Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen: Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag von den Anfängen einer Verteidigertätigkeit in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Zeit [1 ed.] 9783428446322, 9783428046324


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Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen: Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag von den Anfängen einer Verteidigertätigkeit in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Zeit [1 ed.]
 9783428446322, 9783428046324

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KLAUS ARMBRüSTER

Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen

Schriften zum Strafrecht Band 33

Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag von den Anfängen einer Verteidigertätigkeit in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Zeit

Von

Dr. Klaus Armbrüster

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

D 29 Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany

!Cl 1980 Duncker

ISBN 3 428 04632 3

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Sommersemester 1979 als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde im Herbst 1978 abgeschlossen; die danach bis zur Drucklegung erschienene, einschlägige Literatur konnte in Anmerkungen noch berücksichtigt werden. Das Thema der Arbeit wurde von meinem verehrten, am 2. September 1979 leider verstorbenen Lehrer, Herrn Professor Dr. Georg Schwalm, angeregt; er hat mir bei der Anfertigung der Arbeit größtmögliche Unterstützung und eine immerwährende gütige Nachsicht angedeihen lassen, die es mir ermöglichten, die Arbeit auch nach Aufnahme meiner Tätigkeit als Richter fertigzustellen. Ihm gilt daher posthum mein ganz besonderer Dank; seine Anregungen haben entscheidenden Anteil daran, bei mir das Interesse für rechtsgeschichtliche Vorgänge geweckt zu haben, die ich hoffe mit dieser Arbeit dem Leser vermitteln zu können. Desgleichen gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Karl-Heinz Gössel, der das wissenschaftliche Interesse in mir im Rahmen meiner Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl entscheidend förderte. Schließlich danke ich Herrn Senator Professor Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in das Verlagsprogramm der "Schriften zum Strafrecht" . Nürnberg, im November 1979

Klaus A rmbrüster

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................

17

Zum Begriff der Verteidigung

19

Erster Teil Die Samwalter im alten deutsmen Strafverfahren bis zur Rezeption I. Ursprung des Vorsprechertums ..................................

21

1. Der Strafprozeß -

ein reiner Parteiprozeß im alten deutschen Rechtsgang .................................................. 21

2. Vorsprecher des Rechts, Wortführer ..........................

23

3. Vorsprecher für Kläger und Beklagten. . . .. . .. . .. ... . .. . ... . ..

24

4. Für den Vorsprecher verwendete Synonyme..................

25

5. Schutzfunktion des Vorsprechertums gegen verfänglichen Formalismus .................................................... 27 a) Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang .................... 27 b) Erholung und Wandelung ................................ 28 6. Einfluß der Warner, Anweiser und Rater; Eideshelfer

31

11. Die Ausgestaltung des Vorsprecheramtes ........................

32

1. Vorgang der Bestellung des Vorsprechers ....................

32

2. Gestattete, gebotene und verbotene Beiziehung eines Vorsprechers ........................................................ 33 3. Befähigung zum Vorsprecher ................................

34

4. Verpflichtung zur übernahme des Vorsprecheramtes ..........

::15

5. Aufgaben und Pflichten des Vorsprechers ....................

36

III. Bildung des Vorsprechgewerbes und dessen Niedergang. .. . . . . . ..

38

1. Entlohnung des Vorsprechers ................................

38

2. Der berufsmäßige und der "gemeine" Vorsprecher ............

40

3. Das Vorsprechgewerbe -

41

ein unlauteres Gewerbe

10

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil Die Sadlwalter im Inquisitionsprozeß L Die Umgestaltung des Sachwalterstandes durch die Rezeption

45

1. Gründe und Bedeutung der Rezeption.. . . .. . .. . . .. .. . . . . . . . ..

45

2. Vordringen eines akademisch gebildeten Juristenstandes ......

46

3. Durchsetzung der Zulässigkeit prozessualer Stellvertretung ....

48

4. Zweiteilung des Sachwalterstandes: Advokaten und Prokuratoren .......................................................... 50 11. Die Stellung des "Fürsprech" und der "Beistender" in der Constitutio Criminalis Carolina ........................................ 53 1. Entstehungsgeschichte, Bedeutung der CCC und deren Grund-

einstellung zur materiellen Verteidigung. .....................

53

2. Grundsätzliche Zulässigkeit der Beiziehung eines Sachwalters 56 3. Wirkungsmöglichkeiten der "Beistender" im Vorverfahren....

58

4. Mitwirkung des "Fürsprech" am "endlichen Rechtstag" ........

60

5. Zusammenfassung ............................................

61

111. Die prozessuale Stellung des "Defensor" im Laufe der Entwicklung des Inquisitionsprozesses ................................... 62 1. Rechtsdogmatische Unvereinbarkeit der Grundauffassung vom

Inquisitionsprozeß mit der Zulassung formeller Verteidigung..

62

2. Zulässige, notwendige und verbotene Beiziehung eines Defensor 66 3. Bestellung des Defensor ......................................

68

4. Wirkungsmöglichkeiten des Defensor im Vorverfahren. .. . . ... a) Akteneinsichtsrecht ........................................ b) Unterredungsrecht mit dem Inquisiten .................... c) Ausschluß des Defensor bei den wichtigen Prozeßverteidigungen ...................................................

70 70 72 73

5. Tätigkeit des Defensor in der Schlußverteidigung (Abfassung der Verteidigungsschrift) .................................... 75 6. Zusammenfassung ............................................

77

IV. Besonderheiten der Verteidigerstellung in Ketzer- und Hexenprozessen .......................................................... 78 1. Ausgangspunkt: Der "Malleus maleficarum" (Hexenhammer)

von 1487 ....................................................

78

Inhaltsverzeichnis

11

2. Prozessuale Bedeutungslosigkeit formeller Verteidigung - Persönliche Bedrohung des Verteidigers. .. . . ... ............ . . . . .. 81 3. Auswirkungen beginnender aufklärerischer Gedanken

83

V. Achtungsverlust der Strafverteidiger ............................

85

1. Allgemeine soziale Bewertung ................................

85

2. Eigenarten der Strafverteidiger-Tätigkeit ....................

89

VI. Versuch einer standesrechtlichen Neuordnung der VerteidigersteIlung in Preußen ................................................ 90 Dritter Teil

Institutionalisierung des Reclltsinstituts der Verteidigung durcll den reformierten Strafprozeß I. Entwicklung des reformierten Strafprozesses in Deutschland 1. Die Gebrechen des Inquisitionsprozesses ......................

94 94

2. Der Einfluß des französischen und englischen Strafprozeßrechts auf die deutsche Partikulargesetzgebung zu Beginn und Mitte des 19. Jahrhunderts ........................................ 96 3. Der Kerngedanke des reformierten Strafprozesses und dessen Auswirkung auf die (materielle) Verteidigung................ 98 4. Die Prinzipien des reformierten Anklageprozesses ............ 101 II. Anerkennung umfassender Verteidigerrechte als Zeichen des Sieges der Aufklärung ............................................ 103 1. Wandel in der Zweckbestimmung der Verteidigung .......... 103

2. Gleichberechtigung zwischen Anklage und Verteidigung (Waffengleichheit) ................................................ 104 3. Wahrung des obligatorischen Parteistandpunktes des Verteidigers ......................................................... 106 4. Rechtswissenschaftliche Konkretisierung der Forderung nach Waffengleichheit und ihre Berücksichtigung in den vorgefundenen Territorialgesetzen .................................... 107 III. Die Festigung der prozessualen Stellung des Verteidigers nach den reformierten Strafprozeßgesetzen (rechtsvergleichend dargestellt) 110 1. Die Prozeßreform in den deutschen Territorialstaaten -

ein überblick .................................................... 110

2. Zulassung zum Amt des Verteidigers ........................ ,. 114

12

Inhaltsverzeichnis 3. Notwendigkeit der Bestellung eines Verteidigers

115

4. Rechte des Verteidigers ...................................... a) Akteneinsichtsrecht ........................................ b) Unterredungsrecht mit dem Angeklagten .................. c) Wirkungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung .. , .......

116 116 117 118

5. Honorar des Verteidigers

120

IV. Vorhandene Mängel ............................................ 121 1. Ausschluß des Verteidigers im Vorverfahren ...... '" ., ....... 121

2. Die persönlich abhängige Stellung des Verteidigers .......... 122 V. Zusammenfassung .............................................. 123

Vierter TeiL Die Stellung des Verteidigers nach Entstehung der Reichsjustizgesetze bis zum Ende der Weimarer Zeit 1. Ausgangspunkt:

Die Strafprozeßordnung vom 1. Febr.1877 (Vereinheitlichung des Verfahrens auf dem Boden des reformierten Strafprozesses) 125 H. Stärkung der Verteidigerstellung durch freie Advokatur ...... , ... 127 1. Der Ruf nach Freigabe der Advokatur ........................ 127

2. Grundforderungen einer freien Advokatur .................... 129 3. Die Anwaltsverfassungen vor Entstehung einer reichsrechtlichen Regelung .................................................... 131 4. Die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 .................... 133 IH. Stellung des Verteidigers -

ein "Organ der Rechtspflege"? ...... 137

1. Die vier vertretenen Auffassungen .......................... 138

2. Entwicklung des Begriffs "Organ der Rechtspflege" durch die Rechtsprechung .............................................. 141 3. Stellungnahme der rechtswissenschaftlichen Literatur zum Begriff "Organ der Rechtspflege" .............................. 142 4. Zusammenfassung ............................................ 143 IV. Bestellung des Verteidigers ...................................... 144 1. Fakultative und notwendige Verteidigung .................... 145

