Die Entgrenzung des Heils: Gesammelte Studien zur Apostelgeschichte 9783161546877, 9783161569913, 3161546873

Die Apostelgeschichte ist die Meistererzählung des Urchristentums. In dem Gedächtnisgemälde des "Lukas" fand d

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German Pages 496 [505] Year 2019

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Titel
Vorwort
Inhalt
Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität. Eine Hinführung
Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur. Interdisziplinäre Annäherungen
Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung. Ein Literaturbericht
Zur Datierung der Apostelgeschichte. Ein Ordnungsversuch im chronologischen Chaos
Spielräume der Wahrheit. Zur Konstruktivität in der hellenistischreichsrömischen Geschichtsschreibung
Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche
Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses
Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte
Christologia Viatorum. Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte
Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte
Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12
ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ. Paulus als theologischer Topos in der Apostelgeschichte
From Disaster to Disclosure. The Shipwreck in the Book of Acts in Light of Greco-Roman Ideology
Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11). Über zwei denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums
Der Tyrann als Topos. Nero/Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung
Markion und die Apostelgeschichte. Ein Beitrag zum Werden des Kanons
No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana
Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9). Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit
Die Entdeckung der Oikoumene. Exegetische Erfahrungen mit der Apostelgeschichte
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Abkürzungen und Quellenzitation
Stellenregister
Autorenregister
Sachregister
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Die Entgrenzung des Heils: Gesammelte Studien zur Apostelgeschichte
 9783161546877, 9783161569913, 3161546873

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor

Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) · Janet Spittler ( Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)

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Knut Backhaus

Die Entgrenzung des Heils Gesammelte Studien zur Apostelgeschichte

Mohr Siebeck

Knut Backhaus, geboren 1960; 1989 Promotion; 1994 Habilitation; 1994–2003 Ordentlicher Professor der Exegese des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät Paderborn; seit 2003 Lehrstuhlinhaber für Neutestamentliche Exegese und biblische Hermeneutik an der Kath.-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. orcid.org/0000-0001-7498-3327

ISBN 978-3-16-154687-7 / eISBN 978-3-16-156991-3 DOI 10.1628/978-3-16-156991-3 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Dieser Band vereinigt neunzehn Beiträge zur Actaforschung, die in den Jahren 1998 bis 2018 entstanden sind. Der Schwerpunkt liegt auf der komparativen Literatur‑ und Religionsgeschichte, der Eigenart der historiographischen Kon­ struktion des „Lukas“ und dem historischen und theologischen Ort der Apostelgeschichte. Den Titel „Entgrenzung des Heils“, in dem sich für mich das Programm der lukanischen Meistererzählung verdichtet, erläutert der einführende Beitrag. Er zeigt zugleich die sachliche Verbindung zwischen den Studien und ihren perspektivischen Platz in der Actaforschung auf. Wir verfolgen, wie in der Apostelgeschichte die Christus-Botschaft das Forum einer weiten, vielfältigen und höchst lebendigen Weltkultur betritt, und dies mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein und einer nicht minder erstaunlichen Lernbereitschaft. Wollte man die Verbindungslinie zwischen den unterschiedlichen Themenfeldern so knapp wie möglich zum Ausdruck bringen, so böte sich der lukanische Paulus an: „Nicht in einem Winkel!“ (vgl. Apg 26,26) Die Aufsätze wurden durchgesehen, formal vereinheitlicht und in einzelnen Fällen (ohne dass dies ausgewiesen wird) geringfügig verändert; Nachträge stehen in eckigen Klammern. Mein Dank gilt zuerst Dipl.-Theol. Andrea ­Häring, M. A., die die Beiträge mit der ihr eigenen Sorgfalt für den Druck aufbereitet hat. An den Register‑ und Korrekturarbeiten haben sich Dipl.-Theol. M ­ artina Edenhofer, Dipl.-Theol. Maria Lang, Florian Rösch, B. A. und Frau Ulrike A ­ ulmann beteiligt, der mit Frau Barbara Steinberger auch die zuverlässige Unterstützung (und das angenehme Klima) im Sekretariat zu verdanken ist. Rev. Dr ­Adrian Graffy, London, hat die englischen Abstracts durchgesehen. Mehr als ausgewiesen werden kann, verdanke ich der für Theologie und Altertumswissenschaften so förderlichen Arbeitsatmosphäre an der LMU München: Gerd Häfner, Martin Hose, Gudrun Nassauer und Stephan Witetschek seien stellvertretend genannt. Vom Verlag Mohr Siebeck haben uns in der Programmleitung Theologie Katharina Gutekunst und Elena Müller und in der Herstellung Matthias Spitzner kompetent begleitet. Dem Kollegen Jörg Frey danke ich für die Aufnahme in die Reihe der WUNT. Einige der veröffentlichten Beiträge trugen und tragen Widmungen. Gern nutze ich die Gelegenheit, Andreas Lindemann, Claus-Peter März, Udo Schnelle und Michael Theobald mit meinen einstigen Beiträgen zu ihren Festschriften ein weiteres Mal zu grüßen. Zwei Widmungen dienen jetzt in memoriam: Mein Münchener Kollege Alexander J. M. Wedderburn ist am 31. März 2018 verstorben, mein Vorgänger und Freund Joachim Gnilka am 15. Januar 2018.

VI

Vorwort

Die Apostelgeschichte beschreibt Reisen, ist aber für mich in zwei Jahrzehnten auch Reisegefährtin geworden. Dieser Sammelband markiert eine Wegstation, gewissermaßen ein Atemholen, bevor ich in zwei umfassenderen Arbeiten mein literaturgeschichtliches Gesamtverständnis des „Lukanischen Doppelwerks“ (im Rahmen eines Drittmittelprojekts) und mein theologisches Gesamtverständnis der Apostelgeschichte (im Evangelisch-Katholischen Kommentar) entwickle. Dass zwei Jahrzehnte mit der „Verfassungsurkunde des Heiligen Geistes“ (wie Johannes Chrysostomos die Apostelgeschichte nennt) Freude auf die Weiterreise wecken, spricht für das lebendigste Buch des Neuen Testaments und zugleich dafür, dass es seine eigene Tiefe – nah am „Unbekannten Gott“ (Apg 17,23) – besitzt. Ich wünsche mir, dass etwas von der intellektuellen und existentiellen Reisefreude des „Lukas“ auch im Medium dieser Studien ansteckend greifbar wird. München, den 18. Oktober 2018

Knut Backhaus

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität. Eine Hinführung . . . . . . 1 Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur. Interdisziplinäre Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung. Ein Literaturbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Zur Datierung der Apostelgeschichte. Ein Ordnungsversuch im chronologischen Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Spielräume der Wahrheit. Zur Konstruktivität in der hellenistischreichsrömischen Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Christologia Viatorum. Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . 257 Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

VIII

Inhalt

ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ. Paulus als theologischer Topos in der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 From Disaster to Disclosure. The Shipwreck in the Book of Acts in Light of Greco-Roman Ideology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11). Über zwei denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Der Tyrann als Topos. Nero / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Markion und die Apostelgeschichte. Ein Beitrag zum Werden des Kanons . 387 No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana . . . . . . . . . . . . . 405 Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9). Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Die Entdeckung der Oikoumene. Exegetische Erfahrungen mit der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen und Quellenzitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität Eine Hinführung This introduction reflects on the Book of Acts as a master narrative of Christianity that transcends and dissolves conventional geographic, cultural, ethnic, chronological, and theological boundaries. Such ability to break boundaries is rooted in the decision to conceptualise “salvation” in terms of a comprehensive relationship to the risen and exalted “Lord of all”. Furthermore, this introduction situates the Book of Acts in its historical context and presents an overview of the 18 following essays in this volume.

1. „Ungehindert“ – Über die entgrenzende Kraft einer Meistererzählung Das Dasein auf der Grenze, die Grenzsituation, ist voller Spannung und Bewegung. Sie ist in Wirklichkeit kein Stehen, sondern ein Überschreiten und Zurückkehren, ein Wieder-­ Zurückkehren und Wieder-Überschreiten, ein Hin und Her, dessen Ziel es ist, ein Drittes jenseits der begrenzten Gebiete zu schaffen […] Paul Tillich1

1.1 Narrativ der Entgrenzung Die Apostelgeschichte ist die Meistererzählung des Urchristentums. Sie bietet jenes Metanarrativ, dessen die werdende Kirche bedurfte, um ihre Herkunft und Zukunft und damit ihre Sinnrichtung und Aufgabe in der Geschichte zu verstehen. Ungeachtet aller historischen Kritik bleibt das von „Lukas“2 geformte 1  Grenzen. Rede bei der Verleihung des „Friedenspreises des Deutschen Buchhandels“ in Frankfurt am 23. 9. ​1962, in: ders., Gesammelte Werke XIII: Impressionen und Reflexionen. Ein Lebensbild in Aufsätzen, Reden und Stellungnahmen, hg. v. R. Albrecht, 419–428: 420. 2  Aus Konvenienzgründen nenne ich den Verfasser (möglicherweise: die Verfasser) des Opus Lucanum in diesem Band Lukas, den ihm zugeschriebenen Jesus-Bios Lukasevangelium (Lk), die als dessen Folgewerk konzipierte Herkunftsmemoria Apostelgeschichte (Apg). Vereinfachend nenne ich das höchst vielfältige nicht-jüdische bzw. nicht-christliche Kult‑ und Sozialwesen des späthellenistischen und kaiserzeitlichen Mittelmeerraums pagane Kultur o. ä., die synagogalen Gemeinschaften dieser Zeit Frühjudentum. Die sich etwa zwischen 30 und 200 n. Chr. etablierenden Gruppierungen des von Lukas so genannten „Weges“ der „Christianer“ (Apg 11,26; 26,28; vgl. Tacitus, ann. 15,44,2 f.) nenne ich – im Bewusstsein offener Grenzverläufe

2

Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

Gedächtnisgemälde bis in die Gegenwart die Default-Einstellung, wenn es um die (verpflichtenden) Anfänge des Christentums geht.3 Dieses Deutungsmonopol legt sich insofern nahe, als erst in der Kirchengeschichte des Eusebios von Cäsarea das nächste christentumsgeschichtliche Werk vorliegt, das zudem in seinen Berichten über die Anfangszeit von Apg abhängt. Wo sich keine anderen konsistenten Quellen finden, gibt es auch keine andere großflächige, Einzelentwicklungen narrativ integrierende Gesamtdeutung. Somit kann sich kein konkurrierendes Sinnangebot aufbauen. Die lukanische Erinnerungsstrategie hat ihr Ziel erreicht: Wie es abseits der Jerusalemer Urgemeinde und des Weltreisenden Paulus tatsächlich aussah, ist für uns nahezu so unvorstellbar wie für einen Römer die Gründungszeit seiner Urbs ohne Troja und Aeneas. Was Lk / ​Apg als explizite Großerzählung anbieten, bestimmt zumindest implizit als unterschwellige Wahrnehmungsprämisse noch immer den historiographischen Diskurs.4 Die Wahrheitsspielräume, die dem Historiographen zur Verfügung stehen, sind in der griechisch-römischen Antike recht flexibel, aber er fingiert keineswegs ungebunden: Die Erinnerungsstrategie bedarf der Quellen und Daten, um aus ihnen das Gedächtnisbild – freilich mit schöpferischem Erzählanspruch – und fließender Übergänge zwischen „Juden“, „Christen“ und „Heiden“ – (werdendes) Christentum bzw. (werdende) Kirche. Um den Sprachstil nicht ermüdend zu überlasten, werden auch Begriffe wie „Evangelium“ (als Gattung), „Geschichtsschreibung“ u. Ä. nur dort absichernd bestimmt, wo sie maßgeblich verwendet werden. Geschlechtsbezeichnungen werden im grammatischen Sinn und damit inklusiv verwendet, wenn nicht aus dem Zusammenhang das natürliche Geschlecht hervorgeht. 3  Unter einer „Meistererzählung“ sei die in die Vergangenheit reprojizierte und als Herkunft konstruierte narrative Darstellung des Selbstverständnisses einer Erinnerungsgemeinschaft verstanden. Das Sinnkonstrukt mit seinem dezidierten Gegenwartsanliegen geht möglicherweise, aber nicht notwendig aus der sozialen Erinnerung an tatsächliche Geschichtsabläufe hervor, prägt mit einer gewissen Selbstverständlichkeit das kulturelle Traditionswissen und beansprucht in unterschiedlichem Maß normative Geltung. Zur Begriffsgeschichte Konrad H. Jarausch / ​Martin Sabrow, „Meistererzählung“  – Zur Karriere eines Begriffs, in: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hg. v. dens., Göttingen 2002, 9–32; Gabriel Motzkin, Das Ende der Meistererzählungen, in: Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, hg. v. J. Eibach / ​G. Lottes, Göttingen (2002) 22006, 371–387; zur theoretischen Diskussion Jörn Rüsen, Einleitung: Für eine interkulturelle Kommunikation in der Geschichte, in: Die Vielfalt der Kulturen, hg. v. dems. / ​ M. Gottlob / ​A. Mittag, Erinnerung, Geschichte, Identität 4, Frankfurt a. M. 1998, 12–36: 22–28; Frank Rexroth, Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung. Eine Skizze zur Einführung, in: Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen, hg. v. dems., HZ.B 46, München 2007, 1–22: 2–15. – Die Metapher vom default setting („mindset“ im Sinne einer weithin unkontrollierten kognitiven Vorauseinstellung) verdanke ich James D. G.  Dunn, Altering the Default Setting: Re-envisaging the Early Transmission of the Jesus Tradition, in: NTS 49 (2003) 139–175: 139–142. 4 Zu der Unterscheidung zwischen der Explizität und Implizität einer Meistererzählung Motzkin, Ende (s. Anm. 3), 371–374.

1. „Ungehindert“ – Über die entgrenzende Kraft einer Meistererzählung

3

zu formen.5 So lässt uns Apg durchaus in mehr oder weniger breiten Spuren und Fragmenten Anteil am ersten Jahrhundert der Jesus-Bewegung nehmen. Historische Quelle ersten Ranges wird sie jedoch erst für ihre eigene Schwellenzeit und deren Antriebsfaktoren. Das Evangelium betritt unter dem Prinzipat Trajans oder Hadrians das Forum einer viele Kulturen zusammenführenden globalen Gesellschaft und sieht sich auf diesem Forum Kontakt-, Entwicklungs-, Bildungs‑ und Glaubensherausforderungen gegenüber, die die ersten Generationen der Jesus-Bewegung in dieser Weite und Gestalt nicht kannten. Im Rückblick stellt Apg fest, was denn auch für heutige Lektüreweisen heuristisch wertvoll werden kann: Es sind existentielle Erfahrungen, kulturelle Verstehensformen, theologische Einsichten, expansive Aufbruchsenergien und soziale Anziehungskräfte gewachsen, für die jede Schwellenzeit in besonderer Weise Chancen wie Risiken bietet. Was die verpflichtende Herkunft im Ganzen prägt, ist das Motiv der Grenzüberschreitung. In der Tat erweist sich die lukanische Meistererzählung als eine dramatische Folge gewagter geographischer, kultureller, theologischer Entschränkungen. Apg beschreibt Anfänge und Umbrüche, um – nach dem erinnerungsstrategischen Muster kultureller Minderheiten  – der werdenden Kirche Richtungssinn und Ordnungswissen bereitzustellen. So sehr das Opus Lucanum die Verwurzelung im Gottesvolk Israel betont und so sehr es „Juden“ und „Christen“ in ein gemeinsames Wir stellt, so deutlich entgrenzt es Schritt für Schritt das Heil, bis es  – mit dem buchstäblich letzten Wort: ἀκωλύτως  – in alle Richtungen auszuschreiten vermag (vgl. Apg 28,31). Die polemische Abgrenzung vom synagogalen Judentum ist die beschwerliche, der Humor, mit dem letztlich auch das christliche Traditionswissen überschritten wird, die befreite Seite solcher Entschränkung. Man hat Apg im Anschluss an Johannes Chrysostomos6 das „Evangelium des Heiligen Geistes“ genannt: ὅτι τοῦ Πνεύματός ἐστι πολιτεία τὸ βιβλίον τοῦτο (hom. in Act 3,1 [PG 60,34]7). Die wesentliche Aufgabe des Pneuma liegt darin, die Zeugen des Evangeliums zum Grenzübertritt zu befähigen oder solchen Grenzübertritt kraftvoll zu beglaubigen.8 So stellt sich die Geschichte des Urchristentums, lukanisch betrachtet, im kompakten Bild einer grenzüber5  In diesem Einführungskapitel bleibe ich die näheren Begründungen und Belege für die Gedankengänge weithin schuldig. Sie werden in den anschließenden Beiträgen nachgereicht, aus denen diese Hinführung bereits Bilanz zieht und zu deren Lektüre sie reizen möchte. 6 Vgl. Johannes Chrysostomos, hom. in Act 1,5 [PG 60,21]: Τὰ μεν οὖν Εὐαγγέλια, ὧν ὁ Χριστὸς ἐποίησε καὶ εἶπεν ἱστορία τίς ἐστιν· αἱ δὲ Πράξεις, ὧν ὁ ἕτερος Παράκλητος εἶπε καὶ ἐποίησε – „So sind die Evangelien eine Art von Geschichtserzählung über das, was Christus getan und gesagt hat, die [Apostel‑]Geschichte indes über das, was der andere Beistand gesagt und getan hat.“ 7  „Dieses Buch ist die Verfassungsurkunde des Geistes.“ 8  Wir nennen nur einige Schlüsselstellen: Apg 1,8; 2,1–41; 7,55 f.; 8,14–17.27–29; 9,17; 10,44– 48; 11,15–18; 13,1–3.51 f.; 15,8.28 f.; 16,6–10; 19,6; 20,22 f.28; 28,25–28.

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

windenden Welt-Reise dar. Der Plot der Apg beginnt leserlenkend mit dem kraftverheißenden Auftrag zur etappenweisen Überschreitung privilegierter Heilsräume (Apg 1,8). Der Titel, den Apg der Jesus-Bewegung gibt – ἡ ὁδός – ist theologische Signatur. Stets sind es Schaltstellen der Herkunftsgeschichte, an denen der Aufbruch dramatisch wird: Samarien am Rand des Judentums (8,5– 25) – der äthiopische Eunuch vom Ende der Welt (8,26–40) – der Schritt von der Reinheitshalacha auf die heidenstämmigen Heilsanwärter zu (10,1–11,18) – die Abreise ins pagane Neuland (13,1–3)  – die Entgrenzung des Gottesvolks (15,1–35) – die Herausforderung der Hochkultur in deren symbolischer Mitte (17,16–34)  – die riskante Überfahrt in das politische Zentrum (27,1–28,16). Verhalten überschreitet der Erzähler auch die perspektivische Grenze zur kirchlichen Gegenwart (bes. 20,17–38). Als kirchliche Urgeschichte erzählt Apg, woher die Christen kommen, um zu zeigen, wie sie immer sind, führt vor Augen, wie es einst war, um zu vergegenwärtigen, was immer sein könnte: Die Grenze ist der eigentliche Ort des Christentums, nicht der Erdwinkel (vgl. Apg 26,26). Lukas berichtet von erlebten Grenzübertritten, um seine Gegenwart zu verstehen, die bereits jenseits der alten Grenzen liegt und Atem holt, bevor sie die neuen angeht. Die Rochade von Jerusalem nach Rom, von der Herkunft in die Gegenwart, wird als ebenso gefahrvolle wie behütete Überquerung des Mittelmeers dramatisiert. Der auf dem Jerusalemer Tempelplatz ergriffene und in bunter paganer Reisegenossenschaft in Italien eingetroffene jüdische Kosmopolit Paulus hält in der Mietswohnung zu Rom keineswegs die letzte seiner Missionsreden, sondern nimmt seine üblichen wieder auf: „mit allem Freimut, ungehindert“ (28,31). Kein Bild ist sprechender als dieser offene Erzählschluss. Das Dritte jenseits der begrenzten Gebiete – Jerusalem und Rom, jüdische Herkunft und pagane Umwelt – ist das Christentum, aber nicht als statische Größe. Die heilsame Unruhe, die offene Grenze, das Überschreiten wie Zurückkehren, ist ihm im lukanischen Geschichtsentwurf wesentlich eingestiftet. Auf diese Weise bleiben Grenzen durchaus bestehen: Wie kein anderes Buch des Urchristentums zeigt Apg hochgemutes Identitätsbewusstsein, und gerade so erklärt sich erst die selbstsichere Erzählfreude, die Lukas mit Blick auf kulturelle Eigenarten und individuelle Unterschiede zum Ausdruck bringt. Apg ist sehr gezielt ein liminales Buch, da es geschichtliches Ordnungswissen zur Verfügung stellt, um neue Grenzen sichtbar zu machen.9 Aber konzeptionell verlieren diese Grenzen – nach dem politischen Weisheitswort – ihren trennenden 9 Apg zieht neue Grenzen und ordnet sich nicht alten unter. Dies zu betonen gehört zu den Grundanliegen der sensiblen Studie von C. Kavin Rowe, World Upside Down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford (2009) 2010; vgl. bes. ebd. 150: „Luke’s reading of the world is irreducibly Christian – there is nothing more general or epistemologically basic than that – and the conflict with Graeco-Roman culture is not based upon this or that particular point of disagreement but upon a radically different way of seeing things as a whole and, therefore, of naming the world’s predicament. Is it right side up, or upside down?“

1. „Ungehindert“ – Über die entgrenzende Kraft einer Meistererzählung

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Charakter. Sie werden positive, negative, supereminenter – auf-gehoben. Für die Akteure der erzählten wie der Erzählerwelt sind die neuen Grenzen, anders: ist die neue Grenzenlosigkeit gottgewollte Sendung. In einer Hinsicht freilich wird Trennung schmerzlich spürbar, wird die Grenze nicht aufgehoben, sondern, so scheint es, in Zement gegossen. Dies ist die Tragik der Meistererzählungen, sofern sie in der „ersten Naivität“ verharren: Die Alterität des Anderen zerschellt an der Universalität des Selbst.10 Apg schildert in der erzählten Welt und vollzieht in der Erzählerwelt den Trennungsprozess vom synagogalen Judentum. Mag die Konkurrenz als solche zum Wesen der urchristlichen (und frühjüdischen) Selbstdefinition gehören, so dient sie spätestens mit der Renaissance der Apg an der Wende zum dritten Jahrhundert zur Rechtfertigung ausgrenzender Aggression. Um die Gegenspieler (die freilich zum erzählerischen Genre gehören) zu kennzeichnen, greift der Maler Lukas, der sonst die farblichen Nuancen liebt, meist zum grellen Schwarz-Weiß-Kontrast. Nur gelegentlich werden hellere Farbtupfer ansichtig: Die Juden der Synagoge von Beröa etwa sind edler gesinnt als die von Thessalonich (Apg 17,11). Entscheidend sind die eidetischen Details, mit denen der Episodenzeichner Lukas in einer alles sagenden Momentaufnahme ganze Traktate ersetzt. Bevor Paulus von Heiden dem Lynchmord durch Juden entrissen wird, schlagen vor bezeichnender Kulisse – ganz Jerusalem und der λαός in tödlichem Ernst – lautstark Türen zu: „Da geriet die ganze Stadt in Bewegung, und es kam zu einem Auflauf des Volkes, und man packte den Paulus und zerrte ihn aus dem Heiligtum – und sogleich wurden die Pforten verschlossen“ (21,30). Es folgt in gedehntem Erzähltempo die Überfahrt ins Zentrum der paganen Welt. Geradezu komplementär zur Miniatur vom verschlossenen Tempel verhält sich dabei ein anderes eidetisches Detail. Es sind ausgerechnet die Meere und Lüfte durcheilenden Dioskuren als Schiffszeichen, die Lukas von der langen Überfahrt nach Rom für erwähnenswert hält (28,11): grenzüberschreitende Weltbürger (und Freudenboten) par excellence. Am Ende der Apg ist das Mittelmeer zum mare nostrum der Christen geworden, während Jerusalem den Status altadliger Abkunft gewonnen hat und Gegenwart nur noch im Modus von Erinnerung besitzt: ein christliches Troja, das hinter den Akteuren liegt, deren Protagonist im Erzählschluss Rom erreicht. Gleichwohl führt auch die synagogal-urchristliche Grenze im lukanischen Erzählkonzept keineswegs zum „Stehen“, sondern lädt bleibend zum „Überschreiten“ ein. Im offenen Buchschluss beendet Paulus seine Verkündigung nicht. Er beginnt sie  – wie auch sonst im Verlauf der Apg  – wieder neu (vgl. Apg 28,20–22). Zwar zieht Paulus nach programmatischer Absage, „um seinen Ort zu wechseln“ (μεταβάς), aus der korinthischen Synagoge in das Haus des Gottesfürchtigen Titius Justus; doch ebenso programmatisch bleibt die Topo10 Vgl. Rüsen, Einleitung (s. Anm. 3), 24; zur theologischen Diskussion Rowe, World (s. Anm. 9), 156–176.

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

graphie: „dessen Haus grenzte an die Synagoge“ (18,6 f.). In Ephesus, wo Paulus, ungeachtet der geschilderten Trennung, nun doch wieder wie gewohnt in der Synagoge Austausch pflegt, zieht er – abermals bezeichnend – in den Hörsaal des Tyrannus (19,9), aber doch nur, um kurz darauf – bezeichnender noch – Jerusalem seine jüdisch-fromme Aufwartung zu machen. Was ein bleibend bewegter Erzähler hier in Szene setzt, ist ein stetes Wieder-Zurückkehren. Lukas lässt ethnisch bedingte Heilsexklusivität hinter sich, aber sein anthropologisches Netz ist so weit gespannt, dass es die Juden nicht minder auffängt als die Heiden.11 Das vieldiskutierte prophetische Wort von der Herzensverhärtung (Apg 28,26 f. [Jes 6,9 f.LXX]) ist Anzeige des missionarischen Risikos, aber kein Abschied im Endgültigen.12 Es ist wohl eher Agrippa II., der in freundlichen Farben gezeichnete Kenner des Judentums von innen (vgl. Apg 26,2 f.), der das letzte Wort hat, indem er – eher mit Sympathie als mit Ironie – nicht nur die Unschuld des Paulus proklamiert, sondern sich selbst ἐν ὀλίγῳ als Χριστιανός bekennt (26,28; vgl. 26,26–32). Die nahezu grell ausgemalte kosmopolitische Kulisse freilich zeigt, dass solche Entgrenzung erst vor gründlich gewandeltem Horizont vorstellbar wird (vgl. 25,23). Das Überschreiten schließt ein Zurückkehren und ein Wieder-Zurückkehren nicht aus. Apg endet in gewollter Zufälligkeit „mittendrin“. Die Zukunft des Judentums ist nicht abgeschlossen, weil die Zukunft programmatisch offen ist. Lukas steht in einer historiographischen Tradition, die davon ausgeht, dass die folgenden Kapitel von anderen geschrieben werden. Die historia perpetua bleibt literarisch „ein Hin und Her“, weil sie – auch für Lukas – niemals „Stehen“ ist. Daher entschränkt er, kein Freund von Naherwartungen, die chronologische Perspektive der werdenden Kirche. So gesehen mag die Fortsetzung der Apg noch heute geschrieben werden. Nicht zuletzt entgrenzt Apg das „Heil“ – die Tautologie sei gestattet – soteriologisch. Das Wortfeld σῴζειν κτλ steht im Opus Lucanum in einem denkbar weiten Verwendungsfeld.13 Die religiöse Applikation setzt mit Überwindungswillen 11  Vgl. Rowe, World (s. Anm. 9), 124 f.; treffend Torsten Jantsch, Jesus, der Retter. Die Soteriologie des lukanischen Doppelwerks, WUNT 381, Tübingen 2017, 350: „Buße und Glaube stellen den Einzelnen in eine Beziehung zu dem erhöhten Jesus, der dem Einzelnen in seiner richterlichen Funktion die Sünden vergibt mit der Konsequenz ewigen Lebens. Dies impliziert aber auch, dass die Tür zum Heil trotz Apg 28,25–28 für Juden nicht grundsätzlich geschlossen ist, denn für alle – für Heiden und Juden – besteht der Weg zum Heil in μετάνοια und πίστις“. 12  Ganz anders die Textwahrnehmung etwa bei Günter Wasserberg, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas, BZNW 92, Berlin 1998, 71–115, die zu der bündigen Bilanz gelangt: „Jetzt reicht’s“ (ebd. 115). 13 σωτηρία findet sich in Lk / ​ Apg 10-mal (Mk [jeweils ohne sekundäre Schlüsse] / ​Mt: 0), σωτήρ 4-mal (Mk / ​Mt: 0), σωτήριον 3-mal (Mk / ​Mt: 0), das Verb σῴζειν 30-mal (Mk: 14; Mt: 16), διασῴζειν 6-mal (Mk: 0; Mt: 1). Bezeichnender ist der Einsatz an leserlenkenden Schlüsselstellen (vgl. z. B. Lk 1,47.69.71.77; 2,11.30; 3,6; Apg 2,21.40.47; 4,12; 5,31; 13,23.26.47; 15,11; 28,28). Zu Begriffsinhalt und ‑umfang von σωτηρία κτλ in Lk / ​Apg Joel B. Green, “Salvation

1. „Ungehindert“ – Über die entgrenzende Kraft einer Meistererzählung

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bei dem Schlagwortgebrauch der kaiserzeitlichen Herrscherideologie an, erschöpft sich aber nicht in Nachahmung, sondern bezieht σωτηρία auf die gesamte Existenz des Menschen, der sich von Gottes Pneuma zu jenem neuen Leben transformieren lässt, das in Jesu Auferweckung endzeitlich erschlossen ist. Das in den biblischen Prätexten verankerte und in weiten Teilen des Urchristentums maßgebliche Motiv des rettenden Sühnetods Jesu Christi tritt in diesem Entwurf zurück, aber doch so, dass es nicht ausgeschlossen, sondern erweitert wirkt (vgl. Lk 22,19 f.14). Lukas denkt σωτηρία weniger von der Negativfolie Sünde und Verwerfung her, also als „Rettung“, sondern radikal als gottgeschenkte Lebensmacht, und in diesem Sinn als den Menschen ganzheitlich – physisch, religiös, sozial und endzeitlich – umfassendes Heil, und zwar im Sinne entgrenzter herrscherlicher εὐεργεσία.15 Nicht ein servandus ist der Mensch, also einer, der der allseits herrschenden Sündenverfallenheit zu entreißen wäre, sondern ein corrigendus, dem es an Einsicht in das Gotteswirken mangelt und der so zu – individuell zurechenbarem – Fehlverhalten neigt.16 Falsche Einsicht wie Fehlverhalten deuten freilich tiefer auf den verkehrten Standort, die verfehlte Disposition, die notwendige μετάνοια, sei es die des Juden oder des Heiden.17 Nicht der Tod Jesu, sondern seine Auferweckung und himmlische Erhöhung  – im tiefsten Sinn entgrenzende Vorgänge – begründen die unbegrenzte Herrschaft des σωτήρ.18 to the End of the Earth” (Acts 13:47): God as Saviour in the Acts of the Apostles, in: Witness to the Gospel. The Theology of Acts, hg. v. I. H. Marshall / ​D. Peterson, Grand Rapids, Mich. 1998, 83–106; Gert J. Steyn, Soteriological Perspectives in Luke’s Gospel, in: Salvation in the New Testament. Perspectives on Soteriology, hg. v. J. G. van der Watt, NT.S 121, Leiden 2005, 67–99 (statistisch: 69–72); Hermie C. van Zyl, The Soteriology of Acts: Restoration to Life, ebd. 133–160 (statistisch: 133–135); Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), 37–44. Zum religions-, begriffs‑ und motivgeschichtlichen Hintergrund auch Franz Jung, Σωτήρ. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament, NTA 39, Münster 2002, bes. 265–293 (mit für Lk / ​Apg insgesamt wohl zu einseitiger Gewichtung der alttestamentlichen Tradition). 14 Das Logiengut entnimmt Lukas seiner Tradition, aber gerade so akzeptiert er es, ohne es freilich zu akzentuieren. Apg 20,28 ist dagegen vorrangig ekklesiologisch ausgerichtet; dazu Hans Jörg Sellner, Das Heil Gottes. Studien zur Soteriologie des lukanischen Doppelwerks, BZNW 152, Berlin 2007, 467–476; Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), 108–110, 345. Zur Heilsbedeutung des Todes, genauer: des Lebens (und so auch des Sterbens) Jesu, bei Lukas Christfried Böttrich, Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas, in: Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, hg. v. J. Frey / ​J. Schröter, WUNT 181, Tübingen 2005, 413–436; Sellner, Heil, 476–480. 15  Zum ganzheitlichen Charakter des lukanischen Heilskonzepts Steyn, Perspectives (s. Anm. 13), bes. 95; Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), bes. 16 f., 44, 343 f., 347 f.; zum Motiv der Wohltätigkeit des irdischen wie erhöhten Kyrios (Lk 22,25–27; Apg 10,38; vgl. 4,9) van Zyl, Soteriology (s. Anm. 13), 146 f.; Jantsch, Jesus, 350 f. u. ö. 16  Dies hat Jens-Wilhelm Taeger überzeugend dargelegt: Der Mensch und sein Heil. Studien zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas, StNT 14, Gütersloh 1982, bes. 225–228. Bei Taeger ist statt vom homo servandus vom salvandus die Rede. Dieses Wortfeld lässt sich aufgrund der Kongruenz salvare / ​σῴζειν für Lukas jedoch schwerlich in Abrede stellen. 17  Dies zeigt Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), 45–55, 91–94, 344. 18  So eindringlich Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), bes. 123–126, 137–140, 345 f.

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Die Umkehr ist keine Flucht aus den apokalyptischen Nöten des Zorngerichts, sondern zuerst freie Zuwendung zum Christsein, das sich für Lukas als „die humane und universale Weltreligion der erfüllten Geschichte“19 darstellt. Das Heil wird seiner konventionellen Fixierungen entkleidet, konsequent „universalisiert und individualisiert“20 und doch zugleich als Mitte und Zielpunkt einer neuen, geistgewirkten Gemeinschaft entdeckt, die die Universalität einschließt, weil dem Erhöhten die Welt zu Füßen liegt (vgl. Apg 2,34).21 So tritt das Opus Lucanum insgesamt als eine Sequenz erzählter Heilsbilder vor Augen, die Lukas zu einem Klassiker narrativer Soteriologie werden ließ. Dies gilt in Jesu Bios von der Empfängnis bis zur Himmelfahrt, jeweils kraftvoll mit biblisch fundierten, aber kulturell verbreiteten Signalmotiven ansichtig gemacht.22 Im zweiten Logos dient die aus der romanhaften und epischen Erzählweise bekannte Motivfigur „Gerade noch einmal davongekommen“23 zur Illustration der göttlichen Heilsführung, wobei Lukas gezielt mit der Mehrschichtigkeit des Wortfelds spielt (vgl. z. B. Apg 27,34). Erst vor diesem Hintergrund wird der Humor der Apg als Soteriologumenon verständlich: Lukas nimmt Erlösung ernst. So ergibt sich wie von selbst der letzte Grund aller Entgrenzung: Der Auferstandene und Erhöhte ist der πάντων κύριος (Apg 10,36). Es ist die universale Herrschaft des „Heilands“ (σωτήρ), die die Weltgrenzen aufhebt.24 Alle Entgrenzungen sind die notwendigen Folgen eines Positivums: Christsein ist Beziehung zum Kyrios aller. Zusammengefasst: Lukas entgrenzt das Heilskonzept des Urchristentums geographisch, kulturell, ethnisch, chronologisch und theologisch. Er variiert nicht einfach vorgegebene Traditionen, sondern stellt sie in ein eigenes, biblisch-jüdisch verwurzeltes und tief von der paganen Welt, in der er lebt, geprägtes Gottes‑ und Menschenbild. Das heißt nicht, dass er sich seiner Umwelt unterwirft oder besinnungslos anschmiegt. Er beansprucht, diese besser zu verstehen, als diese sich selbst versteht, weil er das Evangelium kennt, das ihre Seele sein soll. Von daher ist die – im Humanismus des 19. / ​20. Jahrhunderts vielleicht allzu sehr 19 So Taeger, Mensch (s. Anm. 16), 227 mit Hans von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968, 118, der hier eine Ähnlichkeit mit dem Martyrer Justin feststellt. 20  Jantsch, Jesus (s. Anm. 11), 350. 21  Vgl. Green, Salvation (s. Anm. 13), 91 f.; Rowe, World (s. Anm. 9), 124 und in breiterer Perspektive 140–156. 22  Zum Empfängnismotiv näher Gudrun Nassauer, Göttersöhne: Lk 1.26–38 als Kontrasterzählung zu einem römischen Gründungsmythos, in: NTS 61 (2015) 144–164; zum Himmelfahrtsmotiv Knut Backhaus, Religion als Reise. Intertextuelle Lektüren in Antike und Christentum, Tria Corda 8, Tübingen 2014, 273–297. 23  Zu diesem Leitmotiv vgl. das Kapitel „When all seems lost“ in: Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987, 12–57. 24  Vgl. eingehend Rowe, World (s. Anm. 9), 103–126.

1. „Ungehindert“ – Über die entgrenzende Kraft einer Meistererzählung

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strapazierte – Areopagrede am Ende denn doch lukanisches Programm: Christsein ist Menschsein, das sich selbst in Gott findet.25 Lukas ist bereits als Christ von der paganen Mehrheitskultur so geprägt, dass er sie – kritisch und selbstbewusst – nicht als Fremdes wahrnimmt: Er ist Zeitgenosse, weil ihm nichts anderes übrigbleibt, aber er ist im Neuen Testament der wachste Zeitgenosse. Mit einem durch solche gezielte Zeitgenossenschaft geschärften Blick stellt er den sozialen, individuellen, universalen und radikalen Heilsanspruch des Evangeliums wie kein anderer urchristlicher Theologe heraus. Es ist das Geschöpf als solches, das zur Lebenstiefe aus Gottesnähe berufen ist. In diesem Sinn ist der Titel dieses Sammelbands umfassend gedacht: Apg ist das narrative Dokument einer Entgrenzung des Heils. 1.2 Entgrenztes Narrativ Apg handelt nicht nur von Grenzübertritten; sie ist selbst eine Grenzschrift im literatur‑ und theologiegeschichtlichen Sinn. Als einzige Schrift des Urchristentums durchbricht sie die Gattungsgrenze des Jesus-Bios auf die Historia der Jesus-Bewegung hin und verbindet dabei schöpferisch Motive und Funktionen von bios-zentrierter Historiographie, Epos und Roman miteinander. Geschrieben wurde sie für eine Schwellenphase, als sich die Jesus-Bewegung anfanghaft etabliert hatte und einerseits zögernd, andererseits offensiv daran ging, den Anschluss an die kulturellen Standards der Mehrheitsgesellschaft zu suchen. Es gehört, recht betrachtet, ein starker Optimismus dazu, wenn Lukas die Geschichte und sublim auch die Theologie des Urchristentums mit Entlehnungen aus epischem Fundamentalmythos und teils burleskem, teils pathetischem Reiseabenteuerroman vor Augen führt und so christliche Öffentlichkeit mit einem verblüffend innovativen Kulturwillen inszeniert. Entgrenzt wurde das lukanische Narrativ vor allem durch die, die es lasen. Meistererzählungen sind auch in dem Sinn nach vorne offen, als sie im Laufe ihrer Rezeptionskarriere neue Lektüreweisen aus sich hervortreiben. Das Sinnstiftungsbedürfnis wird ein anderes, weil die neue Gegenwart einer neuen Vergangenheit bedarf.26 Meistererzählungen wechseln ihre Funktion, wenn die Meister der Erzählungen wechseln. Wir lesen Apg heute wohl weniger wie ein Adressat ihrer Entstehungszeit als vielmehr wie einer ihrer Renaissance, als sie – nach geraumer Zeit, in der sich kaum Lektürespuren finden – kirchlich „entdeckt“ wurde. Welche Wirkung Apg entfalten sollte, wurde weithin in der großkirchlichen Sattelzeit gegen Ende des zweiten Jahrhunderts festgelegt, der wir allererst 25  Zur Anthropologie der Areopagrede Taeger, Mensch (s. Anm. 16), 94–103. Diese anthropologische Bestimmung des Christseins schließt die Herkunft und bleibende Bezugnahme auf Israel ein; so auch Taeger, Mensch, 103. 26  Jarausch / ​Sabrow, Meistererzählung (s. Anm. 3), 18.

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

den programmatischen Titel „Geschichte der Apostel“ und die Zuschreibung zu einem Apostelschüler verdanken. So diente Apg im kanonischen Prozess von Anfang an als „erwünschter Sonderling“, genauer: als Brückenschrift, die meist den Abstand zwischen den Jesus-Bioi und den apostolischen Briefen überwand und so – scheinbar von außen – ein Gesamtbild der kirchlichen Stiftungsepoche gewinnen ließ. Die lukanische Brücke, die einst die Ufer Israel / ​Jesus-Bewegung verbunden hatte, überbrückte jetzt den Graben Jesus / ​Kirche. In ihrer weiteren Sinnlaufbahn hat die alte Meistererzählung, wo sie neue Aktualität gewann, Entgrenzungen in höchst verschiedene Richtungen inspiriert. Der malerische Darstellungsstil der Apg übt nicht nur eine anziehende Wirkung auf Kunst und Kirchenjahr aus, sondern wird, namentlich mit den Motiven von grenzsprengendem Pfingstgeschehen und utopischer Urgemeinde, zum Antrieb für engagierte Minderheiten von den Ordensbewegungen über den religiösen Sozialismus bis zu den „Pentecostals“. Die Einsicht „Man muss Gott eher gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29) hat mit ihrem Aufbegehren gegen verfestigten Machtmissbrauch Politikgeschichte geschrieben. Das provozierend offene Ende der eigenen Herkunftserzählung vom Urchristentum mag auch heute christliche Leser nach vorne, auf Zukunft hin, ausrichten: Ob das Evangelium „ungehindert“ bleibt, liegt nicht zuletzt an denen, die ihm (und sich) „mit allem Freimut“ grenzsprengende Kraft zutrauen. Allerdings bietet die lukanische Herkunftsgeschichte keine normative Vorgabe für heutige Problemstellungen. Für diese bedarf es unmittelbar der theologischen Vernunft und der lebenspraktischen Verantwortung, nicht des erzählten VorBilds. Aber indem Apg deutend vom Ursprung der kirchlichen Existenz und den Chancen und Risiken einer christlichen Schwellenzeit – der erzählten und der des Erzählers – handelt, gibt sie Impulse für eine christliche Kultur, die heute im deutschsprachigen Raum wie weltweit in einem epochalen Transformationsprozess und damit ihrerseits in einer Schwellenzeit steht, mithin wiederum Grenzen zu überschreiten hat. In diesem Sinn ist Apg ein aktuelles Buch, dessen Kairos vielleicht gerade erst anbricht. Solche Aktualität kommt freilich nicht dadurch zur Geltung, dass wir Apg im Quo-Vadis-Stil romantisierend verklären oder anachronistisch als Codierung unserer eigenen Zeitgeschichte lesen. Die meisten Beiträge dieses Bandes suchen Apg religionsgeschichtlich in deren eigener Zeit auf. Gerade so beobachten wir, dass das Gedächtnisbild, das einst unter ganz andersartigen Umständen geformt wurde, ein Potential besitzt, das noch immer wirksam werden kann. Nicht um die geschichtliche Parallele geht es dabei, sondern um die heuristische Analogie. Die letzten Beiträge dieses Bandes versuchen solche lukanischen Impulse konkreter zu beschreiben.

2. Die Apostelgeschichte – eine erste Verortung

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2. Die Apostelgeschichte – eine erste Verortung Eine knappe Skizze des historischen Orts der Apg, wie er sich mir derzeit darstellt, sei den Studien vorangeschickt.27 Die „Apostelgeschichte“ genannte historiographische Teilmonographie ist im ersten Drittel des zweiten Jahrhunderts verfasst worden. Sie verfolgt das Ziel, einer sich allmählich etablierenden christlichen Öffentlichkeit mit den Mitteln intentionaler Geschichtsschreibung und in einer durch Elemente des Epischen und Romanhaften vertieften und aufgelockerten Form soziale Erinnerung und damit geschichtlichen Richtungssinn, theologisches Selbstbewusstsein und einen kulturellen Standort auf Augenhöhe mit der Mehrheitsgesellschaft zu geben. Der unbekannte Verfasser hat nach der konventionellen Fachmeinung auch das dritte Evangelium verfasst. Ihn „judenchristlich“ zu verorten ist nur möglich, wenn man bereit ist, dieses unscharfe Adjektiv denkbar weit zu fassen. Die (im heutigen Sprachgebrauch) „alttestamentliche“ Verwurzelung des Opus Lucanum belegt biblische Bildung und theologischen Traditionswillen, aber nicht ohne Weiteres ethnische Abkunft. Vielmehr behandelt Lukas die Tora zwar ohne religiöse Polemik und mit kulturellem Respekt als mos maiorum der Jesus-Bewegung, aber er zeigt keinerlei aktuelles, gar soteriologisches Interesse an Fragen wie der Reinheitshalacha oder Beschneidung, die im Judentum des ersten / ​zweiten Jahrhunderts – wie immer man sie auffasste – jedenfalls nicht gleichgültig waren. Anders als etwa für Paulus liegen die Auseinandersetzungen um diese Fragen für Lukas geklärt oder verklärt in der Vergangenheit. Die Trennung vom synagogalen Judentum ist allem Anschein nach vollzogen. Mittlerweile ist Neues gewachsen, und die Miletrede des Paulus deutet auf neue Probleme. Das Christentum hat seine Eigendynamik in der Geschichte gefunden – dem Anspruch nach „ungehindert“. „Best guess“ für den Entstehungsort ist Asia Minor, vielleicht Ephesus. Bei den ursprünglichen Adressaten ist weniger an eine bestimmte Ortsgemeinde zu denken als an eine christliche „Leserschaft“. Zu den Grenzüberschreitungen des Auctor ad Theophilum gehört somit auch der Gang in den medialen Betrieb: Er inszeniert Öffentlichkeit. Das auktoriale, generische, narrative, konzeptionelle, textpragmatische, re­ zeptionsästhetische und kanonische Verhältnis zwischen Apg und Lk bedarf aus meiner Sicht einer umfassenden Revision.28 Die Zuschreibung an den Paulusbegleiter Lukas ist ein Konstrukt aus der Zeit des Irenäus von Lyon, in der es einer jetzt „apostolisch“ fundierten Herkunftsmemoria bedurfte. Diese Lektürematrix 27 Die Begründung für das thesenhaft Umrissene wird großenteils in den folgenden Beiträgen geboten und mit der einschlägigen Forschungsliteratur korreliert. Es soll vor allem in meinem Apg-Kommentar (EKK) ergänzt, am Einzeltext erprobt und vertieft (oder berichtigt) werden. 28  Ich widme mich diesem Verhältnis in meiner derzeit im Rahmen eines Opus Magnum-Projekts entstehenden Studie „Das lukanische Doppelwerk. Zur literarischen Basis frühchristlicher Geschichtsdeutung“.

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

führt etwa gleichzeitig auch zum Titel πράξεις τῶν ἀποστόλων / ​acta apostolorum, der weniger auf den tatsächlichen Inhalt des zweiten Logos eingeht als ein Einheits‑ und Kontinuitätsanliegen der kirchlichen Rezeption bezeichnet.29 Zu diesem Zweck ist der zweite Logos – nachdem er zunächst kaum sichtbare Wirkung hinterlassen hat – seit Irenäus und Tertullian zu einer zweiten Karriere wiederentdeckt worden. Die Actaforschung muss sich bewusst halten, dass sie die ursprüngliche „Apostelgeschichte“ hinter dieser großkirchlichen Fixierung zu suchen hat. Apg stellt ein Erinnerungsgemälde dar, aber sie selbst ist zwei Generationen später auf einem solchen auch erfasst. Aus dem lukanischen Herkunftsnarrativ von der biblischen Vergangenheit des werdenden Christentums wurde das kontroverstheologische Stiftungsnarrativ vom apostolischen Adel der Großkirche. Auch Apg hat ihren „third quest“: Sowohl der historische Optimismus, das „Urchristentum“ mit Apg wiederzuentdecken, als auch der kerygmatische Isolationismus, der Apg von der zeitgenössischen Literatur trennte, haben die Perspektive allzu sehr verkürzt. Es gilt den religions‑ und kulturgeschichtlichen Boden wiederzugewinnen, auf dem Apg als eine Antwort gelesen werden konnte.

3. Die Beiträge dieses Bandes Die hier vorgelegten Beiträge zur Actaforschung bewegen sich unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten um das Thema der Entgrenzung. In seinen vielfältigen Facetten weist es letztlich auf die lukanische Soteriologie, in der das „Heil“ seine Beschränkungen verliert, um zum christologisch fundierten Beziehungsbegriff zu werden. Die Studien führen nicht zu einem Gesamtbild der Apg, wenn sie ein solches auch vorbereiten wollen. Sie geben eher Auskunft über eine nun zwanzigjährige Verstehenssuche. Der älteste Beitrag dieses Bandes – er stammt aus dem Jahr 1998 – ist die kleinere Rezension eines wertvollen Opus­ culums von Hans-Josef Klauck, das mir, wie ich im abschließenden Aufsatz schildere, eine Initialzündung wurde. Die komparative Perspektive, die mich an Klaucks Opusculum faszinierte, prägt fast alle Beiträge dieses Bandes. Die altertumswissenschaftliche Interdisziplinarität im Allgemeinen und die Konstruktivitätsdebatte im Besonderen traten vor allem durch die Beteiligung an der Gradu­ ate School „Distant Worlds“ der LMU München in mein Blickfeld. Seit ich den Auftrag übernahm, Apg im Rahmen des Evangelisch-Katholischen Kommentars zu kommentieren, arbeite ich regelmäßig und systematischer an Apg; die meisten der Beiträge sind daher in den letzten zehn Jahren entstanden.

29 Dazu Christopher Mount, Pauline Christianity. Luke-­Acts and the Legacy of Paul, NT.S 104, Leiden 2002, 40, 42 f.

3. Die Beiträge dieses Bandes

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Die ersten beiden Beiträge verorten den Band forschungsgeschichtlich. Beitrag 2 (Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur. Interdisziplinäre Annäherungen) gibt einen Überblick über Geschichte und Gegenwart der Actaforschung als Forum des Trialogs zwischen Alter Geschichte, Klassischer Philologie und Neutestamentlicher Exegese. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert gehörten die drei Disziplinen in wechselseitigen Lern‑ und Streitprozessen zueinander. Mit der dialektischen und kerygmatischen Theologie, aber auch der Formgeschichte, insofern sie auf der Eigengesetzlichkeit der urchristlichen Kleinliteratur bestand, setzte eine Selbstisolation der neutestamentlichen Wissenschaft an. In jüngerer Zeit weiten sich unter den Vorzeichen der Enthierarchisierung von Texten, des Konstruktivismus und New Historicism die Perspektiven und inspirieren eine neue, alle drei Seiten bereichernde Transdisziplinarität. Die Entgrenzung der Fachperspektiven wird durch eine entgrenzende Schrift inspiriert. Diese makroskopische Sicht wird in Beitrag 3 durch einen Literaturbericht (Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung) konkretisiert, der einen maßgeblichen Kommentar, zentrale Sammelbände und repräsentative Monographien im Einzelnen vorstellt. Aufgenommen sind 15 intensivere Besprechungen aus den Jahren 1998 bis 2018, die das Verhältnis der Apg zur griechisch-römischen Geschichtsschreibung, zu Schlüsselthemen der jüngeren Acta-Forschung (Gottesbild, Paulinismus, frühchristliche Selbstdefinition, offener Erzählschluss) und zur komparativ-religionsgeschichtlichen Arbeit an Apg behandeln. Das für die Auswahl entscheidende Kriterium war die Repräsentativität der Studien, ob sie nun von längst etablierten Lukas-Exegeten stammten oder frische Erstlingsschriften waren. Nur solche Studien werden im Einzelnen besprochen, die den jeweiligen Stand der Actaforschung widerspiegeln und diese zugleich mit nachhaltiger Wirkung fortgeschrieben haben. So erklärt sich, dass die Besprechungen ungeachtet mancher Einzelkritik insgesamt zur Affirmation neigen. Wer die besprochenen Arbeiten wahrnimmt, gewinnt einen Eindruck von dem methodologischen Fortschritt der Actaforschung. Insofern ich mich diesen Studien in Anschluss und Kritik verpflichtet weiß, löse ich damit auch eine Dankesschuld ein und ermögliche es, die Beiträge dieses Bandes der fachaktuellen Entwicklung zuzuordnen. Beitrag 4 (Zur Datierung der Apostelgeschichte. Ein Ordnungsversuch im chronologischen Chaos) zeichnet die in jüngster Zeit, vor allem im englischsprachigen Raum, wieder lebhafte und sehr kontroverse Diskussion um die Datierung der Apg nach, wertet das üblicherweise herangezogene Quellengut aus, wägt die Argumente und Argumentationscluster ab und gelangt zu dem Ergebnis, dass der zeitliche Ansatz im ersten Drittel des zweiten Jahrhunderts die größte Wahrscheinlichkeit besitzt. Zu den großen Leitthemen der Kulturwissenschaften gehörte spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts  der Konstruktivismus, wie er sich

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Die Apostelgeschichte: Anspruch und Aktualität

bereits im linguistic turn angekündigt hatte und im New Historicism niederschlagen sollte. Die drei folgenden Beiträge widmen sich diesem Problemfeld unter literaturgeschichtlichem, exegetischem und religionsgeschichtlichem Aspekt. Die neutestamentliche Exegese mag hier als Nachzüglerin erscheinen, die sich mit diesem „turn“ erst dann befasste, als er kulturwissenschaftlich gewissermaßen durchgereicht war. Für den theoretischen und terminologischen Überbau ist dieser Eindruck nicht unberechtigt, aber in der Sache war die neutestamentliche Exegese in mancher Hinsicht eher Vorreiter: Die Diskussionen um das konstruktive Element ihrer Schriften (als „Tendenzliteratur“, „Gemeindetheologie“, „kerygmatisch überformt“ usw.) wurden seit dem 19. Jahrhundert sehr rege geführt, während die Nachbardisziplinen ihre eigenen Quellen nicht selten positivistisch auszuwerten pflegten30. Im Ergebnis geben die drei Studien dem fiktionalen Erzählmodus in der antiken Geschichtsschreibung und so auch in Apg breiten Raum, plädieren aber für die Annahme der kreativen Re-Imagination eines geschichtlich ausweisbaren Richtungssinns. Beitrag 5 (Spielräume der Wahrheit. Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung) verfolgt das intensive Ringen um fiktionale Modi der Historiographie in der griechisch-römischen Antike, sei es in den rhetorischen Wissensspeichern und Theorieabhandlungen oder der praktischen Ausführung. Die konzeptionellen Entwürfe und erzählpragmatischen Prämissen stellen sich zwischen Thukydides und Prokop von Cäsarea, Flavius Josephus und Lukian von Samosata – um nur vier polare Gestalten zu nennen – naturgemäß höchst unterschiedlich dar. Gleichwohl stoßen wir, gerade auch für das erste / ​zweite Jahrhundert, auf wahrnehmungs‑ und darstellungsleitende Faktoren aus der rhetorischen Vergegenwärtigungslehre, der mimetischen Erzählung in Epik, Drama und Roman und der paideutischen Charakterbildung, die es uns erlauben die Fiktionsgrenzen näher zu bestimmen. Dabei werden, wiederum mit sehr verschiedenen Freiheitsgraden, ästhetische, intellektuelle und ethische Grenzen sowie der grundsätzliche Anspruch auf extratextuelle Kontrollierbarkeit sichtbar. Die Genrebezeichnung „Dokudrama“  – im Englischen findet sich gar das Oxymoron real fiction  – trifft die hier herrschende Medialisierung von Wahrheit nicht schlecht. Beitrag 6 (Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche) wendet diese Einsichten auf das konstruktive Ordnungshandeln in der lukanischen Erzählkunst an: Lukas, den die Legende nicht ohne Grund als Maler 30 Das konstruktive Element beim Historiographen Lukas, das heute umfassend und kontrovers diskutiert wird, hat pionierhaft Martin Dibelius, Der erste christliche Historiker (1948), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 5 1968, 108–119 erschlossen. Bei ihm findet sich auch, vielleicht erstmals in diesem Zusammenhang, der hilfreiche Begriff des Richtungssinns (ebd. 110, 113, 118 f.), den wir in dieser Studie häufiger benutzen, um das Changieren zwischen Referenzleistung und Darstellungsgestalt zu markieren.

