Die Freiheit der politischen Meinungsäußerung: Ihre Entwicklung im österreichischen und britischen Verfassungsrecht und ihre staatsphilosophischen Wurzeln 9783205786221, 320578622X

Ausgehend von der Prämisse, dass die politische Redefreiheit eine Säule des demokratischen Rechtsstaates ist, stellt sic

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German Pages 308 [320] Year 2011

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Die Freiheit der politischen Meinungsäußerung: Ihre Entwicklung im österreichischen und britischen Verfassungsrecht und ihre staatsphilosophischen Wurzeln
 9783205786221, 320578622X

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Studien zu Politik und Verwaltung Herausgegeben von Christian Brünner · Wolfgang Mantl · Manfried Welan Band 98

Stephan G. Hinghofer-Szalkay

Die Freiheit der politischen Meinungsäußerung Ihre Entwicklung im österreichischen und britischen Verfassungsrecht und ihre staatsphilosophischen Wurzeln

Böhl au Verl ag Wien · Köln · Graz

Gedruckt mit der Unterstützung durch  :

Veröffentlichung mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung. (Bewilligtes Publikationsförderungsprojekt D 4185.)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78622-1 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­nsbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf f­ otomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com

Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst GmbH, Köln Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck    : Prime Rate Kft., Budapest

Vorwort Das Recht auf freie politische Meinungsäußerung ist nicht nur eines der fundamentalsten Grundrechte des demokratischen Rechtsstaates, sondern Grundbedingung für dessen Erfolg. Diese These findet mittlerweile weitgehende Anerkennung und spiegelt sich in der neueren Judikatur des VfGH, des OGH sowie britischer Gerichte wider. Doch woher stammt sie und wie fand sie Eingang in das österreichische und britische Verfassungsrecht? Darauf soll die vorliegende Arbeit eine Antwort geben, die auf die 2008 eingereichte und anschließend mit dem Award of Excellence des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung ausgezeichneten Dissertation mit dem Titel „Die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der ‚political speech‘ in Österreich und Großbritannien in ihrer historischen, aktuellen und künftigen Entwicklung“ zurückgeht. Die vorliegende Fassung ist eine überarbeitete Version dieser Arbeit, wobei die während meiner Teilnahme am 45. Diplomlehrgang der Diplomatischen Akademie Wien erfolgten Neuerungen eine teilweise Aktualisierung notwendig werden ließen. Dabei wurden Entwicklungen bis zum 1. September 2009 berücksichtigt. Im Rahmen der Anregungen durch den FWF flossen dazu einige neuere Elemente in die Arbeit ein. Die Idee einer Untersuchung der verfassungsrechtlichen Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit, welche sich speziell auf den politischen Bereich konzentriert, wurde durch einen Kurs über das amerikanische First Amendment inspiriert, welchen ich im Rahmen des Joint-Study-Programms an der Law School der University of Arkansas at Little Rock absolvierte. Die besondere Betonung der Art der Meinungsäußerungsfreiheit (politisch, kommerziell etc.) für das Ausmaß von deren verfassungsrechtlichem Schutz führte mich zu der Frage, ob derartige Ansätze in Österreich auch vor den Einflüssen des EGMR auf die österreichische Rechtsordnung existierten oder ob es sich dabei ausschließlich oder überwiegend um systemfremde Einflüsse handelt. Dies erklärt auch den rechtshistorischen Fokus dieser Arbeit. Um die Möglichkeiten der Herangehensweise an den Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit aufzuzeigen und so die möglichen Alternativen zur österreichischen Rechtsentwicklung darzustellen, sollte im Rahmen einer rechtsvergleichenden Studie die österreichische Verfassungsentwicklung der Entwicklung einer anderen demokratisch-rechtsstaatlich orientierten Verfassung gegenübergestellt werden.

6

Vorwort

Dabei bot sich eine Verfassungsordnung an, welche einerseits in enger Verwandtschaft zur US-amerikanischen Rechtsordnung steht, andererseits aber mit Österreich die gemeinsame Klammer der EMRK und der EGMR-Judikatur teilt. Damit fiel die Wahl auf Großbritannien, welches darüber hinaus eine lange Tradition hinsichtlich der freien Meinungsäußerung aufweist und gleichzeitig durch den Mangel an einer Verfassung im formellen Sinn von besonderem Interesse für den Rechtsvergleich ist. Mein besonderer Dank gilt der Erstbegutachterin Frau Univ.-Professorin Mag.a Dr.in Anita PRETTENTHALER-ZIEGERHOFER für Rat und Hilfe bei der Entstehung der Arbeit und für die tatkräftige Unterstützung bei der Veröffentlichung. Dankend hervorheben möchte ich insbesondere den Zweitbegutachter der Dissertation, Herrn o. Univ.-Professor Dr. Dr. h. c. Wolfgang MANTL, für seine akademische Unterstützung und seine entscheidenden Anregungen gerade hinsichtlich der politikwissenschaftlichen Elemente der Dissertation. Frau Univ.-Professorin Dr.in Ursula FLOSSMANN und dem Institut für Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte der Johannes-Kepler-Universität Linz möchte ich hinsichtlich der im Rahmen meiner dortigen Tätigkeit als Universitätsassistent erfolgten Aktualisierungen und Überarbeitungen meinen Dank aussprechen. Weiters danke ich dem Böhlau Verlag und den Herausgebern der „Studien zu Politik und Verwaltung“ für die Aufnahme des Buches in die „Weiße Reihe“. Die Befassung mit dem Spannungsfeld zwischen politischer Meinungsäußerungsfreiheit und political correctness im Ausblick fußt ferner auf einer Anregung von Herrn o. Univ.-Professor Dr. Christian BRÜNNER. Ich möchte darüber hinaus an dieser Stelle dem University College London meinen Dank aussprechen, dessen Bibliothekssystem den Erfolg meines Forschungsaufenthaltes in London und damit diese Arbeit erst möglich gemacht hat. Die Quellenrecherche zur österreichischen Verfassungsentwicklung erfolgte vorwiegend an den Bibliotheken der Karl-Franzens-Universität Graz, die hinsichtlich der Aktualisierung notwendige Quellenrecherche hingegen an jenen der Johannes-Kepler-Universität Linz. Stephan G. Hinghofer-Szalkay Heidelberg, im April 2011

Inhaltsverzeichnis Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. EINLEITUNG 1. Gegenstand, Methode und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definition des Begriffes „Meinungsäußerungsfreiheit“ . . . . . . . . 2.2 Definition des Begriffes „political speech“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Definition von Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. STAATSPHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN 2.1 Der Marktplatz der Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Freie Meinungsäußerung als systemerhaltendes Instrument . . . . 2.3 Die Äußerung politischer Meinungen durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Freiheit zu staats- und systemkritischen politischen Meinungsäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die Meinungsäußerungsfreiheit als Bürger- oder Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Die Grundlagen der verschiedenen Traditionen des verfassungsrechtlichen Schutzes in Großbritannien . . . . . . . III. HAUPTTEIL 1. Einleitung und erläuternde Bemerkungen zur US-amerikanischen Verfassungsentwicklung und den daraus entliehenen Termini. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die historische und gegenwärtige Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der „political speech“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Entwicklungen im Frühkonstitutionalismus 1848–1851 und die Grundlagen für Artikel 13 des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Aspekte der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . 2.1.2 Grundrechtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 24 24 25 26 33 36 43 44 45 46

51 53

53 53 60

8 Inhaltsverzeichnis 2.1.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . 2.1.6 Freiheit der politischen Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Entwicklung von 1867 bis 1918  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Aspekte der Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . 2.2.2 Grundrechtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . 2.2.6 Freiheit der politischen Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die rechtshistorische Entwicklung von 1918 bis 1934 . . . . . . . . 2.3.1 Rechtsgeschichtliche Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte. . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Grundrechtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive ieS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . 2.3.6 Freiheit der politischen Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 63 63 64 67 68 68 72

74 79 84 85 86 87 87 92

93 93 93 95

Inhaltsverzeichnis 9

2.3.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Entwicklung von 1945 bis zur Inkorporation des Artikels 10 EMRK in das österreichische Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Rechtsgeschichtliche Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Grundrechtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . 2.4.6 Freiheit der politischen Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die Entwicklung von der Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention in das österreichische Verfassungsrecht bis heute  . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte. . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Grundrechtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . 2.5.6 Freiheit der politischen Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.7 Unmittelbare Auswirkungen des verfassungsrechtlichen Schutzes politischer Meinungsäußerungsfreiheit auf den Bereich des Straf- und Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 101 101 103

103 104 105 108 110 110 110 113

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10 Inhaltsverzeichnis 3. Die historische und gegenwärtige Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien unter besonderer Berücksichtigung der „political speech“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Grundlegende Rahmenbedingungen des britischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Entwicklung bis zur EMRK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Für die politische Meinungsäußerungsfreiheit besonders relevante Aspekte der Entwicklung der Einreden zum law of libel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Entwicklung bis zum Human Rights Act. . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die politische Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Der schottische Sonderweg und dessen Bedeutung  . . . . 3.3.3 Der australische Zugang zur political speech und dessen Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der Human Rights Act und seine Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die politische Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. . . . . . . 3.4.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entwicklung der EGMR-Judikatur im Bereich der „political speech“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Punktuelle Analyse einiger für den Bereich der „political speech“ besonders bedeutsamer rechtshistorischer und aktueller Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Staatsfeindliche und staatsgefährdende Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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165 177 180 182 183

186 194 198 198 208 208 208 209

Inhaltsverzeichnis 11

5.2 Hate speech und politischer Radikalismus im Allgemeinen. . . . . 5.2.1.1 Hate speech und politischer Radikalismus in der Judikatur des Reichsgerichtes . . . . . . . . . 5.2.1.2 Hate speech und politischer Radikalismus in der Zweiten Republik. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Großbritannien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Politische Meinungsäußerungsfreiheit und Blasphemie  . . . . . . 5.3.1 Großbritannien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die politische Meinungsäußerungsfreiheit besonderer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Großbritannien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsvergleichende Betrachtung der Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien und Österreich aus dem Blickwinkel der „political speech“ . . . . . . . . . 6.1 Systematisierender Vergleich der zeitlichen und inhaltlichen Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Auswirkung struktureller und methodischer Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die widersprüchlichen Ergebnisse einer formellen und einer materiellen Betrachtungsweise  . . . . . . . . . 6.4 Weitere Aspekte der verfassungsrechtlichen Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . .

215 218 220 222 224 224 230 230 231 245 249 249 253 254 256

IV. CONCLUSIO V. AUSBLICK 1. Politische Meinungsäußerungsfreiheit und „political correctness“. . . . . 269 2. Die politische Meinungsäußerungsfreiheit und der demokratische Rechtsstaat: De-lege-ferenda-Perspektiven . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Abkürzungsverzeichnis Abs Absatz A.C. / C.A. Court of Appeal A.G. Attorney-General Ad. & Ell. Adolphus & Ellis’ Reports All E.R. All England Law Reports Altengl. Altenglisch Anm Anmerkung Art Artikel BBC British Broadcasting Corporation BGBl Bundesgesetzblatt BlgNR Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates BPNV Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung B-VG Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz) C(ar). & P. Carrington and Payne C. M. & R. Charles Crompton, R. Meeson and H. Roscoe Dec. Decision EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EHRLR European Human Rights Law Review EMRK Europäische Menschenrechtskonvention E.R. The English Reports Ex p. ex parte FN Fußnote FS Festschrift gem gemäß GP Gesetzgebungsperiode GZ Geschäftszahl H & N Hurlstone and Norman H.L. House of Lords

14 Abkürzungsverzeichnis ICLQ International and Comparative Law Quarterly idF in der Fassung ieS im engeren Sinne iSv im Sinne von Int’l L. Rev International Law Review iVm in Verbindung mit iwS im weiteren Sinne K.B. King’s Bench (Division) Lit Litera L.J. Lord Justice L.C. Lord Chancellor M. R. The Master of the Rolls MR Medien und Recht MedG Mediengesetz NR Nationalrat no. Application number (ECHR/EGMR) OGH Oberster Gerichtshof ÖZP Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft PEB Party Election Broadcast P.L. Public Law Q.B. Queen’s Bench Division R Rex bzw. Regina RAO Rechtsanwaltsordnung RG Reichsgericht S Satz Sess. Session Slg. Nr. Sammlungsnummer (RG/VfGH) Sr. Senior StG Strafgesetz von 1852 StGBl Staatsgesetzblatt StGG Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder T.L.R. The Times Law Reports u.a.m und andere mehr U. Mich. J.L. Reform University of Michigan Journal of Law Reform US SC United States Supreme Court

Abkürzungsverzeichnis 15

uU unter Umständen v./v versus v.a. vor allem VfGH Verfassungsgerichtshof WLR The Weekly Law Reports ZöR Zeitschrift für Öffentliches Recht ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft … Markiert Elemente von Direktzitaten, die aufgrund ihrer mangelnden Bedeutung für die Analyse ausgeklammert wurden (z. B. nicht relevante Ausführungen zum jeweiligen Fall).

I. EINLEITUNG

Nur wenige sind fähig, eine politische Konzeption zu entwerfen und durchzuführen, aber wir sind alle fähig, sie zu beurteilen. Perikles von Athen Eingangszitat von Band 1 von Die offene Gesellschaft und ihre Feinde von Karl R. Popper1

1. Gegenstand, Methode und Aufbau Angesichts der neuen Fragestellung erfolgte eine intensive Beschäftigung mit den Primärquellen, also vor allem der einschlägigen Judikatur der letzten zwei Jahrhunderte, auf der Suche nach Anhaltspunkten für die rechtshistorische und aktuelle Stellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit. Da die verschiedenen Lösungsansätze des österreichischen und britischen Rechts zum Problem der political speech analysiert und verglichen werden, ist die Methode der Rechtsvergleichung eine funktionelle.2 Demnach erfolgt der Rechtsvergleich zwischen den aktuellen sowie angesichts des wesentlichen rechtshistorischen Bezuges der Arbeit auch zwischen den historischen Lösungsansätzen zum verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich und Großbritannien. Der Hauptteil der Arbeit ist in eine getrennte Untersuchung der beiden Rechtsordnungen (Länderberichte) unterteilt, in welche rechtsvergleichende Elemente einfließen, und in ein speziell komparatistisches Kapitel zur Herausarbeitung der Unterschiede der gegenwärtigen und rechtshistorischen Lösungsmodelle. Die Struktur der Arbeit erklärt sich aus dem funktionellen Zugang zur Rechtsvergleichung. So wird in beiden Rechtsordnungen drei Hauptfragen nachgegangen, und zwar 1. Wie weit, wann und in welchen Rechtsgebieten hat sich ein verfassungsrechtlicher Schutz von politischer Meinungsäußerungsfreiheit entwickelt beziehungsweise 2. inwieweit wurde die politische Meinungsäußerungsfreiheit mangels besonderem   1 Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde7 I (1992) 9.   2 Siehe dazu Bernd Wieser, Vergleichendes Verfassungsrecht (2005) 20.

20 Einleitung eigenen Schutz im Rahmen eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit gewahrt? Und: 3. Inwieweit ist die heutige Behandlung von political speech auf eigene Wurzeln oder die Beeinflussung durch fremde Rechtsordnungen zurückzuführen? Zur Beantwortung dieser Fragen ist im früheren britischen Recht eine Analyse der Entwicklung im Bereich des law of libel notwendig, während der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz in Österreich sich ursprünglich im Rahmen des reichsgerichtlichen Schutzes gegenüber der Verwaltung entwickelte. Dies macht einen auf den ersten Blick grundverschiedenen Ansatz der Analyse notwendig. Deswegen ist auch ein für beide Verfassungsordnungen einheitliches Prüfschema nicht zielführend, da die unterschiedlichen Ansätze und die verschiedenen Denkweisen gerade im Bereich der rechtshistorischen Entwicklung die Analyse einer Rechtsordnung nach der methodischen Sicht der anderen nur unter dem Preis der Verfälschung erfolgen könnte. Dies wird schon durch die ursprüngliche Zugangsweise zur Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich und Großbritannien deutlich: Auf der einen Seite ein partikuläres Legalitätsprinzip mit Wirkung gegenüber einer dem Monarchen unterstehenden Verwaltung und auf der anderen Seite der Zugang zur Meinungsäußerungsfreiheit als allgemeines, nicht genau umschriebenes Rechtsprinzip. Der gewählte Zeitrahmen reicht von den Wurzeln eines modernen verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit bis in die Gegenwart, um so die rechtshistorischen Grundlagen der heutigen Entwicklung dieses Rechtsprinzips demonstrieren zu können. Konkret reicht die Untersuchung damit in Österreich bis zur Dezemberverfassung 1867 und der Entstehung des Staatsgrundgesetzes (StGG) über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und der Untersuchung ihrer Wurzeln im Frühkonstitutionalismus 1848 bis 1851 zurück. Als Ausgangspunkt für die systematische Analyse des britischen Rechts dienen hingegen zwei fundamentale Umwälzungen in den 1830er-Jahren: Einerseits hatte der Reform Act of 1832 als Beginn der Demokratisierung Großbritanniens die Konsequenz der allmählichen Entstehung des Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit im Common Law. Andererseits wurden mit Toogood v. Spyring aus 1834 die Grundlagen des modernen Systems des privilege geschaffen.3

  3 Siehe dazu Teil III: 3.1, 3.2.1 und 3.2.2.



Gegenstand, Methode und Aufbau

21

Die früheren bedeutenden Entwicklungen werden hingegen punktuell aufgezeigt. Vor der Analyse der Rechtsentwicklung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich und Großbritannien im Hauptteil erfolgen Definitionen der zentralen Begriffe sowie eine Einführung in die staatsphilosophischen Grundlagen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit, wobei sich die Wahl der Quellen weitgehend durch deren Einfluss auf die Rechtsentwicklung erklärt. Der Hauptteil wird aufgrund der bedeutenden US-amerikanischen Einflüsse und der darin erfolgenden Querverweise mit einem Aufriss der US-amerikanischen Verfassungsentwicklung im Gebiet der Meinungsäußerungsfreiheit sowie einer Beschreibung der zentralen, aus dieser entnommenen Termini eingeleitet. Die zeitliche Gliederung der jeweiligen Länderdarstellungen im Hauptteil richtet sich nach den zentralen Umbrüchen der Judikatur bzw. der verfassungsrechtlichen Grundlagen. Der österreichische Teil ist in fünf Zeitabschnitte unterteilt: Ausgangspunkt bildet eine Analyse der Wurzeln des verfassungsrechtlichen Schutzes 1848/1867, insbesondere um aus den Debatten und anderen Materialien nach Indizien für die intendierte Stellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit zu suchen. Danach erfolgt die Analyse der reichsgerichtlichen Judikatur, deren Methodik in vielerlei Hinsicht für das spätere Verständnis der Meinungsäußerungsfreiheit wegbereitend war. Das spätere Recht wird in drei Teilen analysiert, wobei ein Teil die Entwicklungen in der Ersten Republik und die beiden anderen Teile die Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in der Zweiten Republik vor und nach der Inkorporation von Art 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in das österreichische Verfassungsrecht umfasst. Die unterschiedliche zeitliche Entwicklung legt für das britische Recht ein anderes Modell nahe. Der britische Teil wird mit einem Kapitel über die verschiedenen Rahmenbedingungen des britischen Rechts eingeleitet, womit die besonderen Umstände des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit im Kontext des britischen Rechts veranschaulicht werden sollen. Die erste Zeitperiode ist neben einer punktuellen Untersuchung der früheren Wurzeln der Entwicklung des Rechts von 1830 bis zur Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewidmet. Die zweite Zeitperiode ist zwischen dem Inkrafttreten der EMRK 1953 und vor der Inkorporation der EMRK 1998 angesetzt. Dabei soll das komplexe Verhältnis zwischen der EMRK und dem britischen Recht sowie den in dieser Zeit erfolgten Einflüssen durch die Judikatur anderer Common Law-Staaten aufgezeigt

22 Einleitung werden. Die Untersuchung der dritten Zeitperiode widmet sich schließlich den durch den Human Rights Act 1998 erfolgten Änderungen durch die Einbindung der EMRK in das innerstaatliche Recht und der seit dessen Inkrafttreten im Jahr 2000 erfolgten Judikatur zur political speech. Die sachliche Gliederung der Analyse des österreichischen Rechts ist in jeder Zeitperiode (mit Ausnahme jener der Entwicklungen seit der Inkorporation der EMRK in das österreichische Verfassungsrecht) dieselbe: So werden zunächst die rechtshistorischen Rahmenbedingungen und allgemeinen Entwicklungsaspekte geschildert, um die Einflüsse der allgemeinen Verfassungsentwicklung auf die Entwicklungen im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit zu verdeutlichen. Danach folgt eine Untersuchung, wer als Grundrechtsträger infrage kommt, also wer sich auf das Grundrecht berufen kann (Menschen/ Bürger/juristische Personen). Anschließend wird die Definition des Begriffs der Meinung in der jeweiligen Epoche aufgezeigt, welche lange eine sehr einschränkende Wirkung auf die Meinungsäußerungsfreiheit entfaltete. Die Analyse der Entwicklung des Systems des Schutzes gegenüber der Verwaltung (Exekutive ieS) und der Gesetzgebung erfolgt in zwei getrennten Kapiteln. Auch die speziellen Bestimmungen zur Meinungsäußerungsfreiheit mittels technischer Hilfsmittel (z. B. Presse, Radio) werden wegen ihrer Bedeutung in einem speziellen Kapitel dargestellt. Diese sind weitgehend auf ein Verständnis der Meinungsäußerungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat fokussiert. Im letzten Zeitabschnitt (über die Entwicklungen seit der Inkorporation der EMRK in das österreichische Verfassungsrecht) folgt außerdem ein Überblick über die nunmehr bedeutsamen Auswirkungen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit auf das Straf- und Zivilrecht. Jeder Zeitperiode ist ferner eine Kurzübersicht (Fazit) über die wichtigsten Entwicklungen beigefügt. Die sachliche Gliederung des sich der britischen Rechtsentwicklung widmenden Teils differiert in den untersuchten Zeitabschnitten, da vor dem Human Rights Act der Ausgangspunkt des Schutzes nicht ein allgemeines Recht auf eine politische oder sonstige Meinungsäußerung war. Vielmehr entwickelte sich dieses als Rechtsprinzip in bestimmten Bereichen des Rechts. Dieses kam vor allem im Diffamierungsrecht, genauer gesagt in Bereich der Einreden (vor allem privilege und fair comment) zum Ausdruck. Daher erfolgt die sachliche Gliederung bis zum Human Rights Act nach einem Überblick über die allgemeinen Entwicklungen in zwei Teilen: In die Analyse der allgemeinen Entwicklung der privilege unter dem Aspekt der Meinungsäußerungsfreiheit einerseits und in die für politische Meinungsäußerung besonders relevanten Entwicklungen von privilege und fair comment andererseits.



Gegenstand, Methode und Aufbau

23

Dies geschieht in der ersten Zeitperiode zur Verdeutlichung der allgemeinen Wurzeln in getrennten, in den folgenden Zeitperioden aber in einem Kapitel. In der Phase zwischen Ratifikation und Inkorporation der EMRK erfolgen dazu noch die angesprochenen Analysen der Entwicklungen in Schottland und Australien. Da sich durch den Human Rights Act die Ausgangslage insofern veränderte, als aus dem Rechtsprinzip ein allgemeines Recht wurde, ist für diese Periode auch eine andere Gliederung erforderlich. Deshalb erfolgt nach der Analyse der Veränderungen im Bereich des Schutzes der political speech generell und in jenem des law of libel im Speziellen eine Darstellung des rechtlichen Charakters der Einschränkungen der legislativen Freiheit durch den Human Rights Act. Um den Unterschied beziehungsweise die Übereinstimmungen des jüngeren österreichischen und britischen Rechts mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) deutlicher aufzuzeigen, erfolgt  – neben diversen Verweisen in den jeweiligen Länderberichten – ein Überblick über die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Stellung der political speech in einem speziellen Kapitel. Der Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit durch Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird hingegen in dieser Arbeit nicht näher analysiert, da dieser ungeachtet seiner möglichen künftigen Bedeutung im Rahmen eines sowohl der britischen als auch der österreichischen Verfassung übergeordneten europäischen Verfassungswerkes in der nationalen Verfassungsentwicklung der beiden untersuchten Rechtsordnungen noch keine zentrale Rolle spielt. Anschließend werden bestimmte für die politische Meinungsäußerungsfreiheit besonders relevante Aspekte punktuell analysiert. Zunächst soll ein Überblick über das Verhältnis zwischen staatsfeindlicher und staatsgefährdender Meinungsäußerung sowie politischen Radikalismus und dem Recht auf politische Meinungsäußerung erfolgen. Aufgrund der rechtshistorischen Bedeutung der blasphemous libel als Einschränkung für politische Meinungsäußerungsfreiheit im britischen Kontext ist auch diesem Aspekt ein Kapitel gewidmet. Zuletzt erfolgt ein Überblick über die Entwicklung der Einschränkungen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit besonderer Gruppen. Diesen Länderberichten mit punktuellen rechtsvergleichenden Ansätzen folgt ein komparatistisches Kapitel, in welchem die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten des Rechtsproblems in Österreich und Großbritannien in ihrer zeitlichen und inhaltlichen Entwicklung herausgearbeitet werden. Im Rahmen des Ausblicks wird auch auf De-lege-ferenda-Aspekte eingegangen. Sämtliche in dieser Arbeit verwendeten Begriffe verstehen sich geschlechtsneutral.

24 Einleitung

2. Definitionen 2.1 Definition des Begriffes „Meinungsäußerungsfreiheit“ Die gewählte Definition der Meinungsäußerungsfreiheit lehnt sich an das moderne Verständnis des Grundrechtes an und umfasst sowohl Werturteile, umfassende Äußerungen als auch Tatsachenäußerungen. Sie entspricht damit exakt der Formulierung von Art 10 Abs 1 EMRK: Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen … ein.4 Eine Eingrenzung der Meinungsäußerung auf Meinungen als schöpferischer, geistiger und nicht wertindifferenter Akt erfolgt also nicht. Die resultierende Abgrenzung zwischen der Auffassung und dem Bericht über eine Tatsache gemäß des früher vorherrschenden Verständnisses der Meinungsfreiheit5 wird dadurch überflüssig. Hingegen erfolgt insofern eine Einschränkung des Anwendungsgebietes des Art 10 EMRK, als diese Untersuchung nicht auch das Recht zum Empfang von Meinungen einschließt. Damit ist diese auf einen speziellen Kernbereich der weiteren Kommunikationsfreiheit fokussiert.6 Im britischen Teil werden die in diesem Zusammenhang mitunter wie austauschbare Termini benützten Begriffe freedom of expression, freedom of speech, freedom of opinion und freedom of discussion so weit mit dem Begriff Meinungsäußerungsfreiheit übersetzt bzw. unter diesem Aspekt behandelt, als diese Bedeutung dem Kontext nach angemessen erscheint. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass Albert Venn Dicey den Begriff freedom of discussion dem seiner Ansicht nach populären, aber unzutreffenden Terminus freedom of opinion vorzog.7 Die Pressefreiheit wird als eines der wesentlichsten Mittel der Meinungsäußerung8 gerade in Anbetracht seiner Bedeutung als Mittel der politischen Mei-

  4 BGBl 210/1958.   5 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 325.   6 Siehe dazu Theo Öhlinger, Verfassungsrecht7 (2007) RZ 911; Robert Walter/Heinz Mayer/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RZ 1456 f; Walter Berka, Die Grundrechte, Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich (1999) RZ 544.   7 Albert Venn Dicey, Law and Public Opinion in England (1905) 203.   8 VfGH Slg. Nr. 5663/1968.

Definitionen 25

nungsäußerung mitberücksichtigt,9 und in Bezug auf Österreich im Hauptteil zusammen mit anderen medialen Formen der Meinungsäußerung (Film, Radio, Theater etc.) unter dem Kapitel der Freiheit der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel behandelt. Für die Sicht der Meinungsäußerungsfreiheit mittels technischer Hilfsmittel als integraler Bestandteil der Meinungsäußerungsfreiheit spricht dabei etwa schon die in der Pillersdorf ’schen Verfassung von 184810 gewählte Formulierung (Die Freyheit der Rede und Presse ist … gesichert).11 Wäre man von zwei verschiedenen subjektiven öffentlichen Rechten ausgegangen, hätte die Formulierung sind … gesichert lauten müssen.

2.2 Definition des Begriffes „political speech“ In Meyer v. Grant definierte der U.S. Supreme Court core political speech als the type of interactive communication concerning political change.12 Diese Definition von core political speech bzw. politische Meinungsäußerung in ihrem Kernbereich wird auch dieser Arbeit zugrunde gelegt.13 Für die politische Meinungsäußerungsfreiheit im weiteren Sinn eignet sich die Definition der Baroness Hale of Richmond in Campbell v. MGN Ltd.: The free exchange of information and ideas on matters relevant to the organisation of the economic, social and political life of the country .... Die in diesem Zusammenhang erfolgte Einordnung der Public Figure Doctrine14 als Konsequenz des Schutzes von political speech entspricht jedoch nicht der dieser Arbeit zugrunde liegenden Definition.15 Der Begriff der politischen Meinungsäußerungsfreiheit oder political speech im engeren Sinn kann also als jene Meinungsäußerungen, die unmittelbar die Belange des Staates oder seine Form betreffen, umschrieben werden (core political speech). Die allgemeine hier verwendete Definition ist allerdings die  9 Zu den Unterschieden der theoretischen Grundlagen siehe etwa Geoffrey Marshall, Press Freedom and Free Speech Theory, P.L. 1992, 40 ff. 10 Siehe dazu im Kapitel über die rechtshistorischen Rahmenbedingungen in der Entwicklungsphase des Frühkonstitutionalismus. 11 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 3. 12 Thus, the circulation of a petition involves the type of interactive communication concerning political change that is appropriately described as “core political speech.” (Justice Stevens) Meyer v. Grant, 486 U.S. 414, 421 f (1988). 13 Gegen eine Sonderbehandlung eines eng gefassten Begriffes von political speech siehe etwa Dario Milo, Defamation and Freedom of Speech (2008) 63 f. 14 In der Einleitung zum Hauptteil definiert. 15 Campbell v. MGN Ltd (2004) 2 All ER 995 (H.L.) RZ 148.

26 Einleitung einer politischen Meinungsäußerung iwS, im Sinne von speech relating to selfgovernment.16 Sie umfasst alle den Staat direkt betreffenden Themen, damit etwa auch Meinungsäußerungen zu Sachverhalten, deren Klärung den Gegenstand eines politischen Diskurses bilden könnte. Darunter fällt sowohl Meinungsäußerung mittels zwischenmenschlicher Kommunikationsformen als auch solche durch auf ein breites Publikum gerichtete Kommunikationsmittel (Presse, Theater, Homepages). Kommerzielle Meinungsäußerungen oder obszöne Meinungsäußerungen liegen jedenfalls außerhalb der hier verwendeten Definition.17 Die Definition von political discussion des EGMR in Thorgeirson v. Iceland, direct or indirect participation by citizens in the decision making process in a democratic society,18 kann in einem Punkt als zu eng betrachtet werden, nämlich in der Beschränkung auf Bürger. Denn auch Menschen, die nicht Bürger eines demokratischen Gemeinwesens sind, können zweifellos wichtige Beiträge für die politische Debatte leisten. Ihr Ausschluss würde einen gravierenden Verlust für den Marktplatz der politischen Ideen darstellen.19 Der Ausdruck der freedom of speech ist allerdings insofern weiter als jener der Meinungsäußerungsfreiheit, als er sich terminologisch nicht auf die Äußerungen von Meinungen beschränkt,20 andererseits aber auch auf Rede im übertragenen Sinne wie z. B. symbolic speech anwendbar ist.21

2.3 Definition von Verfassung Jenem Teil der Arbeit, der sich mit dem österreichischen Recht befasst, wird ein formeller Verfassungsbegriff zugrunde gelegt. Dabei wird unter Verfassung 16 Siehe dazu etwa Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law, Cases, Comparative Perspectives, and Dialogues (2003) 10 ff. 17 Ein Versuch einer Definition von political speech mittels Gegenüberstellung von britischer, australischer und EGMR-Judikatur erfolgte in Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 108 ff. 18 Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, 25.6.1992, no. 13778/88, § 60. 19 Siehe dazu etwa die Begründung Alexander Meiklejohns in Abschnitt II. 20 Was insbesondere für die Judikatur des Reichsgerichtes und ihre enge Definition des Begriffs der Meinung relevant ist. Für die EMRK wurde allerdings nicht der Begriff freedom of speech, sondern freedom of opinion bzw. liberté d’opinion gewählt, wenngleich mögliche Beschränkungen durch Art 10 selbst beschränkt wurden (so ist die Freiheit der Mitteilung von Nachrichten und Ideen ausdrücklich inkludiert). Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 2.5.3. 21 Siehe dazu etwa die First-Amendment-Judikatur und -Lehre: Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law, Cases, Comparative Perspectives, and Dialogues (2003) 10.

Definitionen 27

im formellen Sinn ein durch besondere Form, also durch ein besonderes, im Vergleich zur einfachen Gesetzgebung erschwertes Verfahren erlassenes und abgeändertes Recht verstanden.22 Aus dem Mangel an einer britischen Verfassung im formellen Sinn ergibt sich das Problem eines einheitlichen, der Arbeit zugrunde liegenden Verfassungsbegriffes, weswegen für das hier behandelte britische Recht nur ein materieller Verfassungsbegriff herangezogen werden kann.23 Ein Äquivalent zu einer über dem einfachen Gesetz stehenden Norm (oder auch eines einheitlichen schriftlichen Dokuments) existiert in Großbritannien auch heute nicht.24 Besonders deutlich wird dies aus der folgenden Passage von Anthony Lester: … although we have laws which may be called fundamental or constitutional because they deal with important principles lying at the basis of our institutions … with us there is no such thing as a supreme law, or law which tests the validity of other laws. Both the Act of Union with Scotland and the Dentist’s Act may be repealed or modified at the pleasure or caprice of Parliament, and neither has more claim than the other to be considered a supreme law.25 Im Hinblick auf die Human Rights Bill 26 wurde die Möglichkeit eines besonderen, nur durch qualifizierte Mehrheiten abänderbaren Gesetzes von der Regierung erwägt, aber unter Berücksichtigung der britischen Verfassungstradition abgelehnt.27 Darüber hinaus sind wesentliche Elemente der britischen Verfassung ungeschrieben und leiten sich aus der Verfassungspraxis oder richterlichen Entscheidung ab,28 was gerade für die dieser Arbeit zugrunde liegenden Rechtsfrage (insbesondere vor dem Human Rights Act 1998) von besonderer Bedeutung ist. Die Analyse des britischen Rechts folgt hinsichtlich des Begriffs des Verfassungsrechts daher weitgehend dem materiellen Verfassungsrechtsbegriff in 22 Siehe dazu Theo Öhlinger, Verfassungsrecht7 (2007) RZ 2 f; Robert Walter/Heinz Mayer/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RZ 5 ff. 23 Siehe dazu Bernd Wieser, Vergleichendes Verfassungsrecht (2005) 51; Francis Lyall, An Introduction to British Law2 (2002) 53 ff; 76. 24 Siehe dazu etwa David Pollard/Neil Papworth/David Hughes, Constitutional and Administrative Law3 (2001) 2; worin der Charakter des britischen Verfassungsrechts als descriptive statt prescriptive beschrieben wurde. 25 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated? P.L. 1984, 46. 26 Dem Gesetzesentwurf zum Human Rights Act. 27 The Human Rights Bill, http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/ chap2.htm (30. 11. 2007, 12:00). 28 Bernd Wieser, Vergleichendes Verfassungsrecht (2005) 51.

28 Einleitung Österreich.29 Die systematische Einordnung richtet sich im Zweifelsfall jedoch nach dem britischen Verfassungsverständnis. Legt man der Analyse des britischen Verfassungsrechtes einen formellen Verfassungsbegriff zugrunde, würde das Resultat der Bemerkung von Alexis de Tocqueville über die englische Verfassung entsprechen: elle n’existe point.30 Dem britischen Rechtsverständnis folgend bilden auch Entscheidungen aus dem Bereich des Common Law eine wichtige Quelle des britischen Verfassungsrechts.31

29 Besonders deutlich in John Alder, Constitutional and Administrative Law2 (1994) 23. 30 Paul Posener, Die Staatsverfassungen des Erdballs (1909) 76. Siehe dazu auch Stanley de Smith/ Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 3. 31 Siehe dazu etwa Stanley de Smith/Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 23 f; Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 37.

II. STAATSPHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN

And though all the windes of doctrine were let loose to play upon the earth, so Truth be in the field, we do injuriously by licencing and prohibiting to misdoubt her strength. Let her and Falsehood grapple; who ever knew the Truth put to be wors, in a free and open encounter. John Milton Areopagitica, 164432

Nicht nur für das Verstehen der Rechtsentwicklung, auch für das Verständnis der auf den ersten Blick sehr kasuistisch erscheinenden Judikatur ist ein Überblick über die staatsphilosophischen Grundlagen unentbehrlich. Dieser soll die für die Rechtsentwicklung sowohl in Österreich als auch in Großbritannien (sowie für die Judikatur des EGMR und des US Supreme Court) besonders bedeutsamen Aspekte aufzeigen. Der Fokus liegt folglich nicht auf der allgemeinen philosophischen Entwicklung, sondern auf jenen ideengeschichtlichen Entwicklungen, welche für die Verfassungsgesetzgebung und Judikatur von zentraler Bedeutung waren beziehungsweise sind. Ivan Hare beschrieb noch 2006 die britische Free Speech Doctrine als heavily under-theorised 33 und stellte fest, dass das Vereinigte Königreich weit von einer philosophisch kohärenten Methode im Bereich der freien Meinungsäußerung entfernt sei.34 Dies gilt angesichts der noch zu beschreibenden starken angelsächsischen Wurzeln der modernen Doktrin des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der political speech wohl umso mehr für Österreich. Ein logischer Ausgangspunkt für die staatsphilosophische Begründung einer rechtlichen Sonderstellung politischer Meinungsäußerungsfreiheit ist die Opinion Lord Steyns in R. v. Secretary of State for the Home Department, ex p. Simms. Darin bezeichnete dieser die Meinungsäußerungsfreiheit als the lifeblood of democracy. Durch den freien Fluss von Informationen und Ideen werde die politische Debatte mit Informationen versorgt. Sie diene als Sicherheitsventil, da Menschen 32 John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 45. 33 Er verwies dabei auf die Versuche einer Zusammenfassung durch Lord Steyn in R. v. Secretary of State for the Home Department, ex p. Simms und R. v. Shayler, welche wichtige Ausgangspunkte für dieses Kapitel darstellen. 34 Ian Hare, Crosses, Crescents and Sacred Cows: Criminalising Incitement to Religious Hatred, P.L. 2006, 526.

32

Staatsphilosophische Grundlagen

eher bereit seien, gegen sie gerichtete Entscheidungen zu akzeptieren, wenn sie diese im Prinzip beeinflussen können. Insbesondere diene sie as a brake on the abuse of power by public officials und facilitates the exposure of errors in the government and administration of justice of the country.35 Doch dieser Ansatz, der Wert von political speech iwS für das demokratische System, war für Lord Steyn nur eine von mehreren Grundlagen für die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit,36 welche in diesem Kapitel besprochen werden sollen. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Doppelfunktion der Meinungsäußerungsfreiheit als generelles individuelles Grundrecht einerseits und als Fundament für den demokratischen Rechtsstaat durch seine Funktion als conditio sine qua non für ein offenes politisches Forum andererseits.37 Letzteres bildet die Grundlage des Arguments für eine besondere Stellung der politischen Meinungsäußerung.38 Diese Doppelfunktion geht auch deutlich aus den ersten drei Sätzen des Frowein-Kommentars zu Art 10 EMRK hervor: Die Freiheit der Meinungsäußerung ist für den freiheitlichen demokratischen Staat grundlegend. Ohne sie ist Demokratie nicht denkbar. Sie stellt aber gleichzeitig eine für die Persönlichkeitsentfaltung jedes Menschen wesentliche Bedingung dar.39 35 R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. Siehe dazu etwa auch H.B. Mayo, An Introduction to Democratic Theory (1960) 142 f; Frede Castberg, Freedom of Speech in the West (1960) 422; Siegfried Pausewang, Öffentliche Meinung und Massenmedien, in Wolfgang Abendroth/Kurt Lenk, Einführung in die politische Wissenschaft5 (1977) 299 f; Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie4 (1971) 83 ff. 36 R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. 37 Und damit zugleich eine condition sine qua non für die Demokratie selbst. Siehe etwa Tom Lewis/ Peter Cumper, Balancing Freedom of Political Expression against Equality of Political Opportunity: The Courts and the UK’s Broadcasting Ban on Political Advertsing, P.L. 2009, Jan, 90. 38 Siehe dazu etwa den U.S. Supreme Court (Justice Brennan) in Garrison v. Lousiana: For speech concerning public affairs is more than self-expression; it is the essence of self government. Siehe Garrison v. Lousiana, 79 U.S. 64, 74 f (1964). Siehe dazu ferner auch Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 328 f; sowie Colin Turpin, British Government and the Constitution5 (2002) 154; wobei in diesem Fall die Rechtfertigung der Meinungsäußerungsfreiheit als Beitrag to the buttressing of democracy die Hauptperspektive für die Analyse darstellte (vor allem unter Bezugnahme auf ex p Simms und ProLife Alliance). 39 Jochen Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische MenschenRechtsKonverntion: EMRK-Kommentar3 (2009) 340. Siehe dazu auch die (von Frowein zitierte) Definition in Handyside v. the United Kingdom, 7. 12. 1976, no. 5493/72, § 49. David Harris/Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 373. Siehe dazu ferner die Ausführungen des EGMR in Lindon, Otchakovsky-Laurens and July v. France, 22.10. 2007, no. 21279/02 und 36448/02, § 45.



Der Marktplatz der Ideen

33

Die Grundlage für die letztere These basiert auf dem Gedanken, dass in einer freien und offenen politischen Debatte, in welcher sämtliche Meinungen ungehindert vorgebracht und ihrerseits Kritik unterworfen werden können, letztlich die Wahrheit siegt.40 Doch der nicht auf politisch relevante Themen beschränkte Marktplatz der Ideen kann auch als weitere, von political speech unabhängige Grundlage der Meinungsäußerungsfreiheit neben der Idee eines (Natur)Rechts auf individuelle Freiheit und der Funktion als essentielles Instrument für die Demokratie betrachtet werden. Diese Kategorisierung war von Lord Steyn in R41 v. Secretary of State, ex p Simms 1999 zum Ausdruck gebracht worden.42

2.1 Der Marktplatz der Ideen In jedem Fall ist der Gedanke des Marktplatzes der Ideen, selbst wenn dieser auch für andere Bereiche relevant ist, für die political speech-Doktrin zentral. Dies wird durch die Berufung auf den Gedanken des marketplace of ideas durch die Verteidigung und dessen Aufgreifen durch Lord Cooke als Grundlage für eine Sonderhandlung von political speech in Reynolds v. Times Newspaper deutlich.43 Die moderne These des Marktplatzes der Ideen ist weitgehend auf die 1644 veröffentlichte Areopagitica John Miltons (1608–1674) zurückzuführen, deren zentrale Passage die Bedeutung eines freien Austausches von Ideen bei der Suche nach der Wahrheit hervorhob: And though all the windes (alteng.) of doctrine were let loose to play upon the earth, so Truth be in the field, we do injuriously by licencing and prohibiting to misdoubt her strength. Let her and Falsehood grapple; who ever knew the Truth put to be wors, in a free and open encounter.44 Diese Idee eines marketplace of ideas war allerdings nicht auf den Bereich der politischen 40 Siehe dazu etwa die zitierte Opinion Lord Steyns sowie die in FN 27 angeführten Quellen. 41 Abkürzung für regina (oder rex). 42 R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. 43 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 638 f. 44 John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 2, 45. Siehe dazu insbesondere auch die folgende Passage: For who knows not that Truth is strong next to the Almighty; she needs no policies, no stratagems, nor licencings to make her victorious, those are the shifts and the defences that error uses against her power: give her but room & do not bind her when she sleeps, for when she speaks not true, as the old Proteus did, who spake oracles only when he was caught & bound, but then rather she turns herself into all shapes, except her own, and perhaps tunes her voice according to the time, as Micaiah did before Ahab, until she be adjure’d into her own likeness. Yet it is not impossible that she may have more shapes than one. What else is all that rank of things indifferent, wherein Truth may be on this side, or the other, without being unlike herself. Ebenda 46.

34

Staatsphilosophische Grundlagen

Meinungsäußerungsfreiheit beschränkt, sondern umfasste insbesondere auch die Natur- und Geisteswissenschaften.45 John Stuart Mills (1806–1873) Thesen zur Meinungsäußerungsfreiheit in seinem Traktat On Liberty aus dem Jahr 1859 basieren eindeutig auf der Prämisse eines Milton’schen Marktes der Ideen. Der Kern seiner These ist nicht die Notwendigkeit des Schutzes einer individuellen Ausdrucksfreiheit, sondern der Vorteil für die Öffentlichkeit, bei ihrer Suche nach der Wahrheit Zugang zu allen Meinungen zu haben.46 Denn wenn die gesamte Menschheit mit der Ausnahme eines Menschen einer Meinung sei, sei eine Unterdrückung von dessen Meinung durch die Menschheit ebenso wenig gerechtfertigt, als dieser Mensch, wenn er die Macht hätte, gerechtfertigterweise jene der gesamten Menschheit unterdrücken könnte. Das Übel der Unterdrückung einer bestimmten Meinungsäußerung sah Mill darin, dass dadurch die gesamte Menschheit dieser Meinung beraubt würde, und zwar vor allem jene, welche mit dieser nicht übereinstimmten. Denn ist die Meinung richtig, würde ihnen die Möglichkeit genommen, ihren Irrtum durch die Wahrheit zu ersetzen. Ist sie jedoch falsch, würde ihnen die klarere und lebendigere Wahrnehmung der Wahrheit genommen, wie sie durch die Auseinandersetzung mit der Fehlannahme geschaffen wird.47 Einerseits existiert die Möglichkeit der Wahrheit einer Meinung, die unterdrückt werden soll, gerade in Hinblick auf die mangelnde Unfehlbarkeit derer, die sie unterdrücken wollen. Andererseits wäre selbst im Fall, dass man sich der Falschheit der Meinung sicher wäre, deren Unterdrückung ein Übel. Denn jegliche rationale Versicherung für die Annahme der Richtigkeit der eigenen Meinung könne nur auf der Grundlage einer vollständigen Freiheit, dieser zu widersprechen und sie durch Beweise zu entkräften, basieren.48 Mill hob zwar am Anfang seines Kapitels Of the Liberty of Thought and Discussion den gegenwärtigen Zustand von political discussion und die Möglichkeit von dessen Verfolgung hervor. Seine Thesen scheinen allerdings auf einen allgemeinen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit als Mittel zur Suche nach Wahrheit abzuzielen und nicht speziell auf die politische Meinungsäußerung gerichtet zu sein.49 Wenn Mill als ein mögliches Argument eines Feindes der Redefreiheit anführt, es bestünde ja keine Notwendigkeit for mankind in general to know and understand all that can be said against or for their opinions by philosophers and 45 Andrew Nicol/Gavin Millar/Andrew Sharland, Media Law and Human Rights (2001) 2. 46 John Stuart Mill, On Liberty (1910) 22 ff. 47 Ebenda 24. 48 Ebenda 24 ff. 49 Ebenda 22 ff.



Der Marktplatz der Ideen

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theologians50, wird dadurch auch eine prädemokratische Sichtweise demonstriert, da im demokratischen Staatswesen die Bedeutung der Informiertheit einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu einer unbestreitbaren Grundlage für die informierte Ausübung von deren demokratischen Rechten wird. Der niederländische Philosoph Benedictus (Baruch) de Spinoza (1632–1677) hatte hingegen im 20. Kapitel seines theologisch-politischen Traktates einen gänzlich verschiedenen Ansatz verfolgt. Das Hauptargument für die Meinungsäußerungsfreiheit war nach Spinoza keineswegs die Gewinnung der Wahrheit durch einen offenen und freien Diskurs. Vielmehr standen die Ineffizienz ihrer Unterdrückung51 sowie die systemimmanente Härte einer diese forcierenden Regierung52 und die Folgen für die Moral53 im Mittelpunkt.54 50 Ebenda 54. 51 Aber weit entfernt, dass wirklich alle nur nach der Vorschrift redeten, würden die Menschen gerade um so hartnäckiger auf der Redefreiheit bestehen, je mehr man sie ihnen zu nehmen trachtete, und zwar nicht die Habgierigen, die Schmeichler und die anderen Menschen von ohnmächtigem Geiste, deren größtes Glück es ist, das Geld im Kasten zu betrachten und sich den Bauch zu füllen, sondern gerade diejenigen, die ihre gute Erziehung, die Reinheit ihrer Sitten und die Tugend zu freieren Menschen gemacht hat. Benedictus de Spinoza, Theologisch-Politischer Traktat (1955)5 356 f. Wenn es also unmöglich ist, diese Freiheit (der Meinungsäußerung) den Untertanen ganz zu nehmen, so wird es doch das Allerverderblichste sein, sie ihnen schlechthin einzuräumen. Ebenda 352. 52 Wenn also niemand die Freiheit, nach Willkür zu urteilen und zu denken, aufgeben kann, sondern ein jeder nach dem höchsten Naturrecht Herr seiner Gedanken ist, so kann der Erfolg nur ein sehr unglücklicher sein, wenn man es in einem Staate versuchen will zu bewirken, dass die Menschen, so verschieden und entgegengesetzt auch ihre Gedanken sind, bloß nach der Vorschrift der höchsten Gewalten reden. Denn auch die Klügsten, vom Volke ganz abgesehen, wissen nicht immer zu schweigen. … Darum wird diejenige Regierung die gewalttätigste sein, bei der einem jeden die Freiheit, zu sagen und zu lehren, was er denkt, verweigert wird, und diejenige dagegen gemäßigt, die diese Freiheit jedem zugesteht. Ebenda 352. 53 Gesetzt aber, diese Freiheit könnte unterdrückt und die Menschen könnten so eingeschränkt werden, dass sie nicht zu mucken wagten ohne Erlaubnis der höchsten Gewalten, so wird es doch sicherlich niemals dahin kommen, dass sie bloß so denken, wie die höchsten Gewalten es wollen. Die notwendige Folge wäre also, dass die Menschen Tag aus Tag ein anderes redeten, als die dächten, und damit würde Treu und Glaube, die dem Staat doch so nötig sind, aufgehoben und durch Heuchelei und Treulosigkeit großgezogen, die Quelle jeden Betrugs und der Verderb aller guten Sitten. … Lässt sich ein größeres Unglück für einen Staat denken, als dass achtbare Männer, bloß weil sie eine abweichende Meinung haben und nicht zu heucheln verstehen, wie Verbrecher des Landes verwiesen werden? Was, sage ich, kann verderblicher sein, als wenn Männer nicht wegen eines Verbrechens oder einer Freveltat, sondern nur weil sie freien Geistes sind, für Feinde erklärt und zum Tode geführt werden, wenn das Schafott, das Schreckbild des Bösen, zur schönsten Schaubühne wird, um das erhabenste Beispiel der Selbstverleugnung und Tugend, aller Majestät zum Hohne, darzubieten? Benedictus de Spinoza, Ebenda 356, 358. 54 Ebenda 350 ff.

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Staatsphilosophische Grundlagen

De Spinoza anerkannte zwar die Nützlichkeit des Vorbringens von politischen Meinungen als Grundlage für mögliche Verbesserungen des Staatswesens, unterwarf diese Art der Meinungsäußerung allerdings engen Grenzen.55 Überhaupt sah er die von ihm geforderte Meinungsäußerungsfreiheit nicht nur unter dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt, sondern auch unter dem Vorbehalt der Autorität der höchsten Gewalten.56 Kategorisch außerhalb des geschützten Bereichs lägen darüber hinaus durch Täuschung, Zorn und Hass vertretene sowie auf eigenmächtige politische Veränderungen gerichtete Meinungsäußerungen.57 Die politische Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt nach diesem Modell also nicht besonderem Schutz, sondern vielmehr besonderen Beschränkungen. Eigenmächtige gesetzwidrige Handlungen zur Errichtung der Meinungsäußerungs- oder einer anderen Freiheit lehnte de Spinoza sogar als gottlos ab.58

2.2 Freie Meinungsäußerung als systemerhaltendes Instrument Bereits in der durch Thukydides (460–399/396 v. Chr.) überlieferten Grabesrede des Perikles findet sich die These, dass die freie politische Rede nicht etwa nur für das Individuum, sondern für das Staatswesen (die Demokratie Athens) von entscheidender Bedeutung ist.59

55 Wenn z. B. jemand nachweist, dass ein Gesetz der gesunden Vernunft widerstreitet, und deshalb für seine Abschaffung eintritt, so erwirbt er sich ganz gewiss ein Verdienst um den Staat als einer seiner besten Bürger, sofern er nur seiner Meinung dem Urteil der höchsten Gewalt unterwirft (der es allein obliegt, Gesetze zu geben und abzuschaffen) und sofern er nicht gegen die Vorschrift dieses Gesetzes handelt. Tut er es aber, um die Obrigkeit der Ungerechtigkeit zu beschuldigen … so ist er eben ein Unruhestifter und Empörer. Ferner soll jener nicht geschützt sein der mit der Absicht, etwas im Staate auf seinen Beschluss hin einzuführen redet oder lehrt. Ebenda 353 f. 56 Ebenda 354. 57 Ebenda 353. 58 Ebenda 354. Für eine systematische Aufgliederung von de Spinozas Hauptthese in sechs Punkten siehe ebenda 360 f. 59 We are unique in considering the man who takes no part in these (political affairs) to be not apolitical but useless, finding harm not in the effect of speeches on action but in failing to get instruction by speech before proceeding to what must be done. For in that we are both especially daring and especially thorough in calculating what we attempt, we can truly be distinguished from other men, for whom ignorance is boldness but calculation brings hesitancy. Rightly would they be judged strongest in spirit who recognize both dangers and pleasures with the utmost clarity and are on neither count deterred from risks. Thucydides, The Peloponnesian War (1998) 91 ff, 94 f.



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Charles-Louis de Montesquieu (1689–1755) war hingegen in seinem Werk Vom Geist der Gesetze noch nicht von einer breiten Aufklärung der Bevölkerung in der Demokratie ausgegangen. Er sah etwa die öffentliche Stimmabgabe in der Demokratie gerade deswegen als grundlegendes Gesetz dieser Staatsform an, da die kleinen Leute durch die Großen aufgeklärt werden müssten und an diesen Halt fänden.60 Folglich hatte er eine universelle politische Allgemeinbildung durch freie politische Rede nicht als Vorbedingung für die demokratische Staatsform betrachtet. Edmund Burke (1729–1797) betrachtete hingegen die freie politische Debatte als Charakteristikum eines freien Staates, wie aus dem Entwurf für einen Brief an die Kämmerer des Bell Club aus 1777 deutlich wird: In a free country, every man thinks he has a concern in all publick (altenglisch) matters; that he has the right to form and a right to deliver an opinion upon them.61 Zu einem ähnlichen Schluss wie Perikles (490–420 v. Chr.) kam James Madison (1751–1836). Eine Regierung des Volkes, ohne dass diese informiert sei oder über die Mittel, Informationen zu erhalten, verfüge, betrachtete er als Vorspiel eines Scherzes oder einer Tragödie. Menschen, die sich selbst regieren wollen, müssten sich nach Madison mit jener Macht bewaffnen, welche das Wissen verleiht.62 Gewisse Hinweise für dahin gehende Überlegungen finden sich ferner bereits in der britischen Judikatur des 19. Jahrhunderts.63 Diese Entwicklung ist auch mit der von Jürgen Habermas (1929–) festgestellten Vorreiterrolle Englands als Modellfall für eine politisch fungierende Öffentlichkeit zu sehen, als deren Entstehungszeitpunkt er die Wende zum 18.  Jahrhundert nennt. Als Gründe für die Existenz und Entwicklung eines räsonierenden Publikums führte Habermas neben soziologisch-produktionstechnischen Gründen die Aufhebung der Vorzensur an.64 60 Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1965) 110. 61 They sift, examine, discuss them. They are curious, eager, attentive, and jealous; and by making such matters the daily subjects of their thoughts and discourses, vast numbers contract a very tolerable knowledge of them; and some a very considerable one. And this it is, that fills free Countries with men of ability in all Stations. George H. Guttridge, The Correspondence of Edmund Burke III (1961) 397. 62 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 32. 63 Siehe dazu ausführlich in Abschnitt III Kapitel 3.2.2. 64 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (1990) 122 ff. Die im Folgenden verwendeten Begriffe der Vorzensur oder Präventivzensur sind als Zensur in dem Sinne zu verstehen, als die Veröffentlichung an eine vorangehende inhaltliche Genehmigung gebunden ist. Nachträgliche Repressionsmaßnahmen fallen nicht unter diesen Begriff. Die Schreibweise (Vor-)

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Immanuel Kant (1724–1804) schrieb dazu in seinem Aufsatz zur Frage Was ist Aufklärung? 1784, [d]ass … ein Publicum sich selbst aufkläre, ist eher möglich, ja es ist, wenn man ihm nur die Freiheit lässt, beinahe unausweichlich.65 Mehr noch: Sein Plädoyer für den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit 66 führt zu der Schlussfolgerung, dass [z]u dieser Aufklärung nichts erfordert wird als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.67 Dennoch bleibt unklar, ob diese von Kant angestrebte allgemeine Aufklärung als Mittel zum Erreichen einer informierten Demokratie intendiert ist. So bezeichnete Kant nicht nur das Zeitalter der Aufklärung überhaupt als das Jahrhundert Friedrichs (des preußischen Königs). Am Schluss seiner Ausführungen steht keineswegs die Hoffnung auf Demokratisierung, sondern vielmehr dass ein aufgeklärter Mensch (der nun mehr als Maschine ist) seiner Würde entsprechend behandelt werde.68 Alexis de Tocqueville (1805–1859) bezeichnete in seinem Werk über die Demokratie in Amerika die Volkssouveränität und die Pressefreiheit als aufeinander bezogene, die Zensur und das allgemeine Stimmrecht hingegen als sich widersprechende und in den politischen Einrichtungen eines Volkes nicht zugleich überlebensfähige Einrichtungen.69 Im österreichischen Kontext ist Band XIII des Staats-Lexikons von Carl von Rotteck (1775–1840) und Carl Welcker (1790–1869) hervorzuheben. Nach dem Hinweis, dass die Preßfreiheit [o]hne alle Beziehung auf den Staat … die Wissenschaften, die Intelligenz, die Humanität fördere,70 wird betont, dass den meisten der politische Standpunkt für die Beurteilung der Preßfreiheit weit wichtiger erscheint. Dabei wurde die Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit unter zwei Aspekten beleuchtet: Erstens wird die Bedeutung zur Offenlegung der Willkür der Beamten und des Missbrauchs der Staatsgewalt betont. Dadurch würde nicht nur der Staatsangehörige geschützt, sondern auch der Regierung ein besseres Bild ihrer Organe gegeben. Zensur wird dann verwendet, wenn verdeutlicht werden soll, dass der in den Quellen verwendete Begriff der Zensur Vorzensur (also eine der Veröffentlichung vorangehende Kontrolle) beschreibt. 65 Gustav Hartenstein, Immanuel Kant’s Sämmtliche Werke IV (1864) 162. 66 Ebenda 161. 67 Ebenda 162. 68 Ebenda 167 f. 69 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika (1976) 208. 70 Carl von Rotteck/Carl Welcker, Staats-Lexikon XIII (1842) 335.



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Wichtiger noch ist nach dieser Ansicht die freie Presse für die Fürsten und Regierungen, da diese nur so die volle Wahrheit zu hören bekämen.71 Hinsichtlich der einer bestehenden Ordnung gefährlichen politischen Ideen wurde argumentiert, dass Unruhen und Revolutionen dort ausbrachen, wo die Presse nicht frei war. Darüber hinaus stünden der Regierung alle Mittel zur Widerlegung von Irrtümern und absichtlichen Unwahrheiten zur Verfügung.72 Ein weiterer Grund bestünde darüber hinaus in Staaten mit repräsentativer Verfassung, da (d)as Grundprinzip dieser Verfassungen … bekanntlich eine öffentliche Meinung voraussetze, die Stimme über physische und geistige Bedürfnisse des Volkes, begründet in dem moralischen Urteil aller Besseren und Verständigeren.73 Die öffentliche Meinung sei in dreierlei Hinsicht bedeutsam: 1. Für die Sicherung der konstitutionellen Ordnung, 2. für die Information der Staatsregierung hinsichtlich der Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung sowie 3. für die Aufklärung und Verständigung innerhalb der Bevölkerung. Ungehemmte Verständigung über die öffentlichen Angelegenheiten, das heißt Preßfreiheit, ist daher in jeder Repräsentativverfassung erforderlich, damit der öffentliche Geist erzeugt und erzogen werde, damit die öffentliche Meinung sich äußere und ihre Lebensthätigkeit fortdaure.74 Auch wird an dieser Stelle als schlagender Beweis für die Verbindung zwischen der Pressefreiheit und der Repräsentativverfassung angeführt, dass Letztere nie ohne Verankerung der Preßfreiheit in der Verfassung entstanden sei.75 Deutlich ist auch die Formulierung Johann Nepumuk Bergers (1816–1870) in Die Preßfreiheit und das Preßgesetz aus 1848, wonach Preßfreiheit und Constitution siamesische Zwillinge seien und die Preßfreiheit die Verfassung vorbereiten und den Boden für sie düngen müsse.76 In der Einleitung des dem Erlass des Gesetzes gegen den Missbrauch der Presse (PressG 1849) vorangehenden österreichischen Ministerratsvortrages vom 12. 3. 1849 wurde die freie Presse sogar als eine der mächtigsten Stützpfeiler der konstitutionellen Staatsform bezeichnet.77 71 Ebenda 336 ff. 72 Ebenda 340. 73 Ebenda 341. 74 Ebenda. 75 Ebenda. 76 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 331, 687. 77 Ebenda 331 f.

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In bemerkenswerter Weise der modernen Doktrin zur political speech entsprach die folgende Passage eines von Eduard Herbst (1820–1892) verfassten Ausschussberichts des Abgeordnetenhauses von 1861, in welcher dieser feststellte, dass die Pressfreiheit nicht bloß ein Recht der Einzelnen, sondern auch eine politische Institution sei, die der freie Staat ebenso wenig entbehren kann, als sie der unfreie zu ertragen vermag. Dabei betonte er im Abgeordnetenhaus, dass diese Überzeugung von allen Mitgliedern des Ausschusses geteilt wurde.78 Diese Position spiegelt jedoch keineswegs die österreichische Lehre jener Zeit wider.79 Ungeachtet der früheren europäischen Ansätze kann das für die moderne First Amendment-Entwicklung (also der US-amerikanischen Entwicklung im Bereich der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit 80) besonders bedeutende Werk Alexander Meiklejohns (1872–1964) als der entscheidende Anstoß zur Entwicklung einer eigenen, besonders geschützten Kategorie der Meinungsäußerungsfreiheit in seiner modernen Form betrachtet werden81 – vor allem Free Speech and its relation to self-government.82 Darin argumentierte Meiklejohn für einen Ansatz der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des First Amendment, der von der zentralen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit als Vorbedingung einer möglichst hohen Bildung des Bürgers und damit der demokratischen Regierungsform überhaupt ausgeht.83 Der 78 Siehe Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus), I. Reichsraths-Session II (1862) 1958; Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 663. 79 Ebenda 661 ff. 80 Siehe dazu die Beschreibung in der Einleitung zum Hauptteil. 81 Siehe dazu Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 110. Siehe auch Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law, Cases, Comparative Perspectives, and Dialogues (2003) 10. Siehe dazu ferner Andrew Nicol/Gavin Millar/Andrew Sharland, Media Law and Human Rights (2001) 3. Vor allem auf den Einfluss der Meiklejohn’schen Thesen auf die Urteilsbegründung Justice Brennans in Sullivan v. The New York Times und die wichtigen Folgen dieses Urteils für das britische Recht sollte an dieser Stelle hingewiesen werden. Siehe vor allem Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 72, 87 ff. 82 Alexander Meiklejohn, Free Speech And Its Relation to Self-Government (1948). Zur regelmäßigen Assoziation des Gedankens der Schlüsselfunktion der freien Meinungsäußerung für die demokratische Regierungsform mit der These Meiklejohns siehe etwa: Geoffrey Marshall, Press Freedom and Free Speech Theory, P.L. 1992, 44. 83 Den Grundgedanken des Wertes der politischen Diskussion für die Klärung des Sachverhaltes und als notwendige Vorstufe staatlichen Handelns teilt Meiklejohn mit Perikles, wobei Meiklejohn den Schwerpunkt auf die Aufklärung des Wählers legt. Siehe dazu die folgende Passage: Now, in that method of political self-government, the point of ultimate interest is not the words of the speakers, but the minds of the hearers. The final aim of the meeting is the voting of wise



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Siegeszug dieses Gedankens erfolgte dann, wie in den folgenden Kapiteln ausgeführt, im Wesentlichen von der US Supreme Court-Judikatur 84 über jene des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 85 zu jener des österreichischen VfGH bzw. der britischen Gerichte,86 bei einer besonders eindeutigen Übernahme des Gedankens durch den in enger Verwandtschaft zum britischen Recht stehenden Supreme Court of Australia.87 Diese These wurde in Großbritannien allerdings keineswegs kritiklos angenommen.88 Besonders die kritische Position Sir John Laws (1945–),89 welche letztlich der Grundidee einer besonderen Kategorie des Schutzes für political speech gegenübersteht, sollte hier wiedergegeben werden: I consider that Meiklejohn’s view that the free speech principle is a collective, and not an individual, interest is deeply misconceived. I take him as meaning that the right of free expression is a servant of the democratic form of government, in particular the idea of self-determination in which decisions. The voters, therefore, must be made as wise as possible. The welfare of the community requires that those who decide issues shall understand them. They must know what they are voting about. And this, in turn, requires that so far as time allows, all facts and interests relevant to the problem shall be fully and fairly presented to the meeting. Both facts and interests must be given in such a way that all the alternative lines of action can be wisely measured in relation to one another. As the self-governing community seeks, by the method of voting, to gain wisdom in action, it can find it only in the minds of its individual citizens. If they fail, it fails. That is why freedom of discussion for those minds must not be abridged. Alexander Meiklejohn, Free Speech And Its Relation to Self-Government (1948) 1 ff, 25. 84 Was insbesondere durch die klare Übernahme der Meiklejohn’schen Ansichten durch Justice Brennan in Sullivan v. The New York Times 376 U.S. 254 (1964) demonstriert wurde. Siehe dazu Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 572. Dazu allgemein zu Meiklejohn und dem First Amendment-Verständnis des US Supreme Court: Leslie Zines, Freedom of Speech and Representative Government, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 35 f. 85 Siehe dazu etwa Andrew Nicol/Gavin Millar/Andrew Sharland, Media Law and Human Rights (2001) 3, sowie Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 576 f. Siehe dazu ferner Abschnitt III, Kapitel 4. 86 Das genaue Ausmaß der Übernahme derartiger Modelle und das eventuelle Abweichen von rechtshistorischen Modellen wird in dieser Arbeit detailliert aufgezeigt werden. 87 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.3.3. 88 Siehe insbesondere Sir John Laws, Meiklejohn, the First Amendment and Free Speech in English Law, in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998), sowie allgemein zur Übernahme von First Amendment Prinzipien: Stephen Sedley, The First Amendment: a Case for Import Controls? in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998). 89 Bzw. Lord Justice Laws, High Court Judge (Queen’s Bench Division) 1992–98, seit 1999 Lord Justice of Appeal und Mitglied der Privy Council. http://www.privy-council.org.uk/ output/page76.asp (25. 7. 2008, 19:20), http://www.hmcourts-service.gov.uk/cms/1287.htm (25. 7. 2008, 19:26).

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the sovereign people have delegated a part, but not the whole, of their right to govern themselves.90 Das Recht der freien Meinungsäußerungsfreiheit solle keine Funktion einer bestimmten Regierungsform darstellen und dürfe bestimmt nicht dahin gehend definiert werden. Selbst wenn es praktisch ohne Demokratie schwer umsetzbar ist, sei its virtue … not, or not only, a democratic virtue. Denn dahinter läge der Wert der Gedankenfreiheit, welche moralisches Geburtsrecht jeder Person sei, ungeachtet des politischen Systems, in dem sie lebt.91 Allerdings wird durch den letzten Satz deutlich, dass sich diese Kritik insbesondere gegen die These eines allein auf dem demokratischen Prinzip beruhenden Rechts auf Meinungsäußerung richtet. Eine solche ist jedoch für eine Sonderstellung der political speech nicht erforderlich. Denn die geschützte Meinungsäußerungsfreiheit kann durchaus auf drei sich partiell überschneidenden Prinzipien beruhen, wie insbesondere das Zitat aus dem Frowein-Kommentar am Anfang dieses Kapitels zeigt: Erstens auf jenem eines allgemeinen individuellen Menschenrechts, zweitens dem eines allgemeinen Marktplatzes der Ideen und drittens auf jenem einer notwendigen Grundlage der Demokratie.92 Die Worte or not only im vorletzten Satz von John Laws zeigen hingegen implizit, dass auch Sir Laws die Auffassung der political speech als democratic virtue nicht prinzipiell ausschloss. Gegenüber der Ansicht einer besonderen Stellung der political speech existiert im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen First Amendment ferner die – ebenfalls auf Meiklejohn zurückgeführte – Ansicht, allein political speech sei durch dessen Kernbereich geschützt.93 Dieser Ansatz wurde jedoch auch vom US Supreme Court unter gleichzeitiger Betonung der zentralen Bedeutung von political speech abgelehnt.94 Die für den Schutz der Freiheit der politischen Meinungsäußerung entscheidenden Zusammenhänge zwischen dem (politischen) Diskurs und dem 90 Sir John Laws, Meiklejohn, the First Amendment and Free Speech in English Law, in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998) 135 f. 91 Ebenda. 92 Wenngleich Sir Laws dieser Sicht einer Kombination der beiden Prinzipien a degree of philosophical discomfort attestiert. Sir John Laws, Meiklejohn, the First Amendment and Free Speech in English Law, in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998) 129. 93 Siehe dazu etwa U.S. Supreme Court Center, www.JUSTITIA.us, http://supreme.justia.com/ constitution/amendment-01/21-philosophical basis.html. (3.1.2008, 12: 41). 94 It is no doubt true that a central purpose of the First Amendment “was to protect the free discussion of governmental affairs.” (Buckley v. Valeo, 424 U.S. 1, 14 [1976]; und Mills v. Alabama, 384 U.S. 214, 218 [1966].) But our cases never suggested that expression about philosophical, social, artistic, economic, literary or ethical matters – to take a nonexhaustive list of labels – is not entitled to full First Amendment Protection. Abood v. Detroit Bd. Of Educ., 431 U.S. 209, 231 (1977).



Äußerung politischer Meinungen durch technische Hilfsmittel

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demokratischen Rechtsstaat wurden 1992 von Jürgen Habermas in Faktizität und Geltung von verschiedenen Ansatzpunkten her beleuchtet.95

2.3 Die Äußerung politischer Meinungen durch technische Hilfsmittel Das Gesagte trifft prinzipiell auch für die Meinungsäußerung mittels technischer Hilfsmittel (durch Plakate, Pamphlets, Bücher, Radio, Fernsehen etc.) zu und verleiht diesem Bereich seine besondere Bedeutung.96 Gerade hier steht die Information der Öffentlichkeit und weniger das individuelle Menschenrecht im Vordergrund. So spricht etwa Walter Berka (1948–) von einem gegenüber den Medien wirkenden verbürgten Funktionsschutz einer öffentlichen Aufgabe.97 William Blackstone (1723–1780) hatte die Pressefreiheit bereits 1769 als essential to the nature of a free state bezeichnet.98 Auch Alexis de Tocqueville betonte die Bedeutung der Presse für das Funktionieren einer Demokratie, ging jedoch von einem anderen Ansatzpunkt aus. So wies er darauf hin, dass in einem aristokratischen System aufgrund der wenigen politisch handelnden Personen eine Kommunikation zwischen diesen leicht sei, während in einer Demokratie Menschen in der Menge unbedeutend und verloren seien und einander nicht zu finden wüssten. Die Zeitungen erlauben demnach überhaupt erst gemeinsame Aktionen. Folglich schützen diese im demokratischen System nicht nur die Freiheit, sie erhalten die Zivilisation.99 Dieses Argument kann analog für moderne Massenmedien, insbesondere Kommunikationsforen und Homepages im Internet, herangezogen werden. Problematisch ist dabei jedoch, dass diese Kommunikation grundsätzlich einseitig ist (ausgenommen vielleicht im Internet), keine unmittelbare Kritik 95 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung (1992). 96 Siehe dazu etwa Siegfried Pausewang, Öffentliche Meinung und Massenmedien, in Wolfgang Abendroth/Kurt Lenk, Einführung in die politische Wissenschaft5 (1977) 300 ff; Waldemar Besson/Gotthard Jasper, Das Leitbild der modernen Demokratie4 (1971) 85 f; Karl-Hermann Flach, Macht und Elend der Presse (1967) 21. 97 Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest,“ in FS Schäffer (2006) 92. Siehe dazu insbesondere auch Walter Berka, Die Kommunikationsfreiheit, in Rudolf Machacek/Willibald P. Pahr/ Gerhard Stadler, 40 Jahre EMRK, Grund und Menschenrechte in Österreich II (1992) 424 ff. 98 William Blackstone, Commentaries on the Laws of England IV (1979) 151. Siehe dazu im Detail Abschnitt III, Kapitel 3.2.; wobei vor allem die enge Auslegung der Pressefreiheit durch Blackstone zu beachten ist.  99 Alexis de Tocqueville, Democracy in America II (1946) 111 ff.

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an dieser Meinung im Sinne eines Forums zulässt und damit zum Mittel einseitiger Indoktrination statt des eines politischen Forums werden kann.100 Diesem dient folglich erst der Zugang zu verschiedenen Massenmedien und damit verschiedenen Meinungen. Milton kritisierte insbesondere die Vorzensur 101, gegen welche seine Areopagitica gerichtet war.102 Deren Auslaufen ein halbes Jahrhundert später war jedoch kein Triumph des Milton’schen Gedankens, sondern die Folge von Exzessen der zuständigen Behörden.103 Besonders kritisch stand Milton der Zensur von Büchern gegenüber.104

2.4 Die Freiheit zu staats- und systemkritischen politischen Meinungsäußerungen Auch die wichtigsten Proponenten der Meinungsäußerungsfreiheit setzten dieser im Bereich der staats- und systemkritischen politischen Meinungsäußerungen mitunter wichtige Schranken, wobei insbesondere die extreme Position 100 Dazu etwa Al Gore: Das Medium [das Fernsehgerät], das die Menschen heute mit der öffentlichen Diskussion verbindet, funktioniert auf seltsame Weise wie eine Einbahnstraße – mit einschneidenden Folgen für die Grundhaltungen gegenüber der Demokratie. Wie eingebunden fühlt man sich in einer Volksherrschaft, in der man Informationen nur empfangen, aber nicht senden kann? Als entscheidendes Mittel zur Wiederherstellung eines echten Forums sieht Gore dabei das Internet. Al Gore, Angriff auf die Vernunft (2007) 328, 345 ff. 101 Auch Präventivzensur, die Verpflichtung einer der Veröffentlichung vorangehenden Vorlage zur möglichen Genehmigung der späteren Veröffentlichung. 102 Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 2 ff. Siehe dazu auch die Second Defence of the People of England: Again, it is my earnest wish, that you would give permission to those who are inclined to freedom of inquiry, to publish what they have to communicate at their own peril, without the private inquisition of any magisterial censor: for nothing could contribute so much to the growth of truth; nor would all science be for ever measured out to us in the bushel, and be bestowed at the good pleasure of the half-learned, whether arising from their censure, their envy, their narrowmindedness, or from having detected superstition in others. John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 407. 103 Albert Venn Dicey in Albert Venn Dicey/E.C.S. Wade, Introduction to the Study of the Law of the Constitution9 (1948) 577; E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 519. 104 For Books are not absolutely dead things but doe contain a potencie of life in them to be as active as a soul whose whole progeny they are; nay they do preserve as in a viol the purest efficacie and extraction of that living intellect that bred them. … Who kills a man kills a reasonable creature, Gods Image; but he who kills a good Booke [altengl.], kills reason it selfe, kills the Image of God, as if it were in the eye. John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 7.



Die Meinungsäußerungsfreiheit als Bürger- oder Menschenrecht

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John Miltons hervorzuheben ist. Miltons Einstellung zu von ihm als staats- bzw. freiheitsgefährlich eingeordneten Bewegungen wird an seiner extremen Position gegenüber der katholischen Bewegung seiner Zeit (popery) in der Areopagitica deutlich: Da diese seiner Ansicht nach alle anderen Religionen und zivilen Herrschaftsbereiche auslöschen wolle, solle ihr nicht nur keine Freiheit zur Meinungsäußerung zuteil werden: I mean not tolerated popery, … which, as it extirpats all religions and civill supremacies, so itself should be extirpat, provided first that all charitable and compassionate means be us’d to win and regain the weak and misled.105 Meiklejohn argumentierte hingegen für einen sehr weit reichenden Schutz der political speech. Er lehnte eine Reziprozität der Intoleranz ab und schloss selbst offen staats- und freiheitsfeindliche Rede in den geschützten Bereich ein.106 Nach dem System Benedictus de Spinozas standen hate speech sowie aufrührerische Regierungskritik zwar kategorisch außerhalb der geschützten Meinungsäußerungsfreiheit.107 Meinungen hingegen, die sich zwar nur um wahr und falsch zu drehen scheinen, die aber doch in böser Absicht aufgestellt und verbreitet werden, betrachtete de Spinoza dennoch als schützenswert, damit die Vernunft selbst bei Gefahr eines Missbrauchs ihre Freiheit behalte.108 Dies ist von besonderer Relevanz für modernen Missbrauch von nur scheinbar rationalistischer, aber wohl in böser Absicht aufgestellter und verbreiteter Meinungsäußerung, insbesondere der Bezweiflung der Existenz des Holocaust.

2.5 Die Meinungsäußerungsfreiheit als Bürger- oder Menschenrecht De Spinoza hatte bei der von ihm geforderten Meinungsäußerungsfreiheit keinen Unterschied zwischen Bürgern und Fremden gemacht,109 und auch Miltons 105 John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 47. 106 Shall we, then, as practitioners of freedom, listen to ideas which, being opposed to our own, might destroy confidence in our form of government? Shall we give a hearing to those who hate and despise freedom, to those who, if they had the power, would destroy our institutions? Certainly, yes! Our action must be guided, not by their principles, but by ours. We listen, not because they desire to speak, but because we need to hear. If there are arguments against our theory of government, our policies in war or in peace, we the citizens, the rulers, must hear and consider them for ourselves. That is the way of public safety. It is the program of self-government. Alexander Meiklejohn, Free Speech And Its Relation to Self-Government (1948) 65 f. 107 Siehe Benedictus de Spinoza, Theologisch-Politischer Traktat (1955)5 353. 108 Da die Vernunft ungeachtet des möglichen Missbrauchs ihre Freiheit behalten solle. Ebenda 355. 109 Er spricht von den Menschen, jemand oder jedermann. Benedictus de Spinoza, TheologischPolitischer Traktat (1955)5 350 ff.

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Staatsphilosophische Grundlagen

Thesen in der Areopagitica waren nicht auf eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Bürger gerichtet.110 Auch zur Problematik der Grundrechtsträger liefert die Meiklejohn’sche These einen interessanten Ansatz. Das Recht auf politische Meinungsäußerung ist demnach nicht nur aufgrund naturrechtlicher Argumentation ein allgemeines Menschenrecht, vielmehr sei [t]he essential point … not that the alien has a right to speak but that we citizens have a right to hear him. The freedom in question is ours.111 Statt den Bürger vor der Meinung des Ausländers zu schützen,112 muss demnach die Meinung des Ausländers für den Bürger geschützt werden. In diese Richtung schien bereits 1848 der österreichische Abgeordnete des Reichstages zu Kremsier Emil Vacano113 mit seiner Warnung vor einer neuen chinesischen Mauer gegen das Ausland durch eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Staatsbürger zu gehen.114

2.6 Die Grundlagen der verschiedenen Traditionen des verfassungsrechtlichen Schutzes in Großbritannien Der Umstand, dass ungeachtet der umfangreichen staatsphilosophischen Quellen die Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien auch im politischen Bereich bis 1998 kaum verfassungsrechtlichen Schutz genoss,115 ist allerdings auf eine andere staatsphilosophische These bzw. Rechtstradition zurückzuführen, wonach individuelle Freiheiten nicht durch einen kodifizierten Grundrechtskatalog, sondern vielmehr durch das Parlament am besten geschützt werden.116 110 John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 3 ff. 111 Alexander Meiklejohn, Free Speech And Its Relation to Self-Government (1948) 60. 112 Wie dies etwa in der Grundrechtsdebatte 1848 gefordert wurde. Siehe Abschnitt III, Kapitel 2.1.2. 113 Für den Gouvernementbezirk Oberösterreich. Siehe Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) IX. 114 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 136 ff. 115 Siehe Abschnitt III, Kapitel 3. 116 Siehe etwa Ben Roxborough, Australian Perspective: Legitimizing Free Speech – Perils and Pitfalls; Carolina Papers, Democracy and Human Rights, No. 3 (Spring 2002) 7. Dieser Gedanke hallt in der Konstruktion von Art 13 StGG nach, durch den zwar ein Schutz durch einen Grundrechtskatalog geschaffen wurde, dieser Schutz aber lediglich gegenüber der weiterhin monarchisch dominierten Verwaltung und nicht, wie durch die allgemeine Gesetzesklausel deutlich wird, gegenüber der Legislative gelten sollte. Ähnlich A. Berriedale Keith, The Constitution, Administration and Laws of the Empire (1924) 7; wobei in dieser Argumentation der Schutz durch das Common Law im Vordergrund steht.



Grundlagen der verschiedenen Tradition

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Diese Position ist vor allem auf Jeremy Bentham (1748–1832) und Albert Venn Dicey (1835–1922) zurückzuführen.117 Jeremy Bentham, der bereits 1776 die Doktrin von natural and inalienable rights of man verworfen hatte, kritisierte die französische Deklaration der Menschenrechte heftig.118 Für ihn war diese lediglich rhetorical nonsense – nonsense upon stilts.119 Seither hatten britische Verfassungstheoretiker diese Kritik an der Doktrin und ihrer Umsetzung durch die amerikanische Bill of Rights fortgesetzt.120 Dicey betonte dabei vor allem den Vorzug der institutionellen Garantien vor allgemeinen Rechtsdeklarationen ohne diese.121 Die generelle Skepsis hinsichtlich des Wertes von durch eine schriftliche Verfassung ausdrücklich gewährleisteten Rechten war ein zentrales Element für die dominanten britischen Verfassungsexperten der viktorianischen Ära und blieb bis ins späte 20. Jahrhundert vorherrschend.122 So schrieb etwa Ivor Jennings (1903–1965) noch 1953: in Britain we have no Bill of Rights; we merely have liberty according to the law; and we think – truly I believe – that we do the job better than any country which has a Bill of Rights or a Declaration of the Rights of Man.123

117 Stanley de Smith/Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 388. Siehe dazu auch die Ausführungen in Abschnitt III, Kapitel 3.1. 118 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 47 f. 119 Stanley de Smith/Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 388. 120 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 47 f. 121 So stellte er fest, dass die Habeas-Corpus-Akte zwar kein Prinzip deklariere oder Recht definiere, für praktische Zwecke aber hundert individuelle Freiheiten garantierende Verfassungsartikeln wert sei. Siehe Stanley de Smith/Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 388. 122 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 46. 123 Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 17.

III. HAUPTTEIL Die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich und Großbritannien im Bereich der political speech in ihrer rechtshistorischen und aktuellen Entwicklung

Everyone is in favor of free speech. Hardly a day goes by without its being extolled, but some people’s idea of it is that they are free to say what they like, but if anyone says anything back, that is an outrage. Winston S. Churchill 124

1. Einleitung und erläuternde Bemerkungen zur US-amerikanischen Verfassungsentwicklung und den daraus entliehenen Termini Der Hauptteil soll durch eine chronologische Aufarbeitung der Verfassungsentwicklung in den untersuchten Rechtsordnungen in Form von Länderberichten mit rechtsvergleichenden Elementen und einem eigenen komparatistischen Teil einen Überblick über die Entwicklung des Verfassungsrechts im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ermöglichen und die rechtshistorischen und strukturellen Differenzen aufzeigen. Dabei erfolgen wiederholt Vergleiche zum US-amerikanischen Recht, um dessen Einfluss in verschiedenen Gebieten zu beleuchten. Dies hat seine Gründe einerseits in der allgemeinen Vorbildfunktion der amerikanischen Entwicklung und andererseits in der besonderen Nahbeziehung zwischen britischem und amerikanischem Recht. Das in Folge öfter angesprochene First Amendment steht für den Ersten Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung, genauer deren Speech und Press Clauses: Congress shall make no law … abridging the freedom of speech, or of the press.125 Die Entstehung des First Amendment ist im Zusammenhang mit der Kritik der Antifederalists (Kritiker eines durch die neue Verfassung befürchteten Zentralstaates) an der ursprünglichen Verfassung aufgrund von mangelnden Garantien der persönlichen Freiheit und Einschränkungen der bundesstaatlichen Macht zu sehen. Dies hatte zu dem Verspechen der Federalists (den Hauptträgern der neuen Verfassung) geführt, entsprechende Garantien mittels Zusatzartikeln vorzuschlagen, um die Ratifikation der Verfassung zu gewährleisten. Mit der US-amerikanischen Bill of Rights wurde die amerikanische Verfassung 124 Charles Eade, The War Speeches of Winston S. Churchill2 III (1964) 47. 125 Gerald Gunther/Kathleen M. Sullivan, Constitutional Law13 (1997) A–9.

52 Hauptteil schließlich bereits 1791 um zehn Zusatzartikel ergänzt. Darunter befand sich auch das First Amendment.126 Die Anwendbarkeit des ersten Zusatzartikels war ursprünglich auf den Bundesstaat beschränkt (Barron v. Baltimore),127 wobei bereits vor dem amerikanischen Bürgerkrieg Ansätze einer Anwendung gegenüber den Staaten existierten.128 Selbst nach den Verfassungsänderungen durch den 14. Zusatzartikel aus 1868 (Privileges and Immunities Clause etc.) lehnte der US Supreme Court in den Slaughter-House Cases eine Inkorporierung der Bill of Rights in den vierzehnten Zusatzartikel (und damit einen Schutz auch gegenüber den Staaten) ab. Im Bereich des First Amendment erfolgte diese schließlich im Laufe des 20. Jahrhunderts (Near v. Minnesota, Cantwell v. Connecticut).129 Für den Vergleich von besonderem Interesse ist allerdings erst die Judikatur seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, in welcher der Supreme Court besondere Schutzmechanismen im Bereich der Diffamierung schuf, um die Vitalität der politischen Debatte zu gewährleisten.130 Neben rechtsvergleichenden Elementen werden im Hauptteil auch Termini mit Ursprung in der US-amerikanischen Rechtsordnung verwendet. Diese sollen an dieser Stelle definiert werden: 1. Chilling effect Darunter versteht man die aushöhlende Wirkung der Sorge vor den möglichen Rechtsfolgen einer Meinungsäußerung, insbesondere Diffamierungsklagen, auf die Meinungsäußerungsfreiheit. Dieser Gedanke spielte eine wesentliche Rolle für die Einschränkung von Diffamierungsklagen von Behörden (public officials) in New York Times Co. v. Sullivan aus 1964.131 2. Public Figure Doctrine Basierend auf der Ratio in Sullivan entwickelte der Supreme Court 1967 die Einschränkung der Diffamierungsklagen von Behörden weiter und dehnte 126 Kermit L. Hall/William M. Wiecek/Paul Finkelman, American Legal History (1991) 94. 127 Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law (2003) 29. 128 Laurence H. Tribe, American Constitutional Law, I3 (2000) 1295 ff. 129 Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law (2003) 30 f. 130 Ebenda 9. 131 Siehe dazu etwa Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/ Dorothy E. Roberts, First Amendment Law (2003) 177 ff; 196 f; Louis Fisher/David Gray Adler, American Constitutional Law7 (2007) 532 f.