Inhaltsverzeichnis

13

2. Gewählter und bestellter Verteidiger

147

3. Gemeinschaftliche Verteidigung .............................. 149 4. Zulassungsvoraussetzungen zum Amt des Verteidigers ...... 149

V. Wesentliche Rechte des Verteidigers aufgrund der Strafprozeßordnung v. 1. Febr. 1877 ............................................ 150 1. Akteneinsicht ................................................ 150 2. Verkehr mit dem verhafteten Beschuldigten .................. 152 3. Anwesenheit bei Vornahme richterlicher Untersuchungshand-

lungen

...................................................... 154

4. Mitwirkung bei der Beweisaufnahme und deren Provokation

durch den Verteidiger ........................................ 154

5. Schlußvortrag ................................................ 156 6. Zeugnisverweigerung

........................................ 157

VI. Grenzen der Verteidigung und die Folgen im Falle deren überschreitung ...................................................... 158 1. Die allgemeine prozessuale Pflicht des Verteidigers aus seiner

Stellung im Strafverfahren .................................. 158

2. Unzulässige Handlungen des Verteidigers .................... 160 3. Ausschließung von der Führung der Verteidigung ............ 164

VII. Reformbestrebungen zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 und deren Auswirkungen auf die VerteidigersteIlung 168 1. Gründe für die Reformbewegung ............................ 168 2. Der Entwurf einer Strafprozeßordnung vom 1. Sept. 1908 .... 170 3. Der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen von 1919 .................................................... 171

VIII. Zusammenfassung

173

Literaturverzeidtnis ................................................... 174

Abkürzungsverzeichnis a. a.A. a.F. Anm. AnwBI Auft. BayVBI Bd. BeschI. BGH BGHSt Bspr. BVerfG BVerfGE CCB CCC CIC CrimO ders. Diss. DJ DJZ DRiZ DStrZ EGH FN

GA GVG h.L. i. d. F. i. S. d. i. V.m. JMinBI JR JuS JW JZ Komm.

L.

LZ m.E.

auch andere Ansicht alter Fassung Anmerkung Anwaltsblatt (zitiert nach Jahr und Seite) Auflage Bayerische Verwaltungsblätter (zitiert nach Jahr und Seite) Band Beschluß Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Besprechung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) Constitutio Criminalis Bambergensis Constitutio Criminalis Carolina Code d'instruction criminelle v. 1808 Preuß. Criminalordnung v. 1805 derselbe Dissertation Deutsche Justiz (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Strafrechtszeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Entscheidungen des Ehrengerichtshofes für Rechtsanwälte (zitiert nach Band und Seite) Fußnote Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Lehre in der Fassung im Sinne des in Verbindung mit Justiz-Ministerialblatt Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Kommentar Lex (latein.: Gesetz) Leipziger Zeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) meines Erachtens

Abkürzungsverzeichnis Membr. MRK m.w.N. n.F. NJW o.N. o.V. Qu. RAO RN RG RGSt Rspr.

S.

s. Sp. StGB StPÄG StPO StvRG Tit. u.a. Verf. vgl. VO Vorbem. ZRP ZStW

15

Membrum (latein.: Teil) Menschenrechtskonvention mit weiteren Nachweisen neuester Fassung Neue Juristische Wochenzeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) ohne (auffindbaren) Namen ohne (auffindbaren) Vornamen Quaestio (latein.: Frage) Rechtsanwaltsordnung Randnummer Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Rechtsprechung Seite siehe Spalte Strafgesetzbuch Strafprozeßänderungsgesetz Strafprozeßordnung Strafverfahrensreformgesetz Titel unter anderem Verfasser vergleiche Verordnung Vorbemerkung Zeitschrift für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band [Jahr] und Seite

Einleitung Mit der vorliegenden Arbeit wird der Versuch gewagt, die Entwicklung der wechselvollen Geschichte der Verteidigung in Strafsachen nachzuzeichnen. Rechtsgeschichte ist aber nicht zu betreiben ohne Rückbezug zur allgemeinen Geschichte; jene ist nur ein Ausschnitt von dieser. Deshalb ist auf die allgemein politische, insbesondere staatspolitische Geschichte, die das Strafverfahrensrecht nachhaltig beeinflußte, an noch aufzuzeigenden Stellen hinzuweisen. Neben der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Verteidigertätigkeit, auf der das Schwergewicht der Untersuchung liegt, ist des weiteren darzustellen die dem Sachwalter auf der Beschuldigtenseite eigene status- bzw. standesrechtliche Stellung. Ohne deren - kursorisch gestreiftel Einbeziehung wäre die rechtsgeschichtliche Betrachtung der Verteidigertätigkeit unvollkommen. Die AufgabensteIlung beinhaltet die enge Wechselbeziehung und gegenseitige Abhängigkeit zwischen rein verfahrensrechtlich zulässigen Möglichkeiten und standesrechtlicher Unabhängigkeit des Sachwalters auf der Beschuldigtenseite zu untersuchen. Beides muß - wie zu zeigen ist - vorliegen, um die Voraussetzungen für eine wirksame Verteidigung zu schaffen. Diese Voraussetzungen sind weitgehend gewährleistet worden nach Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze am 1. Okt. 1879, darunter u. a. die StPO v. 1. Febr. 1877 und die RAO v. 1. Juli 1878. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Verteidiger erstmals seine Tätigkeit entfalten in einem reichsrechtlich einheitlichen, rechtsstaatlichen Strafverfahren. Die verfahrens- und standesrechtliche Stellung des Verteidigers blieb in der Kaiserzeit bis zum Ende der Weimarer Zeit sowohl de iure als auch de facto weitgehend unverändert. Insofern erscheint es sachlich gerechtfertigt, eine zeitliche Beschränkung der AufgabensteIlung bis zum Ende der Weimarer Zeit vorzunehmen. Die Fortführung der Thematik dieser Untersuchung für die Zeit während des sog. Dritten Reiches und der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges bleibt einer gesonderten Abhandlung vorbehalten. Trotz der zeitlichen Beschränkung erhebt die Arbeit keinen Anspruch auf vollständige rechtsgeschichtliche Darstellung aller Teilaspekte einer Verteidigertätigkeit. Das vordringliche Anliegen der 1 Insoweit wird an den entsprechenden Stellen auf einschlägige Monographien Bezug genommen.

2 ArmbrUster

18

Einleitung

Untersuchung beschränkt sich darauf, die Entwicklung rechtsgeschichtlicher Grundtendenzen der Verteidigertätigkeit anhand besonders wichtiger Rechte und Pflichten aufzuzeigen. Die hierzu einschlägige Literatur wurde bis 1933 verwertet, aus späterer Zeit nur, sofern es sich um rechtshistorische Abhandlungen handelt oder es für angebracht angesehen wurde, die Fortführung von Entwicklungstendenzen über das Ende der Weimarer Zeit hinaus anzudeuten und mit Zitaten zu versehen.

Zum Begriff der Verteidigung Der Ursprung des Wortes "Verteidigung" ist nicht rein strafprozessualer Natur. Etymologisch ist "Verteidigung" hervorgegangen aus dem althochdeutschen "tagadine" und mittelhochdeutschen "tagedine" oder auch "teidine"l. Diese Begriffe bezeichneten eine {Gerichts-)Versammlung der Dorf- bzw. Rechtsgemeinschaft, die sich bei "tag" einfindet und das "dine", d. h. die zur Erörterung anstehende Sache, bespricht!. Bei Interessengegensätzen war eine "Thaidigung"3' zu erzielen, d. h. ein Sühnevergleich zwischen den Parteien'. Zum Zwecke eines Abschlusses desselben traten in der Gerichtsversammlung auf seiten beider Parteien "Teidingsleute"5 auf. Die daraus abgeleiteten Worte "vertagedingen" und "verteidingen" wurden ursprünglich verwendet in dem Sinne, eine Streitsache zum Austrag zu bringen mit dem Ziel einer gütlichen Einigung G• Die Verwendung der Begriffe in diesem Sinne trat jedoch im Laufe der Zeit zurück. "Verteidingen" wurde begriffsverengend verwendet in der Bedeutung etwa "für eine Person oder Handlung eintreten, die Rechtmäßigkeit einer Sache geltend machen und sich selbst oder als Sachwalter, als "Teidinger"7, einen anderen vor einem Angriff schützen oder gegen eine Beschuldigung rechtfertigen8 • Der Anwendungs1 v. Amira, Grundriß des german. Rechts S.154; Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte S.44 FN 23; Schmidt, Die Pflichtverteidigung S.3. ! "dine" = "ding" = Verhandlung; vgl. v. Amira, Grundriß S. 154; Steiner, über das altteutsche und insbes. altbaierische Gerichtswesen S.33 u. 99; Schmidt, Die Pflichtverteidigung S. 3; Werkmüller (Aufkommen u. Verbreitung der Weistümer S.66) weist darauf hin, daß der Begriff "Taiding" in Süddeutschland teilweise als Synonym für Weistum verwendet wurde. S Eingehend: Knapp, Nürnberger Kriminalrecht S.147, 174; derselbe Verf., Altes Nürnberger Criminalverfahren S.82; vgl. a.: Zoep!f, Deutsche Rechtsgeschichte S.967; Eckhardt I Hübner, Deutschenspiegel, Landrechtsteil: Art. 216; Steiner, Gerichtswesen S.33 u. S.99. " Ein solcher wurde auch im (Straf-)Rechtsgang jener Epoche erstrebt; vgl. Erster Teil 1. 1. 5 Auch Zeugen konnten als "Teidingsleute" auftreten· jene waren dann gesetzliche Teidingsleute oder Abschätzer; vgl. Rogge, Ober das Gerichtswesen der Germanen S. 128 f. G Der Begriff "thaidingen" oder "teidingen" wird teilweise ganz allgemein in der Bedeutung für "sich friedlich einigen" verwendet, vgl. Knapp, Nürnberger Kriminalrecht S. 126, 174, 192. 7 Vgl. Schröder, Rechtsgeschichte S.44 FN 23. 8 Schmidt, Die Pflichtverteidigung S. 3.