3. Die Beiträge dieses Bandes

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zeichnet, malt bedeutsame Historienbilder. Er entwirft ein Gedächtnisgemälde der Jesus-Bewegung, indem er  – im Modus „apologetischer Historiographie“ (Hans-Joachim Gehrke) – das gegenwärtige (und so auch das erwünschte künftige) Christsein in der geschichtlichen Tiefe einer erzählerisch geordneten Vergangenheit verankert. Dabei kommt dem biblischen Bezugssystem bedeutungsstiftende Funktion für die Gewinnung gruppeneigener Vergangenheit (und erwünschter Zukunft) zu. Lukas erhebt durchaus einen dokumentarischen Anspruch, aber er erhebt ihn in Form eines einleuchtenden emplotment der extratextuellen Referenz. So erweist sich Apg als Herkunfts‑ und Stiftungsmemoria des Christentums, die dessen Anfänge vereinheitlicht, teleologisch ausrichtet, sakralisiert und in gemessenem Rahmen theologisch rearrangiert. Beachtet die Actaforschung diese intentionale Eigenart, vermag sie auch Kriterien für eine behutsame historische Rückfrage zu entwickeln. Beitrag 7 (Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses) führt die skizzierten Linien unter dem Gesichtspunkt antiker Wahrheitskonzeptionen zusammen. Er untersucht die verschiedenen Möglichkeiten von „Fiktionalitätsverträgen“ und die Fiktion als (mit Augustinus gesprochen) aliqua figura veritatis. Wahr ist die Imagination des „Gesamtsinns“; Fiktion und Wahrheitsanspruch können einander durchaus ergänzen. Der Plot des Historiographen verhilft der Vergangenheit dazu, wahrheitsfähig zu werden; er gibt der Wahrheit gewissermaßen Hand und Fuß, indem er sie inszeniert, komprimiert, arrangiert, koloriert und expliziert. Religiöse Vorstellungsfiguren ordnen sich dem Plot gemeinhin unter und bieten – je nach Verfasser in unterschiedlichem Ausmaß – allenfalls (mögliche) Deutungsmuster. Dies ist in der indigenen Historiographie anders: Das Walten der Gottheit wird zur plot-bestimmenden Voraussetzung. Vor diesem Hintergrund wird die historiographische und theologische Ordnungsleistung des Lukas gewürdigt. Er hat jene Asphaleia geschaffen, derer die Christen der frühkirchlichen Schwellenzeit bedurften, um sich in der Geschichte zurechtzufinden, als deren Akteure sie sich – etwas unvorbereitet – wiederfanden. Einem – literarisch wie theologisch – unterschätzten Thema wendet sich Beitrag 8 (Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte) zu: dem lukanischen Humor – ein Begriff, der genauer Definition, diachroner Differenzierung und kriterieller Überprüfung bedarf. Lukas achtet auch hier auf das πρέπον, die angemessene Beziehung zwischen Sache und Stil. In der zweiten Hälfte der Apg, in der die pagane Kultur in ihrer ganzen Buntheit in Szene gesetzt wird, häufen sich humorvolle Episoden. Der Beitrag entwickelt an einer Detailstudie – zum redaktionell geformten Rede-Agon zwischen dem satirisch gezeichneten Anwalt Tertullus und dem demonstrativ seriösen Paulus (Apg 24) – einen ersten Eindruck vom Humor des Verfassers. Dies erleichtert den Durchgang durch das ganze Buch, in dem von der feinen Ironie bis zur Slapstick-Szene vielfältige Formen des „Komischen“ wirksam sind. Antiker Humor sprengt (nach seinem Selbstverständnis) Erwartungshaltungen

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und lebt daher von Rollenrochaden. Genau dies lässt sich bei Lukas verfolgen, indes nicht in einer vordergründigen Unterhaltungsabsicht, sondern vielmehr in einer soteriologischen Revision seiner Traditionen. Es ist die selbstbewusste Offenheit des Lukas gegenüber der paganen Kultur, die am Ende auch auf sein Modell vom Christsein wärmend und weitend rückwirkt. Humor wird zur angewandten Soteriologie. Beitrag 9 (Christologia Viatorum. Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte) widmet sich mit Lk 24,13–35 einem Text des ersten Logos, sieht in diesem jedoch die christologischen (und, davon nicht zu trennen, ekklesiologischen) Leitlinien der Apg vorgezeichnet. Die Emmaus-Erzählung enthält en miniature jene Elemente, die für das Narrativ der Apg bestimmend werden: das Wegmotiv, das Brotbrechen, die christozentrische Schriftauslegung, die Gemeinschaft der Apostel und vor allem die unsichtbare, aber wirksame Begleitung der Jünger durch den Auferstandenen. Die „Mitte der Zeit“ ist der bleibende Zustand der Kirche, weil der Auferstandene ihr „mitgehender Anfang“ ist. Das literarische Verhältnis Lk / ​Apg wird zum christologischen Programm: Kirche ist Fortsetzung der Biographie des Auferstandenen in der Geschichte. So lässt sich hier eine Einsicht vertiefen, auf die unsere Studien immer wieder stoßen: Im Wesentlichen ist Apg gegen den Augenschein ein christologisches Buch. Beitrag 10 (Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte) stammt aus einem Symposium zu den Wechselbeziehungen zwischen dem Neuen Testament und Flavius Josephus. Im Hintergrund der Apg-Lektüre stand der heuristische Blick auf Contra Apionem. Zur apologetischen Historiographie kultureller Minderheiten im römischen Reich gehört das Anciennitätsargument: Alter und Abkunft waren Attraktivitätsfaktoren. Lukas entlehnt beides für die junge Jesus-Bewegung von Israel und seiner unvordenklichen biblischen Tradition, als deren Hüter der (christliche) „Weg“ erscheint. Als Gedächtnisexperte der werdenden Kirche erarbeitet Lukas so eine bedeutungsvolle und verbindliche Vergangenheit, ein legitimierendes Herkunfts‑ und Stiftungsnarrativ und ein relationales Identitätsfeld in der unvordenklichen Tiefe der Zeit. Was dem römischen Zeitgenossen Troja ist, wird Jerusalem für das Christentum, und die Tora wird als mos maiorum zum geschätzten Kulturfaktor. Mit einem kaum angemessen wahrgenommenen Zentralkapitel befasst sich der folgende Beitrag 11 (Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12). Die ebenso bunte wie irritierende Textsequenz wirkt wie ein Fremdkörper im sonst glatten Erzählverlauf. Tatsächlich betritt hier erstmals das werdende Christentum als Subjekt einer geschichtlichen Eigendynamik die Bühne der Historiographie. An einem politischen Ereignis, dem spektakulären Tod des Königs Agrippa I. bei einer Herrschaftsschau im Jahr 44, erprobt Lukas die Deutungsparameter der jüdischen wie paganen Geschichtsschreibung für die Jesus-Bewegung. Der Vergleich mit der narrativen Parallele in den Anti-

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quitates Iudaicae des Flavius Josephus zeigt, wie Lukas durch literarische Kontextualisierung und mit einem sublim entwickelten Interpretationsanspruch dem „Weg“ – in unbescheidenem Kontrast zu „Herodes“ Agrippa (unter Einschluss von Antiochos IV. Epiphanes und Nero) – sein eigenes Recht in der Geschichtsschreibung erobert. Die in der biblisch-jüdischen Historiographie verwurzelte Verbindung von theozentrischem Geschichtsverständnis und biographischer Grundstruktur sollte im Christentum mustergebend werden. Die in den Beiträgen 5 bis 7 erarbeitete Perspektive auf die Eigenart der lukanischen (Re‑)Konstruktion bewährt sich beim Blick auf den Hauptaktanten der Apg. Beitrag 12 (ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ. Paulus als theologischer Topos in der Apostelgeschichte) fragt nicht nach dem historischen Apostel, aber auch nicht nach Apg als Roman, sondern nach der sozialen Konstruktion Paulus, die eben keine reine Fiktion darstellt, sondern eine extratextuell informierte Erzählfigur. Paulus, der vir vere Israeliticus und vir vere Romanus, verkörpert den geführten heilsgeschichtlichen Weg der Jesus-Bewegung an (im Wortsinn) neue Ufer. In dem „Theologumenon“ Paulus verdichtet sich der Heilsweg: das Geführtsein durch Gott, die Nähe des Auferstandenen, die jüdische Kontinuität, das Erwähltsein für die Völker. Daher wird die Erwählung des Paulus in drei Christophanieberichten aus dreierlei Sicht geschildert: aus der Erzählerperspektive und von Paulus selbst, einmal ins Jüdische, dann ins Pagane übersetzt. Der Weg des Boten zu den Völkern bietet im Zuge einer aktantenzentrierten Geschichtsschreibung eine Ekphrasis des heilsgeschichtlichen Übergangs. In Paulus reist das Gottesvolk von Jerusalem in die Mitte des Imperiums. Ist der Apostel von einst aber bereits Gedächtnisbild geworden, dürfte sich das Paulusbild der Apg kaum rezenter Erinnerung verdanken. Die Ekphrasis des Übergangs verdichtet sich in der überraschend breiten Seesturm‑ und Schiffbrucherzählung Apg 27,1–28,16, die den Vorstoß an die neuen Ufer dramatisiert: Beitrag 13 (From Disaster to Disclosure. The Shipwreck in the Book of Acts in Light of Greco-Roman Ideology) untersucht diese Erzählung religionsgeschichtlich-komparativ. Seesturm und Schiffbruch dienen in der dokumentarischen wie fiktionalen Literatur des antiken Mittelmeerraums als Spiegelbild der condicio humana in ihren Grenzsituationen, Testfall von Charakter, Verdichtung von philosophischer und religiöser Lebensdeutung. Zugleich verleiblicht sich der Übergang gewissermaßen im literarischen Genre und im erlebten Stil: Waren die beiden ersten Kapitel des Opus Lucanum ein Stück „Altes Testament“, so bieten die beiden letzten eine gängige Romanmotivik, freilich um auf solche Weise die condicio Christiana freizulegen. Der gängige Topos des Seesturms wird also „getauft“: Er dient der kulturell plausiblen Offenlegung des Christlichen. Dieser Austausch der kulturellen Land‑ und Seekarten wird in Beitrag 14 (Paulus und die Dioskuren [Apg 28,11]. Über zwei denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums) an einem eidetischen Detail beleuchtet: dem Schiffszeichen

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der Dioskuren, das Lukas bei der Schilderung des Übergangs – anders als die Kommentare – für beachtenswert hält. Der Aufsatz möchte zeigen, wie auf solche Weise – mit einer überraschenden perspektivischen Weite – das Mittelmeer als mare nostrum des Christentums kulturell befahren wird. Abermals hilft die komparative Religionsgeschichte. Die vielfältigen und durchaus konkreten De‑ und Konnotationen, die die beiden Heilandsgestalten und Frohbotschafter in der kulturellen Enzyklopädie des ersten und zweiten Jahrhunderts trugen, werden auf das Evangelium übertragen. Aus einer althistorischen-altphilologischen Tagung zur medialen Repräsentation der „exzentrischen“ Kaiser Nero und Domitian ging Beitrag 15 (Der Tyrann als Topos. Nero / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung) hervor. Das Opus Lucanum, oft als staatsapologetisch verkannt, steht hier in einer Reihe mit unerwarteten Nachbarn, vor allem der Johannes-Offenbarung und den Oracula Sibyllina. Die frühjüdisch-frühchristliche Literatur prägt einen überindividuellen Tyrannentopos aus, indem sie Elemente der medialen Inszenierung von Herrschern schöpferisch in ihr eigenes Symbolsystem (von der Christus‑ über die Kaiser‑ bis zur Teufelsdarstellung) übernimmt. Dazu eignet sich hervorragend, gerade auch für Lk und Apg, der „great communicator“ Nero, wie er breiteren Schichten, zumal in Kleinasien, vermittelt wurde. Zugleich wird deutlich, wie die altkirchliche Geschichtsschreibung bei ihrem Versuch, sich in die reichsrömische Werteordnung einzufügen, die Wertungsmaßstäbe der senatorischen Historiographie übernimmt: Die Christen sind offenkundig boni homines, wenn sie von mali principes verfolgt wurden. In ein vernachlässigtes Gebiet der Markionforschung begibt sich Beitrag 16 (Markion und die Apostelgeschichte. Ein Beitrag zum Werden des Kanons). In der Forschungskonvention wird angenommen, Markion habe den zweiten Logos des Lukas aus seinem Kanon bzw. dem kanonischen Prozess ausgeschieden. Der Beitrag untersucht das diesem Urteil zugrunde liegende Quellengut und gelangt zu dem Ergebnis, dass die weithin anachronistischen Urteile der Gewährsleute kaum tragfähig sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Markion keinen Anlass und vielleicht nicht einmal die Möglichkeit, sich zur Apg zu verhalten oder sie etwa Lukas zuzuschreiben. Allerdings befriedigt auch das jüngere Hypothesensystem nicht, nach dem der zweite Logos auf Markion reagiere, da es unter erheblichen methodologischen Defiziten und Schwierigkeiten leidet. Man wird der Stellung der Apg im zweiten Jahrhundert am ehesten gerecht, wenn man ihre zweite, jetzt großkirchliche Karriere seit Irenäus von der Ursprungslage deutlich unterscheidet. Nicht „erfunden“ wurde Apg, wohl aber „wiedergefunden“. Die drei abschließenden Beiträge dieses Bandes widmen sich in verschiedenen Richtungen der Vermittlung der Actaforschung. Beitrag 17 (No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana), in intradisziplinär-theologischem Kontext erschienen, arbeitet die Antwortstruktur des Evangeliums, betrachtet im Licht von Apg, heraus: Lukas verbeugt sich nicht vor der reichsrömischen

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Umwelt, sondern präsentiert Christsein (und Christus) als Antwort auf deren Fragen. Beitrag 18 (Im Hörsaal des Tyrannus [Apg 19,9]. Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit), hervorgegangen aus einer Rektoratsrede vor einem breitgefächerten Auditorium, nennt die Attraktivitätsfaktoren der werdenden Kirche, die Apg auf dem cum grano salis postmodernen Markt der reichsrömischen Weltkultur narrativ entfaltet. Sie haben auch heute noch, in einer überwiegend paganen (von Lukas belehrt, benutze ich das Adjektiv keineswegs geringschätzig) und pluralistischen Mehrheitsgesellschaft, ihre religiöse und kulturelle Strahlkraft nicht verloren. Mit Beitrag 19 erlaube ich mir zum Schluss ein Stück „Autobiographie“ (Die Entdeckung der Oikoumene. Exegetische Erfahrungen mit der Apostelgeschichte). Eingeladen, als Apg-Kommentator im Evangelisch-Katholischen Kommentar die ökumenischen Erlebnisse mit „meiner“ Schrift zu schildern, versuche ich zu zeigen, warum mir deren Lektüre zu einer Schule des zähen Verstehens geworden ist. Am Ende ist Religionsgeschichte nicht nur exegetische Methode, sondern existentielle Denkform und erfüllender Lebensstil.

Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur Interdisziplinäre Annäherungen Recent research on Acts finds itself at a point where vigorous discussion between exegetes, historians, and classicists ceased with the rise of form criticism almost a century ago. Problems of historical reference as well as the religio-historical framework of the Book of Acts are reconsidered under the premises of New Historicism and Post-structuralism. The exegetical, the historical, and the philological sides counterbalance their conventional shortcomings: “kerygma” is not a unique feature of early Christian tradition but its significant form of constructive tendency. In contrast, recent research on ancient sources gives more weight to the intentionality and perspectival nature of texts and develops broader interest in narrative self-conceptualisation and subversive counter-definitions of marginal strata within Greco-Roman societies. As a cross-cultural narrative, the Book of Acts may itself inspire cross-cultural research.

Die Apostelgeschichte sprengt Grenzen: geographisch, religiös, sozial, kulturell und literarisch. Ihr Plot ist nicht zuletzt deshalb als stete Reise der Aktanten angelegt, weil auf solche Weise Grenzüberschreitung erzählbar wird. Die reichsrömische Welt zieht leichtfüßig am Leser vorbei: apostolische ἰδιῶται und Stoiker, der Jerusalemer Tempel und der Areopag Athens, lykaonisches Hinterland und römische Metropole, äthiopischer Hofeunuch und philippische Wahrsagesklavin, eine Himmelfahrt und vierzehn Gerichtsprozesse, derber Dämonenschwank und Rede im genus grande. Es ist, als ob das Evangelium alle nur denkbaren Lebensorte der Antike berührt, damit ersichtlich wird, dass dieser Weite auch Tiefe eignet. Die Apostelgeschichte sprengt somit auch Fachgrenzen. Von allen frühchristlichen Schriften besitzt diese narrative Synthese das stärkste Potential, fächerübergreifend Forschung zu inspirieren. Tatsächlich erweist sich Apg zunehmend als interdisziplinäres Pionierfeld von Exegese, Klassischer Philologie und Alter Geschichte. So soll das buntscheckige Buch als Paradigma für Chancen und Risiken fachlicher Synergien in der Quellenarbeit dienen. Unter interdisziplinärem Gesichtspunkt lassen sich drei Phasen der Actaforschung unterscheiden: 1. Das selbstverständliche (und selbstverständlich schwierige) Miteinander von Klassischer Philologie / ​Alter Geschichte und Neutestamentlicher Exegese bis in die 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. 2. Die lange Zeit von kühler Distanz und peinlicher Nähe unter den Vorgaben von Form‑ und

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Redaktionsgeschichte, dialektischer und kerygmatischer Theologie. 3. Die pragmatische Vernetzung in der Forschungsgegenwart seit den 1990er-Jahren. Während das weithin unfruchtbare Intermezzo der zweiten Phase nur der Musterung bedarf, widmen wir uns der ersten Phase eingehender. Dabei leitet uns weniger das fachgeschichtliche Interesse als die gegenwartsrelevante Einsicht, dass die interdisziplinäre Forschung, erfahren und verwandelt, in vieler Hinsicht dort anknüpft, wo sie vor fast hundert Jahren aufgehört hat.

1. Forschungsgeschichte als Forschungsgegenwart 1.1 Althistorie Die meist lebensgeschichtlich bedingte Nähe zwischen humanistischer Bildung und theologischem Quelleninteresse führte am Beginn der modernen Actaforschung wie von selbst zu Querlektüren. Anders als die Altphilologie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hielten sich die Althistoriker hinsichtlich der Schwellenphase des Christentums jedoch zurück. Neben religiös-weltanschaulichen Gründen spielte dabei die unübersichtliche Quellenlage, nicht zuletzt die Unsicherheit gegenüber Apg als Referenzbasis, eine Rolle. Theodor Mommsen kosteten die knappen rechtsgeschichtlichen Beiträge zur Actaforschung,1 die er in Abstimmung mit Adolf Harnack schrieb, spürbar Überwindung: Er wolle „nicht gern in die Verhandlungen über die Apostelgeschichte hineinreden“, zumal die Theologen seine „Lucubrationen“ ohnehin nicht läsen.2 „Alle Fragen, die sich auf die Entstehung des Christentums beziehen, sind so schwierig, daß wir uns freuen, ihnen aus dem Wege gehn zu dürfen“3, notierte Otto Seeck. Das epochale Werk Ursprung und Anfänge des Christentums4 des Berliner Althistorikers Eduard Meyer (1855–1930) bildet  – wie vor ihm Leopold von Rankes Weltgeschichte5 – die Ausnahme zur Regel. Beide enzyklopädisch inter­ essierten Historiker stehen unter dem Einfluss der liberalen Theologie kulturprotestantischer Prägung; Meyer lehnt sich eng an Harnack an.6 Nicht zuletzt 1 Zu Apostelgesch. 28,16, in: SPAW (1895) 491–503 (mit Adolf Harnack); ders., Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, in: ZNW 2 (1901) 81–96. Vgl. Briefwechsel nn. 55–68, in: Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin 1997, 676–690. 2  Brief n. 58 (an Harnack, 8. 5. ​1895), in: Rebenich, Mommsen (s. Anm. 1), 679 f.: 680. 3 Geschichte des Untergangs der antiken Welt, 6 Bde., Stuttgart (1909) 21921, III: 175; dazu Eckhard Plümacher, Eduard Meyers „Ursprung und Anfänge des Christentums“. Verhältnis zu Fachwissenschaft und Zeitgeist, in: Eduard Meyer. Leben und Leistung eines Universalhistorikers, hg. v. W. M. Calder / ​A. Demandt, MnS 112, Leiden 1990, 344–367: 344 f. 4  3 Bde. (Stuttgart 1921–1923), Nachdruck: Darmstadt (4/51924; 4/51925; 1–31923) 1962. Apg wird im dritten Band behandelt; vgl. bes. ebd. III: 3–36. 5  III / ​1, Leipzig 1883, 170–193. 6  Zum Verhältnis Meyers zu Harnack eingehend Johanna Jantsch, Die Entstehung des

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daraus erklärt sich, dass sie einerseits den dokumentarischen Status der Apg optimistisch beurteilen, andererseits den jüdischen Verstehenshorizont unterschätzen. Meyer betont mit Verve den historiographischen Charakter der Apg und setzt sich damit von der aretalogischen Engführung durch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff ab, der es als „unverzeihlich“ empfand, in Apg ein historisches Werk oder gar eine neue Textsorte zu sehen.7 Zugleich wendet Meyer sich gegen die Verwechslung von Textsorten mit eindeutigen Zuschreibungskategorien – ein Fehler, den die Gattungskritik der Apg bis heute nicht recht überwunden hat. Auch andere Leitthemen gegenwärtiger Forschung finden sich im Ansatz bereits bei ihm: die harsche Kritik an der kanonisch bedingten Zerreißung des Doppelwerks,8 der sensible Titelvorschlag Acta Jesu Christi und der Sinn für die damit verbundene sublime Leserlenkung, die man heute als absentee christology bezeichnet,9 die Resistenz gegen ein romantisch verklärtes oder dogmatisch normiertes „historisches“ Paulusbild,10 die Verortung der Apg im Wirkungs‑ und Echoraum des Paulus,11 diffus das Denkmodell der intentionalen Geschichtsschreibung. Auch die lange Zeit (außerhalb Christentums bei Adolf von Harnack und Eduard Meyer, Bonn 1990; zur Apg ebd. 124–127, 203–205.  7 Vgl. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Die griechische Literatur des Altertums, Nachdruck: Stuttgart (1905/31912) 1995, 262. Wundererzählungen gehören durchaus zur „mimetischen“ Historiographie, wie sie auch auf das Interesse sozial inferiorer Schichten stieß; dies zeigt detailliert Eckhard Plümacher, Τερατεία. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte (1998), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 33–83.  8  Meyer fordert „eine einheitliche Bearbeitung und Kommentierung des Gesamtwerks“ (Ursprung III [s. Anm. 4], 5), wie sie mittlerweile durch Robert C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-­Acts. A Literary Interpretation, 2 Bde., Philadelphia, Pa. / ​Minneapolis, Minn. (1986/1990) 1991/1994 vorgelegt und in der Alltagsexegese perspektivisch selbstverständlich geworden ist.  9  Mit eigenem Ansatz Friedrich Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562. Der von Avemarie elaborierte Begriff der absentee christology geht auf C. F. D.  Moule zurück. 10  Man liest das romantisierende Ursprünglichkeitspathos in Wilamowitzens Eloge auf Paulus (von Wilamowitz-Moellendorff, Literatur [s. Anm. 7], 232 f.) heute nicht unvergnügt. Gegenüber so viel originaler Lebenskraft wirkt Apg freilich blass, doch beruht sie immerhin auf dem „schlichten Bericht eines bescheidenen Jüngers“; „die philologische Kunst, lesen zu können“, weiß ihn zu eruieren (ebd. 262). Umso moderner wirkt Meyers Skepsis auch gegenüber den autobiographischen Teilen paulinischer Selbstdarstellung (Meyer, Ursprung III [s. Anm. 4], 28); zur aktuellen Diskussion Lukas Bormann, Autobiographische Fiktionalität bei Paulus, in: Biographie und Persönlichkeit des Paulus, hg. v. E.-M. Becker / ​P. Pilhofer, WUNT 187, Tübingen 2005, 106–124; Ingo Broer, Autobiographie und Historiographie bei Paulus, in: Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, hg. v. Th. Schmeller, NTOA / ​StUNT 69, Göttingen 2009, 155–178. 11  Dies ist die deutliche Tendenz des aktuell wichtigsten Sammelbands zum Verhältnis zwischen „Paulinismus“ und Apg, der nahezu programmatisch die klassische Position von Philipp Vielhauer und Ernst Haenchen verlässt bzw. umkehrt: Reception of Paulinism in Acts – Réception du Paulinisme dans les Actes des apôtres, hg. v. D. Marguerat, BETL 229, Löwen 2009.

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Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur

Tübingens) tabuisierte Möglichkeit, die Wir-Berichte hypomnematisch zu lesen, stößt heute – entfernt davon, gesichert zu sein – nur noch selten auf das Zensurschwert exegetischer Traditionshüter.

Zu Meyers Zeit hatte die Exegese bereits in ersten Anfängen eine religions‑ und formgeschichtliche Sichtweise entwickelt, die seine positivistische Unbefangenheit gegenüber der lukanischen Darstellung schwerlich nachvollziehen lässt. Dass das Urteil der neutestamentlichen Fachwelt über sein Opus magnum nahezu ausnahmslos ablehnend, mitunter barsch, ausfiel,12 verwundert daher nicht. Es wurde als anachronistisch betrachtet und stieß, trotz des hohen Ansehens seines Verfassers, im deutschsprachigen Raum kaum auf fachliche Resonanz. Umso erstaunlicher wirkt es, dass die jüngste Exegese, wie wir sahen, Meyer sachlich wie methodisch durchaus nahesteht. In der Tat knüpft sie dort an, wo man in den Anfängen der Formkritik aufgehört hatte. Auf das Ganze betrachtet, scheint mir dies nicht nur ein Rückschritt zu sein. Die Entdeckung des kerygmatischen Charakters der urchristlichen „Volks‑ und Kleinliteratur“ seit den 1920er-Jahren verführte dazu, diese aus ihrem historischen, sozialen und literarischen Umfeld zu lösen, sodass das christliche Kerygma zum generischen Sondermerkmal wurde. Die Selbstaffirmation des Christlichen durch dessen dialektische Engführung verstärkte diese Dynamik. Apg wurde zu einer „Gattung sui generis“, die von Lukas erfunden worden war, wie Markus die Gattung „Evangelium“ erfunden hatte. Ungeachtet mancher differenzierenden Stellungnahme, allen voran der von Martin Dibelius, tendierte die Exegese dazu, Apg nicht als Historiographie zu würdigen – wie die Evangelien eben keine Biographie Jesu boten. Merkwürdigerweise schrieb man anderen Geschichtsdarstellungen, etwa Josephus oder den senatorischen Autoren, mehr oder weniger ausdrücklich, nahezu tendenzfreien Dokumentationsstatus zu; dies wirkt weit bis in die heutige Alltagsexegese und den Religionsunterricht nach. Zweifellos war Lukas kein Thukydides oder auch „nur“ ein Xenophon,13 aber mit dieser Negation ist seine literarische Individualität nicht hinreichend erfasst. Zu fragen ist vielmehr, was er im Vergleich mit ihnen – eher noch: mit den meist übersehenen „unklassischen“ Historiographen seiner Zeit14 – (nicht) ist. 12  Es reagierten Johannes Behm, Rudolf Bultmann, Martin Dibelius, Adolf Jülicher, Julius Kögel, Johannes Leipoldt, Karl Ludwig Schmidt und Hans von Soden; eine Ausnahme stellt die positive Besprechung durch Hans Lietzmann dar. Die leidenschaftliche Diskussion, die Züge eines Glaubensstreits zwischen Historikern in der Tradition des 19. Jh. und den jüngeren Formgeschichtlern trägt, ist skizziert bei Plümacher, Ursprung (s. Anm. 3), 345 f., 366 f. (Lit.). 13 Vgl. Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen (101956) 161977, 114. 14 Dazu erhellend Martin Hose, „Exzentrische“ Formen der Historiographie im Hellenismus, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 182–213. Auf der Seite kultureller Minderheiten, zumal des Judentums, sind die „apologetischen Historiographen“ zu ergänzen; dazu umfassend Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­ Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005.

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Eine „Gattung sui generis“ ist ein Selbstwiderspruch. Literarische Individualität schließt Vergleichbarkeit nicht aus, sondern fordert sie. Insgesamt verkörperte Apg in der form‑ und redaktionsgeschichtlichen Phase ein historisch kontextloses Kerygma: Sie beantwortete Fragen, die in der reichsrömischen Umwelt keiner stellte, es sei denn, er gehörte zur „lukanischen Gemeinde“. Die lukanische Gemeinde war jene sozial wie historisch kaum situierbare Adressatenschaft, die man erhielt, wenn man das Kerygma mittels mirror-reading in ein urchristliches Sondermilieu reprojizierte: Sie litt unter Parusieverzögerung, brauchte ein Erbauungsbuch15 und war ansonsten frühkatholisch. So betrachtet ist die heutige Rückkehr zu mancher Prämisse, die sich bei Meyer findet, keineswegs ein Rückfall in den Vor-Konstruktivismus. Vielmehr nimmt die Actaforschung zur Kenntnis, dass „Kerygma“ als konstruktive Sinnstiftung Apg nicht aus ihrer historischen Welt entlässt. Sie greift ein Postulat Meyers16 auf, indem sie Apg wie alle antike Literatur lege artis behandelt. Mit der Auflösung des modernen Konsenses in der Actaforschung treten auch die Gegenpole wieder stärker hervor, mit denen bereits Meyer sich auseinanderzusetzen hatte: Die Einheit des „Doppelwerks“ wird relativiert oder bestritten;17 die literarische Abhängigkeit der Apg von Josephus gewinnt an Plausibilität;18 die Romanliteratur wird wieder zum gattungsgeschichtlichen Bezugsfeld; die Datierung ins zweite Jahrhundert erntet erneut Zuspruch. Charakteristisch für diese Anknüpfung an die Apg-Exegese des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wenn auch mit betontem Innovationsanspruch, ist das umfassende Werk von Richard I. Pervo, das jetzt in seinem Hermeneia-Kommentar19 eine beeindruckende Summa gewonnen hat.

1.2 Altphilologie Frei von der den Althistorikern eigenen Zurückhaltung, waren es die Klassischen Philologen, die sich dem δεύτερος λόγος des Lukas als opus proprium zuwandten.20 Der bis heute maßgebende Bahnbrecher Henry Joel Cadbury 15  Haenchen, Apg (s. Anm. 13), 114: Das „Erbauungsbuch“ ist „in die Sprache anschaulicher, dramatischer Szenen“ übersetzt. Eben dies kennzeichnet den dramatischen Episodenstil der zeitgenössischen Historiographie; vgl. Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 80–111. 16  Meyer, Ursprung III (s. Anm. 4), 4 f., 7. 17 Zur aktuellen Diskussion: Rethinking the Unity and Reception of Luke and Acts, hg. v. A. F. Gregory / ​C. K. Rowe, Columbia, S. C. 2010. 18 So etwa (abwägend) bei Steve Mason, Josephus and the New Testament, Peabody, Mass. ([1992] 22003) 2005, 251–293. 19 Richard I. Pervo, Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009. Vgl. ders., Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987; ders., Israel’s Heritage and Claims upon the Genre(s) of Luke and Acts. The Problem of a History, in: Jesus and the Heritage of Israel, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 2000, 127–143; ders., Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa, Calif. 2006; Mikeal C.  Parsons  / ​ Richard I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. (1993) 2007. 20  Zur Textgeschichte der Apg trug wesentlich Friedrich Blass (1843–1907) bei. Eine natür-

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(1883–1974) lehrte in Harvard zwar Neues Testament, war aber (als Quäker mit agnostischer Neigung) Altphilologe nach Ausbildung, Selbstverständnis und Methode. Der Beitrag des Göttinger Altphilologen Paul Wendland zur literarischen Gestalt der Apg21 ist von Ernst Haenchen zum vielleicht Besten erklärt worden, „was vor dem Ersten Weltkrieg über die Apg geschrieben worden ist“22. Be‑ und Vergegnung der Fachkulturen lassen sich am locus classicus Apg 17,16– 34 lehrreich studieren. Als „the dramatic climax of his whole book“ zielt die Areopagrede des Lukas nach Werner Jaegers sympathisch-humanistischem Fehlurteil auf „Christianity’s final target, the classical Greek world“23. Eduard Norden (1868–1941), entschlossen, sich zu Athen als Philologe nicht den „theologischen Mitgriechen“ zu unterwerfen,24 widmete ihr den Hauptteil seines interdisziplinären Standardwerks Agnostos Theos. Das Buch erzielte bis in die Tagespresse hinein lebhafte Resonanz. Seine bahnbrechende Bedeutung lag, wie betont wurde, „auf dem Mute […], womit der Verfasser die trotz aller Grenzarbeit noch immer turmhohen Schranken zwischen theologischer und philologischer Wissenschaft und Methode beiseite schiebt“, um sich in die Arbeit an den theologischen Quellen zu stürzen.25 Richard Reitzenstein unterstrich: Der Theologe werde an diesem Buch ersehen, wie unentbehrlich ihm das Rüstzeug der Altphilologie sei; der Philologe aber nehme am Transformationsprozess zwischen Osten und Westen des römischen Reiches teil, der sich im Modus der Religion vollzogen habe. So biete das Opus die Hoffnung, „die hochmütige Geringschätzung solcher Arbeit, die lange Zeit weniger bei den Meistern als bei den Kleinmeistern unserer Wissenschaft bestand, zu verringern“ und „uns dem Ziele einer gemeinsamen Arbeit der Theologen und Philologen immer näher zu führen“26. Das Gegenteil trat ein. Doch der Streit zwischen den Fakultäten – dem alsbald „typische Geltung“ zugeschrieben wurde27 – ist für uns heutige Kleinmeister fruchtbarer, als liche Begegnungsstätte von exegetischer und philologischer Forschung war die Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft (ZNW), in deren frühen Bänden sich Namen wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931), mit breiter Perspektive: Eduard Schwartz (1858– 1940), Hermann Usener (1834–1905), aus dessen Schülerkreis Albrecht Dieterich (1866–1908) und Paul Wendland (1864–1915), sowie Friedrich Pfister (1883–1967) finden. 21 Paul Wendland, Die urchristlichen Literaturformen, HNT 1/3, Tübingen 1912, Abschnitt XII (314–342): Apostelgeschichten. 22 Haenchen, Apg (s. Anm. 13), 46. Ich gestehe, dass mir das Urteil allenfalls insofern nachvollziehbar wird, als Wendland die ebenso ermüdenden wie ergebnislosen Dekompositionsversuche hinter sich lässt, die die Actaforschung bis dahin geprägt hatten. 23  Werner jaeger, Early Christianity and Greek Paideia, Cambridge, Mass. 1961, 111 f. 24  So im Vorwort zur ersten Auflage Eduard Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt (1913) 41956, VII; vgl. die einschlägigen Darlegungen ebd. 1–140. 25 Werner Jaeger, Rez. (GGA 1915), in: ders., Scripta Minora I, SeL 80, Rom 1960, 115– 161: 115. Zu den Einzelheiten der Diskussion vgl. näher Erkki Koskenniemi, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese, WUNT II / ​61, Tübingen 1994, 18–27. 26  So in der ausführlichen Anzeige: NJKA 16 (1913) 146–155: 155. 27  „In dem Streit, der sich hier erhoben hat, liegt ein charakteristischer Einzelfall vor. Aber

1. Forschungsgeschichte als Forschungsgegenwart

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die ständigen  – mitunter köstlichen  – Grenzscharmützel der wilhelminischen Großordinarien vermuten lassen. Nach Norden setzt die Areopagrede eine Philostrat vorgegebene biographische Quelle zu Apollonios von Tyana voraus (vgl. Philostrat, Ap. 6,3). Dieser habe einen in Athen den unbekannten Gottheiten geweihten Altar zum Anlass genommen, eine vom stoischen Gottesbild geprägte Dialexis über die Bedürfnislosigkeit des Göttlichen zu halten und sich auf Sokrates bezogen. Der Redaktor der Apg habe diese Rede in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts Paulus in den Mund gelegt, die Sokrates-Mimesis übernommen und die Widmungsinschrift in den Singular verwandelt. Norden ging dabei von der unter Philologen gängigen Teilung der Apg in zwei Schichten aus: eine unter Benutzung von Memoiren im ersten Jahrhundert erstellte Grundschrift und die Endredaktion im zweiten Jahrhundert. Nicht nur die Spätdatierung, sondern auch die rigide Abwertung der Areopagrede als unselbständiges Elaborat eines mittelmäßigen Epigonen28 reizte die Theologen zu Widerspruch. Deren Protagonist Adolf Harnack verteidigte seine Position:29 Die Rede sei nach Stil und Sache integraler Bestandteil der Gesamterzählung und gehe, wenn nicht in Grundzügen auf Paulus, so in ihrer jetzigen Gestalt auf deren Verfasser zurück, also (für Harnack) den Arzt und Paulus-Begleiter Lukas. Harnack schloss seine Ausführungen mit schulmeisterlichem Rat: „Make no comparison!“ Prompt replizierte der zum Vergleich stets geneigte Richard Reitzenstein, verwahrte sich gegen jedweden Verdacht von Standesdünkel, erklärte, nicht ohne solchen, diese „für die ganze ältere Kirchengeschichte entscheidende Frage“ zum Musterfall der verschiedenen Methoden von Philologie und Theologie, auch wenn hier „ausnahmsweise der Philologe, ja eigentlich er allein, zu urteilen berufen ist“30. Dialektisch gewandt, sei Harnacks Versuch doch typische Apologetik, Nordens These indes, wie Reitzenstein in der Einzelanalyse zu bekräftigen suchte, gesichertes Resultat. Zunftgenossen pflichteten ihm nicht im gereizten Tonfall, wohl aber in der Sache bei. Otto Weinreich deklarierte, „daß der Streit zum mindesten für jeden Philologen erledigt sein dürfte“31. Diese Rechnung war allerdings ohne Wirt erstellt, denn dieser – Eduard Norden, zehn Jahre später im Vorwort zum Nachdruck seines Werkes – erklärte sie unter dem Druck der Gegenargumente von Eduard Meyer für vollkommen widerlegt.32 Nichts ist lehrsamer für die heutige Forschung als die Halbwertszeit gestriger Gewissheiten.

ihm kommt typische Geltung zu“, nämlich hinsichtlich der unterschiedlichen Handhabung der Methoden literarischer Kritik durch Philologen und Theologen – so Otto Weinreich, Agnostos Theos, in: DLZ 34 (1913) Nr. 47, 2949–2964: 2950. 28  Vgl. Norden, Theos (s. Anm. 24), 125–129. 29 Ist die Rede des Paulus in Athen ein ursprünglicher Bestandteil der Apostelgeschichte?, in: TU 39/1 (1913) 1–46. 30 Richard Reitzenstein, Die Areopagrede des Paulus, in: NJKA 16 (1913) 393–422: 393. 31 Weinreich, Theos (s. Anm. 27), 2949 f. 32 Vorbemerkung zum Nachdruck 1923, XI; Norden verweist auf Eduard Meyer, Apollonius von Tyana und die Biographie des Philostratos, in: Hermes 52 (1917) 371–424, vgl. bes. ebd. 399–401. Der Aufsatz hat die von Norden und seinen Fachgenossen unbesehen vorausgesetzte Quellenschrift des „Damis“ gründlich destruiert und damit die Textgrundlage vom 1. ins 3. Jh. versetzt. Auch Werner Jaeger, der eine energisch beifällige Rez. zu Nordens Buch verfasst hatte (s. Anm. 25), stellte später lapidar fest: „I no longer believe in Norden’s brilliant thesis“ (Jaeger, Christianity [s. Anm. 23], 112).

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Die über den Tag hinausreichende Bedeutung dieses Streits liegt in den methodologischen Grundentscheidungen (und Kategorienfehlern). Auf der altphilologischen Seite neigte man zu einer religionsgeschichtlich kaum haltbaren Unterscheidung zwischen (orientalischem) Judentum und (apollinisch-klarem) Griechentum, zu einer literatursoziologisch unbelasteten Genie-Ästhetik,33 zur Missachtung von marginalen Oralitätskulturen, zur Verwechslung von Motivanalogie mit literarischer Dependenz, zur „Parallelitis“ wie zu intuitiver Dekomposition und ungezügelter diachroner Spekulationsfreude. Auf der theologischen Seite neigte man dazu, die wissenssoziale Sonderstellung und günstige Überlieferungslage der urchristlichen Literatur mit religionsgeschichtlicher Analogielosigkeit zu verwechseln, sich auf die frühchristliche Konkordanzarbeit zu beschränken und so das Vergleichsverbot letztlich als Immunisierungsstrategie einzusetzen. Nicht selten erlag man der Urversuchung theologischer Textarbeit: nicht die Texte, sondern mittels der Texte den eigenen systematischen Geltungsapparat sprechen zu lassen. Pointiert: Für Harnack war der Arzt Lukas der erste Kulturprotestant und die Areopagrede sein theologisches Programm. Sie dokumentierte jene Abkehr vom Judentum, die Harnack kaum früh genug ansetzen konnte, da sie für ihn das Wesen des Christentums freilegte: „Die neue Religion, fast noch in ihren Anfängen, erhielt so bereits eine Geschichte, und sie erhielt sie nicht von einem Judenchristen und Palästinenser, sondern von einem Hellenen. Das war von unermeßlicher Bedeutung! Der Grieche, kaum gewonnen, schenkt ihr eine Geschichte“34. Dogmatische Voreingenommenheiten dieser Art werden erklärlicher, nicht aber stimmiger, wo man – unter dem Eindruck der Traumata des 20. Jahrhunderts – die Vorzeichen zwischen Judentum und Heidentum vertauscht, nunmehr die pagane Antike verzeichnet und eine „rein“ jüdische Herleitung, weil theologisch wünschbar, für historisch alternativlos hält. Die Versuchung bleibt: Weil Apg die Stiftungsmemoria der Kirche bereitstellt, reizt sie den Exegeten dazu, sein eigenes Programm im lukanischen „wiederzufinden“. Nicht als Fenster dient die Quelle, sondern als Spiegel. Auf beiden Seiten neigte man zur Komplexitätsreduktion: Wer die Areopagrede dem Paulus der Briefe zuzutrauen imstande sei – entschied Wilamowitz –, mit dem sei nicht zu reden.35 Harnack indes fragte sich (sein „No comparison!“ beherzigend), was an der Areopagrede so unpaulinisch sei.36 Eine kontextualisierte Auslegung wird heute die – seit dem Methodenkapitel des Thukydides 33  „Auch bei uns [scil. den Philologen] werden ja ab und an die Kleinen [wie Lukas] auf Kosten der Großen [wie Paulus] herausgeputzt, der Verfasser des Bellum Africum auf Kosten Caesars oder der Ciris-Dichter auf Kosten Vergils. Bestand hat das nicht; das wahrhaft Große zwingt“ (Reitzenstein, Areopagrede [s. Anm. 30], 405 Anm. 1). 34  Adolf Harnack, Die Apostelgeschichte, Leipzig 1908, 3; vgl. auch ebd. 211–217; dazu Jantsch, Entstehung (s. Anm. 6), 104–108. 35  Ulrich von Wilmowitz-Moellendorff, Rez. „E. Schwartz, Charakterköpfe aus der antiken Literatur, Leipzig 1910“, in: DLZ 31 (1910) Nr. 5, 285–288: 285. 36  Harnack, Rede (s. Anm. 29), 4 Anm. 1.

2. Interdisziplinäre Forschungsflaute: Kronzeugen und Klassiker

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selbstverständliche – Eigenart der Aktantenrede würdigen: Sie dient dem Schriftsteller als Deutungsinstrument.37 Nicht was Paulus gesagt hat, dokumentiert sie, sondern welche geschichtliche Rolle und theologische Bedeutung Lukas ihm beimisst. Gleichwohl gelangt man auf solche Weise durchaus zur Erinnerung an den „Paulus der Briefe“. Diese Erinnerung dient lukanischer Geschichtskonstruktion, doch re-konstruiert sie auch jenen Völkermissionar, der den Übergang in die griechische Welt geebnet, die Inkulturation des Evangeliums vorangetrieben und sich bemüht hat „den Heiden ein Heide“ zu werden (vgl. 1Kor 9,19–23). Dass solche Erinnerung in extratextueller Geschichte verankert ist und auf sie verweist, lässt sich schwerlich bestreiten.38 Theologie tritt nicht neben die Historiographie, sondern tritt in Gestalt von Historiographie und als deren spezifische Deutungslinie auf. Auch hier also legt die innere Entwicklung der verschiedenen Disziplinen die wechselseitige Korrektur und Ergänzung nahe.

2. Interdisziplinäre Forschungsflaute: Kronzeugen und Klassiker 2.1 Althistorie Auf den ersten Blick, so sahen wir, lässt sich behaupten, dass die Actaforschung derzeit dort steht, wo sie am Anfang des vorigen Jahrhunderts gestanden hat. Doch steht sie nicht unverändert dort. Gegenüber der durch Eduard Meyer repräsentierten ersten Naivität im Umgang mit dem urchristlichen Quellengut hat die formgeschichtliche Schule eine wesentliche Einsicht erzielt. Martin Dibelius hat sie prägnant beschrieben: Im Unterschied zur älteren Betrachtungsweise habe die Forschung, bevor sie nach dem Erzählten frage, die „Art der Erzählung“ zu betrachten. Sie gehe „nicht von vornherein mit Sachkritik, mit Fragen nach Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Vorgangs, an den Text“ heran, sondern begebe sich gewissermaßen in den Text hinein, indem sie dessen Absicht und Darstellungsmittel untersuche.39 Hinter diese Einsicht kann die kritische Exegese nicht mehr zurück. 37  Selbstverständlich bedarf es hier diachron wie synchron genauerer Differenzierungen, aber die Bestreitung der Deutungsfunktion von Reden in Apg durch W. Ward Gasque, A History of the Interpretation of the Acts of the Apostles, Peabody, Mass. (1975) 1989, bes. 224–228 ist – gerade mit dem Verweis auf Thukydides, Polybios und Lukians Quomodo historia conscribenda sit –, um das Mindeste zu sagen, unpräzise. 38  Zum Ungenügen der Alternative „Historischer Paulus vs. Paulus der Apg“ sowie zur Areopagrede als verdichtete Deutung des Geschichtsaktanten Paulus Jens Schröter, Kon­ struktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums: Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, hg. v. dems. / ​ A. Eddelbüttel, TBT 127, Berlin 2004, 201–219: 216 f. 39  Die Apostelgeschichte als Geschichtsquelle (1947), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 51968, 91–95: 95.

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Die Rolle, die dem Althistoriker nun in Diskursen über Glaube und Geschichte zuwuchs, war indes die des schulmeisterlichen Kronzeugen der Gegenkritik.40 Er musste dafür herhalten (und tat es vereinzelt mit grimmiger Lust),41 den Acta-Auslegern vorzuführen, wie sie eigentlich mit ihrer Quelle umzugehen hätten. Würden Althistoriker den Referenzanspruch ihrer Texte ähnlich relativieren wie Exegeten, so hieß es, stünde das Bild der Antike auf dem Spiel, wäre jede historische Gewissheit verloren. Ironischerweise steigerte sich vor diesem Hintergrund die Autorität des Agnostikers Eduard Meyer in evangelikalen Augen ins schier Unermessliche.42 Wo im Einzelfall ein Altertumswissenschaftler die ihm zugedachte Kronzeugenrolle nur mangelhaft ausfüllte, so W. James McCoy in seinem nüchternen Aufsatz In the Shadow of Thucydides, ließ es sich der theologische Anwalt nicht nehmen, in einem „editor’s addendum“ zu ergänzen, was der Zeuge eigentlich hätte sagen sollen: „that Luke intends to be seen as a serious Hellenistic historian of contemporary events, rather like a Polybius or a Thucydides“43. Wie sich aus den sozialen und kognitiven Voraussetzungen urkirchlicher Selbstvergewisserung ausgerechnet ein Interesse an kritisch-pragmatischer Geschichtsschreibung (mit ihrem Schwerpunkt auf militärischer Politikberatung) erklären sollte, wird nicht einmal gefragt.44 40  Im englischsprachigen Bereich war der Einfluss der Formgeschichte wie der historischen Skepsis vergleichsweise gering. Reifste Frucht der fachübergreifenden Arbeit an Apg war hier das vielperspektivische Monumentalwerk The Beginnings of Christianity, 5 Bde., hg. v. F. J. Foakes Jackson / ​K. Lake, London 1920–1933. 41  Furios die Göttinger Althistorikerin Helga Botermann, Der Heidenapostel und sein Historiker. Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte, in: ThBeitr 24 (1993) 62–84; britisch-abgeklärt und in den Spuren von Sir William Ramsay Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, hg. v. C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989; zur Besorgnis über die missachtete Historizität der Apg bes. ebd. 1–29. Der Forschungsbericht von Gasque, History (s. Anm. 37) folgt dieser Linie durchgehend. Das Selbstverständnis des Lukas als Historiograph und der extratextuelle Referenzstatus der Apg werden dabei notorisch gleichgesetzt. Eine Spätfrucht solcher Kronzeugenregelung stellt die in einer exegetischen Reihe publizierte althistorische Dissertation von Alexander Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes, TANZ 43, Tübingen 2006 dar, die für die Frühdatierung des Doppelwerks plädiert, durch ihren irreführenden Titel Lukas als Historiker indes offenkundig ebenfalls „Glaubwürdigkeit“ nahelegt. 42  „Meyer is recognized by all historians as one of the greatest masters of the whole range of ancient history which the world of scholarship has ever produced“ (Gasque, History [s. Anm. 37], 158); vgl. Botermann, Heidenapostel (s. Anm. 41), 62 f. 43  Aufsatz: W. James McCoy, In the Shadow of Thucydides, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge (1996) 2003, 3–23; Anhang des Herausgebers: ebd. 23–32 (Zitat: 23). 44 Es überrascht, dass in der aktuellen Debatte auch Detlev Dormeyer, Pragmatische und pathetische Geschichtsschreibung in der griechischen Historiographie, im Frühjudentum und im Neuen Testament, in: Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, hg. v. Th. Schmeller, NTOA / ​StUNT 69, Göttingen 2009, 1–33 das Doppelwerk der pragmatischen Geschichtsschreibung zurechnet, und zwar vor allem aufgrund des Vorkommens des Lexems πράγματα in Lk 1,1. Da er aber die Synoptiker zugleich der mimetischen und tra-

2. Interdisziplinäre Forschungsflaute: Kronzeugen und Klassiker

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Die hermeneutische Situation hat sich seit einiger Zeit verändert  – nicht nur weil die Althistoriker mit evangelikaler Biographie spärlicher werden. Der Geschichtsbezug selbst hat sich gewandelt: Die althistorische Forschung entdeckt seit Hayden White verstärkt die kreative Tendenz der Gedächtnisarbeit. Sie bringt dem Dokumentationsstatus ihrer Texte, etwa denen der standespolitischen Geschichtsschreibung, nunmehr eben jene methodische Skepsis entgegen, die in der Exegese angesichts des konfessorischen Charakters ihrer Quellen seit langem zum Handwerk gehört.45 Der senatorische Berichterstatter Tacitus ist nicht „unverdächtiger“ als der Urchrist Lukas; nur seine Konstruktionsinteressen sind andere. Nicht die Exegese hat sich den Plausibilitäten der Althistorie anverwandelt; der Prozess verlief umgekehrt. Das Kerygma ist kein Alleinstellungsmerkmal urchristlichen Quellenguts, sondern die ihm eigentümliche Gestalt konstruktiver Tendenz. Auch in Apg hat die Bibel nicht „doch Recht“, aber das verliert an Dramatik: Klio hat niemals „doch Recht“. Sie wandelt sich, schminkt sich, dichtet, tanzt, und manchmal setzt sie Masken auf.46 Der Umweg über das Kerygma hat die Actaforschung also nicht nur gehemmt, sondern mehr noch beschleunigt. Die Wege, die die Nachbardisziplinen poststrukturalistisch gehen, hat sie bereits in den 1920er-Jahren angetreten. So schließt sich der Kreis. Man bewegt sich wieder auf benachbarten Pfaden, und dies auf gleicher Augenhöhe. Die Prämissen für die Annäherung sind daher günstig. 2.2 Altphilologie Auch die Beziehungen der Actaforschung zur Altphilologie zeigten sich in der Windstille dieser siebzig Jahre unbewegt. Selbstverständlich wurde, etwa im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament (1933–1979), das griechische, teilweise auch das lateinische Quellengut in die Betrachtung einbezogen, aber es gisch-pathetischen Geschichtsschreibung zurechnet, wird man diesen Ordnungsversuch auf sich beruhen lassen. 45  Karl Christ, Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart, München 2006; Hayden White, Tropics of Discourse. Essays in Cultural Criticism, Baltimore, Md. 1978 (Titel der dt. Übersetzung: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen). Zur Diskussion: Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, hg. v. J. Schröter / ​A. Eddelbüttel, TBT 127, Berlin 2004; Knut Backhaus / ​Gerd Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009. 46 Helga Botermann empfiehlt den Acta-Exegeten, den Rat aus ihrem althistorischen Proseminar 1958 zu beherzigen: „Die Quelle hat zunächst grundsätzlich Anspruch auf Glaubwürdigkeit“ (Botermann, Heidenapostel [s. Anm. 41], 65 f.). Vermutlich klingt der Rat in heutigen Proseminaren etwas nuancierter. Zur Einordnung der Apg in die gewandelte Quellenwahrnehmung näher Knut Backhaus, Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses, in: Wahrheit und Geschichte. Exegetische und hermeneutische Studien zu einer dialektischen Konstellation, hg. v. E. Ebel / ​S. Vollenweider, AThANT 102, Zürich 2012, 79–108 [in diesem Band S. 189–217].

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stand blockartig neben dem frühchristlichen. Zu Synthesen kam es selten. Die pagan-antike Literatur wurde in den einschlägigen Acta-Kommentaren angeführt, aber eher in Form fragmentierter Referenztexte aufgezählt als durchdrungen, nicht selten mittels eingeklammerter Parallele von Kommentar zu Kommentar durchgereicht, aber zur Verortung der Apg nicht wirklich genutzt. Auf der altphilologischen Seite war die nachklassische Literatur im Allgemeinen und im Besonderen die urchristliche Literatur als literarisch viertrangiges Schrifttum einer marginalen Gesellschaftsschicht allenfalls Appendix. Der Nesselrath als repräsentativer Wissensspeicher des Fachs charakterisiert Apg als Fortsetzung des Lk und widmet ihr drei Worte: „neben die Apostelgeschichte …“47. Präzisierungen scheinen denkbar. Es gab Ausnahmen. Die Arbeiten von George A. Kennedy (geb. 1928) haben, direkt oder indirekt, die Actaforschung inspiriert.48 Die außergewöhnlich hilfreichen Beiträge des Lundenser Gräzisten Albert Wifstrand (1901–1964), in Schwedisch veröffentlicht, werden derzeit durch Übersetzung ins Englische der breiteren Fachwelt zugänglich gemacht.49 Auch hier wandeln sich etwa seit den letzten zwanzig Jahren allmählich die Prämissen. Der Altphilologe, der auf seinen Klassikern als einer Art Religionsersatz beharrt, ist mittlerweile emeritiert. Die Reitzensteinschen „Kleinmeister“ gibt es immer noch, für die die griechische Kultur mit Homer beginnt und spätestens bei Demosthenes aufhört. Aber sie besitzen auch in der eigenen Zunft allenfalls den wilhelminischen Charme der Feuerzangenbowle. Der Hauptstrom hat in postmoderner Weitung den Hellenismus als eigenständiges Forschungs47  Einleitung in die griechische Philologie, hg. v. H.-G. Nesselrath, Stuttgart 1997, 289 (Heinz-Günther Nesselrath). Im Vorgänger Gercke-Norden (1910–1912), dessen beide Herausgeber sich aktiv an der Actaforschung beteiligt hatten, war Apg durchaus etwas Raum gewidmet (I [1910], 387 f.: Paul Wendland), so auch im HKAW VII / ​2/2, München [5]1913, § 881, p. 967–971 (Otto Stählin). Immerhin bietet DNP I (1996) ein Lemma „Apostelgeschichte“, das Metzler Lexikon antiker Autoren (1997) ein Lemma „Lukas“. Außergewöhnlich sachstark ist PRE.S XIV (1974) 235–264: Lukas als griechischer Historiker (Eckhard Plümacher). Nimmt man die Besprechungszeitschrift Gnomon als Maßstab, so wird die Actaforschung in der Altphilologie zurückhaltend (und perspektivenarm) wahrgenommen: Von den fünf Beiträgen der 1990er-Jahre stammen zwei von Helga Botermann (über Claus-Jürgen Thornton und Rainer Riesner), einer handelt über Helga Botermann (von Édouard Will); ein weiterer ist rezeptionsgeschichtlich orientiert, einer widmet sich Richard I. Pervo, Profit with Delight (U. Busse). Nach 1999 ist hier keine Publikation über Apg mehr besprochen worden. 48  Dies gilt naturgemäß besonders für die Analyse der rhetorischen Partien der Apg: New Testament Interpretation through Rhetorical Criticism, Chapel Hill, N. C. 1984, 114–140; zum dadurch gegebenen Forschungsanstoß Mikeal C. Parsons, Luke and the Progymnasmata: A Preliminary Investigation into the Preliminary Exercises, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 43–63: 43 f. 49 Epochs and Styles. Selected Writings on the New Testament, Greek Language and Greek Culture in the Post-Classical Era, hg. v. L. Rydbeck / ​S. E. Porter, WUNT 179, Tübingen 2005; vgl. auch Loveday C. A.  Alexander, Septuaginta, Fachprosa, Imitatio: Albert Wifstrand and the Language of Luke-­Acts (2004), in: dies., Acts in Its Ancient Literary Context, LNTS 298, London (2006) 2007, 231–252.

3. Die aktuelle Situation: Heuristik und Pragmatik

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projekt akzeptiert, literarische Genie-Ästhetik wissenssoziologisch gesprengt, Interesse an kognitiven Minderheiten, sozialen Randschichten und subversiven Literaturen gewonnen und die rezeptionsgeschichtliche Dimension von antiker Literatur als deren immanentes Lektürepotential entdeckt. Wenn die Acta sonst nichts zur Forschung beitragen könnten, so zumindest 2000 Jahre intensiver Rezeption und zwei Milliarden Leser (oder wenigstens: Bezieher) in über 1000 Sprachen. Die interdisziplinäre Erforschung der Apg geht daher den gleichen Weg wie die Literaturwissenschaft insgesamt: Die Zeit der Deutungsmonopole ist vorbei; die textzentrierte Kooperation prägt das Tagewerk.

3. Die aktuelle Situation: Heuristik und Pragmatik 3.1 Die Normalisierung der komparativen Arbeit Unter solchen Prämissen gewinnt das Schnittfeld zwischen Altertumswissenschaften und Exegese Reiz und Relevanz. Dem Exegeten hilft das Gespräch, seine Quellen stringent zu kontextualisieren und damit zu erden und in ihrer Antwortstruktur wahrzunehmen. Der Althistoriker oder ‑philologe entdeckt literarische Welten, soziale Schichten, alternative Sinnentwürfe, die ihm bislang randständig schienen, obschon sie die gesellschaftliche Wirklichkeit der Antike zweifellos stärker abbilden als der neuzeitliche Bildungskanon mit seiner Elite‑ und Retainer-Literatur.50 Die Rückwirkungen dieses Gesprächs auf das Selbstverständnis der beteiligten Disziplinen sind kaum zu überschätzen und reichen bis in das Wissenschaftsmanagement. So wird die Arbeit an den antiken Quellen heute über die Fakultätsgrenzen hinweg verknüpft, die Interdisziplinarität auch fach‑ und forschungspolitisch verstetigt und anfanghaft bereits didaktisiert.51 Von solcher Synergie profitieren die Acta-Exegese sowie die Entstehungs‑ und Anfangsgeschichte des Christentums naturgemäß in besonderer Weise.52 50  Ein ermutigendes Beispiel für die Öffnung auf altphilologischer Seite ist der Sammelband The Limits of Ancient Biography, hg. v. B. McGing / ​J. Mossman, Swansea 2006, von dessen zwanzig Beiträgen immerhin acht der frühjüdisch-urchristlichen Literatur gewidmet sind, einer anregend der Apg (Justin Taylor, The Acts of the Apostles as Biography, ebd. 77–88); die anderen Aufsätze besitzen für die Actaforschung großenteils erhebliche heuristische Relevanz, besonders in gattungsgeschichtlicher Hinsicht. 51  Die Projekte Neuer Wettstein (Halle) und Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (Jena), die während der skizzierten Flaute und nicht zuletzt aus den genannten Gründen geruht hatten, treten frisch gestärkt an die Fachöffentlichkeit; vgl. auch das auf die Zusammenarbeit mit der Althistorie angelegte Projekt Neues Testament und antike Kultur (Wuppertal), das die Interdisziplinarität in den universitären Lehrbetrieb trägt. Im Münchner Zentrum für antike Welten (MZAW) der LMU München sind seit 2009 auf der Ebene von Forschung und Lehre sowie mit fächerübergreifendem Promotionsprogramm sämtliche altertumsbezogenen Forschungsrichtungen, von theologischer Seite die Exegesen und die Patrologie, zusammengeführt. 52  In der SNTS Seminar Group Acts and Ancient Historiography, die Gregory E. Sterling, Jens Schröter und der Berichterstatter leiten, wurden von Anfang an Altphilologen und Althistoriker

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Die Vergleichsarbeit steht freilich erst am Anfang und bedarf einer kriteriell kontrollierten Methodenanlage auf möglichst breiter Basis. Mitunter wird Vergleichsmaterial gesammelt, ohne dass deutlich wird, wie es zu einem Verstehensfortschritt hinsichtlich der Apg führen mag.53 Namentlich in den USA schätzt die Actaforschung den Vergleich als solchen mehr als die dazu zweckmäßigen heuristischen Parameter. Sie droht gar bereits mit der Geburt einer „neuen religionsgeschichtlichen Schule“, als deren Kennmal hochgemut „a strong tendency to move rapidly into the Greco-Roman world“ genannt wird.54 In der Tat rapide zeigt sich Apg abhängig von Homer55 oder Vergil.56 Die Lykaonier in Apg 14,8– 20 verwandeln sich gleichsam in Wölfe wie einst der Arkadier Lykaon.57 Der Kontinuität zwischen Nero und Otho bei Plutarch entspricht die Kontinuität des Paulus mit sich selbst, und ist man einmal so weit, richtet sich der Blick vom Schiffbruch des Paulus wie von selbst auf Galbas Sturz aus seiner Sänfte.58 Die Beispiele ließen sich vermehren, die Kooperation mit der Altphilologie gewinnt hier nahezu fachtherapeutische Funktion. als Gastreferenten eingeladen (Martin Hose, Andreas Mehl, Hubert Cancik, Steve Mason, Kenneth Sacks); sie haben die exegetische Textwahrnehmung ungemein vertieft und Fragerichtungen verändert. Als unermüdliche Pionierin der interdisziplinären Actaforschung ist Loveday Alexander (Sheffield) zu nennen, vgl. vor allem ihre Aufsatzsammlung Acts (s. Anm. 49). 53  Dies gilt weithin auch für das fünfbändige interdisziplinäre Paradeprojekt The Book of Acts in Its First Century Setting, hg. v. B. W. Winter / ​I. H. Marshall / ​D. W. J. Gill, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993–1996, das zwar wichtiges Vergleichsgut kumuliert, aber insgesamt (mit Ausnahmen) sachlich wie methodisch inkonsistent wirkt und vor allem dem Textcorpus der Apg über weite Strecken fern bleibt; zu einer umfassenden Würdigung vgl. Jens Schröter im Rahmen seines Acta-Forschungsberichts in der ThR: ThR 72 [2007] 293–315. 54  „I consider these collected essays in some sense to signal the birthing of a new Religionsgeschichtliche Schule in terms of fundamental method and broad conceptualization“ – so die Einführung des Herausgebers zu dem aus der SBL-Tagungsarbeit hervorgegangenen, gezielt innovativen Sammelband: Todd Penner, Contextualizing Acts, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 1–21 (Zitate: 18). Der methodologische Unterabschnitt (ebd. 9–13) gerät über das Stadium halbhermeneutischer Umschau nicht hinaus. 55 So im in Anm. 54 genannten Sammelband (189–203: Paul’s Farewell to the Ephesian Elders and Hector’s Farewell to Andromache: A Strategic Imitation of Homer’s Iliad) und weit darüber hinaus unverdrossen Dennis R. MacDonald; vgl. die grundsätzliche Methodenkritik bei Margaret M. Mitchell, Homer in the New Testament?, in: JR 83 (2003) 244–260. 56  So Marianne P. Bonz, The Past as Legacy. Luke-­Acts and Ancient Epic, Minneapolis, Minn. 2000. Wie eine auch altphilologisch verantwortete Prüfung der Beziehungen zwischen Aeneis und Lk / ​Apg vorgehen sollte, zeigt mustergültig Stefan Krauter, Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 214–243. 57 Amy L. Wordelman, Cultural Divides and Dual Realities: A Greco-Roman Context for Acts 14, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 205–232: 223–231. 58  Mathis-Christian Holzbach, Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – ein Gattungsvergleich, Berlin 2006, 292, 294. Die curiositatis causa gewählten Beispiele kennzeichnen die zerstreut-kriterienlose Vergleichsarbeit der gesamten Dissertation.

3. Die aktuelle Situation: Heuristik und Pragmatik

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In materialer Hinsicht stehen derzeit vor allem Fragen nach der Gattung, wissenssozialen Funktion, Institutionengeschichte, memorialen Konstruktivität und Wahrheitsfiguration im Blickpunkt.59 Neben dem Vergleich mit der Historiographie, bei dem Diodorus Siculus und Dionysios von Halikarnass heuristisch bedeutsamer werden, treten auch die Epik, die Romanliteratur und die Progymnasmata stärker hervor, allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt literarischer Dependenz, sondern unter dem der sozialen Herkunftserinnerung und der Reimagination von Anfangs‑ und Sinnbehauptungen. 3.2 Die Aufhebung von perspektivischen Grenzen Kennzeichnend für die Arbeit an antikem Textgut ist derzeit die Entschränkung von Wahrnehmungsgepflogenheiten. Buchtitel wie The Limits of Historiography oder The Limits of Ancient Biography stehen für den Trend. In diesem Rahmen findet Apg – literarisch, historisch und sozial ein Grenzwerk – ihren natürlichen Platz. Auf solche Weise entschränken sich freilich auch die Sehkonventionen der Acta-Exegese selbst. Apg wandert vor neue Verstehenshorizonte. Die theologische Kanongrenze verliert ebenso wie das als besonders „urchristlich“ assoziierte erste Jahrhundert an Bedeutung. Noch nicht überwunden scheint mir die Grenze zur paganen Theologie.60 Auch unter historisch arbeitenden Exegeten herrscht eine – weithin nicht einmal als Problem durchschaute – Verzeichnung oder virulente Abwertung paganer Religiosität, Kultfrömmigkeit, „Magie“,61 die noch verstärkt wird durch die Konfrontation mit einem eher normativ als empirisch gefassten Begriff vom Judentum (genauer: den frühreichsrömischen Judentümern). 3.3 Die Scheidung von Historiographie und Theologie Addiert man zwei Halbwahrheiten, wird daraus nicht die ganze Wahrheit, sondern bestenfalls ein Viertel davon. Die Vermischung von historisch zentrierter 59  Beispielhaft seien drei jüngere Sammelbände genannt, in denen sich die Annäherung bereits vielversprechend niedergeschlagen hat: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004; Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005; Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009. 60  Eine vielsagende Beobachtung: In dem in Anm. 53 genannten Projekt war durchgehend als sechster Band The Book of Acts in Its Theological Setting angekündigt worden. Am Ende wurde der Band außerhalb der Reihe publiziert, und zwar mit dem Titel Witness to the Gospel. The Theology of Acts (hg. v. I. H. Marshall / ​D. Peterson, Grand Rapids, Mich. 1998) – ein „setting“ in der theologischen Welt der Antike kam nicht in Betracht! 61  Einen anfänglichen Versuch, die Grenze komparativ zu überschreiten, unternimmt insgesamt ermutigend Andy M. Reimer, Miracle and Magic. A Study in the Acts of the Apostles and the Life of Apollonius of Tyana, JSNTS 235, Sheffield 2002.