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diese auf Personen des öffentlichen Lebens (public figures) aus (Curtis Publishing Co. v. Butts). Auch dieser Doktrin liegt die Sorge um die Wirkung von Diffamierungsklagen auf die ungehinderte politische Debatte (uninhibited public debate) zugrunde.132

2. Die historische und gegenwärtige Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der political speech 2.1 Entwicklungen im Frühkonstitutionalismus 1848–1851 und die Grundlagen für Artikel 13 des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 2.1.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Aspekte der Rechtsentwicklung Die europaweiten Folgen der französischen Februarrevolution von 1848 erreichten nach Unruhen in Mailand und Prag am 13. März mit dem Ausbruch der Revolution Wien. Dabei lagen der Revolution neben bürgerlichen und demokratischen auch antifeudale, nationale und soziale Strömungen zugrunde.133 Diesen Ereignissen folgte die Ankündigung des Kaisers, dass die künftige Verfassung (Constitution des Vaterlandes) mit den Abgeordneten aller Provinzialstände beraten werden solle. Infolgedessen luden die Stände Österreichs unter der Enns zu einem Ständischen Zentralausschuss ein. Der von diesem Zentralausschuss verfasste Entwurf wurde gemeinsam mit dem Innenminister Franz von Pillersdorf beraten und bildete in Folge die Grundlage für dessen eigenen Entwurf. Der maßgebliche Einfluss Pillersdorfs wird auch durch die Bezeichnung der Verfassung als Pillersdorfsche Verfassung verdeutlicht.134 132 Siehe dazu etwa Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/ Dorothy E. Roberts, First Amendment Law (2003) 191, 197; Louis Fisher/David Gray Adler, American Constitutional Law7 (2007) 533. 133 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 115; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 173 ff. 134 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 181; Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 115, 128. Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228.

54 Hauptteil Mit der Pillersdorfschen Verfassung enthielt bereits die erste österreichische Verfassung im formellen Sinn135 einen ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. So war im ersten Grundrechtskatalog der Verfassungsgeschichte Österreichs in § 19136 eine nicht näher definierte Sicherung der Rede- und Pressefreiheit vorgesehen: Die Freyheit der Rede und Presse ist nach vollkommener Auflassung der Censur durch die Verfassungs-Urkunde gesichert. Die Bestrafung der Mißbräuche wird durch ein von dem ersten Reichstage zu erlassendes Gesetz geregelt werden.137 Rückschlüsse auf eine besondere Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit lässt diese Formulierung allerdings nicht zu. Da sich der mit der Ausarbeitung einer Verfassung beauftragte Ständische Zentralausschuss kaum mit dem Grundrechtskatalog beschäftigte und diese Aufgabe Franz von Pillersdorf überließ, kann Pillersdorf als eigentlicher Urheber desselben genannt werden.138 Dieser bezeichnete die Verfassung als größtenteils eine Nachbildung des belgischen Grundgesetzes und begründete die Wahl dieses Vorbilds mit den positiven Folgen der belgischen Verfassung.139 Aufgrund der geringen Ähnlichkeit zur belgischen Verfassung kann der Grundrechtskatalog allerdings entgegen der Schilderung Pillersdorfs als dessen originäres Werk betrachtet werden.140 Pillersdorfs eigene Beschreibung des Verfassungssystems legt eine Sicht der Meinungsäußerungsfreiheit als eines von mehreren individuellen Freiheitsrechten in einem konstitutionellen, aber immer noch weitgehend monarchistisch geprägten Staat nahe. Ein Verständnis der Meinungsäußerungsfreiheit auch oder vor allem als Instrument des konstitutionellen Staates ist aus seinen Rückblicken hingegen nicht zu entnehmen.141 Die Pillersdorfsche Ver135 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 112; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 181. 136 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 186. 137 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 3. Siehe auch Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228. 138 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228. Siehe dazu insbesondere auch Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie 1848–1918 VII/1 (2000) 91 f. 139 Franz von Pillersdorf, Rückblicke auf die politische Bewegung in Österreich in den Jahren 1848 und 1849 (1849) 37. 140 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228 f. 141 So vor allem Franz von Pillersdorf, Rückblicke auf die politische Bewegung in Österreich in den Jahren 1848 und 1849 (1849) 39; wo die Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen der Liste der durch die Verfassung als Bürgschaft gegen Willkür und Bevorzugung dienenden Rechte als



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fassung wurde schließlich am 25. April 1848 einseitig oktroyiert und bereits am 16. Mai 1848 mit der Abschaffung des Senats modifiziert. Die Länder der ungarischen Krone und Lombardo-Venetien waren aus dem Geltungsbereich ausgenommen.142 Der am 22. Juli 1848 eröffnete Reichstag war von einer gemäßigt-liberalen Mehrheit geprägt. Aufgrund des Oktoberaufstandes erfolgte die Verlegung des Reichstages nach Kremsier in Mähren, wo ein Verfassungsausschuss unter anderem einen Grundrechtskatalog erarbeitete.143 Die Ausarbeitung eines Grundrechtskataloges wurde zunächst einem Unterausschuss von drei Abgeordneten anvertraut, der seine Arbeiten auf einen Entwurf des Mitglieds des Unterausschusses František Ladislav Riegler stützte.144 Eine verfassungsmäßige Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit war dabei in § 20 des Entwurfs vorgesehen gewesen. Dieser lautete wie folgt: (1) Jedermann hat das Recht, seine Gedanken frei auszusprechen und durch Schrift, Druck oder bildliche Darstellung zu veröffentlichen. (2) Dieses Recht darf unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Zensur noch durch Konzessionen, weder durch Sicherheitsleistungen noch durch Staatsauflagen, weder durch Beschränkungen des Buchdrucks und Buchhandels noch endlich durch Postverbote und ungleichmäßigen Postsatz oder durch andere gewerbliche oder sonstige Hemmung des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.145 Der im mährischen Kremsier auf konstitutionell-parlamentarischem Boden ausgearbeitete Verfassungsentwurf kam jedoch über das Entwurfsstadium nicht hinaus.146 Denn durch das Kaiserliche Manifest vom 4. März 1849, wodurch der Reichstag von Kremsier aufgelöst, und den Völkern Österreichs aus eigener Macht des Kaiser eine Reichsverfassung für das gesamte Kaisertum verleihen wird, war das Kremsierer Verfassungswerk vorerst gescheitert.147 Die am Tag der Auflösung des Reichstages durch kaiserliches Patent erlassene oktroyierte Märzverfassung enthielt in Abschnitt 3 (Von dem Reichsbürgerrechte) letztes (nach der Freiheit des Glaubens) genannt und zugleich die weiterhin zentrale Position der Krone innerhalb der exekutiven (ieS) und legislativen Gewalten hervorgehoben wurde. 142 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 181 f. 143 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 176 ff; Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 117. 144 Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie 1848–1918 VII/1 (2000) 107 f. 145 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 17. 146 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 112. 147 RGBl. 149/1849.

56 Hauptteil keinen allgemeinen verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, durch § 62 wurde allerdings ein besonderer Schutz der Mitglieder des Reichstages vor rechtlicher Verfolgung als Konsequenz dort getätigter Meinungsäußerungen verankert.148 Ein allgemeiner verfassungsrechtlicher Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit erfolgte hingegen durch § 5 des Kaiserlichen Patents vom 4. März 1849 über die durch die constitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte:149 Jedermann hat das Recht durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden. Gegen den Missbrauch der Presse wird ein Repressivgesetz erlassen.150 Diese Garantien waren jedoch ebenso wie die oktroyierte Märzverfassung generell für die Verfassungswirklichkeit weitgehend bedeutungslos151 und wurden durch die Silvester-Patente vom 31. Dezember 1851 auch formell außer Kraft gesetzt.152 Die Meinungsäußerungsfreiheit befand sich nicht unter den weiterhin geschützten Grundrechten.153 Weder das Oktoberdiplom 1860 noch das Februarpatent 1861 brachten ein subjektives öffentliches Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit mit sich.154 Im Rahmen des Umbaus der österreichischen Staatsordnung nach der militärischen Niederlage von 1866 (Königgrätz) erfolgte zunächst die Wiederherstellung konstitutioneller Verhältnisse in Ungarn und die Änderung der ungarischen Verfassung durch das ungarische Ausgleichsgesetz (Gesetzesartikel 148 Kein Mitglied des Reichstages darf außerhalb des Reichstages wegen Äußerungen in den Sitzungen zur Rechenschaft gezogen, noch gerichtlich verfolgt werden. RGBl. 150/1849. 149 RGBl. 151/1849. Siehe auch Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 119 f, 123 f; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 197. 150 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 43. 151 Dabei sollte auf die folgende Begründung des k. k. Regierungsrates Dr. Anton Bezecny für die Nichtanwendung der Verfassungsurkunde von 1849 und vor allem den im genannten Patent gewährleisteten Rechten aus der Zeit der Monarchie hingewiesen werden: Aber die Zeitverhältnisse waren für die neue Verfassung nicht günstig. Der politische Horizont war noch zu sehr verdüstert, die allgemeine Beruhigung der Gemüter nicht herbeigeführt, die Rückkehr zur gesetzlichen Ordnung, zur friedlichen Arbeit noch nicht dauerhaft gesichert – unüberwindliche Hindernisse, die der Realisierung der Verfassungsurkunde im Wege standen. Anton Bezecny, Die Thronreden Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef I. nebst einer kurzen Verfassungsgeschichte der Gesamtheit der Reichsratsländer (1908) 15. 152 RGBl. 3 bzw. 2/1852; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 192; Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 122 f, 134 f. 153 RGBl. 3/1852. 154 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 137 ff.



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XII/1867). Damit wurden auch Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen Ungarn (Transleithanien) eingegliedert. Gleichzeitig schuf dies auch im anderen Teil des bisherigen Staates, Cisleithanien, einen Handlungsbedarf im Sinne einer Rückkehr zum Konstitutionalismus.155 So war der innenpolitische Durchbruch des österreichischen Liberalismus eine direkte Konsequenz der außenpolitischen Niederlage.156 Darüber hinaus forderte Ungarn eine neue Verfassung in Cisleithanien zur Absicherung der eigenen Verfassung.157 Beide Häuser des Reichsrates waren 1867 liberal geprägt.158 Für eine liberale Mehrheit im Herrenhaus sorgten dabei insbesondere zwei von Ministerpräsident Friedrich Beust veranlasste große Pairsschübe im Mai und November 1867, womit die Regierung das Gelingen des Verfassungsprojektes sicherstellen wollte.159 Dieser Druck in Richtung einer konstitutionellen Staatsform mündete in die Ausarbeitung der Dezemberverfassung, welche nicht auf einem einheitlichen Verfassungsdokument, sondern auf fünf Staatsgrundgesetzen beruhte. Eines dieser Staatsgrundgesetze war das für den Grundrechtsbereich entscheidende Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG).160 Dem StGG liegt keine Regierungsvorlage zugrunde. Vielmehr hatte es seinen Ursprung im Verfassungsausschuss des Abgeordnetenhauses, welches den deutschliberalen Abgeordneten Eduard Sturm mit der Ausarbeitung beauftragt hatte. Dieser, ein Rechtsanwalt aus Brünn, ließ sich in seiner Arbeit vor allem durch das Grundrechtspatent 1849, aber auch durch die Grundrechtskataloge der Frankfurter Paulskirche und des Kremsierer Reichstages inspirieren.161 155 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 181; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 219. 156 Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 26. 157 Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie 1848–1918 VII/1 (2000) 170. 158 Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 43 ff. Zum Abgeordnetenhaus siehe auch Oskar Lehner, Österreichische Verfassungsund Verwaltungsgeschichte4 (2007) 228 f. 159 Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 50 f. 160 Siehe dazu etwa Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 228 f. 161 Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 118 f; Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 470 f.

58 Hauptteil Der Verfassungsausschuss nahm am 25. September 1867 den SubcomitéEntwurf bezüglich des Artikels betreffend den Schutz der Meinungsäußerung über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger ohne eine breite Debatte an. Dieser Art 19 des Entwurfs lautete wie folgt: (1) Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. (2) Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt werden und weder durch das Konzessionssystem noch durch administrative Postverbote beschränkt werden.162 Der einzige inhaltliche Änderungsvorschlag, in Abs 2 nach dem Wort Konzessionssystem noch durch Konzessionen einzufügen, wurde abgelehnt.163 Der Berichterstatter des Verfassungsausschusses vor dem Abgeordnetenhaus berief sich mit keinem Wort auf den Kremsierer Entwurf, sondern wies vielmehr darauf hin, dass die meisten der durch das StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zu garantierenden Grundrechte bereits durch die oktroyierte Märzverfassung verliehen worden waren.164 Auch im Bericht der vom Herrenhaus eingesetzten politisch-juridischen Commission wurde allein auf die oktroyierte Märzverfassung verwiesen.165 Bei dem der Generaldebatte vorangegangenen Bericht des Verfassungsausschusses über den Stand der Arbeiten ging der Berichterstatter des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Staatsgrundgesetzes betreffend die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in der 32. Sitzung der 4. Session am 8.  Oktober 1867 nicht näher auf die Meinungsäußerungsfreiheit ein. Vielmehr bemerkte er Folgendes: Alle übrigen Bestimmungen [inklusive der Meinungsäußerungsfreiheit] des beiliegenden Staatsgrundgesetzes betrachtet der Ausschuß als allgemein anerkannte Postulate des constitutionellen Staatsrechtes, welche einer besonderen Erläuterung nicht bedürfen.166 Auch in der folgenden, von Problemen des Föderalismus und der Nationalitätenproblematik dominierten Generaldebatte gab es keine spezifische Wortmeldung zur Meinungsäußerungsfreiheit.167 In der am Folgetag gehaltenen Specialdebatte und Annahme des Gesetzes in der zweiten Lesung (33. Sitzung) wurde Artikel 13 StGG über 162 Protokoll Nr. 22 des Verfassungsausschusses. Siehe Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 218. 163 Ebenda. 164 In der 32. Sitzung der IV. Session am 8. Oktober 1867. Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 779. 165 In der 17. Sitzung der IV. Session am 28. November 1867. Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 268. 166 Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 778 f, 780. 167 Ebenda 780 ff.



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die allgemeinen Rechte der Staatsbürger nach Verlesung durch den Berichterstatter des Verfassungsausschusses unverändert angenommen, nachdem kein Abgeordneter von der Möglichkeit einer Wortmeldung Gebrauch gemacht hatte.168 Von grundsätzlicher Bedeutung sind die allgemeinen Erläuterungen des Berichterstatters über das vorgeschlagene Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Herrenhaus. In diesen wird als Zweck der darin enthaltenen verfassungsmäßig geschützten Rechte eindeutig die Schaffung einer individuellen Freiheitssphäre gegenüber der Omnipotenz des Staates, also der Charakter als individuelles Schutzrecht betont. Für ein Verständnis des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Sinne einer darüber hinausgehenden Bedeutung der Grundrechte im Allgemeinen und der Meinungsäußerungsfreiheit im Speziellen liegt hingegen im Bericht keinerlei Anhaltspunkt vor.169 Speziell zu Art 13 StGG forderte die vom Herrenhaus eingesetzte politisch-juridische Commission lediglich kleinere Änderungen in Abs  2, welche im Kapitel über die Freiheit der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel ausgeführt werden. Auch im Herrenhaus wurde Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger ohne Debatte angenommen.170 Die vom Herrenhaus beantragten Änderungen an Art 13 Abs 2 wurden am 4. Dezember 1867 vom Verfassungsausschuss gemäß der Empfehlung des Berichterstatters ohne Debatte angenommen.171 Auch die Annahme im Plenum erfolgte ohne eine Debatte.172 Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder vom 21. Dezember 1867 lautete daher wie folgt: (1)  Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Grenzen frei zu äußern. (2) Die Presse darf weder unter Censur gestellt, noch durch das Concessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.173 Das Fehlen einer ausführlichen parlamentarischen Debatte zu Artikel 13, den 168 Ebenda 806. 169 Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 268. 170 Ebenda 283 f. 171 Protokoll Nr. 33 des Verfassungsausschusses. Siehe Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 261. 172 Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 1610 f. 173 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 119.

60 Hauptteil man offensichtlich als selbstverständlichen Bestandteil eines konstitutionellen Staates betrachtete (siehe oben), könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass die nötige Diskussion ohnedies bereits dem Kremsierer Entwurf vorangegangen war. Eine objektive Analyse des Stellenwertes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit für die geistigen Väter von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wird dadurch jedoch unmöglich. Angesichts der späteren Entwicklung ist die Stellungnahme des Berichterstatters des Verfassungsausschusses in der 32. Sitzung der 4. Session am 8. Oktober 1867 zur Möglichkeit der Suspension der Grundrechte bemerkenswert: Wenn dieses Staatsgrundgesetz mit einer Bestimmung über die Zulässigkeit der zeitweiligen und örtlichen Suspension einiger Grundrechte geschlossen wird, so erblickte der Ausschuß hierin nicht eine Beschränkung, sondern einen gesetzlichen Schutz der Grundrechte; denn nicht dem bloßen Ermessen der Regierung, sondern einem besonderen verfassungsmäßigen Gesetze soll es hierdurch vorbehalten sein, die Fälle zu bestimmen, in welcher der verantwortlichen Regierungsgewalt zusteht, eine solche Suspension zu verfügen.174 Dieses Vertrauen auf die neue konstitutionelle Ordnung sollte sich in der Verfassungswirklichkeit der folgenden Jahrzehnte jedoch nicht erfüllen.175 Insgesamt wird in dieser Entwicklungsphase die Korrelation zwischen der Anerkennung der Meinungsäußerungsfreiheit und dem Vorherrschen der konstitutionellen Staatsform deutlich. Diese Verbindung wurde für die gesamte österreichische Verfassungsgeschichte behauptet,176 sollte jedoch hinsichtlich der späteren Entwicklung eher zwischen dem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit und dem demokratischen Rechtsstaat gesetzt werden. 2.1.2 Grundrechtsträger Ein zentrales Kriterium für den Schutzumfang des Grundrechtes ist die Frage nach den Grundrechtsträgern beziehungsweise Grundrechtsberechtigten. Ist jedes Individuum Grundrechtsträger, spricht man von Menschen- oder Jeder174 Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 780. 175 Siehe dazu Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 234. Siehe dazu im Detail Gernot D. Hasiba, Das Notverordnungsrecht in Österreich (1985) 46 ff. 176 Jedenfalls bis 1963, nach welchem Zeitpunkt keine Abkehr von der konstitutionellen Staatsform erfolgte. Siehe Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 326 f.



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mannsrechten, fallen darunter hingegen nur die Bürger des jeweiligen Staates, von Staatsbürgerrechten.177 Eine spezielle Beschränkung auf Staatsbürger geht aus dem zitierten § 19 der Pillersdorfschen Verfassung nicht hervor, allerdings war § 19 auch nicht im Sinne eines allgemeinen Menschenrechts formuliert.178 Bereits der Entwurf der Grundrechte nach den Beschlüssen der ersten Lesung im Konstitutionsausschuss 1848 sah eine Formulierung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne eines allgemeinen Menschenrechts und nicht etwa eines Staatsbürgerrechtes vor.179 Dies führte in Folge zu einer Debatte in der Sitzung vom 16. Dezember 1848, in welcher der Abgeordnete Kajetan Mayer180 eine Änderung von jedermann auf jeder Staatsbürger beantragte und dies insbesondere mit den französischen und deutschen Vorbildern begründete. Darüber hinaus führte er aus, dass nicht jeder Fremde das Recht haben soll, österreichische Staatsbürger mit Kot zu bewerfen. Dagegen warnte der Abgeordnete Emil Vacano181 vor einer neuen chinesischen Mauer gegen das Ausland durch eine solche Beschränkung, und der Abgeordnete Adolf Fischhof182 verwies auf die Möglichkeiten des Strafrechts zur Abwendung des von Abgeordneten Mayer angesprochenen Missbrauchs. In Folge stimmte nur eine Minderheit für das vorgeschlagene Amendement des Abgeordneten Mayer.183 Auch in dem die oktroyierte Märzverfassung ergänzenden Grundrechtspatent wurde die Meinungsäußerungsfreiheit durch den Begriff jedermann als allgemeines Menschen- und nicht als Staatsbürgerrecht formuliert.184 1867 folgte der Verfassungsausschuss des Abgeordnetenhauses den Vorbildern des Frühkonstitutionalismus und konstruierte die Meinungsäußerungsfreiheit als allgemeines Menschenrecht,185 was letztlich in Art 13 StGG über 177 Siehe Theo Öhlinger, Verfassungsrecht7 (2007) RZ 702 ff. 178 Siehe Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228. 179 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 185. 180 Für den Gouvernementbezirk Mähren und Schlesien. Siehe Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) IX. Durch die Angabe der Herkunft der Abgeordneten soll gezeigt werden, welche Einflüsse aus dem Gebiet der heutigen Republik Österreich stammen und welche anderen altösterreichischen Einflüsse wirkten. 181 Für den Gouvernementbezirk Oberösterreich. Ebenda IX. 182 Für den Gouvernementbezirk Niederösterreich. Ebenda IX. 183 Ebenda 136 ff. 184 RGBl. 151/1849. 185 Siehe Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867 (1997) 218.

62 Hauptteil die allgemeinen Rechte der Staatsbürger seinen Niederschlag fand (Jedermann hat das Recht, …).186 2.1.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäusserungsfreiheit Eine Definition dessen, was unter Meinung im Sinne des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit genau zu verstehen ist, ist den Protokollen des Verfassungsausschusses aus dem Jahr 1848 nicht zu entnehmen, wenngleich die Wortmeldungen der Diskussion vom 16. Dezember 1848 gegen die enge Interpretation im Sinne der Reichsgerichtsjudikatur und frühen Verfassungsgerichtshofsjudikatur sprechen.187 Der Abgeordnete Franz Hein188 schien allerdings von einer engen Definition der geschützten Meinung auszugehen, doch fand sein Amendement keine Mehrheit, womit seine Position wohl nicht für den Verfassungsausschuss repräsentativ war.189 Überhaupt deutet der Wortlaut des § 20 des Grundrechtsentwurfs nicht darauf hin, dass die Meinungsäußerungsfreiheit auf eine enge Interpretation des Begriffs der Meinung beschränkt werden sollte. Denn der Begriff wurde gänzlich vermieden, stattdessen sollte die Freiheit zur sprachlichen und sonstigen (Schrift, Druck, Bild) Äußerung der Gedanken geschützt werden.190 Auch den Protokollen des Abgeordneten- sowie des Herrenhauses von 1867 ist keine eindeutige Definition des Begriffs der Meinung zu entnehmen.191

186 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 119. 187 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 136 ff. Zur angesprochenen späteren Judikatur siehe 2.2.3, 2.3.3. sowie 2.4.3. 188 Für den Gouvernementbezirk Mähren und Schlesien. Ebenda IX. 189 Die Freiheit der Presse nehme er nur für die Person in Anspruch, welche ihre Gedanken durch die Presse aussprechen will. Die Vervielfältigung fremder Gedanken gehöre woanders hin. Das Ausdrücken fremder Gedanken fällt demnach nicht unter die zu schützende Meinungsäußerungsfreiheit. Siehe Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 144, IX. In eine ähnliche Richtung wie Hein ging später die Argumentation des VfGH in Slg. Nr. 1829/1949. 190 Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 17. 191 Siehe dazu etwa die Protokolle der 32. sowie der 33. Sitzung der IV. Session des Abgeordnetenhauses am 8. Oktober 1867. Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 778 ff, 806, sowie der 17. Sitzung der IV. Session des Herrenhauses am 28. November 1867. Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 268.



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2.1.4 Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Exekutive Ein spezieller institutioneller Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Verwaltung war in § 20 Abs 3 des Entwurfes der Grundrechte nach den Beschlüssen der ersten Lesung im Konstitutionsausschuss 1848 vorgesehen. Danach wäre der Missbrauch des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht anders als über Urteil eines Schwurgerichtes bestraft worden.192 Diese Bestimmung fand jedoch in den veränderten Grundrechtskatalog nach den Beschlüssen der zweiten Lesung im Konstitutionsausschuss keine Aufnahme mehr.193 2.1.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit Im zitierten § 19 der Pillersdorfschen Verfassung war eine spezielle Form einer Gesetzesklausel vorgesehen, in der nach Satz 2 die Bestrafung von Missbräuchen der (Vor-)Zensurfreiheit durch ein vom ersten Reichstag zu erlassendes Gesetz geregelt werden sollte.194 Die Entwürfe der Grundrechte nach den Beschlüssen der ersten sowie nach den Beschlüssen der zweiten Lesung 1848 sahen hingegen vor, dass der Missbrauch des Rechtes auf freie Meinungsäußerung nach den allgemeinen Gesetzen bestraft werden sollte.195 Dieser unbeschränkte Gesetzesvorbehalt ist im Licht der kontemporären liberalen Staatsauffassung196 zu sehen, gemäß welcher die persönliche Freiheitssphäre primär durch die Exekutive (ieS) und nicht durch das Besitz und Bildung repräsentierende Parlament gefährdet schien. Damit korrespondiert das Selbstverständnis des Parlaments von 1867 als Garant dieser Grundrechte.197 § 5 des die oktroyierte Märzverfassung ergänzenden Grundrechtspatentes von 1849 enthielt hingegen keine allgemeine Gesetzesklausel, abgesehen von 192 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 185. Damit wäre eine dem Fox’s Act aus 1792 entspechende verfahrensrechtliche Garantie zum Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts geworden. 193 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 194. 194 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228. 195 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 185, 194. 196 Zur Entwicklung des Liberalismus in Österreich siehe Wolfgang Mantl, Liberalismus und Antiliberalismus in Österreich. Eine Spurensuche, in Emil Brix/Wolfgang Mantl, Liberalismus (1996) 15 ff. 197 Siehe dazu etwa Theo Öhlinger, Die Grundrechte in Österreich, EuGRZ (1982) 228.

64 Hauptteil dem Bereich der Presse.198 Soweit § 5 ein über eine bloße Staatszielbestimmung hinausgehender rechtlicher Wert durch richterlichen Schutz199 beigemessen werden sollte, kann allerdings eine Gesetzesklausel wohl als implizit vorhanden betrachtet werden.200 2.1.6 Freiheit der politischen Meinungsäusserung durch technische Hilfsmittel Bereits in § 19 der Pillersdorfschen Verfassung war ein Schwerpunkt auf die Beendigung der Vorzensur gelegt worden, nach welcher neben der Rede- auch die Pressefreiheit für gesichert erklärt worden war.201 In der von den späteren Versionen abweichenden Formulierung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß dem Entwurf des Grundrechtskataloges nach der ersten Lesung im Konstitutionsausschuss war auch ein Recht auf Veröffentlichung der eigenen Meinung in jeder beliebigen Form vorgesehen.202 Der Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit umfasste damit bereits ausdrücklich das Recht einer Meinungsäußerung durch technische Hilfsmittel, ohne auf den Bereich der Presse beschränkt zu sein. Durch Abs 2 des § 20 sollte darüber hinaus sichergestellt werden, dass dieses Recht unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Zensur noch durch Konzessionen, weder durch Sicherheitsleistungen noch durch Stempelgebühren beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden würde.203 Die Verbote der (Vor-)Zensur und der Konzessionen waren nach dieser Formulierung lediglich demonstrative Beispiele eines generellen Verbotes der Beschneidung des Grundrechtes. Die Gesetzesklausel des Abs 3 war hingegen wie bereits erörtert eng gefasst.204 198 Jedermann hat das Recht durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Äußerung seine Meinung frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt werden. Gegen den Missbrauch der Presse wird ein Repressivgesetz erlassen. RGBl. 151/1849. 199 Siehe dazu Felix Ermacora, Österreichische Verfassungslehre I (1970) RZ 84. 200 Vergleiche dazu die Entwicklung des Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit durch das First Amendment, welches ebenfalls keine Gesetzesklausel enthält und kategorisch formuliert ist. Siehe dazu etwa Gerald Gunther, Kathleen Sullivan, Constitutional Law13 (1997) 1022 ff; A-9. 201 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 228. 202 § 20 Abs 1: Jedermann hat das Recht, seine Gedanken frei auszusprechen, niederzuschreiben, bildlich darzustellen und in jeder beliebigen Art und Form zu veröffentlichen. Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 185. 203 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 185. 204 Ebenda 185.



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In der Debatte zu § 20 Abs 2 forderte der Abgeordnete Franz Hein die Abänderung auf die Fassung Die Presse darf in keinem Falle unter Zensur gestellt oder suspendiert werden, mit der Begründung, dass Kautionen und Konzessionen ins Gewerbegesetz gehören. Er blieb damit jedoch erfolglos.205 Insbesondere der Abgeordnete Adolf Pinkas206 argumentierte gegen diese Einordnung der Presse als Gewerbe und führte die Exzesse der Presse auf die Verbrechen des Absolutismus am menschlichen Geist zurück.207 Der Abgeordnete Hein erwiderte, dass, wer aus der Presse ein Gewerbe mache, den Gewerbegesetzen unterliege, welche nicht in die Verfassungsurkunde gehörten. Dies zeigt klar, dass die kommerzielle Meinungsäußerung für ihn nicht in den Bereich der zu schützenden Meinungsäußerungsfreiheit fiel.208 Ob er damit indirekt die besondere Bedeutung von politischer Meinungsäußerung bestätigte, ist fragwürdig. Jedenfalls trat diese besondere Kategorie (abgesehen von den als gefährlich erachteten politischen Plakaten) in der Debatte nicht hervor.209 Bereits in der Debatte zu Abs 1 hatte der Abgeordnete František Palacky eine besondere Reglementierung für politische Plakate gefordert, da er in diesen einen Krebsschaden der Presse erblickte. Ein dahin gehendes Amendement wurde ebenso wie der Kompromissvorschlag des Abgeordneten Ernst Violand210, bezüglich des Plakatwesens eine besondere Gesetzesschranke zu statuieren, in der Abstimmung zu Abs 3 behandelt und zurückgezogen.211 Für die Zulassung von Kautionen zur Verhinderung eines Missbrauchs der Pressefreiheit durch kommerziell-unsachliche Meinungsäußerung sprachen sich in Folge die Abgeordneten Marian Dylewski212 und Mayer aus.213 In eine andere Richtung ging die Argumentation des Abgeordneten Florian Ziemialkowski,214 der die Mangelhaftigkeit einer bloßen Aufhebung der (Vor-)Zensur anmerkte und darauf hinwies, dass die Pressefreiheit durch Kautionen und andere Repressivmaßnahmen unmöglich gemacht werden könne. In eine ähnliche Richtung ging die Wortmeldung des Abgeordneten Violand, 205 Ebenda 138, 145. 206 Für den Gouvernementbezirk Böhmen. Ebenda IX. 207 Ebenda 139 f. 208 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 140. 209 Ebenda 136 ff. 210 Für den Gouvernementbezirk Niederösterreich. Ebenda IX. 211 Ebenda 137, 146. 212 Für das Generalgouvernement Galizien. Ebenda IX, X. 213 Ebenda 138 f. 214 Für das Generalgouvernement Galizien. Ebenda IX.

66 Hauptteil in welcher dieser die Freiheit der Veröffentlichung als Bedingung für die gewünschte Freiheit des Gedankens und der Rede nannte und in Hinblick auf Frankreich vor den verderblichen Folgen des Konzessionssystems warnte.215 Darüber hinaus hob Violand die besondere Bedeutung der Pressefreiheit hervor, indem er betonte, er wolle lieber auf jede Freiheit Verzicht leisten, lieber dem König das absolute Veto geben, wenn nur die Presse, dieses Palladium, aber auch der Quell aller Freiheit, frei bleibt.216 Durch das Amendement Fischhof wurde Abs 2 des § 20 noch um das Verbot von Postverboten, Beschränkungen des Buchdrucks und des Buchhandels, von Postverboten oder ungleichmäßigem Postsatz sowie von Hemmungen des freien Verkehrs erweitert.217 Auch durch § 5 des die oktroyierte Märzverfassung ergänzenden Grundrechtspatentes von 1849 wurde ein besonderer Schutz der Meinungsäußerungsform der Presse statuiert und durch Satz 2 ein ausdrückliches Verbot der Zensur bestimmt.218 Welche Bedeutung Satz 3 (Gegen den Missbrauch der Presse wird ein Repressivsystem erlassen.)219 zukam, insbesondere ob dadurch in gewissen Situationen auch eine Vorzensur möglich gewesen wäre,220 bleibt mangels entsprechender Judikatur unklar. In der ursprünglichen, vom Berichterstatter des Verfassungsausschusses in der 33. Sitzung der 4. Session am 9. Oktober 1867 verlesenen Fassung hatte Artikel 13 Abs 2 wie folgt gelautet: Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt und weder durch das Concessions-System, noch durch administrative Postverbote beschränkt werden.221 215 Ein weiteres drastisch formuliertes Argument Violands lautete wie folgt: Um geringe Kaution werde es der Regierung schwerlich zu tun sein. Ist aber die Kaution hoch, so werde der Journalist Knecht der reichen Bourgeoisie, das Talent der Tagelöhner des reichen Dummkopfes werden. Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 142. 216 Ebenda. 217 Die endgültige Fassung lautete damit: Dieses Recht darf unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Zensur noch durch Konzessionen, weder durch Sicherheitsleistungen noch durch Staatsauflagen, weder durch Beschränkungen des Buchdrucks und Buchhandels noch endlich durch Postverbote und ungleichmäßigen Postsatz oder durch andere gewerbliche oder sonstige Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden. Ebenda 145. 218 Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden. Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 43. 219 Ebenda. 220 Wofür spricht, dass § 5, wenn er nicht als reine Staatszielbestimmung intendiert war, ohnedies implizit eine Gesetzesklausel enthielt und damit Satz 3 sonst überflüssig wäre. 221 Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 806.



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Abs 2 stand jedoch in dieser Form nach Ansicht der vom Herrenhaus eingesetzten politisch-juridischen Commission im Widerspruch zu § 26 des Pressgesetzes vom 17. Dezember 1862, der auf einem Kompromiss zwischen Regierung und Abgeordnetenhaus beruht hatte. Weiters verwies die Commission auf eine hauptsächliche Berührung ausländischer Interessen durch ein generelles Verbot administrativer Postverbote auch auf ausländische Zeitschriften.222 Folglich beantragte die Commission eine Änderung auf die bis heute gültige Fassung des Abs 2: Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt, noch durch das Conzessionsystem eingeschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.223 Diese Änderung wurde in Folge sowohl vom Herrenhaus als auch vom Abgeordnetenhaus angenommen,224 wobei der Verfassungsausschuss des Abgeordnetenhauses der Argumentation, dass eine Reform der Pressgesetzgebung nicht über jene der Grundrechte erfolgen solle, zustimmte.225 2.1.7 Fazit Wenn die Entwicklungen im Frühkonstitutionalismus auch für den verfassungsmäßig gewährleisteten Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit in der Verfassungswirklichkeit weitgehend bedeutungslos blieben, schufen sie doch 222 Die wörtliche Begründung des Berichterstatters lautete gemäß dem Protokoll wie folgt: Die Bestimmung des § 26 des Preßgesetzes vom 17. Dezember 1862, wodurch die Entziehung des Postdebits ausländischer Druckschriften nur vom Staatsministerium verfügt werden kann, war das Resultat eines Compromisses zwischen dem Standpuncte der Regierung und demjenigen des Abgeordnetenhauses. Die Bestimmung, welche das Abgeordnetenhaus heute in den Entwurf der Grundrechte aufnimmt, ist eine neuerliche Geltendmachung seiner damals bereits ausgesprochenen Anschauung. Der Antrag nun, welchen die Commission des hohen Herrenhauses stellen zu sollen glaubt, entscheidet die Streitfrage nicht; sie lässt einer Revision der Preßgesetzgebung auch in dieser Frage offene Hand. Hiezu aber hat sie sich durch die Erwägung bewogen gefunden, dass die Frage der Entziehung des Postdebits ausländischer Druckschriften im überwiegenden Maße doch die Interessen des Auslandes berührt, und daher in den allgemeinen Rechten der österreichischen Staatsbürger ihre richtige Stelle wohl umsoweniger findet, als überhaupt bezweifelt werden könnte, ob selbst die dießfällige Anordnung in Rücksicht auf Inländer nicht als allzu speciell und somit als nicht hierher gehörig zu bezeichnen wäre. Es dürfte kaum möglich sein, sie in irgend einer der in Kraft getretenen Verfassungen constitutioneller Staaten nachzuweisen. Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 283 f. 223 Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 283. 224 Stenographische Protokolle (Herrenhaus) (1869) 284; Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 1611. 225 Stenographische Protokolle (Abgeordnetenhaus) (1869) 1610.

68 Hauptteil eine Grundlage, auf welche 1867 bei der Formulierung des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zurückgegriffen werden konnte. Vor allem der im Gegensatz zu den oktroyierten Verfassungswerken (Pillersdorfsche Verfassung und Grundrechtspatent) nicht über ein Entwurfsstadium hinausgelangte Kremsierer Entwurf wurde so für die spätere Entwicklung bedeutsam. Weder in den Verfassungswerken des Frühkonstitutionalismus noch im StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus 1867 findet sich eine ausdrückliche Sonderstellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit und auch den Protokollen ist eine klare dahin gehende Intention nicht zu entnehmen. Mit den Entwicklungen von 1867 existierten nunmehr sowohl eine verfassungsrechtliche Garantie der Meinungsäußerungsfreiheit als auch die zu deren Verwirklichung notwendigen rechtsstaatlichen Institutionen. Die Entwicklung anwendbarer Prüfformeln aus dem sehr offenen Wortlaut des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger war nunmehr Aufgabe des Reichsgerichtes.

2.2 Die Entwicklung von 1867 bis 1918 2.2.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Aspekte der Rechtsentwicklung Mit Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger blieb die verfassungsrechtliche Grundlage der Meinungsäußerungsfreiheit in dieser Periode unverändert.226 Wesentliche Veränderungen am politischen System erfolgten hingegen im Bereich des Wahlrechts. So wurde der durch die Reichswahlordnung 1873 geschaffene Steuerzensus schrittweise gesenkt (Taaffe’sche Wahlrechtsreform 1882, Badenische Reform 1896) und damit die Zahl der wahlberechtigten Bevölkerung sukzessive erweitert. Durch die Beck’sche Wahlrechtsreform wurde 1907 schließlich das allgemeine Männerwahlrecht eingeführt.227 Im Fall einer Akzeptanz der These der Voraussetzung einer politisch informierten Öffentlichkeit im Falle eines breiten Wahlrechts hätten diese Reformen als Ausgangspunkt für eine entsprechende Interpretation von Art 13 StGG 226 Siehe dazu etwa Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 228 ff. 227 Ebenda 246 ff.



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über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger durch das Reichsgericht führen können. Tatsächlich folgte diesen Reformen, wie noch detailliert gezeigt werden wird, in keinem der Teilbereiche eine weitere Auslegung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitssphäre im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch das Reichsgericht. Der Gedanke der Notwendigkeit einer politisch informierten Öffentlichkeit ist den Begründungen des Reichsgerichts nicht zu entnehmen und beeinflusste dessen Judikatur folglich nicht oder nur marginal. Im Zusammenhang mit der allmählichen Ausweitung des Wahlrechts war ferner auch ein Niedergang des liberalen Lagers in Österreich zu beobachten.228 In starkem Kontrast zur Judikatur der späteren Epochen lag dem typischen Reichsgerichtserkenntnis ein Fall zur politischen Meinungsäußerungsfreiheit im weiteren Sinn zugrunde. Dem stand ein auffallender Mangel an Fällen zur kommerziellen Meinungsäußerung oder Obszönität entgegen. Auf den ersten Blick bietet sich als Erklärungsmodell hierfür die Beschränkung der Kompetenz des Reichsgerichtes auf die Entscheidung über Beschwerde politischer Rechte, und damit auf politische Meinungsäußerungen, an. Allerdings beschränkte das Reichsgericht diese politischen Rechte keineswegs auf jene Rechte, die den Staatsbürger zur Teilnahme an der Staatswillensbildung beriefen, sondern wählte eine weite Auslegung, sodass darunter fast alle Grundrechte fielen.229 Von entscheidender Bedeutung für die Verfassungswirklichkeit in der untersuchten Epoche war auch die umstrittene Rechtswirkung der Erkenntnisse des Reichsgerichts. Dieses war gem Art III lit b des Staatsgrundgesetzes vom 21.  Dezember 1867 zur endgültigen Entscheidung über Beschwerden der Staatsbürger wegen Verletzung der ihnen durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte nach Ausschöpfung des administrativen Instanzenzugs berufen. In einem entsprechenden Artikel wurden noch 1918 drei als Lehrmeinungen anerkannte Thesen angeführt: Die erste These ging von einer kassatorischen Wirkung der Aussprüche des Reichsgerichtes aus, die zweite These von der rechtlichen Verpflichtung zur Herausgabe eines neuen Erkenntnisses unter Bindung an die Rechtsanschauung des Reichsgerichtes. Nach der dritten These kam den Reichsgerichtserkenntnissen hingegen lediglich akademische Bedeutung zu.230 228 Zu Letzterem siehe etwa Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 220. 229 Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 258 f. 230 Leo Epstein, Die Rechtswirkungen der Entscheidungen des Reichsgerichtes über Beschwer-

70 Hauptteil Tabelle 1 – Darstellung, der Häufigkeit bestimmter Arten der Meinungsäußerung in der Reichsgerichtsjudikatur zu Art 13 StGG, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger anhand von exemplarischen Fällen

RG Slg. Nr. 212, 213, 214, 215/1880 261/1882 272/1883 305/1884 330/1885 393/1887 394/1887 397/1887 399/1887 417/1887 428/1888 571/1892 665/1894 716/1895 782/1897 897/1898 934/1899 971/1900 (Los von RomBewegung von rein konfessionellem Standpunkt) 1534/1907

Politische Meinungsäußerungen

Kommerzielle/ obszöne Meinungsäußerungen

Sonstige Meinungsäußerungen





+

+ + + + + + + + + + + + + + + +

− − − − − − − − − − − − − − − −

− − − − − − − − − − − − − − − −

−/+



+/−

+





© Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2008

Die These der kassatorischen Funktion des Reichsgerichtes stellte in der damaligen Lehre eine kaum vertretene und auch vom Reichsgericht selbst verworfene Position dar,231 während die zweite genannte Lehrmeinung verbreiteter den wegen Verletzung durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte, ZöR 1918, 434 f. 231 Ebenda 440 iVm 445.



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war.232 Aber auch die dritte These einer rein akademischen Bedeutung der Reichsgerichtserkenntnisse fand zahlreiche Anhänger in der damaligen Lehre.233 Ferner konnte gegen eine gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verstoßende Verordnung keine direkte Beschwerde an das Reichsgericht gerichtet werden, sondern nur gegen auf diese Verordnung beruhende Entscheidungen der Verwaltungsbehörden.234 Wie bereits im vorangehenden Kapitel beschrieben, existierte darüber hinaus die Möglichkeit zur Suspension des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit. Aus den beschriebenen unklaren rechtlichen Konsequenzen und der Möglichkeit zur Suspension des Grundrechtes wird die mangelnde Effektivität des Schutzes durch die beschriebene Rechtslage zur Meinungsäußerungsfreiheit zwischen 1867 und 1918 deutlich. Auch ist in der untersuchten Reichsgerichtsjudikatur dieses Zeitraums kein eindeutiges Indiz für eine besondere Bedeutung der politischen Meinungsäußerung enthalten. Die jener Judikatur zugrunde liegenden Erwägungen werden am besten durch das Österreichische Staatswörterbuch aus 1896 definiert. Zunächst wurde auf die Bedeutung der freien Meinungsäußerung als selbstständiges öffentliches Recht bzw. Grundrecht für die Verfassungsurkunden und die Rechtsprechung hingewiesen. Im Folgesatz wurde hingegen die Stellung von political speech in für Quellen dieser Zeit ungewohnter Deutlichkeit ersichtlich: Allein die M. – auch wenn sie den Staat, seine Angelegenheiten und Organisation betrifft,235 – ist kein selbstständiges politisches Recht der Unterthanen, sondern nur eine Besthätigung des allgemeinen Rechtes der politischen Persönlichkeit nach seiner positiven Seite hin in bestimmter Richtung.236 Im strafrechtlichen Bereich existierte jedoch eine indirekte verfassungsrechtlich gewährleistete verfahrensrechtliche Garantie bezüglich der Folgen politischer Meinungsäußerungen, da nach Art 11 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt bei politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden sollten.237

232 Ebenda 440 ff. 233 Ebenda 443 ff. So auch Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 276. 234 RG Slg. Nr. 1375/1905. 235 Mit anderen Worten political speech ieS. 236 Ernst Mischler/Josef Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch II/1 (1896) 715 f. 237 RGBl 1867/144.

72 Hauptteil 2.2.2 Grundrechtsträger Die grundsätzliche Reichweite der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne von Artikel 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger war durch den Terminus jedermann eindeutig zugunsten eines allgemeinen Menschenrechtes geklärt worden, offen blieb zunächst allerdings die Stellung juristischer Personen. Ein mögliches Hindernis bei der Lösung dieses Problems stellte der Umstand dar, dass die Zuständigkeit des Reichsgerichts nach dem Wortlaut des Gesetzes nur die Entscheidung über die Beschwerden von Staatsbürgern und damit naheliegenderweise nur physische Personen umfasste.238 Seit 1876 standen die den österreichischen Staatsbürgern durch die Verfassung gewährleisteten politischen Rechte nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichtes prinzipiell auch juristischen Personen zu.239 Die Begründung eines Erkenntnisses aus 1884 ließ hingegen eine Anwendung der freien Meinungsäußerung durch Vereine fragwürdig erscheinen. Dem Fall lag die Intervention eines Regierungscommissärs in einer Vereinsversammlung des deutsch-politischen und Fortbildungsvereins im böhmischen Eger zugrunde. Dieser hatte zwar die Antragstellung einer Resolution und die Debatte darüber erlaubt, die Beschlussfassung über dieselbe aber wegen einer angeblich dadurch zum Ausdruck kommenden Abneigung gegen die Regierung abgelehnt. Das Reichsgericht schloss daraus, dass keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung vorlag, da durch die gestattete Diskussion das Recht der Vereinsmitglieder auf freie Meinungsäußerung gewahrt blieb. Es sei nur der Verein an der Beschlussfassung gehindert und das Recht auf freie Meinungsäußerung folglich nicht verletzt worden.240 In einem Erkenntnis aus 1885 wurde die Anwendung des Art 13 auf die Meinungsäußerung von Vereinen hingegen bestätigt. Auch stellte das Reichsgericht in diesem Erkenntnis nunmehr fest, dass dem beschwerdeführenden Verein jedenfalls das Recht zustand, seine Meinung durch Abstimmung über eine Resolution zu 238 Siehe dazu Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 260. 239 Ebenda. 240 Dagegen konnte dies nicht auch in Ansehung des zweiten Petitumspunktes – Verletzung des Rechtes der freien Meinungsäußerung – stattgefunden haben, da … bei der fraglichen Vereinsversammlung der Regierungsvertreter nicht blos die Antragstellung, sondern auch die Diskussion darüber in keiner Weise gehemmt hat, daher jedem bei dieser Versammlung anwesend gewesenen Vereinsmitgliede die Äußerung seiner Meinung unverletzt geblieben und nur der Verein behindert worden ist, einen Beschluß zu fassen. In der späteren Judikatur (siehe unten) wurden Beschlüsse von juristischen Personen hingegen durchaus als grundsätzlich geschützte Form geschützter Meinungsäußerung angesehen. RG Slg. Nr. 305/1884.



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äußern.241 Die eindeutige Formulierung des Reichsgerichtes in einem Erkenntnis aus 1887 242 stellte die Position von juristischen Personen als Grundrechtsträger außer Streit: Schon daraus, daß der Gesetzgeber den möglich weitesten und umfassendsten Ausdruck „Jedermann“ gebraucht hat, muß geschlossen werden, daß er das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht blos Einzelpersonen, sondern auch jeder gesetzlich zulässigen Vereinigung mehrerer Personen und gesetzlich anerkannten Vereinen und Körperschaften, wie Gemeinden und deren Vertretungen, zuerkennen wollte, insofern nicht besondere gesetzliche Vorschriften entgegenstehen.243 Durch diese weite Auslegung des Jedermannsrechts des Artikels 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wurde etwa auch eine Beschwerde einer Aktiengesellschaft beim Reichsgericht wegen der Verletzung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit möglich.244 Allerdings stand juristischen Personen die Meinungsäußerungsfreiheit nicht uneingeschränkt zu.245 Ob eine juristische Person im Inland oder im Ausland ihren Sitz hatte, war dabei nicht entscheidend. Allerdings trat während der Existenz des Reichsgerichts keine solche juristische Person als Kläger auf, weswegen keine entsprechende Judikatur vorliegt.246 1887 lehnte das Reichsgericht erstmals eine dahin gehende Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit der Gemeindevertretung von Troppau durch die schlesische Landesregierung ab. In dem von der schlesischen Landesregierung untersagten Beschluss hatte der Gemeinderat einem Mitglied des Herrenhauses und Ehrenbürger der Stadt für sein mannhaftes patriotisches Auftreten im Herrenhaus hinsichtlich des Sprachenstreits gedankt. Dieser Beschluss 241 In diesem Fall wurde die verhinderte Abstimmung über eine Resolution sehr wohl als Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit erkannt: Daran [an der Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit] ändert der Umstand nichts, daß, wie in der Gegenschrift behauptet wird, der Gegenstand der Resolution, noch ehe es sich über die Abstimmung über die letztere handelte, vom Antragsteller ausführlich besprochen wurde, da eine weitere Diskussion nicht stattgefunden hat, und dem Vereine jedenfalls das Recht zustand, seine Meinung durch Abstimmung über die Resolution zu äußern (Betonung hinzugefügt). RG Slg. Nr. 330/1885. Siehe auch Ernst Mischler/Josef Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch II/1 (1896) 716. 242 Zu weiteren Urteilen zur Legitimation juristischer Personen im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit siehe insb.: RG Slg. Nr. 394/1887, 396/1887, 396/1887, 397/1887, 404/1887, 412/1887, 413/1887, 524/1891, 716/1895, 764/1896 … u.a.m. 243 RG Slg. Nr. 393/1887. 244 Der erste Fall der Behandlung einer Beschwerde einer Aktiengesellschaft wegen Verletzung von deren Meinungsäußerungsfreiheit erfolgte in RG Slg. Nr. 645/1893. 245 Siehe dazu allgemein Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 326 f. 246 Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 260.

74 Hauptteil der Gemeindevertretung stellte nach Ansicht des Reichsgerichtes eine bloße Meinungsäußerung dar, sodass irgend eine Anordnung oder Verfügung überhaupt nicht getroffen worden sei und das erforderliche thatsächliche Substrat für eine allfällige Überschreitung des selbstständigen Wirkungskreises daher fehle. Folglich berührte der Beschluss gar nicht den ämtlichen Wirkungskreis der Gemeinde, sondern ein von demselben ganz unabhängiges Gebiet.247 Diese Rechtsauffassung wurde in Folge zur ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts.248 Allerdings war diese Freiheit der Meinungsäußerung jenseits des Wirkungskreises auf den aus heutiger Sicht sehr engen Bereich der bloßen Meinungsäußerung im Sinne des Reichsgerichts (siehe dazu weiter unten) beschränkt.249 Auch Vereine waren grundsätzlich in ihrem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht durch ihren Wirkungskreis beschränkt.250 Im Fall einer Burschenschaft verneinte das Reichsgericht hingegen eine Verletzung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit aufgrund einer Überschreitung des Wirkungskreises.251 Auch im Fall einer Auflösung eines Vereins wegen eines politisch geprägten Beschlusses prüfte das Reichsgericht auf eine Überschreitung des Wirkungskreises des Vereins.252 2.2.3 Die Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäusserungsfreiheit Das Reichsgericht vertrat von Anfang an eine enge Auslegung des Begriffs der Meinung im Sinne von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Bereits 1886 wurde die strikte Trennung zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Meinung und der nicht geschützten Willenskundgebung festgestellt.253 Eine genaue Abgrenzung zwischen der geschützten Meinungsäuße247 RG Slg. Nr. 393/1887. 248 RG Slg. Nr. 394/1887, 395/1887, 397/1887, 404/1887, 412/1887, 524/1891, 746/1896 u.a.m. 249 Siehe dazu etwa RG Slg. Nr. 716/1895, 730/1896. 250 Siehe insbesondere RG Slg. Nr. 684/1895. 251 Laut der Statuten der ... ist ihre Tendenz die Pflege von Wissenschaft und Literatur und heiterer Geselligkeit. Die Diskussion und Behandlung politischer Angelegenheiten ist unbedingt ausgeschlossen. Der oben angeführte Beschluß fällt nicht in diesen Wirkungskreis. Allerdings in diesem Fall der extrem antisemitische Inhalt des zur amtlichen Auflösung führenden Beschlusses zu bedenken, siehe Abschnitt III, Kapitel 5.1. RG Slg. 782/1897. 252 Wobei in diesem Fall eine politische Meinungsäußerung eine Überschreitung des Wirkungskreises bedeutet und damit die Auflösung gerechtfertigt hätte. RG Slg. Nr. 971/1900. 253 Die entscheidende Passage des Urteils lautet wie folgt: Von einer Verletzung des in diesem



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rung und einer gemäß dem Reichsgericht darüber hinausgehenden Äußerung kann mangels einer einheitlichen Prüfformel jedoch nur aus einer Analyse der Reichsgerichtsjudikatur gewonnen werden. Eine bloße Meinungsäußerung war etwa eine unter der Schwelle einer Drohung liegende Warnung durch den politischen Gewerbeverein für den Gerichtsbezirk Trautenau in Böhmen vor Übernahme einer tschechischen Volksschule seitens der Gemeinde.254 Auch eine offiziell ausgesprochene Dankesbotschaft einer Gemeinde an ein Mitglied des Herrenhauses für eine dort gesetzte Handlung war als bloße Meinungsäußerung zu verstehen.255 Eine an zwei Abgeordnete des Bezirks gerichtete öffentliche Aufforderung mittels einer Resolution der Bezirksvertretung Kindberg zum Tätigwerden in eine bestimmte politische Richtung überschritt jedoch den Rahmen der bloßen Meinungsäußerung, denn sie enthält vielmehr den Beschluß, etwas zu thun, nämlich die Abgeordneten … aufzufordern, in einem bestimmten Sinne thätig zu sein.256 In einem anderen Fall eines Beschlusses einer Gemeindevertretung, an die Reichstagsabgeordneten einer bestimmten Nationalität das Ersuchen um eine parlamentarische Tätigkeit eines bestimmten Inhalts zu richten, führte das Reichsgericht dazu wie folgt aus: Die Meinungsäußerungsfreiheit umfasst … alles, was sich noch nicht als Umsetzung der Meinung in die That darstellt, und wäre der Beschluß … innerhalb dieser Grenzen geblieben, so wäre die Sistierung desselben möglicher Weise ein Übergriff. … Durch dieses Ersuchen an die deutschen Reichstagsabgeordneten … die Mittel zur Verstaatlichung zu verweigern, hat der Gemeinderath von Troppau die bloße Meinungsäußerung überschritten und zu Mitteln der Umsetzung der Meinung in die Tat gegriffen.257 Auch eine Aufforderung der Gemeinde Graz an deren Abgeordnete, durch einen offiziellen Beschluss alle gesetzlichen Mittel zur Anwendung zu bringen, Artikel gewährleisteten Rechts der freien Meinungsäußerung kann aber im vorliegenden Falle schon deshalb keine Rede sein, weil der Gemeinderath in Graz durch den von ihm gefassten Beschluss eine Meinung oder Ansicht im Sinne des obcitierten Art. 13 überhaupt nicht geäußert, sondern vielmehr den Willen kundgegeben hat, in seiner ämtlichen Eigenschaft als Gemeinderat etwas zu thun, beziehungsweise etwas zu unterlassen. RG Slg. Nr. 371/1886. 254 RG Slg. Nr. 330/1885. 255 RG Slg. Nr. 393/1887. 256 Allerdings könnte dieses Urteil durch die in der Resolution zum Ausdruck gebrachte politische (nationalistische) Radikalität beeinflusst gewesen sein, dazu genauer in Abschnitt III, Kapitel 5.2.1.1. RG Slg. Nr. 627/1893. Siehe dazu auch Slg. Nr. 730/1896 sowie Slg. Nr. 855/1898 (auch diesen beiden Erkenntnissen lagen jeweils ein sehr nationalistisch geprägter Beschluss einer Gemeinde zugrunde). 257 RG Slg. Nr. 855/1898.

76 Hauptteil um der als rechtswidrig empfundenen Anwendungspraxis des § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung entgegenzuwirken, ging über den Bereich einer bloßen Meinungsäußerung hinaus.258 Eine Kundgebung des Stadtverordneten-Kollegiums der nordböhmischen Stadt Reichenberg, die unter anderem den Satz enthielt: Das StadtverordnetenKollegium [der Stadt Reichenberg] spricht es als seine Rechtsüberzeugung aus, daß eine solche Anwendung des § 14 des St. G. Gesetzes259 dem Geiste und Sinne dieser nur auf dringende Ausnahmefälle eingeschränkten gesetzlichen Bestimmung in keiner Weise entspricht und die Staatsbürger berechtigt, derartigen formell und materiell unzulässigen Verordnungen den Gehorsam zu verweigern260, war nur als eine Meinungsäußerung und nicht als Aufforderung einzustufen.261 Ein feierlicher Protest mittels eines Beschlusses des Stadtverordneten-Kollegiums Reichenberg gegen eine Verfügung des Justizministeriums überschritt hingegen die Grenze einer gesetzlich zulässigen Meinungsäußerung. Zwar stellte das Reichsgericht nicht ausdrücklich fest, dass diese Überschreitung aufgrund eines über eine bloße Meinung hinausgehenden Verhaltens erfolgte. Doch die Entscheide der k. k. Statthalterei in Prag und sowie des k. k. Ministeriums des Inneren erfolgten aufgrund der Annahme, die Gemeinde habe ihren Wirkungskreis überschritten. Dies war, wie im vorangehenden Kapitel besprochen, in diesem Zusammenhang nur dann von Bedeutung, wenn keine bloße Meinungsäußerung vorlag, und wurde vom Reichsgericht nicht beanstandet. Jedenfalls erblickte das Reichsgericht im feierlichen Protest eine förmliche Verwahrung und Einsprache gegen einen Regierungserlass, welcher als solcher keinen Schutz des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger genoss.262 Eine Resolution des Bezirksausschusses von Mürzzuschlag in der Steiermark, in dem ein Sprachenerlass an die Oberlandesgerichtspräsidenten in Böhmen und Mähren bedauert und mißbilligt wurde, lag hingegen innerhalb der Grenze einer reinen Meinungsäußerung.263 Auch eine Resolution der schlesischen Ge258 RG Slg. Nr. 982/1900. 259 Anm: Das Notverordnungsrecht. 260 Betonung durch das Reichsgericht. 261 Allerdings war diese Meinungsäußerung, obwohl als solche erkannt, nicht durch Art 13 StGG geschützt. Siehe RG Slg. Nr. 985/1900. 262 RG Slg. Nr. 394/1887. 263 Die Resolution und die entscheidende Passage des RG-Erkenntnisses lauteten wie folgt: (Resolution:) Die Bezirksvertretung erkennt in dem von Sr. Exzellenz dem Herrn Leiter des Justizministeriums an die Oberlandesgerichts-Präsidenten in Böhmen und Mähren gerichteten bekannten Sprachenerlässe eine Schädigung der Rechte des deutschen Volkes in Österreich und missbilligt daher denselben. (Reichsgericht:) Wenn der Inhalt der in Rede stehenden Resolution in



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meinde Troppau, in welcher eine Regierungsentscheidung für tief bedauerlich erklärt wurde, stellte nach Auffassung des Reichsgerichtes ausschließlich eine Meinungsäußerung dar.264 Ein Beschluss der galizischen königlichen Landeshauptstadt Lemberg aus 1898 überschritt hingegen nach Ansicht des Reichsgerichtes den Rahmen einer bloßen Meinungsäußerung. Dieser Beschluss war zweigliedrig. Im ersten Teil äußerte die Stadtvertretung die Überzeugung, dass ein über 33 Bezirke verhängter Ausnahmezustand nicht notwendig und gesetzlich unbegründet sei und forderte im Interesse des Landes und seiner Bewohner die unverzügliche Aufhebung desselben. Im zweiten Teil folgte eine ausdrückliche Ermächtigung des Gemeindepräsidenten, den Beschluss dem … Statthalter im kurzen Wege mitzutheilen. Das Reichsgericht sah in dieser Vorgangsweise den Versuch einer Einflussnahme auf jene Regierungsmaßnahme und folglich eine nach Außen gerichtete Aktion.265 Ein anderes Element der Meinungsäußerung des erwähnten Beschlusses des Stadtverordnetenkollegiums Reichenbergs (394/1887), die gestellte Forderung nach einem selbstständigen Oberlandesgericht für das deutsche Gebiet Böhmens, fiel angesichts des ähnlich gelagerten Erkenntnisses 395/1887 isoliert betrachtet wohl unter die Definition einer bloßen Meinungsäußerung (wenngleich es sich in 395/1887 um einen Wunsch, und nicht eine Forderung der Gemeindevertretung handelte).266 Auch in einer Resolution des Gemeindeausschusses der Stadt Sternberg, in welcher unter anderem die Passage spricht der Gemeindeausschuß … seine Überzeugung dahin aus, dass es unabweisbare Pflicht aller deutschen Reichsrathsabgeordneten ist, diese Verordnung mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen und auf deren Beseitigung hinzuarbeiten, und erwartet unverzüglich, dass die deutschen Abgeordneten in dieser Richtung die energetischste Thätigkeit entfalten werden enthalten war, erkannte das Reichsgericht eine reine Meinungsäußerung.267 KonsequenterBetracht gezogen wird, so ergibt sich, daß in derselben die Bezirksvertretung Mürzzuschlag ihrer Ansicht über die Wirkung des in der Resolution angedeuteten Ministerialerlasses mit dem Beifügen Ausdruck gibt, das sie denselben bedauert und missbilligt. Die Resolution enthält mithin lediglich eine Meinungsäußerung. RG Slg. Nr. 412/1887. 264 Die Resolution lautete wie folgt: Der Troppauer Gemeinderath erklärt es vom freiheitlichen Standpunkte für tief bedauerlich, daß die Regierung sich durch ihr Vorgehen gegen die Wahl Dr. Karl Luegers zum Bürgermeister von Wien mit dem auf gesetzlichem Boden und in gesetzlicher Form zum Ausdrucke gebrachten Volkswillen in Widerspruch gesetzt hat, und erblickt hierin einen durch die Verhältnisse nicht gerechtfertigten Eingriff in das freie Selbstbestimmungsrecht der Gemeinde. RG Slg. Nr. 746/1896. 265 RG Slg. Nr. 934/1899. 266 RG Slg. Nr. 394/1887 iVm 395/1887. 267 RG Slg. Nr. 395/1887. Zur selben Problematik siehe auch Slg. Nr. 404/1887.

78 Hauptteil weise lehnte es damit auch die Argumentation der k. k. Bezirkshauptmannschaft Sternberg, der k. k. mährischen Statthalterei und des k. k. Ministeriums des Innern auf eine Überschreitung des Wirkungskreises der Gemeinde ab.268 Der andere von der Bezirkshauptmannschaft und den höheren Verwaltungsinstanzen angeführte Teil der Begründung für die Außerkraftsetzung der Resolution ist ein beeindruckendes Indiz für die ablehnende Haltung der damaligen Staatsverwaltung zur kritischen politischen Meinungsäußerung: Sie erklärte darin, die Resolution sei als unstatthaft außer Kraft gesetzt, da die Gemeinde, welche im übertragenen Wirkungskreis als Organ der Regierung aufzufassen ist, in dieser Eigenschaft nicht berechtigt sein könne, gegen die Regierung ein Tadelsvotum zu beschließen269 – mit anderen Worten gegenüber der Regierung öffentlich harte aber nicht notwendigerweise unsachliche Kritik zu äußern. Der Beschluss einer Gemeindevertretung, eine Straßenbezeichnung (in Bismarckstraße) zu ändern, um ein bleibendes Erinnerungszeichen zu setzen, war als ein über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehender Verwaltungsakt anzusehen.270 Das Einsetzen eines Comités zur feierlichen Begehung des Gedenktages der polnischen Constitution vom 3. Mai 1791 durch den Gemeinderat der Stadt Krakau in Galizien wurde vom Reichsgericht als Mittel[.] zum Zwecke der gedachten Meinungsäußerung betrachtet und eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Untersagung der Vollziehung durch das k. k. Statthalterei-Präsidium in Lemberg bejaht.271 1894 beschloss der Gemeinderat von Triest die Aufstellung einer italienisch-nationalistischen Gedenktafel im Atrium des Rathauses von Triest, um die Erinnerung an eine nationale Kundgebung dauernd lebendig zu halten. Die italienische Inschrift sollte wie folgt lauten: Il giorno 2 di novembre del 1894 qui convennero i podestà e i delegati dell’Istria per riaffermare che umano potere non cancella XX secoli di vita latina. (Am 2. November 1894 versammelten sich hier die Bürgermeister und Delegierten Istriens, um neuerlich zu bekräftigen, daß menschliche Macht zwanzig Jahrhunderte lateinischen Lebens nicht auszulöschen vermag.)272 268 RG Slg. Nr. 395/1887. 269 Ebenda. 270 Wobei dies wohl auch im Licht des dahinterliegenden Streits zwischen der offenbar deutschnationalen Gemeindevertretung und österreichisch-national empfindender Bürger und Behörden zu sehen ist. RG Slg. Nr. 1007/1900. 271 RG Slg. Nr. 524/1891. 272 RG Slg. Nr. 716/1895.



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Dies lag nach Ansicht des Reichsgerichtes außerhalb des verfassungsmäßig geschützten Bereichs der Meinungsäußerung. Eine solche Aktion gebe vielmehr dem Willen273 Ausdruck, durch Aufstellung einer Gedenktafel in Marmor die Erinnerung an den Vorgang vom 2. November 1894 für immerwährende Zeit lebendig zu halten.274 Da jedoch durch die Einsetzung des Comités der galizischen Stadt Krakau ebenfalls der Willen ausgedrückt wurde, das Gedenken an die polnische Verfassung von 1791 lebendig zu halten, ist die Grenze im Einzelfall schwer zu definieren.275 Jedenfalls ist bei der Frage nach dem verfassungsmäßigen Schutz politischer Meinungsäußerungsfreiheit im österreichischen Recht dieser Zeit die Vorfrage, ob eine solche Meinungsäußerung auch eine Meinung im Sinne von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger darstellt, entscheidend. Denn scheiterte diese Voraussetzung aufgrund der engen und kasuistischen Auslegung des Begriffs der Meinung durch das Reichsgericht, befand sich die Meinungsäußerungsfreiheit automatisch im ungeschützten Bereich. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass den Stimmen nach einer Einschränkung auf besonders hoch stehende oder niveauvolle Äußerungen (auch später) nicht gefolgt wurde.276 2.2.4 Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Exekutive Bereits in einem frühen Erkenntnis stellte das Reichsgericht die engen Grenzen des verfassungsmäßig geschützten Rechtes auf Meinungsäußerung außer Frage: Es ist überdies ein verfassungsmäßiges Recht, seine Meinung thatsächlich gegen jedermann und bei jeder Gelegenheit äußern zu können, unnachweisbar, und würde eine solche Auffassung des Rechtes der freien Meinungsäußerung nur auf Absurditäten führen.277 Der genaue Umfang der (in Absenz eines Gesetzes nach dem Wortlaut des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger grundsätzlich un273 Betonung hinzugefügt. 274 Wobei diese Entscheidung im Licht der radikalen politischen Aussage der hier geplanten Marmortafel zu sehen ist. RG Slg. Nr. 716/1895; siehe dazu auch RG Slg. Nr. 957/1899. 275 Für einen kurzen Abriss dieser Problematik unter Einbeziehung der VfGH-Judikatur bis 1965 siehe Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 274 f. 276 Siehe zu Letzterem Walter Berka, Die Kommunikationsfreiheit, in Rudolf Machacek/Willibald P. Pahr/Gerhard Stadler, 40 Jahre EMRK, Grund und Menschenrechte in Österreich II (1992) 411 f. 277 RG Slg. Nr. 213/1880.

80 Hauptteil begrenzten) Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Exekutive (ieS) kann folglich nur durch einen Überblick über die Judikatur des Reichsgerichtes gewonnen werden. Grundsätzlich stellte das Reichsgericht in seiner Eingrenzung nicht auf eine Intention der Verwaltung ab, sondern erkannte auch eine bloß faktische Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit als rechtswidrig. 1882 entschied das Reichsgericht über die Beschwerde des deutschen Vereins in Graz, dessen öffentliche Vereinsversammlung durch die k. k. Polizeidirektion in Graz untersagt wurde. Der Grund dafür lag in der vermuteten Staatsgefährlichkeit der Tagesordnung. Diese hatte eine Vertrauenskundgebung für die Mitglieder des Clubs der vereinigten Linken und den früheren Vertreter der Triester Handelskammer im Abgeordnetenhause Referent Herr Redakteur Karl von Raab vorgesehen. Das Reichsgericht erkannte zunächst auf eine Verletzung der Vereinsfreiheit. Es erkannte allerdings auch auf eine Verletzung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wegen der erfolgten Verhinderung der an und für sich nicht als gesetzwidrig erkannten freien Äußerung der Meinung einer Anzahl von Staatsbürgern.278 In eine andere Richtung wies hingegen ein Erkenntnis, dem die Verweigerung der Abhaltung einer Volksversammlung zugrunde lag. Auch in diesem Fall war folglich der Gegenstand der administrativen Beschränkungen ein Forum, in dem Meinungsäußerungen möglich gewesen wären. Dennoch entschied das Reichsgericht, dass dadurch noch keineswegs das Recht der freien Meinungsäußerung von irgendjemandem verletzt worden sei. Denn für eine Verletzung der freien Meinungsäußerung fehlt … das tatsächliche Substrat, da die Möglichkeit einer Meinungsäußerung überhaupt noch nicht vorhanden war.279 Mit einem Erkenntnis aus 1895 legte das Reichsgericht fest, dass die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht nur durch Verhinderung der Meinungsäußerung, sondern auch durch einen ungerechtfertigterweise an dieselbe geknüpften Nachteil erfolgen kann.280 Keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung lag vor, wenn die Meinungsäußerung durch bzw. im Rahmen einer Versammlung erfolgen sollte, welche gesetzmäßig untersagt wurde.281 278 Die genauen Gründe für die Einordnung als staatsgefährlich sind nicht ersichtlich. RG Slg. Nr. 261/1881. 279 RG Slg. Nr. 428/1888. Im ähnlich gelagerten Fall des RG Slg. Nr. 659/1894 überprüfte das Reichsgericht ungeachtet der vom Beschwerdeführer behaupteten Verletzung von Art 13 StGG überhaupt nur eine Verletzung der Versammlungsfreiheit. 280 RG Slg. Nr. 684/1895 (Rechtssatz b). 281 RG Slg. Nr. 854/1898. Zu dieser Problematik siehe auch: Slg. Nr. 252/1882, 261/1882, 287/1883, 428/1888, 854/1898.



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Auch die Verweigerung der Ausstellung eines Totenscheins fiel nicht unter den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit,282 ebenso wenig die Zurückweisung einer Beschwerde.283 In keinem Zusammenhang mit der Meinungsäußerungsfreiheit stand nach Auslegung des Reichsgerichts die Anordnung einer Gemeindebehörde, dass die Aufschriften der im Straßengrund gefestigten und der in den Luftraum über den Straßengrund hineinragenden Steck- und Hängeschilder nur in einer bestimmten Sprache erfolgen durften.284 Die bereits im vorangegangenen Kapitel detailliert angeführte Kundgebung der böhmischen Gemeinde Reichenberg zur § 14-Praxis der Regierung285 ging wegen der von autoritativer Seite angenommen Berechtigung zur Gehorsamsverweigerung über den Schutzbereich des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger hinaus, da sie nach Ansicht des Reichsgerichtes geeignet erschienen, Einzelne zu einer gesetzwidrigen Aktion anzuregen.286 Eine Resolution der Gemeindevertretung von Eger in Böhmen, in welcher eine Maßnahme der Regierung als deutschfeindliche(.) und nur der politischen Rancune entsprungene Regierungsmaßregel bezeichnet wurde, überschritt hingegen die Grenze der erlaubten Meinungsäußerungsfreiheit. Obwohl im Anlassfall kein Gesetz übertreten worden war, begründete das Reichsgericht seine Entscheidung mit der beschränkten Geltung der Meinungsäußerungsfreiheit innerhalb der gesetzlichen Grenzen. Daraus folgerte es, dass es nicht zulässig erscheine, Maßregeln einer Behörde die Absicht zu unterlegen, wider eine Nationalität feindselig vorzugehen und sich nur vom Gefühle des Grolles (der Rancune) sonach von verwerflichen Motiven leiten zu lassen.287 Da das Reichsgericht keine allgemeine Doktrin eines Ausschlusses extremistischer Meinungsäußerung entwickelte,288 scheint die als ungeziemlich empfundene harte politische Kritik der Grund des Ausschlusses dieser Meinungsäußerung vom geschützten Bereich gewesen zu sein. Trifft dies zu, ist es ein Indiz dafür, dass politische Meinungsäußerungsfreiheit in dieser Phase der Verfassungsentwicklung keinen be282 Diese sah der Beschwerdeführer als eine Form von Protest gegen eine empfundene Diskriminierung. Das Reichsgericht empfand eine nähere Begründung in diesem Fall für überflüssig. RG Slg. Nr. 1375/1905. 283 RG Slg. Nr. 1500/1907. 284 RG Slg. Nr. 1534/1907. 285 Anm: Dass derartige formell und materiell unzulässige Notverordnungen die Versagung des Gehorsams erlauben. 286 RG Slg. Nr. 985/1900. 287 RG Slg. Nr. 933/1899. 288 ISv hate speech, siehe Abschnitt III, Kapitel 5.2.1.1.

82 Hauptteil sonderen Schutz genoss, sondern vielmehr besonders in seiner harten, staatskritischen Form als besonderes und nicht schützenswertes Übel betrachtet wurde. Ein Beschluss, in welchem einem Abgeordneten aus einem bestimmten Anlass das volle unveränderte Vertrauen ausgesprochen wurde, überschritt die Grenze der bloßen Meinungsäußerung, sofern ihr demonstrativer Charakter zukam. Im Anlassfall hatte ein Abgeordneter eine zuerkannte Ordensauszeichnung bei gleichzeitigem Ausdruck der Hochachtung gegenüber dem Monarchen abgelehnt. Angesichts von Angriffen gegen den Abgeordneten erfolgte der erwähnte Ausspruch des Vertrauens. Das Reichsgericht erblickte in diesem Ausspruch eine motivierte Billigung der Ordensablehnung und damit eine durchaus unzulässige Demonstration gegenüber der Ausübung eines unantastbaren verfassungsmäßigen Hoheitsrechtes.289 Besonders schwer wog in diesem Fall, dass es sich um einen Fall der Majestätsrechte des Kaisers handelte. Der Vertreter des k. k. Ministeriums des Inneren hatte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass ein weit schwereres Verbrechen als eine Demonstration gegen die Regierung vorliege, und zwar eine unzulässige Kritik eines Allerhöchsten Gnadenaktes.290 Durch diesen Fall werden erneut die engen Grenzen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in ihrem Kernbereich, nämlich der Kritik an der Staatsform (in diesem Fall der monarchischen und ihrem Repräsentanten), deutlich. Selbst in einem Kernfall einer politischen Meinungsäußerung entschied das Reichsgericht, dass eine erfolgreiche Berufung auf die Meinungsäußerungsfreiheit dann nicht möglich sei, wenn der Beschwerdeführer nicht wegen einer Meinungsäußerung, sondern wegen polizeiwidrigen demonstrativen Verhaltens an einem öffentlichen Ort bestraft wurde.291 1883 prüfte das Reichsgericht eine Verletzung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch die Untersagung einer angezeigten Volksversammlung in Linz, bei welcher [d]ie Entwicklung des Programms der deutschen Volkspartei auf der Tagesordnung gestanden hatte. Das Reichsgericht sah dabei als entscheidende Frage an, ob der von der Verwaltung angeführte Paragraph des Gesetzes über das Versammlungsrecht tatsächlich oder nur zum Schein herangezogen worden war und damit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit

289 RG Slg. Nr. 949/1899. 290 RG Slg. Nr. 949/1899. 291 Dem Fall war eine Meinungsäußerung in Form eines demonstrativen Verhaltens Dr. Victor Adlers zugrunde gelegen. RG Slg. Nr. 432/1888.



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dienen konnte.292 Das Reichsgericht entschied, dass die Behörden Grund zur Besorgnis hatten, dass die Volksversammlung das öffentliche Wohl gefährden hätte können. Diese glaubten folglich, aufgrund des Gesetzes das Versammlungsrecht untersagen zu müssen. Daher war die Maßnahme nicht gesetzlich unbegründet.293 Es handelte sich damit folglich um eine frühe Form der späteren Prüfung einer denkunmöglichen Anwendung eines Gesetzes. Ähnlich verfuhr das Reichsgericht 1885, indem es nach inhaltlicher Prüfung die Untersagung einer Meinungsäußerung in dem durch die Verwaltung herangezogenen Gesetz als nicht begründet ansah und folglich eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung feststellte.294 Eine Zuständigkeit zur Überprüfung von administrativen Disziplinarerkenntnissen sowie Straferkenntnissen lehnte das Reichsgericht auch im Fall einer behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit ab.295 Eine weitere Schwäche des verfassungsrechtlichen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch das Reichsgericht lag in der Notwendigkeit einer vorangehenden meritorischen Entscheidung einer Verwaltungsbehörde. Dies wurde dann problematisch, wenn die Entscheidung von der Verwaltungsbehörde aus formellen Gründen abgelehnt wurde.296 In diesem Fall hatte ein Bezirkshauptmann verfügt, eine Versammlung zu schließen, nachdem ein Redner sich geweigert hatte, auf von ihm verlangte Einschränkungen betreffend seiner regierungskritischen Aussagen einzugehen. Dem Beschwerdeführer wurde das Beschwerderecht gegen die Auflösung der Versammlung abgesprochen und keine Entscheidung in merito getroffen. Infolgedessen war auch die Beschwerde an das Reichsgericht wegen behaupteter Verletzung politischer, durch die Verfassung gewährleisteter Rechte unzulässig.297 292 Eine unter Angabe dieses Grundes von den administrativen Behörden verfügte Untersagung einer Volksversammlung kann von dem Reichsgerichte nur dann als durch die Bestimmung des obscitierten § 6 des Gesetzes über das Versammlungsrecht gerechtfertigt angesehen werden, wenn der Nachweis geliefert ist, daß den eingeschrittenen Administrativbehörden solche tatsächlichen Verhältnisse oder Vorkommnisse vorlagen, aus welchen dieselben mit Grund (Betonung durch das Reichsgericht) die Besorgung ableiten konnten, daß die abzuhaltende Volksversammlung eine Gefährdung des öffentlichen Wohles nach sich ziehen könne. Es ist daher zu prüfen, ob dieser Beweis erbracht worden sei oder nicht. VfGH Slg. Nr. 272/1883. 293 Ebenda. 294 RG Slg. Nr. 330/1885. Eine ähnliche Prüfung der Anwendbarkeit eines Gesetzes erfolgte etwa auch in Slg. Nr. 382/1886. 295 RG Slg. Nr. 1764/1910 (Disziplinarrechtliche Verfolgung eines Lehrers aufgrund einer außerhalb der Schule in einem Referat getätigten Meinung), 403/1887. 296 RG Slg. Nr. 399/1887. 297 Ebenda.

84 Hauptteil 2.2.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit In der Judikatur des Reichsgerichtes sind noch keine Bestrebungen zur Einschränkung der legislativen Freiheit der Eingrenzung der Meinungsäußerungsfreiheit zu erkennen. So stellte das Reichsgericht lediglich fest: Das … verfassungsmäßig gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung ist also insoweit eingeschränkt, als durch die Meinungsäußerungsfreiheit ein bestehendes Gesetz nicht verletzt werden darf.298 Die Lehre entwickelte kein Äquivalent zur späteren Wesensgehaltstheorie299 (wonach gesetzliche Beschränkungen nicht gegen das Wesen der Meinungsäußerungsfreiheit verstoßen, also in ihrer Wirkung deren Aufhebung gleichkommen dürfen).300 Ebenso fand durch Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger keine Aufhebung bzw. Nichtanerkennung der einschränkenden Wirkung der dem Verfassungswerk des Jahres 1867 vorangehenden Gesetzgebung (inklusive kaiserlicher Verordnungen) statt, durch welche die Meinungsäußerung beschnitten wurde. Vielmehr sah das Reichsgericht diese als durch die Gesetzesklausel des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger bestätigt. Eine spezielle Bestätigung der Aufrechterhaltung wurde als nicht notwendig erachtet.301 So erblickte das Reichsgericht 1893 in der kaiserlichen Verordnung vom 20. April 1854, Nr. 96 R.G.B. eine die Meinungsäußerungsfreiheit einschränkende Norm.302 Selbst eine gänzliche Beseitigung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch das Gesetz war gemäß dieser Judikatur rechtlich möglich, wobei die Meinungsäußerungsfreiheit ohnedies durch das §14-Notverordnungsrecht unter gewissen Bedingungen vonseiten der exekutiven Gewalt außer Kraft gesetzt werden konnte.303 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass dem Reichsgericht keine Kompetenz zu einer Gesetzesprüfung zukam. Denn durch Artikel 7 des Staatsgrundgesetzes 298 RG Slg. Nr. 403/1887. 299 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 664. 300 Siehe Theo Öhlinger, Verfassungsrecht7 (2007) RZ 713. 301 RG Slg. Nr. 172/1878. Für die Notwendigkeit einer Bestätigung hätte gesprochen, dass diese Gesetze der Zeit der absolutistischen Regierungszeit entstammten. Diese waren damit nicht durch das als liberal gesinnt erachtete Parlament geschaffen, für dessen Eingriffe die Gesetzesklausel konzipiert worden war, sondern vielmehr Ausdruck der kaiserlichen Alleinherrschaft. 302 RG Slg. Nr. 645/1893. 303 Siehe dazu insbesondere Ernst Mischler/Josef Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch II/1 (1896) 717 f.



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vom 21. Dezember 1867 über die richterliche Gewalt wurde die Möglichkeit einer richterlichen Prüfung kundgemachter Gesetze ausdrücklich negiert.304 2.2.6 Freiheit der politischen Meinungsäusserung durch technische Hilfsmittel Allgemein ist zu bemerken, dass das Zensurverbot des Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Sinne einer Präventiv- oder Vorzensur, also einer präventiven Prüfung des Inhaltes als Bedingung einer Veröffentlichung, verstanden wurde. Die Mittel der Repression (also etwa Beschlagnahme oder strafgerichtliche Verfolgung) waren hingegen weiterhin verfassungskonform.305 Zur Pressefreiheit liegen in der gesamten sonst sehr reichhaltigen Reichsgerichtsjudikatur für den Untersuchungszeitraum nur drei Fälle vor.306 Auch im Bereich der Meinungsäußerung durch Druckschriften verwies das Reichsgericht auf die allgemeine Gesetzesklausel. Die Bestimmungen des Preßgesetzes vom 17. Dezember 1862 berechtigten lediglich dazu, die selbst herausgegebenen beziehungsweise verlegten periodischen Druckschriften in der eigenen Wohnung oder bei vorheriger Anzeige bei der Sicherheitsbehörde in einem anderen ausschließlich dazu bestimmten Lokal zu verkaufen. Ein Recht auf eine andere Art der Verbreitung der eigenen Druckschrift sowie insbesondere das Recht, diese Druckschrift durch dritte Personen in deren nicht ausschließlich dazu bestimmten Lokalen für ihre Rechnung verkaufen zu lassen, existierte demnach nicht. Das Reichsgericht erkannte darin keine Verletzung des Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, und er304 RGBl. 1867/144. Ein System der gerichtlichen Kontrolle der gesamten Gesetzgebung wurde überhaupt erst durch das B-VG geschaffen. Siehe Oskar Lehner, Österreichische Verfassungsund Verwaltungsgeschichte4 (2007) 300 f. 305 Siehe etwa Rudolf Herrnritt, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechtes (1909) 93. An diesem Verständnis des Zensurbegriffs hält der VfGH bis heute fest. Siehe dazu etwa Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 5. 306 RG Slg. Nr. 273/1883, 274/1883 und 530/1891. Erwin Melichar verwies dabei auf zwei mögliche Erklärungsmodelle: Zunächst waren Verstöße gegen das Gesetz durch die Presse gerichtlich strafbar und folglich das Reichsgericht nicht zu deren Überprüfung berufen. Zweitens nannte er die Möglichkeit zur Suspension des Grundrechtes, auf welche in dieser Arbeit schon hingewiesen wurde. Siehe Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der DezemberVerfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 276 f. Siehe dazu auch Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 664.

86 Hauptteil blickte darin insbesondere kein durch Abs 2 untersagtes Konzessionssystem.307 Reichsgerichtserkenntnisse zu anderen Fällen der Meinungsäußerung mittels des Instruments der Medien liegen nicht vor. In Ermangelung eines speziellen Schutzes308 galt wohl der allgemeine Schutz des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Sinne eines partikulären Legalitätsprinzips in den in den vorangehenden Kapiteln behandelten Grenzen der reichsgerichtlichen Judikatur. Dieser mangelnde verfassungsrechtliche Schutz führte aufgrund des Gebrauchs des Konfiskationsrechtes der Staatsanwaltschaften und Sicherheitsbehörden durch die Regierung in der Verfassungswirklichkeit zu schweren Eingriffen gerade im Bereich der politischen Meinungsfreiheit der Presse.309 Allerdings existierte durch Art 11 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die richterliche Gewalt, wonach bei allen durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden sollten, ein gewisser institutioneller Schutz vor exzessiven strafrechtlichen Konsequenzen.310 2.2.7 Fazit Das große Verdienst des Reichsgerichtes liegt darin, aus der abstrakten Formulierung des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger anwendbare Prüfformeln entwickelt zu haben. Insgesamt schuf die Judikatur des Reichsgerichts zur Meinungsäußerungsfreiheit jedoch einen engen Rahmen für den geschützten Bereich, wie vor allem die 307 Dies ungeachtet der weiteren Ausführungen des Reichsgerichts, welche eine Einordnung der damaligen Rechtslage als Konzessionssystem im Sinne des Art 13 Abs 2 als durchaus zulässig erscheinen lassen: Nach … kann allerdings die politische Landesstelle den Verkauf periodischer Druckschriften auch bestimmten Personen für einen zu bezeichnenden Bezirk auf Widerruf bewilligen. Diese Verkaufslizenz wird nicht dem Herausgeber und Verleger einer periodischen Druckschrift, sondern dritten [Betonung durch das Reichsgericht] Personen erteilt, und erstere haben auch kein gesetzliches Recht, zu verlangen, daß die Lizenz zum Verkaufe ihrer Druckschrift überhaupt dritten Personen erteilt werde; demnach kann aber auch durch den Widerruf der, dritten Personen verliehenen Verkaufslizenz ein grundsätzlich gewährleistetes Recht des Herausgebers und Verlegers nicht verletzt werden. RG Slg. Nr. 273/1883 und Slg. Nr. 274/1883. Eine fast identische Begründung erfolgte in RG Slg. Nr. 530/1891. 308 Anm.: Wie nach 1926 durch den BPNV iVm der Judikatur des VfGH. 309 Siehe dazu Heinrich Kiesler, Die Staatsverfassung Österreichs (1892) 41 f. 310 RGBl 1867/144. Zu den Problemen der Umsetzung dieser Verfassungsnorm und der grundsätzlichen Debatte siehe Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 627 ff. Dabei spielten die nationalistischen Probleme jener Zeit auch in dieser Frage eine wichtige Rolle.



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engen Grenzen durch die Auslegung des Begriffes der Meinung zeigen. Andererseits dehnte das Reichsgericht das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit auf juristische Personen aus, welche davon auch häufigen Gebrauch machten, was duch die zahlreichen Fälle von Meinungsäußerungen von Gemeinden demonstriert wird. Ferner war das Reichsgericht in seinen Wirkungsmöglichkeiten im Vergleich zum späteren Verfassungsgerichtshof beschränkt. Es hatte insbesondere keine Kompetenz zur Gesetzesprüfung und selbst die Rechtswirkung seiner Erkenntnisse war nicht unumstritten. Dennoch legte das Reichsgericht die Grundlage für die Systematik der späteren Judikatur zum verfassungsmäßigen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit und hatte so auf die spätere Rechtsentwicklung einen maßgeblichen Einfluss. Eine Sonderstellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ist der Judikatur ungeachtet der großen Häufigkeit von Erkenntnissen über kernpolitische Meinungen nicht zu entnehmen.

2.3 Die rechtshistorische Entwicklung von 1918 bis 1934 2.3.1 Rechtsgeschichtliche Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte Der revolutionäre Charakter der Gründung Deutschösterreichs im Jahr 1918 und die Annahme der staatlichen und rechtlichen Diskontinuität der Republik Deutschösterreich zum alten Österreich311 schufen im Bereich des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit zunächst keine Änderungen. Denn durch § 16 des Gründungsaktes Deutschösterreichs, den Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, wurde die gesamte durch den Beschluss nicht geänderte altösterreichische Rechtsordnung rezipiert.312 Damit wurde auch Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in die neue Rechtsordnung übernommen.313 Bereits der dritte Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich (wobei der erste Beschluss die grundlegenden Ein311 Siehe dazu Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 259 ff. 312 StGBl Nr. 1/1918, Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 261; Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 155 ff. 313 Siehe dazu Martin Polaschek, Die Rechtsentwicklung in der Ersten Republik (1992) 116.

