Die entscheidende Frage im Streit über Leib und Seele 9783111492087, 9783111125725


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Inhalt
Einleitung
Untersuchung
Schlußbetrachtung
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Die entscheidende Frage im Streit über Leib und Seele
 9783111492087, 9783111125725

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Die

entscheidende Frage im Streit über

Leib und Seele von

Dr. Th. Jacob.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1857.

Dem Hochverehrten Jubilar

Herrn Geheimen Regiernngsrath, Professor

Dr. A. Böckh, Mitglied der Akademien der Wissenschaften in Berlin, Paris,

London u. s. w., Ritter hoher Orden,

Inhalt.

Einleitung

...............................................................................................

eritt 1

Untersuchung..................................................................................................... 31 Echlußbetrachtung......................................................................................... 108

Einleitung. Mein Vorsatz ist: das erste Glied einer großen Fragen­

reihe und nur dieses einer gründlich eingehenden Untersuchung zu unterwerfen.

In der Einleitung erlaube ich mir voran zu

schicken, was mir zur Verständigung über die Aufgabe als nöthig

oder als zweckmäßig erscheint.

In der Untersuchung werde ich

die Feststellung der positiven, seit Jahrhunderten und Jahrtausen­

den geglaubten, anerkannten und meines Erachtens einer voll­ ständigen Begründung fähigen Wahrheit als meine Hauptaufgabe

betrachten.

Läßt sich

aber als Wahrheit feststellen, daß die

menschliche Seele ein letzter Ursprung eigenthümlicher Wirkungen,

daß sie das Thätige in aller mit Recht so genannten Seelenthätigkeit und das Erscheinende in den Erscheinungen des inneren Lebens sei, so ist damit zugleich der Irrthum widerlegt, der die

Seele als eine Eigenschaft des Gehirns betrachten will.

Dieses

aber ist der Kern der ganzen Thorheit, die in den Schriften der neueren Materialisten so laut und

so zuversichtlich verkündet

wird, als ob sie bereits die allgemeine Zustimmung gefunden

hätte, wo nicht besondere Vorurtheile und Rücksichten im Wege

stehen.

Ich habe damit schon ausgesprochen, daß ich den Werth

dieser Schriften nicht besonders hoch schätze, aber ich finde es

durchaus begreiflich, daß sie dennoch verhältnißmäßig viel gelesen Jacob, üb. Leib u. Seele.

1

2 werden, nicht allein weil sie naturwissenschaftliche Kenntnisse in unterhaltender Weise mittheilen, worin ihr Hauptverdienst be­

stehen dürfte, sondern auch weil es ganz natürlich ist, wenn der

Versuch an sich, die naturwissenschaftlichen Thatsachen mit den Fragen des menschlichen Lebens in Zusammenhang und Einklang zu bringen, Interesse und Anerkennung findet.

es freilich zu bedauern, wenn wird, daß er mißlingen muß.

er so

Um so mehr ist

leichtfertig unternommen

Allein der Reiz der Naturwissen­

schaften bleibt, und das Ansehn derselben kann eine Zeit lang

hier und da die Mängel des philosophischen Raisonnements ver­

hüllen.

Jedenfalls werden die Schriften gelesen und der Ma­

terialismus, den sie verbreiten wollen, hat seine Bedeutung als

eine falsche Lehre, die sich, mit scheinbarer Kraft gerüstet, wich­ tiger Fragen bemächtigt.

Insofern ist die Erscheinung im Gan­

zen der Beachtung in vollem Maaße werth.

Fällt aber der

Satz, den einige unter sehr vielen anders denkenden Menschen auf zu stellen beliebt haben, daß alle sogenannte Seelenthätigkeit nichts sei als Function der Gehirnsubstanz, dann verlieren alle

besondren Schattirungen der materialistischen Anschauungsweise

und die verschiednen abgeleiteten Meinungm über diese und jene abhängige Frage ihre Bedeutung und ihr Interesse.

Ich beab­

sichtige also nicht, die Anzahl der Streitschriften gegen einzelne

Männer noch zu vermehren, die nichts bewiesen, nichts erklärt, für die Lösung unsrer Frage kaum irgend einen nennenswerthen

Beitrag geliefert haben.

Auch die physiologischen Thatsachen,

die sie wiedererzählen, waren wenigstens einem Theil ihrer Leser

nicht mehr neu und die etwa neuen um nichts wichtiger als solche, die längst allgemein bekannt sind.

