss an BVerfGE 19, 17, 30; 58, 257, 277; 62, 203, 210. 213 Zur Konkretisierung des Art.80 Abs. 1 S. 2 GG durch die Entwicklung verschiedener Bestimmtheitsformeln U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 23. 207 208
18 Saurer
274 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Vorschriften haben können“. 214 Nach der „Selbstentscheidungsformel“ muss der Gesetzgeber „selbst die Entscheidung treffen, dass bestimmte Fragen geregelt werden sollen, er muss die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll“. 215 Vorhersehbarkeits- und Selbstentscheidungsformel entwickelt das BVerfG unter ausdrücklicher Berufung auf einen vorhergehenden Beitrag des Verfassungsrichters Bernhard Wolff. 216 Nach der später hinzutretenden „Programmformel“ muss sich der Ermächtigung entnehmen lassen, welches „Programm“ durch die Verordnungsgebung verwirklicht werden soll. 217 Die Anforderungen an die Regelungsdichte variierten zunächst zwischen den einzelnen Formeln, wobei die zuletzt entwickelte „Programmformel“ wohl die geringsten Anforderungen stellte. Das Bundesverfassungsgericht vollzog jedoch eine sukzessive Nivellierung, indem es sowohl Vorhersehbarkeits- und Selbstentscheidungsals auch die Programmformel fortführte 218 und heute in einem Zug nennt. 219 Versu-
214 BVerfGE 5, 71, 76 (Kriegsgefangene), vorhergehend bereits in BVerfGE 1, 14, 60 (Südweststaat), BVerfGE 2, 307, 334 (Gerichtsbezirke) und BVerfGE 4, 7, 21 (Investitionshilfe). Vgl. zur Vorhersehbarkeitsformel die Kritik bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 320 und H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 165. Eine tendenziell zustimmende Betonung der Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Norm im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes der Bürger findet sich hingegen bei M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKIII, 4.Aufl. 2001, Art.80, Rn.38 und W. Mößle, BayVBl. 2003, S.577, 582 f. 215 BVerfGE 5, 71, 76 (Kriegsgefangene), vorhergehend bereits in BVerfGE 2, 307, 334 (Gerichtsbezirke). 216 B. Wolff, AöR 78 (1952), S. 194 ff. Ausdrückliche Bezugnahme auf diesen Beitrag in BVerfGE 2, 307, 334 (Gerichtsbezirke). 217 BVerfGE 8, 274, 323 (Preisgesetz). 218 Die Selbstentscheidungsformel findet sich in BVerfGE 2, 307, 334 (Gerichtsbezirke) später etwa in BVerfGE 23, 62, 72 (Freie Erfinder) und BVerfGE 80, 1, 21 (Approbationsordnung). Die Programmformel findet sich in BVerfGE 8, 274, 323 (Preisgesetz) und später etwa in BVerfGE 58, 257, 277 (Schulentlassung) und BVerfGE 80, 1, 20 (Approbationsordnung). Teilweise wird die Programmformel dahingehend variiert, dass der Gesetzgeber „Tendenz und Programm schon so weit umreißen soll, dass sich der Zweck und der mögliche Inhalt der Verordnung bestimmen lassen“, so etwa in letztgenannter Entscheidung. BVerfGE 78, 249, 275 (Fehlbelegungsabgabe) spricht von der „verfassungsrechtlich notwendigen Programmentscheidung des Gesetzgebers“. Die Vorhersehbarkeitsformel findet sich etwa in BVerfGE 58, 257, 277 (Schulentlassung), wo es heißt, aus der Ermächtigung müsse erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein solle. Eine Variante der Vorsehbarkeitsformel findet sich auch in BVerfGE 75, 329, 342 (Umweltstrafrecht): „Die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe müssen für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung voraussehbar sein.“ 219 Alle drei Formeln etwa in BVerfG-K, NStZ 1997, 342, 343: Der Gesetzgeber müsse im formellen Gesetz selbst die Entscheidung darüber treffen, welche Fragen durch die Rechtsverordnung geregelt werden sollten. Es müsse sich aus dem Gesetz ermitteln lassen, welches vom Gesetzgeber gesetzte Programm durch die Rechtsverordnung erreicht werden solle, so dass der Bürger schon aus dieser Rechtsnorm ersehen könne, in welchen Fällen und mit welcher Ten-
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che, die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts in eine zeitliche Abfolge entlang des Kriteriums der jeweils dominierenden Formel zu bringen, sind deshalb skeptisch zu bewerten. 220 In der neueren Rechtsprechung kommt auch innerhalb des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Wesentlichkeitstheorie zur Anwendung. 221 b) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unter der Hegemonie der Wesentlichkeitsdogmatik Eine erhebliche Abwertung im Gefüge der verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe hat 80 Abs. 1 S. 2 GG in Konfrontation mit der Wesentlichkeitstheorie 222 erfahren, die das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Lehre zur Bestimmung der Dimension des allgemeinen Gesetzesvorbehalts 223 heranziehen. 224 Nach denz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene Rechtsverordnung haben könne. 220 Vgl. den Versuch von U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 65 ff. 221 Hierzu sogleich eingehend unter 3. Teil, II., 2., b). 222 Im Überblick D. Hömig, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 273 ff. Als Auftaktentscheidung der Wesentlichkeitsrechtsprechung wird weithin die Strafgefangenenentscheidung aus dem Jahr 1972 in BVerfGE 33, 1 verstanden, so etwa bei D. C. Umbach, in: FS Faller, 1984, S. 111 ff. und P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 544. Zur Stoßrichtung der Wesentlichkeitstheorie führt Badura aus, diese erstrecke mit einem primär demokratischen Impuls die Garantiefunktion des Gesetzes, d. h. der parlamentarischen Entscheidung, vor allem auf solche Verwaltungstätigkeiten, die nicht hoheitlich als Befehl und Zwangsgewalt aufträten wie etwa Leistungen mit Auswirkungen auf Dritte, Ausbildungsmaßnahmen und Unterrichtsgestaltung in der öffentlichen Schule, informelles Verwaltungshandeln durch Informationen, Empfehlungen und Warnungen. 223 Grundlegend für die Entfaltung des Gesetzesvorbehaltes auf Basis der Wesentlichkeitstheorie sind nach der Strafgefangenen-Entscheidung BVerfGE 33, 1 die Entscheidungen BVerfGE 33, 125 (Facharzt) und BVerfGE 33, 303 (numerus clausus). In der Facharzt-Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, das Parlament sei dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozess unter Abwägung der betroffenen, auch widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offen gelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden, BVerfGE 33, 125, 158 f.; hierzu die Entscheidungsrezension von P. Häberle, DVBl. 1972, S. 909 ff. Die numerus-clausus-Entscheidung wird teilweise so verstanden, dass das BVerfG hier die Grundsätze aus der Facharzt-Entscheidung nicht nur bekräftigt hat, sondern – wenigstens andeutungsweise – über das Verhältnis zwischen Parlamentsgesetzgeber und Satzungsgeber hinaus allgemein auf das Verhältnis von Legislative und Exekutive erstreckt habe, vgl. D. Hömig, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 273, 283 unter Bezugnahme auf BVerfGE 33, 303, 345 f. Eine gewisse Eingrenzung haben diese Entscheidungen in BVerfGE 49, 89 (Kalkar) erfahren. Hier heißt es, das Grundgesetz räume dem Parlament (auch) bei grundlegenden Entscheidungen nicht einen allumfassenden Vorrang ein. Vielmehr dürften die Verteilung und der Ausgleich staatlicher Macht in ihrer konkreten Ordnung durch das Grundgesetz nicht „durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden“, BVerfGE 49, 89, 124 f. In BVerfGE 68, 1, 10 (Nachrüstung) führt das Gericht aus, weder kenne das GG einen Totalvorbehalt noch bestehe eine Kompetenzregel des Inhalts, dass alle wesentlichen Entscheidungen vom Parlament zu treffen seien. Ähnliche Ausführungen finden sich in BVerfGE 95, 1, 15 (Stendal) und BVerfGE 98, 218, 251 f. (Rechtschreibreform). In der Literatur werden diese Entscheidungen mitunter als Ausdruck eines dem Parlamentsvorbehalt gegenüberstehenden Exekutivvorbehalts verstan18*
276 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung der heute gebräuchlichen Fassung dieser Theorie ist der Gesetzgeber „losgelöst vom Merkmal des Eingriffs“ 225 verpflichtet „in grundlegend normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“. 226 Dabei betreffe „die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch wie weit diese Regelungen im einzelnen zu gehen haben“. 227 Das Verhältnis von Parlamentsvorbehalt in der Fassung der Wesentlichkeitstheorie 228 und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hat bis heute keine befriedigende Lösung erfahren. 229 Die Staatsrechtslehre hat hierzu verschiedene Theorien entwickelt. Michael Nierhaus unterscheidet vier Theorien. 230 Nach der „Identitätstheorie“ (1) statuierten Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG identische, 231 nach der (2) konträren den, so mit Blick auf das Schulrecht K. Rennert, DVBl. 2001, S. 504, 514; vgl. hierzu F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 48 ff. Zur Rückläufigkeit des anerkannten Geltungsbereichs des Gesetzesvorbehalts Ch. Gusy, JA 2002, S. 615 ff. 224 Kritisch zur Wesentlichkeitstheorie M. Kloepfer, JZ 1984, S.685 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 191; G. Kisker, NJW 1977, S.1313, 1317 ff.: „Bankrotterklärung“; E. Pieske, DVBl. 1977, S.673, 677: „Sackgasse“; J. Isensee, FAZ v. 6.9.1997, S. 33: Das Wesen der Wesentlichkeitstheorie sei noch nicht ausgelotet, und ihre Erfinder hüteten es als Geheimnis; sie gehöre in den Esoterik-Sektor der Jurisprudenz; F. Ossenbühl, in: Symposion M. Schröder, 2003, S. 11, 19: Die Wesentlichkeitstheorie sei „in Wirklichkeit gar keine Theorie, sondern nur eine praktisch nahezu unbrauchbare Verlegenheitsformel“; F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 53: Die Wesentlichkeitstheorie biete keinen in sich geschlossenen Begründungszusammenhang und tauge deshalb nicht für die Bestimmung des Parlamentsvorbehalts. 225 Vgl. etwa BVerfGE 77, 170, 230 f. (Lagerung chemischer Waffen), BVerfGE 49, 89, 126 (Kalkar). 226 BVerfGE 49, 89, 127 (Kalkar), BVerfG-K, NStZ-RR 1997, 342, 342 (Betäubungsmittel), BVerfGE 101, 1, 34 (Hennenhaltung). 227 BVerfGE 101, 1, 34 (Hennenhaltung), vorhergehend etwa in BVerfGE 34, 265, 192; BVerfGE 49, 89, 127 u. 129 (Kalkar); BVerfGE 83, 130, 142. 228 Zur Entwicklungsgeschichte des Begriffs des „Parlamentsvorbehalts“ vgl. dessen Urheber P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 310 mit Fn. 246. 229 Hierzu L. Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, 1992, S. 143 ff.; B. Busch, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, S. 15 ff. Zum Verhältnis von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot vgl. allgemein D. Wilke, JZ 1982, S. 758 ff.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 27 ff.; H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12; M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKIII, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 21; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 339 ff. insbes. S. 346 ff. 230 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 93. Anders W. Cremer, AöR 122 (1997), S. 248 ff., der drei differierende Positionen unterscheidet, nämlich (1) die Annahme der Exklusivität von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, (2) die Annahme der Vorrangigkeit der Wesentlichkeitstheorie sowie (3) eine Abwandlung der zweiten Position. 231 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 118 ff. verortet diese Auffassung bei D. Wilke, JZ 1982, S.758 ff., E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 393, 395 und M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693. Ähnlich der Identitätstheorie im dargelegten Sinne die Position von A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 338 ff.
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„Aliudtheorie“ hingegen nach „Ob“ und „Wie“ der Delegation differenzierende Anforderungen an das ermächtigende Gesetz. 232 Nach der „Stufen- und Sonderregelungstheorie“ (3) sei Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Sonderregelung gegenüber dem Parlamentsvorbehalt zu sehen, die diesen im Verhältnis zu Gesetz und Rechtsverordnung verdränge. 233 Abschließend wird die (4) „Ausprägungs- und Integrationstheorie“ genannt, die in spezifischer Weise Wesentlichkeitstheorie und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zusammenbringe. 234 Das Bundesverfassungsgericht entscheidet uneinheitlich. Während in BVerfGE 83, 130 (Josephine Mutzenbacher) Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nebeneinander geprüft werden 235 erfolgt eine gestufte Prüfung in BVerfGE 58, 257 (Schulentlassung) 236 sowie in BVerfGE 91, 148 (Umlaufverfahren). In den Entschei232 Diese Position ordnet M. Nierhaus, aaO, Art.80 (1998), Rn.122 ff. den Autoren J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 148, H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Fn. 81 und A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 112 f. zu. 233 Als Vertreter dieser Auffassung, die „deutliche Affinitäten zur Aliud-Theorie“ aufweise, wird B. Busch ausgewiesen, vgl. M. Nierhaus, aaO, Art. 80 (1998), Rn. 125 ff. Die zur Unterfütterung herangezogene abschließende These der Arbeit von B. Busch, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, S. 145 f. lautet: Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sei als Sonderregelung gegenüber dem Parlamentsvorbehalt zu begreifen, die diesen im Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung verdränge. Dabei stelle schon die Inhalt-Zweck-AusmaßKlausel eine den Besonderheiten der Rechtsverordnung Rechnung tragende Ausprägung des im Gesetzesvorbehalt wurzelnden Konkretisierungsgedankens dar, so dass eine dem Gesetzesvorbehalt entsprechende Anbindung des Verordnungsgebers an den gesetzgeberischen Gestaltungswillen gewährleistet sei. 234 Diese Position wird U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 16, 55 zugeordnet, M. Nierhaus, aaO, Art. 80 (1998), Rn.130 ff. Allerdings verstehen Andere diesen Autor als Vertreter einer identitären Position, so B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art.80, Rn.21. Die Einordnung der Auffassung Ramsauers wird dadurch erschwert, dass dieser zum einen von der „Übereinstimmung der Anforderungen“ von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und Wesentlichkeitstheorie ausgeht, so bei U. Ramsauer, aaO, Art.80 Rn. 29, zum anderen aber anerkennt, dass aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 ein Mindeststandard der Bestimmtheit auch unabhängig von der Wesentlichkeit folge. 235 BVerfGE 83, 130, 153 f. (Josephine Mutzenbacher): Das rechtssatzförmig festzulegende Verfahren müsse dem Interesse an einer möglichst umfassenden Ermittlung aller bei der Indizierungsentscheidung zu beachtenden Gesichtspunkte Rechnung tragen. Der Gesetzgeber habe daher die Personengruppen und Verbände näher zu bestimmen, die aus den Kreisen des §9 Abs.2 GjS für die Entsendung von Beisitzern in Betracht kommen. Darüber hinaus sei gesetzlich zu regeln, wie die einzelnen Beisitzer auszuwählen sind. Dabei müsse angestrebt werden, dass die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest tendenziell vollständig erfasst werden. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften enthalte solche Regelungen nicht, auch nicht in Form einer hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung. 236 BVerfGE 58, 257, 276 ff. (Schulentlassung): „Ob dies (die rechtssatzmäßige Regelung schulischer Maßnahmen) in einem formellen Gesetz geschehen muss oder ob auch eine Rechtsverordnung aufgrund einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung genügt, hängt von der Reichweite des oben umschriebenen Parlamentsvorbehaltes ab (...). (Dabei) bedarf es jeweils einer besonderen Prüfung anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Wesentlichkeitsmerkmale, was der parlamentarischen Willensbildung vorbehalten ist und was durch gesetzliche Ermächtigung dem Verordnungsgeber
278 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung dungen BVerfGE 62, 203 (Steuerberaterprüfung) 237 und BVerfGE 80, 1 (Approbationsordnung für Ärzte) werden die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Delegation zum Erlass von Rechtsverordnungen schwerpunktmäßig unter dem Gesichtspunkt des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geprüft. 238 Mit Michael Nierhaus lässt sich zur Rechtsprechung des BVerfG resümieren: Dualismus von Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Monismus des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Ein- und Zweistufigkeit bei der Prüfung der Wesentlichkeitstheorie in stetigem Wechsel. 239 Die gestufte Anordnung verdient zwar dahingehend Zustimmung, dass sie darauf abzielt, der Bedeutung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als eigenständiger Konkretisierung des Demokratie- und Rechtsstaatsgebots gerecht zu werden. Jedoch besteht unter den Kommentatoren dieser Konzeption Einigkeit, dass sich auch unter der Prämisse zweier getrennter dogmatischer Stufen die Wesentlichkeitsargumente in der verfassungsgerichtlichen Prüfung des Parlamentsvorbehalts weitgehend verbrauchen. 240 Das Bundesverfassungsgericht tendiere dementsprechend dazu, entweder eine Regelung unmittelbar durch den Gesetzgeber zu verlangen, oder wenn es diese nicht für erforderlich hält, auch keine besonderen Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen. 241 Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass die Prüfung am Maßstab des allgemeinen Gesetzesvorbehalts unter Heranziehung der Wesentlichkeitstheorie eine weitgehende Zurückdrängung des Prüfungsmaßstabs Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nach sich gezogen hat. 242 In der Literatur heißt es, das Bundesverfassungsgericht sei spätesübertragen werden darf. (...) Ist es danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Festlegung der Versetzungsvoraussetzungen in den Ausbildungsgängen der Regelung im Verordnungswege überlassen wird, so stellt sich die weitere Frage, welche rechtsstaatlichen Anforderungen an Inhalt und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zu stellen sind.“ Hinzufügungen nach M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 107. 237 BVerfGE 62, 203, 209 ff. (Steuerberaterprüfung). 238 In BVerfGE 80, 1 werden die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zunächst dahingehend dargelegt, dass der Gesetzgeber „im Bereich der Grundrechtsausübung die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen“ sollte, BVerfGE 80, 1, 20 (Approbationsordnung für Ärzte). Die Wesentlichkeit wird dann nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt, wenn es weiter heißt, der Gesetzgeber müsse, sofern Einzelregelungen einer Verordnung überlassen blieben, die Tendenz und das Programm schon so weit umreißen, dass sich der Zweck und der mögliche Inhalt der Verordnung bestimmen ließen, ebd. Mit Aspekten der Wesentlichkeit operiert das BVerfG vorhergehend bereits in BVerfGE 20, 257, 270 (GWB), wo gerügt wird, der Gesetzgeber habe „auf wesentliche Entscheidungen verzichtet und sie der Bundesregierung und dem Bundesrat allein überlassen.“ Nachfolgend heißt es in BVerfG-K, NStZ-RR 1997, 342, 342 f.: Ermächtigungen zu ergänzenden Regelungen zu Rechtsverordnungen seien nicht ausgeschlossen, sofern „die wesentlichen Entscheidungen in dem formellen Gesetz einschließlich der Ermächtigungsnormen“ enthalten seien. 239 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 114. 240 Vgl. mit weiteren Nachweisen B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 21. 241 B.-O. Bryde, ebd. 242 So auch A. Bleckmann, DVBl. 2004, S. 333, 335: „Zu berücksichtigen ist, dass das BVerfG den allgemeinen Gesetzesvorbehalt von Eingriffen in Freiheit und Eigentum auf alle
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tens seit 1975 auf Abwege jenseits von Orientierungen am Maßstab des Art. 80 GG geraten. 243 Horst Dreier rügt, dass die Wesentlichkeitstheorie an Art. 80 Abs. 1 GG „unglücklich vorbeilaufe“. 244 Michael Kloepfer legt dar, der Anwendungsbereich von Art. 80 GG sei nicht durch die Wesentlichkeitstheorie, sondern nur durch die im Grundgesetz ausnahmsweise enthaltenen Vorbehalte des förmlichen Gesetzes einzuengen. 245 Letztlich verbleibt als einzige Option zur Sicherung einer eigenständigen Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Folgerung, das Verhältnis zwischen parlamentarischem Gesetzgeber und Verordnungsgeber ausschließlich und ohne gesonderte Heranziehung der Wesentlichkeitstheorie unter dem Prüfungspunkt Art. 80 Abs. 1 GG zu behandeln. 246 Anschließen lässt sich hierbei etwa an Wolf-Rüdiger Schenke, für welchen Art. 80 Abs. 1 GG den zentralen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Umfanges des Gesetzesvorbehaltes darstellt. 247 Von dieser Norm sei das gegenüber der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG „weit solidere Fundament für eine Abgrenzung des Gesetzesvorbehalts“ zu erwarten. 248 Das „Gebot substantieller Eigenregelung des parlamentarischen Gesetzgebers“ 249 ist demgemäß im Verhältnis von Gesetz- und Verordnungsgeber allein dem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zu entnehmen, welcher folglich als Bestimmtheitsgebot und auch als Delegationsverbot eine Neubewertung in seiner Bedeutung und Tragweite erfahren muss. 250 Eine entscheidende Stütze erfährt die Ausrichtung auf einen eigenständigen dogmatischen Gehalt bei Betrachtung der historischen Herausbildung der Wesentlichkeitstheorie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Die grundlegenden Entgrundrechtsrelevanten wesentlichen Fragen erstreckt, so dass Art. 80 insoweit durch den ‚Parlamentsvorbehalt‘ teilweise verdrängt worden ist“, B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 21: „Hinter der Wesentlichkeitsdogmatik, die für sich genommen mehr Probleme aufwirft, als sie löst, geht die fundamentale Norm des Art.80 Abs. 1 S. 2 zusehends unter“ und M. Nierhaus, in: FS Stern, 1997, S. 717, 723: „Der von der Wesentlichkeitsrechtsprechung geprägte, delegationsfeindliche Parlamentsvorbehalt übernimmt die dominierende Vorreiterrolle und drängt die Regelung im Verordnungswege ins zweite Glied.“ 243 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 104 unter Bezugnahme auf die vorhergehende Periode der Ausdehnung des Kerngehalts von Art. 80 Abs. 1 GG auf das Bestimmtheitsgebot bei der Ermächtigung zu Einzelakten und die Ausfüllung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts. 244 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 182. 245 M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693. 246 R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 23. 247 W.-R. Schenke, VerwArch 68 (1977), S.118, 124 ff.; ders., DÖV 1977, S.27, 30; vgl. auch die Darstellung bei B. Busch, Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, S. 91. 248 W.-R. Schenke, DÖV 1977, S. 27, 30. 249 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 134. 250 M. Nierhaus, ebd. verspricht sich hiervon, für Art. 80 GG dessen ursprünglichen Sinngehalt wieder herzustellen, wie ihn Otto Bachof (in: VVDStRL 24 (1966), S. 225) zutreffend auf den Punkt gebracht habe: „Das Parlament darf auf sein Erstgeburtsrecht bei der Entscheidung wichtiger Fragen von allgemeiner Bedeutung nicht verzichten.“ So sei einer „weiteren Demontage der Bestimmtheitsklausel des Art.80 Abs.1 S.2 GG durch das BVerfG“ entgegenzuwirken.
280 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung scheidungen zur Herausbildung und Etablierung der Wesentlichkeitstheorie wurden einerseits zur Entfaltung des Gesetzesvorbehaltes im Bereich der autonomen Selbstverwaltungskörperschaften entwickelt, so etwa in BVerfGE 33, 125 251 und BVerfGE 33, 303, 252 andererseits mit derselben Stoßrichtung für die früheren sogenannten besonderen Gewaltverhältnisse, so in BVerfGE 34, 165 253 und BVerfGE 40, 237. 254 In beiden Varianten handelte es sich um Verfassungsfragen, die sich aufgrund der tradierten Regelungsstrukturen, die insbesondere keine Regelungen in der Rechtsform von Rechtsverordnungen enthielten, jenseits der Erfassbarkeit am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 GG bewegten. 255 Die Wesentlichkeitstheorie wurde also nicht in Konkurrenz zu Art. 80 Abs. 1 GG entwickelt, sondern genau im Gegenteil zur Erfassung derjenigen Bereiche, welche das Rechtsregime des Art. 80 Abs. 1 GG nicht zu erfassen vermag. Die Genealogie der Wesentlichkeitstheorie spricht also nicht für eine Überwölbung von Art. 80 Abs. 1 GG, sondern bestätigt im Gegenteil das vorgetragene Plädoyer für getrennte Prüfungsmaßstäbe. In der rechtsetzungspraktischen Konsequenz bedeutet die hier vorgeschlagene Trennung der Rechtsregimes der Wesentlichkeitstheorie und des Art. 80 Abs. 1 GG, dass zum einen der in Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip wurzelnde allgemeine Gesetzesvorbehalt weitergehende Anforderungen haben kann als es die Kriterien „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorgeben. 256 Zum anderen bedeutet diese Differenzierung, dass durch Rechtsverordnung auch „Wesentliches“ geregelt werden kann, sofern es gelingt, den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bei Abfassung der gesetzlichen Ermächtigungsnorm gerecht zu werden.257 Eine derartige Neukonzeption vermag also nicht nur besser den verfassungstextlichen Vorgaben gerecht zu werden, sondern kann insbesondere auch helfen, die Primärfunktion der Entlastung des Parlaments 258 zu verwirklichen. 259
251 BVerfGE 33, 125 ff. (Facharzt); hierzu nochmals die Rezension von P. Häberle, DVBl. 1972, S. 909 ff. 252 BVerfGE 33, 303 ff. (numerus clausus). 253 BVerfGE 34, 165 ff. (Hessische Förderstufe); vorhergehend zur Geltung des Gesetzesvorbehalts im Bereich der besonderen Gewaltverhältnisse BVerfGE 33, 1 ff. 254 BVerfGE 40, 237 ff. (Strafgefangene). 255 E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 362 f. mit Fn. 21 und 22, S. 394. 256 K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGKII, 4.Aufl. 2000, Art.20, Rn.268, auch zum Verständnis des hier gebrauchten Begriffs eines „allgemeinen Gesetzesvorbehalts“. 257 Ähnlich M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693 mit dem Hinweis darauf, dass selbst die Grundrechte regelmäßig Einschränkungen durch Rechtsverordnungen zulassen sowie P. Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, 1981, S. 19, 47 mit Auslegung der Wesentlichkeitstheorie dahingehend, dass aus der Kategorie des Normativen die Folgerung abgeleitet werden könne, dass auch durch Verordnung Wesentliches geregelt werden könne. 258 Vgl. 2. Teil, II., 1. 259 Vgl. die Schlussfolgerung von M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693, wonach die Wesentlichkeitstheorie mit der Zurückdrängung des Art. 80 GG die Überlastung des Parlaments verschärfe.
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c) Das Kriterium der „hinreichenden Bestimmtheit“ Mit der erleichterten Bestimmung der erforderlichen Regelungsdichte einer Verordnungsermächtigung durch die Öffnung für die Ermittlung der Bestimmtheit nach allgemeinen Auslegungsmethoden bis hin zur verfassungskonformen Auslegung 260 geht die Klarstellung des BVerfG einher, dass Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht das größtmögliche Maß an gesetzgeberischer Determination verlange. Vielmehr wird die Festlegung der „hinreichenden“ Vorgaben im Gesetz für ausreichend erachtet. Dies ergibt sich bereits aus der Entscheidung zum Preisgesetz, wo das BVerfG zunächst ausführt, dass „eine präzisere Umschreibung eventuell möglich gewesen wäre“, 261 im Weiteren aber zur Verfassungsmäßigkeit der untersuchten Verordnungsermächtigung gelangt. 262 Dabei geht das BVerfG davon aus, dass das Erfordernis des hinreichenden Maßes gesetzlicher Determinierung gegenüber dem Erfordernis höchst möglicher Bestimmtheit die deutlich geringeren Anforderungen stellt.263 d) Die verdeckte Kontinuität des Möglichkeitskriteriums Die Ausrichtung am Kriterium der „hinreichenden Bestimmtheit“ hat das Gericht in ständiger Rechtsprechung aufrechterhalten und dieses Kriterium dabei als das allein entscheidende erscheinen lassen. 264 In der Literatur wurde diese Ausrichtung richtigerweise zustimmend aufgenommen. Bereits der Wortlaut des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG legt dies nahe: Die Verpflichtung auf die Vorgabe von Inhalt, Zweck und Ausmaß erfolgt ohne die Hinzufügung qualitativer oder quantitativer Einschränkungen oder Erweiterungen. Auch nach Sinn und Zweck des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erscheint dies zutreffend: Denn eine Verpflichtung auf die höchst mögliche Regelungsdichte im ermächtigenden Gesetz würde die Zielsetzungen der Parlamentsentlastung konterkarieren und dem Verordnungsgeber jede Gestaltungsfreiheit entziehen. Über der allgemeinen Zustimmung zum Maßstab der hinreichenden Bestimmtheit ist jedoch ein zentraler Aspekt aus dem Blick geraten: Im Bereich von ErmächVgl. zu dieser Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung 3. Teil, II., 2., a). BVerfGE 8, 274, 311 (Preisgesetz). 262 Weitere einschlägige Rechtsprechung zur „hinreichenden Bestimmtheit“ in: BVerfGE 35, 179, 183 (Tabaksteuer); BVerfGE 28, 66, 84 (Postverwaltungsgesetz); BVerfG, NJW 1984, 1871, 1871 (Postgebühr); BVerfGE 80, 1, 21 (Approbationsordnung); BVerfGE 55, 207, 226 (Nebentätigkeitsverordnung NRW) mit Kursivsetzung des Wortes hinreichend; BVerfGE 58, 257, 277 (Schulentlassung); BVerfGE 68, 319, 332 (Gebührenordnung für Ärzte); BVerfGE 85, 97, 106 (Lohnsteuerhilfe); BVerfGE 101, 1, 31 ff. (Hennenhaltung); BVerfGE 106, 1, 19 (Oberfinanzdirektion), BVerfG, NVwZ 2003, 850, 854 (=BVerfGE 107, 1) (Kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt). 263 Vgl. etwa BVerfGE 8, 274, 311; 55, 207, 226. 264 Skeptisch zu einer durchgreifenden Disziplinierung des Gesetzgebers durch das Kriterium der „hinreichenden Bestimmtheit“ F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 18. 260 261
282 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung tigungsstrukturen, die offenkundig eine nur geringe Regelungsdichte aufweisen, erheben sich Bedenken im Blick auf das Vorliegen hinreichender Bestimmtheit. Hier erweist es sich als erhebliche Erleichterung, für die Rechtfertigung abgesenkter Regelungsdichte auf die Rahmenbedingungen eines spezifischen Regelungsbereichs, mithin auf die Regulierungsmöglichkeiten abstellen zu können. Das Kriterium des Maßes notwendiger Bestimmtheit statuiert also entgegen der vorherrschenden Annahme keineswegs die gegenüber dem Möglichkeits-Kriterium niedrigeren Anforderungen. Tatsächlich hat das BVerfG denn auch die Orientierung am Kriterium der Möglichkeit nie wirklich aufgegeben. Ausdruck der Kontinuität des Möglichkeitsdenkens ist die Orientierung an den „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“. 265 Diese findet sich bereits in der grundlegenden Südweststaatsentscheidung BVerfGE 1, 14 sowie in der Entscheidung zum Preisgesetz in BVerfGE 8, 274 – derselben Entscheidung, die auch das Postulat der alleinigen Geltung des Kriteriums hinreichender Bestimmtheit enthält. 266 Durch die Orientierung an den „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ wird die dem Gesetzgeber abverlangte Determinierung des Verordnungsgebers von der Beschaffenheit des Regelungsgegenstan265 Vgl. dazu B.-O. Bryde, in: v.Münch/Kunig, GGKIII, 5.Aufl. 2003, Art.80, Rn.21; H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 31: Die Differenzierung nach der Eigenart der Regelungsmaterie lasse es zu, geringere Anforderungen beispielsweise bei vielgestaltigen, komplexen Lebenssachverhalten oder bei absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse zu stellen und eröffne Raum für sachgerechte, situationsbezogene und flexible Lösungen bei der Abgrenzung von legislativen und exekutiven Zuständigkeiten. So könne etwa in wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Sachbereichen, die durch sich wandelnde wirtschaftliche Situationen und die entsprechende Notwendigkeit unverzüglicher normativer Reaktion auf die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse geprägt seien, großzügiger verfahren werden als bei Ermächtigungsnormen, mit denen die steuerliche Behandlung von Wirtschaftssubjekten geregelt werde. 266 Ein früher Kritiker der sachbereichsspezifischen Ermittlung der Einhaltung von „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ ist T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157, 171; dieser empfiehlt stattdessen die Adaption der vom österreichischen Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung zur Festlegung von Rechtsanwaltstarifen per Rechtsverordnung (Slg. 2294) entwickelten Grundsätze. Danach sei entscheidend, ob durch die Fassung des Gesetzes die Möglichkeit der Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Inhalts der auf Grund des Gesetzes erlassenen Verordnung gegeben ist (vgl. die nähere Auseinandersetzung der genannten Entscheidung bei dems., ebd.). Der österreichische VerfGH hat jedoch später (Erk VfSlg 4139) ähnlich dem BVerfG die Einhaltung der erforderlichen gesetzlichen Regelungsdichte unter die Maßgabe der Ermittlung „von Fall zu Fall“ gestellt und dargelegt, dass sich „die Grenze einer noch hinreichenden Determinierung nicht allgemein ziehen lässt“, näher hierzu H. Mayer, Die Verordnung, 1977, S. 34. Festzuhalten ist, dass – anders als unter dem Grundgesetz – nach österreichischem Verfassungsrecht ein sogenanntes selbständiges Verordnungsrecht besteht, wonach die Verwaltungsbehörden die Kompetenz zum Verordnungserlass besitzen ohne an eine einzelgesetzliche Ermächtigung gekoppelt zu sein, solange sie sich im Rahmen der inhaltlichen Gesetzesvorgaben und des Zuständigkeitsbereichs einer Behörde halten. Nach H. Mayer, aaO, S. 11 und 32 sollen damit aber keine Unterschiede bzgl. des Erfordernisses einer materiellen Programmierung verbunden sein. Der maßgebliche Artikel 18 Abs. 2 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes lautet: „Jede Verwaltungsbehörde kann auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen.“ Vgl. zum Ganzen bereits die Ausführungen in den Fn. in der Einl., III., 1.
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des bestimmt und damit von den im Tatsächlichen gründenden Möglichkeiten der Normierung. 267 In dem Beschluss vom 20. Oktober 1981 zum Hessischen Schulrecht fasst das Gericht die Aspekte zusammen, unter denen bei der Auslegung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die sachbereichsspezifischen Besonderheiten und damit das Kriterium der dem Gesetzgeber möglichen Regelungsdichte berücksichtigt werden: „Welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen erfüllt sein müssen, ist von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme abhängig.“ 268 Geringere Anforderungen seien vor allem „bei vielgestaltigen Sachverhalten zu stellen 269 oder wenn zu erwarten ist, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse alsbald ändern werden“. 270 Diese Orientierung der Auslegung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an den sachbereichsspezifischen Gegebenheiten hält das BVerfG auch in jüngeren Entscheidung aufrecht, so etwa im Beschluss des BVerfG vom 21. August 2001 zur Verfassungsmäßigkeit der Hühnereier-Verordnung. 271 Hintergrund ist die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 LMBG, der Art und Maß der Strafe benennt und die strafbare Handlung als Zuwiderhandlung gegen eine nach § 9 Abs. 1 LMBG zur Verhütung von Gesundheitsgefährdungen erlassene Rechtsverordnung festlegt. 272 Das BVerfG legt hierzu dar, die Überlassung der „näheren Spezifizierung des Tatbestands“ an den Verordnungsgeber sei deshalb gerechtfertigt, weil „im Lebensmittelrecht nicht zuletzt auf Grund des Einflusses des Europäischen Gemeinschaftsrechts wechselnde und vielfältige Einzelregelungen erforderlich werden können“. 273 Auch im Beschluss vom 7. Mai 2002 zum Schleswig-Holsteinischen Landesnaturschutzgesetz wird zur Verfassungsmäßigkeit der Vielzahl der hier statuierten Verordnungsermächtigungen nicht auf ein allgemeines Maß an hinreichender Bestimmtheit, sondern auf die Konfrontation des Gesetzgebers mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten eines spezifischen Rechtsgebiets abgestellt. 274 267 Unterschiedliche Anforderungen nach der Bedeutung des geregelten Sachgebiets auch in BVerfGE 14, 174, 185 f.; 58, 257, 277 f.; 62, 203, 210; 76, 130, 143 und später. 268 BVerfGE 58, 257, 277 f. (Schulentlassung) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf BVerfGE 41, 251, 265 f. (Schulverweis) und BVerfGE 48, 210, 221 f. 269 BVerfGE 58, 257, 278 im Anschluss an BVerfGE 11, 234, 237; 21, 1, 4; 28, 175, 183. 270 BVerfGE 58, 257, 278, bezugnehmend auf BVerfGE 8, 274, 326. 271 BVerfG-K, NStZ 2002, 22 (Hühnereier-Verordnung). 272 Verordnung über die hygienischen Anforderungen an das Behandeln und Inverkehrbringen von Hühnereiern und roheihaltigen Lebensmitteln (Hühnereier-Verordnung) v. 5.7.1994, BAnz. S. 6973, zuletzt geändert am 6.8.2002, BGBl. I 3082. 273 BVerfG-K, NStZ 2002, 22, 22 (Hühnereier-Verordnung). Die Ausrichtung der Verfassungsmäßigkeitsprüfung auf die Gegebenheiten des Einzelfalls wird noch dadurch verstärkt, dass die Nichtverletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes, dessen Schutzrichtung als „dem Schutz des Normadressaten dienend“ beschrieben wird, mit dem „in der Lebensmittelproduktion und dem Lebensmittelhandel bei den Normadressaten vorauszusetzende besondere Fachwissen“ erklärt wird (BVerfG-K, ebd). 274 BVerfGE 103, 332, 384 f. (Naturschutzgesetz Schleswig-Holstein).
284 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Die Kontinuität des Kriteriums „möglicher Bestimmtheit“ kommt mitunter auch im ausdrücklichen Wortlaut bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen zum Ausdruck. In einem Beschluss vom 4. Mai 1997 zur verordnungsrechtlichen Aufnahme verschiedener Betäubungsmittel in die Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz heißt es: „Die Regelungen sind so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.“ 275 In der Entscheidung zur Hennenhaltungsverordnung vom 6. Juli 1999 führt das Gericht aus, die „Eigenart des zu regelnden Sachbereichs“ lege es aufgrund der Relevanz technischer Sachfragen gerade nahe, von einer detaillierten Regelung abzusehen. 276 Weiterhin heißt es, komplexe technische Parameter entzögen sich zwar nicht schon wegen dieser Eigenart notwendig einer Gestaltung durch den Gesetzgeber. 277 Jedoch seien viele Aussagen zum Tierschutz wegen des insoweit bestehenden ungesicherten Erkenntnisstandes nur vorläufig möglich. 278 Mit Rücksicht darauf sei sowohl dem Tierschutz als auch dem Grundrechtsschutz mehr gedient, wenn die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber überlassen bliebe, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermöge als der Gesetzgeber. 279 Die Fortführung des Möglichkeitskriteriums sichert dem BVerfG die Option, auch in Fällen offenkundig geringer gesetzlicher Regelungsdichte zur Verfassungsmäßigkeit der Delegationsnorm zu gelangen. Unter alleiniger Heranziehung des Kriteriums hinreichender Bestimmtheit stellte sich die verfassungsrechtliche Stabilität vieler Verordnungsermächtigungen insbesondere im Bereich des Einsatzes neuer Technologien ungleich prekärer dar. 280 e) Verordnungsfunktionen als Legitimationsfiguren, modifiziert durch Grundrechtswesentlichkeit Wie gesehen bringt die Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen erheblichen Druck auf die Gewährleistung der verfassungsrechtlich geforderte Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung mit sich. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass der spezifische Zuschnitt der Verordnungsfunktionen in umgekehrter Richtung 275 BVerfG-K, NStZ 1997, 342, 343, Hervorhebung nicht im Original. Ähnlich auch BVerfGE 103, 332, 384 (Naturschutzgesetz Schleswig-Holstein) sowie vorhergehend BVerfGE 49, 168, 181; 59, 104, 114; 78, 205, 212; 87, 134, 263. 276 BVerfGE 101, 1, 35 (Hennenhaltung). 277 BVerfGE 101, 1, 35. 278 BVerfGE 101, 1, 35, Hervorhebung nicht im Original. 279 BVerfGE 101, 1, 35. Diese Überlegungen zur Abgrenzung der Sphären von Gesetz- und Verordnungsgeber behandelt das BVerfG nicht unter Art. 80 Abs. 1 GG, sondern unter der Frage des „im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnden Parlamentsvorbehalts“, BVerfGE 101, 1, 34 und ff. 280 Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen zu den (umwelt-)rechtlichen Normstrukturen als Gefährdung verfassungsrechtlicher Vorgaben unter 3. Teil, I., 1.
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
285
zur Rechtfertigung abgeschwächter Normierungsleistungen des Gesetzes herangezogen wird: Das Bundesverfassungsgericht nimmt Aspekte der funktionalen Ausdifferenzierung auf über die Figur der „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“. 281 Indem das BVerfG die Anforderungen an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstandes ausrichtet 282 stellt es auf den Aufgabenzuschnitt der spezifischen Rechtsverordnung ab, mithin also auf die Frage der Funktionszuordnungen. 283 Paradigmatisch kommt dies im Beschluss zum Personenbeförderungsgesetz vom 25. Mai 1976 zum Ausdruck. 284 Zu entscheiden war über die Ermächtigungsnorm des § 51 Abs. 2 PBefG zur Festsetzung von Beförderungsentgelten für Gelegenheitsverkehr. Die gesetzgeberische Intention der Delegation dieser Materie wird dahingehend skizziert, dass auf der Ebene der Rechtsverordnung die „vielfältigen Wandlungen und Entwicklungen der wirtschaftlichen Verhältnisse“ einer zügigen rechtlichen Regelung zugeführt werden sollten. 285 Es handelte sich demgemäß um einen Anwendungsfall der Verordnungsfunktion der „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“. Das Bundesverfassungsgericht stellte im Blick auf diesen Aufgabenzuschnitt ausdrücklich fest: „Ermächtigungsnormen hierfür dürfen in Form genereller Bewertungsmaßstäbe gefasst sein.“ 286 Der Beschluss des Gerichts 281 Vgl. vorläufig nur BVerfG, NJW 1998, 669, 670: Wie bestimmt eine Regelung gefasst werden müsse, um dem Maßstab der hinreichenden Bestimmtheit zu genügen, ergebe sich aus der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck. Wie hier U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 16. 282 Vgl. etwa BVerfG-K, NStZ 1997, 342, 343. Hier wird zur Legitimation einer Verordnungsermächtigung aus dem Betäubungsmittelgesetz auf die dieser zugeordnete Beschleunigungsfunktion verwiesen: Die Verordnungsermächtigung solle die rasche Anpassung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes an die wechselnden Konsumgewohnheiten, an den Vertrieb und den Konsum neuer Stoffe und Zubereitungen sowie an neue wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglichen und sicherstellen. Vorhergehend sachbereichsbezogene Argumentationen in BVerfGE 14, 174, 185 f.; 58, 257, 277 f.; 62, 203, 210; 76, 130, 143. 283 Auffällig sind die Parallelen zur Diskussion der Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften, insbesondere solcher zur „Normkonkretisierung“. Diese Funktion findet sich bei umweltrechtlichen Verwaltungsvorschriften besonders häufig. Abgeleitet wird aus der Aufgabe der „Normkonkretisierung“ ein rechtlicher Sonderstatus, der den entsprechenden Verwaltungsvorschriften eine erhöhte Rechtskraft zukommen lasse, vgl. hierzu insbesondere die nachfolgende Darstellung der sog. „normativen Ermächtigungslehre“ in der Ausprägung durch E. Schmidt-Aßmann unter 3. Teil, V., 3., a), (1). Die einfachgesetzlich zugeordnete Funktion (vgl. die Grundlagen im BImSchG für TA Luft, TA Lärm; im KrW-/AbfG für TA Siedlungsabfälle; TA Gewerbliche Abfälle) ist argumentative Basis für das Unterfangen, eine Rechtsform jenseits des grundgesetzlichen numerus clausus der allgemeinverbindlichen Rechtsetzungsformen verfassungsrechtlich abzusichern. Auch im Bereich der Verwaltungsvorschriften gibt es also das Phänomen der einfachgesetzlichen Funktionszuordnung als Legitimationsfigur zur Überwindung kollidierender Verfassungsbestimmungen. 284 BVerfGE 42, 191, 202 f. (Personenbeförderung). 285 BVerfGE 42, 191, 203. 286 BVerfGE 42, 191, 203. Auch in BVerfGE 58, 257, 277 ff. (Schulentlassung) und BVerfGE 62, 203, 210 (Steuerberaterprüfung) stellt das Gericht bei der Frage, welche Be-
286 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung vom 1. Juli 1987 zu § 184 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes, durch welchen die Bundesregierung zur Festsetzung von Pauschgebühren für das sozialgerichtliche Verfahren durch Rechtsverordnung ermächtigt wird, rechtfertigt die vom vorlegenden Gericht angezweifelte hinreichende Bestimmtheit dieser Norm mit dem offensichtlichen „Sinn der Ermächtigung, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit haben sollte, den Gebührensatz jeweils an die sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen“. 287 Weiterhin sei zu berücksichtigen, „dass die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereiches“ abhingen. Auch die neuere Rechtsprechung belegt die Annahme hinreichender Regelungsdichte mit dem Verweis auf die mit der Statuierung der Ermächtigungsnorm einhergehenden Funktionszuordnungen zur Rechtsform der Rechtsverordnung. So wird in einem Kammerbeschluss vom 4. Mai 1997 zur Rechtfertigung der verordnungsrechtlichen Aufnahme bestimmter Stoffe und Zubereitungen in den Anhang des Betäubungsmittelgesetzes vor den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG der „sachliche Grund“ für die gesetzliche Regelung herangezogen: 288 Die Verordnungsermächtigung solle die rasche Anpassung der Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes an die wechselnden Konsumgewohnheiten, an den Vertrieb und den Konsum neuer Stoffe und Zubereitungen sowie an neue wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglichen und sicherstellen. 289 Die Bestimmtheitsanforderungen an eine Ermächtigungsstruktur werden also in erheblichem Umfang dem Profil ihrer Funktionszuordnungen entnommen. 290 Dieses Ergebnis findet Bestätigung in der Literatur, wo von einer „materiell-funktionalen Bestimmung des Bestimmtheitsmaßstabes“ gesprochen wird.291 Das BVerfG führt in die Festlegung der sachbereichsspezifischen Besonderheiten neben dem Profil der Funktionszuordnungen als weiteres maßstabbildendes Kriterium die stimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, auf die Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. 287 BVerfGE 76, 130, 142 (SGG Gebühr). Vgl. zum Votum des vorlegenden SG Stuttgart dessen Vorlagebeschluss unter SGb 1983, 212, 214. 288 BVerG-K NStZ 1997, 342, 343 (Betäubungsmittel). 289 BVerG-K NStZ 1997, 342, 343 (Betäubungsmittel). 290 Ähnlich verfährt BVerfGE 49, 89, 134 (Kalkar), wo allerdings nicht eine Verordnungsermächtigung, sondern eine Ermächtigung zum behördlichen Einzelakt in Rede steht: „Auf Gebieten wie dem der friedlichen Nutzung der Kernenergie, bei denen durch die rasche technische Entwicklung ständig mit Neuerungen zu rechnen ist, kommt hinzu, dass der Gesetzgeber, hätte er einmal eine detaillierte Regelung getroffen, diese laufend auf den jeweils neuesten Stand bringen müsste.“ Vgl. näher sogleich im Text. 291 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 57 mit Fn. 168: Das BVerfG habe sich erst relativ spät zu der hier angedeuteten materiell-funktionalen Bestimmung des Bestimmtheitsmaßstabes bekannt, lasse heute indessen daran keinen Zweifel mehr (unter Bezugnahme auf BVerfGE 56, 1, 13; 58, 257, 277 und weitere); ähnlich M. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337, 344.
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
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Grundrechtswesentlichkeit 292 ein: So heißt es in BVerfGE 62, 203 (Steuerberaterprüfung) im Anschluss an den Verweis auf die Bedeutung der „Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs“: „Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, so müssen höhere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert.“ 293 In dem bereits angesprochenen Beschluss zu § 184 Abs. 2 SGG heißt es, die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG seien neben den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes auch von der „Intensität der Maßnahme abhängig“. 294 Auf dieser Grundlage wird in dem zugrunde liegenden Fall die „geringe Eingriffsintensität“ 295 der zur Prüfung gestellten Ermächtigungsnorm zu einem gewichtigen Argument dafür, dass diese „noch“ den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entspreche. 296 Die gesetzgeberisch zugeordneten Funktionen der Rechtsverordnung werden also über die Figur der „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ zu Legitimationsfiguren, deren Dimension modifiziert wird durch den Aspekt der Grundrechtswesentlichkeit. In Zusammenschau mit der dargelegten Kausalbeziehung zwischen Ausdifferenzierung des Verordnungssystems und Öffnung der Ermächtigungsstruktur ergibt sich mit dem Einsatz auf der Rechtfertigungsseite eine ambivalente verfassungsrechtliche Auswirkung: Funktionszuordnungen wirken als De-Legitimation und Re-Legitimation offener Verordnungsermächtigungen. 297 Die Argumentationsfigur der „sachbereichspezifischen Besonderheiten“ hat wie gezeigt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhebliche Bedeutung erlangt. Sie wird auch in der Literatur in verstärktem Maße herangezogen, um Abweichungen von verfassungsrechtlichen Vorgaben zu legitimieren. 298 Die Maßgabe der Berücksichtigung „sachbereichsspezifischer Besonderheiten“ findet nicht 292 Hierzu und zum Folgenden R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 22; H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12; M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 34; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 16. 293 BVerfGE 62, 203, 210 (Steuerberaterprüfung). Vorhergehend BVerfGE 58, 257, 277 f. (Schulentlassung). 294 BVerfGE 76, 130, 143 (SGG Gebühr). 295 BVerfGE 76, 130, 143 (SGG Gebühr). 296 BVerfGE 76, 130, 142 (SGG Gebühr). Nachfolgend ähnlich in BVerfGE 80, 1, 20 f. (Approbationsordnung). 297 Anders ausgedrückt: Mit der de-stabilisierenden Wirkung der Verordnungsfunktionen hat es nicht sein Bewenden. Diese sollen gleichermaßen zur Re-Stabilisierung beitragen. 298 Vgl. aber die mit Blick auf die Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (hierzu sogleich) vorgetragene Warnung vor der „gefährlichen Argumentation“ mit der „besonderen ‚Natur des Regelungsgegenstandes‘“ bei H. Hofmann, in: FS 50 Jahre BVerfG II, 2001, S. 873, 890 f. mit Fn. 113.
288 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung nur bei der Überprüfung der Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auch in weiteren Fällen Anwendung: Zu nennen ist etwa der Fall der Einräumung exekutiver Beurteilungsspielräume. 299 Weiterhin wird in einer langen Reihe von Fällen die Einhaltung des allgemeinen, rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots unter Beachtung der Situationsbedingtheit ermittelt. 300 Auch die zur Bestimmung des Parlamentsvorbehaltes entwickelte Wesentlichkeitstheorie stellt auf die sachbereichspezifischen Besonderheiten ab. 301 In der Kalkar-Entscheidung stellt das BVerfG nach Prüfung des § 7 Abs. 2 AtomG am Maßstab eines allgemeinen Bestimmtheitsgebots fest, dieser begegne im Hinblick auf die dort vorgenommene Abgrenzung der Handlungsbereiche von Gesetzgeber und Exekutive „angesichts der Besonderheiten des Reglungsgegenstandes“ keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 302 Schließlich wurde die Argumentationsfigur der sachbereichsspezifischen Besonderheiten zum tragenden Pfeiler der Osho- und Glykolrechtsprechung. 303 f) Methodenentwicklung und Absicherung der Gesetzgebungspraxis In der Zusammenschau der bisherigen Rechtsprechungsanalyse zeigt sich, dass die Auslegungsmethodik des Bundesverfassungsgericht zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG beständige Veränderungen und Erweiterungen erfährt: Erstens öffnet das Bundesverfassungsgericht die Ermittlung der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Auslegung nach allgemeinen Auslegungsmethoden bis hin zur verfassungskonformen Auslegung. 304 Zweitens entwickelt das Gericht den (Gesetzes-)Zweck zum zentralen Auslegungskriterium innerhalb der Bestimmtheitstri299 Hier wird mit dem Verweis auf die Besonderheiten eines Sachbereichs die Justiziabilität des Verwaltungshandelns durch die Absenkung der gerichtlichen Kontrolldichte nicht unerheblich eingeschränkt; im Zusammenhang hierzu Ch. Bamberger, VerwArch 93 (2002), S. 217 ff. Vgl. zur Unterscheidung verschiedener Fallgruppen tatbestandlicher Beurteilungsspielräume F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 53; näher zu dieser Differenzierung unter 3. Teil, V., 3., a), (1). Zum gegenwärtigen Stand der Lehre des Beurteilungsspielraums auch E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001 sowie W. Berg, in: FS Maurer, 2001, S. 529, 531 f.; klassisch: O. Bachof, JZ 1955, S. 97 ff. 300 Vgl. die Darstellung bei G. Frankenberg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 20 (R), Rn. 33 ff., unter anderem zu BVerfGE 59, 104, 114, wo es heißt, ein Gesetz-, Verordnungs- oder Satzungsgeber sei „gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“. 301 BVerfGE 33, 1, 12 ff.; 47, 46, 79; 98, 28, 251 und die Nachweise in den nachfolgenden Fn. 302 BVerfGE 49, 89, 138 (Kalkar). Fortführung der Argumentation bei BVerwGE 72, 300, 316 f. (Wyhl). 303 BVerfGE 105, 279, 304 f. (Osho); BVerfGE, 105, 252, 269 ff. (Glykol). 304 Zu dieser Entwicklung vorhergehend 3. Teil, II., 2., a).
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
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as. 305 Drittens überwölbt das Gericht die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG mit den Vorgaben der Wesentlichkeitstheorie, die es zur Auslegung des allgemeinen Gesetzes- und Parlamentsvorbehalts entwickelt hat. 306 Viertens greift das Gericht nicht nur auf das Kriterium der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm, sondern kontinuierlich auch auf das Kriterium des dem Gesetzgeber möglichen Bestimmtheitsniveaus zu. 307 Die Fortführung des Möglichkeits-Kriteriums sichert die Option der Auslegung nach wechselnden Maßstäben. Fünftens ermöglicht das Bundesverfassungsgericht über die Figur der „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ die Geltendmachung spezifischer Verordnungsfunktionen. 308 Diese Veränderungen und Erweiterungen in der Methodik der verfassungsgerichtlichen Auslegung sind durchgehend auf eine Absenkung der Anforderungen an die Regelungsdichte der Ermächtigungsnorm gerichtet. Insbesondere in der Geltendmachung spezifischer Verordnungsfunktionen über die Figur der sachbereichspezifischen Besonderheiten (unter Fünftens) wird deutlich, wie stark die Entwicklung der Auslegungsmethodik mit der funktionalen Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung und ihrer Herausbildung zur nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ dominierenden Rechtsetzungsform modernen Staatshandelns korrespondiert. Dieses Ergebnis spiegelt sich in einer Analyse der zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ergangenen Entscheidungen. Im Zuge der aufgezeigten Veränderungen kam es seit Ende der 1960er Jahre zu einer Verstetigung die einfachgesetzliche Delegationspraxis stabilisierender Entscheidungen. 309 Unter Einsatz der erneuerten und erweiterten Auslegungsmethodik gelangt das BVerfG zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit von Verordnungsermächtigungen im Recht der Postgebühren, 310 im Tabaksteuergesetz, 311 im Personenbeförderungsgesetz, 312 im Recht der Außenwirtschaft, 313 im Vgl. 3. Teil, II., 2., a). Zur Überwölbung durch die Wesentlichkeitstheorie 3. Teil, II., 2., b). 307 Zur Fortführung des Möglichkeitskriteriums 3. Teil, II., 2., d). 308 Zur Geltendmachung spezifischer Verordnungsfunktionen über die Figur der „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ 3. Teil, II., 2., e). 309 Für die Erfassung der Rechtsprechung des BVerfG im genannten Zeitraums vgl. die Rechtsprechungsauswertungen bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 338, H. D. Jarass/B. Pieroth, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12 sowie bei R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGKII, 2002, Art.80, Rn.25 ff. Signifikant die Änderung der Kommentierung zu Art.80 Abs.1 GG bei B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 23: Das Urteil der Vorauflage, dass die Entscheidungen des BVerfG zur Bestimmtheit schlechterdings nicht vorhersehbar seien, sei insofern zu relativieren, als die neuere Praxis eher die Bestätigung der Ermächtigung erwarten lasse. 310 BVerfGE 28, 66, 84 f. (Postverwaltungsgesetz). Die hinreichend deutliche Bestimmung der Ermächtigung des § 14 Postverwaltungsgesetz, u. a. zum Erlass von Gebührenverordnungen für die Benutzung der Einrichtungen des Post- und Fernmeldewesens, ergebe sich durch die §§ 14, 15 Abs. 1, 2 Abs. 3, 20, 21 und 22 PostVerwG; vgl. zu § 14 PostVerwG auch BVerfG, NJW 1984, 1871, 1871. 311 In BVerfGE 35, 179, 183 (Tabaksteuer) war über die Ermächtigung des § 17 Tabaksteuergesetz 1951/1955 zu entscheiden, welche den Verordnungsgeber ermächtigt, für bestimmte 305 306
19 Saurer
290 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Schulrecht, 314 im Nebentätigkeitsrecht der Beamten, 315 im Recht der Berufszulassung 316 und Berufsausübung 317 der Ärzte, im Umweltstrafrecht, 318 im Sozialgerichts-
Fälle der Einfuhr von Tabakerzeugnissen außerhalb des üblichen Wirtschaftsverkehrs (Kleinmengen im Reiseverkehr, Geschenksendungen, Schmuggelware) für die Eingangsabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Umsatzausgleichssteuer) Pauschsätze festzulegen. Das BVerfG entschied, sowohl Inhalt, als auch Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung seien hinreichend bestimmt. 312 BVerfGE 42, 191, 191 (Personenbeförderung): §51 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes in der Fassung vom 24. August 1965 sei mit Grundgesetz vereinbar, soweit er die Ermächtigung enthalte, für den Gelegenheitsverkehr zum Zwecke des Krankentransports durch Rechtsverordnung Beförderungsentgelte festzusetzen. 313 BVerfGE 45, 142, 165 f. (EWG-Getreide): § 7 Ziff. 2 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation für Getreide u. a. vom 30. Juni 1967 verstoße nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG. Aus diesem Bereich auch die in BVerfGE 91, 148, 163 f. (Umlaufverfahren) für verfassungsmäßig erklärte Verordnungsermächtigung des § 7 Abs. 1 iVm § 27 Abs. 1 des Außenwirtschaftsgesetzes 1961/1984 für Regelungen zur Beschränkung von Rechtsgeschäften und Handlungen im Außenwirtschaftsverkehr zum Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen. 314 BVerfGE 58, 257 (Schulentlassung) erging zum Schulrecht des Landes Hessen und hatte insbesondere zum Gegenstand, ob und inwieweit sich der Vorbehalt des Gesetzes (Parlamentsvorbehalt) auf Regelungen über die Versetzung eines Schülers in die nächsthöhere Klasse/Jahrgangsstufe und die leistungsbezogene Schulentlassung auswirke. In diesem Kontext waren auch Verordnungsermächtigungen zu prüfen. Das BVerfG entschied, die dem Kultusminister erteilte Ermächtigung zum Erlass von Schulordnungen, die „insbesondere Versetzungen, Prüfungen und sonstige unterrichtliche Entscheidungen und Maßnahmen“ erfasste, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da das Institut der Versetzung eine auf langjähriger Anwendung beruhende bestimmte Ausformung erfahren habe und vom Erreichen des jeweiligen Ausbildungszieles abhängig sei, ohne dass die leistungsmäßige Bedingtheit der Versetzung besonderer Hervorhebung bedürfe, BVerfGE 58, 257, 279 f. Demgegenüber wurde die Ermächtigung, wonach die Schulordnung auch „Aufnahme, Schulwechsel, Entlassung, Verweisung und Ausschluss von der Schule“ regeln könne, für verfassungswidrig erachtet, BVerfGE 58, 257, 279. Das Gericht ordnete den Verfassungsverstoß allerdings nicht Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zu, vielmehr sei dem Vorbehalt des Gesetzes nicht in dem rechtsstaatlich erforderlichen Umfang Rechnung getragen, BVerfGE 58, 257, 279. 315 In BVerfGE 55, 207 (Nebentätigkeitsverordnung NRW) erkannte das BVerfG die hinreichende Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung des nordrhein-westfälischen Nebentätigkeitsrecht für Beamte und Richter. 316 BVerfGE 80, 1 (Approbationsordnung). Durch die Ermächtigung des § 4 Abs. 1 S. 1 der Bundesärzteordnung werde der Gegenstand der vorgesehenen Verordnung hinreichend bestimmt, BVerfGE 80, 1, 21. 317 BVerfGE 68, 319, 332 f. (Gebührenordnung für Ärzte). Hier entschied das BVerfG, die Ermächtigung des § 11 der Bundesärzteordnung 1961/1977, welche in § 11 S. 2 und S. 3 bestimmte, dass „in dieser Gebührenordnung Mindest- und Höchstsätze für die ärztlichen Leistungen festzusetzen“ seien und dabei „den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen“ sei, verstoße nicht gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. 318 BVerfGE 75, 329 (Umweltstrafrecht). Strittig war die Verfassungsmäßigkeit von § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dieser lautet im Kontext des gesamten Absatzes 2: (2) Mit Freiheitsstrafe
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
291
gesetz, 319 im Steuerberatergesetz, 320 im Recht der Wohnungsbauförderung, 321 in § 1 Abs. 2 und 3 des Betäubungsmittelgesetzes, 322 im Tierschutzgesetz, 323 im Lebensmittelrecht, 324 im versorgungsrechtlichen Teil des Einigungsvertrages, 325 im Natur-
bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. eine genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder 2. eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Abfallgesetzes ohne die nach dem jeweiligen Gesetz erforderliche Genehmigung oder Planfeststellung oder entgegen einer auf dem jeweiligen Gesetz beruhenden vollziehbaren Untersagung betreibt. Das BVerfG prüfte § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB im Zusammenhang mit § 4 Abs. 1, § 3 und § 1 BImSchG unter anderem am Maßstab der „Anforderungen von Art. 103 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG“ und bejahte die hinreichende Bestimmtheit, BVerfGE 75, 329, 340 ff. 319 BVerfGE 76, 130, 142 (SGG Gebühr): Die vom vorlegenden Gericht zur Prüfung gestellte Norm des § 184 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes entspreche „noch den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG“. 320 BVerfGE 62, 203, 203 (Steuerberaterprüfung): Die Vorschriften der § 58 Nr. 1 b), c) und d) des Steuerberatergesetzes 1975 seien mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit die Bundesregierung darin ermächtigt werde, Bestimmungen über die Durchführung der Steuerberaterprüfung, das Verfahren bei der Wiederholung der Steuerberaterprüfung und die Zustimmung des Prüfungsausschusses zu erlassen. BVerfGE 85, 97 (Lohnsteuerhilfe): Hier sieht das BVerfG in der Ermächtigung des § 8 Abs. 2 des Steuerberatergesetzes 1975 eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Werbeverordnung 1976 mit Werbeverboten für die freiberuflich tätigen Steuerberater und Steuerbevollmächtigten. 321 BVerfGE 78, 249 (Fehlbelegungsabgabe). Die Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 4 des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen (AFWOG) für Festlegungen im Zusammenhang mit Ausgleichszahlungen bestimmter Inhaber öffentlich geförderter Wohnungen entspreche den verfassungsrechtlichen Anforderungen, BVerfGE 78, 249, 274 ff. 322 BVerfG-K, NStZ-RR 1997, 342, 343 (Betäubungsmittel) zur Ermächtigung der § 1 Abs. 2, 3 BtMG zur verordnungsrechtlichen Aufnahme bestimmter Stoffe und Zubereitungen in den Anhang des Betäubungsmittelgesetzes. 323 BVerfGE 101, 1, 31 ff. (Hennenhaltung): Die Ermächtigung des § 2 a TierschG zum Erlass von Rechtsverordnungen über Anforderungen an die Haltung von Tieren sei hinreichend bestimmt. Abgestellt wird vor allem auf die in den Nummern 1 bis 4 beispielhaft aufgezählten Einzelmaterien und auf die Begrenzung der Verordnungsgewalt, die soweit reichen solle, als dies „zum Schutz der Tiere erforderlich ist“. 324 BVerfG-K, NStZ-RR 2002, 22 (Hühnereier-Verordnung). Der Entscheidung lag die Regelung des §51 Abs.1 Nr. 2 LMBG zugrunde, der Art und Maß der Strafe benennt und die strafbare Handlung festlegt als „Zuwiderhandlung gegen eine nach §9 Abs. 1 LMBG zur Verhütung von Gesundheitsgefahren durch Lebensmittel erlassene Rechtsverordnung“. Die dem Verordnungsgeber überlassene nähere Spezifizierung des Tatbestandes erachtete das BVerfG als unbedenklich. 325 BVerfGE 100, 1, 55 (Versorgungsüberleitung): Die einschlägigen Verordnungsermächtigungen des Einigungsvertrages genügten den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG. Sie seien inhaltlich hinreichend bestimmt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung ergäben sich aus den Normen des Einigungsvertrages über die Grundentscheidung des Gesetzgebers zur Versorgungsüberleitung in deren Zusammenhang sie stünden und die ihrerseits – bei verfassungskonformer Auslegung der sie tragenden Vorschriften – mit dem Grundgesetz vereinbar seien. 19*
292 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung schutzgesetz Schleswig-Holstein, 326 im Recht der Finanzverwaltung 327 und der Kommunalverwaltung. 328 Entscheidungen, in denen eine Verordnungsermächtigung an den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zu Fall gebracht wurde, sind über lange Jahre hinweg 329 überhaupt nicht mehr zu verzeichnen. 330 Als Beispiel für das höchst ausnahmsweise Scheitern einer Verordnungsermächtigung an den Kriterien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG aus jüngerer Zeit sei die Entscheidung BVerfGE 102, 197, 202 f. genannt. 331 Diese erging zum baden-württembergischen Spielbankengesetz 332 und damit zum Landesrecht, in welchem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht unmittelbar, sondern als Ausdruck von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auf dem Weg über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG zur Geltung gelangt. 333 Die vorzufin326 BVerfGE 103, 332 (Naturschutzgesetz Schleswig-Holstein). Das BVerfG verwarf den Antrag von Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags, die unter anderem die Nichteinhaltung des Bestimmtheitsgebots für Verordnungsermächtigungen rügten, was sich bereits aus der Gesamtzahl von 37 Verordnungsermächtigungen ergebe, vgl. zu den Ausführungen des Antragstellers BVerfGE 103, 332, 341 und die Ausführungen des Gerichts BVerfGE 103, 332, 383 ff. 327 BVerfGE 106, 1 (Oberfinanzdirektion). Nach dieser Entscheidung genügt die Ermächtigungsgrundlage des § 8 Abs. 3 FVG, wonach durch Rechtsverordnung „Aufgaben der Oberfinanzdirektion für den ganzen Bezirk oder einen Teil davon auf andere Oberfinanzdirektionen übertragen werden“ können, den Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, vgl. insbes. BVerfGE 106, 1, 19. 328 BVerfGE 107, 1 (Kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt). Zu entscheiden war über die Verordnungsermächtigung des § 4 a Abs. 1 des Landesgesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit, nach welcher das Innenministerium mehrere Gemeinden zu einer Verwaltungsgemeinschaft zusammenfassen oder einer solchen zuordnen kann. Nach Auffassung des Gerichts genügt diese landesrechtliche Ermächtigung „den Anforderungen, die aus den Grundsätzen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG abzuleiten sind“, BVerfG, NVwZ 2003, 850, 854. 329 Vgl. die Rechtsprechungs-Auswertungen bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 338 und bei H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7.Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12, die jeweils das letztmalige Scheitern in BVerfGE 23, 208, 224 (Milch- und FettG) sehen. 330 Eine Ausnahme ist in BVerfGE 41, 251, 266 f. (Schulverweis) zu sehen. Hier entschied das BVerfG zum rheinland-pfälzischen Gesetz über die öffentlichen Schulen vom 25. November 1958 über die Ermächtigung zum Erlass von Schulordnungen, wonach in dieser insbesondere zu regeln sei, „unter welchen Voraussetzungen ein Schüler von der Schule verwiesen“ werden könne. Diese Ermächtigung sei verfassungswidrig, BVerfGE 41, 251, 266 (Schulverweis). Den Bestimmtheitsmaßstab zur Überprüfung des zugrunde liegenden Landesrechts entnahm das Gericht nicht dem Art.80 Abs. 1 S. 2 GG, sondern den Grundsätzen des „rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem“, BVerfGE 41, 251, 266 (Schulverweis). Allerdings zog die Entscheidung des BVerfG keine unmittelbaren rechtspraktischen Konsequenzen nach sich, da der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber zwischenzeitlich eine Neuregelung erlassen hatte. 331 BVerfGE 102, 197, 202 f. (Spielbankengesetz Baden-Württemberg): Hier erklärte das BVerfG die Ermächtigung des § 13 SpBGBW zum Erlass bestimmter Übergangsvorschriften für die Spielbanken Baden-Baden und Konstanz für verfassungswidrig. 332 BVerfGE 102, 197 ff. (Spielbankengesetz Baden-Württemberg). 333 BVerfGE 102, 197, 222 im Anschluss an BVerfGE 55, 207, 226; 58, 257, 277; 73, 388, 400.
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
293
denden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit von Rechtsverordnungen beruhen unter dem Einfluss der oben skizzierten Änderungen und Erweiterungen der Auslegungsmethodik in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht auf einem erkannten Verstoß der gesetzlichen Ermächtigungsnorm gegen die Bestimmung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auf Gründen, die beim Verordnungsgeber liegen. 334 Beispielsweise scheiterten Rechtsverordnungen an einer Überschreitung des von der Ermächtigung gezogenen Rahmens, an der Wahl eines falschen, weil die Vorgaben des Grundgesetzes verkürzenden Verfahrens der Verordnungsgebung 335 oder an einem Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG. 336
g) Zur Kritik der Verfassungsrechtsprechung. Mit einem Vorschlag für ein Rechtsregime verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen In der Staatsrechtslehre wurden Methodik und Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts überwiegend zustimmend aufgenommen. 337 Argumentiert wird dabei mit Unvermeidbarkeits- und Praktikabilitätserwägungen 338 oder mit einer Apostrophierung des Gehalts von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als „zunehmend unrealistisch“. 339 Gelegentlich wird die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auch als „strikt“ und „restriktiv“ beschrieben, was im Ergebnis der Forderung nach einer weiteren Abschwächung oder wenigstens der Abwehr weiterer „Verschärfungen“ entspricht. 340 Viele Darstellungen stützen die Rechtsprechung des BVerfG durch Beschränkung auf deren Nachzeichnung. 341 334 Vgl. etwa BVerfGE 51, 166, 173; 58, 283, 290; 65, 248, 259; für einen vergleichbaren Fall aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vgl. BVerwGE 90, 57 (Nichtigkeit des § 25 c Abs. 2 BauNVO 1990 wegen Fehlens einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage). 335 So in BVerfGE 91, 148 (Umlaufverfahren). 336 So in BVerfGE 101, 1 (Hennenhaltung). Anders jetzt das BVerwG zum Zitiergebot bei Normen des Europarechts, BVerwG, Urt. v. 20.3.2003 – 3 C 10/02. 337 Aus dem Kreis der zustimmenden Autoren statt vieler H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, § 9, Rn. 238; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 3 f.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn. 65, der der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG die Konturen für ein zukunftsweisendes und dynamisches Anforderungsprofil zuerkennt; zur überwiegend positiven Aufnahme der Rechtsprechung des BVerfG in der Literatur auch die Einschätzung bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 101. 338 T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 3 f. 339 S. Magiera, Der Staat 13 (1974), S. 1, 19. 340 H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 25, Rn. 33 resümieren im Anschluss an eine Skizze der Verfassungsrechtsprechung zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: Durch solche strengen Anforderungen werde der oft beklagte Perfektionismus der Gesetze gefördert, die Regierungsgewalt abgewertet und der Rechtsquellencharakter der Verordnungen in Frage gestellt, ohne dass das geltende Recht dadurch berechenbarer oder auch nur überschaubarer würde. Art. 80 GG und die dazu ergangene Rechtsprechung „verlocken die Regierungen,
294 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Mitunter wird aber auch der Rechtsprechung deutlich skeptischer begegnet. 342 So resümiert Fritz Ossenbühl: „Letztlich wirkt Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG lediglich als Sperre für Pauschalermächtigungen, die keinerlei weitere Eingrenzungen enthalten und sich damit als Blanko-Ermächtigungen erweisen. Das Bestimmtheitsgebot vermag deshalb – jedenfalls in der vom Bundesverfassungsgericht praktizierten Gestalt – kaum einen nennenswerten disziplinierenden Effekt zu erzielen.“ 343 Auch andere Autoren kritisieren die „eher laxe Rechtsprechung zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG“. 344 Konrad Hesse erhebt Bedenken gegenüber der Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Diese Rechtsprechung trage „die Gefahr in sich, den Gesetzgeber von seiner Pflicht zur Konkretisierung der Ermächtigung zu entbinden“. 345 Dietrich Murswiek mahnt bezugnehmend auf die Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt, das „Bundesverfassungsgericht sollte (...) seine Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot überdenken, um ein Minimum an Steuerungsfunktion des Gesetzes sicherzustellen“.346 Die in der Rechtspre-
möglichst in nicht speziell ermächtigte Rechtsetzungen auszuweichen“. Vgl. auch die Fragestellung bei U. Karpen, in: Zehn Jahre DGG/Zehn Jahre ZG, 1998, S. 371, 383, ob „nicht die rechtsstaatliche Bestimmtheitswohltat des Art. 80 GG zur Plage, zu einer Quelle der Normenflut geworden“ sei. 341 Vgl. etwa R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 20 ff.; H. D. Jarass/ B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 11 ff. 342 Vgl. bereits D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, 215. Kritisch zur Orientierung an den Zielen des Gesetzes insgesamt D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. VI 2. Kritik auch bei M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693; J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 148; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 23 f.; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 362 ff.; vgl. auch die Kritik von D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 663–666 die sich allgemein gegen die Rechtsprechung des BVerfG im Kontext des Umwelt- und Technikrechts richtet, wie sie sich insbes. seit der Kalkar-Entscheidung entwickelt hat. 343 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 28; Kritik an dem Resüme von Ossenbühl als zu rigide angesichts der Vielzahl kassierter Verordnungsermächtigungen bei M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 91. Andererseits bemängelt aber auch ders., aaO, Rn. 459, das Bestimmtheitsgebot in „seiner eher laxen Ausprägung durch die Rechtsprechung des BVerfG“ sei Schuld daran, dass Art.80 Abs.1 GG die klassische Doppelfunktion, einerseits administrative Rechtsetzung zu ermöglichen, andererseits diese unter Kontrolle des ermächtigenden Gesetzgebers zu halten, nur noch unvollkommen erfülle. 344 So die Kritik von M. Kloepfer, JZ 1984, S. 685, 693. In diese Richtung bereits die Darstellung der Rechtsprechung bei H. Hasskarl, AöR 94 (1969), S. 85, 103: „Uneinheitlich, schwankend und teilweise widersprüchlich“. Vorsichtig kritisch zur „nicht unproblematischen Rechtsprechungspraxis“ auch R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht AT, 1990, S. 465 mit Fn. 190. 345 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 528. Die Aufgabe des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG werde verkannt, wenn jene Frage ohne eine solche Konkretisierung der Interpretation der ermächtigten Organe anheimgegeben werde – auch wenn diese Interpretation der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts unterliege, ders., ebd. 346 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 663. Betonung der „strengen Anforderungen“ des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an die Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage auch bei V. Busse, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, vor Art. 62–65 GG, Rn. 20.
II. Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen
295
chung des BVerfG anzutreffende Ausrichtung am Einzelfall der jeweiligen Regelungsmaterie und deren Grundrechtsrelevanz im Sinne der Wesentlichkeitstheorie läuft nach Thomas von Danwitz den das Prinzip der Rechtssicherheit konkretisierenden „Unterprinzipien“ der Vorhersehbarkeit und der Berechenbarkeit zuwider. 347 Weiterhin kritisiert von Danwitz die durch die „kontinuierliche Absenkung der Bestimmtheitsanforderungen“ ausgelöste „Infragestellung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als eigenständige Fehlerkategorie“. 348 Auch Peter Axer rügt die mit der Wesentlichkeitstheorie verschränkte Orientierung der Bestimmtheitsanforderungen an den Gegebenheiten des Einzelfalls. 349 Der Wortlaut des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG biete für unterschiedliche Anforderungen an die Bestimmtheit entsprechend der Wesentlichkeit der Materie keine Grundlage. Der Verfassungsgeber differenziere nicht hinsichtlich einzelner Regelungsmaterien, sondern stellt im Gegenteil allgemeine Kriterien auf, die für eine Differenzierung keinen Raum bieten. 350 Der Bestimmtheitsgrad sei vielmehr einheitlich zu bestimmen, es sei denn grundgesetzliche Gesetzesvorbehalte wie Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 104 Abs. 1 GG verlangten nach einem höheren Bestimmtheitsgrad. 351 Axer führt aus, es sei „erforderlich, aber auch ausreichend“, dass sich anhand der allgemeinen Auslegungsregeln ermitteln lasse, welche Zwecke der Gesetzgeber verfolge und welche Wertigkeit die Ziele im Hinblick auf den Regelungsgegenstand der Rechtsverordnung besäßen. 352 Doch genüge es insoweit nicht, allgemein den Zweck oder die Zwecke des Gesetzes festzustellen, vielmehr müssten der Zweck und der Ausgleich gegenläufiger Zwecke gerade in Bezug auf das Thema der Rechtsverordnung bestimmt werden. 353 Den aufgeführten kritischen Stimmen ist in ihrer Ausrichtung auf eine stärkere Betonung des normativen Gehalts der Bestimmung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zuzustimmen. Das Verfassungsrecht fordert danach zum einen die verstärkte Orientierung der Gesetzgebungspraxis an den Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere am Normtext des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Zum anderen ergibt sich für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Aufgabe einer deutlichen und nachhaltigen Ausrichtung am Erfordernis der gesetzlichen Bestimmung von „Inhalt, Zweck 347 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 102. Die von der Rechtsprechung verfolgte Auslegung lasse die Entstehungsgeschichte des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und dessen Zwecksetzung aus der Sicht der Verfassungsväter ganz offensichtlich außer acht, ders., ebd. 348 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 102. 349 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 372. 350 P. Axer, Normsetzung der Exekutive, 2000, S. 372 unter Herleitung dieser Position aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Eine Abstufung nach der „Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte“ hält Axer hingegen für möglich, ders., aaO, S. 376 mit Fn. 359. 351 P. Axer, Normsetzung der Exekutive, 2000, S. 372, 373, Hervorhebung nicht im Original. 352 P. Axer, Normsetzung der Exekutive, 2000, S. 378. 353 P. Axer, Normsetzung der Exekutive, 2000, S. 378 mit Nachweisen zur einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, etwa in BSGE 79, 41, 49 und BSG, MedR 1998, 230 ff. Vgl. zum Ganzen den Überblick über die Rechtsprechung des BSG zum Erlass von Rechtsverordnungen H. Heußner/H. Steinmeyer, JÖR n. F. 30 (1981), S. 405, 450 ff.
296 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung und Ausmaß“ einer erteilten Ermächtigung. 354 Jenseits der kritischen Rekonstruktion der Verfassungsrechtsprechung ist nach Wegen und Möglichkeiten der Wiederannäherung der Rechtsetzungspraxis an die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu suchen. In der Literatur finden sich hierzu bereits einige Ansatzpunkte. Als Leitlinien einer Hinwendung der Interpretation zum Normtext leitet Jörg Lücke aus der Verpflichtung des Gesetzgebers auf die Festlegung des „Ausmaßes“ das „Gebot zu begrenzten Einzelermächtigungen“ ab, 355 aus dem Erfordernis der Bestimmung von „Inhalt“ und „Zweck“ das Verbot der „Blanko- bzw. Pauschalermächtigung“. 356 Peter Axer 357 ermittelt die eigenständige Bedeutung der einzelnen Merkmale dahin, dass sich „Inhalt“ auf den Gegenstand der exekutiven Norm beziehe und die Frage nach dem „Was“ beantworte, dass „Zweck“ die Ziele meine, die der exekutive Normsetzer zu verfolgen habe und die Frage nach dem „Wozu“ beantworte, und dass sich „Ausmaß“ auf den Umfang der Normsetzungsbefugnis beziehe und die Frage nach dem „Wieweit“ beantworte. 358 Auch nach Thomas von Danwitz hat eine Neuorientierung der Rechtsprechung auf der Ebene des Anforderungsniveaus der Bestimmtheitstrias anzusetzen. Unter den hierzu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Formeln (Selbstentscheidungs-, Programm- und Vorhersehbarkeitsformel) 359 hält er die Selbstentscheidungsformel für am ehesten geeignet, eine Begradigung der Rechtsprechung zum delegationsrechtlichen Bestimmtheitsgebot herbeizuführen. 360 Folglich fordert von Danwitz, die gerichtliche Kontrolle der Ver354 Eine im Vergleich zum BVerfG restriktivere Handhabe empfiehlt auch J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 148. 355 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 23. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG habe den Gehalt eines „dreifachen Delegationsfilters“, ders., aaO, Rn. 22. 356 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 24, Abgrenzung zum BVerfG in Rn. 25 („demgegenüber“). 357 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 378 f. Die differenzierte Auslegung des Tatbestands des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG begründet Axer damit, dass ein einheitliches Verständnis der einzelnen Elemente der Bestimmtheitstrias die unterschiedlichen Bedeutungsgehalte verdecke und die unterschiedlichen Inhalte der einzelnen Merkmale zugunsten einer Melange überspiele, welche die Prüfungsmaßstäbe letztlich richterlicher Dezision anheim stelle; dem Wortlaut entsprechend seien die einzelnen Elemente getrennt zu prüfen, ders., aaO, S. 370. 358 Vgl. auch die normtextorientierte Prüfung der Ermächtigung des § 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LuftVG durch den VGH Baden-Württemberg, VBlBW. 2002, 521, 523 f. am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: „Die in § 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LuftVG getroffene Regelung genügt diesen Anforderungen, da sowohl der Inhalt der Verordnungen (Regelung des Verhaltens im Luftraum und am Boden, wozu wie das Gesetz verdeutlicht, insbesondere die Flugvorbereitungen, das Verhalten bei Start und Landung und die Benutzung der Flughäfen gehören) als auch der Zweck (Gewährleistung eines sicheren, geordneten und flüssigen Flugverkehrs, vgl. § 27 c Abs. 1 sowie § 32 Abs. 3 LuftVG) als auch das Ausmaß der Ermächtigung ausreichend bestimmt sind (...).“ Zustimmend die Entscheidung des Revisionsgerichts BVerwGE 119, 245, 250 (Flugrouten). 359 Näher hierzu 3. Teil, II., 2., a). 360 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 104, 105. Besonders die gerichtliche Kontrolle der gesetzgeberischen Eigenentscheidung über die dem Verord-
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ordnungsermächtigung wesentlich an der Selbstentscheidungsformel auszurichten und die weiteren Formeln auszublenden. 361 Über die vorgetragene Kritik hinaus sind der künftigen Entscheidungspraxis als verfassungsrechtlicher Mindeststandard für die Justiziabilität der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die Grundsätze zur Identifikation gesetzlicher Regelungsmängel zugrundezulegen, die das Bundesverfassungsgericht in einer der zentralen staatsorganisationsrechtlichen Entscheidungen neuerer Zeit im Hinblick auf den legislativen Prognosespielraum entwickelt hat. 362 Bei Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geht es dabei nicht um die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative in der Form eines Prognosespielraums, sondern um den Gestaltungsspielraum in der textlichen Fassung der Ermächtigungsnorm, der dem Gesetzgeber zuzubilligen ist, wenn man davon ausgeht, dass die Verpflichtung auf die ausdrückliche normtextliche Festschreibung von Inhalt, Zweck und Ausmaß unter den spezifischen Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns 363 eine wenig sinnvolle Überforderung darstellen würde, die letztlich die Primärfunktion der Entlastung des Parlaments nachhaltig in Frage stellen würde. 364 In vorsichtiger Transformation der Ausführungen in der Altenpflege-Entscheidung BVerfGE 106, 62 könnte folgendes Rechtsregime der Mindestanforderungen etabliert werden: „Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Handhabung der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist im Wege einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln, die sowohl sachbereichsbezogen ist als auch die zu schützenden Interessen berücksichtigt und dabei das Ausmaß der Objektivierbarkeit und Rationalisierbarkeit der dem Gesetz zugrunde liegenden Erwartungen nicht außer Acht lässt. 365 Äußere oder vom Gesetzgeber zu vertretende Umstände wie Zeitnot oder unzureichende Beratung sind nicht geeignet, die Gestaltungsfreiheit zu erweitern. 366 Der Gehalt der Ermächtigungsnorm sollte sorgfältig formuliert werden oder sich jedenfalls im Rahmen der gerichtlichen Prüfung ermitteln lassen. Die Ermächtigungsnorm ist daraufhin zu kontrollieren, ob die tragenden Gesichtpunkte mit hinreichender Deutlichkeit offengelegt worden sind oder ihre Offenlegung jedenfalls im verfassungsgerichtlichen Verfahren möglich ist und ob in die Formulierung keine sachfremden Erwägungen eingeflossen ist.“ 367 nungsgeber eingeräumten Regelungsgegenstände verhindere die Möglichkeit, unter Hinweis auf allgemein geltende Grundsätze eine Ermächtigungsbestimmtheit anzunehmen, ders., ebd. 361 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 104. Zu weiteren Gesichtspunkten innerhalb der gerichtlichen Kontrolle ebd., S. 104 f. 362 BVerfGE 106, 62, 152 f. (Altenpflege) im Hinblick auf den Prognosespielraum des Gesetzgebers bei der Einhaltung der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG. Zur Bedeutung der Altenpflege-Entscheidung M. Jestaedt, in: FS Schmitt Glaeser, 2003, S. 267, 267 ff. 363 Vgl. zu den Rückwirkungen von Bedingungen von technologischen Umbrüchen, strukturellen Ungewissheitsbedingungen und Internationalisierung bereits in der Einl., I., 1. 364 Hierzu im 2. Teil, II., 1. 365 Vgl. BVerfGE 106, 62, 152 (Altenpflege). 366 Vgl. BVerfGE 106, 62, 152 unter Bezugnahme auf BVerfGE 71, 364, 392 und R. Stettner, DVBl. 1982, S. 1123, 1125. 367 Vgl. BVerfGE 106, 62, 152 f.
298 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung
III. Auflösung der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung Im vorangegangenen Abschnitt konnte zunächst die unmittelbare Rückwirkung der ausdifferenzierten gesetzgeberischen Funktionenzuordnung auf die materielle Regelungsdichte der Ermächtigungsnormen aufgezeigt werden. Weiterhin wurde die wechselvolle Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG einer eingehenden Analyse und Kritik unterzogen, die in die Formulierung eines Vorschlags für ein Rechtsregime verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen mündete. Im Anschluss wird nun die Bedeutung einer sukzessiven Entleerung der Ermächtigungsstrukturen für die Entwicklung des Delegationsverhältnisses von Gesetz und Rechtsverordnung untersucht. Dieses Delegationsverhältnis wird zunächst in seiner grundgesetzlichen Anlage als ein Konzept der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung rekonstruiert, welches der Absicherung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist, wie sie insbesondere in Art. 20 Abs. 1 bis 3 und Art. 28 Abs. 1 GG verankert sind. 368 1. Einführung des Konzepts der dualen Gesetzesbindung Bei näherer Analyse des in Art. 80 Abs. 1 GG geregelten Delegationsverhältnisses von Gesetz und Rechtsverordnung zeigt sich das hier niedergelegte Rechtsregime als Anordnung einer dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung. Unterscheiden lassen sich eine formale und eine materielle Komponente der Rückanbindung. Ein erster, formaler Strang der Gesetzesbindung der Rechtsverordnung geht aus der in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG statuierten Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung der Existenz einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hervor: Danach bezieht sich jede Rechtsverordnung notwendigerweise auf eine spezifische gesetzliche Ermächtigung. 369 Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG beschränkt sich auf das formale Erfordernis der Verordnungsermächtigung, inhaltliche Anforderungen werden noch nicht aufgestellt. Man kann also vom formalen Strang der Gesetzesbindung sprechen.370 In der Verpflichtung 368 Zur Bedeutung des Gesetzes als Transmitter des Demokratieprinzips vgl. O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S.123 ff. sowie Ch. Starck, in: Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S. 17, 24 f. 369 Dies wird von Teilen der Literatur bestritten, die ein originäres Verordnungsrecht der Exekutive annehmen, vgl. F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 50; dens., aaO, § 64, Rn. 16; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 394 ff.; H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 62 ff.; näher zum Problem des originären exekutiven Verordnungsrecht 3. Teil, V., 3., b). 370 J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 282 ff. unterscheidet „formell-rechtliche Aspekte“ und „materiell-rechtliche Aspekte“ des „aus dem Parlamentsvorbehalt folgenden“ Bestimmtheitsgebots unter der Fragestellung, wie dieses in der Gesetzgebungspraxis realisiert werden könne. Zu den „formell-rechtlichen“ Obliegenheiten des delegierenden Gesetzgebers zählt Staupe die Bestimmung des Ermächtigungsadressaten, die
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auf die formale Rückanbindung spiegelt sich eine staats- und verfassungsrechtliche Tradition, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. 371 In dieser Zeit wurde namentlich durch Paul Laband das grundsätzliche Erfordernis einer einfachgesetzlichen Delegationsvorschrift als Ausdruck eines formalisierten Rechtsstaatsverständnisses entwickelt. 372 Dementsprechend lassen sich in der auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufbauenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes dem formalen Strang des Gesetzesbindung nur schwache Gewährleistungsgehalte für das Demokratieprinzip der Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG zuordnen. 373 Art.80 Abs.1 S.2 GG verstärkt die Gesetzesbindung der Rechtsverordnung mit einem zweiten, materiellen Strang. Über das bloß formale Element des Abs.1 Satz 1 hinaus wird eine inhaltliche Bindung 374 des Verordnungsgebers an den Willen des Gesetzesgebers entwickelt. 375 Danach bezieht sich jede Rechtsverordnung notwendigerweise auch auf die Inhalte, 376 anders ausgedrückt: die politischen Vorgaben eines Angabe der Regelungsform sowie in bestimmten Fällen die Verpflichtung zum Erlass einer Rechtsverordnung. In einem anderen Sinne unterscheidet F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 39 Sach- und Formvorbehalte; vgl. in historischer Perspektive zur Differenzierung danach, ob die gesetzliche Ermächtigungsstruktur ein gewisses Maß an inhaltlicher Bestimmtheit besitzen muss oder eine formalgesetzliche Delegation für ausreichend erachtet wird, T. Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157 ff. 371 Zur Entwicklung des Verhältnisses im Konstitutionalismus Einl., II., 1. 372 Vgl. hierzu unter Einl., I., 1., dabei insbesondere P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911 (Nachdruck 1964), S. 97: „Jede Verordnung, welche Rechtsvorschriften enthält, kann nur gültig erlassen werden auf Grund einer speziellen reichsgesetzlichen Delegation.“ 373 So etwa dahingehend, dass bereits hier die konstruktive und grundsätzliche Rückführbarkeit der Verordnungsgebung auf den parlamentarisch repräsentierten Volkswillen gewährleistet wird. Dass diese Gewährleistung für sich genommen aber den Anforderungen des Art.20 Abs. 1, 2 GG an die demokratische Organisation der Rechtsetzung nicht genügt belegt U. Volkmann, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, Art.20 (D), Rn. 42: Die Ausgangszuständigkeit des Volkes wirke sich noch auf die nachgeordneten Ebenen der Entscheidungsfindung aus und bewirke hier, dass bestimmte Entscheidungen dort anzusiedeln seien, wo die Rückbindung an den demokratischen Anerkennungs-, Interaktions- und Verantwortungszusammenhang am ehesten gewährleistet sei. Vorrangig berufen sei insoweit das Parlament als einziges unmittelbar durch das Volk legitimiertes Staatsorgan. 374 Zur Bedeutung der engen Anbindung der Verordnungsgebung an die gesetzliche Ermächtigung für die Verhinderung einer Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips H. Maurer, Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 17, Rn. 143. 375 J. Staupe entwickelt eine Vielzahl „materiell-rechtlicher Aspekte“ des vorbehaltsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes, die in der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur vorzugeben seien: Zieldefinition und Aufgabenbeschreibung der gesetzlichen Regelung, Maßstäbe und Entscheidungskriterien, Regelbeispiele; Fall- und Sachverhaltsgruppen; Härte- und Ausnahmeklauseln; Eingriffs- und Anspruchsvoraussetzungen; Konkrete finanzielle und zeitliche Angaben; Anweisungen für die inhaltliche Ausgestaltung; Organisations- und Verfahrensregeln, ders., Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 284–291. 376 Zur abweichenden Rechtslage nach der Schweizer Bundesverfassung und der Erörterung der Aufnahme eines inhaltlichen Kriteriums für die Umschreibung des Gesetzes in den 1990er Jahren G. Müller, ZfSVR 99 (1998), S. 1, 6 ff.