Zum Begriff der Verteidigung

20

bereich des Begriffs "Verteidigung" beschränkte sich ursprünglich auf gerichtliche Dinge. Doch schon in mittelhochdeutscher Zeit wurde der Bedeutungsumfang auf außergerichtliche Handlungen erweitert9• Seitdem bedeutet "Verteidigen" allgemein "einen Angriff von sich oder einem anderen abwehren". Im Strafverfahrensrecht wird der Begriff Verteidigung in zwei verschiedenen Bedeutungsinhalten verwendet. Im weiteren Sinne versteht man unter Verteidigung jede Tätigkeit des Beschuldigten oder irgend eines Dritten10, die darauf abzielt, dem staatlichen Strafanspruch entgegenzuwirken, sei es durch Geltendmachung materiell-rechtlichen Vorbringens, sei es durch Zuhilfenahme prozeßrechtlicher Mittel. Im engeren Sinne bezeichnet man unter Verteidigung nur einen Ausschnitt hieraus, nämlich die im Ablauf des Strafverfahrens aufgrund prozessualer Rechte sich entfaltende, dem Schutz des Beschuldigten dienende Tätigkeit eines besonderen Prozeßbeistandes, des Verteidigers. Antiquiert ist es, diese dogmatische Unterscheidung mit den Bezeichnungen materielle oder sachliche Verteidigung für die erstgenannte und formelle oder förmliche Verteidigung für die letztgenannte Alternative zu belegenl l . Abgesehen davon, ob man die der Entlastung des Beschuldigten dienende Tätigkeit des Richters oder Staatsanwalts überhaupt als Verteidigung bezeichnen kann, ergeben sich aus der Unterscheidung keine Folgen1!. In der modernen strafprozessualen Terminologie spielt diese Unterscheidung zu Recht keine Rolle mehr. Die StPO selbst verwendet den Begriff Verteidigung ausschließlich in dem aufgezeigten engeren Sinne. Ihm folgend wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dem Begriff Verteidigung allein die Tätigkeit eines besonderen Prozeßbeistandes, des Verteidigers, zugrundegelegt.

8

Schmidt, Die Pflichtverteidigung S. 3.

Auch die Einzeltätigkeiten des Staatsanwalts oder Richters (Verpflichtung zur Ermittlung der materiellen Wahrheit!) wurde als Verteidigung in dem so verstandenen Sinne aufgefaßt; vgI. GeYeT, Lehrbuch S.423. 11 Diese Terminologie führte sich ein zur Zeit des Inquisitionsprozesses und wurde aufrecht erhalten bis in die 1. Hälfte dieses Jhdts. Aus neuerem Schrifttum für die Unterscheidung: Gerland, Der dtsch. Strafprozeß S.137 Anm.21; Horber, Rechtsstellung des Verteidigers S.I; Grejjin, Der amtI. bestellte Verteidiger S. 1 ff.; Lukanow, Mißbrauch der Verteidigerstellung S. 21; a. A. schon am Ende des vorigen Jhdts.: Glaser, Handbuch Bd. 2 S.224; 'V. Kries, Lehrbuch S.232. 12 Vgl. Schmidt, Die Pflichtverteidigung S.4 FN 6; Knapp, Der Verteidiger S.13 FN44. 10

Erster Teil

Die Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren bis zur Rezeption I. Ursprung des Vorsprechertums 1. Der Strafprozeß - ein reiner Parieiprozeß im alten c1eutschen Redltsgang

Dem germanischen Rechtsgang war die - heute selbstverständliche - Unterscheidung in Zivil- und Strafverfahren fremd. Das Gerichtsverfahren war als reiner Parteiprozeß ausgestaltet und wurde von den Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit beherrscht1 • Der germanische Prozeß war ein Anklageprozeß im reinsten Sinne des Wortes2 ; die Einleitung des Gerichtsverfahrens stand - auch im Strafprozeß - allein zur Disposition des Geschädigten bzw. des Verletzten. Sich Recht zu suchen, war Sache des Freien oder Angelegenheit seiner Sippe3. Ein Verfahren von Amts wegen kannte jedenfalls der germanische Rechtsgang nicht. Ansätze hierzu finden sich erst in den späteren mittelalterlichen Gerichtsverfassungen. Am Anfang des germanischen Gerichtsverfahrens stand die selbständige Tätigkeit des Verletzten. Dieser wandte sich zunächst an den Schädiger bzw. an den Täter und suchte von diesem durch Abschluß eines Sühnevertrages sein Recht zu erlangen, zum Beispiel durch Zahlung eines Wergeldes oder - auch in Tötungsfällen - durch Entrichtung des Blutpreises. Erst wenn dies erfolglos geblieben war, konnte der Verletzte oder seine Sippe vor Gericht Klage erheben4 • Ziel des Gerichtsverfahrens war es, den außergerichtlich nicht möglichen bzw. noch nicht gelungenen Sühnevertrag zwischen den Parteien vor Gericht herbeizuführenD. Daher stellt das 1 Allgemein zum alten deutschen Gerichtsverfahren, vgl.: Planitz, German. Rechtsgeschichte S. 39 ff. u. S. 235 ff.; Wilda, Strafrecht der Germanen S. 196 ff.; Eb. Schmidt, Einführung S. 37 ff.; Vargha, Vertheidigung S. 87 ff.; Weißler, Geschichte S. 221 ff.; Rogge, Ober das Gerichtswesen der Germanen; Heusler, Strafrecht der Isländersagas. 2 Vgl. Schroers, Umgestaltung S.2. 3 Eindrucksvolle Schilderung hierzu, vgl. Maaß, Halsgericht S. 14. 4 Zu den Voraussetzungen der Klageerhebung: vgl. die Darstellung bei Wilda, Strafrecht der Germanen S. 211 ff. und Eb. Schmidt, Einführung S. 38 f. I) Vgl. Eb. Schmidt, Einführung S.38 und Hahn, Die notwendige Verteidigung S. 46.

22

1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

germanische und frühe mittelalterliche Strafverfahren ein streitiges Verhandeln vor Gericht dar8. Die verletzte Partei mußte öffentlich als Kläger bzw. Ankläger auftreten, aber auch vor Gericht wandte sich der Verletzte als Kläger mit seinem Klagevorwurf (Anklage) nicht an den Richter, sondern an den Beklagten bzw. Angeklagten7• Der Kläger allein mußte die Klageworte in förmlicher, feierlicher Weise beteuern und forderte den Beklagten zur Antwort auf, indem er ihn unter Förmlichkeiten beschwor, sich über die Klage zu äußern. Die Streitenden zogen das Gericht zur Mithilfe nur insoweit heran, als sie sich über Fragen des Verfahrensablaufs oder der sachlichen Beilegung durch Abschluß eines Sühnevertrages nicht einigen konnten. Im übrigen bestimmten sie selbst Ablauf, Durchführung und Beendigung des Verfahrens8 • Selbst die Unterwerfung der Widersacher unter den Spruch des Gerichts mußte zuvor vertraglich durch ein von Partei zu Partei abgelegtes Urteilserfüllungsversprechen ausbedungen werden9 ; bei einer Weigerung hatte das Gericht nicht die Macht, dem Widerstrebenden seinen Willen aufzuzwingen; es blieb nur die Möglichkeit, ihn aus der Rechtsgemeinschaft auszustoßen. Der Beweis wurde auch nicht dem Richter, sondern dem Gegner gegenüber erbracht10 • Die Beweismittel waren - jedenfalls unter freien Männern Eide und Ordalien (Gottesurteile)l1. Man kannte Feuer- und Wasserordalien, ferner das Losordal und den Zweikampf. Wenn auch die Urteilsfindung im germanischen Gerichtsverfahren zu verschiedenen Zeiten und bei den verschiedenen Stämmen beträchtliche Unterschiede aufweist, so war allen Rechtskreisen jedoch gemeinsam die Trennung der Aufgaben von Richter und Urteilern1%. Die Entscheidung des Rechtstreites lag nicht beim Richter1S , sondern in der ältesten Zeit bei dem gesamten Volk, der Thinggemeinde, und später bei den vom Volk gewählten Schöffen". Als Gerichtsvorsitzender war der Richter im germanischen und fränkischen Rechtsgang bloßer Vers Vgl. Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte S.102 f. 7 Die Begriffe Ankläger und Angeklagter sind für das Straf-Gerichtsverfahren jener Zeit ungeeignet; entsprechend der Terminologie für einen Parteiprozeß finden die Begriffe Kläger bzw. Beklagter Verwendung. 8 Vgl. Henkel, Strafverfahrensrecht S.24. 11 Vgl. Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte S.102. 10 Vgl. v. Amira, Grundriß des germanischen Rechts S.269; Schroers, Umgestaltung S.2; Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte S.102 m. w. N. 11 Ausführlicher über die Ordalien: vgl. Siegel, Geschichte des deutschen Gerichtsverfahrens S. 209 ff.; Amira, Grundriß S. 277 ff. 12 Henkel, Strafverfahrensrecht S.25; Schmitt-Weigand, Rechtspflegedelikte S. 102 f. 13 Henkel, Strafverfahrensrecht S.25. " Vgl. die sehr anschauliche, mit zahlr. Abbildungen versehene Monographie von Heinemann, Der Richter und die Rechtsgelehrten.