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Lektüre mit aktuellen religiösen Sinnanliegen behindert das Textverständnis und trägt zum christlichen Selbstverständnis nur mithilfe unchristlicher Gewalt gegen Lukas bei. Fragen wie die nach Frühkatholizismus, Ämterlehre, Heilsgeschichte, Rechtfertigungsbotschaft oder (moderner) Judentumstheologie treten zurück und geben damit den Blick auf den Text frei, wie ihn die Fachgenossen der Althistorie und ‑philologie teilen. Die normativ-theologische Applikation ist damit dem Exegeten, sofern er Theologe ist, nicht erlassen, aber sie erfolgt nicht während der Textauslegung, sondern geht aus ihr hervor (oder setzt sich mit ihr auseinander). Auf anderer Ebene liegt die Theologie als Moment des lukanischen Textes selbst. Auch hier ist Richard I. Pervos Hermeneia-Kommentar wohl ein Zeichen der Zeit, wenn es ihm gelingt, 28 Kapitel auf 800 Seiten auszulegen, ohne einen einzigen theologischen oder ethischen Grundgedanken zu profilieren. Indes bemüht sich die jüngere Forschung um die Überwindung der unter dem Schlagwort der bifurcation diskutierten Interpretation, die zwischen „Lukas als Historiker“ und „Lukas als Theologen“ scheidet und / ​oder den einen dem anderen perspektivisch nachordnet. In dieser Fragerichtung tun sich zwei Dissertationen – die eine rhetorikkritisch, die andere erzählanalytisch – hervor: Clare K. Rothschild62 arbeitet die englischsprachige Diskussion um die rhetorische Gestaltgebung und Sinnstiftung von hellenistisch-römischer Historiographie auf, erarbeitet ein luzides Binnenbild von deren Geschichtsmodellen und verortet Apg triftig in deren agonistischem Kontext. Indem sie den religiösen Deutungsanspruch der Apg deutlich der rhetorischen Konventionalität nachordnet, löst sie freilich das Problem der bifurcation dadurch, dass sie den theologischen Gabelzinken niederbiegt. Stichhaltiger ist der Ansatz von Scott Shauf 63, der an dem bunt-bewegten Kapitel Apg 19 konzeptionell vorführt, wie Theologie nicht neben die Historiographie tritt, sondern sich als deren Intentionalität im Modus des Erzählens niederschlägt.64 Die lukanische Theologie schwebt nicht als Gedankenwelt über dem Text oder liegt ihm als Gemeindekerygma voraus, sondern markiert dessen Erzählsequenz: „The proof is in the pudding.“

Shauf setzt  – das ist für interdisziplinäre Arbeit unverzichtbar  – einen erweiterten, also nicht spezifisch christlichen Theologie-Begriff voraus. Dies ermöglicht es, Apg unter dem Gesichtspunkt eines identitätsstiftenden Erzählens, das religiöse wie historiographische Sinnrichtung zusammenführt, in den Kontext reichsrömischer Religiosität zurückzuversetzen, ohne ihre Eigenart aus dem Blick zu verlieren. Für das aussichtsreichste Denkmodell, das hier heuristisch 62 Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004 [Rezension in diesem Band S. 59–62]. 63 Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, bes. 4–84. [Rezension in diesem Band S. 62–64] 64 Gegen die üblichen Verkürzungen (redaktionskritische Teillektüre, Beschränkung auf Reden, Schlüsseltexte oder Leitthemen) richtet sich die kurze, aber klare hermeneutische Intervention von Beverly R. Gaventa, Toward a Theology of Acts. Reading and Rereading, in: Interp. 42 (1988) 146–157, die ebenfalls den narrativen Grundzug lukanischer Theologie hervorhebt.

3. Die aktuelle Situation: Heuristik und Pragmatik

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weiterführen mag, halte ich das der intentionalen Historiographie des Freiburger Althistorikers Hans-Joachim Gehrke.65 Insgesamt steht die Actaforschung noch in der Phase der Annäherung der Disziplinen, aber sie steht dort an einem Ort, der methodisch, fachpolitisch und atmosphärisch günstiger gelegen ist als je zuvor. So könnte die Laudatio, die die Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 1904 der Ausnahmegestalt von Hermann Usener gewidmet hat, in absehbarer Zukunft den exegetischen Alltag beschreiben: „Er hat sich mit dem eigentlichen Handwerkszeug des Philologen bei uns eingefunden […]; aber er hat uns noch größeres gelehrt: religiöse Erscheinungen in der Geschichte auch wirklich religiös zu verstehen durch den λόγος, dem zu dienen Philologie und Theologie in gleicher Weise verpflichtet sind“66.

65 Zur Anwendung dieses Theorems auf Apg näher Knut Backhaus, Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 30–66 [in diesem Band S. 157–188]. 66  Erwin Preuschen, in: ZNW 5 (1904) 265.

Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung Ein Literaturbericht This report of recent research on the Book of Acts gathers together fifteen reviews from the years 1998 to 2018. The works reviewed include an authoritative commentary as well as monographs relating to Acts and ancient historiography, important key themes of research on Acts (image of God, Paulinism, Christian identity, open ending), and the Greco-Roman contexts of Acts. These works illustrate methodological progress, especially in the field of comparative history of religions, and have a lasting impact on the exegesis of Acts.

1. Ein Leitkommentar: Richard I. Pervo (2009) Pervo, Richard I.: Acts. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis, Minn.: Fortress, 2009. XXXVI + 812 pp., ISBN 978-0-8006-6045-1.1

Kommentare treten auf Bewährung in die Öffentlichkeit. Wie hilfreich sie sind, erweist letztlich nur der Selbstversuch, bisweilen erst nach vielen Jahren. Die Besprechung kann allenfalls den exegetischen Ort und das spezifische Leseangebot eines Kommentars beschreiben, sodass der potentielle Nutzer absehen mag, ob der Selbstversuch lohnt. Zu einer optimistischen Prognose ermutigt in diesem Fall – neben dem meist vorzüglichen Standard der Hermeneia-Reihe (in der die Apostelgeschichte bislang durch Hans Conzelmanns Kommentar repräsentiert war) – die Person des Verfassers. Richard Pervo [1942–2017] hat seit seiner Dissertation die vier großen Hürden der Actaforschung, wenn schon nicht aus dem Wege geräumt, so doch zumindest kühn kletternd überstiegen: (1) die gattungsgeschichtliche Verortung, (2) das Problem der Einheit mit dem dritten Evangelium, (3) die Frage der Datierung, (4) die Crux des „westlichen Texttyps“.2 Seine Lösungsvorschläge setzten in einer breiten geschichtlichen Perspektive an, waren stringent durchdacht und originell zugespitzt. Wer freilich einen Kommentar 1 Rezensiert

in Early Christianity 2 (2011) 261–268. with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987. (2) (mit Mikeal C. Parsons) Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. 1993. (3) Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa, Calif., 2006; Acts in the Suburbs of the Apologists, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 29–46. (4) Social and Religious Aspects of the Western Text, in: The Living Text. FS E. W. Saunders, hg. v. D. Groh / ​R. Jewett, Lanham, Md. 1985, 229–241. 2 (1) Profit

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schreibt, muss sich im Gesamtspektrum der auszulegenden Schrift vor allzu subjektiver Zuspitzung hüten. Dies hat Pervo  – auf das Ganze gesehen, wenn auch etwas zögerlich – getan. Im Vergleich zum waghalsigen Höhenflug der Dissertation wirkt der Kommentar jedenfalls geerdet. Kennzeichnend für die Verortung und Auslegung der Apg ist die Tendenz, sie der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts zuzuordnen. Tatsächlich wird die übliche Datierung um das Jahr 90 insgesamt eher gefühlt als plausibilisiert. Das Gefühl mag damit zusammenhängen, dass das erste Jahrhundert „urchristlicher“ wirkt als das zweite. Pervos Skepsis – die er mit anderen US-amerikanischen Exegeten teilt – ist daher durchaus weiterführend. Andererseits entwickelt er, soweit ich sehe, keine überzeugende Alternative. Wo mit theologischen oder amts­ strukturellen Entwicklungen argumentiert wird, werden die topographischen Ungleichzeitigkeiten unterschätzt. Zudem ist es methodologisch anfechtbar, schließt man von einem quasi-organischen Wachstum von Ideen und Strukturen auf Entstehungsdaten. Ich sehe nicht, dass die von Pervo verfolgte Zeitschiene ein Problem löst, das bei einer früheren Datierung ungelöst bliebe. Oft entsteht der Eindruck, die Situierung sei eher eine Prämisse als ein Resultat der Interpretation. Es scheint mir derzeit klug, es beim Non liquet zu belassen. 1. Pervo beginnt mit der Kanongeschichte: Nachdem Apg zunächst eine marginale Rolle spielt, entdeckt Irenäus von Lyon das Werk, das ihm den erwünschten Aufweis des geistgewirkten Ursprungs und der apostolischen Kontinuität bietet. Im Prozess der Kanonbildung dient es als Schlüssel und Rahmen für die Briefliteratur. 2. In textkritischer Hinsicht fordert und praktiziert der Kommentar eine eigenständige Haltung gegenüber den Standardeditionen. Angesichts der offeneren Textgeschichte der Apg pflichte ich dem Verfasser bei: Die Energie, mit der man schwierige Lesarten erklärt, mag nützlicher auf die Findung kontextuell sinnvollerer Lesarten verwendet werden. Beim Durchgang durch die Einzelentscheidungen verlässt mich der Wagemut wieder und ich flüchte (vorerst) zu jener methodologischen Zurückhaltung, wie sie die Standardeditionen üben. Meine Bedenken sind meist hausbacken: Warum soll man jene Inkonsistenz, die man einem Interpolator zutraut, nicht schon dem Autor zutrauen? Gewiss ist die manuskriptgestützte lectio difficilior nicht das spröde Ende aller Phantasie. Der Kommentator, der einen lukanischen Text auszulegen hat und nicht die „früheste erreichbare Textgestalt“, besitzt hier eigene Spielräume. Aber die Spielräume sind nicht Basis, sondern Bestandteil der Auslegung. Pervos beherztes Vorgehen besitzt zweifellos darin sein Recht, dass es die Acta-Exegese an die textgeschichtlichen Fährnisse ihres Buches erinnert, die sich nicht auf das Western-non-interpolations-Problem beschränken. Den sog. „westlichen Text“ als Adaption der kanonischen Acta verortet Pervo mentalitäts‑ wie theologiegeschichtlich zwischen diesen und den apokryphen Apostelakten, was eine eklektische Bevorzugung des D-Textstrangs nicht aus-

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schließt. Trefflich ist Pervos Beobachtung, dass das Studium des D-Textes neues Licht auf Lukas’ Gabe wirft, mit wenigen gewählten Details ein vollständigeres Bild zu schaffen. Würde auch der D-Text von Lukas stammen (was Pervo nicht annimmt), so wäre darin die frühere, noch nicht lege artis gekürzte Version zu sehen (4 f. mit Anm. 24). In der Tat: Den begnadeten Erzähler erkennt man an den Lücken, die er lässt. D füllt sie stattdessen aus. Wo es sich lohnt, stellt der Kommentar den D-Text (in der Boismard / ​Lamouille-Gestalt) synoptisch hilfreich neben die Übersetzung. 3. Zur historischen Verortung: Apg wurde um 115 n. Chr. geschrieben, als es – wie in den Pastoralbriefen oder bei den Patres Apostolici – um die Sicherung der etablierten Kirchlichkeit und deren Integration in die reichsrömische Gesellschaft ging und das Evangelium konkurrierenden Interpretationen ausgesetzt war. Das Opus steht gattungsgeschichtlich den apokryphen Evangelien nahe und setzt eine gefügte Ämterordnung voraus. Die Perspektive des anonymen Autors – der (schon altersbedingt) nicht der Paulus-Begleiter Lukas war – ist die von Ephesus. Diese Lokalisierung liegt im Trend und Pervo trägt die m. E. stichhaltigen Argumente akribisch zusammen. Von einem begrenzten Verständnis für das Judentum und der Vertrautheit mit der Septuaginta schließt Pervo auf einen heidenchristlichen Autor mit intensiver Schrifterfahrung. Es wirkt erfrischend, dass das häufiger benutzte als durchdachte Argument, Schriftkenntnis deute auf jüdische Herkunft hin, hier forsch umgekehrt wird. Anfechtbar bleibt die These von den Verstehensmängeln, denn weder können wir eine normative Gestalt des Judentums voraussetzen, die es zu verstehen galt, noch ist auszuschließen, dass für einschlägige Blindflecken biographische Neuorientierungen haftbar zu machen sind. Eher könnte man auf Problemdefizite bei Lukas verweisen. Wer etwa die Tora problemfrei als mos maiorum des Judentums stilisiert, hat jene Schwierigkeiten nicht gekannt, die sich einem im covenantal nomism sozialisierten Zeitgenossen wahrscheinlich hätten stellen müssen. 4. Zur literarischen Gestalt: Lukas ist ein flexibler Stilist, dessen literarisches Wollen sein Können allerdings übertrifft. Er besitzt, so Pervo weiter, eine Bildung auf dem Niveau der Progymnasmata. Der Kommentator zitiert das im Englischen auf amateurish domestizierte harsch klingende Wort von Friedrich Blass, Lukas schreibe „in der Darstellung stark ‚idiotisch‘ (ἰδιωτικὴ φράσις Gegensatz zu τεχνική)“ (BDR § 485). Pervo sieht Nähe zur Prosa von Nepos, der Romanliteratur und dem Liber Antiquitatum Biblicarum. Seine Stärken entfaltet Lukas als Erzähler: Anlage und Strategie seines Gesamtwerks, die szenischen Pretiosen sowie die Milieumalerei samt den „Beglaubigungsapparaten“ illus­trieren seine narrative Kunst. Als kohärenzstiftende Erzählelemente nennt Pervo Parallelismen, Wiederholungen und Episodenmuster. Bei der Identifizierung von „Parallelismen“ geht Pervo behutsamer vor als etwa Charles Talbert. Eher aufzählend wirkt die Behandlung der Wiederholungen. Hier hätte es sich gelohnt, über den literarischen Rahmen von Apg hinauszuschauen und

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dabei manches von der Analyse des Rekurrenz-Motivs bei Garry W. Trompf zu lernen, wie sie Clare Rothschild für die Actaforschung fruchtbar gemacht und vertieft hat.3 Überhaupt hätte die Aufmerksamkeit für den rhetorischen Duktus der Apg durch die Begegnung mit Rothschilds Studie gewonnen, die aber für den Ansatz dieses Kommentators wohl zu sehr an der Historiographie orientiert ist. 5. Pervo stößt auf viele Quellen. Lukas kennt neben Mk und LXX eine Sammlung von Paulusbriefen, Homer, Euripides und Josephus – nicht übel für einen Romancier (sofern man Pervo folgt). Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass Lukas Paulusbriefe kannte, zu denen der Kommentar auch verlorene zählt, aber Pervos apodiktische Bemerkungen (12) bergen solange keinen Erklärungsgewinn, als er nicht triftig zeigen kann, welche konkrete Kenntnis welchen Text auf welche Weise besser verstehen lässt. Wenn Lukas solche Briefe kannte – wie es sich, zumal bei einer Spätdatierung, nahelegt – muss er sie nicht benutzt haben. Eine Analogie: Sallust kannte mit Sicherheit Ciceros erste Catilinaria in schriftlicher Form (Catil. 31,6); zur Erhellung der Verschwörung erfindet er stattdessen eine Rede, die Catilina gehalten habe, nachdem alle Ohrenzeugen sorgsam entfernt worden seien (Catil. 20). Jedenfalls stellt Lukas, der Briefe ausdrücklich zu zitieren sich nicht nehmen lässt (Apg 15,22–29; 23,23–30), Paulus nicht einmal als Briefeschreiber dar. Auch Homer und Euripides stehen auf dünnem Eis.4 Da kein Text der Apg ohne solche Bezüge unverständlich bleibt, sollte hier Occam’s Razor seine Dienste tun: entia non sunt multiplicanda praeter neccesitatem. Dies gilt auch für die nächste Quelle: Dass Lukas Josephus kannte, ist dem Kommentator so wichtig, dass er seine These bereits im Vorwort als Innovationsleistung ankündigt. Man versteht  – zumal nach Steve Masons ausgewogener Untersuchung5 – die Aufregung nicht recht. Dass Lukas sein Wissen über das Geschehen in Palästina bis zum Jahr 60 aus Josephus hat, ist nicht zu widerlegen, aber es spricht auch nichts zwingend dafür. Die Historiographie des ersten Jahrhunderts ist extrem fragmentarisch erhalten: Justus von Tiberias wäre  – auch mit Blick auf die Bedeutung von Agrippa II. – eine von vielen anderen Möglichkeiten. Angesichts der historischen Unsicherheiten bei Lukas – man denke nur 3  Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004, 99–141 [hier besprochen unter 2.5]. 4  Pervo begibt sich hier, wenn auch vorsichtiger als diese, in die Spuren von Dennis R. MacDonald und Marianne P. Bonz. Mit dem Erstgenannten setzt sich Margaret M. Mitchell, Homer in the New Testament?, in: JR 83 (2003) 244–260 auseinander; zu dem epischen Ansatz von Bonz vgl. Stefan Krauter, Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 214–243. 5  Steve Mason, Josephus and the New Testament, Peabody, Mass. ([1992] 22003) 2005, 251–295. Da Pervo die These nachgerade als Alleinstellungsmerkmal seines Kommentars „in recent times“ (xv) anführt, überrascht es, dass er Masons Standardwerk nicht nennt.

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an die konfuse Chronologie der Gamaliel-Rede – mag ohnehin die mündliche Überlieferung zu bevorzugen sein. Zudem nimmt Pervo eine „gentile mission source“ für den ersten Teil und einen Kollektenbericht für den zweiten an. Letzterer mag einen Teil der Wir-Passagen erklären; auch für Apg 27 ist eine quellenkritische Lösung zu erwägen. Im Übrigen bevorzugt der Kommentar literarisch-textpragmatische Erklärungen der Wir-Passagen. Nicht zuletzt dient die erste Person Plural der Verbindung des Buches mit Paulus und ist gewissermaßen für Apg das, was die Briefform für die Deuteropaulinen ist (vgl. 392–396). Überzeugt bin ich nicht ganz, aber von allen Erklärungsversuchen, die ich kenne, erscheint mir dieser noch als der am wenigsten unplausible. 6. Zur Gattungsbestimmung: Sollte Pervo bei der These seiner Erstlingsschrift bleiben, nach der Apg als historischer Roman zu beschreiben sei, wäre zu erwarten, dass die Auslegung sich in jenem Maß auf die Unterhaltungsabsicht konzentriert, das Pervo in Profit with Delight gefordert hat. Natürlich tut sie es nicht. Die neue Balance wird dem Kommentar auch durch die jüngere Forschung selbst ermöglicht, die die fiktionalen, literarischen und unterhaltenden Anteile der antiken Geschichtsschreibung sehr viel deutlicher herausarbeitet, als dies 1979, als die Harvard University Pervos Dissertation annahm, üblich war. Vor allem ist heute mit wenigen Ausnahmen (z. B. Colin Hemer, Ben Witherington, Detlev Dormeyer) auch die kritische Pragmatik nicht mehr der Maßstab, dem Apg gerecht zu werden hat. Nicht zuletzt wird der historiographische Anspruch methodisch korrekt von einem dokumentarischen Sachbezug getrennt. Gleichwohl erhebt Pervo noch immer zehn Einwände gegen den historiographischen Charakter des zweiten Logos (vgl. 17 f.), die sich aber verflüchtigen, wenn man die unterschiedlichen Niveaus berücksichtigt und in Rechnung stellt, dass Gattungen dynamische Familienverwandtschaften darstellen, keine ontologischen Kategorien. Ungeachtet der romanhaften Erzählmuster, die seit der Alexander-Zeit in der Geschichtsschreibung vordringen, und der epischen Memoria, die der antiken Historia schon immer „im Blut“ liegt, ist Apg der zeitgenössischen aktantenzentrierten Historiographie zuzuordnen. Pervos These, dass die Quantität fiktiver Episoden die Gattungsfrage entscheide (18), halte ich für untauglich: Zunächst wissen wir den Anteil der Fiktionalität so genau ja nicht zu bestimmen. Ich würde etwa die Flucht des Paulus aus Damaskus im Korb (Apg 9,23–25), die überlebte Steinigung (14,19 f.) sowie den überlebten Schiffbruch (Apg 27) für gänzlich romanhaft halten, würden die Tatsachen als solche nicht durch Paulus selbst, freilich diffus, bestätigt (vgl. 2Kor 11,25.32 f.). Vor allem aber entscheidet sich die Gattungsfrage nicht am Quantum des Fiktiven, sondern an der Lektüre-Markierung für den intendierten Leser. Primär beabsichtigt der Erzähler nicht zu unterhalten, sondern Herkunftserinnerung bereitzustellen. Insofern der Leser das im fachprosaischen Proömium angekündigte Programm auch im

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zweiten Logos eingelöst erwartet, handelt es sich in Apg um Historiographie (mit romanhaften und epischen Anteilen) für eine kognitive Minderheit. Das prononcierte Urteil „Luke’s achievement as a historian lies more in his success at creating history than in recording it“ (18) gilt für die Intentionalität aller Geschichtsschreibung. Man wünscht Pervos halbem Abschied von seiner Dissertationsthese eine entschlossene Vollendung. Dass sie in vielerlei Hinsicht für die Auslegung von episodischen Plots, Charakteren, Erzählmotiven und ‑bögen höchst inspirierend bleibt, belegt die Einzelauslegung in diesem Kommentar. 7. Auch zur Frage der Einheit von Lk und Apg hat sich Pervo bereits im Vorfeld zu Wort gemeldet. An der Verfassereinheit hält er fest, gewichtet aber die Unterschiede stärker, als dies gemeinhin geschieht. Dies dürfte nicht zuletzt seiner gattungsgeschichtlichen Dichotomie geschuldet sein. Die Verschiedenheiten sind zum Teil durch die unterschiedliche Quellenlage, den Aktantenwechsel und die erzählerisch notwendige Neuperspektive erklärbar. Vier Voraussetzungen Pervos (vgl. 18–20) sind genauer zu bedenken: Ist Apg unabhängig von Lk lesbar? Unterscheidet sich die Christologie des zweiten Logos tatsächlich so beträchtlich von der des ersten? Hat der dritte Evangelist Apg wirklich nicht im Vorhinein konzipiert? Sind die Erzählstile so unterschiedlich  – lebt Lk vom Erzählen, Apg vom Zeigen? Gewiss: „Acts could stand independently“ (19), doch bleibt die Frage, ob dies im Sinne des Verfassers und im Interesse des intendierten Lesers liegt. Man kann Lk 24,52 f. ebenso als Vorbereitung auf den zweiten Logos lesen wie Apg 1,1–12 als Rückbindung an den ersten und im Proömium des Evangeliums die perspektivische Eröffnung des Gesamtwerks sehen.6 Berücksichtigt man die absentee christology (C. F. D. Moule), werden überraschende Rekurrenzen und Vernetzungen wahrnehmbar.7 Auch wenn fraglich bleibt, ob der Verfasser von Anfang an die literarische Endgestalt im Blick hatte, so deutet m. E. namentlich das Vorevangelium (Lk 1 f.) vielfach auf das lukanische Erzählprogramm und seinen christologischen Leitfaden im Ganzen hin. In der Kunst der ἐνάργεια, die Lukas wie kein anderer urchristlicher Theologe beherrscht, fallen Erzählen und Zeigen zusammen. Gerade darin – in der theologischen Szenenmalerei – mag man das sehen, was all die Episoden vor und nach dem Ostergeschehen verbindet. Vor allem: Die Herkunfts‑ weist auf die Stiftungsmemoria zurück. Der geschichtlich eingebundene Bios wird durch die biographisch akzentuierte Historia ergänzt. Dies erklärt die Motivkonsistenz, die erzählerischen Bögen, 6 Dazu jetzt Michael Wolter, Die Proömien des lukanischen Doppelwerks (Lk 1,1–4 und Apg 1,1–2), in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rotschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 476–494. 7  Dazu jetzt Friedrich Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562.

1. Ein Leitkommentar: Richard I. Pervo (2009)

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nicht zuletzt das Bild von der Einheit der Erstepoche. Pervos Anfragen an die Einheit des Doppelwerks sind also insgesamt Anstoß zur Vertiefung, nicht zur Relativierung der seit Cadbury gängigen Position. 8. / ​9. Auf Struktur und Intention der Apg geht der Kommentar überraschend knapp ein. Die maßgebliche Erzählzäsur setzt er nicht in Kap. 15, sondern vor Kap. 13. Der Zweck ist die Legitimierung der gewordenen Ekklesia ad intra. Man mag bedauern, dass Pervo so rasch mit dem Ansatz der „apologetischen Historiographie“ (Gregory Sterling) fertig ist (vgl. 15 f.); dort hätte er manche Anregung zur Präzisierung gewonnen. Hier rächt sich noch einmal die gattungskritische Festlegung. Was paradoxerweise bleibt, ist eine Legitimierung im Modus des Romans! 10. Enttäuschend karg stellt sich auch die Gesamtschau auf die Theologie dar: Hauptanliegen der Apg ist die Kontinuität der Heilsgeschichte; ihr wesentlicher Motor ist das Wirken des Pneuma.8 Ob es eine eigene Theologie der Apg gibt, wie sie aus ihrer Erzählsequenz herauszulesen ist, worin sie sich von der des Evangeliums unterscheidet – all dies bleibt unklar. Hier nun wirkt der sonst so gezielt innovative Kommentar nahezu altertümelnd.9 Die Erschließung lukanischer Theologie gehört auch in der Einzelauslegung nicht zu seinen Stärken. Im Ganzen ist die Einzelauslegung freilich aufmerksam, komparativ breit gefächert, lehrreich und mit ihrem lebendigen Stil sehr ansprechend. Sie ist nach dem üblichen Hermeneia-Schema (Textgeschichte, Analyse, Kommentar) aufgebaut. Über das Gesamtprofil der Interpretation verraten die insgesamt immerhin 37 (unterschiedlich ausführlichen) Exkurse einiges: Sie sind meist historisch oder literarisch, vereinzelt quellenkritisch, kaum theologisch ausgerichtet und behandeln die klassischen Fragen der Actaforschung, und zwar mit eigenständigen, wenn auch nicht immer überzeugenden Lösungen. Hervorzuheben sind zwei Exkurse: Die Annahme, Paulus habe römisches Bürgerrecht genossen, hält Pervo für unwahrscheinlich (554–556); das offene Ende hält er, von Querlektüren belehrt, für natürlich und narrativ angemessen (688–690). Dem Kommentar sind leserfreundlich fünf Anhänge beigegeben, die für die Auslegung wichtige Paralleltexte aus der zeitgenössischen Literatur anführen. Ich fasse meinen vorläufigen Eindruck zusammen: Der Kommentar ist eher auf Anregung als auf Absicherung bedacht; er dringt eher in die perspekti­vische Weite vor als in die theologische Tiefe; er zielt eher auf Originalität als auf 8  Die Skepsis Ernst Haenchens gegenüber der lukanischen Vorliebe für Wunder erklärt Pervo seinen Lesern damit, dass Haenchen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (sic!) wie viele Deutsche allergisch gegen Verheißungen mirakulöser Befreiung gewesen wäre, da die Nazis ständig („continually“) Wunderwaffen versprochen hätten (24 mit Anm. 150) – auch in der Bildungsschicht der US-amerikanischen Kultur treibt das Klischee mitunter bunte Blüten. 9  Vgl. dazu die sensible Besinnung bei Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, 4–84 [hier besprochen unter 2.6] sowie grundsätzlich bereits Beverly R. Gaventa, Toward a Theology of Acts, in: Interp. 42 (1988) 146–157.

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Forschungsverschränkung. In jedem Fall lohnt es sich sehr, ihm die eingangs genannte Chance des Selbstversuchs zu geben.

2. Die Apostelgeschichte als Geschichtsschreibung 2.1 Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (2005) Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. Eve-­Marie Becker, BZNW 129, Berlin: De Gruyter, 2005. XIII + 308 S., ISBN 3-11-018208-4.10

Überraschend oft werden nach vorwärts drängende Entwicklungen mit der „re­ staurativen“ Vorsilbe re‑ ausgestattet: Re-Form, Re-Vision, Re-Naissance, Re-­ Formation, sogar Re-Volution. Das Neue rechtfertigt sich gern durch Rekurs auf Anfangsbehauptungen. Jesus hat die Basileia als unableitbar neue Setzung JHWHs proklamiert und wurde so selbst zum maßgeblichen Anfang, auf den sich die folgenden Jahrhunderte zurückbezogen. So ist der Anfang als „Ur-Kunde“ ein weltanschaulich gesättigtes – schöpferisches und subversives – Konstrukt. Der anzuzeigende Sammelband fragt nach den „Anfängen“ dieser Entwicklung in der Antike. Er dokumentiert ein wichtiges Forschungskolloquium am Institut für Neues Testament der Universität Erlangen (2004), das die damit verbundenen Problemstellungen in transdisziplinärer Breite (atl. und ntl. Exegese, Judaistik, Patristik, Alte Geschichte und Altphilologie) aufarbeitet. Hinführend skizziert die Herausgeberin Eve-Marie Becker (1–17) das Verhältnis der Historiographie‑ zur Evangelien-Forschung und begründet das Anliegen des Projekts: Es sollen die Anfänge (in) der antiken Geschichtsschreibung strukturell verglichen werden, da sie in besonderer Weise geeignet sind, Geschichtswahrnehmung und Geschichtsdeutung erkennbar werden zu lassen. Hervorzuheben sind neben den vieldiskutierten Gattungsfragen drei Einsichten: (1) Insofern Geschichte kein Monopol historiographischer Literatur darstellt, ist Geschichtsschreibung nicht gattungskritisch engzuführen. (2) Insofern Geschichte sich nicht auf den Vergangenheitsaspekt reduziert, ist die soziale Intentionalität von Geschichtsschreibung zu gewichten. (3) Insofern Geschichtsschreibung der Deutung von Gegenwart durch Bezugnahme auf Stiftendes dient, ist übergreifend die mythische Dimension von Geschichtsdarstellung zu reflektieren. Grundlegend widmet sich Martin Mulsow (19–28) der Denkfigur des Anfangs, die allemal bestimmte gegenwartsgeprägte Beziehungsmuster von „Ursprung“ und „Entwicklung“ in sich birgt. Eher sprunghaft skizziert er die Geschichte der Vor‑ und Frühgeschichten mit ihren Anfangsbehauptungen von den Griechen über die Renaissance, eingehender bei den Sattelzeiten des 17. Jahrhunderts und der Aufklärung verharrend, bis zur romantischen Historiographie und zum Historismus. Abschließend formuliert Mulsow etwas schulmeisterliche Anfragen an das exegetische Fach, die vermuten lassen, dass er dessen Reflexionsniveau unterschätzt. Tatsächlich werden die hier angezeigten  Rezensiert in Theologische Revue 102 (2006) 30–33.

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Probleme seit langem fachlich so differenziert diskutiert, dass die Simplizität der Problemanzeigen (z. B. 27: „Ist das Movens für die möglichst weitgehende Annäherung des Anfangs der Kirchengeschichtsschreibung an den quellenmäßig unzugänglichen Nullpunkt des Christentums, das Leben Jesu, womöglich gespeist aus dem mythischen Bedürfnis, den Ursprung zu fassen?“) zu Verwunderung Anlass gibt. Diese verwandelt sich alsbald zu dankbarem Staunen angesichts des außerordentlich instruktiven Beitrags von Hans-Joachim Gehrke (29–51). In Anschluss an Jan und Aleida Assmann erörtert Gehrke aus althistorischer Sicht das Konzept der intentionalen Geschichte, in der sich die Konstrukte von Anfängen und Herkunft als Teil der eigenen (höchst präsentischen) kollektiven Selbstdefinition zum mythischen Gedächtnisbild (George Herbert Mead) in der Tiefe der Zeit „verdinglichen“. Die gepflegte Erinnerung baut – in Hellas freilich recht variable – Vergangenheitsräume, die zwar monumental wirken, aber doch der Orientierung im lebensweltlichen Heute dienen. Gegenwart und Vergangenheit rücken eng zusammen, werden als Herkunfts‑ und das heißt: als Wertgemeinschaft kohärent. Die Gedächtnisspezialisten der griechischen Epik ordnen und sortieren ihre Stoffe und knüpfen sie zu Erinnerungssträngen, die die erfahrene Lebenswelt an ein sicherndes Gestern binden: Beobachtungen, die man etwa aus alttestamentlicher Perspektive  – man denke nur an die sekundären familiären Verknüpfungen zwischen den Erzeltern oder die genealogischen Beziehungsgeflechte der Priesterordnungen  – bestätigen und ergänzen kann. Aus dem archaischen Großbild Troja erwachsen in alle Richtungen variable, ergänzungsfähige Erzählungen, Vorfahren, typische Geschicke. Das Gedächtnisbild weitet sich zum literarischen Großgemälde (oder Filmepos) einer Vergangenheit, und die Anknüpfungsmöglichkeiten der Gegenwart wachsen mit. Die Perserkriege freilich als die Großerfahrung der eigenen Zeitgeschichte ziehen umgekehrt die mythischen Farben des Gestern in das Bewusstsein des Heute hinein (Aischylos!) und platzieren die eigene Gegenwart im heroischen Raum. Zugleich entwickeln sich Rekurrenzmuster: „An ihren Taten konnte man die Athener erkennen, nicht erst jetzt, sondern schon immer: So waren sie eben“ (44). Ein wertvoller Aufsatz, der auch Neutestamentler heuristisch vielfach bereichert! Markus Witte (53–81) legt triftig dar, dass in der alttestamentlichen Literatur Anfangserzählungen nicht der (früh, also im 10. / ​9. Jh. v.  Chr. zu datierenden) Stiftung eines „Nationalbewusstseins“, etwa in der „salomonischen Aufklärung“, dienen, sondern umgekehrt (vom 8. bis zum 6. Jh.) krisenhaften Infragestellungen in Staat und Kult entgegenzusteuern suchen, indem sie die Erinnerungsfragmente der Vergangenheit als eine zielgerichtete Bahn auf die Jetztzeit hin anlegen. Fast wünschte man sich, eine solche Zielrichtung in der Debatte um die alttestamentliche Geschichtsschreibung ebenfalls wahrzunehmen, aber Witte führt nahezu unbarmherzig vor, wie fragmentarisch das Wissen bleibt und wie unsicher Quellenverhältnisse, Reihenfolgen und Datierungen hier allesamt geworden sind. Der Neutestamentler ist versucht, JHWH dreimal am Tag zu danken, kein Alttestamentler zu sein. Von der Krise als Mutter der Historiographie zum Krieg als deren Vater: Burkhard Meißner (83–109) belegt am Beispiel der frühen griechischen Geschichtsschreibung seit Hekataios (und Anaximander), dass die überlieferungskritische Vermittlung von Kontinuitätsbewusstsein und die Stiftung von Orientierungswissen zu den ureigenen Leistungen historischer Vernunft gehören. Als pater historiae würdigt er Herodot unter dem Gesichtspunkt, dass dieser erstmals die monographische Stofforganisation konzipiert hat, die insofern der πραγματικὴ προαίρεσις (Dionysios von Halikarnass, De Thucydide 5) zugerechnet werden kann, als Herodot sich rational der Erfassung von Handlungszusammenhängen verpflichtet zeigt und mit einer differenzierten Konzeption militäri-

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sches Handeln als kausal verschränkte Ereignisfolge in geographischer wie kultureller Weitflächigkeit dartut. Thukydides macht dann Geschichte zum Gegenstand sowohl der sorgfältigen Prüfung jeder Einzelüberlieferung (ἀκρίβεια) als auch der Ursachenforschung. Xenophons Ansatz ist durch das Bewusstsein von der Unabschließbarkeit der Geschichte geprägt, die er als Kompensationsgeschehen deutet. Die römische Geschichtsschreibung entsteht wesentlich aus dem Bedürfnis der Nobilität, an die sie von Anfang an gebunden ist, die Reichswerdung nachzuvollziehen und vor der griechischsprachigen Welt zu rechtfertigen. Ihre Anfänge liegen, wie Andreas Mehl (111–136) herausarbeitet, bei Q. Fabius Pictor und M. Porcius Cato Maior, als nach innen die über die Adelssippe hinausreichende res publica als solche wahrgenommen wird und sich nach außen kriegerischer Expansionsdrang mit kultureller Lernfähigkeit verbindet. So verwundert es nicht, dass der römischen Geschichtsschreibung einerseits besondere Sensibilität für soziale Stratifikation (Senat als Kollektivorgan, einzelne nobiles, plebs) und andererseits (standes‑ wie staatsfördernder) moralischer Impetus eignet. Römische Historiographie stellt sich so weithin als Dokumentation von Handlungsbegründungen dar. Dankenswerterweise geht Mehl auch empathisch auf das Verstehensinteresse seiner dem Frühchristentum zugewandten Leser ein und behandelt zwei in diesem Feld besonders wichtige Entwicklungslinien: die Entstehung einer Universalgeschichte und die teleologische Interpretation historischer Abläufe. Man bedauert, dass Polybios der chronologischen Lücke zwischen diesem und dem folgenden Aufsatz zum Opfer fällt, in dem sich Franz Römer (137–155) mit der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit (samt der späten Republik) befasst. Charakterstudien und Memoirenliteratur stehen am Anfang, und wie der individuelle Handlungsträger in der ausgehenden Republik das politische Geschehen bestimmt, so konzentriert sich die Geschichtsschreibung auf den einzelnen Aktanten und wird auf solche Weise zunehmend durch Züge der Biographie wie der Panegyrik bestimmt. Sallust skizziert die Charaktere seiner Hauptdarsteller ausdrücklich (vgl. Catil. 5; 25; 54; Iug. 6); Livius kommentiert sie eher durch den Handlungsablauf als solchen. Nepos, Velleius Paterculus, Q. Curtius Rufus, vor allem Tacitus zeigen, wie Bio‑ und Historiographie sich – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des moralischen Exempels – gegenseitig durchdringen, bis mit Sueton die (Herrscher‑)Biographie die konventionelle Geschichtsschreibung weithin verdrängt. Mit dem Beitrag von Oda Wischmeyer (157–169) erreicht unser Band die jüdisch-christliche Historiographie. Die ethnozentrisch orientierte frühjüdische Geschichtsschreibung blickt bereits auf die geformte Tradition einer theologisch gedeuteten Herkunftsgeschichte zurück (findet so gewissermaßen in Jesus Sirachs „Lob der Väter“ einen Anfang). Dies spiegelt sich in einem breiten Tableau an Texttypen wider, zu dem sich die Möglichkeiten hellenistisch-reichsrömischer Monographie gesellen, wie sie nach unserem Überlieferungsbestand zuerst Flavius Josephus entschieden ergriffen hat. Die erzählte Welt dehnt sich temporal von der Schöpfung bis in die Zeitgeschichte und schließt kompetitiv, wenn auch ohne dauerhaften Erfolg, an universalistische Tendenzen an: Mose und Abraham werden zu Archegeten der Weltkultur. Die Verfasserin skizziert im Einzelnen die Makkabäer-Literatur (1–4 Makk) und die fragmentarisch erhaltenen Hellenisten (Demetrios, Eupolemos, Artapanos, den samaritanischen Ps.-Eupolemos). Frühjüdische Geschichtsschreibung wertet sie nicht als „Krisenphänomen“, doch wird man immerhin konstatieren, dass sich vom Makkabäerkrieg bis zum ersten jüdisch-römischen Krieg auch hier die traumatische Erfahrung des gewaltsamen Wechsels und des Widerstands motivierend und inspirierend auswirkt, bis freilich nach 135 n. Chr. „intentionale Geschichte“ nur noch in der kanonisierten Form der Hebräischen Bibel stattfindet.

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Die folgenden Beiträge wenden sich einzelnen frühjüdischen Schriften zu: Beate Ego (171–195) untersucht die Tiervision 1Hen 85–90, in der sich – jenseits des Genres der Geschichtsmonographie – ein apokalyptischer Geschichtsentwurf aus der Makkabäerzeit zu symbolsprachlicher Geltung bringt. Auch hier geht es um eine (universalistisch-teleologische) Verortung Israels in der Völkerwelt. Die Geschichte erweist sich als Wechsel von göttlicher Zuwendung und Bestrafung und die eschatologische Hoffnung Israels sieht sich in tempore fundiert. Hermann Lichtenberger (197–212) untersucht den literarischen Charakter und die theologische Konzeption von 1 und 2Makk und sieht das Geschichtsbild von 2Makk im Modus des Gebets illustriert. Über das Verhältnis des Epitomators zu Jason von Kyrene sieht er „noch nicht das letzte Wort gesprochen“ (211), aber welches „Wort“ er selbst für plausibel hält, wird trotz der umfangreichen Zitation des Epitomators nicht deutlich. Auch möchte man die „Aspekte“, die den Verfasser fragen lassen, ob in 2Makk „tatsächlich Geschichtsschreibung vorliegt“ (vgl. 211) – im Wesentlichen Interpretationsstandards wie Tun-Ergehen-Zusammenhang, Wunderhaftes, Übertreibungen u. ä. – für die Antike nicht gelten lassen. Vor allem scheint mir das Hauptargument dafür, dass Lichtenberger 1Makk den Charakter der Geschichtsschreibung abspricht – die darstellungsleitende Kraft theologischer Deutungsmuster (212)  –, recht problematisch: Es ist elementarer Bestandteil der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie, auch in ihren „Hochformen“, dass sie in selbstverständlicher Weise Deutungsmuster, auch solche religiöser Art, in die Darstellung einträgt und zu diesem Zweck Geschehensabläufe färbt, ordnet, konstruiert. Die Dichotomie zwischen „Theologie“ und „Geschichtsschreibung“ halte ich für forschungsgeschichtlich überholt. So ist zu bedauern, dass die Gelegenheit des Erlanger Symposions nicht ergriffen wurde, die Auswertung der beiden Makkabäerbücher um das Konzept der intentionalen Geschichte zu bereichern. Eve-Marie Becker (213–236) liest das Mk-Evangelium unter dem historischen Gesichtspunkt des ersten jüdisch-römischen Krieges, der so als Initialzündung spezifisch christlicher Geschichtsschreibung gewürdigt wird. Bis S. 233 konzentriert sie sich allerdings darauf, Hintergrund und Verlauf dieses Krieges zu beschreiben. Dieser Teil ist insofern hilfreich, als er die Ereignisse als Möglichkeitsbedingung für den Aufstieg der flavischen Dynastie wahrnehmen lässt. Erst auf den letzten drei Seiten nimmt die Verfasserin direkt Stellung zum Mk-Evangelium und versucht zu zeigen, dass Markus vor diesem zeitgeschichtlich entscheidenden Hintergrund „historiographisch“ zu arbeiten lernte, gar „in eine literarische Nähe zum Geschichtsschreiber Josephus“ (236) rückt. Von dieser gattungskritisch fragwürdigen These abgesehen, bietet der Beitrag keine neuen Einsichten zu Mk. Eher fragt man sich nach der Lektüre, warum das in der Tat so erschütternde Zeitgeschehen außerhalb von Mk 13 so wenige Spuren in diesem Evangelium hinterlassen hat – eine Frage, die sich ja drängender noch (unter der plausiblen Annahme seiner Entstehung nach dem Fall Jerusalems) beim Hebräerbrief stellt, dem die Verfasserin gar (aufgrund welcher Textsignale?) „Schmerz und das Bemühen, die Katastrophe von 70 zu begreifen“, anmerken will (226). Vielleicht erklärt sich der Impuls zur markinischen „Geschichtsschreibung“ undramatischer: Jan Assmann hat darauf aufmerksam gemacht, dass in Mündlichkeitskulturen vierzig Jahre nach dem Referenzgeschehen die kritische Schwelle erreicht ist, in der das kommunikative Gedächtnis der Zeitzeugen allmählich verlöscht, Distanz zur rezenten Vergangenheit gewonnen und kulturelle Erinnerungsarbeit als Aufgabe begriffen wird.11 Für das älteste Evangelium lässt sich diese Einsicht nahezu 11 Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 11, 50 f.

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„auf das Jahr genau“ bestätigen. Mir scheint jedenfalls, dass der erste jüdisch-römische Krieg demgegenüber eine geringere Rolle spielt, als der Aufsatz nachzuweisen sucht. Sehr anregend trägt abermals Jens Schröter (237–262) zur Diskussion bei. Er geht dem hellenistischen Historiographen Lukas unter neuen Vorzeichen nach und liest ihn als zweiteilige Gründungs‑ und Erstepochengeschichte des Christentums, die sich zum einen in Kontinuität zum jüdischen Identitätsanspruch und zum anderen als Gegenangebot zu konkurrierenden historiographischen Sinnentwürfen versteht. Die beiden Teile sind auf der Ebene der story einander zugeordnet, im literarischen Genre aber durchaus eigenständig. Das dritte Evangelium steht dabei gewissermaßen zwischen dem markinischen Bios und der Apg, weil es als Teil dieses Doppelwerks konzipiert ist. Angesichts einer jüngeren Tendenz in der US-amerikanischen Actaforschung, den gattungsgeschichtlichen Ort der Apg zwischen Epik und Roman zu suchen,12 verdient Schröter volle Zustimmung, wenn er einerseits auf dem historiographischen Charakter der Apg beharrt und andererseits die Gattungsbestimmung „Historiographie“ strikt von dem dokumentarischen Gel­ tungsanspruch trennt (auch hier kommt es vor allem unter evangelikalen Vorzeichen in der US-amerikanischen Exegese zu manchen Kurzschlüssen). Vielmehr sind das kon­ struktive Element und die schöpferische Stiftung eines Deutungszusammenhangs geradezu als Gattungsmerkmal historiographischen Erzählens zu würdigen. Was sich prima facie (Umberto Eco würde sagen: für den „Leser ersten Grades“) als Berichterstattung über die Vergangenheit liest, ist (für den „Leser zweiten Grades“) als Herkunftsgeschichte der Verwurzelung gegenwärtiger Wertegemeinschaft verpflichtet. Historiographische Re-Präsentation und theologische Interpretation, so zeigt Schröter, sind keine Widersprüche, sondern Faktoren der in jeder Geschichtsschreibung angelegten Sinnlinie: Als Historiker wird Lukas der Entdecker der christlichen Heilsgeschichte. Dass sich Geschichtsschreibung wesentlich als gegenwartsbezogenes Ord­nungs­handeln betätigt, geht auch aus der katalogischen Chronologie bes. der Bischofslisten hervor, die Wolfgang Wischmeyer (263–276) vorstellt. Jörg Ulrich (277–287) schließlich zeigt, wie gerade das λόγος-theologische Grundanliegen des Eusebios von Cäsarea diesen antreibt, die sinndurchtränkte Vergangenheit auf alle ihre reichen Facetten hin wahrnehmbar zu machen und Kirchengeschichte als Universalgeschichte zu konzipieren. Der umfassende theologische Sinnentwurf wird mit historischem Material konkretisiert. Geschichte wird als theoriefähig und theologische Theorie als geschichtsverankert verstanden.

Es mag vielleicht stören, dass die Autoren das Leitthema verschieden wahrgenommen haben. Die einen behandeln die Anfänge der Geschichtsschreibung in den verschiedenen kulturgeschichtlichen Phasen, die anderen behandeln die Anfänge, sofern sie in der Geschichtsschreibung thematisiert werden. Da sich aber zu beiden Fragestellungen lohnende Beiträge finden, wirkt die Doppeldeutigkeit produktiv. Das Grundanliegen, bei der Einordnung der frühchristlichen Narrativik die antike Literaturgeschichte stärker einzubinden, ist jedenfalls eindeutig erreicht. So ergibt sich ein wichtiger Erkenntnisfortschritt: Wer in der Antike die Anfänge einer Gemeinschaft dartut, will deren Gegenwart Ziele zeigen und 12  Einen repräsentativen Einblick in die einschlägige Diskussion gibt der Sammelband Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. C. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSympS 20, Atlanta, Ga. 2003 [hier besprochen unter 4.1].

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deren Zukunft einen Richtungssinn geben, der in der eigenen Herkunft verwurzelt und damit zeitenthoben „objektiviert“ scheint. Der Sammelband beleuchtet in begrüßenswert weiter Perspektive nicht zuletzt, wie relevant dieses aktuelle Deutungsmoment intentionaler Geschichtsschreibung für ein historisch angemessenes Verständnis gerade auch der neutestamentlichen Erzählungen als Stiftungsmimesis ist. Er trägt damit sehr sachdienlich zur altphilologischen und althistorischen Kontextualisierung der Exegese bei. 2.2 Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (2004) Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. Festschrift für Eckhard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag, hg. v. Cilliers Breytenbach / ​Jens Schröter, AGJU 57, Leiden: Brill, 2004. XII + 385 S., ISBN 90-04-13892-7.13

Der Berliner Neutestamentler Eckhard Plümacher hat seit seiner Dissertation14 über Jahrzehnte die Actaforschung durch altphilologische Vergleichsarbeit bereichert und ihre Einsicht in historiographische Wahrnehmungs‑ und Darstellungsmuster (z. B. narrativer Episodenstil, Septuaginta-Mimesis) immer wieder vertieft. Das Thema für die vierzehn Beiträge dieser international zusammengesetzten Festgabe ist daher passend gewählt. Sie stellt ihrerseits eine Bereicherung der Actaforschung dar. Die beiden ersten Aufsätze widmen sich philologischen Themen, die im exegetischen Alltag allzu oft an den Rand treten, obwohl sie allen exegetischen Entscheidungen vorausliegen. Loveday Alexander (1–26) untersucht im Anschluss an die Pionierarbeit von Albert Wifstrand in diachron differenzierender Weise den soziallinguistischen Code des lukanischen Doppelwerks und klärt das Verhältnis zwischen Attizismus, Klassizismus, Septuagintismus, Soziolekt, Stilregister, Diglossie, Imitatio, Fachprosa und code switching. Im Ergebnis erscheint die lukanische Koine als gegenüber dem klassizistischen Anspruch abfallende, aber lebendig gepflegte, also mittels Sozialisation erworbene Prestigesprache diaspora-­synagogaler Kreise, in ihrer statusdefinierenden Funktion dem Attizismus des zweiten Jahrhunderts vergleichbar. Ulrich Victor (27–57) weist an vielen Textbeispielen, gerade auch aus Apg, auf, dass beim Wechsel der Erzähltempora der Aspekt (also nicht die Aktionsart wie Punktualität und Dauer / ​Wiederholung) in dem Sinne entscheidet, dass der Aorist aus der Erzählerperspektive zeitliche Ferne markiert, während das Imperfekt das Ereignis in seinen Umständen vergegenwärtigt, also den durch Aoriste gesetzten Rahmen ausfüllt; das Erzählpräsens zeigt Höhe‑ und Wendepunkte an. Es folgen Einzelstudien: Gert J. Steyn (59–81) widmet sich der Vorlage und der lukanischen Reinterpretation der Amos-Zitate in Apg. Dietrich-Alex Koch (83–107) zeigt, wie bei der an Juden gerichteten Jerusalemer Petrus-Rede (vgl. Apg 2,14–39) Proselyten (Apg 2,11) den Welthorizont öffnen und bei der Paulus-Rede im pisidischen Antiochien (vgl. Apg 13,16–41) „Gottesfürchtige“ die Brücke zum Heidentum bilden. Andreas Lindemann  Rezensiert in Theologische Revue 102 (2006) 464–466.  Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972. 13 14

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(109–133) stellt den äthiopischen Eunuchen (Apg 8,26–40) als einen im Präludium zur Durchsetzung der Heidenmission kompositorisch sinnvoll eingesetzten Individualfall vor: Dieser Suchende veranschaulicht paradigmatisch das religiöse Interesse als Anknüpfungspunkt für die Missionspredigt. Friedrich Wilhelm Horn (135–156) setzt bei der Kollektenthematik in Apg einen eigenen Akzent, indem er den üblichen Quellenprimat des Gal nicht unbesehen akzeptiert und die lukanischen Angaben sorgsam würdigt (vgl. Apg 11,27–30; 12,25). Cilliers Breytenbach (157–169) zeigt an dem Erzählscharnier Apg 16,6 f. mit topographischer Akribie, wie die historische Erfolglosigkeit der Missionare sich ins lukanische Gefüge Paulus – „Juden“ – Rom fügt. Ein wenig aus dem historischen Rahmen des Bandes fällt der Beitrag von François Vouga (171–191), der, inspiriert von Jean Calvin, eine „existentiale Interpretation“ der Areopagrede (Apg 17,22–31) in Anlehnung an die „humanistisch-reformatorische Tradition“ (vgl. 171 Anm. 1) vorlegt. David P. Moessner (193–221) vergleicht den von dem Universalhistoriker Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.) entfalteten Erzählplan und sein πρόνοια-theologisch verankertes Ideal einer narrativen Konsistenz mit dem Erzählende der Apg. Die folgenden Beiträge wenden sich dem Doppelwerk als Ganzem zu: Walter Schmithals (223–251) kritisiert die bei dem Jubilar (Lk / ​Apg), Michael Wolter (Pastoralbriefe) und Erich Gräßer (Hebr) wirksame Erklärungsfigur einer urgemeindlichen „Identitätskrise“ als Reprojektion aus heutiger Krisenerfahrung, nimmt aber das wissenssoziologisch ganz anders als von ihm gefasste Beschreibungsmodell nicht recht wahr und überzeugt in keiner Hinsicht. Mit dem Beitrag von Michael Wolter (253–284) erreicht der Band seinen Höhepunkt: Das lukanische Doppelwerk ist als Geschichte einer Epoche zu lesen, die auf einen abgeschlossenen, einmalig konfigurierten Geschehenszusammenhang zurückblickt und durch den Trennungsprozess zwischen  Ἰουδαῖοι und Χριστιανοί gekennzeichnet ist. Eingangszäsur dieser Epoche ist Gottes neue Heilsinitiative (vgl. Lk 1,8–20.26–38). Die Schlussbegegnung (Apg 28,17–31) ist retrospektiv angelegt, liegt also bereits jenseits der Epochenschwelle und setzt die zuvor geschilderte Scheidung voraus. So gesehen erreichen die im lukanischen Doppelwerk zu berichtenden πράγματα mit der Rede des Paulus vor Agrippa II. (vgl. Apg 26,1–29) ihren definitiven Abschluss, sodass die dramatische Seereise nach Rom (Apg 27,1–28,16) vor allem die Zäsur narrativiert. Insofern nun der Trennungsprozess eine Epoche der Geschichte Israels darstellt, arbeitet Lukas zwar im Bemühen um die christliche Selbstaffirmation die Alterität der „Juden“ heraus, nimmt jedoch durchgehend die Binnenperspektive des Gottesvolkes ein. Ein wichtiger Aufsatz, der geeignet sein dürfte, das Gesamtverständnis des Doppelwerks nachhaltig zu beeinflussen! Daran fügt sich passend der Beitrag von Jens Schröter (285–308), der mit Blick auf den Zusammenhang der einerseits davidisch, andererseits prophetisch geprägten Christologie mit der Gottesvolkthematik die Kontinuität im lukanischen Geschichtsentwurf unterstreicht: Bleibt der theologische Primat Israels sachlich bestehen, so treten die Heiden doch aufgrund der Verweigerung der jüdischen Mehrheit zeitlich in das πρῶτον Israels ein, bis das göttliche Heilshandeln auch die Verstockung der „Juden“ aufhebt. Im letzten Durchgang stellen François Bovon und Bertrand Bouvier (309–331) das Martyrium S. Stephani (BHG 1649C; Vaticanus graecus 679, f. 187v–191v, 11. Jh.) vor und dokumentieren den bislang unedierten Text; Hans-Gebhard Bethge (333–343) teilt unbekannte koptische Fragmente vor allem der Apg-Überlieferung aus der Universitätsbibliothek zu Cambridge mit. Eine vollständige Bibliographie stellt das Œuvre des Jubilars vor Augen; umfassende Schlagwort-, Stellen‑ und Autorenregister beschließen den sorgfältig redigierten Sammelband.

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Zeitnah zu dieser Festschrift haben Jens Schröter und Ralph Brucker die gesammelten Aufsätze von Eckhard Plümacher zu Apg und den Johannesakten herausgegeben und dessen Forschungsleistung eingehend gewürdigt.15 2.3 Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie (2009) Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. Jörg Frey / ​Clare K. Rothschild / ​Jens Schröter, BZNW 162, Berlin: De Gruyter, 2009. X + 703 S., ISBN 978-3-11-021631-8.16

Dieser Sammelband ist ein Ereignis. Von den 25 Beiträgen sind die meisten hochkarätig. Einige besitzen das Potential, die Lukasforschung nachhaltig zu verändern. Den Lesern wird am meisten genützt sein, wenn der Rezensent den Inhalt als solchen sprechen lässt. Hinführung: Jörg Frey (Zürich) gibt einen problemsensiblen Überblick über den forschungsgeschichtlichen Hintergrund der derzeitig meistdiskutierten Fragen: das Verhältnis zwischen dem dokumentarischen Abbildungs‑ und dem intentionalen Deutungsanspruch der antiken Geschichtsschreibung – die theologische Valenz des lukanischen Programms (dem Rudolf Bultmann gerade einmal zwei Seiten seiner Theologie des Neuen Testaments gewidmet hat!) – die lebhafte Gattungsdiskussion – die Rehabilitation der Heilsgeschichte als notwendiges Ineins von Anfangsmemoria und sinnstiftendem Ordnungswissen. Jens Schröter (Berlin) rekontextualisiert Apg in der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie und arbeitet auf diese Weise ihre synthetische Gesamtleistung heraus: In den Formen zeitgenössischer Geschichtswahrnehmung und ‑darstellung (die nicht mit den Triftigkeiten des 19. Jahrhunderts zu verwechseln sind) meißelt Lukas ein Geschichtsbild, das die biblische Kontinuität wahrt, einen heilsgeschichtlichen Richtungssinn von Israel auf Christus und von dort auf die Welt gewinnt, ein kulturelles Programm, das sich nicht zuletzt in der lukanischen Gattungswahl ausspricht. I. Israelitische und frühjüdische Kontexte: Thomas Römer (Paris / ​Lausanne) wagt sich – den Fährnissen alttestamentlicher Quellenkritik trotzig die Stirn bietend – an das deuteronomistische Geschichtswerk, dessen Verschriftlichung er an das Ende der babylonischen oder den Anfang der persischen Zeit stellt. Es dient als erste Geschichte Israels und Judas: epochal gegliedert, intentional kohärent, auf ein normatives Vergangenheitsbild hin entworfen, zur Krisenbewältigung (nach 587 v. Chr.) eingesetzt, mit einer Strategie des offenen Endes. Es ist anregend, Einblick in ein theologisches Geschichtswerk zu nehmen, das Lukas zweifellos selbst gekannt hat – freilich in einer Septuaginta-Fassung. Deren historiographischen Tendenzen widmet sich der behutsam abwägende Beitrag von Martin Meiser (Erlangen). Vor dem Hintergrund der frühjüdischen Literatur (chronistisches Geschichtswerk, Demetrios der Exeget) und der Homer-Philologie wird das Bemühen deutlich, das Geschichtsbild der biblischen Vorgabe zu klären und zu ordnen, es dem gegenwärtigen Wissensrahmen und (vor allem) Deutungsstand anzupassen und die Sinndynamik theologisch aufzuhellen, namentlich die Gottesvorstellung und das Ideal‑ oder Kontrastmuster 15  Eckhard Plümacher, Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004. 16  Rezensiert in Theologische Revue 106 (2010) 293–296.