300 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Gesetzes. Zum formalen kommt ein materieller Strang der Gesetzesbindung.377 Dieser stellt sich insbesondere als Konsequenz und Sicherungsinstrument der in Art. 20 Abs. 1, Abs.2 GG an zentraler Stelle verankerten Ausrichtung des Grundgesetzes auf das Prinzip der parlamentarischen Demokratie dar. 378 Der spezifisch demokratische Gehalt der Verpflichtung auf ein Mindestmaß an gesetzlicher Regelungsdichte 379 liegt dabei in der Rechtsgewinnung unter Zugriff auf den demokratischen Mehrwert der Transparenz und Öffentlichkeit des parlamentarischen Verfahrens. 380 Weiterhin ist der materielle Strang der Gesetzesbindung der Rechtsverordnung wie er durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG konstituiert wird auch Ausdruck der überragenden Bedeutung der Grundrechtsgewährleistungen im Verfassungssystem und eines dementsprechend materialisierten Rechtsstaatsverständnisses. 381 Sicherzustellen sind die formale und die materielle Bindung auf der Ebene des Gesetzes. 382 Dieses muss einerseits eine formale Ermächtigung statuieren, andererseits aber auch materielle Vorgaben enthalten, die eine Programmierung der Verordnungsgebung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß sicherstellen. „Der demokratisch allein unmittelbar legitimierte Gesetzgeber soll die exekutive Normsetzung durch Programmvorgaben nach Maßgabe des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG steuern.“ 383 Nur auf diese Weise kann für staatliche Entscheidungen ein Höchstmaß an demokratischer Legitimation und Rückkopplung gesichert werden. 384 Der Strang der materiellen Gesetzesbindung sichert die im Kontext der Gewährung von Einschätzungsprärogativen Vgl. M. Nierhaus, in: FS Stern, 1997, S. 717, 723 f. Zur zentralen Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Konsequenz und Sicherungsinstrument des Demokratieprinzips bereits in der Einl., II., 4., dabei insbes. F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 17: „Im Vordergrund steht demzufolge nicht der Rechtsschutz des Bürgers, sondern die Bewahrung der politischen Verantwortung des Parlaments, nicht die Sicherung des Rechtsstaatsprinzips, sondern die Funktionsfähigkeit des Demokratiegebots.“ Ähnlich M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 109, der als zwei Elemente des (zum Parlamentsvorbehalt verschärften) Gesetzesvorbehalts „Formvorbehalt“ und „Sachvorbehalt“ unterscheidet. Der Formvorbehalt sei überwiegend rechtsstaatlich-parlamentarisch begründet, der Sachvorbehalt sei mehr demokratietheoretisch begründbar und manifestiere sich letztlich im Delegationsverbot. Vgl. zum demokratischen Gehalt des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auch W. Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 GG, 1971, S. 65 f., 72. 379 Mit der Einordnung von Art. 80 Abs. 1 GG als Ausprägung des dem Demokratieprinzip der Art. 20 Abs. 1 und 2 GG entstammenden Grundsatzes, wonach dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber, dem Parlament, die Entscheidung über alle wesentlichen Fragen vorbehalten bleiben muss K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 20, Rn. 263. 380 Hierzu insbes. D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S.489 ff.; Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985, S. 96 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 525. 381 Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 63. 382 Vgl. zur Rekonstruktion von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als materiellen Teil der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Delegation M. Reinhardt, JbUTR 1997, S. 337, 342 f. 383 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 83 im Hinblick auf Art. 80 GG als Ausdruck des Demokratieprinzips. 384 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 83. 377 378
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und Gestaltungsfreiräumen 385 bereits aufgezeigte funktionale 386 Dichotomie der Rechtsverordnung als Handlungsform der Gesetzgebung und Gesetzesvollziehung. 387 Während die oben aufgezeigte verfassungsrechtliche Billigung der gesetzgeberischen Übertragung von Prognosehorizonten und ähnlichen Freiräumen den Charakter der Verordnungsgebung als Politik 388 und damit der Rechtsverordnung als Instrument der Gesetzgebung sichert, konzipiert der hier aufgezeigte materielle Strang der Gesetzesbindung durch die Ausrichtung auf Inhalt, Zweck und Ausmaß einer vorhergehenden Ermächtigungsstruktur die Verordnungsgebung strukturell als Subsumtionsvorgang mit Vollziehungscharakter. 389 Im Zusammentreffen der materiellen Gesetzesbindung mit den Elementen normativen Verordnungsermessens ist die Rechtsverordnung demnach also Instrument von Gesetzgebung und Gesetzesvollziehung, 390 von programmierenden und programmierten Rechtsetzungsentscheidungen gleichermaßen. 391 Im Folgenden wird untersucht, wie die Herausbildung eines differenzierten Systems vielfältiger Verordnungsfunktionen auf dieses verfassungsrechtliche Konzept einwirkt. 2. Gefährdungen der dualen Gesetzesbindung a) Eröffnung der Vollzugsfähigkeit auf Verordnungsebene In der Folge der aufgezeigten typischen Regelungsstruktur der parlamentarischen (Selbst-)Beschränkung auf denkbar weitreichende Ermächtigungsnormen392 bleiben die jeweiligen Gesetze ohne den untergesetzlichen Unterbau bloßer Torso. 393 Die HeVgl. 3. Teil, I., 7., b). „Funktional“ bedeutet hier soviel wie „in der Perspektive des gewaltengliedernden Staates“. Vgl. zu dieser Begriffsbildung etwa N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 1 ff. und G. Zimmer, Funktion – Legitimation – Kompetenz, 1979, S. 22 ff., 60 ff. 387 Zu dieser Dichotomie H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2004, § 4, Rn. 19. 388 Vgl. A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 321 ff. 389 A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S.107, 113: Das Erfordernis der formell-gesetzlichen Rechtsgrundlage und das Bestimmtheitsgebot wiesen die Rechtsverordnung als – zumindest dem Anspruch nach – gesetzesakzessorisches Handlungsinstrument aus, betonten also die Unterwerfung auch der normsetzenden Verwaltung unter den Primat des unmittelbar legitimierten Gesetzgebers. 390 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S.312 f. rekonstruiert die Interpretation der Rechtsverordnung als Gesetzgebungsinstitut in der Ausrichtung auf vorausliegende Steuerungsvorgaben als Versuch der Trennung der politischen Sphäre der Gesetzgebung von der administrativen Sphäre der Verordnungsgebung, um sodann festzustellen, derartige Trennungsversuche hätten sich überholt, ders., ebd., S. 398. Zum Versuch der Überwindung dieser Rekonstruktion durch die hier vertretene Konzeption vgl. unten 4. Teil, V. 391 Zu dieser Unterscheidung J. Rödig, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976, S. 5, 43. 392 Hierzu etwa 3. Teil, I., 1. 393 Zum Problem R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 22; ders., in: Regelungsmaß und Steuerungskraft des Umweltrechts, 2000, S. 27 ff.; mit Blick auf 385 386
302 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung rausbildung einer untergesetzlichen Schicht von Normen wird regelmäßig zur Vollzugsvoraussetzung: Beispielsweise ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung von der Tatbestandsvoraussetzung der Erfüllung der Pflichten einer auf Grund des §7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung abhängig. 394 Die materielle Durchsetzung des Verordnungsrechts erfolgt nach den Ermächtigungen zur nachträglichen Anordnung in §§ 17 und 24 BImSchG. Im Gentechnikrecht hat die überragend wichtige Einteilung der gentechnischen Arbeiten in vier Sicherheitsstufen gem. § 7 GenTG in der Form der Rechtsverordnung zu erfolgen. Erst der Erlass des entsprechenden Regelwerks macht die Gesetze vollziehbar. 395 Zur Regelungsstruktur des Dritten Teil des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes kritisierte der Bundesrat bereits im Rahmen der Gesetzesberatungen, diese verschiebe „die wesentlichen materiellen Inhalte einer Produktverantwortung in von der Bundesregierung zu erlassende Rechtsverordnungen“. 396 Der Gesetzentwurf sei insgesamt „vollzugsunfreundlich und vollzugshemmend“. 397 Die Kommentarliteratur zum Chemikaliengesetz stellt fest: „Als ‚Ermächtigungsgesetz‘ ist das Chemikaliengesetz ohne die zur Durchführung des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen des Bundes nicht zu vollziehen.“ 398 Offenkundig findet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die dahin geht, dass Kann-Ermächdas Bodenschutzrecht F.-J. Peine, in: EUDUR II, Tb. 1, 2. Aufl. 2003, § 79, Rn. 116: „Auf der Basis des Bundesbodenschutzgesetzes kann nur gearbeitet werden, wenn der Bund die notwendigen Rechtsverordnungen erlässt. Ohne diese bleibt das Gesetz ein Torso.“ 394 Vgl. zur Notwendigkeit von „Zwischenebenen“ im Immissionsschutzrecht BVerfGE 79, 174, 194 (Anlieger-Lärmschutz); dazu R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 215: „Das BVerfG hat den ‚richterrechtlichen‘ Weg der Konkretisierung im Bereich des verkehrsbezogenen Immissionsschutzes bestätigt, zugleich jedoch den Verordnungsgeber in die Verantwortung gerufen. Ihm ist nach der Erkenntnis des BVerfG in den §§ 41 ff. BImSchG nicht nur eine Ermächtigung, sondern ein Regelungsauftrag erteilt worden. Dieser hat indessen keine Rechtsanwendungssperre hinsichtlich der auszufüllenden Vorschriften des BImSchG bis zum Erlass der Verordnung(en) begründet. Trotz des zwingenden Gebots einer verordnungsrechtlichen Gesetzeskonkretisierung ist es Verwaltung und Rechtsprechung aus der Sicht des BVerfG nicht ausnahmslos verwehrt, die Vorschriften des Gesetzes unmittelbar anzuwenden, wenn der Verordnungsgeber untätig bleibt. Etwas anderes gilt nur, wenn die gesetzliche Regelung ohne die ausstehende Rechtsverordnung nicht vollziehbar ist oder dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genügt.“ Die Kontroverse im Bereich des verkehrsbezogenen Immissionsschutzes löste sich mit Erlass der auf § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG gestützten Verkehrslärmverordnung (16. BImSchV vom 12.6.1990, BGBl. I 1036) auf. Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der Verkehrslärmverordnung BVerwGE 104, 123, 129 ff. 395 So etwa die auf § 7 Abs. 1 S. 2 GenTG gestützte Gentechnik-Sicherheitsverordnung vom 24.10.1990, BGBl.I 2340; neugefasst durch Bekanntmachung vom 14.3.1995, BGBl.I 297; zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.3.2004, BGBl. I 454. Zur Bedeutung der Rechtsverordnungen für den Vollzug des Gentechnikgesetzes H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443 ff. 396 Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes in BT-Drs. 12/5672, S. 100. Zu den diesbezüglichen Änderungsvorschlägen des Bundesrates, die letztlich nur bedingt erfolgreich waren, ebd. S. 99 f.; zur Gegenäußerung der Bundesregierung ebd. S. 129 f. 397 Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes in BT-Drs. 12/5672, S. 86. 398 P.-Ch. Storm, in: Landmann/Rohmer III, Stand: 2003, Vorb. ChemG, Rn. 11.
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tigungen verfassungsrechtlich unzulässig sind, wenn die Anwendbarkeit des Gesetzes erst durch den Erlass der Rechtsverordnung ermöglicht wird, in den angeschnittenen Regelungskomplexen keinen rechtspraktischen Niederschlag. 399 b) Herausbildung einer „mittleren Steuerungsebene“ Jedoch ist nicht nur die Vollzugsfähigkeit preisgegeben. Vor allem fehlt es den einschlägigen Verordnungsermächtigungen, die zumeist nur auf die vagen und oftmals gar gegenläufigen Zielbestimmungen der Gesetze zu verweisen vermögen, an Steuerungskraft im Blick auf den Regelungsgegenstand der abfallbezogenen oder emittierenden Wirtschaftstätigkeit. Materielle Genehmigungsvoraussetzungen, Sicherheitsbestimmungen und Betreiberpflichten ergehen in der Rechtsform der Rechtsverordnung. Dieser obliegt die materielle Steuerung der gesellschaftlichen Akteure und die Vereinheitlichung und Programmierung des nachgeordneten Verwaltungshandelns. Die Rechtsverordnung wird damit zum Handlungsinstrument einer „mittleren Steuerungsebene“ (Eberhard Schmidt-Aßmann). 400 Staatliche Steuerung als planmäßiger Versuch der Beeinflussung gesellschaftlichen Verhaltens nimmt hier ihren Ausgang von einer mittleren Ebene der Normenhierarchie. 3. Verlust der Steuerungsfähigkeit und Bedeutung des Rechts? Szenarien dahingehend, dass aus der weitgehenden Steuerungsschwäche der gegenwärtigen parlamentarischen Gesetzgebung 401 ein umfassender Bedeutungsverlust des Rechts folge, wie sie etwa unter Heranziehung der Systemtheorie 402 gezeichnet werden, 403 erweisen sich als unbegründet. 404 Denn Verschiebungen im Verhältnis von Gesetz und Rechtsverordnung stellen einen Binnenvorgang im gleichbleibend steuerungsstarken oder -schwachen Gefüge allgemeinverbindlicher staatlicher BVerfGE 78, 249, 272 (Fehlbelegungsabgabe). E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 121 f. 401 Zur Gefährdung der Regulierungsfunktion staatlich gesetzten Rechts angesichts der Praxis der Umweltgesetzgebung H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 205. 402 Aus der systemtheoretischen Literatur zum Verständnis der Rechtsordnung N. Luhmann, Zf. f. Rechtssoziologie 12 (1991), S. 142 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1993, S.124 ff.; G. Teubner, in: Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 115 ff.; speziell zur „autopoietischen Geschlossenheit“ als Problem für die Rechtsetzung ders., in: Jb. f. Rechtssoziologie und Rechtstheorie XIII (1988), S. 45 ff.; vgl. weiterhin R. Mayntz, in: Soziale Dynamik und politische Steuerung, 1997, S. 263 ff.; R. Voigt, in: Recht als Instrument der Politik, 1986, S. 14 ff. 403 Vgl. die Infragestellung der normativen Eigenständigkeit des Rechts gegenüber der Wirtschaft bei U. Di Fabio, in: Techniksteuerung und Recht, 2000, S. 9 ff. 404 Weiterführende Überlegungen und weitere Nachweise zur sozialwissenschaftlichen Diskussion um die staatliche Steuerungsfähigkeit im Zeitalter der Globalisierung bei E. Grande, in: Entgrenzung und Entscheidung, 2004, S. 384 ff. 399 400
304 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Rechtsetzung dar. Auch ist nur schwerlich belegbar, dass im parlamentarischen Verfahren zustande gekommene Gesetze hinter der Steuerungsfähigkeit der exekutiven Normsetzung zurückbleiben. Vielmehr geben Phänomene wie die Festlegung von Grenzwerten durch Verwaltungsvorschriften Anlass, „nicht die Steuerungsfähigkeit des Rechts, sondern die Steuerungswilligkeit der rechtsetzenden Organe in Zweifel zu ziehen“ (Jörn Ipsen). 405 Die Systemtheorie mit ihrer Grundannahme autopoietischer, sozialer Systeme 406 hat insbesondere hinsichtlich der Entfaltung einer rechtswissenschaftlichen Dimension in verschiedener Hinsicht überzeugende Kritik erfahren. In empirischer Hinsicht resümiert Eberhard Bohne, dass die Definitionen und Postulate der Systemtheorie zur Beschreibung, Erklärung oder Vorhersage sozialempirischer Sachverhalte bislang bedeutungslos geblieben seien, da sie sich einer Operationalisierung und damit der empirischen Überprüfbarkeit entzögen. 407 In der rechtswissenschaftlichen Rezeption der Systemtheorie zeigen sich nicht unerhebliche Widersprüche zwischen den abgeleiteten rechtspolitischen Maximen und den zugrunde liegenden theoretischen Modellannahmen. 408 Beispielsweise kollidiert das Postulat einer „dezentralen Kontext-Steuerung“ 409 mit der grundsätzlichen Diagnose der Steuerungsunfähigkeit des Rechts. 410 Darüber hinaus wird für wesentliche systemtheoretische Modellannahmen der Nachweis des Entgegenstehens grundgesetzlicher Strukturentscheidungen geführt, so des Demokratieprinzips411 und der Verbürgung der Menschenwürde in Art.1 Abs. 1 GG, nach welcher das Grundgesetz den Menschen als individuelles Subjekt an den nicht hinterfragbaren Anfang aller Rechtsetzung stellt. 412 4. Die duale Struktur der Rechtsverordnung in Auflösung Nach den vorhergehenden Erkenntnissen bedeutet die materielle Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen also keine grundsätzliche Infragestellung der Steuerungsfähigkeit des Rechts. Bedroht ist jedoch die duale Struktur der Gesetzesbindung der untergesetzlichen Rechtsetzungsform Rechtsverordnung. Die untersuchten Ermächtigungsnormen vermögen den nachfolgenden Rechtsverordnungen J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 192. Kritische Analyse dieser Modellannahme der Systemtheorie bei O. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 36 ff. 407 E. Bohne, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 181, 208. 408 F.W. Scharpf, PVS 30 (1989), S. 10 ff. 409 H. Willke, Systemtheorie entwickelter Gesellschaften, 1989, S. 58 f., 128 ff. Zum Typus der Kontextsteuerung als Form der staatlichen Installation „selbstregulativer, gemeinwohlfördernder Systeme“ M. Schmidt-Preuß, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160, 185 ff. 410 So die Kritik von G. F. Schuppert, in: Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit, 1990, S. 217 ff., 226 ff. 411 O. Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999, S. 62. Zur Konfrontation der theoretischen Modellannahmen der Systemtheorie und der philosophischen Weltsicht des Grundgesetzes ders., aaO, S. 63 ff. 412 O. Lepsius, aaO, S. 53. 405 406
III. Auflösung der dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung
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kaum eine Gesetzesbindung im verfassungsrechtlich geforderten Umfang zu vermitteln. Weit gefasste Verordnungsermächtigungen, wie sie im Referenzgebiet des Umweltrechts weit verbreitet sind, 413 erfüllen zwar das Erfordernis einer formalen Gesetzesbindung der nachfolgenden Rechtsverordnung. 414 Jedoch wird eine materielle Programmierungsleistung kaum erbracht; die Weiterentwicklung eines durch gesetzliche Grundstrukturen fixierten Regelungsprogramms entfällt. 415 Das zweite Erfordernis der materiellen Rückanbindung der Verordnungsgebung an das Gesetz bleibt strukturell unerfüllt. Die Gesetzesbindung wird tendenziell auf das Zitat einer Ermächtigungsnorm reduziert und beginnt sich damit aufzulösen. Mit dem materiellen Strang der Gesetzesbindung entfällt auch die durch diesen vermittelte Ambivalenz von Gesetzgebung und Gesetzessubsumtion. Das Element der Gesetzgebung tritt in den Vordergrund und entwickelt sich zur allein bestimmenden Größe. Mit dem Element der materiellen Gesetzesbindung ist die duale Struktur der Rechtsverordnung insgesamt in Auflösung begriffen. 416 5. Annäherung an Autonomiekonzeptionen (Satzungsrecht): Von der Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber zur Selbststeuerung der Exekutive Die vorhergehend skizzierte Auflösung der materiellen Rückanbindung der Rechtsverordnung an die gesetzliche Ermächtigung hat erhebliche Folgen für das kategoriale System der grundgesetzlichen Rechtsetzungsorganisation. Wie im Folgenden zu zeigen ist, werden die Formgrenzen zwischen Rechtsverordnung und Satzung nachhaltig in Frage gestellt. 417 Das Grundgesetz stellt für die Verleihung autonomer Rechtsetzungsbefugnisse 418 das Instrument der Satzungsermächtigung zur Vgl. 1. Teil, I. und V., 2. sowie 3. Teil, III., 1. Hierzu die vorhergehenden Ausführungen zur Begründung der dualen Konzeption der Gesetzesbindung der Rechtsverordnung unter 3. Teil, III., 1. 415 Nochmals 3. Teil, III., 1. 416 Vgl. hierzu die Überlegungen von A. v. Bogdandy zur Überführung der dichotomen Orientierung an Gesetz und Rechtsverordnung in einen „legislativ-administrativen Steuerungsverbund“, ders., in: FS Hollerbach, 2001, S. 363 ff. 417 Vgl. zur Abgrenzung von Satzung und Rechtsverordnung bereits 2. Teil, II., 2., b)., (1). 418 Grundlegend zur Bedeutung des Autonomiegedankens zur Charakterisierung des Satzungsrechts BVerfGE 33, 125, 157 (Facharzt), aus neuerer Zeit BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen). Resümierend M. Kloepfer, DVBl. 1995, S. 444 ff.: Das Bundesverfassungsgericht habe niemals in Zweifel gezogen, dass sich der Autonomiegedanke sinnvoll in das System der grundgesetzlichen Ordnung einfüge. Zur Frage, ob Autonomie und Selbstverwaltung Synonyme darstellen oder voneinander zu trennen sind vgl. P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S.192 ff. insbes. S.195: „Mit der Qualifizierung einer Verwaltungseinheit als Selbstverwaltungskörperschaft wird dieser noch keine Satzungsautonomie im Sinne eines nur gegenständlich begrenzten Rechts zur Selbstgesetzgebung verliehen; Autonomie und Selbstverwaltung bezeichnen begrifflich Unterschiedliches und sind rechtlich nicht wechselbezüglich. Autonomie meint die eigenverantwortliche, nur gegenständlich umgrenzte Normsetzungsbefugnis, Selbstverwaltung eine bestimmte Organisationsform 413 414
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306 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Verfügung. 419 Satzungsermächtigungen finden sich in unterschiedlichen Bereichen, neben der kommunalen Satzung finden sich akademische, berufsständische und sozialversicherungsrechtliche Satzungen. 420 Allgemein anerkannte Satzungsgeber 421 sind etwa Kommunen, kommunale Verbände, Universitäten, Kammern, Rundfunkanstalten, Deutsche Bundesbank, intermediäre Anstalten,422 Sozialversicherungsträger 423 und deren Verbände 424 sowie Zusammenschlüsse mehrerer Leistungserbringer 425. Nach der Gegenüberstellung von Hartmut Maurer ist der Erlass der Rechtsverordnung heteronome, die Satzungsgebung autonome Rechtsetzung. 426 Friedhelm Hufen grenzt beide Rechtsformen dahingehend ab, die Satzung sei „gerade nicht ‚Fremdsteuerung‘ durch den Gesetzgeber, sondern Selbststeuerung der Gemeinde, Hochschule, Kammer usw“. 427 Da im Staat des Grundgesetzes Hoheitsgewalt, damit auch Normsetzungsgewalt, allein dem Staat zusteht, können autonome Rechtsetzungsbefugnisse nicht originär, sondern nur abgeleitet bestehen. 428 Also bedarf die autonome Normsetzung einer staatlichen Ermächtigung in Gesetzesform. 429 Dementsprechend werden dem Satzungsgeber für den erfassten Bereich für die Erledigung staatlicher Aufgaben.“ Vgl. (in der Grundstruktur aus der Zeit vor BVerfGE 33, 125) E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10.Aufl. 1973, S. 142 f.: „Zwischen der Ausstattung eines Verwaltungsträgers mit Autonomie und der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen muss klar geschieden werden. (...) Bei der Ausstattung eines Verwaltungsträgers mit Autonomie fehlt eine solche Bindung an eine gegebene Regelung. Hier ist die Absicht, dem Verwaltungsträger normative Befugnis zu verleihen, von der er im Rahmen der Gesetze nach pflichtgemäßem Ermessen beliebig oft Gebrauch machen kann. Deshalb findet auch Art.80 auf die Ausstattung mit Autonomie keine Anwendung (BVerfGE 12, 319 f., insbes. 325 f.).“ Kritisch gegenüber dem Autonomiebegriff W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 25 f., 487 f. 419 Zum Delegationscharakter der Ausstattung eines Verwaltungsträgers mit Satzungsmacht BVerfGE 33, 125, 156 (Facharzt), BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen) sowie F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 55 und U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 38 unter Betonung der erhöhten dogmatischen Abgrenzungsschwierigkeiten in der Folge der Anerkennung in BVerfGE 33, 125, 156, dass auch die Verleihung von Autonomie eine Form der Delegation von Rechtsmacht sei. 420 Mit weiteren Nachweisen P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 189 und die Typisierung bei T. Clemens, NZS 1994, S. 337 ff. 421 Zur nachfolgenden Aufstellung und den aufgeführten rechtspraktischen Beispielen vgl. P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 189. 422 Dazu F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66, Rn. 14. 423 § 34 SGB IV. 424 Für die Landesverbände der Krankenkassen § 210 SGB V; für die Bundesverbände der Krankenkasse § 216 SGB V. 425 Etwa die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 81 SGB V). 426 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 22. 427 F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 275. 428 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 196 mit Fn. 260; P. Badura, DÖV 1963, S. 561, 561, Fn. 2; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66, Rn. 21; G. Prost, NJW 1955, S. 1464 ff.; Ch. Starck, AöR 92 (1967), S. 449, 451. 429 P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 197, 268; F. Ossenbühl, HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66, Rn. 21.
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normative Befugnisse eingeräumt; 430 Ausdruck der Autonomie ist, dass die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG nicht gelten. 431 Nach dem Ausgangspunkt des Grundgesetzes 432 hat der Verordnungsgeber also nicht mehr, sondern weitaus weniger Gestaltungsfreiheit als der Satzungsgeber! 433 Diese erhöhte Freiheit des Satzungsgebers wird erst durch eine Vielzahl spezifischer Sicherungen wieder zurückgenommen, 434 so durch die Eingrenzung des Kreises der Satzungsunterworfenen, 435 430 K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 653 zum auf dem Prinzip der Autonomie beruhenden Satzungsrecht der Selbstverwaltungskörperschaften als jedenfalls bei den verfassungsrechtlich abgesicherten Selbstverwaltungskörperschaften (Art. 28 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3 GG) originärer Normsetzungsbefugnis in Abgrenzung zur Verordnungsgebung der Exekutive als abgeleiteter (derivativer) Normsetzungsbefugnis. 431 BVerfGE 12, 319 f., insbes. 325 f.; 33, 125, 157 f. Zum zugrunde liegenden Verständnis G. Leibholz/H.-J. Rinck/D. Hesselberger, Grundgesetz, Bd.2, Art.80 (2000), Rn.22: „Es macht einen erheblichen Unterschied aus, ob der Gesetzgeber seine – der Materie nach prinzipiell unbeschränkte und allen Bürgern gegenüber wirksame – Normsetzungsbefugnis der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive abgibt, oder ob er innerhalb eines von vornherein durch Wesen und Aufgabenstellung der Körperschaft begrenzten Bereichs einen bestimmten Kreis von Bürgern ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln.“ Das Bedürfnis, eine Macht zu zügeln, die versucht sein könnte, praktisch-effiziente Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger durchzusetzen, sei, wie die geschichtliche Erfahrung bestätige, im ersterwähnten Fall ungleich fühlbarer. 432 Vgl. zur vereinzelt vertretenen Gegenauffassung einer differenzierend analogen Anwendung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf die einfachgesetzliche Verleihung von Satzungsautonomie aus der Rechtsprechung BSG v. 1.10.1990, JZ 1992, 416, 417 m. für die Frage der Anforderungen an eine Regelung „auf Grund eines Gesetzes“ gem. Art.12 Abs.1 S.2 GG: Es gebe „keinen Grund dafür, die bei einer Normsetzungsdelegation an eine Selbstverwaltungskörperschaft zu fordernde Bestimmtheit geringer anzusetzen, als sie durch Art.80 GG für die Delegation auf die staatliche Exekutive vorgesehen ist“. Vgl. hierzu die zustimmende Anmerkung von B. Schulin, JZ 1992, S. 419 ff. Aus der Literatur D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. IV. XIII. 2; differenzierend zwischen der kommunalen Satzungsgebung (keine Bindung an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) und der übrigen Satzungsgebung (Bindung an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in Ausnahmefällen) auch K. Westbomke, Der Anspruch auf Erlass von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 70 ff., insbes. S. 79 f.; dezidiert für eine Anwendung von Art. 80 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG auf das Satzungsrecht etwa W. Zoller, Über die Bedeutung des Art. 80 GG, 1971, S. 95 ff., deutlich S. 107; weitere Nachweise in den nachfolgenden Fn. 433 R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S.101, 111; ähnlich P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 199. Zur Funktion der Satzungsermächtigung unter dem Grundgesetz nochmals BVerfGE 33, 125, 156 f.: „Die Verleihung von Satzungsautonomie hat ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern.“ 434 Zu den Grenzen bei der Übertragung von Satzungsautonomie grundlegend BVerfGE 33, 125, 158 (Facharzt); vgl. aus der umfangreichen Literatur nur M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 164–167. 435 Zum Problem der Geltungserstreckung auf Außenseiter außerhalb der autonomen Körperschaften T. Clemens, NZS 1994, S. 337, 346.
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308 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung die Verpflichtung des Satzungsgebers zur demokratischen Selbst-Organisation und die Fortgeltung des Gesetzesvorbehaltes. 436 Durch die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG soll explizit verhindert werden, dass die Verordnungsgebung zur autonomen Verwaltungsrechtsetzung wird. 437 Als Instrument der Einhegung des Verordnungsermessens erweist sich insbesondere Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG mit seiner Verpflichtung des Gesetzgebers auf die Vorgabe von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtsverordnung. 438 Nun zeigt sich die Konsequenz einer Quasi-Suspendierung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG: Die Trennwand zwischen Verordnungsermessen und autonomer Rechtsetzung wird zusehends eingerissen. 439 Die Verordnungsgebung unterliegt nicht mehr der Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber, sondern wird zur Selbststeuerung der Verwaltung. 440 Die Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit einer Verordnungsermächtigung werden zurückgenommen auf den bloßen Nachweis einer Delegationsnorm. Diese Ermächtigungsstruktur entspricht dem der Satzung – wobei die satzungsspezifischen Sicherungen für Rechtsstaats- und Demokratieprinzip 441 fehlen. Wo nachvollziehende Gesetzes436 Zur Fortgeltung des Gesetzesvorbehaltes die Darstellung der weit überwiegenden Auffassung bei L. Ch. Adler, Das Satzungsrecht der Gemeinden als verfassungsrechtlich eigenständiges Rechtsetzungsrecht?, 1997, S.79 ff.; S. Engel-Boland, Gemeindliches Satzungsrecht und Gesetzesvorbehalt, 1999, S. 9 ff. Beide Autoren vertreten im Ergebnis abweichende Auffassung zugunsten einer Ausweitung der kommunalen Rechtsetzungsautonomie, vgl. L. Ch. Adler, aaO, S. 148 und S. Engel-Boland, aaO, S. 109 f. Vgl. zum Ganzen auch H. Maurer, DÖV 1993, S. 185, 188 f. 437 T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 49: Bei einer Rechtsverordnung ergäben sich Grenzen aus Art. 80 GG, bei einer Satzung ergäben sie sich im Rahmen des Gesetzes aus dem Zweck und dem Aufgabenbereich der Körperschaft. Ähnlich M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 166: „Die Satzungsautonomie findet ihre Grenzen nicht in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, sondern in dem Zweck der jeweiligen autonomen juristischen Person.“ Vgl. auch BVerfGE 12, 325 ff.; 21, 62 ff.; 32, 361; 33, 157 ff. 438 Vgl. die restriktive Analyse bei G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, 1983, S. 131 f.: Rechtsverordnungen seien als Entfaltung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zwecksetzungen aufzufassen; eigene Zwecksetzungen der Exekutive hätten in ihnen wegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG keinen Platz, da die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Rechtsverordnung gerade deren Zweck vorweg formulieren müsse. 439 Bereits in der Rechtswissenschaft der 1950er und 60er Jahre findet sich eine eingehende Auseinandersetzung um die Grenzen und Unterschiede zwischen Verordnungsgebung und Satzungsgewalt unter dem Grundgesetz. Allerdings ging es dabei nicht um die Einschmelzung der verordnungsrechtlichen Sicherungen, sondern in umgekehrter Richtung um die Übertragung der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf die Satzungsgebung; vgl. aus dieser Zeit als einen Vertreter der These von der Kongruenz und Auswechselbarkeit von Rechtsverordnung und Satzung sowie der ausgedehnten Anwendbarkeit von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG A. Hamann, Autonome Satzungen und Verfassungsrecht, 1958, S. 62 ff., dagegen etwa H. Meschede, Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf die Exekutive, 1962, S. 56 ff. mit weiteren Nachweisen. 440 Hierzu nochmals die Abgrenzung der Normtypen der Rechtsverordnung und der Satzung nach dem grundgesetzlichen Ausgangsverständnis bei F. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2002, S. 275. 441 BVerfGE 33, 125, 158 (Facharzt), BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen). Vgl. nochmals H. Maurer, DÖV 1993, S. 185, 188 f.; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 49.
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konkretisierung sein sollte, findet sich nurmehr Normsetzung ohne spezifische Determinierung. 6. Zum Substitutionspotential der Wesentlichkeitsdogmatik Vorhergehend wurde aufgezeigt, dass die substantielle Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen das Rechtsregime des Art. 80 Abs. 1 GG zusehends dadurch untergräbt, dass der in S. 2 angeordnete materielle Strang der Gesetzbindung sukzessive aufgelöst wird. Im Folgenden sollen die Rechtsbindungen aufgezeigt werden, die bei Aushöhlung der Bestimmtheitsklausel verbleiben beziehungsweise an deren Stelle treten. Sollte aus der Bindung an allgemeine verfassungsrechtliche Vorgaben ein entsprechender Ersatz für die Gewährleistungen des Art. 80 Abs. 1 GG erwachsen, könnte man geneigt sein, die oben dargelegten Verschiebungen im kategorialen Verhältnis der Rechtsetzungsformen mangels rechtspraktischer Konsequenzen für ein Problem von rein verfassungstheoretischem Interesse zu halten. Materielle Anforderungen an die administrative Normsetzung entfalten unter den allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben insbesondere das Demokratieund das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3 und 28 GG) in ihrem Zusammenlaufen im Prinzip des Gesetzesvorbehalts. 442 Die Reichweite des zum Parlamentsvorbehalt verdichteten Gesetzesvorbehalts 443 bestimmen BVerfG und herrschende Meinung nach den Maßgaben der Wesentlichkeitsdogmatik. 444 In welch erheblichem Maße die Wesentlichkeitsdogmatik die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in der Prüfungspraxis des BVerfG verdrängt hat, war bereits Gegenstand der Darstellung. 445 Über diese Ausführungen hinaus soll nun der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Wesentlichkeitsdogmatik 446 den Verlust an materieller Bindung auf442 Zur Verankerung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 GG U. Volkmann, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, Art. 20 (D), Rn. 37 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 2 ff. 443 Der Aspekt der Verdichtung des Gesetzesvorbehalts zum Parlamentsvorbehalt findet sich bei H.-U. Erichsen, DVBl. 1985, S. 22, 26 f.: Der Parlamentsvorbehalt lege das Ausmaß formell-gesetzlicher Regelung fest und stehe zum Gesetzesvorbehalt in einem Stufenverhältnis. Es handle sich beim Parlamentsvorbehalt mithin um einen verdichteten Gesetzesvorbehalt; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 9; K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 574; teilweise anders W. Erbguth, VerwArch 86 (1995), S.327, 339: Zwischen dem demokratischen Erfordernis einer strengen Parlamentsentscheidung überhaupt und der rechtsstaatlich bedingten Rechtsformenwahl des förmlichen Gesetzes seien Überschneidungen in den Fällen möglich, in denen eine bestimmte Entscheidung des Parlaments gerade durch förmliches Gesetz wegen des rechtsstaatlichen Verfahrensmechanismen des Gesetzgebungsverfahrens erforderlich sei. 444 Zu diesem Leitmotiv der Abgrenzung exekutiver und legislativer Befugnisse näher oben 3. Teil, II., 2., b). 445 3. Teil, II., 2., b). 446 Vgl. zum Ganzen C.-E. Eberle, DÖV 1984, S.485, 486; H. Butzer, AöR 119 (1994), S.61, 82 ff.; G. Roellecke, NJW 1997, S.2500 ff.; E. Baader, JZ 1992, S. 394 ff.; D. C. Umbach, in: FS Faller, 1984, S. 111 ff.; H. H. v. Arnim, DVBl. 1987, S. 1241 ff.; F. E. Schnapp, MedR 1996, S. 418 ff.; K. Vogel, in: FS Lerche, 1993, S. 95, 97 f.; E.-W. Böckenförde, NJW 1999, S. 1235 ff.;
310 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung zufangen 447 und zur Begründung einer rechtlichen Eigenständigkeit der Verordnungsgebung gegenüber Formen autonomer Rechtsetzung beizutragen vermag. 448 a) Zur Vermittlung einer materiellen Gesetzesbindung Zunächst soll also der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Ausfüllung des Parlamentsvorbehalts durch die Wesentlichkeitsdogmatik eine materielle Verknüpfung der gesetzlichen Vorgaben mit dem nachfolgenden Verordnungsrecht bewirkt. 449 Inwieweit stellt die Wesentlichkeitstheorie ein Äquivalent zu dem zentralen Anliegen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG dar, nach welchem verhindert werden soll, dass sich das Parlament seiner Aufgaben entledigt, sich seiner Verantwortung begibt? Inwieweit besteht also ein „Gebot verstärkter Regelungsdichte“? 450 Hier kann angeknüpft werden an die obigen Ausführungen. Danach ist für die Anforderungen an die materielle Regelungsdichte einer Ermächtigungsstruktur entscheidend, inwieweit zur Ermittlung der Wesentlichkeit einer Materie neben Aspekten der Grundrechtsausübung auch solche der Notwendigkeit parlamentarischer Leitentscheidungen herangezogen werden. 451 Im Anschluss an die obigen Ausführungen ist daran zu erinnern, dass bereits die gegenwärtige Auslegung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG maßgeblich von den Kriterien der Wesentlichkeitsdogmatik beeinflusst ist. 452 Diese Überlagerung des Normtextes in seiner Orientierung auf „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ durch Aspekte der Wesentlichkeit, insbesondere solche der Grundrechtswesentlichkeit, hat erheblich zur Aufweichung der Bestimmtheitstrias beigetragen. 453 Demnach erscheint die Wesentlichkeitsdogmatik als ungeeignet, relevantes Substitutionspotential zur Absicherung einer materiellen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung zu entfalten. b) Zur Vermittlung dogmatischer Eigenständigkeit gegenüber dem Satzungsrecht Für die Satzungsgebung gilt jenseits des Erfordernisses der einzelgesetzlichen Ermächtigung das Prinzip des allgemeinen Gesetzesvorbehalts. 454 Auch hier beJ. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 136; Ch. Gusy, JA 2002, S. 610 ff. 447 Hierzu nachfolgend 3. Teil, IV., 6., a). 448 Hierzu nachfolgend 3. Teil, IV., 6., b). 449 Zur Wesentlichkeitstheorie als Instrument einer materiellen Bindung der Exekutive an die Legislative vgl. T. Oppermann, in: Verhandlungen des 51. DJT I, 1976, C, S. 48 ff., insbes. 53, der die Heranziehung materieller (statt formaler) Kriterien ausdrücklich begrüßt. 450 J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 136. 451 3. Teil, II., 2., b). 452 3. Teil, II., 2., b). 453 3. Teil, II., 2., f). 454 Näher auch zu divergierenden Positionen 2. Teil, II., 2., b), (2).
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stimmt sich dessen Reichweite unter Auslegung nach der Wesentlichkeitstheorie. 455 Die diesbezüglich festzustellende Engführung auf den Maßstab der Grundrechtsrelevanz erscheint insbesondere in Bereichen tradierter Gegenstände des Satzungsrechts weniger problembehaftet als im Bereich des allgemeinen Gesetzesvorbehalts. 456 Die hier zu verhandelnde Frage, ob die Überlagerung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG durch die Wesentlichkeitstheorie der Parallelisierung von Rechtsverordnungen und Satzungen entgegenzuwirken vermag, ist aufgrund der Erfassung beider Rechtsetzungsformen durch den Geltungsanspruch der Wesentlichkeitstheorie demnach negativ zu bescheiden. Denn durch die analoge Erfassung werden sowohl Rechtsverordnung als auch Satzung einer identischen materiellen Gesetzesbindung unterworfen. Es bleibt dabei: Die duale Konzeption der Rechtsverordnung nach dem Grundgesetz ist strukturell aufgegeben. Die Ausprägungen spezifischer Gesetzesvorbehalte werden im Schatten der Wesentlichkeitstheorie zusehends eingeebnet. Die Instrumente zur Aufrechterhaltung der spezifischen Gewährleistungen fehlen; dies zeigt sich überdeutlich an der unwidersprochenen Hinwendung der herrschenden Auslegung zum überragenden Aspekt der Grundrechtswesentlichkeit, einem Aspekt, der gerade unter Ungewissheitsbedingungen den Gesetzesvorbehalt und in seinem Gefolge den Vorrang des Gesetzes nur höchst unzureichend zu vermitteln vermag.
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen Nachdem im vorangegangen Abschnitt die Konfrontation der einfachgesetzlichen Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung mit den Vorgaben des Grundgesetzes unter dem Aspekt der Auflösung der Formdifferenzen zum autonomen Satzungsrecht gezeigt wurde, geht es im Folgenden um die Rückwirkungen europarechtlicher Einflüsse auf die Stellung der Rechtsverordnung im System der staatlichen Rechtsetzungsorganisation einerseits und die Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben andererseits. Relevant werden die erheblichen Einwirkungen auf die Verordnungsgebung 457 vor allem im Kontext der Transformation von EG-Richtlinienrecht in die nationale Rechtsordnung. 458 Den in Art. 249 Abs. 1 EGV neben Verordnungen und Entscheidungen als eine der Formen des sekundären Gemeinschaftsrecht genannten Richtlinien 459 kommt nach Art. 249 Abs. 3 EGV verbindliche WirVgl. insbes. BVerfGE 33, 125 (Facharzt). Wenn auch die grundlegende Entscheidung BVerfGE 33, 125 (Facharzt) zum Satzungsrechts erging. 457 Vgl. hierzu bereits die Darstellung im 1. Teil, III., 1., a). 458 Hierzu H.-W. Rengeling, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 28; ders., DVBl. 1995, S. 945 ff.; W. Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1997; E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff.; A. Weber, Rechtsfragen der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht, 1987. 459 Vgl. zu den sich ankündigenden Reformen im Rechtsetzungssystem der Europäischen Gemeinschaften im Zuge der Entwicklungen hin zu einer Europäischen Verfassung, wie sie insbesondere in den Art. 32 ff. des Verfassungsentwurfs des Europäischen Konvents vom Mai 455 456
312 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung kung hinsichtlich des zu erreichenden Zieles zu.460 Die Wahl der Form und der Mittel zur Zielerreichung bleibt nach Art. 249 Abs. 3 EGV den innerstaatlichen Stellen überlassen. 461 Der Erlass einer Richtlinie stellt sich somit als erster Teil eines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens dar, auf den in der zweiten Stufe ein mitgliedstaatlicher Umsetzungsakt folgt. 462 Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber vollzieht diesen Transformationsakt, wie am Beispiel des Umweltrechts dargelegt, oftmals in der Rechtsform der Rechtsverordnung. 463 Die Einflüsse der europäischen Rechtsvorgaben auf die Rechtsverordnung in ihrer verfassungsrechtlichen Ausprägung durch Art. 80 GG erweisen sich dabei als durchaus widersprüchlich. 1. Einerseits: Stabilisierung der Regelungsform Rechtsverordnung Zunächst bewirkt das EG-Primärrecht eine deutliche Stabilisierung der Regelungsform „Rechtsverordnung“. Dies ergibt sich im Rahmen der – der Statuierung von Verordnungsermächtigungen vorgelagerten – Frage nach den zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Verfügung stehenden staatlichen Handlungsformen.464 Hier wirkt sich aus, dass der EuGH die Problemstellung, ob EG-Richtlinien nicht nur durch Gesetz und Rechtsverordnung, sondern auch durch (normkonkretisierende) Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden können, negativ beschieden hat. 465 Zwar überlässt Art. 249 Abs. 3 EGV nach seinem Wortlaut dem Mitgliedstaat die Wahl der Form und der Mittel der Richtlinienumsetzung. Jedoch hat der Europäische Gerichtshof aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht ein dichtes Netz von Vorgaben an die nationale Umsetzungsrechtsetzung abgeleitet. Der EuGH formulierte bereits 1976 in der Entscheidung „Royer“ als grundsätzliche Anforderung an die Richtlinienumsetzung durch die Mitgliedstaaten, „dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, innerhalb der ihnen nach Art. 249 EGV belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mitteln zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen.“ 466 In der Folgezeit stellte der EuGH eine 2003 zum Ausdruck kommen, die Darstellung in der Einl., I., 2. am Ende sowie in den Fn. zu 1. Teil, III., 1., a). 460 Statt vieler R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl. 2003, Rn. 179 ff. 461 Vgl. M. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Stand: 2004, Art. 249 EGV, Rn. 124 ff.; Ch. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 2003, S. 25. 462 B. Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 249, Rn. 23; A. Schrann, ZÖR 2001, S. 65 ff. 463 Vgl. im 1. Teil, III., 1., b). 464 Vgl. insgesamt K. Faßbender, Die Umsetzung von Umweltstandards der Europäischen Gemeinschaft, 2001, S. 75 ff., 133 ff. sowie R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 181 a. 465 Zu den Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des EuGH die Darstellung im weiteren Verlauf dieses Abschnitts. 466 EuGH, Rs. 48/75, Slg. 1976, 497, Rn. 69/73 a. E. (Royer); Hervorhebung nicht im Original. Dieses Gebot der effizienten Richtlinienumsetzung bewirkt zunächst, dass dem umset-
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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Vielzahl präzisierender und darüber hinausgehender Anforderungen auf; so muss etwa die Anwendung der Richtlinien vollständig und mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleistet sein. 467 Verlangt wird dabei die Sicherung sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Beachtung der Richtlinien.468 Diese Grundsätze kommen auch in der Rechtsprechung zu den normativen Mitteln der Richtlinienumsetzung zum Tragen. 469 Nicht hinreichend ist nach dem Europäischen Gerichtshof das mitgliedstaatliche Abstellen auf eine ständige richtlinienkonforme Verwaltungspraxis. Diese könne sich jederzeit ändern, so dass die kontinuierliche Richtlinienkonformität der Umsetzung nicht gewährleistet sei. 470 Vielmehr betont der EuGH das Erfordernis der Umsetzung in verbindlichen Rechtsformen: „Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit den Gemeinschaftsvorschriften (...) letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen.“ 471 Ergänzend werden Aspekte der Rechtssicherheit herangezogen: Die Richtlinien müssen „mit Bestimmungen umgesetzt werden, die zweifelsfrei verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, dass sie dem Gebot der Rechtssicherheit genügen“. 472 Eine argumentative Erweiterung um das Erfordernis der Außenwirkung erfährt die Rechtsprechung, sobald die Richtlinie subjektive Rechte vorsieht. 473 In diesen Fällen betont der EuGH, die Erkennbarkeit und Durchsetzbarkeit von Rechten Einzelner müsse gewährleistet sein, 474 insbesondere „wenn die Richtlinie darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Rechte zu verleihen“. 475 Gefordert zungssäumigen Mitgliedstaat die Berufung auf eine Reihe von rechtfertigenden Argumenten (vor allem im Vertragsverletzungsverfahren) verwehrt wird, so etwa auf Umsetzungsprobleme im dezentralisierten oder Bundesstaat, Verfassungsprobleme oder den Hinweis darauf, dass andere Staaten die Richtlinie ebenfalls nicht umgesetzt hätten; näher hierzu und mit weiteren Nachweisen M. Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/EGV, 2. Aufl., 2002, Art.249 EGV, Rn.47. Kritisch zum „fragwürdigen Auslegungsgrundsatz des effet utile“ R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 227 unter Berufung auf F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S. 1, 7; T. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 144 ff., 377 ff. 467 EuGH, Slg. 1999, I-5051, Rn. 33; EuGH, Slg. 2001, I-3541, Rn. 17. 468 Hierzu H.-W. Rengeling, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 28, Rn. 31. 469 M. Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 249 EGV, Rn. 51 ff.; hierzu H. D. Jarass/S. Beljin, NVwZ 2004, S. 1, 8. 470 EuGH, 28.2.1991, Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland, Grundwasser), Slg. 1991, I-825, Rn. 8; Rs. C-358/98, Slg. 2000, I-1255, Rn. 17 (Kommission/Italien). 471 EuGH, Slg. 1999, I-4927, Rn. 11; Slg. 1997, I-1489, Rn. 14 f.; EuGH Slg. 1996, I-1307 Rn. 30; Hervorhebung nicht im Original. 472 EuGH, Slg. 1999, I-4927, Rn. 11; Slg. 1997, I-1489, Rn. 14 f.; EuGH Slg. 1996, I-1307 Rn. 30. 473 Zu den Kriterien der Individualberechtigung im Richtlinienrecht M. Ruffert, in: Calliess/ ders., EUV/EGV, 2. Aufl., 2002, Art. 249 EGV, Rn. 60 ff. 474 EuGH, 30.5.1991, Rs. C-59/89 (Luftreinhaltung: Blei), Slg. 1991, I-2607, Rn. 18. 475 EuGH, Slg. 1991, I-2607, Rn. 18; Slg. 2002. I-4147, Rn. 18.
314 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung wird ein „eindeutiger gesetzlicher Rahmen“, 476 gelegentlich auch das Vorliegen „zwingender Vorschriften“. 477 Das Erfordernis der Außenwirkung des Umsetzungsrechtsaktes ist denn auch ein wesentlicher Grund für die Absage des EuGH an die frühere deutsche Praxis der Umsetzung von EG-Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften. In einer Reihe aneinander anschließender Entscheidungen stellte der EuGH zunächst im Jahr 1991 für das deutsche Wasserrecht die Unzulässigkeit der Umsetzung der EG-rechtlichen Vorgaben in Form von Verwaltungsvorschriften fest. 478 Im Bereich des Immissionsschutzrechts wurde die Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben an Schwellenwerte für Schwefeldioxid und Schwebestaub durch Regelung in der TA Luft für unzulässig erklärt. 479 In ähnlicher Weise entschied der EuGH in der Folgezeit für die Umsetzung von Blei-Grenzwerten und in weiteren Entscheidungen zum Wasserrecht. 480 Nach Auffassung des EuGH 481 war für die zur Umsetzung ergangenen Verwaltungsvorschriften nicht erwiesen, dass die Durchführung der zugrunde liegenden Grenzwertbestimmungen der Richtlinien mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der erforderlichen Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit erfolgt sei. 482 Nach dem Rechtsquellensystem des deutschen Grundgesetzes bleibt nach der Absage an die Umsetzung in Form von Verwaltungsvorschriften als untergesetzliche Alternative nur die Regelung in der Rechtsform der Rechtsverordnung. Dadurch erfährt die Rechtsverordnung, deren Qualitäten insbesondere in den „europarechtslastigen“ Regelungsbereichen des Umwelt- und Technikrechts von vielen Autoren in Zweifel gezogen werden, 483 eine nachhaltige Stabilisierung. Die erheblichen rechtspraktischen Konsequenzen dieser Rechtsprechung für die deutsche Rechtsetzungsorganisation sind im Rahmen der Analyse und Systematisierung der umweltrechtlichen Rechtsverordnungen deutlich zutage getreten. 484 In dem bedeutsamen Bereich der Umsetzung des Richtlinienrechts der EG bedeutete sie das Ende des funktional äquivalenten Einsatzes von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvor476 EuGH, 30.5.1991, Rs. C-361/88 (Kommission/Deutschland, Luftverschmutzung), Slg. 1991, I-2567, Rn. 24. 477 EuGH, Slg. 1991, I-2567, Rn. 16, 20; Slg. 1991, I-2607, Rn. 19. 478 EuGH, Slg. 1991, I-825; Slg. 1991, I-4983. 479 EuGH, Slg. 1991, I-2567. 480 EuGH, Slg. 1991, I-2607; 1996, I-6739 (kommunales Abwasser); EuGH v. 12.12.1996, Rs. 298/95 (Fisch- und Muschelgewässer), Slg. 1996, I-6747. 481 EuGH, Slg. 1991, I-2602 f. und 2632. Hierzu I. Pernice, EuR 1994, S. 325 ff.; P.-Ch. Müller-Graff, DRiZ 1996, S. 259 ff., 305 ff. 482 Nach den vorstehenden Grundsätzen vermögen auch die französischen „circulaires administratives“ den Anforderungen des Europarechts an die nationale Umsetzungsrechtsetzung nicht zu genügen; vgl. die Entscheidungen des EuGH v. 1.10.1992, Rs. C-13/1990, Slg. 1991, I-4327; Rs. C-14/90, Slg. 1991, I-4331; Rs. C-64/90, Slg. 1991, I-4335 (jeweils Kommission/ Frankreich). 483 Vgl. nochmals F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24 und U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 345 und die Darstellung unter 1. Teil, III., 1., a). 484 1. Teil, III., 1., a) u. c).
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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schriften. 485 Wie gezeigt hat der deutsche Gesetzgeber der EuGH-Rechtsprechung durch die Überführung seitheriger Verwaltungsvorschriften in Rechtsverordnungen Rechnung getragen: In verschiedenen Gesetze wurden Verordnungsermächtigungen mit rein umsetzungsrechtlicher Aufgabenstellung eingebaut, so etwa in § 48 a BImSchG, § 57 KrW-/AbfG, § 25 ChemG; andere Normen wie § 7 a WHG wurden umgestellt von der Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften auf die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen. 486 Auf der Grundlage der neu statuierten Verordnungsermächtigungen wurden verschiedene Verwaltungsvorschriften in Rechtsverordnungen überführt: So wurden auf der Grundlage der neugefassten Ermächtigung des § 7 a Abs. 1 WHG die Rahmen-Abwasser-Verwaltungsvorschriften 487 durch die Abwasserverordnung 488 abgelöst. Zur Umsetzung der Luftqualitätsrichtlinien der EG 489 erging unter anderem auf der Grundlage des § 48 a Abs. 1 BImSchG die 22. BImSchV. 490 Teilweise wird in der Literatur eine Weiterentwicklung des transformationsspezifischen Einsatzes der Rechtsverordnung vorgeschlagen, dahingehend, dass im Falle der europarechtlich intendierten Übertragung von Normsetzungsbefugnissen unmittelbar an eine selbständige Behörde eine vorweggenommene Subdelegation nach Art. 80 Abs. 1 S. 1, S. 4 GG ausnahmsweise zulässig sein soll. 491 Die Rechtsprechung des EuGH stößt in der Rechtswissenschaft auf ein geteiltes Echo. Nicht wenige Autoren kritisieren den EuGH, mitunter in deutlichen Wor1. Teil, III., 1., c). Näher hierzu im 1. Teil, III., 1., c). 487 Zuletzt in der Fassung vom 31.7.1996, GMBl. S. 729 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der früheren Rechtslage vgl. G. Lübbe-Wolff, DÖV 1987, S. 896 ff. 488 Die Abwasserverordnung ist derzeit gültig in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.6.2004, BGBl. I 1108. 489 Insbesondere RL 96/62/EG des Rates v. 27.9.1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (Abl. EG, L 296/55), Aufstellung der weiteren umgesetzten Richtlinien in BGBl. I 2002, 3626. 490 Zuerst 22. BImSchV vom 26.10.1993, BGBl. I 1819, aktuell in der Fassung v. 11.9.2002, BGBl. I 3626, geändert durch Verordnung vom 13.7.2004, BGBl. I 1812. Zu weiteren immissionsschutzrechtlichen Rechtsverordnungen in der Umsetzung von EG-Recht die Nachweise unter 1. Teil, III., 1., b). 491 G. Britz, EuZW 2004, S. 462 ff. Hintergrund des Vorschlags ist die Beschleunigungsrichtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt vom 26.6.2003. Diese intendiert nach G. Britz, aaO, S. 462, 462 f. die Normierung der Netzzugangsbedingungen durch eine „eigenständige Regulierungsbehörde mit einiger Regierungsferne“. Demgegenüber sieht der Wortlaut des Art. 80 Abs. 1 GG in abschließender Aufzählung als unmittelbare Delegatare lediglich die Bundesregierung, einen Bundesminister oder eine Landesregierung vor. Weitergehende Subdelegationen auch an eine Regulierungsbehörde sind zwar grundsätzlich nach Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG möglich, dürfen nach überwiegender Auffassung aber nicht im Ermächtigungsgesetz vorweggenommen werden, vgl. M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 44. De constitutione ferenda zieht G. Britz, aaO, S. 462, 464 über den Vorschlag der vorweggenommenen Subdelegation hinaus die Etablierung eines weiteren, administrativen Normierungsinstruments („Festlegung“) in Betracht. 485 486
316 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung ten. 492 Der ergangenen Rechtsprechung wird entgegengehalten, diese finde als Versuch, „dem Marktbürger einen allgemeinen Normvollziehungsanspruch sowie eine ebenso allgemeine Klagebefugnis hinsichtlich der umzusetzenden Anforderungen der EG-Umweltrichtlinien zuerkennen zu wollen“, keinen Anhalt in den betreffenden Richtlinien. Der EuGH habe „Struktur und funktionale Bedeutung des Rechtsinstituts der Verwaltungsvorschriften in der Gewährleistung der Balance zwischen gesetzlicher Verrechtlichung, judikativer Kontrolldichte sowie individueller Ansprüche und Klagebefugnisse“ verkannt. 493 Normkonkretisierende, allgemein verkündete Verwaltungsvorschriften stellten keine bloße, beliebig änderbare Verwaltungspraxis dar. 494 Andere Autoren begrüßen die Rechtsprechung des EuGH. 495 So wird etwa in der Überführung der untergesetzlichen Rechtsgrundlagen der Abwassereinleitung in die Form der Rechtsverordnung die „aus rechtsstaatlicher Sicht begrüßenswerte“ Schaffung eines „rechtstechnisch präziseren Rahmens“ gesehen.496 Insgesamt erscheint die Rechtsprechung des EuGH als unvermeidliche Folge der „unübersichtlichen deutsche Streitlage“ zur Frage der Rechtswirkung (normkonkretisierender) Verwaltungsvorschriften. 497 Der Rechtsprechung des EuGH und den zur Unterfütterung in der Literatur entwickelten Positionen ist zuzustimmen. Zutreffend wurden die gegenüber den Ver492 Kritisch zur Rechtsprechung des EuGH etwa M. Reinhardt, DÖV 1992, S. 102 ff.; J. Salzwedel/M. Reinhardt, NVwZ 1991, S. 946, 947; H. Sendler, UPR 1993, S. 321, 328 f.; kritisch auch Ch. Langenfeld/S. Schlemmer-Schulte, EuZW 1991, S.622 ff.; T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73 ff.; M. Gellermann, Bundesdeutsches Recht und EG-Richtlinien, 1994, S. 41 ff.; M. Gellermann/P. Scekalla, NuR 1993, S. 54, 59 ff.; A. Weber, UPR 1992, S. 5, 8; G. Winter, DVBl. 1991, S. 657, 658 f. 493 R. Breuer, in: Schmidt-Aßmann, BVwR, 12. Aufl. 2003, Kap. 5, Rn. 181 a; ähnlich auch M. Reinhardt, DÖV 1992, S. 102, 106 ff. 494 Vgl. H. Sendler, UPR 1993, S. 321, 328 f. 495 W. Hoppe/O. Otting, NuR 1998, S. 61 ff.; M. Gerhardt, NJW 1989, S. 2233, 2237; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 237; J. Wolf, DÖV 1992, S. 849, 857; Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105 ff.; ders., in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185, 203; Ch. Bönker, Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften, 1992, S. 115 ff.; ders., DVBl. 1992, S. 804 ff.; U. Everling, NVwZ 1993, S. 209, 214; H.-J. Koch, DVBl. 1992, S. 124 ff.; J. Henke, EuGH und Umweltschutz, 1992, S. 219; D. Ehlers, in: Erichsen/ders., AVwR, 12. Aufl. 2002, § 3, Rn. 47; R. Schmidt/H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl. 2001, § 8, Rn. 57; M. Krings, UPR 1996, S. 89, 91; H. H. Rupp, JZ 1991, S. 1034, 1035; F. Schoch, JZ 1995, S. 109, 119; Ch. Vedder, Die TA Luft vor dem EuGH, EWS 1991, 293, 298 f.; M. Ruffert, in: Calliess/ders., EUV/EGV, 2. Aufl., 2002, Art. 249 EGV, Rn. 58; zustimmend auch H.-J. Koch/ R. Rubel/S. Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 129: Eine Rechtsgemeinschaft wie die EG, die nur über sehr begrenzte Möglichkeiten verfügt, die nationale Verwaltungspraxis effektiv zu kontrollieren, sei darauf angewiesen, dass die zur Umsetzung von Sekundärrecht erlassenen nationalen Normen in jedem Fall für die Gerichte verbindlich seien; ebenso V. Karageorgou, Das Umweltordnungsrecht, 2003, S. 65. 496 R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 8, Rn. 167 f. 497 U. Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2002, S. 37; vgl. auch B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 9 ff.; eingehend zu dem angesprochenen Problem der Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften nachfolgend 3. Teil, VI., 3.
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waltungsvorschriften wesentlich erhöhten und verfassungsrechtlich abgesicherten Rationalitätsgarantien 498 der Rechtsverordnung zum Maßstab der Rechtsetzungsorganisation in der Umsetzung EG-rechtlicher Vorgaben erhoben. 499 Gleiches gilt für die Anwendung dieses Maßstabes als objektives Kontrollkriterium bezüglich der ordnungsgemäßen Umsetzung EG-vertraglicher Umsetzungspflichten einerseits und als Moment der Rechtsschutz- und Rechtssicherheitsinteressen des Bürgers andererseits. 500 2. Andererseits: Aufweichung der Regelungsdichte Die Anforderungen des Europarechts an die Rechtsqualität der Richtlinienumsetzung haben jedoch nicht nur zur Stabilisierung und partiellen Ausweitung des Anwendungsfeldes der Rechtsform Rechtsverordnung beigetragen. Vielmehr werfen die zur Umsetzung ergangenen Verordnungsermächtigungen vor den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erhebliche Probleme auf. 501 Diese treten deutlich hervor bei Untersuchung der denkbar vage gefassten Globalermächtigungen im Wasser-, Immissionsschutz- und Abfallrecht. 502 Hier findet interessanterweise die Form der Pauschalermächtigung wieder Verwendung, die in der Folge der SüdweststaatsEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts 503 aus der Gesetzgebung verschwunden war. 504 Für die bezeichneten Normen ergibt sich auch aus anderen Teilen der genannten Fachgesetze keine spürbare Vorstrukturierung für die nachfolgenden Rechtsverordnungen; zumeist verbleibt allein die Bemühung allgemeiner Zielsetzungen des jeweiligen Gesetzes. 505 Oftmals wird die Determinierung durch Zweckund Zielbestimmungen aufgrund deren gegenläufiger Ausrichtung zusätzlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, teils inzident wie im BImSchG, teils 498 Eingehend hierzu und zu weiteren Optionen der Wiederannäherung von verfassungsrechtlichen Vorgaben und Rechtsetzungspraxis unten 4. Teil, insbes. IV. 499 Hierzu die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 500 Hierzu die vorgehend dargelegten Entwicklungslinien in der Rechtsprechung des EuGH. 501 Aus der umfangreichen Literatur zum Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat effizienter Richtlinientransformation und den Bestimmtheitserfordernissen des Art.80 Abs. 1 S. 2 GG vgl. H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061 ff.; D. Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes zur Durchführung von EG-Rechtsakten und völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Art. 80 Abs. 1, 2000; Ch. Calliess, NVwZ 1998, S. 8 ff.; S. Weihrauch, NVwZ 2001, S. 265 ff.; J. Ziekow, JZ 1999, S. 963 ff.; R. Breuer, ZfW 1999, S. 220 ff.; M. Reinhardt, JbUTR 1997, S. 337 ff.; K.-D. Rathke, ZLR 2002, S. 317 ff.; M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645 ff.; M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85 ff.; M. Czychowki/M. Reinhardt, WHG, 8. Aufl. 2003, § 6 a, Rn. 4 und 5; W. Frenz, BBodSchG, 2000, § 22, Rn. 15 ff. 502 Vgl. zum Wortlaut der § 6 a WHG, § 48 a Abs. 1 BImSchG, § 57 KrW-/AbfG die synoptische Übersicht im 1. Teil, III., 1., b), (2). 503 BVerfGE 1, 14, 60 (Südweststaat). 504 Näher dazu im 3. Teil, I., 2., a). 505 Näher hierzu die vorhergehende Darstellung der parallelisierten Regelungsstrukturen der Umweltrechtsgesetze unter 3. Teil, I., 1.
318 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung im ausdrücklichen Wortlaut wie in § 1 GenTG. 506 Dabei ist es durchaus zweifelhaft, ob diese materielle Entleerung den europarechtlichen Vorgaben geschuldet ist, entstammen Ermächtigungsnormen wie etwa § 6 a WHG, § 57 KrW-/AbfG und § 48 a BImSchG doch evidentermaßen der nationalen Rechtsetzung. 507 3. Zur Rechtfertigung der gegenwärtigen Richtlinientransformation durch Rechtsverordnung Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich hinsichtlich der Verordnungsermächtigungen zur Richtlinientransformation vor allem aus der Aufweichung der Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen.508 Dies erscheint vor den Anforderungen der Bestimmtheitsklausel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als außerordentlich problematisch. In der Rechtswissenschaft wurden verschiedene Argumentationsmodelle entwickelt um die Rechtmäßigkeit der Verordnungsermächtigungen zur Richtlinientransformation in der aufgezeigten fachgesetzlichen Ausgestaltung zu begründen. a) Erstes Legitimationsmodell: Determinierung durch Ausrichtung auf die Gesetzeszwecke Nach einer ersten Auffassung ergibt sich die Verfassungsmäßigkeit der benannten weit gefassten Ermächtigungsnormen bereits aus der Inbezugnahme der Gesetzeszwecke. 509 Abgestellt wird beispielsweise auf die Ausrichtung der zur „Erfüllung von bindenden Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaften“ erteilten ErmächtiVgl. 3. Teil, I., 1. Die Berufung auf eine dem Europarecht immanente Hegemonie verfahrensrechtlicher Vorgaben gegenüber materiellen Vorgaben vermag nur schwerlich rechtfertigende Wirkung zu entfalten; vgl. die Skizzierung von „Systemdivergenzen“ und „Brüchen“ im Verfahrensverständnis des Gemeinschaftsverwaltungsrechts einerseits und des nationalen Rechts andererseits bei R. Wahl, DVBl. 2003, S. 1285, 1290 f. und 1. Teil, III., 3., a). 508 Daneben stellt sich das Problem der verfassungsrechtlichen Bewertung von Verweisen auf EG-Richtlinien in ihrer „jeweils geltenden Fassung“; näher dazu die kritischen Beiträge von B. Becker, DVBl. 2003, S. 1487 ff. und A. Guckelberger, ZG 2004, S. 62, 83 ff., die von der verfassungs- bzw. europarechtlich bedingten Ungeeignetheit dynamischer Verweisungen auf EG-Recht zur Richtlinienumsetzung ausgehen; demgegenüber geht T. Klindt, DVBl. 1998, S. 373, 380 davon aus, dass eine derartige Form der Umsetzung von EG-Richtlinien vor dem EuGH bestehen könne; allgemein zu dynamischen Verweisen auf technische Regelwerke Privater H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 473, nach welchem derartige Verweisungen bei Zugrundelegung einer verfassungskonformen Interpretation als „Verweisung unter dem Vorbehalt interpretatorischer Annahme durch den Rechtsanwender“ zulässig und handhabbar sein können. Zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Grenzen der Verweisung indes W. Brugger, VerwArch 78 (1987), S. 1, 20 ff. 509 Vgl. stellvertretend K. Hansmann, in: Landmann/Rohmer I, Stand: 2004, §48 a BImSchG, Rn. 4. 506 507
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gung des § 48 a Abs. 1 BImSchG auf den „in § 1 genannten Zweck“. 510 Ähnliche Überlegungen finden sich für die Verweisung des § 57 KrW-/AbfG auf § 1 desselben Gesetzes und den Verweis innerhalb des Wasserhaushaltsgesetzes von der Ermächtigungsnorm des § 6 a auf die Zweckbestimmung in § 1 a WHG. Gegenüber dieser Auffassung erheben sich jedoch angesichts der oben dargelegten Schwäche der Determinierungsleistung der ambivalenten Ziel- und Zweckbestimmung des BundesImmissionsschutzgesetzes durchgreifende Bedenken, die offenkundig auch von den Vertretern der nachfolgend dargestellten Ansichten geteilt werden. 511 b) Zweites Legitimationsmodell: Rechtfertigung durch nachgelagerte Zustimmung des Bundestages Nach einer zweiten Auffassung gewinnt der weit gefasste § 48 a Abs. 1 BImSchG seine Rechtfertigung daraus, dass aufgrund dieser Norm erlassene Rechtsverordnungen eines positiven Votums des Bundestages bedürfen. 512 Hier ist das Problem der Kompensationswirkung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte aufgeworfen. Im Vorgriff auf die nachfolgende Darstellung der Problematik lässt sich diesbezüglich festhalten, dass bloße Parlamentsbeschlüsse nicht geeignet sind, Defizite auszugleichen, die aus der Nicht-Regelung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren resultieren, da sie dessen spezifische Rationalität nicht zu erreichen vermögen. 513 c) Drittes Legitimationsmodell: Rechtfertigung durch europarechtliche Zweckrichtung der Verordnungsgebung Eine dritte Meinungsgruppe stellt auf die spezifische Verordnungsfunktion der Umsetzung europarechtlicher Erfordernisse ab. 514 Der Inhalt der nach § 48 a BImSchG ergehenden Rechtsverordnungen sei in den zu transformierenden EGRichtlinien bereits weitgehend festgelegt. Die Bestimmtheit der ermächtigenden 510 K. Hansmann, ebd.: Durch die Inbezugnahme sei gewährleistet, dass sich die Immissions- und Emissionswerte innerhalb des Schutz- und Vorsorgeniveaus des Bundes-Immissionsschutzgesetzes halten; Abschwächungen der gesetzlichen Grundpflichten seien nicht zulässig. 511 Vgl. etwa aus dem Kreis der Befürworter eines europarechtlich motivierten Dispenses von Art.80 Abs.1 S. 2 GG A. v. Bogdandy, Der Staat 39 (2000), S.163, 170, der §48 a BImSchG und § 38 a LMBG als Beispiele für Verordnungsermächtigungen zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht anführt, die „nach den allgemeinen Anforderungen des Art.80 Abs. 1 S. 2 GG außerhalb des Bereichs europäischer Vorgaben niemals zulässig wären“. 512 H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 48 a, Rn. 1 zum früher geltenden Zustimmungsvorbehalt in § 48 a Abs. 1 BImSchG a. F.; für den jetzigen Änderungsvorbehalt kann sich nichts anderes ergeben. Näher hierzu und zur verfassungsrechtlichen Bewertung von Zustimmungsund Änderungsvorbehalten, 3. Teil, VII., 2., b). 513 Eingehende Darstellung des Problemkreises im 3. Teil, VII., 2. und 4., b). 514 Vgl. stellvertretend A. v. Bogdandy, Der Staat 39 (2000), S. 163, 170.
320 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Norm ergebe sich aus der Bestimmtheit der bindenden Richtlinien.515 Der hier aufgeworfenen Frage, ob sich aus der spezifischen Verordnungsfunktion der Umsetzung europarechtlicher Erfordernisse das Ergebnis einer Relativierung verfassungsrechtlicher Anforderungen gewinnen lässt, soll im Folgenden nachgegangen werden. (1) Zur Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht Bisweilen wird in der Literatur eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus der zweiten Hälfte der 1970er Jahre516 als verfassungsgerichtliche Anerkennung eines europarechtlich begründeten Dispenses von den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG verstanden. 517 Das Gericht hatte sich in diesem Beschluss mit einer europarechtlich intendierten Verordnungsermächtigung des Wirtschaftsrechts auseinanderzusetzen. 518 § 7 Ziff. 2 des Durchführungsgesetzes zu den EWG-GetreideRegelungen vom 30. Juni 1967 519 ermächtigte im Falle von (drohenden) Marktstörungen zum Erlass der „erforderlichen Maßnahmen“. Dieser Begriff wird in dem Gesetz näher eingegrenzt durch eine „Insbesondere-Aufzählung“ nach welcher Vorschriften über eine Erhöhung oder Ermäßigung von Abschöpfungen (§ 1 des Abschöpfungsgesetzes), über Mindestpreise, Verwendungsbeschränkungen und Verpflichtungen des Einführers, die einzuführenden Erzeugnisse der zuständigen Marktordnungsstelle zur Übernahme zu überlassen, über Vermahlungsregelungen und Beimischungspflichten erlassen werden können. Das Bundesverfassungsgericht unterzog die Ermächtigung einer ausdrücklichen Prüfung am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, die deutlich zwischen dem Gehalt der Elemente Zweck, Inhalt und Ausmaß differenziert. Unter besonderer Würdigung der eben dargelegten „Insbesondere-Regelung“ sah das Gericht die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG durch § 7 Ziff. 2 DurchfG-EWG-Getreide auch hinsichtlich der Bestimmung von Inhalt und Ausmaß als eingehalten an. Somit konnte das Gericht diesen Prüfungsabschnitt schließen mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass offen bleiben könne, „ob der Maßstab, den Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für die hinreichende Bestimmtheit von Inhalt und Ausmaß einer gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen aufstellt, überhaupt für den Fall anwendbar ist, dass insoweit eine gemeinschaftsrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland gegeben ist, die den Gestaltungsspielraum des deutschen Gesetzgebers ergreift“. Da die Beantwortung der Fra515 H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 61 f. mit Fn. 149, D. Ehlers, in: Erichsen/ ders., AVwR, 12. Aufl. 2002, § 3, Rn. 47 f. 516 Entscheidung vom 8.5.1977, BVerfGE 45, 142 ff. 517 A. v. Bogdandy, Der Staat 39 (2000), S. 163, 170. 518 Vgl. hierzu die Rezeption der Entscheidung bei H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 238, der dieser (ebenfalls) die Anerkennung von Kompensationswirkungen im Bereich des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG durch einen europarechtlich vermittelten Zugewinn an Bestimmtheit entnimmt. 519 BGBl. I 1967, 617 – DurchfG-EWG-Getreide.
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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ge ausdrücklich offengelassen wurde, lässt sich also aus der Rechtsprechung des BVerfG kein Argument für einen europarechtlich begründeten Dispens von den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gewinnen. Ähnliches gilt auch für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar hat das Gericht in einer Entscheidung vom 19.4.1994 die Verordnungsermächtigung des 26 a BNatSchG a. F. unbeanstandet gelassen; 520 als positive Anerkennung eines Dispenses lässt sich diese Entscheidung gleichwohl nicht verstehen. Gegen ein „Sonderregime“ für europarechtlich motivierte Verordnungsermächtigungen spricht auch eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.3.2003. 521 Hier hat das Gericht entschieden, dass eine auf die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht gerichtete Rechtsverordnung ihre gemeinschaftsrechtliche Grundlage nicht anzugeben braucht. Die Anforderungen an das Ermächtigungszitat einer Rechtsverordnung entnimmt das Gericht dabei allein dem nationalen Verfassungsrecht. Der Anordnung des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG, wonach in einer Rechtsverordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben ist, sei genügt, wenn diese die in einem deutschen Parlamentsgesetz enthaltene Ermächtigungsnorm benenne. 522 Eine Absage an die Annahme eines „Sonderregimes“ und den hiermit verbundenen Dispens von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist in dieser Rechtsprechung insoweit zu erblicken, als umgekehrt die Verpflichtung auf die Angabe der gemeinschaftsrechtlichen Grundlage die zwingende Folge der Zulassung oder Billigung von Kompensationsformen wäre. Denn die Gewährleistungen des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG, die nach der Rechtsprechung des BVerfG dahin gehen, die Delegation von Rechtsetzungskompetenz auf die Exekutive in ihren gesetzliche Grundlagen verständlich sowie kontrollierbar zu machen und sicherzustellen, dass der Adressat der Verordnung deren Rechtsgrundlage erkennen und ihre Einhaltung durch den Verordnungsgeber überprüfen könne, 523 wären dann durch die regelungsschwache bundesgesetzliche und die kompensierende europarechtliche Rechtsgrundlage gemeinsam zu erbringen. (2) Zur Argumentation in der Rechtswissenschaft Unter Hinweis auf die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes und eine zweckorientierte Auslegung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wird von Teilen der Literatur für die fraglichen Vorschriften ein Dispens von den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG angenommen. 524 Der auf den Schutz von Demokratie und Rechtsstaat ge520
BVerwG v. 19.4.1994, NVwZ-RR 1994, 573; hierzu B. Becker, DVBl. 2003, S. 1487,
1489. BVerwG, Urt. v. 20.3.2003 – 3 C 10/02. Anderer Ansicht P. Kauch/M. Düsing, Agrar- und Umweltrecht 2003, S. 238 ff., 239: Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG müsse erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass in einer deutschen Ausführungsverordnung, die EG-Recht durchführt, auch die belastenden Regelungen legitimierender Vorschriften der EG-Verordnung mitzuzitieren sind. 523 BVerfGE 101, 1, 42 (Hennenhaltung). 524 So etwa Ch. Calliess, NVwZ 1998, S. 8 ff.; A. v. Bogdandy, Der Staat 39 (2000), S. 163, 170; D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229 ff.; ähnlich, wenn auch abgeschwächt H. D. Jarass/ 521 522
21 Saurer
322 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung richtete Gewährleistungsgehalt dieser Norm werde zu einem Gutteil bereits durch die Vorgaben auf der Ebene des Europarechts erfüllt. 525 Den Befürchtungen bezüglich einer weitreichenden Überantwortung normativer Grundentscheidungen an die Exekutive wird entgegengehalten, soweit es um die Ausführung von Gemeinschaftsrichtlinien gehe, seien die normativen Grundentscheidungen bereits auf Gemeinschaftsebene gefallen. 526 Zudem wisse der Bürger bereits vor Erlass der betreffenden Rechtsverordnungen, was auf ihn zukomme; dies stehe bei Verordnungsermächtigungen, die auf EG-Richtlinien bezogen und begrenzt sind, selbst in solchen Fällen noch vor Verordnungserlass fest, in denen die Ermächtigung auch die Ausführung künftiger Richtlinien einschließe, denn von der Ermächtigung könne dann insoweit erst nach Erlass der Richtlinie Gebrauch gemacht werden.527 Eine starke Gegenauffassung setzt jedoch die Anforderungen des Art.80 Abs.1 S.2 GG als unverändert fortbestehend voraus. 528 Zur Begründung wird mit der Wesentlichkeitstheorie in der Fassung des Bundesverfassungsgerichts argumentiert und angeführt, auch Verordnungsermächtigungen zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben könnten von hoher Grundrechtsrelevanz sein. 529 Gegen das Argument der weitreichenden inhaltlichen Determinierung der nationalen Gesetzgebung durch die Vorprägung auf europäischer Ebene wird geltend gemacht, es gehe nicht um eine Frage des materiell-rechtlich verbleibenden Umsetzungsspielraums, sondern ausschließlich um die Frage der Befugnis der Exekutive zur Rechtsetzung, deren Bestimmung nach deutschem Recht allein dem Gesetzgeber obliege. 530 Rüdiger Breuer legt dar, die Argumentation zugunsten des europarechtlich motivierten Dispenses verkenne die Wurzeln des Bestimmtheitsgebotes des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG im Demokratieprinzip des Grundgesetzes. Das hieraus resultierende Verlangen nach hinreichend deutlichen Programmvorgaben des deutschen Gesetzgebers vermittle eine demokraB. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 12 a, die die Annahme „geringerer Anforderungen“ an die Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung damit rechtfertigen, dass der Zweck des Art. 80 GG wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht in gleicher Weise greife. Für „abgeschwächte Bestimmtheitsanforderungen“ auch H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 31; R. Streinz, in: HStR VII, 1992, § 182, Rn. 54 f.; D. Ehlers, in: Erichsen/ ders., AVwR, 12. Aufl. 2002, § 3, Rn. 47; M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. Schmidt-Aßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch AT, 1990, § 149 und Begründung. 525 Vgl. H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 238. 526 D. H. Scheuing, EuR 1985, S. 229, 235. 527 D. H. Scheuing, ebd. 528 K.-D. Rathke, ZLR 2002, S. 317, 324; J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1178 mit Fn. 25; R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 224 ff.; M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 92; S. Weihrauch, NVwZ 2001, S. 265 ff.; M. Reinhardt, JbUTR 1997, S. 337, 358; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 28, Fn. 59 a: Aus dem Merkmal „im Gesetze“ in Art.80 Abs. 1 S. 2 GG folge, dass es für die Bestimmtheit nicht ausreiche, wenn sich die Bestimmtheit lediglich aus einer vom (deutschen) Gesetzgeber umzusetzenden Richtlinie der EG ergebe. 529 M. Kotulla, ZfW 2000, S.85, 96 mit Blick auf das Wasserrecht: Beispielsweise kämen für Unternehmen, die auf Wassernutzung angewiesen sind Eingriffe vor allem in die Berufsreiheit und das Eigentum in Betracht. 530 M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 97.
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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tische Exklusivkompetenz des deutschen Parlaments. 531 Nach Michael Reinhardt steht bereits der „gewaltenteilende und damit wenigstens partiell an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG teilhabende Gehalt“ des Art.80 Abs. 1 GG einer „monodirektionalen Reduktion“ des Art. 80 GG entgegen. 532 Dem Verweis auf die durch den entsprechenden Rechtsakt der EG vermittelte hinreichende Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit des Gehalts der Ermächtigungsnorm wird entgegengehalten, für die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm komme es nicht auf den Zeitpunkt des EGRechtsakts an, sondern auf den stets vorher liegenden Zeitpunkt des Erlasses der Ermächtigungsnorm. 533 Mit Blick auf die Vorschrift des §6 a WHG 534 wird dargelegt, es laufe auf eine „Selbstentmachtung des Bundestages“ hinaus, wenn die Bundesregierung durch entsprechende Vorschriften pauschal und dynamisch dazu ermächtigt werde, auf einem Sachgebiet Rechtsverordnungen zur Umsetzung künftiger Rechtsakte der EG in deutsches Recht zu erlassen; hierin liege eine „Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sowie letztlich gegen die demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien des Grundgesetzes“. 535 Unter dem Eindruck der Maastricht-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 89, 155) sei nicht von einer hierarchischen Unterordnung des deutschen Verfassungsrechts unter das Gemeinschaftsrecht auszugehen, sondern von dem grundsätzlich gleichberechtigten Nebeneinander der grundgesetzlichen Integrationsbestimmung des Art. 23 GG und der Delegationsregelung des Art. 80 Abs. 1 GG auszugehen. 536 Den dargelegten Auffassungen wider einen europarechtlich legitimierten Dispens von den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist mindestens im Ergebnis zuzustimmen. Denn die Wahl der zur Umsetzung herangezogenen Handlungsform obliegt allein dem deutschen Gesetzgeber. Beruht demnach das Umsetzungskonzept wie es den genannten Verordnungsermächtigungen des deutschen (Umwelt-)Rechts zugrunde liegt, auf Entscheidungen des Gesetzgebers, so folgt aus der Normenhierarchie des Grundgesetzes, wie sie für das Verhältnis von Verfassungsrecht und einfachem Recht insbesondere in Art.1 Abs.3 GG und Art.20 Abs.3 GG verankert ist, 537 dass eine einfachgesetzliche Entscheidung nicht von den Anforderungen des Grundgesetzes zu suspendieren vermag. Der Aspekt der Umsetzung europarechtlicher VorR. Breuer, ZfW 1999, S.220, 228 f. unter Berufung auf F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S.1, 7. M. Reinhardt, JbUTR 1997, S. 337, 359 f. 533 K.-D. Rathke, ZLR 2002, 317, 324; ähnlich R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 229 welcher festhält, die der Festlegung der Ermächtigungsnormen nachfolgenden nachträglichen EGRechtsakte gewährleisteten nicht die gebotene Vorherigkeit der gesetzlichen Programmfestlegung. 534 Vgl. zum Wortlaut des § 6 a WHG und dem weiterer vergleichbarer Normen im 1. Teil, III., 1., b). 535 Als Zusammenfassung der Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages zur 6. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes im September 1995 referiert bei R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 224. 536 M. Reinhardt, JbUTR 1997, S. 337, 358. 537 Vgl. U. Volkmann, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, Art. 20 (D), Rn. 42 sowie die Nachweise unter Einl., I., 3. 531 532
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324 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung gaben vermag also für sich genommen keine Rechtfertigung herbeizuführen. Legitimierende Wirkung könnte schließlich der Gedanke entfalten, dass eine gesetzliche Ermächtigungsstruktur nicht zu wiederholen brauche, was die Richtlinie bereits formuliert hat. Denn die von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG angestrebte Bindung der verordnungsgebenden Exekutive an vorgegebenes Recht wäre dann bereits durch das EGRecht gewährleistet. Allerdings schwankt die Regelungsintensität von EG-Richtlinien beträchtlich. 538 Unter dem Eindruck eines allgemeinen Trends zur Finalisierung der Normprogramme 539 werden teilweise detaillierte Grenzwerte vorgegeben, mehr und mehr aber nur sehr unbestimmte Ziel- und Zweckbestimmungen, die die nationale Umsetzungsrechtsetzung zur nahezu flächendeckenden Ausfüllung des europarechtlichen Rahmens verpflichten. 540 Der für das Umweltrecht auf europäischer Ebene festzustellende Trend zur verstärkt vagen Rechtsetzung 541 ergibt sich aus dem Nachweis verschiedener Enwicklungsphasen des europäischen Umweltrechts bei Michael Kloepfer. 542 Dieser belegt, dass die EG-Richtlinien der ersten Phase der europäischen Umweltrechtsetzung in den 1970er und beginnenden 1980er Jahren – determiniert durch das Vorbild der bundesdeutschen Rechtsordnung – durch einen häufig an technischen Standards und Grenzwerten ausgerichteten Umweltschutz geprägt waren. 543 Demgegenüber sei in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre unter dem zunehmenden anglo-skandinavischen Einfluss auf das europäische Umweltrecht ver538 Zu den Vorgaben des Art. 249 Abs. 3 EGV an die Regelungsdichte von Richtlinien, insbesondere unter der Leitlinie des Subsidiaritätsgedankens vgl. R. Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, 1993, S. 26; R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl. 2003, Rn. 387; W. Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 198. 539 Näher hierzu bereits 1. Teil, III., 1., c). 540 Hierzu die Ausführungen zur Tendenz hin zu einer „weichen“ Rahmensteuerung seitens der Europäischen Gemeinschaft und die Kritik dieser Entwicklung bei SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 108. 541 Vgl. neben dem Nachweis in der vorherigen Fn. A. Epiney/D. Gross, JbUTR 2004, S. 27, 72: In den letzten ca.10 Jahren zu beobachtende Tendenz im gemeinschaftlichen Umweltrecht, häufig auf präzise Vorgaben zugunsten eher allgemeiner Grundsätze zu verzichten; vgl. zu qualitativen Veränderungen in der Richtliniengesetzgebung auch R. Breuer, Die Verwaltung 36 (2003), S. 283, 284, 285. Es liegt nahe, dass Regelungsdichte und zwingender Charakter der EG-RL mit steigender Zahl der EG-Mitgliedstaaten immer weiter zurückgehen. Für das Umweltrecht könnte dies eine zunehmende Ablösung strenger Grenzwertvorgaben durch weiche Zielvorgaben bedeuten. 542 M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645, 646 f. Demgegenüber geht R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 34 von einer anhaltend „hohen Regelungsintensität“ der EG-Richtlinien aus. 543 M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645, 646, insbes. Fn. 17 mit einer Vielzahl von Nachweisen zu Beispielen für an Grenzwerten orientierte EG-Richtlinien, so etwa die Gewässerschutzrichtlinie v. 4.5.1976 (76/464/EWG, ABlEG Nr. L 129, S. 23, geändert durch Richtlinie des Rates v. 23.12.1991 (91/692/EWG), ABlEG Nr. L 377, S. 48) einschließlich deren Tochterrichtlinien; die Richtlinie zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in der Luft, vgl. die 13. BImSchV v. 22.6.1983; die Richtlinie zur Durchsetzung schadstoffarmer Kraftfahrzeuge, Richtlinie 72/306/EWG des Rates v. 2.11.1972 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Emission verunreinigender Stoffe aus Dieselmotoren zum Antrieb von Fahrzeugen (ABlEG Nr. L 190, S. 1).
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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stärkt auf die Strategie gesetzt worden, durch Festlegung von Umweltqualitätszielen die Umwelt zu verbessern. 544 Ausdifferenzierte Prüf-, Zulassungs- und Kontrollverfahren sollten technische Standards ergänzen oder ersetzen. 545 Für diese Bandbreite möglicher Regelungsinhalte und möglicher Regelungsdichte ist eine einzelne Verordnungsermächtigung jedenfalls zu wenig, 546 die pauschal auf „umzusetzendes EG-Recht“ verweist. 547 Da die Einhaltung des Ziels der Bindung der verordnungsgebenden Exekutive nicht gewährleistet ist, vermögen die aufgezeigten Pauschalermächtigungen keine Abweichung von den Aufgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zu rechtfertigen. Es lässt sich festhalten, dass ein Dispens von Bestimmtheitsanforderungen des nationalen Rechts umso weniger in Betracht kommt, je weiter das Europarecht auf die Vorgabe finaler Rechtssätze umstellt. Erschwert wird die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die seitens des Gesetzgebers 548 für die einzelnen Verordnungsermächtigungen angestrebte 549 Erfassung einer offenen Zahl zukünftiger Richtlinienumsetzungen.550 Sowohl in der Variante der Umsetzung neuer, als auch bei der Änderung bestehender Richtlinien zeigt sich überdeutlich, dass von der Verordnungsermächtigung kaum eine vorhergehende Programmierungswirkung ausgeht. Zudem sind die Inhalte zukünftiger EG-Rechtsetzung bei Statuierung der Verordnungsermächtigung mitunter noch weitaus schwerer vorauszusehen als jene der nationalen Rechtsentwicklung. Einem Argumentationsgang, wonach erstens die Anforderungen, welche der EuGH für die Richtlinienumsetzung durch nationale Rechtsnormen formuliert hat, 551 auf der Auslegung entsprechender Inhalte des EG-Vertrages wie insbesondere Art. 249 Abs. 3 EGV beruhen, diese zweitens insoweit am Vorrang des EGRechts auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht partizipieren und demzufolge drittens die Voraussetzungen zur Modifizierung oder gar Suspendierung auch des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gegeben seien, ist entgegenzuhalten: Es bleibt für den nationalen Gesetzgeber noch immer die Wahl zwischen Umsetzungsgesetz und M. Kloepfer, NVwZ 2002, S. 645, 647. M. Kloepfer, ebd. 546 Zu Schwankungen in Genauigkeit und Detailliertheit einzelner EG-Richtlinien und der insoweit variierenden Präzision der europarechtlichen Vorgaben auch H. D. Jarass/S. Beljin, NVwZ 2004, S.1, 8; H. D. Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 54; M. Gellermann, Bundesdeutsches Recht und EG-Richtlinien, 1994, S. 29, 85 f. 547 Auf diesen Aspekt stellen auch E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21, Fn. 49 ab, welche die auf Kompensationen im Bereich des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG setzende Staatspraxis für problematisch erklären, weil sie über eine dynamische Verweisung auf EU-Recht hinausgehe, wenn die betreffende Richtlinie nur rahmenartig sei. 548 In aller Deutlichkeit kommt diese Zielrichtung in den Gesetzgebungsmaterialien zur Einfügung des § 6 a WHG zum Ausdruck; hierzu nochmals BT-Drs. 13/1207, S. 7 und die vorhergehende Darstellung unter 3. Teil, II., 1., a). 549 Vgl. K. Berendes, ZfW 1996, S. 363 ff. 550 Zum Problem vgl. R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 229. 551 Vgl. die vorhergehende Darstellung der Rechtsprechung des EuGH 3. Teil, IV., 1. 544 545
326 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Umsetzungsverordnung. 552 Danach steht dem Gesetzgeber mit der Umsetzung durch Parlamentsgesetz jedenfalls eine Umsetzungsoption offen, die sowohl den Anforderungen des Europarechts als auch jenen des Grundgesetzes genügt. In einem solchen Fall scheidet die Geltendmachung verfassungsmodifizierender Einwirkungen des Europarechts aus. Somit vermag auch die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinienumsetzung die spezifische Offenheit der Verordnungsermächtigungen nicht zu rechtfertigen. Bezüglich der aufgeworfenen Frage nach einer europarechtlichen Intention einer Absenkung der Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung lässt sich feststellen, dass sich das EG-Recht jenseits des allgemein an Rechtsetzungsakte zu richtenden Erfordernisses hinreichender Bestimmtheit zum Grad der Gesetzesakzessorietät nationaler Verordnungsgebung gar nicht äußert. Nach dem EG-Recht hat die Richtlinienumsetzung in einer Rechtsform zu erfolgen, die für Bürger und Gerichte gleichermaßen verbindlich ist. Der Frage nach der Regelungsdichte einer Verordnungsermächtigung steht das EG-Recht jenseits des allgemeinen Bestimmtheitsgebots indifferent gegenüber. 553 Die Konstruktion eines Sonderregimes für Verordnungsermächtigungen, die der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben gewidmet sind, erweist sich damit als verfassungsrechtlich nicht begründbar. 4. Das Problem der zweistufigen Exekutivrechtsetzung Über die vorhergehend aufgezeigte Gefährdung der verfassungsrechtlich geforderten Regelungsdichte für Verordnungsermächtigungen hinaus ist die europarechtliche Überwölbung der nationalen Rechtsetzung in erheblichem Maße von Effekten der De-Parlamentarisierung gekennzeichnet. 554 Infolge der zunehmenden Determinierung der nationalen Gesetzgebung durch inhaltliche Vorgaben auf der Ebene des Europarechts ergeben sich erhebliche Bedeutungsverluste 555 der nationa552 Die den Mitgliedstaaten obliegende freie „Wahl der Form und der Mittel“ gem. Art. 249 Abs. 3 EGV und die damit einhergehende autonome Entscheidung über die innerstaatliche Zuweisung der Kompetenzen an für die Transformation zuständigen Rechtsetzungsorgane betont R. Geiger, Europarecht, 4. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 10; ähnlich M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 97 f.: Insoweit könne von einer den Vorrang des EG-Rechts begründenden Kollision mit nationalem Verfassungsrecht keine Rede sein. 553 Zu Bestimmtheitserfordernissen des EG-Rechts bei der Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Europäische Kommission J. Ch. Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 202 EGV, Rn. 7 u. 11. 554 Vgl. H. Dreier, in: ders., GGK II, 1998, Art. 20 (D), Rn. 45: Gewicht und Bedeutung parlamentarisch-repräsentativer Legitimation nehmen ab, ohne dass überzeugende und kurzfristig realisierbare Kompensationen ersichtlich wären; ähnlich K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrecht, 20. Aufl. 1995, Rn. 109; H. Hofmann, StWStP 6 (1995), S. 155, 166 f. 555 M. Lais, ZEuS 2003, S. 187 ff.; allgemein zu Erosionsprozessen der Nationalstaatlichkeit in der Folge der internationalrechtlichen Überwölbung und ihren Rückwirkungen auf die parlamentarisch verfasste Demokratie O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999 (Neuausgabe 2002), S. 166 ff.
IV. Ambivalenz der europarechtlichen Einwirkungen
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len Parlamente. 556 Kompetenzeinbußen ergeben sich für den nationalen Gesetzgeber zunächst im Bereich der EG-Verordnungen (Art. 249 Abs. 1 EGV), wo es zur unmittelbaren Geltung des EG-Rechts kommt und insoweit die Struktur einer einstufigen exekutiven Rechtsetzung vorliegt. 557 Im Blick auf den materiellen Einsatz des Gesetzes als bereichsprägendes Leitmedium eines Sachbereichs ist dabei auch von „Funktionseinbußen“ die Rede. 558 Durch die aufgezeigte Praxis der Richtlinientransformation erfährt das Problem eine erhebliche Verschärfung. Die abgesenkte Regelungsdichte der Verordnungsermächtigungen hat zur Folge, dass auch in den Sachbereichen, die auf europäischer Ebene durch Richtlinien geregelt werden, die materiellen Inhalte auf Exekutivebene normiert werden. 559 Denn der administrativ gesetzten Rechtsverordnung auf nationaler Ebene liegt auf europäischer Ebene exekutiv gesetztes Recht voraus. 560 Dies liegt darin begründet, dass nicht das Europäische Parlament sondern der Europäische Rat als Organ der Regierungen der Mitgliedstaaten das Rechtsetzungsorgan der Europäischen Gemeinschaft ist. 561 Das Europäische Parlament ist trotz seiner erhöhten Kompetenzen im Verfahren der Mitentscheidung nach wie vor „mehr Staatenvertretung als Volksvertretung“. 562 Hinsichtlich des Rechtsetzungsverfahrens fehlt es dem europäischen Parlament 563 556 A. Maurer, Parlamentarische Demokratie in der EU, 2002, S.212 ff., 367 ff. Zum Verhältnis von föderaler Ordnung und parlamentarischer Demokratie in der Europäischen Union P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 269 ff., 413 nach welchem nationalparlamentarische Legitimation und exekutivföderale Institutionenordnung der EU in einem schwerlich aufzulösenden Widerspruch stehen. Demgegenüber erweise sich das Europäische Parlament als strukturell geeigneter Akteur in einem gemeinsam mit den nationalen Parlamenten gebildeten „parlamentarischen Verfassungsverbund“, ebd., S. 416 f. 557 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 17 a, Fn. 55: Die Gemeinsamkeit von EU-Verordnungen und nationalen Rechtsverordnungen bestehe darin, dass es sich in beiden Fällen um Exekutivrecht handele. 558 H. Bauer, JBl. 2000, S. 750 ff. 559 Zum Charakter des EG-rechtlichen Rechtsetzungsverfahrens als „Verfahren exekutivischer Normsetzung“ und als „schwerwiegendstes Defizit“ gegenwärtiger Rechtsetzungsorganisation U. Battis, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 170, 172; deutlich H. Dreier, FAZ v. 4.6.2002, S. 7: In der Exekutivlastigkeit der Rechtsetzung auf supranationaler Ebene liege ein gravierendes Legitimationsproblem. Die Exekutivorgane des Europäischen Rats und der Europäischen Kommission drückten den nationalstaatlichen Gesetzgeber zunehmend an die Peripherie, ohne dass ein anderer, etwa auf gesamteuropäischer Ebene in vergleichbarer Weise demokratisch legitimierter Normgeber an seine Stelle träte. Die Deutschland verbleibenden Einflussmöglichkeiten auf die supranationale Ebene lägen so gut wie vollständig in der Hand der Regierungen, nicht der Parlamente. 560 Hierzu H.-P. Ipsen, in: FS Lerche, 1993, S. 425 ff. 561 Statt vieler zur Stellung des Europäischen Rates im Rechtsetzungsverfahren R. Streinz, Europarecht, 6.Aufl. 2003, Rn.249, 438; vgl. aber auch die relativierende Untersuchung von A. v. Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, ZaöRV 62 (2002), S.78, 139 ff., welche die erhebliche Bedeutung der Kommission verdeutlicht. 562 H. Dreier, in: ders., GGK II, 1998, Art. 20 (D), Rn. 32.; weiterführend ders., in: Die herausgeforderte Demokratie, 2003, S. 54, 64 ff. 563 Vgl. zur Aufwertung der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments durch den im Februar 2002 zusammengetretenen Europäischen Konvent unter der Präsidentschaft des ehema-
328 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung insbesondere am Recht zur Gesetzesinitiative. 564 Darüber hinaus erheben sich in legitimatorischer Perspektive Bedenken, ob eine Konzeption der parlamentarischen Gesetzgebung im derzeitigen Verfassungsrahmen des europäischen „Staatenverbundes“ 565 überhaupt zulässig wäre, wobei etwa auf das (bis dato) fehlende europäisches Staatsvolk als repräsentativ-demokratische Basis abgestellt wird. 566 Für die Umsetzung von EG-Richtlinien durch Rechtverordnungen ergibt sich also, dass im Rahmen der Rechtsetzung sowohl auf europäischer als auch auf nationalstaatlicher Ebene Exekutivorgane handeln. Der deutsche Bundestag und die Landesparlamente vermögen in dieser Anlage des Rechtsetzungsprozesses nur an einer Stelle noch Einfluss zu nehmen, dies ist die Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung. Jedoch ist das Nicht-Gebrauchmachen dieser Einflussmöglichkeit bereits in der Grundkonzeption der nationalen Richtlinienumsetzung angelegt, die auf Verordnungsermächtigungen abzielt, die möglichst viele Vorgänge aktueller und künftiger Richtlinientransformation erfassen. 567 Man kommt kaum umhin einen andauernden Verstoß gegen jenes Prinzip, anzunehmen, welches das BVerfG zum rechtsstaatlich-demokratischen Gehalt des Art. 80 Abs. 1 GG zählt, nach welchem in einer Rechtsverordnung niemals originärer politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen darf. 568 Hinzu tritt, dass im Bereich der Richtlinienligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing den Verfassungsentwurf des Konvents, abgedruckt in EuGRZ 2003, 357 ff., 389 ff. sowie die Darstellung bei K.-P. Sommermann, DÖV 2003, S. 1009, 1011 f. 564 Vgl. R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 229 f. 565 BVerfGE 89, 155, 190 (Maastricht). In der Maastricht-Entscheidung setzt sich das BVerfG eingehend mit der gegenwärtigen Struktur des EU-Rechtsetzungsmechanismus auseinander, sieht hierin aber letztlich keinen Hinderungsgrund für die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EU. Auch die durch den Maastricht-Vertrag weiter vertiefte Integration sei mit den demokratischen Anforderungen des Grundgesetzes noch vereinbar; erst für weitere Vertiefungsstufen wird gefordert, dass „die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden“, BVerfGE 89, 155, 213. Vgl. zum Ganzen die Darstellung bei M. Nettesheim, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S.67, 82 ff., der die Entscheidung des BVerfG für integrationspolitisch begrüßenswert, jedoch demokratietheoretisch für bedenklich hält: „Das Maastricht-Urteil kompromittiert demokratietheoretische Ideale um der höheren politischen Vernunft wegen.“ Kritisch zur Maastricht-Entscheidung auch J. H. H. Weiler, in: FS Everling, Bd. 2, 1995, S. 1651 ff. und B.-O. Bryde, StWStP 5 (1994), S. 305 ff. 566 M. Heintzen, ZEuS 2000, S. 377 ff.; zu den Optionen künftiger Legitimationsverstärkung aus der Perspektive des nationalen Verfassungsrechts nochmals M. Nettesheim, aaO, 1999, S. 67, 83: Zukünftige Kompetenzzuweisungen an die EU hätten nur noch dann vor dem Grundgesetz Bestand, wenn sichergestellt sei, dass mit ihnen ein Ausbau und eine Verstärkung der demokratischen Rückkopplung des europäischen Rechtsetzungsprozesses einhergehe. Da außer Frage stehe, dass die bisher tragende, inzwischen überlastete Legitimationsschiene über die nationalen Regierungen und nationalen Parlamente hierbei erst recht überfordert wäre, komme nur eine Stärkung des unmittelbaren Partizipations-, Determinations- und Verantwortungszusammenhangs zwischen der europäischen Organschaft und den in der Union vereinigten Bürgern in Betracht. 567 K. Berendes, ZfW 1996, S. 363 ff. 568 BVerfGE 78, 249, 273 (Fehlbelegungsabgabe); Hervorhebung im Original.