Ihre oberflächlichen

Bemühungen, den Leser von der Richtigkeit ihrer Behauptungen

zu überzeugen, können nur da eine nicht maaßgebende Anerken­

nung finden, wo eine ähnliche Ueberzeugung schon vorbereitet oder vorhanden ist,

wie auch bei denen,

deren geistige Bedürfnisse

3 und Ansprüche so bescheiden sind, daß sie ein tieferes Eingehen nicht erfordern.

Besser wäre es, wenn sie mit weniger groben

und etwas schärferen Waffen ihren Glauben vertheidigen wollten. Dann müßte der Streit die Sache fördern, worauf es allein

ankommt.

Aber abgesehen von dem einstimmig in allen Entgegnungen hervorgehobnen Mangel an Gründlichkeit und wahrer Klarheit

in den Schriften von Vogt, Moleschott, Büchner u. s. w. bleibt es immer eine beachtenswerthe Thatsache, daß sonst gescheute und

gebildete Männer, sowohl jene wie auch andre, die im Gebiet

der eignen Wissenschaft Fähigkeit und Fleiß bewiesen haben, ihren eignen Geist und den Geist überhaupt so beharrlich verleugnen können.

Freilich liegt die Erklärung nahe, daß sie sich alle zu

einseitig in die Betrachtung der Sinnlichkeit vertieft haben, wes­ halb man für die inneren, geistigen Erscheinungen des mensch­

lichen Lebens weder

ein der Sache angemeßnes Interesse noch

auch die erforderliche Unbefangenheit des Urtheils von ihnen er­

warten dürfe.

Allein dieselbe Einseitigkeit der Beschäftigung hat

nicht überall dieselbe Folge.

Die Wirkung wird eine andre, wo

das Gewicht einer solchen Thätigkeit in höherer Einsicht oder in

der sittlichen Richtung

und

gemüthlichen Neigungen, mitunter

vielleicht auch in äußeren Rücksichten ein Gegengewicht findet, das stark genug ist, um eine Entscheidung in entgegengesetztem Sinn herbei zu führen.

Also nur da, wo ein solches Gegengewicht

fehlt, könnte man jene Erklärung gelten lassen.

dennoch auch in diesen Fällen nicht genügend.

Sie ist aber

Denn sie setzt

voraus, daß bei einer einseitigen oder stark vorherrschenden Be­ schäftigung mit naturwissenschaftlichen und besonders mit physio­

logischen Aufgaben die Möglichkeit einer Täuschung über das Geistige wenigstens nahe liege.

Freilich mögen oft auch besondre

Umstände mitwirken, aber sie können nicht entscheiden, bedürfen

also hier auch keiner weiteren Erwähnung.

4 Die Worte jener Herren, die so zu reden lieben, als ob sie

die Welt bereits erobert hätten, werden bald vergessen sein, als

wären sie nie gesprochen worden.

Ton anstimmen.

Sie müßten denn einen andren

Sonst bleiben ihre Gedanken bei aller Frische

und Keckheit dennoch leichte Spreu, die der Wind verweht. Allein was dem Entstehen ihrer Meinungen und jener nahe liegenden

Möglichkeit zu Grunde liegt, was dem neueren Materialismus ähnliche und verwandte Ansichten schon vor mehr als zwei Jahr­ tausenden hervorrief, das muß eine tiefere Bedeutung haben.

Es

muß ein Schein von Wahrheit sein, der für uns Menschen an der Sache haftet, wie ja auch der sehr alt gewordne Irrthum,

daß Sonne, Mond und Sterne unsre Erde umkreisen, einen sehr starken Schein von Wahrheit für sich hatte. ganz für sich, aber auch nur den Schein.

Er hatte den Schein Darum konnte er

zwar bis auf Kopernikus, also bis vor drei Jahrhunderten eine

allgemeine Geltung behaupten, obgleich schon zu Anfang des dritten Jahrhunderts vor unsrer Zeitrechnung Aristarch von Samos die Wahrheit vermuthet und ausgesprochen hatte, daß sich die Erde

um ihre Axe und um die Sonne bewege.

Aber es war dennoch

eine Widerlegung des Irrthums und eine Begründung der Wahr­

heit möglich, die endlich allgemeine Anerkennung finden mußte.

Durch hohes Alter wird der Irrthum nicht zur Wahrheit, auch

nicht,

wenn er lange

ganz

allgemein dafür gehalten wurde.

Doch so mächtig ist der täuschende Schein in unsrer Frage keines­ wegs.

So erklärlich in dem einen Fall die Täuschung ist, in­

dem es sich von selbst versteht, daß der Mensch die Bewegung

der Erde nicht unmittelbar bemerken kann, so unglaublich wäre

es im andren Fall, wenn der denkende menschliche Geist erst auf langen Umwegen die Wahrheit entdecken sollte, daß Denken eine Thätigkeit des Geistes sei.