88 Hauptteil richtungen der Staatsgewalt und der zweite die National- und Bürgergarden geregelt hatte)314 galt der Wiederherstellung der Pressefreiheit durch Aufhebung der Zensur (Punkt 1) und der Garantie der vollen Freiheit der Presse (Punkt 2).315 Die Hauptaufgabe der Nationalversammlung war die Schaffung einer dauerhaften Verfassung, welche die Provisorien der Oktoberverfassung 1918, Dezember-Novelle 1918 und Märzverfassung 1919 ersetzen sollte. Die dahin gehenden Arbeiten wurden zunächst durch die Verhandlungen und den Abschluss des Vertrags von Saint-Germain gehindert und blieben ungeachtet des Koalitionsabkommens zwischen der sozialdemokratischen und der christlichsozialen Partei auch danach problematisch.316 Die in diesen Zeitrahmen fallenden, dem B-VG vorangehenden Entwürfe von Grundrechtskatalogen als möglicher Teil der österreichischen Bundesverfassung ermöglichen einen wichtigen Einblick in die Sichtweise der Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Urheber jener Entwürfe. Der noch vor den ersten Beschlüssen und Gesetzen Deutschösterreichs ausgearbeitete Verfassungsentwurf Karl Renners enthielt überhaupt in keiner seiner Varianten einen Grundrechtskatalog. Vielmehr wurde darin für die allgemeinen, bürgerlichen und politischen Rechte der Staatsbürger die Erlassung eines besonderen Gesetzes angekündigt. Bis dahin sollte das StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in Kraft bleiben.317 Auch der den Entwürfen Hans Kelsens vorangehende erste christlichsoziale Verfassungsentwurf beinhaltete keinen Grundrechtskatalog.318 Jene Entwürfe, welche der Berufung Hans Kelsens zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung durch Karl Renner folgten, enthielten jedoch durchaus eigene Grundrechtskataloge.319 In diesen wie auch in den alternativen, ebenfalls einen 314 StGBl Nr. 1/1918 und StGB 2 /1918. 315 1. Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben. 2. Die Einstellung von Druckschriften und die Erlassung eines Postverbotes gegen solche findet nicht mehr statt. Die bisher verfügten Einstellungen und Postverbote sind aufgehoben. Die volle Freiheit der Presse ist wiederhergestellt. Punkt 3. behandelt Einschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechtes. StGBl Nr. 3/1918. Zur repressiven und präventiven Wirkung des BPNV siehe auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 323. 316 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 211; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 268 f, 289 ff. 317 Wilhelm Brauneder, Studien I: Entwicklung des Öffentlichen Rechts (1994) 169, 197 f. 318 Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 41 ff; Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 29 ff. 319 Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 44 ff.



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Grundrechtskatalog beinhaltenden Entwürfen ist kein besonderer Schutz oder eine besondere Betonung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit erkennbar.320 Ein grundsätzlich anderer Zugang wurde mit Art 6 Abs 2 des zweiten Entwurfs der christlichsozialen Partei gewählt, womit ein Grundrechtskatalog vermieden und lediglich generell festgestellt wurde, dass die politischen Rechte und Freiheiten durch die Bundesverfassung gewährleistet seien.321 Eine Neuordnung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Grundrechte im Sinne eines Grundrechtskataloges des B-VG scheiterte letztlich aufgrund des mangelnden Konsenses zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten in dieser Frage.322 So wurde im vorläufigen Verfassungstext des Verfassungsausschusses vom 29. August 1920 der geplante siebente Abschnitt Von den Grund- und Freiheitsrechten nicht ausgeführt, sondern mit der Bemerkung Bleibt vorläufig offen. versehen.323 Schließlich wurde der geplante siebente Abschnitt aufgrund eines Beschlusses des Verfassungsunterausschusses gänzlich 320 Siehe die idente Formulierung des Art CX in den Kelsen-Entwürfe I und IV, Art 130 des Entwurfs II, Art 121 der Entwürfe III und VI sowie Art 115 (1) Privatentwurf Dr. Mayr und Art 118 (1) Entwurf Mayr, Art 146 (1) des Entwurfs Renner-Mayr sowie Art 127 (1) des Sozialdemokratischen Entwurfs: Die Freiheit der Meinungsäußerung ist nur durch das Strafgesetz beschränkt. Art 133 des dahin gehend abweichenden Kelsen-Entwurfs V lautete hingegen: Jeder Staatsbürger hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern …; Dies entsprach Art 118 (1) 1. Satz der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung), außer dass dort als Grundrechtsträger nicht Jeder Staatsbürger sondern Jeder Deutsche genannt wurde. Zum Letzterem siehe Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte III (1966) 146. Art 19 (1) des Entwurfs der Großdeutschen: Jeder Staatsbürger hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, bleibt aber verantwortlich, wenn er Strafgesetze übertritt. Art 116 (1) des Linzer Entwurfs: Die Freiheit der Meinungsäußerung kann nur durch Bundesgesetz beschränkt werden. Siehe Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 61, 84, 132, 179, 231; Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 244 f. 321 Ebenda 142. 322 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 291. Besonders bezeichnend dafür sind die erläuternden Bemerkungen zum Hauptstück über die Grundund Freiheitsrechte des Renner-Mayer-Entwurfs: Sie [die Grund- und Freiheitsrechte] rollen die Grundfragen des staatlichen, sozialen und kulturellen Lebens auf und regeln insbesondere die Kulturfragen, über die seit jeher zwischen den Parteien der größte Streit geherrscht hat. Eine Einigung ist in diesem Punkte zwischen den Teilnehmern an den Konferenzen nicht gelungen. Sie zu bereinigen wäre eben Aufgabe der Koalitionsverhandlungen gewesen, die infolge des Zusammenbruchs der Koalition unterblieben sind. Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 268. 323 Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 409.

90 Hauptteil gestrichen.324 Eine partielle Erweiterung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit erfolgte jedoch durch Artikel 149 (1) B-VG,325 womit der Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung (fortan BPNV) vom 30. Oktober 1918 im Jahr 1920 in den Rang eines Verfassungsgesetzes erhoben wurde.326 Ferner fand die bereits in der Monarchie bekannte, für den Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit potenziell bedeutsame verfassungsrechtliche Garantie, dass bei politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden,327 durch Artikel 91 Abs 2 Eingang in das B-VG.328 Die Verfassungsnovelle 1925 hatte auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit keine unmittelbaren Auswirkungen.329 Das durch die Bundesverfassungsnovelle von 1929 dem Art 18 B-VG beigefügte Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten umfasste nach dem neuen Art 18 Abs 5 B-VG330 nicht Abänderungen bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen. Eine entscheidende Veränderung in der österreichischen politischen Landschaft erfolgte als Konsequenz der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise 1932–33 mit der politischen Radikalisierung von Teilen der Bauern- und 324 Ebenda 540. 325 Neben diesem Gesetz haben im Sinne des Artikels 44, Absatz 1, unter Berücksichtigung der durch dieses Gesetz bedingten Änderungen als Verfassungsgesetze zu gelten: Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, R.G.Bl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder; … BGBl 1/1920. 326 BGBl 1/1920. 327 Art 11 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die richterliche Gewalt: … bei allen politischen oder durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworene über die Schuld des Angeklagten. RGBl 1867/144. Siehe auch Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 122. 328 Art 91 (2): … sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworene über die Schuld des Angeklagten. BGBl 1920/1. Siehe auch Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 187. 329 Siehe dazu grundsätzlich Klaus Berchtold, Die Verfassungsreform von 1925 (1992); Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 213. 330 Siehe Art I § 14 Bundesverfassungsgesetz vom 7. Dezember 1929, betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des B.G.Bl. Nr. 367 von 1925 (Zweite Bundes-Verfassungsnovelle) zu Art 18 Abs 5: Die im Absatz 3 bezeichneten Verordnungen dürfen nicht eine Abänderung bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen bedeuten … . Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 213, 216. Zu den rechtshistorischen Hintergründen siehe Gernot Hasiba, Die Zweite Bundes-Verfassungsnovelle von 1929 (1976).



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Bürgerschaft und der Verdrängung des demokratischen Flügels innerhalb des konservativ-katholischen Lagers. Letzterem drohten darüber hinaus eine Wahlniederlage und damit der Verlust der seit 1920 währenden Regierungsposition. Die auf das Jahr 1932 zurückgehenden Überlegungen hinsichtlich einer Abwendung von der parlamentarisch-demokratischen Staatsordnung verfügten jedoch zunächst nicht über ein klares Konzept einer Umsetzung.331 Zu den unmittelbaren Folgen des Verlassens des rechtsstaatlich-demokratischen Wegs nach der Vorsitzendenkrise (Selbstausschaltung) des Nationalrats am 4. März 1933 zählte schließlich auch die schrittweise Einschränkung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit.332 Diese erfolgte allerdings zunächst nicht durch eine Verfassungsänderung oder eine auf revolutionärem Weg erwirkte neue Verfassungsgebung. Vielmehr verwendete die Bundesregierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuss das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus 1917 zum Erlass gesetzesändernder Verordnungen, auf deren Grundlage unter anderem die politische Gleichschaltung der österreichischen Medien und die Errichtung einer Vorzensur durchgeführt wurden. Im selben Jahr folgte die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes, wodurch dieser die Notverordnungen nicht als verfassungswidrig außer Kraft setzen konnte.333 Durch das Verlassen des rechtsstaatlichen Weges entsprach das Verfassungsrecht im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit nunmehr nicht länger der Verfassungswirklichkeit. Auch die zweifach (durch eine Kriegswirtschaftsverordnung vom 24. April 1934 und auf dem Boden eines Ermächtigungsgesetzes durch eine Regierungsverordnung am 1. Mai 1934) erlassene334 „Verfassung 1934“ enthielt in Artikel 26 einen verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerung. Dessen Absatz 1 stellte eine fast wortgleiche Wiederholung von Art 13 Abs 1 1. Satz StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger dar (statt oder durch bildliche Darstellung enthielt er die Worte oder in sonstiger Weise). Ein allgemeines Zensurverbot enthielt Art 26 nicht, stattdessen statuierte Abs 2 eine Liste von Fällen, welche insbesondere durch Gesetz eingeschränkt werden können.335 Damit war der verfassungsrechtliche Schutz auf ein partikuläres 331 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 310 ff. 332 Ebenda 317 ff. 333 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 232 f; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 317 ff. 334 Siehe Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 234. Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 321. 335 Art 26 Abs 2: Durch Gesetz können insbesondere angeordnet werden:

92 Hauptteil Legalitätsprinzip ohne Verbot der nach Art 26 (2) lit. a ausdrücklich genehmigten Vorzensur gesunken.336 Da jedoch im neuen Verfassungsgefüge die Regierungsgesetzgebung auch das Verfassungsrecht umfasste,337 entsprach die Verfassungswirklichkeit auch in diesem Bereich der eines autoritären Regimes. Die Entwicklungen zwischen 1933/34 und 1938 sowie jene zwischen 1938 bis 1945 werden hier nicht im Detail dargestellt, da sie mangels rechtsstaatlicher Verhältnisse zur Darstellung der Gesamtentwicklung wenig beitragen könnten. Auch ist offensichtlich, dass der Grundgedanke für einen speziellen Schutz politischer Meinungsäußerungsfreiheit in dieser Epoche schon an dem Umstand scheitert, dass wohl kein repräsentativ-demokratisches System angestrebt wurde. 2.3.2 Grundrechtsträger Grundsätzlich galt für das Jedermannsrecht des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in der Ersten Republik weiterhin das zur Judikatur des Reichsgerichtes ausgeführte.338 Aufgrund der allgemeinen Gesetzesklausel konnte die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus wichtigen Gründen für einzelne Klassen eingeschränkt werden, sofern dies in Form eines Gesetzes geschah.339 Interessant ist die Formulierung des Punktes 1 des BPNV,340 wonach jede Zensur als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend, als rechtsungültig aufgehoben wurde. Entgegen dem Jedermannsrecht des Art 13 StGG über die

a) zur Verhütung von Verstößen gegen die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder gegen die Strafgesetze eine vorgängige Prüfung der Presse, ferner des Theaters, des Rundfunks, der Lichtspiele und ähnlicher öffentlicher Darbietungen, verbunden mit der Befugnis der Behörde, solche Darbietungen zu untersagen; b) Maßnahmen zur Bekämpfung der Unsittlichkeit und grober Verstöße gegen den Anstand; c) Maßnahmen zum Schutze der Jugend; d) Maßnahmen zur Wahrung sonstiger Interessen des Volkes und des Staates. BGBl 1/1934. 336 BGBl 1/1934; Siehe dazu auch Felix Ermacora, Österreichische Verfassungslehre I (1970) RZ 85.4. 337 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 235. 338 Siehe dazu etwa Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 326 f. 339 VfGH Slg. Nr. 775/1927. 340 Dieser wurde wie das StGG durch Artikel 149 B-VG in Verfassungsrang erhoben und ist von daher für diese Untersuchung bedeutend. Siehe dazu etwa Hans Kelsen, Österreichisches Staatsrecht (1923) 220.



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allgemeinen Rechte der Staatsbürger war es in diesem Fall also der Staatsbürger, dessen Recht geschützt werden sollte. Allerdings kam die Aufhebung durch die Absolutheit der Formulierung (jede Zensur) jedermann zugute.341 Auch die zitierte Formulierung des für die Meinungsäußerungsfreiheit einschlägigen Art 133 des Kelsen-Entwurfs V (Jeder Staatsbürger)342 sowie des dahin gehend identen Entwurfs der Großdeutschen343 zeigen deutlich, dass die Einordnung der Meinungsäußerungsfreiheit als Menschenrecht noch nicht unumstritten war. 2.3.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäusserungsfreiheit Angesichts des Mangels an einer eindeutigen Definition des Begriffes der Meinung in der spärlichen Zwischenkriegs-Judikatur zu Artikel 13 und der eng gehaltenen Definition der frühen Entwicklung in der Zweiten Republik344 gelten für diese Phase der Entwicklung weiterhin die zur Reichsgerichtsjudikatur gemachten Ausführungen. 2.3.4 Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Exekutive ieS Die Verankerung eines allgemeinen Legalitätsprinzips in Art 18 B-VG ergänzte die partikulären Legalitätsprinzipien im Grundrechtsbereich und ersetzte damit weitgehend den traditionellen Grundrechtsschutz im Sinne eines partikulären Legalitätsprinzips gegenüber der Exekutive ieS.345 2.3.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit Mehrere der oben zitierten, nicht in das System des B-VG übernommenen Grundrechtsentwürfe hatten eine Beschränkung der Gesetzesklausel auf den 341 St.G.Bl. Nr. 3. 342 Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 245. 343 Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 84. 344 Siehe Abschnitt III, Kapitel 2.4.3. 345 Karl Korinek/Brigitte Gutknecht in Herbert Schambeck, Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 315.

94 Hauptteil Strafrechtsbereich enthalten, so etwa Art 115 Abs 1 des Privatentwurfs Dr. Mayr,346 Art 127 des Entwurfs der sozialdemokratischen Partei,347 Art 146 Abs 1 des Renner-Mayer-Entwurfs348 sowie Art 19 Abs 1 des Entwurfs der Großdeutschen.349 Der Linzer Entwurf hatte eine ausdrückliche Einschränkung der Gesetzesklausel auf den Bereich der Bundesgesetzgebung vorgesehen.350 Durch die Übernahme des Grundrechtssystems des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger behielt die zur Monarchie ausgeführte Rechtslage in der Ersten Republik Gültigkeit.351 Hans Kelsen vermerkte dazu 1923 kritisch, dass durch die Möglichkeit der einfachgesetzlichen Einschränkung der in Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger statuierten Meinungsäußerungsfreiheit deren staatsgrundsätzliche Gewährleistung eigentlich im selben Satz, in dem sie ausgesprochen werde, wieder aufgehoben sei.352 Dies gewann unter einem anderen Aspekt in der neuen demokratischen Ordnung zusätzliches Gewicht. Denn im neuen Verfassungssystem fehlte ein dem Modell der Gewaltenteilung entsprechendes Spannungsverhältnis zwischen den obersten Verwaltungsorganen und dem einfachen Gesetzgeber.353 Der institutionelle Schutz, der grundsätzlich durch die Übernahme der Kompetenzen des Reichsgerichtes durch das Verfassungsgericht (StGBl 1919/48 und 212) keinen revolutionären Wandel erfahren hatte, wurde dahin gehend wesentliche erweitert, als bereits der deutschösterreichische Verfassungsgerichtshof durch Art 15 StGBl 1919/179 eine beschränkte Gesetzesprüfungskompetenz erhielt. Diese war allerdings auf die Prüfung der Verfassungskonformität der Gesetzesbeschlüsse einer Landesversammlung auf Antrag der Staatsregierung beschränkt.354 Erst durch das B-VG wurde die gesamte Gesetzgebung der Kontrolle durch den VfGH unterworfen,355 womit überhaupt erst der institutionelle Rahmen einer über eine Selbstbindung hinausgehenden Beschränkung der Legislative durch das verfassungs346 Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 61. 347 Ebenda 179. 348 Ebenda 231. 349 Ebenda 84. 350 Ebenda 132. 351 VfGH Slg. Nr. 1332/1930, 1359/1930. 352 Hans Kelsen, Österreichisches Staatsrecht (1923) 59. 353 Karl Korinek, Gedanken zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten, in FS Adolf Merkl (1970) 172. 354 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 276. 355 Ebenda 300 f.



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rechtlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung geschaffen war. Eine erste über die bloße Erwähnung der Gesetzesschranke reichende (aus einem Erkenntnis in einem anderen Bereich in jenen der Meinungsäußerungsfreiheit übernommene) Formulierung enthielt ein Erkenntnis des VfGH aus 1927: Die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Rechtes hindert nicht, dass die Ausübung aus wichtigen Gründen des Gemeinwohles einzelne Klassen der Bevölkerung … ausnahmsweise 356 ungleich behandelt werden, nur bedarf es hiezu eines Gesetzes.357 Diese wichtigen Gründe des Gemeinwohls 358 entwickelten sich allerdings in der folgenden Judikatur der Ersten Republik nicht zu einer Schrankenschranke,359 innerhalb derer sich eine besondere Position der politischen Meinungsäußerungsfreiheit entwickeln hätte können. Besonders deutlich wird dies in einer 1929 vom VfGH gewählten Formulierung: … denn das Recht der freien Meinungsäußerung ist nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet und kann darum eine Verletzung dieses Rechtes nur vorliegen, wenn die Grundlage der die Bestrafung der Beschwerdeführer bildenden Verordnung gesetzeswidrig wäre…360 Ferner bestätigte der VfGH 1930, dass auch die Landesgesetzgebung zur Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch einfache Gesetze innerhalb der ihr zugewiesenen Kompetenzsphäre berechtigt war.361 2.3.6 Freiheit der politischen Meinungsäusserung durch technische Hilfsmittel Von besonderer Bedeutung für den Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel ist der genannte dritte Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich362 und die dadurch erfolgte Wiederherstellung der Pressefreiheit durch Aufhebung der Zensur und Garantie der Pressefreiheit.363 Diesem ursprünglich nach dem 356 Betonungen hinzugefügt. 357 VfGH Slg. Nr. 775/1927. 358 Anm.: Auffallend ist eine gewisse rudimentäre Ähnlichkeit dieser folgenlos gebliebenen Formulierung mit den späteren Schrankenschranken des Art 10 EMRK. 359 VfGH Slg. Nr. 1207/1929, 1332/1930, 1359/1930. 360 VfGH Slg. Nr. 1207/1929. 361 VfGH Slg. Nr. 1332/1930. 362 StGBl Nr. 1/1918 und StGB 2/1918. 363 1. Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben.

96 Hauptteil Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung Julius Ofner auch als lex Ofner bezeichneten Beschluss lag die von diesem geäußerte Bedeutung des Presserechts (sowie des Vereins- und Versammlungsrechts) für die Demokratie zugrunde.364 Durch Artikel 149 (1) B-VG wurde 1920 der BPNV vom 30. Oktober 1918 in den Rang eines Verfassungsgesetzes erhoben.365 In den dem B-VG vorangehenden Verfassungsentwürfen finden sich verschiedene Ansätze im Bereich der Freiheit der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel. So enthielten die Kelsen-Entwürfe, der Privatentwurf Dr. Mayr, der Entwurf Mayr366 sowie der Entwurf der Sozialdemokratischen Partei367 ein für einen Grundrechtskatalog ausführliches Re

2. Die Einstellung von Druckschriften und die Erlassung eines Postverbotes gegen solche findet nicht mehr statt. Die bisher verfügten Einstellungen und Postverbote sind aufgehoben. Die volle Freiheit der Presse ist wiederhergestellt. Punkt 3. behandelt Einschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechtes. StGBl Nr. 3/1918. Zur repressiven und präventiven Wirkung des BPNV siehe auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 323. 364 Thomas Olechowski, Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918 (2004) 665 ff. 365 BGBl 1/1920. 366 Der Wortlaut der Kelsen Entwürfe I-IV und VI (Art CX, 130, 121, CX, 121) sowie der Privatentwurf Mayr (Art 115 Abs 2) und der Entwurf Mayr (Art 188 Abs 2) waren ident: Die Preßfreiheit ist gewährleistet. Die Beschlagnahme von Druckschriften darf nur aus den vom Strafgesetz, von der Strafprozeßordnung und vom Preßgesetz vorgesehenen Gründen stattfinden. Sie ist ohne gleichzeitige Verfolgung des Täters ausgeschlossen. Das Postverbot kann nur gegen ausländische Druckschriften in den durch Bundesgesetz vorgesehenen Fällen erlassen werden. In den Kelsen-Entwürfen I, III, IV und VI war Satz 3 in Klammer gesetzt. Die Kelsen-Entwürfe II, III und VI, der Privatentwurf Mayr und der Entwurf Mayer enthielten darüber hinaus (in Art 130, Art 121, Art 121, Art 115 Abs 3 und Art 118 Abs 3) noch eine spezielle Bestimmung zur Zensur: Jede Zensur ist aufgehoben; doch können für Theater und Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Im Entwurf Mayer war dieser Bestimmung noch Folgendes beigefügt: Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutz der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig. Letzterer entspricht Satz 2 des von den anderen Entwürfen abweichenden KelsenEntwurfs V (Art 133): Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig. Siehe Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 246 f. Dieser wiederum entspricht exakt dem Wortlaut des Art 118 (2) der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung). Siehe Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte III (1966) 146. 367 Durch Satz 4 des Art 127 Abs 2 des Entwurfs wurde ein Postverbot allerdings im Gegensatz



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glement über die Freiheit der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel. Ferner sah der sozialdemokratische Entwurf ein kategorisches Verbot der Zensur vor, welches nur bei der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutz der Jugend eine gesetzliche Beschränkung erlaubte.368 Der Renner-Mayer-Entwurf enthielt in Art 146 Abs 2 in diesen Bereichen ebenfalls die Möglichkeit einer gesetzlichen Beschränkung, welche jedoch nunmehr auf Bundesgesetze begrenzt war. Darüber hinaus sah dieser Entwurf ausdrücklich die Möglichkeit von einfachgesetzlichen Einschränkungen im Bereich der Theater und Lichtspiele vor.369 Auch im Tiroler Verfassungsentwurf waren Beschränkungen der Preßfreiheit an die Form eines Bundesgesetzes geknüpft.370 Im Entwurf der Großdeutschen war ein Verbot einer Beschränkung der Pressefreiheit durch Präventivzensur und Verwaltungsmaßnahmen vorgesehen, wobei jedoch für Schundliteratur und ähnliche Erzeugnisse wie auch zum Jugendschutz jedoch eine Ausnahme existierte, welche ebenfalls an ein Bundesgesetz geknüpft war. Darüber hinaus enthielt dieser Entwurf eine verpflichtende Laiengerichtsbarkeit bei Pressedelikten.371 Ein besonderer Schutz oder eine besondere Hervorhebung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel ist in den genannten Entwürfen nicht zu entdecken, wenngleich obszöne Meinungsäußerungsfreizum Privatentwurf Dr. Mayr kategorisch ausgeschlossen: Die Preßfreiheit ist gewährleistet. Die Beschlagnahme von Druckwerken darf nur aus dem Strafgesetz, von der Strafprozeßordnung und vom Preßgesetz vorgesehenen Gründen stattfinden. Sie ist ohne gleichzeitige Verfolgung des Täters ausgeschlossen. Ein Postverbot darf überhaupt nicht erlassen werden. Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 179. 368 Artikel 127 Abs 3: Jede Zensur ist aufgehoben; doch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutz der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig. Felix Ermacora, Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1967) 179. 369 Die genannten drei Sätze des ursprünglichen Mayer-Entwurfs fanden auch Eingang in diesen Entwurf und bildeten nun Abs 2 des Art 146. Abs 3 sah ferner eine Beschränkung des Postverbots auf ausländische Druckschriften vor. (Das Postverbot kann nur gegen ausländische Druckschriften in den durch Bundesgesetz vorgesehenen Fällen erlassen werden.) Ebenda 231. 370 Artikel IX: Die Preßfreiheit ist gewährleistet; durch ein Bundesgesetz sind Bestimmungen gegen den Mißbrauch dieses Rechts zu treffen. Ebenda 68. 371 Artikel 19 Abs 2: Die Preßfreiheit darf durch Präventivzensur und Verwaltungsmaßnahmen nicht beschränkt werden. Zur Bekämpfung der Schundliteratur und ähnlicher Erzeugnisse und zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen sind Beschränkungen durch besondere Bundesgesetze zulässig. Abs 3: Über Preßdelikte, die von Amts wegen verfolgt werden, haben Gerichte zu urteilen, bei denen Laien mitentscheiden. Ebenda 84.

98 Hauptteil heit zumindest teilweise offenbar implizit als weniger schützenswerte Form der Meinungsäußerungsfreiheit betrachtet worden war.372 Die grundsätzliche Interpretation des Zensurverbotes gemäß Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger als Präventiv- oder Vorzensur blieb unumstritten. Verstöße gegen das Recht durch die Presse konnten folglich weiterhin nur durch Repression (nachträgliche Beschlagnahme, Bestrafung etc.) geahndet werden, während präventive Eingriffe verfassungswidrig waren.373 Die Bedeutung des Punktes 1 des BPNV wurde 1926 durch das VfGH-Erkenntnis Nr. 552 wesentlich erweitert. Grundlage für diesen Fall war die (Vor-)Zensur eines Schauspiels der Ortgruppe Linz des Freidenkerbundes Österreich. Aus dem Wortlaut des Gesetzes, welches jede Zensur aufhob, schloss der Verfassungsgerichtshof auf eine Anwendbarkeit auch auf die Theaterzensur. Weiters führte er aus, dass es unmöglich sei, unter Zensur nur die Pressezensur zu verstehen. Damit wurde der beschränkte Zensurbegriff auf einen universellen mit Wirkung auch auf andere Bereiche der Freiheit der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch technische Hilfsmittel ausgeweitet.374 Mit dieser Rechtsmeinung schien der Verfassungsgerichtshof allerdings im Widerspruch zu seiner eigenen vorangegangenen Judikatur zu stehen, da er in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 1919 dieselben Worte dahin gehend ausgelegt hatte, dass unter Zensur nur die Pressezensur falle.375 Diese Abweichung begründete der Verfassungsgerichtshof damit, dass er ursprünglich angenommen hätte, dass durch die genannte Bestimmung gewisse in Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand erlassene Administrativbestimmungen aufgehoben werden sollten. Auch war diese in Zusammenhang damit gesehen worden, dass die Provisorische Nationalversammlung zunächst die gesamte Staatsgewalt an sich genommen und ferner den Beschluss nicht ausdrücklich als Gesetz bezeichnet hatte. Da aber durch das B-VG (Art 149) die Möglichkeit einer Suspension des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger beseitigt und mit selbigem Artikel die genannte Bestimmung zum Inhalt eines Bundesverfassungsgesetzes gemacht worden war, könne nur die Absicht des Gesetzgebers von 1920 in Betracht gezogen werden, was den Verfassungsgeber 372 Ebenda 61, 68, 84, 179, 231. 373 Siehe dazu etwa Hans Kelsen, Österreichisches Staatsrecht (1923) 59, sowie die angeführte Judikatur zur Frage der Zensur der folgenden Jahre. 374 VfGH Slg. Nr. 552/1926. Siehe dazu etwa auch Walter Berka, Die Kommunikationsfreiheit, in Rudolf Machacek/Willibald P. Pahr/Gerhard Stadler, 40 Jahre EMRK, Grund- und Menschenrechte in Österreich II (1992) 436. 375 So der Verfassungsgerichtshof selbst in VfGH Slg. Nr. 552/1926.



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zu genannter Neubewertung der Bestimmung veranlasse.376 Diese neue Rechtsmeinung wurde noch im selben Jahr bestätigt, wobei der VfGH ausdrücklich die Anwendbarkeit auch auf den Bereich der Filmzensur feststellte.377 Diese Neuinterpretation war in Folge Gegenstand harter Kritik durch Ludwig Adamovich (Sr.), welcher dabei folgende Argumente ins Treffen führte: Zunächst habe die österreichische Gesetzgebung den Begriff der Zensur bis zu diesem Zeitpunkt stets auf das Gebiet der Presse beschränkt, wie insbesondere Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zeige. Zweitens sei für das Gebiet des Theaterwesens der Zensurbegriff nicht durch gesetzliche Vorschrift eingeführt, sondern nur die erforderliche Aufführungsbewilligung im Sprachgebrauch als Zensur bezeichnet worden. Drittens schließlich bemängelte Ludwig Adamovich (Sr.) die oben ausgeführte Begründung des VfGH und fügte hinzu, ein offenes Eingeständnis der Änderung der Rechtsauffassung hätte überzeugender gewirkt als diese eigenartige Interpretation.378 Hans Kelsen hatte hingegen schon 1923 auf die mögliche wörtliche Interpretation des BPNV im Sinne einer Anwendung auch auf die Theater- und Kinozensur verwiesen, zugleich aber darauf, dass dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche.379 Aus den Kelsen-Entwürfen II, III, V und VI, dem Privatentwurf Mayr und dem Entwurf Mayr wird ferner deutlich, dass diese zum Zeitpunkt der Schaffung des B-VG den Begriff Zensur nicht auf die Pressezensur beschränkten, sondern im Sinne der genannten Judikatur des VfGH begriffen.380 Ungeachtet dieser Kritik bekräftigte der VfGH 1928 die neue Interpretation des Schutzgehaltes des Punktes 1 des BPNV und präzisierte diesen weiter. Im Anlassfall hatte die Filmprüfstelle Bregenz einen Film zur Veranlassung der Zensur vorgelegt bekommen. Die Filmprüfstelle hatte den Film per Bescheid für als zur Vorführung nicht geeignet befunden und diese folglich für Vorarlberg 376 VfGH Slg. Nr. 552/1926. 377 VfGH Slg. Nr. 630/1926. 378 Ludwig Adamovich (Sr.), Zur Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, ZöR 1927, 147 f. 379 Hans Kelsen, Österreichisches Staatsrecht (1923) 59. 380 Siehe die identen Formulierungen der betreffenden Teile der Art 130 des Kelsen-Entwurfs II, Art 121 der Kelsen-Entwürfe III und VI sowie Art 115 (3) Privatentwurf Dr. Mayr und Art 118 (3) Entwurf Mayr, Art 146 (3) des Entwurfs Renner-Mayr: Jede Zensur ist aufgehoben; [ , in den Kelsen-Entwürfen III und VI] doch können für Theater und Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. Letztere Ausnahme verdeutlicht, dass der genannte Zensurbegriff Theater und Lichtspiele umfasst hätte. Siehe Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 246 f.

100 Hauptteil behördlich verboten. Der Umstand, dass die Einrichtung einer Filmprüfstelle auf eine Vereinbarung zwischen der Vorarlberger Landesregierung und den Kinobesitzern des Landes und nicht auf einem hoheitlichen Akt der Landesregierung beruhte, schützte das Vorgehen der Filmprüfstelle nicht vor der Einordnung als Zensur im Sinne des BPNV. Insbesondere in dem Umstand, dass die Landesregierung selbst angab, dass die Aufführung eines nicht überprüften Filmes zu Problemen bei der Erneuerung der befristeten Lichtspiellizenz führen könne, erblickte das Verfassungsgericht in dieser Vorgehensweise eine in die Form einer Vereinbarung gekleidete Präventivzensur.381 Die dadurch geschaffene Zensurfreiheit in Österreich unterlag jedoch engen strukturellen Grenzen. So bestimmte der VfGH 1930, dass auch die öffentliche Vorführung von bildlichen Darstellungen, von Laufbildern oder Stehbildern ebenso wie von Theaterstücken, von Schaustellungen aller Art durch Gesetz … von der Erteilung einer besonderen behördlichen Erlaubnis (Konzession, Lizenz) abhängig gemacht werden kann.382 Im Fall einer innerhalb des freien Ermessens der Behörde liegenden Verweigerung der Erteilung einer persönlichen Berechtigung zur Vorführung von Stehbildern konnte die Frage einer Zensur der in Aussicht genommenen Vorführungen selbst gar nicht weiter in Betracht kommen. Von einer Zensur könne nur im Fall einer angeordneten Vorlage der Bilder, Prüfung der Behörde und anschließender Untersagung der Vorführung gesprochen werden.383 2.3.7 Fazit Ungeachtet der großen politischen und verfassungsrechtlichen Umwälzungen dieser Epoche blieben die unmittelbaren Auswirkungen auf die politische Meinungsäußerungsfreiheit bis zu den Verfassungsbrüchen von 1933/1934 beschränkt. Die Gesetzesprüfungskompetenz des VfGH als Nachfolgeinstitution des Reichsgerichtes führte nicht zu einer Begrenzung der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. Überhaupt knüpfte der VfGH weitgehend an die Judikatur des Reichsgerichtes an. Die Verfassungsentwürfe sind ein wichtiges Indiz für die Ansichten der po381 VfGH Slg. Nr. 1089/1928. Aus diesem Erkenntnis konnte allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass es nur als Vorzensur zu werten sei, wenn die Berechtigung zur Vorführung des Filmes von seiner vorangehenden Vorlage abhängig gemacht worden war. Folglich stellte die spätere Judikatur auch keinen Bruch dar, wie der VfGH in Slg. Nr. 8461/1978 ausdrücklich feststellte. 382 VfGH Slg. Nr. 1332/1930. 383 Ebenda.



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litischen Strömungen jener Zeit hinsichtlich der Meinungsäußerungsfreiheit, hatten jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit. Eine bedeutende Weiterentwicklung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit lag jedoch im Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung, dessen Erhebung in den Verfassungsrang 1920 und deren erweiterte Auslegung auf alle Arten der Vorzensur durch den VfGH ab 1926. Keine Weiterentwicklung erfolgte hingegen hinsichtlich einer besonderen Stellung der politischen Meinungsäußerung. Seit den politischen Umwälzungen im Jahr 1933 stimmte die Verfassungswirklichkeit allerdings nicht mehr mit dem formal immer noch vorherrschenden verfassungsrechtlichen Schutz überein. Mit dem neuen Verfassungssystem der Verfassung 1934 wurde schließlich der Weg der Rechtsstaatlichkeit bewusst verlassen.

2.4 Die Entwicklung von 1945 bis zur Inkorporation des Artikels 10 EMRK in das österreichische Verfassungsrecht 2.4.1 Rechtsgeschichtliche Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte Mit der Wiedererrichtung der österreichischen Nation als demokratische Republik lebte durch die Bestimmungen des Verfassungs-Überleitungsgesetzes (Verfassungsgesetz über das neuerliche Wirksamwerden des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929) am 1. Mai 1945 auch der verfassungsmäßig gewährleistete Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit wieder auf.384 Einer anderen 384 Art 1. Das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 sowie alle übrigen Bundesverfassungsgesetze und in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen nach dem Stande der Gesetzgebung vom 5. März 1933 werden im Sinne der Regierungserklärung, St.G.Bl. Nr. 3 von 1945 wieder in Wirksamkeit gesetzt. Art 2. Alle nach dem 5. März 1933 erlassenen Bundesverfassungsgesetze, in einfachen Bundesgesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen und in verfassungsrechtlichen Vorschriften enthaltenen Verordnungen sowie alle für den Bereich der Republik Österreich von der Deutschen Reichsregierung erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstige Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhalts sind aufgehoben. Siehe Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 291. Siehe dazu auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 4; Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 259; sowie

102 Hauptteil Ansicht nach trat auch das StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger erst am 19. Dezember 1945 wieder in Kraft. Eine grundsätzliche Neuregelung des Grundrechtsschutzes erfolgte nicht.385 In der Verfassungswirklichkeit betrachteten sich allerdings die Besatzungsmächte nicht als durch die Vorschriften des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gebunden.386 In dieser Hinsicht trat der volle Umfang des verfassungsmäßig gewährleisteten Schutzes erst wieder mit dem Ende Alliierter Kontrolle 1955 ein. Mit dem Staatsvertrag vom 15. Mai betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Staatsvertrag von Wien 1955) verpflichtete sich Österreich nunmehr ferner in Art 6 Abs 1 allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen … den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten einschließlich der Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse und Veröffentlichung … der politischen Meinung … zu gewähren.387 Hinzuweisen ist dabei auf die separate Verpflichtung auf Gewährleistung der Freiheit der politischen Meinung. Allerdings ist die Bedeutung des Staatsvertrages von Wien insofern eingeschränkt, als sich Art 6 des Staatsvertrages nicht unter den Teilen des Staatsvertrages befand, die durch Art II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt werden in Verfassungsrang gehoben beziehungsweise in diesem bestätigt wurden.388 Damit trug diese Bestimmung nicht unmittelbar zur Entwicklung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit im politischen Bereich bei. Der weiterhin herrschende Mangel an einer Sonderstellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit beziehungsweise der Mangel an einer Differenzierung nach dem Gegenstand der unter verfassungsrechtlichem Schutz stehenden Äußerung in diesem Entwicklungsabschnitt wurde etwa 1963 durch Felix Ermacora in seinem Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte bestätigt. Allerdings bemerkte er, dass sich jener Typ der Gegenstände der Meinung in den Vordergrund dränge, welche im Gemeinschaftsleben die Bedeutung hat, daß sich die öffentliche Meinung an ihr bildet.389 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 378 f. 385 Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 384. 386 Ebenda 384. 387 Siehe Ilse Reiter, Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 (1997) 304, 306; Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 267 f; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 384. 388 BGBl 59/1964. Siehe dazu etwa auch Robert Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RZ 84. 389 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 325.



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2.4.2 Grundrechtsträger Mangels gegenteiliger Judikatur gelten für diese Entwicklungsperiode weiterhin die bereits in der Ersten Republik gültigen Grundsätze.390 2.4.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäusserungsfreiheit Im Jahr 1950 formulierte der VfGH eine klare Definition, was genau unter dem Begriff der Meinung im Sinne des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zu verstehen ist: die gedankliche Stellungnahme zu irgendwelchen Fragen wissenschaftlicher, kultureller, technischer oder sonstiger Art … mag sie neu sein oder nur die von anderen bereits geäußerte Ansicht wiedergeben. Jedenfalls enthält die Meinung stets ein Werturteil desjenigen, der sie äußert.391 Diese Erwägungen zeigen das streng individualistische, auf den Äußerer der Meinung abgeschnittene Grundrechtsverständnis auf. Betrachtet man nämlich gerade den Empfang und die Verbreitung von Meinungen und Informationen als zumindest eines der zentralen Fundamente der Meinungsäußerungsfreiheit, wäre eine Beschränkung auf persönliche Werturteile schwer nachvollziehbar. Der im Anlassfall relevanten Veröffentlichung von fotografischen Aufnahmen eines Filmschauspielers und eines Ministers sprach der VfGH den Charakter einer Meinung ab. Es sei nämlich nicht einzusehen, inwieweit diese ein Werturteil enthalten und damit eine Meinung des Beschwerdeführers zum Ausdruck bringen sollten.392 Diese Definition stellt allerdings lediglich eine genaue Umschreibung und keinen Bruch gegenüber der früheren VfGH- und der Reichsgerichtsjudikatur zu diesem Bereich dar. So verwendete etwa Erwin Melichar 1966 für den Umriss dessen, was gemäß der Reichsgerichtsjudikatur unter eine Meinungsäußerung gefallen war, einleitend den ersten Satz des zitierten VfGHErkenntnisses.393 Nicht unter die genannte Definition von Meinung fiel jedenfalls die Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen.394 390 Siehe dazu etwa ebenda 326 f. 391 VfGH Slg. Nr. 2060/1950. Siehe dazu auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 325. 392 VfGH Slg. Nr. 2060/1950. 393 Erwin Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, ZöR 1966, 274 f. 394 VfGH Slg. Nr. 2961/1956. Im Anlassfall hatte der Beschwerdeführer einer Mieterin einen

104 Hauptteil 2.4.4 Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Exekutive Grundsätzlich galt im Gegensatz zur heutigen Prüfformel weiterhin, dass ein konkreter Verwaltungsakt nur dann verfassungswidrig war, wenn er sich auf kein Gesetz stützen konnte oder das von ihm zur Begründung seiner Entscheidung oder Verfügung herangezogene Gesetz selbst verfassungswidrig war.395 Zur Überprüfung der richtigen Anwendung eines Gesetzes führte der VfGH in 2587/1953 Folgendes aus: Ob dieses Gesetz 396 im Einzelfall richtig angewendet wurde, fällt außerhalb des Rahmens verfassungsrechtlicher Erwägungen.397 Noch deutlicher war die Formulierung in 2987/1956 ausgefallen: Ob die belangte Behörde das Gesetz, auf das sie sich stützt, richtig angewendet hat, wird der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden haben, dem die Beschwerde gemäß ... abzutreten war.398 Gestützt auf eine längere dahin gehende Entwicklung im Bereich der Eigentumsfreiheit399 erfolgte allerdings zunehmend auch eine Grobprüfung der richtigen Anwendung eines Gesetzes aufgrund der Prüfung auf eine denkunmögliche Gesetzesanwendung. So erkannte der VfGH 1959 ausdrücklich auf eine Verletzung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wegen einer denkunmöglichen Anwendung. Er schloss daraus, daß daher – wie der Verfassungsgerichtshof in jahrelanger Rechtsprechung immer wieder dargetan hat – in Wahrheit ein gesetzloser Bescheid vorliegt.400 1960 integrierte der VfGH die Denkunmöglichkeit in die bisherige Prüfformel, die daraufhin wie folgt lautete: Mit Rücksicht auf den in dieser Verfassungsbestimmung enthaltenen Gesetzesvorbehalt kann das darin verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht durch den Bescheid von ihm unterfertigten Mietvertrag übermittelt, den er wie folgt einleitete: Herr … erklärt hiermit, daß er nur auf Grund der mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien … angedrohten Geldstrafe von S 1000 – und des damit auf ihn ausgeübten Zwanges sich gezwungen sieht, ohne jedoch hiermit die Rechtsgültigkeit der Zuweisung an Frau … anzuerkennen, mit dieser nachfolgenden Mietvertrag abzuschließen. Der VfGH sah durch die als Reaktion auf die Formulierung des Beschwerdeführers erfolgten verwaltungsrechtlichen Konsequenzen die Freie Meinungsäußerung nicht berührt, für rechtsgeschäftliche Bestimmungen seien allein die in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen relevant. 395 VfGH Slg. Nr. 2060/1950. 396 Anm: Welches das Recht der freien Meinungsäußerung gem Art 1 Abs 2 StGG beschränkt. 397 VfGH Slg. Nr. 2587/1953. 398 VfGH Slg. Nr. 2987/1956. 399 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 330 iVm 164 f. 400 VfGH Slg. Nr. 3618/1959 (zu § 18 Abs 1 Apothekenkammergesetz). Siehe dazu auch Slg. Nr. 3505/1959.



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einer Verwaltungsbehörde nur verletzt werden, wenn der Bescheid entweder 1. überhaupt ohne jede gesetzliche Grundlage erlassen wurde oder 2. sich nur auf ein verfassungswidriges Gesetz stützen kann oder schließlich, 3. wenn bei Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet wurde.401 Das Prüfungselement der Denkunmöglichkeit wurde in Folge zum Teil der ständigen Rechtsprechung des VfGH,402 wobei spätestens seit 1983 ausdrücklich ein von der Behörde fälschlicherweise unterstellter verfassungswidriger Inhalt der Denkunmöglichkeit gleichkam.403 Ein Beschwerdeführer, der wegen einer in der Straßenbahn geäußerten Kritik an einer Arbeitspause zum Gedenken an die Februaropfer 1934404 der Übertretung des Art VIII Abs 1 lit a EGVG schuldig erkannt wurde, war dadurch nicht in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt. Der VfGH führte dazu aus: Er übersieht hierbei, daß nicht der Inhalt seiner Bemerkung den Gegenstand der Übertretung bildet, sondern die äußeren Umstände, unter denen sie gemacht wurde, die nach Ansicht der Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers als solches erscheinen ließen, das geeignet war, Ärgernis zu erregen und durch das die öffentliche Ordnung gestört wurde. Eine Überprüfung der behördlichen Einschätzung der Bemerkung als potenziell Ärgernis erregend durch den VfGH erfolgte dabei nicht.405 Eine spezielle Wertung der Meinung aufgrund ihres kernpolitischen Inhaltes ist der Entscheidung nicht zu entnehmen, die Prüfung erfolgte vielmehr nach den üblichen formalen Kriterien.406 2.4.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit Zunächst galt auch weiterhin das zu den bisherigen Epochen Ausgeführte.407 Wenngleich der VfGH gleichzeitig als mögliche Ursache der Verletzung des 401 Nummerierung zur besseren Überblickbarkeit eingefügt. VfGH Slg. Nr. 3762/1960 (kein Fall zu political speech, sondern zum Jugendschutz). 402 Siehe etwa VfGH Slg. Nr. 4087/1961, 4165/1962, 4221/1962, 4233/1962, 4525/1963, 4697/1964, 5215/1966, 5283/1966, 5463/1967, 6166/1970, 6465/1971, 12086/1989. 403 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 2.5.4. 404 Welche die Intervention eines Polizeiorgans nach sich führte. 405 Das Urteil lag freilich zeitlich vor der Entwicklung einer Prüfung auf eine denkunmögliche Anwendung, siehe oben. 406 VfGH Slg. 2081/1950. 407 So berief sich der VfGH in Slg. Nr. 2060/1950 ausdrücklich auf Slg. Nr. 1207/1929.

106 Hauptteil Rechts auf freie Meinungsäußerung auch ein verfassungswidriges Gesetz als Möglichkeit anführte, war damit wohl nicht eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes aufgrund von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gemeint.408 Keinen Zweifel an dem weiterhin bestehenden Mangel an einer Schrankenschranke ließ die besonders klare Formel von 1953: Das Recht auf freie Meinungsäußerung … ist durch Art 13 StGG … nur innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet, kann also durch ein einfaches (Bundes- oder Landes-) Gesetz eingeschränkt werden. Besteht ein solches Gesetz, dann kann von einer Verfassungswidrigkeit der dadurch normierten Einschränkung des Rechtes der freien Meinungsäußerung nicht mehr die Rede sein.409 Im Gegensatz zur vorherrschenden Interpretation des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger als partikuläres Legalitätsprinzip wurden durch das Bonner GG (Art 19 Abs 2) die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte in Deutschland dahin gehend eingeschränkt, als dass diese nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden durften.410 Dieser Gedanke fand in Folge 1956411 auch Eingang in die österreichische Rechtsordnung.412 So findet sich im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit 1961 folgende Formulierung: Es sollte nicht in Zweifel gezogen werden, daß Vorschriften über ... das Grundrecht des Art. 13 StGG berühren und, trotz des Gesetzesvorbehaltes, verfassungswidrig sein können, dann nämlich, wenn sie in ihrer Wirkung einer Aufhebung des Grundrechtes gleichkommen.413 Eine noch eindeutigere Formulierung wählte der VfGH 1962: Bestimmungen, die … vorsehen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich, denn sie verstoßen nicht gegen das Wesen dieses Grundrechtes. Dass diese Formulierung noch nicht auf Art 10 EMRK zurückzuführen ist, sondern die herrschende Meinung 408 Wofür insbesondere die Berufung auf Slg. Nr. 1207/1950 spricht. 2060/1950. 409 VfGH Slg. Nr. 2587/1953. 410 Siehe dazu etwa Horst Dreier/Fabian Wittreck, Grundgesetz (2006) 27; Theo Öhlinger, Die Grundrechte in Österreich, EuGRZ (1982) 228; Karl Korinek, Gedanken zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten, in FS Adolf Merkl (1970) 177 f. 411 Einem Fall zur Erwerbsfreiheit. 412 VfGH Slg. Nr. 3118/1956; Theo Öhlinger, Die Grundrechte in Österreich, EuGRZ (1982) 228. Für eine detaillierte Ausführung siehe Karl Korinek, Gedanken zur Lehre vom Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten, in FS Adolf Merkl (1970) 176 ff. 413 VfGH Slg. Nr. 3929/1961. Siehe dazu auch Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 330. Für die weitere Entwicklung siehe: VfGH Slg. Nr. 6166/1970, 10700/1985, 11404/1987, 12769/1991, 14005/1995, 14006/1995, 14260/1995, 14312/1995, 14561/1996, 15586/1999, 16209/2001, 16436/2002, 16555/2002, 16556/2002, 16558/2002, 16792/2003.



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zur Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger widerspiegelt, wird durch zwei Umstände deutlich: Erstens fällt dieses Erkenntnis in jenen Zeitraum, in welchem die EMRK durch den VfGH nicht als Verfassungsnorm anerkannt wurde.414 Zweitens wird durch den Folgesatz: Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention erweitert in dieser Beziehung keinesfalls den Inhalt des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, … demonstriert, dass die Berufung auf das Wesen des Grundrechtes nicht auf den Schrankenschranken des Artikels 10 EMRK beruht.415 Eine faktische, durch das Gesetz jedoch nicht intendierte Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit schien jedenfalls nicht gegen Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zu verstoßen bzw. dieses auch nur zu berühren.416 Zur Ausfüllung des Begriffs des Wesensgehalts forderte Felix Ermacora 1963 eine Übernahme des deutschen Vorbilds, wobei das von ihm zitierte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes von besonderem Interesse war. Denn darin wurde nicht nur der Wert der Meinungsäußerungsfreiheit für das Individuum betont, vielmehr wurde die Meinungsäußerungsfreiheit auch als für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung konstituierend bezeichnet. Erst dadurch werde die ständige geistige Auseinandersetzung ermöglicht, der ihr Lebenselement sei.417 Damit wird verdeutlicht, dass eine vollständige Übernahme der deutschen Doktrin bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Institutionalisierung der speziellen Bedeutung politischer Meinungsäußerung hätte führen können. Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist die erwähnte Entscheidung aus 1962 auch in einer weiteren Hinsicht. So wurde ein Ausländer, gegen den aufgrund einer politischen Meinungsäußerung418 ein Aufenthaltsverbot erteilt 414 Obgleich der VfGH in diesem Fall eine mögliche Verletzung von Art. 10 EMRK zu prüfen schien, nachdem er eine Prüfung der Verletzung von Rechten aus der Konvention über die Rechtsstellung von Flüchtlingen aufgrund deren einfachen Gesetzesranges abgelehnt hatte. Wie in 3.2.1.4.6. ausgeführt, wurde durch BGBl 59/1964 der Verfassungsrang der EMRK ausdrücklich bestätigt. 415 VfGH Slg. Nr. 4233/1962. 416 Siehe insbesondere die Formulierung in VfGH Slg. Nr. 3929/1961: Das Sonntagsruhegesetz hat nicht eine Regelung der Meinungsfreiheit zum Gegenstand. Es ordnet die Arbeitsruhe an Sonntagen an. Diese Vorschrift dient dem Schutze eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes. Sie ist nicht dazu bestimmt [Betonung hinzugefügt], die geistige Wirkung der freien Meinungsäußerung als solche zu unterbinden oder einzuschränken. Das Sonntagsruhegesetz berührt daher das Grundrecht der freien Meinungsäußerung überhaupt nicht. Der Verfassungsgerichtshof prüft hier also nur, ob die Norm dazu bestimmt ist, also eine Beschränkung intendiert wird, nicht aber ob eine solche tatsächlich vorliegt. 417 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 331. 418 Konkret ging es um die Wahl des Beschwerdeführers in das Präsidium des gesamteuropä-

108 Hauptteil worden war, nicht in Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger verletzt, denn Bestimmungen, die die Landesverweisung solcher Fremden vorsehen, die durch ihr Verhalten öffentliche Interessen gefährden ... verstoßen nicht gegen das Wesen des Grundrechtes.419 Es waren in diesem Fall also gerade der politische Charakter der Meinungsäußerung und deren öffentlichen Interessen der Republik zuwiderlaufender Inhalt, der zu einem eingeschränkten Schutz führte.420 Wenn der VfGH bei der Bestimmung des Wesensgehaltes zunächst nur den innersten Kern der grundrechtlich garantierten Wertentscheidung als unantastbar betrachtete,421 erblickte er zu diesem Zeitpunkt in einer politischen Meinungsäußerung wohl noch nicht den Kern des verfassungsrechtlich geschützten Rechts der Meinungsäußerungsfreiheit. 2.4.6 Freiheit der politischen Meinungsäusserung durch technische Hilfsmittel Die beschriebene weite Auslegung des Zensurbegriffs des BPVN wurde von der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes der Zweiten Republik wiederholt bestätigt.422 Die sogenannte Nachzensur, also eine ordnungspolizeiliche Maßnahme nach erfolgter Aufführung/Veröffentlichung, wurde weiterhin nicht als Zensur im engeren Sinne des Wortes betrachtet.423 Darüber hinaus hob der VfGH hervor, dass in der wissenschaftlichen Literatur424 der Standpunkt vertreten werde, dass das Überwachungsrecht der Polizei bei Theateraufführungen lediglich eine Maßnahme für ein schnelles repressives Eingreifen nach erfolgter Kundgebung und folglich keine Zensur sei.425 Die Äußerung der Meinung des Individuums war zwar gewährleistet, in Folge konnte dieses dafür aber weiischen Kongresses des Hrvatski Narodi Odbor (HNO/kroatisches Nationalkomitee) sowie seine Wahl zum Mitglied des Rates für Österreich. 419 VfGH Slg. Nr. 4233/1962. 420 Ebenda. 421 Karl Korinek/Brigitte Gutknecht in Herbert Schambeck, Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 317. 422 VfGH Slg. Nr. 1829/1949, 1830/1949, 1846/1949, 2321/1952, 2987/1956, 3910/1961, 4037/1961. 423 VfGH Slg. Nr. 1829/1949,1830/1949, 1846/1949, 2283/1952, 2987/1956, 3910/1961. Für eine rechtshistorische Argumentation des VfGH siehe 6615/1971. Zur zulässigen Nachzensur siehe ferner Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 339 ff. 424 Wobei der VfGH allerdings nicht auf österreichische, sondern mit dem Handbuch des Deutschen Staatsrechts von Anschütz und Thoma auf deutsche Literatur verweist. 425 VfGH Slg. Nr. 1829/1949, 1830/1949, 1846/1949.



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terhin – auch strafrechtlich – zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings schien der VfGH bereits 1952 den Schutz gesetzlich anerkannter Interessen als Vorbedingung für repressive Maßnahmen der Nachzensur zu konstituieren.426 Gemäß einem VfGH-Erkenntnis aus 1949 lag in der Rücknahme einer Aufführungsbewilligung einer Filmverleihgesellschaft keine Verletzung des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vor, da nicht behauptet werden kann, daß sie [die Filmverleihgesellschaft] durch die bildlichen Darstellungen ihre 427 Meinung äußere, denn diese Darstellungen sind ja die Meinung des Autors, eventuell des Produzenten, nicht aber die Meinung des Verleihers. Da es sich hier um höchstpersönliche Rechte handelt, kann nicht das Recht der freien Meinungsäußerung verletzt worden sein.428 Damit führte die enge Auslegung des Begriffs der Meinung erneut zu einer gravierenden Beschränkung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes. Im Bereich der Pressefreiheit erfolgte 1952 eine Präzisierung des durch Art 13 Abs 2 verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes. Dieser beinhaltete demnach Schutz in dreifacher Beziehung: … die Presse darf nicht durch das Konzessionssystem beschränkt werden, womit gesagt sein will, dass Unternehmungen, deren Gegenstand die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften ist, ohne behördliche Bewilligung begonnen und betrieben werden dürfen; die Presse darf weiter nicht unter Zensur gestellt werden; das bedeutet, dass der zur Verlautbarung bestimmte Inhalt von Druckwerken nicht einer vorgängigen behördlichen Prüfung unterworfen werden darf; und endlich finden administrative Postverbote auf inländische Druckvorschriften keine Anwendung.429 Das dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit dienende Verbot des Konzessionssystems ist dergestalt zu verstehen, dass gesetzliche Maßnahmen dann im Widerspruch zu diesem System stehen, wenn sie auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit der Presse abzielen.430 426 Repressive Maßnahmen können also in voller Übereinstimmung mit der Verfassung überall dort durch einfaches Gesetz angeordnet werden, wo ein Druckwerk gesetzlich anerkannte Interessen eines einzelnen oder der Gesamtheit gefährdet. VfGH Slg. Nr. 2284/1952. Siehe auch 2987/1956, 5215/1966. 427 Betonung durch den VfGH. 428 VfGH Slg. Nr. 1829/1949, Siehe auch 1830/1949, 1846/1949. 429 VfGH Slg. Nr. 2362/1952. Diese Formel wiederholte der VfGH wortgleich in VfGH Slg. Nr. 2458/1952. 430 VfGH Slg. Nr. 4087/1961. Für eine detaillierte Darstellung der Medienfreiheit und ihrer Beschränkungen an diesem Punkt der Entwicklung siehe Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 335 ff.

110 Hauptteil 2.4.7 Fazit Die Möglichkeit einer Neuordnung der Grundrechte wurde 1945 nicht wahrgenommen. Auch die Judikatur des VfGH der Zweiten Republik knüpfte zunächst nahtlos an jene der Ersten Republik an, führte in den Folgejahren jedoch zu maßgeblichen Veränderungen des verfassungsmäßig gewährleisteten Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit. Die wichtigste Neuerung war dabei die Übernahme der Wesensgehaltstheorie im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit 1961/62, wodurch nunmehr zumindest theoretisch eine Beschränkung der legislativen Kompetenz zur Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit erfolgte. Auch wurde das Prüfelement der denkunmöglichen Gesetzesanwendung in diesem Zeitrahmen entwickelt und 1960 in die Prüfformel hinsichtlich einer möglichen Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit integriert. Darüber hinaus erfolgte 1950 eine klare Definition, was unter dem Begriff der Meinung zu verstehen ist. Eine besondere Stellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ist auch der Judikatur dieses Zeitabschnitts nicht zu entnehmen.

2.5 Die Entwicklung von der Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention in das österreichische Verfassungsrecht bis heute 2.5.1 Rechtshistorische Rahmenbedingungen und allgemeine Entwicklungsaspekte Die Entstehung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als ältestes Vertragswerk dieser Art erfolgte in Hinblick auf die schweren Menschenrechtsverletzungen im Zweiten Weltkrieg und als Antwort auf die totalitäre Bedrohung in Mittel- und Osteuropa. Ihre Wurzeln sind auf den vom internationalen Komitee der Europäischen Bewegung unter Beteiligung von Politikern wie Winston Churchill und Konrad Adenauer veranstalteten Congress of Europe in Den Haag im Mai 1948 zurückzuverfolgen. In einer dort verabschiedeten Resolution wurde nicht nur der Grundstein für die Gründung des Europarats, sondern auch für die daran anschließende Ausarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention gelegt. Auch die Schaffung eines Europäischen



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Gerichts wurde in diesem Rahmen bereits gefordert.431 Am 5. Mai 1949 wurde in London die Satzung des Europarates unterzeichnet. Dadurch erhielt der Europarat unter anderem die Aufgabe, to achieve a greater unity between its members for the purpose of safeguarding and realising the ideals and principles which are their common heritage.432 Bereits in ihrer ersten Sitzungsperiode verlangte die Parlamentarische Versammlung ein neues System des Menschenrechtsschutzes durch verbindliche internationale Normen und überstaatliche Kontroll- und Rechtsprechungsorgane.433 Schon zwei Jahre nach der Konferenz in Den Haag wurde die EMRK am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet und trat am 3. September 1953 in Kraft. Bei ihrer Entstehung spielte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 eine wichtige Rolle. So wurden die Beratungen zur Ausarbeitung eines Menschenrechtskatalogs von den parallel dazu erfolgenden Beratungen im Rahmen der Vereinten Nationen maßgeblich beeinflusst und die Unterzeichnung erfolgte unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Erklärung.434 Die alliierte Besatzung verhinderte zunächst Österreichs volle Partizipation,435 obwohl Österreich zuvor bereits beim Kongress in Den Haag mit einer Delegation vertreten war.436 Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit erfolgten der Beitritt zum Europarat am 10. April 1956 und die Unterzeichnung der 431 Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 1 f; David Harris/ Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 1 f; Mark Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)2 (1999) RZ 8, 12; Francis Jacobs/Robin White, The European Convention on Human Rights2 (1996) 3. 432 Statute of the Council of Europe, http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/001. htm (2. 7. 2008, 12:07). Siehe dazu auch Waldemar Hummer, Der Europarat: Grundlagen, Struktur, Arbeitsweise, Tätigkeitsfelder, Außenbeziehungen, in Waldemar Hummer, Österreich im Europarat 1956–2006 I (2008) 4. 433 Walter Schwimmer, Der Europarat: Entstehungsgeschichte, Rolle und Stellenwert für Österreich, in Waldemar Hummer, Österreich im Europarat 1956–2006 I (2008) 62. 434 Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 1  ff; David Harris/Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 1 f; Mark Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)2 (1999) RZ 8 ff; Francis Jacobs and Robin White, The European Convention on Human Rights2 (1996) 3 ff. 435 Waldemar Hummer, Der Europarat: Grundlagen, Struktur, Arbeitsweise, Tätigkeitsfelder, Außenbeziehungen, in Waldemar Hummer, Österreich im Europarat 1956–2006 I (2008) 3. 436 Walter Schwimmer, Der Europarat: Entstehungsgeschichte, Rolle und Stellenwert für Österreich, in Waldemar Hummer, Österreich im Europarat 1956–2006 I (2008) 57.

112 Hauptteil EMRK samt 1. Zusatzprotokoll am 13. Dezember 1957.437 Damit erfolgte auch eine Einbindung Österreichs in das übernationale Rechtsschutzsystem der EMRK.438 Eine Ausweitung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit war vonseiten der Bundesregierung durch die Inkorporation wohl nicht intendiert, vielmehr wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die bestehenden Verfassungsnormen als gewährleistet erachtet. Dies wird hinsichtlich der Position der Bundesregierung durch die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage hinsichtlich der Inkorporation der EMRK besonders deutlich.439 In der General- und Spezialdebatte wurde hingegen hinsichtlich des Art 10 EMRK zumindest auf die neue Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten sowie die neue Empfangsfreiheit hingewiesen.440 Auf die Genehmigung durch den Nationalrat folgte eine wissenschaftliche Debatte über die Rechtsquellenqualität und die unmittelbare Anwendung der EMRK.441 Diese Problematik war zuvor bereits in der vereinten General- und Spezialdebatte thematisiert worden.442 Entgegen der Mehrheit der Lehre verneinte schließlich der VfGH den Verfassungsrang der Konvention. Er folgte dabei einer Argumentation, wonach die ausdrückliche Bezeichnung einer Norm als Verfassungsrecht im Sinne von Art 44 Abs 1 B-VG Voraussetzung für deren Verfassungsrang sei.443 Die Einbindung von Art 10 EMRK in das System des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit wurde so verzögert. Der Verfassungsgesetzgeber reagierte durch das Bundesverfassungsgesetz vom 4. März 1964, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 über Staatsverträge abgeändert 437 Felix Ermacora/Felix Novak/Hannes Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 39. 438 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 269; Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte4 (2007) 404 f. 439 So wurde zu Artikel 10 Folgendes ausgeführt: Durch Art 13 des Staatsgrundgesetzes von 1867 und den Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1919, der ebenfalls gemäß Artikel 149 Bundes-Verfassungsgesetz einen Bestandteil der österreichischen Bundesverfassung darstellt, ist das Recht auf freie Meinungsäußerung in Österreich gewährleistet. Siehe 459 BlgNR 8. GP 35. 440 63. Sess. NR 8. GP, 2935. 441 Felix Ermacora/Felix Novak/Hannes Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 47. 442 63. Sess. NR 8. GP, 2933 f. 443 Felix Ermacora/Felix Novak/Hannes Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 47 f. Siehe dazu auch VfGH Slg. Nr. 4049/1961, spezifisch zu Art 10 EMRK Slg. Nr. 4221/1962.



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und ergänzt werden. Neben einer Novellierung der Art 49, 50, 65, 66 und 89 sowie der Schaffung des Art 140a B-VG wurden in Artikel II des Gesetzes eine Reihe von mit den nötigen Quoren beschlossenen aber nicht ausdrücklich als Verfassungsgesetze bezeichneten Staatsverträgen als gemäß Art 50 Abs 2 iVm 44 Abs 1 B-VG genehmigt erklärt. Darunter befand sich (Z 7) auch die EMRK, deren Verfassungsrang rückwirkend anerkannt wurde.444 Folglich ist die VfGHJudikatur dieser Jahre konsequenterweise systematisch in die vorangehende Periode einordenbar. Die vorrangige Stellung von Artikel 10 EMRK gegenüber Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wurde nicht sofort nach dessen Inkorporation in das österreichische Recht erreicht,445 und Artikel 13 Abs 1 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger wurde dadurch (zumindest in der frühen Entwicklung) keineswegs obsolet (siehe Tabelle 2). Dies erklärt sich wohl auch durch die zumindest anfängliche Skepsis der Höchstgerichte gegenüber der EMRK.446 Inzwischen hat Art 10 EMRK gegenüber Art 13 Abs 1 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger allerdings eine derartig dominante Position eingenommen, dass mitunter gar von einem weitgehenden Verlust der eigenständigen Bedeutung des Letzteren ausgegangen wird.447 2.5.2 Grundrechtsträger Auch Artikel 10 EMRK ist ausdrücklich ein Jedermannsrecht.448 Allerdings erlaubt Artikel 16 EMRK weiterhin Beschränkungen der politischen Tätigkeit von Ausländern durch die Vertragsstaaten im Bereich von Art 10 EMRK.449 444 Siehe BGBl 59/1964. 445 Siehe dazu auch Robert Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RZ 1346 f. 446 Felix Ermacora/Felix Novak/Hannes Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (1983) 49. 447 Siehe dazu etwa Heinz Mayer, Das Österreichische Bundes-Verfassungsrecht, Kurzkommentar4 (2007) 617. 448 Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. (Everyone has the right to freedom of expression. Toute personne a droit à la liberté d’expression.) Betonungen hinzugefügt. BGBl 210/1958. Siehe dazu auch Walter Berka, Die Kommunikationsfreiheit in Österreich, EuGRZ (1982) 420. 449 Keine der Bestimmungen der Artikel 10, 11 und 14 darf so ausgelegt werden, daß sie den Hohen Vertragschließenden Parteien verbietet, die politische Tätigkeit von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen. BGBl 210/1958. Die Bedeutung von Art 16 in der Judikatur des EGMR ist jedoch gering. Siehe Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006)

114 Hauptteil Dazu führte der VfGH 1965 Folgendes aus: Jedenfalls soweit, als der Gesetzesstelle ein Inhalt beigemessen wird, gemäß dem diese öffentlichen Interessen darin liegen, eine politische Tätigkeit von Ausländern im Inland zu beschränken, hat Art 10 EMRK an dieser Rechtslage450 nicht geändert; aus Art 16 der genannten Konvention ergibt sich nämlich, daß Art 10 nichts verbietet, die politische Betätigung von Ausländern Beschränkungen zu unterwerfen.451 2.5.3 Definition von Meinung im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäusserungsfreiheit Durch Art 10 Abs 1 EMRK wurde die eingeschränkte bisherige Definition des Begriffs der Meinung weitgehend irrelevant, da die geschützte freedom of expression bzw. liberté d’expression nach Satz 2 auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen enthält.452 Folglich reicht der Schutzumfang der Norm von reinen Meinungsäußerungen und Tatsachenäußerungen bis zu Werbemaßnahmen.453 2.5.4 Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit gegenüber der Exekutive Grundsätzlich hatte die in 2.4.4. ausgeführte Prüfformel (ein Bescheid ist verfassungswidrig, wenn keine gesetzliche Grundlage vorliegt, die Grundlage ein verfassungswidriges Gesetz ist oder ein verfassungsmäßiges Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet wurde) weiterhin Gültigkeit.454

240. Auch kommt diese Einschränkung nicht bei EU-Ausländern zum Tragen und ist überhaupt restriktiv auszulegen. Siehe etwa Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 295. 450 Anm: gemeint sind der Gesetzesvorbehalt und die Wesensgehaltstheorie. 451 VfGH Slg. Nr. 5134/1965. Siehe davor bereits Slg. Nr. 4233/1962 (Letzteres fällt allerdings in jenen Zeitraum, in dem der VfGH sich weigerte, den Verfassungsrang der EMRK anzuerkennen). 452 Siehe BGBl 210/1958. 453 Siehe dazu etwa VfGH Slg. Nr. 17565/2005, 17820/2006, 18134/2007, 18206/2007. 454 Siehe etwa VfGH Slg. Nr. 6166/1970, 6465/1971, 12086/1989.



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Tabelle 2 – Darstellung der Verwendung von Art 10 EMRK und Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger durch den VfGH als Rechtsgrundlage im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit von 1966 bis 1986 455

VfGH Slg. Nr. 5215/1966 Slg. Nr. 5218/1966456 (Pressefreiheit) Slg. Nr. 5238/1966 Slg. Nr. 5287/1966 Slg. Nr. 5463/1966 Slg. Nr. 5576/1967 Slg. Nr. 5611/1967 Slg. Nr. 5616/1967 Slg. Nr. 5619/1967 Slg. Nr. 6166/1970 Slg. Nr. 6186/1970 Slg. Nr. 6288/1970 Slg. Nr. 6446/1971 Slg. Nr. 6615/1971 Slg. Nr. 6625/1971 Slg. Nr. 6702/1972 Slg. Nr. 7494/1975 Slg. Nr. 8019/1977 (Pressefreiheit) Slg. Nr. 8461/1975 Slg. Nr. 9160/1981 Slg. Nr. 9193/1981 Slg. Nr. 9408/1982 Slg. Nr. 9591/1982 Slg. Nr. 9662/1983 Slg. Nr. 9909/1983 Slg. Nr. 10393/1985 Slg. Nr. 10700/1985 Slg. Nr. 10916/1986 Slg. Nr. 10948/1986 Slg. Nr. 11101/1986

Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger +

Art 10 EMRK –





– + + + + + + + + – + + + – +

– – – – – – – – – + + + + + +

+

+

– + + + + + – + + – + +

– – – – + – + + + + + –

© Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2008 455 + bedeutet, dass diese Rechtsnorm angeführt wurde, – bedeutet, dass diese nicht angeführt wurde. 456 Bei --: Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit wurde geprüft, die Rechtsgrundlage aber nicht genannt.

116 Hauptteil Eine Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Grundrechtes konnte gemäß einem VfGH-Erkenntnis allerdings auch durch einen dem Gesetz durch die Behörde fälschlicherweise unterstellten verfassungswidrigen Inhalt erfolgen. Dies ordnete der VfGH 1983 systematisch unter den Bereich der denkunmöglichen Gesetzesanwendung ein.457 Die Sätze 1 und 2 des ersten Absatzes von Art 10 EMRK entsprechen ungeachtet der sehr verschiedenen Formulierung und ausgenommen der im Vorkapitel angesprochenen Inklusion der Mitteilung von Nachrichten oder Ideen im Wesentlichen Art 13 Abs 1 1. Satz StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (der neu geschaffene Schutz der Empfangsfreiheit ist für diese Arbeit nicht relevant). Im Gegensatz zu Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger findet sich allerdings ein ausdrücklicher Hinweis auf die Irrelevanz der Landesgrenzen in Bezug auf die Meinungsäußerungsfreiheit.458 Artikel 10 EMRK schuf mit Abs 2 ein neues System des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit, wobei die dabei aufgestellten Bedingungen für die Exekutive wie auch für die Gesetzgebung gelten: Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen459 Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten 457 VfGH Slg. Nr. 9909/1983. So zuvor bereits in VfGH Slg. Nr. 9004/1983 zum Eigentumsrecht. 9004/1983. Siehe auch VfGH Slg. Nr. 10700/1985: Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen – hier also: die besonderen Schranken des Art 10 mißachtenden Inhalt unterstellt. Siehe ferner VfGH Slg. Nr. 11996/1989, 12086/1989, 16267/2001, 16555/2002, 16051/2003, 17196/2004, 17228/2004, 17568/2005, 17852/2006, 18001/2006, 18134/2007, 18206/2007, 18327/2007, 18290/2007, GZ B1790/07, B199/08. Zur Denkunmöglichkeit siehe 3.2.1.4.3. 458 Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. (Everyone has the right to freedom of expression. This right shall include freedom to receive and impart information and ideas without interference by public authority and regardless of frontiers. Toute personne a droit à la liberté d’opinion. Ce droit comprend la liberté d’opinion et la liberté de recevoir ou de communiquer des informations ou des idées sans considération de frontière.) BGBl 210/1958. 459 Anm: Womit ein weiteres partikuläres Legalitätsprinzip im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit statuiert wurde.



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zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.460 Diese Übersetzung wurde jedoch in Folge vom VfGH unter Heranziehung der authentischen englischen461 und französischen462 Fassungen beanstandet. Nach Ansicht des VfGH war die Satzstellung der Worte „unentbehrlich sind“ unrichtig, stattdessen sollten diese Worte gemäß der in der Bundesrepublik Deutschland publizierten deutschen Übersetzung am Ende des Abs 2 stehen. Folglich ist die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten ein Tatbestand, der für sich allein Einschränkungen der freien Meinungsäußerung rechtfertigt und nicht ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal zu den vorangehenden Tatbestandsmerkmalen.463 1989 übernahm der VfGH die vom EGMR in der Sunday Times und von Barthold aufgestellte Prüfformel: Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin ... 1. gesetzlich vorgesehen sein, 2. einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 MRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und 3. zur Erreichung dieses Zwecks oder dieser Ziele „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein. Durch den weiten Terminus Eingriff ist diese Prüfformel nicht auf den Bereich der Prüfung von Bescheiden bzw. von Eingriffen durch die Verwaltung begrenzt.464

460 BGBl 210/1958. 461 The exercise of these freedoms, since it carries with it duties and responsibilities, may be subject to such formalities, conditions, restrictions or penalties as are prescribed by law and are necessary in a democratic society, in the interests of national security, territorial integrity or public safety, for the prevention of disorder or crime, for the protection of health or morals, for the protection of the reputation or rights of others, for preventing the disclosure of information received in confidence, or for maintaining the authority and impartiality of the judiciary. 462 L’exercice de ces libertés comportant des devoirs et des responsabilités peut être soumis à certaines formalités, conditions, restrictions ou sanctions, prévues par la loi, qui constituent des mesures nécessaires, dans une société démocratique, á la sécurité nationale, à l’intégrité territoriale, ou á la sûreté publique, á la défense de l’ordre et á la prévention du crime, à la protection de la santé ou de la morale, à la protection de la réputation ou des droits d’autrui, pour emêcher la divulgation d’informations confidentielles ou pour garantir l’autorité et l’impartialité du pouvoir judiciaire. 463 VfGH Slg. Nr. 6288/1970. 464 VfGH Slg. Nr. 11996/1989. Siehe etwa auch VfGH Slg. Nr. 13554/1993, 13675/1994, 13694/1994, 14260/1995, 16267/2001, B1790/07, B53/07, B1797/07.

118 Hauptteil Besonders auffällig ist die Häufigkeit von EGMR-Zitaten in der Judikatur des VfGH,465 wodurch der VfGH eine gewisse autoritative Kraft der Auslegung der EMRK durch den EGMR anzuerkennen schien.466 2.5.5 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit Aus den Ausführungen zu Art 10 Abs 2 EMRK folgt, dass [s]eitdem Art 10 Verfassungsrang hat, … die Freiheit der Meinungsäußerung nur aus den dort ausgeführten Gründen467 beschränkt werden darf.468 Für Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger galt hingegen weiter die Wesensgehaltstheorie, wodurch auch in Fällen, in welchen die Schrankenschranken des Art 10 nicht zur Anwendung gelangen, jedenfalls ein Kernbereich der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt blieb.469 Die Untersagung einer extremistischen antidemokratischen und antisemitischen politischen Meinungsäußerung stellte jedenfalls keine Verletzung des Wesens des Grundrechtes dar.470 Eine absolute Verschwiegenheitspflicht, die nicht auf Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist, beschränkt war, beeinträchtigte hingegen das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit in seinem Wesensgehalt und war verfassungswidrig.471 Der VfGH bezeichnete die Schrankenschranken des Art 10 EMRK in Folge als nähere Bestimmung des Wesensgehaltes des Grundrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit.472 Die materielle Gesetzesklausel des Art 10 Abs 2 EMRK mag zwar als nähere 465 Insgesamt wurde der Fall Barthold vom 25. 3. 1985 viermal, der Sunday Times-Fall vom 26. 4. 1979 sowie Lingens-Fall vom 8. 7. 1986 je zweimal sowie Handyside vom 7. 12. 1976 zitiert. VfGH Slg. Nr. 11996/1989. 466 Eine Unterstützung erfährt diese Annahme etwa durch VfGH Slg. Nr. 12501/1990. In diesem Fall zog der VfGH (in Bezug auf Art 11 EMRK) erst ein EGMR-Urteil heran, um dann Folgendes zu vermerken: Der VfGH steht auf dem Boden dieser Rechtsprechung des EGMR. Er sieht keine Veranlassung, für den innerstaatlichen Bereich einen anderen Inhalt des Art 11 EMRK anzunehmen. 467 In VfGH Slg. Nr. 12086/1989 fügte der VfGH an dieser Stelle (Eingriffstatbestände) hinzu. 468 VfGH Slg. Nr. 10700/1985. Siehe auch z. B. VfGH Slg. Nr. 11404/1987, 11651/1988, 12086/1989. Davor bereits implizit etwa in VfGH Slg. Nr. 6615/1971, 6288/1970. 469 VfGH Slg. 5134/1965. 470 Ebenda. 471 So der VfGH in einem die amtswegige Prüfung eines Gesetzes einleitenden Beschluss in Slg. Nr. 6288/1970. 472 VfGH Slg. 10700/1984. Siehe dazu etwa auch Slg. Nr. 11404/1987, 11651/1988, 16267/2001, 17228/2004, 17290/2004.



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Bestimmung des Wesensgehalts der Meinungsäußerungsfreiheit gedeutet werden, doch die Systematik der Gesetzesprüfung erhielt durch die Eingriffstatbestände des Abs 2 einen neuen Charakter. Denn nach der Wesensgehaltstheorie war bislang wie gezeigt grundsätzlich jede Beschränkung, aus welchem Grund auch immer, erlaubt, soweit diese nicht gegen das Wesen des Grundrechtes verstieß,473 also dieses in seinem Kernbereich ausgehöhlt wurde. Gemäß Art 10 Abs 2 EMRK muss hingegen jedes Gesetz, welches die Meinungsäußerungsfreiheit beschneidet, einen der taxativ aufgezählten Rechtfertigungsgründe erfüllen.474 Aus der Eingriffsbeschränkung durch die Wesensgehaltstheorie wurden so Eingriffstatbestände.475 Wie in der Judikatur des EGMR allerdings deutlich wird, liegt der Schwerpunkt der Prüfung gerade im Bereich der Unterscheidung zwischen politischer und nichtpolitischer Meinungsäußerungsfreiheit im Prüfelement, ob der Eingriff zum Erreichen eines rechtfertigenden Zweckes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig (necessary in a democratic society) ist. Dessen Interpretation durch den EGMR kann wohl als Bestimmung des Wesensgehaltes im klassischen Sinn verstanden werden.476 Ein redaktioneller Beitrag in der Zeitschrift Medien und Recht schloss aus dem Lingens-Fall des EGMR477 die Notwendigkeit einer Reaktion des Gesetzgebers, ging dabei aber nur auf den Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteile ein.478 In einem darauf reagierenden Artikel wurde hingegen einerseits auf den anderen Kernaspekt von Lingens, die Bedeutung des Interesses an einer offenen Diskussion über politische Probleme und folglich die weitere Grenze akzeptabler Kritik gegenüber Politikern, verwiesen. Andererseits wurde darauf hingewiesen, dass keine Notwendigkeit einer Änderung der Gesetze zur Herstellung des erforderlichen Rechtszustands nötig sei, da aufgrund der bestehenden Gesetze eine Judikatur im Sinne von Lingens entweder beibehalten und ausgebaut oder begründet und entwickelt werden könnte. Es erfolgte sogar eine eingeschränkte Aufforderung zum Richterrecht.479 473 Siehe etwa die Formulierung des VfGH in Slg. Nr. 4233/1962. 474 Siehe dazu auch die Formulierung in VfGH Slg. Nr. 5159/1965: Der zweite Absatz des Art 10 enthält Gesetzesvorbehalte, die allerdings – im Gegensatz zu Art 13 StGG – auf den Schutz bestimmter Bereiche des öffentlichen oder privaten Lebens eingeschränkt sind. Siehe dazu auch VfGH Slg. Nr. 10700/1985, 13612/1993, 17297/2004. 475 Letzterer Begriff wurde vom VfGH selbst in VfGH Slg. Nr. 12086/1989 zur Beschreibung der durch Abs 2 geschaffenen Rechtslage verwendet. 476 VfGH Slg. Nr. 17917/2006. 477 Zu diesem siehe Abschnitt III, Kapitel 4. 478 Der Fall Lingens und das österreichische Mediengesetz, MR 4/1986, 5. 479 Bruno Weis, Nochmals: der Fall Lingens und der Gesetzgeber, MR 5/1986, 7.

120 Hauptteil Eine Gesetzesnorm, die unanständiges Verhalten in der Öffentlichkeit unterbindet, konnte auch anstößige Formen öffentlicher Meinungsäußerung treffen, ohne dass dadurch der Wesensgehalt des Grundrechtes verletzt wurde.480 1988 präzisierte der VfGH den zuvor bereits wiederholt angewandten Ansatz, dass auch ein Gesetz, welches als solches nicht auf eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit abziele und nicht im Regelfall einen Eingriff in das Grundrecht bewirke, dennoch in manchen Fällen das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit berühren kann.481 Der VfGH verwies dabei auf frühere Judikatur482 und erklärte, ein anderes, aus der älteren Judikatur ableitbares Ergebnis werde nicht aufrechterhalten.483 2.5.6 Freiheit der politischen Meinungsäusserung durch technische Hilfsmittel 1971 kam der VfGH durch eine historische Interpretation einer Bestimmung des Ausführungsgesetzes zu Art 20 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger484 zum Schluss, daß als Zensur jedenfalls angesehen werde, wenn Pflicht-Exemplare eines Druckwerkes „vor der Ausgabe“ zu hinterlegen waren oder wenn die gänzliche oder teilweise (§ 2: „geringeres Maß“) Einstellung des Erscheinens oder der Verbreitung von Druckschriften verfügt wurde. Im vorliegenden Fall erkannte der VfGH in gesetzlich485 vorgesehenen Maßnahmen, welche eine Verbreitungsbeschränkung wegen des wahrscheinlichen Inhalts künftiger Druckwerke ermöglichten, eine Form der Vorzensur.486 Ferner bestätigte der VfGH unter Heranziehung rechtshistorischer Beispiele,487 dass unter Zensur nur präventive, nicht aber repressive Maßnahmen verstanden würden.488 480 Freilich musste in Folge die Behörde bei Anwendung des Gesetzes die engen Schranken des Art 10 EMRK beachten. VfGH 10700/1984. 481 Wobei in diesem Fall die Bestimmung als im öffentlichen Interesse liegend und damit dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art 10 Abs 2 entsprechende Norm gesehen wurde. 482 Slg. Nr. 10.700/1985, 11.314/1987 und 11404/1987. 483 VfGH Slg. Nr. 11651/1988. Zur vorherigen Rechtslage siehe 3.2.1.5.4. Zum Ausmaß der Zensur siehe auch Slg. Nr. 12394/1990. 484 § 7 des Gesetzes vom 5. Mai 1869, siehe weiter oben. 485 § 10 des Bundesgesetzes vom 31. März 1950, BGBl 97, über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung. 486 VfGH Slg. Nr. 6615/1971, Siehe dazu auch Slg. Nr. 8461/1978. 487 § 5 des Kaiserlichen Patents vom 4. März 1849, RGBl. Nr. 151, sowie § 12 der Bosnischen Verfassung vom 5. Oktober 1908. 488 VfGH Slg. Nr. 6615/1971.



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Zu dem weiterhin bestehenden Verbot der Vorzensur durch Art 13 Abs 2 und dem BPNV wurde durch die EMRK zwar kein zusätzliches generelles Zensurverbot hinzugefügt,489 durch die breiten Schrankenschranken des Art 10 Abs 2 EMRK wurde jedoch auch in diesem Bereich der verfassungsrechtliche Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit um ein zusätzliches Element erweitert.490 Art 10 Abs 1 EMRK ermöglicht darüber hinaus durch Satz 2 ausdrücklich ein Genehmigungsverfahren für gewisse Medienunternehmen.491 Dabei wird die Medienfreiheit der EMRK weitgehend funktional, nämlich im Sinne der Funktion der Medien als Verbreiter von Informationen und Ideen über Fragen des öffentlichen Interesses sowie als öffentlicher Wachhund verstanden.492 Die in 2.4.5. zitierte Formel des VfGH zur Präzisierung des Ausmaßes der Pressefreiheit493 wurde 1964, 1966 sowie 1967 jeweils in verkürzter Form wiederholt.494 1967 erblickte der VfGH in einem aufgrund der StVO erlassenen Bescheid wegen des Aufstellens von Zeitungsverkaufsständen in einem Stadtgebiet ohne erforderliche Bewilligung keine Verletzung der Pressefreiheit. Denn § 82 StVO 1960 habe nicht auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit der Presse abge489 Wenngleich der EGMR der Vorzensur aufgrund der Verhinderung der Übertragung von Informationen und Ideen besonders kritisch gegenübersteht. Siehe David Harris/Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 386 f. Noch kritischer zur Möglichkeit der Vorzensur im Lichte von Art 10 EMRK: Francis Jacobs and Robin White, The European Convention on Human Rights2 (1996) 222. 490 Siehe etwa 6615/1971. 491 Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. (This Article shall not prevent States from requiring the licensing of broadcasting, television, or cinema enterprises. Le présent article n’empêche pas les Etats de soumettre les entreprises de radiodiffusion, de cinéma ou de télévision à un régime d`autorisations.) BGBl 210/1958. 492 Siehe dazu etwa Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006) 196 f. Siehe auch Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 287; sowie David Harris/Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 406 f. 493 Aus VfGH Slg. Nr. 2362/1952. 494 VfGH Slg. Nr. 4647/1964: umfaßt die Pressefreiheit a) die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften ohne Konzession b) das Verbot der Vorzensur und c) das Verbot administrativer Postverbote für inländische Druckwerke; 5218/1966: unter a) die Berechtigung, Zeitungen und Zeitschriften, ohne daß eine Konzession erforderlich ist, herauszugeben, sonst wie Nr. 4647; noch prägnanter in 5619/1967: 1. Verbot eines Konzessionssystems, 2. Zensurverbot, 3. Unzulässigkeit administrativer Postverbote. Auch in Slg. Nr. 6187/1970 und 9662/1983 erfolgten fast wörtliche Wiederholungen.

