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German Pages 362 Year 2014
Katrin Simon Die Erben des Malcolm X
Globaler lokaler Islam
Katrin Simon (Dr. phil.) lehrt Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Muslime in den USA, feministischer Islam sowie Islam und Säkularismus.
Katrin Simon
Die Erben des Malcolm X Afroamerikanische Muslime zwischen Widerstand und Anpassung
Mit Dank an die Heinrich-Böll-Stiftung sowie die Berlin Graduate School for Muslim Cultures and Societies für die Förderung dieser Arbeit
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Inhalt
Einleitung | 7 I.
Race matters: Rasse, Ethnizität und Rassismus | 21
I.1 Rasse = race? | 23 I.2 Rasse = Ethnizität? | 24 I.3 Rassifizierung/Rassenbildung, blackness und white supremacy: zur (Un-)Übersetzbarkeit von Begriffen | 30 I.4 Black God, white Master: die Rassifizierung von Religion | 41 I.5 Weiße Christen, schwarze Muslime: der Islam als Alternative | 49
II. Autoritätskämpfe: ›From the Back of the Bus to the Back of the Camel‹? | 85 II.1 Autorität durch Authentizität: Muslimische Sklaven und die Erfindung von Tradition | 94 II.2 Ist Rassismus unislamisch? Religiöse Hegemonie und die color line | 112 II.3 Kontroverse Strategien: die Nation of Islam | 129 II.4 Klassenfragen: Rasse als Waffe | 149 II.5 Feministinnen in die Moscheen: Schwarzer Feminismus und Islam | 180 II.6 Autorität durch Selbstbehauptung und Integrität: Hijab und Schönheitsideale | 207
III. Die Anziehungskraft des Patriarchats: Sexualität, Moral, Werte | 223 III.1 Sexualität, Moral und blackness: der Islam als Ordnungsfaktor | 224 a) Eheliche Rollenmuster: separate but equal? | 230 b) Ehemann gesucht: von den Schwierigkeiten der Partnerwahl | 238 c) Blitzheiraten oder Halal Dating? | 245 d) Besser als gar kein Mann? Polygamie als Alternative | 257
III.2 Prekäre Männlichkeit: von der Verselbständigung eines Stereotyps | 275 a) The Bad Nigger | 276 b) Der demaskulinisierte schwarze Mann und der Mythos vom Negro matriarchate | 279 c) The Promise of Protection: der Mann als Beschützer und Kontrolleur | 284 d) Die neue Selbstverantwortlichkeit: Der Million Man March | 291 e) Warum Homophobie zu schlechten Schulnoten führt und wie Jailhouse Islam Abhilfe schafft | 303
IV. Schlussbetrachtung | 327 V. Quellenverzeichnis | 335 Weitere Online-Quellen | 357 Websites | 358
Einleitung
Die USA sind das einzige westliche Land, in welchem einheimische Konvertiten seit jeher die größte Einzelgruppe von Muslimen darstellen. Islam ist in Amerika somit nicht primär ein Einwanderungsphänomen, sondern ein Teil genuin amerikanischer Religiösität. Das Besondere ist dabei, dass besagte Konvertiten fast ausschließlich Afroamerikaner sind und ihre Konversion dezidiert in einen Kontext zu ihrer Geschichte als Schwarze in Amerika setzen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, wie sich afroamerikanischer Islam in den USA heute darstellt. Das zentrale Erkenntnisinteresse liegt auf der diskursiven Selbstverortung von afroamerikanischen Muslimen in der gesamten muslimischen Community Amerikas sowie als Muslime innerhalb der mehrheitlich nichtmuslimischen black community. Analysiert wird dabei die grundsätzliche Relevanz von ›Rasse‹ in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen in Amerika, um vor diesem Hintergrund die Herausbildung der Vorstellung von einem ›schwarzen Gott‹ in der sogenannten black theology schwarzer Christen herauszuarbeiten, die mit der Entwicklung eines spezifisch afroamerikanischen Islam eng verknüpft ist. Es werden Debatten untersucht, die afroamerikanische Muslime hinsichtlich religiöser Autorität im amerikanischen Islam sowie in Bezug auf eine ideale Geschlechterordnung führen. Des Weiteren wird analysiert, inwiefern sich die Identität afroamerikanischer Muslime auf entsprechende Diskurse unter eingewanderten Muslimen sowie nichtmuslimischen Afroamerikanern bezieht oder sich von diesen bewusst abzugrenzen versucht. Damit soll die Frage geklärt werden, ob es ungeachtet der inneren Heterogenität der Community afroamerikanischer Muslime dennoch dominierende Meinungen zu bestimmten Themen gibt, die auf diese Gruppe als Ganze prägend wirken, so dass der Islam in seiner Funktion als normative Kraft und Referenzrahmen zumindest in Teilbereichen als Integrationsmoment wirkt – sei es im Hinblick auf ihre Identität als amerikanische Muslime oder als Teil der black community. Afroamerikanischer Islam wird sowohl von den Akteuren selbst als auch von der bisherigen Forschung größtenteils als ein Phänomen wahrgenommen, das
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vom Islam der Einwanderer1 zu unterscheiden sei, und dies sowohl in Bezug auf theologische Vorstellungen als auch auf religiöse Praxis. Im Gegensatz zu den Einwanderern sind für Afroamerikaner die USA nicht das Land einer in die Zukunft gerichteten Hoffnung, sondern dasjenige vergangenen Leids. Ihre Verbindung zum Islam ist maßgeblich geprägt durch die Erfahrung der Sklaverei und die Enttäuschung über ein als rassistisch wahrgenommenes Christentum sowie aufgrund der andauernden Unterprivilegierung in Bildung und Arbeitsleben. Afroamerikanische Theologen setzen deshalb, wie gezeigt werden soll, andere Akzente als muslimische Einwanderer, und einige Gruppen wie die 1930 gegründete Nation of Islam (NOI), der einst auch Malcolm X angehörte und die bis heute großen Einfluss in der black community genießt, werden von muslimischen Einwanderern seit jeher als häretisch abgelehnt. Muslimische Immigranten, die vorwiegend aus Südasien und der arabischen Welt stammen, weisen im Gegensatz zur Mehrheit afroamerikanischer Muslime einen vergleichsweise hohen sozialen Status auf. Berührungspunkte zwischen beiden Gruppen sind im Alltag rar, und auch in religiösen Institutionen findet wenig Kontakt statt. Entsprechend wird im Rahmen dieser Arbeit untersucht, ob die color line im Selbstverständnis der muslimischen Protagonisten beider Seiten tatsächlich nur eine Chiffre für Klassenunterschiede ist, die sich mit dem ökonomischen Aufstieg der Afroamerikaner bzw. dem Zuzug von nichtschwarzen Muslimen in die sozialen Brennpunkte der Großstädte erledigen würde, oder ob die Differenzen tiefer liegen, wie beispielsweise in historischen Erfahrungen mit Sklaverei und Rassismus.
Eigene Vorarbeiten Im Rahmen meiner Magisterarbeit (2005) habe ich bereits die Selbstverortung der Nation of Islam im gesellschaftspolitischen Spektrum der USA untersucht.2 Von Interesse war die Frage, wie sich deren Programmatik und öffentliche Darstellung zu Definitionen amerikanischer Zivilreligion verhält und welche Funktion religiöse und ethnische Identitätsmarker in diesem Kontext einnehmen. Es hat sich gezeigt, dass für Mitglieder und Sympathisanten der Nation of Islam die sogenannten wedge issues (wie Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie Debatten zu ›richtiger‹ Sexualität) eine zentrale Rolle spielen, da hierbei auffallend oft Positionen bezogen werden, die evangelikalen und neokonservativen Standpunkten ähneln. Diese werden jedoch unter dem Vorzeichen ›Islam‹ verbreitet, wodurch Protest mit den Werten der weißen Mittelklasse verbunden wird und so gewissermaßen eine Annäherung in der Opposition stattfindet.
1 | Analog zum amerikanischen wissenschaftlichen Diskurs werden unter eingewanderten Muslimen all jene Muslime verstanden, die selbst in die USA immigriert sind oder deren Vorfahren freiwillig nach Amerika ausgewandert sind. 2 | Simon, Katrin 2005: Die Nation of Islam: Eine afroamerikanische Spielart des Islam?, unveröffentlichte Magisterarbeit, FU Berlin.
Einleitung
Feldforschung in New York Grundlegend für die vorliegende Studie zu afroamerikanischem Islam ist meine Entscheidung, erst nach einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in den USA festzulegen, welche Themen Eingang in die Arbeit finden und welche nicht. Somit sollte vermieden werden, durch eine vorzeitige Eingrenzung der zu untersuchenden Aspekte einen analytischen Filter zu konstruieren, der möglicherweise zur Überbetonung mancher Dimensionen sowie zur Ignorierung anderer Themenfelder hätte führen können, und welcher der Studie eine Struktur übergestülpt hätte, die mit der Wahrnehmung der Akteure vor Ort wenig gemein hat. Stattdessen wurden die Schwerpunkte der Arbeit erst nach dem Aufenthalt ausgewählt, der ethnologische Feldforschung mit einer akademischen Anbindung an einer Universität verknüpfte. Die jetzige Themenwahl spiegelt somit weitestgehend die Debatten wider, die während meiner Zeit vor Ort von den Akteuren selbst am häufigsten, intensivsten und kontroversten geführt wurden. Lediglich der damals gerade beginnende Wahlkampf Barack Obamas wird von meiner Untersuchung bewusst ausgeschlossen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Debatte um ihn speziell und um das Regierungssystem der USA allgemein nur von eingewanderten Muslimen explizit unter islamischen Vorzeichen geführt wurde. Unter afroamerikanischen Muslimen hingegen wurde Barack Obama zwar auch diskutiert, jedoch schwerpunktmäßig im Hinblick auf die gemeinsame schwarze Identität. Zum anderen war zum Zeitpunkt meines New York-Aufenthalts noch nicht absehbar, ob Obama die Wahlen gewinnen würde, und damit war unklar, ob ein eventueller Einfluss seiner Person auf den Identitätsdiskurs der black community im allgemeinen und denjenigen afroamerikanischer Muslime im besonderen nachhaltig und somit prägend sein würde. Meine Feldforschung führte ich von Dezember 2007 bis Juli 2008 in New York durch. New York hatte ich bewusst gewählt, weil dort die Segregation des Wohnraums entlang der color line zwar ebenso existiert wie in anderen amerikanischen Großstädten,3 jedoch aufgrund der räumlichen Enge der Stadtstruktur die diversen Communities in New York stärker gezwungen sind, sich zu begegnen und aufeinander Bezug zu nehmen. Zudem stellt New York, seit Malcolm X dort in den 1950er bis 1960er Jahren gewirkt hat, neben Chicago und Philadelphia eines der Zentren des afroamerikanischen Islams dar, ohne dass New Yorker afroamerikanische Muslime eine der Situation in Chicago oder Philadelphia vergleichbare Dominanz gegenüber den religiösen Institutionen eingewanderter Muslime hätten. Die Stadt weist stattdessen eine Vielzahl an Moscheen, islamischen Organisationen und Kulturzentren sowohl von afroamerikanischen als auch eingewanderten Muslimen auf, die sich teils in großer räumlicher Nähe befinden.
3 | Vgl. dazu Owens, Michael Leo 2007: God and Government in the Ghetto: The Politics of Church-State Collaboration in Black America, Chicago, S. 68f.
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Der Bereich der Feldforschung, der vor allem auf teilnehmender Beobachtung und Gesprächen mit Aktivisten beruhte, spielte sich größtenteils in drei Teilen der Stadt ab, nämlich der South Bronx, Bedford-Stuyvesant (Brooklyn) sowie Harlem. In der South Bronx war ich regelmäßig im Muslim Women’s Institute for Research and Development (MWIRD) anwesend, einer 1997 von der afroamerikanischen Konvertitin Nurah Amatullah gegründeten Organisation, die vor Ort umfassend Sozialarbeit leistet und sich dabei für Muslime und Nichtmuslime sowie Männer und Frauen gleichermaßen einsetzt. Schwerpunkte der Arbeit sind eine von der Organisation selbst betriebene food pantry (ähnlich der »Tafel« in Deutschland), Gesundheitsaufklärung u.a. im Hinblick auf HIV, Ernährungsberatung, Mediation bei häuslicher Gewalt, Hilfen und Begleitung bei der Verhandlung mit Behörden, Schulen usw., Kurse in Lesen und Schreiben sowie interreligiöser Dialog. Die Bewohner der South Bronx sind vor allem Afroamerikaner und Latinos. Der Stadtteil ist gekennzeichnet durch Armut, Gangkriminalität verbunden mit Drogenhandel sowie Prostitution, wobei die HIV-Rate der Bronx eine der höchsten in den gesamten USA ist. 4 Das MWIRD arbeitet im Rahmen seiner Sozialarbeit mit zahlreichen anderen karitativen Organisationen sowie mit der Stadtverwaltung zusammen. Beschäftigt sind dort eine wechselnde Anzahl von Mitarbeiterinnen vor allem afroamerikanischer und mitunter lateinamerikanischer Abstammung. Zum Zeitpunkt meines Aufenthalts waren es meist um die fünf bis sechs Angestellte, darunter rund die Hälfte Musliminnen. Als Begleitung von Nurah Amatullah nahm ich neben meiner teilnehmenden Beobachtung im MWIRD selbst zahlreiche Außentermine wahr, die von interreligiösen Treffen über Termine bei Frauenorganisationen und die Organisation eines Fundraising-Abends bis hin zu privaten Veranstaltungen reichten. Über Nurah Amatullah kam ich gleich zu Beginn meines Aufenthalts in New York in Kontakt mit Imam Siraj Wahhaj, der die Masjid at-Taqwa in Brooklyn leitet. Imam Siraj ist jedem amerikanischen Muslim im ganzen Land bekannt, seit er 1991 als erster Imam im amerikanischen Kongress das Eröffnungsgebet hielt. Außerdem ist er der Vorstandsvorsitzende der Muslim Alliance of North America (MANA), der größten Organisation afroamerikanischer Muslime, und war lange Zeit im Vorstand der Islamic Society of North America (ISNA). In den Fokus der nichtmuslimischen Öffentlichkeit Amerikas rückte er, als er verdächtigt wurde, in den Anschlag auf das World Trade Center 1993 zumindest indirekt verwickelt zu sein.5 Die Masjid at-Taqwa gründete Imam Siraj Anfang der 1980er Jahre im 4 | NYC Department of Health: The Bronx Knows: HIV Testing Initiative, auf: www.nyc.gov/html/ doh/downloads/pdf/ah/bronx-knows-summary-report.pdf (abgerufen am 15.04.2011). 5 | Am 26. Februar 1993 explodierte im World Trade Center eine Bombe. Sechs Menschen kamen ums Leben, zahlreiche wurden verletzt. Im Laufe der Ermittlungen wurden sechs Muslime arabischer Herkunft festgenommen, die Täter waren geständig. Es war der erste Anschlag mit islamistischem Hintergrund auf amerikanischem Staatsgebiet. Zur Debatte um Siraj Wahhaj siehe bspw.: Sally Goldenberg/David Seifman: »1993 WTC ›plotter‹ in Mike
Einleitung
Brooklyner Stadtteil Bedford-Stuyvesant. Dieser Teil New Yorks zählt zusammen mit Harlem zu den ärmsten, überwiegend von Schwarzen bewohnten Vierteln der Stadt. Schon Ende der 1960er Jahre hatte Bedford-Stuyvesant eine doppelt so hohe Arbeitslosenrate wie der städtische Durchschnitt. Fast ein Drittel der Haushalte bezog bereits damals Sozialhilfe, die Straßen waren unsicher, die meisten Bewohner hatten keine Krankenversicherung. Da sich seither wenig geändert hat, flieht die schwarze Mittelschicht nach wie vor in andere Stadtteile. Zurück bleiben Arme, Arbeitslose und Kriminelle.6 Der Politikwissenschaftler Michael Owens beschreibt, wie sich die Arbeitslosigkeit in Bedford-Stuyvesant um das Jahr 2000 verfestigt hat: »Squads of working-age men stood outside corner stores for hours, shooting dice, drinking forty-ounce bottles of malt liquor, and waiting for something to ›jump off‹.«7 Als Imam Siraj die Masjid-at-Taqwa gründete, wurde New York wie andere Großstädte auch von der sogenannten Crack-Epidemie heimgesucht. Vor allem Afroamerikaner und Latinos aus den unteren sozialen Schichten fielen damals entweder der Droge selbst oder der in diesem Kontext rasant steigenden Kriminalität zum Opfer. Erst Anfang der 1990er Jahre gelang es der Regierung und der Polizei, die Epidemie einzudämmen.8 Imam Siraj hatte mit seinen Anhängern bereits seit der Gründung der Moschee gegen die Drogenkriminalität in seiner Nachbarschaft gekämpft und sich dadurch großen Respekt auch von Seiten der New Yorker Stadtverwaltung, aber besonders unter den Bewohnern Bedford-Stuyvesants erworben. Mit selbstorganisierten Patrouillen gelang es den Muslimen, zunächst gegen den Widerstand der Polizei, später mit deren Unterstützung, Crack-Dealer im Umfeld der Masjid at-Taqwa zu vertreiben, doch bis heute ist die Gegend durch große Armut und Kriminalität gekennzeichnet.9 In den Straßenzügen um die Moschee wohnen vor allem Afroamerikaner und afrikanische Einwanderer, und diese stellen auch die überwiegende Mehrheit der Moscheebesucher dar. In der Masjid at-Taqwa nahm ich im Laufe meines Forschungsaufenthalts an zahlreichen Freitagspredigten teil, die zumeist von Imam Siraj selbst, mitunter auch von Gastpredigern gehalten wurden. Auch habe ich Imam Siraj selbst zu Predigten in anderen Moscheen begleitet. Mit ihm habe ich außerdem auf wöchentlicher Basis mehrstündige Gespräche bzw. Interviews geführt, die meine teilnehmende Beobachtung ergänzten. Erst dieser enge Kontakt mit Imam Siraj ermöglichte es mir, Zugang zu anderen Gemeindemitgliedern zu erhalten, wobei dies aufgrund der strengen Geschlechtertrennung in dieser speziellen Moschee – abgesehen von seinem Pressesprecher Abdul Qadir Jackson – meet«, New York Post vom 12.11.2009, nachzulesen auf: www.nypost.com/p/news/local/ brooklyn/item_fz9VZgb1doDTBH3ROWzYdJ (abgerufen am 29.12.2011). 6 | Vgl. dazu Owens 2007, S. 71, 81-108. 7 | Owens 2007, S. 80. 8 | Vgl. dazu: Owens 2007, S. 81, 82, 93, 99. 9 | Barrett, Paul M. 2008: American Islam: The Struggle for the Soul of a Religion, New York, S. 119f.
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fast ausschließlich Frauen waren. Männliche Gesprächspartner fanden sich eher im akademischen Bereich, beispielsweise, wie bei Imam Siraj, auf der Führungsebene islamischer Organisationen. Die Gender-Dimension, die sich somit bereits bei meiner Feldforschung auftat, zieht sich in ausdifferenzierter Form analytisch durch die gesamte Arbeit, da sie nicht nur die Zugänge im Feld strukturiert hat, sondern auch im Diskurs afroamerikanischer Muslime selbst von zentraler Relevanz für ihr Selbstverständnis und ihre Islaminterpretation ist. Während das MWIRD und die Masjid at-Taqwa von mir regelmäßig frequentiert wurden, besuchte ich andere Moscheen, Organisationen und Einzelveranstaltungen eher punktuell. In Harlem ging ich zu Freitagsgebeten in die Malcolm Shabazz Mosque sowie die Mosque of Islamic Brotherhood und nahm an mehreren Kulturveranstaltungen im Malcolm X and Dr. Betty Shabazz Memorial and Educational Center teil, darunter einem Filmabend zur Geschichte muslimischer Sklaven in Amerika. Ebenfalls in Harlem befindet sich das Schomburg Center for Research in Black Culture, ein Forschungsinstitut zu afroamerikanischer Geschichte. Auch dort besuchte ich Veranstaltungen wie Diskussionsabende zu black theology und zur Einwanderung afrikanischer Muslime nach New York und kam außerdem mit Aisha al-Adawiya in Kontakt, die neben ihrer Arbeit im Schomburg Center einer Gruppe von muslimischen Aktivistinnen vorsteht, die sich für die Rechte von Frauen in New Yorker Moscheen einsetzt. Abgerundet wurde meine Feldforschung durch die Teilnahme an Terminen, bei denen afroamerikanische Muslime zwar eine gewisse, aber keine dominante Rolle spielten. Neben der Konsultation auch nicht vorwiegend afroamerikanischer Moscheen wie dem Islamic Cultural Center of New York, der größten Moschee der Stadt, sowie der Sufi-Moschee Masjid al-Farah und der Moschee des Jerrahi-Ordens nördlich von New York zählen dazu unter anderem eine Konferenz für muslimische Studenten zum Verhältnis von Staatsbürgerschaft und islamischer Identität, eine Diskussionsveranstaltung mit dem Afroamerikaner Keith Ellison, der 2006 als erster Muslim in den Kongress gewählt worden war, eine Veranstaltung von Intersections, einer karitativen interreligiösen Organisation, eine weitere Konferenz an der Fordham Law School zu Frauenrechten in New Yorker Moscheen sowie diverse andere Veranstaltungen. Neben meiner Feldforschung hatte ich im ersten Halbjahr 2008 Gelegenheit, als visiting scholar an der Columbia University zu forschen. Am dortigen Institute for Research in African-American Studies fand ich vor allem in dem Historiker Zaheer Ali einen lehrreichen Gesprächspartner. Zaheer Ali forscht und unterrichtet zu afroamerikanischem Islam in Harlem und ist zudem in ein umfangreiches Forschungsprojekt zu Malcolm X eingegliedert. Mit ihm führte ich einerseits Gespräche und Interviews, andererseits nahm ich an seinem Seminar zu afroamerikanischem Islam teil, in das er regelmäßig Aktivisten aus unterschiedlichen Spektren der Community afroamerikanischer Muslime als Gastredner einlud, darunter eine junge Filmemacherin sowie einen Funktionär der Nation of Islam (NOI).
Einleitung
Die im Rahmen meines Forschungsaufenthaltes gewonnenen Erkenntnisse werden in der vorliegenden Studie ergänzt durch eine Vielzahl an Primär- und Sekundärquellen, die als Erweiterung und Interpretationshilfen für die Ergebnisse der Feldforschung dienen. Dabei ist zu betonen, dass sich Primär- und Sekundärliteratur in vielen Fällen nur schwierig oder gar nicht trennen lassen. Ein Teil der religiösen Aktivisten arbeitet selbst im wissenschaftlichen Bereich zu afroamerikanischem Islam bzw. zahlreiche afroamerikanische muslimische Wissenschaftler engagieren sich neben ihrer akademischen Tätigkeit in islamischen Organisationen u.ä.10 Des weiteren hat eine große Zahl an Online-Quellen in die Arbeit Eingang gefunden. Im Internet finden sich nicht nur Nachdrucke islamischer Zeitschriften wie Muhammad Speaks und The Final Call, sondern auch Videos mit Reden von afroamerikanischen Imamen wie Siraj Wahhaj oder dem Vorsitzenden der Nation of Islam, Louis Farrakhan, zahlreiche Blogs von afroamerikanischen Muslimen, Websites großer religiöser Organisationen mit Positionspapieren u.ä. sowie Seiten aus dem Bereich afroamerikanischer Jugendkultur.
Relevanz der NOI Ein weiteres konstituierendes Merkmal der vorliegenden Arbeit ist es, auch die Nation of Islam (NOI) in meine Untersuchung intensiv einzubeziehen, und zwar ungeachtet ihrer in vielen Punkten von dominanten Islaminterpretationen abweichenden Lehre. Zwar war es mir nicht möglich, interne Veranstaltungen der NOI zu besuchen, da dort nur Afroamerikaner zugelassen sind. Doch ist die NOI so eng sowohl mit der Entstehung afroamerikanischen Islams als auch mit zeitgenössischen Debatten über Islam in Amerika verwoben (was vor allem an der starken Medienpräsenz ihrer Führungsfiguren liegt), dass eine Trennung in ›richtige Muslime‹ und ›schwarznationalistische heterodoxe Bewegungen‹, wie sie in Teilen der Forschungsliteratur vorgenommen wird, m.E. der Komplexität des Phänomens afroamerikanischer Islam nicht gerecht wird. Viele der heutigen schwarzen Muslime, die sich entweder als Sunniten bezeichnen oder gar keiner Strömung zugerechnet werden wollen, haben zudem über die NOI überhaupt erst zum Islam gefunden. Imam Siraj Wahhaj war beispielsweise jahrelang in der NOI, bevor er sunnitischer Muslim wurde. Dasselbe gilt für Imam Talib Abdur-Rashid von der Mosque of Islamic Brotherhood (M.I.B.) in Harlem. Zaheer Ali war seine ganze Jugend hindurch Mitglied der NOI, bevor er sich von der Gruppe löste. Historisch denke man nur an Malcolm X oder den Boxer Muhammad Ali, die ebenfalls über die NOI mit dem Islam in Kontakt kamen, bevor sie sich dem sunnitischen Islam zuwendeten. Ähnlich liegt der Fall bei Warith Deen Mohammed, der die NOI 1975 von seinem Vater übernahm, auflöste und deren Mitglieder in eine konventionellere, wenn auch nicht dezidiert sunnitische Richtung führte. Daraus entstand die Muslim American Society (MAS), eine der größten Vereini10 | Vgl. hierzu: McCloud, Amina B. 2007: »African-American Muslim Intellectual Thought«, in: Souls: A Critical Journal of Black Politics Culture and Society 9 (2), S. 171-181.
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gungen afroamerikanischer Muslime heute. Als Reaktion darauf gründete Louis Farrakhan die ursprüngliche NOI 1975 erneut und steht ihr bis heute als charismatische Führungsfigur vor. Die NOI fließt in die vorliegende Arbeit an diversen Stellen ein, auch wenn mir Feldforschung in ihrem Umfeld nicht möglich war. Es mag an der einen oder anderen Stelle auf den ersten Blick so erscheinen, als hingen die Passagen zur NOI nicht mit den Beobachtungen während meiner Feldforschung in New York zusammen. Doch vertrete ich – basierend auf den Ergebnissen aus New York – die These, dass die Geschichte und die Lehren der NOI auch mit dem Islam derjenigen, die sich nicht (mehr) zur NOI zählen, eng verknüpft ist und deren Islaminterpretationen entscheidend geprägt und beeinflusst hat und die NOI somit bis heute von hoher Relevanz für das Verständnis der Debatten um afroamerikanischen Islam ist. Von daher sind meine Ausführungen zur NOI als erhellende – oder sogar: dringend notwendige – Hintergrundfolie für die Resultate meiner Feldforschung zu sehen.
Eine kurze Anmerkung über meine eigene Rolle als weiße, nichtamerikanische Nichtmuslimin im Umfeld afroamerikanischer Muslime Am Beispiel der NOI zeigt sich am deutlichsten, welche Beschränkungen mir in meiner Feldforschung auferlegt waren: Die Wahrnehmung meiner Hautfarbe durch Afroamerikaner etikettierte mich unzweifelsfrei als nicht schwarz, und zumindest für das Umfeld der NOI galt damit, dass ich keinen Zugang zu deren Räumlichkeiten, Veranstaltungen oder Mitgliedern bekommen konnte. Nur indirekt – über ehemalige Mitglieder wie Imam Siraj oder Zaheer Ali – bekam ich damit begrenzt einen persönlichen Einblick, der aber eine richtige Feldstudie nicht ersetzen kann. In anderen afroamerikanischen Einrichtungen, ganz gleich, ob religiös oder nicht, fiel ich als meist einzig weiße Person auf, doch wurde mir der Zugang nicht verwehrt. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass der entscheidende Punkt für viele Gesprächspartner war, dass ich keine weiße Amerikanerin bin, sondern aus Europa komme. Damit, so wurde mir des öfteren bescheinigt, werde ich nicht als Nachfahrin der Sklavenhalter gesehen, sondern im Gegenteil, es wurde zum Teil als »Ehre« empfunden, dass eine Islamwissenschaftlerin aus dem weiten Europa in die USA reist, um einen Islam zu erforschen, der selbst den muslimischen Einwanderern oft suspekt ist und als nicht authentisch gilt. Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, erleichterte es mir, sowohl mit Frauen als auch mit Männern im religiösen Umfeld in Kontakt zu kommen. Vor allem Nurah Amatullah erwies sich in dem Punkt als eine wichtige Türöffnerin, ist sie doch selbst in Frauennetzwerken bestens verortet und hat auch keine Scheu, den Kontakt zu und die Kommunikation mit männlichen Islamvertretern zu suchen oder sogar einzufordern. Neben meiner Identität als Weiße und als Frau war für das Umfeld, in welchem ich mich bewegte, natürlich auffällig, dass ich keine Muslimin bin. Nun ist es in den USA so, dass die Religion, in die man hi-
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neingeboren wird, wenig darüber aussagt, für welchen Glauben man sich später entscheidet. Religionswechsel sind wesentlich häufiger als in Deutschland, und gerade im Umfeld afroamerikanischer Muslime, wo fast alle selbst irgendwann konvertiert sind, war es daher kein Problem, dass ich keine Muslimin bin – auch wenn die meisten Wissenschaftler, die in den USA zu der Thematik arbeiten, tatsächlich selbst Muslime sind. Hier wurde meine deutsche/europäische Herkunft als Grund akzeptiert, warum dies bei mir anders sei. Entscheidend war allerdings, dass ich unter Umständen irgendwann konvertieren könnte, und im Laufe der Monate, die ich in New York verbrachte, wurde ich viele Male darauf angesprochen, ob ich denn nun bereit sei, die Shahada, das Glaubensbekenntnis, zu sprechen. Auch wurde in der Masjid at-Taqwa durchaus erwartet, dass ich mich islamkonform kleide und beten lerne – ich mochte weiß sein, aber ich sollte zumindest in spiritueller Hinsicht meinen »Forschungsobjekten« entgegenkommen und ihnen damit Respekt zollen. Auch in anderen islamischen Einrichtungen, etwa bei Konferenzen amerikanischer Muslime, die ich besuchte, wurde ich immer schnell und gründlich auf meine eigene Religiosität und die Möglichkeit, mich zu bekehren, abgeprüft, wie ich es im deutschen Kontext in der Form und Vehemenz selten erlebt habe. Dies stellt für mich jedoch keine Besonderheit afroamerikanischen Islams dar, sondern ist m.E. ein Charakteristikum amerikanischer Religiosität allgemein. New York gilt sicher als eine der säkulareren Städte der USA, und selbst hier trifft man täglich sowohl im privaten Umfeld als auch auf der Straße missionarisch orientierte Personen und Gruppen, deren Spektrum von christlich über jüdisch und islamisch bis zu New Age reicht. Religiosität und der Drang, andere zu bekehren, ist omnipräsent, und mein Eindruck während der Feldforschung war, dass es meinen Gesprächspartnern nie darum ging, ob ich einen Glauben habe, sondern nur welchen. Insgesamt lässt sich sagen, dass ich als weiße, nichtamerikanische Nichtmuslimin in vielerlei Hinsicht mehr Freiheiten (oder gar Narrenfreiheit) genossen habe, als sie mir als Amerikanerin, als Muslimin oder gar als schwarzer Muslimin gewährt worden wäre, so dass ich auch tabubelegte Fragen stellen durfte und auf Nachsicht stieß, da meine Worte und mein Handeln meist mit meiner Herkunft entschuldigt oder zumindest erklärt wurden. Andererseits blieb mir der Zutritt zu einigen Kreisen verwehrt – das Verbot der NOI war hier sicher das einschneidendste. Doch war ich mir insgesamt stets bewusst, dass manche Gespräche anders verlaufen wären, wäre ich keine weiße, nichtamerikanische Nichtmuslimin.
Community In dieser Arbeit wird der Begriff ›community‹ ebenso für die Gesamtheit der Muslime in den USA verwendet wie für die Gruppe der Afroamerikaner (black community) bzw. die Gruppe afroamerikanischer Muslime, was bereits auf Überschneidungen bzw. Verwebungen unterschiedlicher community-Definitionen hinweist. Community ist ein im Sprachgebrauch amerikanischer Wissenschaftler üblicher Terminus für religiöse, ethnische, genderspezifische usw. Gruppen, zu dem es
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jedoch keine einheitliche Definition gibt. Der Soziologe Dennis Poplin stellt dazu fest, dass die Soziologie sich schon immer mit einer eindeutigen Definition von community schwergetan habe und dieser Begriff somit als ›omnibus word‹ gelten müsse.11 Der Soziologe George A. Hillery kam bereits 1955 zu dem Schluss: »There is one element, however, which can be found in all of the concepts […] all of the definitions deal with people. Beyond this common basis, there is no agreement.«12 Als community wird nach einer weiten Definition des Oxford Dictionary of Sociology eine Ansammlung sozialer Beziehungen (set of social relationships) verstanden, wobei die daran Beteiligten etwas gemeinsam haben, in der Regel das Gefühl einer gemeinsamen Identität (a common sense of identity), die zu gegenseitiger Solidarität führt. Ferdinand Tönnies hatte in seinem gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Standardwerk Gemeinschaft und Gesellschaft noch vorausgesagt, dass Gemeinschaft (community), die für ihn durch persönliche Intimität, emotionale Nähe, sozialen Zusammenhalt und Kontinuität gekennzeichnet war, im Zuge der Urbanisierung an Geltung verlieren würde zugunsten der unpersönlichen und damit unsolidarischen Gesellschaft (society).13 Das Oxford Dictionary of Sociology weist jedoch darauf hin, dass heute abstraktere Gebilde wie große, nicht auf persönlichem Kontakt beruhende soziale Netzwerke, Ethnizität oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe ebenfalls die Identifikation mit einer community generieren können.14 Die Politikwissenschaftlerin Cara Wong macht vor allem den Abgrenzungsaspekt des Begriffs deutlich, denn community grenze primär ›uns‹ gegen ›die anderen‹ ab.15 Die Psychologen David McMillan und David Chavis legten in ihrem 1986 erschienenen Aufsatz ›Sense of Community‹ dar, dass eine community dann bestehe, wenn folgende vier Elemente zusammenkommen: Mitgliedschaft, Einfluss, Integration bzw. die Erfüllung von Bedürfnissen sowie geteilte emotionale Verbindungen. Unter Mitgliedschaft fassen sie u.a. ein Gefühl von Zugehörigkeit und emotionaler Sicherheit sowie ein gemeinsames Symbolsystem. Einfluss bedeutet nach ihrer Definition, dass die Mitglieder sowohl glauben, die Gruppe beeinflussen zu können, als auch, dass die community Einfluss auf sie selbst ausübt. Integration weist auf den Umstand hin, dass die Mitglieder sich für ihre Partizipation in der community belohnt füh11 | Poplin, Dennis E. 1979: Communities: A Survey of Theories and Methods of Research, New York, S. 3. 12 | Hillery, George A. 1955: »Definitions of Community: Areas of Agreement«, in: Rural Sociology 20 (2), S. 111-123. 13 | Tönnies, Ferdinand 1887: Gemeinschaft und Gesellschaft; Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen, Leipzig. 14 | Scott, John/Gordon Marshall 2009: Stichwort »community«, in: A Dictionary of Sociology, Oxford, auf: www.oxfordreference.com/views/ENTRY.html?subview=Main&entry= t88.e 337 (abgerufen am 28.12.2011). 15 | Wong, Cara J. 2010: Boundaries of Obligation in American Politics: Geographic, National, and Racial Communities, New York.
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len. Geteilte emotionale Verbindungen bedeuten die Identifikation der Mitglieder mit einer gemeinsamen Geschichte und Erfahrung von Partizipation. Community könne zudem entweder relational oder territorial definiert werden, so McMillan und Chavis.16 In der vorliegenden Arbeit wird dieser uneindeutige und gleichwohl in amerikanischer Öffentlichkeit und Forschung omnipräsente Begriff analog, d.h. vieldeutig und vielseitig, verwendet. Jedoch wird die mit dem Begriff zunächst suggerierte Homogenität und möglicherweise auftretende Spannung zwischen Eigen- und Fremdzuschreibungen im Laufe der Arbeit problematisiert und kritisch hinterfragt. Man denke nur an Gruppierungen wie die NOI, die sich selbst als Muslime verstehen, aber vor allem von eingewanderten Muslimen als häretisch abgelehnt werden, oder an die Wirkungsmacht sozialer Kategorien wie Rasse, die von den Akteuren nur begrenzt beeinflusst werden können.
Forschungsstand Die Frage, welche Funktion der Islam im Leben afroamerikanischer Muslime einnimmt, wurde über die Jahrzehnte hinweg von der Forschung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen beantwortet. Aus deutscher bzw. europäischer islamwissenschaftlicher Perspektive ist an dieser Stelle auffällig, dass sich amerikanische Kollegen nicht mit afroamerikanischem Islam auseinandersetzen, es sei denn, sie sind selbst afroamerikanische Muslime wie z.B. Sherman Jackson oder Aminah McCloud. Ansonsten wird in den USA dieses Thema vor allem in der Religionswissenschaft, Politikwissenschaft oder den African American Studies behandelt (z.B. Karim 2006/9, Turner 1997, Curtis 2002). In Europa wurde das Thema bisher überhaupt nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sei es in der Islamwissenschaft oder in anderen Disziplinen. Die deutsche Islamwissenschaft setzt sich in den letzten Jahren zunehmend mit den mannigfaltigen Erscheinungsformen muslimischer Religiösität in Europa auseinander, doch wird diese – abgesehen von einigen wenigen Studien zu Konversion (z.B. WohlrabSahr 1999) – vor allem im Kontext von Migration untersucht. Afroamerikanische Muslime sind in den USA ebenso eine Minderheit wie zugewanderte Muslime in Europa, doch sind sie eben auch gebürtige Amerikaner und meistens Konvertiten und demzufolge nur vor dem Hintergrund der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft mit ihrem spezifischen Religionsverständnis zu verstehen. Während in der amerikanischen Forschung zu afroamerikanischem Islam die islamwissenschaftliche Dimension nur marginale Bedeutung erhält, so dass Spielarten der von schwarzen Muslimen gelebten Religiösität nur unzureichend in einen Bezug gesetzt werden zu anderen Islaminterpretationen, sind Untersuchungen zu muslimischen Minderheiten in Europa für die hier durchgeführte Analyse – auch abgesehen von deren Migrationskontext – nicht ergiebig, da der historische, ökonomische und politische Status von afroamerikanischen Muslimen nicht mit 16 | McMillan, David W./David M. Chavis 1986: »Sense of Community: A Definition and Theory«, in: Journal of Community Psychology 14 (1), S. 6-23.
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dem muslimischer Migranten in Europa vergleichbar ist. Somit möchte die vorliegende Studie eine weitere Lücke schließen, indem sie die islamwissenschaftliche Perspektive verbindet mit einer Analyse der (afro-)amerikanischen Sozial- und Religionsgeschichte sowie zeitgenössischen soziologischen Diskursen zu black identity und deren religiöser Manifestation. In Amerika wird bereits seit vielen Jahrzehnten über Muslime in den USA geforscht. Doch bis Ende der 1990er Jahre unterteilte sich die dortige Wissenschaft in zwei weitgehend voneinander getrennte Stränge, die jeder eine lange Forschungstradition aufweisen. Die erste nahm Einwanderer aus der islamisch geprägten Welt in meist deskriptiven, lokalen Studien maßgeblich über ihre Ethnizität und Nationalität, weniger über ihre Religionszugehörigkeit in den Blick (z.B. Ansara 1931, Miller 1965, Tuma 1981, Abraham 1983 u.v.a.). Dies betraf zunächst vor allem solche aus der arabischen Welt, ab Mitte der 1960er Jahre zunehmend auch aus Asien. Von den 1980er Jahren an erschienen vermehrt Arbeiten, die explizit Muslime in den USA untersuchten, aber zunächst die afroamerikanische Erfahrung völlig ausblendeten, indem sie sich auf die eingewanderten Muslime beschränkten (z.B. Barazangi 1988, Ghayur 1983/4). Die Tendenz, die Community vor allem entlang ethnisch-nationaler Linien zu unterteilen und zu untersuchen, blieb bestehen, doch fanden afroamerikanische Muslime ab den 1990er Jahren zumindest Erwähnung in gesonderten Kapiteln (Haddad 1991, 1993, 1994, Smith 1999). So entstand bis heute eine große Zahl an materialreichen Arbeiten zu einzelnen ethnisch-nationalen Subgruppen, die jedoch ein unvollständiges, mosaikhaftes Bild der muslimischen Community liefern (Haddad/Esposito 2000, Haddad/Haddad 2002, Haddad/Smith 2002). Der zweite Forschungsstrang, der seinen Anfang in den 1960er Jahren hat, thematisiert den afroamerikanischen Islam. Frühe Studien wie die Arbeiten von C. Eric Lincoln (1961) und E.U. Essien-Udom (1962) betrachteten afroamerikanischen Islam vor allem als Spielart des Schwarzen Nationalismus. Sie haben sich in erster Linie mit der emanzipierenden Funktion des Islam im psychologischen und soziopolitischen Bereich beschäftigt. Demnach bot und bietet eine Konversion zum Islam Afroamerikanern die Möglichkeit, dem Stigma ihrer schwarzen Hautfarbe symbolisch zu entfliehen und dadurch ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Mit einer Propagierung von amerikanischen Mittelschichtsidealen wie Unternehmergeist und Arbeitsdisziplin sowie Alkoholabstinenz gelang es den Führungsfiguren von Moorish Science Temple und Nation of Islam, ihre ökonomisch schwache Anhängerschaft für die Anforderungen des weißen, protestantischen Amerika tauglich zu machen. In den seit den frühen 1990er Jahren erscheinenden Werken wird der Islam der schwarzen Konvertiten zunehmend als eigenständiges Unterthema behandelt (Haddad/Esposito 2000, Haddad/Smith 2002); dieser Islam ist als weitgehend sunnitisch geprägt zu verstehen. Die Nation of Islam, in der schwarze Identität eine zentrale Kategorie darstellt, wird meistens weiterhin in gesonderten Studien erfasst, die jedoch keinen Eingang in die Literatur zur muslimischen Community finden (Gardell 1996, Lee 1996, Kelle-
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ter 2000). Grund hierfür ist, dass diese Gruppen eher in den African American Studies bearbeitet werden, welche sie nach wie vor im Hinblick auf eine Variante schwarzer Protestbewegungen analysieren, nicht aber als Teil der Community amerikanischer Muslime. Studien, die von afroamerikanischen Wissenschaftlern, darunter einigen Muslimen, durchgeführt wurden, stellen seit Mitte der 1990er Jahre einen dritten Forschungsstrang dar (McCloud 1995, Turner 1997, Curtis 2002, Jackson 2005, Karim 2006/2009). Dieser widmet sich zunehmend der religiösen, spirituellen Dimension des afroamerikanischen Islam in seiner ganzen Bandbreite, ohne jedoch die politisierte black identity, welche Gruppierungen wie die NOI unter islamischen Vorzeichen propagieren, auszublenden. Der Politikwissenschaftler Edward Curtis und die Islamwissenschaftlerin Aminah McCloud beispielsweise haben dargelegt, wie die Geschichte des afroamerikanischen Islam zwischen partikularistischen Ansätzen, die einen Schwerpunkt auf eine schwarze Identität legen, und religiösem Universalismus (der Islam als Weltreligion) oszillieren. Curtis verdeutlicht die Spannung, die daraus entsteht, wenn man als afroamerikanischer Muslim den Anspruch hat, eine universelle Religion anzunehmen, weil man sie sich als ›farbenblind‹ vorstellt, sie aber gleichzeitig dazu nutzen möchte, sehr spezifisch afroamerikanische Probleme zu beseitigen, die allerdings ohne die soziale Konstruktion von Rasse im amerikanischen Kontext nicht denkbar sind. Solche Studien afroamerikanischer Wissenschaftler beziehen somit die NOI zwar mit ein, grenzen sich jedoch sehr dezidiert von der Vorstellung ab, man könne eine kollektive Identität amerikanischer Muslime beschreiben, die sowohl Afroamerikaner als auch Einwanderer einschließt. Vor allem Sherman Jackson, der selbst afroamerikanischer Muslim ist, beharrt darauf, dass nur durch ein solches Vorverständnis die Eigentümlichkeit des schwarzen Islam bewahrt werden könne, dessen Selbstwahrnehmung im Gegensatz zum Immigrantenislam tief mit der Emanzipation der Afroamerikaner von latent rassistischen Strukturen verbunden sei. Die vorliegende Arbeit kann sich somit auf reichlich Material stützen, um die relevanten Ergebnisse der Feldforschung systematisch in größere Zusammenhänge einzubetten und bestehende Wissenschaftsdebatten im breiteren Kontext zu problematisieren. Eine Besonderheit dieser Studie ist unter anderem der neue Ansatz, die Spannung aufzuzeigen, die für afroamerikanische Muslime daraus resultiert, sich im Hinblick auf umstrittene Themen wie Rassismus, Autorität und Genderkonstruktionen gleichzeitig als Teil der black community zu verstehen als auch als Teil der muslimischen Community Amerikas. Somit müssen von afroamerikanischen Muslimen religiöse Identität und rassische Zuschreibung permanent miteinander verhandelt werden, und zwar vor dem Hintergrund einer Gesellschaftsstruktur, deren hegemoniale Kräfte weder islamisch noch schwarz sind.
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I. Race matters Rasse, Ethnizität und Rassismus
Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass »race matters«1, im weiteren Sinne also Rasse für eine Untersuchung afroamerikanischer Muslime und ihrer Diskurse nach wie vor eine wichtige Rolle spielt: und dies nicht im Sinne von Hautfarbe, sondern aufgrund der Werte und Annahmen, die mit Hautfarbe aufgrund des sozialen Konstrukts von Rasse im amerikanischen Kontext verbunden sind: »Race matters not because it makes people different but because it makes people believe they are different. By doing so, it has shaped the United States since before its founding and has created the social, economic, and cultural topography on which all our lives play out in the present day.« 2
Dass das Thema Rasse sich im Jahre 1964 mit der offiziellen Gewährung von Bürgerrechten für Afroamerikaner erledigt hätte, ist ein Trugschluss: »In other words, race is just as important now as it ever was – even if both blacks and whites agree to pretend in public that it isn’t.«3 Rasse als sozialer Faktor – und eben nicht als wissenschaftlicher Fakt und nicht einmal mit einer inhärenten positiven oder negativen Gewichtung – besitzt in Amerika insofern große Bedeutung, als dass 1 | Race Matters ist der Titel eines Buches, das der afroamerikanische, in Princeton lehrende Wissenschaftler Cornel West, selbst Theologe, bekennender Sozialist, Philosoph und Autor, 1994 erstmalig publizierte und das in den USA zu einem Bestseller avancierte. In dem Buch diskutiert West moralische Autorität in Bezug auf Rassefragen (race relations) in den USA und die sich daraus ergebenden ökonomischen, sozialen und politischen Implikationen. Außerdem beklagt er das Fehlen qualifizierter schwarzer Führungspersönlichkeiten und Autoritäten für die black community. Siehe dazu: Cornel West 1994: Race Matters, New York. 2 | Joshi, Khyati Y. 2006: New Roots in America’s Sacred Ground: Religion, Race, and Ethnicity in Indian America, New Brunswick, S. 9. 3 | Young, Vershawn Ashanti 2007: Your Average Nigga: Performing Race, Literacy, and Masculinity, Detroit, S. 85.
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das Konzept seit Jahrhunderten und bis heute dazu benutzt wird, Menschen zu kategorisieren. 4 Darum wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass ›afroamerikanischer Islam‹ mindestens ebenso sehr durch das ›Afroamerikanische‹ wie durch das ›Islamische‹ geformt wird, dass die Kategorie Rasse eine ebenso große Rolle für Eigen- und Fremdzuschreibungen afroamerikanischer Muslime spielt wie ihre religiöse Identität als Muslime. Es fragt sich jedoch, inwiefern es überhaupt sinnvoll oder legitim ist, eine Arbeit über ›afroamerikanischen Islam‹ zu schreiben. Ist die Einengung des Themas entlang einer Grenze, die durch spezifisch US-amerikanische Rassekategorien definiert wird, nicht ein unzulässiger Filter, wenn man davon ausgeht, dass Rasse keine biologische, gar ontologische Wahrheit darstellt, sondern sozial konstruiert ist? Übernimmt man durch die Verwendung einer amerikanischen Rassekategorie zur Eingrenzung eines Themas nicht eine verengte Sichtweise, indem man eine Prämisse schafft, die eigentlich Gegenstand der Analyse selbst sein sollte, nämlich die Sinnhaftigkeit oder Realität der Trennung einer Gesellschaft entlang von konstruierten Rassekategorien? Inwiefern ist es überhaupt möglich, in einer anderen Sprache, also auf Deutsch, über ein Phänomen zu sprechen oder zu schreiben, das im amerikanischen Englisch völlig andere Assoziationen hervorruft? Während im Deutschen der Begriff ›Rasse‹ im politisch korrekten Diskurs keinen Platz mehr hat, wird race im amerikanischen öffentlichen Diskurs, innerhalb und außerhalb der Wissenschaft gleichermaßen, auch heute noch, ein halbes Jahrhundert nach Aufhebung der Rassentrennung, recht unbekümmert verwendet. Der deutsche Soziologe Mathias Bös, der an einer Konferenz in den USA teilnahm, war hierüber durchaus befremdet: »Ich war sehr erstaunt über die Verwendung der Begriffe Rasse und Ethnizität durch die nord-amerikanischen Kollegen. Der Begriff Rasse wurde von ihnen völlig problemlos gebraucht, während ich diesen historisch besetzten Begriff als völlig unangemessen empfand.« 5
Infolge seiner Befremdung hat Bös ein Buch verfasst, in dem er sich ausschließlich mit den Begriffen ›Rasse‹ und ›Ethnizität‹ im US-amerikanischen wissenschaftlichen, v.a. soziologischen Kontext, deren Entstehungsgeschichte und historischer Wandelbarkeit auseinandersetzt, wobei er stets reflektiert, was dabei das spezifisch Amerikanische an einer bestimmten Definition ist.
4 | Joshi 2006, S. 8; man beachte, dass z.B. im U.S. Census zwar nicht die religiöse Zugehörigkeit, jedoch durchaus die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse abgefragt wird. 5 | Bös, Mathias 2005: Rasse und Ethnizität: Zur Problemgeschichte zweier Begriffe in der amerikanischen Soziologie, Wiesbaden, S. 16.
Race matters
I.1 R asse = r ace ? Mit der (Nicht-)Gleichsetzung von ›Rasse‹ und ›race‹ ist neben der sozialen Konstruiertheit von Rasse schon ein wesentlicher Punkt angesprochen, der beim Umgang mit dem Konzept ›Rasse‹ zu bedenken ist: seine Gebundenheit an einen bestimmten historischen und räumlichen Kontext und damit seine Implikationen in einem bestimmten Sprachraum.6 Das deutsche Wort ›Rasse‹ hat andere Konnotationen als das englische Wort race im amerikanischen Diskurs. Daher stellt sich die Frage, wie man in einer deutschsprachigen Arbeit mit diesem Begriff analytisch präzise umgeht, so dass der spezifische Kontext, in dem das Wort in Primär- und Sekundärquellen benutzt wird, nicht in Vergessenheit gerät. Spätestens, wenn man auf Begriffe stößt, die im amerikanischen Diskurs zu Rasse omnipräsent sind, zu denen im Deutschen jedoch kein gebräuchliches Äquivalent zu finden ist, welches das dahinterstehende Konzept in seiner Gesamtheit durch einen Begriff zu fassen vermag (z.B. whiteness, blackness, white supremacy) bzw. das im Deutschen so belastet ist, dass die ›völkischen‹ Implikationen im Kontext der deutschen Geschichte den Aussagegehalt im amerikanischen Kontext zu vernebeln drohen (z.B. racialization – Rassifizierung, racial – rassisch): spätestens dann werden die Begrenzungen und das Verfälschungspotential der deutschen Sprache für dieses Thema deutlich. Andererseits wird gerade durch den Gebrauch der deutschen Sprache die Aufmerksamkeit überhaupt erst einmal bzw. verstärkt auf diese Problematik gelenkt. Arbeitet man mit ausschließlich englischsprachigen Quellen und verfasst im Anschluss daran eine Studie ebenfalls auf Englisch, ist es leicht, die dort verwendeten Begriffe für selbstverständlich zu halten, sie zu reproduzieren, ohne sich an deren Gebundenheit und Kontingenz zu stoßen. Der analytische Blick wird durch die Arbeit mit zwei Sprachen geschärft, wie das Beispiel von Rasse/race zeigt, weil gerade die faktische Unübersetzbarkeit des breiteren Bedeutungsspektrums ein Hinweis auf die Nichtuniversalität eines Begriffs bzw. Konzepts ist. Mathias Bös hat sich dazu entschieden, in seiner deutschsprachigen Studie auch dann, wenn es um im Deutschen belastetete Begriffe wie ›Rasse‹, ›rassisch‹ usw. geht, weitgehend mit den deutschen Begriffen zu operieren. Er ist daher, wenn er englischsprachige Zitate analysiert, gezwungen, stets auf die unterschiedlichen Konnotationen von Rasse im deutschen und race im amerikanischen Diskurs hinzuweisen. Dies mehrt den analytischen Wert seiner Untersuchung aber eher, als dass es ihn mindert, weil die entsprechenden Begriffe stets in einen Kontext mit amerikanischer Geschichte, Politik etc. gebracht und in ihrer Wandelbarkeit sichtbar gemacht werden. Aus den skizzierten Gründen schließt sich diese Arbeit dem Ansatz von Bös an. Zwar soll hier mit den Begriffen zumeist nicht auf einer vergleichenden Ebene operiert werden. Und auch ist offensichtlich, dass ein deutsches Äquivalent den amerikanischen Bedeutungsgehalt vieler Begriffe nicht in seiner Gesamtheit 6 | Vgl. hierzu Bös 2005, v.a. 29ff.
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abbilden kann. Dennoch wird der Mehrwert höher bewertet, der durch eine Verwendung deutscher Begriffe an den Stellen entsteht, an denen ein im deutschen Sprachgebrauch existierender Begriff vorhanden ist. Ist ein Leser von Begriffen wie ›Rasse‹ oder ›Rassifizierung‹ oder gar der Dichotomie Schwarz-Weiß befremdet, dann ist der Umstand, dass ihm die unbekümmerte Verwendung solcher Kategorien, wie sie in den USA ja durchaus üblich ist, auffällt, bereits ein Erkenntnisgewinn, der die Kontingenz dieser Konzepte vor Augen führt. Anderseits werden im amerikanischen Diskurs zu Rasse Termini verwendet, die im Deutschen keine auch nur annähernde Entsprechung haben, wie z.B. whiteness, blackness, white supremacy, racial uplift.7 Blackness ist eben mehr als ›Schwarzsein‹, white supremacy mehr als ›weiße Überlegenheit‹, und racial uplift bedeutet mehr (wenn nicht gar anderes) als ›rassischer Aufstieg‹. Diese Begriffe und weitere werden daher auch im Folgenden auf Englisch verwendet werden. Natürlich werden sie vor ihrer Verwendung zur Analyse eines Diskurses definiert, zu einem großen Teil bereits in diesem Kapitel.
I.2 R asse = E thnizität ? Im deutschsprachigen akademischen Diskurs lässt sich beobachten, dass der – historisch belastete – Begriff ›Rasse‹ gerne dadurch vermieden wird, dass an seiner Stelle der Begriff ›Ethnie‹ (bzw. ›Ethnizität‹) gesetzt wird.8 Dies ist jedoch wenig hilfreich, wenn man den amerikanischen Diskurs beschreiben möchte, da dort race und ethnicity zwei unterschiedliche Konzepte bezeichnen. Diese sind zwar beide nicht einheitlich definiert und voneinander abgetrennt, dennoch besteht ein gewisser common sense (oder eine gewisse Blindheit) auch im akademischen Diskurs, dass dies zwei Kategorien sind, die sich durchaus unterscheiden und deren Unterschiedlichkeit damit relevant ist.9 In der amerikanischen Soziologie werden unterschiedliche Definitionen von Rasse in Abgrenzung zu Ethnizität vorgenommen, die, wenn sie verglichen und auf Kohärenz und Plausibilität überprüft werden, am Ende auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenschrumpfen: Rasse bezieht sich auf den Phänotyp eines Menschen, d.h. rassische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich tatsächlicher bzw. wahrgenommener und als relevant befundener körperlicher Merk7 | Lediglich der Terminus Rassismus und seine Ableitungen werden auf Deutsch gebraucht, da die damit bezeichneten Diskriminierungsstrukturen über race/blackness/ whiteness bereits implizit definiert sind. 8 | Siehe dazu z.B.: Lars Heinemann 2001: »Ethnizität und Geltung. Möglichkeiten und Grenzen konstruktivistischer Theorien bei der Erklärung ethnischer Vergemeinschaftung«, in: Claudia Rademacher/Peter Wiechens (Hg.): Geschlecht – Ethnizität – Klasse: Zur sozialen Konstruktion von Hierarchie und Differenz, Opladen, S. 111-128. 9 | Vgl. hierzu Bös 2005, S. 21-33.
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male, während sich ethnische Gruppen in ihren kulturellen Praktiken unterscheiden.10 Ethnizität als soziale Kategorie hat dabei eine stark räumliche Konnotation (»Where are you from?«)11, und Menschen, die sich einer bestimmten ethnischen Gruppe zugehörig fühlen, tun dies im Glauben an geteilte Herkunft, Religion, Sprache und andere Facetten soziokulturellen Erbes. Loyalität gegenüber großen Einheiten (ethnic groups) konstituiert sich nicht auf der Basis direkter Kontakte, sondern gegenüber imaginierten Gemeinschaften, die nicht klar voneinander abgegrenzt sind.12 Die Funktion ethnischer Gemeinsamkeiten besteht darin, soziale Grenzen zwischen Gruppen gerade auch durch den Kontakt zu anderen, außerhalb der ethnischen Gruppe stehenden Personen und Gruppen, aufrechtzuerhalten. Ethnizität wird von Individuen sowie Gruppen also aktiv produziert und reproduziert im Glauben an und in Verbindung mit einer geteilten Geschichte.13 Bis zu einem gewissen Grad entscheidet man selbst, welchem Aspekt der eigenen Biographie man Vorrang gibt. Fühlt man sich als Irish-American (weil der Großvater mütterlicherseits Ire war), oder sieht man sich als Indian-American (weil der Vater indische Wurzeln hat)? Oder als Jewish-American nach der eigenen Konversion zum Judentum?14 Ethnizität wird damit von einer askriptiven zu einer frei wählbaren Kategorie. Allerdings erfolgt das mit Einschränkungen, denn auch wenn das Konzept von Ethnizität/ethnischer Identität im Gegensatz zu Rasse einen starken Fokus auf Wahlfreiheit (choice) hat, wechseln sich Fremdund Selbstzuschreibungen in der Regel ab, so dass man als jüdischer Konvertit in der Synagoge dennoch auffällt, wenn man ›irgendwie indisch‹ aussieht oder die indische Seite der Verwandtschaft vor den Kopf stößt, wenn man auf seiner irischen Identität beharrt.15 Daher ist es in manchem Zusammenhang auch angemessener, von ›ethnischer Identität‹ anstatt nur von ›Ethnizität‹ zu sprechen. Letzteres hat eine statische Konnotation (qua Geburt), die dem Konzept der bewussten Entscheidung (ethnic options)16 bzw. Multidimensionalität und Hybridität der Eigen- und Fremdzuschreibungen nur ungenügend Rechnung trägt, während ethnische Identität anerkennt, dass das Verhältnis eines Individuums zu seiner Ethnizität nicht im Vakuum existiert und im Laufe des Lebens immer wieder 10 | Waters, Mary 1990: Ethnic Options: Choosing Identities in America, Berkeley, S. 11; Bös 2005, S. 24f. 11 | Edles, Laura 2004: »Rethinking ›race‹, ›ethnicity‹ and ›culture‹: Is Hawai’i the ›model minority‹ State?« in: Ethnic and Racial Studies 27 (1), S. 37-68. 12 | Heinemann 2001, S. 111; zum Konzept der imagined communities siehe: Anderson, Benedict 1983: Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London. 13 | Joshi 2006, S. 10; weiterführend: Spickard, Paul R./W. Jeffrey Burroughs (Hg.) 2000: We are a People: Narrative and Multiplicity in Constructing Ethnic Identity, Philadelphia. 14 | Über ›Jewishness‹ als race/ethnicity in den USA im folgenden Genaueres. 15 | Heinemann 2001, S. 113. 16 | Vgl. hierzu: Waters 1990.
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verändert, herausgefordert und neu definiert werden kann.17 Um die Funktion von Ethnizität im amerikanischen Diskurs in seiner Abgrenzung zu Rasse zu verstehen, muss man sich die Entstehungsgeschichte des Konzepts der Ethnizität vor Augen führen. Während Rasse ein Terminus ist, der die Geschichte der USA durch die Jahrhunderte begleitet hat, ist Ethnizität ein relativ neues Konzept. Erst zwischen Ende der 1920er und Ende der 1940er Jahre tauchte der Begriff vermehrt in wissenschaftlichen, vor allem soziologischen Publikationen und in der Folge in der Öffentlichkeit auf, nachdem ›ethnische Gruppe‹ das erste Mal Anfang der 1920er Jahre als Begriff geprägt worden war.18 Die Funktion dieses neuen Begriffs war es, europäischen Einwanderern die Integration in die amerikanische Gesellschaft zu ermöglichen. Galten Iren, Juden und Polen bis dato als Rasse, die außerhalb der Normativität der WASPs (White Anglo-Saxon Protestants) standen und daher nicht im vollen Umfang integrierbar waren (der whitenessForscher Tim Wise nennt sie not-quite whites/off-white groups – also »weiß, aber nicht so richtig«)19, wurden diese erfolgreich in den weißen Mainstream assimiliert, indem ihre Identität umdefiniert wurde. Aus rassischen Gruppen wurden ethnische Gruppen, wodurch Differenz zwar weiterhin markiert werden konnte, diese jedoch keine Exklusion mehr verlangte: »Ethnicity, then, has emerged as a category that both unites ›whites‹ and differentiates the various groups that have been linked under the rubric ›whiteness‹.«20 Unterschiede zwischen white ethnics existierten zwar noch – und tun dies bis heute –, aber sie werden nicht als rassische Unterschiede wahrgenommen, stellt Matthew Jacobson beispielsweise für die Juden fest: »If Jewishness never faded altogether as a social distinction, it did fade considerably […] as a racial one.«21 Gefördert wurde dies zu einem großen Teil dadurch, dass sich die neuen ethnischen Gruppen mit dem weißen Mainstream gemeinsam strikt gegen die Rasse der Afroamerikaner abgrenzten, die die ultimative Projektionsfläche für die common whiteness darstellten. Die ehemaligen whites-to-be galten nun als weiß und damit erfolgreich assimiliert – ein Weg, der Afroamerikanern verschlossen blieb, da sie ja nicht weiß werden konnten.22 Sklaverei stellt eine der Hauptursachen dabei dar, dass in den USA ein spezifisches Verständnis von racial knowledge und Kategorisierung produziert wurde, so dass die Einwanderer, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA kamen, eine alternative Rassenkategorie schaffen konnten, die wir heute als Ethnizität verstehen. 17 | Joshi 2006, S. 10. 18 | Bös 2005, S. 76ff. 19 | Rottenberg, Catherine 2008: Performing Americanness: Race, Class, and Gender in Modern African-American and Jewish-American Literature, Hanover, S. 80, 88. 20 | Rottenberg 2008, S. 89; siehe z.B. dazu: Noel Ignatiev 1995: How the Irish became White, New York. 21 | Jacobson, Matthew F. 1998: Whiteness of a Different Color: European Immigrants and the Alchemy of Race, Cambridge, S. 197 (Hervorhebung durch M.J.). 22 | Rottenberg 2008, S. 88.
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Afroamerikaner blieben davon jedoch per definitionem ausgeschlossen: »The concept of ethnicity […] emerged out of the carefully policed hegemonic racial hierarchy that positioned ›whites‹ on top and ›blacks‹ on the bottom.«23 Bis heute gilt für neue Einwanderergruppen, sei es aus Lateinamerika oder Asien, dass sie in ihrer Mehrheit unter Berufung auf Ethnizität die Integration in den weißen Mainstream versuchen. Ethnizität kann für sie dabei als ein Instrument der sozialen Mobilität und der Affiliation mit whiteness fungieren, indem sie damit das Stigma von Rasse umgehen: »Ethnicity has emerged as an alternative to or separate category from race, one which allows and encourages ethnics to carve out a white (and thus American) identity.«24 Damit werden Einwanderer zu Erfüllungsgehilfen des antischwarzen Rassismus, so Vijay Prashad: Südasiaten zum Beispiel seien in die USA gekommen und hätten zumindest teilweise ihre blackness zugunsten von sozialem Aufstieg negiert (was Schwarzen meist verwehrt bleibt). Die Solidarität mit Schwarzen wäre dabei nur hinderlich gewesen – und ist es bis heute.25 Die Differenz zur Mehrheitsgesellschaft wird in diesem Konzept von Ethnizität nur noch kulturell begründet (v.a. Religion und Sprache) und nach wie vor hierarchisiert, indem bestimmte kulturelle Gepflogenheiten als ›minderwertig‹ definiert werden. Doch, so der Soziologe W. Llyod Warner in seiner Studie zu ethnischen Gruppen aus dem Jahr 1945, können sich kulturelle Merkmale mit der Zeit der Mehrheitsgesellschaft angleichen, wodurch die Zeichen der Minderwertigkeit der Gruppe verschwinden. Aber eine Angleichung des Phänotyps eines Menschen oder einer Gruppe sei so nicht möglich, weshalb der inferiore Status, der mit der Zuteilung zu einer als minderwertig definierten rassischen Gruppe einhergeht, unveränderbar sei, solange die Mehrheitsgesellschaft die Werturteile über körperliche Merkmale nicht ändere.26 Bis heute wird in den USA die Kategorie ›Rasse‹ in sämtlichen Statistiken von Behördern u.ä. erfasst, ganz gleich, ob es um Kriminalität, Hochschulabschlüsse, Arbeitslosigkeit oder das Gesundheitssystem geht. Deshalb ist die Wahlfreiheit in Bezug auf die eigene ethnische Identität, die ethnic choice, eben doch durch die vorrangige Stellung von Rasse im amerikanischen Diskurs, wissenschaftlich und gesellschaftlich gleichermaßen, limitiert. Dies hat vor allem für Afroamerikaner die Folge, als unmeltable zu gelten, also als Menschen, die nicht im großen Schmelztiegel aufgehen können:
23 | Rottenberg 2008, S. 78. 24 | Rottenberg 2008, S. 90. 25 | Prashad, Vijay 2000: The Karma of Brown Folk, Minneapolis, S. 177, in: Karim, Jamillah A. 2006b: »To Be Black, Female, And Muslim: A Candid Conversation about Race in the American Ummah«, in: Journal of Muslim Minority Affairs 26 (2), S. 226. 26 | Bös 2005, S. 116f., ausführlicher dazu: W. Lloyd Warner/Leo Srole (Hg.) 1945: The Social System of America Ethnic Groups, New Haven 1945.
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Die Erben des Malcolm X »Morphing race into ethnicity has not been possible for African Americans at all, since the intelligibility of ethnicity depends on the prior construction of black-white binary opposition.« 27
Im Gegensatz zur ethnischen Identität ist die rassische Identität damit in erster Linie das Resultat einer Fremdzuschreibung von Seiten der dominanten Gruppe (hier: der weißen Mehrheitsbevölkerung). Für die ›Anderen‹ (hier: Schwarze) bedeutet dies eine »racial burden, a burden […] that is always imposed on (and often eagerly accepted by) blacks in ways that it could neither be imposed on nor accepted by whites.«28 Denn Weiße haben die Rolle inne, diese Bürde aufzuerlegen und festzulegen, wer zur jeweiligen Rasse gehört.29 Sie schreiben zu, während Schwarzen zugeschrieben wird. Die racial identity wurde bei Afroamerikanern im Hinblick auf ihre Aneignung der Fremdzuschreibung durch Weiße aus dem Bewusstsein genährt, in einer white-normative society nicht weiß zu sein. Die racial identity gründet sich damit im Gegensatz zur ethnic identity auf eine Unterdrückungs-erfahrung.30 Rasse bzw. die Zuschreibung von Rasse repräsentiert dabei in der Gesellschaft vorhandene Machtstrukturen und Machtkämpfe, macht sie sichtbar. Damit ist Rasse als Konstrukt ebenso wenig statisch wie diese Strukturen und Kämpfe, sondern wird permanent dynamisch reproduziert und transformiert, wie Omi und Winant in ihrer Studie zu ›racial formation‹ beschrieben haben: »Race is an unstable complex of social meanings constantly being transformed by political struggle […] Race is a concept which signifies and symbolizes social conflicts and interests by referring to different types of human bodies.« 31
Biologistischen Erklärungen für die Kategorisierung verschiedener rassischer Gruppen wird damit der Boden entzogen. Wenn das Konzept von Rasse so fluide und kontingent ist, dass, sobald es dem Interesse der Mehrheitsgesellschaft dient, ehemalige rassische Gruppen – wie Juden und Iren – in ethnische Gruppen umdefiniert werden können, obwohl auch deren Differenz/Minderwertigkeit bis dato mit angeblichen körperlichen Unterschieden begründet worden war; wenn all dies also mehr von gesellschaftlichen Machtkonstellationen als von tatsächlich 27 | Rottenberg 2008, S. 78. 28 | Young 2007, S. 6. 29 | Daher die Formulierung ›the white man’s burden‹ im kolonialen Diskurs, sich beziehend auf das gleichnamige Gedicht Rudyard Kiplings (1899) im Kontext der amerikanischen Eroberung der Philippinen: Imperialismus von weißer Seite und die ›Zivilisierung‹ nichtweißer Völker wird darin als noble und notwendige Aufgabe bezeichnet. 30 | Joshi 2006, S. 11. 31 | Omi, Michael/Howard Winant (Hg.) 1994: Racial Formation in the United States: From the 1960s to the 1990s, 2. Aufl., New York, S. 55.
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relevanten körperlichen Merkmalen abhängig ist (denn es stellt sich die Frage, wer entscheidet, ob es nun um Hautfarbe, Haarfarbe, Augenfarbe oder Größe geht); wenn Genetiker gezeigt haben, dass die genetische Differenz innerhalb einer sozial definierten rassischen Gruppe stets größer ist als zwischen verschiedenen rassischen Gruppen: Welche Aussagekraft hat Rasse dann noch, welchen analytischen Wert? Die Konstruktion von rassischer Identität und die Klassifizierung der Menschen in rassische Gruppen geschieht eben nicht nur – aber auch – durch die Hautfarbe, sondern ist komplexer: »On the one hand, as we have seen, race is assumed to manifest itself in the visible, that is, skin pigmentation, and seems to operate in an ›optical economy of identity‹.«32 Aber gleichzeitig gilt: »Melanin (i.e. skin pigmentation, K.S.), it seems, is not the manifest truth of race, although it has played a crucial part in the construction of racial thinking in the United States.«33 Das wird vor allem am Phänomen des sogenenannten race passing deutlich, wenn also jemand ›eigentlich schwarz‹ ist (weil er zumindest teilweise schwarze Vorfahren hat – wenn auch u.U. nur wenige), es ihm aber nicht anzumerken ist, weil er ›weiß‹ aussieht und deshalb nicht als ›schwarz‹ erkennbar ist. Der Bedrohlichkeit des ›unerkannten Schwarzen‹, der die Weißen an der Nase herumführt, sie unterwandert und im schlimmsten Fall genetisch kontaminiert (durch Fortpflanzung), hat die amerikanische Literatur ganze Bücher gewidmet, am bekanntesten sicher Philip Roths ›Der menschliche Makel‹ (The Human Stain). Am Beispiel des passing wird am offensichtlichsten, wie willkürlich die Zuschreibung von rassischen Identitäten in Amerika ist – und welch geringe Rolle die Biologie/ der Phänotyp dabei spielt. Wie Omi und Winant beschrieben haben, ist Rasse also vor allem ein Konzept, durch dessen Analyse Machtstrukturen in der amerikanischen Gesellschaft sichtbar gemacht werden können, die von den Beteiligten permanent herausgefordert, stabilisiert und transformiert werden. Sowohl Rasse als auch Ethnizität sind keine ontologischen Essenzen, sondern »powerful fictions that have developed as a result of historical specifities and contingencies which have served as a profound ordering of difference«.34 Rasse ist wichtig, weil Menschen glauben, dass Rasse wichtig ist und sich daher ständig darauf beziehen, und dies gilt sowohl für die, die den Diskurs bestimmen als auch für jene, die davon nur bestimmt werden. Den dynamischen Charakter von Rasse betont das Konzept der race performativity, das Louis Miron und Jonathan Xavier Inda folgendermaßen beschreiben:
32 | Rottenberg 2008, S. 39. 33 | Rottenberg 2008, S. 39. 34 | Wiegman, Robyn 1995: American Anatomies: Theorizing Race and Gender, Durham, S. 5.
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Die Erben des Malcolm X »Race does not refer to a pre-given subject. Rather, it works performatively to constitute the subject itself and only acquires a naturalized effect through repeated or reiterative naming of or reference to that subject.« 35
Das Konzept Rasse, auf das sich die amerikanische Gesellschaft bezieht, entsteht überhaupt erst durch diesen Bezug, es stellt Prämisse und Konsequenz in einem dar. Durch die permanente Wiederholung im öffentlichen Diskurs erscheint es den Akteuren zunehmend als ›natürlich‹, und die Macht dieser Konstruktion besteht darin, dass nicht nur die dominante Gruppe, die Weißen, sich darauf berufen, sondern alle anderen Gruppen ebenfalls, auch wenn sie, wie die Afroamerikaner, damit in eine inferiore Position gedrängt werden. Doch anstatt das Konstrukt von ›Rasse‹ an sich in Frage zu stellen, eignen zahlreiche Afroamerikaner – sowohl Individuen als auch Gruppen – es sich an und versuchen dadurch, es zu einem empowerment der black community umzudefinieren.
I.3 R assifizierung /R assenbildung , blackness und white supremacy : zur (U n -)Ü berse t zbarkeit von B egriffen Die Wandelbarkeit von Rasse als Kategorie, ihre soziale Konstruiertheit, wird besonders deutlich, wenn man den Prozess betrachtet, der rassische Gruppen erst hervorbringt: die sogenannte Rassifizierung (racialization) oder auch Rassenbildung (racial formation), »the sociohistorical process by which racial categories are created, inhabited, transformed, and destroyed.«36 Hunters Definition von Rassifizierung/Rassenbildung macht auf den ›Prozesscharakter‹ der Kategorisierung und die Funktionalität einer racial stratification aufmerksam. Sie beschreibt Rassifizierung in seiner historischen Bedingtheit als »a process through which racial categories are constructed and altered over time. Racial projects establish what ›race‹ means in any given historical period through images, representations, and explanations about racial categories and groups.« 37
Die Zielsetzung der während dieses Prozesses entstehenden Zuschreibungen (racial meanings) sei es »to justify organizing a society along racial lines and to disperse resources accordingly.«38 35 | Miron, Louis/Jonathan Xavier I. 2000: »Race as a Kind of Speech Act«, in: Cultural Studies: A Research Annual 5, S. 86-87. 36 | Omi/Winant 1994, S. 55; siehe dazu, v.a. im Vergleich Nord- mit Mittel- und Südamerika auch: Henry Goldschmidt/Elizabeth McAlister (Hg.) 2004: Race, Nation, and Religion in the Americas, Oxford. 37 | Hunter, Margaret L. 2005: Race, Gender and the Politics of Skin Tone. New York, S. 20. 38 | Hunter 2005, S. 20.
Race matters
Konstruktion von Rasse in Amerika: Schwarz und Weiß Ein Blick auf die Geschichte der Konstruktion von Rasse in Amerika zeigt, dass von Anfang an die Dichotomie Weiß – Schwarz im Zentrum des Diskurses stand: »The Negro, and not the Italian, the Jew, or even the Mexican […] has represented the Other of whiteness.«39 Um die Entstehung dieser Dichotomie zu verstehen, müsse man sich ins Bewusstsein rufen, dass »law and blood are crucial terms«, so Catherine Rottenberg. 40 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurden zentrale Begriffe des Rassendiskurses ins Gesetz aufgenommen: Der Naturalization Act von 1790 besagte unter anderem, dass nur ›free white persons‹ Bürger der Vereinigten Staaten werden können. Damit war die Verbindung von ›becoming white‹ und ›becoming American‹ geschaffen. 41 Ein knappes Jahrhundert später, im Jahre 1875, änderte sich das. Nun konnte man auch mit African nativity – d.h. mit schwarzer Hautfarbe – die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen (aber alle Minderheiten versuchten weiterhin, auf der Basis von whiteness die Staatsbürgerschaft zu erhalten). 42 Doch im Bewusstsein des weißen Amerika blieb die Verbindung von Rasse und Sklaverei erhalten: ›Schwarz‹ war im Diskurs gleichbedeutend mit ›Afrika‹ und ›Sklave‹, es war »intuitively certain for Caucasians of western European heritage both that slavery was limited to blacks and that all people of African descent were naturally prepared for slavery«. 43
Zwischen dem Ende der Sklaverei und dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung war es Schwarzen verboten to act white, so die Anthropologin Signithia Fordham. Afroamerikaner durften nicht an den gleichen Aktivitäten wie Weiße teilnehmen, keine Collegebildung erhalten usw.: »This prohibition against ›acting white‹ defined what it meant to be black during Jim Crow and was metaphorized by DuBois as the ›Veil‹ of separation between blacks and whites.« 44 Der afroamerikanische 39 | Rottenberg 2008, S. 70. 40 | Rottenberg 2008, S. 72. 41 | Rottenberg 2008, S. 72. 42 | Rottenberg 2008, S. 73. 43 | Noll, Mark A. 2008: God and Race in American Politics: A Short History, Princeton, S. 41f.; Caucasian wird in den USA prinzipiell synonym verwendet für white, jedoch nur für Weiße europäischer Abstammung. So bezeichnen sich zwar z.B. manche Einwanderer aus Südamerika als d, würden jedoch niemals als Caucasian definiert werden. 44 | Young 2007, S. 127f.; Fordham, Signithia 1996: Blacked Out: Dilemmas of Race, Identity, and Success at Capital High, Chicago, S. 359. Als Jim Crow-Gesetze werden jene Gesetze bezeichnet, die seit der Entscheidung des Supreme Court (1876, Urteil Plessy v. Ferguson) die Rassensegregation der Südstaaten unter dem Etikett ›separate but equal‹ legalisierten. Darunter fielen – je nach Bundesstaat unterschiedlich – segregierte Schulen, Transporteinrichtungen, das Verbot von Mischehen, spezielle Tests für nichtweiße Wähler etc. Der Name »Jim Crow« bezog sich dabei auf die von dem weißen Komiker Thomas D. Rice
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Soziologe W.E.B. DuBois (1868-1963) beschrieb seinerzeit den internen Effekt, den die externe Funktion dieses ›Schleiers‹ auf Afroamerikaner habe, als double consciousness, welche er folgendermaßen definierte: »One ever feels his twoness, – an American, a Negro; two souls, two thoughts, two unreconciled strivings; two warring ideals in one dark body, whose dogged strength alone keeps it from being torn asunder.« 45 Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich whiteness zunehmend Einwanderern aus der ganzen Welt öffnete und neue in-between minorities wie Latinos und Asian Americans (nach Susan Koshy den nächsten potentiellen white-to-be-Gruppen 46) mit dem weißen Mainstream Koalitionen eingingen, verschärfte sich die Schwarz-Weiß-Dichotomie noch einmal erheblich. 47 Auch wenn es heute nicht nur Schwarz und Weiß als rassische Gruppen gibt, sondern sogenannte intermediary racial groups oder in-between racial groups, die gewissermaßen die große Grauzone darstellen (wobei an den gegenüberliegenden Enden der Skala nach wie vor Schwarz und Weiß als die zentralen Referenzpunkte stehen)48, so ist die Schwarz-Weiß-Binarität des amerikanischen Rasse-Diskurses ein zentraler Bestandteil der kulturellen Hegemonie in Amerika, meint Stuart Hall: »The binary is the form of the operation of power, the attempt to closure: power suturing language. It draws frontiers: you are inside, but you are out.«49 Der hegemoniale Diskurs zu Rasse produzierte und verstärkte die Verbindung spezifischer Attribute zu whiteness (zivilisiert, intelligent, moralisch, hart arbeitend) und blackness (wild, instinktgetrieben, einfach gestrickt, zügellos, faul).50 Essentiell hierbei ist, dass das Machtgefälle in dem Diskurs synchron zur Trennlinie zwischen den Rassen, der sogenannten racial line oder auch color line, verläuft. Doch dies sei vielen Weißen in Amerika überhaupt nicht bewusst, klagt der whiteness-Forscher Tim Wise. Stattdessen glauben sie, Schwarze könnten ja der Gruppe des zivilierfundene Figur, den tanzenden und singenden ›Jump Jim Crow‹, den Rice selbst mittels des damals verbreiteten blackface (d.h. als schwarz geschminkter weißer Schauspieler) darstellte. Er karikierte dabei Afroamerikaner als dumm, tölpelhaft und einfältig. Siehe dazu u.a.: Leon F. Litwack 1998: Trouble in Mind: Black Southerners in the Age of Jim Crow, New York; R. Kent Rasmussen 1997: Farewell to Jim Crow: The Rise and Fall of Segregation in America, New York; Susan Gubar 1997: Racechanges: White Skin, Black Face in American Culture, New York. 45 | Zitiert nach: Young 2007, S. 127f.; Fordham 1996, S. 359. 46 | Koshy, Susan 2001: »Morphing Race into Ethnicity: Asian Americans and Critical Transformations of Whiteness«, in: Boundary 2 28 (1), S. 153-194, S. 187-93. 47 | Rottenberg 2008, S. 89. 48 | Rottenberg 2008, S. 70f. 49 | Osborne, Peter/Linda Segal 1999: »Interview with Stuart Hall: Culture and Power«, in: Rodolfo D. Torres/Louis F. Mirón/Jonathan Xavier Inda: Race, Identity, and Citizenship: A Reader, Malden/Oxford, S. 403. 50 | Rottenberg 2008, S. 85.
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sierten, moralischen, hart arbeitenden Mainstream beitreten – er nennt das the program –, wenn sie nur wollten. Dieser Mainstream geht davon aus, so Wise, dass dieses Programm fair und gerecht sei, und es komme den Menschen nie in den Sinn, dass auch Nichtweiße das gleiche Recht wie Weiße hätten, nicht nur mitzumachen bzw. auszusteigen, sondern auch die Regeln des nationalen Programms mitzubestimmen.51 Whiteness, white supremacy, white privilege: unsichtbare Machtstrukturen Damit spricht Tim Wise einen zentralen Punkt dessen an, was in der Forschungsliteratur als white privilege bezeichnet wird, nämlich die Macht, die daraus resultiert, dass man in Amerika als weiß gilt, eine Hautfarbe, die als so normal empfunden wird, dass sie quasi unsichtbar ist: »The invisibility of the mark of whiteness is exactly the mark of its privilege.«52 Nach Peggy McIntosh ist das white privilege »an invisible package of unearned assets«, »a weightless knapsack of special provisions, maps, passports, codebooks, visas, clothes, tools, and blank checks.«53 White privilege bedeutet also, dass man, selbst wenn man sich dessen nicht bewusst ist oder man es eigentlich nicht möchte, davon profitiert, dass man in Amerika als weiß gilt: »Whether in Idaho or the Desire Housing Projects in the lower ninth ward of New Orleans, whiteness is of benefit, in relative and absolute terms. It is that one less thing to worry about. It bestows advantage, no matter how much fog we may use to cover up that simple fact.« 54
Gerade weil whiteness das Leben in Amerika so sehr erleichtert (wegen des white privilege), streben Individuen und Gruppen danach, selbst als weiß zu gelten, versuchen Immigranten aus Lateinamerika und Asien, sich als weiß zu definieren und nur über ihre Ethnizität ein kulturelles Profil zu bewahren, das sie als ›anders, aber doch gleich‹ ausweist, ähnlich wie die Iren und Juden. Whiteness ist für sie die Eintrittskarte in die dominante Gruppe. Doch die Projektionsfläche hierfür sind nichtweiße Individuen und Gruppen: Whiteness wird erst dann zum Privileg, wenn sie sich abgrenzen kann. Eine dominante Gruppe sucht nach denen, die sie dominieren kann, sonst läuft die Dominanz ins Leere. Und genau hierauf gründe sich das Regime der white supremacy, der ›weißen Vorherrschaft‹, so Tim Wise: »After all, white supremacist regimes require both the desirability of white-
51 | Wise, Tim 2005: White Like Me: Reflections on Race from a Privileged Son, New York, S. 65. 52 | Rottenberg 2008, S. 38. 53 | McIntosh, Peggy 1989: White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack, erstmals veröffentlicht in: Peace and Freedom, S. 79. 54 | Wise 2005, S. 48.
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ness and a patent racial hierarchy.«55 Wie bereits im Zusammenhang mit Rasse/ Ethnizität erläutert wurde, können Afroamerikaner in den USA niemals als weiß gelten. Sie sind die Gruppe, die aufgrund der dem amerikanischen Gesellschaftssystem zugrundeliegenden Ideologie die Rolle der ewigen Projektionsfläche innehat. Blackness und whiteness schließen sich per definitionem aus. Das System der white supremacy verlangt von Afroamerikanern damit einerseits, dass sie ihre absolute Andersartigkeit akzeptieren, andererseits aber wie z.B. asiatische oder lateinamerikanische Einwanderer nach den Privilegien von whiteness streben, damit sie systemimmanent zumindest im relativen Sinne erfolgreich sein können: »So long as blackness is coded as undesirable under white supremacist regimes, only those black-identified subjects who strive to embody attributes associated with whiteness will gain admittance to some of the benefits of privilege and power.« 56
Diese »assumption of whiteness« bedeutet für Afroamerikaner, dass sie sich als schwarz (oder anderes)57 identifizieren, aber danach streben, als weiß zu gelten.58 Genau aus diesem Widerspruch heraus schöpft die dominante Gruppe ihre Kraft und versichert sich ihrer selbst: »This contradiction, which actually constitutes the hegemonic category of race, proves to be a very effective way of policing its borders.«59 Nachdem es Schwarzen also früher verboten war to act white, sind sie nun »obligated to ›act white‹ in order to compete with White Americans«.60 Deshalb verliefen die Integration der Afroamerikaner (Bürgerrechtsbewegung) und eine Zunahme des schwarzen Nationalismus (Recht auf Erhaltung eigener, schwarzer kultureller Praktiken) parallel, wobei beide nur Reaktionen auf eine Fremdzuschreibung darstellten.61
55 | Rottenberg 2008, S. 117. 56 | Rottenberg 2008, S. 45. 57 | Zur Frage der Selbstdefinition zeigt eine Gallup-Umfrage (2007), dass sich Afroamerikaner in den letzten Jahren vermehrt als ›African American‹ bezeichnen, auch wenn ›black‹ nach wie vor ebenfalls benutzt wird: Newport, Frank: Black or African American? (28.09.2007), Gallup News Service, auf: www.gallup.com/poll/28816/black-africanamerican.aspx (abgerufen am 03.10.10); zu weiteren Termini siehe z.B.: Charles Agyemang/Raj Bhopal/Marc Bruijnzeels 2005: »Negro, Black, Black African, African Caribbean, African American or What? Labelling African Origin Populations in the Health Arena in the 21st Century«, in: Journal of Epidemiology and Community Health 59 (12), S. 1014-1018; Kenneth L. Ghee 1990: »The Psychological Importance of Self Definition and Labeling: Black versus African American«, in: Journal of Black Psychology 17 (1), S. 75-93. 58 | Rottenberg 2008, S. 43. 59 | Rottenberg 2008, S. 43. 60 | Fordham 1996, S. 350. 61 | Young 2007, S. 129.
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Blackness, Black Pride und Rassismus Das System der white supremacy besteht darin, dass Weiße die Deutungshoheit über alles, was mit Rasse zu tun hat, innehaben. Sie definieren nicht nur, was es heißt, weiß zu sein, sondern auch, was es heißt, nichtweiß und v.a. schwarz zu sein. Auch wenn blackness heute in vielen Kontexten für eine Selbstbestimmung von Afroamerikanern steht, wenn sich Afroamerikaner mit black power, black pride, black music usw. das Etikett blackness mit dem Ziel des racial empowerment angeeignet haben, macht ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von Rasse, whiteness und blackness nur zu deutlich, wie sehr blackness, wie sie heute im amerikanischen Kontext verstanden wird, im Grunde eine Fremdzuschreibung ist, von der sich auch von Afroamerikanern angeeignete Definitionen kaum zu lösen vermögen. Dies zeigen die Irritationen auf Seiten Weißer, wenn die Selbstzuschreibungen von Afroamerikanern von diesen mit permanent wechselnden Begriffen unterlegt werden (black, Afro-American, African-American, African American usw.). Jede dieser Selbstbezeichnungen stellt für sich für eine bestimmte Haltung zur eigenen Identität dar, teilweise nur unterschieden durch einen Buchstaben oder einen Bindestrich, und macht damit die betreffende Person zum Subjekt und nicht Objekt ihrer Identität. Dabei sei das Recht auf Selbstdefinition elementar, so James Baldwin, und es sei keineswegs nur Weißen vorbehalten, sich selbst und andere zu definieren, auch wenn deren Selbstdefinition damit ebenfalls erschüttert werde: »Because if I am not what I’ve been told I am, then it means that you’re not what you thought you were either!«62 Zentral bei der Definition von blackness – selbst- und fremdbestimmt – ist bis heute die one-drop rule. Diese Regel, an der weder damals noch heute je eine andere rassische oder ethnische Gruppe gemessen wurde63, ist im Kontext der Sklaverei definiert worden: Nur ein Tropfen ›schwarzes Blut‹, und ein Mensch gilt als schwarz (und damit als potentielles ›Sklavenmaterial‹). Durch die essentialistische Dichotomisierung zweier sich ausschließender Hautfarben (man kann demnach nicht halb schwarz, halb weiß sein, denn damit wäre man nach der onedrop rule GANZ schwarz) wurde die white supremacy und das System der Sklaverei stabilisiert. In der Jim Crow-Ära, der Zeit der Rassentrennung, wurde das Prinzip verallgemeinert und 1930 in den U.S. Census aufgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und jahrhundertelanger Fremdzuschreibung haben Afroamerikaner im Zuge der Bürgerrechtsbewegung versucht, sich die one-drop rule anzueignen, um das Bewusstsein für eine Gemeinschaft zu schaffen, die sich kollektiv für die politische Emanzipation in Amerika einsetzen wollte.64 Demnach sollte jeder, 62 | Baldwin, James: »A Talk to Teachers«, eine Rede gehalten am 16.10.1963, Titel der Rede: »The Negro Child – His Self-Image«, ursprünglich veröffentlicht in: The Sunday Review, December 21, 1963, nachgedruckt in: Baldwin, James 1985: The Price of the Ticket: Collected Non-Fiction 1948-1985, Saint Martins, S. 325-332. 63 | Rottenberg 2008, S. 72. 64 | Bös 2005, S. 263.
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der als schwarz galt, sich auch schwarz fühlen und dem Kampf um Bürgerrechte anschließen. Die one-drop rule hat, trotz der positiven Auswirkungen im Sinne eines Ankerpunktes für die Herausbildung eines kollektiven Bewusstseins für blackness, dennoch bis heute eine große Einschränkung der Wahlfreiheit für Afroamerikaner zur Folge. Denn sie gelten in den USA bis heute als die einzige Gruppe, die ›nicht assimilierbar‹ ist, weil alle Mischungen der Vorfahren (sei es mit Weißen, Latinos oder Asiaten) im Ergebnis immer zu ›schwarz‹ führen. Sie sind die einzigen Amerikaner, die nicht wählen können, was sie sind, die keine Chance zum opting out, zum Ausstieg aus den Zuschreibungen, haben.65 Hat man einen Vater mexikanischer Herkunft, eine Mutter irischer Abstammung, hat man in Amerika die Wahl, ob man sich als weiß oder Latino definiert. Ist die Mutter jedoch Afroamerikanerin, ist man schwarz, ganz gleich, was der Vater ist.66 Das gleiche Prinzip fungiert allerdings innerhalb der black community. Hier wird deutlich, wie sehr die afroamerikanische Definition von blackness von der weißen, hegemonialen Zuschreibung beeinflusst ist. Gerade sehr helle Afroamerikaner fühlen sich oftmals verpflichtet, ihre schwarze Identität besonders zu betonen, um ihre Loyalität zur black community zu versichern, die ihnen von dunkleren Afroamerikanern oft abgesprochen wird.67 Ist jemand so hell, dass er von den meisten Amerikanern als ›weiß‹ wahrgenommen würde, obwohl er eine schwarze Großmutter hatte (und sonst nur weiße Vorfahren), dann würde er nach Logik der white supremacy das sogenannte passing betreiben, wenn er nicht zu seiner blackness steht, sondern als Weißer ›durchgeht‹. Und nach Logik des black pride movement ebenfalls: er wäre ein ›racial apostate‹ – weil er, gemäß der onedrop rule, ja ›eigentlich schwarz‹ wäre. In der black community gibt es so viele Tests für authentic blackness, dass ernsthafte interne Konflikte entstehen.68 Blackness, so der afroamerikanische Harvardgelehrte Henry Louis Gates, hat in der black community eine quasireligiöse Struktur bekommen.69 Dabei wird teilweise ein Prinzip von Rassereinheit (racial purity) angewandt, das dem Konzept des ›arischen Menschen‹ ähnelt. Gerade in afrozentristischen Kreisen wird eine »pure African descendance« beschworen, die, so Itabari Njeri, manchmal lächerliche 65 | Bös 2005, S. 263f. 66 | Vgl. hierzu: Davis, F. James 1991: Who is Black? One Nation’s Definition, University Park; sowie Waters 1990. 67 | Vgl. zur color stratification innerhalb der black community und den damit verbundenen Loyalitäts- und Machtstrukturen: Hunter, Margaret L. 2005: Race, Gender and the Politics of Skin Tone. New York. 68 | Njeri, Itabari 1998: »A Ham, a Violin, and Ohhhh Those Psychic Blues«, in: Amy Alexan der: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 228-241, S. 236. 69 | Gates, Henry Louis, Jr. 1998: »The Charmer«, in: Amy Alexander: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 18-51, S. 49f.
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Züge annehme: denn demnach stammten alle von Königen ab, keiner aber vom afrikanischen Dorfdieb oder Schmied.70 Die Problematik der Aneignung eigentlich rassistischer Fremdzuschreibungen durch Afroamerikaner selbst wird auch in der black community von einigen Protagonisten durchaus erkannt. Njeri beispielsweise beschwert sich in Anspielung auf die one-drop rule, dass das weiße Amerika Schwarze zwingen wolle, sich nach der Logik der Sklavenhalter zu definieren: sie nennt das die »Little Dab’ll Do You School of Genetics«.71 Es sei irreführend, schwarze Identität als einen monolithischen Block zu konzipieren, denn schließlich seien Afroamerikaner – als Nachfahren der aus vielen Teilen Afrikas verschleppten Sklaven – eines der ethnisch heterogensten Völker der Welt. Trotz allem sieht Njeri heute einen Vorteil darin, sich kollektiv als ›black‹ zu definieren: Afroamerikaner hätten aus der Not einfach eine Tugend gemacht und die von Weißen aufoktroyierte, monolithische Identität als ›Schwarze‹ angenommen. Eine Aufspaltung würde Afroamerikaner politisch dysfunktional machen wie es das Negativbeispiel Brasilien mit seiner entlang von Rassengrenzen gespaltenen Bevölkerung (color-stratified population) zeige.72 Rasse als eine mögliche Dimension menschlicher Repräsentation und als ein Element sozialer Struktur ist zunächst einmal in sich weder negativ noch positiv besetzt, trägt aber das Potential zu Diskriminierung durchaus in sich, wenn Hautfarbe zu einem Symbol für moralische und gesellschaftliche Zuschreibungen wird: »Rather, Racism describes the structures, policies, and individual acts whereby privilege, access, and opportunities that are otherwise unrelated to a person’s skin color are in fact meted out or withheld on the basis of skin color. Racism is ascription of moral or social value to differences of appearance. Individuals may manifest its patterns of thought in the form of discrimination.«73
Afroamerikanische Sozialwissenschaftler sind sich überwiegend einig, dass es, auch wenn ein Bewusstsein für blackness in der black community bei manchen Afroamerikanern mit einer Abwertung, wenn nicht Ablehnung von Weißen einhergeht, sie also Weißen aufgrund ihrer Hautfarbe im Sinne des oben genannten Zitats moralischen oder gesellschaftlichen Wert zu- bzw. absprechen, dennoch irreführend wäre, ihnen deshalb Rassismus vorzuwerfen. Denn ebenso wie Rasse gehe Rassismus einher mit einem »system of advantage based on race« und habe 70 | Njeri 1998, S. 236. 71 | Njeri 1998, S. 235f. Der Titel ist eine Anspielung auf einen Werbefilm aus den 1950er Jahren; die Firma Brylcreem vertrieb mit dem Slogan »a little dab’ll do ya« (»ein kleiner Tropfen wird dir reichen«) eine Haarglättungscreme. 72 | Njeri 1998, S. 236. 73 | Joshi 2006, S. 98f.
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damit wie Rasse eine klare Machtkonnotation, so Beverly Tatum, Psychologin und Präsidentin des historisch schwarzen74 Spelman Colleges: »People of color are not racist because they do not systematically benefit from racism«, obwohl auch Afroamerikaner »can and do have racial prejudices«.75 Der Rassist ist demnach derjenige, der in der dominanten Position ist, der definiert, der zuschreibt. Die schwarze Feministin Audre Lorde fügt hinzu, dass aus dem Innehaben der dominanten Position und dem Glauben an die eigene Überlegenheit das Recht abgeleitet werde, die ›anderen‹ weiter zu dominieren: »Racism, the belief in the inherent superiority of one race over all others and thereby the right to dominance.«76 Jedoch reicht es nicht zu glauben, man habe das Recht darauf, andere zu beherrschen – man muss dazu auch die Möglichkeit haben, wie der Soziologe Michael Eric Dyson betont: »Racism presupposes the ability to control a significant segment of the population economically, politically, and socially by impulsing law, covenant and restriction on their lives. Black people ain’t had no capacity to do that. Can [they] be bigoted? Yes. Can [they] be prejudiced? Yes. Racist? No.«77
Nun wäre es ein Irrtum zu glauben, die hier zitierten afroamerikanischen Sozialwissenschaftler argumentierten so, weil sie Afroamerikaner sind, und ihre Behauptung, Afroamerikaner könne man nicht als Rassisten bezeichnen, sei eine Abwehrreaktion bzw. eine Art ›Sonderdiskurs‹ in puncto Rassismusforschung oder Definitionen von Rassismus. Natürlich wird im öffentlichen Raum – jenseits akademischer Zirkel – der Begriff »Rassismus« salopper gebraucht, auch in 74 | Als ›historisch schwarz‹ werden in den USA die 106 öffentlichen und privaten Colleges und Universitäten bezeichnet, die nach dem Bürgerkrieg 1865 und vor dem Erlass des Civil Rights Acts im Jahre 1964 gegründet wurden und das Ziel hatten, die Bildung von Afroamerikanern zu fördern. Die überwiegende Mehrheit dieser Institutionen haben bis heute eine Mehrheit von afroamerikanischen Studierenden. 75 | Tatum, Beverly Daniel 1998: Why are all the Black Kids sitting together in the Cafeteria? And Other Conversations about Race, New York, S. 7, 10; Karim 2006b, S. 226. 76 | Lorde, Audre 1984: »I Am Your Sister«, in: Dies.: Sister Outsider: Essays and Speaches, Trumansberg, S. 114-123 (Kapitel »Age, Race, Class, and Sex: Women Redefining Difference«); nachgedruckt in: Manning Marable/Leith Mullings (Hg.) 2000: Let Nobody turn us around: Voices of Resistance, Reform, and Renewal. An African American Anthology, Lanham, S. 539. 77 | Michael Eric Dyson antwortet hier backstage nach der Late Night Show »Don’t Sleep!« am 03. Oktober 2012 auf die Bemerkung Jesse Lee Petersons, den Gründer einer konservativen afroamerikanischen Organisation namens Brotherhood Organization of a New Destiny (BOND), dass die meisten Schwarzen gegenüber Weißen rassistisch eingestellt seien: »Michael Eric Dyson Shares Why »Black People Can’t Be Racist« Backstage At Don’t Sleep!« https://www.youtube.com/watch?v=bZ0QfLkjujY (abgerufen am 10.12.2012).
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den USA. Da werden manche afroamerikanische Individuen oder Gruppierungen durchaus als rassistisch gegenüber Weißen gebrandmarkt, übrigens auch von anderen Afroamerikanern. In der Rassismus-Forschung hingegen wird schon seit langem auf den systemischen Charakter von Rassismus und dessen Bezug zu Macht und Institutionen hingewiesen. Exemplarisch sei hier zunächst die Rassismus-Definition des tunesisch-französischen Soziologen Albert Memmi genannt, welche eine der gebräuchlichsten und meistzitierten Definitionen des Begriffs überhaupt ist: »Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.«78
Für Memmi bestehen die zentralen Elemente von Rassismus in der Konstruktion von Differenz und der Wertung dieser Differenz durch den Rassisten sowie deren Verallgemeinerung, so dass er daraus die Legitimation zu Diskriminierung oder gar Gewalt gegenüber dem Anderen zieht. Das letztendliche Zweck des Rassismus, so Memmi, ist hierbei die Herrschaftssicherung.79 George M. Frederickson, Historiker an der Stanford University, betont ebenfalls die Elemente Differenz und Macht, ohne jedoch wie Memmi auf die Kategorie der Wertung von Differenz einzugehen. Der Machtvorteil – den in den USA nun einmal Weiße seit jeher haben – betont er indes dezidiert: »Rassismus entspringt einer Denkweise, wodurch ›sie‹ sich von ›uns‹ dauerhaft unterscheiden, ohne dass es die Möglichkeit gäbe, die Unterschiede zu überbrücken. Dieses Gefühl der Differenz liefert ein Motiv beziehungsweise eine Rechtfertigung dafür, dass ›wir‹ unseren Machtvorteil einsetzen, um den ethnorassisch Anderen auf eine Weise zu behandeln, die wir als grausam oder ungerecht ansehen würden, wenn Mitglieder unserer eigenen Gruppe davon betroffen wären.« 80
Der einstige Präsident der American Sociological Association Joe Feagin geht noch einmal auf das Fallbeispiel USA ein, welche er als eine »total racist society« 81 bezeichnet. Im folgenden Zitat erläutert Feagin, warum nach einer sozialwissenschaftlichen Definition von Rassismus Afroamerikaner im Gegensatz zu weißen Amerikanern keine Rassisten sein können. Er bezieht sich dabei ebenfalls auf den systemischen und institutionalisierten Charakter von Rassismus und die Notwendigkeit einer Machtposition, um als rassistisch etikettiert zu werden: 78 | Memmi, Alfred 1992: Rassismus, Frankfurt a.M., S. 164. 79 | Memmi 1992, S. 60. 80 | Fredrickson, George M. 2004: Rassismus. Ein historischer Abriss, Hamburg, S. 16. 81 | Feagin, Joe R. 2001: Racist America: Roots, Current Realities, and Future Reparations, New York, S. 16.
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Durch rassistische Strukturen, so zeigt sich also durch diese Definitionen des Begriffs Rassismus, wird das Konzept ›Rasse‹ zu einem Instrument, das dazu dient, Menschen zu unterdrücken, indem von der dominanten Gruppe auf der Basis von zugeschriebenen Rassekategorien Privilegien zugeteilt oder aberkannt werden und diese Hierachisierung institutionell verankert wird: »Racism also exists as a societywide system of advantages for white people, of norms and social mores that convey or withhold social capital based on skin color. At the institutional level, racism describes how institutions, including the state, discriminate directly or indirectly, intentionally or unintentionally, through their structures, organizations, and policies to support or maintain differences of access, privilege, and opportunity based upon race.« 83
Man erkennt, dass im amerikanischen Kontext im Sinne dieses Verständnisses von Rassismus nur Weiße zu Rassisten werden können: In Amerika haben Weiße die Deutungshoheit, hier sind Nichtweiße in der Rolle derer, die dominiert werden – und zwar auf kollektive Weise. Doch dies ist kein inhärenter Zug von whiteness, kein ontologisches Merkmal, sondern deutet auf spezifisch amerikanische Machtstrukturen hin. Und genau hierin liegt der analytische Wert von Rasse als Kategorie: Indem bei einer Untersuchung der Diskurse afroamerikanischer Muslime berücksichtigt wird, wie sie selbst auf dieses Konzept rekurrieren, um bestimmte Sachverhalte zu erklären, sich selbst sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der muslimischen Communities Amerikas und weltweit zu verorten sowie Zuschreibungen von sich zu weisen bzw. sich anzueignen, können Machtstrukturen sowohl innerhalb der Gruppe als auch solche, die auf die Gruppe einwirken, sichtbar gemacht werden. Wer hat die Hegemonie in bestimmten Diskursen inne, wer fordert sie heraus, wer hat Erfolg, wer scheitert? Wie verhält sich Rasse als Identitätsmarker zu anderen Kategorien wie religiöser Zugehörig82 | Feagin, J.R./Vera, H. 1995: White Racism: The Basics, New York, S. 1; zum systemischen Charakter des Rassismus siehe außerdem weiterführend: Feagin, Joe R. 2006: Systemic Racism: a Theory of Oppression, New York. 83 | Joshi 2006, S. 98f.
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keit oder Gender? Wo finden Intersektionen statt, und wo ist eine Kategorie klar als vor- bzw. nachrangig einzustufen? Wie schwarz bzw. wie muslimisch ist der afroamerikanische Islam? Und, überspitzt gesagt: Kann (und darf) man als Afroamerikaner an einen nichtschwarzen Gott glauben?
I.4 B lack G od , white M aster : die R assifizierung von R eligion Nach dem 11. September 2001 tauchten in den Medien vermehrt Meldungen auf, wonach tatsächliche Muslime bzw. Menschen, die ›muslimisch aussahen‹, in den Fokus von Sicherheitskräften gelangt oder in der Öffentlichkeit beschimpft und angegriffen worden waren. Prominentestes trauriges Beispiel ist die Ermordung eines Sikhs in Arizona durch einen Weißen, der den Mann mit seinem Turban, der dunklen Haut und dem Vollbart als Muslim zu erkennen glaubte. Viele weitere Angriffe gegen Sikhs, aber auch Araber und Pakistanis, unabhängig davon, ob sie Muslime, Christen oder anderer Religionszugehörigkeit waren, folgten. 84 Andererseits gibt es gerade für die Zeit unmittelbar nach 9/11 keine Berichte darüber, dass afroamerikanische Muslime vermehrt explizit für ihre Religionszugehörigkeit attackiert wurden, auch wenn sich hier die Frage stellt, ob das nicht vielmehr ein Problem der Statistiker bei den Sicherheitsbehörden ist, die Angriffe gegen Afroamerikaner, gleich welcher religiösen Zugehörigkeit, erst einmal als racial hate crimes aufführen.85 Doch selbst jene, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Problematik des racial profiling nach 9/11 zu dokumentieren und kritisch zu analysieren, verfangen sich in ihren eigenen Kategorien. So hat die American Civil Liberties Union (ACLU) im Jahre 2004 eine Untersuchung zu diesem Thema veröffentlicht, in der afroamerikanische Muslime überhaupt nicht erwähnt werden, andererseits an vielen Stellen von Diskriminierung gegen, so wörtlich, »Muslims, 84 | Siehe dazu bspw.: Tamara Lush: Post-9/11: Sikhs Say They Are Mistaken Targets, auf: www.msnbc.msn.com/id/43715106/ns/us_news-life/t/post--sikhs-say-they-are-mis taken-targets/#.Ttj8ZWrFwk8 (abgerufen am 01.11.2011), außerdem: Mohammad-Arif, Aminah 2002: Salaam America: South Asian Muslims in New York, London, S. 238f., 269f. 85 | Aminah Mohammad-Arif zitiert in ihrer Studie zu südasiatischen Muslimen in New York einen arabischen Studenten, der hingegen überzeugt ist, dass Muslime – und darunter versteht er offensichtlich nur Einwanderer aus der islamischen Welt und nicht Afroamerikaner – in Amerika auf eine Weise diskriminiert werden dürften, die in Bezug auf Afroamerikaner mit Blick auf den amerikanischen Diskurs zu political correctness nicht akzeptiert würde: »Everywhere in the press, in soaps, in films, Americans have been making dismissive and mocking remarks about Muslims and Arabs. If they said the same things about African-Americans, it would be seen as politically incorrect. But with Muslims, anything goes. After 11 September, it got worse, they use the vocabulary of Star Wars, the Empire of Evil, good versus evil, and so on.« aus: Mohammad-Arif 2002, S. 270.
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Middle Easterners and South Asians« oder »Arabs, Muslims and South Asians« gesprochen wird.86 Zwei rassische Kategorien (im amerikanischen Sinne) und eine religiöse Kategorie werden dabei kommentarlos auf eine analytische Ebene gehoben. So wird suggeriert, dass ›Muslim‹ ebenso eine Rasse nach amerikanischer Definition sei wie ›Arab‹ oder ›South Asian‹, aber keine religiöse Kategorie wie ›Christian‹ oder ›Jewish‹, außerdem könnte man nun spekulieren, ob afroamerikanische Muslime in dem Bericht nun unter die Rasse ›Muslim‹ fallen oder nicht und was das für ihre black identity bedeutet. An diesen Beispielen zeigt sich ein Prozess, der in der amerikanischen Wissenschaft unter dem Terminus racialization of religion untersucht wird, d.h. dass die religiöse Identität zu einer Rasse umdefiniert wird und diese Kategorisierung all jene Folgen nach sich zieht, die Rasse im amerikanischen Kontext mit sich bringt. Nach einer Definition von Khyati Roshi, die im Jahre 2006 als Erste eine Monographie zur Verschmelzung rassischer und religiöser Kategorien im post9/11-Amerika anhand des Beispiels der indischen Community herausbrachte, ist – in Anlehnung an die Studie Michael Omis und Howard Winants zu racial formation in den USA (1994) – die racialization of religion, also die Rassifizierung von Religion, ein ideologischer Prozess. Dieser werde geformt durch Geschichte, Vorurteile sowie die menschliche Tendenz, gedankliche Kategorien zu benutzen, um die eigenen Bedeutungszuschreibungen auf Erfahrungen, die sich von den eigenen grundlegend unterscheiden, zu erleichtern.87 Unter anderem gehöre dazu, Individuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer rassifizierten Gruppe undifferenzierte Identitäten, Kulturen und Verhaltensweisen zuzuschreiben. Und obwohl dies nicht immer unter negativen Vorzeichen geschehen müsse, sei es dennoch insoweit schädlich, als dass individuelle Einzigartigkeit durch vereinfachte Annahmen über Motivationen, Hintergründe, Verhalten und Interessen ersetzt würden. »Racializiation of religion is a process whereby a specific religion becomes identified by a direct or indirect reference to a real or imagined physical appearance or ethnic/racial characteristic.« 88
Bestimmte phänotypische Züge, die mit einer rassischen Gruppe im öffentlichen Diskurs so assoziiert sind, werden gleichzeitig mit einer bestimmten Religion gleichgesetzt: »Race thereby becomes a proxy for religious affiliation in the American visual library.«89 Dieser Prozess ist kein neues Phänomen, hat aber seit
86 | ACLU: Sanctioned Bias – Racial Profiling since 9/11 (Feb. 2004), auf: www.aclu.org/ FilesPDFs/racial %20profiling %20report.pdf (abgerufen am 28.05.2010). 87 | Joshi 2006, S. 95; Omi/Winant 1994. 88 | Joshi 2006, S. 95. 89 | Joshi 2006, S. 95.
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9/11 an Brisanz gewonnen.90 Individuen rassifizieren sich selbst und die anderen aufgrund ihres eigenen zeitlichen und lokalen Kontexts, ihrer gesellschaftlichen Werte und politischen Haltungen in Bezug auf das rassifizierte Objekt.91 Rassifizierung geschieht dabei sowohl mit sichtbaren als auch unsichtbaren Minderheiten: Bei letzteren gilt dann gerade deren Unsichtbarkeit als der Beweis für ihre ›essentielle‹, aber versteckte Andersartigkeit. Wenn eine Religion über ihre Assoziierung mit realen oder imaginierten phänotypischen Charakteristika identifiziert wird und umgekehrt vom Aussehen eines Menschen auf dessen religiöse Zugehörigkeit geschlossen wird, wird die Unterdrückung dieser Minderheit verstärkt und gleichzeitig die essentielle Natur der Diskriminierung – rassisch oder religiös – verschleiert: das ›Othering‹ der religiösen Gruppe nimmt zu, indem die Gruppe unter rassistischen Vorzeichen diskriminiert wird.92 Gerade im amerikanischen Kontext, in dem Religionsfreiheit hochgehalten und durch das First Amendment der amerikanischen Verfassung geschützt wird sowie religiöse Intoleranz und Diskriminierung geächtet sind, andererseits aber Rassendiskriminierung bis zu einem gewissen Grad akzeptiert und mit einem historischen Prestige versehen ist, können Mitglieder der christlichen Mehrheit somit ihre religiöse Feindseligkeit auf die eher akzeptierten rassebezogenen Termini und Bilder übertragen. Die Outsider wiederum können den emotionalen Gehalt religiöser Diskriminierung herunterspielen, und die Öffentlichkeit kann die Existenz religiös motivierter Diskriminierung in den USA weiter ignorieren.93 In Bezug auf den Islam begann laut Joshi eine erstmalige Rassifizierung der Religion in den 1970er Jahren nach der Ölkrise und der Iran-Geiselkrise. Muslime wurden demnach zunehmend darüber definiert, wie sie den Islam interpretieren. Der Islam wurde dabei verstärkt nicht einfach als ein Anderes innerhalb der Gesellschaft definiert, also als Minderheit, sondern im Zuge seiner Rassifizierung wurden Muslime zu Anderen außerhalb der Gesellschaft. Man assoziierte sie mit einem ausländischen Feind, als fünfte Kolonne aufgrund ihrer Verbindung und Loyalität zu einem Feind Amerikas.94 Doch übersieht die Erziehungswissenschaftlerin Khyati Joshi, deren Studie sich ja hauptsächlich mit indischen Einwanderern in den USA befasst, in ihrer Schlussfolgerung eine Dimension der Rassifizierung von Religion, die in Bezug auf afroamerikanischen Islam (und auch auf bestimmte Strömungen innerhalb der black church) eine ungleich größere Relevanz (und ungleich längere Geschichte) hat: das empowerment der strukturell diskriminierten Gruppe (Afroamerikaner) durch selbstgewähltes othering, nachdem die dominante Gruppe (die Weißen) eine Verknüpfung von Rasse und Religion konstruiert hatte, die ihre de facto rassistisch motivierte Domi90 | Joshi 2006, S. 95. 91 | Joshi 2006, S. 95f. 92 | Joshi 2006, S. 98. 93 | Joshi 2006, S. 98. 94 | Joshi 2006, S. 96f.
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nanz religiös legitimieren sollte. Afroamerikaner eigneten sich dieses Paradigma an – weit vor den 1970er Jahren, wie sich in den folgenden Ausführungen zeigen wird – und konstruierten ihrerseits eine Verknüpfung von Rasse und Religion, die ihnen eine religiös legitimierte Befreiung zumindest spiritueller Natur aus den von der dominanten Gruppe gesetzten Zuschreibungen ermöglichte. Es wäre unangemessen, afroamerikanische Muslime (und eben auch manche schwarze Christen) nur als Opfer einer negativ konnotierten Rassifizierung von Religion zu bezeichnen, denn wie sich im folgenden zeigt, ist dieser Rassifizierungsprozess für sie durchaus in dem Sinne positiv besetzt, als dass er in ihrer Wahrnehmung black agency symbolisiert. Gott muss schwarz sein: Sklaverei und die Befreiung Die Verknüpfung von Rasse und Religion hat in den USA eine lange Geschichte, die eng mit der spezifisch amerikanischen Form von Sklaverei zusammenhängt. So wurde die Legitimität der Versklavung schwarzer Menschen von weißen Christen oftmals biblisch gerechtfertigt. Dabei wurde in den Kirchen einerseits auf den ›Curse of Ham‹ (»Fluch des Ham«) rekurriert. Demnach sind schwarze Menschen die Nachkommen von Ham, einem der Söhne Noahs, den dieser nach Genesis 9,20ff. verflucht haben soll, nachdem ihn Ham in seinem Zelt betrunken und entkleidet überraschte und dies seinen Brüdern erzählte. Fortan sollten Schwarze die Knechte der Nachkommen der anderen Söhne Noahs sein, also aller nichtschwarzen Menschen. Segregation ist demzufolge im Sinne Gottes.95 Mit dieser Legitimationsstrategie war es möglich, die nach und nach zum Christentum konvertierenden Sklaven dennoch bibelgerecht versklaven zu können.96 Neben dem alttestamentarischen Fluch des Ham wurde von weißen Christen auch das Neue Testament herangezogen, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Dort wird an zahlreichen Stellen von Sklaven und deren Gleichheit vor Gott gesprochen, ohne dass jedoch deren Freilassung gefordert würde. Dies führte in den USA zu der Situation, dass teilweise exakt die gleichen Bibelstellen von christlichen Befürwortern der Sklaverei und Abolitionisten angeführt wurden. Zentral hierbei ist der Brief des Paulus an Philemon, in welchem Paulus seinen christlichen Mitbruder und Sklavenhalter Philemon bittet, seinen entlaufenen Sklaven Onesimus nach dessen Rückkehr ins Haus seines Herrn als Bruder zu sehen, da dieser inzwischen ebenfalls Christ geworden sei. Die Bibelstelle wurde von einigen so ausgelegt, dass Paulus hier indirekt die Freilassung des Sklaven fordert, von anderen jedoch, dass die Sklaverei von Paulus zwar akzeptiert wird, man Sklaven aber gut behandeln solle.97 Die Haltung zur Sklaverei unterschied 95 | Ausführlicher zum ›Fluch des Ham‹: David M. Goldenberg 2003: The Curse of Ham: Race and Slavery in Early Judaism, Christianity, and Islam, Princeton. 96 | Noll 2008, S. 133. 97 | Vgl. De Vos, Craig S. 2001: »Once a Slave, Always a Slave? Slavery, Manumission and Relational Patterns in Paul’s Letter to Philemon«, in: Journal for the Study of the New Testa-
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sich auch entlang verschiedener christlicher Strömungen in den USA. Katholiken lehnten die peculiar institution insgesamt stärker ab als protestantische Kirchen, ohne ihren weißen Mitgliedern die Sklavenhaltung explizit zu verbieten.98 Bei den Protestanten waren sehr viele methodistische Gemeinden aktiv in der Abolitionismus-Bewegung und verdammten die Sklaverei als unchristlich. Doch hier gab es interne Differenzen mit einzelnen methodistischen Gemeinden in den Südstaaten, die an der Sklaverei festhielten. Die Baptisten wiederum spalteten sich schon weit vor dem Bürgerkrieg entlang der Linie, welche Nord- und Südstaaten auch politisch trennte. Die eigens 1845 dafür gegründete Southern Baptist Convention stellte sich hinter die Sklaverei und änderte ihre Meinung dazu offiziell erst Mitte des 20. Jahrhunderts, während die baptistischen Gemeinden der Nordstaaten die Sklaverei und die rassische Abwertung von Nichtweißen als gegen die Lehre der Bibel verstoßend ablehnten.99 Die schwarzen Sklaven waren sich des Widerspruchs zu einem großen Teil bewusst, glaubt der afroamerikanische Theologe James Cone, und sie waren überzeugt, dass das System der Sklaverei eine Scheinheiligkeit der Weißen darstellte, die Gott eines Tages bestrafen würde: »The theological assumption of black slave religion as expressed in the spirituals was that slavery contradicts God, and God will therefore liberate black people.«100 Auch wenn sich bereits vor der Bürgerrechtsbewegung afroamerikanische Christen mit der Frage auseinandersetzten, wie ein gerechter Gott Sklaverei und Segregation zulassen konnte, so entstand daraus doch erst in den 1960er Jahren eine Bewegung, die in den schwarzen Kirchen Gehör fand und zu einer eigenständigen black theology führte. Zentral hierfür war der Gedanke, den Albert B. Cleage, selbst führend in der black church, so ausdrückte: »Black people cannot worship a white God and a white Jesus and fight white people for Black liberation.«101 Er bezieht sich mit dieser Aussage darauf, dass in den meisten amerikanischen Bibeln und religiösen Büchern Jesus ment (82), S. 89-105; Baumert, Norbert 2001: »Ein Freundesbrief an einen Sklavenhalter? Der Brief des Paulus an Philemon«, in: Studien zu den Paulusbriefen, Band 32, Stuttgart, S. 131-160. 98 | Gillis, Chester 1999: Roman Catholicism in America, New York, S. 58. 99 | Vgl. zur Haltung der Kirchen in Bezug auf die Sklaverei und Abolitionismus: McKivigan, John R. 1984: The War Against Proslavery Religion: Abolitionism and the Northern Churches, 1830-1865, Ithaca 1984; Fox-Genovese, Elizabeth/Genovese, Eugene D. 2005, The Mind of the Master Class: History and Faith in the Southern Slaveholders’ Worldview, Cambridge, S. 505-27; besonders faszinierend beschreibt Andrew Delbanco den religiösen Eifer – gar Extremismus – und Idealismus vieler Abolitionisten: Delbanco, Andrew 2012: The Abolitionist Imagination, Cambridge. 100 | Cone, James H. 1992: The Spirituals and the Blues: An Interpretation, Maryknoll, S. 65. 101 | Scharenberg, Albert 1998: Schwarzer Nationalismus in den USA: Das Malcolm XRevival, Münster, S. 380.
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weiß dargestellt wurde (und im Übrigen bis heute wird). Daraus ergebe sich unweigerlich ein Bild von einem weißen Gott, so der Vorwurf. Dieser steht nach Meinung Cleages damit schon auf visueller Ebene den weißen Christen näher als den Schwarzen, die in der Geschichte des öfteren Opfer von weißen Christen wurden, sei es nun durch Kolonialismus oder Versklavung. Im Zentrum der black theology stand eine Kritik an weißen Kirchen, die im Namen des Christentums die Unterdrückung von Schwarzen damit legimitierten, dass sie ihnen die Menschlichkeit und damit den Anspruch auf Nächstenliebe absprachen: »It is church bodies compromising on whether blacks are human.«102 Im Jahre 1966 kritisierte die National Conference of Black Churchmen die weißen Kirchen für ihre Interpretation der Bibel: »So long as White churchmen continue to moralize and misinterpret Christian love, so long will justice continue to be subverted in this land.«103 Martin Luther King stellte fest, dass der Sonntagmorgen die Stunde der größten Segregation des christlichen Amerika darstelle: »There is another thing that disturbs me to no end about the American church. You have a white church and you have a Negro church. You have allowed segregation to creep into the doors of the church. How can such a division exist in the true Body of Christ? You must face the tragic fact that when you stand at 11:00 on Sunday morning to sing ›All Hail the Power of Jesus Name‹ and ›Dear Lord and Father of all Mankind,‹ you stand in the most segregated hour of Christian America. They tell me that there is more integration in the entertaining world and other secular agencies than there is in the Christian church. How appalling that is.«104
Bei der Entwicklung der black theology ist der afroamerikanische Theologe James Cone eine zentrale Figur. Mit seinen beiden Werken Black Theology and Black Power (1969) sowie A Black Theology of Liberation (1970) legte er den Grundstein für eine Interpretation des Christentums, die auf befreiungstheologischem Gedankengut und somit dem Glauben basiert, dass es die Pflicht von Christen sei, sich für die Unterdrückten dieser Welt einzusetzen, wenn sie im Sinne Jesu handeln wollen.105 Gott sei parteiisch, und in Amerika bedeutet das, dass Gott sich auf die Seite der Schwarzen stelle, um gegen die weißen Machtstrukturen und den Rassismus der Weißen anzukämpfen.106 Gott ist für Cone notwendigerweise 102 | Cone, James H. 1970: A Black Theology of Liberation, Philadelphia, S. 24. 103 | Sernett, Milton C. 1999: African American Religious History: A Documentary Witness, Durham, S. 558; zitiert nach: McDaniel, Eric L. 2008: Politics in the Pews: The Political Mobilization of Black Churches, Ann Arbor, S. 74f. 104 | Martin Luther King: Paul’s Letter to American Christians (04. Nov. 1956), auf: www. mlkonline.net/christians.html (abgerufen am 15.03.2009). 105 | McDaniel 2008, S. 74. 106 | Buhring, Kurt 2008: Conceptions of God, Freedom, and Ethics in African American and Jewish Theology, New York, S. 37.