Unmittelbar und ungesucht drängt

sich hier die richtige Ueberzeugung dem Bewußtsein auf, wo nicht ausnahmsweise eine mehr oder weniger künstliche Begriffverwir-

5 rang abweichende Erscheinungen hervorruft, — die Ueberzeugung,

baß ein Geistiges als herrschende Macht in und über dem Sinn­

lichen walte.

Dieser Ueberzeugung fast aller Völker zu allen

Zeiten, die überall die erste Thatsache in der Geschichte der Menschheit ist,

steht der Materialismus wie ein schwächlicher

Knabe gegenüber, der einen Mann befehden möchte. Ich behaupte

sogar, daß der Materialismus immer nur ein halber Materialis­ mus ist und gewesen ist, der neben sich immer noch eine andre,

bessere und richtige, zwar verleugnete, aber nicht wirklich aufge­ gebne Auffassung in seinen eignen Bekennern dulden muß.

Ich

verstehe aber unter Materialismus jede Lehre, die überall nur

den Stoff und seine Eigenschaften anerkennen, also alle Erschei­ nungen als Erscheinungen des Stoffs, der Materie erklären will.

Damit erklärt der Geist sich selbst für eine Kraft oder Eigen­

schaft des Stoffs, für eine vorübergehende Erscheinung, die sich im Stoff entwickelt.

Oder die geistige Seele muß sich selbst als

einen dünnen, luftartigen Stoff betrachten.

Das sind die beiden

Arten der materialistischen Auffassung des Geistigen. Die letztere Vorstellung aber ist sowohl innerhalb wie auch außerhalb be­

stimmter philosophischer Lehren keine seltne.

Man braucht nur

an die Seelen der Abgeschiednen, die griechischen Schatten in

der dunklen Behausung des Hades oder an die nordische Sage von Baldur und Nanna zu denken, deren Seelen, nachdem die

Leiber verbrannt waren, in das Schattenreich der Hel hinunter mußten.

(Ich hoffe ja doch, daß die nordische Edda, die uns

näher liegt als Homer und in ihrer Art nicht minder schön ist,

bald auch eben so allgemein bekannt sein wird.

Vgl. K. Sim-

rock's Uebersetzung, jüngere Edda Kap. 49 in Gylfi's Verblendung.) Demokrit ließ die

Seele aus

kleinsten Kugelatomen bestehen.

Aehnliches lehrten die meisten ionischen Philosophen, später die

Epikureer (vgl. Aristot. de anima A. 2. u. Diogenes Laert. X.)

und auch die Stoiker hielten die Seele für einen Körper.

6 Die Widersprüche einzeln nach zu weisen, zu denen ein solches Verkennen des Geistigen führen muß, wurde an sich ein weit­ läufiges Unternehmen und in einer Einleitung unausführbar sein. Aber wie verschiedenartig die Ansichten bei gleicher Grundlage

sich gestalten können, je nachdem von den inneren Widersprüchen

der eine oder der andere übersehen wird, das lehrt schon ein flüchtiger Blick auf das griechische Alterthum und eine flüchtige Vergleichung jener längst vergangenen mit unsrer Zeit.

Auch

bei Zeno, Kleanthes, Chrhsippus war es ein Hauptlehrsatz, der der stoischen Lehre von der Natur der Dinge zu Grunde lag,

daß nichts unkörperlich sei, ausgenommen der Wahrheit und Irr­ thum enthaltende Gedanke, insofern er vom sinnlich wahrnehm­

baren Wort unterschieden wird,

und Raum und Zeit.

Alles,

was eine Wirkung hervorbringen oder erfahren könne, behaup­

teten sie, müsse ein Körper sein, also auch die Seele.

Dem

Kleanthes wird die Aeußerung zugeschrieben: o-udev aotSfiazov ßvfmctoyei OMtiazi oväe aowuctcq) owucc, «ZZct aäiiia ooj-

[A«Ti • avunac^si de fj tpvyrj fievM xai



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t zu

geben im Stande ist, gehen die mannichfaltigsten Gestalten dedeS

Lebens hervor, die verschiedenen Arten, Gattungen, Familien »«Und Ordnungen angehören.