122 Hauptteil zielt.495 Aus demselben Grund verletzten weder ein auf der steirischen Bauordnung basierender Bescheid auf Entfernung von Reklametafeln496 noch ein auf dem Salzburger Ortsbildschutzgesetz basierender Bescheid bezüglich Ankündigungsanlagen einer Tageszeitung Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit.497 Erlauben Rechtsvorschriften Einschränkungen der ansonsten ohne behördliche Bewilligung zulässigen Verbreitung von Druckwerken durch Aushängen und Anschlagen an einem öffentlichen Ort nur insoweit, als nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, sind diese nach Ansicht des VfGH aus Sicht der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Pressefreiheit unbedenklich.498 Das durch Art 10 EMRK gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst auch die Rundfunkfreiheit, wie der VfGH 1983 bestätigte.499 Diese Freiheit wurde durch Art 10 Abs 1 letzter Satz und Art 10 Abs 2 einer doppelten Beschränkung unterworfen.500 Aufgrund des Verfassungsranges des Art I BVG-Rundfunk501 war jedoch eine bundesgesetzliche Regelung nicht Schranke, sondern Bedingung des Rundfunks, 495 VfGH Slg. Nr. 5616/1967. Der VfGH führte dazu weiter aus: … zielt aber keineswegs auf eine solche Einschränkung der Meinungsfreiheit der Presse ab. Die Norm hat den Vertrieb von Druckwerken nicht zum Gegenstand. Sie dient dem Schutz eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes. Sie ist nicht dazu bestimmt, die geistige Wirkung der freien Meinungsäußerung als solche zu unterbinden oder einzuschränken. … berührt deshalb das Grundrecht der freien Meinungsäußerung überhaupt nicht. Der VfGH konnte folglich dem Argument des Beschwerdeführers, durch Art 13 StGG sei die Presse grundsätzlich von der Einhaltung formeller Vorschriften befreit worden, nichts abgewinnen. Siehe dazu auch Slg. Nr. 5663/1968 sowie das oben behandelte Erkenntnis VfGH Slg. Nr. 4087/1961. 496 VfGH Slg. Nr. 6186/1970. 497 VfGH Slg. Nr. 9662/1983. 498 VfGH Slg. Nr. 13127/1992, 17943/2006 ua. Siehe auch 6999/1973, 8019/1977, 9591/1982, GZ G186/07, V 68/07. 499 Der in Verfassungsrang stehende ... Art 10 EMRK gewährleistet als Bestandteil des Anspruchs auf freie Meinungsäußerung ua. ein Recht auf Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen. Im Schutzbereich dieser verfassungsgesetzlichen Gewährleistung liegt auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Fernseh-Rundfunkanlagen (sogenannte Rundfunkfreiheit). VfGH Slg. Nr. 9909/1983. 500 Die genannten grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen werden jedoch in zweifacher Weise eingeschränkt: Zum einen ermächtigt Art 10 Abs 1 letzter Satz MRK den Staat, Rundfunk- und Fernsehunternehmungen einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen, zum anderen kann gemäß Art 10 Abs 2 MRK die Ausübung der Rundfunkfreiheit bestimmten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden. VfGH Slg. Nr. 9909/1983. 501 BGBl 396/1974.



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womit für diesen Bereich der medialen Meinungsäußerungsfreiheit ein Konzessionssystem eingeführt worden war. Die Unbedenklichkeit des Konzessionssystems im Licht von Art 10 EMRK wurde vom VfGH ausdrücklich betont.502 Dem Grundproblem der Meinungsäußerungsfreiheit beim Rundfunk, dass dadurch potenziell statt eines Forums einseitige Beeinflussung entsteht, wurde durch Art 1 Abs 2 3. Satz BVG-Rundfunk begegnet: Ein solches Bundesgesetz hat insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung der im Abs 1 benannten Aufgaben betraut sind, gewährleisten.503 Die Stoßrichtung dieser Bestimmung ist dabei eine gänzlich andere als die von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, Art 10 EMRK oder des BPNV: Statt auf Absicherung des freien offenen Diskurses durch Nichteinmischung des Staates zielt diese Bestimmung auf staatlich verordnete Objektivität ab. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Abwehrrecht gegenüber dem Staat liegt, können diese Bestimmungen des BVG-Rundfunk hier nicht Gegenstand näherer Untersuchung sein. Den Schutz journalistischer Quellen bezeichnete der VfGH 2008 in Anlehnung an die Judikatur des EGMR ausdrücklich als eine Grundbedingung der Pressefreiheit.504 2.5.7 Unmittelbare Auswirkungen des verfassungsrechtlichen Schutzes politischer Meinungsäusserungsfreiheit auf den Bereich des Straf- und Zivilrechts Der mit Ausnahme staatlicher Vorzensur vielleicht gravierendste Schnittpunkt zwischen dem Prinzip der politischen Meinungsäußerungsfreiheit und dem Grundsatz des Schutzes des guten Rufes anderer oder des Staates und seiner Institutionen liegt nicht im Bereich des Verwaltungs-, sondern vielmehr des Straf- und Zivilrechts.505 Dass in diesem Bereich die Entscheidungen der ordentlichen Gerichte bis heute nicht vom Verfassungsgerichtshof auf deren

502 VfGH Slg. Nr. 9909/1983. 503 BGBl 396/1974. 504 VfGH GZ G186/07, V68/07. 505 Insb. § 111 ff StGB, § 29 MedG und § 1330 ABGB. Siehe dazu etwa Christian Bertel, Klaus Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht, Besonderer Teil I10 (2008) 127 ff; Helmut Koziol, Rudolf Welser, Bürgerliches Recht II13 (2007) 349 ff.

124 Hauptteil verfassungskonforme Interpretation überprüft werden können,506 bezeichnete etwa der „Weisenbericht“ von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja in Randnummer 99 als besonderes Problem der österreichischen Rechtsordnung.507 Im Ergebnis bedeutet dies, dass mangels Judikatur des VfGH für die Bestimmung des genauen Ausmaßes der verfassungsmäßig geschützten politischen Meinungsäußerungsfreiheit eine Analyse der dahin gehenden Judikatur des OGH erforderlich ist. In diesem Zusammenhang kann die unmittelbare Ausstrahlung bzw. Auswirkung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit auf die Auslegung der Beleidigungstatbestände wohl als ein Ergebnis der jüngeren Rechtsgeschichte betrachtet und auf Europäisierungstendenzen zurückgeführt werden.508 Wenn von einer allmählichen Konstitutionalisierung des österreichischen Beleidigungsrechtes als Konsequenz auf die Straßburger Judikatur die Rede ist,509 mag dies nach über einem Jahrhundert des expliziten Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit im österreichischen Kontext verwundern. In diesem Zusammenhang sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass Felix Ermacora schon 1963 unter Berufung auf die deutsche Lehre und Judikatur eine Verpflichtung der Zivil- und Strafrichter durch die Meinungsäußerungsfreiheit festgestellt hatte.510 Die Einschränkungen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch das Strafrecht mögen gerade aus einer Sichtweise der Grundrechte als primär gegenüber dem Staat wirkende Abwehrrechte als wesentlich schwerwiegendere Einschnitte in das Grundrecht erscheinen, doch sollte der chilling effect durch zivilrechtliche Konsequenzen nicht unterschätzt werden. Denn auch durch den Weg des Zivilrechts hat der Staat die Möglichkeit, durch einen exzessiven zivilrechtlichen Schutz vor Diffamierung eine Selbstzensur der Bürger aus Angst vor monetären Konsequenzen herbeizuführen und so die Grundlagen des Marktplatzes der Ideen zu unterminieren. Dies führte etwa Justice Brennan in New York Times v. Sullivan bereits 1964 zu der Schlussfolgerung, dass [w]hat 506 Siehe Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) 506 ff, Theo Öhlinger, Verfassungsrecht7 (2007) 445 ff. 507 Richard Soyer, Kritik und offene Gesellschaft, juridikum 3 (2000) 129. 508 Siehe dazu insbesondere Diethelm Kienapfel, Anmerkung zur Entscheidung des OGH vom 18. 5. 1993, Os 25/93, MR 5/1993, 177; Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest,“ in FS Schäffer (2006) 100. Siehe auch Helmut Schmid, Grenzen der Meinungsfreiheit – fallbezogen erörtert. Gleichzeitig eine Einladung zu dogmatischer Strukturarbeit. MR 1/1994, 2 f. 509 Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest“, in FS Schäffer (2006) 100. 510 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 328.



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a state may not constitutionally bring about by means of a criminal statute is likewise beyond the reach of its civil law of libel.511 In diesem Fall deutete Brennan die Gefahr durch die entsprechenden zivilrechtlichen Konsequenzen angesichts der Größenordnung eines möglichen Schadenersatzes sogar als markedly more inhibiting als die Angst vor einer entsprechenden strafrechtlichen Verfolgung mit einem nach dem Strafrecht Alabamas auf 500 Dollar oder sechs Monate Haft begrenzten Strafrahmen.512 Ähnliche Überlegungen hatten 1993 das britische House of Lords in Derbyshire Council v. Times Newspapers dazu veranlasst, Regierungsbehörden keinen Schutz ihres Rufes mittels einer Libel Action zu erlauben,513 wobei der Illinois Supreme Court bereits 1923 aufgrund des Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Verfassung des Staates Illinois (und nicht des First Amendment) zum selben Ergebnis gekommen war.514 Auch wenn der Staat durch entsprechende zivilrechtliche Normen nicht selbst in das Grundrecht einzugreifen scheint, ist er doch durch deren Umsetzung und Exekution unmittelbar beteiligt. Wenn man diese Überlegungen aus diesem Blickwinkel betrachtet, so liegt auch in diesem Fall ein Eingriff des Staates vor, der in den Kernbereich des Grundrechtes als Abwehrrecht gegenüber dem Staat515 fällt.516 511 Sullivan v. The New York Times 376 U.S. 254, 277 (1964). 512 Ebenda. 513 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1011 ff. (H.L.). 514 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 46 ff. 515 Siehe dazu etwa Karl Korinek/Brigitte Gutknecht in Herbert Schambeck, Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 314. Für ein traditionelleres Verständnis siehe hingegen etwa Karel Knap in FS Adolf Merkl (1970) 139 ff; dazu vor allem 142: Der Begriff der Pressefreiheit wird schlecht verstanden, wenn darin die Möglichkeit einer uferlosen Beeinträchtigung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte und in dem Schutz dieser Rechte ein Eingriff in die Pressefreiheit gesehen wird. … Wir sehen daher, daß die Auswirkungen der allgemeinen Menschenrechte auf zwei verschiedenen Rechtsgebieten liegen: auf dem des Privatrechts und auf dem des öffentlichen Rechts: ... Die Pressefreiheit gehört lediglich der ersten Kategorie an. Freilich soll auch an dieser Stelle keineswegs für eine uferlose Beeinträchtigung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte eingetreten werden. Sehr wohl aber soll auf die Möglichkeit einer Untergrabung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch eine extensive Handhabung dieser und die Notwendigkeit einer Abwägung dieser Prinzipien unter Berücksichtigung der Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit für das repräsentativ-demokratische System, wie dies etwa in Lingens geschah, hingewiesen werden. 516 Zur Frage der Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit im Zivilrecht siehe auch Walter Berka, Die Kommunikationsfreiheit, in Rudolf Machacek/Willibald P. Pahr/Gerhard Stadler, 40 Jahre EMRK, Grund und Menschenrechte in Österreich II (1992) 409 ff.

126 Hauptteil Dabei zeigt sich, wie noch ausgeführt werden wird, spätestens seit den 90erJahren des 20. Jahrhunderts eine weitgehende Akzeptanz des Grundsatzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in enger Anlehnung an die Judikatur des EGMR. Das ursprüngliche Verständnis der Meinungsäußerungsfreiheit als partikuläres Legalitätsprinzip,517 wodurch das Strafgesetz als Umsetzung der gesetzlichen Schranken des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger die Grenze für die Meinungsäußerungsfreiheit darstellte,518 kann zumindest teilweise zur Erklärung des Mangels einer autogenen Entwicklung zu einem speziellen Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit herangezogen werden. Die vom VfGH bereits vor der Inkorporation der EMRK übernommene Wesensgehaltstheorie519 hätte zwar als Ansatzpunkt einer auf Schutz des Wesensgehaltes des Grundrechts und damit insbesondere von politischer Meinungsäußerungsfreiheit nicht zu einer widersprechenden Auslegung des Strafrechts führen können, ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Spätestens mit den §§ 363a ff. StPO520 wurde jedoch eine mit der Judikatur des EGMR (und damit dem besonderen Schutz von political speech) konforme Auslegung der davon berührten Paragraphen des Strafrechts unumgänglich. Im Zivilrechtsbereich erfolgten entscheidende Beiträge bezüglich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit erst in den letzten Jahren.521 Dabei ist unklar, inwieweit diese aufgrund von verfassungsrechtlichen Erwägungen erfolgten und inwieweit diese als Reaktion auf die EGMR-Judikatur seit Lingens zu sehen sind. 1994 wurde die Akzeptanz des Grundgedankens der political speech durch den OGH in einem Rechtssatz, betreffend § 1330 iVm Art 10 EMRK, zur besonderen Stellung von Politikern deutlich, in welchem dieser die Freiheit der politischen Debatte als einer der Pfeiler des Konzeptes einer demokratischen Gesellschaft bezeichnete.522 Besonders klar wird die Bedeutung des politischen Charakters einer Meinung für deren Schutz in einem anderen Rechtssatz aus 1994: Ob im politischen Meinungsstreit eine den politischen Gegner treffende Äußerung noch im Sinne des Art 10 (E)MRK gerechtfertigt erscheint, ist vor allem an der politischen Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme, insbesondere im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten des Betroffenen an der dem 517 Siehe vor allem Abschnitt III, Kapitel 2.1.5. 518 Ludwig Adamovich (Sr.), Österreichisches Verfassungsrecht (1923) 216. 519 Siehe Abschnitt III, Kapitel 2.4.5. 520 BGBl 762/1996 (Strafrechtsänderungsgesetz 1996). 521 Siehe unten. 522 OGH 28. 6. 1994, 4 Ob 75/94.



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Anlaßfall und der Bedeutung des Aussageinhalts angepaßten Form und Ausdrucksweise sowie dem danach zu unterstellenden Erklärungsempfänger zu messen.523 Weitere eindeutige Formulierungen, die im Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Konsequenzen des § 1330 ABGB die besondere Bedeutung von political speech betonen, waren etwa Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist großzügig auszulegen, insbesondere wenn es um zur Debatte stehende politische Verhaltensweisen524 geht525 oder526 Die … Freiheit der politischen Debatte, die unter Umständen sogar verletzende oder beunruhigende Äußerungen als gerechtfertigt ansieht, lässt umso mehr als harmlos oder indifferent anzusehende Äußerungen zu.527 Der OGH betonte zwar, dass das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit keineswegs absolut sei, sah aber im Rahmen der politischen Debatte unter gewissen Umständen sogar Beschimpfungen als durch einen entsprechenden Sachbezug gerechtfertigt an.528 Dabei hängt im Einzelfall die Rechtfertigung einer die eigene Position ausdrückenden Stellungnahme nach Art 10 EMRK wesentlich von deren politischer Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten des Betroffenen, ab.529 Zugleich beispielhaft für die Sonderstellung von political speech und wichtig für das Aufzeigen des tatsächliche Ausmaßes des verfassungsrechtlichen Schutzes von political speech war folgende Formulierung: Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EGMR, der selbst im politischen Meinungsstreit 530 prüft, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliegt, weil auch ein Werturteil ohne jede Tatsachengrundlage exzessiv sein kann.531 Weitreichende Anerkennung fand – sowohl im Bereich des Straf- als auch des Zivilrechts – auch der weitgehend auf dem Prinzip der politischen Meinungsäußerungsfreiheit basierende Grundsatz des weiter reichenden Schutzes von kritischen

523 OGH 22. 8. 1995, 6 Ob 18/94. 524 Betonungen hinzugefügt. 525 OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 109/00y. 526 Anm: Wiederum mit dem bereits in OGH 28. 6. 1994, 4 Ob 75/94 genannten Vorsatz. (Die Freiheit der politischen Debatte ist einer der Pfeiler des Konzeptes einer demokratischen Gesellschaft.) 527 OGH 15. 3. 2001, 6 Ob 41/01z. 528 OGH 29. 9. 1999, 6 Ob 171/99m. 529 Siehe OGH 24. 1. 2008. 6 Ob 258/07w. 530 Betonung hinzugefügt. 531 OGH 10. 10. 2002, 6 Ob 238/02x. Der OGH zitierte dabei die Urteile des EGMR in Jerusalem gg. Österreich, Dichand u.a. gegen Österreich sowie Unabhängige Informationsvielfalt gegen Österreich.

128 Hauptteil bzw. diffamierenden Meinungen gegenüber Politikern.532 Darüber hinaus gilt allgemein, dass[,] wer sich in politischer Diskussion an die Öffentlichkeit wendet, damit rechnen müsse, dass diese Aussagen journalistisch vor allem in Form von Hervorhebungen und Überschriften gekürzt und in plakativer Weise aufbereitet werden.533 Im amerikanischen Recht entwickelte sich diese Doktrin zu einer Herabsetzung des beleidigungsrechtlichen Schutzes für im öffentlichen Leben stehende Personen (public figures) generell weiter. Da sich diese bereits im Vorfeld als nahezu unaufhaltsam bezeichnete Entwicklung534 auch in Österreich vollzog,535 muss darauf hingewiesen werden, dass diese Doktrin zumindest nicht mehr im selben Ausmaß auf dem Grundgedanken der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ruht. Dabei werden allerdings Politiker unter den Begriff der public figures subsumiert536 und so ein größerer Freiraum für politische Meinungsäußerungen geschaffen. Im Bereich des Medienrechts sollte auf die Nähe der Formulierung von § 29 Abs 1 MedG537 und dem Reynolds privilege (responsible journalism/journalistische Sorgfalt, public interest/Interesse der Öffentlichkeit) hingewiesen werden.538 Dass Letzteres auf evolutionäre Weise aus der Interpretation des Common Law durch die Law Lords hervorgegangen ist, während das österreichische Äquivalent durch einen legislativen Akt geschaffen wurde, verdeutlicht die verschiedenen Lösungsmuster und die Dynamik des Common Law. 532 Siehe dazu Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest“, in FS Schäffer (2006) 94. 533 OGH 26. 2. 2008, 11Os149/07g (11Os150/07d). 534 Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest“, in FS Schäffer (2006) 95. 535 Siehe etwa unlängst OGH 16. 12. 2008, GZ 11 Os 144/07. Dabei betonte der OGH allerdings hinsichtlich der betroffenen Person, dass sein intimster Bereich respektiert wird, in dem er nur sich selbst gehört. 536 Siehe etwa 29. 4. 2008, 11 Os 124/07f (11 Os 125/07b): Dabei blieb auch unberücksichtigt, dass sich der inkriminierte Kommentar in eine öffentliche Debatte über derartige Postenbesetzungen allgemein und die Bestellung des Antragstellers im Besonderen einreihte, somit – entgegen der Meinung des Erstgerichts (S 175 und 179) – eine Angelegenheit überwiegenden öffentlichen Interesses betraf, sodass dem Antragsteller als „public figure“ dieser (politischen Kritik) gegenüber daher bloß eingeschränkter Schutz zuzugestehen ist. 537 Der Medieninhaber oder ein Medienmitarbeiter ist wegen eines Medieninhaltsdelikts, bei dem der Wahrheitsbeweis zulässig ist, nicht nur bei erbrachtem Wahrheitsbeweis, sondern auch dann nicht zu bestrafen, wenn ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat und auch bei Aufwendung der gebotenen juristischen Sorgfalt für ihn hinreichende Gründe vorgelegen sind, die Behauptung für wahr zu halten. Wegen eines Medieninhaltsdelikts, das den höchstpersönlichen Lebensbereich betrifft, ist der Medieninhaber oder Medienmitarbeiter jedoch nur dann nicht zu bestrafen, wenn die Behauptung wahr ist und im unmittelbaren Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht. BGBl 1981/314 idF. BGBl I 2007/112. 538 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.3.1. und 3.4.1. sowie BGBl 314/1981.



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2.5.8 Fazit Die Folgen der Inkorporation der EMRK in das österreichische Verfassungsrecht und insbesondere die schrittweise Übernahme von Elementen der EGMR-Judikatur führten zu den größten Veränderungen des verfassungsmäßigen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit seit 1867. Einerseits wurde dadurch der verfassungsmäßige Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit vor allem hinsichtlich des Schutzes vor legislativen Eingriffen, aber auch durch die stärkere Berücksichtigung im Bereich des Zivil- und Strafrechts sukzessive auf eine andere Ebene gehoben. Andererseits wurde hinsichtlich des Ausmaßes des verfassungsrechtlichen Schutzes zunehmend nach Art der Meinungsäußerung differenziert. Eindeutig ist, dass nunmehr nicht jeder Kategorie von Meinungsäußerung dasselbe Ausmaß an verfassungsrechtlichem Schutz zukommt. So stellte der VfGH etwa bereits 1986 fest, dass wirtschaftliche Werbung zwar in den Schutzbereich des Art 10 Abs 1 EMRK falle, jedoch schärferen Einschränkungen unterworfen werden könne als der Ausdruck politischer Ideen.539 Der VfGH berief sich dabei ausdrücklich auf die Auffassung der Europäischen Kommission für Menschenrechte.540 Damit stellt sich die Frage, ob der VfGH durch die Gegenüberstellung mit der kommerziellen Meinungsäußerung implizit den Ausdruck politischer Ideen als Gipfel der neuen Hierarchie etablierte. Dagegen spricht, dass der VfGH 1993 durch das Einfügen von (etwa) klarstellte, dass dies nur ein mögliches Beispiel einer strenger geschützten Kategorie von Meinungsäußerungen ist.541 Die grundsätzliche Hierarchisierung je nach Kategorie der Meinungsäußerung wurde 1999 im Bereich der kommerziellen Werbung durch eine besonders klare Formulierung des VfGH deutlich: Die Rechtsprechung des EGMR hat deutlich gemacht, daß kommerzielle Werbung zwar vom Schutzbereich des Art 1 Abs 1 EMRK erfasst wird, daß sie aber nach Art 10 Abs 2 EMRK strengeren Beschränkungen unterworfen werden darf, als andere Formen der Mitteilung von Meinungen, Ideen und Informationen.542 Bereits 1990 betonte der VfGH in einem Fall zur kommerziellen Meinungsäußerung, dass sie nicht nur dann verfassungswidrig (sei), wenn sie sich auf die

539 VfGH Slg. Nr. 10948/1986. Siehe dazu auch Slg. Nr. 13635/1993, 15533/1999, 16359/2001, GZ G186/07, V68/07. 540 VfGH Slg. Nr. 10948/1986. Siehe auch Slg. Nr. 15533/1999. 541 VfGH Slg. Nr. 13635/1993. Siehe auch GZ G 186/07, V 68/07. 542 VfGH 15480/1999. Vergleiche auch Jochen Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention: EMRK-Kommentar3 (2009) 346.

130 Hauptteil Präventivkontrolle von politischen Meinungen 543 bezieht.544 Ob daraus der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass der Schutz von political speech als Kernbereich des Zensurverbotes angesehen werden kann und folglich einen besonderen Schutz genießt, bleibt offen. Auch wenn der VfGH auf die besondere Bedeutung der Presse in einem demokratischen Rechtsstaat hinweist,545 kann darin ein Indiz für die Anerkennung der zentralen Bedeutung eines freien öffentlichen Forums als Grundlage des demokratisch-rechtsstaatlichen Systems gesehen werden. Bei einer allein auf den Schutz der individuellen Meinungsfreiheit abstellenden Sicht wäre ein Verweis auf den demokratischen Rechtsstaat unnötig. Auch die Formulierung angesichts der überragenden Bedeutung und Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft546 aus 1995 weist in diese Richtung. Die ursprüngliche Vorgehensweise der Prüfung einer Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit, wonach nach Bejahung des Vorliegens einer Meinung ohne besondere Wertung der Kategorie dieser Meinung nach formellen Kriterien geprüft wurde, ist damit jedenfalls nicht mehr gültig. Eine eindeutige Aussage bzw. Prüfformel für eine Sonderstellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ist der Judikatur des VfGH nicht zu entnehmen. Der sehr enge Rahmen der geschützten politischen Meinungsäußerungsfreiheit in B 225/07 ist allerdings im Zusammenhang mit der ideologischen Ausrichtung der diesem Fall zugrunde liegenden Meinungsäußerung zu sehen, deren unkritische Haltung zum Nationalsozialismus der VfGH bestätigte und in Zusammenhang mit der wiederholt festgestellten kompromisslose[n] Ablehnung des Nationalsozialismus als ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik setzte.547 Einige der eindeutigsten Formulierungen zu political speech finden sich hingegen nicht in der Judikatur des VfGH, sondern in jener des OGH, wie im Kapitel über die Auswirkungen des verfassungsrechtlichen Schutzes politischer Meinungsäußerungsfreiheit auf den Bereich des Straf- und Zivilrechts erörtert wurde.

543 Betonungen hinzugefügt. 544 VfGH Slg. Nr. 12394/1990. 545 VfGH Slg. Nr. 14260/1995. 546 VfGH Slg. Nr. 14218/1995. Der VfGH zitierte dabei die EGMR-Fälle Handyside (vom 7. 12. 1976), Lingens (vom 8. 7. 1986) sowie Observer and Guardian (vom 26. 11. 1991). 547 VfGH GZ B225/07.



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3. Die historische und gegenwärtige Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien unter besonderer Berücksichtigung der political speech 3.1 Grundlegende Rahmenbedingungen des britischen Rechts Ob vor dem Human Rights Act 1998 überhaupt ein allgemeiner in die Verfassungssphäre reichender Schutz existierte, ist umstritten. In der Literatur und Judikatur finden sich sowohl für dessen Existenz548 548 Zur grundsätzlichen Problematik: Law is often written, but some of the most valuable principles of constitutional law exist only in the pronouncements of the courts, which exist not to enact, but merely to declare the existence of, rules of law. A. Berriedale Keith, The Constitution, Administration and Laws of the Empire (1924) 7. Dieser verwies ferner darauf, dass die wichtigsten bürgerlichen Rechte, darunter auch die Redefreiheit, im Vereinigten Königreich nicht weniger rechtliche Bedeutung hätten als in Irland, wo diese Teil der schriftlichen Verfassung seien. In Großbritannien seien diese not by direct enactment, but by the operations of the rules of the common law geschützt. Weniger klar E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 518 ff. Hier wird zwar die Liberty of Discussion wie ein Verfassungsprinzip diskutiert, deren faktisches Ausmaß jedoch durch die faktischen Beschränkungen mittels (einfach-)gesetzlicher Regelungen und Entscheidungen des law of libel beschrieben. Überhaupt scheint die Grenze zwischen der Beschreibung verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Regelungen hier fließend. In Sir William Holdsworths History of English Law wurden diese Entscheidugen im Rahmen des Common Law als Beispiele für ein constitutional right of Englishmen betrachtet. Sir William Holdsworth, A History of English Law X (1938) 695. Für ein Verfassungsrecht scheint folgender Halbsatz in der Dissenting Opinion von Lord Fraser of Tullybelton in Secretary of State v. Guardian Newspapers Ltd. zu sprechen: … especially in a matter of this kind [Anm.: Section 10 des Contempt of Court Act 1981] where there is a flavor of constitutional right of freedom of expression. Eindeutiger ist folgende Formulierung von Lord Scarman (ebenfalls eine Dissenting Opinion) zum selben Fall, ebenfalls zu Section 10: … true interpretation of a section which has constitutional significance in that its purpose is to support for the benefit of the public the existence of “a truly effective press.” Die Opinion von Lord Diplock ging allerdings in eine andere Richtung: … I do not think that the process of ascertaining the true construction of the section is advanced by dubbing this a “constitutional right.” Secretary of State for Defence v. Guardian Newspapers Ltd. (1984) 3 All E.R 603, 614, 616. Eric Barendt schloss aus der Argumentation des House of Lords in Derbyshire, dass die robusten Aussagen von Lord Keith jedenfalls im Kontext regierungskritischer Meinungsäußerung nun den Status eines quasi-verfassungsrechtlichen Prinzips nahelegen würden, was die vorherige Existenz eines solchen Prinzips uU infrage stellt. Siehe Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 450. Ein gewichtiges Indiz für ein constitutional right auf Meinungsäußerungsfreiheit ist die Argu-

132 Hauptteil als auch dessen Mangel549 Ansatzpunkte. Traditionell war die Meinungsäußerungsfreiheit bis zum Human Rights Act 1998 wie andere Grundfreiheiten (fundamental freedoms) in der britischen Verfassungslehre vorwiegend als merely residual in character betrachtet worden, ohne positiven Status und auf jene Gebiete beschränkt, in welchen keine Regel ihre Anwendung behinderte.550 Dies traf

mentation in R v. Lord Chancellor, ex p. Witham aus 1997: Bei der Frage nach einem Verfassungsrecht auf access to the courts, welches bejaht wurde, war ein Hauptargument der Vergleich mit der Freiheit auf Meinungsäußerung. Zwar wurde das Prinzip des access to the courts scheinbar als noch gewichtiger erachtet, die Formulierung (I cannot think that the right of access to justice is in some way a lesser right than that of free expression) lässt jedenfalls auf eine Anerkennung der Meinungsäußerungsfreiheit als constitutional right schließen. R. v. Lord Chancellor, ex p. Witham (1997) 2 All E.R. 779. Eine implizite Anerkennung erfolgte auch durch die Concurring Opinion von Lord Steyn in Reynolds v. Times Newspapers, in der er die Ansicht vertrat, durch den Human Rights Act sei [t]he constitutional dimension of freedom of expression … reinforced worden. Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 628. In R v. Shayler (2002) 2 All E.R. 477 (H.L.) RZ 21. spricht Lord Bingham of Cornhill von einem fundamental right of free expression, welches im Common Law seit very many years anerkannt sei. In der offiziellen Review of the Implementation of the Human Rights Act schien man jedenfalls von einer allmählichen Anerkennung eines Verfassungsprinzips in der Periode zwischen der Ratifikation der EMRK und dem Inkrafttreten des Human Rights Act auszugehen: … the law of libel has been profoundly influenced by the increasing recognition of a “constitutional right” of freedom of expression, mirroring Article 10 of the European Convention. Department for Constitutional Affairs (dca), Review of the Implementation of the Human Rights Act (2006) 11. Ebenso eindeutig, wenngleich ebenfalls zeitlich nach dem Inkrafttreten des Human Rights Act angesiedelt, stellte LJ Laws in R (ProLife Alliance) v. BBC (A.C.) nach einer Untersuchung Anerkennung von constitutional rights durch das Common Law, dass die freedom of expression plainly such a constitutional right sei. R (ProLife Alliance) v. British Broadcasting Corporation (2002) 2 All E.R. 773 (A.C.). Für die Anerkennung als constitutional right vor dem HRA siehe auch Colin Turpin, British Government and the Constitution5 (2002) 158. 549 Siehe etwa O. Hood Phillips/Paul Jackson, Constitutional and Administrative Law8 (2001) 571; Andrew Nicol/Gavin Millar/Andrew Sharland, Media Law and Human Rights (2001) 6 f; Eric Barendt, Spycatcher and Freedom of Speech, P.L. 1989, 212. Siehe dazu auch der High Court of Australia in Nationwide News Pty. Limited v. Wills (1992) 177 CLR 40 ff. 550 Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 459. Siehe dazu auch Alan Boyle, Freedom of expression as a public interest in English Law, P.L. (1982) 574. Stephanie Palmer, Protecting Journalist’s Sources: Section 10, Contempt of Court Act, P.L. (1992) 61 f. Siehe dazu etwa auch John Marston/Richard Ward, Commentary on Constitutional and Administrative Law4 (1997) 165; Irving Stevens, Constitutional and Administrative Law3 (1996) 115 ff; John Alder, Constitutional and Administrative Law2 (1994) 319 ff. Siehe auch Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 132 ff; J.A. Corry/Henry J. Abraham, Elements of Democratic Government4 (1964) 241.



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vor 1998 allerdings auf die Mehrzahl der rights of Englishmen zu.551 Eine Problematik der Feststellung eines entsprechenden Verfassungsprinzips liegt in der grundverschiedenen Systematik des Grundrechtsschutzes nach dem ursprünglichen System des common law. Denn das Common Law verwendet(e)552 nicht die Sprache von constitutional rights, da in Ermangelung of any sovereign text, a written constitution which is logically and legally prior to the power of legislature, executive and judiciary alike, there is on the face of it no hierarchy of rights such that any one of them is more entrenched by the law than any other. And if the constitutional right is to have any meaning, it must surely sound in the protection which the law affords to it.553 Der letzte Satz ist gewissermaßen der Ansatzpunkt der rechtshistorischen Analyse des britischen Rechts vor 1998, der Versuch, Ausmaß und Grenzen des Verfassungsprinzips anhand einer Analyse wichtiger Fälle in den das Recht auf politische Meinungsäußerungsfreiheit bzw. Meinungsäußerungsfreiheit generell besonders tangierenden Bereichen des Common Law herauszuarbeiten.554 Diese Methode der Analyse wird durch die folgende Charakterisierung des verschiedenen Grundrechtsverständnisses in Großbritannien (bzw. England) und Belgien durch A.V. Dicey unterstützt: … in Belgium individual rights are deductions drawn from the principles of the constitution [wie dies seit dem Human Rights Act nun auch in Großbritannien weitgehend der Fall ist]555, whilst in England the so-called principles of the constitution are inductions or generalisations based upon particular decisions pronounced by the courts as to the rights of given individuals.556 551 Siehe dazu etwa Colin Turpin, British Government and the Constitution (1985) 92 ff. 552 Wie in den Folgekapiteln gezeigt werden wird, hat diese Formulierung seit den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts rechtshistorischen Charakter. 553 Das Gericht akzeptierte in diesem Fall ausdrücklich ein common law constitutional right auf access to the courts. R v. Lord Chancellor, ex p. Witham (1997) 2 All E.R. 783. (Q.B.). 554 Siehe dazu insbesondere auch Sir William Holdsworth, A History of English Law X (1938) 695; wodurch der Grund für die aus kontinentaleuropäischer Verfassungsrechtsperspektive vielleicht unklare Methode verdeutlicht wird: The effect of the action of Parliament in 1694 upon the evolution of this right, is the same as the effect of the destruction of the jurisdiction of the Council and Star Chamber, and the Revolution of 1688, upon the evolution of many other constitutional rights of Englishmen. Because those rights were left to be developed by the machinery and in accordance with the principles of the common law, they were stated, not as abstract principles of the subject, but, like other common law rights, as deductions from the principles and rules, substantive and adjective, of the common law. Their exact content was developed by decided cases. Aus genau diesem Grund ist eine Feststellung des Ausmaßes des Rechts vor dem HRA 1998 nur durch eine Fallanalyse im Bereich des Common Law möglich. 555 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.4. 556 Siehe Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 402; sowie

134 Hauptteil Der klassische Zugang zur Meinungsäußerungsfreiheit wurde jedoch bereits spätestens in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend zurückgedrängt. Dies fand seinen Anfang lange vor der Inkorporation der EMRK durch den Human Rights Act auf Grund der richterlichen Bereitschaft, das Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit als solches ausdrücklich zur Beschränkung anderer Regeln des Common Law heranzuziehen.557 Ob und inwieweit im Bereich der political speech eventuell bereits zuvor eine (wenn auch nicht ausdrückliche) Abwägung mit den Prinzipien der Meinungsäußerungsfreiheit bestand, soll in dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Ausgangspunkt der Analyse des Schutzes der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit vor 1998 ist also primär die Suche nach der Verwendung eines, wenn auch vergleichsweise schwachen, Prinzips der Meinungsäußerungsfreiheit in der Judikatur unter besonderer Berücksichtigung des Bereichs der political speech. Diese Suche erfolgt im Sinne der Definition von Alan Boyle aus 1982: Danach existierte zwar kein Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit mit der starken Stellung wie in den Vereinigten Staaten oder anderen Staaten mit einer geschriebenen Verfassung. Es existierte hingegen sehr wohl in einer schwächeren Stellung als von der Rechtsprechung berücksichtigtes Rechtsprinzip.558 Für diesen Ansatz spricht auch die zunehmende Akzeptanz eines Verfassungsrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit (jenseits einer reinen residual freedom) noch vor Inkrafttreten des Human Rights Act.559 Folglich soll kein Überblick über die allgemeine britische Gesetzeslage bzw. Judikatur zum Recht der schriftlichen und mündlichen Diffamierung (libel und slander) im Sinne einer demonstrativen Aufzählung der diversen BeschränRobert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 119 f. 557 Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. (1993) 460. 558 There is of course no right to freedom of expression in the strong sense in which rights are found in the United States Constitution or in many other written constitutions with guaranteed rights, but there is a weaker sense in which a right to freedom of expression does exist and where it is not merely residual in character. In this weaker sense, freedom of expression is judicially protected as a principle which may be taken into account, as a public interest, to limit the application of some other principles whose operation would disproportionately impair the free expression of views, ideas or information. Alan Boyle, Freedom of expression as a public interest in English Law, P.L. (1982) 574. 559 Siehe dazu etwa Secretary of State for Defence v. Guardian Newspapers Ltd. (1984) 3 All E.R 603, 614, 616; R v. Lord Chancellor, ex p. Witham (1997) 2 All E.R. 779; Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 628; Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. (1993) 450; Department for Constitutional Affairs (dca), Review of the Implementation of the Human Rights Act (2006) 11.



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kungen durch die Gesetze und das Common Law geleistet werden.560 Denn durch eine derartige (zwangsläufig demonstrative) Aufzählung verschiedenster einfachgesetzlicher und Common-Law-Regelungen, welche de facto eine Beschränkung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit darstellten, wäre für eine Analyse der britischen Verfassungsentwicklung im Bereich der political speech wenig gewonnen. Vielmehr soll gezielt die Existenz und das Ausmaß des Prinzips der Meinungsäußerungsfreiheit insbesondere in politischen Belangen in ihrer rechtshistorischen Entwicklung anhand der Entwicklung der Einreden zum law of libel, vor allem des privilege und des fair comment geprüft werden.561 Dadurch wird auch eine bessere Demonstration der rechtshistorischen Vorbedingungen für die Entwicklung nach dem Human Rights Act und ein klareres Bild von dessen Auswirkungen möglich. In diesem Bereich wird auch das Ergebnis der Balance zwischen dem Interesse am Schutz vor diffamierenden Behauptungen einerseits und dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit andererseits besonders deutlich. Die Darstellung der allgemeinen Grundlagen ist dabei insofern unentbehrlich, als erst dadurch das Ausmaß der Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in modernen Urteilen, in welchen häufig das System der privilege zu deren Schutz verwendet oder zumindest erwägt wurde, klar erkennbar wird.562 Eine mit dem kontinentaleuropäischen oder US-amerikanischen System des Grundrechtsschutzes vergleichbare Systematik existiert allerdings erst seit dem Human Rights Act. Doch selbst die Verfassungsqualität des Human Rights Act ist nicht unumstritten,563 und er durchbricht, wie noch gezeigt werden wird, 560 So etwa der klassische Ansatz von Paula Kingston und Colin Imrie im Überblick über die Grundrechte im Vereinigten Königreich und Nordirland in Eberhard Grabitz, Grundrechte in Europa und USA I (1986) 715 ff, insbesonderse 738 f. 561 Denn: Since English Law knows no sovereign text, the idea of a constitutional right has to be forged in the common law. The backdrop to any such idea must be the general rule of the common law, as it applies to private individuals, which is that everything which is not forbidden is allowed. Any elaboration of the notion of constitutional law must not forget this cardinal principle. (Die Quelle stammt aus der Zeit vor dem Human Rights Act.) Siehe Sir John Laws, Meiklejohn, the First Amendment and Free Speech in English Law, in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998) 129. Zu dem System der Einreden zum law of libel siehe Beat Sigel, Über die Grundrechte, insbesondere die Pressefreiheit, in der Schweiz und Großbritannien (1981) 148 ff. 562 Man denke etwa an das in Folge detailliert behandelte Urteil des House of Lords in Reynolds (Siehe Abschnitt III, Kapitel 3.3.1.). 563 Für diese: O. Hood Phillips/Paul Jackson, Constitutional and Administrative Law8 (2001) 571; Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 384; Bernd Wieser, Vergleichendes Verfassungsrecht (2005) 52. Siehe dazu auch Lord Steyn in Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 628 f.

136 Hauptteil ebenfalls nicht das Grundprinzip der parliamentary sovereignty.564 Wenn in den Folgekapiteln der Frage der Bindung der Legislative durch das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit kein eigenes Subkapitel gewidmet ist, so liegt dies an jenem zentralen Grundsatz des britischen Verfassungsrechtes, der parliamentary sovereignty.565 Dies wird besonders durch die Zitation von Lord Reids Opinion in Pickin v. British Railways Board deutlich, wonach [t]he idea that a court is entitled to disregard a provision in an Act of Parliament on any ground must seem strange and startling to anyone with any knowledge of the history and law of our constitution.566 Lord Reid schloss auch die Möglichkeit einer Berufung auf ein übergeordnetes Naturrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit ausdrücklich aus: In earlier times many learned lawyers seem to have believed that an Act of Parliament could be disregarded in so far as it was contrary to the law of God or the law of nature or natural justice, but since the supremacy of Parliament was finally demonstrated by the Revolution of 1688 any such idea has become obsolete.567 Dasselbe galt ungeachtet anderer Ansätze auch für die Periode zwischen der Ratifikation der EMRK und ihrer Inkorporation durch den Human Rights Act.568 Eine denkbare Vorbildfunktion von Marbury v. Madison scheitert an einem zentralen Element von dessen Urteilsbegründung.569 Der durch den Human Rights Act geschaffenen 564 Welche als eines der Grundprinzipien der britischen Verfassungsordnung gilt. Siehe etwa Irving Stevens, Constitutional and Administrative Law3 (1996) 10. Dies ist als legislative supremacy of Parliament zu verstehen, und angesichts des Europarechts nicht mehr eindeutig vorhanden. Francis Lyall, An Introduction to British Law2 (2002) 67. Für Blackstone und Dicey war dieses Prinzip jedoch das dominante Merkmal der politischen Institutionen des Landes. Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 33. Für die Deutung durch Albert Venn Dicey siehe auch Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 116 ff, sowie J.A. Corry/Henry J. Abraham, Elements of Democratic Government4 (1964) 239. 565 Zur legislativen Freiheit im Bereich der Grundrechte vor dem HRA siehe etwa auch Paula Kingston/Colin Imrie, Vereinigtes Königreich und Nordirland, in Eberhard Grabitz, Grundrechte in Europa und USA I (1986) 754 ff. 566 Aus der Opinion von Lord Reid in Pickin v. British Railways Board (1974) A.C. 782. 567 Ebenda. 568 Dazu Lord Denning in R v. Secretary of State, ex parte Singh: I would, however, like to correct one sentence in my judgement in Birdi’s case [aus dem selben Jahr]. I said: “If (an Act of Parliament) did not conform (to the convention) I might be inclined to hold it invalid.” That was a very tentative statement, but it went too far. … If an Act of Parliament contained any provisions contrary to the convention, the Act of Parliament must prevail. R v. Secretary of State for Home Affairs and another, ex parte Bhajan Singh (1975) 2 All E.R. 1083. 569 So führte Chief Justice Marshall wie folgt aus: Certainly all those who have framed written (Betonung hinzugefügt) constitutions contemplate them as forming the fundamental and paramount



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britischen Lösung (statement of compatibility, declaration of incompatibility) und deren Rechtsfolgen ein Unterkapitel gewidmet. Die Bindung der Verwaltung durch das Gesetz,570 welches wie gezeigt bis 1918 die Hauptfunktion des österreichischen Verfassungsrechtsschutzes im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit (als partikuläres Legalitätsprinzip) war, sowie der Schutz vor durch die Legislative nicht genehmigter Suspendierung von Gesetzen571 waren hingegen auch im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit durch allgemeine britische Rechtsgrundsätze geschützt.572 Die Systematik des Rechtsschutzes bei Gesetzesverstößen durch die Verwaltung war (und ist) dabei allerdings von der österreichischen Systematik grundverschieden.573 law of the nation, and consequently, the theory of every such government must be, that an act of the Legislature, repugnant to the Constitution, is void. Genau an diesem zentralen Element, einer written constitution, mangelt es dem britischen Recht bis heute. Siehe Marbury v. Madison, 5 U.S. 137, 177 (1803). 570 Beziehungsweise nach britischem Rechtsdenken der Grundsatz, dass alles erlaubt ist, soweit es nicht ausdrücklich gesetzlich verboten ist. Siehe dazu etwa Donaldson M.R. in A.G. v. Guardian (No 2): The starting point of our domestic law is that every citizen has a right to do what he likes, unless restrained by the common law, including the law of contract, or by statute. Siehe dazu auch die Opinion von Lord Goff. Speziell zur Meinungsäußerungsfreiheit siehe die Opinion von Lord Keith. Attorney General v. Guardian Newspapers Ltd (No.2) (1988) 3 All E.R. 596, 640, 660. Dem partikulären Legalitätsprinzip im ursprünglichen Sinne des Art 13 StGG stand also im britischen Recht ein allgemeines Verbot eines Eingriffs in die Freiheiten des Bürgers außer auf dem Boden des Common Law oder eines Gesetzes gegenüber. 571 Wobei in Österreich bis 1918 auch Art 13 StGG selbst wiederholt suspendiert und dieses Recht häufig in verfassungsrechtlich fragwürdiger Weise durch die Regierung angewandt wurde. Siehe Gernot D. Hasiba, Das Notverordnungsrecht in Österreich (1985) 46 ff. 572 Siehe dazu insbesondere Judge Avory in Chester v. Bateson (1920) 1 K.B. 835 ff. Die Bedeutung dieser allgemeinen Bindung an das Gesetz für den Grundrechtsbereich (insbesondere in der Situation vor dem Human Rights Act) wurde etwa auch von Paula Kingston und Colin Imrie im Länderbericht über die Grundrechtssituation im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland betont: Da die Grundrechte nicht durch eine Verfassung im formellen Sinne gewährleistet oder durch besondere Verfahrensgarantien geschützt werden, lässt sich die Frage nach der Bindung der Träger öffentlicher Gewalt an die Grundrechte nicht von der allgemeineren Frage der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalten überhaupt trennen. Paula Kingston/Colin Imrie, Vereinigtes Königreich und Nordirland, in Eberhard Grabitz, Grundrechte in Europa und USA I (1986) 754. 573 Zum System des Rechtsschutzes und dem Ausmaß des erlaubten Ermessens der Verwaltungsbehörde in Großbritannien siehe etwa Lord Greene, M.R.: …the conditions which, under the exercise of that executive act, may be imposed are in terms, so far as the language goes, put within the discretion of the local authority without limitation. ... the statute provides no appeal from the decision of the local authority. What, then, is the power of the courts? They can only interfere with an act of executive authority if it be shown that the authority has contravened the law. It is

138 Hauptteil Da sich diese Arbeit mit der britischen Verfassung beschäftigt, in den Materialien und einigen Zitaten aber wiederholt von einer englischen Verfassung die Rede ist (wobei in einigen Quellen die Termini englische und britische Verfassung wie austauschbare Begriffe verwendet werden) ist eine kurze Begriffsklärung erforderlich. Dazu ist in aller gebotenen Kürze darauf hinzuweisen, dass Wales bereits 1284 von der englischen Krone annektiert wurde, während das Vereinigte Königreich von Großbritannien 1707 durch die Acts of Union entstand. Dabei wurden die Parlamente Schottlands und Englands vereinigt, wobei Schottland weiterhin über eine eigene etablierte Kirche, ein eigenes Gerichtssystem sowie ein eigenes Zivilund Strafrecht verfügte.574 Die fortschreitenden Föderalisierungstendenzen sowie Besonderheiten des schottischen Rechts werden hier nur insoweit behandelt, als sie mit dem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit in unmittelbarem Konnex stehen. Ungeachtet dieser neueren Rechtsentwicklung in Richtung Regionalisierung (devolution)575 kann jedenfalls immer noch von einer britischen Verfassung gesprochen werden.576 Dass dennoch vielfach von einer englischen Verfassung die Rede ist, kann darauf zurückgeführt werden, dass the constitutional arrangements of the United Kingdom and Northern Ireland are commonly thought of as “English“ for those who assert that the local authority has contravened the law to establish that proposition. … the court, whenever it is alleged that the local authority have contravened the law, must not substitute itself for that authority. … it must always be remembered that the court is not a court of appeal. … It is true to say, if a decision on a competent matter is so unreasonable that no reasonable authority could ever have come to it, then the courts can interfere. Associated Provincial Picture Houses Ltd. v. Wednesbury Corporation (1948) 1 K.B. 228 ff. Auffallend ist dabei die Ähnlichkeit der im letzten zitierten Satz genannten Formel zur Prüfung auf eine denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes durch den VfGH in Österreich. Lord Diplock akzeptierte in Folge zwar den Test der Wednesbury unreasonableness, behandelte ihn aber unter dem Oberbegriff der irrationality. Siehe Council of Civil Service Union v. Minister for the Civil Service (1985) 1 A.C. 407 ff, insbesondere 410 f. Siehe dazu insbesondere auch Lord Donaldson of Lymington M.R. in Reg. v. Home Secretary, Ex p. Brind (1991) (H.L.(E.)) 1 A.C. 721 ff. Zu den Besonderheiten der Anwendung des Wednesbury-Tests im Zusammenhang mit Menschenrechten siehe etwa R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance, insbesondere die Opinion von Lord Walker of Gestingthorpe. R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance (2003) 2 All E.R. 977 (H.L.) RZ 131 ff. 574 Stanley de Smith/Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law8 (1998) 49. 575 Siehe dazu etwa David Pollard/Neil Papworth/David Hughes, Constitutional and Administrative Law3 (2001) 30 ff. Zum Zusammenhang zwischen devolution und der EMRK siehe Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 153 ff. 576 Siehe dazu etwa Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 26 ff.



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rather than “British.” 577 Das dies mitunter auch auf eine imperiale Sicht zurückzuführen ist oder war, wird etwa durch Blackstones Systematik der Behandlung der Stellung von Wales, Schottland und Irland unter dem Kapitel Of the Countries Subject to the Laws of England deutlich,578 welche etwa John B. Baylys in seinen Commentaries of the Laws of England aus 1840579 oder Samuel Warren 1855 bei seiner Überarbeitung von Blackstones Commentaries übernahmen.580

3.2 Die Entwicklung bis zur EMRK Die Wurzeln des privilege der freien Meinungsäußerung im Parlament reichen bis in das Mittelalter zurück,581 die moderne Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit beginnt hingegen in der Neuzeit. 1629 wurde in Sir John Eliot’s Case eine Verurteilung wegen aufrührerischer Worte im House of Commons im House of Lords aufgehoben.582 Mit der Bill of Rights 1689 wurde dieser Grundsatz im britischen Verfassungsrecht fest verankert583 und damit ein – wenn auch auf das Parlament beschränktes – verfassungsrechtlich geschütztes freies Forum für politischen Diskurs geschaffen.584 577 Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 18. 578 Samuel Warren, Blackstone’s Commentaries, systematically abridged and adapted to the existing State of the Law and Constitution (1855) Notice zu Beginn des Buches iVm 70 ff. 579 John Bethune Bayly, Commentaries of the Laws of England (1840) 11 ff. 580 Samuel Warren, Blackstone’s Commentaries, systematically abridged and adapted to the existing State of the Law and Constitution (1855) 70 ff. 581 Haxey’s Case aus 1397 sowie Strode’s Case. Siehe E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 151. Siehe dazu auch William Blackstone, Commentaries on the Laws of England I (1979) 159 ff. 582 Ebenda 151. Für die dahin führende Entwicklung siehe Sir David Lindsay Keir, The Constitutional History of Modern Britain Since 14856 (1960) 44 ff, sowie W.S. Holdsworth, A History of English Law3 IV (1945) 178 ff; W.S. Holdsworth, A History of English Law2 VI (1937) 96 ff. 583 That the freedom of speech and debates or proceedings in Parlyament ought not be impeached or questioned in any court or place out of Parlyament. Ernst Keller, Die englischen Freiheitsrechte des 17. Jahrhunderts (1962) 27. Siehe auch E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 151. 584 Dies galt gemäß Gipps v. McElhone und Chenard & Co. V. Joachim Arissol als inherent necessity auch für Legislativen in den Kolonien. Chennard & Co. v. Arissol (1949) A.C. 127. Zur Wirkung der parliamentary privilege im Bereich von defamation siehe Hamilton v. Al Fayed (2000) 2 All E.R. 224 f, 230 ff. (H.L.) Siehe dazu grundsätzlich auch E.C.S. Wade, A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 523.

140 Hauptteil Dieses Privileg stand dem Parlament zu und war nicht als individuelles Recht des Parlamentariers zu sehen.585 Ein allgemeines Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit war hingegen vom Parlament in der Petition of Right 1628 nicht gefordert worden und findet sich weder in der Habeas Corpus-Akte aus 1679 noch in der Bill of Rights 1689 oder dem Act of Settlement 1701.586 Bis zum Human Rights Act 1998 existierte im britischen Recht überhaupt keine allgemeine gesetzliche Garantie der Meinungsäußerungsfreiheit.587 Seit dem Ende der systematischen Vorzensur durch das Auslaufen der diese regelnden Licensing Acts 1695588 bestand die wesentlichste Beschränkung der politischen Meinungsäußerung im libel law, sowohl im law of defamation wie auch in der criminal libel.589 Das Auslaufen der Licensing Acts war allerdings nicht primär das Resultat einer Forderung der Öffentlichkeit nach einer freien Presse.590 Zur Vorzensur im politischen Bereich anerkannte das Unterhaus allerdings bereits 1766, dass politische Druckschriften erst nach einer Verurteilung wegen derselben beschlagnahmt werden können, während etwa 1857 eine Beschlagnahmung obszöner Bücher und Bilder ohne vorherige Verurteilung gesetzlich vorgesehen wurde.591 Auch im ersten Buch der Erstausgabe von William Blackstones Commentaries on the Laws of England aus 1765 über die Rechte der Personen ist das 585 Siehe etwa Church of Scientology of California v. Johnson-Smith: It is quite plain of course, that the privilege of Parliament is the privilege of Parliament as a whole and not the privilege of any individual member. Church of Scientology v. Johnson-Smith (1972) 1 All E.R. 378 ff. Zur Besprechung im Parlament behandelter Themen außerhalb des Parlaments siehe ebenda. Für eine ausführliche Behandlung der parlamentarischen Redefreiheit siehe etwa Patricia M. Leopold, Freedom of speech in parliament – its misuse and proposals for reform, P.L. (1981) 30 ff. 586 Ernst Keller, Die englischen Freiheitsrechte des 17. Jahrhunderts (1962) 7 ff. 587 Siehe etwa Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev 16 (2002) 265. 588 Albert Venn Dicey in Albert Venn Dicey/E.C.S. Wade, Introduction to the Study of the Law of the Constitution9 (1948) 577; E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 519; Geoffrey Marshall, Press Freedom and Free Speech Theory, P.L. (1992) 40; Sir William Holdsworth, A History of English Law X (1938) 695. 589 E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 518 ff. So etwa auch Lord Justice Scarman in A.G. v. Times Newspapers Ltd.: Speech is free subject to the safeguards of the law of libel and slander; A.G. v. Times Newspapers LTD. (1973) 1 Q.B. 746. 590 Albert Venn Dicey/E.C.S. Wade, Introduction to the Study of the Law of the Constitution9 (1948) 577. 591 Eduard Fischel, Die Verfassung Englands2 (1864) 92.



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Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nur bei der Beschreibung parlamentarischer Privilegien zu finden.592 Unter dem Kapitel über die absolute rights of individuals findet sich folgende, für das Verständnis des britischen Ansatzes zentrale Passage: Political therefore, or civil, liberty, which is that of a member of society, is no other than natural liberty so far restrained by human laws (and no farther) as is necessary and expedient for the general advantage of the publick.593 Jede Beschränkung der Freiheit des Subjekts sei ein Grad von Tyrannei, aber die Kontrolle privater Neigungen in einem oder zwei bestimmten Punkten sichere erst die allgemeine Freiheit in anderen. Allerdings setzte Blackstone ein legitimes Ziel eines Gesetzes voraus,594 womit bereits fast 200 Jahre vor der EMRK deren wesentlichen Elemente (im Sinne einer allgemeinen, nicht auf spezielle Grundrechte beschränkten Freiheit) rudimentär im britischen Rechtsdenken verankert waren. Dies erklärt das lange herrschende britische Rechtsverständnis595 des Einklangs der Konvention und des Common Law. Das right of personal security bestand nach Blackstone im rechtlichen und ungestörten Genuss von Leben, Gliedmaßen (limbs), Körper, Gesundheit und Ruf. Das Recht auf persönliche Freiheit hingegen aus der power of loco-motion, of changing situation, or removing one’s person to whatever place one’s own inclination may direct.596 Ferner hob Blackstone die Eigentumsfreiheit hervor.597 Die zurückhaltende Position Blackstones zur Meinungsäußerungsfreiheit geht auch aus seinem Zugang zum libel law hervor, wonach der Wahrheitsbeweis nur im Fall einer Zivilklage zulässig sei, denn: it is immaterial with respect to the offence of a libel, whether the matter of it be true or false, since the provocation, and not the falsity, is the thing to be punished criminally.598 Ein gewisser Ansatz für den Schutz der oder zumindest einer Achtung für die Meinungsäußerungsfreiheit ist hingegen Blackstones Feststellung, die libel laws seiner Zeit seien eher mit dem Mittelalter römischer Jurisprudenz vergleichbar, when liberty, learning and humanity were in their full vigor, than with the cruel edicts that were established in the dark and tyrannical ages of the ancient decemviri, or the later emperors.599 592 William Blackstone, Commentaries on the Laws of England I (1979) 159 ff. 593 Ebenda 121. 594 Ebenda 122. 595 Dazu in den Folgekapiteln. 596 Ebenda 125, 130. 597 Ebenda 134 ff. 598 William Blackstone, Commentaries on the Laws of England IV (1979) 150. 599 Ebenda 151.

142 Hauptteil Auch wenn Blackstone kein individuelles Recht auf politische oder sonstige Meinungsäußerung im modernen Sinn statuierte, bezeichnete er die Pressefreiheit als indeed essential to the nature of a free state. Diese Pressefreiheit bestand jedoch allein im Schutz vor einer Vorzensur (previous restraints). Hervorzuheben ist dabei die Begründung für die Ablehnung der Vorzensur mit dem Argument, diese würde einen Mann zu einem willkürlichen und unfehlbaren Richter über alle Punkte des Lernens, der Religion und des Staates machen. Der Wille des Einzelnen bleibe frei, nur eben die Missbräuche seien Gegenstand der rechtlichen Verfolgung. Auch das Argument, dass der einzig annehmbare Grund für die Beschränkung der Presse die Notwendigkeit der Vorbeugung eines täglichen Missbrauchs sei, erinnert an moderne Abwägungen. Erstaunlich ist dabei, dass Blackstone die Strafen und beschränkten Verteidigungssysteme in keiner Weise als Beschränkung der Pressefreiheit zu betrachten schien, sondern als notwendige Begrenzungen deutete.600 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts existierte eine weite Kluft zwischen den Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit durch das law of libel und den vorherrschenden politischen Meinungen und Idealen. Das durch das bestehende Recht erlaubte Ausmaß legitimer Kritik und politischer Diskussion wurde als unzureichend bewertet. Als Reaktion erfolgte 1792 (Fox’s Act) die bis heute bedeutende Ausweitung der Kompetenzen der Geschworenen, wodurch das Recht mit den herrschenden Vorstellungen in Einklang gebracht werden sollte.601 Dahin gehende Forderungen und Tendenzen existierten allerdings bereits seit 1731. In R v. Owen aus 1752 wurde Letzterer wegen einer politischen Kritik angeklagt. Die Geschworenen missachteten die Instruktionen des Richters und sprachen Owen frei. 1770 hatte eine Anklage wegen des Verkaufs eines regierungskritischen Werks (R v. Almon) zu einer Verurteilung geführt. Im selben Jahr erfolgte jedoch hinsichtlich des Druckens und Veröffentlichens desselben Werks602 ein Freispruch durch die Geschworenen. Lord Mansfield wurde in Folge in beiden Häusern des Parlaments für seine Instruktionen an die Geschworenen in diesen Fällen kritisiert.603 Bereits 1771 war ein Gesetzesentwurf gescheitert, durch welchen die Geschworenen die Möglichkeit erhalten hätten, eine general verdict zu geben. Edmund Burke hatte in seiner den Gesetzesentwurf unterstützenden Rede darauf verwiesen, dass das Recht nach der Interpretation der Richter sämtliche freie Diskussion 600 Ebenda 151 ff. 601 Sir William Holdsworth, A History of English Law X (1938) 672 ff. 602 Anm: Angeklagt waren die Herren Miller und Woodfall. 603 Ebenda 674 ff.



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bezüglich des Handelns der Regierung unterdrücke und folglich auch von jenen, welche am meisten durch die Zügellosigkeit der Presse aufgebracht seien, kaum bestritten werden könne.604 Die Änderungen des Prozessrechts im Bereich des law of libel durch Fox’s Act waren allerdings nicht mit einer Veränderung des materiellen Rechts verbunden.605 Bemerkenswert ist die Verteidigung von Thomas Paine durch Thomas Erskine in R v. Paine aus 1792, da dieser seine Forderung auf Meinungsäußerungsfreiheit keineswegs auf dem Naturrecht aufbaute, sondern diese mit der Regierungsform in Verbindung setzte und viel von der modernen Begründung für die besondere Bedeutung von political speech vorwegnahm. Das Naturrecht (unalienable right), auf welches er sich dabei berief, war jenes der Bevölkerung, ihre Regierungsform zu reformieren oder zu ändern.606 Das seit 1695 vorherrschende Fehlen einer systematischen Vorzensur wurde ungeachtet der Konsequenzen einer Veröffentlichung durch das law of libel bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert als Pressefreiheit betrachtet, wie folgendes Zitat von Lord Mansfield aus 1783 verdeutlicht: To be free is to live under a government of law. The liberty of the press consists in printing without previous license, subject to the consequences of law.607 Im 19. Jahrhundert erfolgte eine weitere Zurückdrängung der gesetzlichen Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit, wobei dies weitgehend auf den geistigen Einfluss Jeremy Benthams zurückzuführen war.608 Dicey kam so bereits an der Wende zum 20. Jahrhundert (1898/1905) zu dem Schluss, dass der moderne Liberalismus Mitte des 19. Jahrhunderts alle effektiven rechtlichen Beschränkungen freier Diskussion behoben und seit jener Zeit praktisch einen Zustand der Meinungsäußerungsfreiheit hergestellt habe, welcher fast dem von John Stuart Mill in On Liberty geforderten 604 Ebenda 689. 605 Ebenda 692. 606 I have insisted at great length on the origin of government … because I consider it to be not only an essential support, but the very foundation of the liberty of the press. … If people have, without possible recall, delegated all their authorities, they have no jurisdiction to act, and therefore none to think or write upon such subjects; and it would be a libel to arraign government or any of its acts, before those who have no jurisdiction to correct them. But … no legal argument can shake the freedom of the press in my sense of it, if I am supported in my sense of it, if I am supported in my doctrines concerning the great unalienable right of the people to reform or change their governments. It is because the liberty of the press resolves itself into this great issue, that it has been in every country the last liberty which subjects have been able to wrest from power. Other liberties are held under government, but the liberty of opinion keeps governments themselves in due subjection to their duties. Siehe ebenda 672 f. 607 Ebenda 692. 608 Albert Venn Dicey, Law and Public Opinion in England (1905) 203.

144 Hauptteil entspreche.609 Für diese Einschätzung spricht auch, dass Samuel Warren in der 1855 erschienenen überarbeiteten Fassung Blackstone’s Commentaries den originalen Text Blackstones bezüglich der absolute rights of the inhabitants of Great Britain um den folgenden Absatz ergänzte, der sowohl den Zustand des Rechts als auch die vorherrschende Einstellung zur Meinungsäußerungsfreiheit widerspiegelt: Finally, a British subject is free as the air to say, write, print, and publish, whatever he pleases, provided, however, it does not injure, or tend to injure, individuals, or the public, or blasphemously offend Almighty God. Whether a man be liable to any of these imputations, depends on the established law of the land, and the opinion of an impartial jury of his equals. Words are not weighted, however, in England, in golden scales, or stretched on the rack of a capricious, corrupt or tyrannical censorship: but the liberty of the press is regarded as the very atmosphere of freedom – the grand safeguard of all other liberties.610 Der letzte Satz zeigt auch die Einordnung der Meinungsäußerungsfreiheit als conditio sine qua non für eine freie Gesellschaft auf. Henry Lord Brougham nannte in seinem 1861 erschienenen Werk über die britische Verfassung drei zentrale Rechte, welche er als reserved powers of the people bezeichnete.611 Darunter fielen der Einfluss der Presse, der Einfluss öffentlicher Versammlungen sowie der Einfluss von Geschworenen im Rechtsvollzug. Er betonte vor allem die Bedeutung der Presse im Zusammenhang mit der Kontrolle der Regierung und der furchtlosen Offenlegung von Fehlern des politischen Systems, warnte zugleich aber auch vor den diversen negativen Folgen. Ein besonders verheerendes Urteil über die Wirkung der unsicheren libel laws dieser Zeit im Sinne eines chilling effect ergab sich aus der von Brougham beschriebenen gelegentlichen Präferenz einer Vorzensur (censorship) durch die Presse, um keine Verfolgung durch das law of libel zu riskieren. Insgesamt ist die Einschätzung der Pressefreiheit im Sinne eines für die Gesellschaft als solche und die Information der Menschen wichtiges Instrument und nicht primär als individuelles Recht hervorzuheben.612 Die Bedeutung der Presse für das britische System hob später etwa Wilhelm Dibelius hervor. In seiner durch die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs und den deutschen Fehleinschätzungen bezüglich der Verhaltensweisen dieses Landes bedingten Analyse Englands schloss er, dass die englische Verfassung jener Zeit auf zwei Pfeilern ruhe: der starken 609 Ebenda 203 f. 610 Samuel Warren, Blackstone’s Commentaries, systematically abridged and adapted to the existing State of the Law and Constitution (1855) 111. 611 Henry Lord Brougham, The British Constitution (1861) 109 ff. 612 Ebenda.



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Gewalt des leitenden Staatsmannes und die durch den politischen Diskurs und die freie Presse geformte öffentliche Meinung.613 Die Existenz eines Grundrechts im US-amerikanischen oder europäischen Sinne lehnte jedoch Sir Ivor Jennings noch 1933 nachdrücklich ab. Zwar seien die Prinzipien der amerikanischen Bill of Rights oder der französischen Deklaration der Menschenrechte unumstritten, aber [t]here is no more a “right of free speech” than there is a “right to tie up my shoe-lace;” or, if there is a right of free speech, than there is a right to tie up my shoe-lace. Das Recht sei demnach die Gegenseite der Regeln des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts. Jedermann könne sagen, was er will, vorausgesetzt, er verletzte dabei nicht die Gesetze von treason, sedition, libel, blasphemy usw. Für Jennings lag die Meinungsäußerungsfreiheit wie andere Freiheiten im principle of legality begründet.614 Jennings Auffassung entsprach damit weitgehend der kontemporären österreichischen Auslegung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit, in der in Folge zu besprechenden Judikatur finden sich jedoch zahlreiche Ansätze eines darüber hinausgehenden Rechtsverständnisses. Inwieweit sich vor dem Einfluss der EMRK/des EGMR innerhalb des law of libel ein ungeschriebenes Verfassungsprinzip der Meinungsäußerungsfreiheit entwickelt hat bzw. inwiefern dieses durch faktisch geschaffene Freiräume ausgedrückt wird, soll in der folgenden Untersuchung erörtert werden. Jedenfalls war in dieser Periode des britischen Verfassungsrechts die Meinungsäußerungsfreiheit grundsätzlich assured similarly merely by the rule that a man may say or write anything he pleases, subject to liability to punishment if he is guilty of sedition, that is exciting disaffection against the government or of libeling any person, and that whether he is guilty of any of these offences will be decided by a judge and jury, or at any rate by a court of law.615 Ob jedoch im Einzelfall ein privilege vorlag, entschied der Richter.616 613 Wilhelm Dibelius, England I5 (1929) XI ff, 420 ff. Zur britischen kontemporären Perspektive vergleiche dazu etwa H.R.G. Greaves, Die britische Verfassung (1951) 193 ff. 614 Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 123 ff. 615 A. Berriedale Keith, The Constitution, Administration and Laws of the Empire (1924) 139. Drastischer formulierte dies Dicey in einem viel zitierten Zitat: freedom of discussion is, then, in England little else than the right to say anything which a jury consisting of twelve shopkeepers think it expedient should be said or written. Albert Venn Dicey in Albert Venn Dicey/E.C.S. Wade, Introduction to the Study of the Law of the Constitution9 (1948) 576. Siehe dazu auch Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 35. 616 Siehe Adam v. Ward (1917) A.C. 309. Siehe ferner etwa Minter v. Priest (1930) A.C. 558. Zur

146 Hauptteil 3.2.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die Meinungsäusserungsfreiheit Eine allgemeine Formel zur Abgrenzung von geschützter und nicht geschützter Meinungsäußerung enthielt Toogood v. Spyring aus 1834, die wegen ihrer fundamentalen Bedeutung617 hier ungekürzt wiedergegeben wird: In general, an action lies for the malicious publication of statements which are false in fact, and injurious to the character of another (within the well known limits as to verbal slander), and the law considers such publications as malicious, unless it is fairly made by a person in discharge of some public or private duty, whether legal or moral, or in the conduct of his own affairs, in matters where his interest is concerned. In such cases, the occasion prevents the interference of malice, which the law draws from unauthorized communications, and affords a qualified defence depending upon the absence of actual malice. If fairly warranted by any reasonable occasion or exigency, and honestly made, such communications are protected for the common convenience and welfare of society.618 Diese Formel bildet die Grundlage für sämtliche in Folge besprochenen Urteile über den Bereich der privileged communication.619 Wenn in Folge von der Existenz eines privilege gesprochen wird, sind stets die genannten generellen Voraussetzungen zu beachten. Eine Sonderstellung politischer Meinungsäußerung war aus Toogood ursprünglich noch nicht abzuleiten, vielmehr zielte die Formel auf einen generellen Schutz grundsätzlichen Kompetenz von Jury und Richter siehe Libel Act 1792. BAILII. Besonders deutlich wird das Gesagte durch Judge Salmon in Burnett etc. v. Sheffield Telegraph etc.: Members of the jury, I tell you – and you must take the law from me – that … . Burnett & Hallamshire Fuel, Ltd. v. Sheffield Telegraph & Star Ltd. (1960), 2 All E.R. 157. Für eine detaillierte Analyse siehe auch die Opinion von Lord Steyn in Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 636 f, sowie Alexander v. Council of Wales and another (2001) 4 All E.R. 205 ff. (C.A.). Siehe dazu auch Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1047 f. 617 Da sämtliche Formen des (qualified) privilege auf die Formel in Toogood v. Spyring zurückzuführen sind. Siehe Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 577. Siehe dazu auch Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 8. Die ungebrochene Aktualität dieser Entscheidung und die Kontinuität der Entwicklung wird auch durch das Direktzitat aus Toogood durch Lord Scott of Foscote in Jameel aus 2006 als Ausgangspunkt seiner Ausführungen über das qualified privilege deutlich. Siehe Jameel and others v. Wall Street Journal Europe (2006) 4 All ER 1279 (H.L.) RZ 127. 618 Toogood v. Spyring (1834) 1 C. M. & R. 180, in 149 E. R. 1049 f. Betonungen hinzugefügt. 619 Sowie die Grundlage der weiteren britischen Judikatur zu diesem Thema. Siehe dazu etwa die Opinion von Earl Loreburn in Adam v. Ward (1917) A.C. 320 oder jene von Lord Justice Scrutton in Watt v. Longsdon (1930) 1 K.B. 142.



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der Meinungsäußerungen bei Ausübung von öffentlichen oder privaten Pflichten sowie bei der Wahrnehmung eigener Interessen ab. Geschützt war auch eine falsche oder auf sehr irrige Informationen basierende unvorteilhafte Beschreibung einer Person im privaten Verkehr, wenn diese aufgrund von bona fide erfolgte.620 Kein privilege genoss gemäß Pullmann v. Hill aus 1891 der Inhalt eines Schreibens, das nicht direkt an den Empfänger geschickt wurde, sondern über dessen Sekretär und damit öffentlich wurde.621 Dies wurde spätestens durch Osborn v. Thomas Boulter & Son aus 1930 relativiert. Danach war auch ein Diktat an eine Schreibkraft privilegiert, solange diese in accordance with the reasonable and usual course of business for a business man war.622 Bereits 1894 war hingegen eine für die Erfüllung seiner Pflicht notwendige und übliche Veröffentlichung eines Anwalts gegenüber seinen Sekretären für geschützt erklärt worden.623 Auch die ehrliche Überzeugung, dass eine solche duty existiert, privilegierte die Kommunikation.624 Nach einer anderen Definition von Lord Esher aus 1891 war eine Situation dann privileged, wenn die Person, von welcher die Kommunikation ausgeht, eine (moralische) Pflicht hat, diese gegenüber der empfangenden Person zu tätigen, und Letztere ein Interesse hat, diese auch zu empfangen.625 Da die 620 Todd v. Hawkins (1837) 8 C. & P. 88 ff. Der Anstoß erregende Brief enthielt unter anderem die Worte: … although I can never think of him in any other light than that of a fraudulent man, I think him much too worthless for resentment, a sentiment I am sure you would coincide with could you view him in his true colors. Dennoch entschied das Gericht im Sinne des Beklagten, denn the defendant acted bona fide, although the imputations contained in the letter were false, or based upon the most erroneous information; and that if the defendant used expressions, however harsh, hasty, or untrue, yet bona fide, and believing them to be true, he was justified in so doing. Communications of this kind (ein privater Brief, durch den eine Auskunft über den Charakter eines potenziellen Ehemanns eingeholt werden sollte) should be viewed liberally by juries, and unless they see clearly that there was a malicious intention of defaming the plaintiff, they ought to find for the defendant. Zu den Grenzen des Schutzes privater Kommunikation siehe auch: Wenman v. Ash (1853) 13 C.B. 836, in 138 E.R. 1432 ff, sowie Laughton v. Bishop of Sodor and Man (1872) 4 L.R. P.C. 495. Zum Schutz der Kommunikation mit einem Anwalt siehe Stevens v. Kitchener (1887) 4 T.L.R. 159 ff. (Nur an den eigenen Anwalt im Brief geäußerte schwere Anschuldigungen gegen einen Arzt waren in Absenz von malice geschützt.) 621 Pullmann v. Hill & Co. (1891) 1 Q.B. 524. 622 Dazu Lord Justice Scrutton: If the principle is as here laid down, the decision in Pullman v. Hill & Co. is merely that in 1890 it was not a usual and reasonable thing for a member of a business firm to dictate a letter containing defamatory statements to, and have it copied by, a clerk. Osborn v. Thomas Boulter & Son (1930) 2 K.B. 226 ff. 623 Boxsius v. Goblet Frères (1894) 1 Q.B. 842. 624 Siehe Laughton v. Bishop of Sodor and Man (1872) 4 L.R. P.C. 495. 625 An occasion is privileged when the person who makes the communication has a moral duty to

148 Hauptteil Meinungsäußerungsfreiheit nach dieser Definition von dem Interesse, diese auch zu empfangen, abhängt, geht diese These wohl nicht von einem Grundrecht auf Ausdrucksfreiheit des Individuums aus. Sehr wohl aber korrespondiert sie mit dem Grundgedanken der dominanten political speech-Theorien, wonach diese gerade wegen des Interesses des Bürgers an Information und Bildung von Bedeutung ist.626 Ein defamatory matter, welches nicht Gegenstand der Pflicht oder des Interesses war, auf welchem eine privileged occasion627 fußt, lag außerhalb dieser und war folglich nicht geschützt. Exzessiver Sprachgebrauch zu einem in den geschützten Bereich fallenden Gegenstand war hingegen nur als möglicher Beweis für malice relevant.628 Selbst eine Wortwahl, die violent and excessively strong war, konnte geschützt sein.629 Zum Beweis des Vorliegens von malice make it to the person to whom he does make it, and the person who receives it has an interest in hearing it. Both these conditions must exist in order that the occasion is privileged. … Therefore, the occasion is privileged, because one person has a duty and the other has an interest. Siehe auch die Opinion von Lord Justice Lopes. Pullmann v. Hill & Co. (1891) 1 Q.B. 524 ff. Auch ein interest des Empfängers ist ohne interest or duty desjenigen, von dem die Mitteilung ausgeht, nicht genug, damit dies eine privileged communication darstellt. So ausdrücklich in Watt v. Longsdon. Lord Justice Scrutton wies dabei ausdrücklich auf die Problematik der richterlichen Entscheidung, ob im Einzelfall eine social or moral duty vorliege, hin. Watt v. Longsdon (1930) 1 K.B. 130, 143. 626 Man denke an die in Abschnitt II zitierte Meiklejohn’sche Begründung für ein allgemeines Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, welches das Interesse des Bürgers auf die Meinung des Fremden und nicht primär dessen Grundrecht betont. 627 Sehr verschieden definierten die Lords Atkinson und Shaw in ihren Concurrring Opinions in Adam v. Ward den Unterschied zwischen privileged occasion und privileged communication: Lord Atkinson bezeichnete Ersteres als a phrase often used loosely to describe a privileged communication, and vice versa. Lord Shaw of Dunfermline hingegen vermerkte Folgendes: Privilege is a term which is applied in two senses: There is a privileged occasion, and there is also said to be a privileged communication. The former expression is correct; the latter, strictly viewed, tends to error. What is meant with regard to a privileged communication is that is was protected as being within the scope of the privilege attaching to the occasion. The occasion is privileged, the communication is protected. Adam v. Ward (1917) A.C. 334, 348. 628 Dazu näher Lord Finlay: … malice may be inferred either from the terms of the communication itself, as if the language be unnecessarily strong, or from any facts which show that the defendant in publishing the libel was actuated by spite or some indirect motive. Die oben genannte Unterscheidung hatte wichtige prozedurale Gründe, denn: Excess of privilege in part of a defamatory publication may of course be evidence of malice as to the whole of it, but the two things are different. The one is a matter for the judge, the other is matter for the jury. (Opinion von Earl Loreburn) Adam v. Ward (1917) A.C. 309 ff. 629 [I]f, having regard to all the circumstances of the case, he might have honestly and on reasonable grounds believed that what he wrote or said was true or necessary for the purpose of his vindication,



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konnte der Kläger jedes vorangegangene und danach erfolgte Beispiel von spite oder indirekter Motivation anführen.630 Die Prüfformel bei einer (privilegierten) bloßen Meinungsäußerung war nicht, ob die Meinung richtig, sondern ob sie aufrichtig geäußert (genuine) sei. Ob die geäußerten Ansichten malicious waren, entschied danach nicht, ob sie vernünftig waren (reasonableness), sondern ob diese ehrlich gemeint waren.631 Die Grenzen des allgemeinen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit werden etwa durch Associated Provincial Picture Houses Ltd. v. Wednesbury Corporation aus 1948 deutlich. So kamen bei diesem Fall Lord Justice Greene keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich einer gesetzlichen Bindung von Kinovorführungen an vorherige Lizenzvergabe durch Verwaltungsbehörden.632 3.2.2 Für die politische Meinungsäusserungsfreiheit besonders relevante Aspekte der Entwicklung der Einreden zum law of libel Mit dem Reform Act 1832 wurden die britischen Wahlgesetze revolutioniert und ein erster Schritt in die Richtung einer Demokratisierung der britischen Verfassung gesetzt.633 Es erfolgten allerdings zunächst keine legislativen Schritte in Richtung einer Sicherung der Meinungsäußerungsfreiheit mit dem Ziel, dass die aktive Zustimmung des Wählers auch eine informierte Zustimmung wurde. Hingegen existieren gewisse Indizien, dass die Gerichte das Gesetz als Einladung zu einer Neuausrichtung der common law rules of defamation betrachteten. Dies galt vor allem für den Bereich der für den öffentlichen Gebrauch bestimmten Veröffentlichungen kritischer politischer Information. In Duncombe though in fact that was not so. Aus der Concurring Opinion von Lord Atkinson in Adam v. Ward (1917) A.C. 339. 630 So ausdrücklich das House of Lords in Turner v. Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Ltd. (1950) 1 All E.R. 449, 454 f. 631 Dazu Lord Porter unter Berufung auf frühere Judikatur: The defendant, indeed, must honestly hold the opinion he expresses but no more is required of him. Turner v. Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Ltd. (1950) 1 All E.R. 449, 461 ff. 632 Associated Provincial Picture Houses Ltd. v. Wednesbury Corporation (1948) 1 K.B. 223 ff. 633 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 19 f. Durch den Reform Act wurden die lokalen Repräsentationseinheiten neu gewichtet und ein Zensuswahlrecht in den Wahlbezirken geschaffen. Vor allem aber hielt ein neues Prinzip Einzug, nämlich die Repräsentation of the people. Sir William Holdsworth, A History of English Law XIII (1952) 247 ff; Sir David Lindsay Keir, The Constitutional History of Modern Britain Since 14856 (1960) 400 ff.

150 Hauptteil v. Daniel (1837) wurde jedoch ein qualified privilege aufgrund einer right/dutyVerbindung zwischen der Presse und der Öffentlichkeit hinsichtlich politischer Information abgelehnt. Dagegen waren die politische Meinungsäußerungsfreiheit und ihre Bedeutung für das parlamentarische System für die Begründung von Stockdale v. Hansard essenziell, wonach parlamentarische proceedings nicht den Gegenstand einer defamation action darstellen konnten.634 Ein klares grundsätzliches Bekenntnis im Sinne eines Rechtes auf freien politischen Diskurs erfolgte 1839 in R v. Collins zum Bereich des seditious libel: Every man635 has the right to give every public matter a candid, full and free discussion; but although the people have a right to discuss any grievances they have to complain of, they must not do it in a way to excite tumult.636 Ungeachtet dieser Neuerungen genossen Repräsentanten des Staates zu diesem Zeitpunkt noch einen besonderen Schutz durch das Diffamierungsrecht, während Ansätze für einen modernen Zugang eines zurückhaltenden Schutzes vor Diffamierungen von public officials aufgrund des chilling effect in dieser Phase der Entwicklung nicht zu erkennen sind.637 Die allmähliche Akzeptanz der Freiheit politischer Diskussion ohne gleichzeitigen allgemeinen verfassungsrechtlichen Schutz wurde etwa 1859 von John Stuart Mill zum Ausdruck gebracht. Denn einerseits bemerkte er, dass the law of England, on the subject of the press, … as servile today as it was in the time of the Tudors sei, andererseits existiere little danger of its being actually put in force against political discussion, except during some temporary panic, when fear of insurrection drives ministers and judges from their propriety.638 Ein entscheidender Schritt in der Entwicklung hin zu einem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, betreffend einen Gegenstand, des öffentlichen Interesses, erfolgte 1868 durch Wason v. Walter, eine Entscheidung des Court of Queen’s Bench wegen libel im Zusammenhang mit einer Berichterstattung einer parlamentarischen Debatte. 639 Der Fall ist im Zusammenhang mit der 634 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 19 f; Stockdale v. Hansard (1839) 9 Ad. & Ell. 96 ff. Siehe dazu auch Samuel Warren, Blackstone’s Commentaries, systematically abridged and adapted to the existing State of the Law and Constitution (1855) 475 ff. 635 Also keine Beschränkung auf ein Staatsbürgerrecht. 636 Der Leitsatz lautete weiter: and if a party publish a paper in any such matter, and it contain no more than a calm and quiet discussion, allowing something for a little feeling in men’s minds, that will be no libel; R v. Collins (1839) 9 C. & P. 456, in 173 E.R. 910. 637 Samuel Warren, Blackstone’s Commentaries, systematically abridged and adapted to the existing State of the Law and Constitution (1855) 477. 638 John Stuart Mill, On Liberty (1910) 22. 639 Wason v. Walter (1868) 4 L.R. Q.B. 73 ff.



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Ausdehnung des Wahlrechts in Richtung eines allgemeinen Wahlrechts durch den von Benjamin Disraeli forcierten Reform Act 1867 zu sehen, einem wichtigen Schritt in Richtung eines allgemeinen Wahlrechts. Nach Ansicht von Cockburn CJ bestand ein starkes verfassungsrechtliches Argument für eine Modifikation des Common Law als Reaktion auf die Veränderungen durch den Reform Act 1867.640 Nach einem Überblick über die bisherigen Entscheidungen zur Veröffentlichung von parliamentary proceedings und der Schlussfolgerung, dass die entschiedenen Fälle keine authority bildeten, erörterte Cockburn CJ die Grundlagen für die Berichterstattung von faithful and fair reports von Gerichtsverhandlungen. Den Hauptgrund dafür sah er im Vorteil der Öffentlichkeit für die Gesellschaft, dem der Schutz vor gelegentlichen Unannehmlichkeiten des Individuums aufgrund des allgemeinen Wohls weichen müsse. Die jenem Privileg zugrunde liegenden Prinzipien sah er auch in diesem Fall als gegeben an. Auch hier sei die Präsumtion von malice durch das Ziel der Informierung von und des Vorteils für die Öffentlichkeit verneint. Mit einer Reihe rhetorischer Fragen hob Cockburn CJ die fundamentale Bedeutung dieser Form der politischen Information für das Funktionieren des politischen Systems hervor.641 Vor allem die Frage How could the communications between the representatives of the people and their constituents, which are so essential to the working of the representative system, be usefully carried on, if the constituencies were kept in ignorance what their representatives are doing? 642 trifft den Kernbereich der staatsphilosophischen Grundlage des Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit, nämlich der Notwendigkeit einer politisch informierten Wählerschaft als Grundlage für das repräsentativ-demokratische System. Solange die Veröffentlichung von parliamentary proceedings ehrlich und gewissenhaft (faithful ) erfolgte, waren die Herausgeber ungeachtet unbeabsichtigter Verletzungen des Rufes Einzelner von rechtlicher Verantwortung befreit.643 Da es sich um einen Gegenstand von großem öffentlichem Interesse (great public concern) handle, genoss ein Kommentar eines Schreibers einer öffentlichen Zeitschrift so weit privilege, solange eine Jury diese einerseits für honest und in a fair spirit gemacht und andererseits durch die Umstände einer genauen/zutreffenden (accurate) Berichterstattung der Debatte für gerechtfertigt

640 Siehe dazu Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 26 ff. 641 Wason v. Walter (1868) 4 L.R. Q.B. 82 ff. 642 Ebenda 89. 643 Ebenda 96.

152 Hauptteil hielt.644 Dieser Grundsatz war auch die Grundlage für Henwood v. Harrison aus 1872, wonach eine faire und ehrliche Diskussion oder Kommentare über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse privilegiert war und folglich nicht zur Klage legitimierender Rechtsgrund sein konnte, solange der Kläger nicht böse Absicht (malice) nachweisen kann.645 Damit war das Potenzial für einen weiten Anwendungsbereich des privilege geschaffen, dessen genaue Grenzen erst ausjudiziert werden mussten. Dies geschah etwa in Purcell v. Sowler aus 1877, wonach zwar die Administration von Armengesetzen sowohl durch die Regierung wie auch durch lokale Verwaltungsbehörden646 sowie das Verhalten von Medizinern (medical officers) Gegenstand des öffentlichen Interesses waren. Die Veröffentlichung eines Berichtes über Vorgänge bei einem Treffen von für das Armenrecht zuständigen Personen (poor-law guardians) und dabei gegen einen Mediziner der Vereinigung vorgebrachte Anschuldigungen wegen verfehlten Verhaltens war nicht privilegiert. Daraus konnte allerdings keine allgemeine Regel abgeleitet werden, wonach Berichte über derartige Treffen grundsätzlich nicht privilegiert

644 In der Urteilsbegründung wurde ferner auf die Neuartigkeit dieser erweiterten Meinungsäußerungsfreiheit hingewiesen: The full liberty of public writers to comment on the conduct and motives of public men has only in very recent times been recognized. Comments on government, on ministers and officers of state, on members of both houses of parliament, on judges and other public functionaries, are now made every day, which half a century ago would have been subject of actions or ex officio informations, and would have brought down fine and imprisonment on publishers and authors. Yet who can doubt that the public are gainers by the change, and that, though injustice may often be done, and though public men may often have to smart under the keen sense of wrong inflicted by hostile criticism, the nation profits by public opinion being thus freely brought to bear on the discharge of public duties? Wason v. Walter (1868) 4 L.R. Q.B. 73, 93 f, 96. 645 Dazu in der Urteilsbegründung: It was of paramount importance that the public should be informed of the grounds upon which the Lords of the Admiralty acted in rejection of a plan of the old wooden line-of-battle ships. The question whether this constituted a privilege would have been concluded by the decision of the Court of Queen’s Bench in Wason v. Walter, if the sale of this Blue Book had taken place after the minute had been presented to Parliament; and the fact that it had been published a little to soon cannot destroy its privileged character. Henwood v. Harrison (1872) 7 L.R. C.P. 606 ff. Zum Ausmaß der Fragen, welche ein Kläger zur Prüfung eines angeblichen fair comment on a matter of public interest des Beklagten diesem vorlegen darf und Letzterer beantworten muss, siehe Plymouth Mutual Co-operative and Industrial Society Ltd. v. Traders’ Publishing Association Ltd. (1906) 1 K.B. 403 ff. 646 Zur grundsätzlichen Privilegierung der Berichterstattung über lokale Behörden und der Ablehnung der gegenteiligen Argumentation der Common Pleas Division siehe die Opinion des Chief Justice Cockburn.