I. Ursprung des Vorsprechertums

23

handlungsleiter, nur "Frager", nicht "Finder" des Rechts; dies war den Urteilern vorbehalten. Der verhandlungsleitende Richter war aber befugt, von jedem Mitglied der Thinggemeinde bzw. den Urteilern einen Urteilsvorschlag einzuholen. Dieser wurde dann aber erst durch Zustimmung der Thinggemeinde, dem sog. "Umstand", d. h. die um den meist sitzenden Richter Herumstehenden, zum Urteil erhoben. Entsprechend dem Urteil verkündete der Richter das Rechtsgebot an die Parteien, wodurch das Urteil Rechtskraft erlangte. Den alten deutschen Strafprozeß zusammenfassend charakterisierend, hat m. E. Henkel den Strafrechtsgang jener Epoche treffend als "einen zwischen den Parteien vor Gericht öffentlich und mündlich geführten, auf dem Anklage- und Verhandlungsgrundsatz beruhenden, vom Parteibetrieb getragenen Rechtstreit" bezeichnetlll• 2. Vorspredler des Redlts, Wortführer

In den ältesten germanischen Rechtsquellen findet man Kenner und Künder des Rechts, rechtsgeschichtlich auch Rechtweiser genannt. In jenen Rechtsquellen werden sie bezeichnet als "asega" (a = Recht, sega = Sager), "eosago" , "lagmann", "sagibaro" (= Mann des Sagens) uswY'. Diese geben ein "Weistum"17, d. i. ein Urteilsvorschlag, ab. Das Amt des Rechtweisers hat zur Aufgabe die Behütung des Rechts, also eine Tradier- und Vereinheitlichungsfunktion auszuüben. Der Rechtweiser weist das Recht dem rechtsunkundigen Richter und der Gerichtsversammlung ebenso wie der Partei. Er ist anzusehen als juristischer Gutachter, wie sich heute Gericht oder Parteien eines Sachverständigen bedienen können. Vielfach wurde der Rechtweiser auch Vorsprecher des Rechts genannt und aus dem Kreis der Urteiler vom Richter besonders ernannt. Der Gerichtsversammlung gegenüber unterbreitete der Rechtweiser einen Urteilsvorschlag18 • Neben dem Rechtweiser kennt das germanische und fränkische Recht noch eine zweite, mehr anwaltähnliche Institution: den Wortführer. Dieser wird später ebenfalls Vorsprecher genannt und ist in jener Funktion als Begriff in die Rechtsgeschichte eingegangen. Die Vorsprecher des Rechts in ihrer ursprünglichen Funktion als Kenner und Künder des Rechts sind somit grundsätzlich von den Wortführern, den Vorsprechern, zu unterscheiden19 • Weißler hat sicher zu Recht darauf 11 18

Henkel, Strafverfahrensrecht S. 26. Zitiert nach WeißleT, Geschichte S. 2 H. m. w. N. und S.25.

17 Die mithin wichtigsten Rechtsquellen des Mittelalters, die "Weistümer", sind Sammlungen schriftlich niedergelegter Urteilsvorschläge für abstrakt gehaltene Sachverhalte. 18 Vgl. Rosenthal, Geschichte Bd. I S.70 m. w. N. 11 Rosenthal S.70; WeißteT, Geschichte S.16 ff.

24

1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

hingewiesen, daß zwischen dem Amte des Wortführers und dem des Rechtweisers in vielen Fällen ein natürlicher Zusammenhang bestandzo . Ein Rechtweiser als Kenner und Künder des Rechts war geradezu prädestiniert zum Wortführer. Gelang es einer Partei, einen solchen Rechtweiser für ihre Sache zu gewinnen, so hatte sie damit ihren natürlichen Wortführer gefunden, und es fragte sich dann nur, ob nicht die Gegenpartei für ihren Standpunkt einen ebenso mächtigen Wortführer bzw. Rechtweiser gewinnen konnte. Somit ist Weißler m. E. beizupflichten, daß sich der Vorsprecher als anwaltähnliche Institution aus dem Vorsprecher des Rechts, dem Kenner des Rechts, entwickelt hat2!. 3. Vorllpremer für Kläger und Beklagten

über das gerichtliche Verfahren der Völkerwanderungszeit sind Rechtsquellen fast nicht vorhanden; jedenfalls erbringen sie keinen Nachweis des Vorsprechers bzw. Wortführers22'. Etwa seit dem 8. Jahrhundert ist die Figur des Vorsprechers als anwaltähnliche Institutionund als solche wird der Name Vorsprecher künftig nur noch verwendet - erstmals urkundlich bezeugt23 • Der Ursprung des Vorsprecheramtes dürfte aber sicher viel weiter zurückliegen, wenngleich auch die Capitularien der fränkischen Zeit dem Beklagten noch keinen Vorsprecher als Sachwalter auf der Beschuldigtenseite zugestehen!4. Die Funktion des Vorsprechers bestand ursprünglich nur in einer Art Vorredner-Tätigkeit der grundsätzlich zur mündlichen Stellungnahme verpflichteten Partei; jede der beiden Parteien bediente sich eines solchen Vorsprecherszs • Dieser spricht "vor" anderen im Sinne ZO

21

WeißleT S. 22. WeißleT S. 22.

22 Nach Tacitus mußten im germanischen Rechtsgang die Parteien ohnehin in persona zum Rechtstag erscheinen und mündlich ihre Sache selbst und nicht durch einen Vorsprecher darstellen und verteidigen; vgl. Tittmann (Geschichte S. 11) unter Hinweis auf Tacitus (De Germania cap. 12), welcher einen Vorsprecher nicht erwähnt, sondern auf die grundsätzliche Pflicht der Parteien hinweist, persönlich zum Thing zu erscheinen; so auch Planitz, German. Rechtsgeschichte S. 233. 23 WeißleT, Geschichte S.25 unter Hinweis auf GTaff, Althochdeutscher Sprachschatz VI, 390. 24 Vgl. Tittmann, Geschichte S. 67 f. 25 Der Vorsprecher ist in fast allen mittelalterl. Rechtsquellen erwähnt, vgl. aus der Fülle der Belegstellen: z. B. Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 60 § 1; Schwabenspiegel, Landrecht c.87; Deutschenspiegel: Buch der Könige Art. 8,10; Landrechtsteil Art. 82 § 2; Augsburger Sachsenspiegel, Landrechtsteil Art.88 § 3; vgl. Freisinger Rechtsbuch Art.196 u. 215; Knapp, AltRegensburgs Gerichtsverfassung S. 68 f.; derselbe, Altes Nürnberger Criminalverfahren S.11, 24; Heumann, Codex Juris Bavarici antiqui S. 56 ff.; Schnelbögl, Innere Entwicklung der bay. Landfrieden S. 201 f.; StTenge, Stadtrecht von Eisenach S.41; MeyeT, Mühlhäuser Reichsrechtsbuch S.l11, 119, 169.

I. Ursprung des Vorsprechertums

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von " anstatt" , nicht "für" andere im Sinne von "zu Gunsten"26. Der Vorredner ist (noch) kein Fürsprecher. Er waltet zwar seines Amtes als Wortführer der Partei, wird aber nicht von ihr gewählt und nicht von ihr bezahlt, sondern der Partei vom Richter im öffentlichen Interesse bestellt. Da sich die Aufgabe des Vorsprechers in der richtigen Anwendung der vorgeschriebenen Wortformeln beschränkte, war ursprünglich eine Interessengemeinschaft zwischen ihm und der Partei nicht notwendig. Der Vorsprecher war Beauftragter des Richters; er handelte nicht im Parteiinteresse. Er verfolgte - apriori - nicht das vordringliche Ziel, den Prozeß für seine Partei zu gewinnen. Er konnte sogar aus dem Kreis der Urteiler bestellt werdenz7 ; in diesem Fall kam ihm als Rechtskundigen innerhalb der Urteilsbank eine gehobene Stellung ZU 28 • Kerngedanke dieses öffentlichen Amtes war es, daß in einem rigoros formstrengen Verfahren vor rechtsunkundigen Urteilern mit persönlich auftretenden Parteien die nötige Unparteilichkeit und Rechtskenntnis nicht von der Partei, bezüglich der Rechtskenntnisse auch nicht von den Urteilern, sondern von dem Vorsprecher erwartet werden konnte, dessen Pflicht es war, dafür zu sorgen, daß weder seine Partei noch deren Gegner zu Schaden kam. Es ist kennzeichnend, daß in den Bildern der Gerichtssitzungen jener Zeit der Vorsprecher nicht etwa bei der Partei steht, sondern neben dem (verhandlungsführenden) Richter sitzt29 • Der Vorsprecher ist einer, der der Partei etwas vorspricht, was sie nachsprechen soll, damit keiner der Verfahrensbeteiligten in dem frühen formstrengen Rechtsgang prozessuale Nachteile erleidet, aber keineswegs ist er einer, der in erster Linie zugunsten seiner Partei spricht. Erst später wird der Vorsprecher zum Parteimann. 4. Für den Vorspredler verwendete Synonyme