Schon dieser Umstand legt die Vermunu-

thung nah, daß auch für die erste Entwicklung ein gcstaltbestimim-

mender, die Wechselwirkung der Stoffkräfte verschieden bedingenender

Seeleneinfluß

Vermuthung

lassen

erforderlich sei. sich

so

viel

Zur Unterstützung

und zum Theil

dieseeser

so gewichtigtige

Gründe anführen, daß sie in gehöriger Ordnung zusammengestellellt

einer vollständigen Begründung vielleicht sehr nahe kommen würürden.

An dieser Stelle läßt sich aber ein solcher Versuch natürür-

lich nicht ausführen, sondern es soll hier nur ein Bedenken bebe-

113 feltigt werden, das sich leicht gegen die aufgestellte Ansicht erhe­

ben kann, das aber auch das einzige bestimmte Bedenken dagegen sein dürste.

Es scheint nämlich als kenne man der unentwickel­

ten Seele eine so wunderbare That nicht zuniuthen.

Denn als

wunderbar müßte es freilich erscheinen, wenn sie im Stande wäre,

durch eine unwillkürliche und bewußtlose Thätigkeit, die im Be­ deS leiblichen Daseins, des Verkehrs

dürfniß der Entwicklung,

mit der Außenwelt, des Sehens, Hörens u. s. w.

ihren Grund

und Ursprung hätte, aus einer gestaltlosen Stoffmischung, die sich nur durch das Beisammensein der nöthigen Bestandtheile im

richtigen Mengenverhältniß anszcichnet, Gehirn und Rückenmark, Schädel und Wirbelsäule, Herz und Adern u. s. w., Augen und

Ohren, kurz die ganze Fülle der Wunder deS Leibes entstehen, sich gestalten zu lassen.

Aber ist das Wunder etwa geringer,

wenn blinde Stosskräfte statt der noch blinden Seele den Leib auf­

bauen, der sich, sobald er ein fertiger, athmender Leib ist, immer mehr und mehr als Leib der Seele darstellt? Die Thatsache bleibt und sie bleibt wunderbar.

Wie geschehe, was wir geschehen se­

hen, das ist noch völlig unbegreiflich, wofür wir uns auch ent­

scheiden mögen.

Aber unzweifelhaft vollbringt die unentwickelte

KindeSseele bewußtlos und unwillkürlich noch eine andre, vielleicht

noch größere That.

Nach

einem

noch

unbekannten Gesetz deS

Geistes vollzieht sich im Kinde die BorstellungS- und Begriff­

entwicklung, die der freie und richtige d. h. gcdankenmäßige Ge­

brauch der Sprache voraussetzt, lange bevor wir möglicher Weise auf den Einfall kommen, nach dem Hergang dabei zu fragen.

Wir haben das große Werk vollbracht, ohne eS selbst zu wissen, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie eS geschehen müsse.

Ist

aber in dem einen Fall eine bewußtlose, in ihrem Erfolg groß­

artige Seelenthätigkeit im Anfang des Lebens unzweifelhaft, so wird man sie wohl im andren Fall als möglich annehmen dür­

fen, solange eine bestimmte Widerlegung fehlt, keine Thatsache Jacob, üb. Leib u. Leele.

g

114 der Annahme widerspricht, die im Gegentheil aus einer umfassen«

den Erwägung der bekannten Thatsachen hervorgegangen ist. So ohngefähr stelle ich mir den Zusammenhang von Leib und Seele vor, und wenn, wie ich glaube, die zuletzt aufgestellten

Behauptungen eben so richtig, wenn auch nicht so sicher sind wie die früheren, dann bestätigen sie abermals, was dort wahrschein­ lich wurde, daß der innige Zusammenhang nicht unlöslich sei,

daß das höhere Leben das niedere, die schaffende Kraft ihr Werk, der Zweck das Mittel überdauere. — Das Dasein der Seele ist eine Wirkung, die verschiedene Ursachen voraussetzt.

Ihre ganze

Entwicklung ist ihre eigne That, die aber nicht unter allen Be­

dingungen möglich, sondern an ganz bestimmte Bedingungen ge­

bunden ist. Der menschliche Leib, der nur im menschlichen Leibe sich bilden kann, menschlichen Seele.

ist die Bedingung

für die Entwicklung der

Was aber im Inneren, im Geiste geworden

ist, gehört schon im Leben nicht mehr dem Leibe an.

Die Be­

dingung des Werdens braucht für das Bestehen des Gewordenen keine Bedingung zu sein, sondern die Wirkung muß wie jede Wir­

kung fortbestehen, wenn keine andre Ursache sie wieder aufhebt.

Der Leib kann die Seele nicht zerstören, die er nicht geschaffen hat, deren Werk er ist, durch die er beherrscht und erhalten wird, sondern sie wird bestehen, wenn nicht ein Grund der Vergäng­

lichkeit in ihrem eignen Wesen liegt.