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seien.647 Vielmehr deuten die Überlegungen von Cockburn CJ darauf hin, dass in diesem Fall eine privilegierte Publikation nicht zum Wohl der Gesellschaft gereicht hätte. Ungeachtet des in diesem Fall für den poltitischen Journalismus negativen Ergebnisses kann die eigentliche Bedeutung in der verwendeten Begründung gesehen werden. Dabei ist der Zusammenhang mit der allmählichen Demokratisierung des Vereinigten Königreichs zu beachten.648 Durch Section 2 des Newspaper Libel and Registration Act 1881 wurde der Schutz der qualified privilege auf faire und zutreffende Zeitungsreportagen über öffentliche Versammlungen ausgedehnt.649 Durch Section 4 des Law of Libel Amendment Act 1888 wurde die Privilegierung des fair comment on a matter of public interest im Sinne der Berichterstattung über eine Reihe von öffentlichen Institutionen650 gesetzlich verankert, wobei ebenfalls ausdrücklich festgelegt wurde, dass dadurch keine bereits existierenden privileges beschnitten oder aufgehoben werden sollten. Ferner sollte nichts so ausgelegt werden (as) to protect the publication of any matter not of public concern and the publication of which is not for the public benefit.651 Ein wichtiger Anhaltspunkt für den Schutz politi647 Siehe dazu insbesondere die Opinion von Chief Justice Cockburn: The true question in the present case is whether, though the subject-matter was of general interest, the occasion on which the words were uttered was privileged, so as to protect the bona fide publication of the report. … In all these cases [z. B. municipal councils und meetings of magistrates] I should be sorry to lay down as law that the proceedings of such meetings may not be fully reported, although the character of private individuals may be incidentally attacked. But it is unnecessary, for the decision in the present case, to lay down any such rule; and I wish to be understood as by no means saying that the proceedings of different bodies to whom part of the administration of the public business of the country is committed would not be matter of general discussion and publication. In these instances publicity may be essential to good administration (!). But we have to deal with the case of a body of very limited jurisdiction, and as to which it cannot be asserted that publicity is essential. Purcell v. Sowler (1877) 2 L.R. C.P. 215, 218 f. 648 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 30 ff. 649 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 32. 650 … the proceedings of a public meeting, or (except where neither the public nor any newspaper reporter is admitted) of any meeting of a vestry, town council, school board, board of guardians, board of local authority formed or constituted under the provisions of any Act of Parliament, or of any committee appointed by any of the above-mentioned bodies, or of any meeting of any commissioners authorized to act by letters patent, Act of Parliament, warrant under the Royal Sign Manual, or other lawful warrant or authority, select committees of either House of parliament, justices of the peace in quarter sessions assembled for administrative or deliberative purposes, and the publication at the request of any Government office or department, officer of state, commissioner of police, or chief constable of any notice or report issued by them for the information of the public … Law of Libel Amendment Act 1888. 651 Gleichzeitig wurde any blasphemous or indecent matter kategorisch aus dem geschützten

154 Hauptteil scher Kritik ist Manchester Corporation v. Williams aus 1891. Darin wurde das Recht einer Regierungsbehörde, aufgrund einer libel klagen zu können, bestätigt, andererseits bezüglich Angriffen auf die politische Reputation auf Fälle beschränkt, in denen diese auf ein Verbrechen hinausliefen. Da aber im vorliegenden Fall eine Regierungsbehörde als solche nicht der Korruption schuldig sein konnte, musste auch die Klage scheitern.652 Die Grenzen der Verteidigung des fair comment on a matter of public interest zeigten sich hingegen etwa 1897 im Fall eines Zeitungsartikels, in welchem eine Sängerin der Vulgarität bezichtigt wurde und die Verteidigung zumindest die Möglichkeit dieser Sicht nachzuweisen versuchte. Lord Justice Collins verwies dabei zwar auf den Grundsatz, dass fair comment keine libel sein könne, definierte jedoch nicht, was genau unter fair comment on a matter of public interest zu verstehen war.653 Gemäß Thomas v. Bradbury aus 1906 konnten bei einer solchen Verteidigung jedenfalls Beweise für eine malice des Angeklagten vorgelegt werden, da ein durch böse Absicht getriebener Kommentar nicht als fair vonseiten des Urhebers betrachtet werden könne.654 Die Entscheidung Cockburns CJ in Wason und die dahin gehenden legislativen Bestrebungen führten in den Folgejahren nicht zu einem verstärkten Schutz von Reportagen, die politisch oder im öffentlichen Interesse waren.655 Der nächste wichtige Schritt in der Entwicklung erfolgte erst 40 Jahre später mit Braddock v. Bevins aus 1948. Darin zeigte sich der doppelte Schutz von political speech durch die Verteidigung des fair comment sowie durch die allgemeinen Grundsätze des privilege. Dem Fall lagen Äußerungen eines konservativen Kandidaten zugrunde, der dem sozialistischen Gegenkandidaten bzw. einer Mitarbeiterin ein Naheverhältnis zum Kommunismus vorwarf. Lord Greene Bereich ausgeschlossen. Law of Libel Amendment Act 1888, BAILII. Siehe dazu etwa auch Farmer v. Hyde (1937) 1 K.B. 728. 652 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 34 f. 653 Dieser Fall zeigt gleichzeitig, dass der Schutz des fair comment on matters of public importance nicht auf den Bereich der political speech beschränkt ist, wenngleich sie für diesen Bereich von besonderer Bedeutung ist. Cooney v. Edeveain (1897) 14 T.L.R. 34. Zum Ausmaß der Fragen, welche ein Kläger zur Prüfung eines angeblichen fair comment on a matter of public interest des Beklagten diesem vorlegen darf und Letzterer beantworten muss, siehe Plymouth Mutual Co-operative and Industrial Society Ltd. v. Traders’ Publishing Association Ltd. (1906) 1 K.B. 403. 654 Denn [p]roof of malice may take a criticism prima facie fair outside the right of fair comment, just as it takes a communication prima facie privileged outside the privilege. Aus der Opinion des Masters of the Rolls. Thomas v. Bradbury, Agnew & Co. Ltd. (1906) 2 K.B. 627 ff. 655 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 32, 36.



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bestätigte dabei das Vorliegen eines qualified privilege 656 im Fall einer Wahlkampfrede, betreffend den anderen Kandidaten, aufgrund des offensichtlichen Interesses der Wählerschaft an einer solchen Kommunikation. Er wies dabei auch auf die Bedeutung dieser Meinungsäußerung für die Demokratie hin657 und stellte ferner fest, dass ein Kandidat nicht nur ein Interesse, sondern auch eine Pflicht (im Sinne des privilege) gegenüber den Wählern habe, diese ehrlich und ohne malice über alle ihre Wahl beeinflussenden Gegenstände zu informieren. Dieses qualified privilege treffe weiters auch auf jene zu, welche sich mit der Politik des Kandidaten identifizieren, ihm öffentliche Unterstützung gewähren oder als lokale Repräsentanten auftreten. Dies sei im Spiel der Politik ein inhärentes Risiko, denn: Those who play at bowls must expect rubbers.658 Dieser Fall kann als eine Reaktion der Auslegung des Common Law auf die dem Zweiten Weltkrieg folgenden staatsrechtlichen Veränderungen zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht gedeutet werden, ähnlich der Reaktion auf den Reform Act 1867 in Wason.659 H.R.G. Greaves Analyse der Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit durch das law of libel in seinem 1951 erschienenem Werk über die britische Verfassung fiel hingegen verheerend aus. Er zog ein Zitat von D.N. Pritt heran, wonach dessen Handhabung nicht nur ein ernstliches Hindernis der Diskussionsfreiheit, sondern gar ein soziales Übel, das fast die Dimensionen der Erpressung erreicht habe, darstelle. Sogar eine allgemeine Kommentierung werde durch die Auslegung des Beleidigungstatbestandes durch Richter und Geschworene gefährlich. Schließlich zitierte er einen Artikel des Economist aus 1935, wonach die Einstellung von Richtern und Geschworenen eine neue Zensur errichten würde. Wenn sich diese so weiterentwickeln würde, werde sie die für die Demokratie lebenswichtige Diskussionsfreiheit abtöten. Das Recht, welches vor Ehrverletzungen schützen wolle, werde benutzt, um vor Kritik zu

656 Anm: Dadurch wird der Verbreiter (disseminator) einer Aussage von der Haftung für falsches und diffamierendes Material befreit, es sei denn, der Kläger weist nach, dass der Beklagte von malice motiviert war. Siehe etwa Ian Loveland, The Constitutionalisation of Political Libels in English Common Law?, P.L. (1998) 633. 657 Indeed, the task of the electors under democratic institutions could not be satisfactorily performed if such a source of relevant information bona fide given were to be cut off by fear of an action for libel. Braddock v. Bevins (1948) 1 C.A. 453. 658 Braddock v. Bevins (1948) 1 C.A. 450 ff. Diese Neuerung wurde jedoch durch den Defamation Act 1952 wieder aufgehoben. Siehe Ian Loveland, The Constitutionalisation of Political Libels in English Common Law?, P.L. (1998) 638. 659 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 52.

156 Hauptteil schützen.660 Dabei ist vor allem zu bemerken, dass der letztgenannte Kritikpunkt mit den späteren Erwägungen in Lingens (sowie zuvor von Sullivan) fast identisch ist.661 Durch Kemsley v. Foot aus 1952 wurde dieser Schutz insofern ausgeweitet, als das House of Lords bereits ein substratum of fact stated or indicated in the words complained als ausreichende Grundlage für ein fair comment on a matter of public interest akzeptierte und damit eine genaue Anführung der behaupteten Fakten nicht mehr unbedingt erforderlich machte. Soweit derartige dem comment zugrunde gelegte Fakten allerdings ausdrücklich angeführt wurden, musste auch weiterhin die Wahrheit jeder dieser angeblichen Fakten vom Verteidiger bewiesen werden.662 In letzterem Fall scheiterte die Verteidigung bereits an einer mangelnden Rechtfertigung einer einzigen, vergleichsweise unwichtigen Tatsachenbehauptung.663 In dem aus dem gleichen Jahr stammenden Defamation Act 1952 wurde das darin gemäß Section 7 an Nachrichtenblätter verliehene privilege daran geknüpft, dass die Veröffentlichung von public concern sowie for the public benefit war.664 Durch Section 10 des Gesetzes, welche ursprünglich 660 H.R.G. Greaves, Die britische Verfassung (1951) 208. 661 Siehe dazu vor allem Abschnitt III, Kapitel 4. 662 Kemsley v. Foot (1952) 1 All E.R. 501 f. 663 Aus der Opinion von Lord Porter. Siehe auch die Concurring Opinion von Lord Oaksey: It is not, in my opinion, a matter of importance that the reader should be able to see exactly the grounds of the comment. It is sufficient if the subject which, ex hypothesi, is of public importance is sufficiently and not incorrectly or untruthfully stated. A comment based on fact untruly stated cannot be fair. Kemsley v. Foot (1952) 1 All E.R. 506, 508. 664 Section 7: (1) Subject to the provisions of this section, the publication in a newspaper of any such report or other matter as is mentioned in the Schedule of this Act [Anmerkung: darunter fielen a fair and accurate report von gesetzgebenden Körperschaften britischer Dominions, internationalen Organisationen, deren Mitglied GB ist, internationalen Konferenzen, sofern GB einen Repräsentanten entsendet, sowie von Gerichtsverfahren, Ausschüssen der Regierungen oder Legislativen britischer Dominions, sowie von findings oder Entscheidungen diverser Vereinigungen und von jedem öffentlichen Treffen (zur Interpretation von public meeting siehe Khan v. Ahmed (1957) 2 All E.R. 385) sowie diversen öffentlichen Institutionen und ferner gewissen britischen Gesellschaften] shall be privileged unless the publication is proved to be made with malice. (2) In an action for libel in respect of the publication of any such report or matter as is mentioned in Part II of the Schedule to this Act, the provisions of this section shall not be a defence if it is proved that the defendant has been requested by the plaintiff to publish a newspaper in which the original publication was made a reasonable letter or statement by way of explanation or contradiction, and has refused or neglected to do so, or has done so in a manner not adequate or not reasonable having regard to all the circumstances. (3) Nothing in this section shall be construed as protecting the publication of any matter the publication of which is prohibited by law, or of any matter which is not of public concern and the publication of it is not for the



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nicht Teil des Gesetzesentwurfs gewesen war, wurde jedoch die Beseitigung der Folgen von Braddock angestrebt. Denn dadurch wurde ausdrücklich festgelegt, dass für eine diffamierende Aussage, welche von oder für einen Kandidaten in einer (lokalen oder Parlaments-)Wahl veröffentlicht wurde, aufgrund des Umstandes, dass diese Gegenstand einer Wahl war, keine privileged occasion erwächst.665 3.2.3 Fazit Keines der fundamentalen britischen Verfassungsdokumente des 17. und frühen 18. Jahrhunderts enthielt ein allgemeines Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit. Eine systematische Vorzensur existierte allerdings seit 1695 nicht mehr, was Blackstone als zentrales Kriterium für die Pressefreiheit betrachtete. Im Bereich der rechtlichen Folgen einer Meinungsäußerung wurde durch die Ausweitung der Kompetenz der Geschworenen in Diffamierungsprozessen eine wichtige institutionelle Garantie geschaffen (Fox’s Act 1792). Mit Toogood aus 1834 wurde hingegen das Fundament für die durch die Einrede der privileged communication geschützte Meinungsäußerungsfreiheit geschaffen. Die Grundsatzentscheidungen zur politischen Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen der Einreden zum law of libel erfolgten in mehreren Schüben, welche den Wahlrechtsreformen und damit der Demokratisierung Großbritanniens folgten (Reform Act 1832 und R v. Collins aus 1839, Reform Act 1867 und Wason v. Walter 1868 sowie Henwood v. Harrison aus 1872, die Reformen nach dem Zweiten Weltkrieg und Braddock v. Bevins aus 1948). Diese Phase der Entwicklung war folglich durch die Entstehung eines weitgehenden De-facto-Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit gekennzeichnet, welche Dicey bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts als gegeben ansah. Ob dies jedoch Ausdruck eines allgemeinen Verfassungsprinzips war, blieb unklar.

public benefit. [Betonung hinzugefügt] (4) Nothing in this section shall be construed as limiting or abridging any privilege subsisting (otherwise than by virtue of section four of the Law of Libel Amendment Act 1888) immediately before commencement of this Act. Section 7 ist seit 1996 bzw. 2000 nicht mehr geltendes Recht. Siehe Ministry of Justice, The UK Statute Law Database. Zum Defamation Act 1952 siehe auch E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 523. 665 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 56 f.

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3.3 Die Entwicklung bis zum Human Rights Act Das British Foreign Office, welches an der Entstehung der EMRK maßgeblich beteiligt war,666 hatte die Konvention zum Teil als symbolisches Instrument und zum Teil als Mittel der Bewahrung der zu jener Zeit in Westeuropa als zur Gänze gegeben betrachteten Freiheiten eingeschätzt. Zugleich sollte so der Ruf Großbritanniens als europäischer Partner gestärkt werden.667 Auch die britische Regierung hatte die Ratifikation der Konvention ursprünglich primär als eine außenpolitische Maßnahme betrachtet, um Werte des British way of life in die kontinentaleuropäischen Staaten zu exportieren.668 Ein wichtiger gedanklicher Ausgangspunkt für das Verhältnis Großbritanniens zur EMRK ist dabei die zum Zeitpunkt des Beitritts vertretene britische bzw. englische Auffassung, dass das innerstaatliche Recht bereits im Einklang mit den durch die Konvention geschaffenen Verpflichtungen sei. Ohne diese Annahme wäre ein Beitritt wohl nicht erfolgt.669 Denn die Unterstützung und Ratifikation der Konvention durch Großbritannien war keineswegs eine Konsequenz der verfassungstheoretischen Entwicklung oder der Rechtstradition, sondern ein Produkt außenpolitischer Erwägungen.670 Bedeutende Auswirkungen auf die Politik oder auf das Gesetz wurden von den meisten Ministern nicht erwartet.671 Diese Einschätzung beruht auch darauf, dass britische Juristen einen wesentlichen Beitrag beim Entwurf der EMRK leisteten und dieser zumindest aus britischer Perspektive zu einem großen Teil auf dem Common Law basierte.672 Lord Chancellor Jowitt machte jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt 666 Siehe dazu den korrespondierenden österreichischen Teil. 667 Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 4 f. 668 Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 425 f. 669 Siehe etwa Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev 16 (2002) 271 f. Diesbezüglich ist auch das britische Selbstverständnis als the home of liberty zu beachten. Siehe dazu Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 18 ff. 670 Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001) 18. 671 Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 426. Wenngleich die Konvention bereits zu diesem Zeitpunkt bei einem Teil der Regierung auf intensive Ablehnung stieß und die Möglichkeit einer Indiviualbeschwerde kritisch betrachtet wurde. Siehe Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. (1984) 49 ff. 672 Joint Committee on Human Rights, The Work of the Committee in 2007 and the State of Human Rights in the UK (2008) 6. Siehe dazu auch Clive Walker/Russel L. Weaver, The United



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auf die möglichen Auswirkungen aufmerksam, und akzeptierte in einem Memorandum zwar die politische Notwendigkeit der Annahme der Konvention durch die Regierung, kritisierte die Konvention jedoch zugleich scharf und vermerkte unter anderem, dass [a]ny student of our institutions … must recoil from this document with a feeling of horror.673 Das Vereinigte Königreich befand sich unter den ursprünglichen Signatarstaaten der EMRK am 4. November 1950 in Rom. Die Ratifikation der EMRK erfolgte am 8. März 1951, und die Konvention trat am 3. September 1953 in Kraft.674 Seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach Art 1 EMRK, die Rechte und Freiheiten nach Sektion 1 der Konvention innerstaatlich sicherzustellen, kam das Vereinigte Königreich zunächst nicht durch Inkorporation der Konvention, sondern durch den Versuch einer hinreichenden Anpassung des innerstaatlichen Rechts nach.675 Der Grund für den Mangel an legislativen Änderungen des britischen Rechts ist dabei wohl vor allem in der weiterhin vertretenen Ansicht zu finden, dass das Common Law ohnedies einen Großteil der Konvention widerspiegle.676 Wie sehr und ob dadurch im britischen und nicht nur im englischen Recht eine evolutionäre Veränderung des verfassungsrechtlichen Prinzips der Meinungsäußerungsfreiheit stattfand, soll in diesem Kapitel dargestellt werden. In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte ein genereller Anstieg des Bewusstseins für Menschenrechte in Großbritannien. Den Forderungen nach Kindom Bill of Rights 1998: The Modernisazion of Rights in the Old World, U. Mich. J.L. Reform 33 (2000) 505 f, sowie Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 425. 673 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. (1984) 52 f. Zur Position des Lord Chancellors siehe Alfred William Brian Simpson, Human Rights and the End of Empire, Britain and the Genesis of the European Convention (2001). 674 Council of Europe, Treaty Office http://conventions.coe.int//Treaty/Commun/ChercheSig. asp?NT=005&CM=&DF=&CL=ENG, (17. 7. 2008, 11:23) 675 Siehe dazu die ausführliche Stellungnahme von Lord Donaldson of Lymington M.R. in R v. Home Secretary, Ex p. Brind: The United Kingdom can give effect to this treaty obligation in more than one way. It could, for example, “domesticate” or “patriate” the Convention itself … and there are many well-informed supporters of this cause. Their view has not, as yet, prevailed. If it had done so, the Convention would have been part of English domestic law. Alternatively, it can review English common law and statute law with a view to amending it, if and in so far as it is inconsistent with the Convention, at the same time seeking to ensure that all new statute law is consistent with it. This is the course which has in fact been adopted. Whether it has been wholly successful is a matter for the European Court in Strasbourg… R v. Home Secretary, Ex p. Brind (1991) (H.L.[E.]) 1 A.C. 717 f. 676 Siehe dazu die Opinion von Lord Hoffmann in R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 412 f. (H.L.)

160 Hauptteil größerem Schutz von Rechten und Freiheiten stand jedoch die Überzeugung gegenüber, das Common-Law-System bilde durch Tradition, Konventionen und Präzedenzfälle den bestmöglichen Schutz für die Menschenrechte. Seit 1966 konnten britische Staatsbürger vor dem EGMR Anträge auf Verletzung ihrer durch die EMRK gewährleisteten Rechte einbringen, wodurch eine neue rights culture in Großbritannien zu entstehen begann.677 Nichtsdestotrotz hatte Art 10 EMRK lange keinen oder nur geringen Einfluss auf die Entscheidungsfindung britischer Gerichte.678 Ungeachtet der mangelnden Transformation der EMRK in britisches Recht stellte Lord Denning 1975 bezüglich des Zustands des englischen Rechts fest, dass Rechtsprobleme im Bereich der Menschenrechte im Lichte der Konvention und mit dieser konform gelöst werden sollten. Es sei anzunehmen, dass die Krone hinsichtlich ihrer Beteiligung an der Gesetzgebung nichts unternehmen würde, was gegen Verträge verstoße.679 J. Jaconelli argumentierte im selben Jahr für die Verwendung der EMRK durch die Gerichte als eine Rechtsquelle, die persuasive, aber nicht binding sei. Gleichzeitig betonte er die fundamentale Regel des Verfassungsrechts, dass ein internationaler Vertrag einer Inkorporation durch die Legislative bedurfte, um in das innerstaatliche Recht überzugehen.680 Dazu erfolgte bereits im folgenden Jahr in R v. Chief Immigration Officer Heathrow Airport, ex parte Salamat Bibi eine Klärung. Darin wurde ausdrücklich betont, dass Verträge und Konventionen nicht als Bestandteil des innerstaatlichen Rechts behandelt werden sollten, solange deren Bestimmungen nicht durch einen Act of Parliament Geltung verliehen worden sei. Folglich seien im Anlassfall die Einwanderungsbehörden auch nicht verpflichtet, die Prinzipien der Konvention zu berücksichtigen und ihre Entscheidungen müssten allein in Übereinstimmung mit den ministeriellen Verfügungen des anzuwendenden Gesetzes erfolgen.681 Darüber hinaus stand Lord Denning M.R. den weiten, allgemeinen Formulierungen der Konvention nunmehr skeptisch gegenüber und betrachtete sie als offensichtlich in Widerspruch zur britischen 677 Jonathan L. Black-Branch in Edwin Shorts/Claire de Than, Civil Liberties (1998) 10 f. 678 Leslie Zines, Freedom of Speech and Representative Government, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 45. 679 Lord Denning in R v. Secretary of State sowie zuvor bereits (im selben Jahr) in Birdi v. Secretary of State for Home Affairs. Siehe R v. Secretary of State for Home Affairs and another, ex parte Bhajan Singh (1975) 2 All E.R. 1082. 680 J. Jaconelli, The European Convention on Human Rights – The text of a British Bill of Rights?, P.L. 1976, 228. 681 R v. Chief Immigration Officer Heathrow Airport, ex parte Salamat Bibi (1976) 3 All E.R. 843 ff.



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Rechtstradition stehend.682 Eine ähnlich restriktive Position findet sich in Malone v. Comr of Police (No 2) aus 1979, wonach durch Art 8 EMRK kein direktes Recht des Klägers auf eine Erklärung hinsichtlich einer Verletzung seiner Menschenrechte und Freiheiten zur Folge hatte, da die Konvention ein Vertrag und nicht Teil des Rechts von England sei und folglich ein englisches Gericht auch keine dahin gehende Kompetenz hätte. Ferner wurde die Möglichkeit einer Heranziehung der Konvention für die Anwendung und Interpretation englischen Rechts abgelehnt, da keine dahin gehende gesetzliche Grundlage existiere.683 Eine eindeutige Anerkennung der Prinzipien der Rede- und Pressefreiheit erfolgte durch Lord Salmon in Attorney-General v. B.B.C. aus 1981, doch Art 10 EMRK erwähnte er dabei nicht.684 Lord Scarman lehnte die genannte Ausdehnung unter Berufung auf die internationalen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs ab und prüfte im Sinne von Art 10 EMRK, ob diese necessary in our democratic society sei sowie ob ein pressing social need vorläge.685 In Hinblick auf einige der genannten Entscheidungen bezeichnete Anthony Lester den Status der EMRK 1984 sogar als pathetic und wies auf ein angebliches Stigma eines niederen Status der Konvention in Hinsicht auf deren Behandlung durch die Gerichte hin.686 In A.G. v. Guardian (No 2) aus 1988 stellte Lord Keith fest, dass die Grundregel jene sei, dass jeder das Recht habe, alles, was er wünscht, jedem anderen durch Rede, Geschriebenes oder auf andere Weise mitzuteilen. Die Beschränkungen durch das Common Law und die Gesetze verglich er dabei ausdrücklich mit den in Art 10 EMRK erwähnten. Alle diese Beschränkungen seien aufgrund der Abwägung von Erwägungen des öffentlichen Interesses und des öffentlichen Interesses auf Meinungsäußerungsfreiheit erlassen worden. Lord Goff hingegen meinte, dass die Übereinstimmung zwischen englischem Recht 682 The convention is drafted in a style very different from the way we are used to in legislation. They are apt to lead to much difficulty in application; because they give rise to much uncertainty. They are not the sort of thing we can easily digest. … So it is much better for us to stick to our own statutes and principles, and only look to the convention in case of doubt. Ebenda 847. 683 Malone v. Commissioner of Police of the Metropolis (No 2) (1979) 2 All E.R. 620 ff. 684 Auch blieb unklar, ob es sich dabei um ungeschriebene Verfassungsprinzipien handelte. Interessant ist dabei ferner die Bezeichnung von Rede- und Pressefreiheit als two of the pillars of liberty. A.G. v. B.B.C. (H.L.[E.]) (1981) A.C. 341 f. 685 Ebenda 362 f. 686 At best the Convention is no more than an aid to the interpretation of legal ambiguities and uncertainties so to ensure, where possible, that United Kingdom law is in conformity with the United Kingdom’s treaty obligations. At worst it is so many worthless pieces of paper. Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 66 f.

162 Hauptteil und Art 10 EMRK scarcely surprising sei, since we pride ourselves on the fact that freedom of speech has existed in this country perhaps as long, if not longer than, it has existed in any other country in the world. Der einzige Unterschied sei struktureller Natur: Während Artikel 10 EMRK zunächst ein Grundrecht festlege und es dann qualifiziere, würde man im innerstaatlichen Recht die Annahme der Redefreiheit voraussetzen und sich dann dem Gesetz zuwenden, um die etablierten Ausnahmen zu entdecken.687 Allerdings betrachtete Lord Goff es als seine Pflicht, das Gesetz wenn möglich in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen der Krone gemäß der EMRK zu interpretieren.688 Eric Barendt wies allerdings darauf hin, dass das Ergebnis vor allem auf die Verhinderung einer erfolgreichen Verfolgung durch das amerikanische First Amendment zurückzuführen sei. Denn die so in den USA ermöglichte Veröffentlichung hätte den Import nach Großbritannien leicht gemacht. Er verwies auf die Problematik des Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit durch residual common law principles. Eine proper Bill of Rights, etwa durch Inkorporation der EMRK in das britische Recht, hätte die gesamte Struktur der Argumentation in dem Fall verändert.689 Hingegen stimmte Lord Donaldson of Lymington M.R. 1991 in R v. Home Secretary, Ex p. Brind der Ansicht zu, dass man hart und lange hinsehen müsse, bevor man irgendeinen Unterschied zwischen dem englischen Common Law und den in der Konvention niedergelegten Prinzipien erkennen könne, fügte aber relativierend hinzu: … at least if the Convention is viewed through Eng-

687 Diese Behauptung wirkt angesichts der ursprünglichen Weite und Härte insbesondere im Bereich von seditious und blasphemous libel und slander vor der Entwicklung des privilege im 19. Jahrhundert zumindest aus kontinentaleuropäischer Sicht fragwürdig: Denn danach hätte bereits ungeachtet der vehementen Einschnitte und drakonischen Strafen im 17. und 18. Jahrhundert eine mit Art 10 EMRK vergleichbare Meinungsäußerungsfreiheit existiert, basierend lediglich auf der allgemeinen Bedingung an jede Einschränkung, im Common Law oder durch Gesetz begründet zu sein. Ob dies wirklich einem modernen Grundrechtsschutz entsprach bzw. damit vergleichbar ist, ist zweifelhaft. Der Grund für diese Argumentation liegt wohl zumindest teilweise in dem Versuch, eine scheinbare Harmonie zwischen britischem bzw. englischem Recht und Art 10 EMRK zu demonstrieren. Aus heutiger Perspektive realistischer ist wohl die weiter unten zitierte Position Lord Diplocks in seiner Opinion zu Gleaves v. Deakin aus 1979. Seit dem Human Rights Act hat diese Erwägung einen rein rechtshistorischen Charakter, wobei die Institution des Human Rights Act bei einem Zutreffen der hier genannten Rechtsmeinung Lord Goffs ohnedies nicht erforderlich gewesen wäre. 688 Attorney General v. Guardian Newspapers Ltd (No.2) (1988) 3 All E.R. 640, 660. 689 Eric Barendt, Spycatcher and Freedom of Speech, P.L. 1989, 212.



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lish judicial eyes.690 Die Autorität dieser Rechtsansicht wurde in Hinblick auf die Common Law action of defamation in Derbyshire C.C. v. Times Newspaper durch Lord Justice Balcombe auf der Ebene des Court of Appeal und durch Lord Keith im House of Lords ausdrücklich bestärkt.691 Diese Position wurde ferner auch durch John v MGN Ltd. (Court of Appeal) aus 1996 unter Berufung auf die genannten Urteile bekräftigt692 und noch 1999 (nach Verabschiedung, aber vor Inkrafttreten des Human Rights Acts) durch die Opinion Lord Steyns im House of Lord bestätigt.693 Colin Turpin verwendete die Formulierung, dass die britischen Gerichte vor dem Human Rights Act guided by Article 10 as a reflection of the common law gewesen seien.694 Die britische Regierung konstatierte hingegen in ihrer Begründung des Human Rights Bills 1997 ein über die vorhergehenden zwanzig Jahre steigendes Bewusstsein der unzureichenden Natur des Schutzes der in der EMRK garantierten Rechte durch das Common Law als Grund für die Notwendigkeit von deren Inkorporation in das britische Recht.695 In R v. Home Secretary, Ex p. Brind wiederholte das House of Lords ausdrücklich, dass die EMRK nicht Teil des Rechts Englands sei. Zwar könne in Fällen von Unklarheit oder Unsicherheiten auf die Annahme, dass das Parlament beabsichtigt hatte, seine legislative Funktion in Übereinstimmung mit der EMRK auszuüben, zurückgegriffen werden. Es existiere aber keine Präsumtion, dass die dem Staatssekretär dadurch eingeräumte Diskretion in Übereinstimmung mit der Konvention ausgeübt werden müsse. Die Anwendung der Doktrin der Proportionalität würde das Gericht zu einer Substituierung des eigenen Urteils darüber führen, was zum Erreichen eines gewissen Ziels des Staatssekretärs, welchem diese Pflicht durch das Parlament übertragen worden war, notwendig sei. Ferner stellte das House of Lords grundsätzlich fest, dass jede Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit 690 R v. Home Secretary, Ex p. Brind (1991) (H.L.[E.]) 1 A.C. 717. 691 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1992) 1 Q.B. 770 (C.A.) 811 f; Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. (H.L.) 1021. 692 The European Convention on Human Rights is not a free-standing source of law in the United Kingdom. But there is, as already pointed out, no conflict or discrepancy between art 10 and the common law. John v. MGN Ltd. (1996) 2 All E.R. 35 ff. (C.A.). 693 I would respectfully follow the guidance of Lord Goff of Chieveley (A.G. v. Guardian Newspaper) and Lord Keith of Kinkel (Derbyshire CC v. Times Newspapers Ltd.). R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. 694 Colin Turpin, British Government and the Constitution5 (2002) 159 f. 695 The Human Rights Bill, http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/ chap1.htm (30.11.2007, 12:00).

164 Hauptteil (freedom of expression) nur durch ein wichtiges konkurrierendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein könne.696 Aufgrund der Akzeptanz einer Berücksichtigung der Konvention bei der Auslegung von Gesetzen sah Richard S. Lubliner in diesem Erkenntnis ungeachtet der klaren grundsätzlichen Ablehnung einer innerstaatlichen Anwendbarkeit den Beginn der Inkorporation der EMRK.697 In Derbyshire Council v. Times Newspapers aus 1992/93 prüfte der Court of Appeal (Lord Justice Balcombe) die Möglichkeit einer öffentlichen Autorität, zum Schutz ihrer governing reputation auf libel nach dem Common Law zu klagen, im Licht der Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. Er verwendete dabei die Formel der necessary protection … required in a democratic society,698 und machte damit a bold use of the Convention.699 Das House of Lords (Opinion von Lord Keith, Lord Griffiths, Lord Goff of Chieveley und Lord Browne-Wilkinson concurring) übernahm diese Formel allerdings nicht700 und traf die Entscheidung without finding any need to rely upon the European Convention.701 Insgesamt erfolgte in der Spätphase dieser Periode eine intensive gerichtliche Bezugnahme auf die Judikatur des EGMR, wie etwa Camelot Group v. Centaur Ltd. aus 1997 zeigt.702 Aus dieser schloss etwa Richard Lubliner auf eine Inkorporation des europäischen (EMRK) Rechts zur Meinungsäußerungsfreiheit in das heimische Common Law durch die englischen Gerichte noch vor dem Human Rights Act.703 Gleichzeitig erfolgte aber auch eine ebenso intensive Bezugnahme auf die Judikatur von anderen Common-Law-Systemen, insbesondere jenes der Vereinigten Staaten von Amerika.704 696 R v. Home Secretary (1991), Ex p. Brind (H.L.[E.]) 1 A.C. 697. 697 Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev 16 (2002) 294 ff. 698 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1992) 1 Q.B. 771 (C.A.). 699 Eric Barendt, Government, Libel and Freedom of Speech, P.L. 1992, 360. 700 Wenngleich Lord Keith die Elemente der Formel nach der Untersuchung der heimischen Rechtslage ebenfalls prüfte. 701 Die Begründung lag in der weiter oben ausgeführten presumptio, dass kein prinzipieller Unterschied zwischen dem englischen Recht und Art 10 EMRK bestehe. Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1017 ff. (H.L.). Siehe dazu auch Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 449 f; Michael Zander, A Bill of Rights?4 (1997) 55. 702 Camelot Group v. Centaur Ltd (1998) 1 All E.R. 251 ff. (C.A.). 703 Siehe etwa Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev 16 (2002) 267. 704 Siehe etwa Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1017 ff.



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Das Prüfschema einer Verletzung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit war zunehmend das einer (nun eindeutigeren) Abwägung öffentlicher Interessen. Man vergleiche dazu etwa Lord Salmon in Attorney-General v. B.B.C. aus 1981, in dem er eine Ausdehnung der contempt of court-Prinzipien auf moderne Tribunale aufgrund der unnötigen Einschränkung für die Rede- und Pressefreiheit ablehnte. Methodisch prüfte er dabei nicht direkt eine Verletzung der Redefreiheit, sondern balancierte die Interessen der contempt of court zugrunde liegenden Prinzipien mit denen der Rede- und Pressefreiheit aus. Art 10 EMRK erwähnte er dabei nicht.705 In X. Ltd. v. Morgan Grampian Ltd. aus 1990 wählte der Court of Appeal ebenfalls die Methode einer Balancierung der öffentlichen Interessen an Meinungs- bzw. Informationsfreiheit und am Erhalt vertraulicher Informationen.706 Eine derartige Abwägung der öffentlichen Interessen erfolgte z. B. auch im ähnlich gelagerten Fall Camelot Group v. Centaur aus 1997.707 Im Schlüsselfall des House of Lords im Bereich der political speech, Reynolds v. Times Newspapers, war die Balancierung des als besonders wichtig anerkannten Rechtes auf political speech mit dem ebenfalls im öffentlichen Interesse stehenden angemessenen Schutz des guten Rufs ein entscheidender Faktor.708 Auch Lord Steyn kam in R v. Secretary of State, ex p. Simms vom Ausgangspunkt der gewichtigen Grundsatzerklärung, die Meinungsäußerungsfreiheit (bzw. freedom of expression) sei in einer Demokratie the primary right, ohne das ein effektiver Rechtsstaat unmöglich sei, schließlich zum Ergebnis eines Ausgleichs der öffentlichen Interessen.709 3.3.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die politische Meinungsäusserungsfreiheit In Burnett etc. v. Sheffield Telegraph etc. aus 1960 betonte das Gericht in Zusammenhang mit der fair comment-Verteidigung das öffentliche Recht auf Information über die Vorgänge vor Gericht und dessen Abhängigkeit von der (H.L.) 1018 ff. 705 A.G. v. B.B.C. (H.L.[E.]) (1981) A.C. 341 f. 706 Wobei sich das Gericht in diesem Fall für einen Vorzug des Letzteren aussprach. X. Ltd. v. Morgan Grampian Ltd. (1990) 1 All E.R. 616 ff. 707 Camelot Group v. Centaur Ltd (1998) 1 All E.R. 251 ff. (C.A.). 708 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 609 ff. (H.L.). 709 Nevertheless, freedom of expression is not an absolute right. Sometimes it must yield to other cogent social interests. Lord Steyn in R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 407 (H.L.).

166 Hauptteil Pressefreiheit.710 Auch hier findet sich also wieder der Gedanke, dass die Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit nicht nur in einem individuellen Recht auf Meinungsäußerung, sondern auch in der Informiertheit der Öffentlichkeit und im Recht auf Empfang der Information liegt. Webb v. Times Publishing Co. Ltd. aus 1960 lag die Frage zugrunde, ob auch bei fairen und zutreffenden Reportagen von ausländischen Gerichtsverhandlung privilege zusteht.711 Das privilege bezüglich der Berichterstattung über britische Gerichte war demnach based on the close concern of the whole British public in the administration of the law under which they live. In diesem Einzelfall wurde das Vorliegen von privilege allerdings bejaht, da its subject-matter … closely connected with the administration of justice in England war und folglich a legitimate and proper interest to the English newspaper-reading public vorlag. Die Grundlage eines jeden privilege war demnach ein legitimes und proper öffentliches Interesse im Gegensatz zu idle curiosity or a desire for gossip.712 Auffallend sind dabei die Übereinstimmungen zwischen der Position von Pearson J in Webb und Cockburn CJ in Wason. Vor allem lag beiden Urteilen die Schlussfolgerung zugrunde, dass der Sinn der Regel in der Vereinfachung von informed consent der Bürger gegenüber den staatlichen Institutionen und den von diesen geschaffenen Gesetzen lag. Allerdings verlangten nach der Ansicht von Pearson J die Umstände der 1960er einen wesentlich weiteren Zugang zu Informationen als hundert Jahre zuvor.713 Im Gegensatz zu den meisten der moderneren Ausführungen zur Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit (siehe unten) berief sich Pearson J nicht auf Quellen aus anderen Rechtsordnungen, sondern legte seinen Schlussfolgerungen weitgehend etablierte Prinzipien des Common Law zugrunde, welche jedoch in den achtzig vor dem Urteil liegenden Jahren scheinbar weitgehend vergessen waren.714 Die Beschränkbarkeit des privilege durch das Parlament gerade auch im Bereich der political speech wurde insbesondere durch Plummer v. Charman aus 710 The public is entitled to be in court and to listen, and the public is entitled to know what is going on in the court through their newspapers. That is a fundamental right of the public, and it depends to no little extend on what is called the freedom of the press. It is really the freedom of all of us. Burnett & Hallamshire Fuel, Ltd. v. Sheffield Telegraph & Star Ltd. (1960) 2 All E.R. 157. 711 Siehe dazu auch Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 578 f. Ian Loveland wies dabei auf die Ähnlichkeit der Begründung mit jenen der EGMR-Entscheidungen in Lingens, Castells und Oberschlik sowie der US Supreme CourtEntscheidung in Sullivan hin. 712 Webb v. Times Publishing Co. (1960) 2 Q.B. 536. 713 Siehe dazu Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 60. 714 Ebenda 64.



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1962 demonstriert. Darin bestätigte der Court of Appeal, dass die oben ausgeführten Grundsätze des privilege für Meinungsäußerung im Wahlkampf gemäß Braddock v. Bevins aufgrund von Section 10 des Defamation Act 1952 nicht länger geltendes Recht waren.715 Ian Loveland sah allerdings in Plummer v. Charman vor allem ein Beispiel für den geringen Einfluss von Webb und den dahinterliegenden Ideen, wobei er sich vor allem auf folgendes Element der Opinion Diplock LJs berief: I need hardly say that there is no privilege known to the law which entitles persons enganged in politics to misstate facts about opponents provided they say it honestly even though untruthfully. Denn Pearson J’s Formel einer fair information on a matter of public interest hätte für einen solchen Fall durchaus eine entsprechende Common-Law-Regel dargestellt.716 Noch 1965 wurde es in einem Werk über das britische Verfassungsrecht als unbestreitbar bezeichnet, dass the law of defamation … still a considerable brake upon political discussion sei. Wenn es zur Unterdrückung der Redefreiheit eingesetzt werde, könne es zu einer hervorragenden Fessel für die Meinungsäußerungsfreiheit werden.717 In Bognar Regis UDC v. Campion wurde 1972 die Möglichkeit einer öffentlichen Einrichtung, eine libel action einzubringen, bestätigt. Diese war als Konsequenz auf (extrem formulierte) politische Flugzettel eines Bürgers erfolgt. Die Entscheidung berief sich darauf, dass, so wie eine Handelsgesellschaft über einen Handelsruf verfüge, eine local government corporation eine “governing” reputation besitze. Ein Hinweis auf eine verfassungsrechtliche Dimension fehlte, ebenso jeglicher Hinweis auf Webb.718 Nicht direkt dem Bereich des privilege unterzuordnen, aber auf den Prinzipien des fair comment basierend, war der in A.G. v. Times Newspapers Ltd. aus 1972/73 eingeräumte Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich des comtempt of court.719 Danach galt bei Vorliegen einzigartiger Umstände 715 Lord Denning, M.R.: Let me say at once that, if the decision of this court in Braddock v. Bevins had remained good law, it would have afforded a firm basis for this plea of qualified privilege. … That case is no longer law because, four years later, by the Defamation Act, 1952, Parliament clearly overruled that decision. Durch Section 10 war ausdrücklich festgelegt worden, das defamatory statements, die von oder für einen Kandidaten für eine lokale Regierungsbehörde oder für das Parlament veröffentlicht wurden, nicht durch eine privileged occasion, basierend auf der Relevanz für die Wahl, geschützt wurden. Plummer v. Clarman (1962) 3 All E.R. 823 ff. 716 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 63. 717 E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 518. 718 Bognor Regis Urban District Council v. Campion (1972) 2 All. E.R. 61 ff. Siehe dazu auch Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 93 f. 719 Diese Konstruktion intendiert den Schutz eines fairen Verfahrens durch das Verbot eines einseitigen Kommentars. Dazu Lord Denning, M.R.: It is undoubted law that, when litigation

168 Hauptteil (einer nationalen Tragödie), in welchen das öffentliche Interesse eine Diskussion des Gegenstandes verlangt, unter gewissen Umständen720 eine Abwägung zwischen dem public interest in a matter of national concern und dem Interesse der Parteien an einem fairen Verfahren oder einem Vergleich.721 Es stand also das öffentliche Recht, informiert zu werden, im Vordergrund und nicht ein individuelles Grundrecht auf Meinungsäußerung, wobei der rechtliche Schutz des Letzteren gewissermaßen als eine Folge des Ersteren betrachtet wurde.722 Eine ähnliche Abwägung zwischen dem Interesse des Angeklagten auf ein faires Verfahren und einem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung erfolgte in A.G. v. English (D.C.) aus 1982, wobei diese Abwägung durch Section 5 des Contempt of Court Act 1981 mit der Intention eines breiteren Raumes für public discussion gesetzlich verankert worden war. Das House of Lords akzeptierte zwar die Autorität des Acts, legte ihn aber im Sinne der public discussion on matters of public interest aus.723 is pending and actively in suit before the court, no one shall comment on it in such a way that there is a real and substantial danger of prejudice to the trial of the action, as for instance by influencing the judge, the jurors, or the witnesses, or even by prejudicing mankind in general against one party to the cause. A.G. v. Times Newspapers LTD. (1973) 1 Q.B. 710 ff, 739. 720 …where the only exant legal proceedings had been dormant for years and the writs issued were themselves a move towards achieving a settlement, and where there appeared no possibility that any action on behalf of the children against the company would ever come to trial … A.G. v. Times Newspapers Ltd. (1973) 1 Q.B. 711. 721 Dazu Lord Denning: … when considering the question, it must always be remembered, that besides the interest of the parties in a fair trial or a fair settlement of the case there is another important interest to be considered. It is the interest of the public in matters of national concern, and the freedom of the press to make fair comment on such matters. The one interest must be balanced against the other. There may be cases where the subject matter is such that the public interest counterbalances the private interest of the parties. In such cases the public interest prevails. Fair comment is to be allowed. … On such a case [betreffend den Anlassfall] the law can and does authorize the newspapers to make fair comment. So long as they get their facts right, and keep their comments fair, they are without reproach. Ferner begründet Lord Denning seine Entscheidung damit, dass es sich um a matter of greatest [Betonung hinzugefügt, um den Unterschied zum Test des privilege hervorzuheben] public interest handelte und die Zeitung sie ehrlich für wahr hielt. Auch Lord Justice Phillimore wies in seiner Concurring Opinion auf das great [Betonung hinzugefügt] public interest in diesem Fall hin, und betonte, in einem gewöhnlichen Fall die (eine solche Ausnahme nicht vorsehenden) Präzedenzfälle als bindend zu akzeptieren. Generell betonte Lord Denning ausdrücklich: We must not allow “trial by newspaper” or “trial by television” or trial by any medium other than the courts of law. Ebenda 710 ff. 722 Dies wird besonders in der Concurring Opinion von Lord Justice Scarman deutlich, wenn er von der speziellen Formel in diesem Fall when considered in conjunction with the public interest in freedom of speech (Betonung hinzugefügt) spricht. Ebenda 746. 723 Diesem Fall lag eine Berichterstattung bzw. ein Kommentar zur Unterstützung der Position



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Gemäß Cook v. Alexander aus 1974 war ein Reporter berechtigt, für einen schriftlichen Kurzbericht über eine Parlamentssitzung den Teil der Debatte auszusuchen, welcher ihm als of special public interest erschien, und dieser Bericht war privileged, solange er fairly and honestly gemacht wurde.724 Wiederum war allerdings die Meinungsäußerungsfreiheit primär ein Instrument der öffentlichen Information: The reporter represents the public in Parliament: he is their eyes and ears; and he has to do his best, using his professional skill, to give them a fair and accurate picture of what went on in either the House of Lords or the House of Commons. Nur deshalb werde ihm das Recht auf eine von ihm gewählte Selektion dessen, was er wiedergibt, unter gewissen Bedingungen zugestanden, denn: He cannot report everything that happened; he must, from the very nature of things, be selective; and what he may very well find himself doing is answering the question: Well if I were a fair minded, reasonable member of the public, what would I have remembered about this debate? 725 In Gleaves v. Deakin aus 1979 kritisierte Lord Diplock das herrschende System des criminal offence of defamatory libel, insbesondere da es schwierig sei, dieses mit den durch die EMRK völkerrechtlich entstandenen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs in Einklang zu bringen. Die geltende britische Rechtslage (das beschriebene System des privilege) stelle das System von Art 10 Abs 2 EMRK auf den Kopf: Bei einer zutreffenden Information über ein ernsthaft diskreditierendes Verhalten eines Individuums müsse der Herausgeber verurteilt werden, wenn er den Geschworenen nicht einen hinreichenden Beweis von dem öffentlichen Interesse an der Veröffentlichung erbringt. Hineiner pro-life-Kandidatin (also einer Abtreibungsgegnerin) in den kommenden Parlamentswahlen im Zusammenhang mit einem zeitgleichen Mordprozess gegen einen Arzt wegen der Tötung eines mongoloiden Babys auf Wunsch der Eltern zugrunde. Im Gegensatz zu A.G. v. Times Newspapers Ltd. aus 1973 wurde das Gerichtsverfahren in diesem Fall nicht erwähnt. Eine Verurteilung wegen contempt of court, mit anderen Worten eine gagging of bona fide public discussion in the press of controversial matters of public interest lehnte das House of Lords ab. Eine solche Verurteilung nur aufgrund der Existenz von Verfahren, in welchen diese umstrittenen Themen Gegenstand sein können, sei das, was durch Section 5 verhindert hätte werden sollen. Die EMRK blieb unerwähnt. A.G. v. English (1981) A.C. 116 ff. Zur weiteren Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich des contempt of court siehe auch A.G. v. Guardian Newspapers Ltd. a.o. (1992) 1 W.L.R. 874 ff, sowie A.G. v. Associated Newspapers Ltd. a.o. (1993) 2 All E.R. 535 ff. 724 Zur Bedeutung von fair in diesem Zusammenhang: … fairness in this regard means a fair presentation what took place as it impressed the hearers. It does not mean fairness in the abstract as between Mr. Cook and those who were attacking him. (Lord Denning M.R.) Cook v. Alexander (1974) Q.B. 279, 289. 725 Aus der Concurring Opinion von Lord Justice Lawton. Ebenda 291.

170 Hauptteil gegen müsse nach Art 10 Abs 2 EMRK der Ankläger zeigen, dass die Veröffentlichung von solcher Natur war, dass ihre Unterdrückung oder Bestrafung in einer demokratischen Gesellschaft nötig sei, um das öffentliche Interesse zu schützen. Statt einer Korrektur durch die Judikatur forderte Lord Diplock in Folge eine radikale Reform des gesamten law of defamation.726 Wie bereits im vorangehenden Unterkapitel gezeigt, wurde stattdessen der Weg einer graduellen, evolutionären Anpassung durch die Judikatur gewählt. Bereits vor Inkrafttreten des Human Rights Act wurde das law of libel durch die ausdrückliche Anerkennung eines constitutional right auf Meinungsäußerung wesentlich beeinflusst.727 In Blackshaw v. Lord aus 1983 entschied der Court of Appeal, dass das Common Law privilege zwar in Verfolgung einer rechtlichen, sozialen oder moralischen Verpflichtung gegenüber Personen mit einer korrespondierenden Verpflichtung oder einem Interesse am Empfang anwendbar ist, nicht aber in Fällen von fair information on a matter of public interest, soweit keine Pflicht zur Veröffentlichung existiert. Öffentliches Interesse und Nutzen seien notwendig, aber allein nicht ausreichend. Ebenso unzureichend sei die Pflicht gegenüber einem Teil der Öffentlichkeit. Nur in extremen Fällen (z. B. die öffentliche Gefahr durch einen als solchen verdächtigten Terroristen oder die Vertreibung kontaminierter Nahrungsmittel) könne gemäß Lord Justice Stephenson die Mitteilung einer Warnung so dringend oder die Information so verlässlich sein, dass die Veröffentlichung von Verdacht oder Spekulation gerechtfertigt seien. Nach Ansicht von Lord Justice Dunn seien die weiten Formulierungen von Webb v. Times Publishing Co. Ltd., aus ihrem Kontext genommen, irreführend. Eine Verteidigung auf fair information on a matter of public interest existiere in Diffamierungsprozessen nicht. Darüber hinaus wies er auf die Unmöglichkeit einer Verteidigung aufgrund von privilege im 18. Jahrhundert hin. Im 19. Jahrhundert sei privilege als a set of circumstances in which the presumption of malice was negatived verstanden worden. Er betonte, dass die Kategorien von privilege nicht geschlossen und von einer Einzelfallanalyse abhängig seien. Dabei sei nicht nur der Gegenstand der Kommunikation wichtig, sondern auch ihr Status und ob dieser eine Pflicht zur Veröffentlichung schaffe.728 726 Gleaves v. Deakin (1979) 2 All E.R. 498 f. 727 Department for Constitutional Affairs (dca), Review of the Implementation of the Human Rights Act (2006) 11. Siehe dazu auch Secretary of State for Defence v. Guardian Newspapers Ltd. (1984) 3 All E.R. 601; R v. Lord Chancellor, ex p. Witham (1997) 2 All E.R. 779. 728 Eine Bezugnahme auf die EMRK erfolgte nicht. Blackshaw v. Lord (1984) 1 Q.B. 3, 26 ff.



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Die formalistische Vorgehensweise des Gerichts in Blackshaw wurde in Folge kritisiert, da es die Veränderungen des Verhältnisses zwischen gewählten Regierungsbehörden und der Öffentlichkeit seit 1877 übersehe. Dabei war Großbritannien zu jenem Zeitpunkt noch keine repräsentative Demokratie im eigentlichen Sinn gewesen und die Verantwortung der Regierung wurde als primär gegenüber dem Parlament und nicht der Bürgerschaft existent betrachtet.729 Ende der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts konnten damit öffentliche Institutionen und Personen der Öffentlichkeit weiterhin im selben Ausmaß wie Privatpersonen auf Kritik ihres Verhaltens im staatlichen Bereich mit einer libel action reagieren. Da diese von dem Recht auch häufig Gebrauch machten, blieb das law of libel ein gravierendes Hindernis für eine offene Debatte über Gegenstände des öffentlichen Interesses.730 Dies sollte sich in den 90er-Jahren durch Derbyshire und Reynolds ändern. In Derbyshire Council v. Times Newspapers aus 1993 wurde die entscheidende Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne von Regierungskritik ausdrücklich betont: It is of the highest public importance that a democratically elected governmental body, or indeed any governmental body, should be open to uninhibited public criticism.731 Die Gefahr einer Zivilklage wegen übler Nachrede (defamation) habe folglich unvermeidbar einen die Redefreiheit unterbindenden Effekt.732 Bei der Urteilsbegründung griff Lord Keith allerdings primär auf US-amerikanische First Amendment-Judikatur zurück, welche zwar auf der amerikanischen Verfassung basieren deren public interest considerations jedoch im Vereinigten Königreich no less valid seien. Lord Keith warnte auch vor dem chilling effect auf regierungskritische Meinungsäußerungsfreiheit aufgrund einer Bedrohung durch Zivilklagen.733 Das Common Law erlaube keiner Regierungsbehörde oder lokalen Behörde bezüglich einer Kritik ihres Regierungsverhaltens die Aufrechterhaltung einer 729 Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 580; Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 96 ff. 730 Siehe Kevin Boyle, Freedom of expression, in Paul Sieghart, Human Rights in the United Kingdom; Human Rights Network (1988) 87 f. Siehe dazu auch Peter Wallington, Civil Liberties 1984 (1984) 74. 731 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1017 (H.L.). Zur Bedeutung dieser Aussage im Kontext des britischen öffentlichen Rechts siehe etwa Lord Clarke, Human Rights, Devolution and Public Law, in Alan Boyle/Chris Himsworth/Andera Loux/ Hector McQueen, Human Rights and Scots Law (2002) 11. 732 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1017 (H.L.). 733 Ebenda 1018. Siehe dazu auch Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 450.

172 Hauptteil libel action,734 das einzige diesen zur Verfügung stehende Rechtsinstrument war folglich eine action in malicious falsehood.735 Ian Loveland bezeichnete das Derbyshire-Erkenntnis als ein manifestly “constitutional law” House of Lords judgement und führte diese auf eine Entscheidung des Supreme Court of Illinois aus 1923 zurück (City of Chicago v. Tribune Co.),736 auf welche sich Lord Keith’ Entscheidung weitgehend bezogen hatte.737 Das Ergebnis in Chicago war allerdings eine Unzulässigkeit jeglicher Form der defamation action, also auch der malicious falsehood, wodurch der rechtliche Schutz vor der Veröffentlichung bösartiger Unwahrheit durch die politische Opposition beseitigt würde.738 Dies war aber wie ausgeführt nicht die Konsequenz von Derbyshire. Dennoch wurde die Entscheidung wegen der Absenz eines Ausgleiches mit dem Interesse auf Schutz des guten Rufes kritisiert.739 Malicious falsehood verlangt vom Kläger eine Darstellung eines quantifizierbaren ökonomischen Schadens, was in Fällen von Angriffen auf die Kompetenz oder politische Integrität problematisch ist. Auf der anderen Seite schien die Opinion von Lord Keith einem einzelnen Mitglied der politischen Institution (in diesem Fall ein councillor) dieselben Rechte auf eine libel-Klage wie einem privaten Individuum zuzugestehen.740 734 Derbyshire County Council v. Times Newspaper Ldt. (1993) 1 All E.R. 1017 ff. (H.L.). Vergleiche dazu hingegen die oben ausgeführte Entscheidung der Queen’s Bench Division in Bognor Regis Urban District Council v. Campion (1972) 2 All. E.R. 61 ff, welche für eine local government corporation noch eine governing reputation angenommen hatte, welche gleich einer trading reputation einer trading corporation Schutz genieße. 735 Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 562. 736 Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 573. Siehe dazu auch Ian Loveland, The Constitutionalisation of Political Libels in English Common Law?, P.L. 1998, 633, sowie Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 46. 737 Siehe dazu auch Leslie Zines, Freedom of Speech and Representative Government, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 46. 738 Ian Loveland, The Constitutionalisation of Political Libels in English Common Law? P.L. 1998, 633. 739 Siehe Christopher Forsyth, The Protection of Political Discourse: Pragmatism or Incoherence?, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 87 ff. 740 Worin Ian Loveland im ersten Fall eine Überziehung des Prinzips der freien Meinungsäußerung, im zweiten eine mangelnde Sensitivität diesem gegenüber ortete. Er wies auf die bessere Vorbildfunktion von Sullian (v. New York Times Co. [1964] 254 U.S. 376.) hin. Ian Loveland, The Constitutionalisation of Political Libels in English Common Law? P.L. (1998) 633 f.



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Die Entscheidung des House of Lords in Derbyshire ist auch insofern bemerkenswert, als sie in einer Hinsicht sogar weiter reichte als die Entscheidung des US Supreme Court in The New York Times v. Sullivan. Denn sie schloss libel actions von öffentlichen Behörden kategorisch aus, während der US Supreme Court einen derartig kategorischen Schutz durch das First Amendment ablehnte,741 und dies ohne eine mit dem First Amendment vergleichbare verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage. Derbyshire wurde in der Literatur auch als jener Punkt bezeichnet, ab dem die Meinungsäußerungsfreiheit nicht länger nur eine residual freedom war. Insbesondere die Wichtigkeit der Meinungsäußerungsfreiheit bezüglich Regierungsangelegenheiten und der Politik im Allgemeinen für die Institution der repräsentativen Regierung trat als zentrales Element eines wichtigen Rechtsprinzips hervor.742 Eric Barendt argumentierte 1993 sogar, dass die dem Fall zugrunde liegenden Prinzipien (Freiheit und Bedeutung von political speech) in Richtung einer unvermeidlichen Ausdehnung auf individuelle Politiker und officials deuteten. Er wies ferner auf die Entwicklung einer besonderen Bedeutung von political speech im Verhältnis zu weniger geschützten Kategorien der Meinungsäußerungsfreiheit wie insbesondere commercial speech hin.743 Derbyshire wurde in Folge als Ausgangspunkt für das moderne Recht der Diffamierung im politischen Kontext herangezogen und beeinflusste die nachfolgende Judikatur maßgeblich.744 Die Möglichkeit einer eigenen (generic) Kategorie des qualified privilege für die Verbreitung politischer Information gegenüber der Öffentlichkeit, wie zuvor etwa von Ian Loveland unter Heranziehung der Entscheidung des High Court of Australia in Stevens v. West Australian Newspaper vorgeschlagen worden war,745 wurde in Reynolds v. Times Newspapers vom House of Lords grundsätzlich erörtert.746

741 Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 452. 742 Siehe dazu Leslie Zines, Freedom of Speech and Representative Government, in Jack Beatson/ Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 47. 743 Eric Barendt, Libel and Freedom of Speech in English Law, P.L. 1993, 453 ff. 744 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 96, 98. 745 Ian Loveland, Reforming Libel Law: The Public Law Dimension, ICLQ 46 (1997) 578 ff. 746 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 609 ff. Auch dieses Erkenntnis ist im Licht des Bemühens des House of Lords zu sehen, das Recht der an die Standards der Straßburger Judikatur anzupassen. Siehe Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1076.

174 Hauptteil Die Idee, die Verteidigung des qualified privilege auf political libels auszudehnen, wurde zuvor auch als mögliches Mittel der Gerichte gesehen, einer durch den EGMR erzwungenen Reform des innerstaatlichen Rechts zuvorzukommen. Die Judikatur des EGMR war so interpretiert worden, dass die Gesetze der Konventionsstaaten einen gewissen Grad an Unterscheidung zwischen political und private libels ziehen müssten. Den dahinterliegenden Gedanken der Bedeutung der Dissemination und Diskussion von politischer Rede (als zentrales Element für den Erhalt eines demokratischen Staates, in welcher Politiker für ihr Verhalten gegenüber der Wählerschaft zur Verantwortung gezogen werden können) führte man dabei auf den Einfluss der Entscheidung des US Supreme Court in Sullivan zurück. Der zu diesem Zeitpunkt erst in erster Instanz entschiedene Reynolds-Fall wurde als Gelegenheit betrachtet, dahin gehende Veränderungen umzusetzen, bevor der EGMR von der Richtigkeit dieses Zugangs überzeugt werde.747 Letztlich lehnte jedoch das House of Lords im Gegensatz zum Court of Appeal political information748 als eine eigene Common-Law-Kategorie an Information, deren Publikation ungeachtet der Umstände zu einem qualified privilege führt, ab. Es wies dabei auf die Bedeutung des angemessenen Schutzes des guten Rufs für das Individuum sowie für die demokratische Gesellschaft hin.749 Gleichzeitig bezeichnete es die Unterscheidung von political discussion und discussion of other matters of serious public concern als unsound in principle. Auf der anderen Seite wurde festgestellt, dass ein Gericht vorsichtig bezüglich der Schlussfolgerung sein solle, dass eine Information nicht im öffentlichen 747 Andrew Sharland/Ian Loveland, The Defamation Act 1996 and Political Libels, P.L. 1997, 122 ff. 748 Der in diesem Urteil verwendete Terminus der political discussion entsprach dabei im Wesentlichen der hier verwendeten Definition der core political speech (bzw. political speech ieS) und nicht der political speech iwS. Political speech iwS korrespondiert dagegen etwa mit der discussion of other matters of serious public concern, auch wenn sie etwas weiter ist, da theoretisch auch Themen von ernstem öffentlichem Interesse sein können, die in keinerlei Bezug zur politischen Information und Entscheidungsfindung stehen. Zu den Definitionen siehe Abschnitt I, Kapitel 1.2. Denn Lord Nicholls definierte polical discussion unter Anlehnung an den High Court of Australia eng als information, opinion and arguments concerning government and political matters that affect the people of the United Kingdom. Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 621. 749 Eine derartige Kategorie war zuvor vom High Court of Australia in Lange v. Australian Broadcasting Corp (1997) 145 ALR 96 unter der Bedingung von due care sowie in Neuseeland in Lange v. Atkinson (1997) 2 NZLR 22, (1998) 3 NZLR 424 befürwortet worden. Auch eine public figure defence nach dem Vorbild des US Supreme Court in New York Times Co v. Sullivan (1964) 376 US 254, USSC. wurde abgelehnt.



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Interesse liege, especially in the field of political discussion.750 Allerdings war das Urteil in Reynolds von einer Spaltung zwischen der konservativen Mehrheit und einer liberaleren/progressiveren Minderheit charakterisiert, wodurch ein breiterer Dissens unter britischen Juristen über die zu treffende Balance zwischen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit und dem Schutz des guten Rufes verdeutlicht wurde.751 Lord Nicholls of Birkenhead betonte in seiner Opinion (leading judgement in einer 3 : 2-Entscheidung)752 die essenzielle Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für das Funktionieren des Systems der parlamentarischen Demokratie sowie die Bedeutung der Massenmedien als Informationsquelle bezüglich politischer Themen.753 Er wählte als Ansatzpunkt die These einer notwendigen Unterstützung der Wähler durch das Common Law beim Fällen informierter Entscheidungen, wer ihr Land regieren sollte. Dies sei ein bis dahin im nationalen Kontext ungewöhnlicher methodischer Zugang.754 Damit schien der Grundstein für eine innovative und von verfassungsrechtlichen Motiven getragene Reform des law of libel ähnlich den vorangehenden Entwicklungen in anderen Common-Law-Staaten gelegt.755 Er wog dies jedoch gegen den Schutz des Rufes des Einzelnen. Dieser bilde auch die Grundlage vieler Entscheidungen in einer demokratischen Gesellschaft und sei nicht nur für die Würde des Individuums, sondern auch für das öffentliche Wohl wichtig. Daher sei es in the public interest that the reputation of public figures should not be debated falsely. In the political field, in order to make an informed choice, the electorate needs to be able to identify the good as well as the bad.756 Auch nach der EMRK sei das Recht 750 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 609 ff. 751 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 104. 752 Ian Loveland, Reynolds v. Times Newspapers in the House of Lords – Analysis, P.L. 2000, 352; Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 169. 753 Without freedom of expression by the media, freedom of expression would be a hollow concept. The interest of a democratic society in ensuring a free press weighs heavily in the balance in deciding whether any curtailment of this freedom bears a responsible relationship to the purpose of the curtailment. Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 621 f. 754 Ian Loveland, Reynolds v. Times Newspapers in the House of Lords – Analysis, P.L. 2000, 352. Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 169. 755 Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 170. 756 Auf diesen Punkt legte Lord Hobhouse in seiner Opinion großen Wert: No public interest is served by publishing or communicating misinformation. The working of a democratic society depends on the members of this society to be informed, not misinformed. Misleading people and the purveying as facts statements which are not true is destructive for a democratic society and should form no part in such a society. In Anlehnung an den duty/interest-Test fügte er hinzu: There is

176 Hauptteil auf Meinungsäußerungsfreiheit kein absolutes. Das Common-Law-System, wonach ein Schutz diffamierender Äußerungen (von Kommentaren wie von Tatsachenbehauptungen) verweigert wird, wenn diese bewiesenermaßen von malice motiviert wurde,757 absolviere den necessary-Test with flying colours.758 Das Common Law verlange darüber hinaus keinen höheren Standard als den verantwortungsvollen Journalismus. Eine Einschränkung der Pressefreiheit, die diese Anforderungen nicht überschreite, würde weder exzessiv noch unverhältnismäßig erscheinen.759 Die Elastizität der etablierten Common-Law-Methodik sei folglich vorzuziehen.760 Bemerkenswert ist das Argument Lord Steyns (wie auch Lord Cookes) gegen das geforderte besondere generic qualified privilege für political speech, dass diese der Judikatur des EGMR widerspräche. Der Gedanke einer Sonderbehandlung von political speech war demnach also keineswegs eine bloße Reaktion auf EGMR-Judikatur, sondern ging vielmehr über diese hinaus. Lord Steyn befürwortete darüber hinaus ein situationsabhängiges qualified privilege, basierend auf dem traditionellen Test von duty und interest, in Fällen von political speech.761 Die Ablehnung eines generic privilege für politischen Diskurs und der Anwendung eines Balance-Tests wurde dabei auch als Bestätigung der wiederholten Feststellung des House of Lords, dass der Schutz der freien Meinungsäußerung durch das Common Law und Art 10 EMRK weitgehend identisch seien, gedeutet.762 Für diese Ansicht spricht dabei das Urteil des EGMR in Pfeifer v. Austria aus 2007.763 Durch die Anerkennung von qualified privilege für mediale no duty to publish what is not true: there is no interest in being misinformed. Siehe Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 657. 757 Abgesehen vom seltenen absolute privilege. 758 Denn: Freedom of speech does not embrace freedom to make defamatory statements out of personal spite or without having a positive belief in their truth. Lord Nicholls betonte in Folge die Probleme einer Grenzziehung im Bereich der Tatsachenbehauptungen, insbesondere da malice außerordentlich schwierig zu beweisen sei, gerade wenn sich etwa eine Zeitung weigert, ihre Quelle preiszugeben. Er analysierte in dieser Hinsicht auch die EMRK-Judikatur, darunter insbesondere Lingens v. Austria. Ebenda 622 f, 625. 759 Ebenda 623. 760 Colin Turpin, British Government and the Constitution5 (2002) 157. Siehe dazu auch Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1078. 761 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 631, 633 ff, 643. 762 Siehe dazu Christopher Forsyth, The Protection of Political Discourse: Pragmatism or Incoherence? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 103. 763 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 4.



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Berichterstattungen, betreffend politischer Information, deren Inhalt dergestalt war, dass die Öffentlichkeit ein Recht habe, diese zu erfahren, wurde der Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit wesentlich erweitert. Der Effekt dieses qualified privilege ist zwar ein Schutz diffamierender Unwahrheiten. Die Rechtfertigung liegt allerdings in deren instrumentellem Charakter, um nicht durch die Furcht vor einer libel action die Presse von der Veröffentlichung unbewiesener Nachrichten abzuschrecken, die sich als wahr herausstellen könnten.764 Ian Loveland wies in seiner Analyse der Entscheidung auf einen weiteren grundlegenden Aspekt hin: Demnach dürfte der rechtliche Test, dem Politiker in einer libel action gegenüberstehen, nicht dermaßen erschwert sein, da dies nicht notwendigerweise dem Zugang zu politischer Information diene. Denn sonst könnten unehrliche Politiker dies als Rechtfertigung verwenden, keine libel action zum Beweis ihrer Unschuld einzubringen, da diese Gesetze dermaßen pressefreundlich seien, dass eine derartige Klage ohnehin sinnlos wäre.765 Von besonderem dogmatischem Interesse ist die klare Akzeptanz der fundamentalen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für die Demokratie und die unmittelbare Beeinflussung der rechtlichen Wertung durch diese These.766 3.3.2 Der schottische Sonderweg und dessen Bedeutung Wenn die Entwicklungen im Bereich der Einreden im englisch-walisischen Rechtskreis Ausdruck eines britischen Verfassungsprinzips darstellen, müsste sich dies auch in der schottischen Rechtsentwicklung widerspiegeln. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall. Die EMRK wurde ursprünglich in der schottischen Rechtsprechung kaum beachtet, weder als Mittel zur Entwicklung des Common Law noch als Interpretationshilfe bei Gesetzesauslegungen. Die bewusste Verwerfung der englisch-walisischen Methodik im Umgang mit der Konvention führte dazu, dass die EMRK im schottischen Recht im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten jahrelang eine besonders schwache Bedeutung zukam.767 Kaur 764 Ian Loveland, Freedom of political expression: who needs the Human Rights Act?, P.L. 2001, 233 f. 765 Ian Loveland, Reynolds v. Times Newspapers in the House of Lords – Analysis, P.L. 2000, 356 f. 766 Siehe dazu auch Dario Milo, Defamation and Freedom of Speech (2008) 72. 767 Jonathan Murdoch, Scotland and the European Convention, in Brice Dickson (ed.), Human Rights and the European Convention (1997) 113.

178 Hauptteil v. Lord Advocate und Moore v. Secretary of State for Scotland bildeten dabei the twin watchdogs at the doors of the Scottish legal system768 und führten dazu, dass jeglicher Einfluss auf das schottische Rechtssystem von einer dahin gehenden legislativen Ermächtigung abhängig gemacht wurde.769 In Kaur war versucht worden, die fundamentalen Grundsätze der Verfassungsordnung, betreffend das Verhältnis zwischen innerstaatlichem Recht und dem Völkerrecht (der EMRK), zu revolutionieren. Die prinzipielle Notwendigkeit einer speziellen Transformation durch den Gesetzgeber wurde dabei infrage gestellt. Kaur hatte aufgrund der Ratifikation der EMRK durch die britische Regierung für einen Übergang zu einem monistischen Zugang argumentiert, wonach Völkerrecht unmittelbar anwendbar sei und zu subjektiven Rechten vor innerstaatlichen Gerichten führte. Nach der Ablehnung einer solchen Umgestaltung wurde allerdings auch die Möglichkeit einer moderateren Anwendung der EMRK durch Lord Ross verneint. Dieser analysierte die englische Methode und schloss, dass in England die EMRK zwar ebenso wenig Teil des englischen Rechts sei, diese jedoch zur Interpretation von Gesetzen des Vereinigten Königreichs im Zweifel als Interpretationshilfe herangezogen werde. Er folgerte jedoch für das schottische Recht, dass die EMRK für Verhandlungen vor schottischen Gerichten irrelevant sei. Andernfalls hätte ein Akt der Exekutive (ieS) eine Wirkung, wie sie nur legislativen Akten zukäme. Diese Rechtsauffassung wurde in Moore bestätigt.770 Die schottischen Gerichte akzeptierten allerdings mitunter eine moral persuasive force der EMRK, welcher darüber hinaus auch eine Bedeutung in Entscheidungen der reasonableness von Verwaltungsakten zukam.771 1996 bzw. 1997 folgten auch die schottischen Gerichte in Re AMT (Known as AC) bzw. T Petitioner dem vom House of Lords in Brind vorgezeichneten Modell.772 Lord President Hope sprach sich darin dafür aus, im Fall einer Unklarheit (ambiguous) eines Gesetzes in dem Sinne, dass sowohl eine konventionskonforme als auch eine konventionswidrige Auslegung möglich ist, eine Gesetzgebung in Übereinstimmung mit der EMRK angenommen werden sollte. Dies war weitgehend von der Überzeugung getragen, dass das europä768 Ebenda 114. 769 Ebenda. 770 Ebenda 115 ff. 771 Ebenda 118 ff. 772 Alan Boyle, Human Rights and Scots Law: Introduction in Alan Boyle/Chris Himsworth/ Andera Loux, Hector McQueen/Human Rights and Scots Law (2002) 2; Christina Ashton/ Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 360 ff.



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ische Gemeinschaftsrecht die Einhaltung der EMRK-Rechte verlange.773 Die ursprünglich uneinheitliche Annahme eines allgemeinen Grundprinzips auf Meinungsäußerungsfreiheit unter besonderer Betonung politischer Meinungsäußerungsfreiheit wirft die Frage auf, inwieweit diese Prinzipien (zumindest vor 1997) als britische Verfassungsprinzipien gelten konnten und nicht lediglich als im Bereich des law of libel konzentrierte Fortentwicklungen des englischen Common Law. Mit dem Human Rights Act wurden allerdings auch die schottischen Gerichte zu einer EMRK-kompatiblen Interpretation verpflichtet, und für die schottische Legislative sollte das für Westminster weiterhin existente parliamentary privilege nicht gelten, wie die britische Regierung in der Human Rights Bill 774 ausdrücklich betonte.775 Darüber hinaus wurde im Rahmen der Föderalisierungsbestrebungen die neue schottische Autonomie durch die EMRK beschränkt.776 So ist nach Section 29 Abs 2 lit d 1. Fall des Scotland Act 1998 eine mit der EMRK nicht vereinbare Bestimmung außerhalb des Kompetenzbereichs der schottischen Legislative und damit nach Abs 1 ohne Gesetzeskraft (not law). Ferner bestimmt Section 57 (2), dass die schottische Exekutive (ieS) zu keinem mit der EMRK inkompatiblen Verwaltungsakt ermächtigt ist.777 Durch das frühere Inkrafttreten des Scotland Act galten die Beschränkungen durch die EMRK für die schottischen Behörden bereits 18 Monate vor dem Inkrafttreten des Human Rights Act im Jahr 2000.778 Auch das separate Rechtssystem Nordirlands sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, wobei die nordirischen Gerichte ungeachtet der speziellen Probleme dieser Region im Wesentlichen der englisch-walisischen Judikatur folgten.779

773 Lord Clarke, Human Rights, Devolution and Public Law, in Alan Boyle/Chris Himsworth/ Andera Loux/Hector McQueen, Human Rights and Scots Law (2002) 12. 774 Dem Gesetzesentwurf zum Human Rights Act. 775 The Human Rights Bill, http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/ chap2.htm (30.11.2007, 12:00). 776 Siehe dazu Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 155. 777 Ministry of Justice, The UK Statute Law database (http://www.statutelaw.gov.uk), (23 2.2008, 17:30). Siehe dazu auch Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 387 ff; Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 154. 778 Francis Lyall, An Introduction to British Law2 (2002) 78. 779 Für eine ausführliche Abhandlung dieser Frage siehe Brice Dickson (ed.), Human Rights and the European Convention (1997) 143 ff.

180 Hauptteil 3.3.3 Der australische Zugang zur political speech und dessen Bedeutung Das besondere Naheverhältnis zwischen britischem und australischem Recht, welches über die grundsätzliche Klammer des Common Law hinaus durch die bis 1986 bestehende Berufungsmöglichkeit an das Judicial Committee of the Privy Council als letztinstanzliche Revisionsmöglichkeit für australische Fälle unterstrichen wird780 (wobei der erste bekannte australische Fall vor dem Judicial Committee of the Privy Council aus dem Jahr 1809 stammt),781 legt einen Überblick über den speziellen australischen Zugang zur political speech nahe. Auch die australische Verfassungsordnung enthielt vor der Entscheidung des High Court of Australia in Nationwide News Pty. Ltd. v. Wills aus 1992 keinen ausdrücklichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit.782 Allerdings existierte wie in Großbritannien die Common-Law-Verteidigung das qualified privilege unter den oben ausgeführten duty/interest-Bedingungen.783 In Nationwide News bestätigte Justice Brennan zwar ausdrücklich, dass das Gericht prinzipiell nicht berechtigt sei, die Rechtmäßigkeit eines Aktes der Gesetzgebung zu verneinen, wenn ein Gesetz Menschenrechte und fundamentale Freiheiten aufhebt. Andererseits befürwortete er die Möglichkeit einer impliziten verfassungsrechtlichen Limitierung der durch die Verfassung etwa der Legislative zuerkannten Befugnisse. Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen schritt er zur Feststellung, dass die Freiheit zur Diskussion von political and economic matters für den Erhalt der durch die Verfassung festgeschriebenen Prinzipien notwendig sei. Es sei a parody of democracy to confer on the people a power to choose their Parliament but to deny the freedom of discussion from which the people derive their political judgements. Brennan zitierte zur Untermauerung dieser These aus einer Opinion des britischen Lords Simon of Glaisdale, was erneut die enge Verknüpfung der Rechtssysteme untermauert. Weiters betonte Justice Brennan, dass die Freiheit der öffentlichen Diskussion über die Regierung nicht etwa nur ein wünschenswertes politisches Privileg, sondern ein inhärentes Element der Idee einer repräsentativen Demokratie sei. 780 Hannes Rösler, Großbritannien im Spannungsfeld europäischer Rechtskulturen, ZVglRWiss 100 (2001) 456 f. 781 Siehe Macquaire University, Unreported Judicial Decisions of the Privy Council, on Appeal from the Australian Colonies before 1850, http://www.law.mq.edu.au/pc (4.7.2008, 13:37). 782 Siehe dazu etwa Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 68 f, 105 ff. 783 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 105.



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Ein Recht auf freie Diskussion der Regierung existiere nach dem Common Law nicht. Aus rechtstheoretischer Sicht könne das Parlament in Westminster die Redefreiheit in Großbritannien abschaffen und dadurch auch die praktisch so fest verankerte repräsentative Demokratie.784 Aber durch die Verankerung der repräsentativen Demokratie in der australischen Verfassung seien dadurch auch die für deren effektive Erhaltung notwendigen Rechtsinstitute verankert.785 Folglich existiert zwar weiterhin kein generelles australisches verfassungsmäßig gewährleistetes Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, sehr wohl aber ein auf den allgemeinen Prinzipien der Verfassung beruhendes Recht auf political speech.786 Diese Ansicht korrespondiert dabei mit dem Grundgedanken von Sir Ivor Jennings Position aus 1933, worin dieser ausführte, dass in a system of government by opinion dieses System the right to create opinion and to organize it with a view to influencing the conduct of government impliziere. Für Jennings war dies eine conditio sine qua non für ein solches System.787 Einen ähnlichen Grundgedanken schien etwa auch der US Supreme Court (per curiam-Entscheidung) in Buckley v. Valeo unter den General Principles auszudrücken: Discussion of public issues and debate on the qualifications of candidates are integral to the operation of the system of government 788 established by our Constitution.789 Im britischen Kontext vertrat etwa T.R.S. Allan einen ähnlichen Grundgedanken.790 Aufgrund der nahen Verwandtschaft des britischen und des australischen Rechts könnte dieser Grundgedanke einer bereits durch das faktische Vorliegen einer repräsentativ-demokratischen Regierungsform implizit gewährleisteten politischen Meinungsäußerungsfreiheit schwerwiegende Folgen für den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit haben. 784 Brennan betonte dabei freilich die Inkompetenz des Gerichts hinsichtlich einer autoritativen dahin gehenden Aussage (den High Court of Australia). Ferner muss auf den zeitlichen Rahmen hingewiesen werden: Das Urteil erging sechs Jahre vor Inkrafttreten des HRA. 785 Nationwide News Pty. Limited v. Wills (1992) 177 CLR 1 f, 40 ff. 786 Siehe dazu auch Leslie Zines, Freedom of Speech and Representative Government, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 41 ff. 787 Für dieses Exzerpt aus Jennings’ Werk siehe Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 121. 788 Betonung hinzugefügt. 789 Buckley v. Valeo, 424 U.S. 1, 14 (1976). 790 From this perspective [free speech as the servant of truth in the limited, but supremely important, sphere of justice or political morality] freedom of expression is an intrinsic feature of any genuine constitutional democracy. T.R.S. Allan, Common Law Constitutionalism and Freedom of Speech, in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 17 ff.

182 Hauptteil Bei einer – durch einfaches Gesetz möglichen – Derogation des Human Rights Act oder insbesondere im Fall eines Überganges zu einem System höher stehenden Verfassungsnormen käme potenziell das australische Vorbild zum Tragen. Überhaupt wird durch diese Theorie ein Schutz der politischen Meinungsäußerung durch die Verfassungs- bzw. Höchstgerichte repräsentativer Demokratien auch in Fällen möglich, in denen kein ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Schutz besteht. Die mögliche Relevanz des australischen Beispiels wird auch durch die Opinion von Lord Cooke in Reynolds v. Times Newspapers unterstrichen, der nach der Analyse des Urteils des High Court of Australia ungeachtet gewisser Reservationen bezüglich der Übernahme der australischen Lösungen feststellte, dass [t]he constitutional structures vary, but the pervading ideals … the same seien.791 3.3.4 Fazit Die EMRK wurde von britischer Seite ursprünglich vorwiegend nicht als eine wesentliche Ausweitung des bestehenden britischen Rechtsschutzsystems verstanden. Eine unmittelbare Anwendbarkeit wurde von den Gerichten nach einigen dahin gehenden Ansätzen abgelehnt, die Judikatur des EGMR bekam jedoch in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend Vorbildcharakter. In diese Zeit fiel auch die zunehmend deutliche Anerkennung eines Verfassungsprinzips auf Meinungsäußerungsfreiheit. Die schottische Rechtsordnung ging allerdings bis zur zögerlichen Anerkennung Ende der 90er Jahre einen Sonderweg hinsichtlich des Einflusses des EGMR. Damit ist unklar, inwieweit die Beeinflussung der Judikatur des englisch-walisischen Rechtskreises durch den EGMR von einem britischen Verfassungsrechtsprinzip der Meinungsäußerungsfreiheit getragen war. Die beiden Leitentscheidungen dieser Entwicklungsphase, Derbyshire und Reynolds verdeutlichten sowohl die Bedeutung als auch die Grenzen des Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit. Am Ende dieser Entwicklungsphase war die verfassungsrechtliche Natur des Prinzips der Meinungsäußerungsfreiheit weitgehend anerkannt und der Schutz der politischen Meinungsäußerung genoss dabei eine besondere, wenn auch keineswegs uneingeschränkte (siehe Reynolds) Stellung.

791 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 641.



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3.4 Der Human Rights Act und seine Folgen Bereits in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts hatte es diverse Vorstöße vonseiten der Lehre und von Teilen der Legislative hinsichtlich einer Verwendung der EMRK für eine innerstaatlich gültige Bill of Rights gegeben.792 Dabei ist die von Lord Wade 1976 (sowie in modifizierter Form 1979 und 1980) in das House of Lords eingebrachte Bill of Rights Bill hervorzuheben, die in jedem dieser Versuche nach erfolgreicher Durchlaufung aller Instanzen des House of Lords an der mangelnden Zustimmung im House of Commons scheiterte.793 Die häufigen Verurteilungen Großbritanniens vor dem EGMR und die daraus resultierende Erkenntnis der unzureichenden Natur des bisherigen innerstaatlichen Rechtsschutzes waren schließlich ein wesentlicher Grund für die Entste792 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 62 ff; J. Jaconelli, The European Convention on Human Rights – The text of a British Bill of Rights?, P.L. 1976, 235 ff. 793 Dessen wesentliche Bestimmungen lauteten wie folgt: A BILL Intituled An Act to declare the inalienable rights and liberties of the subject. BE IT ENACTED by the Queen’s most Excellent Majesty, by and with the advice and consent of the Lords Spiritual and Temporal, and Commons, in this present Parliament assembled, and by the authority of the same, as follows: 1. The Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms … shall without any reservation immediately upon passing of this Act have the force of law, and shall be enforceable by action in the Courts of the United Kingdom. For the purposes of this Act the texts of the said Convention and Protocols shall be those set out in Scedules 1 to 6 hereto. 2. In case of conflict between any enactment prior to the passing of this Act and the provisions of the said Convention and Protocols, the said Conventions and Protocols shall prevail. 3. In case of conflict between any enactment subsequent to the passing of the provisions of the said Convention and Protocols, the said, Convention and Protocols shall prevail unless subsequent enactment shall explicitly state otherwise. Turpin, British Government and the Constitution (1985) 98. Hervorzuheben ist auch die Bedeutung der Wortwahl der Präambel für das ihr zugrunde liegende Menschenrechtsverständnis: Die Formulierung to declare the inalienable rights and liberties spricht für einen naturrechtlichen Zugang (also Rechte, die dadurch nur deklariert, nicht aber geschaffen werden und auch nicht durch einen staatlichen Akt genommen werden können [inalienable], wobei Letzteres an die Wortwahl der US-amerikanischen Declaration of Independence erinnert). Andererseits ist nicht von freien Menschen oder citizens, sondern vielmehr von subjects die Rede. Zur Entwicklung hin zu einem Grundrechtskodex siehe insbesondere auch Michael Zander, A Bill of Rights?4 (1997) 1 ff, sowie Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 531 ff.

184 Hauptteil hung des Human Rights Act, wie etwa auch die Ausführungen der Regierung zur Human Rights Bill zeigen.794 Der Human Rights Act revolutionierte den klassischen britischen Zugang zum Grundrechtsschutz795 zugunsten eines bis dahin abgelehnten Grundrechtskataloges. Dabei wurde nicht der Weg eines originär-britischen Kataloges, sondern der einer Inkorporation der EMRK in das britische Recht gewählt, wodurch den britischen Gerichten die Möglichkeit eines speziellen britischen Beitrages zur Menschenrechtsentwicklung in Europa ermöglicht werden sollte.796 Im Gegensatz zur österreichischen Lösung797 erfolgte durch den Human Rights Act allerdings keine vollständige Inkorporation im Sinne einer direkten Übernahme des Grundrechtskataloges der EMRK in das britische Recht. Stattdessen wurde die Methode der Einbettung dieses Kataloges in den Human Rights Act gewählt, der dessen Anwendungsmöglichkeiten festlegt und auf die Besonderheiten der britischen Verfassungstraditionen Rücksicht nehmen sollte.798 Ob diese Lösung überhaupt als Inkorporation bezeichnet werden kann, ist nicht unumstritten.799 794 The Human Rights Bill, http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/ chap1.htm (30.11.2007, 12:00). 795 Welcher wohl am besten durch John Majors Argumentation gegen einen Grundrechtskatalog (we have no need of a Bill of Rights because we have freedom) beschrieben wird. Lord Irvine of Lairg, Constitutional Reform and a Bill of Rights, EHRLR 2 (1997) 485. Diese Aussage sollte Lord Irvine of Lairg in der Debatte zum HRA im House of Lords später so kommentieren: My Lords, what enervating insularity – and what nonsense! The traditional freedom of the individual under an unwritten constitution to do himself that which is not prohibited by law gives no protection from acts or omissions of public bodies which harm individuals in a way that is incompatible with their rights under the convention. Siehe Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 373. 796 Lord Irvine of Lairg, Constitutional Reform and a Bill of Rights, EHRLR 2 (1997) 485. 797 BGBl 210/1958, durch BGBl 59/1964 in Verfassungsrang. 798 Dies wird besonders durch das neue Instrument der declaration of incompatibility demonstriert, wodurch das klassische britische System der Gewaltentrennung geschützt werden sollte. Siehe dazu in den Kapiteln zum Human Rights Act. 799 Dazu etwa in einem Report eines Select Committees des House of Lords: This [the Human Rights Act 1998] does not exactly incorporate the European Convention on Human Rights (ECHR) as part of the domestic law [Betonung hinzugefügt], but it does require courts and tribunals, as public bodies … to interpret the law … in such a way as to be consistent with the Convention. Select Committee on Religious Offences in England and Wales (House of Lords), Volume I-Report (2003) 47. Vergleiche dazu Clive Walker, Russel L. Weaver, The United Kindom Bill of Rights 1998: The Modernisation of Rights in the Old World, U. Mich. J.L. Reform 33 (2000) 520: Although this is “a strong form of incorporation,” it falls short of direct



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Mit dem Human Rights Act wurde auch die Systematik der Grundrechtsprüfung dem kontinentaleuropäischen bzw. US-amerikanischen System angeglichen, wie die Opinion von Lord Steyn in Reynolds v. Times Newspapers deutlich macht: The starting point is now the right of freedom of expression, a right based on a constitutional or higher legal order foundation. Exceptions to freedom of expression must be justified as being necessary in a democracy. In other words, freedom of expression is the rule and regulation of speech is the exception requiring justification.800 Ein entsprechendes System eindeutig verfassungsrechtlich garantierter positiver Rechte hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht existiert.801 Allerdings wurde bereits durch Lord Steyns Opinion deutlich, dass dies insofern keine revolutionären Veränderungen mit sich brachte, als das Ergebnis einer Balance zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und Diffamierung802 nicht fundamental von dem bisherigen Zugang der Balance von wichtigen öffentlichen Interessen abwich.803 Auch wenn die Argumentation sich durch den Human Rights Act veränderte, änderte der Human Rights Act nicht notwendigerweise das Ergebnis in entsprechenden Common-Law-Fällen.804 Auch blieb zunächst unklar, wie die Rechtslage in Fällen eines Verstoßes des Common Law gegen die EMRK, die durch Interpretation nicht kompatibel gemacht werden konnte, aussehen würde.805 Ungeachtet der Angleichung der materiellen Rechtslage zur Meinungsäußeincorporation. In Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 6 f, 9, ist von einer indirect and incomplete incorporation die Rede. Demnach würden die Konventionsrechte durch den HRA zu a new form of common (i.e. non-statutory) law. Eine eindeutige Einordnung als Inkorporation hingegen erfolgte etwa in Christina Ashton/ Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 384. Eindeutig ist auch die Formulierung von Lord Scott of Foscote in R v. Secretary of State For Culture, Media and Sport (2008) UKHL 15 RZ 44. 800 Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 629. (Lord Steyn) Dieser neue Ausgangpunkt wird etwa auch in der Darstellung von Freedom of Speech in Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 328 ff, deutlich. 801 Siehe etwa Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated? P.L. 1984, 68. 802 Die Entscheidung stammt zwar aus der Zeit vor Inkrafttreten des Human Rights Act, aber Lord Steyn stellte fest, dass the House can and should act on the reality that the 1998 Act will soon be in force. Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 628. 803 Siehe Abschnitt III, Kapitel 3.3. 804 Colin Turpin, British Government and the Constitution5 (2002) 160. 805 Siehe etwa Select Committee on Religious Offences in England and Wales (House of Lords), Volume I-Report (2003) 47.