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ein schwarzer Gott: »The blackness of God is the key to our knowledge of God. […] The blackness of God means that God has made the oppressed condition God’s own condition. This is the essence of the biblical revelation.«107 Blackness ist dabei jedoch nicht nur eine Frage der Hautpigmentierung, so Cone, sondern »it is an existential standpoint from which one resists oppression, thus transcending race.« Auch eine weiße Person kann für Cone ›schwarz‹ sein, und ebenso gelte: »Though one’s skin is black, the heart may be lily white«.108 Schwarz zu sein heiße also, sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen, es sei eine Haltung zur Welt: »To be black in America, has very little to do with skin color. To be black means that your heart, your soul, your mind and your body are where the dispossessed are.«109 Für die Vertreter der black theology war es stets wichtig, sich nicht nur von den Inhalten der weißen Kirchen zu distanzieren und einen eigenen, spezifisch schwarzen Zugang zum Christentum zu finden. Sie betonten außerdem die Notwendigkeit, sich auch methodisch von weißen Denkern freizumachen und mehr mit den Werken afroamerikanischer oder afrikanischer Denker auseinanderzusetzten. Die Abhängigkeit von weißen intellektuellen und spirituellen Vorbildern ist für die Vertreter der black theology eine »negative overreaction to white racism«.110 Afroamerikanische Befreiungstheologie stützt sich maßgeblich auf das Exodusmotiv der Bibel. Seit der Zeit der Sklaverei haben Afroamerikaner eine orale Tradition einer unsichtbaren Kirche entwickelt, die es ihnen ermöglichte, sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Identität herauszubilden. Zentral ist dabei der Gedanke, dass Gott die Geschichte steuere und am Ende nur Israel, das unterdrückte Volk, befreien werde. Indem Afroamerikaner sich seither mit den Israeliten identifizieren, glauben sie, dass Gott sie ebenfalls von der Unterdrückung durch Sklavenhalter und Rassisten befreien wird. Raboteau fasst die unterschiedliche Art der Identifizierung mit dem Volk Israel durch weiße respektive schwarze Christen folgendermaßen zusammen: »White Christians saw themselves as a new Israel; slaves identified themselves with the old.«111 Theo Witvliet hat analysiert, wie sich die black theology eines James H. Cone mit ihrem Fokus auf das Exodus-Motiv beispielsweise von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie eines Gustavo Gutiérrez unterscheidet, welche die Menschen als Ko-Schöpfer Gottes konzipiert und derzufolge die Menschheit den Kosmos wie ein Gott aus dem Chaos neu kreiere. Witvliet weist darauf hin, dass die »Erfindung« einer Tradition im Sinne Hobsbawms, wie man sie bei der Identifikation von afroamerikanischen Sklaven und deren Nachfahren mit den biblischen Is107 | Cone 1970, S. 63. 108 | Cone, James H. 1969: Black Theology and Black Power, 1. Aufl., New York, S. 152. 109 | Cone 1969, S. 151. 110 | Buhring 2008, S. 21. 111 | Raboteau, Albert J. 1978: Slave Religion: The ›Invisible Institution‹ in the Antebellum South, New York, S. 250f.
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raeliten ausmachen könne, niemals etwas völlig Neues darstelle, sondern immer ein »re-enacting of the past« impliziere.112 Während die lateinamerikanische Befreiungstheologie eher auf Widerstand und Rebellion setzt, die Menschen damit aktiver Teil der Befreiung sein sollen, betont die black theology die Rolle, welche Gott als dem Allmächtigen zukomme, der allein Befreiung gewähren könne. Dieser Fokus der black theology ist eng verwurzelt mit der Vorstellung von den Zeiten der Sklaverei und Segregation, zu denen Aufstände, die in der Tat rar gesät waren, zum Scheitern verurteilt gewesen seien, so mächtig sei der Gegner gewesen. Doch habe die Machtlosigkeit der Schwarzen nicht notwendigerweise Passivität bedeutet: »The black slaves were as powerless as the people of Israel were in the land of Egypt. Nevertheless their powerlessness has not led to passivity, although they had to accommodate to their situation. On the contrary, the biblical stories strengthened their longing for freedom from slavery and their will to survive the humiliating circumstances in life with dignity. So, as often has been noticed by historians and theologians in recent time, the black experience of faith has two sides: protest and accommodation.«113
Die afrikanischen Sklaven, die in die amerikanischen Südstaaten deportiert worden waren, mussten mit ihrer Vergangenheit radikaler brechen als jene, die beispielsweise in die Karibik gebracht worden waren. In diesem Sinne schrieb Albert Raboteau in seinem Werk Slave Religion 114 , während in der Karibik die Götter, die die Sklaven mit sich gebracht hatten, gezwungen worden seien, in Gefangenschaft zu leben, so hätten sie im Old South sterben müssen. Doch selbst in den amerikanischen Südstaaten hätten Elemente afrikanischer Spiritualität überleben können und seien in die dort entstehende afroamerikanische Kultur, ihre Volkserzählungen, in Spirituals, Blues und die Predigten schwarzer Priester eingegangen. Auch hier schöpft die invention of tradition also durchaus aus bereits Bestehendem, das jedoch in Bezug zu einer neuen Realität gesetzt wird: »The unique African-American spirituality is the product of a long and complex process of recreation. It is neither an invention out of the blue, nor a mere adaptation of the biblical story. As Old Testament scholar Robert A. Bennett puts it: ›It is a testimony of its own, distinct from Scripture even as it would proclaim its word to us in biblical images and in the categories of scriptural revelation. In this interplay of the new and the old, of the familiar 112 | Vgl. hierzu: Theo Witvliet 2001: »Exodus in the African-American Experience«, in: Jan Willem van Henten/Anton Houtepen (Hg.): Religious Identity and the Invention of Tradition, Papers read at a NOSTER Conference in Soesterberg, 04.–06.01.1999, Assen, S. 191206, S. 14, 193f.; ausführlicher zu invention of tradition in Kap. II.2, »Autorität durch Authentizität«. 113 | Vgl. hierzu: Witvliet 2001, S. 195. 114 | Raboteau 1978.
Race matters and the unique, the Black experience partakes of religious experience as it attempts to speak and thereby mediate to us something of God’s intentions for us.‹«115
Witvliet widmet sich in seiner Studie übrigens auch der Frage, ob Afroamerikaner eine Besonderheit in ihrem Bezug auf das biblische Exodusmotiv darstellen, wenn man bedenkt, dass sich auch weiße Christen, vor allem weniger privilegierte Menschen, mit Israel und der Exodusgeschichte identifizieren und schon die Pilgrim Fathers ihre Fahrt über den Atlantik als Exodus bezeichnet hatten. Die Unterschiede, so Witvliet, seien jedoch offensichtlich und machten die Besonderheit der black experience deutlich: Weißen wurde, im Gegensatz zu afrikanischen Sklaven, nie ihre Menschlichkeit abgesprochen, selbst wenn sie arm waren und litten. Ihre Unterdrückung sei nie so total gewesen wie Sklaverei für schwarze Menschen. Außerdem bedeute der Exodus der Pilgrim Fathers, d.h. deren Atlantiküberquerung, für sie genau das Gegenteil wie für die verschleppten Afrikaner: »While white Christians left a situation of bondage in Europe for the Promised Land of milk and honey, the Middle Passage brought black Christians to a land where they had to suffer bondage.«116
I.5 W eisse C hristen , schwarze M uslime : der I sl am als A lternative Doch nicht alle Afroamerikaner fanden es überzeugend, dem als rassistisch empfundenen Christentum der Weißen eine eigene Interpretation der Bibel gegenüberzustellen. Sie suchten nach einer Alternative zu einer Religion, mit deren Hilfe ihre eigene Unterdrückung jahrhundertelang legitimiert worden war. Für sie war die Bibel kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems. So jedenfalls interpretieren es afroamerikanische Muslime in Amerika heute: »Christianity has blessed the slave ships«, betont der afroamerikanische Imam Abdul Malik in einer Predigt. Er ist einer von vielen Afroamerikanern, die den Islam, sich der Verbindung von Christentum und Sklaverei bewusst, als Alternative gewählt haben.117 Da ihnen in den Kirchen stets gepredigt worden sei, dass ihr Leiden im Diesseits im Jenseits von Gott belohnt werde, hätten sie, statt sich gegen Sklaverei 115 | Vgl. hierzu: Jan Willem van Henten/Anton Houtepen (Hg.) 2001: Religious Identity and the Invention of Tradition, Papers read at a NOSTER Conference in Soesterberg, 04.–06.01.1999, Assen, S. 14, 193f. 116 | Vgl. hierzu: Witvliet 2001, S. 198; an dieser Stelle sei bemerkt, dass die Afrikaner, die über den Atlantik deportiert wurden, in der Regel zu diesem Zeitpunkt noch keine Christen waren, wie Witvliet suggeriert. 117 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011).
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und Segregation aufzulehnen, in Passivität verharrt, in der Hoffnung auf Erlösung.118 Der zum Islam konvertierte Rapper Ice Cube drückt das in seinem Song »When I get to Heaven« sehr plastisch aus: »The devil made you a slave and he gave you a bible«. Nach »400 years of getting our ass kicked by so-called Christians and Catholics« sei es für Schwarze nun an der Zeit, sich vom Christentum zu verabschieden und einen neuen spirituellen Weg zu suchen.119 Oder bedeutet dies nicht doch einen alten Weg? Sylviane Diouf beschreibt in ihrer Studie zu muslimischen Sklaven in Amerika, wie es auf diese Muslime gewirkt haben muss, dass die weißen, christlichen Master sie zwangschristianisierten, nur um ihre Versklavung rechtfertigen zu können. Dabei stelle Konversion für Muslime eine Form von Emanzipation dar. So erlebten die muslimischen Sklaven täglich die Brutalität und den Sadismus vorgeblich frommer Christen, die im Namen ihrer Religion wehrlose Frauen missbrauchten und andere Menschen misshandelten: »Because they did not have a race or class consciousness, they saw the Americans primarily not as whites or as slaveholders but rather as Christians.«120 Die tatsächliche Zahl muslimischer Sklaven ist in der Forschung jedoch ebenso umstritten wie die Frage, inwiefern der Islam unter den Bedingungen der Sklaverei überleben konnte. Auf diesen Aspekt der Verknüpfung schwarzer und muslimischer Identität geht Kapitel II.2 ausführlicher ein. An dieser Stelle sei nur so viel gesagt, dass unabhängig vom geschätzten Anteil an Muslimen unter den verschleppten Afrikanern die Einschätzung der Forschung ganz überwiegend dahin geht, dass sich zum Zeitpunkt des Endes der Sklaverei im Jahre 1865 keine praktizierenden Muslime mehr unter der afroamerikanischen Bevölkerung befunden haben dürften. Insofern ist davon auszugehen, dass der Islam heutiger Afroamerikaner das Resultat einer Entwicklung darstellt, die erst nach dem Bürgerkrieg begann, gleichwohl sich die damit verbundenen Narrative oftmals auf die Zeit der Sklaverei oder sogar noch auf die afrikanische Herkunft der Sklaven beziehen. Die Vorstellung, dass das Christentum eine Religion für Weiße und der Islam die Religion aller Schwarzen sei, entstand bereits im Amerika des 19. Jahrhunderts. Edward Wilmot Blyden (1832-1912), selbst Christ und sogar Priester, hatte mehrmals Westafrika bereist und war schockiert zu sehen, wie Kolonialherren und christliche Missionare dort gewütet hatten. Dennoch beeindruckte ihn die industrielle Entwicklung und die Autonomie besonders in mehrheitlich muslimischen Gegenden im Vergleich mit den Regionen, in denen die Bevölkerung nicht muslimisch war. Die von ihm wahrgenommene besondere Fortschrittlichkeit der Muslime Westafrikas führte er auf ihre Religion zurück, die er als ›zivilisierend‹ empfand:
118 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 119 | Ice Cube 1993: »When I get to Heaven«, in: Album Lethal Injection. 120 | Diouf, Sylviane D. 1998: Servants of Allah: African Muslims Enslaved in the Americas, New York, S. 96f.
Race matters »When we left a Pagan and entered a Mohammedan community, we at once noticed that we had entered a moral atmosphere widely separated from, and loftier far than, the one we had left. […] The Koran […] has furnished to the adherents of its teachings in Africa a ground of union which has contributed vastly to their progress. […] Wherever the Negro is found in Christian lands, his leading trait is not docility, as has been often alleged, but servility. He is slow and unprogressive.«121
Im Jahre 1887 verfasste Blyden seine Schrift Christianity, Islam and the Negro Race, in der er das Konzept eines islamischen Panafrikanismus ausarbeitete und den Islam als Instrument zur Entwicklung aller Schwarzen pries, während er das Christentum als Religion der Weißen deklarierte. Nur als Muslime könnten Schwarze ihr volles Potential entfalten, so die Überzeugung Blydens, während sie als Christen stets Sklaven der Weißen bleiben würden: »The Negro came into contact with Christianity as a slave and as a follower at a distance. He came into contact with Mohammedanism as a man, and often as a leader.«122
Der Moorish Science Temple of America (MSTA, gegründet 1913) und die Nation of Islam (NOI, gegründet 1930) dehnten übrigens dann Anfang des 20. Jahrhunderts das Konzept dahingehend aus, dass der Islam für sie nicht mehr nur eine ›zivilisierende‹ Kraft in Afrika darstellte, sondern sogar die ›eigentliche Religion‹ (original religion) aller Schwarzen sei.123 Dies wird im Laufe dieses Kapitels noch näher erläutert. Dass Blyden übrigens selbst kurz vor seinem Tod 1912 zum Islam konvertiert sein soll, bleibt Spekulation.124 Auffallend am Werk Blydens ist, wie er den Islam mit einer westlich konnotierten Vorstellung von Zivilisiertheit und Fortschritt in Verbindung brachte, die er damit durchaus als wünschenswertes Ideal definierte, statt sie kritisch daraufhin zu befragen, inwiefern genau diese Vorstellung die Sklaverei ermöglicht hatte, indem Menschen in einem evolutionistischen Paradigma hierarchisiert worden waren. Doch war auch Blyden ein Kind seiner Zeit und damit beeinflusst von einem Diskurs über Zivilisiertheit und Fortschritt, der sowohl in der weißen als auch der schwarzen Bevölkerung Amerikas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfand, wenn auch die Hegemonie der Kategorienbildung bei der dominanten weißen Mehrheitsgesellschaft lag, die sich afroamerikanische Denker und Aktivisten in unterschiedlichem Maße aneigneten. 121 | Blyden, Edward W. 1967: Christianity, Islam and the Negro Race, Edinburgh 1967, S. 8. 122 | Blyden 1967, S. 231. 123 | GhaneaBassiri, Kambiz 2010: A History of Islam in America: From the New World to the New World Order, Cambridge, S. 53. 124 | Nuruddin, Yusuf 2000: »African-American Muslims and the Question of Identity: Between Traditional Islam, African Heritage, and the American Way«, in: Yvonne Y. Haddad/John L. Esposito (Hg.): Muslims on the Americanization Path?, New York, S. 215-262, S. 221.
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In Amerika war die Zeit nach dem Bürgerkrieg eher durch religiösen Wettbewerb geprägt denn durch polyreligiöse Praktiken. Der Wettstreit ging darum, wer die kulturelle Autorität besitzen würde, die nationale Identität Amerikas zu definieren und damit ein Recht hätte, den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt der Nation für sich zu beanspruchen: »The conflation of race, religion, and progress was thus a means by which nineteenth-century Anglo-American Protestants, awash in ethnic, racial, and religious diversity, sought to hold on to their dominant position in society by defining America as an essentially white, Protestant country, uniquely committed to progress.«125
Also unabhängig davon, wie nun Rasse, Glaube und Fortschritt zueinander ins Verhältnis gesetzt wurden, sicher war demnach nur, dass an der Spitze dieses Prozesses die weiße, protestantische und aufgeklärte Kultur Amerikas stehen würde – als Vorbild und Ziel für alle anderen Kulturen dieser Welt. Auch Afroamerikaner blieben von dem dominanten Diskurs nicht unbeeinflusst. Unter den Stichwörtern Negro improvement und racial uplift propagierten verschiedene afroamerikanische Denker und Aktivisten, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts übrigens allesamt Nichtmuslime waren, die vorherrschende Ideologie von Zivilisation und Fortschritt. Nicht wenige von ihnen glaubten zudem, dass sie als Schwarze erst dann den Respekt der Weißen erlangen könnten, wenn sie auf eine glorreiche afrikanische Vergangenheit rekurrieren könnten, mithin auf ein afrikanisches Empire, das sie im Sinne eines kulturreligiösen Evolutionismus den Weißen gleichstellt.126 Wie sehr europäische Vorstellungen von Zivilisation und Fortschritt das Denken von Afroamerikanern beeinflusste, zeigt das Beispiel Booker T. Washingtons. Noch im Jahre 1856 als Kind von Sklaven geboren, leitete er ab 1881 bis zu seinem Tod 1915 das Tuskegee Institute in Alabama, eine Lehranstalt, in der schwarze Männer und Frauen verschiedene Handwerksberufe erlernen konnten. Nach Washingtons Meinung führte der soziale und ökonomische Aufstieg von Afroamerikanern nur über harte Arbeit an sich selbst. Erst wenn Afroamerikaner den Weißen vorführten, dass sie bereit seien, Leistung zu erbringen, sich selbst zu disziplinieren und, solange sie in Bildung und Verhalten diesen noch unterlegen seien, die Vorherrschaft der Weißen anzuerkennen und mit diesen friedlich und in untergeordneter Stellung zusammenzuleben, erst dann könnten Schwarze erwarten, von Weißen respektiert zu werden. Statt soziale Gleichheit zu fordern, müssten Afroamerikaner zunächst an ihrer Bildung arbeiten und ihren Status durch wirtschaftliches Engagement verbessern. Der soziale Aufstieg würde sich über einen längeren Zeitraum ganz von selbst einstellen. Es ist nicht verwunderlich, dass Booker T. Washington unter Weißen großes Ansehen genoss, stellte 125 | GhaneaBassiri 2010, S. 99. 126 | GhaneaBassiri 2010, S. 53f.
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er an sie doch keine großen Forderungen. Sogar Präsident Theodore Roosevelt (im Amt 1901-1909) lud Washington zu sich ins Weiße Haus ein. Selbst unter Afroamerikanern war Washington äußerst erfolgreich mit seinem Programm zur Selbsthilfe, das eher von Afroamerikanern denn von Weißen eine Bringschuld forderte. Natürlich hatte er auch Widersacher, die seine Ideen als Anbiederung an die Weißen verachteten.127 Vor allem W.E.B. Du Bois (1868-1963), der afroamerikanische Soziologe aus Harvard und als Gründungsmitglied der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung, kritisierte Washington heftig für seine unkritische Übernahme weißer Standards für Zivilisation und Fortschritt. Stattdessen forderte DuBois Afroamerikaner auf, politisch Widerstand zu leisten, um einen gleichberechtigten Platz in Amerika zu erhalten. Zentral war für ihn der für Weiße und Schwarze gleichberechtige Zugang zu allen Bildungsinstitutionen, seien es Schulen, Universitäten oder Beruf. Unter anderem propagierte DuBois das sogenannte Talented Tenth. Die intelligentesten 10 % der Afroamerikaner sollten demnach eine Art Elite bilden, die die afroamerikanische Community in ihrem Kampf um Gleichberechtigung anführt. Hier, bei der Verknüpfung von Intelligenz, Bildung und Elitedenken, zeigt sich jedoch, wie tief auch DuBois in einem amerikanischen Diskurs verhaftet war, in dem man sich sozialen Status irgendwie verdienen muss – wenn es nicht die harte Arbeit ist wie bei Washington, dann eben Bildung und die Fähigkeit, eine eigene Elite aufzubauen.128 Blydens Vorstellung, dass der Islam das geeignete Instrument sein könnte, um afroamerikanische Emanzipation zu ermöglichen, taucht hingegen weder bei Booker T. Washington noch bei W.E.B. DuBois auf, sondern erst wieder Anfang des 20. Jahrhunderts, wobei für die Forschung unklar ist, wann und wo genau. Die Idee einer ›wahrhaft afrikanischen Religion‹ findet sich jedenfalls erstmals wieder bei Marcus Garvey (1887-1940), einem aus der Karibik stammenden Aktivisten, der in den USA für die Rechte der Schwarzen kämpfte, deren Zukunft er langfristig jedoch nicht auf amerikanischem Boden, sondern jenseits des Atlantiks sah. Marcus Garvey und die United Negro Improvement Association (UNIA) Bereits 1914 hatte Marcus Garvey in seiner Heimat Jamaika die United Negro Improvement Association (UNIA) gegründet, drei Jahre später dann einen amerikanischen Ableger in Harlem. Das langfristige Ziel der UNIA war es, Afroamerikaner wieder zurück in ihre ›Heimat‹ Afrika zu bringen. »Up you mighty race,
127 | Zum Leben und Wirken Washingtons siehe u.a.: Norrell, Robert J. 2009: Up from History: the Life of Booker T. Washington, Cambridge; Smock, Raymond W. 2009: Booker, T. Washington: Black Leadership in the Age of Jim Crow, Chicago. 128 | Zum Leben und Wirken DuBois’ siehe u.a.: Gillis, Jennifer Blizin 2006: W.E.B. Dubois, Chicago; Katz, Michael B./Thomas J. Sugrue (Hg.) 1998: W.E.B. DuBois, Race, and the City: The Philadelphia Negro and its Legacy, Philadelphia.
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you can accomplish what you will!«129 Mit diesem Aufruf forderte Garvey, der selbst ernannte »race leader«130, die Afroamerikaner auf, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ziel war die Selbstbestimmung der Schwarzen, die sie Garveys Meinung nach vor allem durch ökonomische Unabhängigkeit erreichen konnten. Aus diesem Grund ermunterte er seine Anhänger, selbst Geschäfte zu eröffnen und außerdem nur noch in schwarzen Geschäften einzukaufen, um so das sogenannte black business zu fördern. Neben der Idee der Selbsthilfe bildete Garveys back to Africa-Bewegung den zweiten Pfeiler der UNIA-Programmatik, wonach Schwarze langfristig nur durch eine Rückkehr in die Heimat ihrer Vorfahren selbstbestimmt leben können. Sich selbst ließ Garvey 1919 von Anhängern zum »Provisional President of Africa« ernennen.131 Die UNIA hatte damals bereits über zwei Millionen Mitglieder in dreissig amerikanischen Städten.132 Als Garvey 1927 wegen diverser Betrugsdelikte aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen wurde, verlor die Bewegung jedoch rasch an Dynamik und Mitgliedern. Dennoch sind die Ideen Garveys – vor allem in puncto Selbsthilfe und Stolz auf die eigene Hautfarbe – heute in allen schwarznationalistischen Bewegungen präsent. Auch die Nation of Islam greift immer wieder auf Garveys Rhetorik zurück. »Up you mighty race, you can accomplish what you will!« forderte denn auch Elijah Muhammad – angeblich selbst ehemaliges UNIA-Mitglied 133 – mit den Worten Garveys seine Anhänger auf.134 Garvey selbst glaubte dabei nicht an eine Versöhnung der Rassen in Amerika: »Some of our leaders in the Negro race flatter themselves into believing that the problem of black and white America will work itself out, and that all the Negro has to do is to be humble, submissive and obedient, and everything will work out well in the ›sweet by and bye.‹ […] The only wise thing for us as ambitious Negroes to do is to organize the world over, and build up for the race a mighty nation of our own in Africa.«135
129 | Lincoln, Charles Eric 1973: The Black Muslims in America, Westport, S. 59f. 130 | Gardell, Mattias 1996: Countdown to Armageddon: Louis Farrakhan and the Nation of Islam, London, S. 12. 131 | Lincoln 1973, S. 59. 132 | Cronon, Edmund D. 1969: Black Moses: The Story of Marcus Garvey and the Universal Negro Improvement Association, Madison, S. 44; Garvey hatte behauptet, dass die UNIA 1928 sogar 11 Mio. Mitglieder auf der ganzen Welt hatte, eine Zahl, die laut Cronon wohl mit Vorsicht zu genießen ist: Cronon 1969, S. 205. 133 | Turner, Richard B. 1997: Islam in the African-American Experience, Bloomington, S. 154. 134 | Lee, Martha F. 1996: The Nation of Islam: An American Millenarian Movement, Syracuse, S. 21. 135 | Jacques-Garvey, Amy (Hg.) 1992: Philosophy and Opinions of Marcus Garvey, Bd. 1, New York, S. 57f.
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Nach der Überzeugung Garveys brauchte eine afrikanische Nation einen afrikanischen Gott, der wenn schon nicht schwarz, so doch ›schwarz gedacht‹ sein würde: »Whilst our God has no color, yet it is human to see everything through one’s own spectacles, and since the white people have seen their God through white spectacles, we have only now stared out (late though it be) to see our God through our own spectacles.«136
Es ist aber unklar, inwieweit Garvey seine Vorstellungen einer wahrhaft afrikanischen Religion mit dem Islam in Verbindung brachte und auf welche Weise konkret er sich beispielsweise mit Edward Wilmots Blyden Idee vom Islam als der Religion aller Schwarzen auseinandergesetzt hatte, er den Islam somit als schwarzes Pendant zum weiß konnotierten Christentum betrachtete. Kambiz GhaneaBassiri leitet daraus, dass in der UNIA islamische Termini u.ä. (z.B. »Allah-Hu-Akbar« in einem UNIA-Musikstück) vereinzelt auftauchten, ab, dass Garvey Blydens Werk durchaus vertraut gewesen sei, stellt aber nicht ausreichend dar, inwiefern dies tatsächlich auf eine Rezeption von Blydens »Christianity, Islam, and the Negro Race« zurückzuführen ist.137 Zumindest nahm Garvey niemals öffentlich den Islam an oder propagierte islamische Glaubensinhalte. Auch welchen Einfluss einer der wichtigsten Mentoren Garveys, der ägyptische Panafrikanist Duse Mohamed Ali, den Garvey in London kennengelernt hatte, auf Garveys Bewegung und deren Verhältnis zum Islam hatte, ist umstritten.138 GhaneaBassiri stellt hierzu fest, dass es wesentlich wichtiger sei anzuerkennen, dass einige der Anhänger Garveys dessen Vorstellung von afrikanischem Nationalismus durchaus mit dem Islam in Verbindung gebracht hätten. Deutlich sei das zu sehen an Noble Drew Ali (1886-1929), dem Begründer des Moorish Science Temple of America (MSTA, 1913), der von Garvey gesagt haben soll, Garvey sei »divinely prepared by the great God-Allah« als Vorbote »to the coming Prophet; who was to bring the true and divine Creed of Islam, and his name is Noble Drew Ali: who was prepared and sent to this earth by Allah, to teach the old time religion and the everlasting gospel to the sons of men.«139
Noble Drew Ali und der Moorish Science Temple of America (MSTA) Im Gegensatz zu Marcus Garvey legitimierte Noble Drew Ali seine Bewegung der Moorish Americans eindeutig mit islamischer Symbolik – und, wie das obige Zitat zeigt, mit Marcus Garvey, was darauf hinweist, dass zumindest Ali Marcus Garvey in einem wie auch immer gearteten islamischen Kontext verortete. Der 136 | Jacques-Garvey 1992, S. 44. 137 | GhaneaBassiri 2010, S. 213. 138 | Vgl. hierzu: Turner 1997, S. 80-90, GhaneaBassiri 2010, S. 204-207. 139 | Ali, Noble Drew 1927: The Holy Koran of the Moorish Science Temple of America, Chicago, S. 59.
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Religionswissenschaftler Edward Curtis und der Islamwissenschaftler Sherman Jackson zählen den MSTA zu den proto-islamischen Bewegungen. Auch wenn die Lehre des MSTA selbst in fast keinem Punkt mit dem übereinstimme, was auch bei weiterer Definition als islamisch gelte, so habe Noble Drew Ali dennoch mit islamischen Termini und Symbolen operiert, und seine Anhänger hätten sich als Muslime bezeichnet.140 Noble Drew Ali, der eigentlich Timothy Drew hieß, war vermutlich afroamerikanischer Herkunft und ein Anhänger Marcus Garveys. Er selbst hatte 1913 in Newark den Moorish Science Temple gegründet, nachdem er angeblich von einem Meister altägyptischer Magie als Reinkarnation von Jesus, Buddha, Konfuzius und Muhammad erkannt worden war.141 Dieser Priester, so Ali, habe ihm einen verlorengegangen Teil des Koran gegeben, der im MSTA unter dem Namen »Holy Koran of the Moorish Science Temple of America« oder auch »Circle Seven Koran« zirkulierte.142 De facto besteht dieses gut 60 Seiten umfassende Buch in großen Teilen aus dem 1908 von Levi Dowling veröffentlichten esoterischen Werk »The Aquarian Gospel of Jesus the Christ« und einigen anderen Versatzstücken. Noble Drew Alis »Circle Seven Koran« beschreibt auf den ersten Blick eine Reihe von ›heiligen Vorschriften‹ (holy instructions) zu den Themen Heirat, Almosen, Charakterbildung, Kindererziehung, Verhältnis zu den Eltern, Ernsthaftigkeit, soziale Gerechtigkeit und Erziehung. Viele Elemente wirken eindeutig islamisch inspiriert, wenn auch nicht islamisch im strengen Sinne, so z.B. der Freitag als höchster Feiertag (den Ali dann aber wieder Sabbath nennt), Geschlechtertrennung in den Tempeln (die nicht Moscheen hießen), tägliche Gebete in Richtung Osten (aber nicht streng in Richtung Mekka), Essensvorschriften (doch statt Schweinefleisch war jedes Fleisch verboten), das Verbot von Alkohol, die Vorschrift für Männer, den Bart nicht zu rasieren, orientalisch anmutende Gewänder, das Tragen des Fez usw.143 Er selbst wollte seine Lehren islamisch verstanden wissen, schrieb er doch: »We believe in the principles of [orthodox Islamic] teachings in so far as they can be adopted to American life.« 144 Er betonte, dass das Christentum eine Religion nur für Weiße sei und daher nicht geeignet für ihn und seine Anhänger: »Christianity is for the European (paleface); Moslemism is for the Asiatic (olive-skinned). When each group has its own peculiar religion, there will be peace on earth.«145 140 | Jackson, Sherman A. 2005: Islam and the Blackamerican: Looking toward the third Resurrection, Oxford; Curtis, Edward E. 2002: Islam in Black America: Identity, Liberation, and Difference in African-American Islamic Thought, Albany. 141 | Smith, Jane I. 1999: Islam in America, New York, S. 79. 142 | Im Internet ist diese Schrift u.a. zu finden unter: http://hermetic.com/bey/7koran. html (abgerufen am 03.09.2011). 143 | Dannin, Robert 2002: Black Pilgrimage to Islam, New York, S. 27. 144 | Zitiert nach: Dannin 2002, S. 27. 145 | Zitiert nach: Lincoln 1973, S. 54.
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Im Circle Seven Koran wurden, liest man den Text auf seine Zielsetzung hin, die Pflichten für Männer und Frauen des MSTA erläutert, durch deren Erfüllung sie ihre göttliche Natur in sich selbst entwickeln sollten, um dadurch in der amerikanischen Gesellschaft besser voranzukommen.146 Daran wird deutlich, wie sehr Gruppen wie der MSTA vom amerikanischen Erfolgs- und Fortschrittsglauben durchdrungen waren – ähnliches Gedankengut findet man bei evangelikalen Gruppierungen, aber auch in den von der Protestantischen Ethik beeinflussten Mainline-Kirchen.147 Noble Drew Ali nennt seine Lehren selbst »civilizational«, und um sie mit einer Zivilisation verbinden zu können, konstruiert er den Islam als den Glauben einer antiken, nichtweißen, einst mächtigen Zivilisation, den er jetzt wieder zugänglich mache, nachdem die Muslime Indiens, Ägyptens und Palästina dessen Geheimnisse lange zurückgehalten hätten und erst auf Veranlassung Allahs nun erstmals die Muslime Amerikas den Zugang dazu bekommen hätten.148 Doch für Ali und seine Anhänger war der Islam offensichtlich nicht die einzige Quelle, aus der Spiritualität und Identität geschöpft wurde. Der religiöse Synkretismus, mit dem Ali seine ganz eigene Lehre schuf, zeigt sich explizit auf den Ausweisen (identity cards), die die Mitglieder des MSTA stets bei sich trugen: »This is your Nationality and Identification Card for the Moorish Science Temple of America, and Birthrights for the Moorish Americans etc. we honor all the Divine Prophets, Jesus, Mohammad, Buddha, and Confucius. May the blessings of the God of our Father Allah, be upon you that carry this card. I do hereby declare that you are a Moslem under the Divine Laws of the Holy Koran of Mecca, Love Truth Peace Freedom and Justice. ›I AM A CITIZEN OF THE U.S.A.‹«149
Noble Drew Ali transformierte die Marginalität schwarzer Amerikaner im Sinne Turners, indem er deren vergessene islamische Identität, die ihre Vorfahren angeblich aus Afrika nach Amerika gebracht hatten, rekonstruierte. Diese »oppositional cultural strategy« habe sich aus vier Quellen der afroamerikanischen Populärkultur gespeist: Bibel, Panafrikanismus, Theosophie und Bruderschaften wie die Freimaurer. Indem er trotz Nutzung biblischer Symbole in seinem Koran den Islam als die einzige ›wahre‹ Religion für Afroamerikaner propagierte und 146 | GhaneaBassiri 2010, S. 221. 147 | Als Mainline-Kirchen, seltener Mainstream-Kirchen, werden in den USA in Abgrenzung zu als evangelikal oder fundamentalistisch bezeichneten Gemeinden jene protestantische Kirchen zusammengefasst, die sich selbst als moderat bezeichnen. Dazu zählen u.a. die meisten Lutheraner und Presbyterianer, Methodisten, Kongregationalisten, Anglikaner, die Baptisten der nördlichen Bundesstaaten etc. Siehe dazu: Wuthnow, Robert/John H. Evans (Hg.) 2002: The Quiet Hand of God: Faith-based Activism and the Public Role of Mainline Protestantism, Berkeley. 148 | Ali 1927, S. 3, 56. 149 | Zitiert nach: Dannin 2002, S. 27.
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das Christentum als minderwertige europäische Religion herabsetzte, kehrte er für seine Anhänger die Hierarchie amerikanischer Religiosität um.150 Ein konstituierendes Element der Lehre Noble Drew Alis ist die Vorstellung, dass Rasse und religiöse Identität unauflöslich miteinander verknüpft seien. Weiße (die er meist als Europeans oder Caucasians bezeichnet) seien Christen. Sich selbst und seine Anhänger bezeichnet er hingegen nicht als Afroamerikaner oder Schwarze, sondern als aus dem Gebiet des heutigen Marokko stammende Asiatics oder als Moors– als Nachkommen der antiken Moabiter (auf historische und geographische Genauigkeit legte er keinen Wert, wie man sieht, sondern er agierte im besten Sinne der invention of tradition). Allah, so Ali, habe sie von dort jedoch aufgrund mangelnden Rassebewusstseins vertrieben.151 Die Hautfarbe der Asiatics ist ihm zufolge olive-skinned und nicht schwarz. Asiatics waren für Ali natürlicherweise Muslime. Die Vermischung mit Weißen war unerwünscht: »We, as a clean and pure nation descended from the inhabitants of Africa, do not desire to amalgamate or marry into the families of the pale skin nations of Europe. Neither serve the gods of their religion, because our forefathers are the true and divine founders of the first religious creed, for the redemption of mankind on earth. Therefore we are returning the Church and Christianity back to the European Nations, as it was prepared by the forefathers for their earthly salvation. While we, the Moorish Americans are returning to Islam, which was founded by our forefathers for our earthly and divine salvation.«152
Seine Anhänger ermutigte Noble Drew Ali, sich rassistisch motivierter Bevormundung durch Weiße zu widersetzen und sich nicht für die eigenen religiösen Überzeugungen angreifen zu lassen, denn diese seien schließlich durch die amerikanische Verfassung geschützt: »Whatever the reasons may be for their opposition [to the Moorish Science Temple], the legal right to oppose citizens, individuals and organizations alike for the religious beliefs does not exist in the United States. The door of religious freedom made by the American Constitution swings open to all, and people may enter through it and worship as they desire.«153
Er war sich bewusst, wie das obige Zitat zeigt, dass der Verweis auf die konstitutionell garantierte Religionsfreiheit seinen Anhängern mehr Schutz bieten würde, als sie es lediglich als Afroamerikaner jemals erreichen konnten. Aber 150 | Turner 1997, S. 96. 151 | Gardell 1996, S. 24. 152 | Dannin 2002, S. 28. 153 | Ali, Noble Drew 1928: »Moorish leader’s Historical Message to America«, in: Moorish Guide, 28.09.1928, nachzulesen auf: www.moorishsciencetempleofamericainc.com/ (abgerufen am 03.11.2011), S. 13.
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er warnte die MSTA-Mitglieder auch vor Eskalation, die dazu führen könne, das eigentliche Ziel der Organisation, nämlich das empowerment der Asiatics, aus den Augen zu verlieren. So ist ein Zwischenfall überliefert, wonach ein weißer Polizist in Detroit auf Mitglieder des Moorish Science Temples gestoßen war: »What a terrible gang! Thieves and cutthroats! Wouldn’t answer anything. Wouldn’t sit down when you told them. Wouldn’t stand up when you told them. Pretending they didn’t understand you, that they were Moors from Morocco. They never saw Morocco! Those Moors never saw anything before they came to Detroit except Florida and Alabama!«154
Noble Drew Ali rief seine Anhänger daraufhin dazu auf, nicht absichtlich Aufsehen zu erregen und Weiße unnötig anzugreifen: »I hereby warn all Moors that they must cease from all radical or agitating speeches while on their jobs, or in their homes, or on the streets. Stop flashing your cards before Europeans as this only causes confusion. We did not come to cause confusion, our work is to uplift the nation.«155
Noble Drew Ali, ebenso wie später Wallace D. Fard Muhammad, der Gründer der Nation of Islam, bot seinen Anhängern eine alternative nationale Identität an, indem er sie einen Ursprungsmythos lehrte, der die Herkunft seiner Anhänger in einer authentisch afrikanischen Identität verortete (die er jedoch meist als Asiatic oder Moorish und nicht African o.ä. bezeichnete). GhaneaBassiri leitet daraus ab, dass es sowohl Alis als auch Fards Ziel gewesen sei, Afroamerikaner zu »denegrofizieren« (»to de-negrofy«).156 Diese Sichtweise ist insofern anachronistisch, als das der Terminus »Negro« in der betreffenden Zeit der amerikanischen Geschichte nicht nur Fremd-, sondern auch Eigenbezeichnung war. Schwarze Nationalisten aus der back to Africa- Bewegung wie Garvey benutzten ihn ebenso wie W.E.B. DuBois, der Soziologieprofessor mit einem Faible für kommunistische Ideen. ›Negro‹ hatte nicht denselben Beigeschmack wie ›Nigger‹, ein pejorativer Begriff auch damals, der in sich die Gedanken der white supremacy und black inferiority trug. Zaheer Alis Analyse, dass Noble Drew Ali und seine Anhänger dadurch, dass sie sich als Asiatics inszenierten, sich vom amerikanischen Kastensystem mit seiner Schwarz-Weiß-Polarität befreiten und nicht mehr als Schwarze wahrgenommen und behandelt wurden, stimmt nur zum Teil.157 Zwar gibt es Berichte, dass afroamerikanische MSTA-Mitglieder, die in den segregierten amerikanischen Süden der Jim Crow-Ära reisten, durch ihre exotische Kleidung und 154 | Fauset, Arthur Huff 1944: Black Gods of the Metropolis: Negro Religious Cults of the Urban North, Philadelphia, S. 42-43, FN 3. 155 | Zitiert nach: Turner 1997, S. 99. 156 | GhaneaBassiri 2010, S. 224. 157 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, am 24.05.2008.
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ihr Beharren darauf, nicht schwarz, sondern Asiatic zu sein, einige Segregationsgesetze umgehen konnten. So soll beispielsweise Duse Mohamed, ein Engländer ägyptischer Herkunft und schwarzer Hautfarbe sowie ein Journalist mit panafrikanischer Agenda und dem MSTA nahestehend, der öfter in die USA reiste, sich dadurch vor Rassismus geschützt haben, dass er einen Fez trug: »There is no doubt that he was perfectly conscious that an exotic appearance, identifying a black man as not a black American, could give protection.«158 Doch bedeutet all das nicht, dass sich Ali wirklich von der Schwarz-Weiß-Polarität befreit hat, vielmehr hat er sie internalisiert, wie die folgenden Überlegungen zeigen sollen. So versuchte Ali zwar auf den ersten Blick tatsächlich, über eine Umdefinierung der Afroamerikaner in Asiatics, das amerikanische Rassensystem mit den inhärenten Wertungen zu umgehen (»opting out race«). Durch die Bezeichnung Moorish American gab er sich und seinen Anhängern eine Identität, die Rasse (black) durch Ethnizität (Moorish American) ersetzte.159 Wie auch die europäischen Einwanderer Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Moorish Americans das Ziel, das Stigma ihres Minderheitenstatus abzulegen und als echte Amerikaner anerkannt zu werden, auch wenn sie auf den ersten Blick genau das Gegenteil der Einwanderer taten, die sich schnell amerikanische Namen zulegten und sich in Kleidung sowie Bräuchen der Mehrheitsgesellschaft anpassten.160 Jedoch hat Noble Drew Ali damit keine identity outside of white society’s racial hierarchies geschaffen, sondern geht vielmehr kreativ exakt mit dieser racial hierarchy um, die er als gegeben annimmt. Denn Moors bzw. Asiatics stellt nun keine religiöse Identität dar bzw. weist höchstens darauf hin, dass die so bezeichneten Menschen vermutlich keine Christen sind. Im Sinne von Rasse hingegen zeigt die Bezeichnung zuallererst, dass diese Menschen ›nicht schwarz‹ sind bzw. sich nicht als schwarz definieren. Wenn Afroamerikaner derartige Anstrengungen unternehmen, ihre eigene blackness wegzudefinieren – und das obwohl sie nicht nur in den Augen der Weißen, sondern auch in jenen anderer Afroamerikaner schwarz sind –, dann zeugt das nicht von einer Überwindung weiß definierten Rasse-Denkens, sondern eher von einer Internalisierung dieser racial hierarchy und deren Stigmatisierung von blackness. Der MSTA hatte unter der Führung Alis 20.000-30.000 Mitglieder161, unter denen auch der spätere Gründer der Nation of Islam, W.D. Fard, gewesen sein soll.162 Noble Drew Ali starb 1929 unter ungeklärten Umständen in Chicago, kurz nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er und andere MSTA158 | Duffield, Ian 1971: Duse Mohamed Ali and the Development of Pan-Africanism, 1866-1945, Diplomarbeit in 2 Bänden, Edinburgh University, S. 665. 159 | Turner 1997, S. 96. 160 | Turner 1997, S. 97. 161 | Lincoln 1973, S. 51. 162 | Essien-Udom, Essien Udosen 1963: Black Nationalism: A Search for an Identity in America, Chicago, S. 35.
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Mitglieder nach internen Streitigkeiten aufgrund von Korruptionsvorwürfen eingesessen hatten.163 Einige seiner Anhänger wechselten in den folgenden Jahren zur 1930 gegründeten Nation of Islam, doch der MSTA besteht als Organisation bis heute und widmet sich vor allem Sozialprojekten und Antidrogenkampagnen.164 Aber warum ausgerechnet der Islam? Die Theorie von den Freimaurern Wenn man sich die Lehren Noble Drew Alis ansieht, gelangt man unweigerlich zu der Frage, warum er so sehr darauf pochte, seine Inhalte dezidiert als ›islamisch‹ zu etikettieren. Es ist offensichtlich, dass die Lehren in weiten Teilen von ›orthodoxer‹ islamischer Doktrin abweichen 165, doch selbst okkulte Praktiken, Numerologie und Magie, die im MSTA allesamt praktiziert wurden, wollte Ali als islamisch verstanden wissen. Es fragt sich, warum Ali ausgerechnet den Islam als spirituelles Gerüst wählte, eine Weltreligion, anstatt einen ganz neuen Glauben, der sich nicht am Vergleich mit einer ›orthodoxen‹ Lehre messen lassen muss, zu kreieren? Diese Frage ist umso wichtiger, weil mit dem MSTA eine Verknüpfung von schwarzer Identität mit dem Islam begann, auf die sich in der Zukunft eine große Zahl von Gruppierungen afroamerikanischer Muslime berufen sollte. Hier war der Anfangspunkt einer Entwicklung, die in das mündete, was heute pauschal als ›der afroamerikanische Islam‹ bezeichnet wird, ein Islam, der tief in der afroamerikanischen Geschichte und Kultur verwurzelt ist und sich vom Islam der Einwanderer in seinen Narrativen bis heute unterscheidet.166 Wie also kam der Islam, simpel gefragt, zu den Afroamerikanern? Auf Blyden zu verweisen hilft hier nicht weiter, denn es gibt keine Hinweise darauf, dass sich Noble Drew Ali oder später die Vertreter der Nation of Islam auf ihn berufen hätten. Auch gibt es keine Berichte darüber, dass Ali beispielsweise Kontakt zu muslimischen Immigranten hatte, die seine Lehre elementar beeinflusst hätten. Robert Dannin schreibt zu dieser offenen Frage, dass diese »unchurched version« von Spiritualität, wie sie der MSTA vertrat, die Verbindung mit den schwarzen Freimaurerlogen und deren »polyvalent spirituality« erleichtert habe, so dass es wenig erstaunlich sei, wie sehr doch viele Rituale und die Organisationsstrukturen des MSTA denen der Logen ähnelten.167 Der Verweis auf Freimaurer scheint in diesem Kontext erst einmal verblüffend, doch auch Kambiz GhaneaBassiri ver163 | Lincoln 1973, S. 53. 164 | Smith 1999, S. 80. 165 | Auch wenn man sich der Vielfalt islamischer Glaubenstheorie und -praxis bewusst ist, so gibt es doch einen Kern, der die allermeisten Gruppierungen und Strömungen eint, darunter der Glaube, dass der (klassische) Koran das unmittelbare, unverfälschte Wort Gottes ist, die Prophetentradition (Sunna), beides verbindliche Quellen für gläubige Muslime, ferner die zentrale Stellung der fünf Säulen des Islam. ›Orthodox‹ ist insofern in diesem Kontext nicht wertend zu verstehen, sondern bezieht sich auf diese Kernüberzeugungen. 166 | Siehe hierzu ausführlicher Kap. II.2, »Autorität durch Authentizität«. 167 | Dannin 2002, S. 29.
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mutet, dass schwarze Logen einen nicht unbedeutenden Einfluss auf den MSTA gehabt haben könnten. Er geht sogar noch weiter, als dass er nicht nur eine enge Verwandtschaft bei Spiritualität und Ritualen sieht, sondern hierin die Erklärung dafür findet, wie islamische Symbole ihren Weg in die Lehren des MSTA gefunden haben. Denn, so GhaneaBassiri, beim MSTA habe sich der Einfluss der Freimaurer nicht nur in der Kleidung, den Namen und den Titeln, die die Mitglieder annahmen, sondern auch in ihrer religiösen Literatur gezeigt. Selbst die Initiationsriten ähnelten demnach einander.168 Zunächst jedoch erfolgt ein kurzer Exkurs zu der Frage, warum sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts afroamerikanische Bewegungen zunehmend unter religiösen Vorzeichen organisierten. Denn wenn man auf die Zeit Booker T. Washingtons und W.E.B. DuBois’ zurückblickt, so kann man feststellen, dass in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Bürgerkrieg neben den Strömungen der etablierten schwarzen Kirchen keine nennenswerten neuen religiösen Gruppierungen entstanden waren. Nach dem 1. Weltkrieg strömte jedoch eine große Zahl von Afroamerikanern aus den Südstaaten in die Großstädte des Nordens, sowohl auf der Suche nach Arbeit als auch auf der Flucht vor den Jim Crow-Gesetzen, die nach wie vor im Süden bestanden. Hatten noch 1860 nur 6,2 Mio. Amerikaner in Großstädten gelebt, so waren es 1910 bereits 42 Mio. Die sogenannte Great Migration, also der Zuzug von Afroamerikanern in den Norden, trug zu diesem Anstieg erheblich bei.169 So stieg der Anteil an weißen Amerikanern von 39 % im Jahre 1890 auf 58 % im Jahre 1930, derjenige der Afroamerikaner von 20 auf 44 %. Die Folge war eine starke räumliche Segregation der urbanen Räume, denn im Norden gab es zwar keine Jim Crow-Gesetze, aber durchaus Rassismus gegenüber Schwarzen, der verhinderte, dass gemischte Wohnviertel eher die Ausnahme als die Regel waren.170 Während der 1920er und 1930er Jahre explodierte als Folge der Great Migration die religiöse Vielfalt unter Afroamerikanern: Zahlreiche religiös eklektische und spiritualistische Gruppierungen entstanden, ähnlich dem, was sich im weißen Amerika des 19. Jahrhunderts zugetragen hatte, als religiöse Bewegungen wie Mormonismus, Shakerismus, Spiritualismus, Christian Science und die Theosophical Society gegründet wurden.171 Afroamerikaner hingegen waren erst im Zuge der Great Migration in der Lage, eigene Institutionen zu gründen – davor hatte es ihnen sowohl an Freiheit als auch finanziellen Ressourcen 168 | GhaneaBassiri 2010, S. 201. 169 | Siehe dazu ausführlicher: Alferdteen Harrison (Hg.) 1991: Black Exodus: The Great Migration from the American South, Jackson. 170 | Kusmer, Kenneth, L. 1976: A Ghetto Takes Shape: Black Cleveland, 1870-1930, Urbana, S. 36; Scheiner, Seth M. (1969): »The Negro Church and the Northern City, 18901930«, in: William G. Shade/Roy C. Herrenkohl (Hg.): Seven on Black: Reflections on the Negro Experience in America, Philadelphia, S. 95. 171 | Vgl. dazu ausführlich: Hans A. Baer 2001: The Black Spiritual Movement: A Religious Response to Racism, 2. Aufl., Knoxville.
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gefehlt. Daher gab es bis in die 1920er Jahre fast nur afroamerikanische Varianten weißer Mainline-Kirchen, die jedoch in einem stetigen Spannungsverhältnis zueinander standen, da Rassismus in weißen Kirchen nach wie vor auf breiter Ebene virulent war.172 Als Resultat der Great Migration entstanden in den Großstädten des Nordens erstmals von weißen Gruppierungen unabhängige schwarze religiöse Institutionen, z.B. das Father Divine’s Peace Mission Movement, das United House of Prayer for All People, beide im christlichen Spektrum, aber eben auch der Moorish Science Temple of North America und die Nation of Islam. Doch wenn GhaneaBassiri schreibt, diese Organisationen »relied on religion to institutionalize an identity outside of white society’s racial hierachies«173, so stimmt das nur bedingt. Denn Richard Brent Turner weist darauf hin, dass Afroamerikaner letztendlich unverhältnismäßig viel Energie für die Schaffung religiöser Organisationen aufwendeten, die ihnen dann auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet sowie der Bildung fehlte. Seit der Sklaverei sei die Führung der black community fast ausschließlich in der Hand religiöser Führer gelegen, die aber keine Expertise auf den anderen, mindestens ebenso wichtigen Feldern, hatten. Die Folge war erstens, so Turner, dass religiöse Institutionen sich wesentlich schneller und besser etablierten als wirtschaftliche, politische oder Bildungseinrichtungen, und zweitens, dass die zahlreichen religiösen Kulte, die dadurch entstanden, zum Teil zur Ausbeutung der armen schwarzen Massen und zur Selbstbereicherung und Selbsterhöhung religiöser und spiritueller Führer führten. So richtig Turners Beobachtung sein mag, dass afroamerikanische religiöse Organisationen erfolgreicher waren als der Auf bau afroamerikanischer wirtschaftlicher und politischer Strukturen unabhängig von religiösen Bezügen, so irritierend ist allerdings seine folgende Aussage dazu: »Encouraging blacks to invest their resources and energies only in religious institutions was an overt strategy of institutional racism.«174 Leider führt er nicht aus, was er damit meint: Wer bzw. welche Institutionen haben seiner Meinung nach Afroamerikaner warum genau dazu ermutigt, ihre Energie vor allem in die Schaffung religiöser Organisationen zu investieren, und was hat das mit – dem fraglos vorhandenen – institutionellen Rassismus zu jener Zeit zu tun? Es stellt sich die Frage, ob Turner damit andeuten möchte, dass Akteure auch innerhalb der black community über keinerlei agency verfügten, mithin aller schwarzer Aktivismus letztendlich »weiß gesteuert« war. Es war – und es ist bis heute – in den USA schließlich nicht ungewöhnlich, dass sich sozialer und politischer Aktivismus, ganz gleich, ob für eine konservative oder emanzipatorische Agenda, unter religiösen Vorzeichen organisiert und außerdem noch eine wirtschaftliche Dimension hat, und dies quer über alle ethnisch-rassischen Communities hinweg. Möchte man darin einen Grund für das Scheitern afro172 | GhaneaBassiri 2010, S. 193; ausführlicher dazu: Milton C. Sernett (Hg.) 1997: Bound for the Promised Land: African American Religion and the Great Migration, Durham. 173 | GhaneaBassiri 2010, S. 194. 174 | Turner 1997, S. 99.
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amerikanischer religiöser Organisationen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu sehen, schiene dies zumindest etwas kurz gegriffen.175 Doch für Turner steht fest: Auch der Moorish Science Temple sei ein Beispiel dafür, wie die von ihm angeführten Faktoren zum Niedergang einer Führungsriege und damit der Organisation als ganzer führen können.176 Gleichwohl hat der Islam als konstituierendes Element afroamerikanischer Bewegungen in vielgestaltiger Form überlebt, selbst wenn der MSTA nach 1929 nie wieder zu der Größe, die er unter Noble Drew Ali besessen hatte, zurückfinden sollte. Nunmehr ist auf die Ausgangsfrage zurückzugehen, wie es dazu kam, dass ausgerechnet der Islam solch einen Einfluss auf afroamerikanische Spiritualität und Aktivismus bekommen konnte. Mehrere Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte des afroamerikanischen Islam beschäftigen, sind überzeugt, dass das Freimaurertum eine bedeutende Rolle bei der Verknüpfung von schwarznationalistischen Bewegungen, die unter islamischen Vorzeichen standen, sowie bei der Aneignung islamischer Symbole, Rituale und Geschichte spielte. GhaneaBassiri zufolge waren sowohl Noble Drew Ali als auch Elijah Muhammad (1897-1975), der spätere Vorsitzende der Nation of Islam, in Freimaurer-Orden initiiert worden.177 Schon unter den westafrikanischen Sklaven, deren Biographien überliefert wurden, wie Umar ibn Said und Job Ben Solomon, hätten sich Freimaurer befunden, da Logen in Westafrika existiert hätten, die z.T. auch Schwarze initiiert hätten bzw. nur aus Schwarzen bestanden.178 So wurde beispielsweise Prince Hall, ein freier schwarzer Mann aus Barbados, bereits 1775 in Boston als Freimaurer initiiert und gründete darauf im Jahre 1784 eine eigene Loge für Nichtweiße, die African Lodge no.459, in die er vor allem freigelassene oder entlaufene Sklaven aufnahm. Als First Grand Master dieser Loge wurde er eine der Führungsfiguren in den ersten Jahren der abolitionistischen Bewegung, die sich für die Abschaffung der Sklaverei als Bedingung für den politischen wirtschaftlichen Erfolg der neugegründeten USA einsetzten.179 Weitere schwarze Logen folgten entlang der gesamten Ostküste, so dass »freemasonry was thus integral to the construction of black civil society in colonial North America.«180 Um die Wende zum 20. Jahrhundert existierten bereits Tausende von schwarzen Logen in Amerika.181 Selbst 175 | Zur sozialen, politischen und ökonomischen Dimension von Religion in den USA siehe ausführlich: Fowler, Robert B./Hertzke, Allen D./Olson, Laura R./Den Dulk, Kevin R. 2004: Religion and Politics in America. Faith, Culture, and Strategic Choices, Boulder/Oxford. 176 | Turner 1997, S. 99. 177 | GhaneaBassiri 2010, S. 198. 178 | Siehe dazu: Casely-Hayeford, Augustus/Richard Rathbone 1992: »Politics, Families and Freemasonry in the Colonial Gold Coast«, in: J.F. Ade-Ajayi/J.D.Y. Peel (Hg.): People and Empires in African History: Essay in Memory of Michael Crowder, London, S. 146f. 179 | Dannin 2002, S. 18f. 180 | Dannin 2002, S. 19. 181 | Dannin 2002, S. 24.
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die Geschichte des ›Prince Among Slaves‹ ist für Dannin ein Hinweis darauf, wie sich der Islam schon früh mit afroamerikanischem Freimaurertum verknüpft hätte: Als Abdul Rahman, der versklavte Prinz aus Westafrika, sich nach seiner Freilassung auf eine Reise durch die ganze USA begeben hatte, um mit flammenden Reden allerorten für die Freilassung seiner Frau und Kinder zu werben, stellte er in einigen Reden auch insgesamt das System der Sklaverei und vor allem dessen christliche Legitimierung in Frage. Dabei warb er mehrfach für den Islam als Alternative bzw. als Religion, die als einzige die absolute Wahrheit besitze. Deshalb weigerten sich einige (schwarze) Kirchenführer, Abdul Rahman in ihren Kirchen sprechen zu lassen. Daraufhin wurden Veranstaltungen teilweise in die schwarzen Prince Hall Lodges verlegt, und die dortigen Zuhörer, Sklaven und freie schwarze Männer, begannen, inspiriert von Abdul Rahmans Reden, sich auf ihren eigenen islamischen Hintergrund zu besinnen.182 »Ibrahima’s brief career as a public figure suggested a latent dissonance between slave beliefs and Christianity, an unchurched attitude that probably resonated forcefully within the network of Prince Hall lodges. Fortuitously chartered just before independence, the fraternal orders championed independence from not only the state but also the church. […] The Prince Hall lodges perpetuated an irrepressible spirit of rebellion against the slave regime while simultaneously rejecting Christianity as the handmaiden of racial oppression.«183
In den USA haben Afroamerikaner im Jahre 1893 den Ancient Egyptian Arabic Order of the Nobles of the Mystic Shrine gegründet, in Anlehnung an den Ancient Arabic Order of the Nobles of the Mystic Shrine, einen Orden, der 1872 in New York von und für Weiße etabliert worden war. George L. Root beschrieb 1903, wie extensiv sich bereits der weiße Orden islamischer Symboliken und Labels bediente, um eine eigene Mythologie und Geschichte zu begründen.184 Um die Wende zum 20. Jahrhundert hätten Freimaurerorden, deren Mitglieder in der Mehrheit Christen waren, sich ›orientalischen‹ und ›antiken‹ Wissens aus den Gebieten der Archäologie, Ethnographie, Philologie und Religionswissenschaft bedient, um durch die Berufung auf einen ›mystischen Orient‹ ihre eigenen Mythen und Rituale zu konstruieren, die für ihre Mitglieder eine eigene Zivilreligion bilden sollten, so GhaneaBassiri. Peter L. Wilson sieht in seiner Studie zum Moorish Science Temple große Ähnlichkeiten zwischen der Aneignung islamisch konnotierter Symbole und Riten durch die weißen Freimaurer und dem, was sich später bei Noble Drew Ali findet. So schreibt er über die Freimaurer:
182 | Dannin 2002, S. 20. 183 | Dannin 2002, S. 20f. 184 | Root, George L. 1903/1916: The Ancient Arabic Order of the Nobles of the Mystic Shrine, Whitefish; nachgedruckt in: Edward E. Curtis (Hg.) 2008: The Columbia Sourcebook of Muslims in the United States, New York, S. 22-29.
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Auch wenn die Freimaurer über ihre teilweise geradezu satirisch anmutende Aneignung des von ihnen selbst zuerst konstruierten ›Orients‹ Herrschaftswissen produzierten (Stichwort Orientalismus), so waren sie doch die ersten, die ›östliche‹ Religionen und deren Symbole in die amerikanische Öffentlichkeit brachten.186 Robert Dannin weist auf die Gefahr hin, die afroamerikanische Geschichte nur im Zusammenhang mit der Black Church zu untersuchen und dabei andere Einflüsse – wie eben denjenigen der Freimaurer – zu übersehen oder zu ignorieren. Diese »overdetermination of African-American history by the Black Church« sei eine »implicit ideology of both church and academic scholarship« und »limits intellectual expression by repressing the voice of the unchurched«.187 Die Geschichte der Prince Hall Masonic Lodges illustriere bestens den Kampf zwischen ›churched‹ und ›unchurched ideologies‹, da in den Logen die Anhänger des Äthiopianismus (Ethiopianism) und des Arabismus (Arabism) wiederholt in Konflikt miteinander geraten waren. Die Ethiopianists waren trotz radikaler Rhetorik eng mit der black church verknüpft und predigten eine Erlösungstheologie (theology of 185 | Wilson, Peter L. 1989: »Shoot-out at the Circle 7 Koran: Noble Drew Ali and the Moorish Science Temple«, in: Gnosis Magazine 12, S. 44-45, S. 44f. 186 | GhaneaBassiri 2010, S. 200; auch in den europäischen Logen der Spätaufklärung spielte der Orient als Symbollieferant eine wichtige Rolle, wie die Ägyptologen Jan Assmann und Florian Ebeling zeigen. Allerdings wird dieser imaginierte Orient von ihnen weniger mit dem Islam als vielmehr mit dem vorislamischen Ägypten in Verbindung gebracht. Das Alte Ägypten galt den europäischen Freimaurern als ein Land, das zwei Religionen hatte: eine Volksreligion, nach außen sichtbar, und eine Geheimreligion, nur für Eingeweihte zugänglich, worin sie eine Parallele zur eigenen Freimaurerlehre sahen. Eine große Rolle spielte dabei der Isis-Osiris-Kult sowie die legendäre Figur des Hermes Trismegistos, vermutlich eine synkretistische Verschmelzung des altgriechischen Gottes Hermes mit dem ägyptischen Gott Thot, der lange Zeit als einst real existierender Verfasser der sogenannten Hermetischen Schriften galt, einer Sammlung alchemistischer und okkult-esoterischer Texte. Siehe dazu: Assmann, Jan/Ebeling, Florian 2011: Ägyptische Mysterien. Reisen in die Unterwelt in Aufklärung und Romantik. Eine kommentierte Anthologie, München sowie Ebeling, Florian 2009: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos: Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit, München. 187 | Dannin 2002, S. 22.
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redemption), eine reine afrikanische Nation (a pure African nation). Die missionarische Erfahrung stellten sie als quasi-biblische Rechtfertigung für eine Emigration nach Afrika dar. Die zweite Gruppe in den Freimaurer-Logen hingegen, die Arabists, konstruierte aus fragmentarischem Wissen über den Islam mittels islamisch konnotierter Symbole und Labels eine eigene spirituelle Lehre und Rituale, die bei den schwarzen Kirchenmännern auf Widerstand stießen, da sie christlichen Lehren offenkundig widersprachen.188 Außerdem, so Dannin, hätten die wenigen Wissenschaftler, die sich mit schwarzen Orden und deren Relevanz für das Leben und die Geschichte der Afroamerikaner beschäftigt hätten, glaubhaft dargestellt, dass die Orden mit ihrem Fokus auf Selbsthilfe und Selbstorganisation das Fundament dafür gelegt hätten, dass die Schwarzen Amerikas ein soziales Netzwerk etablieren konnten, das sich jenseits von christlich-religiösen Organisationen entwickelte und damit auch die Friktionen entlang religiöser Denominationen zugunsten eines kollektiven afroamerikanischen Bewusstseins überwand.189 Die Gründung der Nation of Islam Im Jahre 1930 wurde die Nation of Islam (NOI) gegründet, die bis heute aus Gründen, die im Laufe der Arbeit noch ausführlicher erläutert werden, für Afroamerikaner und nichtschwarze Amerikaner gleichermaßen als eine der wichtigsten Vertreterinnen des afroamerikanischen Islam gilt. Und dies, obwohl die Lehren der NOI in vielen Teilen von dem abweichen, was als ›orthodoxer‹ Islam gilt, wofür sie besonders von muslimischen Immigranten, teilweise aber auch von afroamerikanischen Sunniten, immer wieder heftig angegriffen wird. Nichtsdestotrotz operiert die NOI wie schon der MSTA mit islamischer Symbolik und islamischen Termini und verortet sich selbst im Spektrum amerikanischer Muslime. Durch ihren heutigen charismatischen Führer Louis Farrakhan (geb. 1933) ist die NOI im Verhältnis zur Zahl ihrer tatsächlichen Mitglieder überproportional in den Medien präsent, und von der NOI organisierte Veranstaltungen sprechen auch Afroamerikaner an, die weder zur NOI gehören noch überhaupt Muslime sind.190 Wohl keine andere Organisation hat mit ihrer Definition, wie Rasse und Religion in Amerika zusammenhängen, nachhaltigeren Einfluss auf die Debatte über schwarzen Islam in Abgrenzung zu weißem Christentum genommen. Bis heute 188 | Dannin 2002, S. 22; zu den Auseinandersetzungen innerhalb schwarzer Orden, die sogar zu einer Untersuchungskommission im Kongress 1934 führte, mehr bei Harold van Buren Voorhis 1945: Negro Masonry in the United States, New York; Harold van Buren Voorhis 1960: Our Colored Brethren: The Story of Alpha Lodge of New Jersey, New York; zu Ethiopianism siehe auch: Wilson Jeremiah Moses 1998: Afrotopia: The roots of African American Popular History, Cambridge, S. 26; zu Arabism bei den Masonic Orders: Jim Sleeper 1990: The Closest of Strangers: Liberalism and the Politics of Race in New York, New York, S. 49. 189 | Dannin 2002, S. 24. 190 | Siehe hierzu v.a. Kap. III.2 d) »Die neue Selbstverantwortlichkeit: Der Million Man March«
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sind zentrale Führungspersönlichkeiten des afroamerikanischen Islams – auch Sunniten – durch die NOI geprägt, über die sie erst Zugang zum Islam erhalten haben. Figuren wie Elijah Muhammad und Malcolm X (1925-1965) haben über Jahrzehnte den Diskurs dazu bestimmt und sind bis heute Personen, auf die begeistert oder polemisch rekurriert wird, wenn es um die Frage geht, ob man als ›authentisch‹ Schwarzer Muslim sein muss und ob das Christentum eine Religion von Sklavenhaltern ist. Aufgrund der zentralen Stellung, die die NOI ideologisch innerhalb eines dezidiert schwarz verstandenen Islams einnimmt, soll zunächst ein kurzer Überblick über die Geschichte der Organisation gegeben werden, bevor im Anschluss daran das Konzept eines Antagonismus von weißem Christentum und schwarzem Islam erläutert wird. Nach offiziellen NOI-Angaben wurde Wallace D. Fard Muhammad am 26.02.1877 in Mekka als Mitglied der Familie der »original black men« geboren. Sein Kommen sei bereits in der Bibel angekündigt worden; er sei der in Matthäus mehrfach genannte Menschensohn, so die NOI-Ideologie. Bisweilen sah er sich auch als Reinkarnation Noble Drew Alis.191 Fard selbst baute durch verschiedene Namen ein Mysterium um seine wahre Identität auf. So bezeichnete er sich unter anderem als Quraish, Hashimit und englischen Studenten aus dem Königreich des Hedschas.192 Das FBI, das die NOI in den 1940er-1960er Jahren intensiv observierte, da die Organisation als Risiko für die innere Sicherheit angesehen wurde, vermutete, dass Fard 1913 aus Neuseeland als Wallace Dodd Fard in die USA eingereist war.193 Im Jahre 1933 wurde Fard ins Gefängnis gebracht, da er Islamunterricht gegeben hatte und verdächtigt wurde, dass bei der NOI Menschenopfer dargebracht wurden.194 Als Fard 1934 spurlos verschwand, war sich das FBI sicher, dass er noch lebe. Auch seine Anhänger glaubten nicht an Fards Tod, wilde Gerüchte kursierten über seinen Verbleib.195 Trotz seiner Abwesenheit blieb Fard für seine Anhänger ein Prophet Gottes, im Laufe der Zeit wurde er gar selbst als göttlich angesehen.196 Sicher ist, dass Fards Mission in Detroit begann, wo er zur Zeit der Weltwirtschaftskrise die Bewohner des Paradise Valley – afro191 | Essien-Udom 1963, S. 43. 192 | Lincoln 1973, S. 12. 193 | Gardell 1996, S. 38; interessanterweise wird Fard in FBI-Dokumenten als Weißer klassifiziert. Auch in der NOI gibt es die Theorie, dass Fard halb weiß, halb schwarz gewesen sei. 194 | Cowans, Russel J.: »Death List found in Voodoo Cult«, in: Chicago Defender, 3.12.1932. 195 | Vgl. hierzu: Hielscher, Hans 1996: ›Gott ist zornig, Amerika‹: Der Aufstieg des Schwarzenführers Louis Farrakhan, Bonn, S. 60. 196 | Elijah Muhammad ließ dies in dem NOI-Papier »What the Muslims Believe« festschreiben: »We believe, that Allah (God) appeared in the Person of Master W. Fard Muhammad, July, 1930: the long-awaited »Messiah« of the Christians and the »Mahdi« of the Muslims. […]«, zitiert nach: Bracey, John H. 1970: Black Nationalism in America, Indianapolis, S. 407.
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amerikanische Arbeiter – vor Lastern wie Alkohol und Schweinefleisch warnte und sie dazu aufforderte, ein islamisches Leben zu führen.197 Zur Verdeutlichung seines Anliegens verwendete er Bilder aus der Bibel, da diese für die Zuhörer ein vertrautes Medium darstellte.198 Außerdem inszenierte er »Wunder«, um überzeugender zu wirken. Beeinflusst wurde er vermutlich von den Lehren des Moorish Science Temple, einer Bewegung, bei der er angeblich selbst Mitglied gewesen war.199 Am 4. Juli 1930 gründete Fard schließlich den Muslim Cult of Islam, die spätere Nation of Islam. Die Lehre Fards, »hidden truth«200 genannt, basiert vor allem auf dem Glauben an die Überlegenheit der afrikanischen Kultur über die der Weißen, weshalb von Anfang an nur Afroamerikaner Mitglied der NOI werden konnten. Die Anhänger werden dazu aufgefordert, »die schwarze Rasse reinzuhalten und somit deren Schönheit und Stärke zu erhalten.«201 Die Schwarzen Amerikas sind nach dieser Lehre die verlorenen Kinder des Tribe of Shabazz, die vor 379 Jahren aus Mekka gestohlen wurden. Dieser Geschichtsmythos hat bis heute eine zentrale Stellung in der NOI-Ideologie inne. Fard wollte demnach den Afroamerikanern durch einen »jihad of words« Möglichkeiten in einer Welt »blauäugiger Teufel« (blue-eyed devils)202 aufzeigen. Unter der Leitung Fards entwickelte sich die NOI innerhalb von drei Jahren zu einem organisierten Netz mit rund 8000 Anhängern203, das einige Elemente – vor allem den Gedanken der Selbsthilfe – und viele Anhänger sowohl der UNIA als auch des MSTA übernahm.204 Eine straffe Führungshierarchie und eigene Sicherheitskräfte kennzeichneten die Organisation von Anfang an. Als Hintergrund für diese Bewegung muss wiederum die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gesehen werden, in der in den USA ein Kampf zwischen protestantischem Establishment und pluralistischen Ideen stattfand. Die Weltwirtschaftskrise führte zu Armut in breiten Teilen der Bevölkerung. Viele neue religiöse Bewegungen entstanden in dieser unruhigen Zeit. Außerdem hatten nach der Great Migration,205 der Massenflucht afroamerikanischer Arbeiter aus den Südstaaten in die Großstädte des Nordens auf der Suche nach einer 197 | Lincoln 1973, S. 10ff. 198 | Hielscher 1996, S. 57f. 199 | Smith 1999, S. 79. 200 | Turner 1997, S. 157. 201 | Essien-Udom 1963, S. 134. 202 | Lincoln 1973, S. 12. 203 | Bontempts, Arna/Jack Conroy 1966: Any Place But Here, New York, aus: Baer, Hans A. 1992: African American Religion in the Twentieth Century: Varieties of Protest and Accommodation, Knoxville, S. 119. 204 | Lincoln 1973, S. 66. 205 | So wuchs beispielsweise die schwarze Bevölkerung Chicagos von 44.000 im Jahre 1910 auf 234.000 im Jahre 1930 an. Vgl. hierzu: Lemann, Nicholas 1992: The Promised Land: The Great Black Migration and how it changed America, New York, S. 16.
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besseren Zukunft, wie auch in Europa faschistische Bewegungen Hochkonjunktur. In den 1920er Jahren hatte beispielsweise der Ku Klux Klan, der heute um die 6500 Mitglieder hat, rund vier Millionen Anhänger.206 Nach Fards Verschwinden übernahm 1934 Elijah Muhammad die Führung der NOI. Er war einer der loyalsten Assistenten Fards gewesen, nachdem er von der UNIA zur NOI gewechselt war. Schon bei seinem ersten Besuch in einem NOI-Tempel, so behauptete er später, habe er die Göttlichkeit Fards erkannt, die ihm dieser daraufhin auch im Geheimen offenbart habe.207 Fard sei der langersehnte Mahdi gewesen,208 und er, Elijah Muhammad, sei sein Prophet.209 Bis heute wird in den Tempeln der NOI die šahāda, das islamische Glaubensbekenntnis gesprochen, den Gläubigen im Kontrast dazu aber erläutert, dass mit Allah Fard gemeint sei, mit Muhammad, dem Propheten, Elijah Muhammad.210 Um diese Lehre weiter zu verbreiten, gründete Muhammad neben dem Temple No.1 in Detroit den Temple No.2 in Chicago, dem neuen Zentrum der NOI, auch »New Mecca« genannt. Nach diversen Machtkämpfen im Inneren der Organisation setzte sich Muhammad schließlich als von allen anerkannter Führer durch, nachdem er wegen eines Aufrufs zur Wehrdienstverweigerung ins Gefängnis musste und dort erfolgreich unter seinen Mithäftlingen um neue Mitglieder geworben hatte.211 Waren während des zweiten Weltkriegs die Mitgliedszahlen zurückgegangen, so stiegen sie ab Ende der 1940er Jahre stark an. Zwei weitere Tempel wurden in Milwaukee und Washington D.C. gegründet. Zu Beginn der 1950er Jahre, dem Jahrzehnt, in dem die NOI fünfzig neue Tempel gründete und die maximal geschätzte Mitgliederzahl 250.000 betrug212 , dem Jahrzehnt, in dem die ersten Anfänge der Bürgerrechtsbewegung zu verzeichnen waren, stieß ein Afroamerikaner, der bereits im Gefängnis zum Islam konvertiert war, zur NOI.213 Schon nach kurzer Zeit ernannte Elijah Muhammad den engagierten Neuling zum First Minister des Temple No.11 in Boston. Hier begann die Karriere von Malcolm X, der charismatischsten Persönlichkeit, die die NOI in ihrer Geschichte vorzuweisen hat. Malcolm X wurde nicht nur zu einem Symbol für Black Islam, sondern er wurde auch zum Vorbild einer 206 | http://lexikon.idgr.de/k/k_u/ku-klux-klan/kkk.php (abgerufen am 12.11.2010). 207 | Gardell 1996, S. 35. 208 | »Mahdi« ist der islamische Terminus für den von Gott zur Endzeit gesandten »Messias«. 209 | Smith 1999, S. 81-83. 210 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, 24.05.2008. 211 | Carlisle, Rodney 1975: The Roots of Black Nationalism, Port Washington, S. 142. 212 | Essien-Udom 1963, S. 71; Elijah Muhammad selbst reklamierte sogar eine halbe Million Anhänger; außerdem muss beachtet werden, dass Sympathisanten in diesen Zahlen nicht enthalten sind. 213 | Malcolm X trat bereits im Gefängnis in briefliche Korrespondenz mit E.Muhammad: X, Malcolm (zusammen mit Aley Haley) 1965: The Autobiography of Malcolm X, New York, S. 170.
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ganzen Generation. Als wortgewaltiger, radikaler Gegenspieler des Gewaltlosigkeit predigenden Baptistenpfarrers Martin Luther King (1929-1968) wird er noch heute von allen afroamerikanischen Bewegungen verehrt, ganz gleich, was sie sonst vom Islam oder der NOI halten mögen. Doch genau diese mit Aggressivität gepaarte Begeisterung, mit der sich Malcolm X in die politisch aufgeheizte Szenerie warf, ließ ihn in der NOI scheitern. Elijah Muhammad hatte kein Interesse daran, dass die NOI sich politisch betätigte und plädierte deswegen für Gewaltlosigkeit und Neutralität. Als Malcolm X eine Allianz aus NOI, schwarzer Linken und Bürgerrechtsorganisationen vorschlug, nahmen die Spannungen zwischen ihm und der Führung der NOI zu.214 Trotz Redeverbots äußerte sich Malcolm X weiterhin öffentlich zu seiner Idee einer schwarzen Koalition. Als er entgegen einer Auflage Muhammads zum Tode Kennedys eine Stellungnahme abgab, wurde er für drei Monate suspendiert.215 Die Zeit nutzte er, um eine eigene Moschee zu gründen.216 Dass Muhammad ein Prophet sein sollte, begann er anzuzweifeln, nachdem Presseberichte über uneheliche Kinder Muhammads mit mehreren seiner Sekretärinnen auftauchten.217 Im April 1964 machte Malcolm X die Wallfahrt nach Mekka. Dort habe er, so schreibt er in seiner Biographie, einen »farbenblinden« (color-blind) Islam kennengelernt, der sich fundamental von dem Islam, den die NOI ihn gelehrt hatte, unterschieden habe. Nachhaltig beeindruckt kehrte er in die USA zurück.218 Er löste sich vollständig von der NOI und bezeichnete sich nun als orthodoxen Muslim. Außerdem entwickelte er ein panafrikanistisches, internationalistisches Weltbild mit stark sozialistischen Zügen, das er dem Weltbild der NOI entgegenhielt.219 Im Februar 1965 wurde Malcolm X während eines öffentlichen Auftritts in Harlem ermordet. Drei NOI-Mitglieder wurden daraufhin verhaftet.220 Als Elijah Muhammad 1975 starb, übernahm sein Sohn Wallace, der sich bis zu seinem Tod im Herbst 2008 Warith Deen Mohammed nannte, als Supreme Minister die Führung der NOI. Wallace war ein großer Sympathisant von Malcolm X gewesen. Inspiriert von dessen ›Bekehrung‹ begann er, die NOI einem ›Orthodoxisierungsverfahren‹ zu unterziehen. Der Geschichtsmythos wurde abgeschafft, die Göttlichkeit Fards verneint, als letzter Prophet galt wie im ortho214 | Dyson, Michael E. 1995: Making Malcolm: The Myth and Meaning of Malcolm X, New York, S. 32. 215 | Lee 1996, S. 41f. 216 | Scharenberg 1998, S. 110. 217 | E.Muhammad gab dies auch zu: X 1965, S. 298f. 218 | Ausführlich beschreibt Malcolm X seine Eindrücke von der Hajj in seiner Autobiographie: X 1965, S. 323ff. 219 | Scharenberg 1998, S. 116f. 220 | Gerade von Seiten der Nation of Islam wird jedoch immer wieder das FBI für den Tod von Malcolm X verantwortlich gemacht. Der Mord ist bis heute unaufgeklärt. Vgl. hierzu: Lee 1996, S. 44.
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doxen Islam Mohammed. Weiße konnten von nun an ebenfalls Mitglieder werden, was jedoch immer noch nicht üblich/erwünscht ist. Aus Ministers of Islam wurden Imame, aus Tempeln Moscheen. Der Name Nation of Islam wurde abgelegt und durch diverse andere im Laufe der Zeit ersetzt, unter anderem World Community of al-Islam in the West und American Muslim Mission. Seine Anhänger bezeichneten sich anfangs als Bilalians, in Anklang an Bilāl b. Rabāḥ al-Ḥabašī, den schwarzen Gefährten des Propheten Muhammads. Bilāl war vermutlich ein Sklave aus Äthiopien gewesen, der von einem der Gefolgsleute des Propheten in Mekka freigekauft worden war und sich als einer der ersten zum Islam bekannt hatte. Er wurde nach islamischer Überlieferung zum ersten Gebetsrufer (muʾa ḏḏin) der jungen Gemeinde in Medina. Das NOI-Magazin Muhammad Speaks wurde von Warith Deen Mohammad im Gedenken an den wohl ersten schwarzen Muslim in Bilalian News umbenannt.221 Heute trägt die Organisation den Namen Muslim American Society (MAS).222 Sie wird vom Mainstream-Islam anerkannt und gehört heute zu den größten islamischen Organisationen in den Vereinigten Staaten. Ihren Mitgliedern ist es gestattet, vor der amerikanischen Flagge zu salutieren, in der Armee zu dienen und sowohl aktiv als auch passiv an Wahlen teilzunehmen.223 Nur letzteres ist NOI-Mitgliedern ebenfalls erlaubt. Nicht alle NOI-Mitglieder waren über diese Entwicklung glücklich. Der ehemalige Calypso-Sänger, frühere Chef der Harlem Mosque und loyale Anhänger Elijah Muhammads, Louis Farrakhan, trat aus Enttäuschung über die Veränderungen unter Warith Deen Mohammed aus dessen Organisation aus. Sein Ziel war es, die ›alte‹ Nation of Islam wiederaufzubauen. Dabei berief er sich auf eine angebliche Anweisung Elijah Muhammads, die dieser Louis Farrakhan bereits 1972 gegeben haben soll: »Brother, I don’t like to talk about this because it gives me great pain but the Nation is going to take a dive for the second time … But, don’t worry Brother. It will be rebuilt and it will never fall again … Go exactly as you see me go and do exactly as you see me do … you must practice righteousness or they (the enemy) will piece you in two.« 224
Die von Farrakhan neu belebte NOI griff die Lehren Fards und Muhammads auf, die alten Strukturen wurden wieder hergestellt. Die Mitglieder waren nun zumeist Neukonvertierte, die Farrakhan in Studiengruppen im ganzen Land angeworben hatte. Von den Anhängern der ›alten‹ NOI aus der Zeit vor 1975 blieben
221 | Turner 1997, S. 225. 222 | VanDeburg, William L. (Hg.) 1997: Modern Black Nationalism: From Marcus Garvey to Louis Farrakhan, New York, S. 315. 223 | VanDeburg 1997, S. 315. 224 | Diese angebliche Anweisung veröffentlichte Farrakhan in der NOI-Zeitung The Final Call vom Mai 1979, vgl. hierzu: Lee 1996, S. 77.
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die meisten Warith Deen Mohammed und dessen religiöser Neuorientierung treu, nur ein geringer Teil folgte Farrakhan.225 NOI und Christentum Die Führer der NOI haben sich von Anfang an mit der Frage befasst, wie das Verhältnis von Rasse und Religion ist bzw. zu sein habe, und kamen ähnlich wie Blyden und Noble Drew Ali zu dem Schluss, dass das Christentum eine Religion der Weißen sei, während Schwarze von Natur aus Muslime seien. Daher ist es auf den ersten Blick verwunderlich, dass bei Gottesdiensten der NOI – im Gegensatz zu Predigten in sunnitischen Moscheen – viel mit Bibelzitaten gearbeitet wird. Zwar kommt der überwiegende Teil der NOI-Mitglieder ursprünglich aus christlichen Haushalten und ist durch die schwarze Kirche geprägt, aber das gilt für die Mehrheit schwarzer Sunniten ebenfalls. Doch verdammt die NOI mehr als sunnitische Gruppierungen das Christentum als the white man’s religion. Auf jedem Treffen der NOI hängt bis heute zum Beispiel eine Tafel, auf der links die Flagge mit Halbmond und Stern abgebildet ist. Darunter steht geschrieben: Islam, noch eine Zeile darunter: Freedom, Justice, Equality. Auf der rechten Seite hingegen ist eine amerikanische Flagge abgebildet, direkt daneben ein christliches Kreuz. Darunter steht in der ersten Zeile Christianity, in der zweiten Zeile Slavery, Suffering, Death. Daneben ist ein Mann am Galgen gemalt.226 In den Augen der Nation of Islam dient das Christentum mit seiner Betonung von jenseitiger Erlösung, Versöhnung der Rassen und gewaltlosem Protest nur dazu, die Vorherrschaft der Weißen aufrechtzuerhalten, es stellte Afroamerikaner also ruhig, statt ihnen Kraft, empowerment, zu geben.227 Malcolm X bezeichnete das Christentum als Sklavenreligion (slave religion),228 und in Final Call, dem Magazin der NOI, wurde als Beweis angeführt, dass eines der Sklavenschiffe angeblich »Jesus« geheißen hatte. Auf diesem seien im Namen des Christentums Schwarze gefoltert und ausgebeutet worden.229 So kritisierten Vertreter der NOI schwarze Kirchen für ihre beschwichtigende, nachsichtige Haltung gegenüber dem Rassismus der Mehrheitsgesellschaft. Während der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er/60er Jahren standen sich denn auch Martin Luther King und Malcolm X als nahezu unversöhnliche Gegner gegenüber. Letzterer kritisierte ersteren wiederholt und vehement für dessen Zurückhaltung und Versöhnlichkeit und forderte ungeduldig eine konsequentere Haltung gegenüber Weißen, die Schwar225 | Lee 1996, S. 77f. 226 | Interview mit Zaheer Ali, der in seiner Jugend aktives Mitglied in der NOI war, an der Columbia University: 24.05.08. 227 | Kelleter, Frank 2000: Con/tradition: Louis Farrakhan’s Nation of Islam, the Million Man March, and American Civil Religion, Heidelberg, S. 58. 228 | Scharenberg 1998, S. 379. 229 | www.finalcall.com/artman/publish/article_1365.shtml (2004), (abgerufen am 30.11.2009).
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zen nur zögerlich Bürgerrechte gewähren wollten.230 Mit dieser Haltung bot sich die Nation of Islam als »one of the major alternatives to the Black church«231 an. Als »fishing for the dead« bezeichnete Elijah Muhammad die Missionstätigkeiten der NOI, er wollte die von christlicher Versöhnungsrhetorik betäubten Afroamerikaner aufwecken und mobilisieren.232 Es ist übrigens interessant, dass die Lehre der NOI, der Islam sei die Religion der Schwarzen, das Christentum hingegen eine Religion nur für Weiße, wieder zurückstrahlte auf einen kleinen Teil weißer Christen, nämlich solche am rechten Rand, die sich diese Konzeption zueigen machten. So schrieb der damalige Chef des Ku Klux Klan, J.B. Stoner, 1957 in einem Brief an Elijah Muhammad: »America is a white Christian nation and no infidelic religion such as Islam, has a right to exist under the American sun. Your Islam, your Mohammedanism is not a white religion. Mohammedanism is a nigger religion. The white race will never accept it, so take it back to Africa with you. It is like the Holy Bible says about GOD’S plan for the nations of men in Acts 16:31 – ›And hath determined the times before appointed, and the bounds of their habitation.‹ Therefore you have no place in America with your African race or your Islamic African religion. The Christian Party becomes stronger every day. When we are elected to power we will legally drive you out.« (J.B. Stoner, Archleader of the Christian Party) 233
Besonders signifikant ist die Reaktion Elijah Muhammads. Er versuchte mitnichten, Stoner zu widerlegen. Im Gegenteil gab er ihm in den meisten Punkten recht und forderte den KKK öffentlich auf, der NOI dann doch dabei behilflich zu sein, die Schwarzen vom Christentum zum Islam zurückzubringen.234 In seiner umfassenden Studie zur Nation of Islam und deren Glaubensgrundsätzen stellt Kelleter fest, dass der Islam der NOI weniger Islam als eine Antithese afroamerikanischen Christentums sein will. Dennoch scheinen darin immer noch christliche Konventionen auf. Die NOI stellt für ihn ein »Gegenchristentum« (counter-Christianity) dar, er bezeichnet deren Anhänger in Anspielung auf die evangelikalen »born-again Christians« als »born-against Christians«. Die Erlösung wird bei der NOI ins Diesseits verlegt, statt Feindesliebe wird Selbstbehauptung gepredigt. Zu Recht weist Kelleter darauf hin, dass in der NOI bis heute viele christliche Elemente zu finden seien. Es werde in Tempeln statt Moscheen gebetet (wobei »mosque« immer häufiger zu lesen ist). Es predigten Minister und keine Imame. Die Gläubigen säßen in Kirchenbänken und beteten nicht auf Ge230 | McDaniel 2008, S. 74. 231 | McDaniel 2008, S. 72. 232 | Gates 1998, S. 24. 233 | www.muhammadspeaks.com/Messenger-vs-KKK.html (abgerufen am 03.10.2010). 234 | www.muhammadspeaks.com/Messenger-vs-KKK.html (abgerufen am 03.10.2010).
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betsteppichen.235 Die Bibel sei noch immer gebräuchlicher als der Koran. Offiziell rechtfertigt man bei der NOI die ausgiebige Bibellektüre damit, dass man Missverstandenes entziffern wolle.236 Beim Million Man March 1995 zitierte Farrakhan jedoch über dreißig Mal aus der Bibel – ohne Kritik an den Versen –, aber nur fünf Mal aus dem Koran.237 Zaheer Ali, der an der Columbia University zu afroamerikanischen Muslimen forscht und in seiner Jugend selbst Mitglied der Nation of Islam war, sieht die NOI wiederum nicht so sehr als Antithese zum Christentum an sich, sondern als Gegenerzählung (counter-narrative) zur amerikanischen Zivilreligion, wie sie Robert Bellah in diversen Publikationen definierte.238 Als Beispiele führt er an, dass die NOI am symbolträchtigen 4. Juli gegründet worden sei und dass sie eine eigene Flagge führe, deren Sakralisierung der der amerikanischen Flagge entspreche. Des weiteren spreche die NOI ebenso amerikanischen Städten heiligen Status zu, wie Washington D.C. einst als ›city upon the hill‹ mit Jerusalem verglichen worden war. So wurden die beiden für die Gründung der NOI zentralen Städte Detroit und Chicago als Mekka und Medina bezeichnet (was implizieren soll, dass Elijah Muhammad, der ›Prophet‹, aus Detroit nach Chicago geflohen war, um die Organisation erst richtig aufzubauen und expandieren zu lassen, so wie einst der Prophet Muhammad von Mekka nach Medina geflohen war, wo er seine Gemeinde etablierte, die schnell wuchs).239 Wenn man jedoch bedenkt, wie zentral die amerikanische Form von Zivilreligion im Sinne Robert Bellahs mit christlicher Symbolik und christlichen Narrativen verknüpft ist, wie sehr sie mit der Geschichte der weißen, protestantischen Einwanderer nach Amerika verwoben ist und wie sehr sie die Dominanz weißer Christen und die Unterdrückung aller Nichtweißen in den USA reflektiert, dann kann man aber behaupten, dass schwarzer Islam als Antithese zur amerikanischen Zivilreligion und als Antithese zum Christentum, wie es Afroamerikaner in den USA erlebten, zwei Seiten einer Medaille darstellt und diese beiden Interpretationen nicht im Kontrast zueinander stehen.240 Die Konzeptualisierung des Christentums als Religion der Sklavenhalter ist, trotz aller rhetorischen Bezüge auf christliche Narrative, konstituierend für das 235 | Kelleter 2000, S. 59. 236 | GhaneaBassiri, Kambiz 1997: Competing Visions of Islam in the United States: A Study of Los Angeles, Westport, S. 144. 237 | Magida, Arthur J. 1996: Prophet of Rage: A Life of Louis Farrakhan and His Nation, New York, S. 194. 238 | Siehe dazu: Bellah, Robert N. 1967: »Civil Religion in America«, in: Daedalus: Journal of the American Academy of Arts and Sciences 96 (1), S. 1-21; und Bellah, Robert N. 1985: Habits of the Heart: Individualism and Commitment in American Life, Berkeley; außerdem Hase, Thomas 2001: Zivilreligion: Religionswissenschaftliche Überlegungen zu einem theoretischen Konzept am Beispiel USA, Würzburg. 239 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, am 24.05.2008. 240 | Ausführlich zum Konzept der amerikanischen Zivilreligion: Hase 2001.
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Selbstverständnis der NOI. Der Islam, wie ihn die NOI lehrt und lebt, bietet für Afroamerikaner einen Weg aus den alten Herrschaftsverhältnissen, er verspricht eine eigene, würdevolle Identität. Der Gläubige legt diese Identität durch seine Konversion selbst fest und wird nicht von der Mehrheitsgesellschaft zu einer Identität ›verdammt‹. Die Verknüpfung von Ethnie und ›natürlicher‹ Religion übernimmt die NOI von rechtsradikalen Christen wie dem Ku Klux Klan und von Rassisten, die zwar der Meinung sind, dass ein christlicher Schwarzer besser sei als ein schwarzer Heide, letzten Endes aber doch an einer Inferiorität der schwarzen Glaubensbrüder festhalten. Die NOI versucht, durch eine Konversion eine »selfreinvention«241 des Gläubigen innerhalb des alltäglichen Kontext herbeizuführen, wo das Stigma der schwarzen Haut durch das Bewußtsein, dass sie Auserwähltheit signalisiere, ersetzt wird. Dadurch kann der Konvertit symbolisch emigrieren, ohne die USA tatsächlich verlassen zu müssen. Die Feindschaft gegen das weiße Amerika wird durch die Wahl des Islam als Gegenhorizont rituell zum Ausdruck gebracht und nicht mit tatsächlicher Gewalt oder Auswanderung.242 Der Yakub-Mythos Ein zentrales Element für die Lehre der NOI ist bis heute der sogenannte YakubMythos, eine Schöpfungserzählung, die Züge einer Theodizee in sich trägt. Kurz gefasst, liest sich die Geschichte folgendermaßen: Es war einmal ein Wissenschaftler namens Yakub. Er lebte vor rund 6000 Jahren und war schwarz, so wie es damals alle anderen Menschen ebenfalls waren. Dies war der Wille des schwarzen Schöpfergottes. Er hatte den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, einen Menschen, der seiner Meinung nach perfekt war. Einen schwarzen Menschen, den »Original Man«. Yakub war größenwahnsinnig, eine Art Dr. Frankenstein. Die Schöpfung war ihm nicht heilig. In seinem Labor begann er, rezessive Gene immer und immer wieder miteinander zu kreuzen. Irgendwann hatte er so die weiße Rasse geschaffen. Gott war sehr erzürnt über Yakubs Hybris. Zur Strafe gab er Satan die Erlaubnis, die Erde 6000 Jahre lang zu regieren. Die Weißen sollten Satan dabei helfen, waren sie doch selbst Ergebnis eines teuflischen Experiments. Doch nach 6000 Jahren sollten die Schwarzen genug gebüßt haben und die Herrschaft über die Erde zurückerhalten.243 Soweit die Geschichte. Für die NOI ist damit die Existenz verschiedener Hautfarben kein göttlicher Wille, sondern das Resultat der Anmaßung eines Verrückten – und die weiße Haut-
241 | Dyson, Michael E. 2002: Open Mike: Reflections on Philosophy, Race, Sex, Culture, and Religion, New York, S. 344. 242 | Wohlrab-Sahr, Monika 1999: Konversion zum Islam in Deutschland und den USA, Frankfurt a.M., S. 348f. und 371f. 243 | Vgl. hierzu Essien-Udom 1963, S. 133f.; Gardell, Mattias 1994: »The Sun of Islam Will Rise in the West«, in: Yvonne Y. Haddad/Jane Idleman Smith (Hg.): Muslim Communities in North America, Albany, S. 17; Kelleter 2000, S. 66.
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farbe das Produkt eines Schwarzen (Elijah Muhammad: »They are from us.«).244 Die wissenschaftliche Evolutionslehre haben die Weißen nur erfunden, um von ihrer wahren Herkunft abzulenken, lehrte Elijah Muhammad seine Anhänger.245 Bedeutend ist für die NOI vor allem, dass Schwarze als »Original People« göttlich sind, Teil der »divine family.«246 Doch leider hätten die Schwarzen dies vergessen, so Muhammad, da die weißen Teufel die Schwarzen einer Art Gehirnwäsche unterzogen hätten. Diese Wissenschaft der »Tricknology« (zu der auch das Christentum gehört)247 hätte es den Weißen möglich gemacht, die sich ihrer eigentlichen Identität unbewußten Schwarzen auszubeuten und zu unterdrücken: »This proves beyond a shadow of a doubt, that the people who reared us to follow and obey them, are 100 per cent devil. They have to admit it themselves. Many of them admit that they are 100 per cent devil and that by the nature in which they were made, they just cannot do good, even toward each other.« 248
Das Schicksal der Afroamerikaner im besonderen ist noch grausamer, so die NOI. Vor 379 Jahren sei ein schwarzer Stamm aus Mekka gestohlen worden, der Tribe of Shabazz, verkündete Fard seinen Anhängern, und von den weißen, blonden, blauäugigen Teufeln in die »Wilderness of North America«249 gebracht worden.250 Alle heute in den USA lebenden Afroamerikaner seien Nachfahren der »verlorenen Kinder des Tribe of Shabazz« und damit eigentlich Bürger Mekkas und nicht der USA.251 Das »X«, das die NOI früher vielen ihrer Anhänger als Nachnamen gab (man denke hier an Malcolm X), sollte den durch die Sklaverei verlorenen 244 | www.muhammadspeaks.com/ChristianityvsIslam.html (abgerufen am 03.10.2010). 245 | Elijah Muhammad dazu: »They have tried to cover their birth and their father and their mother by saying that they came from sea life; then, if they came from sea life, then sea life is their god, or their father, or that they’re from animals.« Auf: www.muhammadspeaks. com/ChristianityvsIslam.html (abgerufen am 03.10.2010). An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass es keine Informationen darüber gibt, wie sich die NOI neben schwarz und weiß die Existenz weiterer Hautfarben erklärt. Lediglich im Hinblick auf die Indianer wurde von Elijah Muhammad erklärt, dass diese eigentlich aus Ostindien stammten und vor 16.000 Jahren über die Beringstraße nach Amerika eingewandert seien: www. muhammadspeaks.com/IndiansinAmerica.html (abgerufen am 03.10.2010). 246 | www.muhammadspeaks.com/ChristianityvsIslam.html (abgerufen am 03.10.2010). 247 | Kelleter 2000, S. 66. 248 | www.muhammadspeaks.com/moneyhomesfriend.html (abgerufen am 03.10.2010). 249 | Gardell 1994, S. 17. 250 | Gardell, Mattias 1996b: In the Name of Elijah Muhammad: Louis Farrakhan and the Nation of Islam, Durham, S. 51. 251 | Malcolm X beschrieb deren Flagge in seiner Autobiographie: »Einen Halbmond und einen Stern auf rotem Grund, dazu die Worte ›Islam – Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit‹.« nach: Hielscher 1996, S. 59.
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Namen symbolisieren und nach außen die göttliche Kraft seines Trägers und aller Schwarzen zeigen, die durch die NOI manifestiert wird.252 Außerdem sollte es die Schwarzen an ihre damit verbundene Pflicht erinnern, die eigene Rasse rein und somit deren Schönheit und Stärke zu erhalten: »The mixing of blood must not be allowed because it will further deteriorate the beauty and strength of black people.«253 All diese Lehren haben sich im Wesentlichen unter Fard und Elijah Muhammad entwickelt. Louis Farrakhan hat inhaltlich nie Teile davon dementiert. Doch versuchte er, die Worte seiner Vorgänger abstrakter zu interpretieren. Auch Farrakhan betont, dass Weiße von einem Schwarzen geschaffen worden seien. Das mache sie jedoch nicht automatisch böse, lediglich seien Weiße damit weiter von Gott entfernt.254 Böse sind für ihn nicht die Weißen an sich, sondern nur der Glaube an deren Überlegenheit, die sogenannte white supremacy, egal, ob ein Weißer oder ein Schwarzer daran glaube. Es läge jetzt an den Schwarzen, so Farrakhan, durch entsprechendes Handeln das Gegenteil zu beweisen – also zu demonstrieren, wie fähig Schwarze auf allen momentan von Weißen dominierten Gebieten sind. Zentral ist für ihn hier die Botschaft, dass die ewige Vorherrschaft der Weißen nicht gottgewollt sei, es also keinen Grund zur Resignation gebe, sondern vor allem die Pflicht zum Handeln. Handeln bedeutet aber demnach, sich mit der momentanen Situation – der weißen Vorherrschaft – abzufinden und daraus das Beste zu machen, anstatt gegen etwas zu kämpfen, was ohnehin bald von Gott beendet wird. Yakub ist laut Farrakhan eine Mahnung an alle Schwarzen, was passieren kann, wenn man sich gegen Gott auflehnt. Hier berührt Farrakhan ein Problem, das die ganze schwarze Community, unabhängig von der jeweiligen Religion, beschäftigt: Warum läßt Gott die Unterdrückung der Schwarzen durch Weiße zu? Warum gab es die Sklaverei? Die Vorstellung, dass die Urmenschen eigentlich schwarz und somit die Schöpfer jeglicher Zivilisation waren, existiert nicht nur in der NOI. Diesen Glauben und die damit verbundene Hoffnung auf das Wiederkommen der goldenen Zeiten teilen sich diverse schwarze Glaubensrichtungen. Der christozentrische Äthiopianismus, wozu Rastafaris, die African Orthodox Church und die abessinischen Kirchen zählen, wartet ebenso auf die Erlösung vom Joch der Weißen wie die judäozentrischen Black Hebrews, die Bilalians, also die Anhänger Warith Deen Mohammeds, sowie die Gläubigen des Moorish Science Temple.255 Die Behauptung, dass ein schwarzer Allah schwarze Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, hat die NOI wohl vom MSTA übernommen.256 252 | Gardell 1994, S. 43, FN 5. 253 | Zitat aus der Lost-Found Moslem Lesson No.2, Frage 38, S. 25 von 1934, zitiert nach: Essien-Udom 1963, S. 134. 254 | Farrakhan, Louis: Back Where We Belong: Selectes Speeches by Minister Louis Farrakhan. Philadelphia 1989, S. 183ff. 255 | Gardell 1994, S. 18f. 256 | Gardell 1996, S. 27.
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Louis Farrakhan vertritt des Weiteren die These, dass Yakub gar nicht so eigenmächtig als Rebell gehandelt habe, wie es auf den ersten Blick scheine. Er löst die Theodizee-Frage in der Form, dass Gott die Dualität von Gut und Böse in allen Dingen, also auch den Menschen, angelegt habe (man bedenke hier, dass mit Menschen nur Schwarze gemeint sind). Da er aber dennoch nicht will, dass die Menschen Böses tun, habe Er, d.h. Gott, ihnen einmal zeigen wollen, was passieren kann, wenn man es doch versuche. Yakub widersetzte sich also nicht dem göttlichen Willen, sondern erfüllte ihn. Sowohl Yakubs angeblicher Ungehorsam als auch das System der weißen Vorherrschaft soll den Schwarzen zeigen, was das Böse anrichten kann, um sie so noch enger an Gott und die ursprüngliche Religion aller Menschen, den Islam, zu binden und in Zukunft immun gegen alle sündigen Anwandlungen zu machen.257 Die Zukunft aber gehöre auf jeden Fall den Schwarzen, wie es der Mythos verheiße. In Bezug auf den MSTA konnte trotz der Verwendung islamisch konnotierter Symbolik das Bedürfnis festgestellt werden, das Stigma als Minderheit abzulegen und Teil der amerikanischen Gesellschaft zu werden, indem die Gruppe sich mit dem Immigranten-Narrativ identifizierte, anstatt eine schwarze Identität positiv zu definieren. Doch für Fard kann dies nicht gelten. Statt zu versuchen, die Identität seiner afroamerikanischen Anhänger zu ›denegrofizieren‹, bestärkte er sie darin, ihre Identität als Schwarze nicht nur anzunehmen, sondern sich diese wahrhaftig anzueignen, indem sie sie selbst mit positiven Attributen belegten, somit ›Negro‹ von einer fremd- zu einer selbstbestimmten Zuschreibung zu wandeln. Mit dem Yakub-Mythos erklärt er nicht nur den Islam zur ursprünglichen Religion aller Menschen, sondern auch die ›schwarze Rasse‹ zur ursprünglichen Rasse der Menschheit, die zwar für einen bestimmten Zeitraum zur Strafe von einer genmutierten Untergruppe unterjocht werde, aber dennoch bestimmt sei, die eigentliche Führungsrolle in der Welt einzunehmen.Dies war insofern erfolgreicher als die ethnicization-Strategie Noble Drew Alis, als dass Fard im Gegensatz zu Ali akzeptierte, dass Afroamerikaner auch über ihre Selbstethnisierung nicht erreichen, dass Rasse nicht mehr die Hauptkategorie ist, an die ihre Identität in Amerika zuvorderst geknüpft ist. Dies nicht anzuerkennen – dass Afroamerikaner in Amerika stets als schwarz gesehen werden, ganz gleich, ob sie sich selbst lieber oder gänzlich über eine ethnische Kategorie definieren, kann eine Reduktion politischer und kultureller Durchschlagkraft zur Folge haben, so Turner: »Ultimately, however, this [i.e. Ali’s] strategy may retard black political progress, since everyone is ethnic, and only black Americans depend on the category of race for their cultural and political identity and survival.« 258
257 | Gardell 1994, S. 29f. 258 | Turner 1997, S. 96.
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Deshalb ist GhaneaBassiris Gleichsetzung der Konzeption und Funktion von Rasse in den Lehren des MSTA und der NOI kritisch zu sehen. So behauptet er: »Despite the widespread prejudice against Islam in white America, it continued to be significant as a ›semi-civilizing‹ and thus a liminal religion for African Americans. […] As this suggests, black Americans’ adoption of Islamic symbols and sartorial practices helped them escape to some degree the stigma of being black in a white society. It gave them a liminal status by disassociating them from black stereotypes or ›de-negrofying‹ them, thus allowing them to identify themselves as a new race, as ›Moorish Americans‹ or members of ›the Nation of Islam‹.« 259
Doch hat sich gezeigt, dass die NOI, anstatt die Schwarz-Weiß-Binarität der spezifisch amerikanischen Konzeption von Rasse wegzudefinieren, im Gegenteil sich genau diese Binarität aneignete und die darin enthaltene Machtstruktur positiv zugunsten von Afroamerikanern umdeutete. Für die NOI war Schwarzsein kein Stigma mehr, sondern eine Veredlung der eigenen Identität – das Stigma trugen nun die Weißen, die nur ein Produkt aus dem Reagenzglas sein sollten, ein schlecht geratenes allemal. Schwarzer Islam als Alternative Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Islam, wie er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in die afroamerikanische Religiösität fand, mehrere Funktionen erfüllte. Die zentrale Dimension war hierbei sicher die Distanz zu einem weiß geprägten, als rassistisch empfundenen Christentum. Viele Schwarze waren angesichts der Erfahrungen der Sklaverei nicht mehr bereit, sich mit einer Religion zu identifizieren, deren Gläubige die Ausbeutung schwarzer Menschen nicht nur akzeptiert, sondern auch mit der Bibel legitimiert hatten. Auch die schwarzen Kirchen boten für viele von ihnen keine wirkliche Alternative, sahen sie diese doch nicht in der Lage, sich dem Rassismus in der Gesellschaft zu widersetzen. Der Islam, der mit Gruppen wie dem Moorish Science Temple of North America und der Nation of Islam erstmals ins Bewusstsein der breiteren afroamerikanischen Bevölkerung kam, bot jedoch genau diese Alternative. Aminah McCloud betont, wie sehr die Hinwendung zum Islam auf einer Abwendung vom Christentum basierte, wie groß das Bedürfnis der Konvertiten war, ihre bis dato von Weißen definierte Identität durch eine selbstgewählte zu ersetzen und damit von passiven Gläubigen, die auf Erlösung hoffen, zu Gestaltern des eigenen Schicksals zu werden: »It is clear that this religion promised a new identity, a feeling of ›somebodiness‹ denied by the dominant culture, a liberation from Christian domination and from relegation to insignificance. The new adherents shed Christianity, which they perceived as the 259 | GhaneaBassiri 2010, S. 206.
Race matters root of their oppression in its glorification of suffering and promise of redemption in the hereafter.« 260
Der Islam erlaubte Afroamerikanern somit, sich symbolisch vom weißen Amerika zu trennen, ohne dass sie Amerika dafür verlassen mussten. Statt wie Marcus Garvey back to Africa zu proklamieren, fand die Emigration im Inneren statt, sie war spiritueller Natur: »Islam satisfied the inner hunger of black people to be acknowledged as human. As many blacks threw away their crosses in response to the burning of crosses by the Christian Ku Klux Klan, Islam stepped in to fill the religious void and to give hope in a new and different way. This hope allowed blacks to separate spiritually and yet remain in the midst of white America. It allowed blacks the ultimate protest – the discarding of Christianity. It provided an avenue of belonging to a world perceived as greater than America, one that would one day subdue America and make it responsible for its sins.« 261
Ein afroamerikanischer Konvertit, der sich in der Islamic Society of North America (ISNA) engagiert, erklärt, warum der Islam seiner Meinung nach den Interessen der Afroamerikaner besser diene als das Christentum: »I have no problem with Jesus, only the way he is materially used to rob and oppress here and abroad. This doesn’t serve the African American. Christianity does not have the desire to universalize. It alienates instead. Jimmy Swaggart appeals strictly to whites, for example, and in that sense I don’t see any genuine response to the problems of race in Christianity. It does not try to create a dialogue with other cultures. On the other hand, the message of the Islamic world-brotherhood, the umma, is what I seek. Although there are sectarian Muslims, if we practice the religious ideals of Islam, then there is a real possibility for world peace. The Jews don’t accept everyone, but anyone can accept Islam.« (Interview 1989) 262
260 | McCloud, Amina B. 1991: »African American Muslim Women«, in: Yvonne Haddad (Hg.): The Muslims of America, Oxford, S. 178; damals konvertierten auch übrigens einige Schwarze zum Judentum, da sie sich mit den biblischen Israeliten identifizierten. Eines der ersten Zeugnisse hierüber stammt aus dem Jahr 1896, wo William S. Crowdy in Lawrence, Kansas, die Church of God in Saints gegründet hatte. Im Harlem der 1920er Jahre existierte die Gruppe Commandment Keepers. Das Father Divine Movement predigte von Brooklyn aus die Versöhnung der Rassen und kämpfte gegen rassistische Diskriminierung von Schwarzen in Amerika. Ausführlicher siehe dazu: McDaniel 2008, S. 72; Raboteau, Albert J. 2001: Canaan Land: A Religious History of African Americans, Oxford, S. 97ff. 261 | McCloud 1991, S. 184. 262 | Mikhail Ibrahim (Konvertit, Teilnehmer am ISNA Leadership Training Program) in: Dannin 2002, S. 241.
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Dass afroamerikanische Konvertiten zum Islam dabei sowohl von Weißen als auch schwarzen Christen argwöhnisch beäugt wurden, liegt für Aminah McCloud in der Natur der Sache. Schließlich sei historisch schwarzer Protestantismus die einzige öffentlich akzeptierte Form schwarzer Religiösität gewesen, da Weiße denken würden, dass sie wüssten, was in schwarzen Kirchen vor sich geht und nur sie die Autorität hätten, dies zu billigen. Außerdem forderten afroamerikanische Muslime die Autorität der black church heraus, denn schließlich waren die meisten schwarzen Führungsfiguren historisch bis heute in irgendeiner Weise mit der Kirche verbunden.263 Abgesehen von den Zeiten der Bürgerrechtsbewegung, als auch viele schwarze Kirchen zum Protest gegen Rassismus und Segregation aufgerufen hatten, sei die black church für Weiße jedoch eher unverdächtig.264 Dies unterscheide sie von Moscheen. Weder Weiße noch die Mehrheit der Afroamerikaner wüssten, was in den Moscheen vor sich ginge, wenn sich die Türen schließen, »and wherever Black people are, generally speaking, everyone is supposed to know what is going on.«265 Für McCloud ist der Islam aus mehreren Gründen die richtige Alternative für Afroamerikaner. Niemals sei der Islam in Amerika jemals so verbunden gewesen mit Segregation, Rassismus und Gewalt wie das Christentum.266 Außerdem sei der Islam für Afroamerikaner die Religion der Vorfahren, eine Religion der Gleichheit, ohne ein rassisches Gottesbild und vor allem eine Religion, in der Menschen nach ihrem Gehorsam gegenüber Gott beurteilt würden.267 Gerade der Islam der NOI macht nach Meinung McClouds offensichtlich, wie sehr die Konversion von Afroamerikanern zum Islam auch eine Reaktion auf die rassistisch motivierte Exklusion aus der weißen Mehrheitsgesellschaft war und ist: »In a major way it is a response to American racism as a consequence of which black Americans found themselves experiencing what it means to be ›a problem‹, with the constant knowledge of the hatred that white Americans have for people of dark skin.« 268
Vor allem die Ursprungsmythen des MSTA und der NOI, hier primär der YakubMythos, schafften es, die Unterdrückung der Schwarzen durch Weiße als gottgewollt, aber durchaus zeitlich begrenzt zu erklären und Afroamerikanern die Hoffnung zu geben, schon bald ihre eigentliche Identität – islamisch, schwarz, 263 | McCloud, Amina B. 1998: »The Misunderstood Alliance: Louis Farrakhan and the World Community of Black Muslims«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 177. 264 | McCloud 2007, S. 172. 265 | McCloud 2007, S. 172. 266 | McCloud 1998, S. 177. 267 | McCloud 1998, S. 177. 268 | McCloud 1991, S. 177.
Race matters
frei, herrschend – wiederzuerlangen. Indem man das Christentum als inhärent rassistische Religion diffamierte, konnte sich der Islam als erfolgreichste Alternative zum Christentum im Sinne einer schwarzen Theodizee etablieren. Nun gab es eine Erklärung für das Böse in der Welt, eine Erklärung für das Leid, das Schwarze so lange ertragen mussten. Es sei kein ›gerechter Gott‹ gewesen, der Schwarze hatte bestrafen wollen, sondern das Problem sei, dass ein falscher Glaube Menschen zu Unterdrückern gemacht hätte.269 Die Lehren von MSTA und NOI sollten Afroamerikanern Instrumente an die Hand geben, ihr göttliches Potential im Hier und Jetzt voll zu entfalten. Dabei hätten sie den Glauben durchaus instrumentalisiert, so GhaneaBassiri, da sie Verschmelzung von Rasse, Religion und Fortschrittsglauben im amerikanischen Kontext anerkannt und für sich fruchtbar gemacht hätten.270 Für die Islamwissenschaftlerin Amina Wadud ist der afroamerikanische Islam insofern einzigartig, als er einen Teil der spezifischen historischen Erfahrung von Schwarzen in Amerika darstelle, der black experience, und damit bis heute weit über die Kreise schwarzer Muslime in die gesammte black community hineinwirke: »African-American Islam is unique especially because of the history of African-Americans. I am part of the awesome legacy of the soul and survival of African slaves brutalized by the dehumanization of the institution of slavery in its peculiarly cruel American racist form. The testament to the skill, morality, and excellence of our people is not only that we are still alive today, despite pervasive racism in America, but also in the ways we continue to struggle and prosper within the context of white superiority. Whatever systems of institutionalized, social, and cultural racism that followed the legal eradication of slavery also form a part of the collective Black experience.« 271
Die weite Verbreitung islamischer Symbolik innerhalb der black popular culture der heutigen USA – seien es Kleidung, Namen, Sprache, Songtexte, Grußformeln, rhetorische Stilmittel etc. – hat nach Ansicht Richard Brent Turners nichts mehr mit Religion in ihrem spirituellen Sinne zu tun, sondern sei eingebrannt in die Geschichte afroamerikanischer kultureller und politischer Identitäten, mit diesen verwoben und zugleich deren Ausdrucksform: »On the one hand, the religion has a central spiritual, communal, and global meaning among African-American Muslims, based on a genuine conversion experience rooted in global Islam and divorced in some ways from American politics and public life. On the other hand, Islam has a political and cultural meaning in African-American popular culture. This latter meaning locates and utilizes the symbols of Islam outside the confines of the 269 | Dannin 2002, S. 242. 270 | GhaneaBassiri 2010, S. 226f. 271 | Wadud, Amina 2006: Inside the Gender Jihad: Women’s Reform in Islam, Oxford, S. 102.
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Die Erben des Malcolm X mosque and particular Muslim communities and asserts their life and meaning in a general understanding and articulation of African-American cultural and political identities. In African-American popular culture, then, the adoption of the symbols of Islam sometimes has little to do with religion.« 272
Inwieweit man sich der These anschließt, dass die Verwendung islamischer Symbolik in der black community tatsächlich nur wenig mit Religion zu tun habe, wie von Turner behauptet, hängt indes davon ab, wie man Religion definiert. Turner erkennt ja durchaus die politische und kulturelle Bedeutung des Islams für die Konstituierung einer kollektiven black identity an. Nicht nur die Nation of Islam – wenn auch diese ganz besonders – trennt aber kaum zwischen ihren spirituellen Lehren, deren politischer Implementierung und den damit verbundenen kulturellen Ausdrucksformen. Auch andere afroamerikanische muslimische Gruppierungen konzipieren ihre Religiösität als eine spirituelle und politische Selbstverortung in einem Land, dessen Geschichte untrennbar mit der historischen Erfahrung der oftmals biblisch gerechtfertigten Versklavung schwarzer Menschen verbunden ist und in dem bis heute die Kultur der sogenannten WASP’s, der White Anglo-Saxon Protestants, eine kulturelle Hegemonie innehat, in der religiöse, politische und kulturelle Identität fast untrennbar miteinander verwoben sind.
272 | Turner 1997, S. 4.
II. Autoritätskämpfe ›From the Back of the Bus to the Back of the Camel‹?
Es ist schwierig zu sagen, wie viele Muslime insgesamt in den USA leben und wie viele von ihnen Afroamerikaner sind. Die Zugehörigkeit zu religiösen Organisationen oder Gemeinden wird in offiziellen Statistiken nicht erfasst, so dass es von Regierungsseite nur Schätzungen gibt. Außerdem ist die Fluktuation, der Religionsgemeinschaften in Amerika vor allem durch Immigration und Konversion ausgesetzt sind, hoch. Die gesamte muslimische Community der USA setzt sich aus vielen kleinen, oft nach Rasse/Ethnie separierten Gruppierungen zusammen. Größere Dachorganisationen existieren zwar, aber keine von ihnen repräsentiert von ihrer Mitgliederzahl her auch nur annähernd die Mehrheit der Muslime Amerikas. Im Hinblick auf die Frage, wie groß der Anteil der Afroamerikaner unter ihnen ist, ergibt sich zudem das Problem der Definition, wen man zur Gruppe der Muslime mit hinzuzählt. Nicht jede Gruppe, die ›Islam‹ in ihrem Namen trägt oder mit islamischer Symbolik operiert, wird von der Mehrheit der Muslime in Amerika auch als islamisch anerkannt. Am offensichtlichsten stellt sich die Frage bei der Nation of Islam (NOI), die trotz nicht allzu hoch geschätzter Mitgliedszahlen mit ihrem charismatischen Vorsitzenden in der amerikanischen Öffentlichkeit, v.a. in den Medien, das Gesicht des afroamerikanischen Islam dominiert, die aber von Sunniten häufig als ›unislamisch‹ diskreditiert wird.1 So ist es eine Frage der Interpretation, welche Gruppierungen man noch unter dem Etikett ›Islam‹ erfasst und woran man sich dabei orientiert, ob an der Selbstdefinition als muslimisch oder der Fremdzuschreibung durch andere Muslime. So erklären sich auch die großen Abweichungen in den Daten, die in der Debatte auftauchen. In einem Artikel von John Zogby wird beispielsweise für das Jahr 2002 eine Zahl von rund 7 Mio. US-Muslimen genannt.2 Jonah Blank schätzte die Zahl 1 | Auf die Unterschiede in Lehre und religiöser Praxis der Nation of Islam wird an späterer Stelle dieser Arbeit ausführlich eingegangen. 2 | Zogby, John 2002: »In Sh’allah: Meet America’s Muslim Community«, in: Public Perspective 13 (4), S. 17-43. Nur bei Zogby, der Vorsitzender eines der größten politischen Meinungsforschungsinstitute der USA ist, wird erläutert, wie diese Schätzungen zustande
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noch 1998 auf 5-6 Mio.3 Der Council on American-Islamic Relations (CAIR) nennt auf seiner Website ebenfalls die Zahl von 7 Mio. 4 Mattias Gardell veranschlagt bereits für das Jahr 1993 eine Zahl von rund 8 Mio.5 Auch die Muslim American Society führt eine Zahl von 5-8 Mio. an.6 Eine groß angelegte Studie des Pew Research Center zu amerikanischem Islam aus dem Jahre 2007 schätzte, dass letzten Endes nur 2,35 Mio. Muslime in den USA leben, wobei jedoch die Problematik einer statistischen Erhebung dieser Zahlen genauer eingerechnet wurde.7 David Rozen, Direktor des Hartford Institute for Religion Research, fasst die Zahlen folgendermaßen zusammen: »There are credible arguments for both the high and the low ends of the projected Muslim population. We simply don’t know how many Muslims there are, but the FACT (Faith Community Today Study) data certainly suggest that Islam is one of the fastest growing religious groups in the United States.« 8
Nach der von Rozen genannten Studie wachsen nur die Mitgliederzahlen christlicher Mega-Churches schneller als die der muslimischen Community Amerikas. Der Islam in den USA besteht aus den zwei großen Gruppen der Einwanderer aus der islamisch geprägten Welt und afroamerikanischen Konvertiten. Die Immigranten stammen vor allem aus Südasien (v.a. Pakistan)9 und der arabischen Welt, wobei es auch hier an genauen Zahlen mangelt. Jonah Blank schätzt, dass 24 % der US-Muslime südasiatischer und 12,4 % arabischer Herkunft sind.10 Die Afroamerikaner bilden nach den Immigranten die zweitgrößte Gruppe. Jonah Blank beziffert ihren Anteil auf 42 %, Gardell auf 37 %.11 Demnach würden afroamerikanische Muslime die größte Einzelgruppe darstellen. In der Pew-Studie kommen – nämlich aufgrund der Auswertung islamischer Namen in Telefonverzeichnissen. Doch wird sofort im Anschluss daran auf die Problematik dieser Art der Erhebung eingegangen, dass z.B. viele Konvertiten damit nicht erfasst werden. 3 | Jonah Blank: The Muslim Mainstream, hg. vom U.S. Department of State, International Information Programs, 20.07.1998. 4 | http://sun.cair.com/Portals/0/pdf/The_Mosque_in_America_A_National_Portrait. pdf (abgerufen am 01.05.2010). 5 | Gardell 1996, S. xi. 6 | www.masnet.org/contempissue.asp?id=666n (abgerufen am 07.02.2009). 7 | Pew Research Center: Muslim Americans: Middle Class and Mostly Mainstream, veröffentlicht am 22.05.2007, auf: http://pewresearch.org/pubs/483/muslim-americans (abgerufen am 09.06.2006). 8 | http://hirr.hartsem.edu/research/quick_question20.html (abgerufen am 05.12.2011). 9 | In Anlehnung an die offizielle Definition der UNO werden in den USA unter der Kategorie ›South Asian‹ u.a. Einwanderer aus Indien, Pakistan und Bangladesh erfasst. 10 | Blank 1998. 11 | Gardell 1996, S. xi.