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bedeutsamer Handlungsträger. Der heuristische Ertrag für Apg ist, wie Meiser selbst sieht, mager, nicht zuletzt wohl deshalb, weil Apg anders als LXX keinen Vergleich mit Vorgaben zulässt. Immerhin lernen wir, welche Freiheiten sich frühjüdische Theologen im Umgang mit Quellen nehmen konnten – aber durchaus nicht immer nehmen mussten, denn eine stringente Gesamtlinie wird nicht wahrnehmbar. Gregory E. Sterling (Notre Dame, Ind.) zeigt erhellend am Beispiel der Rede des Paulus im pisidischen Antiochien (Apg 13,16–41) und im Vergleich mit LXX (bes. ψ 77) und dem Liber Antiquitatum Biblicarum, wie die re-narratio von Geschichte in einem kurzen Abriss das Vergangenheits‑ und Herkunftswissen auszudrücken und zu prägen vermag. Daniel R. Schwartz (Jerusalem) dehnt den Vergleich auf einen vielversprechenden Bereich frühjüdischer Historiographie aus: die beiden ersten Makkabäerbücher. Wie Apg bieten sie ein teleologisches Konzept der Vergangenheit und ein Verortungsangebot für die Gegenwart an: Lukas respektiert den Eigenraum des reichsrömischen Staates wie 2Makk, aber wie 1Makk möchte er die Realität transformieren; dabei denkt er – wie abermals 2Makk – deutlich theozentrisch und universalistisch. Dieses Dreieck jüdisch inspirierter Geschichtsoptionen eröffnet manche weiterführende Vergleichsperspektive auf den Historiographen Lukas, dessen Erzählwerk allerdings auch mit Blick auf das Judentum facettenreicher ist, als dies Schwartz’ Leitwort „undermining“ (vgl. bes. 123 f.) nahelegt. Der erste Teil, in dem jedes betrachtete Werk heuristisch relevanter für die Actaforschung wurde, schließt folgerichtig mit Josephus, dem Manuel Vogel (Jena) einen kundigen Vergleich zum Thema der Traumoffenbarung bzw. Vision widmet. Bekanntlich kommt der Divination und Offenbarungsträumen auf vielen Ebenen der griechisch-römischen Geschichtsschreibung besondere Bedeutung zu. Die alttestamentliche Tradition tut das Ihre, um die erzählerische Neigung des Josephus zu Traumbotschaften zu verstärken. Lukas dagegen geht zurückhaltend, ethisch behutsam und theoretisch desinteressiert mit Träumen um: Sie sind meist eine Nuance seines Gottesbilds und Auswirkung der pneumatischen Wirklichkeit der Anfangszeit (vgl. Apg 2,15–21). II. Griechisch-römische Kontexte: Auch der zweite Teil nähert sich dem Doppelwerk in konzentrischen Kreisen. Es ist vor allem das Geschichtsbild, das Joachim Molthagen (Hamburg) bei Herodot, Thukydides und Polybios einerseits und bei Lukas andererseits interessiert. Eine Hauptparallele findet er darin, dass die drei Klassiker ebenso wie Lukas ein (aus ihrer Sicht) großes Thema wählen. Der wesentliche Unterschied ist darin zu sehen, dass Lukas – statt auf politische und humane Kausalfaktoren und Aktanten – in biblischer Tradition auf die göttliche Handlungsführung in der Geschichte setzt. Es ist bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit hier ein Althistoriker Lukas „auf gleicher Augenhöhe“ mit den drei Großen der antiken Historiographie behandelt. Hier bringen sich jüngere Einsichten zur Geltung: die Intentionalität aller Geschichtsschreibung und der je eigene Anspruch schichtenspezifischen Erinnerns. Stärkere Relevanz für die gattungsgeschichtliche Verortung des lukanischen Werks besitzt die späthellenistisch-frühreichsrömische Historiographie. Sie leidet allerdings unter dem Nachteil, dass wir sie kaum kennen: 600 Werke weiß man zu nennen, die Dunkelziffer wird höher liegen, doch nur drei griechische Autoren liegen vor, und auch das nur unvollständig. Martin Hose (München) begeht diese Ruinenlandschaft und ringt den Fragmenten Erkenntnisse ab, die sowohl für die gattungsgeschichtliche Verortung als auch für die Auslegung der Apg außerordentlich bedeutsam sind. „Exzentrisch“ sind die von ihm behandelten Historiographen nur, misst man sie am Maßstab dessen, was seit dem 19. Jahrhundert als Idealfall gilt, ohne je der antike Normalfall gewesen zu sein (Thukydides galt allein um seines Stils willen als vorbildlich, Polybios wurde als öde Lektüre empfunden). Was Hose über die Bios-Struktur, die topographische Anordnung, die historia continua mit je offenem Ende,

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den universalhistorischen Anspruch, die Teleologie, die Binnenkonkurrenz von literarischem und dokumentarischem Anspruch und die perspektivische Einheit griechischer und römischer Geschichtsschreibung sowie die „Beglaubigungsapparate“ ausführt, lässt sich unmittelbar und mit Gewinn für die Acta‑ (wie übrigens auch für die Josephus‑) Forschung umsetzen. Mit Blick auf die generische Varianz und Dynamik erinnert er an den aktuellen Forschungsstand. Nimmt man diese Erinnerung wahr und ernst, so sind Beiträge wie die von Detlev Dormeyer im gleichen Band kaum anders denn als ortlos einzustufen. Nicht zuletzt ist zu beherzigen, mit welcher Entschlossenheit Hose sich von den Vorlieben des 19. Jahrhunderts löst. Auch die Actaforschung neigt ja gelegentlich der Ansicht zu, Lukas müsse eine Art „getaufter Thukydides“ sein oder doch zumindest „kritische Pragmatik“ bieten. Stefan Krauter (Tübingen) tadelt die Zurückhaltung der Exegese, das lukanische Doppelwerk mit dem antiken Epos zu korrelieren, prüft die Bezüge zur Aeneis und gelangt zu dem Urteil, einer Korrelation sei mit Zurückhaltung zu begegnen. In Auseinandersetzung mit dem produktionsorientierten Erklärungsansatz von Marianne Palmer Bonz zeigt Krauter methodologisch umsichtig auf, dass Lukas die Aeneis wahrscheinlich nicht kennt, kein Prosa-Epos schreibt und die Septuaginta anders „imitiert“ als Vergil Homer. Insofern intentionale Geschichtsschreibung allerdings nicht gattungsgebunden ist, lohnt sich der textorientierte Vergleich, und er stößt im Feld der religiös konnotierten Gründungs‑ und Herkunftsmemoria auf heuristisch wertvolle Analogien. Auch im folgenden Beitrag wird die lateinische Literatur intertextuell herangezogen, und zwar der Agricola des Tacitus, der wie kein anderes zeitgenössisches Opus die offenen Seiten des Bios zu Ethnographie, historischer Monographie, laudatio funebris, Kommentarliteratur und politischem Traktat dokumentiert. Manfred Lang (Halle) beschreibt triftig, wie in diesem Gattungsamalgam die einzelnen generischen Züge dem – nicht zuletzt psychagogischen – Kommunikat des Gesamtwerks dienen und wendet seine Erkenntnisse auf das lukanische Paulus-Bild an. Clare K. Rothschild (Romeoville, Ill.) geht von der überraschenden Vermutung aus, die beteiligten Forscher neigten dazu, die einzig überkommene historiographie-theoretische Monographie der Antike, Quomodo historia scribenda sit des Lukian von Samosata, zu zitieren, um die Geschichtsschreiber selbst nicht lesen zu müssen (282 f.). Die Autorin selbst hat Lukian gelesen und gelangt zu dem Schluss, er meine, was er schreibe, gar nicht wirklich, sondern ironisiere. Diese Vermutung ist nicht minder überraschend: Ungeachtet der kaustischen Scherze über die zeitgenössischen Hobbyhistoriker, die eher satirisch als ironisch sind, liest sich der normative Teil der Theorie Lukians ausgewogen, nüchtern und nuanciert. Auch will sich mir nicht erschließen, welchen Zweck eine solche Ironie – genauer wohl: Parodie – haben mag, die immerhin fast zwei Jahrtausende unbemerkt blieb. Wo Lukian nicht meint, was er schreibt – wie in den Verae historiae –, lässt er daran keinen Zweifel, sondern erklärt sich überdeutlich (vgl. VH 1,4). So lässt die Lektüre des eher merk‑ als denkwürdigen Aufsatzes den Leser ratlos zurück. III. Frühchristliche Kontexte: Heike Omerzu (Kopenhagen) untersucht methodisch sorgsam kontrolliert die kontroverse Frage nach der ephesischen Haft des Apostels Paulus, wertet dabei neben der Korrespondenz auch Apg aus und verstärkt auf solche Weise die Wahrscheinlichkeit einer solchen Haft. Roland Kany (München) geht in einem originellen und vergnüglich zu lesenden Möglichkeitsspiel in elf Thesen dem Problem nach, warum Apg keine antike Fortsetzung gefunden hat. So rechtfertigt sich die Titelangabe des Sammelbands „im Kontext … frühchristlicher Historiographie“ zumindest insofern, als wir erfahren, warum dieser Kontext (vor Eusebios) gänzlich fehlt. Zwar ist Apg durchaus auf eine historia perpetua angelegt, aber das Erzählprogramm hat ein (zumindest epocha-

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les) Ende gefunden, die kanonische Selbststilisierung ermutigte nicht zur Fortsetzung; es gab kein Gattungsmuster (von allen Argumenten, wie mir scheint, das anfechtbarste) und Gedächtniszentrum; es fand sich weder geeignetes Quellengut noch geeignetes Publikum. Nicht zuletzt befand sich die Geschichtsschreibung an einem (vorerst kulturell entmutigten) Wendepunkt; es fiel Lukas als Gedächtnisspezialisten einer Minderheit in deren Schwellenzeit leichter, diesen zu überwinden. Ein sehr inspirierender Beitrag! François Bovon (Harvard, Mass.) vergleicht, ein wenig pointenlos, Apg mit den apokryphen Apostelakten. Christopher Mount (Chicago, Ill.) vertritt umso pointierter die These, Lukas transformiere als Theologe des zweiten Jahrhunderts in der auktorialen persona des Historikers die frühe Jesus-Überlieferung zu einem auch politisch versierten christlichen Geschichtskonzept und lege damit den Grund zum apostolischen Erinnerungsgemälde seit Irenäus. Rezeptionsgeschichtlich aufschlussreich verfolgt Andreas Müller (Bethel) die Beziehungen der Vita Constantini des Eusebios zur Apg, wie sie sich vor allem in der Übertragung von Motiven lukanischer Heilsgeschichte auf die panegyrische Darstellung des apostelgleichen Kaisers zeigen. Paul A. Holloway (Sewanee, Tenn.) demonstriert am Beispiel von 1–2Chr und 2Makk sowie den Kirchengeschichten von Eusebios und Theodoret von Kyrrhos, dass das Ende der story bisweilen den Fortgang der history verschämt bemäntelt – eine plausible Stütze für eine gängige Erklärung des Abbruchs der Apg, die allerdings wohl noch zu ungeprüft voraussetzt, dass ein abruptes Ende in der antiken Historiographie überhaupt erklärungsbedürftig ist. IV. Zu Gattung und Konzeption der Apostelgeschichte: Einleitend nimmt Detlev Dormeyer (Dortmund) zur Gattung der Apg Stellung.17 Die reife Frucht eines großen Kommentars bietet Michael Wolter (Bonn), der die wechselseitige Beziehung der beiden Proömien des Doppelwerks untersucht, Lk 24,52 f. als Öffnung auf den folgenden Teil und Vorbereitung des Protagonistenwechsels deutet und mit luziden Beobachtungen Lk 1,1–4 als perspektivische Eröffnung des Gesamtwerks liest. Wolter wendet sich gegen das Urteil, das Proömium sei nach der Abfassung des Werkes – dieses bereits als Ganzes in den Blick nehmend – geschrieben worden. Er hält dies für eine Reprojektion moderner Publikationsgepflogenheiten (484 f.). Diodorus Siculus freilich dokumentiert das „moderne“ Vorgehen wünschbar deutlich (Diod. 1,4,6; vgl. auch Josephus, bell. Iud. 1,30). Gleichwohl wirken Wolters Argumente stichhaltig. Mit Blick auf die narrative und theologische Einheit der beiden Logoi dürfte hier Bleibendes gesagt sein. Eine (im tieferen Sinn) anstößige These präsentiert Arthur J. Droge (Toronto): Das Doppelwerk ist als implizite Pseudepigraphie zu lesen. Es gehört in die hadrianische Zeit und datiert sich, Autopsie suggerierend, künstlich zurück. Es sprengt die ohnehin undefinierbaren Kategorien von „hellenistischer Historiographie“ und „Roman“ und erhebt einen Identitätsanspruch, der sich selbstbewusst in die Entdeckung des kulturell Anderen im zweiten und dritten Jahrhundert fügt. Der kraftvolle Aufsatz weckt Lust am Streit, der aber für die Verteidiger der herkömmlichen Forschungsposition – zu denen sich der Rezensent zählt – schwerer auszufechten sein dürfte, als es zunächst scheinen mag: Der Sieg ist ungewiss. Erfreulicherweise lässt sich Hubert Cancik (Tübingen) durch die theologisch besorgte Kritik von Mark Reasoner an seinem insti17 Der Beitrag entspricht in manchen Grundzügen und Einzelheiten dem breiter gefächerten Aufsatz von Detlev Dormeyer, Pragmatische und pathetische Geschichtsschreibung in der griechischen Historiographie, im Frühjudentum und im Neuen Testament, in: Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, hg. v. Th. Schmeller, NTOA / ​StUNT 69, Göttingen / ​Freiburg i. Ue. 2009, 1–33, auf den ich bereits in dieser Zeitschrift eingegangen bin [Theologische Revue 106 (2010) 289–291].

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tutionengeschichtlichen Ansatz nicht beirren und vertieft diesen sehr instruktiv, auch unter wissenssoziologischem Aspekt und mit vergleichendem Blick auf die Geschichte der pythagoreischen Bewegung bei Diodorus Siculus und Aristoxenos. Angesichts der Tatsache, dass Jesus Christus in der Apg nur in Gestalt der Himmelfahrt „auftritt“, scheint es kühn, wenn Friedrich Avemarie (Marburg) Jesu Wirken im zweiten Logos beschreibt. Dies gelingt aber überzeugend, indem er in aufmerksamer Textbeobachtung die absentee christology (C. F. D. Moule) am Beispiel der Wundertaten als Acta Jesu Christi erläutert. Unverbesserlich scheint freilich die sich ihrer konfessionellen Engführung gar nicht bewusste Herabsetzung von „Magie“ und deren Beschreibung mit der sakramentenchristologischen Wendung ex opere operato (556). In einer gründlichen Untersuchung widmet sich Bettina Rost (Leipzig) dem Aposteldekret und setzt neue, wichtige Akzente: Zur Erklärung der vier Auflagen genügt der Rekurs auf den biblischen Glauben an den einen Schöpfer, sei es mit noachitischem Bezug oder als Abgrenzung von paganem Lebensstil; die Konzentration auf Lev 17 f. ist demgegenüber irreführend. Die Nichtjuden formen einen gleichberechtigten λαός mit eigener Erwählungswürde; das Dekret regelt nicht das Verhältnis zu Israel, sondern zum heiligen Gott. Zuletzt: Der eigentlich offene Schluss der Apg liegt weniger in Apg 28,30 f. als in 28,25–28. Enno Edzard Popkes (Jena) analysiert diese crux interpretum und vergleicht das Verstockungsmotiv in seiner jeweiligen Einbettung im lukanischen Opus und in der Paulus-Korrespondenz. Mit Jes 6,9 f.LXX mündet Apg an einem mehrdeutigen Wendepunkt, während Paulus die Verstockung theozentrisch begründet (vgl. Jes 6,9 f.MT) und heilsuniversalistisch aufhebt (vgl. Röm 11,7–10.25–27.32). Während dieser Biographie zu verarbeiten hat, ordnet jener Herkunftswissen.

Der klar strukturierte und durchdachte Band stellt mustergültig die interdisziplinäre Vernetzung historischer Exegese vor Augen. Mit fast allen Beiträgen trägt er – teils abwägend, teils verwegen – zum Fortschritt der Actaforschung wesentlich bei. Sein komparativer Schwung hindert nicht an der wachen Wahrnehmung des Einzeltextes, sondern eröffnet Sinnbezüge, die dessen Fragehorizont, Antwortstruktur und Handlungsimpulse wahrnehmen lassen. Der Text ist auch für den Exegeten nicht Selbstzweck, sondern Teil eines Echoraums. 2.4 Wie Geschichten Geschichte schreiben (2015) Wie Geschichten Geschichte schreiben. Frühchristliche Literatur zwischen Faktualität und Fiktionalität, hg. v. Susanne Luther / ​Jörg Röder / ​Eckart D. Schmidt, WUNT II / ​395, Tübingen: Mohr Siebeck, 2015. VI + 452 S., ISBN 978-3-16-152634-3.18

Die Exegese hat in jüngerer Zeit wichtige Impulse aus dem linguistic turn, dem New Historicism und der literaturwissenschaftlichen Fiktionalitätsdebatte empfangen. Die Perspektiven bedingen einander: Wo alles Sprache wird, entgleitet die extratextuelle Referenz; man fragt sich, was man am Erzähltext hat – und entdeckt neue Referenzen! Der interdisziplinär angelegte Sammelband geht auf eine diesem Zusammenhang gewidmete Tagung der Arbeitsgemeinschaft der neutestamentlichen Assistenten / ​-innen zurück.  Rezensiert in Theologische Literaturzeitung 141 (2016) 363–365.

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Die drei ersten Aufsätze dienen der theoretischen Grundlegung: Der Vergleichende Literaturwissenschaftler Frank Zipfel problematisiert die unbeschränkte Herrschaft des Paradigmas „Fiktion“ und unterscheidet zwischen der Bestreitung von „Wirklichkeit“ als ontologischer Position und der Fiktionalität literarischer Texte, die sich deutend in Beziehung zur vorfindlichen Lebenswelt setzen. Er schlägt eine kommunikationstheoretische Zugangsweise vor, die den sozial institutionalisierten Fiktionalitätsvertrag zwischen Autor und Adressaten in den Blick nimmt. Die Anglizistin Vera Nünning schließt hieran an, denn ihr Thema, das „(un)zuverlässige Erzählen“, betrifft die Akzeptanz des narrativen Kommunikationsangebots. Ungeachtet der Hybridisierung fiktiver und dokumentarischer Welten pflegt der Leser unterschiedliche Maßstäbe an Referenzleistung und Sinnstiftung anzulegen. Jörg Röder wendet sich den Implikationen des Fiktionalitätsdiskurses für die neutestamentliche Exegese zu. Anknüpfend an die aristotelische Unterscheidung zwischen Geschichtsschreibung als Darstellung des konkreten Faktums und Dichtung als Aufhellung des Sinnpotentials, plädiert er dafür, den theologischen Wahrheitsanspruch in einem Kontinuum anzusiedeln, in dem referentiell Wirklichkeit beschrieben wird, deren umfassendes Sinnpotential sich indes gerade im fiktionalen Modus erschließt. Röder greift die Anregung Nünnings auf, die Eigenart religiösen Erzählens zwischen Darstellung und Deutung von Geschichte prägnanter zu beschreiben. Der Beitrag ist jedem, der sich einen verlässlichen Überblick über die Debatte verschaffen möchte, sehr zu empfehlen. Die folgenden Beiträge erproben die Neujustierung an konkretem Textgut. Olaf Rölver zeigt die bedeutungsgenerierende Funktion des biblischen Prä‑ und Subtextes für die Fiktionsbildung des Mt: Die Faktizität der Heiligen Schrift prägt jene vorgängige Weltwahrnehmung, die den Verstehenshorizont und damit auch den Fiktionalitätsrahmen des Jesus-Narrativs festlegt. Ganz in diesem Sinn weist Felix Albrecht die christologische Bedeutsamkeit der (naheliegenden) Fiktion vom betlehemitischen Kindermord auf. Thomas Schumacher versucht eine symbolsprachliche Deutung der markinischen Darstellung der Taufe Jesu, die sich vor allem der Relektüre erschließe: Das Taufgeschehen werde im Sinn von Röm 6 als Hinweis auf Jesu Sterben und Auferstehen wahrnehmbar. Die Darlegung wandert philologisch auf schmalem Grat; trotz anregender Beobachtungen zur nachösterlichen Lektüreperspektive hat sie mich noch nicht überzeugt. Susanne Luther unterscheidet zwischen Fiktivität als eingebundener Erzählqualität und dem übergeordneten generischen Textzusammenhang, der faktualen Anspruch stellen kann. Antike Geschichtsschreibung arbeitet auch mit fiktionalen Strategien, die aber  – wie sich am Beispiel der lukanischen Gleichnisse zeigt – den grundsätzlichen Bezug des Großtextes zur Lebenswelt der Leser nicht verstellen, sondern ausspiegeln. Bevorzugter Topos von Referentialität ist die Augenzeugenschaft. Ruben Zimmermann untersucht ihn mit überzeugender Nüchternheit: Auch die Autopsie sowie die mit ihr verbundene Narration führen nicht auf den Wahrheitsgrund, sondern in konstruierte Welten, welche eigenen Gesetzen folgen, die mittlerweile empirisch und hermeneutisch eingehender erforscht sind, als es die unbefangene Argumentationsfigur „ipse vidit“ vermuten lässt. Freilich kann man diese Welten selbst betreten, um dort auf eine Wahrheitsansicht eigener Art zu treffen. Wie Zimmermann am Beispiel des Geliebten Jüngers vorführt, leiten die Motive von „Sehen“ und „Zeugnis“ im vierten Evangelium zum Verstehen bedeutsamer Vergangenheit an. Dem Motiv des Geliebten Jüngers als Beispiel für kanonische Fiktionalität wendet sich auch der unkonzentriert wirkende Beitrag von Paul Metzger zu: Die Heilige Schrift werde aufgrund ihrer Orientierungsleistung gelesen und leite daher ihren Glaubensanspruch nicht aus den historischen Entstehungsumständen ab. Nils Neumann zeigt mit Blick auf die Anleitungen von Quintilian und Ailios Theon die

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rhetorische Veranschaulichungs‑ und Vergegenwärtigungsstrategie auf, die den Schiffbruch des Paulus (Apg 27) zu einer „Ekphrasis des Heils“ werden lässt und so durch narrative Fiktion theologische Wirklichkeit erschließt. Der sorgfältige Aufsatz ließe sich weiterführen: Die Ekphrasis der poetica tempestas galt in lukanischer Zeit bereits als recht abgenutzt, aber Lukas bedient sich gerade der Konvention, um durch eigene Akzentsetzung die theologischen Spezifika herauszuheben. Wie Loveday Alexander gezeigt hat, veranschaulicht die Schiffbruchszene nicht nur das „Heil“, sondern den Übergang in den paganen Kultur‑ und Erzählraum und damit die Universalität des „Heils“. Sandra Hübenthal liest 2Thess und Kol konsequent als fiktive Kommunikation. Die vermutete Ereignisgeschichte tritt hinter jene Erfahrung zurück, auf die die Fiktion eine Antwort ist. Die Pseudepigraphen werden statt als Fenster in die Pauluswelt als Spiegel der Leserwelt lesbar. Wenig innovativ zeigt Peter-Ben Smit, dass Tit die Paulustradition kreativ-fingierend fortschreibt, um Leitungsprobleme zu lösen. Mit Martin Bauspieß schließt sich der Kreis zu den ersten Beiträgen. Er begründet die Unterscheidung zwischen faktualem und fiktionalem Lektüreanspruch mit der kommunikativen Textpragmatik: Der Historiograph verständigt sich mit seinen Adressaten, ungeachtet der fiktionalen Darstellungsanteile, auf die extratextuelle Welt. Anfechtbar scheint mir Bauspieß’ Annahme, dass die neutestamentliche Erzählliteratur angesichts ihrer Distanzlosigkeit zum Gegenstand die historiographische Textpragmatik vermissen lasse. Dies gilt jedenfalls kaum für die apologetische Geschichtsschreibung als einer biblisch-jüdisch inspirierten Form dessen, was man mit Jan Assmann „heiße Erinnerung“ nennen mag. Eckart D. Schmidt beleuchtet abschließend Thomas Jeffersons „Leben Jesu“-Versuche – ein hochprojektives Narrativ, dessen Referenz nicht in das Galiläa des ersten Jahrhunderts führt, wohl aber zu den Idealen der Aufklärung.

Im Ganzen lassen die Aufsätze vier Tendenzen hervortreten: (1) Erkenntnistheoretisch herrscht Bescheidenheit: Wahrheit und extratextuelle Referenz werden sorgsam unterschieden. (2) Der Unterschied zwischen Faktualität und Fiktionalität – von den einen bipolar, von den anderen als Fluidum beschrieben – wird unter textpragmatischem Gesichtspunkt rehabilitiert. (3) Die literarische Fiktion – auch in Geschichtstexten – wird theologisch akzeptiert und gewürdigt. (4) Die literaturwissenschaftliche Perspektive wird schöpferisch aufgenommen, ohne dass die spezifische Sinnleistung religiösen Erzählens aus dem Blick gerät. Wenn dieser Band das Reflexionsniveau des exegetischen „Mittelbaus“ repräsentiert, darf man das Fach glücklich schätzen. 2.5 Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History (2006) Rothschild, Clare K.: Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen: Mohr Siebeck, 2004. XVI + 371 S., ISBN 3-16-148203-4.19

Die couragierte Arbeit zieht aus, jenen grässlichen Graben zwischen Geschichtsschreibung und Theologie zu überwinden, der die Actaforscher so oft auf tote Nebenpfade zwingt. Sie vergisst dieses Ziel, und am Ende sehen wir sie in diesen  Rezensiert in Theologische Revue 102 (2006) 466–467.

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Graben hineingestürzt. Aber der Weg, den sie bis dahin auf dem einen Ufer – dem der Geschichtsschreibung – zurückgelegt hat, ist alles andere als ein toter Nebenpfad: Er bietet uns so lehrreiche Ausblicke und erfrischende Einsichten, dass wir selbst das andere Ufer – das der Theologie – aus dem Blick verlieren könnten, läge da nicht diese Brücke, die die Arbeit uns zeigt, aber doch nicht betritt. Von der Bild‑ zur Sachhälfte: Diese Untersuchung des „rhetorischen Historiographen“ Lukas („Luke-­Acts“ bezeichnet das lukanische Doppelwerk20) entstand als Dissertation an der Universität von Chicago auf Anregung von Hans Dieter Betz. Ihr geht es um den rhetorischen Modus der Erzählung, die im agonistischen Kontext hellenistisch-reichsrömischer Geschichtsschreibung das lukanische Gedächtnisbild der christlichen Ursprünge zur Geltung zu bringen sucht. Die Kritik der Verfasserin setzt an der „bifurcation“ zwischen Lukas dem Historiker und Lukas dem Theologen an, die zweifellos der theologischen Aufklärung (man denke an den Hiat Geschichte / ​Dogma) manchen Impuls gegeben hat, aber der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie insgesamt nicht gerecht wird, in der die erzählten Geschehensabläufe stets in einem Deutungsrahmen stehen, zu dem religiöse Sinnmuster selbstverständlich und unablösbar gehören. Der Forschungsabriss (24–59) zeichnet entsprechend die wechselnden Akzentsetzungen bei der historiographischen oder theologischen Wirk­ absicht des Doppelwerks nach sowie die Versuche, eine Synthese zu erarbeiten. Schwerpunkte werden im Bereich der „Klassiker“ bei Franz Overbeck, Martin Dibelius und Henry Joel Cadbury gesetzt, in der jüngeren Forschung bei der Kontroverse um die „institutional history“ (Hubert Cancik vs. Mark Reasoner) sowie bei Gregory Sterling, dessen differenziertem und behutsam abgesichertem Textsortenpostulat der „apologetic historiography“ die Verfasserin eine sich allzu blass in Allgemeinheiten aufhaltende Kritik entgegensetzt. In enger Fühlungnahme zu T. P. Wisemans wertvollen Studien und mit besonderem Blick auf Cicero, Quintilian und Lukians Quomodo historia conscribenda sit zeichnet Rothschild das Selbstverständnis hellenistisch-reichsrömischer Historiographie nach (60– 98). Von den „Schulen“ (etwa „aristotelisch“ vs. „isokratisch“) nimmt sie mit Recht Abstand. Die Grenzen zwischen „mimetisch“ („tragisch“, „sensationalistisch“), „rhetorisch“ und – nur noch in Spuren wirksam – „pragmatisch“ sind seit hellenistischer Zeit fließend. Geschichtsschreibung versteht sich forcierter als persuasiv, appellativ, argumentativ: sie wird zum Plädoyer für die je eigene Vergangenheitskonstruktion. Dieser Hintergrund lässt einige miteinander verwandte und ineinander übergreifende historiographische Darstellungsmodi des lukanischen Doppelwerks literarisch und wirkpragmatisch als Verifizierungsstrategie („authentication“) verorten: Rekurrenzmuster beruhen auf der Überzeugung, dass Geschichte charakteristischen – und die Handlungsträger charakterisierenden  – Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die Einzelgeschehnisse in der Vorvergangenheit oder in der im Doppelwerk erzählten Handlungsabfolge selbst 20  Anders als die Verfasserin – einem verbreiteten Irrtum folgend – notiert (38), wurde diese heute übliche Wendung nicht von Henry Joel Cadbury geprägt, sondern findet sich bereits 1900 in Benjamin W. Bacons Introduction to the New Testament; vgl. dazu jetzt Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, 1 Anm. 1.

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verankern, sie miteinander verknüpfen und als plausible Entsprechungen verstehen und daher nachvollziehbarer werden lassen (99–141). Die Vorhersage durch himmlische oder irdische Wesen umgibt ein Geschehen mit Bedeutungstiefe, sanktioniert es und befreit es von dem Verdacht der Zufälligkeit und Willkür (142–184). Die im Verbum δεῖ fassbare Denkfigur der notwendigen Vorbestimmung stiftet gerade schwer zu vermittelnden Geschehensabläufen eine übergeordnete Logik ein (185–212). Zur Steigerung autoritativer Beweiskraft dient schließlich die Vermehrung der Zeugen nach Zahl und Rang und die (zumindest suggerierte) Epitomisierung breiteren Quellen‑ und Traditionsguts, die – etwa in den Summarien – den Eindruck weckt, aus darstellungstechnischen Gründen umfassende Evidenz abzukürzen (213–290). So ist die von Lukas bevorzugte Geschichtsversion über die Ursprünge des Christentums am Ende (1) charakteristisch, (2) vorhergesagt, (3) notwendig und (4) breit bezeugt – kurzum: überzeugend.

Die Rhetorisierung der Geschichtsschreibung in der hellenistisch-reichsrömischen Zeit ist eine äußerst fruchtbare Entdeckung der jüngeren Altertumswissenschaft. Indem die sorgfältige Arbeit hierauf den Blick lenkt, treibt sie die Kontextualisierung des lukanischen Doppelwerks mit Schwung voran. In der komparativen Methode liegt ihre deutlichste Stärke, auch wenn die Belegstellen mitunter  – schmerzhaft bei Cicero und Quintilian und ermüdend in Kapitel 7  – eher katalogisiert als analytisch durchdrungen scheinen. Das von der Verfasserin oft betonte „holistische“ Ziel (16 f., 22 Anm. 77, 27, 59 u. ö.), die rhetorische Funktionseinheit von historiographischem und theologischem Geltungsanspruch zu dokumentieren, ist in der Tat aller Anstrengung wert. Aber gerade von der alten Dichotomie vermag sie sich letztlich nicht zu lösen, wenn sie auch – um beim Bild der „bifurcation“ zu bleiben – die eine Gabelzinke nach unten biegt, um nur mit der anderen zuzustechen. So sind die narrativen Elemente, die die Forschung den „theological beliefs“ des Lukas zugeschrieben hat,21 für Rothschild „actually, first and foremost, historiographical techniques“ (291). Entsprechend wird für das Darstellungsmuster der Vorhersage zwischen der historiographischen Technik und dem biblisch-theologischen Inhalt („göttlicher Plan“) getrennt (vgl. 143, 148 f.): „Properly under­ stood, prediction in history, therefore, reflects not theology, but rhetoric“ (12). Dem δεῖ der „rhetoric of necessity“ wird abgesprochen, dass es die göttliche Kontrolle über die Geschichte zur Geltung bringe, da es historiographische Konventionalität sei (185, 189); „purely [!] rhetorical interests“ werden gegen „the religious ideal of divine control of history“ ausgespielt (145 Anm. 15). Göttliche Intervention ist „a matter of the stylistic imitation of literary forerunners, independent [!] of an individual author’s theological beliefs“ (7). Die Konventionen historiographischer Rhetorik spiegeln „theologische oder andere Interessen“ allenfalls „secondarily“ (2) wider. So setzt die Verfasserin bleibend eben jene 21  Ob hier „religious beliefs“ oder „theological interpretation“ gemeint ist, lässt der Kontext nicht entscheiden, wie denn auf dieser Seite des Grabens die Beschreibungssprache der Verfasserin insgesamt recht undifferenziert bleibt.

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Diastase voraus, die zu überwinden sie aufgebrochen ist. Nicht „sekundär“ hinter der Rhetorik liegt die Theologie, sie liegt im Modus von Rhetorik selbst. Mein Haupteinwand gegen diese kraftvolle Untersuchung lautet daher, dass sie zwar überzeugend literarische conventions (293 u. ö.) erarbeitet, doch davon absieht, den Umstand zu würdigen, dass historiographische Sinnansprüche durch die Verbindung von rhetorischer Konventionalität mit (philosophisch, politisch, religiös) deutender Innovation entstehen. Die rhetorischen Standardelemente, die sie aufzeigt, sind gerade keine leeren kompetitiven Techniken, sondern je eigene Bedeutung tragende und dezidiert sachbezogene Darstellungsstrategien. So leidet die Arbeit an einem recht mechanistischen Begriff von rhetorischer Strategie, und der Hinweis auf den agonistischen Kontext greift wohl doch zu kurz. Die Brücke zwischen historiographischem Erzählen und religiösem Sinnanspruch scheint mir vielmehr dort begehbar zu werden, wo die jüngere althistorische / ​altphilologische Forschung in Anlehnung an das Modell des sozialen Funktionsgedächtnisses von intentionaler Geschichtsschreibung spricht. 2.6 Scott Shauf, Theology as History, History as Theology (2005) Shauf, Scott: Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin: De Gruyter, 2005. X + 377 S., ISBN 3-11-018395-1.22

Diese Dissertation (Emory University 2004, Mentor: Carl R. Holladay) hält mehr, als sie verspricht. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine der üblichen Feldstudien, mit denen ein noch unterbelichtetes Kapitel der Apostelgeschichte ausgelegt wird. Doch die Lektüre führt zu der Einsicht, dass Scott Shauf sein Feld bravourös genutzt hat, um an einem heuristisch anregenden Text grundsätzlich zur Methode der Actaforschung Stellung zu nehmen. Dabei konzentriert er sich auf die narrative Grunddynamik: Theologie nimmt den Modus von Erzählung an, ist also in der Erzählung, nicht hinter oder über ihr zu suchen. So lässt sich das – in jüngster Zeit mit erweiterten Perspektiven neu diskutierte – Verhältnis von Geschichtsschreibung und Theologie im lukanischen Doppelwerk angehen. In welcher Weise also erhebt die lukanische Historiographie einen theologischen bzw. die lukanische Theologie einen historiographischen Anspruch? Das Grundlegungskapitel (4–84) etabliert die Problemkonstellation: Im Ausgang von Hans Conzelmanns redaktionskritischem Entwurf mustert Shauf die jüngere Forschungsgeschichte, die sich, auch wenn die meisten exegetischen Annahmen des Göttinger Neutestamentlers kritisch aufgenommen wurden, doch noch (gerade im deutschsprachigen Raum) im Widerspruch elementar von ihm bestimmt erweist: Die lukanische Theologie ist Deutung des Kerygmas in Form der redaktionellen Historisierung des Traditionsguts, namentlich angesichts der Parusieverzögerung. Die jüngeren narrativen und komparativ-literarischen Studien nehmen demgegenüber den Erzählcharakter des Doppelwerks  Rezensiert in Theologische Revue 102 (2006) 467–469.

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ernst, finden aber keinen Zugang zu dessen theologischer Sinngebung. Daher definiert Shauf „Theologie“, und zwar im weitesten Sinn als „Reflexion (etwa auch im Modus der Erzählung) über Gott / ​Götter“. Dies wirkt gewiss nicht aufregend, ist aber ein Befreiungsschlag, da Exegeten den Begriff in der Regel reflexionslos für geklärt halten, sodass antike Theologie unter der Hand „kerygmatisch“ vorstrukturiert wird, im Fall neutestamentlicher Literatur oft in paulinischem Sinn, bzw. pagane Theologie erst gar nicht als solche wahrgenommen wird. Für die Erschließung der lukanischen Theologie ergibt sich daraus, dass nicht bestimmte dogmatische Basismotive aus der erzählerischen Sequenz zu lösen sind, sondern diese Sequenz als solche nachzuvollziehen ist: „The proof is in the pudding“. Gegenüber anderen einschlägigen Lösungsvorschlägen besitzt dieser Ansatz den Vorzug, dass die Wahrnehmung des narrativen (bzw. rhetorisierten) Grundzugs der Geschichtsschreibung gerade nicht von deren Inhalt – der Charakterisierung der Aktanten angesichts des Divinum – fortführt, sondern – auf den Spuren des historiographischen Erzählers – zu ihm hin. Die Fokussierung auf die Erzählsequenz (statt auf die Gedankenwelt des „Lukas“ oder die Situation seiner postulierten „Gemeinde“) gibt dem Verfasser die Möglichkeit, die „Theologie der Apostelgeschichte“ eigenständiger zu behandeln, als es heute meist üblich ist. Unproblematisch scheint mir dies wegen der zahlreichen Erzählbögen im Doppelwerk keineswegs, aber Shauf vermeidet auf solche Weise jedenfalls die allzu geläufige Methode, sich aus dem dritten Evangelium theologische Themen vorgeben zu lassen, als deren Bestätigung dann Apg zu dienen hat. Ohne sich in der Gattungsdebatte näher festzulegen, bestimmt Shauf schließlich Apg als Historiographie und versteht diese als imaginative Erzählkonstruktion („emplotment“) mit dem Zweck sozialer Identitätsstiftung. Dies ermöglicht es, die Frage nach dem historischen Dokumentationsanspruch gesondert zu behandeln, was in der Tat dringend geboten ist. Das zweite Kapitel (85–122) begründet die Auswahl des Textguts. Apg 19 dient als Lackmus-Test für die skizzierte Methode, weil diese bewegte Episodenfolge an einer kompositorischen Schaltstelle steht und (im oben definierten Sinn) eminent theologisch scheint, von der Fachexegese (die „Theologie“ eben anders versteht) mit Ausnahme der VV. 1–7 indes kaum näher beachtet wurde. Kapitel III (123–270) widmet sich eingehend der Detailanalyse und bleibt dabei nahe am religionsgeschichtlich präzise situierten Text, in regem Gespräch vor allem mit der historisch orientierten Forschung, gerade auch der deutschsprachigen, und aufmerksam für bislang übersehene Nuancen. Die oben skizzierte theologiesensible Perspektive erweist sich dabei als überaus fruchtbar. VV. 1–7 etwa bieten keinen Traktat lukanischer Tauftheologie. Akribisch bemüht sich Shauf zu VV. 13–17 um die phänomenologische Deskription antiker Magie und weist die („kerygmatische“) Abhebung paganer Magie vom christlichen Wunder zurück. Auch bei der Auslegung von VV. 23–40 tritt der Aspekt des Erfolgs des Christengottes gegen die „große Artemis“ hervor und verdrängt den („kerygmatisch“ weniger peinlichen) Gesichtspunkt politischer Apologetik. Nicht um tauftheologische, antimagische oder politische Tendenzen geht es hier jeweils, sondern um den Status des Paulus als Mandatar eines überlegenen Gottes. Insgesamt entsteht das Bild eines gottgewollten, dramatischen Erfolgs des Missionars Paulus in einem kompetitiven multireligiösen Milieu. So kehrt das vierte Kapitel (271–317), am Erzähltext reich belehrt, zur Ausgangsproblematik zurück. Es nimmt die historiographische Präsentation des Ephesus-Aufenthalts des Paulus in ihren summarischen Verdichtungen und episodischen Entfaltungen in den Blick, die ein retrospektives Gesamtbild der Jahre in Ephesus vor dem Hintergrund des Paulus-Wirkens in Apg insgesamt entwerfen. Dabei geht es in den unmittelbar religiösen wie scheinbar lebensweltlichen Geschehnissen um einen dramatischen Erfolg. Ent-

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scheidend ist, dass sich auf solche Weise in der Erzählfigur des Paulus mit deren mannigfachen Rollen, Taten und Widerfahrnissen das göttliche Geschichtshandeln macht‑ und eindrucksvoll zur Geltung bringt: Gott handelt zu Ephesus für den christlichen „Weg“ in seinem „auserwählten Werkzeug“ Paulus (vgl. Apg 9,15). Menschliches Handeln trägt in sich religiöse Bedeutung, weil es einen Richtungssinn hat, der in der Erzählung zum Vorschein tritt. Eingebettet in die Schlüsselgeschehnisse von Christi Auferstehung, pfingstlicher Geistgabe und Pauli Berufung und dargestellt vor dem prophetischen Hintergrund der Schriften, wird das Geschehen transparent: „So wuchs mit Macht das Wort des Herrn und wurde stark!“ (19,20) Dieses Leitmotiv zeichnet Apg in betont biblischer Weise, um den Lesenden Kontinuität zu vermitteln, und mit gezielt hellenistisch-heroischen Formen, um ihnen Anknüpfung zu ermöglichen. Historiographisches Erzählen wird hier zum Gestus religiöser Sinnmitteilung und dient gerade so der wissenssozialen Selbstaffirmation der Lesegemeinschaft.

Die Stärken dieses Entwurfs sind hoffentlich sichtbar geworden. Mit aller Kon­­sequenz werden hier Historiographie und Theologie unter dem Gesichtspunkt identitätsstiftenden Erzählens im Kontext reichsrömischer Religiosität zusammengeführt. Das Risiko dieses Verfahrens liegt darin, dass die Reserve gegenüber Systematisierungen der lukanischen Theologie deren Auslegung letztlich auf erklärenden Nachvollzug reduziert und die Aufgabe übersieht, übergreifende Erzählzusammenhänge und Motivverbünde, an den Erzählsequenzen kontrolliert, herauszuarbeiten. Aber welcher konsequente Neuansatz ist schon risikofrei? Nicht ganz selten nennt sich in der US-amerikanischen Exegese „fresh approach“, was man in der europäischen eher blanken Unfug nennen würde. Diese Erstlingsarbeit (hoffentlich nicht die letzte Arbeit dieses Autors) nennt sich nicht „fresh approach“. Aber sie ist es – im besten Wortsinn, und dies in einer auch im Detail vorzüglichen Qualität.

3. Grundthemen und Leitmotive der Apostelgeschichte 3.1 Ilze Kezbere, Umstrittener Monotheismus. Wahre und falsche Apotheose im lukanischen Doppelwerk (2007) Kezbere, Ilze: Umstrittener Monotheismus: Wahre und falsche Apotheose im lukanischen Doppelwerk, NTOA / ​StUNT 60, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht / ​Freiburg i. Ue.: Academic, 2006. 231 S., ISBN 3-525-53960-6.23

The deification of mighty rulers and benefactors was, to some extent, self-evident in late Hellenism and the Roman Empire, the deification of a crucified peasant was certainly not. By contrast, mighty rulers and benefactors did not receive any veneration by early Christians, the crucified peasant did. Since demonstrated  Rezensiert in Review of Biblical Literature, published 4/19/2008.

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loyalty was of considerable importance in ancient society, this conspicuous (and suspicious) difference posed a serious problem for Christian inculturation, and Luke, always inclined to advocate the inculturated gospel, takes this as a challenge to his narrative theology. This is the subject matter of this Heidelberg dissertation (supervisor: Gerd Theißen). Let me first summarise the results: Luke, on the one hand, shares the strict rejection of apotheosis, all the more self-apotheosis, with contemporary Judaism and Christianity in general. On the other hand, he tries to make the quasi-divinity of Christ comprehensible; this endeavour he shares with the early Christian apologists, though in a comparatively non-aggressive manner. While he seems hesitant to allow for the god-like veneration of the earthly Jesus, he is prepared to reveal at least some understanding for the erroneous apotheosis of the apostles inasmuch as they represent, in their own way, the divine power. However, his narrative makes clear that only the veneration that is authorised by God and is pointed to Jesus is acceptable and true. Luke’s interest in the apotheosis motif is related to the post-Flavian atmosphere, in which, after the assassination of Domitian in 96 ce, the autocratic style of rulership, including deification claims, was intensively discussed. In her introduction (11–16), the author defines apotheosis in a broad sense as deification of an outstanding human being considered either as the epiphany of the deity or as a “divine man”. She gives a brief sketch of relevant recent research, which is, however, more enumerative than informative. She then develops her subject in three chapters: Apotheosis in the ancient world (17–86) – True apotheosis in Luke-­Acts (87–129) – False apotheosis in Luke-­Acts (130–203). The first chapter starts with the description of the overlapping spheres of the divine and the human in Egypt, Babylon, Greece, and Rome. Particular attention is given to the revolutionary importance of the personality of Alexander the Great, the consecratio as a means of power enactment in the Roman Empire, and the rather premature deification claims of Caligula, Nero, and Domitian, which eventually lead up to (quasi-forms of) the damnatio memoriae after their equally premature deaths. With regard to Luke the sidelong glances at the epithet σωτήρ and at the role of charismatic figures are of special interest, although they remain a little scanty. The Hellenistic mixture of thankfulness, admiration, and political calculation laid the foundations for the cult of the goddess Roma and of the Emperors, especially in the Eastern parts of the Empire, but over a longer term and in a sublime and manifold way also in the West. Judaism, as it had developed up to the Hellenistic era, was a monotheistic religion and, in contrast to the widely held philosophical monotheism, not prone to conceptual synthesis. This naturally resulted in a clash with the dominant culture. The author describes extensively the crises of Antiochus Epiphanes and Caligula. Notwithstanding a certain openness to intermediate figures in early Judaism, she uncovers three criteria for safeguarding the integrity of the monotheistic framework: the tran-

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scendence of God, the exclusive cultic veneration of God, and the theocentric option according to which any mediating numinous figures owe their status and power to God’s initiative. The early Christian writers – the author presents Ad Diognetum, the apologist Aristides, Justin Martyr, Tertullian, Irenaeus of Lyon, and Origenes – struggle between the rejection of the apotheosis of human beings, often ascribed to daemonic influence, and the philosophical and theological legitimisation of the divine veneration of Jesus Christ. Having expanded the historical and ideological horizon, the author dedicates her second chapter to the Lukan passages on the theologically adequate form of apotheosis and explores the dramaturgy of a threefold and climactic revelation of Jesus’ dignity. On the occasion of his baptism (Luke 3:21–22) Jesus, whose human stock is illustrated in the genealogy, is proclaimed as the Son of God by the heavenly voice, but he himself does not claim any divinity. He is not adored at the Jordan and the Temptation Narrative makes clear that he does not want to be. Instead, he himself offers prayers. In some way the transfiguration narrative (Luke 9:28–36) may be read as a functional parallel: On his way to the cross, which cannot be mistaken as a triumphant path of divine glory, the heavenly voice reveals Jesus, who is shown again in a praying pose, as the Son of God. The Christophany is obviously God’s prerogative. When Peter is hindered from building three shelters, this may indicate some reservation against any cultic veneration at this earthly stage. It is the scene of ascension (Luke 24:50–53; Acts 1:9–11) that resembles most closely the contemporary standard of an apotheosis and the author contemplates if it may have served as a counter-definition of what true worship means. Jesus as the ascending Lord, no longer praying but blessing, accedes to his universal dominion and it is now that he, for the first time, receives the προσκύνησις of his disciples. The third chapter switches from Luke’s christological affirmation to his critical view of the dark forms of deification. The worship demanded of Jesus by Satan (Luke 4:5–8) is programmatically, and with sociomorphic terminology (οἰκουμένη, ἐξουσία) introduced as a disclosure scene that unmasks the character of the Roman Empire in so far as it exceeds the limits of legitimate rule and leads to a usurpation of God’s exclusive rights. In this trajectory Luke, dependant probably of a Jewish tradition and sharing a common background with Josephus (Ant. 19:343–352), interprets the sudden and public death of Herod Agrippa I (Acts 12:21–23) as being the just response to his triumphant self-enactment and indulgence of divine attributes in the theatre of Caesarea. In contrast, Paul and Barnabas, in a comparable position of being worshipped in Lystra, react in the only suitable way by passionately rejecting the impending blasphemy and informing the pagans that the apostles are not deities but messengers of the one living God (Acts 14:8–20). Thus, they are human tokens of the heavenly world, but they are not supernatural beings themselves. In a less breathtaking, but distinct way the Godfearer Cornelius is corrected by Peter, when he, in a sort of pagan

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bearing, falls at his feet to worship the apostle at his arrival in Caesarea (Acts 10:25–26). Faced with the miraculous earthquake and the putative liberation of his prisoners the jailer in Philippi performs a προσκύνησις before Paul and Silas, too, and is similarly referred to the Christian faith, in which his worshipping will find its proper place (Acts 16:25–34). The barbarians of Malta or (Kezbere shows some sympathy for this alternative) Kephallenia are the only exception from the demonstrated rule, for Paul does not reproach them when they consider him a god (Acts 28:1–6). There are, however, no indications of cultic veneration and presumably Paul did not even learn about their naïve rumour. Furthermore, there is, according to the author, a subtle correction of the false apotheosis when Paul is presented as healing the father of his host by means of prayer (Acts 28:8). This is a shrewd and constructive dissertation. The main advance it contributes to the interpretation of Luke-­Acts is the insight that the third evangelist is nothing less than a politically pliable apologist whose overall concern it is to illustrate that Christianity is no danger to the Roman order. Luke, to be sure, has an apologetic interest but it is aimed at the Gospel’s capability of being integrated into the social culture of its time. Kezbere shows that there is, despite its mildness, a critical and polemical thrust in the Lukan narrative. The proposed context of this political sensitivity in the early post-Flavian period is most suggestive, but much labour has still to be done in order to clarify to what extent the peculiarity of Domitian’s reign was actually realised by wider sections of the population. On the whole, the exegesis presented here is more solid than innovative but, all things considered, this is more helpful than the contrary. The author often contents herself with the description of scholarly opinions without substantiating her own alternative. A thorough discussion of the Greco-Roman sources concerning apotheosis and Domitian’s claims is regrettably missing. It is, of course, the author’s right to choose only a “small prism” (210), but there are manifold perspectives that are lost from view in this way. Perhaps Luke’s judgement is not as differentiated as the author thinks (204) but his narrative less consistent. There is a shining-through of divine reality in many episodes and the lines between acceptable veneration and human self-limitation are not as clear-cut as Kezbere suggests. Even the shadow of Peter or the handkerchiefs and aprons of Paul have their mana-like power. To put it briefly, the numinous belongs, in Luke’s view, to the Christian side of the world and beyond this side both numinous occurrences and human veneration are, at best, misunderstandings. Paradoxically enough, early Christianity has done a lot to imprint monotheism on the Roman world, but its own monotheism was from the beginning not beyond all doubt. Kezbere lets us imagine how subtle and risky the process was that developed what may be called a form of theocentric christology.

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3.2 Reception of Paulinism in Acts (2009) Reception of Paulinism in Acts. Réception du Paulinisme dans les Actes des apôtres, hg. v. Daniel Marguerat, BETL 229, Löwen: Peeters, 2009. XXII + 355 S., ISBN 978-90429-2241-9.24

Sammelbände, sofern sie gelungen sind, geben repräsentative Einblicke in die Fachdiskussion, brechen aber selten eine perspektivische Bahn. Denn Diskussionen verlaufen vielsträngig, und die Richtlinienkompetenz des Herausgebers liegt jenseits der Resultate. Umso bemerkenswerter ist der hier vorzustellende Band, der aus einem Symposion an der Université de Lausanne 2008 hervorgegangen ist. Obschon Autoren (7 französisch-, 5 deutsch-, 3 englischsprachig) wie Methoden und Blickwinkel vielfältig sind, tritt eine klare Linie zutage und zeigt sich eine neue Sichtweise, die die Actaforschung verändern wird. Die Zeitzeichen sind in der Tat kaum zu übersehen. Wir nehmen heute deutlicher wahr, dass nicht nur der rezipierte Paulus der Apg, sondern durchaus auch der „Paulus der Briefe“ ein (Selbst‑)Konstrukt ist. Zwischen dem protopaulinischen und dem lukanischen Paulus herrscht nicht ein Verhältnis von Realität und Deutung, sondern eine versetzte Aspekthaftigkeit mit unterschiedlichen Textsorten und Themen sowie veränderten chronologischen, sozialen und rhetorischen Situationen. Das Verhältnis zwischen den Paulus-Bildern lässt sich jenseits der herkömmlichen Dependenzfragen im Verstehensrahmen der Intertextualitätsdebatte sachnäher beschreiben. Die jüngeren Einsichten über soziale Erinnerungsarbeit führen auch zu einem kritischeren Umgang mit der in der Exegese üblichen Engführung auf theologische Geltungsansprüche, die die Transformation von Gedächtnisbildern in Mündlichkeitskulturen kaum angemessen erfasst. Auch die geschichtstheoretischen Erkenntnisse über die intentionale Leistung von Historiographie haben die Diskussionslage nachhaltig verändert. Von einem antiken Geschichtsschreiber wird schlechthin nicht mehr erwartet, dass er das Speichergedächtnis dokumentarisch erweitert; der „Schüler“-Begriff hat seine naive Unschuld verloren. Das entlastet Lukas. Er ist Historiograph, nicht Epigone: Sein Paulus ist eine Herkunftsgestalt in der Stiftungsmemoria der frühchristlichen Schwellenzeit. Auf dieser aktuellen Forschungshöhe bewegt sich der vorzustellende Sammelband. Im Hintergrund des Unternehmens stehen Ernst Haenchen und vor allem Philipp Vielhauer, mit dessen klassischer Stellungnahme zum „Paulinismus“ in Apg sich fast sämtliche Beiträge kritisch auseinandersetzen. Ein erstes (angesichts des Bandtitels: ironisches) Ergebnis liegt darin, dass der Begriff „Paulinismus“, unter dem man meist eine (bestrittene oder harmonisierend bejahte) Kohärenz zwischen Paulus und Lukas versteht, aufgrund seiner Unterdefinition (ist „Schülerschaft“ sachlich, historisch oder personal zu verstehen?) unhalt Rezensiert in Biblische Zeitschrift 56 (2012) 301–303.

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bar geworden ist und sich eine Schulsolidarität mit keinem der für Apg angenommenen Entstehungsszenarien vereinbaren lässt (Stanley E. Porter). In den folgenden Beiträgen fallen die so oft behaupteten Unvereinbarkeiten reihenweise. Während sich Paulus im binnenchristlichen Diskurs äußert, wenden sich die Missionsreden der Apg an ein nicht-christliches Auditorium. Gerade dort aber, wo in Apg christliche Adressaten angesprochen sind, ist „paulinisch“ vom Heilstod die Rede (Apg 20,28), wie umgekehrt Paulus, verweist er auf seine Missionspredigt, „lukanisch“ wirkt (1Kor 15,14–17) (Michael Wolter). Auch der Aposteltitel markiert keinen eindeutigen Unterschied: Während er sich bei Paulus im Zuge der Kontroversen auf die Gründungsfiguren zuspitzt, wird er bei Lukas  – nicht ganz konsequent  – der Stiftungsgruppe der Zwölf vorbehalten. Das lukanische Missionsschema „zuerst die Juden – dann die Heiden“ trifft im Grundzug auch das paulinische Konzept (Odile Flichy). Eine Reihe von semantischen und sachlichen Parallelen lassen sich ferner zwischen dem lukanischen Paulus-Bild vom leidenden (!) Zeugen und Vorbild der Zeugenschaft und dem paulinischen Selbstentwurf aufzeigen (Jens Schröter). Sowohl Paulus als auch Lukas depotenzieren die Tora soteriologisch und deuten sie als untragbares Joch; für Lukas gewinnt die Tora indes stärker das Moment der Kontinuität mit Israel (Daniel Marguerat). Beide entfalten das Christus-Bild wesentlich als Funktion des Gottesbilds und leiten die eigene Identität aus der Sinnwelt Israels ab (Jochen Flebbe). Setzt man voraus, dass Lukas Paulusbriefe kannte, so lässt sich sein Entwurf als Narrativierung, Rekontextualisierung und Aktualisierung des Proto-Paulus lesen (Richard I. Pervo). Einer besonderen Herausforderung stellt sich der Vergleich des wohl buntesten Kapitels des Lukas, Apg 19, mit den kargen Notizen des Paulus über Ephesus: Im Licht eines kriteriell kontrollierten Kon­struktivismus zeigt sich, dass der Apostel wie der Historiograph fragmentarisch, situativ begrenzt und interessegeleitet Einblick gewähren. Lukas konstruiert Paulus im Sinn der frühchristlichen Herkunftsmimesis; Paulus konstruiert Paulus im Sinn der Selbstaffirmation (Heike Omerzu). Auch in der Abschiedsrede des lukanischen Paulus vor den ephesischen Presbytern findet sich bei näherer Analyse durchaus manches vom Selbstbild des Paulus wieder (Andreas Lindemann). In der Frage nach Israel erweist sich der lukanische Entwurf auf fünf Leitachsen als schöpferische Transformation des paulinischen Ansatzes in Röm 9–11: Kontinuität des Gottesvolks unter dem Verheißungsaspekt, Priorität des Judentums gegenüber den Heiden, Verweigerung Israels als Grund der Völkermission, endzeitliches Missionskonzept, Ringen um das Geschick des christus-fernen Israel (Simon D. Butticaz). Die irenische Haltung gegenüber der Staatsgewalt, wie sie Apg und Röm 13,1–7 verbindet, spiegelt bei Paulus wie bei Lukas Missionsstrategie wider (Benedict T. Viviano). Achtet man auf die dem herkömmlichen Methodenverbund weithin fremde Funktion des „Gerüchts“ in Oralitätskulturen, lassen sich Grundzüge des lukanischen Paulus-Bilds (z. B. die Motive rednerischer Parrhesie oder der Gefangenschaft in Christo) auf Re-

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aktionen zurückführen, die bereits in der Paulus-Korrespondenz fassbar werden: Wie Paulus arbeitet Lukas an einer Standardisierung der imago Pauli inmitten frei fluktuierender imagines (Claire Clivaz). Auch in der imitatio Pauli lassen sich Analogien offenlegen: In der Korrespondenz wie in Apg wird Paulus als prototypisches Konversionsmodell vor Augen geführt und auf die Christus-Konformität hin transparent gemacht (Jean-François Landolt). Die verzweigte Geschichte solcher imitatio wird deutlich, blickt man auf die Rezeptionskarriere des Motivs von der eigenen Berufstätigkeit des Paulus: Was beim Apostel selbst die situationsbedingte Ausnahme darstellt, wird in Apg zu einer caritativen Regel; während in den Pastoralbriefen mit Blick auf Paulus für eine Vergütung von Diensten plädiert wird, schließt 2Thess eine solche mit Blick auf Paulus aus (Yann Redalié). Vergleicht man die auctoritas Pauli in ihrer Rezeption in den Deuteropaulinen und in Apg, so ist die Normativität des idealisierten Heroen hier wie dort unbestrittene Voraussetzung. Die Gegenwart des Abwesenden wird hier im Modus der Erzählung, dort im Modus des Briefes inszeniert und nimmt sowohl einzigartig-heilsgeschichtliche wie paradigmatisch-ethische Züge an. Hier wie dort wird die Autorität theozentrisch und im theologischen Argumentationsanspruch des Apostels begründet, doch fehlt ihr in Apg der quasi-soteriologische Status, den sie in Kol / ​Eph besitzt (Andreas Dettwiler). Natürlich sind die skizzierten Beiträge nicht über einen Kamm zu scheren: Der forsche Optimismus Pervos, nach dem Lukas um 115 n. Chr. Paulusbriefe auslegt, unterscheidet sich sehr von der peniblen Analyse Lindemanns, der semantische und motivliche Berührungen sieht, daraus aber keine Benutzungsthese ableitet. Auch in der Frage nach den historischen Bedingungsmöglichkeiten der Paulus-Nähe des Acta-Verfassers bewegen sich die Vorstellungen zwischen dem Begleiter des Paulus und der literarischen Fiktion. In vielen Einzelheiten dürfte die Kontroverse eher eröffnet als abgeschlossen sein. Die Hauptfrage freilich lautet: Ist der eingeleitete Paradigmenwechsel berechtigt? Ich neige zu zwei Antworten: (1) methodisch: unbedingt; (2) sachlich: möglicherweise. Zu 1: Der Sammelband zeigt überzeugend die Schwächen herkömmlicher Vergleichsarbeit auf. Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, ungewohnte Ansätze (z. B. Kenntnis der Paulus-Korrespondenz, theologische Verwandtschaft, historische Nähe bis hin zum Quellenwert der Wir-Berichte) mit apologetischem Verweis auf die Forschungstradition als „unkritisch“ abzutun. Man wird auch die „kritischen Dogmen“ begründen müssen, und zwar triftiger, als es im Gefolge von Vielhauer und Haenchen geschehen ist. Zu 2: Die Beiträge destruieren somit zwar manche Gewissheit, aber die rekonstruktive Zuversicht mancher (nicht aller) Autoren, aus der kognitiven sei eine lebensgeschichtliche Nähe zu erschließen und der veränderte Zugang zum lukanischen Paulus-Bild ändere auch die historische Basis, scheint mir verfrüht. Verbindungslinien sind durchaus denkbar, aber sie sind vielleicht länger und loser, als es in vielen Beiträgen scheint. Der Band widerlegt nachhaltig das Argu-

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ment der Inkompatibilität. Das letzte Wort über das literarische und historische Verhältnis zwischen Paulus und Lukas spricht er deshalb noch nicht. In mancher Hinsicht spricht er hier aber erste Worte. Und dies ist mehr wert. 3.3 Simon D. Butticaz, L’identité de l’Église dans les Actes des apôtres (2011) Butticaz, Simon David: L’identité de l’Église dans les Actes des apôtres. De la restauration d’Israël à la conquête universelle, BZNW 174, Berlin: De Gruyter, 2011. 556 S., ISBN 978-3-11-022953-0.25

Die neutestamentlichen Autoren geben oft Antworten auf Fragen, die ihre Ausleger nicht stellen, während diese nicht selten Fragen haben, auf die jene nicht gekommen sind. In diese „Vergegnung“ gehört vieles von dem, was als Israel-Frage diskutiert wird. Tatsächlich wird eine solche im Neuen Testament (mit der einzigen Ausnahme von Röm 9–11) allenfalls als Frage nach Herkunft und Wesen der Ekklesia behandelt. Wo das Judentum als solches in den Blick kommt, bezeichnet es Alterität im Sinne der christlichen Selbstdefinition. Dies gilt in besonderem Maß für die Apostelgeschichte, insofern hier die werdende Kirche ihren Ort in der reichsrömischen Welt zu bestimmen sucht, und zwar einerseits in Ursprungsgemeinschaft mit dem biblischen Gottesvolk und andererseits in Abgrenzung von der konkurrierenden Synagoge. Der Verfasser („Lukas“) konnte mittlerweile die Gerichtsschranke auch unter diesem Anklagepunkt räumen: Die wissenssoziologischen Einsichten der jüngeren Forschung haben eine Exegese unplausibel werden lassen, die Lukas anachronistisch als „antisemitisch“ im Sinne von Jack T. Sanders oder undifferenziert als anti-judaistisch einstuft. An die Stelle des theologischen Strafprozesses ist der – spannendere – exegetische Verstehensprozess getreten: Wie funktioniert der erste Entwurf einer christlichen Selbstdefinition im Modus von kulturell anschlussfähiger Historiographie? Die Frage findet in der jüngeren Forschung ein so breites Interesse und stößt auf so zahlreiche und unterschiedliche Antworten, dass eine systematische Gesamtschau an der Zeit war. In der hier zu besprechenden Dissertation (Faculté de théologie et de science des religions, Universität Lausanne) wird sie vorgelegt. Sie ist unter der Ägide von Daniel Marguerat entstanden, was zu der Zuversicht berechtigt, dass sie sich in der Mitte der aktuellen Actaforschung verortet und bewährt. Butticaz verfolgt zunächst den wechselvollen Gang der Exegesegeschichte beim Versuch, das Verhältnis zwischen Judentumsbild und kirchlicher Identität in Apg zu bestimmen. Anhebend bei der Tübinger Tendenzkritik, mustert er die Erklärungsmodelle „heidenchristlicher Antijudaismus“ (Franz Overbeck), „heilsgeschichtliche Periodisierung“ (bes. Hans Conzelmann) und „Eingliederung der Heiden in Israel“ (Jacob Jervell). Sodann skiz Rezensiert in Theologische Revue 109 (2013) 28–30.