186 Hauptteil rung und der damit scheinbar vorherrschenden Beschränkung der Legislative im Sinne der Judikatur des EGMR müssen zwei Punkte betont werden: Erstens entspricht auch der Human Rights Act keineswegs einer verfassungsrechtlichen Grundrechtscharta im kontinentaleuropäischen Sinn und zweitens herrscht auch weiterhin das Prinzip der parliamentary sovereignty und damit ein uneingeschränktes Recht des Gesetzgebers, nicht nur Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit vorzunehmen, sondern auch den Human Rights Act selbst ganz oder zum Teil zu verändern oder außer Kraft zu setzen.806 Im Fall einer Rechtsfrage im Zusammenhang mit der EMRK ist ein britisches Gericht oder Tribunal nach Section 2 Abs 1 lit a Human Rights Act dazu verpflichtet, sämtliche Urteile und Entscheidungen sowie declarations oder advisory opinions des EGMR zu berücksichtigen. Dazu kommen gemäß lit b Berichte der Kommission gemäß Art 31 EMRK, gemäß lit c Entscheidungen der Kommission aufgrund von Artikel 26 oder 27 Abs 2 EMRK sowie nach lit d Entscheidungen des Ministerrates gemäß Art 46 EMRK. Durch Section 3 wurde die Pflicht der staatlichen Organe zu einer konventionskonformen Auslegung und Anwendung der Gesetze (primary legislation and subordinate legislation) ausdrücklich festgelegt.807 Die besondere Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit wird ferner durch die Sonderregelungen der Section 12 unterstrichen, welcher allerdings keine Sonderstellung politischer Meinungsäußerungsfreiheit zu entnehmen ist.808 Das der Human Rights Act noch nicht das Ende der dahin gehenden Entwicklung des britischen Rechts sein könnte, zeigen auch die jüngsten Anhörungen zum Thema A British Bill of Rights vor dem Joint Committe on Human Rights.809 3.4.1 Die Entwicklung der Einreden zum law of libel und ihre Bedeutung für die politische Meinungsäusserungsfreiheit Die Idee der Schaffung einer speziellen Kategorie von qualified privilege, welche vom traditionellen duty/interest-Modell unabhängig auf die Art der Meinungsäu806 Siehe dazu: Sir John Laws, Meiklejohn, the First Amendment and Free Speech in English Law, in Ian Loveland, Importing the First Amendment (1998) 131. Demnach liefert selbst der Human Rights Act nur legal but not constitutional guarantees of basic rights, including of course the freedom of Expression. Siehe auch Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 30 ff. 807 Ministry of Justice, The UK Statute Law database (http://www.statutelaw.gov.uk), (3.3.2008, 17:36). 808 Ebenda. 809 House of Lords/House of Commons, Joint Committee Reports, http://www.publications.parliament.uk/pa/jt/jtrights.htm. (7.2.2008, 14:39).



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ßerung abgestellt und so zu einem allgemeinen Schutz von political speech geführt hätte, lebte nach der Ablehnung dieses Modells durch das House of Lords in Reynolds in den Folgejahren unter dem Einfluss der durch den Human Rights Act veränderten Rechtslage nicht wieder auf. Das in der Entscheidung stattdessen geschaffene Reynolds privilege mit seinem Schwerpunkt auf public interest und responsible journalism entwickelte sich jedoch ungeachtet seines unklaren Ausmaßes zu einem bedeutenden Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit.810 In der Judikatur wurde in der Folge ein relativ hoher journalistischer Standard für einen Schutz nach dem Reynolds privilege festgelegt.811 Durch den Ausgangspunkt des Art 10 EMRK iVm dem Human Rights Act war die Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr ein auf den Bereich des law of libel konzentriertes Rechtsprinzip, womit entscheidende Fälle im Zusammenhang mit anderen Rechtsgebieten erfolgten. In McCartan Turkington Breen v. Times Newspapers (einem nordirischen Fall vor dem House of Lords) identifizierte Lord Bingham of Cornhill die Bedeutung von freien, aktiven, professionellen und nachforschenden Medien für die partizipative Demokratie als Grund für die zentrale Bedeutung der Pressefreiheit überhaupt.812 Der Fall R (ProLife Alliance) v. BBC aus 2002 (A.C.) bzw. 2003 (H.L.) sollte hier aufgrund seiner besonderen Bedeutung detailliert behandelt werden. Diesem Fall lag eine judicial review813 einer Entscheidung der BBC zugrunde, die sich geweigert hatte, eine Party Election Broadcast (PEB) der ProLife Alliance mit äußerst drastischem Bildmaterial über den vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch auszustrahlen.814 Dies ist vor dem Hintergrund des traditionellen britischen Verbots politischer Radio- oder Fernsehwerbung zu sehen, welchem allerdings ein Recht auf PEBs und Party Broadcasts (PPBs) entgegenstehen.815 Auf der Ebene des Court of Appeal stellte L.J. Laws nach Prüfung entsprechender EGMR- sowie britischer Rechtsprechung fest, dass den Gerichten gegenüber der Öffentlichkeit eine spezielle Verantwortung als verfassungsmäßige Hüter der Freiheit der politischen Debatte zukomme, insbesondere im Zusammenhang mit einer öffentlichen Wahl. Das erstinstanzliche (für die ProLife 810 Jameel and others v. Wall Street Journal Europe (2006) 4 All ER 1279 (H.L.) RZ 1, 28 ff, 43 ff, 105 ff, 127 ff, 146 ff. 811 Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1101 f. 812 McCartan Turkington Breen v. Times Newspapers Ltd. (2001) 2 AC 291 f. 813 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.1. 814 R (ProLife Alliance) v. British Broadcasting Corporation (2002) 2 All E.R. 756 f. (A.C.). 815 Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1012 ff.

188 Hauptteil Alliance negative) Urteil lehnte L.J. Laws ab, da in this context the court’s constitutional responsibility to protect political speech overarching sei. Es gebe zwar Umstände, unter denen das Parlament und das Common Law gewisse Formen der Zensur akzeptiert hätten, aber man solle das Untier (beast) kennen, mit dem man es dabei zu tun habe. In the context of political speech, it needs to be kept in its cage. Die PEB sei zwar graphisch, aber nicht sensationalistisch oder unwahr, und wenn man political speech ernst nehme, könne ihr aufwühlender Charakter nicht einmal anfangen, eine solche Zensur zu rechtfertigen. Eine Beeinträchtigung der politischen Redefreiheit könne nur on the most pressing grounds erfolgen, was L.J. Laws allerdings nicht mit dem Human Rights Act, sondern vielmehr mit dem Common Law begründete.816 Diese Entscheidung des Court of Appeal wurde in Folge von einer Mehrheit im House of Lords abgelehnt, wenngleich nicht wegen einer anderen Einschätzung der Bedeutung von political speech. Die Unterscheidungen sind dabei vor allem für die Systematik der Prüfung einer Verletzung der (politischen) Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der judicial review von Verwaltungsakten und in jenem der Massenmedien von Bedeutung.817 Lord Nicholls of Birkenhead818 stellte zunächst fest, dass [f ]reedom of political speech … a freedom of the very highest importance in any country which lays claim to being a democracy sei. Einschränkungen müssten von allen Betroffenen, vor allem durch die Gerichte rigorously examined werden.819 Artikel 10 EMRK enthalte kein Recht auf freie Sendezeit im Fernsehen. Der Zugang dürfe allerdings nicht aufgrund von diskriminierenden, willkürlichen oder unvernünftigen Gründen versagt werden, insbesondere in diesem Fall, in welchem die Beschränkung auf eine Vorzensur (prior restraint) hinauslaufe. Eine solche Vorzensur sei [o]n its face seriously inimical to freedom of political communication.820 Der Zugang einer Abwägung der Prinzipien der politischen Meinungsäußerungsfreiheit einerseits und dem Schutz der Bürger vor ungebührlichen Störungen in ihrem eigenen Zuhause andererseits laufe aber darauf hinaus, den Gesetzestext neu zu schreiben. Da das Parlament das Maß der Balance in diesem Fall festgelegt habe, sei dies keine legitime Übung durch die Gerichte. Eine declaration of incompatibility war schließlich nicht beantragt worden.821 816 Ebenda 769 ff. 817 R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance (2003) 2 All E.R. 977. (H.L.) RZ 1 ff. 818 Dessen Meinung sich Lord Millett vollinhaltlich anschloss, siehe ebenda RZ 82. 819 Ebenda RZ 6. 820 Ebenda RZ 8. 821 Ebenda RZ 14 ff. Zur Frage dieses Vertrauens auf das Ermessen des Parlaments siehe Tom Lewis/



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Lord Hoffman betonte in seiner Opinion nach einer grundsätzlichen Anerkennung der Bedeutung von political speech stärker die primäre Funktion von Artikel 10 EMRK als Abwehrrecht gegenüber dem Staat,822 und betonte, dass kein Menschenrecht auf Benutzung eines Fernsehkanals existiere. Zwar anerkannte auch er unter Heranziehung derselben Formel (keine Ablehnung aus diskriminierenden, willkürlichen oder unvernünftigen Gründen) den darüber hinausgehenden Schutz in einem derart gelagerten Fall, und prüfte die Bedingungen von taste and decency anhand dieser Kriterien.823 Lord Walker of Gestingthorpe legte den Schwerpunkt seiner Opinion auf die Methodik der Prüfung im Fall einer judicial review von Verwaltungsentscheidungen und forderte die Ersetzung des traditionellen Wednesbury-Testes824 durch einen komplexeren und auf die Umstände abgestimmten Zugang. Auch er anerkannte prinzipiell die besondere Bedeutung von political speech.825 Lord Scott of Foscote stellte fest, dass das Recht auf Meinungsäußerung nicht notwendigerweise zur Versorgung mit den Instrumenten zur Übermittlung der gewünschten Information gegenüber dem gewünschten Publikum berechtige. Er verwies dabei auf das mangelnde Recht eines Buchautors auf Veröffentlichung seiner Werke. Radio- und Fernsehsendungen seien allerdings ein Sonderfall, da diese an Lizenzvergaben geknüpft seien, welche wiederum mit Bedingungen verbunden seien, die bezüglich des Inhaltes der Programme Einschränkungen verhängen. Die Einschränkung im gegenwärtigen Fall müsse folglich den Kriterien des Artikels 10 Abs 2 EMRK entsprechen. Als die relevanten Punkte betrachtete Lord Scott den Schutz der Moral und der Rechte anderer. Seine Prüfformel für den Fall war folglich, ob die Ablehnung der Ausstrahlung der PEB in einer demokratischen Gesellschaft notwendig für das Recht von Menschen (home-owners) sei, dass verstörendes Material nicht in ihr Heim übertragen werde.826 Peter Cumper, Balancing Freedom of Political Expression against Equality of Political Opportunity: The Courts and the UK’s Broadcasting Ban on Political Advertsing, P.L. 2009, Jan, 100 f. 822 First, the primary right protected by Article 10 is the right of every citizen not to be prevented from expressing his opinions. He has the right to “receive and impart information and ideas without interference by public authority” (Betonungen durch Lord Hoffmann). R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance (2003) 2 All E.R. 977. (H.L.) RZ 54 f. 823 Ebenda RZ 57 ff. 824 Siehe dazu ausführlich in Abschnitt III, Kapitel 3.1. 825 R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance (2003) 2 All E.R. 977. (H.L.) RZ 131 ff. 826 Ebenda RZ 85 ff.

190 Hauptteil Aus der Sicht von Lord Scott of Foscote konnte die Entscheidung der Rundfunkbehörde nicht ohne signifikante und fatale Unterbewertung zweier Elemente des Sachverhalts erfolgt sein: Nämlich einerseits der Natur des Programms als PEB und anderseits der daraus folgenden einzig möglichen Rechtfertigung einer Verweigerung: Deren Notwendigkeit für den Schutz des Rechts, nicht im eigenen Zuhause anstößigem Material ausgesetzt zu werden.827 Auch die Bedeutung des Zusammenhangs des vorgeschlagenen Programms mit den Wahlen könne nicht überbetont werden. In einer funktionierenden Demokratie seien politische Parteien dazu berechtigt, ihre politische Linie der Öffentlichkeit vorzustellen, sodass diese ihre Meinung darüber bei den Wahlen ausdrücken kann. Dies werde auch von ihnen erwartet. Die verfassungsrechtliche Bedeutung dieser Berechtigung und Erwartung sei zu Wahlzeiten verstärkt. Da die gewünschte Sendung faktisch richtig, nicht sensationsheischend und für die politische Linie der zu Wahl stehenden Kandidaten relevant sei, sei es schwer, diese als dem öffentlichen Empfinden gegenüber anstößig (offensive to the public feeling) zu verweigern. Die Öffentlichkeit in einer reifen Demokratie sei nicht berechtigt, sich durch die Ausstrahlung eines solchen Programms angegriffen zu fühlen (to be offended). Es sei folglich nicht als necessary in a democratic society … for the protection of … rights of others beschreibbar. Ferner würde ein Vorgehen, welches die Öffentlichkeit hinsichtlich einer Frage von unzweifelhafter öffentlicher Bedeutung wie jene der Abtreibung wie Kinder behandle, die von den unangenehmen Realitäten des Lebens geschützt werden müssen, zweierlei bedeuten: Einerseits würde man ihre politische Reife ernsthaft unterbewerten und andererseits würde dies nur zu voter-apathy und niedriger Wahlbeteiligung beitragen. Folglich bestätigte er die Entscheidung des Court of Appeal.828 In Rusbridger & Anor, R v. Majesty’s Attorney General aus 2003 bezeichnete Lord Steyn (dessen Ausführungen sich die Lords Scott of Foscote, Rodger of Earlsferry und Walker of Gestingthorpe ausdrücklich anschlossen) political speech als core value of our legal system und als Grundvoraussetzung für rule of law überhaupt. Darüber hinaus betrachtete er es als schwierig, irgendein rationales Argument zu finden, das die Kriminalisierung eines Verhaltens von Bürgern, welche für eine verschiedene Regierungsform zu argumentieren wünschen, rechtfertige.829 Dabei bezog sich Lord Steyn auch auf die Präambel der EMRK. 827 Ebenda RZ 96. 828 R v. British Broadcasting Corporation ex parte ProLife Alliance (2003) 2 All E.R. 977. (H.L.) RZ 97 ff. 829 Rusbridger & Anor, R (on the application of ) v. Majesty’s Attorney General (2003) UKHL 38



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Nach dieser könne das Ziel der Etablierung und Anerkennung fundamentaler individueller Rechte nur durch das Schaffen der Voraussetzungen für eine effective political democracy erreicht werden, was die Förderung der Idee der friedlichen politischen Debatte über Verfassungs- und Regierungsstrukturen beinhalte. Politische Redefreiheit sei als zentrales Element für die Entwicklung europäischer liberaler Demokratien betrachtet worden.830 In Campbell v. MGN Ltd. aus 2004 zog Lord Hope of Craighead zur Präzisierung der durch den Human Rights Act gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit die Judikatur des EGMR heran und übernahm dessen Abstufung in politische, künstlerische und kommerzielle Meinungsäußerungsfreiheit,831 wobei Ersterem besondere, den beiden anderen hingegen geringere Bedeutung zukomme.832 Eindeutiger und ohne unmittelbare Bezugnahme auf den EGMR erfolgte diese Präzisierung in der Opinion der Baroness Hale of Richmond. Danach gäbe es unzweifelhaft verschiedene Arten der Meinungsäußerung (speech), von denen einige den Schutz der Gesellschaft mehr verdienten als andere. An der Spitze dieser Liste befände sich political speech. Denn [t]he free exchange of information and ideas on matters relevant to the organisation of the economic, social and political life of the country is crucial to any democracy. Ohne politische Meinungsäußerungsfreiheit hingegen könnte man überhaupt kaum von Demokratie sprechen. Interessanterweise wurde hier auch die Sonderbehandlung von public figures (und nicht nur von public officials) als Konsequenz der Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit betrachtet, wenngleich die Sonderbehandlung der Meinungsäußerung gegenüber gewählten Behörden hervorgehoben wurde.833 Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Public Figure Doctrine auf eine Ausweitung der Sullivan-Grundsätze in Time Inc. v. Hill und in Folge in Curtis v. Butts und Associated Press v. Walker zurückzuführen (H.L.) RZ 7. 830 Rusbridger & Anor, R (on the application of ) v. Majesty’s Attorney General (2003) UKHL 38 (H.L.) RZ 6. 831 Eine systematische Einteilung in diese drei Kategorien mit der von Lord Hope verwendeten Wertung erfolgte etwa auch schon in David Harris/Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 397 ff. 832 … the court has distinguished three kinds of expression: political expression, artistic expression and commercial expression, and … it consistently attaches great importance to political expression and applies rather less rigorous principles to expression which is artistic and commercial. Allerdings lag in diesem Fall keine politische Meinungsäußerung vor. Campbell v. MGN Ltd (2004) 2 All ER 995 (H.L.) RZ 114, 117. 833 Campbell v. MGN Ltd (2004) 2 All ER 995 (H.L.) RZ 148.

192 Hauptteil ist, wenngleich bereits Hill nicht mehr auf der für die politische Meinungsäußerungsfreiheit so zentralen informed consent to government-Erwägung basiert war.834 Eine andere Erklärungsvariante ist die Anwendung des Terminus der Public Figure Doctrine auch auf den engeren, auf Politiker beschränkten und auf dem Prinzip der political speech beruhenden Rahmen in Lingens.835 In R v. Secretary of State For Culture, Media and Sport aus 2008 beantragte die Gesellschaft Animal Defenders International nach Ablehnung einer von ihr vorbereiteten Werbung aufgrund von deren politischem Inhalt eine declaration of incompatibility bezüglich des dieser Ablehnung zugrunde liegenden gesetzlichen Fernsehwerbeverbotes. Die Gesellschaft erblickte darin eine ungerechtfertigte Einschränkung ihrer politischen Meinungsäußerungsfreiheit. Eine dahin gehende Berufung wurde jedoch vom House of Lords einstimmig abgewiesen.836 Lord Bingham of Cornhill nahm in seiner Opinion intensiven Bezug auf einen ähnlichgelagerten Fall vor dem EGMR (VgT Verein gegen Tierfabriken v. Switzerland).837 Er betonte in seiner Opinion die Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit bzw. der politischen Kommunikation für das demokratische System.838 Art 10 EMRK diene dazu, die Redefreiheit insgesamt and free political speech in particular zu schützen.839 Allerdings sah er das level playing field für die politische Diskussion durch die Möglichkeit wohlhabender Gruppen, die Öffentlichkeit durch die Macht ihrer Brieftasche an gewisse Sichtweisen zu konditionieren, gefährdet. Aufgrund dieser möglichen negativen Folgen befürwortete Lord Bingham das Vorliegen einer Notwendigkeit der Einschränkung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit, gerade in Hinblick auf die Möglichkeit politischer Werbung in anderen Massenmedien.840 Dabei stellt sich die Frage, ob im Falle der Annahme der zentralen Stellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit wegen ihrer Bedeutung für die Demokratie auch umgekehrt eine Gefährung des demokratischen Systems durch diese ein Grund für deren Einschränkung sein kann. 834 Siehe etwa Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 74 ff. 835 Wie etwa in Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest,“ in FS Schäffer (2006) 93 f. 836 R (on the application of Animal Defenders International) v. Secretary of State For Culture, Media and Sport (2008) UKHL 15 RZ 1 ff. 837 Ebenda RZ 8 ff. 838 The free communication of information, opinions and argument about the laws which a state should enact and the policies its government at all levels should pursue is an essential condition of truly democratic government. Ebenda RZ 27. 839 Ebenda. 840 Ebenda 28 ff.



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Gerade in diesem Fall war es ja eine befürchtete Unterminierung des demokratischen Prozesses durch uneingeschränkte politische Meinungsäußerung, welche die Einschränkung rechtfertigen sollte.841 Die Baroness Hale of Richmond betonte in ihrer Opinion insbesondere die Verschiedenheit der Zugänge zu dieser Problematik in den USA und im Vereinigten Königreich beziehungsweise in Europa überhaupt. Sie verwies dabei auf die Entscheidung des US Supreme Court in Buckley v. Valeo und stellte fest, dass man in Großbritannien und Europa nicht wolle, dass die Regierung und ihre Politik durch jenen bestimmt werde, der am meisten dafür ausgebe. Zwar müsse man hinnehmen, dass einige Menschen über mehr Mittel zur Verbreitung ihrer Ansichten verfügten als andere, aber man wolle eine noch stärkere Verzerrung vermeiden, welche ein uneingeschränkter Zugang zum Rundfunk mit sich bringen würde. Der von ihr angewendete Test war ein Ausgleich zwischen den Interessen an der Meinungsäußerungsfreiheit und der Gleichheit des Wählers. Von besonderem Interesse für die Einordnung der Bedeutung von politischer Meinungsäußerung im britischen Verfassungsgefüge nach dem Human Rights Act war die folgende grundsätzliche Erklärung: Important though political speech is, the political rights of others are equally important in a democracy.842 Ungeachtet des klaren Bekenntnisses zum Schutz der freien politischen Meinungsäußerung erfolgte als Konsequenz des Human Rights Act bislang entgegen dahin gehenden Vorhersagen843 keine Revision von Reynolds zugunsten des darin geforderten privilege für political speech generell. Der Ansicht, dass die Ablehnung eines generellen privilege in gravierender Weise der (post-Lingens-) Judikatur des EGMR widerspricht,844 kann angesichts der Möglichkeit eines privilege nach den klassischen Kriterien und damit einer entsprechenden Einzelfallbetrachtung sowie den neueren Entwicklungen (Pfeifer v. Austria)845 in dieser Deutlichkeit gegenwärtig wohl nicht beigepflichtet werden. 841 Siehe dazu Tom Lewis/Peter Cumper, Balancing Freedom of Political Expression against Equality of Political Opportunity: The Courts and the UK’s Broadcasting Ban on Political Advertsing, P.L. 2009, Jan, 90. 842 R (on the application of Animal Defenders International) v. Secretary of State For Culture, Media and Sport (2008) UKHL 15 RZ 1 ff, 47 ff. 843 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 105. 844 So etwa Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 63. 845 Siehe Abschnitt III, Kapitel 4.

194 Hauptteil 3.4.2 Begrenzungen der legislativen Freiheit zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit Die in Großbritannien verbreitete und aus der viktorianischen Epoche geerbte staatsphilosophische Sicht, welche die demokratische Legitimation einer richterlichen Gesetzesprüfung bezweifelt und folglich einer richterlichen quasilegislativen Kompetenz kritisch gegenübersteht,846 erschwerte eine Übernahme des US-amerikanischen bzw. eines kontinentaleuropäischen Modells der Gesetzesprüfung im Bereich der Grundrechte.847 Im Vorfeld zur Inkorporation wurden bezüglich einer möglichen Gesetzesprüfung durch die Gerichte vor allem die Modelle in Neuseeland und Kanada als mögliche Vorbilder für eine britische Lösung diskutiert: Nach dem neuseeländischen Vorbild konnte ein Gericht die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem Menschenrecht erklären, aber keine weiteren rechtlichen Schritte wie etwa eine Außerkraftsetzung des Gesetzes einleiten. Dafür sprach aus britischer Sicht die Bewahrung der Tradition der parliamentary sovereignty. Nach dem kanadischen Alternativmodell konnte das Parlament selbst entscheiden, ob es eine Gesetzesprüfung durch die Gerichte ermöglichen und durch eine nonwithstanding clause die Rechtskraft gewisser Gesetze im Fall einer Inkompatibilität mit den Grundrechten wahren wolle.848 Dies hätte im Wesentlichen mit dem Modell der gescheiterten britischen Bill of Rights Bill 1976 korrespondiert, wonach dieser Act über konkurrierende Bestimmungen nachfolgender Gesetze Anwendungsvorrang genossen hätte, solange die Legislative nicht ausdrücklich anderes bestimmte.849 Auch das Vorbild Hongkongs wurde von der Regierung berücksichtigt.850 Die Option eines gegenüber (einfach-)gesetzlichen Änderun846 Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated? P.L. 1984, 47. Siehe dazu auch Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev. 16 (2002) 265. 847 Das eine Inkorporation aus britischer Sicht grundsätzlich keineswegs auch eine Übernahme des Prinzips der judicial review bedeutete, zeigt etwa die dahin gehende Analyse von Anthony Lester aus 1984: Incorporation would not abridge parliamentary sovereignty. At most it would enable our courts to construe statutes, in the absence of a clear and deliberate legislative decision to the contrary, so as to accord with the rights and freedoms guaranteed be the Convention. Anthony Lester, Fundamental Rights: The United Kingdom isolated?, P.L. 1984, 64. 848 Lord Irvine of Lairg, Constitutional Reform and a Bill of Rights, EHRLR 2 (1997) 485. 849 Colin Turpin, British Government and the Constitution (1985) 98. 850 Rights brought Home: The Human Rights Bill; Presented to Parliament by the Secretary of State for the Home Department by Command of her Majesty, October 1997, http:www.archive. official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/chap2.htm (30.11.2007, 12:00).



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gen resistenten Grundrechtskataloges hätte jedenfalls eine fundamentale Veränderung der Verfassungsstruktur Großbritanniens erfordert.851 Die durch Section 4 des Human Rights Act geschaffene Rechtsinstitution der declaration of incompatibility orientierte sich letztlich weitgehend am neuseeländischen Vorbild. Dadurch wurde für den Bereich der durch den Human Rights Act geschützten Grundrechte ein spezielles Gesetzesprüfungsverfahren installiert852 und nicht dem innerstaatlichen Vorbild der Bill of Rights Bill 1976 gefolgt, die ein spezielles Modell des Anwendungsvorranges vorgesehen hatte.853 Hinsichtlich der Zuständigkeit zur Gesetzesprüfung wurde ein Mittelweg zwischen der Konzentration bei einem Gericht (etwa dem House of Lords) und einer universellen gerichtlichen Kompetenz gewählt. So sind gemäß Subsection 5 des Human Rights Act folgende Gerichte zur Gesetzesprüfung berufen: das House of Lords, das Judicial Committee of the Privy Council, der CourtsMartial Appeal Court, in Schottland der High Court of Justiciary sitting otherwise than as trial court oder der Court of Session sowie in England, Wales und Nordirland der High Court oder Court of Appeal. Bedingung für eine declaration of incompatibility sind gemäß Subsection 4 die Unvereinbarkeit mit einem durch die Konvention garantierten Recht sowie eine Verhinderung der Ausräumung dieser Inkompatibilität durch dieses Gesetz.854 Die rechtliche Bedeutung der declaration of incompatibility ist allerdings vor allem deklarativer und politischer Natur855 und führt gemäß Subsection 6a keineswegs zu einer Außerkraftsetzung oder vorübergehenden Unanwendbarkeit des betroffenen Gesetzes.856 Auch für die der Erklärung zugrunde liegenden Verhandlung ist sie nicht bindend, wie durch Subsection 6b ausdrücklich normiert wurde. 857 851 Siehe dazu etwa Colin Turpin, British Government and the Constitution (1985) 95. 852 Ebenda. 853 Siehe Colin Turpin, British Government and the Constitution (1985) 98. 854 Eigentlich primary legislation. 855 Wobei die Regierung beim Einbringen der Human Rights Bill damit rechnete, dass eine solche Deklaration almost certainly Regierung und Parlament zu einer Gesetzesänderung veranlassen würde. Rights brought Home: The Human Rights Bill, http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/rights/chap2.htm (30.11.2007, 12:00). Siehe auch Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 385 f. 856 A declaration under this section does not affect the validity, continuing operation or enforcement of the provision in respect of which it is given. Ministry of Justice, The UK Statute Law database (http://www.statutelaw.gov.uk), (19.10.2007, 19:47). Siehe auch Richard S. Lubliner, The Sky is not falling: Why the Human Rights Act of 1998 will not radically affect English freedom of expression law, Emory Int’l L. Rev 16 (2002) 267. 857 Ebenda.

196 Hauptteil Formell betrachtet ist somit der Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (wie auch der anderen durch den Human Rights Act garantierten Grundrechte) gegenüber der Legislative eher mit einer Staatszielbestimmung vergleichbar und entspricht keinesfalls einem modernen rechtsstaatlichen Grundrechtsschutzsystem im kontinenaleuropäischen Sinn. Das britische Verfassungsprinzip der parliamentary sovereignty858 blieb so zumindest formalrechtlich intakt.859 Eine gewisse politische Verantwortung hinsichtlich der EMRK-Konformität von Gesetzen hatte allerdings bereits vor dem Human Rights Act existiert. So waren zahlreiche Gesetze dem Konventionsrecht angepasst worden.860 Der Human Rights Act schuf hingegen mit der Verpflichtung der statement of compatibility nach Section 19 auch ein neues Element im Gesetzgebungsprozess des Vereinigten Königreichs zur Prävention nicht intendierter Verletzungen der Konventionsrechte durch den Gesetzgeber. Danach ist ein für einen Gesetzesentwurf verantwortlicher Minister der Krone verpflichtet, vor der zweiten Lesung des Gesetzesentwurfes in einem der beiden Houses of Parliament in schriftlicher und dem Minister angemessen erscheinender Form eine statement of compatibility 861 zu tätigen. Alternativ ist nach Subsection 1b allerdings auch ein statement möglich, dass er zwar nicht in der Lage sei, ein statement of compatibility zu tätigen, die Regierung aber nichtsdestotrotz wünsche, dass das Haus

858 Siehe dazu die Opinion von Lord Hoffmann in R v. Secretary of State, ex p Simms: Parliamentary sovereignty means that Parliament can, if it chooses, legislate contrary to fundamental principles of human rights. The Human Rights Act 1998 will not detract from this power. R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 412. 859 Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 465. Dies entsprach auch der Intention der Regierung hinsichtlich der gewählten Konstruktion. Siehe auch The Human Rights Bill; http:www.archive.official-documents.co.uk/document/hoffice/ rights/chap2.htm (30.11.2007, 12:00); sowie Christina Ashton/Valerie Finch, Constitutional Law in Scotland (2000) 385. Siehe dazu auch Lord Irvine of Lairg in der Debatte im House of Lords zum HRA, in welcher dieser betonte, dass der Gesetzesentwurf speziell so konzipiert wurde, dass er das traditionelle britische Verständnis der Gewaltentrennug unberührt lasse. Im House of Commons betonte Secretary of State Jack Straw, dass das Prinzip der parliamentary sovereignty bestehen bleiben müsse. Robert Blackburn, Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom (1999) 373, 394. 860 Siehe Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 441 ff. sowie John Marston/Richard Ward, Commentary on Constitutional and Administrative Law4 (1997) 166, und Kevin Boyle, Freedom of expression, in Paul Sieghart, Human Rights in the United Kingdom; Human Rights Network (1988) 86. 861 Durch Subsection 1a definiert als a statement to the effect that in his view the provisions of the Bill are compatible with the Convention rights.



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mit dem Gesetzesentwurf fortschreite.862 Diese Bestimmung macht deutlich, dass der Schutz der Konventionsrechte zwar so gut wie möglich gewährleistet werden, gleichzeitig aber die oberste Autorität beim Parlament bleiben sollte. Das Parlament sollte politisch gebunden, rechtlich jedoch nicht in seiner legislativen Handlungsfähigkeit beschränkt werden.863 Der erste Fall seit dem Human Rights Act, in dem ein statement of compatibility nicht erfolgte und der Wunsch geäußert wurde, dennoch mit dem Gesetzgebungsverfahren fortzufahren, betraf die politische Meinungsäußerungsfreiheit.864 Auch der Human Rights Act selbst könnte ohne spezielle Mehrheiten oder einem Äquivalent zum österreichischen Art 44 Abs 3 B-VG865 außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden. Dass dies keineswegs eine rein hypothetische Möglichkeit ist, zeigt etwa die ernsthafte Behandlung dieser Optionen im Review of the Implementation of the Human Rights Act des Department of Constitutional Affairs unter dem Kapitel der Possible solutions.866 Auch dem Bericht 862 Ministry of Justice, The UK Statute Law database (http://www.statutelaw.gov.uk), (19. 10. 2007, 19:47). 863 Siehe dazu die Opinion von Lord Hoffmann in R v. Secretary of State, ex p. Simms: The constraints upon its exercise [parliamentary sovereignty] are ultimately political, not legal. But the principle of legality means that Parliament must squarely confront what it is doing and accept the political cost. R. v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 412. (H.L.) Die zentrale Bedeutung der Aufrechterhaltung des Prinzips der parliamentary sovereignty wird auch in der Einleitung der Review of the Implementation of the Human Rights Act des Department for Constitutional Affairs deutlich, in welchem deren Schutz als einer der Hauptargumente gegen eine UK Bill of Rights mit materiellem Gesetzesvorbehalt angeführt wurde: If the rights were entrenched, so that Parliament cannot amend or violate them, that would remove a central pillar in our constitution. We would lose Parliamentary sovereignty, and the supremacy of the elected House of Commons. On questions of rights and morality, the ultimate arbiter would be the judiciary. Future Parliaments might be unable to act to protect national security. The Human Rights Act avoids that. Department for Constitutional Affairs (dca), Review of the Implementation of the Human Rights Act (2006) 5 f. 864 Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1015, 1017. Zum Problem des politischen Werbeverbots siehe auch die besprochene ProLife-Entscheidung sowie R v. Secretary of State for Culture, Media and Sport und das Urteil des EGMR in VGT v. Switzerland. 865 Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, eine Teiländerung aber nur, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird, ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. BGBl 1930/1 i.d.F. BGBl I 2003/100. 866 Letztere Option wurde im Bericht durch die Feststellung begründet, dass wichtige Entscheidungsträger may be getting the balance wrong by placing undue emphasis upon the entitlements

198 Hauptteil der Joint Committe on Human Rights über den Zustand der Menschenrechte im Vereinigten Königreich aus der Session 2007–2008 ist eine ernsthafte Gefährdung des Human Rights Act zu entnehmen, vor allem wegen seiner Einordnung in der Presse als a charter for terrorists, criminals, and illegal immigrants und die mehrfachen Aufrufe einer Außerkraftsetzung durch die Opposition. Darin wurden auch alle Politiker aufgefordert, den Human Rights Act nicht länger als Sündenbock für unpopuläre Maßnahmen zu verwenden.867 3.4.3 Fazit Durch die Revolutionierung des britischen Grundrechtsschutzes durch den Human Rights Act 1998 erfolgten vor allem zwei grundsätzliche Neuerungen: Einerseits wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung als solches zum Ausgangspunkt der Entscheidungen zur Meinungsäußerungsfreiheit und war nicht länger nur ein im Bereich des Ausgleichs der Rechtsinteressen zu beachtendes Rechtsprinzip. Andererseits wurde nun auch die Gesetzgebung durch das System des Grundrechtsschutzes gebunden, wenn auch mit rechtlich schwacher und vor allem politischer Wirkung. Die neuere Judikatur verdeutlicht, dass die politische Meinungsäußerungsfreiheit nunmehr an der Spitze der Kategorien geschützter Meinungsäußerungsfreiheit steht.868

4. Die Entwicklung der EGMR-Judikatur im Bereich der political speech Aufgrund der Bedeutung der Judikatur des EGMR für den verfassungsrechtlichen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit sollen in diesem Kapitel die Grundzüge von deren Entwicklung dargestellt werden, um dadurch of individuals. Dies bedeute, dass der overarching importance of the State’s duty to maintain public security unzureichende Bedeutung zugemessen werde. Diese der durch die EGMR-Judikatur geschaffenen weitreichenden individuellen Grundrechtssphäre äußert kritisch gegenüberstehende Position einer für diesen Bereich besonders wichtigen Regierungsbehörde zeigt, dass eine Trendwende im britischen Grundrechtsschutz zumindest möglich ist. Department for Constitutional Affairs (dca), Review of the Implementation of the Human Rights Act (2006) 38 f. 867 Joint Committee on Human Rights, The Work of the Committee in 2007 and the State of Human Rights in the UK (2008) 6. 868 Siehe etwa R (ProLife Alliance) v. BBC oder Rusbridger & Anor, R v. Majesty’s Attorney General.



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ihren Einfluss auf die britische und österreichische Judikatur aufzuzeigen und so eine klarere Trennung der autogenen Elemente der Verfassungsentwicklung von den Einflüssen der EGMR-Judikatur zu ermöglichen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass bis zum Inkrafttreten des 11. Protokolls zur EMRK 1998 die Zulässigkeit einer Individualbeschwerde nicht vom EGMR, sondern von der Europäischen Kommission für Menschenrechte (in Folge Kommission) geprüft wurde. Wurde eine Beschwerde von der Kommission für zulässig erklärt, entschied das Ministerkomitee über das Vorliegen einer Verletzung der EMRK, wenn keine Anrufung des Gerichtshofs innerhalb von drei Monaten erfolgte. Die durch das 11. Protokoll erfolgte Reform führte zur Abschaffung der Kommission und zur Beschränkung der Aufgaben des Ministerkomitees auf die Überwachung der Einhaltung der Urteile.869 Aufgrund der Bedeutung einiger Entscheidungen der Kommission zur Meinungsäußerungsfreiheit werden auch diese in diesem Rahmen berücksichtigt. Systematisch kann die durch das Gericht gefällte Unterscheidung zwischen politischer und sonstiger Meinungsäußerung in den Bereich der Überprüfung, ob ein Eingriff necessary in a democratic society ist, eingeordnet werden. Diese folgt den Vorfragen, ob der Eingriff prescribed by law und seine Ziele nach Abs 2 legitim sind. Denn in der Entscheidung, ob eine Einschränkung notwendig ist, spielt die Art der Meinungsäußerung (z. B. politische, kommerzielle etc.) eine wichtige Rolle bei der dabei zu treffenden Interessenabwägung.870 Die Interpretation des Schutzgehaltes von Art 10 EMRK hinsichtlich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit entwickelte dabei erst allmählich seine heutige Form. Bereits 1976 wies der EGMR im Handyside-Urteil auf die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit als eine der essenziellen Grundlagen für eine demokratische Gesellschaft hin und deutete diese zugleich als eine der grundlegenden Bedingungen für ihren Fortschritt und für die Entwicklung jedes Menschen. Auf dieser Basis entwickelte das Gericht die weite Definition der im Sinne von Art 10 Abs 2 geschützten Meinungsäußerungsfreiheit, wonach not only information or ideas that are favorably received or regarded as inoffensive or 869 Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 36; David Harris/ Michael O’Boyle/Chris Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights (1995) 5. 870 Siehe dazu etwa Handyside v. the United Kingdom, 7. 12. 1976, no. 5493/72, Lingens v. Austria, 8. 7. 1986, no. 9815/83, §§ 37 ff; Oberschlick v. Austria, 23. 5. 1991, no. 11662/85, §§ 54 ff; Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, 25.6.1992, no. 13778/88, §§ 60 ff; Barfod v. Denmark, 22. 2. 1989, no. 11508/85, §§ 27 ff.

200 Hauptteil as a matter of indifference, but also those that offend, shock or disturb the State or any sector of the population darunter fielen. Im Zusammenhang mit der fundamentalen Bedeutung für die demokratische Gesellschaft betonte das Gericht in Folge jdeoch nicht den Marktplatz der Ideen, sondern vielmehr pluralism, tolerance and broadmindedness. Eine Sonderstellung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit wurde folglich aus der Urteilsbegründung in Handyside noch nicht deutlich.871 In X v. Germany hatte der Antragsteller einen Bürgermeister in einem Presseartikel mit der Überschrift „Tyrannei und Demokratie“ unter anderem auch des Betrugs und der Hehlerei bezichtigt. Ohne näher auf den politischen Charakter der Meinungsäußerung einzugehen, erkannte die Kommission zwar einen Eingriff, betrachtete diesen allerdings als entièrement justifiée nach Art 10 Abs 2, da ein notwendiges Mittel zum Schutz des Rufes anderer vorläge.872 Auch die Ablehnung eines Antrages aus 1981 durch die Kommission, in welchem unter anderem eine Verletzung von Art 10 behauptet worden war, macht die graduelle Entwicklung im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit deutlich. In der österreichischen Zeitschrift Profil war ein Parlamentsmitglied (das zugleich eine führende Position innerhalb der SPÖ innehatte) hinsichtlich einer von ihm getätigten Äußerung der Lüge bezichtigt worden. Dies hatte eine Privatanklage durch den betroffenen Politiker nach § 111 Abs 1 und 2 StGB zur Folge. Der nach § 112 von den Antragstellern zu erbringende Wahrheitsbeweis nach Abs 3 misslang, nicht zuletzt, da ein wichtiger Zeuge die Aussage verweigerte (die Details des innerstaatlichen Prozesses sind hier nicht relevant).873 Die Antragsteller sahen sich in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt, da der Eingriff zum Schutz des guten Rufes eines anderen nicht zulässig sei, wenn diese Behauptungen nicht unwahr seien und verwiesen vor allem auf die Weigerung einer Kooperation zur Aufklärung der Fakten durch den betroffenen Politiker. Eine grundsätzliche Anerkennung der fundamentalen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der political discussion erfolgte auch in dieser Entscheidung.874 Es wurde betont, dass es of the utmost importance sei, dass diese Einschnitte nur angewendet werden sollen, wo dies im Einzelfall wirklich notwendig sei, und nicht zur Unterbindung von legitimer Kritik der Presse am Verhalten und an Aussagen eines Politikers. Dies wurde damit begründet, dass 871 Handyside v. the United Kingdom, 7. 12. 1976, no. 5493/72, § 49. 872 X v. Federal Republic of Germany, 29. 9. 1975, (dec.) no. 6988/75. 873 Lingens and Leitgeb v. Austria, 11. 12. 1981, (dec.) no. 8803/79. 874 Auch in dieser Entscheidung im Rahmen der Frage, ob der Eingriff necessary in a democratic society ist.



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es the very function of the press in einer demokratischen Gesellschaft sei, durch die Überprüfung der Entwicklung der Debatte von öffentlichen Themen, wie sie von politischen Amtsinhabern behandelt werden, am politischen Prozess zu partizipieren. Auch wurde akzeptiert, dass ein Politiker selbst harte Kritik seiner öffentlichen Aktivitäten und Äußerungen hinnehmen müsse und diese Kritik nicht als Diffamierung betrachtet werden könne. Wichtig ist aber die Ausnahme, die dieser Grundsatzerklärung folgt: … unless it throws a considerable degree of doubt on his personal character and good reputation.875 Die Kommission verwies darauf, dass nicht für jede Meinungsäußerung der Wahrheitsbeweis verlangt werde, sondern nur bei Anschuldigungen mit objektiverweise diffamierendem Charakter gegenüber einer Person, ob diese nun Politiker oder einfacher Bürger ist. Der Schutz des guten Rufes einer Person wurde als legitimer Grund für eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit akzeptiert. Im Anlassfall sei die Anwendung nicht über das, was im Sinne von Art 10 Abs 2 als notwendig zu betrachten sei, hinausgegangen. Die Grenze werde hingegen überschritten, wenn gegen einen bestimmten Politiker eine Anschuldigung vorgebracht werde, dass er durch vorsätzliche Falschaussagen die öffentliche Meinung zu manipulieren versuche und die relevante Information zurückhalte, um den Wahrheitsbeweis dieser Anschuldigungen zu verhindern. Darüber hinaus stellte die Kommission fest, dass die Antragsteller im betreffenden Artikel die eigene Meinung als objektive Information präsentierten und nur aus diesem Grund den Wahrheitsbeweis zu erbringen gehabt hätten. Der Antrag wurde folglich aufgrund von Art 27 Abs 2 EMRK abgelehnt.876 Dabei ist interessant, dass die Kommission wie gezeigt zwar eindeutige Worte für die Bedeutung der politischen Meinungsäußerung fand, welche an Justice Brennans Begründung in Sullivan erinnern, aber nicht den chilling effect einer derartigen Anwendung von § 111 StGB untersuchte. Stattdessen schien sie die Bedeutung des Schutzes des guten Rufes von Politikern und Privatbürgern gleichzusetzen und betonte, dass man von Politikern nicht erwarten könne, unwahre Vorwürfe zu akzeptieren.877 Wie gezeigt, wurden auch andere Lösungsvarianten wie etwa der spätere britische Reynolds-Ansatz eines verantwortungsvollen Journalismus878 nicht erörtert, sondern der Eingriff schlichtweg als gerechtfertigt betrachtet.879 875 Lingens and Leitgeb v. Austria, 11. 12. 1981, (dec.) no. 8803/79. 876 Ebenda. 877 Siehe dazu auch Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 105. 878 Siehe dazu Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 609 ff, sowie Abschnitt III, Kapitel 3.3.1. und 3.4.1. 879 Lingens and Leitgeb v. Austria, 11. 12. 1981, (dec.) no. 8803/79.

202 Hauptteil Wegbereitend für das moderne Verständnis war hingegen das Urteil des EGMR in Lingens v. Austria aus 1986. Darin finden sich drei grundsätzliche Erwägungen hinsichtlich der Anwendung von Artikel 10 EMRK: Erstens stellte das Gericht die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Tatsachenfeststellungen und Werturteilen und die Problematik eines Wahrheitsbeweises880 in letzterem Fall im Lichte von Art 10 EMRK fest.881 Zweitens hob es die Bedeutung von political speech hervor und drittens, basierend auf diesem Gedanken, die großzügigere Grenzziehung akzeptabler Kritik im Zusammenhang mit Politikern.882 Die Schlüsselaussage des Gerichtes in Lingens lag in der Differenzierung zwischen politischer und nichtpolitischer Information und der zentralen Bedeutung von political speech.883 Dafür spricht die sehr eindeutige Übernahme des Konzepts der speziellen Bedeutung der political speech durch das Gericht: More generally, freedom of political debate is at the very core of the concept of a democratic society which prevails throughout the convention. Daraus schloss das Gericht auf einen weiteren Bereich akzeptabler Kritik gegenüber einem Politiker als gegenüber einem privaten Individuum,884 wodurch die Nähe dieses Prinzips mit dem Gedanken der political speech klar gezeigt wird.885 Die Prinzipien in Lingens, welche im Zusammenhang mit der bereits mehrfach angesprochenen Entscheidung des US Supreme Court in Sullivan v. The New York Times aus 1964 gesehen werden sollten, erwiesen sich in Folge gerade

880 Siehe dazu auch Der Fall Lingens und das österreichische Mediengesetz, MR 4/1986, 5. Bruno Weis, Nochmals: der Fall Lingens und der Gesetzgeber, MR 5/1986, 5, 7, sowie Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006) 199 f. Vergleiche das aus 1964 stammende Urteil des US Supreme Court (Justice Brennan) in New York Times Co. v. Sullivan 376 U.S. 254 (1964). 881 Eine Unterscheidung, die im britischen Kontext im Bereich der qualified privilege Tradition hat. Siehe dazu Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 113. 882 Lingens v. Austria, 8. 7. 1986, no. 9815/83, para. 34 ff. Siehe insbesondere para. 41 f, 46. Siehe dazu etwa auch Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 90 ff, sowie Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 1056 f. 883 Ian Loveland, Reynolds v. Times Newspapers in the House of Lords – Analysis, P.L. 2000, 355 f. Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 108 ff, 174. Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 89 ff. Siehe dazu auch MR, Der Fall Lingens und das österreichische Mediengesetz, MR 4/1986, 5. Bruno Weis, Nochmals: der Fall Lingens und der Gesetzgeber, MR 5/1986, 7. 884 Lingens v. Austria, 8. 7. 1986, no. 9815/83, § 42. 885 Siehe dazu auch Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006) 201.



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auch für das österreichische Recht als folgenreich.886 Das Gericht betonte in Folge regelmäßig den engen Rahmen für Beschränkungen von political speech sowie von Debatten über Fragen von öffentlichem Interesse.887 Darüber hinaus verlangt es gewichtige Gründe (very strong reasons) für eine Rechtfertigung von Beschränkungen.888 Dabei hatte das Gericht in Thorgeirson v. Iceland unter Berufung auf Lingens, Barfod und Oberschlick ausdrücklich festgestellt, dass die weiten Grenzen zulässiger Kritik im Bereich politischer Diskussionen nicht im selben Maß für andere Gegenstände des öffentlichen Interesses (matters of public interest) gelten könnten. Als political discussion definierte der EGMR dabei direct or indirect participation by citizens in the decision making process in a democratic society.889 In Barfod v. Denmark behauptete der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art 10 EMRK durch eine Verurteilung als Folge einer persönlichen Kritik an Richtern, die einen umstrittenen Steuerfall entschieden hatten, da aufgrund 886 Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest“, in FS Schäffer (2006) 93. 887 Siehe Wingrove v. the United Kingdom (1), 25.11.1996, no. 17419/90, § 58; siehe dazu etwa auch Ceylan v. Turkey, 8.7.1999, 23556/94, § 34; Karatas v. Turkey, 8.7.1999, no. 23168/94; § 50, Sürek and Özdemir v. Turkey, 8.7.1999, no. 23927/94 und 24277/94, § 60; Arslan v. Turkey, 8.7.1999, no. 23462/94, § 46, Gerger v. Turkey, 8.7.1999, no. 24919/94, § 48; Polat v. Turkey, 8.7.1999, 23500/94, § 45; Erdogu and Ince v. Turkey, 8.7.1999, nos. 25067/94 und 25068/94, § 50; Baskaya and Okçuoglu v. Turkey, 8.7.1999, nos. 23536/94 und 24408/94, § 62; Okçuoglu v. Turkey, 8.7.1999, no. 24246/94, § 46; Sürek v. Turkey (4), 8.7.1999, no. 24762/94, § 57; Sürek v. Turkey (1), 8.7.1999, no. 26682/95, § 61; Sürek v. Turkey (2), 8.7.1999, no. 24122/94 § 32; Sürek v. Turkey (3), 8.7.1999, no. 24735/94, § 37; Öztürk v. Turkey, 28.9.1999, no. 22479/93, § 66; Nilsen and Johnsen v. Norway, 25.11.1999, no. 23118/93, § 46; Erdogu v. Turkey, 15.6.2000, no. 25723/94, § 62; Sener v. Turkey, 18.7.2000, no. 26680/95, § 40; Feldek v. Slovakia, 12.7.2001, no. 29032/95, § 74; Stankov and the United Macedonian Organisation Ilinden v. Bulgaria, 2.10.2001, nos. 29221/95 und 29255/95, § 88; Dichand and others v. Austria, 26. 2.2002, 29271/95, § 39, Unabhängige Informationsvielfalt v. Austria, 26.2.2002, 28525/95, § 36; Krone Verlag GmbH & Co. KG v. Austria, 26.2.2002, no. 34315/96, § 35; Murphy v. Ireland, 10.7.2003, no. 44179/98, § 67; Scharsach and News Verlagsgesellschaft mbH v. Austria, 13.11.2003, no. 39394/98, § 30 iii; Hrico v. Slovakia, 20.7.2004, no. 49418/99, § 40 g; Sokolowski v. Poland, 29.3.2005, no. 75955/01, § 41; Stoll v. Switzerland, 25.4.2006, no. 69698/01, § 46; Öllinger v. Austria, 29.6.2006, no. 76900/01, § 38; Filatenko v. Russia, 6.12.2007, no. 73219/01, § 40; Stoll v. Switzerland, 17.12.2007, no. 69698/01 § 106; Vajnai v. Hungary, 8.7.2008, no. 33629/06 § 47; TV Vest As & Rogaland Pensjonistparti v. Norway, 11.12.2008, no. 21132/05 § 59; Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) v. Switzerland (no. 2), 30.6.2009, no. 32772/02, § 92. Siehe auch Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006) 199. 888 Siehe etwa Krasulya v. Russia, 22.2.2007, no. 12365/03, § 38, Filatenko v. Russia, 6. 12. 2007, no. 73219/01, § 40. 889 Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, 25 .6. 1992, no. 13778/88, § 60.

204 Hauptteil des politischen Hintergrundes des Steuerfalles seine Aussagen als Teil der politischen Debatte zu betrachten seien und folglich einem weiteren Anwendungsbereich akzeptabler Kritik unterlägen. Das Gericht lehnte diese Argumentation allerdings ab, da die diffamierenden Anschuldigungen gegen die Richter persönlich gerichtet und ohne unterstützende Beweise erbracht worden waren. Daher konnte der politische Kontext nicht als relevant für die Frage der Proportionalität erachtet werden.890 In Oberschlick v. Austria betonte das Gericht unter anderem die Bedeutung der Pressefreiheit für das politische Forum: Freedom of the press affords the public one of the best means of discovering and forming an opinion of the ideas and attitudes of political leaders. This is underlined by the wording of Article 10 where the public’s right to receive information and ideas is expressly mentioned. Danach wiederholte das Gericht die oben zitierte Formel aus Lingens zur Bedeutung der political speech sowie die Schlussfolgerungen für den Bereich der Kritik an Politikern.891 In Sunday Times v. The United Kingdom (No. 2) betonte das Gericht ausdrücklich die Rolle der Presse als public watchdog, verneinte aber ein generelles Verbot der Vorzensur (prior restraint) durch Art 10 EMRK, wenngleich diese einer most careful sructing durch das Gericht unterliege.892 In Bladet Tromsø and Stensaas v. Norway stellte das Gericht 1999 klar, dass der stengste Prüfmaßstab (the most careful scrutiny) aufseiten des Gerichts dann vorläge, wenn Maßnahmen oder Sanktionen einer nationalen Behörde in der Lage sind, die Presse von der Teilnahme an Debatten zu Themen von legitimen öffentlichem Interesse (legitimate public concern) abzubringen.893 Ungeachtet des Grundsatzes, dass Staatsbedienstete (civil servants) als Gegenstand von Überprüfung und Debatte der Kritik offenstehen müssten, war es angesichts mangelnder Möglichkeiten einer Antwort und mangels legitimen Grundes unzulässig, diese einer kriminellen Handlung zu beschuldigen. Darüber hinaus müsse eine Person, die eine unnötige Einschränkung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit behauptet, jene in einer mit demokratischen Prinzipien vereinbaren Weise ausgeübt haben: Diese müsse im gutem Glauben bezüglich der Legitimität der Aussagen getätigt und in einer mit demokratischen Zielen vereinbaren Weise geäußert worden sein. Ferner müssten diese Ziele gefördert 890 Barfod v. Denmark, 22. 2. 1989, no. 11508/85. Siehe vor allem § 35. 891 Oberschlick v. Austria, 23. 5. 1991, no. 11662/85. Siehe insbesondere § 59 f. 892 The Sunday Times v. The Unted Kingdom (No. 2), 26. 11. 1991, no. 13166/87, §§ 50 (b), 51. 893 Bladet Tromsø and Stensaas v. Norway, 20. 5. 1999, no. 21980/93, § 64. Siehe etwa auch Stoll v. Switzerland, 17.12.2007, no. 69698/01 §106.



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und durch Fakten unterstützt gewesen sein.894 In Castells v. Spain aus 1992 wiederholte der EGMR die in Handyside, Sunday Times und Lingens entwickelten Grundsätze. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die freie Meinungsäußerung für jedermann wichtig sei, besonders aber für einen gewählten Repräsentanten des Volkes. Der EGMR stellte ausdrücklich fest, dass auch die Freiheit der politischen Debatte nicht absolut sei, die Grenzen zulässiger Kritik bezüglich der Regierung aber weiter seien als gegenüber einem Privatbürger oder gar gegenüber einem Politiker. Denn in einem demokratischen System müssten Handlungen und Unterlassungen der Regierung nicht nur Gegenstand genauer Überprüfung durch die legislativen und judikativen Staatszweige, sondern auch durch jene der Presse und der öffentlichen Meinung sein.895 Damit ergibt sich aus der Abwägung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit mit dem potenziell im Sinne von Art 10 Abs 2 EMRK als notwendig erkannten Prinzip des Schutzes des Rufes eine klare Hierarchie. Durch die Minderung der Schutzmöglichkeiten des Rufes politischer Institutionen und der Inhaber politischer Ämter wird so die Freiheit der politischen Debatte gesichert und ein chilling effect verhindert.896 Allerdings forderte der EGMR zwar zur Zurückhaltung in Bezug auf dahin gehende Strafverfahren auf, schloss angesichts der Bedeutung des Staates als Garant der öffentlichen Ordnung auch strafrechtliche Schritte zum Schutz von Diffamierung keineswegs grundsätzlich aus. Diese sollten allerdings verhältnismäßig und ohne Exzess auf ohne Sachgrundlage oder in böser Absicht formulierte diffamierende Aussagen reagieren.897 In Bowman v. The United Kingdom bestätigte der EGMR erneut die besondere Bedetung der politischen Debatte: Free elections and freedom of expression, particularly freedom of political debate, together form the bedrock of any democratic system.898 In Feldek v. Slovakia aus 2001 betonte das Gericht, dass die Förderung der freien politischen Debatte ein sehr wichtiges Merkmal einer demokratischen Gesellschaft sei. Es maß der Meinungsäußerungsfreiheit im Kontext der politischen Debatte die höchste Bedeutung zu und betonte, dass sehr starke Gründe für eine Rechtfertigung einer Einschränkung von political speech erforderlich seien. Dem fügte das Gericht hinzu, dass breite Beschrän894 Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, 25. 6. 1992, no. 13778/88, § 60. 895 Castells v. Spain, 23. 4. 1992, no. 11798/85, §§ 42 ff. 896 Siehe dazu auch Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 92 ff. 897 Ebenda § 46. 898 Betonungen hinzugefügt. Bowman v. United Kingdom, 19. 2. 1998, no. 24839/94 § 42 f.

206 Hauptteil kungen der politischen Rede in individuellen Fällen unzweifelhaft den Respekt für die Meinungsäußerungsfreiheit im betroffenen Staat überhaupt beeinträchtigen würden.899 In Ukrainian Media Group v. Ukraine lag eine Kritik an zwei Politikern vor, deren Sprachwahl das Gericht zwar als strong, plemical und satiric bezeichnete. Doch in der Wahl ihres Berufes hätten diese sich einer robusten Kritik und Überprüfung ausgesetzt, denn dies sei die Bürde, die von Politikern in einer demokratischen Gesellschaft akzeptiert werden müsse. Das Gericht schloss in diesem Fall, dass der Eingriff keiner pressing social need entsprach, die in der Abwägung schwerer wäge als das öffentliche Interesse an einer legitimen politischen Diskussion der Wahlkampagne und der darin involvierten Personen.900 In TV Vest As & Rogaland Pensjonistparti v. Norway sprach das Gericht ausdrücklich von einer privileged position of free political speech under Article 10 EMRK. In diesem Fall wurde versucht, ein pauschales Verbot von politischer Fernsehwerbung durch die sonst drohende Senkung der Qualität der politischen Debatte zu rechtfertigen. Der betroffenen Regierung nach war dies notwendig, da sonst komplexe Fragen verdreht und finanzstarke Gruppen bei der Propagierung ihrer Ideen bevorzugt würden. Im betroffenen Fall wäre politische Fernsehwerbung nach Ansicht des Gerichts jedoch die einzige Möglichkeit für die Partei gewesen, ihre Botschaft der Öffentlichkeit vorzustellen. Darüber hinaus lag im Anlassfall keine Gefahr einer Herabsetzung der Qualität der politischen Debatte vor, auch fiel die Pensionistenpartei nicht in die Kategorie finanzstarker Werber. Die direktere und stärkere Effektivität audiovisueller Medien war zwar ein Kriterium bei der Prüfung auf Verhältnismäßigkeit, konnte aber im Anlassfall den Eingriff nicht rechtfertigen.901 Bereits zuvor hatte das Gericht in Vajnai v. Hungary festgestellt, dass Beschränkungen von political speech nur im Fall von eindeutiger, dringlicher und spezifischer sozialer Notwendigkeit (clear, pressing and specific social need) gerechtfertigt sind.902 Die Grenzen des Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit werden hingegen im Fall Pfeifer v. Austria deutlich. Ausgangspunkt dieses Urteils war allerdings nicht eine behauptete Verletzung von Artikel 10, sondern von 899 Feldek v. Slovakia, 12. 7. 2001, no. 29032/95, § 83. Siehe auch Karman v. Russia, 14. 12. 2006, 29372/02, § 36; Dyuldin and Kislov v. Russia, 31. 7. 2007, no. 25968/02, § 41. 900 Ukrainian Media Group v. Ukraine, 29. 3. 2005, no. 72713/01, § 67, 69. 901 TV Vest As & Rogaland Pensjonistparti v. Norway, 11.12.2008, no. 21132/05 § 66 ff. 902 Vajnai v. Hungary, 8. 7. 2008, no. 33629/06 § 51.



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8 EMRK, durch das Versäumnis der österreichischen Gerichte den Ruf des Antragsstellers zu schützen. Das Ergebnis des EGMR ist die Anforderung an die nationalen Rechtsordnungen, im Einzelfall eine fair balance zwischen dem Recht auf Schutz des guten Rufes und der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich des politischen Diskurses zu treffen.903 Dies entspricht, wie oben demonstriert, im Wesentlichen dem ursprünglichen Zugang des Common Law, nämlich der Abwägung dieser Rechtsprinzipien bei einer sich stets verändernden Gewichtung derselben. Allerdings lag dem Fall ein offenbar rechtsradikaler Aufsatz eines Professors der Politikwissenschaften (P) zugrunde, welcher vom Antragsteller mit harten Worten kritisiert worden war. Dieser Kritik folgte zwei Jahre später auch eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz gegen den Verfasser des Aufsatzes, welcher sich vor Verhandlungsbeginn das Leben nahm. Nach diesen Ereignissen wurde der Antragsteller als Teil einer Jagdgesellschaft beschrieben, die den Politikwissenschaftler in den Tod getrieben habe. Die rechtlichen Schritte des Antragstellers aufgrund von § 6 MedienG scheiterten an der Einordnung dieser Aussage als nicht exzessives Werturteil durch das OLG.904 Der EGMR bestätigte die genannten Grundsätze zur Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit im Bereich der politischen Debatte, kam in der Abwägung zwischen den Art 8 und 10 EMRK jedoch zu einem anderen Ergebnis. Das Gericht akzeptierte die Einordnung als Werturteil nicht, da die Aussage eine kausale Verbindung zwischen den Aussagen des Antragstellers und dem Selbstmord Ps herstelle und eine solche nicht Gegenstand der Spekulation sei, sondern eine beweisbare Tatsachenbehauptung. Darüber hinaus habe die gegenständliche Meinungsäußerung den Antragsteller einer kriminellen Handlung bezichtigt und damit die akzeptablen Grenzen überschritten.905 Selbst im Fall einer Kategorisierung der Aussagen als Werturteile fehle der Meinungsäußerung a sufficient factual basis.906 Eine enge Auslegung der in diesem Fall angewandten Grundsätze könnte den im Allgemeinen sehr weiten Schutz der politischen Meinungsäußerung durch den EGMR infrage stellen. 903 Pfeifer v. Austria, 15. 11. 2007, no. 12556/03, §§ 25 ff. Dazu kritisch Michael Rami, Doch wer den guten Namen mir entwendet … Anmerkungen zum Urteil des EGMR im Fall Pfeifer gegen Österreich, MR 2007, 359 ff. 904 Ebenda §§ 7 ff. Für eine andere Einschätzung siehe die Dissenting Opinions der Richter Loucaides und Schäffer. 905 Ebenda §§ 44 ff. 906 Ebenda 48.

208 Hauptteil Jedenfalls werden durch dieses Urteil die Methode einer fallabhängigen Abwägung und des keineswegs grenzenlosen Ausmaßes des Schutzes von political speech einerseits und das Ausmaß des richterlichen Ermessens andererseits verdeutlicht. Auch wird dadurch die Einschätzung der Law Lords Steyn und Cooke bestätigt, welche in Reynolds die vom Einzelfall unabhängige Gewährung eines generic privilege für political discussion als im Lichte der EGMRJudikatur problematisch befunden hatten.907 Auch auf die Einschätzung John Gardners der Methode des EGMR als Interessenausgleich statt der Statuierung einzelner enger Ausnahmen von der höheren Stellung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit sollte hingewiesen werden. Danach sei die Meinungsäußerungsfreiheit überhaupt nicht länger ein right, sondern vielmehr als value or principle einzustufen.908 Dieser Ansatz würde die von den Law Lords wiederholt vertretene These der Übereinstimmung des Common Law mit Art 10 EMRK auch vor dem Human Rights Act verstärken.

5. Punktuelle Analyse einiger für den Bereich der political speech besonders bedeutsamer rechtshistorischer und aktueller Anwendungsfälle 5.1 Staatsfeindliche und staatsgefährdende Meinungsäußerungsfreiheit 5.1.1 Österreich Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit ab 1867 brachte keinen kategorischen Ausschluss von staatsfeindlichen Meinungsäußerungen mit sich. So schloss das Reichsgericht in seiner Judikatur zur Meinungsäußerungsfreiheit selbst offensichtlich sezessionistische bzw. revisionistische Symbolik nicht kategorisch vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus, sondern behandelte diese nach den allgemeinen dazu entwickelten Rechtsgrundsätzen. Dies wird durch einen Fall einer Anbringung der Wappen der Länder der böhmischen Krone durch eine Aktiengesellschaft aus 1894 verdeutlicht. Dabei hatte 907 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.3.1. 908 John Gardner, Freedom of Expression, in Christopher McCrudden/Gerald Chambers, Individual Rights and the Law in Britain (1994) 235 f.



Punktuelle Analyse rechtshistorischer und aktueller Anwendungsfälle

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sich das Wappen des Königreichs Böhmen in der Mitte befunden, umgeben von den mit der böhmischen Krone versehenen Wappen der Länder Mähren und Schlesien. Die dagegen von der k. k. Polizeidirektion Brünn gesetzten und von der k. k. Statthalterei in Brünn und dem k. k. Ministerium des Inneren bestätigten rechtlichen Schritte führten zu einer Beschwerde beim Reichsgericht. Dieses prüfte den Tatbestand wie jede andere mögliche Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit und stellte fest, dass wenn endlich selbst durch den Gebrauch oder die Zusammenstellung von Wappen eine Meinung zum Ausdruck gebracht werden soll, welche mit dem geltenden Verfassungsrechte nicht im Einklang steht, so kann auch hierin an sich nicht eine Rechtswidrigkeit erblickt werden, insolange eine solche Meinungsäußerung nicht in einer gesetzwidrigen Form erfolgt …909 Eine Tradition kategorischer Ausgrenzungen dieser Form von Meinungsäußerungen liegt in Österreich also nicht vor, wobei die verfassungskonforme Interpretation in diesem Bereich meist in den Bereich des Strafrechts und damit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fällt.910 Der Spezialfall des Verbotsgesetzes wird im Rahmen der Problematik von hate speech und politischem Radikalismus behandelt. 5.1.2 Grossbritannien Durch die Abschaffung der Star Chamber 1641 wurde das Rechtsinstitut der seditious libel (die Verfolgung aufrührerischer schriftlicher Meinungsäußerung) zum Hauptinstrument der Krone bei der Verfolgung schriftlicher politischer Diffamierungen, wobei bereits im 18. Jahrhundert erste Liberalisierungstendenzen erkennbar waren.911 In R v. Collins, einer Entscheidung zu einer seditious libel aus 1839, wurde das allgemeine Recht auf eine aufrichtige, volle und freie Diskussion zu jedem öffentlichen Thema festgestellt912 und zugleich dessen Grenzen definiert. So existiere zwar das Recht to discuss any grievances they have to complain of, dies dürfe allerdings nicht in einer Tumult erzeugenden Weise geschehen. Ein veröffentlichtes Schriftstück über eine solche Angelegenheit sei so lange keine libel, solange es nicht mehr als eine ruhige Diskussion enthalte, allowing for a little feeling in men’s mind. Sobald aber das Schriftstück darüber hinausgehe und die Aufreizung zu Aufruhr intendiere, sei es eine libel.913 909 RG Slg. Nr. 645/1894. 910 Zu dieser Problematik siehe Abschnitt III, Kapitel 2.5.7. 911 Peter Amponsah, Libel Law, Political Criticism, and Defamation of Public Figures (2004) 43 f. 912 Zum genauen Wortlaut siehe Abschnitt III, Kapitel 3.2.2. 913 R v. Collins (1839) 9 C. & P. 456, in 173 E.R. 910.

210 Hauptteil Die Definition in R v. Lovett914 war dagegen enger gefasst. Danach war ein veröffentlichtes Schriftstück dann eine seditious libel, wenn es eine direkte Tendenz hatte, ungesetzliche Versammlungen und Störungen des Friedens zu verursachen und zu einer Verletzung der Gesetze zu führen. Ferner müsse ein Vorsatz des Verteidigers für den Bereich der natürlichen Konsequenzen seiner Handlungen angenommen werden.915 Eine moderne Interpretation ist hingegen in der Instruktion der Geschworenen durch Justice Coleridge, betreffend das Gesetz der seditious libel aus King v. Aldred, 916 erkennbar. Danach war ein Sprachgebrauch, welcher eine auf eine Aufreizung zu public disorders, to wit, rebellions, insurrections, assassinations, outrages or any physical force or violence of any kind kalkuliert, ein Tatbestandsmerkmal der seditious libel.917 Auf der anderen Seite wurde ausdrücklich betont, dass nicht nur die Äußerung abstrakter akademischer Meinungen frei war. Dasselbe traf auch auf eine Meinungsäußerung zu jedem öffentlichen Gegenstand, ungeachtet deren Geschmacklosigkeit (however distasteful, however repugnant), mit der Ausnahme diffamierender Aussagen zu sowie solcher, welche als blasphemous oder obscene libels charakterisiert werden könnten. Die Angelegenheiten des Staates, der Politik und sogar der Moral könnten offen diskutiert, selbst für Despotismus, die Oligarchie oder die Republik dürfe argumentiert und die Exekutive vor einer bestimmten Handlungsweise gewarnt werden, solange dies nicht auf die Verwendung der oben geschilderten Mittel hinauslief. Die Verfolgung wegen seditious libel selbst wurde als somewhat of a rarity bezeichnet. Diese sei eine weapon that is not often taken down from the armory in which it hangs, but … a necessary accompaniment to every civilized government.918 In The King v. Caunt (1947) scheiterte die Verfolgung des Herausgebers einer Zeitung wegen eines veröffentlichten Artikels, der eine antisemitische und Gewalt befürwortende Schlussfolgerung enthielt. Dieser war im Zusammenhang mit Angriffen auf britische Truppen in Palästina im Rahmen der Gründung Israels vorangehenden Spannungen im britischen Mandatsgebiet erschienen. 914 Einer Entscheidung aus demselben Jahr wie R v. Collins, welcher darüber hinaus dasselbe Anstoß erregende Schriftstück zugrunde lag. 915 R v. Lovett (1839) 9 C. & P. 462, in 173 E.R. 912. 916 Anm: (1909) 22 Cox C.C.1. 917 Albert Venn Dicey/E.C.S. Wade, Introduction to the Study of the Law of the Constitution9 (1948) 579. E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 520 f. 918 Ebenda.



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Das Urteil der Geschworenen schien dabei auf Erwägungen der Meinungsäußerungsfreiheit und nicht antisemitischer Tendenzen unter den Geschworenen zurückzuführen zu sein.919 Jedenfalls wurde durch diese Entscheidung deutlich, dass seditious libel nach dieser Auslegung kein geeignetes Rechtsinstrument für die Bekämpfung von hate speech mehr darstellte. Bis dahin hatte dieses Rechtsinstitut traditionell als Hauptinstrument gegen politischen Extremismus gegolten.920 Die extreme Seltenheit einer Verfolgung aufgrund einer seditious libel in der jüngeren britischen Rechtsgeschichte wird auch dadurch deutlich, dass 1965 eine erfolgreiche Verfolgung eines Zeitungsredakteurs bereits über hundert Jahre zurücklag.921 Ungeachtet der extremen Seltenheit der Anwendung war es schwierig, eine lebhafte politische Diskussion zu führen, ohne potenziell in den inkriminierten Bereich zu fallen. Verfahren wurden hingegen nur angestrengt, wenn zu unmittelbarer Gewalt oder Revolte aufgereizt wurde.922 1977 forderte L.H. Leith in einem Aufsatz über die Reform dieses Rechtsinstruments überhaupt eine Abschaffung des Verbrechens der Sedition, da dies keine Lücke in den zu regelnden Materien hinterlassen würde. Auffallend ist dabei die Bezugnahme auf amerikanische First Amendment-Judikatur mit der Forderung, der Geist des amerikanischen clear and present danger-Testes (gemäß Schenck v. United States aus 1919) müsse vorherrschen.923 Die evolutionären Veränderungen noch vor dem Human Rights Act wurden insbesondere durch R v. Chief Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Choudhury aus 1990 deutlich: Darin behauptete der Kläger, Salman Rushdis Werk Satanic Verses erfülle aus dreierlei Grund den Tatbestand der seditious libel: Erstens habe das Buch den Effekt gehabt, unter den Untertanen Ihrer Majestät Unfrieden auszulösen. Zweitens habe es Feindschaft zwischen Klassen oder Teilen der Untertanen Ihrer Majestät ausgelöst, und zwar zwischen den der Veröffentlichung des Buches entgegentretenden britischen Muslimen und nichtmuslimischen britischen Bürgern, welche auf Grundlage der Meinungsfreiheit eine Veröffentlichung befürworteten. Drittens habe das Buch den Zusammenbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der britischen Regierung mit dem Iran ausgelöst, die Beziehungen der Regierung zu anderen 919 E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 521 f. 920 Siehe dazu John Gardner, Freedom of Expression, in Christopher McCrudden/Gerald Chambers, Individual Rights and the Law in Britain (1994) 218. 921 E.C.S. Wade/A.W. Bradley, Constitutional Law7 (1965) 521. 922 J.A. Corry/Henry J. Abraham, Elements of Democratic Government4 (1964) 240 f. 923 L.H. Leigh, Law Reform and the Law of Treason and Sedition, P.L. 1977, 147.

212 Hauptteil islamischen Staaten verschlechtert und Feindseligkeiten gegen das Vereinigte Königreich unter islamischen Gläubigen erzeugt.924 Das Gericht betonte allerdings, dass das essenzielle Element der offence of sedition ein Angriff auf den Souverän oder die Regierungsinstitutionen sei, und berief sich dabei auf ein Urteil des Supreme Court of Canada (Boucher v. R aus 1951).925 Für den geforderten Vorsatz zu einer seditious libel reiche die Förderung von Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Klassen von Untertanen oder ein Vorsatz zur Aufreizung zur Gewalt in diesem Zusammenhang nicht aus. Der zu beweisende Vorsatz müsse auf violence or resistance or defiance for the purpose of disturbing constituted authority gerichtet sein.926 Den Begriff der constituted authority definierte das Gericht jedoch weit: some person or body holding public office or discharging some public function of the state. Angesichts dieser Grundsätze wurde das Vorliegen einer seditious libel im konkreten Fall abgelehnt. Eine Abwägung zwischen den Prinzipien der Meinungsäußerungsfreiheit und der nationalen Sicherheit erfolgte nicht.927 Eine gerichtliche Beschränkung potenziell staatsgefährlicher Veröffentlichungen im Sinne der Vorzensur war gemäß A.G. v. Jonathan Cape Ltd. noch 1975 unter bestimmten Bedingungen möglich. Dabei musste der Generalstaatsanwalt zeigen, dass (a) eine solche Veröffentlichung ein breach of confidence wäre, (b) dass das öffentliche Interesse eine Einschränkung der Veröffentlichung verlangt und (c) dass es keine anderen Fakten des öffentlichen Interesses gebe, welche dazu im Gegensatz stünden und schwerwiegender seien. Darüber hinaus müsse ein Gericht genau überprüfen, in welchem Ausmaß die Maßnahme nötig ist. Es müsse dabei sicherstellen, dass keine Beschränkungen jenseits der strengen Anforderung des öffentlichen Bedürfnisses erfolgen.928 Diese Grundsätze wurden in A.G. v. Guardian aus 1988 zur Spycatcher-Affaire bestätigt. Dem Fall lagen Enthüllungen eines ehemaligen britischen Geheimdienstagenten (W ) mit Zugang zu streng geheimen Informationen zugrunde. Die geplante Veröffentlichung seiner Memoiren war Gegenstand eines australischen Gerichtsverfahrens, mit welchem der Generalstaatsanwalt (Attorney 924 R. v. Chief Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Choudhury (1991) 1 All E.R. 322. 925 In welchem wiederum die Examination of Trials and Sedition in Scotland von Lord Cockburn aus 1888 zitiert wurde. 926 Eigentlich aus Boucher v. R des kanadischen Supreme Court (Boucher v. R [1951] 2 DLR 369), wobei sich der Court of Appeal dieser Interpretation anschloss. 927 Auch Art 10 EMRK blieb in diesem Abschnitt des Urteils unerwähnt. R v. Chief Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Choudhury (1991) 1 All E.R. 306 ff, 322 f. 928 A.G. v. Jonathan Cape Ltd. (1976) 1 Q.B. 752 ff.



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General ) die Veröffentlichung zu verhindern versuchte. 1986 veröffentlichten zwei britische Zeitungen Artikel über den anstehenden Fall, welche einen Überblick über einige der in den unveröffentlichten Memoiren vorgebrachten Anschuldigungen enthielten. Der Generalstaatsanwalt erwirkte daraufhin einstweilige Verfügungen, welche eine Veröffentlichung irgendwelcher von W als Mitglied des britischen Geheimdienstes erhaltener Informationen durch die Zeitschriften bis zum Ausgang des Verfahrens verhinderten. Nach der Veröffentlichung des Buches in den USA beantragte der Generalstaatsanwalt permanente Verfügungen gegen die Zeitschriften, um sie an der Veröffentlichung von Informationen, welche diese direkt oder indirekt von W erhalten hatten, zu unterbinden.929 Nach der Ansicht des House of Lords genügte die vertrauliche Natur eines Materials allein nicht für die Unterbindung einer Veröffentlichung von Regierungsgeheimnissen, sondern die Krone müsse darüber hinaus zeigen, dass dies im öffentlichen Interesse liege. Eine Mitteilung über einen Aspekt der Regierungstätigkeit, welche die Interessen der Nation nicht verletzt, könne ferner gemäß der Opinion von Lord Keith selbst bei einer ursprünglichen breach of confidence nicht aufgrund einer nebulous equitable duty of conscience serving no useful practical purpose unterbunden werden. Die mit dieser Feststellung einhergehenden Erwägungen bezüglich des grundsätzlichen Status der Meinungsäußerungsfreiheit und der Vergleich mit Artikel 10 EMRK machen dabei die Bedeutung der Abwägung mit dem Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit deutlich. Die weitere Bereicherung des Herausgebers der vertraulichen Materialien reiche nicht für eine Unterbindung der Veröffentlichung aus.930 Die Spycatcher-Affäre schadete dem Vertrauen in das innerstaatliche Rechtssystem und dessen Methode des Schutzes von Freiheitsrechten und verstärkte Tendenzen eines Schutzes durch Verfahren vor dem EGMR.931 Dabei ist das Ergebnis weitgehend auf das amerikanische First Amendment-Recht zurückzuführen, da durch dieses eine Veröffentlichung in den USA und damit die Einfuhr des Buches in das Vereinigte Königreich ermöglicht wurde. Die Struktur der Prüfung ging aus dem Mangel an einem Grundrechtskatalog und einem daraus resultierenden Prüfschema im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit 929 Attorney General v. Guardian Newspapers Ltd (No.2) (1988) 3 All E.R. 545 f. 930 Interessant ist dabei, dass Lord Keith im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung ein Problem sah, offenbar aufgrund des Verbotes der Vorzensur, but even there is the prospect of defence and intelligence secret receiving some protection in the civil courts. Attorney General v. Guardian Newspapers Ltd (No.2) (1988) 3 All E.R. 545 f, 640 ff. 931 Vernon Bogdanor, The British Constitution in the twentieth century (2003) 432.

214 Hauptteil hervor.932 Grundsätzlich ist zu bemerken, dass das britische Recht ungeachtet der ablehnenden Haltung Blackstones lange eine pragmatische Haltung gegenüber der Vorzensur einnahm und ein Äquivalent zum österreichischen Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 nicht existiert.933 Rusbridger & Anor, R (on the application of ) v. Majesty’s Attorney General aus 2003 demonstriert nicht nur die unbestrittene Anerkennung der zentralen Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit.934 Die Entscheidung zeigt auch klar die Stellung von antiquierten, aber immer noch gültigen Gesetzen auf, welche dieser widersprechen.935 Dem Fall liegt eine Serie von republikanischen Artikeln zugrunde, in welchen in The Guardian offen zur Abschaffung der Monarchie auf friedliche Weise aufgerufen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Treason Fellony Act 1848 weiterhin gültiges Gesetz. Danach konnten unter anderem auch Veröffentlichungen mit der Intention der Abschaffung der Monarchie mit einer lebenslänglichen oder kürzeren Haftstrafe geahndet werden.936 Der Chefredakteur ersuchte den Generalstaatsanwalt vor der Veröffentlichung um eine Klärung seiner rechtlichen Lage angesichts des genannten Gesetzes. Nachdem der Generalstaatsanwalt eine Zusicherung hinsichtlich einer möglichen Anklage im Falle der vorgeschlagenen Handlung abgelehnt hatte, veröffentlichte The Guardian die Artikel. Der Redakteur suchte in Folge unter anderem um eine Deklaration der Unanwendbarkeit des ge932 Eric Barendt, Spycatcher and Freedom of Speech, P.L. 1989, 212. 933 Siehe dazu vor allem Eric Barendt, Prior Restraints on Speech, P.L. 1985, 253 ff. 934 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.4.1. 935 Rusbridger & Anor, R (on the application of ) v. Majesty’s Attorney General (2003) UKHL 38 (H.L.), RZ 1 ff. 936 Section 3 des Acts lautet wie folgt: If any person whatsoever shall, within the United Kingdom or without, compass, imagine, invent, devise, or intent to deprive or depose our Most Gracious Lady the Queen, … from the style, honour, or royal name of her Majesty’s dominions and countries, or to levy war against her Majesty, … within any part of the United Kingdom, in order by force to or constraint to compel her … to change her … measures or counsels, or in order to put any force or constraint upon or in order to intimidate or overawe both Houses or either House of Parliament, or to move or stir any foreigner or stranger with force to invade the United Kingdom or any other of her Majesty’s dominions or countries under the obeisance of her Majesty, … and such compassings, imaginations, inventions, devices or intentions, or all of them, shall express, utter, or declare, by publishing any printing or writing, … or by any overt act or deed, every person so offending shall be guilty of felony, and being convicted thereof shall be liable, … to be transported beyond the seas for the term of his or her natural life … Die ausgelassenen Stellen waren aufgehoben worden, ferner war aus der felony inzwischen eine offence geworden und die genannte Strafe in eine bis zu lebenslange Haftstrafe verwandelt worden. Ebenda RZ 1 ff.



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nannten Gesetzes oder alternativ um eine declaration of incompatibility an.937 Die folgenden prozessualen Fragen sind für diese Arbeit nicht unmittelbar relevant, wichtig erscheint jedoch, dass die Lords Steyn, Hutton, Scott of Foscote und Rodger of Earlsferry nachdrücklich das Vorliegen eines chilling effect auf die freie Meinungsäußerung (aufgrund der Rechtsunsicherheit und der extremen Strafdrohung) ablehnten.938 Lord Steyn begründete dies mit der Offensichtlichkeit, dass die betreffende Sektion a relic of a bygone age sei. Diese würden nicht in das moderne britische Rechtssystem passen oder den Anforderungen des Human Rights Act entsprechen, die Ängste des Chefredakteurs seien more than a trifle alarmist. Auch fügte er nicht ohne einen Hauch von Zynismus hinzu, dass der Redakteur wohl nicht aus Furcht vor Verfolgung unruhig geschlafen habe.939 Für Lord Scott of Foscote war es sogar für jedermann plain as a pike staff, dass sich Advokaten der Abschaffung der Monarchie mit friedlichen Mitteln nicht in Gefahr einer Verfolgung befänden und ein Staatsanwalt sich bei einer Verfolgung zu einem laughing stock machen würde.940 Auch für Lord Rodger of Earlsferry war das Gesetz another example of a provision whose time has passed, die über hundertjährige Nichtanwendung spreche lauter als Wörter.941 Letzteres war bis vor Kurzem wohl auch im Bereich der blasphemous libel zu bedenken. Dennoch ist die Möglichkeit eines chilling effect durch derartige, weiterhin gültige Gesetze angesichts der doch immerhin möglichen Anwendung des Acts nicht von der Hand zu weisen, insbesondere da eine declaration of incompatibility wie ausgeführt weder ein automatisches Anwendungsverbot noch eine Aufhebung des Gesetzes bedeutet und die Human Rights Act-konforme Interpretation ihre Grenzen hat.

5.2 Hate Speech und politischer Radikalismus im Allgemeinen Wie im Kapitel über die staatsphilosophischen Grundlagen ausgeführt, wollte selbst John Milton ganze Kategorien von Meinungsäußerungen vom allgemeinen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit ausnehmen. So wurde im britischen Kontext popism (abwertender Begriff für die katholische Strömung jener Zeit) 937 Ebenda RZ 9 ff. 938 Ebenda RZ 22, 33, 39 f, 54. 939 Ebenda RZ 22, 28. 940 Ebenda RZ 40. 941 Ebenda RZ 53.

216 Hauptteil mehrfach ausgenommen, da man darin eine radikale und intolerante Strömung zu erkennen glaubte.942 Gerade an diesem Beispiel werden die Bedeutung aber auch die Gefahren dieses Ansatzpunktes deutlich, da die Einschätzung von für die Gesellschaft gefährlichen Inhalten von der jeweiligen politischen Sicht abhängt. Black’s Law Dictionary definiert hate speech als Speech that carries no meaning other than the expression of hatred for some group, such as a particular race, especially in circumstances in which the communication is likely to provoke violence.943 Diese Definition entspricht der hier verwendeten, abgesehen davon, dass der Begriff nicht auf jene Meinungsäußerungen begrenzt ist, die ausschließlich Hass ausdrücken, sondern auch jene umfasst, bei welcher der Ausdruck des Hasses im Mittelpunkt steht. Die von hate speech etwa durch rassistische Inhalte und Gewaltverherrlichungen ausgehende Bedrohung für die demokratische Gemeinschaft wurde vom EGMR wiederholt anerkannt. Meinungsäußerungen, welche die Negation der Menschenrechte anderer intendieren, fallen folglich nach der Judikatur des EGMR nicht in den Schutzbereich von Art 10 EMRK. Dogmatisch beruft sich das Gericht dabei auf Art 17 EMRK:944 Keine Bestimmung dieser Konvention darf dahin ausgelegt werden, daß sie für den Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in der Konvention vorgesehen, hinzielt.945 Die Bedeutung des Weges eines kategorischen Ausschlusses von Fällen von hate speech und politischem Extremismus946 soll hier an einigen jüngeren Fällen exemplifiziert werden. Im Norwood-Fall aus 2004 war der Antragsteller wegen eines Posters, welches ein Bild der Twin Towers in Flammen mit den Worten Islam out of Britain – Protect the British People und ein Symbol von Halbmond und Stern in einem Verbotszeichen gezeigt hatte, unter dem Public Order Act verurteilt worden. Er fühlte sich dadurch in seinem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt. 942 Siehe dazu vor allem John Milton, Areopagitica, and other political writings of John Milton (1999) 47. 943 Bryan A. Garner, Black’s Law Dictionary8 (2004) 1426. 944 Siehe dazu etwa Dragana Damjanovic/Anita Oberkofler, Neue Akzente aus Straßburg – Die Rechtsprechung zu Art 10 EMRK, MR 2/2000, 70 f. 945 BGBl 210/1958. 946 Zu racist speech siehe etwa Stephen Grosz/Jack Beatson/Peter Duffy, Human Rights, The 1998 Act and the European Convention (2000) 306 f.