Autoritätskämpfe
hingegen wird der Anteil derjenigen, die sich selbst als black identifizierten, mit nur 26 % angegeben, wobei als dezidiert ›afroamerikanisch‹ sogar nur 20 % aller Muslime in Amerika ausgewiesen werden. Von den Muslimen, die angaben, in den USA geboren zu sein, ordneten sich jedoch 56 % als ›black‹ ein (bei den Einwanderern der ersten Generation taten dies nur 10 %).12 In der gesamten Gruppe amerikanischer Muslime gab es 20 %, die sich als ›asiatisch‹ bezeichneten und 38 % als ›weiß‹. Die Verfasser der Studie weisen diesbezüglich jedoch darauf hin, dass sich fast zwei Drittel aller Araber in den USA als ›white‹ klassifizieren, der Rest von ihnen als ›other‹ oder ›mixed race‹.13 Im Jahre 2001 hat CAIR eine Studie zu Moscheen in Amerika durchführen lassen.14 Demnach hat sich die Zahl der Moscheen in den USA zwischen 1990 und 2000 um 25 % erhöht, im selben Zeitraum verdreifachte sich durchschnittlich die Zahl jeder Gemeinde. Rund 33 % der Muslime, die einer Moscheegemeinde angehören, sind südasiatischer Herkunft, 30 % sind Afroamerikaner, 25 % arabische Muslime. 64 % der Moscheen werden hauptsächlich von einer ethnischen Gruppe besucht, in der Regel Afroamerikaner oder Südasiaten. Lediglich 7 % aller Moscheen werden nur von einer Gruppe besucht, 24 % zu mindestens 90 % von einer Gruppe – beide Male gilt das hauptsächlich für afroamerikanische Moscheen. Knapp 20.000 Personen konvertieren laut der Studie pro Jahr in amerikanischen Moscheen zum Islam, darunter knapp 14.000 Afroamerikaner, wobei schwarze Männer die Mehrheit der Konvertiten darstellen.15 In der Pew-Studie gaben 23 % aller befragten Muslime an, Konvertiten zu sein.16 In der CAIR-Studie wurden jedoch Konvertiten zur Nation of Islam nicht erfasst, wobei sich laut der Pew-Studie nur rund 50 % aller Muslime in Amerika zum sunnitischen Islam zählen; doch liegen hier die Zahlen für eingewanderte und afroamerikanische Muslime nur wenige Prozentpunkte auseinander.17 34 % aller befragten Afroamerikaner antworteten, sie seien »just Muslim«, und in 12 | Da die Zahlen in jeder Hinsicht uneindeutig sind, ist es auch schwierig zu sagen, wie groß der Anteil an Muslimen in der black community ist. In den Statistiken der Regierung werden rund 37 Mio. Menschen als Afroamerikaner geführt, das sind etwas über 12 % der amerikanischen Bevölkerung. Wenn man von rund 6 Mio. Muslimen in Amerika ausgeht und den Anteil der Afroamerikaner unter ihnen auf 40 % veranschlagt, dann wären über 6 % aller Afroamerikaner Muslime. Nimmt man jedoch die Zahlen der Pew Research Center-Studie 2007, wonach von insgesamt 2,35 Mio. Muslimen nur 20 % Afroamerikaner sind, käme man auf einen Anteil von 1,3 % Muslimen in der black community. 13 | Pew Research Center 2007, S. 1, 17. 14 | Bagby, Ihsan/Paul M. Perl/Bryan Froehle: The Mosque in America: A Report From the Mosque Study Project, veröffentlicht von CAIR am 26.04.2001, auf: http://sun.cair. com/Portals/0/pdf/The_Mosque_in_America_A_National_Portrait.pdf (abgerufen am 16.07.2011). 15 | Bagby/Perl/Froehle 2001, S. 20-22. 16 | Pew Research Center 2007, S. 22. 17 | Pew Research Center 2007, S. 21.
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einer Gruppe, die nach der Pew-Studie 15 % beträgt, wurden solche zusammengefasst, die sich als Schiiten oder Anhänger der Nation of Islam bezeichneten.18 Die Komplexität der Datenlage zur Zusammensetzung der muslimischen Community Amerikas überträgt sich auf die Frage, wer für den amerikanischen Islam spricht bzw. sprechen kann, darf und soll. Unter den Muslimen Amerikas findet seit Jahrzehnten eine heftige Debatte darüber statt, wie sich islamische Autorität in den USA gestalten kann und welche Rolle Identitätsmarker wie Herkunft, Konfession, Geschlecht und ökonomischer Status dabei spielen dürfen oder gar müssen. So kritisiert beispielsweise Amina Wadud, afroamerikanische Konvertitin und bis 2008 Professorin für Islamwissenschaft in Richmond, heute freischaffende Publizistin, dass muslimische Immigranten sowohl in regionalen als auch nationalen Führungsgremien amerikanischer Muslime weit überrepräsentiert seien und das öffentliche Gesicht des amerikanischen Islam männliche Einwanderer seien.19 Tatsächlich dominieren in den großen Dachorganisationen wie der Islamic Society of North America (ISNA) und dem Islamic Circle of North America (ICNA) Männer südasiatischer und arabischer Herkunft.20 Diese numerische Dominanz muslimischer Immigranten geht einher mit einem Führungsanspruch im Bereich der Auslegung des Korans (religiöse Deutungshoheit), innerhalb muslimischer Organisationen und Einrichtungen (institutionelle Hegemonie) und im Hinblick auf die Finanzierung muslimischer Unternehmungen (ökonomische Hegemonie). Die religiöse, institutionelle und finanzielle Dominanz muslimischer Immigranten korrespondiert mit einer Marginalisierung des afroamerikanischen Beitrags zur Entwicklung einer amerikanisch-muslimischen Identität, wie die folgenden Kapitel zeigen. Diese negative und marginalisierende Tendenz wird insbesondere von afroamerikanischen Muslimen kritisch bewertet. Sie betonen in Diskussionen darüber, wer für den amerikanischen Islam sprechen kann und darf, den ihrer Ansicht nach inhärenten Rassismus der muslimischen Immigranten. Wie sich das damit umrissene diskursive Spannungsfeld um religiöse Autorität innerhalb des amerikanischen Islams im einzelnen darstellt und welche religiösen, sozialen und politischen Konsequenzen die Debatten 18 | Pew Research Center 2007, S. 22; zur Rolle der Schiiten in den USA siehe Takim, Liyakat 2002: »Multiple Identities in a Pluralistic World: Shi’ism in America«, in: Yvonne Y. Haddad/Jane Idleman Smith (Hg.): Muslim Communities in North America, Albany S. 218232; Takim betont, dass der ethnic factor bei schiitischen Einwanderern eine noch größere Rolle spiele als bei Sunniten und daher die wenigen Afroamerikaner, die zum schiitischen Islam konvertierten, sich sowohl von sunnitischen Muslimen als auch anderen Schiiten diskriminiert fühlten (S. 224f.). 19 | Wadud, Amina 2003: Muslims, Islam and AIDS, Paper präsentiert auf der 2nd International Muslim Leaders Consultation on HIV/AIDS, Kuala Lumpur/Malaysia; auf: www. heart-intl.net/HEART/102504/Vulnerabilities-HIV-AIDS.htm (abgerufen am 20.08.2011). 20 | Leonard, Karen 2005: »American Muslims and Authority: Competing Discourses in a Non-Muslim State«, in: Journal of American Ethnic History 25 (1), S. 7.
Autoritätskämpfe
haben, wird im Folgenden näher beleuchtet. Der Fokus wird dabei sowohl auf den akademischen Diskurs gelegt – muslimische und nichtmuslimische Wissenschaftler – als auch auf die Positionen islamischer religiöser Führungspersönlichkeiten und Community-Aktivisten vor allem aus dem Raum New York. Nach Max Weber basiert Autorität auf der Fähigkeit oder dem Glück, dass man andere dazu bringt, den eigenen Regeln und Vorschriften zu folgen und zu gehorchen, ohne dass man dafür Zwang anwenden muss. Dies unterscheide Autorität von Macht, die gegebenenfalls auch Zwang anwenden müsse, um sich durchzusetzen.21 Im Hinblick auf religiöse Autorität sind beide jedoch oft nur schwer zu trennen, da Autorität zahlreiche Formen und Funktionen einnehmen kann, darunter die Fähigkeit, die Macht oder das Recht, den richtigen Glauben (Orthodoxie) und die richtige Praxis (Orthopraxis) zu bestimmen und damit wiederum die Ansichten und das Verhalten ihrer Anhänger zu beeinflussen. Außerdem definieren religiöse Autoritäten, welche Glaubensvorstellungen und Praktiken außerhalb von Orthodoxie und Orthopraxis stehen und daher der Abweichung, der Häresie oder gar der Apostasie beschuldigt werden. Im Kontext der monotheistischen Buchreligionen, zu denen der Islam gehört, stellen religiöse Autoritäten außerdem den Kanon ›autoritativer‹ Texte zusammen und legitimieren bestimmte Interpretationsmethoden. Für Weber ist dabei die Verbindung von Autorität und Legitimität sowie von Autorität und Vertrauen zentral. Religiöse Autorität kann Individuen, Gruppen oder Institutionen zugeschrieben werden, die zwar bestimmte Qualitäten bzw. Qualifikationen besitzen oder erworben haben müssen, doch letztendlich darauf angewiesen sind, dass andere bereit sind, sie kraft dessen auch als Autoritäten anzuerkennen. Damit ist religiöse Autorität kein statisches Konzept, sondern sie basiert auf dem Verhältnis von demjenigen, der sie beansprucht und demjenigen, der sie anzuerkennen bereit ist.22 Die Hegemonie muslimischer Immigranten in Amerika, die qua Herkunft beanspruchen, die Autorität in Islamfragen innezuhaben, wird von afroamerikanischer Seite in mehrerlei Hinsicht in einen diskursiven Zusammenhang mit Rassismus gebracht: sei es, dass schwarze Muslime die explizite rassistische Diskriminierung durch Immigranten betonen, sei es, dass sie auf den strukturellen Rassismus der amerikanischen Gesellschaft verweisen, der entlang der color line Klassengrenzen zementiere, welche sich unter amerikanischen Muslimen ebenso fänden wie im Rest der Gesellschaft. Der afroamerikanische Imam Zaid Shakir, Mitgründer des Zaytuna Institute, einer in Kalifornien ansässigen Bildungsakademie für Muslime, vermisst auf Seiten vieler muslimischer Einwanderer jedoch das nötige Problembewusstsein:
21 | Siehe dazu: Weber, Max 1972: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen. 22 | Krämer, Gudrun/Sabine Schmidtke 2006: Speaking for Islam: Religious Authorities in Muslim Societies, Leiden, S. 1f.
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Die Erben des Malcolm X »In this country, Muslims have a unique opportunity to contribute towards eliminating the most nagging and festering social ill plaguing our society: race-based prejudice. Unfortunately, many Muslims have endorsed this disease by either refusing to acknowledge its existence, or through their attitudes and actions towards their coreligionists of darker complexions.« 23
Akbar Muhammad, der an der New Yorker Binghamton University Geschichte und Afrikastudien lehrt, stellt zudem bedauernd fest, dass muslimische Einwanderer auch von weißen Amerikanern mehr geschätzt würden. Organisationen, die von Immigranten geleitet werden, seien meist die ersten Ansprechpartner für Islamfragen, ganz gleich, ob es darum gehe, Muslime als besonders moderat oder besonders radikal darzustellen. Im Vergleich zu den Zeiten von Elijah Muhammad und Malcolm X in den 1950er und 1960er Jahren habe sich in den letzten Jahren der nationale und internationale Einfluss afroamerikanischer Muslime sehr verringert, so Muhammad.24 Dass Akbar Muhammad mit dieser Einschätzung richtig liegt, zeigte sich besonders eindrücklich nach dem 11. September 2001. Als ›islamische Autoritäten‹ wurden in amerikanischen Medien neben dem weißen Konvertiten Shaykh Hamza Yusuf vom Zaytuna Institute fast ausschließlich Immigranten gehandelt, so z.B. der Harvard-Professor Ali Asani, der Juraprofessor Khaled Abou El Fadl, Sheikh Muhammad Hisham Kabbani, seines Zeichens Vorsitzender der amerikanischen Naqshbandiyya, eines der größten Sufi-Orden weltweit, sowie der Politikwissenschaftler und Publizist Muqtedar Khan.25 Die Islamwissenschaftlerin Amina Wadud wurde kurz nach dem 11. September 2001 vom Fernsehsender PBS, der sie zunächst zum Interview eingeladen hatte, wieder ausgeladen, nachdem dieser erfahren hatte, dass sie afroamerikanische Muslimin sei. Man wolle eine Frau aus dem Nahen Osten, da nur sie den Islam repräsentieren könne, so die damalige Begründung des Senders.26 Ein Unbehagen über die Dominanz männlicher Immigranten empfinden übrigens nicht nur afroamerikanische Muslime. Asma Barlas, Professorin für Politikwissenschaft am Ithaca College und selbst aus der pakistanischen Community stammend, ist eine engagierte Streiterin für die Gleichberechtigung von Frauen in islamischen Kontexten. Barlas drückte im Jahre 2003 das Gefühl vieler Muslime in Amerika aus, als sie betonte, dass man nach den Angriffen vom 11. September Geschlossenheit demonstrieren müsse, wenn der Islam pauschal angegriffen werde. Eine ebenso große Gefahr sah sie damals jedoch außerdem in Muslimen, die forderten 23 | Shakir, Imam Zaid 2005: Scattered Pictures: Reflections of an American Muslim, Hayward, S. 76. 24 | Muhammad, Precious Rasheeda 2002b: »Africa-American, Muslim, and Loyal to the U.S.«, in: Michael Wolfe/Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim their Faith, Emmaus, S. 137. 25 | Leonard 2005, S. 16. 26 | Wadud 2006, S. 228.
Autoritätskämpfe
»the real Islam to stand up«. Mit dem Konzept eines real Islam in seiner vermeintlichen Eindeutigkeit könne sie nichts anfangen, denn Geschlossenheit, so Barlas, dürfe nicht auf Kosten von internem Pluralismus gehen: »But if this means that we can only practice our religion to its fullest within the framework of a moral community, it does not mean that the community itself must have a single locus of authority within it.« 27
Für afroamerikanische Muslime bedeutet dies jedoch nicht, dass die Autoritätsfrage nicht gestellt werden sollte. Vielmehr wird über Autorität in all ihren Facetten unter ihnen heftig diskutiert, wobei sich sowohl Frauen als auch Männer intensiv an der Debatte beteiligen. Nach eigenem Empfinden sind afroamerikanische Muslime permanent in der Defensive, seit nach der Änderung des amerikanischen Einwanderungsrechts 1965 eine große Zahl muslimischer Einwanderer aus arabischen Ländern und Südasien in die USA gekommen war. Schon die Gründung der Muslim Students’ Association (MSA) durch arabische Studenten im Jahre 1963 hatte bewirkt, dass afroamerikanische Gruppen wie die Nation of Islam, die bis dato eine hegemoniale Position in Islamfragen innegehabt hatten, sich plötzlich vor gebürtigen Muslimen für ihren Islam rechtfertigen mussten. Mit der Gründung der Islamic Society of North America (ISNA) reklamierten muslimische Einwanderer, die schon qua Herkunft Authentizität beanspruchten, öffentlich, das Gesicht des ›amerikanischen Islam‹ zu sein. Gerade der ISNA werde jedoch bis heute vorgeworfen, salafitisch orientiert zu sein und wenig Raum für liberale oder progressive Ansichten zu bieten, so Jocelyne Césari, die in Harvard politische Soziologie lehrt. Als Abbild der Immigranten-Elite sei die sunnitisch ausgerichtete ISNA beeinflusst von Ideen des saudischen Wahhabismus und der ägyptischen Muslimbrüder. Minderheitenmeinungen fänden kein Gehör, seien es nun die Positionen afroamerikanischer Konvertiten oder die von Sufis, Schiiten oder Ahmadis.28 Auch inhaltlich, so betonen afroamerikanische Kritiker der Hegemonie muslimischer Immigranten, bestünden zwischen schwarzen und eingewanderten Muslimen große Prioritätsunterschiede. Aminah McCloud, die an der DePaul University Islamwissenschaft lehrt und selbst afroamerikanische Muslimin ist, empört sich, die Immigranten würden sich lieber um die Probleme ihrer Herkunftsländer kümmern, als sich mit der Wirklichkeit in Amerika auseinander-
27 | Barlas, Asma 2003b: »Determining Islamic Authority in North America (II)«, in: The Daily Times, Pakistan, 25. März 2003. 28 | Cesari, Jocelyne 2004: When Islam and Democracy Meet, New York, S. 85; bemerkenswert ist jedoch, dass die Vorsitzende der ISNA seit 2006 eine (weiße) kanadische Frau ist, nämlich die Konvertitin Ingrid Mattson, Professorin für Islamische Theologie am Hartford Seminary for Religious Rearch.
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zusetzen und sich vor Ort zu engagieren.29 Sherman Jackson, afroamerikanischer Konvertit und Professor für islamische Ideengeschichte an der University of Southern California, beklagt, dass sich seit der Ankunft der muslimischen Immigranten ab Mitte der 1960er Jahre die thematischen Schwerpunkte amerikanischer Muslime – und damit eben auch in den von Immigranten geprägten Instiutionen – zunehmend dergestalt verschoben hätten, dass Themen, die für Afroamerikaner seit langem und bis heute von besonderer Relevanz seien (wie Rassismus, Polizeigewalt, Drogenkriminalität, das Quotenprogramm Affirmative Action, Ghettopolitik), zunehmend aus dem Blickfeld gerieten. Stattdessen würde die islamisch geprägte Welt, d.h. die Herkunftsländer der Einwanderer, zum neuen diskursiven Zentrum, seien es nun Afghanistan, Palästina oder Pakistan.30 Der vielleicht schlimmste Effekt dieser Verschiebung des Fokus sei, so Jackson, dass der Islam »seinen Einfluss auf die Pathologien und Dysfunktionalitäten der Ghettos«31 verloren habe. Bisher hätten islamische Werte, wie sie die NOI gepriesen hätte – darunter männliches Ehrgefühl, Steuerehrlichkeit, Zivilcourage –, Bildungsanstrengungen, Arbeitseifer und community uplift innerhalb der black community legitimiert. Nun hingegen würde von afroamerikanischen Muslimen der sunnitische Islam, wie sie ihn durch Immigranten vermittelt bekämen, oft als Grund dafür angeführt, nicht zu arbeiten (vor allem nicht für die ›Ungläubigen‹), nicht nach Bildung zu streben und nichts mit den ›Ungläubigen‹ zu tun haben zu wollen: »In short, on the new, immigrant-influenced understanding of Islam, Sunnism was in many ways becoming a cause rather than a solution to the problem of Blackamerican Muslim dysfunctionality in America.« 32
Die Ironie dabei sei, so Amir al-Islam, der an der City University of New York Soziologie lehrt, dass die Einwanderer aus der arabischen Welt und aus Südasien diese Form von islamisch legitimierter Abgrenzung selbst nicht praktizierten. Während sie selbst trotz konservativer Einstellungen erfolgreich die Eingliederung in den amerikanischen Arbeitsmarkt und die Bildungsinstitutionen meisterten, würden sie Afroamerikanern einen salafitisch geprägten Islam als Ideal predigen, der soziale Hierarchien entlang der color line verfestige, sobald schwarze Muslime sich eher mit den Feinheiten der islamischen Kleiderordnung statt mit der Arbeitslosigkeit in der eigenen Community beschäftigten.33
29 | Haddad, Yvonne Y. 2000: »The Dynamics of Islamic Identity in North America«, in: Yvonne Y. Haddad/John L. Esposito: Muslims on the Americanization Path?, New York, S. 38f. 30 | Jackson 2005, S. 73. 31 | Jackson 2005, S. 73. 32 | Jackson 2005, S. 73. 33 | Interview mit Amir al-Islam, New York 29.04.2008.
Autoritätskämpfe
Als Reaktion auf diese Unterrepräsentierung afroamerikanischer Bedürfnisse in den von Einwanderern dominierten Institutionen hatte sich im Jahr 2001 eine Gruppe afroamerikanischer Imame und Leiter islamischer Zentren von den Organisationen der Immigranten abgespalten und die Muslim Alliance in North America (MANA) gegründet, deren Vorsitzender (amir) bis heute Imam Siraj Wahhaj aus Brooklyn ist.34 Dieser hatte seit 1999 zusammen mit den beiden ebenfalls afroamerikanischen Imamen Jamil Al-Amin (Atlanta) und Talib Abdur-Rashid (Harlem) die Errichtung einer Organisation geplant, deren Ziel es sein sollte, eine kritische Haltung zur amerikanischen Gesellschaft zu bewahren. Damit wollten sie dezidiert eine Abgrenzung zu den Organisationen der Einwanderer vornehmen, die ihrer Meinung nach zu unkritisch die Nähe zur Mehrheitsgesellschaft suchten in der Hoffnung, Teil der weißen Mainstream-Kultur zu werden, und sich zudem vornehmlich mit außeramerikanischen Themen beschäftigten.35 Zielgruppe der MANA sind indigenous Muslims. ›Indigen‹ ist für MANA dabei »anyone who is native in America, including second generation immigrants.«36 Im Vorstand sowie der Ratsversammlung (majlis ash-shura) finden sich heute zum größten Teil, aber eben nicht ausschließlich, Muslime afroamerikanischer Herkunft.37 Afroamerikaner hätten den Islam als einfache Religion kennengelernt, so Zaheer Ali. Die islamische Tradition sei für sie interessant, aber nicht bindend. Ihre Erfahrungen als Afroamerikaner besäßen eine gleichwertige Legitimität wie die der Immigranten. In seiner Jugend war Zaheer Ali selbst Mitglied in der afroamerikanischen Nation of Islam, über deren Geschichte in Harlem er heute an der Columbia University forscht und lehrt. Schließlich könnten schwarze Muslime nicht unkritisch etwas übernehmen, was in 1400 Jahren Rassismus, Frauendiskriminierung und Armut produziert habe, findet Ali. Die Immigranten würden heute auf einer Tradition beharren, die es während eines solch langen Zeitraums nicht geschafft habe, diese Probleme zu beseitigen.38 Diese Form von Kritik, wie sie Ali äußert, ist übrigens nicht nur auf afroamerikanische Muslime beschränkt. Der weiße Konvertit Michael Wolfe ist ebenfalls der Meinung, dass es für Muslime in Amerika nun an der Zeit sei, sich von den klassischen Autoritäten zu lösen und mit eigener Autorität zu denken und zu schreiben, denn »there comes a moment to grow up.«39 Er hat im Jahre 2002 ein Buch mit dem Titel Taking Back Islam. American Muslims Reclaim Their Faith herausgegeben, in dem amerikanische Muslime 34 | Leonard 2005, S. 21. 35 | Leonard 2005, S. 29, FN 82. 36 | Leonard 2005, S. 21. 37 | Informationen zu Geschichte, Aufbau und Zielen von MANA auf ihrer Website: http:// mana-net.org/index.php (abgerufen am 09.11.11). 38 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, 12.06.2008. 39 | Wolfe, Michael/Producers of Beliefnet (Hg.) 2002: Taking Back Islam: American Muslims Reclaim their Faith, Emmaus, S. xiii.
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jedweder Herkunft sich Gedanken darüber machen sollten, wie ein amerikanischer Islam post-9/11 aussehen könnte oder sollte. 40 Der 11. September 2001, so Wolfe, habe amerikanische Muslime dazu gezwungen, aufzuwachen und das Problem zu erkennen, das entstehe, wenn man immer außerhalb Amerikas nach Führung und Autorität suche. Die Taten von Al-Qaida, den Taliban und ähnlichen Gruppen »have led many American Muslims to suspect that Islam’s ›traditional lands‹ have less to teach us than they claim«, 41 so Wolfe. Die Debatte um Autorität ist also keineswegs neu, aber seit afroamerikanische Muslime vermehrt in amerikanischen und islamischen Bildungsinstitutionen vertreten sind, wird sie offener und damit nachvollziehbarer durch Veröffentlichungen, Podiumsdiskussionen, Institutionen usw. geführt. Zunehmend gehen afroamerikanische Muslime dabei in die Offensive und fordern kulturalistisch geprägte Interpretationen von Islam durch die Einwanderer heraus, denn, so Amina Wadud: »If an African-American articulation of Islamic identity is to be formed in a meaningful way, then our whole history must be taken into consideration.«42
II.1 A utorität durch A uthentizität : M uslimische S kl aven und die E rfindung von Tr adition An einem Abend im Januar 2008 saß ein gespanntes, fast ausschließlich afroamerikanisches Publikum vor einer Leinwand im Malcolm X and Dr. Betty Shabazz Memorial and Educational Center in Harlem. Der Saal war brechend voll, denn an dem Abend fand dort die New Yorker Premiere des Films Prince Among Slaves – the amazing true story of an African prince enslaved in the American South statt. 43 Bereits beim American Black Film Festival 2007 hatte der Film den Preis für den besten Dokumentarfilm gewonnen, und so war die Neugier groß. Regisseur Alex Kronemer erzählt in dem Film in Anlehnung an das bereits 1977 erschienene Buch Terry Alfords44 in einer Mischung aus nachgestellten Episoden – mit der Stimme des berühmten zum Islam konvertierten schwarzen RapStars Mos Defs als Erzähler – und von Experteninterviews die wahre Geschichte des Abdul Rahman Ibrahim Ibn Sori, eines westafrikanischen Prinzen, der 1788 aus seiner Heimat verschleppt worden ist. Jahrzehntelang hatte Abdul Rahman 40 | Wolfe 2002. 41 | Wolfe 2002, S. xiii. 42 | Wadud 2006, S. 152. 43 | Die folgenden Beobachtungen und Zitate entstammen dem Protokoll teilnehmender Beobachtung der Verfasserin der Arbeit am 30.01.2008. 44 | Alford, Terry 1977: Prince Among Slaves: The True Story of an African Prince Sold into Slavery in the American South, Oxford. Darin findet sich eine detaillierte Beschreibung der Biographie Abdul Rahmans, die in einem 90-minütigen Film nur in verkürzter Form dargestellt werden konnte.
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in Mississippi auf einer Plantage als Sklave arbeiten müssen, bevor es ihm gelungen war, seinen Besitzer davon zu überzeugen, ihn in die Freiheit zu entlassen. Aufgrund seiner Bildung – als Muslim und zumal als Prinz beherrschte er Arabisch in Wort und Schrift – hatte er heimlich Briefe in die Heimat schicken und damit über Umwege Kontakte bis in die marokkanische und amerikanische Regierung herstellen können, die ihn bei seinem Freilassungsgesuch unterstützten. Die amerikanische Regierung war aufgrund der Arabischkenntnisse Abdul Rahmans sogar überzeugt gewesen, dieser sei gar kein richtiger Afrikaner, sondern ein Maure (moor). Nach seiner Freilassung war Abdul Rahman durch die USA gereist, um mithilfe der Presse, durch Fundraising-Veranstaltungen und über politische Kontakte zu erreichen, dass seine Frau und seine Kinder, die weiterhin auf verschiedenen Farmen in Mississippi als Sklaven gehalten wurden, freikämen. Damit hatte er die Auflage seines letzten Besitzers verletzt, nach seiner Freilassung umgehend nach Afrika zurückzukehren. Als er aber nach knapp einem Jahr noch immer bei weitem nicht genügend Geld beisammen hatte, um seine Kinder freizukaufen, kehrte er mit seiner inzwischen ebenfalls freien Frau nach Afrika zurück, allerdings nicht in seine Heimat, sondern nach Monrovia, Liberia. Dort war er kurz darauf an hohem Fieber verstorben. Diese Geschichte, wie sie der Film an jenem Abend in New York erzählte – so wurde auf der im Anschluss an die Vorführung stattfindenden Diskussionsrunde deutlich – hatte einen Nerv getroffen. Zahlreiche Zuschauer dankten Regisseur Alex Kronemer dafür, dass er ihnen einen Teil ihrer Identität wiedergegeben habe. Nun hätten sie eine bessere Vorstellung davon, woher sie, die Schwarzen Amerikas, eigentlich kämen, aus welch intakter, fortschrittlicher Zivilisation sie die Sklavenjäger damals gerissen hätten. Und nicht wenige im Publikum bekundeten ihren Stolz darauf, selbst Muslime zu sein – so wie Abdul Rahman, der laut Film aufgrund seiner muslimischen Herkunft und der damit verbundenen Bildung in der Lage gewesen war, die Sklaverei zu überwinden und nach Afrika zurückzukehren. »He had the dignity and the strength that you can only have when you believe in Allah, and that’s why I am proud to be Muslim, I am proud to be a descendant and to be a brother of this honorable man«, so ein älterer Mann im Publikum. Ein jüngerer Mann meinte, der Film würde zeigen, dass »education is highly appreciated in Islam. And that’s why we, as Muslims, must promote Islam to empower Black people. Islam is education, and education leads to success. That’s what we gotta show America.« Eine Frau auf dem Podium, ebenfalls Muslimin, berichtete, wie es sie gerührt habe, als sie vor einigen Jahren das erste Mal nach Westafrika gereist sei und dort einige Leute zu ihr gemeint hätten, sie sähe aus, als gehöre sie zum Stamme der Fulani: »Never in my life I felt that happy. In America, I’m just black. That’s what’s all about here. But there, suddenly, I got an identity. I belonged to some place. I was a Foulah. My ancestors were Muslim as well. Mashallah. Thank you, dear Alex, for showing us where we come from, who we are.«
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An diesem Abend wurde deutlich, welch großes Bedürfnis es unter afroamerikanischen Muslimen gibt, mehr über ihre Herkunft zu erfahren, und zwar nicht nur über ihre kulturell-afrikanische, sondern auch dezidiert über die religiöse, spirituelle, und wie wichtig es ihnen ist zu betonen, dass schon ihre Vorfahren Muslime gewesen seien. Damit versuchen sie, auf ein Erbe aufzubauen, das älter ist als die Zeit der Versklavung in Amerika, was ihrer Ansicht nach ihre eigene muslimische Identität mit einer Authentizität versehe – oder gar veredele –, welche ihnen von nichtafroamerikanischen Muslimen und nichtmuslimischen Afroamerikanern gar zu oft abgesprochen werde. Das ist insofern auf den ersten Blick erstaunlich, als dass die überwiegende Mehrheit der heutigen afroamerikanischen Muslime als Nichtmuslime geboren wurde und erst im Laufe ihres Lebens zum Islam konvertiert ist. Und sogar die Minderheit derer, die schon muslimische Eltern hatten, ist höchstens in der dritten bis vierten Generation muslimisch. 45 Außerdem waren Muslime unter den ersten Sklaven in der Minderheit. Viele afroamerikanische Muslime sind dennoch überzeugt, dass ihre Geschichte mit den ersten muslimischen Sklaven aus Afrika begonnen habe und sie an eine Tradition anknüpften, deren Überlieferungslinie nie völlig abgerissen sei. Dies zeigte sich nicht nur an einem Abend wie dem der Filmpremiere, an dem emotionale Betroffenheit vorherrschte, sondern an einer Debatte zur Herkunft und damit implizit Authentizität des afroamerikanischen Islam, die seit langem wissenschaftlich geführt wird. Die Protagonisten sind dabei zum Teil, aber längst nicht ausschließlich afroamerikanische, muslimische Wissenschaftler. Im Kern geht es um die Frage, ob der afrikanische Islam, wie er durch einige Sklaven in die USA gebracht wurde, tatsächlich in der Lage war, unter den Bedingungen der Sklaverei zu überleben und zumindest einige der heutigen afroamerikanischen Muslime direkte Nachfahren von muslimischen Sklaven sind. Implizit schließt sich daran die Frage, ob der heutige afroamerikanische Islam somit allein dadurch ›authentisch‹ ist, weil er aus dem Islam westafrikanischer Sklaven hervorging, oder ob er ein Produkt afroamerikanischer Religiösität des 20. Jahrhunderts ist. Ob letzteres ihn weniger ›authentisch‹ macht und ob Authentizität an sich ein Wert ist, darüber streiten Muslime in Amerika, wie die folgenden Kapitel zeigen, heftig. Ein Vorwurf, der afroamerikanischen Muslimen gerade von muslimischen Einwanderern immer wieder gemacht wird, ist die Behauptung, dass der Islam der Afroamerikaner aus häretischen bis pseudo-islamischen Bewegungen hervorgegangen sei, die Anfang des 20. Jahrhunderts in amerikanischen Großstädten entstanden waren, und dies aus Gruppen, die sich zwar islamischer Namen und Symbole bedient, 45 | Genaue Daten der Konversionen zum Islam sind nur schwierig zu erheben, so die Verfasser der Pew Research Center-Studie 2007. Sie beziffern den Anteil der Konvertiten an allen in Amerika geborenen Muslimen (inklusive Kindern von muslimischen Immigranten) auf rund zwei Drittel. In der afroamerikanischen Community dürfte der Prozentsatz noch weit höher liegen. Siehe Pew Research Center 2007, v.a. S. 1, 7, 15-20, 27-29.
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aber in wildem Synkretismus philosophische und religiöse Ideen vielfältiger Herkunft zusammengemischt hätten, welche keinesfalls den Anforderungen an ›orthodoxen Islam‹ entsprächen. 46 Daher impliziert der Versuch, eine Geschichte des afroamerikanischen Islam zu schreiben, immer schon eine Vorannahme der Genese afroamerikanischer Muslime und damit bereits selbst eine entscheidende Interpretation. Allein die Auswahl dessen, was als relevant für die Geschichte des afroamerikanischen Islam befunden wird, welche Entwicklungen, Strömungen und Gruppierungen einbezogen werden bzw. welche nicht, zeigt die Sicht des jeweiligen Autors auf afroamerikanische Geschichte, die Verortung afroamerikanischer Muslime, seine jeweiligen blinden Flecke und seine Agenda. Extreme Positionen wie beispielsweise diejenige afrozentristischer Wissenschaftler, welche dem Islam jedwede Kompatibilität mit ›schwarzer Kultur‹ absprechen und schwarze Muslime, gleich ob in Afrika oder in Amerika, generell als Opfer eines arabischen Imperialismus diffamieren, sind jedoch selten. 47 Auf der anderen Seite behauptet kein seriöser Wissenschaftler, ob er nun selbst afroamerikanischer Muslim ist oder nicht, dass es einen völlig nahtlosen Übergang vom Islam der westafrikanischen Sklaven zum heutigen Islam in afroamerikanischen Kreisen gegeben hätte. Dafür sind die Zahlen an Konvertiten seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu hoch, dafür weisen v.a. zu viele der heutigen afroamerikanischen Muslime eine Biographie auf, die sie (oder ihre Eltern bzw. Großeltern) erst auf Umwegen zum Islam geführt haben. Letzeres erfolgte oftmals über Gruppen, die in dieser Arbeit nicht wertend als ›pseudo-islamisch‹ oder häretisch bezeichnet werden, die aber mit von ihrer Entstehungsgeschichte her, soweit sie dokumentiert ist, wohl nichts mit dem Islam der Sklaven zu tun hatten. Im folgenden soll daher keine bloße ›objektive‹ Herkunftsgeschichte des afroamerikanischen Islam beschrieben werden, sondern neben den unbestreitbaren historischen Fakten auch die Vielfalt der Interpretationen jener geradezu heilsgeschichtlich aufbereiteten Elemente dargestellt werden, die sich sogar manchmal – aber nicht immer – gegenseitig ausschließen oder einander explizit widersprechen. Zentral ist hierbei, dass afroamerikanische Muslime glauben, diese Geschichte sei essentiell für ihr heutiges Selbstverständnis, die jeweilige Meinung zu strittigen Fakten und Gruppierungen relevant für ihre Identität als Schwarze und ihre Legitimität als ›richtige‹ Muslime. Eine historische Tatsache ist, dass lange bevor die ersten muslimischen Einwanderer – freiwillig – in den USA ankamen, Muslime – unfreiwillig – nach Amerika verschleppt worden sind, nämlich als Opfer von Sklavenhändlern, die in Afrika Jagd auf Menschen gemacht hatten, um den wachsenden Bedarf an Arbeitskraft in der Neuen Welt zu decken. Zwischen 12 und 20 Mio. Menschen 46 | Siehe hierzu: Kapitel I.5, »Weiße Christen, schwarze Muslime«. 47 | Hierzu zählen v.a. Molefi Asante, Yosef Ben Jochannan, John Clarke und Chancellor Williams. Siehe auch Nuruddin 2000, S. 234ff. Dazu ausführlicher in Kapitel II.1, »Ist Rassismus unislamisch?«.
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waren im Rahmen des transatlantischen Sklavenhandels zwischen Anfang des 17. und Mitte des 19. Jahrhunderts von Afrika nach Nord- und Südamerika verschifft worden. Die genauen Zahlen sind wiederum umstritten, wurden aber in den letzten Jahren in der Forschung stets nach oben korrigiert. 48 Rund die Hälfte der Sklaven stammte demzufolge aus Westafrika, wo der damalige Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung auf durchschnittlich 30-40 % veranschlagt wird. Sylviane Diouf diskutiert in ihrer Studie zu aus Afrika deportierten Muslimen die Daten und Ergebnisse bisheriger Forschungen und verknüpft diese zu der Schlussfolgerung, dass bis zum Ende des transatlantischen Sklavenhandels rund 2,25 bis 3 Mio. Muslime aus Afrika nach Nord- und Südamerika gebracht worden seien, darunter ein Frauenanteil von 15-20 %. Demnach hätten Muslime mindestens 20 % aller afrikanischen Sklaven in Nord- und Südamerika ausgemacht. 49 Wie viele der mindestens 645.000 Afrikaner 50, die von Anfang des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts allein in die englischen Kolonien Nordamerikas und später in die Vereinigten Staaten verschifft worden sind, tatsächlich zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung Muslime waren, ist ebenfalls umstritten. Mindestens 10-15 % veranschlagen die meisten Studien zu dem Thema, wenn auch von manchen Wissenschaftlern durchaus höhere Zahlen genannt werden.51 Zumindest in einigen nordamerikanischen Bundesstaaten dürften weitaus mehr muslimische Sklaven gelebt haben, argumentiert Sylviane Diouf. Gerade nach South Carolina und Virginia seien überdurchschnittlich viele Sklaven aus Westafrika, v.a. dem mehrheitlich muslimisch geprägten Senegambia und Sierra Leone, gebracht worden. Diese in ihrer Mehrzahl muslimischen Sklaven hätten aus ihren afrikanischen Heimatregionen besondere Fähigkeiten im Indigo- und Reisanbau mitgebracht, welche in South Carolina und Virginia besonders geschätzt und benötigt worden seien.52 Doch unabhängig davon, wie viele der deportierten Afrikaner bei ihrer Ankunft in Amerika Muslime gewesen waren, kann man sich fragen, ob deren Glaube unter den Bedingungen der Sklaverei hätte überleben können. Inwiefern es 48 | Vgl. hierzu Diouf 1998, S. 45; für eine detaillierte Aufschlüsselung zur regionalen Herkunft afrikanischer Sklaven in den verschiedenen Staaten Nordamerikas siehe Curtin, Philip 1969: The Atlantic Slave Trade: A Census, Madison, v.a. 157-160, 192-97. 49 | Diouf 1998, S. 48. 50 | Marable, Manning/Leith Mullings (Hg.) 2000: Let Nobody Turn Us Around: Voices of Resistance, Reform, and Renewal. An African American Anthology, Lanham, S. 1; Rawley, James A. (Hg.) 1999: Transatlantic Slave Trade: A History, New York. 51 | Vgl. hierzu Diouf 1998, S. 46-48; Gomez, Michael A. 1994: »Muslims in Early America«, in: Journal of Southern History 60 (4), S. 671-710; Allan Austin schätzte die Zahl der Muslime noch auf 7-8 %, doch stammt diese Schätzung aus einem Vortrag aus dem Jahre 1978 – die Zahlen wurden seither stets nach oben korrigiert. Siehe dazu: Allan Austin: Kunta Kinte’s Fellows: African Roots in Antebellum America, Manuskript, vorgetragen auf der Jahresversammlung der American Academy of Religion 1988, aus: Turner 1997, S. 244, FN 4. 52 | Diouf 1998, S. 47.
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einzelnen Sklaven möglich gewesen war, heimlich oder offen weiter den Islam zu praktizieren und weiterzugeben, ob es also unter den rund vier Millionen Sklaven, die zum Ende des Bürgerkriegs 1865 in die Freiheit entlassen worden sind, noch praktizierende Muslime gab, wird von Wissenschaftlern unterschiedlich bewertet. Nachdem 1808 der Act to Prohibit the Importation of Slaves in Kraft getreten war, mit dem der transatlantische Sklavenhandel in den gesamten USA zum Erliegen kam, fehlte es vor allem an ›Nachschub‹ an afrikanischen Muslimen, die den bereits in den USA lebenden Sklaven den Glauben ihrer Vorfahren stets aufs Neue hätten näherbringen können.53 Außerdem seien gerade im protestantischen Nordamerika – im Gegensatz zu Südamerika – Sklaven in der Regel so schnell wie möglich (zwangs-)christianisiert worden, da die Evangelisierung eine der Rechtfertigungen für die Versklavung der ›wilden Heiden‹ dargestellt habe.54 Im 19. Jahrhundert bestimmte vor allem die Missionsideologie das Selbstbild amerikanischer Christen sowie deren Haltung zur restlichen Welt. Sowohl Gegner als auch Befürworter der Sklaverei bezogen sich auf das Christentum, um ihre jeweilige Position zu untermauern – und beiden ging es dabei vorrangig um die Verbreitung des Christentums auf der Welt. Diejenigen, welche die Sklaverei behalten wollten, argumentierten, dass die ›wilden Afrikaner‹ erst durch die Sklaverei die christliche Lehre empfangen hätten und zivilisiert worden seien.55 John C. Calhoun, Vizepräsident unter den Präsidenten Adams (1825-1829) und Jackson (1829-1833), bezeichnete die Sklaverei beispielsweise als positive good, da sie die Schwarzen zivilisiert hätte: »Never before has the black race of Central Africa, from the dawn of history to the present day, attained a condition so civilized and so improved, not only physically, but morally and intellectually.« 56
Einer der erfolgreichsten Plantagenbesitzer der Südstaaten, James H. Couper, habe die amerikanische Sklaverei als eine ›Schule für die Kinder Afrikas‹ bezeichnet, als »the only means of imparting to Africa the blessings of Christianity and Civilization«, so berichtete u.a. ein Besucher der Farm Coupers.57 Die Gegner der Sklaverei verwiesen damals hingegen explizit auf das Beispiel der muslimischen Sklaven. Diese Muslime mit ihrem höheren Grad an Bildung seien der Beweis, so argumentierten sie, dass es unter Afrikanern begrenzte Formen von Zivilisie53 | Diouf 1998, S. 182. 54 | Diouf 1998, S. 49; siehe zur biblischen Rechtfertigung der Sklaverei außerdem: Kap. I.4, »Black God, white Master« und I.5, »Weiße Christen, schwarze Muslime«. 55 | GhaneaBassiri 2010, S. 46. 56 | GhaneaBassiri 2010, S. 47. 57 | Bremer, Fredrika 1853: »The Homes of the New World: Impressions of America«, nachgedruckt in: Allen D. Austin: African Muslims in Antebellum America, Bd. 2, New York, S. 488-491.
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rung gegeben hätte, die nun durch die Sklaverei zerstört würden. Das sei insofern problematisch, als dass es leichter wäre, Muslime in Afrika zum Christentum zu bekehren, als dies bei Heiden zu versuchen. Ein Sklaverei-Gegner, der dennoch von der Notwendigkeit der Christianisierung der Afrikaner überzeugt war, formulierte das seinerzeit folgendermaßen: »These [Arabic-speaking] would appear to be superior in culture and civilization to surrounding peoples. They profess the religion of Mohammed, shorn of much of its bigotry and intolerance. […] The way is open for evangelizing them through the Arabic language […] we shall recognize the wisdom and foresight which thus prepare the way for evangelization through the medium of one copious, cultivated, expressive tongue, in the place of leaving to the Church the difficult task of translating and preaching in many barbarous languages, incapable of expressing the finer forms of thoughts, and denoting the separation of the people into many hostile tribes, quite forbidding the freedom of travel and commercial intercourse, and the progress of Christian missions.« 58
Der paternalistische Unterton der Bewunderung für den höheren Zivilisierungsgrad afrikanischer Muslime in derartigen Aussagen ist offensichtlich. So beklagte der erste Präsident der American Theological Society, Theodore Dwight, einst beispielsweise einerseits, dass »among the victims of the slave-trade among us have been men of learning and pure and exalted characters, who have been treated like beasts of the field by those who claimed a purer religion«59 . Durch ihre Biographien berühmt gewordene muslimische Sklaven wie Abdul Rahman und Umar ibn Said pries er als vorbildliche Beispiele unter Schwarzen an. Andererseits bezeichnete er aber den Islam als »the religion of the false prophet«60 und den Koran als »copied from the Hebrew scriptures.«61 An Aussagen wie diesen zeigt sich, wie sehr die ›Bewunderer‹ afrikanischer Muslime letztendlich doch zivilisationistischem Denken verhaftet blieben, wonach die Menschheit verschiedene kulturelle Evolutionsstufen durchlaufen würde. Der Glaube, dass die Religion der zu Zivilisierenden für den Erfolg der Zivilisierungsmission eine Rolle spielen würde, sei dabei tief im amerikanischen Denken des 19. Jahrhunderts verankert gewesen, so GhaneaBassiri:
58 | Post, George E. 1869: »Arabic-Speaking Negro Mohammedans in Africa«, nachgedruckt in: African Repository, S. 129-133 und in Austin, Allen D. 1984: African Muslims in Antebellum America: A Sourcebook, New York, S. 486f. 59 | Dwight, Theodore 1864: »Condition and Character of Negroes in Africa«, in: The Methodist Quarterly Review 46, S. 79f., nachgedruckt in Austin 1984, S. 423. 60 | Austin 1984, S. 426. 61 | Austin 1984, S. 422.
Autoritätskämpfe »The discourse on civilizational progress in the nineteenth century viewed civilization as an amalgam of race, religion, and progress. Skin color, faith, and economic standings were all viewed and variously weighed as indicators of one’s potential for civilizational progress.« 62
Auch wenn bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts afroamerikanische Aktivisten und/oder Wissenschaftler, die sich über Fragen von Zivilisation, Fortschritt und der Rolle von Religion dabei äußerten, allesamt selbst keine Muslime waren, so taucht die Vorstellung, dass der Islam eine für Schwarze ›zivilisierende‹ Religion sei, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts im afroamerikanischen Diskurs auf. Schon Edward Wilmot Blyden (1832-1912) hatte geglaubt zu beobachten, dass Muslime in Afrika moralisch entwickelter seien als ›Heiden‹, und im Gegensatz zu christlichen Schwarzen, die er als ›unterwürfig‹ und ›langsam‹ bezeichnete, seien muslimische Schwarze fortschrittlich und gelehrsam.63 Einige Wissenschaftler kritisieren Blydens idealisiertes Bild vom Islam. So wirft ihm beispielsweise Bernard Lewis die Propagierung eines myth of Islamic racial innocence64 vor, Richard Brent Turner die Schaffung eines myth of a race-blind Islam.65 Doch die Vorwürfe treffen insofern nicht, als dass es Blyden zu seiner Zeit nicht um den Islam als Religion im eigentlichen Sinne ging, wie GhaneaBassiri richtig bemerkt, sondern um dessen Verwendung als ein ideologisches Instrument, das Schwarze nach dem Ende der Sklaverei politisch nutzen konnten und sollten, um eine positiv konnotierte Konzeption von schwarzer Identität zu entwickeln. Letztere habe sich nicht auf das Christentum, mithin die Religion und Kultur der Unterdrücker schwarzer Menschen berufen, sondern auf eine afrikanische, islamische Zivilisation, die ihnen gleichwohl Fortschritt (im Sinne amerikanischen Fortschrittsdenkens) ermöglichte: »As economic ›progress‹ and Protestantism came to stand for ›civilization‹ in the minds of most Americans, the recognition that ›semi-civilized‹ African Muslims could contribute to ›civilization‹ by advancing trade with the African interior and by evangelizing in Africa led some Americans to question the principles of the ›Christian civilization‹ that tolerated their enslavement. […] Following emancipation, the liminal status of African Muslims that resulted in an understanding of Islam as a ›partially civilizing‹ force in Africa became more than a means of questioning the principles of a racist ›Christian civilization‹. It became, as seen in the writings of the influential black nationalist Edward Wilmot Blyden, a means of positively conceiving black identity and African civilization outside the oppressive frame of ›Christian civilization‹.« 66 62 | GhaneaBassiri 2010, S. 53. 63 | Blyden 1967 (1887), S. 8. Mehr zu Edward Wilmot Blyden und seiner Vorstellung, dass der Islam die eigentliche Religion aller Schwarzen sei, findet sich in Kapitel I.5. 64 | Lewis, Bernard 1990: Race and Slavery in the Middle East: A Historical Inquiry, New York, S. 101. 65 | Turner 1997, S. 163. 66 | GhaneaBassiri 2010, S. 58.
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Doch warum ist die Frage, ob der Islam unter den Bedingungen der Sklaverei hatte überleben können, für das Selbstverständnis afroamerikanischer Muslime überhaupt relevant? In den USA wird sie vor allem in den African American Studies unter den Vorzeichen resistance, subaltern agency und survival gestellt. GhaneaBassiri weist darauf hin, dass der Gedanke einer unifying experience of »resistance«, wie sie beispielsweise Richard Brent Turner vertritt67, jedoch impliziere, es hätte eine »distinct Muslim community through which African Muslims would strive to maintain their own identities«68 gegeben: »For Turner, and most other scholars of African American Islam, the practice of Islam in colonial and antebellum America foreshadows the formation of communal identites, though few agree with Sylviane Diouf’s assertion that enslaved Muslims in America completely rejected ›adaptation‹ and ›creolization‹.« 69
Die heutige wissenschaftliche Debatte zu dieser Frage ist nach Meinung von GhaneaBassiri immer noch von einem wesentlich älteren wissenschaftlichen Disput aus den 1930er bis 1960er Jahren geprägt, der sogenannten Herskovits-FrazierDebatte. Während der Anthropologe Melville Herskovits der Überzeugung gewesen war, Afrikanismen (Africanisms) hätten die Sklaverei überlebt und in der Folge eine wichtige Rolle bei der Herausbildung einer afroamerikanischen Kultur und Religion gespielt, hatte der Soziologe E. Franklin Frazier die Position vertreten, dass während der Sklaverei Schwarze ihrer Kultur und Identität völlig beraubt worden seien und somit afrikanische Elemente keinen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung afroamerikanischer Religion und Kultur geleistet hätten.70 Auch wenn heute nur wenige Wissenschaftler noch eine dieser beiden Extrempositionen verträten, so GhaneaBassiri, so sei die Debatte nach wie vor insofern relevant, als damit politische Implikationen verbunden seien, wie sich afroamerikanische Geschichte in die gesamtamerikanische Geschichte einfüge: »At the time of civil rights activists’ struggle against Jim Crow laws, when this debate raged, Herzkovits’ argument for African retentions implied that African Americans resisted the dominant culture and had their own distinct historical trajectory, while the argument for the
67 | Siehe dazu Turner 1997, S. 2f. 68 | GhaneaBassiri 2010, S. 64f. 69 | GhaneaBassiri 2010, S. 65. 70 | Vgl. hierzu z.B. Melville J. Herskovits 1958: The Myth of the Negro Past, Boston; Melville J. Herskovits 1966: »What Has Africa Given America?«, in: Frances S. Herskovits: The New World Negro, Bloomington, S. 321-329; Melville J. Herskovits/Frances Herskovits(Hg.) 1934: Rebel Destiny: Among the Bush Negroes of Dutch Guiana, New York/London; E. Franklin Frazier 1943: »Rejoinder [to Herskovits] by E. Franklin Frazier«, in: American Sociological Review 8 (4), S. 394-402.
Autoritätskämpfe extinction of Africanisms suggested the inclusion and incorporation of African American community in the historical narrative of the dominant culture.«71
Neben der Frage, ob der Islam unter den Bedingungen der Sklaverei hatte überleben können und inwiefern das für die Herausbildung einer schwarzen Identität nach dem Bürgerkrieg relevant war, wird in der Forschung diskutiert, auf welche Weise der Glaube, den einige Sklaven bei ihrer Ankunft in Amerika offensichtlich mitbrachten, im Leben dieser Sklaven eine Rolle spielte und ob bzw. inwiefern sich ihr Alltag von dem nichtmuslimischer Sklaven unterschied. Eine erste Kontroverse tut sich in dieser Hinsicht darüber auf, ob die Muslime unter den Sklaven ihren Glauben überhaupt hatten behalten können. Sylviane Diouf weist in ihrer Studie einerseits darauf hin, dass gerade in den USA Sklaven zwangschristianisiert worden seien, andererseits sich muslimische Sklaven der Zwangschristianisierung durch die Sklavenhalter stärker widersetzt hätten als andere Afrikaner, und sie sich geweigert hätten zu konvertieren. Während die Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen sich leichter damit getan hätten, Elemente ihres Glaubens mit christlichen Lehren und Praktiken zu verbinden, so Diouf, seien Muslime oft nur ›pseudo-konvertiert‹, hätten also die äußeren Zeichen des Christentums angenommen, aber heimlich weiter am Islam festgehalten.72 Die Aussagen Dioufs sind aus zwei Gründen widersprüchlich: Erstens suggeriert sie durch die Aussage, Muslime hätten sich zum Teil geweigert zu konvertieren, dass sie eine Wahl gehabt hätten, was der verbreiteten These von der Zwangschristianisierung widersprechen würde. Zweitens wird im Laufe dieses Kapitels noch dargestellt, wie Diouf die herausgehobene Stellung muslimischer Sklaven und deren Ansehen unter Sklavenhaltern beschreibt, was der weiteren These von der Pseudokonversion und heimlichen Religionsausübung zuwiderlaufen würde. Der Glaube Dioufs an die ›außergewöhnliche Standhaftigkeit‹ muslimischer Sklaven wird zumindest im wissenschaftlichen Diskurs ebenfalls kritisch beurteilt. Zunächst sei es einigen wenigen muslimischen Sklaven von ihren Herren durchaus erlaubt worden, ihren Glauben in gewissem Umfang offen zu leben, d.h. beispielsweise zu beten, auf Schweinefleisch und Alkohol zu verzichten und zu fasten, so dass heimlicher, spiritueller Widerstand gar nicht vonnöten gewesen sei, wie auch Diouf zugibt. Dies sei aber sicher eher die Ausnahme als die Regel gewesen.73 GhaneaBassiri sieht Dioufs Position insofern als Einzelmeinung, als dass alle anderen Studien zu dem Thema wesentlich vorsichtiger in ihrer Einschätzung seien, ob und wie muslimische Sklaven sich von anderen Afrikanern in Bezug auf Christianisierungsversuche unterschieden und dass die Realitität 71 | GhaneaBassiri 2010, S. 66; zu den politischen Implikationen der Herzkovits-FrazierDebatte: James L. Matory: Black Atlantic Religion: Tradition, Transnationalism, and Matriarchy in the Afro-Brazilian Candomblé, Princeton 2005, S. 277-284. 72 | Diouf 1998, S. 52-54. 73 | Diouf 1998, S. 60, 87-90.
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gelebter Religiösität unter den Umständen der Sklaverei wesentlich komplexer gewesen sei, als es die Vorstellung, man sei in Theorie und Praxis nur Muslim oder nur Christ, suggeriere.74 An Abenden wie dem der Filmpremiere des Prince Among Slaves in Harlem zeigte sich jedoch in der Diskussion nach der Vorführung, dass trotz der Umstrittenheit mancher Behauptungen Dioufs in der Forschung viele der Anwesenden durchaus mit ihrem Buch vertraut waren und deren These, dass muslimische Sklaven sich der Christianisierung zumindest innerlich widersetzt hätten, in einen Kontext brachten mit einem Diskurs zu black resistance. Imam Talib von der Mosque of Islamic Brotherhood in Harlem bezog sich in seiner Rede auf dem Podium beispielsweise explizit auf Sylviane Diouf und deren Buch »Servants of Allah«: »When we consider the tremendous pressure to abandon Islam, to abandon Allah, then we must admit that those Africans who were true believers were the first Muslims in America to resist white supremacy, to resist racism. They were servants of Allah. Brother Malcolm only could fight for Islam, only could fight against white Christians trying to oppress black people, because he could build upon the legacy of our first brothers and sisters back those days. This was the beginning of black resistance in the name of Allah who gave them power, who gave them strength. And those people were true servants of Allah, never forgetting where they came from, never forgetting who was their Creator, never forgetting Islam.«
Dioufs Position und deren Einbettung in den Diskurs afroamerikanischer Muslime ›an der Basis‹ trägt durchaus apologetische Züge, die sich immer wieder auch im Geschichtsbild afroamerikanischer Muslime selbst finden, wie im folgenden noch mehrfach dargestellt wird. Der rote Faden ist dabei die Behauptung, dass schwarze Muslime – damit sind muslimische Sklaven und deren Nachkommen gemeint – sich vor anderen, also nichtmuslimischen, Schwarzen auszeichneten (und es immer noch tun), sei es durch Aussehen, Bildung, Sitten oder Disziplin. Muslimische Sklaven hätten sowohl unter den Sklaven selbst als auch bei den weißen Sklavenhaltern ein höheres Ansehen genossen, so eine andere These Dioufs. (Inwiefern der vermeintliche Widerstand muslimischer Sklaven gegen ihre Christianisierung dem widerspricht, lässt sie allerdings offen.) Vor allem ihr im Durchschnitt höherer Bildungsgrad, die Fähigkeit vieler muslimischer Sklaven, Arabisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben, habe sie nach Ansicht der Sklavenhalter, die eine Korrelation zwischen Arabischkenntnissen und Intelligenz eines Sklaven herstellten, für Arbeiten im Haus oder als Aufseher qualifiziert, was wesentlich weniger körperliche Anstrengung als tägliche Feldarbeit bedeutet habe.75 Interessanterweise hätten einige Weiße in der Folge zu beweisen versucht, dass muslimische Sklaven gar keine richtigen Afrikaner gewesen seien, sondern
74 | GhaneaBassiri 2010, S. 65, 82. 75 | Diouf 1998, S. 97.
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wahlweise Mauren oder Araber, und hätten dies an deren Hautfarbe, der Beschaffenheit ihrer Haare und eben ihrer Intelligenz festgemacht:76 »Muslims who distinguished themselves and were literate were thus presented as superior to the rest of the slaves on the basis their racial origin was different. It was more acceptable to deny any Africanness to the distinguished Muslims than to recognize that a ›true‹ African could be intelligent and cultured but enslaved nevertheless. So, gradually, the African Muslims were seen as owing their perceived superiority not to their own ›genes,‹ not even to their culture or proximity to the Arab world, but to foreign ›blood.‹ Because he was not a true African, the Muslim could be trusted and put in charge of controlling the bondmen. As an almost-white, as an Arab, he was supposed to feel contemptuous of the blacks and be loyal to the whites.«77
Mit solchen Ausführungen tut sich jedoch zwangsläufig ein argumentatives Dilemma auf: Einerseits wird sowohl auf wissenschaftlicher Seite als auch im Diskurs afroamerikanischer Muslime die Sklaverei zu Recht als rassistisch und menschenverachtend verurteilt und in einer Schwarz-Weiß-Binarität als ein kollektives Trauma aller Schwarzen, verursacht von weißen Tätern, beschworen, andererseits wird nahezu stolz darauf hingewiesen, wieviel besser sich Muslime in dieses System eingefügt hätten und in der Sklavenhierarchie schneller als andere aufgestiegen seien. Dies habe daran gelegen, dass sie den weißen Mastern eher gehorcht oder diese ihrerseits die Bildung der muslimischen Sklaven besonders geschätzt hätten. Damit eignen sich jedoch diejenigen, die wie Diouf mit der besonderen Stellung der Muslime argumentieren, als Maßstab die Kriterien genau derjenigen an, gegen die sie vorgeblich Widerstand leisteten. Aussehen, Bildung, Sitten und Disziplin verbürgen alle Ideale der hegemonialen weißen, angelsächsischen und protestantischen Kultur. Dies erinnert an die Geschichte der europäischen Kolonisierung Afrikas, als im Zuge der sogenannten Zivilisierungsmissionen die Kolonisierten begannen, die von den Kolonialherren propagierten und den Afrikanern aufgezwungenen Verhaltensnormen, die eine Mischung aus europäischen Vorstellungen und aus eigens für die Afrikaner ›erfundenen afrikanischen Traditionen‹ darstellten, nicht nur zu internalisieren, sondern sich – obwohl im Kontext einer hierarchischen Beziehung – sogar rühmten, besonders gelehrige Schüler der Unterdrücker gewesen zu sein, wie der Historiker Terence Ranger ausführt: »European invented traditions offered Africans a series of clearly defined points of entry into the colonial world, though in almost all cases it was entry into subordinate part of a man/master relationship. They began by socializing Africans into acceptance of one or other readily available European neo-traditional modes of conduct – the historical litera76 | Diouf 1998, S. 98. 77 | Diouf 1998, S. 99.
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Die Erben des Malcolm X ture is full of Africans proud of having mastered the business of being a member of a regiment or having learnt how to be an effective practitioner of the ritual of nineteenth-century Anglicanism.«78
In den letzten Jahren ist eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten erschienen, die sich unter anderem überlieferten Biographien und Autobiographien einzelner afrikanischer Sklaven muslimischen Glaubens widmeten.79 In der Art und Weise, wie diese Biographien von afroamerikanischen Muslimen inner- und außerhalb der Wissenschaft rezipiert und verwertet werden, zeigt sich am deutlichsten das argumentative Dilemma, die Sklaverei zu verdammen und gleichzeitig Bewunderung zu hegen für die besondere Stellung muslimischer Sklaven. Große Bekanntheit erlangten durch diese Studien unter anderem die Lebensgeschichte des Umar ibn Said sowie des Ibrahima Abdul Rahman, die beide angeblich Prinzen in Westafrika gewesen waren, bevor man sie verschleppt hatte. Die afroamerikanische Journalistin Itabari Njeri spottet diesbezüglich, dass jeder Afroamerikaner heute gerne an seine edle Herkunft glaube: »You notice how nobody who claims to be ›African‹ in America has ever descended from the village thief or even the village blacksmith.«80 Der Erfolg, den Lebensgeschichten wie diejenige des Prinzen aus dem Film haben, rührt somit daher, dass die eigene Herkunft veredelt werden soll. Ein Dorfschmied oder gar Dorfdieb als Vorfahre würde im heutigen Amerika jedoch nicht so großes Ansehen genießen wie ein Prinz, und zwar nicht nur unter Afroamerikanern, sondern eben auch unter Weißen. Muslimische Sklaven jedoch, so wird in derartigen Biographien stets betont, seien durch ihre vermeintlich vornehme Herkunft, ihre Manieren und ihre Bildung schnell zu ›Mustersklaven‹ geworden, herausgehoben gegenüber den unzivilisierten Sklaven um sie herum. Wenn man diese Lebensgeschichten als Erfolgsmodell für die afroamerikanische Community verkauft, impliziert man damit, dass die Sklaverei nicht per se menschenverachtend war, sondern dass sich viele der Probleme, die für die afroamerikanische Community bis heute daraus entstanden sind, lösen ließen, wenn man sich dem Ideal der gesitteten, gebildeten muslimischen Sklaven annähere. Damit läge nicht nur der Schlüssel zur Lösung in der Hand der Afroamerikaner selbst, sondern indirekt sogar auch die Schuld bei ihnen, wenn sie diesen Weg nicht einschlagen. Sie selbst, nicht etwa der strukturelle Rassismus seit der Sklaverei bis heute, seien verantwortlich für ihre Lage. 78 | Ranger, Terence 1983: »The Invention of Tradition in Colonial Africa«, in: Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition, Cambridge, S. 227. 79 | Siehe beispielsweise Michael A. Gomez 1998: Exchanging our Country Marks: The Transformation of African Identities in the Colonial and Antebellum South, Chapel Hill; Michael A. Gomez 2005: Black Crescent: The Experience and Legacy of African Muslims in the Americas, Cambridge; Diouf 1998; Austin 1984; Austin, Allen D. 1997: African Muslims in Antebellum America: Transatlantic Stories and Spiritual Struggles, New York. 80 | Njeri 1998, S. 236.
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Doch anstatt diesen Widerspruch anzuerkennen, beharrt Diouf in einer Essentialisierung von Identität darauf, dass sich muslimische Sklaven ganz besonders der Religion und Kultur der Weißen widersetzt hätten – ganz im Gegensatz zu den nichtmuslimischen Sklaven, die in einem Kreolisierungsprozess bereitwillig ihre afrikanischen Identitäten geopfert hätten, gleichwohl eher als Opfer denn als Täter anzusehen seien (während Muslime keine Opfer gewesen seien, sondern sich bewusst entscheiden durften/konnten/wollten): »The African Muslims made decisions, exercised choices. They shaped their own world, re-created their culture as best as they could, and insisted on keeping their identity. They did not attempt to appropriate what the white European culture was willing to give, nor did they reach out to Christianity. By the same token they did not participate in the creolization process that commingled components of diverse African cultures and faiths with that of the slaveholders.« 81
Eine gänzlich andere Erklärung für das Ansehen der muslimischen Sklaven bei den weißen Sklavenhaltern liefert Richard Brent Turner. Seiner Meinung nach bewunderten die master nicht die Bildung und Manieren der afrikanischen Muslime, sondern sie fürchteten sie mit einer Mischung aus Respekt und Abneigung. Denn, so Turner, die weißen Sklavenhalter stammten aus Europa, wo das Bild des ›Mauren‹, des ›muslimischen Feindes‹ als Nachwirkung der Kreuzzüge, der Türken vor Wien, der Expansionsbestrebungen des Osmanischen Reiches, noch immer eine furchteinflößende Vorstellung war. Deshalb hätten einige weiße Sklavenhalter sogar versucht, ihre muslimischen Sklaven loszuwerden und ihre Rückkehr nach Afrika zu erleichtern »in order to rid America of Islam.«82 Gleichwohl hängt auch Turner der These an, dass Muslime unter den Sklaven eine ganz besondere Gruppe dargestellt hätten, eine berufliche Elite, wenn er behauptet, dass die muslimischen Sklaven in Afrika größtenteils berufstätig (professionals) gewesen seien, und zwar als Lehrer, Ärzte, Übersetzer, Religionsgelehrte sowie militärische oder politische Führer.83 Doch diese steile These kann er nicht ausreichend belegen, und es ist ohnehin fragwürdig zu glauben, dass die Menschenjäger, die in Westafrika Schwarze auf Sklavenschiffe entführten, gezielt nach afrikanischen Männern mit entsprechenden Berufen gesucht hätten. Des weiteren gingen die Frauen mit Sicherheit nicht diesen Berufen nach, obwohl sie nur eine Minderheit unter den muslimischen Sklaven ausmachten. Es gab auch in Westafrika damals höchstwahrscheinlich Handwerker, Bettler, Bauern u.ä., die in die Fänge der Jäger gerieten. Außerdem wurden bei den Männern vor allem die Jungen und Kräftigen entführt, die wohl kaum allesamt in angesehenen Berufen gearbeitet haben dürften. Daher ist auch die weitere These Turners kritisch 81 | Diouf 1998, S. 209. 82 | Turner 1997, S. 44f. 83 | Turner 1997, S. 45.
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zu sehen, dass afroamerikanische Muslime aufgrund ihrer Arabischkenntnisse und eines ›Jihad-Bewusstseins‹ einen Befreiungskampf gegen die Sklavenhalter hätten führen können, der teilweise in ihre Rückkehr nach Afrika gemündet habe. Durch ihre Fähigkeiten, die aus ihrer islamischen Herkunft herrührten, so argumentiert Turner, hätten sie an den globalen Islam und panafrikanische Ideen angeknüpft, weshalb sie gewissermaßen das natürliche Bindeglied zwischen dem Islam der versklavten Muslime Afrikas und dem »neuen amerikanischen Islam« des 20. Jahrhunderts dargestellt hätten.84 Die Debatten über die Stellung muslimischer Sklaven und ihre Relevanz für die Entwicklung einer schwarzen Identität zeigen, dass das Bedürfnis sowohl bei afroamerikanischen Muslimen als auch im Bereich der Forschung groß ist, Kontinuität zum Islam heutiger Afroamerikaner in einer wie auch immer gearteten Form zu konstruieren. Es stellt sich dabei jedoch die Frage, warum dieses Verlangen so stark ist und was das über diejenigen aussagt, die auf einer solchen Kontinuität beharren, selbst wenn sie nicht behaupten, dass sie völlig nahtlos sei. Dass die historischen Fakten umstritten sind, wurde hinreichend deutlich. Dass die Sehnsucht nach Authentizität von Seiten afroamerikanischer Muslime groß ist und dass sie glauben, durch die Herstellung von Kontinuität ihre Identität zu legitimieren, ebenfalls. Das von Eric Hobsbawm entwickelte Konzept der ›erfundenen Tradition‹ (invented tradition) ermöglicht, die Grundlage dieses Authentizitätsdiskurses zu erfassen. Hobsbawm bezeichnet als ›erfundene Tradition‹ zunächst den Versuch, eine Verbindung zu einer gewünschten Vergangenheit herzustellen, wobei die durch das Befolgen und Ausführen bestimmter Regeln und Praktiken etablierte Kontinuität größtenteils artifiziell sei: »›Invented tradition‹ is taken to mean a set of practices, normally governed by overtly or tacitly accepted rules and of a ritual or symbolic nature, which seek to inculcate certain values and norms of behaviour by repetition, which automatically implies continuity with the past. In fact, where possible, they normally attempt to establish continuity with a suitable historic past. […] However, insofar as there is such reference to a historic past, the peculiarity of ›invented‹ traditions is that the continuity with it is largely factitious.« 85
Zentral ist dabei nach Hobsbawm, dass ›erfundene Traditionen‹ wenig über die Vergangenheit aussagten, sondern vielmehr auf eine bestimmte Situation im Heute hinwiesen: »In short, they are responses to novel situations which take the form of reference to old situations, or which establish their own past by quasiobligatory repetition.«86 Wenn eine Gruppe ihre Identität mittels erfundener Traditionen zu legitimieren versuche, müsse der Wissenschaftler diese als Symptome 84 | Turner 1997, S. 45. 85 | Hobsbawm, Eric/Terence Ranger (Hg.) 1983: The Invention of Tradition, Cambridge, S. 1f. 86 | Hobsbawm/Ranger 1983, S. 1f.
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für Probleme, die diese Gruppe dazu motiviert habe, lesen: »First and foremost, it may be suggested that they are important symptoms and therefore indicators of problems which might not otherwise be recognized, and developments which are otherwise difficult to identify and to date.«87 Erfundene, d.h. in ihrer jeweiligen Gegenwart konstruierte, aber in eine bestimmte Vergangenheit zurückprojizierte Traditionen sollen demnach als historische Fiktion dazu dienen, bestimmte Normen und Strukturen angesichts eines gegenwärtigen Wandlungsdrucks gesellschaftlich zu legitimieren und zu festigen. Hobsbawm betont, dass eine invention of tradition zu jeder Zeit und an jedem Ort in Erscheinung treten könne, doch »we should expect it to occur more frequently when a rapid transformation of society weakens or destroys the social patterns for which ›old‹ traditions had been designed, producing new ones to which they were not applicable, or when such old traditions and their institutional carriers and promulgators no longer prove sufficiently adaptable and flexible, or are otherwise eliminated: in short, when there are sufficiently large and rapid changes on the demand or the supply side.« 88
Im Kontext des afroamerikanischen Islam sind die von Hobsbawm angeführten gesellschaftlichen Veränderungen sowohl auf der Nachfrage- als auch der Angebotsseite zu verzeichnen. Somit besteht einerseits von Seiten der black community seit jeher ein großes Bedürfnis, die eigene Herkunftsgeschichte neu zu schreiben und eine Vergangenheit – und damit eine Identität – zu konstruieren, die nicht mit der Zeit der Sklaverei abrupt aufhört. Andererseits wird die Authentizität und damit Legitimität der Art und Weise, wie afroamerikanische Muslime ihren Glauben verstehen und leben, bei muslimischen Immigranten seit den 1960er Jahren stets aufs Neue in Frage gestellt. Sei es, dass nur bestimmte Ausprägungen ihrer Religiösität als ›richtig‹ anerkannt werden, jedoch andere – wie die Nation of Islam – als ›unislamisch‹ diffamiert werden; sei es, dass selbst innerhalb der anerkannten Strömungen – wie insbesondere dem sunnitischen Islam – von afroameri-kanischen Muslimen andere Schwerpunkte gesetzt werden, die sich aus ihrer besonderen sozialen Lage innerhalb der amerikanischen Gesellschaft ergeben, welche sich fundamental von derjenigen eingewanderter Muslime unterscheidet. In der black community sind es bei weitem nicht nur Muslime, welche eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit und damit Identität spüren, die weiter zurückreicht als bis zur Zeit der Sklaverei. Bereits im Jahre 1966 hatte Maulana Karenga, Professor für Afrikawissenschaften und lange Zeit Aktivist im Black Power Movement, sogar einen eigenen Feiertag, Kwanzaa, geschaffen.89 Dieses 87 | Hobsbawm/Ranger 1983, S. 12. 88 | Hobsbawm/Ranger 1983, S. 4f. 89 | Das Wort kwanzaa ist ein Swahili-Wort, und Karenga entnahm es dem Ausdruck matunda ya kwanza, was wörtlich ›die ersten Früchte der Ernte‹ bedeutet.
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Fest, das seither in den USA vor allem von Afroamerikanern vom 26. Dezember bis zum 1. Januar gefeiert wird und in seiner Praxis sehr spirituell ist, soll es nach Karenga Afroamerikanern ermöglichen, sich symbolisch mit ihrer afrikanischen Vergangenheit und mit ihrem kulturellen Erbe aus der Zeit vor der Versklavung zu verbinden. Dabei sind die mit Kwanzaa verbundenen Riten und Bräuche allesamt erfundene Traditionen, zumal sie auf kein tatsächliches Fest in Afrika in irgendeiner Form Bezug nehmen, auch wenn die Termini, die aus afrikanischen Sprachen stammen, und die einzelnen Riten dies suggerieren, indem Elemente aus diversen afrikanischen Traditionen mit von Karenga neu erfundenen Elementen kombiniert wurden.90 Vielmehr zeigt eine Aussage Karengas aus der Anfangszeit, wie sehr seine Motivation, diesen Feiertag zu gründen, mit der damaligen sozialen Situation der Afroamerikaner zusammenhing. Kwanzaa, so Karenga im Jahre 1967, solle den Schwarzen Amerikas eine Alternative zum christlichen Weihnachtsfest bieten, da das Christentum die Religion der weißen Sklavenhalter gewesen sei, deren Nachfahren Schwarze immer noch unterdrückten.91 Diese abgrenzende Haltung gab Karenga einige Jahre später angesichts der großen Rolle, welche die Kirchen in der black community spielen, auf, so dass viele christliche Afroamerikaner heute Kwanzaa zusätzlich zu Weihnachten feiern. Kwanzaa ist ein ausgezeichnetes Beispiel für invented traditions innerhalb der black community, da damit und durch die Art, wie gefeiert wird, eine symbolische Verbindung zu einer afrikanischen Kultur hergestellt wird, die in dieser Weise nie existiert hat. Es wird eine kollektive Identität konstruiert, obwohl die einzige Gemeinsamkeit der Individuen dieser Gruppe in den historischen Erfahrungen in Amerika besteht, deren gemeinsame Abstammung aus dem einen Afrika jedoch imaginiert bleibt.92 Wenige Jahre nach der Etablierung von Kwanzaa hat ein neu erschienenes Buch die Sehnsucht der black community nach einer verlorenen 90 | Karenga vermischte Bräuche aus verschiedenen Teilen Afrikas in eklektizistischer Weise zu einer vermeintlich einheitlichen afrikanischen Tradition: An den sieben Tagen werden sieben Kerzen entzündet, deren Farben (rot-schwarz-grün) Afrika symbolisieren sollen, frische Früchte stehen für den ›afrikanischen Idealismus‹, es wird der Ahnen gedacht, Trommelmusik wird gespielt, afrikanisch anmutende Gewänder werden getragen etc. Vgl. hierzu: Maulana Karenga 1988: The African American Holiday of Kwanzaa: A Celebration of Family, Community, and Culture, Los Angeles. 91 | Vgl. hierzu: Clyde Halisi (Hg.) 1967: The Quotable Karenga, Los Angeles, S. 25; laut Karenga werde mit den Nguzu Saba, den ›sieben Prinzipien des afrikanischen Erbes‹, Afroamerikanern eine kommunitaristische Philosphie nähergebracht, die ›das Beste aus afrikanischem Denken und afrikanischer Praxis‹ vereine. Die sieben Prinzipien lauten Einheit (Umoja), Selbstbestimmung (Kujichagulia), Gruppenarbeit und Verantwortung (Ujima), kooperative Wirtschaftlichkeit (Ujamaa), Sinn und Zweck (Nia), Kreativität (Kumba) sowie Glaube (Imani), vgl. hierzu: Karenga 1988. 92 | Vgl. hierzu: Keith A. Mayes 2009: Kwanzaa: Black Power and the Making of the African-American Holiday Tradition, New York; zu imagined communities siehe Anderson,
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afrikanischen Heimat weiter befeuert. Als der afroamerikanische Schriftsteller Alex Haley, der auch die Autobiographie von Malcolm X herausgegeben hatte, im Jahre 1976 seinen Roman Roots veröffentlichte, zeigte der Erfolg des Buches das Bedürfnis von Afroamerikanern nach Geschichte (es erhielt sogar den PulitzerPreis und das Buch wurde in 37 Sprachen übersetzt).93 In dem Roman erzählt Haley die in seiner Familie bis dato nur mündlich überlieferte Lebensgeschichte seines Vorfahren Kunta Kinte, der 1767 vom Stamm der Madinka in Gambia in die USA entführt worden sei, um dort in Maryland als Sklave verkauft zu werden. Daran schließt er seine Familiengeschichte der folgenden Generationen an, die bis zu ihm selbst führt. Für sein Buch hat Haley in Westafrika vor Ort ebenso geforscht wie in zahlreichen Archiven und damit bei vielen seiner afroamerikanischen Leser das Bedürfnis geweckt, mehr über ihre eigene Herkunft zu erfahren, auch wenn von manch einem Historiker angezweifelt wird, dass Haleys Recherchen fehlerfrei waren.94 Der Theologe Theo Witvliet weist zudem darauf hin, dass auch im Kontext der black church mit erfundenen Traditionen operiert werde, um mit der schwierigen sozialen Situation der black community in der Gegenwart umzugehen: »African-American theologians today try to appropriate the ›invented tradition‹ of the past to the complexities and perplexities of the present, where personal, familial, and communal relations among African-Americans are permanently in turmoil.«95 Jedoch, so Witvliet, sei die Erfindung von Traditionen in sich selbst ein kreativer Prozess der Erfindung, der permanent vonstatten gehe: »However, this return to the past, to slave songs and narratives, to autobiography and folklore of black people, is in itself a complex and difficult hermeneutical process. It can never be a mere repetition, or even a mere actualisation of the past. Exploring ›invented tradition‹ of the past is in itself a continuous process of ›invention‹ – a permanent effort of creative re-enactment in order to meet the challenges of new and changing situations.« 96
Dabei sei es aber notwendig, bei allem Rekurrieren auf eine wirkliche oder vermeintliche Vergangenheit die heutige Situation der black community nicht aus den
Benedict 1983: Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London. 93 | Haley, Alex 1976: Roots: The Saga of an American Family, New York. 94 | Haley, Alex 2007: Alex Haley: The Man who Traced America’s Roots, Pleasantville; zur Kritik an der Korrektheit von Haleys Genealogie: Donald R. Wright 1981: »Uprooting Kunta Kinte: On the Perils of Relying on Encyclopedic Informants«, in: History of Africa 8, S. 205217. Diouf wirft Haley hingegen vor, den vermutlich islamischen Glauben seiner Vorfahren (da Kunta Kinte aus einem damals mehrheitlich muslimischen Stamm kam) in seinem Roman völlig auszuklammern, siehe: Diouf 1998, S. 201. 95 | Vgl. hierzu: Witvliet 2001, S. 204. 96 | Vgl. hierzu: Witvliet 2001, S. 204.
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Augen zu verlieren, die in sich durch komplexe Abhängigkeiten verschiedener Identitätsmarker geprägt sei: »To strengthen in a self-critical way the black church and to reassure the cultural identity of African-American people by making black people aware of their religious history is one thing. To take seriously – at the same time – the ethnic, class, gender, and sexual differences that structure contemporary African-American life is quite another thing.« 97
Unterschiede in Ethnizität/Rasse, Klasse, Gender und Sexualität finden sich in der Community afroamerikanischer Muslime in denselben Dimensionen wie in der black church oder der black community allgemein. Auch im afroamerikanischen Islam findet ein Prozess des »permanent effort of creative re-enactment in order to meet the challenges of new and changing situations« statt, und die Art und Weise, wie afroamerikanische Muslime ihre Identität konzeptualisieren, bezieht sich in vielfältiger Weise auf eine Vergangenheit, die des öfteren Elemente von ›erfundener Tradition‹ aufweisen, wie die nächsten Kapitel zeigen. Jedoch ist dabei der Maßstab, in welchem Ausmaß und welcher Form dies geschieht, stets abhängig von der konkreten sozialen Notlage, auf die ihre selbstgewählte Identität als afroamerikanische Muslime ihnen Antworten geben soll, auch das wird deutlich werden. Die Legitimierung der eigenen religiösen Praxis durch die Konstruktion einer Abstammung von muslimischen Sklaven verdeutlicht das Bestreben, dem Anspruch eingewanderter Muslime auf die Definitionsmacht qua Herkunft im religiösen Diskurs eine eigene, im Islam verwurzelte Vergangenheit gegenüberzustellen. Die Betonung der herausragenden Stellung der Muslime unter den anderen Sklaven soll wiederum das besondere Potential afroamerikanischer Muslime herausstellen, in der black community eine Vorreiterrolle bei der Neubestimmung schwarzer Identität einzunehmen, welche sich nicht in hegemoniale Definitionen von Moral und Ordnung der weißen Mehrheitgesellschaft fügt, sondern auf ein vermeintlich authentisch schwarzes Erbe zurückgeht, das die für ein community uplift nötiges System an Werten und Normen bereitstellt.
II.2 I st R assismus unisl amisch ? R eligiöse H egemonie und die color line Die islamische Authentizität (islamicity) amerikanischer Muslime werde an deren Willen gemessen, sich mit genuin arabischen Definitionen von Islam und Muslimsein zu identifizieren, kritisiert Sherman Jackson in seiner Studie zu afroamerikanischem Islam.98 Diese arabischen Interpretationen hätten mit ihrem normativen Anspruch eine Vormachtstellung der Immigranten ermöglicht, der sich 97 | Vgl. hierzu: Witvliet 2001, S. 204. 98 | Jackson 2005, S. 60.
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Afroamerikaner nur allzuoft unterwerfen würden. So spotteten schon manche in Anlehnung an die Zeit der Segregation, afroamerikanische Muslime »had simply moved from the back of the bus to the back of the camel.«99 Hier spielt Jackson auf den Vorwurf an, der gerne von nichtmuslimischen, z.B. afrozentristischen Schwarzen wie Molefi Asante, Professor für African American Studies an der Temple University, vorgebracht wird, nämlich dass sich Afroamerikaner mit einer Konversion zum Islam keinesfalls aus rassistischen Strukturen befreien könnten, sondern dass sie nun eben statt von rassistischen Weißen von rassistischen Arabern diskriminiert würden.100 Der Soziologe Chancellor Williams betont in seinem Werk The Destruction of Black Civilization (1971), der Islam sei Afrikanern einst in einem kulturimperialistischen Gestus von Arabern aufgezwungen und damit die originäre Kultur und Gesellschaft Afrikas zerstört worden. Zudem hätten die arabischen Eroberer und Unterdrücker Afrikaner als Sklaven missbraucht und verkauft.101 Diese pauschalisierende Haltung von Afrozentristen um Asante und Williams, die schwarzen Konvertiten sogar ›Rassenapostasie‹ vorwerfen, bezeichnet Sherman Jackson in seiner Studie als Black Orientalism: »In its primary manifestation, Black Orientalism seeks to cast the Arab/Muslim world as a precursor and then imitator of the West in the latter’s history of anti-blackness. In a secondary manifestation, the Muslim world is rendered not only the source of anti-black racism but of the most toxic reactions to this, reactions that continue to infect the otherwise civil approach of non-Muslim Blackamericans long after the propriety and usefulness of black radicalism in America has passed. In both cases, the implication is that through their association with immigrant Muslims and historical Islam, Blackamerican Muslims have contracted the disease of cultural/racial apostasy, alongside a set of sociopolitical attitudes that jeopardize the Blackamerican cause overall. On these attributions, Black Orientalism sets out to question, if not impugn, the status of Islam in the Blackamerican community and, by implication, the propriety of Blackamerican conversion to Islam.«102
Sogar als Arab lovers und sand niggers würden schwarze Muslime von einigen anderen Afroamerikanern beschimpft, meint der Religionswissenschaftler Kambiz GhaneaBassiri. Sie würden den Konvertiten Verrat an der black community vorwerfen, weil diese sich einer Glaubensgemeinschaft zuwandten, deren Vertreter – 99 | Jackson 2005, S. 60. 100 | Vgl. hierzu das Standardwerk Asantes, mit dem er die Theorie des Afrozentrismus begründete: Asante, Molefi 1980: Afrocentricity: The Theory of Social Change, Buffalo. 101 | Vgl. hierzu: Williams, Chancellor 1971: The Destruction of Black Civilization: Great issues of a race from 4500 B.C. to 2000 A.D., Dubuque. 102 | Jackson, Sherman A. 2010: »Islam and the Black American: Black Orientalists«, in: Islamica Magazine 14, S. 28; außerdem ausführlich dazu: Jackson, Sherman A. 2009: »Black Orientalism: Its Genesis, Aims, And Significance for American Islam«, in: Aidi, Hishaam D./Marable, Manning (Hg.): Black Routes to Islam, New York, S. 33-47.
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hier sind die muslimischen Einwanderer gemeint – sich ebenso rassistisch gegenüber Schwarzen verhielten wie viele andere Amerikaner auch.103 Die Historikerin Sylviane Diouf findet es jedoch bemerkenswert, dass nicht nur von Afrozentristen, sondern auch von der wissenschaftlichen Forschung der Islam selten zu den ›authentisch‹ afrikanischen Religionen gezählt, sondern eher als eine Form der Arabisierung traditioneller Gesellschaften wahrgenommen werde: »For some, to see Islam’s influence on and importance to Africans in both Africa and the New World acknowledged is almost a belittling of what they think are authentic African cultures and Africans. Islamic influence is wrongly perceived as Arabization and a reflection of the supposed weakness of traditional cultures in the face of foreign entities.«104
Chinesische, albanische oder indonesische Muslime müssten sich nicht permanent den Vorwurf anhören, wegen ihrer Hinwendung zum Islam arabisiert zu sein, so Diouf: »Only sub-Saharans are viewed as acculturated, which seems to indicate that some advocates of African cultures have internalized the anti-African prejudice they are fighting in other settings.«105
Mit den advocates of African cultures spielt Diouf gezielt auf afrozentristische Wissenschaftler und Aktivisten wie Molefi Asante an. Diesen wirft sie vor, mit Behauptungen der Art, dass der Islam in Afrika nichts genuin Afrikanisches, sondern nur das Resultat arabischer Unterwerfung von Afrikanern sei, das Vorurteil zu perpetuieren, Afrikaner seien mehr als andere Menschen Objekte statt Subjekte ihrer Geschichte. Afrozentristen würden mit der Vorstellung eines authentischen Afrika einer Essentialisierung statt einer Differenzierung der Geschichte von afrikanischen Kulturen Vorschub leisten: »In this mindset, to celebrate the so-called real Africa, or what is perceived as being the real Africa, Islam and the Muslims have to be denied or minimized. The reality is that traditional African religions have usually been favorably disposed toward Islam and the Muslims and have taken from them what they deemed useful to their own preservation and continuity. However, in a mythical and false reconstruction of African cultures as static, millenical, untouched, and uninfluenced except by force, Islam has no place.«106
Nach Meinung des afroamerikanischen Konvertiten Marc Manley, Gründer und Autor des Manrilla Blog, leisteten schwarze Muslime jedoch selbst einen Beitrag 103 | GhaneaBassiri 1997, S. 75. 104 | Diouf 1998, S. 204. 105 | Diouf 1998, S. 204. 106 | Diouf 1998, S. 204.
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dazu, dass der Islam seine Funktion, Afroamerikaner in ihrer spezifischen sozialen Lage zu stärken, nicht erfüllen könne, indem sie sich die Religion nicht ›aneigneten‹, sondern durch eine zu starke Fokussierung auf eine arabozentrische Auslegung ihre eigene Entmündigung betrieben: »What works to make this process of assimilation by the indigenous peoples is their method of appropriating the religion, such that it speaks to them and to their history. This continues to be the primary limiting factor of Islam’s success in America, specifically amongst Blackamerican Muslims. Instead of appropriating Islam to address and speak to Blackamerican history, proclivities and social conditions, many Blackamericans have lost sight of the forest ›fore the trees. In the words of one Blackamerican critic of Islam, other fellow Blackamerican Muslims are perceived as going from the back of the bus to the back of the camel. That blacks have, ›out Arabed the Arabs‹.«107
Zaheer Ali weist jedoch darauf hin, dass die Ablehnung afroamerikanischer Muslime durch andere Afroamerikaner, wie sie sich nach Jackson im Black Orientalism manifestiere, ein rein akademischer Diskurs sei. Eher gelte unter Afroamerikanern: »Being black Muslim means the most supreme expression of blackness.« 108 Der Blogger Marc Manley geht nicht so weit wie Zaheer Ali, wenn er in einem Kommentar auf dem Blog Tariq Nelsons den Islam als eine »valid modality of Blackness« bezeichnet, die aber die Konvertiten durchaus aus dem amerikanischen Kontext heraushebe: »I would only counter or add to this statement that I would not say that Blacks see Islam as America but rather they see it as a valid modality of Blackness. Indeed, I would counter that many Blacks do not see it as something American because they themselves do not see themselves as being wholly American. This is important in understanding how and 107 | Manley, Marc: Clash of Globalizations: Western and Islamic Utopianists (03.08.2007), auf: www.marcmanley.com/clash-of-globalizations-western-and-islamic-utopianists/ (ab ger ufen am 18.06.2008); bezeichnend ist die Antwort eines gewissen Khidir Naeem, offenbar selbst afroamerikanischer Muslim, auf den Artikel Manleys: »Can we truly address this topic when we are so steeped in the Jaws of the Xenophobic Arab Empire, who’s de-facto mission is not do their part as slaves to ALLAH, but to in-list their own slave to enact their interpretation of the who, what, when, and why Islam should be. Their fear is our greatest asset. The lack of literacy will be the tool Brother Manley and the new talented tenth will use to bring us out of the ›Arab ownership ages‹ to the era where the word Muslim will be a title of reverence and character instead of a middle eastern native snapshot.« Mit dem Talented Tenth spricht besagter Khidir Naeem ein zentrales Konzept des afroamerikanischen Soziologen, Afrozentristen und Bürgerrechtlers W.E.B. DuBois an, wonach eine afroamerikanische Bildungselite die gesamte Community zum sozialen Aufstieg anleiten soll. (Zu DuBois siehe auch Kap. I.5, »Weiße Christen, schwarze Muslime«). 108 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, 12.06.2008.
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Die Erben des Malcolm X why Islam has ›mass‹ appeal for Blackamericans. When I say mass I don’t mean that all Blacks aspire to be Muslim, but rather, as you pointed out in regard to their white counterparts, the transition to Islam from American Blackness is a lateral move, not a horizontal one.«109
Diese Aussage Manleys erinnert an ein Konzept, das bereits einer der intellektuellen Vordenker der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der bereits erwähnte Soziologe W.E.B. DuBois, in seinem 1903 erstmals veröffentlichten Werk »The Souls of Black Folk« entwickelte, nämlich das der double consciousness: »It is a peculiar sensation, this double-consciousness, this sense of always looking at one’s self through the eyes of others, of measuring one’s soul by the tape of a world that looks on in amused contempt and pity. One ever feels his two-ness, an American, a Negro; two souls, two thoughts, two unreconciled strivings; two warring ideals in one dark body, whose dogged strength alone keeps it from being torn asunder. The history of the American Negro is the history of this strife – this longing to attain self-conscious manhood, to merge his double self into a better and truer self. In this merging he wishes neither of the older selves to be lost. He does not wish to Africanize America, for America has too much to teach the world and Africa. He wouldn’t bleach his Negro blood in a flood of white Americanism, for he knows that Negro blood has a message for the world. He simply wishes to make it possible for a man to be both a Negro and an American without being cursed and spit upon by his fellows, without having the doors of opportunity closed roughly in his face.«110
Als Afroamerikaner ist man demnach Amerikaner und gleichzeitig doch nicht – die black experience ist geprägt von der sogenannten two-ness, dem Gefühl, nicht »wholly American« zu sein, wie Marc Manley es nennt, sondern immer »both a Negro and an American«, die nach DuBois nicht deckungsgleich sind. Wenn Zaheer Ali behauptet, dass in der black community »being Muslim the most supreme expression of blackness« sei, dann bedeutet für ihn die Konversion »to merge his double self into a better and truer self«, wobei dieses neue Selbst, indem es eine »Ausdrucksform von blackness« ist, eben wie diese auch nicht »wholly American« sein könne. Der Islam eignet sich dafür, weil er als ebenfalls nicht »richtig amerikanisch« angesehen wird – und zwar nicht nur von der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch von den schwarzen Konvertiten selbst. Die Religionssoziologin Monika Wohlrab-Sahr hat in ihrer umfangreichen Studie zur Konversion von Amerikanern und Deutschen zum Islam ausführlich herausgearbeitet, dass für viele afroamerikanische Konvertiten genau hierin eine Anziehungskraft besteht – der Islam als Gegenkonzept zum Westen, präziser gesagt zu den USA. Die Konversion dieser Afroamerikaner bezeichnet sie als »symboli109 | Nelson, Tariq: Islam: Just Another Foreign Thing? (04.08.2007), auf: www.tariqnelson. com (abgerufen am 18.06.2008). 110 | DuBois, W.E.B. 1903: The Souls of Black Folk, New York, S. 2f.
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schen Kampf«. Ein Gefühl prekärer Zugehörigkeit, verursacht durch eine ungerechte Mehrheitsgesellschaft, wird demnach durch die Wendung zum Islam, der das Prinzip göttlicher Gerechtigkeit symbolisiert, kompensiert und nach außen sichtbar – durch Kleidung, Namen etc. – als Absage an die als rassistisch empfundene Mehrheitsgesellschaft kommuniziert.111 Nach Amina Wadud leiten muslimische Einwanderer ihre religiöse Autorität zum einen daraus ab, dass sie sich qua Herkunft aus der islamischen Welt als Erben einer jahrhundertealten islamischen Tradition sehen.112 Aminah McCloud wirft ihnen sogar vor, sich als alleinige Experten für den ›wahren‹ Islam zu wähnen.113 Richard Brent Turner führte im Jahr 2002 mehrere Interviews mit afroamerikanischen Studenten, die zum Islam konvertiert waren. Diese Studenten hätten den Anspruch der Immigranten, die besseren Muslime zu sein, als anmaßend empfunden, denn gerade die Einwanderer würden sich doch durch eine nur mangelhafte religiöse Praxis auszeichnen, so einer der jungen Männer zu Turner: »Among immigrant Muslims, enthusiasm for Islam is at an alltime-low.« Doch es sei, fügte der Student hinzu, »a major priority and duty for the African-American Muslims to sustain and build the foundations for a strong community in America; not to separate from the Arabs but unite with them. […] The Muslim community in America can be a stronger community when Arab and African-American Muslims start to respect each other.«114
Übrigens ist es an diesem Diskurs auffällig, dass Islam hier immer mit muslimischen Immigranten aus der arabischen Welt zusammen gedacht wird, islamische Authentizität also mit arabischem Islam gleichgesetzt wird. Dies ist insofern nicht selbstverständlich, als zum einen die Hälfte aller muslimischen Einwanderer nicht aus der arabischen Welt kommt, sondern aus Südasien, d.h. Indien, Pakistan und Bangladesh, zum anderen gerade südasiatische Muslime die arabischen Einwanderer in Bezug auf sozioökonomischen Status, sei es nun im Bildungswesen oder auf dem Arbeitsmarkt, übertreffen. Ebenso, wie es in den USA mehrheitlich afroamerikanische oder arabische Moscheen und islamische Zentren gibt, existiert – ganz im Sinne der ethnic mosques – eine Vielzahl an Moscheen und religiösen Organisationen, die sich vor allem an südasiatische Muslime (oder sogar nur z.B. an pakistanische Muslime) richten oder alleine durch ihre Geldge-
111 | Vgl. hierzu Wohlrab-Sahr 1999, vor allem Kapitel 7 (Symbolische Emigration und symbolischer Kampf), hier v.a. S. 334ff. 112 | Wadud 2003, S. 272. 113 | Haddad 2000, S. 38f. 114 | Turner, Richard B. 2006: »Constructing Masculinity: Interactions between Islam and African-American Youth since C. Eric Lincoln, The Black Muslims in America«, in: Souls: A Critical Journal of Black Politics Culture and Society 8 (4), S. 40.
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ber vor allem südasiatische Muslime in ihren Vorständen haben.115 Jedoch findet sich weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in entsprechenden Internetforen, Websites usw. eine Debatte, inwiefern auch südasiatische Muslime sich arabischen Definitionen von Islam beugen oder sich von arabischen Muslimen in diesem Punkt bevormundet fühlen. Überhaupt wird, wenn es um Rassismus innerhalb der muslimischen Community Amerikas geht, immer auf den Gegensatz »Afroamerikaner vs. Immigranten« abgezielt, doch ließ sich bisher keine Stelle finden, in welcher das Verhältnis von arabischen zu südasiatischen Einwanderern in Bezug auf möglichen Rassismus oder Entwertung der spezifischen kulturellen Art, Islam zu leben und zu denken, thematisiert wird. Dies muss natürlich nicht bedeuten, dass Vorbehalte in dieser Richtung nicht existieren, doch scheint kein öffentlicher Diskurs dazu stattzufinden. Afroamerikanische Muslime wiederum, so zeigt es sich in einer Vielzahl von Äußerungen, nehmen den Gegensatz von arabischen und südasiatischen Einwanderern nicht in der Form wahr wie jene Afrozentristen, für die es dezidiert arabische Muslime und der arabische Islam sind, wodurch afroamerikanische Muslime bevormundet werden. Afroamerikanische Muslime denken offensichtlich vor allem in den Kategorien »African-American Muslims« und »Muslim immigrants«, welche sich auch in der wissenschaftlichen Literatur sowohl zu afroamerikanischem Islam als auch zu eingewanderten Muslimen in die USA widerspiegelt. Es kann vermutet werden, dass vor allem die spezifisch amerikanische Form der Verbindung von Rassen- und Klassendenken afroamerikanische Muslime, die traditionell einen starken Fokus auf soziale Fragen haben (und zwar mehr als auf theologischer Gelehrsamkeit im klassischen Sinne), beeinflusst: Dadurch, dass Südasiaten als model minority gelten und damit in der sozialen Hierarchie der USA vor den Arabern rangieren, gibt es für afroamerikanische Muslime keinen Grund, arabische Muslime als dominanter im Vergleich zu südasiatischen Muslimen wahrzunehmen.116 Folgt man Wadud, McCloud und Turner, so funktioniert jedenfalls die Zusammenarbeit von Afroamerikanern und Einwanderern, welche der von Turner
115 | Unter den afroamerikanischen Muslimen in der Masjid at-Taqwa war das Paradebeispiel hierfür immer das Islamic Center of Long Island (ICLI), eine Organisation in einer sehr reichen Region im New Yorker Umland, deren Vorstand so gut wie ausschließlich, so der Vorwurf, aus reichen südasiatischen Muslimen bestand, auch wenn das Center offiziell für alle Muslime da sei. »Normalen« afroamerikanischen Muslimen, so wurde gespottet, würde der Zutritt gleich ganz verwehrt, und es wurde sehr kritisch beäugt, dass Imam Siraj Wahhaj dort ab und zu als charismatischer Redner bei Fundraising Dinners geladen wurde, bei denen, so wurde erzählt, mehr Geld für das ICLI eingenommen wurde, als die Masjid atTaqwa jemals besessen hätte, und Imam Siraj sich besser nicht dafür hergeben solle. Imam Siraj selbst wollte dieses Thema auf Nachfrage nicht weiter kommentieren. 116 | Zum Verhältnis von Rassen- und Klassendenken in den USA allgemein sowie unter amerikanischen Muslimen im Besonderen vgl. ausführlich Kap. II.4.
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interviewte Student forderte, noch nicht, gleichgültig, ob es sich nun um arabische oder südasiatische Einwanderer handelt. Dass Immigranten sich in ihrer religiösen Praxis sogar an ihren afroamerikanischen Brüdern und Schwestern im Glauben, die historisch-kulturell viel stärker in Amerika verwurzelt sind als die Eingewanderten, orientieren könnten, scheint angesichts des Führungsanspruchs, den vor allem arabische und südasiatische Muslime in Amerika nach wie vor proklamieren, unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass Immigranten aus der islamisch geprägten Welt den Kontakt zu Afroamerikanern, unabhängig davon, ob diese Muslime waren oder nicht, von Anfang an vermieden haben. Diese Einwanderer, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in die USA gelangten, hätten danach gestrebt, im Mainstream des weißen Amerika aufzugehen, so Amina Wadud. Sie hätten in der Regel außerhalb der Innenstädte und damit weit weg von Afroamerikanern gewohnt »whom they avoided at all cost and on all levels.«117 Die Männer hätten oft weiße Amerikanerinnen geheiratet, in der Regel Nichtmusliminnen, ihren Kindern englische Namen gegeben und sich nur wenig bemüht, den Islam zu repräsentieren oder seine Ausbreitung in Amerika aktiv zu fördern.118 Diese ersten Immigranten definierten sich nicht primär über ihre religiöse, sondern über ihre nationale Identität. Und ihr Ziel war es von Anfang an, Teil des weißen Amerika zu werden. Bereits 1909 hat sich ein arabischer Christ aus Mount Lebanon das erste Mal vor Gericht die Anerkennung erstritten, eine free white person zu sein und damit die Voraussetzungen (the racial prerequisite) für den Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft zu erfüllen.119 GhaneaBassiri beschreibt außerdem den Fall eines syrischen Christen, der sich auf den semitischen Ursprung des Christentums berufen habe. Dies, so führte der Mann vor Gericht an, qualifiziere ihn für eine Inklusion in die American whiteness, da deren Mitglieder zu einem Teil ebenfalls christlichen und somit semitischen Ursprungs seien.120 Obwohl das First Amendment der amerikanischen Verfassung es eigentlich unmöglich macht, Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit die Einbürgerung zu verweigern, beeinflusste die religiöse Identität die Zuschreibung zu einer bestimmten Rasse. So sollte in den 1920er Jahren einem indischen Muslim die Einreise verweigert werden, weil er Muslim war, wogegen er jedoch erfolgreich klagte.121 Die amerikanische Rechtsprechung über die rassische Klassifizierung von Einwanderern aus der islamisch geprägten, vor
117 | Wadud 2006, S. 146. 118 | Wadud 2006, S. 145f. 119 | Siehe dazu: Ian López 2006: White by Law 10th Anniversary Edition: The Legal Construction of Race, New York, S. 48. 120 | GhaneaBassiri 2010, S. 154f. 121 | Turner, Richard B. 1986: Islam in the United States in the 1920’s: The Quest for a New Vision in Afro-American Religion, Princeton, S. 142; siehe dazu auch: Kap. III.1 d) »Polygamie als Alternative«.
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allem der arabischen Welt blieb jedoch bis in die 1940er Jahre inkonsistent.122 Aus diesem Grund hätten muslimische Immigranten begonnen, Organisationen zu gründen, um ihre Rechte als amerikanische Bürger und ihre Eingliederung in die weiße Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen, wobei Religion damals nicht die entscheidende Kategorie für den Zusammenschluss gewesen sei, sondern die nationale Herkunft: »In the process of arguing that they should be considered white, Muslim immigrants put aside religious differences with their co-ethnics in order to form national self-help associations through which they could organize themselves and counter the government’s challenges to their rights as U.S. citizens. As such, in this period, ethnicity played a greater role than did Islam in shaping their sense of national belonging and their representation of themselves on the national stage.«123
Diese Forderung nach Integration in den white mainstream ging jedoch mit einer Abgrenzung von jener Gruppe einher, die außerhalb dieser Mehrheitsgesellschaft stand (und steht). So seien beispielsweise arabische Einwanderer, die Kontakt mit Afroamerikanern pflegten, in ihrer eigenen Community beschuldigt worden, das öffentliche Ansehen der Araber in Amerika nachhaltig zu schädigen, beschreibt die Historikerin Alixa Naff die Situation in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.124 In einer Ethnographie zu palästinensischen Muslimen im Chicago der 1940er Jahre ist über die Einwanderer zu lesen, dass »they consider themselves much superior to the Negro although a few treat them kindly.«125 Dieses bewusste Vermeiden von Kontakt auf Seiten der Einwanderer habe sich erst Mitte der 1960er Jahre geändert, als infolge eines neuen Einwanderungsrechts eine große Zahl Muslime aus der islamisch geprägten Welt in die USA immigriert seien, so Wadud. Die Neuankömmlinge, darunter viele Studenten, hätten im Gegensatz zu den Immigranten, die früher gekommen waren, ihre kulturelle und religiöse Identität zu bewahren versucht, hätten Moscheen und religiöse Organisationen gegründet. Der Kontakt zwar nicht zu Afroamerikanern allgemein, aber zu afroamerikanischen Muslimen habe in dieser Zeit angefangen zuzunehmen.126 Amina Wadud prangert jedoch immer wieder an, dass ihr als afroamerikanischer Muslimin auch heute noch Rassismus von Seiten muslimischer Einwanderer entgegengebracht werde. Ein Ereignis beschrieb sie später sogar in ihrem Buch 122 | GhaneaBassiri 2010, S. 159f. 123 | GhaneaBassiri 2010, S. 164. 124 | Naff, Alixa 1985: Becoming American: The Early Arab Immigrant Experience, Carbondale, S. 250. 125 | Oschinsky, Lawrence 1952: Islam in Chicago: Being a Study of the Acculturation of a Muslim Palestinian Community in That City, Masterarbeit, University of Chicago, S. 25, zitiert nach: GhaneaBassiri 2010, S. 161. 126 | Wadud 2006, S. 146.
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Inside the Gender Jihad (2006). Im Februar 2005 war Wadud in ein islamisches Kulturzentrum in Toronto eingeladen worden, um einen Vortrag zu halten. Die überwiegende Mehrheit des Publikums hatte aus muslimischen Immigranten bestanden, deren Kritik an ihrem Vortrag Wadud als bevormundend empfand, da ihr unter anderem vorgeworfen worden war, den Koran überhaupt nicht zu verstehen und ohnehin kein Arabisch zu können. Wadud hatte daraufhin ins Publikum gerufen: »I am a nigger and I can’t do much about it!« Tarek Fatah, der Moderator der wöchentlichen Fernsehsendung The Muslim Chronicle und im Vorstand der Progressive Muslim Union of North America, war an dem Abend ebenfalls zugegen. In einem Artikel, den er später dazu verfasste, beschreibt er, wie unwohl sich das Publikum fühlte, als Amina Wadud mit dieser tabuisierten Selbstbezeichnung das Thema Rassismus offen ansprach: »Every time she used ›nigger‹ to describe herself, most of the lighter skinned members of the audience became visibly disturbed, squirming in their chairs, perhaps uncomfortable at how she was destroying their middle class comfort zone.«127
Als ein indischer Mann zu ihr meinte, er wisse, was Rassismus sei, habe Amina Wadud nur geantwortet: »No, you don’t understand. You are not Black; you don’t know what it is to be Black.« Als eine Frau aus dem Publikum zu Wadud sagte, sie glaube nicht, dass Wadud verstehe, was »richtiger Islam« (proper Islam) bedeute, habe Wadud erwidert, dass sie sich bewusst sei, dass ihr Schwarzsein für andere Muslime all ihre Aussagen entwerte: »When I wear a hijab, I don’t look African and my words are measured with politeness; however, when my hijab is not covering my hair, I become Black and my words lose all value.« In ihrem Buch Inside the Gender Jihad blickt Wadud auf den Abend noch einmal zurück und kommt zu dem Schluss, dass die Reaktion des Publikums auf ihre Worte zeige, wo der wunde Punkt liege, nämlich dass die Einwanderer nicht bereit seien, ihren eigenen Rassismus zu reflektieren: »If any single line uttered in a three-hour forum should capture so much attention, it is a clear indication that being a Niggah is a matter of extremely strategic importance in the context of North American Islam. Indeed, this response reflects a long historical precedent in dealing with racism in America. It is not the role of the racially oppressed to help the oppressor to come to terms with his or her racism. […] As the victim of racism, the Niggah is not responsible for the racist’s oppression, or its solution.«128
127 | Fatah, Tarek: I am a Nigger, and You Will Just Have to Put Up with my Blackness, auf: www.mail-archive.com/[email protected]/msg01179.html (abgerufen am 02.02.2011). 128 | Wadud 2006, S. 246.
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Tarek Fatah weist zudem darauf hin, dass die Abwertung durch Einwanderer, die von Geburt an Muslime sind, nicht allgemein auf Konvertiten abziele, sondern ganz spezifisch auf Afroamerikaner gerichtet sei – und damit rassistisch motiviert. Denn weiße Konvertiten würden von Immigranten völlig anders wahrgenommen: »Then there is the predictable reaction towards converts. If the converts are white, all of us, Arabs and South Asians, simply go complete gaga, but if we run into Black converts, we treat them at best in a condescending manner with barely concealed disrespect, as demonstrated Sunday night in Toronto.«129
Fatah zitiert an dieser Stelle einen indo-kanadischen Muslim, der an dem Abend ebenfalls zugegen war und der das ebenfalls so sah: »When a white person converts to Islam, we try to make him the Imam of the mosque. But when a Black woman converts to Islam, we expect her to run the mosque day care for children during Jum’a prayers.«130 Dass Rassismus unter amerikanischen Muslimen ebenso ein Problem darstellt wie in der amerikanischen Gesellschaft allgemein, kann damit als hinreichend belegt gelten. Doch problematisch im Hinblick auf religiöse Autorität wird es nach Meinung Sherman Jacksons, wenn Einwanderer aufgrund ihrer Herkunft beanspruchten, die alleinige Definitionsmacht über den Islam zu besitzen. Diese Assoziierung von Ethnizität und religiösem Wissen impliziere, dass der Islam der heutigen islamischen Welt gleichzusetzen sei mit ›dem Islam‹, warnt Sherman Jackson. Doch so wie Afroamerikaner von black religion geprägt worden seien, so bestimme die post-koloniale historische Erfahrung der muslimischen Einwanderer ihre Interpretation der religiösen Texte. Dabei verharrten die Immigranten einerseits in dem Glauben, dass ihr Denken weniger als das afroamerikanischer Muslime von westlichen Einflüssen verseucht sei. Außerdem suggerierten sie, dass ihre eigenen historischen Erfahrungen legitimer seien als die der Afroamerikaner.131 Doch weder die Lesart der Immigranten noch die der Afroamerikaner sind nach Jackson die einzig wahre Interpretation. Das Problem entstehe erst, wenn im Namen ›des einen Islam‹ de facto eine sehr spezifische kulturelle Variante durchgesetzt werden solle, die afroamerikanische Erfahrungen ignoriere, wie Marc Manley in einem Blog-Artikel ausführt: 129 | Tarek Fatah zu der Kontroverse um Amina Waduds Auftritt im Noor Cultural Center in Toronto (Februar 2005): Fatah, Tarek: I am a Nigger, and You Will Just Have to Put Up with my Blackness, auf: www.mail-archive.com/[email protected]/msg01179.html (abgerufen am 02.02.2011). 130 | Fatah, Tarek: I am a Nigger, and You Will Just Have to Put Up with my Blackness, auf: www.mail-archive.com/[email protected]/msg01179.html (abgerufen am 02.02.2011). 131 | Jackson 2005, S. 77f.
Autoritätskämpfe »Here I wish to place special emphasis on the negation of the Blackamerican experience by ethnic Muslim preachers. Often it has been that myself or many other fellow Muslims have heard the kumbaya’ism, ›there is no racism in Islam‹, or that ›Islam does not see race; it sees the individual‹. Any yet, God speaks in the Qur’an often of variance and diversity that God has created, ›in the Day and Night‹. Indeed, as Dr. Khalid Blankenship pointed out in a lecture he gave last year here in Philadelphia, diversity is something that should not be removed but, in truth, celebrated. The irony to this is that many of these same preachers themselves use their own racial, ethnic or cultural backgrounds in interpreting Islam. This is not the issue, however. The issue is when one thinks one’s culture is Islam itself, and seeks to unify other histories [or in reality, obliterate them] under the unifying banner of ›true Islam‹.«132
Auf dem Blog von Tariq Nelson führt ein Kommentator namens Brother Dash aus, wie selbstentmündigend es wäre, wenn afroamerikanische Muslime ihren eigenen soziokulturellen Kontext zugunsten einer imaginierten, exklusiv muslimischen Identität aufgeben würden: »Why do African-American Muslims seem to trace their Islam to free pamphlets and free scholarships from a certain area of the globe when the first Muslims in America weren’t Arab? So how about we learn the history of Islam in America. Might that help put things in context? Might that help give you more of a sense of self? Learning our true history helps to embolden us and give us a more solid understanding of who we are and what we can become and achieve. And I’m not talking simply racially it’s bigger than that. We are Americans. And we need to not have a problem asserting that we are Americans. There is nothing wrong with that. Embrace it. No one else denies who they are. Although it is interesting that African-American Muslims seem to be the only ones that have to deny their Americanness in order to be ›Muslim.‹ »133
Dennoch wäre es eine falsche Schlussfolgerung zu behaupten, dass afroamerikanische Muslime einem universalistischen Anspruch in ihrem Glauben generell ablehnend gegenüberstünden und grundsätzlich auf einer rein partikularistischen – in diesem Falle afroamerikanischen – Auslegung beharrten. »AfricanAmerican universalism has been a remarkably idealistic expression of the hope for human equality and dignity«,134 so der Religionswissenschaftler Edward Cur132 | Manley, Marc: Clash of Globalizations: Western and Islamic Utopianists (03.08.2007), auf: www.marcmanley.com/clash-of-globalizations-western-and-islamic-utopianists/ (ab gerufen am 18.06.2008); mit kumbaya’ism bezieht der Autor sich auf den berühmten Gospeltitel Kumbaya my Lord, kumbaya – der Neologismus kumbaya’ism impliziert die Haltung eines naiven ›Gutmenschen‹. 133 | Nelson, Tariq: Hammering Out the Marriage Thing (28.05.2008), auf: www.tariqnelson. com (abgerufen am 18.06.2008). 134 | Curtis 2002, S. 13.
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tis. Doch zu bestimmten Zeitpunkten der amerikanischen Geschichte seien partikularistische Interpretationen dominanter gewesen, da sie die Bedürfnisse derjenigen, die sich vom universalistisch definierten Diskurs einer unterdrückenden Gruppe absetzen wollten, besser ansprachen: »Generally speaking, any fissure in human community, especially when involving a lack of equity, can lead easily to a challenge of universalism, whose ideals seem like unfulfilled promises or even propaganda to the oppressed. In this environment, a particularistic response that supports the humanity and solidarity of the oppressed can arise as an implicit challenge to the hollow universalism of the oppressors.«135
Diese Perspektive auf die Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus im Diskurs afroamerikanischer Muslime vor dem Hintergrund der amerikanischen Geschichte kann ebenfalls auf deren Verhältnis zu muslimischen Immigranten angewandt werden. Auch hier werden die Stimmen, die eine spezifisch afroamerikanische Lesart der religiösen Texte verlangen, umso lauter, je stärker muslimische Immigranten als arrogant, rassistisch und damit in letzter Konsequenz als ›unislamisch‹ empfunden werden. Universalismus wird von Immigranten demnach nur noch dazu benutzt, die eigenen, eigentlich ebenfalls partikularen Interessen, als normativ durchzusetzen. Nach einer Theorie des Politiktheoretikers Ernesto Laclau hat jede wahrhaft universelle Tradition »no necessary body and no necessary content; different groups, instead, compete among themselves to temporarily give their particularisms a function of universal representation.«136 Afroamerikanische Muslime beteiligen sich an diesem ›Wettbewerb der Partikularismen‹, anstatt ihn zu dekonstruieren. Anstatt die power of discourse zu hinterfragen, streben sie nach einer power in discourse.137 Dies zeigt sich an dem Versuch afroamerikanischer Muslime, den von ihnen empfundenen Rassismus seitens der Einwanderer als ›unislamisch‹ zu delegitimieren. Die von Immigranten für sich beanspruchte islamische Authentizität stellen einige afroamerikanische Muslime wie die junge Religionswissenschaftlerin Jamillah Karim theologisch in Frage, wenn sie behaupten, deren Abwertung und Diskriminierung von afroamerikanischen Muslimen sei per se ›unislamisch‹: »Such experiences of exclusion and discrimination contradict the Islamic ideal of ummah, a faith community united across race, ethnicity, class, and gender.«138 Afroamerikanische Muslime fühlen sich dabei nicht nur in ihrer religiösen, sondern auch ihrer Identität als Afroame135 | Curtis 2002, S. 13. 136 | Laclau, Ernesto 1996: »Universalism, Particularism, and the Question of Identity«, in: Edwin N. Wilmensen/Patrick McAllister (Hg.): The Politics of Difference, Chicago, S. 52. 137 | Zur Differenzierung von power of discourse und power in discourse in den diskursanalytischen Ansätzen von Foucault und Habermas siehe: Anna Holzscheiter 2010: Children’s Rights in International Politics: The Transformative Power of Discourse, Basingstoke. 138 | Karim 2006b, S. 225.
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rikaner mit deren spezifischer Geschichte abgewertet. Eine schwarze Muslimin hat Jamillah Karim im Interview berichtet, wie ihr pakistanischer Adoptivvater sich über afroamerikanische Muslime erregt habe: »They are always complaining about slavery. They think everybody is racist. I wish they would get over it. They don’t even pray right.«139 Zwar stellt Karim fest, dass sowohl Immigranten als auch Afroamerikaner zu der Spaltung der muslimischen Community beitragen würden, aber: »However, immigrant Muslims have a level of power, authority, and privilege over African American Muslims. This privilege is what distinguishes racism from racial prejudice.«140
Robert Dannin, der in New York Metropolitan Studies gelehrt hat und Autor einer anthropologischen Studie zu afroamerikanischem Islam ist, berichtet von einem schwarzen Muslim, der bereits im Jahr 1984 während einer Wahlkampfrede Jesse Jacksons vor muslimischen Immigranten versuchte hatte, das Mikrofon an sich zu reißen und den ›unislamischen Rassismus‹ der Ordnungskräfte anzuprangern.141 Die Nation of Islam beschwert sich sogar darüber, dass Immigranten aus diesem unislamischen Rassismus heraus zu wenig Missionierung (daʿ wa) unter Afroamerikanern betrieben.142 Imam Zaid Shakir vom Zaytuna Institute wiederum verweist auf die positiven Bedeutungen von ›schwarz‹ (aswad) im Arabischen. Gott habe außerdem nie eine Unterscheidung der Menschen aufgrund physischer Attribute gewollt: »In fact, it is Satan who claimed virtue and distinction based on his physical attributes,« schreibt Shakir.143 Der Prophet Muhammad selbst habe einen schwarzen Adoptivsohn gehabt und außerdem versucht, Rassen- und Klassendenken unter Muslimen entgegenzuwirken, indem er seine schwarzen Gefolgsleute gerne mit Frauen aus aristokratischen arabischen Familien verheiratet habe.144 Schließlich sei der Prophet Muhammad »the first antiracist pioneer in Islam«145 gewesen, fügt die Publizistin und Gründerin der Harvard Islam in America Conferences Precious Rasheeda Muhammad hinzu. Auffällig ist, dass durch das Label ›unislamisch‹ in letzter Konsequenz auch von afroamerikanischen Muslimen wieder eine Form von islamischem Essentia139 | Karim, Jamillah A. 2009: American Muslim Women: Negotiating Race, Class, and Gender within the Ummah, New York, S. 103. 140 | Karim 2006b, S. 226. 141 | Dannin, Robert 2000: »Understanding the Multi-Ethnic Dilemma of African-American Muslims«, in: Yvonne Y. Haddad/John L. Esposito: Muslims on the Americanization Path?, New York, S. 271. 142 | GhaneaBassiri 1997, S. 173f. 143 | Shakir 2005, S. 71. 144 | Shakir 2005, S. 73. 145 | Muhammad, Precious Rasheeda 2002: »›Oh Allah, operate on us!‹ Islam and the Legacy of American Slavery«, in: Michael Wolfe/Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim their Faith, Emmaus, S. 129f.
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lismus ins Feld geführt wird. Die Idee, dass ›der Islam‹, wie er sich in den religiösen Texten erschließt, per se nicht rassistisch sei (im Gegensatz zu Muslimen und ihrer Exegese), findet sich trotz aller Forderungen nach interner Diversität oder partikularistischen Lesarten immer wieder. Am plastischsten drückt das Yusuf Nuruddin, der in Boston Africana Studies lehrt, aus. Für ihn ist es notwendig, dass afroamerikanische Muslime einen ›mekkazentrischen‹, d.h. ›islamozentrischen‹ und ›tawhidzentrischen‹ Islam etablieren, der nicht arabophil ist, d.h. an eine bestimmte Kultur oder Ethnie bzw. Rasse gebunden. Vielmehr sollten sie sich auf den von ihm postulierten egalitären Grundgedanken des Islam besinnen sowie auf dessen ›relative Freiheit von Rassismus und Ethnizismus‹.146 Imam Siraj Wahhaj aus Brooklyn hingeben näherte sich dem Thema Rassismus eher pädagogisch, als er bei einer Freitagspredigt im Februar 2008 die Immigranten unter seinen Zuhörern direkt ansprach: »Do you know about Black peoples’s history in this country? Do you know? Black people couldn’t get jobs. Why? Because of their skin color. They couldn’t go to school. Why? Because of their skin color. Did you know that?«147
In seiner Freitagspredigt in der Masjid at-Taqwa forderte er die Einwanderer auf, die Autobiographie von Malcolm X zu lesen, um zu verstehen, was Islam für Afroamerikaner bedeute. Der Februar ist in den USA seit 1976 Black History Month, d.h. Medien, kulturelle Institutionen, Schulen usw. widmen sich alljährlich für vier Wochen besonders der sogenannten black experience. Das gilt auch für Imam Siraj in seiner Predigt, der wollte, dass sich die rund ein Drittel muslimischen Einwanderer, die sich in seiner Moschee freitags regelmäßig einfinden, aufgrund des Black History Month einmal mit der Geschichte ihrer schwarzen Glaubensbrüder und -schwestern beschäftigen. Imam Siraj kennt die Vorbehalte, die vor allem unter Immigranten gegenüber den als häretisch oder unislamisch wahrgenommenen Lehren der Nation of Islam bestehen – und gegenüber allen afroamerikanischen Muslimen, die sich davon nicht explizit distanzieren.148 Siraj Wahhaj sei einer der wenigen Afroamerikaner, die auch Immigranten ansprächen, so der Sozialpädagoge Altaf Husain, der selbst indischer Herkunft, aber in der MANA aktiv ist: »He lifts up the spirit of Muslims.«149 Als Vorsitzender der Muslim Alliance of North America (MANA) und Imam der sunnitischen Masjid at-Taqwa genieße Imam Siraj auch unter arabischen und südasiatischen Musli146 | Denny, Frederick M. 1995: »The Umma in North America: Muslim ›Melting Pot‹ or Ethnic ›Mosaic‹? Ideological and Theological Reflections«, in: Yvonne Y. Haddad/Wadi Z. Haddad (Hg.): Christian-Muslim Encounters, Gainesville, S. 348. 147 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 08.02.2008. 148 | Zu den Lehren der Nation of Islam (NOI) ausführlich an späterer Stelle. 149 | Barrett, Paul M. 2007: American Islam: The Struggle for the Soul of a Religion, New York, S. 103.