Für den Wortführer der Parteien wurde bisher lediglich der am häufigsten verwendete Name Vorsprecher angeführt. Daneben tauchen eine gaIWe An~ahl von Bezeichnungen für die nämliche Institution auf. Mundartliche ähnliche Bezeichnungen sind Vorsprech, vorspreke und vorspraken30 • Später drang vor - wohl auch als Ausdruck einer sich allmählich durchsetzenden gesteigerten Parteilichkeit der Institution So treffend Liermann, Richter, Schreiber, Advokaten S. 42. Glaser, Handbuch Bd. I, S.54; Henkel, Strafverfahrens recht S.19; Vargha, Vertheidigung S. 153 - 155; Knapp, Alt-Regenburgs Gerichtsverfassung S.68f. 28 Vgl. Schneider, Der Rechtsanwalt S.30. 29 Vgl. z. B. Fehr, Das Recht im Bild (1925). 30 Vorspraken, auch Worthalder vorwiegend in Norddeutschland, vgl. Niese, Urteilsbuch des holsteinischen Vierstädtegerichts S.49; Hennings, Hamburgische Strafrecht S.I11 ff.; Trummer, Entstehung des Advokatenstandes S. 464 f. 28 27

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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

die Bezeichnungen: Fürsprech, Fürsprecher oder Fürlegerl1 • Die Verwendung der Bezeichnungen Fürsprecher und Vorsprecher ist uneinheitlich; beide Begriffe werden zuweilen in der gleichen Rechtsquelle, z. B. Deutschenspiege}3%, gleichzeitig verwendet. Die lateinische übersetzung mit "prolocutor" ist daher vielfach nicht genau genug; "praelocutor" wäre richtiger3 • Letztgenannte Bezeichnung kommt - zwar selten- auch vor. In den salischen Gesetzen werden die Vorsprecher als causatores34 , bei den Langobarden wanteporo3'5, rec1amatores oder causidici31 , bei den Westgoten prolucutores und patrocinantes37 und in den Capitularien der fränkischen Könige clamatores3S oder causidici39 bezeichnet. Auch die Bezeichnungen forsbrecan 4o oder furisprecho 41 werden verwendet. Daneben finden sich für den Vorsprecher im Althochdeutsch noch die Bezeichnungen "tallmann" oder "tälmann"4l!. Im späteren Mittelalter tauchen die Begriffe Fürleger oder Fürbringer auf oder als deren lateinische übersetzungen prolocutores, patroni causae, actores causarum oder ferendarii (Sachsenspiegel)4:!. Seit der Rezeption des römischen Rechtes setzten sich die lateinischen Bezeichnungen procurator und advocatus durch; letztgenannte ist die latinisierte Form von Vogt, ursprünglich Bezeichnung eines Immunitätsbeamten der Karolingeru. Die Aufgabe dieses Immunitätsbeamten (Vogt) war es, eine prozessuale Vertretung (sog. Bevogtung) auszuüben, die allerdings nur bei juristischen Personen, Unfreien und Hörigen stattfand, bei letztgenannten meist durch den Herrn45 • 31 Vgl. die übersicht über einen Teil der verwendeten Begriffe bei Vargha, Vertheidigung S.148; s. a. Steiner, über das Altteutsche und insbesondere Altbaierische Gerichtswesen S. 68 f. 32 Vorsprecher: Buch der Könige, Art.8, 10 Landrechtsteil, Art. 79 u. 82 § 2 Fürsprecher: Landrechtsteil, Art. 71 § 1 u. 78 § 1. aa Hierauf hat schon Weißler hingewiesen, vgl. Geschichte S. 26. 34 L. sal. tit. 60 § 1. 35 Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte S.380. 38 Zitiert nach Vargha, Vertheidigung S.148 unter Hinweis auf L. Loth. c.64. 37 L. Visigoth. L. 11 tit. 2 c. 2,8. 3S Cap. I. a. 810 c. 1. 38 Cap. 111 a. 803 c. 10; s. a. Trumm er, Entstehung des Advokatenstandes S.472. 40 Zoepf'" Dtsch. Rechtsgeschichte S.869 m. w. N. 41 So z. B. in Bayern, vgl. Rosenthal, Geschichte Bd. I S. 380; s. a. Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 380. 4% Vgl. Bennecke, Zur Geschichte des dtsch. Strafprozesses, S. 52 f. m. w. N. 43 Vgl. Vargha, Vertheidigung S. 148. " Vgl. Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S.197; Zoepf'" Dtsch. Rechtsgeschichte S. 426 u. 441. 45 Vgl. Schröder S. 197 u. 750.

I. Ursprung des Vorsprechertums

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In der folgenden Darstellung wird die innerhalb des Ersten Teiles verwendete Bezeichnung Vorsprecher grundsätzlich beibehalten. Andere Bezeichnungen, wie z. B. Fürsprecher, werden nur an den Stellen verwendet, an denen auf eine konkrete Rechtsquelle Bezug genommen wird und diese den anders lautenden Begriff aufweist. Vorsprecher hieß jedoch auch häufig der erste - möglicherweise einzige - Rechtskundige unter den im übrigen rechtsunkundigen Urteilern bzw. Schöffen, welcher vom Richter zuerst um das Urteil befragt zu werden pflegte, ohne daß jener als Wortführer einer Partei aufgetreten war. Dies führt teilweise zu Schwierigkeiten in der Bestimmung der tatsächlich ausgeübten Funktionen derer, die in Rechtsquellen als Vorsprecher bezeichnet sind. 5. Schutzfunktion des Vorsprechertums gegen verfänglichen Formalismus a) Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang

In dem ganz vom Verhandlungsgrundsatz beherrschten alten deutschen Gerichtsverfahren lag der Schwerpunkt der Untersuchung und die eigentliche Urteilsgrundlage in den Parteireden. Auch das Strafverfahren war ausgerichtet nicht auf Feststellung des wirklichen Sachverhaltes, d. h. Erforschung der materiellen Wahrheit, sondern allein entscheidend war, welche Partei formell glaubwürdigere Behauptungen aufgestellt hatte. Der Kampf mit Worten wurde in feststehenden, unabänderlichen Formeln ausgetragen46 • Die Wechselreden der Parteien, Rede und Antwort, waren ihrem Inhalt nach juristisch formulierte Behauptungen. In die Verhandlung der Parteien hatte sich ein übertriebener Formalismus eingebürgert, der sich selbst auf Körperbewegungen erstreckte 47 • Hinsichtlich der Parteireden galt der Grundsatz, daß eine unmittelbar von der Partei abgegebene Erklärung nicht widerrufen werden konnte und unabänderlich Geltung erlangte, mochte sie auch - weil irrtümlich abgegeben - noch so falsch sein48 • Der Wortungewandte konnte sich nur allzu leicht versprechen und hatte den (Straf!)Prozeß aus äußeren, formalen Gründen verloren. Ein Versprechen bei der Wortformeloder ein Vergreifen im Formalakt bedeutete das Unterliegen der Partei, den Prozeßverlust49 • Bei dieser überaus großen Prozeßgefahr benötigte die ohne forensische Erfahrung 48 Vgl. als ausführlichste Darstellung hierzu: Siegel, Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang; daneben: Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 490 ff.; Vargha, Vertheidigung S. 143 ff.; Rosenthal, Geschichte Bd. I, S. 85 ff.; Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 750 f.; Mitteis / Lieberich, Dtsch. Rechtsgeschichte S.185; Bennecke, Zur Geschichte des dtsch. Srafprozesses S. 52 f. 47 Vgl. hierzu Siegel, Gefahr; Vargha, Vertheidigung S.147. 48 Zu Recht bezeichnet Liermann jene formalistischen Regeln als primitive Rechte, vgl. Liermann, Richter, Schreiber, Advokaten S. 42. 48 Vgl. Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233.

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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

auftretende Partei einer Hilfe. Um dieser Gefahr zu entgehen, wurde es üblich, daß die Parteien durch Vorsprecher50, welche statt ihrer vor Gericht ihr Wort sprachen, ihren Rechtsstreit führen ließen. Der beste Schutz für eine Partei, geradezu erforderlich auf der Beschuldigtenseite, bestand darin, daß sie sich persönlich möglichst passiv verhielt und mit dem ihr als Prozeßpartei zukommenden aktiven Eingreifen in die Verhandlung eine andere Person, den Vorsprecher, betraute, der über mehr Sachkenntnisse hinsichtlich der Handhabung gerichtlicher Formen verfügte als sie selbstSI. Durch diese übertriebene Herrschaft des Formellen und Äußerlichen ward dem Verfahren vor Gericht und dem gesamten Rechtsgang der Charakter eines primitiven. äußerst gefährlichen Vorganges verliehen. Der Gegner, auf der Ankläger- wie auf der Beschuldigtenseite, suchte der Erklärung seines Gegners einen anderen Sinn, als gemeint war, unterzulegen. Auch bediente man sich zum Teil absichtlich zweideutiger Wendungen und Worte, um damit einen unaufmerksamen Gegner in Nachteil zu bringenS!. War eine Formel nicht wortgetreu ausgesprochen, so konnte der Gegner deren Nichtigkeit geltend machen mit der Folge nicht mehr behebbarer prozessualer Nachteile auf der anderen Seite. Da der in vielen Rechtsquellen jener Zeit enthaltene Grundsatz "Ein Mann, ein Wort" für Erklärungen vor Gericht galt, konnte nur allzu leicht eine an sich vollkommen gerechte Sache im Verfahren untergehen und das Unrecht siegens:t. Ein verfänglicher Formalismus beherrschte die Stellung der Parteien und das Verfahren vor Gericht, und zwar sowohl in seinen Anforderungen an die Partei als auch in seinen Auswirkungen auf die Partei54 • b) Erholung und Wandelung

Das Verhandeln vor Gericht durch einen Vorsprecher, welcher statt der Partei, die immer zugegen sein mußte, sprach, hatte - neben der Sachkenntnis des Vorsprechers - noch eine weitere Schutzfunktion gegen den verfänglichen Formalismus des Gerichtsverfahrens jener Epoche. Die strenge Regel, wonach das einmal von der Partei Ausgesprochene unwiderruflich zu gelten hatte, bezog sich jedoch nur auf 50 Vgl. aus der Fülle der Nachweise: Planck, Dtsch. Gerichtsverfassung Bd. I S.194; Rosenthal, Geschichte Bd. I S.85; Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S.491; Vargha, Verteidigung S. 143 ff.; Schwerin, Anwaltschaft im dtsch. Recht, in: Magnu8, Die Rechtsanwaltschaft S.460; Freisinger Rechtsbuch Art. 253. 51 Die Gefährlichkeit der Formenstrenge des Prozesses eingehend schildernd: Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233; s. a. Hennings, Das Hamburgische Strafrecht S. 129 f. 62 Siegel, Gefahr. 63 Eingehend Siegel, Gefahr; s. a. Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233. 54 Planitz S.233; Widmer, Blutgericht S. 35 - 40 (37).