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Der dahin gehende Antrag wurde vom EGMR (Fourth Section) unter Berufung der bisherigen Entscheidungen in W.P. and Others v. Poland, Garaudy v. France, Schimanek v. Austria, Glimmerveen und Hagenbeck v. the Netherlands als unzulässig erklärt, da die freie Meinungsäußerungsfreiheit nicht dem Sinn des Artikels 17947 widersprechend angerufen werden dürfe. Das Poster habe einen öffentlichen Ausdruck einer Attacke gegen alle Muslime im Vereinigten Königreich dargestellt. Ein derartiger genereller und vehementer Angriff gegen eine religiöse Gemeinschaft, welche die Gruppe als Ganze mit einem schwerwiegenden Akt des Terrorismus verbindet, war nach Ansicht des EGMR nicht mit den Werten der Konvention in Einklang zu bringen.948 Durch den kategorischen Ausschluss wurde auch die sonst nach Art 10 EMRK verlangte Rechtfertigung von Beschränkungen dieser Art von Meinungsäußerungen eliminiert und die allgemeine Regel, wonach Art 10 auch unpopuläre Meinungsäußerungen schützt, welche offend, shock or disturb infrage gestellt.949 Auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde die Begründung eines Rechts auf Ausübung der in ihr anerkannten Rechte mit dem Ziel der Abschaffung oder über den Rahmen des in der Charta vorgesehenen Ausmaßes gehende Einschränkung dieser Rechte in Artikel 54 ausdrücklich ausgeschlossen.950 Damit sollte im Sinne einer streitbaren Demokratie ein 947 Nothing in this Convention may be interpreted as implying for any State, group or person any right to engage in any activity or perform any act aimed at the destruction of the rights and freedoms set forth herein or at their limitation to a greater extend than is provided for in the convention. Council of Europe, Treaty Office, Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, as amended by Protocol No. 11, http://conventions.coe.int/Treaty(en/ Treaties/Word/005.doc (8. 7. 2008, 10:55). 948 Norwood v. U.K., 16. 11. 2004, (dec.) no. 23131/03. Siehe auch Ivanov v. Russia, 20. 2. 2007, (dec.) no. 35222/04 (in diesem Fall erfolgte der kategorische Ausschluss aufgrund des antisemitischen Gehalts der getätigten Meinungsäußerung). Allerdings war im Norwood-Fall nicht unumstritten, dass sich das Plakat gegen alle Muslime als Gruppe gerichtet hatte. So argumentierte Norwood, es habe sich gegen muslimischen Extremismus und eine „Islamification“ gerichtet. Für eine sehr kritische Sicht der gerichtlichen Interpretation des Norwood-Falles im Lichte der politischen Meinungsäußerungsfreiheit siehe James Weinstein, Extreme Speech, Public Order, and Democracy: Lessons from The Masses, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 44 ff. 949 Ivan Hare, Crosses, Crescents and Sacred Cows: Criminalising Incitement to Religious Hatred, P.L. 2006, 529 ff. 950 Jürgen Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union2 (2006) 588 ff. Waldemar Hummer/Walter Obwexer, Der Vertrag von Nizza (2001) 336; Anita Ziegerhofer-Prettenthaler, Europäische Integrationsgeschichte (2004) 160, 171; Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000) C 364/22.

218 Hauptteil Missbrauch der Grundrechte verhindert werden, wobei Art 17 EMRK ein Vorbildcharakter zukam.951 5.2.1.1 Hate speech und politischer Radikalismus in der Judikatur des Reichsgerichtes Einen eindeutigen Fall von politischem Radikalismus behandelte das Reichsgericht erstmals 1893. Die Beschwerde richtete sich gegen eine durch das k. k. Ministerium des Inneren bestätigte Entscheidung der k. k. Statthalterei in Graz, in welcher jene befunden hatte, dass eine bestimmte Resolution der steirischen Gemeinde Kindberg den Wirkungskreis der Gemeindevertretung überschritten habe. Diese Resolution hatte wie folgt gelautet: Die Bezirksvertretung wolle beschließen: Zur Abwehr der fortgesetzten Zurücksetzungen der deutschen Interessen in den Alpenländern werden die Abgeordneten des Bezirkes Dr. Heilsberg und Posch aufgefordert, in den parlamentarischen Vereinigungen und bei allen Abgeordneten, welche die Stammeszugehörigkeit mit dem deutschen Volke in Österreich verbindet, mit aller Kraft dafür tätig zu sein, daß die Behandlung wichtigerer Regierungsvorlagen im Parlamente insolange abgelehnt werde, als durch administrativ-slawenfreundliche Maßregeln der Besitzstand des deutschen Volkes bedroht erscheint.952 Der in dieser Resolution durchklingende, anderen Ethnien des österreichischen Kaiserstaates offensichtlich feindlich gesinnte, sachlich nicht begründbare extreme Nationalismus wäre nach heutiger Betrachtung wohl unter hate speech, jedenfalls aber als politischer Radikalismus einzuordnen gewesen. Obwohl das Reichsgericht der Beschwerde keine Folge gab, begründete es dies mit der Überschreitung dessen, was das Reichsgericht als Meinung definierte.953 So das Reichsgericht in der Resolution einen politischen Extremismus im Sinn einer modernen Definition von hate speech erkannte, intendierte es offenbar nicht, hate speech kategorisch oder in Einzelfällen außerhalb des geschützten Bereichs der Meinungsfreiheit zu stellen. Dies entsprach auch der in folgenden Urteilen vertretenen Position.954 Im Fall der Auflösung einer technisch-akademischen Burschenschaft wegen eines extrem antisemitischen Beschlusses955 verneinte das Reichsgericht eine 951 Jürgen Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union2 (2006) 588 f. 952 RG Slg. Nr. 627/1893. 953 RG Slg. Nr. 627/1893. 954 RG Slg. Nr. 627/1893, 917/1898, 932/1898, 957/1899. 955 In welchem die Satisfaktionsfähigkeit von Studenten jüdischen Glaubens aufgrund eines an-



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Verletzung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit aufgrund einer Überschreitung des Wirkungskreises. Ein kategorischer Ausschluss von politischem Extremismus per se aus dem Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit erfolgte jedoch nicht.956 In den Kernbereich der hate speech fiel eine deutschnationale Resolution der böhmischen Stadt Aussig und infolge dessen der Aufruf an das deutsche Volk, einer drohenden nationalen und wirtschaftlichen Gefahr (welche in einem Vordringen des Tschechentums gesehen wurde) durch einen Boykott nicht-deutscher Gewerbetreibender, Geschäftsleute und Handwerker sowie durch Vorzug Deutscher bei der Anstellung als Beamte, Dienstboten, Gehilfen, Lehrlinge usw. sowie ferner durch Ersetzung Fremdnationaler durch Deutsche zu begegnen. Gefordert wurde also nicht weniger als die systematische Ausgrenzung und bewusste Diskriminierung von Österreichern nichtdeutscher, insbesondere jener mit tschechischer Muttersprache. Zwar war in diesem Fall aufgrund des vom Reichsgericht angenommenen Verstoßes gegen § 302 St. G. (iVm § 102 der Gemeindeordnung für Böhmen) die Meinungsäußerung nicht geschützt (Gesetzesklausel), doch um bei einer systematischen Analyse zu einer Prüfung des Verstoßes eines Gesetzes und damit der Gesetzesklausel zu gelangen, hatte das Reichsgericht die Vorfrage, ob ein derartiger politischer Radikalismus grundsätzlich geschützt sein konnte, implizit bejaht.957 Besonders deutlich wird dies im Erkenntnis Nr. 932/1899, gemäß welchem durch einen Beschluss der Bezirkshauptmannschaft Kaaden in Böhmen, der die Worte und gibt zugleich dem Wunsche Ausdruck, daß der den Deutschen in Österreich aufgezwungene Kampf zum endichen Siege führen möge enthielt, in keiner Richtung hin die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten wurde. Im Ausspruch, der Kampf sei den Deutschen aufgezwungen worden, sah das Reichsgericht nur den Ausdruck einer Ansicht, und auch das k. k. Ministerium des Innern hatte den Beschluss nicht aufgrund seines politischen Radikalismus beanstandet.958 Ein weiteres Erkenntnis des Reichsgerichtes zu radikalem Nationalismus erfolgte 1899. In diesem Fall hatte der Stadtrat von Triest in Zusammenhang geblichen Ehrenmangels bestritten und in Folge ein Waffenverbot für diese gefordert worden war. Slg. Nr. 782/1897. 956 RG Slg. Nr. 782/1897. 957 RG Slg. Nr. 917/1898. Anm: Interessant ist auch der (vergebliche) Versuch der Gemeinde, ihr Verhalten in der Ausführung der Beschwerde als eine durch Art. 19 StGG geschützte gerechte Notwehr zur Wahrung der Nationalität darzustellen. 958 RG Slg. Nr. 932/1899.

220 Hauptteil mit der möglichen Errichtung eines serbokroatischen Gymnasiums in Pisino beschlossen, im Sitzungssaal einen Stein einmauern zu lassen, der folgenden Text enthielt: gegen die neuesten Ansprüche anderer Völker – den unauslöschlichen tausendjährigen italienischen Charakter – der Landschaft – zwischen den Julischen Alpen und dem Meere. Die k. k. Statthalterei in Triest führte als Argument gegen eine geschützte Meinungsäußerung auch an, dass die Bezeichnung der slawischen eingeborenen Bevölkerung als andere und folglich diesen Ländern fremde Völker einen Bevölkerungsteil provoziere und aufreize. Dies wurde durch das k. k. Ministerium des Inneren bestätigt, wobei noch auf die zusätzliche Verschärfung durch den Hinweis auf einen tausendjährigen italienischen Charakter hingewiesen wurde. Das Reichsgericht entschied hingegen abermals gegen eine Sonderbehandlung von aufreizenden provozierenden Meinungen959 und lehnte die Beschwerde aufgrund seiner engen Interpretation der Meinung ab.960 Diese frühe Entwicklung im Bereich von hate speech muss allerdings auch aus dem Blickwinkel betrachtet werden, dass zu diesem Zeitpunkt die später weitreichenden Einschränkungen der Gesetzesklauseln noch nicht existierten. Somit konnten Meinungsäußerungen, die für individuelle oder staatliche Rechtsgüter bedrohlich schienen, durch einfache Gesetzgebung im zivil- oder strafrechtlichen Gebiet begegnet werden, wie etwa durch § 302 StG im extremsten vorliegenden Fall aus 1898.961 Hinsichtlich der Entwicklung in der Ersten Republik ergaben die Recherchen keine Neuerungen im Bereich von hate speech und politischem Radikalismus in der höchstgerichtlichen Judikatur zu Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. 5.2.1.2 Hate speech und politischer Radikalismus in der Zweiten Republik Mit der Wiedererrichtung der Republik Österreich 1945 wurden verschiedenste Schritte gesetzt, um die Entnazifizierung des Landes voranzutreiben. Eine wesentliche Maßnahme bildete dabei das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP vom 8. Mai 1945.962 Damit wurden unter anderem in § 3 959 Soweit dadurch kein Gesetz verletzt worden war; siehe RG Slg. Nr. 917/1898. 960 RG Slg. Nr. 957/1899. 961 RG Slg. Nr. 917/1898. 962 Martin Polaschek, Im Namen der Republik Österreich! (1998) 9 ff; Felix Müller, Das Verbotsgesetz im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit (2005) 140 ff.



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verschiedene Formen nationalsozialistischer Wiederbetätigung unter Strafe gestellt. Durch § 3g963 wurde jede Art von politischer nationalsozialistischer Betätigung, die nicht in den Anwendungsbereich einer der vorausgegangenen Bestimmungen fiel, erfasst. Unter diese Generalklausel fiel dabei ursprünglich auch die Leugnung des Holocaust. Mit dem 1992 geschaffenen § 3h existiert nunmehr eine spezielle Norm für das öffentliche Leugnen, Verharmlosen oder Gutheißen des nationalsozialistischen Völkermords und anderer nationalsozialistischer Verbrechen.964 Mit diesen Entwicklungen entstand in der österreichischen Rechtsordnung eine besondere Kategorie von verbotener politischer Meinungsäußerung im Bereich des politischen Extremismus. Durch das Verbotsgesetz, dessen Bedeutung durch den Verfassungsrang widergespiegelt wird, wurde folglich eine absolute Schranke für den Schutz von Meinungsäußerungen im Sinne einer bestimmten Ideologie geschaffen. Im Gegensatz zum internationalen Vergleich (vor allem den USA) führte dies in der österreichischen Dogmatik nicht zu einer Grundsatzdiskussion über die Vereinbarkeit mit der Meinungsäußerungsfreiheit.965 Allgemein ist zu bemerken, dass die inkriminierte Kategorie der Meinungsäußerung nicht nur unter hate speech einzuordnen, sondern zugleich auch staatsfeindlich ist (gegen die Republik Österreich und seine rechtsstaatlichdemokratischen Institutionen sowie aufgrund von rassisch-deutschnationalen Vorstellungen gegen die Existenz Österreichs als solches). Während der OGH in einem Fall von 1970 im Zusammenhang mit § 3g Verbotsgesetz auf die Gesetzesschranke verwies,966 schloss er 1992 auf eine Vereinbarkeit von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger mit § 3g Verbotsgesetz.967 Dass ein Verbot nationalsozialistischer Betätigung nicht 963 Wer sich auf eine andere als die in den §§ 3a bis 3f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahren bestraft. StGBl Nr. 13/1945 idF BGBl 148/1992. 964 Nach § 3g wird auch bestraft, wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht. BGBl 148/1992. Siehe auch Felix Müller, Das Verbotsgesetz im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit (2005) 162 ff. 965 Siehe etwa Dragana Damjanovic/Anita Oberkofler, Neue Akzente aus Straßburg – Die Rechtsprechung zu Art 10 EMRK, MR 2/2000, 71. 966 OGH 17. 6. 1971, 9 Os 141/70. 967 OGH 17. 7. 1992, 16 Os 7/92.

222 Hauptteil der freien Meinungsäußerung im Sinne der EMRK widerspricht, bestätigte der OGH 2006 ausdrücklich.968 Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass ein Teil der Lehre die Existenz eines antinationalsozialistischen Grundprinzips der Bundesverfassung befürwortet.969 Der kategorische Ausschluss derartiger Meinungsäußerung könnte folglich auch als Ausfluss dieses Prinzips interpretiert werden. Eine dahin gehende Auffassung spricht gegen eine analoge Anwendung bzw. die Möglichkeit einer einfachgesetzlichen Ausdehnung für andere Bereiche von hate speech/politischem Extremismus gerade in Hinblick auf die dargestellte rechtshistorische Entwicklung in der Monarchie. Denn die Methode eines kategorischen Ausschlusses entsprach wie geschildert keineswegs der ursprünglichen Auslegung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, welcher durch Art 10 EMRK wie oben ausgeführt ergänzt, nicht aber beschränkt wurde. Der enge Rahmen des verfassungsrechtlichen Schutzes für eine geschützte politische Meinungsäußerung, in welcher eine unkritische Haltung zum Nationalsozialismus gesehen wurde, scheint einen eingeschränkten Schutz in diesem Bereich des Rechtsextremismus aufgrund der kompromisslose[n] Ablehnung des Nationalsozialismus als grundlegendes Merkmal der (1945) wiedererstandenen Republik nahezulegen.970 5.2.2 Grossbritannien Da vor dem Human Rights Act kein genereller verfassungsrechtlicher Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit existierte, bedurfte es auch keiner kategorischen Ausnahmen für hate speech.971 Diese wurde im Regelfall weder durch die allge968 Ein Verbot nationalsozialistischer Wiederbetätigung ist im Interesse der nationalen Sicherheit und der territorialen Unversehrtheit einer Gesellschaft notwendig, und es kann die Freiheit der Meinungsäußerung nicht in einem Art 17 (E)MRK widersprechenden Sinn geltend gemacht werden, womit ein auf die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des §3g VerbotsG gestützter Eingriff zulässig ist. OGH 29. 08. 2006, 14 Os 57/06y. 969 Siehe dazu Robert Walter/Heinz Mayer/Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007) RZ 146. 970 VfGH GZ B225/07. 971 In der erwähnten Entscheidung Plummer v. Charman aus 1962 etwa kann die dem Fall zugrunde liegende Meinungsäußerung unter den Bereich der hate speech eingeordnet werden (Insbesondere deren letzter Satz macht dies deutlich: Your Labour M.P. comes down solidly on the side of coloured spivs and their vice dens as opposed to the white people of Deptford.) Dennoch wäre diese Aussage gemäß Lord Denning ohne die Veränderungen durch Section 10 des Defamation Act 1952 privilegiert gewesen. Von einem kategorischen Ausschluss von hate speech aus dem Bereich der privilege konnte also nicht gesprochen werden. Siehe Plummer v.



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meinen Regeln des privilege geschützt,972 noch stellte sie ein fair privilege on a matter of public interest dar.973 Allerdings bestand aufgrund der Sorge um die freie Meinungsäußerung ein traditioneller Widerstand gegenüber Versuchen, bestimmte Meinungen durch Gesetze zu inkriminieren.974 Darüber hinaus war rassistisch motivierte hate speech seit dem Race Relations Act 1965 (wobei dessen Section 6 in Folge durch Section 70 des Race Relations Act 1976 ersetzt wurde) ausdrücklich unter Strafe gestellt. Bereits 1977 wies Patricia M. Leopold auf die daraus möglicherweise resultierenden Probleme hin, nämlich, dass dies eine neue Art von Verteidigern der Meinungsäußerungsfreiheit zur Folge haben könne. Ferner sei die Umsetzung insofern problematisch, da die Verfolgung einer politischen Seite den Eindruck der Parteilichkeit zur Folge haben könnte.975 Dabei standen diese legislativen Bemühungen von Anfang an ausdrücklich im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.976 Den Ereignissen des 11. September 2001 folgten Initiativen hinsichtlich der Inkriminierung religiöser Verhetzung, welche nach Scheitern einer entsprechenden Bestimmung in der Antiterrorism, Crime and Security Bill 2001 im Racial and Religious Hatred Act 2006 gipfelten.977 Dadurch wurde dem Public Order Act 1986 ein Teil 3A beigefügt, welcher einen Strafrahmen von bis zu sieben Jahren sowie die Möglichkeit von Hausdurchsuchungen beim bloßen Besitz entsprechender verhetzender Materialien mit

Clarman (1962) 3 All E.R. 823 ff. 972 Aufgrund des Mangels einer privileged occasion (kein Interesse oder gar eine social or moral duty aufseiten des Äußerers oder Empfängers einer derartigen Kommunikation). Siehe Abschnitt III, Kapitel 3.2.1. sowie die Folgekapitel. 973 Siehe insbesondere Abschnitt III, Kapitel 3.2.1. sowie 3.3.1. 974 Sir David Williams QC, Hate Speech in the United Kingdom: An historical Overview, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 93. 975 Siehe dazu Patricia M. Leopold, Incitement to hatred – The history of a controversial criminal offence, P.L. 1977, 402 ff. Zu den Grenzen siehe etwa R. v. Britton (1967) 2 Q.B. 51. Siehe auch Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 513 f. Dabei sind diese Schritte im Zusammenhang mit verstärkter Immigration aus dem Commonwealth und eines möglichen Aufstiegs der extremen Rechten zu sehen. Maleiha Malik, Extreme Speech and Liberalism, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 99. 976 Siehe Sir David Williams QC, Hate Speech in the United Kingdom: An historical Overview, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 93. 977 Ebenda 94. Mit diesem Gesetz sollte insbesondere der Verbreitung von Vorurteilen und Hass gegenüber Muslimen begegnet werden. Siehe Maleiha Malik, Extreme Speech and Liberalism, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 100 f.

224 Hauptteil dem Vorsatz einer Veröffentlichung vorsieht.978 Diese Tendenzen wurden auch als Indiz dafür gesehen, dass das demokratische Grundrecht, unpopuläre Ideen auszudrücken, in England nunmehr unsicher ist, gerade hinsichtlich von Fällen wie Hammond v. DPP und Norwood (siehe oben).979 In R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms aus 1999 stellte Lord Steyn ausdrücklich fest, dass nicht allen Arten von Meinungsäußerung derselbe Wert zukomme und ordnete dabei hate speech implizit unter die Kategorie der weniger geschützten Formen ein.980 Dennoch bedeutet dies zugleich, dass selbst hate speech nicht kategorisch außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit steht und folglich, wenn auch in geringerem Ausmaß, prinzipiell Schutz genießt.

5.3 Politische Meinungsäußerungsfreiheit und Blasphemie 5.3.1 Grossbritannien Die auf den ersten Blick vielleicht verwundernde Behandlung von Beschränkungen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch Blasphemie findet ihre Begründung im zumindest rechtshistorischen Gebrauch der blasphemous libel 981 zur Unterdrückung von Kritik an einem Staatswesen, dessen Legitimität und Stabilität weitgehend auf religiösem Boden und der Staatskirche fußten.982 978 Ministry of Justice, The UK Statute Law database http://www.statutelaw.gov.uk (13:39, 18. 8. 2009). 979 James Weinstein, Extreme Speech, Public Order, and Democracy: Lessons from The Masses, in Ivan Hare/James Weinstein, Extreme Speech and Democracy (2009) 23 ff. Siehe dazu auch Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 523 ff. 980 Indem er nach dieser allgemeinen Feststellung für den konkreten Fall beispielhaft anmerkte: no prisoner would ever be permitted to have interviews with a journalist to publish pornographic material or give vent to so-called hate speech. R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. 981 Eine common law criminal offence, mit welcher schriftliche Blasphemie verfolgt wurde. Grenzen und Zweck sowie die historische Entwicklung werden in diesem Kapitel aufgezeigt. 982 Die Nähe von blasphemous und seditious libel wird auch durch die Section 1 (1) des Criminal Libel Act 1819 deutlich: In every case in which any verdict or judgement by shall be had for composing, printing, or publishing any blasphemous libel, or any seditious libel tending to bring into hatred or contempt the person of his Majesty or the government and constitution of the United Kingdom as by law established, or either House of Parliament, or to excite his Majesty’s subjects to attempt the alteration of any matter in Church or State as by law established, or either House of Parliament, or to excite his Majesty’s subject to attempt the alteration of any matter in Church or State as by law estab-



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Die ursprüngliche Intention der Institution der blasphemous libel bestand nicht in einem Schutz der Religion, vielmehr war the gist of the offence of blasphemy … a supposed tendency in fact to shake the fabric of society generally.983 Denn, mit den Worten Lord Diplocks, [i]n the post-Restoration politics of 17th and 18th century England, Church and State were thought to stand and fall together. To cast doubt on the doctrines of the established church or to deny the truth of the Christian faith upon which it was founded was to attack the fabric of society itself. Folglich waren blasphemous and seditious libel Delikte, die Hand in Hand gingen.984 Sie wurden als miteinander verknüpfte Verbrechen betrachtet, die beide die Subversion des Staates betrafen.985 Bezeichnend ist auch die systematische Einordnung der blasphemous libel durch die irische Law Reform Commission (neben der seditious libels) als political986 libel, wohl aufgrund der zitierten dahin gehenden englisch/britischen Wurzeln.987 Folglich war auch nur die Anglikanische Staatskirche geschützt.988 Diese Verschränkung des Schutzes der Religion mit jener des Schutzes des Staates durch das Instrument der blasphemous libel und damit die Beschneidung von core political speech im Sinne von staatskritischen Äußerungen lässt sich auf den ersten wichtigen Fall von Blasphemie als Teil des Common Law zurückverfolgen. Denn eine zentrale und oft zitierte Passage von Lord Chief Justice Sir Matthew Hale im für die nächsten zwei Jahrhunderte richtungweisenden Fall von John Taylor aus 1675 lautete wie folgt: …such kind of wicked blasphemous words were not only an offence to God and Religion, but a crime against the Laws, State and Government. For to say, Religion is a Cheat, is to dissolve all those Obligations whereby the civil societies are preserved, and that Christianity is a parcel of the Laws of England.989 Wenn aber Staat und Religion von staatlicher Seite in lished, other than by lawful means, it shall be lawful to … Ministry of Justice, The UK Statute Law database http://www.statutelaw.gov.uk (11:11, 31. 10. 2007). Siehe dazu auch Select Committee on Religious Offences in England and Wales (House of Lords), Volume I-Report (2003) 47: It must be appreciated that the definition has developed historically to meet various, primarily political rather than religious, perceptions of a need for the law to protect institutions, originally the State itself. 983 Lord Sumner in Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 459. 984 Whitehouse v. Gay News Ltd., Whitehouse v. Lemon (1979) A.C. 633 f. 985 Select Committee on Religious Offences in England and Wales (House of Lords), Volume I-Report (2003) 46. 986 Betonung hinzugefügt. 987 The Law Reform Commission, Consultation Paper on the Crime of Libel (1991) IELRC 12 ff. 988 Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 482. 989 Deshalb sei to reproach the Christian religion is to speak in subversion of the law. David Nash, Blasphemy in Modern Britain (1999) 31 ff. Siehe dazu auch Lord Sumner in Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 457 f.

226 Hauptteil diesem Maß gleichgesetzt werden, kann eine Kritik an der Religion als Rechtfertigung der gegebenen staatlichen Struktur in die Sphäre politischer Meinungsäußerung reichen, während ein Verbot derselben ein Mittel des Staates sein kann, eine Kritik an der vorherrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu unterbinden. So argumentierte etwa 1878 W.A. Hunter, Professor am University College London, dass, wenn das Christentum Teil des Gesetzes ist, dies ein exzellenter Grund sei, dass eine Kritik desselben ohne rechtliche Konsequenzen erfolgen dürfen sollte. Denn kein Richter habe je behauptet, dass die Gesetze Englands above criticism seien.990 Deutlich wird diese Verwendung der Inkriminierung von Blasphemie etwa durch die Verfolgung der Herausgeber von Thomas Paines Age of Reason, wobei dem Schutz des Staates zentrale Bedeutung zukam (v.a. R v. Williams [2] aus 1797).991 Während Hales Urteil noch in einen Großteil der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts aufgenommen wurde, traten größere Blasphemie-Fälle nur mehr in Abständen von ungefähr einer Generation auf.992 Noch 1867 wurde allerdings in Cowan v. Milbourn einem Vermieter aus Liverpool, der einem Mieter von Räumlichkeiten deren Benutzung auf Grund des Inhalts der in diesen geplanten blasphemischen993 Vorlesungen verweigerte, Recht gegeben. Der Chief Baron des Court of Exchequer bestätigte die Stellung des Christentums as part and parcel of the law of the land und schloss daraus, dass der Vermieter nicht nur berechtigt, sondern durch das Gesetz verpflichtet war, die Benützung seiner Räumlichkeiten zu verhindern.994 Der Wandel der Bedeutung der blasphemous libel vom Mittel zum Schutz des Staates hin zu einer moderneren Auslegung im Sinne des Schutzes religiöser Gefühle und des öffentlichen Friedens erfolgte schrittweise. Entscheidend war dabei die Opinion von Lord Coleridge C.J. in R v. Ramsay and Foote aus 1883, nach welcher das Christentum nicht mehr als parcel of the law of the land akzeptiert wurde. Die Staatskirche und das Christentum als solches wurden nicht mehr als über der Kritik stehend betrachtet und ein rechtlicher Schutz vor Kritik abgelehnt. Auch wanderte der Schwerpunkt der Analyse vom blasphemischen Inhalt (matter) zur Art (manner), in welcher dieser ausgedrückt wurde. 990 David Nash, Blasphemy in Modern Britain (1999) 33 f. 991 Siehe dazu Lord Sumner in Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 459. 992 David Nash, Blasphemy in Modern Britain (1999) 37. 993 Als Gegenstand der Vorträge wurden etwa The Character and Teachings of Christ; the former Defective, the latter Misleading und The Bible shown to be no more Inspired than any other Book; with a Refutation of Modern Theories thereon genannt. 994 Siehe dazu Lord Finlay L.C. in Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 424 f.



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Darüber hinaus wurden für den Erfolg einer blasphemous libel action der Beweis der Wahrscheinlichkeit, dass die Blasphemie zu einem Bruch des Friedens führen würde, sowie der Beweis eines vorsätzlichen Angriffs auf das Christentum vorausgesetzt.995 Dieser liberaleren Auffassung widersetzte sich jedoch in Folge Sir Fitzjames Stephen in seiner History of the Criminal Law, in welcher er an der Ansicht festhielt, dass jeglicher Angriff auf das Christentum, ungeachtet der verwendeten Sprache, einen offence of blasphemy nach dem Common Law darstelle.996 Zwischen 1883 und 1922 gab es überhaupt nur mehr fünf Entscheidungen zur blasphemous libel.997 Bowman v. Secular Society aus 1917 lag der Versuch der Anfechtung einer testamentarischen Verfügung auf Grund der behaupteten gesetzwidrigen Ziele einer begünstigten Gesellschaft, der Secular Society, zugrunde. Diese Ziele bestanden in einer Säkularisierung der Gesellschaft mittels einer Reihe von Maßnahmen, unter anderem durch eine völlige Säkularisierung des Schulwesens ohne irgendeinen religiösen Unterricht, die Umgestaltung der Ehe zu einem reinen Zivilkontrakt und des Sonntags zu einer rein zivilen Institution.998 Die Beschwerdeführer (appellants) behaupteten, dass ein Angriff auf die christliche Religion ungeachtet ihrer dezenten und gemäßigten Form kriminell und die Rechtsmeinung Lord Colderidges irrig sei.999 Lord Finlay schloss sich dieser Ansicht nach Erörterung der Meinung Stephens und der daran geübten Kritik nicht an, schloss aber nicht die Stellung des Christentums als Teil des Rechts Englands aus.1000 Unter Berufung auf das schottische Recht schloss Lord Finlay darauf, dass ein gemäßigter Angriff auf die Religion, in welcher die decencies of controversy eingehalten werden, keine Blasphemie darstellt.1001 Allerdings kam er im Anlassfall zum Ergebnis, dass the fact that Christianity is recognized by the law as the basis to a great extend of our civil  995 David Nash, Blasphemy in Modern Britain (1999) 38; Whitehouse v. Gay News Ltd., Whitehouse v. Lemon (1979) A.C. 635, sowie Lord Sumner in Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 454.  996 Siehe dazu etwa Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 421 f; Whitehouse v. Gay News Ltd., Whitehouse v. Lemon (1979) A.C. 633.  997 Whitehouse v. Gay News Ltd., Whitehouse v. Lemon (1979) A.C. 635.  998 Bowman v. Secular Society (1917) A.C. 407 f.  999 Ebenda 409 ff. 1000 There are no doubt to be found in the cases many expressions to the effect that Christianity is part of the law of England, but no decision has been brought to our notice in which a conviction took place for the advocacy of principles at variance with Christianity, apart from circumstances of scurrility or intemperance of language. Ebenda 421 f. 1001 Ebenda 423.

228 Hauptteil polity Grund genug sei, festzustellen, dass das Recht nicht diese unterminierende Bestrebungen unterstützen werde.1002 Weiters bezeichnete er die Illegalität von jeglichem dem Christentum feindseligen Zweck als a definite rule of law, welche nicht von den fluktuierenden Meinungen der Zeit abhänge.1003 Lord Dunedin, Parker of Waddington, Sumner und Buckmaster schlossen sich dieser Ansicht hingegen nicht an. Vielmehr entschieden sie zugunsten der Secular Society und erklärten Cowan v. Milbourn (sowie Briggs v. Hartley) für overruled.1004 Lord Parker of Waddington sah als Vorbedingung zur Erfüllung von Blasphemie im Common Law ein element of villification, ridicule, or irreverence welches darüber hinaus die Gefühle anderer erregt (exasperate) und so zu einem Bruch des Friedens führt. Auch sei das Christentum nicht in diesem Sinne Bestandteil des Rechts, als dadurch die Gerichte für jedes Vergehen gegen das Christentum zuständig würden.1005 Lord Sumner bezeichnete die Phrase, dass das Christentum part of the law of England sei, als Rhetorik und nicht Recht.1006 Lord Buckmaster bezeichnete es unter anderem als schlechten Dienst am christlichen Glauben, Menschen davon abzuhalten, zu erklären und eine Antwort zu den vernünftigen Überzeugungen einzuladen, die zur Hinterfragung von dessen Wahrheit geführt hätten.1007 Nach 1922 schien das Delikt der blasphemous libel obsolet geworden zu sein, bis es über fünfzig Jahre später wieder zu einer Verfolgung kam, die als R v. Lemon 1978/79 vor dem House of Lords verhandelt wurde.1008 Diesem Fall lag ein in einem Magazin namens Gay News veröffentlichtes Gedicht mit beigefügter Zeichnung zugrunde, in welcher Christus mit diversen sexuellen Handlungen in Verbindung gebracht wurde.1009 Der Schwerpunkt der Opinion Lord Diplocks lag bei der Frage nach der Bedingung eines Vorsatzes, was er im Gegensatz zur Mehrheit der Lords bejahte, darüber hinaus enthielt das Urteil mehrere autoritative Rekapitulationen der rechtsgeschichtlichen Entwicklung von blasphemous libel.1010 Die Wandlung des Delikts hin zu einem Schutz der religiösen Gefühle und der öffentlichen Ordnung wird in der Forderung Lord Scarmans deutlich, dass 1002 1003 1004 1005 1006 1007 1008 1009 1010

Ebenda 428, 432. Ebenda 432. Ebenda 406 f. Ebenda 446. Ebenda 464. Ebenda 470. Siehe Lord Diplock in Whitehouse v. Gay News Ltd., Whitehouse v. Lemon (1979) A.C. 633. Ebenda 617. Ebenda 618, 632 ff.



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es der Gesetzgeber dahin gehend ausdehnen sollte, dass auch die religiösen Gefühle und Überzeugungen anderer Glaubensgemeinschaften geschützt würden. Auch ordnete er es in eine Gruppe krimineller Delikte ein, deren Ziel es sei, den inneren Frieden des Königreichs zu schützen.1011 Hingegen wurde die Meinungsäußerungsfreiheit von der Mehrheitsmeinung nicht einmal erwähnt.1012 1985 scheiterte die Empfehlung der Law Commission, das Verbrechen der Blasphemie überhaupt abzuschaffen.1013 Die Beschränkung der blasphemous libel auf den Schutz des Christentums wurde 1990 im Zusammenhang mit Salman Rushdies Werk (Satanic Verses) durch die King’s Bench Division bestätigt und eine Ausdehnung auf andere Religionen (im Anlassfall den Islam) abgelehnt.1014 Neuere legislative Bestrebungen gehen stattdessen in Richtung einer Inkriminierung von hate speech im religiösen Bereich und sind aufgrund der potenziellen Beschränkungen für die Meinungsäußerungsfreiheit nicht unumstritten.1015 Bei allen Überlegungen über blasphemous libel in England ist auch die extreme Seltenheit derartiger Fälle zu bedenken, so existieren im ganzen 20. Jahrhundert nur vier veröffentlichte Urteile.1016 Die enge Verbindung von Staat und Religion ist auch heute noch wesentlicher Bestandteil des britischen Verfassungsrechts. So stellte etwa die Select Committee on Religious Offences in England and Wales in ihrem ersten Report in den Conclusions fest, dass die Verfassung des Vereinigten Königreichs rooted in faith-specifically the Christian faith exemplified by the established status of the Church of England sei. Auch wenn dies probably outdated sei, wurde doch ausdrücklich festgestellt: The United Kingdom is not a secular state.1017 Dennoch war im Rechtsinstitut der blasphemous libel zuletzt entgegen der ursprünglichen Konzeption wohl kein intendierter Eingriff in den Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit mehr zu sehen, da dieses nicht mehr den Staat, sondern vielmehr die öffentliche Ordnung und religiöse Gefühle Einzelner schüt1011 Ebenda 658. 1012 Helen Fenwick/Gavin Phillipson, Media Freedom under the Human Rights Act (2006) 484. 1013 John Gardner, Freedom of Expression, in Christopher McCrudden/Gerald Chambers, Individual Rights and the Law in Britain (1994) 219. 1014 R v. Chief Magistrate, ex p Choudhury (1991) 1 All ER 308 ff. Wobei im Urteil auch Artikel 9 und 10 EMRK angeführt wurden. Siehe Michael Zander, A Bill of Rights?4 (1997) 55. 1015 Ivan Hare, Crosses, Crescents and Sacred Cows: Criminalizing Incitement to Religious Hatred, P.L. 2006, 521 ff. 1016 Select Committee on Religious Offences in England and Wales (House of Lords), Volume IReport (2003) 46. 1017 Ebenda 38.

230 Hauptteil zen sollte und auch eine sachliche Kritik der anglikanischen Staatskirche nicht mehr inkriminiert war. Mit dem Criminal Justice and Immigration Act 2008 wurden die common law offences blasphemy und blasphemous libel mit Wirkung ab 8. Juli 2008 abgeschafft.1018 Auch ist zu berücksichtigen, dass die genannte Rechtsentwicklung nicht auf Schottland zutrifft, wo diese spezielle Beschränkung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit nicht im selben Ausmaß zutraf. So erfolgte die letzte Verfolgung wegen Blasphemie in Schottland 1843, und es ist unklar, ob dieses Delikt im schottischen Recht überhaupt noch existiert.1019 5.3.2 Österreich Die Veränderungen im Sinne des Konstitutionalismus im Zuge des 19. Jahrhunderts brachten nicht nur die Existenz eines modernen verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerung in Österreich, sondern auch einen Wandel des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat in Richtung einer institutionellen, kirchenfreundlichen Trennung von Staat und Kirche mit sich (durch innerstaatliche Abweichungen vom Konkordat 1855, schließlich durch dessen Aufhebung 1874).1020 Damit liegt seit dem Bestehen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit eine mit den britischen Verhältnissen vergleichbare Verschränkung von Kirche und Staat nicht vor (der Zeitraum von 1933/34–1938 ist in dieser Arbeit bewusst ausgeklammert). Aus diesen Gründen fällt Kritik an einer Religion im Regelfall nicht unter political speech.

5.4 Die politische Meinungsäußerungsfreiheit besonderer Gruppen Ziel dieses Kapitels ist es aufzuzeigen, ob und wieweit spezielle Gruppen der Bevölkerung in der rechtshistorischen Entwicklung vom allgemeinen Schutz der politischen Meinungsfreiheit ausgeschlossen waren bzw. inwieweit ein solcher Ausschluss bzw. eine Beschränkung des Rechts heute noch verfassungsrechtlich möglich ist. 1018 UK Ministry of Justice, The Criminal Justice and Immigration Act 2008, (http://www.justi ce.gov.uk/publications/criminal -justice-bill.htm, http://www.justice.gov.uk/publications/ criminal -justice-act-implementation.htm), (4. 7. 2008, 17:37). 1019 Ebenda 56. 1020 Siehe dazu etwa Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 154, 157 f.



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5.4.1 Österreich Eine besondere Beschränkung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit für eine bestimmte Gruppe hatte bereits der Entwurf der Grundrechte nach den Beschlüssen der ersten Lesung im Konstitutionsausschuss 1848 vorgesehen. So durfte nach § 13 Abs 3 dieses Entwurfes kein bewaffnetes Korps über politische Fragen beraten oder Beschlüsse fassen.1021 Diese Bestimmung wurde in veränderter Form (aus dem bewaffneten Korps wurde keine Abteilung der Volkswehr) als § 11 Abs 2 in den Entwurf nach den Beschlüssen der zweiten Lesung übernommen,1022 aber 1867 nicht zum Bestandteil des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger.1023 Durch die allgemeine Gesetzesklausel des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger konnten allerdings einzelne Gruppen vor der Entwicklung der Wesensgehaltstheorie und den Schrankenschranken des Art 10 EMRK in ihrer Meinungsäußerungsfreiheit prinzipiell unbegrenzt beschnitten werden, sofern dies in Form eines Gesetzes geschah. Ein Schutz bestand nur gegenüber nicht auf ein Gesetz basierenden Einschränkungen durch die Verwaltung.1024 Selbst innerhalb dieser engen Grenzen war der Schutz der politischen Meinungsäußerung von Beamten zunächst nicht gesichert. So konnte sich ein Staatsbürger ungeachtet der Formulierung des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger als allgemeines Menschenrecht in seiner Eigenschaft als Staatsbeamter vor dem Reichsgericht nicht auf seine staatsbürgerlichen Rechte berufen, denn: Stellt man sich aber auf den Standpunkt der Dienstherrlichkeit1025 des Staates … so handelt es sich nicht um die politischen Rechte eines Staatsbürgers als solchen, sondern um das dienstliche Pflichtverhältnis eines Staatsbeamten, nicht um einen Akt der Regierungsgewalt, sondern eine Ausübung der Dienstgewalt des Staates, wie denn auch das angefochtene Disciplinarerkenntnis gegen den Beschwerdeführer nicht in seiner Eigenschaft als Staatsbürger, sondern in seiner Eigenschaft als Staatsbeamter ergangen ist. Das Reichsgericht sei zur Entscheidung über Verletzungen verfassungsrechtlich gewährleisteter 1021 Alfred Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte (1912) 184. 1022 Ebenda. 1023 RGBl. 142/1867. 1024 Zur zunächst uneingeschränkten Gesetzesklausel des Art 13 und seiner ausschließlichen Schutzfunktion gegenüber der Verwaltung siehe insbesondere 3.2.1.2.4, 3.2.1.3.4 sowie 3.2.1.4.4. 1025 Anm: Als Gegenmodell zur Ausübung des Disziplinarrechts durch die richterliche Gewalt.

232 Hauptteil Rechte von Staatsbürgern, nicht aber über solche betreffend disziplinarbehördlicher Eingriffe in die politische Rechtssphäre von Staatsdienern berufen.1026 Nach dieser Interpretation verlor ein Staatsbürger folglich seine Position als in seinen politischen Grundrechten durch das Reichsgericht geschütztes Individuum, sobald die Ausübung dieses Grundrechtes im Zusammenhang mit der staatlichen Disziplinargewalt erfolgte. Führt man sich dazu die Möglichkeit der unfreiwilligen Berufung zum Staatsdienst (insbesondere die Einberufung) vor Augen sowie den Umstand, dass besonders qualifizierte Stellungnahmen spezieller Staatsbediensteter von unschätzbarem Wert für den politischen Diskurs sein können, ergeben sich umfangreiche Lücken im Grundrechtsschutz der politischen Meinungsäußerung. 1898 wurde in einer Gegenschrift des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit sogar der Standpunkt eingenommen, die Anwendung disziplinarischer Mittel gegen an öffentlichen Schulen angestellte Lehrer könne überhaupt nicht als Verletzung der staatsbürgerlichen Rechte des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger verstanden werden. Das sich aus den oben ausgeführten Gründen für inkompetent erklärende Reichsgericht schloss die Möglichkeit einer Verletzung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger jedenfalls nicht kategorisch aus.1027 Diese Position eines kategorischen Ausschlusses des nach Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gewährten verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit führte das Ministerium 1910 näher aus. In diesem Fall war der Beschwerdeführer wiederum ein beamteter Lehrer, also keinesfalls ein Staatsdiener aus dem hoheitlichen Kernbereich des Staates.1028 Dieser hatte eine Disziplinarstrafe wegen eines öffentlich gehaltenen Referats erhalten, ohne dabei ein Gesetz verletzt zu haben, und berief sich in Folge auf Art 13 Abs 1 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. 1026 Betonungen durch das Reichsgericht. RG Slg. Nr. 331/1885. Eine wortgleiche Begründung erfolgte in RG Slg. Nr. 571/1892 zu einem Kernfall von political speech, der zur Entlassung eines Professors der k. k. Lehrerinnenbildungsanstalt in Görz geführt hatte. 1027 Das k. k. Reichsgericht ist nun zwar berufen, über Verletzungen der Staatsbürger in ihren durch die Verfassung gewährleisteten Rechten durch die Verwaltungsbehörden zu entscheiden, nicht aber über behauptete Eingriffe in die politische Rechtssphäre öffentlicher Lehrer durch die Disciplinarbehörden. Wäre eine Verletzung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit durch disziplinarrechtliche Maßnahmen wirklich kategorisch ausgeschlossen gewesen, hätten derartige Eingriffe ohnehin nicht vorliegen können. RG Slg. Nr. 897/1898. Siehe auch RG Slg. Nr. 898/1898, 899/1898. 1028 RG Slg. Nr. 1764/1910.



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Der in der Gegenschrift des Vertreters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vertretene Standpunkt ist dabei von besonderer Bedeutung. Die Disziplinarstrafe stelle keine Verletzung verfassungsrechtlich gewährleisteter Rechte dar, da sich derselbe in Folge eines speziellen, zu den staatlichen Unterrichtsbehörden eingegangenen besonderen Rechts- und Pflichtverhältnisses gewisse – allerdings freiwillig übernommene – Rücksichten und Beschränkungen auferlegen muß. Das Ministerium trennte strikt zwischen staatsbürgerlichen Rechten und dienstlicher Hoheitsgewalt, wobei letzterer Bereich dem ersteren nicht unterworfen, sondern vielmehr entzogen sei: Es handelt sich hier nicht um die politischen Rechte eines Staatsbürgers, sondern um das der Überwachung des Staates unterliegende dienstliche Pflichtverhältnis …, somit nicht um einen Akt der Regierungsgewalt, sondern um eine Ausübung der Dienstgewalt1029 des Staates. Demnach sei das angefochtene Disziplinarerkenntnis nicht in seiner Eigenschaft als Staatsbürger, sondern in seiner Eigenschaft als Lehrer ergangen.1030 Aus der Gegenschrift wird insbesondere auch deutlich, dass nicht nur der mögliche Rechtsschutz durch das Reichsgericht, sondern die Möglichkeit einer Verletzung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Bereich der Dienstgewalt des Staates überhaupt bestritten wurde.1031 Von Interesse sind auch die Ausführungen des Vertreters des Ministeriums in der mündlichen Verhandlung:1032 Danach habe die Schulbehörde mit dem Staatsbürger nichts zu schaffen, sondern verkehre nur mit dem Lehrer. Die Disziplinargewalt sei nicht Ausfluss der Regierungsgewalt, sondern vielmehr der Dienstherrlichkeit. Daraus wurde unter Berufung auf frühere Reichsgerichtserkenntnisse abgeleitet, dass bei einer Ausübung der Disziplinargewalt eine Verletzung der Staatsbürgerrechte (und damit nicht bloß die Möglichkeit zu deren Überprü1029 Hervorhebungen gemäß der Tatbestandschilderung durch das Reichsgericht. 1030 RG Slg. Nr. 1764/1910. Der letzte Satz ist eine wortgleiche Wiederholung eines Elements der Begründung des Reichsgerichtserkenntnisses Slg. Nr. 897/1898. 1031 Wobei diese Rechtsauffassung zu dieser Zeit keineswegs ein rein österreichisches Phänomen war und selbst, wenngleich auf Grund einer abweichenden Begründung, von der kontemporären Auslegung des First Amendment geteilt wurde. Besonders deutlich wird dies in der Argumentation Justice Holmes in McAuliffe v. New Bedford aus 1892: The petitioner may have a constitutional right to talk politics, but he has no constitutional right to be a policeman. There are few employments for hire in which the servant does not agree to suspend his constitutional right of free speech, as well as of idleness, by the implied terms of his contract. The servant cannot complain, as he takes the employment on the terms which are offered to him. Siehe Donald E. Lively/William D. Araiza/Phoebe A. Haddon/John C. Knechtle/Dorothy E. Roberts, First Amendment Law, Cases, Comparative Perspectives, and Dialogues (2003) 359. 1032 Anm: Welche auf die Erörterung Kompetenzfrage beschränkt war.

234 Hauptteil fung durch das Reichsgericht) nicht vorliegen könne.1033 Dies entsprach den Ausführungen im Österreichischen Staatswörterbuch aus 1896. Danach stand die staatsbürgerliche individuelle Meinungsäußerung grundsätzlich im selben Ausmaß allen zu, war allerdings insoweit nicht betätigbar, solange diese den ihnen als Staatsorgane obliegenden Verpflichtungen entgegenstand.1034 Ungeachtet den Entgegnungen des Beschwerdeführers1035 gab das Reichsgericht inhaltlich den vom Ministerium geltend gemachten Einwendungen statt und wies die Beschwerde wegen Inkompetenz zurück, da das k. k. Reichsgericht nicht berufen sei, Disziplinarerkenntnisse zu überprüfen.1036 Unter den Entwürfen für einen Grundrechtskatalog des B-VG ist Art 133 Satz 2 des Kelsen-Entwurfs V hervorzuheben, durch welchen eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch ein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis ausdrücklich ausgeschlossen hätte werden sollen.1037 Dabei entsprach dies dem Wortlaut des Art 118 (2) 2. Satz der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung).1038 Die Judikatur des VfGH knüpfte in diesem Bereich nur partiell an jene des Reichsgerichtes an. Nach einem VfGH-Erkenntnis aus 1927 durfte die verfassungsmäßige Gewährleistung eines verfassungsmäßigen Rechtes (Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger) zwar eingeschränkt 1033 RG Slg. Nr. 1764/1910. 1034 Ernst Mischler/Josef Ulbrich, Österreichisches Staatswörterbuch II/1 (1896) 716. 1035 Welcher die Rechtsauffassung des Ministeriums als den Grundsätzen des Verfassungsstaates widersprechend und dem Obrigkeits- bzw. dem Polizeistaat zuordnete. Interessant erscheint auch die vom Beschwerdeführer bemühte Gegenüberstellung von Polizeistaat und Verfassungsstaat: In Ersterem beherrsche demnach der Staat die von ihm geschiedene Bevölkerung und der Beamte trete aus dem Volk heraus und bilde lediglich einen Bestandteil des beherrschenden Staates. Im Verfassungsstaat hingegen bleibe der Beamte ein Mitglied des Volkes, er sei ein Staatsbürger, der ein Amt versieht. Wenn eine Berührung eines Staatsbürgerrechtes objektiv feststehe, müsse bei der Beurteilung ebenso entschieden werden wie bei dem Schwurgericht zwischen Geschworenen- und Gerichtshofskompetenz. Die Frage, ob jene Grenze überschritten worden sei, bei welcher die Disziplinierung beginnen könne, falle in die Kompetenz des Reichsgerichtes. Der Ministerialvertreter hatte in Antwort auf diese Argumentation auf das böhmische Lehrergesetz verwiesen, welches den Gegensatz von Staatsbürger und Lehrer scharf markierte. Siehe RG Slg. Nr. 1764/1910. 1036 RG Slg. Nr. 1764/1910. 1037 An diesem Rechte [auf Meinungsäußerungsfreiheit] darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern und niemand darf ihn [den Staatsbürger] benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht. Georg Schmitz, Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (1981) 245. 1038 Siehe Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte III (1966) 146.



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werden, allerdings nur durch Gesetz.1039 Obwohl der Verfassungsgerichtshof in diesem Fall von wichtigen Gründen und ausnahmsweiser Einschränkung sprach, hatte dies wie bereits oben ausgeführt keine einschränkende Wirkung für die Gesetzgebung, auch nicht im Bereich politischer Meinungsäußerung.1040 Die Einschränkung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten richtete sich demnach nach dem allgemeinen Grundsatz, wonach Art 13 Abs 1 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger lediglich ein partikuläres Legalitätsprinzip darstelle und durch die Legislative grundsätzlich uneingeschränkt begrenzt werden konnte. Der Anlassfall betraf ein Kerngebiet der politischen Meinungsäußerungsfreiheit, nämlich die Stellungnahme eines Beamten zu ministeriellen Verfügungen oder Verlautbarungen. Obwohl der VfGH zugunsten des Beschwerdeführers entschied, beruhte dies allein auf dem Umstand, dass das Verbot zur Stellungnahme nicht durch die Dienstpragmatik gedeckt war. Denn: Alle diese Bestimmungen der Dienstpragmatik, die zugleich Einschränkungen seines Rechtes der freien Meinungsäußerung darstellen, hat sich der Beamte bei Ausübung dieses Rechtes vor Augen zu halten. Verstößt er gegen sie, so macht er sich disziplinar verantwortlich, und dieser Verantwortung gegenüber vermag er sich nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung zu berufen, deren Freiheit durch ein Gesetz, nämlich die Dienstpragmatik, beschränkt wird. Einen geschützten Kernbereich gegenüber der Gesetzgebung etwa für eine sachliche politische Meinungsäußerung (wie sie in diesem Fall intendiert wurde) konstituierte der VfGH zu diesem Zeitpunkt noch nicht.1041 Dennoch bedeutete dies eine Ausdehnung des verfassungsrechtlichen Schutzes, nicht nur aus prozessrechtlichen Gründen,1042 sondern insbesondere durch die Bejahung der zuvor strittigen Frage, ob Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger auch auf den Bereich der Disziplinargewalt der Beamten Anwendung findet. 1961 schien der VfGH auch in diesem des Disziplinarrechts eine mögliche Verletzung des Wesensgehaltes zu prüfen.1043 Die Überprüfung der richtigen 1039 1040 1041 1042

Rechtssatz 3, VfGH Slg. Nr. 775/1927. VfGH Slg. Nr. 775/1927. VfGH Slg. Nr. 775/1927. Siehe auch VfGH Slg Nr.1359/1930. Anm: Da der VfGH im Gegensatz zum Reichsgericht zur Prüfung eines Eingriffes in die Meinungsäußerungsfreiheit berufen war. 1043 Der Beschwerdeführer ist aber mit dem angefochtenen Disziplinarerkenntnis nicht deshalb bestraft worden, weil er eine Meinung geäußert hat, sondern weil er durch die Form der Meinungsäußerung gegen drei Bestimmungen der Dienstpragmatik verstoßen hat, … Gegen eine Gesetzesbestimmung, die sich unter anderem auch gegen eine beleidigende Schreibweise richtet,

236 Hauptteil Anwendung des Gesetzes wurde jedoch entgegen der späteren Rechtsprechung grundsätzlich abgelehnt.1044 Eine Prüfung auf eine denkunmögliche Anwendung der Dienstpragmatik erfolgte erstmals 1962.1045 Allerdings interpretierte Felix Ermacora noch 1963 die Regelungen zum besonderen Gewaltverhältnis im Bereich der Beamten, Heeresangehörigen und Richter sowie – in eingeschränkter Form – auch der Hochschullehrer als Einschränkungen des umfassenden personellen Geltungsbereichs der Meinungsäußerungsfreiheit.1046 1970 wiederholte der VfGH den Grundsatz, wonach die Meinungsäußerungsfreiheit gem Art 13 Abs 1 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger durch die Dienstpragmatik eingeschränkt werden kann. Spezielle Ausnahmen wurden nicht statuiert.1047 Zugleich erfolgte aber eine genaue Prüfung, ob das Disziplinarerkenntnis auf den §§ 21 und 24 DP fußen konnte.1048 Mit dem Erkenntnis aus 1994 legte der VfGH enge Grenzen für eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit fest: Die Möglichkeit zur sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik ist ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in bestehen aber aus dem Gesichtspunkt des Art 13 StGG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Ausführungen wären bei einer Betrachtung des Art 13 als reines partikuläres Legalitätsprinzip nicht notwendig, sprechen also implizit für eine Ausdehnung der Wesensgehaltstheorie auch für den Bereich des Disziplinarrechts. 1044 Ob aber diese gesetzlichen Bestimmungen im Einzelfall richtig angewendet wurden, fällt mit Rücksicht auf den im Art 13 Abs 1 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt außerhalb des Rahmens verfassungsrechtlicher Erwägungen. VfGH Slg. Nr. 4065/1961. 1045 Im konkreten Fall ging es um einen in den Wirtschaftspolitischen Blättern veröffentlichten Artikel mit dem Titel Gibt es in Österreich noch Reserven an Arbeitskräften? und damit um eine Form von political speech. Aus dem sachlichen Ton und der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift mit einem informierten Leserkreis schloss der VfGH, dass sich der Beschwerdeführer ungeachtet behaupteter inhaltlicher Mängel offenbar bemüht hatte, sach- und formgerecht dem öffentlichen Interesse zu dienen. Damit erwies sich die Subsumierung des Verhaltens des Beschwerdeführers unter den Tatbestand des § 21 DP (jederzeit auf die Wahrung der öffentlichen Interessen bedacht zu sein und alles zu vermeiden und nach Kräften hintanzuhalten, was diesen abträglich sein oder den geordneten Gang der Verwaltung beeinträchtigen könnte) als denkunmöglich, womit der Bescheid als gesetzlos angesehen wurde. VfGH Slg. Nr. 4165/1962. 1046 Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 326. 1047 Die Freiheit der Meinungsäußerung ... ist nur innerhalb der Schranken des Gesetzes gewährleistet. Die Vorschriften der Dienstpragmatik stellen an sich solche gesetzliche Schranken dar. VfGH Slg. Nr. 6166/1970. 1048 Was verneint wurde. Allerdings ist dieser Fall insofern atypisch, als das die eigentliche Rechtsgrundlage (die Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer) wegen Nichtverlautbarung im Bundesgesetzblatt aufgehoben worden war. VfGH Slg. Nr. 6166/1970.



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einem demokratischen Gemeinwesen. Sie muss auch einem Beamten gegenüber der Behörde, der er angehört, offen stehen. Die disziplinäre Verantwortlichkeit blieb demnach bestehen, wenn die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und die durch § 43 (2) BDG (auf dessen verfassungsrechtliche Bedenklichkeit der VfGH ausdrücklich hinwies) gesetzte Grenze verletzt werde sowie wenn die Meinungsäußerung geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben des Beamten zu beeinträchtigen.1049 Diese Formel ergänzte der Verfassungsgerichtshof 1995, indem er nach den ersten beiden (die Formel aus Slg. 13978/1994 identisch wiederholenden) Sätzen hinzufügte, dass keine Verletzung des § 43 Abs 2 BDG 1979 vorläge, wenn ein Beamter in der Öffentlichkeit andere Beamte oder die ganze Beamtenschaft … aber auch die Bundesregierung oder einen Bundesminister … kritisiert. Die disziplinäre Verantwortlichkeit folge auch in diesem Fall, wenn die Amtsverschwiegenheit verletzt oder die durch § 43 Abs 2 BDG 1979 gezogene Grenze überschritten werde, indem sie geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben des Beamten ua. dadurch zu beeinträchtigen, dass sie den guten Ruf anderer oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung gefährdet.1050 Die Behauptung, der Bundesminister für Justiz sei des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt schuldig, überschritt allerdings selbst unter besonderen Umständen die an sich zulässige Kritik an der Amtsführung oder einem bestimmten Verhalten desselben.1051 Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass auch nach der Judikatur des EGMR unter bestimmten Umständen Eingriffe in die Meinungsäußerungsfreiheit durch eine besondere Beschränkung 1049 VfGH Slg. Nr. 13978/1994. 1050 VfGH Slg. Nr. 14316/1995. 1051 In diesem Fall hatte der Beschwerdeführer, ein Staatsanwalt, auf gegen ihn erhobene Vorwürfe mit einer Pressekonferenz geantwortet, im Verlauf welcher er auf eine Journalistenfrage folgende Antwort gab: Da erhebt sich für mich schon die Frage, ob sich der Beschuldigte Lichal bei seinem Regierungskollegen Foregger nur beschwert hat oder ob er interveniert hat, und falls er interveniert hat, ob die Reaktion des Justizministers, nämlich Disziplinaranzeige, Aktenabnahme, damit in Zusammenhang steht. Untersucht würde es schon gehören. Das würde also bedeuten, man müsste gegen den Justizminister wegen Amtsmissbrauchs ermitteln und gegen den Verteidigungsminister wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch. Obwohl der VfGH dem Beschwerdeführer angesichts der Umstände einen Zustand starker emotionaler Betroffenheit zum Zeitpunkt der Aussage zugutehielt (und es sich um eine kernpolitische Aussage handelte) entschied der VfGH, dass angesichts der Umstände des Falles eine Einschränkung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung durch die in Art 10 Abs 2 normierten Eingriffstatbestände des Schutzes des guten Rufes anderer und der Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung nicht verfassungswidrig sei. VfGH Slg. Nr. 14316/1995.

238 Hauptteil von Beamten und Soldaten zum Schutz des demokratischen Rechtsstaates einen verhältnismäßigen Eingriff darstellen können.1052 Ein weiterer Bereich der Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit für bestimmte Gruppen ist jener der freien Berufsstände, deren verfassungsrechtliche Stellung hier in ihrer rechtsgeschichtlichen Entwicklung aufgezeigt werden soll: In der frühen Judikatur des VfGH galt wie für die Beamtenschaft, dass Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit nicht gegen Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger verstoßen, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage fußen. Auch hatte diese Einschränkung keine nähere verfassungsgerichtliche Überprüfung der richtigen Anwendung des Gesetzes durch die Behörde zur Folge. Dies bestätigte der VfGH für den Bereich der Disziplinargewalt der Ärztekammer 1953.1053 1959 erkannte der VfGH jedoch im Bereich der Disziplinargewalt der Apothekenkammer auf eine denkunmögliche Anwendung des Gesetzes und damit auf eine Verletzung von Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger.1054 Durch dieses Erkenntnis wurde das Ausmaß des verfassungsrecht1052 Siehe dazu genauer Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 285 f. 1053 Im Sinne der eben dargelegten Bedeutung des Art 13 StGG kann … von einer verfassungswidrigen Einschränkung des Rechtes der freien Meinungsäußerung nicht die Rede sein, wenn ein Gesetz Einschränkungen dieser Art zulässt. Der Disziplinarrat konnte nach dem Gesetz eine Disziplinarstrafe verhängen, weshalb dessen Beschwerde auch in diesem Punkt der Begründung entbehrt. Ob die Disziplinarinstanzen das Ärztegesetz und die sonstigen für das Disziplinarverfahern maßgebenden Vorschriften richtig angewendet haben, ist dabei nicht zu prüfen, insbesondere auch nicht die Behauptung, daß der Wahrheitsbeweis für die Bezeichnung … mit Rücksicht auf den konkreten, den anderen Kammerangehörigen bekannten Zusammenhang, in dem die Äußerung gebraucht wurde, zuzulassen gewesen wäre. Denn auch hier handelt es sich nicht um die gesetzliche Grundlage des Disziplinarverfahrens, sondern um die richtige Anwendung eines zweifellos anwendbaren Gesetzes. VfGH Slg. Nr. 2587/1953. 1054 Die diesem Fall zugrunde liegende Meinungsäußerung war eine durchaus sachliche Kritik an einem Thema des öffentlichen Interesses und war als Teil eines Einspruchs gegen die Errichtung einer öffentlichen Apotheke geäußert worden. Der Beschwerdeführer wurde dennoch durch ein Erkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Apothekerkammer zu einer Geldstrafe und dem Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts zur Apothekenkammer verurteilt. Der VfGH führte dazu als Begründung für die angenommene Denkunmöglichkeit Folgendes aus: Es ist nämlich von vornherein ausgeschlossen, daß durch die im Rahmen eines Einspruches gem … in einwandfreier Form gehaltenen Ausführungen über die Frage, wo die Grenze der Tätigkeit der Apotheker und der Ärzte auf dem Gebiete der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneien generell und im speziellen Fall am besten zu ziehen ist, die



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lichen Schutzes von political speech faktisch wesentlich erweitert, da nun eine sachliche Kritik nicht mehr ohne weiteres durch eine angebliche Verletzung des Standesansehens disziplinarrechtlich geahndet werden konnte. Die ausdrückliche Einordnung eines von der Behörde fälschlicherweise unterstellten verfassungswidrigen Inhalts in den Bereich der denkunmöglichen Anwendung erfolgte allerdings erst 1985.1055 Hinsichtlich des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter wiederholte der VfGH 1964 die bereits im erwähnten Erkenntnis 3616/1959 beschriebenen Grundsätze (Gesetzesschranke sowie Prüfung auf denkunmögliche Anwendung).1056 1966 erschwerte das veränderte Prüfschema des VfGH, wonach dieser zuerst die Verfassungsmäßigkeit des betroffenen Gesetzes behandelt ohne notwendigerweise eine Formel für diese Prüfung zu statuieren,1057 eine genaue Definition des gegenüber des Gesetzgebers gegebenen Schutzes. Eine genaue amtswegige Prüfung eines Gesetzes an Hand der strengeren Kriterien des Art 10 Abs 2 EMRK erfolgte schließlich 1970. Anlass der Gesetzesprüfung war die weit reichende Verschwiegenheitspflicht des § 38 Ärztegesetz. Der VfGH stellte dabei fest, dass eine Unentbehrlichkeit der Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung jedenfalls vorliegt, wenn der Gesetzgeber Tatsachen als vertraulich erklärt und ihre Verbreitung verbietet, die den Ehre oder das Ansehen des Apothekerstandes überhaupt berührt werden kann. Denn es bestehen zwar Beziehungen zwischen dieser Frage und den Standesinteressen, es fehlen aber jegliche Beziehungen zwischen dem Thema der Standesehre und dem Standesansehen. Welche Meinung auch immer vertreten wird, sie kann nicht ehrenrührig und ansehensschädigend sein. Dies auch dann nicht, wenn die Äußerung der überwiegenden Meinung der Standesgenossen entgegensteht oder wenn sie sachlich vollkommen unrichtig ist oder wenn sie den wirtschaftlichen Interessen der Apothekerschaft widerspricht. Es ist vollkommen ausgeschlossen, die in einwandfreier Form vorgebrachte Meinung zu einer Frage, die, gemessen am Standesansehen oder an der Standesehre, indifferent ist, als dem Standesansehen oder der Standesehre zuwiderlaufend zu erkennen. VfGH Slg. Nr. 3919/1959. 1055 VfGH Slg. Nr. 10386/1985 sowie 10700/1985 (ein Urteil zur politischen Meinungsäußerungsfreiheit). 1056 VfGH Slg. Nr. 4697/1964. 1057 So findet sich in den Entscheidungsgründen nur der Satz: Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung wurden Bedenken nicht vorgebracht; auch seitens des Verfassungsgerichtshofes sind Bedenken gegen die gesetzliche Grundlage des Bescheides nicht entstanden. Ob und wieweit eine Aushöhlung des Grundrechtes das Gesetz verfassungswidrig machen könnte, blieb dabei unerwähnt. Auch eine ausdrückliche Prüfung auf die Eingriffstatbestände des Art 10 Abs 2 EMRK fand nicht statt. VfGH Slg. Nr. 5238/1966. Auch in Slg. 5463/1967 stellte der VfGH lediglich die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit des Gesetzes fest, ohne ein genaues Prüfschema aufzustellen. VfGH Slg. Nr. 5463/1967.

240 Hauptteil Organen der staatlichen Verwaltung ausschließlich durch ihre amtliche Tätigkeit bekannt geworden sind und deren Geheimhaltung im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien liegt.1058 Enge Rahmen für die Begrenzung der Meinungsäußerungsfreiheit setzte der VfGH hingegen in einem Erkenntnis aus 1989. Darin betonte er, dass insbesondere die unter einer besonderen öffentlichen Verantwortung stehenden Angehörigen freier Berufe nicht vor Kritik geschützt sind und die Möglichkeit der sachlichen, in gebotener Form vorgetragenen Kritik ein unverzichtbares Recht in einem demokratischen Gemeinwesen darstellt, jedermann zusteht und auch dem Berufsgenossen offenstehen muss. Der Schutz des Standesansehens könne dabei nicht als Schutz vor einer solchen Kritik dienen.1059 Eine disziplinarrechtliche Verurteilung eines Anwalts wegen eines Schreibens, welches die Worte Insbesondere ist mein Mandant in keiner Weise bereit, sozialistisch geführten Pleitebetrieben Vorschub zu leisten enthielt und damit als beleidigende und unsachliche Äußerung verstanden werden konnte, überschritt nach einem VfGH-Erkenntnis aus 1991 den Rahmen der verfassungsrechtlich 1058 VfGH Slg. Nr. 6288/1970. 1059 Gerade die unter einer besonderen öffentlichen Verantwortung tätigen Angehörigen freier Berufe, wie insbesondere die Ziviltechniker nach dem Ziviltechnikergesetz, sind in einer demokratischen Gesellschaft nicht vor Kritik geschützt. Vielmehr bildet die Möglichkeit zur sachlichen und in der gebotenen Form geäußerten Kritik ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 MRK erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen. Eine derartige, den Umständen nach möglicherweise geradezu gebotene sachliche Kritik an der Tätigkeit und damit auch der Qualifikation eines ziviltechnischen Sachverständigen zu üben, ist jedermann verfassungsgesetzlich gewährleistet. Umsomehr muß sie aber dem Berufgenossen eröffnet sein, weil vielfach nur dieser über das für eine tiefgreifende Kritik erforderliche Maß an Fachwissen verfügt. Weder der Grundsatz der Kollegialität, geschweige denn die Achtung „der Ehre und der Würde des Standes“ können daher einen Ziviltechniker (ebenso wie Angehörigen anderer freier Berufe) vor einer sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik durch einen anderes Standesangehörigen schützen. [Betonung hinzugefügt] Sosehr es angesichts der Aufgaben und angesichts des besonderen Vertrauens, das Ziviltechniker in der Öffentlichkeit genießen, berechtigt ist, „eine unsachliche oder herabsetzende Kritik an anderen Ziviltechnikern und deren Leistungen“ für „unzulässig“ zu erklären und disziplinarstrafrechtlich zu ahnden, … sowenig dürfen „die Grundsätze der Kollegialität“ nach Punkt 4.1. der Standesregeln dahin verstanden werden, dass dadurch die sachliche, in der gebotenen Form vorgetragene Kritik eines Ziviltechnikers an der Tätigkeit eines Fachkollegen verhindert würde. Keinesfalls wäre es unter dem Aspekt des Art 10 Abs 2 MRK auch gerechtfertigt, die an sich zulässige Kritik an der Tätigkeit eines Fachkollegen auf ein Vorbringen vor der „zuständigen Kammer“ zu beschränken [Betonung hinzugefügt], wie dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides anklingt. VfGH Slg. Nr. 11996/1989.



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geschützten Meinungsäußerungsfreiheit.1060 Eine genaue Grenze der verfassungskonformen Interpretation von Disziplinarvorschriften stellte der VfGH 1991 zu § 10 Abs 2 RAO auf. Dieser sei demnach verfassungskonform nur der Inhalt zu unterstellen, dass Anwälte auch bei Meinungsäußerungen die Ehre und Würde des Standes so weit zu wahren haben, als dies ein Schutz der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten Rechtsgüter rechtfertigt.1061 Die Ausführung eines Anwalts in einer Vorstellung an eine Gemeinde, die unter anderem den Satz In politischen Systemen nach dem Muster Ceaucescu begreift man es, wenn Berufungsbehörden ihren Auftrag entsprechend als reine Betätigungsmaschinerie tätig werden enthielten, lagen hingegen noch innerhalb des Rahmens der geschützten Meinungsäußerung. Mit der Aussage sei lediglich zum Ausdruck gebracht, daß eine bestimmte prozessuale Fallkonstruktion … in einem Regime wie dem von Ceaucescu, nicht aber in einem Rechtsstaat wie der Republik Österreich verständlich sei. 1062 Ferner betonte der VfGH, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung bei der Beurteilung einer Äußerung eines Rechtsanwaltes als strafbares Disziplinarvergehen eine besondere Zurückhaltung erfordere. Dieser Grundsatz wurde in Folge zum Teil der ständigen Rechtsprechung.1063 Der VfGH erkannte folglich in der genannten Äußerung angesichts des Hintergrundes des Falles ein noch zulässiges Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der RAO und im disziplinarrechtlichen Verwaltungsakt eine einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellende und damit denkunmögliche Gesetzesanwendung.1064 Eine analoge Anwendung der einem Journalisten nach Artikel 10 EMRK zustehenden Meinungsäußerungsfreiheit auf das Disziplinarrecht der Anwälte (wonach es gestattet sein müsse, Darstellungen zu geben, die verletzend, schockierend oder beunruhigend sind) lehnte der VfGH 1993 ab.1065 Damit wurde 1060 VfGH Slg. Nr. 12796/1991. 1061 Zusätzlich fügte der VfGH hinzu, dass eine solche auf Art 10 Abs 2 Bedacht nehmende verfassungskonforme Interpretation auch vom Verordnungsgeber zu beachten sei. VfGH Slg. Nr. 12886/1991. Siehe etwa auch Slg. Nr. 16220/2001, 17917/2006. 1062 VfGH Slg. Nr. 13122/1992. 1063 VfGH Slg. Nr. 13122/1992, 13612/1993, 14006/1995, 14233/1995, 16519/2002, 17820/ 2006, 18207/2007, B53/07. 1064 VfGH Slg. Nr. 13122/1992. 1065 Dieser auf einer generalisierenden Betrachtung beruhenden Ansicht kann der VfGH jedoch nicht beipflichten, der in seiner Rechtsprechung eine Verletzung des durch Art 10 EMRK gewährleisteten Rechtes dann annimmt, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen die Schranken des Art 10 EMRK missachtenden Inhalt unterstellt hat. … Daß diese Schranken für den Berufsstand der Rechtsanwälte aber im Hinblick auf deren Aufgabenbereich andere sind

242 Hauptteil die weiterhin bestehende Differenzierung des Ausmaßes der Meinungsäußerungsfreiheit anhand des Berufes bzw. der gesellschaftlichen Funktion deutlich. 1992 übernahm der VfGH anlässlich der disziplinarrechtlichen Verfolgung eines Arztes1066 ausdrücklich die Sunday Times-Formel des EGMR1067 für den Bereich der freien Berufsstände und betonte, wiederum unter Bezug auf EGMR-Judikatur, dass die Notwendigkeit der mit einer Bestrafung verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung im Einzelfall außer Zweifel stehen muss. Der VfGH wiederholte in Folge die 1989 aufgestellten Grundsätze (wonach sachliche, in gebotener Form geäußerte Kritik gerade den Berufsgenossen offenstehen müsse) und fügte unter Berufung auf die Judikatur des EGMR hinzu: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt nämlich in einer demokratischen Gesellschaft, wenn auch zulässigerweise unter den Einschränkungen des Abs 2, nicht nur für „Nachrichten“ oder „Ideen,“ die ein positives Echo haben oder die als unschädlich oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören. Das ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen kann.1068 Weiters verwies der VfGH auf die zahlreichen vom Beschwerdeführer durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen, die seinem Vorwurf eines sysals für Journalisten, bedarf nach Auffassung des Gerichtshofs wohl keiner weiteren Begründung. VfGH Slg. Nr. 13590/1993. 1066 Diesem Fall zugrunde lag eine disziplinarrechtliche Verfolgung für Aussagen in einem Interview, wonach ein durchschnittlicher Praktiker nur zwei bis fünf Minuten für einen Patienten aufwende und ihm folglich nichts übrig bliebe, als Medikamente zu verschreiben, oftmals ohne den Patienten gesehen zu haben. Weiters behauptete dieser, die Menge der verordneten Schmerzmittel und der Mittel der antibakteriellen Medizin könnten auf ein Zehntel reduziert werden, es werde reine Abfertigungsmedizin betrieben. Darüber hinaus forderte er seine Ärztekollegen auf, verantwortungsbewusster mit den Patienten umzugehen und weniger ans Geldverdienen zu denken. Dazu kamen folgende Äußerungen in der Zeitschrift „Die ganze Woche“: Das Hauptinteresse der meisten Mediziner ist heute rein finanzieller Natur … Bei den starken schulmedizinischen Arzneien wäre bei optimaler Betreuung nur jede zehnte Verschreibung notwendig … Mit der Zugangsbeschränkung durch den Kassenvertrag hilft die Kammer mit, daß die Wartezimmer voll bleiben und die Ärzte genügend Krankenscheine sammeln können. Ferner erschienen ein Bericht in der Kronen Zeitung und ein mit seinen Honorarsätzen versehener Artikel in den Salzburger Nachrichten. 1067 Anm: Danach muss ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung (1) gesetzlich vorgesehen sein, (2) einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und (3) zur Erreichung dieses Zwecks oder dieser Ziele in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Siehe Abschnitt III, Kapitel 2.5.4. 1068 VfGH Slg. Nr. 13694/1994.



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temimmanenten Missstandes vorangingen. Wenn das Ziel der Meinungsäußerung der Sache nach deutlich erkennbar die Bekämpfung systembedingter Missstände sei, könne darin kein unzulässiges Verhalten erblickt werden, durch welches der Tatbestand des § 95 Abs 1 ÄrzteG 1984 verwirklicht wird. Besonders gravierend für die politische Meinungsäußerungsfreiheit ist der Schlusssatz der Entscheidungsgründe des VfGH: In einer freien Gesellschaft kann das Engagement für Systemverbesserungen, selbst wenn die Sachkritik wegen der Wortwahl nicht willkommen, ja unerwünscht ist, nicht als Beeinträchtigung des Standesansehens gewertet werden. Selbst die (in der Fußnote 1066 genauer ausgeführte) scharfe Kritik des Arztes war somit eine verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerung.1069 Die Bezeichnung eines behördlichen Verhaltens1070 als Sauerei durch einen Anwalt qualifizierte der VfGH 1995 jedoch als offenkundig gegenüber der Behörde ungebührliches Verhalten, welches die Grenzen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsäußerung überschritt und führte weiter aus, dass derartige Ehrenbeleidigungen im Hinblick darauf, dass die Wahrnehmung des Anstandes im Verkehr mit Behörden und deren Organwaltern in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, durch das Recht der freien Meinungsäußerung niemals gerechtfertigt werden können.1071 Auch eine gegen einen Ziviltechniker verhängte Disziplinarstrafe wegen dessen Aufruf zum Boykott der Kammerumlage stellte nach einem Erkenntnis aus 1996 keine Verletzung seines verfassungsmäßig geschützten Rechtes auf freie Meinungsäußerung dar.1072 Keine dahin gehende Verletzung lag ferner im Fall eines Anwaltes vor, gegen den eine Disziplinarstrafe verhängt wurde, nachdem er als Verteidiger in einer Strafsache die Strafregisterauskunft eines Zeugen verlas, welche ihm aufgrund der früheren Mandantenstellung des Zeugen bekannt war.1073 Unsachliche und erkennbar beleidigende Äußerungen von Rechtsanwälten stehen jedenfalls nicht unter dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, da gem Art 10 Abs 2 ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, in einer demokratischen Gesellschaft das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren.1074 1069 Ebenda. 1070 Eine Beschlagnahme, in deren Folge ein Ordnungssystem von Akten zerstört worden war. 1071 VfGH Slg. Nr. 14234/1995. 1072 VfGH Slg. Nr. 14539/1996. 1073 VfGH Slg. Nr. 14908/1997. 1074 Siehe dazu VfGH Slg. Nr. 12796/1991, 15586/1999, 16558/2002, 16792/2003, 16951/2003 sowie Slg. Nr. 14233/1995 zum Disziplinarrecht von Ziviltechnikern.

244 Hauptteil Hingegen erkannte der VfGH 2001, dass der Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer dem § 9 Abs 1 RAO iVm. § 1 DSt. 1990 einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hatte, als dieser auch wegen der Äußerung Geradezu erschreckend ist der Umstand, wie vom Erstgericht fundamentale Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und geltende Verfahrensgrundsätze mißachtet werden … zum Ergebnis einer disziplinären Verurteilung kam.1075 2004 verwies der VfGH (unter Bezugnahme auf den EGMR) auf die Bedeutung einer ungehinderten Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen prozessualer Vertretung des Klienten im Licht der Anforderungen eines fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK.1076 Die grundsätzliche Notwendigkeit von standesrechtlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer im Sinne von Art 10 Abs 2 EMRK bestätigte der VfGH allerdings in der jüngeren Rechtsprechung.1077 2006 entschied der VfGH über eine Beschwerde, die sich gegen eine disziplinarrechtliche Verurteilung eines Zahnarztes wegen einer in einem Leserbrief geäußerten Kritik an der Kammerorganisation und der Forderung der Qualifizierung von Zahnärzten als eigene Berufsgruppe richtete. Der VfGH beanstandete dabei das Fehlen einer Abwägung zwischen dem Recht auf kritische – mag sein auch polemische Meinungsäußerung und der Notwendigkeit der Verhängung einer Disziplinarstrafe durch die Behörde. Aufgrund der Meinungsäußerungsfreiheit sei im vorliegenden Fall hinsichtlich der beschriebenen Äußerungen kein Vorwurf zu machen. Auf eine mögliche Bedeutung des (zumindest iwS) politischen, da systemkritischen Charakters der Meinungsäußerung ging der VfGH nicht ein.1078 Auch in einem Disziplinarverfahren gegen einen Anwalt, der Gemeindebehörden eine rechtsmissbräuchliche Vermögensschädigung gegenüber seinem Mandanten vorwarf, erörterte der VfGH nicht die möglichen Implikationen im Sinne der Bedeutung von political speech.1079 2007 erkannte der VfGH in einer disziplinarrechtlichen Verurteilung eines Anwalts wegen der Behauptung des dringenden Verdachts des Amtsmissbrauchs eines Klägers auf eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit. Dabei sind jedoch die besonderen Umstände des Falles in Betracht zu ziehen. Die Annahme, dass die betroffene Äußerung nicht unsubstantiiert erhoben worden 1075 1076 1077 1078 1079

VfGH Slg. Nr. 16267/2001. VfGH Slg. Nr. 17297/2004. VfGH Slg. Nr. 17565/2005, 17852/2006, 17923/2006. VfGH Slg. Nr. 17852/2006. VfGH Slg. Nr. 18206/2007.



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war und nur die Meinung des Anwalts bzw. des Mandanten wiedergebe, führte in Folge zur Annahme einer Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit.1080 5.4.2 Grossbritannien Wie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben, enthielt das britische Verfassungsrecht vor dem Human Rights Act keine Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger entsprechende allgemeine Bestimmung zum Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, sondern lediglich ein ungeschriebenes Rechtsprinzip mit umstrittenem Verfassungsrang. Folglich existierte bis zum Human Rights Act kein Prüfschema, nach dem das Grundrecht erst allgemein postuliert und Ausnahmen an gewisse Bedingungen (wie etwa die Gesetzesform) gebunden waren. Vielmehr herrschte ein allgemeines Ausbalancieren von Interessen vor, und es existierte auch kein allgemeiner Schutz vor speziellen Eingriffen gegenüber besonderen Gruppen, wie etwa Beamten1081 oder Sträflingen.1082 Für letztere Gruppe galt allerdings der Grundsatz, dass ein verurteilter Gefangener alle Bürgerrechte behielt, die ihm nicht (durch eine Gesetzesbestimmung) ausdrücklich oder durch necessary implication genommen wurden.1083 1080 VfGH Slg. Nr. 18327/2007. 1081 Für eine detaillierte Schilderung des unzureichenden Rechtsschutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien vor dem HRA sowie den grundsätzlichen Erwägungen und dem (zu diesem Zeitpunkt völker- und nicht verfassungsrechtlichen) Schutz der EMRK siehe insbesondere Lucy Vickers, Whistleblowing in the public sector and the E.C.H.R., P.L. 1997, 594 ff. 1082 Für eine demonstrative Aufzählung der verschiedenen faktischen Beschränkungen gegenüber besonderen Gruppen im Grundrechtsbereich vor dem Human Rights Act siehe etwa Paula Kingston/Colin Imrie, Vereinigtes Königreich und Nordirland, in Eberhard Grabitz, Grundrechte in Europa und USA I (1986) 774 ff. Für eine allgemeine Darstellung des Menschenrechtsschutzes von Häftlingen vor dem HRA siehe Paul Sieghart, Human Rights in the United Kingdom (1988) 40 ff, sowie Genevra Richardson, Prisoners and the Law: Beyond Rights, in Christopher McCrudden/Gerald Chambers, Individual Rights and the Law in Britain (1994) 179 ff. 1083 Siehe etwa R v. Secretary for the Home Department, ex p. Leech (1993) 4 All E.R. 540, 548. Bei der Beurteilung, ob eine Einschränkung by necessary implication gerechtfertigt sei, galt dabei folgende Grundregel: Umso fundamentaler das Recht und umso drastischer die Einschränkung ist, umso schwieriger ist es, eine implizite rule-making power anzunehmen. Die in diesem Fall beanstandete Norm (Regel) 33 (3) der Prison Rules 1964 besagte, dass der Gefängnisdirektor jeden Brief von oder an einen Gefangenen lesen und aufhalten konnte, wenn dieser objectionable or of inordinate length war. Die Prison Rules waren dabei eine auf dem Prison Act 1952 basierende Ausführungsverordnung. Die Feststellung, dass 33 (3) ultra

246 Hauptteil Bezüglich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit stellte Lord Steyn jedoch noch 1999 fest, dass [g]iven the purpose of a sentence or imprisonment, a prisoner can … not claim to join in a debate on the economy or political issues by way of interviews with journalists. In dieser Hinsicht würden der Freiheitsentzug durch das Gerichtsurteil und die Notwendigkeit von Disziplin und Kontrolle in den Gefängnissen schwerer wiegen als das Recht auf freie Meinungsäußerung.1084 Das System der privileged communication ging hingegen seit dem 19. Jahrhundert nicht in die Richtung einer besonderen Einschränkung, sondern vielmehr in jene einer besonderen Privilegierung bezüglich der Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen der Ausübung ihrer Funktion.1085 So waren etwa Meinungsäußerungen eines Bischofs gegenüber einer Versammlung des Klerus privileged communication.1086 Das galt auch für einen Anwalt in Ausübung seiner Funktion als Advokat,1087 wobei das Anwälten vor Gericht zukommende privilege einen besonders weit reichenden Schutz gewährte, wie bereits aus Munster v. Lamb aus 1883 hervorging.1088 Das Vorliegen eines absolute privilege für die Kommunika-





1084 1085 1086 1087 1088

vires war, beruhte allerdings in diesem Fall auf den Einschränkungen des access of court durch die Einschränkung der Kommunikation des Gefangenen mit seinem Anwalt. Die Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit wurde wohl als notwendigerweise impliziert erachtet. Für die Möglichkeit einer gerichtlich angeordneten Vorzensur im Fall eines in einer speziellen Anstalt untergebrachten geistesgestörten Mörders ohne eindeutige dahin gehende gesetzliche Bestimmung siehe Broadmoor Hospital Authority v. R. (2000) 2 All. E.R. 727 ff. (C.A.) (noch vor Inkrafttreten des Human Rights Actes entschieden). Siehe zu dieser Thematik auch Raymond v. Honey (1982) 1 All E.R. 759, sowie R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 400 ff. Zum Versuch einer Grenzziehung zwischen erlaubten und nicht erlaubten Formen der Kommunikation des Häftlings siehe dabei die Opinion von Lord Hobhouse auf Seite 423. Für einen Überblick der rechtlichen Situation vor dem HRA siehe A.M. Tettenborn, Prisoners’ Rights, P.L. 1980, 74 ff. R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408. Siehe dazu bereits die Definition aus Toogood v. Spyring, Abschnitt III, Kapitel 3.2.1. Laughton v. Bishop of Sodor and Man (1872) 4 L.R. P.C. 495 ff. Zu den Grenzen des privilege siehe Abschnitt III, Kapitel 3.2., 3.3 und 3.4. Und damit ein besonderer Schutz vor Verurteilungen wegen libel oder slander. Siehe etwa Mackay v. Ford (1860) 5 H & N 792, in 157 E.R. 1396. No action will lie against an advocate for defamatory words spoken with reference to, and in the course of, an inquiry before a judicial tribunal, although they are uttered by the advocate maliciously and not with the object of supporting the case of his client, and are uttered without any justification or even excuse and from personal ill-will or anger towards the person defamed arising out of a previously existing cause, and are irrelevant to every issue of fact which is contested before the tribunal. Munster v. Lamb (1883) 11 Q.B. 588.