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men hohes Ansehen, hat Paul Barrett festgestellt. Der frühere Herausgeber des Wall Street Journal hat für sein Buch über den Islam im post-9/11-Amerika eine Reise quer durch die Vereinigten Staaten unternommen und mit Muslimen jedweder Couleur gesprochen, darunter Siraj Wahhaj selbst.150 Afroamerikanische Muslime seien wiederum beeindruckt vom Respekt, den die Immigranten Siraj Wahhaj zollten, wodurch dessen Ansehen weiter steige. Für seine Anhänger legitimierten seine Arabischkenntnisse – die er in jeder Predigt gekonnt zur Schau stellt, indem er frei aus Koran und Hadithen zitiert – und seine Berühmtheit den schwarzen Islam.151 In dieser Hinsicht, so kann man aus dem letzten Punkt folgern, unterwerfen sich afroamerikanische Muslime zumindest implizit der Autorität der Immigranten und deren Urteil über Imam Siraj. Zum Ansehen, das Siraj Wahhaj auch unter eingewanderten Muslimen genießt, trägt sicher bei, dass er im Gegensatz zu Sherman Jackson, Amina Wadud oder Aminah McCloud nie explizit von Rassismus spricht, wenn es um das Verhältnis von afroamerikanischen Muslimen und Immigranten geht. Auch wettert er in seinen Predigten nicht gegen rassistische Einwanderer wie sein heute in den Moscheen South Carolinas predigender Schüler Imam Abdul Malik, der von muslimischen Jugendlichen vor allem für seine fulminanten Reden zu Themen wie Dating, die allesamt auf youtube zu finden sind, verehrt wird. Stattdessen, so Barrett, betone Imam Siraj gerne Gemeinsamkeiten zwischen Afroamerikanern und Immigranten, weise auf die prekäre Stellung beider Gruppen in den USA hin und fordere Immigranten auf, den Schwarzen die Hand zu reichen im Kampf für eine bessere Behandlung in Amerika.152 Zumindest rhetorisch, kann man aus Barretts Worten folgern, stellt Siraj Wahhaj also seine muslimische Identität klar über jede rassische oder ethnische Zuschreibung. Umso mehr irritierte es daher einige der Zuhörer besagter Freitagspredigt in der Brooklyner Masjid at-Taqwa im Februar 2008, darunter, wie bereits erwähnt, ungefähr ein Drittel Immigranten, als Imam Siraj über seine eigene Vergangenheit in der schwarznationalistischen Nation of Islam (NOI) zu sprechen begann: »I was in the Nation of Islam from 1969 till 1975 and I never never never made one salat [Gebet]! No matter what we did, it was not salat! […] Ghairu Islam – that’s not Islam!«
Als Elijah Muhammad 1975 gestorben sei, habe dessen Nachfolger, sein Sohn Warith Deen Mohammed, die meisten Mitglieder der damaligen Nation of Islam im Rekordtempo zum orthodoxen Islam geführt:
150 | Barrett 2007, S. 129. 151 | Barrett 2007, S. 131. 152 | Barrett 2007, S. 131.
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Subtil suggerierte Imam Siraj an dieser Stelle, dass nicht jeder, der sich einst oder heute mit der Nation of Islam identifiziere, dort für immer ideologisch verharren müsse. Durch diesen Einblick in seine eigene Biographie machte er den Zuhörern deutlich, dass auch ein NOI-Mitglied langfristig zum sunnitischen Islam finden könne. Die Frage, wie es mit der NOI nach dem Tode von Louis Farrakhan weitergehen wird, steht ohnehin im Raum, seit dieser in den letzten Jahren wiederholt schwer erkrankt ist. Louis Farrakhan selbst hat in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Jazeera angekündigt, Vorsitzender der NOI bleiben zu wollen, bis er sterbe.154 Ob die NOI nach Farrakhans Tod weiterbestehen bleibt, ist unklar. Imam Siraj hat sich jedenfalls schon indirekt als Nachfolger für Farrakhan empfohlen, wenn auch nicht innerhalb der NOI. Im Februar 2007 war er als Gast auf den jährlich stattfindenden Saviours’ Day der NOI geladen. Dort habe Imam Siraj NOI-Mitglieder aufgefordert, sich ›konventionelleren‹ (d.h. sunnitischen) Muslimen anzuschließen, so Paul Barrett. Dies sei augenscheinlich in Einklang mit Farrakhan geschehen, der bei der Veranstaltung ebenfalls anwesend gewesen sei und damit die Aufmerksamkeit für Siraj Wahhajs Rede erhöht habe.155 In einem Interview im April 2008 erklärte Imam Siraj, dass Louis Farrakhan seiner Meinung nach zum Reformflügel in der NOI gehöre, der behutsam versucht habe, eine Öffnung der straff organisierten Gruppe vorzunehmen, indem er z.B. Nichtafroamerikaner zugelassen habe. Imam Siraj sagte in dem Gespräch, er sehe mindestens sieben mögliche Personen innerhalb der jetzigen Nation of Islam, die sich um die Nachfolge streiten würden, sobald Farrakhan nicht mehr da sei. Und er glaube, dass die Organisation daran zerbrechen könnte, da der ›orthodoxe Flügel‹, der immer noch stark in schwarznationalistischen Kategorien dächte, gegen diese Reformansätze mobil machen würde.156 Die Konkurrenzsituation zwischen muslimischen Einwanderern und afroamerikanischen Muslimen spiegelt sich somit auch innerhalb des afroamerikanischen Islam wieder, als dass es unter schwarzen Muslimen ebenfalls Debatten darüber gibt, wie man mit dem empfundenen Rassismus von Seiten der Immigranten umgehen soll und was dies für die religiöse Lehre und Praxis bedeutet. Während manche Afroamerikaner den Islam ›an sich‹ als farbenblinde Religion konzipieren und den Einwanderern ›unislamischen‹ Rassismus vorwerfen, 153 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 08.02.2008. 154 | Al-Jazeera: Fadi Mansours Interview mit Louis Farrakhan in Chicago, aufgenommen am 27.02.2007, ausgestrahlt im März 2007. 155 | Barrett 2007, S. 292. 156 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 02.04.2008.
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präferieren andere die Vorstellung, dass sich die Religion je nach sozialem und politischem Kontext unterschiedlich ausprägen müsse und dürfe, so dass die spezifische Erfahrung, als Afroamerikaner in den USA zu leben, ein Islambild legitimiere, das sich von Einwanderern und deren Erfahrungshorizont abgrenze. Einen ›schwarzen Islam‹ sehen die Vertreter dieser Richtung als die einzige Möglichkeit, sich von den Autoritätsansprüchen der Einwanderer loszusagen und damit selbstbestimmt einen Glauben zu leben, der ihre soziale Situation im heutigen Amerika berücksichtigt.
II.3 K ontroverse S tr ategien : die N ation of I slam Afroamerikanische Muslime sind mehrheitlich davon überzeugt, dass ihnen durch muslimische Einwanderer die Deutungshoheit über den Islam abgesprochen wird, und sie fühlen sich von diesen in ihrer Identität als schwarze Muslime mit der damit verbundenen historischen Erfahrung nicht respektiert. Die Frage, wie man der momentanen Hegemonie der Immigranten begegnen soll, hängt für afroamerikanische Muslime, wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich, essentiell mit der Frage zusammen, worin diese Vormachtstellung begründet ist. Dass die Einwanderer aufgrund ihrer Herkunft und der Tatsache, dass sie meist schon ihr ganzes Leben lang Muslime waren, Autorität in religiösen Fragen beanspruchen, wurde hinreichend dargelegt, und dass Rassismus unter amerikanischen Muslimen ebenso verbreitet ist wie in der Mehrheitsgesellschaft, ebenfalls. Der Islamwissenschaftler Sherman Jackson und der Religionswissenschaftler Edward Curtis belassen es jedoch nicht dabei, das Verhalten der Immigranten zu kritisieren, sondern suchen Gründe, warum der Anspruch der Einwanderer auf Autorität sich überhaupt erst hat durchsetzen können, und zwar auch unter vielen afroamerikanischen Muslimen. Für sie stellt sich dabei die Frage, wie es muslimischen Einwanderern gelingen konnte, afroamerikanische islamische Gruppierungen, die schon vor der massiven Einwanderungswelle in den 1960er Jahren bestanden haben, in den folgenden Jahrzehnten zunehmend ihrer Kontrolle zu unterwerfen, was die Definitionshoheit über religiöse Fragen betrifft. Nach Jackson darf man die Schuld für diesen Prozess nicht einseitig auf die Einwanderer schieben: »While immigrants played a key role in this process, in truth, this substitution cannot be reduced to a simple matter of immigrant arrogance or will to dominate. Rather, Blackamerican Islam harbored from its very inception a critical weakness that would be both exposed and exacerbated by the mere coming of the immigrants.«157
157 | Jackson 2005, S. 67.
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Am angreif barsten seien, so Jackson, die Afroamerikaner aus der sogenannten Old Guard gewesen. So bezeichnet er jene schwarzen Muslime, die sich 1975, nachdem der damalige Vorsitzende der Nation of Islam (NOI), Elijah Muhammad, gestorben war, weder dessen Sohn und Nachfolger Warith Deen Mohammed anschlossen, der die alte NOI daraufhin auflöste und in die Muslim American Society (MAS) umformte, noch die NOI-Mitglieder um Louis Farrakhan, die mit dieser Entwicklung nicht einverstanden waren und deshalb die ›alte‹ NOI neu gründeten. Vielmehr zählt Jackson zur Old Guard jene afroamerikanischen Muslime, die in den 1970er Jahren zunehmend die Annäherung an muslimische Immigranten gesucht haben, darunter die Darul Islam-Bewegung und die Islamic Party.158 Diese Old Guard-Muslime hätten den Fehler begangen, so Jackson, sich bei ihrer Auslegung der heiligen Schriften auf Interpretationen aus der islamischen Welt zu verlassen: »They accepted as Islamic almost any doctrine or practice whose provenance was assumed to go back to the Muslim world, which functioned in their understanding as a proxy for the Tradition of historical Islam.« 159 Da Afroamerikaner jedoch diesem ›historischen Islam‹ nur begrenzt ausgesetzt gewesen seien, sei ihr Vertrauen auf diese Auslegungen problematisch gewesen und habe auf der Fiktion von deren stärkerer Authentizität beruht. Ihre reale Verortung hingegen, nämlich als Schwarze in Amerika zu leben, habe die Old Guard hingegen ausgeblendet. Dieser Ansatz, so der Blogger Marc Manley, sei jedoch nicht erfolgreich gewesen bzw. seie es bis heute nicht, wenn es darum gehe, den Islam für ein uplift der Afroamerikaner in den USA zu funktionalisieren: »History cannot be evaded. And only at one’s detriment can it be ignored. Aside from Native Americans, Blackamericans are suffering the ill effects of doing just that – ignoring the fact that they are black and live in America […]. If Islam is to become something other than a foreign culture activity, something to give Blackamericans identity and [false] esteem, then Islam will have to be appropriated and steered both towards our history, addressing our present, so that a trajectory for the future may be charted. A triage will have to be performed on the body of Blackamerican Islam, assessing its health, wealth, and faculty for moving forward. What parts can be kept, what parts can be modified and what parts need be amputated, these are the questions for the surgeons of the future of Blackamerican Islam.«160
Warith Deen Mohammed hingegen habe sich der Frage entzogen, welcher Interpretation der heiligen Schriften des Islam er und seine Gruppierung künftig fol158 | Jackson 2005, S. 68; zur Darul Islam-Bewegung siehe Kap. III.1 c) Fußnote 118 sowie Smith 1999, S. 97f., zur Islamic Party siehe Smith 1999, S. 99. 159 | Smith 1999, S. 99. 160 | Manley, Marc: Clash of Globalizations: Western and Islamic Utopianists (03.08.2007), auf: www.marcmanley.com/clash-of-globalizations-western-and-islamic-utopianists/ (abgerufen am 18.06.2008).
Autoritätskämpfe
gen sollten, so Jackson, da für ihn Koran und Sunna ohnehin nur eine marginale Rolle gespielt hätten und die hermeneutische sowie juristische Tradition des historischen Islam gar nicht anerkannt worden seien.161 Damit seien die Verbindung von Wissen über den Islam und religiöser Autorität erfolgreich entkoppelt worden. Mohammed und seine Anhänger sind nach Jackson »the heirs to the Honorable Elijah Muhammad’s masterful appropriation of American middle-class and genteel manners and customs.«162 Das ›Beste an Amerika‹ sei dabei zentraler Bestandteil der religiösen und ethnischen Identität der MAS-Gefolgschaft: »Proper diction, the pursuit of education, and sartorial neatness ceased to be signatures of bourgeois whites or Uncle Tom Negroes and became part and parcel of what was required to be authentically black and Muslim!«163
Für Michael Eric Dyson ist die Annäherung Warith Deen Muhammads an konventionellere Islaminterpretationen als die der NOI und seine Hinwendung zu Werten der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft eine Folge vom sozialen Aufstieg der Mitglieder seiner Gemeinde. Da viele Anhänger mit den Jahren in die Mittelschicht aufgestiegen seien, hätten sie einen guten Grund gehabt, sich dem Mainstream anzunähern: »Their theology followed their pocketbooks.«164 Durch die Annahme dieser Werte sei unter den Anhängern Mohammeds eine upward mobility entstanden, so Jackson, welche wiederum diese Wertvorstellungen verstärkt und Widerwillen gegen diejenigen erregt habe, die diese Werte nicht annahmen. Die Old Guard hingegen habe kein Interesse an den Werten der amerikanischen Mittelschicht gezeigt. Für ihre Vertreter habe die Tatsache, schwarz und Muslim zu sein, im Gegenteil sogar bedeutet, sich von den Werten der ›Ungläubigen‹ abzugrenzen. Somit habe sich die Old Guard ihrem amerikanischen Erbe gegenüber niemals wirklich geöffnet. Sie habe keine indigene kulturelle Grundlage besessen, auf der sie eine religiöse Identität für ihre Anhänger hätte aufbauen können. Dies erklärt für Jackson deren Fokussierung auf muslimische Immigranten zur Konstruktion einer Identität als amerikanische Muslime.165 Eine große Zahl afroamerikanischer Muslime – dazu zählen sicher die Anhänger der MAS und der NOI, aber auch viele institutionell ungebundene Gläubige – versucht inzwischen jedoch, sich von der Hegemonie der Einwanderer zu befreien und ein eigenes, spezifisch auf afroamerikanische Bedürfnisse zugeschnittenes Islamverständnis zu entwickeln. Auch wenn afroamerikanische 161 | Jackson 2005, S. 68. 162 | Jackson 2005, S. 68. 163 | Jackson 2005, S. 69. 164 | Dyson, Michael E. 1998: »Louis Farrakhan, Ethnitopia, and the Politics of Race Translation«, in: Amy Alexander: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 136. 165 | Jackson 2005, S. 69.
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Muslime in säkularen Bildungsinstitutionen nach wie vor unterrepräsentiert sind, wurden viele unter ihnen zu Autodidakten, was Islam und religiöse Bildung angeht. Schon Warith Deen Mohammed habe seine Anhänger dazu aufgefordert, die islamischen Quellen besser selbst zu studieren, anstatt sich auf die Interpretation anderer, d.h. der Immigranten, zu verlassen, so Edward Curtis.166 Sie sollten sich von charismatischen Führern ebenso freimachen wie von der Autorität eingewanderter Muslime: »It is not enough for God to tell us through another race, we still feel insecure. We feel unapproved that we still have not been validated as a man. They are the master, and we are the boys.«167
Nach Beobachtung der Anthropologin Carolyn Rouse in kalifornischen Moscheen wird die Forderung Mohammeds in vielen afroamerikanischen Moscheen auch realisiert, wo sich beispielsweise Lesegruppen zusammenfänden, die gemeinsam einzelne Texte interpretierten.168 Auch versucht sich ein mancher – mehr oder minder erfolgreich – an der arabischen Sprache. Der Imam der Brooklyner Masjid at-Taqwa, Siraj Wahhaj, rezitiert während seiner Predigten beispielsweise frei aus dem Koran – auf Arabisch, obwohl sein Publikum fast nur aus Afroamerikanern besteht.169 Er bereitet sich jedoch akribisch mit Wörterbuch, Grammatik und Übersetzung darauf vor, wie er im Gespräch verlauten lässt, aus Furcht, dass er sich doch vor einem eventuell anwesenden arabischsprachigen Publikum blamieren könnte.170 Seine Zuhörer lauschen ehrfürchtig, wenn er auf Arabisch Koranverse oder Hadithe in seine Predigt einbaut, doch erst bei der dann folgenden englischen Übersetzung, die regelmäßig nachgeliefert wird, zeigen sie eine Reaktion auf den entsprechenden Vers oder Hadith. Die meisten afroamerikanischen Muslime begnügen sich hingegen mangels ausreichender Sprachkenntnisse mit einer Koranübersetzung. Nurah Amatullah, die Direktorin des Muslim Women’s Institute for Research and Development (MWIRD), beispielsweise besitzt eine unter afroamerikanischen Konvertiten beliebte Koranausgabe, in der verteilt auf drei Spalten links der englische Text, rechts der Arabische und in der Mitte die lateinische Umschrift des arabischen Texts geschrieben ist, allerdings nicht in wissenschaftlicher Umschrift, sondern möglichst nahe an amerikanischer Alltagssprache, außerdem mit bunten Markierungen zur richtigen Rezitation.171 Im 166 | Curtis 2002, S. 125. 167 | Zitiert nach: Curtis 2002. S. 124. 168 | Siehe z.B. Rouse, Carolyn M. 2004: Engaged Surrender: African American Women and Islam, Berkeley/Los Angeles, Kap. 3. 169 | Teilnehmende Beobachtung, New York, Masjid at-Taqwa, Januar bis Juli 2008. 170 | Interview in der Masjid at-Taqwa, 20.05.2008. 171 | Im Islamic Bookstore ist diese Koranübersetzung ausgewiesen unter »Holy Quran Colour Coded with Roman English Transliteration: Color Coded Tajweed Rules, Transliteration,
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Laufe der Zeit seien viele Muslime durch das Studium des Korans und begleitender Texte zu Laienwissenschaftlern für islamische Fragen geworden, so Rouse, und fühlten sich nun zunehmend ermächtigt, ihre religiöse Praxis zu autorisieren oder zu bewerten.172 Nach der Islamwissenschaftlerin Yvonne Haddad ist es sicher nicht unbedeutend, dass ein großer Teil der afroamerikanischen Konvertiten – Imame und Wissenschaftler inklusive – einen evangelikalen Familienhintergrund habe. Diese Konvertiten seien es demnach gewöhnt, selbst die heiligen Schriften zu interpretieren, während Immigranten diesem Umgang mit heiligen Texten tendentiell kritisch gegenüberstünden und fürchteten, dass daraus neue sektiererische Abspaltungen hervorgehen könnten.173 Ob Haddad hier auf die Nation of Islam anspielt, bleibt leider unklar. Für die afroamerikanische muslimische Community gilt also ganz besonders, was Khaled Abou El Fadl, der islamisches Recht an der University of Southern California lehrt, für den gesamten Islam in den USA festgestellt hat: Gelehrte mit einer klassischen islamischen Ausbildung verlören an Bedeutung, hingegen nähme die Rolle von Laienwissenschaftlern zu, die keinen Respekt oder zumindest keine fromme Scheu für die Schulen und Methoden des klassischen islamischen Rechts hegten.174 Doch für afroamerikanische Muslime, das wurde deutlich, ist diese Aneignung der Deutungshoheit über religiöses Wissen ein Akt von empowerment, der es ihnen erlaubt, spezifisch auf ihre soziale Lage zugeschnittene Islaminterpretationen unabhängig vom kritischen Blick der Einwanderer zu entwickeln. Das Bestreben, zumindest auf dem Gebiet des Islam langfristig auf Augenhöhe mit den muslimischen Immigranten zu kommen, kann jedoch auch einen Bumerangeffekt bewirken, wie Nurah Amatullah kritisch feststellt. Während afroamerikanische Muslime danach strebten, sich religiöses Wissen anzueignen, kletterten muslimische Immigranten die soziale Leiter der amerikanischen Gesellschaft empor, indem sie die bestmögliche Ausbildung anstrebten. Perfide findet Amatalluh dabei vor allem, dass eben jene Einwanderer, die erkannt hätten, dass Erfolg in den USA über das säkulare Bildungssystem erlangt werde, andererseits afroamerikanischen Muslimen davon abrieten, ihre Kinder in die Institutionen der ›Ungläubigen‹ zu schicken: »They tell black Muslims not to send their children to university, to the kafir people. And they themselves, their children go where? They go to Princeton, to Yale, to Harvard!«175 Hieraus spricht die Sorge, dass in der Community afroamerikanischer Muslime religiöse zulasten säkularer Bildung gehe – und damit dem sozialen Aufstieg entgegenwirke. So fordert Amatullah jede der jungen Frauen, die in ihrem islamischen Frauenzentrum arbeiten, nachdrücklich auf, einen möglichst Arabic Text and English Translation by Abdullah Yusuf Ali (M. Abdul Haleem Eliyasee Transliteration)«, siehe hierzu: www.islamicbookstore.com/b9925.html (abgerufen am 18.12.2011). 172 | Rouse 2004, S. 34. 173 | Haddad 2000, S. 39. 174 | Siehe hierzu: Leonard 2005, S. 12. 175 | Gespräch mit Nurah Amatullah, 25.04.2008.
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hochqualifizierten Abschluss an einem Community College oder, noch besser, an einer Universität abzulegen. Zwei ihrer Mitarbeiterinnen machten im Sommer 2008 neben ihrer Arbeit im Frauenzentrum einen Medizin- bzw. Juraabschluss. Nurah Amatullah selbst hat im Jahre 2010 nebenberuflich über ihr soziales Engagement in der Bronx promoviert. Sie weiß, dass der soziale Aufstieg in Amerika, wie in Europa auch, über (säkulare) Bildung führt. Zwar besuchen immer mehr afroamerikanische Muslime eine Universität, doch ihre Abschlussraten liegen weit unter denen muslimischer Immigranten. Zudem, so Zaheer Ali von der Columbia University, seien die meisten schwarzen Muslime an amerikanischen Universitäten bisher karibischer oder afrikanischer Herkunft, nicht jedoch Afro amerikaner.176 Das im Durchschnitt niedrigere Bildungsniveau afroamerikanischer Muslime im Vergleich zu muslimischen Einwanderern führt wiederum dazu, dass die beiden Gruppen sich in unterschiedlichen sozialen Schichten bewegen und gerade in großen Städten wie New York, wo sozialer Status zu einer räumlichen Segregation führt, treffen die beiden Gruppen im Alltag nur selten aufeinander. Muslimische Einwanderer und afroamerikanische Muslime teilten zwar den repräsentativen Raum des Koran, der die Grenzen definiere, innerhalb derer jeder Muslim leben und denken solle, so Robert Dannin, doch das Alltagsleben amerikanischer Muslime sei durch Räume gekennzeichnet, die nicht über Religion, sondern Rasse und Klasse aufgeteilt werden.177 Eingewanderte Muslime haben im Durchschnitt einen höheren Bildungsabschluss und verdienen mehr, so die Ergebnisse einer großangelegten Studie über die muslimische Community Amerikas von 2007.178 Ohne dasselbe Bildungsniveau – säkular und religiös – ist es für afroamerikanische Muslime jedoch auch nach eigenem Ermessen schwierig, den von Immigranten beanspruchten Autoritätsanspruch in Frage zu stellen. Nach dem 11. September 2001 wurde die Frage, wer nun für amerikanische Muslime sprechen darf, soll und möchte, von Immigranten und Afroamerikanern mit neuer Intensität geführt. Aber »African-American Muslims are the losers«179, so Amir al-Islam, selbst Professor für Soziologie und im Vorstand der afroamerikanischen Muslim Alliance of North America (MANA). Er kann den Ereignissen des 11. Septembers 2001 insofern etwas Positives abgewinnen, als dass damit in der muslimischen Community der USA eine bis dato bestehende Stagnation tatsächlich aufgebrochen sei. Endlich würden dringend notwendige Debatten geführt: »It’s a good time for Muslims.« Aber afroamerikanische Muslime besäßen keine Autorität in der Community, um essentielle Beiträge zu den Debatten leisten zu können. Abgesehen vom Rassismus auf Seiten der Immigranten sieht auch 176 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, 12.06.2008. 177 | Dannin, Robert 2000: »Understanding the Multi-Ethnic Dilemma of African-Ameri can Muslims«, in: Yvonne Y. Haddad/John L. Esposito: Muslims on the Americanization Path?, New York, S. 275. 178 | Pew Research Center 2007, S. 18. 179 | Gespräch mit Amir al-Islam, 14.04.2008.
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er den Grund im niedrigen Bildungsniveau afroamerikanischer Muslime, sei es hinsichtlich säkularer oder religiöser Bildung.180 Als Beispiel nennt er Imam Siraj Wahhaj aus Brooklyn, der seiner Meinung nach durchaus Potential hätte, Debatten unter amerikanischen Muslimen und in der Gesellschaft insgesamt mitzubestimmen, da er sehr charismatisch sei. Doch fehle Imam Siraj die entsprechende höhere Bildung, um von eingewanderten Muslimen und in der Öffentlichkeit wirklich ernst genommen zu werden. Im Gegensatz zu Imam Zaid Shakir könne eine Person wie Imam Siraj durchaus die afroamerikanische Jugend für sich gewinnen, meint Amir al-Islam. Shakir, der afroamerikanische Mitbegründer des Zaytuna Institute in Kalifornien, gelte zwar als sehr gebildet und biete zahlreiche Seminare für muslimische Jugendliche an, sei von der Persönlichkeit her jedoch eher distanziert und zurückhaltend, meint Amir al-Islam: »In some way, we needed an Imam Siraj with a better education.«181 Afroamerikanische Muslime, die ein höheres Bildungsniveau erreicht hätten, würden jedoch tendentiell eher Wissenschaftler, aber keine Community-Aktivisten, die sich in Moscheen oder Verbänden engagierten. Der Islamwissenschaftler Sherman Jackson hingegen glaubt nicht, dass sich gebildete afroamerikanische Muslime zwangsweise von Aktivismus im Namen des Islam abwenden. Vielmehr würden sie sich verstärkt den Immigranten zuwenden und sich für deren Belange engagieren. Laut Jackson ist Bildungsfeindlichkeit eines der negativen Strukturelemente von black religion. Der Autoritarismus, der sich in der starken Konzentration auf eine Priesterfigur manifestiere, führe dazu, dass jede Kritik und damit gebildete Gläubige generell als Bedrohung wahrgenommen würden.182 Außerdem gelten erfolgreiche Schwarze seit jeher als klassisches Hassobjekt der schwarzen Unterschicht, so der afroamerikanische Harvard-Jurist Derrick Bell. Paradigmatisch hierfür sei der Vorwurf des acting white: Sich anzustrengen, sei es in Schule oder Beruf, gelte als Unterwerfung unter das ›weiße System‹. Da die schwarze Unterschicht wachse, steige damit auch die Wut auf erfolgreiche Schwarze. Dieses Umfeld sei unattraktiv für gebildete Afroamerikaner.183
180 | Als ›säkulare‹ Bildung wird im folgenden das öffentliche Erziehungswesen bezeichnet, d.h. staatliche und private Schulen, Universitäten etc., die nicht in der Trägerschaft religiöser Gemeinden sind und die ein säkulares Curriculum lehren. Abgegrenzt wird dies von ›religiöser‹ Bildung, wie sie in Moscheen, islamischen Bildungsakademien etc. vermittelt wird. 181 | Gespräch mit Amir al-Islam, 14.04.2008. 182 | Jackson 2005, S. 51. 183 | Bell, Derrick 1998: »Farrakhan Fever: Defining the Divide between Blacks and Jews«, in: Amy Alexander: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 216.
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Nation of Islam Die Nation of Islam (NOI) ist einen gänzlich anderen Weg gegangen, um dem Dilemma zu begegnen, einerseits – sowohl auf religiösem als auch säkularem Gebiet – mit dem Bildungsniveau muslimischer Immigranten nicht mithalten zu können, andererseits aber bestrebt zu sein, einen afroamerikanischen Islam zu definieren, der auf die Bedürfnisse der black community zugeschnitten ist; diese wiederum unterscheiden sich jedoch von denen der Einwanderer aufgrund des anderen sozialen Status in der amerikanischen Gesellschaft fundamental. Die NOI hat sich auf den Wettbewerb mit Immigranten um die Deutungshoheit in islamischen Belangen gar nicht erst eingelassen, sondern ein Islamverständnis entwickelt, das sich von allem, was man unter ›orthodoxem‹, ›traditionellem‹ oder zumindest ›Mainstream‹-Islam versteht, unterscheidet, und zwar sowohl im Hinblick auf die Lehre selbst als auch in Bezug auf die religiöse Praxis.184 Sherman Jackson äußert großes Verständnis dafür, dass unter NOI-Anhängern die Skepsis gegenüber den traditionellen islamischen Wissenschaften seit jeher groß ist. Sie fürchteten, so Jackson, langfristig abhängig von den ›Mastern‹ aus Übersee zu bleiben, wenn sie sich deren Bildungsinhalten unterwerfen würden. Schließlich hätten die Einwanderer diese Wissenschaften selten zum empowerment schwarzer Muslime eingesetzt, sondern eher dazu missbraucht, um sie zu Konformität zu zwingen.185 Obwohl sich der Islam der NOI sehr stark vom Islam anderer Afroamerikaner und erst recht von dem der Einwanderer unterscheidet, ist es auffällig, dass sie auch heute noch, Jahrzehnte nach ihrem ›Goldenen Zeitalter‹ unter Malcolm X und Elijah Muhammad in den 1950er bis 1970er Jahren, in der amerikanischen Öffentlichkeit als Prototyp eines afroamerikanischen Islam wahrgenommen wird. Sobald es um Islam in Amerika geht, ist Louis Farrakhan in den amerikanischen Medien sehr präsent, wenn auch oft nicht unter positiven Vorzeichen. Als er 1995 zum Marsch schwarzer Männer nach Washington D.C. aufrief, kamen mehrere Hunderttausend Personen diesem Aufruf nach, also weit mehr, als die NOI offizielle Mitglieder hat. Selbst im amerikanischen Fernsehen wurde dieser Million Man March live übertragen. Die NOI habe ein einzigartiges high profile in Amerika, meint die Islamwissenschaftlerin Aminah McCloud.186 Viele Wissenschaftler, die sich mit der NOI beschäftigen, tendieren jedoch wie der in Harvard African American Studies lehrende Henry Louis Gates dazu, die Organisation lediglich innerhalb der black community zu verorten, anstatt, wie Sherman Jackson, explizit auch deren Stellung innerhalb der afroamerikanisch-muslimischen Community – und damit eben implizit auch ihre Stellung im amerikanischen Islam insgesamt – zu analysieren. Wenn man Farrakhans Rolle unter den afroamerikanischen Führungspersönlichkeiten untersuche, müsse man immer auch 184 | Siehe hierzu ausführlicher v.a.: Kap. I.5, »Weiße Christen, schwarze Muslime«. 185 | Jackson 2005, S. 75f. 186 | McCloud 1998, S. 170.
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die Rolle der NOI innerhalb der Umma miteinbeziehen, meint hingegen Aminah McCloud.187 Sie glaubt jedoch, dass diejenigen, welche Farrakhan hauptsächlich erreichen wolle, die Gegensätze zwischen Farrrakhans Interpretation des Islam und der anderer schwarzer Muslime kaum interessierten. Dies seien Afroamerikaner unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, die nach einem starken, moralisch klingenden schwarzen Führer suchen.188 Die Historikern Sylviane Diouf spricht der Nation of Islam sogar ganz ab, ›proto-islamisch‹ oder gar ›islamisch‹ zu sein, unabhängig davon, ob der Vorreiter der Forschung zu schwarzem Islam, C. Eric Lincoln, die NOI schon in den 1960er Jahren wissenschaftlich dem Kreis schwarzer Muslime in Nordamerika zugeschrieben habe.189 Denn, so argumentiert Diouf, »its fundamental doctrine […] was more consistent with Islam’s major unpardonable sin. According to Islam, nothing is more unforgivable and heinous than shirk, the association of other – such as Waly Fard – with the worship of God. Likewise, to believe that other prophets – such as Noble Drew Ali and Elijah Muhammad – follow Muhammad cannot be reconciled with orthodox Islam. The affirmations are not differences of interpretation; they are contrary to the most fundamental teachings of the religion.«190
Genau aus diesem Grund ist es nach Dioufs Meinung unwahrscheinlich, dass es eine nahtlose Überlieferung vom afrikanischen Islam der letzten Sklaven zu Bewegungen wie der NOI gegeben habe – denn die (orthodoxen) Sklaven hätten diese Bewegungen (Diouf nennt sie cults) niemals als ›authentisch islamisch‹ wahrgenommen: »Cults in the United States that mixed some Islamic tenets with elements drawn from other philosophies, some of which were in opposition to orthodox Islam, were proclaimed by their founders to be purely Islamic, thereby calling upon themselves the label of heresy and, by the same token, demonstrating that they are not part of the heritage left by the African Muslims.«191
Auffällig an Dioufs Aussage ist, wie sie die Legitimität eines bestimmten Islamverständnisses unter anderem daran misst, dass es sich auf ein vermeintliches Erbe afrikanischer Muslime stützen kann. Dem ist kritisch entgegenzuhalten, 187 | McCloud 1998, S. 170. 188 | McCloud 1998, S. 171. 189 | Diouf bezieht sich dabei auf die erstmalig 1961 erschienene und 1973 neu aufgelegte Studie Lincolns zu afroamerikanischem Islam. Dies ist das erste Buch zur Thematik des schwarzen Islam in den USA, welches sich nach der Veröffentlichung zu einem Standardwerk entwickelte. Vgl. hierzu: Lincoln 1973. 190 | Diouf 1998, S. 207. 191 | Diouf 1998, S. 207.
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dass dies ebenso wenig für andere Gruppierungen afroamerikanischer Muslime gilt, wie das vorige Kapitel gezeigt hat, die sich ebenfalls nicht bis auf die muslimischen Sklaven zurückführen können. Ihre Behauptung, dass die Lehren der NOI auch inhaltlich im Widerspruch zu einem ›orthodoxen‹ Islamverständnis stünden, wird hingegen sicherlich von vielen Muslimen geteilt. So äußerte sich Kareem Abdul-Jabbar, einer der bekanntesten afroamerikanischen Basketballspieler in der Bundesliga NBA, der selbst zunächst in der Nation of Islam gewesen war, bevor er zum sunnitischen Islam konvertierte, im New York Times Sunday Magazine 1996 sehr negativ über Louis Farrakhan. Nach Abdul-Jabbars Meinung ist Farrakhan nicht nur kein Muslim, sondern sogar ein Spalter und Demagoge, der keine Lösungen bereitstellt: »He uses racist demagoguery instead of trying to deal with real problems with real solutions. And I don’t respect his constant attempts to make people angry at each other. Besides, what the (Nation of Islam) is talking about is not Islam. I mean, it uses some Islamic trappings. But (they) want us to believe that there are black scientists driving around the universe in a spaceship called ›the mothership‹. I don’t take them seriously.«192
Genau das Gegenteil behauptet jedoch Aminah McCloud. Für sie ist die Nation of Islam auf jeden Fall im Spektrum amerikanischer Spielarten des Islam angesiedelt, und Farrakhan bietet ihrer Meinung nach durchaus realistische Lösungen an. Kritik an Farrakhan vermutet sie jedoch offensichtlich nicht primär von muslimischer Seite, sondern von Weißen und von Seiten der black church: »For growing numbers of black Americans, Islam, whether in the form of Farrakhan’s Nation or in more orthodox shapes, provides a realistic road to solutions. And in the end, Farrakhan’s Islam does not need the validation of whites or of black Christian leaders to appeal to African America.«193
Louis Farrakhan selbst äußerte sich in einer Rede in Chicago im Jahre 2002 ebenfalls zu der Frage, inwiefern die NOI sich im islamischen Spektrum verorte. Für ihn sind die Lehren der NOI nicht nur durchaus Teil des afroamerikanischen Islam, sondern die Art und Weise, wie die NOI Islam verstehe und praktiziere, sei sogar eine Grundbedingung gewesen, dass Afroamerikaner in Amerika überhaupt zum Islam hätten finden können:
192 | Crouch, Stanley 1998: »Farrakhan 1985 to 1996: The Consistency of Calypso Louis«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 269. 193 | McCloud 1998, S. 182.
Autoritätskämpfe »We needed a black god first. Because of our state in the 1930s, 1940s, we needed a god who could kick the backside of the white man. We needed a god who loved us. […] No Arab or Pakistani would have attracted us.«194
In derselben Rede geht Farrakhan darauf ein, dass gerade Muslime mit arabischem Hintergrund Elijah Muhammad oftmals als falschen Propheten beschimpft hätten: »Islam was not here. […] Somebody had to deliver the message. God said he would deliver the oppressed and raise among them.«195 Arabischen Muslimen warf er vor, Schwarze zu diskriminieren: »Jews see Palestinians as subhuman, but Arabs in black neighborhoods treat blacks the same way.«196 Im Gegensatz zur Old Guard hätte die Nation of Islam auf die Herausforderung ihrer Autorität durch muslimische Immigranten völlig anders reagiert, so Edward Curtis. Schon als die NOI in den 1950er Jahren zunehmend bekannter geworden sei, sei sie unter Beschuss durch Muslime geraten, welche die islamische Glaubwürdigkeit von Elijah Muhammad angezweifelt hätten. Dieser habe damit vor der Wahl gestanden, entweder einige Elemente seiner partikularistischen Vision aufzugeben, um auch von Einwanderern anerkannt zu werden, oder das Risiko einzugehen, seine islamische Legitimität bei Muslimen außerhalb der NOI zu verlieren, indem er bei seinen Lehren blieb. Muhammad habe sich für letzteres entschieden und sich noch tiefer auf seine eigene ›prophetischen Autorität‹ zurückgezogen.197 Dieses entrenchment into his own prophetic authority 198 hat Elijah Muhammad vor einer direkten Auseinandersetzung mit sunnitischen Muslimen bewahrt. Als der letzte und einzig legitime Repräsentant von W.D. Fard, des »fleischgewordenen Gottes«, hat Elijah Muhammad nicht nur das Christentum zurückgewiesen, sondern auch das Recht eines jeden außer ihm selbst, den Islam zu interpretieren.199 Dieser zunächst radikal anmutende Schritt kann jedoch auch als taktisch kluge Entscheidung gesehen werden. Muhammad hat offensichtlich seine eigenen Grenzen erkannt: Er hatte nur eine geringe formelle Bildung, seine Kenntnisse über den Islam waren bescheiden, und er sprach kein Arabisch. Hätte er versucht, mit seinen muslimischen Rivalen auf der Grundlage traditionellen religiösen Wissens zu debattieren, hätte er mit Sicherheit der Konkurrenzsituation nicht standgehalten. Indem er diesen Diskussionen durch die Etablierung seiner eigenen Autorität aus dem Weg gegangen ist, war er imstande, eine partikularistische Version von Islam zu schaffen, die er wirksam kontrollieren konnte. Die meisten Anhänger hätten dies als gerechtfertigt und wünschenswert gesehen, so dass sie die Autori194 | Louis Farrakhan, Rede in der Mosque Maryam/Chicago, 17. April 2002; zitiert nach: Karim 2009, S. 78. 195 | Karim 2009, S. 78. 196 | Karim 2009, S. 78. 197 | Curtis 2002, S. 64. 198 | Curtis 2002, S. 81. 199 | Curtis 2002, S. 83f.
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tät Muhammads bereitwillig anerkannt hätten; davon ist Curtis überzeugt. Elijah Muhammad habe deren Leben gerettet, er sei ihr Zugang zum Islam geworden: »It was his Islam rather than the Islam of his critics that made their lives new.«200 Einige Anhänger – wie Malcolm X – hingegen haben Elijah Muhammads Autorität jedoch zunehmend in Frage gestellt. »Malcolm X orthodoxized Islam as an excuse to escape Elijah Muhammad«201, versichert Imam Siraj Wahhaj, selbst ehemaliges NOI-Mitglied, heute sunnitischer Imam in Brooklyn. Er spielt damit auf die nicht nur religiösen, sondern auch persönlichen Differenzen zwischen den beiden an.202 Leute wie Malcolm X haben sich daraufhin vom absolutistischen islamischen Partikularismus der NOI unter Elijah Muhammad ab- und einem ebenso absolutistischen islamischen Universalismus zugewendet.203 Damit öffneten sich Malcolm X und die spätere Old Guard aber unweigerlich gegenüber einer direkten Konkurrenz mit Muslimen, die sowohl qua Herkunft als auch qua Bildung eine hegemoniale Stellung im amerikanischen Islam forderten. Als Malcolm X, damals noch Minister der NOI, damit begann, die Lehren der NOI mit dem Koran gegen Kritiker zu verteidigen, wurde gleichzeitig der Stellenwert des traditionellen sunnitischen Diskurses im afroamerikanischen Islam angehoben. Dies habe immense Auswirkungen auf die intellektuelle Zukunft der Bewegung gehabt, so Curtis.204 Die Verwendung islamischer Texte durch Malcolm X habe den Kritikern der ohnehin als häretisch gebrandmarkten NOI eine Angriffsfläche gegeben, da diese sehr viel besser in den textuellen Traditionen des Islams geschult gewesen seien als Malcolm X, dem für eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe trotz guter Absichten die nötigen intellektuellen Fähigkeiten gefehlt hätten.205 Nach der Meinung von Sherman Jackson und Edward Curtis ebnete Malcolm X damit einem Modell der Annäherung an den Immigrantenislam den Weg, was unweigerlich die hegemoniale Position der Immigranten in religiösen Fragen befördert habe. Louis Farrakhan indes leitet seine Autorität im afroamerikanischen Islam durch seine Verbindung zum partikularistischen Islam Elijah Muhammads ab. 200 | Curtis 2002, S. 84. 201 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 03.03.2008. 202 | Siehe Malcolm X (zusammen mit Alex Haley) 1964: The Autobiography of Malcolm X, New York, Kap. 16. Differenzen inhaltlicher Natur hatten zwischen Elijah Muhammad und Malcolm X schon lange geschwelt. Dabei ging es offensichtlich vor allem darum, dass Malcolm zunehmend die Öffentlichkeit suchte, was Muhammad missfiel. Malcolm X beschreibt in seiner Autobiographie die große Enttäuschung, als sich herausgestellt habe, dass sein moralisches Vorbild Elijah Muhammad von mehreren Sekretärinnen angeklagt wurde, sie geschwängert und sie weder finanziell noch emotional unterstützt zu haben. Dies sei der letzte Grund gewesen, den er gebraucht habe, um die NOI zu verlassen. 203 | Curtis 2002, S. 84. 204 | Curtis 2002, S. 18f. 205 | Curtis 2002, S. 19,89.
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Farrakhan legitimiert seine Deutungshoheit innerhalb der NOI durch eine Erzählung, die ohnehin nur für Menschen, welche die Autorität Elijah Muhammads als gegeben voraussetzen, relevant sein kann: Im Jahr 1989 berichtete Farrakhan, er habe bereits 1985 in Mexiko eine Vision gehabt, während der er auf das sogenannte Mother Plane (= das Rad des Ezechiel des Alten Testaments) geholt worden sei. Dort habe er Anweisungen von Elijah Muhammad erhalten, an die er sich momentan nicht im Detail erinnere, die ihm aber, dessen sei er sich sicher, im entscheidenden Moment wieder bewusst würden.206 Mit dieser Erzählung habe Farrakhan implizit zu verstehen gegeben, dass er als dessen Nachfolger anerkannt werden wolle, so erläutert Ernest Allen Jr., der African American Studies an der University of Massachusetts lehrt.207 Dass Louis Farrakhan sich dennoch von der Erwartungshaltung ›orthodoxer‹ Muslime nicht völlig habe freimachen können, zeige sich jedoch an verschiedenen Stellen. Zunächst habe Farrakhan versucht, sich der koranbasierten Herausforderung seiner eigenen Autorität zu erwehren, indem er einen cabalist twist zu stiften versucht hatte: Farrakhan hat damals behauptet, es solle zwei Korane geben, eine manifeste und eine esoterische, nur durch die Numerologie der NOI zugängliche Version.208 Wenn diese Argumentation bei Immigranten nicht verfängt, greift Farrakhan auf die Legitimation Elijah Muhammads zurück, wonach die NOI-Version des Islam an die Bedingungen der Afroamerikaner in Amerika angepasst ist; jede Kritik von Seiten arabischer Muslime daran stellt demzufolge eine Form von Rassismus dar.209 Damit gelingt es Louis Farrakhan, die Kritik mit der schärfsten Waffe in afroamerikanischen Diskursen zu neutralisieren – nämlich indem er seinen nichtafroamerikanischen Gegnern Rassismus bzw. seinen afroamerikanischen Kritikern Selbsthass vorwirft, positioniert er sich selbst als authentische Führungsfigur für afroamerikanische Muslime. Henry Louis Gates glaubt ohnehin, dass sich der Erfolg Farrakhans zu einem großen Teil dem Mangel an radikalen schwarzen Führungspersönlichkeiten im heutigen Amerika verdanke.210 Gates setzt die Nation of Islam und Louis Farrakhan jedoch wieder nur in den Kontext der black community, statt sie als Nahtstelle der Verschränkung zweier Diskurse zu betrachten – nämlich eines Diskurses, der in der black community über blackness und deren Verhältnis zu Religion und Gesellschaft geführt wird sowie eines Diskurses, der in der muslimischen Community der USA zur Frage der Prioritätensetzung hinsichtlich religiöser, ethnischer und rassischer Identität stattfindet. Farrakhan 206 | Eine ausführliche Darstellung dieser Vision bei Gardell 1996b, S. 131-135. 207 | Allen, Ernst Jr. 1998: »Minister Louis Farrakhan and the Continuing Evolution of the Nation of Islam«, in: Amy Alexander: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 79f. 208 | Allen 1998, S. 80; ausführlich über die Rolle der Numerologie bei der Koranauslegung nach NOI-Lesart: Gardell 1996b, S. 176-181. 209 | Allen 1998, S. 80. 210 | Gates 1998, S. 42.
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bezeichnet sich selbst als Muslim, seine Organisation trägt den Islam im Titel, und er wird von der Öffentlichkeit als Teil der Community afroamerikanischer Muslime wahrgenommen. Viele afroamerikanische Muslime sind über die Nation of Islam überhaupt erst zum Islam gekommen, selbst wenn sie sich heute eher in einem sunnitisch geprägten Spektrum bewegen. Das zeigen nicht nur die Beispiele von Malcolm X und Warith Deen Mohammed. Imam Siraj Wahhaj von der Brooklyner Masjid at-Taqwa, Imam El-Hajj Talib Abdur-Rashid von der Harlemer Mosque of Islamic Brotherhood, Jamillah Karim, die am Spelman College Religionswissenschaft lehrt, und Zaheer Ali, der an der Columbia University zu afroamerikanischem Islam forscht, sie alle haben über die NOI zu ihrer jetzigen, nicht NOI-geprägten Art, Islam zu leben und zu lehren, gefunden. Daran ändert sich auch nichts, wenn es stimmt, was Ernest Allen behauptet, nämlich dass Louis Farrakhan als Reaktion auf die potentielle Isolierung durch traditionelle Muslime in Amerika zunehmend die Nähe säkularer schwarzer Organisationen suche.211 Im Gegenteil hat gerade diese Annäherung an andere soziale Gruppen und Institutionen in der black community weit über den Kreis von Muslimen hinaus den Einfluss Louis Farrakhans zumindest in der black community – inklusive von afroamerikanischen Muslimen, die nicht zur NOI gehören – eher vergrößert denn verkleinert. Inzwischen wird er nicht nur als der bekannteste schwarze Muslim in den USA gehandelt, sondern als der black leader schlechthin. Aufgrund seiner berüchtigten demagogischen Rhetorik wurde er von Weißen schon als black Hitler212 und prophet of rage213 bezeichnet. Stanley Crouch nennt ihn einen racist cult leader214 , die schwarze Jugend the great Khan215, und für Frank Kelleter ist er ein black Ronald Reagan.216 Imani Perry, die in Princeton African American Studies lehrt, erklärt, warum sich Louis Farrakhan ihrer Meinung nach weit über den Kreis afroamerikanischer Muslime hinaus als Führungsfigur für die gesamte black community anbietet:
211 | Allen 1998, S. 81. 212 | So hatte ihn 1984 Nathan Pearlmutter, der damalige Vorsitzende der Anti-Defamation League (ADL), in einer Radiosendung bezeichnet, nachdem Farrakhan das Judentum als ›dirty religion‹ diffamiert hatte; die darauf folgende Auseinandersetzung zwischen der NOI und der ADL aus Sicht der NOI-Zeitschrift The Final Call findet sich unter: www.finalcall. com/perspectives/rift.html (abgerufen am 03.09.2010). 213 | So das gleichnamige Buch des Publizisten Arthur J. Magida 1996: Prophet of Rage: A Life of Louis Farrakhan and His Nation, New York; das TIME Magazine hatte ein Bild Farrakhans bereits in seiner Ausgabe vom 28.02.1984 auf dem Titel gehabt, begleitet von der Überschrift: Ministry of Rage. 214 | Crouch, Stanley 1995: The All-American Skin Game, or, The Decoy of Race, New York, S. 74. 215 | Kelleter 2000, S. 10. 216 | Kelleter 2000, S. 27.
Autoritätskämpfe »Louis Farrakhan is a more attractive leader for young Black Americans […] because he does not fit into a civil rights establishment that many young Black people see as too intimately tied to the system that mediated their oppression. Black mayors and Christian ministers are often ›respectable‹ now in the eyes of mainstream America. Farrakhan challenges the social order, not because of his politics, but because of the radical language and a fearless retribution for his comments and ideas. He is anti-canonical with regard to Black bourgeois political tradition.« 217
Dass Louis Farrakhan die Anerkennung durch andere Muslime, vor allem durch die muslimischen Einwanderer, nicht braucht, um seine Stellung zu legitimieren, da er ohnehin eher bestrebt ist, die black community als Ganze hinter sich zu sammeln, anstatt auf eine Vereinigung verschiedener muslimischer Gruppierungen hinzuarbeiten, zeigte sich 1995, als Louis Farrakhan zum Million Man March aufrief. Afroamerikanische Männer sollten nach Washington D.C. kommen, um öffentlich ihre Sünden zu bereuen und geloben, künftig bessere Ehemänner und Väter zu werden. Geschätzte 400.000 bis 800.000 Afroamerikaner sind diesem Aufruf gefolgt, so dass Hugh Price, der damalige afroamerikanische Vorsitzende der National Urban League, den Million Man March als »the largest family values rally in the history of the U.S.« lobte.218 Ausdrücklich war der Aufruf nicht nur an schwarze Muslime oder gar nur Anhänger der Nation of Islam, sondern an alle schwarzen Männer in Amerika ergangen. Farrakhan hat dieses Großereignis bewußt nicht allein, sondern mit einer Reihe bekannter und einflussreicher schwarzer Organisationen, darunter der größten afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), geplant, um nach außen die vermeintliche Einigkeit der black community zu demonstrieren.219 Letzten Endes hätten mehr christliche als muslimische Afroamerikaner und mehr Männer der Mittelschicht denn aus den unteren sozialen Schichten an dem Marsch teilgenommen, so die afroamerikanische Theologin Irene Monroe, was zeige, dass es Farrakhan gelungen sei, nicht nur die klassische NOI-Klientel anzusprechen, sondern Männer aus den unterschiedlichsten sozialen und religiösen Milieus.220 Das weiße Amerika und die Mainstream-Medien beobachteten den Erfolg des Marsches allerdings mit großer Skepsis. Im Vorfeld wurde in Zeitungen und Fernsehen der Marsch bereits als »coronation of the 217 | Perry, Imani 1995: »Toasts, Jam and Libation: How We Place Malcolm X in the Folk Tradition«, in: Theresa Perry (Hg.): Teaching Malcolm X, New York, S. 177. 218 | Magida 1996, S. 192, 198; zur Organisation und der Konzeption von Maskulinität, die auf dem Million Man March propagiert wurde sowie Unterstützung bzw. Kritik daran siehe ausführlich Kap. III.2 d) »Die neue Selbstverantwortlichkeit: der Million Man March«. 219 | Probiesch, Kerstin 2000: Louis Farrakhan und die Nation of Islam, Marburg, S. 40. 220 | Monroe, Irene 1998: »Louis Farrakhan’s Ministry of Misogyny and Homophobia«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 291.
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chief bigot« angekündigt und als ein aussagekräftiges Symbol für den desolaten Zustand der Rassenbeziehungen infolge der Los Angeles-Aufstände (1992)221 und des Prozesses gegen O.J. Simpson (1994) gewertet.222 Außerdem hätten amerikanische Medien die black community in zwei strikt voneinander getrennte Lager aufgeteilt, so Jane Smith, die Religionswissenschaft an der Harvard Divinity School lehrt, nämlich einerseits in die Teilnehmer und andererseits in diejenigen, die dem Marsch ferngeblieben waren. Dies sei von den entsprechenden Medien wiederum gleichgesetzt worden mit Anhängern und Gegnern von Louis Farrakhan.223 Dass manche Afroamerikaner unter Umständen mitmarschierten, weil sie das Thema des Marsches – verantwortliche Vaterschaft und eine Neudefinierung schwarzer Maskulinität – wichtig fanden und nicht, weil sie sich als Anhänger der Person Farrakhans zu erkennen geben wollten, sei in den Medien jedoch weitgehend ignoriert worden, kritisiert Cornel West, der in Princeton African American Studies und (christliche) Theologie lehrt und selbst am Marsch teilgenommen hatte: »In casting the demonstration as ›Farrakhan’s march,‹ the mainstream media wants to shift the focus from black pain to white anxiety.«224 Die Kritik von weißer Seite entzündete sich tatsächlich weniger an den Inhalten des Marsches als vielmehr an Louis Farrakhan als Organisator. Sogar die Politik meldete sich zu Wort. Der damalige Präsident Bill Clinton äußerte sich am Tag des Marsches: »One million men do not make right one man’s message of malice and division.«225 Bob Dole zeigte sich überzeugt, dass die »well-intentioned people coming to Washington« sicher ehrenwerte Leute seien, er aber denke, dass nicht Farrakhan den Marsch anführen sollte.226 Die afroamerikanische Muslimin und Islamwissenschaftlerin Aminah McCloud verdächtigt im Hinblick auf die Medienschelte gegen Farrakhan übrigens eher die traditionellen schwarzen Eliten, also Vertreter der black church und Bürgerrechtsorganisationen. Diese hätten sich übergangen gefühlt und daraufhin ihre ›vertrauten Komplizen‹, die 221 | Damit sind die Ausschreitungen in Los Angeles im Jahre 1992 gemeint, als vier Polizisten (drei Weiße und ein Latino), die beschuldigt worden waren, den Afroamerikaner Rodney King misshandelt zu haben, freigesprochen wurden und daraufhin in der ganzen Stadt Aufstände ausbrachen. Nach vier Tagen waren 53 Menschen getöten worden, und die Sachschäden beliefen sich auf rund eine Milliarde Dollar. 222 | Smith, Erna 1998: »Who’s Afraid of Louis Farrakhan: The Media and Race Relations Coverage«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 105; Details zum Prozess gegen O.J. Simpson siehe in Kap. III.1 d) Fußnote 192. 223 | Smith 1998, S. 112. 224 | Smith 1998, S. 112. 225 | Zitiert nach: Knowltown, Brian: »President Praises Goals of the March, But Condemns the Organizer’s ›Malice‹: As Black Men Rally, Clinton Appeals for an End to Racism«, New York Times, 17.10.1995. 226 | Kelleter 2000, S. 51.
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liberalen weißen Medien, instrumentalisiert, um öffentlich die Vorstellung zu diskreditieren, dass jemand anderes als sie in der Lage sein könnte, Afroamerikaner zu einem sinnvollen Zweck zusammenzurufen.227 Schwarze Muslime seien jedenfalls nicht überrascht gewesen, dass weiße und schwarze Christen jede Form von Islam dämonisieren würden, die versuche, sich in die nationale Debatte über die Zukunft des schwarzen Amerika einzubringen, so McCloud. Angriffe auf Farrakhan stellen für sie Angriffe auf den Islam insgesamt dar.228 Dabei übersieht McCloud jedoch, dass, wie oben bereits angeführt, bei weitem nicht nur schwarze Muslime dem Aufruf der NOI gefolgt waren, sondern eine große Zahl schwarzer Christen ebenfalls, und mit Personen wie dem Princeton-Professor Cornel West, der Bürgerrechtlerin Rosa Parks, einem der Söhne Martin Luther Kings, dem Georgetown-Soziologen Rev. Michael Eric Dyson und dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Rev. Jesse Jackson durchaus auch solche, die man zur christlichen ›schwarzen Elite‹ rechnen darf. Gerade die amerikanischen Mainstream-Medien neigten jedoch dazu, Louis Farrakhan pauschal zu dämonisieren, hat Jane Smith beobachtet, während Afroamerikaner durchaus zwischen der Message und dem Messenger, also den Inhalten des Marsches und der Person Farrakhan, unterschieden hätten.229 Ob Farrakhan wirklich weitgehend unabhängig von den amerikanischen Medien ist, was den Meinungsbildungsprozess innerhalb der black community angeht, wie Smith angesichts einer Auflage von über 900.000 Kopien des Final Call, der monatlichen NOI-Zeitschrift, annimmt, sei dahingestellt.230 Ebenfalls, wie aussagekräftig eine Statistik ist, die behauptet, 87 % aller Afroamerikaner hätten eine positive Meinung über Louis Farrakhan als Person.231 Selbst afroamerikanische Kritiker eines Marsches unter der Ägide Farrakhans gaben jedoch zu, dass niemand außer der NOI in der Lage gewesen wäre, eine solche Veranstaltung zu planen und durchzuführen. Nur die NOI verfüge über die entsprechende Organisationsfähigkeit und Medienpräsenz, um den Marsch zu einem Großereignis werden zu lassen. Dass Farrakhan mit dieser Rolle einen Führungsanspruch in der black community erhoben habe bzw. untermauern wollte, bezweifelten dabei die wenigsten, so der in Berkeley lehrende Jurist Christopher Edley.232 Besagter Führungsanspruch Farrakhans manifestierte sich unter anderem daran, dass er mit dem Marsch in mehrerlei Hinsicht symbolisch an ein Ereignis anknüpfte, dem in der black community als einem der emotionalen Höhepunkte der Bürgerrechtsbewegung gedacht wird, nämlich der Marsch Martin Luther Kings nach 227 | McCloud 1998, S. 181. 228 | McCloud 1998, S. 181. 229 | Smith 1998, S. 105. 230 | Smith 1998, S. 116. 231 | Monroe 1998, S. 292. 232 | Edley Jr., Christopher 1996: Not All Black and White: Affirmative Action, Race, and American Values, New York, S. 238f.
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Washington, D.C. im August 1963. Wie King rief Farrakhan zu einem Marsch von Afroamerikanern in die Hauptstadt der USA auf. Symbolträchtig hielt er seine Rede an derselben Stelle wie seinerzeit King seine legendäre »I have a dream«Ansprache. Mit dem Wissen um die ›Fastsakralisierung‹ von Kings Auftritt habe Farrakhan nicht nur auf das Konzept des Marsches von damals rekurriert, so Henry Louis Gates, sondern auch auf den Mythos Martin Luther King, dessen Ansehen in der black community religiöse und politische Differenzen zu überbrücken vermöge.233 Gates zählt sich selbst zu den Kritikern Farrakhans. Seiner Meinung nach hat der Million Man March trotz seines Erfolgs, die Massen anzuziehen, nichts verändert, was die Autoritätsdebatte in der black community betrifft. Nach wie vor sei die Führungsschicht fragmentiert, was offenbare, wie sehr die seiner Meinung nach altmodische Idee eines »head nigger in charge« irrelevant geworden sei. Dies sei eine positive Entwicklung, weil sich so zeige, dass im schwarzen Amerika nun eine Elite existiere, die einen direkten Zugang zur Macht genieße.234 Dahinter steht nach Meinung der Journalistin Amy Alexander jedoch eine grundlegendere Debatte über das Konzept von Führung an sich: »We also must consider whether black Americans, more so than white or Native Americans, for example, really need an individual to mold us into a productive place in this nation.« Und sie schließt die Frage an: »Indeed, if we can presume to use the term leader in this context at this time in history, why should we expect Louis Farrakhan to lead us?«235 Was bedeutet es, wenn Manning Marable, bis zu seinem Tod im Sommer 2011 Professor für African American Studies an der Columbia University, sagt: »In fact, if Louis Farrakhan did not exist, the American government and media would have to invent him.«236? Marable suggeriert, dass Farrakhan dem ›System‹ – damit ist die white supremacy gemeint – durchaus nütze, so kontrovers seine demagogische Rhetorik auch diskutiert werden möge. Die afroamerikanische Journalistin Itabari Njeri geht sogar noch weiter: Für sie ist Farrakhan sogar der Komplizee der white supremacy schlechthin. Die Positionen, die Farrakhan vertrete, stimmten so passend mit konservativer Ideologie überein, dass nur sein Antisemitismus den weißen Mainstream davon abhalte, ihn zu unterstützen, spottet sie.237 Ihrer Meinung nach war der Million Man March eine »Message to the White Man.«238 Farrakhan habe den Weißen signalisieren wollen: Schaut her,
233 | Gates 1998, S. 44f. 234 | Gates 1998, S. 44f. 235 | Alexander, Amy 1998a: »Our Brother, the Other: Farrakhan and a Vigil for New Black Leadership«, in: Dies. (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 4. 236 | Marable, Manning 1997: Black Liberation in Conservative America, Boston, S. 235. 237 | Njeri 1998, S. 239. 238 | Njeri 1998, S. 239.
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ich bin der, der diese ungebildeten Wilden zähmen kann!239 Und die Vertreter der white supremacy hätten sich freuen können, denn: »The powerful could not ask for a more convenient servant than a prophet who abjures his faithful to get off the streets and into the pews.«240 Das sieht Fahizah Alim, Journalistin und ehemaliges Mitglied der NOI, anders. Ein großer Teil von Farrakhans Glaubwürdigkeit resultiere gerade daraus, dass er im Gegensatz zu anderen nicht als Komplize der white supremacy gelte und nicht als Handlanger des Rassismus der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werde. Vielmehr präsentiere sich Farrakhan als ein Afroamerikaner, der sich Weißen nicht anbiedere und unabhängig von deren Meinung sei: »He has human flaws – he loves power; he loves drama; he loves to perform; he loves fancy clothes and even fancier digs. But, most important, he loves black people. Loves them more than he loves white people. And that is a rare black person to find. Most ›black leaders‹ want to appease white folks. They need to have their intellect, their humanity, their worthiness validated by white people – the same people brought up to despise them. But not Farrakhan. That is his appeal.« 241
Der afroamerikanische Publizist Leonard Pitts fügt hinzu, Farrakhan habe Mut. Er lege sich mit Weißen offen an, er sage das, was dringend mal gesagt werden müsse, was sich bisher aber keine Führungsfigur getraut habe zu sagen, nämlich: »Fuck you!«242 Und das verschaffe ihm Glaubwürdigkeit innerhalb der black community und somit mehr Autorität, als es seine demagogischen Ausfälle und Wirtschaftsprogramme vermocht hätten: »If you are to understand Louis Farrakhan or even to effectively criticize him, if you are to appreciate the hold he has on the imagination of African America, you must first come to grips with that truth. Get past the beatific smile and the baiting of Jews and middle-class blacks, go beyond the invocation of Allah and the preaching of self-help, and realize that fuck you is the thing that has made this man.« 243
Da Schwarze – auch oder gerade deren Führungspersonen – immer versucht hätten, Weißen zu gefallen, hätten sie dieses eigentlich notwendige »fuck you« 239 | Njeri 1998, S. 239. 240 | Njeri 1998, S. 240. 241 | Alim, Fahizah 1998: »Inside Out: A Contemporary American Herstory«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 163f. 242 | Pitts, Leonard Jr. 1998: »Of Malcolm, Farrakhan, and the Politics of Rage«, in: Amy Alexander (Hg.): (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 243. 243 | Pitts 1998, S. 243.
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unterdrückt, meint Pitts, und spielt auf die Slogans der Ikonen der Bürgerrechtsbewegung an: »Fuck you. Free at last, and fuck you. We shall overcome, yet fuck you. I have a dream, but first, fuck you.«244 Dieser Mut, so Fahizah Alim, würde Afroamerikanern imponieren. Sie seien sich – nach der Ermordung Martin Luther Kings und Malcolm X’ – bewusst, wie gefährlich solch ein Verhalten wie das provozierende Auftreten Farrakhans sein könne: »It’s a courageous message that strikes the souls of black people with joy: A black man who talks as Farrakhan does and manages to stay alive.«245 Das Beispiel des Million Man March zeigt, dass Louis Farrakhans Einfluss in der afroamerikanischen Community nicht primär mit der sehr speziellen Art der NOI, Islam zu verstehen und zu leben, zu tun hat. Man könnte sogar die Vermutung anstellen, dass Farrakhan trotz seiner religiösen Überzeugungen so viele Anhänger hat und nicht wegen der in vielen Punkten skurril anmutenden Vorstellungen und Praktiken. Farrakhan bezieht seine Autorität nicht aus der Anerkennung durch andere Muslime – seien es nun Einwanderer oder einige afroamerikanische Muslime, die seine Lehren sogar als Häresie brandmarken. Auf religiöse Debatten mit muslimischen Immigranten hat sich Farrakhan wie zuvor schon Elijah Muhammad gar nicht erst eingelassen, denn ihm mag bewusst gewesen sein, dass das Ungleichgewicht in Bezug auf klassische islamische Bildung dazu geführt hätte, dass er in den meisten Auseinandersetzungen der Unterlegene gewesen wäre. Stattdessen propagiert Farrakhan einen Islam, der speziell auf die Bedürfnisse seiner Gefolgschaft zugeschnitten ist. Henry Louis Gates, selbst kein Anhänger, sondern ein vehementer Kritiker von Louis Farrakhan, ist als Harvard-Professor ein Teil der schwarzen Elite, der er eine Mitschuld am Erfolg des Million Man March und damit am Erfolg Farrakhans gibt. Gates hat mit Farrakhan im Rahmen eines Interviews über den Marsch gesprochen. Farrakhan wisse, dass ein großer Teil der Männer, die zum Marsch gekommen waren, nicht seine religiösen Anhänger seien, sondern Christen mit Collegeabschluss und aus der Mittelschicht. Diese, meint Gates, wollten zu einem Marsch, zu dem aufgerufen wurde »by a man who is considered radical, extremist, anti-Semitic, anti-white«, weil sie danach lechzten »to connect with the masses.«246 Da nicht alle der Anhänger Farrakhans selbst Muslime sind, bietet er ein Sozialprogramm, das auch ohne die religiösen Inhalte der NOI verstanden wird. In manchen Punkten (wie dem Bild von Moral und Familie) ähnelt es den Konzepten der black church, in anderen Bereichen (wie der Sozialarbeit und Bildungspolitik) den Vorstellungen afroamerikanischer Bürgerrechts-organisationen wie der NAACP. Seine Glaubwürdigkeit bezieht Farrakhan aus der Ablehnung, die ihm von der weißen Öffentlichkeit entgegenschlägt, und hiermit legitimiert er seinen Anspruch, als einziger
244 | Pitts 1998, S. 243. 245 | Alim 1998, S. 160. 246 | Gates 1998, S. 43.
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in der Lage zu sein to talk back to the master.247 In den letzten Jahren fand gleichwohl eine Annäherung an den (afroamerikanischen) Mainstream-Islam statt. Auf der jährlichen Savior’s Day Convention, dem höchsten Feiertag der NOI, versöhnte sich Farrakhan auf dem Podium mit Warith Deen Mohammed, also eben jener Person, von deren Organisation er sich 1975 abgespalten hatte, weil Mohammed die alte NOI auf den Weg Richtung Mainstream-Islam hatte führen wollen, woraufhin Farrakhan die alte NOI neu gegründet hatte.248 Doch wurde dieser Schritt in der black community eher als eine ›interne‹ NOI-Aussöhnung wahrgenommen und weniger als ein Zeichen, dass Louis Farrakhan langsam zu einem ›regulären‹ Muslim werde, den auch die Einwanderer als ›islamisch‹ anerkennen würden.249 Die Einwanderer sind nicht seine Zielgruppe – seine Mission richtet sich an die black community, und in dieser ist er so bekannt, beliebt und auch umstritten, wie es wohl bisher nur Malcolm X war.
II.4 K l assenfr agen : R asse als W affe Der American Dream besagt, dass jedem Amerikaner das Versprechen auf die realistische Chance gegeben wird, durch eigenes Bemühen so erfolgreich zu sein, dass er im Laufe seines Lebens sozial aufsteigen kann. Die Politikwissenschaftlerin Jennifer Hochschild nennt das »some threshold of well-being, higher than where one began«.250 Zentral an dem Konzept des American Dream ist, dass das soziale Subjekt als Individuum wahrgenommen wird.251 Zwar wurde ›Individualismus‹ als Terminus in Amerika erst in den späten 1820er Jahren gebräuchlich. Doch bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Idee von individuellen Rechten
247 | Frank Kelleter nennt dies »Farrakhan’s self-projection as the rebellious subaltern who talks back to the master«, vgl. hierzu: Kelleter 2000, S. 118. 248 | Es wäre unangemessen, hier von sunnitischem Islam zu sprechen, da die Muslim American Society (MAS) unter Warith Deen Mohammed sich nicht als sunnitisch versteht und in einigen Punkten den Glauben anders praktiziert als die Mehrheit der Sunniten. So stehen beim Gebet Männer und Frauen zwar getrennt, doch im rechten Winkel zueinander (und der Imam an der Spitze des Winkels), so dass keine Hierarchisierung im Raum stattfindet, und, so zumindest der Eindruck der Verfasserin dieser Arbeit, das Beten der Fatiha, der ersten Sure des Koran, ist eng an das Beten in einer Kirche angelegt: Alle Personen stehen dazu auf, falten die Hände auf dem Bauch und intonieren die Fatiha wie das Vaterunser. (Teilnehmende Beobachtung in der Malcolm Shabazz Mosque [Harlem], März 2008). 249 | Interview Siraj Wahhaj, 08.06.2008, sowie Gespräch mit Zaheer Ali, Columbia University, 24.05.2008. 250 | Hochschild, Jennifer 1995: Facing Up to the American Dream: Race, Class and the Soul of the Nation, Princeton, S. xi. 251 | Rottenberg 2008, S. 55.
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einen article of cultural faith dargestellt.252 Harte Arbeit, Willenskraft und moralische Aufrichtigkeit werden demnach nicht so sehr sozialen Gruppen zugeschrieben, sondern können von Individuen erreicht werden.253 Umgekehrt gilt entsprechend, dass bestehende Probleme weniger als strukturell wahrgenommen, sondern in die Individuen zurückverlegt werden: »The American Dream discourse very clearly helps to ›recode social problems as individual problems with individual solutions.‹«254 Ein zweites wesentliches Merkmal ist die Vorstellung von einer Prozesshaftigkeit des sozialen Status, denn es kommt nicht darauf an, in welcher sozialen Schicht man geboren wurde oder wo man gerade steht, sondern es geht darum, wo man hinmöchte – die Richtung (nämlich nach oben) ist der entscheidende Punkt: »The American Dream, with its central tenet of upward mobility, depends both on the emphasis of individual rights and on the formal recognition of individual equality. […] In addition, the notion of success that the American Dream promulgates, while not necessarily reducible to acquiring great wealth or even to attaining upper-middle-class status, is certainly inextricably related to moving up the class hierarchy.« 255
Dieses Aufwärtsstreben ist tief in der protestantischen Ethik, wie sie Max Weber beschrieben hat, verwurzelt.256 Danach ist die stete Tätigkeit und Anstrengung der Wille Gottes, der durch den ›kapitalistischen Geist‹ des Einzelnen seinen Ruhm gemehrt sieht. Wirtschaftlicher Erfolg dient dem Gläubigen zudem als Zeichen göttlicher Auserwähltheit. Den aus einem streng calvinistischen Elternhaus stammenden Benjamin Franklin, einen der Gründerväter der USA, sah Weber vom ›Geist des modernen Kapitalismus‹ durchdrungen. Entscheidend ist für Weber, dass »ohne Zweifel im Geburtsland Benjamin Franklins (Massachusetts) der ›kapitalistische Geist‹ (in unserem hier angenommenen Sinn) vor der ›kapitalistischen Entwicklung‹ da war.«257 Die amerikanische Zivilreligion ist damit seit ihren Anfängen eng mit den Vorstellungen der protestantischen Ethik verwoben – die Propagierung von harter Arbeit, Willenskraft und moralischer Aufrichtigkeit wurde ein fester Bestandteil des American Dream.258 252 | Brown, Gillian 1990: Domestic Individualism: Imagining Self in Nineteenth-Century America, Berkeley, S. 1-13. 253 | Rottenberg 2008, S. 60. 254 | Winn, J. Emmett 2000: »Moralizing upward Mobility: Investigating the Myth of Class Mobility in Working Girl«, in: Southern Communications Journal 66 (1), S. 43. 255 | Rottenberg 2008, S. 56. 256 | Weber, Max 1934: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Tübingen. 257 | Weber, Max: Die Protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung, hg. v. Johannes Winckelmann, Hamburg: Siebenstern 1965, ab 5.A Gütersloh: GTB/Siebenstern 1979, S. 46. 258 | Zur christlichen Fundierung der amerikanischen Zivilreligion siehe: Hase 2001.
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Eine nachhaltige Identifikation mit der Klasse, in die man geboren oder in der man aufgewachsen ist, wird im amerikanischen Diskurs traditionell hingegen als eine Bedrohung der hegemonialen Gesellschaftsstrukturen gesehen, denn diese Form der Identifikation, so wurde in Amerika schon in der Zeit sozialistischer Aufbrüche in Europa befürchtet, könnte zu Klassensolidarität (und damit zur Bedrohung der kapitalistischen Entwicklung) führen.259 Während, wie bereits dargelegt, race passing als gefährlich subversiv wahrgenommen werde, weil die Auflösung der klar abgegrenzten color line Machtstrukturen bedrohen könnte, sei class passing, also der Übertritt eines Individuums in eine andere soziale Klasse, sogar »one of the key promises of the American Dream«260 und damit positiv besetzt. Klasse stelle im amerikanischen Denken keine ontologische Kategorie dar. Anders als Rasse, Gender und vielleicht auch Ethnizität sei Klasse selbst im hegemonialen Diskurs nicht als eine Essenz konstruiert worden.261 Das Paradoxe an der amerikanischen Vorstellung vom sozialen Aufstieg sei, dass in Amerika einerseits gerne negiert werde, dass es ein Europa vergleichbares Klassensystem überhaupt gebe, andererseits das Konzept von Aufstieg aber nur sinnvoll sei, wenn eben doch verschiedene Stufen existieren: »The conviction that one can ascend the class ladder actually points to an interesting tension within American class discourse. On the one hand, the American Dream seems to suggest that America is not a class society of the traditional European type (because anyone potentially can move up the ladder), while on the other hand, the discourse assumes the existence of some kind of class formation, otherwise the very notion of moving up within the hierarchy would be nonsensical.« 262
Das Konzept des American Dream suggeriert in seiner Anlehnung an die Vorstellung des »All men are created equal« der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, dass der Wille zum sozialen Aufstieg das wesentliche Kriterium dafür ist, ob man es in Amerika ›schafft‹ oder nicht. Wenn man dieser Idee konsequent folgt, kann man umgekehrt daraus schließen, dass all diejenigen, die es nicht ›geschafft‹ haben, sich nicht genug angestrengt haben oder, polemischer ausgedrückt, selbst an ihrer Lage schuld sind. Da das Konzept so sehr auf Individualität beharrt, spielen kollektive Identitäten – wie z.B. die Zugehörigkeit zur black community – offiziell keine Rolle. Jedoch zeigt jede Statistik des U.S. Census Bureau zu Themen wie Bildungsabschluss, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe usw., dass der soziale Status in den USA eine Komponente hat, die sich auf die Kategorie ›Rasse‹ bezieht, denn Afroamerikaner haben im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse, eine höhere Arbeitslosigkeit, beziehen öfter Sozialhilfe, sind stärker 259 | Rottenberg 2008, S. 63. 260 | Rottenberg 2008, S. 63. 261 | Rottenberg 2008, S. 60. 262 | Rottenberg 2008, S. 56, auch 60.
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von Armut bedroht usw.263 Lange Zeit war aber eine Debatte, die diese Daten in einen Zusammenhang mit der Rasse der betroffenen Bürger bzw. mit der gesamten black community in Verbindung brachte, tabuisiert, und die Suche nach strukturellen Ursachen wurde versäumt. In den Jahren nach der Bürgerrechtsbewegung habe es in den USA einen offiziell ›farbenblinden‹ Diskurs gegeben, der Differenz und Ungleichheit zugunsten einer monolithischen amerikanischen Identität negiert habe, so die Soziologin Margaret Hunter. Dieser Diskurs habe es ermöglicht, rassistische Diskriminierung zu ignorieren und zudem diejenigen zu kritisieren, die ihn genau aufgrund dieser Ignoranz als rassistisch brandmarkten. Eine solche Debatte über die Gefahr eines gesellschaftlichen Konsens, der soziale Unterschiede entlang der color line tabuisiere, habe beispielsweise stattgefunden, als der Sinn und Zweck von Quotenprogrammen zugunsten von Minderheiten wie Affirmative Action zunehmend in Frage gestellt worden sei.264 In den 1970er und 1980er Jahren wurden Afroamerikaner außerdem zunehmend in der Öffentlichkeit sichtbar. In den Bereichen Medien, Sport, Berufswelt und Politik waren Weiße zwar nach wie vor dominant, doch die Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft schlug sich auch auf diesen Gebieten nieder. Viele Weiße schlossen zwar damals daraus, die Bürgerrechtsbewegung sei nun abgeschlossen, aber sie ignorierten dabei die hohe Gefängnisquote unter Afroamerikanern, die Omnipräsenz von Drogen und Kriminalität in den schwarzen Wohnvierteln der Großstädte sowie den Zerfall afroamerikanischer Familien. Unter denjenigen in den USA, die überzeugt sind, dass von diesen Fakten aber keinesfalls darauf geschlossen werden könne, dass das Konzept des American Dream nicht für alle Amerikaner in der gleichen Weise funktioniere, gibt es zwei Gruppen. Zum einen handelt es sich um diejenigen, die glauben, Afroamerikaner wollen nicht und andererseits jene, die glauben, sie können nicht. Letztere Gruppe besteht aus Personen, die überzeugt sind, Afroamerikaner seien gar nicht in der Lage aufzusteigen, selbst wenn sie es noch so sehr versuchten. Anhänger dieser Interpretation werden in ihren Ansichten von Wissenschaftlern wie dem Psychologen Richard Herrnstein und dem Politikwissenschaftler Charles Murray unterstützt, die mit ihrem Buch The Bell Curve (1994) ›bewiesen‹ haben wollen, dass Afroamerikaner aufgrund genetischer Defizite und damit verbundener mangelnder Intelligenz überhaupt nicht in der Lage seien, die selben Leistungen zu erbringen wie andere Bevölkerungsgruppen.265 Das Buch avancierte nach seiner Erscheinung zum Bestseller und löste eine erbitterte Kontroverse in Wissenschaft und Öffentlichkeit über Rassismus und political correctness aus.266 Diejenigen hin263 | Eine große Zahl an Statistiken auf: www.census.gov. 264 | Hunter 2005, S. 112. 265 | Herrnstein, Richard/Charles Murray 1994: The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life, New York. 266 | Siehe dazu bspw.: Claude S. Fischer 1996: Inequality by Design: Cracking the Bell Curve Myth, Princeton; Devlin, Bernie (Hg.) 1997: Intelligence, Genes, and Success: Scientists Respond to The Bell Curve, New York.
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gegen, die der schwarzen Bevölkerung Amerikas – wohlgemerkt kollektiv, nicht individuell – mangelnden Aufstiegswillen zuschreiben, berufen sich dabei auf den Stereotyp des lazy black worker, der eine lange Geschichte im amerikanischen Rassendiskurs hat. Essentialistische, hegemoniale Zuschreibungen von blackness bescheinigen Afroamerikanern demnach einen Mangel an Intelligenz, Faulheit sowie moralische Zügellosigkeit.267 Dahinter steht »the assumption that poor black children across the country were making decisions not to take advantage of opportunities that have been provided to them«268, und im öffentlichen Diskurs werde damit mit einem deterministischen Unterton angedeutet, dass Schwarzsein ein Synonym für Armut sei, so Zaheer Ali: »For years politicians, policy wonks and others have used ›disadvantaged,‹ ›underprivileged,‹ ›inner-city,‹ ›urban‹ and ›poor‹ as code words for black and brown people. This is not just a polite effort to avoid explicit mentions of race; it is an attempt to link African Americans to these characteristics, constructing a pathological view of black America. Poverty is, according to this view, a problem confined to the black community, the result of cultural pathologies.« 269
Diese Assoziationskette sei derartig wirkungsmächtig, hat der weiße Antirassismus-Aktivist Tim Wise festgestellt, dass weiße Amerikaner automatisch an Afroamerikaer dächten, wenn z.B. von politischer Seite oder in den Medien Sozialhilfeprogramme kritisiert würden. Politiker oder Journalisten könnten so eine rassistische Botschaft transportieren, ohne ein einziges Mal das Wort ›Rasse‹ in den Mund nehmen zu müssen, weil ohnehin jeder verstehe, was gemeint sei.270 Solch ein Diskurs, der black America als Kollektiv wahrnimmt und dessen vermeintliche kulturelle Pathologien für die soziale Schieflage verantwortlich macht, andererseits aber auf der individualistischen Konzeption des American Dream besteht, gerät jedoch in ein argumentatives Dilemma, wenn er den Diskurs zu Klasse mit dem zu Rasse verknüpfen möchte: »Twentieth-century American class discourse not only has tended to emphasize the acquisitive aspect of the self, but also has helped produce the very notion of possessive individualism. Hegemonic race and gender discourses (which in many ways actually undermine or contradict the paradigm of the liberal subject), by contrast, rely on essence: One does not have certain attributes; one is understood to be those attributes.« 271 267 | Rottenberg 2008, S. 36, 60. 268 | Christopher Emdin: Five Lessons From the »If I Were a Poor Black Kid« Debate (20.12.2011), auf: www.huffingtonpost.com/christopher-emdin/if-i-were-a-poor-blackkid_b_1159059.html?ref=tw (abgerufen am 20.12.11). 269 | Ali, Zaheer: What About Poor White Kids?, auf: www.theroot.com/views/what-aboutpoor-white-kids (abgerufen am 20.12.2011). 270 | Wise 2005, S. 124. 271 | Rottenberg 2008, S. 60f.
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Genau dieser Widerspruch zwischen der amerikanischen Debatte zu Rasse (in Bezug auf die black community) und Klasse (in Bezug auf den American Dream) macht offensichtlich, warum es notwendig ist, die intersektionelle Analyse im Hinblick sowohl auf rassistische Diskriminierung als auch ökonomische Benachteiligung nicht zu vernachlässigen, wenn man sich mit der sozialen Situation in der black community beschäftigt: »In other words, race is just as important now as it ever was – even if both blacks and whites agree to pretend in public that it isn’t.«272 Die Relevanz der Kategorie ›Klasse‹ besteht darin, dass durch eine Analyse der Verknüpfung multipler Unterdrückungsstrukturen die strukturelle Diskriminierung einer Gruppe beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt transparenter wird, als wenn man diese nur unter dem Vorzeichen ›Rasse‹ untersuchen würde.273 Denn Klassenhierarchien, hat Rottenberg festgestellt, sind offensichtlicher zu erkennen als Hierarchisierungen von Rasse, die historisch gerne mit dem Etikett ›Differenz‹ verharmlost worden seien, selbst wenn beide strukturell unweigerlich zusammenhingen: »Unlike gender discourse (and to a great extent race discourse), which historically has camouflaged hierarchy by employing the euphemism of difference, class discourse posits a clear hierarchy without any attempt to conceal the social stratification. Class is, I believe, necessarily rather than contingently a hierarchical concept precisely because the discourse that constitutes it does not assume essential distinctions among individuals. Given the hierarchical nature of class discourse, norms that are associated with the positions higher up on the ladder have been patently privileged – privileged without the disguise or mask of difference.« 274
Es gibt jedoch durchaus Wissenschaftler, welche die unbestreitbaren Unterschiede, die sich aus Statistiken zu sozialer Ungleichheit im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse ergeben, strukturell im Konzept des American Dream selbst verorten und nicht darauf zurückführen, dass Afroamerikaner es schlicht nicht schaffen können oder wollen. Mathias Bös beschreibt hierzu die split labor market-Hypothese, die vor allem von der Soziologin Edna Bonacich seit den
272 | Young 2007, S. 85. 273 | Die Überschneidung verschiedener Unterdrückungsformen (wie Gender, Rasse, Sexualität) wird in der Forschung unter dem Stichwort ›Intersektionalität‹ untersucht. In den USA haben hierzu afroamerikanische Wissenschaftlerinnen wertvolle Beiträge geleistet, so z.B. Patricia Hill Collins 1998: »The Tie That Binds: Race, Gender, and US Violence«, in: Ethnic and Racial Studies, 21 (5), S. 917-938; bell hooks hooks, bell 1984: Feminist Theory: From Margin to Center, 2. Aufl., Cambridge. Außerdem: Leslie McCall: 2005: »The Complexity of Intersectionality«, Journal of Women in Culture and Society 30 (3), S. 1771-1800. 274 | Rottenberg 2008, S. 62.
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1970er Jahren stetig weiterentwickelt worden ist 275, derzufolge »nicht so sehr spezifische kulturelle Eigenschaften einer Gruppe, als viel mehr die speziellen Kombinationen von Qualifikationen und Zugängen zum Arbeitsmarkt, die zu relativ stabilen Ungleichheiten entlang rassischer Grenzen führen«276, soziale Ungleichheit befördern, denn »rassische Zugehörigkeit »bedingt nicht direkt den Zugang zu den Opportunitätsstrukturen in einem Bereich der Gesellschaft, sondern der Zugang wird behindert, weil sich die knappen Ressourcen, wie etwa Bildung, in einer bestimmten rassischen Gruppe konzentrieren.«277 Dadurch würden Gruppen einer bestimmten Rassekategorie, welche sich bereits im Niedriglohnsektor des Arbeitsmarktes befänden, wesentlich schlechtere Chancen zum Aufstieg besitzen, was soziale Ungleichheit entlang der color line zementiere.278 Gleichzeitig kann jedoch der individualistische Fokus des American Dream zu einer Entsolidarisierung innerhalb einer Gruppe wie z.B. der black community führen, wenn der Einzelne daran glaubt, durch sozialen Aufstieg dieser Gruppe und den damit verbundenen negativen Zuschreibungen entfliehen zu können. Durch die im amerikanischen Denken verankerte offensive Ermutigung des Individuums, stets nach oben zu streben, wurde die Identifikation mit einer Klasse (nämlich mit derjenigen, in die man hineingeboren wurde) nie verbunden mit der Erwartung, gemäß den Normen dieser Klasse zu leben. Man sollte sich stattdessen nach den höheren Klassen richten, stets nach oben streben: »Identification with the lower classes, like identification with blackness, historically has not only been imposed, but also has been coded as undesirable.«279 So versuchen Afroamerikaner teilweise, race passing und class passing zu verbinden, hat die Soziologin Margaret Hunter festgestellt, denn: »Money whitens.«280 Zumindest für afroamerikanische Männer ließe sich nachweisen, dass das ›Stigma‹ schwarzer Haut teilweise mit Reichtum oder einem hohen gesellschaftlichen Status kompensiert werden könne.281 Sie fügt dieser Beobachtung die ideology whitens-Hypothese hinzu: »If they adopt the racial and cultural ideologies of the dominant group, their dark skin can be compensated for with conservative values – they are not ideologically threatening.«282 Für dieses Verhalten – die Anpassung an die Normen der dominanten Gruppe, d.h. der Weißen – verwendet die Soziologin 275 | Vgl. hierzu: Edna Bonacich 1972: »A Theory of Ethnic Antagonism: The Split Labor Market«, in: American Sociological Review 37, S. 547-559; Edna Bonacich 1976: »Advanced Capitalism and Black/White Race Relations in the United States: A Split Labor Market Interpretation«, in: American Sociological Review 41, S. 34-51. 276 | Bös 2005, S. 203. 277 | Bös 2005, S. 203. 278 | Bös 2005, S. 203. 279 | Rottenberg 2008, S. 62. 280 | Hunter 2005, S. 114. 281 | Hunter 2005, S. 114. 282 | Hunter 2005, S. 115.
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Karyn Lacy den Begriff script-switching. Vor allem in der schwarzen Mittelschicht sei dies zu beobachten: »Script-switching processes refer to the strategies middle-class blacks employ to demonstrate that they are knowledgeable about middle-class lifestyles and to communicate their social position to others. Scripts are sets of expectations that are unconsciously activated by individuals in their everyday lives as a way of arriving at an appropriate response to a situation.« 283
Sie grenzt script-switching dabei von dem in der Forschung zu diesem Thema häufiger verwendeten code-switching ab, welches sich vor allem auf eine andere Weise zu sprechen bezieht.284 Lacy ist es wichtig zu betonen, dass es nicht nur um eine andere Art der Sprache gehe, sondern dass Afroamerikaner »temporarily take on a whole new substitute set of social roles to perform.«285 Durch das Versprechen, mittels sozialen Aufstiegs den negativen Zuschreibungen von Seiten der dominanten Gruppe entfliehen zu können, wird die Solidarität innerhalb der black community aufgebrochen – was insofern paradox ist, als dass genau dieselbe dominante Gruppe die black community zuvor über eine essentialistische Konstruktion von Rassekategorien überhaupt erst als soziale Gruppe definiert hat. Der amerikanische Diskurs zu Rasse und derjenige zu Klasse schaffen somit eine widersprüchliche Situation: »Whereas gender and race discourse homogenize subjects by insisting on similarities or dissimilarities across groups, hegemonic American class discourse actually has operated as a heterogenizing force.« 286
Vershawn Young weist denn auch darauf hin, dass das Streben eines Afroamerikaners nach sozialem Aufstieg vor allem als Versuch gewertet werde, nicht mehr Teil der black community zu sein: »The problem here is this: the difference between race and class does not apply in the same way for blacks as it does for whites. […] Thus in a world where being lower class and being black are completely identified, the effort to stop being lower class must at the same time be understood as the effort to be white, or at least to stop being black.« 287
283 | Lacy, Karyn R. 2007: Blue-Chip Black. Race, Class, and Status in the New Black Middle Class, Berkeley/Los Angeles, S. 88. 284 | Zu black English siehe Kap. III.2 e) »Warum Homophobie zu schlechten Schulnoten führt«. 285 | Lacy 2007, S. 91. 286 | Rottenberg 2008, S. 65. 287 | Young 2007, S. 77f.
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Die unteren sozialen Schichten der black community reagieren daher auf Afroamerikaner, die den sozialen Aufstieg geschafft haben, entsprechend negativ. Derrick Bell, der selbst 1969 als erster Afroamerikaner einen Lehrstuhl für Recht in Harvard erhalten hatte und selbst ein Teil dieser black elite ist, bedauert: »Our success has served to separate us from the great mass of our people.«288 Erfolgreiche Schwarze seien das Hassobjekt der schwarzen Unterschicht, selbst wenn man, wie er selbst, dafür arbeite, dass langfristig alle Afroamerikaner den Aufstieg schaffen können. Und da die schwarze Unterschicht beständig wachse, steige auch die Wut auf erfolgreiche Schwarze, während die amerikanische Gesellschaft letztere als Feigenblatt dafür benutze, sich nicht sozial für Afroamerikaner einzusetzen, denn wenn manche es aus eigener Kraft schaffen konnten, könnten es die anderen auch von alleine.289 Die schwarze Mittelschicht ist daher in dem Dilemma (»dilemma of authentic blackness«290) gefangen, sich einerseits den Normen und Werten der weißen Mehrheitsgesellschaft anpassen zu müssen, um den sozialen Aufstieg nicht zu gefährden, andererseits aber schlägt ihr von den unteren sozialen Schichten der black community genau dafür Ablehnung entgegen. Sie werfen ihr Entsolidarisierung vor und sprechen ihr die Authentizität als Schwarze ab: »Middle-class blacks want integration, but they also recognize that race still matters, both in the white world and in the black world. In the white world, they often contend with discrimination in its various forms, as well as prejudice and stereotyping. In the black world, in order not to risk alienation or ostracism, they have to contend with identity and authenticity issues.« 291
Doch andererseits besitzt der American Dream auch innerhalb der black community eine starke Anziehungskraft. Die Journalistin Itabari Njeri ist sogar davon überzeugt, dass Afroamerikaner sich den sozialen Aufstieg sehnlicher wünschten als weiße Amerikaner: »Most Black people do not have a desire to be segregated again. Most Black people want the American dream more badly, more desperately than most White people want it – meaning material wealth in more deep-in-the-heart ways than White people.« 292
Die Spaltung, die sich innerhalb der black community zwischen der sozial aufgestiegenen schwarzen Mittelschicht und den abgehängten Bewohnern der Innenstadtghettos auftut, die gleichwohl auf die Versprechen des American Dream 288 | Bell 1998, S. 216. 289 | Bell 1998, S. 216. 290 | Lacy 2007, S. 156. 291 | Lacy 2007, S. 160. 292 | Njeri 1998, S. 230.
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hoffen, spiegelt sich auch im Verhältnis der black church zur schwarzen Unterschicht wieder. Seit den 1980er Jahren zieht die schwarze Mittelschicht aus den Innenstädten weg und siedelt sich in Vororten an, in denen das soziale Gefälle geringer und die Schulen besser sind. Ihre Kirchengemeinden bleiben zurück, doch diese verlieren zunehmend den Bezug zu dem verarmenden sozialen Umfeld.293 In armen Wohngegenden gehen zudem immer weniger Bewohner regelmäßig in die Kirche. Der Unterscheidung zwischen churched und unchurched, also von denjenigen, die sich noch einer Gemeinde zugehörig fühlen und denen, die keine Bindung an die Kirche mehr haben, korreliert mit dem, was der Anthropologe Elijah Anderson (1999) als decent und street bezeichnet hat, d.h. einerseits die Gruppe der ›Anständigen‹, die ein ordentliches Zuhause haben und einer geregelten Arbeit nachgehen, und andererseits derjenigen, deren Leben auf der Straße stattfindet, sei es, weil sie obdachlos sind oder zumindest in prekären Wohnverhältnissen leben, da sie, wenn überhaupt, nur unregelmäßig Arbeit haben. So, wie sich die Gruppen decent und street zunehmend einander entfremden, da sich ihre Lebenswelten räumlich entflechten, nimmt auch bei den Gruppen churched und unchurched die Interaktion dramatisch ab.294 Gerade Afroamerikaner in sozial benachteiligten Wohngegenden fühlen sich von den schwarzen Kirchen im Kampf gegen die tägliche Armut und ihre Folgeerscheinungen im Stich gelassen. So glauben beispielsweise viele schwarze Kirchgänger nach Ausweis einer Studie aus Bedford-Stuyvesant/Brooklyn, dass die Kirchen sich nur unzureichend für bessere Wohnbedingungen, für Bildung und Ausbildungsplätze engagieren und gleichzeitig zu wenig gegen die im Stadtteil omnipräsente Kriminalität tun.295 Eine im Jahr 2000 auf nationaler Ebene durchgeführte Studie, die Religion and Politics Survey, ergab, dass eine Mehrheit schwarzer Kirchgänger bemängelt, dass ihre Pastoren in den Predigten das Thema Ungleichheit nicht ansprechen würden. 53 % von ihnen sagten aus, bisher keine Predigt zu der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich gehört zu haben. Außerdem kritisierte fast die Hälfte, es werde in den Kirchen überhaupt nicht über social welfare gesprochen: 48 % der Befragten hatten Predigten zu der Frage vermisst, was denn die Regierung für den Kampf gegen die Armut und für die Probleme armer Menschen tue.296 Der Theologe James Cone behauptet, die black theology habe seit den 1990er Jahren einen verstärkten Fokus auf die Verknüpfung von Rassen- und Klassenfragen gelegt, denn wenn man rassistische Diskriminierung verstehen wolle, ohne dabei die Klassendimension des heutigen Rassismus zu beachten, gelinge es nicht, die Komplexität von Unterdrückungsstrukturen zu verstehen:
293 | Owens 2007, S. 49. 294 | Owens 2007, S. 50. 295 | Owens 2007, S. 125. 296 | Owens 2007, S. 230, n.6; vgl. dazu ausführlicher: Robert Wuthnow 2000: After Heaven: Spirituality in America since the 1950s, Berkeley, v.a. Kap. 2 und 3.
Autoritätskämpfe »An exclusive focus on racial injustice without a comprehensive analysis of its links with corporate capitalism greatly distorts the multidimensional character of oppression and also camouflages the true nature of modern racism.« 297
Der afroamerikanische Politikwissenschaftler und Pastor Eric McDaniel nimmt die Entwicklung jedoch genau umgekehrt wahr. Seiner Meinung nach wird gerade in schwarzen Kirchen, vor allem in den sogenannten Megachurches, eine prosperity theology gepredigt, derzufolge Gott will, dass Christen materielle Güter anhäufen und nach ihrer persönlichen Rettung streben. Diese Lehre untergrabe das, was lange Zeit das Herzstück schwarzer christlicher Theologie gewesen sei, den sogenannten social gospel: »The growing popularity of prosperity theology creates an even greater fear that poor Blacks’ interests will be further marginalized«298, so McDaniel in seiner Analyse zur politischen Mobilisierung schwarzer Kirchen heute. Ausgerechnet die schwarzen Kirchen in armen Stadtvierteln, deren Gemeindemitglieder es am dringendsten nötig hätten, dass ihre Interessen in die Öffentlichkeit getragen werden, brächten sich am wenigsten politisch ein, während die Kirchen der schwarzen Mittelschicht einer Wohlstands- und Aufstiegsideologie anhingen, die Solidarität mit den Armen zunehmend durch individualistisches Denken ersetze.299 In den sozial schwierigen Wohnvierteln solidarisieren sich die Pastoren zwar offiziell mit den Armen, gleichzeitig verringert sich die Mitgliederzahl dort am kontinuierlichsten.300 Und auch wenn in den schwarzen Kirchen die Führungsebenen nach wie vor männlich dominiert sind301, nimmt im Hinblick auf die Gemeindemitglieder seit den 1990er Jahren vor allem in den Großstädten die Bindung schwarzer Männer an die Kirchen drastisch ab, so dass die black church eben jene Gruppe am wenigsten erreicht, deren soziale Notlage angesichts hoher Arbeitslosigkeit und steigender Inhaftierungsraten302 am offensichtlichsten ist: »A generation ago, four out of every five inner city black men had some contact with church or Sunday School. Today, studies show three out of five have no church contact whatsoever.« 303
Während die Kirchen in den Ghettos amerikanischer Großstädte somit an Einfluss verlieren, nimmt derjenige des afroamerikanischen Islam zu. Dies geschieht 297 | Cone 1970, S. Xviii. 298 | McDaniel 2008, S. 154. 299 | McDaniel 2008, S. 163. 300 | Wald, Kenneth 2003: Religion and Politics in the United States, Lanham, S. 284. 301 | McDaniel 2008, S. 155. 302 | Siehe zur schwierigen sozialen Situation afroamerikanischer Männer Kap. III.2, »Prekäre Männlichkeit«. 303 | Pinn, Anthony B. 2002: The Black Church in the Post-Civil Rights Era, Maryknoll, S. 20.
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in unterschiedlichen Ausprägungen, da sowohl die Nation of Islam (NOI) als auch Moscheen, die sich eher einem ›Mainstream‹-Islam zurechnen lassen, wenn auch in schwarzer Ausprägung, in den sozial schwierigen Wohnviertel steigende Präsenz zeigen. Dass gerade Moscheen in diesen Gegenden oftmals nur oder fast nur von Afroamerikanern besucht werden, hat dabei weniger damit zu tun, dass afroamerikanische Muslime den Kontakt zu Immigranten bewusst vermeiden wollen, sondern steht im Zusammenhang mit den obigen Ausführungen zum Verhältnis von Rasse und Klasse und der damit verbundenen räumlichen Segregation in den USA. Muslimische Immigranten gehören tendenziell eher der Mittel- bis Oberschicht an. Damit einhergehend verfügen sie sowohl über einen durchschnittlich höheren Bildungsgrad als auch über größere finanzielle Ressourcen.304 Nach wie vor erhalten viele Moscheen, die in der Mehrheit von Immigranten besucht werden, finanzielle Unterstützung aus Übersee, auch wenn zunehmend vor Ort in Amerika selbst Gelder eingeworben werden.305 So schätzte ein saudischer Beamter im Jahre 2001, dass rund die Hälfte aller amerikanischen Moscheen und islamischen Schulen saudisches Geld erhalten haben.306 Mithilfe der daraus resultierenden finanziellen Spielräume errichten muslimische Immigranten in großer Zahl Moscheen, islamische Zentren und andere islamische Einrichtungen, von denen ihre afroamerikanischen Glaubensbrüder und -schwestern oft nur träumen können. Sie errichten sie oftmals in Stadtteilen, in denen ohnehin wenige Afroamerikaner leben. Reichere afroamerikanische Muslime wiederum wenden sich oftmals von den armen schwarzen Communities ab und schließen sich einer Immigrantengemeinde an, was wiederum damit zusammenhängt, welche soziale Schicht sich in welchen Gegenden niederlässt.307 Ein großer Teil der Einwanderer, die in die USA kommen, ist zudem nicht gewillt, sich mit dem Rassismus, dem Afroamerikaner bis heute ausgesetzt sind, auseinanderzusetzen. Um möglichst schnell ihren eigenen Platz in der amerikanischen Gesellschaft zu finden, benutzen sie sogar im Gegenteil – ganz im Sinne der Schwarz-WeißDichotomie der amerikanischen Rassenhierarchie – Afroamerikaner als negative Projektionsfläche, von der sie sich abgrenzen müssen, um sich selbst als ›weiß‹ zu konstituieren, wobei sie im Ergebnis oft noch unsolidarischer mit Afroamerikanern umgehen als manche Weiße: »Many immigrants recognize that African Americans suffered injustices in the past, but do not see them as affected by racism in the present. Even compared to progressive white 304 | Wadud 2003, S. 272. 305 | Niebuhr, Gustav 2002: »Muslims in America: Identity Develops as a Community Grows«, in: Carnegie Reporter 1 (4), auf: www.carnegie.org/reporter/04/mulims/index. html (abgerufen am 09.07.2011). 306 | Barrett 2007, S. 12; siehe auch Abdo, Geneive 2006: Mecca and Main Street: Muslim Life in America after 9/11, New York, S. 49. 307 | Wadud 2003, S. 272.
Autoritätskämpfe Americans, immigrants tend to be less sympathetic to current race-class struggles and disparities reflected in African American communities.« 308
Jamillah Karim ist überzeugt, dass der nachgewiesene Erfolg insbesondere südasiatischer Muslime primär auf eine Einwanderungspolitik zurückzuführen sei, welche gebildete, gut verdienende Immigranten bevorzuge, und auf ein System, das bereit sei, letzteren das Privileg der whiteness zuzusprechen: »The incredible success of South Asian immigrants, for example, reflects immigration policies that favor highly educated immigrants and an American capitalistic ethos that affords high income groups the privilege of whiteness, therefore, acceptance.« 309
Den höheren sozialen Status südasiatischer Einwanderer könne man bereits an Statistiken ablesen, so eine Studie der State University of New York in Albany. Im Vergleich zu Afroamerikanern haben Südasiaten demnach im Durchschnitt ein wesentlich höheres Einkommen und bevorzugen bessere Wohngegenden.310 Zwar erführen auch Südasiaten Diskriminierung, doch reagierten sie in der Bemühung, Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden, auf Versuche anderer, sie als ›nicht weiß‹ zu deklarieren, umso stärker mit Rassismus gegenüber Schwarzen und Latinos, so Karim: »However, at the same time that south Asian immigrants resist racial categories that position them as ›not white,‹ they sustain ›antiblack and Latino racism‹ as they seek inclusion in the larger society.« 311
Südasiatische Einwanderer, die sich selbst als model minority312 stilisieren – offensichtlich in Abgrenzung zu anderen Minderheiten –, sind beispielsweise mehrheitlich gegen Affirmative Action, jenes staatliche Quotenprogramm, das 308 | Stepick, Alex/Guillermo Grenier/Max Castro/Marvin Dunn 2003: This Land is Our Land: Immigrants and Power in Miami, Berkeley, S. 81. 309 | Karim 2006b, S. 228. 310 | Karim 2006b, S. 228. 311 | Karim 2006b, S. 228. 312 | Bagby, Ihsan 2001/2002: »A Profile of African-American Masjids: A Report from the National Masjid Study 2000«, in: Journal of the Interdenominational Theological Center 29 (1-2), S. 217; zu südasiatischen muslimischen Einwanderern in die USA siehe: Mohammad-Arif 2002; Mohammad-Arif weist daraufhin, dass das Etikett ›model minority‹ für südasiatische Einwanderer auch negative Auswirkungen hat. So seien Behörden schwieriger zu überzeugen, ihnen Zugang zu Sozialleistungen gewähren, da Südasiaten pauschal als wohlhabend wahrgenommen würden. Zudem würde die Zuschreibung Feindseligkeiten von sozial schlechtergestellten Minderheiten wie Afroamerikanern und Hispanics bewirken, während wiederum weiße Rassisten sie wesentlich weniger als Zielgruppe von hate crimes
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z.B. Plätze an Hochschulen oder Arbeitsstellen nach Kriterien vergibt, die Rasse und Geschlecht berücksichtigen. Von Affirmative Action profitieren vor allem Afroamerikaner.313 Aminah McCloud kritisiert muslimische Einwanderer, die so wenig Sensibilität für die prekäre Lage der black community und insbesondere afroamerikanischer Muslime zeigten, obwohl sie denselben Glauben teilten: »The Islamic world is proud to count us for statistics, but they have no interest in assisting us toward freedom in this land where they are also pursuing the American Dream.«314 An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass Südasiaten und Araber die größte Gruppe unter eingewanderten Muslimen stellen, doch gibt es auch schwarze Immigranten aus Afrika sowie aus der Karibik. Darunter sind ebenfalls Muslime, doch die Situation stellt sich ähnlich wie diejenige im Hinblick auf Immigranten aus anderen Teilen der Welt dar: Unabhängig von Religionszugehörigkeiten wird – von beiden Seiten – im allgemeinen unterschieden zwischen ›richtigen‹ Afroamerikanern, also den Nachfahren der einstigen Sklaven auf der einen, sowie Schwarzen aus der Karibik und aus Afrika, deren Vorfahren nach dem Ende der Sklaverei in die USA eingewandert sind bzw. die selbst Einwanderer sind auf der anderen Seite. Viele Afrokariben weigern sich, als ›Afroamerikaner‹ bezeichnet zu werden.315 Außerdem kritisieren viele schwarze Immigranten, dass Afroamerikaner zu sehr auf dem Thema Rasse herumritten und die Auswirkungen von Rassezuschreibungen auf ihr Leben überbetonten.316 Auch im Hinblick auf sozialen Status gibt es Unterschiede: Afrokariben erreichen im Durchschnitt öfters und bessere Universitätsabschlüsse als Afroamerikaner und verdienen später mehr als diese.317 Wenn schwarze Einwanderer – gerade aus der Karibik – nach ihrer Ankunft in den USA jedoch zum Islam konvertieren und nicht schon gebürtige Muslime sind, wie es für meisten Einwanderer aus Afrika der Fall ist, dann verorten sie sich offensichtlich doch innerhalb der black Muslim community, als ob die Konversion eine bewusste Affirmation ihrer blackness und ein Bekenntnis zur black community sei. Zaheer Ali, der an der Columbia University forscht und lehrt, als Jugendlicher in der NOI war und sich heute eher im afroamerikanischen Mainstream-Islam, gleichwohl mit NOI-Affinität, verortet, hat ebenso einen karibischen Familienhintergrund wie Louis Farrakhan, der von den westindischen Inseln stammt, und auch Nurah Amatalluh wurde in Trinidad im Visier hätten, da deren Angriffe sich auf Latinos und Schwarze konzentrierten. Vgl. dazu Mohammad-Arif 2002, S. 236f. 313 | Bagby 2001/2002, S. 217. 314 | McCloud 1991, S. 186. 315 | Karim 2006b, S. 228; siehe zu afrokaribischen Immigranten ausführlich: Mary C. Waters 1999: Black Identities: West Indian Immigrant Dreams and American Realities, New York. 316 | Karim 2006b, S. 228. 317 | Karim 2006b, S. 228.
Autoritätskämpfe
geboren, ist als junge Frau in den USA zum Islam konvertiert und leitet heute ein islamisches Frauen- und Sozialzentrum in der Bronx.318 Nichtsdestotrotz wird im Diskurs afroamerikanischer Muslime vor allem auf Einwanderer aus der arabischen Welt und Südasien rekurriert, wenn es um Rassismus und soziale Ungleichheit innerhalb der muslimischen Community der USA geht. Rassen- und Klassenunterschiede gehen miteinander einher und verstärken sich gegenseitig. Selbst die Beliebtheit des afroamerikanischen Imam Siraj Wahhaj unter Immigranten kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass er als begabter Fundraiser gilt und für deren Gemeinden schon des öfteren als ›Starredner‹ bei entsprechenden Abendveranstaltungen fungiert hat.319 Paradoxerweise trägt er damit zur Vertiefung der Klassengräben zwischen afroamerikanischen Muslimen und Immigranten bei, statt diese zu verringern. Das Geld, das er dort einwirbt, kommt nämlich in der Regel nicht seiner eigenen Community zu, die nach wie vor in einer zu kleinen und fensterlosen Flachdachmoschee in Brooklyn haust, sondern den ohnehin schon reicheren Gemeinden, wie z.B. dem Islamic Center in Long Island. Nurah Amatullah, die afroamerikanische Direktorin des Muslim Women’s Center for Research and Development in der Bronx, spottet: »They build their beautiful mosques, and his community remains poor as ever before. So you think they like him? They respect him? They need him, and he allows them to instrumentalize him.« 320
Während ein berühmter Imam, mag er auch Afroamerikaner sein, in den Moscheen der Einwanderer zumindest zu besonderen Anlässen willkommen ist, gilt das für die Gläubigen nicht unbedingt. Imam Zaid Shakir hat beobachtet, dass nicht nur afroamerikanische, sondern auch Latino-Konvertiten, die aufgrund mangelnder Angebote in ihrer Umgebung keine Wahl hätten und in Immigrantenmoscheen gehen müssten, durch subtilen Rassismus von der Partizipation abgehalten würden. Das Schlimmste daran sei, dass in diesen Moscheen oft nicht einmal die Bereitschaft bestehe, die rassischen und ethnischen Friktionen überhaupt als existent anzuerkennen, so dass sich die Konvertiten langsam zurückzögen.321 Afroamerikaner agieren somit nicht selbst, sondern sie reagieren notgedrungen. Zwar tragen Afroamerikaner ebenfalls zur ethnisch/rassischen Spaltung der muslimischen Community bei, wenn sie sich in ›schwarze Moscheen‹ zurückziehen, und hegen ebenfalls Vorurteile gegen die Immigranten, doch seien sie dabei das schwächere Glied. Der Diskurs geschehe nicht auf Augenhöhe, sondern werde von den Immigranten dominiert, so Jamillah Karim:
318 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, 24.05.2008. 319 | Barrett 2007, S. 129. 320 | Gespräch mit Nurah Amatullah, 25.04.2008. 321 | Shakir 2005, S. 108.
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In den Großstädten, in denen die Zahl afroamerikanischer Muslime hoch ist, besuchen diese in der Mehrheit Moscheen, die ›schwarz‹ sind, sogenannte black mosques. Die Masjid at-Taqwa in Brooklyn kann mit Sicherheit als solche bezeichnet werden. Nicht nur Imam Siraj Wahhaj ist Afroamerikaner, sondern sein gesamtes Team von der Sekretärin bis zum Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit, von den Hausmeistern und Sicherheitsbediensteten bis zur Frauenbeauftragten. Abgesehen vom Freitagsgebet besuchen die Moschee vor allem Afroamerikaner und einige afrikanische Muslime, die in der Nachbarschaft wohnen. Selbst freitags stellen Afroamerikaner immer noch über zwei Drittel der Anwesenden dar. Alle Predigten finden ausschließlich auf Englisch statt. Imam Siraj ist nicht nur für die Gebete und Predigten zuständig, sondern fungiert auch als der unangefochtene Leiter des gesamten Moscheeprojekts. Allein das unterscheidet seine Moschee von der typischen Immigrantenmoschee in Amerika. In afroamerikanischen Moscheen ist der Imam selbst das Oberhaupt seiner Gemeinde. Geld bekommt er hierfür in der Regel nicht. Daher muss er nebenher einer anderen Arbeit nachgehen.323 Oder er muss wie manche über ihre Moschee hinaus populäre Imame durch Vorträge und den Verkauf von Büchern und CDs Geld verdienen – siehe das Beispiel Imam Siraj Wahhaj. Der Vorstand kommt in afroamerikanischen Moscheen nur zu bestimmten Anlässen zusammen, wenn ein solcher überhaupt existiert.324 In den Moscheen der Immigranten bestimmen hingegen in der Regel die Hauptgeldgeber, wer im Vorstand sitzt. Der Vorstand übernimmt de facto die Leitung der Moschee, während der Imam meist aus dem Ausland geholt wird und nur für religiöse Aufgaben wie die Leitung des Gebets zuständig ist.325 Als Angestellter kann der Imam bei Streitigkeiten jederzeit ausgetauscht werden.326 ›Import-Imame‹ sprechen in der Regel nur schlecht Englisch, haben keine Kenntnis der spezifischen Situation amerikanischer Muslime und können sich deswegen nur schwierig in die Probleme vor Ort einfühlen.327 Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren immer stärker gefordert, dass Imame in Amerika religiös ausgebildet werden. Khaled Abou El Fadl, arabischer Herkunft und Professor für Islamisches Recht an der UCLA, hatte sich schon 1999 über eine Zusammenkunft von fiqh-Spezialisten, also Gelehrten für islamisches Recht, in Detroit echauffiert. Die meisten von ihnen hätten nie in Amerika gelebt. Den322 | Karim 2006b, S. 226. 323 | Wadud 2003, S. 272. 324 | Wadud 2003, S. 272. 325 | Wadud 2003, S. 272. 326 | Abdo 2006, S. 53ff. 327 | Takim 2002, S. 223.
Autoritätskämpfe
noch würden sie als »oil-nurtured plutocracy«328 nun ihre Meinung zu Themen, die amerikanische Muslime betreffen, veröffentlichen.329 Ironisch mutet hier der Kommentar an, dass für die Leitung einer Moschee heutzutage ohnehin die Wirtschafts- und Computerkenntnisse von Ingenieuren und Ärzten wichtiger seien als eine religiöse Bildung.330 Mohammad Musa, der selbst zwanzig Jahre lang als Imam in einer Moschee in Dearborn angestellt war, zeigt sich jedenfalls frustriert über die Tatsache, dass im Vorstand de facto nicht dafür ausgebildete Muslime die Leitlinien der Moschee vorgeben sollen: »But the board came to lead the community, and they tried to control the imams. But an imam has his own vision based on the Koran and the Sunnah, and they are supposed to accept that. The men on the board don’t even have Islamic degrees, but they still questioned me, ›Why do you say that and this?‹ No imam would accept this.« 331
Afroamerikanische Muslime, welche die Erfahrung gemacht haben, sich in Moscheen, die von Immigranten besucht werden, unwillkommen zu fühlen, tendieren dazu, sich ihrer schwarzen Identität und des Rassismus unter amerikanischen Muslimen bewusster zu werden. Jamillah Karim führte zum Beispiel ein Gespräch mit drei muslimischen Frauen, die alle dieselbe Moschee besuchten, welche von Immigranten dominiert wurde. Nur eine der Frauen war Afroamerikanerin, und obwohl eine der beiden anderen aus Afrika stammte, also ebenfalls schwarz gewesen sei, habe sich die afroamerikanische Muslimin in der Moschee benachteiligt gefühlt, weil ihr – als Afroamerikanerin – permanent das Gefühl gegeben worden sei, den sozialen Ansprüchen ihres Umfelds nicht zu genügen. »If I am in an environment where the people constantly infer that my education level isn’t what it should be, or I don’t live in the right neighborhood and don’t earn enough money, or I’m not doing whatever specific profession, it will have an effect on me. It will make me more conscious of who is around me and that even though we are Muslim sisters, there are still barriers that come in between us.« 332
Nun stellt sich die Frage, ob sich das Verhältnis von afroamerikanischen Muslimen und Einwanderern ändern würde, wenn sich die ökonomische Situation der black community verbesserte und das soziale Gefälle zwischen beiden Gruppen nicht mehr so eklatant wäre. Wäre dem tatsächlich so, könnte man auf den ersten Blick behaupten, dass die Rassenfrage dann eigentlich nur eine Klassenfrage sei, die man mit entsprechenden Investitionen in Armutsbekämpfung, Bil328 | Abou El-Fadl, Khaled: »The Page«, in: The Minaret, Januar 2000, S. 41f. 329 | Leonard 2005, S. 11. 330 | Leonard 2005, S. 12. 331 | Abdo 2006, S. 54. 332 | Karim 2006b, S. 229.
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dung und Arbeitsmarkt in den Griff bekommen kann. Wenn man die Situation jedoch genauer betrachtet, stellt man schnell fest, dass die Wahrnehmung von sozialen Gruppen die politische Realität bedingt und formt. So werden beispielsweise Schulen in armen Stadtteilen mit weniger – und nicht etwa mehr – Geld ausgestattet als solche in reicheren Gegenden, das Justizsystem versucht nicht, strukturelle Diskriminierung von Afroamerikanern in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt durch eine ausgleichende Rechtsprechung zu kompensieren, sondern verschärft diese durch entsprechende Urteile sogar noch, und seit den 1980er Jahren kommt aus allen politischen Lagern zunehmend Kritik an Affirmative Action-Programmen, von denen vor allem Afroamerikaner profitieren.333 Angesichts dieser Umstände glaubt Aminah McCloud, dass die oft propagierte These von Bildung als einzigem Ausweg aus der Dauerarmut für Afroamerikaner eine Illusion darstelle: »Unfortunately, American education is not designed to override racism and oppression experienced by African-Americans. In fact, education as a tool for the realization of the American Dream is generally ineffective. For the vast majority of African-Americans, education does not eradicate poverty.« 334
Malcolm X beschreibt in seiner Autobiographie einen Streit, den er mit einem College-Professor hatte. Dieser Dozent war selbst schwarz, doch Malcolm X’ Ansichten, damals noch stark durch die Lehren der NOI geprägt, waren ihm zu radikal. Der Professor glaubte an Aufstieg durch Bildung und Willen. Er widersprach in dem Streit Malcolms Behauptung, dass rassistische Unterdrückung ein konstituierendes Element der amerikanischen Gesellschaftsordnung sei: »For X the professor’s speech and views not only represented identification with whites and wholesale assimilation into white culture but was also a way for some middle-class blacks to repudiate and distance themselves from other (ghetto) blacks.« 335
Malcolm war überzeugt, dass sein Dozent einer gefährlichen Illusion anhing, und so entgegnete er ihm auf dessen Vorwürfe hin, Malcolm sei ein »divisive demagogue« und ein »reverse racist«: »Do you know what white racists call black PhD’s? […] Nigger!«336 Das Versprechen auf den American Dream führt somit nach Malcolms Meinung nur zu einer Entsolidarisierung innerhalb der black community und damit zu einem dis-empowerment der Gruppe innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, während diejenigen, die zumindest in begrenztem Maße den 333 | Zu rassistischer Diskriminierung im Bildungs- und Rechtssystem siehe Kap. III.2 e) »Warum Homophobie zu schlechten Schulnoten führt«. 334 | McCloud 1991, S. 179. 335 | Young 2007, S. 89. 336 | X 1965, S. 284; Young 2007, S. 88.
Autoritätskämpfe
Aufstieg schaffen, von Weißen niemals wirklich anerkannt werden – aufgrund ihrer Hautfarbe. Die Nation of Islam (NOI) propagiert aus diesem Grund für Afroamerikaner einen gänzlich anderen Weg, der es ihnen einerseits ermöglichen soll, ihren persönlichen American Dream zu realisieren, und sie andererseits unabhängig machen soll vom Entgegenkommen der weißen Mehrheitsgesellschaft in Form von Sozial- und Bildungsprogrammen, Quoten für Minderheiten, Arbeitsmarktpolitik usw. Ziel der NOI ist es, der Entsolidarisierung innerhalb der black community entgegenzuwirken, die nach Meinung Louis Farrakhans ein Produkt der Bürgerrechtsbewegung sei. Diese habe nicht den erhofften wirtschaftlichen Erfolg für die gesamte Gesellschaft gebracht, zudem die black community in eine Unterschicht und eine Mittelschicht gespalten, und die Schere zwischen beiden Gruppen gehe seitdem stetig auseinander.337 Der Staat hat dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen. Säkulare Sozialprogramme, die das Leben in den afroamerikanischen Ghettos der Großstädte verbessern sollen, scheitern seit Jahren. Selbst afroamerikanischen Trägern gelingt es in der Regel nicht, mit solchen Programmen Erfolg zu erzielen, die zuvor in ähnlicher Weise bei allen anderen Immigrantencommunities funktioniert hatten. Dies, so Robert Dannin, sei ein Hinweis auf ein Verschwinden von ökonomischer und politischer Ordnung sowie traditioneller Quellen moralischer Autorität in den schwarzen Problemvierteln.338 Im Gegensatz dazu erzielten von afroamerikanischen muslimischen Gruppen etablierte Programme erstaunliche Erfolge. Diese seien in der Lage, Netzwerke der Solidarität und Reziprozität und nebenbei eine kollektive Identität für die schwarze Unterschicht zu schaffen.339 Die Nation of Islam ist hierbei von allen muslimischen Organisationen die aktivste Gruppe. Grundlegend für das Engagement der NOI sind die Thesen, dass Kapitalismus an sich nicht das Übel sei, das es zu beseitigen gelte, sondern dass das System der white supremacy Afroamerikanern nicht erlaube, am Kapitalismus als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft teilzuhaben. Aus diesem Grund müssten Afroamerikaner sich aus dem Wirtschaftskreislauf, der von Weißen dominiert werde, befreien und parallele ökonomische Strukturen, die sogenannte black economy, auf bauen. Reichtum an sich ist für die NOI positiv besetzt. Bereits Elijah Muhammad hatte sich zur Freude an materiellem Besitz bekannt: »Certainly we want wealth. We cannot enjoy life without wealth, but we should economize that wealth until we are equal with other nations in the way of economics.«340 Materielle Unabhängigkeit machte Muhammad zur Voraussetzung für Freiheit. Erst durch ökonomischen Erfolg und Reichtum zeige ein Volk, dass es der Freiheit würdig sei:
337 | Kelleter 2000, S. 38. 338 | Dannin 2002, S. 238. 339 | Dannin 2002, S. 238. 340 | www.muhammadspeaks.com/Economy.html (abgerufen am 30.11.2009).
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Die Erben des Malcolm X »Today I say right here, that we are proving ourselves unworthy of the freedom to become an independent nation, by our refusing the responsibility to go out like men and women seeking the necessities of life and well-being of our own self and nation.« 341
Louis Farrakhan warnt Afroamerikaner davor, sich von den Weißen eine Verbesserung ihrer Lage zu erhoffen. Dies würde bedeuten, sich in die Sklavenmentalität zurückdrängen zu lassen, anstatt selbst aktiv an der eigenen Befreiung zu arbeiten: »Black leadership cannot go to the government to beg it to provide a future for us. Putting the beg on America is not a wise program for our leaders to advance on behalf of the people. That old slave mentality that keeps us at odds with one another and dependent on White people has to be broken.« 342
Um die black community zu befreien, so Farrakhan, sei es nötig, sich zu dem Gott, den die NOI propagiert – also dem schwarzen Gott –, zu bekennen und die Sünde, d.h. den Glauben an die white supremacy, abzulegen: »Freedom can’t come from white folks. Freedom can’t come from staying here and petitioning this great government. We’re here to make a statement to the great government, but not to beg them. Freedom cannot come from one but the god who can liberate the soul from the burden of the sin.« 343
Beim Million Man March im Jahre 1995 ließ Louis Farrakhan die Teilnehmer, in der Mehrheit afroamerikanische Männer, unter anderem geloben: »I […] pledge that I will strive to build business, build houses, build hospitals, build factories, and then to enter international trade for the good of myself, my family, and my people.« 344
Seinen eigenen Reichtum rechtfertigt Louis Farrakhan damit, dass dieser ein Zeichen nach außen setze, um andere Afroamerikaner zu motivieren, sich ebenfalls dem Islam anzuschließen in der Hoffnung auf materiellen Wohlstand: »Negroes place a high value on things like this. Personally, I prefer any little old car … but if I did so, Negroes would say, ›Islam made him poor‹.«345 Farrakhan möchte der black community nicht nur beweisen, dass der Islam wirtschaftlichem Erfolg nicht widerspricht, sondern auch, dass er geradezu der Weg schlechthin zum Erfolg ist. 341 | www.muhammadspeaks.com/Employment.html (abgerufen am 30.11.2009). 342 | www.finalcall.com/artman/publish/article_1355.shtml (abgerufen am 30.11.2009). 343 | Farrakhan beim Million Man March, zitiert nach: Kelleter 2000, S. 35. 344 | Kelleter 2000, S. 43. 345 | Zitiert nach: Magida 1996, S. 106.