Im Tode wird der Leib

entseelt, und zerfallen muß, was von Anbeginn nur die Seele zusammenhielt.

Weiter wissen wir aus Erfahrung nichts, als

daß der Tod den Leib zerstört, der im Zusammenhang mit der

Außenwelt das vermittelnde Glied war.

Dieser Zusammenhang

muß also aufgehoben, vielleicht nur unterbrochen werden, wenn

eine andre Vermittlung möglich ist.

Auch während der Zusam­

menhang besteht, ist doch der Seele inneres Leben ein besonderes, getrenntes, das sich in rein geistigen Erscheinungen bewegt, und der größere Theil ihres Daseins, ihrer Thätigkeit, ihrer Ver-

115 Änderung und Entwicklung ist auch im Leben ein noch bewußt­ loses Bestehen und Geschehen.

Auf kurze Zeit kann auch im Le­

ben der Zusammenhang oder doch der normale Zusammenhang unterbrochen und unser Sein ein vollständig bewußtloses werden.

Die Ohnmacht ist ein kleiner Tod.

kehrt auch die Erinnerung wieder.

Aber mit dem Bewußtsein

Die Vergangenheit, die nicht

im Schädelraume lagert, ist geblieben.

Es ist dasselbe Leben,

das sich sortsetzt, und mit dem Bewußtsein vom eignen Sein war daö Sein nicht aufgehoben.

Also ist kein Grund vorhanden, im

Entschlafen der Hoffnung auf ein Wiederauferstehen zu entsagen. Zwar meint man wohl, dem Scheine folgend, daß alles Entstan­

dene auch wieder untergehen müsse. Gang des Werdens.

Aber zwiefach ist der ewige

Denn der Stoff, der ganz des Geistes ist,

kann auch nicht in sich selbst, in stofflicher Gestaltung einen letzten

Zweck erfüllen, sondern nur im Geistigen, in der Erfüllung einer

höheren Bestimmung

den

ursprünglichen und immerwährenden

Grund seiner wechselnden Gestaltung haben, die also ohne letztes

Ziel im eigenen Verlauf nur den rastlos in sich selbst zurückkeh­ renden Kreislauf darstellt.

Darum kann uns sinnliche Erfahrung

über das Gesetz des geistigen Werdens, das auch das höhere Ge­ setz des Werdens überhaupt ist, nie belehren.

Vielleicht wird

noch ein Strahl der Wahrheit den Wahn beleuchten und zer­

streuen

helfen,

der alles Leben in einen ewigen Cirkel ban­

nen will.

Hier ist aber zunächst noch eine andre Frage zu berühren, die immer nahe liegend doch immer bei Seite gelassen wurde.

Wir müssen dem Thier und der thierischen Seele unsre Betrach­ tung einen Augenblick zuwenden, und ich halte es nicht für nö­

thig, erst ein Vorurtheil zu beseitigen, das kaum noch vorhanden

sein kann.

Oder wer sollte in unsrer Zeit die Seele dem Thier

absprechen? Unsre Verwandtschaft mit dem Thiere ist nicht weg zu leugnen, sie ist in der That zu allen Zeiten und oft nur in

116 all zu hohem Grade für jeden Unbefangenen eine von selbst ein­ leuchtende Wahrheit gewesen.

Wir können sie aber auch in vol­

lem Maaße anerkennen, ohne irgend unsrer Würde zu vergeben

und ohne irgend eine Hoffnung dadurch ein zu büßen.

Nur die

all zu nahe Verwandtschaft glaubt der Mensch und zwar mit Recht ablehnen zu müssen.

Ich selbst kann nach der voranstehen­

den Untersuchung am wenigsten geneigt sein, den Menschen nur für ein Thier zu halten, sondern ich bin vielmehr überzeugt, daß

er dem ganzen übrigen Leben der Erde als ein höheres Wesen gegenübersteht, und ich habe mich bemüht, in meiner Schrift „Ans

der Lehre vom Ganzen" meine Auffassung des Verhältnisses aus­

einander zu setzen und zu begründen. verweisen, wünscht.

wenn jemand über

Ich muß also hier darauf

meine Ansicht nähere Auskunft

Aber so unverkennbar im Allgemeinen die Wahrheit

ist, daß ein wesentlicher Unterschied bestehe, der nicht allein für unser Glauben und Hoffen, sondern auch für die ganze Auffassung des Lebens von entscheidender Bedeutung sein muß, so schwierig

ist doch die nähere Bestimmung dieses Unterschieds, und das an sich durchaus berechtigte Bestreben, den Unterschied überhaupt als

wesentlich im Denken fest zu halten, führt leicht zu einer falschen Unterscheidung, und eine hat.

die Unklarheit zur Ursache,

Begriffverwirrung

den Thatsachen widersprechende Auffassung zur Folge

Ich glaube, die menschliche Seele ist eben als menschliche

Seele von der thierischen genügend und vollständig unterschieden.