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tion zwischen Anwalt und Klient wurde 1928 in More v. Weaver ausdrücklich bestätigt.1089 Genaue Grenzen für das privilege legte Minter v. Priest 1930 fest.1090 Auch die Kommunikation zwischen Beamten, betreffend Angelegenheiten des Staates, genoss besonderen Schutz, wie bereits Chatterton v. Secretary of State for India aus 1895 bestätigte. Diese war demnach sogar absolutely privileged and cannot be made subject of an act of libel. Ziel dieses privileges war jedoch nicht der Schutz der individuellen Meinungsäußerungsfreiheit des Staatsdieners, sondern das Funktionieren des Staatswesens.1091 Nach einer Entscheidung aus 1917 profitierte ein Beamter, welcher unter der Anleitung seiner principals eine libel unterschrieb und veröffentlichte von deren privilege, war jedoch auch für deren malice verantwortlich.1092 Das vor Gericht gültige absolute privilege fand gemäß Lincoln v. Daniels aus 1961 unter gewissen Umständen auch im Fall von Disziplinarkommissionen etwa bei Anwälten bzw. auch gegenüber courts of inquiry in den Streitkräften Anwendung, wenn dieses Verfahren einer Gerichtsverhandlung in solchem Maße ähnelte, dass auch dasselbe privilege für die Beteiligten zu gelten habe.1093 Der Grund für diesen besonderen Schutz war allerdings das öffentliche Interesse an einer ungehinderten Kommunikation in besonderen Situationen und nicht ein Schutz der individuellen Meinungsäußerungsfreiheit.1094 Durch den Human Rights Act wurde Art 10 EMRK zum Ausgangspunkt der Prüfung einer Verletzung. Darüber hinaus ist nach Section 2 Abs 1 lit a des

1089 More v. Weaver (1928) 2 K.B. 520 ff. 1090 Demnach war etwa auch ein Gespräch zwischen einem Anwalt und einem potenziellen Klienten geschützt, wenn es im Anschluss nicht zu einem Vertragsverhältnis zwischen den beiden kam. Minter v. Priest (1930) A.C. 558. Zu den Grenzen des privilege des Anwalts siehe auch Burnett & Hallamshire Fuel, Ltd. v. Sheffield Telegraph & Star Ltd. (1960), 2 All E.R. 157. 1091 Dazu Lord Esher: It would be injurious to the public interest that such an inquiry should be allowed, because it would tend to take from an officer of state his freedom of action in a matter concerning the public weal. If an officer of state were liable to an action of libel in respect of such communication as this, actual malice could be alleged to rebut a plea of privilege, and it would be necessary that he should be called as a witness to deny that he acted maliciously. That he should be placed in such a position, and that his conduct should be questioned before a jury, would clearly be against the public interest, and prejudicial to the independence necessary for the performance of his functions as an official of state. Chatterton v. Secretary of State for India (1895) 2 Q.B. 189 ff. 1092 Adam v. Ward (1917) A.C. 309 ff. 1093 Lincoln v. Daniels (1962) 1 Q.B. 237. 1094 Siehe dazu Ian Loveland, Political Libels: A Comparative Study (2000) 12.

248 Hauptteil Human Rights Act 1095 auch die ausführliche Judikatur des EGMR zu dieser Thematik nun zu berücksichtigen.1096 Weder der EGMR noch die britischen Gerichte erkannten auf ein uneingeschränktes Recht der Beamten auf politische Meinungsäußerungsfreiheit, sondern akzeptierten Einschränkungen in Fällen einer Konkurrenz mit wichtigen Interessen im Zusammenhang mit dem Funktionieren der Verwaltung.1097 Auf die weiterhin bestehende parliamentary sovereignty und folglich dem Fortbestehen von auf einem Act of Parliament beruhenden Einschränkungen der politischen Meinungsäußerungsfreiheit für besondere Gruppen wurde bereits hingewiesen.1098

1095 The UK Statute Law database (http://www.statutelaw.gov.uk), (3. 3. 2008, 17:36). 1096 Siehe dazu insbesondere Jens Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2 (2006) 203 f; Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 (2009) 285 f. 1097 Siehe etwa Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 118 ff. 1098 Siehe dazu Abschnitt III, Kapitel 3.4 und 3.4.2.



Rechtsvergleichende Betrachtung

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6. Rechtsvergleichende Betrachtung der Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien und Österreich aus dem Blickwinkel der political speech 6.1 Systematisierender Vergleich der zeitlichen und inhaltlichen Entwicklung Für den Vergleich nach zeitlichen Aspekten dient aufgrund des Mangels einer synchronen Entwicklung die österreichische als Ausgangspunkt. Wenn man die beschriebene österreichische rechtshistorische Entwicklung systematisch darstellt, lässt sich diese in drei Phasen unterteilen. 1. Die erste Phase (1867–1918) Hierbei war die freie Meinungsäußerung zwar verfassungsrechtlich geschützt, dieser Schutz wirkte jedoch – abgesehen vom Zensurverbot des Art 13 Abs 2 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger – nur gegenüber der Exekutive ieS und konnte unter gewissen Umständen auch suspendiert werden. Eine Sonderstellung von politischer Meinungsäußerung war weder dem Gesetz noch der Judikatur zu entnehmen, allerdings bildeten Fälle zur politischen Meinungsäußerung durch die engen Grenzen der geschützten Meinungsäußerung das Kernstück reichsgerichtlicher Judikatur. 2. Die zweite Phase (1918–1933/1934, 1945–1961) Diese unterschied sich von der ersten vor allem durch das Ende der Möglichkeit der Suspendierung des Grundrechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit sowie durch die theoretische Möglichkeit der Gesetzesprüfung durch den VfGH. Der verfassungsrechtliche Schutz der politischen Meinungsäußerung war hingegen weiterhin als partikuläres Legalitätsprinzip konstruiert. Eine wesentlicher Unterschied war die Ausdehnung des absoluten Verbots der Vorzensur auf weite Bereiche der Medien1099 durch den BPNV in Verbindung mit dem Erkenntnis des VfGH aus 1926. Wie schon in der ersten Phase war weder verfassungsgesetzlich noch in den Urteilen der VfGH eine Differenzierung zwischen mehr und weniger geschützten Meinungen erkennbar. Die Fälle geschützter Meinungsäußerungsfreiheit umfassten dabei faktisch zunehmend auch Fälle obszöner und kommerzieller Meinungsäußerungsfreiheit. 1099 Insbesondere Theater- und Filmzensur, siehe oben.

250 Hauptteil 3. Die dritte Phase (1961–) Diese zeichnet sich primär durch zwei Elemente aus: Einerseits erfolgte eine schrittweise Ausdehnung der geschützten Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Legislative.1100 Andererseits, wenngleich wesentlich zeitverzögert, erfolgte durch eine Übernahme von Grundsätzen der EGMR-Judikatur allmählich eine stärkere Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien geschützter Meinungsäußerung. Als deren Kernstück kann heute wohl die politische Meinungsäußerung angesehen werden. Ferner fiel in diese Phase die Entwicklung eines zusätzlichen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch den VfGH mittels einer Kontrolle auf denkunmögliche Anwendung von Gesetzen durch die Verwaltung, wenn dadurch die Meinungsäußerungsfreiheit berührt wird. Dieser kommt nunmehr ein fälschlich unterstellter verfassungswidriger Inhalt gleich. Versucht man die britische Verfassungsordnung dem für Österreich verwendeten Muster zu unterwerfen, befindet sich dieses in formeller Hinsicht seit dem Human Rights Act 1998 zwischen den Phasen 2 und 3 der österreichischen Entwicklung: Auf der einen Seite bestehen keine formellen verfassungsrechtlichen Schranken für die Legislative aufgrund des weiterhin gültigen Prinzips der parliamentary sovereignty. Auf der anderen existiert aber auch kein Recht auf Suspendierung durch die Regierung im Sinne des früheren österreichischen Notverordnungsrechts.1101 Darüber hinaus hat nur das Parlament in Westminster das Recht auf eine dem Human Rights Act widersprechende Gesetzgebung, nicht aber die anderen legislativen Körperschaften Großbritanniens (so dass etwa kein schottisches Gesetz den Schutz durch die EMRK unterlaufen kann). In Österreich hingegen galt der formelle Gesetzesvorbehalt des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger seit der Ersten Republik auch für die Gesetzgebung der Länder (siehe VfGH Slg. Nr. 1332/1930). Während sich der Schutz des Individuums gegenüber der Exekutive durch die Folgen des Human Rights Act weiter an die Rechtsprechung des EGMR bezüglich Artikel 10 und damit auch dem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach österreichischem Recht angenähert hat, besteht nach wie vor für die primary legislation keine Beschränkung im Sinne eines materiellen Gesetzesvorbehaltes.

1100 Von der Wesensgehaltstheorie über die Eingriffstatbestände des Art 10 Abs 2 EMRK zur den vom VfGH weitgehend übernommenen Richtlinien der EGMR-Judikatur. 1101 Wie bereits erwähnt, umfasst das dem B-VG 1929 in Art 18 Abs 3 bis 5 beigefügte Notverordnungsrecht nicht die Abänderung verfassungsgesetzlicher Bestimmungen.



Rechtsvergleichende Betrachtung

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Noch problematischer ist die Einordnung des britischen Verfassungsrechts vor dem Human Rights Act 1998. Zwar enthielt bereits die Bill of Rights eine Garantie der Redefreiheit, diese war jedoch auf die Parlamentarier beschränkt. Da bis zum Human Rights Act 1998 überhaupt unklar war, ob das Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit als ungeschriebenes Verfassungsprinzip betrachtet werden kann, ist die Einordnung aus formaljuristischer Sicht schwierig. Da wie geschildert verschiedene (scheinbar auch materiell betrachtet nicht verfassungsrechtliche) britische Gesetze zum law of libel (z. B. Law of Libel Amendment Act 1888, Defamation Act 1952) auch das privilege mitbehandelten, scheint aus kontinentaleuropäischer Sicht die Interpretation des privilege als Ausfluss eines solchen ungeschriebenen Verfassungsprinzips als nicht unproblematisch. Gerade in Hinblick auf die weniger streng hierarchische Natur des britischen Verfassungsrechtes1102 kann es aber auch als ausdrückliche Anerkennung des Verfassungsprinzips vonseiten der Gesetzgebung gedeutet werden. So wurde das Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit dadurch bis auf einige Ausnahmen1103 ausgedehnt und ausdrücklich festgelegt, dass diese Bestimmungen das bestehende privilege nicht mindern sollten. Jedenfalls existierte nach den allgemeinen Grundsätzen des britischen Verfassungsrechts ein der ersten Phase entsprechender Schutz (ungeachtet der aus der Perspektive des Legalitätsprinzips unklaren Einordnung des Common Law). Die Verwendung des Rechtsprinzips der Meinungsäußerungsfreiheit gerade in den 80er- und 90er- Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entsprach allerdings eher der dritten Phase der österreichischen Entwicklung. Dies galt freilich nur eingeschränkt für das schottische Recht, was wiederum dessen Charakter als britisches Verfassungsprinzip infrage stellt. Vergleicht man hingegen die Ursprünge einer Sonderbehandlung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit, so existierten in der britischen Judikatur dazu bereits im 19. Jahrhundert starke Ansätze einer dahin gehenden Entwicklung (v.a. Wason v. Walter). Auch die jüngere Judikatur zeigt neben der Übernahme von Doktrinen des EGMR noch starke endogene Grundlagen sowie die wichtige Vorbildfunktion der Leitentscheidungen anderer Common-LawLänder wie vor allem der USA und Australiens.

1102 Insbesondere im formellen Sinn, im Gegensatz zum klareren Stufenbau der Rechtsordnung im österreichischen Recht. 1103 Wie etwa Section 10 des Defamation Act 1952, siehe Plummer v. Clarman (1962) 3 All E.R. 823.

252 Hauptteil Abbildung1 – Überblick über die externen Einflüsse auf die Entwicklung der politischen Meinungs          äußerungsfreiheit

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© Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2008

Der allgemeine Rechtsschutz im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit war/ist dabei allerdings nicht mit dem verfassungsrechtlichen Schutz gleichzusetzen, dem allein diese Untersuchung gilt. Die genaue Einordnung bleibt im britischen Recht oft unklar. Gerade die zentrale Frage, inwieweit die Überlegungen zu den political libels britisches Verfassungsrecht widerspiegeln, ist ungeachtet der jüngeren Formulierung eines common law constitutional rights ungelöst. Bemerkenswert ist der Mangel einer Parallelentwicklung Österreichs und Großbritanniens im Verhältnis zwischen der Demokratisierung und dem Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit. In Großbritannien wirkten die Demokratisierungsschübe durch die Anerkennung der Bedeutung einer informierten Öffentlichkeit für das repräsentativ-demokratische System wie Initialzündungen für den Schutz politischer Meinungsäußerungsfreiheit. Diese Gedanken führten wie demonstriert unmittelbar zu einer Modifikation des Rechts durch die Gerichte und könnten die späteren der heutigen political speech-Doktrin zugrunde liegenden US-amerikanischen Entscheidungen wesentlich beeinflusst haben. Ungeachtet der vollständigen Demokratisierung Österreichs 1918 waren hingegen in dieser Rechtsordnung bis weit in die Zweite Republik in den Prüf-





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formeln und Begründungen kaum Ansätze zu erkennen, welche auf eine Übernahme oder eigenständige Entwicklung des Gedankens der besonderen Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit schließen ließen. Die jüngeren Entwicklungen in diesem Bereich sind allerdings in beiden Ländern durch äußere Impulse (in beiden Fällen die Judikatur des EGMR [v.a. Lingens], in Großbritannien darüber hinaus jene anderer Common-Law-Staaten1104) geprägt.

6.2 Die Auswirkung struktureller und methodischer Differenzen Grundsätzlich ist die österreichische VfGH-Judikatur bis heute von einem im Vergleich zu Großbritannien wesentlich stärkeren Formalismus geprägt. Die Sonderstellung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit scheint hingegen fast durchgehend durch die Judikatur des EGMR inspiriert. Dies kann allerdings wohl zumindest teilweise auf drei fundamentale Unterschiede zwischen der österreichischen und der britischen Rechtsordnung zurückgeführt werden: Erstens sollte auf den strikteren judicial self-restraint des VfGH in Verbindung mit dem ursprünglichen Verständnis der Meinungsäußerungsfreiheit als enges Abwehrrecht im Vergleich zum britischen Verständnis als allgemeines Rechtsprinzip hingewiesen werden. Zweitens ist diese Entwicklung wohl auch durch den österreichischen Instanzenzug erklärbar, wonach dem VfGH keine letztinstanzliche Prüfungsbefugnis in Bereichen zukommt, welche in angelsächsischen Rechtsordnungen wesentlich zur Entwicklung des modernen Rechts auf politische Meinungsäußerungsfreiheit beigetragen hat, wie etwa jenem des libel law. Ferner ist das Common Law wohl auch ein fruchtbarerer Boden für die allmähliche Entwicklung und Anpassung des Rechts, als dies etwa in Österreich die präzisen Normen des StGB und davor das StG waren bzw. sind. Die wesentlichen Schritte (abgesehen vom Human Rights Act) in der britischen Entwicklung (zur politischen Meinungsäußerungsfreiheit, nicht zur Meinungsäußerungsfreiheit generell) waren durchwegs Errungenschaften der Judikative. Drittens ist zu beobachten, dass genau jene Vermengung der Jurisprudenz mit Ethik und politischer Theorie, welche Hans Kelsen in seiner Reinen Rechts1104 Für einen Überblick über die Behandlung von political speech in den wichtigsten CommonLaw-Staaten siehe Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 105.

254 Hauptteil lehre kritisiert hatte,1105 sich wie ein roter Faden durch die angelsächsische Judikatur zieht und insbesondere im Bereich des Common Law einen fruchtbaren Boden fand und findet. Gerade Wason und Derbyshire sind gute Beispiele dafür, wie ein Gedanke der politischen Theorie zu einer dahin gehenden richterlichen Rechtsfindung entgegen früherer Judikatur führte. Die staatsphilosophischen Erwägungen der Bedeutung eines freien politischen Diskurses wurden in beiden Fällen dem geltenden Recht übergeordnet und führten so zu einer Neugestaltung des Rechts. So führte etwa John Gardner die Entwicklung eines Rechtsprinzips der freien Meinungsäußerung durch die Judikative überhaupt auf den Versuch der Richter zurück, einem moral right rechtliche Anerkennung zukommen zu lassen.1106 Der dadurch offenbarte Mangel an vergleichbaren rechtspositivistischen Tendenzen im britischen Recht ist folglich für die Verschiedenheit der Entwicklung hervorzuheben.

6.3 Die widersprüchlichen Ergebnisse einer formellen und einer materiellen Betrachtungsweise Angesichts der Bedeutung Großbritanniens in der Entwicklung der Meinungsäußerungsfreiheit und seiner liberalen Tradition überrascht es, dass das britische Verfassungsrecht im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit unter einer formellen Betrachtungsweise einen bedeutend schwächeren Schutz garantiert als das österreichische und bis vor einem Jahrzehnt die Existenz eines Verfassungsrechts auf freie Meinungsäußerung überhaupt umstritten war. Auch die relative Freiheit der Legislative, auch nach dem Human Rights Act in den Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit einzugreifen oder diese überhaupt abzuschaffen, mag im Hinblick auf die in Österreich seit Jahrzehnten bestehenden dahin gehenden verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen verwundern. Dem verhältnismäßig schwachen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne eines Schutzes durch eine einfachen Gesetzen übergeordnete Verfassungsnorm oder vor dem Human Rights Act auch nur einem allgemeinen Recht steht allerdings in Großbritannien eine ältere und bedeutendere Tradition des materiellen Schutzes gegenüber. Während etwa in Großbritannien in R v. Collins 1834 bereits ein Jedermannsrecht auf eine ehrliche, volle und freie Diskussion über alle Bereiche des öffent1105 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960) 1. 1106 John Gardner, Freedom of Expression, in Christopher McCrudden/Gerald Chambers, Individual Rights and the Law in Britain (1994) 213 f.



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lichen Lebens postuliert wurde, herrschte in Österreich noch die Zensur.1107 Gleichzeitig existierte schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert durch Fox’s Act ein bedeutender institutioneller Schutz. Das Festhalten Großbritanniens an seinen ungeschriebenen Gesetzen und Prinzipien bis ins ausklingende 20. Jahrhundert erlaubte auf der anderen Seite auch eine flüssige Anpassung der Rechtslage an die gegebenen Bedürfnisse,1108 die Freiheit der politischen Meinungsäußerung eingeschlossen. Für die Entwicklung des österreichischen Rechtes bis 19181109 galt hingegen die 1924 von A. Berriedale Keith geäußerte Kritik: the European practice generally has asserted the rights of the subject (von denen er die freedom of speech als eine der wichtigsten aufführt), but left them without effective means of enforcement against the state.1110 Dieses scheinbare Paradoxon des praktischen Schutzes gerade auch der politischen Meinungsäußerungsfreiheit bei gleichzeitiger Ablehnung eines allgemeinen Verfassungsrechts in der rechtshistorischen Entwicklung Großbritanniens bis zum Human Rights Act ist weitgehend auf die verschiedene Rechtstradition und den damit verbundenen grundverschiedenen Zugang zum Recht zurückzuführen. Kaum eine andere Quelle könnte dies besser zum Ausdruck bringen als Lord Donaldson of Lymington M.R. in seiner Opinion in R v. Home Secretary, Ex p. Brind. Nach dem er die für einen kontinentaleuropäischen Juristen erstaunliche Aussage getätigt hatte, das (englische) common law und die EMRK seien im Wesentlichen identisch, ergänzte er diese Aussage mit den Worten at least if the Convention is viewed through English judicial eyes.1111 Zusammenfassend steht im britischen Verfassungsgefüge den Schutzmechanismen des formellen österreichischen Verfassungsrechts ein durch Tradition 1107 Zu Letzterem siehe etwa Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte10 (2005) 91. 1108 Whatever disadvantages attach to a system of unwritten law, and of these we are fully sensible, it has at least this advantage, that its elasticity enables those who administer it to adapt it to the varying conditions of society, and to the requirements and habits of the age in which we live, so as to avoid the inconsistencies and injustice which arise when the law is no longer in harmony with the wants and usages of the generation to which it is immediately applied. Aus der Urteilsbegründung in Wason v. Walter (1868) 4 L.R. Q.B. 73. Man vergleiche diesen Zugang insbesondere mit dem beschriebenen strengen Formalismus des Reichsgerichtes und dem daraus resultierenden geringen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich. 1109 Man denke an die in der Arbeit aufgezeigte enge Interpretation der Meinungsäußerungsfreiheit durch das Reichsgericht und dessen eingeschränkte Kompetenzen. 1110 A. Berriedale Keith, The Constitution, Administration and Laws of the Empire (1924) 7. 1111 R v. Home Secretary, Ex p. Brind (1991) (H.L.(E.)) 1 A.C. 717.

256 Hauptteil und Prinzipien geprägter Schutz entgegen, der sich durch Stabilität und Kontinuität auszeichnet.

6.4 Weitere Aspekte der verfassungsrechtlichen Bedeutung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit Bei einer isolierten Betrachtung des speziellen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ergeben sich einige Anhaltspunkte für eine vorsichtige dahin gehende autogene Entwicklung in Großbritannien. Insbesondere im Zusammenhang mit der Verteidigung des fair comment on a matter of public interest/concern sind diese bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen. Bereits 1868 wurde in Wason v. Walter die Bedeutung des politischen Diskurses beziehungsweise der politischen Diskussion für das repräsentative System hervorgehoben, auch wenn sich daraus in den Folgejahren noch keine allgemeingültige Doktrin entwickelte. 1960 wurden dieselben Erwägungen in Webb v. Times Publishing Co. Ltd. herangezogen und auf die veränderten Umstände der britischen Verfassungsordnung angepasst, führten aber erneut nicht zu einer allgemein anerkannten Doktrin. In der Übergangszeit zur neuen Systematik des Human Rights Act wurde schließlich in Reynolds ein spezielles privilege für political discussion zunächst vom Court of Appeal befürwortet und danach vom House of Lords zwar abgelehnt, aber doch immerhin ernsthaft erwogen. Dabei ist auch der größere Einfluss der anderen angelsächsischen Rechtsordnungen, insbesondere der USA und Australiens, von Bedeutung. Dies wird durch die zahlreichen Zitationen insbesondere des US Supreme Court bzw. des High Court of Australia in den Urteilen des House of Lords deutlich.1112 Angesichts der Schlüsselrolle des US Supreme Court und des hier behandelten Grundsatzurteils des Australian High Court im Zusammenhang mit der Entwicklung einer besonders geschützten Kategorie der Meinungsäußerungsfreiheit schufen dieser Einfluss und der Umstand der engen Verwandtschaft der genannten Rechtsordnungen (insbesondere durch das allen diesen Staaten gemeinsame Common-Law-System) ein mit der österreichischen Situation kaum vergleichbares Umfeld. Dazu machen die frühen Ansätze in Wason eigene Ansätze unbestreitbar. 1112 Siehe dazu z. B. Reynolds v. Times Newspapers (1999) 4 All E.R. 609.



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Während das österreichische Verfassungsrecht in diesem Bereich im wesentlichen der Judikatur des EGMR folgte, zogen bezeichnenderweise die Lords Steyn und Cooke in Reynolds v. Times Newspaper das Prüfschema des EGMR als Argument gegen eine eigenes common law privilege bei einer political discussion heran. Darüber hinaus erfolgten im House of Lords bereits vor Inkrafttreten des Human Rights Act mehrfach grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit als conditio sine qua non für die repräsentative Demokratie, zu denen in der Judikatur des VfGH ein entsprechendes Äquivalent fehlt. Dies könnte auch mit der offeneren, mitunter ins rechtsphilosophische gehenden Formulierungsweise der Lords im Gegensatz zur tendenziell eher knappen und formalistischen Formulierungsweise des VfGH sowie dem Fehlen von concurring bzw. dissenting opinions bei Urteilen des VfGH zusammenhängen. Als weiterer markanter Unterschied zwischen britischem und österreichischem Recht muss der Mangel an absoluten Verboten der Vorzensur, wie sie sich in Österreich 1848/1867, 1918/1920 und 1926 schrittweise entwickelten, im britischen Verfassungsrecht hervorgehoben werden. Ein seltener Ansatzpunkt, aus dem eine besondere Stellung der political speech im Bereich des österreichischen Zensurverbotes geschlossen werden könnte, lag in einem Erkenntnis des VfGH aus 1990, dass sie nicht nur dann verfassungswidrig [sei], wenn sie sich auf die Präventivkontrolle von politischen1113 Meinungen bezieht.1114 Wie noch näher auszuführen sein wird, könnte das österreichische Verfassungsrecht eine weitere institutionelle Garantie für die politische Meinungsäußerungsfreiheit beinhalten, da zumindest eine gänzliche Aufhebung der Meinungsäußerungsfreiheit als Gesamtänderung der Bundesverfassung gem 44 (3) B-VG gedeutet werden könnte. Beim Vergleich der in speziellen Kapiteln behandelten Aspekte des Verhältnisses zwischen staatsgefährdenden Meinungsäußerungen sowie hate speech und politischem Radikalismus auf der einen und politischer Meinungsäußerungsfreiheit auf der anderen Seite erschwert erneut die bis zum Human Rights Act grundverschiedene Methode des Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit einen direkten Vergleich. In einem System mit einem grundsätzlich gewährten Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit stellt sich die Frage, ob diese Bereiche denselben institutionellen Schutz wie andere Meinungsäußerungen genießen beziehungsweise ob deren Charakter die Abwägung im Einzelfall beeinflusst bzw. für kategorisch außerhalb des geschützten Bereiches stehend 1113 Betonungen hinzugefügt. 1114 VfGH Slg. Nr. 12394/1990.

258 Hauptteil erklärt wird. Wie ausgeführt, behandelte das Reichsgericht derartige Formen der Meinungsäußerung systematisch wie andere Arten von Meinungsäußerungen, während das Verbotsgesetz zu einem kategorischen Ausschluss eines bestimmten Bereichs politischer Meinungen aus dem geschützten Bereich geführt hat. Auch der EGMR bediente sich wie erörtert im Zusammenhang mit hate speech wiederholt der Methode eines kategorischen Ausschlusses. Im britischen Verfassungssystem vor dem Human Rights Act hätte ein Ausschluss mangels eines allgemeinen Rechts auf Meinungsäußerung wenig Sinn. Die frühen Ansätze des britischen Gesetzgebers, im Bereich rassistischer Meinungsäußerungen ohne weitere Bedenken bezüglich des Prinzips des Meinungsäußerungsfreiheit massive Eingriffe vorzunehmen, weist auf eine implizite Deutung dieser Form der Meinungsäußerung als außerhalb des Schutzbereiches liegende oder zumindest mit geringem Wert behaftete Form der Meinungsäußerungsfreiheit hin. Für letztere Einordnung sprechen dabei die dahin gehenden Ausführungen von Lord Steyn in R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms aus 1999. Im Bereich der staatsfeindlichen Meinungsäußerungsfreiheit machte sich die zunehmende Bedeutung des Prinzips der politischen Meinungsäußerungsfreiheit durch die schrittweise Modifikation der seditious libel von einem Mittel zum Schutz der Regierung vor regierungskritischen Meinungsäußerungen hin zu einem ungenützten Relikt der Rechtsordnung bemerkbar. Eine Besonderheit des britischen Rechts (zumindest im hier behandelten zeitlichen Rahmen) ist die Nähe zwischen der Verfolgung blasphemischer und politischer Meinungsäußerung, da die Erstere ursprünglich auch auf eine Unterdrückung Letzterer gerichtet war. Die Union zwischen Staat und Kirche ließen eine blasphemous libel auch politisch gefährlich erscheinen, und die Grenzen zwischen glaubens- und staatsfeindlicher Meinungsäußerung verschwammen. Allerdings wurde mit der zunehmenden Akzeptanz des Prinzips der Meinungsäußerungsfreiheit dieses ohnedies selten angewandte Rechtsinstrument schrittweise dahin gehend modifiziert, dass es in jüngerer Vergangenheit nur mehr als Instrument zur Wahrung des religiösen Friedens gesehen werden konnte, und es wurde schließlich mit Wirkung ab dem 8. Juli 2008 überhaupt abgeschafft. Ein Äquivalent einer Beschränkung politischer Meinungsäußerungen durch eine Verfolgung blasphemischer Meinungsäußerungen existierte in Österreich im untersuchten Zeitraum nicht. Der letzte der in einem eigenen Kapitel gesondert behandelten Spezialfälle hinsichtlich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit, die besonderen Einschränkungen bestimmter Gruppen hinsichtlich ihrer politischen Meinungsäußerungsfreiheit, beleuchten erneut die verschiedenen Ausgangslagen.



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Ungeachtet des ohnehin geringen Ausmaßes des verfassungsrechtlichen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit schränkte das Reichsgericht dessen Anwendbarkeit weiter ein, indem es zwischen der Eigenschaft der Antragsteller als Staatsbürger und jener als Staatsbeamter differenzierte. Auch die Wahrung des Standesansehens im Fall von Berufsständen führte ursprünglich zu weitgehenden Einschränkungen auch im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit. Diese wurden zwar wesentlich reduziert, um den Schutz gerade auch der politischen Meinungsäußerungsfreiheit zu gewährleisten. Eine engere Grenzziehung des Schutzbereiches aufgrund der konkurrierenden Interessen wird jedoch prinzipiell auch vom EGMR akzeptiert. Dies entspricht nunmehr weitgehend auch der Rechtslage im britischen Recht, wobei durch einen Act of Parliament für notwendig erachtete weitergehende Beschränkungen möglich sind. Vor dem Human Rights Act bedurfte es mangels eines allgemeinen Rechts auch keiner allgemeinen Ausnahmen für bestimmte Gruppen. In eine andere Richtung wirkte jedoch das gerade im Bereich der genannten Gruppen regelmäßig vorliegende duty/interest-Verhältnis, wodurch regelmäßig ein qualified privilege entstand.

IV. CONCLUSIO

Persecution for the expression of opinions seems to me perfectly logical. If you have no doubt of your premises or your power and want a certain result with all your heart you naturally express your wishes in law and sweep away all opposition. To allow opposition by speech seems to indicate that you think the speech impotent, as when a man says that he has squared the circle, or that you do not care whole heartedly for the result, or that you doubt either your power or your premises.

But when men have realized that time has upset many fighting faiths, they may come to believe even more than they believe the very foundations of their own conduct that the ultimate good desired is better reached by free trade in ideas-that the best test of truth is the power of the thought to get itself accepted in the competition of the market, and that truth is the only ground upon which their wishes safely can be carried out. Dissenting Opinion von Justice Holmes Abrams v. United States, 250 U.S. 616 (1919).

Von sehr verschiedenen Grundlagen und Verfassungsmodellen ausgehend hat sich der Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich und Großbritannien heute weitgehend angeglichen. In beiden Rechtsordnungen finden sich nun häufige Bezugnahmen auf die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für das demokratische System bzw. auf die auf diesen Erwägungen beruhende EGMR-Judikatur. Abbildung 2 – Überblick über die Rechtsentwicklung im Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit

Österreich

Großbritannien

Partikuläres Legalitätsprinzip

Residual Right, Abwägung öffentlicher Interessen im Common Law

Allmählich steigende Bedeutung der political speech bei der Interessensabwägung

Wesensgehaltstheorie

Materielle Gesetzesklausel, EMRK in Verfassungsrang

Human Rights Act 1998

Partikuläres Legalitätsprinzip, Prüfung des legitimen Ziels des Eingriffs, Abwägung im Bereich der Prüfung ob necessary in a democratic society, dabei besondere Bedeutung für political discussion/debate © Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2008/10

© Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2010

Dabei zeigen die österreichische und die britische Verfassungsordnung hinsichtlich des Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in zentralen Bereichen erst seit dem Human Rights Act aufgrund der gemeinsamen institutionellen Klammer des EGMR Parallelen auf. So ist es fragwürdig, ob der österreichische Grundrechtskatalog von 1867 nicht vor allem als staatliches Privileg/Zugeständnis der monarchischen Ordnung gegenüber dem liberalen Bürgertum in Zusammenhang mit den außen- und

264 Conclusio innenpolitischen Erschütterungen des österreichischen Staatswesens 1866/67 (mit Vorschlägen aus der früheren Krise des österreichischen Staates in der Revolution von 1848) zu sehen ist. Doch eine Verfolgung des Grundgedankens der Sonderstellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit – die Gewährleistung eines informierten Bürgers als Grundlage für das repräsentativ-demokratische System und eine offene Gesellschaft – kann wohl nicht unterstellt werden. Denn eine bewusste dahin gehende kaiserliche Sanktion ist unwahrscheinlich, waren doch diese Ideale nicht die Leitbilder des österreichischen Kaiserstaates jener Zeit. Deswegen erschient eine Interpretation als individuelle Freiheitssphäre im Sinne eines Eingeständnisses gegenüber dem liberalen Bürgertum plausibler als ein intendierter Marktplatz der politischen Ideen. In der früheren Entwicklung ist die Gestaltung des Art 13 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger als partikuläres Legalitätsprinzip und der Mangel eines solchen in Großbritannien wohl auch im Zusammenhang mit der verschiedenen staatsrechtlichen Gesamtstruktur Österreichs und Großbritanniens zu sehen. Aus der österreichischen Perspektive jener Zeit wurde das Parlament gewissermaßen als der Schutzherr der Grundrechte und die kaisertreue Verwaltung als ihr natürlicher Gegenspieler betrachtet, weswegen Eingriffe in diese Grundrechte erst vom Parlament in Form eines Gesetzes legitimiert werden sollten. Dies galt nicht in diesem Maße für Großbritannien. Dem früheren De-facto-Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit und der früheren De-iure-Anerkennung der Bedeutung des Prinzips der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in Großbritannien stehen in der österreichischen Rechtsordnung die Gewährleistung eines allgemeinen Verfassungsrechts durch einen Grundrechtskatalog 131 Jahre vor dem Human Rights Act und ein im britischen Recht bis heute unbekannter Schutz vor legislativen Eingriffen gegenüber. Der unterschiedliche rechtsgeschichtliche Zugang zum Schutz, welcher grundverschiedenen Rechtstraditionen entspringt, lässt sich vor allem durch die allgemeine Verfassungsentwicklung der jeweiligen Länder erklären und prägt die Entwicklung bis heute. In Großbritannien war der Ausgangspunkt der Entwicklung die These einer allgemeinen Freiheit, in welche (der Theorie nach) nur zum Wohle der Allgemeinheit im Einzelfall eingegriffen wurde. In Österreich war der Ausgangspunkt jedoch die (neo-)absolutistische Regierungsform, dem gegenüber durch die geschilderten Mittel des Konstitutionalismus (nach dem Scheitern der konstitutionellen Strömungen 1848) 1867 institutionelle Freiräume für den Menschen bzw. Bürger im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit geschaffen wurden. Eine regelmäßige Beschränkung der Freiheiten des Einzelnen durch

Conclusio 265

die Exekutive ieS ohne gesetzliche Grundlage war 1867 in Großbritannien bereits undenkbar. Aus der verschiedenen Rechtskultur des Common-Law-Systems und des österreichischen Rechts wird auch verständlich, warum die Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich noch über die Monarchie hinaus auf die Bindung der Verwaltung an das Gesetz beschränkt war und nicht etwa als allgemeines Rechtsprinzip Anwendung fand. Die enge Bindung an das Gesetz und der Mangel eines Äquivalentes zum Common Law machte eine dahin gehende Entwicklung schwierig. Umgekehrt fehlten im britischen Recht vergleichbare rechtspositivistische Impulse, und staatsphilosophische Erwägungen flossen in einem der österreichischen Rechtsordnung unbekannten Ausmaß unmittelbar in die Rechtsfindung der Gerichte ein. Die neuen Impulse, welche den Bereich der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in den letzten Jahren tief greifend veränderten, gingen wiederum von der Gerichtsbarkeit aus, wenn auch nicht von einer innerstaatlichen, sondern vielmehr vom EGMR. Auch in den Vereinigten Staaten, von deren Rechtsordnung wichtige Anregungen ausgingen, waren diese primär das Ergebnis richterlicher Interpretation. Die frühere Entwicklung und zumindest teilweise (mittelbare, da weitgehend über den Umweg des EGMR erfolgte) Vorbildfunktion der Stellung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in den USA im Vergleich zur österreichischen und britischen Verfassungsrechtsentwicklung beziehungsweise die amerikanische Entwicklung in diese Richtung überhaupt kann wohl zumindest teilweise durch die Struktur des Schutzes erklärt werden: Der verfassungsrechtliche Schutz in Österreich war vom allgemeinen Zensurverbot abgesehen von 1867 bis in die Zweite Republik hinein nur gegenüber gesetzlosem Handeln der Verwaltung geschützt, wohingegen die Legislative nicht verfassungsrechtlich gebunden war und frei Akzente setzen konnte. In Großbritannien existierte überhaupt nur ein nicht universal anerkanntes und nicht näher definiertes Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit. Der erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung verbietet hingegen nach einer grammatikalischen Interpretation sämtliche Eingriffe durch den Congress, wobei diese Beschränkung seit dem 14. Zusatzartikel nicht mehr nur für die bundesstaatliche Ebene galt. Die faktische Unmöglichkeit einer grenzenlos gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit führte zur clear and present danger-Doktrin, welche nach Ansicht Meiklejohns einer allgemeinen Gesetzesklausel nahekam und damit dem Geist und Wortlaut des First Amendment widersprach. Gegen ebendiese Aushöhlung richtete sich in Folge die gerade in

266 Conclusio der amerikanischen, aber auch sonstigen angelsächsischen Judikatur in diesem Zusammenhang häufig zitierte These Meiklejohns. Diese Kategorisierung war keineswegs im Sinne der Rechtstradition von Österreich und erfolgte in Großbritannien von einem gänzlich anderen Ausgangspunkt aus, musste jedoch in Folge der zumindest partiellen Übernahme von First Amendment-Gedankengut durch den EGMR berücksichtigt werden. Dies geschah in Österreich durch eine sukzessive Übernahme von Leitsätzen des EGMR durch den VfGH. In Großbritannien hingegen ist das Vorliegen eines Verfassungsrechts vor 1998 fragwürdig, selbst die Existenz eines dahin gehenden Verfassungsprinzips war umstritten. Von einem Verfassungsrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit im eigentlichen Sinn (innerhalb von welchem nach der jüngeren Rechtssprechung britischer Gerichte der politischen eine besondere Stellung zukommt) kann wohl erst seit dem Human Rights Act 1998 gesprochen werden. Der Human Rights Act stellt insgesamt einen fast als revolutionär bezeichenbaren Bruch mit der britischen Verfassungstradition und den Lehren Blackstones und Diceys dar. Inwieweit dieser ohne die häufigen Verurteilungen Großbritanniens vor dem EGMR und der diesen zugrunde liegenden Fehleinschätzungen des Foreign Office bzw. der britischen Regierung überhaupt (da die Folgen der Ratifikation unterschätzt worden waren) erfolgt wäre, bleibt unklar. Der wohl entscheidendste Unterschied liegt im verfassungsrechtlichen Schutz gegenüber der Legislative, welcher in Österreich effektiv seit der Inkorporation von Art 10 EMRK in das österreichische Verfassungsrecht besteht (zuvor theoretisch bereits durch die Wesensgehaltstheorie) und in Großbritannien bis heute nicht existiert. In dieser Hinsicht sollte die britische Verfassungstradition auch nach dem Human Rights Act 1998 gewahrt bleiben. Die schwachen Substitute sind hingegen eher in den Bereich einer politischen als einer rechtlichen Kontrolle einzuordnen.

V. AUSBLICK

Of that freedom (freedom of thought, and speech) one may say that it is the matrix, the indispensable condition, of nearly every other form of freedom. Justice Cardozo in Palko v. Connecticut, 302 U.S. 319, 326 f (1937).

1. Politische Meinungsäußerungsfreiheit und political correctness Unter dem Schlagwort der political correctness sollte auf die grundsätzliche Problematik von Strömungen hingewiesen werden, welche durch gezielte Neuprägung von Begriffen und dem Schaffen breiter gesellschaftlicher Inakzeptanz von als anstößig empfundenen Begriffen und Meinungen die Umsetzung gewisser gesellschaftlicher Ideale zu erreichen versuchen. Gerade die PC-Bewegung betrifft oft eben nicht zensurähnliche Tendenzen aufgrund von Gesetzen im hoheitlichen Staatsbereich, sondern vielmehr solche aufgrund von nichtstaatlichen Normen im privaten oder halbprivaten Bereich und unterliegt damit nicht der klassischen Stoßrichtung des verfassungsmäßigen Schutzes der politischen Meinungsäußerungsfreiheit. Eine positive Intention (wie etwa der Kampf gegen Intoleranz) kann dabei allerdings nicht das grundsätzliche Problem beheben, dass die Schaffung neuer Tabus mit der impliziten Strafandrohung der gesellschaftlichen Ausgrenzung einen wesentlichen chilling effect auf den – für den demokratischen Rechtsstaat lebenswichtigen – freien und offenen Diskurs bewirkt. Denn dies birgt eine doppelte Gefahr: Einerseits werden durch die Einschränkung des freien Forums Herausforderungen und Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat nicht erkannt und andererseits droht eine Geisteshaltung, in der die eigenen Prämissen nicht mehr kritisch hinterfragt und die von der herrschenden Meinung für richtig erachteten Meinungen blind übernommen werden. Nimmt man dabei an, dass die stigmatisierten Meinungen tatsächlich für die Gesellschaft schädliche Vorurteile sind, drohen ferner derart von der öffentlichen Debatte ausgenommene Vorurteile zu radikalisieren, statt in einer freien Debatte entkräftet zu werden. Gegen diese möglichen Gefahren schien sich etwa Präsident Bush (Sr.) in einer Ansprache aus 1991 zu richten: Ironically, on the 200th anniversary of our Bill of Rights, we find free speech under assault throughout the United States, including on some college campuses. The

270 Ausblick notion of political correctness has ignited controversy across the land. And although the movement arises from the laudable desire to sweep away the debris of racism and sexism and hatred, it replaces old prejudice with new ones. It declares certain topics off-limits, certain expression off-limits, even certain gestures off-limits. The notion of political correctness declares certain topics, certain expressions, even certain gestures, off-limits. What began as a crusade for civility has soured into a cause of conflict and even censorship.1115 Allerdings bleibt bei näherer Betrachtung unklar, inwieweit eine solche Gefahr nicht zumindest teilweise ohne reale Bedrohung für die politische Meinungsäußerungsfreiheit aus parteipolitischen Gründen beschworen wurde. So ist eine genaue Einordnung des Terminus der political correctness nicht zuletzt deswegen schwierig, weil die Wurzeln der modernen Benützung des Begriffs nicht zweifelsfrei geklärt sind. Die Einführung des Begriffs im modernen Sinne wird etwa mitunter weniger politisch linksorientierten, sondern vielmehr konservativen Gruppen in den USA zugeschrieben. Nach dieser Ansicht waren und sind es Letztere, welche diesen Begriff zur Anprangerung von als linksextrem empfundenen Gruppen nutzten und prägten.1116 Ein Zeichen dafür ist etwa, dass sich im Internet unter http://www.politicallycorrectinamerica.com/ nicht etwa ein Plädoyer für oder eine Beschreibung dieses Phänomens findet, sondern vielmehr eine konservative Webpage.1117 Dies ändert freilich nichts an der grundsätzlichen Problematik dieser Fragestellung. Vor allem neuere Bestrebungen, die Äußerung gewisser irrationaler und regelmäßig aus demokratiefeindlichen Gründen oder Hass getätigte Meinungen (wie etwa der Leugnung des Holocaust oder des Völkermords an den Armeniern) auch mittels staatlicher Normen gänzlich zu untersagen,1118 bergen die Gefahr einer grundsätzlichen Akzeptanz staatlich festgelegter und nicht hinterfragbarer absoluter Wahrheitsfeststellungen, welche als solche dem Wesen eines nach Aufklärung strebenden Staates widersprechen würden. Die Gefahr liegt also primär in einer insgeheimen Verwerfung der Prämisse der grundsätzlichen Hinterfragbarkeit jeder These und der Errichtung von Tabus. John Stuart Mill machte dieses Problem 1115 George Bush Presidential Library, Remarks at the University of Michigan Commencement Ceremony in Ann Arbor, http://bushlibrary.tamu.edu/research/public_papers.php?id= 2949&year=1991&month=5 (16. 3. 2010, 9:12). 1116 Siehe dazu John K. Wilson, The Myth of Political Correctness (1995) 3 f. 1117 Politically Correct in America, http://www.politicallycorrectinamerica.com/ (16. 3. 2010, 8:51). 1118 Zu dieser siehe etwa Ivan Hare, Crosses, Crescents and Sacred Cows: Criminalising Incitement to Religious Hatred, P.L. 2006, 529 ff.

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mit den folgenden Worten deutlich: To refuse a hearing to an opinion, because they are sure that it is false, is to assume that their certainty is the same thing as absolute certainty. All silencing of discussion is an assumption of infallibility.1119 Damit sollte nicht gesagt werden, dass die angesprochenen Verbote in keinem Fall etwa zum Schutz von Minderheiten oder zur Rettung des demokratischen Rechtsstaates notwendig sind und folglich möglich sein sollten. Doch die Latte sollte ausgesprochen hoch angesetzt werden, um ein Übergreifen einer Doktrin absoluter, vom Staat festgelegter Wahrheitsfeststellungen auf andere Bereiche zu verhindern. Dabei könnte etwa auf die von Justice Holmes in Abrams gezogene Grenze, wonach ein Verbot verachteter und pozentiell gefährlicher Meinungsäußerung nur als an immediate check … required to save the country akzeptabel wäre, zurückgegriffen werden.1120 Eine gewisse Gefahr für die Idee der politischen Meinungsäußerung kann allerdings insbesondere im österreichischen und deutschen Kontext auch darin erblickt werden, dass diese gerade im Zusammenhang mit der Frage der political correctness nunmehr auch von (meist rechts-)extremistischen Gruppen ins Treffen geführt wird.1121 Damit droht eine ideengeschichtlich fragwürdige Assoziation dieser Idee mit Gruppen, deren antiliberale Tendenzen eine Unterstützung des Grundgedankens der freien Meinungsäußerung zweifelhaft erscheinen und eine Schwächung der öffentlichen Akzeptanz eines ungehemmten öffentlichen Forums politischer Ideen befürchten lassen.

2. Die politische Meinungsäußerungsfreiheit und der demokratische Rechtsstaat: De-lege-ferenda-Perspektiven Jeglicher Sonderstellung von politischer Meinungsäußerungsfreiheit im britischen und österreichischen Verfassungsrecht liegt wie beschrieben die These zugrunde, dass ein weitreichender verfassungsrechtlicher Schutz von political speech sowohl gegenüber staatlichen wie auch nichtstaatlichen Einschnitten als conditio sine qua non für ein lebendiges Forum des politischen Diskurses anzusehen ist. 1119 1120 1121

John Stuart Mill, On Liberty (1910) 25. Abrams v. United States, 250 U.S. 616, 630 (1919). Siehe dazu etwa Katrin Auer, „Political Correctness“ – Ideologischer Code, Feindbild und Stigmawort der Rechten, ÖZP 31 (2002) 3, 291, 294 ff.

272 Ausblick Diese These steht mit einem allgemeinen Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit als persönliches Recht, sich als Individuum zu entfalten, nicht im Widerspruch, sondern basiert auf einem anderen gedanklichen Fundament. Denn während die allgemeine Meinungsäußerungsfreiheit gewissermaßen einen Ausfluss des demokratischen Rechtsstaates (bzw. nach anderer Auffassung ein Naturrecht) darstellt, bildet erst der freie politische Diskurs eine Grundlage für dessen Existenz. Abbildung 3 – Graphische Darstellung der wesentlichsten Bausteine des demokratischen Rechtsstaates

Grund- und Menschenrechte, darunter auch die Meinungsäußerungsfreiheit im weiteren Sinn

Demokratischer Rechtsstaat, Offene Gesellschaft

Demokratische Institutionen (ieS)

Formeller Rechtsstaat

Marktplatz der (politischen) Ideen durch politische Meinungsäußerungsfreiheit

© Stephan G. Hinghofer-Szalkay, 2008

Folglich widerspricht die Annahme von naturrechtlichem, menschlichem bzw. staatlichem Recht übergeordnetem allgemeinem Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit, von welchem political speech lediglich eine von vielen Varianten ist, einer rechtlichen Sonderstellung von Letzterem nur scheinbar. Denn auch unter dieser Prämisse kann ein höherer rechtlicher Schutz durch die realpolitische Notwendigkeit legitimiert werden, ähnlich der unbestreitbaren realpolitischen Notwendigkeit der Trennung der Gewalten zum Erreichen des Ideals eines die Menschenrechte achtenden Staatswesens. Die freie Meinungsäußerung im politischen Bereich, obwohl per se ein individuelles Grundrecht, ist letztlich eine Voraussetzung für ein strukturelles Element des freien Staates, des öffentlichen politischen Forums. Ihr Ziel liegt also nicht nur in der individuellen Befriedigung eines Äußerungsbedürfnisses, sondern in der Ermöglichung des politischen Forums und damit des Marktplatzes der Ideen. Anders formuliert ist sie im Gegensatz zur allgemeinen Mei-

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nungsäußerungsfreiheit nicht nur Selbstzweck, sondern vor allem auch Mittel zum Zweck. Von besonderer Bedeutung für den demokratischen Prozess sind dabei die Mittel der Presse sowie von deren modernen Äquivalenten wie dem Internet als Verbreitungsinstrument von Gedanken an eine größere Zahl von Menschen. Alexis de Tocqueville schätzte die Pressefreiheit weniger wegen des Guten, das diese leistet, sondern vielmehr in Anbetracht der Übel, die sie verhindert.1122 Dies sollte in Anbetracht von beklagten Exzessen stets in Betracht gezogen werden. Die ungebrochene Aktualität des in Kapitel 2.5.7 ausgeführten chilling effect im Bereich des Diffamierungsrechtes durch hohe Kompensationszahlungen zeigt sich an der aktuellen britischen Debatte. So formiert sich gegenwärtig medialer Widerstand gegen das (ungeachtet des beschriebenen Reynolds privilege) immer noch als gegenüber freien Meinungsäußerungen abschreckend wirkend empfundene britische System des law of libel. Wesentlich ist dabei die Wahrnehmung, dass vor allem internationale Konzerne durch dieses Rechtsinstrument massiven finanziellen Druck ausüben können.1123 Dabei sind die Auswirkungen des britischen Diffamierungsrechts im Zeitalter des Internet keineswegs auf Großbritannien beschränkt, wie unlängst etwa Alan Rusbridger, der Chefredakteur von The Guardian, betonte.1124 In den USA führte dies bereits zu Forderungen in den Medien nach einem weiter gehenden gesetzlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit vor den Konsequenzen des britischen Diffamierungsrechtes.1125 Allerdings existieren auch Stimmen, welche in dieser Anprangerung des britischen (bzw. englisch-walisischen) Diffamierungsrechtes eine einseitige und unbalancierte Medienkampagne sowie eine vereinfachende Darstellung sehen.1126 1122 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika (1976) 206. 1123 The Libel Reform Campaign, http://www.libelreform.org/, (15. 3. 2010, 18:57); Sense About Science, National Petition for Libel Law Reform, http://www.senseaboutscience.org. uk/index.php/site/project/333/ (15. 3. 2010, 20:09); Alan Rusbridger, A Chill on “The Guardian,” The New York Review of Books, Volume 56, No. 1, http://www.nybooks.com/ articles/22245 (15. 3. 2010, 18:14); Rachel Ehrenfeld, U.K. Libel Laws Chill Another American Book, http://www.forbes.com/2009/06/08/libel-tourism-protection-act-opinions-contributors-free-speech.html (15. 3. 2010). 1124 Alan Rusbridger, A Chill on “The Guardian,” The New York Review of Books, Volume 56, No. 1, http://www.nybooks.com/articles/22245 (15. 3. 2010, 18:14). 1125 Siehe dazu etwa Rachel Ehrenfeld, U.K. Libel Laws Chill Another American Book, http:// www.forbes.com/2009/06/08/libel-tourism-protection-act-opinions-contributors-freespeech.html (15. 3. 2010). 1126 William Bennett, The Current State of Defamation Law in England and Wales (2010) 7 ff.

274 Ausblick Zum Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ist ein nach der Kategorie der Meinungsäußerung klar differenzierendes Prüfungsschema, welches unterschiedliche Maßstäbe für Eingriffe festlegt (wie dies in der Judikatur wie gezeigt auch zunehmend der Fall ist) und dabei die strengsten Anforderungen an eine Einschränkung von politischer Meinungsäußerung knüpft, von zentraler Bedeutung. Denn bei einer einheitlichen Formel, welche dieselben Eingriffsbeschränkungen wie für kommerzielle oder obszöne Meinungsäußerungen verwendet, wird auf die von anderen Formen der Meinungsäußerung abweichende Bedeutung für den demokratischen Rechtsstaat unzureichende Rücksicht genommen.1127 Wenn die These der politischen Redefreiheit als Grundlage der repräsentativ-demokratischen Staatsform als Prämisse akzeptiert wird, wird der Schutz der politischen Meinungsfreiheit zu einer mit dem demokratischen Prinzip der Bundesverfassung untrennbar verbundenen Institution. Ihre Aufhebung oder massive Einschränkung würde folglich das demokratische Prinzip aushöhlen, da eine repräsentative Demokratie ohne sie nicht möglich ist. Folglich wäre nach diesem Ansatz die politische Meinungsäußerungsfreiheit nicht etwa nur ein Teilbereich eines von vielen Grundrechten, die den Rechtsstaat im materiellen Sinn ausmachen. Vielmehr ist sie ein essenzielles Element eines anderen Grundprinzips der österreichischen Bundesverfassung: des demokratischen. Denn, um Lord Bingham of Cornhill in R v. Shayler zu zitieren, there can be no government by the people if they are ignorant of the issues to be resolved, the arguments for and against different solutions and the facts underlying those arguments.1128 Diese Interpretation, welche im Einklang mit der modernen angelsächsischen Auffassung der Bedeutung von political speech stünde, hätte damit potenziell weitreichende Folgen auf deren verfassungsrechtlichen Schutz. Denn werden die genannten Prämissen akzeptiert, wäre die Folge ein besonderer Bestandschutz des Rechts auf politische Meinungsäußerungsfreiheit, da in diesem Fall eine Aufhebung oder Aushöhlung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit auf eine Gesamtänderung der Bundesverfassung nach Artikel 44 (3) B-VG hinauslaufen würde. Gehört der Schutz eines breiten politischen Diskurses wirklich zu den Axiomen einer demokratischen Gesellschaft 1129, wäre eine Besei1127 Für eine Verteidigung eines nach Kategorie der Meinungsäußerung gestaffelten Schutzes siehe Justice Blackmuns Concurring Opinion zu R. A. V. v. City of St. Paul, Minnesota 505 U.S. 377, 415 (1992). 1128 R v. Shayler (2002) 2 All E.R. 477 (H.L.) RZ 21. 1129 Siehe Walter Berka, „Public Figures“ und „Public Interest“, in FS Schäffer (2006) 91.

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tigung oder Aushöhlung des Rechts auf politische Meinungsäußerungsfreiheit nicht nur als fundamentaler Verstoß gegen das liberale Prinzip bzw. das rechtsstaatliche Prinzip im materiellen Sinn, sondern vor allem als Aushöhlung des demokratischen Prinzips zu sehen.1130 Ein gravierendes Argument gegen diesen Ansatz liefert hingegen die historische Interpretationsmethode: Wie in dieser Arbeit aufgezeigt wurde, entsprach dieser Gedanke offenbar weder den Motiven des Reichstages 1848 noch jener der Verfassungsgesetzgeber von 1867, 1920 oder 1958/64 und war bis zur Übernahme von Rechtsprinzipien des EGMR auch der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit (und zuvor der Judikatur des Reichsgerichtes) weitgehend fremd. Gerade die Judikatur zu den Grundrechten zeigt aber deren evolutionäre Entwicklung, wie insbesondere die ursprünglich nicht vorgesehene Entwicklung der Wesensgehaltstheorie oder die Weiterentwicklung des Gleichheitsgrundsatzes hin zu einem allgemeinen Sachlichkeitsgebot zeigen. Dabei bleibt jedoch offen, inwieweit die Entwicklung der Judikatur der letzten Jahre als Reaktion auf die Judikatur des EGMR oder darüber hinaus auch als Übernahme der dahinterliegenden Entscheidungsgründe zu interpretieren ist. Eine weitere, für Österreich wie Großbritannien gleichermaßen relevante Option für die Verfassungs- bzw. Höchstgerichtsbarkeit ist das aufgezeigte australische Vorbild. Danach könnten im Fall einer Aufhebung oder Einschränkung der betreffenden nationalen Schutzbestimmungen für die Meinungsäußerungsfreiheit das Recht auf politische Meinungsäußerungsfreiheit immer noch als durch die repräsentativ-demokratische Staatsordnung implizit gewährleistet betrachtet werden. Im Fall Großbritanniens sprechen gegen diese Option in erster Linie zwei grundsätzliche Erwägungen: Erstens ist das Prinzip der parliamentary sovereignty noch immer ein Eckstein der britischen Verfassungsordnung und ein formelles, dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogenes Verfassungsrecht existiert nach wie vor nicht. Dieses war allerdings die Grundlage des australischen Urteils und wäre auch die Basis für einen Schutz der politischen Meinungsäußerungsfreiheit vor dem Zugriff des Gesetzgebers. Denn selbst wenn die politische Meinungsäußerungsfreiheit als aus den Grundprinzipien der Verfassung entfließendes Recht gedeutet würde, bleibt zu bedenken, dass im britischen Fall selbst 1130 In diese Richtung bereits Ludwig Adamovich (Sr.), Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts5 (1957) 104. Dort wurde bei der Erörterung des demokratischen Prinzips der Bundesverfassung lange vor den modernen Entwicklungen zur politischen Meinungsäußerungsfreiheit die Gleichberechtigung zu freier Rede und Willenskundgebung als Grundpfeiler jeder demokratischen Ordnung bezeichnet.

276 Ausblick diese durch einen Act of Parliament geändert werden können. Zweitens ist eine derartige Interpretation für den Schutz gegenüber der Verwaltung weitgehend überflüssig, da sich das Common Law wie gezeigt in den letzten Jahrzehnten so entwickelt hat, dass dieses nun einen entsprechenden Schutz bietet. Die australische Option wäre folglich nur relevant, wenn auch Großbritannien das System einer formellen, im Normengefüge höher stehenden Verfassung übernehmen würde. Österreich verfügt zwar über ein lange etabliertes formelles Verfassungsrecht (sogar mit einer weiteren Stufe durch Art 44 [3] B-VG), angesichts des Grundsatzes der judicial self-restraint hätte eine dahin gehende Erkenntnis ungeachtet wichtiger staatsphilosophischer Argumente allerdings einen fast revolutionären Charakter (was auch auf das genannte Erkenntnis des High Court of Australia zutraf ). Ungeachtet seiner besonderen Bedeutung kann auch der politischen Meinungsäußerungsfreiheit selbst im Kernbereich keine absolute Wirkung zugesprochen werden, wie die Ausführungen des House of Lords in Reynolds verdeutlichen. Dies wird insbesondere anhand der in der Realität häufigen sinnentfremdeten und vorsätzlich ihrem Kontext entrissenen Scheinzitate politischer Personen deutlich, die dem freien politischen Diskurs eher schaden als nutzen. Denn wenn etwa jeder Gliedsatz potenziell in unsachlicher Weise ohne Sanktion sinnentstellt wiedergegeben werden kann, ist ein umgekehrter chilling effect auf den offenen freien Diskurs deutlich. Darüber hinaus droht der politische Diskurs in diesem Fall auf eine der Funktion der political speech zuwiderlaufenden Weise zu emotionalisieren, was in einer kommerziellen Medienlandschaft durchaus in der Intention des Äußerers liegen kann. Gerade angesichts der Unmöglichkeit einer entsprechenden individuellen Antwort eines in seinem Ruf verletzten oder vorsätzlich falsch zitierten Menschen auf eine Gegendarstellung durch die einseitig funktionierenden Massenmedien sollten Sachlichkeit und der gute Ruf von Personen ungeachtet oder gerade wegen der fundamentalen Bedeutung der politischen Meinungsäußerungsfreiheit für die demokratische Gesellschaft gesetzlich geschützt werden. Denn dahin gehende Beschränkungen sind für das Funktionieren einer offenen politischen Debatte nicht nur notwendig, sondern geradezu geboten, da ein unsachlicher und disfunktionaler politischer Diskurs für den demokratischen Rechtsstaat kein Fundament, sondern eine Gefahr darstellt. Dies ist letztlich derselbe Grund, warum von ihrer Natur her unsachliche hate speech kategorisch außerhalb des Bereichs der politisch geschützten Meinungsäußerungsfreiheit stehen sollte. Mit anderen Worten sollte durch political speech selbst scheinbar

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irrationale Meinungsäußerung geschützt werden, solange diese der Suche nach der Wahrheit oder einem Streben nach dieser dient, nicht aber eine solche, die vorsätzlich diese Suche und den Marktplatz der Ideen zu unterminieren versucht. Die Abwägung sollte jedoch im Zweifel zugunsten der politischen Meinungsäußerungsfreiheit ausfallen, auch um einen Missbrauch sowie einen chilling effect im Einzelfall zu verhindern.1131 Auch das von Ivan Hare angeregte Modell, die politische Meinungsäußerungsfreiheit als Eckstein des demokratischen Prozesses systematisch neben dem Wahlrecht im Rahmen der politischen Partizipation der Bürger separat zu verankern,1132 wäre eine denkbare Option. Die politische Meinungsäußerungsfreiheit ist, um Lord Steyn zu zitieren, the lifeblood of democracy,1133 und diese Stellung sollte sich in einem demokratischen Rechtsstaat auch in einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Verankerung widerspiegeln.

1131 Etwa indem eine konkurrierende Meinung ungeachtet ihrer sachlichen Grundlage als hate speech beurteilt wird, um sie so aus dem Marktplatz der politischen Ideen auzuschließen. 1132 Ivan Hare, Is the Privileged Position of Political Expression Justified? in Jack Beatson/ Yvonne Cripps, Freedom of Expression and Freedom of Information (2000) 121. 1133 R v. Secretary of State for the Home Department, ex parte Simms (1999) 3 All. E.R. 408.

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Andere verwendete Entscheidungen des VfGH VfGH Slg. Nr. 4049/1961, 10 386/1983.

Verwendete Entscheidungen und Rechtssätze des OGH

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Entscheidungen des High Court of Australia

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Entscheidungen des US Supreme Court

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Personenregister Adamovich, Ludwig (Sr.)  99, 126, 275 Ahtisaari, Martti  124 Barendt, Eric  131, 162, 173 Baylys, John B.  139 Bentham, Jeremy  47, 143 Berger, Johann Nepumuk  39 Berka, Walter  43 Lord Bingham of Cornhill  187, 192, 274 Blackstone, William  43, 136, 139ff, 144, 157, 214 Boyle, Alan  134 Justice Brennan, Sir Francis Gerard (Australien) 180f Brennan, William J. Jr.  32, 40f, 124f, 201f Lord Brougham, Henry  144 Burke, Edmund  37, 142f Churchill, Winston  51, 110 Cockburn, CJ  151ff Lord Denning  136, 160, 167ff, 222 Dibelius, Wilhelm  144f Dicey, Albert Venn  24, 47, 133, 136, 143, 145, 157, 266 Lord Diplock  131, 138, 162, 167, 169f, 225, 228, Dollfuss, Engelbert  91 Lord Donaldson of Lymington M.R. 255 Dylewski, Marian  65 Ermacora, Felix  89, 102, 107, 124, 236

Erskine, Thomas  143 Fischhof, Adolf  61, 66 Frowein, Jochen  32, 42, 124 Lord Goff  161ff Lord Griffiths  164 Habermas, Jürgen  37, 43 Lord Chief Justice Hale, Sir Matthew 225f Baroness Hale of Richmond  25, 191, 193 Hein, Franz  62, 65 Herbst, Eduard  40 Lord Hoffman  189, 196f Hunter, W.A.  226 Jaconelli, J.  160 Jennings, Sir Ivor  47, 145, 181 Lord Chancellor Jowitt  158 Keith, A. Berriedale  131, 145, 225 Lord Keith  131, 137, 161, 163f, 171f, 213 Kelsen, Hans  88f, 93f, 96, 99, 234, 253 Laws, Sir John (Lord Justice Laws)  41f, 187f Leith, L.H.  211 Lester, Anthony  27, 161 Loveland, Ian  167, 172f, 177 Madison, James  37

304 Literaturverzeichnis Mayer, Kajetan  61, 65 Meiklejohn, Alexander  26, 40ff, 45f, 265f Melichar, Erwin  103 Mill, John Stuart  34, 143, 150, 270 Milton, John  31, 33f, 44f, 215 de Montesquieu, Charles-Louis  37 Lord Nicholls of Birkenhead  175, 188 Ofner, Julius  96 Oreja, Marcelino  124 Paine, Thomas  143, 226 Palacky, František  65 Pearson, J  166f Perikles  19, 36f, 40 Pillersdorf, Franz von  53f Pinkas, Adolf  65 Lord Reid  136 Renner, Karl  8 Riegler, František Ladislav  55 Rotteck, Carl von  38 Rushdie, Salman  229 Lord Salmon  146, 161, 165 Lord Scarman  131, 140, 161, 168, 228 Lord Scott of Foscote  146, 185, 189f, 215 de Spinoza, Benedictus (Baruch)  35f, 45 Stephen, Sir Fitzjames  227 Lord Justice Stephenson  170 Lord Steyn  31ff, 132, 135, 146, 163, 165, 176, 185, 190, 208, 215, 224, 246, 257f, 277 Sturm, Eduard  57

De Tocqueville, Alexis  28, 38, 43, 273 Thukydides 36 Vacano, Emil  46, 61 Violand, Ernst  65f Lord Walker of Gestingthorpe  138, 189f Warren, Samuel  139, 144 Welcker, Carl  38 Ziemialkowski, Florian  65

Sachregister Abgeordnetenhaus  40, 57f, 61, 67, 80 Act of Settlement  1701 140 A-G v. Times Newspapers  167f A-G v. Guardian  137, 161ff, 169, 212 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 111 Antifederalists 51 Areopagitica  31, 33, 44ff, 216 Badenische Reform  68 Barron v. Baltimore  52 Beck’sche Wahlrechtsreform  68 Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung (BPNV)  87ff, 214 Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt  87 Bill of Rights 1689  140, 251 Bill of Rights (1791, U.S.)  47, 51f, 145, 269 Bill of Rights Bill  183, 194f Blackshaw v. Lord  170f Bundesverfassungsnovelle von 1929  90 Bognar Regis (UDC v. Campion)  167 Bowman v. The United Kingdom  205 Bowman v. Secular Society  225ff BVG-Rundfunk 122f Campbell v. MGN Ltd  25, 191 Castells v. Spain  205 chilling effect  52, 124, 171, 201, 205, 215, 269, 273, 276f Christlichsoziale Partei  88f Common Law  20f, 28, 46, 128, 131ff, 149, 151, 155, 158ff, 208, 224ff, 251ff Congress of Europe  110

Cook v. Alexander  169 declaration of incompatibility  137, 188, 192, 195, 215 Defamation Act  1952 155ff, 167, 222, 251 Denkunmöglichkeit (Denkunmögliche Gesetzesanwendung)  83, 104f, 110, 114, 116, 138, 236, 238f, 241, 250 Derbyshire (Council v. Times Newspapers)  125, 131, 163f, 171ff, 182, 254 Deutschösterreich  87f, 94f Dezember-Novelle 88 Dienstgewalt, Dienstherrlichkeit  231ff. EGMR  5f, 23, 26, 31f, 113, 117ff, 121, 123, 126f, 129f, 145, 160, 164, 166, 174, 176, 182f, 186f, 191ff, 197ff, 212f, 216f, 237, 242, 244, 248, 250f, 253, 257ff, 263, 265f, 275 Entwurf der Großdeutschen  89, 93f, 97 Entwurf Mayr  89, 96, 99 Entwurf der Sozialdemokratischen Partei  94, 96 Europarat 110f Europäische Kommission für Menschenrechte  129, 186, 199ff fair comment  22, 135, 152ff, 156, 165, 167f, 256 Februaropfer 105 Februarpatent 56 Februarrevolution (1848)  53 Federalists 51

306 Literaturverzeichnis Filmzensur 99 First Amendment  125, 162, 171, 173, 211, 213, 265f Foreign Office  158, 266 Fox’s Act  142f, 157, 255 generic privilege  176, 208 Gesamtänderung der Bundesverfassung  257, 274 Geschworenengerichtsbarkeit (Laiengerichtsbarkeit, trial by jury)  97, 142, 144ff, 148, 234 Gesetzesvorbehalt, Gesetzesklausel  36, 46, 63f, 66, 84f, 92ff, 104, 106, 114, 118ff, 197, 219f, 231, 236, 250, 263, 265 Gleaves v. Deakin  162, 169f Grundrechtskataloge der Frankfurter Paulskirche 57 Handyside  32, 118, 130, 199f, 200, 205 Herrenhaus  57ff, 62, 67, 73, 75 Holocaust  221, 270 Human Rights Act  222ff, 245ff, 263f, 266 Human Rights Bill  27, 163, 179, 184, 195f Journalistische Sorgfalt  128, 187 Kaur (v. Lord Advocate)  177f The King v. Aldred  210 The King v. Caunt  219 Konstitutionsausschuss 1848  61, 63f, 231 Kremsier  46, 55, 57f, 60, 68 Kritik eines Allerhöchsten Gnadenaktes 82

Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz 91 Landesgesetzgebung 95 Law of Libel Amendment Act 1888  153f, 157, 251 Lemon (siehe R v. Lemon)  228 Lex Ofner  96 Licensing Acts  140 Lingens (v. Austria)  118f, 125f, 130, 156, 166, 176, 192f, 199ff, 253 Linzer Entwurf  89, 94 Marbury v. Madison  136f Marktplatz der Ideen (marketplace of ideas)  33ff, 200, 277 Märzverfassung 1919  88 Nationalsozialismus  130, 222 Nationwide News (Pty. Ltd. v. Wills) 180f New York Times v. Sullivan  40f, 52, 64, 124f, 156, 166, 173f, 191, 201f Notverordnungsrecht  137, 250 Norwood  216f, 224 Oberschlick (v. Austria)  199, 203f Oktoberdiplom 56 Oktoberverfassung (1918)  88 Oktroyierte Märzverfassung  55f, 58, 61, 63, 66 parliamentary sovereignty  136, 186, 194, 196f, 248, 250, 275 parliamentary privilege  139, 179 Partikuläres Legalitätsprinzip  20, 106, 116, 126, 137, 235f, 249, 263f Pfeifer (v. Austria)  176, 193, 206f

Sachregister 307

Pillersdorfsche Verfassung  53, 68 Plummer (v. Charman)  222 Politisch-juridische Commission  59 popery 45 Präventivzensur (siehe Vorzensur) Preßgesetz vom 17. Dezember 1862  67, 85 Privatentwurf Dr. Mayr  89, 94, 96f, 99 privilege  135, 139ff, 209ff, 222ff, 245ff, 273 Public figure  25, 52f, 128, 175, 191f Public official  32, 52, 150, 191 Public watchdog (Öffentlicher Wachhund)  121, 204 R v. (Collins)  150, 157, 209, 254 R v. (Lemon)  228 R v. (Ramsay and Foote)  266 R (ProLife Alliance) v. BBC  32, 132, 187ff Race Relations Act 1965  223 Race Relations Act 1976  223 Rechtspositivismus  254, 265 Reform Act 1832  20, 149, 157 Reform Act 1867  151, 155, 157 Reine Rechtslehre  254 Renner-Mayer-Entwurf  89, 94, 97 responsible journalism (siehe journalistische Sorgfalt) Reynolds (v. Times Newspapers)  33, 128, 132, 135, 146, 165, 171, 173ff, 182, 185, 187, 193, 201, 208, 256f, 273, 276 Reynolds privilege  128, 187, 273 Rusbridger & Anor, R v. Majesty’s Attorney General  190f, 198, 214

Satanic Verses  211, 229 Scotland Act  179 Selbstausschaltung des Nationalrats (siehe Vorsitzendenkrise) Slaughter-House Cases  52 SPÖ 200 Staatsbürgerrechte  61, 233f Staatsvertrag von Wien  102 Staatszielbestimmung  64, 196 Star Chamber  133, 209 statement of compatibility  137, 196f Silvester-Patente 56 Taaffe’sche Wahlrechtsreform  68 Theater  25f, 92, 96ff, 108, 249 Thorgeirson v. Iceland  26, 199, 203ff Toogood v. Spyring  20, 146, 157, 246 Treason Fellony Act 1848  214 Triest  78, 80, 219f Unalienable/inalienable right  47, 143, 183 US Supreme Court  25, 31f, 41f, 52, 166, 172ff, 181, 193, 202, 256 Verbotsgesetz  207, 209, 220ff, 258 „Verfassung 1934“  91, 101 Verfassungsentwurf Karl Renners  88 Verfassungsentwürfe der Christlichsozialen Partei  88f Verfassungs-Überleitungsgesetz 101 Vorsitzendenkrise des Nationalrats  91 Vorzensur (Präventivzensur, prior restraint)  37f, 44, 55, 58, 63ff, 85, 88, 91ff, 95ff, 120ff, 130, 140, 142ff, 157, 188, 204, 212ff, 246, 249, 255, 257, 265

308 Literaturverzeichnis Wason (v. Walter)  150ff, 157, 166, 251, 254ff Webb (v. Times Publishing Co. Ltd.)  166f, 170, 256 Weimarer Reichsverfassung  89, 96, 234 Weisenbericht 124 Wesensgehaltstheorie  84, 110, 114, 118f, 126, 231, 236, 250, 263, 266, 275 Zensur (siehe Vorzensur)

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 24 ideologie und aufklärung. weltansCHauungstHeorie und politik. von kurt salamun. 1988. 142 s. Br. isBn 3-20505126-2

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25 die neue arCHitektur europas. refleXionen in einer BedroHten welt. Hg. von wolfgang mantl. 1991. 332 s. gB. isBn 978-3-205-05412-2 26 die grosse krise in einem kleinen land. ÖsterreiCHisCHe finanz- und wirtsCHaftspolitik 1929–1938. von dieter stiefel. 1989. X, 428 s. Br. isBn 3-205-05132-7 (vergriffen) 27 das reCHt der massenmedien. ein leHr- und HandBuCH für studium und praXis. von walter Berka. 1989. ii, 356 s. Br.

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28 staat und wirtsCHaft. am Beispiel der ÖsterreiCHisCHen forstgesetzgeBung von 1950–1987. von werner plesCHBerger. 1989. 579 s. Br. isBn 3-205-05204-8 (vergriffen) 29 wege zur grundreCHtsdemokratie. studien zur Begriffs- und institutionen-gesCHiCHte des liBeralen verfassungsstaates. von gerald stourzH. 1989. XXii, 427 s. Br. isBn 978-3-205-05218-0 (vergriffen) 30 geist und wissensCHaft im politisCHen aufBruCH mitteleuropas. Beiträge zum ÖsterreiCHisCHen wissensCHaftstag 1990. Hg. von meinrad peterlik und werner waldHäusl. 1991. 268 s. Br.

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und

vÖlkerreCHt.

vÖlkerreCHtsdogmatisCHe

grundlegung der voraussetzungen und des inHalts eines waHlreCHts in Bezug auf vorrevolutionäre vÖlkerreCHtliCHe reCHte und pfliCHten. von miCHael geistlinger. 1991. 554 s. Br. isBn 978-3-205-05414-6 (vergriffen) 39 slowenien – kroatien – serBien. die neuen verfassungen. Hg. von JosepH marko und tomislav BoriC. 1994. 467 s. Br.

isBn 3-205-98283-5 (vergriffen)

40 der Bundespräsident. kein kaiser in der repuBlik. von manfried welan. 1992. 119 s. Br. isBn 978-3-205-05529-7 41 wege zur Besseren finanzkontrolle. von HerBert kraus und walter sCHwaB. 1992. 167 s. Br. isBn 3-205-05530-6 42 BruCHlinie eiserner vorHang. regionalentwiCklung im ÖsterreiCHisCH-ungarisCHen grenzraum. von martin seger und pal Beluszky. 1993. Xii, 304 s., 16 s. farBaBB. gB. isBn 978-3-205-98048-3 43 regierungsdiktatur oder ständeparlament? gesetzgeBung im autoritären ÖsterreiCH. von Helmut woHnout. 1993. 473 s. Br. isBn 978-3-205-05547-1 44 die ÖsterreiCHisCHe Handelspolitik der naCHkriegszeit 1918 Bis 1923. die HandelsvertragsBezieHungen zu den naCHfolgestaaten. von Jürgen nautz. 1994. 601 s. Br.

isBn 978-3-205-98118-3 (vergriffen)

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 45 regimeweCHsel. demokratisierung und politisCHe kultur in ost-mitteleuropa. Hg. von peter gerliCH, fritz plasser und peter a. ulram. 1992. 483 s., zaHlr. taB. u. graf. Br.

isBn 978-3-205-98014-8

46 die wiener JaHrHundertwende. Hg. von Jürgen nautz und riCHard vaHrenkamp. 2. aufl. 1996. 968 s., 32 s. sw-aBB. gB.

isBn 978-3-205-98536-5

47 ausweg eg? innenpolitisCHe motive einer aussenpolitisCHen umorientierung. von anton pelinka, CHristian sCHaller und paul luif. 1994. 309 s. Br. isBn 978-3-205-98051-3 48 die kleine koalition in ÖsterreiCH: spÖ – fpÖ (1983–1986). von anton pelinka. 1993. 129 s. Br. isBn 3-205-98052-2 (vergriffen) 49 management vernetzter umweltforsCHung. wissensCHaftspolitisCHes leHrstüCk waldsterBen. von maX krott. 1994. 325 s. Br. isBn 978-3-205-98129-9 (vergriffen) 50 politikanalysen. untersuCHungen zur pluralistisCHen demokratie. von wolfgang mantl. 2007. 345 s. Br. isBn 978-3-205-98459-7 51 autonomie und integration. reCHtsinstitute des nationalitätenreCHts im funktionalen vergleiCH. von JosepH marko. 1995. 632 s. Br. isBn 978-3-205-98274-6 52 grundzüge fremder privatreCHtssysteme. ein studienBuCH. von williBald posCH. 1995. XXviii, 205 s. Br. isBn 978-3-205-98387-3 53 identität und naCHBarsCHaft. die vielfalt der alpen-adria-länder. Hg. von manfred prisCHing. 1994. 424 s. Br.

isBn 978-3-205-98307-1 (vergriffen)

54 parlamentarisCHe kontrolle. das interpellations-, resolutions- und unter suCHungsreCHt. eine reCHtsdogmatisCHe darstellung mit HistorisCHem aBriss und em pirisCHer analyse.

von andreas nÖdl. 1995. 198 s. Br. isBn 978-3-205-98161-9

55 alfred missong. CHristentum und politik in ÖsterreiCH. ausgewäHlte sCHriften 1924–1950. Hg. von alfred missong Jr. in verBindung mit Cornelia Hoffmann und gerald stourzH. 2006. 476 s. gB. isBn 978-3-205-77385-6

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 56 staat und gesundHeitswesen. analysen HistorisCHer fallBeispiele aus der siCHt der neuen institutionellen Ökonomik.

von engelBert tHeurl. 1996. 302 s. Br. isBn 978-3-205-98461-0

57 eliten in ÖsterreiCH. 1848–1970. von gernot stimmer. 1997. 2 Bde., 1151 s. 38 sw-aBB. gB. isBn 978-3-205-98587-7 58 frankreiCH – ÖsterreiCH. weCHselseitige waHrneHmung und weCHselseitiger einfluss seit 1918. Hg. von friedriCH koJa und otto pfersmann. 1994. 307 s., 19 sw-aBB. Br.

isBn 978-3-205-98295-1

59 faHnenwÖrter der politik. kontinuitäten und BrüCHe. Hg. von oswald panagl. 1998. 351 s. Br. mit su.

isBn 978-3-205-98867-0

60 avantgarde des widerstands. modellfälle militärisCHer aufleHnung in ostmittel- und osteuropa im 19. und 20. JaHrHundert. von riCHard g. plasCHka. 1999. 2 Bde., 1062 s. 32 sw-aBB. gB.

isBn 978-3-205-98390-3

61 Bernard Bolzano. staat, nation und religion als Herausforderung für die pHilosopHie im konteXt von spätaufklärung, früHnationalismus und restauration. Hg. von Helmut rumpler. 2000. 423 s. Br. isBn 978-3-205-99327-8 62 um einHeit und freiHeit. staatsvertrag, neutralität und das ende der ost-west-Besetzung ÖsterreiCHs 1945–1955. von gerald stourzH. 5., durCHgeseHene aufl. 2005. 848 s., 19 sw-aBB. gB. isBn 978-3-205-77333-7 (vergriffen) 63 ÖsterreiCH unter alliierter Besatzung 1945–1955. Hg. von alfred aBlei tinger, siegfried Beer und eduard g. staudinger. 1998. 600 s. isBn 978-3-205-98588-4 64 evaluation im ÖffentliCHen sektor. von evert vedung. 1999. Xviii, 274 s. 47 grafiken u. taBellen. Br. isBn 978-3-205-98448-1 65 liBeralismus. interpretationen und perspektiven. Hg. von emil BriX und wolfgang mantl. 1996. 320 s. gB. isBn 978-3-205-98447-4 (vergriffen)

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 66 HerBert stourzH – gegen den strom. ausgwäHlte sCHriften gegen rassismus, fasCHismus und nationalsozialismus 1924–1938. Hg. von gerald stourzH. 2008. 186 s. Br. isBn 978-3-205-77875-2 67 die universität als organisation. die kunst, eXperten zu managen. von ada pellert. 1999. 346 s. 5 sw-aBB. Br.

isBn 978-3-205-99080-2

68 gemeinden in ÖsterreiCH im spannungsfeld von staatliCHem system und lokaler leBenswelt. Hg. von doris wastl-walter. 2000. 248 s. 18 graf. 17 karten. 71 taB. 1 faltk. Br.

isBn 978-3-205-99212-7

69 noCH einmal diCHtung und politik. vom teXt zum politisCH-sozialen konteXt, und zurüCk. Hg. von oswald panagl und walter weiss. 2000. 462 s. Br. isBn 978-3-205-99289-9 70 politik, staat und reCHt im zeitenBruCH. symposion aus anlass des 60. geBurtstags von wolfgang mantl. Hg. von JosepH marko und klaus poier. 2001. 197 s. 3 sw-aBB. gB.

isBn 978-3-205-99259-2

71 QualitätssiCHerung und reCHensCHaftslegung an universitäten. evaluierung universitärer leistungen aus reCHts- und sozialwissensCHaftliCHer siCHt. von eva patriCia stifter. 2002. 410 s. Br. isBn 978-3-205-99317-9 72 kulturgesCHiCHte des Heiligen rÖmisCHen reiCHes 1648 Bis 1806. verfassung, religion und kultur. von peter Claus Hartmann. 2001. 510 s. zaHlr. sw-aBB. gB. isBn 978-3-205-99308-7 73 minderHeitenfreundliCHes meHrHeitswaHlreCHt. reCHts- und politikwissensCHaftliCHe üBerlegungen zu fragen des waHlreCHts und der waHlsystematik. von klaus poier. 2001. 379 s. 18 taB. 8 graf. Br. isBn 978-3-205-99338-4 74 reCHtsentwiCklung im Bannkreis der europäisCHen integration. von HuBert isak. Br. isBn 3-205-99326-8. in vorBereitung.

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 75 gigatrends. erkundungen der zukunft unserer leBenswelt. Hg. von franz kreuzer, wolfgang mantl und maria sCHaumayer. 2003. Xii + 339 s. 13 sw-aBB. und 2 taB. gB. isBn 978-3-205-98962-2 76 autonomie im Bildungswesen. zur topograpHie eines BildungspolitisCHen sCHlüsselBegriffs. von walter Berka. 2002. 213 s. Br. isBn 978-3-205-99309-4 77 HoCHsCHulzugang in europa. ein ländervergleiCH zwisCHen ÖsterreiCH, deutsCHland, england und der sCHweiz. von elisaBetH HÖdl. 2002. 227 s. Br. isBn 978-3-205-99421-3 (vergriffen) 78 forsCHung und leHre. die idee der universität Bei HumBoldt, Jaspers, sCHelsky und mittelstrass. von Hedwig kopetz. 2002. 137 s. 4 sw-aBB. Br. isBn 978-3-205-99422-0 79 europäisCHe kulturgesCHiCHte: geleBt, gedaCHt,

vermittelt. von manfred wagner. 2009. 922 s. gB.



isBn 978-3-205-77754-0

80 kultur der demokratie. festsCHrift für manfried welan zum 65. geBurtstag. Hg. von CHristian Brünner, wolfgang mantl, alfred J. noll und werner plesCHBerger. 2002. 383 s. zaHlr. taB. und 1 sw-aBB. gB. isBn 978-3-205-77005-3 81 okkupation und revolution in slowenien (1941–1946). eine vÖlkerreCHt li CHe untersuCHung. von dieter Blumenwitz. 2005. 162 s. Br. isBn 978-3-205-77250-7 82 der konvent zur zukunft der europäisCHen union. Hg. von wolfgang mantl, sonJa puntsCHer riekmann und miCHael sCHweitzer. 2005. 185 s. Br. isBn 978-3-205-77127-2 83 art goes law. dialoge zum weCHselspiel zwisCHen kunst und reCHt. Hg. von dietmar pauger. 2005. 269 s. 9 sw-aBB. Br.

isBn 978-3-205-77128-9

84 direkte demokratie. von klaus poier. in vorBereitung 85 HoCHsCHulreCHt – HoCHsCHulmanagement – HoCHsCHulpolitik. symposion aus anlass des 60. geBurtstages von CHristian Brünner. Hg. von gerHard sCHnedl und silvia ulriCH. 2003. 258 s. 7 graf. und 5 taB. gB. isBn 3-205-99468-X

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 86 das zerrissene volk. slowenien 1941–1946. okkupation, kollaBoration, Bürgerkrieg, revolution. von tamara griesser-pečar. 2003. 583 s. gB. isBn 978-3-205-77062-6 87 zur Qualität der BritisCHen und ÖsterreiCHisCHen demokratie. empirisCHe Befunde und anregungen für demokratiereform. von e. roBert a. BeCk und CHristian sCHaller. 2003. XXii + 620 s. zaHlr. taB. Br. isBn 978-3-205-77071-8 88 die ÖsterreiCHisCHe akademie der wissensCHaften. aufgaBen, reCHts stellung, organisation. von Hedwig kopetz. 2006. XX + 457 s. 8 sw-aBB. Br. isBn 978-3-205-77534-8 89 raumfaHrt und reCHt. faszination weltraum. regeln zwisCHen Himmel und erde. Hg. von CHristian Brünner, aleXander souCek und editH walter. 2007. 200 s. 66. farB. aBB. Br.

isBn 978-3-205-77627-7

90 soziokultureller wandel im verfassungsstaat.

pHänomene politisCHer transformation. festsCHrift für wolfgang mantl zum 65. geBurtstag. Hg. von Hedwig kopetz, JosepH marko und klaus poier. 2004. 2 Bde. im sCHuBer. XXiv + 700 s., X + 1000 s. zaHlr. taB., graf. und aBB. gB.



isBn 978-3-205-77211-8

91 nationales weltraumreCHt. national spaCe law. development in europe – CHallenges for small Countries. Hg. von CHristian Brünner und editH walter. 2008. 231 s. zaHlreiCHen aBB. Br. isBn 978-3-205-77760-1 93 karl lueger (1844–1910). CHristliCHsoziale politik als Beruf. von JoHn w. Boyer. aus dem englisCHen üBersetzt von otmar Binder. 2009. 595 s. 19 sw-aBB. gB. isBn 978-3-205-78366-4 94 der ÖsterreiCHisCHe mensCH. kulturgesCHiCHte der eigenart ÖsterreiCHs. von william m. JoHnston. BearBeitet von Josef sCHiffer. 2009. 384 s. gB. isBn 978-3-205-78298-8 95 funktionen des reCHts in der pluralistisCHen wissensgesellsCHaft. festsCHrift für CHristian Brünner zum 65. geBurtstag. Hg. von silvia ulriCH, gerHard sCHnedl und renate pirstnereBner. 2007. XXiv + 696 s. gB. isBn 978-3-205-77513-3

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studien zu politik und verwaltung Her ausgegeBen von CHristian Brünner, wolfgang mantl , manfried wel an 97 demokratie im umBruCH. perspektiven einer waHlreCHtsreform. Hg. von klaus poier. 2009. 329 s. mit zaHlreiCHen taB. Br. isBn 978-3-205-78434-0 98 die freiHeit der politisCHen meinungsäusserung. iHre entwiCklung im ÖsterreiCHisCHen und BritisCHen verfassungsreCHt und iHre staatspHilosopHisCHen wurzeln. von stepHan g. HingHofer-szalkay. 2011. 307 s. 2 taB. und 3 grafiken. Br.

isBn 978-3-205-78622-1

99 der umfang der ÖsterreiCHisCHen gesCHiCHte. ausgewäHlte studien 1990–2010. von gerald stourzH 2011. 344 s. Br.

isBn 978-3-205-78633-7

101 skurrile Begegnungen. mosaike zur ÖsterreiCHisCHen geistesgesCHiCHte. mit einem vorwort von william m. JoHnston. von norBert leser. 2011. 254 s. 2 s/w-aBB. gB. mit su. isBn 978-3-205-78658-0 103 europaspraCHen. HerausgegeBen von peter CiCHon und miCHael mitterauer. 2011. 166 s. Br. mit su.

isBn 978-3-205-78608-5

105 leBenszeugnisse ÖsterreiCHisCHer vizekanzler. das politisCHe system ÖsterreiCHs im europäisCHen vergleiCH. 2012.

isBn 978-3-205-77759-5

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