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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transformation die Geltendmachung von Rückholoptionen, die unter dem Grundgesetz zu den wesentlichen Kennzeichen im Rechtsetzungsverhältnis von Parlament und Verordnungsgeber zählen, 569 kaum in Betracht kommt. 570 Die auftretenden Erosionen der parlamentszentrierten Demokratiekonzeption des Grundgesetzes erfahren auch durch die Beteiligungsrechte des Bundestages nach Art. 23 GG 571 keine entscheidende Abschwächung. 572 Die aufgezeigte Struktur der zweistufigen Exekutivrechtsetzung verschärft die oben dargelegte verfassungsrechtliche Nichthaltbarkeit der aktuellen Rechtsetzungspraxis im Kontext der EG-Richtlinientransformation und mahnt den Gesetzgeber zur Nachverdichtung. 573 Festzuhalten bleibt, dass sich die Probleme der zweistufigen Exekutivrechtsetzung bei der (vormaligen) Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften ähnlich stellten, dass also diesbezüglich das Umstellen auf die Rechtsform der Rechtsverordnung für sich genommen keine Einbußen bewirkt hat.
V. Funktionale, verfahrensrechtliche und Rechtswirkungskonvergenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften Erheblicher Klärungsbedarf ist in der Folge der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des jeweiligen Einsatzfeldes und Zustandekommens für das Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften aufgeworfen. An vielen Stellen stehen für denselben Sachbereich verordnungsrechtliche Regelungen scheinbar unvermittelt neben solchen in der Form von Verwaltungsvorschriften. Diese Funktionsäquivalenzen bzw. parallelen Funktionszuordnungen sind näher darzustellen. Weiterhin finden sich vielfach gesetzliche Ermächtigungen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften, die gleichermaßen durch Anhörungs- und Beteiligungsvorgaben den Prozess der Regelbildung strukturien. Inwieweit ergibt sich hier eine Parallelisierung zur Verordnungsgebung? Schließlich ist zu untersuchen, inwieweit sich aus ihrer Vergesetzli569 Zweifelnd zur effektiven Umsetzbarkeit der „Rückholung“ der Verordnungsbefugnis durch Erlass einer eigenen Regelung des Erstadressaten E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 139. 570 Vgl. hierzu die Begründung bei R. Breuer, ZfW 1999, S.220, 231: „Sofern der Bundestag die parlamentarische Verantwortung der Bundesregierung bei der Ausübung einer solchen Verordnungsermächtigung geltend machen sollte, könnte die Regierung nicht nur auf die umfassende, praktisch unbegrenzte Weite der Ermächtigung, sondern ‚achselzuckend‘ auch auf die europäischen Vorentscheidungen verweisen.“ Skeptisch gegenüber der zitierten Verfassungsrechtsprechung aus BVerfGE 78, 249, 273 T. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 108. 571 Vgl. auch das auf Art. 23 Abs. 3 S. 3 GG gestützte Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993, BGBl. I 311. 572 Optimistischer H. Bauer, in: FS Steinberger, 2002, S. 1061, 1083. 573 Vgl. zu diesem Begriff O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 293.
330 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung chung und Prozeduralisierung eine erhöhte Rechtsqualität der Verwaltungsvorschriften ergibt, die diese auf die Rechtsverordnung zu bewegt. 1. Funktionale Äquivalenzen als Resultat gesetzgeberischer Funktionszuordnungen zu Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Die Analyse und Systematisierung des Ersten Teils verzeichnet an verschiedenen Stellen ein Nebeneinander exekutiver Regelungsformen, namentlich von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen: So beispielsweise auf den Feldern der Operationalisierungsfunktion, 574 der Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung, 575 der Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips 576 und der Bewältigung normstruktureller Systembrüche. 577 In diesen Konstellationen zeigt sich, dass der Gesetzgeber Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnung vielfach funktional äquivalent einsetzt. 578 Das Beruhen der Funktionszuordnung zur Rechtsverordnung auf einer gesetzgeberischen Entscheidung ist im Verlaufe der Arbeit bereits verschiedentlich dargelegt worden. 579 Demgegenüber ist das Ergebnis zur Funktionszuordnung bei den Verwaltungsvorschriften einigermaßen überraschend. Denn nach der traditionellen Einordnung von Verwaltungsvorschriften als bloßes Innenrecht der Verwaltung sollte sich die Funktionszuordnung auf die Entscheidung eines höherrangigen Exekutivorgans zurückführen lassen. 580 Hier ergibt sich aus der Untersuchung des Ersten Teils ein anderes: Wo funktionale Äquivalenzen zu verzeichnen sind, liegt nicht nur für die Rechtsverordnung, sondern auch für die Verwaltungsvorschriften eine gesetzliche Ermächtigung und damit Funktionszuordnung durch den Gesetzgeber vor. Dies belegen zunächst verschiedene Fälle paralleler Ermächtigungen für identische Regelungsgegenstände. So haben etwa sowohl die Verordnungsermächtigung des § 7 BImSchG als auch die auf den Erlass von Verwaltungsvorschriften abzielende Ermächtigung des § 48 BImSchG die Statuierung von Emissions- und Immissionsgrenzwerten im Blick.581 Derartige Parallel1. Teil, II., 1. 1. Teil, II., 2. 576 1. Teil, II., 3. 577 1. Teil, III., 3. 578 So auch das Ergebnis der Auswertung gegenwärtiger Regelungsstrukturen bei C. VogtBeheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 133 f. und bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 541; vgl. zur ähnlich gelagerten Rechtsentwicklung im Steuerrecht bereits W. Leisner, Verwaltungsvorschriften als „Nebengesetze“ im Steuerrecht?, 1982, S. 22 ff. und zum Beamten- und Wirtschaftsrecht A. Rogmann, Die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, 1998, S. 3 ff. 579 Vgl. bereits in der Einl., I., 2. 580 Zur Rechtsgrundlage der Statuierung von Verwaltungsvorschriften BVerwGE 67, 222, 229 (Amtstracht): „Die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften ist der Exekutivgewalt inhärent, soweit ihre Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt jeweils reicht.“ 581 Hierzu Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff.; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 541. 574 575
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
331
strukturen im Einsatz von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften finden sich auch im Abfallrecht. 582 Für die Abfallbeseitigung findet sich zunächst in § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG eine Verordnungsermächtigung zugunsten der Bundesregierung, die beispielsweise als Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002 herangezogen wurde. 583 Sodann ermächtigt § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG die Bundesregierung zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften über die „umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen nach dem Stand der Technik“. 584 Weiterhin lässt sich zum Beleg der Rückführbarkeit von Funktionsäquivalenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften auf diesen zugrunde liegende Zuordnungsentscheidungen des Gesetzgebers auch auf Konstellationen verweisen, in denen Verwaltungsvorschriften ganz oder teilweise durch Rechtsverordnungen abgelöst wurden, ohne dass im faktischen Regelungsgehalt eines Sachbereichs Änderungen zu verzeichnen waren. Beispielhaft zu nennen wären hier neben der eben dargelegten Deponieverordnung nach § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG die Beispiele der Ablösung der Allgemeinen Abwasserverwaltungsvorschriften durch eine entsprechende Rechtsverordnung 585 und die Inkorporation der EG-Luftreinhalte-Richtlinie durch Rechtsverordnung, 586 nachdem deren Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften für unzureichend erklärt worden war. 587 2. Die Parallelisierung der Ermächtigungsstrukturen und des Verfahrensrechts Neben der dargelegten funktionalen Annäherung ist in starkem Maße eine Annäherung der Beteiligungsvorgaben zu verzeichnen, die für das Zustandekommen von Hierzu S. Paetow, in: FS Blümel, 1999, S. 403, 405 ff. Verordnung über Deponien und Langzeitlager vom 24.7.2002, BGBl. I S. 2807, geändert durch Verordnung vom 26.11.2002, BGBl. I 4417. 584 Näher M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer III, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 4. Danach tendiert die Rechtspraxis in der Orientierung auf die europarechtliche Präferenz für die Rechtsverordnung zur Heranziehung der Verordnungsermächtigung des § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG. 585 Auf der Grundlage von § 7 a WHG wurde die Allgemeine Rahmenverwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 8.9.1989, GMBl. S. 518, zuletzt idF der Bek. v. 31.7.1996, GMBl. S. 729 durch die Abwasserverordnung vom 21.2.1997, BGBl. I 566, neugefasst durch Bekanntmachung vom 17.6.2004, BGBl. I 1108 abgelöst. 586 Vgl. die Immissionswerteverordnung (22. BImSchV) v. 26.10.1993, BGBl. I 1819 und die 25. BImSchV mit Vorsorgewerten für die Titandioxid-Industrie zur Begrenzung bestimmter staub- oder gasförmiger Stoffe für Anlagen nach dem Sulfat-Verfahren oder Chloridverfahren vom 8.11.1996, BGBl.I, 1722; weitere Beispiele aus dem Immissionsschutzrecht bei H.-W. Arndt, in Steiner, BVwR, 7. Aufl. 2003, Kap. VIII, Rn. 127 mit Fn. 193. 587 Vgl. zur einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Nachweise unter 3. Teil, V., 1. 582 583
332 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften gelten. Auch diese Annäherung beruht (weitestgehend) nicht auf Vorgaben höherrangiger Exekutivorgane, sondern auf gesetzlichen Vorgaben in den Fachgesetzen. Der Gesetzgeber nähert die Verwaltungsvorschriften also nicht nur funktional sondern in ähnlich starkem Umfang auch verfahrensrechtlich an die Rechtsverordnung an. 588 Verfahrensrechtliche Gemeinsamkeiten bestehen insbesondere hinsichtlich der Anhörungs- und Beteiligungserfordernisse nichtstaatlicher Stellen. So verweisen im Bundesimmissionsschutzrecht nicht nur die Verordnungsermächtigungen wie etwa § 4 Abs. 1 S. 3, § 7 Abs. 1 oder § 23 Abs. 1 BImSchG auf die Anhörung der beteiligten Kreise gem. § 51 BImSchG sondern ebenso der § 48 BImSchG, der den Erlass von Verwaltungsvorschriften zum Gegenstand hat. In ähnlicher Weise verweist im KrW-/AbfG neben Verordnungsermächtigungen wie §§ 22, 23 KrW-/AbfG auch die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften in § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG auf die Beteiligungsvorschrift des § 60 KrW-/AbfG (Anhörung der beteiligten Kreise). Das Zustandekommen auf § 30 Abs. 5 GenTG gestützter Verwaltungsvorschriften erfordert ebenso die vorherige Anhörung der Kommission nach § 4 GenTG wie die Ausnutzung der bedeutenden Verordnungsermächtigung des § 7 GenTG, auf deren Grundlage die Gentechnik-Sicherheitsverordnung beruht. 589 Ausdruck der verfahrensrechtlichen Annäherung von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften ist auch die häufige Bindung des Wirksamwerdens von Verwaltungsvorschriften an die Zustimmung des Bundesrates wie etwa in § 48 BImSchG, § 12 Abs. 2 KrW-/AbfG oder § 30 Abs. 5 GenTG, wodurch mit vielen Verordnungsermächtigungen gleichgezogen wird.590 Ähnliches gilt auch für den Umgang mit Publikationserfordernissen. Der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 82 Abs. 1 GG, der für Rechtsverordnungen grundsätzlich die Publikation im Bundesgesetzblatt vorsieht, korrespondiert die verwaltungspraktische Übung der Veröffentlichung vieler Verwaltungsvorschriften im Bundesanzeiger oder in den Amtsblättern der Ministerien. 591 Diese Veröffentlichungspraxis beruht uneinheitlich auf einfachgesetzlichen Anordnungen, der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien oder entsprechenden Richtlinien übergeordneter Verwaltungsstellen. 592 In der Literatur finden sich verbreitete Postulate für einen Ausbau der Ver588
Kritisch hierzu K. Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 215,
228. 589 Zur weiterführenden Frage, ob sich der Bundestag durch Gesetz Mitwirkungsrechte beim Erlass von Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung oder eines Bundesministers vorbehalten darf D. Hömig, DVBl. 1976, S. 858 ff. 590 Vgl. die Nachweise im 1. Teil, II., 1., c); II., 2., c); II., 3., d) sowie H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 24, Rn. 35. 591 Hierzu A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 484. 592 Vgl. zum Normtext und zur Erläuterung der Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes vom 20.12.1989, GMBl. 1990, S. 39 und entsprechenden Maßnahmen der Bundesländer die Beiträge von O. Fliedner sowie G. Wurzel/E. Dette-Koch, in: Verwaltungsvorschriften, 1991, S. 31 ff./45 ff.
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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öffentlichung von Verwaltungsvorschriften, mitunter wird gar eine entsprechende verfassungsrechtliche Pflicht postuliert. 593 3. Schnittmengen in der Rechtsqualität von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften a) Konzeptionen der (partiellen) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung In Rechtsprechung und Literatur ergeben sich immer wieder Kontroversen um die Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften. 594 Diese lassen sich bis in die 1960er Jahre und weiter zurückverfolgen und beziehen sich zumeist auf den Begriff der Außenwirkung und die damit verbundene Frage, inwieweit Verwaltungsvorschriften unmittelbar Rechte und Pflichten für den Bürger zu begründen vermögen. 595 Wie gezeigt, stellt die weit überwiegenden Zahl der Autoren nicht auf gesetzesgleiche Rechtswirkungen ab. 596 Vielmehr entfalten Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zumeist gestufte Konzepte: Die Rechtswirkungen der Rechtsverordnung werden den Verwaltungsvorschriften insoweit abgesprochen, als ein Abweichen von den Verwaltungsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen mitkonzipiert wird. 597
593 E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 78; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 485: Als Grundlage einer allgemeinen Veröffentlichungspflicht kämen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) und die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht, weiter die Grundrechte, insbesondere Art.1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG. Vgl. aktuell BVerwG v. 25.11.2004, 5 CN 1.03. 594 F. Ossenbühl, Grundgesetz und Verwaltungsvorschriften, 1968; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung 1969; aktuell: E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477 ff.; R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571 ff. 595 Zur Geschichte der Auseinandersetzung um die Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 146 ff.; aus neuerer Zeit A. Leisner, JZ 2002, S. 219 ff. Zur Diskussion um die Verbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften unter Bezugnahme auf die rechtspraktischen Konsequenzen M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer III, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 2. 596 Mit zahlreichen Nachweisen bereits 2. Teil, II., 2., b). 597 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477 ff., 487; K. Lange, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S.307, 324 ff.; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2.Aufl. 1996, § 61, Rn. 16; ders., Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24. Vgl. aber für eine neuerdings verstärkt vertretene Position der Abstandnahme von den Konzeptionen der Ausnahme- und Rechtswirkungsvorbehalte R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598; A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 230 und die unter 3. Teil, V., 3., b) genannten Autoren in Ausrichtung auf ein originäres exekutives Verordnungsrecht.
334 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung (1) Die Entfaltung vielfältiger Argumentationsfiguren in der Literatur: „Tatbestandlicher Beurteilungsspielraum“, „Selbstbindung der Verwaltung“, „Normative Ermächtigungslehre“ und Netzwerktheorie Zur Begründung der Bindungswirkung werden in der Rechtswissenschaft unterschiedliche Wege beschritten. Verbreitet sind die Argumentationsfiguren des „tatbestandlichen Beurteilungsspielraums“ einerseits und der „Selbstbindung der Verwaltung“ andererseits. In der ersten Variante dieser Konzeptionen (partieller) Bindungswirkungen wird für die Verwaltungsvorschriften verschiedener gesetzlich normierter Einzelbereiche (Atomrecht, Bundes-Immissionsschutzrecht, mitunter auch im Organisations-, Haushalts- und Dienstrecht) angenommen, 598 dass sie vor allem als sog. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften grundsätzlich Bindungswirkung gegenüber Bürgern und Gerichten entfalten. 599 Dabei wird von verschiedenen Autoren in der verfassungstextlichen Verankerung der Verwaltungsvorschriften in Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2, 86, 108 Abs. 7, 129 Abs. 1 GG eine ausreichende Grundlage für die Außenverbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften gesehen. 600 Andere fordern eine ausdrückliche einfachgesetzliche Ermächtigung zur außenwirksamen Rechtsetzung durch Richtlinien.601 Eingeschränkt wird die Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften dadurch, dass die Bindungswirkung bei Vorliegen eines Ausnahmefalls oder neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wiederum entfallen soll. 602 Nicht auf das Vorliegen behördlicher Beurteilungsspielräume, sondern auf das überkommene Institut der besonderen Gewaltverhältnisse stellt die bis
598 Hierzu insbes. U. Di Fabio, DVBl. 1992, S. 1338 ff. und F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 53. Losgelöst von der Bezugnahme auf spezifische Rechtsformen unterscheidet Ossenbühl, aaO, § 10, Rn. 34 ff. unter dem Kriterium der eingeschränkten richterlichen Kontrolldichte sechs Fallgruppen der Beurteilungsspielräume: Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtliche Beurteilungen, Wertentscheidungen durch unabhängige Sachverständige und Ausschüsse, Prognosen, Risikoentscheidungen und Planungsentscheidungen; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGKIII, 5. Aufl. 2003, Art.80, Rn.9 c macht auf das Problem aufmerksam, dass die „Zuerkennung solcher Spielräume und ihre Rechtfertigung vor Art. 19 IV GG auf Gesichtspunkten (Sachnähe, Höchstpersönlichkeit) beruht, die ihrer Ausfüllung durch abstrakte Richtlinien eher entgegenstehen“. 599 Zur Adaption dieses Konzepts in der Rechtsprechung insbesondere des BVerwG vgl. unten. 600 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491: Eine besondere gesetzliche Ermächtigung erübrige sich durch die Nennung im Grundgesetz; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 187; Ch. Grün, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Beihilfe der Beamten, 2002, S. 91. 601 So etwa Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 254. Die Delegation sei dabei selbstredend auf „Unwesentliches“ zu beschränken. 602 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491: Verwaltungsvorschriften als „Handlungsformen der differenzierten Bindungswirkungen“. Zur rechtspraktischen Handhabung der Fallgruppen entfallender Bindungswirkung am Beispiel der TA Siedlungsabfall M. Beckmann, DVBl. 1997, S. 216, 217 f. Anders jetzt R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598 und auch A. Leisner, JZ 2002, S. 219 ff.
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in die Gegenwart vertretene Figur der „Sonderverordnung“ ab. 603 Danach sollen Rechtssätze der Exekutive im Kontext der besonderen Gewaltverhältnisse über den Binnenrechtskreis der Verwaltung hinaus bindende Rechtswirkungen entfalten können, ohne an die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG gebunden zu sein. 604 Eine weitergehende theoretische Fundierung erfährt die auf den tatbestandlichen Beurteilungsspielraum abstellende Auffassung durch ihre Rekonstruktion als „normative Ermächtigungslehre“, die insbesondere Eberhard Schmidt-Aßmann entwickelt hat. 605 Danach ist entscheidend auf die seitens des Gesetzgebers intendierten Wirkungen abzustellen und zu ermitteln, ob dieser eine normative Ermächtigung aussprechen wollte. 606 Besondere Indizwirkung wird dabei dem Vorliegen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Erlasses von Verwaltungsvorschriften und der Ausgestaltung des Normsetzungsverfahrens zugesprochen. 607 Argumentative Grundlage der normativen Ermächtigungslehre ist die Sasbach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der es heißt, „unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume“ sowie der Tatbestandswirkung von Hoheitsakten sei eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche und rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, grundsätzlich ausgeschlossen. 608 Über die normative Ermächtigungslehre hinausgehend unternimmt Karl-Heinz Ladeur den Versuch einer netzwerktheoretischen Fundierung außenwirksamer Verwaltungsvorschriften, die gleichermaßen am Vorliegen einer einfachgesetzlichen Ermächtigung anknüpft. 609 Zur 603 H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl. 1999, § 25, Rn. 43; E.-W. Böckenförde/R. Grawert, AöR 95 (1970), S. 1 ff. 604 Ausführlich zum Ganzen J. Anslinger, Die Sonderverordnung, 1991, zur Begrifflichkeit S. 5 ff., zu den materiellen Kriterien S. 86 ff., zu den möglichen Rechtsgrundlagen S. 170 ff., zum (ablehnenden) Fazit S. 332 f. 605 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185 ff., zur Anwendung auf Verwaltungsvorschriften insbesondere Rn. 205. Vgl. vorhergehend F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 334 zum Begriff der „Beurteilungsermächtigung“; zur Rezeption der „normativen Ermächtigungslehre“ F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 114, Rn. 24; F. Mühlenbruch, Außenwirksame Normkonkretisierung durch „Technische Anleitungen“, 1992, S. 82 ff.; A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 228. 606 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGKII, Stand: 2003, Art.19 Abs. 4, Rn. 187. Vgl. zur argumentativen Herleitung einer (begrenzten) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften aus der sog. „normativen Ermächtigungslehre“ auch die Darstellung bei S. Paetow, NuR 1999, S. 199, 201. 607 Hierzu der Überblick zur „normativen Ermächtigungslehre“ bei G. F. Schuppert, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 105, 139 ff. 608 BVerfGE 61, 82, 111 (Sasbach); eingehend E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185. Infragestellung der Absicherung der normativen Ermächtigungslehre durch Berufung auf diese Rechtsprechung bei M. Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, 2000, S. 251. 609 K.-H. Ladeur, DÖV 2000, S. 217, 220 ff. Die „normative Ermächtigungslehre“ gewährleistet nach Ladeur unter anderem deshalb keine hinreichende dogmatische Begründung, weil sie die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen und normkonkretisierenden Verwaltungs-
336 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Erzeugung und Nutzung von Risikowissen sei ein „Netzwerk von durch Auflagen, Berichtspflichten, Nachbesserungsmöglichkeiten verknüpften privaten und öffentlichen Entscheidungen aufzubauen“, da eine allein von der Verwaltung verantwortete Risikokonzeption nicht praktikabel sei. 610 Nur eine „Standardisierungsermächtigung“ könne der Verwaltung den Aufbau eines derartigen Netzwerks ermöglichen, der sich der Logik der Subsumtion und der Rechtsbegriffe ebenso entziehe wie planerische Entscheidungen. 611 Umgekehrt vermögen bei Ladeur die „Zwänge der Entwicklung praktischer privat-öffentlicher Netzwerke des Risikomanagements“ die verwaltungs- und verfassungsrechtliche Anerkennung einer „Standardisierungsermächtigung“ zu „erklären und zu legitimieren“. 612 Demgegenüber sucht die Theorie der „Selbstbindung der Verwaltung“ 613 die Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften nicht unmittelbar, sondern mittelbar über den allgemeinen Gleichheitssatz zu begründen. 614 Art. 3 Abs. 1 GG fungiert danach als „Umschaltnorm, die verwaltungsinterne Weisungen in die das Staat-Bürger-Verhältnis unmittelbar regelnde (Außen-)Rechtsordnung extravertiert“. 615 Sowohl hinsichtlich des Anwendungsbereichs als auch hinsichtlich der Rechtswirkungen ist die Theorie der „Selbstbindung der Verwaltung“ gegenüber den mit einfachgesetzlichen Anordnungen operierenden Konzeptionen deutlich zurückgenommen. Da der Auslöser der (mittelbaren) Außenwirkung darin zu sehen sein soll, dass die Verwaltungsvorschriften das Ermessen der Behörde über den Gleichheitssatz binden,616 ist Voraussetzung der Selbstbindung das Bestehen eines Ermessensspielraums. Verwaltungsvorschriften, die einem gebundenen Verwaltungsakt wie der Genehmigungsentscheidung nach § 6 BImSchG zugrunde liegen, vermögen demzufolge keivorschriften überwiegend auf den besonderen Sachverstand der entscheidenden Verwaltung stütze; dabei sei auch für den Richter die Heranziehung von Sachverstand für die Sachverhaltsaufklärung und -bewertung nichts neues, ders., aaO, S. 220. 610 K.-H. Ladeur, DÖV 2000, S. 217, 223. 611 K.-H. Ladeur, ebd. Der Eigenwert normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften liege in der Bewältigung von multi-polaren Verwaltungsrechtsverhältnisse. 612 K.-H. Ladeur, DÖV 2000, S. 217, 223. Die Einräumung von Beurteilungsspielräumen diene gerade nicht primär der Anpassung an den Einzelfall, sondern der Herausbildung von Standards, K.-H. Ladeur, DÖV 2000, S. 217, 225 unter dezidierter Angrenzung von U. Di Fabio, DVBl. 1992, S.1338 ff. und Ch. Gusy, DVBl. 1987, S.497, 498, nach welchem in den anerkannten Fällen administrativer „Normkonkretisierung“ Einschätzungen der Verwaltung „hingenommen“ werden müssten, nicht aber rechtliche Bindung erzeugten. 613 Dazu A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S.61, 67 ff.; H.-J. Mertens, Die Selbstbindung der Verwaltung, 1963, z. B. S. 91 f., 100; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 514 ff. sowie die Rechtsprechung BVerwGE 34, 278, 280; 36, 313; 36, 323; 44, 1; 44, 136; 61, 15, 18; 100, 335, 339 f.; 104, 220, 223. 614 Die Figur der administrativen Selbstbindung ist bereits aus dem staatsrechtlichen Konstitutionalismus bekannt, vgl. W. Jellinek, Gesetz, Gesetzanwendung und Zweckmäßigkeitserwägungen, 1913, S. 323 ff. Die Ableitung aus Art. 3 Abs. 1 GG erfolgte selbstredend erst unter der Geltung des Grundgesetzes. 615 F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 49. 616 S. Kautz, GewArch 2000, S. 230, 231 f.; H. D. Jarass, JuS 1999, S. 105, 107 f.
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ne Bindungswirkung entfalten und fallen aus dem Anwendungsbereich. 617 Danach ist es also unzutreffend, wenn die Konstruktion einer mittelbaren Außenwirkung über Art. 3 Abs. 1 GG und Verwaltungspraxis als „Kunstgriff“ zur argumentativen Rechtfertigung einer durchgehenden Außenwirkung aller Verwaltungsvorschriften bezeichnet und hieraus das Plädoyer für eine unmittelbare Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften abgeleitet wird. 618 Bezüglich der Rechtswirkungen ist festzuhalten, dass die Grundlage des hier dargelegten Gleichbehandlungsanspruches nicht die Verwaltungsvorschrift selbst, sondern die verwaltungsbehördliche Praxis ist. Dies ist von erheblicher Bedeutung, wenn die tatsächlich geübte Praxis von den in den Verwaltungsvorschriften getroffenen Vorgaben abweicht. 619 Demgemäß verbirgt sich hinter der Theorie der Selbstbindung der Verwaltung bei Lichte besehen eine generelle Stukturierung des Verwaltungshandelns gegenüber Grundrechtsträgern und weniger der Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften. Grundlegenden Bedenken begegnet die Begründung mittelbarer Außenwirkung über den Gleichheitssatz nicht.620 In Zweifel zu ziehen ist allein die Antizipation der Außenwirkung auf den Zeitraum vor dem ersten 621 Anwendungsfall. 622 Diese erscheint aus Gründen der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht erforderlich zu sein, da entsprechende Vergleichsfälle noch nicht vorliegen. Damit wäre entgegen der Ausgangskonstellation das Feld der mittelbaren Außenwirkungen verlassen und jenes der unmittelbaren Rechtsbindungen an Verwaltungsvorschriften betreten. 623 617 D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 373. Murswiek will dabei § 6 BImSchG in ausdrücklicher Auslegung gegen dessen Wortlaut als Planungsentscheidung verstehen, ders., aaO, S. 361. Zur Begründung wird auf die bipolare Programmierung der Genehmigungsentscheidung durch die Grundpflichten des § 5 BImSchG verwiesen; hierzu vorhergehend unter 3. Teil, I., 2. 618 In diese Richtung A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 67; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 65, Rn. 49; A. Rogmann, Die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, 1998, S. 41 f. 619 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 35. 620 P. Lerche, in: Maunz/Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 84, Rn. 97; H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1985), S. 135, 163. 621 Anerkennung der „antizipierten Verwaltungspraxis“ bei BVerwG, DÖV 1971, 748; DÖV 1982, 76 (Prüfungsordnung für den Auswärtigen Dienst); DVBl. 1982, 195, 197 (Prüfungsordnung für den nichttechnischen Verwaltungsdienst); BVerwGE 52, 193, 199. 622 Speziell zu dieser Konstellation A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 66; R. Hendler, JbUTR 1997, S. 55, 57; S. Kautz, GewArch 2000, S. 230, 231; R. Uerpmann, BayVBl. 2000, S. 705, 706. 623 Zutreffend E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 391: Mit der Anerkennung der „antizipierten Selbstbindung“ der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften sei der Boden des dogmatischen Systems verlassen worden. Mit diesem Schritt in der Logik des einmal beschrittenen Weges werde den Verwaltungsverordnungen in der Sache die außenwirksame Bindungskraft aus sich selbst zuerkannt. Die (von Anfang an) außenwirksame Verwaltungsvorschrift sei aber nichts anderes als eine Form originärer Außenrechtsetzung durch die Exekutive.
22 Saurer
338 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung (2) Die Rechtsprechung von BVerwG und BVerfG zu „antizipierten Sachverständigengutachten“ und „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ Die Rechtsprechung zur Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften ist uneinheitlich. Einerseits wird den Verwaltungsvorschriften in mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 624, vereinzelt auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 625 eine partielle Verbindlichkeit und damit eine Rechtswirkung zwischen Allgemeinverbindlichkeit und ausdrücklicher Unbeachtlichkeit eingeräumt. 626 Diese Annahme erfolgt in der jüngeren Rechtsprechung zumeist unter Hinweis auf das Vorliegen sog. „normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften“, 627 ein Terminus, der an die Überlegungen zu den exekutiven Beurteilungsspielräumen anknüpft und seit Mitte der 1980er Jahre an die Stelle des Konzepts der „antizipierten Sachverständigengutachten“ 628 getreten ist. 629 Grundlegend für diese Entwicklung ist das Wyhl-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1985, indem es heißt, die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften sollten im Gegensatz zu ihrem „lediglich norminterpretierenden“ Gegenüber „für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich“ sein. 630 624 Grundlegend BVerwGE 72, 300, 320 (Wyhl), hierzu und zu den Folgeentscheidungen sogleich näher im Haupttext. 625 Vgl. BVerfGE 40, 237, 240 (Strafgefangene) sowie vorhergehend BVerfGE 8, 155, 163 ff., 169 ff. (Lastenausgleichsgesetz) zu Verwaltungsvorschriften im organisatorischen Bereich der Landesverwaltung, näher K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 656. Im weiteren Sinne zu Beurteilungsspielräumen im Atomrecht BVerfGE 49, 89, 136 ff. (Kalkar); BVerfGE 61, 82, 114 f. (Sasbach). 626 Zu den Grenzen, die auch dann noch fortbestehen, wenn man die Rechtsprechung weitestmöglich zugunsten einer Bindungswirkung interpretiert Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185, 204. 627 Hierzu die Nachweise in den nachfolgenden Fn. 628 Hierzu insbes. BVerwGE 55, 250, 256 (Voerde): Die Immissionswerte der TA Luft seien mit ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Art und Weise ihrer Ermittlung eine geeignete, wenn nicht optimale Erkenntnisquelle, weil sie auf den zentral – durch die Bundesregierung – ermittelten Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruhten und deswegen als schon die Entscheidung der Genehmigungsbehörden prägendes und insofern „antizipiertes“ Sachverständigengutachten wegen ihres naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehaltes auch für das kontrollierende Gericht bedeutsam seien. Die Argumentationsfigur des „antizipierten Sachverständigengutachtens“ entfaltet das Bundesverwaltungsgericht unter ausdrücklicher Berufung auf R. Breuer, DVBl. 1978, S. 28 ff. Zur Kritik vgl. H. Sendler, UPR 1993, S. 321, 323 sowie R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 5, Rn. 42: In die Verwaltungsvorschriften gingen auch politisch-wertende Beurteilungen ein, weshalb die Qualifikation als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ zu kurz greife. 629 J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 191 bewertet sowohl die Figur der „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ als auch jene der „antizipierten Sachverständigengutachten“ treffend als „judizielle Verlegenheitskonstruktionen“. 630 Vgl. BVerwGE 72, 300, 320 (Wyhl), nachfolgend 78, 177, 180; 80, 207, 217; 81, 185, 190 sowie aus neuerer Zeit BVerwGE 107, 338, 340 ff. und BVerwGE 114, 342.
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Andererseits lässt sich bereits in der jüngeren Rechtsprechung des BVerwG eine Abkehr von der im Wyhl-Urteil entwickelten Dogmatik erkennen. Schon in den neueren Entscheidungen BVerwGE 110, 216, 218 und 114, 342, 344 deutet sich eine gewisse Skepsis gegenüber der Figur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften insoweit an, als schwerpunktmäßig nicht mehr auf die Rechtsverbindlichkeit, sondern nur auf die (eingeschränkte) gerichtliche Überprüfung der zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidung abgestellt wird. 631 Eine deutliche Absage an das Konzept der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften bedeutet die Entscheidung des BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02. Hier erkannte das Gericht einen Verstoß der als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften ergangenen Beihilfevorschriften des Bundes gegen den verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt. 632 Über das Beihilferecht hinaus bedeutet die Entscheidung eine nachhaltige Eingrenzung des Anwendungsbereichs normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften. 633 Auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind deutliche Absagen an die Außenwirksamkeit von Verwaltungsvorschriften zu entnehmen. 634 Beispielsweise führt das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 78, 214 aus: „Verwaltungsvorschriften mit materiell-rechtlichem Inhalt sind grundsätzlich Gegenstand, nicht jedoch Maßstab der gerichtlichen Kontrolle.“ 635 Die Gerichte seien bei ihrer „Kontrolltätigkeit gegenüber der Verwaltung grundsätzlich nicht an Verwaltungsvorschriften gebunden“. 636 Die in dieser Formulierung angedeutete Ausnahme liegt dabei keineswegs, wie man zunächst annehmen könnte, in einer (partiellen) Bindungswirkung als Folge einer entsprechenden Ermächtigung der Exekutive. Vielmehr wird die Möglichkeit einer Selbst-Bindung der Rechtsprechung apostrophiert, indem das BVerfG feststellt, dass die Gerichte „jedoch befugt sind, sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen“.637 Also kann die Entscheidung BVerfGE 78, 214 als Absage an die Bindung der Rechtsprechung an Verwaltungsvorschriften als exekutiv gesetzte Rechtssätze verstanden werden. 638 In BVerfGE 631 Ähnlich auch BVerwGE 107, 338, 340 ff. zu den Abwasserverwaltungsvorschriften. Zur Einschätzung dieser Rechtsprechung als „Rückzug auf eine salomonische Formel“ A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 229. Im Überblick zur neueren Rechtsprechung R. Schmidt, JZ 2003, S. 933 ff. 632 BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02, Umdruck, S. 1. 633 BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02, Umdruck, S. 5. 634 Zur Position des Bundesverfassungsgerichts eingehend M. Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, 2000, S. 250 ff. 635 BVerfGE 78, 214, 227 (Auslandsunterhalt); hierzu die Anmerkung von L. Osterloh, JuS 1990, S. 100 ff. 636 BVerfGE 78, 214, 214, Ls. 1. 637 BVerfGE 78, 214, 214 Ls. 1. 638 Als implizite Einschränkung der Möglichkeit zum Erlass von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften lässt sich auch die generelle Einschränkung der Reichweite von Beurteilungsspielräumen in den Entscheidungen BVerfGE 80, 1, 26 und BVerfGE 84, 34 verstehen, so K.-H. Ladeur, DÖV 2000, S. 217 ff.; vgl. auch E. Schmidt-Aßmann/T. Groß, NVwZ 1993, S. 617 ff.
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340 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung 80, 257, 265 zieht das Gericht unter Bezugnahme auf die in Rechtsprechung und Lehre vorgefundene „Tendenz, auch Verwaltungsvorschriften unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Außenwirkung beizumessen“ deren Verfassungsmäßigkeit nachhaltig in Zweifel, indem es ausdrücklich feststellt: „Der Frage, ob und inwieweit diese Lehre verfassungsrechtlich haltbar ist, braucht hier jedoch nicht nachgegangen werden.“ 639 Die Rechtsprechung des BVerfG legt es nahe, in der Rechtsfigur der „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ eine Sonderdogmatik für das Atomrecht zu sehen 640 – wobei dieser Hinweis für sich genommen an der verfassungsrechtlich prekären Lage auf Außenwirkung abzielender Verwaltungsvorschriften nichts zu ändern vermag. 641 (3) Kritik der dogmatischen Konstruktionen zur Begründung unmittelbarer Außenwirkung Die Konstruktion einer unmittelbaren Außenwirkung von (normkonkretisierenden) Verwaltungsvorschriften unter Bezugnahme auf einfachgesetzliche Anordnungen entsprechender Beurteilungsspielräume begegnet auch auf der Basis der „normativen Ermächtigungslehre“ und netzwerktheoretischer Erwägungen grundsätzlicher Kritik. 642 In der Konsequenz einer entsprechenden Rechtsetzungsbefugnis der Exekutive kommt es zur Kollision mit der Auffassung des wohl überwiegenden Teils der Literatur, nach welchem den Verwaltungsvorschriften aus verfassungsrechtlichen Gründen keine unmittelbare Außenwirkung zukommen kann. 643 Die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums bedeute das Entstehen einer verfassungsrechtlichen Grauzone, in der sich die Rechtsprechung letztlich selbst steuere. 644 Demnach könne im Falle sehr weitreichender materieller Standards in der Wahl der Verwaltungsvorschriften als Regelungsform ein Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt liegen, weswegen von Verfassungs wegen eine Normierung durch Rechtsverordnung geboten sei. 645 Aus rechtspraktischer Perspektive stellt sich die kaum einer abschließenden Klärung zugängliche Frage nach der Identifizierbarkeit 639 BVerfGE 80, 257, 265 (Höchstalter Anwaltsnotar) unter dezidierter Hervorhebung der Wyhl-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. 640 BVerfGE 78, 214, 227 (Auslandsunterhalt) spricht ausdrücklich vom „Sonderfall der atomrechtlichen Genehmigung“. Hierzu R. Streinz, BayVBl. 1989, S. 550, 552. 641 Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung auch BVerwG, DÖV 2000, 596; dazu R. Schmidt, JZ 2001, S. 1169 ff. 642 Vgl. die Nachweise in den nachfolgenden Fn. 643 So etwa H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471 f.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn.35; R. Hendler, JbUTR 1997, S.55 ff.; A. Röthel/K. Hartmann, JbUTR 1995, S. 71 ff.; M. Jachmann, Die Verwaltung 28 (1995), S. 17 ff. Einordnung dieses Teils der Literatur als herrschende Lehre bei R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571 ff. und A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 220. 644 So das Argument von U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 36. 645 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471 f.; ähnlich E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 153 ff.; H.-J. Koch, ZUR 1993, S. 103, 106 f.
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einer entsprechenden „normativen Ermächtigung“, 646 denn der Nutzen der entsprechenden Theoriebildung hängt insoweit davon ab, dass die Gesetze so beschaffen sind, dass ihnen eine Antwort zur Frage der Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung entnommen werden kann. 647 Fritz Ossenbühl stellt hierzu fest: „Explizite Vorgaben des Gesetzgebers zur Kontrollintensität sucht man vergebens.“ 648 Schwer wiegt schließlich die mit dieser Herleitung verbundene einfachgesetzliche Suspendierung verfassungsrechtlicher Anforderungen. Die Dekonstruktion der Inbezugsetzung der Topoi „tatbestandlicher Beurteilungsspielraum“ bzw. „normative Ermächtigungslehre“ und der Rechtswirkung untergesetzlicher Rechtsetzungsformen als derartige Suspendierung findet argumentativen Halt in dem Erfordernis der einfach-gesetzlichen Ermächtigung. 649 Denn anders als verfassungsrechtlich lässt sich ein den einfachen Gesetzgeber verpflichtendes Kriterium nicht begründen. Die suspendierten verfassungsrechtlichen Vorgaben sind der Rechtsetzungsorganisation im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes zu entnehmen. Die Herleitung unmittelbar außenwirksamer Verwaltungsvorschriften über die Figur des tatbestandlichen Beurteilungsspielraums erweist sich damit als Umgehungsszenario im Blick auf Art. 80 Abs. 1 GG. 650 Dieser reserviert die untergesetzliche Erzeugung unmittelbarer Außenwirkung für die Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung. Die hieraus resultierende verfassungsrechtliche Sperre unmittelbar außenwirksamer Verwaltungsvorschriften 651 erfährt durch die Entwicklung von Sonderkonstellationen der entfallenden Bindungswirkung keine Aufhebung. 652 Durch derartige Sonderregimes für „zwischenzeitliche Erkenntnisfortschritte“ oder „atypische Einzelfälle“ wird vielfach versucht, der Rechtsprechung eine partielle Wächterfunktion zur Disziplinierung der rechtsetzenden Verwaltung zuzuordnen. Jedoch vermag diese Konstruktion nichts daran zu ändern, dass im Fall der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften die regelmäßige Normsetzung auch als Rechte- und Pflichtenstatuierung gegenüber den Grundrechtsträgern außerhalb des Regimes des Art. 80 Abs. 1 GG vollzogen wird. Die Einschaltung der Gerichte ist zudem kein Ersatz für die durch Art. 80 Abs. 1 GG vorgegebene Anbindung der untergesetzli646 Auf diesen Aspekt machen Ch. Müller, Die TA-Lärm als Rechtsproblem, 2001, S. 68 sowie A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 228 aufmerksam. 647 G. F. Schuppert, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 105, 142. 648 F. Ossenbühl, in: FS Redeker, 1993, S. 55, 64; ähnlich M. Reinhardt, in: Schutz der Umwelt durch und vor Biotechnologie, 2003, S. 19, 50 f. 649 Zu diesem Erfordernis als Element der normativen Ermächtigungslehre E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185 ff. 650 Hierzu die mit Blick auf BVerwGE 72, 300, 320 (Wyhl) formulierte Kritik der Konzeption normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften bei E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 188. 651 Für Kennzeichnung der Verwaltungsvorschriften durch mangelnde unmittelbare Außengerichtetheit P. Lerche, in: Maunz/Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 84, Rn. 97. 652 Statt vieler F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S. 1 ff.; U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 369.
342 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung chen Rechtsetzung an die gesetzliche Ermächtigungsnorm.653 Es zeigt sich, dass zwischen der hier untersuchten Konzeption der Verwaltungsvorschrift und der Rechtsverordnung in ihrer grundgesetzlich vorgegebenen Rechtsqualität 654 keine entscheidenden Unterschiede 655 in der zugedachten normativen Wirkung bestehen. 656 Das von Eberhard Schmidt-Aßmann formulierte Erfordernis der „funktionalen Distanz“ von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen 657 lässt sich also durch die Ausweisung spezifischer Sonderkonstellationen entfallender Bindungswirkung nicht gewährleisten. 658 Dies belegt auch die Analyse der gerichtlichen Handhabung der ausgeformten Geltungsvorbehalte. Zur TA Luft 1986 ist in der Literatur nicht ein einziger Fall bekannt geworden, in welchem während der über 15-jährigen Geltungsdauer dieser Verwaltungsvorschrift 659 ein Verwaltungsgericht den in einschlägigen Verfahren durchaus häufig vorgetragenen Einwand, zumindest einzelne Bestimmungen der TA Luft seien zwischenzeitlich durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt, hätte letztinstanzlich durchgreifen lassen. 660 Aufschlussreich zum Versagen der entwickelten Maßstäbe in der konkreten Spruchpraxis ist eine aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in BVerwGE 114, 342 ff. In der Vorinstanz hatte der VGH Baden-Württemberg im Fall einer Zementfabrik, in dem die Filterlieferanten eine Garantie für die Einhaltung eines Reingasstaubgehalts von 20 mg/m³ gegeben hatten, den in Nr. 3.1.3 TA Luft festgesetzten Emissionsgrenzwert für Staub von 50 653 Näher hierzu bereits im Kontext der grundgesetzlich statuierten dualen Gesetzesbindung des Art. 80 GG vorhergehend 3. Teil, IV., 1. 654 Hierzu v. a. 2. Teil, II., 2., a). 655 Konsequent insoweit als Befürworterin der unmittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften und der „normativen Ermächtigungslehre“ A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 230: „Hinsichtlich der normativen Wirkungen unterscheiden sich Rechtsverordnungen und außenwirksame Verwaltungsvorschriften jedoch nicht.“ 656 Hierzu die Warnung von P. Lerche, in: Maunz/Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 84, Rn. 108 vor der Zuschüttung des „verbliebenen, relativ geringfügigen Grabens“ zwischen Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen durch die beiderseitige Anerkennung unmittelbarer Außenwirkung, da dies die Aufgabe der vom „Grundgesetz erkennbar gewollten Herausstellung des internen Charakters der Verwaltungsvorschriften unter der Hand“ bedeutete. 657 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 206 b. 658 Dies wird deutlich in der jüngsten Fortentwicklung der Konzeptionen zur Begründung rechtlicher Bindungswirkungen von Verwaltungsvorschriften bei R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598, der in dezidierter Abgrenzung von früheren eigenen Positionen für die Aufgabe der Figur eines allgemeinen Ausnahmevorbehalts bei den Verwaltungsvorschriften plädiert, da durch diese die Geltung der Verwaltungsvorschriften als Normkategorie letztlich vereitelt werde. 659 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) v. 27.2.1986 (GMBl. S.95), abgelöst durch die Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) v. 24.7.2002 (GMBl. S. 511), näher K. Hansmann, NVwZ 2003, S. 266 ff. 660 Mit diesem Ergebnis K. Faßbender, UPR 2002, S. 15, 16 mit näheren Nachweisen.
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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mg/m³ als durch gesicherte Erkenntnisfortschritte überholt angesehen. 661 Das Bundesverwaltungsgericht verwarf die Feststellung des VGH unter aufschlussreicher Entfaltung der Voraussetzungen eines Entfallens der Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften. Losgelöst von der Bezugnahme auf den konkreten Fall setzt das BVerwG auseinander, das Abrücken von den Standards der TA Luft stelle aufgrund deren normkonkretisierender Funktion hohe Anforderungen an die dafür erforderliche Tatsachengrundlage: „Nur gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik können die Regelungen der TA Luft obsolet werden lassen, wenn sie den ihnen zugrunde liegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen den Boden entziehen. Das heißt, der Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft und dessen seinerzeitige technische Umsetzung müssen mit dem jetzigen Stand der Technik verglichen werden, um beurteilen zu können, ob sich in diesem Sinne wesentliche Änderungen ergeben haben.“ 662 In dieser Darlegung wird deutlich, dass das Gericht die Frage, ob ein Grenzwert der TA Luft durch eine Fortentwicklung des Standes der Technik überholt ist, weitestgehend von der Betrachtung der konkret zu beurteilenden Anlagen und spezifischer Anlagenarten löst und in der Sache auf abstrakte Standards abstellt. 663 Da Instanzgerichte und Verwaltung regelmäßig nicht in der Lage sind, mit den zugängigen Mitteln aus eigener Anschauung die geforderten Feststellungen zu tätigen, führen die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zur gerichtlichen und verwaltungspraktischen Nichthandhabbarkeit des vorgeblichen Geltungsvorbehalts normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften. 664 Hierin zeigt sich das Entfallen der auch von der „normativen Ermächtigungslehre“ zur verfassungsrechtlichen Bedingung außenwirksamer Verwaltungsvorschriften erklärten Gewährleistung sichtlicher „Funktionsunterschiede zur Rechtsverordnung“. 665 Nachzutragen bleibt das verfassungsrechtliche Schicksal der Rechtsfigur der „Sonderverordnungen“: Hierzu ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass derartige Rechtssätze ohne Inbezugnahme des Rechtsregimes des Art.80 Abs.1 GG verfassungswidrig sind. 666 Diese Auffassung vermag sich auch auf die aktuelle Recht661 VGH Baden-Württemberg, UPR 2000, 468 ff. Zudem lag der von der Klägerin beanspruchte Grenzwert nicht wie in der TA Luft beansprucht bei 50 mg/m³, sondern nur bei von 40 mg/m³, vgl. BVerwGE 114, 342, 342. 662 BVerwGE 114, 342, 346. Hervorhebung im Original. Weiter stellt das BVerwG, ebd. fest: „Gemessen an diesen Anforderungen reichen die Feststellungen des VGH nicht aus, um den Emissionsgrenzwert der Nr. 3.1.3 TA Luft als überholt anzusehen.“ 663 K. Faßbender, UPR 2002, S. 15, 19. 664 K. Faßbender, UPR 2002, S. 15, 19: Es stehe zu befürchten, dass der vom BVerwG selbst eingeforderte Geltungsvorbehalt der TA Luft wie auch sonstiger normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften in praxi ein Lippenbekenntnis bleibe und somit zur Farce verkomme. 665 Zu diesem Erfordernis nochmals E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 206 b. Auf den mit dem Entfallen der Wirksamkeit des Geltungsvorbehalts verbundenen Legitimationsverfall der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften macht auch K. Faßbender, UPR 2002, S. 15, 19 aufmerksam. 666 Mit diesem Ergebnis auch J. Anslinger, Die Sonderverordnung, 1991, S. 332 f. und bereits H.-U. Erichsen, in: FS H. J. Wolff, 1973, S. 219 ff.
344 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung sprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu stützen, welches mit Urteil vom 17.6.2004 entschieden hat, dass die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts im Bereich der Anstaltsverhältnisse keine Modifikationen erfahren. 667 Besteht demnach keine verfassungsrechtliche Grundlage für eine Sonderdogmatik der besonderen Gewaltverhältnisse, so entfällt auch die Grundlage und Rechtfertigung für die begriffliche Kategorisierung entlang des Begriffs der „Sonderverordnung“. Dieser sollte also aufgegeben werden. Über die bis hierhin aufgezeigten Argumente wider die Rechtfertigung einer unmittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften hinaus ist die Annahme einer solchen Rechtswirkung auch nicht erforderlich, um die enorme praktische Relevanz und Gerichtsfestigkeit der Verwaltungsvorschriften zu erklären; dies lässt sich zum einen mit der mittelbaren Außenwirkung über den Gleichheitssatz,668 zum anderen auch mit dem Erklärungsansatz der Verwaltungsvorschriften als exekutivischer Auslegungsofferten bewältigen. 669 Eine mögliche Lösung des andauernden Streits um die Rechtsqualität der Verwaltungsvorschriften zeigt Reinhard Hendler auf, der bei den Verwaltungsvorschriften zur Konkretisierung technischer Standards nicht mehr auf die Rechtsverbindlichkeit, sondern (nur noch) auf die Bedeutung der Verwaltungsvorschriften für den Prozess der administrativen Entscheidungsfindung abstellt. 670 Die Anschlussfähigkeit der zur Begründung herangezogenen neueren Rechtsprechung des BVerwG 671 wird damit begründet, dass Verwaltungsvorschriften für die Gerichte bereits insofern beachtlich seien, als sie die administrative Entscheidungstätigkeit inhaltlich determinieren. Zur gerichtlichen Aufgabe, die Entscheidungstätigkeiten zu kontrollieren, gehöre auch die Prüfung, wie die Behörde zum Entscheidungsinhalt gelangt sei. 672 BVerwG v. 17.6.2004, 2 C 50.02, Umdruck, S. 5. Hierzu H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1985), S. 135, 163: Die über den Gleichheitssatz hergestellte Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften genüge den Anliegen der Praxis und sei dogmatisch immer noch die überzeugendste Lösung. Nur sie vermöge zu erklären, warum eigentlich Verwaltungsvorschriften auch außenrechtlich relevant seien. Nur sie vermöge auch die allgemein anerkannten Unterschiede zwischen den echten Rechtssätzen und dem sog. Administrativrecht, insbesondere den Einzelfallvorbehalt, zu erklären, dass die Verwaltungsvorschriften z. T. wie echte Rechtssätze in Erscheinung träten, rechtfertige nicht, über die dogmatischen Unterschiede hinwegzusehen. 669 M. Schmidt-Preuß, DVBl. 2000, S. 767, 776; ders., Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992, S. 234 ff. In diese Richtung auch der Hinweis in BVerfGE 78, 214, Leitsatz 1 (Auslandsunterhalt), wonach die Gerichte bei ihrer Kontrolltätigkeit gegenüber der Verwaltung grundsätzlich nicht an Verwaltungsvorschriften gebunden, jedoch befugt seien, „sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen“. 670 R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S. 101, 117. 671 BVerwG, DVBl. 1995, 516, 517 sowie BVerwG, NVwZ-RR 1996, 498, 499. 672 R. Hendler, in: Chemische Grenzwerte, 1999, S.101, 117. Insoweit sei beispielsweise der Frage nachzugehen, ob die Behörde von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist und sachgerechte Erwägungen angestellt hat. 667 668
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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b) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften nach der Theorie des originären exekutiven Verordnungsrechts? Starke Argumente für die unmittelbare Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften ließen sich auf der Lehre vom selbständigen, nicht von einer einzelgesetzlichen Ermächtigung abhängigen Verordnungsrecht der Exekutive aufbauen, sollte sich diese als verfassungsrechtlich tragfähig erweisen. 673 Denn der Sache nach würde ein demgemäß originäres Verordnungsrecht 674 nichts anderes als die Einrichtung eines allgemeinen Rechts zur Statuierung außenwirksamer, allgemeinverbindlicher Verwaltungsvorschriften bedeuten. 675 Partielle Erweiterungen der Justiziabilität vermögen an diesem Befund nichts zu ändern, denn diese bewegen sich auf einer nachgelagerten Ebene und vermögen allenfalls die Rechtsschutzoptionen zu beeinflussen. 676 Für die Anerkennung eines originären Verordnungsrechts sind immer wieder namhafte Unterstützer aufgetreten. 677 Ernst-Wolfgang Böckenförde 678 und andere 679 konzipieren die Zulässigkeit eines exekutiven Verordnungsrechts ohne (einzel-)gesetzli673 Vgl. T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, der die Problematik unter dem Stichwort „verfassungsunmittelbare Verordnungskompetenz“ vor allem in Auseinandersetzung mit G. Müller, Inhalt und Form der Rechtsetzung, 1979, insbes. S. 188 aufarbeitet. Zum ganzen auch N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 61; H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Fn. 76; H. Vogt, Empfiehlt sich die Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts der Bundesregierung?, 1981. 674 Vgl. zur Rechtslage im europäischen Rechtsvergleich und Elementen originärer exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse in benachbarten Verfassungsordnungen, so insbes. in Frankreich und Italien vorhergehend in der Einl., III., 1. 675 Zu diesem Zusammenhang bereits K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 656 (der dabei davon ausgeht, dass an der Notwendigkeit eines „exekutiven Ergänzungsrechts nicht vorbeizukommen“ sei) sowie D. Jesch, AöR 84 (1959), S. 74 ff. 676 Zum Nachweis oben 2. Teil, II., 2., b), (2). 677 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 50; § 64, Rn. 16; § 65, Rn. 12 f. Es bestehe neben dem derivativen ein originäres Verordnungsrecht der Exekutive, das auf nicht-wesentliche Regelungen beschränkt und dem Vorrang des Gesetzes unterworfen sei. 678 E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 394 ff. Böckenförde beruft sich hierbei auf das Bundesverfassungsgericht, das in einer seiner Leitentscheidungen zur Wesentlichkeitstheorie diese Folgerung selbst gezogen habe, indem es eine auf Außenwirkung abzielende Regelung des Rechtsschutzverfahrens für Strafgefangene in dieser Außenwirkung anerkannt und sie zugleich, weil keine wesentlichen Fragen regelnd, ohne gesetzliche Ermächtigung als gültig angesehen habe, ders., aaO, S. 394 unter Bezugnahme auf BVerfGE 40, 237, 254/255 und die Kritik der Entscheidung bei W.-R. Schenke, DÖV 1977, S. 27 ff. 679 H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 62 ff.; Ch. Grün, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Beihilfe der Beamten, 2002, S. 94 ff.; ähnlich M. Beckmann, DVBl. 1987, S. 611 ff., zusammenfassend S. 618; aus schweizerischer Sicht für ein originäres Rechtsetzungsrecht de constitutione lata G. Müller, Inhalt und Formen der Rechtsetzung, 1979, S. 187 ff., 190: Der Exekutive stehe von Verfassungs wegen das Recht zum Erlass aller weniger wichtigen Rechtsnormen zu; hierzu die zustimmende Rezension von P. Häberle, DÖV 1981, S. 550, 551; vgl. zum Ganzen die Darstellung bei E. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 171 mit Fn. 644.
346 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung che Ermächtigung als Folge und Forderung der Wesentlichkeitstheorie. Die Wesentlichkeitstheorie ordne nicht nur die „wesentlichen“ Aspekte der parlamentarischen Zuständigkeit, sondern gleichermaßen als „Kehrseite“ die „unwesentlichen“ Aspekte der exekutiven Zuständigkeit zu. Böckenförde bevorzugt eine defensive Auslegungsvariante, nach welcher die Verordnungsbefugnis der Exekutive nur gesetzesabhängig bestehe und dementsprechend nicht als originär zu bezeichnen sei, also ein Gesetz voraussetze, das die wesentlichen Fragen des zu ordnenden Rechtsverhältnisses oder Lebensbereiches regele. 680 Böckenförde hält jedoch offensichtlich eine offensive Auslegungsvariante für gleichermaßen zulässig, wenn er darlegt, theoretisch könne die Wesentlichkeitstheorie auch so verstanden werden, dass der Exekutive die Befugnis zu originärer, nicht nur zu gesetzesabhängiger außenwirksamer Normsetzung in nicht-wesentlichen Fragen zukomme. 681 Hier schließt Hans-Detlef Horn an, der ein gesetzesunabhängiges Rechtsetzungsrecht der Exekutive dort annimmt, wo wesentliche Entscheidungen von vorneherein nicht zu treffen seien. 682 Christian Seiler begründet die Entbehrlichkeit einer Ermächtigung nach Artikel 80 Abs. 1 GG in thematisch „unwesentlichen“ Bereichen und das entsprechende „selbständige Verordnungsrecht“ der Exekutive mit der Konzeption eines einheitlichen Parlamentsvorbehalts, nach welchem Art. 80 GG ebenso wie der allgemeine Parlamentsvorbehalt (lediglich) verlange, das „Wesentliche“ des jeweiligen Regelungsbereichs zu regeln. 683 Fritz Ossenbühl versucht die Annahme eines originären Verordnungsrechts auf die extensive Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften zu stützen. 684 Ossenbühl knüpft insbesondere an die Entscheidungen zur antizipierten Selbstbindung durch Verwaltungsvorschriften an, die eine Selbstbindung durch den Erlass von Verwaltungsvorschrif-
680 E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Auflage 1981, S. 397. Böckenförde betont hierbei den grundlegenden Unterschied zu einem selbständigen Verordnungsrecht der Exekutive, wie es die konstitutionelle Monarchie kannte. 681 E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Auflage 1981, S. 397, Fn. 66. 682 H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 62 ff., insbes. S. 69 f. Ausgehend von der auf die Reichweite der rechtsstaatlichen und demokratischen Gesetzesvorbehalte insgesamt bezogenen These, wonach „mit der Geburt der Wesentlichkeitstheorie die Lehre vom Allgemeinvorbehalt gestorben“ sei (S. 69) wird zu Art. 80 Abs. 1 GG dargelegt, dieser erfasse nurmehr solche Regelungen der Exekutive, die einem anderweitigen Gesetzesvorbehalt unterlägen (S. 70). Fehle ein solcher im konkreten Fall und mache der Gesetzgeber auch im übrigen von seinem Zugriffsrecht keinen Gebrauch verdichte sich die „verfassungsunmittelbare Verordnungs-, allgemeiner: Rechtsetzungsfunktion der Exekutive zur entsprechenden Befugnis“ (S. 70). Da somit ein originäres Verordnungsrecht der Exekutive bereits de constitutione lata anerkannt sei, bedürfe es insofern keiner Verfassungsänderung (S. 70). Beschränkt sei dieses Verordnungsrecht auf „nicht-wesentliche Regelungsmaterien“ (S. 70 f.). 683 Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, 249. „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ seien lediglich beschreibenden Charakters und enthielten keinen weitergehenden eigenen Aussagegehalt, ders., aaO, S. 248. 684 F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 50.
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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ten annehmen, noch bevor ein verwaltungspraktischer Präzedenzfall vorliegt. 685 Hier werde zum Ausdruck gebracht, dass sich die Verwaltung durch diese Vorschriften und nicht erst durch die Verwaltungsübung gebunden habe. 686 Also trete die Selbstbindung der Verwaltung nicht erst kraft administrativen Handelns (Verwaltungspraxis, Verwaltungsübung) ein, sondern kraft eines – in den Verwaltungsvorschriften – verlautbarten Willensaktes der Verwaltung. 687 Damit sei die auf Art.3 GG basierende Selbstbindungskonstruktion aufgegeben, ein selbständiger rechtserzeugender Normwille der Verwaltung im eigenen Funktionsbereich anerkannt, letztlich ein originäres Administrativrecht mit Außenwirkung kreiert. 688 Unterstützung erfahren die hier dargestellten Plädoyers für die Auflösung des einzelgesetzlichen Bindungserfordernisses durch Eberhard Schmidt-Aßmann, 689 der zur verfassungsrechtlichen Absicherung insbesondere die Entscheidung BVerfGE 68, 1, 86 (Nachrüstung) heranzieht. 690 Dieser wird der die „Gewaltenteilungslehre prägende Grundsatz“ entnommen, Kompetenzen so zuzuordnen, dass sie „nach Organstruktur und Verfahrensweisen zu möglichst richtigen Entscheidungen befähigen“. 691 Schmidt-Aßmanns eigene Position ist dadurch gekennzeichnet, dass sie zwar die Abhängigkeit der Rechtsverordnung von der einzelgesetzlichen Grundlage als durch Art. 80 Abs. 1 GG vorgegeben anerkennt, andererseits aber einen weitgehenden Dispens von den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erteilt, der von verstärkten verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zu begleiten sei. 692 Zugleich sollen die Verwaltungsvorschriften eine erhebliche Aufwertung erfahren, wonach sich deren
685 Vgl. unter dem Schlagwort der „antizipierten Verwaltungspraxis“ BVerwG, DÖV 1971, 748; DÖV 1982, 76 (Prüfungsordnung für den Auswärtigen Dienst); DVBl. 1982, 195, 197 (Prüfungsordnung für den nichttechnischen Verwaltungsdienst). 686 F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 50. Ähnlich auch H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 24, Rn. 29; A. Leisner, JZ 2002, S. 219 ff. 687 F. Ossenbühl, aaO, § 6, Rn. 50 mit Fn. 134. 688 F. Ossenbühl, aaO, § 6, Rn. 50. 689 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 483 im Blick auf die Arbeiten von K. Vogel, in: VVDStRL 24 (1966), S. 125 ff., 156 ff.; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 41 ff.; § 64, Rn. 13 ff.; § 65, Rn. 12 f.; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 388 ff.; H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 62 ff.; Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 248 f. 690 Bezugnahme auf BVerfGE 68, 1, 86 auch bei H.-D. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 62 ff. 691 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 484; vgl. auch dens., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 180 ff., 326. Würdigung des Begriffs der „funktionsgerechten Organstruktur“ auch bei F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 48 f. und auch bei T. v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff.; vgl. insgesamt S. Baer, Der Staat 40 (2001), S. 525 ff., insbes. S. 546 f. 692 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491. In den Fällen der Ausführungsund Durchführungsverordnungen könne die Gesetzesakzessorietät durch eine „allgemeine Ermächtigungsklausel“ sichergestellt werden.
348 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Rechtsqualität für weite Teile des Rechts 693 nur noch in der Bindungswirkung von der Rechtsverordnung unterscheiden soll – aber keiner „besonderen Ermächtigung“ mehr bedürfe. 694 Entgegen aller argumentativen Anstrengungen ist ein originäres exekutives Verordnungsrecht mit der herrschenden Lehre 695 jedoch abzulehnen – sowohl in der weitergehenden Variante eines eigenständigen exekutiven Verordnungsrechts in (zumindest) allen Bereichen, denen die gesetzliche Vorprägung (noch) fehlt, als auch in der defensiveren Variante eines eigenständigen Verordnungsrechts in unwesentlichen Bereichen, dessen Ausrichtung auf die gesetzliche Vorprägung des Regelungsbereichs erhalten bleiben soll. 696 Zunächst ist festzustellen, dass sich aus der Wesentlichkeitstheorie 697 in ihrer Ausprägung durch das BVerfG keine Argumente für die Annahme eines originären Verordnungsrechts gewinnen lassen. 698 Die
693 Hier zeigt sich der enge Zusammenhang zu dem soeben dargestellten Problemkreis der „Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften“ und die gemeinsame Zielrichtung der jeweiligen rechtspolitischen Forderungen. 694 E. Schmidt-Aßmann, in: FS K. Vogel, 2000, S. 477, 491. 695 H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 18; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 3 f.; H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 14; H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1985), S. 135, 162 f.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 24, Rn. 21; A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 122; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 5 ff.; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 4; U. Ramsauer, in: AKGG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 18 a; S. Studenroth, DÖV 1995, S. 525, 526; D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm XIII 1 b; H.-P. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2000, Rn. 312; D. Hömig, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 273, 274 f.: Die Exekutive habe die Befugnis zur Rechtsetzung nur, wenn sie dazu zuvor gesetzlich ermächtigt worden ist; P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 547; A. Uhle, ZG 2001, S. 328, 335 ff.; ders., Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 156; deutlich auch M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 85 f. und 179 ff.: Im Bereich der Verteilung von Normsetzungsbefugnissen zwischen Legislative und Exekutive gebe es keine von den Verordnungsbindungen freigestellte Rechtsetzungsgewalt, ders., ebd., Rn. 85; Art. 80 Abs. 1 solle originäre außenrechtswirksame Normsetzung der Exekutive verhindern, diese verfassungsrechtliche Sicherung dürfe nicht ausgehöhlt werden (ebd., Rn. 86). Ähnlich bereits H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, 2. Aufl. 1991, S. 115: „Ein gesetzesunabhängiges Rechtsverordnungsrecht der Verwaltung besteht unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht mehr.“ 696 Die weitergehende erste Alternative wird, wie vorhergehend dargelegt, in der Literatur nur angedeutet. 697 Vgl. die Darstellung bei D. Hömig, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 273 ff. 698 Hierzu H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1985), S. 135, 162: Es sei sicher richtig, dass die Wesentlichkeitstheorie auch begrenzende Wirkung habe. Aber diese Begrenzung bestehe lediglich in der negativen Kehrseite der positiven Aussage, nämlich darin, dass eben nur die wesentlichen Angelegenheiten vom Gesetzesvorbehalt erfasst würden. Daraus ergäben sich keine weiteren Folgerungen für den vorbehaltsfreien Bereich. Demzufolge sei der Umkehrschluss zugunsten eines originären exekutiven Rechtsetzungsrechts für alle unwesentlichen Angelegenheiten verfehlt.
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
349
diesbezüglichen Versuche finden keinen Halt in der Verfassungsrechtsprechung. 699 Sie erweisen sich als bloße Erweiterungen der Wesentlichkeitstheorie, die sich keineswegs auf das BVerfG zu stützen vermögen. In der Literatur heißt es hierzu zutreffend: „Die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG ist eindeutig parlamentsbezogen und gestaltet den Gesetzesvorbehalt neu; Umkehrschlüsse zugunsten originären Exekutivrechts lassen sich daraus nicht ziehen.“ 700 Auch die Heranziehung des Grundsatzes der funktionsadäquaten Rechtsetzungsorganisation, wie er der Nachrüstungsentscheidung BVerfGE 68, 1 entnommen wird, 701 vermag die Vorgaben des Grundgesetzes nicht zu überblenden. 702 Dies kommt bereits in der Entscheidung BVerfGE 68, 1 selbst zum Ausdruck. Denn bereits unmittelbar im Anschluss an die vielzitierte Passage, wonach die nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise bestgeeigneten Organe zur Entscheidung berufen seien, 703 wird für die Subsumtion des zu entscheidenden Falles unter die dargelegten Grundsätze ausschließlich auf die Vorgaben des Grundgesetzes abgestellt. Zur Frage nach dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Nachrüstung mit Pershing II-Raketen 704 heißt es zunächst, die „Konzentration politischer Macht, die darin läge, dem Bundestag in auswärtigen Angelegenheiten – über die ihm im Grundgesetz zugeordneten Befugnisse hinaus – zentrale Entschei699 Auch M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 87 betont, die Wesentlichkeitsrechtsprechung treffe Aussagen nur zum Parlamentsvorbehalt; zur Gegenthese nochmals E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, S. 394 ff. 700 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 87. 701 Abgestellt wird zumeist auf die Passage bei BVerfGE 68, 1, 86, wo es heißt, die in Art.20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten diene der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger und ziele auch darauf ab, „daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“; vgl. etwa die Argumentation bei T. v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329, 330, H. H. v. Arnim, DVBl. 1987, S. 1241, 1243 und U. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungslehre, 1989, S. 33. 702 Vgl. aus der Literatur zur Rezeption der entsprechenden Stelle der Nachrüstungsentscheidung auch C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 46; T. Kuhl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 138 sowie W. Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 1986, S. 161. 703 BVerfGE 68, 1, 86, vgl. auch die Nachweise in den vorgehenden Fn. sowie zur Fortführung der Geeignetheits-Diktion den Beschluss des BVerfG v. 26.10.2004, 1 BvR 911/00 u. a. zum Brandenburgischen Hochschulgesetz. Hier heißt es mit Blick auf den Aspekt des angemessenen Ausgleichs der unterschiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Interessen aller daran Beteiligten in Wahrnehmung gesamtgesellschaftlicher Verantwortung: „Für diese Aufgabe ist der parlamentarische Gesetzgeber besser geeignet als die an speziellen Interessen orientierten Träger der Wissenschaftsfreiheit.“ 704 Zum genauen Inhalt des von der Fraktion DIE GRÜNEN gestellten Antrags im Organstreitverfahren vgl. W. Heyde/W. Schreiber/G. Wöhrmann (Hrsg.), Die Nachrüstung vor dem Bundesverfassungsgericht, 1986, S. 3 ff., 98 ff. u. 169 ff.; zum Tonband-Wortprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 1984 aaO, S. 196 ff.
350 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung dungsbefugnisse exekutivischer Natur zuzuordnen, liefe dem derzeit vom Grundgesetz normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider“. 705 Weiter führt das Gericht aus: „Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden.“ 706 Die vorstehenden Zitate – insbesondere das Abstellen auf die „derzeit“ vom Grundgesetz normierte Funktionenordnung – machen deutlich, dass das BVerfG die Kriterien für die rechtsetzungsorganisatorische Umsetzung des Grundsatzes der Entscheidungsorganisation zugunsten der „nach Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise bestgeeigneten Organe“ den konkreten (normtextlichen) Vorgaben des Grundgesetzes entnimmt. Die danach maßgebliche Analyse der grundgesetzlichen Vorgaben an die Rechtsetzungsorganisation zeigt für die Frage des originären Verordnungsrechts zunächst, dass der in Art. 80 Abs. 1 GG statuierte Gesetzesvorbehalt für den Verordnungserlass nach seinem Wortlaut keine Ausnahmen vorsieht. 707 Der ausnahmslose Gesetzesvorbehalt, 708 unter welchem die Rechtsverordnung demnach steht, wird nachdrücklich unterstrichen im Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG. 709 Das Grundgesetz ordnet hier zwingend an, dass jede Rechtsverordnung eine ermächtigende Rechtsgrundlage angeben muss. Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG erfasst nach Wortlaut und Systematik sämtliche Rechtsverordnungen. Die Rechtsordnung kennt demnach also ausschließlich Rechtsverordnungen unter Zitiergebot, mithin unter Bezugnahme auf eine Verordnungsermächtigung. Ein ermächtigungsfreies, originäres Verordnungsrecht ist dem System der Normsetzung nach dem Grundgesetz unbekannt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des Zitiergebots in seiner Entscheidung zur Hennenhaltungsverordnung nachhaltig unterstrichen. Danach ist die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG die Nichtigkeit der entsprechenden Rechtsverordnung. 710 Gegen ein originär exekutives VerBVerfGE 68, 1, 86; Hervorhebungen nicht im Original. BVerfGE 68, 1, 87; Hervorhebungen nicht im Original. 707 Keine Stütze im Verfassungstext findet demgemäß die Ansicht von F. Ossenbühl, HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 50, wonach Art. 80 Abs. 1 den Gesetzesvorbehalt voraussetze, ihn jedoch nicht definiere und dementsprechend das, was nicht unter den Gesetzesvorbehalt falle auch nicht den Delegationsregeln für Rechtsverordnungen unterliege; vorhergehend W. Krebs, VerwArch 70 (1979), S. 268 ff. und E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 395 ff.; ähnlich auch T. Kuhl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 94 und H. Hill, NVwZ 1989, S. 401, 405. 708 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 5: Totalvorbehalt für die Verordnungsgebung; sinngleich bereits H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 113 ff.; H.-U. Erichsen, in: FS H. J. Wolff, 1973, S. 219 ff. 709 Dazu W. Mößle, BayVBl. 2003, S. 577, 581 f.; T. Schwarz, DÖV 2002, S. 852 ff. mit der Unterscheidung von Qualifikationsfunktion (im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften), Kontrollfunktion und Rechtsschutzfunktion des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG. 710 Vgl. BVerfGE 101, 1, 31 (Hennenhaltung). 705 706
V. Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften
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ordnungsrecht spricht auch die vorhergehende Entscheidung BVerfGE 78, 249. Hier hat das Gericht dargelegt, es gehöre im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zum rechtsstaatlich-demokratischen Gehalt des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, dass in einer Verordnung, die auf ihrer Grundlage ergehe und ihren Grundgedanken entspreche, niemals originärer politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen dürfe. 711 Schließlich ist zu beachten, dass mit einem beschränkten originären Verordnungsrechts für nicht-wesentliche Bereiche die mit der Forderung verfolgten rechtspolitischen Ziele kaum erreichbar scheinen, so etwa die Erschließung eines spezifisch effektiven Rechtsetzungsinstrumentariums für die Regelungsbereiche technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen. 712 Insoweit steht zu erwarten, dass die Anerkennung der defensiven Variante eines originären exekutiven Verordnungsrechts nur als Zwischenstation angesehen und als Ausgangspunkt für Forderungen nach einer noch weitergehenden autonomen Verwaltungsrechtsetzung genutzt würde. Nach alledem lassen sich aus der – nicht verfassungskonformen – Rechtsfigur eines originären exekutiven Verordnungsrechts keine Argumente für die Anerkennung einer unmittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften gewinnen. Die diesbezügliche Differenz in der Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnung besteht also fort; sie wird auch partiell nicht erreicht. Ein Feld unmittelbarer Außenwirkung als Schnittmenge der Rechtswirkung von Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnung gibt es von Verfassungs wegen nicht. 713 Mit Peter Lerche lässt sich in ungebrochener Aktualität festhalten, dass das Grundgesetz sowohl das Institut der Rechtsverordnungen als auch jenes der Verwaltungsvorschriften kennt, auf beide jedoch gesondert verweist, damit ihre Unterschiedlichkeit zugrunde legt und daher „von der Maßgeblichkeit des Merkmals: (fehlende) unmittelbare Außengerichtetheit“ ausgeht.714 Diese Einschätzung findet nachhaltige Betonung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof zur Unzulässigkeit der Richtlinienumsetzung durch Verwaltungsvorschriften. 715 BVerfGE 78, 249, 273, Hervorhebung im Original. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass im Rahmen der Enquete-Kommission Verfassungsreform in den 1970er Jahren die Idee der grundgesetzlichen Einführung eines selbständigen Verordnungsrechts (in Verbindung mit einem allgemeinen Kassationsrecht des Parlaments) wieder fallen gelassen wurde, vgl. H. H. Klein, DÖV 1975, S. 523 ff. 713 Entschieden auch M. Schmidt-Preuß, in: FS Maurer, 2001, S. 777, 795: Eine Rechtsbindung für die Gerichte könne sich nur aus einer Norm – namentlich einem formellen Gesetz oder einer Verordnung ergeben; Verwaltungsvorschriften fehle die verbindliche Wirkung nach außen; J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 50 f. mit der Klarstellung, dass technische Anleitungen und vergleichbare Vorschriften den gleichen Regeln folgten wie andere Verwaltungsvorschriften; dabei gelte: Wenn die Verwaltung bewusst zu einem Instrument der Binnensteuerung greife, lasse sich hierfür auch nicht ausnahmsweise die allseitige Verbindlichkeit postulieren. 714 P. Lerche, in: Maunz/Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 84, Rn. 108. 715 Eingehend hierzu mit detaillierten Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH bereits 3. Teil, IV., 1. 711 712
352 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung
VI. Verordnungsfunktionen und Bundesstaatsverhältnis Im Kontext der Verordnungsgebung des Bundes kommt es vielfach zum Aufeinandertreffen von Bundes- und Länderkompetenzen. Die Untersuchung des Normmaterials des besonderen Verwaltungsrechts im Ersten Teil der Arbeit hat für das Bund-Länder-Verhältnis in großer Zahl kooperative und konfrontative Kompetenzkollisionen verzeichnet. So etwa bei der Beteiligung des Bundesrates an der Verordnungsgebung, bei der Etablierung von Verordnungsermächtigungen des Bundes im Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung, bei bundesgesetzlichen Ermächtigungen zugunsten der in Art. 80 Abs. 1 GG als Delegatar genannten Landesregierungen und bei der in Art. 80 Abs. 4 GG statuierten Einbeziehung der Landesparlamente in den Kreis der Delegatare. In dieser Perspektive zeigt sich die Verfassungsnorm des Art. 80 GG auch als Sicherungs- und Strukturierungsnorm im Bundesstaatsverhältnis. Der Gewährleistungsgehalt für den Bundesstaat als Verfassungsprinzip 716 kommt dabei sowohl in der Bestimmtheitsklausel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und im Feld der Mitwirkungsrechte des Bundesrates nach Art.80 Abs. 2 GG zum Ausdruck, als auch in Art. 80 Abs. 3 GG, der dem Bundesrat ein Vorlagerecht für Bundes-Rechtsverordnungen einräumt, und in den Subdelegationsoptionen des Art. 80 Abs. 4 GG. 717 1. Die Mitwirkung des Bundesrates an der Verordnungsgebung des Bundes Dem Bundesrat kommt in der Verordnungsgebung des Bundes eine durchaus machtvolle Position zu. 718 Diese zeigt sich vor allem in der ausgedehnten Existenz von Zustimmungsvorbehalten, die das Zustandekommen einer Vielzahl von Rechtsverordnungen vom Einverständnis des Bundesrates abhängig machen. 719 In dieser Dominanz des Bundesrates in der Verordnungsgebung spiegeln sich allgemeine Probleme des Bundesstaatsverhältnisses, wie sie auch für die Gesetzgebung gem. Art. 76 Abs. 2 GG festzustellen sind. 720 716 Umfassend zum Bundesstaat als Verfassungsprinzip M. Jestaedt, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 29. 717 Zum Rechtsregime des Art.80 Abs.1 GG als Ausdruck des Bundesstaatsprinzips H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 12; C. Brodersen, in: GedS W. Martens, 1987, S. 57 ff. und Einl., II., 4. Näher zur Subdelegation nachfolgend unter 3. Teil, VI., 3. 718 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 78 ff.; E. Bülow, in: HdbVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 56.; allgemein zur Stellung des Bundesrates in der Verfassungsordnung des Grundgesetz H. Maurer, in: FS Winkler, 1997, S. 615 ff.; Ch. Möllers, in: Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 81 ff.; zu den verfassungsgeschichtliche Bezügen R. Morsey, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, 1974, S.63 ff. 719 R. Scholz, DÖV 1990, S. 455 ff.; detailliert U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 79–84 a; K. Graulich, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen und Rechtsverordnungen, 1983, S.144 ff.; J. Jekewitz, RuP 1993, S.72 ff.; M. Antoni, AöR 114 (1989), S.220 ff. 720 Zu der Ausweitung der Bundesratskompetenzen im allgemeinen Gesetzgebungsverfahren und zu Reformvorschlägen vgl. R. Sannwald, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompe-
VI. Verordnungsfunktionen und Bundesstaatsverhältnis
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Hierzu hat bereits die Untersuchung im Kontext der Beschleunigungs- und Flexibilisierungseffekte im Verhältnis von Gesetz- und Verordnungsgebung 721 gezeigt, dass Art.80 Abs. 2 GG zwar grundsätzlich beachtliche Beteiligungsrechte722 zugunsten des Bundesrates statuiert, 723 diese jedoch von Verfassungs wegen bei weitem nicht an jene im Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG heranreichen. 724 Durch die Vorgabe des Art. 80 Abs. 2 GG, wonach die dortige Regelung nur „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung“ Gültigkeit beansprucht, wird dem einfachen Gesetzgeber eine weitreichende Dispensoption eröffnet. 725 Von dieser Option hat der Gesetzgeber gleichwohl kaum Gebrauch gemacht, sondern vielmehr in umgekehrter Richtung die Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Bundesrates 726 noch über das verfassungsrechtlich geforderte Maß hinaus ausgedehnt.727 Von der in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG eröffneten Option der Delegation an die Landesregierungen, 728 die unmittelbar zum Entfallen der Zustimmungspflicht des Bundesrates führt, wird demgegenüber nur selten Gebrauch gemacht. 729 In dem zögerlichen Gebrauchmachen von den Dispensoptionen, die Art.80 Abs. 2 GG eröffnet, kommt zum Tragen, dass die mit dem Delegationsakt einhergehenden Zuordnungs- und Auswahlentscheidungen des einfachen Gesetzgebers nur in gerintenzen und des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesstaat, 1996; R. Dolzer, in: VVDStRL 55 (1998), S. 7 ff.; M. Möstl, ZG 2003, S. 297 ff.; K. Seidel, ZG 2003, S. 235 ff.; M. Pechstein/ A. Weber, Jura 2003, S. 82 ff.; M. Stehr, Gesetzgebungskompetenzen im Bundesstaat, 2001; zum Föderalismus auf der Ebene der Europäischen Union S. Oeter, in: Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 59 ff. 721 Vgl. 1. Teil, II., 2., 1. 722 Nach H. Maurer, Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2002, Rn. 153 erfasst Art. 80 Abs. 2 GG mit seiner Regelung des wesentlichen Teils der Zuständigkeitsfälle in der Praxis etwa die Hälfte der Rechtsverordnungen des Bundes. Zu den vier Fallgruppen des Art. 80 Abs. 2 GG vgl. die Darstellung bei 1. Teil, II., 2., 1. 723 Hierzu BVerfGE 28, 66 (Postverwaltungsgesetz). 724 1. Teil, II., 2., 1. 725 Von vorneherein nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen Rechtsverordnungen aufgrund von bundesgesetzlichen Delegationen an die Landesregierungen; vgl. J. Ipsen, Staatsrecht I, 15. Aufl. 2003, S. 218. 726 Zu dem verfassungsrechtlichen Problem sogenannter Maßgabebeschlüsse des Bundesrates Ch. Riese, Der Maßgabebeschluss des Bundesrates bei zustimmmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992 sowie R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 51: Derartige Beschlüsse des Bundesrates unter Aufnahme inhaltlicher Änderungswünsche seien verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies ergebe sich insbesondere aus der Vorschrift des Art. 80 Abs. 3 GG, welche auch ein Initiativrecht des Bundesrates für Rechtsverordnungen und mithin einen über die reine Annahme- und Ablehnungsentscheidung hinausgehenden Einfluss auf den Bundesverordnungsgeber einräume. 727 Vgl. die Darstellung unter 1. Teil, II., 2., 1. 728 Allgemein zur Landesregierung als Beteiligter bei bundesgesetzlichen Verordnungsermächtigungen H. Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, 1988, S. 92 f. 729 Die Analyse des Umweltrechts im 1. Teil ergab als häufigsten Fundort für LandesRechtsverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen die Funktion der raumbezogenen Planung, vgl. 1. Teil, II., 4.; dort insbesondere die Aufstellung der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung. 23 Saurer
354 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung gem Umfang einer verfassungsrechtlichen Determinierung unterliegen. 730 In der Literatur wird gelegentlich versucht, den delegierenden Gesetzgeber im Blick auf das Bundesstaatsverhältnis bestimmten Auswahlanleitungen zu unterwerfen. 731 Die verfassungsrechtliche Grundlage für eine derartige Begrenzung des gesetzgeberischen Auswahlermessens bei der Bestimmung des Ermächtigungsadressaten wird als „Gebot funktionsgerechter und organadäquater Aufgabenerfüllung“ der Nachrüstungs-Entscheidung in BVerfGE 68, 1, 86 entnommen. 732 Nach Thomas von Danwitz sollen demzufolge Ermächtigungen an Landesregierungen wegen Verstoßes gegen das Gebot funktionsgerechter Aufgabenzuordnungen unzulässig sein, wenn eine Materie bundeseinheitliche Normierungen erfordert. 733 Umgekehrt legt Michael Nierhaus dar, der Bundesgesetzgeber habe an die Landesregierungen zu delegieren, wenn ein landesspezifischer Gesetzesvollzug angemessen sei und Gründe der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse nicht entgegenstünden. 734 Jedoch kollidiert das Abstellen auf das Kriterium der Nicht-Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung als Voraussetzung für die Delegation an die Landesregierungen mit der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen. Denn ist diese Voraussetzung erfüllt, so drohen wenigstens im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu entfallen, 735 deren Vorliegen seinerseits Voraussetzung für die rechtmäßige Sta730 Eingehend hierzu der 2. Teil, I.–III.; danach beschränkt das Grundgesetz die Vorgaben an den delegierenden Gesetzgeber auf die Vorgabe von zwei Primärfunktionen, die mit jeder verfassungsgemäßen Delegation an den Verordnungsgeber verbunden sind: Die Entlastung des Parlaments und die dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts. Alle darüber hinausgehenden Funktionszuordnungen liegen in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, soweit dieser sich im Rahmen der allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben hält. 731 Vgl. T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 79; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 79. 732 T. v. Danwitz, ebd.; M. Nierhaus, ebd.; zur Bedeutung der Entscheidung BVerfGE 68, 1 bereits 2. Teil, I., 1. u. 2. sowie 3. Teil, V., 3., b). 733 T. v. Danwitz, ebd. unter Berufung auf D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. V 1 b), S. 1923. Zu weiteren Fallgruppen der Begrenzung des gesetzgeberischen Auswahlermessens bei der Bestimmung des Ermächtigungsadressaten durch das „Gebot funktionsgerechter und organadäquater Aufgabenerfüllung“ T. v.Danwitz, ebd.: Ermessensfehlerhaft seien auch Ermächtigungen zur Regelung politisch besonders bedeutsamer Fragen durch einzelne Bundesminister; die Berücksichtigung funktionsgerechter Entscheidungsträgerschaft mache vielmehr eine Kollegialentscheidung der Regierung notwendig (2). Auch lasse sich umgekehrt eine Beschäftigung der Bundesregierung mit rein technischen bzw. eher peripheren Entscheidungsgegenständen mit dem Gebot der Organadäquanz der Aufgabenzuordnung nicht in Einklang bringen (3). 734 M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 79; dabei bleibt offen, inwieweit Nierhaus hierin ein verfassungsrechtlich zwingendes Postulat oder nur eine rechtspolitische Maxime erblickt. 735 Die Gegenläufigkeit der grundgesetzlichen Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen wurde deutlich verstärkt durch die Neuregelungen der Verfassungsreform Anfang der 1990er Jahre; diese sind den Erörterungen in der Arbeit von T. v. Danwitz (1989) zeitlich nachgelagert. Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 2 GG hat in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Aufwertung erfahren, vgl. BVerfGE 106, 62 (Altenpflege) sowie
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tuierung einer Verordnungsermächtigung ist. 736 Einmal mehr zeigt sich, dass sich die Maximen einer „funktionsgerechten“ und „organadäquaten“ Struktur und Aufgabenverteilung des Staatshandelns nur auf der Ebene der Rechtspolitik, nicht aber als verfassungsrechtliche Verpflichtungen aktualisieren lassen. 737
2. Die Verdrängung von Landeskompetenzen durch Rechtsverordnungen des Bundes In dem extensiven Gebrauchmachen von verordnungsspezifischen Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Bundesrates ist vor allem auch ein Versuch der Länder zu erblicken, die vielfachen Kompetenzverluste auf der Ebene der originären Landesgesetzgebung auszugleichen. 738 Insoweit ergeben sich deutliche Parallelen zur Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im Verhältnis von Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen gem. Art. 77 Abs. 3 GG. 739 a) Der Verlust von Gesetzgebungskompetenzen der Länder als Element der Verfassungsentwicklung Die Kompetenzen der Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung haben im Verlaufe der Verfassungsentwicklung unter dem Grundgesetz immer weitere Einbußen erfahren. 740 Die reale Verteilung im Bund/Länder-Verhältnis hat sich zunehmend von der ursprünglichen Differierung im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes entdie Entscheidung des BVerfG vom 16.3.2004, 1 BvR 1778/01 (Kampfhunde), Umdruck, Randzeichen 113 ff. zur (Un-)Vereinbarkeit der Norm des § 143 Abs. 1 StGB mit den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG. 736 Auch gegenüber dem Aspekt des Vorliegens „politisch bedeutsamer Fragen“ erheben sich gegenläufige Verfassungsprinzipien. Dieses Kriterium erscheint allzu eng mit jenen Aspekten verknüpft, die regelmäßig angeführt werden, um aus dem Demokratieprinzip heraus den Vorbehalt einer parlamentarischen Entscheidung zu begründen. In ähnlicher Weise gilt dies auch gegenüber der Auslagerung peripherer Entscheidungsgegenstände in die Verordnungsgebung der einzelnen Bundesministerien. Diese Fallgruppe erscheint gewissermaßen als Kehrseite der vorgenannten Fallgruppe der Zuordnung „politisch bedeutsamer Fragen an die Bundesregierung“ und teilt insoweit die gegenüber dieser vorgetragenen Bedenken. 737 Hierzu bereits eingehend im Rahmen der Untersuchung potentieller Rechtswirkungskonvergenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften, vgl. 3. Teil, V., 3., b). 738 Aus der Literatur zum Problem des rechtlichen und politischen Ausgleichs schwindender Kompetenzen der Länder und insbesondere der Landesparlamente durch den extensiven Einsatz von Rechtspositionen des Bundesrates J. Jekewitz, RuP 2003, S. 89 ff.; R. Wassermann, NJW 2003, S. 332, 332 f. 739 Vgl. J. Kokott, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 77, Rn. 30: Entgegen der verfassungsrechtlichen Anordnung des Einspruchsgesetzes als Regelfall ergingen in der Praxis mehr als die Hälfte der Gesetze als Zustimmungsgesetze. 740 Hierzu H. Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, 1988, insbes. S. 76 ff. 23*
356 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung fernt: Nach der Grundregel der Kompetenzverteilung in Art. 70 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz die entsprechende Gesetzgebungskompetenz nicht ausdrücklich dem Bund zuweist. Am Beispiel des Umweltrechts, dessen eigentliche Entfaltung als eigenständiges Rechtsgebiet lange nach Inkrafttreten des Grundgesetzes einsetzte, lässt sich der Verlust von Gesetzgebungskompetenzen zugunsten des Bundes und zulasten der Länder exemplarisch nachvollziehen. 741 Die mit den 1970er Jahren einsetzende Entfaltung der Umweltpolitik zu einem wesentlichen Betätigungsfeld des Staatshandelns begegnete einer verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung, die umweltpolitischen Aktivitäten auf der Ebene des Bundes nicht entgegenkam. 742 Da die Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 nur rudimentäre Aussagen zu umweltrelevanten Kompetenzen trifft, 743 lagen die Gesetzgebungskompetenzen für das Umweltrecht zunächst weitestgehend bei den Ländern. Das Umweltrecht entfaltete sich aber keineswegs entsprechend dieser Ausgangslage als Materie des Landesrechts. Vielmehr wurde der überwiegende Teil der Umweltgesetze als Bundesgesetze erlassen. Verschiedentlich wurden hierzu Gesetzgebungskompetenzen neu geschaffen, so etwa in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG für Abfallbeseitigung, 744 die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung 745 oder in Art. 76 Abs. 1 Nr. 26 GG für das Gentechnikrecht. 746 In anderen Fällen 747 wurden neue Umweltgesetze auf eine „Zusammenschau“ verschiedener 741 Allgemein zum Problem Ch. Fischer, Zur Herleitung von Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz, 2001. 742 Zu der entscheidenden Bedeutung des Umweltprogramms der Bundesregierung von 21. September 1971, BT-Drs. VI/2710 für die Entwicklung der Umweltpolitik und des Umweltrechts in Deutschland M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 98 mit Fn. 492. 743 Statuiert waren lediglich die Rahmenkompetenzen für bundesrechtliche Regelungen des Naturschutzes und der Landschaftspflege, Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG sowie auf den Gebieten der Bodenverteilung, der Raumordnung und des Wasserhaushaltes, Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG; 1959 war hinzugekommen eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für atomrechtliche Regelungen, Art. 74 Nr. 11 a GG, näher P. Kunig, in: von Münch/ders., GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 74, Rn. 55 ff. 744 Auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG für die Abfallbeseitigung ergingen die Abfallgesetze 1972, 1986 und das KrW-/AbfG 1996. Hierzu L. Diederichsen, BayVBl. 1996, S. 649 ff. und im 1. Teil, II., 1., b, (3). 745 Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG wurde eingefügt durch das 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 14.4.1972, BGBl. I 593; hierzu M. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern, 2003, S. 302; vgl. auch die Darstellung im 1. Teil, II., 6. 746 Art. 76 Abs. 1 Nr. 26 GG verleiht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für „die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben“. Hierin sieht die überwiegende Meinung in der Literatur sowohl eine Gesetzgebungskompetenz für die Humangenetik als auch für die Umweltgentechnik, vgl. etwa R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 389 mit Fn. 497; teilweise wird jedoch auch vertreten Art. 76 Abs. 1 Nr. 26 GG erfasse nur die Humangenetik, näher M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 16, Rn. 12. 747 Vgl. zu weitergehenden Forderungen nach einer Fortentwicklung der bestehenden umweltrelevanten Rahmengesetzgebungskompetenzen die Rede von Bundesumweltminister
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tradierter Gesetzgebungskompetenzen gestützt, so insbesondere das Bundes-Bodenschutzgesetz. 748
b) Blockade und Einengung von Länderkompetenzen durch Bundes-Rechtsverordnungen An den vorhergehend festgestellten Verlusten im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen der Länder haben auch Verordnungsermächtigungen und Rechtsverordnungen des Bundes großen Anteil. Dies betrifft sowohl den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 GG als auch jenen der Rahmengesetzgebung gem. Art. 75 GG. Für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gilt die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG: Danach haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. 749 Die Blockade des Landesgesetzgebers wird nicht nur durch bundesgesetzliche „Vollregelungen“, sondern grundsätzlich ebenso durch bundesgesetzliche Verordnungsermächtigungen herbeigeführt. 750 Die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG tritt dabei auch dann ein, wenn sich die bundesgesetzliche Verordnungsermächtigung an die Landesregierung richtet. Denn die Verordnungsgebung der Landesregierung beruht dann auf der Wahrnehmung von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. 751 Zudem unterliegt die Landesregierung in diesen Fällen der durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorgegebenen inhaltlichen Bindung an die Bundesgesetze. Aus dem Blickwinkel der Analyse gesetzgeberischer Funktionszuordnungen zum Normtyp der Rechtsverordnung lässt sich dementsprechend festhalten: Je weitreichender und ausdifferenzierter die bundesgesetzlichen Funktionszuordnungen zur J. Trittin auf dem Deutschen Naturschutztag am 25.5.2004 in Potsdam, Umdruck, S.2 mit der Forderung nach einem „einheitlichen ‚Kompetenztitel Umwelt‘ in der konkurrierenden Gesetzgebung“ sowie SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 107 unter Verweis auf die Erfordernisse bei der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben: Erforderlich sei eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in den Bereichen Naturschutz, Landschaftspflege und Wasserhaushalt. Zu prüfen sei die Einführung der Bundesauftragsverwaltung für Teile dieser Regelungsbereiche. 748 Zu verschiedenen Herleitungen möglicher Gesetzgebungskompetenzen für das BundesBodenschutzgesetz vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, Rn. 58–60 sowie F.-J. Peine, in: Fluck, KrW-/AbfG IV, Stand: 2004, Einl. BBodSchG, Rn.6 ff., 14. 749 Die Worte „durch Gesetz“ wurden im Rahmen der im Oktober 1994 beschlossenen Grundgesetzreform in Art. 72 Abs. 1 GG eingefügt und sollten der ausgreifenden faktischen Ausdehnung der Kompetenzen des Bundes entgegenwirken, hierzu M. Böhm, DÖV 1998, S. 234, 234 f. 750 P. Schütz, NVwZ 1996, S. 37, 40; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GGK, 10. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 28: „In der Rangordnung der Bundesstaatlichkeit gehen Rechtsverordnungen des Bundes grundsätzlich jedem Landesrecht, auch der Landesverfassung, vor.“ 751 Hierzu S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 72, Rn. 74 ff.