Also wird wohl auch diese Bezeichnung des Unterschieds aus­

reichen, sobald der Begriff des Menschen im Gegensatz zum Be­ griff des Thiers bestimmt ist. Will man aber noch einen andren Ausdruck suchen, um

des Menschen höherer Würde gerecht zu

werden, so mag es freistehn.

Nur darf man nicht etwa glauben,

daß das Gehirn der Thiere mehr vermöge als das Gehirn des

Menschen, das weder wahrnehmen, noch behalten, noch sich er­ innern kann, sondern die Fähigkeit, sich Abwesendes vor zu stelle«,

117 wiederkehrcnde Erscheinungen wieder zu erkennen, Verwandtes zu­ sammen zu fassen und Arten der Dinge, wenn auch nur die äußerlich unähnlichen, zu unterscheiden, ist überall eine Eigen­

schaft der geistigen Seele, nicht eine Eigenschaft des Gehirns, noch auch die Eigenschaft einer Eigenschaft des Gehirns, wenn man

die thierische Seele als Eigenschaft des thierischen LeibeS betrach­

Wollen wir als Menschen vom Menschen auSgehen

ten wollte.

und abwärts den Begriffzusammenhang verfolgen, so läßt er sich

wohl am kürzesten,

indeni wir

zuerst das Wort an einen be­

stimmten Sinn binden, in folgender Weise darstellen.

ist Geist.

WaS denkt

Oder was sollte man sonst wohl unter dem mensch­

lichen Geist verstehen, wenn das Denkende nicht darunter verstan­

den würde?

Damit ist nicht gesagt, daß daS Geistige nicht auch

andrer und in niederen Erscheinungen vielleicht nur andrer Be­ thätigung fähig sei, sondern nur daß daö Denkende Geist sei. Das Denkende ist aber dasselbe, waS auch daö Wiederdenkende

in der Erinnerung und das Wahrnehmende in der Wahrnehmung ist, was auch als Wollendes die willkürlichen Bewegungen her­ vorruft, kurz die höhere, herrschende und beseelende, untrennbare

Einheit, die den Leib zum Leibe macht und daS Leben zusammen­

hält.

Der menschliche Geist ist die menschliche Seele.

Leib Stoff ist so ist die Seele Geist.

Wie der

Da aber das Letzte in der

Wahrnehmung und das Erste in der willkürlichen Bewegung eine

geistige That ist, so ist geistiges Leben überall, wo Wahrnehmung

oder Empfindung und willkürliche Bewegung vorkommt.

Dem

Thier ist eine geistige Seele eben so wenig wie dem Menschen

ab zu sprechen.

Aber die Untersuchung hat selbst auf ihrem kur­

zen Wege, obgleich sie nur einen ersten Blick in das innere Le­

ben gewähren konnte, doch die Grenze schon weit überschritten, die deS Thieres Seelenthätigkeit nachweislich in ihrer Entwicklung erreichen kann.

Dabei konnte der Unterschied nur mangelhaft

und einseitig bezeichnet werden, weil die ganze Untersuchung sich

118 auf die Verfolgung des Zusammenhangs in einer bestimmten und

nur in einer Richtung beschränken mußte.

Der Unterschied ist

unermeßlich, weil die höhere Seelenthätigkeit, die im Menschen zur niederen thierischen hinzukommt und auch dieser einen andren Charakter giebt, mit jener unvergleichlich ist.

Denn sie gehört

einem wesentlich verschiedenen, höheren Gebiet an. Dem Menschen

erschließt sich zuerst, wenn auch nur mangelhaft, aber doch in einem weiten Umfang für die kurze Zeit des Lebens, der Dinge Wesen und die Unendlichkeit, die Wahrheit in ihrer Allgemein­

heit und das Gesetz der Thatsachen

in

seiner

Nothwendigkeit.

Ihm gehören die Begriffe (im früher entwickelten Gegensatz zur

sinnlichen Vorstellung), das menschliche Denken und die Sprache, das Verbinden der Begriffe und Worte nach einem inneren Zu­ sammenhang zur geschloßnen Einheit des Gedankens, die wieder

Glied in einer Reihe wird.