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Die ökonomische Botschaft der NOI integriert somit die kapitalistischen Werte der USA in die eigene Version eines black capitalism: »We used to say,’Do you want money, good homes, good friends? Join the Nation of Islam.‹ And they would come to meetings and see brothers with jobs in suits and ties – and sign up on the spot.« 346
Die Versprechen der Weißen, mittels Bildung und politischer Macht den sozialen Aufstieg zu schaffen, hätten sich schließlich nicht erfüllt: »White folks have told us, ›get education, you’ll make it.‹ Then after we got education and didn’t make it they said, ›seek political power and you will make it.‹ We went and we have black mayors, we have black this, black that, still powerless. Now we found out what the real deal is, where the real ball is, and the real deal and the real ball is ECONOMICS, ECONOMICS, ECONOMICS, ECONOMICS. All praise is due to Allah.« 347
Nach Ansicht Farrakhans geben sich zu viele Afroamerikaner der Illusion hin, dass Gleichberechtigung der Ethnien vor allem durch politische Partizipation erreicht werden könne und somit jeder weitere schwarze Bürgermeister in einer amerikanischen Kleinstadt einen Sieg im Kampf gegen strukturelle Diskriminierung darstelle. Die eigentliche Macht läge in den USA jedoch eher bei den Wirtschaftsführern, so Farrakhan, die mittels der Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Lohnpolitik über Armut und Reichtum der Bürger entschieden. Somit gelte es, in diesem Machtbereich Fuß zu fassen: »If political power alone is the answer then we can tell it has failed, but politics cannot in and of itself be an answer […] If politics does not open the way for economic development of the people then it is a symbol without substance and has no value for us.« 348
Wofür Farrakhan überhaupt kein Verständnis hat, sind Afroamerikaner, die aus der Tatsache, dass Weiße ihnen die gleichberechtigte Teilhabe am American Dream vorenthielten, ihre eigene weinerliche Passivität rechtfertigen würden: »You live in the cities and the cities are decaying beneath your feet, but we have the resources to own them, to take them over, but you sitting around here looking for sympathy.
346 | So ein früherer Minister der NOI. Zitiert nach: Magida 1996, S. 64. 347 | Aus: Eure, Joseph D./Jerome, Richard M.(Hg.) 1989: Back Where We Belong: Selected Speeches by Minister Louis Farrakhan, Philadelphia, zitiert nach: VanDeburg 1997, S. 318. 348 | Farrakhan (1989), zitiert nach: Gardell 1996, S. 271.
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Statt des Staates solle sich private Wohltätigkeit, wie sie gerade in den USA oft im Kontext von Kirchen stattfindet, um die Armen und Entrechteten kümmern. Hierfür fordert Farrakhan »einen modernen Jesus als Anwalt der Armen«350, der sich für deren Rechte einsetzen müsse. Besondere Abscheu hegt Farrakhan gegen Afroamerikaner, die ihren Anspruch auf Sozialhilfe geltend machen. Staatliche Transferleistungen brächten denjenigen, der sie beziehe, in die Situation, Sklave der white supremacy zu werden, und das widerspräche der Vorstellung von schwarzer Selbstbestimmung: »Welfare if you turn it around means farewell. It means bye to the spirit of self-determination. It means so long to the spirit that God gives to every human being and the duty that God gives to every human being to do something for self. It makes you a slave. Welfare, farewell.« 351
Er wirft denjenigen in der black community, die ihre Armut beklagen, sogar vor, selbst an ihrer desolaten Situation schuld zu sein: »Last year, you poor people, you poor people spent 9 billion dollars on alcohol, poor people, 4 billion dollars on tobacco, and nearly 15 billion dollars estimated in illicit drugs, reefer, cocaine, heroin, pills. You poor people threw away nearly 30 billion dollars last year on death dealing drugs, and spent only 10 billion dollars to maintain your health. No wonder you are getting sick.« 352
Mit dem für Drogen, Tabak und Alkohol verschwendeten Geld, fügt er hinzu, hätte man die drei größten Fernsehstationen des Landes aufkaufen können.353 Mit diesem Vorwurf knüpft Farrakhan an Elijah Muhammad an, der sich bereits 1958 über Afroamerikaner empört hatte, die nicht in der Lage seien, zwischen sinnvollem und sinnlosem Konsum zu unterscheiden: »Stop wasting your money! Your money was not given to you, so why should you give it away for what you can do without? We could save millions of dollars for education, land, machines, cattle, home and factories. Feed your own stomachs and hire your own scientists from among yourselves. […] How can we begin? Stop spending money for tobacco, dope, cigarettes, whiskey, fine clothes, fine automobiles, expensive rugs and carpets, idleness, 349 | Farrakhan (1985), zitiert nach: Gardell 1996, S. 272. 350 | www.finalcall.com/artman/publish/article_1355.shtml (abgerufen am 30.11.2009). 351 | Farrakhan (1990), zitiert nach: Gardell 1996, S. 272. 352 | Eure/Jerome 1989, aus: VanDeburg 1997, S. 322f. 353 | Eure/Jerome 1989, aus: VanDeburg 1997, S. 322f.
Autoritätskämpfe sport and gambling. Stop living on credit loans seeking the highest priced merchandise. If you must have a car, buy the low-priced car. We must make a better future for ourselves and our children.« 354
Die Nation of Islam warnt ihre Anhänger nachdrücklich davor, sich zu verschulden, denn »debt is slavery.«355 Stattdessen sollten sie lernen, Geld zu sparen, um damit die black economy aufzubauen. Elijah Muhammad hatte bereits 1964 die Idee, dass jedes NOI-Mitglied über drei Jahre hinweg monatlich $10 auf freiwilliger Basis spenden solle. Von dem Geld wollte die NOI Unternehmen in verschiedenen Bereichen gründen. Die Idee war damals im Sande verlaufen, doch 1991 griff Louis Farrakhan den Three year economic savings-Plan wieder auf, zwar unter dem gleichen Namen, jedoch ohne Zeitbegrenzung. Im Dezember 1994 wurde von dem eingezahlten Geld erstmals Ackerfläche in Georgia gekauft. Bis heute kauft die NOI in verschiedenen Bundesstaaten der USA gezielt Land, auf dem die Muhammad Farms errichtet werden, die von Mais über Kartoffeln bis zu Weizen alles selbst anpflanzen.356 Bekannter als der Sparplan ist jedoch Farrakhans POWER-Projekt. POWER steht für »people organized and working for economic rebirth«. Hinter der 1985 aus der Taufe gehobenen Idee steht der Gedanke, dass Afroamerikaner alle Produkte, die sie selbst benötigen, auch selbst produzieren und somit unabhängig von der amerikanischen Industrie werden. Außerdem soll Geld, das von Schwarzen erarbeitet wurde, diesen erhalten bleiben, indem nicht mehr bei Weißen gekauft wird. Um dies zu erreichen, kann jeder schwarze Unternehmer und jeder schwarze Konsument für einmalig $10 einen Mitgliedsausweis erhalten. Kauft ein Mitglied etwas bei einem anderen Mitglied, so erhält der Käufer vom Verkäufer einen Rabatt auf seine Waren. Damit soll zum Vorteil der Geschäftsleute eine Kundenbindung innerhalb der schwarzen Community erreicht werden. Farrakhan rät jedoch den Unternehmern, dass sie sich nicht allein auf die Rabatte verlassen sollten. Vielmehr sei es nötig, dass die Kunden sich in den Läden höflich, respektvoll und kompetent bedient fühlten. Spätestens, wenn sie dann an der Reihe seien, das hart verdiente Geld auszugeben, würden sie für ihre Mühen belohnt und könnten den Triumph auskosten, den es bedeute, wenn man reich und nicht mehr arm sei: »Travel in the South and see how white people say sir. ›Yes suh, no suh, yes ma’m, no ma’m.‹ They ›suh‹ you to death to get that money.«357 Das Programm startete Louis Farrakhan 1985 mithilfe eines zinsfreien Darlehens des damaligen libyschen Staatsoberhaupts Mu’ammar alGhaddafi über 5 Mio. Dollar.358 Die Kauf kraft der afroamerikanischen Bevölke354 | »Muhammad Speaks« vom 16.08.1958, zitiert nach: Lincoln 1973, S. 91. 355 | Lincoln 1973, S. 90. 356 | Allen 1998, S. 78; eine detaillierte Beschreibung des Projekts unter: http://muham madf arms.com. 357 | Eure/Jerome 1989, aus: VanDeburg 1997, S. 324. 358 | Turner 1997, S. 230.
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rung betrug seinerzeit rund 204 Milliarden Dollar.359 Auf einer Promotion-Tour durch fünfzehn amerikanische Großstädte stellte Farrakhan seinen Plan zum Auf bau eines schwarzen Wirtschaftssystems vor und warb zunächst erfolgreich um Unterstützung durch Unternehmer.360 Von diesen zog sich jedoch ein Teil wieder aus dem Programm zurück, nachdem Farrakhan in Los Angeles negativ durch antisemitische Äußerungen aufgefallen war.361 Schon 1986 präsentierte Farrakhan die ersten sechs Produkte, die mit NOI-Geldern produziert worden waren: eine Haut- und Haarpflegeserie unter dem Label »Clean’N Fresh«.362 In den folgenden Jahren versuchte sich die NOI so ziemlich auf jedem Gebiet des Wirtschaftslebens, zumeist mit Erfolg. Es gibt die Kette der Salaam Restaurants, in denen Halal-Speisen angeboten werden, die Shabazz Bakeries, Fashahnn Islamic Clothing, Kleidergeschäfte, Supermärkte, die NOI Security Agency Inc., die New Life Inc., die Final Call Inc., Bücher und Audiomedien, die Abundant Life Clinics, Fischmärkte, ein Medienzentrum in Chicago usw.363 Unter Louis Farrakhan hat die NOI somit ein veritables Wirtschaftsimperium errichtet. Während zu Zeiten Elijah Muhammads vor allem kleine und mittelständische Unternehmen gegründet worden waren, investiert die NOI unter Farrakhan auch in Versicherungen, Banken und große Produktionsfirmen in den unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen. Ob die NOI jedoch bisher buchhalterisch erfolgreich war, ist umstritten. Malveaux zitiert eine Untersuchung von 1995, die gezeigt habe, dass die erreichten Erfolge fragwürdig seien.364 Es sei zudem unklar, wo das viele Geld, das Farrakhan durch seine Auftritte verdiene, bleibe. Nicht geklärt sei außerdem, ob es überhaupt in der black community ankomme, und wenn ja, wo. Beim Million Man March im Jahre 1995 hätten die vielen Teilnehmer beispielsweise Geld gespendet, und trotz der hohen Summe, die dabei zusammen gekommen sein müsste, habe die NOI danach ein Defizit verkündet. Wo, fragt Malveaux, ist das Geld geblieben?365 Vom POWER-Programm haben sich nichtsdestotrotz diverse schwarze Aktivisten inspirieren lassen. Für das Projekt der schwarzen Selbstbestimmung etablierte sich infolgedessen der Begriff Powernomics, den Claud Anderson in seinem gleichnamigen Buch folgendermaßen definiert: »Powernomics is the ability of Blacks to pool resources and power to
359 | Gardell 1996, S. 272. 360 | Lee 1996, S. 85. 361 | Lee 1996, S. 87. 362 | Lee 1996, S. 89. 363 | Gardell 1996, S. 272. 364 | Malveaux, Julianne 1998: »Minister Louis Farrakhan’s Economic Rhetoric and Reality«, in: Amy Alexander: The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 124. 365 | Malveaux 1998, S. 124f.
Autoritätskämpfe
produce, distribute and consume in a way that creates goods and wealth that Black people control.«366 Die Idee des black capitalism ist in afrozentrischen Kreisen nicht neu. Bereits 1969 hatte Roy Innis vom CORE (Congress of Racial Equality, einer schwarznationalistischen Vereinigung, deren Ziel die Separation der Rassen in den USA war) gefordert, dass Afroamerikaner sich befreien müssten, indem sie materielle Unabhängigkeit erlangten. Ziel sei keine romantische Revolution, sondern ein pragmatisches System, eine Art dritter, afroamerikanischer Weg. In räumlich separierten Einheiten solle die dort jeweils ansässige Ethnie ihre Wirtschaft kontrollieren. Ethnic monopoly capitalism367 heißt das in der NOI-Terminologie. Das Hauptproblem läge darin, dass die meisten Institutionen in den schwarzen Wohngebieten in der Hand von Weißen seien, denen die Interessen der schwarzen Bevölkerung egal seien.368 Victor O. Okafor, der African American Studies an der Eastern Michigan University lehrt, entwirft ein Bild von progressivem afrozentristischem Handeln, wie es auch die NOI propagiert: »Afrocentricity enjoins its adherents to inspire and uplift each other. […] For instance, if Africans do not patronize the businesses in their neighborhoods, who would? […] It ist not enough for individuals or groups to lament African community’s lack of control over its economic sector. […] It is important that Africans initiate personal business enterprises and try to strengthen them through cooperative ventures, among other measures. It is necessary that the inhabitants of a given neighborhood work together to keep that neighborhood safe and to dissuade juvenile children from defacing the structures that individuals labored hard to put up in such communities. Through collective vigilance over the neighborhoods, the inhabitants can deter those who live by infesting the environment with drugs, and neighborhood vigilantes can also deter those who threaten lives and property.« 369
Das ökonomische Programm der NOI löste vor allem bei der afroamerikanischen Linken heftigen Widerspruch aus. Die NOI fördere damit eine Art black capitalism. So kritisierte die Journalistin Itabari Njeri, dass noch zu viele Afroamerikaner in einer der vulgärsten Varianten des Nationalismus gefangen seien, dem Afrozentrismus, der alles durch die Brille von Rasse sehe und jede Form von Klassenkritik ablehne:
366 | Anderson, Claud 2001: PowerNomics: The National Plan to Empower Black America, Bethesda 2001; www.finalcall.com/artman/publish/article_1016.shtml (abgerufen am 30.11.2009). 367 | Kelleter 2000, S. 46. 368 | VanDeburg 1997, S. 176ff. 369 | Okafor, Victor O. 1998: »Functional Implications of Afrocentrism«, in: Janice D. Hamlet (Hg.): Afrocentric Visions: Studies in Culture and Communication, Thousand Oaks, S. 221.
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Nach Meinung von Njeri ist der Afrozentrismus der NOI ein liebgewonnener Mythos, der jeder Grundlage entbehre. Obwohl die NOI sich darin gefalle, das Gesellschaftssystem der white supremacy und die WASP-Kultur zu kritisieren, vertrete sie andererseits genau deren Werte, die zutiefst kapitalistisch und bürgerlich seien, also die Werte der amerikanischen Mittelschicht.371 Abdul Akbar Muhammad, der von 1965 bis 1975 der Assistent Louis Farrakhans im New Yorker Temple No. 7 war, bezeichnet hingegen das Wirtschaftsprogramm trotz der Distanzierung Farrakhans von diesem Begriff sogar als sozialistisch. Auch wenn der afroamerikanische Linke Lorenzo Komboa Ervin die NOI in seinem Essay Black Capitalism372 als kapitalistisch kritisiert habe, so hätten sich die Mitglieder von Drogen, blingblings und anderen Konsum- und Luxusgütern ferngehalten, damit Reichtum angesammelt und diesen vernünftig investiert.373 Farrakhan warnte im Gegenzug vor einer Romantisierung des Kommunismus. Die sozialen Spannungen in den USA führt die NOI nicht auf Klassen-, sondern Rassenunterschiede zurück. Dennoch verkündet Farrakhan die klassenlose Gesellschaft als ultimatives Ziel. Im Kampf von Armageddon würden jene 10 % der Bevölkerung, die ihr geheimes Wissen an den Teufel verkauft hätten – wie Priester, Geschäftsleute und Politiker – untergehen, danach gebe es keine Klassenunterschiede mehr. Sich selbst bezeichnet Farrakhan trotz des Gedankens der Gottgewolltheit des Kapitalismus nicht explizit als Kapitalisten, eher als einen, der die Mittel des Kapitalismus als einzigen Weg, in den USA an die Macht zu kommen, respektiere. Die NOI stellt für ihn in dieser Hinsicht ein Idealmodell dar, indem sie die Idee von kollektivem Besitz mit der Pflicht zu individueller Anstrengung kombiniere.374 Den amerikanischen Staat fordert Farrakhan auf, das POWER-Programm der NOI zu unterstützen: »An image that will be the rebuilding of America. This productive activity on the part of black people will make us that which Joseph became, it will make us great in the land in
370 | Njeri 1998, S. 240. 371 | Njeri 1998, S. 230. 372 | Ervin, Lorenzo Komboa: Black Capitalism, auf: http://libcom.org/library/black-cap itali sm-lorenzo-ervin (abgerufen am 01.12.11). 373 | Teilnehmende Beobachtung im Seminar von Zaheer Ali: Islam in the African-American Experience. Institute for Research in African-American Studies, Columbia University, Januar bis Juni 2008, Sitzung vom 01.04.2008 mit Abdul Akbar Muhammad als Gastredner. 374 | Gardell 1996, S. 274.
Autoritätskämpfe which we were sold as slaves. This is the only way. If you won’t let us go, you won’t give us states, then you must let us now do something for ourselves.« 375
Gleichzeitig würde der Staat mit seiner Unterstützung der NOI das Pulverfass der Ghettos entschärfen, was wiederum der ganzen Nation zugute käme, da die hohe Kriminalitätsrate der Afroamerikaner eine Last für das ganze Land sei: »You don’t need to be a criminal when you’re making money. You don’t need to be high off of drugs when you can be high off of accomplishment. Everybody else is doing it in America, the law doesn’t forbid you to do it. We must be able to take advantage of the law and build for black people right inside America, we can do it. And if we do it, it would make the streets of the cities of America safer for all. And at the core it would strengthen America, for the condition of black people in America makes us the Achilles heel of this nation.« 376
Den Islam präsentiert Louis Farrakhan in einer Anklage gegen den amerikanischen Staat als die Religion der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Sich selbst stellt er als denjenigen dar, der für diejenigen spricht, die in Amerika keine Stimme haben, und er beansprucht, aufgrund dieser behaupteten Radikalität ein besserer Muslim zu sein als die meisten anderen Muslime: »This government can tolerate religion as long as religion is a do good religion. A religion that makes you sanctimonious, holy looking, but powerless in your actions. I respectfully say to my Muslim brothers and sisters, Islam has never been a sanctimonious religion. Islam has never been a religion where men and women pray and go to Mosque, and have no bearing on the society. Islam has always been a force that dispels tyrants and tyranny, oppression and exploitation. Islam has always been a force that militates for justice. And whenever a religion becomes so religious that it cannot be militant for the oppressed against the oppressor; or the exploited against the exploiter; or the slave against the master, then that religion has become good for nothing. And as long as Farrakhan prays the way the Muslim world prays, goes to the Mosque or the Masjid, and puts on a sanctimonious front, you say he’s a good Muslim. But I am a better Muslim than 99 percent of all the Muslims that are on the Earth, because I, I like Prophet Muhammad, I like Jesus, I like Moses will stand for truth and justice against the oppressor even if it costs my life. And so I challenge the Muslim world to rise up to that covenant that Prophet Muhammad took for you and fight against oppression wherever it is, and start right in your own country.« 377
Obwohl Louis Farrakhan in dieser Rede Bezug auf den Islam nimmt, ist die islamische Welt für ihn für die Entwicklung des wirtschaftlichen empowerment kein Vorbild, sondern er orientiert sich nach wie vor am American Dream. Dass die 375 | Eure/Jerome 1989, zitiert nach: VanDeburg 1997, S. 326f. 376 | VanDeburg 1997, S. 323f. 377 | Eure/Jerome 1989, zitiert nach: VanDeburg 1997, S. 319.
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arabische Welt für die NOI keinerlei Vorbildfunktion innehat, wird gemeinhin folgendermaßen erklärt: Der damalige NOI-Vorsitzende Elijah Muhammad war 1959 zur kleinen Pilgerfahrt (ʿ umra) nach Mekka gereist. Saudi-Arabien, damals noch vor dem großen Öl-Boom, stellte sich ihm, dem Touristen aus Amerika, als ein rückständiges und armes Land dar. Dort sei Elijah Muhammad klar geworden, dass die arabische Welt nicht als Vorbild für afroamerikanische Muslime taugen könne.378 Muhammads Reaktion auf dieses Erlebnis sei die »appropriation of the American Dream with a radical program«379 gewesen, so Zaheer Ali. Radikal sei dabei, dass er an eine konservative Tradition unter afroamerikanischen Aktivisten wie Booker T. Washington und Marcus Garvey angeknüpft, dies jedoch mit religiösem Radikalismus verbunden habe. Louis Farrakhans Programm des black economic empowerment ist auch nach Meinung Malveaux’ radikal und konservativ zugleich: radikal in dem Sinne, als dass Farrakhan eine ökonomische Separation in einer pluralistischen Gesellschaft anstrebe, konservativ, weil er den Kapitalismus als Erfolgsweg für ein unterdrücktes Volk konzipiert.380 Farrakhan ist somit zwar konservativ, aber ihm gelingt es, eine konservative Agenda als Akt des Widerstands zu verkaufen, er bleibt die »militant voice of the downtrodden and the dispossessed among African Americans.«381 Henry Louis Gates ist überzeugt, dass der Erfolg Louis Farrakhans vor allem auf das Versagen der schwarzen Kirchen zurückzuführen ist. Die Kirchen haben es seiner Ansicht nach versäumt, die politisch institutionalisierte Rassenungleichheit und die Sünde des Rassismus anzuprangern, wenn nicht sogar generell eine Sprache zu liefern, in der die Sünden des Rassismus artikuliert und verurteilt werden können. Stattdessen, so Gates, hätten sich die Kirchen mit dem Rassismus abgefunden. Erst damit ist seiner Meinung nach ein moralisches Vakuum entstanden, in das Elijah Muhammad und später Louis Farrakhan hätten stoßen können, indem sie die Terminologie der rassischen Minderwertigkeit einfach auf den Kopf stellten und auf Weiße anwandten. Gates geht sogar so weit, die Nation of Islam als eine Art Reformationsbewegung innerhalb der schwarzen Kirche zu bezeichnen.382 Selbst Louis Farrakhan weist eine solche Deutung nicht völlig von sich, sondern unterstützt die Theorie Gates’ sogar, wenn er über sein eigenes Verhältnis zur Kirche spricht. Er habe die Kirche nie wirklich verlassen, so Farrakhan: »I thought I did, but my love is there, my roots are the church.«383 Dennoch sei er desillusioniert über die Episcopal Church gewesen: »I couldn’t understand why Jesus would preach so much love and why there was so much
378 | Allen 1998, S. 65. 379 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, am 24.05.2008. 380 | Malveaux 1998, S. 123. 381 | Allen 1998, S. 88. 382 | Gates 1998, S. 25. 383 | Gates 1998, S. 25.
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hate demonstrated by white Christians against black Christians.«384 Die Nation of Islam bediente seit ihrer Gründungsphase in den 1930er Jahren die enttäuschten Erwartungen derer, die nach der Great Migration darauf gehofft hatten, in den Industriezentren des Nordens den American Dream realisieren zu können. Die material theology 385 der NOI ähnelt der prosperity theology, die Eric McDaniel zuvor für einige schwarze Kirchen festgestellt hatte, insofern, als die Erlösung ebenfalls nicht ins Jenseits verschoben wird, sondern die ressurrection of the mentally dead im Diesseits stattfindet, jedoch ohne dass dabei auf Kooperation mit der weißen Mehrheitsgesellschaft gehofft wird. Himmel und Hölle sind Seinzustände in der heutigen Welt, und jeder hat die Verantwortung, für sich den Himmel im Hier und Jetzt zu schaffen. Der Yakub-Mythos der NOI fungiert als Theodizee, da er die momentane soziale Ungleichheit und die Ungerechtigkeit der amerikanischen Gesellschaftsordnung einerseits erklärt, andererseits zeitlich begrenzt.386 Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Botschaft Farrakhans vor allem an die schwarze Unterschicht richtet, für welche die Verheißungen des American Dream unerreichbar sind, genießt die NOI auch in der schwarzen Mittelschicht großen Rückhalt. Die Anziehungskraft, die Louis Farrakhan auf diese ausübt, so hat Michael Eric Dyson festgestellt, basiere im wesentlichen auf deren Einsicht und Erfahrung, dass Rassismus durch sozialen Aufstieg nicht automatisch beseitigt werde. Die Wut der schwarzen Mittelschicht mache sie zur überraschendsten Anhängerschaft Farrakhans.387 In der schwarzen Mittelschicht gebe es ein Schuldgefühl, selbst den sozialen Aufstieg geschafft zu haben (Michael Eric Dyson nennt das die black middle-class guilt), gleichzeitig eine diffuse Angst, dass sich die schwarze Unterschicht an ihnen dafür rächen könnte. Daher wirke Louis Farrakhan und sein Programm der Selbstdisziplinierung trotz aller radikal anmutenden Rhetorik auf die schwarze Mittelschicht (und die weiße Mittelschicht übrigens ebenso) wie ein Mann, der die schwarze Unterschicht im Zaum halten kann und der gut ist für »those ghetto people.«388 Da gerade die schwarze Mittelschicht aufgrund ihres höheren sozialen Status ein schlechtes Gewissen gegenüber der Unterschicht hat, versuchen ihre Mitglieder zudem, sich als authentische Mitglieder der black community zu konstituieren, indem sie dem Aufruf Farrakhans folgen, obwohl dieser Leute wie sie teilweise sogar als Komplizen der white supremacy verurteilt. Schwarzer Nationalismus im Stile Farrakhans, so Gates, habe auch eine moralische Autorität unter den Schwarzen, die sich von Farrakhan bedroht fühlten:
384 | Gates 1998, S. 27. 385 | Interview mit Zaheer Ali, Columbia University, am 24.05.2008. 386 | Ausführlicher zum Yakub-Mythos in Kap. I.5, »Weiße Christen, schwarze Muslime«. 387 | Dyson 1998, S. 146. 388 | Dyson 1998, S. 146.
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Das sichtbare Zeichen für Farrakhans Erfolg sei die starke Präsenz vieler führender Bürgerrechtler auf dem Million Man March gewesen. Denn selbst wenn diese Farrakhans extreme Rhetorik eigentlich ablehnten, hätten sie kalkuliert, dass ihre Abwesenheit ihre Legitimität in der schwarzen Öffentlichkeit gefährden würde.390 Es stellt sich die Frage, welche Legitimität Gates hier anspricht, denn es ist umstritten, ob vor allem Bürgerrechtler und schwarze Kirchen überhaupt noch Autorität innerhalb der black community besitzen, die sich mit der Autorität Farrakhans messen könne. Im Gegensatz zu »the somber, pulpit-thumbing middle class that seems to berate a postmodern troubled soul more than it soothes«391, wie Aminah McCloud die traditionellen Eliten ironisch nennt, schafft es Farrakhan, die große Masse der Afroamerikaner direkt anzusprechen, die sich von den Eliten übersehen fühlt: »Farrakhan speaks to those black Americans who have missed the Middle-Class Express.«392 Den empowerment-Aspekt des Programms der NOI verortet Fahizah Alim in der Fähigkeit Farrakhans, seine Anhänger glauben zu lassen, sie gewännen die Kontrolle über eine Situation zurück, in der sie sich bis dato machtlos gefühlt hätten angesichts struktureller Diskriminierung und Rassismus. Die Lehren Elijah Muhammads und Louis Farrakhans seien mentale Instrumente, »to turn the black man’s focus away from trying to reform his oppressor (the white man) and toward reforming himself.«393 Der Ansatz, das Individuum zur Selbsthilfe zu motivieren anstatt Unterstützung vom Staat zu fordern, ist tief im amerikanischen Denken verwurzelt und vor allem in konservativen Kreisen eine ideologische Säule der amerikanischen Zivilreligion. Der Juraprofessor Derrick Bell betont jedoch, wo seiner Meinung nach der Unterschied liegt zwischen den Lehren der NOI und denjenigen ›klassischer‹ Konservativer. Die NOI könne veritable Erfolge vorweisen, die ihrem Ansatz Recht gäben: »Unlike those conservatives, black and white, who only preach self-help to the poor as a crowd-pleasing abstraction, Farrakhan’s formulas emphasize the Nation of Islam’s experience in educating black children, rehabilitating black prisoners, ridding black communities of drug dealers, and rebuilding respect for self – the essential prerequisite for individuals determined to maintain the struggle against the racism that burdens our lives and, unless curbed, will destroy this country.« 394 389 | Gates 1998, S. 49. 390 | Gates 1998, S. 43. 391 | McCloud 1998, S. 181. 392 | Alexander 1998a, S. 6. 393 | Alim 1998, S. 160. 394 | Bell 1998, S. 219.
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Inwiefern Bell hier den ›klassisch‹ Konservativen Unrecht tut, sei dahingestellt. Schließlich engagieren sich beispielsweise viele evangelikale Christen durchaus für soziale Belange, nur möchten sie den Staat nicht involviert wissen. Eher könnte man sagen, dass die NOI – wie manch andere Gruppen eben auch – den konservativen Ansatz konsequenter praktiziert als manche im konservativen Spektrum, bei denen der Aufruf zur Selbsthilfe nur dazu dient, Verantwortung von sich zu weisen. Nur macht das die Inhalte, für welche die NOI steht, an sich nicht weniger konservativ.395 Unabhängig von seiner religiösen und politischen Agenda ist Louis Farrakhan für die afroamerikanische Schriftstellerin Gwendolyn Brooks jedoch aus den Gründen, die Bell anführt, ein Teil der black family, der das Leben aller Afroamerikaner besser gemacht habe, indem er diejenigen, um die sich sonst keiner kümmern wollte, gerettet habe: »I don’t want to forget that this individual has saved a lot of sick-souled, gasping, barefooted Blacks no one else cared to save. He has fed them, medicated them, detoxicated them, schooled them: thus making many of our lives, homes, and little children a SMIDGEN safer.« 396
Sherman Jackson bezeichnet Muslime, die sich am Programm der NOI orientieren, sogar als Black Afro-Saxon Protestants, denn diese würden prinzipiell die Werte der (weißen, protestantisch geprägten) amerikanischen Zivilreligion anstreben, wenn auch nominell unter islamischen Vorzeichen.397 Damit liegt Jackson richtig, denn Louis Farrakhan, das hat sich gezeigt, geht es weder um die Abschaffung des Kapitalismus noch um Konsumkritik. Auch ist er überzeugt, dass der Versuch von Afroamerikanern, sich mittels Bildung und politischem Engagement ›hochzuarbeiten‹, zum Scheitern verurteilt ist, da Macht in Amerika durch ökonomische Potenz definiert werde. Werte wie Fleiß, Ehrgeiz und das Streben nach Reichtum sind für die NOI positiv besetzt. 395 | Grundsätzlich kann man hier jedoch des weiteren die Frage stellen, ob ›konservativ‹ in diesem Kontext überhaupt der richtige Begriff ist und was in diesem Fall sein Gegenteil wäre: liberal? Progressiv? Es ist unklar, inwiefern Bell diese Kategorisierung als eine (partei-)politische versteht und damit das republikanische Spektrum in Abgrenzung zum demokratischen versteht. Denn darauf könnte man entgegnen, dass es auch unter Demokraten Befürworter eines schwacheren Staates gibt, während manche Republikaner hingegen für mehr Staat plädieren, zumindest in einigen Bereichen (z.B. bei der Kriminalitätsbekämpfung). Die amerikanische Zivilreligion mit ihrer Betonung individueller Verantwortlichkeit für Erfolg und Niederlagen im eigenen Leben hat jedenfalls über Parteigrenzen hinweg nach wie vor einen hohen Stellenwert. 396 | Brooks, Gwendolyn 1998: »Big Persons and the Littles«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 271 (Hervorhebung im Original). 397 | Jackson 2005, S. 158.
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II.5 F eministinnen in die M oscheen : S chwarzer F eminismus und I sl am Die meisten Musliminnen in Amerika haben keine religiöse Ausbildung genossen. In der Auseinandersetzung mit den männlichen Moscheeleitern, welche die Rolle der Frauen in den Moscheen definieren, besitzen sie daher keine Autorität, auf die sie sich berufen könnten. In den USA läuft der Kampf für die Rechte der Frauen im Islam insgesamt heftiger und öffentlicher ab als in der islamisch geprägten Welt. Amerikanische Musliminnen erwarten, in Moscheen ebenso behandelt zu werden, wie sie es aus Beruf oder in der Schule gewohnt sind, d.h. dass es zumindest ein Streben nach Gleichbehandlung gibt.398 Frauen, die im weltlichen Leben angesehene Berufe ausüben und voll am öffentlichen Leben partizipieren, werden in Moscheen zudem oft von Männern zurückgewiesen, die selbst weder die Fähigkeiten noch den Willen haben, sich selbst sinnvoll einzubringen, wie beispielsweise Imam Zaid Shakir vom Zaytuna Institute zur desolaten Lage der muslimischen Frauen einräumt.399 Unter amerikanischen Muslimen – Männern wie Frauen – ist die Grundsatzfrage umstritten, wie weit die Beteiligung von Frauen in Moscheen gehen kann und darf. Asra Nomani, eine Journalistin indischer Herkunft aus Kalifornien, hat 2003 das ›Manifesto for Equal Participation by Women‹ verfasst. Frauen würden in den meisten Moscheen wie Unsichtbare behandelt, die Predigten richteten sich nur an Männer, es gehe immer darum, dass Männer Frauen kontrollieren müssten. 400 Besonders prangert sie hierbei die Geschlechtertrennung in Moscheen an. Tatsächlich hat eine Studie des Council for American-Islamic Relations (CAIR) ergeben, dass die Geschlechtertrennung in amerikanischen Moscheen sogar zunimmt. Hatten im Jahr 1994 noch 52 % der Moscheen getrennte Gebetsräume, so waren es 2001 bereits 66 %. 401 Dies wird darauf zurückgeführt, dass Immigranten, die fundamentalistisch beeinflusst sind, in den Moscheen mehr Einfluss gewonnen haben. 402 In ihrem Manifest fordert Asra Nomani deshalb, dass Frauen die Moschee durch denselben Eingang betreten dürfen wie Männer, dass sie im gleichen Raum beten und Führungspositionen in Moscheen besetzen sollen. 403 Unterstützt wird Nomani dabei von der progressiven Gruppe Muslim WakeUp!. 404 Die Geschlechtertrennung in amerikanischen Moscheen stieg nach Meinung vieler Imame ab den 1980er Jahren an, als eine große Zahl Immigranten aus der isla-
398 | Abdo 2006, S. 141. 399 | Shakir 2005, S. 107. 400 | Barrett 2007, S. 138. 401 | Bagby/Perl/Froehle 2001, S. 12. 402 | Barrett 2007, S. 154f. 403 | Barrett 2007, S. 151. 404 | Barrett 2007, S. 156.
Autoritätskämpfe
misch geprägten Welt, vor allem aus Südasien, in die USA kamen. 405 Davor habe es nur wenig Separation gegeben. Nun brächten die südasiatischen Immigranten ihre Bräuche mit. Viele seien von Mawlana Mawdudi (1903-1979) beeinflusst (Jamaat-i Islami), der den Westen sehr kritisiert und eine in sich geschlossene Umma gefordert hatte. Die Einwanderer folgten damit einer Islaminterpretation, welche die Segregation der Geschlechter in den Moscheen als religiöse Pflicht empfände. 406 Allgemein hängt die Form der Geschlechtertrennung in amerikanischen Moscheen stark damit zusammen, woher die Gläubigen, die diese Moschee vornehmlich besuchen, stammen: In von Südasiaten dominierten Moscheen beten die Frauen, wenn sie überhaupt in der Moschee auftauchen, meist in einem anderen Raum oder hinter einem Vorhang oder ähnlichem. In vornehmlich türkischen Moscheen trennt ein Sichtschutz die Geschlechter, so dass die Frauen zwar die Männer sehen können, aber nicht umgekehrt, während bei Arabern die Frauen meist hinter den Männern beten, schreibt Abdo. 407 Abdo zitiert eine afroamerikanische Konvertitin und Studentin namens Aliciajewell. Diese habe nach dem 11. September 2001 versucht, sich aktiv in der Moschee zu engagieren, war dann aber enttäuscht und schockiert, dass die Männer sich weigerten, sie auch nur anzuschauen. 408 Unter Umständen, so Abdo, seien sich die Männer der Moschee gar nicht bewusst, wie sehr ihr Verhalten Newcomer und die Frauen der Gemeinde abstößt und wie sehr sie damit ein gesundes, nachhaltiges Gemeindewachstum und -leben verhindern. 409 In den Immigrantenmoscheen, so kritisiert die Islamwissenschaftlerin Amina Wadud, werden Frauen oft von Entscheidungen ausgeschlossen, wohingegen sie in afroamerikanischen Moscheen mehr Mitspracherecht erhalten würden. Dies zeige sich vor allem auf der Gemeindeebene: »Indeed, African-American Muslim women are often the ones to initiate the construction of a consultative body to address specific community needs.« 410 Gwendolyn Zoharah Simmons, selbst afroamerikanische Konvertitin, kann diese eher positive Sicht Waduds hinsichtlich der Rolle von Frauen in afroamerikanischen Moscheen nicht teilen. Afroamerikanische männliche Führungsfiguren versuchen ihrer Meinung nach gezielt, Frauen und deren Interpretationen von Islam in der black muslim community zu marginalisieren und die Frauen in den häuslichen Bereich abzudrängen. Dabei würden die Männer die große Rolle, welche schwarze Frauen beim Kampf um Gerechtigkeit für Afroamerikaner historisch gespielt haben, ignorieren. Das werde nicht ohne Folgen bleiben. Eine solche ignorante Haltung auf Seiten der muslimischen Männer wird nach Meinung von 405 | Leonard, Karen I. 2003: Muslims in the United States: The State of Research, New York, S. 77; vgl. dazu Bagby/Perl/Froehle 2001. 406 | Abdo 2006, S. 139f. 407 | Abdo 2006, S. 140. 408 | Abdo 2006, S. 58. 409 | Abdo 2006, S. 59. 410 | Wadud 2003, S. 272.
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Simmons dazu beitragen, den Verfall schwarzer Communities zu beschleunigen, obwohl gerade jetzt so viel gegen Drogen und Kriminalität getan werden müsse. Im übrigen ist diese Haltung für sie ein Ausdruck für den schon lange unter schwarzen Männern verbreiteten Glauben, dass schwarze Frauen zu viel Macht hätten. Simmons beschreibt, wie viele der schwarzen Männer, die sich in der Bürgerrechtsbewegung sowie den Black Power-Gruppen engagiert hätten, eigentlich am ›Patriarchat‹ teilhaben wollten, welches ihnen durch die Sklaverei und die Zeit danach, als Frauen aus ökonomischen Gründen arbeiten mussten und damit unabhängig waren, vorenthalten worden sei. Sie befürchtet, dass der Islam nun als Vorwand genutzt wird, diesen Kampf, der vor mehr als einem halben Jahrhundert begonnen hat, in neuem Gewand weiterzuführen. 411 Auch Aminah McCloud sieht die Rolle von Frauen in afroamerikanischen Moscheen eher pessimistisch. Doch während Simmons die Tendenz zur Exklusion von Frauen im Kontext der Geschichte der black community verortet, erkennt McCloud darin patriarchale Muster, die der Immigrantenislam in den amerikanischen Kontext gebracht habe. Ironisch merkt sie an, dass Musliminnen in den USA die freiesten Musliminnen weltweit seien, wenn es um öffentliche Partizipation in Bereichen wie säkulare Bildung, Arbeitsmarkt, Sozialhilfe oder um das Recht auf freie Meinungsäußerung geht. 412 Die tatsächlich gelebte Freiheit werde jedoch durch den Rahmen des historischen Patriarchats so beschränkt, wie es in der islamischen Welt definiert wurde. Dies sei von besonderem Nachteil für afroamerikanische Musliminnen: »That there is a ›women’s world‹ in Islam is known. What is not known is that there is little place in it for African-American Muslim women. The carefully built structures of security and power among Muslim women in Islamic countries have no gates of entry for outsiders. These groups of women are extremely ethnocentric.« 413
Aus diesem Grund sei es für afroamerikanische Musliminnen schwierig, mit den Frauen der immigrant communities in engeren Kontakt zu kommen. Stattdessen hätten schwarze Musliminnen, wenn sie sich in Immigrantenkreisen bewegten, in der Regel mit der islamischen Welt nur Kontakt durch die dort vertretenen Männer. Von diesen würden schwarze Frauen dann lernen, was es bedeute, Muslimin zu sein – mit allen daraus entstehenden Konsequenzen. 414 411 | Simmons, Gwendolyn Zoharah 2000: »Striving for Muslim Women’s Human Rights: Before and Beyond Beijing«, in: Gisela Webb (Hg.): Windows of Faith: Muslim Women ScholarActivists in North America, Syracuse, S. 204. 412 | McCloud, Amina B. 2000: »The Scholar and the Fatwa: Legal Issues Facing African American and Immigrant Muslim Communities in the United States«, in: Gisela Webb (Hg.): Windows of Faith: Muslim Women Scholar Activists in North America, Syracuse, S. 139. 413 | McCloud 1991, S. 184f. 414 | McCloud 1991, S. 185.
Autoritätskämpfe
In New Yorker Moscheen beten Frauen fast überall getrennt von Männern, ganz gleich ob in afroamerikanischen, südasiatischen oder arabischen Moscheen. In vielen Moscheen gibt es spezielle Räume für weibliche Besucher. In einer algerischen Moschee in der Bronx müssen die wenigen weiblichen Besucher auf dem Boden im Büro des Imams sitzen und versuchen, durch die ein wenig geöffnete Tür etwas von der Predigt mitzubekommen. In der sogenannten ›96th Street Mosque‹ (Islamic Cultural Center of New York), der größten und schönsten in Manhattan, gibt es einen prunkvollen Balkon für die Frauen, von dem man jedoch im Sitzen nur schwierig nach unten blicken kann. In einer kleinen Sufi-Moschee, der Masjid al-Farah, in Downtown Manhattan beten Frauen direkt hinter den Männern, abgeteilt nur durch einige Holzschemel. Doch kommen hier freitags ohnehin höchstens 10 Frauen auf mindestens 5-6 mal so viele Männer. Eine Ausnahme bildet die Malcolm Shabazz Mosque in Harlem. Diese gehört zur Bewegung um Warith Deen Mohammed, und die Besucher gehören vor allem zur afroamerikanischen Mittelschicht. Dies ist die einzige Moschee, in der sich Männer und Frauen nicht nur in einem Raum befinden, sondern die Stühle in einem rechten Winkel so gestellt sind, dass beide Gruppen sich auch anschauen können. Nur die auf dem Boden sitzenden Besucher halten sich an die Ordnung, derzufolge Frauen hinter Männern beten. In seiner Brooklyner Moschee Masjid at-Taqwa ist sich Imam Siraj bewusst, dass nicht alle Frauen glücklich darüber sind, in einem schlecht belüfteten, fensterlosen Raum eingeschlossen zu sein, in dem sie über einen kleinen Bildschirm und scheppernde Lautsprecher der Freitagspredigt folgen können. Darauf angesprochen, bleibt er während mehrerer Diskussionen über das Thema bei seinem Argument, dass er ja prinzipiell nichts dagegen habe, wenn die Frauen im gleichen Raum wie die Männer beteten: »But there is no space! Look around. We nearly don’t get in all men for the khutba! What can I do? Throw the men out?« 415 Und lacht. Den muslimischen Stand Up Comedian Azhar Usman, selbst indischer Herkunft, hat diese Frage sogar zu einem Sketch inspiriert. In seiner Tour ›Allah made me funny‹ parodiert er die miserable Lage von Musliminnen in vielen amerikanischen Moscheen. 416 »Sisterrrrs in the dungeon, can you hearrrr me?«, imitiert er mit indischem Akzent einen Imam, der die Frauen in einen Kerker im Untergeschoss der Moschee verbannt hat, ausgestattet mit einem schlecht funktionierenden Lautsprechersystem und keinerlei Belüftung: »Aaaah, of course we have a fan. But it doesn’t work.« Das Platzargument wird von vielen Moscheeleitern angeführt. Doch ist, wenn dies der einzige Grund sein sollte, unklar, warum die Frauen in der Masjid at-Taqwa von der Männersektion durch eine Tür getrennt sind, die sich nur von der Männerseite her öffnen lässt. Wenn z.B. 415 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 19.02.2008. 416 | Die folgenden Zitate Azhar Usmans entstammen der teilnehmenden Beobachtung bei einem interreligiösen Fundraising-Event, bei dem er Teile seines Programms nachgespielt hat: »A Celebration of Laughter«, Church of Holy Apostles, New York, 28.02.2008.
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eine Ehefrau dem Mann nach der khutba das Kind übergeben oder noch mit dem Imam reden möchte, muss sie erst lange klopfen, bis ihr geöffnet wird. Durch den Männereingang können Frauen in der Masjid at-Taqwa außerdem die Moschee nicht betreten. Die Sicherheitskräfte der Moschee wachen unter anderem darüber, dass die Frauen, die nach der Freitagspredigt durch die Tür nach ihren Männern Ausschau halten, die Schwelle in den Innenbereich nicht überschreiten. Doch selbst, wenn man das Platzargument für den Moment gelten lassen wollte, müssen sich Imame und Moscheevorstände dennoch die Frage gefallen lassen, die Keith Ellison in einer Veranstaltung des Islamic Center der New York University am 22. März 2008 stellte. 417 Keith Ellison ist selbst afroamerikanischer Konvertit und der erste Muslim überhaupt, der in den USA in den Kongress gewählt wurde. Für Ellison sind Frauen laut Koran explizit Teil der Gemeinde, und wenn muslimische Männer die Frauen weiterhin ausschließen, dann sei das nicht nur gegen den koranischen Gedanken der Inklusion, sondern werfe auch ein schlechtes Bild auf die muslimische Community: »People in the West get to call us names and talk bad about us when we don’t live up to the deen. […] Here’s one important ayat: Muslim men AND women, believing men AND women, and devout men AND women, and true men AND women, and it goes on with men AND women. Why then do we believe the sisters’ voice doesn’t need to be heard, building masjids where the sisters are not comfortable, ain’t no sisters in the shura board, how can we figure we can do this, and actually think we live Qur’an?« 418
Ellison fragt ins Publikum, das vor allem aus muslimischen Studierenden der NYU besteht und größtenteils einen südasiatischen oder arabischen Hintergrund hat, wie es sein könne, dass Khadija als erste Frau des Propheten Muhammad damals gut genug gewesen sei, als erste Person überhaupt den Islam zu bezeugen (»to be the first witness«), es dann aber heute nicht möglich sei, Moscheen mit angemessenem Platz für Frauen vorzufinden. 419 Das Publikum lacht. Vor allem die Frauen sind sichtlich davon angetan, dass ein muslimischer Mann so deutlich die Missstände in den amerikanischen Moscheen anprangert. Für Keith Ellison indes, so wird im Laufe seines Vortrags deutlich, ist der Kampf der Frauen um ihren Platz in der Moschee notwendiger Teil einer Bewegung, die sich bemüht, alle Barrieren im amerikanischen Islam niederzureißen, die einer Einigung der gesamten muslimischen Community im Wege stehen:
417 | Im folgenden Aufzeichnungen und Transkripte einer teilnehmenden Beobachtung: Vortrag von Keith Ellison mit anschließender Diskussion, Islamic Center der New York University, 22.03.2008. 418 | Vortrag Keith Ellison (s.o). 419 | Vortrag Keith Ellison (s.o).
Autoritätskämpfe »We are all sexes, hey brothers, why deny it? The first way to get out of this is to recognize it. […] And we need to tell the sisters who have been told that they are backseat people so long that some need to believe it that that is not true either. We need to squeeze out the gender barriers, the ethnic barriers, we need to squeeze out economic barriers.« 420
In der Diskussion, die auf Ellisons Vortrag folgt, zeigt sich jedoch, dass die Forderung nach einer Inklusion der Frauen nicht nur Anhänger findet. Ein alter Mann, dem Namen und Akzent nach arabischer Herkunft, meldet sich und ereifert sich in schlechtem Englisch, dass es im Islam verboten sei, dass Frauen in der Öffentlichkeit zu hören seien, dass die weibliche Stimme haram sei und Männer nur von ihrem Glauben ablenken würde. Am besten sei es, Frauen blieben unsichtbar und unhörbar. Die weiblichen Studentinnen, fast durchgängig zwar mit Hijab, doch ansonsten im Business-Outfit, geschminkt und selbstbewusst wirkend, schauen den alten, im Vergleich zu ihnen ungebildet und ärmlich wirkenden Mann sichtlich angewidert an, beginnen zu tuscheln und schauen dann erwartungsvoll zu Keith Ellison. Dieser geht auf die Provokation, die nur von wenigen ebenfalls älteren Männern im hinteren Teil des Saales mit einem leisen beifälligen ›Allahu akbar‹ kommentiert wird, nicht ein und erwidert diplomatisch, dass es unterschiedliche Wege gebe, den Koran zu interpretieren, dass es aber seiner – natürlich nicht verbindlichen – Meinung und Interpretation nach durchaus im Rahmen des Islam sei, Frauen einzubinden. 421 Im Frühjahr 2008 wollte sich eine Gruppe Musliminnen die schlechte Behandlung in den Moscheen nicht mehr gefallen lassen. Unter Führung der afroamerikanischen Konvertitin Aisha al-Adawiya startete die Gruppe Women in Islam, Inc. eine Initiative, die auf die desolate Situation aufmerksam machen sollte. Unter dem Titel Women Friendly Mosques and Community Centers: Working Together to Reclaim Our Heritage wurde von der Gruppe bereits Ende 2005 eine 12-seitige Broschüre herausgegeben, in der zunächst mit Beispielen aus Koran und Sunna demonstriert wird, dass der Islam für Frauen gleichberechtigte Teilhabe am Gemeindeleben vorgesehen habe: »Given the Prophet’s advice and example, peace be upon him, there should never be a masjid that tells women to leave when they want to enter and participate in prayers or other activities. It is a woman’s right to choose whether she wishes to participate in masjid activities, and she must have open access to the masjid.« 422
Damit soll zugleich die Exklusion von Frauen als ›unislamisch‹ diskreditiert werden. Im Anschluss daran wird näher auf die Situation in den USA und Kanada 420 | Vortrag Keith Ellison (s.o). 421 | Vortrag Keith Ellison (s.o). 422 | Broschüre von Women in Islam, Inc.: Women Friendly Mosques and Community Centers: Working Together to Reclaim Our Heritage, 29.11.2005.
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eingegangen. Nach den Ergebnissen des Masjid Study Project, das von 16 großen islamischen Organisationen in Auftrag gegeben worden war, sind 75 % der regelmäßigen Moscheebesucher männlich. In einem Drittel aller Moscheen Nordamerikas ist es für Frauen verboten, im Moscheevorstand Mitglied zu werden. In der Broschüre wird betont, dass die Reduzierung weiblichen Engagements auf Kinderbetreuung und Küchenaktivitäten nicht dem Islam entspreche, sondern kulturellen Vorurteilen von Seiten der (männlichen) Moscheeführung entspringe: »Although more women participate in masjid activities, some also simultaneously felt that the dignity and honor given them by Islam is not reflected in the treatment they encounter at their community masjid. For example, women who have tried to approach masjid leadership have sometimes found them dismissive of women’s ideas and concerns. When women are invited to take managerial roles in masjid programs, they are often limited to serving as cooks and cleaners; while women enjoy taking care of their communities in these ways, they felt leadership can do more to include women in masjid consultation processes or meetings. They believed that it was cultural gender biases that limited their religious right to have a role in decision-making.« 423
Aus diesem Grund fordern die Frauen der Women in Islam-Initiative, dass die Moscheen sich in vielfältiger Weise weiblicher Partizipation öffnen müssten, sei es im Hinblick auf die architektonische Gestaltung, die Leitung oder die Programme, die dort angeboten werden: »The alienation of women from the masjid must be addressed at the local level. Each masjid must gradually but in a determined fashion modify its architecture, governance, and programs to be inclusive of women and children. The leadership at each masjid must be proactive in initiating and supporting these changes.« 424
Sollte das nicht geschehen, warnen die Verfasserinnen, könnten potentielle Konvertitinnen abgeschreckt werden bzw. Frauen, die frisch zum Islam gefunden haben, keine Ansprechpartnerinnen finden, die ihnen helfen, in ihrem neuen Glauben Fuß zu fassen: »Women who may be interested in exploring Islam for conversion, or recent converts/reverts feel inhibited to enter the masjid and ask questions; without women’s regular participation in masjid activities, recent reverts/converts have a more time identifying sisters who may be able to befriend them and support their transition into the deen.« 425
423 | Broschüre von Women in Islam (s.o.). 424 | Broschüre von Women in Islam (s.o.). 425 | Broschüre von Women in Islam (s.o.).
Autoritätskämpfe
Am 29. März 2008 wurde von Women in Islam, Inc. zu einer Diskussionsveranstaltung in die Fordham Law School geladen. 426 Zunächst wurde der Film Me and the Mosque der jungen kanadischen Muslimin und Filmemacherin Zarqa Nawaz gezeigt, im Anschluss daran von allen Zuschauern diskutiert. Das Publikum bestand fast ausschließlich aus Muslimen, bis auf wenige Männer waren vor allem Frauen anwesend, hier wiederum die meisten Immigrantinnen. Bis auf eine Ausnahme waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, dass die Situation von Frauen in amerikanischen Moscheen katastrophal sei. Dies sei der Grund, warum immer weniger Frauen regelmäßig in die Moschee gehen würden, so Aisha al-Adawiya. Der (nie realisierte) Plan von Women in Islam, Inc., in einem Protestmarsch eine Moschee in Downtown New York (Warren Street Mosque) durch den Männereingang zu betreten und den als besonders reaktionär geltenden Imam zu einem Gespräch zu zwingen, wurde beklatscht. Nur eine junge afroamerikanische Muslimin störte die Einigkeit. Sie wies die Forderung der Frauen, Zutritt zu räumlichen und symbolischen Bereichen des Moscheelebens zu bekommen, die bis dato nur Männern vorbehalten waren, zurück. Stattdessen schlug sie ganz eigene Moscheen für Frauen als Lösung vor. Am meisten irritierte das Publikum der Grund, den sie vorbrachte: »You know, I met my husband in a mosque. If I could meet him there, any other woman could meet him there as well. I don’t want my husband to meet other sisters who could become his second wife then.«
Die Feindseligkeit und das Misstrauen, welche nicht verheirateten Frauen in afroamerikanischen Moscheen vor allem von Seiten der anderen Frauen entgegengebracht werden, hat auch Dannin beobachtet. 427 Der Grund dafür seien hohe Polygamieraten einerseits und eine generell zu geringe Zahl heiratswilliger bzw. heiratsfähiger Männer andererseits. Die Imame sind sich der ›Gefahr‹ übrigens durchaus bewusst und bemühen sich daher, vor allem frisch konvertierte junge Frauen möglichst schnell mit Männern der Gemeinde zu verheiraten. Vor allem ist die Aussage der jungen Afroamerikanerin jedoch ein Hinweis darauf, dass die Aktivistinnen, die für mehr Beteiligung der Frauen in Moscheen streiten, nicht nur in manchen Männern, sondern eben auch in manchen Frauen GegnerInnen haben. Der Grad des Gegenwinds, den Aktivistinnen erhalten, hängt jedoch davon ab, was sie fordern: Geht es beispielsweise nur um funktionierende Lautsprecher für den Frauentrakt, um Frauen in den Vorständen oder eben doch um die absolute Gleichstellung in allen Bereichen? Sehr anschaulich kann man dies an
426 | Im folgenden teilnehmende Beobachtung: Filmvorführung Me and the Mosque mit anschließender Diskussion, organisiert von Women in Islam, Inc., unter der Leitung von Aisha al-Adawiya, Fordham Law School, New York, 29.03.2008. 427 | Dannin 2002, S. 201, 206.
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der Kontroverse um Amina Wadud verdeutlichen – die auch unter Frauen scharfe Kritikerinnen besitzt. Die afroamerikanische Muslimin Amina Wadud hat die Stellung der Männer in Moscheen und Gemeinden herausgefordert wie keine andere Frau. Sie hat an der letzten Bastion uneingeschränkter, religiös sanktionierter Herrschaftsausübung gekratzt, als sie im März 2005 als Vorbeterin tätig wurde. Nicht nur, dass das Ereignis, begleitet von Fernsehkameras, in einer Kirche und nicht in einer Moschee stattfand – keine Moschee wollte sich für diese Ungeheuerlichkeit zur Verfügung stellen. Hinter Amina Wadud beteten Frauen und Männer zusammen, gemischt in Reihen stehend, einige Frauen ohne Kopftuch. So zum Beispiel Asra Nomani, die das Ereignis im Rahmen ihrer Muslim Women’s Freedom Tour organisiert hatte. 428 Nach klassischer Lehre dürfen Frauen Männern nicht vorbeten, es sei denn im eigenen Haushalt oder vor Sklaven. In der Regel wird dabei die Geschichte von Umm Waraqa angeführt, die innerhalb ihres Haushalts Männern vorgebetet haben soll. 429 Imam Zaid Shakir vom Zaytuna Institute widmete sich der Frage nach weiblichen Imamen ausführlich. Belegt durch Beispiele aus Koran und Sunna weist er Waduds Aktion scharf zurück. In seinem Buch Scattered Pictures widmet er ein ganzes Kapitel dem Thema ›The Issue of Female Prayer Leadership‹. Ohne den Namen Amina Waduds ein einziges Mal zu erwähnen, deklariert er das Ereignis als fitna: »The controversy surrounding the ›historic‹ female-led Friday (jumu’ah) prayer is a fitna for many Muslims in this country. This is undeniable when we see the deep divisions, bitter contestation, and outright enmity it is creating in the ranks of the believers. This is so when we see some people’s very faith shaken. This is so when we see spiteful accusations hurled by some Muslims at others. This is so when we see non-Muslims possessed of ill-intent seeking to exploit this controversy to create confusion among the general public and the Muslims as to what Islam is and who are its authoritative voices.« 430
Dem folgt eine längere Abhandlung, in welcher Shakir aus der Prophetentradition, der islamischen Frühgeschichte und dem klassischen islamischen Recht zitiert, um zu dem Schluss zu gelangen:
428 | Zu dem Ereignis in New York sehr ausführlich: Wadud 2006, Kap. 5; Asra Nomani beschreibt die Grundlagen und Ziele ihrer Muslim Women’s Freedom Tour in ihrem Buch: Asra Nomani 2005: Standing alone in Mecca: An American Woman’s Struggle for the Soul of Islam, San Francisco. 429 | Z.B. Shakir 2005, S. 168ff. 430 | Shakir 2005, S. 167.
Autoritätskämpfe »From what we have presented above, it should be clear that a woman leading a mixed gender, public, obligatory congregational prayer is not something sanctioned by Islamic law in the Sunni tradition.« 431
Doch obwohl Imam Zaid Shakir die Aktion Amina Waduds als eine Form von Protest gegen die Situation der Frauen in amerikanischen Moscheen ablehnt (und damit suggeriert, dass die Aktion für Wadud nur als Protest gemeint war und nicht als die Wahrnehmung eines Rechts, von dem sie glaubt, dass es ihr der Islam zuspricht), versteht er die Unzufriedenheit vieler Musliminnen: »Perhaps, if the men of our community had more humility, we would behave in ways that do not alienate, frustrate, or outright oppress our women.« 432 Doch gehe es im Islam nicht darum, alle Formen von Unterdrückung zu überwinden: »We must also understand that Islam has never advocated a strict liberationist philosophy. Our fulfillment in this life will never come as the result of breaking real or perceived chains of oppression. That does not mean that we should not struggle against oppressive practices or institutions. Islam enjoins us to do so. However, when we understand that success in such worldly struggles has nothing to do with our fulfillment as human beings, we will be able to keep those struggles in perspective and not be moved to frustration or despair when their outcomes are counter to our plans.« 433
Das, was Shakir hier geringschätzig als »such worldly struggles« bezeichnet, ist für einige Musliminnen weitaus mehr. Ihrer Meinung nach wird Frauen ein Recht vorenthalten, das Gott ihnen eigentlich zugesprochen habe. Aisha al-Adawiya hat bei der besagten Veranstaltung in der Fordham Law School gleich am Anfang erklärt, dass es ihr nicht um das gemischte Gebet oder weibliche Vorbeterinnen gehe. Jeder weiß, dass damit die Aktion Amina Waduds gemeint ist. Zu kontrovers sind die Meinungen dazu, als dass al-Adawiya diese Diskussion bei dieser Veranstaltung führen möchte. In einem Gespräch erklärt sie einmal, sie habe keine klare Meinung zur Aktion Waduds: Selbst wenn Wadud damit im islamischen Sinne richtig gelegen habe, so sei es doch der falsche, viel zu frühe Zeitpunkt dafür gewesen. 434 Auf der Podiumsdiskussion hingegen sagte al-Adawiya, sie wolle allgemein den Schmerz der Frauen über ihre spirituelle Entmündigung artikulieren, wenn ein Imam sich sogar weigere, mit Frauen zu sprechen. Schließlich sei der Kampf von Women in Islam, Inc. kein Frauenthema, sondern ein Thema der ganzen muslimischen Community: »We want men to stand up and change something!« Denn: »Surely, Islam didn’t free us to enslave us again.« 431 | Shakir 2005, S. 180. 432 | Shakir 2005, S. 180. 433 | Shakir 2005, S. 180f. 434 | Gespräch mit Aisha al-Adawiya im Schomburg Center for Research in Black Culture, Harlem, am 28.03.2008.
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Auch Aisha al-Adawiya artikulierte den Eindruck und das Gefühl, welche im Film Me and the Mosque mehrfach angesprochen werden und unter afroamerikanischen Musliminnen häufig sind: dass nämlich die zunehmende Geschlechtertrennung in amerikanischen Moscheen auf den zunehmenden Einfluss sehr konservativ bis salafitisch geprägter Imame vor allem aus der arabischen Welt zurückzuführen sei. Sie berichtete dem Publikum, wie sie selbst in den frühen 1970er Jahren in einer Moschee auf der Westside Manhattans zum Islam konvertiert sei. Damals, so al-Adawiya, habe es in der Moschee keine Geschlechtertrennung gegeben, bis ein ägyptischer Imam eine Trennwand errichtete. Als daraufhin viele Frauen protestierten, sei in der Wand eine Tür angebracht worden, so dass die Frauen die Wahl hatten, wo sie beten möchten. Sie betont ausdrücklich, dass Frauen z.B. durch die steigende Zahl neu angebrachter Vorhänge nach und nach den Raum verlieren, den sie schon einmal hatten. Als ersten Schritt, besonders frauenfreundliche bzw. frauenfeindliche Moscheen auszuzeichnen, schlug eine weiße Konvertitin im Publikum in der Fordham Law School vor, noch häufiger das Internet zu nutzen: auf www.salatomatic.com könnten die hier anwesenden Frauen – und Männer! – die Moscheen, die sie besucht haben, bewerten und Kommentare hinterlassen. Schließlich wolle man das Feld nicht jener Dame namens ›American Muslima‹ überlassen, die auf der Website einige New Yorker Moscheen bewertet hat und es negativ beurteilte, wenn eine Moschee – wie die Sufi-Moschee Masjid al-Farah – keine extra Räumlichkeiten nur für betende Frauen bereitstellte, dafür aber die ›Gebetskabinen‹ hinter schweren Vorhängen, die es in der größten repräsentativen Moschee New Yorks, dem Islamic Cultural Center of New York, im Untergeschoss gibt, als positiv und wünschenswert beschrieb. Selbst ein an sich konservativer Imam wie Imam Siraj Wahhaj ist noch zu verblüffen, wie weit die Zurückdrängung von Frauen gerade in mancher Immigrantenmoschee geht. An einem Freitag im Februar 2008 war Imam Siraj eingeladen, in einer kleinen Moschee in der östlichen Bronx zu predigen, deren Imam algerischer Herkunft ist. 435 Auch die Nachbarschaft am East Parkway Bronx ist arabisch geprägt. In dieser Moschee gab es an diesem Freitag keinerlei Räumlichkeiten für Frauen. Stattdessen wurden die vier anwesenden Frauen – eine Araberin, eine Afrikanerin und eine Muslimin aus Guyana sowie die Autorin dieser Arbeit – angehalten, im Büro des Imams auf dem Fußboden Platz zu nehmen und durch einen Türspalt der Predigt zu lauschen. Auf dem Flur, der zwischen Büro und Gebetsraum liegt, herrschte ständiges Kommen und Gehen, so dass die Frauen Mühe hatten, überhaupt ein Wort von dem zu verstehen, was Imam Siraj sagte. Zu Beginn des Gebets drängelten sich die Männer auf dem Flur bis an die Tür des Büros, so dass die Frauen von Moscheeangestellten aufgefordert wurden, in den hinteren Teil des Büros zurückzuweichen – damit saßen sie de facto unter dem Schreibtisch des Imams. Nach der Veranstaltung kam Imam Siraj in Begleitung des algerischen Imams und vier weiterer älterer Männer ins 435 | Im folgenden teilnehmende Beobachtung: Bronx Muslim Center, 15.02.2008.
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Büro. Der algerische Imam war sichtlich unangenehm berührt, dass nicht alle Frauen bereits verschwunden waren und machte eine Geste, die zur Tür deutete. Imam Siraj hingegen freute sich erkennbar, dass er eine der Frauen – die Autorin – kannte und begann ein längeres Gespräch, in dessen Verlauf auch die junge Frau aus Guyana einbezogen wurde. Die älteren Männer um Imam Siraj herum vermieden jeden Blickkontakt mit den Frauen und erwiderten nichts auf deren Abschiedsgruß. In einem Gespräch eine Woche später merkte Imam Siraj an, dass er sich eine derartige Situation in einer afroamerikanischen Moschee nicht vorstellen könne: »You know the sisters! They would go crazy!«436 Den arabischen Glaubensbrüdern jedoch unislamisches Verhalten vorzuwerfen, so weit mochte Imam Siraj jedoch nicht gehen. Das wiederum unterscheidet ihn von den meisten weiblichen Aktivistinnen, die sich auf diesem Feld engagieren. Mit dem Vorwurf, dass muslimische Männer den Frauen in ihren Gemeinden göttlich gewährte Rechte vorenthalten würden, fordern Frauen wie Amina Wadud, Asra Nomani, aber auch Gruppen wie Women in Islam, Inc. unter Aisha al-Adawiya die Legitimität männlicher Autoritätsansprüche grundlegend heraus. Gerade muslimische Akademikerinnen empfinden die Selbstgerechtigkeit muslimischer Männer in der Auslegung des Islam zunehmend als Anmaßung. Es herrsche unter Muslimen die irrtümliche Ansicht, so beispielsweise die Politologin Asma Barlas, dass Frauen die von Männern beanspruchte Autorität nicht innerhalb eines islamischen Rahmens kritisieren könnten. Männliche Gelehrte würden ihre eigene Arbeit nicht nur als universell gültig, sondern auch als heilig und unfehlbar darstellen. Damit würden sie aber den Koran mit männlicher Exegese verwechseln und somit die Heiligkeit des Koran unterminieren. 437 Gender, meint Barlas, sei unter Muslimen ein »principal marker of religious authority and knowledge«. 438 Die Beiträge muslimischer Frauen zu religiösem Wissen, so Barlas, seien vergessen oder als symbolisch bewertet worden. 439 Das Problem, dem diese Akademikerinnen von Wadud bis Barlas eigenem Empfinden nach begegnen, ist jedoch die Unterstellung, ›unislamisch‹ zu handeln. Barlas meint dazu, die Tatsache, dass Frauen in der westlichen Wissenschaft forschen, werde von muslimischen Communities marginalisiert und als genderspezifisch und feministisch abgewertet. 440 Musliminnen wie Asma Barlas und Amina Wadud werden vor allem von nichtmuslimischer Seite in westlichen Ländern gerne als ›islamische Feministinnen‹ tituliert. Dabei wird der Terminus in der Regel positiv konnotiert, wenn diese Frauen im Rahmen von Vortragsreihen und Konferenzen zum Themenfeld 436 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 20.02.2008. 437 | Barlas, Asma 2003: »Determining Islamic Authority in North America (I)«, in: The Daily Times, Pakistan, 11.03.2003. 438 | Barlas 2003. 439 | Barlas 2003. 440 | Barlas 2003.
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»Islam – Frauenrechte – Aufklärung – Reform« eingeladen werden. Das Problem besteht jedoch, dass dieser Begriff nicht klar definiert ist. So finden sich auf den entsprechenden Podien neben Musliminnen wie Barlas und Wadud, die ihre emanzipatorischen Forderungen direkt aus den islamischen Quellen ableiten, auch Frauen wie Ayaan Hirsi Ali oder Irshad Manji, die zwar in eine muslimische Familie geboren wurden, sich heute aber dezidiert vom Islam distanzieren, da dieser ihrer Meinung nach essentiell und inhärent frauenfeindlich ist. Somit ist es auch verständlich, warum sich Amina Wadud im Nachhinein bemühte, ihre Aktion in New York islamisch zu legitimieren. In ihrem zweiten Buch Inside the Gender Jihad kritisierte sie in einer Nachbetrachtung des Ereignisses die Rolle von muslimischen Männern aus dem sogenannten progressiven Spektrum, die sie erstens zu dem Gebet gedrängt und die ihr vorenthalten hätten, wie genau der Ablauf sein würde und dass dies von solch einer immensen Medienberichterstattung begleitet werden würde. Explizit distanziert sie sich in dem Buch von dem Etikett ›Feminismus‹ und wehrt sich damit gegen die Vereinnahmung von Leuten, so Wadud, die sie eher als ›feministisch‹ (im westlichen Sinne) denn als ›islamisch‹ wahrnehmen. Ihr ist es wichtig, als Muslimin wahrgenommen zu werden, und sie betont an vielen Stellen, dass es ihr weder um Provokation noch um eine häretische Handlung gegangen sei. 441 Dennoch wurde und wird Amina Wadud, wenn man sich Artikel und Internetforen zu dem Thema anschaut, von vielen muslimischen Männern und Frauen als Ungläubige (kāfira) bezeichnet, die gänzlich unislamisch gehandelt habe. Afroamerikanische Muslime hingegen sehen Amina Wadud differenzierter. Fatimatou, eine junge schwarze Muslimin, die im Büro des Muslim Women’s Center for Research and Development in der Bronx arbeitet und außerdem an der Columbia University Gesundheitswesen studiert, glaubt, dass die meisten Muslime Amina Wadud einfach nur für verrückt halten würden, weil sie mit ihren abgehobenen, sehr intellektuellen Theorien zu Autoritätsfragen ohnehin nichts anfangen könnten. 442 Dafür müsste man schließlich Arabisch können. Sie persönlich maße sich nicht an zu beurteilen, ob eine Frau nun vorbeten dürfe, aber es sei ihr eh egal: »I don’t care.«. Wenn jedoch einige Muslime Amina Wadud im Nachhinein als kāfira bezeichnet hätten, dann sei das ein Zeichen von innermuslimischem Rassismus. Denn, so Fatimatou, keiner würde es wagen, z.B. Asra Nomani (die einen indischen Hintergrund hat) als Ungläubige zu bezeichnen. Nur Schwarze, die neue Ideen hätten, würden als unauthentische Muslime diffamiert. Andererseits sieht Fatimatou auch die Fans von Amina Wadud kritisch. In New York beispielsweise gebe es eine ImmigrantenElite, die von Daisy Khan, deren Ehemann Imam Feisal Abdul Rauf und der Ame441 | Wadud 2006; zu Waduds Umgang mit den Termini ›feministisch‹ und ›islamisch‹ v.a. Kap. 1, zu dem Ereignis in New York und ihre Kritik am progressiven Spektrum sowie ihre Rechtfertigung v.a. Kap. 5. 442 | Im folgenden: Gespräch mit Fatimatou Bah und Nurah Amatullah, Muslim Women’s Institute for Research and Development (MWIRD), Bronx/N.Y., 19.03.2008.
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rican Society for Muslim Advancement (ASMA), der Daisy Khan vorsteht, vertreten werde. 443 Solche Muslime würden Amina Wadud nur bewundern, glaubt Fatimatou, weil sie dächten, Wadud sei liberal. Was, mischt sich Fatimatous Chefin, die afroamerikanische Muslimin Nurah Amatullah, ins Gespräch ein, für Leute wie Daisy Khan gleichbedeutend sei mit religiös weniger oder gar nicht praktizierend. Nurah Amatullah kennt Amina Wadud persönlich, und abgesehen davon, dass sie die Argumente mancher Unterstützer Waduds fragwürdig findet, ist sie trotz allem sehr angetan von dieser Frau, die männliche Autoritäten derart herausfordert. Schließlich hat Amatullah selbst als Chefin eines islamischen Frauenzentrums, das z.B. Kondome verteilt, ohne zu fragen, ob die Empfänger verheiratet sind oder nicht, mit männlichen Führern aus den islamischen Moscheen und Organisationen genug zu kämpfen. Doch angesprochen darauf, dass Amina Wadud in ihrer Predigt ›Allah‹, dessen Personalpronomen im Arabischen ›er‹ (huwa) ist, als »he/ she/it« bezeichnete, um damit zu kritisieren, dass Gott zwar von Muslimen ungeschlechtlich/genderneutral gedacht werden soll, eine patriarchale Sprache ihn aber dennoch vermännlicht hat, verzieht Fatimatou nur spöttisch das Gesicht und meint: »It’s not our biggest problem, isn’t it?«, und Nurah lacht: »I don’t care if my god has testicles. My god is greater than that.« Selbst Imam Siraj Wahhaj, der in dogmatischen Fragen zum Geschlechterverhältnis als konservativ gilt, möchte Amina Wadud nicht als Ungläubige bezeichnen. Er betont, dass er sie und ihren Kampf für einen möglichst nah am göttlichen Willen ausgerichteten Islam durchaus respektiere. Dennoch gebe es für ihn bisher keinen Beweis in den Quellen, dass eine Frau tatsächlich das Recht habe vorzubeten. Imam Sirajs Pressesprecher Abdul Qadir hingegen grinst nur, als er seine Meinung zu Amina Wadud abgeben soll: »She is a lesbian, isn’t she?« Anhand der negativen Reaktionen auch von muslimischen Frauen auf Amina Wadud ist deutlich geworden, dass keineswegs alle muslimischen Frauen in den USA nur darauf gewartet haben, von männlicher Autorität und Dominanz befreit zu werden. Unter den Unterstützern Waduds waren sowohl Männer als auch Frauen, ebenso unter den Gegnern. Die Grenze lief eher entlang ideologischer Linien als Geschlechtergrenzen. Ganz sicher hat die Aktion die Debatte über die Rolle von Frauen in Moscheen noch einmal verschärft, und gerade Musliminnen, die sich in den Verbandshierarchien der großen muslimischen Organisationen hocharbeiten, kommen nicht umhin, sich zu der Thematik zu äußern. Ingrid Mattson, eine weiße kanadische Konvertitin und die (erste weibliche) Vorsitzende der Islamic Society of North America (ISNA), findet wie viele Musliminnen die Geschlechtertrennung in amerikanischen Moscheen zwar prinzipiell gut, aber nur solange es gewährleistet sei, dass die Frauen dennoch voll an der Predigt des (da443 | ASMA wurde 1997 in New York gegründet. Das Ziel war damals, den öffentlichen Diskurs über den Islam positiv zu beeinflussen. Schwerpunkte der Arbeit von ASMA sind interreligiöser Dialog, Förderprogramme für Jugendliche und Frauen, Dialog mit den Medien und Kulturaustausch. Siehe dazu: www.asmasociety.org.
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mit implizit immer männlich gedachten) Imams teilnehmen könnten. Laut Abdo sehen sich Frauen wie Mattson als »islamische Feministinnen« und den Kampf um ihren Platz in der Moschee als Teil ihres Kampfes um mehr Rechte. 444 Der Terminus ›Feminismus‹ ist unter Musliminnen jedoch, wie bereits angeführt, äußerst umstritten, und es ist zweifelhaft, ob Ingrid Mattson sich selbst wirklich so bezeichnen würde. Asma Barlas erklärt den Grund für die zurückhaltende Verwendung der Bezeichnung ›Feministin‹ durch muslimische Frauen auch damit, dass die meisten Muslime, wenn sie eine Frau eine ›Feministin‹ nennen, damit die Identität und die Argumente dieser Frau in Frage stellen wollen. 445 Dies ist sicher nicht die Absicht von Carolyn Rouse, die in ihrem Buch Engaged Surrender von ihren jahrelangen Feldforschungen in einer Gruppe afroamerikanischer Musliminnen in Kalifornien berichtet. Obwohl sie den Begriff ›Feminismus‹ in ihrem untersuchten Milieu ausführlich problematisiert, kommt sie zu folgendem Schluss: Wenn Frauen, die an ihr eigenes empowerment glauben und danach streben, Feministinnen sind, dann sind auch afroamerikanische Konvertitinnen Feministinnen. 446 Kritisch könnte man nun natürlich fragen, inwiefern sie das Recht der Frauen auf Selbstdefinition unterminiert, wenn sie am Ende ihrer Analyse nun doch wieder einen Begriff (fremd-)zuschreibt, der nun einmal bestimmte Assoziationen hervorruft, ob nun auf muslimischer oder nichtmuslimischer Seite. Rouse begründet ihre Behauptung damit, dass ihrer Beobachtung nach muslimische Frauen den Islam als die erste ›feministische‹ monotheistische Religion betrachten – ohne zu verdeutlichen, ob die Frauen, mit denen sie gesprochen hat, nun diesen Terminus je selbst in den Mund genommen haben oder nicht. Wenn diese Frauen sich jedoch lieber als Musliminnen denn als Feministinnen identifizieren, habe das eher politische Gründe – den Wunsch nach Abgrenzung – als Ablehnung der Geschlechtergleichheit, wie sie der Westen definiert. 447 Nur was meint sie hier mit ›Westen‹? Afroamerikanerinnen sind mit Sicherheit ›westliche‹ Frauen. Aber eben schwarze westliche Frauen. Ihr Unbehagen gegenüber dem Terminus hat genau mit dieser Verschränkung zweier Identitätskonzepte zu tun. Für die meisten afroamerikanischen Musliminnen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Islam und Feminismus bzw. ihrer religiösen Identität und ihrer Identität als Frau ohnehin noch einmal anders. Anders als für die afroamerikanische Konvertitin Wadud, die mittlerweile auch in progressiven Immigrantenkreisen hoch angesehen ist und von Podium zu Podium (sowohl in Amerika als auch international) gereicht wird, bewegt sich ein Großteil der afroamerikanischen Musliminnen in einem sozialen Umfeld, in dem die Verschränkung von Rassen- und Klassenfragen tagtäglich evident und relevant ist. Hier tut sich vor allem eine Kluft auf zwischen dem intellektuellen Feminismus von Frauen wie 444 | Abdo 2006, S. 140. 445 | Barlas 2003. 446 | Rouse 2004, S. 150. 447 | Rouse 2004, S. 150.
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Wadud und den alltäglichen Erfahrungen vieler Afroamerikanerinnen in Amerika. Schon und gerade am Begriff ›Feminismus‹ selbst wird diese Kluft deutlich. Auffallend ist, dass die Kritik an diesem Begriff von Seiten vieler afroamerikanischer Musliminnen eben nicht in erster Linie islamisch legitimiert, sondern stets in einen Kontext mit der spezifisch afroamerikanischen Erfahrung – und immer dezidiert in den Gegensatz zu weißen Frauen – gesetzt wird. Es geht hier also nicht primär darum, dass man eine Muslimin ist, sondern dass man eine schwarze Frau in Amerika ist. Als Beispiel sei hier Nsenga Knight genannt, eine junge afroamerikanische Filmemacherin, ausgebildet an der Harvard University, die vor allem zu Frauenthemen und empowerment arbeitet. Als sie in einem Kurs der Columbia University zum afroamerikanischen Islam von einer Studentin syrischer Herkunft nach feministischen Elementen in ihrem Werk gefragt wurde, lachte Nsenga Knight nur auf. 448 Das Thema Feminismus finde sie im Kontext mit afroamerikanischen Frauen immer etwas seltsam: »It seems to be more a white women’s issue.« 449 In der Diskussion, die sich im folgenden unter den Studierenden entwickelte, ging es ausschließlich um die Verwendung bzw. Nichtverwendung des Etiketts ›Feminismus‹ für die Belange nichtweißer Frauen, ferner die Frage, inwieweit die Errungenschaften oder Forderungen westlicher Frauenbewegungen universalisiert werden sollen oder dürfen und wer das Recht habe, dies zu bestimmen. Der Islam ist an dieser Stelle jedoch kein Thema gewesen. Anders argumentiert der Anthropologe Robert Dannin. Für ihn, der selbst jahrelang in afroamerikanisch-muslimischen Gemeinden geforscht hat, hängt die kritische Haltung von Frauen wie der Filmemacherin Nsenga Knight möglicherweise eben doch mit dem Islam zusammen. Er findet es nicht widersprüchlich, dass sich schwarze Musliminnen einerseits für die Rechte von Frauen einsetzen, und zwar sowohl im Islam als auch in der black community, aber andererseits dennoch kritisch gegenüber dem Etikett Feminismus bleiben. Für einige Afroamerikanerinnen stelle die Konversion zum Islam ein Instrument zum empowerment dar, doch der säkulare Feminismus habe sich fast nur auf die Interessen von Mittelschichtsfrauen konzentriert, die ihren Kampf um Rechte schon auf einem höheren sozialen Level begännen. 450 Auch hier wird die gegenseitige Abhängigkeit von Rassen- und Klassendiskurs deutlich, doch der Islam kommt in Dannins Argumentation zumindest in einem funktionalistischen Sinne vor. Afroamerikanische Musliminnen haben mit dem Begriff jedoch vor allem ein Problem, das sie mit nichtmuslimischen Afroamerikanerinnen teilen und 448 | Teilnehmende Beobachtung im Seminar von Zaheer Ali: Islam in the African-American Experience. Columbia University, Januar bis Juni 2008 Institute for Research in African-American Studies, Sitzung vom 15.04.2008 mit Nsenga Knight als Gastrednerin. 449 | Teilnehmende Beobachtung im Seminar von Zaheer Ali: Islam in the African-American Experience. Columbia University, Januar bis Juni 2008 Institute for Research in African-American Studies, Sitzung vom 15.04.2008 mit Nsenga Knight als Gastrednerin. 450 | Dannin 2002, S. 232.
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das zunächst unabhängig vom Islam ist: Für sie impliziert ›Feminismus‹ eine bevormundende, paternalistische Haltung weißer Feministinnen in Bezug auf nichtweiße Frauen. Nurah Amatalluh, die Leiterin des Muslim Women’s Center for Research and Development in der Bronx, meinte spöttisch: »What do I have to do with white middle-class women burning their bras at American universities in the 60’s? They did nothing for me. Women of color cannot relate to that.« 451
Auch Nurah Amatullah verzichtet darauf, ihre Kritik am westlichen Feminismus islamisch zu begründen. Stattdessen verweist sie einerseits darauf, dass die Frauen der Bewegung vor allem weiß sind und andererseits, dass diese weißen Frauen eine andere soziale Herkunft und einen anderen Bildungshintergrund haben als die Mehrheit der afroamerikanischen Frauen in Amerika. Black Feminism An dieser Stelle ist ein Exkurs in den sogenannten ›schwarzen Feminismus‹ (black feminism) notwendig. Nur vor dem Hintergrund der Selbstverortung afroamerikanischer Frauen in westlichen Genderdiskursen der letzten Jahrzehnte kann das spezifische Profil von Afroamerikanerinnen, die den Islam als Religion gewählt haben, herausgearbeitet werden. Denn nicht nur afroamerikanische Musliminnen grenzen sich dezidiert vom in Amerika bzw. im Westen dominierenden Genderdiskurs ab, sondern auch Afroamerikanerinnen, die sich selbst als christlich (wie Alice Walker), marxistisch (Angela Davis), dekonstruktivistisch (Audre Lorde) oder post-dekonstruktivistisch (Patricia Hill Collins) verstehen. Als Feministinnen werden im folgenden nur jene Frauen bezeichnet, die sich selbst als solche benennen. Zu jenen gehören Audre Lorde, Angela Davis und Patricia Hill Collins. Alice Walkers Alternativkonzept des ›womanism‹ wird aufgrund seiner Relevanz für Genderdiskurse unter afroamerikanischen Musliminnen jedoch ebenso berücksichtigt werden. Audre Lorde beschäftigt sich mit der Frage, auf welchen theoretischen Vorannahmen schwarzer Feminismus überhaupt basiert. In ihrer feministischen Theorie konzeptualisiert sie daraufhin koalierende Zwangsbeziehungen als normativen Überbau (overarching norm) für schwarzen Feminismus in Amerika. Es existiert ihrer Meinung nach eine sogenannte »mythical norm«, von der »each of us knows that we do not fit.« In Amerika, so Lorde, »this norm is […] white […], male, young, heterosexual, Christian, and financially secure.« 452 Damit basiere Unterdrückung eben nicht nur darauf, dass man das falsche Geschlecht oder die falsche Hautfarbe habe. Durch die Verbindung von Kategorien 451 | Gespräch mit Nurah Amatullah, Muslim Women’s Institute for Research and Development (MWIRD), Bronx/N.Y., 04.05.2008. 452 | Lorde, Audre 1997: »Age, Race, Class, and Sex: Women Redefining Difference«, in: Anne McClintock/Aamir Mufti/Ella Shohat (Hg.): Dangerous Liaisons: Gender, Nation, and Postcolonial Perspectives, Minneapolis, S. 374-381.
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aus Gender-, Rassen-, Religions- und Klassendiskursen werde ein komplexes Bild von miteinander verwobenen Unterdrückungsmechanismen gezeichnet. Patricia Hill Collins betont dies in ihrer Definition, was schwarzer Feminismus sei und ihn von anderen feministischen Ansätzen unterscheidet: »Black feminist thought fosters a fundamental paradigmatic shift that rejects additive approaches to oppression. Instead of starting with gender and then adding in other variables such as age, sexual orientation, race, social class, and religion, Black feminist thought sees these distinctive systems of oppression as being part of one overarching structure of domination.« 453
Audre Lord bemängelt, dass weiße Frauen diese Verwobenheit verschiedener Unterdrückungsmechanismen bis heute ignorierten, wodurch eine rassenübergreifende (und eben nicht rassentranszendierende) Koalition schwierig sei: »By and large within the women’s movement today, white women focus upon their oppression as women and ignore differences of race, sexual preference, class, and age. There is a pretense to a homogeneity of experience covered by the word sisterhood that does not in fact exist.« 454
Die Beziehungen zwischen den weißen und schwarzen Feministinnen Amerikas sind historisch vermintes Terrain. Bereits die weißen Sufragetten seien zum Teil offene Rassistinnen gewesen. Für Rouse erklärt schon dies das Misstrauen schwarzer Frauen gegenüber weißen Feministinnen. 455 Die afroamerikanische Feministin Fanny Lou Hamer hielt 1971 eine Rede beim NAACP456, in der sie den Grund für das Unbehagen schildert, das schwarze Frauen in Bezug auf weiße Frauen empfinden: »You thought that you was MORE because you was a woman, and especially a white woman, you had this kind of angel feeling that you were untouchable. You know that? There’s nothing under the sun that made you believe that you was just like me, that under this white pigment of skin is red blood, just like under this black skin of mine. So we was used as black
453 | Collins, Patricia Hill 1990: Black Feminist Thought: Knowledge, consciousness, and the Politics of Empowerment, Boston, S. 222. 454 | Lorde, Audre 1984: »I am your Sister«, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 539. 455 | Rouse 2004, S. 142. 456 | Die 1909 gegründete National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) ist die größte Bürgerrechtsorganisation, die sich bis heute spezifisch für die Belange von Afroamerikanern in den USA einsetzt.
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Dieses ivory castle, der Elfenbeinturm, den Hamer hier anspricht, verweist ein weiteres Mal auf den Klassenkonflikt, der auch für sie mit dem Rassenkonflikt stets einhergeht. Mit Begriffen wie ›angel feeling‹, ›untouchable‹ und ›pedestal‹ spielt Hamer darauf an, dass weiße Frauen stets als schön galten, als nicht frei verfügbare Sexualpartnerinnen und außerdem, zumindest idealerweise, einen Ehemann als ihren Alleinversorger hatten. Schwarze Frauen hingegen seien, vor allem unter den Bedingungen der Sklaverei, weißen Männern – und afroamerikanischen bis zu einem von Weißen geduldeten Grad ebenfalls – sexuell völlig ausgeliefert gewesen. Auch nach der Sklaverei sei die normative Kernfamilie – mit einem Vater, der das Geld nach Hause bringt, einer Mutter, die sich um den Haushalt kümmert und Kindern, die alle denselben Vater haben – für viele afroamerikanischen Frauen eher die Ausnahme als die Regel gewesen. Oft fanden und finden sie sich als alleinerziehende, arbeitende Mütter wieder, denen es schwer fällt, einen Partner zu finden. Bis heute gilt in der black community, dass hellere Haut schön ist, dunkle Haut – gerade bei Frauen – jedoch ein großes Stigma darstellt. 458 Das Podest, gar der Elfenbeinturm, den Hamer anspricht, soll das Privileg weißer Frauen symbolisieren, nicht hart arbeiten zu müssen (was für die weiße Arbeiterklasse natürlich nur ein Ideal darstellte), was wiederum einen geringeren Grad an sexueller Abhängigkeit von bzw. Verfügbarkeit gegenüber Männern im öffentlichen Raum beinhaltet. Die soziale Kluft zwischen afroamerikanischen und weißen Frauen erklärt denn auch ein weiteres zentrales Strukturelement der schwarzen feministischen Theorie: Kooperation soll eher mit schwarzen Männern als mit weißen Frauen stattfinden. Fannie Lou Hamer beispielsweise postuliert, dass die Befreiung nicht VOM schwarzen Mann, sondern MIT ihm geschehen müsse:459 »Not to fight to try to liberate ourselves from the men – this is another trick to get us fighting among ourselves – but to work together with the black man, then we will have a better chance to just act as human beings, and to be treated as human beings in our sick society.« 460
457 | Hamer, Fannie Lou: »The Special Plight and the Role of Black Women«, Auszug aus einer Rede im NAACP Legal Defense Fund Institute, New York, 07.Mai 1971, nachgedruckt in: Manning Marable/Leith Mullings (Hg.) 2000: Let Nobody Turn Us Around: Voices of Resistance, Reform, and Renewal. An African American Anthology, Lanham, S. 420. 458 | Vgl. hierzu Hunter 2005. 459 | Hamer 1971, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 421. 460 | Hamer 1971, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 422.
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Die schwarze Feministin Angela Davis befasst sich mit dem Mythos, wonach schwarze Männer durch zu starke schwarze Frauen permanent symbolisch entmännlicht worden seien. Darin wittert sie eine Unterdrückungsstrategie der Weißen, um die Schwarzen zu spalten. Die Aufgabe schwarzer Frauen sei es, schwarzen Männern bei ihrer Befreiung zu helfen, anstatt zu deren Unterdrückung beizutragen: »Our enemies have attempted to mesmerize us, to mesmerize black people, by propounding a whole assortment of myths with respect to the black woman. We are inveterate matriarchs, implying we have worked in collusion with the white oppressor to insure the emasculation of our men. Unfortunately, some black women have accepted these myths without questioning their origin and without being aware of the counter-revolutionary content and effect. They’re consequently falling into behind-the-scenes positions in the movement and refuse to be aggressive and take leadership in our struggle for fear of contributing to the oppression of the black male. As black women, we must liberate ourselves and provide the impetus for the liberation of black men from this whole network of lies around the oppression of black women, which serve only to divide us, thus impeding the advance of our total liberation struggle.« 461
Auch Audre Lorde sieht die Gefahr, dass sich schwarze Frauen von den (weißen) Unterdrückern instrumentalisieren lassen, wenn sie ihre Identität als Frauen über ihre Identität als Schwarze stellen: »For example, it is easy for black women to be used by the power structure against black men, not because they are men, but because they are black. Therefore, for black women, it is necessary at all times to separate the needs of the oppressor from our own legitimate conflicts within our communities.« 462
Doch darf für Lorde dies kein Grund sein, Gewalt gegen schwarze Frauen innerhalb der black community totzuschweigen (wie es z.B. in der Black Panther Party463 461 | Davis, Angela Y. 1970: »I am a Revolutionary Black Woman«, nachgedruckt in: Manning Marable/Leith Mullings (Hg.) 2000: Let Nobody Turn Us Around: Voices of Resistance, Reform, and Renewal. An African American Anthology, Lanham, S. 484. 462 | Lorde, Audre 1984: »I am your Sister«, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 541. 463 | Die Black Panther Party (BPP) wurde 1966 mit dem Ziel gegründet, sich der gesellschaftlichen Unterdrückung von Afroamerikanern in Amerika mittels eines bewaffneten Kampfes zu widersetzen. Die Ideologie war durch linkes Gedankengut (wie die Lehren Lenins und Maos) geprägt, jedoch verknüpft mit schwarznationalistischen Ideen. Die BPP hatte ihre aktivste Phase von 1966 bis 1971. Danach bildeten sich wegen interner Streitigkeiten zwei Lager, von denen das eine Lager ein Engagement innerhalb des gesetzlichen Rahmens in den Ghettos der Großstädte favorisierte, das andere den bewaffneten Kampf
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eine Weile geschah), nur um nicht als illoyal gegenüber der eigenen Community zu gelten: »Yet the necessity for and history of shared battle have made us, black women, particularly vulnerable to the false accusation that anti-sexist is antiblack.« 464 Frauen wie Collins, Lorde und Davis verwenden für ihre Theorien trotz aller Kritik den Terminus ›Feminismus‹, den sie sich durch eine Spezifizierung mit dem Attribut ›black‹ diskursiv aneignen. Im westlichen Feminismus herrscht eine anti-essentialistische Konzeption von Geschlecht vor, wonach biologisches Geschlecht (sex) zwar existiert, das soziale Geschlecht (gender) jedoch nur konstruiert ist. 465 Diese Konzeption ist jedoch gerade für Frauen, gleich welcher ethnischen Herkunft, problematisch, wenn sie sich in einem religiösen Bezugsrahmen verorten, der, zumindest nach dominierender Auslegung, klar auf einem binären Geschlechterkonzept auf baut. Der Begriff ›Feminismus‹ kann aus dieser Perspektive als so problematisch erscheinen, dass ein anderer Terminus geeigneter scheint, die eigenen Forderungen auszudrücken. Wenn dann noch ein Unbehagen hinzukommt, das sich aus der spezifischen Situation als schwarzer Frau speist, liegt es nahe, von dem Terminus Abstand zu nehmen, den man sich schon doppelt neu aneignen müsste, um die eigene Identität mit Sinnhaftigkeit zu versehen. Genau in diesem Unbehagen liegt die Wurzel des Alternativkonzepts des sogenannten womanism. Der Begriff womanism wurde erstmals durch Alice Walker geprägt, die in ihrem 1983 erschienenen Buch ›In Search of Our Mother’s Garden‹ womanistische Prosa publizierte. Ihre Definition des Terminus ist jedoch sehr unklar und mit einem esoterischen Unterton versehen (»Loves music. Loves the moon. Loves the Spirit. Loves love and food and roundness.«). Auffallend ist hier nur die Nähe zu schwarzen Feministinnen, wenn sie schreibt: »Committed to the survival and wholeness of entire people, male and female. Not a separatist, except periodically, for health« 466 – auch wenn dies womöglich gerade als Abfortsetzen wollte. Ab Anfang der 1980er Jahre trat die BPP nicht mehr öffentlich in Erscheinung, ohne sich formell aufgelöst zu haben. Während ihrer Hochphase wurde sie intensiv vom FBI bekämpft und unterwandert. Siehe dazu z.B.: Lazerow, Jama/Yohuru R. Williams (2006). In Search of the Black Panther Party: New Perspectives on a Revolutionary Movement. Duke University. 464 | Lorde, Audre 1984: »I am your Sister«, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 542. 465 | Vertreten z.B. durch Judith Butler, Julia Kristeva, historisch vor allem durch Simone de Beauvoir. 466 | Siehe den entsprechenden Ausschnitt aus Alice Walker 1983: In Search of Our Other’s Gardens: Womanist Prose, San Diego, S. xi-xii: »Womanist 1. From womanish (Opp. of ›girlish‹, i.e., frivolous, irresponsible, not serious) A black feminist of feminist of color. From the black folk expression of mothers to female children, ›You acting womanish,‹ i.e., like a woman. Usually referring to outrageous, audacious, courageous, or willful behavior. Wanting to know more and in greater depth than is considered ›good‹ for one. Interested in
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grenzung zu ›Feministinnen‹ dienen sollte. In den folgenden Jahrzehnten haben daher vor allem religiöse Frauen (v.a. Christinnen) sich den Begriff zur Abgrenzung von ›Feministinnen‹ zwar angeeignet, dabei jedoch mit eigenen theoretischen Überlegungen versehen. Kurt Buhring beschreibt in seiner Abhandlung zu afroamerikanischen theologischen Konzepten von Befreiung und Gerechtigkeit, wie christliche Afroamerikanerinnen androzentrische Bibelinterpretationen von schwarzen Befreiungstheologen im Namen des womanism kritisieren. 467 Er beschreibt womanism im folgenden als »a theological and ethical school of thought of many black female clergy and religious scholars, [it] had its formal beginnings in the late 1970s and early 1980s.« Ausgehend von Alice Walkers Definition von womanist kritisierten diese Frauen sowohl den Rassismus weißer Feministinnen als auch den Sexismus schwarzer Befreiungstheologen wie James H. Cone. Denkerinnen wie Jacquelyn Grant, Katie G. Cannon und Delores S. Williams argumentierten, dass die besonderen Erfahrungen schwarzer Frauen respektiert und als zentrale, einzigartige theologische Quelle verstanden werden müssten: »Womanism has been characterized by its consistently holistic treatment of the interrelationship of various forms of oppression, such as racism, sexism, classism, and in some cases, homophobia and environmental degradation.« 468
Auch hier wird die Nähe zu den beschriebenen Konzepten des schwarzen Feminismus deutlich, die ihren Fokus auf die Verschränkung verschiedener Unterdrückungsmechanismen legen. Zusammenfassend lässt sich überspitzt sagen: Die Forderungen weißer Frauen aus der Mittelschicht, endlich auch am Arbeitsalltag teilnehmen zu dürfen, statt nur im Vorstadthaus zu sitzen und für den Gatten sowie die Kinder zu kochen, erschienen vielen schwarzen Frauen, gerade denen der unteren sozialen Schichten, deren Alltag durch harte Arbeit und (im hegemonialen Sinne) dysfunktionale Familienstrukturen geprägt war, als geradezu lächerlich. So erklärt es sich, warum arme schwarze Frauen den Terminus ›Feminismus‹ unter anderem auch deshalb ablehnen, weil in dessen westlicher Definition meist Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg impliziert werde. Viele diegrown-up doings. Acting grown up. Being grown up. Interchangeable with another black folk expression: ›You trying to be grown.‹ Responsible. In charge. Serious. 2. Also: A woman who loves other women, sexually and/or nonsexually. Appreciates and prefers women’s culture, women’s emotional flexibility (values tears as natural counterbalance of laughter), and women’s strength. Sometimes loves individual men, sexually and/or nonsexually. Committed to the survival and wholeness of entire people, male and female. Not a separatist, except periodically, for health. […] 3. Loves music. Loves the moon. Loves the Spirit. Loves love and food and roundness. Loves struggle. Loves the Folk, Loves herself. Regardless. 4. Womanist is to feminist as purple is to lavender.«, zitiert nach: Buhring 2008, S. 211, FN 38. 467 | Buhring 2008, S. 71. 468 | Buhring 2008, S. 71.
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ser Frauen lehnen die Messung des Wertes eines Menschen an seiner Leistungsfähigkeit jedoch ab. Vollzeitmutterschaft und Ehe hingegen sehen sie als Privileg und nicht als Bürde an. 469 Inwiefern lässt sich nun damit die Attraktivität erklären, die eine Konversion zum Islam für afroamerikanische Frauen vor allem der unteren sozialen Schichten hat? Ist der Islam damit ein Alternativkonzept zu Feminismus? Afroamerikanische Musliminnen sind im Hinblick auf westliche Feminismuskonzepte in zweierlei Hinsicht kritisch: als schwarze Frauen und als muslimische Frauen. Ähnlich wie im schwarzen Feminismus gibt es jedoch auch unter afroamerikanischen Musliminnen Frauen, die sich den Terminus ›Feminismus‹ im Namen des Islam aneignen – und somit nicht nur muslimische, sondern auch islamische Feministinnen sind – und neu definieren. Es ist auffällig, wie häufig in der vor allem von Frauen verfassten Forschungsliteratur zu dem Thema mit dem Begriff ›Feminismus‹ operiert wird – und zwar ganz gleich, ob die Verfasserinnen selbst Musliminnen sind oder nicht. Der Begriff des ›Feminismus‹ wird damit von afroamerikanischen Musliminnen nicht nur im Hinblick auf seine Gebundenheit an whiteness kritisiert, sondern sie stellen auch die Frage, inwieweit dieses Konzept mit ihrer religiösen Identität vereinbar ist. Sind die Richtgrößen westlicher Feministinnen wie Gleichheit vor dem Gesetz, Reproduktionsfreiheit, Recht des Individuums auf künstlerische sowie arbeitstechnische und sexuelle Selbstverwirklichung die einzigen Kriterien für den Status von Frauen in einer Gesellschaft, fragt zum Beispiel die afroamerikanische Muslimin Gwendolyn Zoharah Simmons. Sind das ›universelle‹ feministische Werte?470 Musliminnen, so behauptet sie, haben andere Werte. Ihnen gehe es um Gleichheit vor dem Gesetz, politische Partizipation, Bildung, Gesundheitsvorsorge und das Recht auf Arbeit. Doch es fehlt das Recht des Individuums auf künstlerische, arbeitstechnische und sexuelle Selbstverwirklichung, so Simmons. 471 Trotz allem verzichtet Simmons nicht auf die Bezeichnung ›Feministinnen‹, wenn sie über muslimische Frauen schreibt, die diese anderen Werte einfordern. Natürlich würden die meisten muslimischen Feministinnen Veränderungsbedarf in ihren eigenen Gesellschaften sehen, gleichwohl stünden sie den Paradigmen des westlichen Feminismus kritisch gegenüber. Für Simmons liegt die Wurzel dieses Unbehagens im Erbe des Kolonialismus, welcher im Namen der Frauenbefreiung koloniale Unterdrückung gerechtfertigt habe. 472 Außerdem sei das westliche Frauenbild für muslimische Frauen höchst unattraktiv, da dort weibliche Sexualität kommerzialisiert würde. 473 Hier verkennt Simmons jedoch, dass genau diese Vermarktung des weiblichen Körpers ein zentraler Angriffspunkt des ›klassischen‹ Feminismus 469 | Rouse 2004, S. 145. 470 | Simmons 2000, S. 206. 471 | Simmons 2000, S. 206. 472 | Simmons 2000, S. 206. 473 | Simmons 2000, S. 207.
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(den sie als westlich und weiß konzipiert) ist – und des black feminism ebenfalls. Wenn Rouse dazu schreibt, dass schwarze Feministinnen afroamerikanische Konvertitinnen zum Islam in ihren Kampf um Rechte einbinden könnten und sollten, weil ihre Rollen und Forderungen als Feministinnen ähnliche seien 474 , dann kann man natürlich fragen, ob das folgerichtig nicht auch für den Feminismus westlicher Prägung gilt. Jamillah Karim sieht ebenfalls eine ideologische Nähe zwischen afroamerikanischen Konvertitinnen und schwarzen Feministinnen. In einem Aufsatz beschreibt sie, wie drei Musliminnen, eine davon pakistanischer Herkunft, die zweite äthiopischer Herkunft, die dritte afroamerikanische Konvertitin, sich über die Rolle von Frauen in der muslimischen Community unterhalten. 475 Die beiden Immigrantinnen, also auch die ebenfalls schwarze Äthiopierin, bezichtigen die Konvertitin Melanie der Überreaktion, als diese sich über diskriminierende Behandlung in einer von Immigranten dominierten Moschee beschwert, die alle drei Frauen besuchen. Melanie klagt, dass ihre Klage überhört werde, sowohl in der Moschee als auch von ihren beiden Gesprächspartnerinnen, was Melanie sehr kränkt, sie fühlt sich übergangen. Dies, so Karim, zeige, dass Melanie wie schwarze Feministinnen das Recht einfordere, sichtbar zu sein. Schwarzer Feminismus »first and foremost […] declares the visibility of black women« und zweitens »asserts self-determination as essential«, so die schwarze Feministin Deborah King. 476 Patricia Hill Collins fügt hinzu, dass afroamerikanische Frauen zwar sexuell sichtbar gemacht wurden, doch sie blieben »invisible as […] fully human individual«. Nun müssten sie eine »self-defined voice« finden. 477 Karim beschreibt, wie Melanie bestimmte Rechte einfordert, insbesondere »the right to be heard, to be able to speak freely, to be able to be seen as a woman, as pretty and feminine.« 478 Doch dazu brauche es einen Raum, wo Frauen frei sprechen können, meint Karim mit Collins: »This realm of relatively safe discourse, however narrow, is a necessary condition for Black women’s resistance.«479 Deborah King sieht die Aufgabe von schwarzen Frauen, die sich wie die Konvertitin Melanie diskriminiert fühlen, darin, »to discover and appreciate the ways in which black women are not victims.« Im Gegenteil seien Frauen nicht nur keine Opfer, sondern gewännen sogar Kraft aus dem ihnen zustehenden Recht, ihre Lebenswirklichkeit selbst zu deuten: »Black women are empowered with the right to interpret our reality and define our objectives.« 480 Und nur, wenn ihnen von Seiten der 474 | Rouse 2004, S. 150. 475 | Vgl. dazu: Karim 2006b. 476 | King 1995: Multiple Jeopardy:312, in: Karim 2006b, S. 231. 477 | Collins 1991: Black Feminist Thought…:94. 478 | Karim 2006b, S. 231. 479 | Collins 1991, S. 95. 480 | King, Deborah 1988: »Multiple Jeopardy, Multiple Consciousness: The Context of a Black Feminist Ideology«, in: Signs 14 (1), S. 312.
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muslimischen Community das Recht eingeräumt wird, die spezifischen Erfahrungen schwarzer Frauen mitzuberücksichtigen, könne der Islam für dieses empowerment fruchtbar gemacht werden, so Amina Wadud: »In order for it (Islam) to bear positively on the life of African-American Muslim women, then the history and experiences of these women must become part of the articulation and implementation of Islam in the American context.« 481
Für die schwarze Feministin bell hooks erfüllen Konvertitinnen das feministische Ideal vor allem durch ihr Bewusstsein, ihren Sinn für empowerment: »Oppressed people resist by identifying themselves as subjects, by defining their reality, shaping their new identity, naming their history, telling their story.« 482 Schwarze Konvertitinnen, meint Rouse, tun genau dies, wenn sie versuchen, ihre Lebensgeschichte neu zu erzählen und sich bemühen, eine Balance zu finden zwischen persönlichem und gesellschaftlichem empowerment einerseits und der hohen Priorität von Familie und Spiritualität in ihrem Leben andererseits. 483 Doch macht auch Rouse hier ein Paradox aus, denn während viele Frauen den Islam als Werkzeug zur Befreiung wählten, würden Männer ihn oft als Werkzeug für die Wiedergewinnung von Respekt, Stolz, Führung und Männlichkeit sehen. Das empowerment der Frauen sieht Rouse nun darin, dass die Konvertitinnen versuchen, ihre Forderungen mittels Koranexegese zu legitimieren. 484 Es stellt sich jedoch die Frage, aus welchem Grund Frauen sich für eine religiöse Gruppierung entscheiden, innerhalb derer sie sich erst die Rechte erkämpfen müssen, für die sie den Glauben ja eigentlich gewählt haben. Wenn eine afroamerikanische Frau sich nicht nur durch ihr Frausein, sondern auch ihre blackness diskriminiert fühlt: Was sucht sie dann in einer religiösen Community wie der amerikanischer Muslime, in der sie genau dieselben Probleme wieder vorfindet, nämlich die Benachteiligung wegen des Frauseins und wegen des Schwarzseins? Das Schlüsselargument ist hier die Gewinnung von Kontrolle über die Diskriminierung. Indem eine schwarze Frau ihre Diskriminierungserfahrungen in islamischen Termini kontextualisiert und delegitimiert sowie gleichzeitig versucht, Widerstand dagegen religiös zu legitimieren, übernimmt sie die Kontrolle im Sinne einer Aneignung von Fremdkategorien – Frau, schwarz – und deren Neudefinition über eine transzendente Wahrheit. Ob man diese Form von Kontrollgewinnung als feministisch wertet, sei dahingestellt. Denn feministisch gemäß welcher Definition? Empowerment bedeutet es sicher insofern, als fremdbestimmte Identitätszuschreibungen zu selbstbestimmten werden. 481 | Wadud 2006, S. 152. 482 | hooks, bell 1989: Talking Back: Thinking Feminist, Thinking Black, London/Boston, S. 43. (bell hooks möchte ihren Namen bewusst in Kleinschreibung buchstabiert wissen.) 483 | Rouse 2004, S. 151. 484 | Rouse 2004, S. 169.
Autoritätskämpfe
Carolyn Rouse widmet sich in ihrer Untersuchung zur Funktion von Konversion für afroamerikanische Frauen der Frage, die sich ihrer Meinung nach für viele Menschen – oder ganze Theorien, wie z.B. den Marxismus – stellt: Warum benötigen manche Menschen eine Religion, um Entscheidungen, die als selbstverständlich gelten sollten (wie die Trennung von einem gewalttätigen Mann), zu legitimieren?485 Man könnte an die Frauen also die Frage stellen: »Why not simply transcend the religion rather than try to reform it?« Diese Frage, meint sie, basiert jedoch auf dem irrtümlichen Glauben, dass soziale Fakten auch objektive Fakten seien, also dass es z.B. objektiv stimme, dass Männer und Frauen gleich sind und gleiche Rechte verdienen: »I argue that when it comes to the construction of a moral universe, there are very few objective truths. Put more directly, there is no natural law. Moral truths, like Western feminism, must be nested by other ideological domains, and in the United States, feminism finds validation through the domains of individualism, democracy, and meritocracy. Some ideological domains exist in the realm of what Bourdieu calls doxa, or the realm of the undisputed, while others exist in the realm of heterodoxy, orthodoxy, or opinion. In order to move a concept from heterodoxy into the realm of doxa, one must nest it in undisputed concepts. 486 For the Muslim community, belief that Muhammad is the last Messenger and slave servant of Allah is doxa, therefore to move feminism into the realm of doxa, one must validate it through Islamic exegesis.« 487
Für Rouse kann es demnach durchaus einen ›islamischen Feminismus‹ geben, sofern er die autoritativen Quellen des Islam als Grundlage jeder Argumentation annehme, so wie der westliche Feminismus eben auch nicht bedingungslos sei, sondern auf bestimmten Wertvorstellungen gründe. Die Diskurse über islamischen Feminismus haben für Rouse trotz der Gebundenheit an die islamischen Quellen die Kraft, patriarchale Diskurse – über Rasse, Gender, Klassenfragen – auf zwei Feldern, nämliche Familie und Moschee, mittels Koranexegese zu unterwandern. 488 Rouse beschreibt als Beispiel hierfür in ihrer Studie eine Gruppe afroamerikanischer Konvertitinnen, die bereits 1995 in der kalifornischen Masjid 485 | Rouse 2004, S. 186. 486 | Bourdieu, Pierre 1977: Outline of a Theory of Practice, Cambridge, S. 164-171. 487 | Rouse 2004, S. 186. 488 | Rouse 2004, S. 165; auffällig ist nicht nur an Rouses Studie, sondern allgemein an afroamerikanischen Diskursen zu Feminismus (und anderen Themenfeldern ebenfalls), welch zentrale Rolle der Koran einnimmt. Hadithe spielen zumindest am Rande eine Rolle, doch Fatwas, also islamische Rechtsgutachten, tauchen weder in der Forschungsliteratur zu afroamerikanischem Islam auf, noch sind sie während der Feldforschung Gegenstand von Beobachtungen oder Gesprächen geworden. Selbst Fatwa-Foren im Internet spielen offensichtlich für afroamerikanische Muslime keine Rolle, ganz im Gegensatz zu Blogs und allgemein Diskussionsforen.
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al-Mustaqim die Gruppe ›Sister-to-Sister‹ gegründet hatten. Die Teilnehmerinnen treffen sich seither regelmäßig, um mittels etablierter Methoden islamischer Exegese, unter Einbeziehung von Koran, Hadithen, Korankommentaren usw., einen autoritativen Konsens (iğmāʿ) über ihren Glauben zu entwickeln. 489 Ihre feministische Exegese legitimieren die Frauen der Gruppe durch die Lektüre von Koran, Hadithen und Sekundärliteratur, z.T. auch durch das Erlernen der arabischen Sprache. 490 In Folge des Wissenszuwachses der weiblichen Moscheebesucher sehe sich der Imam der Moschee nun gezwungen, scheinbare Selbstverständlichkeiten im islamischen Geschlechterrollenbild mit den Quellen zu legitimieren – oder seine Ansichten zu revidieren. Er und die anderen männlichen Führungspersönlichkeiten der Moschee nähmen sich Frauenthemen nun ausführlich an, denn sie wüssten, dass, obwohl viele der dortigen Frauen den ›westlichen‹ Feminismus ablehnten, sie doch wie Feministinnen denken und handeln würden, schreibt Rouse. Mittels eines durch Koranexegese autorisierten Diskurses würden somit reale Veränderungen angestoßen. Dies könne mit Begriffen beschrieben werden wie ›accommodating protest‹ (Macleod), ›contestation and reinscription‹ (Kondo), ›complicitous critique‹ (Hutcheon) oder ›engaged surrender‹ (Wadud). 491 Allein die Tatsache, dass der Imam der Masjid al-Mustaqim islamische Genderrollen mit Reden über die Gleichheit der Frau legitimieren müsse, zeige, dass der Feminismus, ebenso wie die islamische Exegese, ein akzeptierter und damit autorisierter Diskurs in der afroamerikanisch-muslimischen Community ist, so Rouse. 492 Doch sie selbst schränkt dieses zunächst emanzipatorisch erscheinende Argument an späterer Stelle wieder ein, als sie darauf eingeht, dass die Exegese der Frauen natürlich nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern an bestimmte Regeln gebunden sei, die im islamischen Kontext als Mindeststandards für eine Interpretation gelten, die von anderen, d.h. (auch und gerade) männlichen Muslimen, anerkannt werden soll. Trotz radikaler Exegese, meint Rouse nämlich, limitierten die Konvertitinnen ihre Fähigkeiten, z.B. soziale Beziehungen und Ehestrukturen zu verändern, indem sie ihren Glauben an soziale Gerechtigkeit mit dem Islam an einen Glauben mit sehr klar definierten Interpretationsregeln bänden, die zudem nicht nur unter amerikanischen Muslimen, sondern weltweit in den allermeisten Fällen nun einmal durch männliche Gelehrte definiert wurden bzw. noch heute definiert werden. 493 In diesem Zusammenhang ist schon die von ihr beobachtete Praxis, lieber ausschließlich mit dem Koran als mit den oft als misogyn empfundenen Hadithen zu arbeiten, für die breite Anerkennung unter Muslimen mit Sicherheit problematisch. 494 Doch diese breite Anerkennung 489 | Rouse 2004, S. 36. 490 | Rouse 2004, S. 178. 491 | Rouse 2004, S. 169. 492 | Rouse 2004, S. 47. 493 | Rouse 2004, S. 178 und Krämer/Schmidtke 2006, S. 6. 494 | Rouse 2004, S. 76f.
Autoritätskämpfe
wäre die Voraussetzung dafür, dass sich der Erfolg einstellt, den Rouse in einem Feminismus innerhalb der von islamischer Exegese autorisierten Diskurse potentiell sieht. Das anerkennt sie auch selbst: Auch wenn Widersprüche zwischen Universalismus und Partikularismus bestehen blieben, da muslimische Frauen ebenfalls versuchen, normative von kontextualisierten Stellen zu unterscheiden, so verlege der Islam im Gegensatz zu Feminismus und womanism die weiblichen Reformwünsche in einen Glauben, den auch die Männer der Community akzeptieren, was eine größere Wahrscheinlichkeit für Erfolg impliziere. 495 Und damit, kann man ihr jedoch argumentativ dagegenhalten, wären afroamerikanische Musliminnen wieder davon abhängig, dass die Männer der Community ihre Exegese legitimieren. Manche Frauen geben dies sogar offen zu. Maryam, eine afroamerikanische Konvertitin, die Jamillah Karim interviewt hat, glaubt, dass Frauen ohne die Unterstützung von Männern keine Chance haben, ihre koranisch verbrieften Rechte einzufordern. Sie definiert das Vormundschafts-Prinzip (qiwāma) aus Sure 4,34 folgendermaßen: Männer haben einerseits die Pflicht, für ihre Frauen finanziell zu sorgen, da diese sich um die Kindererziehung kümmern. Andererseits komme das Wort qiwāma von der arabischen Wurzel qāma, was soviel wie »aufstehen, sich erheben« bedeutet – für Maryam ein klarer Indikator, dass der Koran hier fordert, dass Männer für Frauen ›aufstehen‹ und sie unterstützen müssen. 496
II.6 A utorität durch S elbstbehaup tung und I ntegrität : H ijab und S chönheitside ale Wenn in der nichtislamischen, westlichen Welt über muslimische Frauen und deren vermeintliche oder reale Unterdrückung gesprochen wird, kommt man schnell auf das Thema Kopftuch. Am sogenannten Hijab (ḥiǧāb) scheiden sich die Geister der Nichtmuslime: ist die Verhüllung der Haare, die ja in den allermeisten Fällen mit einer Verhüllung des restlichen Körpers in weite, die weiblichen Formen verbergende Kleidung einhergeht, ein Zeichen für die Unterdrückung von Frauen, ein Symbol für patriarchale Strukturen unter Muslimen, durch die Männer die weibliche Sexualität dämonisieren oder sie zumindest als Ablenkung von ihrer Konzentration auf Gott sehen? Oder kann man die Verbergung weiblicher Reize nicht auch als eine Form von empowerment sehen, entweder weil muslimische Frauen, denen Männer unverschleiert überhaupt nicht gestatten würden, am öffentlichen Leben teilzuhaben, durch den Hijab die Möglichkeit bekommen, sich islamkonform in der Öffentlichkeit zu bewegen? Oder, noch einen Schritt weiter, weil diese Frauen der (wiederum vermeintlichen oder realen) Übersexualisierung der westlichen Gesellschaften Widerstand entgegenstellen, indem sie die 495 | Rouse 2004, S. 148. 496 | Karim 2009, S. 194.
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Kontrolle über den eigenen, den weiblichen Körper zurückgewinnen, der im Westen Allgemeingut geworden ist, ausgebeutet durch Medien, Werbung und kaum erfüllbare Schönheitsideale. 497 Es debattieren nicht nur Nichtmuslime über die Verschleierung der Frauen, sondern auch Muslime auf der ganzen Welt – und Musliminnen! – diskutieren äußerst kontrovers über den Hijab: ob man ihn überhaupt tragen muss, wenn ja, wer ihn tragen und wie man ihn tragen muss. Dies ist in den USA nicht anders. Es ist schwierig abzuschätzen, wie viele der muslimischen Frauen – Afroamerikanerinnen und muslimische Immigrantinnen – sich in Amerika überhaupt verhüllen. Eine großangelegte Studie aus dem Jahr 2007 hat Musliminnen in Amerika dazu befragt. Demnach tragen ca. 40 % regelmäßig einen Hijab, 48 % hingegen niemals. 498 Die Ergebnisse der Umfrage sind jedoch nicht aufgeschlüsselt nach Community – Afroamerikanerin oder Immigrantin – oder Herkunftsland. So bleiben nur qualitative Studien, seien sie ethnologischer, soziologischer oder religionswissenschaftlicher Natur, um sich der Frage zu nähern, ob der Hijab für afroamerikanische Musliminnen eine spezifische Bedeutung hat, die essentiell mit ihrer Identität als schwarze Frauen zusammenhängt. Gibt es also einen dezidiert afroamerikanisch-muslimischen Diskurs zur Verschleierung der Frau, der sich von dem Diskurs unter Einwanderern unterscheidet? Und wenn ja, worin besteht die besondere Relevanz des Hijabs für afroamerikanische Frauen? Sicher ist, das zeigt schon ein Überfliegen der Forschungsliteratur oder von Primärquellen, dass die Frage, ob man sich als Muslimin in irgendeiner Form verhüllen muss, unter afroamerikanischen Muslimen ebenso umstritten ist wie unter Muslimen weltweit und insbesondere unter muslimischen Einwanderern. Andererseits ist aber unstrittig, dass junge afroamerikanische Musliminnen sich verstärkt für das Tragen des Hijab entscheiden. Eine Studie Karen Leonards zeigt, dass das Kopftuch in den letzten Jahren verstärkt ein Identitätsmarker vor allem unter jungen Frauen geworden ist und mit Elementen aus der Jugendkultur verbunden wird. 499 Websites wie hijabgirl.com oder starscarves.com zeigen die Bandbreite, in der sich Musliminnen in Amerika selbstbewusst als Hijabis darstellen. Junge schwarze muslimische Hip Hopperinnen wie Mizundastood und Ms Latifah gehen selbstverständlich mit Hijab auf die Bühne. Afroamerika497 | Zur Relevanz des Hijab für Musliminnen und den damit verbundenen Eigen- und Fremdzuschreibungen vor allem in westlichen Kontexten siehe: Macdonald, Myra 2006: »Muslim Women and the Veil: Problems of Image and Voice in Media Representations«, in: Feminist Media Studies 6 (1), S. 7-23; Mahmood, Saba 2005: Politics of Piety: The Islamic Revival and the Feminist Subject, Princeton; Mernissi, Fatima 1991: The Veil and the Male Elite: A Feminist Interpretation of Women’s Rights in Islam, New York; Braun, Christina von/Bettina Mathes 2007: Verschleierte Wirklichkeit: Die Frau, der Islam und der Westen, Berlin. 498 | Pew Research Center 2007, auf: http://pewresearch.org/assets/pdf/muslim-amer i cans.pdf (abgerufen am 09.08.2010). 499 | Leonard 2003, S. 122.