358 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Rechtsverordnung ausfallen, desto weitgehender kommt es zur Blockade von Gesetzgebungskompetenzen der Länder. Dabei gehört eine Rechtsverordnung, die die Landesregierung auf bundesrechtlicher Grundlage erlässt, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 752 dem Landesrecht an und stellt kein (territorial beschränktes) Bundesrecht dar. 753 In einer Vielzahl von praktisch höchst relevanten Fällen stellt sich die Frage, ob die Sperrwirkung des Art.72 Abs. 1 GG bereits mit der Statuierung der Verordnungsermächtigung einhergeht, oder ob dies voraussetzt, dass von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht worden ist. Nach der im Ersten Teil dargelegten Untersuchung des Referenzgebiets des Umweltrechts bleiben viele bundesgesetzliche Verordnungsermächtigungen über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg unausgefüllt, so etwa jene des § 43 BImSchG 754 oder des § 5 Abs. 2 BImSchG a. F. 755 Die UntersuBVerfGE 18, 407. So aber D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. II 1 a. 754 Die Verordnungsermächtigung des § 43 BImSchG, welche zum Erlass der zur Durchführung des § 41 BImSchG erforderlichen Rechtsverordnungen ermächtigt, wurde trotz dringender Notwendigkeit zum Vollzug der Normen, den auch die Rechtsprechung nachdrücklich betont hatte (BVerwGE 61, 295, 298 und 300; teilweise korrigierend BVerwGE 71, 150, 154 und BVerwGE 77, 285, 287), jahrelang nicht genutzt; vgl. den Beschluss des BVerfG vom 30.11.1988, BVerfGE 79, 174, 197 (Anlieger-Lärmschutz), welcher feststellt: Die Arbeiten an dem 1974 erstellten Referentenentwurf einer Straßenlärmschutzverordnung seien aufgegeben worden. Zum Problem auch J. Kersten, BayVBl. 1987, S. 641 ff. Erst 16 Jahre nach Erlass des Gesetzes wurde die Verordnungsermächtigung des § 43 VwGO schließlich ausgeschöpft durch Erlass der 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung) vom 12.6.1990, BGBl. I 1036. Vgl. hierzu H. Sendler, UPR 2002, S. 281, 284 sowie dens., in: FS Weyreuther, 1993, S. 3, 10 ff.; E. Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, S. 275 führt das Beispiel der Großfeuerungsanlagen-Verordnung an, die erst sechs Jahre nach der grundsätzlichen Kabinettsentscheidung beschlossen worden sei. Nach M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, S. 28 benötigen Änderungen der TA Luft sechs bzw. neun Jahre, weswegen Kloepfer skeptisch ist gegenüber einem möglichen Zeitgewinn; ähnlich Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105, 109. Ähnliche Probleme beim DIN-Normsetzungsverfahren werden dargestellt bei V. Eichener/H. Voelzkow, Umweltinteressen in der verbandlichen Techniksteuerung, 1991, S. 66. Demgegenüber zur mitunter erhebliche Dauer bei der Erarbeitung von Rechtsverordnungen SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 388–393 zu den seit 1991 geplanten Verordnungen zur Ausgestaltung des Abfallgesetzes, hierzu auch C. Leitzke, UPR 1996, S. 177, 181 mit Fn. 39. 755 Das 2. Änderungsgesetz zum Bundesimmissionsschutzgesetz enthielt neben der Verstärkung der Vorsorge-Sanierung mit der Einführung des Reststoffvermeidungs- und Abwärmenutzungsgebots in den §§ 5 Nr. 3 und 4 BImSchG auch eine Ausdehnung der materiellen Vorsorgepflichten. § 5 Nr. 3 BImSchG wurde erweitert um die Pflicht, Reststoffe zu vermeiden. In der Umsetzung der neu eingeführten Grundpflicht des § 5 Nr. 4 BImSchG sollten die Betreiber bestimmter genehmigungsbedürftiger Anlagen zur Abwärmenutzung verpflichtet werden, wozu eigens die Verordnungsermächtigung des § 5 Abs. 2 BImSchG geschaffen wurde. Die hierauf zu stützende Rechtsverordnung war also konstitutiv für die Umsetzung der neuen vierten Grundpflicht, so dezidiert G. Feldhaus, UPR 1985, S.385, 387 – und wurde dennoch nie erlassen. Nachdem anstelle der Abwärmenutzungsverordnung mehrfach Absprachen mit der Industrie erfolgt waren wurde die Ermächtigung des §5 Abs.2 BImSchG schließlich aufgehoben, ders., ebd. 752 753
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chung der Funktionszuordnungen im Kontext des staatlichen Instrumentenwandels hatten gezeigt, dass bisweilen bereits bei Statuierung der Verordnungsermächtigung die strategische Zielsetzung dahin geht, von der Ermächtigung nur bei Fehlschlagen des primär verfolgten Regelungsmodus Gebrauch machen zu wollen. 756 Nur wenige Normen enthalten explizite Regelungen des Problems, so etwa § 23 Abs. 2 BImSchG 757 oder § 5 S. 2 BBodSchG. 758 In ähnlicher Weise statuiert der Kommissionsentwurf zu einem Umweltgesetzbuch aus dem Jahr 1998 in § 15 Abs. 4 UGB-KomE (Allgemeiner Teil): „Solange und soweit die Bundesregierung oder ein Bundesministerium von einer Ermächtigung nach diesem Gesetzbuch keinen Gebrauch macht, können die Länder entsprechende Regelungen treffen, wenn der Bundesgesetzgeber keine abweichende Regelung trifft.“ 759 Aus den genannten Vorschriften lassen sich kaum Schlussfolgerungen für die allgemeine rechtliche Bewertung des Problems der Sperrwirkung unausgefüllter Verordnungsermächtigungen treffen. In der Literatur werden § 23 Abs. 2 BImSchG und § 5 S. 2 BBodSchG sowohl für 760 als auch gegen 761 eine allgemeine Relativierung der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG geltend gemacht. Über diesen Aspekt hinaus wird die Frage, ob die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG bereits mit der Statuierung der Verordnungsermächtigung einhergeht, oder ob dies voraussetzt, dass von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht worden ist, in der Rechtwissenschaft kontrovers diskutiert. 762 Nach einem Teil der Literatur tritt eine Sperrwirkung zu Lasten der Landesgesetzgebung unabhängig davon ein, ob der Verordnungsgeber von der Verordnungs-
756 Vgl. etwa die am Beispiel des Abfallrechts dargelegten Fälle, in denen der „kooperierende Staat“ die Drohung mit dem Verordnungserlass einsetzt, um seine Verhandlungsposition gegenüber den Kooperationspartnern aus der Industrie zu verbessern; näher 1. Teil, II., 5., b), (4). 757 § 23 Abs. 2 BImSchG: „Soweit die Bundesregierung von der Ermächtigung keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen ermächtigt durch Rechtsverordnung Vorschriften im Sinne des Absatzes 1 zu erlassen. Die Landesregierungen können die Ermächtigungen auf eine oder mehrere oberste Landesbehörden übertragen.“ 758 § 5 S. 2 BBodSchG: „Bis zum Inkrafttreten einer Rechtsverordnung nach S. 1 können durch die nach Landesrecht zuständige Behörde im Einzelfall gegenüber den nach Satz 1 Verpflichteten Anordnungen zur Entsiegelung getroffen werden, wenn die in Satz 1 im übrigen genannten Voraussetzungen vorliegen.“ 759 BMU (Hrsg.), UGB-KomE 1998, S. 114 sowie die Begründung aaO S. 474; Kritik zu dieser Regelung bei D. Frank, Umweltrecht und Wirtschaft, 2000, S. 355. 760 H. Sendler, UPR 2002, S. 281, 281 mit Fn. 4. 761 Vgl. P. Unruh/J. Strohmeyer, BayVBl. 1999, S. 609, 611 und T. Stohlmeier, Die Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG, 1989, S. 58. 762 Vgl. H. Sendler, UPR 2002, S. 281 ff.; P. Unruh/J. Strohmeyer, BayVBl. 1999, S. 609 ff.; M. Böhm, DÖV 1998, S. 234 ff.; M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer III, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 9 f., L. Diederichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 189 ff.
360 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung ermächtigung Gebrauch macht. 763 Demgegenüber geht die Mehrzahl der Autoren davon aus, dass die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG wenigstens unter gewissen Umständen einzuschränken sei. 764 Eine ältere Auffassung vertritt unter Verweis auf ein allgemeines, bereits unter der Weimarer Reichsverfassung anerkanntes „Verbot negativer Sperrgesetze“, dass eine unausgefüllte Verordnungsermächtigung in keinem Fall eine Sperrwirkung entfalten könne und die Länder dementsprechend nicht gehindert seien, in vollem Umfang und aus ihrer originären Gesetzgebungskompetenz eigene Regelungen zu erlassen. 765 Michael Bothe führt für eine Relativierung der Sperrwirkung an, Sinn und Zweck des Art. 72 GG bestehe darin, die Effektivität einer Bundesregelung zu sichern, nicht aber „notwendiges Staatshandeln längerfristig zu blockieren“. 766 Andere stellen wesentlich auf den Grundsatz der Bundestreue ab, der verletzt sei, wenn der Bund die Länder durch nicht ausgefüllte Verordnungsermächtigungen an die Bundesregierung von einer eigenen materiellen Regelung aussperrt, ohne zugleich eine materiell gehaltvolle Normierung herbeizuführen. 767 Weiterhin wird vorgeschlagen, den der jeweiligen Verordnungsermächtigung zu entnehmenden Willen des Bundesgesetzgebers als entscheidendes Kriterium anzusehen: Im Zweifel sei anzunehmen, dass der Bundesgesetzgeber keinen Raum mehr für neues Landesrecht lassen wolle, damit der Verordnungsgeber nicht in seiner Entscheidungsfreiheit darüber eingeschränkt werde, ob und zu welchem Zeitpunkt er die Verordnung erlasse. 768 Monika Böhm unterstreicht die Bedeutung der Neufassung des Art. 72 Abs. 1 GG durch die Verfassungsreform des Jahres 1994. Nach der Neufassung sei das Vorliegen einer inhaltlichen Sperrwirkung enger auszulegen und zwar dahingehend, dass bloße Verordnungsermächtigungen Regelungen der Länder grundsätzlich nicht entgegenste-
763 Ch. Degenhart, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 72, Rn. 19; K.-P. Dolde/A. Vetter, NVwZ 1995, S. 943, 944 f.; ähnlich auch im Blick auf die Ermächtigungen in § 12 Abs. 1 KrW-/AbfG S. Paetow, in: FS Blümel, 1999, S. 403, 409 f.; wohl auch M. Brenner, BayVBl. 1992, S. 70, 73. 764 H. Sendler, UPR 2002, S. 281, 281 mit Fn. 4; P. Unruh/J. Strohmeyer, BayVBl. 1999, S. 609, 610 f., 614 f.; S. Tomerius, ZG 2000, S. 247, 268; M. Böhm, DÖV 1998, S. 234 ff.; G. Lübbe-Wolff, Symbolische Umweltpolitik, 2000, S. 51; T. Stohlmeier, Die Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG, 1989, S. 58. 765 H.-J. Fonk, DÖV 1958, S. 20, 22 ff., 24; R. Zippelius, NJW 1958, S. 445, 448. 766 M. Bothe, NVwZ 1987, S. 938, 945. Auch könne sich eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Länder zum vorgreiflichen Tätigwerden ergeben, wenn die Nichtausfüllung von Verordnungsermächtigungen zu einer Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten führe, ders., ebd. 767 P. Unruh/J. Strohmeyer, BayVBl. 1999, S. 609, 615: Rechtsfolge aus einem derartigen Verstoß gegen die Bundestreue sei der „Wegfall der Ländersperre nach Ablauf einer angemessenen Frist“. Die Dauer dieser Frist lasse sich nicht abstrakt bestimmen, sondern hänge vom Einzelfall, insbesondere von der Art der geregelten Materien und der Dringlichkeit der Verordnung für den Vollzug des Gesetzes ab. Ähnlich F. Ossenbühl, DVBl. 1996, S. 19, 21. 768 Vgl. dazu J. Fluck, in: ders., KrW-/AbfG I, Stand: 2004, § 7, Rn. 55; Ch. Klages, Vermeidungs- und Verwertungsgebote als Prinzipien des Abfallrechts, 1991, S. 33.
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hen und erst die sie ausfüllenden Bundesrechtsverordnungen Sperrwirkung entfalten. 769 Die hier vorgetragenen Auffassungen zugunsten einer Relativierung der Sperrwirkung vermögen vor allem deshalb zu überzeugen, weil sie den Grundgedanken der Art. 70 ff. GG aufgreifen, nach welchem das Vorliegen einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes am Maßstab des Grundgesetzes zu rechtfertigen ist und nicht umgekehrt eine solche der Länder. 770 Auch kommt die Intention der Verfassungsreform von 1994 hier zutreffend zum Ausdruck, 771 die mit der Neufassung von Art. 72 Abs. 1 GG und insbesondere auch Art. 72 Abs. 2 GG auf eine spürbare Erhöhung der Hürden für die Annahme einer Bundeskompetenz abzielt. 772 Dennoch wird man nicht pauschal den Eintritt der Sperrwirkung auf den Zeitpunkt des Verordnungserlasses festlegen können, da dies der grundsätzlichen Erfassung auch der Verordnungsermächtigung durch Art. 72 Abs. 1 GG dezidiert entgegenstünde. Vielmehr wird nach der diesbezüglichen ratio des ermächtigenden Gesetzes zu fragen sein. Zu erwägen ist, ob sich das Entstammen der Verordnungsermächtigung aus dem Bereich der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen für die Entscheidung über die Reichweite fruchtbar machen lässt, etwa dahin, dass im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen die Sperrwirkung nur unter besonderen Ausnahmeumständen einzuschränken ist; schließlich ist hier die Gefahr nicht gegeben, dass die Statuierung einer Verordnungsermächtigung auf die Blockade dann gesperrter Landeskompetenzen gerichtet ist. 773 Ein weiterer Strang verfassungsrechtlicher Sperrwirkungen von Bundes-Rechtsverordnungen gegenüber der Landesgesetzgebung wird durch Art. 31 GG begründet („Bundesrecht bricht Landesrecht“). 774 Auch die Frage des Außerkrafttretens einer
M. Böhm, DÖV 1998, S. 234, 239. Das Ziel der „Sicherung eines hinreichenden Ausmaßes an exekutiver Rechtsetzung“ als Ausgangspunkt von de lege ferenda-Überlegungen zu einer Verordnungskompetenz der Länder solange und soweit der Bund von einer vorhandenen gesetzlichen Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat betont P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S.157, 162. 771 Vgl. R. Sannwald, ZG 1994, S. 134 ff. 772 Hierzu die neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Justiziabilität des Art.72 Abs. 2 GG in BVerfGE 106, 62 (Altenpflege) und BVerfG, NVwZ 2004, 597 (Kampfhund). 773 Vgl. zum Ganzen die Darstellung bei S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 72, Rn. 74 ff. 774 Zum Verhältnis von Art. 72 Abs. 1 GG und Art. 31 GG im Hinblick auf die Verdrängung von Landesrecht durch Rechtsverordnungen des Bundes Ch. Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein, GGK VIII, 3. Aufl. 1996, Art. 72, Rn. 72: Zu unterscheiden seien Sperrwirkungen nach Art.72 Abs. 1 und Art. 31 GG. Die erste Sperrwirkung werde von der Verordnungsermächtigung regelmäßig sofort ausgelöst; die zweite je nach konkretem Fall. Zu differenzieren sei weiterhin, was die Sperrwirkung nach Art. 31 GG anlangt, je nach den konkreten Vorstellungen des Bundesgesetzgebers und Umständen der Regelungssituation. 769 770
362 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Rechtsverordnung beim Fortfall der sie tragenden Ermächtigungsnorm hat Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bereits beschäftigt.775 Im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenzen gem. Art. 75 GG bewirken Rechtsverordnungen des Bundes eine Einengung des den Ländern zu deren Ausgestaltung überlassenen Regelungsbereichs. Dieses Problem stellt sich entsprechend der Festlegungen des Art. 75 GG etwa bei der Verordnungsgebung im Bereich von Naturschutzrecht, Wasserrecht und Raumordnungsrecht. 776 Verschärft wird die Bedrohung der Länderkompetenzen durch Bundes-Rechtsverordnungen im Bereich des Art. 75 GG durch das Europarecht. 777 Hierzu führt Rüdiger Breuer mit Blick auf das Wasserrecht aus, die Verordnungsermächtigung des § 6 a WHG 778 laufe darauf hinaus, die Landesgesetzgebungskompetenz zur Ausfüllung des Wasserhaushaltsgesetzes weitgehend „auszuhebeln“. 779 In der Literatur ist dementsprechend die Frage aufgeworfen worden, ob die Art. 75 GG zu entnehmende „Begrenzung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Regelungsdichte, -ausmaß und -intensität“ dazu führe, dass die auf Detailregelungen ausgerichtete Normierungstechnik der Verordnungsgebung im Bereich der Rahmengesetzgebung ausgeschlossen sei. 780 Andere verweisen auf den mit der Verfassungsreform 1994 781 neu geschaffenen Art. 75 Abs. 2 GG, der dem Bund nur „in Ausnahmefällen“ eine Vollregelung gestatte. 782 Da der Erlass von Rechtsverordnungen typischerweise auf die Normierung komplizierter Einzelregelungen ziele, die als Aus- und Durchführungsvorschriften den Charakter von Vollregelungen haben, sei für die Verfassungsmäßigkeit einer entsprechenden Verordnungsermächtigung der Nachweis des Vorliegens eines Ausnahmefalls in Form des Vorliegens eines „besonders gewichtigen Interesses an bundesstaatlicher Einheitlichkeit“ zu erbringen. 783 Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit, trotz lediglich bestehender Rahmenkompetenz des Bundesgesetzgebers abschließende Vollregelungen mit un775 Hierzu M. Kotulla, NVwZ 2000, S. 1263 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 13, Rn. 7. 776 Vgl. 1. Teil, IV. 777 Näher E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff. 778 Vgl. zum Normtext des § 6 a WHG und näheren Analysen im 1. Teil, III., 1., b), (2) sowie 3. Teil, I., 1. 779 R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 221 ff., bezugnehmend auf eine eigene Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörung zur 6. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes im September 1995. 780 So etwa Schöbel, BayVBl. 1983, S. 321, 322. 781 42. Änderungsgesetz zum Grundgesetz, BGBl. I 1994, 3146. 782 Zu den in der Folge der Neufassung des Art. 75 GG auftretenden Rechtsfragen im Bund-/Länderverhältnis unter besonderer Berücksichtigung der Inkorporation des EG-Rechts E. Rehbinder/R. Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff. 783 M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 91; ähnlich R. Breuer, ZfW 1999, S. 220, 222: Ein umfassendes, in die Einzelheiten gehendes Exekutivrecht in Gestalt von Rechtsverordnungen der Bundesregierung stehe mit der Regelung des Art.75 Abs.2 GG in der Fassung der Verfassungsreform 1994 zumindest tendenziell im Widerspruch.
VI. Verordnungsfunktionen und Bundesstaatsverhältnis
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mittelbarer Rechtswirkung zu treffen, unter der Verfassungslage vor der Reform von 1994 in ständiger Rechtsprechung anerkannt. 784 Geknüpft wurde diese Regelungsoption des Bundesgesetzgebers an das Vorliegen eines legitimen Interesses an Bundeseinheitlichkeit und einer quantitativen Beschränkung der Vollregelungen, so dass die Ausfüllungsbedürftigkeit des Gesetzes – als Ganzes gesehen – und der für die Rahmenkompetenz charakteristische Spielraum des Landesgesetzgebers gewahrt sei. 785 Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich von der grundsätzlichen Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auch auf die Rechtslage nach der Verfassungsreform von 1994 ausgehen, denn deren Maßgabe des Vorliegens eines Ausnahmefalls war in Form des Erfordernisses des „legitimen Interesses“ und der quantitativen Beschränkung der Vollregelung in der bisherigen Verfassungsrechtsprechung bereits angelegt. 786 Aus verfassungspolitischer Sicht ist dies hinnehmbar, denn insbesondere in Fällen der europarechtlichen Vorprägungen erscheinen auch verordnungsrechtliche Vollregelungen des Bundes gelegentlich unvermeidlich, wenn nicht weitere Rückschritte in der nationalen Umsetzung europäischer Vorgaben hingenommen werden sollen. 787 3. Die Beteiligung der Landesparlamente im Bereich der Verordnungsgebung des Bundes als Ausdruck funktionaler Äquivalenzen Nach der Regelung des Art. 80 Abs. 4 GG kann eine bundesgesetzliche Verordnungsermächtigung an eine Landesregierung nicht nur durch landesrechtliche Rechtsverordnung sondern auch durch ein Landesgesetz umgesetzt werden.788 Die Neuregelung stellt eine Antwort auf den doppelten Misstand dar, nach welchem sich einerseits das Gewicht der Gesetzgebung von den Ländern auf den Bund verschiebt und andererseits die Landesparlamente zugunsten der Landesregierungen an Bedeutung einbüßen. 789 Ob diese Zielsetzung mit der Neufassung zu erreichen ist, wird in 784 BVerfGE 67, 382, 387; 66, 291, 307; 66, 270, 285; 65, 1, 63; 43, 291, 343; hierzu und zum Folgenden die Darstellung bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 75. 785 BVerfGE 67, 382, 387; 43, 291, 343. 786 Gleichwohl ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht für den mit der Verfassungsreform 1994 neu gefassten Bereich des Art. 72 Abs. 2 GG recht strenge Maßstäbe vorgegeben hat, insbesondere durch die Feststellung dessen voller Justiziabilität in der Altenpflegeentscheidung BVerfGE 106, 62. 787 Vgl. zu Folgeproblemen der europarechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik zur Richtlinienumsetzung in Fällen, in denen nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung nur die Länder einen europarechtskonformen Zustand herbeiführen können und zu Lösungsansätzen mittels der Steuerungsmedien Recht, Hierachie und Geld A. Fisahn, DÖV 2002, S. 239 ff. 788 Vgl. aus der Literatur zu Art.80 Abs.4 GG S. Dette/T. Burfeind, ZG 1998, S.257 ff.; J. Jekewitz, RuP 1993, S. 72 ff.; S. Jutzi, ZG 1999, S. 239 ff.; H. Maurer, in: FS W. Leisner, 1999, S. 583 ff.; P. Schütz, NVwZ 1996, S. 37 ff.; E. Wagner/L. Brocker, NVwZ 1997, S. 759 ff. 789 BT-Drs. 12/6000, S. 38.
364 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung der Literatur mit guten Gründen angezweifelt. Angeführt wird insbesondere das Fehlen eines „echten Legislativspielraums“. 790 Es stehe zu befürchten, dass der Landesgesetzgeber immer stärker in die Rolle eines „Gesetzgebers zweiter Klasse“ gedrängt werde, dem eigentliche Legislativfunktionen nur noch in begrenztem Umfang zukommen. 791 Für die Frage der Annäherung staatlicher Rechtsetzungsformen ist von besonderem Interesse, dass Art. 80 Abs. 4 GG die Frage der Rechtsformwahl in das Ermessen des Landesgesetzgebers legt. Denn ein Zwang zur Ausfüllung durch Landesgesetz besteht nicht, insbesondere nicht bei von der Wesentlichkeitstheorie erfassten Aspekten, denn diese sind auf der Ebene des ermächtigenden Bundesgesetzes zu entscheiden. 792 Nach dem Grundgesetz ist es demnach innerhalb des von Art. 80 Abs. 4 GG erfassten Ausschnitts unerheblich, ob eine Regelung in Form von Gesetz und Rechtsverordnung ergeht. 793 Das Grundgesetz geht also in Art. 80 Abs. 4 GG von einer wenigstens partiell und auf der Ebene des Landesrechts gegebenen funktionalen Äquivalenz von Gesetz und Rechtsverordnung aus. 794 In der Literatur wird gegen dieses Konzept zum einen geltend gemacht, dieses stehe der grundgesetzlichen Rechtfertigung der Rechtsetzungsdelegation als Entlastung der Legislative und Möglichkeit der schnellen und flexiblen Reaktion auf sich ändernde Verhältnisse wenigstens bezüglich des letztgenannten Merkmals entgegen. 795 Zum anderen wird beanstandet, dass Gesetz- und Verordnungsgebung nicht mehr klar auseinanderzuhalten seien, wodurch das Gebot hinreichender Rechtsklarheit bedroht sei. 796 Die Beteiligung der Landesparlamente über die Regelung des Art. 80 Abs. 4 GG sei ungeeignet zur Kompensation der mit der Statuierung bundesgesetzlicher Verordnungsermächtigungen einhergehenden Kompetenzverluste. Die Gesetzgebungskompetenz, die den Ländern dadurch verloren gehe, könne durch die 790 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 91; kritisch auch M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 837; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GGK, 10. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 112 zur Frage, inwieweit es zur „Degradierung des Landesgesetzgebers zum bloßen Ausführungsorgans des Bundesgesetzgebers“ kommt; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 50; C. Brodersen, in: GedS W. Martens, 1987, S. 57, 72; a. A. E. Wagner/L. Brocker, NVwZ 1997, S. 759 ff. 791 U. Ramsauer, ebd. 792 Zum Nachweis vgl. U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art.80, Rn. 89, tendenziell anderer Ansicht R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GGK, 10. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 113: In bestimmten Ausnahmefällen könne die Befugnis des Landesgesetzgebers zu einer Pflicht zur Inanspruchnahme der Verordnungsermächtigung erstarken. 793 Zur funktionalen Gleichsetzung der Verordnungsgebung des Bundes und der Ausfüllungsgesetzgebung der Länder vor der Einfügung des Art. 80 Abs. 4 GG mit Blick auf den Bereich der Rahmenkompetenzen gem. Art.75 GG T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 77. 794 So die griffige Formulierung von U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 92. 795 U. Ramsauer, ebd. 796 So U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 93, der allerdings einschränkend hinzufügt, aus dieser Kritik folge nicht, dass Art.80 Abs. 4 GG gegen höherrangiges Verfassungsrecht verstoße.
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
365
systematisch auf ganz anderer Ebene angesiedelte, abgeleitete Rechtsetzungsmacht kraft bundesgesetzlicher Delegation nicht substituiert werden. 797
VII. Verknüpfung der Rechtsverordnung mit gesellschaftlichen und parlamentarischen Beteiligungsformen Waren im vorhergehenden Abschnitt verfassungsrechtliche Probleme im Bundesstaatsverhältnis Gegenstand der Untersuchung, so werden nunmehr die vielfältigen Mitwirkungsrechte, die den Prozess der Verordnungsgebung zugunsten gesellschaftlicher und staatlicher Stellen anreichern, zunächst der notwendigen Systematisierung unterzogen und sodann im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den grundgesetzlichen Vorgaben erörtert. Hierbei wird zurückgegriffen auf die im Ersten Teil der Arbeit mit der Analyse und Systematisierung des Umweltrechts erfassten Varianten in der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte im Verfahren der Verordnungsgebung. 798 Dabei wurden neben einer Vielzahl verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich angeordneter Vorbehaltspositionen zugunsten des Bundesrates799 auch verschiedenste Anhörungs- und Mitwirkungsvorbehalte für gesellschaftliche Akteure einerseits 800 und das Parlament andererseits 801 nachgewiesen. Neben der für die einzelnen Beteiligungsformen aufgeworfenen Frage ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit stellt sich in einem übergeordneten Sinne das Problem ihres Kompensationspotentials hinsichtlich des Ausgleichs legitimatorischer Defizite. 802 1. Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Zustandekommen der Rechtsverordnung a) Die gesetzliche Strukturierung der Öffentlichkeitsbeteiligung Die gesetzliche Strukturierung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Prozess der Verordnungsgebung erfolgt nach alternativen Grundmustern. Zum einen ist hier das eingeführte Modell der Anhörung beteiligter Kreise zu nennen, wie es etwa in § 51 BImSchG oder § 60 KrW-/AbfG geregelt ist. Zum anderen besteht ein Modell fortgeschrittener Institutionalisierung durch Gremienbildung, so etwa bei der Kommission nach §§ 4, 5 GenTG, dem Ausschuss für Gefahrstoffe nach § 52 GefStoffV 803 P. Schütz, NVwZ 1996, S. 37, 40. Vgl. etwa 1. Teil, II., 1., c); II., 2., c); II., 3., d). 799 Hierzu bereits ausführlich vorhergehend unter 3. Teil, VI., 1. und im 1. Teil, insbes. II., 2., a), (1). 800 Hierzu nachfolgend 3. Teil, VII., 1. 801 Hierzu nachfolgend 3. Teil, VII., 2. 802 Hierzu nachfolgend 3. Teil, VII., 3. 803 Hierzu 1. Teil, II., 3., d). 797 798
366 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung oder der im Sachverständigenentwurf zum Umweltgesetzbuch von 1998 vorgesehenen Umweltkommission. 804 Bei der letztgenannten handelt es sich nach dem Sachverständigenrat für Umweltfragen um einen Mittelweg zwischen der direkten Öffentlichkeitsbeteiligung und der Beteiligung eines die Öffentlichkeit repräsentierenden Beratungsgremiums. 805 Der Charakter des „Mittelweges“ ergebe sich dabei daraus, dass die Stellungnahme eines gesellschaftlichen Akteurs nicht unmittelbar gegenüber dem jeweils federführenden Ministerium erfolge, sondern gegenüber der Umweltkommission, die damit eine Art Filterfunktion erhalte und wesentliche Aufgaben der Informationsverarbeitung im Vorfeld der Normsetzung zu übernehmen habe. 806 Eine Zwischenform stellt auch die im BNatSchG erstmals vorgesehene Beteiligung von Naturschutzverbänden am Verfahren der Verordnungsgebung dar. 807 Die Zwischenstellung der Verbandsbeteiligung resultiert daraus, dass sie einerseits an einem einzelnen Privatrechtssubjekt anknüpft, andererseits aber keine persönliche Rechtsverletzung, sondern lediglich eine Berührung der satzungsmäßigen Belange verlangt. 808 Dass die untersuchten Gesetze in erheblichem Umfang Beteiligungsvorschriften aufweisen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung an der Verordnungsgebung aufs Ganze betrachtet die Ausnahme ist. Eine einschlägige quantitative Untersuchung zur Umweltstandardsetzung hat 1996 der Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgelegt. 809 Danach ist bei gerade einmal 6 % aller Standardlisten eine offene Beteiligungsstruktur für interessierte Kreise vorgesehen. Anhörungen beteiligter Kreise würden nur bei 17% der Standardtypen durchgeführt. Eigentliche Verfahrensordnungen jenseits des groben Rahmens, den die Geschäftsordnung der Bundesregierung stecke, 810 existierten nur bei 804 Zum Modell der Umweltkommission nach dem Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch 1998 1. Teil, IV., 3., a). 805 SRU, Umweltgutachten 2002, S. 113. 806 SRU, Umweltgutachten 2002, S.113. Dort auch zur Kritik: „Ganz abgesehen davon, dass die notwendige Verarbeitung der Informationen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung aus Kapazitätsgründen besser vom Ministerium selbst als von einer ständigen Kommission geleistet werden kann, ist die in diesem Modell vorgesehene Trennung von Informationsverwaltungsund Entscheidungsfunktion prinzipiell problematisch. Zu befürchten ist auch, dass die vorgesehene Mediatisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung sich eher deaktivierend – oder jedenfalls nicht optimal aktivierend – auswirken würde. Die Motivation derer, die über Wissen und Beteiligungskompetenzen verfügen, diese auch zur Verfügung zu stellen, dürfte tendenziell höher sein, wenn ein ‚direkter Draht‘ zu den verantwortlichen Entscheidungsträgern eröffnet wird.“ E. Rehbinder hält der institutionalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung in Form der Umweltkommission entgegen, dass sich nach deren Konzeption als Dauereinrichtung die Gefahr nicht von der Hand weisen lassen, dass sie sich zu einem Mitentscheidungsgremium entwickle, ders., in: FS Feldhaus, 1999, S. 141, 152; kritisch auch R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 339 ff. 807 1. Teil, II., 4., b). 808 Zur vergleichbar gelagerten prozessualen Frage der Objektivierung des Rechtsschutzes durch Verbandsklagerechte vgl. J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1998, S. 191 ff., 121 ff., 204 ff. 809 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, hierzu A. v. Bogdandy, in: FS Hollerbach, 2001, S. 363, 364 f. 810 Hierzu 1. Teil, II., 2., a), (1).
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
367
weniger als 5 % der Listen; bei gerade einmal 3 % der Standardtypen würden Entwürfe vor der Verabschiedung öffentlich zugänglich gemacht. Weiterhin wird für die Vielzahl der Fälle eine „fehlende oder unzureichende“ Begründung vermerkt 811 und das Fazit gezogen, dass „im deutschen System der Umweltstandards die Entscheidungen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden“. 812 Das im deutschen (Umwelt-)Recht herrschende Grundverständnis der Öffentlichkeitsbeteiligung steht hierbei in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den Vorgaben des Europarechts. 813 Obgleich sich das Verfahrenskonzept der „informierten Öffentlichkeit“ mit den beiden Bausteinen 814 der verfahrensakzessorischen 815 sowie verfahrensunabhängigen 816 Publizität auf die Ebene der Rechtsanwendung bezieht, ist die Impulswirkung für die Ebene der Rechtsetzung unverkennbar. 817 Beim weit
811 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 915. Die Frage, ob der Verordnungsgeber verpflichtet ist, der Rechtsverordnung eine Begründung beizufügen, ist umstritten. Seinem Wortlaut nach verlangt Art. 80 GG keine Begründung, sondern nur die Angabe einer Ermächtigungsnorm. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht ergibt sich die Begründungspflicht aber aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Verfassungsprinzipien, vgl. etwa J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 30; dens., Begründungszwang und Verfassung, 1987, S.13; F. Ossenbühl, NJW 1986, S.2805, 2809; dens., in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 66 ff.; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 141. Nach anderer Ansicht kann eine Begründungspflicht nur für einzelne Bereiche angenommen werden, so U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 74 b, der zudem einschränkend in Zweifel zieht, ob bei Bestehen einer Begründungspflicht das Fehlen einer Begründung schlechthin zur Nichtigkeit führen könne, vgl. dens. ebd. Nach einer dritten Auffassung besteht eine (formelle) Begründungspflicht nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung, vgl. M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 95 mit Fn. 474 und weiterführend Rn. 100. 812 SRU, Umweltgutachten 1996, BT-Drs. 13/4108, Tz. 843. 813 E. Schmidt-Aßmann/C. Ladenburger, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 18, Rn. 23 konstatieren ein „funktionell gegenüber dem nationalen Recht erweitertes und differenziertes Öffentlichkeitsverständnis“. Die Autoren unterscheiden (ebd., Rn.24 ff.) fünf Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung im EG-Umweltverfahrensrecht: Individuelle Rechts- und Interessenwahrung, Partizipation, Sensibilisierung, Öffentlichkeit als Kontrollinstanz sowie Verwaltungstransparenz. 814 Zur Unterscheidung von verfahrensakzessorischer und verfahrensunabhängiger Publizität E. Schmidt-Aßmann/C. Ladenburger, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 18, Rn. 7 ff. 815 Hierunter fallen konkrete, auf eine Sachentscheidung gerichtete Verwaltungsverfahren; zum einen wird die entscheidungsvorbereitende Öffentlichkeitsbeteiligung statuiert, zum anderen die Veröffentlichung getroffener Verwaltungsentscheidungen. Nach E. Schmidt-Aßmann/C. Ladenburger, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 18, Rn. 7 ff., 10 erfährt die hier anzutreffende ursprüngliche Beschränkung auf raumbezogene Standort- und Anlagenzulassungsentscheidungen in jüngerer Zeit eine beträchtliche konzeptionelle Erweiterung, so sei die Öffentlichkeitsbeteiligung zwischenzeitlich zwingender Bestandteil der Genehmigungsverfahren nach der neuen Gentechnik-Freisetzungs-RL geworden (unter Bezugnahme auf Erwg. 10 sowie Art. 9 und 24 der RL 2001/18 (GVO/Freisetzung, ABl.V. 17.4.2001, Nr. l 106 S. 1), welche die RL 90/220 (ABl.V. 8.5.1990, Nr. 117, S. 15) ersetzt). 816 Erfasst werden Informationszugangsrechte und behördliche Veröffentlichungspflichten. 817 Zum Transparenzprinzip des EG-Rechts und den Rückwirkungen auf das nationale Recht Ch. Heitsch, Gemeinschaftsrecht und Transparenzprinzip, 2003.
368 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung überwiegenden Teil der Literatur stößt der status quo der Beteiligungsformen auf Kritik, 818 wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen und Folgerungen. 819 Die Erwartungen, die dabei an Begriff und Institution der Öffentlichkeit 820 gerichtet werden, sind unterschiedlich. 821 Die gegenwärtigen Optionen der Öffentlichkeitsbeteiligung werden mehrheitlich als unzureichend erachtet, kritisiert werden neben der absolut gesehen geringen Zahl normierter Beteiligungsrechte die Intransparenz der Beteiligungsstrukturen und die Missachtung von Grundrechtspositionen. 822 Die Mehrzahl der Autoren dringt auf eine Ausweitung der Beteiligungsvorschriften. 823 Dabei findet sich die Forderung nach verstärkter Öffentlichkeitsbeteiligung oft im Kontext von Überlegungen zu einer allgemeinen Verrechtlichung der Verordnungsgebung. 824 Jedoch erheben sich gegenüber dem Postulat der weiteren gesetzlichen Reglementierung des Verfahrens auch skeptische Stimmen. 825 Ob bei elementaren Zielkonflikten eine allseitige Akzeptanz überhaupt erreicht werden könne sei fraglich. 826 Mögliche negative Effekte einer ausgedehnten Öffentlichkeitsbeteiligung 818 Vgl. statt vieler G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219 ff.; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 169 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 327. 819 Weitergehende Nachweise nachfolgend unter 3. Teil, VII., 1. 820 Zu den Begriffen der „Öffentlichkeit“ und des „Öffentlichen Interesses“ als juristischen Kategorien die Beiträge von A. Rinken und P. Häberle in: Das Öffentliche heute, 2002, S. 7 ff. und S. 157 ff. 821 Hierzu die eingehende Analyse der „Funktionen“ der Öffentlichkeitsbeteiligung bei A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 209 ff., der abstellt auf (1) Information der Behörde, (2) Kontrolle und Transparenz, (3) Effektivitätssteigerung der Verwaltung, (4) Integration und Ausgleich sowie (5) vorgelagerten (Grundrechts)-Rechtsschutz und Gewährung rechtlichen Gehörs. 822 Vgl. mit zahlreichen weiteren Nachweisen E. Rehbinder, in: FS Feldhaus, 1999, S. 141 ff.; R. Breuer, 59. DJT 1992, Gutachten B; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 51 ff.: Verfahrensvorkehrungen wie etwa Anhörungs- und Begründungspflichten könnten nicht nur die sachlichen Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers verbessern, sondern auch die Akzeptanz der getroffenen Regelungen. Vor allem auf dem Gebiet des heute politisch besonders kontroversen Umweltrechts solle von diesem Arsenal stärker als bisher Gebrauch gemacht werden. 823 E. Denninger leitet die Forderung nach Beteiligung an der Verordnungsgebung aus der Maxime des „Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren“ ab, die nicht erst in der Normanwendung sondern bereits im Normerzeugungsverfahren Gültigkeit besitze, ders., Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 174. 824 Dazu E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 327 f. 825 So hält etwa K. Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 215, 228 mit Fn. 49 eine weitere Reglementierung des Verfahrens für verzichtbar. Gegen eine Verrechtlichung des Verfahrens O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123, 172 f. Für die Fortführung der Öffentlichkeitsbeteiligung in informalen Bahnen U. Battis, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 170, 176 f. 826 M. Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 15. Die akzeptanzfördernden Aspekte von Verfahren dürften allgemein stark überschätzt werden, dies., ebd.; zu Nachteilen starker Öffentlichkeitsbeteiligung im Hinblick auf das Verordnungsgebungsverfahren im Gentechnikrecht S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen,
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
369
seien zeitliche Verzögerungen des Verfahrens und die Nutzung des Verfahrens als Alibi für Entscheidungen, deren Ausgang von vornherein feststand. 827 b) Die Rechtsfolgen der Verletzung von Beteiligungsvorschriften Die Effektivität der gegenwärtigen Konzeption der Öffentlichkeitsbeteiligung hängt in starkem Maße ab von den Rechtsfolgen, die Verstöße gegen die Beteiligungsvorschriften nachsichziehen. Hier sind viele Fragen offen, insbesondere in Ermangelung einer allgemeinen, übergreifenden Regel, wann Verfahrens- und Formmängel bei Rechtsverordnungen beachtlich bzw. unbeachtlich sind. 828 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer frühen Entscheidung die Nichtigkeit einer Rechtsverordnung wegen versäumter Sachverständigenanhörung angenommen. 829 Die Aktualität dieser Entscheidung aus dem Jahr 1959 ist jedoch nicht nur aufgrund der zwischenzeitlich vergangenen Jahrzehnte zweifelhaft, sondern auch deswegen, weil sie den nachkonstitutionellen Vollzug eines nationalsozialistischen Gesetzes betraf und insoweit etwa ein Abstellen auf den Willen des Gesetzgebers ausschied. 830 Auch die Entscheidung BVerfGE 91, 148 zur Unzulässigkeit der Organisation der Verordnungsgebung der Regierung durch Umlaufverfahren 831 erscheint kaum anschlussfähig, da für die grundgesetzlich vorstrukturierte Beteiligung innerhalb eines Staatsorgans und die Beteiligung gesellschaftlicher Akteure Unterschiedliches gelten muss. 832 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 25. Oktober 1979 mit der Frage auseinandergesetzt, 833 ob das Fehlen der vorgeschriebenen Anhörung der Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbe2002, S. 216 f.: Problematisiert werden im deutsch-amerikanischen Rechtsvergleich der starke Einfluss der Industrie auf die Verordnungsgebung, die zeitlichen Verzögerungen und die zusätzlichen Kosten, die durch Bekanntmachung und Auswertung der Stellungnahmen entstünden. 827 M. Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 16. Ergebnis der Studie von M. Böhm ist die Forderung nach einer stärkeren Reglementierung der Öffentlichkeitsbeteiligung an der Normgebung, dies., aaO, S. 294 f. 828 M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 96; R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 619 f.; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 169. 829 BVerfGE 10, 221, 226 (Kleingärten). 830 S. Rose-Ackerman, Umweltrecht und -politik, 1995, S. 117; E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 133 ff.; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 170. 831 BVerfGE 91, 148, 170 (Umlaufverfahren), nach dieser Entscheidung ist die Konsequenz eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften die Nichtigkeit der Rechtsverordnung, eingeschränkt allerdings auf Fälle der „Evidenz“, vgl. die Entscheidungsrezension von M. Sachs, JuS 1995, S. 1032 ff. 832 Vgl. R. Rubel, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz, Bd. 2, 2002, Art. 80, Rn. 62. 833 BVerwGE 59, 48 (Fachhochschullehrer). 24 Saurer
370 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung reitung einer Rechtsverordnung zu deren Nichtigkeit führt. 834 Das Gericht stellte zunächst klar, dass die Regelung des vom Verordnungsgeber einzuhaltenden Verfahrens der Normsetzung Sache des Gesetzgebers ist. 835 Sodann wurde zwischen den Beteiligungsoptionen der Fallgruppen der „Zustimmung anderer Verfassungsorgane“ einerseits und der „schwächeren Formen der Mitwirkung“ andererseits unterschieden. 836 Als „schwächere Formen der Mitwirkung“ wurden dargelegt die Beteiligung, die Anhörung und das Ins-Benehmen-Setzen mit „anderen Stellen, Organisationen oder Sachverständigen“. 837 Für die erstgenannte Fallgruppe wurde unzweideutig festgestellt: „Eine Rechtsverordnung, die ohne die erforderliche Zustimmung erlassen worden ist, ist ungültig.“ 838 Die Fallgruppe der schwächeren Mitwirkungsformen wird entgegen einer ausdrücklich als solche gekennzeichneten „herrschenden Meinung“ 839 einer „differenzierten Betrachtung“ unterworfen, nach welcher die Folge der Nichtigkeit unter anderem von der Schwere des Verstoßes, dem Sinn und Zweck der Mitwirkung und dem Gewicht des jeweiligen Mitwirkungsrechts abhänge. 840 Die Literatur orientiert sich überwiegend 841 an ähnlichen Kriterien. 842 Nach mehrheitlicher Auffassung müssen jedenfalls Verstöße gegen „wesentliche“ Verfahrensvorschriften beachtlich sein. 843 Die „Wesentlichkeit“ bestimmt sich in diesem Zusammenhang nach Fritz Ossenbühl nach dem Schutzzweck der betreffenden 834 Zu dieser Entscheidung die kommentierende Darstellung bei E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 133 ff. 835 BVerwGE 59, 48, 49 (Fachhochschullehrer). 836 BVerwGE 59, 48, 49. 837 BVerwGE 59, 48, 49 f. 838 BVerwGE 59, 48, 50. 839 BVerwGE 59, 48, 50 (Fachhochschullehrer) belegt dies unter Bezugnahme unter anderem auf E. Jacobi, in: HdbDStR II, 1932, S. 236, 252; T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art.80, Rn.65, 69; D. Wilke, in: v.Mangoldt/Klein, GGKIII, 2.Aufl. 1974, Art.80, Anm. XI 2 d und Anm. V 10, 2. Absatz. 840 BVerwGE 59, 48, 51 f. (Fachhochschullehrer). Die Anwendung dieser Kriterien auf den zu entscheidenden Fall ergab die Rechtsmäßigkeit der betreffenden Rechtsverordnung zur Regelung beamtenrechtlicher Verhältnisse trotz fehlender Durchführung der ausdrücklich vorgeschriebenen Anhörung der Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei Vorbereitung der Verordnung. 841 Vgl. etwa M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Vorb. § 47, Rn. 13; F. Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805, 2811 ff.; R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, S. 619 f.; I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, S. 170; M. Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern, 1988, S. 228 ff.; im Blick auf die Anhörung beteiligter Kreise nach § 20 BBodSchG L.-A. Versteyl/W. D. Sondermann, BundesBodenschutzgesetz, 2002, § 20, Rn. 24: Nur besonders schwere Verstöße gegen die in § 20 BBodSchG vorgeschriebene Beteiligung wie das vollständige Unterlassen der Anhörung oder die offensichtlich unrepräsentative Auswahl der Anzuhörenden führten zur Nichtigkeit bzw. Unbeachtlichkeit der Verordnung. 842 Zur vormals führenden Auffassung vgl. die Nachweise bei BVerwGE 59, 48, 50 (Fachhochschullehrer). 843 Mit weiteren Nachweisen M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Vorb. § 47, Rn. 13.
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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Vorschrift: Sei die Verfahrensregel abstrakt geeignet, die materielle Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses zu fördern, so handle es sich um eine wesentliche Verfahrensnorm, deren Verletzung die Ungültigkeit oder Vernichtbarkeit der Norm nach sich ziehe. 844 Verstöße gegen unwesentliche Verfahrensvorschriften hingegen wirkten sich auf die Rechtsbeständigkeit der Norm nur aus, wenn sie offenkundig seien. 845 Über diese differenzierende Position hinausgehend wird von Teilen der Literatur vertreten, die Verletzung von Verfahrensvorschriften habe grundsätzlich die Nichtigkeit der Rechtsverordnung 846 zur Folge. 847 Eine Ausnahme sei nur bei Vorliegen spezieller gesetzlicher Vorschriften zuzulassen, so etwa nach den §§ 214, 215 BauGB für Bebauungspläne, die in Form von Rechtsverordnungen ergehen. 848 Nach einer dritten Ansicht stellen wenigstens Anhörungsrechte außerstaatlicher Verbände, unabhängiger Sachverständiger oder „der beteiligten Kreise“ regelmäßig kein verfahrensrechtliches Mitwirkungsrecht dar, sondern erfolgen gleichsam im Vorfeld „bei der Vorbereitung“ der Rechtsverordnung. 849 Daher habe die unterbliebene Anhörung keine Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit der Rechtsverordnung. 850 Die Anordnung eines Beteiligungserfordernisses als rechtliche Voraussetzung der Rechtsverordnung sei nicht verfassungskonform. 851 2. Parlamentarische Mitwirkung Neben den vorgehend dargestellten Beteiligungsrechten zugunsten gesellschaftlicher Akteure findet sich für das Verfahren der Verordnungsgebung auch eine Vielzahl von Beteiligungsrechten zugunsten des Bundestages, so etwa im Referenzgebiet des Umweltrechts in § 59 KrW-/AbfG, § 48 b BImSchG, § 20 Abs. 2 UmweltHG, § 3 Abs. 1 UVPG. 852 Die Intensität der Mitwirkung des Parlaments F. Ossenbühl, NJW 1986, S. 2805, 2812. F. Ossenbühl, ebd. 846 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 74. Restriktiv mit Blick auf § 51 BImSchG H. Schmatz/M. Nöthlichs/H.-P. Weber, Immissionsschutz I, Stand: 2004, Kennz. 10053, S. 8: Würden die beteiligten Kreise vorschriftswidrig nicht gehört oder seien nicht alle nach § 51 zu beteiligenden Personen gehört worden, sei die Rechtsverordnung nichtig; kritisch demgegenüber H. D. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 51, Rn. 4 a. 847 Vgl. die Betonung des Gewährleistungsgehalts des Art. 19 Abs. 4 GG für die Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern bei F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 5. 848 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 74. 849 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 13, Rn. 11. 850 H. Maurer, ebd.; ähnlich mit Blick auf die Anhörung beteiligter Kreise nach § 20 BBodSchG Ch. Bickel, BBodSchG, 3. Aufl. 2002, § 20, Rn. 17: Die Rechtmäßigkeit der Verordnung werde nicht dadurch tangiert, dass die Anhörung fehlerhaft war. 851 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 13, Rn. 11: „Sollte die Beteiligung dieser außerstaatlichen Verbände und Stellen als echtes Mitwirkungsrecht gedacht sein und somit eine rechtliche Voraussetzung für die Rechtsverordnung darstellen, dann wäre sie verfassungsrechtlich nicht haltbar.“ 852 Vgl. näher 1. Teil, II., 1., c); 2., c); 3., d); III., 1., c). 844 845
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372 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung reicht dabei vom Vorbehalt der Kenntnisgabe über Zustimmungsvorbehalte bis hin zum Vorbehalt der Änderung des Verordnungstextes durch das Parlament. Auch in zahlreichen Landesgesetzen finden sich derartige parlamentarische Mitwirkungsbefugnisse. 853 a) Die gesetzgeberische Intention des Zusammenhangs zwischen offener Ermächtigungsformulierung und nachgeschalteter Parlamentsbeteiligung Ein umfassendes, einheitliches gesetzgeberisches Konzept des Einsatzes unterschiedlicher parlamentarischer Beteiligungsformen lässt sich kaum erkennen. 854 Gesetze mit und ohne Beteiligungsrechte stehen scheinbar unvermittelt nebeneinander. So ergehen etwa die Rechtsverordnungen nach dem Chemikaliengesetz, dem Bundes-Bodenschutzgesetz oder dem Wasserhaushaltsgesetz ohne jede Form der nachgelagerten Parlamentsbeteiligung. 855 Eine gesetzgeberische Einheitlichkeit in der Entscheidung zwischen Zustimmungs- oder Änderungsvorbehalt ist ebenso wenig auszumachen. 856 Allerdings lässt sich allgemein feststellen, dass dort, wo eine Mitwirkungskompetenz normiert wird, diese regelmäßig in Zusammenhang mit einer offenkundig weit gefassten Ermächtigungsnorm steht. 857 Der Gesetzgeber sucht also durch die Einschaltung des Parlaments in den Prozess der Verordnungsgebung Defizite in der Regelungsdichte der Ermächtigungsstruktur auszugleichen.858 Diese Zielsetzung der parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalte ist über die gesamte Geltungsdauer des Grundgesetzes zu verzeichnen. 859 Besonders deutlich wird dies in der Arbeit der Enquête-Kommission des Bundestages zur Verfassungsreform in den 1970er Jahren. 860 Ob die Mitwirkung des Parlaments im Verlaufe des Verordnungsgebungsverfahrens nicht nur mit der Verfassung vereinbar, sondern sogar von Verfassungs wegen geboten sein kann, hängt von der Frage ab, ob nachgeschaltete Mitwirkungsvorbehalte verfassungsrechtliche Defizite der Ermächtigungsgrundlage zu kompensieren vermögen.
853 Dazu W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 42 ff. und D. Merten, in: Dimensionen des modernen Verfassungsstaates, 2002, S. 53 ff. 854 C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 60 ff. 855 Näher J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1177. 856 Diese Uneinheitlichkeit will der Sachverständigenentwurf zu einem Umweltgesetzbuch von 1998 zumindest teilweise überwinden, indem einheitlich das Institut des Zustimmungsvorbehaltes festgeschrieben wird. Die Geltung des Zustimmungsvorbehalts soll nach der Konzeption des UGB-KomE allerdings wiederum von der gesonderten Festlegung im jeweiligen Teilgebiet des besonderen Umweltrechts abhängen, vgl. 1. Teil, V., 3., b). 857 Näher hierzu nachfolgend 3. Teil, VII., 3., b). 858 Vgl. BT-Drs. 10/4268, S. 113 hinsichtlich des Änderungsvorbehalts in §292 IV HGB und BT-Drs. 11/7104, S. 22 und BR-Drs. 127/90, S. 58 hinsichtlich § 20 UmweltHG. 859 W. Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 1986, S. 180. 860 H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 188; W. Mößle, ebd.
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b) Stand der Dogmatik Die Rechtsfigur des parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalts in ihren verschiedenen Ausprägungen wird in der Staatsrechtslehre uneinheitlich rezipiert.861 Eine nachhaltige Stukturierung der Rezeption bewirkt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 862 Im Anschluss an eine frühe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 863 gelten Zustimmungsvorbehalte wie in § 3 Abs. 1 S. 3 UVPG nach allgemeiner Ansicht als verfassungsrechtlich unbedenklich. 864 Hingegen fehlt eine Entscheidung des BVerfG zu den sog. Änderungsvorbehalten, so dass hier eine entsprechende Vielzahl divergierenden Auffassungen vorzufinden ist. (1) Zustimmungsvorbehalte verfassungsgemäß Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 12.11.1958 über die Verfassungsmäßigkeit sogenannter Zustimmungsvorbehalte entschieden. In der Entscheidung zu §§ 1 und 2 des Preisgesetzes legt das Gericht unter ausdrücklicher Darlegung weiterer staatspraktischer Fälle des Zustimmungsvorbehalts 865 dar, dass Rechtsverordnungen in verfassungskonformer Weise an die Zustimmung des Bundestages gebunden werden können. 866 Daraus, dass Art. 80 Abs. 1 GG Ermächtigungen zu „Zustimmungsverordnungen“ nicht ausdrücklich zulasse, ergebe sich nicht deren generelle Unzulässigkeit, ebensowenig aus dem Gewaltenteilungsprinzip. 867 Nach dem Bundesverfassungsgericht ist allerdings Voraussetzung einer solchen Regelungsstruktur ein „legitimes Interesse der Legislative“. Dieses „legitime Interesse“ müsse dahingehen, zwar „einerseits die Rechtsetzung auf die Exekutive zu delegieren, sich aber andererseits – wegen der Bedeutung der zu treffenden Regelungen – entscheidenden Einfluss auf Erlass und Inhalt der Verordnungen vorzu-
861 Vgl. aus jüngerer Zeit etwa S. Studenroth, DÖV 1995, S. 525 ff.; J. Saurer, NVwZ 2003, S.1176 ff.; M. Hoffmann, DVBl. 1996, S.347 ff.; J. Jekewitz, NVwZ 1994, S.956 ff.; O. Konzak, DVBl. 1994, S. 1107 ff.; H. H. Rupp, NVwZ 1993, S. 756 ff.; T. Brandner, JbUTR 1997, S. 119 ff.; R. Lippold, ZRP 1991, S. 254 ff.; A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999; dens., NVwZ 2002, S. 15 ff.; Ch. Seiler, ZG 2001, S. 50 ff.; C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999; J. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestages beim Erlass von Rechtsverordnungen, 2002; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 5; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 51; A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 237 ff. 862 Vgl. zum Verhältnis von Verfassungsrechtsprechung und Staatsrechtswissenschaft M. Jestaedt, in: Nomos und Ethos, 2002, S. 183 ff. und die Auseinandersetzung der Frage „Die deutsche Staatsrechtslehre als bloßer ‚Postglossator‘ des BVerfG?“ bei P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2. Aufl. 2004, S. 477 f. 863 BVerfGE 8, 274 (Preisgesetz). 864 Vgl. nur F. Ossenbühl, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts II/5/620, S. 2. 865 Vgl. BVerfGE 8, 274, 320. 866 Vgl. BVerfGE 8, 274, 320. 867 BVerfGE 8, 274, 321.
374 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung behalten“. 868 Für den vorliegenden Bereich des Zoll-, Zolltarif- und Preiswesens ergebe sich das legitime Interesse daraus, dass (einerseits, Anm. d. Verf.) diese Bereiche durch die Notwendigkeit gekennzeichnet seien, die staatlichen Regelungen unverzüglich den sich schnell ändernden wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen, was nur in Form von Verordnungen geschehen könne, die zu treffenden Regelungen (andererseits, Anm. d. Verf.) aber von erheblicher wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Tragweite sein könnten. 869 Literatur und Gesetzgebungspraxis haben die Voraussetzung des „legitimen Interesses“ überwiegend zustimmend aufgegriffen und auf die Fälle des Ablehnungs- und Änderungsvorbehalts ausgedehnt. 870 Allerdings finden sich auch kritische Einschätzungen. 871 Tragendes Argument zugunsten der Zulässigkeit des Zustimmungsvorbehalts ist die durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene Einordnung der Delegation unter Verordnungsvorbehalt als „Minus“ gegenüber der „vollen Delegation der Rechtsetzung auf die Exekutive“. 872 Dieser Argumentation hat sich der überwiegende Teil der Literatur angeschlossen. 873 Jedoch erweist sich dieses „a maiore ad minus“-Argument als durchaus zweifelhaft. 874 Zu beachten ist zunächst die grundsätzliche Kritik an der Heranziehung der Argumentationsfigur des Erst-Recht-SchlusBVerfGE 8, 274, 321. BVerfGE 8, 274, 321. 870 Aus der Literatur statt vieler U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 50, der allerdings im Erfordernis des legitimen Interesses keine allzu große Hürde für die Rechtsetzungspraxis sieht. Zur Gesetzgebungspraxis die Begründung eines „legitimen Interesse“ im Fall des Ablehnungs- und Änderungsvorbehalts in § 20 Abs. 2 UmweltHG in BT-Drs. 11/7104, S. 28 sowie die gegenteilige Auffassung des Bundesrates, ebd., S. 31. 871 Vgl. etwa D. H. Scheuing, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 48 a BImSchG, Rn. 16, nach welchem im Blick auf den zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben ergangenen § 48 a BImSchG „ein legitimes Interesse des Bundestages an einer solchen Einschränkung der Delegation zur Sicherstellung eines Mitspracherechts beim Verordnungserlass nicht ohne weiteres ersichtlich“ sei; insgesamt skeptisch R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 52: Ob die Zulässigkeit eines Zustimmungsvorbehaltes generell von einem „legitimen Interesse der Legislative“ abhängig zu machen sei, erscheine zweifelhaft, zumindest werde man dem Bundestag einen weiten Beurteilungsspielraum einräumen müssen. Zu früherer Kritik vgl. D. Wilke, in: v. Mangoldt/Klein, GGK III, 2. Aufl. 1974, Art. 80, Anm. V 8 a mit der Bewertung als „Leerformel“ und U. Scheuner, in: FS G. Müller, 1970, S. 379 ff.: Die Volksvertretung binde sich durch Ausübung ihres vorbehaltenen Zustimmungsrechtes selbst und schmälere ihr nachträgliches Kontrollrecht; denn Kontrolle könne nicht glaubhaft ausüben, wer an der Rechtsverordnung selbst mitgewirkt habe. Diesem Argument begegnet T. Maunz, in: ders./Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 5 mit dem Hinweis, durch den Zustimmungsvorbehalt werde eine von der Exekutive ausgehende Rechtsetzung unmittelbar einer demokratischen Mehrheitsentscheidung unterstellt. 872 BVerfGE 8, 274, 321 (Preisgesetz). 873 Das „a maiore ad minus“-Argument wird übernommen von M. Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GGKIII, 4.Aufl. 2001, Art.80, Rn.96; H. Bauer, in: Dreier, GGKII, 1998, Art.80, Rn. 25; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 39; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 219; P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, 402; S. Studenroth, DÖV 1995, S.525, 530 f.; Ch. Seiler, ZG 2001, S.50, 64; Th. Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S. 226 f. 868 869
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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ses 875 in kompetenzrechtlichen Zusammenhängen, die sich auf Struktur und Formenstrenge der verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Normsetzung beruft. 876 Weiterhin wird angeführt, dass die Geltendmachung eines parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts durch schlichten Parlamentsbeschluss erfolgte und eben gerade nicht in Form des Gesetzes. 877 Da gleichwohl dem Parlament von Verfassungs wegen Rechtsetzung ausschließlich in der Form des Gesetzes gestattet sei, liege bei der Wahrnehmung von Zustimmungsvorbehalten gerade kein Eingreifen in dessen Legislativfunktion vor. 878 Wenn die parlamentarische Mitwirkung bei der Verordnungsgebung aber nicht als legislative Tätigkeit angesehen werden könne, so erweise sich die Ausübung von parlamentarischen Mitentscheidungsvorbehalten gegenüber der Rechtsetzungstätigkeit wie sie auch in der Statuierung von Verordnungsvorbehalten erfolgte nicht als minus sondern als aliud.879 874 875 876 877 878 879 (2) Änderungsvorbehalte umstritten Anders als die Zustimmungsvorbehalte sind die parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalte in der Ausprägung als Ablehnungs- oder Änderungskompetenzen stark umstritten. 880 Rechtspraktische Beispiele finden sich in §§ 59 KrW-/AbfG, 20 Abs. 2 UmweltHG, 9 Abs. 4 Düngemittelgesetz und 48 b BImSchG. 881 874 Kritik etwa bei T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 112 ff.; A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S.314 ff.; ders., NVwZ 2002, S.15, 16 ff. sowie O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123, 172 f. 875 Dazu K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 389 f. 876 H. H. Rupp, NVwZ 1993, S. 756, 758; C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 78; H. Meyer, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 50, 51: Das Argumentum a maiore ad minus führe zu einer Kompetenzausweitung des Gesetzgebers gegen die Verfassung. Nach der Entgegnung von F. Ossenbühl, aaO, S. 57 soll die Kompetenzordnung des Grundgesetzes durch die Statuierung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte unberührt bleiben. 877 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 318. 878 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 318 unter Auseinandersetzung der Rechtsprechung des VGH München und des BayVerfGH, die für solche Verordnungen, die nach Art. 9 Abs. 2 BayVerf unter Beteiligung des Landtags ergehen, entschieden haben, dass der Bayerische Landtag insofern nicht als Legislative „sondern als Volksvertretung“ zur Mitwirkung berufen ist, vgl. BayVerfGHE 30, 26, 29 sowie BayVerfGHE 24, 181, 196. 879 A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 318. Weitergehend die Kritik bei W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 64: Unter Berufung auf die a maiore ad minus-Argumentation könnten Parlamentsbeteiligungen auch letztentscheidende Bedeutung für die inhaltliche Ausgestaltung der zu erlassenden Rechtsverordnung erlangen; ein Ergebnis, das über die Erteilung oder Verweigerung der gesetzlichen Ermächtigung gerade nicht erreicht werden könne. Diese Einschätzung von Schwanengel trifft jedenfalls für die Anwendung der a maiore-Rechtsprechung auf die Fallgruppe der parlamentarischen Änderungsvorbehalte zu. 880 Dies beruht in erster Linie auf dem andauernden Fehlen einer verfassungsrechtlichen Entscheidung. 881 Näher zur rechtspraktischen Ausgestaltung der Änderungsvorbehalte im 1. Teil unter II., 1., c); II., 2., c); II., 3., d); III., 1. c).
376 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung (a) Änderungsvorbehalte verfassungsrechtlich zulässig Verschiedene Autoren treten für die uneingeschränkte verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser weitestgehenden Variante parlamentarischer Mitwirkung ein. 882 Ausgangspunkt ist etwa bei Fritz Ossenbühl die Annahme einer strukturellen Steuerungsschwäche des Gesetzgebers, die vor allem auf die Untauglichkeit des parlamentarischen Verfahrens zur Bewältigung technisch-komplexer Sachverhalte zurückgeführt wird. 883 Armin von Bogdandy erweitert diese Grundannahme zu einem umfassenden Perspektivwechsel, indem er die Formen staatlicher Rechtsetzung nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber aus erklärt, sondern die Vorherrschaft der Gubernative als strukturierendes Element konstruiert. 884 Den so skizzierten Grundproblemen wird das Alternativszenario eines parlamentarisch-administrativen Steuerungsverbundes entgegengestellt. Die Änderung der Rechtsverordnung durch das Parlament wird Teil einer vereinheitlichten Gemeinschaftsnormierung von Legislative und Exekutive. 885 Ossenbühl führt in diesem Sinne unter besonderer Berücksichtigung des § 59 KrW-/AbfG aus, beim KrW-/AbfG handle es sich um einen modellhaften neuen Gesetzestyp. Diesen charakterisiert er als „Grundlagen- und Grundsatzgesetz“ mit einer „Vielzahl von Verordnungsermächtigungen, die das Gesetz nicht nur ergänzen, sondern mit dem Gesetz gewissermaßen eine unlösbare Regelungseinheit bilden, eine kombinierte Sachregelung, an der Parlament und Regierung in Arbeitsteilung teilnehmen“. 886 In diesen Ausführungen von Ossenbühl und von Bogdandy wird deutlich, dass die kategoriale Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung als überholt und aufhebungsbedürftig empfunden wird. In dieser Perspektive erweist sich die Statuierung parlamentarischer Änderungsvorbehalte nicht nur als verfassungsrechtlich zulässig. Sie erscheint vielmehr darüber hinausgehend geradezu als zwingendes Gebot eines realitätsorientierten Rechtsetzungsverständnisses. 887 Allerdings muss sich die vorgetragene Rechtsauffassung entgegenhalten lassen, nur schwerlich mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsetzungsorganisation einherzugehen. 888
882 Zu nennen sind hier etwa F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S. 1, 4; A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 415, 431; K. Fischer, Strategien im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 2001, S. 405, 412. 883 So etwa F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S. 1, 4; ders., Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 18. 884 A. v. Bogandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, vgl. etwa S. 8. 885 Nach A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 415 dient als Konstruktionsidee der Gedanke, dass die „verschiedenen staatlichen Rechtsetzungsverfahren als Species einer Gattung zu begreifen sind, welche die Kooperativität unter gubernativer Hegemonie auszeichnet“. 886 F. Ossenbühl, DVBl. 1999, S. 1, 4. 887 Programmatisch auch A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 416: Das Verordnungsverfahren sei in Richtung auf eine Kooperation mit dem Parlament auszubauen. 888 Eingehend hierzu sogleich im Text.
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(b) Änderungsvorbehalte als verfassungswidrige Mitwirkungsform Nach wohl überwiegender Meinung sind parlamentarische Änderungsvorbehalte nicht verfassungskonform. 889 Den entscheidenden Unterschied zum Zustimmungsvorbehalt erblickt der ablehnende Teil des Schrifttums darin, dass bei einem Änderungsvorbehalt der Bundestag gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der Verordnung nimmt; hingegen sei der Bundestag beim Zustimmungsvorbehalt primär kontrollierend tätig. 890 Durch die agierende Rolle des Bundestages beim Änderungsvorbehalt werde die Zurechnung des Inhalts einer Norm zu ihrem Urheber erschwert oder gar unmöglich gemacht. 891 Im Hinblick auf die Zurechnungsaspekte kann diese Auffassung an das Bundesverfassungsgericht anschließen, denn jenes hat bereits in der Entscheidung zu den Zustimmungsvorbehalten (BVerfGE 8, 274) die Bedeutung des Prinzips der Verantwortungsklarheit für das Zusammenwirken von Verordnungsgebung und Parlamentsbeschluss deutlich zum Ausdruck gebracht.892 Ebenfalls auf die unklare Abgrenzung institutioneller Einflussbereiche zielt die Argumentation, wonach Änderungsvorbehalte zu Gunsten des Bundestages letztlich auf eine „verdeckte parlamentarische Verordnungsgebung“ hinausliefen 893 und man es letztlich mit unzulässigen „Bundestagsverordnungen“ zu tun habe. Mit dieser Argumentation korrespondiert die Feststellung, wonach Änderungsvorbehalte die Festlegungen der Art. 76 ff. GG unterliefen 894 und die Warnung vor einer „Vermischung der Normsetzungskompetenzen“. 895 Die Übertragbarkeit der Rechtfertigung des Zustimmungsvorbehalts als „Minus“ 896 zur umfassenden Delegation an den Verordnungsgeber ist umstritten. 897
889 Dezidiert ablehnend etwa H. Bauer, in: Dreier, GGKII, 1998, Art.80, Rn.26; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3.Aufl. 2003, Art.80, Rn. 41; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art.80, Rn. 190 ff.; S. Studenroth, DÖV 1995, S. 525, 532 ff.; Ch. Seiler, ZG 2001, S. 50, 67 ff.; Ch. Starck, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.76, 77. 890 Dazu Ch. Seiler, ZG 2001, S. 50, 65. 891 Ch. Seiler, ebd.; K.-P. Sommermann, JZ 1997, S. 434 ff. in Bezug auf so genannte „obligatorische Änderungsvorbehalte“. 892 Allerdings wurde in BVerfGE 8, 274, 321 bereits in Bezug auf die hier anerkanntermaßen wesentlich deutlichere Trennung der Verantwortungsbereiche kritisch angemerkt: „Ermächtigungen zum Erlass von „Zustimmungsverordnungen tragen allerdings nicht zur klaren Abgrenzung der Verantwortung von Exekutive und Legislative bei“ (BVerfGE 8, 274, 321 unter Bezugnahme auf B. Wolff, AöR 78 (1952), S. 194, 217). 893 M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 98. 894 H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 80, Rn. 9. 895 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 50 a; ähnlich Ch. Starck, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 76, 77. 896 Vgl. BVerfGE 8, 274, 321 und oben. 897 Vgl. dazu O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123, 172 f. und die oben angeführten kritischen Stimmen.
378 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung (c) Differenzierung nach fakultativen und obligatorischen Änderungsvorbehalten Eine im Vordringen begriffene Ansicht unterscheidet verfassungskonforme „fakultative“ und verfassungswidrige „obligatorische“ Änderungsvorbehalte. 898 Kriterium der Differenzierung ist, ob die Letztentscheidung über das Zustandekommen der Rechtsverordnungen bei der Exekutive verbleibt (fakultative Wirkung des Parlamentsbeschlusses) oder ob die Exekutive zum Erlass der Verordnung in der Fassung des Änderungsbeschluss des Bundestages verpflichtet ist (obligatorische Wirkung des Parlamentsbeschlusses). Eine wesentliche Schwierigkeit für die hier anzutreffenden Autoren besteht in der Bestimmung des verpflichtenden Charakters eines Änderungsvorbehalts. 899 Hierzu wurden mehrere Fallgruppen herausgearbeitet, in denen die Exekutive trotz inhaltlicher Ablehnung der vom Bundestag vorgenommenen Änderungen am Verordnungsentwurf zum Verordnungserlass verpflichtet ist: (1) Zum einen könne die verpflichtende Wirkung aus ausdrücklichen normativen Vorgaben resultieren, (2) zum anderen aus materiellem Verfassungsrecht, etwa aus der Umsetzung von grundrechtlichen Schutzpflichten oder aus der Verpflichtung zur Umsetzung von EG-Gemeinschaftsrecht. (3) Ferner könne sich eine Verpflichtung zum Erlass der Rechtsverordnung aber auch aus deren zwingender Notwendigkeit im Zusammenhang des Gesetzes ergeben. Jedoch erweisen sich die Änderungsvorbehalte letztlich als mit der Kategorie „fakultativ/obligatorisch“ nicht erfassbar. 900 Dies ist darin begründet, dass sich der verpflichtende Charakter eines Änderungsvorbehalts nicht in allen relevanten Fällen abschließend ermitteln lässt. Als unüberwindbare Hürde erweist sich die Vielfalt der durch den einzelnen Änderungsvorbehalt erfassten Verordnungsermächtigungen. 901 Es zeigt sich, dass das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers letztlich nur von Fall zu Fall bestimmbar ist. Demnach scheidet eine pauschale Bewertung und Kategorisierung von einzelnen Änderungsvorbehalten aus. (d) Verfassungskonforme Auslegung Einige Autoren halten eine verfassungskonforme Auslegung der den Änderungsvorbehalt anordnenden Norm für eine notwendige, aber auch hinreichende Bedin898 J. Schmidt, Die Beteiligung des Bundestags beim Erlass von Rechtsverordnungen, 2002, S. 67 ff.; K.-P. Sommermann, JZ 1997, S. 434, 440 f.; ähnlich auch A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 491 ff. Teilweise wird dabei auch mit denselben inhaltlichen Kriterien in einer terminologischen Variante nach „unechten“ und „echten“ Änderungsvorbehalten unterschieden. 899 Eingehend hierzu J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1180 f. 900 Die Argumente werden im Einzelnen dargelegt bei J. Saurer, ebd. 901 So sind etwa durch § 48 b BImSchG die Verordnungsermächtigungen der § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 48 a Abs. 1 und 48 a Abs. 1 a BImSchG erfasst.
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gung der Absicherung einer verfassungskonformen Staatspraxis. 902 Hintergrund ist die – insoweit der vorgenannten, differenzierenden Auffassung entsprechende – Überzeugung, dass die Hoheit des Bundestages über den Inhalt der Rechtsverordnung gegen die Vorgaben der Art. 76 ff. GG verstoße. Maßgabe der verfassungskonformen Auslegung ist demnach, dass der Exekutive – unabhängig vom Wortlaut der Verordnungsermächtigung – in jedem Fall die volle Entschließungsfreiheit über den Erlass der Verordnung zukommen müsse. 903 Damit sei die Einhaltung der Vorgaben der Art. 76 ff. GG gewährleistet. 904 Jedoch verkennt diese Auffassung, dass nach der Normenhierarchie des Grundgesetzes nicht nur die Vorgaben der Art. 76 ff. GG in der einfachgesetzlichen Auslegung berücksichtigt werden müssen. Vielmehr müssen aufgrund des Vorrangs des Verfassungsrechts 905 und des Anwendungsvorrangs des EG-Rechts 906 auch objektive Gewährleistungsgehalte der Grundrechte und europarechtliche Umsetzungspflichten zur Geltung gebracht werden. 907 Sowohl die objektive Grundrechtsdimension als auch die europarechtlichen Umsetzungspflichten drängen im Gegensatz zu den Vorgaben der Art. 76 ff. GG jedoch nicht auf das freie und ungehinderte Entschließungsermessen des Verordnungsgebers, im Gegenteil sind sie tendenziell auf eine Erlasspflicht des Verordnungsgebers gerichtet. 908 Eine verfassungskonforme Auslegung, die dem Verordnungsgeber a priori das ungehinderte Entschließungsermessens sichert, ist also mit der Normenhierarchie des Grundgesetzes nicht vereinbar. Demnach scheidet die Lösung über den Weg der verfassungskonformen Auslegung der einzelnen Änderungsvorbehalte aus. (e) Kritik und Zwischenergebnis Die verfassungsrechtliche Würdigung von Ablehnungs- und Änderungsvorbehalten wie den in § 48 b BImSchG und § 59 KrW-/AbfG statuierten, kommt letztlich zu einem differenzierten Ergebnis. Die Ablehnungsbefugnis ist für sich genommen verfassungsrechtlich unbedenklich. Hier kann nichts anderes gelten als für die Bewertung der Zustimmungsvorbehalte. Jedoch eröffnet sich kein verfassungskonformer Weg des Umgangs mit Änderungsvorbehalten wie in § 48 b BImSchG und § 59 KrW-/AbfG. Ausschlaggebend sind die Vorgaben der Art. 76 ff. GG. Nach der hier fixierten Ordnung der Normsetzung ist das Instrument des Parlaments zur Erzeu902 T. Brandner, in: Fluck, KrW-/AbfG II, Stand: 2004, § 59, Rn. 74; W. Frenz, KrW-/AbfG, 3. Aufl. 2003, § 59, Rn. 11; K. Hansmann, in: Landmann/Rohmer I, Stand: 2004, § 48 b BImSchG, Rn. 4; L. Diederichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 135 f. 903 T. Brandner, in: Fluck, KrW-/AbfG II, Stand: 2004, § 59, Rn. 74. 904 Vgl. W. Frenz, KrW-/AbfG, 3. Aufl. 2003, § 59, Rn. 11. 905 Hierzu bereits Einl., I., 3. sowie 2. Teil, vor I. 906 Hierzu bereits 1. Teil, III., 1. sowie 3. Teil, IV. 907 Vgl. zu dieser Problematik auch J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1180 sowie S. Brink/ V. Krichbaum, DÖV 2000, S. 973 ff. 908 Vgl. auch die Verfassungsrechtsprechung zur Zulässigkeit der gesetzlichen Verpflichtung zum Verordnungserlass, insbesondere BVerfGE 79, 174 (Anlieger-Lärmschutz).
380 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung gung allgemeinverbindlicher Normen das Gesetz im Sinne der Art. 76 ff. GG, das derivative Instrument der Exekutive ist die Rechtsverordnung. Mischformen wie sie in der Normierung parlamentarischer Änderungsvorbehalte zum Ausdruck kommen sind der Verfassung fremd und damit – de constitutione lata – unzulässig. 909 Als problematisch erweist sich dabei die intendierte Auflösung der Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung. 910 Diese ist Garantin der grundgesetzlich angeordneten Rationalität (Messbarkeit und Justiziabilität) staatlicher Handlungsformen. 911 Eine verfassungskonforme Auslegung von Normen wie § 48 b BImSchG kann also nur dahin gehen, dass die Abänderungsbefugnis außer Kraft gesetzt wird und allein die Ablehnungsbefugnis stehen bleibt. Da die Ablehnungsbefugnis in ihrer Rechtswirkung den Zustimmungsvorbehalten entspricht, verbliebe in einer solchen Interpretation nahezu nichts von einer zweiten Variante der parlamentarischen Mitwirkung. 912 (3) Aufhebungsvorbehalte umstritten Zu den verfassungsrechtlich umstrittenen Mitwirkungsformen zählen auch Aufhebungsvorbehalte, wie sie sich in § 27 Abs. 2 AWG und § 20 Abs. 5 StabG finden. 913 Hier vermag der Bundestag die Rechtsverordnung durch einfachen Parlamentsbeschluss aufzuheben. Nach einer Auffassung lässt sich die zu den Zustimmungsvorbehalten gefundene Position auf diese Konstellation übertragen, 914 wonach die Aufhebungsvorbehalte verfassungskonform sind. Demgegenüber betonen andere die Parallelen zum Änderungsvorbehalt 915 und gelangen so zur „verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit“ dieses Instituts. 916 Zuzustimmen ist hier der Auffassung von Jörg Lücke, nach welchem Aufhebungsvorbehalte verfassungskonform sind, solange sie sich als spezielle, von einer auflösenden Bedingung – dem Aufhebungsverlangen des Bundestages – abhängige Zustimmungsvorbehalte begreifen lassen. 917 Die Grenze J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1181. Hierzu im 4. Teil, IV., 1., b). 911 4. Teil, IV., 1., b). 912 Vielmehr ähnelt die Situation dann der im öffentlichen Recht Großbritanniens. Hier bestehen zwei Formen einer parlamentarischen Überprüfung delegierter Rechtsetzung. Nach der „affirmative procedure“ treten Entwürfe für Rechtsverordnungen erst nach ausdrücklicher Zustimmung des Parlaments in Kraft. Nach der „negative procedure“ treten Rechtsverordnungen in Kraft, wenn sie vom Parlament nicht innerhalb von 40 Tagen nach Vorlage ausdrücklich abgelehnt werden; vgl. hierzu G. Haibach, VerwArch 90 (1999), S. 98, 108. 913 Dazu T. Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977. 914 Dazu U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 49. 915 H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 26; J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 41. 916 H. Bauer, ebd.; rechtspraktische Beispiele für parlamentarische Kassationsvorbehalte bei M. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337, 348. 917 J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 40. 909 910
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zur Verfassungswidrigkeit ist danach erreicht, wenn ein Aufhebungsvorbehalt dem Bundestag selbst die Kompetenz einräumte, eine Rechtsverordnung durch schlichten Parlamentsbeschluss aufzuheben. 918 (4) Beteiligungsrechte von Parlamentsausschüssen Mitwirkungsrechte des Parlaments für den Prozess der Verordnungsgebung bestehen auf Bundesebene ausschließlich in der Form der Beteiligung des Parlamentsplenums. 919 Beteiligungs- und Entscheidungsbefugnisse für Ausschüsse des Bundestages sind nur als Gegenstand rechtspolitischer Forderungen thematisiert worden. 920 Demgegenüber finden sich auf der Ebene der Länder auch positivierte Beteiligungs- und sogar Mitentscheidungsrechte von Parlamentausschüssen, beispielsweise im Naturschutzrecht des Landes Brandenburg. 921 In verfassungsrechtlicher Hinsicht gelten Konsultationsvorbehalte als unbedenklich, da sie keine rechtlich bindende Einflussnahme des Ausschusses auf die Ausgestaltung einer Rechtsverordnung erlauben und damit weder eine die Parlamentsbefugnisse einschränkende, noch die exekutive Verwaltungsentscheidung legitimierende Wirkung besitzen. 922 Mitentscheidungsrechte sind hingegen umstritten. Nach einem Teil der rechtswissenschaft918 J. Lücke, ebd. unter Argumentation dahingehend, dass ein derartiger Vorbehalt es dem Bundestag gestatten würde, von seiner im Vorrang des Gesetzes zum Ausdruck kommenden Rechtsetzungsprärogative – statt durch Gesetz – in Form eines schlichten Parlamentsbeschlusses Gebrauch zu machen, also in einer Weise, die das Gesetzgebungsverfahren und die mit ihm verbundenen Anforderungen umginge. 919 W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S.137. Zu Zustimmungsbefugnissen für Parlamentsausschüsse ausführlich M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 224–227. 920 Vgl. aber die Regelung des Art. 45 S. 2 GG, wonach der Bundestag den Europaausschuss zur Wahrnehmung seiner Rechte gem. 23 GG gegenüber der Bundesregierung ermächtigen kann. Ausführlich S. Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 304 ff. 921 Das Brandenburgische Naturschutzgesetz (GVBl. I 1992, 208, zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.07.2002, GVBl.I 62, 72) statuiert an mehreren Stellen Mitwirkungsbefugnisse zugunsten des einschlägigen Fachausschusses: Nach § 15 Abs. 2 BbgNatSchG erfolgt die Festlegung eines erheblichen Teils potentieller Ausgleichsabgaben im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung durch den zuständigen Fachminister „im Benehmen mit den Ausschüssen für Landesentwicklung und Umweltschutz, für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landtages“. Nach § 48 Abs. 1 BbgNatSchG bedarf die Rechtsverordnung für bestimmte Bauverbote an Gewässern des Benehmens des Landtagsausschusses für Landesentwicklung und Umweltschutz. § 62 Abs. 3 BbgNatSchG ermächtigt den zuständigen Fachminister, durch Rechtsverordnung im Benehmen mit dem Ausschuss für Landesentwicklung und Umweltschutz des Landtages das Nähere über die Berufung, Amtsdauer und Entschädigung der Mitglieder der Naturschutzbeiräte zu regeln, die nach § 62 Abs. 1 BbgNatSchG bei den obersten und unteren Naturschutzbehörden gebildet werden. 922 W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 137. Ebenso bereits A. Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften, 1978, S. 176 f.
382 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung lichen Literatur soll die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen de constitutione lata zulässig sein. 923 Zur Begründung werden insbesondere Aspekte der „Funktionsgerechtigkeit“ angeführt. 924 Mittels einfachgesetzlicher Regelung könne ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten von Parlamentsausschüssen angeordnet werden, wenn sich die „parlamentsinterne Zuständigkeitsverlagerung als funktionsgerechte und organadäquate Aufgabenzuordnung darstellt“. 925 Nach anderer Ansicht sind Zustimmungs- und Änderungsbefugnisse zugunsten von Parlamentsausschüssen gleichermaßen unzulässig.926 Derartige Beteiligungsrechte führten zu einer ausschließlichen und für das Gesamtparlament konstitutiven Entscheidungsbefugnis, die mit Blick auf Zusammensetzung, Arbeitsziel und Arbeitsweise der Ausschüsse eine Verkürzung parlamentarischer Repräsentanz durch einen Verlust von Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments bewirke. 927 Weiterhin wird geltend gemacht, mit Mitwirkungsrechten für Parla923 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 119 ff.; W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung, 1970, S. 55; A. Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften, 1978, S. 182; F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, AVwR, 12. Aufl. 2002, § 6, Rn. 28 mit einschränkendem Einschub: Die Aktivierung der Parlamentsausschüsse könne in gewissen Grenzen durchaus sinnvoll erscheinen. 924 Nach W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung, 1970, S. 55 ist die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen an einen Ausschuss dann gerechtfertigt, wenn das Plenum selbst nicht in der Lage ist, die in Frage stehenden Aufgaben ordnungsgemäß wahrzunehmen, die Ausschüsse sich dagegen als der Aufgabe gewachsen anböten und außerdem die Position des Parlaments gegenüber der Exekutive eindeutig geschwächt würde, falls die Delegation unterbliebe. 925 T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 122. 926 Ablehnend etwa W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 137; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 226; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 19; ähnlich bereits W. Berg, Der Staat 9 (1970), S. 21, 28 f. Berg problematisiert die Repräsentationsfähigkeit von Parlamentsausschüssen, da diese nicht spiegelbildlich seien, keine der vielfältigen Zusammensetzung des Parlaments entsprechende Auswahl darstellten, sondern meistens einseitig nach fachlichen Gesichtspunkten und nicht im Hinblick auf Repräsentation des Volkes oder der Volksvertretung hin ausgewählt würden. Weiterhin seien die Ausschussverhandlungen nicht öffentlich; da die Öffentlichkeit kein verzichtbares Privileg des Bundestages ist, dürfe den Ausschüssen auch keine rechtsetzende Tätigkeit delegiert werden. Restriktiv T. Maunz, in: ders./ Dürig, GGK IV, Stand: 2003, Art. 80, Rn. 6: Eine Übertragung einzelner gesetzgeberischer Befugnisse von den gesetzgebenden Körperschaften auf einen Parlamentsausschuss sei nur zulässig, soweit die Verfassung dies ausdrücklich zulasse. Ein derartiger Sonderfall könne in Art. 53 a GG (Gemeinsamer Ausschuss) nicht gesehen werden (ebd.). H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 13, Rn. 10 bezeichnet die Mitwirkung von Bundestagsausschüssen als „problematisch“. 927 W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 137; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 226 hält das Argument des unzulässigen Ausschlusses des Plenums von parlamentarischen Rechtsetzungsbefugnissen insoweit für unzutreffend, als es der Gesetzgeber selbst sei, der über die parlamentsinterne „Delegation“ verfüge. Dieser habe es kraft des Vorranges des Gesetzes jederzeit in der Hand, eine gebilligte Rechtsverordnung aufzuheben oder die Zustimmungsbefugnis des Parlamentsausschusses zu revidieren.
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mentsausschüsse im aufgeführten Umfang würde der in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG enthaltene numerus clausus der Erstdelegatare umgangen. 928 Von der Subdelegation abgesehen erweise sich Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG als „Delegationssperre“. 929 Dem numerus clausus der Erstdelegatare entspreche ein numerus clausus der Zustimmungsberechtigten; dazu zählten allein der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und der/die Bundesminister. 930 Weitergehend wird dargelegt, ein Ausschuss-Zustimmungsrecht verbiete sich nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene, weil die Legislative selbst mit Rücksicht auf den Kompetenzbereich der Exekutive keine Rechtsverordnungen erlassen und daher auch Ausschüssen nicht gestatten dürfe, den Erlass zustimmend oder ablehnend zu beeinflussen. 931 Das Bundesverfassungsgericht hat bereits Mitte der 1950er Jahre entschieden, dass die Ausschüsse der gesetzgebenden Körperschaften nach der Ordnung des Grundgesetzes keine Befugnis besäßen, selbständig an der Rechtsetzung mitzuwirken. 932 3. Kompensationsstrategien Kompensationsproblematik und Kompensationsbegriff sind ein gemeinsames Problem von Verfassungsrechts- und Verwaltungsrechtswissenschaft. 933 Die gemeinsame Fragestellung ist, inwieweit Defizite bei der Einhaltung normativer Vorgaben ausgleichungspflichtig und durch andersartige Leistungen ausgleichungsfähig sind. Im Bereich des Verfassungsrechts haben insbesondere Kompensationsaspekte im Bundesstaatsverhältnis, 934 im Verhältnis der Bundesorgane 935 und im Niveau der de928 D. Wilke, AöR 98 (1973), S. 196, 228 f.; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 19; M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 226: Die Entscheidung über den Erlass und den Bestand von Rechtsnormen müsse bei den gesetzgebenden Körperschaften als Gesamtorganen liegen. 929 D. Wilke, ebd.; M. Nierhaus, ebd. 930 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 19; M. Nierhaus, ebd. 931 D. Merten, in: Dimensionen des modernen Verfassungsstaates, 2002, S. 53, 67 f. 932 BVerfGE 4, 193, 203; hierzu A. Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften, 1978, S. 173. 933 Zum Verlauf der rechtswissenschaftlichen Erörterung vgl. W. Brohm, in: VVDStRL 30 (1972), S. 245, 269; E. Klein, DVBl. 1981, S. 661 ff.; A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 19 ff. 934 Kompensiert werden hier Einbußen der Länder aufgrund des Übergangs von Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund durch die stetige Steigerung der Einflusssphäre des Bundesrats. Verfassungsrechtliche Absicherung erfährt diese Entwicklung durch Art. 79 Abs. 3 GG, der die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung garantiert. Interessanterweise werden im Rahmen der skizzierten Ausgleichsbewegung verloren gegangene Legislativkompetenzen (die Gesetzgebungskompetenz obliegt den Länderparlamenten) durch Exekutivkompetenzen (Bundesrat als Organ der Länderexekutiven) kompensiert; vgl. zum Ganzen K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, § 7, Rn. 221: Was die Länder an eigenständiger Gestaltungsmöglichkeit verloren haben, haben sie an Einfluss auf den Gesamtstaat zurückgewonnen.
384 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung mokratischen Legitimation 936 eine gewisse Prominenz erlangt. Das Verwaltungsrecht hat insbesondere am Beispiel des Umweltrechts, etwa im Kontext der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, Fragen der Ausgleichsbedürftigkeit und Ausgleichsfähigkeit von Rechtszuständen erörtert. 937 Eine besondere Relevanz für politische und rechtliche Kompensationskonzeptionen besitzt der Begriff des Verfahrens. Der Begriff des Verfahrens hat insbesondere im Anschluss an Niklas Luhmann 938 und Jürgen Habermas 939 einen steilen Bedeutungsanstieg erlebt, der in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen zu erfassen ist. 940
935 Vgl. Art. 23 Abs. 2–7 GG als Ausdruck der Kompensation von Kompetenzgewinnen der Bundesregierung im Bereich der stark exekutivlastigen Rechtsetzung auf der Ebene der EG durch Beteiligungsrechte des Bundestages und des Bundesrates. Zur Kritik vgl. R. Breuer, ZfW 1999, S.220, 231: Zwielichtige Praktikabilität dieser Regelungen. Positive Bewertung bei R. Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der EU, 1997, S. 373 ff. 936 Vgl. hierzu BVerfGE 93, 37, 66 (Personalvertretung): „Für die Beurteilung, ob dabei ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht wird, haben die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur unterschiedenen Formen der institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation Bedeutung nicht je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken. Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses kann bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein.“ 937 Vgl. hierzu A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 103–317. 938 Grundlegend N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl. 1978, S. 11 ff., 27 ff., 38 ff.; zur Rezeption in der Rechtswissenschaft U. Di Fabio, in: Niklas Luhmanns Denken, 2000, S. 139 ff. 939 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, zum prozeduralen Rechtsparadigma insbesondere S. 516 ff., zu den Prämissen etwa S. 516 f.: Mit dem Wachstum und dem qualitativen Wandel der Staatsaufgaben verändere sich der Legitimationsbedarf; je mehr das Recht als Mittel politischer Steuerung und sozialer Gestaltung in Anspruch genommen werde, um so größer sei die Bürde der Legitimation, die die demokratische Genese des Rechts tragen müsse; bezugnehmend auf die Rezeption seiner prozeduralen Grundlegung ders., in: Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 309, 337 ff. 940 Zur Rezeptionsgeschichte des Verfahrensbegriffs in der Rechtswissenschaft, für die sich neben den Einflüssen der Luhmann/Habermas-Schulen bis zurück in die 1950er und frühen 1960er Jahre eine eigenständige Entwicklungslinie jenseits von Theorieimporten aus der Soziologie nachweisen lässt, R. Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 135 ff. sowie E. Schmidt-Aßmann, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 ff. unter anderem unter Bezugnahme auf K. A. Bettermann/E. Melichar, in: VVDStRL 17 (1959), S. 118 ff., 183 ff.; vgl. auch die Überlegungen zum Ausgleich betroffener Grundrechtspositionen durch Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren bei P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961. Zu den Einflüssen aus dem US-amerikanischen Recht, so etwa des Administrative Procedure Acts von 1946, O. Lepsius, Verwaltungsrecht unter dem Common Law, 1997, S. 292 ff., 304 f.