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ziert er den nicht minder polaren weiteren Diskussionsverlauf (Gerhard Lohfink, Robert L. Brawley, François Bovon, Jack T. Sanders, Robert C. Tannehill) mit zumindest einem eindeutigen Ergebnis: „l’ambivalence inhérente à l’évaluation de judaïsme chez Luc“ (26). Die folgende Actaforschung, deren einschlägige Studien seit den neunziger Jahren der Verfasser nahezu im Jahrestakt aufführt, bemüht sich mit methodisch verfeinertem Ins­ trumentarium, den beiden Polen gerecht zu werden. Mit Recht hebt Butticaz die sensiblen und noch zu wenig beachteten Beiträge von Karl Löning hervor. Im Anschluss an diesen und Daniel Marguerat beschließt er die sterile Alternative „Israel / ​Kirche“ zu übersteigen und Apg als kulturbasierte theologische Integrationsleistung zu würdigen (vgl. bes. 44–47). Die Israel-Frage, sofern sie sich Lukas stellt, ist der ekklesiologischen Selbstkonstitution unter‑ und zuzuordnen; diese vollzieht sich im Modus des Erzählens (vgl. bes. 47–58). Daraus ergibt sich eine beim Leseprozess ansetzende „approche linéaire“, die die Brüche und Brücken im erzählerisch dramatisierten Verlauf verfolgt (59 f.). Dem so skizzierten Programm folgend untersucht die Studie detailliert folgende lukanische Wegmarken in der urchristlichen Identitätsbildung: die Wiederherstellung des Zwölferkreises, der die Kontinuität zu Israel verbürgt; das Pfingstereignis, das die zentrifugalen Kräfte eines christlichen Universalismus spannungsreich mit der gegenläufigen Tendenz der endzeitlichen Wiederherstellung Israels verbindet; die prophetisch verheißene Entfaltung wie die stete Gefährdung des Gottesvolks in der Jerusalemer Urgemeinde; den Bruch zwischen Urgemeinde und Jerusalemer Judentum im Martyrium des Stephanus, wie er in dessen programmatischer Rede theologisch ausgedeutet wird; die endzeitliche Einholung der „Heilsränder“: der Samaritaner und des äthiopischen Eunuchen; die Wiege einer christlichen Diaspora im syrischen Antiochien; das Wachstum des Wortes in der paulinischen Mission, die von der Sammlung Israels zur Universalisierung des Heils ausschreitet; den Apostelkonvent, der die Tora als mos maiorum des Judentums kulturell achtet und zugleich soteriologisch depotenziert; die Areopagrede als Signum eines kühnen Anschlusses an die pagane Kultur, der sich doch gerade im Gottesbild Israels verwurzelt weiß. Der Zielgeraden Apg 28,16–31 widmet die Untersuchung naturgemäß besonders eingehendes Interesse, insofern hier die beiden Identitätsstränge – Judentum und pagane Kultur  – abschließend, resonanzreich und mit Querverbindungen zum Erzähleingang sowie zum Inneren von Lk und Apg zusammentreffen. Die Hoffnung Israels und die Basileia, die seit dem Vorevangelium (Lk 1 f.), inspiriert vor allem durch den Propheten Jesaja, thematisch im Raum standen, werden hier einer erzählerischen Klärung zugeführt. Gleichsam als individualisierter „heiliger Rest“ verkörpert Paulus die kulturelle wie die verheißungsgeschichtliche Kontinuität des Gottesvolks. Dem sehr kontrovers diskutierten Schluss geht es nicht um eine abschließende Beantwortung der Israel-Frage, sondern um eine missionarische Öffnung auf die Völker: „Qu’Israël se convertisse à l’avenir reste une possibilité, qui ne dépendra néanmoins plus de l’évangélisation active menée à son end­ roit, mais, disons-le dans les termes de la lettre aux Romans : d’un mystère“ (431). Lukas stellt seinen Paulus in Analogie zu den großen, stets religiös gezeichneten Gestalten der antiken Ktisis-Motivik dar, sodass sich Apg als subtile Gegenerzählung zu dem großen Epos der augusteischen Neustiftung, der Aeneis, erweist. Insgesamt lässt sich der zweite Teil des lukanischen Doppelwerks als Reaktion auf eine dreifache Identitätskrise verstehen: Der Wechsel zur dritten Generation der Kirche, der Bruch mit der Synagoge und die Unsicherheit einer in die Mitte der Mittelmeerkultur wandernden und numerisch wachsenden Kirche verlangen die stabilisierende Wirkung einer Vergangenheitskonzeption, die die eigene Gruppenbildung legitimiert und orientiert. Diese wird in Apg auf der heilsgeschichtlichen, kulturellen und personalen Ebene narrativ

3. Grundthemen und Leitmotive der Apostelgeschichte

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erarbeitet. Die Theozentrik dieser Konzeption schließt eine ethnische, ethische oder sonst in irgendeiner Weise „horizontale“ Markierung von jüdischer Alterität aus.

Butticaz legt eine umsichtig urteilende und verlässliche Untersuchung vor. Sie trägt der heuristischen Bedeutsamkeit der prophetischen Literatur für Lukas aufmerksam Rechnung und zeichnet sich durch breite und vor allem eindringliche Kenntnis der langjährigen und leidenschaftlichen Forschungsdebatte aus. Für den Leser, der die Diskussion verfolgt hat, birgt das Buch nicht viel Neues, aber er kennt die Diskussion nach der Lektüre besser. Das exegetische Gewicht dieses Buches liegt nicht zuletzt darin, dass es eine nüchterne und tragfähige Bilanz dieser Diskussion im deutsch-, französisch‑ und englischsprachigen Raum zieht. Zudem besticht es durch die Geduld, mit der es die verwickelten Erzählstränge verfolgt, ohne vorschnell einzelne Theologumena zu isolieren und als Lösung anzubieten. Man muss, wie bei jedem gut geschriebenen Buch, die letzte Seite der Apg lesen, um sie von Anfang an zu verstehen. Diese Geduld entschädigt für die Redundanz, in der die Dissertation geschrieben ist: Sie hätte ohne Verlust in der Sache auch halb so lang sein können. Den breiten Raum nutzt Butticaz eher zu temperamentvollen Wiederholungen als zu trennscharfen Begriffsklärungen; selbst der untersuchungsleitende Begriff der Identität bleibt weithin ungeklärt. Und letztlich klärt des Verfassers These, dass Lukas ekklesiologisch intra muros schreibe, nicht die Grundfrage nach dem theologischen Recht zu solcher kognitiven Selbstbescheidung. Dies ändert nichts am Gesamteindruck: Der Durchbruch von der binnenjüdischen Selbstverortung zum Selbstentwurf des Christentums als „Weltreligion“ hat in Lukas einen theologisch wachsamen Historiographen gefunden – und Lukas selbst in diesem Buch einen exegetisch wachsamen Interpreten. 3.4 Troy M. Troftgruben, A Conclusion Unhindered (2010) Troftgruben, Troy M.: A Conclusion Unhindered. A Study of the Ending of Acts with­ in Its Literary Environment, WUNT II / ​280, Tübingen: Mohr Siebeck, 2010. XIV + 232 S., ISBN 978-3-16-150453-2.26

Es gibt biblische Aussagen, die so einfach sind wie die Feststellung „Heut ist schön Wetter“. Schwer verständlich werden sie erst, wenn eine ganze Literatur entsteht, sie zu erklären. Dieses Aperçu Søren Kierkegaards lässt sich passend auf das Ende der Apostelgeschichte beziehen. An sich bildet es eine natürliche literarische Schwelle. Zum Problem wird es erst durch die vielen exegetischen Versuche, es zu lösen. Wer historisch eine Schlusszäsur wünscht (wo der Erzähler sie nicht sieht), biographisch Auskunft über das Geschick des Paulus verlangt (das den Erzähler kaum interessiert) oder heilsgeschichtlich das Judentum verortet wissen will (was den Erzähler nicht tangiert), leidet unter dem „abrupten  Rezensiert in Theologische Literaturzeitung 137 (2012) 196–198.

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Ende“. Die einzige Möglichkeit, die exegetische Daueraporie zu lösen, besteht darin, die Lektüreerwartung zu verändern. Der Kontext, der die Probleme aufkommen lässt, ist der des modernen Fachtheologen, nicht der des antiken Lesers. Um dessen Lektürehorizont zurückzugewinnen, bedarf es der historischen wie literarischen Rekontextualisierung des Buchschlusses. Die hier zu besprechende Dissertation (Princeton Theological Sem­inary, Mentorin: Beverly R. Gaventa) leistet diese, und zwar umsichtig, zügig, klar und mit beachtlichem Verstehensgewinn. Troftgruben beginnt mit einem problemgeschichtlichen Aufriss (7–36), der von der Verlegenheit angesichts des abrupten Endes zum Interesse am gestalteten Schluss führt und die Fragestellung textgerecht verschiebt: Nicht nach den vermutbaren Absichten hinter dem Text ist zu fragen, sondern nach dem Text selbst: Was sagt er? Wie wirkt er auf den antiken Leser? Der Verfasser verfällt nicht in den bei Qualifikationsschriften mitunter zu beobachtenden Fehler, dass er methodologische Überbauten präsentiert, deren Geltung dann „anhand“ des neutestamentlichen Textes nachgewiesen wird. Er bedient sich umgekehrt in souveräner Übersicht aktueller Erschließungsmethoden, um seinem Text kontrolliert „auf den Leib zu rücken“. Er fragt nach dem (unter antiken Voraussetzungen) implizierten, durch die Interaktion mit dem Text freilich auch selbst geformten Leser und seiner Erwartung. Damit eröffnet sich wie von selbst der Methodenverbund (37–60): Der Schluss ist im eigenen Lektüregefälle als solcher wahrzunehmen, narratologisch zu beschreiben und mit den gängigen Entwürfen literarischer Schlussgestaltung, sowohl modernen Theorien als auch antiken Modellen, zu vergleichen. Eine Typologie des literarischen Schlusses (closure) erleichtert die Übersicht. Grundsätzlich unterscheidet der Verfasser zwischen Auflösung (resolution), die Spannungsschienen voraussetzt und Fragen zur Antwort führt, und Vollendung (completion), die frühere Stränge des Plots in verschiedenen Spielarten (circularity, parallelism, fulfillment of expectations, representative scene, summary of preceding events) aufgreift. Insofern jeder Text ein Ende, nicht aber notwendig einen Abschluss hat, sind auch die Varianten des offenen Endes (openness) zu berücksichtigen: Nicht-Auflösung von Spannungen, Nicht-Beantwortung von Fragen (irresolution), Schein-Abschluss, der Spannungen stehen, Fragen offen, geweckte Erwartungen unerfüllt lässt und auf die Setzung einer Endpassage verzichtet bzw. in andere Erzählwelten führt (incompletion). Bereits hier wird deutlich: Das offene Ende muss nicht auf konfusen Abbruch weisen, sondern kann auch Teil einer durchdachten Erzählstrategie sein. So ausgerüstet, wendet sich die Untersuchung der komparativen Lektüre zu (61–113). Sie wählt dazu repräsentative Beispiele aus vier Textsorten aus: Prosafiktion (bes. Chariton von Aphrodisias, Chaireas & Kallirhoë), Biographie (Plutarch, bes. Cato minor), Epos (Ilias, Odyssee, Aeneis) und Geschichtsschreibung (Herodot; Thukydides; Sallust, De bello Iugurthino; 2Kön; Josephus, Antiquitates Iudaicae). Prosafiktion tendiert zur klaren Auflösung der Spannungen, die oft in einer zirkulären home again-Episode zum Ausdruck kommt. Die Biographie kann am ehesten mit einem eindeutigen Abschlusspunkt (terminal marker), z. B. einer Beerdigungsszene, arbeiten. Vor allem das Epos weist offene Stränge in die Zukunft, also die Gegenwart des Lesers, auf, die sinnstiftende Anknüpfungen ermöglichen. Besonders vielfältig sind die Gestaltungsvarianten in der Geschichtsschreibung. Zwar muss sich jeder Historiograph begrenzen, sodass er relative Zäsuren anzubringen hat. Doch zielt letztlich jede Geschichtsdarstellung sachlich auf die historia continua und pragmatisch auf intentionale Gegenwart.

3. Grundthemen und Leitmotive der Apostelgeschichte

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Im Rahmen dieser literarischen Kultur ist Apg zu lesen (114–143) und der Erzählschluss zu würdigen (144–178). Zunächst segmentiert der Verfasser den Endabschnitt in Apg 28,16–31 und unterzieht dabei besonders das Schlusswort des Paulus 28,25b–28 einer eingehenden, auch rhetorikkritischen Analyse. Einerseits umfasst der literarische Schluss der Apg eine Reihe von Wiederaufnahmen im Sinne der completion; andererseits wirkt er aber auch als gezielter Nicht-Abschluss. In der erarbeiteten Perspektive des antiken Lesers wird man die letzte Rede des Paulus in ihrer appellativ-tragischen Farbe wahrnehmen, während die Schlussnotiz VV. 30 f. ihre suggestive Kraft gerade daraus gewinnt, dass sie eben keinen stopping point besitzt, sondern einen solchen bis in das abschließende Adverb ἀκωλύτως hinein von sich weist. Troftgruben liest den Schluss der Apg im Licht von Lk 1–4. Damit gewinnt das lukanische Doppelwerk einen erzählerischen Gesamtrahmen und tritt als geschlossene literarische Einheit in den Blick, eine heute wieder angefochtene Sichtweise. Interessanter noch sind die offenen Stränge nach vorn: Das Geschick Israels bleibt ungeklärt, die Ansage Apg 1,8 wird nicht eingelöst, die Hinweise auf den Zeugentod des Paulus gelangen nicht zum erzählerischen Vollzug. So verlässt der Erzähler sein Werk – wie Dionysios von Halikarnass an Thukydides tadelt – ἀτελῆ (De Thucydide 16; vgl. epist. ad Cn. Pompeium Geminum 3). Das Argument, gezieltes Schweigen setze Leserkräfte frei, die Erzählung vollende sich gewissermaßen im Leser selbst, insofern dieser über alle nötigen Informationen verfüge, den Abschluss selbst zu setzen (Daniel Marguerat), lässt Troftgruben nicht gelten. Weder nimmt er solche Überlegungen in der antiken Lesepragmatik wahr, noch sieht er in Apg die Tendenz zur imitatio Pauli. Vielmehr versteht er das offene Ende als Brücke zu der die Apg umfassenden Geschichte des Gottesvolks. Daraus erklärt sich die Ähnlichkeit mit der gründungsmythisch hochbedeutsamen Epik, namentlich der Aeneis. Apg bietet keinen Abschluss, weil der Plot programmatisch auf Fortsetzung angelegt ist. Die „große Geschichte“ ist das Drama Gottes mit der Menschheit und den Zeugen, sodass vom Geschick Einzelner, auch des Paulus, abgesehen werden kann. Was Apg 1,1–11 an Erwartung weckt, löst die Erzählung der Apg nicht ein, weil die größere Geschichte, die Lukas nicht mehr erzählt, es einlösen wird.

So führt Troftgruben das wohl meistüberschätzte Problem der Actaforschung einer insgesamt triftigen Lösung zu. Apg ist ein literarischer Teilabschluss: Dies erklärt die Schlussmarkierungen. Apg ordnet sich gezielt einer größeren Geschichte unter: Dies erklärt das offene Ende. Die funktionale Verwandtschaft mit der Epik weist in der Tat darauf, dass hier wie dort in die Gegenwart offene Herkunfts‑ und Stiftungsmemoria waltet. In zwei Richtungen lassen sich Troftgrubens Resultate modifizieren: (1) Vermutlich hätte eine tiefere Berücksichtigung des engeren generischen Umfelds, nämlich der zeitgenössischen Historiographie, weiterführende Resultate erbracht. Das offene Ende und / ​oder die Selbst‑ und Fremdeinordnung in das größere Narrativ besitzt hier von Thukydides über Xenophon, Polybios und Cassius Dio bis Prokop eigene Gattungstradition. Die natürlichste Lösung für das offene Ende scheint mir, durchaus im Sinn des Verfassers, darin zu liegen, dass auch Lukas mit literarischer Fortsetzung rechnete. Das Außergewöhnliche an seinem Ende wäre dann vor allem darin zu sehen, dass er sie – auch aufgrund seiner (mythisch-epischen!) Selbstsakralisierung – nicht gefunden hat.

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Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung

(2) Mir scheint, dass das literarische Ende deutlicher vom konzeptionellen Abschluss der christlichen Erstepoche abzuheben ist. Michael Wolter hat überzeugend dargetan, dass dieser in Apg 25 f. gesetzt wird, sodass die Überfahrt nach Rom als Dramatisierung der Epochenzäsur zu lesen ist.27 In dem von Troftgruben untersuchten Schluss befinden wir uns dann eigentlich an einem Anfang, nämlich dem der lukanischen Normalzeit. Dazu passen die offenen Erzählstränge. Dem entspricht auf der anderen Seite der literarische Beginn des Doppelwerks: Die Eingangskapitel Lk 1 f. dramatisieren einen (transitorischen) Abschluss (mit 2,25–38 als terminal marker), bevor mit 3,1 ein (epochaler) Anfang gesetzt wird. Das Verdienst dieser Untersuchung liegt nicht zuletzt darin, dass sie die Erzählstrategie und das Geschichtsbild als jenen Rahmen ausweist, in dem das Ende der Apg seinen Problemcharakter verliert. So ist zu hoffen, dass die einschlägige Diskussion nicht endlos bleibt, sondern mit diesen wohlbegründeten Einsichten zu einem klaren Abschluss gefunden hat.

4. Kontexte der Apostelgeschichte 4.1 Contextualizing Acts (2003) Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. Todd C. Penner / ​Caroline Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta: Society of Biblical Literature, 2003. 408 S., ISBN 1-58983-080-6.28

Der Sammelband geht auf die International Meetings der Society of Biblical Literature in Rom 2001 und Berlin 2002 zurück. Einigen Beiträgen sieht man ihre Herkunft an: Man ist auf der Suche nach dem, was man „fresh and ambitious approaches“ zu nennen pflegt. Die „wonderful opportunities afforded by the ISBL meetings“ (ix) werden freilich zum intellektuellen Sightseeing kaum genutzt: Zu einer kritisch-lernbereiten Begegnung mit der Actaforschung jenseits der USA kommt es selten. Das Ziel der zwölf Aufsätze ist es, die Integration des lukanischen Erzählwerks im sozialen und kulturellen – weniger freilich dem unmittelbar religiösen – Verstehenskontext der reichsrömischen Antike zu verorten. Die literarischen Kontexte reichen von den Progymnasmata über die Romanliteratur und Plutarch bis zum homerischen Epos. In methodischer Hinsicht überwiegen vergleichende Querlektüre und soziorhetorische Interpretation. Hinführend gibt Todd Penner (1–21) einen Überblick über die jüngsten Wege der Actaforschung und den eigenen Band. Es ist freilich weniger die spezifische Texterschließungsleistung einzelner Ansätze, die er würdigt, als die vordergründige Frage, ob ein Ansatz als 27  Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289. 28  Rezensiert in Theologische Literaturzeitung 131 (2006) 280–282.

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„traditional“ (diachron orientiert) zu kennzeichnen sei oder „shifts“ widerspiegele und welchen „ideologischen“ Hintergrund er repräsentiere. Die Selbstwürdigung des Herausgebers „I consider these collected essays in some sense to signal the birthing of a new Religionsgeschichtliche Schule in terms of fundamental method and broad conceptualization“ (18) gelangt über den Status einer Geburtsanzeige kaum hinaus und wird durch die folgenden Beiträge weder im Blick auf „religionsgeschichtlich“ noch im Blick auf „Schule“ eingelöst. Ähnlich selbstbezüglich wirkt der abschließende Beitrag der Mitherausgeberin Caroline Vander Stichele (311–329), die nicht etwa Apg, wohl aber den eigenen Sammelband auf geschlechtsrollenspezifische Fragen untersucht. Der Rezensent nimmt die Ergebnisse, wenn nicht verblüfft (z. B. 321: „In a larger framework, it is worth observing that female scholars seem to take a greater interest in the narrative parallels from novels, epic, and myth than in historiography“), so doch ratlos zur Kenntnis. Denn am Ende sieht er sich in appellativer Weise über den Kontext der Autorin im zeitgenössischen Postcolonialism informiert, weniger aber mit den kritischen Mitteln einer sozial‑ und kulturgeschichtlichen Analyse über den Kontext der Apg im hellenistisch-reichsrömischen Geschlechterdiskurs. Zwischen diesen beiden erdnahen hermeneutischen Polen liegt manche exegetische Höhenerfahrung. Joseph B. Tyson (23–42) skizziert den Weg der Actaforschung von der historischen Auslegung, die freilich die literarische Prägung nicht aus den Augen verlor, zur (sozio‑)rhetorischen Kritik, der die narrative Strategie der lukanischen Wirklichkeitskonstruktion deutlich näher liegt als die Frage, wie sich darin, wenn überhaupt, historische Realität widerspiegele. Und doch erhofft er sich von der neuen Fragerichtung auch historische Einsichten, zwar nicht in die erzählte Welt, wohl aber in die zeitgenössische Umgebung des Erzählers, die in der Tat erheblich konkreter profiliert werden müsste als das gängige Abstractum der „Greco-Roman culture“. Mikeal C. Parsons (43–63) gibt, angeleitet durch den repräsentativen Lehrschriftautor Ailios Theon (1. Jh. n. Chr.), ergänzt durch Quintilian, einen sehr hilfreichen Überblick über das Phänomen der Progymnasmata und damit über einen für Lukas und sein Lesepublikum erwartbaren (nicht zu ambitionierten) rhetorischen Hintergrund. Gerade der Abschnitt über das διήγημα ist sehr erhellend, und Darstellungskonventionen und Leserführung der Apg werden durchschaubarer. Eine überzeugende Probe kulturgeschichtlicher Rekontextualisierung legt auch Todd Penner (65–104) vor, der den antiken Historiker als narrativen Kon­strukteur der stadtstaatlichen Selbstdefinition und Wertevermittlung interpretiert und so Licht auf die (kompetitive) lukanische Paideia einer neuen christlichen Sozietät wirft. Saundra Schwartz (105–137) untersucht das dramatische Motiv der Gerichtsszenerie im griechischen Roman. Angesichts von nicht weniger als vierzehn Gerichtsszenen in Apg fällt der heuristische Gewinn der Querlektüre reichlich aus, und Richard Pervos ebenso wertvolle wie einseitige gattungskritische Studie Profit with Delight (1987) gewinnt breitere literarische Dokumentation. Umso interessanter wird so freilich der ebenfalls gattungskritisch akzentuierte Beitrag von David L. Balch (139–188), der das lukanische Werk mit historiographisch-biographischen Gründererzählungen (Dionysios von Halikarnass, Antiquitates Romanae; Plutarch, Vitae parallelae) vergleicht. Der Beitrag beleuchtet den die maßgebenden Anfangsgestalten kennzeichnenden Wandel der Kommunitätsverfassung (μεταβολὴ πολιτειῶν), im lukanischen Fall: die Umformung des Gottesvolkes zur völkerumspannenden Kirche. Um eine Parallele zu etablieren, liest Balch die Texte mitunter recht weitherzig, und gleich viermal wartet er mit dem dogmatischen Klischee des kon­stantinischen Abfalls von den reinen Ursprüngen auf (166 f., 186–188). Doch im Ganzen birgt die Studie wertvolle Einzelbeobachtungen, und in Bioi und Geschichtswerken der frühen Kaiserzeit dürfte tatsächlich noch mancher Schatz zu heben sein. Dennis R. MacDonald (189–203) lässt es sich nicht

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Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung

nehmen,29 einmal mehr eine neutestamentliche Schrift als Echo auf das homerische Epos zu lesen, und konzentriert sich hier auf Hektors Abschied von Andromache (Il. 6) im Vergleich zur Abschiedsrede des Paulus in Milet (Apg 20,17–38). Da er die „Parallelen“ synoptisch beifügt, kann sich der Leser rasch davon überzeugen, wie blass und konstruiert sie sind. Der an sich attraktive Gedanke, das verbreitete homerische Œuvre könnte Lukas beeinflusst haben, wirkt nach der Lektüre unplausibler als zuvor, sollte aber in stärker kontrollierter Weise zumindest motivgeschichtlich noch einmal „ausprobiert“ werden. Da MacDonald auf die Auseinandersetzung mit der aktuellen Actaforschung verzichtet und nicht gerade zu subtilen exegetischen Unterscheidungen neigt (190: „Luke-­Acts is thus epic, not history“), bleibt dem Leser wenigstens, „it must be said, fun to read as a piece of highly inventive literary criticism“30. Dies gilt nicht minder für Amy L. Wordelman (205– 232), die – nach einem nicht recht ergiebigen Forschungsüberblick über die Lystra-Episode Apg 14,8–20 – die oft erwogene Bezugnahme auf den Legendenstoff von Philemon und Baukis durch eine auf Lykaon, den mythischen König von Arkadien, ersetzt, der sich – darin den aggressiv werdenden Lykaoniern vergleichbar – in einen Wolf verwandelt hat. Gary Gilbert (233–256) interpretiert die lukanische Darstellung von Jesus als Retter und Friedensbringer, von Jesu Himmelfahrt und die Völkerliste in Apg 2,8–11 vor dem Hintergrund reichsrömischer Selbstpräsentation. Seine sehr lohnende Vergleichsarbeit gelangt zu dem triftigen Schluss, dass gerade in solcher Imitation politischer Geltungsansprüche ein kritisch-konfrontativer Zug des sonst so oft als apologetisch-romfreundlich gesehenen Lukas liegt. Fast wie ein europäischer Block zwischen den synchron-komparativen Per­ spektiven wirkt der Beitrag von Samuel Byrskog (257–283), der – ganz in der Linie von Lk 1,1–4 – zwischen „story“ und „history“ zu vermitteln sucht, indem er die Wir-Passagen als literarisches Resultat eines komplexen Prozesses narrativer Reoralisation erklärt, die auf extrafiktionale Realität verweist. Dass sich in diesem Band eine solche Warnung vor Komplexitätsreduktionen findet, nimmt man dankbar wahr. Wie nötig sie ist, belegt der Aufsatz von Milton Moreland (285–310), der die soziale Identität stiftende Funktion der Mythenschöpfung betont und die Darstellung der Jerusalemer Urgemeinde in diesem Licht interpretiert.

Im Überschwang der oft berechtigten Entdeckerfreude werden die Autoren dem Verstehensgewinn der herkömmlichen diachronen Methode nicht immer gerecht. Aber die historische Perspektive ist stark genug, sich auch in neuen Konstellationen zur Geltung zu bringen, und zu solchen Konstellationen leistet der Sammelband insgesamt einen beachtenswerten Beitrag. Freilich, eine Frage bleibt: Wie viel Text braucht ein Kontext? Der Abstand mancher (nicht aller) Beiträge zum lukanischen Bezugstext in seiner Eigendynamik scheint mir ein ernstes Gravamen zu sein: Hätte der Rezensent beim nächsten ISBL Meeting ein Transparent am Gastort anzubringen (was unwahrscheinlich ist), so schriebe er den innovationsbegeisterten Reisenden als Motto, von George Steiner beflügelt, eine alte Weisheit darauf: „Der erste Kontext seid ihr selbst: Beginnt zu lesen!“ 29  MacDonald ist bereits in seinem Buch The Homeric Epos and the Gospel of Mark, New Haven, Conn. 2000 seiner Lieblingsidee nachgegangen; dazu die sehr differenzierte Kritik von Mitchell, Homer (s. Anm. 4). 30  Mitchell, Homer (s. Anm. 4), 251 f.

4. Kontexte der Apostelgeschichte

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4.2 Hans-Josef Klauck; Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte (1996) Klauck, Hans-Josef: Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, 1996. 147 S., ISBN 3-460-04671-6.31

Eher aus reisepraktischen Gründen hatte der Rezensent die „leichtgewichtige“ Studie des Würzburger Neutestamentlers ins Gepäck einer Tagung zu Birmingham gesteckt. Dort angekommen, hörte er freilich schon bald in einer Ansprache (und der eigene Eindruck bestätigte es), dass in dieser europäischen Großstadt Gläubige Moscheen und „fernöstliche“ Gebetsstätten zahlreicher aufsuchen als christliche Kirchen. So prädisponiert, las er Hans-Josef Klaucks einleitende Programmskizze mit neuen Augen: „Nach der langen Phase des christlichen Abendlands mit seiner relativ einheitlichen Kultur können wir uns auch in Europa zum ersten Mal wieder in eine Situation zurückversetzen, die für die ersten christlichen Generationen Alltag war. Der christliche Glaube mußte sich anfänglich erst noch behaupten in der Konkurrenz der religiösen Weltanschauungen, die ihren Wettstreit um die Gunst des Publikums buchstäblich auf dem Marktplatz austrugen. Das hermeneutische Potential, das in dieser Analogie der Situationen steckt, sollten wir besser nutzen und es einsetzen für ein vertieftes Verständnis des Urchristentums und der eigenen Gegenwart“ (11 f.). Ziel der Studie ist somit die Erschließung eines urchristlichen Paradigmas von Evangelisierung durch kritische Inkulturation. Ihr Gegenstand ist die Apostelgeschichte (Apg 1 f.; 8; 10–14; 16–19; 27 f.), insofern diese wie keine andere neutestamentliche Schrift die Begegnung zwischen Urchristentum und paganer Volksreligion widerspiegelt und mit den indirekten Mitteln der Erzähltechnik kommentiert. Ihre Methode ist die themenzentrierte, religionsgeschichtlich vergleichende Relektüre der charakteristischen Perikopen. Diese gelangt zu folgendem Ergebnis: In ebenso unterschiedlichen wie bezeichnenden Einzelepisoden führt der Erzähler seine Leser irenisch-unaufdringlich und doch die theologischen Trennlinien klar markierend durch die (von der Mantik bis zum Herrscherkult) vielfarbig schillernde Welt zeitgenössischer Volksreligion. Die Heiden können – wie Simon Magus oder Bar-Jesus – in ihrer ganzen Schwäche vorgeführt werden; sie können – wie in der burlesken Szene vom blamabel misslungenen Exorzismus der Skeuas-Söhne  – parodiert werden. Aber es gibt auch hinreichend Beispiele für innerpagane Religionskritik, „anonym-christliche“ Humanität oder eine diffuse Sehnsucht der Heiden nach dem Gott der jüdisch-christlichen Offenbarung, damit zum Teil dann auch Anknüpfungschancen für die apostolische Verkündigung. Wie etwa die Verwechslung zu Lystra (Apg 14,8–18) illustriert, lässt sich die apostolische Mission dem Phänotyp nach nicht immer so eindeutig von der paganen Konkurrenz unterscheiden (vgl. auch 19,11 f.: die Heilkraft der Schweißtücher und Schurze  Rezensiert in Theologie und Glaube 88 (1998) 115–116.

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des Paulus). Hier zieht der Chronist die Grenze, indem er schöpfungstheologisch die Transzendenz im jüdisch-christlichen Gottesbild betont, den Primat der Wortverkündigung herausstellt und nicht zuletzt die lautere Absicht authentischer Evangelisierung im Kontrast zum grob materiellen Interesse der Mitbewerber beleuchtet. Freilich, Apg ist kein Missionsbuch, sondern richtet sich ad intra. Sie stärkt die Christen in ihrem Optimismus bezüglich der Plausibilität und Vermittelbarkeit ihrer Botschaft, warnt zugleich vor der magischen (und pekuniären!) Versuchung im Christentum selbst und erzählt auf solche Weise Missionsgeschichte als Motivation für ein (im lukanischen Sinn) theologisch aufgeklärtes und gerade so bleibend missionarisches Christentum. Die aus profunder Quellenkenntnis geschöpften und pointiert gesetzten religionsgeschichtlichen Parallelen schenken der Lektüre manche überraschende Einsicht. In leserfreundlicher Klarheit, spannend und stellenweise geradezu vergnüglich geschrieben, ist die Studie – das ist bei Exegetica selten genug – in einem Durchgang lesbar. Mitunter reicht das Interesse des Auslegers wohl weiter als die kerygmatische Erzählabsicht des Lukas (die „existentiellen Probleme“ des äthiopischen Eunuchen [40]; die misslungene Steinigung des Paulus als „fast so etwas wie Auferstehung im Alltag der Welt“ [75]; die ephesische „Volksversammlung“ als Anti-Ekklesia [125]; vgl. die vom Verfasser mitgeteilte historisierende Spekulation über das weitere Schicksal der wahrsagenden Sklavin [87]); aber dann wird das Konjekturale an der Auslegung dem Leser deutlich signalisiert. Ihren Höhepunkt erreicht die luzide Darstellung mit der ausführlichen Interpretation der Areopagrede und ihres athenischen Rahmens (88–111). Zum Stellenwert der Studie scheint mir zweierlei bemerkenswert: Zunächst illustriert sie die exegetische Fruchtbarkeit der religionsgeschichtlichen Methode, für die der Name des Verfassers steht und die mit der jetzt begonnenen Edition des Neuen Wettstein hoffentlich weiteren Auftrieb in der deutschsprachigen Exegese gewinnen wird. Sodann ist Religionsgeschichte aber nicht nur Methode, sondern auch theologische Denkform. Die Studie führt vor Augen, dass das Christentum Ergebnis einer Synthese ist, zu der die alttestamentlich-frühjüdische Tradition gehört, aber ebenso die – kritisch rezipierte – pagan-hellenistische Kulturwelt. Die heute oft hintergründig wirksame Prämisse „the more Hebrew, the more biblical“ bildet die historische Dynamik nicht sachgerecht ab. Auch das „Pagane“ (das Fremdwort scheint mir trotz S. 12 doch passender als „Heiden / ​heidnisch“, weil es zumindest im Deutschen nicht negativ konnotiert ist) gehört zum theologischen Mutterboden des Christentums. So erinnert die Studie mit ihrer weiten Perspektive an die kühnen und schöpferischen Entwürfe von dem λόγος σπερματικός und der anima naturaliter Christiana. Und darin am Ende ist sie denn doch „schwergewichtig“.

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4.3 Jens Börstinghaus, Sturmfahrt und Schiffbruch (2010) Börstinghaus, Jens: Sturmfahrt und Schiffbruch. Zur lukanischen Verwendung eines literarischen Topos in Apg 27,1–28,6, WUNT II / ​274, Tübingen: Mohr Siebeck, 2010. XVIII + 554 S., ISBN 978-3-16-149996-8.32

Die ebenso dramatische wie detailfrohe Erzählung von Seesturm und Bruchlandung an der Küste von Melite (Apg 27,1–28,6) stellt die Actaforschung vor Rätsel. Die Einschätzung von Gattung und historischer Referenz pendelt zwischen Augenzeugenbericht und romanhafter Fiktion. Die literarische Funktion bleibt unscharf, obgleich sie wohl stark zu gewichten ist, handelt es sich doch – sieht man von der Cornelius-Taufe ab – um die umfangreichste Einzelszene der Apg. Lukas widmet ihr mehr narrative Aufmerksamkeit als dem Apostelkonvent. Die Topographie der Sturmfahrt hat vor Jahren nicht nur eine Inselrepublik und einen souveränen Ritterorden, sondern auch die Tagespresse erregt. Gleichwohl stößt die Erzählung in der Exegese auf vergleichsweise geringes Interesse: Für den kargen theologischen Ertrag, den sie (auf den ersten Blick) zu bieten scheint, erfordert sie zwei ungewöhnliche Begabungen: nautische Kompetenz und komparative Zähigkeit. Die 2008 in Erlangen angenommene Dissertation (Mentor: Peter Pilhofer) stellt sich dieser Herausforderung in zwei Umläufen: Zunächst bereitet sie das vergleichbare Textgut auf; im Licht der Resultate erfolgt eine nunmehr überdurchschnittlich informierte Auslegung. Als Leitinteresse der Textbefragung nennt Börstinghaus die gattungskritische Rückfrage, das Paulus-Bild, die Einstufung der Wir-Erzählung und die nautische Erhellung (10 f.). Angesichts der Bedeutung wie der Unsicherheit der Schifffahrt im antiken Mittelmeerraum überrascht die Breite möglicher Vergleichstexte nicht. Der Verfasser klammert klugerweise die gesamte einschlägige Metaphorik aus und orientiert sich an der Sachnähe zum lukanischen Zieltext. Dass er sich der epischen Literatur nicht annimmt, wird man im Hinblick auf ihre starke Ausstrahlung  – besonders natürlich der Odyssee und Aeneis – bedauern, doch bleibt die Textbasis massiv. Chronologisch liegt der Schwerpunkt auf der kaiserzeitlichen Literatur. Börstinghaus mustert die Texte in vier gattungskritisch geordneten Kapiteln: Periplus und Historiographie  – Biographisches (mit besonderem Vergleichsgewinn: die ἱεροὶ λόγοι des Ailios Aristeides) – Romanliteratur (lohnend bes. Achilleus Tatios, Leukippe & Kleitophon) – Satiren und Burlesken (Petron. 100–115; vielfältig Lukian von Samosata, bes. Toxaris 19–21 und im satirischen Genre-Spiel die Ἀληθῆ διηγήματα). Es folgen Beispiele aus der alttestamentlich-frühjüdischen (neben dem eingehend behandelten Jona Ps 107, Ez 27 und TestNaph 6,1–10) und der frühchristlichen Literatur (Mk 4,35–41 parr.; 6,45–52 parr.; ActPetr; jüngere Acta Ioannis; Clem. hom. 12,16,3–12,17,1) und, verspätet (spätes 4. / ​frühes 5. Jh.), aber nach Stil und Sache fesselnd, Synesios von Kyrene, epist. 4 (ed. A. Fitzgerald, 1926 [= epist. 5, ed. A. Garzya, 2000]). Die Interpretation von Apg 27,1–28,6 widmet sich zunächst den diachronen Fragestellungen, wobei die Wir-Stücke wohlverdiente Aufmerksamkeit genießen. Der ausführlichen Einzel Rezensiert in Biblische Zeitschrift 57 (2013) 144–146.

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auslegung folgt ein sachkundiger Anhang über die topographischen Probleme (Phoenix, Seewinde, Melite); Börstinghaus plädiert umsichtig und souverän für die Identifikation der Landungsinsel mit Malta. Sehr willkommen sind für die exegetische „Landratte“ die beigegebenen klaren nautischen Skizzen und sachrelevanten antiken Abbildungen.

Ich halte folgende Resultate fest: (1) Das Seesturm‑ und Schiffbruch-Motiv übergreift Gattungen und repräsentiert auf seine Weise den generischen Mischtypus der Apg. Dass sich die Erzählung auch romanhaft unterhaltender Darstellungsmittel bedient (wie maßgeblich Richard Pervo gezeigt hat), darf nach Lektüre der Untersuchung als gesichert gelten. (2) Interessanterweise kommt Börstinghaus in seiner sorgfältigen Diskussion der Wir-Berichte zu einer ähnlichen gestuften Lösung wie (zeitgleich und unabhängig) Pervo in seinem Hermeneia-Kommentar. Die beiden konsequentesten Hypothesen – ein unmittelbarer Augenzeugenbericht und ein literarisches Stilmittel – erweisen sich kaum als triftig: Für dieses gibt es keine eindeutige Parallele in den Reiseberichten, jener leidet an zu vielen inneren Unwahrscheinlichkeiten. Börstinghaus nimmt (in Anlehnung an Dietrich-Alex Koch) einen makedonischen Kollektenreisebericht an und ergänzt ihn um einen Rechenschaftsbericht, den die Begleiter der Romreise der Gemeinde von Caesarea Maritima gegeben hätten. Lukas habe sich von der vorgefundenen Wir-Form zur sympathetischen Stilisierung der drei Übergänge  – „Europa“, Jerusalem, Rom – inspirieren lassen. Zwar bleibt, wie auch Börstinghaus weiß, mancher Anstoß, nicht zuletzt der unvermittelte Wechsel ins „Wir“, der letztlich nur mit narrativem Ungeschick erklärt werden kann. Aber der Ansatz von Börstinghaus (und Richard Pervo) stellt, ungeachtet der überoptimistischen Rekonstruktion der Cäsarea-Quelle, wenn ich recht sehe, das einzig plausible Grundmodell nach über hundertjähriger Aporienpflege dar. (3) Die Grenze zwischen topischem Erzählen und Erzählen von Typischem ist schwer zu ziehen. Eindeutig bedient sich die Erzählung des gängigen nautischen Ekphrasis-Repertoires, wie es auch, aber nicht nur, in der fiktiven Literatur anzutreffen ist. Topoi und Autopsie schließen einander offenkundig nicht aus. Das wird vor allem an den autobiographischen Darstellungen des Josephus, Ailios Aristeides und Synesios ersichtlich. Ich kann jedoch, auch nach der Lektüre von Börstinghaus’ Studie, wirklich individuelle Erinnerungsmomente in Apg 27,1–28,6 nur spärlich wahrnehmen. Immerhin betont der Verfasser, dass Lukas stärker als die Vergleichstexte die Menschen an Bord zeichne. Doch auch dieser Zug dient einzig zur Konturierung des theologischen Paulus-Bildes. (4) Die unvermittelte Setzung eines erzählenden „Wir“-Aktanten gehört nicht zu den Motiven der Reise-Erzählung. Im Vergleich mit Rettergestalten zur See, wie Cäsar (bei Plutarch) oder Apollonios von Tyana (bei Philostrat), macht Börstinghaus auf einen signifikanten Unterschied aufmerksam: Paulus rettet nicht offensiv – er verweist auf die ihm mitgeteilte göttliche Heilsführung. Es geht nicht um Paulus; es geht um Providenz – und um Paulus nur, insofern sein Geschick diese verkörpert. Damit ist eine heroisierende ebenso wie eine apologetische Interpretation des

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lukanischen Paulus-Bilds erledigt. Paulus wirkt wie ein Romanheld, ist aber weder eine Romanfigur noch ein Held im klassischen Sinn: Er ist der von Gott Geführte, dessen Seeabenteuer ihn selbst seinem Ziel entgegenführt, für die Mitreisenden Rettung und das Evangelium Fortschritt bedeutet. (5) Auf diesen Fortschritt lenkt der Verfasser den Blick in der Zielgerade seiner Untersuchung: Die spannungsvolle Erzählung im Schlussteil des lukanischen Werks dient dem theologischen Zweck, die Notwendigkeit des heilsgeschichtlichen Übergangs zu dramatisieren. Mag Paulus den θεῖοι ἄνδρες ähneln, so dient er doch nur als Zeuge und Identifikationsgestalt dem göttlich gesetzten δεῖ. Indem Paulus – wie durch Erzählen zu beweisen war: göttlich geführt – am Reiseziel ankommt, hat er das Erzählziel des Lukas erreicht: die legitime Gegenwart der eigenen, heidenchristlich geprägten Gemeinde. Die Studie besticht durch eine ungewöhnliche Kenntnis der Quellen nach Breite und Tiefe. Sie führt an einem dafür höchst geeigneten Text mustergültig vor, welcher (letztlich auch theologische) Verstehensgewinn aus einer motivgeschichtlichen Rekontextualisierung der Apg zu erhoffen ist. Die Interpretation sucht die Texte in ihrem historischen und literarischen Zusammenhang auf, verfolgt deren eigene Sinnrichtung und entgeht damit dem häufigen Kunstfehler, das Vergleichsgut auf seinen Nutzwert für Apg zu reduzieren. Insofern nicht Einzelmotive, sondern nur Sinnzusammenhänge den Vergleich zum Verstehensprozess werden lassen, ist mit dieser „aufwendigen“ Methode auch der Apg-Auslegung als solcher gedient. Nur solcher Aufwand freilich ist zu rechtfertigen, den die Sache verlangt. Mit den Ausgangsfragen (10 f.) hat Börstinghaus sein vergleichsleitendes Interesse benannt. Er verliert es oft aus den Augen. Die Verortung der Texte mündet nicht selten in unnötige Detailanalyse und manche Diskussion ist schlechterdings redundant: Acht Seiten über das Ringen des Synesios um Amt und Ehe (245–253) lassen seinen Schiffbruch nicht transparenter werden. Das nomen gentile des Felix hat mit dem Untersuchungsgegenstand nun gar nichts zu tun (335 f.). Bei der Auslegung von Ps 107 (ψ 106) herrscht ein deutliches Missverhältnis zwischen Erklärungsbreite und sachrelevantem Ergebnis (209–224). Bisweilen reizt den Verfasser die Freude am eigenen Wissen zu Ausfällen gegen „skandalöse Ignoranz“ (440), wie er denn den Degen überhaupt nach Art von Marius Reiser führt, dessen Fechtkunst er gelegentlich als „Frechheit“ (441 Anm. 91) brandmarkt.

„Parallelen“ in begrenzter Lektüre helfen selten weiter: Während Dennis ­MacDonald im Seeabenteuer des Paulus Homer wahrnimmt, sieht sich Marius Reiser an den nüchternen Periplus Ponti Euxini des Flavios Arrianos erinnert. Es kommt offenkundig nicht nur darauf an, was, sondern auch, wie man liest. Nur eine möglichst breite und ungesteuerte Lektüre kann perspektivischen Voreingenommenheiten entgegenwirken. Für Apg 27,1–28,6 ist sie mit der hier vorgestellten Studie in überzeugender Weise gelungen.

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4.4 Drew W. Billings, Acts of the Apostles and the Rhetoric of Roman Imperialism (2017) Billings, Drew W.: Acts of the Apostles and the Rhetoric of Roman Imperialism, Cambridge: Cambridge University Press, 2017. XIII + 231 S., ISBN 978-1-107-18785-6.33

Das zu besprechende Buch vergleicht die Apostelgeschichte mit der Trajanssäule zu Rom. Wer die Lektüre nach diesem Eingangssatz noch nicht abgebrochen hat, mag sich dafür interessieren, welche Gründe für einen solchen Vergleich sprechen, der auf den ersten Blick abwegig scheint. Indes ist das heuristische Potential dieser der McGill University (Montreal) vorgelegten Dissertation nicht zu unterschätzen. Sie ist Ausdruck zweier seit einiger Zeit die Kulturwissenschaften bewegenden Trends: material turn und Intermedialität. Billings untersucht die mediale Repräsentation des kaiserlichen Wirkens und die epigraphische Rhetorik der Trajanzeit am Beispiel eines gut dokumentierten Monuments und erschließt so Darstellungs‑ und Wahrnehmungsmuster, wie sie zeitgenössisch auch für die lukanische Erzählung und deren Rezeption prägend sind. Nach einer knappen Verortung seiner Studie in der aktuellen englischsprachi­gen Forschung datiert Billings – eher thetisch als argumentativ – Apg in den trajani­schen Prinzipat (98–117 n. Chr.). Er ordnet sie der „apologetic historiography“ (im Sinne von Gregory Sterling) zu: Sie dient im Modus herkunftsbezogener Identitätskonstruktion der Selbstbehauptung einer kulturellen Minderheit im römischen Reich. Wie von selbst ergibt sich damit eine Vergleichsebene zur monumentalen Herrschaftslegitimation des optimus princeps. Die helikale Episodenfolge auf der Trajanssäule inszeniert die Dakerfeldzüge als überlegene Kulturstiftung; die lineare Episodenfolge der Apg inszeniert den Siegeszug des Evangeliums in einer wissenspragmatisch vergleichbaren Weise. Hier wie dort dienen bezeichnende Szenen einer „Eroberung mittels Reise“ dazu, Recht und Glanz der jeweiligen Protagonisten zu vergegenwärtigen, hier in der eidetischen Rhetorik der Bild-, dort in der dramatischen Rhetorik der Erzählsequenz. Billings ordnet das Kommunikat der Trajanssäule dem in den Provinzen medial repräsentierten Herrscherbild der Trajan-Zeit zu, in dem das Motiv der εὐεργεσία des Kaisers als Patron der οἰκουμένη eine zentrale Rolle spielt, nicht zuletzt für den nachahmenden Öffentlichkeitsstil der lokalen und regionalen Eliten. Solche sozialen Plausibilitäten üben einen unterschwelligen, aber nachhaltigen Einfluss auf das in Apg kommunizierte Bild von Gott, Universalismus und Patronage aus, wie sie vor allem der Weltreisende Paulus widerspiegelt. Den notwendigen Kontrast bieten, visualisiert wieder auf der Trajanssäule, die Antagonisten: hier die dakischen Barbaren, dort die trotz mancher Differenzierung denn doch vorwiegend als misanthropisch gezeichneten Juden, ein polemisches Bild, das sich dem Umfeld der Diasporaaufstände (115–117 n. Chr.) einfügt. Auch die Darstellung des weiblichen Geschlechts entspricht sich in beiden Medien: Frauen geben der Darstellung die Farbe lebensweltlicher Realität und erhellen in ihrer empfangenden und erduldenden Passivität die Rolle des (männlichen) Siegers und Wohltäters. Insgesamt macht die Trajanssäule einen kulturellen Kosmos sichtbar, dessen soziale Standards und ethische Hierarchien Verfasser und Leser der Apg, und sei es auf präkognitive Weise, teilen.  Rezensiert in Theologische Literaturzeitung 143 (2018) 616–617.

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„Modern readers will quite likely never know why Luke wrote Acts“ (189). Diese magere Einsicht, mit der Billings theologische Bilanz zieht, verdankt sich seiner Methode. Wem es um die ureigene Darstellungsabsicht des Lukas geht, dem sei zu dem diametral entgegengesetzten Werk von C. Kavin Rowe geraten,34 der Apg als autarken Gegenentwurf zu ihrer zeitgenössischen Mehrheitskultur liest – und dabei ohne Trajan auskommt. Gleichwohl ergänzen sich beide Studien: Nicht was und warum es Apg sagt, erhellt Billings, sondern wie das Kommunikat zur Geltung gebracht und wahrgenommen wird. Dazu bündelt er Erkenntnisse aus Altertumswissenschaft, Kunstgeschichte, Wissenssoziologie, fachlich verantworteten gender studies und neutestamentlicher Exegese und trägt so zu einer tieferen Rekontextualisierung des einzigen Werks urchristlicher Historiographie bei. Zu bedauern ist die kulturelle Einseitigkeit der Untersuchung selbst. Viel mehr als „Conzelman“ (so durchgehend) rezipiert der Verfasser von der deutschsprachigen Lukasforschung kaum, und in der Trajanforschung nimmt er nicht einmal die aktuelle Standardbiographie von Karl Strobel zur Kenntnis. Es stellt durchaus einen Fortschritt dar, wenn eine exegetische Studie, statt undifferenziert vom römischen Kaiserreich und seiner Rhetorik zu handeln, die Diachronie dieses vielschichtigen Phänomens in den Blick nimmt (vgl. 9 f.). Billings’ Sprung in die Trajan-Zeit wirkt jedoch allzu abrupt. Er folgt einem maßgeblich von Richard Pervo geförderten, aktuell manche Relektüre der Apg anregenden Trend. Auch der Rezensent hält die Datierung der Apg in die Trajan‑ oder Hadrian-Ära für die derzeit tragfähigste Lösung, aber sie hängt nicht an der Individualität dieses oder jenes Prinzeps. Der „Zeitgeist“ weht breiter, und die urchristlichen Schriften reagieren auf Kulturen, nicht auf Kaiser. Eine Fixierung auf Trajan dürfte die Lektüre verzerren – wie denn auch das Bild, das Billings von Domitian zeichnet (124 f.), eng und obsolet wirkt. Am deutlichsten zeigt sich der innovative Wert der Untersuchung in der Korrelation von Bild‑ und Textebene. Gerade Lukas – den die Legende nicht ohne Sachgrund als Maler malt – neigt zu einer eidetischen Darstellungsweise, die die Lesenden zu „Augenzeugen“ werden lässt. Die Bildlichkeit von Texten stand seit Apollonios von Rhodos auf dem Programm hellenistischer Erzählkunst. Auf der anderen Seite verkörpert die Trajanssäule die Textualität einprägsamer Bilder. Billings’ originelle Vergleichsarbeit lässt Suggestivität durchschauen. „The medium is the message“: Apg belegt durch ihr pures Dasein einen erstaunlichen Geschichts‑ und Kulturanspruch der urchristlichen Minderheit. Ein Unterschied scheint mir freilich zu wenig bedacht: Die Trajanssäule ist für den normalen Betrachter nicht (als Sequenz) lesbar. Sie verewigt den Kaiser und sein Reich. Lukas dagegen bleibt auf Augenhöhe: Er erdet Gott und seine Basileia in menschlichen Geschichten. Und doch arbeitet diese Studie ertragreich heraus, wie Lukas sein Werk denn wohl gesehen hat: als erstes Monument des werdenden Christentums.  World Upside Down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford 2009.

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Zur Datierung der Apostelgeschichte Ein Ordnungsversuch im chronologischen Chaos The date of Acts is currently a centre of robust controversy. The compromise date (ca. 80/90 ce), which held considerable traction within scholarship, has become increasingly doubtful. Views that scholars have long deemed untenable – a late dating in the second century as well as very early dates – have now been revived. This paper examines the different approaches (i. e., strict and modified “early dating”, the standard approach, relative and rigid “late dating”) and areas of argumentation (i. e., external attestation, the life of Paul, relations to the gospels, narrated worlds of the first and second centuries, references to the reigns of Nero or Domitian, relations to the Pauline epistles and to Josephus, theological context, narrative perspective). The conclusion is that the relative “late dating” (ca. 100–130 ce) is the most viable solution.

Die neutestamentliche Einleitungswissenschaft entwickelt sich eher zyklisch als linear. Weil es kaum neue Quellen auszuwerten gibt, würdigt man in gewissen Abständen das Gesamtbild der frühchristlichen Literatur und ihres zeitgeschichtlichen Horizonts. Dabei neigt man um der Innovationsleistung willen nicht dazu, die Annahmen der unmittelbaren Vorgängergeneration zu wiederholen. Weil es aber nur eine begrenzte Anzahl von Einschätzungsmöglichkeiten gibt, findet sich die eigene Innovation oft bei einer früheren Fachgeneration wieder. So jedenfalls verhält es sich bei der Datierung der Apostelgeschichte, einer „der schwierigsten Fragen der nt-lichen Einleitungswissenschaft“1. Jüngere Datierungen, nach denen Apg in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts verfasst worden ist, knüpfen in mancherlei Hinsicht an den Diskussionsstand des 19. Jahrhunderts an. Auf der Gegenseite feiert die jenseits einiger Nischen fast vergessene Frühdatierung der Apg vor Freilassung bzw. Tod des Paulus neuerdings Urständ. Zugleich jedoch geben konservative Exegeten die konservative Datierung auf und überschreiten die magische Zahl 70 n. Chr., wenn auch nur um ein Geringes. So scheint der chronologische Burgfriede, der lange den Hauptstrom der Lukasforschung prägte und Apg ungefähr 80/90 n. Chr. ansetzte, gestört. Tatsächlich war dieser Friede ein wenig faul. Die eigentliche Stärke dieser Datierung hat Joseph Fitzmyer nüchtern zum Ausdruck gebracht: Es spricht nichts Ernstes 1  Günter Klein, Die zwölf Apostel. Ursprung und Gestalt einer Idee, FRLANT 77, Göttingen 1961, 190.

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gegen sie.2 Zudem passt das erste Jahrhundert als „gefühlt urchristlich“ zur Großerzählung über das Urchristentum (mag eine solche Assoziation auch noch so sehr moderner Zeitrechnung folgen).3 Deshalb ist die derzeitige chronologische Anarchie, nach der sich die Datierungen der Apg zwischen 60 und 150 n.  Chr. bewegen, ein Fortschritt in den exegetischen Streit des 19. Jahrhunderts. Ein Rückschritt in geschichtslose Scheinsicherheit läge darin, sich angesichts der chronologischen Verlegenheit zu versichern, dass am Datum ohnehin nichts liege.4 Am Datum liegt historisch alles und theologisch manches: der Grund, warum Apg abgefasst wurde, die Situation, in die sie spricht, die Perspektive, die sie verfolgt, das Gedächtnisbild, das sie formt. Zur Orientierung teilen wir die Datierungsdebatte grob in fünf Grundpositionen ein:5 konsequente Frühdatierung vor dem Tod Pauli (frühe 60er Jahre),6 modifizierte Frühdatierung nach dem Tod Pauli oder dem Fall Jerusalems 2  Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New Haven, Conn. 1998, 54: „there is no good reason to oppose that date [a. d. 80–85], even if there is no real proof for it“; zur Diskussion ebd. 51–55. 3 Zur Kritik an dem pragmatischen Kompromiss 85 (+ / ​‑ 5) n.  Chr. Richard I. Pervo, Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa, Calif. 2006, 5; Arthur J. Droge, Did “Luke” Write Anonymously? Lingering at the Threshold, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 495–518: 503. 4  So Fitzmyer, Acts (s. Anm. 2), 55. 5  Ausführliche Listen finden sich bei Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, hg. v. C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989, 366–370 und Pervo, Dating (s. Anm. 3), 359–363; vgl. auch Joseph B. Tyson, Marcion and Luke-­Acts. A Defining Struggle, Columbia, S. C. 2006, 1–10. Wir nennen im Folgenden nur einige profilierte Vertreter der jeweiligen Lager, deren Datierungen sich durchaus überschneiden können. Das wichtigste Werk zur Datierung ist derzeit die Monographie von Richard I. Pervo, der die gesamte Diskussion aufgearbeitet und mit wesentlichen Impulsen bereichert hat. 6 Joseph Knabenbauer, Commentarius in Actus Apostolorum, CSS NT 1/5, Paris 1899, 7; Richard B. Rackham, The Acts of the Apostles II: A Plea for an Early Date (Kurztitel im Folgenden: Plea), in: JThS 1 (1899/1900) 76–87; ders., The Acts of the Apostles (Kurztitel im Folgenden: Acts), WC, London 1901, l–lv; Adolf Harnack, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament IV: Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte und zur Abfassungszeit der synoptischen Evangelien, Leipzig 1911, 63–87 (zuvor hatte Harnack eine spätere Datierung bevorzugt: ders., Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius II / ​1: Die Chronologie der Literatur bis Irenäus nebst einleitenden Untersuchungen, Leipzig [1897] 21958, 246–250; ders., Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament III: Die Apostelgeschichte, Leipzig 1908, 217–221); Heinrich Koch, Die Abfassungszeit des lukanischen Geschichtswerkes. Eine historisch-kritische und exegetische Untersuchung, Leipzig 1911, bes. 100–102; Charles C. Torrey, The Composition and Date of Acts, HThS 1, Cambridge, Mass. 1916, 65–72; Alfred Wikenhauser, Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert, NTA 8/3–5, Münster 1921, bes. 41–46; Eugène Jacquier, Les Actes des apôtres, EtB, Paris 1926, CXIV–CXIX; Pierson Parker, The “Former Treatise” and the Date of Acts, in: JBL 84 (1965) 52–58; Johannes Munck, The Acts of the Apostles, durchges. v. W. F. Albright / ​C. S. Mann, AncB 31, Garden City, N. Y. 1967, XLVI–LIV; Gilbert Bouwman, Le « premier livre » (Act., I,1) et la date des Actes des apôtres, in: L’Évangile de Luc – The Gospel of Luke, hg. v. F. Neirynck, BETL 32, Löwen (1973)

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(ca. 65–80/85 n.  Chr.),7 Standarddatierung (ca. 80/85–100 n.  Chr.),8 relative Spätdatierung (ca. 100–130 n. Chr.),9 rigide Spätdatierung (nach 130 n. Chr.).10 ²1989, 553–565: 554–557; John A. T.  Robinson, Redating the New Testament, London 1976, 86–92; Andrew J. Mattill, The Date and Purpose of Luke-­Acts: Rackham Reconsidered, CBQ 40 (1978) 335–350; E. Earle Ellis, The Making of the New Testament Documents, Boston, Mass. (1999) 2002, 389–391. Eingehend und nachdrücklich Hemer, Book (s. Anm. 5), 365–410; Alexander Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes, TANZ 43, Tübingen 2006, bes. 251–255. Vom katholischen Lehramt wurde die Frühdatierung durch eine Responsio der Commissio de re Biblica vom 26. Juni 1912 begründungsfrei dekretiert (DS 3573 f.). 7  Theodor Zahn, Einleitung in das Neue Testament II, Leipzig (1899) 31907, 439–441; eher zürnend als argumentierend Martin Hengel / ​Anna Maria Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen (1998) 2000, 10–16 (etwa 75–83 n. Chr.). Frederick F. Bruce hat seine früher bevorzugte Datierung in die sechziger Jahre zugunsten einer Datierung in die späten siebziger oder frühen achtziger Jahre aufgegeben: The Acts of the Apostles, Grand Rapids, Mich. (1951) 31990, 9–18. Craig S. Keener entscheidet sich für die frühen siebziger Jahre: Acts. An Exegetical Commentary, 4 Bde., Grand Rapids, Mich. 2012/2013/2014/2015, I: 383–401, bes. 400 f. Es gehört zu den Sonderlichkeiten des US-amerikanischen Exegesebetriebs, dass die Verschiebung um eine Dekade den Verfasser nötigt, seine Rechtgläubigkeit zu beteuern und seine Leser zu bitten, den Kommentar nicht aus der Hand zu legen (vgl. Acts I, 389 Anm. 35). 8 Etwa bei Werner G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg (121963) 21 1983, 153 f.; Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., HThKNT 5, Freiburg i. Br. 1980/1982, I: 118–121; Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, II: xlii f.; Fitzmyer, Acts (s. Anm. 2), 51–55; Daniel Marguerat, Les Actes des apôtres, 2 Bde., CNT (N) 5, Genf 2007/2015, I: 20; Frank Dicken, The Author and Date of Luke-­Acts: Exploring the Options, in: Issues in Luke-­Acts. Selected Essays, hg. v. S. A. Adams / ​M. Pahl, Gorgias Handbooks 26, Piscataway, N. J. 2012, 7–26: 17–25. Vor allem die jüngere Forschung neigt eher zum Endpunkt dieser Zeitschiene (90–100 n. Chr.): Hans-Martin Schenke / ​K arl Martin Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments II, Berlin 1979, 162; Jürgen Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen (1981) 32010, 5 f.; Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephus, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005, 329 f.; Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen (1994) 82013, 334 f.; Ingo Broer, Einleitung in das Neue Testament I, NEB.NTE 2/1, Würzburg 1998, 156 f.; Stephan Witetschek, Ephesische Enthüllungen I: Frühe Christen in einer antiken Großstadt. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach den Kontexten der Johannesapokalypse, BToSt 6, Löwen 2008, 245–255. 9  Adolf Jülicher, Einleitung in das Neue Testament. Neubearb. in Verbindung mit Erich Fascher, GThW 3/1, Tübingen (1894) 71931, 428–430 (um 105 n. Chr.); Paul W. Schmiedel, Art. „Acts of the Apostles“, in: EB (C) I (1899) 37–57: 49–57, bes. 49 f. (105–130 n. Chr.); John C. O’Neill, The Theology of Acts in Its Historical Setting, London (1961) 21970, 1–58, bes. 21 (115–130 n. Chr.); John Knox, Acts and the Pauline Letter Corpus, in: Studies in Luke-­Acts, hg. v. L. E. Keck / ​J. L. Martyn, Philadelphia, Pa. (1966) 1980, 279–287, bes. 286 (125 n.  Chr.); Morton S. Enslin, Once Again, Luke and Paul, in: ZNW 61 (1970) 253–271, bes. 253 (um 90–115 n. Chr.); Mogens Müller, The Reception of the Old Testament in Matthew and Luke-­ Acts: From Interpretation to Proof from Scripture, in: NT 43 (2001) 315–330: 328–330 (120–130 n. Chr.); Christopher Mount, Pauline Christianity. Luke-­Acts and the Legacy of Paul, NT.S 104, Leiden 2002, 34 Anm. 110, 168 f. (110–130 n. Chr.); Barbara Shellard, New Light on Luke. Its Purpose, Sources and Literary Context, Sheffield (2002) 2004, 23–34 (um 100 n. Chr.); Tyson, Marcion (s. Anm. 5), 10–23, 50–78 (120–125 n. Chr.); Droge, Luke (s. Anm. 3), 503 (120–125 n.  Chr.); Martin Meiser, Der theologiegeschichtliche Standort des lukanischen

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1. Äußere Bezeugung Die ältesten handschriftlichen Belege für Apg stammen aus dem dritten Jahrhundert11 und tragen zur Datierungsfrage allenfalls insofern bei, als sie eine gewisse Verbreitung der Apg, zum Teil neben den Evangelien, nicht lange nach Irenäus von Lyon dokumentieren.12 Wir sind daher auf die literarischen Zeugnisse angewiesen. Doppelwerks, in: Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, hg. v. W. Kraus, BZWN 163, Berlin 2009, 99–126: 101–111 (90–120 n. Chr.). Eingehend und nachdrücklich Pervo, Dating (s. Anm. 3); vgl. ders., Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009, bes. 5; ders., Acts in the Suburbs of the Apologists, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 29–46 (um 110–120 n. Chr.). 10  Ernst Barnikol, Das Leben Jesu der Heilsgeschichte, Halle 1958, 23, 27 f., 282 (um 135 n.  Chr.); Helmut Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, Berlin 1980, 749 (um 135 n.  Chr.); John T. Townsend, The Date of Luke-­Acts, in: Luke-­Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, hg. v. C. H. Talbert, New York 1984, 47–62 (vermutlich gegen 150 n. Chr. hin); Niels Hyldahl, Über die Abfassungszeit des lukanischen Doppelwerks, in: Frühes Christentum und Religionsgeschichtliche Schule, FS G. Lüdemann, hg. v. M. Janßen / ​F. S. Jones / ​J. Wehnert, NTOA / ​StUNT 95, Göttingen 2011, 75–82 (indirekt: 140/150 n.  Chr.).  – Eine Datierung ins 2. Jh. legte sich dort nahe, wo man im Gefolge von Ferdinand Christian Baur Apg als allmählich gewachsene Synthese von juden‑ und heidenchristlicher Richtung sah; vgl. etwa Eduard Zeller, Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht, Stuttgart 1854, 466–489, bes. 470–472, 476–480, 488 f. (um 110–125/130 n. Chr.). Allgemein ins 2. Jh. datieren Günter Klein, Rez. Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 1956, in: ZKG 68 (1957) 362–371: 371; ders., Apostel (s. Anm. 1), 190 f. und Laura Nasrallah, The Acts of the Apostles, Greek Cities, and Hadrian’s Panhellenion, in: JBL 127 (2008) 533–566, bes. 539 f. (Hadrian-Ära). Einen perspektivisch umfassenden Versuch, Apg bzw. die Lektüre von Apg literarisch, theologisch und kulturell im 2. Jh. zu kontextualisieren, bietet der Sammelband Engaging Early Christian History. Reading Acts in the Second Century, hg. v. R. R. Dupertuis / ​T. Penner, Durham 2013. 11  𝔓29 (Apg 26,7 f.20), 𝔓45 (aus Apg 4–17; neben Mt, Mk, Lk, Joh), 𝔓48 (Apg 23,11–17.25–29 [Ende des 3. Jh.]), 𝔓53 (Apg 9,33–10,1; neben Mt), 𝔓91 (Apg 2,30–37; 2,46–3,2). Grundlage: Handschriftenliste der Editio Critica Maior (zuletzt abgerufen: 22. 08. ​2016). Beschreibung: Christopher Tuckett, The Early Text of Acts, in: The Early Text of the New Testament, hg. v. C. E. Hill / ​M. J. Kruger, Oxford 2012, 157–174: 160–172. 12  Die Majuskel 0189 (P Berol. 11765; Inhalt: Apg 5,3–21) könnte nach der optimistischen Datierung in Nestle-Aland28 sogar dem ersten eindeutigen literarischen Zeugnis vorangehen. Die aktuelle Forschung setzt jedoch das 3. / ​4. Jh. als paläographisch wahrscheinlich an. Editio princeps: Aarne H. Salonius, Die griechischen Handschriftenfragmente des Neuen Testaments in den Staatlichen Museen zu Berlin, in: ZNW 26 (1927) 97–119: 116–119 (Beschreibung: ebd. 116; Datierung aufgrund der Buchschrift: „wohl […] Anfang des IV Jh.“). Nestle-Aland28 datiert die Majuskel mit Kurzgefaßte Liste der griechischen Handschriften des Neuen Testaments, hg. v. K. Aland, ANTF 1, Berlin (1963) 21994, 35; Kurt Aland / ​Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 1982, 67, 114 f., 249 als „älteste Pergamenthandschrift des Neuen Testaments“ ins 2. / ​3. Jh. David C. Parker, The Majuscule Manuscripts of the New Testament (1995), in: ders., Manuscripts, Texts, Theology. Collected Papers 1977–2007, ANTF 40, Berlin 2009, 33–53: 41 f. neigt zu einer Datierung ins 4. Jh. und führt die prononcierte Frühdatierung bei Aland auf „some slip“ zurück (ebd. 42 Anm. 38); Tuckett, Text (s.