Autoritätskämpfe
nische Wissenschaftlerinnen wie Jamillah Karim, junge Filmemacherinnen wie Nsenga Knight oder Modedesignerinnen wie Nzinga Knight verschleiern sich, stehen aber beruflich durchaus in einer mehrheitlich nichtmuslimischen Öffentlichkeit. Zu der Frage jedoch, wie viele afroamerikanische Musliminnen sich nun tatsächlich für den Hijab entscheiden, gibt es nicht nur keine Zahlen, sondern auch fast keine Forschungsliteratur. Nur Carolyn Rouse schreibt in ihrer anthropologischen Studie zu afroamerikanischen Konvertitinnen dezidiert über die Relevanz des Hijabs unter afroamerikanischen Musliminnen. Prinzipiell neigten diese dazu, strengere Formen der Verhüllung zu wählen als Immigrantinnen.500 Dies könnte man darauf zurückführen, dass Menschen, die sich zur Konversion entschließen (der Großteil der afroamerikanischen Musliminnen sind Konvertitinnen), allgemein strenger zur Einhaltung von tatsächlichen oder vermeintlichen religiösen Vorschriften tendieren. Jedoch hat Rouse mit Blick auf Kalifornien gleichzeitig beobachtet, dass die Zahl der Frauen, die den Hijab tragen, über die Jahre ihrer Forschung hinweg eher abgenommen hat.501 Daraus ließe sich die Schlussfolgerung ziehen, dass sich zwar weniger Frauen als früher verschleiern, diejenigen aber, die sich für den Hijab entscheiden, sich umfassender verhüllen, also das Tuch weit über die Brust reicht, die Kleidung nicht eng anliegt, der Hals bedeckt ist usw. Andererseits betont Karen Leonard, dass die strengste Form der Verschleierung, zu der beispielsweise ein Gesichtsschleier (niqāb) gehören würde, nach Meinung der meisten afroamerikanischen Muslime nur für die Gattinnen des Propheten Muhammad Pflicht gewesen ist.502 Doch auch sie nennt dazu keine Zahlen. Aufgrund der defizitären Datenlage werden im folgenden einige Beobachtungen meiner Feldforschung in New York dargestellt. Diese Beschreibungen erheben keineswegs den Anspruch, repräsentativ für ganz Amerika oder auch nur ganz New York zu sein, sondern sollen ein Schlaglicht werfen auf die Vielfalt des Diskurses und der Praxis von afroamerikanischen Musliminnen im Hinblick auf den Hijab. Rouses Beobachtung im Hinblick auf den Grad der Verschleierung muss insofern kritisch gesehen werden, als dass ihre Forschung ausschließlich unter schwarzen Sunnitinnen einer bestimmten Gemeinde in Kalifornien stattfand. Selbst unter afroamerikanischen Sunniten gibt es in dieser Frage jedoch unterschiedliche Positionen, je nachdem, wie stark sich die jeweilige Gemeinde mit afroamerikanischer Geschichte und Identität identifiziert – und für Gruppierungen, die zur Nation of Islam oder ähnlichen Gruppen zählen, gilt Rouses Aussage ohnehin nicht.503 In New York beispielsweise tragen die Frauen aus der Ge500 | Rouse 2004, S. 62. 501 | Rouse 2004, S. 220. 502 | Leonard 2003, S. 122. 503 | Die NOI schreibt für die weiblichen Mitglieder die Verschleierung verbindlich vor und definiert klar, wie diese auszusehen hat: ein weißes Tuch, das weit über die Schultern reicht und auf ganz bestimmte Weise gebunden wird, dazu ein weißes Gewand: siehe dazu das
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meinde Imam Warith Deen Muhammads, die sich in einer Moschee in Harlem (Masjid Malcolm Shabazz) treffen und deren Gruppierung als mittelschichtsnah gilt, afrikanisch inspirierte Turbane, die Hals und Ohren freilassen, oft in bunten Farben und mit großen Ohrringen dazu. In der sich ebenfalls in Harlem befindlichen Mosque of Islamic Brotherhood (M.I.B.) des Imam Al-Hajj Talib Abdur-Rashid besteht die Anhängerschaft eher aus unteren sozialen Schichten. Dort sind ebenfalls Turbane und am Hinterkopf geknotete Tücher üblich, deren Farben und Muster bunt sind und an afrikanische Stoffe erinnern. Wie auch Imam Warith Deen Muhammad hat Imam Talib, selbst wenn er sich heute als Sunnit definiert, eine Vergangenheit in der NOI und fühlt sich der afroamerikanischen Community mindestens ebenso verbunden wie muslimischen Immigranten. In der Moschee von Imam Siraj Wahhaj in Brooklyn wiederum, der ebenfalls NOI-Wurzeln hat, gibt es alles vom Gesichtsschleier bis zum pinkfarbenen Head Wrap mit passenden Ohrringen. Auffälligerweise lässt sich hier kein Altersgefälle feststellen – sowohl bei jungen als auch bei älteren Frauen gibt es alle denkbaren Arten der Verschleierung. Im Gespräch nach dem Freitagsgebet kristallisiert sich heraus, dass Frauen, die sogar den Gesichtsschleier tragen, dies vor allem auf Wunsch ihrer Ehemänner tun. Jedoch sie geben sich stolz, dass sie ihren Männern so viel wert sind. Eine ältere Frau namens Raheema meint: »At least he cares about me not fooling around. Most men don’t care what their women do. He cares.« Und ein jüngeres Mädchen namens Jewel Ayeeshah findet, ihr frisch angetrauter Ehemann gäbe ihr erst Würde dadurch, dass er von ihr verlange, den niqāb zu tragen: »No man should know nothing about my face. Nothing. He’s dignifying me by telling me not to show around my body, not to show around my face like every woman in this country. My face is intimate, it’s precious. My body is precious. And the face is a part of it, isn’t it? The wives of the Prophet, sallalahu alayhi wa salam, wore a niqab, too, by the way.« 504
Der Hijab, die Sklaverei und weiße Schönheitsideale Warum nun tragen diese Frauen in den afroamerikanisch dominierten Moscheen New Yorks einen Hijab oder ähnliches, warum verhüllen sie ihr Haar, und dies wohl nicht nur in der Moschee zum Gebet? Die naheliegendste Antwort – weil das der Islam nach dominanter Meinung vieler Muslime von Frauen nun einmal verlangt – wird der Komplexität der Frage in vielerlei Hinsicht nicht gerecht. Erstens gibt es unter Muslimen weltweit besagte Debatte, ob und wie muslimische Frauen sich kleiden sollen, und die Antworten sind vielfältig. Und zweitens zeigt sich bei genauerer Analyse des Diskurses zum Hijab, wie er in der Community afroamerikanischer Muslime geführt wird, dass die Verhüllung des Haares für Frauen vielerlei Funktionen erfüllt, von denen nur einige im Zusammenhang mit ihrer Titelfoto von Sherman A. Jacksons Buch: Sherman A. Jackson 2005: Islam and the Black american, Oxford. 504 | Gespräch nach der Freitagspredigt in der Masjid at-Taqwa, 25.01.2008.
Autoritätskämpfe
Identität als Musliminnen stehen. Vielmehr geht es ihnen unter anderem auch darum, sich zu ihrer Selbstverortung in der black community zu bekennen und die sexuelle Integrität schwarzer Frauen öffentlich zu postulieren – und damit rassistische, sexistische Zuschreibungen nicht nur der weißen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch von muslimischen Immigranten zurückzuweisen. Die demonstrative Selbstverortung in der black community mittels einer Verhüllung der Frauen zeigt sich schon an der Art und Weise, wie sich viele afroamerikanische Musliminnen das Haar bedecken. Wie in den Moscheen New Yorks beobachtet, trägt eine große Zahl von Frauen nicht den klassischen Hijab (der in der Regel auch die Ohren, Hals und Ausschnitt bedeckt), sondern eben eher afrikanisch anmutende Kreationen. Head wraps, wie die bunten Tücher – ob als Turban oder Knoten – genannt werden, sind aber nicht nur für muslimische Afroamerikanerinnen typisch. Auch Nichtmusliminnen in der black community wickeln oftmals bunte Tücher um den Kopf, so dass man auf der Straße nicht sofort erkennen kann, ob die Trägerin Muslimin ist oder sich nur einer afroamerikanischen Identität verbunden und verpflichtet fühlt.505 Schon vor ihrer Konversion habe sie lange Kleider getragen und ihr Haar bedeckt, berichtet beispielsweise Amina Wadud. Auch sie begründet das mit ihrer Identität als afroamerikanische Frau: »In fact, I am part of a still ongoing trend in the African-American community, where women carry their bodies with dignity and express their sexual integrity through more modest dress fashions than the ones in popular white American culture. I adopted clothing that would cover my legs at all times in public and began various styles of head wrap before I entered Islam.« 506
Als Nachfahrin von Sklavinnen, die sich bewusst sei, dass ihre Vorfahrinnen keinen Einfluss darauf hatten, wieviel ihres Körpers auf dem Sklavenmarkt oder in ihrem spezifischen Lebensumfeld preisgegeben würde, habe sie sich bewusst dazu entschlossen »to cover my body as a means of reflecting my historical identity, personal dignity, and sexual integrity.«507 Schon auf den Sklavenschiffen wurden afrikanischen Männern und Frauen seinerzeit ihre Kleider abgenommen. Der offizielle Grund war die Angst vor Parasiten bzw. die Furcht, die Gefangenen würden sich an ihren Kleidern aufhängen – doch neben dem Hygiene- und Sicherheitsargument war es auch beabsichtigt, mit dieser symbolischen Geste der aufgezwungenen Nacktheit die künftigen Sklaven und Sklavinnen zu demütigen.508 Für Sklaven galten strenge Kleidervorschriften, waren sie erst einmal in Amerika angekommen. So durften sie keinesfalls die abgetragenen Klei505 | Karim 2009, S. 208-210. 506 | Wadud 2006, S. 220. 507 | Wadud 2006, S. 221. 508 | Diouf 1998, S. 44.
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der ihrer weißen Herrschaften auftragen, da diese von Farbe und Beschaffenheit her nur Weißen vorbehalten waren.509 Stattdessen bekamen sie Kleidung aus groben Stoffen, die oft nur das Nötigste bedeckten. Einige Zeitungsberichte sowie Reiseberichte aus der Zeit der Sklaverei berichten von entflohenen Sklaven, die völlig nackt unterwegs gewesen seien. Tatsächlich ließen manche Sklavenhalter ihre Sklaven komplett unbekleidet für sich arbeiten.510 Für muslimische Sklaven stellte die Situation eine besondere Herausforderung dar, so Sylviane Diouf in ihrer Studie zu muslimischen Sklaven in Amerika, da sie an dem Mangel an Kleidung noch stärker gelitten hätten als die anderen Sklaven, für die das ebenfalls sehr belastend gewesen sei.511 Während es in Mittel- und Südamerika wohl einigen Muslimen gelang, an den Kleidervorschriften ihrer Heimat weitgehend festzuhalten, gibt es für die USA dazu kaum Berichte. Vor allem über die Kleidung muslimischer Sklavinnen weiß man nichts, d.h. ob sie in dieser Hinsicht anders als männliche Sklaven behandelt wurden.512 Hier kann man natürlich kritisch fragen, ob die angeblich besondere Schamhaftigkeit muslimischer Sklaven, die Diouf beschreibt, auch eine besondere Moralität dieser Gruppe implizieren soll, ob die Erniedrigung von nichtmuslimischen Gefangenen als weniger schlimm empfunden wurde und wie man das nachweisen sollte. Nichtsdestotrotz ist der Rekurs auf die Erfahrung von Sklaverei und die damit verbundene Entwertung des Körpers in der Begründung, warum schwarze Musliminnen sich verhüllen, ein zentraler Topos. Diese Entwertung des Körpers schwarzer Frauen (und natürlich auch der Männer) endete nicht mit der Sklaverei, sondern setzte sich unter anderem in der Postulierung von Schönheitsidealen durch die Mehrheitsgesellschaft fort, denen schwarze Frauen schon per definitionem nicht genügen konnten, weil whiteness und die damit verbundenen Attribute das ultimative Ideal von Weiblichkeit und Schönheit darstellten und bis heute darstellen, sei es die Beschaffenheit der Haare, die Körperproportionen oder bestimmte Gesichtszüge. Bis heute gilt in der black community, dass hellere Haut schön ist, hingegen dunkle Haut gerade bei Frauen ein großes Stigma darstellt, ebenso wie zu breite Nasen, zu dicke Lippen oder zu krauses Haar.513 Fahizah Alim, lange Zeit Mitglied der Nation of Islam, warnt schwarze Frauen somit auch davor, weiße Schönheitsideale zu internalisieren, denn diese seien schließlich in einer Machtbeziehung entstanden, in der Weiße die Definitionshoheit innehaben: »How can you love yourself when the person who taught you about yourself hated you? First, you must be taught to love yourself and accept your own. You must stop trying to be 509 | Diouf 1998, S. 74. 510 | Diouf 1998, S. 73. 511 | Diouf 1998, S. 74ff. 512 | Diouf 1998, S. 78. 513 | Vgl. ausführlich zur Relevanz des Hauttons in der black community und unter Immi granten aus Lateinamerika: Hunter 2005.
Autoritätskämpfe like white people, straightening your hair, bleaching your skin, and trying to alter your African features. Then and only then will you be able to come together as a people, throwing off the shackles that slavery had put on your mind and building strong families, communities, and nations.« 514
Dazu muss gesagt werden, dass auch die Ideologie der Nation of Islam nicht frei von Schönheitsidealen ist. Zumindest zur Zeit Elijah Muhammads wurden diese Standards nicht abgeschafft, sondern umgekehrt, indem möglichst dunkle Haut und dicke Lippen als Ideal propagiert wurden, während Afroamerikaner mit heller Haut, schmaleren Lippen und good hair als Schandfleck für die black community bezeichnet wurden, da sie Resultat einer Vergewaltigung auf den Plantagen seien.515 Im Kontext der dennoch unbestreitbaren Hegemonie weißer Schönheitsideale in der amerikanischen Gesellschaft kann man die Tatsache, dass schwarze Musliminnen ihren Körper nun verhüllen, sowohl als Kapitulation vor als auch als Sieg über dieses weiße Schönheitsideal sehen. Auffälligerweise wird in der Debatte über die Gründe, warum sich schwarze Frauen verhüllen, ausschließlich der empowerment-Aspekt explizit thematisiert. So hängt für Carolyn Rouse die Frage, ob sich eine afroamerikanische Muslimin verhüllt oder nicht, eng mit Vorstellungen zusammen, die sowohl die Frau selbst als auch die weiße Mehrheitsgesellschaft auf den Körper schwarzer Frauen projizieren. Für Afroamerikanerinnen, die sich für den Hijab entscheiden, bedeutet die Verhüllung oftmals die Dekolonisierung des »Third World Body«, so Rouse, die Befreiung von den von Weißen oktroyierten Schönheitsidealen. Viele Frauen sähen daher in »bescheidener« Kleidung eine Dekolonisierung ihres Geistes und ihres Körpers; der Hijab autorisiere eine neue weibliche Ästhetik in einer Umgebung, die die Schönheit schwarzer Frauen gering schätze.516 Schon an dieser Argumentation Rouses wird jedoch deutlich, wie eng der empowerment-Aspekt mit dem Aspekt der Kapitulation zusammenhängen bzw. diesen schon implizit in sich tragen kann. Ob man eine Fremdzuschreibung auf den Körper schwarzer Frauen nun dadurch entkräftet, indem man den Körper den Blicken entzieht oder versucht, sich dem hegemonialen Ideal anzunähern: beides ist Reaktion auf eine Zuschreibung der dominanten Gruppe, auf deren Kategorien und Wertungen und damit eine Reaktion, die innerhalb des gegebenen Systems, das Gender, Rasse und erst recht deren Verschränkung definiert, sicher nachvollziehbar ist, das System selbst aber nicht in Frage stellt – weshalb man diesen Diskurs innerhalb der black community eher als pragmatisch denn als utopisch bewerten kann. Gerade schwarzes Haar (black hair) ist in diesem Kontext ein essentieller Identitätsmarker und politisch/ kulturell aufgeladen (was wiederum relevant ist in der Debatte um den Hijab, der ja ebenfalls dem Haar der Frau eine zentrale Bedeutung beimisst). Ob man sich 514 | Alim 1998, S. 159. 515 | Crouch 1998, S. 254. 516 | Rouse 2004, S. 63.
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die Haare glättet und aufhellt (und dabei versucht, dominanten weißen Schönheitsidealen näherzukommen), ob man sich die Haare in einem der zahlreichen Afro Hair Shops flechten lässt (und damit eine ›afrikanische‹ Ästhetik anstrebt) oder ob man einen natürlichen Afro à la Angela Davis trägt (die Must-Have-Frisur im Milieu schwarzer Nationalist/innen, die black pride symbolisiert) – hair matters.517 »Good hair« hat im afroamerikanischen Englisch bis heute die Bedeutung von »glattem Haar«. Der Harvard-Professor Henry Louis Gates beschreibt in seinem autobiographischen Roman »Colored People. A Memoir«518, wie in schwarzen Familien akribisch die sogenannte kitchen, die Stelle zwischen Hemdansatz und Haaransatz im Nacken, untersucht wird, um festzustellen, ob ein kleines Kind good hair hat, denn an dieser Stelle sei am besten zu sehen, wie kinky (kraus) die Haare natürlicherweise sind: »If there was ever one part of our African past that resisted assimilation, it was the kitchen. No matter how hot the iron, no matter how powerful the chemical, no matter how stringed the mashed-potatoes-and-lye formula of a man’s ›process,‹ neither God nor woman nor Sammy Davis, Jr., could straighten the kitchen. The kitchen was permanent, irredeemable, invincible kink. Unassimilably African.« 519
Und Gates berichtet von den langen Haarglättungszeremonien in den Küchen afroamerikanischer Familien, in denen nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer dem ungeliebten krausen Haar (bad hair) mit Fettcremes, Bügeleisen, Metallscheren zu Leibe rückten. Er erzählt von gestandenen Familienvätern, die mit festgezurrten Seidenstrümpfen auf dem Kopf ins Bett gehen, in der Hoffnung, am nächsten Morgen mit glattgedrückten sanften Wellen statt wilder Mähne zu erwachen. Bis heute wird in jedem amerikanischen Drugstore eine Vielzahl an stocking caps und do-rags angeboten, d.h. Tüchern und Kappen, die krauses Haar, das sorgfältig geglättet wurde, schützen sollen. Ob die Verhüllung des Kopfes mittels eines Hijab, der black hair dem öffentlichen Blick entzieht, eine Form von empowerment oder eine Form von Niederlage bedeutet, ist, wie bereits angesprochen, sicher eine Frage der Perspektive. Studien, die sich historisch mit der Bedeutung von black hair in der black community 517 | Vgl. dazu: Ingrid Banks 2000: Hair Matters: Beauty, Power, and Black Women’s Consciousness, New York; Ayana D. Byrd/Lori L. Tharps 2000: Hair Story, Untangling the Roots of Black America, New York; Noliwe M. Rooks 1996: Hair Rising: Beauty, Culture, and African American Women, New Brunswick; Candice M. Jenkins 2007: Private Lives, Proper Relations: Regulating Black Intimacy, Minneapolis, S. 232, FN 42. 518 | Henry Louis Gates: Colored People. A Memoir. New York 1994: Kapitel I,4: »In the kitchen«, ab S. 40. 519 | Gates, Henry Louis, Jr. 1994: Colored People: A Memoir, New York, S. 42; »process« bezeichnet in diesem Kontext eine chemische Prozedur zur Glättung des Haars, im Gegensatz zu mechanischen Verfahren wie Glätteisen etc.
Autoritätskämpfe
auseinandergesetzt haben, betonen jedoch, dass zumindest die Wurzel der Verhüllung des Haares darin lag, dass es während der Sklaverei Frauen verboten war, ihr Haar zu verhüllen – und ein Turban damit den Stolz symbolisierte, eine freie Frau zu sein. Der Kampf mit weißen Schönheitsidealen begann in der Zeit nach der Sklaverei, so dass ein Verhüllen des Haares eben auch bedeuten konnte, dass eine Frau gerade keine Zeit oder kein Geld hatte, sich die Haare zu glätten, also dass man nicht in der Lage war, das Schönheitsideal der Mehrheitsgesellschaft zu erfüllen und deshalb sein Haar lieber versteckte.520 Welche Rolle spielt der Hijab nun für afroamerikanische Musliminnen in diesem Zusammenhang? Überspitzt gefragt: Bedecken sie ihr Haar, weil es als besonders ›reizvoll‹ gilt (was eine der vorherrschenden Begründungen von Muslimen allgemein ist, warum die Frau ihr Haar verhüllen soll) oder weil sie sich ihres Haares schämen? Sicher ist, dass nicht alle schwarzen Musliminnen den Hijab als geeignetes Mittel empfinden, sich der Dominanz weißer Schönheitsideale zu entziehen. Im Gegenteil, er kann den bereits vorhandenen Rechtfertigungen für eine Diskriminierung dieser Frauen noch einen weiteren Grund liefern, denn zur Diskriminierung als schwarze Frau kommt außerdem die Diskriminierung als Muslimin hinzu. Jamillah Karim beschreibt ihr Gespräch mit einer afroamerikanischen Konvertitin, die ihr erklärt, warum sie sich so oft diskriminiert fühlt: »I’m black. I’m in hijab. I’m big.«521 Ein weiteres Argument, das Carolyn Rouse für ihre These der empowerment-Funktion des Hijab bei Afroamerikanerinnen anführt, ist insofern problematisch, als dass es die Pathologisierung schwarzer Sexualität, die in der black community ebenfalls auf breiter Ebene verinnerlicht wurde, als gegeben annimmt: »At an important level, hijab symbolically engages converts in these urban culture wars that depict African Americans as dysfunctional, pathological, and intellectually moronic. Hijab designates commitment to family, spirituality, and community – the ideal core American values – at the same time that it contests racism, gender oppression, Eurocentrism, and inequality. […] African American converts are familiar with the appropriation of Islam to serve the interests of men when it comes to issues of gender separation and the rights of women. Generally, however, in the African American community, the symbol of hijab connects with identity struggles that exist beyond the borders of faith.« 522
Der Hijab, so Rouse, ist damit die Performanz eines moralischen Charakters in dem Versuch, die angeblich so lockere Moral von Afroamerikanern für all die Rassisten in Amerika zu widerlegen.523 Schwarzen Frauen wird damit die Bürde auferlegt, durch das Tragen eines Hijab die zentralen amerikanischen Werte wie
520 | Jenkins 2007, S. 232, FN 42. 521 | Karim 2006b, S. 231. 522 | Rouse 2004, S. 65. 523 | Rouse 2004, S. 65.
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Familie, Spiritualität und Gemeinschaft zu verkörpern und damit die black community in den Augen ihrer Kritiker zu ›normalisieren.‹ Der Hijab und schwarze vs. islamische Authentizität Einige afroamerikanische Musliminnen wollen sich mit der in afroamerikanischen Kreisen üblichen Art, ihr Haar zu verhüllen, explizit von muslimischen Immigrantinnen abgrenzen und ihre Zugehörigkeit zur black community, ob muslimisch oder nichtmuslimisch, hervorheben. Eine afroamerikanische muslimische Studentin, die ihr Kopftuch auf die im arabischen Raum übliche Art trägt, erzählte Jamillah Karim, wie sie auf dem Campus von einer anderen schwarzen Muslimin angesprochen wurde: »You don’t have to wear it like them.«524 Damit wollte letztere sagen, dass sie auch als Muslimin sich nicht wie die »anderen« (»them«) verschleiern müsse, also wie die arabischen und südasiatischen Frauen. Erstere hatte sich nach Meinung der anderen damit zu sehr an die Definition muslimischer Einwanderer von korrektem Hijab angepasst. Das, so erzählte die Studentin Jamillah Karim, werde von vielen afroamerikanischen Musliminnen eher negativ gesehen, weil diese Studentin sich zur Außenseiterin mache, indem sie ihre islamische Identität noch vor ihrer schwarzen Identität betone: »I know that the way that I wear hijab, people don’t like it. That’s why I don’t think I really have a lot of relationships with African American sisters.«525 Amina Wadud hat beobachtet, dass sie, wenn sie den Hijab ›traditionell‹, also nicht spezifisch afroamerikanisch, trägt, auch nicht mehr als Afroamerikanerin wahrgenommen wird, und dies sowohl in den USA als auch in anderen Ländern: »Interestingly, as a woman of African descent, wearing the traditional hijab has increased my ethnic anonymity in many countries, including the U.S.A. It has hidden my African origins, allowing others to identify me with several Muslim ethnicities.« 526
Indem sie »allowing others to identify me« als Formulierung wählt, betont sie den Umstand, dass sie, sobald sie sich auf eine Weise bedeckt, die eigentlich nur nichtafroamerikanische/-afrikanische Musliminnen wählen, von den Betrachtern auch nicht mehr als schwarz wahrgenommen, sondern einer der vielen ›klassischen muslimischen Ethnizitäten‹ zugerechnet wird. An dieser Stelle muss man der Vollständigkeit halber anführen, dass Amina Wadud relativ hellhäutig ist, was jedoch in den USA eigentlich nichts mit der Zurechnung zu einer Rasse-Kategorie zu tun hat, allerdings die Wahrnehmung ihrer Person außerhalb Amerikas erklären könnte. Für die USA hingegen ist ihre Feststellung aussagekräftig, denn ähnlich in dem Sinne, wie die Anhänger Noble Drew Alis sich einst aus der Schwarz-Weiß-Dichotomie der amerikanischen Gesellschaft zu befreien 524 | Karim 2006b, S. 210. 525 | Karim 2009, S. 210. 526 | Wadud 2006, S. 224.
Autoritätskämpfe
versuchten, indem sie sich ›orientalisch‹ kleideten – und damit durchaus erfolgreich waren, so dass sie als Immigranten und nicht als Muslime wahrgenommen wurden –, wird Amina Wadud durch den traditionell getragenen Hijab ›orientalisiert‹ und damit von ihren Betrachtern als ›de-negrofied‹ gesehen (siehe dazu Kap. I.5). Umgekehrt gilt dies jedoch ebenso, wie die folgende Episode zeigt. Als Amina Wadud im Jahre 2005 in einem islamischen Kulturzentrum in Toronto einen Vortrag hielt, in dem sie für die fast nur aus arabischen und südasiatischen Muslimen bestehende Zuhörerschaft unerhört progressive Ansichten zu Fragen des Strafrechts und der Sexualität äußerte, wurde sie aus dem Publikum angegriffen, dass sie den Islam nicht richtig verstehe. Sie empfand das, und wie einige Äußerungen aus dem Publikum zeigen, wohl zu recht527, als rassistische Angriffe, und einer der Anwesenden, der Indo-Kanadier Abbas Syed, meinte danach, sie hätte an dem Abend einen Hijab tragen sollen, dann wäre sie als Pakistanerin durchgegangen – womit er impliziert, dass man dann ihre Äußerungen anders aufgefasst und ihre ›Authentizität‹ als ›richtige‹ Muslimin nicht derart in Frage gestellt hätte. Amina Wadud hatte dem Publikum jedoch schon zuvor während ihres Vortrags angriffslustig und provokativ erklärt: »Usually I wear the hijab, and when I am wearing it, most Muslims do not consider me African-American; I pass off as a South Asian,« she said. »But when they see me without a scarf, they can see my African locks and they know I am Black and suddenly their attitude changes. The fact is I am a nigger and you will just have to put up with my blackness.« 528
Während Amina Wadud den (traditionellen) Hijab in einer mehrheitlich muslimischen (nicht afroamerikanischen) Umgebung als ›islamischen Authentizitätsmarker‹ erlebt, der ihr credibility verleihe, sieht sie sich genau mit dem Gegenteil in einem akademischen Umfeld konfrontiert. Als Professorin für Islamwissenschaft an der Virginia Commonwealth University sei sie als Frau, die sich (meistens) die Haare verhüllt, eine Ausnahme. Insgesamt sei die Zahl der Hijabi-Frauen an amerikanischen Universitäten sehr niedrig, auch wenn sie langsam zunehme, so Wadud. Gerade in den Islamwissenschaften finde man so gut wie keine Professorinnen, die Musliminnen seien und den Hijab trügen: »Perhaps the constitutional conclusion in France in 2004 about the consequences of all external symbolisms of religions is supported in U.S. academia regarding Islamic instruction. Despite First Amendment protections it seems that in order for someone to teach
527 | Zu Amina Waduds Erfahrungen mit Rassismus von Seiten muslimischer Immigranten an jenem Abend siehe ausführlicher: Kap. II.1) »Ist Rassismus unislamisch?«. 528 | Tarek Fatah: I am a Nigger, and You Will Just Have to Put Up with my Blackness, auf: www.mail-archive.com/[email protected]/msg01179.html (abgerufen am 02.02.11).
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Die Erben des Malcolm X the academic approach to Islam, one must either be non-Muslim or remove all symbolic associations with faith.« 529
Auf Konferenzen mit mehrheitlich nichtmuslimischen Teilnehmern werde sie von anderen Frauen zunächst gemieden: »The hijab means silence and conformity, so I could not possibly have any independent thoughts to contribute to the upcoming forum.«530 In der arabischen Welt, wo sie längere Zeit gelebt hat, habe der Hijab außerdem eine Klassen-Konnotation: »The women of established wealth and inheritors of liberal discourse during the days of nationalism did not dress in hijab.«531 Seinen sozialen Status habe man durch seine Kleidung demonstriert: »Class privilege was associated with Western-style dress.«532 Umgekehrt wird es ihr von manchen Muslimen jedoch auch abgesprochen, den Hijab zu tragen, wenn sie sich nicht islamkonform äußert. So geschehen auf einer Konferenz, der International Muslim Leadership Consultation in Malaysia im Jahre 2003, auf der sie für ihre Ansichten als »devil in hijab« gebrandmarkt und aufgefordert wurde, den Hijab abzulegen.533 Die Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit auf verschleierte Musliminnen ist von besonderer Bedeutung. Frauen mit Hijab sind offensichtlich einfacher als Muslime zu erkennen, als es beispielsweise Männer mit Vollbart sind. Und damit auch öfter Opfer von Diskriminierung, sei es auf der Straße, an der Universität, im Job oder bei der Wohnungssuche. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich die Situation für Muslime in Amerika noch einmal verschärft. Hijabi-Frauen wurden öffentlich angepöbelt und für den Terror mitverantwortlich gemacht. Imam Abdul Malik anerkennt in einer Rede vor einer Studentenorganisation am York College den Mut, den es muslimische Frauen gekostet habe, dennoch weiter verhüllt aus dem Haus zu gehen: »And I was so honored during the crisis of 9/11. You Muslim sisters, you surely. If you were looking for strength after 9/11, c’mon brothers, you know I’m telling you the truth. We took our kufis off, shaved our beards, Muhammad became Mo, Aisha became Ay, Khaled became Q. And when someone said to you Salaam Alaykum, you said ›What does that mean?‹ (Laughter). But my sisters were on the subway, they were working in the downtown area. I saw sisters one o’clock in the morning and full hijab, and even the cop and they were not budging and not moving and not reduced being intimidated by mass media. They stood stronger in many cases than the men.« 534 529 | Wadud 2006, S. 62. 530 | Wadud 2006, S. 222. 531 | Wadud 2006, S. 222. 532 | Wadud 2006, S. 222. 533 | Siehe dazu Wadud 2006, S. 224, 231f. 534 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011).
Autoritätskämpfe
Amina Wadud beschreibt hingegen, wie sie direkt nach den Anschlägen den Hijab erst einmal abnahm, aus Angst vor Angriffen in der Öffentlichkeit. Für sie habe das einen ›loss of choice‘‘535 bedeutet, schreibt sie, der sie unangenehm an das Schicksal der schwarzen Frauen zur Zeit der Sklaverei erinnert habe: »When gripped by fear for my personal safety on 9/11, I was also stripped of my agency to choose, and like my slave foremothers stripped of my garments of self-integrity in order to survive.« 536
Für Hamza Yusuf vom kalifornischen Zaytuna Institute ist die Frage, ob eine Muslimin sich für den Hijab entscheidet oder nicht, nicht nur eine religiöse Frage. Auf einer Konferenz in New York, in der es um das Verhältnis von islamischer und amerikanischer Identität ging, betont er: Wenn ein Land in seine Unabhängigkeitserklärung das berühmte »ALL men are created equal« schreibe und jedem den »pursuit of happiness« garantiere, dann könne man als Bürger den Staat verpflichten, der Frau nicht nur eine freie Entscheidung zu ermöglichen (Khalid Blankinship nennt dies eine ›moral choice‹), sondern diese Entscheidung, die eben auch das Tragen eines Hijab bedeuten könne, auch rechtlich zu schützen.537 Er ruft seine Glaubensbrüder und -schwestern auf, in Amerika eine »voice of moral conscience‹« zu sein, indem sie dieses Recht einfordern. Trotz allem ist Yusuf überzeugt, dass es Hijabi-Frauen in Amerika sehr viel leichter haben als in manchen Ländern der sogenannten islamischen Welt. Er verweist auf die Türkei, ein Land, das seiner Meinung nach die ›wahre Säkularität‹ noch nicht erreicht habe, wenn Frauen an manchen Orten das Tragen eines Hijab verboten werde.538 Auf derselben Konferenz betont Khalid Blankinship, dass er der Meinung sei, dass der Hijab im Sinne der Scharia sei und Gehorsam vor Allah zeige – jedoch nicht Gehorsam gegenüber Menschen, die von einer Frau verlangen, dass sie den Schleier trage. Er hält den Hijab also durchaus für eine islamische Pflicht, warnt aber davor, Frauen öffentlich zu verurteilen, die keinen tragen. Andererseits ruft er jedoch dazu auf, sich mit diesen Frauen unter vier Augen darüber zu unterhalten 535 | Wadud 2006, S. 226. 536 | Wadud 2006, S. 227. 537 | Zur rechtlichen Situation siehe: Moore, Kathleen 2000: »The Hijab and Religious Liberty: Anti-Discrimination Law and Muslim Women in the United States«, in: Yvonne Y. Haddad/John L. Esposito (Hg.): Muslims on the Americanization Path?, New York, S. 105127. Moore zu einem »Kopftuchurteil«, nachdem eine muslimische Lehrerin in Pennsylvania geklagt hatte (1990): »The outcome in this case is that the headscarf […] is not tolerated within the limits of nondiscrimination and religious liberty, but instead rejected as perhaps a threat of proselytism in public space and definitely as something which interferes with the secular nature of public education.« (S. 117). 538 | Teilnehmende Beobachtung bei der Konferenz des Zaytuna Institute: God and Country: A guide to faithful citizenship in America, 27.04.2008.
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und sie zum Umdenken zu bringen. Keine Rolle sollte seiner Meinung nach spielen, was Nichtmuslime über verschleierte Frauen denken. Nichtmuslime, so Blankinship, seien besessen von dem Thema, wobei diese Obsession seiner Meinung nach undifferenziert Muslime als Projektionsfläche beträfe, schließlich würde sich in Amerika keiner von der Haube der Amish-Frauen oder dem Tuch orthodoxer Jüdinnen bedroht fühlen.539 Amina Wadud gibt Khalid Blankinship insofern recht, als dass auch sie findet, dass der Hijab in öffentlichen Diskussionen sowohl innerhalb als auch außerhalb der muslimischen Community eine unverhältnismäßig große Rolle spielt: »Like a sixth pillar, we cannot discuss Islam and gender without discussing the hijab.«540 Sie widerspricht jedoch der Auffassung, dass der Hijab eine religiöse Pflicht darstelle und dass er per se irgendeinen religiösen Wert innehabe.541 Das Tragen des Hijab »created specific symbolic legitimacy«542 , so Wadud, jedoch glaubt sie, dass »dress choice has radical, self-inscribed meaning – not apparent to an outside observer«, und sie ist überzeugt, dass »reinvesting new meaning into old symbols is a necessary part of Islamic progression.«543 Dennoch anerkennt Wadud den Hijab als »public declaration of identity with Islamic ideology«, also als Bekenntnis nach außen, dass man Muslimin ist.544 Keinesfalls sieht sie es jedoch als Aufgabe muslimischer Frauen, sexuelle Gelüste der Männer durch ›angemessene Kleidung‹ abzuwehren, denn dies sei dasselbe Argument, mit dem Männern angeblich nicht zugemutet werden könne, hinter einer Frau zu beten und die Frauen damit verantwortlich für die sexuelle Integrität der Männer gemacht würden: »Unfortunately this is true, but not because of the woman herself; rather, because of distorted masculine sexuality, which public discourse insufficiently targets for improvement – instead, it is accommodated, by forcing women to assume the responsibility to curtail male temptation. This is another all too common double standard with insufficient attention given to correct men about their own impropriety and lack of human dignity.« 545
Und warum eine Frau nun den Hijab trage – aus freien Stücken oder dazu gezwungen, aus emanzipatorischen Gründen oder um sich zu verstecken – und was er über ihre innere Frömmigkeit aussage, könne keiner von außen sagen, denn: »In reality, the hijab of coercion and the hijab of choice look the same. The hijab of oppression and the hijab of liberation look the same. The hijab of deception and the hijab 539 | Zaytuna Institute 2008. 540 | Wadud 2006, S. 219. 541 | Wadud 2006, S. 176. 542 | Wadud 2006, S. 170. 543 | Wadud 2006, S. 177. 544 | Wadud 2006, S. 219. 545 | Wadud 2006, S. 223.
Autoritätskämpfe of integrity look the same. You can no more tell the extent of a Muslim woman’s sense of personal bodily integrity or piety from 45 inches of cloth than you can spot a fly on the wall at two thousand feet.« 546
Für viele afroamerikanische Musliminnen, so darf angesichts der Debatten zum Kopftuch, zur Autorität der Immigranten in Kleidungsfragen, zu weißen Schönheitsidealen und zu black hair vermutet werden, bedeutet der Hijab jedoch all dies gleichzeitig Da sich an diesem ›Stück Stoff‹ für afroamerikanische Musliminnen ein Diskurs über female black identity in Amerika mit einem Diskurs über Autorität im amerikanischen Islam verknüpft, symbolisiert der Hijab für diese Frauen Zwang und Freiheit, Unterdrückung und Befreiung, Enttäuschung und Integrität.
546 | Wadud 2006, S. 219.
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III. Die Anziehungskraft des Patriarchats Sexualität, Moral, Werte
Bereits das Beispiel des Schwarzen Feminismus hat gezeigt, dass die Forderungen und Idealvorstellungen, die afroamerikanische Frauen vom Geschlechterverhältnis, von Familie und Sexualität haben, eng mit der Rolle verknüpft sind, die sie in der amerikanischen Gesellschaft als schwarze Frauen im Unterschied zu weißen Frauen zugeschrieben bekommen – durch ihre Identität als Frauen und als Afroamerikanerinnen. Bereits 1970 prägte Frances Beale den Begriff des »double jeopardy«, um die doppelte Diskriminierung schwarzer Frauen in einer strukturell sexistischen und rassistischen Gesellschaft zu beschreiben.1 Der Feminismus schwarzer Frauen ist nicht der Feminismus weißer Frauen, weil das Problem eben nicht die gefühlte Einengung in monogame, patriarchale Familienstrukturen, der Wunsch nach Karriere statt nach einer Hausfrauenexistenz ist, sondern eher ein Gefühl der Überforderung, des Alleingelassenseins mit Arbeit, mit Kindern, gleichzeitig das Bewusstsein, als schwarze Frau sowohl das Klischee der für jeden Mann sexuell verfügbaren Frau einzunehmen als auch das Stereotyp der unorganisierten, schlampigen, nicht begehrenswerten, alleinerziehenden welfare queen. Schwarze Feministinnen haben dieses Unbehagen ebenso formuliert wie die sogenannten womanists. Wie afroamerikanische Frauen werden in der Öffentlichkeit afroamerikanische Männer ebenfalls als übersexualisiert wahrgenommen in Form einer gefährlichen Hypermaskulinisierung: Medien, Werbung, Sport, Hip Hop-Kultur tragen zu diesem Stereotyp durch dessen Ästhetisierung bewusst bei. Gleichzeitig werden die Dysfunktionalitäten amerikanischer Ghettostrukturen vor allem mit der Behauptung einer Unfähigkeit schwarzer Männer zu Rechtschaffenheit, Moral, Bildung und Fürsorge für Frauen und Kinder gekoppelt. Diese Zuschreibungen finden – das ist zu betonen – keineswegs nur von Seiten weißer Konservativer statt. Spätestens seit Bill Cosbys unter Weißen 1 | Beale, Francis 1995: »Double Jeopardy: To Be Black and Female«, in: Beverly Guy-Sheftall (Hg.): Words of Fire: An Anthology of African-American Feminist Thought, New York, S. 146-155; weiterentwickelt u.a. von Deborah King zu ›multiple jeopardy‹, in: Jenkins 2007, S. 202, FN 13.
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und Schwarzen gleichermaßen heiß diskutierter und umstrittener Rede, in der er im Jahr 2004 die schwarze Unterschicht für ihre prekäre Lage mitverantwortlich machte, gibt es einen breiten afroamerikanischen Diskurs zu diesem Thema, an dem sich Männer und Frauen, Junge und Alte, Konservative und Progressive, Christen und Muslime beteiligen. Nur vor diesem Hintergrund kann verstanden werden, welche Funktion der Islam in der afroamerikanischen Community als Ordnungsfaktor einnimmt. Im Folgenden soll ausführlicher dargelegt werden, wie die afroamerikanische Community auf Zuschreibungen hinsichtlich Geschlechterrollen, Familienstrukturen und Sexualität nicht nur reagiert, sondern es soll darüber hinaus analysiert werden, wie vor allem muslimische Konvertiten und Konvertitinnen diese Fremdzuschreibungen selbst reproduzieren, sich aneignen und mit neuem Sinn belegen. Die Frage ist, wie sich die Identitätsmarker Rasse, Religion und Gender für afroamerikanische Muslime diskursiv verschränken und warum aus dieser Spannung heraus ein Idealbild von Geschlechterrollen und Familienkonzepten entsteht, das in vielen Aspekten zutiefst pragmatisch erscheint, aber auch, welche realen sozialen Konsequenzen sich sowohl für männliche als auch weibliche Konvertiten ergeben. Der analytische Fokus liegt auf der Auswertung anthropologischer Studien muslimischer wie auch nichtmuslimischer Wissenschaftler, auf Beiträgen der afroamerikanisch-muslimischen Bloggerszene sowie auf inhaltlichen Selbstverortungen islamischer religiöser Führer und Community-Aktivisten aus dem Raum New York.
III.1 S e xualität, M or al und blackness : der I sl am als O rdnungsfak tor Ausgerechnet Bill Cosby, ›Daddy‹ der Nation2 , der beliebte afroamerikanische Schauspieler und Entertainer, wurde im Jahr 2004 für viele Afroamerikaner zur Unperson. Genau fünfzig Jahre zuvor hatte der Supreme Court in seiner Entscheidung Brown vs. Board of Education die Rassentrennung an amerikanischen 2 | Bill Cosby spielte in der Bill Cosby Show, die der Fernsehsender NBC von 1984-1992 in acht Staffeln ausstrahlte, die Hauptrolle des gutmütigen, lustigen Arztes Cliff Huxtable, Ehemann einer erfolgreichen Rechtsanwältin und Vater von fünf Kindern. In dieser Sitcom wurde erstmals im amerikanischen Fernsehen das Alltagsleben einer ›ganz normalen‹ afroamerikanischen Familie aus der oberen Mittelschicht gezeigt, wobei die Themen Rasse und Rassismus im Gegensatz zu anderen Shows mit mehrheitlich schwarzen Schauspielern nicht angesprochen wurden. Fans hatte Cosby unter Schwarzen und Weißen gleichermaßen. Siehe dazu: Leslie B. Inniss/Joe R. Feagin 1995: »The Cosby Show: The View from the Black Middle Class«, in: Journal of Black Studies 25 (6), S. 692-711; John D.H. Downing 1988: »›The Cosby Show‹ and American Racial Discourse«, in: Geneva Smitherman/Teun A. van Dijk (Hg.): Discourse and Discrimination, Detroit, S. 46-73.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats
Schulen abgeschafft. Cosby hielt auf der zentralen Gedenkveranstaltung des NAACP am 26.05.2004 einen Vortrag, die sowohl schwarze als auch weiße Wissenschaftler, Journalisten, Politiker usw. noch heute umtreibt.3 In einer mit viel Ironie garnierten Brandrede griff Cosby die schwarze Unterschicht an, dass sie selbst für ihre prekäre Lage verantwortlich sei. Was sei von einer Community zu erwarten, in der junge Mädchen unehelich Kinder gebären, diese später jedoch morgens nicht zur Schule schicken? Wie sollen junge Männer einen Job finden, wenn sie sich nicht einmal die Hosen richtig hochziehen können, wenn sie lieber auf der Straße rumhängen anstatt zur Schule zu gehen? Warum kaufen viele Eltern ihren Sprösslingen lieber die coolsten Turnschuhe anstatt Bücher, geben ihnen Phantasienamen, die sie schon als Unterschichtskinder brandmarken?4 Die Reaktionen auf die Rede waren zahlreich und kontrovers. Vor allem weiße Konservative sahen sich bestätigt, dass mangelnde Selbstverantwortung sowie moralische Degeneration – und eben nicht systembedingte Diskriminierung – die Ursache für die prekäre Situation in der afroamerikanischen Community seien. Für manch einen war die Rede der Beweis, dass Richard J. Herrnstein und Charles Murray mit ihrem 1994 veröffentlichten Buch The Bell Curve Recht hatten. Die Autoren des Buches behaupten unter Berufung auf wissenschaftlich fragwürdige Erhebungen und Analysen, dass Afroamerikaner einen niedrigeren IQ als Weiße und Asiaten hätten, was wiederum die Ursache der Probleme der schwarzen Unterschicht sei. Aus diesem Grund sei es legitim zu fragen, inwieweit Geld zur Unterstützung der Afroamerikaner nicht einfach nur Verschwendung sei, so Murray und Herrnstein.5 Vor allem afroamerikanische Linksintel3 | Ein Transkript der vollständigen Rede (genannt The Poundcake Speech als Anspielung auf eines der Beispiele Cosbys) sowie ein Tonmitschnitt und ein Video ist unter anderem zu finden auf: www.americanrhetoric.com/speeches/billcosbypoundcakespeech.htm (abgerufen am 12.05.2008). Im folgenden sind alle Zitate der Rede hieraus entnommen. 4 | In Bezug auf Phantasienamen sagte Cosby wörtlich: »With names like Shaniqua, Taliqua and Mohammed and all that crap, and all of them are in jail […] They are standing on the corner and they can’t speak English.« Natürlich fühlten sich Muslime von der Nennung des Namen Mohammed in diesem Kontext angegriffen. 5 | Kelleter 2000, S. 34; Herrnstein/Murray 1994; es gibt zu dem Thema der angeblich genetischen Unterschiede in der Intelligenz Weißer und Schwarzer eine Reihe anderer Studien, vgl.hierzu: Swain, Carol M./Russ Nieli (Hg.) 2003: Contemporary Voices of White Nationalism in America, Cambridge, S. 65ff. Nancy Ordover setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern The Bell Curve Teil einer weiter verbreiteten Eugenik-Bewegung in den USA ist, die nicht nur Rasse, sondern z.B. auch Homosexualität mit biologistischen Erklärungsmodellen essentialisiert, stigmatisiert und als abweichend von einer weißen, heteronormativen Gesellschaft darstellt, die diese ›Abweichungen‹ beispielsweise durch eine staatlich gelenkte Geburtenkontrolle oder Sterilisationen ›eliminieren‹ möchte (scientific racism, S. 162). Vgl. hierzu: Ordover, Nancy 2003: American Eugenics: Race, Queer Anatomy, and the Science of Nationalism, Minneapolis/London, S. xi-xix, xxvi, 160, 167ff.
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lektuelle wie der Soziologe Michael Eric Dyson beschuldigten Cosby hingegen, rassistische Stereotype zu untermauern, anstatt nach den strukturellen Ursachen für die Misere zu suchen. Dass diese Misere besteht, daran lässt auch Dyson keinen Zweifel. Er hat ein ganzes Buch als Replik auf Cosby geschrieben: Is Bill Cosby Right?: or Has the Black Middle Class Lost Its Mind?6 In diesem setzt er sich Satz für Satz mit den Anschuldigungen Cosbys auseinander und verortet dessen Rede in einem breiteren Diskurs, der sich, so Dyson, seit den Jahren der Bürgerrechtsbewegung in der afroamerikanischen Mittelschicht und Elite entwickelt habe. Diese ›Afristocracy‹ (Dyson), zu der er Bill Cosby zählt, fände es beispielsweise angemessener, wenn ein schwangerer Teenager mithilfe seiner Familie die ›Schande‹ vertusche, als dass ein junges, unverheiratetes Mädchen zu seinem Baby stehe. Cosby sagte dazu in seiner Rede: »In the old days, a girl getting pregnant had to go down South, and then her mother would go down to get her. But the mother had the baby. I said the mother had the baby. The girl didn’t have a baby. The mother had the baby in two weeks. We are not parenting.«
Mit der Aussage, dass Afroamerikaner ›sexuelle Verfehlungen‹ einzelner Personen zum Wohle der gesamten Community – oder besser gesagt: zugunsten des Ansehens der gesamten Community – in den Griff bekommen müssten, wenn sich die schwierige soziale Lage der Afroamerikaner ändern solle, ist Cosby repräsentativ für das, was Candice M. Jenkins in ihrer Studie zu schwarzer Intimität in Amerika als den ›salvific wish‹ der schwarzen Mittelschicht und Elite bezeichnet. Sie beschreibt, wie im 19. Jahrhundert schwarze Frauen der Mittelschicht bestrebt waren, durch die Übernahme bürgerlicher (d.h. weißer bürgerlicher) Wertvorstellungen zum communal uplift der afroamerikanischen Community beizutragen.7 Zentral war dabei die Rolle, die Sexualität zugemessen wurde, denn »African Americans’ fitness for citizenship was measured in terms of how much their sexual, familial, and gender relations deviated from a bourgeois nuclear family model historically embodied by whites.« 8
Durch eine ›Verbesserung‹ der moralischen Standards in der black community, d.h. eine Regulierung der Sexualität, sollte damit der weißen Mehrheitsgesellschaft das rassistische Argument genommen werden, dass Afroamerikaner schon durch ihre ungezügelte Sexualität unfähig zum sozialen Aufstieg seien. Rhonda Williams beschreibt diesen Stereotyp: 6 | Dyson, Michal Eric 2005: Is Bill Cosby Right? Or Has the Black Middle Class Lost Its Mind?, New York. 7 | Jenkins 2007, S. 13. 8 | Ferguson, Roderick A. 2004: Aberrations in Black: A Queer of Color Critique, Minneapolis, S. 20.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »Black families have long functioned as markers in the public imagination: they generally signify and manifest a morally problematic and sexually (sic!) agency, a cultural degeneracy. The conventional social scientific wisdom is clear: ›the problem‹ is that so much black sexuality and kinship formation transgresses the boundaries of married (and therefore healthy) heterosexuality.« 9
Heute äußere sich dieser salvific wish bei Leuten wie Cosby in einer Art »sociocultural violence, one that demands the disciplining or even the expulsion of ›improper‹ blacks in pursuit of an elusive intimate safety for the remainder of the community«, meint die Literaturwissenschaftlerin Candice Jenkins.10 Eheliche Monogamie hat in dieser Argumentation eine zentrale Funktion: sie ist der Garant für ›Normalität‹ und ›Natürlichkeit‹ der Sexualität und damit der ganzen Familienstruktur, der Gegenentwurf zu ›improper‹ behavior, also unangemessenem Verhalten. Wie in allen patriarchalen Systemen wird auch in diesem Diskurs der weiblichen Sexualität eine besondere Rolle zugewiesen: Sie habe ein zerstörerisches Potential inne, das die gesamte Community in Gefahr bringe. Frauen, so Jenkins, seien historisch als die »primary carriers of black familial pathology« gesehen worden, natürlich vor allem von Weißen, aber durchaus auch von Afroamerikanern selbst.11 Exemplarisch können für die dominante Perspektive von weißer Seite die Ergebnisse des Woodside-Reports angeführt werden, eine Studie, die 1950 in North Carolina durchgeführt wurde. Dort ist zu lesen, dass es eine »indifference among some lower-income Negro groups, to orthodox white sexual mores«12 gebe und somit »it may be, that white stereotypes of Negro sexuality have some rational basis«13 und »that the proportion of mental deficiency […] is higher among Negroes.«14 Auch in dieser Studie wird vor allem auf die angeblich problematische Sexualität schwarzer Frauen eingegangen: »It is certainly true that the feeble-minded Negro woman, often with illegitimate children, is a familiar and recurrent problem to health and welfare agencies.«15 Der afroamerikanische Soziologe E. Franklin Frazier hat bereits in den 1960er Jahren beschrieben, welch tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex vor allem die schwarze Mittelschicht empfinde. Dieser werde verursacht durch ihre Nichtidentifizierung mit und Zurückweisung der schwarzen Unterschicht sowie durch das 9 | Williams, Rhonda M. 1997: »Living at the Crossroads: Explorations in Race, Nationality, Sexuality, and Gender«, in: Wahneema Lubiano (Hg.): The House that Race Built: Black Americans: U.S. Terrain, New York, S. 140. 10 | Jenkins 2007, S. 192. 11 | Jenkins 2007, S. 14. 12 | Woodside, Moya 1950: Sterilization in North Carolina: A Sociological and Psychological Study, Chapel Hill, S. 5. 13 | Woodside 1950, S. 138. 14 | Woodside 1950, S. 138. 15 | Woodside 1950, S. 6.
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Unbehagen, das das weiße Amerika ihnen gegenüber nach wie vor empfindet. Diesen Minderwertigkeitskomplex, so Frazier, habe man schon seit den 1920er Jahren durch eine streng puritanische Regulierung der Sexualbeziehungen junger Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen bekämpfen wollen, wie sie in schwarzen Schulen für die Mittelschicht propagiert und implementiert worden sei: »The young men, but more especially the young women, were to live chaste lives. To be detected in immoral sex behavior, especially if the guilty person was a woman, meant expulsion. […] The graduates of these schools were to go forth and become the heads of conventional families. Was this not the best proof of respectability in the eyes of the white man, who had constantly argued that the Negro’s ›savage instincts‹ prevented him from conforming to puritanical standards of sex behavior?«16
Jenkins beschreibt, wie bis heute vor allem schwarze Frauen der Mittelschicht auf diese Narrative von der sexuellen Devianz der Afroamerikaner reagieren, indem sie »black behavior in the service of creating an inviolable respectability« regulieren wollen.17 Bereits Frazier zeigt, dass ihnen als Frauen die patriarchale Bürde auferlegt wird, mit ›sittlichem‹ Verhalten das Ansehen der gesamten Gruppe, der black community, besonders zu verteidigen. Auch Bill Cosby zeigt sich tief verwurzelt in konservativem, patriarchalen Denken, wenn er in seiner Rede die Promiskuität schwarzer Frauen anprangert, ohne nach den sozialen Ursachen für diese Familienstrukturen zu suchen – oder sein eigenes Bild von einer ›normalen‹ Familie (im Gegensatz zu einer ›dysfunktionalen‹) in Frage zu stellen: »Five or six different children – same woman, eight, ten different husbands or whatever. Pretty soon you’re going to have to have DNA cards so you can tell who you’re making love to. You don’t know who this is. It might be your grandmother. I’m telling you, they’re young enough. Hey, you have a baby when you’re twelve. Your baby turns thirteen and has a baby, how old are you? Huh? Grandmother. By the time you’re twelve, you could have sex with your grandmother, you keep those numbers coming. I’m just predicting.«
Cosby spielt hier mit dem Stereotyp der sogenannten welfare queen, der sexuell unverantwortlich handelnden, promiskuitiven afroamerikanischen Frau, die nicht fähig ist, sich und ihre Kinder durch geregelte Familienstrukturen – wie Heirat – zu legitimieren und lieber auf Kosten des Staates (was bei ihm soviel heißt wie: auf Kosten der Weißen) lebt, anstatt selbst arbeiten zu gehen:
16 | Frazier, E. Franklin 1962: Black Bourgeoisie, New York, S. 71. 17 | Jenkins 2007, S. 12.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »[…] the image of an unwed and unfit black mother feeding voraciously on white tax dollars and producing hordes of literally and figuratively ›dangerous‹ black children.«18
Dass ein enger Zusammenhang zwischen Heirat und familiärer Legitimität besteht, ist indes keine willkürliche Behauptung von konservativer Seite. Die Verknüpfung wird sogar im amerikanischen Recht festgeschrieben. So finden sich im Personal Responsibility and Work Opportunity Reconciliation Act (PRWORA, Aug. 1996) folgende Worte: (1) »Marriage is the foundation of a successful society.« […] (8) »The negative consequences of an out-of-wedlock birth on the mother, the child, the family, and society are welldocumented.« […] (10) »in light of this demonstration of the crisis in our Nation.«19
Die sowohl von Weißen als auch Afroamerikanern konzeptualisierte Pathologisierung afroamerikanischer Familienstrukturen und schwarzer Sexualität sowie die Normativität, die einer idealerweise nur in der Ehe gelebten Sexualität in Amerika zukommt, führt für einige Afroamerikaner zu der Schlussfolgerung, dass in der black community über eine Regulierung der Moral die Ordnung der gesamten Gruppe wiederhergestellt werden könne: »The imagined power of heterosexual marriage to purify and discipline human desire thus has an altered resonance in the case of the black subject. And what I want to suggest here, […] is that the very existence of the salvific wish as a phenomenon within African American culture suggests that some black people’s response to this altered resonance has been to invest heterosexuality in general, and the heterosexual marriage relation in particular, with an even greater power than does the majority culture. Would not the institution of marriage – or our fantasies of it – need to be hyperpowerful in order to counter a level of stigma that can exclude black people as a body from the realm of so-called normalcy? How might such fantasies reify heteronormativity in African American culture in ways that are problematic, even ultimately unhealthy?« 20
Genau an dieser Stelle überschneidet sich der Diskurs über afroamerikanische Sexualität allgemein mit einem Diskurs zu ›Natürlichkeit‹ und ›Normalität‹ bestimmter Moralvorstellungen und Familienmuster, wie er auf Seiten afroamerikanischer Muslime unter islamischen Vorzeichen geführt wird. Auch sie, das wird im folgenden gezeigt, rücken die problematische Geschlechterordnung der ganzen Gruppe ins Blickfeld, wobei die Rolle, die der Islam als zentraler Ordnungsfaktor dabei einnehmen soll, stark vom soziopolitischen Umfeld der Akteure – d.h. ihrer Situation als schwarze Amerikaner – mitbestimmt wird. 18 | Jenkins 2007, S. 11. 19 | Jenkins 2007, S. 12. 20 | Jenkins 2007, S. 189.
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a) Eheliche Rollenmuster: separate but equal? Familie spielt im Diskurs afroamerikanischer Muslime eine zentrale Rolle, wenn es um Fragen von Moral geht. Dabei ist Familie nicht einfach »dort, wo Kinder sind«, sondern zu Familie gehört die Ehe als Institution, die die Sexualität der Partner legitimiert. Die Nation of Islam (NOI) beispielsweise betont die Wichtigkeit stabiler Familienstrukturen. Sie sollen das Bollwerk gegen die verdorbene Welt draußen vor der Tür darstellen, und die dafür notwendige Stabilität wird durch die Ehe erreicht. Der Teufel wisse, so die Ideologie, dass die Familie der Eckpfeiler der Nation sei. Deshalb zerstöre er die schwarze Community systematisch, indem er dafür sorge, dass schwarze Männer keine Jobs fänden, Drogen nähmen und schwarze Frauen ledig Kinder bekämen.21 Jedes Jahr feiert die NOI den Black Marriage Day, an dem für die Institution der Ehe geworben wird. Sie ist der alleinige Rahmen, innerhalb dessen Sexualität stattfinden soll und Kinder gezeugt werden dürfen.22 Die Rollenverteilung in der Ehe ist eindeutig: »A family man, he spends quiet evenings at home with his wife, son and four daughters.[…] Muslim teenagers have no idle time in which to become juvenile delinquents. The young Muslims value wisdom so greatly, most of their time is spent in constant study.[…] The Muslims emphasize the importance of the entire family dining together. Father always sits at the head of the table. The Muslim father is greatly loved, respected and obeyed by his wife and children. The Messenger insists that the Muslim father must also fulfill his role as family provider and protector.[…] Always a charming hostess, Sister Sharieff serves cookies and tea to her guests. The Muslim Sister must keep their homes spotlessly clean at all times.« 23
Was Elijah Muhammad (1897-1975), der langjährige Vorsitzende der NOI, hier als Familienideal beschreibt, klingt nach der patriarchalen Enge der amerikanischen 1950er Jahre. Tatsächlich hat Muhammad diesen Text 1959 verfasst. Dennoch ist das darin vermittelte Ideal – ein fürsorglicher, aber strenger Vater, eine unterwürfige Mutter, die ihr Leben in den Dienst der Familie stellt, und wohlerzogene, strebsame Kinder – unter afroamerikanischen Muslimen bis heute hoch aktuell, und zwar weit über die Grenzen der eigentlichen NOI-Mitglieder hinaus. An dieser Stelle muss allerdings erwähnt werden, dass sich das Hochhalten dieses von Elijah Muhammad gepredigten Familienideals, das die NOI z.B. dadurch, dass dessen Texte auch heute noch in der NOI-Zeitschrift The Final Call nachgedruckt werden, nicht unbedingt in den Reden wiederfindet, die Louis Farrakhan dazu in der Öffentlichkeit hält. Schon in seinem Buch A Torchlight for America (1993) betont er, dass Männer und Frauen gleichwertig – wenn auch nicht gleich – seien, 21 | Gardell 1996, S. 284. 22 | www.finalcall.com/artman/publish/article_1406.shtml (abgerufen am 18.11.2011). 23 | www.muhammadspeaks.com/TypicalFamily.html (abgerufen am 18.11.2011).
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und appelliert an muslimische Männer, Frauen nicht zu einem minderwertigen Sexualobjekt zu degradieren, sondern sie aufgrund ihres Verstandes zu respektieren.24 Vor allem warnt er in einer Rede vor der Gefahr, die für eine Gruppe – mit ›nation‹ meint er hier entweder die gesamte afroamerikanische Community oder afroamerikanische Muslime im besonderen – daraus entstehe, dass Frauen von den Männern darauf reduziert werden, Hausfrau und Mutter zu sein: »The Women of the World say: ›No more are we being left out. No more can you take our sons and daughters and leave us at home, cooking and baking and making babies thinking that this is all that we are born into the world for.‹ I say to the Islamic world, I say to the Christian world: Any nation that puts down its women puts down itself. Any nation that suppresses its women suppresses its future. Any nation that doesn’t allow their women to raise up to their true position is a nation doomed to fall.« 25
Wenn ein Imam wie Warithuddin Umar in einer Freitagspredigt sich darüber aufregt, dass die Welt voller »fitna and difficulties« für muslimische Männer sei, da es keine perfekten Ehefrauen gebe, die richtig kochen und putzen und sich auch noch anständig verhüllen würden26, dann erscheint Louis Farrakhan als geradezu progressiv, denn er ist sich bewusst, dass seine Bewegung langfristig für Frauen nur dann interessant bleibt, wenn er ihnen zumindest in gewissem Maße – wenn nicht Alternativen zur Rolle der Hausfrau und Mutter (denn diese Rolle sollen Frauen natürlich weiterhin ausfüllen) – zusätzliche Rollen zutraut. Dennoch ist es auffallend, dass die Rollenverteilung, wonach Männer arbeiten gehen und sich in der Öffentlichkeit engagieren, Frauen sich jedoch um Heim und Kinder kümmern, nicht nur von vielen afroamerikanischen Männern als wünschenswert propagiert wird. Gerade viele afroamerikanische Musliminnen erhoffen sich von dem dahinter stehenden Frauenbild eine Erholung von den vielfachen Lasten, die auf afroamerikanischen Frauen seit den Zeiten der Sklaverei stets gelastet haben, meint die Islamwissenschaftlerin Aminah McCloud: »Most of the women see themselves as recovering the role of mother, wife, and homemaker in a positive sense. They are keenly aware of the out-of-the-house role that black women have been forced to assume and welcome the traditional roles for women. Competitive efforts are made to ›be good at homemaker and mother‹. Emphasis is placed on nurturing children and shielding them from the ›evils of America‹. The stability of the home environment is sought at all cost.« 27
24 | Farrakhan, Louis 1993: A Torchlight for America, Chicago, S. 58. 25 | Farrakhan in seiner Rede »Power at Last…Forever!« im John F. Kennedy Center in Washington D.C. am 22.07.1985, aus: Gardell 1996, S. 285. 26 | Imam Warithuddin Umar, Freitagspredigt in der Masjid at-Taqwa (Brooklyn), 18.04.2008. 27 | McCloud 1991, S. 185.
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Die Mutterrolle wird als erstrebenswerteste, edelste Aufgabe einer Frau dargestellt. Dies ist in einem islamischen Kontext – ebenso wie in einem christlichen – zwar nicht ungewöhnlich, doch dort ist diese Glorifizierung der Mutterschaft auch eine Reaktion auf eine Rolle, die afroamerikanischen Frauen historisch stets vorenthalten wurde – nämlich freiwillig und im Rahmen einer – nach traditioneller Konzeption – stabilen Partnerschaft Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Noch während der Sklaverei sollten afroamerikanische Frauen möglichst viele Kinder gebären, die kostbares ›Sklavenmaterial‹ für ihren Besitzer darstellten. Nach der Sklaverei wurden die hohen Geburtenraten unter schwarzen Frauen im Süden jedoch zu einem Problem. Viele Arbeiterinnen auf den Baumwollplantagen wurden zwangssterilisiert. Zugang zu Instrumenten der Geburtenkontrolle wurde ihnen hingegen verwehrt.28 Daraus lässt sich erklären, weshalb viele afroamerikanische Musliminnen ein stabiles Heim, wo sie vor allem Ehefrau und Mutter sein können, »um jeden Preis suchen«, wie Aminah McCloud es ausdrückt.29 Übrigens lässt sich damit auch begründen, warum die NOI trotz der großen Zahl ungewollter Teenagerschwangerschaften die Pille so verdammt – für Louis Farrakhan ist diese Form der Verhütung ein Versuch der Weißen, die Gebärmütter schwarzer Frauen wie schon während und nach der Sklaverei zu kontrollieren. Frauen, die die Pille schlucken, trügen damit zu einem Genozid an der eigenen Community bei (bzw. sogar die alleinige Schuld daran), statt die ihnen als Frauen zugeschriebene Aufgabe zu erfüllen, Kinder (und das folgende Zitat impliziert: männliche Kinder) für die Zukunft der Community zu gebären: »You are poisoning yourself. Why kill the fruit of your womb and prevent maybe another great Black Leader from being born? Hasn’t Pharao killed enough of our children?« 30
Doch trotz der patriarchalen, gar sexistischen Konnotation eines Familienbildes mit den damit verbundenen Geschlechterrollen, wie es auch, aber bei weitem nicht nur Louis Farrakhan vertritt, ist für viele afroamerikanische Frauen die Aussicht auf eine ›heile Familie‹ durchaus reizvoll, auch wenn das bedeutet, dass ihre eigene Rolle vor allem in einem Dasein als Ehefrau und Mutter besteht. Große Anziehungskraft übt vor allem die Aussicht auf einen Mann aus, der sich für seine Familie interessiert und der für die Kinder da ist. Halima Touré, Konver28 | Ellis, Elaine 1938: »Women of the Cotton Fields«, in: Crisis 45, S. 333, nachgedruckt in: Marable/Mullings 2000, S. 326; Marable 1997, S. 67. So sehr die Mutterschaft glorifiziert wird, wird doch Abtreibung verdammt und beispielsweise vom NOI-Vorsitzenden Louis Farrakhan mit einer Art Genozid verglichen: »You condemn the murder on the streets, but you don’t condemn the quiet murder that goes on […] in abortion clinics throughout America.«, zitiert nach: Farrakhan in seiner Rede »A Celebration of Mother« in der Mosque Maryam in Chicago am 31.05.1989, in: Gardell 1996, S. 286. 29 | McCloud 1991, S. 185. 30 | Alim 1998, S. 162.
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titin, Schriftstellerin und Dozentin an einem Community College in der Bronx, beschreibt, wie stark sie den Kontrast zwischen dem Stereotyp des abwesenden afroamerikanischen Vaters und den muslimischen Männern, die sie mit ihren Kindern sah, empfand: »Given the popular perception of the absentee African-American father, I was particularly impressed by seeing Muslim men talking to and laughing with young children, even holding infants.« 31
In ihrer Studie zu afroamerikanischen Konvertitinnen hat Carolyn Rouse jedoch festgestellt, dass aus einer entsprechenden Erwartungshaltung der Frauen durchaus Spannungen innerhalb der Community entstehen können. Zwischen islamisch deklarierten Idealvorstellungen und den persönlichen Lebenswirklichkeiten entstünden oft Konflikte, wenn die Männer eher zu einer Interpretation ihrer Rolle neigen, die sie als Beschützer und Beherrscher der Frauen ausweise, hingegen sich die Frauen von der Aussicht auf einen Mann, der Geld nach Hause bringt, von den Frauen koranisch verbrieften Rechten sowie dem Vorbild des Propheten als Ehemann angezogen fühlten.32 Für viele afroamerikanische Musliminnen geht es also nicht darum, aus einem ehelichen Gefängnis, das durch Haushalt und Kinderkriegen definiert ist, auszubrechen. Dies entspricht ohnehin nicht der täglichen Erfahrung vieler Afroamerikanerinnen. Stattdessen wünschen sie sich, dass sich ihre Ehemänner eher mehr als weniger an die Rolle halten, die der Islam für sie ihrer Interpretation nach definiert, und dass sie ihrer Verantwortung gegenüber der Familie nachkommen. Dazu gehört auch für die Frauen, dass die Männer nicht nur in der Community, sondern ebenso in der Familie die Führungsrolle übernehmen, die ihnen so lange aufgrund rassistischer Diskriminierung vorenthalten wurde, so Rouse.33 Imam Khalil, den Carolyn Rouse im Rahmen ihrer Feldforschung in Südkalifornien interviewt hat, nennt diese hierarchische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen separate but equal und knüpft damit rhetorisch an ein eigentlich negatives Konzept aus der Zeit der Rassentrennung an. Und genau, wie dieses Prinzip in der 1896 vom Supreme Court getroffenen Entscheidung in dem Rechtsfall Plessy vs. Ferguson nicht bedeutete, dass Schwarze und Weiße »separate but equal«34 sind, sondern dass Wei31 | Touré, Halima 2002: »You Seem so Intelligent: Why are You a Muslim?«, in: Michael Wolfe/Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim Their Faith, S. 124. 32 | Rouse 2004, S. 56. 33 | Rouse 2004, S. 53, 142. 34 | Damals hatten Afroamerikaner gegen die zunehmende Rassentrennung in Schulen, im Verkehrswesen u.ä. geklagt, die zahlreiche Südstaaten in den Jahrzehnten nach Ende des Bürgerkriegs eingeführt hatten. Diese Segregation verletze ihre Rechte, die ihnen das 14. Amendment der Verfassung (1868) garantiere, nämlich dass alle Bürger den Schutz
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ße definieren, was unter Gleichheit zu verstehen ist, bietet auch Imam Khalil nur eine hegemoniale Definition von Gleichheit an. Natürlich könnten Frauen seiner Meinung nach beispielsweise nicht die Freitagspredigt halten. Doch, so fragt er rhetorisch, warum sollten Frauen dies auch wollen? In der Tat, so hat Rouse beobachtet, möchten viele afroamerikanische Konvertitinnen frei davon sein, alles tun zu müssen, sowohl Geld zu verdienen als auch für die Kindererziehung zuständig zu sein. Stattdessen wünschten sie sich vor allem eine stabile Familie, und wenn performing gender der Weg dahin sei, dann sei es eben so.35 Elijah Muhammad hat separate but equal übrigens sehr viel unsubtiler ausgedrückt, als er die Geschlechterrollen in der Ehe folgendermaßen definierte: »It’s the woman who is the 2nd self. Man is the 1st self.«36 Für die afroamerikanische Soziologin Margaret Hunter kommt die Tatsache, dass sich afroamerikanische Frauen – unabhängig davon, ob sie Musliminnen sind oder nicht – von einem derartig konservativen Familienideal angezogen fühlen, einer Kapitulation vor weißen Sexualitätsnormen gleich. Es sei ein Paradox, dass schwarze Frauen versuchten, rassistischen Stereotypisierungen zu widerstehen, indem sie als Hausfrauen zuhause blieben und damit ein Ideal von Weiblichkeit erfüllten, das vom weißen Patriarchat konstruiert worden sei: Unterwürfige Frauen, abhängig und ohne jede Autonomie, helfen ihrer Meinung letztendlich nach nur dabei, die Dominierung der Gesellschaft durch weiße Männer aufrechtzuerhalten.37 Im wesentlichen folgt Hunter dabei der Kritik, die von Vertreterinnen des black feminism – wie Audre Lorde und Angela Davis – vorgebracht wird: dass die Hegemonialisierung eigentlich spezifisch weißer Sexualitäts- und Familiennormen dazu diene, Afroamerikaner zu stigmatisieren und mittels der ›mythical norm‹ (Audre Lorde) des weißen Patriarchats auszuschließen. Doch haben Afroamerikanerinnen wie Lorde und Davis andererseits auch die Komplizenschaft weißer Feministinnen mit dem weißen Patriarchat ausgemacht und daher gefordert, dass die Befreiung schwarzer Frauen in Zusammenarbeit mit schwarzen Männern – und nicht etwa mit weißen des Gesetzes genießen. Der Supreme Court stützte die Praxis der Bundesstaaten daraufhin mit der separate but equal-Doktrin. Im Urteil ist zu lesen: »Legislation is powerless to eradicate racial instincts or to abolish distinctions based upon physical differences, and the attempt to do so can only result in accentuating the difficulties of the present situation. If the civil and political rights of both races be equal, one cannot be inferior to the other civilly or politically. If one race be inferior to the other socially, the Constitution of the United States cannot put them upon the same plane.« Das Gericht urteilte zudem, dass sich das 14. Amendment auf nationales Recht, nicht jedoch Bundesstaatenrecht beziehe. Erst 1954 hob der Supreme Court das Urteil durch seine Entscheidung im Fall Brown vs. Board of Education auf. Der Volltext der Urteilsbegründung ist nachzulesen auf: http:// supreme.justia.com/us/163/537/case.html (abgerufen am: 05.01.2012). 35 | Rouse 2004, S. 51. 36 | www.muhammadspeaks.com/Relation.html (abgerufen am 18.11.2011). 37 | Hunter 2005, S. 34.
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Frauen – geschehen müsse.38 An diesen Diskurs schwarzer Feministinnen knüpfen afroamerikanische Muslime und Musliminnen insofern an, als dass sie sich von weißen Konzeptionen von Geschlechterrollen und ehelichen Rollenmustern bewusst distanzieren, wozu auch eine Abgrenzung afroamerikanischer Musliminnen von westlichen/weißen Feminismuskonzepten zählt. Viele afroamerikanische Muslime glauben, dass die ideale islamische Ehe – hier wird meist die Ehe zwischen dem Propheten Muhammad und seiner ersten Frau Khadija angeführt39 – Rechte und Pflichten zwischen den Ehepartnern aufteilt und im Gegensatz zum patriarchalen Konstrukt der Europäer – also den Weißen – steht, demzufolge Frauen für das Private und Männer für die Öffentlichkeit zuständig seien. 40 Dabei, so meint Carolyn Rouse, komme jedoch den Frauen nach eigener Ansicht eine gleichwertige Autorität wie den Männern zu: »The African American convert’s perspective on gender organization can best be described as two branches of the American government: His tenure as president does not preclude her own authority and power as Speaker of the House.« 41
Imam Khalil sieht ein, dass das, was hier als ideale Geschlechterrollen in einer Ehe vertreten wird, den family values der Republikaner bzw. weißer Evangelikaler sehr nahe kommt. Doch, so meint er, können nicht nur konservative Muslime diesem Familienbild etwas abgewinnen. Gerade in den amerikanischen Innenstädten gebe es viele progressive Muslime, die intakte Familienstrukturen im Sinne dieser family values anstreben, ohne dass sie dabei misogyne Unterdrückungsund Gewaltstrukturen befördern wollen. Doch würden diese Muslime anerkennen, so Imam Khalil weiter, dass gerade alleinerziehende Mütter, vor allem aus der Schicht der working poor, unter großem Stress und finanziellen Schwierigkeiten litten. Deshalb seien sie der Überzeugung, dass eine stabile Kernfamilie sowohl den Frauen als auch Männern und Kindern zugute komme und dass die im Islam formulierten Geschlechterrollen und Sexualitätsnormen ein Paradigma für eine erfolgreiche Beziehung darstellen. 42 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine völlige Abstinenz von Sexualität nicht als Lösung gesehen wird. Für den Brooklyner Imam Siraj Wahhaj ist diese Art von Mönchstum eine Erfindung, eine Neuerung der weißen Christen: »They invented it.« In seiner Predigt zu diesem Thema fügt er das arabische Verb ibtadaʿ a als Übersetzung für ›to invent‹ hinzu und bezieht sich dabei auf den Terminus für islamisch unzulässige Neuerungen (bidʿ a). Daher sei eine Enthaltung von Sexualität – und damit die Ablehnung zu heiraten – für Muslime inakzepta38 | Siehe zu black feminism: Kapitel II.5, »Feministinnen in die Moscheen«. 39 | Rouse 2004, S. 153. 40 | Rouse 2004, S. 152. 41 | Rouse 2004, S. 153. 42 | Rouse 2004, S. 49.
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bel, weil dies gegen die von Gott verkündete Ordnung verstoße: »When you go away from the natural, you go to the unnatural.« 43 In diesem Diskurs zu Moral, Geschlechterrollen und Sexualität wird somit von afroamerikanischen Männern und Frauen ein Bild von »natürlicher Ordnung« islamisch legitimiert und ein patriarchales Familienmodell propagiert, innerhalb dessen Mann und Frau sich in ihrer Rolle unterscheiden, aber dennoch ergänzen sollen: der Mann als Ernährer und Beschützer der Familie, die Frau für den häuslichen Bereich und die Kindererziehung verantwortlich. Über diese Strukturierung der Familienverhältnisse solle die Ordnung des gesamten Milieus symbolisiert werden, worüber wiederum gesellschaftliche Anerkennung für die ganze Gruppe erlangt werde, meint Monika Wohlrab-Sahr über die Gründe afroamerikanischer Muslime und Musliminnen, sich durch eine Konversion freiwillig in patriarchale Familienstrukturen zu begeben. 44 Damit schließt sie argumentativ direkt an Candice M. Jenkins an, die in ihrer Studie zu afroamerikanischen Sexualitätsnormen ebenfalls festgestellt hatte, dass in der black community über eine individuelle Annahme weißer, bürgerlicher Moralvorstellungen die selbstwahrgenommene Pathologisierung schwarzer Sexualität zu einer Rehabilitierung der gesamten Gruppe – im Sinne des bereits erwähnten salvific wish – beitragen soll. Doch anstatt sich offen zu eben jenen weißen, bürgerlichen Moralvorstellungen zu bekennen, wählen afroamerikanische Muslime einen Weg, der aus ihrer Sicht ›authentischer‹, ›schwärzer‹ ist. Selbst wenn daraus in letzter Konsequenz sehr ähnliche Rollenmuster und Familienideale resultieren, wird über deren islamische Legitimierung eine Distanz zu denjenigen gehalten, die andererseits für die Unordnung der Gruppe mitverantwortlich gemacht werden, nämlich ein weißes, rassistisches, patriarchales System, das schwarze Frauen demnach ebenso diskriminiert habe wie schwarze Männer. Die afroamerikanische Religionswissenschaftlerin Gwendolyn Zoharah Sim mons, die selbst zum Islam konvertiert ist, glaubt jedoch nicht, dass ein Einlassen auf diese patriarchalen Strukturen zwangsläufig sei, wenn man nach islamischen Gesetzen leben möchte. Das Problem sei vielmehr, dass afroamerikanische Musliminnen in den USA – ebenso wie männliche Konvertiten – meist nur die konservativsten Islaminterpretationen über die Rolle der Frau im Islam und in der Gesellschaft kennen würden, vermittelt in den Moscheen und durch andere afroamerikanische Muslime. 45 Gerade junge Mädchen, die konvertieren, würden denken, Islam bedeute das Tragen von Schleier und die Unterwerfung unter muslimische Männer. 46 Auf die Mädchen werde Druck ausgeübt, früh zu heiraten und viele Kinder zu bekommen, statt ihre Ausbildung zu vollenden. Eine rigide Gendersegregation werde oftmals durch frauenfeindliche Hadithe und se43 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 27.03.2008. 44 | Wohlrab-Sahr, Monika 1999, S. 215. 45 | Simmons 2000, S. 224. 46 | Simmons 2000, S. 224.
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xistische Koraninterpretationen gerechtfertigt, kritisiert sie. 47 Simmons, die sich selbst im Sufismus verortet und daher fundamentalistischen Islaminterpretationen kritisch gegenüber steht, verkennt hier jedoch, dass eben gerade die strikte, bipolare, hierarchische Geschlechterordnung ein Grund für eine Konversion sein kann, und das für Frauen ebenso wie für Männer. Imam Daud, ein afroamerikanischer Imam aus Cleveland, geht noch weiter in der Hierarchisierung ehelicher Machtstrukturen. Er definiert die Rolle der Männer in Anspielung auf Sure 4,34 als die eines Erziehers, der die Frau in die Rolle eines Kindes zurückwirft. 48 Bei der Hochzeit zweier Minderjähriger wendet er sich an den Bräutigam: »In a chaotic world, men have been given a degree over women. It doesn’t mean that women are enslaved. Those of us who have lived in the dunya know that it is not true. Our job as men is to keep the women and children in check. Your wife must be obedient. If you feel she has done wrong, then you have the right to confine her to your house. If you feel disloyalty, then admonish her gently. The Quran, remember, does not condone beating your wife.« 49
Robert Dannin, der dieser Szene bei seiner Feldforschung beigewohnt hat, erläutert daraufhin, dass dieses Rollenmodell, das Imam Daud bei der Zeremonie als islamisches Ideal skizziert hat, nicht ganz der tatsächlichen Rolle von Frauen in Imam Dauds Gemeinde entspreche. Beispielsweise die Gattin des Imams sei sehr aktiv und durchsetzungsfähig. Dies muss sich jedoch keinesfalls widersprechen, denn die Ehefrau eines ›Herrschers‹, wie es Imam Daud in seiner Community ist, hat schon qua Status sicherlich mehr Freiraum, da sie letztendlich nur der Sozialkontrolle durch ihren Mann unterworfen ist. Was er islamisch legitimiert, kann von den einzelnen Gläubigen nur schwer missbilligt werden – im Gegensatz zur Lage ›normaler‹ weiblicher Gemeindemitglieder. Welche Auswirkungen eine derartige Rede jedoch auf ein minderjähriges Brautpaar hat, sei dahingestellt. Der afroamerikanische Imam Abdul Malik, ein Schüler Imam Siraj Wahhajs, widmet sich in einer Rede vor muslimischen Studenten ebenfalls der Frage nach der Rollenverteilung in der Familie und plädiert scheinbar für die Wahl einer starken Ehefrau:
47 | Simmons 2000, S. 203. 48 | Sure 4,34: »Die Männer stehen für die Frauen ein, deshalb, weil Gott den einen von ihnen den Vorzug vor den anderen gewährte und weil sie etwas von ihrem Vermögen aufgewendet haben. Die frommen Frauen sind demütig ergeben, hüten das Verborgene, weil auch Gott es hütet. Die aber, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet, die ermahnt, haltet euch fern von ihnen auf dem Lager, und schlagt sie. Wenn sie euch gehorchen, dann unternehmt nichts weiter gegen sie. Gott ist hoch erhaben, groß.« (Übersetzung aus: Hartmut Bobzin 2010: Der Koran: Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin, München). 49 | Dannin 2002, S. 252.
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Die Erben des Malcolm X »Be not intimidated by a woman. Most men are scared by a woman of substance. That’s why every time a brother gets married, the first thing he wants to know if she’s gonna be obedient. Which is a substitute for being a dummy. He wants to know if when he says ›jump!‹, she’s gonna say ›when, haha, and where?‹. But the spirit of Islam is that men and women come to make up their minds. If you want to have a successful marriage in Islam, brother, you need an intelligent woman with you. You don’t need a dumb woman. You don’t need a sister that sits home whole day watching Jerry Springer and all day watching Oprah […]. She’s got a phone but her mouth just don’t want to stop with her cell phone. You need today women in our community who will become the doctors and the lawyers and the engineers and the technicians and the educators so we can be again reclaim our rightful place within this society because we ain’t going nowhere. We are here to stay. We ain’t going nowhere. They don’t have enough jails for 6 or 7 Mio. Muslims. So some of us are gonna be free. But I’m saying to you, my brother, that brother who is married, that brother who is single, you need today with you a strong sister. A sister who can think for herself, a sister who truly wants to be a servant of Allah and obedient to Allah and not be a hypocrite in front of you when she pretends to be a good woman when you’re around, but when you’re absent, she is rebellious against the commandments.« 50
Es ist frappierend zu sehen, wie Imam Abdul Malik einerseits dafür plädiert, dass die Männer im Publikum sich eine starke Frau suchen – nur um dann einige Stereotype wie das von der dauerfernsehenden, dauertelefonierenden, faulen afroamerikanischen Frau aufzuzählen. Zwar wünscht er sich Frauen, die beruflich erfolgreich sind – nur um dann, ähnlich wie Imam Daud, die Frauen in die Kinderrolle zurückzudrängen, wenn er seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass diese sich auch noch an islamische Regeln halten, wenn der Ehemann aus dem Haus ist und kein wachsames Auge auf sie wirft.
b) Ehemann gesucht: von den Schwierigkeiten der Partner wahl Doch zunächst müssen diese jungen Männer und Frauen, zu denen Abdul Malik spricht, erst einmal einen Ehepartner finden, mit dem sie eine »successful marriage in Islam« führen können. Und dies ist offenbar nicht leicht. Tariq Nelson, der einen preisgekrönten Blog über das Leben als afroamerikanischer Mann bzw. als afroamerikanischer Muslim in Amerika schreibt, widmet sich der Frage, wie dem Problem begegnet werden kann, dass es für heiratswillige muslimische Singles so schwierig ist, in Amerika einen geeigneten Partner zu finden, ohne die islamischen Normen zu verletzen.51 Die amerikanische Mainstreamkultur bietet eine sehr standardisierte Datingkultur, die für viele Muslime in Amerika jedoch 50 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 51 | Nelson, Tariq: Bad Choices (13.07.2007), auf: www.tariqnelson.com (abgerufen am 18.06.2008).
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gerade der Grund ist, warum sie ähnlichen Konzepten von muslimischer Seite höchst skeptisch gegenüberstehen. Schließlich, so glauben Muslime in Amerika größtenteils, führe the American way of dating direkt zu Sex.52 Daisy Khan, die umtriebige Vorsitzende von ASMA und verheiratet mit Feisal Abdul Rauf, dem in New York bekannten Imam einer Sufi-Moschee in Downtown Manhattan, organisierte im Februar 2008 beispielsweise am Valentinstag, der indirekt so etwas wie den höchsten Feiertag amerikanischer Datingkultur darstellt, ein Valentine’s Dinner für muslimische Singles. Dort sollte in einem islamkonformen Rahmen die Gelegenheit geboten werden, einen potentiellen Partner näher kennenzulernen. In der Regel wird jeder der Singles von einem wali, einem Vormund (gemeint ist: »Anstandswauwau«) begleitet. Doch auch hier, wo sich vor allem die Elite der muslimischen Einwanderer traf, zeigte sich ein strukturelles Problem, das auf die Community afroamerikanischer Muslime verschärft zutrifft: auf gerade einmal 15 männliche Singles kamen 63 heiratswillige Frauen.53 Ein Grund für diesen Engpass an heiratswilligen muslimischen Männern ist sicher, dass diese laut vorherrschender islamischer Norm auch christliche und jüdische Frauen heiraten dürfen, während für muslimische Frauen nur muslimische Männer als Partner erlaubt sind. Daisy Khan verleitete das Missverhältnis bei ihrem Valentine’s Dinner zu dem Gedanken, dass es muslimischen Frauen in dieser Situation auch möglich gemacht werden sollte, nichtmuslimische, gottesfürchtige Männer zu heiraten, bevor sie entweder unverheiratet bleiben oder sich aus lauter Frust vom Islam abwenden.54 In eine ähnliche Richtung spekuliert Tariq Nelson. In einem Artikel widmet er sich der Frage, wie gerade in der Community afroamerikanischer Muslime, innerhalb derer der Mangel an geeigneten Ehemännern als noch viel eklatanter empfunden wird, mit diesem Problem konkret umgegangen werden soll. Wie Daisy Khan überlegt er, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn afroamerikanische Musliminnen eher einen guten Nichtmuslim als einen schlechten Muslim heiraten.55 Wenn Nelson hier von ›schlechtem Muslim‹ spricht, bezieht er sich augenscheinlich auf afroamerikanische muslimische Männer – ebenso ist der ›gute Nichtmuslim‹ hier als nichtmuslimischer Afroamerikaner gedacht. Ms Latifah nennt diese Variante ihren ›Plan B‹. Die junge afroamerikanische Muslimin ist Hip Hopperin und hat einen Rap über die Schwierigkeit verfasst, als gläubige und praktizierende schwarze Muslimin einen geeigneten Ehemann innerhalb der Community afroamerikanischer Muslime zu finden. Viele der Männer würden nämlich eher eine nichtmuslimische Afroamerikanerin daten und 52 | Vgl. hierzu: Athar, Shahid 1995: Sex Education: An Islamic Perspective, South Elgin. 53 | Tariq Nelson: Hammering Out the Marriage Thing (28.05.2008), auf: www.tariqnelson. com (abgerufen am 18.06.2008). 54 | Tariq Nelson: Hammering Out the Marriage Thing (28.05.2008), auf: www.tariqnelson. com (abgerufen am 18.06.2008). 55 | Tariq Nelson: Bad Choices (13.07.2007), auf: www.tariqnelson.com (abgerufen am 18.06.2008).
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heiraten, statt sich um eine gläubige Muslimin zu bemühen, die ihnen unter Umständen in Glaubensfragen widersprechen könnte. Daher, so Ms Latifah, sei es ihr ›Plan B‹, sich eben einen schwarzen Nichtmuslim zu suchen, einen Christen (»John the Baptist«), der dankbar wäre, eine Frau wie sie zu finden. Hier ein Transkript ihres Raps – in fast voller Länge, da sie in dem Text die ganze Dimension der Verzweiflung gläubiger afroamerikanischer Musliminnen, deren Gründe und deren mögliche Lösung aufzeigt: »I had a plan: I need a Muslim man. I want to marry him and be the best wife, the best wife. I know I can. But he don’t want me. We’ve been Muslims all our lives. […] Let me talk to you, dear brothers. Honestly, I don’t think you would marry me. I thought you would marry Shaheedah. But when I see you on the picknick, you introduce me to your wife, Tamiqa. And this is not about her. It is about the fact that you could have had any Muslima, any Zakiyah, any Aaliyah. But instead of you trying to keep our community intact, you wanna start from scratch. So many good Muslim sisters to chose from, I guess you just couldn’t find a match. And I know we all feel this way, so I don’t wanna be the one to tell you how much it hurts. These non-Muslim chicks don’t know how to struggle, but getting the parks, we’ve been putting in the whole work. How could we build our ummah when your wife is going to church? If you trying to make her convert: See, we don’t need conversion cuz we’ve been Muslims all our lives. There’s no doubt that Muslim men make better Muslims with a Muslim wife and children can learn a life through Muslim eyes. But you have a different vision: you trying to be kept and can fall in love with a stripper and then make me ask the question ›Did you make her that overgarment on before or after you tipped her?‹ And this isn’t about her. She might be a good sister. But Aisha is a good sister, Khadija is a good sister. But you were looking in the wrong direction, so you must have missed her. So listen, brother, I mean: Mister, we’ve been thinking, and I’m not just talking to the ones that don’t deserve us while there out smoking and drinking. I’m talking to all those looking for less than you already have. Coming around, talking as telling about their hijab, tell’em how it should be. But let me introduce you to Surah 2, verse 23: Bring some proof and witnesses that you coming islamically. See, that’s why you wanna be with her cuz you cannot make up some hadith with me. You look at me as some kind of still reminder, and sometimes, you don’t wanna be reminded. She don’t know that verse in the Qur’an when you’re wrong, but I’ll find it. […] See, I was a firm believer that I should only seek you. That I should wait for you. That if I wait long enough, maybe my rewarding is a … So maybe you wanna get to the point where I wanna get your wife no. 3, and we’re so desperate that we are in a crowd like: ›Pick me! Pick me!‹ But we got a Plan B. We figured out that we’re running out of choices with you. I mean we heard that there are some good, single Muslim men. In Timbouktou. Cuz the fact is: Some of all of you … might get you a little reactive cuz all that talk you’re putting into practice. So don’t be surprised when you see me with John the Baptist. Because he treats me better, he shows me more respect. He knows how to maintain me and he’s eager to protect. And providing? Pshhhhh. He’s bringing me the check. He wants a woman with dignity and
Die Anziehungskraf t des Patriarchats appreciates my modesty. That’s why he was digging me. But you, with me, you don’t even bother. While John is calling me in the morning waking me up for fajr, he has the character of a Muslim man and the morality of a Muslim father. Because he wants a woman like me with self-respect to raise his daughters. Unlike you, he sees that a Muslim is what he needs in a mate, and he believes in one God, so with Islam, he can relate. And I believe that God wants me rather be married than date. Women have needs, too, and we ain’t try to fornicate, so since you want Tamiqa, do you think I should marry him? Or wait. Cuz I’m thinking about my soul. Maybe I just have the deen, and this is a good brother that ain’t part of the mushrikeen, so he can change his name to Yahya and learn how to pray, and you even will not have to worry, he will be on jumah on friday, cuz I’ve been Muslim all my life, so since you don’t wanna marry me, I’ll take my chances as his wife, and at the end of the day, you can say what you want, but if my Plan B doesn’t really work, my kids will be at Jumah with me, while Tamiqa is taking yours to church.« 56
Hier werden zwei Ebenen des Diskurses über sogenannte intermarriage deutlich, die sich in der Diskussion in der Community afroamerikanischer Muslime überlappen: Zum einen stellt sich die Frage nach der generellen (Un-)Möglichkeit einer bi-racial intermarriage, eine Frage, die unter Afroamerikanern grundsätzlich diskutiert wird, d.h. ob man als Afroamerikaner/in unabhängig von anderen Identitätsmarkern wie beispielsweise religiöser Zugehörigkeit einen Nichtafroamerikaner heiraten sollte, gleich ob z.B. weißer Christ oder arabischer Muslim. Oder, so die zweite Möglichkeit, ob der Zugehörigkeit zur afroamerikanischen Community ein solch hoher Wert beigemessen wird, dass eine Heirat ›nach außen‹ als Verrat an der eigenen Herkunft und Gruppe gesehen wird. Die klarste Haltung hierzu vertritt die Nation of Islam. Ehen zwischen zwei Rassen – und bei der NOI geht es dabei stets um die Schwarz-Weiß-Dichotomie – sind laut deren Vorsitzenden Louis Farrakhan ein Überrest aus den Zeiten der Sklaverei, als der »thrill of interracial sex«57 die Erotik über die Liebe stellte. Damit greift er auf seinen Vorgänger Elijah Muhammad zurück, der der Überzeugung war, kein weißer Mann habe ehrenvolle Absichten in Bezug auf schwarze Frauen, und weiße Frauen seien »immoral by nature«.58 Der Vorwurf, dass schwarze Frauen für weiße Männer nur Lustobjekte darstellen, wird aber nicht nur von Seiten der NOI vorgebracht. Michael Eric Dyson, ein linksintellektueller Vordenker der afroamerikanischen Community, kritisiert, dass schwarze Sexualität bis heute dämonisiert werde: die schwarze Frau als Sexobjekt, der schwarze Mann als Bedrohung für weiße Männer.59 Die afroamerikanische Filmemacherin und Medienwissenschaftlerin Patricia Hilliard-Nunn weist außerdem auf das Phänomen 56 | Ms Latifah: Plan B, Audio-File auf: www.muslimhiphop.com/index.php?p=Hip-Hop/ Ms._Latifah (abgerufen am 30.07.2011). 57 | Farrakhan 1993, S. 156. 58 | Lincoln 1973, S. 172f. 59 | Dyson, Michael E. 1996: Race Rules: Navigating the Color Line, New York, S. 84.
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hin, dass gerade in amerikanischen Film- und Fernsehproduktionen die Tatsache, dass schwarze Frauen jahrhundertelang von weißen Männern missbraucht wurden, völlig negiert werde. Stattdessen würde hier die afroamerikanische Frau zur Täterin: die zügellose Verführerin und Hexe, die gute, christliche, weiße Männer in ihren Bann zieht und zerstört.60 Um all diesen Klischees entgegenzuwirken, hätten gerade die schwarzen Kirchen das viktorianische Ideal von gezügelter Sexualität aus den weißen Kirchen übernommen, um zu zeigen, dass auch Afroamerikaner in der Lage seien, sich sexuell selbst zu kontrollieren, so Dyson.61 Die Angst speziell vor der Sexualität der schwarzen Männer gründe jedoch in einer latenten Angst vor »Rassenvermischung«, die Furcht vor dem schwarzen Mann, der mit einer weißen Frau ein schwarzes Kind zeugt.62 Dass Vorbehalte gegen das Modell einer bi-racial intermarriage nicht nur auf afroamerikanische Muslime beschränkt ist, zeigt die Studie Karyn Lacys zur schwarzen Mittelschicht Amerikas. Die Mehrzahl der von ihr interviewten afroamerikanischen Eltern würde ihren Kindern demnach zwar erlauben, einen weißen Partner zu heiraten., doch fast alle würden eine Hochzeit innerhalb der black community bevorzugen, da sie immer noch Rassismus von der anderen Seite, der sich gegen sie und ihre Kinder richtet, fürchteten.63 Neben der grundsätzlichen Frage nach einer Heirat zwischen Afroamerikanern und Nichtafroamerikanern geht es aber zudem auch um die Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer bi-racial intermarriage innerhalb der muslimischen Community Amerikas, d.h. beispielsweise die Heirat zwischen einer afroamerikanischen Muslimin und einem pakistanischen Muslim. Hier ist der Handlungsspielraum afroamerikanischer Muslime begrenzt, als dass sie eher auf die Partnerwahl der anderen muslimischen Gruppen reagieren, als selbst eine bewusste Wahl treffen zu können. Afroamerikanische Muslime heiraten bisher zum größten Teil innerhalb ihrer Community. Zwar hat dies natürlich auch mit persönlichen Präferenzen zu tun; im Falle der NOI ist es sogar Pflicht, da nach geltender Doktrin nur Afroamerikaner ›wahre Muslime‹ sein können und damit als Partner in Frage kommen. Doch Vorbehalte von Seiten anderer Muslime sind ein entscheidender Grund, weshalb afroamerikanische Muslime, selbst wenn sie den Wunsch danach haben, nur schwierig einen muslimischen Partner nichtafroamerikanischer Herkunft finden. Vor allem die indo-pakistanische Community weist eine hohe Endogamierate auf. Araber und Iraner heiraten zwar wesentlich öfter außerhalb ihrer ethnischen Gruppen, doch selten finden sie ihre Partner 60 | Hilliard-Nunn, M.Patricia E.: Representing African American Women in Hollywood Movies: An African-Conscious Analysis, in: Janice D. Hamlet (Hg.): Afrocentric Visions: Studies in Culture and Communication, Thousand Oaks, S. 186f. 61 | Dyson 1996, S. 85ff. 62 | Dyson, Michael E. 1993: Reflecting Black: African American Cultural Criticism, Minneapolis, S. 169. 63 | Lacy 2007, S. 161f.
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in der afroamerikanischen Community.64 Selbst Ehen zwischen muslimischen Einwanderern aus Afrika, meist Westafrika, sind selten. Dannin erklärt das damit, dass sich viele westafrikanische Muslime auf arabische Vorfahren berufen und somit diese Heiraten ebenfalls das Etikett bi-racial tragen. Afroamerikaner, die eine intermarriage mit afrikanischen Muslimen eingehen, entfernen sich, so Dannin, damit symbolisch aus der afroamerikanischen Community und werden Teil einer African-Arabic identity. Er bezeichnet diesen Vorgang gar als passing strategy und setzt dies damit mit dem ›klassischen‹ passing gleich, also der Inkaufnahme einer Täuschung anderer, indem man die ›eigentliche‹ Identität (also Teil der afroamerikanischen Community mit ihrer ganzen Geschichte und Kultur zu sein) verschleiert (siehe dazu Kap. I.2).65 Die Bevorzugung endogamer Ehemuster in den diversen muslimischen Communities ist im übrigen keine neue Erscheinung. Eine Studie zu südasiatischen Muslimen in Kalifornien in den Jahren 191349 zeigt, dass diese in Ermangelung von potentiellen muslimischen Ehefrauen nichtmuslimische Frauen wählten (outmarriage). Von diesen wählten 80 % Latinofrauen (was in Kalifornien offenkundig näher liegt als an der Ostküste), fast 13 % weiße Frauen und nur 4 % Afroamerikanerinnen. Afroamerikanische Musliminnen, die es schon damals schwer hatten, einen passenden Ehemann zu finden, wurden jedoch nicht als Ehepartnerinnen in Erwägung gezogen.66 Auf dem Blog »The Great Theft« erzählt ein Autor, der nach eigenen Angaben ein ›Black American Muslim Political Scientist‹ ist, von der Schwierigkeit, als afroamerikanischer Muslim in die Community eingewanderter Muslime einzuheiraten: »However, though my wife has a Rolodex of immigrant (including descendants) sisters’ phone numbers and addresses and regularly chats on the line with the giddiness of a teenager, we would be hard pressed assuming that one day, years down the road, any of our children might marry one of theirs’. Before marrying my wife, I had a share of bad experiences, one of which included being turned down by the father of a Pakistani-American girl. I was told the girl was engaged to someone back home, (he lied) and had no interest in me even though she followed me around at all the functions and told more than a few of her interest in me. Another brother attempted to explain that he wasn’t prejudice and that what I saw as racist behavior was simply ›cultural‹, stating, ›it’s not racism, it’s just our culture‹. Well, doesn’t that make the culture racist?« 67
64 | Denny 1995, S. 350; Smith 1999, S. 105, 112; Leonard 2003, S. 66. 65 | Dannin 2002, S. 235. 66 | Leonard, Karen I. 1997: South Asian Americans, Westport, S. 51; ebenfalls Leonard, Karen I. 1992: Making Ethnic Choices: California’s Punjabi Mexican Americans, Philadelphia, S. 67. 67 | http://thegreattheft.blogspot.com/2007/08/i-am-not-alone.html (abgerufen am 13. 03. 2008).
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Azhar Usman, ein bekannter muslimischer Komiker indischer Herkunft, entschuldigt sich in einer Rede für die Haltung der Immigranten gegenüber afroamerikanischen Muslimen, wenn es ums Heiraten gehe. Für ihn verknüpfen sich dabei Rassismus und Klassenunterschiede auf Kosten des gemeinsamen Glaubens: »And for every time you’ve heard of an African-American brother who tried to bring home a South Asian or Arab sister to meet his parents, only to learn that her parents would rather commit suicide than let their daughter marry a ›Black Muslim‹ (a/k/a ›Bilalian brother‹), even as they cheer hypocritically at stadium style speeches by Imams Siraj Wahhaj, Zaid Shakir, Johari Abdul Malik, or others—or get in line to bring one of them to speak at their multi-million dollar fundraiser for yet another superfluous suburban mosque, I’m sorry.« 68
Dennoch diskutieren afroamerikanische Musliminnen angesichts eines empfundenen Männermangels in der afroamerikanischen Community die Frage, ob die Lösung überhaupt in der Heirat eines muslimischen Immigranten bestehen könne. Auf dem Blog wordstospeak.blogspot.com der afroamerikanischen, muslimischen Bloggerin Musleema fragt sich die Verfasserin in einem Artikel mit dem Titel »Muslim Women of Color and the Choice of Men …«, ob afroamerikanische muslimische Männer einfach nicht als Ehemänner taugen, Männer aus der isla mischen Welt hingegen bessere Ehemänner und generell familienorientierter seien.69 Die Bloggerin Jamerican Muslimah, selbst afroamerikanische Konvertitin, weist die Unterstellung, afroamerikanische Männer seien keine gute Wahl, in einem Kommentar zu dem Artikel energisch zurück: »Am I the only one who thinks there are good AA brothers out there? What is the criteria some of you are using to discount AA bros? As I said in Musleema’s post, I don’t think they are any worse off than Arab, Indian or African brothers in terms of marriage. Yes, there are issues that brothers are facing in the AA community but there are issues ppl are facing in the immigrant communities as well.«70
Auch die Möglichkeit, einen nichtmuslimischen afroamerikanischen Mann zu heiraten, kommt für Jamerican Muslimah nicht in Frage: 68 | Usman, Azhar: An Apology, Rede anlässlich des Todes von Warith Deen Muhammad, erschienen am 13. September 2008 im MAJAjourno, der Mailingliste der Muslim American Journalists Association; nachgedruckt auf: http://dawudwalid.wordpress.com/2008/ 09/13/an-apology-azhar-usman/ (abgerufen am 17.02.2009). 69 | http://wordstospeak.blogspot.com/search?updated-min=2007-01-01T00:00:0005:00&updated-max=2008-01-01T00:00:00-05:00&max-results=8 (abgerufen am 15.10. 2009), (Post von Musleema: Muslim Women of Color and the Choice of Men (12.07.2007). 70 | Nelson, Tariq: Bad Choices (13.07.2007), auf: www.tariqnelson.com (abgerufen am 18.06.2008).
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »I’m not going to marry a non-Muslim man. I need a man who has taqwa and knows that Allah (SWT) is Lord. I don’t think marrying a non-Muslim man is the solution. What about children? All of the Islamically-oriented things families do together? NO MAN, I wouldn’t go near that one.«71
Auf der Diskussionsseite zu dem Artikel entspinnt sich daraufhin ein längerer verbaler Schlagabtausch vor allem zwischen einer indopakistanischen Frau mit dem Nickname DesiGyrl und der afroamerikanischen Bloggerin Margari Aziza Hill, in dem erstere die Position von Jamerican Muslimah, dass afroamerikanische Frauen zunächst versuchen sollten, innerhalb der black community zu heiraten, als Rassismus diskrediert, der unislamisch sei. Hill hält dagegen, dass erst der Rassismus von Seiten der muslimischen Immigranten es überhaupt nötig mache, dass afroamerikanische Muslime sich fester zusammenschließen.72
c) Blitzheiraten oder Halal Dating? Heiraten ist die eine Sache, eine Ehe führen die andere: »African-American Muslim women have entered into marriages only to exit them in percentages no one dares to admit«73, so Amina Wadud. Ein Grund, weshalb Ehen unter afroamerikanischen Muslimen so oft scheitern, wird in der Diskussion immer wieder angeführt, und zwar von afroamerikanischen Muslimen selbst: Es wird zu früh und zu schnell geheiratet, die Ehepartner kennen sich vor der Heirat nur ungenügend, so dass Braut und Bräutigam gar nicht wissen, ob sie überhaupt zueinander passen. Imam Abdul Malik ironisiert dieses Verhalten: »Some brothers come to the convention. They see a sister with hijab: ›I wanna marry her!‹ You don’t even know her! ›I wanna marry her! No, brother, she’s gonna help me with my deen!‹ Help yourself! You need help. A woman can’t solve your problems. You gotta take care of your deen. No, I see brothers and sisters do it. A sister is like ›Oh mashallah, he recites the Qur’an. I wanna marry him.‹ Why? ›Cuz Qur’an will get me into jannah.‹ You have an illusion!«74
Abgrenzung von der amerikanischen Mainstreamkultur mit ihren ausgefeilten Datingritualen und den scheinbaren Verführungen zur vorehelichen Sexualität – »the Western girlfriend and boyfriend foolishness« nennt dies Imam Abdul Malik75 – ist 71 | Tariq Nelson: Bad Choices (13.07.2007). 72 | Tariq Nelson: Bad Choices (13.07.2007). 73 | Wadud 2006, S. 148. 74 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011). 75 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011).
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dabei ein zentraler Topos der Debatte. Ihsan Bagby, Mitbegründer der afroamerikanisch dominierten Muslim Alliance in North America (MANA), sieht in der Ablehnung einer als unislamisch empfundenen Datingkultur den Grund, warum Hochzeiten so schnell beschlossen werden: »In Islamic culture there is no dating and no kind of middle ground, so the sense is, if this person is a good person, let’s get married. The impulse isn’t to prolong a courting relationship. Our advocacy is it needs to be prolonged somewhat.«76
Aus diesem Grund strebe MANA eine ›Marriage Reform‹ an, um zu verhindern, dass junge Muslime mangels eines entsprechenden familiären Umfelds ungenügend vorbereitet in eine Ehe stolpern, nur um beispielsweise Sex haben zu dürfen, so Bagby. Die bewusste Abgrenzung zu einer ›westlichen‹ – und damit ›unislamischen‹ – Datingkultur birgt jedoch die Gefahr, das Ziel, nämlich eine funktionierende Ehe, in der sich die Partner lieben und respektieren, aus den Augen zu verlieren, meint der Blogger Tariq Nelson. Ein blind anti-westlicher Reflex schade der Community somit mehr, als dass er ihr nütze: »First, the concept of marriage needs to be firmly defined. There are still many people that propagate that marriage is nothing more than for fulfilling sexual desires and breeding children. Nothing more […] nothing less. Women are reduced to mindless broodmares. Concepts such as caring and sharing are denigrated as ›Western‹ and alien to Islam. I have received emails and been in personal conversations in which I was attacked relentlessly for my ›Western‹ views on marriage. (ex: ›You can’t get to know someone without dating, and dating is haraam‹ […] ›The early Muslims married strangers, so what are you talking about?‹) This concept needs to be soundly refuted and we need to establish that marriage can be about love and not just another mindless ritual. This is why you find some marrying for extremely short periods of time. It is only about whether or not it is halal and not about two human beings planning and spending the rest of their lives together. The bottom line is that if we are going to define an ›Islamic marriage‹ as banal and loveless, then we will find more people making their own way in the pursuit of marital bliss. (Hey Akh! Allah hasn’t guaranteed us happiness!!!!!!)«77
Die afroamerikanische Muslimin und Religionswissenschaftlerin Gwendolyn Zoharah Simmons kritisiert, dass gerade junge Mädchen in ihren Gemeinden zu früher Heirat und vielen Kindern gedrängt würden. Im heutigen Amerika sei dies ein fataler Rat, da ohne ausreichende Bildung und berufliche Qualifikation 76 | Zitiert nach: Boorstein, Michelle: Muslims Try to Balance Traditions and Culture on the Path to Marriage, auf: www.zawaj.com/articles/muslims-try-to-balance-traditionsand-culture.html (abgerufen am 19.12.2011). 77 | Nelson, Tariq: Hammering Out the Marriage Thing (28.05.2008), auf: www.tariqnelson. com (abgerufen am 18.06.2008).
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kein Erfolg möglich sei.78 Für Simmons ist es wichtig, gerade jungen muslimischen Mädchen klar zu machen, dass sie, anstatt früh zu heiraten, sich zunächst auf ihre Ausbildung konzentrieren sollten, und sich nicht auf die Mutterrolle festzulegen.79 Dennoch glaubt auch sie, dass die amerikanische Datingkultur, in der sich die Partner in längeren Beziehungen kennenlernen und meist Sex haben, bevor sie sich das Jawort geben, keine Lösung sei. Dem Problem einer hohen Zahl von Teenagerschwangerschaften beispielsweise müsse man durch eine aktive, positive Propagierung von vorehelicher Keuschheit in der afroamerikanischen Community begegnen, so Simmons.80 Damit bewegt sie sich im Spektrum evangelikaler Prediger, die mit ihrer True Love Waits-Bewegung vorehelichen Sex als Sünde diskreditieren. Über den Erfolg solcher Abstinenzprogramme wird in den USA heiß debattiert, ist doch die Zahl der Teenagerschwangerschaften in eher konservativ-christlichen Staaten des Bible Belt wie Mississippi und Texas fast dreimal so hoch wie in den liberalen Staaten der Ostküste wie Connecticut oder New Jersey. Seit 2005 steigen die Zahlen sogar, nachdem sie zuvor lange Zeit beständig rückläufig waren. Einen Grund für den Anstieg sehen die Verfasser der Studie in den unter der Bush-Regierung zunehmend verbreiteten Abstinence Only-Programmen von Schulen und Kirchen, nach denen Gruppen wie True Love Waits Keuschheit predigen und in Schulen keine Sexualaufklärung mehr stattfindet, was in der Folge dazu geführt hat, dass amerikanische Teenager einerseits oft nicht wissen, wodurch genau sie schwanger werden können und andererseits an der moralischen Herausforderung, bis zur Hochzeit keinen Sex zu haben, scheitern, dabei aber nicht genug Wissen über oder Zugang zu Verhütung haben.81 Eine Möglichkeit, muslimische Jugendliche von der amerikanischen Datingkultur fernzuhalten, ist das Bereitstellen eines reizvollen Alternativangebots. Unter dem Stichwort Halal Dating ist beispielsweise das bereits angesprochene Valentine’s Dinner für muslimische Singles zu verbuchen, das Daisy Khan organisiert hatte, also Dating unter Aufsicht, so dass junge heiratswillige Muslime und Musliminnen sich zwar kennenlernen können, ohne dass die Gefahr besteht, dass der Abend so endet, wie sich das bei amerikanischen Teenagern zumindest aus Sicht vieler Muslime darstellt, nämlich im Bett und damit bei vorehelichem Sex. Ibrahim B. Syed, Präsident der Islamic Research Foundation, beschreibt in 78 | Simmons 2000, S. 224. 79 | Simmons 2000, S. 224f. 80 | Simmons 2000, S. 224. 81 | Studie des Guttmacher Institute 2010: U.S. Teenage Pregnancies, Births and Abortions: National and State Trends and Trends by Race and Ethnicity, vollständiger Text auf: www.guttmacher.org/pubs/USTPtrends.pdf (abgerufen am 03.05.2010); zum Vergleich: Im Jahr 2002 wurden in Deutschland 11 von 1000 Mädchen zwischen 15 und 19 Mutter, in den USA hingegen 53 Mädchen. Siehe dazu die internationale Vergleichsstatistik des United Nations Environment Programme (UNEP): http://globalis.gvu.unu.edu/indicator.cfm? IndicatorID=127 (abgerufen am 10.05.2010).
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einem Artikel zu Halal Dating diese unter Muslimen verbreitete Sicht amerikanischer Datingkultur: »Dating is getting to know each other. However the dating that is vogue in North America involves intimate relationship such as touching, kissing, petting, necking that ultimately results in pre-marital sex. […] No premarital sex is allowed in Islam. Therefore, no dating is allowed on the premise that dating inevitably leads to premarital sex.« 82
Doch arrangierte Ehen, wie sie vor allem unter Muslimen südasiatischer Herkunft in Amerika noch weit verbreitet sind, werden unter Jugendlichen zunehmend unpopulärer und schwieriger für die Eltern, denen überdies die familiären Netzwerke fehlen, die sie in ihren Heimatländern zur Verfügung hatten. Syed schreibt dazu: »Are parents in North America going to arrange the marriages of their young children as is done in some Islamic countries? In Islamic countries there are matrimonial brokers and agents who work to match the brides and bridegroom. Parents have the support of the community in finding spouses for their children. Relatives, networking, social gatherings particularly weddings, make arranging marriages easier. In the United States, parents are left alone and cut off from these networks. The more educated the girl becomes, the less contented a parent feels in arranging for her marriage. African-American Muslims, as well as Arab and Asian immigrants from cultures that practice arranged marriages, are now unenthusiastic to do the same for their own children.« 83
Halal Dating, so Asma Gull Hasan, eine junge Muslimin mit pakistanischem Hintergrund, ist eine Anpassung des Konzepts der arrangierten Ehe an die Realität junger Muslime, die im heutigen Amerika leben: freie Partnerwahl ja, vorehelicher Sex nein. »Halal dating is the first cousin of arranged marriage, with young people finding their own mates – within the guidelines of Islam – instead of their parents arranging marriages for them.« 84
Der Heirat kommt im Konzept des Halal Dating ein zentraler Stellenwert zu. Man datet nicht um des Datens willen, sondern ausschließlich, um den künftigen Ehepartner kennenzulernen: 82 | Syed, Ibrahim B.: Halal Dating, auf: www.irfi.org/articles/articles_51_100/halal_ dating.htm (abgerufen am: 07.03.2010). 83 | Syed, Ibrahim B.: Halal Dating, auf: www.irfi.org/articles/articles_51_100/halal_ dating.htm (abgerufen am: 07.03.2010). 84 | Hasan, Asma Gull 2002b: »Halal, Haram, and Sex and the City«, in: Michael Wolfe/Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim Their Faith, S. 119.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »In halal dating, a clear understanding exists between the man and the woman that they are committed to marrying each other. They view the other as a life partner, not a hot prom date.« 85
Im Sinne der freien Partnerwahl können sich die beiden beteiligten Personen ausreichend Zeit nehmen, einander in einem angemessenen Rahmen kennenzulernen, so Hasan, ohne sich, wie bei der arrangierten Ehe, von vorneherein darauf festzulegen zu heiraten. Der Vorteil besteht für die beiden darin, dass Halal Dating eben noch keine Verlobung darstellt, und wenn sie sich nach einiger Zeit des Kennenlernens entschließen, dass sie doch nicht zusammenpassen, tragen beide kein Stigma innerhalb der muslimischen Community, da sichergestellt ist, dass in der Zeit des Datens nichts Unerlaubtes passiert ist.86 Auffallenderweise wird das Konzept des Halal Dating vor allem unter muslimischen Einwanderern diskutiert, während es über afroamerikanische Meinungen zu dieser Thematik keine Quellen gibt. Das mag daran liegen, dass afroamerikanische Muslime erstens kulturell keinen Hintergrund in Bezug auf arrangierte Ehen haben, sondern in Amerika ganz selbstverständlich mit einem klar definierten Konzept von Dating aufgewachsen sind, das sie entweder akzeptieren oder ablehnen. Zum zweiten ist das Halal Dating, wie arrangierte Ehen auch, in Netzwerke, meist familiärer Natur, eingebunden, über die afroamerikanische Konvertiten oftmals nicht verfügen, weil sie drittens entweder als einzige in der Familie konvertiert sind bzw. selbst erst im Erwachsenenalter den Islam annahmen und wenig Kontinuität im Hinblick auf die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation besteht und somit weniger Kontrolle der Eltern über die Kinder. Einen gänzlich anderen Ansatz als das Predigen von Abstinenz und Keuschheit oder die Propagierung von Halal Dating wählt Imam Daud Abdul Malik aus Cleveland. In seiner Gemeinde, die ausschließlich aus afroamerikanischen Muslimen besteht, werden schon dreizehnjährige Teenager zum Heiraten ermuntert. Der Imam argumentiert, dass ein Kampf gegen jugendliche Sexualität durch Keuschheitspropaganda ein Kampf gegen Windmühlen sei. Die Jugendlichen seiner Gemeinde sollen stattdessen ihre sexuellen Bedürfnisse ohne vorehelichen Sex, Dating und Gruppenzwang erfüllen können, indem die Triebe in die moralischen Bahnen der Ehe gelenkt werden: »Instead of fighting the trend of teenage sexual activity and suffer the possible risk of losing the moral struggle, UIB accepts adolescence as biologically inevitable and therefore sacred under the aegis of Islam.« 87
85 | Hasan 2002b, S. 120. 86 | Hasan 2002b, S. 120. 87 | Dannin 2002, S. 252; UIB steht für Universal Islamic Brotherhood, den Namen der Gemeinde in Cleveland.
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Das junge Ehepaar soll nach der Heirat bis zur Volljährigkeit bei den Eltern des Bräutigams leben und sich – hier ist er sich mit Simmons einig – dem schulischen Erfolg widmen, statt sich durch Dating abzulenken. 88 Muslime in Amerika sehen sich allerdings vor allem durch Medienberichte des öfteren dem Vorwurf ausgesetzt, gerade Mädchen zu jung zu verheiraten. Dass dies ein islam-immanentes Problem – und kein generell gesellschaftliches – ist, wird von den Kritikern stets mit einem Verweis auf die Heirat des Propheten Muhammad mit Aisha, die zum Zeitpunkt der Eheschließung noch ein Kind war, begründet. Imam Abdul Malik weist diese Kritik scharf zurück und unterstellt ihren amerikanischen, nichtmuslimischen Vertretern Scheinheiligkeit: »The question that I have in a free society: When we’re supposed to be the most democratic and free society – you’re allowing girls to have sex at 9 and abortions at 10 without the consent of their parents. I want you to think about who you’re dealing with. You’re dealing with shaytanic minds who will like to portray Islam and hatred against women in order to move women out of Islam and make other women reject Islam without having even the facts of what Islam represents. The hypocrisy is obvious if you would (sic!) only examine the facts as they are.« 89
Für Imam Abdul Malik ist dies sogar eine Existenzfrage für Muslime in Amerika: »If you want to preserve Islam in America, you better let the young brothers and sisters marry and prepare them for family life for the prophet’s sake.«90 Die Eltern muslimischer Jugendlicher in den USA (und hier meint er offensichtlich muslimische Einwanderer und nicht afroamerikanische Muslime), so der Imam, seien in einer Kultur aufgewachsen, in der man am besten erst heiratet, wenn man seine Ausbildung abgeschlossen hat, und sich davor gar nicht um das andere Geschlecht kümmern sollte. Doch dies, glaubt Abdul Malik, sei fatal (»That’s so retarded. In America, it’s so retarded. It’s intellectual retardation.«), wenn man bedenke, wieviel Sex Jugendliche heutzutage über die Medien ausgesetzt seien. Dies führe dazu, dass gerade junge Männer nachts im Internet ›festhängen‹ würden (»hook on the internet«), weil sie Angst hätten, ihren Eltern zu sagen, dass sie gerne heiraten würden »cuz they don’t have their PhD yet.«91 Und dann, fürchtet Abdul Malik, verlieren die Eltern ihre Kinder im schlimmsten Fall, weil die Hormone stärker seien und die Kinder sich unter Umständen ohne das Einverständnis ihrer Eltern sogar einen nichtmuslimischen Partner suchen: »I’ve 88 | Dannin 2002, S. 252. 89 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 90 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011). 91 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011).
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seen Muslim brothers and sisters lose their children for playing with nature!«92 Imam Abdul Malik macht auch deutlich, an wen die Eltern ihre Kinder seiner Meinung nach im schlimmsten Fall verlieren – an die unmoralische, degenerierte amerikanische Gesellschaft, deren Werte denen des Islam zuwiderlaufen: »Fornication is evil. Adultery is evil. And it corrupts our whole society. And when a nation becomes so freakish, you turn into what America has turned into. Men wanna sleep with men. Women wanna sleep with women. They wanna sleep with dogs. They wanna sleep with cats. They wanna sleep with anything cuz they don’t have no guidance.« 93
Aminah McCloud sieht Teenagerehen, wie sie z.B. bei Imam Daud Abdul Malik geschlossen werden, hingegen kritisch. Während Eltern ihre Kinder durch solch eine frühe Verheiratung vor den Verführungen der amerikanischen Kultur schützen wollten, so seien die Kinder doch ein Produkt eben jener Kultur und reagierten auf den Druck, früh zu heiraten, unter Umständen mit Weglaufen o.ä. Danach müssten der amerikanische Rechtsapparat und soziale Institutionen intervenieren. Dies könne nicht die Lösung sein.94 Doch auch abgesehen von Ehen zwischen Jugendlichen sehen einige afroamerikanische Muslime es generell als Problem an, dass sich die künftigen Ehepartner vor der Hochzeit nicht ausreichend kennenlernen und so feststellen können, ob sie überhaupt miteinander harmonieren. Im Gegensatz zu den muslimischen Immigrantencommunities fehlt vielen afroamerikanischen Muslimen ein stabiles familiäres Netzwerk, das bei der Partnersuche helfen kann und auch nach der Hochzeit als Sozialkontrolle fungiert. Tariq Nelson hat dieser Umstand zu einem alarmistischen Artikel verleitet. Unter dem Titel »Don’t marry a stranger!« ruft er afroamerikanische Muslime dazu auf, sich wirklich auf persönlicher Ebene kennenzulernen, bevor eine Heirat in Erwägung gezogen wird, anstatt mit standardisierten Frage-Antwort-Spielen das Scheitern einer eventuellen Ehe schon vorzuprogrammieren, da die gewonnenen Informationen über den anderen nur wenig aussagekräftig sind: »Some have tried to come up with a list of questions (some of them pretty good) to ask marriage prospects with the hope of cutting off some of these problems, but the problem is that often, people memorize the correct answers to the questions and make themselves look like good prospect.«[…]
92 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011). 93 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011). 94 | McCloud 2000, S. 142.