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a) Kompensation durch Öffentlichkeitsbeteiligung? (1) Kritik der rechtswissenschaftlichen Legitimationsmodelle. Mit einer Rekonstruktion von Art. 80 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlicher Kompensationsregel Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Verfahren der Verordnungsgebung wird vom Gesetzgeber nicht nur zur Heranziehung spezifischen privaten Sachverstands 941 und zur Vorklärung politischer Konfliktlagen, 942 sondern vor allem auch zum Ausgleich ausfallender parlamentsgesetzlicher Steuerungsleistungen eingesetzt. 943 Dementsprechend konzipiert ein Teil der Rechtswissenschaft die Öffentlichkeitsbeteiligung am Verfahren der Verordnungsgebung als Instrument des Ausgleichs verfassungsrechtlicher Defizite, 944 das mitunter sogar für verfassungsrechtlich geboten erachtet wird. 945 Dabei geht es nicht um die (teilweise) Übertragung Vgl. etwa 1. Teil, II., 5., b), (3) und (4) am Ende. Vgl. die Darstellung bei M. Böhm, Der Normmensch, 1996, S. 5 ff. 943 Vgl. hierzu die Nachweise zu den Kompensationsintentionen verschiedener Verfahrensbestimmungen des geltenden Rechts bei BMU (Hrsg.), Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch 1998, S. 464 f.; zu den darüber hinausgehenden Zielsetzungen des Kommissionsentwurfs aaO, S. 481. 944 Aus dem Kreis der Autoren, die sich positiv auf die Kompensationswirkung von Modellen der Öffentlichkeitsbeteiligung beziehen vgl. E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 138 f.; C. Leitzke, Die Anhörung beteiligter Kreise, 1999, S. 105; M. Schäfer, Die Konkretisierung unbestimmter Sicherheitsstandards durch die Rezeption von Sachverstand, 1998, S. 129 ff.; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 51; K. Hansmann, in: FS Sendler, 1991, S. 285, 300; J. Salzwedel, NVwZ 1987, S. 276, 278 f.; dens., Umweltschutz, HStR III, 2. Aufl. 1996, § 85, Rn. 24; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S.168 ff.; A. Roßnagel, UPR 1986, S. 46, 50 ff. (Atomplanung durch Volksentscheid); R. Lukes, in: Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81, 92 ff. zur Forderung „untergeordneter Fachparlamente“ mit begrenzter Rechtsetzungsbefugnis; zustimmende Rezeption dieses Vorschlags bei T. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, S. 971; vgl. weiterhin P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 157 ff., insbes. S. 159, 168 f.; F. Merli, in: Rechtspolitik der Zukunft, 1999, S. 353, 375 ff. mit einem eindringlichen Plädoyer für eine „Demokratisierung der Verordnungsgebung“; E. Benda, in: Technische Risiken, 1981, S. 5, 10: Könne der Normgeber schon nicht materielle Beschaffenheitskriterien im gebotenen Umfang aufstellen, so sei er bei den „wesentlichen“ institutionellen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen für eine optimale Grundrechtsvorsorge in die Pflicht genommen; H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 231 ff. 945 So etwa die Forderung der Kompensation durch Öffentlichkeitsbeteiligung aus „staatsorganisationsrechtlichen wie grundrechtlichen Gründen“ bei P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 157, 158 f.; ähnlich A. Scherzberg, in: Wissen – Nichtwissen – Unsicheres Wissen, 2002, S. 113, 130: Die grundrechtssichernde und die kompetenzordnende Komponente des Gesetzesvorbehalts verpflichteten den Gesetzgeber insoweit, die Qualität staatlicher Entscheidungen durch eine geeignete Gestaltung des Entscheidungsverfahrens und eine sachgerechte Verteilung der Kompetenzen zu sichern und damit die Defizite materialer Steuerung prozedural zu kompensieren; allgemein zur Herleitung einer der Verfassung zu entnehmenden Pflicht, Verwaltungsentscheidungen auf Sachverständigenwissen zu stützen, A. Nußberger, AöR 129 (2004), S. 281, 283 ff. 941 942
25 Saurer
386 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung hoheitlicher Regelungsbefugnisse auf gesellschaftliche Akteure, deren verfassungsrechtliche Problematik insbesondere im Rahmen der sogenannten funktionalen Selbstverwaltung erörtert wird, 946 sondern um Vorschläge der kompensatorischen Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Verordnungsgebung. 947 So ist etwa nach Gertrude Lübbe-Wolff insbesondere der Verlust an Publizität, der mit der Regelung wesentlicher umweltrechtlicher Fragen durch Ausführungsvorschriften statt durch Gesetz verbunden ist, sowohl „ausgleichsbedürftig“ als auch (durch Beteiligung an der Verordnungsgebung) „ausgleichsfähig“. 948 Nach anderer Auffassung soll sich die Zulässigkeit der Kompensation durch Öffentlichkeitsbeteiligung aus einer Parallele zur verfassungsrechtlichen Konzeption der Satzung ergeben: Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG finde auf Satzungen keine Anwendung, weil diese ihre demokratische Legitimation durch das Bestimmungsrecht eines körperschaftlich verfassten „Verbandsvolks“ erfahren. 949 Ob die Beteiligung der Öffentlichkeit zwingend ist, richtet sich für Lübbe-Wolff nach der Wesentlichkeitstheorie; erfasst werden sollen alle Fälle, in denen nach den allgemeinen Kriterien von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip eine Regelung im Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG zu ergehen hat. 950 Die Studie von Erhard Denninger leitet das verfassungsrechtliche Erfordernis „pluralistischer Öffentlichkeitsbeteiligung“ aus ähnlichen Überlegungen ab. 951 Andere Autoren argu946 Vgl. W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997; E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; aus der aktuelle Verfassungsrechtsprechung BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen). 947 Vgl. zur demokratietheoretischen Dimension der Legitimation durch Verfahren bereits P. Häberle, JZ 1975, S.297, 301 ff. und dens., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 2.Aufl. 1996, S. 155 ff. Näher zur Grundrechtstheorie von P. Häberle in den Fn. zu BVerfGE 53, 30 (Mülheim-Kärlich). 948 G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219, 243. Transparenz und offenen Diskussion könne auch für die Produktion von Ausführungsvorschriften durch entsprechende organisatorische und verfahrensmäßige Vorkehrungen sichergestellt werden. Die Dominanz von Sonderinteressen könne bei der Ausarbeitung von Ausführungsvorschriften insbesondere durch eine pluralistische Zusammensetzung der jeweiligen Arbeitsgremien am Ausarbeitungsverfahren gesichert werden, dies., ebd. 949 W. Brohm, in: VVDStRL 30 (1972), S.245 ff., 269 f. Jedoch könne die demokratische Legitimation der Entscheidungsträger in Parlament und normsetzender Exekutive allenfalls ergänzt, nicht aber ersetzt werden, ders., aaO, S. 270, Fn. 69. Zustimmend H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 264 f., 267 mit umfassenden Verweisen auf weitreichende Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung nach US-amerikanischem Recht. 950 G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219, 244: Verfassungsrechtlich geboten sei die geregelte Ausgewogenheit in der Heranziehung externer Beratung, Beteiligungsoffenheit der Ausarbeitungsverfahren u. ä. nicht für die Produktion jeder beliebigen (...), sondern nur für Regelungen, die der Wesentlichkeit ihres Gegenstandes und Inhalts nach eigentlich durch Gesetz zu treffen wären, aus anderen verfassungsrechtlich akzeptablen Gründen aber doch nicht sinnvoll durch Gesetz getroffen werden könnten. 951 Das technische Sicherheitsrecht und ebenso das Umweltrecht seien wegen der Kompliziertheit der technisch-ökologischen Sachverhalte und Messmethoden und wegen des raschen Erkenntnisfortschritts dadurch gekennzeichnet, dass der parlamentarische Gesetzgeber weithin außerstande sei, die konkreten Risikoeinschätzungen mit den entsprechenden Grenzwer-
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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mentieren in Anlehnung an Niklas Luhmann und die Systemtheorie: Verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung vermöge eine „prozedurale Richtigkeitsgewähr“ zu vermitteln. 952 Allerdings erhebt sich gegenüber den dargelegten Kompensationsstrategien in der Literatur auch einige Kritik. 953 Die Ausgleichsfähigkeit der Elemente der sachlichen Legitimation, 954 Publizität und Transparenz in ihrer Gewährleistung durch das Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG wird zu Recht in Zweifel gezogen. 955 Es ist insbesondere das parlamentarische Stadium des Gesetzgebungsverfahrens, dessen spezifische Rechtserzeugungsqualität sich für die Verordnungsgebung als schwerlich einholbar erweist. In den Worten von BVerfGE 95, 267 garantiert der parlamentarische Prozess, dass die hier erzeugten Regelungen „aus einem ten selbst sachgerecht vorzunehmen, obwohl dies von der „Grundrechtsfunktion“ her „an sich“ seine Aufgabe wäre, E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, S. 175. Entlasse der Gesetzgeber daher – „notgedrungen“ – diese Stufe der Gemeinwohlkonkretisierung aus dem (jedenfalls verfassungsnormativ gesehen) mit allen Kautelen der Intention auf Gemeinwohlrichtigkeit ausgerüsteten Prozess parlamentarischer Willensbildung, so müsse er auf der substituierenden Stufe der exekutiven Willensbildung durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschriften dafür Sorge tragen, dass dort entsprechende Vorkehrungen zur Sicherung der Intention auf „Gemeinwohlrichtigkeit“ getroffen werden, ders., aaO, S. 169 f. Daraus folgert Denninger das Erfordernis pluralistischer Öffentlichkeitsbeteiligung, ders., aaO, S. 170. 952 M. Schulte, in: EUDUR I, 2. Aufl. 2003, § 17, Rn. 134; kritisch demgegenüber M. Kloepfer, in: HdTR, 2003, S. 11, 29 f. 953 M. Reinhardt, NVwZ 2003, S. 1446, 1451 kritisiert die „modischen Schlagworte von Transparenz und Publizität“ als „prozedurale Finessen“, die insbesondere von den Europäischen Gemeinschaften häufig eingesetzt würden. Diese suggerierten dem Bürger lediglich Beteiligung, eskamotierten aber letztlich wirkliche Mitwirkung in das Archiv der Demokratiegeschichte und böten damit nur Steine statt Brot. Vgl. weiterhin Ch. Heitsch, EuR 2001, S. 809 ff. zum „Transparenzprinzip als Legitimationsansatz“ und zur hiermit verbundenen Gefahr, die demokratisch geforderte Mitwirkung der Öffentlichkeit durch bloße Beobachtbarkeit zu ersetzen und damit letztlich nicht mehr, sondern weniger Demokratie zu bewirken. Auch nach Dietrich Murswiek kann die Gestaltung des untergesetzlichen Rechtserzeugungsverfahrens das Problem des gesetzlichen Regelungs- und des daraus folgenden Legitimationsdefizits nicht beheben: Das Demokratieprinzip verlange die Rückbindung an den Volkswillen, nicht die Entscheidung irgendwelcher Gremien von Interessenvertretern, Experten oder Betroffenen, ders., in: FS Kriele, 1997, S. 651, 668. Gegen eine umfassende Legitimationsfunktion des Modells der partizipatorischen Demokratie werden weiterhin geltend gemacht: die „Elitenstruktur“ der öffentlichen Beteiligung und die „Segmentierung der politischen Willensbildung“, so H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 268 im Anschluss an E.-W. Böckenförde, in: FS Eichenberger, 1982, S. 301 ff., 308 f., sowie die hohen Kosten, die für die beteiligte Öffentlichkeit entstehen, hierzu G. Lübbe-Wolff, ZG 1991, S. 219, 248. 954 Da die abschließende Entscheidung über das Zustandekommen der Rechtsverordnung jedenfalls formal bei den dazu berufenen staatlichen Organen verbleibt, stellt sich die Frage der Ausgleichsfähigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht als Problem der personalen Legitimation. 955 Vgl. D. Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes zur Durchführung von EG-Rechtsakten und völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Art. 80 Abs. 1, 2000, S. 177; D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 667 f. 25*
388 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichnet, die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet und auch den Betroffenen und dem Publikum Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten“. 956 Mit Blick auf das parlamentarische Verfahren betont Dieter Grimm den demokratischen Wert der „öffentlichen Debatte, in der Notwendigkeit, Zweck und Mittel eines Vorhabens begründet und der Kritik ausgesetzt werden müssen“ und der „Verknüpfung des gesellschaftlichen und des staatlichen Diskurses“.957 Durch die parlamentarische Publizität werde das Publikum in den Stand gesetzt, Stellung zu beziehen und auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Dies sei insbesondere für diejenigen Gruppen von Wichtigkeit, die nicht schon im Vorbereitungsstadium um ihre Meinung gefragt worden seien. 958 Konrad Hesse unterstreicht das demokratische Erfordernis eines „freien politischen Willensbildungsprozesses, der sich in voller Publizität vollzieht und optimale Berücksichtigung sowie optimalen Ausgleich der unterschiedlichen Bestrebungen verbürgt“. 959 Das Organ, das diesen Anforderungen durch seine Struktur entspreche, sei das Parlament. 960 Peter Häberle legt dar, aus dem Parlament als dem demokratisch unmittelbar legitimierten „Hauptorgan“ des demokratischen Verfassungsstaats heraus werde ein Stück „Öffentlichkeit der Verfassung“ geschaffen. 961 Nach der Analyse von Wilhelm Mößle kommen der parlamentarischen Entscheidung über den Aspekt der Transparenz des Entscheidungsfindungsprozesses 956 BVerfGE 95, 267, 307 f.; vgl. aus der vorhergehenden Rechtsprechung BVerfGE 85, 386, 403 f. mit ähnlicher Einordnung des Gesetzesgebungsverfahrens als einem Verfahren „das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassung auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären“. Vorhergehend BVerfGE 33, 125, 159: „In einem Staatswesen, in dem das Volk die Staatsgewalt am unmittelbarsten durch das von ihm gewählte Parlament ausübt, ist vor allem dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offengelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden. Der Staat erfüllt hier durch seine gesetzgebende Gewalt die Aufgabe, Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein.“ 957 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 503. 958 D. Grimm, ebd.; vgl. auch die Darstellung des parlamentarischen Prozesses bei U. Volkmann, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, Art. 20 (D), Rn. 42 als Gewährleistung des demokratischen Anerkennungs-, Interaktions- und Verantwortungszusammenhangs zwischen der Ausgangszuständigkeit des Volkes und der staatlichen Entscheidungsfindung. Das Parlament könne als einziges unmittelbar durch das Volk legitimiertes Staatsorgan durch die Besonderheiten seines Verfahrens, Öffentlichkeit und Diskussion, auch die Verkopplung mit der Meinungs- und Willensbildung des Volkes außerhalb der organisierten Staatlichkeit besser leisten als es andere staatliche Organe könnten; mit Unterscheidung von Öffentlichkeit und Offenheit als charakteristischer Kriterien des Gesetzgebungsverfahrens Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985, S. 96 ff. 959 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 504. 960 K. Hesse, ebd.; O. Lepsius, in: Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123 ff., betont die Garantiefunktion des Parlaments für die intersubjektive, erkenntnisleitende Konsensbildung, vgl. ebd. S. 152 ff., S. 170. 961 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2. Aufl. 2004, S. 411, 413.
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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hinaus vor allem im Hinblick auf die „politische Richtigkeitsgewähr“ deutliche Vorzüge gegenüber den Verfahren der Exekutive zu. 962 Der hier beschriebene parlamentarische Mehrwert, der dem im Gesetzgebungsverfahren gem. Art. 76 ff. GG erzeugten Recht zukommt, entfällt also zu einem erheblichen Teil, wenn eine gesetzliche Regelungsstruktur nicht die von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Regelungsdichte erreicht. Von diesem Ausgangspunkt wird nun der Frage nach dem legitimatorischen Ausgleichspotential einer ausgeweiteten Öffentlichkeitsbeteiligung am Verfahren der Verordnungsgebung nachgegangen. Festzuhalten ist dabei zunächst, dass sich das Niveau der demokratischen Legitimation einer Rechtsverordnung bereits im grundgesetzlichen Normalfall, also bei Vorliegen einer steuerungsstarken gesetzlichen Ermächtigungsstruktur, erheblich unter jenem des Gesetzes bewegt. Hierzu Konrad Hesse: „Gewiß ist Verordnungsrecht in schwächerem Maße demokratisch legitimiert als Gesetzesrecht, fehlt dem Verfahren der Verordnungsgebung die Publizität des Gesetzgebungsverfahrens, kann die Kritik der Opposition in ihm nur schwächer zur Wirkung gelangen und ist in der Entscheidung durch das Kabinett oder ein Ministerium nicht in gleicher Weise optimaler Interessenausgleich verbürgt wie in der nach dreimaliger Beratung ergehenden Entscheidung des Parlaments.“ 963 Das Grundgesetz nimmt dieses Legitimationsdefizit des Normalfalls der Rechtsverordnung als unvermeidliche Konsequenz der Eröffnung exekutiver Rechtsquellen aber ausdrücklich hin, indem es die exekutive Normsetzung in dualer Weise an das Gesetz bindet. 964 Insoweit kann in der Anordnung einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten gesetzlichen Ermächtigung durch Art. 80 Abs. 1 GG bereits für sich genommen eine grundgesetzliche Kompensationsregel erblickt werden: Die demokratischen Defizite des Verordnungsrechts werden kompensiert durch die qualifizierte Determinierungsleistung der in der parlamentarischen Publizität des Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG erzeugten Ermächtigung. Art. 80 Abs. 1 GG lässt sich also rekonstruieren als verfassungstextliche Fixierung einer zweiteiligen Kompensationsleistung, die der Gesetzgeber erbringen muss, wenn er sich des demokratisch defizitären Verordnungsrechts bedienen will. Der erste Teil der Kompensationsleistung liegt in der grundsätzlichen Statuierung einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG), der zweite Teil in der gesetzlichen Festlegung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung (Art.80 Abs. 1 S. 2 GG). Das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigungsstruktur, der die von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderte Regelungsdichte fehlt, bewirkt genau besehen also nicht das Eintreten eines defizitären Legitimationsniveaus, sondern vielmehr das Ausbleiben des zweiten Teils der verfassungstextlich geforderten Kompensationsleistung. Grund962 W. Mößle, in: Parlamentarische Konkurrenz?, 1996, S. 23, 29. Die parlamentarische Demokratie setze die parteipolitische Alternative voraus und eröffne damit die Chance und bisweilen den Zwang zur Überprüfung der eigenen Position, ders., ebd. 963 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 525. 964 Vgl. hierzu die Einführung des Konzepts der dualen Gesetzesbindung unter 3. Teil, III., 1.
390 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung sätzlich spricht nichts gegen die Übertragbarkeit dieser Rekonstruktion von Art. 80 Abs. 1 GG als Kompensationsmodell auf die Ausgleichsfähigkeit gegenüber Defiziten im Bereich weiterer Staatsstrukturprinzipien, die in Art.80 Abs. 1 GG ihren Niederschlag gefunden haben, so insbesondere das Rechtsstaatsprinzip.965 In Blick auf das demokratiespezifische Ausgleichspotential der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Verordnungsgebung ist also zu fragen, inwieweit diese eine Kompensationsleistung zu erbringen vermag, die dem ausgebliebenen zweiten Teil der verfassungsrechtlichen Vorgabe gleichkommt. Die Einschaltung der Öffentlichkeit in das Verfahren der Verordnungsgebung müsste hierzu in einer Weise auf den Inhalt der späteren Rechtsverordnung Einfluss nehmen, die in ihrer Publizitätund Rationalitätsdimension dem Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG und in ihrer Determinierungswirkung dem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gleichkommt. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass weder Anhörungsrechte für beteiligte Kreise wie in §§ 51 BImSchG, 60 KrW-/AbfG noch institutionalisierte Sachverständigenkommissionen wie in §§ 4, 5 GenTG die im Grundgesetz abgesicherte parlamentarische Publizität des Gesetzgebungsverfahrens 966 erreichen. 967 In beiden Fällen vermag es der Normgeber nicht zu gewährleisten, all jene zu beteiligen, die nach der Idee der öffentlichen Autonomie als Rechtsunterworfene sich gleichermaßen als Rechtserzeuger verstehen können müssen. 968 Dies bereits deshalb nicht, da es sich bei den einschlägigen Rechtsverordnungen regelmäßig um abstrakt-generelle Regelungen handelt, deren zukünftiger Adressatenkreis notwendiger Weise offen ist. 969 Weiterhin sieht sich der Verordnungsgeber in der Beteiligungsrealität, so auch nach den bei-
Vgl. bereits in der Einl., II., 4. Hierzu H. Dreier, in: ders., GGK II, 1998, Art. 20 (D), Rn. 73: Die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Demokratie beziehe sich sowohl auf plurale gesellschaftliche Kommunikation wie auch auf die Verhandlungen des Bundestages. Der beständige Dialog zwischen Parlament und gesellschaftlichen Kräften erweise sich für die Legitimität demokratischer Ordnung als genauso wichtig wie der Wahlakt selbst; vertiefend L. Kissler, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 36, Rn. 3 ff. 967 Kritisch zum Kompensationspotential von erhöhten verfahrensrechtlichen Anforderungen im Blick auf normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften L. Giesberts/J. Hilf, UPR 1999, S. 168, 172; B. Bönker, Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften, 1992, S. 101 ff. 968 Zu diesem Gedanken J. Habermas, in: Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S.293, 296. Hier sieht sich der Verordnungsgeber mit einem Problem konfrontiert, dem sich der parlamentarische Gesetzgeber regelmäßig zu entziehen vermag: Im Wissen um die praktischen Schwierigkeiten der öffentlichen Autonomie angesichts der Rechtsetzungsbedingungen moderner Industriegesellschaften wird diese Maxime ja regelmäßig im System der parlamentarischen Repräsentation fingiert. 969 Wobei dieses Problem die Gesetzgebung grundsätzlich in gleichem Maße trifft. Diese vermag jedoch aus der besonderen Legitimation parlamentarischer Repräsentation als Organisationsprinzip der Selbst-Gesetzgebung Argumente auch und gerade für die Regelung zukünftiger Fälle zu ziehen. Zur Ambivalenz der notwendig repräsentativen Organisationsform moderner Demokratien, die das Auseinanderfallen von Autoren und Adressaten des Recht zur Folge hat, und der Idee der Autonomie der Bürger, die dahin geht, dass sich die Adressaten zugleich als Autoren verstehen können, D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 490 f. 965 966
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spielhaft herangezogenen Verfahren der §§ 51 BImSchG, 60 KrW-/AbfG, §§ 4, 5 GenTG, nicht Individuen gegenüber, sondern Verbänden. 970 Um solche handelt es sich regelmäßig bei den staatlicherseits in Blick genommenen „beteiligten Kreisen“ und in ebensolchem, wenn nicht noch gesteigertem Maße bei den bisher bekannten Formen der Kooperation mit Sachverständigenkommissionen. Dieses korporatistische Orientierungsmuster geht an all jenen vorbei, die keine verbandsmäßige Organisation aufweisen können oder wollen. Eine Einschränkung, die mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz strikter Gleichheit schwerlich zu vereinbaren ist und zur Privilegienbildung innerhalb des Rechtsetzungsprozesses führt.971 Die gleichmäßige Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen ist also nicht gesichert. Da die Vorstrukturierung staatlicher Beteiligungsprozesse in gewisser Hinsicht aber unvermeidlich erscheint, ist an diesem Punkt die Idee der Öffentlichkeitsbeteiligung als solche in Frage gestellt. Denn auch ein Plädoyer für die Ausgleichsfähigkeit durch eine umfassende und folglich uneingeschränkte Öffentlichkeitsbeteiligung 972 scheitert schnell an den Grenzen unmittelbarer Demokratie, wie sie die Faktizität der modernen Massengesellschaft vorgibt. 973 Kann der Gesetzgeber bereits das erste Element der ausstehenden Kompensationsleistung nicht erbringen, nämlich die Erzeugung der Norm in einem Verfahren, das an die parlamentarische Publizität des Verfahrens nach Art. 76 ff. GG heranreicht, so gilt dies umso mehr für das zweite Element, nämlich die Verbindung der Öffentlichkeitsbeteiligung mit einer Determinierungswirkung, die jener des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gleichkommt. Denn die Beteiligungsoptionen des geltenden Rechts sind allesamt fakultativen Charakters und vermögen insoweit allenfalls politische Bindungswirkungen zu entfalten. In rechtlicher Hinsicht verbleibt die Letztentscheidung stets bei der Exekutive. Eine verpflichtende Vorzeichnung von Inhalt, Zweck und Ausmaß kann insoweit mit der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht verbunden sein. Man findet sich bezüglich dieses zweiten Aspekts in einem nicht auflösbaren Dilemma: Bei Statuierung einer inhaltlichen Bindung des Verordnungsgebers an die Beiträge der Öffentlichkeitsbeteiligung wäre zwar eine entsprechende Determinierung gegeben, es ergäben sich aber von einer anderen Seite aus neue, kaum überwindbare Kollisionen mit dem Demokratieprinzip. Denn Art. 20 Abs. 2 GG fordert grundsätzlich die Rückführbarkeit jeglichen Staatshandelns und damit auch jeder Form der Rechtsetzung auf den Volkswillen, wie er sich in der Bundestagswahl aktualisiert. Erforderlich ist dabei grundsätzlich ein gleichermaßen hinreichendes Ni970 T. v. Winter, Neue soziale Bewegungen 16 (2003), S. 37 ff.; BMWi (Hrsg.), Aktuelle Formen des Korporatismus, 2000; F. Traxler, PVS 42 (2001), S. 590 ff.; B. Wessels, APuZ 2000, B 26–27, S. 16 ff. 971 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 504. Hier auch zur Tendenz des Staates, nicht mit allen Betroffenen zu verhandeln, sondern nur mit den Inhabern von Vetopositionen. 972 W. Schmitt Glaeser, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35 ff., 53 f. unterscheidet die drei Stufen der Rechtsbetroffenenbeteiligung, der Interessenbeteiligung und der Popularbeteiligung. 973 Hierzu D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 490 ff.
392 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung veau der personellen wie der sachlich-inhaltlichen Legitimation, 974 wobei weithin für das Verhältnis beider Legitimationsstränge wechselseitige Kompensationen im Falle des einseitigen Absinkens des Legitimationsniveaus für zulässig, aber auch verpflichtend gehalten werden. 975 In der neuesten Literatur und Rechtsprechung deutet sich eine weitergehende Akzeptanz auch für weitreichende Kompensationsmodelle an. Besondere Bedeutung kommt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.12.2002 zu. 976 Für die Frage der Übertragbarkeit dieser Überlegungen, die potentielle Herausnahmen aus dem durchgehenden personellen Legitimationserfordernis zu ermöglichen versprechen, auf die Verordnungsgebung, ist zunächst deren Verortung im Recht der funktionellen Selbstverwaltung zu vergegenwärtigen. 977 Denn entscheidender Bezugspunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist das Grundverständnis des Verhältnisses der Selbstverwaltungskategorien zum Demokratieprinzip. Der kompensationsfreundlichste Teil der Literatur deutet Selbstverwaltung als einen Realisationsmodus der Demokratie, der als solcher das Defizit der staatsvolkvermittelten Legitimation auszugleichen vermöge. 978 Von verschiedenen Autoren wird ein derartiger demokratischer Gewährleistungsgehalt ausdrücklich über die kommunale Selbstverwaltung hinaus auch für die funktionale Selbstverwaltung 979 angenommen. 980 Demgegenüber sieht Ernst-Wolfgang Böckenförde den Grund für die Ak974 Eingehend zur Verfassungsdogmatik der Unterscheidung von personell-demokratischen und materiell-demokratischen Legitimationsstrukturen M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 330 ff., 334 ff. 975 Hierzu die eingehende Auseinandersetzung von Literatur und Verfassungsrechtsprechung (BVerfGE 83, 60, 71 f.; BVerfGE 93, 37, 66 f.) bei F. Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 333 ff. und A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 292 ff. 976 BVerfG v. 5.12.2002, 2 BvL 5 u. 6/98, JZ 2003, 1057 ff. = DÖV 2003, 678 ff. Vgl. für Nachweise zum Stand der Literatur die kritische Entscheidungsrezension von M. Jestaedt, JuS 2004, S. 649 ff.; weiterhin V. Neumann, RsDE Nr. 50 (2002), S. 60 ff. und M. Plantholz, Funktionelle Selbstverwaltung des Gesundheitswesens, 1998, S. 105 ff. 977 Näher A. Musil, DÖV 2004, S. 116 ff., auch zur Analyse der zugrunde liegenden Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts. 978 E. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 382 ff.; hierzu mit dem Begriff des „Realisationsmodus“ V. Neumann, aaO, S. 60, 65 ff. 979 A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 304 ff.; R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 318: Selbstverwaltung als Ergänzung und Regulativ des zentralen politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses; U. K. Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, 1969, S. 211 f. zur Zusammenschau der Idee „sozialstaatlicher Selbstverwaltung“ und „demokratischer Positionen des Grundgesetzes“; V. Neumann, RsDE Nr. 50 (2002), S. 60, 72; M.-E. Geis, in: Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, 2001, S.65, 78 f.; anders G. Borchert, NZS 2004, S.267, 290, der unter Berufung auf ein A maiore ad minus-Argument aus Art. 80 Abs. 1 GG bereits die Kompensationsbedürftigkeit der gesetzgeberischen Delegation durch (private) Gremien der Sozialversicherung verneint. 980 Zur Unterfütterung vermögen die in der vorhergehenden Fn. genannten Autoren auf BVerfGE 33, 125, 159 (Facharzt) zu verweisen, wo dargelegt wird, dass Selbstverwaltung und Autonomie „ebenfalls im demokratischen Prinzip wurzeln“; ähnlich jetzt BVerfG v. 5.12.2002, JZ 2003, 1057 ff. und BVerfG v. 13.7.2004, 1 BvR 1298/94 u. a. (Notarkassen).
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zeptanz von Legitimationsdefiziten bei der Satzungsgebung autonomer Körperschaften nicht in einem kompensierenden allgemeinen demokratische Realisationsmodus, 981 sondern alternativ in einer spezifischen verfassungsrechtlichen Anordnung, wie etwa in Art. 87 Abs. 2 GG für die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger 982 oder in „besonderen sachlichen Notwendigkeiten“. 983 Auch wenn die erstgenannte Auffassung durch die allerjüngste Verfassungsrechtsprechung, die die funktionale Selbstverwaltung als Ergänzung und Verstärkung des demokratischen Prinzips einordnet, 984 zusätzlichen Aufwind erfahren hat: Eine Übertragbarkeit der vorhergehend aufgezeigten Grundsätze der Legitimationskompensation im Bereich der autonomen Rechtsetzung der Selbstverwaltungskörperschaften auf die Verordnungsgebung auf der Grundlage steuerungsschwacher Ermächtigungsnormen ergibt sich nicht. Zunächst ist festzustellen, dass die kompensationsbedürftigen Legitimationsstränge an unterschiedlichen Stellen unterbrochen sind: Während bei der Rechtsetzung durch Selbstverwaltungskörperschaften die Kompensation des unterbrochenen personellen Legitimationsstrangs den Kern des Problems ausmacht, wird bei der Verordnungsgebung auf der Grundlage entleerter Ermächtigungsnormen der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang gefährdet. Weiterhin finden sich auch für das Legitimationsargument der (funktionalen) Selbstverwaltung als Realisationsmodus der Demokratie bei der Verordnungsgebung keine Anknüpfungspunkte. Denn eine Absonderung spezifischer Normadressaten ist gegenüber der allgemeinverbindlichen Rechtsetzung gerade nicht möglich, weder in der Form des Gesetzes, noch in der Form der Rechtsverordnung. 985 Für die hier verhandelte Fragestellung bleibt festzuhalten, dass die in Betracht kommenden Varianten der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht geeignet sind, Defizite im Bereich der von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderten Regelungsdichte zu kompen981 E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 33: „Die Errichtung von Trägern funktionaler Selbstverwaltung ist (...) nicht Ausdruck einer demokratischen Rückbindung der Verwaltung oder demokratischer Partizipation. Sie hat ihre Bedeutung und ihre Rechtfertigung in der Heranziehung und eigenverantwortlichen Beteiligung von Betroffenen an der dezentralen Erledigung von auf sie bezogenen Verwaltungsaufgaben (...).“ M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 549: Dass die einzig verfassungsrechtlich sinnhafte Erklärung die Anerkennung der (funktionalen) Selbstverwaltung als besondere Ausgestaltung des demokratischen Prinzips im Bereich der Verwaltung sein soll, vermöge nicht zu überzeugen. Statt dessen komme der Vorschrift des Art. 87 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 2. Alt. GG legitimationsrelevanter Ausgestaltungsgehalt zu. 982 E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 33 f. 983 E.-W. Böckenförde, ebd.; zu den besonderen sachlichen Notwendigkeiten soll neben der „Regulierung von Sozialbereichen unter Beteiligung der Betroffenen“ auch die Ermöglichung gemeinsamer Grundrechtswahrnehmung gehören, so etwa bei den wissenschaftlichen Hochschulen. 984 Hierzu die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 985 Vgl. die Bestimmung des originären Funktionsbereichs der Rechtsverordnung im 2. Teil, IV., 2., der die Rechtsverordnung zeigte als Instrument der (1) gesetzesakzessorischen, (2) dekonzentrierenden, (3) auf Allgemeinverbindlichkeit abzielenden (4) Selbst-Entlastung des Parlaments.
394 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung sieren. 986 Dies gilt für die Beteiligung der – mitunter nur unter größten Schwierigkeiten bestimmbaren – allgemein anzuhörenden Kreise wie für die Beteiligung höchst mittelbar legitimierter Fachgremien. 987 Auch für die rechtsstaatlichen Garantien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bedeutet ein Fall des Ausbleibens der geforderten Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungsnorm das Eintreten eines entsprechenden Defizits. 988 Hierzu betont Konrad Hesse, dass das Gesetz „das Entschiedene in klare, bestimmte und einsehbare Form“ bringe, diesem – relative – Dauerhaftigkeit und Verbindlichkeit sichere und damit jene Rationalisierung, Stabilisierung und Entlastung bewirke, die die rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes kennzeichne. 989 Jedoch vermag auch hier die Öffentlichkeitsbeteiligung am Verfahren der Verordnungsgebung keine Ausgleichsleistung zu erbringen. Denn diese ist in ihrer Ausgestaltung durch das geltende Recht kaum auf die Kompensation von Defiziten im Bereich der rechtsstaatlichen Garantien eingerichtet, 990 die mit dem Absinken gesetzlicher Regelungsdichte verbunden sind. 991 Hier tritt noch stärker als bei den Aspekten des Ausgleichs demokratischer Legitimationsdefizite zutage, dass die potentielle Kompensationsleistung auf einer dem Gesetzgebungsverfahren nachrangigen Ebene der Normenhierarchie verlangt wird. Denn die rechtsstaatlichen Garantien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, so insbesondere die Rechtssicherheit vermittelnde Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit des Staatshandelns, erfordern eine Verwirklichung unmittelbar auf der Ebene des Gesetzes und lassen sich dementsprechend untergesetzlich nicht mit einem äquivalenten Gewährleistungsgehalt verwirklichen. 992 Vgl. C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 137 ff. Zur fehlenden Tragfähigkeit von Kompensationskonzepten, die sich auf institutionalisierten Sachverstand stützen vgl. am Beispiel der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit nach § 4 GenTG M. Reinhardt, NVwZ 2003, S. 1446, 1451. 988 Zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 als einer Garantie des Rechtsstaatsprinzips die Nachweise in der Einl., II., 4. 989 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 505, Hervorhebung im Original. Indem auf diese Weise die Voraussetzungen und Grenzen bestehender staatlicher Akte festgelegt und ebenso sozialer Fürsorge und Daseinsvorsorge Form und festes Maß gegeben werde, werde die Gesetzgebung zugleich zu einer Form der Gewährleistung rechtsstaatlicher Freiheit, ders., ebd. 990 Vgl. hierzu die Nachweise in Einl., II., 4. sowie J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 24 im Anschluss an BVerfGE 34, 52, 60; BVerfGE 49, 148, 164; H.-J. Papier/ J. Möller, AöR 122 (1997), S. 177, 178, 179. 991 Unabhängig hiervon lässt sich darauf verweisen, dass die rechtsstaatlichen Qualitäten der Rechtsverordnung, auch wenn sie nicht an jene des Gesetzes heranreichen, im Abgleich zu weiteren staatlichen Handlungsformen wie insbesondere den Verwaltungsvorschriften durchaus eine eigenständige rechtsstaatliche Garantiefunktion begründen, vgl. eingehend hierzu im 4. Teil der Arbeit. 992 Vgl. hierzu nochmals die Entfaltung der Vorhersehbarkeitsformel durch das BVerfG in BVerfGE 1, 14, 60 (Südweststaat), BVerfGE 2, 307, 334 (Gerichtsbezirke), BVerfGE 4, 7, 21 (Investitionshilfe) sowie BVerfGE 5, 71, 76 (Kriegsgefangene), die Kritik bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S.320 und H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 165 986 987
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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(2) Kompensation und Verfahrenslegitimation in der Verfassungsrechtsprechung Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich eine Zustimmung zur Kompensation von Defiziten bei der Einhaltung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG durch Instrumente der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht entnehmen. 993 Auch aus der Entscheidung BVerfGE 10, 221 994 ergibt sich nichts anderes: Hier hatte das Gericht die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung der einfachgesetzlich vorgeschriebenen Sachverständigenanhörung vor der verordnungsrechtlichen Miethöhenfestsetzung zu würdigen. 995 Die Öffentlichkeitsbeteiligung in Form der Sachverständigenanhörung wurde dabei ausdrücklich in Bezug zur Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung gesetzt, indem das Gericht feststellte, der mit der Nichtanhörung verbundene Mangel des Normsetzungsverfahrens wiege schwer, wenn man berücksichtige, dass die „Pflicht zur Anhörung von Sachverständigen eine zunächst nicht näher umrissene Ermächtigung an die untere Verwaltungsbehörde förmlich begrenzt“ habe. 996 Der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde damit dezidiert die Fähigkeit zugesprochen, Defizite der Ermächtigungsnorm auszugleichen, mithin das Kompensationspotential bejaht. Jedoch weist der zugrunde liegende Fall Besonderheiten auf, die ihn als Sonderfall ausweisen und die allgemeine Übertragbarkeit scheitern lassen: Denn zu entscheiden war über die nachkonstitutionelle Fortwirkung der Verordnungsermächtigung eines nationalsozialistischen Gesetzes.997 Die Sachverständigenanhörung trat in dieser Konstellation also insbesondere deswegen in den Vordergrund, 998 weil etwa eine Auslegung der Ermächtigungsnorm unter dem Aspekt des Willens des historischen Gesetzgebers nicht in Betracht kam.999 In seiner späteren Rechtsprechung hat es das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich der sowie demgegenüber die Betonung der Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Norm im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes der Bürger bei M. Brenner, in: v.Mangoldt/ Klein/Starck, GGKIII, 4.Aufl. 2001, Art.80, Rn.38 und W. Mößle, BayVBl. 2003, S.577, 582 f. 993 Zur Betonung der spezifisch demokratischen Qualitäten des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die vorhergehenden Nachweise im Haupttext und in den Fn. zu BVerfGE 95, 267, 307 f.; BVerfGE 85, 386, 403 f. sowie BVerfGE 33, 125, 159. 994 BVerfGE 10, 221 (Miethöhen) zu § 2 des Gesetzes zur Ergänzung der Kleingarten- und Kleingartenpachtlandordnung vom 26. Juni 1935, RGBl. I, S. 809; Verlängerung der Geltungsdauer durch Gesetz vom 2. August 1940, RGBl. I, S. 1074. 995 Zur Entscheidung BVerfGE 10, 221 bereits unter dem Aspekt der Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern vorhergehend 3. Teil, VII., 1., b). 996 BVerfGE 10, 221 (Miethöhen). 997 Ausdrückliche Hervorhebung dieses Umstands bei BVerfGE 10, 221, 227: Die Ausnutzung der im Jahre 1935 erteilten Ermächtigung unter der Herrschaft des Grundgesetzes, das an die Delegation von Rechtsetzungsbefugnisse strenge Anforderungen stelle, werde durch die Pflicht zur Anhörung von Sachverständigen rechtsstaatlich erträglich. 998 Vgl. bereits 3. Teil, VII., 1., b). 999 S. Rose-Ackerman, Umweltrecht und -politik, 1995, S. 117 mit Fn. 34; E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 133 f.
396 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen, ob und wie er für den Erlass von Rechtsverordnungen Anhörungsverfahren anordne und dementsprechend den Kreis der Anzuhörenden abgrenze. 1000 Eine Stütze in der Verfassungsrechtsprechung scheint dagegen eher noch ein anderer Begründungsstrang zu finden, der im Ergebnis auf Öffentlichkeitsbeteiligung in Form der Betroffenenpartizipation abzielt: der Grundrechtsschutz durch Verfahren. 1001 Im Mülheim-Kärlich-Beschluss vom 20.12.1979 hat das BVerfG dargelegt, „dass Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und dass die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist“. 1002 Verschiedene Autoren haben – insbesondere unter Bezugnahme auf die neuere Verfassungsrechtsprechung zu Hochschulkapazitätenverordnungen (BVerfGE 85, 36, 57) – dargelegt, dass diese für das allgemeine Verwaltungsverfahren entwickelte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Verordnungsgebung Anwendung finden müsse. 1003 Diese BVerfGE 42, 191, 205 (Personenbeförderung). Grundlegend für die verfassungsrechtliche Fundierung des verfahrensbezogenen Grundrechtsverständnisses die Entwicklung des Konzepts des „status activus processualis“ bei P. Häberle, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43, 86 ff. Häberles Grundannahme ging dahin, der Berücksichtigung aller relevanten Interessen geöffnete Vorverfahren vermöchten „mehr Grundrechtswirklichkeit zu schaffen als verwaltungsgerichtliche ‚Nachverfahren‘, da im Vorstadium prozessual eingeführt wird, was dem materialen Gehalt des Grundrechts dient“, ders., aaO, S. 88. Zur Rezeption dieses Konzepts in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft und weiteren Etappen der dogmatischen Entwicklung H. Dreier, in: ders., GGK I, 2. Aufl. 2004, Vorbem., Rn. 105 sowie E. Denninger, in: HStR V, 1992, § 113, Rn. 5 ff., 19 ff. 1002 BVerfGE 53, 30, 65 (Mülheim-Kärlich). Ähnlich etwa BVerfGE 69, 315, 355. 1003 M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 335; H. Pünder, ZG 1998, S. 242, 255; vorhergehend F. O. Kopp, BayVBl. 1980, S. 97, 101; J. Pietzcker, in: VVDStRL 41 (1983), S.193, 218; E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, insbes. S. 169. Im Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG steht Gemeinden, die durch eine Rechtsverordnung des Bundes in ihrer Planungshoheit betroffen sind, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Anhörungsrecht zu, so BVerfGE 56, 298 (Flugplatz Memmingen), Ls.3 und S.320. Kritisch zur zugrunde liegenden Argumentation und zum gefundenen Ergebnis das „dissenting vote“ der Richter Wand und Niebler, S. 324 ff., insbes. S. 338: Das Grundgesetz kenne aus guten Gründen keinen Verfassungsrechtssatz, wonach Gesetze oder Rechtsverordnungen grundsätzlich nicht ohne Anhörung derjenigen erlassen werden dürfen, die durch die Rechtsetzung in ihren Rechten betroffen werden; diesem Aspekt folgend das Sondervotum des Richters Hirsch, aaO, 347 ff., 347. Unabhängig davon habe die Senatsmehrheit versäumt zu erörtern, ob jeder Verstoß des Verordnungsgebers gegen ein solches Anhörungsverbot zwingend die Nichtigkeit der Rechtsverordnung zur Folge haben müsse oder ob die Folge der Nichtigkeit unter anderem von der Schwere des Verstoßes, dem Sinn und Zweck der Mitwirkung und dem Gewicht des jeweiligen Mitwirkungsrechts abhänge (Minderheitenvotum der Richter Wand und Niebler, S. 346). Vgl. zur Rezeption des gemeindlichen Anhörungsrechts nach BVerfGE 56, 298 aus jüngerer Zeit VGH Baden-Württemberg, VBlBW. 2002, 521, 524 (zustimmend) und die Entscheidung des Revisionsgerichts BVerwGE 119, 245, 252 f. (Flugrouten) (ablehnend im Blick auf den zu entscheidenden Fall der Anhörung im Vorfeld einer Verordnung zur Festlegung von Flugverfahren). 1000 1001
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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grundrechtsspezifische Forderung nach Verfahrensbeteiligung hat aber prima facie mit Kompensationsaspekten nichts gemein; denn sie erhebt sich unabhängig von der Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur. 1004 Kompensationsdimension gewinnen die im Mülheim-Kärlich-Beschluss entwickelten Verfahrensrechte hingegen im Minderheitenvotum der Richter Simon und Heußner, das von dem Gedanken getragen wird, die staatlichen Organe hätten „nicht nur die Pflicht, die materiellen Grundrechte zu beachten, sie müssten ihnen auch durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung Wirksamkeit verschaffen“. 1005 Die Kompensationsdimension leuchtet auf in der Auseinandersetzung des Minderheitenvotums 1006 mit der „Gestaltung des Verfahrens für den Fall, dass sich materiell-rechtliche Voraussetzungen für eine staatliche Maßnahme nur durch ausfüllungsbedürftige Normbegriffe und Generalklauseln umschreiben lassen.“ 1007 Solche Normen und Generalklauseln erschienen „eher tragbar, wenn durch ein formalisiertes, gerichtlich kontrolliertes Verfahren dafür vorgesorgt werde, dass die wesentlichen Entscheidungsfaktoren geprüft und die mit der Norm angestrebten Ziele wirklich erreicht würden“.1008 b) Kompensation durch Beteiligung des Parlaments? Die parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalte 1009 stehen nach der gesetzgeberischen Intention in unmittelbarem Zusammenhang mit der Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung. 1010 Sie dienen der „Nachsteuerung“. 1011 Der Gesetzgeber schaltet sich in den Prozess der Verordnungsgebung ein, weil ihm die Steuerungswirkung des zugrunde liegenden Gesetzes und der einschlägigen Verordnungser1004 Zur Frage, welche Normen des Verfahrens- und Organisationsrechts Verfassungsgebote sind H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK I, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 2 GG, Rn. 94. 1005 BVerfGE 53, 30, 72 (Mülheim-Kärlich). Hierzu R. Wolf, KJ 1984, S. 239, 249. 1006 Minderheitenvotum der Richter Simon und Heußner, aaO, S. 75. Insbesondere in der Logik der Kalkar-Entscheidung könne es „verfassungsrechtlich nicht gleichgültig sein, wie gerade auch das behördliche Genehmigungsverfahren strukturiert ist und wer als Beteiligter auf die Entscheidung Einfluss nimmt“, Minderheitenvotum der Richter Simon und Heußner, aaO, S. 76. 1007 Minderheitenvotum der Richter Simon und Heußner, aaO, S. 75. 1008 Minderheitenvotum, ebd. 1009 Zur Typologie vorhergehend 3. Teil, VII., 2. 1010 Vgl. aus den Gesetzgebungsmaterialien zu der Kompensationsintention bei der Statuierung von parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalten BT-Drs. 10/4268, S. 113 hinsichtlich des Änderungsvorbehalts in § 292 IV HGB und BT-Drs. 11/7104, S. 22 und BR-Drs. 127/90, S. 58 hinsichtlich § 20 UmweltHG. 1011 BVerfGE 8, 274, 321 charakterisiert den Zustimmungsvorbehalt so, dass sich die Exekutive dabei „entscheidenden Einfluss auf Erlass und Inhalt der Verordnungen vorbehält“. Zur Kompensationsintention des Gesetzesgebers auch M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 189 (am Beispiel des Änderungsvorbehalts): Der Bundesgesetzgeber wolle in politisch wichtigen und sensiblen Fragen der Gesetzeskonkretisierung eine verstärkte parlamentarische Kontrolle über die delegierte Rechtsetzung ausüben und (wirkliche oder vermeintliche) Steuerungsdefizite in diesem Bereich kompensieren.
398 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung mächtigung als nicht ausreichend erscheint. 1012 Die Ermächtigungsstruktur wird als materiell defizitär und ausgleichungsbedürftig eingestuft. Die kompensatorische Zielsetzung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte tritt hierin deutlich zutage. 1013 Doch wie verhält sich das Verfassungsrecht zu dieser Zielsetzung des Gesetzgebers? Ist die nachfolgende Mitwirkung des Bundestages geeignet, verfassungsrechtliche Defizite der Verordnungsermächtigung auszugleichen? 1014 In der Literatur finden sich unterschiedliche Stimmen. 1015 Teilweise wird den nachgeschalteten Mitwirkungsvorbehalten die Wirkung der Kompensation verfassungsrechtlicher Defizite zugesprochen. 1016 Andere Autoren gehen zutreffend davon aus, dass 1012 Auch der ursprünglich in §40 GenTG enthaltene Änderungsvorbehalt, den sich der Bundestag für die Rechtsverordnung über die Sicherheitsseinstufungen nach § 7 GenTG eingeräumt hatte, wurde zunächst argumentativ verwendet, um verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der geringen Regelungsdichte des GenTG zu zerstreuen; vgl. die Stellungnahme der FDP-Fraktion in BT-Drs. 11/6778, S. 46 und die Darstellung bei F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt und Gentechnikrecht, 1995, S. 149 f.; in partiellem Widerspruch hierzu wurde der Änderungsvorbehalt 1993 aus dem GenTG gestrichen, ohne dass damit eine geänderte Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsverordnungen nach § 7 GenTG einhergegangen wäre. 1013 Deutlich kommt die auf den Ausgleich legitimatorischer Defizite gerichtete Intention bei der Etablierung parlamentarischer Mitwirkungsrechte auch bei dem Vorschlag eines ausgeweiteten Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Bundestages in § 22 Abs. 1, Abs. 2 des Sachverständigenentwurfs für ein Umweltgesetzbuch aus dem Jahr 1998 zum Ausdruck. Vgl. hierzu die Begründung in BMU (Hrsg.), UGB-KomE 1998, S. 481: „Mit einem solchen Interventionsrecht des Parlaments lässt sich der mit der delegierten Normsetzung einhergehende Verlust politischer Steuerung kompensieren, indem im Falle des politischen Konflikts der grundsätzliche Primat der legislativen Entscheidung aktualisiert wird.“ 1014 In Betracht zu ziehen sind dabei nur Zustimmungsvorbehalte wie in § 48 a Abs. 1 BImSchG a. F. und § 3 Abs. 1 UVPG sowie Ablehnungs- und Abänderungsvorbehalte wie in § 59 KrW-/AbfG und § 48 b BImSchG. Denn im Gegensatz zu bloßen Kenntnisgabeanordnungen nimmt der Bundestag hier Bezug auf die Rechtsverordnung. 1015 Vgl. mit weiteren Nachweisen J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1178 mit Fn. 27. 1016 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 56; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 61; F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt und Gentechnikrecht, S. 248: Die parlamentarische Zustimmung zur Rechtsverordnung könne eine „Verstärkerfunktion hinsichtlich der infolge geringer inhaltlicher Gesetzesbestimmtheit defizitären Steuerung und Legitimation des Handelns der Exekutive leisten“; W. Brohm, in: VVDStRL 30 (1972), S. 245, 269; A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 379; E. Friesenhahn, in: VVDStRL 16 (1958), S. 9 ff., 39 f., 71 f. (Ls. 11); G. Kisker, in: Schule im Rechtsstaat II, 1980, S. 9, 46; R. Scholz/H. Bismarck, in: Schule im Rechtsstaat II, 1980, S. 73, 121; M. Nierhaus, in: BKGG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 463: Zustimmungsverordnungen und sonstige mitwirkungspflichtige Rechtsverordnungen zeigten die richtige Richtung an, wie der partielle Ausfall des parlamentsbeschlossenen Gesetzes kompensiert werden könne: durch vor- oder nachgängige Beteiligung des Parlaments an der exekutiven Normsetzung. In gewissen Fällen scheint sich für Nierhaus die Kompensationsqualität der parlamentarischen Mitwirkung zu einer Kompensationspflicht zu verdichten, wenn es etwa bei dems., aaO, Rn. 463 heißt: „Die parlamentarische Mitwirkung an der Verordnungsgebung ist insbesondere in Fällen notwendig, in denen der ermächtigende Gesetzgeber aus Gründen mangelnder Normierbarkeit seine Steuerungsfunktion nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 (Programm- und Leitentscheidung) nicht ausreichend wahrnehmen kann, weil er selbst wichtige Entscheidungen dem Verordnungsgeber überlassen
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
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schlichte Parlamentsbeschlüsse keine geeignete Ausgleichsleistung für die ausfallenden Leistungen des Gesetzgebungsverfahrens nach den Art. 76 ff. GG darstellten. 1017 Ähnlich wie bei der Frage nach der Kompensationswirkung einer ausgeweiteten Öffentlichkeitsbeteiligung bleibt auch hier die angebotene Ausgleichsleistung hinter der verfassungsrechtlich vorgegebenen Rechtserzeugungsqualität zurück. 1018 Bei der etablierten Handhabung schlichter Parlamentsbeschlüsse fehlen insbesondere die Verbürgungen der Oppositionsrechte und der Öffentlichkeit, die die spezifische Qualität des Verfahrens nach Art. 76 ff. GG ausmachen. 1019 Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich aus der Entscheidung zum Preisgesetz entwickeln (BVerfGE 8, 274, insbes. 321 ff.), deren Charakter als Leitentscheidung zum Problemfeld parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte allgemein anerkannt ist. 1020 In dieser Entscheidung setzt sich das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtsfigur des Zustimmungsvorbehalts in ihrer kompensatorischen muss, die dieser nur unter konkreten Umständen oder in kurzer Frist sachgerecht treffen kann.“ Allerdings stellt derselbe Autor nur wenig später fest, „die Kompensation eines teilweisen Verzichts auf ein materielles Bestimmtheitsgebot und mangelnder Legitimation durch Verfahren“ sei „ohne Verfassungsänderung nicht zu ereichen“ (ders., aaO, Rn. 464). 1017 So etwa R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGKII, 2002, Art.80, Rn.52; T. v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsebers, 1989, S.125 ff.; W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 136 lehnt eine Kompensationswirkung in enger Anlehnung an E. Klein, DVBl. 1981, S. 661 ff. (vgl. dort bereits S. 661 zur Unterscheidung von Ausgleichswürdigkeit und Ausgleichszulässigkeit) ab. Zweifelhaft ist allerdings Schwanengels Annahme, nach der bereits ein Kompensationsbedürfnis fraglich sei, da die sachmaterienhaft erzwungene Offenheit der Delegationsnorm unter vorbehaltsrechtlichen Aspekten grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, ders., aaO, S.136 mit nachfolgend plausibler Argumentation auf S. 136 f. Ablehnend auch Ch. Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 245 f. im Blick auf Zustimmungsverordnungen: Der Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unterscheide nicht zwischen „Zustimmungsverordnung“ und anderen Rechtsverordnungen. Eine bloße Zustimmung verschaffe der Volksvertretung wegen des nicht eingehaltenen Gesetzgebungsverfahrens mit seinen drei Lesungen und mit der Befugnis jedes Abgeordneten, Änderungen zu allen Einzelfragen zu beantragen, schwächere Einwirkungsmöglichkeiten als ein Gesetz. 1018 Vgl. nochmals 3. Teil, VII., 3., a). 1019 Vgl. C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 137 ff.; W. Schwanengel, Einwirkungen der Landesparlamente auf die Normsetzung der Exekutive, 2002, S. 136; zu Transparenz und Artikulation in der Parlamentsöffentlichkeit L. Kissler, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 36, Rn. 3 ff.; eingehend zur verfassungsrechtlichen Bedeutung und politischen Praxis der parlamentarischen Opposition in dem letztgenannten Werk H.-P. Schneider, § 38, insbes. Rn. 15 ff., 29 ff., 34 ff., 43 ff. 1020 Vgl. die Darstellung bei R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 52 und A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 299 ff.: Danach ist der Beschluss in BVerfGE 8, 274 bis heute die zentrale Entscheidung zur Einschaltung des Parlaments in den Verlauf der Verordnungsgebung geblieben. In Staatspraxis und Rechtswissenschaft wurde die Entscheidung zustimmend rezipiert, teilweise auch der Fortentwicklung der staatlichen Handlungsformen zugrundegelegt. Vgl. nochmals die Ausführungen zum Ablehnungs- und Änderungsvorbehalt in §20 Abs.2 UmweltHG in BT-Drs. 11/7104, S.28 sowie die gegenteilige Auffassung des Bundesrates, ebd., S. 31.
400 3. Teil: Die Konfrontation mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Zielrichtung auseinander. 1021 Dies kommt in der Charakterisierung der Zustimmungsvorbehalts als Instrument der Sicherung „entscheidenden Einflusses auf Erlass und Inhalt der Verordnungen“ zum Ausdruck. 1022 Denn einer derartigen Sicherung bedarf es nur, wenn die Steuerung durch die der Verordnung vorgehende Ermächtigungsstruktur als nicht ausreichend und damit als defizitär empfunden wird. Das Gericht findet seine Entscheidung unter besonderer Würdigung des einschlägigen Sachbereichs des Zoll-, Zolltarif- und Preiswesens, den es durch zwei wesentliche Elemente gekennzeichnet sieht: Zum einen unterliege der Regelungsgegenstand der „wirtschaftlichen Verhältnisse“ einem rasanten und andauernden Wandel, 1023 zum anderen seien die gesetz- und verordnungsgeberischen Entscheidungen von erheblicher ökonomischer und politischer Tragweite. 1024 Diese beiden Elemente ergeben das „legitime Interesse“ des Bundestages am Vorbehalt des nachgeschalteten Einverständnisses und werden so zur Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit. Aus der spezifischen Kennzeichnung des Sachbereichs und der von ihr ausgehenden Rechtfertigung des Mitwirkungsvorbehalts folgert das Bundesverfassungsgericht nun aber keineswegs die Option eines Dispenses oder auch nur einer Einschränkung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verordnungsermächtigung. Vielmehr stellt das Gericht ausdrücklich fest, auch Verordnungsermächtigungen, denen ein parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalt nachfolge, „müssen den Anforderungen von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entsprechen“. 1025 Die Argumentation, nach welcher der Zustimmungsvorbehalt eine potentiell zur Vereinbarkeit mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG führende Begrenzung der Ermächtigung darstellen soll, wird also ausdrücklich verworfen. 1026 Eine Bestätigung dieser Absage an die Projektion verfassungsrechtlich relevanter Kompensationsstrategien findet sich in BVerfGE 24, 184. Hier legt das Gericht unter Bezugnahme auf BVerfGE 8, 274 zunächst die Beschränkung der Rechtsetzungsformen auf Gesetz und Rechtsverordnung dar 1027 und stellt im Anschluss klar: „Der Bundestag kann eine Verordnung, deren Gültigkeit zweifelhaft ist, nicht nachträglich ‚genehmigen‘.“ 1028
1021 Die Übertragbarkeit der verfassungsgerichtlichen Ablehnung einer Kompensationswirkung auf die Ablehnungs- und Abänderungsvorbehalte ergibt sich daraus, dass es sich bei diesen wie bei den Zustimmungsvorbehalten um einfache Parlamentsbeschlüsse auf der Grundlage eines Verordnungsentwurfs handelt. 1022 BVerfGE 8, 274, 321. 1023 BVerfGE 8, 274, 321. In aktualisierter Terminologie würde man dem zu regelnden Sachbereich eine besondere „Komplexität“ zusprechen. 1024 BVerfGE 8, 274, 321. 1025 BVerfGE 8, 274, 322 f. 1026 BVerfGE 8, 274, 323. Die verworfene Auffassung schreibt das BVerfG (vgl. BVerfGE 8, 274, 319 f.) dem zweiten Senat des Bundesverwaltungsgerichts zu (wohl BVerwGE 1, 104, 111); vgl. weiterhin OVG Hamburg, NJW 1953, 879, 880; OVG Lüneburg, ZMR 1957, 411, 413; W. Weber, DÖV 1957, S. 33, 35. 1027 BVerfGE 24, 184, 199 (Apostille). 1028 BVerfGE 24, 184, 199 im Anschluss an BVerfGE 22, 330, 346.
VII. Rechtsverordnung und Beteiligungsformen
401
c) Kompensation durch Zweckrichtung der Verordnungsermächtigung? Auch hinter dem oben erörterten Problem, ob der Verweis auf die Funktion der Umsetzungsrechtsetzung einen Dispens von den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht, verbirgt sich ein Problem der Kompensation. 1029 Dabei handelte es sich, wollte man der oben abgelehnten Ansicht folgen, um einen Fall der Kompensation durch die Zweckrichtung der Verordnungsermächtigung. Insoweit ist es aus Gründen der Systematisierung geboten, dieses Problem der Verordnungsermächtigungen zur EG-Richtlinienumsetzung an dieser Stelle noch einmal anzuführen. 1030 Der Nachweis, dass allein die Zielrichtung der Umsetzungsrechtsprechung 1031 keine erleichterten Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung rechtfertigt, ist im Gesamtzusammenhang der europarechtlichen Dimension der Funktionszuordnungen bereits erbracht.1032 Ausschlaggebend ist nach den obigen Darstellungen zum einen das fortgeltende Ermessen in der Frage der Rechtsformwahl zwischen Gesetz und Rechtsverordnung, zum anderen vermag eine einfachgesetzliche Entscheidung ohne verfassungsrechtliche Unterfütterung nicht von verfassungsrechtlichen Vorgaben zu suspendieren. 1033 Es zeigt sich also, dass die ausfallende Legitimationsleistung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 76 ff. GG weder durch eine ausgeweitete Beteiligung gesellschaftlicher Kreise und Sachverständigenkommissionen, noch durch nachfolgende einfache Parlamentsbeschlüsse oder eine spezifische Zweckrichtung der Verordnungsermächtigung ausgeglichen werden kann.
Vgl. bereits 3. Teil, IV., 3. Näher 3. Teil, IV., 3., c). 1031 Insoweit hat auch der – für sich genommen zutreffende – Hinweis auf die grundsätzliche Integrationsoffenheit des Grundgesetzes nach Art. 23, 24 GG keine andere Bewertung zur Folge. 1032 3. Teil, IV., 3., c). 1033 3. Teil, IV., 3., c). 1029 1030
26 Saurer
Vierter Teil
Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung Die Konfrontation der gesetzgeberischen Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung in ihren verwaltungsrechtlichen Ausprägungen mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung hat eine Vielzahl von Erkenntnissen zur gegenwärtigen Theorie und Dogmatik der Rechtsverordnung erbracht: So die Rekonstruierbarkeit einer grundgesetzlichen Funktionssystematik, 1 Ansätze zur Bestimmung des originären Bereichs und eigenständigen Leistungsprofils der Rechtsverordnung als Beitrag zu einer Theorie des Regulatory Choice, 2 die Einführung des Rechtsregimes des Art. 80 Abs. 1 GG als Konzept der dualen Gesetzesbindung, 3 die legitimatorische Grundausrichtung der Verfassungsrechtsprechung 4 sowie die ambivalenten Einwirkungen des Europarechts. 5 Dabei hat sich gezeigt, dass die gegenwärtige einfachgesetzliche Handhabung der Rechtsverordnung in verschiedener Hinsicht im Widerspruch zum Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung verharrt. Insbesondere stehen die mannigfaltigen und weitreichenden Funktionszuordnungen – die für sich genommen und grundsätzlich allesamt von der Verfassung zumindest gebilligt, im Fall der grundmodalen Primärfunktionen 6 sogar vorgegeben werden – in einem prinzipiellen Spannungsverhältnis zur namentlich von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG geforderten Regelungsdichte der Verordnungsermächtigung. 7 Die mit der Ausdifferenzierung der Verordnungsfunktionen einhergehende Entleerung der Ermächtigungsnormen bewirkt eine systemwidrige Verschiebung der grundgesetzlichen Rechtsetzungsorganisation: Indem mit der determinierenden Ermächtigungsnorm der maßgebliche Unterschied beider Rechtsformen fällt, wird die im Ausgangspunkt heteronome Rechtsform der Rechtsverordnung der autonomen Rechtsform der Satzung angenähert. 8 Gleichermaßen Ausdruck eines vom Gesetzgeber zu verantwortenden Verschwimmens der grundgesetzlich vorgezeichneten Unterschiede der Rechtset2. Teil, I.–III. 2. Teil, IV. 3 3. Teil, III. 4 3. Teil, II. 5 3. Teil, IV. 6 2. Teil, I.–II. 7 3. Teil, II., 1. 8 3. Teil, III. Die vom Verfassungsgericht auf das Satzungsrecht angewandte Wesentlichkeitslehre vermag nach dem hier gefundenen Ergebnis die eintretenden Defizite nicht zu substituieren. 1 2
4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
403
zungsformen sind die Bereiche des funktional äquivalenten Einsatzes von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften. Dies birgt in Verbindung mit der weitgehenden Annäherung des Verfahrensrechts beider Rechtsformen die Gefahr der Überblendung der verfassungsrechtlichen Grundausrichtung der Verwaltungsvorschriften. 9 Eine Auflösung der Formdifferenzen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Gesetz deutet sich an mit der Etablierung weitreichender parlamentarischer Mitwirkungsrechte im Verfahren der Verordnungsgebung. 10 Dieses betrübliche verfassungsrechtliche Zeugnis für die am Umweltrecht exemplifizierte gegenwärtige Gesetzgebung wirft die Frage nach den organisatorischen Folgerungen für die strukturelle Gestaltung zukünftiger Rechtsetzung auf. Fest steht das Ziel der Wiederannäherung der Rechtsetzungsorganisation des besonderen Verwaltungsrechts an die verfassungsrechtlichen Vorgaben namentlich des Siebten Abschnitts des Grundgesetzes. 11 Dieses Ziel bedarf dabei aus den bisherigen Ergebnissen der Arbeit heraus der Ergänzung, weist doch die Rechtsform der Rechtsverordnung ein rechtliches Rationalitätspotential auf, welches sie gegenüber anderen exekutiven Handlungsformen als vorzugswürdiges Rechtsetzungsinstrument erscheinen lässt. 12 Dieses Rationalitätspotential gilt es nunmehr näher zu entfalten. Insoweit steht diese Arbeit wie die Rechtswissenschaft insgesamt vor der gewaltigen und spannungsvollen Aufgabe der Transformation einer Rechtsetzungsorganisationsstruktur, die einerseits die verfassungsrechtlich prekären Elemente der bisherigen Gesetzgebungspraxis aussondern und andererseits die Rationalitätsgarantien erhalten und bestenfalls sogar ausbauen soll. 13 Dieses Projekt steht aufs Ganze geVgl. 3. Teil, V. Näher 3. Teil, VII., 2. 11 Hierzu aus dem 3. Teil insbes. II., 2., g). 12 Zum Zusammenhang von Recht, Rechtsformen und Rationalität vgl. W. Krawietz, in: FS Winkler, 1997, S. 515 ff.; B. Peters, Rationalität, Recht, Gesellschaft, 1991; J. Esser, in: 100 Jahre oberste deutsche Justizbehörde, 1977, S.13 ff.; zur politischen Rationalität abstraktgenereller Rechtsetzung O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S. 264, 303 ff.; zum Motiv der „Rationalisierung“ der Ausübung administrativer Macht auf dem Wege einer „Rekonstruktion des dem Recht und dem demokratischen Rechtsstaat eigentümlichen normativen Gehaltes“ J. Habermas, in: Die Einbeziehung des Anderen, 1996, S. 309, 379; in interdisziplinärer Perspektive die Beiträge in G. Banse/A. Kiepas (Hrsg.), Rationalität heute, 2002; zum dialektischen Gehalt des insbesondere wissenschaftlich-instrumentellen, technischen und ökonomischen Rationalitätsbegriffs, dessen spezifische Entwicklungslogik die Schaffung neuer Risiken impliziere R. Wolf, in: Rechtliches Risikomanagement, 1999, S. 65, 65 f.; im Überblick zu Grundbegriffen der staatswissenschaftlichen Rationalitätsdiskussion A. Scherzberg, in: Liber Amicorum H.-U. Erichsen, 2004, S. 177, 180 ff. 13 Vgl. für einen ersten Anhalt R. Breuer, NVwZ 1988, S. 104, 110: Rechtsverordnungen seien prädestiniert, die Kluft zwischen den unbestimmten, schwer anwendbaren Rechtsbegriffen eines Gesetzes und den gebotenen Einzelfallentscheidungen zu überbrücken. Sie könnten und sollten auf der Grundlage sowie in den Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung die oft prekären, aber unvermeidbaren Regelungsschwächen des Gesetzes überwinden und damit die Rechtsanwendung auf eine genauere und sichere Basis stellen. Rechtsverordnungen bedeuteten eine Stärkung der Rechtsbindung und der gerichtlichen Kontrolle. 9
10
26*
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
sehen erst am Anfang, so dass auch im Folgenden nur ein kleiner Schritt gegangen werden kann. Ansatzpunkte für die Rekonstruktion der rechtlichen Rationalität der Rechtsverordnung bieten der regelmäßig abstrakt-generelle Charakter dieser Rechtsform,14 Aspekte des verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 15 ihre spezifisch verfassungsrechtliche Verankerung 16 und insbesondere die Stellung der Rechtsverordnung als Instrument der Regierungsrechtsetzung. 17
I. Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters Der abstrakt-generelle Charakter hoheitlicher Rechtssätze wird in langer rechtsphilosophischer und staatsrechtlicher Tradition in der Absicht re- und dekonstruiert, die staatlichen Handlungsformen als Garantinnen verschiedener rechtlicher Gewährleistungen zu rationalisieren. Waren die Überlegungen zur Allgemeinheit ehedem weithin auf das Institut des Gesetzes begrenzt, so sind sie mit dem Funktionswandel von Gesetz und Verordnung im Übergang von der (konstitutionellen) Monarchie zur parlamentarischen Demokratie 18 auf die Rechtsverordnung zu erstrecken. 19 Unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes sind Gesetz und derivative Rechtsverordnung zwar nicht (mehr) zwingend, immerhin aber regelmäßig abstrakt-generellen Charakters. 20 Insoweit hat das Gesetz und mit ihm die Rechtsverordnung Anteil an den Vorzügen abstrakt-genereller Normen. 21 Hierzu 4. Teil, I. Hierzu 4. Teil, II. 16 Hierzu 4. Teil, II. und insbesondere III., 1. u. 2. 17 Hierzu 4. Teil, 3. 18 Zum Funktionswandel des Gesetzes im Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie und schließlich zur parlamentarischen Demokratie und dem mit ihm einhergehenden Funktionswandel der Verordnung I. Maus, in: Rechtstheorie und Politische Theorie, 1986, S. 11 ff.: Danach ist das parlamentarische Gesetz von der Schranke des Staatshandelns zu dessen Grundlage, die Rechtsverordnung vom originären Recht der monarchischen Exekutive zum Instrument der gesetzesakzessorischen Rechtsetzung geworden. Mit diesem Funktionswandel wurden wesentliche Elemente, die ehedem allein dem Gesetz zuzuschreiben waren, auf die Rechtsverordnung erstreckt, so auch die Aspekte des abstrakt-generellen Inhalts. Zur Unterscheidung von herrschaftsbegrenzenden und herrschaftsbegründenden Verfassungselementen O. Lepsius, in: Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, S. 366 ff. 19 Zur Begründung dieses Zusammenhangs aus der grundgesetzlichen Verfassungsdogmatik E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 132, Fn. 2; aus der Stufenbautheorie der Reinen Rechtslehre H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1976), S. 235. Näher hierzu in der Einl., II., 5., e). 20 Vgl. hierzu die Herleitung im 2. Teil, II., 3., nach welcher der generell-abstrakte Charakter der Rechtsverordnung zwar regelmäßig gegeben, nicht aber verfassungsrechtlich zwingend ist. Folglich kann etwa Einzelfall-Verordnungen ihre Rechtmäßigkeit nicht abgesprochen werden. 21 Zum Heranrücken der Rechtsverordnung an das demokratisch legitimierte Gesetzgebungsgeschehen infolge des Zugestehens einer sie „vom sonstigen Verwaltungshandeln abset14 15
I. Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters
405
1. Das Postulat abstrakt-genereller Rechtsetzung in verfassungs- und ideengeschichtlicher Perspektive Ausgehend von der Überlegung, dass der abstrakt-generelle Charakter eine besondere rechtliche Rationalität gewährleistet, spiegeln sich im Postulat des Abstrakt-Generellen entsprechend der vernunftrechtlichen Tradition 22 demokratische, menschenrechtliche und rechtsstaatliche Ziele. 23 In verfassungs- wie ideengeschichtlicher Perspektive findet sich als ein häufig gebrauchtes Synonym für den Begriff des Abstrakt-Generellen jener der „Allgemeinheit“. Diese Tradition der Allgemeinheit stellt insbesondere auf die Perspektive der Verallgemeinerungsfähigkeit ab. 24 Klassische Formulierungen abstrakt-genereller Gesetzesbegriffe stammen etwa von Aristoteles, 25 Thomas von Aquin, 26 Kant, 27 Rousseau, 28 aus der Déclarazenden Dignität als Rechtsetzungsakt“ M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Vorb. § 47 VwGO, Rn. 3. 22 Ch. Starck, in: Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S. 17, 19; ders., Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 210 ff. und H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260 ff. Hier auch zum Niederschlag der vernunftrechtlichen Tradition in den Verfassungen des west-europäisch-nordamerikanischen Typs. 23 P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 537 zum Kriterium der Allgemeinheit des Gesetzes als Verbürgung einer inneren Richtigkeitsgewähr der getroffenen Regelung und als Ausdruck des vernunftrechtlichen Gedankens der Herrschaft des Rechts anstelle des Despotismus der Willkür des Herrschers. 24 Ch. Starck, in: Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S.17, 19: Maßstäbe für die Verallgemeinerungsprobe ergäben sich aus dem Prinzip des Ausgleichs zwischen freien Menschen, insbesondere den Grundrechten und den Staatszielbestimmungen, die Differenzierungsgebote, -verbote und -erlaubnisse enthalten, die u. a. den erforderlichen Minderheitenschutz gewährleisten. 25 Aristoteles, Rhetorik, Buch I, Kap. 1 Nr. 7 (1354 b 4 ff.), zitiert nach der Übersetzung von F. G. Sieveke, 1980, S. 8: „Am zweckmäßigsten ist es also, dass richtig erlassene Gesetze, soweit es angeht, alles selbst genau festlegen und möglichst wenig denen überlassen, die das Urteil fällen: erstens weil es leichter ist, einen oder wenige zu finden als viele, die die rechte Gesinnung haben und befähigt sind, Gesetze zu geben und Recht zu finden; zweitens geht die Gesetzgebung aus langwährenden Überlegungen hervor, die Urteilssprüche dagegen aus dem Augenblick heraus, so dass es schwer für die Urteilenden ist, Recht und Nutzen richtig zu gewähren. Das wichtigste von allem aber ist, dass das Urteil des Gesetzgebers nicht auf den Einzelfall, sondern auf das Künftige und Allgemeine zielt, während der Mann in der Versammlung oder der Richter bereits über Gegenwärtiges und Spezielles urteilt; bei ihnen kommen auch oft schon Liebe, Haß und der eigene Vorteil unterstützend hinzu, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, das Wahre hinreichend zu sehen, sondern eigene Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit das Urteil verdunkelt.“ 26 Thomas v. Aquin, Summa Theologica, I–II, Quaestio 90, Artikel 4, zit. nach der Deutschen Thomas Ausgabe, 13. Bd., 1977, S. 15: „Et sic ex quatuor praedictis potest colligi definitio legis, quae nihil est aliud quam quaedam rationis ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata.“ 27 I. Kant, Metaphysik der Sitten, 1797, Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, §§43–53, insbes. §46: „Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, sofern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein.“ Zitiert nach der Ausgabe von H. Ebeling, 1990, S. 167 ff., insbes. 170.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
tion des droits de l’homme et du citoyen vom 26.8.1789 29 und von Hegel. 30 In der deutschen Verfassungstradition wurde der Gedanke 31 der Allgemeinheit des Gesetzes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des staatsrechtlichen Positivismus etwa in der Person von Paul Laband 32 weithin bestritten 33 und durch die dualistische Konzeption der Teilung in formelle und materielle Gesetze ersetzt. 34 Im Kontext der Weimarer Reichsverfassung wurde das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes einerseits von so konträren Autoren wie Carl Schmitt 35 und Franz
28 Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social ou Principes du Droit Politique, 1762, II, 6: „Quand je dis que l’objet des lois est toujours général, j’etends que la Loi considère les sujets en corps et les actions comme abstraites, jamais un homme comme individu, ni une action particulière. Ainsi la loi peut bien statuer qu’il y aura des privilèges, mais elle n’en peut donner nommément à personne, (...) en un mot, tout fonction qui se rapporte à un objet individuel n’appartient point à la puissance législative.“ Zitiert nach der Ausgabe von Ch. E. Vaughan, 1955, S.32. 29 Vgl. Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, Art. 6: „La loi est l’expression de la volonté générale. Tous les citoyens ont droit de concourir personellement, ou par leurs représentants à sa formation. Elle doit être la même pour tous, soit qu’elle protège, soit quèlle punisse. Tous les citoyens, étant égaux à ces yeux, sont également admissibles à toutes dignités, places et emploi publics, selon leur capacité et sans autre distinction que celle de leurs vertus et de leurs talents.“ Zitat nach J. Godechot, Les Constitutions de la France depuis 1789, 1984, S. 50; näher S.-J. Samwer, Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, 1970, S. 174 ff. 30 G.W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), §219, zitiert nach der Textedition von J. Hoffmeister, Ausgabe von 1995, S.189: „Das Recht, in der Form des Gesetzes in das Dasein getreten, ist für sich, steht dem besonderen Wollen und Meinen vom Rechte selbständig gegenüber und hat sich als Allgemeines geltend zu machen.“ 31 Zur deutschen Staatspraxis, die über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg immer wieder Einzelfallgesetze statuierte, H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S.260, 262, mit Ausführungen zu den als „Karlsbader Beschlüsse“ bekannten Regelungen, dem gesetzlichen Verbot des Jesuitenordens, zum Sozialistengesetz und zur Planung des deutschen Schlachtflottenbaus in Gesetzesform. 32 P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911 (Nachdruck 1964), S. 2: „Es gehört zum Begriff des Gesetzes im materiellen Sinne des Wortes, dass dasselbe einen Rechtssatz aufstellt; aber nicht, dass dieser Rechtssatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf viele oder auch nur auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen anwendbar ist. Zwar liegt es in der Natur des Rechts, dass dasselbe gewöhnlich solche Regeln bildet, welche in allen Fällen Anwendung finden sollen, in denen ein bestimmter Tatbestand gegeben ist, und da das Gesetz eine Rechtsquelle ist, so hat es gewöhnlich, dieser Natur des Rechtes entsprechend, einen allgemeinen Rechtssatz zum Inhalt. Allein ist dies eben nur ein Naturale, nicht ein Essentiale des Gesetzesbegriffes. Mit dem Begriff des Gesetzes ist es vereinbar, dass dasselbe einen Rechtssatz aufstellt, der nur auf einen einzigen Tatbestand anwendbar ist, oder nur ein einziges Rechtsverhältnis regelt.“ 33 Näher R. A. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, 1979, S. 223, Fn. 126 mit weiteren Nachweisen, insbesondere zur Position von A. Haenel. 34 Hierzu bereits in der Einl., II., 1. 35 Nach Carl Schmitt fordert der auf der „Herrschaft des Gesetzes“ beruhende bürgerliche Rechtsstaat notwendigerweise, in den Begriff des Gesetzes „gewisse Qualitäten hineinzuneh-
I. Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters
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Neumann 36 mit grundlegend differierender Stoßrichtung 37 neuerlich entfaltet, 38 andererseits aber etwa von Hermann Heller zugleich heftig bestritten. 39
men“, durch welche der Unterschied einer Rechtsnorm von einem bloß willensmäßigen Befehl oder einer Maßnahme möglich wird, C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S.138. Herrschaft des Gesetzes bedeute „vor allem und in erster Linie, dass der Gesetzgeber selbst an sein Gesetz gebunden ist und seine Befugnis zur Gesetzgebung nicht das Mittel einer Willkürherrschaft wird“, ders., aaO, S. 139. Die Bindung des Gesetzgebers an das Gesetz sei aber nur so lange möglich, als das Gesetz eine Norm mit gewissen Eigenschaften ist: Richtigkeit, Vernünftigkeit, Gerechtigkeit usw., ders., ebd. Weiter heißt es: „Alle diese Eigenschaften setzen voraus, dass das Gesetz eine generelle Norm ist“ und wenig später unter Hinweis auf die Rezeption einer „alten europäischen Tradition“: „Das Gesetz ist nicht der Wille eines oder vieler Menschen, sondern etwas Vernünftig-Allgemeines; nicht voluntas, sondern ratio“. Näher zur Entwicklung des Gesetzesbegriffs bei Carl Schmitt, insbesondere zur Hinwendung vom rechtsstaatlichen zum politischen Gesetzesbegriff mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft die Darstellung bei Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S.136 ff.; H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1984), S. 135, 146 mit Fn. 27. 36 Franz Neumann setzt sich in seinem Aufsatz zum Funktionswandel des Gesetzes zunächst kritisch mit den Thesen Carl Schmitts auseinander: Dessen Postulat genereller Gesetze und Wiederbelebung des Gleichheits- und Allgemeinheitsgedankens wird als Instrument der Tradierung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse des Kaiserreichs und als verschleierte Wiederbelebung des Naturrechts bewertet, vgl. F. Neumann, Zf. f. Sozialforschung VI (1937, Nachdruck 1970), S. 542, 578 ff. In Auseinandersetzung mit der „Rechtstheorie des autoritären (NS-)Staates“, die er kennzeichnet als „das Verschwinden des juristischen Positivismus und eine Stärkung dezisionistischer Elemente“, bezieht sich ders. aber gleichwohl positiv auf das Postulat des Abstrakt-Generellen: Die beschränkte, formale und negative Allgemeinheit des Gesetzes im Liberalismus ermögliche nicht nur kapitalistische Berechenbarkeit, sondern garantiere auch ein Minimum an Freiheit, da die formale Freiheit zweiseitig sei und so auch den Schwachen wenigstens rechtliche Chancen einräume, vgl. dens., aaO, S. 594 f. 37 Vgl. zur Abgrenzung von F. Neumann gegenüber C. Schmitt die Nachweise in der vorhergehenden Fn. 38 Zu den Nachwirkungen dieser Positionen von C. Schmitt und F. Neumann in der Bundesrepublik J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2.Aufl. 1992, S.521 mit Fn.74 in Kontrastierung eigener früher Positionen, vgl. hierzu dens., in: Student und Politik, 1961, S. 11, 15 ff. 39 H. Heller bezeichnet es im Referat auf der Staatsrechtslehrertagung 1927 in Auseinandersetzung mit Carl Schmitt als „organisatorische Zufälligkeit, dass die obersten Normen der Gemeinschaft auch die allgemeinsten sind“, vgl. H. Heller, Der Begriff des Gesetzes in der Reichsverfassung, VVDStRL 4 (1928), S. 98, 107. Gesetze hießen im Rechtsstaate nur, aber auch alle von der Volkslegislative gesetzten obersten Rechtsnormen; jede Individualisierung einer Norm durch die kompetente Behörde schaffe eine „neue, vorher so noch nicht dagewesene Norm“, sei es in Form eines Urteils, eines Rechtsgeschäfts oder eines „Gesetzes“, ders., aaO, S. 118. Was von oben als Befehl, Urteil oder Rechtsgeschäft erscheine, erscheine von unten als Rechtssatz, ders., aaO, S. 119. Der herrschenden Unterscheidung formeller und materieller Gesetze hält Heller, aaO, S.123 entgegen: Alles was die Reichsverfassung als Gesetz bezeichne enthalte Rechtssätze, „d. h. durch Gemeinschaftsautorität individualisierte, den Handlungswillen intersubjektiv bindende Normen“.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
2. Das Postulat abstrakt-genereller Rechtsetzung unter dem Grundgesetz Unter dem Grundgesetz ist die vorhergehend dargelegte vernunftrechtliche Perspektive nur noch als Maxime der Rechtspolitik aktualisierungsfähig. 40 Dies kommt bereits verfassungstextlich in verschiedenen Normen zum Ausdruck: Hier lässt sich zum einen anknüpfen an Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, 41 dessen Statuierung des Einzelfallverbots für Grundrechtseinschränkungen durch oder aufgrund Gesetzes nur dann einen eigenständigen Gewährleistungsgehalt aufweist, 42 wenn man hierin die Ausnahmeanordnung gegenüber einer grundsätzlichen Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sieht. 43 Ebenso lässt sich die Regelung des Art. 14 Abs. 3 GG verstehen, wonach eine Enteignung (nur) durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen darf. 44 Auch verfassungssystematisch lässt sich dieses Ergebnis belegen. 45 Namentlich die durch Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG auch gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber verbürgte Aktualisierung der Grundrechte, die zudem verfassungsgerichtlich über Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 a GG abgesichert ist, und die umfassende Geltung des Allgemeinen Gleichheitssatzes des Art.3 Abs. 1 GG 46 nehmen „dem Rekurs auf den Schutz individueller Positionen vornehmlich durch die Allgemeinheit des Gesetzes erheblich an Überzeugungskraft“.47 Also kann die Generalität des Gesetzes nicht mehr Garantin einer materiell gerechten Rechtsnorm,48 sondern nurmehr ein regelmäßig vorzufindendes Formprinzip 49 sein. 50 40 Hierzu H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260, 289 ff.; P. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S. 88 f. 41 Vgl. Art. 19 Abs. 1 GG: „Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.“ 42 Vgl. zu Art. 19 Abs. 1 GG als Argument dafür, dass das Grundgesetz das Einzelfallgesetz nicht schlechthin verbietet M. Abelein, in: FS Küchenhoff, 2. Hb., 1972, S. 419, 424. 43 Hierzu die Darstellung der zu Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG in der Literatur geführten Kontroversen bei W. Krebs, in: von Münch/Kunig, GGK I, 5. Aufl. 2000, Art. 19, Rn. 8 ff. insbes. Rn.10 mit weiteren Nachweisen zu Versuchen, Art.19 Abs.1 S.1 GG einem behaupteten Funktionswandel des Gesetzes von der klassischen, „allgemeinen“ Regelung zur insbesondere sozialstaatlich motivierten, kurzlebigen, zeit- und situationsgebundenen Intervention entgegenzustellen. 44 Zur herrschenden Meinung, welche Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG insoweit als lex specialis zu Art. 19 Abs. 1 GG ansieht, statt vieler W. Krebs, in: von Münch/Kunig, GGK I, 5. Aufl. 2000, Art. 19, Rn. 12. 45 Ebenso stellt BVerfGE 95, 1, 17 (Südumfahrung Stendal) fest, dem Grundgesetz könne nicht entnommen werden, „dass es von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur generelle Regelungen zulässt“. Eingehend hierzu 2. Teil, II., 3. 46 M. Abelein, in: FS Küchenhoff, 2. Hb., 1972, S. 419, 425. 47 H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260, 262; Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, S. 195 ff., 313. 48 Vgl. aber für eine Position des weitestmöglichen Festhaltens an der Allgemeinheit des Gesetzes A. Bleckmann, DVBl. 2004, S. 333, 336 f.: Im Interesse der Gewaltenteilung gelte
I. Die Rationalität des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters
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Doch verbleiben auch unter formellen Gesichtpunkten nennenswerte Rationalitätsaspekte. 51 Dieter Grimm spricht insoweit von der „rationalisierenden Kraft, die dem Gesetz ohne Rücksicht auf den Inhalt bereits wegen seiner Allgemeinheit innewohnt“. 52 Gewährleistet wird durch den abstrakt-generellen Charakter die Bezugnahme auf eine offene Gattung von Adressaten, die bei Erlass nicht individualisierbar sind. 53 Dies garantiert die formale Gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen. 54 Weiterhin versichert der abstrakt-generelle Charakter regelmäßig die Ausschaltung willkürlicher Herrschaft, die Vorhersehbarkeit des staatlichen Machteinsatzes, 55 die Einbindung der selbst nicht demokratisch legitimierten Verwaltung in den demokratischen Legitimationszusammenhang und die gerichtliche Überprüfbarkeit der Rechtswahrung. 56 Durch die Erstreckung der Regelung auf das Verhalten einer Vielgrundsätzlich, dass auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG Gesetze stets allgemein sein müssten. Nur eine solche Position entspreche der gemeindeutschen Verfassungstradition und den staatsphilosophischen Werken von Aristoteles bis Rousseau. Eine Ausnahme sei nur dann zuzulassen, wenn der zu regelnde Fall unter den Gesetzesvorbehalt falle, also eine gesetzliche Regelung erforderlich werden, der betreffende Fall aber offensichtlich nur einmal auftrete. Zu einer vorhergehenden Aktualisierung der Legitimation des freiheitsbeschränkenden und freiheitsbegründenden Gesetzes aus der Idee der Allgemeinheit vgl. J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, 1980, S. 36. 49 Zum Wandel des Allgemeinheitspostulat in der Rechts- und Staatsphilosophie vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 133 insbesondere in Auseinandersetzung mit dem Stellenwert logisch-semantischer Eigenschaften des Gesetzes bei Rousseau: Der „im Legitimitätsanspruch des modernen Rechts beschlossene Sinn der Rechtsinhaltsgleichheit“ sei mit den „logisch-semantischen Eigenschaften allgemeiner Gesetze“ nicht erreichbar. Die „grammatische Form universeller Gebote“ besage nicht über deren Gültigkeit. Vielmehr habe der Anspruch, dass eine Norm im gleichmäßigen Interesse aller liege, den Sinn rationaler Akzeptabilität, dahingehend, dass alle möglicherweise Betroffenen ihr aus guten Gründen zustimmen könnten, was sich nur unter den „pragmatischen Bedingungen von Diskursen“ herausstellen könne, in denen auf der Grundlage einschlägiger Informationen allein der Zwang des besseren Arguments zum Zuge komme. 50 Ch. Starck, in: Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S. 17, 18. 51 Allgemein zum Versuch auf „heutiger Rechtsgrundlage Anschluss an das formbezogene, qualitative Fundament der Rechtsstaatsidee“ zu finden K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 84. 52 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 491. 53 Einschränkend N. Achterberg, in: Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 295, 312 mit dem Hinweis auf die sich in der Verfassungsrechtsdogmatik durchsetzende Erkenntnis, dass die Fassung des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, nach dem grundrechtseinschränkende Gesetze allgemein und nicht nur für einen Einzelfall gelten müssen, entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht als Verbot der Einzelfallregelung, sondern der Einzelpersonregelung zu verstehen sei. 54 Vgl. etwa Ch. Gusy, JA 2002, S. 610, 612; P. Badura, in: GedS W. Martens, 1987, S. 25, 25 f.; M. Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187, 210. 55 H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 25. 56 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S.489, 491; weitergehend zur rechts- und verfassungspolitischen Dimension P. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S.88: Die generelle Norm gewährleiste ein Maß an Egalität und Publizität, dass ihr manches von der Gefährlichkeit nicht unmittelbar demokratisch legitimierter Rechtsgestaltung nehme, weswegen
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
zahl von Personen in bestimmten, vertypten Situationen über einen gewissen Zeitraum hinweg 57 wird ein sachgerechter und die Gleichbehandlung sichernder Vollzug gesichert. 58 Generelle Regelungen und abstrakte Programmierungen vermitteln ein hohes Maß an Ordnung, Planung, Übersichtlichkeit und Erwartungssicherheit 59 und sichern das Rechtssystem als Rechtserzeugungszusammenhang.60 Mit der Vorwegbestimmung der Verwaltungsentscheidung im Einzelfall durch die generelle Norm gehen die rechtsstaatlichen Vorteile der Vorhersehbarkeit und Nachprüfbarkeit staatlichen Handelns einher. 61 Einschränkend weist Christian Starck auf die Relativität der Garantie von Freiheit und Gleichheit hin, die aus der Abhängigkeit von Art und Inhalt der Gattungsbildung und deren Verknüpfung mit einer bestimmten Rechtsfolge resultiert. 62 Zu beachten sind auch die Effizienzvorteile der Regelung nach generellen Kriterien: Durch Vermeidung der Inblicknahme und Regelung von Einzelfällen vermag die Regelungsinstanz ihre Kapazitäten besser zu nutzen, dies gilt gleichermaßen für Parlament und Ministerialverwaltung. 63 Die Verwendung abstrakt-genereller Rechtssätze ermöglicht im Unterschied zu Einzelakten auch eine breitenwirksame Regelung in die Zukunft hinein. 64 Weiterhin wird die soziale Funktion von Rechtsnormen, für Gruppen und Institutionen als dauerhafte Strukturelemente zu dienen, technisch ermöglicht durch ihre allgemeine und abstrakte Fassung. 65 Im Bereich des Vorsorgeprinzips sichern abstrakt-generelle Regelungen die Verhältnismäßigkeit einer Regulierungskonzeption. 66 In der Verfassungsordnung des Grundgesetzes hat die Möglichkeit der Verwaltung, Normen zu setzen, regelmäßig weniger Kritik erfahren habe als die Rechtsgestaltung durch die Verwaltung im Einzelfall. 57 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 11. 58 P. Badura, in: GedS W. Martens, 1987, S. 25 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 187, 210. 59 H.W. Kopp, Inhalt und Form der Gesetze II, 1958, S. 509 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 24 f. 60 H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S.260, 291 f. mit Fn.154; zum Rechtssystem als Rechtserzeugungszusammenhang H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1976), S. 239 ff. 61 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 496. 62 Ch. Starck, in: Der demokratische Verfassungsstaat, 1995, S. 17, 19. Zum Problem Rechtfertigung spezifischer Gattungsbildungen auch H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260, 293 f. mit Fn. 168. Zu sozialstaatlich motivierten Fällen der Ablösung des Allgemeinheitspostulats und zur Kollision des Gerechtigkeitsarguments der Einzelfallgerechtigkeit mit dem Gleichheitssatz H. Hofmann, aaO, S. 293 mit Fn. 166 und 167. 63 C. Starck, ebd.; T. Zubke-von Thünen, Technische Normung in Europa, 1999, S. 959 f. 64 Vgl. zur Zeitoffenheit als Aspekt der Gesetzgebung und der Gesetzesinterpretation P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1998, S. 307 ff.; im Blick auf das besondere Verwaltungsrecht G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 87 ff. 65 U. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 25. 66 Vgl. BVerwGE 69, 37 (Heidelberger Heizkraftwerk), aus der Literatur G. Feldhaus, UPR 1985, S. 385, 388.