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Die Rezeption der Apg vor Irenäus ist oft, eingehend und weithin mit ähnlichem Ergebnis diskutiert worden.13 Mit wenigen Ausnahmen finden sich im zweiten Jahrhundert allenfalls vermutete Anspielungen oder mehrdeutige Textbeziehungen. Diese lassen sich weder für die Frage nach einer literarischen Dependenz noch für die nach der Datierung der Apg auswerten, denn sie leiden unter einer (1) materialen, (2) kriteriellen und (3) methodologischen Schwierigkeit. (1) Die Querbezüge sind nach Wortlautbreite und ‑vielfalt fast ausnahmslos unspezifisch. Sie können statt auf literarische Abhängigkeit auf frühchristliche Sprachkonvention, breiter zugängliche Traditionspools oder verschollenes Quellengut verweisen. Bezeichnende Textentsprechungen, die eine nur durch literarische Nutzung (der Gesamtschrift) oder unmittelbare Milieunähe erklärbare Bezugnahme nahelegen, werden nur in wenigen Fällen ersichtlich. (2) Anspielungen sind schwierig nachweisbar. Ihre Annahme beruht auf bereits vorausgesetzten Bezügen zum Prätext, die oft zirkulär mit den Anspielungen selbst begründet werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört – was im Fall der Apg nicht immer gesehen wird – die chronologische Folge der Intertexte. Entscheidend ist neben der Signifikanz des postulierten Bezugs die Hintergrundplausibilität für einen solchen. In dem Grad, in dem es wahrscheinlich zu machen ist, dass ein Verfasser Apg gekannt und genutzt hat, steigt die Wahrscheinlichkeit einer „Anspielung“, wobei diese oft unterbestimmte Form von Intertextualität sehr unterschiedliche Bezugsmodi von kunstreichem Textspiel bis zu ungezielter Sprachkonvention umfassen kann. (3) Hieraus folgt eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Annahme gezielter Intertextualität. Dem hält man aus der jüngeren (nordamerikanischen und skandinavischen) Actaforschung entgegen, dass dabei das Modell der literarischen Einfügung bestimmend sei. Stattdessen sei von einer selektiven und kreativen Nutzung des Prätextes auszugehen.14 Anm. 11), 172 nennt das 3. Jh. In der laufend geführten Handschriftenliste der Editio Critica Maior wird 0189 ins 3. / ​4. Jh. datiert (zuletzt abgerufen: 22. 08. ​2016). Für die wichtige Auskunft zur paläographischen Begründung dieser Datierung danke ich Dr. Klaus Wachtel (Institut für Neutestamentliche Textforschung, WWU Münster, E-Mail vom 07. 03. ​2016). 13  Grundlegend: Andrew Gregory, The Reception of Luke and Acts in the Period before Irenaeus. Looking for Luke in the Second Century, WUNT II / ​169, Tübingen 2003, 299–354. Eingehend: Zeller, Apostelgeschichte (s. Anm. 10), 6–75; Henry J. Cadbury, The Tradition, in: The Beginnings of Christianity II, hg. v. F. J. Foakes Jackson / ​K. Lake, London 1922, 209–264; Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen (10/11956) 16/71977, 17–29; Hans Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen (1963) 21972, 1 f.; Schneider, Apg I (s. Anm. 8), 169–175; Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 30–48; Jens Schröter, Die Apostelgeschichte und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons. Beobachtungen zur Kanonisierung der Apostelgeschichte und ihrer Bedeutung als kanonischer Schrift (2003), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 297–329: 300–309; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 15–27; Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 245–247; François Bovon, The Reception of the Book of Acts in Late Antiquity, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 66–92: 68–73. 14  So etwa Rainer Reuter, Clarifying the Issue of Literary Dependence, in: The Early Reception of Paul, hg. v. K. Liljeström, SESJ 99, Helsinki 2011, 23–35, bes. 24–28. Mit Bezug auf

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Das Grundproblem dieses jüngeren Ansatzes liegt darin, dass er notwendig unkontrollierbar bleibt. Wer einen kreativen und selektiven Prätextgebrauch postuliert, wird seine Beweispflicht allein auf der Grundlage des je auszulegenden Textes nicht einlösen können, was letztlich zu einer assoziativen Behauptungsexegese führt. Die Konzentration auf kontextenthobene verbatim-Übereinstimmungen leidet selbst in solchen Fällen, in denen die Übereinstimmung signifikanter wirkt, darunter, dass die Textüberlieferung  – und damit der konventionelle Wortgebrauch – nur fragmentarisch bekannt ist. Das Sparsamkeitsprinzip („Occam’s razor“), nach dem die Annahme eines Bezugs zu unbekannten Prätexten und Traditionspools die Hypothesenbildung unnötig kompliziert, lässt sich gegen diese Skepsis nicht geltend machen. Denn es steht außer Frage, dass im Frühchristentum erheblich mehr Quellen und Traditionen kursierten, als überliefert sind. Die Annahme unbekannten Quellen‑ und Traditionsguts ist ökonomischer als die einer komplizierten Redaktionsarbeit mit unähnlichem, wenn auch bekanntem Prätext. Es vereinfacht daher die Theoriebildung, mit solchem Gut zu rechnen.15

Es ist nicht notwendig, die Ergebnisse der ausführlichen Vergleichsstudien zu repetieren. Zwar kommt es vereinzelt zu auffälligen Beobachtungen: Polykarp, epist 1,2 benutzt in einer Bekenntnisformel die Wendung λύσας τὰς ὠδῖνας (τοῦ ᾅδου) (vgl. Apg 2,24 [D latt syp mae bo; Irlat]; ferner ψ 17,5 f.), Dionysios von Korinth (Eusebios, h. e. 4,23,3) nennt den Areopagiten Dionysios (vgl. Apg 17,34); Polykrates von Ephesus kennt die jungfräulich-prophezeienden Töchter des Philippus (nach Eusebios, h. e. 5,24,2). Aber in diesen und zahlreichen ähnlichen Fällen reicht die Annahme von geprägter Sprachkonvention oder Personaltradition, um die Entsprechung zu erklären.16 Auch wenn keineswegs auszuschließen ist, dass ein Verfasser Apg kennt, lässt sich eine solche Denkbarkeit nicht zur Voraussetzung einer Datierung machen. Wir beschränken uns daher auf triftige Beziehungspostulate, die die Datierungsdiskussion vorangetrieben haben. (1) Als frühester Kandidat wird mit breiterer Resonanz 1Clem. – traditionell, aber unsicher um 96 n. Chr. angesetzt – genannt.17 Er teilt jedoch lediglich ein kombiniertes Schriftzitat (Apg 13,22/ / ​1Clem. 18,1), eine Redensart (Apg 20,35/ / ​ die Rezeption von Paulusbriefen oder Josephus-Schriften in Apg zeigt sich vor allem die komparative Textarbeit von Richard I. Pervo von ähnlichen Prämissen geleitet (s. u. Kap. 7 und 8). 15  Vgl. Gregory, Reception (s. Anm. 13), 16–20. 16  Vgl. näher Gregory, Reception (s. Anm. 13), 314, 316. 17  So Morton Smith, The Report about Peter in I Clement V.4, in: NTS 7 (1960/61) 86–88; Donald A. Hagner, The Use of the Old and New Testaments in Clement of Rome, NT.S 34, Leiden 1973, 256–263; Dicken, Author (s. Anm. 8), 23 f.; sehr zuversichtlich, aber unzureichend mit der einschlägigen Fachdiskussion vertraut Otto Zwierlein, Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse, UALG 96, Berlin (2009) 22010, 14–31; unter den oben skizzierten methodologisch anfechtbaren Prämissen Rainer Reuter, Oral Tradition or Literary Depend­ ence? Some Notes on Luke and First Clement, in: The Early Reception of Paul, hg. v. K. Liljeström, SESJ 99, Helsinki 2011, 36–53. In Umkehrung der chronologischen Folge vermutet H. Benedict Green, Matthew, Clement and Luke: Their Sequence and Relationship, in: JThS 40 (1989) 1–25, bes. 18–23, akrobatisch argumentierend, die Dependenz der Apg von 1Clem.

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1Clem. 2,1) und nicht-signifikante Wortfelder, etwa zum Allerweltstopos ζῆλος κτλ,18 mit Apg.19 (2) Die früheste Schrift, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Apg voraussetzt, ist die Epistula Apostolorum.20 Neben Anklängen, die an sich durch Schnittfelder urchristlicher Traditionssprache oder ‑motive erklärbar sind, treten drei intertextuelle Bezüge hervor:21 EpApost 31–33 (42–44) bezieht sich in freier Ausgestaltung auf Berufung und Wirken des Paulus, und zwar nicht nur auf ein einzelnes Erzählsegment, sondern – mit manchen unverkennbaren Einzelheiten – auf die lineare Paulus-Erzählung im Ganzen, wie sie in Apg vorliegt. EpApost 15 (26) lässt den Auferstandenen ankündigen, dass ein Apostel am Paschafest durch einen Engel und mittels einer offenkundig wundersamen Türöffnung aus dem Gefängnis befreit wird und zu den Seinen stößt (vgl. Apg 12,3– 17). EpApost 51 (62) bietet eine Himmelfahrtsszene, die sich mangels Parallelen auf die lukanische Überlieferung stützen mag; dabei ist aufgrund der Motive von Wolke und Engeln, im Vorfeld auch einer Verheißung von Kraft und Geist des Auferstandenen (EpApost 30 [41]), an eine Dramatisierung der Variante der Apg (1,9–11; vgl. 1,8) zu denken. Die Unterschiede sind zweifellos erheblich, aber angesichts der mannigfachen und markanten Übereinstimmungen ist hier eine freie Renarrativierung des bereits geschlossen vorliegenden Erzählzusammenhangs der Apg anzunehmen. Dabei kann für die Datierungsfrage offenbleiben, ob der Stoff in literarischer, mündlicher oder bereits fortgeschriebener Form vorlag. Die Rahmenhandlung, ein Gespräch des Auferstandenen mit den Aposteln, erfordert die antizipierende Offenbarung, um die Petrus-Episode und vor allem den Paulus-Stoff überhaupt im Plot unterzubringen. Die beiden Urapostel dienen dabei dem gegen den Gnostizismus bzw. Doketismus gerichteten Leitanliegen der EpApost. Der zweite Logos des Lukas hat also bei seiner frühesten vorfindlichen Verwendung bereits die Funktion der apostolischen Herkunftslegitimation.

18 So, ohne komparative Absicherung, Smith, Report (s. Anm. 17), 88; Green, Matthew (s. Anm. 17), 23; Zwierlein, Petrus (s. Anm. 17), 14–19. 19  Vgl. näher Zeller, Apostelgeschichte (s. Anm. 10), 8 f.; Haenchen, Apg (s. Anm. 13), 17 f.; Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 35; Gregory, Reception (s. Anm. 13), 312 f. 20  Gespräche Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung. Ein katholisch-apostolisches Sendschreiben des 2. Jahrhunderts, hg. v. C. Schmidt. Übers. d. äthiop. Textes v. I. Wajnberg, TU 43, Leipzig 1919; dt. Übersetzung: Hugo Duensing, Epistula Apostolorum nach dem äthiopischen und koptischen Texte, KlT 152, Bonn 1925; bearbeitet bei C. Detlef G. Müller, Epistula Apostolorum, NTApo7 I / ​2, 2012, 1062–1092. 21 Zur Diskussion Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 38–40, der – recht vorsichtig – literarische Abhängigkeit vermutet, während sich Gregory, Reception (s. Anm. 13), 322–326; ders., Ire­ naeus and the Reception of Acts in the Second Century, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 47–65: 58–60 von ihr – hier wohl überskeptisch – nicht zu überzeugen vermag. Eine Abhängigkeit nehmen ebenfalls an: Conzelmann, Apg (s. Anm. 13), 1; Philipp Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin (1975) 1981, 407; Schneider, Apg I (s. Anm. 8), 172.

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Hinsichtlich der Entstehungsverhältnisse der EpApost tendieren breiter angelegte Untersuchungen der jüngeren Zeit dazu, sie in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts zu datieren.22 Sie ist mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Asia zu verorten.23 (3) Dass Justin der Martyrer (gest. 165 n. Chr.) neben Lk auch Apg gekannt hat, wird von den gründlicheren Untersuchungen nicht mehr vermutet.24 Die wenigen auffälligeren Beziehungen lassen sich auch ohne unmittelbare literarische Abhängigkeit erklären. Der Himmelfahrtsbericht 1apol 50,12 verrät allenfalls den Einfluss von Lk 24, kaum den von Apg 1.25 Als Grundlage für einen Datierungsversuch taugt diese dünne Decke jedenfalls nicht. (4) Nahezu sicher ist es, dass auch die Epistulae de martyribus Lugdunensibus et Viennensibus (bei Eusebios, h. e. 5,1,3–63; in Teilen in 5,2–4)26 unsere Schrift voraussetzen.27 Im Bericht selbst kommt es gelegentlich zu kaum eindeutigen E. Hill, The Epistula Apostolorum: An Asian Tract from the Time of Polycarp, in: JECS 7 (1999) 1–53: 39–52 (Zeitfenster: 117–148 n. Chr. mit stärkerer Neigung zum Endrahmen); vgl. auch Kirsopp Lake, The Epistula Apostolorum, in: HTR 14 (1921) 15–29: 23 f.; Manfred Hornschuh, Studien zur Epistula Apostolorum, PTS 5, Berlin 1965, 116–119; Müller, Epistula Apostolorum (s. Anm. 20), 1065 („um die Mitte des 2. Jahrhunderts“); tendenziell Alistair Stewart-Sykes, The Asian Context of the New Prophecy and of Epistula Apostolorum, in: VigChr 51 (1997) 416–438: 437. Die Editio princeps (s. Anm. 20) hatte die Epistula Apostolorum um 160–170 n. Chr. angesetzt (370–402). 23  So bereits Carl Schmidt in der Editio princeps (s. Anm. 20), 364–370. Hill setzt sich eingehend mit den verbreiteten Alternativen Ägypten bzw. Alexandrien (Epistula [s. Anm. 22], 6–16) und Syrien (ebd. 16–18) auseinander und trägt konvergierende Argumente für einen kleinasiatischen Ursprung zusammen (ebd. 19–39); ebenso (unabhängig von Hill) Stewart-­ Sykes, Context (s. Anm. 22). 24  Zeller, Apostelgeschichte (s. Anm. 10), 49 f.; Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 41–44; Gregory, Reception (s. Anm. 13), 317–321; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 20–22; Gregory, Irenaeus (s. Anm. 21), 56–58. Für Franz Overbeck, Ueber das Verhältniss Justins des Märtyrers zur Apostelgeschichte, in: ZWTh 15 (1872) 305–349, bes. 306–313 ist es literarisch nicht nachweisbar, dass Justin Apg benutzt habe; er nimmt jedoch aufgrund (problembehafteter) theologiegeschichtlicher Beobachtungen an, dass Justin Apg gekannt habe. Der jüngste theologische Profilvergleich hält sich bei der Frage nach einer literarischen Abhängigkeit zurück: Susan Wendel, Scriptural Interpretation and Community Self-Definition in Luke-­Acts and the Writings of Justin Martyr, NT.S 139, Leiden 2011, bes. 4–11, 22, 279–282. Positiv dagegen, aber ohne entscheidende Textbeobachtungen Haenchen, Apg (s. Anm. 13), 22 f.; Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8), 153; Schneider, Apg I (s. Anm. 8), 172 f.; Gottfried Schille, Die Apostelgeschichte des Lukas, ThHK 5, Berlin (1983) 31989, 59 f.; Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 246. 25  Vgl. Overbeck, Verhältniss (s. Anm. 24), 313; Gregory, Reception (s. Anm. 13), 318 f.; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 22. 26 Text mit Übersetzung und Kommentar bei Hans R.  Seeliger  /  ​Wolfgang Wischmeyer, Märtyrerliteratur, TU 172, Berlin 2015, 47–86. Zu diesem von Eusebios mitgeteilten, redigierten Schreiben Winrich A. Löhr, Der Brief der Gemeinden von Lyon und Vienne (Eusebius, h. e. V,1–2[4]), in: Oecumenica et Patristica, FS W. Schneemelcher, hg. v. D. Papandreou / ​ W. A. Bienert / ​K.Schäferdiek, Stuttgart 1989, 135–149. 27  Zur Diskussion Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 45; Gregory, Reception (s. Anm. 13), 326– 328. Mit Abhängigkeit rechnen auch Conzelmann, Apg (s. Anm. 13), 1; Schneider, Apg I (s. Anm. 8), 173; Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 246. Indes weist Gregory, Reception, 22 So bes. Charles

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Anklängen an die Sprache der Apg. So klingt in h. e. 5,1,9 Apg 18,25 an (ζέων τῷ πνεύματι; vgl. Röm 12,11). Die Wut der Verfolger in h. e. 5,1,15 (διεπρίοντο ἐφ’ ἡμῖν) und 5,1,60 (ἔβρυχον τοὺς ὀδόντας ἐπ’ αὐτοῖς) ähnelt der im Stephanus-Martyrium (vgl. Apg 7,54: ἔβρυχον τοὺς ὀδόντας ἐπ’ αὐτόν). Eindeutiger wird es dadurch, dass die demselben Schreiben zugeordnete Würdigung (h. e. 5,2,5) ausdrücklich den Mord am τέλειος μάρτυς Stephanus nennt und der mustergebende Martyrer mit seinen letzten Worten zitiert wird (Apg 7,60 [𝔓74 ‫ א‬E Ψ 33. 81. 323. 614. 945. 1175. 1241. 1505. 1739 𝔐; Irlat Or]: κύριε, μὴ στήσῃς αὐτοῖς τὴν ἁμαρτίαν ταύτην). Das Martyrium Lugdunense wird konventionell auf 177 n. Chr. datiert;28 es bestanden engere Beziehungen der Gemeinden zur kleinasiatischen und phrygischen Region, an deren Christen sich das Schreiben richtet (Eusebios, h. e. 5,1,3). Zu den Trägerkreisen stand Irenäus von Lyon in unmittelbarer Beziehung, der wiederum Apg als Ganze kennt. Das Martyrium Lugdunense darf damit als Beleg für die Kenntnis der Apg gelten und verrät etwas über ihre frühe Verwendung: Sie dient als idealisierendes Spiegelbild kirchlicher Selbsterfahrung. (5) Mitunter werden literarische Beziehungen zwischen den pseudoklementinischen Rekognitionen bzw. deren Grundschrift und Apg vermutet, aber sowohl die Art dieser Beziehungen als auch der historische Ort der Grundschrift sind so unsicher, dass hier keine Datierungsbasis zu erhoffen ist.29 Vermutlich sind die apokryphen Apostelakten in irgendeiner Weise durch Apg oder verwandte Tradition inspiriert worden. Bei einer direkten Abhängigkeit hätten wir sicher mit den Paulusakten (vgl. Tertullian, bapt. 17,5) und wahrscheinlich mit den Johannes‑ und Petrusakten eine Bezeugung etwa in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, aber die näheren Beziehungen zur Apg lassen auch hier keine tragfähigen Rückschlüsse zu.30 Die Epistula Petri ad Philippum (NHC VIII,2) 303 f. auf die Möglichkeit hin, dass die Martyrertradition separat überliefert worden sei; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 23 schränkt ein, möglicherweise sei eine Überarbeitung im frühen 3. Jh. in Rechnung zu stellen. Angesichts der zeitnahen, gesicherten Rezeption der Apg bei Irenäus von Lyon, der in unmittelbarem Kontakt zu den Trägerkreisen der Epistulae stand, wirken diese Bedenken künstlich. 28  Gesichert ist diese Datierung nicht; die gallischen Ereignisse mögen auch früher stattgefunden haben; vgl. Löhr, Brief (s. Anm. 26), 148 f. Anm. 23. 29  Zur Diskussion eingehend Gregory, Reception (s. Anm. 13), 328–341. Etliche Anklänge an die Pseudoklementinen findet – ohne prägnante literarische Beobachtungen – Townsend, Date (s. Anm. 10), 49–55. 30  Zur Diskussion Gregory, Reception (s. Anm. 13), 343–349; François Bovon, Die kanonische Apostelgeschichte und die apokryphen Apostelakten, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 349–379, bes. 372–376; Peter W. Dunn, The New Testament in the Acts of Paul, in: Christian Apocrypha. Receptions of the New Testament in Ancient Christian Apocrypha, hg. v. J.-M. Roessli / ​T. Nicklas, NTP 26, Göttingen 2014, 149–171: 152–156. Hans-Josef Klauck, Apokryphe Apostelakten. Eine Einführung, Stuttgart 2005 datiert die ActJoh um 150–160 n. Chr. (ebd. 32), ActPaul um 170–180 n. Chr. (ebd. 64) und ActPetr um 200 n. Chr. (ebd. 96). Jan N. Bremmer, The Apocryphal Acts: Authors, Place, Time and Reader­

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wird in der Spanne zwischen dem Ende des zweiten und der Mitte des dritten Jahrhunderts datiert.31 Der Rückgriff auf Apg wird allgemein angenommen (vgl. bes. EpPt 139,4–140,1); das Interesse auch gnostizistischer Kreise heftet sich an die Apostel; so gerät Apg, auf eigene Weise rezipiert, in ihren Blick.32 Ist die Datierung zutreffend, so ist – zur Zeit des Irenäus oder nicht lange danach – eine Verwendung der Apg in ägyptisch-gnostizistischen Kreisen belegt. Dies schließt einen gewissen zeitlichen Vorlauf ein. (6) Irenäus von Lyon macht um 180/185 n. Chr. von der Apg reichlich Gebrauch, setzt ihre Erzählungen voraus (z. B. haer. 1,23,1; 4,23,2), zitiert wörtlich aus ihr, nennt sie jedoch seltener ausdrücklich als Quelle (so etwa 3,13,3). Seine Kenntnis des zweiten Logos ist so breit, dass der Eindruck entsteht, dass das Geschichtswerk bereits etabliert ist. Allerdings ist Irenäus der erste überkommene Schriftsteller, der Evangelium und Apostelgeschichte dem Paulus-Begleiter Lukas zuschreibt (bes. 3,14,1–3,15,1). Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit geht die Zuschreibung auf ihn selbst oder sein Umfeld zurück.33 Jedenfalls ist Irenäus der erste uns bekannte Theologe, der in seinem Kampf gegen konkurrierende Strömungen, namentlich Gnostizismus und Markionitismus, das „apostolische“ Potential der Apg erkennt und auswertet. Dieses neu entdeckte Potential führt zu einer zügigen Verbreitung und Anerkennung dieser Schrift. Sie ist bald nach Irenäus vielfach mit Zitierqualität belegt und wird mit stabilem Verfassernarrativ zur festen Größe kanonischer Sammlungen.34 Bereits für Tertullian besitzt sie ship, in: The Apocryphal Acts of Thomas, hg. v. dems., Studies on Early Christian Apocrypha 6, Löwen 2001, 149–170: 152–154 ordnet die fünf großen frühen Apostelakten vorsichtig in der Sequenz ActJoh – ActPaul – ActPetr – ActAndr – ActThom in den Zeitraum 150–230 n. Chr. ein. 31  Vgl. Hans-Gebhard Bethge / ​Johanna Brankaer, Einleitung, in: NTApo7 I / ​2, 2012, 1195–1200: 1196 f. Textausgabe: Der Brief des Petrus an Philippus. Ein neutestamentliches Apokryphon aus dem Fund von Nag Hammadi, NHC VIII,2, hg., übers. u. komm. v. H.-G. Bethge, TU 141, Berlin 1997. 32  Zur Diskussion Bethge, Textausgabe (s. Anm. 31), bes. 58; Bovon, Reception (s. Anm. 13), 72 f.; Gregory, Irenaeus (s. Anm. 21), 60–62. Das Judasevangelium, dessen griechisches Original vor Irenäus zu datieren ist (vgl. Irenäus, haer. 1,31,1), setzt Judas-Überlieferung voraus, die auch in Lk 22,3–6; Apg 1,16–18.23–26 repräsentiert ist (vgl. EvJud p. 36,1–4; p. 58,24 f.). Die Bezüge sind jedoch so vage, dass die Schlussfolgerung, „daß der Verfasser des Judasevangeliums das lukanische Doppelwerk kennt“ (Gregor Wurst, in: NTApo7 I / ​2, 2012, 1220–1225: 1224), ungesichert bleibt. Zudem ist die Überlieferungsdynamik zwischen diesem postulierten Original und der koptischen Übersetzung, die um das Ende des 3. Jh. angesetzt wird, unbekannt (vgl. ebd. 1224), sodass sich keine festen Anhaltspunkte für die Datierung von Lk / ​Apg ergeben. 33  Gregory, Reception (s. Anm. 13), 209 f. und Judith M. Lieu, Marcion and the Making of a Heretic. God and Scripture in the Second Century, New York 2015, 430 f. vermuten, dass Markion sein Evangelium ohne Verfasserangabe kannte; anders Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 13), 312 f. Tertullian, adv. Marc. 4,2,3; 4,3,5 und Epiphanios, haer. 42,10,2 belegen, dass Markion seine Schrift namenlos εὐαγγέλιον nannte. Die Markioniten haben dieses Evangelium auf Christus bzw. Paulus zurückgeführt (Adamantius  – Dialogus de recta in Deum fide 1,8 [808d–e]). 34 Allenfalls ihre Position schwankt. Im Muratorischen Fragment, mehrheitlich um 200 n.  Chr. angesetzt, ist sie zwischen Evangelien und Corpus Paulinum verortet, ebenso in der

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einen kanonähnlichen Status als „Schrift“ (vgl. praescr. 22 f.; adv. Marc. 5,2,7). Diese rasche und breite Rezeption legt immerhin nahe, dass Apg nicht ad hoc eingeführt wurde, sondern bereits ein gewisses Alter besaß. Die Bilanz wirkt ernüchternd: Dass Apg in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bereits vorlag, ist anzunehmen; dass sie verbreitet war, lässt sich nicht belegen; dass sie geschätzt war, ist auszuschließen.35 Selbst dort, wo ihre Erzählungen zur Geltung gelangten, geht es um die Akteure als Bezugsgestalten – Petrus und Paulus in der Epistula Apostolorum, Stephanus im Martyrium Lugdunense –, nicht um die Bezugsautorität der lukanischen Schrift. Über die belegten Fälle hinaus gibt es gewiss manche urchristlichen Kreise, die das Werk kennen, aber Irenäus ist der erste überkommene Theologe, der sich veranlasst sieht, es zu nennen. An dem geschichtlichen Leitanliegen der Apg – Selbstdefinition der Christus-Bewegung durch Herkunft aus Israel – bestand zunächst lange Zeit kaum Interesse. Geschichtswahrnehmung ohne theologisches Erkenntnisanliegen war die Sache des Frühchristentums nicht. Es gab so wenige Gründe, Apg zu rezipieren, wie es Gründe gab, sie fortzuschreiben.36 Es ist das neue Bedürfnis der gewordenen Kirche nach Legitimation durch apostolische Abkunft, das die rasch wachsende Attraktivität der Schrift im ausgehenden zweiten Jahrhundert erklärt. Für die Datierung lässt die äußere Bezeugung den Schluss zu, dass wir uns etwa mit dem Zeitraum bis 140/150 n. Chr. zu begnügen haben. Die Erstbelege verweisen auf die Asia oder ihr verbundene Regionen. Einer Entstehung der Apg in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts steht aus dieser Sicht nichts entgegen. Allerdings kann der Mangel an literarischen Belegen allein nicht begründen, dass Apg tatsächlich erst im zweiten Jahrhundert entstanden ist.

2. Die Apostelgeschichte und die Vita Pauli Einigkeit herrscht darüber, dass der letzte in Apg mitgeteilte Zeitpunkt deren terminus post quem darstellt. Dies ist als absolutes Datum der Amtsantritt des praefectus Iudaeae Porcius Festus (vgl. Apg 24,27), der vermutlich in das Jahr Kanonliste der dritten Synode von Karthago (397 n.  Chr.) und in der secunda pars des Decretum Gelasianum. Meist wird sie indes mit den Katholischen Briefen zum Praxapostolos zusammengestellt; vereinzelt findet sie sich zwischen Corpus Paulinum und Offb (so im sticho­ metrischen Katalog des Cheltenham-Codex, um 360 n. Chr.) oder hinter Offb (so im Codex Claromontanus). Vgl. näher Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 32–34; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 13), 309–324, 328 f. 35 Treffend Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 48: „Acts was known; but it is doubtful whether the church in the first half of the second century knew what to do with it“. 36  Dazu Roland Kany, Warum fand die Apostelgeschichte keine Fortsetzung in der Antike? Elf Thesen zu einem ungelösten Problem, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 327–348: 342–344.

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59/60 n. Chr. fällt.37 In der relativen Chronologie der Vita Pauli sind dem eine gewisse Haftzeit unter Festus, der Gefangenentransport nach Rom und die zwei Jahre der römischen Haft hinzuzurechnen (vgl. 28,30). So gelangen wir etwa in das Jahr 62/63 n. Chr. Das klassische Narrativ, das an das früheste Zeugnis der alten Kirche anschließt, will wissen, dass Apg zur Zeit der ersten römischen Gefangenschaft des Apostels Paulus von dessen Reisegefährten, dem Arzt Lukas aus Antiochien, zu Rom abgeschlossen worden sei (ausgeprägt bei Eusebios, h. e. 3,4,6; vgl. 2,22,1 f.6 f.; 3,24,15; Hieronymus, vir. ill. 7). Als Beleg werden die Passagen des Corpus Paulinum angeführt, in denen ein Lukas erwähnt wird (Kol 4,14; 2Tim 4,11; vgl. Phlm 24; mitunter auf Lukas bezogen: 2Kor 8,18). Die sogenannten Wir-Passagen werden darauf zurückgeführt, dass der Autor / ​Erzähler den Apostel Paulus auf seinen Reisen begleitet habe. Die Ansätze dieser Überlieferung finden sich bei Irenäus von Lyon (haer. 3,14,1–3,15,1), Tertullian, Cyprian und Origenes.38 Sie findet noch immer als Ganze oder in Teilen, bisweilen mit beachtlichem gelehrten Aufwand, Unterstützung. Als Hauptbeleg dient der offene Schluss der Apg: Lukas hätte das weitere Geschick, namentlich das Martyrium des Paulus mitgeteilt, hätte er davon gewusst.39 Die für diese Frühdatierung angeführten Argumente erscheinen insgesamt nicht tragfähig. Die Mitteilung des Irenäus verdankt sich der literarischen Kombination, nicht der historischen Information. Irenäus greift auf die Angaben des Corpus Paulinum zurück, um so den theologisch benötigten Zusammenhang 37  Zur Person PRE XXII / ​1 (1953) 220–227 (Maximilian Lambertz); Denis B. Saddington, Roman Military and Administrative Personnel in the New Testament, in: ANRW II.26.3 (1996) 2409–2435: 2428 f.; PIR2 VI (1998) n. 858 (p. 367) (Klaus Wachtel); DNP X (2001) 163 (Werner Eck); Rainer Metzner, Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar, NTOA / ​StUNT 66, Göttingen 2008, 514–526. Zur Diskussion um die Datierung seiner Amtsübernahme von M. Antonius (Claudius?) Felix Kirsopp Lake, The Chronology of Acts, in: The Beginnings of Christianity V, hg. v. dems. / ​H. J. Cadbury, Nachdruck: Grand Rapids, Mich. (1933) 1966, 445–474: 466 f.; Lambertz, PRE XXII / ​1, 220–226; Daniel R. Schwartz, Ishmael ben Phiabi and the Chronology of Provincia Judaea (Hebr. 1982/83), in: ders., Studies in the Jewish Background of Christianity, WUNT 60, Tübingen 1992, 218–242, bes. 238 f., 241 f.; Hemer, Book (s. Anm. 5), 171; Giancarlo Rinaldi, Procurator Felix. Note prosopografiche in margine ad una relettura di At 24, in: RivBib 39 (1991) 423–466: 452–458; Heike Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, BZNW 115, Berlin 2002, 405 f. Zur schwierigen Frage der Amtsbezeichnung des römischen Oberbeamten in Judäa Werner Eck, Rom und Judaea. Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palaestina, Tria Corda 2, Tübingen 2007, 45–48. 38 Einen Überblick gibt Bovon, Reception (s. Anm. 13), 73–78. 39 So beispielsweise Rackham, Plea (s. Anm. 6), 76–80; ders., Acts (s. Anm. 6), li f.; Koch, Abfassungszeit (s. Anm. 6), 3–30; Wikenhauser, Apostelgeschichte (s. Anm. 6), 45 f.; Munck, Acts (s. Anm. 6), LIII f.; Robinson, Redating (s. Anm. 6), 89–91; ausführlich Hemer, Book (s. Anm. 5), 383–387, 390–410; Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 165–221. Für Lukas als Reisebegleiter des Paulus und eine optimistische Einschätzung des historischen Referenzwertes der Wir-Passagen plädiert nachdrücklich Claus-Jürgen Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, bes. 199–367.

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zwischen Paulus und Lukas zu gewinnen. Gegenüber jenen Gegnern, die sich auf Paulus und ein (aus Sicht des Irenäus) gestutztes oder missdeutetes „Lukasevangelium“ berufen, also Markioniten und Valentinianer, kann Irenäus auf solche Weise geltend machen, dass sie Paulus nicht ohne den Apostelschüler Lukas und weder Paulus noch Lukas ohne die – durch Apg dokumentierte – apostolische Überlieferung besitzen (vgl. bes. haer. 3,14,4). Gegenüber judenchristlichen Kreisen, die Paulus verwerfen, kann das dritte Evangelium in Verbindung mit seinem zweiten Logos belegen, dass die evangelische Wahrheit nicht ohne Paulus auskommt (vgl. 3,15,1).40 Es ist nicht ersichtlich, dass die folgenden Gewährsleute über eine von Irenäus unabhängige Tradition verfügen. Die Personalnachricht des Irenäus und die aus den Paulusbriefen angeführten Belegstellen stützen sich also zirkulär. Die Wir-Passagen führen nicht aus diesem Dilemma heraus. Unabhängig davon, wie man ihren Quellenwert einstuft, eignen sie sich schwerlich als Fundament für eine Datierung. Denn diese würde auf ein Konstrukt setzen, dessen Status nicht deutlicher bestimmbar ist als die Hypothese selbst.41 So ist der postulierte terminus ad quem „Freilassung / ​Tod des Paulus“ auf die innere Evidenz des lukanischen Doppelwerks angewiesen. Diese beschränkt sich positiv auf den offenen Schluss. Der Schluss lässt sich erklären (1) generisch: Apg bietet keinen Paulus-Bios, sondern eine Geschichte der urchristlichen Schwellenepoche, muss daher den Tod des Paulus nicht berichten. Entscheidend ist, dass der Erzählverlauf die Schwelle zur Mitte der Gegenwartskultur überschreitet. (2) literarisch: Eine fließend-offene Schlussgestalt ist in der griechisch-römischen Geschichtsschreibung keineswegs ungewöhnlich; sie richtet die Perspektive über die Werkgrenze hinaus (vgl. z. B. Hdt. 9,122,4; Thuk. 8,109; Xenophon, an. 7,8,24;

40  Irenäus folgt eher seinen eigenen Prämissen als denen seiner Gegner, die er auf die lukanischen Schriften zu verpflichten sucht, obschon er im Fall der pauluskritischen Ebionäer (haer. 1,26,2) selbst anzeigt, dass diese sich nur an das Matthäusevangelium gebunden wissen (3,11,7). Zur Interpretation des Irenäus und seines Rückgriffs auf die lukanischen Schriften Mount, Christianity (s. Anm. 9), 12–29; Gregory, Irenaeus (s. Anm. 21), 48–55. 41  Die langwierige und verzweigte Diskussion der Wir-Passagen belegt zumindest dies: Aporienpflege taugt nicht als Argumentationsbasis für historische Schlüsse. Grob lassen sich fünf Hypothesenmodelle unterscheiden: (1) Die Wir-Passagen sind Augenzeugenbericht des Verfassers. (2) Sie entstammen einer vom Verfasser eingefügten Quelle eines Reisegefährten des Paulus. (3) Sie entstammen mehreren vom Verfasser eingefügten oder allmählich angewachsenen Quellen. (4) Sie entstammen vom Verfasser eingefügtem und ergänztem Quellengut. (5) Sie sind literarische Fiktion. Mir scheint dem komplexen Textbefund das Modell (4) am ehesten gerecht zu werden. Vgl. dazu Dietrich-Alex Koch, Kollektenbericht, „Wir“-Bericht und Itinerar. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem (1999), in: ders., Hellenistisches Christentum. Schriftverständnis – Ekklesiologie – Geschichte, hg. v. F. W. Horn, NTOA / ​StUNT 65, Göttingen 2008, 318–339; Alexander J. M.  Wedderburn, The “We”-Passages in Acts: On the Horns of a Dilemma, in: ZNW 93 (2002) 78–98; Jens Börstinghaus, Sturmfahrt und Schiffbruch. Zur lukanischen Verwendung eines literarischen Topos in Apostelgeschichte 27,1–28,6, WUNT II / ​274, Tübingen 2010, 281–336.

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hell. 7,5,27; Sallust, Iug. 114,4; Herodian. 8,8,8).42 (3) rhetorisch: Der Schluss inmitten der stadtrömischen Verkündigung ist zielgenau und weist pointiert auf die offene Zukunft des Evangeliums und damit auf die größere Geschichte des Gottesvolks.43 Negativ spricht die innere Evidenz insofern gegen den terminus ad quem „Tod des Paulus“, als Apg vielmehr diesen vorauszusetzen scheint. So ist die Rede des scheidenden Paulus vor den Presbytern von Milet (vgl. Apg 20,17–38) als Vermächtnis aus der Retrospektive formuliert. Sie wirkt durchsichtig auf die kirchliche Situation der nachpaulinischen Zeit und stellt Paulus als Leidenszeugen in endgültigem Abschied vor Augen (vgl. bes. 20,24 f.38). Dieser Eindruck wird durch die Agabus-Szene, in der der Leidenszeuge auch seine Todesbereitschaft bekundet, verstärkt (vgl. 21,10–14).44 Aus dieser Sicht ergibt sich ein triftig, allerdings nicht zwingend belegter terminus post quem: der Tod des Paulus in den sechziger Jahren.

3. Die Beziehung der Apostelgeschichte zu den Evangelien Zu den Quellen der Apg gehört das Markusevangelium.45 Lukas spart mitunter in seinem Jesus-Bios Passagen oder Leitmotive aus seiner Markusvorlage aus, um sie im zweiten Logos dort nachzutragen, wo sie aus seiner Sicht angemessener verortet sind. Das Logion Mk 13,32 (vgl. Mt 24,36) wird beim lukanischen Seitenreferenten fortgelassen (vgl. Lk 21,33 f.), findet aber in Apg 1,7 Niederschlag. Das Summarium Mk 6,55 f. mag Apg 5,15 f. beeinflusst haben (vgl. Apg 19,11 f.).46 Die Reinheitsfrage wird aus dem Jesus-Bios (vgl. Mk 7,1–23) in das nachösterliche Ringen um die Aufnahme der Völker verlegt (Apg 10,1–11,18).47 Die Steinigung des Stephanus (Apg 6,11–14; 7,1) entlehnt Züge aus der markini42 Zum Werkabschluss in der antiken Geschichtsschreibung Thomas Hidber, Zeit und Erzählperspektive in Herodians Geschichtswerk, in: Geschichtsschreibung und politischer Wandel im 3. Jh. n. Chr., hg. v. M. Zimmermann, Hist.E 127, Stuttgart 1999, 145–167: 150 f.; Troy M. Troftgruben, A Conclusion Unhindered. A Study of the Ending of Acts within Its Literary Environment, WUNT II / ​280, Tübingen 2010, bes. 94–113. 43  Zur Strategie des offenen Erzählschlusses im lukanischen Geschichtswerk Troftgruben, Conclusion (s. Anm. 42), 114–178; näher zum offenen Ende als „link to an extensive saga“ ebd. 169–178. Als Signal zur Fortsetzung im Sinn einer historia perpetua deutet diesen Schluss auch Kany, Apostelgeschichte (s. Anm. 36), 327–329. 44  Vgl. Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 253 f. 45 Vgl. Pervo, Dating (s. Anm. 3), 35–47 (dessen synoptische Belege freilich von recht unterschiedlicher Überzeugungskraft sind); Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 30. Für die Annahme literarischer Abhängigkeit spricht natürlich auch, dass der Auctor ad Theophilum (unter Voraussetzung der auktorialen Einheit des lukanischen Doppelwerks) Mk bereits für seinen Jesus-Bios als Quelle nutzt. 46  Vgl. Henry J. Cadbury, The Summaries in Acts, in: The Beginnings of Christianity V, hg. v. K. Lake / ​H. J. Cadbury, Grand Rapids, Mich. (1933) 1966, 392–402: 398 f.; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 36–38. 47  Vgl. Wolter, Lk (s. Anm. 45), 30.

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schen Passion (Mk 14,55–60.63 f.), die in deren lukanischer Parallele fehlen (vgl. Lk 22,66–70).48 Vor allem entfaltet Lukas das markinische Erzählkonzept, nach dem sich das synagogale Judentum gegenüber der Jesus-Botschaft verweigert und die Völker Zugang zum Gottesverhältnis Israels gewinnen, erst im zweiten Logos (vgl. bes. Mk 15,37–39/Lk 23,46–48). Deshalb wird das Verstockungszitat Jes 6,9 f. aus der Mitte des Wirkens Jesu in den Schlussbericht über das Wirken des Paulus verlegt (vgl. Mk 4,12/Lk 8,10 mit Apg 28,25–27).49 So wird man Apg zeitlich nach dem ersten Evangelium ansetzen, das triftig im Kontext des ersten jüdisch-römischen Krieges, kurz vor oder nach 70 n. Chr., datiert wird. Ist der längere (kanonische) Markusschluss (Mk 16,9–20) um 120–150 n.  Chr. entstanden50 und setzt er Apg voraus,51 so bietet uns das kanonische Markusevangelium zugleich einen terminus ad quem. Der erste Logos des Lukas ist mit der Mehrheitsexegese deutlich nach 70 n. Chr. zu datieren. Er blickt auf eine bereits längere Tradition und literarische Vorgeschichte zurück (vgl. Lk 1,1–4). Nach der Zweiquellentheorie setzt er Mk voraus. Die Passagen Lk 19,43 f.; 21,20–24; 23,28–31 deuten sehr wahrscheinlich als vaticinia ex eventu auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 hin. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch bereits vor der Katastrophe – keineswegs unrealistische – Untergangsprophetien kursierten (vgl. z. B. Josephus, bell. Iud. 6,288–309), aber die konkrete Transformation der markinischen Vorlage ist doch greifbar vom tatsächlichen Geschichtsverlauf geprägt.52 Wenn man voraussetzt, dass Lukas Apg im Anschluss an Lk verfasst hat, ist damit ein terminus post quem für Apg gewonnen. Es ist allerdings weder selbstverständlich, dass Apg vom gleichen Verfasser wie das dritte Evangelium stammt,53 noch, dass Apg im Anschluss an das Evangelium geschrieben 48 Vgl. Pervo, Dating (s. Anm. 3), 38–40; Wolter, Lk (s. Anm. 45), 30. Zur lukanischen Verwertung des Markusstoffs in Apg auch Reinhard von Bendemann, Zwischen δόξα und σταυρός. Eine exegetische Untersuchung der Texte des sogenannten Reiseberichts im Lukasevangelium, BZNW 101, Berlin 2001, 51–55. 49  Vgl. Wolter, Lk (s. Anm. 45), 30. 50  So, sorgfältig abwägend, James A. Kelhoffer, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark, WUNT II / ​112, Tübingen 2000, 169–175. Ob Justin den längeren Markusschluss bereits kennt, ist allerdings nicht sicher; Tatian kennt ihn vermutlich, Irenäus gewiss. Zur Diskussion Gregory, Reception (s. Anm. 13), 86 f. 51  Kelhoffer, Miracle (s. Anm. 50), 146 f. hält diese Annahme für plausibel, aber nicht für zwingend (vgl. bes. Mk 16,17c.19b–c). Skeptischer sind Barrett, Acts I (s. Anm. 8), 35 und Gregory, Reception (s. Anm. 13), 86–91, 312. 52 Die gegenläufigen Versuche von Munck, Acts (s. Anm. 6), XLVI f.; Mattill, Date (s. Anm. 6), 341–348 und Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 68–163, bes. 131–163 wirken gezwungen; vgl. Tyson, Marcion (s. Anm. 5), 11–13 und Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 249–251, der sich insgesamt mit der Argumentation von Mittelstaedt auseinandersetzt. 53  Die auktoriale Einheit ist immer wieder bestritten worden, zuletzt von Patricia Walters, The Assumed Authorial Unity of Luke and Acts. A Reassessment of the Evidence, MSSNTS 145, Cambridge 2009; zur Forschungsgeschichte ebd. 24–36. Die philologisch sorgfältig durch-

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Zur Datierung der Apostelgeschichte

wurde.54 Die Erzählfolge als solche begründet keine Abfassungsfolge.55 Im zweiten Logos fehlen im Unterschied zum Evangelium deutlichere Indizien für eine Abfassung nach der Zerstörung Jerusalems. Zudem weist Lk (im jetzigen Erzählverlauf) eher auf Apg voraus als Apg auf Lukas zurück.56 Wo man  – wie es in der älteren Exegese durchaus üblich war – den Eingang des zweiten Logos (etwa bis Apg 1,15) literarkritisch dekomponiert57, scheint es nicht willkürlich, Apg zeitlich Lk vorzuordnen. Gegen diese Hypothese spricht allerdings einerseits, dass Lk in seinen Rahmenteilen auf Apg vorblendet (vgl. Lk 1,1–4; 2,22–39; 24,13–35),58 andererseits, dass Lk Erzählinhalte der markinischen Vorlage ausspart, die dann im Verlauf der Apg geboten werden. Zwar ließe sich die Vorblende im Evangelium als nachträgliche literarische Verdichtung erklären, aber dann fragt sich, geführte These bedarf eingehenderer Untersuchung. Für den Zweck dieses Aufsatzes genügt es festzustellen, dass der zweite Logos angesichts der semantischen, narrativen und konzeptionellen Querverbindungen allenfalls von einem theologisch und literarisch sehr verwandten Nachfolger (und Nachahmer) stammt, sodass sich auch bei der Vermutung eines anderen Verfassers noch keine Folgerungen für das Datierungsproblem ergeben. Von der Frage nach der auktorialen Einheit ist die nach der medialen Einheit eines „Doppelwerks“ bzw. der relativen medialen Unabhängigkeit zweier lukanischer Werke in Publikation und Rezeption zu unterscheiden; dazu zuletzt der Diskussionsband Rethinking the Unity and Reception of Luke and Acts, hg. v. A. F. Gregory / ​C. K. Rowe, Columbia, S. C. 2010. 54 Zugunsten der Priorität der Apg gegenüber Lk (in seiner redaktionellen Endgestalt) argumentieren etwa Charles S. C. Williams, The Date of Luke-­Acts, in: ET 64 (1952/53) 283 f.; Henry G. Russell, Which was Written First, Luke or Acts?, in: HTR 48 (1955) 167–174 (weitere Vertreter dieser Annahme ebd. 170); Parker, Treatise (s. Anm. 6); Bouwman, Livre (s. Anm. 6), bes. 557–562. 55  Natürlich folgt der Bio‑ oder Historiograph in der Regel dem geschichtlichen Ablauf des Geschehens. Er kann aber Gründe dafür haben, den früheren Stoff in einem späteren Buch abzuhandeln, so etwa Tacitus in den Historiae, die zunächst die Herrscher zwischen 68 und 96 n. Chr. behandeln, auf die dann die Annales mit der julisch-claudischen Dynastie folgen. 56 Vgl. Charles K. Barrett, The Third Gospel as a Preface to Acts? Some Reflections, in: The Four Gospels 1992. FS F. Neirynck II, hg. v. F. Van Segbroeck u. a., BETL 100/2, Löwen 1992, 1451–1466: 1461 f.; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 13), 322 f. 57 Zu dieser Dekomposition vgl. beispielsweise Eduard Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums (1921–1923), Nachdruck: Darmstadt (4/51924; 4/51925; 1–31923) 1962, I: 1–4, 34–45; III: 12 f.; zur Diskussion Gerd Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 33 f. 58  Zu Lk 1,1–4 als Proömium des Gesamtwerks Henry J. Cadbury, Commentary on the Preface of Luke, in: The Beginnings of Christianity II, hg. v. F. J. Foakes Jackson / ​K. Lake, London 1922, 488–510: 491 f.; Barrett, Gospel (s. Anm. 56), 1463 f.; Manfred Korn, Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit. Studien zur bleibenden Bedeutung Jesu im lukanischen Doppelwerk, WUNT II / ​51, Tübingen 1993, 19–32; Wolter, Lk (s. Anm. 45), 30, 60 f. Zur programmatischen Bedeutung der Vorgeschichte für das lukanische Doppelwerk insgesamt Ulrich Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas, FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 161–179; Korn, Geschichte, 33–55; Walter Radl, Die Beziehungen der Vorgeschichte zur Apostelgeschichte. Dargestellt an Lk 2,22–39, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 297–312. Zu Lk 24,13–35 als Antizipation der Apg Knut Backhaus, Christologia Viatorum. Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte, in: König und Priester. Facetten neutestamentlicher Christologie, FS C.-P. März, hg. v. M. Bär / ​M.-L. Hermann / ​Th. Söding, EThS 44, Würzburg 2012, 137–148 [in diesem Band S. 245–256]. Vgl. insgesamt auch Barrett, Gospel (s. Anm. 56), bes. 1453–1461.

3. Die Beziehung der Apostelgeschichte zu den Evangelien

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warum der Bezug nicht prägnanter wird. Vor allem wird die Redaktionsarbeit in der Sequenz Apg  – Lk nur mühsam erklärbar: Bei der Abfassung der Apg werden einige Teile des Mk benutzt, erst in einem zweiten Schritt wird der große Rest – neben Q – verarbeitet,59 durch die Hilfsannahme eines Proto-Lk wird diese Theorie noch komplexer. Die literarkritische Dekomposition des Eingangs der Apg kann zwar einige Indizien – vor allem sprachliche Auffälligkeiten und die zweite, teilweise unterschiedliche Himmelfahrtsszene – geltend machen, aber diese erweisen sich nicht als durchschlagend. Perspektivisch variierte Dubletten kennt Lukas an heilsgeschichtlichen Schaltstellen auch sonst (Taufe des ersten Heiden: Apg 10,1–11,18; Berufung des Paulus: 9,1–19a; 22,3–21; 26,9–18). Das Binnenproömium im zweiten Logos ist gattungsüblich und im Ganzen unauffällig. So ist an der üblichen Reihung Lk – Apg festzuhalten.

Hinsichtlich der Datierung der Apg bestätigt sich damit ein Termin nach 70 n. Chr. Üblicherweise schätzt man den zeitlichen Abstand zwischen Mk und Lk grob auf zehn Jahre, in denen Mk sich habe verbreiten können. Versuche, aufgrund von stilistischen oder perspektivischen Unterschieden einen zeitlichen Abstand zwischen Lk und Apg, etwa ebenfalls zehn Jahre, festzulegen, sind allzu spekulativ. Nimmt man als terminus ad quem für Lk etwa 140 n. Chr. an,60 so ergibt sich für den zweiten Logos als möglicher Abfassungszeitraum 80–150 n. Chr. Wo man im Sinne der „Louvain hypothesis“ eine literarische Dependenz des Joh von Lk vermutet und an der konventionellen Datierung des Joh um 100–120 n. Chr. festhält, scheint ein terminus ad quem zumindest für den ersten Logos gewonnen.61 Die Sequenz lässt sich freilich umkehren: Wo man eine literarische Dependenz des Lk von Joh bzw. einer Vorform von Joh annimmt,62 ergibt sich – je nach Datierung des johanneischen Prätextes – ein neuer terminus post quem. In diesem Licht betrachtet, kann Apg bereits auf Joh reagieren.63 Die Berührungen können aber auch durch mittelbare Traditionskontakte 59  Eine solche Redaktionsarbeit wäre nach Pervo, Dating (s. Anm. 3), 48 „positively byzantine“; anders Bouwman, Livre (s. Anm. 6), 559. 60 Lk ist, in welcher Textgestalt auch immer, in EvEb, EvTh, Protev, 2Clem., bei Justin, Tatian und Theophilos von Antiochien sowie bei Naassenern, Markioniten und Valentinianern vorausgesetzt; dazu die gründliche Monographie von Gregory, Reception (s. Anm. 13), 22–298. Dieser Textbefund weist auf einen terminus ad quem für Lk, der um 140 n. Chr. liegt. 61  Einen Überblick über die einschlägige Diskussion bieten Frans Neirynck, John and the Synoptics: 1975–1990, in: John and the Synoptics, hg. v. A. Denaux, BETL 101, Löwen 1992, 3–62, bes. 35–46; Dwight M. Smith, John among the Gospels. The Relationship in Twentieth-Century Research, Minneapolis, Minn. 1992, bes. 85–110, 159–169; Mark A. Matson, In Dialogue with Another Gospel? The Influence of the Fourth Gospel on the Passion Narrative of the Gospel of Luke, SBLDS 178, Atlanta, Ga. 2001, 21–90. 62 So F. Lamar Cribbs, A Study of the Contacts That Exist between St. Luke and St. John, in: SBLSP (1973/2), 1–93; Barbara Shellard, The Relationship of Luke and John: A Fresh Look at an Old Problem, in: JThS 46 (1994) 71–98; Matson, Dialogue (s. Anm. 61), bes. 233–262, 439–446; Shellard, Light (s. Anm. 9), 200–260, 275–288. Einen Überblick über diese Variante bietet Gregory, Reception (s. Anm. 13), 64–68; ders., The Third Gospel? The Relationship of John and Luke Reconsidered, in: Challenging Perspectives on the Gospel of John, hg. v. J. Lierman, WUNT II / ​219, Tübingen 2006, 109–134: 111–114. 63  Eine korrigierende Absicht vermutet Shellard, Light (s. Anm. 9), 286–288.