I. Ursprung des Vorsprechertums

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die Erklärungen, die die Partei persönlich abgegeben hatte58• Was jedoch ein anderer vor Gericht, auch im Namen einer Partei, gesprochen hatte, brauchte diese nicht notwendig anzuerkennen, sondern durfte es vielmehr zurückweisen und verbessern56• Die Möglichkeit, gesprochene Worte rechtlich ungesprochen zu machen und die zuvor unzweckmäßig oder unrecht abgegebene Erklärung zu verbessern, wird in der Gerichtssprache jener Zeit mit Erholung und Wandelung bezeichnet57 • Durch die verweigerte Genehmigung des Vortrages des Vorsprechers "sich zu erholen", bedeutete für die Partei, den Prozeß in die frühere, vor der ungünstigen Prozeßerklärung oder -handlung befindliche Lage zurückzubringen und somit sich die Zulässigkeit eines verbesserten, "gewandelten" Vortrages zu sichern58 • Eine Erholung setzte voraus, daß die Partei dem Sachvortrag ihres Vorsprechers gegenüber Widerspruch erhob 59 • Der Richter hatte nach jeder Erklärung des Vorsprechers die Partei zu fragen, ob sie einverstanden sei, worauf diese nach eventuell erbetener und gestatteter Beratung sofort mit Ja oder Nein antworten mußte und erst danach das Verfahren seinen Fortgang nahm60 • Grundsätzlich war die Erholung der Partei nur für die Rede des Vorsprechers gestattet, später war die Erholung unter gewissen Voraussetzungen auf den Vorsprecher für seine eigene Rede eingeräumt61 • Die Erholung konnte erfolgen entweder durch den bisSo z. B. Sachsenspiegel, Drittes Buch Art. 14 § 1. Vgl. hierzu als ausführliche Darstellungen: Siegel, Erholung und Wandelung; ferner: derselbe, Dtsch. Rechtsgeschichte S.491; Planck, Dtsch. Gerichtsverfassung Bd. I S.194; SchweTin, Anwaltschaft im dtsch. Recht, in: Magnus, Die Rechtsanwaltschaft S.461; Vargha, Vertheidigung S.148 u. 160 ff.; Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233; Knapp, Altes Nürnberger Criminalverfahren S. 24 f. 57 Vgl. Schwabenspiegel (Ausgabe 'V. Lassberg) Landrecht c. 88: "ein iegelich man mag wol clagen. Unde antwurten. ane fürsprechen. ob er sich dez schaden wiI getrösten. der im da von geschiht versprichet er sich ane fürsprechen. dez mag sich ein man nut erholn. er muz den schaden han. hat er einen fürsprechen unde misse sprichet der. er magz wol erholen mit einem andren." Sinngemäß: Ein jeder kann klagen und antworten ohne Fürsprecher; verspricht er sich ohne Fürsprecher, kann er sich nicht erholen und hat den Schaden; hat er einen Fürsprecher und dieser verspricht sich, kann sich die Partei mit einer anderen Darstellung erholen. Sachsenspiegel (Ausgabe Hirsch) Erstes Buch, Art. 60, § 1: "Ohne fürsprech darf der mann klagen und antworten, wenn er den schaden wagen will, der ihn dadurch treffen kann, daß er sich verspricht, und er das nicht verbessern kann, wie er dies bei dem fürsprech darf, wenn er dessen wort nicht gutheißt." Ebenso sinngemäß Deutschenspiegel, Landrechtsteil Art. 82 § 2. 58 Beide Institute 'wurden auch mit "Holung" und "Wandel" bezeichnet; vgl. Weißler, Geschichte S. 46 ff. 59 Vgl. Z. B. Schwabenspiegel, Landrecht C.93. 80 Vgl. Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 62 § 11 und Drittes Buch Art. 14 § 1. 61 Vargha, Vertheidigung S.160. 55

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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

herigen Vorsprecher selbst oder aber mittels eines neu bestellten Vorsprechers&!; ein solcher Wechsel während der Verhandlung einer Sache konnte nach den meisten Rechten nur zweimal vorgenommen werden83. Auch eine Wandelung der Worte konnte üblicherweise nur zweimal erfolgen, so daß eine Erklärung höchstens dreimal versucht werden konnte. Die Erklärung, die bei der letzten, also zweiten Erholung gesprochen wurde, war unwiderruflich und konnte auch demjenigen "zu Schaden werden, dessen Wort er (der Vorsprecher) darspricht"84. Das Recht, sich einen Fürsprecher zu nehmen, erlosch auf der Beklagtenseite, sobald der Beklagte zur Sache selbst verhandelt hatte65 • In Erholung und Wandelung sahen die mittelalterlichen Rechtsquellen den Grund und Zweck des Vorsprecherwesens88 . Die Annahme eines Vorsprechers gewährte ein Wiedereinsetzungsrecht für die Partei in einem Umfange, wie es uns heute nicht mehr bekannt ist. Damit war ein starkes Gegengewicht gegen die Formenstrenge des Verfahrens gegeben. Zweck des ganzen Vorsprecherwesens kann aber m. E. dennoch nicht allein im Recht auf Erholung und Wandelung gesehen werden. Der tiefere Grund des Vorsprecherwesens - ausgehend vom Weiser und Künder des Rechts 87 - liegt gerade im Bestreben nach rechtskundiger Hilfe für die rechtsunkundigen Urteiler. Daß damit zum Teil auch zwangsläufig Beistand zugunsten der Partei geleistet wurde, deren Wort man führte 88 , war eine durchaus erwünschte, aber immerhin nur nebenbei eintretende Randerscheinung, die aber, auch schon im Laufe der Ausgestaltung des Vorsprecherwesens im mittelalterlichen Strafprozeß, eine immer größere Bedeutung gewann. Bei wohl richtiger Betrachtung war das Vorsprecherwesen zwar die wichtigste Funktion gegen den verfänglichen Formalismus des Rechtsganges jener Zeit, seine ureigenste Berechtigung ergab sich aber aus der Fähigkeit des 82 Der Vorsprecher, der "im Wort gefehlt hatte", hatte eine Buße zu zahlen; vgl. Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233. 63 Dies bedeutete eine Beschränkung der Sachwalter in einem Verfahren auf die Anzahl von drei; vgl. hierzu Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S.491; Steiner, über Altteutsches und insbesondere Altbaierisches Gerichtswesen S.76 m.w.N. 84 Vgl. Freisinger Rechtsbuch Art. 253. 85 Sachsenspiegel, Drittes Buch Art. 30 § 1; im übrigen vgl. auch § 274 Abs. 3 ZPO i. d. Fassung vor 1. Juli 1977 und § 295 Abs. 1 ZPO n. F. e8 So Knapp, Der Verteidiger S.14 unter Berufung auf Planck, Dtsch. Gerichtsverfassung Bd. I S.194, 217, 238; ebenso Hirsch, Der Sachsenspiegel S.312. 87 Vgl. oben I. 2. 88 Bewußt wurde hier die Bezeichnung "vertretene Partei" vermieden, da die Institutionalisierung prozessualer Stellvertretung dem Strafverfahren jener Zeit fremd ist, vgl. auch Zweiter Teil 1.3.; s. a. Planitz, German. Rechtsgeschichte S. 233.