II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung
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der abstrakt-generelle Charakter von Normen des Bundes darüber hinaus unter dem Aspekt der „vertikalen Gewaltenteilung“ auch Bedeutung für das Bundesstaatsverhältnis. 67 Eine abstrakt-generelle Regelung des Bundes trägt durch ihre Ausrichtung auf eine einzelfallbezogene Konkretisierung zur Sicherung der Kompetenzordnung der Art. 83 ff. GG bei, nach denen die Verwaltungskompetenzen regelmäßig bei den Behörden der Länder liegen. 68 Zu erinnern sind die Einschränkungen der dargelegten Rationalitätsaspekte dadurch, dass der abstrakt-generelle Charakter den Rechtsverordnungen zwar regelmäßig, nicht aber notwendigerweise zukommt. 69
II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung Als Rationalitätsquelle erweist sich nicht nur der regelmäßig abstrakt-generelle Charakter, sondern darüber hinaus auch die Rechtsschutzdimension der Rechtsverordnung. In ihren Rechtsschutzaspekten 70 kommen der Rechtsverordnung wesentliche Vorteile zu, insbesondere gegenüber der staatlichen Steuerung durch Verwaltungsvorschriften. Dies ist rechtspraktisch von erheblicher Bedeutung, denn „ob der Bürger als Normbetroffener sich förmlichen Gesetzen oder Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften gegenübersieht, ist ihm ziemlich gleichgültig“. 71 Demnach besteht gegenüber beiden Normkategorien insoweit ein unabweisbarer Bedarf nach effektivem Rechtsschutz als beide beanspruchen, unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger zu entfalten. 72 1. Zur gegenwärtigen Dogmatik des Rechtsschutzes gegenüber Rechtsverordnungen a) Die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG Eine entscheidende Weichenstellung für die Rechtsschutzoptionen gegenüber hoheitlicher Staatstätigkeit ist die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG und seiner Rechtsweggarantie. 73 War dies im Falle hoheitlichen Handelns in der Rechtsform 67 H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, S. 25; H. Hofmann, in: Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 260, 291. 68 H. Schneider, ebd.; vgl. hierzu die Ausführungen im 2. Teil, II., 3., b). 69 Vgl. 3. Teil, I., vor 1.; 2. Teil, II., 3. 70 Vgl. Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 5, Rn. 71 ff. 71 F. Ossenbühl, in: HStR III, 2.Aufl. 1996, § 61, Rn. 55, eine Normumschichtung habe dementsprechend für den Bewegungsspielraum des Bürgers keine entlastende Wirkung. 72 Vgl. zum Anspruch vieler Verwaltungsvorschriften auf die unmittelbare Berechtigung und Verpflichtung des Bürgers und zum Abgleich mit den Vorgaben des Verfassungsrechts im 3. Teil, V., insbes. 3. 73 Umfassend zu den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
der Rechtsverordnung aufgrund der offen gehaltenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 74 lange Zeit umstritten, so kann zwischenzeitlich die Einschlägigkeit des Art. 19 Abs. 4 GG als gesichert gelten. 75 Diese Auffassung ist in der Literatur vorherrschend und wird von Autoren wie Eberhard Schmidt-Aßmann, 76 Wolf-Rüdiger Schenke, 77 Dieter Lorenz, 78 Hans-Jürgen Papier 79 und Ulrich Ramsauer 80 gleichermaßen vertreten. 81 Darüber hinaus kann jedoch auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwischenzeitlich als geklärt angesehen82 werden, 83 ausgehend von einer Entscheidung vom 14. Mai 1985. 84 Hier hatte das Gericht einen nach hamburgischem Landesrecht in Gesetzesform erlassenen Bebauungsplan der Satzung gleichgestellt und als Akt öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG angesehen. 85 Diese Rechtsprechung wurde vom Gericht in einer späteren Entscheidung bei ausdrücklicher Subsumtion unter Art.19 Abs. 4 GG in einen allgemeinen Grundsatz überführt, nach welchem der Rechtsschutz gegen Satzungen und Rechtsverordnungen davon abhänge, „ob es schon durch die Norm 74 BVerfGE 31, 364, 367 f.; vgl. hierzu BVerfG-K, NJW 1992, 735, 735 (Unwirtschaftliche Arzneimittel) und aus der Literatur D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 153 mit Fn. 11. 75 M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 8. 76 E. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/ders./Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Einl., Rn. 11. 77 W.-R. Schenke, in: BK-GG IV, Stand: 2004, Art. 19 Abs. 4, Rn. 149 ff.; F. O. Kopp/ders., VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 7. 78 D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 153. 79 H.-J. Papier, in: HStR VI, 1989, § 154, Rn. 28. 80 U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 48; ebenso A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 116; W. Schmitt Glaeser/ H.-D. Horn, Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 403. 81 Anderer Ansicht H. Krüger/M. Sachs, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 19, Rn. 123 ff.: An der umfassenden Herausnahme sowohl von Gesetzen als auch von untergesetzlichen Rechtsnormen sei umso mehr festzuhalten, als sie im Ergebnis kaum Verkürzungen des Rechtsschutzes zur Folge habe. Denn die letztverbindliche Anwendung aller Gesetze im Einzelfall bleibe stets den Gerichten überlassen, die dabei inzidenter auch die einschlägigen Normen auf ihre Gültigkeit zu prüfen hätten und diese entweder selbständig verwerfen könnten oder aber nach Art. 100 Abs. 1 GG die Verfassungsgerichtsbarkeit einschalten müssten. Auch führe die Gegenauffassung im Ergebnis kaum zu anderen Resultaten, weil sie bei der Rechtsfolge des Art. 19 Abs. 4 GG regelmäßig keineswegs eigenständige Klagemöglichkeiten unmittelbar gegen rechtsverletzende Normen oder auf Normerlass als solche annehme. 82 Hiervon geht auch E. Schmidt-Aßmann, in: Schoch/ders./Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, Rn. 11 aus. 83 Die Erfassung von Gesetzen gem. Art. 76 ff. GG als öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG wird vom Bundesverfassungsgericht verneint, so in BVerfGE 24, 33, 49; 45, 297, 334; 75, 108, 165; in der Literatur hingegen überwiegend bejaht, so etwa von E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4; H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 4, Rn. 36; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GGK I, 4. Aufl. 1999, Art. 19 Abs. 4, Rn. 440 f. 84 BVerfGE 70, 35 (Hamburger Bebauungsplan). 85 BVerfGE 70, 35, 52 ff., hierzu das Minderheitenvotum des Richters Steinberger BVerfGE aaO, S. 59 ff. sowie die Kritik der Entscheidung bei W.-R. Schenke, DVBl. 1985, S. 1367 ff.
II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung
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selbst, also ohne vermittelnden Vollzugsakt, zu einer Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Betroffenen kommt“. 86 Das Bundesverwaltungsgericht unterwirft die Verordnungsgebung ausdrücklich den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG. 87 b) Zu den prozessualen Aspekten Das gegenwärtige Rechtsregime des Rechtsschutzes gegenüber Rechtsverordnungen unterliegt mindestens drei grundlegenden Unterscheidungen. 88 Zum einen ist zu differieren zwischen inzidenten und prinzipalen Rechtsschutzoptionen,89 zum anderen bestehen erhebliche prozessuale Unterschiede je nachdem, ob Rechtsschutz gegen eine Rechtsverordnung eines Landes oder des Bundes gesucht wird, zum dritten ist zu unterscheiden zwischen verwaltungsgerichtlichen und verfassungsprozessualen Verfahren. (1) Inzidenter und prinzipaler Rechtsschutz Inzidenter Rechtsschutz gegenüber Rechtsverordnungen besteht insoweit, als im Rahmen eines jeden Verfahrens dem entscheidenden Gericht die Berechtigung und Verpflichtung zukommt, die relevanten Rechtsverordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit höherem Recht hin zu prüfen. 90 Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist im Falle inzidenter Normenkontrollen nicht die Norm selbst, sondern der auf ihr beruhende Einzelakt. 91 Rechtspraktische Beispiele für derartige verwaltungsprozessuale Inzidentkontrollen ergeben sich bei der Überprüfung von Rechtsverordnungen als Grundlagen angefochtener Verwaltungsakte. 92 Daneben kann es aber auch im Zivil- oder Strafprozess zur inzidenten Überprüfung einer Rechtsverordnung kommen, etwa wenn gegenüber dem Verordnungserlass ein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht wird oder wenn auf der Grundlage einer verordnungsrechtlichen BVerfG-K, NJW 1995, 735, 735 (Unwirtschaftliche Arzneimittel). BVerwGE 80, 334, 361; BVerwG, NVwZ 1990, 162, 163; BVerwGE 111, 276 (An- und Abflugstrecken); vgl. auch BVerwGE 119, 245 (Flugrouten). 88 Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 33 ff., 101 ff., 127 ff. 89 Zu dieser Unterscheidung W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 131. 90 F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 6; in Abgrenzung des Prüfungsmaßstabs der Verfassungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl. 2004, Rn. 131. 91 BVerwGE 58, 299, 301 stellt zum Verhältnis der Normenkontrolle nach § 47 VwGO zur Berechtigung der Gerichte, in einem (Anfechtungs-)Verfahren inzident eine Rechtsnorm auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht hin zu prüfen, klar, dass die Berechtigung der Gerichte zur Inzidentprüfung unberührt bleibt, soweit die Gültigkeit der Rechtsnorm für die (Anfechtungs-)Klage erheblich ist. Vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1987, 20. 92 Vgl. Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 20. 86 87
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Strafvorschrift ein Urteil gefällt werden soll. Das überprüfende Gericht macht im Fall der Rechtswidrigkeit von seiner Verwerfungskompetenz Gebrauch und erklärt die rechtswidrige Verordnung für nicht anwendbar. 93 Inzidente Rechtsschutzoptionen haben also nur Inter-Partes-Wirkung für den konkreten Fall. Prinzipale Rechtsschutzoptionen haben demgegenüber die Norm als solche zum Streitgegenstand. Erkennt das Normenkontrollgericht die Rechtswidrigkeit der Rechtsverordnung, so stellt es dieses mit Wirkung erga omnes fest. Die Entscheidung des Gerichts hat dabei deklaratorische Wirkung, da nach den Grundsätzen des deutschen Verfassungsund Verwaltungsrechts die Rechtswidrigkeit einer Norm zwingend deren Nichtigkeit nach sich zieht. 94 Prinzipaler Rechtsschutz gegenüber Rechtsverordnungen wird rechtspraktisch insbesondere in Form der Normenkontrolle nach § 47 VwGO gewährt; alleiniger Gegenstand des Verfahrens ist die Rechtsverordnung aber auch im Fall einer abstrakten Normenkontrolle gem. Art. 94 Abs. 1 Nr. 2 GG. 95 (2) Rechtsverordnungen der Länder und des Bundes Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegenüber Rechtsverordnungen der Länder erfolgt inzident in Verfahren nach dem so eben dargestellten Muster und prinzipal in Form der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gem. § 47 VwGO. 96 Hauptanwendungsfall der § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO unterliegenden Satzungen ist die Normenkontrolle von Bebauungsplänen nach § 10 BauGB. 97 Rechtsverordnungen werden weit überwiegend von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erfasst. Diese Vorschrift macht weitergehende Zulassungen der Normenkontrolle von der Ausgestaltung durch den Landesgesetzgeber abhängig, wobei die meisten, 98 allerdings nicht alle Bundesländer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. 99 Weiterhin besteht 93 Hierzu aus Sicht der Verfassungsrechtsprechung BVerfGE 68, 319, 326 und BVerfG-K, NVwZ 1998, 169, 169 f., wonach sich das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne, nicht aber auf Rechtsverordnungen bezieht. 94 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 4, Rn. 57; § 13, Rn. 17 mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur Begründung des „Nichtigkeitsdogmas“ unter Bezugnahme auch auf konträre Positionen bereits D. Kabisch, Prüfung formeller Gesetze im Bereich der Exekutive, 1967, S. 160. 95 Hierzu nachfolgend 4. Teil, III., 1., b), (3). 96 Im Überblick zum Verfahren nach §47 VwGO F. O. Kopp/W. R. Schenke, VwGO, 13.Aufl. 2003, §47, Rn. 1 ff. mit positivem Fazit in Rn.12: Soweit das Verfahren nach §47 VwGO in den Ländern eingeführt worden sei, habe es sich gut bewährt. 97 Hierzu J. Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 47, Rn. 10. 98 Beispielsweise lautet Art. 5 S. 1 bayAGVwGO: „Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften, die im Rang unter dem Landesgesetz stehen.“ 99 Vgl. die kritische Darstellung bei S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 842 nach welchem die entsprechenden landesgesetzlichen Bestimmungen in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen fehlen; zu näheren Nachweisen vgl. F. O. Kopp/W. R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 23.
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die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bzw. Kommunalverfassungsbeschwerde zu den Landesverfassungsgerichten. 100 Zu den aktuell umstrittenen Problemen der Reichweite des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit der landesrechtlichen Ausgestaltung zählt die Frage, inwieweit eine durch Gesetz geänderte Norm einer landesrechtlichen Rechtsverordnung, hinsichtlich der die Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang angeordnet worden ist („Entsteinerungsklausel“), eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne dieser Norm sein kann. 101 Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 16.1.2003 die aufgeworfene Frage bejaht und eine solche Vorschrift zum tauglichen Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle erklärt. 102 Demgegenüber werden in der Literatur grundsätzliche Bedenken geltend gemacht. Bei Vorliegen einer „Mixtur von Gesetz und Rechtsverordnungen“ seien die vermischten oder gemischten Regelungen nach der jeweiligen Rechtsform zu sortieren, was für die landesgesetzlich geänderten Vorschriften zur Vorlagepflicht der befassten Gerichte im Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG führte. 103 Von der Praxis der Verordnungsänderung durch Gesetz und der Ermächtigung zur Gesetzesänderung durch Verordnung sei Abstand zu nehmen. 104 Gegenüber Verordnungen des Bundesrechts greift die Vorschrift des § 47 VwGO 105 nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nicht. 106 Die von Teilen der Literatur verschiedentlich postulierte analoge Anwendung des § 47 VwGO auf die Überprüfung von bundesrechtlichen Rechtsverordnungen vor dem Bundesverwaltungsgericht 107 ist von der Mehrheit der Autoren richtigerweise zurückgewiesen wor100 Vgl. aber die Entscheidung BVerfGE 107, 1 (Kommunale Gemeinschaftsarbeit SachsenAnhalt), in der das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsverordnung des Landes Sachsen-Anhalts deswegen zur Entscheidung gem. Art.93 Abs.1 Nr.4 b GG annahm, weil nach Art.75 Nr.7 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt nur gegenüber Landesgesetzen, nicht aber gegenüber Landes-Rechtsverordnungen die Kommunalverfassungsbeschwerde zum LVerfG Sachsen-Anhalt statthaft ist; vgl. hierzu die Kritik der restriktiven Auslegung des Art. 75 Nr. 7 Verf. LSA seitens des LVerfG bei S. Jutzi, NJ 2003, S. 252 f. Näher zur Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsverordnungen des Landesrechts nachfolgend unter 4. Teil, II., 1., b), (3). 101 Vgl. für einen Überblick zum Problem Ch. Külpmann, NJW 2002, S. 3436 ff. 102 BVerwG, DVBl. 2003, 804. 103 F. Ossenbühl, JZ 2003, S. 1066, 1067. Die Rangbestimmung einer Rechtsform unterliege nicht dem Willen des Gesetzgebers, sondern sei eine verfassungsrechtlich vorgegebene Größe. 104 A. Uhle, DVBl. 2004, S. 1272, zusammenfassend S. 1279 mit der Forderung nach einer Rückbesinnung auf die verfassungsrechtlich vorgesehenen Normierungsverfahren und einer Rückkehr zu Rechtsetzungstransparenz, Verantwortungsklarheit und Kontrollfähigkeit staatlicher Normierungsprozesse. 105 Zur Frage, ob die Normenkontrolle funktional gesehen der Rechtsprechung oder der Rechtsetzung zuzuordnen ist, was mit dem Hinweis darauf, dass die Beseitigung einer Rechtsnorm in gleicher Weise sozialgestaltend wirke wie ihr Erlass, von einer beachtlichen Mindermeinung vertreten wird: N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S.148; J. Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO I, Stand: 2003, § 47, Rn. 7. 106 M. Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 47, Rn. 11. 107 K. Obermayer, DVBl. 1965, S. 625, 632; ähnlich R. Bartlsperger, DVBl. 1967, S. 360, 372, 373; aus jüngerer Zeit W. Frenz, BayVBl. 1993, S. 483, 490.
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den. 108 Gegen eine derartige Ausweitung spricht zum einen der klare Wortlaut des § 47 VwGO, der in Abs. 1 Nr. 2 ausdrücklich von „anderen im Rang unter dem Landesrecht stehenden Rechtsvorschriften“ spricht und damit keinen Raum für die Erfassung von Bundesrecht bietet. Zum anderen fordert auch die Erfassung der Rechtsverordnung durch Art. 19 Abs. 4 GG kein derartiges Ergebnis, etwa im Wege der verfassungskonformen Auslegung. Mit der in der Rechtswissenschaft mehrheitlich vertretenen Auffassung ist dem Art. 19 Abs. 4 GG zwar die Verpflichtung auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes zu entnehmen, nicht aber die Verpflichtung auf die Statuierung eines bestimmten Verfahrens. 109 (3) Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz und Verfassungsbeschwerde Da also § 47 VwGO gegenüber Rechtsverordnungen des Bundes nicht greift, haben sich in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft vielfältige Konzeptionen herausgebildet, die teilweise unter Rückgriff auf den tradierten Bestand der Rechtsschutzformen, teilweise in dessen Fortbildung versuchen, der Forderung des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechend, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Als besonders relevant und geboten erweisen sich diese Bestrebungen im Bereich der unmittelbar wirkenden Rechtsverordnungen, also jener, die ihre Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger ohne zwischengeschalteten Vollzugsakt entfalten. Denn hier entfallen die Optionen des verwaltungsgerichtlichen Inzidentschutzes. 110 Dementsprechend findet sich in der Rechtswissenschaft ein bunter Strauß an Vorschlägen: Teilweise wird angeregt, die drohenden Rechtsschutzlücken durch die Möglichkeit der allgemeinen Leistungsklage zu schließen, gerichtet auf Verpflichtung zur Aufhebung einer den Kläger in seinen Rechten verletzenden Norm. 111 Andere sehen in einer „Feststellungsklage eigener Art“ die adäquate Rechtsschutzform. 112 Überwiegend wird jedoch auf die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO abgestellt. 113 Hierfür wird insbesondere die strukturelle Nähe dieses Rechtsbehelfs zur 108 W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 883; J.-Ch. Pielow, Die Verwaltung 32 (1999), S.445, 467 f. mit Blick auf die inter-omnes-Wirkung dieses Verfahrens: Mit einer Analogie zu § 47 VwGO werde dem Antragsteller häufig mehr gegeben, als ihm unter Rechtsschutzgesichtspunkten zustünde. 109 J.-Ch. Pielow, Die Verwaltung 32 (1999), S. 445, 448. 110 Zu Fragen der Amtshaftung gegenüber Rechtsverordnungen W.-R. Schenke, Agrarrecht 1990, S. 184 ff.; vgl. allgemein R. Fetzer, Die Haftung des Staates für legislatives Unrecht, 1994, S. 212 ff. 111 Überlegungen hierzu bei J.-Ch. Pielow, Die Verwaltung 32 (1999), S.445, 469 ff., der daneben auch auf die Feststellungsklage zurückgreift. 112 H. Maurer, in: FS Kern, 1968, S.275 ff.; zu einem Konzept der (Feststellungs-)Klage atypischer Art als ultima ratio J.-Ch. Pielow, Die Verwaltung 32 (1999), S. 445, 471. 113 Vgl. J. Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 43, Rn. 25 u. 52; Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 107 ff.; W. Schmitt Glaeser/H.-D. Horn, Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 403.
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Normenkontrolle gem. § 47 VwGO geltend gemacht. Wider die Feststellungsklage argumentiert in der Literatur vor allem Wolf-Rüdiger Schenke. 114 Dieser verweist auf den verfassungsrechtlichen Charakter eines „gerichtlichen Verfahrens, welches die (Nicht-)Berechtigung des Staates zum Erlass einer Norm zum Gegenstand hat“ und macht geltend, dieses sei als verfassungsrechtliche Streitigkeit zu qualifizieren, für welche der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 VwGO nicht eröffnet sei. 115 Jedoch konnte sich diese Position, die für die Auflösung der bestehenden Spannungslagen aus der VwGO hinausweist, 116 in der Literatur gegen die Autoren, 117 welche für Feststellungsklage gem. § 43 VwGO als adäquate Rechtsschutzform votieren, nicht durchsetzen. 118 Auch Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit tendierten überwiegend zur Feststellungsklage. In ständiger Rechtsprechung heißt es: „Die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung – auch soweit diese wie beim Erlass einer Rechtsverordnung rechtsetzend tätig wird – obliegt den Verwaltungsgerichten.“ 119 Die Präferenz innerhalb der verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe für die Feststellungsklage wird vom Bundesverfassungsgericht zumindest angedeutet. Dieses legt dar, dass für die Anrufung der Verwaltungsgerichte bei Entscheidungsrelevanz der Gültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm „je nach Fallgestaltung vor allem eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO in Betracht kommen dürfte“. 120 Demgemäß entspricht das Abstellen auf die Feststellungsklage der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. 121 Eine Zusammenfassung des Standes der Dogmatik bietet eine Vgl. W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 1064 ff., 1074 f. W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9.Aufl. 2004, Rn. 1075 mit weiteren Argumenten sowie Rn. 1076 mit Hinweisen auf Inzident-Konstellationen, in denen auch nach Auffassung Schenkes die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO greift. So auch F. O. Kopp/ders., VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 8 a. 116 Hierzu W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9.Aufl. 2004, Rn. 1080: Die auf der Basis der VwGO verbleibenden Rechtsschutzlücken ließen sich durch die Verfassungsbeschwerde schließen. Schenke vertritt in der Konsequenz seiner Konzeption, dass die Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsnormen einen Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG darstelle, ders., Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 1080 mit Fn. 12 a; dies wiederum verneint das BVerfG, vgl. BVerfG-K, NVwZ 1998, 169, 170. 117 Vgl. zur Gegenauffassung F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 4, der darauf abstellt, bei Rechtsverordnungen handle es sich genauso wie bei Satzungen eben nicht um Parlamentsgesetze, sondern nur um abstrakt-generelle Regelungen der Exekutive, die demgemäß voll auf ihre Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit überprüft werden könnten; vgl. weiterhin J. Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 43, Rn. 21 ff.; Ch. Kuntz, Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 107 ff.; W. Schmitt Glaeser/H.-D. Horn, Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 403. 118 Allein auf die Verfassungsbeschwerde abstellend hingegen A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 116. 119 BVerwG, NVwZ 2002, 1505, 1505 (Bürokostenentschädigung) im Anschluss an BVerfGE 68, 319, 325 f. (Gebührenordnung für Ärzte) und BVerfGE 71, 305, 343. 120 BVerfG-K, NJW 1999, 2031, 2031 (Fahrerlaubnis-Verordnung). 121 BVerwGE 38, 346, 347; 39, 247, 248 f.; BVerwGE 50, 60, 62; BVerwGE 80, 355, 358 f. 114 115
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jüngere Entscheidung vom 28. Juni 2000. 122 Gegenstand des Verfahrens war die Festlegung von An- und Abflugstrecken gem. § 27 a Abs. 2 S. 1 Luftverkehrsordnung durch Rechtsverordnung. Das BVerwG führt zunächst aus, dass die öffentliche Gewalt auch als Verordnungsgeber dem in Art. 19 IV GG verbürgten Rechtsschutz unterworfen sei. 123 Im Anschluss wird die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO als adäquate Rechtsschutzform dargelegt. 124 Weiterhin wirkt sich aus, dass eine rechtswidrige Verordnung nichtig ist und nicht in Bestandskraft erwächst wie ein Verwaltungsakt: „Richtet sich die Klage gegen eine bereits vorliegende Norm, so ergibt sich dasselbe Ergebnis daraus, dass ein auf Aufhebung einer nichtigen und mithin nicht aufhebbaren, sondern rechtlich nicht existenten Norm gerichteter Antrag ins Leere liefe.“ Zudem sei nach der Systematik der VwGO selbst die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO als Feststellungsverfahren ausgestaltet. 125 Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage setze dabei analog §42 Abs. 2 VwGO das Vorliegen eines subjektiven Rechts voraus, dass der Kläger mit der Feststellung verwirklichen will oder das von dem festzustellenden Rechtsverhältnis abhängt. 126 Im Fall des Rechtsschutzes gegen die Festlegung von An- und Abflugstrecken in der Rechtsform der Rechtsverordnung lässt das BVerwG zu, die Klagebefugnis auf eine Verletzung des Abwägungsgebots durch Verletzung der Klägerbelange zu stützen. 127 Die Geltung des Abwägungsgebots 128 hänge weder von seiner fachgesetzlichen Normierung, noch von einer bestimmten Handlungs- oder Verfahrensform ab. 129
122 BVerwGE 111, 276 (An- und Abflugstrecken); bestätigend BVerwG v. 26.11.2003, BVerwGE 119, 245, 249 ff. (Flugrouten). 123 BVerwGE 111, 276, 279 (An- und Abflugstrecken); zur Analyse der Entscheidung auch Ch. Alber, Zum Rechtsschutz gegen Fluglärm, 2004, S. 136 ff. 124 Anfechtungs- und Verpflichtungsklage scheiden bereits mangels eines Verwaltungsakts aus. Die Nichteinschlägigkeit der allgemeinen Leistungsklage ergibt sich für die Konstellation einer auf Normerlass gerichteten Klage aus der Rücksichtnahme auf die Entscheidungsfreiheit des Verordnungsgebers. 125 BVerwGE 111, 276, 279. 126 Anderer Ansicht W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 492. 127 BVerwGE 111, 276, 282. 128 In der Literatur wird die Überlegung angestoßen, ein solches Recht auf Berücksichtigung ganz allgemein auf Verordnungsermessen außerhalb planerischer Zusammenhänge zu beziehen, sofern dabei ebenfalls komplexe Abwägungen vorzunehmen sind, vgl. G. Winter, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S.1029, 1047. Winter stellt allerdings einschränkend die Frage, ob auf dem Weg von der Anfechtungsklage zur Feststellungsklage, von der individuellen zur verordnungsbezogenen Feststellungsklage und vom Recht auf Berücksichtigung im planerischen Abwägungsgebot zum Recht auf Berücksichtigung im allgemeinen Verordnungsermessen nicht doch der Analogieschritte zu viele gegangen würden. Kritik auch bei H. H. Rupp, NVwZ 2002, S. 286, 288. 129 BVerwGE 111, 276, 280 (An- und Abflugstrecken): Das Abwägungsgebot folge vielmehr bereits aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung und gelte dementsprechend allgemein. Es begrenze die planerische Gestaltungsfreiheit, die einerseits unerlässlich sei, um entgegengesetzte private und/oder öffentliche Belange auszugleichen, andererseits im Rechtsstaat nicht schrankenlos, sondern nur rechtlich gebunden und gerichtlich kontrollierbar sein könne.
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Die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann statthafte Klageart, 130 wenn es um die Verpflichtung der Exekutive zum Erlass oder zur Änderung einer Rechtsverordnung geht. 131 Die Subsidiaritätsanordnung des § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO greife weder im Verhältnis zur Verpflichtungsklage 132 noch zur allgemeinen Leistungsklage. 133 Die Verfolgung des Klagebegehrens durch eine Feststellungsklage trage eher als eine Leistungsklage dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung, weil auf die Entscheidungsfreiheit des rechtsetzenden Organs gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt werde – denn die Entscheidung, in welcher Weise eine festzustellende Rechtsverletzung zu beheben sei, bleibe in diesem Fall dem Normgeber überlassen. 134 Ausnahmsweise hat das Bundesverwaltungsgericht bei gleichheitswidrigen Regelungen auch eine inzidente Korrektur durch Unterstellen einer verfassungsgemäßen Rechtsverordnung anerkannt. 135 Zwar seien die Verwaltungsgerichte wegen der Prärogative des Verordnungsgebers grundsätzlich nicht befugt, Personen Ansprüche zuzusprechen, die der Verordnungsgeber gleichheitswidrig von einer Begünstigung ausgeschlossen habe, jedoch sei dies dann möglich, wenn nur die Einbeziehung der ausgeschlossenen Personen in die Vergünstigung verfassungsgemäß wäre. 136 Neben den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen des Bundes 137 tritt in bestimmten Fällen die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die verordnungsrechtliche Regelung. In der Literatur ist diesbezüglich allerdings umstritten, inwieweit überhaupt Rechtsschutzlücken gegeben sind, die der Schließung mittels Verfassungsbeschwerde bedürfen. Hierzu stellt Michael Gerhardt pointiert fest: „Fälle, in denen nur die prinzipale Normenkontrolle geeignet wäre, effektiven Rechtsschutz zu bieten, gibt es nicht.“ 138 Jedes subjektive BVerwG, NVwZ 2002, 1505, 1506 (Bürokostenentschädigung). Zur vorhergehenden Rechtsprechung zum Landesrecht, die das Normenkontrollverfahren des § 47 VwGO auch für die Normergänzung heranzog vgl. VGH Mannheim, DVBl. 1979, 916; VGH München, NVwZ 1985, 502. Aus der Literatur hierzu T. Würtenberger, AöR 105 (1980), S.370 ff.; H. v.Barby, NJW 1989, S.80 ff.; A. Hartmann, DÖV 1991, S.62 ff.; H. Duken, NVwZ 1993, S. 546 ff. 132 Eine Verpflichtungsklage scheide schon deswegen aus, weil die Kläger mit dem auf Erhöhung einer verordnungsrechtlich geregelten Kostenentschädigung gerichteten Antrag nicht den Erlass eines Verwaltungsakts begehrten, BVerwG, NVwZ 2002, 1505, 1506 (Bürokostenentschädigung). 133 BVerwG, NVwZ 2002, 1505, 1506 (Bürokostenentschädigung). 134 BVerwG, NVwZ 2002, 1505, 1506 (Bürokostenentschädigung). 135 BVerwG, NJW 1997, 956 ff.; hierzu die Darstellung bei M. Eisele, Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß, 1999, S. 136. 136 BVerwG, NJW 1997, 956, 957. 137 Rechtsschutzaspekten wird auch durch das Formerfordernis des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG Rechnung getragen, wonach jede Rechtsverordnung ihre Rechtsgrundlage angeben und damit den Ermächtigungsrahmen offen legen muss, M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 43. 138 M. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO I, Stand: 2004, § 47, Rn. 10. 130 131
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Recht könne über die bestehenden Klagemöglichkeiten durchgesetzt werden. 139 Demgegenüber arbeitet Wolf-Rüdiger Schenke verschiedene Fallgruppen heraus, in denen auch bei Zugrundelegung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage gem. § 43 VwGO Rechtsschutzlücken fortbestehen. 140 In derartigen Fällen, in denen ausnahmsweise ein dem Art. 19 Abs. 4 GG genügender effektiver Rechtsschutz nur über eine prinzipale Normenkontrolle möglich sei, sei der Rechtsschutz über eine Verfassungsbeschwerde zu gewährleisten. 141 Das Bundesverfassungsgericht lässt die Möglichkeit der unmittelbaren Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsverordnungen zwar grundsätzlich zu, 142 engt die Zahl der praktisch erfassten Fälle aber weitestgehend ein: Der Grundsatz der Subsidiarität erfordere, dass „ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen.“ 143 Die restriktive Handhabe des Subsidiaritätsgrundsatzes kommt besonders deutlich zum Ausdruck, wenn im Anschluss dargelegt wird, dieser verlange „auch bei Verordnungen des Bundes gegen die unmittelbar kein Rechtsweg eröffnet ist“ die Anrufung der „allgemein zuständigen Gerichte, wenn diese der behaupteten Grundrechtsverletzung abhelfen“ könnten. 144 ZuM. Gerhardt, ebd. W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 1077 ff. mit vertiefenden Beispielsfällen: Rechtsschutzlücken verblieben etwa in den seltenen Fällen, bei denen eine rechtswidrige Norm ausnahmsweise rechtswirksam sei, ferner dort, wo ein effektiver Rechtsschutz ausnahmsweise nur durch prinzipale Nichtigerklärung eines Gesetzes bewerkstelligt werden könne. Ähnlich F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 5: Untergesetzliche Rechtsnormen, die als „öffentliche Gewalt“ im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG in die Rechte von Bürgern eingriffen, würden nicht immer erst durch nachfolgende Vollzugsmaßnahmen konkretisiert. 141 F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 11. Vgl. hierzu bereits die Nachweise in den vorhergehenden Fn. 142 Zu Rechtsschutzeinbußen im Bereich des mit der Verfassungsreform 1994 neugeschaffenen Art. 80 Abs. 4 GG, der die Umsetzung an die Landesregierung gerichteter Verordnungsermächtigungen durch den Landesgesetzgeber erlaubt, J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3.Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 60: Derartige Einbußen ergäben sich in denjenigen Ländern, die landesrechtlich gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO für „unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften“ ein Normenkontrollverfahren vor den Oberverwaltungsgerichten eingeführt haben, nicht aber ein Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen Gesetzes kennen (Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen). Die Möglichkeit, derartige Gesetze mit der Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht anzugreifen, sei kein adäquater Ersatz. 143 BVerfG-K, NJW 1999, 2031, 231 (Fahrerlaubnis-Verordnung) im Anschluss an BVerfGE 81, 97, 102. Zum Grundsatz des Subsidiarität bei Verfassungsbeschwerden gegen die Verpackungsverordnung BVerfG-K, NVwZ-RR 2002, 1; hierzu auch VG Düsseldorf, NVwZ 2002, 1269 sowie VG Stuttgart, NVwZ 2002, 1274. Zu einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG, vorläufig im Rahmen des § 6 Abs. 2, 3 VerpackV für gebrauchte Verkaufsverpackungen aus Kunststoff die thermische Verwertung und Deponierung zuzulassen BVerfG-K, NVwZ 1994, 261 (Kunststoffverpackungen). 144 BVerfG-K, NJW 1999, 2031, 2031 (Fahrerlaubnis-Verordnung) im Anschluss an BVerfGE 68, 319, 325 f.; BVerfGE 71, 305, 335 f.; BVerfG-K, NVwZ 1998, 169 f. 139 140
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mutbar sei dies allerdings nur, wenn die Anrufung dieser Gerichte „nicht offensichtlich aussichtslos“ sei. 145 Zu beachten ist, dass die Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsverordnungen nach der Rechtsprechung der Frist des §93 Abs.3 BVerfGG unterliegt und demgemäß innerhalb eines Jahres seit In-Kraft-Treten der entsprechenden Norm zu erheben ist. 146 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für Kommunalverfassungsbeschwerden, die sich gegen Rechtsverordnungen richten. Da der Begriff des Gesetzes in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, § 91 Abs. 1 BVerfGG auch untergesetzliche Rechtsnormen umfasse, erweitere sich die Entscheidungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, wenn und soweit die angegriffene Norm nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfung im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde nach dem jeweiligen Landesrecht sein könne. 147 Wie die jüngere Entscheidungspraxis des BVerfG zeigt, gibt es dabei über die Verhinderung von Rechtsschutzlücken gegenüber Bundes-Rechtsverordnungen hinaus auch Konstellationen, in denen das Bundesverfassungsgericht über Rechtsverordnungen des Landesrechts entscheidet. 148 Die Rechtsverordnung ist nicht nur im Rahmen der Verfassungsbeschwerde, sondern auch im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Gegenstand des Verfassungsprozessrechts. Die Rügefähigkeit von Rechtsverordnungen im Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG war bereits in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt. 149 Allerdings handelt es sich bei der abstrakten Normenkontrolle aufgrund der engen Begrenzung des Kreises der Antragsberechtigten auf die Bundesregierung, die Landesregierungen und ein Drittel der Mitglieder des Bundestages um ein objektives Verfahren, zu welchem dem Bürger kein Zugang eröffnet ist und dass bereits insoweit den von Art. 19 Abs. 4 GG gestellten Anforderungen zur Erzielung individuellen Rechtsschutzes nicht zu genügen vermag. 150 Umstritten ist dabei, ob Rechtsverordnungen als untergesetzli145 BVerfG-K, NJW 1999, 2031, 2031 (Fahrerlaubnis-Verordnung) im Anschluss an BVerfGE 79, 1, 20; BVerfGE 85, 80, 86. 146 Vgl. aktuell BVerfG v. 10.11.2004, 1 BvR 179/03, zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen der §§ 8 und 9 der Verpackungsverordnung, in Kraft getreten am 28.8.1998. 147 BVerfG, NVwZ 2003, 850, 851 (Kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt). Die Überprüfung untergesetzlichen Landesrechts im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO könne die von Art. 93 Abs. 1 N. 4 b GG geforderte verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht ersetzen. Weitere Nachweise zur Rechtsverordnung als Gegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde bei M. Kment, DVBl. 2004, S. 214, 215 mit Fn. 15. 148 BVerfG, NVwZ 2003, 850, 851 (Kommunale Gemeinschaftsarbeit Sachsen-Anhalt), Leitsatz 1: „Das BVerfG entscheidet über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden gegen eine landesrechtliche Rechtsverordnung, wenn das Landesverfassungsgericht seine Prüfung auf formelle Landesgesetze beschränkt.“ Hierzu bereits vorhergehend unter 4. Teil, II., 1., b), (2). 149 K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl. 2004, Rn. 128 unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 184, 196; 2, 307, 312 f. (Gerichtsbezirke). 150 Näher D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S.156.
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ches Bundesrecht allein am Maßstab des Grundgesetzes oder auch an förmlichen Bundesgesetzen gemessen werden können. 151 Für die erste Ansicht wird die Formulierung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG herangezogen, für die zweite der Wortlaut des § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG. Nach der Auffassung von Voßkuhle gibt die funktionelle Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Spezialgericht für Verfassungsfragen den Ausschlag zugunsten einer Begrenzung des Prüfungsmaßstabs und damit zugunsten der ersten Ansicht. 152
2. Kontrastierung zu den rudimentären Rechtsschutzoptionen gegenüber Verwaltungsvorschriften Geht es bei Rechtsverordnungen nicht um die grundsätzliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, sondern insbesondere bei unmittelbar wirkenden Verordnungen des Bundes um die Frage dessen adäquater Ausgestaltung, ist dies bei Verwaltungsvorschriften grundsätzlich anders: Hier häufen sich die Unklarheiten und divergierenden Vorschläge auf allen Ebenen. 153 Besonders deutlich sind die hier anzutreffenden Unwägbarkeiten und Grauzonen 154 in der Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof zutage getreten, die der Unzulässigerklärung der Umsetzung von EG-Richtlinien in der Rechtsform der Verwaltungsvorschriften vorausging. 155 Die ungeklärten Rechtsschutzoptionen wurden zum tragenden Grund der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland, indem der EuGH feststellte, die Umsetzung in Form der TA Luft vermöge nicht zu gewährleisten, dass der Einzelne seine Rechte gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend machen könne. 156 Rechtsprechung und Rechtswissenschaft haben nach wie vor enorme Mühe, die partielle Sprengung des Verfassungsrahmens exekutiver Normsetzung seitens des Gesetzgebers dogmatisch zu erfassen und in die Ausbildung eines adäquaten Rechtsschutzsystems zu übersetzen. 157 151 Hierzu A. Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 3. Bd., 4. Aufl. 2001, Art. 93, Rn. 126. 152 A. Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 3. Bd., 4. Aufl. 2001, Art. 93, Rn. 126 unter Bezugnahme von BVerfGE 2, 307, 320 f.; 101, 1, 30 f. Für die erste Ansicht auch W. Meyer, in: von Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 93 GG, Rn. 38; S. Stuth, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, §76, Rn. 31; a. A. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 681; A. Rinken, in: AK-GG III, Stand: 2001, Art. 93, Rn. 29; K. Stern, in: BK-GG IX, Stand: 2004, Art. 93, Rn. 264: Jeder Verstoß gegen die Normenhierarchie sei ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. 153 Vgl. bereits die Besprechung der Strafgefangenenentscheidung BVerfGE 40, 237 von J. Schwabe, JuS 1977, S. 661 ff. 154 Vgl. T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S. 73, 91. 155 Vgl. den Sitzungsbericht EuGH, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567, 2568 ff. (Kommission/ Deutschland, Luftverschmutzung). 156 Hierzu ausführlich 3. Teil, IV., 1. 157 Vgl. im 3. Teil, V., 3.
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a) Die restriktive Grundposition der Rechtsprechung Die Rechtsprechung steht der Kontrollfähigkeit von Verwaltungsvorschriften weithin ablehnend gegenüber. 158 So heißt es in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dezidiert, Klagebegehren, die „darauf gerichtet sind, die Gültigkeit einer Verwaltungsvorschrift zum eigentlichen Gegenstand eines Verwaltungsstreitverfahrens zu machen“ seien „unstatthaft, gleichviel in welche Form sie gekleidet werden, weil die Prozessordnung eine solche Nachprüfung in der Art einer Normenkontrolle nicht vorsieht“. 159 Das Bundesverwaltungsgericht wendet diese Rechtsprechung unter Zusammenfassung verschiedener vorhergehender Entscheidungen ausdrücklich auf den weit überwiegenden Teil der rechtspraktisch relevantesten Verwaltungsvorschriften an: Die Unzulässigkeit einer prinzipalen Kontrolle von Verwaltungsvorschriften treffe „namentlich auf Richtlinien mit sachverständiger Beurteilung zu, 160 auch wenn diese gesetzlich vorgesehen“ seien. 161 Ebenso verhalte es sich bei „antizipierten Sachverständigengutachten“ 162 sowie „norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften ohne rechtssatzmäßige Verbindlichkeit“. 163 Diese Grundsätze beanspruchten auch Gültigkeit für die Justiziabilität normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften. 164 Diese ausdrückliche Darlegung zeigt, dass die Rechtsprechung die gleichermaßen anerkannten Ausnahmen beim Vorliegen von Verwaltungsvorschriften, „denen die Rechtsordnung gesetzesähnliche unmittelbare verbindliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger beilegt“, auf einen äußerst kleinen Kreis von Fällen beschränkt wissen will. 165 Eine solche Ausnahme einer justiziablen VerwaltungsvorIm Überblick J. Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 47, Rn. 31. BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel) zu einer auf Kraftloserklärung eines Mietspiegels gerichteten allgemeinen Leistungsklage bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage gem. §113 Abs.1 S. 4 VwGO. Ähnlich restriktiv der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu einem Antrags auf Nichtigerklärung der Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Einrichtung eines verpflichtenden Arbeitszeitkontos für Grundschullehrer im Verfahren nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO: Da es sich bei der Bekanntmachung um eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift, nicht aber um eine Rechtsnorm handele, sei der Antrag unzulässig, BayVGH, DVBl. 2001, 311, 311. Die Antragsteller seien „auf den ihnen offen stehenden Individualrechtsschutz zu verweisen“, BayVGH, aaO, 313. 160 BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel) im Anschluss an BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118; vgl. aus der vorhergehenden Rechtsprechung zu § 47 VwGO BVerwG, DÖV 1987, 189: „Verwaltungsvorschriften – mit welcher faktischen Wirkung auch immer – sind keine Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 VwGO.“ 161 BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel) im Anschluss an BVerwG, NJW 1983, 774. 162 BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel) im Anschluss an BVerwGE 55, 250, 255 f.; BVerwG, NVwZ 1988, 824. 163 BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel) im Anschluss an Urteil vom 25. September 1987 – BVerwG 6 C und BVerwG, NVwZ 1991, 881. 164 BVerwGE 100, 262, 270 (Mietspiegel); anders jetzt für die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften eines Sozialhilfeträgers BVerwG v. 25.11.2004, 5 CN 1/03. 165 Vgl. F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 30. 158 159
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
schrift nahm das Gericht in einem Beschluss vom 25. November 1993 an. 166 Durch Runderlass der zuständigen Landesbehörde nach § 22 Abs. 3 BSHG a. F. festgesetzte Regelsätze für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt unterliegen nach dieser Rechtsprechung als „andere im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften“ im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle. 167 Ein ausschlaggebender Gesichtspunkt mag die spezifische Nähe der einzuordnenden sozialhilferechtlichen Regelung zur Rechtsverordnung gewesen sein, die darin zum Ausdruck kam, dass die landesrechtlichen Pendants in einigen Bundesländern als „Runderlass“ und damit als Verwaltungsvorschriften, in anderen hingegen als Rechtsverordnung ausgestaltet waren, 168 und insoweit seitens des BVerwG eine verwaltungsprozessuale Gleichbehandlung im Bundesmaßstab169 intendiert war. 170 Nach dem Stand der Rechtsprechung ist der Bürger also weitestgehend auf ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen gegen Einzelakte in Konkretisierung der jeweiligen Verwaltungsvorschriften verwiesen. Neben den hiermit verbundenen Problemen in der Folge der differierenden Verfahrensausgestaltung durch die VwGO, wie etwa deutlich verkürzter Klagefristen 171 und der Abhängigkeit des Rechtsschutzes von der Entscheidung eines einzelnen Instanzgerichts172 bleibt der gesamte Bereich der Rechtswirkungen von Verwaltungsvorschriften außerhalb der Belastung durch den konkreten Vollzugsakt unerfasst. 173 Auch verfassungsprozessual stellt sich der Rechtsschutz gegenüber Rechtsverordnungen wesentlich verbessert 166 BVerwGE 94, 335 (BSHG Regelsätze) entgegen der Ansicht des vorlegenden OVG Lüneburg, zu dessen Position vgl. BVerwGE 94, 335, 336 f., aber übereinstimmend mit dem VGH Baden-Württemberg, NVwZ 1991, 92 und dem OVG Bremen, DÖV 1991, 893. 167 BVerwGE 94, 335, Leitsatz; aktuell BVerwG v. 25.11.2004, 5 CN 1/03, Umdruck, S. 4. Zu weiteren derartigen Ausnahmefällen vgl. BVerwGE 72, 300, 320 f. (Wyhl); BVerwGE 72, 119, 121 f. sowie BVerfGE 40, 237, 254 ff. (Strafgefangene). Restriktiv demgegenüber BayVerfGH, NVwZ 1994, 995; hierzu die Ausführungen bei BayVGH, DVBl. 2001, 311, 312. 168 In Form der Rechtsverordnung etwa nach § 7 des nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes zum BSHG, näher U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 35 f. 169 Zu den abweichenden landesrechtlichen Rechtsformen vgl. BVerwGE 94, 335, 336. 170 Für eine weitere Variante im Arsenal der Rechtsschutzoptionen gegenüber Verwaltungsvorschriften vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 315, wo in einem Fall der Presse-Subventionen die Behörde aufgrund einer allgemeinen Leistungsklage zur Unterlassung der Anwendung und Änderung der Verwaltungsvorschriften verurteilt wurde; näher hierzu W.-R. Schenke, NVwZ 1993, S. 718, 728 f.; zur allgemeinen Leistungsklage gegenüber Rechtsverordnungen auch Ch. Alber, Zum Rechtsschutz gegen Fluglärm, 2004, S. 141 ff. 171 Vgl. etwa die Monatsfrist des § 70 VwGO gegenüber der 2 Jahres-Frist nach § 47 Abs. 2 VwGO. 172 Hierzu D. Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes zur Durchführung von EG-Rechtsakten und völkerrechtlichen Verträgen auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Artikel 80 I S. 2 Grundgesetz, 2000, S. 179 ff. 173 Zum Problem der Amtshaftung für Verwaltungsvorschriften A. Leisner-Egensperger, DÖV 2004, S. 65 ff.
II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung
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dar: Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle können Rechtsverordnungen Verfahrensgegenstand sein, Verwaltungsvorschriften hingegen nicht. 174
b) Die Bemühungen um eine Ausweitung des Rechtsschutzes in der Literatur Diese im Vergleich zur Rechtsverordnung deutlich nachteilige Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegenüber dem Staatshandeln in der Rechtsform der Verwaltungsvorschriften wird von der Literatur weitgehend als Missstand thematisiert.175 Zumeist wird dementsprechend versucht, 176 anknüpfend an die gängigen Systematisierungen von Verwaltungsvorschriften, 177 für einzelne Fallgruppen deren notwendige Unterwerfung unter ein Rechtsschutzregime zu begründen, wie es sich zwischenzeitlich gegenüber dem Staatshandeln in der Rechtsform der Rechtsverordnung etabliert hat. 178 Für bloße Auslegungsrichtlinien und ermessenslenkende Vorschriften wird überwiegend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung von der Forderung nach einer eigenständigen Rechtsschutzoption abgesehen.179 Demgegenüber wird insbesondere mit Blick auf das Umweltrecht gefordert, die sog. normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften der Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu unterwerfen. 180 Zur Begründung wird auf deren ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen und ihre Bindungswirkungen gegenüber Verwaltung, Bürgern und Gerichten verwiesen. 181 Dabei ist zu beachten, dass die Eröffnung einer prinzipalen Normenkontrolle gem. § 47 VwGO gegen normkonkretisierende Verwaltungsvor-
Hierzu vorhergehend unter 4. Teil, II., 1., b), (3). Vgl. D. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, 2000, S.429 ff.; abwägend zur Anwendbarkeit des § 47 VwGO auf sog. normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften R. Wahl, NVwZ 1991, S. 409, 417. 176 Zu den Vorstößen verschiedener Autoren, auch Verwaltungsvorschriften der Normenkontrolle gem. § 47 VwGO zu unterstellen und der demgegenüber reservierten Haltung der Rechtsprechung mit weitergehenden Nachweisen bereits W. Berg, DÖV 1981, S. 899, 891. 177 Vgl. die Differenzierung in BVerwGE 100, 262, 269 f. (Mietspiegel). 178 Hierzu vorhergehend 4. Teil, II., 1. 179 D. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, 2000, S. 429. 180 E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 71; D. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, 2000, S. 430; M. Beckmann, DVBl. 1987, S. 611 ff., R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5.Aufl. 2003, Rn.75; H. Hill, NVwZ 1989, S. 401, 410; zu weiteren Nachweisen F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 22. 181 D. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, 2000, S. 430; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, Rn. 75; E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 71: Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften hätten ein Maß an Außenwirksamkeit erreicht, das dazu zwinge, sie in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG einzubeziehen. Eingehend zu den Bindungswirkungen von Verwaltungsvorschriften 3. Teil, V., 3. 174 175
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
schriften des Bundesrechts auch die Zuweisung einer Kontrollkompetenz an das Bundesverwaltungsgericht voraussetzt. 182 3. Überlegungen zum Rechtsschutz gegenüber untergesetzlichen Normen de lege ferenda Der Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen der Länder, 183 vor allem aber des Bundes ist trotz seiner gesicherten Gewährleistung in der Form der Feststellungsklage gem. § 43 VwGO weiterhin deutlich verbesserungsfähig. 184 Da die Feststellungsklage nur Wirkung inter partes entfaltet, bleibt die Forderung nach der Einführung einer dem § 47 VwGO vergleichbaren prinzipalen Normenkontrolle 185 auf Bundesebene oder dessen entsprechender Erweiterung aktuell.186 Die ratio der Unterwerfung landesrechtlicher Rechtsverordnung unter das Regime des § 47 VwGO R. Sparwasser/A. v. Komerowski, VBlBW. 2000, S. 348, 354. Die im Bereich der Verordnungsgebung der Länder vorgetragenen Forderungen erheben sich insbesondere gegenüber den Landesgesetzgesetzgebern, die bis dato keine Regelungen in der Umsetzung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO getroffen haben, so etwa in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, vgl. F. O. Kopp/W. R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 23; zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz, wo nach § 4 S. 2 AGVwGO Rechtsnormen, die durch ein Verfassungsorgan im Sinne des Art. 130 Abs. 1 der Landesverfassung – also vor allem durch die Landesregierung aber auch durch einen Landesminister – erlassen wurden, nicht durch die Normenkontrolle angreifbar sind, F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 24. Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung BVerwG, NVwZ-RR 1991, 54 sowie VerfGH Rheinland Pfalz NVwZ 2002, 77; vgl. weiterhin die Darstellung bei BVerwG, JZ 2003, 1064, 1064. 184 Vgl. die Kritik am status quo des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes unmittelbar gegenüber Rechtsverordnungen als „zum Teil sehr lückenhaft“ bei S. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 842; ebenso F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl. 2003, § 19, Rn. 5: Aus verfassungsrechtlicher Sicht seien die noch bestehenden Einschränkungen der Normenkontrolle bedenklich. Die alte Auffassung, Art. 19 Abs. 4 GG verlange nicht zwingend die Einführung einer prinzipalen Normenkontrolle, sei nicht mehr haltbar. 185 Hierzu mit weiteren Nachweisen H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S. 273 und bereits D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 156. 186 Darüber hinausgehend wird in der Literatur gefordert, den Kreis der Klagebefugten auf nur mittelbar und tatsächlich Betroffene sowie auf Interessengruppen und Verbände auszudehnen, so etwa H. Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, S.274. Zu beachten sind bezüglich des Rechtsschutzes gegenüber Rechtsverordnungen des Landesrechts vor allem die Auslegungskontroversen zu § 47 Abs. 2 VwGO. Diese betreffen neben den Aspekten der Neufassung der Norm durch die 6. Novelle von 1996 vor allem den Kreis der rügefähigen Rechtsvorschriften. Hierzu lässt sich an die Entscheidung BVerwGE 107, 215 ff. anknüpfen, nach welcher die Antragsbefugnis gem. § 47 Abs. 2 VwGO nicht erst dann gegeben ist, wenn bei der Abwägung möglicherweise subjektiv-öffentliche Rechte verletzt sind, sondern es vielmehr ausreicht, wenn der Antragsteller geltend machen kann, seine auch unterhalb der Rechtsschwelle liegenden Belange seien in der Abwägung nicht oder nicht fehlerfrei berücksichtigt worden. Zur Übertragbarkeit dieser Entscheidung auf das Umweltrecht vgl. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 5, Rn. 33. 182 183
II. Rechtsschutzgewähr als Rationalitätsverbürgung
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erfasst grundsätzlich auch die Rechtsverordnungen des Bundes. Diese geht dahin, dass die Institution der Normenkontrolle der Vermeidung von Rechtsschutzlücken, 187 der Rechtsklarheit und der ökonomischen Gestaltung des Prozessrechts dient. 188 Der Zweck des § 47 VwGO liegt insbesondere darin, durch eine einzige Entscheidung eine Reihe von Einzelklagen zu vermeiden und dadurch die Verwaltungsgerichte zu entlasten. 189 Zugleich will § 47 VwGO den Schutz der subjektivöffentlichen Rechte des Bürgers verbessern, indem mögliche Zweifel an der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift gebündelt werden. So wird zahlreichen Einzelprozessen gegen auf die Rechtsvorschrift gestützte konkrete Verwaltungsentscheidungen vorgebeugt, 190 in denen die Gültigkeit der Rechtsvorschrift nur als Vorfrage geprüft werden kann. 191 Verfassungsrechtlich gefordert ist die Einführung einer prinzipalen Rechtsschutzoption gegenüber Rechtsverordnungen des Bundes zwar nicht, insbesondere solange alle denkbaren subjektiven Rechtsverletzungen über die eingeführten Verfahren der VwGO, wie vor allem die Feststellungsklage gem. § 43 VwGO, erfassbar 192 sind. 193 Jedoch erscheint in rechtspolitischer Sicht aufgrund der skizzierten Gewährleistungen des § 47 VwGO sowie zur Entlastung der Verfassungsgerichtsbarkeit durch Zurücknahme des Anwendungsbereichs der Verfassungsbeschwerde die Etablierung eines verwaltungsprozessualen Normenkontrollverfahrens zur Überprüfung von Rechtsverordnungen des Bundes durch das Bundesverwaltungs187 Zu diesem umstrittenen Aspekt nochmals die Auffassung von W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9.Aufl. 2004, Rn. 1077 ff. und zur Gegenauffassung, nach welcher kein Fall denkbar sei, in dem eine mögliche subjektive Rechtsverletzung nicht durch das umfassende Rechtsschutzsystem der VwGO einer effektiven Kontrolle zugeführt werden könne W. Schmitt Glaeser/H.-D. Horn, Verwaltungsprozeßrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 403. 188 Bericht des Bundestagsrechtsausschusses BT-Drs. III/1094, S. 6 zu § 46 des Entwurfs einer VwGO; zitiert nach BVerwGE 94, 335, 338. 189 BVerwGE 94, 335, 338 (BSHG Regelsätze) unter Berufung auf die Begründung zum Regierungsentwurf einer VwGO, BT-Drs. III/55, aaO. Zur Frage, ob § 47 VwGO individuellen Rechtsschutz garantiert oder ob es sich um ein objektives Beanstandungsverfahren und eine Art „negative Rechtsetzung“ handelt, bereits W. Berg, DÖV 1981, S. 899, 890, 892 ff. 190 Vgl. auch die Zusammenstellung von Aspekten zugunsten des Verfahrens nach § 47 VwGO bei F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 12: Für das Verfahren nach § 47 VwGO sprächen gewichtige praktische und rechtspolitische Argumente, insbesondere Gründe des Rechtsfriedens, der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, Gründe der Verbesserung des Rechtsschutzes, vor allem auch seiner Rechtzeitigkeit, seiner Rationalisierung und der Vermeidung von divergierenden Entscheidungen und damit zugleich auch der Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 191 BVerwGE 94, 335, 338 (BSHG Regelsätze) im Anschluss an BVerwGE 56, 172, 178; 80, 355, 363 und weitere. 192 Hierzu vorhergehend 4. Teil, II., 1., b). 193 Vgl. hierzu A. Dittmann, in: Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 107, 121 f., der den relativierten Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen in seiner eher zum Rechtsschutz gegen Gesetze als zu jenem gegen Exekutivakte gehenden Entsprechung als „flankierende Sicherung exekutiver Eigenständigkeit“ und tendenzielle Unterstreichung „der Eigenständigkeit der Verwaltung beim Einsatz der Rechtsverordnung“ versteht.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
gericht empfehlenswert. 194 Dabei kann wenigstens partiell an Erfahrungen aus der bisherigen Gesetzgebungspraxis angeknüpft werden, die in Ansätzen bereits Fälle der erstinstanzlichen Normenkontrolle vor dem Bundesverwaltungsgericht kennt. 195 Schwieriger erscheint die Einschätzung zur Fortentwicklung des Rechtsschutzes gegenüber Verwaltungsvorschriften. Denn die Forderungen nach Ausweitung des Rechtsschutzes korrespondieren vielfach mit den – verfassungsrechtlich prekären – gesetzgeberischen und rechtspolitischen Konzeptionen 196 zur Weiterqualifizierung der Verwaltungsvorschriften zur unmittelbar außenwirksamen Rechtsform.197 Wie gezeigt 198 sprengen diese Konzeptionen den gegenwärtigen Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung insoweit, als sie auf Rechtswirkungskonvergenzen zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften setzen. 199 Deshalb stellte sich das Problem der Rechtsschutzorganisation gegenüber Verwaltungsvorschriften allerhöchstens in Ausnahmefällen, 200 würde sich die Rechtsetzung vorhergehend an den Vorgaben des Grundgesetzes orientieren. Die verfassungsrechtliche Beantwortung der Frage nach den angezeigten und adäquaten Rechtsschutzoptionen hat jedoch nicht bei den staatsorganisationsrechtlichen Vorgaben der Art. 76 ff. GG anzusetzen, sondern vielmehr beim Rechtsschutz des Betroffenen. Hier gebietet Art. 19 Abs. 4 GG effektiven Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt auch und gerade dann, wenn diese sich verfassungsrechtlich unzulässiger Rechtsformen bedient.201 194 So auch Ch. Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 169 ff. mit einem Gesetzgebungsvorschlag für einen neuen § 49 a VwGO auf S. 173. 195 Vgl. das Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde vom 29.10.1993, BGBl. I 1906 und das Gesetz über den Bau des Abschnitts Wismar West – Wismar Ost der Bundesautobahn A 20 Lübeck – Bundesgrenze (A 11) vom 2.3.1994, BGBl. I 734, wo es jeweils in § 2 Abs. 3 GG heißt: „Über die Gültigkeit von Rechtsverordnungen nach Abs. 1 entscheidet auf Antrag das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit. Auf das Verfahren finden die Vorschriften des § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechende Anwendung.“ Hierzu die Begründung zum Gesetz vom 2.3.1994, BGBl. I 734 in BT-Drs. 12/5001. 196 Zu derartigen Konzeptionen im 3. Teil, V., 3. 197 So etwa die Argumentation bei T. v. Danwitz, VerwArch 84 (1993), S.73, 91, 96, der nach der Ablehnung der tradierten Praxis der Richtlinienumsetzung durch Verwaltungsvorschriften durch den EuGH die zukünftige Europarechtskonformität der Richtlinienumsetzung durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften insbesondere über die Etablierung einer prinzipalen Normenkontrolle gegenüber Verwaltungsvorschriften sicherstellen will; vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GGK II, Stand: 2003, Art. 19 Abs. 4, Rn. 71. 198 3. Teil, V., 3. 199 Insbesondere gibt es nach den Festlegungen der Art. 76 ff. GG nur zwei Rechtsformen mit unmittelbarer, allgemeinverbindlicher Außenwirkung: Gesetz und Rechtsverordnung. 200 Vgl. die BVerwGE 94, 335 (BSHG Regelsätze) zugrunde liegende Konstellation. 201 So auch F. O. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 47, Rn. 30 zu verschiedenen Fallgruppen von Verwaltungsvorschriften, die potentiell unter § 47 Abs. 1 VwGO fielen: „Für die Qualifizierung solcher Maßnahmen als Rechtsvorschriften im Sinne des §47 spielt es keine Rolle, ob der Einsatz von Verwaltungsvorschriften möglicherweise wegen des Verstoßes gegen Art. 80 GG oder entsprechende landesrechtliche Regelungen rechtswidrig ist.“
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung
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Dementsprechend ist also auch eine prinzipale Kontrolle von Verwaltungsvorschriften zuzulassen, die sich de lege lata landesrechtlich auf § 47 VwGO aufbauen lässt, bundesrechtlich auf die Normierung der Feststellungsklage in § 43 VwGO. 202
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung Über die vorhergehend dargelegten Aspekte des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters und der Rechtsschutzgarantien hinaus, vermittelt die verfassungsrechtliche Verankerung in den Art. 80, 82 GG der Rechtsverordnung weitere Rationalitätsvorteile, insbesondere durch verstärkte Rechtssicherheit und Publizitätsgarantien. 1. Verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtssicherheit Eine nachhaltige Verbürgung ihrer Rechtsqualität erfährt die Rechtsverordnung durch die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes, insbesondere in Art.80 Abs. 1 GG. Wie gesehen begründet diese grundgesetzliche Exposition als Erstreckung der Rechtswirkungsbegründung durch Art. 20 Abs. 3 GG die Funktionsexklusivität der Rechtsverordnung im Merkmal der Setzung allgemeinverbindlichen Rechts. 203 Damit gehen für den betroffenen Bürger erhebliche Gewinne an Rechtssicherheit einher, 204 insbesondere gegenüber einer Regelung in Form von Verwaltungsvorschriften. 205 Durch die verfassungsrechtlich gesicherte Bindung der Gerichtsbarkeit an die Rechtsverordnung 206 ist ein gerichtliches Abweichen vom materiellen Normgehalt unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit ausgeschlossen. 207 Verordnungsregelungen „sichern den zu vollziehen202 Vgl. nochmals F. O. Kopp/W.-R. Schenke, ebd.: „Sofern die in den Verwaltungsvorschriften getroffene Regelung ihrem Inhalt nach darauf gerichtet ist, im Außenverhältnis in derselben Weise, wie dies auch sonst für Außenrecht zutrifft, in subjektive Rechte einzugreifen und in einer Weise verlautbart wird, welche den durch sie Betroffenen Kenntnisnahme ermöglicht, ist sie als Rechtsvorschrift im Sinne des §47 Abs.1 zu qualifizieren.“ Diesem Erfordernis habe das BVerwG in dem oben zitieren Fall BVerwGE 94, 335 entsprochen. 203 2. Teil, II., 2., a). 204 Zur Konkretisierung des Grundsatzes der Rechtssicherheit als „wesentlicher Zielrichtung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG“ M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 38. 205 R. Breuer, NVwZ 1988, S. 104, 110; mit Blick auf die Regelungsstruktur des Atomgesetzes und die TA Luft R. Lukes, in: Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81, 87. Vgl. auch die Darstellung der Forderung der Wirtschaft nach verordnungsrechtlicher Rechtsvereinheitlichung im Bodenschutzrecht, 1. Teil, II., 6., b). 206 Betonung des durch die Rechtsverordnung gebotenen hohen Maßes an Rechtssicherheit auch bei S. Paetow, in: NuR 1999, S. 199, 199 f., der von der „rechtsstaatlichen Dignität“ der Rechtsverordnung spricht. 207 Vgl. die Nachweise im Kontext der Darlegung der „Dekonzentrierenden Setzung allgemeinverbindlichen Rechts“ als Primärfunktion der Rechtsverordnung, 2. Teil, II., 2., a).
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
den Schritt zur Gesetzesanwendung im Einzelfall durch eine zusätzliche normative Konkretisierungsstufe ab und vermindern die Interpretationsmacht der Behörden und Gerichte“. 208 Verwaltungsvorschriften hingegen vermögen die Gerichte nicht zu binden und vermitteln dem Bürger dementsprechend keine der Rechtsverordnung gleichkommenden 209 Garantien. 210 Von entscheidender Bedeutung war der Aspekt der durch Verwaltungsvorschriften unzureichend vermittelten Rechtssicherheit in der Auseinandersetzung um die Rechtsqualität dieser Rechtsform vor dem Europäischen Gerichtshof. 211 Die Verurteilung der Bundesrepublik aufgrund der mangelnden Umsetzung der Richtlinie 80/68/EWG des Rates vom 17. Dezember 1979 über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe vom 28. Februar 1991 wurde insbesondere darauf gestützt, dass mit den zur Umsetzung unter anderem herangezogen Verwaltungsvorschriften 212 verschiedene Bestimmungen der Richtlinie „nicht so genau und eindeutig“ umgesetzt wurden, wie „es notwendig ist, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit in vollem Umfang zu genügen“. 213 Aufgrund des Zusammenhangs von allgemeinverbindlicher Rechtswirkung und erhöhter Rechtssicherheit haben viele Autoren bereits in der Zeit vor dieser Rechtsprechung des EuGH die Vorzugswürdigkeit der Rechtsverordnung vor den Verwaltungsvorschriften betont, etwa bei der Frage der Rechtsformwahl zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe. 214 Die Diskrepanz hinsichtlich der Rechtssicherheit findet auch im einfachen Recht Ausdruck, nicht nur im Verhältnis der Rechtsverordnung zu „allgemeinen“, sondern auch gegenüber den „normkonkretisierenden“ Verwaltungsvorschriften. Dies zeigt ein von Jürgen Salzwedel dargelegtes Beispiel aus dem Immissionsschutzrecht: Soweit Vorsorgestandards durch gesetzeskonkretisierende Verordnungen nach § 7 BImSchG festgelegt worden seien, stelle § 17 Abs. 3 BImSchG klar, dass strengere Anforderungen zur Vorsorge im Einzelfall nicht gestellt werden dürften. Für die Emissionsbegrenzungen, die in der TA-Luft vorgeschrieben sind, gelte dies nicht in gleichem Maße.215
208 F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 229. Die Autorin misst der Rechtsverordnung als „Instrument für eine normative Festlegung und Bewertung technischer Risiken“ eine „besondere rechtsstaatliche Bedeutung“ zu, dies., ebd. 209 Vgl. BMU (Hrsg.), UGB-KomE 1998, S. 488 zur Einordnung der Rechtsverordnung als Handlungsform der „größeren Rechtsklarheit und Rechtssicherheit“. 210 Zur Begründung und weiteren Nachweisen 3. Teil, V. Zu den verfassungsunmittelbaren Ermächtigungen der Bundesregierung (Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 2 S. 1, 108 Abs. 7, 129 GG) BVerfG, JZ 1999, 991 m. Anm. v. A. Tschentscher, JZ 1999, S. 993 ff. 211 Vgl. ausführlich 1. Teil, III., 1., c) sowie 3. Teil, IV. 212 Vgl. zu Einzelheiten den Sitzungsbericht EuGH, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, 826 ff. (Kommission/Deutschland, Grundwasser). 213 EuGH, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, 880 f. (Kommission/Deutschland, Grundwasser). 214 Vgl. die Hervorhebung dieses Aspekts bei Ch. Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzes, 1987, S. 253 f.; R. Breuer, DVBl. 1978, S. 28, 37; P. Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1983, S. 205 ff., 244; A. Rittstieg, Die Konkretisierung technischer Standards im Anlagenrecht, 1982, S. 246. 215 Näher hierzu J. Salzwedel, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 85, Rn. 28.
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2. Rationalität durch Publizität Neben den vorhergehend dargelegten Aspekten erhöhter Rechtssicherheit ist ein wesentlicher Vorzug der Rechtsverordnung die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Publizität dieser Rechtsform. 216 Diese beruht auf der Norm des Art. 82 GG. Abgesichert ist dabei weniger das Verfahren der Verordnungsgebung als vielmehr das Ergebnis. 217 In Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG findet sich die grundsätzliche Anordnung der Ausfertigung und Verkündung 218 der Rechtsverordnung im Bundesgesetzblatt. 219 Diese hat im Unterschied zu der auf Gesetze bezogenen Regelung des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht durch den Bundespräsidenten zu erfolgen, vielmehr ist sie dem erlassenden Organ selbst zugewiesen. 220 Die nähere Ausgestaltung der Verkündung überlässt das Grundgesetz dem einfachen Gesetzgeber, 221 der im Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt und im Bundesanzeiger unterscheidet. 222 Das Erfordernis der Veröffentlichung der Rechtsverordnung steht dabei als solches nicht zur Disposition des Gesetzgebers, denn die Notwendigkeit einer angemessenen Verkündungsform wird als solche allgemein bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip gefolgert.223 Demgegenüber unterliegen Verwaltungsvorschriften 224 von Verfassungs wegen als Rechtssätze mit prinzipiell verwaltungsinterner Wirkung 225 keiner Veröffentli216 Zur Publizität als Element der Rechtsstaatlichkeit vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26 und W. Ziegler, Die Verkündung von Satzungen und Rechtsverordnungen der Gemeinden, 1976, S. 98 ff., insbes. S. 114 ff.; zu Publizitätserfordernissen im Lichte des EG-Rechts Ch. Heitsch, Gemeinschaftsrecht und Transparenzprinzip, 2003; R. Gröschner, in: VVDStRL 63 (2004), S. 344, 346: Transparenz als gemeineuropäische Rechtsidee und jüngere Schwester der Publizität. 217 Zur fehlenden Verfahrenspublizität als wesentlichem Unterschied zwischen Verordnungsgebung und Gesetzgebung H. Maurer, Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 17, Rn. 150. 218 Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zum allgemeinen Gehalt des Verkündungserfordernisses bei Normen vgl. BVerfGE 65, 283, 291 (§12 S. 3 Bundesbaugesetz 1976) und BVerfGE 40, 237, 253, 255 (Strafgefangene). 219 Näher A. Wittling, Die Publikation der Rechtsnormen einschließlich der Verwaltungsvorschriften, 1991, S. 143 ff. Zur praktische Relevanz dieser Anordnung Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105, 109: Die vorgeschriebene Publikation der Rechtsverordnung (Art.82 Abs. 1 S. 2 GG) sichere ein ausreichendes Maß an Transparenz. 220 Näher C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 64. 221 Die Verkündung der Rechtsverordnungen im Bundesgesetzblatt erfolgt nach Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG „vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung“. 222 Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30.1.1950, BGBl. I 23. Näher hierzu M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 80, Rn. 66–68, insbes. Fn. 157. 223 C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 64; U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 82, Rn. 40; B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 14. 224 Zur Abgrenzung am Merkmal der Bekanntgabe auch BayVGH, DVBl. 2001, 311, 311 f.: Rechtsvorschriften der Staatsregierung und der Staatsministerien würden in dem für Rechtssätze vorgesehenen Verkündungsblatt veröffentlicht, Verwaltungsvorschriften hingegen als sonstige amtliche Veröffentlichungen im Ministerial- oder Amtsblatt sowie im Staatsanzeiger
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
chungspflicht. 226 Deren normative Anordnung, wie sie sich in verschiedenen Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts findet, 227 geht auf verfassungsrechtlich nicht determinierte Entscheidungen des Gesetzgebers zurück.228 Die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat die hierin liegenden gravierenden Folgen für den rechtsbetroffenen Bürger deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Fall BVerwGE 104, 220 berief sich der Kläger auf eine Richtlinie, die im Jahr 1983 in veröffentlichter Form ergangen war und machte die Unwirksamkeit einer mit Mittelkürzungen verbundenen Änderung der Richtlinie durch eine unveröffentlichte Verfügung aus dem Jahr 1989 geltend. Hierzu führte das BVerwG aus, zwar müsse die ändernde Vorschrift in der Form ergehen, in der die abzuändernde Verwaltungsvorschriften um ihrer Wirksamkeit Willen ergehen musste. 229 Diesen Anforderungen sei jedoch im vorliegenden Fall genügt, da die Richtlinien 1983 als abzuändernde Verwaltungsvorschriften für ihre Wirksamkeit keiner Veröffentlichung bedurften. Das Gericht stellte fest: „Verwaltungsvorschriften bedürfen grundsätzlich ebensowenig wie sie ändernde weitere Verwaltungsvorschriften einer allgemeinen Bekanntmachung; es gibt insoweit keine generelle Veröffentlichungspflicht.“ 230 Allein veröffentlicht oder auf sonstige Weise den Adressaten bekannt gegeben. Näher A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 63. 225 Zum Vergleich der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Verordnungsgebung und beim Erlass von Verwaltungsvorschriften G. Lübbe-Wolff, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen II, 1990, S. 87, 101 ff.; P. Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, S. 157, 158 f. 226 Ausführlich zur Publikation von Verwaltungsvorschriften A. Wittling, Die Publikation der Rechtsnormen einschließlich der Verwaltungsvorschriften, 1991, S. 164 ff.; Hervorhebung der erhöhten Publizität der Rechtsverordnung gegenüber den Verwaltungsvorschriften als „tiefgreifender Unterschied“ beider Rechtsetzungsformen bei A. Leisner, JZ 2002, S. 219, 228. 227 Vgl. die Nachweise zur einfachgesetzlichen Parallelisierung des Verfahrensrechts bei Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im 3. Teil, V., 2. 228 Anderer Ansicht A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S.485: Als Grundlage einer allgemeinen Veröffentlichungspflicht kämen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) und die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht, weiter die Grundrechte, insbesondere Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG. Für die Herleitung des Erfordernisses der Veröffentlichung von „Verwaltungsvorschriften, die direkt oder indirekt Wirkungen im Außenrechtsverhältnis entfalten sollen“ in einem zugänglichen Publikationsorgan aus dem Rechtsstaatsprinzip E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 78; mit Ableitung eines Publikationserfordernisses aus Rechtsstaats- und Demokratieprinzip Ch. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 231 ff.; A. Wittling, Die Publikation der Rechtsnormen einschließlich der Verwaltungsvorschriften, 1991, S. 269 f.: Erstreckung eines „allgemeinen Publikationsgrundsatzes“ auf „außengerichtete Verwaltungsvorschriften, die Außenverbindlichkeit beanspruchen“, „innengerichtete Verwaltungsvorschriften, die Außenwirkung entfalten“ und weitere Fälle. 229 BVerwGE 104, 220, 223 f. 230 BVerwGE 104, 220, 227. Vielmehr habe die Verwaltung grundsätzlich nach ihrem Ermessen darüber zu befinden, ob sie Verwaltungsvorschriften und deren Änderung publizieren oder lediglich den nachgeordneten Behörden bekannt machen wolle, BVerwGE, ebd.; anders jetzt BVerwG v. 25.11.2004, 5 CN 1/03, Umdruck, S. 6 im Anschluss an die vorgenannte Position der Literatur.
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung
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aus der Veröffentlichung im Jahre 1983 lasse sich nicht ableiten, dass sich der Richtliniengeber für Änderungen auf diese Form habe festlegen wollen. 231 Dem Kläger war dementsprechend im Fall von BVerwGE 104, 220 ff. kein Erfolg beschieden. 232 Auch der Europäische Gerichtshof hat die Publizitätsdefizite der Verwaltungsvorschriften betont. 233 Dieser legte dar, der Umsetzungsverpflichtung des Art. 249 EGV könne neben dem Erlass eines Gesetzes nur in der Form der Rechtsverordnung genügt werden, da nur durch veröffentlichte Rechtsverordnungen die Begünstigten in der Lage seien, von allen Rechten Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls Rechtsschutz vor nationalen Gerichten geltend zu machen. 234 3. Die Rationalität der Regierungsrechtsetzung Über die vorgenannten Aspekte des regelmäßig abstrakt-generellen Charakters, der Rechtsschutzgarantien, der erhöhten Rechtssicherheit und Publizität hinaus kommen der Rechtsverordnung aufgrund ihrer Stellung als Rechtsetzungsinstrument der Regierung besondere Rechtsqualitäten zu. 235 Diese Dimension soll im Folgenden näher ergründet werden. a) Legitimationsaspekte der Regierungsrechtsetzung Die verstärkte Zuordnung von Regelungsgegenständen zur Rechtsverordnung bedeutet strukturell eine Stärkung der Regierung 236 als der Spitze der Exekutive. 237 Dies BVerwGE 104, 220, 227. Kritisch gegenüber dem hier von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, wonach eine Verwaltungsvorschrift grundsätzlich in anderer Form als bei ihrem Erlass abgeändert werden kann und mit dem Hinweis darauf, dass Ausnahmen jedenfalls dann zuzulassen seien, wenn wie im Fall der §§ 48, 51 BImSchG spezielle gesetzliche Form- oder Verfahrensvorgaben bestehen A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 69 f. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei bei Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung die Änderung davon abhängig zu machen, dass dies in derselben Weise wie beim Vorschriftenerlass geschehe, dies., aaO, S. 70. Ähnlich bereits R. Rudisile, Verwaltungsvorschriften in der Rechtsprechung, 1987, S. 326. 233 Vgl. ausführlich 1. Teil, III., 1., c) sowie 3. Teil, IV., 1. u. 2. 234 Vgl. EuGH, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567, 2601 ff. (Kommission/Deutschland, Luftverschmutzung) und die Darstellung bei H. Schulze-Fielitz, in: HdTR, 2003, S. 443, 472. 235 Zur Rechtsverordnung als Rechtsform einer „besonderen politischen Verantwortung der Exekutive“ mit Blick auf die Vorschläge des Professoren-Entwurfs zum Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches von 1990 E. Rehbinder, in: Verfahren zur Festlegung von Umweltstandards, 1993, S. 30, 36. 236 Zur Regierung als „politischer Gewalt“ R. Smend, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 68, 84 ff. 237 BVerfGE 9, 268, 282: Die Regierung als oberste(s) Organ der vollziehenden Gewalt. Hierzu M. Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 62, Rn. 19 ff. mit dem Hinweis, die Charakterisierung der Bundesregierung als Organ der „vollziehenden Gewalt“ sei nur zutreffend, wenn man Vollziehung nicht mit dem Vollzug von Gesetzes gleichsetze, sondern vielmehr als staatliche Funktion in einem weiteren Sinne, deren Grundzug das 231 232
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
liegt wesentlich im Normgehalt des Art. 80 Abs. 1 GG begründet, wonach der Kreis der (Erst-)Delegatare auf die Bundesregierung, einzelne Bundesminister und die Landesregierung beschränkt ist. 238 Da eine Weiterleitung der Normsetzungsbefugnisse durch Subdelegation gem. Art. 80 Abs. 4 GG unter Gesetzesvorbehalt 239 steht und in den Ermächtigungsgesetzen nur selten zu finden ist, 240 ist ein „Großteil der Regierungstätigkeit auch tatsächlich mit Rechtsetzungsaufgaben ausgefüllt“. 241 Die Vermittlung einer besonderen Rechtsrationalität durch die Herkunft aus der Ministerialverwaltung findet Halt in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche betont, die Regierung sei „unter der demokratisch-parlamentarischen Herrschaftsordnung des Grundgesetzes institutionell wie funktionell gleichfalls demokratisch legitimiert“, 242 besitze weiter die „personelle demokratische Legitimation“ und unterliege „demokratisch-parlamentarischer Kontrolle“. 243 Danach ist es also zum einen die relative Nähe der Bundesregierung zum Beginn der demokratischen Legitimationskette, die das Rationalitätspotential der Rechtsverordnung als Rechtsform des Regierungshandelns ausmacht. 244 Zum anderen erfährt die Regierungsrechtsverordnung eine nachhaltige Legitimationssteigerung dadurch, dass die Verordnungsgebung als Element des Regierungshandelns der politischen Kontrolle durch die Öffentlichkeit und den Bundestag unterliegt. 245 Auch im parlamentarischen Regierungssystem, in welchem unter dem Eindruck der über Art. 21 GG verstärkten erheblichen Bedeutung der politischen Parteien die regelmäßige Generierung und Absicherung der Regierung durch die Parlamentsmehrheit strukturelle Kontrollschwierigkeiten bereitet, 246 gehört „die politiunmittelbare Tätigwerden aus eigener Initiative sei. Als Gesamtaufgabe sei Inhalt der Regierungsfunktion die politische Führung oder Staatsleitung. 238 Zur überwiegenden Ansiedlung der Verordnungsgebung auf den Regierungsebenen von Bund und Ländern im Vergleich zum US-amerikanischen „Rulemaking“ auf der Ebene der „normalen“ Verwaltungsbehörden M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, 2001, S. 27 f. 239 Nach der Regelung des Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG können die Befugnisse zur Verordnungsgebung unter der Voraussetzung einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung weitergeleitet werden, etwa an Behörden der mittleren und unteren Ebene; näher R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGK II, 2002, Art. 80, Rn. 45. 240 Hierzu bereits 1. Teil, V., 1. am Beispiel des untersuchten Referenzgebietes. 241 H.-P. Schneider, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 62, Rn. 5. 242 BVerfGE 68, 1, 109 (Nachrüstung); BVerfGE 49, 89, 125 (Kalkar). 243 BVerfGE 68, 1, 109 (Nachrüstung). 244 Vgl. auch V. Busse, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, vor Art. 62–65 GG, Rn. 14. 245 N. Achterberg/M. Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 44, Rn. 2 ff., 9 ff.; K. Kröger, Ministerverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung, 1972; V. Mehde, DVBl. 2001, S. 13 ff.; unter Betonung des Sicherungsgehalts parlamentarischer Kontrolle für die Demokratie K.-U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982, S. 183 ff. 246 Zum Spannungsverhältnis des starken Gewichts politischer Parteien und klassischer Verfassungsfunktionen D. Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 374, 379 ff. Zu den Folgen der Prägung des modernen parlamentarischen Regierungssystems nicht mehr durch den Gegensatz von Regierung und Parlament, sondern mehr durch das Gegenüber von Regierung
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung
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sche Kontrolle der Regierung neben den Wahlen und der Gesetzgebung nach wie vor zu den Hauptaufgaben des Bundestages“. 247 Ziel der parlamentarischen Kontrolle ist es, das Handeln der Regierung transparent und verantwortlich zu machen. 248 Zu den politischen und rechtlichen Mitteln zur Durchsetzung der parlamentarischen Kontrolle zählen als auch der Opposition zugängliche Instrumente die Konfrontation der (Parlaments-)Öffentlichkeit mit einer Auskunftsverweigerung der Regierung, 249 das Stellen von „Tadelanträgen“ gegenüber einzelnen Ministern, 250 das Verlangen eines Viertels der Bundestagsmitglieder nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gem. Art. 44 Abs. 1 GG 251 sowie an eine parlamentarische Mehrheit gebundene Instrumente 252 wie die Verpflichtung der Regierung durch einfaches Gesetz oder ihre politische oder rechtliche Bindung durch schlichten Parlamentsbeschluss. 253 Züge einer institutionalisierten Regierungskontrolle weisen die vielfältigen parlamentarischen Beteiligungsformen im Verfahren der Verordnungsgebung auf, so etwa Zustimmungs- und Aufhebungsvorbehalte. 254 Die Rationalitätsverortung hat den ambivalenten Charakter der Rechtsverordnung als Rechtsnorm einerseits und Verwaltungsinstrument andererseits zu erfassen. Die Rechtsverordnung bewegt sich zwischen diesen Polen nach dem Ort des Verordnungsgebers in der Verwaltungshierarchie – sie ist umso mehr Verwaltungsinstrument, je weiter unten das verordnungsgebende Organ in der Verwaltungshierarchie steht und je intensiver es sich deshalb mit den unmittelbaren und Parlamentsmehrheit auf der einen und Opposition im Parlament auf der anderen Seite V. Busse, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, vor Art.62–65 GG, Rn.29: Politischer „Kontrolleur“ sei heutzutage vornehmlich die Opposition. 247 H.-P. Schneider, in: AK-GG II, Stand: 2002, Vor Art. 62, Rn. 3. 248 S. Magiera, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 38, Rn. 36. 249 Vgl. §§ 102, 105 mit Anl. 4 GOBT bezüglich der Kleinen und Großen Anfrage und der Anfragen einzelner Abgeordneter. 250 Hierzu P. Badura, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 25, Rn. 16. 251 V. Busse, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, vor Art. 62–65 GG, Rn. 15. 252 Skeptisch zu den Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle der Regierung E. Stein, in: AK-GG, Stand: 2002, Art. 20 Abs. 1–3 III, Rn. 47: Die Kontrolle der Regierung durch das Parlament sei wenig effektiv, teils weil das Parlament durch sie überfordert sei, teils weil die Parlamentsmehrheit kein Interesse daran habe, die von ihre getragene Regierung bloßzustellen. 253 S. Magiera, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 38, Rn. 36. Zur prozessualen Durchsetzung steht das Organstreitverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Verfügung. 254 Zu rechtspraktischen Beispielen für derartige Vorbehaltspositionen vgl. etwa § 3 Abs. 1 UVPG, § 48 b BImSchG, § 59 KrW-/AbfG. Näher zum Regelungsgehalt und zur verfassungsrechtlichen Beurteilung 3. Teil, VII., 2. Zur Kontrollintention derartiger Mitwirkungsvorbehalte A. Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S.221 f.: Zweck des parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts sei eine präventive, weil vor Erlass der Rechtsverordnung eingreifende parlamentarische Kontrolle der exekutiven Rechtsetzung durch den Deutschen Bundestag; ähnlich ders., aaO, S. 242 zur Kontrollintention von Änderungsvorbehalten. Partiell anders Ch. Seiler, ZG 2001, S. 50, 65, nach welchem der Bundestag bei einem Änderungsvorbehalt gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der Verordnung nimmt, hingegen beim Zustimmungsvorbehalt primär kontrollierend tätig wird, genauer hierzu 3. Teil, VII., 2, b), (2), (b). 28*
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Vollzugsaufgaben zu befassen hat. 255 Dabei steigt und sinkt das Legitimationsniveau mit der Entfernung des Verordnungsgebers vom Beginn der Legitimationskette. 256 Entsprechende legitimatorische Überlegenheit weist demgemäß die Verordnungsgebung der Bundesregierung gegenüber der Verordnungsgebung nachgeordneter Verwaltungsbehörden auf. 257 Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Rationalitätsvermittlung durch die politische Kontrolle seitens des Parlaments. 258 Auch innerhalb der Bundesregierung lassen sich divergierende Rationalitätsgewährleistungen ausmachen. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet hinsichtlich der Rechtsqualität der nachfolgenden Rechtsverordnungen deutlich zwischen der Delegation an ein einzelnes Ministerium und der Delegation an die Bundesregierung als ganze: Die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Bundesregierung stelle nicht nur eine „formale Zuständigkeitsbestimmung, sondern auch eine materielle Qualitätsentscheidung“ dar. 259 Der Verordnung sollten die mit Kollegialentscheidungen im Gegensatz zu Einzelentscheidungen verbundenen Vorteile zugute kommen. 260 Das BVerfG sieht diese Vorteile in der „Vermehrung der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und Argumente“, der „erhöhten Berücksichtigung von Entscheidungsfolgen“ und der „gesteigerten wechselseitigen Kontrolle“. 261
255 H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 13, Rn. 2; A. Bleckmann, Zur Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1999, S. 377 f. 256 E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 16. 257 Vgl. hierzu A. Bleckmann, Zur Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts I, 1999, S. 376 ff.: Die Rechtsverordnung könne dann als Garantin für den demokratischen Wert der sachlich-rechten Abwägung aller Interessen angesehen werden, wenn diese durch die Regierung oder einen Minister erlassen werde. Für die Minister als Repräsentanten der Mehrheit des Parlaments griffen die Garantien des parlamentarischen Systems, wonach die politischen Akteure gezwungen seien, die durch den Rechtssatz betroffenen Interessen sachlich im Lichte der Wertauffassung der Wähler miteinander abzuwägen. Demgegenüber lägen bei Rechtsverordnungen untergeordneter Verwaltungsbehörden und für die Satzungen aller Selbstverwaltungskörperschaften keine entsprechende demokratischen und rechtsstaatlichen „Richtigkeitsgarantien“ vor. 258 Zwar wäre es verfehlt, eine Begrenzung der parlamentarischen Kontrollkompetenz auf Verordnungen nur der Regierung anzunehmen. Wie bei der Absteckung der Grenzen der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG ist vielmehr von der grundsätzlichen Erstreckung des Kontrollraums auch auf andere Behörden auszugehen, vgl. N. Achterberg/ M. Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK II, 4. Aufl. 2000, Art. 44, Rn. 13: Die Untersuchungskompetenz des Parlaments ende nicht etwa auf Regierungsebene, sondern sie umfasse ferner nachgeordnete Exekutivorgane. Andererseits setzt die effektive Kontrollierbarkeit auch eine gewisse Mindestnähe des entsprechenden Verordnungsgebers zum Anfang der Legitimationskette voraus, vgl. C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 28. 259 BVerfGE 91, 148, 166 (Umlaufverfahren), vgl. hierzu M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 79. 260 BVerfGE 91, 148, 166. 261 BVerfGE 91, 148, 166.
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung
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b) Regierungsrechtsverordnungen (legislative Rechtsverordnungen) versus Verwaltungsrechtsverordnungen (administrative Rechtsverordnungen) Nach den vorgenannten Aspekten eines Absinkens der rechtlichen Rationalität entlang der Verwaltungshierarchie ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Rechtsverordnungen grundsätzlich von allen Exekutivorganen erlassen werden können. Aufgrund der hierarchischen Struktur der Verwaltung fallen die Rechtsverordnungen hinsichtlich Rang, Reichweite und Bedeutung deswegen sehr unterschiedlich aus. 262 Unter Verortung der Rechtsverordnung im Schnittpunkt zwischen Gesetzgebung und Verwaltung unterscheidet Hartmut Maurer Regierungsrechtsverordnungen (legislative Rechtsverordnungen) und Verwaltungsrechtsverordnungen (administrative Rechtsverordnungen). 263 Die Rationalitätsgewinne auf Grund der ministerialen Herkunft fallen auch aus einem weiteren Grund geringer aus als zunächst erwartet: Durch den institutionellen Ansatz erstreckt sich der dargelegte Rationalitätsanspruch nicht nur auf die Rechtsverordnung, sondern gleichermaßen auf die weiteren Handlungsformen der Bundesregierung, also etwa auf einfache Beschlüsse und Verwaltungsvorschriften. 264 Zu beachten ist auch, dass die Rationalität staatlicher Rechtsetzung in entscheidendem Maße vermittelt wird durch das Verfahren der Art. 76 ff. GG. 265 An dieser Rationalität vermag die Rechtsverordnung nur derivativ über die Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG zu partizipieren. Denn dem originären Bereich der Regierung lässt die Rechtsordnung des Grundgesetzes insgesamt nur wenig Raum.266 Der Grund hierfür liegt in dem in rechtsstaatlicher wie demokratischer Dimension entfalteten umfassenden Gesetzesvorbehalt. 267 Bei der Zuschreibung einer besonderen rechtlichen Rationalität an die Rechtsverordnung als Instrument der Ministerialverwaltung sind also die dargelegten Einschränkungen im Blick zu behalten, obgleich deren Gewicht insgesamt aufgrund des rechtspraktischen Überwiegens der Verordnungsgebung durch die Regierungen in Bund und Ländern gering bleibt. 268 262 A. Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, 2001, S.30 ff.; H. Maurer, in: FS W. Leisner, 1999, S. 583, 585: Rechtsverordnungen, die von der Regierung oder von einzelnen Ministern erlassen werden, dienten der Ausführung und Ergänzung der Gesetze und seien damit mehr dem Legislativbereich zuzuordnen, während die von den (unteren) Verwaltungsbehörden erlassenen Rechtsverordnungen der gleichmäßigen Erledigung einer Mehrzahl von Fällen in Vollzug gesetzlicher Regelungen dienten und somit dem Verwaltungsbereich angehörten. 263 H. Maurer, in: FS W. Leisner, 1999, S. 583, 585. Zur ähnlich gelagerten Differenzierung nach gubernativ und exekutiv erlassenen Verordnungen im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte bei der Überprüfung des Abwägungsvorgangs A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 367. 264 Vgl. die Ausführungen von Ch. Müller, Die TA Luft als Rechtsproblem, 2001, S. 75 ff. zur demokratischen Legitimation der Bundesregierung bei der Statuierung von Verwaltungsvorschriften. 265 Vgl. die Darstellung im Rahmen der Frage nach dem Kompensationspotential allgemeiner Öffentlichkeitsbeteiligung im 3. Teil, VII., 3., a). 266 Mit weiteren Nachweisen F. E. Schnapp, in: VVDStRL 43 (1985), S. 172, 192 ff. 267 Hierzu in der Einl., I., 3. 268 Hierzu und insbesondere zur Rückführung dieser Beobachtung auf den Wortlaut des Art. 80 GG die vorhergehenden Ausführungen unter 4. Teil, III., 3., a).
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
4. Der Kompromisscharakter der Rechtsetzungsform Rechtsverordnung In ihrem extensiven und multifunktionalen Einsatzfeld erscheint die Rechtsverordnung oftmals als Rechtsetzungsform des rechtspraktischen Kompromisses. 269 In der Zustimmung zur Rechtsverordnung treffen sich die Befürworter einer weitgehenden Lösung der Normierungstätigkeit von der parlamentarischen Debatte und die Gegner der Regelung in Form von Verwaltungsvorschriften oder privaten Regelwerken. 270 Die diesbezügliche Attraktivität der Rechtsverordnung resultiert dabei entscheidend aus den vorhergehend aufgezeigten Rationalitätsaspekten der regelmäßig abstrakt-generellen Normsetzung, der Rechtsschutzgarantien, der über Art. 80, 82 GG gewährleisteten Rechtssicherheit und Publizität sowie der Legitimationseffekte der Regierungsrechtsetzung. a) Rechtspolitische Kompromissbildung auf der Ebene des einfachen Gesetzes Die Regelung in der Rechtsform der Rechtsverordnung erscheint einerseits als Zugeständnis an jene Autoren, welche die Nichtregelbarkeit komplexer Materien in der Rechtsform des Gesetzes postulieren. 271 Denn die Zuordnung der materiellen Sachbereichssteuerung zur Rechtsform der Rechtsverordnung enthält bereits die Absage an die Regelung unmittelbar im Gesetz. Andererseits bedeutet die Regelung in der Rechtsform der Rechtsverordnung auch ein Entgegenkommen gegenüber jenen Positionen, die die Entfesselung exekutiver Regelungsmacht als Gefährdungen von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip problematisieren.272 Den Kompromisscharakter in diesem Sinne reflektiert etwa Rüdiger Breuer, der darlegt, Rechtsverordnungen seien „prädestiniert, die Kluft zwischen den unbestimmten, schwer anwendbaren Rechtsbegriffen eines Gesetzes und den gebotenen Einzelfallentscheidungen zu überbrücken“. 273 Sie könnten und sollten auf der Grundlage sowie in den Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung die oft prekären, aber unvermeidbaren Regelungsschwächen des Gesetzes überwinden und damit die Rechtsanwendung auf 269 Zum Kompromiss als zentraler Erscheinungsform des politischen Prozesses und Werkzeug des Macht- und Interessenausgleichs in Ausfüllung des parlamentarischen Spielraums bei der politischen Entscheidung über die Frage, wann und mit welchem Maß an Regelungsdichte die gesetzgebende Gewalt ausgeübt wird, P. Badura, ZG 1987, S. 300, 309. 270 Hierzu F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24; V. M. Brennecke, Normsetzung durch private Verbände, 1996; G. Nolte, AöR 118 (1993), S. 378 ff. 271 In diesem Sinne bereits die Würdigung der Rechtsverordnung bei F. Ossenbühl, DÖV 1982, S. 833, 840: Der Rechtsverordnung hafteten jedenfalls nicht jene Eigenschaften an, die das förmliche Gesetz als Regelungsinstrument im Bereich des technischen Sicherheitsrechts weithin untauglich machten. 272 Hierzu insbesondere die Nachweise unter 3. Teil, I., 1. 273 R. Breuer, NVwZ 1988, S. 104, 110.