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erklärt werden und belegen in keinem Fall hinreichend, dass der vierte Evangelist auf das lukanische Doppelwerk oder Lukas auf das schlussredigierte Johannesevangelium zurückgreift. Daher ist hier von vornherein kein Ertrag für die Datierungsfrage zu erwarten.64

4. Die erzählte Welt des ersten / ​zweiten Jahrhunderts Zugunsten einer Datierung der Apg ins erste Jahrhundert wird – auch aus der Sicht kritischer Gelehrsamkeit  – geltend gemacht, dass die dargestellten administrativen, rechtlichen, reisetechnischen, lebensweltlichen oder semantischen Verhältnisse die Zustände reflektieren, die in der Zeit vor den Adoptivkaisern herrschten. Von der erzählten Welt wird auf die Welt des Erzählers geschlossen, der sich eben im Römischen Reich des ersten Jahrhunderts auskennt: „the record of Acts is true to its ‘dramatic date’, i. e., to the date of the events and developments which it relates“65. Dieses Argument ist (1) methodologisch fragwürdig, (2) sachlich unplausibel und (3) umkehrbar. (1) Die angeführten Kenntnisse können durch mündliche Überlieferung, aus Quellen oder mittels Bildung erworben sein. So käme niemand auf den Gedanken, Josephus aufgrund seiner realistischen Detailkenntnisse aus jener Ära für einen Zeitgenossen Herodes’ des Älteren zu halten. Auch ein marginaler Historiograph wie Lukas kann als Reichsbewohner die angeführten Verhältnisse früherer Zeiten zuverlässig kennen. Methodologisch relevanter scheinen unbeabsichtigte faktuale Nebenzüge, „undesigned coincidences“66. Aber auch diese erlauben noch keine Scheidung zwischen dokumentarischem Bezug und literarischem Beglaubigungsapparat, zumal der malerische Nebenzug durchaus zur lukanischen Erzählstrategie gehört.67 Der Einwand gegen den dokumentarischen 64 Zur Offenheit des Lk / ​Joh-Problems und seiner Unfruchtbarkeit für die Datierungsfrage auch Gregory, Reception (s. Anm. 13), 68 f.; ders., Gospel (s. Anm. 62), bes. 131 f. 65  Bruce, Acts (s. Anm. 7), 17 f. (Zitat: 18); vgl. Munck, Acts (s. Anm. 6), XLVIII f.; Keener, Acts I (s. Anm. 7), 399. 66  So Hemer, Book (s. Anm. 5), 104 f.; ähnlich Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 162 f. Die Argumentationsfigur der „undesigned coincidence“ hat eine ehrwürdige Tradition in der Actaforschung. Sie geht auf die klassische Apologie von William Paley (1743–1805) zurück: Horae Paulinae: or, The Truth of the Scripture History of St. Paul Evinced by a Comparison of the Epistles Which Bear His Name, with the Acts of the Apostles, and with One Another, London (1790) 101818 u. ö., 7–15, bes. 7 f.; dazu Thomas Hillard / ​Alanna Nobbs / ​Bruce W. Winter, Acts and the Pauline Corpus I: Ancient Literary Parallels, in: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 183–213: 211. 67  Vgl. auch Pervo, Dating (s. Anm. 3), 339 f. Am „unschuldigen“ Detail des Schiffszeichens der Dioskuren lässt sich zeigen, dass die eidetische Einzelheit als durchaus gewichtiger Bedeutungsträger fungiert: Knut Backhaus, Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11): Über zwei

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Rang einer Nähe zwischen Erzählerwelt und erzählter Welt wurde geistreich als „Karl-May-Regel“ apostrophiert.68 Die drei Kronzeugen dieser Argumentation William Mitchell Ramsay, A. N. Sherwin-White und Colin J. Hemer69 zeigen im Einzelnen lediglich auf, dass die in Apg dargestellten Zustände in die östliche Reichshälfte der frühen Kaiserzeit passen, obschon dies von der früheren Actaforschung mitunter überskeptisch bezweifelt worden war. Lukas besaß demnach ortsgerechte Kenntnisse, wie sie für einen schreibkundigen Bewohner der östlichen Reichshälfte kaum überraschen. Die ungefähr zeitgenössischen Romane zeigen, dass selbst fiktionale Literatur das vero simile darbot, das der extratextuellen Welt entsprach. Dass Lukas – etwa an der Seite Pauli – diese Gegenden tatsächlich bereist hat oder seine Kenntnisse ausschließlich im ersten Jahrhundert zu erwerben waren, wird durch die drei verdienten Historiker nicht belegt. Namentlich Ramsay fügt mit psychologischer Empathie die archäologischen Artefakte und die Quellenaussagen in seine deduktiv geformte Paulus-Imagination ein. Methodisch korrekt wäre ein Vorgehen, in dem textuelle und archäologische Daten zunächst voneinander geschieden und induktiv zur Konstruktion eines notwendig hypothetischen und vorläufigen Gesamtentwurfs herangezogen würden. Die Beiträge dieser Kronzeugen erhellen eine mögliche Welt, belegen aber keine Referenztreue und tragen zur Datierungsfrage nur im allgemeinsten Rahmen bei.

(2) Die angeführten Einzelbeispiele belegen keine Datierung im ersten Jahrhundert. Aus der Vielzahl an üblichen Verweisen seien hier nur einige der stichhaltigeren genannt: Alexander Mittelstaedt führt an, dass Apg die Schöne Pforte (Apg 3,2: λεγομένην) und die Säulenhalle des Salomo (3,11: καλουμένῃ) im Partizip Passiv des Präsens benenne: „Es ist zu fragen, ob eine solche grammatische Konstruktion zwei (oder mehr) Jahrzehnte nach der Zerstörung des Heiligtums noch angebracht wäre“70. Diese Frage ist insofern zu bejahen, als Lukas auch Judas, genannt Iskarioth, dessen Tod er voraussetzen dürfte (vgl. Apg 1,16–20), mit der gleichen grammatischen Konstruktion (Lk 22,3: καλούμενον; 22,47: λεγόμενος) bezeichnet. Das Partizip wird mit „sogenannt“ formelhaft-zeitlos zu übersetzen sein (Kühner / ​Gerth I § 404; BDR § 412,2). Ferner beschreibt Apg nach Mittelstaedt die Sadduzäer im Gegenwartstempus (vgl. Apg 23,8): „Wären sie schon seit zwei Jahrzehnten von der religionsgeschichtlichen Bühne verschwunden, wäre der Präsens nicht mehr angebracht“71. Dies sieht Josephus, der sein Werk zweifellos nach 70 n. Chr. verfasst denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums, in: NTS 61 (2015) 165–182, bes. 172–177 [in diesem Band S. 347–363, bes. 354–358]. 68  Dazu (mit Hans Conzelmann) Stephan Witetschek, Artemis and Asiarchs. Some Remarks on Ephesian Local Colour in Acts 19, in: Bib. 90 (2009) 334–355: 335 f. Bekanntlich hat der Romancier und Ich-Erzähler Karl May die meist orientalischen und amerikanischen Schauplätze seiner detailfreudigen Erzählungen erst spät besucht. 69  William M. Ramsay, St. Paul the Traveler and Roman Citizen (1895; 151925), hg. v. M. Wilson, Grand Rapids, Mich. 2001 (US-amerikanisch adaptierte Ausgabe), bes. 15–20; ders., The Bearing of Recent Discovery on the Trustworthiness of the New Testament, London (1915) 41920, bes. 35–52; Adrian N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford (1963) 1969, 172–181; Hemer, Book (s. Anm. 5), bes. 101–243, 380 f., 388–390. 70 Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 161; vgl. ebd. 160 f. 71  Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 162.

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hat, anders, da er die Sadduzäer mit den anderen Parteien ebenfalls im Beschreibungspräsens vorstellt (bell. Iud. 2,162–166).72 C. K. Barrett stützt sich zur Datierung der Apg im ersten Jahrhundert auf Apg 17,6 f.; 19,31, also auf die Einrichtungen des πολιτάρχης (Thessalonike) und des ἀσιάρχης (Ephesus) sowie auf „much more“ in Apg 21–28.73 Die beiden Titel sind aber keineswegs auf das erste Jahrhundert beschränkt.74 Für den Zeitraum zwischen 51 und 100 n. Chr. finden sich insgesamt 3 Belege für den Asiarchat (1,1 % der Gesamtbelegzahl), für den Zeitraum zwischen 101 und 150 n. Chr. dagegen 33,5 (12,7 %), also immerhin die elffache Anzahl.75 Im Erzählverlauf Apg 21–28 fällt keine räumliche oder rechtliche Gegebenheit auf, die eine spezielle Sachnähe zum ersten Jahrhundert erkennen lässt. Bei der vielfach als realistisch-historisch empfundenen Seesturm‑ und Schiffbrucherzählung 27,1–28,1676 handelt es sich um eine ausgesprochen topische Darstellung, grober gesagt: „Dutzendware“77, und zwar um eine solche, in der sich die fiktionale bei der dokumentarischen und die dokumentarische bei der fiktionalen Literatur zu bedienen pflegte. Schon die zeitgenössische Literatur wusste darüber zu spotten: omnia fiunt talia, tam graviter, si quando poetica surgit tempestas (Iuv. 12,22–24; vgl. Petron. 114,1–115,5; Iuv. 1,9.14; 12,81 f.; Lukian von Samosata, Toxaris 19–21; VH 1,1–4; ferner Synesios von Kyrene, epist. 5,296 f.).78

(3) Im Gegenzug lassen sich Beispiele anführen, die auf die Nähe der erzählten Welt zu einer später anzusetzenden Erzählerwelt weisen. Wie zu zeigen war, ist der Titel ἀσιάρχης im zweiten Jahrhundert erheblich häufiger belegt als im ersten. Ferner gewinnt der Titel des ἀρεοπαγίτης (Apg 17,34) erst seit dem zweiten Jahrhundert an Prominenz.79 Die Bezeichnung νεωκόρος der Artemis für die Stadt Ephe Vgl. Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 252.  Vgl. Barrett, Acts II (s. Anm. 8), xlii mit Anm. 21 sowie die Einzelauslegung zu Apg 17,6 f.; 19,31; 21–28. 74  Zu den Politarchen Carl Schuler, The Macedonian Politarchs, in: CP 55 (1960) 90–100; Gregory H. R. Horsley, Art. „Politarchs“, in: ABD V (1992) 384–389. 75 Stand: 1999. Nach Steven J. Friesen, Asiarchs, in: ZPE 126 (1999) 275–290: 283 (bei zeitlichen Überschneidungen wird die Zählung im 50-Jahre-Zeitraum halbiert oder geviertelt). Die höchste Frequenz erreichen die Belege zwischen 151 und 200 n. Chr. (94; 35,6 %) sowie zwischen 201 und 250 n. Chr. (103,5; 39,2 %). Witetschek, Artemis (s. Anm. 68), 340 f., 344 f. macht darauf aufmerksam, dass der Titel Asiarch erst ab 89/90 n. Chr., nach der Eröffnung des Tempels zu Ephesus, breiter bezeugt ist. 76 Eine Schlüsselrolle nimmt diese bei Hemer, Book (s. Anm. 5), bes. 125–158, 388 f. ein; vgl. Thornton, Zeuge (s. Anm. 39), 313–341; Marius Reiser, Von Caesarea nach Malta. Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27, in: Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, hg. v. F. W. Horn, BZNW 106, Berlin 2001, 49–74; Keener, Acts IV (s. Anm. 7), 3556–3566. 77 Vgl. die quellenkundige Studie von Börstinghaus, Sturmfahrt (s. Anm. 41), 142 f.; zur literarischen Topik in Seesturm‑ und Schiffbrucherzählungen ebd. 15–277. 78 Autopsie und topische Formung beeinflussen sich wechselseitig: Der erfundene Seesturm muss realistisch sein, der erlebte will dramatisch werden. Synesios von Kyrene betont, dass Seestürme ähnlich zu verlaufen pflegen (epist. 5,198–200), spinnt aber aus seinen beiden Seeabenteuern ein δρᾶμα ἐκ τραγικοῦ κωμικόν (vgl. 5,296–301); zur dramatischen Schiffsreise des Synesios J. Börstinghaus, Sturmfahrt (s. Anm. 41), 253–277. 79  Vgl. Daniel J. Geagan, The Athenian Constitution after Sulla, HespS 12, Princeton, N. J. 1967, 61. 72 73

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sus (19,35) ist weniger Beleg für dokumentarische Zeitnähe80 als Hinweis auf eine spätere Zeit.81 Der Titel γραμματεύς in Ephesus (19,35) ist epigraphisch für die Zeit Trajans und Hadrians deutlich zahlreicher bezeugt als für die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts, was sich allerdings auch mit gewandelten Formen öffentlicher Prestigepflege erklären lässt.82 Matthias Schmidt83 sieht einen Bezug zwischen dem Kämmerer (ὁ ἐπὶ τοῦ κοιτῶνος τοῦ βασιλέως) Blastus, der im Zusammenhang mit dem Straftod des Agrippa I. genannt wird (Apg 12,20), und dem am römischen Kaiserhof äußerst einflussreichen Kämmerer (Cass. Dio 67,15,1: ὁ πρόκοιτος αὐτοῦ) Ti. Claudius Parthenius.84 Nachdem Parthenius als entscheidender Mittelsmann zu Domitian gewirkt hatte (vgl. bes. Mart. 5,6; 11,1; 12,11), erregte er im Zusammenhang mit dessen Ermordung 96 n. Chr. Aufsehen (vgl. Sueton, Dom. 16,2; 17,2; Cass. Dio 67,15,1; 67,17,2). Als Mittäter wurde er von den Prätorianern gegen den Willen des hilflosen Nerva umgebracht (vgl. Plinius d. J., paneg. 6,1–3; Cass. Dio 68,3,3; Johannes von Antiochien, FHG IV p. 580, n. 110 [= n. 192, ed. U. Roberto, 2005]). Nicht zuletzt dieser Vorfall führte dazu, dass Nerva seine Machtbasis durch die Adoption Trajans sicherte, der der Auflehnung alsbald Herr wurde. So wurde der Kämmerer zum Mitinitiator einer weltgeschichtlichen Wende; sein Name gewann langfristig sprichwörtlichen Rang (vgl. Tertullian, apol. 35,9).85 Domitians Ermordung durch die Seinen „im eigenen Palast“ fand weites und langfristiges Echo (vgl. 12Sib 138–142; Cass. Dio 67,18; Philostrat, Ap. 8,25–27; Laktanz, mort. pers. 3,2; Aurelius Victor, Caes. 11,7–11; Prokop, HA 8,13–21). Ein Bezug zwischen der Tyrannentod-Erzählung Apg 12 und Parthenius ist daher denkbar, zumal Apg 12 nach plausibler Forschungsansicht auf Kaiser Nero als topischen Tyrannen transparent wird (s. u. Kap. 5).86 Ob ein solcher Bezug wahrscheinlich ist,  So aber Hemer, Book (s. Anm. 5), 122.  So, präzise argumentierend, Witetschek, Artemis (s. Anm. 68), 348–354; vgl. auch Pervo, Dating (s. Anm. 3), 311 f. 82  Katalog: Claudia Schulte, Die Grammateis von Ephesos. Schreiberamt und Sozialstruktur in einer Provinzhauptstadt des römischen Kaiserreiches, Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien 15, Stuttgart 1994, 139–205; zur chronologischen Verteilung des Titels ebd. 14–17. Eher an die Funktion des Vereinssekretärs als an das stadtpolitische Amt denkt Dirk Schinkel, Kanzler oder Schriftführer? Apg 19,23–40 und das Amt des γραμματεύς in griechisch-römischen Vereinigungen, in: Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit‑ und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums, FS D.-A. Koch, hg. v. D. C. Bienert / ​J. Jeska / ​Th. Witulski, FRLANT 222, Göttingen 2008, 136–149. 83  Der Gießener Kollege hat mir (mit E-Mail vom 30. 05. ​2016) freundlicherweise gestattet, von seiner gesprächsweise geäußerten Hypothese Gebrauch zu machen, die ich vor Jahren apodiktisch abgelehnt hatte. Vom Apodiktischen bin ich im Laufe meiner Befassung mit Lucas politicus abgerückt. 84 Zur Person PIR2 II (1936) n. 951a (pp. XXI f.) (Arthur Stein); PRE XVIII  / ​4 (1949) 1901 f. (Rudolf Hanslik); DNP III (1997) 19 f. (Werner Eck). 85  Dazu der Kommentar des Herausgebers Carl Becker (Darmstadt 41992), 305. Zur Rolle des Parthenius in den Umbruchjahren 96–98 Karl Strobel, Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte, Regensburg 2010, 140–150, 162–171. 86 Lukas ist nicht an unterscheidbaren Individuen, sondern an den durch sie verkörperten topischen Zügen in der Tyrannendarstellung interessiert; vgl. näher Knut Backhaus, Der Tyrann als Topos. Nero / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung, in: Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich, hg. v. S. Bönisch-Meyer u. a., Classica Monacensia 14, Tübingen 2014, 379–403, bes. 380–388 [in diesem Band S. 365–386, bes. 366–374]. 80

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hängt an seinem Erklärungswert für Apg 12. Das völlig unvermittelte Auftreten des Blastus bedarf, auch wenn es Tradition wiedergeben sollte, einer Begründung. Der Kämmerer gehört zur Tyrannentopik, mit der Lukas machtkritisch zu spielen pflegt.87 Ein Bezug auf die reichsrömische Prominenz kann das in der erzählten Welt zusammenhanglos wirkende Auftreten eines Kämmerers erklären. Ich steuere eine konvergierende Hypothese bei: In der römischen Politik und Reichsverwaltung gewann nach dem Tod Domitians C. Iulius Cornutus Tertullus aus Perge in Pamphylien (geb. vor 45 n.  Chr.; cos. suff. 100 n.  Chr.; gest. nach 117 n.  Chr.) breitere Bekanntheit.88 Der Freund und Kampfgenosse Plinius d. J. (vgl. epist. 4,17,9; 5,14; 7,21; 7,31) und dessen Nachfolger als legatus Augusti in der Provinz Bithynia et Pontus trat nach 96 als Ankläger in Aufsehen erregenden Prozessen (vgl. 2,11,23: cognitio amplissima) in Repetunden‑ oder Delatorenangelegenheiten auf (vgl. 2,11,19–24; 2,12; 9,13,15 f.). Der Politiker war hinreichend bekannt, um auch in östlichen Provinzen wahrgenommen zu werden. Ein Ankläger und Redner eben dieses Namens Tertullus dient Lukas beim Prozess des Synedriums gegen Paulus vor Felix – abermals recht unvermittelt – zu einer breit angelegten Persiflage (vgl. Apg 24,1–23).89 Die Gerichtsszene ist redaktionell geformt. Eine subtile Karikatur von Selbstinszenierungen des römischen Machtapparats ist Lukas durchaus zuzutrauen. Ein Motiv für die Anspielung mag daher in dem ironischen – das heißt: Rollenrochaden darstellenden  – Umgang des Lukas mit jüdischen Gegnern und römischen Machtforen liegen. Sie würde die – vermutlich redaktionelle – Wahl eines lateinischen Namens für einen in der Erzählung isolierten Aktanten erklären, der auf satirisch verzerrte Weise den Hohepriester mit dem Jerusalemer Synedrium vor dem römischen Richter vertritt und dessen Status den Kommentatoren gemeinhin einige Verlegenheit bereitet.90

Die erwogenen Möglichkeiten müssen spekulativ bleiben und bieten der Datierung daher keine sichere Grundlage. In ihrer Konvergenz mit anderen Beobachtungen lassen sie sich jedoch als Indizien für eine früheste Datierung in die Zeit Nervas (96–98 n. Chr.) oder – eher – Trajans (98–117 n. Chr.) anführen.

87 Zeitgenössisch

Epikt. 1,19,17: ὤφελον γὰρ τοὺς τυράννους μόνον, τοὺς κοιτωνίτας δ’οὔ.  Zur Person PRE X / ​1 (1918) 570–576 (Edmund Groag); PIR2 IV (1952–1966) n. 273 (pp.  201 f.); Ronald Syme, Pliny’s Less Successful Friends (1960), in: ders., Roman Papers II, hg. v. E. Badian, Oxford 1979, 477–495: 477–479; Werner Eck, Senatoren von Vespasian bis Hadrian. Prosopographische Untersuchungen mit Einschluß der Jahres‑ und Provinzialfasten der Statthalter, Vestigia 13, München 1970, z. Stw.; Helmut Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr., Hyp. 58, Göttingen 1979, 117; DNP VI (1999) 33 (Werner Eck). 89  Zum redaktionellen Charakter und zur satirischen Strategie in Apg 24 näher Knut Backhaus, Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte, in: Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum, FS M. Theobald, hg. v. W. Eisele / ​Chr. Schaefer / ​H.-U. Weidemann, HBS 74, Freiburg i. Br. 2013, 209–237: 213–222 [in diesem Band S. 219–243: 223–230]. 90  Der von Tertius abzuleitende Eigenname ist für jüdische Träger nicht belegt: Margaret H. Williams, Palestinian Jewish Personal Names in Acts, in: The Book of Acts in Its First Century Setting IV: The Book of Acts in Its Palestinian Setting, hg. v. R. Bauckham, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1995, 79–113: 112. 88

5. Transparenz auf die Herrschaftszeit Neros (54–68 n. Chr.)

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5. Transparenz auf die Herrschaftszeit Neros (54–68 n. Chr.) Zugunsten der konsequenten Frühdatierung der Apg wird geltend gemacht, ihr optimistischer Grundton sei nach der neronischen Verfolgung der stadtrömischen Christusgläubigen 64/65 n.  Chr. nicht mehr vorstellbar: „For any Christian to write, thereafter, with the easy optimism of Acts 28 would require an almost subhuman obtuseness“91. Dieses Argument überschätzt die psychologischen Wellenbewegungen urchristlicher Verfolgungserfahrung.92 Paulus etwa entfaltet das christliche Existential der Freude unter Haftbedingungen (vgl. z. B. Phil 1,3–11). Der Epheserbrief und der Erste Petrusbrief, verfasst unter ähnlichen zeitlichen und regionalen Minderheitsbedingungen wie die Johannesoffenbarung, wirken durchaus optimistisch, und dies gilt selbst für frühchristliche Apologien, die unter für Christen prekären Zeitumständen verfasst wurden (vgl. z. B. Tertullian, apol. 50). Gleichwohl lässt sich ein doppelter Bezug zum Prinzipat Neros herstellen: (1) Lk spiegelt die Reichsverleihung an den armenischen Thronprätendenten Tiridates I. wider. (2) Apg wird auf die mediale Inszenierung der „göttlichen Stimme“ Neros transparent. (1) In der zweiten Versuchungsszene des dritten Evangeliums (Lk 4,5–8) äußert sich der Teufel in einer Weise, die synoptisch (Mt 4,8–10; vgl. Q 4,5–8) auffällt und sein apokalyptisches Verhaltensrepertoire sprengt. Er lässt Jesus πάσας τὰς βασιλείας τῆς οἰκουμένης sehen und stellt seine ἐξουσία und δόξα heraus, die er zu übergeben vermag: ὅτι ἐμοὶ παραδέδοται καὶ ᾧ ἐὰν θέλω δίδωμι αὐτήν. Die Bedingung der Verleihung lautet: ἐὰν προσκυνήσῃς ἐνώπιον ἐμοῦ. Die Übergabe der Herrschaft wird also an die Proskynese geknüpft. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass sich in dieser Szene bis ins Detail ein reichsweit und auch in der Asia mit hohem Propagandaaufwand verbreitetes Geschehen widerspiegelt: die Übergabe des Königreichs Armenien an den arsakidischen Prinzen Tiridates I., die Neros größter außenpolitischer Erfolg war.93 91  Parker, Treatise (s. Anm. 6), 53; vgl. etwa Rackham, Plea (s. Anm. 6), 80 f.; ders., Acts (s. Anm.  6), lii f.; Koch, Abfassungszeit (s. Anm. 6), 54 f.; Munck, Acts (s. Anm. 6), LII f.; Bouwman, Livre (s. Anm. 6), 556; Mattill, Date (s. Anm. 6), 340; Hemer, Book (s. Anm. 5), 377; Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 208–219, bes. 218 f. 92  Aus entgegengesetzter Sicht beruft sich Alfred Loisy, Les Actes des apôtres, Paris 1920, 91 f. auf „une période de paix“, um Apg „assez loin du règne de Néron“ anzusetzen; vgl. Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 254 f. Merkwürdig schlicht mutet das Argument an, nach 64 n. Chr. hätte Lukas nicht mehr unbefangen auf die Feuermetapher zurückgreifen können (so Mittelstaedt, Lukas [s. Anm. 6], 215 f.). Der Blick in die Konkordanz der Patres Apostolici und der Apologeten belehrt rasch eines Besseren; eindeutig etwa Min. Fel. 12,4: ignes etiam quos et praedicitis et timetis. 93 Quellenlage: eingehend Cass. Dio 63,1–7; ferner Plinius d. Ä., nat. 30,16 f.; Tacitus, ann. 15,29–31; Sueton, Nero 13; 30,2. Vgl. näher Marianne Bergmann, Die Strahlen der Herrscher. Theomorphes Herrscherbild und politische Symbolik im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Mainz 1998, 181–185; Edward Champlin, Nero, Cambridge, Mass. (2003) 2005, 221–229; Backhaus, Tyrann (s. Anm. 86), 380–384 [in diesem Band S. 366–370]. Einen anderen Zusammenhang zwischen Apg und der Tiridates-Krönung sieht Karl M. Schmidt, Der Friede von Cäsarea. Apg 12,20–22 und die Krönung des armenischen Königs Tiridates, in: BZ 52 (2008) 110–117.

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Der Kaiser verleiht dem mit exorbitantem Aufwand das Reich durchreisenden Prätendenten an einem Festtag zu Rom die Königsherrschaft. Dieser entbietet dafür wiederholt und öffentlich Nero die Proskynese und betet ihn als Gott an (Cass. Dio 63,5,2). Der Kaiser stellt daraufhin in einer Prunkrede heraus, dass er allein Königreiche fortzunehmen und zu verleihen vermag: ἵνα καὶ σὺ καὶ ἐκεῖνοι μάθωσιν ὅτι καὶ ἀφαιρεῖσθαι βασιλείας καὶ δωρεῖσθαι δύναμαι (63,5,3). Der Eindruck, den das reichsweit zelebrierte Großereignis hinterließ, wirkte nachhaltig. Die symbolische Massenkommunikation Neros im Allgemeinen und diese Inszenierung von kaiserlicher Göttlichkeit im Besonderen hat sogar die religiöse Phantasie bleibend beeindruckt (vgl. 5Sib 147 f.). Dabei geht es weniger um eine politische Deutung Neros als um das Fascinosum und Tremendum der Herrschaftssymbolik: Der Teufel nimmt ein medial verbreitetes kaiserliches Rollenmuster in sein Repertoire auf. Der Herrscher wird entindividualisiert und zum dämonischen Machttopos.94 (2) Dies gilt auch für Apg 12. Lukas beschreibt hier im ersten Ansatz einer „Weltgeschichte“ des werdenden Christentums den Tod Agrippas I. bei einer ähnlichen propagandistischen Inszenierung im Jahr 44 (12,20–23).95 Wir können den Text mit dem Parallelbericht bei Josephus vergleichen (ant. 19,343–350). Agrippa, der hier den nahezu entlarvenden Namen Herodes erhält, stirbt bei Lukas während einer Tribunalszene im Theater von Caesarea Maritima in ironischem Rollenwechsel jenen öffentlichen Schautod, den er dem Apostel Petrus zugedacht hatte. Lukas begründet den solennen Auftritt mit der Durchsetzung des Herrschers im Konflikt mit den syrophönizischen Stadtstaaten Tyrus und Sidon. Den Straftod führt er durch Szenenkombination auf die Verfolgung der Urgemeinde – die Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus und die Inhaftierung des Petrus – zurück. Sublim spielt indes ein anderer Christenverfolger hinein. Unmittelbar reagiert der Himmel – wie bei Josephus – auf die Hybris des Herrschers, der sich nach hellenistischem Muster als Gott akklamieren lässt. Während Lukas, aus dem gleichen Traditionspool wie Josephus schöpfend, das prunkhafte Staatskleid noch erwähnt (Apg 12,21), gilt die Akklamation des Demos jedoch einem anderen apollinischen Zug: θεοῦ φωνὴ καὶ οὐκ ἀνθρώπου (12,22). Man hat in dieser unvermittelten Variante eine Anspielung auf die Sangeskunst des Kaisers Nero gesehen.96 In der Tat hat die – wiederum medial weitverbreitete – „göttliche Stimme“ (Cass. Dio 63,20,5: ἱερὰ φωνή) des scaenicus Nero (Tacitus, ann. 15,59,2) die Generationen langfristig in den Bann geschlagen97 und zu jenem Fascinosum und Tremendum beigetragen, das aus Nero 94 Die neronische Inszenierung der Herrschaftsverleihung mit Proskynese ist der spektakulärste und gewissermaßen prototypische Beleg. Vergleichbare Machtdemonstrationen kennzeichneten die kaiserliche Außenpolitik freilich auch sonst. Aus trajanischer Zeit ist die Tribunalszene des von den Parthern eingesetzten armenischen Königs Parthamasiris bemerkenswert, der Trajan 114 n. Chr. in dessen Feldlager die Proskynese leistete, um die Herrschaftsverleihung zu erbitten, was dieser ihm jedoch verweigerte. Die Szene wurde propagandistisch auf einer Münze mit der Legende Rex Parthus verbreitet, die den König kniefällig und flehend vor Trajan zeigt; dazu Strobel, Kaiser Traian (s. Anm. 85), 366. 95 Zur Interpretation im Einzelnen Knut Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103 (2012) 157–176, bes. 160–171 [in diesem Band S. 283–303, bes. 286–297]. 96 Vgl. bes. Hans-Josef Klauck, Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20–23 (2002), in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum, WUNT 152, Tübingen 2003, 251–267; ferner Backhaus, Tyrann (s. Anm. 86), 385–388 [in diesem Band S. 371–374]. 97  Zum Motiv des apollinischen Kitharöden, zumal im Reichsosten, Bergmann, Strahlen (s. Anm. 93), 133–230.

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schließlich eine apokalyptische Gestalt werden ließ. Auch hier geht es also weniger um Kritik am individuellen Herrscher als um die Ausstattung eines Christenverfolgers mit dem Attribut des Tyrannen und Theomachen.

Damit sind termini post quos gesetzt, die konvergierend auf die Zeit nach dem Tod des Paulus und wahrscheinlich auch Neros weisen: Der Tiridates-Zug ist auf 66 n. Chr. zu datieren; Neros Gottesstimme wurde vor allem in der großen Griechenland-Tournee (66–68 n. Chr.) am Ende seiner Herrschaft publik. Tiridates-Zug und apollinische Sangeskunst blieben freilich über Jahrhunderte auch im jüdisch-christlichen Gedächtnis haften und verselbständigten sich topisch. Deshalb lässt sich mit diesen Beobachtungen keine zeitliche Nähe der Apg zur Herrschaft Neros begründen.

6. Transparenz auf die Herrschaftszeit Domitians (81–96 n. Chr.) In der Kommentarliteratur führt eine These ein etwas isoliertes Eigenleben: Apg sei spätestens um 90 n. Chr. zu datieren, weil sie keine Spuren von den suppressiven Maßnahmen, gar der Christenverfolgung, in der Spätphase Domitians verrate.98 Demgegenüber wird seit langem eingewendet, die „jüngere Forschung“ habe die Annahme einer reichsweiten domitianischen Christenverfolgung aufgegeben. Tatsächlich geht die althistorische Forschung – im Ansatz seit Edward Gibbon (1776)  – nicht mehr von einer solchen Christenverfolgung aus. Die jüngere Exegese hat damit begonnen, diese Forschungsresultate zu rezipieren.99 Das Konstrukt des Christenverfolgers Domitian verdankt sich einer heroisierenden Herkunftslegitimation: Nur mali principes verfolgen boni homines. Weil Domitian der senatorischen Geschichtsschreibung als Tyrann galt, musste es die 98  Schneider, Apg I (s. Anm. 8), 120 f.; Franz Mussner, Apostelgeschichte, NEB.NT 5, Würzburg (1984) 41999, 11; Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte I, EKK 5/1, Zürich / ​Neukirchen-Vluyn 1986, 28; Josef Zmijewski, Die Apostelgeschichte, RNT, Regensburg 1994, 15; Barrett, Acts II (s. Anm. 8), xlii; wohl auch Hans Klein, Das Lukasevangelium, KEK 1/3, Göttingen 2006, 69; vorsichtiger Keener, Acts I (s. Anm. 7), 394. Mit Blick auf die unter Trajan (angeblich) zunehmenden Christenprozesse Hengel / ​S chwemer, Paulus (s. Anm. 7), 11; mit Blick auf die von Offb abweichende Perspektive auf das Römische Reich Sterling, Historiography (s. Anm. 8), 330. Frühere Generationen waren noch konstruktionsfreudiger, so etwa Harnack, Geschichte (s. Anm. 6), 248–250. Ramsay, Paul (s. Anm. 69), 28 f. mutmaßt, Lukas sei der domitianischen Verfolgung zum Opfer gefallen; Burnett H. Streeter, The Four Gospels. A Study of Origins, London (1924) 1964, 535–540 weiß Lukas punktgenau in dem noch friedlichen Rom der Domitian-Ära zu verorten. Unterkomplex wirkt neuerdings die Argumentation, aufgrund „der offenbar unveränderten Gefährdung von Christen durch jüdische Denunziationen“ sei die Entstehungszeit der Apg unter Domitian, genauer zwischen 80 und 90 n. Chr., anzusetzen: Dietrich Rusam, Die Apostelgeschichte, in: Einleitung in das Neue Testament, hg. v. M. Ebner / ​St. Schreiber, KStTh 6, Stuttgart (2008) 22013, 232–253: 243; vgl. ebd. 200. 99  Zur Irrelevanz des Konstrukts der Domitian-Verfolgung für die Datierungsfrage Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 248; zum Einblick in die jüngere Fachdiskussion ebd. 314–317.

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Christen adeln, von ihm verfolgt worden zu sein (vgl. z. B. Meliton von Sardes nach Eusebios, h. e. 4,26,9; Tertullian, apol. 5,3 f.).100 Nur exzessiv-normbrüchige Herrscher sind verworfen genug, um loyale Reichsangehörige zu verfolgen. Auf diese Weise avancierte Domitian zum zweiten Christenverfolger (und Mark Aurel zum anonymen Christen). Ob Angehörige der christlichen Minderheit Repressionen ausgesetzt waren, hing indes weniger am individuellen Charakter eines Herrschers als an sozialen, regionalen und situativen Gegebenheiten. Daher ist die Frage nach dem politischen Klima, das sich in Apg verrät, grundsätzlich von der Frage nach dem einzelnen Kaiser zu trennen. Der Eindruck, dass Apg mit ihrer selbstgewissen, mitunter ironisch-leichtfüßigen Darstellung der Mehrheiten und Machthaber im paganen Raum eine vergleichsweise friedliche Umwelt widerspiegelt,101 ist nicht von der Hand zu weisen. Aber schon das zeitliche und räumliche Nebeneinander des Ersten Petrusbriefs, der nachpaulinischen Gemeinden, der Nikolaiten und des Sehers Johannes in der Asia mahnt zur Vorsicht gegenüber chronologischer Auswertung. Wir müssen mit situativen „Ungleichzeitigkeiten“ rechnen und können überdies nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass die wahrgenommene Zeitstimmung unmittelbar Zeitgeschichte abbildet.

7. Die Apostelgeschichte und das Corpus Paulinum Ein Hauptargument dafür, Apg im ersten Jahrhundert zu datieren, lautet: Weil sie die Paulusbriefe nicht nutzt, muss sie vor deren Sammlung und Verbreitung, angesetzt meist um 100 n. Chr., verfasst worden sein.102 Die zugrundeliegende Schlussfigur kann angefochten werden: (1) hinsichtlich der Prämisse, (2) hinsichtlich der Konklusion. 100  Vgl. Dieter Timpe, Domitian als Christenfeind und die Tradition der Verfolgerkaiser, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, hg. v. J. Frey / ​St. Krauter / ​H. Lichtenberger, WUNT 248, Tübingen 2009, 213–242, bes. 234–242; Backhaus, Tyrann (s. Anm. 86), 392–400 [in diesem Band S. 379–386]. 101  Vgl. etwa Barrett, Acts II (s. Anm. 8), xlii. 102  So beispielsweise Kümmel, Einleitung (s. Anm. 8), 153 f.; Munck, Acts (s. Anm. 6), XLIX f.; Schenke / ​Fischer, Einleitung II (s. Anm. 8), 151 f., 162; Schneider, Apg I (s. Anm.  8), 119 f.; Roloff, Apg (s. Anm. 8), 5 f.; Hemer, Book (s. Anm. 5), 377; Sterling, Historiography (s. Anm. 8), 330; Broer, Einleitung (s. Anm. 8), 156 f.; Marguerat, Actes I (s. Anm. 8), 20. Gegen die Annahme, Lukas habe Paulusbriefe gekannt bzw. benutzt, argumentieren ausführlicher Charles K. Barrett, Acts and the Pauline Corpus, in: ET 88 (1976/77) 2–5 und Keener, Acts I (s. Anm. 7), 233–237. Mitunter wird vermutet, dass allererst Apg mit ihrem Paulusbild die Sammlung der Paulusbriefe stimuliert hat, so pionierhaft Edgar J. Goodspeed, The Formation of the New Testament, Chicago, Ill. (1926) 1927, 20–32, bes. 20 f.; ähnlich Bruce, Acts (s. Anm. 7), 12. Gegen diese Ansicht wendet sich mit Blick auf die Abfassungsgeschichte von Kol und Eph Outi Leppä, Were Paul’s Letters Buried in Obscurity During the Writing of Acts?, in: The Early Reception of Paul, hg. v. K. Liljeström, SESJ 99, Helsinki 2011, 76–90.

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(1) Die Voraussetzung, nach der Apg keine Kenntnis der Paulusbriefe verrät, kann bestritten werden. Dies führt dazu, dass sich der terminus ad quem in einen terminus post quem verwandelt. Dass Lukas die Paulusbriefe benutzt hat, wird von einer relevanten Minderheit älterer und jüngerer Exegese angenommen.103 Zuletzt hat Richard I. Pervo die literarische Interdependenz zwischen dem Corpus Paulinum und Apg akribisch untersucht, und zwar mit dem Ergebnis: Apg setzt eine Reihe von Paulusbriefen voraus. Daraus folgt: Sie ist nach deren Verbreitung zu datieren.104 Pervos Studie hat das Verdienst, sämtliche Passagen, in denen Lk oder Apg von einem Paulusbrief abhängig sein könnte, zu diskutieren. Mir scheint, dass der wichtigste Erkenntnisfortschritt dieser Untersuchung – im Gegensatz zu Pervos eigener Bewertung – darin liegt, dass die Annahme einer literarischen Nutzung von Paulusbriefen durch Lukas nunmehr als unproduktiv ausgeschieden werden kann. Nur wenige der vielen untersuchten Passagen kommen über non-signifikante Wortentsprechungen hinaus. Solche sind, zumal bei der Behandlung ähnlicher Gegenstände, von vornherein zu erwarten. Eher verwundert es, dass es angesichts der verwandten Grundthemen, benachbarten Sozialmilieus, verbindenden Traditionspools und gemeinsamen Sprach‑ und Motivkonventionen nicht zahlreichere Entsprechungen gibt. Dagegen wird nicht ersichtlich, dass die Hypothese einer unmittelbaren literarischen Dependenz Erklärungswert für die Erzählgestalt der Apg gewinnt. Die Eigenart der von Pervo ausgewiesenen semantischen Schnittfelder liegt weithin in vordergründigem, kontextsprödem Vokabelgebrauch. Lukas hätte dann in den meisten Fällen seinem Prätext einzelne Wörter und Wendungen entnommen, ohne auf deren Kontext in den Paulusbriefen Rücksicht zu nehmen. Sollten Einzelformulierungen des Apostels tatsächlich sprachfärbend auf Apg eingewirkt haben, wäre das Desinteresse an deren brieflichem Zusammenhang frappierend. Jene Wortentsprechungen, die auch kontextuelle Schnittfelder aufweisen, lassen sich statt durch die postulierte literarische Dependenz ökonomischer durch den affinen Sitz im 103  So etwa von Andreas Lindemann, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 163–173 (vorsichtig); William O. Walker, Acts and the Pauline Corpus Reconsidered, in: JSNT 24 (1985) 3–23; Lars Aejmelaeus, Die Rezeption der Paulusbriefe in der Miletrede (Apg 20:18–35), AASF B / ​232, Helsinki 1987, bes. 41–73, 266–268; Wolfgang Schenk, Luke as Reader of Paul: Observations on His Reception, in: Intertextuality in Biblical Writings. FS B. van Iersel, hg. v. S. Draisma, Kampen 1989, 127–139; William O. Walker, Acts and the Pauline Corpus Revisited: Peter’s Speech at the Jerusalem Conference, in: Literary Studies in Luke-­Acts. FS J. B. Tyson, hg. v. R. P. Thompson / ​T. E. Phillips, Macon, Ga. 1998, 77–86; Paul Elbert, Paul of the Miletus Speech and 1 Thessalonians: Critique and Considerations, in: ZNW 95 (2004) 258–268; Tyson, Marcion (s. Anm. 5), 15–22; Lars Aejmelaeus, The Pauline Letters as Source Material in Luke-­Acts, in: The Early Reception of Paul, hg. v. K. Liljeström, SESJ 99, Helsinki 2011, 54–75; Heikki Leppä, Luke’s Selective Use of Gal 1 and 2, in: The Early Reception of Paul, hg. v. K. Liljeström, SESJ 99, Helsinki 2011, 91–124. Einen kommentierten Forschungsüberblick bietet das Hinführungskapitel von Aejmelaeus, Rezeption, 41–73 sowie mit reichem Anmerkungsapparat das einschlägige Kap. 4 bei Pervo, Dating (s. Anm. 3). 104  Pervo, Dating (s. Anm. 3), 51–147.

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Leben, etwa Osterkerygma und Herrenmahlparadosis, oder geprägte Sprachbildung erklären. Dies schließt natürlich nicht aus, dass Lukas Paulus-Tradition kennt, die bereits in den Briefen reflektiert wird (vgl. z. B. Apg 9,25/ / ​2Kor 11,32 f.; Apg 15,1–35/ / ​Gal 2,1–10).105 Aber auch in solchen Fällen unterscheiden sich paulinische und lukanische Darbietung so deutlich, dass eine Kenntnisverwertung aus einzelnen Briefen oder einer Briefsammlung nicht wahrscheinlich wird. Das von Pervo angeführte Kumulationsargument, nach dem die Summe der Entsprechungsbeobachtungen deren Wahrscheinlichkeit erhöht,106 überzeugt nicht: Nicht-konvergente Beobachtungen kumulieren sich nicht zur Wahrscheinlichkeit, sondern zur kumulierten Unwahrscheinlichkeit. Insgesamt erscheint daher die Prämisse der konventionellen Argumentationsfigur gegen die aktuellen Forschungstrends durchaus haltbar: Es ist nicht ersichtlich, dass Apg Paulusbriefe benutzt.

(2) Mit stärkerem Recht kann die Konklusion bestritten werden: „Weil Lukas keine Paulusbriefe benutzt, kann er sie zeitlich nicht voraussetzen.“ Unabhängig von dem Nachweis literarischer Abhängigkeit ist die Annahme, Lukas habe Zugang zu einzelnen Paulusbriefen oder zu einer (frühen) Sammlung von Paulusbriefen besessen, durchaus naheliegend. Für die konsequenten Frühdatierer besaß Lukas indes keinen Grund, sie zu zitieren; für die radikalen Spätdatierer besaß er einen Grund, sie nicht zu zitieren. Falls man von einer persönlichen Nähe des Berichterstatters zum Apostel ausgeht, dürfte Lukas Paulusbriefe gekannt haben, bedurfte ihrer aber nicht, konnte er sich doch einschlägig bei Paulus selbst informieren.107 Gegen diese Sicht der Frühdatierer spricht die Evidenz – mit dem beißenden Verdikt Jülichers: „Ist die Apgsch. von einem Freunde des P[aulus] noch bei dessen Lebzeiten geschrieben worden, so müssen wir diesem Freunde die schärfsten Vorwürfe machen: er hätte dann Zeitgeschichte nicht bloß parteiisch und eigensinnig, sondern er hätte sie liederlich geschrieben, wichtige Tatsachen übergangen, über die er doch durch eine Frage sich unterrichten konnte!“108 Wenn man von einer späten Abfassungszeit der Apg ausgeht, dürfte Lukas Paulusbriefe, die bereits kursierten oder gesammelt wurden, ebenfalls gekannt haben, wollte sie aber nicht zitieren, weil sie durch Nähe zu und Nutzung von hetero105  Aufmerksamkeit findet naturgemäß die „deuteropaulinisch“ wirkende Rede des scheidenden Paulus vor den Presbytern von Ephesus in Milet (Apg 20,17–38), die besonders mit 1Thess korreliert wird: Aejmelaeus, Rezeption (s. Anm. 103), 89–210; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 111–135; für vorliterarische paulinische Tradition votiert Steve Walton, Leadership and Lifestyle. The Portrait of Paul in the Miletus Speech and 1 Thessalonians, MSSNTS 108, Cambridge 2000, bes. 203–212; dieses Votum kritisiert Elbert, Paul (s. Anm. 103). Insgesamt mag man auch bei der Miletrede eher an eine (möglicherweise in Ephesus zu verortende) Paulus-Mimesis als an literarische „Schreibtischarbeit“ denken. Dass die (in Ephesus zusammengestellten?) Paulusbriefe an solcher Mimesis mitgeformt haben können, sei nicht grundsätzlich bestritten. 106  Vgl. Pervo, Dating (s. Anm. 3), 76, 260; mit selbstkritischer Note ebd. 136: „One cannot create a forest by accumulating twigs, no matter how many“. 107  Vgl. etwa Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 222–225; nach Keener, Acts I (s. Anm. 7), 235 bevorzugt Lukas das „living memory“ gegenüber den ihm möglicherweise bekannten Briefen. 108 Einleitung (s. Anm. 9), 428 f.

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doxen Strömungen belastet waren. In der Tat mag man sich fragen, warum Lukas den Brief des Claudius Lysias an Felix zitiert, nicht aber den Brief des Paulus an die Römer erwähnt.109 Kann man sich eine Theologie ohne Paulus nur als Theologie gegen Paulus vorstellen, liegt es nahe, Lukas „bewußter Verschweigungstaktik“ zu zeihen,110 vor allem gegenüber der Paulusrezeption durch markionitische oder gnostizistische Strömungen.111 Gegen diese Sicht der Spätdatierer spricht, dass ihre theologiegeschichtlichen Prämissen zweifelhaft sind (s. u. Kap. 9). Zudem ist gezielte Nichtnutzung naturgemäß kaum am Text belegbar. So bietet sich eine andere Lösung an: Lukas kannte (möglicherweise) Paulusbriefe oder (eine Vorform von) deren Sammlung. Aber es gehörte nicht zur historiographischen Methode, von solchen Quellen Gebrauch zu machen. Lukas will Paulus deuten, nicht dokumentieren. Diese These widerspricht zwei Denkgewohnheiten. Zuerst: Nachdem sich das Christentum fast zwei Jahrtausende vornehmlich mit dem Briefeschreiber Paulus befasst hat, gehört es zu den nicht leicht zu durchschauenden, aber unbegründeten Vorurteilen, dass sich auch Lukas dem Briefeschreiber Paulus gegenüber verpflichtet sah. Sodann: Weil sich moderne Geschichtswissenschaft vorrangig als Quellenarbeit versteht, fällt die Vorstellung schwer, dass ein antiker Historiograph auf solche Quellen ohne Weiteres verzichten konnte. Tatsächlich zeichnet Lukas, der durchaus Briefe zu zitieren bzw. fingieren weiß (Apg 15,23–29; 23,26–30), Paulus nirgends als Verfasser von Gemeindekorrespondenz, obschon ihm diese im Ganzen schwerlich verborgen geblieben ist. Für den Verfasser der Apg waren Paulusbriefe nicht wertvoller als die Herkunft, das spezifische Evangelium oder der Tod seines Akteurs, und all dies schien ihm offenkundig nicht erzählenswert. Gerade als Geschichtswerk zielte Apg keineswegs darauf ab, Einblick in das Seelenleben, die authentische Theologie oder die pragmatischen Gemeindebeziehungen des Paulus zu geben. Denn für das zu entwerfende Geschichtskonstrukt war all dies entbehrlich. Auch theologisch muss Lukas Paulusbriefen keinen Nutzen zugeschrieben haben. Die Fragen des Lukas waren andere als die, die die Briefe des Paulus beantworteten.112 109 Vgl. Otto Bauernfeind, Kommentar und Studien zur Apostelgeschichte, ThHK 5 (1939), hg. v. V. Metelmann, WUNT 22, Tübingen 1980, XI–350 (einschl. unvollendeter Neubearbeitung: 283–350), 295 f. 110 Klein, Apostel (s. Anm. 1), 201; vgl. ebd. 189–192. 111  An (prä‑)markionitische Strömungen denken Knox, Acts (s. Anm. 9), bes. 283–286; Enslin, Luke (s. Anm. 9), 270 f.; Tyson, Marcion (s. Anm. 5), bes. 68 f., an gnostizistische (unter Einschluss Markions als „Gnostiker“) denkt Hyldahl, Abfassungszeit (s. Anm. 10), 77–82. Eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten wägt Bauernfeind, Apg (s. Anm. 109), 295–298 ab: Die Briefe seien – etwa angesichts des „radikalen Paulinismus“ Markions (vgl. auch ebd. 299) – missverständlich gewesen, sie hätten die Deutungskraft des Erzählers oder die Fassungskraft der Adressaten der Apg überstiegen oder seien von den Gemeinden nicht unredigiert herausgegeben worden. 112  „Hätte Lukas seine theologischen Anschauungen in Briefen ‚seines‘ Paulus zum Ausdruck bringen wollen, so hätte er diese Briefe neu verfassen müssen“ (Witetschek, Enthüllungen [s.

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Es ging dem Historiographen darum, ein intentionales Herkunfts‑ und Gedächtnisbild zu entwerfen, das den aktuellen Herausforderungen des werdenden Christentums entsprach.113 Narrativ besaß ein Briefzitat für dieses Vorhaben keinen Mehrwert. Nichts stört die Erinnerungsstrategie stärker als der Erinnerte, der selbst zu Wort kommt. Quellen ohne Nutzen werden vom Historiographen nicht genutzt. Sallust kennt zweifellos die erste catilinarische Rede Ciceros in publizierter Form (Catil. 31,6). Gleichwohl denkt er nicht daran, sich diese zitierend oder auf andere Weise erkennbar zunutze zu machen, sondern legt stattdessen Catilina eine fingierte Rede in den Mund, die dieser omnibus arbitris procul amotis – also außerhalb jeglicher Hörweite – gehalten habe (Catil. 20). Auch die Briefe Ciceros werden nicht ausgewertet; ein Brief Catilinas wird zwar in Gänze zitiert (vgl. Catil. 35), aber nimmt keinen erkennbaren Einfluss auf die Geschichtskonstruktion.114 Nicht das damalige Tagesgeschehen wird festgehalten, sondern dessen geschichtliche Bedeutung dargetan.

Fazit: Dass Lukas Paulusbriefe zitiert, ist auszuschließen; dass er sie nutzt, ist nicht triftig zu belegen; dass er sie gezielt verdrängt, ist unwahrscheinlich; dass er sie kennt, ist nicht zwingend zu bestreiten. Die Frage nach dem Verhältnis der Apg zum Corpus Paulinum trägt damit für keine Variante der Datierungsdiskussion etwas bei. Sie ist vom zeitlichen Ansatz der Apg fernzuhalten.

8. Die Apostelgeschichte und Flavius Josephus In jüngerer Zeit wurde sowohl in der Josephus‑ als auch in der Actaforschung eine These der älteren Exegese wiederbelebt, die längst aufgegeben schien: die Abhängigkeit des Opus Lucanum von dem Geschichtswerk des Flavius Josephus. Diese These findet sich in verschiedenen Versionen. Schriftlich: Lukas benutzt Josephus als literarische Vorlage.115 Mündlich: Lukas hat Josephus persönlich Anm. 8], 248). In der Tat: Briefe werden unnötig, wo neu verfasste Reden dem theologischen Zweck vollauf genügen. 113 Zum Theorem der Intentionalität in der antiken Geschichtswahrnehmung zusammenfassend Hans-Joachim Gehrke, Geschichte als Element antiker Kultur. Die Griechen und ihre Geschichte(n), Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten 2, Berlin 2014, 1–8. 114  Dazu Hillard / ​Nobbs / ​Winter, Acts (s. Anm. 66), 185–196, 210 f., bes. 191–195. 115  Die umfassendste Studie stammt von Max Krenkel, Josephus und Lucas. Der schriftstellerische Einfluss des jüdischen Geschichtschreibers auf den christlichen, Leipzig 1894. Sie weist in einer eigentümlichen Mischung aus philologischer Akribie und methodologischer Sorglosigkeit an 48 Passagen aus Lk und 44 Passagen der Apg auf, dass Lukas von Josephus beeinflusst sein mag (Apg: ebd. 145–282). Hinzu treten zahlreiche semantische und syntaktische Parallelen (vgl. ebd. 283–336), die im Wesentlichen darauf zurückzuführen sind, dass beide Schriftsteller sich der Koine bedienen: Qui nimis probat, nihil probat. Zu weiteren, behutsameren Verfechtern einer Benutzungstheorie gehören Heinrich Holtzmann, Lucas und Josephus, in: ZWTh 16 (1873) 85–94: 89–94; ders., Noch einmal Lucas und Josephus, in: ZWTh 20 (1877) 535–549; Francis C. Burkitt, The Gospel History and Its Transmission, Edinburgh (1906) 1925, 105– 110; neuerdings Shellard, Light (s. Anm. 9), 31–34; Tyson, Marcion (s. Anm. 5), 14 f.

8. Die Apostelgeschichte und Flavius Josephus

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gehört.116 Dialektisch: Lukas reagiert auf subtile Angriffe des Josephus, die dieser gegen die Urchristen gerichtet hat.117 Diametral entgegengesetzt: Josephus benutzt das Opus Lucanum als literarische Vorlage.118 Während die beiden letzteren Thesen wegen ihrer geringen Hintergrundplausibilität keine nennenswerte Unterstützung finden, erweisen sich die beiden ersteren als robuster. Hauptvertreter einer solchen Dependenz – diese vornehmlich literarisch gedacht – sind aktuell Steve Mason und Richard I. Pervo. Insofern das Bellum Iudaicum um 80 und die Antiquitates Iudaicae 93/94 n. Chr. veröffentlicht worden sind, ist bei Erweis der literarischen Dependenz ein terminus post quem gewonnen. Steve Mason119 widmet sich ausführlich den generischen und perspektivischen Parallelen, die allerdings keine literarische Abhängigkeit begründen, sondern auf die apologetisch-historiographische Ausrichtung der Werke zurückzuführen sind. Das gilt auch für die von Mason einseitig als zentral gewertete Tendenz des Lukas, das werdende Christentum hellenisierend als philosophische Schule (αἵρεσις) darzustellen.120 Relevant sind die sachlichen Überschneidungen, besonders der Zensus des Quirinius (Lk 2,1–3; vgl. ant. 18,1–10) und die Insurrektionen von Judas dem Galiläer, Theudas und dem ägyptischen Propheten (Apg 5,36 f.; 21,38; vgl. bell. Iud. 2,117 f.261–263; ant. 20,97–99.169– 172).121 Richard I. Pervo122 ist zwar ausführlicher, fügt jedoch den althergebrachten Standardbelegen (Zensus, die drei Insurgenten) eher größere Zuversicht als stärkere Gesichtspunkte hinzu. Er ergänzt, teilweise an den von Mason nicht zu Unrecht sogenannten 116 Eine solche Annahme würde immerhin erklären, warum Lukas über Sachinformation verfügt, die sich auch bei Josephus findet, dabei aber nur diffuse Übereinstimmungen und deutliche Abweichungen festzustellen sind. Die Theorie wurde phantasiereich verfochten von Streeter, Gospels (s. Anm. 98), 556–558; später als Überlegung wieder bei Steve Mason, Josephus and the New Testament, Peabody, Mass. ([1992] 22003) 2005, 282; neuerdings bei Shellard, Light (s. Anm. 9), 33. 117  So Bernhard Brüne, Flavius Josephus und seine Schriften in ihrem Verhältnis zum Judentume, zur griechisch-römischen Welt und zum Christentume mit griechischer Wortkonkordanz zum Neuen Testamente und I. Clemensbriefe, Nachdruck: Gütersloh (1913) 1969, 218–237, bes. 232 f. 118  Diese These wurde in der älteren katholischen und der konservativen evangelischen Exegese gepflegt, so extensiv – in Auseinandersetzung mit Krenkel – von Johannes E. Belser, Lukas und Josephus, in: ThQ 77 (1895) 634–662; ThQ 78 (1896) 1–78, bes. ThQ 78 (1896) 71–78; ders., Einleitung in das Neue Testament, Freiburg i. Br. (1901) ²1905, 194–202; erwägend von Theodor Zahn, Einleitung (s. Anm. 7), 400–403 mit 424 f. Anm. 7. Verwandt ist die abgelegene Theorie, nach der Josephus nebst Tacitus die Prodigien auf Umwegen über den lukanischen Traditionspool geschöpft habe, so Hugh Montefiore, Josephus and the New Testament, London (1960) 1962. 119  Mason, Josephus (s. Anm. 116), 251–295. 120 Lukas und Josephus arbeiten als apologetische Historiographen, d. h. als religiös orientierte Geschichtsdeuter einer kulturellen Minderheit mit dem Ziel eines hellenistisch anschlussfähigen Herkunfts‑ und Identitätsbilds; daraus folgt eine perspektivische Verwandtschaft; dazu näher Sterling, Historiography (s. Anm. 8), bes. 367–369. 121  Vgl. Mason, Josephus (s. Anm. 116), 273–283. 122  Pervo, Dating (s. Anm. 3), 149–199 (Anmerkungsteil: ebd. 409–422); Wertungstabelle: ebd. 197 (die Textangaben sind in unserer Wiedergabe an einigen Stellen anders segmentiert bzw. korrigiert).

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Zur Datierung der Apostelgeschichte

„minor parallels“123 orientiert, zahlreiche Querverbindungen und bewertet sie. High probability of dependence: Abreise des umstrittenen Herrschers im Gleichnis von den anvertrauten Minen (Lk 19,12–27; vgl. ant. 17,222–342), Lysanias als Tetrarch von Abilene (Lk 3,1; vgl. ant. 18,237; 20,138). Strong probability: Tilgung des Tetrarchen Philippus als des früheren Ehemanns der Herodias (Lk 3,19 diff. Mk 6,17; vgl. ant. 18,109–119), Berenike (Apg 25,13.23; 26,30; vgl. ant. 20,145 f.). Rather good probability: Johannes der Täufer als Tugendlehrer (Lk 3,10–14; vgl. ant. 18,117), Hungersnot unter Claudius (Apg 11,27–30; vgl. ant. 20,101), Drusilla (Apg 24,24; vgl. ant. 20,141–143). Good probability: Hofmagier Elymas / ​Atomus (Apg 13,6–8; vgl. ant. 20,142), Tod des Herodes / ​Agrippas I. (Apg 12,20– 23; vgl. ant. 19,343–350), Scherung von Nasiräern (Apg 21,23 f.; vgl. ant. 19,294). Fairly good probability: Verschwörung (Apg 23,12–35; vgl. ant. 15,282–291), Konversion eines ausländischen Machthabers (Apg 8,26–39; vgl. ant. 20,43–46), Volksunruhen im städtischen Theater (Apg 19,23–40; vgl. bell. Iud. 7,43–62) sowie im Tempelbezirk (Apg 21,30– 33; vgl. bell. Iud. 2,10 f.), forensische Hofrhetorik (Apg 25,23–26,32; vgl. ant. 16,29–57).

Es bedarf keiner Detaildiskussion.124 Folgende Einwände sind grundsätzlich gegen die Benutzungstheorie zu erheben: (1) Es wäre verwunderlich, wenn zwei Geschichtsschreiber, die über den gleichen Zeitraum und die gleiche Region schreiben, keine Schnittfelder und Schwerpunkte teilten. Die Übereinstimmungen erklären sich durch den Geschichtsverlauf als solchen und die darüber kursierenden Traditionen oder Quellen, zu denen Josephus wie Lukas gleichermaßen Zugang hatten. Es steht außer Frage, dass Lukas mannigfache historische Kenntnisse besitzt, die er nicht den Werken des Josephus entnommen haben kann. Es ist daher eine lediglich den Überlieferungsbedingungen geschuldete Vermutung, dass jener seine Informationen ausgerechnet von diesem bezogen hat.125 Antike Geschichtsschreibung stellt sich uns als Trümmerfeld dar,126 und Josephus besaß auch in seinem engeren Berichtsbereich manche Zunftgenossen (vgl. nur bell. Iud. 1,1–3). Mit Blick auf Agrippa II. könnte man – um nur eine Möglichkeit zu nennen – an Justus von Tiberias denken, mit Blick auf die ältere Geschichte an Nikolaos von Damaskus.127 Vor allem wird binnenchristliche Überlieferung zu erwägen sein (vgl. Lk  Mason, Josephus (s. Anm. 116), 282 f.  Zur Kritik an der Benutzungsthese Wikenhauser, Apostelgeschichte (s. Anm. 6), 62–65; Sterling, Historiography (s. Anm. 8), 365–369; Mittelstaedt, Lukas (s. Anm. 6), 229–239. Die intensivste und solideste Kritik bieten nach wie vor Emil Schürer, Lucas und Josephus, in: ZWTh 19 (1876) 574–582 und Heinz Schreckenberg, Flavius Josephus und die lukanischen Schriften, in: Wort in der Zeit. Neutestamentliche Studien, FS K. H. Rengstorf, hg. v. W. Haubeck / ​M. Bachmann, Leiden 1980, 179–209. Es fällt schwer zu sehen, welchen Fortschritt die neueren Versuche gegenüber diesen kraftvollen Erwiderungen aus der Mitte der Josephus-Forschung erzielt haben. 125  Vgl. auch Schreckenberg, Flavius Josephus (s. Anm. 124), bes. 204–207. 126 Nach dem Titel des wichtigen Aufsatzes von Hermann Strasburger, Umblick im Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung (1977), in: ders., Studien zur Alten Geschichte III, hg. v. W. Schmitthenner / ​R. Zoepffel, Collectanea 42/3, Hildesheim 1990, 169–218. 127 Bereits Jülicher spekuliert, Lukas und Josephus könnten unabhängig voneinander „eine ältere jüdische Herodiergeschichte benutzt haben“ (Einleitung [s. Anm. 9], 430). 123 124

8. Die Apostelgeschichte und Flavius Josephus

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1,1–4). Jedenfalls ist das Leitargument Pervos, nach dem wir einzig Josephus als einschlägige Quelle für eine bestimmte lukanische Darstellung besitzen, eher als Hinweis auf den fragmentarischen Überlieferungsbestand denn als Beleg für eine literarische Dependenz zu werten. (2) Gegen die Annahme von verlorenen Quellen und Traditionen lässt sich keineswegs Ockhams Sparsamkeitspostulat geltend machen.128 Denn gegenüber unbekannten, aber zweifellos anzunehmenden Quellen und Traditionen ist eine weitere, sachlich problembehaftete und hinsichtlich der zeitlichen Sequenz unsichere Quelle die ökonomisch schwächere Hypothese. (3) Die Standardbelege sind seit dem 19. Jahrhundert oftmals diskutiert worden. Pervos ergänzende Belege veranschaulichen, wie Lukas Josephus benutzt haben könnte, wenn man voraussetzt, dass er ihn benutzt hat, aber diese Voraussetzung belegen sie nicht. Zu nicht geringem Teil bestehen sie aus naheliegenden Geschehensabläufen und Sichtweisen: „a huge overkill of the insignificant“129. Wo tatsächlich sachliche Überschneidungen festzustellen sind, besonders beim öffentlichkeitswirksamen Tod Agrippas I. im Theater von Caesarea Maritima, verorten die beiden Berichterstatter das Geschehen unterschiedlich, nehmen es aus andersartiger Perspektive wahr, deuten es mit je eigener Prägung und präsentieren es auf je eigene Weise.130 (4) Bei literarischer Abhängigkeit wären die teilweise gravierenden Unterschiede in den Darstellungen unverständlich: Der Zensus des Lukas stimmt nach Umfang (weltweit) und Chronologie (zur Zeit Herodes’ d. Ä.) nicht mit dem des Josephus überein. Die Insurgenten werden in Apg nur knapp erwähnt, und selbst dies mit chronologischen und sachlichen Divergenzen gegenüber Josephus. So hat der Ägypter bei Josephus (bell. Iud. 2,261) 30.000 Anhänger, die gen Jerusalem, bei Lukas (Apg 21,38) 4000, die in die Wüste ziehen; Judas der Galiläer tritt in zeitlichem Anschluss an Theudas auf (Apg 5,36 f.). Die Unterschiede lassen sich unter der Voraussetzung literarischer Abhängigkeit nur mühsam erklären.131 128 So

aber Pervo, Dating (s. Anm. 3), 161, 197 f.  Hemer, Book (s. Anm. 5), 372; vgl. ebd. 371–373 – hier gegen die Studie Krenkels gerichtet. Pervo scheint sich dieser Kritik anzuschließen (vgl. Dating [s. Anm. 3], 149 f.), verfällt ihr aber durchaus selbst. Bei ihm betrifft der Signifikanzmangel freilich weniger die semantische als die sachliche Materialhäufung: Titel, Tun und Tod der regionalen Elite sind nicht nur über Josephus zu erfahren. Ein Aufruhr pflegt viele Menschen zu involvieren und den verantwortlichen Hoheitsvertreter zum Eingreifen zu veranlassen. Verschwörungen kommen in Geschichtswerken vor. Zwischen der Taufe des Eunuchen und der Beschneidung des Izates mag Verbindungen sehen, wer will. 130  Vgl. näher Schürer, Lucas (s. Anm. 124), 581 f.; O. Wesley Allen, The Death of Herod. The Narrative and Theological Function of Retribution in Luke-­Acts, SBLDS 158, Atlanta, Ga. 1997, bes. 66–74, 182–186; Julia Wilker, Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Studien zur Alten Geschichte 5, Frankfurt a. M. 2007, 179–187; Backhaus, Erfindung (s. Anm. 95), 167–170 [in diesem Band S. 293–297]. 131  Allgemein rechnet Mason, Josephus (s. Anm. 116), 292 bei Lukas mit „imperfect memory or deliberate schematization“. Mason, ebd. 279 f. und Pervo, Dating (s. Anm. 3), 158 f. erklären die nicht-chronologische Reihenfolge von Theudas / ​Judas Galilaeus in der Gamaliel-Rede 129

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Zur Datierung der Apostelgeschichte

Die – für die Dependenz-Theorie kennzeichnende – Stützungshypothese lukanischer Gedächtnisfehler, Missverständnisse und Sachkorrekturen ist jedoch schwerlich dazu geeignet, das Vertrauen auf die Hauptannahme zu stärken. (5) Es fällt schwer, sich die konkrete Redaktionsarbeit des Lukas vorzustellen. Der Redaktor, der im Evangelium synoptisch vor Augen führt, dass er zusammenhängend an Quellen zu arbeiten vermag, müsste kontextenthobene Einzelinformationen aus zum Teil weit auseinanderliegenden Passagen des Josephus ausgewählt (oder aufgeschnappt) haben, um sie mit anderen Einzelinformationen, die nicht aus Josephus stammen, zu kombinieren und unkonzentriert in einen gänzlich anderen Sach‑ und Deutungsrahmen zu stellen. So hat das alte Urteil eines Josephus-Kenners durch die neue Diskussion sein Recht nicht verloren: „Entweder hat Lucas von Josephus überhaupt keine Notiz genommen oder er hat nachträglich von seiner Lectüre wiederum Alles vergessen. Die erstere Annahme als die einfachere scheint mir den Vorzug zu verdienen“132.