I. Ursprung des Vorsprechertums

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Vorsprechers, das Recht im materiellen wie formellen Sinn im Interesse aller69 Rechtsunterworfenen zu finden, zu verkünden und Urteilsvorschläge abzugeben. 6. Einfluß der Wamer, Anwelser und Rater; EidesheUer

Neben den Vorsprechern, die - wie gezeigt - apriori nicht Wortführer zugunsten ihrer Partei waren, agierten im Prozeß, um der Gefahr zu begegnen, durch Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit des Vorsprechers zu Schaden zu kommen, außerdem noch Personen, die den Vorsprecher seinerseits im Prozeß unterstützten: sog. Warner, Hörer, Lauscher, Steuerer, Rauner, Weiser, Anweiser, Wehrer oder in lateinischer übersetzung curatores und auditores'o. Diese Personengruppe hatte die Aufgabe, die Rede des Vorsprechers zu überwachen und, falls dieser Ungünstiges für seine Partei vorbringen sollte, darauf hinzuweisen. Auch diese Gruppe nicht unmittelbar Prozeßbeteiligter wurde meist vom Gericht bestellt, durfte jedoch nicht wie der Vorsprecher laut Wort führen, sondern diesen nur in der geschilderten Weise unterstützen. Diese Anweiser, Warner, Rauner und Rater waren mitunter rechtskundiger als der Vorsprecher selbst; insbesondere bei Verkündung der Weistümer erscheint der Anweiser als der gelehrte Mann, der den Vorsprecher unterweist'1 . Man darf daher annehmen, daß der später amtlich bestellte und besoldete Vorsprecher nur vorgeschoben, der später meist von der Partei selbst gewählte Anweiser oder Rater aber die eigentlich bewegende Kraft war' !. Teilweise übte diese Personengruppe auch außergerichtliche Rechtsberatung aus '3. Da diese Warner und Anweiser ausschließlich nur für einen Vorsprecher und damit für eine Partei tätig waren, sind sie auf der Beschuldigtenseite im Strafprozeß, wenn auch in untergeordneter Funktion, als Beistand des Beschuldigten anzusehen. 88 So auch im Ergebnis Schneider, Der Rechtsanwalt, S. 29 f.; entgegen Knapp, Der Verteidiger S.14 und Planck, Dtsch. Gerichtsverfassung Bd. I

S.194, 217, 238. 10 VgI. hierzu: Steiner, über Altteutsches und insbesondere Altbaierisches Gerichtswesen S.71; Freisinger Rechtsbuch Art. 252; Vargha, Vertheidigung S.165; Rosenthal, Geschichte S. 148 f.; Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S.750; Weißler, Geschichte S. 50 ff. m. einer Fülle entspr. Auszüge mittelalterI. Rechtsquellen; Heumann, Codex Juris Bavarici antiqui S. 56 ff. 11 VgI. Weißler, Geschichte S. 69 ff. 12 VgI. hierzu die von Feuerbach geschilderten, mit krit. Stellungnahme versehenen, eindrucksvollen Beispiele: Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit S. 379 ff. 71 Schwerin, Anwaltschaft im dtsch. Recht, in: Magnus, Die Rechtsanwaltschaft S. 462 f.

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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

Der Auffassung von Kühne74, die Eideshelfer75 des germanischen und fränkischen Rechtsganges als "Vorgänger des Verteidigers" anzusehen, muß m. E. widersprochen werden. Diese Ansicht beruht auf einer nicht vorgenommenen Differenzierung von Beweismitteln der Verteidigung, welche unbestritten die Eideshelfer darstellten, und der Institution eines Sachwalters, der aus eigener Kenntnis weder zur Tat noch zur Bonität des Beschuldigten (Eideshelfer als Leumundszeuge76) eine Stellungnahme abgeben konnte. Allein die Tatsache, daß beide, der Eideshelfer des germanischen und fränkischen Prozesses und der Verteidiger im Sinne heutiger Rechtsauffassung, den Vorteil des Beschuldigten bezwecken, berechtigt nicht einen evolutiven Vorgang zwischen beiden Personengruppen anzunehmen. M. E. erfüllten nur zwei Personengruppen, die Vorsprecher und die in diesem Abschnitt genannte Personengruppe von Rechtsberatern bzw. Rechtsgehilfen, Aufgaben, die auf die Tätigkeit des heutigen Strafverteidigers hindeuten77 • 11. Die Ausgestaltung des Vorsprecheramtes 1. Vorgang der Bestellung des Vorsprecllers

Der Vorsprecher wurde auf Antrag der Partei unter Beachtung ganz bestimmter Förmlichkeiten bestelJt1. Die Partei fragte zunächst das Gericht an, ob sie sich mit einem Vorsprecher versehen dürfte. Erst wenn dies vom Gericht, d. h. den Schöffen, bejaht wurde, bat die Partei den Richter, er möge dem von ihr Genannten oder einem vom Richter zu Bestimmenden die übernahme des Vorsprechamtes gebieten. Erst nachdem derjenige, dem die übernahme des Vorsprechamtes angetragen wurde, seinerseits den Richter persönlich fragte, ob dieser ihm erlaube, für die Partei zu sprechen und der Richter diese Frage bejahte, war der Vorsprecher für diesen Gerichtstag zugelassen. Der Vorsprecher wurde nicht für den gesamten Prozeß bestellt2 ; nur ausnahmsweise bedurfte es für die nachfolgenden Termine nicht überall einer neuerlichen Bestellung!!. Baten beide Parteien um den gleichen Vor74

Kühne, Der Verteidiger ohne fremdrechtliches Gewand, S. 19.

BzgI. der prozessualen Auswirkung dieser Personengruppe vgl. die ausführliche Darstellung von Zoepfl" Dtsch. Rechtsgeschichte S. 962 ff. 76 Hierzu vgI. Kühne, Der Verteidiger S.19; Rogge, Gerichtswesen der Germanen S.144; Tittmann, Geschichte S.63; s. a. Knapp, Nürnberger Kriminalverfahren S.26, dort allerdings nur auf den Kläger bezogen. 77 So auch Sehorn, Der Strafverteidiger S.13 f. 1 Vgl. Freisinger Rechtsbuch Art. 259; Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 60 § 2; Vargha, Vertheidigung S. 156; Weißler, Geschichte S.27. 2 Weißler, Geschichte S. 33. S VgI. Vargha, Vertheidigung S.157. 75

11. Ausgestaltung des Vorsprecheramtes

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sprecher, oblag es dem Richter zu entscheiden, welcher der Parteien er den betreffenden Vorsprecher zuteilte'. War der Vorsprecher bestellt, so mußte er sich "an- oder eindingen", d. h. seine und seiner Partei prozessualen Rechte durch Urteil feststellen lassenI>. Regelmäßig dingte sich der Vorsprecher dreierlei ein: erstens Erholung und Wandelung 6, d. h. Verbesserung von Fehlern; zweitens "Run und Rat", d. h. Möglichkeit der Zuziehung von Gehilfen als Warner, Horcher, Lauscher, Anweiser usw.7 ; drittens Schadenersatz, d. h. daß der Vorsprecher, sofern er gegen die Form verstieß und Buße an das Gericht oder an den Gegner zahlen mußte, diesen Schaden von seiner Partei ersetzt erhielt. 2. Gestaltete, gebotene und verbotene Beiziehung eines Vorsprechers

Der Vorsprecher mußte sogleich bei Beginn des Prozesses bestellt werden. Sofern die Partei selbst ihre Sache zu führen begonnen hatte, durfte ein Vorsprecher nur noch mit Einwilligung des Gegners auftreten8 • Der Partei stand es im übrigen jederzeit frei, ihren Vorsprecher zu entlassen und einen anderen für ihn zu bestellen9 • Die den Parteien grundsätzlich überall gestattete Zuziehung eines Vorsprechers war an einigen Orten sogar geboten10 , anderwärts durfte die Partei nicht gezwungen werden, sich mit einem Vorsprecher zu versehen11 • Von dem meist überall herrschenden grundsätzlichen Recht, sich eines Vorsprechers zu bedienen, gab es eine Reihe von Ausnahmen. Die Langobarden erlaubten einen Fürsprecher nur solchen Personen, die in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben waren1!. Versagt war der Vorsprecher auch bestimmten Personengruppen, so den Unehelichen (!) und Rechtlosen13, an manchen Orten auch den Dieben und Räubern und bei den geistlichen Gerichten den Exkommunizierten14• 4 Sachsenspiegel, Erstes Buch Art.61 § 2; Schwabenspiegel, Landrecht c .268. I> Vgl. Vargha, Vertheidigung S. 157; Steiner, über Altteutsches und insbesondere Altbaierisches Gerichtswesen S. 70 ff. e Vgl. oben I. 5. b). 7 Vgl. oben 1. 6. 8 Vargha, Vertheidigung S.157. 9 Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 60 § 5. 10 Weißler, Geschichte S. 32 m. w. N. 11 Sachsenspiegel: Erstes Buch Art. 60 § 2; Drittes Buch Art. 30 § 1; Schwabenspiegel: Landrecht c.75 u. 88; Vargha, Vertheidigung S.149; Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 380. 12 Vargha S.149 unter wörtlicher Zitierung der entspr. Stelle der lex Langobardorum. 13 Vgl. Sachsenspiegel, Drittes Buch Art. 30; Weißler, Geschichte 5.28; Vargha, Vertheidigung S.150; Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S.342. 14 Vargha S.150 m. w. N.