Ihm erschließt sich zuerst die eigne

innere Welt des Geistes in der unermeßlichen Fülle ihrer Er­

scheinungen, und nur im Menschen entwickelt sich das freie, in­ nere Seelenleben, nur in der menschlichen Gesellschaft der sittliche Verkehr, die Mannigfaltigkeit der inneren Beziehungen, die dem

Leben seinen Werth und Inhalt geben, und im Verlauf der Zei­ ten die Geschichte.

Im Menschen fängt es an zu tagen.

geboren lernt er sehen das Unsichtbare.

Blind

Es werde Licht! ist der

erste Ruf seines geistigen Verlangens und der Ruf seiner Be­ stimmung. geschehen.

Und was gedacht war im ewigen Gedanken, es ist

Das Leben erwachte, der Strahl fiel in die Finster­

niß und es ward Licht.

Aber nur Dämmerung ist das Licht in

der Finsterniß, nur allmählich können die Gegensätze sich scheiden, kann eine Welt sich gestalten, in der es Heller und Heller wird. Wechselvoll ist der Gestaltungskampf, und nur ein Anfang bleibt

dieses ganze Dasein.

Schwer weicht das Dunkel, leicht kehrt es

zurück, hier und da wieder verhüllend, was schon ihm entrissen

war.

Oder Sturm erhebt sich, und die Seele, von dichtem Ge-

119 wölk umlagert, bebt im Aufruhr.

Dann wird das Licht macht­

los in der Finsterniß, das Feste wankend.

Nur Ahnung schwebt

über der wogenden Tiefe, und daS ringende Leben kann nicht Herr werden der Macht, die seine Entwicklung hemmt, bis wie­

der Maaß und Gleichgewicht in die Bewegung kommt. Kraft ruht nicht und die Hoffnung bleibt.

Aber die

Zum Licht ist der

Geist geboren und die Unendlichkeit ist vor ihm aufgethan. Nach

dem Lichte geht der Zug des Lebens, und nur der Mensch kann

deS Lichtes Urquell ahnen, im entfesselten Gedanken dem Ewigen entgegenstreben. Von hier aus wollen wir noch ein Mal auf das Leben im Ganzen zurücksehen und uns die Frage vorlegen, was es bedeu­

ten könnte. Schon im Leben hat die menschliche Seele am Ewi­

gen Antheil, und sie ist menschlich nur durch das Göttliche, das in ihr ist, auch wo es ganz in Nacht begraben und tief verbor­

gen nur wie ein schwaches Fünkchen glimmt.

Soll nun im Tode

das, was menschliche Seele war, seines ewigen Antheils, seiner neu erlangten Fähigkeit wieder beraubt, dem inneren Zusammen­

hang mit dem Unendlichen wieder entrissen, menschliche Seele zu

sein aufhören?

Soll es so in seinen dunklen Ursprung wieder

zurückkehren wie der Leib in die Erde zurückkehrt, aus der Thiere und Menschen nährende Pflanzen ihre Nahrung ziehen, oder so

im Allgemeinen wieder verschwinden wie ein Tropfen im Meer,

dem der wärmende Sonnenstrahl einen Theil seiner Bestandtheile in unsichtbarer Gestalt entführt, bis sie zur Wolke verdichtet als

fruchtbarer

Regen niederfallen und durch die Pflanze

in

den

Strom des Lebens übergehen, dem sie vielleicht schon öfter an­

gehörten?

Soll so auch das Seelenleben im bunten Wechsel, in

ewiger Wiederholung, bald thierisch, bald menschlich und wieder thierisch werden?

Ist vielleicht in den Thatsachen selbst ein Ge­

setz erkennbar, daö eine solche Wendung fordert, das alle Kräfte

nach der Erfüllung einer Bedingung streben heißt, die allein die

120 volle, einem ursprünglichen Drang genügende Entwicklung geisti­

ger Kräfte möglich macht, damit, wenn sie endlich erfüllt ist,die möglich gewordne Entwicklung wieder unmöglich werde?Aiebt

eS ein Gesetz, daS also lautet:

Von Anbeginn war, woraus

alles Seelenleben hervorgeht, ein dunkles Sein, das mit innerer

Nothwendigkeit, sobald die äußeren Bedingungen erfüllt sind, in besondres Dasein übergeht, das sich gestalten, entwickeln und im­

mer höher entwickeln will, bis int menschlichen Dasein das Stre­

ben Genüge findet.