III. Die Rationalität der verfassungsrechtlichen Verankerung
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eine genauere und sichere Basis stellen; Rechtsverordnungen bedeuteten eine Stärkung der Rechtsbindung und der gerichtlichen Kontrolle. 274 Mit ähnlicher Stoßrichtung wird ferner ausgeführt, die Verordnungsgebung stelle „einen rechtsstaatlichdemokratischen Kompromiss dar, der überhaupt noch detaillierte staatliche Rechtsetzung im (Umwelt-)Recht ermögliche“. 275 In einer variierenden Pointierung erweist sich die Rechtsverordnung auch insoweit als Rechtsform des Kompromisses, als die Beteiligten des Gesetzgebungsverfahrens einen politischen Konflikt nicht austragen, 276 sondern durch Schaffung einer Verordnungsermächtigung an die Exekutive überweisen. 277 b) Die einfachgesetzliche Ausgestaltung als Nachzeichnung der Kompromissbildung auf Verfassungsebene Die vorhergehend aufgezeigte Kompromissbildung im Kontext der Rechtsetzungsorganisation bewegt sich auf der Ebene der Rechtspolitik. Die äußeren Grenzen des hierfür eröffneten Verhandlungsspielraums finden sich in den Vorgaben der Verfassung. Danach entziehen sich die zentralen staatsorganisationsrechtlichen Rechtsformbindungen namentlich der Art. 76 ff. GG der Kompromissbildung auf der Ebene des einfachen Gesetzes. Dies hat seinen Grund darin, dass der Verfassungsgeber seinerseits im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes bereits eine Ausgleichsbildung vorgenommen hat. 278 Dieser Befund vermag gleichwohl nicht von der Bindung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG zu befreien, die ihrerseits Ausdruck einer Ausgleichsbildung durch den Verfassungsgeber R. Breuer, ebd. A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 90 mit Blick auf die wegen seiner spezifischen Arbeitsweise und der Vielfalt anderer Aufgaben bedingte Eignung des Parlaments für die umweltrechtliche Regelsetzung einerseits und den Gesichtspunkt der Gewaltenteilung als „Grundsatz optimierender Funktionenzuordnung“ (BVerfGE 68, 1, 86, Nachrüstung) andererseits. 276 Hierzu M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer III, Vorbem. Abfallrecht (1996), Rn. 99: Die große Anzahl der Verordnungsermächtigungen im Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz habe „ihren Grund im Kompromiss-Charakter des Gesetzes zwischen Wirtschafts- und Umweltverbänden, zwischen Bund und Ländern“. Nur durch ein Verlagern auf noch zu erlassende Verordnungen sei es im Vermittlungsverfahren überhaupt noch möglich gewesen, das Gesetz vor Ablauf der Legislaturperiode zu verabschieden. 277 Kritisch gegenüber der Verlegung politischen Streits aus dem öffentlichen Gesetzgebungsverfahren in das Verfahren der Verordnungsgebung A. Frankenberger, Umweltschutz durch Rechtsverordnung, 1998, S. 77, die den schwerpunktmäßigen Zweck derartiger Vorgänge nicht in der Kompromissbildung, sondern in der zeitlichen Verzögerung der Regelung sieht. Vgl. auch die kritische Darstellung von Ch. Bickel, BBodSchG, 3. Aufl. 2002, § 8, Rn. 2. zur Überweisung politischer Kontroversen an den Verordnungsgeber des Bundesbodenschutzrechts als Grund des (verfassungswidrigen) Absinkens der gesetzlichen Regelungsdichte, näher hierzu 1. Teil, II., 6., b). 278 Vgl. hierzu in der Einl., II., 4. Allgemein zur Verfassung als rechtlicher Basis der Kompromissbildung im Verfassungsstaat Ch. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985, S. 19. 274 275
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
sind. Diese geht dahin, dass der Widerstreit der gleichermaßen insbesondere in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten 279 Verfassungswerte der Konzentration der Rechtsetzung bei der unmittelbar legitimierten Volksvertretung einerseits und der Funktionsfähigkeit des Parlamentarismus andererseits durch Art. 80 Abs. 1 GG aufgelöst wird 280 in der Option der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive. 281 In diesem Sinne stellt sich die Regelung des Art. 80 Abs. 1 GG als verfassungstextliche Verarbeitung 282 des Satzes dar, nach welchem „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“. 283 Diese Ausgleichsbildung auf der Ebene des Verfassungsrechts bindet und begrenzt die Kompromissbildung auf der Ebene des einfachen Gesetzes. 284
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation Inwieweit lassen sich die gewonnenen Einsichten zur Rechtsverordnung als rationaler und noch weiter rationalisierbarer Rechtsetzungsform umsetzen in Maßgaben, Anforderungen und Erwartungen an die zukünftige Rechtsetzungsorganisation im Verhältnis von Legislative und Exekutive? Zu erinnern ist der Ausgangspunkt der dargelegten Rationalitätserwägungen: Die prekäre Bilanz der Konfrontation der einfachgesetzlichen Ausdifferenzierung der Rechtsverordnung mit den Vorgaben der Verfassungsordnung. 285 Zu konstatie279 Zum Begriff des Parlamentarismus und der Konstituierung der parlamentarischen Demokratie durch das Grundgesetz P. Badura, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 25, Rn. 2 ff., 34 ff.; H. H. Klein, ZG 1997, S. 209 ff. 280 H. Maurer, Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 17, Rn. 143: Art. 80 Abs. 1 GG als Versuch der Auflösung eines Spannungsverhältnisses, dahingehend, dass er einerseits die Rechtsverordnungen zulasse, andererseits aber auch an das Gesetz und damit an den Gesetzgeber binde und begrenze. 281 Vgl. hierzu W. Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, S. 9 unter Bezugnahme auf BVerfGE 33, 125, 157 (Facharzt): Art. 80 Abs. 1 GG als verfassungspolitischer Kompromiss zwischen dem historisch begründeten Misstrauen gegen die Exekutive und den Notwendigkeiten der Staatspraxis. 282 Zu Art. 80 GG als Beitrag zur Richtigkeitsgewähr staatlicher Entscheidungen M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 79. 283 BVerfGE 98, 218, 252 (Rechtschreibreform); vorhergehend insbes. BVerfGE 68, 1 (Nachrüstung). Zu einer anders gelagerten Interpretation des genannten Zitats des BVerfG als Begründung für die Neuausrichtung des Systems der Rechtsetzungsorganisation am Leitbild der gubernativen Hegemonie vgl. die kritische Rekonstruktion der Position Armin von Bogdandys im 2. Teil, I. Vgl. weiterhin die Auseinandersetzung mit der Interpretation Eberhard Schmidt-Aßmanns im Hinblick auf die Ableitbarkeit originärer Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive im 3. Teil, V., 3., b). 284 Zum anleitenden Prinzip des Vorrangs der Verfassung vgl. Einl., I., 3. 285 Hierzu im 3. Teil, I.–VII.
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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ren war das Einhergehen des multifunktionalen Einsatzes der Rechtsverordnung mit einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben zuwiderlaufenden Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen. 286 Die hiermit verbundene Annäherung des heteronomen Rechtsetzungsinstruments der Rechtsverordnung an das autonome Satzungsrecht 287 ist mit den Vorgaben des Grundgesetzes ebenso schwerlich vereinbar wie die Parallelisierung des Funktionsbereichs und der Rechtswirkungen von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften, die zudem mit den Vorgaben des Europarechts kollidiert. 288 Das Verschwimmen der Rechtsetzungsformen wird komplett, wenn man die Ausweitung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundestags an der Verordnungsgebung in Rechnung stellt. 289 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liefert bis dato kaum Impulse zur Wieder-Annäherung dieser Rechtsetzung an die Verfassung, war sie doch allzu sehr darauf gerichtet, die vorgefundenen Rechtsetzungsstrukturen zu legitimieren. 290 Auf der Folie dieses verfassungsrechtlichen Befundes und der herausgearbeiteten Rationalitätsverbürgungen der Rechtsverordnung gilt es, die weitreichende Aufgabe der zukünftigen Organisation der Rechtsetzung unter modernisierungsspezifischen Herausforderungen anzugehen. 1. Anforderungen an die zukünftige Rechtsetzungsorganisation unter modernisierungsspezifischen Rahmenbedingungen Es gilt einerseits die grundgesetzlich abgesicherte Rationalität der Rechtsverordnung als Grundbaustein zukünftiger Rechtsetzungsorganisation zu nutzen und andererseits die prekäre verfassungsrechtliche Situation zu verbessern. 291 Diese Zielsetzung ist offenkundig nicht frei von Ambivalenzen – dennoch oder gerade deswegen wird sie sich im Folgenden als durchaus chancenreich erweisen. a) Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung Ausgangspunkt der hier vertretenen Überlegungen ist die Ausrichtung auf die ReStabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung als verfassungsrechtlich vorgegebener Zentralfigur zukünftiger Rechtsetzungsorganisation. 292 Das 3. Teil, I., 1. sowie II., 1. u. 2. 3. Teil, III., 4 u. 5. 288 3. Teil, V. und im 4. Teil bei III., 1.–3. 289 Hierzu im 3. Teil, VII. 290 Zur Kritik der Rechtsprechung des BVerfG und Reformvorschlägen 3. Teil, II., 2., g). 291 Zu Reformen auf der Rechtsetzungsebene als einzig erfolgversprechendem Weg zum Abbau des Regelungsdefizits und einer Wiederannäherung von rechtlicher Ordnung und technischer Entwicklung bereits mit Blick auf die Strukturen des Atomgesetzes R. Lukes, in: Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, 1980, S. 81, 93 f., 96. 292 Für die Ausrichtung der Rechtsetzungsorganisation am Dualismus von Gesetz und Rechtsverordnung auch Ch. Engel, Die Verwaltung 29 (1996), S. 265, 271; R. Breuer, ZfW 286 287
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Grundgesetz macht hier keine Kompromisse. 293 Denn andere Rechtsetzungsformen in allgemeinverbindlicher Rechtsqualität gibt es nicht. Dies folgt daraus, dass die in Art. 20 Abs. 3, 2. Halbsatz GG verankerte allgemeinverbindliche Rechtswirkung des Gesetzes in der Konzeption des 7. Abschnitts des Grundgesetzes (Die Gesetzgebung des Bundes) allein auf die Rechtsverordnung erstreckt wird, insbesondere durch Art. 80 Abs. 1 GG. 294 Zudem bedarf es dieses Ausgangspunktes als Antwort auf die sukzessive Auflösung der rechtsinstitutionellen Formgrenzen seitens der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis. Wie im Dritten Teil der Arbeit nachgewiesen werden konnte, wird dieses Problem als kategoriale Infragestellung der grundgesetzlichen Rechtsetzungsorganisation an verschiedenen Stellen virulent. So gefährdet zunächst die materielle Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen die Formgrenze zwischen Rechtsverordnung und Satzung, 295 weiterhin bedroht der einfachgesetzliche Ausbau der Verwaltungsvorschriften deren Abgrenzbarkeit zur Rechtsverordnung, 296 schließlich bedeuten die extensiven Mitwirkungsformen des Parlaments an der Verordnungsgebung ein Verwischen der Grenzen von Gesetz und Rechtsverordnung. 297 Gegenüber dieser Rechtsetzungspraxis gilt es die Bedeutung der Unterwerfung der öffentlichen Gewalten unter den verfassungsrechtlichen Formenzwang als Sicherungsinstrument der Grundentscheidungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit 298 zu aktualisieren. 299 Demgemäß gewährleistet die formenstrenge Ausrichtung 1999, S. 220, 234 f.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 204 ff.; ähnlich E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 24: Die parlamentarische Gesetzgebung habe qualitativ das Zentrum der Rechtsetzung zu bleiben, nicht quantitativ; dagegen für die Überwindung der Dichotomie von Gesetz und Verordnung durch die Konzeption des Rechts der Rechtsetzung als ein „System unterschiedlich komplexer und aufeinander bezogener arbeitsteiliger Regime“ unter Verortung nicht des Parlaments, sondern der Regierung als zentrales Organ A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 8. Tendenziell anderer Ansicht auch R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 598: Für den Ausbau der Verwaltungsvorschriften neben Gesetz und Rechtsverordnung als eigene Normkategorie und Teil einer „vernünftigen Regelung der Arbeitsteilung zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Judikative im Prozess der Rechtserzeugung“ durch „rechtsstaatliche Konturierung“ mittels lückenloser Veröffentlichung und Verbesserungen in Aufbau und Verständlichkeit. 293 Zur Rekonstruktion des Normgehalts des Art. 80 GG als verfassungspolitischen Kompromiss vgl. soeben 4. Teil, III., 4. 294 Vgl. für nähere Nachweise die Begründung der allgemeinverbindlichen Rechtswirkung im 2. Teil, II., 2., a). 295 Eingehend 3. Teil, III., 4.–6. 296 3. Teil, V., 1. 297 3. Teil, VII., 2., b), (2). Zu Abgrenzungsproblemen im Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsakt vgl. 1. Teil, II., 4., a) sowie 2. Teil, II., 3. 298 K. Hesse, in: FS Smend, 1962, S. 71, 73: „Im Rechtsstaat gibt das Recht dem Staat, der Wirksamkeit des Staates, dem Gesamtleben innerhalb des Staates Maß und Form.“ Zum weitergehenden Gewährleistungsgehalt formeller rechtsstaatlicher Garantien für das Demokratieprinzip ders., aaO, S. 84: Die Forderung nach der Beherrschung des staatlichen Lebens durch bewusste, geformte, durch die Vernunft erfassbare Regeln, Grundsätze und Gedanken der Einsichtigkeit der staatlichen Zustände sei „nicht nur Selbstzweck, sondern zugleich Grundvo-
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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der Rechtsetzungsorganisation an der Abgrenzbarkeit der Rechtsverordnung gegenüber dem Gesetz einerseits 300 und gegenüber den untergesetzlichen Rechtsformen der Satzung und der Verwaltungsvorschriften andererseits 301 eine „gewisse verfassungsrechtliche Richtigkeit“. 302 Dabei bedeutet die geforderte Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung als Grundausrichtung der Rechtsetzungsorganisation keine grundsätzliche Negation der Kategorie der Verwaltungsvorschriften. Vielmehr ist von deren Unabdingbarkeit für den effektiven Vollzug moderner Verwaltungstätigkeit auszugehen 303 und rechtsetzungsorganisatorisch jener Bereich abzustecken, 304 in dem Verwaltungsvorschriften zum einen in der Verwirklichung von Verwaltungszielen „verwaltungsintern den Prozess der Gesetzes- und Rechtsanwendung gliedern und determinieren und ihm damit Überschaubarkeit geben“ und zum anderen in gesetzlich nur wenig geregelten Bereichen Mittel „administrativer Selbstprogrammierung“ sind. 305
raussetzung einer bewussten, verantwortlichen, auf eigenem Urteil beruhenden Anteilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten und damit Grundbedingung des freien politischen Lebensprozesses der Demokratie“. 299 Zum verfassungsrechtlichen Formenzwang als Verbürgung des Schutzes der Grundrechte und der Gewaltenteilung E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 28; G. Frankenberg, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 20 (R), Rn. 34, zur Erfassung der Rechtsetzungsformen Rn. 38; F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 8. Aufl. 2002, S. 384; J. Saurer, NVwZ 2003, S. 1176, 1179 f. Weiterhin D. Merten, in: Dimensionen des modernen Verfassungsstaates, 2002, S. 53, 68, der gegenüber dem Phänomen der Rechtsverordnungen unter parlamentarischem Änderungsvorbehalt (vgl. 3. Teil, VII., 2.) die „rechtsstaatliche Bedeutung einer Einhaltung der Formtypik“ herausstreicht, die nicht durch „dubiose Normsetzungen zur gesamten Hand unterlaufen werden“ dürfe. Gleichsinnig Ch. Seiler, ZG 2001, S. 50 ff. 300 Vgl. hierzu die Bestimmung der Legislative als „Gravitationszentrum“ des demokratischen Verfassungsstaats und des parlamentarisch beschlossenen Gesetzes als spezifisches Mittel rechtförmiger Gesellschaftsorganisation, d. h. der Ordnung des sozialen Zusammenhangs bei H. Dreier, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, S. 11, 43 f. 301 Zur Bedeutung des Grundsatzes der Formenstrenge im Verhältnis von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 66; P. Kirchhof, in: FG 25 Jahre BVerfG II, 1976, S. 50, 88; warnend vor dem Formenmißbrauch durch Umgehung des Art. 80 Abs. 1 GG durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften W.-R. Schenke, DÖV 1986, S. 190, 191. 302 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK II, 1998, Art. 20 (R), Rn. 74, unter Hervorkehrung der Bedeutung von Formgeboten für den rechtsstaatlichen Schutz vor Grundrechtseingriffen und den sozialstaatlichen Auftrag zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. 303 Zur praktischen Bedeutung und Unabdingbarkeit der Verwaltungsvorschriften für die moderne Verwaltungsorganisation A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 62 ff.; R. Wahl, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571, 573 ff.; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 250 ff., 282 ff., 362 ff. 304 Hierzu die Beiträge in H. Hill (Hrsg.), Verwaltungsvorschriften, 1991. 305 Mit diesem Fazit H.-U. Erichsen, in: FS H.W. Kruse, 2001, S.39, 63; ähnlich M. SchmidtPreuß, in: FS Maurer, 2001, S. 777, 796.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Entscheidend ist die Zugrundelegung des für Gesetz und Rechtsverordnung durch Art. 76 ff. GG konstituierten Vorbehaltsbereichs allgemeinverbindlicher, unmittelbar außenwirksamer Rechtsetzung. 306 An dieser Stelle zeigt sich auch die Aufrechterhaltung der rechtlichen Unterscheidung staatlichen Innen- und Außenrechts 307 als notwendige Voraussetzung einer verfassungsgeleiteten Ausrichtung staatlicher Rechtsetzungsorganisation. 308 An der Unterscheidung zwischen Rechtssätzen, die Steuerungs- und Programmierungsaufgaben im Binnenbereich der Verwaltung wahrnehmen und Rechtssätzen mit Außenwirkung ist festzuhalten.309 Die Unterscheidung von Innen- und Außenrecht hat dabei zuvörderst strukturierende Aufgaben und hilft der Durchsetzung der Formgebundenheit des Staatshandelns. Da es insoweit nicht um die Bildung begrifflicher Grundkategorien als Trägerstruktur bestimmter Rechtswirkungen geht (so etwa bei Argumentationsversuchen zur Beschränkung der Begriffe „Rechtsnorm“ und „Rechtssatz“ auf das Außenrecht), steht die Unterscheidung der Erkenntnis nicht entgegen, dass es auch im Binnenbereich der Verwaltung zu Rechtsbindungen kommt, dass auch binnenorganisatorische Regelungen zulässigerweise in Form der Rechtsverordnung ergehen können oder dass Verwaltungsvorschriften etwa vermittels Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfalten können. 310 In ähnlicher Weise erweist sich die Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung als zwingend fortzuführende Grundfiktion des öffentlichen Rechts. Dies ist der gegenwärtigen Nivellierungstendenz im Verhältnis beider Ebenen entgegenzuhalten, 311 die in der Rechtswissenschaft bislang keine hinreichend Vgl. vorhergehend die Ausführungen unter 2. Teil, II., 2., a). Zum Problem K. Lange, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 307 ff. und vorhergehend W. Brohm, in: ders. (Hrsg.), Drittes deutsch-polnisches Verwaltungssymposion, 1983, S. 11, 20 mit dem Plädoyer für eine Unterscheidung, nicht aber Trennung von Innen- und Außenrecht. Zum Ganzen auch P. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, 1974, S. 13 mit Fn. 2, 92 ff. und E. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 95 mit Fn. 145. 308 Zur Zuordnung von Verwaltungsvorschriften zum Bereich des Innenrechts aus der aktuellen Literatur A. Guckelberger, Die Verwaltung 35 (2002), S. 61, 62; H. Maurer, Staatsrecht I, 3. Aufl. 2003, § 17, Rn. 136. 309 Auch ein gewinnbringender Zugang zur Dogmatik des allgemeinen Verwaltungsrechts setzt die Unterscheidung von Innen- und Außenrecht voraus, liegt diese doch bereits der Bestimmung des Begriffs des Verwaltungsverfahrens in § 9 VwVfG zugrunde, welches als „die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden“ erfasst wird. Anschließend an die Bestimmung des Verwaltungsverfahrens lautet die Legaldefinition für die Zentralfigur des Verwaltungsakts in §35 S.1 VwVfG: „Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“ Näher zum Gehalt und Verhältnis von §§ 9 und 35 S. 1 VwVfG H.-G. Henneke, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 35, Rn. 34 ff. 310 Vgl. demgegenüber die Argumentation wider die Unterscheidung von Innen- und Außenrecht bei P. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 169 f. 311 Vgl. die Darstellung der Nivellierung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung bei I. Appel, in: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 327, 356 f.: Insbesondere 306 307
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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problembewußte Rezeption gefunden hat. 312 Jenseits der – sowohl aufgrund verbleibender volitiver Elemente bei Rechtsetzung und Rechtsanwendung313 als auch nach der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung 314 – hinreichend belegten Erkenntnis, dass jeder Akt der Rechtsanwendung auch einen Akt der Rechtserzeugung bedeutet und unterhalb der Verfassungsebene jeder Akt der Rechtsetzung Züge der Rechtsanwendung aufweist, 315 erscheint die verfassungsrechtlich-funktionale Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung im System der Rechtsetzungsorganisation als eine entscheidende Rationalitätsgarantie für die formelle, insbesondere auch kompetentielle, und die inhaltliche Überprüfbarkeit des Staatshandelns. 316 In methodischer Hinsicht hilft die Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung bei der Erfassung und Lenkung des Einflusses außerrechtlicher Wertungen in den Rechtsfindungsprozess. 317 Schließlich ist die Differenz von Rechtsetzung und Rechtsanwendung verfassungsrechtlich vorgegeben. Dies ergibt sich aus der Formulierung Art. 20 Abs. 3, 2. Hs. GG, wo es heißt: „Die vollziehende bei der Regelung solcher Technologien, die wie das Atom- und Gentechnikrecht eine Rückkopplung an Erfahrung nur begrenzt zuließen, ziehe sich der Gesetzgeber in materiell-rechtlicher Hinsicht auf Regelungen mit vergleichsweise hohem Abstraktionsniveau zurück und beschränke sich auf die Festlegung von Verfahren, Zielen und Prioritäten. Die konkrete Aufgabe der Risikoermittlung und der Verarbeitung von Ungewissheit werde weitgehend auf die Exekutive und den von dieser einzuschaltenden wissenschaftlichen Sachverstand verlagert. Hiermit gehe die Verlagerung von Rechtsetzungselementen auf die untergesetzliche Ebene einher. 312 Vgl. hierzu die optimistische Darstellung der „Erschütterung“ der Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung durch „strategisches Handeln gesellschaftlicher Akteure“ bei K.-H. Ladeur, RabelsZ 64 (2000), S. 60, 84 ff. 313 G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 131; J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. 1964, S. 256 f.; vgl. auch K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 402 ff. zur richterlichen Lückenergänzung als Akt schöpferischer Erkenntnis, der gleichwohl keinen Akt der Rechtsetzung in dem Sinne wie der Erlass eines Gesetzes darstelle. 314 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960 (Nachdruck 1976), S. 237: „Die Beziehung, die zwischen den durch Satzung oder Gewohnheit erzeugten generellen Rechtsnormen und ihrer Anwendung durch Gerichte oder Verwaltungsorgane besteht, ist im wesentlichen dieselbe wie jene, die zwischen der Verfassung und der durch sie bestimmten Erzeugung der generellen Rechtsnormen besteht. Die Erzeugung der generellen Rechtsnormen ist ebenso Anwendung der Verfassung, wie die Anwendung der generellen Rechtsnormen durch Gerichte und Verwaltungsorgane Erzeugung individueller Rechtsnormen ist.“ 315 Vgl. die Darlegung zum Vollziehungscharakter des Gesetzes in der Normenhierachie des Grundgesetzes bei E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S.402. 316 Vgl. R. Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung, 2. Aufl. 1974, S. 45 f. 317 Weiterführend zum Problem M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 321 ff. mit der Ausarbeitung einer vierfachen Grundausrichtung einer „gegenstandadäquaten Reflexionstheorie der Rechtsgewinnung“ auf S. 322 und der Forderung nach der exakten Zerlegung eines spezifischen Rechtsanwendungsvorgangs in seine Rechtserkenntnis- und Rechtsetzungsbestandteile auf S. 324. Letztere biete die Voraussetzung, die mit dem Homonym „Interpretation“ verbundenen Gefahren einer Äquivokation und einer Gleichbehandlung kategorial unterschiedlicher Sachverhalte zu entschärfen, indem Interpretationsfragen als Rechtserkenntnisfragen geschieden werden von Kompetenzfragen als Rechtsetzungsfragen.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ Unabhängig von der Auslegung des Terminus „Gesetz und Recht“ 318 wird hier mittels der Vorgabe der in einem hierarchischen Stufenverhältnis stehenden Ebenen der Entwicklung normativer Vorgaben („Gesetz und Recht“) und des durch diese gebundenen Normvollzugs („vollziehende Gewalt und Rechtsprechung“) die kategoriale Unterscheidung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung als verfassungsrechtliche Vorgabe verankert. 319 b) Stärkung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen Ohne eine grundsätzliche Stärkung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen wird es nicht gehen. 320 Dieser bedarf es zum einen, um den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG im Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung gerecht zu werden. 321 Zum anderen ist die gesetzgeberische Vorgabe 322 von Inhalt, Zweck und Hierzu bereits im 2. Teil, II., 2., a). H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1985), S.135, 163 führt aus, dass alle Rechtssätze, die zwischen der Verfassung als oberster Rechtsnorm und dem abschließenden Vollzugsakt angelegt sind, sowohl rechtserzeugende als auch rechtsanwendende Elemente enthielten. Die Rechtsverordnung sei schon ihrer verfassungsrechtlichen Funktion gemäß vorwiegend auf die Gesetzeskonkretisierung ausgerichtet. 320 Zur Notwendigkeit und zu praktischen Möglichkeiten der Stärkung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen am Beispiel des Umweltrechts H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, 1991, S. 159 ff. Dieser sieht aaO, S. 209 für das Umweltrecht Chancen, dass der Gesetzgeber „sich stärkt, strikter und präziser regelt, verlorenes Terrain zurückerobert“ und seine „funktionale Letztinstanzlichkeit“ gezielter ausspielt; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 209; J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 191; M. R. Deckert, ZRP 1995, S. 63 ff.; G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 93 f.; B. Ebinger, Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik, 1993, S. 284: Forderung nach höherer normativer Dichte von materiellen Genehmigungsvoraussetzungen auf der Ebene des formellen Gesetzes als Schlussfolgerung aus der mangelnden Eignung des Instrumentes „unbestimmter Rechtsbegriff“ zur Erfüllung der anstehenden Probleme des Anlagengenehmigungsrechts; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, z. B. S. 122: Präzisere Fassung der der Umweltstandardsetzung zugrunde liegenden Wertentscheidungen, Benennung des Schutzguts und konkreter Bewertungs- und Prüfungskriterien, Festlegung des Verhältnisses verschiedener Schutzobjekte zueinander, Regelung der Bedeutung ökonomischer Erwägungen bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Ebene des Gesetzes. 321 Für eine Stärkung der gesetzlichen Regelungsdichte und gegen „eine Art resignatives Sich-Dreinfügen“ in eine „gleichsam umgekehrte Wesentlichkeitstheorie“ durch Verlagerung der präzisen Anforderungen mit ihren konkreten Belastungswirkungen auf die Ebene der Rechtsverordnungen M. Kotulla, ZfW 2000, S. 85, 92: Ungeachtet aller Dynamik des technischen Fortschritts müssten auch grundsätzlich umweltbedeutsame Vorgaben und wissenschaftlich-technische Weichenstellungen getroffen werden, die wegen ihrer grundrechtlichen und gesellschaftlichen Tragweite weiterhin allein dem Gesetzgeber vorbehalten blieben. Hierher gehörten die Grundzüge der für die Gewässer festzulegenden Schutzanstrengungen mit der Bestimmung allgemeiner Risiko-, Gefahren- oder Schädlichkeitsschwellen einschließlich der Vorgabe allgemeiner Technik-, Meß-, Prüf- und Bewertungsstandards. Die Delegation derartiger Regelungsbereiche auf die Bundesregierung „dürfte jedenfalls unstatthaft sein“. 318 319
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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Ausmaß einer Ermächtigung an den Verordnungsgeber aber auch notwendig, um die rechtliche Eigenständigkeit des Verordnungsrechts gegenüber dem Satzungsrecht zu gewährleisten. 323 Denn die materielle Gesetzesbindung durch Art.80 Abs. 1 S. 2 GG ist der entscheidende Unterschied der Rechtsverordnung zur autonomen Satzung, welche gleichermaßen einer einfachgesetzlichen Ermächtigung bedarf, ihre materiellen Rechtsbindungen aber durch die Begrenzung ihres Geltungsanspruchs auf den Kreis der Selbstverwaltungskörperschaft erfährt. 324 Das hier verfolgte Anliegen kann auf eine beachtliche Anzahl von Vorarbeiten und Konzepten aufbauen, die in Gesetzgebungspraxis und Rechtswissenschaft mit dem Ziel entwickelt wurden, die Rechtsform des Gesetzes insbesondere unter den Bedingungen technologischer Umbrüche und kognitiver Defizite einzusetzen. Beispielsweise kann zurückgegriffen werden auf verschiedene Modelle der Befristung von Anlagen- oder Produktgenehmigungen 325 sowie der befristeten Gesetzgebung, 326 auf Vorschläge zu Moratoriums- 327 und experimentellen Gesetzen. 328 „Gemeinsam ist 322 Für einen Abbau der „Distanz des parlamentarischen Gesetzes zur Setzung von Umweltstandards“ durch eine „inhaltliche Anreicherung der gesetzlichen Ermächtigungen“ und besondere auf Verfahrenstransparenz gerichtete Regelungen E. Rehbinder, in: Verfahren zur Festlegung von Umweltstandards, 1993, S. 30, 35. 323 Zu den hier eingetretenen Gefährdungen 3. Teil, III., 3. 324 3. Teil, III., 5. 325 Vgl. hierzu die Rechtslage im Arzneimittelrecht, insbesondere §§ 31, 30, 25 AMG, wo die Zulassung eines Arzneimittels nach Ablauf von fünf Jahren erlischt, wenn nicht zuvor ein Verlängerungsantrag gestellt wird, dem ein Bericht über die Änderung der Beurteilungsmerkmale beizufügen ist und wo – unabhängig davon – jederzeit der Widerruf der Zulassung eines Arzneimittels möglich ist; näher hierzu D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 658. In der Literatur wird vorgeschlagen, dementsprechend auch andere Genehmigungen zu befristen, so etwa von R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S. 430 f.; R. Steinberg, in: Risikomanagement im öffentlichen Recht, 1996, S. 17 ff. 326 R. Wahl, UTR 14 (1991), S.7, 20; M. Kloepfer, in: VVDStRL 40 (1982), S.91 ff.; A. Chanos, Möglichkeiten und Grenzen der Befristung parlamentarischer Gesetzgebung, 1999; H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 470. 327 Hierzu die Erläuterungen bei F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters, 2000, S. 23 unter Bezugnahme auf das Gesetzgebungsverfahren zum Gentechnikgesetz: Verwandt, aber doch um eine Nuance unterschieden zum Erprobungsgesetz (hier gebraucht als anderer Ausdruck für das experimentelle Gesetz, Anm. d. Verf.) sei das im Schrifttum vorgeschlagene Moratoriumsgesetz, welches dadurch gekennzeichnet sei, dass der Staat eine bestimmte Technologie vorläufig verbiete, zugleich aber eine staatliche Organisation schaffe, um die mit der Technologie verbundenen Risiken zu erforschen und festzustellen, ob die betreffende Technologie nach der Chance-Nutzen-Abwägung akzeptabel sei. 328 H.-D. Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989, S. 23: Experimentelle Gesetze „zielen auf die materielle Rationalisierung der Gesetzgebung durch die Erweiterung der Erfahrungen in Bezug auf die rechtsetzungsrelevanten Daten über Wirkungsweisen und Wirkungen von Rechtsetzungsakten, indem sie zum Zwecke der nachfolgenden Implementation die Auswirkungen einer geplanten Regelung im Vorfeld ihres auf Dauer angelegten Erlasses planmäßig und rational zu erfassen suchen“. Vgl. auch L. Mader, Jb. für Rechtssoziologie und Rechtstheorie XIII (1988), S. 211 ff.; W. Hoffmann-Riem, in: FS Thieme, 1993, S. 55 ff. sowie C. Böhret, in: Perspektiven der Verwaltungsforschung, 2002, S. 85 ff.
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solchen und ähnlichen Erscheinungsformen der Versuch, einerseits auf ‚höchster‘ parlamentarischer Ebene zu entscheiden, andererseits den charakteristischen Ungewissheiten über die weitere (umwelt-)technische Entwicklung und deren schneller Veränderlichkeit gerecht zu werden.“ 329 Hinzuweisen ist dabei darauf, dass diese Aufzählung keine Rechtsbegriffe umfasst und dementsprechend keine Differenzierung in der grundsätzlichen Rechtswirkung oder im Erlassverfahren nach sich zieht, sondern das der einfachgesetzlichen Ausgestaltung offene Feld materiell-inhaltlicher Gesetzesgestaltung beschreibt. 330 Auch für die Optimierung der Anpassung und Nachbesserung eines einmal erzeugten Normbestandes finden sich in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bedenkenswerte Erwägungen. 331 Dietrich Murswiek hat das Konzept einer Kreislauf- oder Rotationsgesetzgebung eingebracht, 332 das teilweise anknüpft an die gegenwärtige Praxis der Delegation an den Verordnungsgeber unter gleichzeitiger Statuierung eines parlamentarischen Zustimmungsvorbehalts. 333 Positive Bezugnahme auf experimentelle Gesetze auch bei H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 470; L. Diederichsen, Das Vermeidungsgebot im Abfallrecht, 1998, S. 116 f. 329 H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471 im Blick auf die Form experimenteller Gesetze und befristeter Gesetze. 330 Mit eigenem, anderartigem Ansatz zur Rechtsetzungsoptimierung J. Wolf, JbUTR 2004, S. 87 ff., zusammenfassend S. 124, der für das Umweltrecht auf die Notwendigkeit eines bereichsspezifischen Regulierungsverständnisses abstellt. Die Komplexität der Aufgabe einer nachhaltigen Umweltgesetzgebung lasse sich nur jenseits wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Vorstellungen und durch Optimierung erreichen. Dies schließe strikte behördliche Rechtsbindungen bei umweltgestaltenden Entscheidungen ebenso aus wie abschließend definierte Verfügungsrechte über Natur und Umwelt. 331 Vgl. Ch. Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, 1996; L. Brocker, in: Responsive Regulierung, 2002, S. 133 ff. Zu verschiedenen Zielvorstellungen und Konzeptionen aus dem Bereich der Gesetzesfolgenabschätzung vgl. das im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und des Innenministeriums Baden-Württemberg verfasste Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung (C. Böhret/G. Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung, 2001) sowie Ch. Grimm, ZRP 2000, S. 87 ff. 332 Nach Murswieks Konzept der Kreislaufgesetzgebung werden zunächst (1) im Gesetz wie bisher zunächst die notwendigen organisatorischen und verfahrensrechtlichen Regeln, Zweckbestimmungen und abstrakten Standards festgelegt, sodann (2) werden auf untergesetzlicher Ebene die Einzelheiten ausgearbeitet, wobei ausdrücklich die Option der Rezeption privat erzeugter technischer Regeln bestehen soll, schließlich werden die Wertentscheidungen, durch die das konkrete Sicherheitsniveau letztlich bestimmt wird, erneut dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt; vgl. D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 668 ff. Mit abweichender Grundausrichtung werden in der Literatur auch Modelle der Grundlagengesetzgebung vorgeschlagen, vgl. F. Hufen, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 11, 21 ff.; teilweise dezidiert unter Verbindung des Gedankens der Beschränkung des Parlaments auf Grundsatzgesetze mit dem einer Ausweitung der Verordnungsgewalt der Exekutive, hierzu die Diskussionsbemerkungen von R. Pitschas und H. Quaritsch in: Gesetz und Regierung, 1998, S. 70 f. und 71. 333 Vgl. D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 670 unter Bezugnahme auf R. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, S.429 f. mwN. Gegenüber dem Vorschlag Murswieks erheben sich insoweit gewisse Bedenken, als die Gefahr einer neuerlichen Verwischung staatlicher Handlungsformen nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Denn es scheint in der Logik des Vor-
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Im Blick zu behalten sind die Leistungs- und Funktionsgrenzen des Parlamentarismus, namentlich des Deutschen Bundestags. Insoweit ist die Lösung grundsätzlich nicht darin zu suchen, dass Grenzwertfestsetzungen334 in Gesetzesform ergehen. 335 Denn regelmäßig erhält der Grenzwert einen präzisen Regelungsgehalt nur in Verbindung mit einem genau bestimmten Messverfahren. 336 Die Festlegung des Messverfahrens ist ihrerseits sinnvollerweise Gegenstand exekutiver Normierung, erscheint doch eine Regelung in Gesetzesform kaum plausibel. 337 Wenn aber das Verfahren zur Ermittlung des Grenzwertes erst untergesetzlich bestimmt werden muss, vermittelt die gesetzliche Grenzwertlegung nur eine „Scheinpräzision“. 338 Gesetzliche Grenzwertfestsetzungen sollten also auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. 339 Derartige Ausnahmen kennt auch das geltende Umweltrecht, so etwa in § 6 Abs. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG zur Abgrenzung der stofflichen von der energetischen Abfallverwertung die Vorgabe des Erreichens eines Heizwerts von 11.000kj/kg. Verschiedentlich erscheinen solche Größen einer gesetzlichen Regelung eher zugänglich, die nicht durch ein detailliertes Messverfahren ermittelt werden müssen, sondern einem solchen vorausgehen. Ein rechtspraktisches Beispiel einer solchen Vorgabe ist etwa die Festsetzung eines Feuerungswirkungsgrades von 75 % als Voraussetzung der energetischen Verwertung in § 6 Abs. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG. 340 In ähnlicher Weise erscheint
schlags zu liegen, dass die Wieder-Vorlage (3) vom Parlament nicht in Form eines Gesetzes, sondern in Form eines einfachen Parlamentsbeschlusses behandelt wird. Dessen Rechtswirkungen sind aufgrund der fehlenden grundgesetzlichen Verankerungen bisher nicht abschließend geklärt und auch nur bedingt klärbar. Die Defizite eines Parlamentsbeschlusses gegenüber dem Zustandekommen eines Gesetzes im Verfahren gem. Art. 76 ff. GG waren bereits im Zusammenhang mit dem Kompensationspotential von Mitwirkungsbefugnissen des Bundestages am Zustandekommen von Rechtsverordnungen Gegenstand der Untersuchung. 334 Zu grundsätzlichen Aspekte vgl. K. Hüttermann, Funktionen der Grenzwerte im Umweltrecht, 1993, S. 28 ff.; W. Spannowsky, NVwZ 1995, S. 845 ff. 335 Vgl. H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 457 im Blick auf die der „Frühzeit der Umweltgesetzgebung“ zugeordneten Umweltstandards in Gesetzesform in § 2 Abs. 1 Benzinbleigesetz (1974) und § 2 Fluglärmgesetz (1971). 336 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 675 verweist darauf, dass Grenzwerte einen exakten Aussagegehalt in der Regel nur vor dem Hintergrund präzise normierter verfahrentechnischer Regelungen erhalten, insbesondere über das Messverfahren, die Dichte des Messnetzes oder die anzuwendenden Messinstrumente. Ein bestimmter Immissionsgrenzwert etwa über den maximal zulässigen Gehalt eines Schadstoffes pro Kubikmeter Luft könne ein sehr hohes oder ein sehr niedriges Gesundheitsniveau kennzeichnen, je nachdem, mit welchem Messverfahren dieser Wert festgestellt werde. 337 Näher Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105 ff. 338 D. Murswiek, FS Kriele, 1997, S. 651, 675. 339 Hierzu R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 194 f., der in rechtsvergleichender Perspektive auf gesetzliche Grenzwertfestsetzungen im US-amerikanischen Recht verweist. Gänzlich ablehnend F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 62, Rn. 65: Kein mit den Problemen vertrauter Kenner der Materie käme auf die Idee, die Festsetzung (von Grenzwerten im Umweltschutzrecht) in das förmliche Gesetz zu verlagern. 340 Vgl. auch die prozentualen Vorgaben in Anhang I, Nr. 1 (2) zu §6 VerpackVO über die im Jahresmittel mindestens einer stofflichen Verwertung zuzuführende Menge an Verpackungen, 29 Saurer
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beispielsweise der – politisch hoch umstrittene – Schwellenwert für das Einsetzen der Kennzeichnungspflicht für Produkte, 341 bei denen zufällige oder technisch nicht zu vermeidende Spuren zugelassener gentechnisch veränderter Organismen nicht ausgeschlossen werden können, einer gesetzlichen Festlegung zugängig. 342 Auch für die Verbesserung der organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen und Ressourcen der parlamentarischen Gesetzgebung finden sich sowohl verwirklichte Ansätze, als auch weitergehende Vorschläge. 343 Als weiterführende Konzepte erscheinen insbesondere das am Sitz des Deutschen Bundestags eingerichtete „Büro für Technikfolgenabschätzung“ 344 sowie das Institut der Enquête-Kommission, wie es in § 56 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verankert ist. Allseitige Würdigung für die sachverständige, ausgewogene und weiterführende Behandlung hochkomplexer Sachbereiche haben insbesondere die in der 10. Wahlperiode des Bundestages eingesetzte Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, 345 die Enquête-Kommissionen „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des 12. 346 und 13. 347 Bundestages und die in der 15. Wahlperiode eingesetzte Enquête-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ erfahren. 348 die hier für die Zeit nach dem 1. Januar 1999 auf 75 % bei Glas, 70 % bei Weißblech, 60 % bei Aluminium, 70 % bei Papier, Pappe, Karton und 60 % bei Verbünden festgesetzt wird. 341 Vgl. die Regelung des Art. 21 Abs. 2 der 2001 novellierten Richtlinie „über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt“, RL 2001/18/EG v. 12.3.2001, ABl. EG Nr. L 106/1. Hierzu BT-Drs. 14/6763, S. 12 f. 342 Zu diesem letztlich vom Europäischen Rat bei 0,9 Prozent angesetzten Grenzwert und seinem politischen Gehalt R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 6, Rn. 379 mit Fn. 488; SRU, Umweltgutachten 2004, Kurzfassung, S. 75. 343 Überlegungen zur Institutionalisierung der Gesetzesfolgenabschätzung bei Ch. Grimm, ZRP 2000, S. 87 ff.; U. Karpen, ZRP 2002, S. 443 ff.; W. G. Leisner, DVBl. 2001, S. 1799 ff. 344 Vgl. § 56 a GOBT; näher zur Organisation und Arbeit des Büros für Technikfolgenabschätzung G. Kretschmer, in: Wirkungsforschung zum Recht IV, 2003, S. 15, 24. Vgl. zum Ganzen auch die Überlegungen zur Weiterentwicklung der Technikfolgenabschätzung zu einem „prozessualen, ungewissheits- und nichtwissensbasierten Science Assessment, das auch normative Fragen berücksichtigen muss“ bei S. Böschen/Ch. Lau/A. Obermeier/P. Wehling, in: Entgrenzung und Entscheidung, 2004, S. 123 ff. 345 Vgl. den Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, BT-Drs. 10/6775 v. 6.1.1987 sowie F. Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, insbes. S. 139–141. 346 Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Bewertungskriterien und Perspektiven für Umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft“ des 12. Deutschen Bundestages, Verantwortung für die Zukunft – Wege zum nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen (Zwischenbericht), BT-Drs. 12/5812; dies., Die Industriegesellschaft gestalten – Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen (Bericht), BT-Drs. 12/8260; hierzu J. Klein, in: FS Lompe, 1997, S. 185 ff. 347 Deutscher Bundestag (Hrsg.), Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des 13. Dt. BT, 1998; hierzu M. Wollenweber/P. Manstein, in: Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, 2000, S. 1 ff. 348 Vgl. hierzu BT-Drs. 15/464 sowie BT-Plenarprotokoll 15/28 vom 20.2.2003, S. 2132 A– 2155 C. 2219 C–2220 D/Anl.
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Eine entscheidende Größe im Bezugsrahmen zukünftiger Rechtsetzung ist über die eng am Parlament angesiedelten Ressourcen wie die wissenschaftlichen Dienste und das Büro für Technikfolgenabschätzung hinaus das Verhältnis des parlamentarischen Gesetzgebers zur Ministerialbürokratie. 349 Entgegen in der Literatur vertretener Auffassungen ist es Voraussetzung eines rationalen Rechtsetzungsverständnisses, die Kapazitäten der Ministerialbürokratie nicht in toto der Regierung zuzuschlagen, 350 sondern von der grundsätzlichen Offenheit ministerialer Ressourcen 351 auch für parlamentarische Vorgänge auszugehen. 352 Im Spannungsfeld von hierarchischem Organisationsprinzip, Gesetzesbindung der Verwaltung und parlamentarischem Primat ist an dieser Stelle Raum und Forschungsbedarf für künftige Untersuchungen – de lege lata und de lege ferenda. Anschließen lässt sich hier an Überlegungen von Jürgen Habermas. 353 Ausgangspunkt ist die Gegenüberstellung eines „polyarchisch“ gegliederten „Kernbereichs des politischen Systems“, gebildet aus den institutionellen Komplexen der Verwaltung (einschließlich der Regierung), des Gerichtswesens und der demokratischen Meinungs- und Willensbildung (hier werden etwa parlamentarische Körperschaften, politische Wahlen und Parteienkonkurrenz verortet) 354 und der den peripheren Kontext bildenden Öffentlichkeit in ihrer Beherrschung durch die Massenmedien und mit ihren informellen, vielfach differenzierten und vernetzten Kommunikationsströmen. 355 Innerhalb des Kernbereichs des politischen Systems variiere, so Habermas, die „Handlungsfähigkeit“ mit der „Dichte“ organisatorischer Komplexität. 356 Der parlamentarische Komplex sei für die Wahrnehmung und Thematisierung gesellschaftlicher Probleme am weitesten geöffnet, bezahle diese Sensibilität jedoch mit einer im Vergleich zum administrativen Komplex geringeren Problemverarbeitungskapazität. 357 Von hier aus entwickelt 349 Hierzu H. Maurer, in: Entwicklungstendenzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1999, S. 109 ff. 350 So aber A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 59. 351 In diesem Sinne auch H. Maurer, in: VVDStRL 43 (1984), S. 135, 156 zur Gesetzesvorbereitung als Verwaltungsaufgabe: Die Gesetzesvorbereitung obliege im Rahmen der politischen Direktiven des Ministers der Ministerialbürokratie, die sich dabei auf die von unten nach oben weitergeleiteten Erfahrungen, Kenntnisse und Impulse der Vollzugsbehörde stützen könne. Als Annex zur Gesetzesinitiative der Regierung sei sie verfassungsrechtlich abgesichert, begründe aber – wie diese – keinen eigentlichen Exekutivvorbehalt, da die Gesetzesinitiative nicht auf die Regierung beschränkt sei. 352 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 430 ff. Dabei soll nicht verkannt werden, dass die Regierung, vermittelt durch den einzelnen Minister, ein Weisungsrecht gegenüber der zentralen Staatsverwaltung hat, das dem Parlament fehlt und ihm auch nicht gegenüber der Regierung zusteht, Hinweis bei A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 59. 353 J. Habermas, ebd. 354 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 430 unter Bezugnahme auf B. Peters, Die Integration moderner Gesellschaften, 1993, Kap. 9.2. 355 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 431. 356 Vgl. die Rezeption des Habermasschen Zentrum-Peripherie-Modells bei A. Rinken, in: Das Öffentliche heute, 2002, S. 7, 22 ff. 357 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl., 1992, S. 430.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
Habermas unter Erweiterung der modellierten Achse Zentrum – Peripherie um eine „innere“ Peripherie in den Staat inkorporierter Akteure, 358 eine quasi-korporatistisch verfasste „äußere“ Peripherie 359 und die Achse strukturierender Schleusen 360 die institutionelle Dimension des politischen Willensbildungsprozesses. 361 Der Zugriff auf die besonderen Qualitäten der Ministerialverwaltung 362 wird nicht institutionalisiert, sondern als „außerordentlicher Problemverarbeitungsmodus“ konzipiert, der „Sensibilitäten“ für die verfassungsrechtlich geregelten politischen Verantwortlichkeiten aktualisieren soll. 363 Eine rationale Organisation der Ministerialressourcen eröffnet also auch den Zugang zu dem hier angeschlossenen externen Sachverstand – gleichwohl sind bei Verwirklichung der hier zu suchenden Chancen einer Rechtsetzungsoptimierung die implizierten Risiken im Blick zu behalten, so etwa die verdeckte Auslagerung der faktischen Festlegung der Schutzstandards auf Akteure außerhalb der genuinen staatlichen Rechtsetzung.364 c) Untergesetzlicher Vorrang für die Rechtsverordnung Unterhalb der gestärkten Ebene des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist der Rechtsverordnung der Vorzug zu geben vor allen anderen Rechtsetzungsformen. 365 Insbesondere gegenüber den Verwaltungsvorschriften ist dies die KonseHier finden sich etwa die Selbstverwaltungskörperschaften. Der Ausdruck bezeichnet den Ort der „komplexen Netzwerkstrukturen zwischen öffentlichen Verwaltungen, privaten Organisationen, Spitzenverbänden, Interessengruppen usw.“, aber auch der „zuliefernden“ Gruppen, Assoziationen und Verbände, die gegenüber Parlamenten und Verwaltungen „gesellschaftliche Probleme zur Sprache bringen, politische Forderungen stellen, Interessen oder Bedürfnisse artikulieren und auf die Formulierung von Gesetzesvorhaben oder Politiken Einfluss nehmen“, J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl., 1992, S. 430. 360 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 431. 361 Kritisch zu diesem Entwurf von Habermas als einer zu restriktiven Konzeptualisierung deliberativer Politik R. Schmalz-Bruns, Reflexive Demokratie, 1995, insbes. S. 18 ff., 113 ff., 159 ff., 203 ff.: Mit seinem „Schleusenmodell“ binde Habermas die demokratische Idee der Selbstgesetzgebung zu voreilig in die institutionellen Bahnen einer liberalen, repräsentativen Demokratie zurück. Demgegenüber sei die Idee der partizipatorischen Demokratie in Richtung auf gesellschaftliche Selbstregierung zu betonen. Hierzu die Darstellung bei A. Rinken, in: Das Öffentliche heute, 2002, S. 7, 30 f. 362 Hierzu weiterführend G. F. Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 560 ff. 363 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl. 1992, S. 433 mit Präzisierungen zu den Bedingungen, unter denen die Unterscheidung zwischen dem normalen und dem außerordentlichen Problemverarbeitungsmodus für den Diskursbegriff der Demokratie fruchtbar gemacht werden kann auf S. 434 f. 364 Hierzu F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24 f. 365 So auch Ch. Gusy, NVwZ 1995, S. 105 ff.; Ch. Engel, Die Verwaltung 29 (1996), S. 265, 271; H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 470 f. für den Bereich „sehr weitreichender Umweltstandards“; E. Rehbinder, in: Verfahren zur Festlegung von Umweltstandards, 1993, S. 30, 36: Die Entwicklung der Rechtsfigur der „normkonkretisierenden Verwaltungsvor358 359
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quenz aus der Anerkennung des Vorrangs der Verfassung. 366 Darüber hinaus hat die vorliegende Studie aber auch aufgezeigt, dass die Rechtsverordnung den Verwaltungsvorschriften in puncto Flexibilität und Entlastungspotential keineswegs unterlegen ist. 367 So können in die Normstrukturen der Rechtsverordnung beispielsweise Dispensoptionen zur Erreichung einer höheren Einzelfalladäquanz, Dynamisierungsklauseln zur Berücksichtigung der technischen Weiterentwicklung, 368 (statische) Verweisungen auf technischen Sachverstand 369 oder auch sog. sunset clauses schrift“ zeige das Bedürfnis, Umweltstandards in rechtlich verbindlicher Form zu setzen; hierfür erscheine aber die Verordnung als das geeignetere Instrument; O. Lepsius, in: VVDStRL 63 (2004), S.264, 305 f.; mit Blick auf die europarechtlich bedingten Umsetzungserfordernisse im Bereich der Abfallbeseitigung M. Beckmann/A. Kersting, in: Landmann/Rohmer III, § 12 KrW-/AbfG (2001), Rn. 6; verallgemeinernd R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 185: Das Europarecht zeitige eine heilsame Wirkung gegenüber der aus Sicht des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips äußerst problematischen Bindungswirkung sog. normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften; J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 191: Grenzwerte und ähnliche Normen dezisionären Charakters sollten der Rechtsverordnung vorbehalten bleiben; M. Führ, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 1, Rn. 60: Der Rechtsverordnung sei aus einer ganzen Reihe von Gründen der Vorzug vor dem Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften zu geben, vor allem jedoch im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Vollzugseffizienz; im Ergebnis ebenso H.-J. Koch, aaO, § 48 (1994), Rn. 100 ff.: Der überlieferte Weg, im technischen Sicherheitsrecht Wesentliches einer Regelung in Verwaltungsvorschriften zu überlassen, sei angesichts der tatsächlichen und (verfassungs-)rechtlichen Entwicklung nicht mehr gangbar. Unterhalb einer Regelung in Gesetzesform sei zu erwägen, ob Defizite in der Rechtsform durch Verfahrensrechte im Prozess der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung kompensiert werden können; F. Schoch, JZ 1995, S. 109, 119 mit Fn. 155: Der EuGH habe mit der Ablehnung von Verwaltungsvorschriften als tauglichem Instrumentarium zur Umsetzung von EG-Richtlinien nur vollzogen, was aus Gründen des innerstaatlichen Rechts längst überfällig war; als Regelungsform stehe die Rechtsverordnung zur Verfügung; M. Böhm, ZUR 2002, S. 6, 9; A. Wasielewski, ZUR 2000, S. 373, 378; W. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, 1980, S.311 f.; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 219. 366 Abstellend auf das „Gebot demokratischer Legitimation wesentlicher Regelungen“ H. Schulze-Fielitz, in: HdTR 2003, S. 443, 471; vgl. auch R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 185. 367 Einstufung des Beschleunigungs- und Flexibilisierungspotentials der Rechtsverordnung als ebenbürtig gegenüber jenem der Verwaltungsvorschriften bei: Ch. Müller, Die TA-Lärm als Rechtsproblem, 2001, S. 88 f.; Ch. Gusy, in: Zwanzig Jahre BImSchG, 1994, S. 185 ff.; ders., NVwZ 1995, S. 105 ff.; C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 220; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 242; R. Schmidt/H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 6. Aufl. 2001, § 8, Rn. 58; K. Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 215, 228 mit Fn. 49; M. Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 324 f.; Ch. Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzes, 1987, S.253 f.; W. Pauly, Der Staat 35 (1996), S. 149, 153 f.; J.-F. Staats, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 192, 200; eingehend zum diesbezüglichen Vergleich von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften vgl. im 1. Teil, II., 2., c). 368 Näher C. Vogt-Beheim, Flexibilisierung von Umweltstandards, 2004, S. 233 ff. 369 Vgl. zur Entlastung des Normtextes durch statische Verweisungen BVerfGE 47, 285, 312 und die Darstellung bei R. Streinz, BayVBl. 1989, S. 550, 551, auch zu den darüber hinausgehenden Möglichkeiten der dynamischen Verweisung; aus jüngerer Zeit zur Gesetzgebungstechnik der Verweisung A. Guckelberger, ZG 2004, S. 62 ff.
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
aufgenommen werden. 370 In entscheidendem Maße ist das Entlastungspotential wie die spezifische Flexibilität der jeweiligen Rechtsetzungsform eine Frage ihrer konkreten einfachgesetzlichen Ausgestaltung, 371 insbesondere hinsichtlich der Einräumung von Beteiligungsrechten zugunsten staatlicher und privater Stellen. 372
2. Insbesondere: Zur Integration von Ungewissheitsbedingungen in die gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen a) Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als absolute Delegationssperre für Fälle umfassender Ungewissheit? Der Umgang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Rechtsetzungsorganisation bereitet unter den Bedingungen technologischer Umbrüche, struktureller Ungewissheit und zunehmender Internationalisierung offenkundig sowohl dem Gesetzgeber als auch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft größte Schwierigkeiten. Dies ist bereits im Kontext der typischen Regelungsstrukturen gegenwärtiger Staatshandelns aufgezeigt worden. 373 Dieses Ergebnis ist nach der Analyse der Verfassungsrechtsprechung als wirkmächtiger Legitimationsinstanz für die materiell entleerten Regelungsstrukturen und der überwiegend zustimmenden Rezeption in der Literatur dahingehend zu ergänzen, dass Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bis dato nur sehr bedingt den Weg zu einer stärker verfassungsorientierten Rechtsetzungsorganisation weisen konnten. 374 Nach dem vorherrschenden Bild erscheint die Exekutive als offenbar einzige Staatsgewalt, die den regulatorischen Herausforderungen der Gegenwart gewachsen ist. 375 370 Zu diesen Vorschlägen auch die Regelungen im Sachverständigenentwurf für ein Umweltgesetzbuch von 1998 (eingehend dargelegt im 1. Teil, IV., 2.) sowie W. Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltschutzes, 1987, S. 234 sowie H. v. Lersner, in: Rationale Umweltpolitik – Rationales Umweltrecht, 1999, S. 227, 234; mit weitgehenden Vorschlägen zur Subdelegation der Rechtsetzungsermächtigung bis hinunter auf nichtstaatliche Stellen unter Heranziehung der Figur des „beliehenen Unternehmers“ E. Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, S. 131, 140; zu Öffnungsklauseln gegenüber Rechtsverordnungen zur Festlegung von Personal-, Sach- und Verfahrensstandards für kommunale Einrichtungen B. Grezszick, Die Verwaltung 30 (1997), S. 545 ff., insbes. 556 ff., 564 f. 371 Vgl. neben den in der vorhergehenden Fn. genannten Autoren H.-J. Koch, in: GK-BImSchG, Stand: 2003, § 48, Rn. 103. 372 Hierzu im 1. Teil, II., 2., c) sowie in verfassungsrechtlicher Perspektive 3. Teil, VI. 373 Für nähere Nachweise zur Konfrontation des Gesetzgebers und der Gerichte mit strukturellen Ungewissheitsbedingungen vgl. bereits im 1. Teil, II., 1. sowie im 3. Teil, I., 3. 374 Zur Abfederung der Verfassungsgefährdungen infolge der Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 3. Teil, II., 2. 375 BVerwGE 72, 300, 317 (Wyhl): „Die Exekutive verfügt nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch im Verhältnis zu den Verwaltungsgerichten über rechtliche Handlungsformen, die sie für die Verwirklichung des Grundsatzes bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sehr viel besser ausrüsten.“ Hieraus erhellt sich die vorhergehende Darlegung,
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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Der Versuch einer Auflösung oder wenigstens teilweisen Bewältigung des Problems setzt an bei der Analyse des Grundverständnisses staatlicher Regelsetzung. Hierzu hat die bisherige Untersuchung am Beispiel der Regelungsstrukturen des Umweltrechts 376 das Bestehen zweier konkurrierender Grundpositionen im Verständnis staatlicher Regelbildung nachgewiesen. 377 Der erste tradierte Ansatz geht von der objektiven Erfassbarkeit des Wirkungsgefüges von Mensch, Technik und Umwelt aus und richtet demgemäß die Organisation staatlicher Rechtsetzung an dem Kriterium des institutionellen Erkenntnisvermögens aus. 378 Der zweite Ansatz begreift die Regelbildung als Prozess wertender Entscheidungen und erhebt die Orientierung an der verfassungsrechtlichen Berufung zur normativen Festlegung zum Paradigma der Rechtsetzungsorganisation. 379 (1) Die absolute Delegationssperre als Konsequenz der Orientierung am Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens Nach dem an der objektiven Erkennbarkeit ausgerichteten ersten Ansatz ist staatliche Regelsetzung wesentlich darauf ausgerichtet, unter Heranziehung von Wissenschaft und Technik bestimmbare Schädlichkeitsschwellen für einzelne Rechtsgüter in Rechtssätze umzuformen. 380 Steht eine Auswahlentscheidung über die Rechtsetzungsformen einer künftigen Regelung an, so kommt es nach dem Grundverständnis des institutionellen Erkenntnisvermögens zu einer Stufenentscheidung. Diese greift auf die unterschwellige Prämisse einer Geeignetheitsskala der Modernisierungsbewältigungsqualität staatlicher Rechtsformen zurück.381 Auf der untersten und am wenigsten geeigneten Stufe dieser im Folgenden idealtypisch modellierten Geeignetheitsskala steht das Gesetz (Stufe 1), bereits geeigneter ist die Rechtsverwonach die Exekutive nach der Normstruktur des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG „die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung“ trage, BVerwGE 72, 300, 316. Aus der Literatur etwa F. Kraatz, Gentechnikrecht und Parlamentsvorbehalt, 1995, S. 205, S. 219: Die Exekutive sei nach personeller Ausstattung und praktiziertem Verfahren besser geeignet, gentechnische Risiken zu ermitteln und zu bewerten, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu bestimmen und die Risikogrenzen nach dem „Stand von Wissenschaft und Technik“ festzulegen. 376 Zum paradigmatischen Charakter des Umweltrechts für die gesamte modernere Rechtsentwicklung 2. Teil, I. 377 3. Teil, I., 3. 378 3. Teil, I., 3. 379 3. Teil, I., 4. 380 3. Teil, I., 4. 381 Vgl. neben den Nachweisen im 3. Teil, I., 4. etwa F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 23 f., bei welchem die skizzierte Prämisse deutlich zum Ausdruck kommt. Ausgangspunkt der Überlegung Ossenbühls ist, dass eine rechtliche Regelung gegenüber der fortschreitenden technischen Entwicklung notorisch zu spät kommen müsse. Da es demnach auf der Gesetzesebene nicht gelingen könne, den neuesten Stand der Technik zum Maßstab für rechtliche Sicherheitsvorkehrungen allgemeinverbindlich zu machen, sei eine Lösung nur zu finden, indem man die Regelungsebene wechsle, ders., aaO, S. 24.
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ordnung (Stufe 2), 382 noch geeigneter die verwaltungsautonome Regelung, etwa durch Verwaltungsvorschriften (Stufe 3). 383 Auf allen Stufen wird ergänzend eine stufeninterne Optimierung durch Einbeziehung außerrechtlichen „Sachverstands“ für möglich gehalten, etwa über sog. Technikklauseln oder gesellschaftliche Selbstregulierung allgemeiner Art. 384 Die Auswahlentscheidung fragt dann entlang dieser Stufen nach der Fähigkeit der jeweiligen Rechtsform zur Umformung der objektiv erkennbaren Schädlichkeitsschwelle in Rechtssätze. Ergibt sich auf Stufe 1, dass sich die Rechtsform des Gesetzes als nicht geeignet erweist,385 so wird absteigend eine Regelung auf Stufe 2 und sodann auf 3 wenigstens für zulässig, mitunter sogar für verfassungsrechtlich verpflichtend 386 erachtet. Diese Stufenbildung dient nicht nur als Auswahlkriterium, sondern gleichzeitig als Legitimationsinstrument. Da eine Regelung auf Stufe 1 aus objektiven Gründen nicht erfolgen kann, ist die Regelung auf Stufe 2 unvermeidlich und mithin legitim. 387 So eingängig und zwingend dieses gestufte Programm der Rechtsformenwahl auch erscheinen mag: Aus verfassungsrechtlicher Sicht führt das objektivistische Grundverständnis unmittelbar hinein in die Aporie: Derselbe Beweggrund – nämlich die Nichtregelbarkeit in Form des Gesetzes – begründet einerseits die Notwendigkeit der Delegation und andererseits deren verfassungsrechtliche Unzulässigkeit. 388 Denn die gesetzgeberische Freiheit in der Wahl der Rechtsetzungsformen 382 Hierzu die Einschätzung von F. Ossenbühl, DÖV 1982, S. 833, 840: Der Rechtsverordnung hafteten jedenfalls nicht jene Eigenschaften an, die das förmliche Gesetz als Regelungsinstrument im Bereich des technischen Sicherheitsrechts weithin untauglich machten. 383 Hierzu M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 157: In dem Maße, in dem die Steuerungskraft nachlasse, öffne sich der Bereich für untergesetzliche Regelungstypen, die bei den Rechtsverordnungen nicht haltmachen. Es könne nicht geleugnet werden, dass vor allem im technischen Sicherheitsrecht und Umweltrecht ein Ausweichen auf Verwaltungsvorschriften oftmals unvermeidlich sei und zwar auch für Regelungen von großer Bedeutung. F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24 hält es für „verständlich und geradezu zwingend, dass die Exekutive in neuen Technikbereichen nicht mit dem Instrument der Rechtsverordnung hantiert“, sondern vielmehr zur flexibleren Verwaltungsvorschrift greife; vgl. auch dens., ZG 1997, S. 305, 317. 384 Hierzu im Überblick I. Lamb, Kooperative Normkonkretisierung, 1995, S. 72 ff., 97 ff., 148 ff. 385 Stellvertretend für viele M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art.80, Rn.159: „Bestimmte, insbesondere technische und naturwissenschaftliche Regelungsmaterien entziehen sich ihrer Natur nach der klassischen Gesetzgebung und sind legislativ nicht mehr steuerbar.“ 386 Vgl. nochmals M. Nierhaus, aaO, Rn.131, Rn.257: Bei Vorliegen von Prognoseunsicherheiten, Änderungsanfälligkeiten (Flexibilität) und im technischen Sicherheitsrecht, wo „Wesentliches“ häufig in den Rechtsverordnungen zum AtomG und BImSchG stehe und mangels gesetzlicher Entscheidungsfähigkeit auch stehen müsse, mutiere „das Delegationsverbot zu einem Delegationsgebot“. 387 An dieser Stelle kommt es häufig zum Rückgriff auf die in BVerfGE 49, 89 (Kalkar) abgesicherte Argumentation, die unter Exposition des Begriffs des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ begründet, warum eine Regelung in der Form des Gesetzes nicht nur verzichtbar, sondern sogar zwingend sein kann. 388 Zum Versuch der Begründung der Aporie als einer Grundfigur des öffentlichen Rechts M. Hochhuth, Relativitätstheorie des öffentlichen Rechts, 2000, S. 85 ff.
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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besteht nur in den Grenzen des Grundgesetzes. 389 Danach erfordert eine Wahlentscheidung gegen die Regelung in Form des Gesetzes (Stufe 1) und für die Regelung in Form der Rechtsverordnung (Stufe 2) eine gesetzliche Fixierung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG). 390 Wenn sich eine Regelungsmaterie aber „ihrer Natur nach“ der Regelung im Gesetz entzieht, so wird es regelmäßig auch kaum möglich sein, im Gesetz Inhalt, Zweck und Ausmaß nachfolgender akzessorischer Rechtssätze anzugeben.391 Ist die Angabe von Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht möglich, so bleibt dem Gesetzgeber nach den verfassungsrechtlichen Maßgaben die Delegationsoption verwehrt. 392 Die Regelung in der Rechtsform der Rechtsverordnung ist dann nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG unzulässig. Aufgrund der Sperrung der Delegationsoption bei Nichterfüllbarkeit der Kriterien des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, bedarf es in dieser Situation zur Setzung einer allgemeinverbindlichen Regelung der Form des Gesetzes. Mit dieser Folgerung wird jedoch ein verfassungsrechtliches Anforderungsprofil aufgebaut, unter dem der Verfassungsrahmen parlamentarischer Gesetzgebung zerbrechen muss. Mit steigender Ungewissheit droht die quantitative wie qualitative Überforderung des Parlaments, da die Zahl der in Gesetzesform zu bringenden Regelungen aufgrund der parallel ansteigenden Delegationssperren gleichermaßen wächst. Zudem ist dem Parlament die Hoheit über die Anzahl der auf der Tagesordnung stehenden Entscheidungen aus der Hand genommen. Die Zahl der unter (absoluter) Ungewissheit zu entscheidenden Materien ist nicht steuerbar, da sich etwa die Forderung des rechtsstaatlich und in dieser Facette mehr noch demokratisch begründeten Gesetzesvorbehalts, wonach die grundlegenden Entscheidungen eines jeden Lebensbereiches einer Regelung in Form des Gesetzes bedürfen, unabhängig von der bestehenden Gewissheit oder Ungewissheit erhebt. 393 Da bereits aus faktischen Gründen die Zahl der parlamentarisch bewältigbaren Entscheidungsvorgänge begrenzt ist, führt in der Konsequenz eine steigende Zahl unter Ungewissheit zu treffender Entscheidungen unweigerlich zur Durchbrechung der Delegationssperre und damit der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Für eine auf das Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens ausgerichtete Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bleibt in dieser Situation nur noch die Möglichkeit, nach argumentativen Lösungen zu suchen, die die Diskrepanz zwiVgl. bereits in der Einl., I., 2. u. 3. Vgl. die Entfaltung des Gehalts des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entlang der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im 3. Teil, II., 2. 391 In diesem Sinne schildert F. Ossenbühl, Die Not des Gesetzgebers im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter, 2000, S. 24 die Kollision des Umstands, dass der Gesetzgeber mangels näherer Kenntnisse (noch) keine Entscheidung treffen könne, mit dem Verfassungsverbot, nach welchem die wesentlichen und tragenden Entscheidungen nicht auf die Exekutive verlagert werden dürften. 392 Zum Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als entsprechendem Delegationsfilter J. Lücke, in: Sachs, GGK, 3. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 21 ff. 393 Vgl. zur Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts in demokratischer Perspektive BVerfGE 33, 125 (Facharzt) sowie die Darstellung unter 3. Teil, II., 2., b). 389 390
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schen Gesetzgebungspraxis und verfassungsrechtlichen Vorgaben verkleinern – eine Diskrepanz, die zuvor durch das zugrundegelegte Verständnis staatlicher Regelbildung mit aufgerissen wurde. Diese Reaktion kommt in der Verfassungsrechtsprechung zur erforderlichen Regelungsdichte von Verordnungsermächtigungen am Maßstab von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG überdeutlich zum Ausdruck, wenn sich diese sukzessive darauf ausrichtet, die gesetzgeberische Entleerung der Ermächtigungsstrukturen zu legitimieren. 394 (2) Das normative Grundverständnis staatlicher Regelbildung als Ausweg Ist nun also die verfassungsrechtliche Problematik zu einem Gutteil dem Grundverständnis der objektiven Erfassbarkeit des Wirkungsgefüges von Mensch, Technik und Umwelt geschuldet, so sollte eine Wiederannäherung der Gesetzgebungspraxis an die verfassungsrechtlichen Vorgaben genau hier ansetzen. Im Anschluss an die Ausführungen zu den veränderten wissenschaftstheoretischen Grundpositionen395 eröffnen sich hierbei durchaus neue Perspektiven. Staatliche Regelbildung erweist sich danach nicht als das Nachvollziehen wissenschaftlich und technisch objektiv bestimmbarer Schädlichkeitsschwellen oder Verbesserungsmaßnahmen, sondern vielmehr als das Verbindlichmachen politischer Wertungen. Dieses Verständnis verhilft unmittelbar zu einer Entspannung der gesetzgebungstypischen Konfliktlage zwischen praktischen Bedürfnissen und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Es eröffnet sich ein ungeahnter Ausgang aus der Fesselung des Normgebers durch das Postulat einer naturwissenschaftlich exakten Positivierung, deren Grundlagen auch Wissenschaft und Technik nicht bereitstellen können: „Sind die Zusammenhänge so komplex, dass sie sich wissenschaftlich nicht – oder nicht in absehbarer Zeit – durchdringen lassen, dann kann die Ungewissheit über die faktischen Technikfolgen juristisch nur überwunden werden durch eine politische Dezision, einen Akt der Rechtsetzung über die Größe des zu akzeptierenden Risikos.“ 396 Die Entscheidung über die Rechtsform einer staatlichen Regelung entzieht sich also dem Maßstab der objektiven Geeignetheit. Versteht man den Prozess der Gesetzgebung als Verrechtlichung politischer Wertungen, so ist die entscheidende Delegationsvoraussetzung vielmehr die Verankerung der gesetzgeberischen Wertungen im Gesetzestext. In diesem Verständnis ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich auch in Ungewissheitssituationen möglich, Delegationsstrukturen zu schaffen, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung angeben. Hier kommt es zu keiner Hemmung der Regelbildung, es kommt weder auf eine „objektive“ Normierbarkeit an noch auf den Grad 394 Instrument des BVerfG war insbesondere die Ermittlung der Bestimmtheit durch Normen außerhalb der eigentlichen Ermächtigung sowie durch verfassungskonforme Auslegung. Hierzu die Darstellung im 3. Teil, II., 2., e). 395 3. Teil, I., 3.–5. 396 D. Murswiek, in: FS Kriele, 1997, S. 651, 664. Der Begriff der „politischen Dezision“ erscheint in diesem Zusammenhang allerdings als nicht optimal gewählt, da er suggeriert, dass die politische Entscheidung keinen diskursiven Rationalitätsanforderungen unterliege.
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der Ungewissheit. Eine Delegationssperre entsteht nicht. Gleichwohl wird der Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung entlassen. Die Anforderung, die Art.80 Abs. 1 S. 2 GG an den Gesetzgeber stellt, ist eine hinreichend präzise Fassung der vorgenommenen Wertungen, in anderen Worten: des politischen Programms. Anknüpfen lässt sich für den Bereich der Entscheidungen unter Ungewissheitsbedingungen an die Begründung der Notwendigkeit konzeptgeleiteter Rechtsetzung, die das Bundesverwaltungsgericht zum Immissionsschutz entwickelt hat. 397 Auch diese Anforderungen vermögen freilich an die Leistungs- und Funktionsfähigkeitsgrenzen des Parlamentarismus zu rühren, so etwa in dem Sachverhalt, der BVerwG DÖV 2004, 340 zugrunde lag, 398 nach welchem in Unkenntnis einschlägiger naturwissenschaftlicher Wirkungsschwellen über die Betriebsbedingungen einer Laboranlage als Anlage zur fabrikmäßigen Herstellung ultrafeiner Metall- und Keramikpulver (Nanopulver) zu entscheiden war. 399 Zu dem in Rede stehenden Nanopulver stellte das Gericht das Fehlen „naturwissenschaftlicher Wirkungsschwellen“ fest und billigte die Orientierung an einer vom Länderausschuss für Immissionsschutz vorgelegten Studie für kanzerogene Wirkungen als vergleichbar eingeordneter Stoffe als „willkürfrei“. 400 In dieser Konstellation zeigt sich zunächst, dass die Orientierung am tradierten Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens nicht weiter führt. Denn nach diesem ist hier das (parlamentarische ebenso wie das ministeriale) Erkenntnisvermögen überfordert, so dass eine Regelbildung aus dieser Perspektive als nicht möglich erscheint. Demgegenüber zeigt der vom BVerwG beschrittene Weg, dass bei Abstellen auf ein normatives Grundverständnis eine wenigstens teilweise Bewältigung möglich ist. Mit der Orientierung auf vergleichbare Stoffe wurde ein politisches Kriterium herangezogen, das zudem rational begründbar ist. Ob die aufgezeigten Vergleichsparameter ausreichen würden für die Verankerung einer gesetzestextlichen Grundlage mag dahin stehen. 401 Es zeigt sich jedenfalls, dass sich mit der Orientierung am normativen Grundverständnis Spielräume 397 Insbes. BVerwGE 69, 37 (Heidelberger Heizkraftwerk). Hierzu die Darstellung im 1. Teil, II., 3., b). 398 Urteil des BVerwG vom 11.12.2003, DÖV 2004, 340 ff. 399 Zum Begriff der Nanotechnologie J. Gantzer, VBlBW. 2004, S. 174, 174: Bei dieser Technologie gehe es um eine Miniaturisierung von Materialien, Werkzeugen, Maschinen, Herstellungs- und Analysetechniken bis in Größenordnungen einzelner Atome. Ein Nanometer entspreche einem Millionstel Millimeter. Da in diesem Bereich bereits die Gesetze der Quantenmechanik zum Tragen kämen, verhielten sich Nanoteilchen ganz anders als dasselbe Material in sichtbaren Dimensionen: Keramik werde durchsichtig wie Glas, Glas zäh wie Klebstoff, Metalle würden zu Farbstoffen und ihr Magnetismus lasse sich ein und ausschalten, Quantenpunkte besäßen bemerkenswerte elektronische Eigenschaften. Spezifische Anwendungsfelder fänden sich in der biologischen Erforschung der wenige Nanometer großen Strukturen der Zelle und der Nanoelektronik, die in der Halbleiterindustrie zur Anwendung komme. 400 BVerwG, DÖV 2004, 340, 342. 401 Skeptisch J. Gantzer, VBlBW. 2004, S. 174, 175: Der geringe Wissensstand über die gesundheitlichen Wirkungen von Nanopartikeln wie auch die unterschiedliche Toxizität der verschiedenen Nanomaterialien ließen normative Festlegungen oder auch Differenzierungen hinsichtlich des Maßstabes im Rahmen der der 22. BImSchV oder der TA Luft derzeit nicht zu.
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gewinnen lassen, die auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die wachsende Ungewissheit gerade auch auf dem Wachstum von Wissensbeständen beruht. 402 Das Gelingen einer Neubestimmung des Verhältnisses der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Praxis der Rechtsetzungsorganisation setzt die Zugrundelegung eines rationalisierten, das heißt insbesondere entmystifizierten Verständnisses der Rechtsetzungsformen voraus, namentlich die Einstufung des Gesetzes und der Rechtsverordnung als „Instrumente der Politik“. 403 Problematisch, weil bereits wieder in der Nähe zur permanenten Überforderung des Rechtsetzungspraxis anzusiedeln, 404 sind deshalb Maximen wie diejenige von Armin von Bogdandy, welcher die Funktion des Gesetzes dahingehend bestimmt, dass dieses auf „das Selbstverständnis der politischen Gemeinschaft betreffende Entscheidungen, wenige hochkontroverse Einzelfragen sowie die Regelungsprinzipien, ihre grundsätzliche Zuordnung und die Regelungskonzeption“ 405 zurückgenommen sei. 406 Dabei organisiert von Bogdandy sein Rechtsetzungsmodell gleichermaßen ausgehend von einem normativ-politischen Grundverständnis. Dementsprechend rekonstruiert er die Interpretation der Rechtsverordnung als Gesetzgebungsinstitut in der Ausrichtung auf vorausliegende Steuerungsvorgaben als Versuch der Trennung der politischen Sphäre der Gesetzgebung von der administrativen Sphäre der Verordnungsgebung. 407 Auf dieser Grundlage wird festgestellt, derartige Trennungsversuche hätten sich überholt. 408 Zwar bestätigt sich von Bogdandys These etwa am Beispiel umweltrechtlicher Grenzwerte, die ihren politischen Charakter409 nicht dadurch verlieren, dass sie auf Verordnungsebene getroffen werden, insbesondere bleibt die Regelungsdichte der Ermächtigung ohne Einfluss. Jedoch erweist sich diese von von Bogdandy unterlegte Differenzierung als nur eine Interpretationsoption unter mehreren. Besser vereinbar mit den grundgesetzlichen Vorgaben ist es, die duale Konzeption von Gesetzgebung und Gesetzessubsumtion nicht als Negation des politischen Charakters 402 Vgl. zur überproportionalen Erweiterung des Horizonts bewussten Nichtwissens durch das Fortschreiten der Wissenschaften nochmals E. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen, 1990, Rn. 15 sowie R. Wahl/I. Appel, in: Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 29. 403 Vgl. zur Zerstörung der „idyllischen Vorstellung vom Rechtsgesetz des 19. Jahrhunderts“ durch die „ungeahnte Aufgabenerweiterung des modernen Industriestaates“ und die „rauhe Wirklichkeit des nehmenden und verteilenden, des planenden und experimentierenden Sozialstaates“ und zur Entwicklung des Gesetzes zum „Instrument der Politik“ F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 61, Rn. 22 und die Darstellung unter 2. Teil, II., 3. 404 Zur Kritik dieser Funktionsbestimmung vgl. bereits 2. Teil, I., 2. 405 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 209. 406 Vgl. zu Funktion und Begriffsbestimmung des Gesetzes innerhalb der Rechtsetzungsformen des Grundgesetzes P. Badura, ZG 1987, S. 300 ff.; U. Scheuner, in: FS H. Huber, 1981, S. 127 ff., 133 ff.; H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, S. 375 ff. sowie 2. Teil, II., 2. 407 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 312 f. unter Berufung auf E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. A., 1981, S. 398. 408 A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 313. 409 Hierzu etwa G. Winter (Hrsg.), Grenzwerte, 1986 sowie die Nachweise unter 3. Teil, I., 4.
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von Rechtsverordnungen zu lesen, sondern vielmehr dahingehend, dass in dessen Einsicht die Eingrenzung exekutiver Entscheidungsmacht angeordnet ist. 410 b) Zur verfassungsrechtlichen Verzichtbarkeit des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Die Rechtswissenschaft thematisiert in wiederkehrendem Turnus eine Begrenzung oder gar eine Streichung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. 411 Dabei korrespondieren diesbezügliche Forderungen mit Einschätzungen, nach welchen sich „Theorie und Praxis exekutiver Normsetzung erheblich auseinander entwickelt haben“ 412 und Art. 80 Abs. 1 GG aufgrund der im Ergebnis zurückhaltenden Kontrollpraxis des BVerfG ein „disziplinierender Effekt“ nicht mehr zukomme. 413 Bereits in den 1970er Jahren unterbreitete die „Enquêtekommission Verfassungsreform“ des Deutschen Bundestages den Vorschlag, die Schrankentrias des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG auf den zentralen Begriff des „Zwecks“ zu reduzieren. 414 Darüber hinaus gehend wurde erwogen, der Bundesregierung de constitutione ferenda ein selbständiges Verordnungsrecht einzuräumen. 415 Auch gegenwärtig wird die Änderung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erörtert. 416 Oft stehen die Vorschläge zur textlichen Abschwächung der Bestimmtheitsanforderungen in Verbindung mit Kompensationsmodellen. 417 Vorgeschlagen wird etwa die Kompensation durch nachgeordnete Kontrollrechte des Bundestagsplenums 418 oder eines Parlamentsausschusses. 419 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Änderung oder Begrenzung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und damit 410 Vgl. zum politischen Charakter der Verordnungsgebung bereits 1. Teil, V., 3. sowie zur verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Verarbeitung 3. Teil, I., 7. 411 Vgl. für einen Überblick H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 239. 412 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 1. 413 R. Rubel, in: Umbach/Clemens, GGKII, 2002, Art.80, Rn. 18; F. Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl. 1996, § 64, Rn. 19. 414 BT-Drucks. 7/5924, S. 90; dazu H. H. Klein, DÖV 1975, S. 523 ff. S. 525 und allgemeiner S. Magiera, Der Staat 13 (1974), S. 1 ff. 415 Zu diesem Vorschlag einer namhaften Minderheit innerhalb der Enquête-Kommission den Schlussbericht der Enquêtekommission Verfassungsreform, in: Zur Sache 3/76, S. 194 f. 416 Vgl. hierzu den Hinweis im Referat von F. Ossenbühl, in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S.27, 35 und die sich hieran anschließende Diskussion (aaO, S.45 ff.); hierin insbesondere die Beiträge von H.H. Klein (aaO, S.47, 47), H. Meyer (aaO, S. 50, 51) und P. Lerche (aaO, S. 55, 55 f.). 417 Näher hierzu im Kontext der Kompensationsstragien des geltenden Rechts, 3. Teil, VII., 4. 418 Vgl. zu den Erörterungen im Kontext der Enquêtekommission Verfassungsreform in den 1970er Jahren neben den in den vorhergehenden Fn. genannten Autoren F. Rietdorf, in: Zur Sache 1/73, S. 128 ff.; zur Neufassung des Art. 80 GG im Rahmen der Verfassungsreform 1994 unter Abstandnahme von den Vorschlägen aus den 1970er Jahren R. Sannwald, ZG 1994, S. 134, 145; J. Jekewitz, ZRP 1995, S. 248 ff.; zu verfassungspolitischen Überlegungen zur Einführung von Mitwirkungsrechten des Bundestages aus jüngerer Zeit mwN C. Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 174 ff. 419 Zu den diesbezüglichen Erwägungen im Kontext der Enquêtekommission Verfassungsreform in den 1970ern W.-D. Loose, Möglichkeiten der Entlastung des Bundestages, 1977, S. 119 ff.
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die Frage des Verhältnisses zu Art.79 Abs.3 GG unterliegt geteilten Beurteilungen. 420 Unabhängig von der Änderbarkeit des Wortlauts 421 ist festzustellen, dass die Verfassung bezüglich des materiellen Gehalts kaum einen substantiellen Spielraum gewährt. Aufschlussreich hierzu sind insbesondere die Entscheidungen des BVerfG zum Geltungsanspruch der Bestimmtheitsklausel des Art.80 Abs. 1 S. 2 GG im Landesrecht. 422 Hierbei zählt das BVerfG die inhaltlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage auf dem Weg über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG zu den Grundsätzen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips.423 Diese Auffassung hat das Gericht jüngst in der Entscheidung BVerfGE 102, 197 aus dem Jahr 2000 zum baden-württembergischen Spielbankengesetz bestätigt. 424 In der Rechtswissenschaft haben diese Grundsätze der Verfassungsrechtsprechung Zustimmung gefunden. 425 Spielräume für die Rechtsetzungsorganisation der Länder werden nur insoweit gesehen, als es den Ländern freistehe, strengere Anforderungen an die Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen zu stellen, einen weiteren Kreis von Ermächtigungsadressaten zu bestimmen, ein bestimmtes Verfahren für den Erlass von Rechtsverordnungen vorzusehen oder auf das Zitiergebot zu verzichten. 426 Die Verankerung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 GG 427 wiederum lässt den materiellen Gehalt des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG teilhaben an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. 428 Änderungen im Katalog der Anforderungen an die Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen sind allenfalls in geringem Umfang möglich. 429 Die Diskussion um die Änderbarkeit oder Verzichtbarkeit des Art. 80 Abs. 1 420 Vgl. hierzu die Diskussion zum Referat von F. Ossenbühl in: Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument des Rechtsstaats, 1998, S. 45 ff. und P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 549. 421 Von der Änderbarkeit des Wortlauts von Art. 80 GG gehen beispielsweise B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 2 a sowie H. Bauer, in: Dreier, GGK II, 1998, Art. 80, Rn. 50 aus. 422 Im Überblick M. Nierhaus, in: BK-GG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 67 f. 423 BVerfGE 41, 251, 266 (Schulverweis); BVerfGE 55, 207, 226 (Nebentätigkeitsverordnung NRW); 58, 257, 277 (Schulentlassung); 73, 388, 400. 424 BVerfGE 102, 197 (Spielbankengesetz Baden-Württemberg). 425 Vgl. mit weiteren Nachweisen U. Ramsauer, in: AK-GG II, Stand: 2002, Art. 80, Rn. 23; kritisch B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 2 a: Das BVerfG habe seinen Ausgangspunkt einer demokratischen und rechtsstaatlichen Anbindung der Länder ohne Festlegung auf das Modell des Art. 80 GG de facto aufgegeben, so dass in der Praxis kaum Unterschiede in der Überprüfung bundesrechtlicher und landesrechtlicher Verordnungsermächtigungen bestünden. 426 U. Ramsauer, ebd. 427 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 GG U. Volkmann, in: Berliner Kommentar II, Stand: 2003, Art. 20 (D), Rn. 37 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rn. 2 ff. 428 Vgl. K.-E. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GGK III, 4. Aufl. 2001, Art. 79, Rn. 75 ff., 109 ff. 429 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl. 2003, Art. 80, Rn. 46: Ein über Art. 80 GG hinausgehendes Verordnungsrecht der Exekutive wäre unbedenklich, solange die Leitentscheidungen beim Parlament verblieben.
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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S. 2 GG erweist sich damit im Blick auf das verfolgte Ziel der Wiederannäherung von Verfassungsrahmen und Praxis exekutiver Normsetzung als wenig zielführend. Vielmehr scheint umgekehrt das verfolgte Ziel ohne eine Wiederannäherung der Rechtsetzungspraxis an die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht erreichbar. Dieses Ergebnis bestätigt die Grundausrichtung der vorhergehend unternommenen Entfaltung spezifischer Rationalitätsmaximen auf die Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung. 430 3. Die Gewährleistung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen als Aufgabe der Politik. Die parlamentarische Beratung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes als Beispiel Allein mit den Instrumenten des Verfassungsrechts werden sich angesichts einer über Jahrzehnte hinweg eingeschliffenen Gesetzgebungspraxis keine umfassenden Verbesserungen im Hinblick auf die Erhöhung der gesetzlichen Regelungsdichte und eine erhöhte Wirksamkeit der verfassungsrechtlichen Formvorgaben erzielen lassen. Vielmehr kommt es ergänzend auf ein erneuertes gesellschaftliches und politisches Verständnis der gesetzlichen Regelungsdichte und der verfassungskonformen Rechtsformenwahl als Ausdruck der Gewährleistung der Verfassungsentscheidungen für Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip an.431 In diesem Sinne stellt Dieter Grimm für das System der staatlichen Rechtsetzung als ganzes fest, dass „einige der Bedingungen demokratischer Rechtsetzung von der inneren Disponiertheit der Beteiligten abhängen, die sich einer Anordnung entzieht“.432 Auch andere Autoren rufen das Parlament in die politische Verantwortung für die Ausrichtung der Rechtsetzungsorganisation, indem sie auf die Grenzen des Arguments der Nicht-Regelbarkeit im parlamentarischen Verfahren 433 verweisen. 434 Danach bedarf es zualVgl. vorhergehend 3. Teil, IV., 1., a)-c) und 2., a). Zu den Verfassungsentscheidungen für Rechtsstaat und Demokratie E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 47 ff. und 87 ff. 432 D. Grimm, in: FS Habermas, 2001, S. 489, 492. Die Verfassung sei in diesen Fällen darauf beschränkt, die Bedingungen der Möglichkeit herzustellen, indem sie Strukturen und Prozeduren vorgebe, die die Zielerreichung begünstigen, ders., ebd. 433 E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament?, 2004, S. 27; J. Ipsen, in: VVDStRL 48 (1990), S. 177, 192: Phänomene wie die Festlegung von Grenzwerten durch Verwaltungsvorschriften deuteten darauf hin, dass „nicht die Steuerungsfähigkeit des Rechts, sondern die Steuerungswilligkeit der rechtsetzenden Organe“ in Zweifel zu ziehen sei. R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1, Rn. 181: Die im Hinblick auf Generalklauseln mit weit gefassten unbestimmten Gesetzesbegriffen und ebenfalls weit gefassten Verordnungsermächtigungen unter demokratischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht unbedenkliche Rechtsetzungspraxis sei nur teilweise durch Sachzwänge wirklich geboten. Bei genauerem Hinsehen entziehe sich das Parlament vielmehr häufig bewusst seiner politischen Verantwortung, um ideologieanfällige Debatten im Bereich des Umweltschutzes nicht aus den Sitzungszimmern sogenannter Expertenzirkel an die Öffentlichkeit dringen zu lassen; aus der Politikwissenschaft zur Technikfolgenabschätzung als Aufgabe der Politikberatung T. Petermann, in: FS Hennis, 1998, S. 412 ff. 430 431
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
lererst seitens der gesetzgebenden Akteure eines geschärften Problembewusstseins sowohl hinsichtlich der Notwendigkeit der Verankerung der tragenden Grundsätze eines Rechtsgebiets in der Rechtsform des Gesetzes als auch für die Bedeutung einer rationalen Rechtsetzungsorganisation im Verhältnis von parlamentarischer Legislative und Ministerialverwaltung. 435 In der jüngeren Gesetzgebungsarbeit des Deutschen Bundestags finden sich durchaus Anknüpfungspunkte für ein solches erneuertes Verständnis der Gewährleistungen verfassungsrechtlicher Vorgaben als Aufgabe der Politik. Als Beispiel eines problembewussten und verfassungsorientierten Umgangs mit den Regelungsstrukturen einer anstehenden Kodifikation können die parlamentarischen Beratungen zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz angesehen werden. 436 Hier waren Aspekte der notwendigen Regelungsdichte des Gesetzes, des Verhältnisses von gesetzlicher Ermächtigungsstruktur und nachfolgenden Rechtsverordnungen sowie des übergeordneten Rechtsetzungsverhältnisses von Legislative und Exekutive Bestandteil der Plenardebatte. 437 Anlass für die nationale Kodifizierung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes war insbesondere die zur Umsetzung anstehende EG-Treibhausgas-Emissionszertifikate-Richtlinie. 438 Die Euro434 Zu den politisch-strukturellen Voraussetzungen der Demokratie auch E.-W. Böckenförde, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24, Rn. 69 ff., zur Voraussetzung eines demokratischen Ethos bei Bürgern und politischen Amtsträgern aaO, Rn. 74 ff. 435 Hierzu auch der Appell von P. Kirchhof, FAZ v. 4.9.2002, S. 8: „Jedes Verfassungsorgan hat in seinem Verantwortungsbereich Form und Stil zu pflegen, dem Verfassungsstaat damit insgesamt ein formgebundenes und stilvolles Gepräge zu geben, im übrigen aber auch andere Staatsorgane zu entlasten.“ 436 Als Signal gesteigerter Sensibilität lässt sich grundsätzlich auch die Etablierung des § 48 b BImSchG durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, BGBl. I 2002, 3622, verstehen, auch wenn die aus diesem Befund gezogene Konsequenz der Etablierung des parlamentarischen Ablehnungs- und Änderungsvorbehalts mit den Vorgaben der Art. 76 ff. GG nicht zu vereinbaren ist; vgl. zu den entscheidenden Beratungen im Umweltausschuss BT-Drs. 14/8895. Zur Intention des Gesetzgebers auch M. Nierhaus, in: BKGG VIII, Stand: 2004, Art. 80, Rn. 189: Der Bundesgesetzgeber suche mit der Statuierung von Änderungsvorbehalten in politisch wichtigen und sensiblen Fragen der Gesetzeskonkretisierung eine verstärkte parlamentarische Kontrolle auszuüben und (wirkliche oder vermeintliche) Steuerungsdefizite in diesem Bereich zu kompensieren. Im Weiteren gelangt auch Nierhaus zur Verfassungswidrigkeit derartiger Änderungsvorbehalte, ders., aaO, Rn. 203 ff. Eingehend 3. Teil, VII., 2., a). 437 Vgl. hierzu den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen, BR-Drs. 14/04; den gleichlautenden Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BT-Drs.15/2328; zur Ersten Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs das Protokoll der 87. Sitzung der 15. Wahlperiode vom 16.1.2004, S. 7663–7681; zum fast zeitgleich im Bundesrat stattfindenden Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 GG TOP 34 der 796. Sitzung des Bundesrates vom 13.2.2004 sowie die Stellungnahme des Bundesrates abgedruckt in BR-Drs. 14/04 (Beschluss). 438 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgas-Emissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. EG NR. L 275 S. 32).