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Die Erben des Malcolm X »The more pretentious you are, the quicker you can get married. (›I want to study the deen in x country‹, ›I plan to make hijrah‹, ›I love Shaykh so and so‹, ›I’m upon the Sunnah‹, ›My concept of marriage is an Islamic one‹, ›I want my children to be scholars‹, etc) This is why it is not strange to find some men on the East Coast that have been married 15 times in a 5 year period. They know exactly what to say and have made getting married a hobby.« 95
Afroamerikanischen Imamen sind die Probleme innerhalb der Community – wie die große Zahl unehelich geborener Kinder und hohe Scheidungsraten – bewusst. Imam Siraj aus Brooklyn äußert sich in einem Interview resigniert über 30-jährige Männer, die bereits 30-mal verheiratet gewesen seien: »They marry a girl, and after two weeks they come here, telling me ›Imam, this sister ain’t no good, I wanna divorce her. But there is another sister I just met …‹. And we shouldn’t forget that often enough, they have another wife sitting at home.«96 In ihren Predigten räumen die Imame deshalb Themen wie dem islamischen Verständnis von Ehe, geschlechtsspezifischen Rollenmustern und der Gefahr unrealistischer Erwartungen an eine Heirat einen großen Platz ein. Dadurch hoffen sie, auch unter afroamerikanischen Muslimen stabilere Ehestrukturen zu schaffen.97 Amina Wadud kritisiert, dies gehe an der Realität der betroffenen Frauen vorbei. Letztere fänden sich nach einer Scheidung, wenn sie ohne Ehemann versuchen müssten, für sich und ihre Kinder zu sorgen, in der muslimischen Community noch dem Stigma ausgesetzt, versagt zu haben: »If individual families or women cannot live in the fulfilled promise of Islam, the implication has been that the fault lies with their own faith or personality.« 98
Wenn die Lehren des Islam universell sein sollten, dann müssten sie auch die besonderen Bedürfnisse alleinerziehender schwarzer Mütter berücksichtigen, findet Wadud: »The experiences of African-American female heads of household must be looked at holistically, vis-à-vis reform notions of Islamic law.«99 Rouse beschreibt in ihrer Studie zu afroamerikanischen Konvertitinnen die Gründe, warum Ehen unter afroamerikanischen Muslimen oftmals scheitern. Zum einen seien viele afroamerikanische Männer, die zum Islam konvertieren, arm und eher ungebildet. Eine nicht geringe Zahl von ihnen seien frühere Gefängnisinsassen und hätten nur schlechte bzw. überhaupt keine Arbeit. Die Geschichte der Arbeitslosigkeit schwarzer Männer sei eine materielle Realität, so 95 | Nelson, Tariq: Complete Stranger Marriages (13.12.2006), auf: www.tariqnelson.com (abgerufen am 18.06.2008). 96 | Interview Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 08.06.2008. 97 | Rouse 2004, S. 154. 98 | Wadud 2006, S. 148. 99 | Wadud 2006, S. 148.
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Rouse, die Männer oft zu schlechten Versorgern mache. Sie beschreibt die Spannung, die aus dieser Realität und den Erwartungen der Frauen resultiert. Obwohl die Frauen all ihren ehelichen Pflichten nachkämen, stelle dies keine Garantie dar, dass die Männer gut verdienende, anständige Ehemänner oder Väter seien. Doch selbst dann noch hielten die Männer an ihrem Willen zu Autorität innerhalb der Community und gegenüber ihren Ehefrauen fest, während die Frauen eine Gleichberechtigung der Geschlechter forderten.100 Doch fragt es sich, an wem solche Ehen dann in der Regel scheitern. An den Frauen, die sich enttäuscht von einem Mann abwenden, wenn er ihre Erwartungen nicht erfüllt? Daran schließt sich die Frage, ob die Frauen einfach gehen können, wenn sie es selbst wollen. Schließlich hat der Ehemann nach klassisch islamischem Familienrecht die Möglichkeit, seine Frau durch dreifaches Ausrufen der Scheidungsformel (ṭalāq) zu verstoßen, während eine Frau nur gehen kann, wenn sie sich das Recht auf einseitige Scheidung zuvor in einem Ehevertrag hat garantieren lassen oder schwerwiegende Umstände wie Misshandlung nachweisen kann. Rouse hat die ṭalāq-Anwendung in der afroamerikanisch-muslimischen Community nach eigener Auskunft nie erlebt. Scheidungen verliefen ähnlich wie bei Christen und »Säkularen«. (Was genau sie damit meint, bleibt leider unklar.) Dennoch würden die Frauen, über die sie geforscht hat, das destruktive Potential dieser Regelung anerkennen, so Rouse. Jedoch werde das männliche Privileg zur einseitigen Scheidung in ein Privileg, Allah zu missfallen, umgedeutet, indem in einem Gegendiskurs ein entsprechender Hadith uminterpretiert wird: Männer sind demnach in größerer Gefahr, Gott durch das Nennen der Scheidungsformel zu missfallen.101 Rouse hat des weiteren beobachtet, dass viele Frauen trotz ihres Wunsches nach einem islamischen Familienideal nicht zögerten, schwierige Ehen zu beenden, da sie selbst in der Regel gut zurecht kämen und stabile soziale Netzwerke hätten. Gegen die daraus resultierenden hohen Scheidungsraten würden Imame inzwischen versuchen, eine Lösung zu finden.102 Hier bleibt Rouse leider unklar, wie genau man sich das vorzustellen hat. Wenn man sich den bereits ausgeführten Diskurs afroamerikanischer Musliminnen über die zu geringe Zahl heiratswilliger bzw. zur Heirat tauglicher Männer anschaut und das Stigma, das eine Scheidung in der Gemeinde darstellt, mitbedenkt, stellt sich doch die Frage, wie viele Frauen wirklich von sich aus eine Ehe beenden. Körperliche Gewalt in der Ehe Es stellt sich ferner die Frage, ob Frauen aus der Befürchtung heraus, nur schwer einen neuen Partner zu finden, und aufgrund einer Zuschreibung von Geschlechterrollen, die den Mann als Beschützer und die Frau als Unterworfene konzipieren, es akzeptieren, dass sich innerhalb manch einer Ehe Verhaltensmuster festi100 | Rouse 2004, S. 78. 101 | Rouse 2004, S. 78. 102 | Rouse 2004, S. 56.
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gen, die eigentlich ein Grund für eine Trennung wären. Körperliche Gewalt in der Ehe ist solch ein Verhaltensmuster. Tatsächlich widmen sich afroamerikanische Muslime sowohl in der Theorie als auch in der Praxis in den letzten Jahren verstärkt diesem Thema. Es gibt keine verlässlichen Statistiken, die Auskunft darüber geben würden, ob in den Ehen afroamerikanischer Muslime mehr oder weniger Gewalt v.a. gegen Frauen ausgeübt wird als in jenen nichtmuslimischer Afroamerikaner oder muslimischer Immigranten. Auch gibt es keine Zahlen, die eine Zunahme körperlicher Gewalt innerhalb der afroamerikanisch-muslimischen Community belegen. Dass diesem Thema in den letzten Jahren 103 ein größeres Forum geboten wird, liegt daher sicher zum einen an einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Amerika, der Gewalt gegen Frauen zunehmend stigmatisiert und delegitimiert. Zum anderen zeigt sich in den Äußerungen afroamerikanischer Muslime und Musliminnen, weshalb dieses Thema als relevant erachtet wird. Zwei Argumentationen werden dabei immer wieder angeführt: Zum einen führe der Umstand, dass junge Frauen oft genötigt werden, Männer mit einer schwierigen Biographie, oftmals Ex-Häftlinge, zu heiraten, zur Zunahme misogyner Ehestrukturen und damit zu Gewalt. Zum anderen müsse dieses Thema schon allein deshalb diskutiert werden, weil ansonsten eine Konversion für Afroamerikanerinnen unattraktiv werde bzw. sie dem Islam wieder den Rücken kehren, wenn sie aus der Community keine Unterstützung erfahren, sondern die Taten des Mannes noch religiös legitimiert werden. Eine Debatte über die Ursachen von körperlicher Gewalt gegen Frauen wird an dieser Stelle folglich mit einem strategischen Argument verbunden, das die betroffenen Frauen nicht direkt als Opfer ins Zentrum rückt, sondern eher als wertvolle Ressource betrachtet, die es ganz pragmatisch zu halten gilt. Auf dem Blog des afroamerikanischen Muslims Tariq Nelson wird der Frage von realer und imaginierter afroamerikanischer maskuliner Identität viel Raum gewidmet. In einem Artikel diskutiert Nelson darüber, was genau denn Jailhouse Islam sei. Dahinter steht die – wissenschaftlich gestützte – Beobachtung, dass eine große Zahl junger afroamerikanischer Männer im Kontext eines Gefängnisaufenthalts zum Islam konvertieren. Tatsächlich stellen Gefängnisse eines der Hauptmissionsfelder verschiedener muslimischer Gruppen in Amerika dar – und entgegen eines liebgewonnenen Vorurteils ist nicht nur 103 | Nurah Amatullah von der islamischen Frauenrechtsorganisation MWIRD in der Bronx gab im Gespräch an, dass die Debatten in New Yorker Moscheen und islamischen Organisationen zum Thema körperliche Gewalt vor maximal drei Jahren (d.h. 2005) begonnen hätten. Imam Siraj Wahhaj aus Brooklyn sagte im Interview, dass seine Moschee erst ca. ein Jahr zuvor (d.h. 2007) angefangen hätte, mit dieser Thematik offensiv umzugehen, indem in Predigten darüber gesprochen werde, aber auch Frauen, die Misshandlung erfahren hätten, geraten werde, sich nicht zu verstecken, sondern dies in der Moschee offen anzuprangern und zur Not die Hilfe der Polizei und staatlichen Behörden zu suchen. (Interview mit Nurah Amatullah im MWIRD, 10.01.2008; Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid atTaqwa, 02.04.2008)
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die Nation of Islam bestrebt, junge Häftlinge für sich zu gewinnen, sondern auch sunnitische Mainstream-Gruppierungen.104 Werden diese Männer aus der Haft entlassen, bemüht sich die muslimische Community, ihnen den Wiedereinstieg in ein geregeltes Alltagsleben unter anderem damit zu erleichtern, dass ihnen zu rascher Heirat geraten wird. Gerade jungen Konvertitinnen wird dabei suggeriert, dass sie bei einer Zustimmung zu einer solchen Ehe eine noble Aufgabe wahrnähmen, hälfen sie doch einem Bruder im Glauben, sein Leben fortan Allah zu widmen, statt sich den Verführungen unregulierter Sexualität hinzugeben. Eine afroamerikanische Muslimin kommentiert Tariq Nelsons Artikel unter dem Namen ›Sister B‹ kritisch: »What do you think happens when WOMEN get into marriages with these individuals? Everyone here is worried about random brothers being beat up at the masjid. What about the poor sister at home that gets beaten every night? What about the mentally and physically torture the sisters endure while the community takes HIS side? Why is it that no one bothers to tell the sisters that these brothers have mental problems beforehand? Not even the Wali! I’ve seen sisters with massive black eyes and broken bones yet the community will tell the sister that she has to endure it! They will tell her that it is haraam to call the police if her husband is beating her. She thinks that she will go to Hell if she calls the police to save herself from this insane man. I even have a girlfriend that had her finger cut off by her exhusband. He refused to divorce her, so she left on her own with no help at all.«105
Die Islamwissenschaftlerin Aminah McCloud hat beobachtet, dass emotionaler, verbaler und körperlicher Missbrauch in der Ehe unter Muslimen generell toleriert werde. Sie führt dies auf eine Fehlinterpretation des Koran zurück.106 Jedoch, so der afroamerikanische Imam Abdul Malik, ein Schüler des Brooklyner Imams Siraj Wahhaj, sei körperliche Gewalt in der Ehe mitnichten auf die muslimische Community beschränkt, wie er einer Rede vor muslimischen Studenten betont: »So the very spirit is respect for everybody. However, this is not to say that women are not oppressed. I have never seen a society yet where women are treated equal, I haven’t seen one. Are Muslim women abused? Of course. Are Christian women abused? Well, why you have laws on domestic violence? Why you have laws on sexual harrassment? Because those things exist, and no religion can hide it because we measure Islam not by the people but by the revelation of the Holy Qur’an. And there is nothing in the life of the prophet and
104 | Vgl. zu Jailhouse Islam ausführlich Kap. III.2 e) »Warum Homophobie zu schlechten Schulnoten führt«. 105 | Nelson, Tariq: What is Jailhouse Islam? (17.02.2009), auf: www.tariqnelson.com (abgerufen am 15.05.2009). 106 | McCloud 2000, S. 142.
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Aminah McCloud teilt Imam Abdul Maliks Sorge, dass Frauen die erfahrene Gewalt dennoch auf den Islam an sich zurückführen könnten – und eben nicht auf den individuellen Ehemann. Gerade Frauen, die sich in Frauenhäuser flüchteten, so McCloud, würden mitunter dazu ermutigt, zum Christentum zu konvertieren und damit dem Islam pauschal die Schuld zu geben.108 Damit verkennt sie zwar nicht, dass Frauen durchaus begründet in einem Frauenhaus Zuflucht suchen. Doch aus pragmatisch-strategischen Erwägungen heraus müsse die Community für diese Frauen eine Unterstützung schaffen. Aber genau darin bestehe in der muslimischen Community in Amerika allgemein Mangel, so Samer Hathout, die Gründungspräsidentin der Muslim Women’s League. In solchen Fällen seien nichtmuslimische Organisationen für Musliminnen oft die letzte Rettung: »Victims of domestic violence have little support from the Muslim community, and the support they do receive, while well-intentioned, is often unorganized and ineffectual. The lives of domestic violence victims are often in danger, and their only recourse is to turn to nonMuslim organizations that are prepared to deal with this issue.«109
Imam Abdul Malik nimmt in einer Rede zu Islam und Dating auf den ersten Blick die Männer in die Pflicht, zum Gelingen einer Ehe dadurch beizutragen, dass sie ihre Ehefrauen mit Respekt behandeln: »A lot of brothers who are married are very unhappy. And the reason they’re unhappy is they make the women unhappy. […] I tell brothers: if you wanna bring the best out of a woman, you better treat her like a diamond.«110
Doch in seiner Rede vor den New Yorker Studierenden macht er einen argumentativen Schlenker, der letztendlich die Frauen an den Pranger stellt, die unter Umständen tatsächlich überlegen, sich bei Fällen von Misshandlung in der Ehe aufgrund mangelnder Unterstützung durch andere Muslime und Musliminnen vom Islam abzuwenden. Diese Frauen, so wettert er, hätten sich auf die Seite des
107 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 108 | McCloud 2000, S. 142. 109 | Hathout, Samer 2002: »Abuse, Polygamy, Exclusion: Three Stories of American Muslim Women«, in: Michael Wolfe/Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim their Faith, Emmaus, S. 109f. 110 | Imam Abdul Malik: Islam and Dating, Rede aus dem Jahr 2007, auf: www.halaltube. com/islam-and-dating (abgerufen am 14.08.2011).
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›Feindes‹, die Seite »shaytans«111 geschlagen. Auf seine Behauptung, dass weder im Koran noch in der Sunna frauenfeindliche Elemente zu finden seien, schließt er an: »But the enemy will want you to think that in order to create doubt in your minds and cause you to leave Islam. When you leave Islam, where’re you going? Where’re you going? ›I’m freeing, honey, I’m not Muslim, I take my headpiece off.‹ And what’cha got put on? What’cha got put on, baby doll? Some extensions? They’ll give you blue eyes, green eyes, gold eyes, give you a head that is not even yours and make you moving and make you convinced that it’s a part of your make up. They’ll give you fake breasts and fake butts and fake nails and you ask a dumb question why you can’t be a real woman. You’re made of cosmetics. And then they ask the dumb question why a Muslim woman covers her head. ›Freedom for us, in our society, is – Take it all off, baby, take it all off. These are ignorant people, they live in darkness. You can’t follow them nor be intimidated by them. […] We as Muslims, we need to take some action. Don’t get mad. These are devils. That’s what they are. These are the shayatin. […] You’re dealing with some real shaytanic mindsets today, and we need to take some action. The greatest defense for Islam and the prophet of Islam on the issue of women is you, women yourselves. Cut your TV off. Cut your cell phone off and pick up your books of Islam and study the religion, and you will be the best representation for Islam and the best defense of the prophet.«112
d) Besser als gar kein Mann? Polygamie als Alternative Als Shahrazad Ali im Jahre 1989 The Blackman’s Guide to Understanding the Blackwoman publizierte, bestand der Skandal nicht nur darin, was Ali schrieb, sondern auch, dass diese Thesen von einer Frau, einer schwarzen Frau stammten. Wie konnte eine afroamerikanische Frau nicht nur behaupten, dass schwarze Männer eine natürliche Neigung zur Polygamie besäßen, sondern auch fordern, dass Frauen dies zu akzeptieren hätten und dass sie dem Mann zugestehen, die Frau notfalls mit angemessener Gewalt zu ebendieser Akzeptanz zu zwingen? Shahrazad Ali betont, jeder Widerstand schwarzer Frauen sei eigentlich eine Art von internalisiertem rassistischen Denken. Wenn eine Afroamerikanerin ihren Mann in europäische Heiratsmuster zwingen wolle (»uncompromising rules of monogamy«), dann trage sie indirekt dazu bei, dass die weiße Gesellschaft Schwarze weiterhin dominiere und unterdrücke, da schwarze Männer diesen Standard gar nicht erfüllen könnten.113 Die konventionelle, d.h. monogame Ehe sei ein Kerker und eine Sklaverei für den schwarzen Mann. Von Kindheit an, so behauptet Ali, 111 | ›Shaytan‹ (šayṭān) ist das arabische Wort für den Teufel/Satan und in der Alltagssprache afroamerikanischer Muslime durchaus gebräuchlich. 112 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 113 | Dannin 2002, S. 218.
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sei der schwarze Mann einer Gehirnwäsche unterzogen worden, dass er Monogamie zu akzeptieren und sein Schicksal in die Hand von Frauen zu legen habe.114 Letztendlich, warnt sie, führe dieses selbstzerstörerische Verhalten zum Genozid an der schwarzen Bevölkerung: »No nation can rise when the natural order of the behavior of the male and female have been altered against their wishes by force.« 115 Auf den ersten Blick lässt die Argumentation Alis darauf schließen, dass sie das Buch ausschließlich aus einer Perspektive essentialistischer Rassekategorien geschrieben hat, nämlich schwarze versus weiße Geschlechter- und Familienstrukturen. Doch ist die Ausgangssituation komplexer. Shahrazad Ali ist Mitglied der Nation of Islam. Daher sind Rasse und religiöse Identität ohnehin schwer zu trennen, wenn es um die Einordnung ihrer Thesen geht. Denn nach der ursprünglichen Lehre der Nation of Islam sind alle Schwarzen eigentlich Muslime und alle Muslime schwarz. Dort werden Männer und Frauen als zwei ontologisch unterschiedliche, in einem hierarchischen Verhältnis stehende, aber dennoch komplementäre Arten (species) dargestellt: »Men were to be submissive to Allah and women were to be submissive to men.«116 Monogamie ist die Regel, Polygamie wird zwar als islamisch, aber nicht mehr zeitgemäß betrachtet und daher verboten.117 Damit ist die NOI strenger als andere schwarze muslimische Gruppen. So werden bei den Darul Islam, den Ansaru Allah und selbst in der Gemeinschaft Warith Deen Mohammeds Mehrehen erlaubt, auch wenn sie dort eher Ausnahme als Regel zu sein scheinen.118 Dennoch vertritt Shahrazad Ali eine Position, die auch unter afroamerikanischen Sunniten, Männern wie Frauen, viele Anhänger hat, nämlich dass das weiße/westliche, auf einem monogamen Ideal basierende Modell von Familie und Geschlechterrollen keineswegs universell sei, sondern eine 114 | Dannin 2002, S. 216. 115 | Dannin 2002, S. 216. 116 | Witt, Doris 1999: Black Hunger: Food and the Politics of U.S. Identity, New York/ Oxford, S. 105. 117 | www.muhammadspeaks.com/QuranandPolygamy.html (abgerufen am 14.08.2011). 118 | McCloud, Amina B. 1995: African American Islam, New York, S. 101. Die Ansaru Allah Community (auch Nubian Islamic Hebrews genannt), in den 1960er Jahren in Brooklyn gegründet, verehren ihren Gründer Isa Muhammad als göttlich inspirierten Interpreten des Koran. Weiße werden als krank und unmoralisch gesehen, nur schwarzes Blut könne sie retten. Als Messias wird Jesus erwartet. Die Gruppierung ist stark in der Hip Hop-Szene engagiert. Die Darul Islam Community wurde 1962 ebenfalls in Brooklyn gegründet. Ursprünglich als sunnitische Gruppierung gedacht, näherten sich die Darul Islam unter ihrem Führer Imam Yahya Abdul-Kareem ab 1980 dem Sufismus an, woraufhin H. Rap Brown aus Atlanta unter dem Namen Imam Jamil Abdullah al-Amin das alte Darul Islam neu gründete. Von Beginn an wurde Wert auf das Erlernen der arabischen Sprache sowie Koranunterricht gelegt, doch der Kontakt mit muslimischen Immigranten war unerwünscht (nur Afroamerikaner können Mitglied werden), ebenso der Kontakt zu Nichtmuslimen. Siehe hierzu: Smith 1999, S. 97f., 100f.
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Konstruktion, die afroamerikanischen Lebensrealitäten nicht angemessen bzw. sogar schädlich für die Community ist. Dabei wird die propagierte Ordnung – hier nicht nur die Geschlechterrollen an sich, sondern die polygyne Natur von afroamerikanischen Männern – als ›natürlich‹ dargestellt. Auffallend ist, dass diese ›Natürlichkeit‹ nur selten religiös legitimiert wird. Statt zu konstatieren, dass Gott die Geschlechter auf diese Weise geschaffen habe und jedes ›widernatürliche‹ Handeln damit ein Akt der Auflehnung gegen die göttliche Ordnung sei, wird die ›Natürlichkeit‹ wie bei Ali über essentialistische Rassekategorien hergeleitet, innerhalb derer es dann eine ›natürliche‹, der ›Rasse entsprechende‹ Geschlechterordnung gibt, die streng hierarchisch ist. Hameeda Mansur, eine afroamerikanische Konvertitin, die von Robert Dannin in Cleveland interviewt wurde und dort in die Gemeinde des Imam Wali Akram eingebunden ist, argumentiert zwar offiziell mit dem islamischen Recht. Doch schlägt sie im Gespräch mit Dannin schnell den Bogen zu schwarzen Männern – was an dieser Stelle unnötig wäre, geht es ihr doch um männliche Sexualität allgemein. Mansur findet, dass es sogar im Interesse der Erstfrau sein sollte, dass ihr Mann weitere Frauen heiratet. Sie begründet dies in einer Weise, die nicht nur zutiefst biologistisch ist (der stärkere Sexualtrieb des afroamerikanischen Mannes), sondern auch aus einer Überzeugung heraus, die von einer Internalisierung misogyner Denkstrukturen spricht (das Recht des Mannes, sich notfalls auch außerehelich und gewaltsam sexuelle Befriedigung zu suchen): »A man in order not to bother other women, other girls, he’s allowed to have more than one wife. That’s the law of Islam. The Quran says he can have two, three or four. […] Men have more physical need. You have to be married to a black man to know that this is true. Rather than having him bother your daughter, your wife, or to be (instigating disorder) in the community, he may marry another woman. […] The first wife has to say I can’t give you what I should be and I’m your wife, why don’t you take another wife. That’s her suggestion. Because she has to agree to it before you ever put the thought out there. You understand. She may find a second wife for you. Then it’s a way of the woman keeping control of things. And keeping her husband and seeing that he has all that he needs. Physical needs, mental needs are important. And the only way a man has his needs attended to is by a woman. No other way.« (Interview mit R. Dannin, Aug. 1990)119
Der afroamerikanische sunnitische Muslim und Professor für Islamwissenschaft Sherman Jackson schimpft auf sogenannte ›konservative Afroamerikaner‹, die sich über die Promiskuität schwarzer Männer aufregen würden. Statt über alternative Gesellschaftsmodelle (wie Polygamie) nachzudenken, meint Jackson, hätten diese konservativen Afroamerikaner die normativen Wertvorstellungen der weißen, dominanten Kultur (nämlich die Monogamie) verinner-
119 | Dannin 2002, S. 219f.
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licht.120 Sie reproduzierten somit die Erwartungen und Ideale der dominanten Kultur, »perhaps in kunthe cloth« 121 . Afroamerikanische Männer und Frauen, die also beispielsweise Polygamie ablehnen und Monogamie als Ideal anstreben, haben nach Jackson nach wie vor das false universal der dominanten Gruppe als normal und normativ internalisiert.122 Implizit gibt Jackson – wie auch Ali und Mansur – mit seiner Argumentation hier einem rassistischen Stereotyp Raum, den die von ihm gescholtenen ›Konservativen‹ gerade bekämpfen wollen, nämlich dem Stereotyp vom promiskuitiven, sexuell unersättlichen schwarzen Mann. Imam Siraj Wahhaj, auf die Position Sherman Jacksons angesprochen, gibt zu, dass die Zuschreibung, dass ›black men just are like this‹ eine rassistische Stereotypisierung darstellt. Er selbst hat zwei Ehefrauen. Die erste lebt bei ihm in New York und ist seine ›Habibti‹, sein Liebling, wie er im Interview betont, die ihn beispielsweise auf Reisen begleitet. Die zweite sei eine afroamerikanische Muslimin aus Atlanta, eine geschiedene Frau, die durch die Heirat mit einem so bekannten Imam einen gewissen Schutz und Status beziehe. Sie sieht er nur einige Male im Jahr. Doch, so Imam Siraj: »Would it be better if this sister stays all alone?« Ihm geht es nach eigener Definition demnach nicht um Sexualität, sondern um die Erfüllung einer Pflicht zur Verantwortung, die er gegenüber der afroamerikanisch-muslimischen Community habe. In der Argumentation Imam Sirajs werden jedoch essentialistische Geschlechterkategorien mit islamischen Legitimationsmustern verwoben. So glaubt er, dass es durchaus eine natürliche Veranlagung bei Frauen gebe, eine starke Bindung zu nur einem einzigen Mann aufzubauen. Männer hingegen seien durchaus fähig, zu mehreren Frauen gleichzeitig intime Beziehungen zu unterhalten. Er schränkt das in seinem eigenen Fall zwar ein, dass es in emotionaler Hinsicht natürlich auch für ihn schwierig sei. Aber zum Beispiel das islamische Konzept der ʿidda, wonach eine Frau nach dem Tod ihres Ehemannes mehrere Monate warten muss, bis sie wieder heiraten darf, der Mann nach dem Tod seiner Frau jedoch sofort wieder eine neue Ehe eingehen kann, zeige, dass männliche Sexualität anders funktioniere. Im Unterschied zu Ali, Jackson oder Mansur leitet er diese Behauptung jedoch nicht über eine Definition spezifisch schwarzer Sexualität her, sondern über eine ›universelle Andersartigkeit‹ von Männern und Frauen. Dieses Muster, die Natürlichkeit von Polygamie mittels einer essentialistischen Zuschreibung von geschlechtsspezifischen Eigenschaften und sexuellen Bedürfnissen begründen, ist in Amerika übrigens nicht auf afroamerikanische Muslime beschränkt. Auch bei den Mormonen gibt es einige Vertreter, die den Mythos vom ›gefährlichen Matriarchat‹ anführen, demzufolge die Frauen unnatürlicherweise die Macht in der Familie übernommen hätten. Daraus folge sexuelle Unordnung 120 | Jackson 2005, S. 166. 121 | Jackson 2005, S. 165; unter kunthe cloth versteht man bunten, mit westafrikanischen Mustern bedruckten Stoff. 122 | Jackson 2005, S. 165.
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und der Zusammenbruch von Familien, worunter Männer und Kinder leiden müssten. Deshalb müsse über eine Restauration der ›natürlichen‹ Geschlechterrollen die patriarchale Autorität wiederhergestellt werden – so wie es eben die göttliche Ordnung vorsehe. Und zur ›natürlichen‹ Veranlagung eines Mannes gehöre es, polygam zu sein.123 Imam Siraj sieht Polygamie allerdings nirgends im Koran explizit erlaubt. Für ihn ist dieses Ehemodell eher eine historische Tatsache denn ein islamisches Gebot. Schließlich hätten schon die Propheten aus der Thora und der Bibel mehrere Frauen gehabt, sei es nun David, Salomo oder Abraham.124 Es entspreche nicht der Sunna des Propheten, Muslime zur Polygamie zu ermuntern, sondern generell zum Heiraten. Davon würden dann nicht nur Männer, sondern auch die Frauen der Gemeinde profitieren. Und genau deshalb würden viele Frauen der Polygamie nicht ablehnend gegenüberstehen, schließlich biete sich ihnen damit Sicherheit.125 Imam Zaid Shakir vom kalifornischen Zaytuna Institute ist hingegen überzeugt, dass der Koran Polygamie generell erlaube. Der Grund dafür sei, dass es in früheren Zeiten, als viele Männer im Krieg starben, ›practical‹ und ›compassionate‹ gewesen sei, wenn die Witwen auch bereits verheiratete Männer ehelichen konnten.126 Damit spricht er jedoch indirekt einen Punkt an, der bei der Exegese der entsprechenden koranischen Verse bedacht werden muss, meint Kecia Ali: Wenn man behaupte, dass die Gebote und Verbote des Korans für alle Zeiten und Orte gültig seien und daher Polygamie natürlich erlaubt sei, müsse man fragen, ob dasselbe dann auch für die Sklaverei (die im Koran ebenfalls ihren Platz hat) gelte und inwiefern Koranverse an einen bestimmten historischen, lokalen Kontext gebunden bzw. übertragbar auf das heutige Amerika seien. Ali warnt hier vor falschen Analogien: »If someone insists that polygamy is valid for all times and in all places because the Qur’an authorizes it, one can inquire whether the same holds true for slavery. Such juxtapositions do not replace systematic and nuanced exploration of the topics at hand; they serve, rather, to shock one’s discussion partner into considering a familiar topic without the comfortable veneer of apologetic conventional wisdom. One should not stop with rough analogies on complex issues, but rather use those analogies to (re)open dormant questions about the timelessness of specific points in the Qur’an and hadith.«127
123 | Dannin 2002, S. 223. 124 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 21.03.2008. 125 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 31.01.2008. 126 | Goodstein, Laurie: »U.S. Muslim Clerics Seek a Modern Middle Ground«, in: New York Times, 18.06.2006. 127 | Ali, Kecia 2006: Sexual Ethics and Islam: Feminist Reflections on Qur’an, Hadith and Jurisprudence, Oxford, S. 156.
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Dennoch ist Imam Zaid Shakir überzeugt, dass der Koran Muslimen die Polygamie generell erlaube, auch im heutigen Amerika, selbst wenn die entsprechenden Verse in einem bestimmten Kontext, nämlich dem Arabien des 7. Jahrhunderts, entstanden seien und die Praxis eigentlich dazu gedacht gewesen sei, die Not von Witwen und Waisen in Kriegszeiten zu lindern. In der heutigen Zeit, gibt Imam Zaid Shakir jedoch zu, »a lot of harm ensues.«128 Worin dieser Schaden besteht, darüber hat Nurah Amatullah vom Muslim Women’s Institute for Research and Development in der Bronx keine Zweifel. Sie glaubt, dass die meisten Frauen aus utilitaristischen Überlegungen heraus die Zweit-, Dritt- oder Viertfrau eines Mannes werden, weil sie zum Beispiel verwitwet und damit finanziell überfordert sind. Doch sie kenne persönlich keine Frau, die emotional in einer polygamen Ehe wirklich glücklich sei. Ihre Freundin Medina S. bestätigt das. Als junge Frau sei sie noch in der NOI gewesen, in der Polygamie nicht praktiziert werde. Als sie dann zum sunnitischen Islam gewechselt sei, fand sie sich schnell als Drittfrau eines bekannten afroamerikanischen Imams aus Harlem wieder. Medina erzählt, wie wenig Unterstützung die meisten Frauen durch ihre Männer erführen, die weder das Geld noch die emotionalen Kapazitäten hätten, sich um alle Frauen und Kinder gleichzeitig zu kümmern. Außerdem würden sich die Partner vor der Ehe selten gut kennenlernen und blieben sich oft fremd, da man sich ja nicht so oft sehe und keinen regelmäßigen Alltag teile. De facto seien die Frauen genauso allein wie zuvor als alleinerziehende Mütter. Für Kinder aus diesen Ehen, so Medina, sei das, was sie in polygamen Haushalten erlebten, ein abschreckendes Beispiel. Auf die Frage, ob ihre eigenen Kinder immer noch praktizierende Muslime seien, antwortet Medina lakonisch: »You don’t wanna try the food if you’ve seen the dirty kitchen before. And my kids definitely saw it.«129 In einem Telefoninterview, das Nurah Amatullah mit dem National Public Radio (NPR) zu islamischer Polygamie führt, weist sie daraufhin, dass Polygamie zwar mitnichten auf den islamischen Raum beschränkt sei, aber im Islam selbst gebe es klare Regeln, nach denen sich die Beteiligten richten müssen. So dürfe eine Ehefrau ihrem Mann nicht verbieten, eine weitere Frau zu nehmen, doch sie könne ihn verlassen.130 Nicht alle afroamerikanischen Muslime wüssten ausreichend über die theologischen Hintergründe der islamischen Polygamie Bescheid – und damit über die damit verbundenen Rechte und Pflichten. Dannin beschreibt, wie einige der Muslime, die er bei seiner Forschung in Cleveland getroffen hat, keine koranischen Begründungen für ihre Präferenz polygamer Ehestrukturen geben konnten, sondern eher das Modell eines afrikanischen Familienverbands im Kopf hatten, wo alle Mitglieder unter einem Dach leben, was ökonomisch als vorteilhaft angesehen wurde. In der von ihm untersuchten Gemeinde seien die Folgen 128 | Goodstein, Laurie: »U.S. Muslim Clerics Seek a Modern Middle Ground«, in: New York Times, 18.06.2006. 129 | Interview mit Medina Sadiq im MWIRD, 27.02.2008. 130 | Interview mit Nurah Amatullah im MWIRD, 10.01.2008.
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dieses Unwissens fatal. So hätte ein Ehemann mitunter mit mehreren seiner Frauen gleichzeitig Sex, und die Kinder in diesen Familien seien völlig verwirrt von den unklaren Verhältnissen.131 Islamische Heiratsmuster, wie sie z.B. in der arabischen Welt wiederum praktiziert werden, funktionieren in der afroamerikanischen Community nicht, glaubt Dannin, weil die traditionelle Autorität bzw. Sozialkontrolle durch ein mehrheitlich islamisches Umfeld für die Einhaltung der Spielregeln fehle.132 Zudem fehle es in einer um monogame Lebensmuster konstruierten Gesellschaft an einer Technik für polygame Lebensmuster, so dass jede Familie letztendlich ihren eigenen Weg finden müsse. Doch genau dies mache es für muslimische Autoritäten schwieriger, verbindliche Muster und Regeln aufzustellen – die dann auch die Frauen schützen würden –, vor allem da die jeweiligen familieninernen Gepflogenheiten, aber auch Probleme tendenziell eher geheimgehalten werden.133 Frauen und Polygamie: wer macht das freiwillig? Angesichts all der erwähnten Schwierigkeiten bleibt zu klären, warum sich viele Frauen dennoch mehr oder weniger freiwillig in polygame Ehestrukturen begeben. Der Grund hierfür ist prinzipiell der gleiche wie der, warum in der afroamerikanischen Community so schnell und oft unüberlegt geheiratet wird, ohne den Partner genauer zu prüfen: es gibt zu wenige ›heiratbare‹ Männer (»marriageable men« 134) für zu viele Frauen, die gerne heiraten möchten, sei es, weil die Männer im Gefängnis sind oder weil sie keine Arbeit haben und damit als Versorger nicht in Frage kommen. Der Stellenwert von Heirat und der Wunsch nach geregelten Familienstrukturen ist gerade für Frauen groß135 , und einige Frauen entscheiden sich dafür, dass eine polygame Ehe immer noch besser sei als gar keine. Robert Dannin weist darauf hin, dass es in den Mormonengemeinden Amerikas eine ähnliche Problematik gibt. Allerdings ist hier die Praktizierung der Polygamie der Auslöser, nicht die Lösung für den Männermangel. Ursprünglich wurde bei den Mormonen die Polygamie als Expansionsinstrument genutzt. Indem die Ehepaare zur Knüpfung großer Familiennetzwerke beitrugen, halfen sie bei der Expansion des Glaubens und trugen zur sozialen Kohäsion der Gruppe bei.136 Den jungen Männern der Mormonen enstanden durch die Polygamie 131 | Dannin 2002, S. 226. 132 | Dannin 2002, S. 219. 133 | Dannin 2002, S. 227. 134 | Hunter 2005, S. 73. 135 | Vgl. dazu: Mamiya, Lawrence H. 2002: »Faith-based institutions and family support services among African American Muslim masjids and black churches«, in: Joseph E. Troutman (Hg.): Journey inward, journey outward, ITC/FaithFactor Project 2000 Study of Black Religious Life, Sonderedition des Journal of the Interdenominational Theological Center, 29(1-2), S. 25-61. 136 | Dannin 2002, S. 224.
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jedoch zunächst Nachteile, da die älteren, wohlhabenderen Männer ihnen die jungen Frauen wegheirateten. Aus diesem Grund schicken die Mormonen bis heute junge Männer erst einmal auf weltweite Missionstour. 137 Das Problem sexuell unzufriedener junger Männer wird also exportiert, deren sexual drives werden externalisiert. Außerdem dient diese Praxis der Gewinnung neuer Konvertiten, denn viele der Männer lernen auf der Tour ihre künftige Braut (u.U. die erste von mehreren) kennen. 138 Bei afroamerikanischen jungen Männern ist die Lage jedoch eine andere als im Fall der Mormonen. Sie sind aus anderen Gründen keine geeigneten Heiratskandidaten. Vor allem aufgrund chronischer Arbeitslosigkeit haben sie oftmals keine Möglichkeit, eine Familie zu ernähren, so Dannin.139 Das National Public Radio (NPR) hat dem Thema muslimischer Polygamie in Amerika eine zweiteilige Dokumentation gewidmet, die Ende Mai 2008 im Radio ausgestrahlt wurde. Während sich der erste Teil mit Polygamie unter muslimischen Immigranten befasste, stand im zweiten Teil Polygamie bei afroamerikanischen Muslimen im Mittelpunkt.140 Die unverheirateten Frauen, die für die Radiodokumentation in einer Moschee in Philadelphia interviewt wurden, betonten, dass Polygamie ein ›fact of life‹, aber keinesfalls ihre erste Wahl sei: »Every woman has a preference to be the sole wife,« sagte Aliya, eine 28-jährige Studentin. Wie im Arabien des 7. Jahrhunderts gebe es im South Philadelphia des 21. Jahrhunderts nicht genügend Männer zum Heiraten: »We’re dealing with brothers who are incarcerated — that is, unavailable. And then unfortunately, you have the AIDS and HIV crisis, where HIV has struck the African-American community disproportionately to others. So when you look at it that way, there is a shortage.«141
In der Dokumentation wurde auch ein junger afroamerikanischer Konvertit namens Zaki zitiert. Im Gegensatz zu den Beobachtungen Dannins fand er, dass gerade Kinder aus polygamen Ehen Vorteile ziehen:
137 | Dannin 2002, S. 224. 138 | Dannin 2002, S. 224. 139 | Dannin 2002, S. 224. 140 | Zweiteilige NPR-Dokumentation zu muslimischer Polygamie in Amerika, zu Immi granten: Bradley-Hagerty, Barbara: Some Muslims in the U.S. Quietly Engage in Polygamy (27.05.2008), auf: www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=90857818 (abgerufen am 30.03.2009), und zu Afroamerikanern: Bradley-Hagerty, Barbara: Philly’s Black Muslims Increasingly Turn to Polygamy (28.05.2008), auf: www.npr.org/templates/story/story. php?storyId=90886407 (abgerufen am 30.03.2009) 141 | Zweiteilige NPR-Dokumentation zu muslimischer Polygamie in Amerika, BradleyHagerty, Barbara: Some Muslims in the U.S. Quietly Engage in Polygamy (Immigranten), Philly’s Black Muslims Increasingly Turn to Polygamy (Afroamerikaner), 27./28.05.2008.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »There are a lot of blessings in it because you’re helping legitimize and build a family that’s rooted in values and commitment. And the children that come out of those types of relationships only become a benefit to society at large.«
Vor allem in den amerikanischen Innenstädten, wo es so wenige intakte Familien gebe und viele Kinder ohne Vater aufwüchsen, sei Polygamie gut für die ganze Gesellschaft, so Zaki. In der Dokumentation wurde auf die Schwierigkeit hingewiesen, die Zahl polygamer Familien in Amerika zu erfassen. Da Polygamie in den USA eigentlich verboten sei und daher keine Statistiken darüber erstellt würden, müssten Schätzungen ausreichen, die laut NPR von 50.000 bis 100.000 in polygamen Familien lebenden Personen ausgehen. Dannin geht in seiner Studie auch auf die immer wieder zu hörende Behauptung ein, in den USA sei die Polygamierate unter Muslimen höher als irgendwo sonst in der islamischen Welt. Er glaubt, dies könne auch eine von den islamischen Führungsfiguren verbreitete Behauptung sein, um Kontrolle über eine potentiell gefährliche Situation zu reklamieren. Es könne aber auch eine Interpretation eines islamischen Erlösungsgedankens enthüllen, wonach anders als im Christentum gesellschaftliche Harmonie und sexuelle Erfüllung im Einklang mit dem göttlichen Gesetz stünden.142 Nach Dannin sind afroamerikanische junge Frauen oft skeptischer gegenüber der Polygamie als ihre Mütter.143 Dennoch, so stellt Rouse fest, landen am ehesten junge, frisch konvertierte Frauen in polygamen Ehen.144 Heirat und Konversion zum Islam seien oft eng miteinander verknüpft. Darin zeige sich die Ähnlichkeit zwischen romantischer Liebe und der Sensation der Wiedergeburt, die man durch religiöse Erfahrungen erlebt.145 Wie auch bei den Mormonen ist Polygamie eng mit Konversionsprozessen verbunden. Konversion bedeute dabei die Zurückweisung der etablierten öffentlichen Ordnung und das Leben alternativer Gesellschaftsmodelle. Die Polygamie schaffe dabei neue Rollenmuster für das Individuum und neue kollektive Identitäten.146 Manche Frauen versprechen sich durchaus Vorteile aus einer polygamen Heirat. Da gerade unter den afroamerikanischen Imamen Polygamie weit verbreitet ist, wird Frauen in der Regel ein hohes Ansehen in der Gemeinde zuteil, wenn sie die Gattin eines solchen mächtigen Mannes werden. Und Erstfrauen sehen sich selbst an der Spitze einer innerfamiliären Hierarchie, ausgestattet mit der Erlaubnis, die Zweitfrauen und andere junge Frauen im Familienverband zu kontrollieren.147 Gerade die ›mächtigen‹, starken Frauen in den muslimischen Gemeinden haben jedoch die Möglichkeit, Polygamie zwar generell zu billigen, für sich selbst 142 | Dannin 2002, S. 228. 143 | Dannin 2002, S. 224. 144 | Dannin 2002, S. 224. 145 | Dannin 2002, S. 205. 146 | Dannin 2002, S. 222. 147 | Dannin 2002, S. 225.
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aber abzulehnen. So berichtet Dannin einerseits von Hassinah, der Frau von Imam Daud in Cleveland, andererseits von Aliyah Abdul Kareem, einer Lehrerin und Gewerkschaftsaktivistin. Letztere sieht Polygamie als optimale Lösung für die große Zahl alleinerziehender afroamerikanischer Mütter in Amerika. Doch für sich selbst kann sie sich eine solche Ehe nicht vorstellen, auch wenn sie, das betont sie, sich nicht als Feministin versteht.148 Hassinah, die Frau des Imams, möchte ebenfalls nicht, dass ihr Mann weitere Frauen heiratet. Und sie sieht durchaus die Probleme, die aus polygamen Strukturen gerade für die betroffenen Frauen entstehen können – ohne dass dies für sie ein Grund ist, Polygamie generell abzulehnen: »I read the Quran a lot now because I have to deal with many of the domestic problems for other women in the community. The important thing is that the African-American woman has a unique place in relation to the past. There are many single mothers in our community. Some of them have met Muslim men who were or are institutionalized. I advise them to check these men out carefully [because] sometimes women have trouble using their spirituality to control their nafs and it presents many problems. Another problem is polygyny and its impact on the family. The disproportion of available men for women can lead to complicated living situations, but in plural marriages there is justice if both women are treated equally. Therefore, if a man abuses a woman here, we can usually tell from just seeing one or both of them – the way she looks or the way they interact publicly. We expect them to honor scripture and testify before themselves – even if it’s incriminating. Then we will intervene and try to help.«149
Frauen wie Hassinah und Aliyah sind für Dannin Komplizen patriarchal denkender männlicher Führungspersönlichkeiten in der afroamerikanisch-muslimischen Community.150 Als unter den Frauen ihrer Gemeinde über die Probleme in polygamen Ehen und die Leidensgeschichten der darin involvierten Ehefrauen diskutiert wird, entgegnet Aaliya, dass die eigentliche Schuld bei den Weißen und ihrem holocaust of slavery liegen würde. Afroamerikanische Musliminnen müssten nun ihre Priorität auf die Reetablierung von Familienwerten in der afroamerikanischen Community legen. Dazu sei taqwa, Frömmigkeit, nötig. Die Frauen müssten nun einmal anerkennen, dass der Koran Männern ein Privileg gebe, das aber, so fügt Aliyah hinzu, beinhalte, dass ein Mann seine Frauen gut behandele.151 Dennoch ist die emotionale Belastung in einer solchen Ehe oft immens. Auf dem Blog ›Thoughts of a First Wife‹ hat eine Frau folgenden Kommentar gepostet:
148 | Dannin 2002, S. 208. 149 | Dannin 2002, S. 253. 150 | Dannin 2002, S. 208. 151 | Dannin 2002, S. 209.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »As Salaamu Alaikum, I’m in a polygamous marriage, a first wife. It has been extremely painful and difficult for me as well. I contemplated divorce. However, after giving it much thought, no, I am not going to give her the satisfaction of having him and winning. I am going to be the winner as I will not only have the husband that Allah chose for me; however, I will be victorious over satan. Satan wants me to be ungrateful to Allah, and end up like the magnitude of selfish, lonely, unmarried, old women who didn’t like Allah’s decision. I wonder why it is said the majority of people in the Hellfire will be women. There are so many women who would rather have nothing than to share and that’s what they usually end up with – NOTHING.«152
Frauen finden sich also plötzlich in einem Wettstreit wieder, in dem es darum geht, eine unter Umständen nicht mehr intakte Ehe aufrechtzuerhalten, nur um nicht als ›Verliererin‹ auszuscheiden. Aminah McCloud beschreibt ebenfalls eine junge Frau, die genau aus dem Grund zum Islam konvertiert ist – weil sie nicht mehr allein sein möchte: »Peaches is drawn to Islam in search of that instant husband and ›somebodiness‹.«153 Sie möchte nach der Konversion möglichst schnell heiraten, hat jedoch große Angst, die Zweitfrau eines Mannes zu werden. Denn das erinnert sie ja gerade wieder an die Zeit vor ihrer Konversion, als sie ebenfalls mit anderen Frauen um die wenig verfügbaren Männer kämpfte: »Two of the more unfortunate consequences of this anxiety are an outward hostility toward other single women and an acceptance of a certain amount of abuse (to stay married as long as possible).«154
Polygamie und soziale Risiken Der Anthropologe Philip Kilbride beschreibt die Erosion monogamer Lebensmuster in den USA aus anthropologischer Sicht: Durch demographische, ökonomische und psychologische Faktoren wurden monogame Kernfamilien in Amerika verändert. Gerade durch wachsende Arbeitsmöglichkeiten für Frauen, v.a. Afroamerikanerinnen, seien die die Monogamie erhaltenden Prinzipien unterwandert worden, da Frauen keine ehetauglichen Ehemänner mehr finden würden, so Kilbride. Er geht dabei auf das Konzept der blended family ein, wonach hohe Scheidungsraten und die damit verbundenen Familienverhältnisse zu neuen, großen Familiennetzwerken führen, die nach Kilbride de facto eine Form der Polygamie darstellten.155 Dabei argumentiert Kilbride ähnlich wie Shahrazad Ali, dass 152 | Blog: Thoughts of a First Wife: furious!!! (29.06.2008), Kommentar von Anonymous zum Post, auf: http://vena-thoughtsof.blogspot.com/2008_06_01_archive.html (abgerufen am 27.10.2009). 153 | McCloud 1991, S. 179. 154 | McCloud 1991, S. 181. 155 | Kilbride, Philip 1994: Plural Marriage for Our Times: A Reinvented Option?, Westport, S. 20.
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die Verwirrung und die Unordnung aus einer Dissonanz zwischen normativen, monogamen Ehemustern und der tatsächlichen amerikanischen Realität stammt. Hier führt er immer wieder das Beispiel der black community an.156 Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Carol Stack. Ihrer Meinung nach garantieren afroamerikanische Familiennetzwerke, oft um die Mutter gruppiert, das Überleben und propagieren Werte in einer von Armut und Arbeitslosigkeit geplagten Community.157 Amina Wadud fügt hinzu, dass Familienkonzeptionen in der afroamerikanischen Community stark das afrikanische Familienbild reflektieren sowie die Flexibilität von Afroamerikanern, die brutale Geschichte der Sklaverei zu überleben: »African families surviving slavery and the economic and political aftermath have been important sites for other configurations of family, including different dynamics of the extended family.«158
Feste Familienstrukturen, deren Kern die heterosexuelle Beziehung zweier Erwachsener darstellt, sind weder universelles Ideal noch Realität – und entsprachen durch die Geschichte hindurch nicht den Bedürfnissen der black community, meint auch Amina Wadud: »The African-American family shows itself to be an enduring institution with its own set of values and mechanisms for flexibility and adaptability, which manages to meet family needs. In this flexible and adaptable model of family, the existence of female-headed households was less endangered due to complex networks of support and community relations. In addition, females without seemingly fixed male partners were not subjected to the negative stigma implied by some Islamic legal configurations of family still prevalent in most Muslim traditional cultures.«159
Außerdem entspricht das Ideal der Familie, wonach Vater und Mutter stets präsent sind, nicht der Realität in der black community, weder heute noch früher, so Wadud. Aber anstatt Familien mit alleinerziehenden Müttern jetzt als defizitär zu deklarieren, wäre es ihrer Meinung nach wünschenswert, wenn diese Frauen von anderen Muslimen die Anerkennung und Unterstützung bekämen, die sie aufgrund ihrer Leistung verdienten. Waduds Meinung nach haben diese Frauen sogar einen wertvollen Beitrag für den Islam geleistet:
156 | Kilbride 1994, S. 72ff. 157 | Vgl. hierzu: Stack, Carol B. 1974: All Our Kin: Strategies for Survival in a Black Community, New York, v.a. Kap. 3-6. 158 | Wadud 2006, S. 152. 159 | Wadud 2006, S. 147.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »The roles played by African-American single, female, heads of household have contributed to sustaining social well-being and moral development. Those roles must be integrated into actual codes and policies that support the integrity of the woman and recognize that the adaptability and flexibility she has demonstrated are beneficial to what can be configured as Islam today. I not only call for de jure or legal Islamic reforms, but also for a de facto cultural climate of mutual support and care toward these women in families.«160
Obwohl sowohl Philip Kilbride als auch Shahrazad Ali die monogame Kernfamilie als Ursache der sozialen Unordnung beschreiben und indirekt den Islam als pro-polygame Kraft für die black community anerkennen, so beziehen sich dennoch beide nicht explizit auf die muslimische Erfahrung, wundert sich Dannin und spekuliert, ob sie vielleicht nicht die negative Stellung von Frauen in einer männerzentrierten Polygamie erwähnen möchten.161 Warum spottet ein Imam Abdul Malik über Frauen, die eine polygame Ehe für sich ablehnen und behauptet, viele muslimische Frauen hätten ja auch keine Bedenken, mit einem verheirateten Nichtmuslim auszugehen, der sie überhaupt nicht ehelichen könne?162 Aus der Spannung zwischen einem offiziellen Polygamieverbot in Amerika und gleichzeitig der realen Existenz polygamer Ehen entsteht vor allem für die darin involvierten Frauen tatsächlich ein beträchtliches soziales Risiko. Da nur die erste Ehe, wenn überhaupt, nach säkularen Regeln – und damit inklusive der damit verbundenen Rechte – geschlossen wird, finden sich Zweit- bis Viertfrauen, geehelicht nach rein islamischem Recht, nach einer Scheidung ohne Ansprüche, die sie vor einem Gericht einklagen könnten.163 Zwar anerkennt das amerikanische Familienrecht in vielen Bundesstaaten religiöse Ehen als Gewohnheitsrecht, doch nicht eine rein religiöse Scheidung, so dass neben der religiösen Scheidung noch eine zivile beantragt werden muss.164 Viele islamische Ehen in Amerika werden ganz ohne Vertrag geschlossen, so Aminah McCloud. Doch sollten Frauen auf jeden Fall sorgfältig darauf achten, dass sie einen – islamischen – Ehevertrag abschließen, der konkrete Klauseln zu Mitgift, Unterhalt, Kindern, Erbe etc. enthält.165 Außerdem sollten sie darauf aufpassen, sowohl nach amerikanischem als auch islamischem Recht korrekt zu handeln, um unangenehme Konsequenzen für sich zu vermeiden.166 Dies bedeutet jedoch de facto eine Abkehr von polygamen Heiratspraktiken, denn auch wenn Bundesstaaten teilweise religiöse Ehen anerkennen, steht nationales Recht über Bundesstaatenrecht – Polygamie bleibt 160 | Wadud 2006, S. 153. 161 | Dannin 2002, S. 231. 162 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011). 163 | Hathout 2002, S. 114. 164 | McCloud 2000, S. 141. 165 | McCloud 2000, S. 140. 166 | McCloud 2000, S. 141.
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damit verboten. Zwar gilt für Muslime dasselbe wie für Mormonen: Um mit säkularem Recht möglichst wenig in Konflikt zu geraten, wird eine Scheidung intern, also in den Gemeinden, meist erleichtert, falls eine polygame Ehe nicht funktioniert, da die Gemeinden keinerlei Interesse daran haben, dass Frauen vor amerikanische Gerichte gehen und damit unnötig Aufmerksamkeit auf die eigentlich nicht legale Praxis zu ziehen.167 Für Musliminnen könne das amerikanische Verbot der Polygamie ein moralisches Dilemma bedeuten, hat McCloud festgestellt, denn wie könne man etwas ablehnen, was Gott doch erlaubt habe?168 Aus diesem Grunde würde Polygamie wohl auch weiter praktiziert. In der Folge würden sich muslimische Frauen im Streit um Unterhalt und Kinder auch künftig sicher häufiger vor Gericht wiederfinden.169 Außerdem, fügt Robert Dannin hinzu, garantiere in Amerika der Staat durch seine finanzielle Unterstützung alleinerziehender Mütter den Erfolg polygamer Ehen. Der Staat erfülle damit die koranische Pflicht des Ehemannes, alle Frauen gleichberechtigt finanziell zu versorgen.170 Erst 1995 wurde durch den TANF (Temporary Aid to Need Families) diese Form des Missbrauchs der Sozialhilfe eingeschränkt.171 Auch aus der muslimischen Community selbst kommen Stimmen, die diesen Missbrauch der Sozialhilfe in polygamen Ehen verdammen. Sie kritisieren dabei die ›welfare pimp‹-Mentalität als einen Missbrauch islamischer Ehebräuche.172 Aunt Hameeda Mansur, afroamerikanische Konvertitin und pensionierte Lehrerin aus Cleveland, sieht vor allem afroamerikanische Männer dabei in der Verantwortung: »These black men in America don’t be successful at a whole lot of things. ›So that if I could be as successful as a husband, if I can physically attract, physically take care of more than one woman, that makes me a man.‹ Now that’s their own thoughts. That’s not Islam! Then they add a little bit more to it. ›I don’t have to tell you whether I can take care of another wife or not. It’s not your business. I’m taking care of you. So if I take on another wife you have to accept it.‹ That’s wrong! These woman are doing this and when they get married are on welfare. If you’re on welfare and get three or four hundred dollars for you and another one‹ third one on welfare, and then I look around and three women are married to this one man, naturally your clothes are better, you’ve got beautiful furniture in your house. Three checks coming in‹ that amount of money, the people sitting down to the table where you’ve got one pot you’re eating from, naturally you can afford a whole lot of things. It’s happening in Cleveland. I dare anybody to
167 | Dannin 2002, S. 226. 168 | McCloud 2000, S. 142. 169 | McCloud 2000, S. 142. 170 | Dannin 2002, S. 199f. 171 | Dannin 2002, S. 200. 172 | Dannin 2002, S. 200.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats tell me I’m wrong. I can tell off some of these brothers. I am dying to tell them off. Polygamy here … is done wrong. None of it’s right because it’s illegal.«173
Gleichwohl ist es vielen afroamerikanisch-muslimischen Akteuren wichtig zu betonen, dass nicht der Islam an sich das Problem sei, warum so viele polygame Ehen scheitern, sondern Verhaltensmuster, die afroamerikanische Männer aus ihrem Leben vor der Konversion in ihr neues Leben mitbrächten – Sheikh Abdullah Hakim von der Jami Mosque Toronto nennt das the pimp mentality of the ghetto 174 – und dann islamisch legitimieren. Der Blogger Brother Dash, afroamerikanischer Konvertit, meint dazu auf dem Blog von Tariq Nelson: »Islam is not a magic pill. If you had problems keeping your hands off Women before Islam then you’ll have the same problems after Islam if Islam has not had a transformative effect on your character. If you was ›pimpin‹ back in the day then you’ll be pimpin‹ with a kufee on and call it serial monagamy (wife-divorce-wife-divorce-wife-divorce) or you’ll look at polygamy as a way to keep on pimpin‹ and call it halal.«175
Neben finanziellen Schwierigkeiten im Falle einer Scheidung riskieren die Beteiligten auch gesundheitliche Probleme, wie Dannin beschreibt. So fördern häufige Heiraten und Scheidungen bzw. das, was Tariq Nelson hier ›serial monogamy‹ nennt, und polygame Ehen den Anstieg der HIV-Infektionen unter afroamerikanischen Muslimen. In einer Moschee in Cleveland hat der Imam der Gemeinde sich entschlossen, auf eine sich ausbreitende Aidsepidemie vor allem unter polygamen Muslimen zu reagieren. Eine junge Frau namens Naima konnte ihn davon überzeugen, dass vor Eheschließungen in der Moschee HIV-Tests gemacht werden, es eine Infokampagne zu Aids gibt und der Gebrauch von Kondomen propagiert wird.176 Außerdem rät der Imam den Frauen in seiner Gemeinde sogar, von ihrem islamischen Recht Gebrauch zu machen, sich einer polygamen Ehe zu widersetzen. Schließlich werde Polygamie in keiner muslimischen Gesellschaft so exzessiv praktiziert wie unter Muslimen in den USA.177 Wer ist hier unmoralisch? Amerikanische Gesellschaft und Polygamie Eine Möglichkeit, Frauen in polygamen Ehen sozial besser abzusichern, wäre eine offizielle Legalisierung der Polygamie. Wenn polygame Ehen nicht nur innerhalb religiöser Communities nach rechtlich nicht verbindlichen Standards, sondern 173 | Dannin 2002, S. 200. 174 | Dannin 2002, S. 227. 175 | Nelson, Tariq: Hammering Out the Marriage Thing (28.05.2008), auf: www.tariqnel son.com (abgerufen am 18.06.2008); als kufee (kufi) wird das weiße Häkelkäppchen bezeichnet, das viele muslimische Männer tragen. 176 | Dannin 2002, S. 211f. 177 | Dannin 2002, S. 211.
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auch in Form einer Zivilehe geschlossen würden, könnten Frauen alle Rechte, die ihnen als Ehefrau bzw. im Falle einer Scheidung zustehen, im säkularen Rechtssystem der USA einklagen, selbst wenn sie dafür nur mangelnde Unterstützung aus ihrer Gemeinde erfahren. Tatsächlich fand in den USA im Frühjahr 2008 eine große Diskussion über Vor- und Nachteile der Polygamie statt. Dabei ging es allerdings nicht um islamische Polygamie, sondern um den Fall der sogenannten Texas-Mormonen. In einer Gemeinde wurden mehrere Fälle von Kindesmissbrauch bekannt: Junge Mädchen sollen dazu gedrängt worden sein, wesentlich ältere Männer – oft im Zuge einer polygamen Ehe – zu heiraten. Als die Polizei die Frauen sowie eine große Zahl jüngerer Kinder aus den Familien holte, wurde darüber diskutiert, ob diese nun wiederum in polygame mormonische Pflegefamilien gegeben werden dürften oder sollten. Der Großteil der amerikanischen Mormonen distanzierte sich nämlich ausdrücklich von den Praktiken der TexasGruppe, die als Abspaltung gilt. Polygamie wird auch von anderen Mormonengemeinden de facto praktiziert, jedoch in wesentlich geringerem Ausmaß als in der Texas-Gruppe. Eine Zeit lang hatten Muslime in Amerika gehofft, zusammen mit den Mormonen eine Lobby formen zu kömmen, die auf eine Aufhebung des Polygamieverbots hinarbeitet. Bereits im Jahre 1890 hatte der Supreme Court dieses Verbot – abzielend auf mormonische Heiratspraktiken – erlassen.178 Dieses Urteil stellt eine der wenigen Einschränkungen der Religionsfreiheit dar, die in Amerika überhaupt rechtlich vollzogen wurden. Aufgrund dieses Verbots vermeiden viele Moscheen in Amerika das Thema ganz,179 denn es ist ihnen bewusst, dass das Polygamieverbot, auch wenn es ursprünglich auf die Mormonen abzielte, schon früher von der Regierung dazu genutzt wurde, Muslimen die Einwanderung nach Amerika zu verweigern, wenn sie einer Praxis anhängen, die das amerikanische Recht verbiete. Bereits ein Jahr nach dem Verbot der Polygamie, also im Jahre 1891, erließ die Regierung den Immigration Act, in dem unter anderem »polygamists; or persons who admit their belief in the practice of polygamy« von der Einreise nach Amerika ausgeschlossen werden sollten. In dem Gesetz wurden sie damit unter anderem »all idiots, insane persons, paupers or persons likely to become a public charge« gleichgestellt, ebenso solchen »suffering from a loathsome or a dangerous contagious disease« sowie Straftätern und Anarchisten.180 Vor allem indischen Muslimen wurde die Einreise mit dem Vorwurf, sie seien Polygamisten, verwehrt, so z.B. zunächst dem indischen Missionar Muhammad Sadiq, einer der zentralen Figuren der Ahmadiyya-Bewegung im Amerika der 1920er Jahre. Seine Ablehnung durch die Einreisebehörden wies er – erfolgreich – mit der Begründung von sich, er sei nicht nach Amerika gekommen »to teach plurality of wives – if a Moslem will ever preach or practice polygamy in America,
178 | Dannin 2002, S. 222. 179 | Dannin 2002, S. 219. 180 | Zitiert nach: GhaneaBassiri 2010, S. 151.
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he will be committing a sin against his religion.«181 Polygamie, so führte er weiter aus, sei kein göttliches Gebot, sondern nur eine erlaubte Handlung, »and that permission is taken away under the commandment that I must obey the Law of the Ruling Government of the country.«182 Polygamie ist unter den Muslimen Amerikas durchaus umstritten, wie bereits dargestellt wurde, und die Tatsache, dass das Verbot der Polygamie seit rund 120 Jahren Bestand hat, reicht vielen Muslimen, der Frage nach einer möglichen Legalisierung keine Priorität einzuräumen – so gering werden die Erfolgsaussichten und so groß der befürchtete Imageschaden für die muslimische Community Amerikas bewertet. Aber auch diejenigen Muslime, die einst auf eine Koalition von Mormonen und Muslimen gehofft haben, da dies den Wunsch nach Polygamie von der Exotik befreien und ›amerikanisieren‹ würde, sind seit den Skandalen über Kindesmissbrauch und Zwangsheiraten skeptisch. So glaubt Imam Siraj, dass das Beispiel der Mormonen amerikanischen Muslimen im öffentlichen Diskurs eher schade als nütze. Was jedoch weder von Muslimen noch Mormonen explizit diskutiert wird, im Falle einer Legalisierung der Polygamie jedoch relevant werden würde, ist, dass sowohl islamische als auch mormonische Polygamievorstellungen de facto polygyne Konzepte sind, d.h. dass ein Mann das Recht hat, mehrere Ehefrauen zu haben. Polyandrie – mehrere Ehemänner für eine Frau – ist in beiden Religionen nicht vorgesehen. Sollte der Supreme Court eines Tages wirklich, beispielsweise unter Berufung auf die Religionsfreiheit, Polygamie legalisieren, wäre es im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen höchst unwahrscheinlich bzw. verfassungswidrig, dass Polygynie erlaubt würde, Polyandrie jedoch verboten bliebe. Imam Siraj Wahhaj jedenfalls, auf dieses Thema angesprochen, gibt zu, dass eine alleinige Legalisierung der Polygynie rechtlich nur schwer durchzusetzen sein dürfte. Wenn er somit die Wahl hätte, dass entweder Polygamie inklusive Polyandrie legalisiert wird oder oder aber dass sowohl Polygynie als auch Polyandrie gesetzeswidrig bleiben, wäre ihm letzteres lieber. Zu abstrus findet er die Vorstellung, dass eine Frau legal mehrere Männer gleichzeitig heiraten kann.183 Imam Warithuddin Umar empfiehlt übrigens den Islam, um ausufernde Polygamie in Verbindung mit frauenfeindlicher Absicht wie im Falle der Texas-Mormonen zu vermeiden: »They wanna be polygamists, let’em be polygamists. But let’em learn Islam. Tell them that men can have four wives only. Only four wives. And you… You’ll have a lil‹ more freedom, then you was never a rib, you never was a person who got sucking by a snake.«184
181 | Zitiert nach: Turner 1986, S. 142. 182 | Sadiq, Mohammed 1921: »No Polygamy«, in: Moslem Sunrise 1 (1), S. 9. 183 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj in der Masjid at-Taqwa, 20.05.2008. 184 | Freitagspredigt Imam Warithuddin Umar, Masjid at-Taqwa, 18.04.2008.
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Gerade das Thema Polygamie beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung von Muslimen in der amerikanischen Öffentlichkeit negativ wie sonst vielleicht nur das Kopftuch. Polygamie steht dabei für den Rückfall in archaische Rollenmuster der unbegrenzten patriarchalen Dominanz.185 Viele Muslime, vor allem in den Immigrantencommunities, verzichten deshalb darauf, öffentlich für dieses Thema zu werben. Ein Ehemodell, das in den USA so wenig akzeptiert wird, wäre ihrer Meinung nach nur hinderlich bei der daʿ wa, der Mission zum Islam.186 Es gibt jedoch auch Kritik aus den Reihen afroamerikanischer Muslime, die wiederum behaupten, dass eine islamische Interpretation der Geschlechterrollen, die Polygamie erst ermögliche, nichts genuin Afroamerikanisches, sondern gerade von den Einwanderern aus der islamischen Welt in die USA importiert worden sei. Diese Immigranten seien oft viel konservativer als manch ein Muslim, der im Mittleren Osten oder Asien lebe, und ihre Schuld sei es, dass Musliminnen vermehrt mit Gesichtsschleier in die Öffentlichkeit gingen oder die Autorität männlicher Familienmitglieder nicht hinterfragten, sondern dass eben auch die Zahl polygamer Ehen in den USA zunehme. Dabei würden diese Einwanderer nicht erkennen, dass diese Bräuche mehr über die patriarchalen Gesellschaften, aus denen die Einwanderer kämen, denn über den Islam an sich aussagten.187 Afroamerikanische Imame jedoch sehen in der öffentlichen Berichterstattung über polygame Muslime in Amerika – wie zum Beispiel der zweiteiligen Dokumentation auf NPR im Mai 2008 – vor allem einen Ausdruck von Scheinheiligkeit und Doppelmoral von Seiten der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft. Im Gegensatz zu muslimischen Immigranten müssen afroamerikanische Muslime ihre Zugehörigkeit zu oder Integration in die amerikanische Gesellschaft nicht unter Beweis stellen. Als Afroamerikaner sind sie ein Teil Amerikas und kritisieren ›den Westen‹ somit von innen heraus. Der Brooklyner Imam Siraj Wahhaj ist sich beispielsweise sicher, dass der Westen de facto wesentlich polygamer ist, während in der islamischen Welt die Polygamie gar nicht so häufig sei.188 Wie könne es sein, fragt er die Zuhörer seiner Predigt, dass es in einem so liberalen Land wie den USA Männern erlaubt sei, so viele Geliebte zu haben, wie sie wollen, und dass, wie in Kalifornien jüngst geschehen, homosexuelle Ehen sogar legalisiert würden – dass aber ein Mann, der für seine beiden Frauen als Ehemann Verantwortung übernehmen möchte, davon abgehalten werde.189 Ähnlich sieht es Imam Abdul Malik. Während die Monogamie im westlichen Sinne kein Garant
185 | Dannin 2002, S. 197. 186 | Dannin 2002, S. 221. 187 | Vgl. dazu: Leonard 2003, S. 61; Aswad, Barbara C. (Hg.) 1996: Family and Gender Among American Muslims: Issues Facing Middle Eastern Immigrants and Their Descendants, Philadelphia; Simmons 2000, S. 203. 188 | Interview mit Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 31.01.2008. 189 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Tawqa, 20.03.2008.
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für moralisches Handeln sei, werde islamische Polygamie von der Öffentlichkeit per se als unmoralisch diskreditiert: »In America, you can have one wife but you can have escort services. In America, you can have one wife, but you can have special classified secret activity in the White House. In America, you can have one wife, but you can marry another man. (Laughter) In America, you can have one wife, but you can have multiple sex partners under the pretext of sexual freedom. In America, you can go to states where prostitution is legal. So the question becomes: Is that an order for a woman to be a man’s wife and respected and provided for and love and marriage in a relationship that is based upon love for the divine being. Or would a woman being respected and treated as a prostitute who will be paid for her services and disrespected for who she truly is.«190
Imam Siraj geht in seiner Predigt auf den Mitte März 2008 in New York gerade hochaktuellen Fall des Governeurs Eliot Spitzer ein, der sich selbst immer als den Familienwerten verpflichteter Saubermann präsentiert hatte, bis er als regelmäßiger Kunde eines Prostitutiertenrings geoutet wurde. Dies, so Imam Siraj, sei typisch für die selbsternannten Moralhüter der amerikanischen Gesellschaft. Dann erzählt er seinem Publikum, wie er 1988 zu einer Veranstaltung an der University of Louisiana eingeladen worden war, um eine Diskussion mit dem Televangelisten Jimmy Swaggart zu führen. Vor der Show, so Imam Siraj, habe sich Swaggart über die islamische Polygamie lustig gemacht. Er selbst müsse es also gleich richtig treffen, habe Swaggart ihn damals anzüglich angegrinst, da er als Christ ja nur eine Frau haben dürfe. Imam Siraj entrüstet sich in seiner Predigt: »They make mockery of the Muslims, if Muslims have more than one wife, then they make mockery, they make’em look like we are some kind of wicked people because we accept the fact of polygamy. So they laugh.«
Und dann, Jahre später, fährt Imam Siraj fort, sei Jimmy Swaggart schließlich selbst mit einer Prostituierten im Hotel erwischt worden: »Allah exposed him!«
III.2 P rek äre M ännlichkeit : von der V erselbständigung eines S tereot yps In der amerikanischen Öffentlichkeit, vor allem den Medien, aber auch in Literatur, politischen Debatten und selbst in der Wissenschaft existiert ein Bild von schwarzer Maskulinität, in dem sich Eigen- und Fremdzuschreibungen auf mittlerweile nahezu untrennbare Weise miteinander verknüpft haben. Zwei zentrale 190 | Imam Abdul Malik: Women in Islam, auf: www.youtube.com/watch?v=FiYd4b7iNd8 (abgerufen am 14.08.2011).
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Topoi verschränken sich im Diskurs über schwarze Maskulinität, die auf den ersten Blick widersprüchlich scheinen: das Bild vom hypermaskulinen Bad Nigger sowie das vom demaskulinisierten, verweichlichten schwarzen Mann, d.h. die Stereotypen vom bedrohlichen und vom bedrohten schwarzen Mann.
a) The Bad Nigger In den amerikanischen Medien und der weißen Mainstream-Öffentlichkeit findet sich vor allem ersterer Topos, das Bild von der besonderen Bedrohlichkeit schwarzer männlicher Sexualität. Schwarze Männer (»black men as beasts«191) werden nicht nur als überdurchschnittlich potent, sondern auch als gewalttätig dargestellt, beschreibt Hunter die verbreitetsten negativen Stereotype. Sie begehren demnach vor allem weiße Frauen, deren Eroberung ihnen besonderen Lustgewinn verschafft. In den Medien werden ihnen animalische Züge verliehen. Je dunkler die Haut, desto maskuliner und bedrohlicher soll der Mann wirken.192 Vor allem der Mythos vom ›schwarzen Vergewaltiger‹ sei dabei eine dezidiert politische Erfindung gewesen, um Afroamerikaner sozial zu kontrollieren und zu unterdrücken, glaubt Hunter.193 Dass die weiße Mehrheitsgesellschaft je ein Interesse daran hatte, schwarzen Männern den Zugang zum weißen Ideal von Männlichkeit überhaupt zu ermöglichen, und schwarze Männer, aus welchen Gründen auch immer, nur nicht in der Lage gewesen seien, dies zu erreichen, kann bezweifelt werden, wenn man in Betracht zieht, dass jede Bemühung von 191 | Collins, Patricia Hill 2006: »A Telling Difference: Dominance, Strength, and Black Masculinities«, in: Athena D. Mutua (Hg.): Progressive Black Masculinities, New York, S. 75. 192 | Hunter 2005, S. 31; vgl. dazu auch: Gause, Charles P. 2005: »The Ghetto Sophisticates: Performing Black Masculinity, Saving Lost Souls and Serving as Leaders of the New School«, in: Taboo: The Journal of Culture and Education 9 (1), S. 17-31; Ward, Elijah G. 2005: »Homophobia, Hypermasculinity, and the US Black Church«, in: Culture, Health and Sexuality 7 (5), S. 495; Douglas, Kelly Brown 1999: Sexuality and the Black Church: A Womanist Perspective, Maryknoll. Dies hat sich beispielsweise im Fall O.J. Simpson gezeigt: der afroamerikanische Football-Star war beschuldigt worden, seine (weiße) Exfrau und deren Liebhaber ermordet zu haben. Als das Time Magazine (27. Juni 1994) ein Porträtfoto Simpsons auf dem Cover druckte, ging ein Aufschrei durch die v.a. afroamerikanische Öffentlichkeit. Im Gegensatz zum Magazin Newsweek war das Foto auf dem TimeCover nachträglich retuschiert worden, so dass die Haut Simpsons wesentlich schwärzer erschien, als sie es real ist. Die Kritiker bemängelten, dass die Modifizierung des Fotos mit dem Stereotyp des bedrohlichen, gefährlichen schwarzen Mannes spielen würde und somit rassistisch sei. Die Redaktion hat sich im Nachhinein für die Retusche entschuldigt. Vgl hierzu: www.museumofhoaxes.com/hoax/photo_database/image/darkened_mug_shot/ (abgerufen am 06.12.2010) sowie Hunt, Darnell/Ana-Christina Ramón (Hg.) 2010: Black Los Angeles: American Dreams and Racial Realities, New York. 193 | Hunter 2005, S. 32.
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Seiten schwarzer Männer in diese Richtung von der Mehrheitsgesellschaft geahndet wurde: »Those scholars, who pinpoint the black male dilemma as deriving basically from the gap existing between the ideal male gender role for the overall American society and the actual ability of black males to realize it, miss the mark. Throughout American history, black males were not, in fact, expected to be able to fulfill the ideal male gender role. Indeed, it was made abundantly clear that severe repercussions would follow if they made serious and persistent efforts to do so. Exercising power, at the economic, political, social, and cultural level, was not only not expected it was fervently opposed. Indeed, this was the source for innumerable violent conflicts, notably lynching, program-like invasions of the African American communities, and lesser forms of repression.«194
Zu diesen »geringeren Formen der Unterdrückung« zählten beispielsweise eugenisch motivierte Sterilisationskampagnen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von staatlicher Seite in der black community durchgeführt wurden. Die Sterilisationsrate unter afroamerikanischen Männern war z.B. in North Carolina in den 1940er Jahren zweieinhalb Mal so hoch wie die weißer Männer.195 Aber auch schwarze Frauen wurden im großen Stil sterilisiert. Vor allem alleinerziehende Mütter sollten so von weiterer Fortpflanzung abgehalten werden.196 Einige schwarze Männer reagieren auf diese Fremdzuschreibung vom bedrohlichen schwarzen Mann bewusst mit einer Figur, die der afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin als the bad nigger beschrieben hat. »The bad nigger«, so Baldwin, sei derjenige »who stages his racial and masculine performance to upset white folks.«197 Dazu darf man zum Beispiel den Machismo zählen, den schwarze Gangsta Rapper in ihren Videos pflegen, wenn sie Frauen verbal und visuell erniedrigen, sie als ›bitches‹ und ›ho’s‹ bezeichnen. Sexuelle Exzesse werden dargestellt, die in scharfem Kontrast zur Unterdrückung sexueller Bilder in der puritanischen Mainstream-Kultur der USA stehen, in der teilweise strenge Zensur geübt wird.198 Für viele schwarze Männer – und Frauen! – hat das Konzept des Bad Niggers jedoch allein schon deshalb eine positive Dimension, weil darin die bewusste Provokation der anderen Seite, d.h. der weißen Mehrheitsgesellschaft, angestrebt und somit eine Fremdzuschreibung vermeintlich angeeignet
194 | Gause, Charles P. 2005, S. 21. 195 | Ordover 2003, S. 163. 196 | Ordover 2003, S. 164f. 197 | Baldwin, James 1985: »Alas, Poor Richard«, in: Ders.: The Price of the Ticket: Collected Non-Fiction 1948-1985, Saint Martins, S. 183. 198 | Dyson 1993, S. 279; bei Zensur denke man nur an den »Nipplegate« genannten Skandal um Janet Jackson und Justin Timberlake während deren Auftritt beim Super BowlFinale 2004.
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und positiv belegt wird. Wenn die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Daryl Dance schreibt, »[The fact] that the term Bad Nigger from its beginning had positive connotations to certain Black people and negative connotations to white people suggests its early meaning as a Black man who fought against the system«199,
wenn ferner LaMonda Horton Stallings, ebenfalls afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin, analysiert, »that the heterosexual trope of the Bad Nigga exists because critics tie it to a heroic tradition of Black males defeating the white power structure« 200,
dann wird deutlich, dass der afroamerikanische Mann nur auf den ersten Blick wirkliche Handlungsfähigkeit, agency, besitzt – da die Aktion tatsächlich nur Re-aktion innerhalb des von weißen vorgegebenen Handlungsspielraums ist, nämlich dem system, der white power structure. Stallings weist denn auch auf die Ambivalenz im Männlichkeitskonzept des Bad Nigger hin, dessen Hypermaskulinität kein Ausdruck von wirklicher Stärke sei, sondern eigentlich zeige, wie sehr sich schwarze Männer getrieben fühlten, schwarze Maskulinität innerhalb eines strukturell rassistischen Referenzrahmens zu definieren: »In addition to violent actions taken by this character, his hypermasculinity is consistently evident. The super prowess of the Black male in Bad Man/Nigga tales consistently seeks to move beyond the subordinated male identity that might come with racial oppression, which is still highly contradictory.« 201 199 | Dance, Daryl 1987: Shuckin‹ and Jivin‹: Folklore from Contemporary Black Americans, Bloomington, S. 224. 200 | Stallings, LaMonda Horton 2007: Mutha‹ is Half a Word: Intersections of Folklore, Vernacular, Myth, and Queerness in Black Female Culture, Columbus, S. 166. 201 | Stallings 2007, S. 166; zum Konzept der Hypermaskulinität siehe Ward 2005, S. 496: »Hypermasculinity, an exaggeration and distortion of traditionally masculine traits, has been studied by psychologists since the 1920s (Glass 1984). Mosher and Sirkin (1984) have viewed, for example, hypermasculinity, or machismo, as a trait associated with the assertion of power and dominance often through physically and sexually aggressive behaviours. Benson (2001) has argued that hypermasculinity is a value system extolling male physical strength, aggression, violence, competition and dominance that despises the dearth of these characteristics as weak and feminine. Hypermasculine symbols and characters suffuse many arenas of US life, including sports (Burstyn 1999), big business (West 1994, S. 10), television (Scharrer 2001), the military and foreign policy (Ehrenreich 2002). Indeed, the normative construction of masculinity in US society is heavily influenced by hypermasculine symbols and ideals.«
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Und das Konzept habe einen Preis, der innerhalb der black community bezahlt werden muss, so Daryl Dance, und zwar vor allem von afroamerikanischen Frauen. Denn Bad Niggers seien »sexual supermen, but their women are enemies to be conquered, humiliated, and controlled rather than loved.«202
b) Der demaskulinisierte schwarze Mann und der Mythos vom Negro matriarchate Neben diesem Bild von der ungezügelten sexuellen Potenz schwarzer Männer existiert ein zweiter Topos, der für den Diskurs afroamerikanischer Muslime zunächst ungleich relevanter zu sein scheint, weil auf ihn innerhalb der black community insgesamt stärker rekurriert wird. Doch verschränkt sich der zweite Topos bei genauerer Analyse mit dem ersten, dem des Bad Niggers, weil dieser eine von mehreren möglichen Reaktionen auf den zweiten ist, wie im folgenden deutlich wird. Nach dem zweiten Topos ist die Maskulinität schwarzer Männer akut bedroht, weil Männer die ihnen ›natürlicherweise‹ zustehende Rolle als Oberhaupt in Familie und Gesellschaft nicht wahrnehmen können, sei es aufgrund von rassistischen Strukturen oder eigener, individueller Unzulänglichkeit. In der Folge hätten Frauen die Macht in der schwarzen Community übernommen, was wiederum zu einer weiteren Schwächung schwarzer Maskulinität führe. Hier wird die Verschränkung mit dem ersten Diskurs bereits deutlich – sind die Frauen zu stark, fühlen sich die Männer zu schwach. Und überreagieren möglicherweise, indem sie zumindest Elemente aus dem Bad Nigger-Konzept annehmen, um ihre gefühlte Demaskulinisierung mit hypermaskulinem Gebaren zu kompensieren, das den Mann unter anderem dadurch erheben soll, dass die Frauen der eigenen Community geschwächt (in der Hip Hop-Sprache: ›gedisst‹) werden. Die strukturelle Misogynie des zweiten Topos wird daran deutlich, dass zwar rassistische Strukturen und/oder eigene, individuelle Unzulänglichkeit als mögliche Gründe für die empfundene Misere genannt werden, doch außerdem angenommen wird, dass, wenn an einer entscheidenden Schraube – nämlich der ›unnatürlichen‹ Macht schwarzer Frauen in der black community – gedreht werde, Männer wieder ihre ›natürliche‹ Rolle einnehmen könnten, was die gesamte Gruppe aufwerten würde. Dass diesem Grundgedanken eine Internalisierung weißer, hegemonialer Definitionen von ›natürlicher‹ Sexualität und Männlichkeit innewohnt, zeigt die Entwicklung der Debatte um das angebliche Negro matriarchate. In einer Verknüpfung essentialistischer Rassekategorien mit ebenfalls essentialistischen Geschlechtszuschreibungen beschrieb bereits 1965 ein afroamerikanischer Soziologe namens Daniel P. Moynihan ein Phänomen, das hier als ›Mythos vom Negro matriarchate‹ benannt werden soll. Den Terminus Negro matriarchate hatte erstmals der afroamerikanische Soziologe Franklin E. Frazier in seiner 1939 verfassten Studie »The Negro Family in the United States« ver202 | Dance 1987, S. 225.
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wendet.203 Moynihan vertrat folgende These: Weil schwarze Männer während der Sklaverei keine Verantwortung für ihre Familien hatten übernehmen können, wurden in schwarzen Familien die Rollen von Mann und Frau umgekehrt, so dass die Frau den stärkeren, verantwortlichen Part erfüllte. Nach Moynihan resultierte daraus eine pathologische Situation, die die Schwarzen insgesamt zur Unterlegenheit verdammte, da dies von den in Amerika dominanten Mustern männlichweiblicher Interaktion abgewichen sei.204 Auffälligerweise wird auch hier – wie schon bei der Definition ›angemessener Sexualmoral‹ – die Legitimität bzw. Delegitimierung einer bestimmten Norm daran gemessen, inwiefern sie sich in das Wertesystem der weißen Mehrheitsgesellschaft fügt. Der Maßstab ist demzufolge die Gruppe, die überhaupt erst für die Pathologie der eigenen Community verantwortlich sei, eine Pathologie, die das Ergebnis von Sklaverei, Rassentrennung und bis heute rassistischen Strukturen darstelle. Und wie bei der Definition von angemessener Sexualmoral wird auch hier die Gefahr von weiblicher Macht beschworen, die Männern ihre ›natürliche‹ Führungsrolle strittig macht und damit alle ins Verderben zöge. Bis heute besteht in der afroamerikanischen Community der Mythos von der übermächtigen und oversexed black Jezebel, so Jenkins, »to create a hegemonic narrative of black sexual and familial pathology that shows no sign of dissipating in the twenty-first century.«205 Frauen werde dabei eine zerstörerische Macht zugeschrieben, denn »while many of the forces of racism, poverty, and violence can be overcome, black women – with their siren lure and raging fertility – trick men into marriage, hold their children hostage, vacuum them penniless, and mobilize a savage white legal system to incarcerate them.« 206
Genau hier setzt die Kritik der schwarzen Feministin Patricia Hill Collins an. Sie verwendet für das Phänomen, das Frazier mit Negro matriarchate umschrieben hatte, den Terminus strong women – weak men thesis. Ihrer Meinung nach ist der Diskurs zu Sexualität und Geschlechterrollen in der black community selbstzerstörerisch. Allein die Vorstellung, dass Männer stärker als Frauen sein sollten, zeige auf afroamerikanischer Seite eine Internalisierung weißer, hegemonialer Vorstellungen von ›richtiger‹, ›natürlicher‹ Geschlechterordnung:
203 | Frazier, E. Franklin 1939: The Negro Family in the United States, Chicago, S. 102. 204 | Jenkins 2007, S. 9f. 205 | Jenkins 2007, S. 10. 206 | Jardine, Gail 1996: »Review: To Be Black, Male, and Conscious: Race, Rage, and Manhood in America«, in: American Quarterly 48 (2), S. 390.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »Ideas about white racial normality and black racial deviancy draw heavily on ideas about gender and sexuality. Specifically, sex roles among whites – which embrace ideas of strong men and weak women – allegedly constitute normal and ideal gender practices.« 207
Das Problem hierbei ist, dass im gleichen Moment, in dem sich afroamerikanische Männer als Opfer sehen, afroamerikanische Frauen zu Täterinnen erklärt werden – was sie in der Konsequenz wieder zu Opfern macht, denn der Versuch schwarzer Männer, die eigene, verloren geglaubte Männlichkeit wiederherzustellen, erfolge auf Kosten der ›zu starken‹ schwarzen Frauen, so Collins: »In essence, this framework creates images of African American men as victims, not of racism and class exploitation but at the hand of their mothers, sexual partners, and other black women in their lives. To the extent that black men internalize this myth, black women within their own communities become the enemy, and black men are encouraged to adopt strategies that seek dominion over black women instead of attacking the race and class structures that subordinate them.« 208
Nach dieser Logik muss erst die Frau sich zurücknehmen (oder aktiv geschwächt werden), bevor der Mann an Stärke hinzugewinnen kann. Und die Stärke bedeutet hier vor allem die Kontrolle der Frauen durch die Männer: »Men placed in situations where they become too closely aligned with women or, worse yet, seem to be dominated by women suffer a loss of manhood. Such men are viewed as being emasculated or pussy whipped. The weak-men thesis of black-gender ideology clearly reflects the perception that African American men’s seeming failure to control their women is a sign of weakness.« 209
Die von Collins angeführten Herrschaftsstrategien, die strategies of dominion, sind vielfältig. Der Bad Nigger ist sicher eine davon, d.h. Hypermaskulinität als Kompensation für empfundene Minderwertigkeit. Doch kann Herrschaft auch subtiler ausgeübt werden, indem man die wünschenswerte, als ideal erachtete Rollenverteilung – stärkere Männer, schwächere Frauen – transzendent legitimiert, z.B. über eine ›natürliche, göttliche Schöpfungsordnung‹, und damit dem rationalen Zugriff zumindest insofern entzieht, als dass jede Kritik daran sich innerhalb des vorgegebenen religiösen Referenzrahmens bewegen muss, um als legitim anerkannt zu werden. Eben dies geschieht innerhalb der afroamerikanisch-muslimischen Community, in der es einen Mehrheitsdiskurs zu ›natürlicher‹ Sexualität und Geschlechterrollen gibt, der sich in der Problemwahrnehmung mit dem der nicht207 | Collins 2006, S. 73. 208 | Collins 2006, S. 74. 209 | Collins 2006, S. 82.
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muslimischen black community deckt. Auch afroamerikanische Muslime und Musliminnen empfinden es mehrheitlich als problematisch, dass schwarze Männer und Frauen nicht mehr ihre ›natürliche‹ Rolle in der Gesellschaft einnehmen können, was vor allem an der Schwäche afroamerikanischer Männer liege, die den Frauen unterlegen seien. Auch afroamerikanische Muslime und Musliminnen glauben in der Mehrheit, dass der Versuch, die ›natürliche‹ Geschlechterordnung zu reetablieren, vor allem von zwei Seiten torpediert werde: nämlichen schwarzen Frauen, die ihre ›unnatürliche‹ Macht nicht abgeben wollten/könnten, sowie – und das vor allem – schwarzen Männern, die unfähig seien, sich so zu verhalten, dass sie die ihnen eigentlich zustehende ›natürliche‹ Macht ausüben können. Exemplarisch hierfür ist eine Aussage Louis Farrakhans, der die innerhalb der afroamerikanisch-muslimischen Community dominante Meinung vertritt, wenn er behauptet, dass Männer ›eigentlich‹ über den Frauen stünden, diese Rolle aber momentan nicht erfüllen (könnten), was sie daran merken würden, dass die Frauen sie nicht respektierten: »Allah says in the Qur’an that men are a degree above women. Now, that may hurt feminists. I don’t want to hurt your feelings. We’re not a degree above you in your condition now, we’re several degrees below you. But in the nature in which God created you, brother, he created you a degree above the woman. Otherwise the woman would not be able to look up to you. Anytime you have a woman who does not look up to you, brother, you’re in trouble.« 210
Afroamerikanische Muslime wie Louis Farrakhan verbinden die Überzeugung von der prekären Stellung afroamerikanischer Maskulinität mit einem spezifisch islamisch legitimierten Lösungsmuster, das über eine Restaurierung ›natürlicher‹ (d.h. gottgewollter) Geschlechterrollen schwarzen Männern wieder ihre ›eigentliche‹ Stellung in Familie und Gesellschaft zuweisen möchte. Über diese Restaurierung soll die Lage der black community insgesamt stabilisiert werden, wie im folgenden deutlich wird. Dem Lösungsmuster, das Louis Farrakhan favorisiert, liegt offensichtlich ein explosiver Gedanke zugrunde. Wie auch bei der Debatte um Sexualmoral wird davon ausgegangen, dass über eine Änderung des individuellen Verhaltens eine Verbesserung der Lage der gesamten Gruppe erreicht werden könne. Damit wird jedoch die Behauptung, die Ursache für die soziale Schieflage in der black community sei struktureller, institutionalisierter Rassismus, hinfällig. Stattdessen wird die Schuldfrage in die black community hineinverlegt. Wie viele weiße Konservative argumentieren die afroamerikanischen Vertreter dieses Lösungsmusters, zu denen Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen zählen, dass man sich selbst helfen müsse, statt Hilfe von außen, also beispielsweise von Seiten des Staates in Form von Arbeitsplatzschaffung oder Sozialprogrammen, zu erwarten. 210 | Farrakhan, Louis 1996: The Sacredness of the Female, zitiert nach: Kelleter 2000, S. 50.
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Im folgenden soll beschrieben werden, auf welch vielfältige Weise der Diskurs afroamerikanischer Muslime zu schwarzer Maskulinität mit demjenigen in der black community insgesamt verknüpft ist und wie sehr der Islam dahingehend interpretiert wird, religiös legitimierte Lösungsstrategien für eine empfundene spezifische Problemlage innerhalb der black community zu entwickeln. Dass dieser Diskurs von muslimischen Männern und Frauen gleichermaßen getragen wird und es sowohl starke Befürworter einer patriarchalen Interpretation als auch Kritiker eben dieser Rollenmuster bei beiden Geschlechtern gibt, zeigt sich dabei deutlich. Anhand des Diskurses zur Rolle des Vaters und Ehemanns in der afroamerikanischen Familie soll gezeigt werden, wie von afroamerikanischen Muslimen der Topos des Negro matriachate aufgegriffen und versucht wird, eine Herrschaftsstrategie, eine strategy of dominion, für schwarze Männer zu entwickeln, die nicht dem von der weißen Mehrheitsgesellschaft erwarteten Bild des Bad Nigger entspricht, jedoch gleichwohl auf hegemoniale Rollenmuster in eben jener weißen Mehrheitsgesellschaft rekurriert. Islamisch etikettierte Konzepte von Männern als Beschützern bzw. Kontrolleuren weiblicher Sexualität verbinden sich dabei mit einer Idealisierung von Vaterschaft, die ihrerseits wieder auf einer bestimmten Konzeption von idealer Mutterschaft basiert. Die Propagierung eines idealen patriarchalen Rollenmusters, sei es islamisch legitimiert oder nicht, hat für die black community jedoch soziale Konsequenzen, die weit über Ehe und Familie hinausgehen. Allein die Annahme, dass Selbsthilfe jeder staatlichen Intervention vorzuziehen sei, ferner der Glaube, dass man über eine Neudefinierung der Geschlechterrollen innerhalb der Gruppe Probleme lösen könne, deren Ursachen zu einem großen Teil außerhalb der Kontrolle eben jener Gruppe liegen und unter Umständen nur sekundär mit Geschlechterrollen zu tun haben, sondern die tatsächlich vor allem auf strukturellen Rassismus im Bildungs- oder Justizwesen zurückzuführen sind: all dies wirkt sich auf das soziale Zusammenleben in der gesamten black community aus. Daher wird im Anschluss an die Darstellung des Diskurses zu Familienstrukturen unter schwarzen Muslimen und Nichtmuslimen beschrieben, auf welch weiteren Feldern sich eine Essentialisierung von Geschlechterrollen vor allem im Hinblick auf eine empfundene Entwertung schwarzer Maskulinität auswirkt. Es wird gezeigt, wie Hypermaskulinität sich mit Homophobie und Misogynie auf teils fatale Weise verbindet und sich auf den exemplarisch gewählten Feldern Bildung, Gefängniswesen sowie Street Culture/Hip Hop in einer Weise niederschlägt, die reale soziale Konsequenzen für die gesamte black community hat. Diese drei Felder sind für das Leben vor allem männlicher Afroamerikaner von besonderer Relevanz/Brisanz, zumal für die sozialen Schichten, die sich bevorzugt dem Islam zuwenden. Sekundär beeinflussen sie aber natürlich damit auch das Leben von schwarzen Frauen und somit der gesamten black community. Vor diesem Hintergrund soll die Rolle, welche der Islam in diesem Geflecht aus Eigen- und Fremdzuschreibungen, Idealisierungen und Stilisierungen einnimmt, herausgearbeitet werden, also die Frage, in welchen Bereichen Islam als
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Referenzrahmen für Afroamerikaner eher bestärkend bzw. abschwächend wirkt, wenn es um die Frage geht, inwieweit eine bestehende soziale Lage als gegeben angenommen wird und man sich innerhalb dieses Systems möglichst gut anpassen möchte (d.h. palliativ) bzw. inwiefern man bestrebt ist, dieses System existentiell herauszufordern oder gar zu delegitimieren (d.h. revolutionär).
c) The Promise of Protection: der Mann als Beschützer und Kontrolleur Festzustellen, dass afroamerikanische Männer sich afroamerikanischen Frauen unterlegen fühlen, ist die eine Sache. Wie bereits angesprochen, gibt es in der black community einen breiten Diskurs zur Geschlechterthematik, wo unter Stichwörtern wie Negro matriarchate oder strong women-weak men thesis problematisiert wird, dass die empfundene Schwäche afroamerikanischer Männer meist einhergeht mit dem Vorwurf, dass schwarze Frauen zu stark seien. Die Erstarkung der Männer, und das ist die andere Sache, müsse demnach mit einer gleichzeitigen Schwächung der Frauen einhergehen bzw. sei überhaupt nur so möglich. Frauen werden damit zu Täterinnen stilisiert, die Mitschuld haben an einer Lage in der black community, unter der sie als Frauen jedoch ebenso leiden wie die Männer: hohe Arbeitslosigkeit und hohe Inhaftierungsraten v.a. unter schwarzen Männern, eine geringe Heiratsquote in der black community, eine große Zahl alleinerziehender Mütter, abwesende Väter und Ehemänner. Afroamerikanische Muslime glauben ebenso wie nichtmuslimische Afroamerikaner in ihrer Mehrheit daran, dass eine binäre Geschlechterordnung mit klar verteilten Rollen der Ausweg aus der sozialen Misere wäre, in der sich die black community heute befindet. Doch gibt es einen relativ kritischen – wenn auch patriarchal konnotierten – Diskurs dazu, worin die Ursache für die Misere liegt. Als Muslime glauben sie, dass jedes Abweichen von einer göttlichen Schöpfungsordnung negative Konsequenzen für die Gesellschaft habe. Doch wird von afroamerikanischen Muslimen viel stärker als von afroamerikanischen Nichtmuslimen betont, dass vor allem die Männer an sich arbeiten müssen, weil vor allem sie ihre eigentliche Rolle nicht einnehmen, indem sie sich nur ungenügend um die Frauen und Kinder kümmern, sie nicht versorgen und beschützen. Die patriarchale Konnotation ist offensichtlich, geht es doch darum, dass Männer wieder zu Familienoberhäuptern werden, als sei dies ihre natürliche Bestimmung. Trotz allem wird unter afroamerikanischen Männern, die Muslime sind, weniger über die zu starken Frauen diskutiert – wie es z.B. im Diskurs zum Negro matriarchate der Fall ist – sondern über die zu schwachen Männer, die vor allem selbst schuld an ihrer Lage sind und nicht etwa von weiblichen Täterinnen erst zu männlichen Opfern gemacht worden seien. Stattdessen wird betont, dass die Frauen erst in der Folge von männlicher Schwäche Stärke zeigen mussten, die eigentlich nicht ihrer Weiblichkeit entspreche und unter der sie litten. Laut Louis Farrakhan sehnen sich Frauen eigentlich danach, diese Bürde, selbst stark und verantwortlich für ihr eigenes Leben sein zu müssen, wieder abgeben zu dürfen:
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »The nature of the female demands from the male that she be made safe from fear, harm, or danger. This does not only mean physical protection, but the mental security of knowing that the bills are paid, the children are being cared for, and that basic needs are being met, spiritually, and morally as well. This makes her secure, and whether she speaks this from her mouth or not is irrelevant because her nature demands this from the man.« 211
Zentral an der Aussage Farrakhans ist, dass ›Stärke‹ nicht nur – aber auch – mit physischer Kraft gleichgesetzt wird, sondern im übertragenen Sinne ebenso mit der Fähigkeit, im allumfassenden Sinne Ernährer und Familienoberhaupt sein zu können. Gleichwohl soll es hier zunächst einmal um die Frage physischer Überlegenheit gehen, womit sich vor allem Malcolm X bei der Entwicklung seines Konzepts Promise of Protection intensiv beschäftigt hat. Auf Stärke im übertragenen Sinn, d.h. die Rolle schwarzer Männer als Familienoberhäupter, wird im Anschluss eingegangen. Wie müsste eine ›natürliche‹, göttliche Geschlechterordnung aussehen, damit Frauen wieder einen Grund haben, Männer zu respektieren, zu ihnen aufzusehen und sich ihnen unterzuordnen, fragt Malcolm X in seiner Autobiographie. Er kommt zu folgendem Schluss: Erst wenn Männer in der Lage sind, Frauen zu beschützen, erfüllen sie die Rolle, die die Schöpfung für sie vorsieht. Sein Bild der Geschlechterrollen ist dabei essentialistisch und statisch, wenn er schreibt: »All women by their nature are fragile and weak: they are attracted to the male in whom they see strength.«212 Auffällig ist, dass Malcolm X ebenso wie Farrakhan davon überzeugt ist, dass sich auch Frauen starke Männer wünschen und eine Reetablierung der ›natürlichen‹ Ordnung damit nicht nur dem Wunsch von Männern, sondern auch dem der Frauen entspräche. Wie Farrakhan glaubt er, dass Frauen nur Männer respektieren wollen und können, die stärker als sie selbst sind: »Islam has very strict laws and teachings about women, the core of them being that the true nature of man is to be strong, and a woman’s true nature is to be weak, and while a man must at all times respect his woman, at the same time he needs to understand that he must control her if he expects to get her respect.« 213
Dass dieses Promise of Protection durchaus auf Stärke im physischen Sinne rekurrierte, ergibt sich aus dem Kontext, in dem einerseits Malcolm X dieses Schutzversprechen für Männer argumentativ verortete und in dem andererseits afro211 | Farrakhan in seiner Rede »The Sickness of Envy« an der Muhammad University (Chicago) am 07.03.1990, zitiert nach: Gardell 1996, S. 282. 212 | Griffin, Farah Jasmine 2001: »›Ironies of the Saint‹: Malcolm X, Black Women, and the Price of Protection«, in: Bettye Collier-Thomas/V.P. Franklin: Sisters in the Struggle: Afric an American Women in the Civil Rights-Black Power Movement 2001, New York, S. 218. 213 | Griffin 2001, S. 218; X 1965, S. 226.
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amerikanische Frauen dieses Versprechen verstanden und bis heute verstehen. Um nachvollziehen zu können, weshalb solch ein patriarchales Männer- und Frauenbild auch auf Frauen eine starke Anziehungskraft ausübt, muss man sich vergegenwärtigen, wie schutzlos schwarze Frauen nicht nur schwarzen, sondern vor allem weißen Männern historisch ausgeliefert waren, und welche Aufwertung viele Afroamerikanerinnen dadurch empfanden, dass sie – trotz ihrer Hautfarbe – plötzlich etwas ›Schützenswertes‹, Kostbares sein sollten. Es entspricht historischen Tatsachen, dass diese Rolle des Beschützers schwarzen Männern in Amerika vorenthalten worden ist und dass schwarze Frauen als nicht schützenswert gesehen wurden.214 Zu viele Berichte gibt es hinsichtlich der Übergriffe auf schwarze Frauen durch weiße Männer, gerade in den Südstaaten zur Zeit der Sklaverei und der Jim Crow-Ära (1876-1964), aber auch weit darüber hinaus. Das Promise of Protection, das Malcolm schwarzen Frauen in den 1960er Jahren gab, stellte insofern eine Reinheitsgarantie dar, die bisher weißen Frauen vorbehalten gewesen war, nämlich vor Männern ›anderer Rassen‹ – hier vor allem auf weiße Männer bezogen – durch die Männer der ›eigenen Rasse‹ beschützt zu werden. Auch Louis Farrakhan drückt den Reinheitsgedanken aus, der in diesem Schutzversprechen enthalten ist, wenn er schwarze Männer auffordert, dafür zu sorgen, dass keiner ihre Frauen »kontaminiert«. Für diese Aufgabe müsse ein Mann bereit sein, sein Leben zu geben, so Farrakhan.215 Der frühere NOI-Vorsitzende Elijah Muhammad war überzeugt, dass Schwarze erst dann von Weißen respektiert würden, wenn sie ›ihre‹ Frauen schützen können (und den Respekt der Weißen zu erlangen, ist nach dieser Äußerung Muhammads offensichtlich ein erstrebenswertes Ziel): »Until we learn to love and protect our woman, we will never be a fit and recognized people on earth. The white people here among you will never recognize you until you protect your woman.« 216
Die eben zitierten Äußerungen machen deutlich, dass es bei dem Schutzversprechen nicht nur um die symbolische Aufwertung schwarzer Frauen, sondern – vielleicht sogar primär – um die Aufwertung schwarzer Männer geht: Ein Mann ist erst ein richtiger Mann, wenn er seine Frau vor anderen Männern schützen kann. Die Frau ist in dieser Gleichung nur noch Objekt eines Maskulinitätswettstreits. Gleichwohl fühlten (und fühlen) sich viele afroamerikanische Frauen von dem Versprechen patriarchalen Schutzes, das Malcolm X offerierte, angezogen. Gerade sie, die so lange außerhalb dieser traditionellen Ordnung gestanden hatten, erhofften sich eine Verbesserung ihrer sozialen Lage: 214 | Griffin 2001, S. 217. 215 | Farrakhan, Louis 1996: The Sacredness of the Female, zitiert nach: Kelleter 2000, S. 49. 216 | Nachdruck im Final Call vom 20. Juli 1994, S. 18.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats »Consequently, the promise of patriarchal protection was certainly much better than the methodical abuse suffered by black women throughout much of their history in the New World. […] Most black women accepted traditional notions of patriarchy from black men because they viewed the Afro-Christian tradition of woman as mother and wife as personally desirable and politically necessary for black people’s survival.« 217
Problematisch ist an diesem Denkmuster aber nicht nur, dass Maskulinität damit archaisch-patriarchal durch die Fähigkeit definiert wird, die ›eigenen Frauen‹ zu schützen, sondern dass dieser Schutz de facto eine Kontrolle weiblicher Sexualität durch Männer bedeutete. Im Namen von Schutz und Rassenreinheit hatten seinerzeit auch weiße Männer vor allem in den amerikanischen Südstaaten weiße Frauen unterdrückt sowie schwarze Männer misshandelt 218, und auch schwarze Frauen zahlten für das Schutzversprechen von Malcolm X einen hohen Preis: »Furthermore, the pure and protected black woman of his vision was also obligated to obey her protector – the black man. The exchange is as follows: The woman gets protection; the man acquires a possession.« 219
Nur wenige gehen dabei so weit wie Farrakhan, der das Verhältnis von Mann und Frau in das von Gott – Gläubige übersetzt und dem Mann dabei einen übermenschlichen Status zuspricht, dessen Allmacht die Frau als Gläubige damit gar nicht mehr in Frage stellen könne und dürfe, da er sich, so transzendiert, jeder Kritik entzöge: »God says: Thy Lord, Thy God, is a jealous God. I don’t want you to have another God besides me. That’s what a man is when he loves a woman. He doesn’t want that woman looking at nobody.« 220
Doch auch im ›klassischen‹ Promise of Protection werden die Frauen dabei zu von ihren Beschützern abhängigen Opfern gemacht, über die der Mann unhinterfragbaren Willen und Autorität besitzt: »It places the woman in the hands of her protector – who may protect her, but who also may decide to further victimize her. In either case her well-being is entirely dependent on his will and authority.« 221
217 | Griffin 2001, S. 216. 218 | Griffin 2001, S. 216. 219 | Griffin 2001, S. 216. 220 | Farrakhan in seiner Rede »The Sickness of Envy« in der Muhammad University (Chicago) am 07.03.1990, zitiert nach: Gardell 1996, S. 282. 221 | Griffin 2001, S. 217.
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Die Frauen opfern sich also dafür, damit Männer ihre verloren geglaubte Maskulinität durch die Wiedergewinnung von Kontrolle über die Frauen der Community rekonstruieren können. Wollen sie dies nicht tun, sind sie Verräterinnen an der black community insgesamt und insgeheim Komplizinnen der ›Anderen‹, d.h. der Weißen. Patricia Hill Collins weist darauf hin, dass afroamerikanische Feministinnen, die genau diesen Sexismus innerhalb der black community zur Debatte stellten und sich von schwarzen Männern einen Dialog über die Zukunft der Geschlechterrollen wünschten, von den Männern bereits in den 1980er Jahren nur ein »resounding no«222 bekamen – und sofort der heimtückischen Kollaboration mit den Weißen beschuldigt wurden: »When African American women pointed out the black male privileges gained under sexism, black men accused them of colluding with the white supremacist emasculation of black males.« 223
Collins weist auf die fatalen Folgen hin, die aus einem konsequenten Weiterdenken dieses Konzepts entstehen können – nämlich dann, wenn Frauen (körperlich) von Männern für ihre vermeintliche Stärke bestraft werden und ihnen dann auch noch die Schuld dafür gegeben wird: »Abusive men routinely blame their partners for their own violent behavior – if she had been more of a woman (i.e., submissive), she would have let him be more of a man (i.e., strength as domination).« 224
Genau gegen diese Logik wendet sich unter afroamerikanischen Muslimen nicht nur Louis Farrakhan, wenn er, so strukturell patriarchal die Prämisse der Forderung auch sein mag, von den Männern verlangt, zunächst an sich selbst zu arbeiten, um dann nach erfolgreicher Selbstreflektion und Selbstdisziplinierung die Früchte dieser Arbeit zu ernten, indem man von den Frauen wieder respektiert wird. Auch Imam Siraj Wahhaj von der Brooklyner Masjid at-Taqwa sieht die mögliche Gefahr, wenn Männer sich zwar auf ihre Männlichkeit zurückbesinnen, dies jedoch in reinem Machogehabe ende, wovon die Frauen seiner Meinung nach letztendlich noch weniger hätten, als wenn die Männer in ihrem Leben einfach abwesend seien. Dies sei nicht islamisch, auch wenn viele Männer dieses Verhalten islamisch rechtfertigen würden. Islam bedeutet für Imam Siraj jedoch, den Frauen ein veritabler Partner zu sein, sie zu lieben, zu ehren und zu versorgen, statt sie zu demütigen, auszubeuten oder gar zu misshandeln. In einer Freitags222 | Collins 2006, S. 77. 223 | Collins 2006, S. 77. 224 | Collins 2006, S. 82; ausführlicher zu körperlicher Gewalt in der Ehe siehe Kap. III.1 c) »Blitzheiraten oder Halal Dating«.
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predigt 225 stellt er gezielt an die Männer in der Moschee die Frage: »Brothers, are your wives your sisters in Islam?« Brüderlichkeit bedeute nämlich im Islam, dass Ehefrauen mindestens die gleichen Rechte wie andere Muslime haben: »In fact, we would argue that they even have more rights.« Mit wütender Stimme beschwert sich Imam Siraj anschließend über die Scheinheiligkeit der Männer, die hier vor ihm säßen. Einigen von ihnen könne er mit der Faust ins Gesicht schlagen, so sehr hasse er das, was sie vermutlich tun werden, sobald sie aus der Moschee kommen, brüllt er ins Mikrophon. Er als Imam bekomme natürlich nicht alles mit, was hinter verschlossenen Türen zwischen den Eheleuten geschehe, deshalb seien seine Möglichkeiten zur Intervention auch begrenzt. Vor ihm spielten die Männer vielleicht den guten Muslim. Aber wenn sie dann allein zuhause seien mit ihren ›kleinen Ehefrauen‹ (›little wives‹), dann würden sie ihre Macht über die Frauen ausnutzen, das wisse er von vielen. Natürlich, so Imam Siraj, sieht Allah das alles, vor ihm müssten die Männer sich am Tag der Auferstehung verantworten. Aber sie lediglich auf den letzten aller Tage zu vertrösten, wenn eine Frau sich hilfesuchend an ihn wende, weil ihr Ehemann sie schlecht behandelt, sei natürlich ungenügend. Statt nur auf das Jüngste Gericht zu verweisen, würde er die Polizei holen, warnt er die Männer, die in der Moschee sitzen, um sich dann warnend an die Frauen in der Moschee zu wenden: »Don’t marry a man without taqwa!« Damit macht Imam Siraj deutlich, dass dieses Verhalten gegenüber Frauen für ihn nicht islamisch gerechtfertigt werden kann, weil der Islam genau das Gegenteil fordere. Männlich im Sinne des Islam zu sein, ein guter muslimischer Ehemann und Vater zu sein, bedeutet nach seiner Definition vor allem, Verantwortung zu übernehmen, und zwar auch Verantwortung im Sinne von Führung, als Familienoberhaupt. Er verlangt jedoch von den Männern auch eine emotionale Öffnung zu ihren Frauen und Kindern, anstatt Freundschaft nur unter männlichen Freunden zu leben, die Familie aber dafür zu vernachlässigen: »Then answer me this question: how can you have a wife, brother, be married to your sister in Islam, and you are unjust to her? You are unkind to her. […] Sometimes, I wanna punish somebody! […] If the prophet said […]: Best of you are those who are best to your family, to your wives, and I am the best of you to my family. We are just the opposite. […] We’re a bunch of phonies. […] You come and you walk around with this self-righteous attitude. […] Some of us have become diluted by our ibada. […] The danger is: we think the ibada is the end, but the ibada is the beginning because […] when the worship doesn’t do anything to you it’s not real! […] So no matter how many salats you make: if you’re unjust to your wives, what good is the ibada, if you’re unjust to your children? Pfui! Cold, arrogant to your family. Unjust to your family. Brothers taking money from their wives, not paying money back to your wives. Cold to your wife, she loves you, she reaches out, but you go away, you’re far away, because what? You gotta be with your brothers! Yeah, I gotta hang out with the brothers! Yeah? […] You gotta hang out with the brothers, far from your children? That’s real 225 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 25.01.2008.
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Die Erben des Malcolm X brotherhood? You’re a fool! Brotherhood begins at home, brotherhood begins with your family. […] Don’t gimme your fake brotherhood here, don’t pretend that you love me here but you don’t love your family there. It’s not real. Because genuine brotherhood begins at home. […] I am embarrassed with the practice of Muslims behind closed doors. […] When you come to the masjid, it’s fake. It’s fake, and you’re phony with your phony brotherhood! […] Don’t tell me that you love ME!« 226
Es fällt auf, dass mit Personen wie Louis Farrakhan und Imam Siraj nicht Frauen, sondern Männer selbst fordern, dass Männer ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und ihrer Verantwortung als Ehemänner und Väter nachkommen. Sie fordern von ihren Geschlechtsgenossen, die Idee des Patriarchats nicht in der Weise falsch zu verstehen, dass sie Gewalt über Frauen hätten, die sie ausnutzen könnten. Vielmehr sollten sie den von ihnen als islamisch bezeichneten Gedanken leben, wonach Mann und Frau komplementäre (aber durchaus unterschiedliche) Rollen erfüllten, ohne dass einer der beiden den anderen Part mit Gewalt unterdrücke, sondern sich beide in ihre Rollen fügten. So konstatiert Farrakhan, dass Gewalt – wie auch Drogen – nur ein Signal für die Verlorenheit der schwarzen Männer seien. Die einzige Rettung für sie bestehe darin, sie als liebende Familienoberhäupter zu reetablieren, eine Funktion, in der sie Bewunderung und Respekt erhalten und zurückgeben.227 Hier werden nun Männer nicht mehr als Patriarchen per se dargestellt, sondern als hilflose Wesen, denen man nur durch eine herausgehobene Stellung wieder Selbstvertrauen einflößt, als Opfer der Demaskulinisierung, die ihre eigentliche Rolle mithilfe der Frauen und zum Nutzen beider erst wieder finden müssen. Allerdings werden muslimische Frauen sich vermehrt bewusst, dass die patriarchale Konnotation des Schutzversprechens, das schwarze Männer schwarzen Frauen geben, ihnen nicht nur Vorteile bringt, sondern sie in eine passive Rolle drängt und von Misogynie geleitet ist, glaubt Carolyn Rouse. Sie hat viele Jahre eine Gruppe afroamerikanischer Musliminnen in Kalifornien begleitet. Dort hat sie beobachtet, dass diese Frauen nach anfänglicher Begeisterung für ein patriarchales Rollenmuster zunehmend die Idealisierung des Patriarchats bekämpfen. Und die Frauen scheinen bereits erste Erfolge zu sehen, denn ihrer Meinung nach würden afroamerikanisch-muslimische Männer zunehmend erkennen, dass diese Form des Patriarchats aus einer westlichen Konzeption von Maskulinität resultiert.228 Durch eine Delegitimierung patriarchaler Strukturen als westlich und damit implizit unislamisch können diese schwarzen Musliminnen Kritik an Verhaltensweisen üben, denen sie ansonsten ausgeliefert wären, da ihnen jede Forderung nach mehr Gleichberechtigung als Abwendung vom Islam vorgeworfen würde. Mit diesem diskursstrategischen Schachzug reihen sie sich in die Reihe 226 | Freitagspredigt Imam Siraj Wahhaj, Masjid at-Taqwa, 08.02.2008. 227 | Dyson 1996, S. 177. 228 | Rouse 2004, S. 142.
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nichtmuslimischer AfroamerikanerInnen ein, die innerhalb der black community in ähnlichem Stil versuchen, patriarchale Denkmuster als weiße Herrschaftsstrategien zu entlarven und eine alternative Konzeption schwarzer Maskulinität zu entwerfen, die nicht auf einer Unterdrückung von Frauen basiert. Die afroamerikanische Gender Studies-Wissenschaftlerin und Feministin Michele Wallace schreibt dazu, dass »the carrot the white man had held just beyond the black man’s nose […] [was] manhood,« wodurch schwarzen Männern und Frauen gleichermaßen geschadet worden sei. Denn die Männer hätten (vergeblich) darauf gewartet, ihre Männlichkeit von der dominanten weißen Kultur bestätigt zu bekommen, während den Frauen gesagt worden sei, dass sie auf Händen getragen werden würden, sobald die Männer ihre Maskulinität bestätigt bekommen hätten.229 bell hooks macht die Verbindung von (De-)Maskulinisierung und der Sehnsucht nach Selbstbestimmung im Diskurs der afroamerikanischen Community deutlich, wenn sie beschreibt, wie der Diskurs zu schwarzem Widerstand (black resistance) Freiheit mit Männlichkeit gleichsetze, die ökonomische und materielle Dominierung schwarzer Männer durch Weiße demzufolge mit einem Gefühl von Kastration und Entmännlichung einhergegangen sei. Mit diesen sexuell konnotierten Metaphern, so hooks, sei zwischen den unterdrückten schwarzen Männern und ihren weißen männlichen Unterdrückern ein Band hergestellt worden, bei dem sie gemeinsam dem patriarchalen Glauben anhingen, dass es im revolutionären Kampf um einen erigierten Phallus ginge, um die Fähigkeit von Männern, politische Dominanz über sexuelle Dominanz herzustellen.230 Afroamerikanische Muslime legen heute in ihrem Diskurs zu Maskulinität den Schwerpunkt jedoch nicht mehr auf die physische Dominanz über Frauen, sei sie sexueller Natur oder in Form von Gewalt, auch wenn das Schutzversprechen Malcolm X’ in den Debatten auf subtile Weise stets mitschwingt. Der Fokus liegt mittlerweile vielmehr auf der Frage, wie schwarze Männer überhaupt erst wieder in die Lage gebracht werden können, ihre Rolle als Männer auszufüllen, was in diesem Kontext bedeutet, fähig zu sein, für Frauen und Kinder finanziell und emotional zu sorgen. Diskutiert wird vor allem die Notwendigkeit zur Selbstdisziplinierung von Seiten afroamerikanischer Männer, wenn auch vor dem Hintergrund, dass die ›Belohnung‹ für eine gelungene Neudefinierung schwarzer Maskulinität dann auch der Respekt der Frauen sei oder vielmehr sein müsse.
d) Die neue Selbstverantwortlichkeit: Der Million Man March Afroamerikanische Männer, so zeigen Debatten zu schwarzer Maskulinität, wollen ihre Identität nicht mehr durch fremdbestimmte Kategorien definieren. Sie wollen weder als Täter (the Bad Nigger) noch als Opfer (der demaskulinisierte 229 | Wallace, Michele 1990: Black Macho and the Myth of the Superwoman, New York/ London, S. 30. 230 | hooks, bell 1990: Yearning: Race, Gender, and Cultural Politics, Boston, S. 58.
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schwarze Mann) wahrgenommen werden. Die Frage ist jedoch, wie eine alternative Konzeption von Maskulinität aussehen könnte, was Ehemann- und Vatersein bedeuten würde. Es ist zu klären, in welchem Sinn blackness einen zu integrierenden Faktor darstellt, wenn schwarze Männer sich mit dem Konzept identifizieren können sollen. Die Funktion des Islams als Referenzrahmen spielt in der Untersuchung ebenso eine Rolle wie die Weise, in der Argumente mit einem islamischen Etikett versehen werden. Daraus ergibt sich die Frage der dadurch möglicherweise neu entstehenden Probleme, bzw. welche alten Probleme auch im neuen Konzept von Maskulinität reproduziert werden. Nichts macht die Schwierigkeit, Maskulinität für schwarze Männer neu zu definieren, deutlicher, als die Diskussionen, die der Million Man March in der black community ausgelöst hat. Am 16. Oktober 1995 hatte Louis Farrakhan zum Marsch afroamerikanischer Männer nach Washington, D.C. aufgerufen, wohlgemerkt Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen. Schwarze Männer sollten mit ihrer Teilnahme demonstrieren, dass sie fähig und willens sind, Verantwortung für Frauen und Kinder zu übernehmen, und damit das negative Image schwarzer Männer, verantwortungslos gegenüber sich selbst und ihren Familien zu sein und somit eine wesentliche Ursache für die desolate soziale Situation der black community darzustellen, positiv umdefinieren. Die Relevanz des Marsches für diese Arbeit besteht darin, dass die Neubestimmung von schwarzer Maskulinität vom in der amerikanischen Öffentlichkeit bekanntesten und in der afroamerikanischen Community weit über Religionsgrenzen hinweg verehrten Louis Farrakhan angestoßen wurde und bis heute zahlreiche Folge-Veranstaltungen stattfanden. Auch wenn der Marsch sich nicht als dezidiert ›islamisch‹ deklarierte, so wird das Ereignis bis heute mit der Nation of Islam verbunden, und Farrakhan machte mit der Konzeption dieser Großveranstaltung deutlich, dass seiner Ansicht nach die Frage schwarzer Maskulinität die gesamte black community verbindet, dass also – sei es im Hinblick auf die Feststellung von Problemlagen, sei es im Hinblick auf Lösungsstrategien – race matters. Letztendlich kamen Hunderttausende Menschen – größtenteils, aber nicht nur Männer – dem Aufruf nach, wobei die Schätzungen der tatsächlichen Teilnehmerzahl von 400.000 bis zu über 800.000 reichen.231 Das Programm umfasste, strukturiert durch die Kategorien »atonement – reconciliation – responsibility«, Reden und Predigten von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten der black community. Darunter waren ein Sohn Martin Luther Kings, Betty Shabazz (die Witwe Malcolm X’), der ehemalige schwarze Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson, der Princeton-Professor Cornel West und Rosa Parks, die mit ihrer Weigerung, für einen Weißen im Bus ihren 231 | Siehe hierzu: www.bu.edu/remotesensing/research/completed/million-man-march/ (abgerufen am: 03.10.2010); nach einem Streit über die tatsächliche Größe – der Park Service schätzte nur 400.000 Teilnehmer, weit weniger, als sich die Veranstalter erhofft hatten – gab ABC-TV an der Boston University eine Studie in Auftrag. Diese gaben ihre Schätzung daraufhin mit 837.000 Teilnehmern, plus/minus 20 %, an.
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Sitz zu räumen, 1955 den Montgomery Bus Boycott und damit die Bürgerrechtsbewegung auslöste, sowie des weiteren Kongressabgeordnete, Gäste aus Westafrika und Vertreter von afroamerikanischen NGO’s, wobei am auffälligsten daran die große Zahl an christlichen Reverends unter den Rednern war. Die längste Rede, die keynote speech, kam von Louis Farrakhan selbst.232 Um zu verstehen, warum sich der Million Man March – und hier vor allem die Rede Farrakhans – primär auf das Thema ›verantwortliche Vaterschaft‹ konzentrierte und damit so viele Männer – und Frauen, wie noch gezeigt werden wird – erreichen konnte, muss man sich vergegenwärtigen, welch breiten Raum die Problematik der abwesenden Väter im Diskurs der afroamerikanischen Community generell einnimmt. Nur 38 % der afroamerikanischen Kinder wachsen in einem Haushalt mit beiden Elternteilen auf, während es bei anderen Gruppen zwischen 69 % (Latinos), 78 % (Weiße) und 85 % (Asiaten) sind. Alleinerziehende sind zumeist Mütter, nur selten bleiben Kinder bei ihrem Vater.233 Mehrere Studien, die sich mit der Frage vaterlos aufwachsender afroamerikanischer Kinder beschäftigt haben, zeigten »the prevalence of patterns of hypermasculine behaviour among US black males, especially the tendency to relate to black women with manipulative and exploitative attitudes, and the ›quest for sexual prowess, with babies as proof‹.« 234
Das Muster des hypermaskulinen bad nigger wird demzufolge von den Männern auf schwarze Frauen angewandt, die somit die Leidtragenden des diesem Verhalten zugrundeliegenden Minderwertigkeitsgefühls seien. An ihnen bewiesen diese Männer ihre Männlichkeit, und die daraus entstehenden Kinder seien ein Beweis für ihre sexuelle Potenz. Auf den ersten Blick wirkt es also tatsächlich so, als ob individuelles Fehlverhalten auf Seiten schwarzer Männer für die hohe Zahl vaterloser Familien in der black community verantwortlich ist. Ein verbreitetes Stereotyp geht dahin, dass schwarze Männer die Verantwortung scheuten und daher Frau und Kinder zurückließen. Dass diesem Phänomen jedoch eine strukturelle Ursache zugrundeliegt, die vielmehr mit einem rassistisch strukturierten Arbeitsmarkt und einer verfehlten Sozialpolitik zu tun hat, zeigt eine 232 | Vollständiger Programmnachdruck unter: http://en.wikipedia.org/wiki/Million_Man_ March (abgerufen am 03.10.2010); Ausschnitte aus Farrakhans Rede auf: www.youtube. com/watch?v=fdT8gPLKT7M (part 1), www.youtube.com/watch?v=FV-OOyo29sg&feature= related (part 2), www.youtube.com/watch?v=FV-OOyo29sg&feature=related (part 3), www. youtube.com/watch?v=lOx56PxOS-Y&feature=related (part 4) (abgerufen am 03.10.2010). 233 | U.S. Census Bureau: Zahlen für 2010, www.census.gov/Press-Release/www/releases/ archives/families_households/014540.html (abgerufen am 07.05.2011). 234 | Studien: Wolfe, William A. 2003: »Overlooked Role of African-American Males’ Hypermasculinity in the Epidemic of Unintended Pregnancies and HIV/AIDS Cases with Young African-American Women«, in: Journal of the National Medical Association 95 (9), S. 848, beschrieben in: Ward 2005, S. 496.