Denn erst als menschliche Seele hat es eine

Gestalt deö Seins erreicht, in der die höchste, ursprünglich in dunklen Kräften liegende Möglichkeit verwirklicht werden

kann,

in der allein eine Bethätigung möglich wird, die der höchsten Forde­

rung im Wesen der lebendig gewordnen Kraft entsprechen würde. Aber die Mittel sollen nicht dem Zweck, das Geschehen soll nicht

der inneren Nothwendigkeit entsprechen.

Die Bethätigung soll

nicht eine ewige Bethätigung in unendlich mannigfaltiger Wir­ kung, daS Erfassen des Ewigen soll nicht ein ewiges Eingehen in das Unendliche werden, das unerschöpflich ist.

solches Gesetz?

Giebt eS ein

Oder könnte eö anders, nicht wie ein mißtönen­

der Widerspruch ohne Auflösung, sondern wie ewige Wahrhrheit

lauten, die mit sich selbst im Einklang ist?

Denn irgend ein

Gesetz muß doch der Entwicklung dcS Lebens auf dieser Erde zu

Grunde liegen, ihren Gang bestimmt haben und fortbestimmen. Kann es aber ein andres sein als daS in allen Thatsachen des

Lebens und in der Geschichte der Erdentwicklung auSgesprochne?

Oder ist

es unvernehmbar, daö große Wort der Schöpfung?

Und doch sollten wir die Deutung wagen, die das Werk der

Welt in seiner Herrlichkeit und die der Seele innere Empörung lügen straft?

Oder erschließt sich doch dem ernsten Sinn die

immer geahnte Deutung?

Sehen wir nicht überall den Gang

des Werdens derselben Richtung folgen? Haben wir nicht übeberall

übereinstimmende, einander entsprechende Reihen von EntwicklumngS-

121 stufen vor uns, sowohl im Leben der einzelnen Geschöpfe, zumal im eignen menschlichen Leben, wie auch im Großen und Ganzen,

daS nicht nur bunten Wechsel zeigt, sondern eine zusammenhän­ gende, aiifsteigende Ordnung darstellt, und in der Erdgeschichte, in der das niedere Leben auch als das frühere, das höchste als das letzte erscheint?

Muß nicht etwas gewesen sein, waS Leben

werden wollte, ehe Leben ward?

ES war also irgend eine ver­

borgne Kraft, die nach der mannigfaltig bedingten Berwirklichung einer in ihr liegenden Möglichkeit hinstrebte, und erst im Men­

schen kam daS Streben zu einer Befriedigung, zu einem Abschluß.

Also die Bedingung deS geistigen Lebens ist nur unvollständig er­ füllt in allen Gestalten des Daseins, über die der Entwicklungs­

drang hinauSgeht, die beständig in ihren Ursprung zurückkehrend

und wieder daraus hervorgehend, nur im Ganzen ihre Bestim­ mung haben und in der Lust deS Daseins für alle Bedürfnisse,

deren sie fähig sind, volle Genüge finden.

Erst in der mensch­

lichen Seeleneinheit ist die Einigung mit einem Höheren vollzo­

gen, ein neues Leben erwacht, das einem andren Zusammenhang

angehört, die ganze Fülle der Möglichkeit entwicklungsfähig ge­

worden.

Also das,

waS menschliche Seele geworden ist, kann

eine Ursache nicht enthalten,

weshalb es zu sein aufhören sollte,

was eS mit innerer Nothwendigkeit hat werden müssen. Kraft kann gegen ihr Gesetz nicht wirken.

Hoffnung, wenn sie nicht in zu

Die

Unantastbar bleibt die

flachem Boden wurzelt, dem

eitlen Zweifel, unwiderlegbar der Glaube an Unsterblichkeit.

Er

ist als Glaube tief begründet im Inneren der Seele und im Zu­

sammenhang der Welt.

Hier aber konnte die große Frage nur

mangelhaft, nur so beleuchtet werden, wie es der gegebne Stand­ punct mit sich bringt,

nicht so, als ob eine höhere Erkenntniß­

entwicklung schon vorangegangen, ein höherer Standpunct schon gewonnen wäre.

Was ich geben konnte, war nur der kleine An­

fang eines größeren Zlisammcnhangs, und leider müssen wir unS Jacob, üb. Leib u. Seele.

9



122



oft im Leben mit Anfängen begnügen, wie ja auch das ganze Le­ ben nur ein Anfang ist.

Aber ich werde nicht ermüden in der

Arbeit, wenn ich sehe, daß sie ihren Zweck erfüllt, daß mein

Wort ein willkommenes ist und so wirken kann, wie ich es sehn­ lich wünsche.

Möge die Aufnahme dem Bedürfniß entsprechen,

aus dem eS hervorgegaugen!