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päische Gemeinschaft hat sich im Kyoto-Protokoll vom 11. Dezember 1997 zu einer Reduktion der Treibhausgase verpflichtet. 439 Diese Verpflichtung wurde im Rahmen einer EU-internen Lastenverteilung auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt. Nach der Grundidee des Emissionshandels teilt der Staat eine bestimmte Menge von – zunächst kostenlosen – Emissionszertifikaten an eine bestimmte Zahl von Anlagen zu. 440 Wer mehr Kohlendioxyd emittiert, muss Verschmutzungsrechte zukaufen, wer weniger benötigt, kann überschüssige Rechte verkaufen. 441 Die gleichlautenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthielten bei einem Gesamtumfang von insgesamt 25 Paragrafen Regelungen zur Notwendigkeit einer Genehmigung für die Freisetzung von Treibhausgasen (§ 4 TEHG-Entwurf), zur Ermittlung der Emissionen und entsprechender Berichterstattung (§5 TEHG-Entwurf), zum Zuteilungsverfahren für Emissionsberechtigungen auf der Grundlage eines nationalen Allokationsplanes (§§ 6–14 TEHG-Entwurf), zum Handel mit Emissionsberechtigungen (§15–16 TEHG-Entwurf) sowie zu entsprechenden Sanktionen. Der – auch nach Einschätzung der Bundesregierung 442 – materiell bedeutendste und entsprechend politisch umstrittenste 443 Regelungsgegenstand im Kontext des Treibhausgas-Emissionshandels ist der sog. Nationale Allokationsplan.444 Hier wird die Gesamtmenge der Zertifikate für die 2629 erfassten Anlagen in der Bundesrepublik 445 festgelegt, die das 439 BGBl. II 2002, 966. Das Kyoto-Ziel ist eine Reduktion der Kohlendioxyd-Emissionen von 2008 bis 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990; vgl. FAZ 25.2.2004, S.15. Skeptisch zur Erreichbarkeit effektiver Emissionsreduktionen mittels der aktuellen Regelungsmodelle G. Britz, UPR 2004, S. 55, 60. 440 Aus der Literatur zum Handel mit Emissionsreduktionseinheiten vgl. H.-W. Rengeling, DVBl. 2000, S. 1725 ff.; H.-J. Koch/A. Wieneke, DVBl. 2001, S. 1085 ff.; A. Voßkuhle, in: Energierecht zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, 2002, S. 159 ff.; U. Sudmann/A. Fisahn, UPR 2004, S. 414 ff.; A. Willand, Gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Standardisierung im Umweltrecht, 2003, S. 264. 441 Immer wieder in Bezug genommen wird die aus dem Jahr 1995 stammende freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft durch die Erklärung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und weiterer fünf Verbände, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bis zum Jahr 2005 gegenüber 1987 um bis zu 20 Prozent zu verringern, hierzu Süddeutsche Zeitung v. 11.3.1995, S. 19. 442 Die Regierungsbegründung zum TEHG-Entwurf spricht in diesem Zusammenhang von der „Zentralen Frage der Zuteilung von Berechtigungen an Emittenten“, Allgemeiner Teil der Regierungsbegründung, abgedruckt in BR-Drs. 14/04, Abschnitt A. 3. a. 443 Vgl. die Statements in der Anhörung zum TEHG vom 9.2.2004, dokumentiert im Protokoll Nr. 15/30 des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 444 Vgl. hierzu die Auseinandersetzung zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium im Februar 2004; siehe FAZ v. 25.2.2004, S. 15. 445 Rede des Bundesumweltministers J. Trittin vor dem Deutschen Bundestag im Rahmen der ersten Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen, Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7663.
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Minderungsgesamtziel definiert. Weiterhin wird hier auch entschieden, wie die Anfangsausstattung zwischen und innerhalb der fünf Sektoren Privathaushalte, Verkehr, Gewerbe, Industrie und Energiewirtschaft erfolgt. Heftig umstritten ist beispielsweise, inwieweit eine Bevorzugung von Gaskraftwerken gegenüber Kohleanlagen erfolgen sollte. 446 Nach dem Referentenentwurf des Bundesumweltministeriums vom Oktober 2003 sollte der Nationale Allokationsplan in der Rechtsform einer Rechtsverordnung auf der Grundlage des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz ergehen. 447 Von dieser Konzeption wurde bereits im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.12.2003 deutlich abgewichen. § 7 TEHG-Entwurf lautete: „Die Bundesregierung beschließt für jede Zuteilungsperiode einen nationalen Zuteilungsplan. Dieser ist die Grundlage für ein Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan; auf der Basis des Gesetzes erfolgt die Zuteilung. Der Zuteilungsplan enthält eine Festlegung der Gesamtmenge der in der Zuteilungsperiode zuzuteilenden Berechtigungen sowie Regeln, nach denen die Gesamtmenge der Berechtigungen an die Verantwortlichen für die einzelnen Tätigkeiten zugeteilt und ausgegeben wird.“
Insbesondere aufgrund der kaum vorhandenen Aussage zum materiellen Gehalt des nationalen Allokationsplans wirft die Regelung des § 7 TEHG-Entwurf im Hinblick auf die hier verhandelten Probleme der erforderlichen Regelungsdichte der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur und des hierin zum Ausdruck kommenden Verhältnisses legislativer und exekutiver Kompetenzen einige verfassungsrechtliche Bedenken auf. 448 Hieran vermag auch die Überführung des ursprünglich als Rechtsverordnung konzipierten Allokationsplans in ein Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan prima facie nicht zu ändern. Im Gegenteil – durch die weitreichende Bin446 Vgl. zur Kritik der CDU, der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der IG Bergbau, Chemie, Energie an diesem Ziel des Umweltministeriums den Bericht „Vor Spitzenrunde zum Emissionshandel Kritik an Trittin“, FAZ v. 25.2.2004. 447 BMU, Die Emissionshandels-Richtlinie, Paper zur Öffentlichkeitsinformation vom 9. Oktober 2003, veröffentlicht auf www.bmu.de, S. 4: „Der Allokationsplan soll auf Basis des Treibhausemissionshandels-Gesetz (TEHG) als Rechtsverordnung erlassen werden.“ 448 In der Rechtswissenschaft werden hierzu verschiedene Auffassungen vertreten. M. Burgi, NJW 2003, S. 2486, 2491 fordert sowohl für die Festlegung der Gesamtmenge der Zertifikate im nationalen Zuteilungsplan als auch für die Zuteilungskriterien die Form des Gesetzes. Dies ergebe sich unmittelbar aus dem Charakter als Eingriff in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG; J. Schlüter, NVwZ 2003, S. 1213, 1214 stellt ebenfalls auf die berührten Grundrechtspositionen ab, hält deswegen jedoch die Rechtsverordnung für die richtige Regelungsform des Nationalen Allokationsplanes. Durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz werde es möglich, mit Blick auf Art.80 Abs. 1 GG und die Wesentlichkeitstheorie den schmalen Grat zwischen einer im Sinne der Rechtssicherheit des Systems möglichst präzisen und engen Regelung einerseits und einer im Sinne der für die periodische Erneuerung des NAP notwendigen Praktikabilität möglichst offenen und flexiblen Regelung andererseits zu gehen. Kritisch im Blick auf den schließlich eingeschlagenen Weg L. Diederichsen/U. M. Erling, et 2004, S. 200, 202 nach welchen der Nationalen Allokationsplan „verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen“ stehen könnte.
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dung des Gesetzgebers an den Beschluss der Bundesregierung 449 wird die Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben wie etwa dem in Art.20 Abs.2 und 3 GG angeordneten Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes noch weitergehend in Zweifel gezogen. Dies ergibt sich vor allem auch daraus, dass sich derartige Rechtswirkungen eines „Regierungsbeschlusses“ im grundgesetzlichen Rechtsetzungssystem der Art. 76 ff. GG nur schwerlich verorten lassen. Die substantielle Bedeutung des Regierungsbeschlusses nach §7 S.1 des TEHG-Entwurfs zeigt sich auch darin, dass dieser bereits als Ausweis der bundesdeutschen Richtlinienumsetzung der EG-Kommission vorgelegt werden soll. 450 Die Stellungnahme der Kommission soll im nachfolgenden Verfahren zum Erlass des Gesetzes nach § 7 S. 2 1. Hs. TEHG-Entwurf als weiteres Orientierungsinstrument herangezogen werden. Im Rahmen der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag am 16.1.2004 wurde die aufgezeigte Gesetzesstruktur und das hierin ausgedrückte Verhältnis von Legislative und Exekutive zum Gegenstand der parlamentarischen Debatte. Gleichermaßen kam es zur Thematisierung der verfassungsrechtlichen Probleme: Zunächst stellte der Abgeordnete Peter Paziorek (CDU/CSU) fest, der vorgelegte Entwurf eines TEHG sei „nichts anderes als der Entwurf eines reinen Verfahrens-, Zuständigkeits- und Organisationsgesetzes“, 451 nach welchem lediglich aufgrund einer Kabinettsentscheidung und ohne die Möglichkeit einer parlamentarischen Einflussnahme die Meldung der Zuteilungsregelung an die EG-Kommission erfolgen solle. 452 Dies sei mit der Stellung des Parlamentes unvereinbar. 453 Dem Erfordernis der schwerpunktmäßigen gesetzlichen Festlegung von Prinzipien und Regeln der Zuteilung der Emissionszertifikate zu den einzelnen Sektoren 454 werde der TEHG-Entwurf nicht gerecht, obwohl die Europäische Union den einzelnen Staaten „in dieser Angelegenheit ganz gewaltige Entscheidungsmöglichkeiten“ gebe. 455 Auch der Abgeordnete Ulrich Kelber (SPD) betonte die Notwendigkeit der parlamentarischen Festlegung der Grundsätze der Zertifikatszuteilung, 456 wobei die Verteilung der Emissionen auf die einzelnen Anlagen nicht durch das Parlament, 449 Vgl. § 7 S. 2 TEHG-Entwurf: „Dieser [der von der Bundesregierung beschlossene nationale Zuteilungsplan, Anm. d. Verf.] ist Grundlage für ein Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan.“ 450 Die Regierungsbegründung zum TEHG-Entwurf spricht in diesem Zusammenhang von der „Zentralen Frage der Zuteilung von Berechtigungen an Emittenten“, Allgemeiner Teil der Regierungsbegründung, abgedruckt in BR-Drs. 14/04, Abschnitt A. 3. a. 451 Rede des Abg. P. Paziorek (CDU/CSU), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7665. 452 Rede des Abg. P. Paziorek (CDU/CSU), ebd. 453 Rede des Abg. P. Paziorek (CDU/CSU), ebd. 454 Im Bereich des Emissionshandels wird unterschieden zwischen den fünf Sektoren Privathaushalte, Verkehr, Gewerbe, Industrie und Energiewirtschaft. 455 Rede des Abg. P. Paziorek (CDU/CSU), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7665 f. 456 Rede des Abg. U. Kelber (SPD), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7668.
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sondern in einer Verordnung geregelt werden solle. Kelber verwies auf das später zu beschließende Gesetz zum Nationalen Allokationsplan, welches als das gegenüber dem TEHG „noch spannendere Gesetz“ regeln werde, welche Anlage wie viel emittieren dürfe und wie stark die Emissionen vermindert werden müssten. 457 Auch Birgit Homburger (FDP) 458 und Marie-Luise Dött (CDU/CSU) thematisierten die normativen Strukturen des künftigen Emissionshandelssystems. Dött äußerte „erhebliche Zweifel“ an der rechtlichen Zulässigkeit der vorgeschlagenen Kopplung des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan mit dem vorhergehenden Regierungsbeschluss in selbiger Angelegenheit sowie dessen Vorlage an die EG-Kommission und Veröffentlichung im Bundesanzeiger. 459 Bei dieser Konstellation bestünde die Gefahr, dass „die Entscheidung der Parlamentarier durch das vorgelegte Planungsverfahren in großem Umfang präjudiziert wird“. 460 Schließlich führte der Abgeordnete Hermann Scheer (SPD) aus, er halte es für „eine parlamentarische Selbstverständlichkeit“, dass ein im Bundestag zu behandelnder Gegenstand, „dem Parlament vorliegen muss, bevor der EU-Kommissar seine Prüfungen dazu vornimmt“. 461 Andernfalls sei eine Vorentscheidung zu befürchten, die nachträgliche Änderungen sehr erschwere. Scheer betonte, das Parlament habe jedenfalls „immer das Recht, Korrekturen vorzunehmen“ und solle sich „aus prinzipiellen Gründen den Parlamentsvorbehalt von niemandem infrage stellen lassen“. 462 Ähnliche Überlegungen wie in der Beratung des Deutschen Bundestages kamen auch in der Befassung des Entwurfs des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes durch den Bundesrat am 13.2.2004 zum Ausdruck. Die Stellungnahme des Bundesrates im Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 GG machte zunächst in verschiedener Hinsicht gegenüber der Regierungsvorlage gesteigerte Mitwirkungsbefugnisse geltend, insbesondere die Zustimmungsbedürftigkeit des gesamten TEHG nach Art. 84 Abs. 1 GG. 463 Vor allem aber forderte der Bundesrat eine komplette Neufassung der Zuteilungsregelungen, 464 so dass entgegen dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zunächst ein Gesetz über den Nationalen Allokationsplan verabschiedet werden sollte, welches die Gesamtmenge der in der Zuteilungsperiode zuzuteilenden Berechtigungen sowie Regeln zur Verteilung der Gesamtmenge Rede des Abg. U. Kelber (SPD), ebd. Zur Kritik an der Abtrennung des Nationalen Allokationsplans als „wichtigstem und entscheidenstem Element des Emissionshandels“ vom Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz vgl. die Rede der Abg. B. Homburger (FDP), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7670. 459 Rede der Abg. M.-L. Dött (CDU/CSU), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7677. 460 Rede der Abg. M.-L. Dött (CDU/CSU), ebd. 461 Rede des Abg. H. Scheer (SPD), Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 16. Januar 2004, S. 7678. 462 Rede des Abg. H. Scheer (SPD), aaO, S. 7679. 463 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 14/04 (Beschluss), S. 1. 464 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 14/04 (Beschluss), S. 14–17. 457 458
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enthalten sollte. Dann erst sollte durch die Bundesregierung auf dieser Grundlage für jede Zuteilungsperiode ein nationaler Allokationsplan aufgestellt werden.465 In der Begründung zu diesem Neufassungsvorschlag führt der Bundesrat aus: „Es ist Aufgabe der Legislative, wesentliche Eckpunkte und Kriterien der Verteilung der Emissionsanteile auf die Makrosektoren und der Zuteilung der Zertifikate festzulegen.“ 466 Der Bundesregierung als Exekutive komme dann die Aufgabe zu, auf dieser Grundlage einen konkreten Verteilungsplan auszugestalten. Die im vorliegenden Entwurf vorgesehene Fassung des § 7 gebe demgegenüber „zur Besorgnis Anlass, dass die wesentlichen Weichenstellungen bereits dem NAPG vorgelagert im Rahmen der Erstellung des Zuteilungsplans getroffen werden und dem parlamentarischen Gesetzgeber danach nur noch ein begrenzter Gestaltungsfreiraum verbleibt“. 467 In den Ausführungen des Bundesrates sind Anklänge an Elemente der Wesentlichkeitstheorie unüberhörbar. Dabei kann durchaus überraschen, dass die diskursive Subsumtion eines Regelungsgegenstandes unter die Wesentlichkeitstheorie keineswegs deren Untauglichkeit für die praktische Verteilung von Regelungsgegenständen zwischen Legislative und Exekutive zeigt. Im Gegenteil erweist sich die Wesentlichkeitstheorie als durchaus geeignete Richtschnur: Im Bereich des Handels mit Treibhausemissionen führt die Wesentlichkeitstheorie zu einer Zuordnung von Aspekten wie der Festlegung des Gesamtvolumens der zu verteilenden Emissionen und von Kriterien zur Aufteilung der Emissionszertifikate zwischen den einzelnen Sektoren zur Legislative – der Exekutive fällt die kleinteilige Verarbeitung der Vorgaben zu, so etwa die Zuordnung bestimmter Emissionskontingente an einzelne Anlagen und Unternehmen. 468 Auch wenn sich die in Bundestag und Bundesrat vorgetragenen staatsorganisationsrechtlichen Argumente letztlich nicht durchsetzen konnten 469 und das Treib465 Die vom Bundesrat vorgeschlagene Neufassung des § 7 TEHG lautet: „In einem Gesetz über den Nationalen Allokationsplan – NAPG –, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, werden die Gesamtmenge der in der Zuteilungsperiode zuzuteilenden Berechtigungen sowie Regeln, nach denen die Gesamtmenge der in der Zuteilungsperiode zuzuteilenden Berechtigungen an die Verantwortlichen für die einzelnen Tätigkeiten zugeteilt und ausgegeben werden, festgelegt. Die Bundesregierung beschließt auf dieser Grundlage für jede Zuteilungsperiode einen nationalen Allokationsplan, auf dessen Basis die Zuteilung erfolgt.“ 466 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 14/04 (Beschluss), S. 15. 467 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BR-Drs. 14/04 (Beschluss), S. 15. Da eine ausreichende und auch den bisherigen Zielsetzungen der Klimaschutzverpflichtung der deutschen Wirtschaft entsprechende Zuteilungsmenge für die einzelnen Unternehmen und Anlagen zu gewährleisten sei und darüber hinaus die Entscheidung über den Allokationsplan „wesentliche wirtschafts- und strukturpolitische Weichenstellungen“ beinhalte, forderte der Bundesrat zudem die Bundesregierung auf, das Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan noch vor der abschließenden parlamentarischen Beratung des TEHG einzubringen. 468 Hier zeigt sich die im 3. Teil, insbes. II., 2., b) geübte Kritik an der Wesentlichkeitstheorie weniger als Kritik des demokratischen Grundimpulses, sondern vielmehr als Kritik der rechtspraktischen Nicht-Einlösung der transportierten Zielsetzung. 469 Vgl. Plenarprotokoll der 2. und 3. Beratung der textgleich von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
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4. Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung
hausgas-Emissionshandelsgesetz in den verfassungsrechtlich prekären Elementen weitgehend unverändert den Bundestag passierte, 470 so schmälert dies den Gewinn der dargestellten parlamentarischen Beratungen für das hier vertretene Anliegen nicht. Entscheidend ist, dass es dem Deutschen Bundestag gelungen ist, zentrale verfassungsrechtliche Argumente aufzubauen und in der parlamentarischen Debatte zu verarbeiten. 471 Der Ersten Beratung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes lassen sich bedeutende Teile des diskursiven Instrumentariums entnehmen, das für die Entfaltung der politischen Aufgabe der Gewährleistung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen benötigt wird. Die Beratung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes zeigt Wege eines rationalen politischen Umgangs mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Regelungsstrukturen – auch und gerade unter den Rahmenbedingungen eines Regelungsgegenstandes von hoher Komplexität und fortschreitender Internationalisierung. Beide Eigenschaften kommen der Materie des Zertifikathandels zur Reduzierung von Kohlendioxyd-Emissionen unzweifelhaft zu. Die parlamentarische Debatte erweist sich als durchaus geeignet, verfassungsrechtliche Anforderungen an die Struktur und Form von Rechtzum TEHG Bundestags-Plenarprotokoll, 15. Wahlperiode, 87. Sitzung vom 12. März 2004, S. 8794 ff. 470 Vgl. zur vom Bundestag am 12.3.2004 verabschiedeten Fassung die vorhergehende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in BTDrs. 15/2681; zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat BR-Plenarprotokoll 798 v. 2.4.2004, S. 140 B; zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses BTDrs. 15/3250; schließlich das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz v. 8.7.2004, BGBl. I S. 1578, geändert durch Gesetz vom 21.7.2004, BGBl. I S. 1756. Zum zurückgenommen materiellen Regelungsgehalt der Zuteilungsverordnung 2007 v. 31.8.2004, BGBl.I 2255 deren § 1 S. 2: Die ZuV diene „der näheren Bestimmung der Berechnung der Zuteilung von Berechnungen zur Emission von Treibhausgasen, der im Zuteilungsverfahren nach § 10 Abs. 1 TEHG zu fordernden Angaben und der Art der beizubringenden Nachweise sowie deren Überprüfung.“ 471 Auch in den nachfolgenden Beratungen zum Gesetz über den Nationalen Zuteilungsplan waren die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte des Parlaments Gegenstand der Debatte. Thematisiert wurde zum einen der enorme Zeitdruck, unter dem das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt wurde (vgl. hierzu den Redebeitrag des Abg. E. U. v. Weizsäcker (SPD), Wortprotokoll der 106. Sitzung des Bundestages, 30.4.2004, S. 9654 sowie die Ausführungen der CDU/CSU-Fraktion im Protokoll der Beratungen im Umweltausschuss BTDrs. 15/3237, S. 9). Weiterhin wurde neben der Informationspolitik der Bundesregierung die Determinierung des parlamentarischen Willens durch den – gem. § 7 TEHG den Beratungen des Bundestages vorausliegenden und bereits an die EU-Kommission gemeldeten – Beschluss der Bundesregierung über den Nationalen Allokationsplan problematisiert (hierzu der Redebeitrag des Abg. G. Girisch (CDU/CSU), Wortprotokoll der 106. Sitzung des Bundestages, 30.4.2004, S. 9656: Den Allokationsplan mit einem Parlamentsvorbehalt zu versehen, sei nur Augenwischerei; der Bundesregierung sei es gelungen, die Abgeordneten außen vor zu lassen und diese durch den zeitlichen Druck zum Durchwinken des Gesetzes zu verurteilen). Schließlich wurde beanstandet, dass die inhaltliche Aussprache zum Gesetzentwurf im Plenum bei dessen Erster Beratung abgesetzt worden sei (hierzu die Ausführungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP-Fraktion nach dem Protokoll der Beratungen im Umweltausschuss, BT-Drs. 15/3237, S. 5 f.). Zur letztendlichen Fassung das Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 v. 26.8.2004, BGBl. I 2211.
IV. Rationalitätsmaximen für die zukünftige Rechtsetzungsorganisation
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setzungsstrukturen zu verarbeiten, wie sie sich insbesondere aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ergeben. 472 Somit zeigt sich die Hervorhebung der politischen Verantwortung namentlich des Deutschen Bundestages als berechtigtes und verwirklichungsfähiges Anliegen zur Unterfütterung und Durchsetzung der Rechtsetzungsrationalisierung am Maßstab der grundgesetzlich vorgegebenen Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung.
472 Vgl. zu einem weiteren Beispiel der gesetzgeberisch-parlamentarischen Nachverdichtung der Normstrukturen moderner Regelungsgegenstände die Beratungen zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das in Ablösung des Stromeinspeisungsgesetzes von 1990 am 1.1.2000 in Kraft getreten war, BGBl. I 2000, 305. Durch das Erste und Zweite Änderungsgesetz, BGBl. I 2004, 1459 und 3074 wurde zunächst eine erhebliche Erhöhung der normativen Regelungsdichte des EEG erreicht, indem das bisher 13 Paragrafen umfassende EEG durch eine Vielzahl von Ergänzungen und Konkretisierungen auf nunmehr 21 Paragrafen erweitert wurde. Im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens kam es auch zu wesentlichen materiellen Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage: Die Vergütungsdauer und die Vergütungshöhe für Strom aus Biomasse (§ 8 EEG) wurde erheblich ausgeweitet und beträgt nunmehr 20 Jahre statt wie im Entwurf vorgesehen 15 Jahre. Die Vergütungszuschläge für nachwachsende Rohstoffe als Einsatzstoffe in den Biomasseanlagen sowie für die Verwendung bestimmter Anlagentypen (§ 8 Abs. 2 bis 4 EEG) wurden bedeutend erhöht und zudem kumulativ ausgestaltet. Die Einspeisevergütung für Strom aus kleiner Wasserkraft bis 500 Kilowatt nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 wurde um 2 Cent auf 9, 67 Cent/kWh erhöht. Vgl. zum Ganzen den Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in BT-Drs. 15/2864 sowie J. Reshöft, ZNER 2004, S. 240 ff.
Gesamtergebnis Problemstellung, Methoden, Prämissen Die Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung gehört bislang in analytischer wie in verfassungstheoretischer Hinsicht zu den nur wenig bearbeiteten Instituten des deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrechts. Dies gilt zumal in Relation zur ungleich intensiveren rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Rechtsetzungsformen des Gesetzes einerseits und der nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Handlungsformen der Verwaltungsvorschriften und Satzungen andererseits. Die analytischen Defizite bestehen dabei weniger in quantitativer Hinsicht. Diesbezüglich ist die Dominanz der Rechtsverordnung als „häufigster Fundstelle für geltende Rechtssätze“ (P. Kirchhof, T. v. Danwitz) gut dokumentiert. Vielmehr ist es die qualitativ-funktionale Dimension der Rechtsverordnung, die wenigstens unter den Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns kaum erfasst ist. Die in der tradierten Staatsrechtslehre vorzufindende, zurückgenommene Positionierung der Rechtsverordnung als dem Gesetz dienende und dieses detaillierende Rechtsform erscheint angesichts der verbreiteten Analyse einer Ent-Parlamentarisierung und entsprechender Bedeutungsverluste für die parlamentarische Handlungsform des Gesetzes aktualisierungsbedürftig. Demgemäß nimmt die vorliegende Arbeit hier ihren Ausgang und unternimmt eine Bestimmung des funktionalen Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung unter den Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns. Der funktionale Zuschnitt der Rechtsverordnung wird dabei rekonstruiert als Ergebnis einer gesetzgeberischen Auswahl- und Zuordnungsentscheidung im Verhältnis mehrerer alternativ in Betracht kommender Rechtsetzungsformen, die als zweiter Abschnitt der Regulierung eines Sachbereichs der gesetzgeberischen Festlegung der zu erfüllenden Aufgaben oder zu erreichenden Zwecke nachfolgt. Dieser dogmatische Zugriff erfährt seine Begründung durch das Verständnis der die Verordnungskompetenz begründenden Ermächtigung als Delegation von Rechtsetzungsmacht. Danach delegiert auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 GG der parlamentarische Gesetzgeber als grundsätzlicher Träger der Rechtsetzungsmacht deren Ausübung für eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte Materie auf den Verordnungsgeber. Demgemäß bringt das Rechtsregime des Art. 80 Abs. 1 GG das Funktionsprofil der Rechtsverordnung in Abhängigkeit vom Gesetzgeber. Im Prozess des Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 76 ff. GG erfolgt die Funktionenzuordnung zur Rechts- und Handlungsform der Rechtsverordnung mit Statuierung der einschlägigen Delegationsnorm. Das Gebrauchmachen von der Ermächtigung durch den exekutiven Ver-
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ordnungserlass erweist sich dann als Aktualisierung der zuvor getroffenen legislativen Funktionenzuordnung. Die dergestalt umrissene erste Zielsetzung der Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung erfährt in Verpflichtung auf das Prinzip des Vorrangs des Verfassungsrechts eine methodische Erweiterung. Das Unterfangen eines Beitrags zur analytischen und verfassungstheoretischen Verortung der Rechtsverordnung im gegenwärtigen System staatlicher Rechtsetzungsorganisation verlangt danach als eine zweite Zielsetzung die Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung. Hierin liegt gleichermaßen die Chance und dritte Zielsetzung, auf der Folie der Analyse des gesetzgeberisch zugeordneten Aufgaben- und Leistungsprofils weiterführende Erkenntnisse zur Verfassungstheorie der Rechtsverordnung zu gewinnen. Schließlich sollen nach einer vierten Zielsetzung Wege zu einer Rekonstruktion der Rechtsverordnung als Rechtsetzungsform spezifischer Rationalitätsgarantien aufgezeigt werden. Die enge Ausrichtung der Arbeit auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Rechtsetzungsorganisation findet starke Bestätigung in der deutschen Verfassungsgeschichte, die nachdrücklich die „funktionale Abhängigkeit der staatsrechtlichen Begriffsbildungen von der jeweiligen Verfassungsstruktur“ (D. Jesch) zeigt. Die Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzende Differierbarkeit parlamentarischer und exekutiver Rechtssätze ist bereits das Ergebnis eines Voranschreitens der Verfassungsentwicklung, nämlich der Herausbildung unterscheidbarer Staatsgewalten. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entsteht auf der Folie der Entfaltung der formalen Dimension des Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit der doppelte Dualismus der Außenrechtssätze („Gesetz“ und „Rechtsverordnung“) und der exekutiven Normen („Rechtsverordnungen“ und „Verwaltungsverordnungen“). Mit der einsetzenden Verfassungsfundierung der Staatsorgane wird insbesondere durch Paul Laband die grundsätzliche Bindung der Rechtsverordnung an das Bestehen einer einfachgesetzlichen Ermächtigung entwickelt. Jedoch ist in der Konsequenz der formalrechtsstaatlichen Ausrichtung der Verfassung und des entsprechenden Fehlens materieller Verfassungsbindungen die Delegationsmacht des Gesetzgebers grundsätzlich nicht beschränkt. Dementsprechend entfällt der demokratische und grundrechtliche Gewährleistungsgehalt des Ermächtigungserfordernisses [Einl., II., 1.]. Im Verfassungsstaat des 20. Jahrhunderts erfahren mit der Verfassung auch die staatlichen Handlungsformen einen grundlegenden Bedeutungswandel, der zunächst das Gesetz erfasst, sodann aber auf die gesetzesakzessorische Rechtsverordnung ausstrahlt. Das Gesetz wird vom parlamentarisch-ständischen Instrument der Abwehr und Begrenzung staatlicher Herrschaft zur Grundlage des Staatshandelns [Einl., II., 2. u. 4.]. In der Konsequenz der Zerstörung des Verfassungsstaates in der Zeit des Nationalsozialismus [Einl., II., 3.] und der politischen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland für den demokratischen Rechts- und Sozialstaat kommt es zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Delegationsmacht des Gesetzgebers [Einl., II., 4.]. Denn das Demokratieprinzip fordert die weitest mögliche
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Rückführbarkeit jeglichen Staatshandelns auf den Willen des Volkes in institutioneller, personaler und sachlich-inhaltlicher Hinsicht und dementsprechend die grundsätzliche Konzentration der Rechtsetzungsbefugnisse bei der Volksvertretung. Die rechtsstaatlich und insbesondere grundrechtlich gebotene Bestimmtheit des Gesetzes erfasst auch das Delegationsverhältnis von Legislative und Exekutive. Für die Verordnungsgebung ist danach nicht nur deren formale, sondern auch eine materielle Kopplung an das ermächtigende Gesetz verlangt. Auf der Ebene des Gesetzes sind die Inhalte der Ermächtigung vorzuzeichnen und deren Grenzen festzusetzen [Einl., II., 4.]. Waren diese Grundsätze bereits in der Weimarer Reichsverfassung angelegt, so konnten sie sich doch – auch mangels verordnungsspezifischer verfassungstextlicher Absicherung – in der Staatspraxis nicht durchsetzen und wurden gar in ihr Gegenteil verkehrt. Dementsprechend finden die Anforderungen des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaats an die Verordnungsgebung im Grundgesetz, welches „erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte dem Prinzip des Vorrangs der Verfassung uneingeschränkt bindende Kraft verliehen“ hat (K. Hesse), in der Norm des Art. 80 Abs. 1 GG an zentraler Stelle ihre Verankerung. Erst diese verfassungstextliche Vorgabe der formellen und materiellen Gesetzesbindung bringt die Funktionsstruktur der Rechtsverordnung in die oben dargelegte Abhängigkeit von der gesetzgeberischen Zuordnung und ermöglicht den dieser Arbeit zugrunde liegenden dogmatischen Zugriff. Die auffallende Kontinuität der Begriffe „Gesetz“, „Rechtsverordnung“ und „Verwaltungsverordnungen/Verwaltungsvorschriften“ über den Wandel der Verfassungen hinweg steht dem gefundenen Ergebnis der unmittelbaren Verfassungsbedingtheit des jeweiligen Rechtsetzungssystems nicht entgegen. Im Gegenteil: Die terminologische Kontinuität lässt die Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von der jeweiligen Verfassungslage nur umso deutlicher hervortreten [Einl., II., 2. u. 5.]. Die grundlegende Bedeutung der Verfassungsgebundenheit der Rechtsetzungsorganisation zeigt sich auch in vergleichender Perspektive. Nach der Analyse ausgewählter Verfassungsordnungen des ausländischen öffentlichen Rechts und des Verfassungsverbundes der Europäischen Union bildet sich die ganze Vielfalt der Verfassungsordnungen – auch und gerade vor dem Hintergrund ihrer verbindenden Prinzipien – auch in der Rechtsetzungsorganisation ab. Verfassungskonstituierte Modelle weitgehender, originär exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse werden kontrastiert von Normensystemen, die streng auf Verfassungsprinzipien wie die Gewaltenteilung oder die Gesetzesbindung orientiert sind. Die kontrastierenden Organisationsstrukturen in der Verteilung der Rechtsetzung zwischen Legislative und Exekutive werden in unterschiedlicher Weise modifiziert durch Prozeduralisierungskomponenten und Notverordnungsrechte und erweisen sich als nachdrücklicher Beleg für die methodische Erweiterung und enge Ausrichtung dieser Arbeit auf die Verfassungsgebundenheit der Rechtsetzungsorganisation [Einl., III.].
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Erster Teil: Analyse und Typisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung am Beispiel des Umweltrechts Der Erste Teil der vorliegenden Arbeit zielt auf die Erstellung eines Aufgabenund Leistungsprofils der Rechtsverordnung unter den Bedingungen gegenwärtigen Staatshandelns. Dieses wird nach den vorgenannten Prämissen rekonstruiert als das Resultat einer gesetzgeberischen Auswahl- und Zuordnungsentscheidung im Verhältnis differierender Rechtsetzungsformen und gleichermaßen als Folie für weitergehende Erkenntnisse zur gegenwärtigen Theorie und Dogmatik exekutiver Rechtsetzung in den Teilen Zwei, Drei und Vier. Die Erfassung und Systematisierung der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung erfolgt im Anschluss an neuere methodische Entwicklungen der Staatsrechtslehre anhand des Referenzgebietes (E. SchmidtAßmann) Umweltrecht. Dieses ist als junges Rechtsgebiet prädestiniert für die Rezeption und Ausprägung moderner Rechtsentwicklungen [1. Teil, I.]. Die gesetzgeberische Funktionenzuordnung zur Rechtsverordnung lässt sich am Beispiel des Umweltrechts zwei strukturierenden Komplexen zuordnen, die sich orientieren an der besonderen Prägung des Rechtsgebiets durch die Konfrontation mit erheblichen technologischen Umbrüchen und strukturellen Ungewissheitsbedingungen einerseits [1. Teil, II.] und die Ausrichtung auf die Bewältigung der zunehmenden Überwölbung der nationalen Rechtsordnung durch europa- und völkerrechtliche Vorgaben andererseits [1. Teil, III.]. Im ersten Komplex der Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext technologischer Umbrüche und struktureller Ungewissheitsbedingungen wird diese Rechtsetzungsform eingesetzt zur Operationalisierung staatlicher Regulierungsexpansion [1. Teil, II., 1.], zur Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung [1. Teil, II., 2.], zur Verrechtlichung des Vorsorgeprinzips in einer eng dem Konzeptierungsgebot verpflichteten und einer Innovationsimplikationen aufnehmenden Variante [1. Teil, II., 3.], zur raumbezogenen Planung [1. Teil, II., 4.], zur Adaption des staatlichen Instrumentenwandels [1. Teil, II., 5.] sowie zur Vereinheitlichung und Regionalisierung des Verwaltungshandelns [1. Teil, II., 6.]. Den zweiten Komplex bilden Funktionen der Rechtsverordnung im Kontext der Internationalisierung der Rechtsordnung. Hier wird die Rechtsverordnung eingesetzt zur Inkorporation des EGRechts [1. Teil, III., 1.], zur Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen [1. Teil, III., 2.] sowie zur Bewältigung normstruktureller Systembrüche, insbesondere bei Konfrontation der konditional strukturierten Normprogramme des deutschen Verwaltungsrechts mit den finalen Strukturvorgaben des Europarechts [1. Teil, II., 3.]. Am Beispiel des Sachverständigenentwurfs für ein Umweltgesetzbuch von 1998 zeigt sich, dass die gegenwärtige Funktionenzuordnung zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung in der rechtspolitischen Projektion weitgehend rezipiert wird. Eine partielle Neuausrichtung bedeutet die weitergehende Prozeduralisierung des Verordnungsgebungsprozesses durch die Expansion der Beteiligungsrechte. Diese
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werden einerseits als Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Bundestages ausgeweitet, andererseits als Mitwirkungsrechte neu einzurichtender Gremien, welche die Beteiligung der Öffentlichkeit vermitteln [1. Teil, III.]. Nach der vorstehenden Analyse und Typisierung erweist sich die Rechtsverordnung als nicht allein quantitativ, sondern auch qualitativ-funktional dominierende Rechtsetzungsform gegenwärtigen Staatshandelns. Die Zusammenschau des umfassenden und variantenreichen Funktionsbereichs der Rechtsverordnung mit dem weit zurückgenommenen materiellen Gehalt der im parlamentarischen Verfahren zustande gekommenen Gesetze zeigt die weitgehende Überantwortung der Steuerungs- und Programmierungsarbeit an die exekutive Verordnungsgebung. Die These von der qualitativ-funktionalen Dominanz besteht auch gegenüber den nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Handlungsformen, zunächst unschwer gegenüber dem Satzungsrecht, sodann aber auch gegenüber den Verwaltungsvorschriften.Das bei Inblicknahme des Verhältnisses zu den weiteren Rechtsetzungsformen bestätigte Ergebnis unterfüttert die Überlegung, wonach die Verordnung das eigentliche „Steuerungselement des Rechtsstaates“ sei, „nicht das Gesetz“ (P. Badura) [1. Teil, V., 2.]. Zweiter Teil: Bausteine zur verfassungsrechtlichen Funktionssystematik der Rechtsverordnung Der Zweite Teil der Arbeit untersucht die verfassungsrechtliche Determinierung, welche die (gesetzgeberische) Funktionenzuordnung zur Rechtsverordnung erfährt [vgl. 2. Teil, vor I.]. Die kritische Rekonstruktion der bisher in der Literatur vorgelegten Systematisierungsansätze (insbes. v. A. v. Bogdandy) zu den verfassungsrechtlichen Funktionen exekutiver Rechtssätze ergibt ein differenziertes Bild. Als zutreffend erweist sich das Abstellen auf die Erhaltung der parlamentarischen Rechtsetzungskapazitäten. Hingegen lassen sich aus dem Grundgesetz keine verfassungsrechtlich zwingenden Zuordnungen einzelner Regelungsgegenstände zur Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung ableiten, ebenso wenig dementsprechende Delegationspflichten. Die Zuordnung von Regelungsgegenständen mit Kennzeichnung durch „sich rasch ändernde Umstände“, geheimhaltungsbedürftige Rechtsakte, das Eingreifen von Erfordernissen des „dynamischen Grundrechtsschutzes“ oder die Beabsichtigung einer „strukturierten Beteiligung der interessierten und betroffenen Gruppen“ zu den gesetzesakzessorischen Handlungsformen lässt sich also nicht über verfassungsrechtlich vorgegebene Delegationspflichten, sondern ausschließlich als Maxime der Rechtspolitik aktualisieren. Vielmehr überlässt das Grundgesetz das „Ob“ der Delegation dem Gesetzgeber, soweit sich dieser im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben, insbesondere des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bewegt [2. Teil, II.]. Sofern also Vorgaben der Verfassung an den delegierenden Gesetzgeber bestehen, sind es modale Vorgaben, die sich nicht auf das „Ob“, sondern auf das „Wie“ der De-
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legation beziehen. Finden sich derartige Vorgaben, so besagen sie ihrer Anordnungsstruktur nach: Grundsätzlich steht die Delegation eines Regelungsgegenstandes im („Entschließungs“-) Ermessen des Gesetzgebers, hat er sich jedoch einmal für die Delegation entschieden, so gehen mit der Delegation spezifische verfassungsrechtliche Funktionszuordnungen zur Rechtsform der Rechtsverordnung einher, deren Zuordnung dem Gesetzgeber vorgegeben ist. Diese verfassungsrechtlich determinierten Funktionen lassen sich begrifflich als Grundmodus der Rechtsverordnung erfassen, da sie von Verfassungs wegen Teil einer jeden Funktionszuordnung sind, die mit Statuierung der Delegationsnorm vorgenommen wird. Demgegenüber bilden die der Disposition und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unterliegenden Funktionen als Ort der (rechts-)politischen Ausgestaltung eines Rechtsgebiets den Steuerungsmodus der Rechtsverordnung. In der Konsequenz dieser Erkenntnis und dementsprechender Erweiterung des dargestellten Systematisierungsansatzes wird die im Folgenden vorgenommene Herleitung der verfassungsrechtlichen Funktionssystematik entscheidend an dem Aspekt der verfassungsrechtlich vermittelten Funktionsexklusivität ausgerichtet [hierzu 2. Teil, vor II.]. Begrifflich wird eine demgemäß nicht nur verfassungsrechtlich (1. Voraussetzung), sondern auch funktionsexklusiv im Verhältnis zu anderen Rechtsetzungsformen (2. Voraussetzung) dem Grundmodus zugeordnete Funktion als Primärfunktion der Rechtsverordnung bezeichnet. Demgegenüber werden alle dem Steuerungsmodus zuzuordnenden Verordnungsfunktionen, die die dargelegten Voraussetzungen nicht erfüllen, als Sekundärfunktionen erfasst [2. Teil, vor II.]. Nach den dargelegten Voraussetzungen konstituiert sich der Grundmodus der Rechtsverordnung durch folgende Primärfunktionen [2. Teil, I., 2.]: 1. Entlastung des Parlaments (als Primärfunktion im Verhältnis zum Gesetz) 2. Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts (als Primärfunktion im Verhältnis zu den Satzungen und Verwaltungsvorschriften). Im Rahmen der Herleitung der zweiten Primärfunktion gelingt eine verfassungstextliche Begründung der allgemeinverbindlichen Rechtswirkung der Rechtsverordnung: Danach wird die zunächst aufgrund des Art. 20 Abs. 3, 2. Hs. GG allein dem Gesetz eigene allgemeinverbindliche Rechtswirkung durch die Konstituierung des Art. 80 Abs. 1 GG als Teil des Siebten Abschnitts des Grundgesetzes (Die Gesetzgebung des Bundes) auf die Rechtsverordnung erstreckt. Keine Primärfunktionen sind insbesondere die Funktionen der „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“ [2. Teil, II., 3.] und der „Setzung abstrakt-genereller Normen“ [2. Teil, II., 4.]. Beide Größen unterliegen der Gestaltungsfreiheit, die dem einfachen Gesetzgeber bei Zuschnitt des Aufgaben- und Leistungsprofils exekutiver Rechtsetzung zukommt. Dieser ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, etwa mittels extensiver Ausgestaltung der Verfahrensstrukturen die Zeitschiene der Verordnungsgebung jener des Gesetzgebungsverfahrens anzugleichen oder gar darüber hinaus zu gehen. Gleiches gilt für den Erlass von Einzelfallverordnungen. Sowohl
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die „Beschleunigung und Flexibilisierung der Rechtsetzung“ als auch die „Setzung abstrakt-genereller Normen“ gehören als Sekundärfunktionen dem Steuerungsmodus der Rechtsverordnung an [2. Teil, III.]. Gleiches gilt für eine, in der Folge der gesetzgeberischen Rechtsformwahl- und -gestaltungsfreiheit nach oben offene, weitere Zahl von Verordnungsfunktionen [vgl. die Aufstellung unter 2. Teil, III., 1.]. Die dargelegte verfassungsrechtlich fundierte Abgrenzung der Rechtsverordnung zum Gesetz einerseits und zu den nicht-verordnungsrechtlichen untergesetzlichen Handlungsformen andererseits ermöglicht jedoch nicht nur die Erfassung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit beim Zuschnitt des Aufgaben- und Leistungsprofils der Rechtsverordnung. Auch darüber hinaus erschließt sie brachliegendes theoretisches und dogmatisches Potential: Insbesondere lässt sich im Sinne einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen (Theorie des „Regulatory Choice“, G. F. Schuppert) der originäre Bereich und das eigenständige Leistungsprofil der Rechtsverordnung bestimmen. Nach den hier gewonnen Erkenntnissen kommt die Rechtsverordnung immer dann zur Anwendung, wenn einerseits eine Entlastung des Parlaments angestrebt wird, andererseits aber zugleich in dekonzentrierender Perspektive allgemeinverbindliches Recht gesetzt werden soll [2. Teil, III., 2.]. Hierunter fällt auch der Fall, das zur Erreichung des Einerseits das Andererseits hingenommen wird und umgekehrt. Unter Aufnahme der in Art. 80 Abs. 1 GG angeordneten engen Gesetzesbindung ergibt sich für die Verortung der Rechtsverordnung innerhalb einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen: Die Rechtsverordnung ist das Instrument der (1) gesetzesakzessorischen, (2) dekonzentrierenden, (3) auf Allgemeinverbindlichkeit abzielenden (4) Selbst-Entlastung des Parlaments. Dritter Teil: Die Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung Die im Dritten Teil der Arbeit unternommene Konfrontation der gesetzgeberischen Funktionenzuordnung mit dem Verfassungsrahmen exekutiver Rechtsetzung ist im Ausgangspunkt dem über Art. 20 Abs. 3 GG, aber auch über Art. 1 Abs. 3 GG abgesicherten Vorrang des Verfassungsrechts geschuldet [vgl. 3. Teil, vor I.]. Demnach ist die mit der Analyse und Typisierung des einfachen Rechts belegte Entfaltung der Rechtsverordnung zur sowohl quantitativ als auch qualitativ-funktional dominierenden Rechtsform eine zwar weitreichende und überaus aufschlussreiche Erkenntnis, für sich genommen aber nicht hinreichend, wenn es um die Verortung der Rechtsverordnung im gegenwärtigen System der Rechtsetzungsorganisation geht [vgl. bereits in der Einl., I., 3.].
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1. Von diesem verfassungsdogmatischen Ausgangspunkt wendet sich die Untersuchung den verfassungsrechtlichen Implikationen der gegenwärtigen Regelungsstruktur staatlicher Problembewältigung zu [3. Teil, I.]. Die auf der Analyse des Ersten Teils aufbauende Untersuchung des Referenzgebietes Umweltrecht zeigt die weitgehende Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen, die mit der Verlagerung bedeutender materieller Regelungssubstanz in die untergesetzliche Rechtsetzung einhergeht, als nachhaltige Gefährdung der Gewährleistungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, aber auch der grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalte in ihren grundrechtlichen, rechtsstaatlichen und parlamentarisch-demokratischen Dimensionen [3. Teil, I., 1]. Den Gesetzeszwecken (wie sie in § 1 BImSchG, § 1 GenTG, § 1 BBodSchG, § 1 a WHG, § 1 KrW-/AbfG formuliert sind) kommt aufgrund ihrer durchweg offenen Fassung kaum determinierende Wirkung zu, zumal dann nicht, wenn schon im Wortlaut ein grundsätzlich ambivalenter Charakter zum Ausdruck kommt, wie etwa bei der Festlegung von Schutz- und Förderpflicht in § 1 GenTG [3. Teil, I., 2.]. Die oftmals mit dem pointierenden Wort von der im Umweltrecht vorherrschenden „umgekehrten Wesentlichkeitstheorie“ (J. Salzwedel) charakterisierte Regelungsstruktur lässt sich erfassen als „Erosionsprozess legal-demokratischer Herrschaft“ (H. Hofmann, H. Dreier). Die anhaltende Verlagerung bedeutender Regelungsaufgaben auf die Exekutive ist Ausdruck der weitgehenden Verhaftung des Gesetzgebers im wissenschaftstheoretisch überholten Paradigma des institutionellen Erkenntnisvermögens, in dessen Anwendung auf das Verwaltungsrecht der Gesetzgeber der Exekutive die gegenüber Legislative und Judikative relativ größte Erkenntnisfähigkeit zuspricht [3. Teil, I., 3.]. Maßgeblich befördert durch die grundlegende Kalkar-Entscheidung in BVerfGE 49, 89 hält der Gesetzgeber noch immer an dieser Grundposition fest, anstatt zu einer normstrukturellen Umsetzung des wissenschaftstheoretischen Paradigmenwechsels zu kommen, der dahin geht, dass wissenschaftliche Erkenntnis im allgemeinen und die Bestimmung von Umweltschädlichkeitsschwellen im besonderen keine Fragen der objektiven Erkennbarkeit, sondern der normativen Festlegung sind [3. Teil, I., 4.–6.]. Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Absicherung erfährt die im Ersten Teil herausgearbeitete Entfaltung der Rechtsverordnung als Instrument der Politik [3. Teil, I., 7.]. In einer Reihe von Entscheidungen billigt die Rechtsprechung die Delegation auch weitreichender Prognoseentscheidungen und entsprechender Beurteilungsspielräume [3. Teil, I., 7. b)]. Die Rechtswissenschaft hat zur dogmatischen Erfassung der Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers verschiedene Strukturierungsvorschläge entwickelt [3. Teil, I., 7., a)], so insbesondere die Unterscheidung zwischen volitiven und kognitiven Elementen der Verordnungsgebung (T. v. Danwitz). 2. Weiterhin gelingt die Aufklärung der Rückwirkungen zwischen der gesetzgeberischen Zuordnung der Verordnungsfunktionen und der Beschaffenheit der Verordnungsermächtigungen: Hier zeigt sich ein folgenreiches Spannungsverhältnis zwischen der optimalen Umsetzung einzelner Funktionen der Rechtsverordnung, die wie etwa die Beschleunigungs- und Flexibilisierungsfunktion oder die Funktion der Inkorporation des europäischen Richtlinienrechts nach einer möglichst determi-
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nierungsschwachen Ermächtigungsnorm verlangen, und den Anforderungen der Verfassung, die in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG die gesetzgeberische Vorgabe von „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ vorgibt [3. Teil, II., 1.]. Je variantenreicher das Aufgaben- und Leistungsprofil der Rechtsverordnung zugeschnitten wird, desto stärker wird der Druck auf die Ermächtigungsnorm. Einzelne Funktionszuordnungen, die für sich genommen von der Verfassung zumindest hingenommen, in den Fällen der Primärfunktionen sogar dezidiert vorgesehen sind, werden in ihrem Zusammentreffen zum verfassungsrechtlichen Problem [3. Teil, II., 1.]. Der aufgezeigte Konflikt kulminiert in der Handhabung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat hier nach anfänglich restriktiver Auslegung die Anforderungen an die gesetzliche Regelungsdichte deutlich zurückgenommen. Ein methodischer Wendepunkt ist die Öffnung für die verfassungskonforme Auslegung der Ermächtigungsnorm [3. Teil, II., 2., a)]. Eine erhebliche Schwächung für Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG bedeutete auch die Entfaltung der Wesentlichkeitstheorie durch das BVerfG [3. Teil, II., 2., b)]. Einzelne Funktionen der Rechtsverordnung finden über die Figur der „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ Eingang in die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Denn indem das BVerfG die Anforderungen an Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG an den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstandes ausrichtet, stellt es auf den Aufgabenzuschnitt der spezifischen Rechtsverordnung ab und modifiziert damit die Bestimmheitsanforderungen an eine Ermächtigungsstruktur durch das Profil der zugeordneten Funktionen. Diese werden damit in der Verfassungsrechtsprechung zu Legitimationsfiguren, ihrerseits modifiziert durch die im Gefolge der Wesentlichkeitstheorie eingezogene „Grundrechtswesentlichkeit“ [3. Teil, II., 2., e)]. Das Abstellen auf die „sachbereichsspezifischen Besonderheiten“ offenbart, dass das BVerfG die Überprüfung einer Verordnungsermächtigung am Maßstab des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entgegen den Ausführungen in ständiger Rechtsprechung [3. Teil, II., 2., c)] nicht ausschließlich am Kriterium der „hinreichenden Bestimmtheit“ vornimmt [3. Teil, II., 2., d.)]. Wenn hinreichende Bestimmtheit nicht erreichbar erscheint (etwa aufgrund defizitärer Wissensbestände) wird vielmehr auf die innerhalb eines Sachbereichs maximal erreichbare Regelungsdichte abgestellt. Dieser Umstand zeigt die verdeckte Kontinuität des vermeintlich Anfang der 1950er Jahre verabschiedeten Möglichkeitskriteriums [3. Teil, II., 2., d.)]. Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist in der Literatur mehrheitlich zustimmend aufgenommen worden, allerdings erheben sich auch zahlreiche kritische Stimmen [3. Teil, II., 2., g)]. Über deren Rekonstruktion hinaus unterbreitet die Arbeit im Blick auf die praktischen Möglichkeiten einer Wiederannäherung von Gesetzgebungspraxis und verfassungsrechtlichen Vorgaben einen Vorschlag für ein Rechtsregime der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Handhabung von Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, das sich an der in BVerfGE 106, 62 (Altenpflege) entwickelten neuen Verfassungsrechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG orientiert [3. Teil, II., 2., g) am Ende]. 3. Der Gehalt des Art. 80 Abs. 1 GG lässt sich rekonstruieren als grundgesetzliche Anordnung einer dualen Gesetzesbindung der Rechtsverordnung. Danach er-
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öffnet der Gesetzesvorbehalt des Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG für die Rechtsverordnung einen formalen Strang der Gesetzesbindung, die Bestimmtheitsklausel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG einen materiellen Strang der Gesetzesbindung [3. Teil, II., 1.]. Die mit der Verschiebung der Vollzugsfähigkeitseröffnung auf die Verordnungsebene und der Herausbildung einer „mittleren Steuerungsebene“ verbundene Entleerung der Ermächtigungsnormen bedeutet die strukturelle Aushöhlung der Bestimmtheitsklausel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, kappt sukzessive den materiellen Strang der Gesetzesbindung und lässt die Rechtsverordnung zusehends zur nurmehr formal gesetzesgebundenen Rechtsform werden [3. Teil, II., 4.]. In dieser konstruktiven Neuausrichtung verwischen die Grenzen der heteronomen Rechtsverordnung zur Rechtsform der autonomen Satzung, die verfassungsrechtlich gleichermaßen einer formalen gesetzlichen Ermächtigung bedarf, dem Prinzip nach aber keine „Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber“, sondern die Rechtsform der „Selbststeuerung“ der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaft darstellt (F. Hufen). Bei Entfallen der materiellen Gesetzesbindung wird die Trennwand zwischen Rechtsverordnung und Satzung aufgelöst, ohne dass die spezifischen verfassungsrechtlichen Sicherungen, die der autonomen Satzungsrechtsetzung auferlegt sind (BVerfGE 33, 125 – Facharzt), auf die Rechtsverordnung übertragen würden: Die Begrenzung der Bindungswirkung auf einen spezifischen Kreis von Körperschaftsangehörigen, die unmittelbare Legitimation des Satzungsgebers durch die Satzungsunterworfenen und die Fortgeltung des Gesetzesvorbehalts. Nimmt man die dargelegte Unterscheidung der Steuerungsstruktur beider Rechtsformen ernst, so ergibt sich: Mit Entfallen der materiellen Gesetzesbindung wird die Rechtsverordnung vom Instrument der Fremdsteuerung durch den Gesetzgeber zum Instrument der exekutiven Selbststeuerung [3. Teil, II., 5.]. Die von BVerfG und herrschender Lehre oftmals an die Stelle des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG gesetzte Wesentlichkeitstheorie vermag die eintretenden Verluste nicht auszugleichen: Weder vermag sie der Rechtsverordnung eine entsprechende materielle Gesetzesbindung zu vermitteln, noch eine substantielle dogmatische Eigenständigkeit gegenüber dem Satzungsrecht zu begründen, beansprucht sie doch in beiden Fällen gleichermaßen als Maßstab des Gesetzesvorbehaltes zum Einsatz zu kommen [3. Teil, III., 6.]. 4. In ambivalenter Weise wirken die Vorgaben des Europarechts auf die Stellung der Rechtsverordnung im System gegenwärtiger Rechtsetzungsorganisation ein. Zunächst erfährt die Rechtsetzungsform der Rechtsverordnung eine nachhaltige Stabilisierung, indem der Europäische Gerichtshof die Verwaltungsvorschriften aus dem Kreis der tauglichen Umsetzungsrechtsformen verbannt [3. Teil, IV., 1.]. Im weiter an Bedeutung gewinnenden Bereich der Transformation europarechtlicher Vorgaben wurden die Verwaltungsvorschriften weitestgehend durch die Rechtsverordnung abgelöst. Diese Stabilisierung der Rechtsetzungsform Rechtsverordnung geht jedoch einher mit einer strukturell gegenläufigen Entwicklung, die die einschlägigen Rechtsverordnungen an den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vorbeiführt [3. Teil, IV., 2.]. Denn viele der unter dem Einfluss der EuGH-Rechtsprechung neu gefassten Verordnungsermächtigungen sind von frap31 Saurer
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pierender Unbestimmtheit, so etwa die Ermächtigungsnormen der §§ 6 a WHG, 48 a BImSchG, 57 KrW-/AbfG [3. Teil, IV., 2.; Normtextanalyse vorhergehend in 1. Teil, III., 1., b), (2) und 3. Teil, III., 1.]. Entgegen in der Rechtswissenschaft vertretener Auffassungen findet sich für die abgesenkte Regelungsdichte dieser Ermächtigungsnormen keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung: Weder vermag die inhaltliche Ausrichtung auf die jeweiligen Gesetzeszwecke eine hinreichende Determinierung zu vermitteln, noch die nachgelagerte Zustimmung des Bundestages eine entsprechende Aufwertung herbeizuführen [3. Teil, IV., 3., a) und b)]. Auch eine Rechtfertigung unter Verweis auf die europarechtliche Zweckrichtung der betreffenden Ermächtigungsnormen scheidet aus. Dies insbesondere aufgrund der dem Gesetzgeber im Bereich der Richtlinientransformation verbleibenden Freiheit in der Wahl der Rechtsetzungsformen, nach welcher die Alternative des Umsetzungsgesetzes stets offen steht [3. Teil, IV., 3., b)]. Besondere Brisanz erfährt die geringe Regelungsdichte der europarechtlich intendierten Globalermächtigung vor dem Hintergrund des dem Bereich des EG-Richtlinienrechts immanenten strukturellen Problems der zweistufigen Exekutivrechtsetzung. Hier ergeben sich nachhaltige Verluste im Bereich des Demokratieprinzips, wenn zunächst auf der ersten Ebene der Richtlinienrechtserzeugung mit dem Europäischen Rat ein Rechtsetzungsorgan tätig wird, das sich aus der mittelbaren Legitimation der mitgliedstaatlichen Regierungen speist und sodann auf der zweiten Ebene der nationalstaatlichen Transformation mit dem Rechtsverordnungsgeber erneut ein Exekutivorgan handelt [3. Teil, IV., 4.]. 5. Nicht nur die Auflösung des materiellen Strangs der Gesetzesbindung im Verhältnis von Rechtsverordnung und Satzung erweist sich als kategoriale Infragestellung des grundgesetzlichen Systems der Rechtsetzungsformen, gleiches ergibt sich auch für das Verhältnis von Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschriften [3. Teil, V.]. Hier ist es weniger die Ausgestaltung der Verordnungsgebung als vielmehr die gesetzgeberische Handhabung der Verwaltungsvorschriften, die sich als Ausdruck einer sukzessiven Auflösung der Rechtsformdifferenzen zeigt [3. Teil, V., 1.]. Hier schlägt sich der weitgehend funktional äquivalente Einsatz beider Rechtsformen nieder, den die Analyse und Systematisierung des Ersten Teils gezeigt hat [vgl. nochmals 1. Teil, V., 2., b)]. Der Gesetzgeber unterfüttert diese Parallelisierung durch die (verfassungsrechtlich nicht vorgesehene oder geforderte) ausdrückliche Statuierung von Ermächtigungsnormen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften, die auch Regelungen zur Beteiligung des Bundesrates und gesellschaftlicher Akteure enthalten [3. Teil, V., 2.]. Die hiermit intendierte Absicherung ausgedehnter Schnittmengen in der Rechtsqualität von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften vermag sich vor den Anforderungen der Verfassung nicht zu behaupten: Die eingehende Auseinandersetzung der in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung erörterten Konzepte zur Begründung (partieller) Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften zeigt: Weder die Argumentationsfiguren der „antizipierten Sachverständigengutachten“ (BVerwGE 55, 250 – Voerde) und „normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften“ (BVerwGE 72, 300 – Wyhl), noch die „normative Er-
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mächtigungslehre“ (E. Schmidt-Aßmann) oder Anleihen an eine Netzwerktheorie (K.-H. Ladeur) führen an der durch Art. 20 Abs. 3 GG und den Siebten Abschnitt des Grundgesetzes konstituierten Beschränkung der allgemeinverbindlichen Rechtsformen auf Gesetz und Rechtsverordnung vorbei [zur eingehenden Begründung dieser Rechtswirkung für die Rechtsverordnung 2. Teil, II., 2., a)]. Gleichermaßen stehen die grundgesetzlichen Vorgaben der Theorie eines eigenständigen exekutiven Verordnungsrechts ohne einzelgesetzliche Ermächtigung entgegen, wie sie in der Staatsrechtslehre bis in die Gegenwart auch von prominenten Autoren (E.-W. Böckenförde, F. Ossenbühl) vertreten wird [3. Teil, V., 3.]. 6. Die ausgedehnte Verordnungspraxis des Bundesgesetzgebers zieht Komplikationen im Bundesstaatsverhältnis nach sich. Vermittelt durch die Kollisionsnormen der Art. 31 und 70 ff. GG führt die extensive Statuierung von Verordnungsermächtigungen zugunsten des Bundes zur Verdrängung entsprechender Landeskompetenzen [3. Teil, VI., 2.]. Die gleichermaßen extensive Beteiligung des Bundesrates vermag dieser Entwicklung nur bedingt entgegenzuwirken, da dieser als Bundesorgan konstituiert ist und sich zudem für die degradierten Landesparlamente kein Ausgleich ergibt [3. Teil, VI., 1. u. 2.]. In ähnlicher Weise stellt sich die Neuerung des Art. 80 Abs. 4 GG, nach welcher an die Landesregierungen delegierte Rechtsetzungskompetenzen auch durch die Landesparlamente wahrgenommen werden können, als weitestgehend wirkungsloses Instrument zum Ausgleich verlorener Länderkompetenzen dar [3. Teil, VI., 4.]. Die als Problem der weiteren Einengung von Landeskompetenzen erörterte Frage nach der Sperrwirkung unausgefüllter Verordnungsermächtigungen erfährt eine differenzierte Beantwortung: Zwar resultiert aus den eben bezeichneten Anordnungen des Grundgesetzes die grundsätzliche Verdrängung aller kollidierenden Länderkompetenzen, jedoch kann insbesondere aus der Neufassung des Art. 72 GG mit der Verfassungsreform des Jahres 1994 auf die Zulässigkeit einer Relativierung der Sperrwirkung in bestimmten Ausnahmefällen geschlossen werden [3. Teil, VI., 2., b)]. 7. Vielfach verbindet der Gesetzgeber das Zustandekommen einer Rechtsverordnung mit der Einräumung von gesellschaftlichen oder parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalten. So kommt es etwa zur Beteiligung der Öffentlichkeit mittels der Anhörung beteiligter Kreise oder der Etablierung von Sachverständigenkommissionen. Diese Praxis der Öffentlichkeitsbeteiligung erweist sich als verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit die materiellen Entscheidungsbefugnisse bei den zur Entscheidung berufenen staatlichen Organen verbleiben [3. Teil, VII., 1.]. Komplizierter ist die Lage bei den variantenreichen Erscheinungsformen der parlamentarischen Mitwirkungsvorbehalte, die von der schwachen Beteiligungsform bloßer Kenntnisgabevorbehalte über die Anordnung von Zustimmungs- und Ablehnungsrechten bis hin zum Recht der parlamentarischen Abänderung von Verordnungsentwürfen reichen [3. Teil, VII., 2.]. Die verfassungsrechtliche Würdigung dieser Erscheinungsformen belegt zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Kenntnisgabe-, Zustimmungs- und Ablehnungsvorbehalte und wendet sich dann den umstrittenen Änderungsvorbehalten wie §§ 48 b BImSchG und 59 KrW-/AbfG zu. Da31*
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bei erweisen sich verschiedene in der neueren Literatur vorzufindende Rechtfertigungs- und Differenzierungsansätze als nicht tragfähig, so dass die letztgenannte Fallgruppe verfassungsrechtlich nicht haltbar ist [3. Teil, VII., b), (1)-(4)]. Unter dem Aspekt der kategorialen Infragestellungen der Rechtsetzungsformen zeigt sich der abändernde parlamentarische Zugriff auf exekutiv gesetztes Verordnungsrecht als Gefährdung der Formdifferenz zwischen Gesetz und Rechtsverordnung. Die verfassungsrechtliche Kritik der ausgeweiteten Beteiligungsstrukturen wäre unvollständig ohne Erfassung der Kompensationsdimension. Denn mit der Ausweitung und Verrechtlichung der Mitwirkungsrechte werden nicht nur Ziele der Integration verschiedenartigen Sachverstandes und der Vorklärung politischer Konfliktlagen verfolgt. Vielmehr stellen die Mitwirkungsrechte auch eine unmittelbare Bezugnahme des Gesetzgebers auf das verstetigte Phänomen der materiellen Entleerung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen dar. Die mit dieser Entleerung einhergehenden Verluste sollen insbesondere im Bereich des Demokratieprinzips durch gesellschaftliche und parlamentarische Beteiligungsformen kompensiert werden [3. Teil, VII., 4.]. In Auseinandersetzung dieser in der Literatur weithin unterstützten Kompensationsstrategien des Gesetzgebers vermag die vorliegende Arbeit jedoch unter Rekonstruktion des Art. 80 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlicher Kompensationsregel nachzuweisen, dass die ausfallende Legitimationsleistung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens im Sinne der Art. 76 ff. GG weder durch eine ausgeweitete Beteiligung gesellschaftlicher Kreise und Sachverständigenkommissionen, noch durch nachfolgende einfache Parlamentsbeschlüsse oder eine spezifische Zweckrichtung der Verordnungsermächtigung ausgeglichen werden kann [3. Teil, VII., a) –c)]. Vierter Teil: Die rechtliche Rationalität der Rechtsverordnung Im Vierten Teil wird der Versuch unternommen, das spezifische Rationalitätspotential der Rechtsverordnung aufzuzeigen und in Rationalitätsmaximen im Hinblick auf die zukünftige Rechtsetzungsorganisation zu übersetzen. Dargelegt wird zunächst die Rationalität des der Rechtsverordnung zukommenden regelmäßig abstrakt-generellen Charakters. Diese Regelungsstruktur ist entgegen einer langen vernunftrechtlichen Tradition [4. Teil, I., 1.] unter dem Grundgesetz nurmehr regelmäßiges Formprinzip [4. Teil, I., 2.]. Gleichwohl lässt die Erstreckung der in Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Rechtswirkung des Gesetzes durch die Verankerung der Rechtsverordnung im Siebten Abschnitt des Grundgesetzes diese teilhaben an der „rationalisierenden Kraft, die dem Gesetz ohne Rücksicht auf den Inhalt bereits wegen seiner Allgemeinheit innewohnt“ (D. Grimm). Versichert werden so die formale Gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, die Ausschaltung willkürlicher Herrschaft, die Vorhersehbarkeit des staatlichen Machteinsatzes, die Einbindung der Verwaltung in den demokratischen Legitimationszusammenhang und die rechtsstaatlichen Vorteile der Übersichtlichkeit, Vorhersehbarkeit und Nachprüfbarkeit staatli-
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chen Handelns sowie die Gewährleistung des Rechtssystems als Rechtserzeugungszusammenhang [4. Teil, I., 2.]. Durch Vermeidung der Inblicknahme und Regelung von Einzelfällen vermag die Regelungsinstanz ihre Kapazitäten besser zu nutzen, dies gilt gleichermaßen für Parlament und Ministerialverwaltung. Die Verwendung abstrakt-genereller Rechtssätze ermöglicht im Unterschied zu Einzelakten auch eine breitenwirksame Regelung in die Zukunft hinein. Im Bereich des Vorsorgeprinzips sichern abstrakt-generelle Regelungen die Verhältnismäßigkeit einer Regulierungskonzeption. In der Verfassungsordnung des Grundgesetzes hat der abstrakt-generelle Charakter von Normen des Bundes unter dem Aspekt der „vertikalen Gewaltenteilung“ auch Bedeutung für das Bundesstaatsverhältnis [4. Teil, I., 2. am Ende]. Auch die Untersuchung des Rechtsschutzpotentials [4. Teil, II.] und der Publizitäts- und Rechtssicherheitsgewährleistungen im Zuge der verfassungsrechtlichen Verankerung der Rechtsverordnung [4. Teil, III.] zeigt das gegenwärtige und zukünftige Rationalitätspotential dieser Rechtsetzungsform. Dies ergibt sich insbesondere in der Kontrastierung zu den Verwaltungsvorschriften, die sich in Rechtsschutzdimension, Rechtssicherheit und Publizität als bei weitem unterlegen darstellen [4. Teil, II., 2. sowie III., 1. u. 2.]. Verstärkt wird dieses Ergebnis durch die Vorgaben des Europarechts an die Rechtsqualität zur Richtlinienumsetzung tauglicher Rechtsetzungsformen [4. Teil, III., 1. u. 2.]. Schließlich erfährt die Rechtsverordnung in einem großen Teil ihres effektiven Anwendungsbereichs wesentliche Legitimitationssteigerungen durch ihren Charakter als Rechtsform der Regierungsrechtsetzung [4. Teil, III., 3.]. Die Verordnungsgebung unterliegt als Handlungsform der Regierung der parlamentarischen Kontrolle und vermag demgemäß an den politischen Verantwortungsbindungen der Regierung zu partizipieren [vgl. aber die mit der Unterscheidung von legislativen und administrativen Rechtsverordnungen einhergehende Relativierung 4. Teil, III., 3., b)]. Die aufgezeigten Rationalitätselemente lassen die Rechtsverordnung in der Rechtsetzungspraxis vielfach zur Rechtsform des Kompromisses avancieren. In der Zustimmung zur Verordnungsermächtigung stimmen die Befürworter einer weitgehenden Lösung der Normierungstätigkeit von der parlamentarischen Debatte überein mit den Gegnern der Regelung in Form von Verwaltungsvorschriften oder privaten Regelwerken. Dieser Befund vermag gleichwohl nicht von der Bindung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG zu befreien, die ihrerseits Ausdruck einer Ausgleichsbildung durch den Verfassungsgeber sind. Diese geht dahin, dass der Widerstreit der gleichermaßen insbesondere in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten Verfassungswerte der Konzentration der Rechtsetzung bei der unmittelbar legitimierten Volksvertretung einerseits und der Funktionsfähigkeit des Parlamentarismus andererseits durch Art. 80 Abs. 1 GG in der Option der gesetzlich determinierten Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive aufgelöst wird [4. Teil, III., 4.]. Auf der Grundlage dieses spezifischen Gewährleistungsgehalts der Rechtsverordnung lassen sich verschiedene Rationalitätsmaximen für die zukünftige Recht-
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setzungsorganisation formulieren. Unter Rückbeziehung auf das im Dritten Teil gefundene Ergebnis der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis als Ausdruck eines „Erosionsprozesses legal-demokratischer Herrschaft“ (H. Dreier, H. Hofmann) und der partiellen Auflösung der Rechtsformdifferenzen geht es dabei um das Projekt einer Wiederannäherung der Rechtsetzungspraxis an die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Ausgangspunkt der hier vertretenen Überlegungen ist die Ausrichtung auf die Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung als verfassungsrechtlich vorgegebener Zentralfigur zukünftiger Rechtsetzungsorganisation [4. Teil, IV., 1., a)]. Diese Ausrichtung bedeutet für die weiteren Grundelemente der Rechtsetzungsorganisation: An der Unterscheidung zwischen Rechtssätzen, die Steuerungs- und Programmierungsaufgaben im Binnenbereich der Verwaltung wahrnehmen und Rechtssätzen mit Außenwirkung ist festzuhalten. Weiterhin ist auch die Trennung der Ebenen von Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Wissen um ihren weitgehenden Fiktionscharakter als maßgebliche Rationalitätsgarantie aufrechtzuerhalten und auch dort einzufordern, wo Auflösungserscheinungen sichtbar werden [4. Teil, IV., 1., a)]. Schließlich ist die Notwendigkeit der Rechtskategorie der Verwaltungsvorschriften nicht zu negieren, sondern in ihrem originären Bereich der Binnensteuerung und -programmierung der Verwaltung wirkungsvoll zu entfalten [4. Teil, IV., 1., a)]. Auf der Ebene der parlamentarischen Gesetzgebung bedarf es zur Wiederannäherung der gegenwärtigen Rechtsetzungspraxis an die verfassungsrechtlichen Vorgaben einer grundsätzlichen Stärkung der gesetzlichen Ermächtigungsstrukturen. Auch unter den Voraussetzungen technologischer Umbrüche, struktureller Ungewissheitsbedingungen und zunehmender Internationalisierung lassen sich verschiedene Instrumente aufzeigen, die geeignet sind, diesem Ziel näher zu kommen [4. Teil, IV.]. Als gewinnbringend erweist sich die Ausrichtung der Rechtsetzungsorganisation am wissenschaftstheoretischen Paradigmenwechsel vom institutionellen Erkenntnisvermögen zur normativen Festlegung [zur Grundlegung 3. Teil, I., 3.–5.); zur Nutzung für die Stabilisierung der gesetzlichen Ermächtigungsstruktur 4. Teil, IV., 2., b)]. Unterhalb der gestärkten Ebene des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist in der Rezeption der vorhergehend aufgezeigten Rationalitätsverbürgungen der Rechtsverordnung der Vorzug zu geben vor allen anderen Rechtsetzungsformen. Der zunehmend ausgeweitete Anwendungsbereich der Verwaltungsvorschriften ist zurückzunehmen auf die wesentlichen Steuerungs- und Programmierungsfunktionen im Binnenbereich der Verwaltung (s. o.). Modelle der Verrechtlichung von Verwaltungsvorschriften sollten deshalb nicht weiterverfolgt werden. Dabei kann angeknüpft werden an verschiedene Untersuchungen, die belegen, dass die Rechtsverordnung in ihrem Beschleunigungs- und Flexibilisierungspotential nicht hinter den Verwaltungsvorschriften zurückbleibt [4. Teil, IV., 1., c)]. Nachhaltige Bestätigung erfährt diese Grundausrichtung durch das Europarecht. Bei alledem ist nicht zu verkennen, dass die Re-Stabilisierung der Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung als Zentralfigur der grundgesetzlichen Rechtsetzungsorganisation angesichts einer über Jahrzehnte hinweg eingeschliffenen, struk-
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turell gegenläufigen Rechtsetzungspraxis allein mit den Instrumenten des Verfassungsrechts kaum zu erreichen ist. Vielmehr bedarf es ergänzend eines erneuerten gesellschaftlichen und politischen Verständnisses der gesetzlichen Regelungsdichte und der verfassungskonformen Rechtsformenwahl als Ausdruck der Gewährleistung der insbesondere in Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 GG verankerten Grundentscheidungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit [4. Teil, IV., 3. im Anschluss an D. Grimm und E.-W. Böckenförde]. Hierzu zeigt die Arbeit anhand einer Analyse einzelner Gesetzgebungsverfahren, dass sich die parlamentarische Debatte als durchaus geeignet erweist, verfassungsrechtliche Anforderungen an die Struktur und Form von Rechtsetzungsverfahren zu verarbeiten, wie sie sich insbesondere aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ergeben [4. Teil, IV., 3.].
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555
— Kommentierung zu Art. 59 GG (2001), in: Erhard Denninger/Wolfgang Hoffmann-Riem/ Hans-Peter Schneider/Ekkehart Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, Band 2, 3. Aufl., Neuwied u. a., Stand: August 2002. Zypries, Brigitte/Peters, Cornelia, Eine neue Gemeinsame Geschäftsordnung für die Bundesministerien, ZG 2000, S. 316 ff.
Sachverzeichnis Abfallrecht 61, 75 ff., 78, 80 f., 93, 132 ff., 242 f., 315, 318, 331 f., 356 Abstrakt-generelle Rechtsetzung 222 ff., 228, 404 ff., 408 ff., 484 f. Abwägung 115 ff., 190, 229, 260 ff., 418 Änderungsvorbehalt 79, 111, 146, 153, 155, 173, 185, 190, 319, 372 f., 375 ff., 397 ff., 435, 464, 483 f. Allgemeinverfügung 118, 119, 122, 229 Altenpflege-Urteil 297, 354 f., 361, 363, 480 Anhörung beteiligter Kreise 28, 78, 80, 111, 119, 137, 155, 173, 365 ff., 385 ff. – Fehlerfolgen 369 ff. – Kompensation siehe dort Art. 80 Abs. 1 GG 23, 46 f., 244, 268 ff., 434, 439 f., 446 f., 457 ff., 461 f. siehe Bestimmtheitstrias – als Kompensationsregel 389 ff., 484 – konstitutive Bedeutung 209 ff., 213 – und Verfassungsänderung 273, 372, 461 ff. Atomgesetz 61, 99, 106, 129, 242, 248, 250 ff., 334, 340 Aufhebungsvorbehalt 380 f. Ausfertigung 84 ff., 232 ff., 431 Autonomie 24, 33, 203, 214 ff., 237 ff., 305 ff., 390, 392 f., 442, 447 Befristung 182, 447 f. Begriffsbildung und Verfassungsstruktur 30, 46, 50, 210, 211, 474 Begründung 119, 182, 221, 367 f. Beschleunigung 82 ff., 186, 201, 231 ff., 285, 453 Bestimmtheitstrias 47, 244 f., 268 ff., 296 siehe Art. 80 Abs. 1 GG – Hinreichende Bestimmtheit 281
– Kompensation siehe dort – Möglichkeitskriterium 281 ff., 284 – Programmformel 274, 296 – Selbstentscheidungsformel 274, 296 – Verfassungsrechtliches Mindestregime 297 – Vorhersehbarkeitsformel 273 f., 296 Beurteilungsspielraum 220, 334, 338, 340, 341 Bewältigung normstruktureller Systembrüche 170 ff. Bundes-Bodenschutzgesetz 140, 141, 146, 149, 301 f., 357 Bundes-Immissionsschutzgesetz 60, 69, 70, 78, 80, 93, 111, 143, 144, 152, 154, 171, 172, 208, 242, 248, 302, 315, 317, 318, 330, 332, 334, 356 Bundespräsident 84 f., 87, 159, 232 f., 431 Bundesrat 36, 80, 84, 86, 111, 146, 153 f., 178, 302, 352 ff., 383, 468 f. – Maßgabebeschluss 353 – Zustimmungsvorbehalt siehe dort Bundesregierung 85 f., 103, 112 ff., 129, 153 f., 178 f., 233, 246, 270, 286, 302, 323, 331 f., 345, 356 ff., 383, 421, 433 ff., 437 ff., 465 ff. Bundesstaat 47, 48, 139, 143 ff., 228 f., 352 ff., 363 ff., 383, 411, 483 Bundestag 79, 111, 138, 146, 153, 155, 173, 185 f., 319, 323, 329, 377, 383, 390, 400, 435, 449, 454, 461, 463 ff. siehe Gesetz, Parlament Bundesverfassungsgericht 23 ff., 47, 90, 127, 158, 202 f., 209 ff., 216, 230, 250 f., 259 ff., 268 ff., 302 f., 320, 335, 339 f., 350 f., 362 f., 369, 373 f., 383 f., 392 ff., 412, 417, 420 f., 434 ff., 441
Sachverzeichnis – Methodenentwicklung 288 ff., 395 ff., 441 – Rechtsetzungsleitfunktion 259 f., 288 ff. Chemikalienrecht 71, 72, 73, 77, 78, 81, 91 ff., 149, 243, 302, 315 Dekonzentration 218 f., 222, 227, 234 f., 478 Delegation 23 ff., 440, 458 – Funktionsstruktur 200 f. – Modale Vorgaben 197 f. – an Private 124, 131, 132 ff., 173 – Verfassungsgeschichte 30 ff. – Verfassungsvergleich 51 ff. Demokratie 39, 47, 49 f., 206, 245, 260, 278, 299, 300, 308, 309, 321, 322, 323, 329, 386, 390, 391, 392, 405, 409, 437, 438, 442, 462 f., 471 Dezentralisation 218, 219, 393 Dichotomie von Gesetz und Rechtsverordnung 196, 225, 441 ff., 463, 471 Diskurstheorie 384, 390, 407, 409, 451 f. Duale Gesetzesbindung 298 ff., 341 f., 389, 402, 480 f. Einzelfallverordnung 226, 228, 404, 408 Emissionshandel 61, 70 f., 126, 463 ff. Enquête-Kommission 84, 273, 351, 372, 450, 461 Entparlamentarisierung 22, 206, 326 f., 472 Entsteinerungsklausel 89, 415 Erkenntnistheorie 249 ff., 253 ff., 256, 455 ff. Europäische Union 22, 56 f., 62, 148, 467 – Europäischer Rat 326 ff., 482 – Europäisches Parlament 327 – Maastricht-Urteil 149, 323, 328 – völkerrechtliche Kompetenzen 163 f. Europäische Verfassung 22, 57 Europäischer Gerichtshof 56, 57, 81, 100, 104, 147 ff., 175, 207, 312 ff., 325, 422, 428, 430, 433, 453, 481 f. Europarecht – Anwendungsvorrang 148, 149, 379 – EG-Richtlinie 73, 150 ff., 312 f., 324 f.
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– EG-Verordnung 57, 150, 162, 312, 321, 327 – Exekutivrechtsetzung, zweistufige 326 ff., 482 – Inkorporation durch Rechtsverordnung 150 ff., 181, 317 f. – Komitologie 56 f. – und Verwaltungsvorschriften siehe dort Experimentelle Rechtsetzung 447, 448 Facharzt-Beschluss 24, 45, 203, 204, 216 f., 275, 280, 305 ff., 392, 440, 457, 481 Finale und konditionale Normstrukturen 121, 133, 165 ff., 175, 325, 475 Flexibilisierung 82 ff., 231 ff. Flugrouten 117, 132, 296, 396, 413, 418 Formenstrenge 196, 198, 377, 442 f., 482 Formgrenzen 305 f., 402 f., 442 Frankreich 32, 51 f., 166, 314 Freiwillige Selbstverpflichtung 134 f., 151, 179, 183, 465 Funktionale Äquivalenzen 79 ff., 96, 114, 146, 155 ff., 189, 227, 329 ff., 363 ff., 482 Funktionale Distanz 220, 342 Funktionenzuordnung 25, 26, 63 ff., 147 ff., 177 ff., 472 f. siehe Primär-, Sekundärfunktionen Funktionsgerechte Organstruktur 194, 196, 247, 256, 347, 349 f., 354, 440 Gefahrstoffrecht 71, 77 Gentechnikrecht 93 f., 107, 108, 109, 114, 129, 149, 152 f., 243, 246, 248, 266, 302, 332, 356 Gentechnik-Sicherheitsverordnung 108 ff., 113, 246, 266, 332, 390 f. Geschäftsordnungen – Bundesministerien (GGO) 86, 126, 233, 332 – Bundesregierung 85 f., 215, 233, 366 – Bundestag 84, 215, 232, 450 Gesetz – formeller und materieller Gesetzesbegriff 35 f., 225 f., 406 – Funktionen 49 f., 193, 195
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Sachverzeichnis
– Funktionssicherung durch Rechtsverordnung 206, 485 – Gesetzgebungsverfahren 21, 26, 82 ff., 194, 232 f., 259, 309 f., 319, 352 f., 387 ff., 397 ff., 463 ff. – und Rechtsverordnung 20 f., 27, 30 ff., 51 ff., 188 f., 202 ff., 208, 233, 238 f., 265 ff., 298 ff., 371 ff., 397 ff., 404 ff., 441 ff. Gesetzesfolgenabschätzung 448, 450 Gesetzesvorbehalt 68, 158, 159, 244, 253, 275 f., 457, 466 ff. siehe Demokratie, Rechtsstaat, Art. 80 Abs. 1 GG Gesetzgebungskompetenzen 28, 117, 142, 355 ff. – konkurrierende 355 f. – der Länder, allgemein 355, 360, 364 – Rahmengesetzgebung 117, 178, 362 f. – im Umweltrecht 356 f. Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers 139, 260 ff., 267, 277, 281 Gewaltenteilung 47 f., 203 f., 228, 230, 245, 258, 299, 347, 373, 419 siehe Kontrolle, Rechtsetzungsorganisation – vertikale 231, 352 ff., 363 ff., 411, 485 Gleichheitssatz 38, 221, 336 f., 344, 405 f., 408 ff. Globalisierung 21, 62, 147 ff., 303 Grenzwerte 63, 80, 101, 104 ff., 114, 169, 180 f., 189, 255 f., 314, 324, 342 f., 449 f., 459 f. Großbritannien 52, 166, 380 Großfeuerungsanlagen-Verordnung 70, 93, 101 f., 114, 324, 358 Grundmodus der Rechtsverordnung 201 ff., 234 f., 477 Grundrechte 25, 32 f., 264, 276, 278, 284 ff., 300, 310 f., 322, 337, 368, 408 – Dynamischer Grundrechtsschutz 194, 196, 197, 247, 258 f. – Grundrechtsschutz durch Verfahren 368, 396, 397 – objektiv-rechtliche Dimension/Schutzpflichten 25, 195, 243, 378 – und Wesentlichkeitstheorie siehe dort
Gubernative Rechtsetzung 22, 193 ff., 301, 333, 376, 432, 442, 461 Heidelberger Heizkraftwerk 101 ff., 114, 410, 459 Hennenhaltungsverordnung 90, 276, 281, 284, 293, 321, 350 Herrenchiemseer Entwurf 271 f. Heteronomie 214 ff., 306, 308, 441, 447, 481 Homogenitätsklausel 215, 292, 298, 462, 487 Innovation 82, 105 f., 109 f., 266 Institutionalisierte Beteiligung 79, 108, 113, 183 ff., 187, 332, 365 f., 390 f., 394 Institutionelles Erkenntnisvermögen siehe Erkenntnistheorie Internationalisierung 21, 60, 62, 147 ff., 157 ff., 164 ff., 186, 454, 470 IVU-Richtlinie 61, 167 ff., 178 Kalkar-Beschluss 24, 194, 247, 250, 255, 257, 275 f., 288 Kompensation 27, 55, 383 ff., 395 ff., 399 f., 461 – im Immissionsschutzrecht 103 f. – durch Öffentlichkeitsbeteiligung 197, 385 ff., 395 ff. – durch Parlamentsbeteiligung 319, 397 ff., 461 Konstitutionalismus 32 ff., 299, 336 Kontrolle siehe Gewaltenteilung – gerichtlich 166, 208, 211, 439, 461 – öffentlich, politisch 434 f., 485 – parlamentarisch 160, 397, 435, 461 Konzeptierungsgebot 101 ff. Kooperationsprinzip 97, 124 ff., 132 ff., 137, 242, 267 Länderkompetenzen siehe Gesetzgebungs-, Verwaltungskompetenzen Landesparlamente 115, 124, 328, 353, 355, 363 ff., 372, 375, 381
Sachverzeichnis Landes-Rechtsverordnungen 117, 122, 145, 292, 358, 381, 415, 421, 426, 462 siehe Rechtsschutz Landesregierung 46, 48, 76 f., 85, 117, 120, 145, 225, 352 ff., 363 f., 421, 426 Legitimation 27, 434, 436, 456 siehe Demokratie Minister/Ministerialverwaltung 410, 436, 437, 451, 452, 464 Mülheim-Kärlich-Beschluss 396 f. Nachrüstungs-Entscheidung 160, 194, 247, 256, 347, 349 f., 354 Nationalsozialismus 44 f., 369, 395 Naturschutzrecht 60, 116 ff., 121 ff., 161 ff., 321, 366, 381, 384 Nichtigkeitsdogma 119, 414 Normative Ermächtigungslehre 220, 285, 334 f., 340 f., 343 Normenhierarchie 192, 199, 303, 323, 379, 394 Normenkontrolle – inzident 413 f. – verfassungsgerichtlich 414, 421 f. – verwaltungsgerichtlich 415 ff., 428 Normverwerfung 119, 207, 213, 414 – gerichtlich 209, 414, 429 – durch die Verwaltung 119, 209 Öffentlichkeitsbeteiligung 123, 183, 184, 368, 385 ff., 395 ff., 397 Ökonomik 126, 129 ff., 427, 463 ff. Österreich 54, 282 Opposition 388 f., 399, 435 siehe Kontrolle Originäres exekutives Verordnungsrecht 51 f., 298, 345 ff., 461 Paradigmenwechsel 98, 191, 253 ff., 455 ff. Parlament 21, 32 ff., 42, 45, 388, 410, 440, 456, 463, 468 siehe Bundestag – Änderungs-, Aufhebungs-, Zustimmungsvorbehalt siehe dort
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– Kompetenzverluste siehe Entparlamentarisierung – Leistungsgrenzen 449 – Parlamentsbeschluss 319, 375, 378, 380 f., 399 – politische Verantwortung 42, 463 Parlamentarischer Rat 271 Parlamentsausschuss 52, 84, 232, 381 ff., 461 Parlamentsvorbehalt siehe Gesetzesvorbehalt Parteien 389, 434 f., 451 Paulskirchenverfassung 34 Planung 115 ff., 230, 231 Preisgesetz-Beschluss 191, 198, 202, 271 ff., 281 f., 373 f., 399 f. Preußische Verfassung 34 f., 40 Primärfunktionen der Rechtsverordnung 200, 201 ff. – Dekonzentrierende Setzung allgemeinverbindlichen Rechts 207, 209, 234 – Entlastung des Parlaments 202 ff., 206, 234, 280, 297 – Kopplung mit Sekundärfunktionen 235 f. Private Rechtsetzung 124, 131 f., 132 ff., 173, 206 Prozeduralisierung 55 f., 183 f., 186 f., 257, 347, 365 ff., 384, 385 ff. Publizität 332, 367, 386 ff., 409, 431 ff., 438, 485 Rationalität 404 ff., 436, 440 ff., 445 Rechtsetzungsorganisation 19, 28, 151, 237 ff., 403 ff., 430, 439, 440 ff., 444, 449, 455, 456, 460, 464, 470 – Europäische Union 56 ff. – Verfassungsgeschichte 30 ff. – Verfassungsvergleich 50 ff. Rechtspolitik 177 ff., 190, 197, 439 ff., 463 ff. Rechtsschutz – gegen Bundes-Rechtsverordnungen 414 ff., 421 – Effektiver Rechtsschutz 411 ff., 416, 428 – Feststellungsklage 416 f., 418 f.
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Sachverzeichnis
– gegen Landes-Rechtsverordnungen 414 ff. – Normenkontrolle siehe dort – Rechtsweggarantie 412 f. – Verfassungsbeschwerde 416, 419, 420, 421 – gegen Verwaltungsvorschriften siehe dort Rechtssicherheit 48, 141 f., 180, 222, 274, 295, 313, 317, 394 f., 427, 429 f. Rechtsstaat 37 f., 47 ff., 64, 141, 206, 245, 278, 299, 308 f., 316, 321, 323, 386, 390, 394, 437, 438, 442, 462, 463, 471 Rechtsverordnung – Aufgaben- und Leistungsprofil 59 ff., 63 ff., 147 ff., 177 ff., 237 ff., 402 ff. – Formeller Verordnungsbegriff 226 ff., 408 – und Gesetz siehe dort – Gesetzgebung und Gesetzesvollziehung 212, 265, 301, 305, 460 – Grund- und Steuerungsmodus siehe dort – als Instrument der Politik 195, 261 ff., 301, 460 – Kompromisscharakter 172, 262, 438 ff., 485 – Materieller Verordnungsbegriff 223 ff. – Primär- und Sekundärfunktionen siehe dort – Rationalitätsgarantien 404 ff., 411 ff., 429, 431, 433, 438 – Rechtsetzungsbeschleunigung 82 ff., 231 ff. – und Satzung siehe dort – Theorie rechtlicher Regelungsformen siehe dort – Verfahrensrecht siehe dort – und Verwaltungsvorschriften siehe dort Referenzgebietsmethode 59 ff., 242 f., 251, 475 Reflexives Recht 126, 130 f., 254
Regelungsdichte 25, 41, 44, 46, 153 f., 244 f., 251 f., 265 ff., 274, 281 f., 284, 286, 289, 298, 300, 310, 317 f., 325, 372, 389, 394 f., 446 f., 463 f. Regierung siehe Bundesregierung, Landesregierungen Regierungsrechtsetzung 53, 433 ff., 437 Regionalisierung des Verwaltungshandelns 139, 145 Regulatory Choice siehe Theorie rechtlicher Regelungsformen Regulierungsexpansion 63 ff. Reichsverfassung von 1871 35 ff. siehe Konstitutionalismus Risiko 98 ff., 106 f., 109 f., 181, 183, 253, 255 f., 336, 452, 458 Sachverständige 25, 79, 88, 112, 131 f., 155, 251, 336, 385, 452 f., 456, 484 Satzung 24, 28, 121, 179, 189, 214 ff., 228, 305 ff., 310 f., 392 f., 412 – Erscheinungsformen 306 – und Rechtsverordnung 214 ff., 305 ff. – Sicherungsinstrumente 307 f. – verfassungsrechtliche Grundlagen 215, 307 Schweiz 54, 299, 345 Sekundärfunktionen der Rechtsverordnung 195 ff., 235 ff., 477 f. Selbstverpflichtung, freiwillige 134 f., 151, 179, 183, 465 Selbstverwaltung siehe Satzung – funktionale 214, 280, 307, 392 – kommunale 121, 214 f., 307, 392, 415, 421 – als Organisationsform 214 ff., 305 f. Sonderverordnung 220, 334 f., 343 f. Sozialstaat 41, 49 f., 64, 80, 191, 195 Sperrwirkung unausgefüllter Verordnungsermächtigungen 358 ff. Staatsaufgaben 64 f., 68, 243 Stendal-Beschluss 89, 203, 230 Steuerung 21, 25, 29, 124, 137, 238, 300, 400, 438
Sachverzeichnis Steuerungsmodus der Rechtsverordnung 235 ff., 263 Subdelegation 315, 352, 383, 434, 454 Südweststaats-Entscheidung 47, 269, 271, 282 Sunset clause 182, 447 f., 453 f. Symbolische Gesetzgebung 135 Systemtheorie 21, 303 f., 384, 387 TA Lärm 79 f., 96, 146, 220, 285 TA Luft 79 f., 95 f., 101, 104, 114, 146, 285, 342 f., 422, 430 Technikfolgen 61, 67, 450 Technikklauseln 80, 94, 109 f., 172, 180, 245 f., 250 ff., 331, 343, 455 Theorie rechtlicher Regelungsformen 29, 192, 237, 238, 239 Transparenz 156, 300, 367 f., 387 f., 431 Umlaufverfahren-Beschluss 23, 86, 277, 290, 293, 369, 436 Umweltgesetzbuch 61, 170 f., 173, 179 ff., 359, 372 Umwelthaftungsgesetz 126, 129 f., 371 f., 397 Umweltpolitik 65, 66, 67, 178 f., 324 f. Umweltvereinbarungen 126, 135 Unbestimmter Rechtsbegriff 108, 244, 245, 246, 255, 258, 261, 430 Ungewissheit 61, 62, 106, 107, 454, 457 USA 32, 55, 384, 386, 434, 449 Verbände 21 f., 391, 452 – im Rechtsetzungsverfahren 78 f., 86, 92, 123 f., 132 ff., 146, 178, 183 f., 185, 277, 306, 366, 371, 391 Vereinheitlichung – der Behördenpraxis 140 ff., 146, 191, 303 – im Bundesstaatsverhältnis 143 f., 146, 352 ff. Verfahrensrecht der Rechtsverordnung 25, 28, 48, 55, 77 ff., 111 ff., 179 ff., 331 ff., 385 ff. – Ausgestaltung durch den Gesetzgeber 25, 233, 331 ff. 36 Saurer
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– Fehlerfolgen 369 ff. – Verfassungsrechtliche Vorgaben 84 f., 233 – Verzögerungseffekte 87 ff., 233 Verfassungsänderung 143, 461 ff. Verfassungskonforme Auslegung 273, 281, 378, 380 Verfassungsreform 1994 143, 361, 362, 420 Verkündung 84 ff., 431 Verordnungsermessen 139, 260 f., 267 f., 301, 308, 418 f. Verordnungsvertretende Absprachen 134 f., 183 Verpackungsverordnung 90, 94, 133, 137, 420 Verwaltungsakt 118 f., 223, 225, 336, 413, 418, 442, 444 Verwaltungshierarchie 435, 437 Verwaltungskompetenzen 230 f., 411 Verwaltungsvorschriften 79, 80 f., 94 ff., 110 f., 114, 146, 180, 213, 430, 453 – antizipierte Verwaltungspraxis 337, 346 – Außen- und Bindungswirkung 221, 333 f., 337, 351, 425 – und Europarecht 114, 151, 155, 156, 157, 422 ff., 430 – normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften 315, 336, 338, 339, 425, 430 – und Rechtsverordnung 27, 81, 219, 329 ff., 351, 453 siehe Funktionale Äquivalenzen, Funktionale Distanz – Rechtsschutz 422 ff., 426 ff. – Selbstprogrammierung und Selbstbindung der Verwaltung 220, 336 f., 347, 443, 486 – Verfahrensrecht 331, 332, 432 – verfassungstextliche Verankerung 46, 213, 334 Verweisung 73 f., 318 f., 325, 453 Völkerrechtstransformation 157 ff., 181 Voerde-Entscheidung 220, 251, 338, 482 Vorrang der Verfassung 26, 50, 192, 256, 379, 441, 453
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Sachverzeichnis
Vorsorgeprinzip 96 ff., 100, 116 Wasserrecht 60, 119, 171, 208, 315, 318 Weimarer Reichsverfassung 38 ff., 50, 406 Wesentlichkeitstheorie 247, 269, 275 ff., 309 ff., 346, 349, 469 – Grundrechtswesentlichkeit 287, 480 – Verhältnis zu Art. 80 Abs. 1 GG 276 ff., 295
Wyhl-Entscheidung 20, 220, 252, 261, 288, 338 f., 424, 454, 482 Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit 112, 113, 153, 185, 365, 394 Zitiergebot 48, 85, 293, 321, 350, 462 Zustimmungsvorbehalt – des Bundesrates 77 f., 80, 88, 352 f., 355 – des Bundestages 185, 373 ff., 399 f.