3 ArmbrUster

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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

Auch bei einigen Deliktstypen waren Vorsprecher nicht zugelassen, so bei Majestätsverbrechen und Sodomie15. Versagt war ferner ein Vorsprecher bei "auf handhafter Tat Gefangenen". Dies geschah in dem folgerichtigen Rechtsverständnis jener Zeit, daß ein auf frischer Tat Ergriffener bereits als überführt galt, es eines Erkenntnis-Beweisverfahrens nicht mehr bedurfte und somit Sicherungsmöglichkeiten zur Vermeidung der Verurteilung eines Unschuldigen entbehrlich waren. 3. Befähigung zum Vorspreeher

Das Recht, Vorsprecher zu sein, war d\.!.rch die Befugnis bedingt, in der Gerichtsversammlung als vollberechtigtes Mitglied aufzutreten, und ging somit im wesentlichen mit dem Rechte parallel, Urteiler (Schöffe) und Zeuge, insbesondere auch Leumundszeuge zu sein. Unfähig Vorsprecher zu sein, ist nach dem Sachsenspiegel jeder "den man an sime rechte bescheIden mag"18, also jeder nicht Vollfreie17• Der Deutschenspiegel und der Schwabenspiegel fordern die Fähigkeit zum Richteramt: "unde alles daz an den rihtern sol sin, daz sol ouch an den fürsprechen sin18." Tatsächlich sind Vorsprecher und Urteiler oft ein und dieselbe Person, denn sehr häufig wird der Vorsprecher aus den Urteilern genommen19 ; zum Teil konnten nur Urteiler als Vorsprecher auftreten". Erst sehr spät mit Ausgang des Mittelalters, in Bayern z. B. 1491, schloß man die Vorsprecher von der Urteilsfindung aus!1. Offensichtlich zog man es vor, Ebenbürtige als Vorsprecher anzunehmen!!; die mangelnde Rechtskunde konnte durch "Run und Rat"23 mittels Zuziehung eines "Anweisers" ersetzt werden. Teilweise brauchte man sich auch nur einen Ebenbürtigen als Vorsprecher des Prozeßgegners gefallen zu lassen2'. Weißler S.28; Vargha S.150. 18 Erstes Buch Art. 61 § 4 u. Zweites Buch Art. 63. 17 Vgl. Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S.462. 18 So Schwabenspiegel, Landrecht c. 87; sinngemäß Deutschenspiegel, Landrechtsteil Art. 78 § 1. 18 Vgl. Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S.554; Strenge, Stadtrechte von Eisenach S.41; Glaser, Handbuch Bd. I S.54; Henkel, Strafverfahrensrecht S.19; Vargha, Vertheidigung S. 153 -155; Knapp, Alt-Regensburgs Gerichtsverfassung S. 68 f.; derselbe Altes Nürnberger Criminalverfahren S. 25. 20 Vgl. Pelhak, Zeidelgericht S.75 FN 453; Merzbacher, Das Kaiserliche Landgericht des Herzogtums Franken-Würzburg im Spätmittelalter, München 1956, S. 89. 21 Rosenthal, Geschichte S.90; vgl. aber Art.88 CCC (nach der Carolina v. 1532 konnte der "Fürsprech" noch dem Kreis der Schöffen angehören). 22 Vgl. Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 331 f. ZI Vgl. oben 1.6. U Vgl. Schröder. Dtsch. Rechtsgeschichte S.457. 15

II. Ausgestaltung des Vorsprecheramtes

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Als im allgemeinen untauglich waren von dem Amte eines Vorsprechers ausgeschlossen Rechtlose 25 , zu denen neben den Geächteten auch die Meineidigen28 und Unehelichen!1 (!) zählten, sowie alle Personen, die nicht ohne Bevogtung (Vormund) vor Gericht auftreten konnten. Hierzu gehörten: Geistliche28 , alle Frauen!9 - gleich welchen Standes und welchen Alters - , Minderjährige, Ketzer und Nichtchristen30, Taube, Stumme und Stammelnde31 , Geistesschwache und endlich auch Personen über 80 Jahre. Neben diesen überhaupt vom Vorsprecheramt Ausgeschlossenen waren gewisse, im allgemeinen taugliche Personen, für gewisse Fälle zum Vorsprechamt für unfähig erklärt, nämlich alle diejenigen, die nicht bei derselben Gemeinde und bei demselben Gericht ihren ständigen Aufenthaltsort hatten wie die Parteien32 • 4. Verpftldttung zur Vbemahme des Vorspredteramtes "Vorsprache" war Rechtspflege genauso wie Richten; beides waren Recht und Pflicht des freien Mannes und werden in diesem Sinne häufig zusammen genannt33• Jeder allgemein taugliche und berufene Vorsprecher war zur übernahme des Vorsprechamtes verpflichtet und durfte nur ablehnen, wenn gesetzliche oder allgemein anerkannte Ablehnungsgründe vorlagen34 • Wer die "Vorsprache" grundlos ablehnte, wurde dem Gericht gegenüber bußfällig, der Partei gegenüber schadensersatzpflichtig und konnte mitunter durch Strafen sogar zur "Vorsprache" gezwungen werdenslI. Die Ablehnungsgrunde waren nach Ort und Zeit natürlich verschieden ausgestaltet. Im wesentlichen waren es Gründe, die annähernd denen gleich sind, die nach heutiger Gesetzeslage Ausschließungs- oder Ablehnungsgründe i. S. §§ 22 ff. StPO darstellen. Insoweit wird auf die wohl übersichtlichste und umfassend25 Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 61 § 4; Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S.342. 28 Schwabenspiegel, Landrecht c. 1. 27 Schwabenspiegel, Landrecht, c. 86 u. 87. 28 Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 61 § 4. !9 Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 63 § 1. 30 VgI. Weißler, Geschichte S.29 m. w. N. 81 Schwabenspiegel, Landrecht c.94; s. a. Trumm er, Entstehung des Advokatenstandes S.474. 32 Schwabenspiegel, Landrecht c. 93. 88 Vgl. Vorwort zum Sachsenspiegel (Ausgabe Hirsch): "muz wol urteil vinden und urteil volgen und vorspreche srn"; ebenso Schwabenspiegel, Landrecht c.86 u. 87; vgl. auch Schröder, Dtsch. Rechtsgeschichte S.750; Schnelbögl, Innere Entwicklung des bay. Landfriedens S.201; Trumm er, Entstehung des Advokatenstandes S. 469. U VgI. Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 60 § 2; Weißler, Geschichte S.31; Vargha, Vertheidigung S.155. 85 Weißler S.31, Vargha S.155.



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1. Teil: Sachwalter im alten deutschen Strafverfahren

ste Darstellung von Vargha verwiesen3'6. Bemerkenswert ist vielleicht die Tatsache, daß neben den oben global erwähnten Ablehnungsgründen in fast allen Rechtskreisen die eidlich bekräftigte Erklärung des Vorsprechers, er halte die Sache für ungerecht, als Ablehnungsgrund ausreichte:n. Eine Mandatsniederlegung aufgrund eigener Erklärung des Vorsprechers trotz der grundsätzlichen Verpflichtung des Vorsprechers zur Durchführung des ihm übertragenen Vorsprechamtes war - folgerichtig - unumgänglich, da jede Verteidigung einer ungerechten Sache verboten war31l. Insofern ist die erst Ende des 19. Jahrhunderts auftauchende Bezeichnung des Verteidigers als ein "Organ der Rechtspflege" auf den Vorsprecher des alten deutschen Strafprozesses in gleicher Weise zutreffend wie auf den Verteidiger - rechtsgeschichtlich betrachtet - jüngster Prägung. 5. Aufgaben und Pflidlten des Vorspredlers31

Nach Bestellung des Vorsprechers hatte dieser das Recht, um Erlaubnis zu bitten, mit seinem Clienten "die Achte", d. h. ein Gespräch, führen zu können 4o • Dieses mußte ihm auch gewährt werden. In der Verhandlung legte der Vorsprecher die Angelegenheit vom Standpunkt seiner Partei dar und verlangte vom Richter, was der Sachlage nach das Interesse seiner Partei als auch der Gegenseite erforderte41 • Die eigentliche Verhandlung bestand in teils vorgeschriebenen, teils vom Vorsprecherselbständig gewählten Fragen der Partei - vorgetragen durch den Vorsprecher - an das Gerichtu. So umständlich dieses Fragewesen war, so hatte es doch einen für ein Volksgericht, bestehend aus rechtsunkundigen Urteilern, großen Vorteil. Wenn das Gericht stets nur auf knappe. meist formulierte Fragen zu antworten hatte, so diente 36 VaTgha S.155. 37 Deutschenspiegel Landrechtsteil Art.78 § 2; vgl. auch WeißleT S.31; VaTgha S.156. 38 Deutschenspiegel Landrechtsteil Art. 78 § 2. 31 Die wohl ausführlichste Behandlung der Stellung des Vorsprechers in einer mittelalterlichen Rechtsquelle ist im Freisinger Rechtsbuch vorhanden; dieses verfaßt von RupTecht v. FTeising im Jahr 1328, welcher nach eigener Angabe 36 Jahre lang "paiden auf land und auch in steten" (sowohl auf dem Land als auch in Städten) selbst Vorsprecher war, vgl. Freisinger Rechtsbuch: Art. 278, 196, 215, 249 - 257, 259, 274 (= den Vorsprecher betreffende Regelungen); eingehend zum Vorsprecher auch Deutschenspiegel, Landrechtsteil Art.78 u. 82; s. a. TTummeT, Entstehung des Advokatenstandes S. 471 ff. 40 Vgl. VaTgha, Vertheidigung S.158; SchTödeT, Dtsch. Rechtsgeschichte S.750; Planck, Dtsch. Gerichtsverfassung S.203; Hennings, Das Hamburgische Strafrecht S. 135. 41 Vgl. Sachsenspiegel, Erstes Buch Art. 61 § 5. 42 Eingehend Planitz, German. Rechtsgeschichte S.233; s. a. Knapp, AltRegensburgs Gerichtsverfassung S. 69 f.; zum Prozeßverlauf s. a. Deutschenspiegel, Landrechtsteil Art. 181 ff.; vgl. auch Siegel, Dtsch. Rechtsgeschichte S. 490 ff.

H. Ausgestaltung des Vorsprecheramtes

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dies der Klarheit und überschaubarkeit der rechtlich bedeutenden Vorgänge in den Verhandlungen. Auf seiten des Vorsprechers erforderte dies allerdings volle Beherrschung des Rechtsstoffes, Scharfsinn und bedeutende Geschicklichkeit und Erfahrung. Fehlten diese Eigenschaften beim Vorspre