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Studie der Psychologin Rebekah Levine Coley.235 Demnach entscheide vor allem die finanzielle Lage eines Mannes, ob er zuhause bleibe oder seine Familie verlasse. Von einem Mann mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsstand werde kulturell nicht erwartet, ein guter Vater zu sein. Männer, die sich dennoch einbrächten, fühlten sich als Versager, so Coley, wenn sie die allgemein gültige Definition erfolgreicher Vaterschaft nicht erfüllen könnten, nämlich finanziell für ihre Familie sorgen zu können: »There’s a host of evidence noting that men who cannot fulfill the breadwinner role often experience distress and interruptions in positive engagement in family life.«236 Mark Anthony Neal, der an der Duke University Black Popular Culture lehrt, fügt hinzu: »What’s important to black men in a society that has a fair amount of racism is a notion of manhood. Manhood is all they have, and what that usually means in our culture is the ability to provide for your family financially.« 237
Auch wenn es Louis Farrakhan und seinen Mitstreitern mit diesem Marsch nicht gelungen ist, die strukturellen Hürden zu überwinden, die afroamerikanische Männer davon abhalten, für ihre Familien die finanziellen Versorger zu sein, wurde dennoch ein neues Bild von Männlichkeit und Vaterschaft propagiert. Letztere wurden auf dem Marsch nicht mehr nur über die Fähigkeit, ein Einkommen zu erwirtschaften, definiert. Vielmehr wurde auf der Veranstaltung auch die emotionale und spirituelle Seite von Vaterschaft betont, nämlich für Frauen und Kinder da zu sein, ihnen eine Stütze im Alltag zu sein, sich um sie zu kümmern. So wurden auf dem Marsch zwei Stereotype dekonstruiert: dasjenige des bad nigger, der sein Selbstverständnis aus seiner sexuellen Potenz bezieht, als auch dasjenige des verlorenen, schwachen schwarzen Mannes, der sich über ökonomischen Erfolg definiert sowie schwarze Frauen dadurch herabsetzt, indem er in der black community ein vermeintliches Negro matriarchate ausmacht, das es zu bekämpfen gelte. Dass das neu geschaffene Bild von Maskulinität und Vaterschaft dennoch misogyne und patriarchale Züge trägt – da Männer nach wie vor als Familienoberhäupter gedacht werden, Frauen nach wie vor primär als Mütter, die den Männern gehorchen sollen (und wollen) –, ist der dem Marsch zugrunde liegenden Ideologie geschuldet, die sich nicht nur aus den Lehren der Nation of 235 | Coley, Rebekah L./Bethany L. Medeiros 2007: »Reciprocal Longitudinal Relations between Nonresident Father Involvement and Adolescent Delinquency«, in: Child Development 78 (1), S. 132-147; Rebekah L. Coley 2003: »Daughter-Father Relationships and Adolescent Psychosocial Functioning in Low-Income African American Families«, in: Journal of Marriage and Family 65 (4), S. 867-875. 236 | Coley zitiert nach: Newsweek-Artikel »O Father, where art thou?« (19. Mai 2008), auf: www.newsweek.com/id/136335 (abgerufen am 03.10.2010). 237 | Coley zitiert nach: Newsweek-Artikel »O Father, where art thou?« (19. Mai 2008), auf: www.newsweek.com/id/136335 (abgerufen am 03.10.2010).
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Islam speist, sondern auch aus einem gesellschaftspolitischen Konservatismus, der sowohl in der black community als auch im weißen Amerika durchaus als hegemonial bezeichnet werden darf.238 Schwarze Männer sind für Farrakhan primär Opfer: Ihre Verlorenheit, die sich in ihren Süchten (nach Gewalt, Drogen, weißer Akzeptanz) ausdrücke, bringe sie erst dazu, ihre Frauen und Kinder zu misshandeln, ihre eigenen Körper durch Alkohol und schlechte Nahrung zu zerstören, sich gegenseitig zu ermorden und sich, wie Frantz Fanon es beschrieben hat 239, nach den »Brüsten der weißen Frau mit ihrer Milch der Zuneigung und Bestätigung« zu sehnen.240 Das Leid der Männer ist demnach für Farrakhan die eigentliche Ursache des Leids der Frauen und rechtfertige dessen übermäßige Betonung. Damit tritt Farrakhan jenen afroamerikanischen Kritikerinnen entgegen, die den Marsch als sexistisch bezeichneten, da erstens offiziell nur Männer eingeladen und zweitens nur die Probleme von Männern angesprochen worden seien, diejenigen schwarzer Frauen jedoch weitgehend ausgeklammert geblieben wären. Farrakhan hat auf diese Kritik geantwortet, dass Frauen nur Opfer der Lebensumstände der Männer seien und daher öffentlich nichts zu bereuen hätten. Es seien die Männer, die umdenken müssten. Männer sind für ihn zwar primär Opfer (des ›Systems‹), aber sekundär eben auch Täter, deren Entscheidungen und Taten Einfluss auf das Leben der ganzen black community haben.241 Nichtsdestotrotz empfanden viele afroamerikanische Frauen den Marsch als Undankbarkeit und schlecht verkleideten Sexismus. Ihre eigenen Verdienste als starke Frauen seien nicht gewürdigt worden, stattdessen habe die Veranstaltung ein patriarchales Weltbild perpetuiert.242 Feministinnen störten sich vor allem an dem konstruierten Konzept männlicher Identität, wonach Männer von der Natur auserwählt seien, die Familien zu führen.243 Angela Davis, Mitglied in der als Protest gegen den Marsch gegründeten Gruppe African American Agenda 2000, kritisierte beispielsweise: »No march, movement or agenda that defines manhood in the narrowest terms and seeks to make women lesser partners in this quest for equality can be considered a positive step.« 244
238 | Siehe dazu bspw.: Tate, Gayle T./Lewis A. Randolph (Hg.): Dimensions of Black Conservatism in the United States: Made in America, New York; Brinkley, Alan 1994: »The Problem of American Conservatism«, in: The American Historical Review 99 (2), S. 409-429; Santorum, Rick 2005: It Takes a Family: Conservatism and the Common Good, Wilmington. 239 | Fanon, Frantz 1952: Peau noire, masques blancs, Paris. 240 | Dyson 1998, S. 140. 241 | Vgl. dazu Kelleter 2000, S. 48. 242 | Dyson 1996, S. 208f. 243 | Dyson 2002, S. 94. 244 | CNN, 14.10.1995: »Farrakhan causes new controversy as march approaches«, auf: www.cnn.com/US/9510/megamarch/10-14/march/index.html (abgerufen am 03.10.2010).
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Davis konnte die Anziehungskraft, die der Marsch auch auf viele schwarze Frauen ausübte, verstehen, aber »there are ways of understanding black masculinity that do not rely on subjugating women.«245 Nach Meinung der Kritikerinnen wurde auf dem Marsch ein Bild geschaffen, wonach eine Familie ohne Mann »defekt« sei – ein Bild, das sowohl von der NOI als auch christlichen Konservativen wie Newt Gingrich246 verbreitet werde und all die alleinerziehenden Mütter in Amerika diskreditiere.247 Der Blick von Patricia Hill Collins ist insofern differenzierter, als dass sie durchaus glaubt, dass Väter eine wichtige Rolle im Leben vor allem ihrer Kinder einnehmen, ohne dass sie die Rolle der Mütter dabei degradieren möchte. Doch das dem Marsch zugrunde liegende Bild von bedrohter schwarzer Maskulinität, die gerettet werden müsse, sei für das Ziel, Männer wieder an gefestigte Familienstrukturen hinzuführen, eher kontraproduktiv: »Ironically, this commitment to physical dominance, to being tough, and to adhering to the code of the street can disconnect black men from family networks, all in the name of saving black male pride. Despite the fact that families headed by black women were not inherently inferior, the abscence of men in the lives of their children constitutes a real loss for African American families.« 248
Der Soziologe Michael Eric Dyson ist der Ansicht, dass das Laster Farrakhans und der NOI allgemein – Sexismus und Paternalismus durch den einseitigen Fokus auf Männer – gleichzeitig ihre Stärke sei. Denn Farrakhan hätte zu Recht vorausgeahnt, dass die Probleme schwarzer Männer den moralischen Zustand der ganzen black community dominieren würden: »The Nation’s and Farrakhan’s vice – a focus on men, leading to forms of sexism and paternalism – has been their virtue. That virtue is realized in Farrakhan’s foresight that the problems of black male life would come to dominate the moral landscapes of black communities.« 249
Die Körper schwarzer Frauen und Kinder, deren Entwertung, Unterdrückung und Missbrauch, seien letzten Endes oft das Ziel der Aggression, wenn Männer ihre Wut in ihrer ›masculine obsession‹ nicht direkt gegen die Kräfte richten 245 | CNN, 14.10.1995: »Farrakhan causes new controversy as march approaches«, auf: www.cnn.com/US/9510/megamarch/10-14/march/index.html (abgerufen am 03.10.2010). 246 | Newt Gingrich war unter George W. Bush bis 1999 Sprecher des Repräsentantenhauses und gilt als konservativer Hardliner. Seine Ansichten verbreitete er in dem Buch »Contract with America«, das 1994 (New York) erschienen ist und der Bush-Regierung als Grundlage für eine konservative Neuordnung der Gesellschaft und Politiks diente. 247 | Dyson 1996, S. 178. 248 | Collins 2006, S. 88. 249 | Dyson 1996, S. 176.
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könnten, die ihren Schmerz verursachten.250 Und wer sonst, außer Louis Farrakhan, schaffe es, jene Gruppe innerhalb der black community zu erreichen, welche die größten Probleme verursache, nämlich junge Männer, fragte der Journalist Salim Muwakkil, selbst ehemaliges NOI-Mitglied: »Although the Nation’s message is as conservative and as antisensual as that of the most rigid Christian fundamentalist sect, he manages to attract the interest of the most testosterone-saturated segment of the African-Amerian community – young men.« 251
Ein uplift der schwarzen Männer käme letztendlich auch den schwarzen Frauen zugute und müsste somit in beider Interesse sein, antwortet Michael Eric Dyson all jenen, die ihn und andere für ihre Teilnahme an dem Ereignis kritisierten. Der Marsch sei eine Chance zur Veränderung, weil er ein neues Konzept von Männlichkeit definiere: »This march is a majestic reminder of black men’s willingness to speak our pain and to imagine the possibilities of a brighter future. We have marched today, not to put anybody down, but to lift up the sorrows and successes of men whose stories are not often told in their rich diversity and complexity. We have marched today to feel the edifying power of black male unity. We have not marched to harm, but to embrace one another. We have not marched to fortify, but to dismantle, patriarchy. […] And we have marched to tell ourselves, and this nation, that we want to be real men. Real men don’t attack their loved ones. Real men don’t shirk their duties. Real men temper strength with wisdom and know how to share power. Real men aren’t afraid of real women. And real men constantly fashion our behavior in the world to bring about justice and peace.« 252
Die Fokussierung auf die Situation der Männer, wie es der Marsch tut, lasse das Leid der schwarzen Frauen auf den ersten Blick in den Hintergrund treten, gibt Dyson zu, obwohl das Leid der Männer nicht wichtiger sei als das der Frauen, aber es habe einen größeren Einfluss auf die gesamte Gesellschaft.253 Jedoch geht es für Dyson nicht darum, Probleme nach Wichtigkeit zu hierarchisieren, sondern die Konzentration auf die schwierige Lage der Männer ist seiner Meinung nach schlicht und ergreifend durch deren Unmittelbarkeit sowie deren Potential, das Leben vieler anderer Menschen negativ zu beeinflussen, gerechtfertigt: »It is the immediacy and impact of black male problems on our national life, not their
250 | Dyson 1998, S. 142, 176. 251 | Muwakkil, Salim 1998: »The Nation of Islam and Me«, in: Amy Alexander (Hg.): The Farrakhan Factor: African-American Writers on Leadership, Nationhood, and Minister Louis Farrakhan, New York, S. 207. 252 | Dyson 1996, S. 211f. 253 | Dyson 1998, S. 141, 178.
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greater importance, that justifies attention to their plight.«254 Jedoch, merkt Dyson kritisch an, zeige der Million Man March, wie sehr unter Farrakhans Führung Rasse eine ausgesprochen maskuline Konnotation bekommen habe, nämlich maskuline Ausdrucksformen, maskulines Suchen nach Selbstbestimmung und nach Freiheit, maskuline Kämpfe ums Menschsein. Diese Fokussierung sei immer eine Stärke (»genius«) der NOI und zugleich ihre Begrenzung (»grave limitation«) gewesen.255 Trotz besagter Kritik, der Marsch vernachlässige die Rolle schwarzer Frauen, ist nachgewiesen, dass auch zahlreiche Afroamerikanerinnen an dem Ereignis teilnahmen, wobei die genauen Zahlen unklar sind. Schätzungen reichen von 1500 bis in die Zehntausende.256 Sogar der National Council of Negro Women und der National Black Gay and Lesbian Leadership Forum unterstützten den Marsch, da dieser sich vor allem gegen Rassismus eingesetzt und kein patriarchales Glaubensbekenntnis formuliert habe.257 Der Amerikanist Frank Kelleter weist in seiner Beschreibung des Marsches darauf hin, dass unter den Mitorganisatoren ebenfalls Frauen wie Betty Shabazz und Rosa Parks gewesen seien. Die Frauen, die den Marsch besucht hätten, seien der Meinung gewesen, ein patriarchales Familienoberhaupt sei besser als gar keines. Auch hätten sie es geschätzt, dass sich Farrakhan immer wieder vehement gegen häusliche Gewalt aussprach, wie beim offiziellen ›Pledge‹ des Marsches erneut betont worden sei: »I […] pledge from this day forward I will never abuse my wife by striking her, disrespecting her for she is the mother of my children and the producer of my future. I […] pledge that from this day forward I will never engage in the abuse of children, little boys, or little girls for sexual gratification. But I will let them grow in peace to be strong men and women for the future of our people. I […] will never again use the B word to describe (any) female, but particularly my own Black sister.« 258
Die Literaturwissenschaftlerin Doris Witt glaubt sogar, dass schwarze Frauen ein noch viel stärkeres Interesse an den Zielen des Marsches gehabt hätten als schwarze Männer. Autorität liege in der afroamerikanischen Kultur traditionell bei den Frauen. Viele der Männer, die am Million Man March teilgenommen hätten, seien von ihren Frauen gedrängt worden, nach Washington zu fahren. Dies zeige, dass ein schwarzes Patriarchat von Frauen nicht nur gewünscht, sondern sogar letztendlich implementiert werde: »Real ›Sisters‹ were happy to show their support«, anstatt es – wie beispielsweise die schwarze Feministin Angela Davis – als sexistisch abzulehnen.259 Die Bezugnahme auf ›real sisters‹, die Witt vor254 | Dyson 1998, S. 142. 255 | Dyson 1998, S. 140. 256 | Kelleter 2000, S. 53 und Scharenberg 1998, S. 378. 257 | Scharenberg 1998, S. 378. 258 | Zitiert nach: Kelleter 2000, S. 53. 259 | Witt 1999, S. 123.
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nimmt, impliziert, dass schwarzen Frauen, die den Marsch kritisierten, statt ihn zu unterstützen, Disloyalität zu ihrer eigenen Gruppe vorgeworfen wurde. Dies knüpft sich an den entsprechenden Topos im Diskurs des Black Feminism an, wonach schwarze Frauen, die loyal zur black community sind, im Zweifelsfall auf Seiten schwarzer Männer und nicht an der Seite weißer Frauen stehen müssten.260 In der Diskussion über Für und Wider des Marsches wird deutlich, welch zentrale Stellung die Frage nach der individuellen Verantwortlichkeit der afroamerikanischen Männer für ihre Lage einnimmt. Sowohl die Befürworter als auch die Kritiker beiderlei Geschlechts glauben in der Mehrheit, dass schwarze Männer sich dafür oder dagegen entscheiden können, Familienoberhaupt zu sein, für Frauen und Kinder finanziell zu sorgen, Frauen zu beschützen/zu kontrollieren. Sie haben die freie Wahl (choice). Dabei übersehen jedoch beide Seiten meist jene strukturellen Faktoren, die es – jenseits von individueller Unfähigkeit oder Unwillen, Verantwortung zu übernehmen – bisher erschwert bzw. verhindert haben, dass schwarze Männer diese Wahlfreiheit überhaupt hatten. An der Rede Louis Farrakhans auf dem Marsch zeigt sich, dass er zwar durchaus rassistische Diskriminierung als problematisch anerkennt. Doch anstatt gegen diese Form von Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft zu kämpfen, nimmt er diesen als gegeben an und legt die Verantwortung für eine Änderung der Situation in die Hand schwarzer Männer selbst. Der Ansatz, über das Konzept der Selbstverantwortung Kontrolle zu gewinnen, statt in einer Opferhaltung zu verharren, ist sicher pragmatisch und stark im amerikanischen Denken verhaftet. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es auch im konservativ-religiösen Spektrum des weißen Amerika eine Diskussion über die Rolle von Ehemännern und Vätern gibt, die der von Afroamerikanern empfundenen Problematik stark ähnelt. So hat die republikanische Regierung unter George W. Bush im Jahre 2003 im Rahmen ihrer Unterstützung sogenannter faith-based initiatives gezielt 45 Mio. Dollar für ›involved, committed, responsible fatherhood‹ bereitgestellt. Die faith-based initiatives folgen dabei der Logik konservativer amerikanischer Christen, wonach soziale Probleme in erster Linie moralische Probleme sind, wozu auch abwesende Väter zählen.261 Bereits 2001 hatte der damalige Präsident Vaterschaft als ›national priority‹ bezeichnet, denn, so Bush: »Fathers factor significantly in the lives of their children.« Und er betonte: »There is simply no substitute for the love, involvement, and commitment of a responsible father.«262 Ein ähnliches Denken 260 | Zu Black Feminism siehe Kap. II.5, »Feministinnen in die Moscheen«. 261 | Prätorius, Rainer 2003: In God We Trust: Religion und Politik in den USA, München, S. 173. 262 | Whiting, Gilman W./Thabiti Lewis 2008: »On Manliness: Black Masculinity Revisited«, in: AmeriQuests 6 (1), S. 1; die republikanische Regierung hat im Rahmen der FaithBased Initiatives gezielt die Unterstützung der schwarzen Kirchen gesucht. Obwohl beide Seiten viele Werte teilen, stehen sich die beiden Gruppen seit jeher kritisch gegenüber, und die Republikaner versuchten damit, einen Fuß in die black community zu bekommen, die
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findet sich bei den christlichen Promise Keepers, einer evangelikalen Bewegung, in der zwar dezidiert nicht nur, de facto aber doch vorwiegend weiße Männer öffentlich ihre Sünden bereuen und geloben, künftig bessere Väter und Ehemänner zu sein und die ›natürliche‹ Rolle des Mannes als Familienoberhaupt wieder einzunehmen bzw. diese Rolle von den Frauen zurückzufordern. Für die Promise Keepers sind, ebenso wie für Louis Farrakhan und die Teilnehmer der Marsches, abwesende Väter – im physischen, emotionalen und spirituellen Sinne – eines der Grundübel der amerikanischen Gesellschaft und damit Ursache für viele weitere gesellschaftliche Missstände.263 In dem Buch Seven Promises of a Promise Keeper rät Tony Brown den Männern: »Sit down with your wife and say: ›Honey I’ve made a terrible mistake. I’ve given you my role. I gave up leading this family, and I forced you to take my place. Now I must reclaim that role. Don’t misunderstand what I am saying here. I’m not suggesting that you ask for your role back, I’m urging you to take it back.« 264
Der Soziologe Michael S. Kimmel nennt diese Form strukturell patriarchalen Denkens, wie es die Promise Keepers und die NOI vertreten, »a kinder, gentler patriarchy.«265 Die Ähnlichkeit zum allgemeinen Diskurs in der black community ist frappierend. Nicht nur Männer sollen demnach ein Interesse daran haben, ihre ›natürliche‹ Rolle als Familienoberhaupt wieder einzunehmen, nein, auch für die Frauen ist es am besten, wenn sie sich freiwillig wieder in ihre vorgesehene Rolle fügen, indem sie erkennen, dass nur so die ganze Gruppe genesen kann. Louis Farrakhan impliziert mit der Vorstellung, dass über eine Bewusstseinsänderung auf Seiten der Männer eine positive Veränderung eigenhändig herbeigeführt werden könne, dass die Männer diese Diskriminierung auch irgendwie verdienen. Sie hätten ein falsches Bewusstsein und handelten deshalb falsch. Dabei sind gezum überwiegenden Teil demokratisch wählt: McDaniel 2008, S. 161f. sowie Richard A. Oppel/G ustav Niebuhr 2000: »Bush Meeting Focuses on Role of Religion«, in: New York Times, 21.12.2000, S. 37. Allgemeiner zu den FBI’s: Philpot, Tasha S. 2007: Race, Republicans, and the Return of the Party of Lincoln, Ann Arbor. 263 | Kimmel, Michael S. 1997: »Promise Keepers: Patriarchy’s Second Coming as Masculine Renewal«, Tikkun 12(2), S. 46-50; siehe zu den Promise Keepers auch: Claussen, Dane S. (Hg.) 2000: The Promise Keepers: Essays on Masculinity and Christianity, Jefferson. 264 | Janssen, Al/Larry A. Weeden 1994: Seven Promises of a Promise Keeper, Nashville. 265 | Zitiert nach: Fenimore, James A. 2004: »Hyper-Masculinity, Hyper-Christianity and Hyper-Technology: The Promise Keepers Use of Technology to Empower Masculine Spirituality«, auf: www.csi.ensmp.fr/WebCSI/4S/index.php?page=download (abgerufen am 13.10.2011), S. 9; vgl. dazu die Homepage der Promise Keepers unter: www.promisekeepers. org und Diamond, Sara 1998: Not By Politics Alone: The Enduring Influence of the Christian Right, New York, S. 224f. Allein 1996 sprachen die PK zu rund einer Million Männer in 22 Sportstadien, darunter rund 16 % afroamerikanische Mitglieder.
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rade die schwarzen Männer, die zur NOI kommen, diejenigen, die aufgrund ihres niedrigen sozialen Status am wenigsten dazu in der Lage sind, die Privilegien des Patriarchats in Anspruch zu nehmen – das heißt, neben sexueller Kontrolle über Frauen auch ökonomische und politische Macht auszuüben. Das gleiche, so Doris Witt, gelte übrigens für die schwarzen Frauen der unteren sozialen Schichten, die den cult of true womanhood, der bereits vom früheren NOI-Vorsitzenden Elijah Muhammad als Idealbild und Modell präsentiert worden sei, nicht hatten mittragen können. Diese Frauen hätten arbeiten gehen müssen, um sich und ihre Familien zu ernähren, statt nur Ehefrau und Mutter sein zu ›dürfen‹.266 Laut Dyson könne der Fokus des Marsches auf die individuelle Verantwortung der Männer, anstatt strukturelle Ursachen wie Rassismus im Bildungs- und Justizwesen und eine verfehlte Sozialpolitik für die desolate Lage zu benennen und zu kritisieren, dazu führen, dass man die Gesellschaft zu schnell aus ihrer Verantwortung für die Notlage der schwarzen Männer lasse, auch wenn es unter schwarzen Männern augenscheinlich, das habe der Marsch gezeigt, ein großes Bedürfnis danach gebe, persönlich Verantwortung zu übernehmen.267 M. Bahati Kuumba, die am Spelman College Gender Studies lehrt, anerkennt zwar die symbolische Wirkung des Marsches, vermisst aber ebenfalls eine Analyse der strukturellen Schwierigkeiten der black community zugunsten einer Überschätzung individueller Ursachen: »Although the march served as a strong symbol of continued dissatisfaction with U.S. race relations and included select African American women as participants and organizers, it flowed from the conservative and patriarchal traditions in the movement. The stated objective was to have African American men atone for their transgressions and to resume leadership over family and community responsibilities. This idea was based on an underlying assumption of male-dominance and individual-level causation, ignoring structural causes, for the plight of African Americans.« 268
Dyson kritisiert, ebenso wie Feministinnen und schwarze Progressive, dass Farrakhan bei dem Marsch den Schwerpunkt zu sehr auf black male responsibility gelegt habe, dabei aber die black male control überschätzen würde. Moralisches Verhalten sei nur persönlich, aber nicht politisch begriffen worden. Man könne und dürfe schwarze Männer aber nicht aufrufen, volle Verantwortung zu übernehmen für Probleme, die sie selbst nicht verursacht hätten.269 Damit spiele Farrakhan ungewollt weißen Konservativen in die Hände, die ohnehin behaupteten, 266 | Witt 1999, S. 106. 267 | Dyson 1998, S. 142. 268 | Kuumba, M. Bahati 2006: »Gender Justice: Linking Women’s Human Rights and Progressive Black Masculinities«, in: Athena D. Mutua: Progressive Black Masculinities, New York, S. 232. 269 | Dyson 1998, S. 142.
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dass es nur persönliche und keine strukturellen Gründe für die desolate Lage der black community gebe.270 Denn auch wenn persönliche Verantwortung sicher wichtig sei, so Dyson, so sei es doch destruktiv, die moralischen Dimensionen gesellschaftlicher Veränderungen nicht anzuerkennen.271 Ein weiterer Teilnehmer des Marsches, der Pädagoge und Journalist Michael H. Cottman, der sogar ein Buch zum Million Man March verfasst hat, sieht das anders. Für ihn war der Marsch durchaus politisch in dem Sinne, dass Rassismus und strukturelle Diskriminierung kritisiert wurden: »We marched against stereotypes. We marched against the media that continue to portray Black men as criminals. We marched against conservative ideology that is anti-Black. We marched against angry White males who have concocted a myth that Black men are taking jobs away from them through affirmative action. We marched against the Contract with America. We marched against Rush Limbaugh, Newt Gingrich, and Jesse Helms. We marched against The Bell Curve.« 272
Cottman spielt auf mehrere politische und gesellschaftliche Ereignisse an. Bei den Wahlen zum Kongress von 1994 gab es einen herben Rückschlag für Bürgerrechtsgruppen, Afroamerikaner und andere Minderheiten. Der von Newt Gingrich verfasste »Contract with America« wurde zum Modell für zukünftige Politik gegenüber Armen und Schwachen. In der Folge wurden Sozialhilfe- und Affirmative Action-Programme gekürzt. Gerade Affirmative Action, das in den 1960er Jahren graduell auf Feldern wie Hochschulen und Arbeitsmarkt eingeführt wurde, stellt für viele weiße Männer bis heute eine Form des umgekehrten Rassismus dar, wird in dem Programm unter anderem doch festgelegt, dass bei zwei männlichen Kandidaten gleicher Eignung, aber unterschiedlicher Hautfarbe, der Nichtweiße bevorzugt werden muss.273 Diese »white male anger«274 äußere sich wiederum in der Ablehnung der Unterstützung und Förderung von Minderheiten seitens der Weißen. Schließlich spricht Cottman noch das Buch »The Bell Curve« an, das 1994 von Richard J. Herrnstein und Charles Murray vorgelegt wurde und schnell zum Bestseller avancierte. Die Autoren weisen – angeblich streng wissenschaftlich – nach, dass Afroamerikaner einen niedrigeren IQ als Weiße und Asiaten hätten. Dies sei der Grund für ihren geringen ökonomischen Erfolg. Aus diesem Grund sei es legitim zu fragen, inwieweit Geld zur Unterstüt270 | Dyson 1996, S. 181. 271 | Dyson 1998, S. 143. 272 | Cottman, Michael H. 1995: Million Man March, New York, S. 25. 273 | Ausführlich dazu: Anderson, Terry H. 2004: The Pursuit of Fairness: A History of Affirmative Action, New York; das Programm widmet sich im übrigen nicht nur rassistischer, sondern auch sexistischer Diskriminierung, d.h. die Quoten berücksichtigen neben Hautfarbe auch das Geschlecht. 274 | Dyson 2002, S. 108.
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zung von Afroamerikanern nicht Verschwendung von staatlichen Mitteln sei.275 Mit seinem Statement, dass der Marsch durchaus politisch gewesen sei und nicht nur auf individuelle Verantwortlichkeit abgezielt habe – und damit implizit die Schuldfrage stellte –, widerspricht Cottman all jenen, die am Konzept des Marsches vor allem kritisierten, dass er die Ursachen für die Probleme der black community vor allem innerhalb der black community selbst suche, indem er Männern suggeriere, sie könnten allein durch eine Änderung ihres Verhaltens die Situation in den Griff bekommen. Seiner Meinung nach ist die Änderung des individuellen Verhaltens ein politisches Statement, weil sich schwarze Männer nicht mehr durch ein System definieren lassen möchten, das ihnen seit jeher eine bestimmte Rolle zuschreibt, sondern sie ihren Platz in der black community und in der amerikanischen Gesellschaft selbst bestimmen wollen. Dass diese gewünschte Rolle dabei in vielen Bereichen am Familienbild weißer Konservativer ausgerichtet ist, belegt, wie groß letztendlich die Sehnsucht ist, Teil der Gesellschaft zu sein – und wie stark die Anziehungs- und Bindungskraft dieses amerikanischen Gesellschaftsmodells ist. Das zeigte sich nicht nur auf dem Million Man March. Vielmehr bedarf es weiterer Gegenproben mit Blick auch auf andere Sektoren der Gesellschaft, bei denen dann auch gezielter die muslimische Beteiligung an derartigen Diskussionen und Aktionen untersucht werden kann.
e) Warum Homophobie zu schlechten Schulnoten führt und wie Jailhouse Islam Abhilfe schafft Unter afroamerikanischen männlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hat Schulbildung ein schlechteres Image als in sonst irgendeiner Gruppe. Vorweg sei gesagt, dass ebenso die Segregation in amerikanischen Schulen heute größer ist als 1965.276 80 % der schwarzen Kinder gehen in Schulen, in denen mehr als die Hälfte der Schüler schwarz sind.277 Außerdem verlassen 21 % der Afroamerikaner die Schule ohne Abschluss (Weiße: 11 %), mindestens einen Bachelor an der Uni haben 29 % der Weißen, aber nur 17 % der Afroamerikaner.278 Zahlreiche Studien haben sich mit der Frage befasst, warum gerade männliche 275 | Kelleter 2000, S. 34; Herrnstein/Murray 1994; es gibt zu dem Thema der angeblich genetischen Unterschiede in der Intelligenz Weißer und Schwarzer eine Reihe anderer Studien, vgl. hierzu: Swain 2003, S. 65ff. 276 | Vgl. hierzu: Massey, Douglas M./Nancy A. Denton 1993: American Apartheid: Segregation and the Making of the Underclass, Cambridge (MA), aus: Kelleter 2000, S. 38. 277 | http://usinfo.state.gov/xarchives/display.html?p=washfileenglish&y=2004&m=M arch&x=20040303151526yddrofwarc0.7470209&t=xarchives/xarchitem.html (abgerufen am 13.03.2010). 278 | McKinnon, Jesse 2003: »The Black Population in the United States: March 2002«, herausgegeben von U.S. Census Bureau: Current Populations Reports, Series P20-541, Washington, auf: www.census.gov/prod/2003pubs/p20-541.pdf; (aberufen am 15.11.2010).
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Afroamerikaner Bildung oft überhaupt keinen Wert beimessen. Zwar seien auch weiße Jungen in der Schule durchschnittlich schlechter als weiße Mädchen, wie Beaupre in ihrer Studie »Boys Can’t Write« (2003) feststellt, doch afroamerikanische Jungs weisen den geringsten Schulerfolg überhaupt auf.279 Schule gilt als ›uncool‹, es gilt um jeden Preis zu vermeiden, als Streber dazustehen – oder wie es ein junger schwarzer Mann, selbst Schulabbrecher und inzwischen erfolgreich im ›Ghetto Business‹, in einer Studie des Erziehungs- und Kulturwissenschaftlers Charles P. Gause zu Protokoll gab: »I know my work, but I was cool, so I didn’t want nobody to know I was smart at least in some of my subjects.« 280 Viele dieser Studien sehen in diesem Umstand eine unglückliche Vernetzung von Geschlechts- und Rassezuschreibungen, die Bildungsstreben als ›acting white‹ und damit gleichzeitig als ›unmännlich‹ erscheinen lässt: »Black guys tend to form a peer group that says, »School is white, school is sissy.« 281 Gleichzeitig haben jene Studien ergeben, dass viele dieser jungen schwarzen Männer sich selbst als ganz unten auf der Leiter des Bildungssystems wahrnehmen. Sie glauben, dass die Gesellschaft von ihnen keinen schulischen Erfolg erwartet, sondern dass im Gegenteil ihr Versagen in Kauf genommen werde. Aus dieser angenommenen Fremdzuschreibung, ergeben die Studien, resultiere ein Selbstbild, das bei afroamerikanischen Jugendlichen Frustration auslöse und dazu führe, dass sie entweder selbst die Schule abbrechen oder nach entsprechendem Fehlverhalten von der Schule geworfen würden.282 Durch die Aneignung der Fremdzuschreibung, dass schwarze Jungen im Bildungssystem versagen, indem sie aus scheinbar eigener Motivation durch entsprechendes Verhalten den Schulabbruch herbeiführen, gewinne man als schwarzer Jugendlicher die Kontrolle über eine Situation, der man aufgrund institutioneller Diskriminierung eigentlich ausgeliefert sei: Die starke Segregation des amerikanischen Bildungswesen entlang von Rassen- und Klassengrenzen bestätigten zahlreiche Untersuchungen. Aus Misserfolg, so hat Gause beobachtet, werde aktiver Widerstand: »The behavior of Black males can be viewed in Kreisberg terms, as resistant forces. Many Black males resist ›playing‹ the ›school game.‹ They deceive teachers, refuse to complete homework, smoke and sell ›dope‹ in school bathrooms, delay the beginning of classes, and
279 | Young 2007, S. 4. 280 | Gause 2005, S. 25. 281 | Zitiert nach: Young 2007, S. 4. 282 | Studien von Darling-Hammond, Linda 1997: The Right to Learn: A Blueprint for Creating Schools that Work, San Francisco; Harper, Phillip Brian 1996: Are We Not Men? Masculine Anxiety and the Problem of African American Identity, New York; Watkins, W.H. 1993: »Black Curriculum Orientations: A Preliminary Inquiry«, in: Harvard Educational Review 63 (3), S. 321-338, beschrieben in: Gause 2005, S. 24.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats wear clothing and utilize language that is often offensive to adults. Therefore the culture of Black males can be identified as a ›culture of resistance‹.« 283
Diese culture of resistance mit ihren vielfältigen Praktiken des Widerstands gehöre heute zu den kulturellen Kernelementen der urbanen black community, glaubt die Erziehungswissenschaftlerin Lois Weis: »These oppositional practices have been lived out and elaborated upon over the years, and constitute core cultural elements in the urban Black community today.«284 Die Psychologin Judith Kleinfeld glaubt außerdem, dass das amerikanische Schulsystem Eigenschaften und Verhaltensweisen belohne, die im Widerspruch zu dem stünden, was afroamerikanische Jungs als schwarz und maskulin empfänden: »In short, black males seem to fare worse because they resist most the performances of race and gender that schools appear to demand.«285 Bemerkenswert ist hierbei, wie eine bestimmte Rassezuschreibung (schwarz bzw. weiß) mit einer bestimmten Genderzuschreibung (maskulin bzw. feminin/schwul) verknüpft wird. Dies hat auch Vershawn Young, der African American Studies lehrt, beobachtet. Es fände eine Gleichsetzung von ›weiß‹ und ›unmännlich‹ unter afroamerikanischen Jugendlichen statt, was wiederum zu Schulverweigerung führen könne: »Consequently, if schools insist that black males behave in ways that are considered, from a cultural perspective, unmasculine or more closely aligned with the ways of white folks, then black males who reject their ›white-identified,‹, ›effeminate,‹ or ›homosexual‹ counterparts may be acting out their own feelings of rejection by schools.« 286
Auffallend ist, wie im Zitat Youngs plötzlich Homosexualität als negative, um jeden Preis zu vermeidende Zuschreibung auftaucht. ›Weiß‹ heißt auf einmal nicht mehr nur unmännlich, sondern schwul gilt ebenfalls als unmännlich. Diese Gleichung funktioniert aber nur, wenn eine latente Homophobie in der jeweiligen Gruppe – hier unter afroamerikanischen Jugendlichen – vorhanden ist, auf die symbolisch rekurriert werden kann.287 Und eine latente Misogynie – wenn die negative Konnotation, homosexuell zu sein, mit einer Gleichsetzung weiblicher Verhaltensweisen verbunden wird, so als ob Weiblichkeit defizitäre Männlichkeit bedeute. Latent sind Homophobie und Misogynie hier insofern, als Rasse nicht als primäre Kategorie fungiert. Dies zeigt die Analyse der Erziehungswis283 | Gause 2005, S. 21f. 284 | Weis, Lois 1988: Class, Race, and Gender in American Education, Albany, S. 185. 285 | Young 2007, S. 4. 286 | Young 2007, S. 5. 287 | Collins 2006, S. 80, ausführlicher zu Homophobie in der black community: Constantine-Simms, Delroy (Hg.) 2001: The Greatest Taboo: Homosexuality in Black Communities, Los Angeles; Brandt, Eric 1999: Dangerous Liaisons: Blacks and Gays and the Struggle for Equality, New York.
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senschaftlerin Janice Hale-Benson. Sie hat in ihrer Studie beschrieben, dass die Angst, als schwul zu gelten, nicht nur auf afroamerikanische Jungs beschränkt sei. Sowohl schwarze als auch weiße männliche Schüler »feel they are flirting with homosexuality if they give in to the pressures of the school to exhibit behaviors they consider feminine«.288 Dennoch sei Rasse ein entscheidender Identitätsfaktor, wenn es um dieses Thema geht, schreibt Young. Es gebe trotz mancher Ähnlichkeiten sehr wohl einen Unterschied zwischen schwarzen und weißen Jungs, nämlich »that black boys not only feel coerced to give up their masculinity if they do well in school, but they also feel forced to abandon their race – the ultimate impossibility«.289 Durch eine Bedrohung der eigenen Maskulinität wird demzufolge ein Gefühl der Bedrohung der gesamten racial group ausgedrückt, weshalb es ›unmännliche‹ Verhaltensweisen um jeden Preis zu vermeiden gelte. Exemplarisch lässt sich das am Beispiel des Black English illustrieren. Young beschreibt, wie sehr der Misserfolg afroamerikanischer Jungs und Männer im amerikanischen Bildungswesen mit der mangelnden Fähigkeit bzw. einem Unwillen, sich auf Standard-Englisch zu artikulieren, verbunden sei. Black English, z.T. auch Ebonics genannt, stellt einen Dialekt dar, der durch eigenes Vokabular und zum Teil vom Standard-Englischen abweichende grammatikalische Strukturen ähnlich denen anderer Kreolvarianten gekennzeichnet ist. Wörter werden z.T. anders betont, Sätze anders intoniert, die begleitende Mimik und Gestik ist eine andere als im Standard-Englischen. In der amerikanischen Öffentlichkeit wird Black English als Unterschichtenphänomen wahrgenommen.290 Ein Afroamerikaner, der sich dennoch mittels Black English artikuliert, ruft vor allem bei Weißen Befremdung hervor, unabhängig vom Inhalt des Gesagten, denn er verhält sich damit bewusst ›schwarz‹: »The effect that Brown was intended to have, but has been prevented from having, would have voided race as a marker of difference that limits opportunities, especially educational ones, for black people. Instead, the full achievement of Brown is deferred – because the progress toward making race not matter stopped when the focus shifted from color to performance.« 291
Umgekehrt wird ein Afroamerikaner, wenn er sich nicht mittels Black English artikuliert, sondern eine ›weiße‹ Ausdrucksweise wählt, von einigen anderen 288 | Hale-Benson, Janice 1986: Black Children: Their Roots, Culture, and Learning Styles, Baltimore, S. 66. 289 | Young 2007, S. 90. 290 | Ausführlicher zu Black English und dessen Funktion im amerikanischen Erziehungswesen: Perry, Theresa/Lisa Delpi (Hg.) 1998: The Real Ebonics Debate: Power, Language, and the Education of African-American Children, Boston; allgemeiner: Mufwen, Salikoko S. (Hg.) 1998: African-American English: Structure, History, and Use, London/New York. 291 | Young 2007, S. 74.
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Afroamerikanern als illoyal gegenüber der eigenen Community empfunden werden. Dies könne er auch bewusst einsetzen, um sich von dieser Community zu distanzieren, erklärt Young: »Not only can a black person’s authentic racial identity be challenged by others because he ›talks white,‹ but a black person can also willfully inauthenticate himself, can certainly attempt to disassociate himself from the race by deliberately performing what he knows others understand to be ›white‹ ways or by expressing ›white‹ views.« 292
Für afroamerikanische Männer habe der Gebrauch einer ›schwarzen‹ Sprechweise die Funktion, ihnen eine gesicherte Rassen- und Geschlechtsidentität zuzuweisen, hat Young in seiner Studie festgestellt. Männer, die nicht richtig Black English sprächen, würden als ›schwul‹ bezeichnet, und damit werde ihre Männlichkeit in Frage gestellt.293 Auch diese Argumentation basiert auf der Vorannahme, dass ›schwules‹ Verhalten gleichzusetzen sei mit Unmännlichkeit, während Männlichkeit in starkem Kontrast zu femininen Verhaltensweisen konstruiert wird. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Phillip B. Harper beschreibt in seiner Studie zu schwarzer Maskulinität, wie sehr Homosexualität von afroamerikanischen Männern als Bedrohung schwarzer Sexualität und Identität wahrgenommen werde und welche Auswirkungen dies auf homophobe Einstellungen habe.294 Der Jurist und Theologe Harlon Dalton verknüpft die historischen Gründe für das Gefühl der Bedrohung afroamerikanischer Sexualität – die traumatische Erfahrung der Sklaverei – einmal mehr mit dem, was Patricia Hill Collins zuvor die strong women – weak men thesis genannt hatte, und bietet damit ein Beispiel, wie Misogynie und Homophobie miteinander einhergehen: »My suspicion is that openly gay men and lesbians evoke hostility in part because they have come to symbolize the strong female and the weak male that slavery and Jim Crow produced.« 295
Vershawn Young plädiert in seiner Funktion als Dozent für African American Studies für eine Einbindung schwarzer Kultur und Sprache in die Lehrpläne, die für ihn einen Teil afroamerikanischer Identität darstellt. So können seiner Meinung nach schwarze Jugendliche wieder einen Willen zum sozialen Aufstieg durch Bildung entwickeln:
292 | Young 2007, S. 75. 293 | Young 2007, S. 5. 294 | Harper 1996. 295 | Dalton, Harlon 1989: »AIDS in Blackface«, in: Daedalus: Journal of the American Academy of Arts and Sciences 118 (3), S. 217.
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Vershawn ist selbst im Ghetto von Chicago in schwierigen sozialen Verhältnissen aufgewachsen: »In seventh grade I asked a gang leader if I could join because I thought it would be cool.«297 Sein Glück sei es gewesen, dass der Anführer der Gang ihn abgelehnt und ihm geraten hätte, in der Schule zu bleiben, denn er sei intelligent. Doch viele männliche Jugendliche, die die Schule abbrechen, landen auf den Straßen der amerikanischen Großstädte. Dort gelten andere Gesetze. Gangs ersetzen die familiären Bindungen, es herrscht ein ständiger Kampf um die Vorherrschaft in einem bestimmten Viertel. Gewalt, Drogen und andere Formen der Kriminalität bestimmen den Alltag der Jugendlichen.298 Die Haupttodesursache junger Afroamerikaner im Alter von 15-35 Jahren ist Mord. 94 % von ihnen sind das Opfer eines ebenfalls afroamerikanischen Mörders geworden.299 Marable stellte 1997 fest, dass bei gleichbleibenden Statistiken im Laufe der folgenden sechs Jahre mehr schwarze Männer von schwarzen Männern ermordert werden würden, als US-Soldaten in Vietnam umgekommen seien.300 Heute ist die Lebenserwartung schwarzer Männer in Central Harlem bereits niedriger als in den Großstadtghettos Bangladeschs, so eine Statistik der Regierung.301 Neben Gewalt sind Drogen ein großes Problem. Vor allem Crack, eine Droge, die schon beim erstmaligen Konsum stark abhängig macht, ist in den afroamerikanischen Ghettos weit verbreitet. »Crack is a code for Black«, wie es Jesse Jackson einst treffend formulierte.302 Im Gegensatz zu Kokain, der Droge der weißen Mittel- und vor allem Oberschicht, gilt Crack als die Droge der Schwarzen, unter anderem deshalb, weil es wesentlich billiger ist. Laut Anti-Drug Abuse Act, der 1986 verabschiedet wurde, wird der Besitz eines Grammes Crack genauso hart bestraft wie der von 100g Kokain303 – für Afroamerikaner ein klarer Fall von rassistischer Ge296 | www.uiowa.edu/~fyi/issues/issues2008_v45/12082008/profiles.html (abgerufen am 01.12.2011). 297 | www.uiowa.edu/~fyi/issues/issues2008_v45/12082008/profiles.html (abgerufen am 01.12.2011). 298 | Vgl. hierzu: Newton, Michael 2008: Gangs and Gang Crime, New York; Hunt/Ramón 2010. 299 | Vgl. hierzu: Statistical Abstract of the United States 1994, aus: Kelleter 2000, S. 38. 300 | Marable 1997, S. 75. 301 | Zitiert nach: Kelleter 2000, S. 38. 302 | Edley 1996, S. 235. 303 | Zu unterschiedlicher Bestrafung von Crack und Kokain sowie zur Abhängigkeit der Bestrafung von Drogenbesitz von der Ethnie sehr ausführlich: Tonry, Michael (Hg.) 1995:
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setzgebung. Das letzte Mal wurde unter Clinton über dieses Missverhältnis verhandelt. Clinton unterzeichnete daraufhin ein Gesetz, das die Gleichstellung beider Straftatbestände verhinderte.304 Die harte Bestrafung von Crackbesitz ist denn auch einer der vielen Gründe, warum es in den Gefängnissen der Vereinigten Staaten eine so unverhältnismässig große Zahl von afroamerikanischen Insassen gibt. Die große Dichte an Waffen und Drogen in den schwarzen Ghettos bietet reichlich Stoff für Verschwörungstheorien. Nicht wenige Afroamerikaner sind der Meinung, dass der CIA gezielt Crack und Schusswaffen in die schwarzen Wohnviertel bringe, um so die langfristige Ausrottung der Afroamerikaner zu erreichen. Im Straßen-Slang der Jugendlichen stehe CIA demnach auch für »Cocaine Importing Agency.«305 Eine Umfrage von New York Times und CBS ergab, dass ein Viertel aller Afroamerikaner sicher sei, dass die Regierung Waffen und Drogen für Schwarze extra leicht zugänglich mache. Weitere 35 % können sich das gut vorstellen.306 Dieser Ansicht ist auch Louis Farrakhan, der Vorsitzende der Nation of Islam. Die Organisation ist seit Jahrzehnten bekannt für ihr aktives und vor allem erfolgreiches Engagement für schwarze Jugendliche in sozial schwierigen Wohngegenden. Afroamerikaner sind nach Meinung Farrakhans nicht verantwortlich für die Tatsache, dass es in den Ghettos amerikanischer Großstädte so viele Waffen und Drogen gibt: »We are not the gun runners. White folks bringing guns in, feeding them to black gangs, inspiring the black gangs to kill each other.«307 Was er gerade schwarzen Jugendlichen in einer Rede 1989 jedoch vorwarf, ist das Versäumnis, sich dieser ›weißen Verschwörung‹ zu widersetzen und stattdessen ignorant und dekadent das eigene Leben zu verschwenden: »Your heads are full of reefers, your veins so full of heroin and your noses so full of cocaine or you’re so busy at the party chasing one another sexually that you become a modern Rome.« 308
Sie sollten nicht darauf warten, dass irgendein Politiker käme und sie aus ihrem Sumpf retten würde, warnte Farrakhan die Jugendlichen in derselben Rede: »No Malign Neglect: Race, Crime, and Punishment in America, New York, v.a. S. 108-111 und 188-190. 304 | Edley 1996, S. 235. 305 | Simmons, Charles E. 1993: »The Los Angeles Rebellion: Class, Race and Misinformation«, in: Haki R. Madhubuti (Hg.): Why L.A. Happened: Implications of the ’92 Los Angeles Rebellion, Chicago, S. 152 – doch die Frage bleibt, warum stattdessen nicht »Crack Importing Agency«? 306 | Marable, Manning 1995: Beyond Black and White: Transforming African-American Politics, New York, S. 13. 307 | Farrakhan in seiner Rede »Stop the Killing« im Omni Center von Atlanta am 28.04.1990, zitiert nach: Gardell 1996, S. 244. 308 | Farrakhan in seiner Rede »The Crucifixion of Jesus: The Destruction of Black Leadership« in der Mosque Maryam in Chicago am 26.03.1989, zitiert nach: Gardell 1994, S. 41.
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politician can save anybody, politicians are in no saviour business. Politicians are hoodlums. No whore can save you.«309 Seine eigene Organisation, die NOI, jedoch engagiert sich seit vielen Jahren tatkräftig auf den Straßen der Großstädte in ihrem Kampf gegen Gewalt und Drogen. So gründete die NOI 1988 in Washington D.C. die NOI Security Agency Incorporated, eine Agentur für Sicherheitspersonal, das sich aus Mitgliedern der Fruit of Islam (FOI), der militärischen Einheit der NOI, zusammensetzt. Die FOI ist zuständig für religiöse Disziplin im Inneren der Organisation und die Verteidigung der Gruppe nach außen. Sogenannte Captains und Lieutenants bilden Rekruten in Krafttraining, Kampfsport und dem Gebrauch von Schusswaffen aus.310 Aufgrund ihrer guten Ausbildung – viele von ihnen sind ehemalige Boxer – sind die Sicherheitsleute der FOI auch außerhalb der NOI inzwischen sehr begehrt und können von jedermann gebucht werden. Sie schützen heute Hotels, Züge, Baustellen, Konzerte, Politiker, Stars und Sportereignisse. Sogar Verträge mit staatlichen Einrichtungen bestehen. Für ihre erfolgreichen Einsätze hat die Agentur eine Reihe von Preisen gewonnen. Den Erfolg der NOI-Bodyguards führt ein Bewohner einer Siedlung, die von der FOI geschützt wird, darauf zurück, dass sie die Menschen auf der Straße respektvoller behandeln würden, als es die amerikanische Polizei tue: »Police treats you like garbage. The Muslims […] treat you with respect, and the way they come to us is the way we come back to them.«311 Im Kampf gegen Drogen patrouillieren seit einigen Jahren eigens dafür abgestellte FOI-Milizionäre, denen es bis heute gelungen ist, ganze Straßenzüge drogenfrei zu bekommen. Diese schlagkräftige Truppe, die im Laufe der Jahre den Spitznamen »Dopebusters« bekommen hat, richtet ihre Aktivitäten vor allem auf das Verjagen von Dealern. Minister Don Muhammad, der Koordinator des Anti-Drogen- und Anti-Kriminalitätskampfs der FOI, hat bereits mehrere Preise von staatlichen Stellen und Gemeinden für seine Verdienste erhalten.312 Das System funktioniert so, dass sich jede Gemeinde, die diese Hilfe wünscht, direkt an die NOI wendet. Daraufhin werden ihr sogenannte »Islamic Patrols« zur Seite gestellt – ein Team von »Dopebustern« eben.313 Der Gang-Kriminalität nimmt sich die NOI ebenfalls an. Rivalisierende Gangs werden in einem gemeinsamen Kampf gegen Drogen und Verbrechen vereint und in die Erziehung sowie das politische Engagement für eine bessere Sicherheit auf
309 | Farrakhan in derselben Rede, zitiert nach: Gardell 1994, S. 41. 310 | Vgl. dazu: Gardell 1996, S. 260; Lincoln 1973, S. 199-203; Kelleter, S. 77f.; Gardell 1996b, Kap. 10. 311 | Zitiert nach: Ihejirika, Maudlyne: »New Life’s Weapon: Respect«, in: Chicago Sun-Times, 12.02.1994. 312 | Interview Gardells mit Don Muhammad am 08.06.1989, in: Gardell 1994, S. 41 und The Final Call vom 31.07.1989. 313 | Gardell 1996, S. 258.
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den Straßen der Großstädte eingebunden. Dafür vermittelt die NOI erfolgreich Waffenstillstandsabkommen zwischen verfeindeten Gruppen.314 Auch im Bereich des Erziehungswesens ist die Nation of Islam aktiv, wobei Louis Farrakhan das Versagen afroamerikanischer Kinder im amerikanischen öffentlichen Schulsystem nicht auf den Staat schiebt, sondern auf das Versäumnis der Afroamerikaner, das in den Schulen erworbene Wissen zugunsten der Bedürfnisse der black community einzusetzen. Er nennt dieses Verhalten selbstzerstörerisch: »My people are not dying from skinheads. They’re not dying from the Ku Klux Klan. They’re dying from their ignorance and self-hatred that has us destroying one another…We have to blame ourselves, because we’ve been offered the chance to go to the best schools to get an education, but we have not come out and used that education to provide the goods and education that our own communities need.« 315
Auch wenn Farrakhan nicht einem dysfunktionalen öffentlichen Schulsystem die Verantwortung für die Lage gibt, sondern behauptet, schwarze Kinder hätten prinzipiell die Möglichkeit, die besten Schulen zu besuchen, ist die NOI seit vielen Jahrzehnten aktiv im Auf bau eines eigenen Bildungssystems. Bereits Elijah Muhammad forderte in seinem Aufsatz »From A Program for Self-Development« seine Anhänger auf, eigene Schulen zu etablieren.316 Bereits unter dem Gründer der NOI, Wallace D. Fard, war Anfang der 1930er Jahre in Detroit eine organisationsinterne Grundschule sowie die University of Islam – keine Universität im eigentlichen Sinne, sondern eine High School – gegründet worden, in der Koranund Arabischunterricht, afroamerikanische Geschichte und Mathematik einen zentralen Platz im Lehrplan einnahmen.317 Unter Louis Farrakhan wurde das Erziehungssystem der NOI weiter ausgebaut. In einer Rede im Jahre 1980 forderte er, das seiner Meinung nach brachliegende Potential afroamerikanischer Kinder auszuschöpfen und diesen Selbstvertrauen zu vermitteln: »The education that we must give these children is an education to make them Gods. Listen now, you don’t want them being just a doctor, a lawyer, teacher or a chemist. Their nature is to master the law that governs these disciplines. So, you and I must put’em in a position to become masters of their discipline by making them masters of themselves.« 318
314 | Gardell 1996, S. 248. 315 | Zitiert nach Magida 1996, S. 140. 316 | Der ganze Aufsatz in VanDeburg 1997, S. 103ff.; interessanterweise ließ Elijah Muhammad selbst seine Söhne Akbar und Wallace lieber an der al-Azhar-Universität in Ägypten ausbilden. Vgl. hierzu: Turner 1997, S. 196. 317 | Lincoln 1973, S. 14; Lee 1996, S. 22. 318 | Louis Farrakhan (1980), zitiert nach: Gardell 1996, S. 275.
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Um eine den Idealen der NOI entsprechende islamische Erziehung der Kinder zu gewährleisten, wurde unter der Ägide Farrakhans 1989 die erste Muhammad University of Islam (MUI) in Chicago gegründet, die wie alle Universities of Islam keine Universität, sondern eine reguläre Schule ist. Einige der heute zahlreichen MUIs bieten nur Grundschulerziehung an, wohingegen an anderen ein High SchoolAbschluss erworben werden kann. Der Unterricht an diesen Schulen findet das ganze Jahr über, also ohne Ferien, in geschlechtergetrennten Klassen statt. In eigenen Muslim Girls Training Classes (M.G.T.) werden Mädchen auf ihre Pflichten als Ehefrauen und Mütter vorbereitet, unter anderem lernen sie dort kochen und nähen. Viele Jungs gehen in die Jugendgruppe der Fruit of Islam (FOI), wo sie eine sportliche Grundausbildung erhalten, die im wesentlichen Konditionstraining und Krafttraining umfasst. Alle Kinder studieren neben dem normalen Lehrplan den Koran und die Schriften Fards und Elijah Muhammads. Arabischunterricht ist mittlerweile ebenfalls Pflicht. Daneben gibt es außerdem eine Art »Moral- und Disziplinunterricht«.319 Auch an den amerikanischen Hochschulen ist die NOI präsent. Da Universitäten der NOI erst im Auf bau sind, hat Louis Farrakhan keine Bedenken, wenn junge NOI-Mitglieder an staatlichen Hochschulen studieren. An den meisten Universitäten gibt es diverse muslimische Studentenvereinigungen. Die größte Gruppe ist die Muslim Students Association, die aber mehrheitlich von nichtafroamerikanischen Muslimen getragen wird.320 Die Vereinigung NOISA (Nation of Islam Students Association) ist eine Organisation für NOI-nahe Studierende, die an nahezu zwanzig amerikanischen Universitäten, darunter auch der renommierten Stanford University, vertreten ist. Ziel der NOISA ist es nach eigenen Angaben, spirituelle, moralische und intellektuelle Führung und Hilfe auf Basis islamischer Prinzipien anzubieten sowie »to produce, provide and train new leadership focused on establishing institutions assisting in the cultivation of individual skills and talents and the elevation and advancement of knowledge, wisdom, and understanding.«321 Besonders engagierte Studenten haben zudem die Möglichkeit, von der
319 | Gardell 1996, S. 276; zum Programm an einer solchen Schule siehe die Website der MUI Chicago: http://muichicago.org/Welcome.html (abgerufen am 29.11.11). 320 | Vgl. hierzu beispielsweise den Artikel von Mary Rourke: Muslim Students in California, auf: http://infousa.state.gov/education/overview/muslimlife/castudent.htm (abgerufen am 29.11.11). 321 | Zur NOISA siehe deren Website: http://noisa.noi.org/ (abgerufen am 29.11.11); auf der Seite finden sich außerdem folgende Aussagen: »We work tirelessly to neutralize and eliminate the influence of those persons, organizations and institutions maintaining inordinate levels of control over our leaders, entertainers, economics and intellectual power, but do not have our best interests in mind. […] We battle relentlessly against those persons, organizations and institutions, who oppose our efforts to establish unity and liberate those suffering under the tyrannical and malicious hand of Racism, Imperialism and Zionism.«
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NOISA ein Stipendium zu erhalten, wofür neben exzellenten Studienleistungen eine Empfehlung von einem Minister eines NOI-Tempels vorzuweisen ist.322 Nach wie vor schaffen es jedoch viele junge afroamerikanische Männer nicht, aus der Spirale der Gewalt, die in den Großstädten virulent ist, auszubrechen, ihren Schulabschluss zu machen oder gar an einer Hochschule zu studieren. Statt einer Bildungs- können sie höchstens eine kriminelle Karriere vorweisen, und diese endet allzuoft im Gefängnis. Sind sie bis dato nicht in den Kontakt mit der Nation of Islam gekommen, lässt sich das in einer Haftanstalt kaum vermeiden, wie im folgenden dargestellt wird. Jailhouse Islam Neben den Schulen und Straßen gibt es einen weiteren Bereich, in dem sich die Ablehnung von Disziplin, die als surrender to white supremacy empfunden wird, Gewalterfahrungen und latente Homophobie für afroamerikanische Männer auf verhängnisvolle Weise miteinander verbinden, nämlich die amerikanischen Haftanstalten. Für die Frage nach der Relevanz des Islam für die Herausbildung einer schwarzen Konzeption von Maskulinität sind Gefängnisse ein wichtiges Untersuchungsfeld, weil eine große Zahl von Männern, die später zum Islam konvertieren, das erste Mal als Häftlinge mit dem Islam in Berührung kommen. Rund ein Drittel der afroamerikanischen Gefängnisinsassen sind Muslime.323 Ein großer Anteil der Konvertiten zum Islam ist schwarz, männlich und – findet im Gefängnis zum Glauben.324 Genaue Zahlen hierüber existieren jedoch nicht. Im folgenden wird dargestellt, wie der sogenannte Jailhouse Islam es schwarzen Männern ermöglicht, aus dem Teufelskreis von männlicher Selbstbehauptung, Bildungsverweigerung und sozialem Abstieg zu entkommen, indem der Islam sich ihnen dort als ein Glaube präsentiert, der Bildung und Disziplin als Grundlage für das empowerment afroamerikanischer Männer liefert, mithin als eine Religion, die es ihnen erlaubt, nicht im Widerspruch zu, sondern im Namen von ihrer black identity zu lernen und den Willen zum sozialen Aufstieg zu wecken. Afroamerikanische Männer finden sich im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig in Haftanstalten wieder. Im Jahr 2000 stellten Afroamerikaner rund 13 % der US-amerikanischen Bevölkerung dar.325 In den Gefängnissen sind jedoch knapp 38 % der Insassen Afroamerikaner.326 Diese Zah322 | http://noisa.noi.org/ (abgerufen am 29.11.11). 323 | Vgl. dazu: Dannin, Robert 1996: »Island in a Sea of Ignorance: Dimensions of the Prison Mosque«, in: Barbara Daly Metcalf (Hg.): Making Muslim Space in North America and Europe, Berkeley, S. 131-146. 324 | Leonard 2003, S. 8. 325 | Daten des U.S. Census Bureau: www.census.gov/population/www/socdemo/race/ Black-US.pdf (abgerufen am 01.12.2011). 326 | Angaben des Federal Bureau of Prisons (BOP) für 2011: www.bop.gov/news/quick. jsp#1 (abgerufen am 01.12.2011).
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len könnte man natürlich allein auf eine tatsächlich höhere Kriminalitätsrate von Afroamerikanern zurückführen, die jedoch, wie viele Studien zeigen, eine Folge struktureller Diskriminierung ist.327 Die Ursachen liegen unter anderem in der Segregation von Schulen und Wohnvierteln, Armut, schlechter Bildung sowie Diskriminierung bei der Vergabe von Jobs. Dass diese sicherlich vorhandene strukturelle Diskriminierung nicht allein verantwortlich für die überproportional hohe Anzahl schwarzer Häftlinge ist, wird daran deutlich, dass Schwarze für das gleiche Delikt im Durchschnitt mit achtmal höherer Wahrscheinlichkeit dafür inhaftiert werden als Weiße.328 Unter gleichen Umständen der Tat erhalten Afroamerikaner 4,3mal eher die Todesstrafe als Weiße.329 Bei der in 34 Bundesstaaten im Gesetz verankerten Todesstrafe macht sich die Diskriminierung in zweierlei Hinsicht bemerkbar: Sowohl die Ethnie des Täters als auch die des Opfers entscheiden über das Strafmaß. Die höchste Strafe gibt es für einen schwarzen Täter und ein weißes Opfer. Ist das Opfer hingegen ebenfalls schwarz, ist die Todesstrafe wesentlich unwahrscheinlicher.330 Nach Meinung verschiedener afroamerikanischer Wissenschaftler hat die Tatsache, dass Schwarze vor allem bei Mord oder einer Sexualstraftat gegen eine weiße Person härter bestraft werden, als wenn entweder der Täter auch weiß oder das Opfer auch schwarz war, folgende Gründe: Gesetze seien dazu da, die Macht der dominanten Gruppe, also der Weißen, zu erhalten.331 Schwarze, die Weiße angriffen, seien somit eine Bedrohung für das »system of racially stratified state authority.«332 Einen weiteren Grund für die hohen Inhaftierungsraten von Afroamerikanern sehen Wissenschaftler in den Ungerechtigkeiten bei den Zusammensetzungen der Jurys. Diese oft überproportional weißen Jurys empfänden mit einem weißen Opfer mehr Mitleid. Schwarze Leben zählten für sie demnach weniger als weiße.333 327 | Walker, Samuel/Cassia Spohn/Miriam DeLone 2000: The Color of Justice: Race, Ethnicity, and Crime in America, Wadsworth. 328 | www.hrw.org/reports/2000/usa/Rcedrg00-01.htm (abgerufen am 27.11.2011). 329 | Marable 1997, S. 224. 330 | Latzer, Barry 1998: Death Penalty Cases: Leading U.S. Supreme Court Cases on Capital Punishment, New York, S. 231ff. und www.amnestyusa.org/rightsforall/dp/race/ index.html (abgerufen am 14.02.2011) zur Relevanz von Rasse im amerikanischen Justizsystem ausführlich: Tonry 1995; Tonry, Michael 1996: Ethnicity, Crime, and Immigration, Chicago; Spohn, Cassia C.: 2004: The Color of Justice: Race, Ethnicity, and Crime in America, Belmont; Short, James F. 1997: Poverty, Ethnicity, and Violent Crime, Boulder; Urbina, Martin G. 2003: Capital Punishment and Latino Offenders: Racial and Ethnic Differences in Death Sentences, New York. 331 | Vgl. hierzu: Quinney, Richard 2001: The Social Reality of Crime, New Brunswick, aus: Spohn, Cassia 1996: »Courts, Sentences, and Prisons«, in: Obie Clayton: An American Dilemma Revisited: Race Relations in a Changing World, New York, S. 259. 332 | Zitiert nach: Spohn 1996, S. 259. 333 | Groß, Samuel R./Robert Mauro 1989: Death and Discrimination: Racial Disparities in Capital Sentencing, Boston.
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In den 1980er und 1990er Jahren fand von Seiten der Regierung ein massiver Ausbau des amerikanischen Gefängnissystems statt. Der sogenannte prison industrial complex stellt heute mit seinen »new high-tech plantations«334 einen der größten Arbeitgeber in Amerika dar, ist doch nach Angaben des Bureau of Justice Statistics rund ein Prozent der amerikanischen Bevölkerung inhaftiert. Seit Jahrzehnten bilden afroamerikanische Männer die größte Einzelgruppe von Häftlingen. Heute sind fast ein Drittel aller afroamerikanischen Männer im Alter zwischen zwanzig und dreißig im Gefängnis bzw. rund ein Zehntel aller afroamerikanischen Männer ist in Haft; ein Drittel aller afroamerikanischen Männer ist entweder im Gefängnis oder auf Bewährung.335 In Washington D.C. werden, so die Prognose, statistisch betrachtet 85 % aller afroamerikanischen Männer mindestens einmal im Laufe ihres Lebens im Gefängnis landen.336 Die Gründe hierfür sind eine Verwebung struktureller Ursachen mit einer sozialen Schieflage in der afroamerikanischen Community. Verstärktes racial profiling von Seiten der Polizei, eine neue, durch die Verbreitung von Drogenabhängigkeit verbreitete Untergrundwirtschaft, ein oftmals rassistisches Justizsystem, das Schwarze für die gleichen oder ähnliche Straftaten härter bestraft als andere Gruppen, mangelnde Arbeitsmöglichkeiten für junge schwarze Männer, immer weniger staatliche Unterstützung für Rehabilitierungsmaßnahmen nach einer Haftentlassung und damit hohe Rückfallquoten – all dies führt dazu, dass statistisch gesehen jeder dritte schwarze Mann in Amerika im Laufe seines Lebens mindestens einmal ins Gefängnis geht.337 Die afroamerikanische Politikwissenschaftlerin Joy James stellt dazu fest: »Blackness continues as the indicator of guilt in white American society.«338 In den Gefängnissen treffen die Insassen auf eine Atmosphäre, in der sich alle Probleme der Straße verdichten. Es gibt dort eigene Regeln, die jeder Häftling erst einmal erlernen muss. Das alte Ich wird in einer Atmosphäre der körperlichen Brutalität, der psychologischen Manipulation und in der ständigen Angst vor Vergewaltigung gebrochen. Hierarchien innerhalb der Gefängnisse etablieren sich und bestimmen, wer Opfer und wer Täter sein wird.339 Sexuelle Gewalt nimmt bei diesem Vorgang eine zentrale Rolle ein. Eine Reihe von Studien zeigen, dass der Grad an zugeschriebener Maskulinität durch andere Häftlinge (und damit die Stufe in der Gefängnishierarchie) sich daran bemisst, wie 334 | Alim 1998, S. 163. 335 | Turner 2006, S. 33; Whiting/Lewis 2008. 336 | Marable 1997, S. 45. 337 | Ausführlich dazu: Marable, Manning/Ian Steinberg/Keesha Middlemass (Hg.) 2007: Racializing Justice, Disenfranchising Lives: The Racism, Criminal Justice, and Law Reader, New York. 338 | James, Joy 1997: Transcending the Talented Tenth: Black Leaders and American Intellectuals, New York, S. 105. 339 | Dannin 1996, S. 137, ausführlich: Sabo, Donald F./Terry A. Kupers/William J. London (Hg.) 2001: Prison Masculinities, Philadelphia.
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gut es ein Gefangener weiß, seine eigene Heterosexualität unter Beweis zu stellen, was meistens mit einer Degradierung homosexueller Sexualität einhergeht. Vergewaltigung anderer Gefangener wird gezielt eingesetzt, um Hierarchien zu festigen. Dabei gilt nur der passive Part als homosexuell, feminisiert und damit unmännlich, während der aktive Part seine Heterosexualität demonstriert, auch wenn das Gegenüber ebenfalls männlich (aber eben passiv) ist. Angesichts der immens hohen Inhaftierungsraten schwarzer Männer verschwämmen die Grenzen zwischen street gangs und prison gangs zunehmend, so Patricia Collins in ihrer Studie zu schwarzer Maskulinität und Gewalt, wodurch sich auch die Grenzen zwischen Gefängnis-, Straßen- und Jugendkultur zunehmend auflösten: »With record-high numbers of African American men incarcerated, consensual and forced sexual contact among men in prison has become more common.«340 Die Bedeutung des Schutzes durch andere Gefängnisinsassen für den Einzelnen kann in einer solchen Situation nicht überschätzt werden: Schutz vor unerwünschten sexuellen Übergriffen und Schutz vor Gewalt werden in den amerikanischen Gefängnissen vor allem durch prison gangs gewährt. Diese Gangs sind vorwiegend entlang rassischer Kategorien organisiert, wobei die drei Hauptströmungen weiß-nationalistische, schwarze und Latino-Gangs darstellen.341 Unter den schwarzen Gangs342 stellen islamisch konnotierte, allen voran die Nation of Islam, heute die wichtigste Gruppe dar. Laut einer Studie des Politikwissenschaftlers Hisham Aidi bekennen sich rund ein Drittel aller schwarzen Gefängnisinsassen zu einer islamischen oder islamnahen Strömung, darunter die NOI, sunnitische Gruppen oder der Moorish Science Temple.343 Bevor der Islam seit den Zeiten der Bürgerrechtsbewegung eine solche Relevanz für die black community – auch in Gefängnissen – entwickelt habe, seien vor allem revolutionär340 | Collins 2006, S. 89; ausführlicher zum Verhältnis von Gefängniserfahrung, Maskulinitätskonzeptionen und Homophobie: Mariner, Joanne 2001: No Escape: Male Rape in U.S. Prisons, New York; Pinar, William F. 2001: The Gender of Racial Politics and Violence in America: Lynching, Prison Rape, and the Crisis of Masculinity, New York; Miller, Teresa A. 2000: »Sex and Surveillance: Gender, Privacy, and the Sexualization of Prison«, in: George Mason University Civil Rights Law Journal 10 (2), S. 291-356. 341 | Zu prison gangs siehe ausführlicher: Gaes, Gerald G./Susan Wallace/Evan Gilman/ Jody Klein-Saffran/Sharon Suppa 2002: »The Influence of Prison Gang Affiliation on Violence and Other Prison Misconduct«, in: The Prison Journal 82 (3), S. 359-385; Camp, George M. 1985: Prison Gangs: Their Extent, Nature and Impact on Prisons, Washington. 342 | In diesem Kontext scheint der Ausdruck ›Gang‹ unangebracht – doch sind die religiös konnotierten Gruppen im Gefängnis ähnlich organisiert wie herkömmliche Gangs und üben vor allem in puncto Schutzgewährung dieselbe Funktion aus. In amerikanischen Publikationen (s.o.) werden Gruppen wie die NOI daher durchaus unter dem Etikett ›Gang‹ untersucht. 343 | Aidi, Hisham 2002: »Jihadis in the Hood: Race, Urban Islam and the War on Terror«, in: Middle East Report 224, nachzulesen auf: www.merip.org/mer/mer224/jihadis-hood (abgerufen am 01.12.2011).
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marxistische Strömungen in Anlehnung an Mao oder Che Guevara sowie diverse black power-Strömungen am stärksten unter schwarzen Häftlingen vertreten gewesen. Seit den 1950er Jahren missionieren jedoch schwarze, islamische Gruppen mit Erfolg in amerikanischen Gefängnissen. Die NOI leistet sich seither mit Sunniten, dem Darul Islam und anderen einen Wettstreit um die Vorherrschaft. Sankore, die Moschee des Darul Islam im New Yorker Gefängnis Green Haven, gilt als wichtigstes daʿ wa-Zentrum Amerikas.344 In vielen Gefängnissen stelle die NOI jedoch die mitgliederstärkste Gruppe, so der Religionswissenschaftler Mattias Gardell. Obwohl die Aktivitäten der NOI denen des Darul Islam und ähnlicher Organisationen in den Gefängnissen inhaltlich stark ähneln, so ist die NOI einmal mehr die Gruppierung, deren Engagement am straffsten organisiert ist und einen langen Zeitraum – bis weit über die Entlassung hinaus – im Blick hat, wie sich im folgenden zeigt.345 Gangähnliche Strukturen seien dabei eine Garantie für das Überleben, meint Gardell. So pendele sich eine »balance of terror« zwischen der NOI und beispielsweise der rechten Aryan Brotherhood ein.346 Durch die hohen Mitgliederzahlen, so Robert Dannin, seien schwarze islamische Gruppen de facto gleichgestellt mit anderen Gruppierungen in der Gefängnishierarchie, darunter diverse Latino-Gangs oder der weiß-nationalistische Ku Klux Klan. Für ihre Anhänger brächten die islamischen Gruppen durch die Gewährung von Schutz einen alternativen Autoritätsfokus ins Gefängnis, und das fundamentalste Hierarchisierungsprinzip im Gefängnis – sexuelle Dominanz – würde negiert. Sexuelle Bedürfnisse würden durch gemeinsames Beten und Studieren der Schriften gezielt umgeleitet.347 Männern, die im Gefängnis bereits sexuelle Gewalt erlebt haben, erklärte beispielsweise Louis Farrakhan, dass sie, obwohl er Homosexualität als ›unnatürlich‹ verdamme, keine Stigmatisierung durch die NOI fürchten brauchten, solange sie sich nicht selbst als schwul identifizierten, da diese Kontakte das Resultat einer gleichgeschlechtlichen Umgebung gewesen seien. Mit ihrem Beitritt zur NOI – als der Bastion schwarzer Männlichkeit – legten sie, so Farrakhan, ein Zeugnis ihrer Heterosexualität ab sowie ihres Willens, die ökonomische und politische de-masculinization, die sie vor ihrer Verhaftung erfahren hätten, auszulöschen.348 Die Strategie der Abschottung gegenüber ande344 | Dannin 1996, S. 141. 345 | An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber zugefügt, dass sich eingewanderte Muslime und deren Organisationen kaum in der Gefängnisarbeit engagieren. Da diese Häftlinge meist Afroamerikaner seien, fühlten sich Immigranten nicht zuständig, was ihnen von schwarzen Muslimen auch vorgeworfen werde, so die Anthropologin Karen Leonard, siehe dazu: Leonard 2003, S. 113. 346 | Gardell 1996, S. 262. 347 | Dannin 1996, S. 139. 348 | Monroe 1998, S. 282; die afroamerikanische Theologin beschreibt in ihrem Aufsatz ausführlich die Position der NOI zu Homosexualität, vgl. dazu: Monroe 1998, S. 275-298. Die Ablehnung von Homosexualität ist in der gesamten black community stärker verbrei-
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ren Gefangenen scheine nach Dannin zu funktionieren: Muslimische Gefangene würden selbst von äußerst gewalttätigen Insassen in Ruhe gelassen – aus Angst vor Vergeltung. Dannin zitiert dazu einen Gefangenen des New Haven Prison: »A Muslim’s blood is sacred. We will not allow anyone to shed a Muslim’s blood without retaliation. The prison population knows this and would prefer for us to handle our situation.«349 Der Islam biete im Kontext der Haftanstalten eine »Gegendisziplin« zur herrschenden Gefängnisdisziplin. Der Gefangene werde durch seine Konversion Teil eines größeren Kontextes und entziehe sich damit teilweise der Kontrolle durch das Gefängnis.350 Ein inhaftiertes Gangmitglied aus Los Angeles drückte seine Erfahrungen in einem Brief folgendermaßen aus: »Islam has changed my life tremendously. It has caused me to be disciplined to an extent I never thought possible. I came out of a culture that reveled in undiscipline (sic!) and rebelliousness, so to go the opposite direction was major for me. […] I firmly believe and see that for the 1990s and beyond, Islam will be an even more dynamic force and alternative for many prisoners, especially the confused youth, who are more receptive to the teachings of Islam and the self-esteem it provides them in abundance, not to mention the knowledge.« 351 tet als in der restlichen amerikanischen Bevölkerung, siehe dazu: Simmons, Ron 1991: »Some Thoughts on the Challenges Facing Black Gay Intellectuals«, in: Essex Hemphill (Hg.): Brother to Brother: New Writings by Black Gay Men, Boston, S. 211-228; und afroamerikanische Muslime lehnen Homosexualität stärker ab als andere Muslime in Amerika, siehe dazu: Pew Research Center 2007, S. 45; George Jackson, eine der Gallionsfiguren der Black Panther Party, sagte einst den legendären Satz: »True Niggers Ain’t Faggots.« zitiert nach: Johnson, E. Patrick 2003: Appropriating Blackness: Performance and the Politics of Authenticity, Durham, S. 36f., in: Anderson, Victor 2008: »Masculinities Beyond Good and Evil: Representations of the Down Low in the Fictional Imagination of Alphonso Morgan’s Sons«, in: AmeriQuests 6 (1), auf: http://ejournals.library.vanderbilt.edu/ojs/index.php/ ameriquests/article/viewArticle/137/153 (abgerufen am 20.09.2010), S. 11. Der Jurist Devon Carbado macht deutlich, weshalb gerade homosexuellen Afroamerikanern – eher als dem bad nigger beispielsweise – von der black community vorgeworfen wird, der weißen Bevölkerung den rassistischen Stereotyp von der abweichenden, unnormalen schwarzen Sexualität zu bestätigen: »Heterosexual privilege is one of the few privileges that straight Black men know they have – not being a ›sissy, punk, faggot‹. […] Still, Black heterosexuality is closer to White male heterosexual normalcy and normativity than is Black gay sexuality. And many straight (or closeted) Black men will want to avoid even the suspicion of.«, siehe dazu: Carbado, Devon W. 1999: »Epilogue: Straight out of the Closet: Men, Feminism, and Male Heterosexual Privilege«, in: Ders.: Black Men on Race, Gender, and Sexuality, New York, S. 431. 349 | Zitiert nach: Dannin 1996, S. 142. 350 | Dannin 1996, S. 131. 351 | Brief von Mujahid al-Hizbullahi (1991), abgedruckt in: Dannin 1996, S. 132.
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Durch die islamischen Vorschriften, die alle inhaftierten Muslime verbänden, werde ein alternativer sozialer Raum innerhalb der Gefängnismauern strukturiert, hat Dannin in seiner Studie festgestellt. Durch den Islam könne der Gefangene seine Zeit im Gefängnis neu definieren: als Zeit der Wandlung. In Anlehnung an die Koransure 13:11 (»Gott verändert nichts an einem Volk, solange sie [die Angehörigen dieses Volkes] nicht [ihrerseits] verändern, was sie an sich haben.«) propagierten schwarze Revolutionäre eine »personal rebirth« für jeden Häftling352 , eine »ontologische Rekonstruktion.«353 Die Konversion werde zu einem Symbol für einen Neuanfang. Ein neuer Name, andere Kleidung, neue Freunde zeigten die Distanz zu den übrigen Insassen und markierten den symbolischen Übertritt vom dāru l- ḥarb, der dem Islam feindlich gesonnenen Umwelt, ins dār al-islām, die Gemeinschaft der Gläubigen – innerhalb des Gefängnisses: »Islam constitutes a cultural passport, whose bearer may exercise the option to depart the anomic zone of ghetto life for destinations mapped out by the Qur’an and Sunna.«354 Auch wenn sunnitische schwarze Gruppen in amerikanischen Gefängnissen in den letzten Jahrzehnten vermehrt Präsenz zeigen und Gläubige für sich gewinnen können, so hat die Nation of Islam die längste und erfolgreichste Geschichte bei der Gefängnismission. Bereits in den 1950er und 1960er Jahren begann die Organisation intensiv und erfolgreich mit ihrer Missionsarbeit unter afroamerikanischen Häftlingen. In den Haftanstalten hoffte sie – zu Recht, wie sich zeigen sollte –, ein aufnahmefähiges Publikum zu finden, entbunden vom täglichen Überlebenskampf auf den Straßen und mit Zeit für Selbstreflexion und Selbststudium.355 Die Summe von institutionalisierten Ungerechtigkeiten des amerikanischen Justizsystems machte inhaftierte Afroamerikaner besonders empfänglich für eine Botschaft wie die der NOI. Die Männer erhielten zunächst an sie persönlich gerichtete Briefe, mittels derer ihnen die Ideale und Doktrinen der NOI nähergebracht wurden. Die Gefängnisverwaltungen versuchten zunächst, diese Form von religiöser Unterweisung zu verbieten, doch muslimische Gefängnisinsassen gingen bis vor den Supreme Court, um durchzusetzen, dass sie ›religiöse Post‹ und Besuch von Imamen bzw. Ministern erhalten durften. Außerdem erstritten sie sich vor Gericht das Recht, schweinefleischfreie Kost zu erhalten, zu ihrer Häftlingskleidung die eigentlich im Gefängnis verbotenen, für NOI-Mitglieder aber obligatorischen Krawatten zu tragen sowie die Erlaubnis, Gottesdienste und Religionsunterricht innerhalb des Gefängnisses abzuhalten.356 Galt die Bibel 352 | Dannin 1996, S. 137. 353 | Dannin 1996, S. 143. 354 | Dannin 1996, S. 142. 355 | Alim 1998, S. 160. 356 | Al-Deen, Thaufeer 2002: »Prison and the Struggle for Dignity«, in: Michael Wolfe/ Producers of Beliefnet (Hg.): Taking Back Islam: American Muslims Reclaim Their Faith, S. 142, außerdem: Moore, Kathleen 1991: »Muslims in Prison: Claims to Constitutional
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schon lange als Rehabilitationsinstrument für Gefangene357, so musste sich der Koran diese Stellung erst erwerben.358 Durch das First Amendment der amerikanischen Verfassung wird prinzipiell Religionsfreiheit für alle Glaubensrichtungen gewährleistet. Doch die Freiheit des religiösen Ausdrucks kann eingeschränkt werden, wenn sie nach Ansicht der Gefängnisleitung die Gefängnisordnung bedroht.359 Seither haben amerikanische Gerichte jedoch mehrfach entschieden, dass der Islam – auch im Gefängnis – in vollem Umfang den Schutz des First Amendment genießt, so dass die NOI sich wie christliche Gruppierungen auch auf den Schutz durch die Verfassung berufen kann.360 Auch sunnitische Gruppen konnten in dieser Richtung übrigens Erfolge vorweisen. In der Folge der Anerkennung durch den Supreme Court haben sie beispielsweise die Anerkennung muslimischer Feiertage und des Fastenmonats Ramadan erfochten. Muslime haben laut zahlreicher Urteile ein Recht auf halāl-Essen und auf eine islamische Kopf bedeckung sowie das Tragen islamgemäßer Kleidung.361 Diese rechtlichen Protection of Religious Liberty«, in: Yvonne Y. Haddad (Hg.): The Muslims of America, New York, S. 136-156; Dannin 1996. 357 | Koren, Edward I./Alvin J. Bronstein 1988: The Rights of Prisoners: American Civil liberties Union Handbook, Carbondale, S. 49: »Most prisons allow possession of the Bible, visits by and written communications with ministers of particular faiths, the receipt of religious materials, the holding of religious services, and the wearing of religious medals and medallions. Indeed, traditional Christian worship is encouraged in the belief that it reinforces conservative teachings with regard to sin, repentance, and redemption.« 358 | Grundsätzlich haben Gefängnisinsassen das Recht auf Zugang zu religiöser Literatur, doch urteilen Gerichte unterschiedlich, was überhaupt unter Religion zu verstehen sei. Neben Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus werden z.B. auch Rastafari und nordische Religionen prinzipiell anerkannt, während z.B. Satanisten und den Five Percenter (einer afroamerikanischen Splittergruppe aus der Hip Hop-Szene mit Bezügen zu islamischer Symbolik) diese Anerkennung meist verwehrt wird. Jedoch wurden seit 2007 einige Schriften aus dem islamischen Spektrum als ›radikal‹ eingestuft und daher verboten, ebenso vermehrt solche aus dem Bereich nordischer Religionen wie des Asatru, Wotanismus etc. Vgl. hierzu die Zusammenfassung des American Civil Liberties Union National Prison Project: www.aclu.org/files/images/asset_upload_file78_25744.pdf (abgerufen am 19.12.11) sowie Sullivan, Larry: Hammering Thor: The Censoring of Nordic Literature and Religion in American Prisons, Paper presented at the annual meeting of the ASC (American Society of Criminology) Annual Meeting, San Francisco, am 17.11.2010. 359 | McCloud 1995, S. 124. 360 | Moore 1991, S. 138f. Grundlage ist die Entscheidung des Supreme Court in Fulwood v. Clemmer (1962): Der Islam verdient diesen Schutz, weil er im Leben der Gläubigen die Funktion einer Religion innehat. 361 | McCloud 1995, S. 123: so z.B. die Gerichtsverfahren Yusuf Lateef Na’im Salahuddin v. Norman A.Carson et al. (Virginia 1981) oder Masjid Muhammad D.c.c. v. Keve in Delaware 1979, vgl. hierzu: McCloud 1995, S. 10, FN 6 und Dannin 1996, S. 138.
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Erfolge, so Karen Leonard, gäben Muslimen die Zuversicht, nach ihrer Entlassung auch gesamtgesellschaftlich etwas bewegen zu können.362 Schon bald begannen auch die Gefängnisleitungen die Arbeit der NOI zu schätzen. Die disziplinierten muslimischen Häftlinge unterschieden sich durch ihr Auftreten offensichtlich von anderen Gefangenen, was sich die Verwaltungen zunutze machten, indem sie die konvertierten Häftlinge in ihre Arbeit einbanden: »As a result of these victories, as well as their highly structured and disciplined character, members of the Nation set themselves apart from other inmates by prison officials. A love-hate relationship began to emerge over time. Out of admiration grew a high degree of autonomy for Nation members, and, gradually, in a few facilities, the recognition by prison administrators that they could enhance control over inmates by enlisting Nation members as informants.« 363
Wahrhaften Respekt des Gefängnispersonals erwarben sich muslimische Insassen 1972 beim Attica-Gefängnisaufstand im New Yorker Gefängnis Green Haven. Damals hatten sich muslimische Häftlinge schützend vor die Wärter gestellt. Als Belohung beteiligte sie die Gefängnisleitung in Anerkennung ihres disziplinierten Verhaltens an der Gestaltung von Rehabilitierungsprogrammen und der Unterrichtsplanung, der Ausrichtung von Familientagen und anderem. Diese Zusammenarbeit in Green Haven wurde von den dortigen Muslimen daraufhin zum Modell »Medina« deklariert.364 Im Jahre 1989 appellierte Louis Farrakhan sogar explizit an den Kongress und den amerikanischen Präsidenten, die NOI in allen Gefängnissen in die Gefängnisarbeit miteinzubeziehen: »We can reform the convict, you can’t. We reform the drug addict, you don’t. We reform the alcoholic and the prostitute. You don’t. We take the poor and give them hope by making them do something for themselves. You don’t. We are your solution.« 365
Gefängnisse seien teuer, leisteten aber keine wirksame Rehabilitation, so Farrakhan an anderer Stelle: »Why not let us handle the inmate and lessen the taxpayer’s burden? […] We can reform our people and make them productive members of society.«366 Tatsächlich, so der Kulturkritiker Stanley Crouch, hätten entlassene NOI-Häftlinge ihre Umgebung von Anfang an durch ihre Verwandlung im Gefängnis beeindruckt. Aus Gangstern seien ordentlich gekleidete, sauber rasierte und höfliche junge Männer geworden: »They were ›in the Nation‹ and that meant 362 | Leonard 2003, S. 8. 363 | Al-Deen 2002, S. 142f. 364 | Vgl. hierzu: Dannin 1996, S. 133-135. 365 | Farrakhan im Interview vom 18.05.1989, zitiert nach: Haddad, Yvonne Y. 1994: Muslim Communities in North America, Albany, S. 42. 366 | Farrakhan 1993, S. 115.
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that new men were in front of you, men who greeted each other in Arabic, who were aloof, confident, and intent on living differently than they had.«367 Farrakhan glaubt im übrigen, dass die NOI diese Arbeit auch außerhalb der Gefängnisse leisten könne. In einem symbolischen Appell, der mit der Gospel-Terminologie an das kollektive Gedächtnis der Schwarzen als Nachfahren von Sklaven anknüpfte, forderte er 1989 den Staat zur Entlassung der Gefangenen auf: »Let our Black brothers out of prison, give us your poor … give them to me – Let my people go.«368 Mit ihrem Anfang der 1980er Jahre begonnenen self improvementProgramm für Häftlinge ging die NOI in ihrer religiösen Metaphorik noch einen Schritt weiter. Die kriminelle Identität der Gefangenen sollte durch eine göttliche ersetzt werden, forderte Farrakhan 1986, »so that when you see the person, you are actually looking at God.«369 Er ließ damals Broschüren drucken und in den Haftanstalten verteilen, in denen die These von einer politischen Verschwörung der Weißen gegen die Afroamerikaner vertreten wurde, was sich nach Meinung Farrakhans unter anderem daran zeige, dass Schwarze in Amerika eher ins Gefängnis kämen, als einen Arbeitsplatz zu finden.370 Das Gefängnis sei für die NOI lediglich ein »prison within the prison«371, so der Religionswissenschaftler Mattias Gardell, und das Ziel der NOI sei somit nicht nur die Befreiung aus der Haft, von Drogenabhängigkeit usw., sondern – so habe es bereits Elijah Muhammad im Grundsatzprogramm »What the Muslims Want« niedergeschrieben – auch eine ideologische Befreiung vom gesamten amerikanischen System, das für Schwarze noch immer eine Form der Sklaverei darstelle.372 In seiner Studie zum prison industrial complex hat der Literaturwissenschaftler Dennis Childs das amerikanische Gefängnissystem übrigens gar als neoslavery bezeichnet, und die Aussage, dass amerikanische Gefängnisse die new plantations seien, findet sich des öfteren in wissenschaftlichen oder journalistischen Texten zu diesem Thema.373 Die 367 | Crouch 1998, S. 255. 368 | Farrakhan in seiner Rede »The Origin of the White Race: The Making of the Devil« in der Mosque Maryam in Chicago am 23.04.1989, zitiert nach: Haddad 1994, S. 42. 369 | Farrakhan in einer Rede 1986, zitiert nach: Gardell 1996, S. 262. 370 | Marable 1997, S. 46, MaCloud 1995, S. 126. 371 | Gardell 1996, S. 264. 372 | Gardell 1996, S. 264, in Absatz 5 des NOI-Grundsatzprogramms »What the Muslims Want« wird die Befreiung explizit angesprochen. 373 | Siehe dazu bspw.: Childs, Dennis Ray 2005: Formations of Neoslavery: The Cultures and Politics of the American Carceral State, Dissertation Berkeley; Green, Tara T. (Hg.) 2008: From the Plantation to the Prison: African-American Confinement Literature, Macon; »We see many of today’s sharecroppers behind the lunch counters of fast-food chains and behind prison walls—the new plantations«, schreibt Charles Cobb, Jr., »Freedom’s Struggle and Freedom Schools«, in: Monthly Review 63 (3), S. 104-113, auf: http://monthlyreview. org/2011/07/01/freedom%E2%80%99s-struggle-and-freedom-schools (abgerufen am 03.12.2011); auf seinem Blog schreibt der Strafverteidiger Augustus Corbett auf die Frage
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Grundlage für diesen Vergleich ist die Tatsache, dass man in den USA – je nach Bundesstaat in unterschiedlichem Ausmaß – nicht wählen darf, solange man in Haft sitzt, wenn man noch auf Bewährung ist oder – so in 14 Staaten – sein Leben lang nicht mehr, wenn man einst eines Kapitalverbrechens ( felony) angeklagt war. Human Rights Watch schätzt, dass in den USA knapp 4 Mio. Bürger auf Basis dieser Felony Disenfranchisement Laws nicht wählen dürfen, darunter 1 Mio. Bürger, die ihre Strafen bereits voll abgesessen haben.374 Auf das Wahlrecht afroamerikanischer Männer, die aus o.g. Gründen besonders häufig in Haft kommen, wirkt sich diese Rechtspraxis besonders weitreichend aus: nach der Studie sind in einigen Staaten bis zu einem Drittel aller afroamerikanischen Männer von Wahlen ausgeschlossen. Im Jahre 1998 betraf dies 13 % oder 1,4 Mio. dieser Bevölkerungsgruppe. Damit würde afroamerikanischen Männern, so die Kritiker dieser Praxis, die Rechte, die ihnen nach Jahrhunderten von Sklaverei und Segregation 1964 (Civil Rights Act) und 1965 (Voting Rights Act) zugesprochen worden seien, faktisch wieder entzogen. Trotz ideologischer Differenzen – nicht jeder teilt den Vergleich von Plantagen und Gefängnissen – werde das Engagement der NOI für Häftlinge von vielen Sozialarbeitern und Beobachtern als vorbildlich gewertet, so Gardell. Die Organisation habe dafür sogar Preise erhalten. Der Erfolg der NOI bei der Rehabilitierung der Gefangenen bestehe darin, dass die Häftlinge auch nach ihrer Entlassung nicht auf sich alleine gestellt seien. Die NOI bände sie sofort in ihre straffen Strukturen ein. Die Männer würden verheiratet, erhielten Posten innerhalb der Organisation und nähmen an diversen Studienprogrammen teil. Aus diesem Grund sei die Zahl der Rückfälle gering. Außerdem machten die muslimischen Häftlinge bereits im Gefängnis erste Schritte in Richtung eines selbständigen Lebens. Sie gestalteten ihre Moscheen, vertrieben Zeitungen, verkauften Duftöle und Hygieneartikel, übernähmen das Catering an islamischen Feiertagen usw. Von den Erlösen würde in der Regel als Teil des Rehabilitierungsprogrammes eine gefängnisinterne Weiterbildung finanziert.375 Von allen afroamerikanischen Männern, die jemals im Gefängnis die NOI für sich entdeckten und daraufhin ihr Leben radikal verändert haben, ist Malcolm X »Why are so many Black men in prison?«: »How can the black community thrive, even survive, when black men are under the control of the criminal justice system? This is a new form of slavery where the prisons are the new plantations and the wardens are the new slave masters.« Auf: http://texastriallawyer.info/dallas-criminal-defense-lawyers/ (abgerufen am: 03.12.2011). 374 | Human Rights Watch 1998: Losing the Vote: The Impact of Felony Disenfranchisement Laws in the United States, auf: www.sentencingproject.org/doc/File/FVR/fd_losing thevote.pdf (abgerufen am 10.12.2011). 375 | Gardell 1996, S. 261f.; zur Ehe als wirkungsvollem Instrument für eine erfolgreiche Rehabilitation siehe den Artikel im Final Call: »Men, marriage and a life without crime«, auf: www. finalcall.com/artman/publish/article_1408.shtml (2004) (abgerufen am 08.05.2009).
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mit Sicherheit der bekannteste. Bereits 1952 kam er, damals noch unter dem Namen Malcolm Little, als Kleinkrimineller in Haft, wo er durch einen Mithäftling rasch zur Nation of Islam fand. »Months passed without my even thinking about being imprisoned. In fact, up to then, I had never been so truly free in my life,«376 so schrieb er in seiner Autobiographie über die Zeit im Gefängnis. Er, der trotz guter Noten in der achten Klasse die Schule abgebrochen hatte, weil ihm ein weißer Lehrer zu seinem Berufswunsch – Rechtsanwalt – gesagt hatte, das sei »no realistic goal for a nigger«377, begann sich nun mit Geschichte, Politik und Philosophie zu beschäftigen. Er studierte die Schriften Elijah Muhammads und brachte es nach seiner Entlassung wenige Monate später zum Minister des berühmten Temple No.7 der NOI in Harlem und in den folgenden Jahren zu einem der führenden Gesichter der Bürgerrechtsbewegung, Mitstreiter und Gegenspieler von Martin Luther King zugleich.378 Erst 1963 brach er infolge von inhaltlichen und persönlichen Differenzen mit Elijah Muhammad und der NOI. Fortan bekannte er sich zum sunnitischen Islam und benannte sich in El-Hajj Malik el-Shabazz um. 1965 wurde er während einer Veranstaltung ermordet. Die Täter sind bis heute unklar; man vermutet sie in den Reihen der NOI oder des FBI.379 Das Leben des Malcolm X, seine ›Wiedergeburt‹ im Gefängnis, sei bis heute eine Inspiration und ein Rollenmodell für junge schwarze Männer, aber ganz besonders für Konvertiten zum Islam, hat der Religionshistoriker Richard Brent Turner durch zahlreiche Interviews mit jungen Afroamerikanern erfahren. Malcolm X’ Beispiel zeige, so ein junger afroamerikanischer Muslim in einem Interview mit Turner im Jahre 2002, dass schwarze Männer »who accept Islam in prison are not condemned but praised for accepting the religion … (and he is) the essence of Black manhood.«380 Malcolm X, so fügt Salim Muwakkil, Journalist und einst Herausgeber von Muhammad Speaks, der früheren Mitgliederzeitschrift der NOI, hinzu, habe zudem das Stigma intellektueller Bildung unter afroamerikanischen Männern beseitigt, sein intellektueller Stil gelte seither unter jungen schwarzen Männern als hip.381 Schon 1965 hatte der Schauspieler und Bürgerrechtler Ossie Davis Malcolm X in einer Rede, die er beim Begräbnis des Ermordeten hielt, diesen als die Verkörpe-
376 | X 1965, S. 199. 377 | Perry, Bruce 1991: Malcolm: The Life of a Man Who Changed Black America, Barrytown, S. 42. 378 | Zum Verhältnis von Martin Luther King und Malcolm X: Cone, James H. 1991: Martin and Malcolm amd America: A Dream or a Nightmare, Maryknoll; Haskins, Jim/Kathleen Benson 2008: African American Religious Leaders, Hoboken. 379 | Siehe zum Leben und zur Bedeutung Malcolm X’: Dyson 1995; Marable, Manning 2011: Malcolm X: A Life of Reinvention, New York. 380 | Turner 2006, S. 39. 381 | Muwakkil 1998, S. 196.
Die Anziehungskraf t des Patriarchats
rung schwarzer Maskulinität gepriesen: »He was our manhood, our living black manhood.«382 Das Beispiel Malcolm X und das vieler anderer Männer, die ihm folgten, zeigt, dass der Islam, vor allem in der NOI-Variante, im Kontext des Gefängnisses als eine Religion wahrgenommen wird, die den Häftlingen ihre Würde und ihr Menschsein zurückgibt. Die Konversion ersetzt den ständigen Kampf um einen Platz in der Gefängnishierarchie. Im geschützten Rahmen können die Konvertiten ein neues Lebensmodell ausprobieren, das sich fundamental von ihrem früheren Leben unterscheidet. Dabei erlernen sie neue Verhaltensmuster, die ihnen nach ihrer Entlassung dabei helfen, nicht die alten Fehler zu wiederholen und sich stattdessen in die Gesellschaft zu reintegrieren, wenn auch mittels einer Subkultur. Der spezifische Beitrag der NOI hierbei ist, dass sie sich sehr intensiv um ihre Anhänger kümmert. Einerseits verschafft sie ihnen eine gewisse Legitimation für ihre momentane Lage – als Opfer einer Verschwörung und eines rassistischen Justizsystems. Aber gleichzeitig bietet sie ihnen einen Weg aus der Misere – ideologisch und praktisch. Das besondere dabei ist, dass die Fürsorge über die Entlassung hinaus geht. Mit dem populären Vorbild Malcolm X machen sich die NOI-Konvertiten deshalb die offenbar berechtigte Hoffnung, sich mit Hilfe der NOI nach der Entlassung in die Mainstream-Gesellschaft zu integrieren – selbst wenn die NOI hierbei manches Mal nur ein Katalysator ist und sie, ebenso wie Malcolm X, langfristig zum sunnitischen Islam finden.
382 | Gallen, David 1992: Malcolm X: As They Knew Him, New York, S. 200.
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IV. Schlussbetrachtung
»Race matters,« behauptete 1994 Cornel West, der Theologie und African American Studies in Princeton lehrt, in seinem gleichnamigen Buch. Darin beklagt er das Fehlen schwarzer Autorität und schwarzer Führungspersönlichkeiten und analysiert kritisch, welche Konsequenzen ökonomischer, sozialer und politischer Natur sich daraus für die black community ableiten. Die Feststellung, dass »race matters«, hat den Diskurs afroamerikanischer Muslime über ihre religiöse und gesellschaftspolitische Selbstwahrnehmung von den Anfängen zu Zeiten der Sklaverei bis heute geprägt. Diese Selbstwahrnehmung wird von ihrer ökonomischen, sozialen und politischen Stellung in der amerikanischen Gesellschaft maßgeblich beeinflusst und wirkt sich auf ihre Vorstellung von Autorität in der black community im allgemeinen und im (afro-)amerikanischen Islam im besonderen aus. Erst die Relevanz von Rasse – verstanden in der spezifisch amerikanischen Konstruktion von Rassekategorien – macht es überhaupt möglich, von dem afroamerikanischen Islam zu sprechen und diesen wissenschaftlich zu untersuchen. Westliche Islamwissenschaft hat sich dagegen bislang weitestgehend gescheut, diese Perspektive einzunehmen, geschweige denn konsequent durchzudeklinieren. Afroamerikanische Muslime verstehen sich selbst, ungeachtet der Heterogenität im schwarzen Islam, überwiegend als Gruppe, die es von eingewanderten Muslimen zu unterscheiden gilt, sei es im Hinblick auf ihre religiöse oder ihre gesellschaftspolitische Selbstverortung. Dennoch wurde in dieser Untersuchung deutlich, dass afroamerikanische Muslime sich in ihren Debatten ebenso auf eingewanderte Muslime ebenso beziehen wie auf nichtmuslimische Afroamerikaner, und sei es nur, um sich explizit abzugrenzen. Diese Untersuchung zum afroamerikanischen Islam zwischen Widerstand und Anpassung analysiert den Stellenwert von Rasse, indem diskursive Muster und Einblicke aus Feldforschung in New Yorker Problembezirken miteinander verknüpft werden. Sie arbeitet systematisch den Zusammenhang von Rasse mit weiteren Faktoren heraus. Von zentraler Bedeutung sind dabei (i) eine wirkungsmächtige, geradezu protestantische Gesinnungsethik in Gestalt des American Dream, (ii) Dimensionen von Gender, insbesondere die Paradoxien schwarzer Maskulinität, (iii) der Ritualtransfer und die Übernahme von Kommunikations-
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Die Erben des Malcolm X
strukturen aus der black church in den afroamerikanisch geprägten muslimischen Gemeinden. Dazu sollen im Folgenden noch einige abschließende Bemerkungen gemacht werden. Diese Untersuchung ist jedoch erst dadurch möglich geworden, dass die (zumindest in der Vor-Obama-Zeit) oft schon seit Jahrzehnten festgefahrenen Positionen und generelle Selbstzentriertheit der amerikanischen African American Studies, die weitgehende Islam-Blindheit oder zumindest doch diesbezügliche Unbedarftheit der europäischen American Studies und das Unvermögen bzw. Unwilligkeit westlicher Islamwissenschaft gerade im Zusammenhang mit Rasse durch gezielte kritische Dekonstruktion der Perspektiven auch dieser drei Disziplinen überwunden werden. Die hier vorliegende Studie bietet somit Ausblicke nicht nur auf die Landschaft der muslimischen Gläubigen in den USA in der Zeit, bevor ein Phänomen wie Barack Obama denkbar erschien, sondern auch auf die sie beforschenden Disziplinen und deren jeweilige strukturelle Unzulänglichkeiten. In der Selbstwahrnehmung afroamerikanischer Muslime sind blackness und Islam die beiden zentralen Kategorien, sich in der amerikanischen Gesellschaft zu definieren. Einem als rassistisch empfundenen Christentum stellen sie einen Islam gegenüber, der von ihnen einerseits als »farbenblind« (color-blind), andererseits als Religion der Schwarzen gedacht und geglaubt wird. Das Konzept eines Gottes, der Menschen nicht nach seiner Hautfarbe beurteilt, der aber dennoch auf Seiten der Schwarzen gedacht wird, teilen sie mit den christlichen Vertretern der black theology. Der darin enthaltene Widerspruch entlädt sich, wenn afroamerikanische Muslime in der Debatte, wer für den amerikanischen Islam sprechen darf und soll, den Rassismus muslimischer Einwanderer anprangern, während einige Immigranten ihnen umgekehrt vorwerfen, in ihren partikularistischen, auf blackness fokussierten Ansätzen den Islam nicht richtig zu verstehen. Afroamerikanische Muslime sehen darin eine Entwertung ihrer religiösen Authentizität. Daraus lässt sich das große Bedürfnis erklären, afroamerikanischen Islam auf den Glauben der aus Westafrika in die USA deportierten Sklaven zurückzuführen und ihm damit Legitimität zu verleihen. Lediglich die Nation of Islam (NOI) entzieht sich der Diskussion über islamische Authentizität, indem sie eine Gegenerzählung (counter-narrative) propagiert, die gar nicht erst den Versuch macht, sich hinsichtlich religiösen Wissens mit den Islaminterpretationen der Einwanderer zu messen. Stattdessen vertritt die NOI eine Lehre, in der Rasse die wichtigste Kategorie darstellt, um religiöse Identität zu bilden: Gott ist schwarz – Afroamerikaner sind Muslime – Nichtafromerikaner können keine Muslime sein. Die Zentralität von Rasse im Konzept der NOI wird nicht nur von ihr selbst so wahrgenommen, sondern manifestiert sich beispielsweise auch in der Tatsache, dass der heutige Vorsitzende Louis Farrakhan – ebenso wie einst Malcolm X – einen Einfluss auf die black community ausübt, der weit über den Kreis von NOI-Mitgliedern oder afroamerikanischen Muslimen generell hinausgeht. Für eingewanderte Muslime hat Farrakhan jedoch keinerlei Bedeutung, da sie ihn entweder überhaupt nicht als Muslim wahrnehmen oder ihn als Häretiker abstempeln.
Schlussbetrachtung
Gerade in Bezug auf religiöse Autorität gehen in den Auseinandersetzungen zwischen afroamerikanischen und eingewanderten Muslimen Rassen- und Klassenunterschiede eine komplexe Gemengelage ein, die im Rahmen dieser Arbeit sorgfältig diskursiv entfaltet und analysiert wird. Während letztere in die USA gekommen sind, um dort ihren persönlichen American Dream zu verwirklichen und danach streben, Teil der hegemonialen whiteness zu werden, teilen afroamerikanische Muslime mit nichtmuslimischen Afroamerikanern die Erfahrung multipler Unterdrückungsstrukturen durch soziale Benachteiligung im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt sowie durch rassistische Stereotypisierungen von Afroamerikanern als faul und/oder unfähig. Die im Konzept des American Dream eigentlich behauptete soziale Durchlässigkeit gilt für Afroamerikaner nur eingeschränkt. Schwarze, die dennoch erfolgreich sind, werden in vielfacher Weise von der black community sanktioniert und mitunter der entsolidarisierenden Rassenapostasie (racial apostasy) gescholten. Im Spektrum des afroamerikanischen Islam ist es vor allem Louis Farrakhan gelungen, der black community Hoffnung auf die Verheißungen des American Dream zu machen, ohne sich – und diejenigen, die ihm folgen – der Gefahr auszusetzen, durch andere Afroamerikaner als Komplize der white supremacy verunglimpft zu werden. Vielmehr hat es Farrakhan geschafft, unter dem Vorzeichen Islam offiziell eine Alternative zur – bei genauerer Betrachtung jedoch nur eine Variante der – protestantischen Arbeitsethik zu proklamieren, indem er harte Arbeit, Selbstdisziplinierung und Erfolgswillen als Weg zur Befreiung vom Joch der Weißen und der paternalistischen Bevormundung durch aufstiegsorientierte muslimische Einwanderer predigt. Damit gibt er seinen Anhängern die Möglichkeit, sich amerikanischen Werten in einer symbolischen Opposition zu nähern und somit ihren Teil des American Dream einzufordern. Auf keinem anderen Gebiet zeigt sich das Spannungsfeld, in dem sich afroamerikanische Muslime hinsichtlich ihrer religiösen und gesellschaftspolitischen Selbstverortung bewegen, wohl deutlicher als auf der Ebene der Genderkonzeptionen. Bei diesem Thema verbinden sich weiße Stereotypisierungen schwarzer Sexualität als bedrohlich und zügellos mit einem islamischen Diskurs zu idealer Geschlechterordnung. Wiederum geschieht dies vor dem Hintergrund, dass afroamerikanische Muslime das ungute Gefühl haben, muslimische Einwanderer würden – wie auch die weiße Mehrheitsgesellschaft – die historischen Erfahrungen und die soziale Lage der black community durch bevormundendes Verhalten entwerten. Für afroamerikanische Musliminnen kommt als eine weitere Dimension dazu, dass sie sich in dreifacher Hinsicht diskriminiert sehen, nämlich als Frauen, als Afroamerikanerinnen und als Musliminnen. In Moscheen dominieren nach wie vor Männer, und dies gilt für die black mosques ebenso wie für die Moscheen der Einwanderer. In letzteren kämpfen afroamerikanische Frauen zunehmend um das Recht, am religiösen Leben teilhaben zu dürfen. Sie versuchen, eingewanderte Muslime, die ihnen dieses Recht absprechen wollen, als unislamisch zu delegitimieren. Afroamerikanischen Muslimen, die ebenfalls gegen die
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Partizipation von Frauen in Moscheen sind, werfen sie vor, sich den Islaminterpretationen der Einwanderer unkritisch gebeugt zu haben. Dennoch lehnen viele dieser afroamerikanischen Musliminnen es ab, als Feministinnen bezeichnet zu werden, da dieser Begriff ihrer Meinung nach durch weiße, nichtmuslimische Frauen besetzt ist. In vielen Punkten ähnelt ihre Kritik daran derjenigen nichtmuslimischer schwarzer Feministinnen wie Audre Lorde und Patricia Hill Collins, die den Terminus Feminismus (meistens) ebenso verwenden, ihn jedoch für sich umdeuten. Der Hauptunterschied zum ›westlichen Feminismus‹ besteht für Vertreterinnen des black feminism darin, dass man sich im Zweifelsfall eher mit schwarzen Männern als mit weißen Frauen solidarisiert, da Rasse – statt Geschlecht – als primäre Kategorie fungiert. Die von Weißen beanspruchte Definitionshoheit über weibliche Identität in Amerika wird von schwarzen Frauen kritisch beäugt, was sich insbesondere auch in Diskussionen zu Schönheitsidealen Bahn bricht. Viele afroamerikanische Frauen glauben, den Vorstellungen, welche die weiße Mehrheitsgesellschaft in diesem Punkt verbreitet, nicht gerecht werden zu können. Langes, glattes Haar oder helle Haut sind für sie zumindest auf natürlichem Wege unerreichbar. Vor allem die große Rolle, die black hair in Diskussionen zu Schönheit und Attraktivität spielt, lässt ahnen, dass der Hijab für afroamerikanische Musliminnen eine Dimension hat, die für Immigrantinnen meist von wesentlich geringerer Bedeutung ist. Für schwarze Frauen geht es nicht primär darum, das ungeliebte Haar zu verstecken, sondern sie versuchen stattdessen, mittels der Verhüllung ihres Haares und ihrer Körper Schutzwürdigkeit und Unverfügbarkeit zu signalisieren, die Afroamerikanerinnen von Weißen historisch abgesprochen wurde. Zwar galten schwarze Frauen nicht als schön im Sinne des dominanten Schönheitsideals, doch wurden sie von Weißen oftmals als verführerisches Freiwild ( femme fatale/black Jezebel) wahrgenommen – und auch so behandelt. Vor allem zu Zeiten der Sklaverei konnten Afroamerikanerinnen nicht über ihren eigenen Körper verfügen, so dass der Hijab für afroamerikanische Musliminnen bedeutet, ein sichtbares Zeichen zu setzen, dass der Körper der Verfügung durch andere entzogen ist. Es gibt jedoch im Hinblick auf islamkonforme Kleidung eine heftige Debatte zwischen eingewanderten und afroamerikanischen Musliminnen. Muslimische Immigrantinnen beanspruchen auf diesem Gebiet eine Deutungshoheit, die schwarze Musliminnen in Frage stellen, indem sie einen spezifisch afroamerikanischen Stil der Verschleierung wählen, der sie einerseits als Musliminnen kennzeichnet, andererseits jedoch vom Islam der Einwanderer abgrenzen soll. Die Infragestellung der sexuellen Würde der black community wirkt bis in diese selbst hinein. Schwarze Konservative wie Bill Cosby, der vermeintlich unmoralisches Verhalten von afroamerikanischen Männern und Frauen anprangert, ernten zwar Kritik dafür, dass sie damit weißen Stereotypisierungen bzw. Dämonisierungen schwarzer Sexualität Nahrung lieferten, doch gibt es in der black community einen breiten Diskurs zu normativer Sexualität und idealen Geschlechterrollen, der sich auffallend an den Vorstellungen der weißen, christlich geprägten
Schlussbetrachtung
Mehrheitgesellschaft orientiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Vorstellung, dass Sexualität im Rahmen der Ehe stattzufinden hat und die Ehepartner komplementäre Rollen zu erfüllen haben, weil die Natur es so vorgesehen habe: Der Mann ist vor allem dafür zuständig, Geld zu verdienen und seine Familie zu schützen, die Frau erfüllt ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter. Dieses auf den ersten Blick sehr konservativ konnotierte Rollenmuster übt auf viele Afroamerikanerinnen eine starke Anziehungskraft aus – vor dem Hintergrund, dass es ihnen in der Vergangenheit meist verwehrt war, Zugang zu dieser Form von Familienstruktur zu haben. Stattdessen war ihr Leben seit den Zeiten der Sklaverei von der Rolle geprägt, oftmals als alleinerziehende und voll erwerbstätige Mütter nur auf sich gestellt zu sein. Eine patriarchale Familienstruktur erscheint ihnen deshalb eher als Entlastung von den Mühen des Alltags denn als Einengung ihrer persönlichen Freiheit. Afroamerikanische Muslime unterfüttern dieses Bild ›natürlicher‹ Familienstrukturen mit einem Diskurs zu idealen islamischen Geschlechterrollen, der ebenfalls stark an die in der weißen, christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft dominanten Vorstellungen anknüpft. Die Idee, ›von der Norm abweichende‹ schwarze Sexualität könne durch den Islam ›gezähmt‹ werden, zeugt dabei jedoch von einer Internalisierung rassistischer und sexistischer Stereotypisierungen sowie normativer Sexualitätskonzepte der Mehrheitsgesellschaft. So wird von afroamerikanischen Muslimen beispielsweise als problematisch gesehen, dass in der black community viele Familien ohne Männer bzw. Väter auskommen müssen, dass junge Frauen sehr früh Kinder bekommen und dass Heiraten eher die Ausnahme als die Regel ist. Der Islam wird als Lösung für diese Übel präsentiert, indem frühes, schnelles Heiraten propagiert wird, denn afroamerikanische Muslime lehnen die amerikanische Datingkultur als unmoralisch ab. Dem Umstand, dass es tendenziell zu wenige ›heiratbare‹ schwarze Männer gibt, begegnen einige schwarze muslimische Gruppierungen mit dem islamischen Konzept von Polygamie, durch welches man glaubt, den Männermangel auf moralisch legitime Weise praktisch kompensieren zu können. Die aus polygamen Ehen resultierenden sozialen Benachteiligungen wie z.B. ungenügende soziale Absicherung tragen vor allem Frauen. Polygamie ist das einzige Feld, auf dem sich afroamerikanische Muslime deutlich von den Vorstellungen der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft zu legitimer Sexualität abgrenzen. Dies ist auch der wesentliche Grund, aus dem akkulturationsorientierte eingewanderte Muslime auf Polygamie im afroamerikanischen Islam größtenteils mit Befremden reagieren. Eine Besonderheit der afroamerikanischen Debatte zu Geschlechterrollen ist die starke Fokussierung auf die Rolle des Mannes, wie diese Arbeit eingehend darlegt. Das hat vor allem mit der als prekär empfundenen Stellung schwarzer Männer in der amerikanischen Gesellschaft zu tun. Zwei Topoi überschneiden und ergänzen sich in diesem Diskurs, nämlich der bad nigger und der demaskulinisierte schwarze Mann. Der Topos des bad nigger rekurriert vor allem auf die Bedrohlichkeit schwarzer Maskulinität, deren Dämonisierung durch Weiße seit jeher dazu diente, afroamerikanischen Männern den Zugang zu weißen Vorstellungen von
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idealer Männlichkeit zu verwehren. Im Gangsta Rap wird am deutlichsten, wie schwarze Männer versucht haben, sich diesen Topos anzueignen und ihn positiv umzudeuten. Das zweite Bild, die Vorstellung vom demaskulinisierten schwarzen Mann, ist vor allem innerhalb der black community virulent. Es geht einher mit dem Vorwurf insbesondere schwarzer Männer, ein vermeintliches Negro matriarchate sei schuld daran, dass sie ihre ›natürliche‹ Rolle als Männer nicht ausfüllen könnten: Schwarze Frauen seien zu stark und hinderten Männer daran, an der Institution des Patriarchats teilzuhaben. Dass das Patriarchat damit als durchaus wünschenswert angesehen wird, stellt für schwarze Feministinnen ein Problem dar. Sie kritisieren afroamerikanische Männer für ihre Internalisierung von Geschlechterrollen, die identisch seien mit denen des weißen Patriarchats. Afroamerikanische Muslime hingegen legitimieren ihr Bedürfnis nach einer Remaskulinisierung schwarzer Männer islamisch, wie im Kapitel III.2 gezeigt wird. Islamisch, d.h. ›natürlich‹, ist in ihrem Denken deckungsgleich mit ›gottgewollt‹, wobei sie patriarchale Vorstellungen nicht nur als im Sinne schwarzer Männer, sondern auch als für schwarze Frauen ideales Konzept propagieren. Nur ein starker schwarzer Mann könne Frauen von ihrer Verantwortung entlasten, sowohl für den Broterwerb als auch für die Familie zuständig zu sein, und nur er allein könne Frauen, die bisher allein zurecht kommen mussten, zu schützen. Männer wiederum werden im Diskurs afroamerikanischer Muslime dazu aufgefordert, sich dieser Verantwortung zu stellen und ihre Lebensführung entsprechend zu disziplinieren. Sie werden dabei gleichzeitig als Täter und als Opfer konstruiert. Als Täter, weil sie es, so wirft ihnen beispielsweise Louis Farrakhan vor, bisher nicht vermocht hätten, für ihre Frauen und Kinder zu sorgen und sich ihrer Verantwortung entzogen hätten. Als Opfer deswegen, weil schwarze Männer der Teil der black community sind, der am stärksten von den diskriminierenden Strukturen und Maßnahmen der amerikanischen Gesellschaft betroffen sei. Im Bildungswesen kommen afroamerikanische Männer schlechter voran als alle anderen Gruppen, während sie in Gefängnissen überdurchschnittlich vertreten sind. Mittels einer islamisch legitimierten Disziplinierungsstrategie – Weiterbildung, Verbot von Alkohol und Drogen, geregelter Tagesablauf u.a. – gelingt es vor allem Gruppierungen wie der Nation of Islam, schwarzen Männern ein Bild von idealer Maskulinität zu präsentieren, das zwar stark patriarchale Züge trägt, es ihnen aber ermöglicht, sich den Anforderungen im täglichen Leben zu stellen und einen Gestus des Widerstands – ihre Konversion zum Islam – in einen Akt der Anpassung und somit des empowerment zu verwandeln. Auffällig ist am afroamerikanischen Islam die Übernahme von Kommunikationsstrukturen und Symbolen aus dem christlichen Kontext, vor allem aus der black church. Passionierte Predigten, oft mit politischen Bezügen, seitens der Imame oder, im Falle der NOI, der Minister, und Gläubige, die wie in schwarzen Kirchen durch Zwischenrufe Zustimmung ausdrücken, gehören dazu ebenso wie der Verweis auf Bibelstellen, die den Zuhörern, welche meist in christlichen Familien aufgewachsen sind, oft vertrauter scheinen als Koranverse. Andererseits
Schlussbetrachtung
wirken die Symboliken des afroamerikanischen Islam weit in die gesamte black community hinein, was sich am deutlichsten in der schwarzen Populärkultur zeigt. Die Verehrung Malcolm X’ geht über Religionsgrenzen ebenso hinweg wie die Verwendung islamisch konnotierter Termini vor allem in der Hip Hop-Szene, in welcher besonders die NOI großen Einfluss ausübt. Die vorliegende Arbeit zeigt, auf welch vielfältige Weise afroamerikanische Muslime hinsichtlich ihrer religiösen und gesellschaftspolitischen Selbstwahrnehmung und Selbstverortung sowohl in Debatten amerikanischer Muslime insgesamt als auch in den Diskurs der black community eingebunden sind. In der amerikanischen Gesellschaft dominante Vorstellungen von Rasse, Religion und Sexualität wirken sich prägend auf die Selbstwahrnehmung des afroamerikanischen Islam aus. In Zukunft bleibt zu untersuchen, ob die Präsidentschaft Barack Obamas daran etwas geändert hat, sei es in Bezug auf die Frage, wie sich schwarze Identität allgemein oder schwarze Männlichkeit im besonderen darstellt, oder sei es hinsichtlich der Hegemonie der durch Weiße geprägten Vorstellungen im gesellschaftspolitischen Diskurs der USA. Auch wird sich frühestens in den nächsten Jahren zeigen, wie sich das ethnische Kräftegleichgewicht im amerikanischen Islam verändern wird, da zunehmend auch Latinos zum Islam konvertieren. Diese Konvertiten sehen sich teilweise in der Tradition afroamerikanischer Muslime und hoffen, mit ihrer Konversion zum empowerment der eigenen Community beizutragen. Andere unter ihnen distanzieren sich im Sinne amerikanischer Rassehierarchien stark von afroamerikanischen Muslimen und halten sich an die ökonomisch und sozial bessergestellten muslimischen Einwanderer, mit deren Hilfe sie auf den Aufstieg hoffen. Eine Konstante zeichnet sich jedoch schon jetzt auch bei ihnen ab, nämlich »race matters.«
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V. Quellenverzeichnis
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