9. Der theologiegeschichtliche Ort In der Actaforschung herrscht eine optimistische Einschätzung der kriterio­ lo­gischen Bedeutung theologiegeschichtlicher Stadien und Krisen für die Da­ tierungsfrage.133 Hierbei wird häufig übersehen, dass sich urchristliche Theologie keineswegs chronologisch-linear und topographisch-übergreifend entwickelt. Wir haben  – je nach Ort, Situation und Milieu  – mit „Ungleichzeitigkeiten“ zu rechnen. Daher ist es misslich, etwa den christologischen Bekenntnisstand, den Hitzegrad der Parusieerwartung oder eine bestimmte Ausprägung kirchlicher Amtsstrukturen isoliert für die Datierung heranzuziehen, zumal Lukas (Apg 5,36 f.) damit, dass Lukas im Anschluss an die Theudas-Passage der Antiquitates auf die Söhne des Judas gestoßen sei und übersehen habe, dass es hier um die Söhne, nicht um Judas ging (vgl. ant. 20,97–102). Dieses Argument findet sich schon 1873 bei Holtzmann, Lucas (s. Anm. 115), 90. Auf sorglose Lektüre oder „over-hasty note-taking“ führt Shellard, Light (s. Anm. 9), 33 das Versehen zurück. Tatsächlich zeigt bereits Schürer, Lucas (s. Anm. 124), 575, dass Lukas eher Theudas zu früh als Judas Galilaeus zu spät ansetzt und daher hier gerade nicht von Josephus abhängen dürfte. 132  Schürer, Lucas (s. Anm. 124), 582. 133  So nutzt Ben Witherington, The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids, Mich. 1998, 61 die geringe Entfaltung von Christologie, „Kreuzestheologie“ und Ekklesiologie als Datierungsmaßstab, weil diese schwache Ausprägung am Ende des 1. oder Beginn des 2. Jh. kaum denkbar sei. Hans Conzelmann, Luke’s Place in the Development of Early Christianity, in: Studies in Luke-­Acts, hg. v. L. E. Keck / ​J. L. Martyn, Philadelphia, Pa. (1966) 1980, 298–316: 303 f. begründet seine Datierung des Opus Lucanum genau in diese Zeit auch mit dem vorfrühkatholischen Entwicklungsprofil der Apg. Wer stattdessen – wie Pervo, Dating (s. Anm. 3), 213 f.; ders., Acts in the Suburbs (s. Anm. 9), 40  – „Frühkatholizismus“ wahrnimmt, geht tiefer ins 2. Jh.

9. Der theologiegeschichtliche Ort

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ausdrücklich Vergangenheit darzustellen beansprucht und dabei durchaus mit Archaismen zu spielen weiß. Der Eindruck, Apg repräsentiere den theologiegeschichtlichen Stand der Pastoralbriefe, des 1Clem. oder der Ignatianen, führt schon deshalb nicht weiter, weil diese Schriften kaum weniger schwankend datiert werden als Apg selbst. Im Blick auf die von Lukas angeblich befehdeten religiösen Gruppierungen und Strömungen übt man sich nicht selten im mirror-­ reading: Man liest jene Gegner in den Text hinein, die der vorgefassten Datierung am ehesten entsprechen. Hinweise auf den anhebenden134 oder bereits ausgeprägten, aber von Lukas nur angedeuteten135 Gnostizismus kranken grundsätzlich daran, dass die Frühgeschichte der Gnosis im Dunkel liegt und eine gezielte Gegenreaktion in Apg nicht eindeutig fassbar wird.136 Wo gar ein allgemeines Klima – etwa die zweite Sophistik137 – in Apg entdeckt wird, herrscht mitunter die blanke Assoziation. Aussagekräftiger ist es, wenn verschiedene positive Faktoren zusammenwirken und sich mit negativen Beobachtungen verbinden. So wendet Martin Meiser drei kombinierte Kriterien zur Datierung an: Verhältnis zu dem sich nicht an Jesus Christus anschließenden Judentum, Entwicklung der Christologie, Entwicklung der kirchlichen Strukturen. Im Zusammenwirken dieser Kriterien findet er eine auf die Zeitschiene 90–120 n.  Chr. weisende theologiegeschichtliche Logik.138 Auch der Datierungsvorschlag Pervos (110–120 n.  Chr.) gewinnt durch Verbindung und Abgleich verschiedener Beobachtungen an Plausibilität.139 Nicht in der Entsprechung zu einzelnen Autoren, wohl aber in den semantischen,  Barrett, Acts II (s. Anm. 8), xlii unter Verweis auf Apg 20,20.27.29 f.  Hyldahl, Abfassungszeit (s. Anm. 10), 77–79, der vor allem die lukanische Darstellung des Simon Magus (Apg 8,9–25) für eine ätiologische Reprojektion aus der Zeit Justins hält. 136  Eine Rekonstruktion, die mit einer früheren Datierung sowohl der Apg als auch einer samaritanischen Gnosis vereinbar ist, bietet Gerd Lüdemann, The Acts of the Apostles and the Beginnings of the Simonian Gnosis, in: NTS 33 (1987) 420–426. Zum Phänomen des Simon Magus und seiner uneindeutigen religionsgeschichtlichen Hintergründe insgesamt Stephen Haar, Simon Magus: The First Gnostic?, BZNW 119, Berlin 2003; zu Simon in Apg ebd. 159–194. 137  So Nasrallah, Acts (s. Anm. 10), 536–544; Ryan Carhart, The Second Sophistic and the Cultural Idealization of Paul in Acts, in: Engaging Early Christian History. Reading Acts in the Second Century, hg. v. R. R. Dupertuis / ​T. Penner, Durham 2013, 187–207; vgl. Droge, Luke (s. Anm. 3), 511–513. 138  Meiser, Standort (s. Anm. 9), 106–111. 139  Pervo, Dating (s. Anm. 3) zählt eine Vielzahl theologischer Themen und sozialer Befunde (ebd. 201–257), semantischer und konzeptioneller Parallelen (ebd. 259–308) und kombinierter Entwicklungsfaktoren (bes. ebd. 317–328) auf. Sie sind zwar im Einzelnen kaum belastbar, ordnen aber im Zusammenspiel Apg doch stimmig dem Diskursraum der frühkirchlichen Sattelzeit zu. Pervos Leitthese, nach der Apg ein Zwischenstadium zwischen Evangelien und Apologeten repräsentiert, scheint mir anfechtbar, weil das einlinige Entwicklungsmodell überhaupt anfechtbar ist. Am Ende liegt jedoch der Datierungszeitraum, den diese Arbeit für Apg vorschlägt – mit etwas weiteren Grenzen – bei dem Pervos, auch wenn sie dessen Einzelargumentation, zumal hinsichtlich der Abhängigkeit der Apg von Paulusbriefen und Josephus, nicht zu folgen vermag. 134 135

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Zur Datierung der Apostelgeschichte

motivlichen und problemgeschichtlichen Schnittfeldern mit einer Vielzahl von christlichen Autoren der frühkirchlichen Sattelzeit, also der „nachapostolischen“ Generation, kann man einen Hinweis auf das Ende des ersten oder die erste Hälfte bzw. das erste Drittel des zweiten Jahrhunderts sehen: Apg „atmet schon den Geist dieser Zeit“140. In diesem Kontext gewinnt der Umstand, dass weder die markionitische noch die montanistische Herausforderung konkrete Spuren in der dem Gegenwartsinteresse dienenden lukanischen Geschichtskonstruktion hinterlassen haben, Indizienwert: Lukas nimmt sie vermutlich nicht als virulentes Problem wahr.141 Die Montanisten dagegen berufen sich auf Apg,142 und im Kampf gegen die Markioniten spielt sie seit Irenäus eine maßgebliche Rolle.143 Dies weist auf einen Abfassungszeitpunkt vor 150 n. Chr. Ein theologiegeschichtlicher Ort, der sich mit einem präziseren Zeitabschnitt als 90–130/150 n. Chr. deckt, ist jedoch weder erkennbar noch überhaupt zu erwarten. Der „Zeitgeist“ atmet sehr diffus.

140  Haenchen, Apg (s. Anm. 13), 23; vgl. Roloff, Apg (s. Anm. 8), 5. In diesem Sinn besitzt auch das (zeitgebundene) vielzitierte Urteil von Philipp Vielhauer, Zum „Paulinismus“ der Apostelgeschichte (1950/51), in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament, TB 31, München 1965, 9–27: 26 noch immer ein gewisses Recht: Lukas „steht mit den Voraussetzungen seiner Geschichtsschreibung nicht mehr im Urchristentum, sondern in der werdenden frühkatholischen Kirche“. 141  Dies sieht ein Strang der Forschung im 19. Jh. und in jüngerer Zeit anders. Sollte das Opus Lucanum (in seiner kanonischen Form) signifikant auf Markion reagieren, so stellte sich die Datierungsfrage noch einmal anders. Solche Reaktion behaupten mit unterschiedlichen Per­ spektiven und Schwerpunkten derzeit für Lk bes. Markus Vinzent, Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, StPatr Suppl. 2, Löwen 2014 und Matthias Klinghardt, Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien, 2 Bde., TANZ 60, Tübingen 2015; mit besonderem Augenmerk auf Apg bereits John Knox, Marcion and the New Testament. An Essay in the Early History of the Canon, Chicago, Ill. 1942, bes. 114–139 und, im Anschluss an ihn, Tyson, Marcion (s. Anm. 5), bes. 50–78. Dieser Forschungsstrang bedarf eigener Auseinandersetzung, der ich mich an anderer Stelle widme. Hier genügt der Hinweis, dass die ungewisse Datierung nicht auf der ungewisseren Basis einer postulierten Reaktion auf eine noch ungewissere proto‑ oder prälukanische Textgrundlage aufgebaut werden kann. 142 Die Montanisten scheinen sich nach Eusebios, h. e. 5,17,3 auf prophetische Ekstaten der charismatischen Urzeit berufen zu haben, zu denen Agabus, Judas, Silas und die Töchter des Philippus gehören. Das entspricht der Erzählsequenz der Apg: 11,28; 21,10 f. (Agabus), 15,22.27.32 (die Propheten Judas Barsabbas und Silas), 21,8 f. (die jungfräulich-prophezeienden Töchter des Philippus). Eusebios zitiert einen antimontanistischen Anonymus, der sich wiederum auf den Antimontanisten Miltiades beruft, gegen den es bereits eine schriftliche Replik seitens der Montanisten gegeben hat. Das führt in die zweite Hälfte des 2. Jh., vielleicht nicht weit von der Mitte entfernt; zur Datierung Meike Willing, Eusebius von Cäsarea als Häreseograph, PTS 63, Berlin 2008, 258; die Abhängigkeit von Apg diskutiert Gregory, Reception (s. Anm. 13), 341 f. Darüber hinaus ist zu fragen, ob der für den Montanismus kennzeichnende Bezug auf die geisterfüllte Jerusalemer Urgemeinde durch das Erinnerungsbild der Apg inspiriert worden ist. 143  Wie wir sahen, ist Apg zur Zeit Markions weder verbreitet noch geschätzt. Jenseits polemischer Bezichtigung durch die Gegner seit Irenäus weist nichts darauf hin, dass Markion Apg gezielt verwirft oder überhaupt hätte verwerfen müssen.

10. Die perspektivische Distanz

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10. Die perspektivische Distanz Ganz im Gegensatz zu dem oben geprüften Argument von der Nähe zwischen dramatischer Welt und Verfasserwelt drängt sich auf breiterer Ebene der Eindruck der perspektivischen Distanz auf. Der Erzähler nimmt, ungeachtet seines Traditionswissens und seiner ortsgeschichtlichen Kenntnisse, eine Sichtweise auf das Berichtete ein, die einen markanten Abstand zur erzählten Welt verrät. Lukas nennt viele Vorgänger, die er von den Augenzeugen des Anfangs und den „Dienern des Wortes“ abhebt.144 Auch wenn dies ein literarischer Topos sein mag, geht aus ihm doch hervor, dass sich das auktoriale Ich als Adressat von Paradosis weiß, einen bereits etablierten christlichen Literaturbetrieb voraussetzt, sich frühestens in die dritte Generation einreiht und deren Perspektive einnimmt.145 Dies kann an sich zu einer Datierung im ersten Jahrhundert passen und selbst mit der These vom Paulusbegleiter Lukas vereinbar sein, wenn man auch mit Jülicher fragen mag, ob sich „zu Verfassern NTlicher Bücher nur Greise mit schlechtem Gedächtnis“ eignen.146 Entscheidend ist jedoch der Modus der Erinnerung. Es handelt sich nicht um rezente Erinnerungsarbeit. Es geht der Apg nicht darum, Zeitgeschichte zu dokumentieren, sondern bereits vorgestaltete Erinnerung mit historischem Bewusstsein zur normativen Herkunftsmimesis aufzubereiten. Die Urgemeinde von Jerusalem und Judäa ist erinnerter Ursprung, nicht aktueller Bezugspunkt. Galiläa ist Vorvergangenheit. Petrus und Paulus sind keine individuellen Zeitgenossen, die dem weinenden Verleugner der Passionserzählung oder dem ungeduldigen Briefeschreiber nahekommen. Sie sind vielmehr „greater-than-life“-Charaktere, deren Reden heilsgeschichtliche Wendezeiten beleuchten und deren Schatten und Schurze Bresthafte heilen. Die goldenen Szenen in Jerusalem, Athen und Ephesus gehören zum Gedächtnisbild, das eine nachgeborene Generation über die heroische Urzeit pflegt. 144 Gregory, Reception (s. Anm. 13), 16 f. plädiert unter Verweis auf Origenes, hom. in Lc 1,1 dafür, die Selbstverortung des Verfassers in der Reihe zahlreicher Vorgänger ernst zu nehmen. Zwischen der Phase der Augenzeugen (Jesus-Zeit) und der der „Diener des Wortes“ (Verkündigung des Auferstandenen) ist zu unterscheiden: Jene bezieht sich auf die Jesus-Bewegung und allenfalls die Urgemeinde, diese auf die Verkündigung, wie sie namentlich mit Paulus anhebt; der Verfasser reiht sich in die Generation der literarischen Zeugen ein; vgl. Wolter, Lk (s. Anm. 45), 63 f. 145  Vgl. Conzelmann, Place (s. Anm. 133), 305; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 8), 334 f.; Pervo, Dating (s. Anm. 3), 314–317; Christopher Mount, Luke-­Acts and the Investigation of Apostolic Tradition: From a Life of Jesus to a History of Christianity, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey  / ​ C. K. Rothschild  / ​ J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 380–392, bes. 386. Allgemein zur dritten Generation des Urchristentums Gottfried Schille, Frei zu neuen Aufgaben. Beiträge zum Verständnis der dritten urchristlichen Generation, Berlin 1986, 14–50. 146  Einleitung (s. Anm. 9), 429.

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Zur Datierung der Apostelgeschichte

Auch das Verhältnis zum „Judentum“ verrät den perspektivischen Abstand. Israel und die Tora dienen der Konstruktion einer legitimierenden Ahnengemeinschaft, nicht der Darstellung der aktuellen Lebenswelt. Der Tempel wird im ersten Teil des Doppelwerks positiv vor Augen geführt, in der Stephanus-Rede jedoch theologisch entkernt (Apg 7,44–50) und mit dem eidetischen Detail der hinter Paulus zugeschlagenen Tempelpforten (21,30) aus der Erzählung verabschiedet. Mit den Tempel‑ scheinen auch die Synagogentüren zugeschlagen (vgl. etwa 19,9). Die Tora ist keine soteriologisch umkämpfte Zone mehr, sondern adelt als mos maiorum die geschichtliche Herkunft der ganzen Gemeinschaft und die kulturelle Eigenart ihres jüdischen Teils.147 Die heiligen Schriften Israels sind Zeugnis, dessen geradlinigste Interpreten, allen voran Petrus und Paulus, Jesus Christus als hermeneutischen Schlüssel finden und verkünden. Lukas ringt nicht um eine messianische Botschaft, er setzt sie voraus und nutzt das (noch nicht so genannte, aber bereits so behandelte) „Alte Testament“, um einerseits Erzählkolorit für Vergangenheitsbehauptung und andererseits loca probantia für eine etablierte Gemeinschaft zu gewinnen.148 Gleichwohl isoliert Lukas  – anders als etwa der Barnabasbrief oder Justin  – nicht das Buch vom Volk,149 sondern beansprucht für die Χριστιανοί dieses Volk zu repräsentieren, von dem die (synagogalen)  Ἰουδαῖοι einst abgeirrt sind. Israel bleibt geschichtliche, theologische und kulturelle Bezugsbasis lukanischer Christlichkeit, und das Traditionskontinuum zu Selbstverständnis, heiligen Schriften und religiösen Perspektiven Israels unterscheidet das Opus Lucanum deutlich von dem Großteil der Patres Apostolici und der Apologeten.150 Aber die Bedeutung, die der gemeinsame Ursprung aus Israel hat, ist doch eher von heils‑ und herkunftsgeschichtlicher als von lebensweltlicher und praktischer Art. Selbst wo der Streit noch von der verletzten Diskursgemeinschaft zeugt, wird nicht um Auslegung

147 Dazu näher Karl Löning, Das Evangelium und die Kulturen. Heilsgeschichtliche und kulturelle Aspekte kirchlicher Realität in der Apostelgeschichte, in: ANRW II.25.3 (1985) 2604– 2646: 2621–2627; Helmut Merkel, Das Gesetz im lukanischen Doppelwerk, in: Schrift und Tradition. FS J. Ernst, hg. v. K. Backhaus / ​F. G. Untergaßmair, Paderborn 1996, 119–133; Knut Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Chr. Böttrich / ​J. Herzer, WUNT 209, Tübingen 2007, 401–428, bes. 423–425 [in diesem Band S. 257–282, bes. 278 f.]. 148 Vgl. Müller, Reception (s. Anm. 9), bes. 321–328; Konsequenzen für die Datierungsdiskussion zieht Müller ebd. 328–330 (um 130 n. Chr.). 149 Bündig O’Neill, Theology (s. Anm. 9), 95: „Acts presents a theology in which the Church has abandoned the People and appropriated the Book“; dagegen Conzelmann, Place (s. Anm. 133), 309 mit Anm. 119 (S. 316). Die Unterschiede in der Schriftauslegung von Lukas und Justin arbeitet Wendel, Interpretation (s. Anm. 24), bes. 81–124 heraus; ähnlich Meiser, Standort (s. Anm. 9), 107–109. 150  Dies zeigt nachdrücklich Christfried Böttrich, Das lukanische Doppelwerk im Kontext frühjüdischer Literatur, in: ZNW 106 (2015) 151–183.

10. Die perspektivische Distanz

125

gestritten, sondern um alles.151 Dieser Trennungsprozess bewegt Apg als theologisches Leitthema, jedoch nicht als gegenwärtige Erfahrung, sondern im Rückblick auf eine abgeschlossene Epoche. Für die Selbstwahrnehmung ist – bis in die Erzählbilder hinein – neues Ufer gewonnen. Aus dem Mittelmeer ist das mare nostrum auch der „Christen“ geworden.152 Der jüdische Völkermissionar Paulus personifiziert die theologische Kontinuität ebenso wie die epochale Transformation; seine Großwanderung wird zur Ekphrasis eines heilsgeschichtlichen Übergangs. Seine Vermächtnisrede wird auf Fragen von Autoritätsausübung, gemeindlichem Hirtendienst, Irrlehrer und nicht zuletzt Stifterverehrung transparent (vgl. Apg 20,17–38). Fragen gemeindlicher Vermögensverwaltung werden thematisch.153 Der Diskurs mit Stoa und Kepos rückt in den Blick (vgl. 17,16–34). Aufsehen und Unruhe, die die neue Gemeinschaft um sich verbreitet (vgl. bes. 19,23–40), setzen eine gewisse soziale Expansion voraus, die es nicht absurd erscheinen lässt, dass die Christusgläubigen – zumindest in einzelnen Metropolen oder Gegenden – zum ökonomischen Faktor und zur veritablen religiösen Konkurrenz auf dem Forum antiker Stadtgesellschaft werden. Man fühlt sich an das Szenario der Plinius-Korrespondenz in Bithynia et Pontus um 111–113 n. Chr. erinnert (vgl. Plinius d. J., epist. 10,96,9 f.).154 Gewiss ist all dies weithin Ausdruck kreativer lukanischer Erzählfreude. Aber auch dort, wo ein Historiograph fingiert, muss die Fiktion dem Leser einleuchten, also von realistischer Wahrscheinlichkeit sein. Nicht wie es einst gewesen ist, verraten solche Erzählzüge, sondern wie es mittlerweile aussieht. So lässt Apg nicht auf eine konkrete Gemeinde mit typischen Zeitproblemen schließen, wohl aber auf einen wissenssozialen Zusammenhang, der die Schwellenphase hinter sich gelassen hat. Das Christentum hat offenkundig be151  Vgl. Conzelmann, Place (s. Anm. 133), 307 f.; differenziert und erhellend Meiser, Standort (s. Anm. 9), 113–125. 152  Vgl. Loveday C. A.  Alexander, “In Journeyings Often”: Voyaging in the Acts of the Apostles and in Greek Romance (1995), in: dies., Acts in Its Ancient Literary Context, LNTS 298, London (2006) 2007, 69–96: 75–85. Zum Epochenschnitt im lukanischen Erzählwerk Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289; zur Demonstration dieses Schnitts in der Seesturm‑ und Schiffbrucherzählung ebd. 275–278. 153  Dazu eingehend Pervo, Dating (s. Anm. 3), 220–229. 154  So Pervo, Dating (s. Anm. 3), 317–319; Witetschek, Enthüllungen (s. Anm. 8), 255. Setzt man (mit Pervo, Dating [s. Anm. 3], 318 f.) zu Zwecken der Denkübung die konjekturale Schätzung bei Rodney Stark, The Rise of Christianity. A Sociologist Reconsiders History, Princeton, N. J. 1996, 4–13 voraus, so wirkt die geschilderte Geschäftsschädigung nebst Unruhen, etwa in Ephesus, für die Zeit des Paulus (mit reichsweit etwa 1500 Christusgläubigen) unrealistisch. Zwischen 100 und 150 n. Chr. beläuft sich Starks Schätzung dagegen bereits auf ca. 7500 bis 40.000 Christusgläubige. Die von Lukas genannten Zahlenverhältnisse zeichnen gewiss ein Hoffnungsbild, keine reale Situation, aber doch ein „für die lukanische Zeit charakteristisches Hoffnungsbild“ (Schille, Aufgaben [s. Anm. 145], 32).

126

Zur Datierung der Apostelgeschichte

reits eine  – als solche thematische  – Vergangenheit, eine geschichtliche Tiefe, abständiges Ordnungswissen.155 Die in Apg gepflegte Erinnerung ist in einem längeren Zeitraum sozial erarbeitet: Die junge Gemeinschaft ist quasi-institutionell stabilisiertes und verstetigtes Subjekt von Reichsgeschichte, übt zwischen Jerusalem, dem umfassenden Mittelmeerraum und Rom diachrone Selbstwahrnehmung, hat jenen Eigenraum, jene Eigenzeit und jenen Richtungssinn gewonnen, die es allererst ermöglichen, dass sie zum Gegenstand von Geschichtsschreibung wird.156 Der Erzähler beobachtet die erzählte Welt von der Warte eines neuen Zeit-Raums aus, eher mit Ehrfurcht als mit eigener Erfahrung. Als kritische Schwelle, in der mit dem Abtreten der unmittelbar beteiligten Generation und dem Abklingen des kommunikativen Gedächtnisses kulturelle Erinnerung als Ordnungsaufgabe erfasst und im Modus von Schriftlichkeit angegangen wird, hat Jan Assmann den Zeitraum von vierzig Jahren genannt.157 So fällt es einerseits schwer, sich für die bereits ausgeprägte historiographische Perspektive des zweiten lukanischen Logos ein Abfassungsdatum vor 100 n. Chr. vorzustellen. Andererseits ist die für Apg akute Ordnungsaufgabe einer legitimierenden Vergangenheitsgewinnung kaum noch von Interesse gewesen, nachdem die frühchristliche Schwellenphase etwa um 130 n. Chr. ausgeklungen war. Erst zur Zeit des Irenäus gewann das geschichtliche Konzept der Apg in einer neuen Schwellenzeit neue Attraktivität: Der Grundgedanke einer Kontinuität mit Israel durch die Apostel und Paulus wird zum Leitgedanken einer Kontinuität mit der Christus-Zeit durch die Apostel samt Paulus.

11. Ergebnis Der Versuch, Ordnung in die Datierungsdebatte zur Apg zu bringen, sei, so resigniert bereits Henry Joel Cadbury, ein dankloses Unterfangen.158 Hinsichtlich einer prägnanten Zeitangabe hatte er recht. Gleichwohl blieb unser Versuch nicht unergiebig: (1) Negativ: Die Standarddatierung ist überraschend schwach fundiert. Die langwierige Debatte um die Kenntnis, Benutzung, Nichtbenutzung, Verdrängung von Paulusbriefen in Apg trägt zu keinem der konkurrierenden Datierungs Vgl. Conzelmann, Place (s. Anm. 133), 305 f.; Sterling, Historiography (s. Anm. 8),

155

330.

156 Dazu näher Backhaus, Erfindung (s. Anm. 95), 172–174 [in diesem Band S. 298–301]. Zum wissenssoziologischen Hintergrund Karl-Siegbert Rehberg, Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: Institution und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. R. Blänkner / ​B. Jussen, VMPIG 138, Göttingen 1998, 381–407. 157  Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München (1992) 72013, 11, 50 f. 158  Vgl. Henry J. Cadbury, The Making of Luke-­Acts, London (1927) 1958, 360.

11. Ergebnis

127

modelle bei. Der jüngere Rekurs auf Josephus kommt über den begründet verworfenen älteren nicht hinaus. Eine – an sich erwägenswerte – Umkehrung der Sequenz Lk – Apg lässt sich nicht aufrechterhalten. Das Postulat einer literarischen Abhängigkeit der Apg von Joh bzw. des Joh von Apg erweist sich für die Datierungsfrage als fruchtlos. Das klassische Narrativ von dem Paulusbegleiter Lukas ist wahrscheinlich ein auf Irenäus von Lyon oder dessen Umfeld zurückgehendes Konstrukt und trägt zur Datierung nicht bei. Bezüge zur Nero‑ oder Domitian-Zeit lassen sich nicht für eine Datierung heranziehen, es sei denn für eine nach 66/68 n. Chr., vielleicht sogar nach 96 n. Chr. Die für die Spätdatierung geltend gemachte Argumentation mit bestimmten Entwicklungsgraden (z. B. „Frühkatholizismus“, zweite Sophistik) oder Krisensituationen (z. B. gnostizistische oder markionitische Strömungen) ist textuell weithin nicht nachweisbar und gewinnt nur in kombinierter Form Indizienwert. (2) Die äußere Bezeugung weist insgesamt auf einen terminus ad quem in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Ab etwa 180 n. Chr. wächst das Interesse an einer theologischen Verwendung der Apg rasant. Der Grund für die retardierte Rezeption liegt darin, dass das geschichtliche Leitanliegen der Apg – die Gewinnung einer legitimen Herkunft für das werdende Christentum im Kontext der Ahnengemeinschaft Israels – nach der frühchristlichen Etablierung zunächst kein Rezeptionsinteresse mehr fand. Erst als konkurrierende (markionitische, gnostizistische, judenchristliche) Gruppierungen das Legitimitätsproblem unter anderen Vorzeichen erneut stellten, wurde Apg als Geschichtswerk konzeptionell attraktiv: Sie diente nunmehr zur Gewinnung einer apostolischen Herkunft und vereinheitlichenden Selbstdefinition der gewordenen Kirche. In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts lag Apg also bereits vor, war aber weder verbreitet noch attraktiv. (3) Als termini post quos lassen sich mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgraden ermitteln: der Tod Pauli, der Tod Neros (68 n. Chr.), die Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.), die Abfassung des Mk um 70 n. Chr., des Lk nach 80 (aber vor 140) n. Chr., möglicherweise der Tod Domitians (96 n. Chr.). (4) Das – auch aktuell geltend gemachte – Entsprechungsverhältnis zwischen dramatischer Welt und Verfasserwelt ist methodologisch anfechtbar, lässt sich am Textbefund nicht feststellen und kann in mehrfacher Hinsicht dadurch umgekehrt werden, dass die beschriebenen Verhältnisse kumulativ eher auf die neunziger Jahre, wahrscheinlicher auf das frühe zweite Jahrhundert verweisen. (5) Nicht einzelne Entwicklungsstadien oder Krisen, wohl aber die Konvergenz von – positiven und negativen – Beobachtungen zu semantischen, motivlichen, konzeptionellen und problemgeschichtlichen Schnittfeldern verweist auf die frühkirchliche Sattelphase (nach etwa 90 n.  Chr.) als theologiegeschichtlichen Ort der Apg. Gegen eine rigide Spätdatierung spricht allgemein, dass Apg in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bereits gebräuchlich gewesen zu sein

128

Zur Datierung der Apostelgeschichte

scheint und dass sie die gegen dessen Mitte wachsenden theologischen Fragestellungen nicht wahrnehmbar widerspiegelt. (6) Wissenssoziologische Erwägungen – Form und Inhalt von sozial gepflegter Erinnerung, epochales Schwellenbewusstsein, perspektivisch abständiges Ord­ nungswissen, diachron erarbeiteter Identitäts‑ und Alteritätsstatus in der Apg – lassen eine Abfassungszeit vor etwa 100 n. Chr. und nach etwa 130 n. Chr. als kaum denkbar erscheinen. Fazit: Die konsequente und die modifizierte Frühdatierung erweisen sich als unhaltbar, die Standarddatierung erweist sich als unbegründet, die radikale Spätdatierung als unwahrscheinlich und die relative Spätdatierung (ca. 100–130 n. Chr.) als insgesamt tragfähigste Lösung.

Spielräume der Wahrheit Zur Konstruktivität in der hellenistischreichsrömischen Geschichtsschreibung Greco-Roman historiography, in its dominant streams, proves to be a literary hybridisation that combines the re-construction of extratextual circumstances with ordering factors of construction taken from rhetoric re-imagination, mimetic narrative (epics, drama, novel) and paideutic tract. The coherence formed in this way does not relativize the truth claim as a general “direction of meaning” but provides this meaning with the power of fictional demonstration. However, Greco-Roman historiographers are also aware of the literary, intellectual, and moral limits of fictionalisation and the need of controlling fictionality. But in the real world, it is more important that a proposition be interesting than that it be true. The importance of truth is, that it adds to interest. Alfred North Whitehead1

1. Problemhorizont Der Historiker will nach dem oft zitierten Diktum Leopold von Rankes „blos zeigen, wie es eigentlich gewesen“2. Was aber meint: „eigentlich“? Weniger oft wird wahrgenommen, dass Ranke sein Objektivitätspostulat religiös verortet: Indem der Historiker das Gewesene aufspürt, verfolgt er in der Demut der Sachlichkeit die Gedanken Gottes in der Welt.3 Der Historiker, so dürfen wir folgern, findet 1  Process and Reality (1929). Corrected Edition, hg. v. D. R. Griffin / ​D. W. Sherburne, New York 1978, 259. [Dieser und der folgende Beitrag gehören ursprünglich zu dem Band „Historiographie und fiktionales Erzählen“ (Neukirchen-Vluyn 22009), den Gerd Häfner und ich unserem Münchener Kollegen Alexander J. M. Wedderburn gewidmet haben. Der Widmungsträger ist am 31. März 2018 verstorben.] 2  Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514, Sämmtliche Werke 33, Leipzig (1824) 31885, VII. Zu der Diskussion des Postulats und seinem Verhältnis zur geschichtlichen Verortung und Rückbindung des Historikers an seine eigenen Erkenntnisvoraussetzungen Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt (1977), in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, 176–207, bes. 178–183, 195–202. 3  So bereits verhalten in der eben zitierten Vorrede selbst: „Die Hauptsache ist immer, wovon wir handeln, wie Jakobi sagt, Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich: das Leben

130

Spielräume der Wahrheit

den Richtungssinn des Geschehens nicht in den Quellen; er findet ihn „eigentlich“ bei sich selbst, oder anders: Er konstruiert ihn. Das Postulat Rankes ist so alt wie die früheste erhaltene Monographie über Geschichtsschreibung überhaupt, die aus dem zweiten Jahrhundert und von Lukian von Samosata stammt: „Die Aufgabe des Historiographen ist eine einzige: zu sagen, wie es gewesen!“ (hist. conscr. 394) Das Gemeinte scheint auch hier zunächst eindeutig: „Zuallererst aber zeige er eine Einsicht, die einem Spiegel gleicht, der klar und glänzend und genau zentriert ist. Wie er die Gestalt der Ereignisse aufnimmt, so soll er sie auch zeigen, in keiner Weise verdreht noch verfärbt noch verformt“ (hist. conscr. 505). Das Heikle an dieser Metapher freilich ist, dass wer in einen Spiegel schaut, „eigentlich“ sich selber sieht. Was nutzt der Spiegel, wenn man ein Fenster braucht? Damit gelangen wir zu unserer Leitfrage: Inwiefern wird im antiken, schwerpunktmäßig im späthellenistisch-frühreichsrömischen Diskurs das konstruktive Moment in biographisch-historiographischer Dokumentation6 reflektiert? des Einzelnen, der Geschlechter, der Völker, zuweilen die Hand Gottes über ihnen“ (Ranke, Geschichten [s. Anm. 2], VIII). Zur Verankerung gerade des Objektivitätsideals in Rankes theologisch geprägtem Geschichtskonzept Thomas Nipperdey, Zum Problem der Objektivität bei Ranke, in: Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft, hg. v. W. J. Mommsen, Stuttgart 1988, 215–222, bes. 216–218; zum Hintergrund Wolfgang Hardtwig, Geschichtsreligion  – Wissenschaft als Arbeit  – Objektivität. Der Historismus in neuer Sicht, in: HZ 252 (1991) 1–32, bes. 1–8; Otto Gerhard Oexle, Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufbereitung, hg. v. J. Laudage, Köln 2003, 1–42; Gangolf Hübinger, Art. „Ranke, Leopold“, in: RGG4 VII (2004) 35 f. 4 Τοῦ δὴ συγγαφέως ἔργον ἕν – ὡς ἐπράχθη εἰπεῖν) [Die Werke Lukians werden hier und im Folgenden nach der LCL-Edition (1913–1967) von A. M. Harmon / ​K. Kilburn / ​M. D. Macleod zitiert; deren Binnenzählung weicht von der von H. Homeyer (1965) veranstalteten Ausgabe der hist. conscr., die im deutschen Sprachraum oft bevorzugt wird, teilweise ab.] 5  Μάλιστα δὲ κατόπτρῳ ἐοικυῖαν παρασχέσθω τὴν γνώμην ἀθόλῳ καὶ στιλπνῷ καὶ ἀκριβεῖ τὸ κέντρον καὶ ὁποίας ἂν δέξηται τὰς μορφὰς τῶν ἔργων τοιαῦτα καὶ δεικνύτω αὐτά, διάστροφον δὲ ἢ παράχρουν ἢ ἑτερόσχημον μηδέν; vgl. John L. Moles, Truth and Untruth in Herodotus and Thucydides, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 88–121: 110. 6 Ich sehe Biographie und Historiographie als nach Darstellungsziel und ‑feldern verschiedene (vgl. Pol. 10,21,5–8; Plutarch, Alexander 1,2; Nikias 1,5), aber in Teilen verwandte und sich daher faktisch überschneidende Textsorten, zumal sich in hellenistisch-reichsrömischer Zeit Historiographie zunehmend individuell-aktantenzentriert entwickelte. Zu einer (notwendig allgemeinen) Definition der Historie im antiken Diskurs scheint mir als Ansatzpunkt die aristotelische Definition zweckmäßig: „die Untersuchungen solcher, die über die vergangenen [erinnerungswürdigen] Taten [bedeutender Sozialgebilde / ​Handlungsträger] schreiben“ (vgl. Aristoteles, rhet. 1360a); zur Diskussion Charles W. Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome, Eidos, Berkeley, Calif. 1983, 91–98. Zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Biographie und Historiographie ebd. 184–189; Albrecht Dihle, Die Entstehung der historischen Biographie, SHAW.PH 1986/3, Heidelberg 1987, bes. 8 f.; Arnaldo Momigliano, The Development of Greek Biography. Expanded Edition, Cambridge, Mass. 1993, 109 f., 116 f.; Albrecht Dihle, Zur antiken Biographie, in: La biographie antique, hg. v. F. Paschoud, EnAC

1. Problemhorizont

131

Hayden White hat moderne Geschichtswerke im Sinne dieser Fragerichtung als „fictions of factual representation“ bestimmt.7 Die antiken Verstehensprämissen sind selbstverständlich andere als die des linguistic turn und des Dekonstruktivismus. Und doch sind die Grundprobleme insofern vergleichbar, als sie letztlich hier wie dort das Verhältnis von vergangenheitsbezogenem Datenmaterial, Stiftung und Vermittlung von Bedeutungskohärenz im Heute und umfassender Wirklichkeitsdefinition berühren. Es geht hier wie dort um die Frage nach dem konstruktiven Moment, der Konstituierung eines „eigentlich“. Der Wirklichkeitsbegriff ist „die versteckteste Implikation einer Epoche“8. Unter konstruktivem Moment verstehe ich nicht, dass ein Schriftsteller einzelne oder zahlreiche Sachverhalte verdreht, übertreibt, verschweigt und erfindet. Diesen Eindruck gibt es allerorten. Nur zwei Sorten von Historikern will Seneca unterscheiden: solche, die der Lüge zum Opfer fallen, und solche, die 44, Genf 1998, 119–146: 124–140; Holger Sonnabend, Geschichte der antiken Biographie. Von Isokrates bis zur Historia Augusta, Stuttgart 2002, 4–8; Franz Römer, Biographisches in der Geschichtsschreibung der frühen römischen Kaiserzeit, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 137–155. Die Auffassung, in der Biographie hätten die Schriftsteller sich eher fiktionale Freiräume geschaffen als in der Historiographie, ist für die hellenistische Zeit kaum zu halten, auch wenn die „dunklen“ Partien vor allem im historisch entfernten Bios, bes. Geburt, Kindheit usw., zur konstruktiven Ergänzung einluden; differenzierend Christopher B. R.  Pelling, Truth and Fiction in Plutarch’s Lives, in: Antonine Literature, hg. v. D. A. Russell, Oxford 1990, 19–52: 21, 43–52. Zu einer hilfreichen Verflüssigung der herkömmlichen Gattungskategorien der Historiographie unter den Gesichtspunkten Narrativität, Fokalisierung, chronologische Grenzen, chronologische Anordnung, Leitgegenstand John Marincola, Genre, Convention, and Innovation in Greco-Roman Historiography, in: The Limits of Historiography. Genre and Narrative in Ancient Historical Texts, hg. v. C. S. Kraus, MnS 191, Leiden 1999, 281–324: 301–309. Stets ist im Folgenden zu bedenken, dass alle Aussagen über antike Historiographie auf einem durch den Überlieferungsgang recht selektierten Textbefund beruhen; vgl. näher Hermann Strasburger, Umblick im Trümmerfeld der griechischen Geschichtsschreibung (1977), in: ders., Studien zur Alten Geschichte III, hg. v. W. Schmitthenner / ​R. Zoepffel, Collectanea 42/3, Hildesheim 1990, 169–218. 7  Tropics of Discourse. Essays in Cultural Criticism, Baltimore, Md. 1978, 121–134; zu Analogie und Differenz zwischen (post‑)modernem und antikem Geschichtsbewusstsein am Beispiel Platons Christopher Gill, Plato on Falsehood – not Fiction, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. dems. / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 38–87: 84–87. 8  So Aleida Assmann, Die Legitimität der Fiktion. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kommunikation, München 1980, 7 (mit einem Zitat von Hans Blumenberg). Nach ihr leidet die moderne Diskussion über Fiktion und Realität unter drei ein Verstehen blockierenden „Selbstverständlichkeiten“: (1) Realität ist statischer Gegenstand, an dem sich Kunst abzuarbeiten hat. (2) Die Umsetzung von Realität in Fiktion ist ein nicht weiter problematisierbares Verfahren: Wo die Fiktion sich unverzerrt mit Realität deckt, nennt man sie realistisch. (3) Realismus als gelungenes Umsetzungsverfahren wird mit einem erkenntnistheoretisch stark reduzierten Begriff von Wahrheit verknüpft und durch Epitheta wie „empirisch“, „authentisch“ usw. immunisiert. Die Fiktion wird in dem Maße als „unwirklich“ verstanden, in dem Erfahrungswelt normativ auf verifizierbares Datenmaterial beschränkt wird. Zur Leistung der Fiktion vgl. grundsätzlich den Sammelband Funktionen des Fiktiven, hg. v. D. Henrich / ​W. Iser, PuH 10, München 1983.

132

Spielräume der Wahrheit

an ihr Genuss finden (Seneca, nat. 7,16,1 f.9; vgl. z. B. Josephus, c. Ap. 1,23–27; Herodian. 1,1,1 f.). Der fiktionale Erzählmodus gehört vielmehr ihrem Selbstverständnis nach zum Wirklichkeitsbegriff der antiken Historiographie, da der dokumentierte Sachverhalt gar nicht anders fassbar ist als in einem konsistenten literarischen Sinnsystem, das sich dem steten Crossover zwischen Rekon­ struktion und Konstruktion verdankt und so einen gewissen Wahrheitsspielraum nachgerade verlangt.10 Geschichtsschreibung ist bedeutungsstiftendes Ordnungshandeln mit unmittelbarem Gegenwartsbezug im Modus vergangenheitsbezogenen Erzählens. Mit der resignierten Feststellung eines Althistorikers, der nicht im Verdacht steht, postmodern zu sein: „To become intelligible, history has to aspire to the coherence of fiction, while eschewing most of its methods. There is no choice, no escape“11 – die Mehrzahl antiker Historiographen hätte hinzugefügt: „but every chance“. Und manch einer von ihnen hätte dann wohl auch Vergnügen an Oscar Wildes Behauptung gefunden: „The ancient historians gave us delightful fiction in the form of fact; the modern novelist presents us with dull facts under the guise of fiction“12.

 9 quidam creduli, quidam neglegentes sunt; quibusdam mendacium obrepit, quibusdam placet; illi non evitant, hi appetunt. Haec in commune de tota natione [scil. historicorum] – „Die einen sind leichtgläubig, die anderen fahrlässig; die einen überrumpelt die Lüge, den anderen gefällt sie; jene vermeiden sie nicht, diese erstreben sie. Soviel im Ganzen über die ganze Historikerzunft!“ Zum Anlass dieser Stellungnahme gar einleitend: Nec magna molitione detrahenda est auctoritas Ephoro: historicus est – „Dem Ephorus die Glaubwürdigkeit zu nehmen fällt nicht schwer: er ist Historiker“ (Seneca, nat. 7,16,1). 10  Das Risiko des Begriffs der Fiktionalität scheint mir weniger darin zu liegen, dass er in der antiken Theorie nicht reflektiert wird und damit anachronistisch wirkt, als vielmehr darin, dass er die ontologischen Grenzen zwischen Deskription und Realität zu optimistisch zieht und – analog zur modernen Fiktionalität – ein durchschauendes Rezeptionsverhalten suggeriert; vgl. Denis C. Feeney, Towards an Account of the Ancient World’s Concepts of Fictive Belief, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 230–244, bes. 230–232; Elfriede Fuchs, Pseudologia – Ψευδολογία. Formen und Funktionen fiktionaler Trugrede in der griechischen Literatur der Antike, BKAW II / ​91, Heidelberg 1993, 201; Michael Wood, Prologue, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, xiii–xviii: xiii f. 11  Ronald Syme, Greeks Invading the Roman Government (1982), in: ders., Roman Papers IV, hg. v. A. R. Birley, Oxford 1988, 1–20: 19; ähnlich, freilich zugespitzter, White, Tropics (s. Anm. 7), 98 f.; vgl. Wolfgang J. Mommsen, Die Sprache des Historikers, in: HZ 238 (1984) 57–81, bes. 65–78; Timothy P. Wiseman, Lying Historians: Seven Types of Mendacity, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 122–146: 125 f.; Paul Cartledge, The Greeks. A Portrait of Self and Others, Oxford (1993) 22002, 18–35 sowie die geistvolle Preisrede von Johannes Fried, Wissenschaft und Phantasie. Das Beispiel der Geschichte, in: HZ 263 (1996) 291–316. 12  The Decay of Lying. An Observation, in: ders., Intentions, London (1891) 41909, 1–54: 6 (Hinweis bei Cartledge, Greeks [s. Anm. 11], 18).

2. Narrative Referentialität im Überblick

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Meine Leitthese lautet: Hellenistisch-frühreichsrömische Geschichtsschreibung ist im Hauptstrom ein Mischtypus, der die Rekonstruktion extratextueller Sachverhalte mit ordnenden Konstruktionselementen aus Rhetorik, mimetischer Kunst (Epos, Drama, Roman) und paideutischem Traktat zur narrativen Kohärenz verbindet. Diese so geformte Kohärenz stärkt im Selbstverständnis der Verfasser den Wahrheitsanspruch ihres Werkes, der sich nicht an der Norm verifizierbarer empirischer Daten messen lassen will. Ihr Konstruieren ist weniger als binnenliterarische Fiktion zu verstehen, sondern entspricht dem, was man – als Annäherung an und Mitteilung von Wirklichkeit – real fiction nennen könnte (wie es im Englischen für den Dokumentarfilm heißt, ohne dass dies als contradictio in adiecto aufgefasst wird). Ich spreche vom Hauptstrom und bin mir bewusst, dass (um die beiden zeitlichen Pole zu nennen) Teilen der Ausführung Polybios mit Zorn und Lukian mit Hohn begegnen würde, aber gerade der Protest der Ausnahmen lenkt den Blick auf die Konvention.13

2. Narrative Referentialität im Überblick In dem Wissensspeicher der Progymnasmata des Ailios Theon, die dem lebensweltlichen Erzähllevel und kulturellen Anspruch der lukanischen Literatur am ehesten entspricht, wird, vermutlich zeitgenössisch zu Lukas, διήγημα / ​διήγησις so definiert: „eine entfaltende Darlegung über Dinge, die geschehen sind oder als wären sie geschehen“ (Progymnasmata 78,16 f.14). In einem Überblick über die inkonsistente Terminologie lässt sich seit späthellenistischer Zeit im Ausgang von der lateinischen Rhetorik etwa folgende Dreiteilung vornehmen, die auf der Referentialisierbarkeit der Erzählung bzw. 13  Wie Cicero (de orat. 2,62–64) festhält, gibt es zur Theorie der Geschichtswerke bis in seine Zeit kaum Ausarbeitungen, sieht man von den methodologischen Vor‑ und Zwischenbemerkungen (indirekt auch der engagierten Vorgänger-Kritik) der Praktiker wie Thukydides oder Polybios ab. Aus der Kaiserzeit ist vor allem Lukian, Quomodo historia conscribenda sit zu nennen; vielleicht war Plutarchs verlorengegangene Schrift Πῶς κρινοῦμεν τὴν ἀληθῆ ἱστορῖαν (Lampriaskatalog, n. 124) ihr vergleichbar (vgl. Gert Avenarius, Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung, Meisenheim am Glan 1956, 173). Einschlägig relevant ist auch Dionysios von Halikarnass, De Thucydide. 14 Διήγημά ἐστι λόγος ἐκθετικὸς πραγμάτων γεγονότων ἢ ὡς γεγονότων. Vgl. Mikeal C. Parsons, Luke and the Progymnasmata: A Preliminary Investigation into the Preliminary Exercises, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 43–63: 51–56. Nach dem späteren Befund des Grammatikers Servius liegt der Unterschied zwischen fabula und historia darin, dass die fabula etwas gegen die Natur berichtet, ob es geschehen ist oder nicht, und die historia etwas, was der Natur entsprechend ist, ob es geschehen ist oder nicht (Servius, Aen. 1,235); vgl. dazu Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 129 f.

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Spielräume der Wahrheit

der produktiv-erzählimmanenten Ergänzung, Kombination und Veränderung vorgegebenen Autopsie-, Traditions‑ und Quellenguts beruht (vgl. bes. rhet. Her. 1,1315; Cicero, inv. 1,27; Quintilian, inst. 2,4,2):16 NARRATIONUM SPECIES TRES

narratio / ​ διήγημα

extratextuelles Signifikat (non a veritate modo, sed etiam a forma veritatis remota)

RES FABVLOSAE μῦθος τὸ μυθικόν ψεῦδος

fabula mendacium

=

extratextuelles Signifikat (gestae rei expositio)

RES GESTAE τὸ ἀληθές ἱστορία τὸ ἱστορικόν

historia

~

extratextuelles Signifikat (falsum, sed vero simile)

RES FICTAE τὸ ὡς ἀληθές πλάσμα τὸ πλασματικόν τὸ δραματικόν

argumentum

15  Fabula est, quae neque veras neque veri similes continet res, ut eae sunt, quae tragoediis traditae sunt. Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota. Argumentum est ficta res, quae tamen fieri potuit, velut argumenta comoediarum – „Fabel ist, was weder wahre noch dem Wahren ähnliche Geschehnisse enthält, wie solche, die in Tragödien überliefert sind. Geschichte ist ein tatsächliches Geschehnis, aber von der Erinnerung unserer Zeit entfernt. Erzähldarstellung ist ein erdichtetes Geschehnis, das gleichwohl geschehen konnte, wie die Veranschaulichung der Komödien.“ 16  Die zitierten Definitionen folgen Quintilian. Martin Hose, Fiktionalität und Lüge. Über einen Unterschied zwischen römischer und griechischer Terminologie, in: Poetica 28 (1996) 257–274 führt diese Dreiteilung (statt – wie üblich – auf Krates von Mallos) auf die literaturtheoretische Differenzierung der lateinischen Rhetorik im Vorfeld der Rhetorica ad C. Herennium zurück, also auf das frühe 1. Jh. v. Chr. Erst von daher habe sie dann im Umfeld der zweisprachigen Rhetorikschulung die griechische Theorie erreicht. Da das griechische Nomen ψεῦδος ein weiteres semantisches Feld von „nicht geschehen“ abdecke als das ethisch konnotierte mendacium, habe sich im lateinischen Raum nahegelegt, die griechische Dichotomie zwischen ἀλήθεια und ψεῦδος zu erweitern. So scheint das literaturtheoretische Verb πλάττειν eher Übersetzungsversuch als Quellwort von fingere zu sein. Vgl. zur Dreiteilung auch Carl W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike, in: AuA 22 (1976) 115–136: 115 f.; Fuchs, Pseudologia (s. Anm. 10), 217 f.; John R. Morgan, Make-Believe and Make Believe: The Fictionality of the Greek Novels, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 175–229: 189–191; Niklas Holzberg, Historie als Fiktion – Fiktion als Historie. Zum Umgang mit Geschichte im griechischen Roman, in: Rom und der Griechische Osten. FS H. H. Schmitt, hg. v. Ch. Schubert / ​K. Brodersen, Stuttgart 1995, 93–101: 93 f.; Michael Stemmler, Auctoritas exempli. Zur Wechselwirkung von kanonisierten Vergangenheitsbildern und gesellschaftlicher Gegenwart in der spätrepublikanischen Rhetorik, in: Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, hg. v. B. Linke / ​M. Stemmler, Hist.E 141, Stuttgart 2000, 141–205: 170–174; zum Problem der Referentialisierbarkeit Ulrich Luz, Fiktivität und Traditionstreue im Matthäusevangelium im Lichte griechischer Literatur, in: ZNW 84 (1993) 153–177: 153 f.

3. Rhetorische Konstruktion: ἐνάργεια

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Dieser terminologischen Unterscheidung entspricht keineswegs die der Textsorten. Zumal in der hellenistisch-reichsrömischen Zeit, in der sich Fachprosa kunstprosaisch und enkomiastisch geriert, zum Plädoyer wird oder die Poesie zu übertreffen sucht,17 erweisen sich die Grenzen (zum Bedauern Lukians, hist. conscr. 8; anders freilich hist. conscr. 45) als fließend, als literarischer ludus zwischen den so gegebenen Möglichkeiten. Als konstruktiver Ernstfall erweist sich der dritte Typus. Ich unterscheide drei Konstruktionsfelder, die sich in vieler Hinsicht überschneiden können und letztlich eine intentionale Funktionseinheit bilden: rhetorische Konstruktion (→ Kap. 3), mimetische Konstruktion (→ Kap. 4) und paideutische Konstruktion (→ Kap. 5).

3. Rhetorische Konstruktion: ἐνάργεια πᾶσα δὲ μίμησις ἐναργές τι ἔχει. Ps.-Demetrios, De elocutione 219

Rhetorische und historische Ausbildung bildeten in hellenistisch-reichsrömi­ scher Zeit weithin eine sachliche Einheit (vgl. Quintilian, inst. 2,5; 3,8,67–70; 10,1,31–34; 10,5,15 f.; 12,4). So dürfen wir davon ausgehen, dass sie sich auch in ihrer öffentlichen und literarischen Durchführung nicht trennen ließen, selbst dort nicht, wo – am entschiedensten bei Polybios – der Historiograph der rednerischen Finesse den Kampf ansagte. Einerseits gehörte, auf welcher Ebene auch immer, rhetorische Schulung zur Bildung eines Historiographen; andererseits verstand sich Geschichtsschreibung, mit welcher Nuancierung auch immer, im Rahmen oder vor dem Hintergrund der (enkomiastischen) Rhetorik.18 Ciceros klassischer Wahrheitsanspruch an den Historiker „Wage niemals etwas Falsches 17  Vgl. die Bemerkungen des Herausgebers in Lukian: Wie man Geschichte schreiben soll. Griechisch und Deutsch, hg. v. H. Homeyer, München 1965, 17, 30 f. 18  Vgl. Hanneliese Steichele, Vergleich der Apostelgeschichte mit der antiken Geschichtsschreibung. Eine Studie zur Erzählkunst in der Apostelgeschichte, Diss. München 1971, 25–30; David Aune, The New Testament in Its Literary Environment, LEC, Philadelphia, Pa. (1987) 1989, 83 f.; Alexander H. McDonald, Theme and Style in Roman Historiography (1975), in: Geschichtsbild und Geschichtsdenken im Altertum, hg. v. J. M. Alonso-Núñez, WdF 631, Darmstadt 1991, 220–238; Samuel Byrskog, Story as History – History as Story. The Gospel Tradition in the Context of Ancient Oral History, WUNT 123, Tübingen 2000, 203–213; Andreas Mehl, Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklungen. Eine Einführung, Stuttgart 2001, 22–29; recht nuanciert Anthony J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography. Four Studies, London / ​Portland, Oreg. 1988; für das lukanische Doppelwerk umfassend Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004; einen über die Antike hinausgreifenden Überblick bietet Eckhard Kessler, Das rhetorische Modell der Historiographie, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. R. Koselleck / ​H. Lutz / ​J. Rüsen, Beiträge zur Historik 4, München 1982, 37–85.

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zu sagen; fürchte dich niemals, etwas Wahres zu sagen“19 bezieht falsum und verum keineswegs auf rekonstruktive Genauigkeit, sondern auf konstruktive Unparteilichkeit.20 Im Brutus äußert der Redner gegenüber dem nüchternen Chronisten Atticus, Coriolan habe wie Themistokles seinem Leben selbst ein Ende bereitet. Der Dialog fährt fort: „Wenn es auch anders bei dir über Coriolan steht, Atticus, gestatte mir dennoch, dass ich mich lieber für diese Todesart entscheide!“ – Und er entgegnete lachend: „Ganz nach deinem Belieben! Denn den Rhetoren wird es ja eingeräumt (concessum est), in historischen Dingen zu erfinden (ementiri in historiis), damit sie etwas ausdrucksvoller vortragen können. Wie du nämlich jetzt über Coriolan, so hat Kleitarch, so Stratokles über Themistokles erdichtet (finxit)“ (Cicero, Brut. 42 f.21).

Nun war auch Cicero historisch interessiert, und Kleitarch von Kolophon, der einflussreichste Alexander-Historiker, dürfte sich eher als rhetorisch brillierender Historiograph denn als Kunstredner oder Romancier verstanden haben.22 Die ausdrucksvolle Rede freilich konnte zum Signum einer Geschichtsschreibung werden, die den Geschichten zu ihrem Recht verhalf, um damit Geschichte zu inszenieren. Nicht als schlichte narratores sollten sich Redner verstehen, sondern 19  (M. Antonius:) Nam quis nescit primam esse historiae legem, ne quid falsi dicere audeat? Deinde ne quid veri non audeat? Ne quae suspicio gratiae sit in scribendo? Ne quae simultatis? Haec scilicet fundamenta nota sunt omnibus (de orat. 2,62 f.; vgl. 2,51–64). 20  Vgl. Kessler, Modell (s. Anm. 18), 44–47; Woodman, Rhetoric (s. Anm. 18), 78–83; ferner T. James Luce, Ancient Views on the Causes of Bias in Historical Writing, in: CP 84 (1989) 16–31; Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 126 f. Bilanzierend interpretiert Keßler das Postulat Ciceros: „Die Wahrheitsforderung ist im Rahmen der rhetorischen Theorie damit nicht eine Aussage über die Wahrheitsfähigkeit der Geschichte, sondern eine Kunstregel zur Herstellung historischer Werke. Sie beschreibt die Intention des guten Historikers und die Erwartungshaltung des Publikums im Prozeß der Kommunikation historischer Deutung, nicht eine Qualität der vermittelten Inhalte, und sie wird erhoben, um der historischen Darstellung den höchsten Grad an Vermittlungsfähigkeit und Überzeugungskraft zu garantieren, nicht, um einer wissenschaftstheoretischen Forderung zu genügen“ (Kessler, Modell [s. Anm. 18], 47). 21 „[…] nam etsi aliter apud te est, Attice, de Coriolano, concede tamen, ut huic generi mortis potius assentiar.“ At ille ridens „Tuo vero“ inquit „arbitratu; quoniam quidem concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius. ut enim tu nunc de Coriolano, sic Clitarchus, sic Stratocles de Themistocle finxit […]“. Fornara, Nature (s. Anm. 6), 136 f. Anm. 57 möchte, allzu reinlich trennend, die Bemerkung auf die historischen Illustrationen in Reden beschränkt sehen und schließt eine „Lizenz zum Lügen“ für Redner als Geschichtsschreiber aus. Nach Martin Fleck, Cicero als Historiker, Beiträge zur Altertumskunde 39, Stuttgart 1993, bes. 290–293 hält Cicero auch strengen historischen Maßstäben stand; zur Würdigung des geschichtstheoretischen Anspruchs Ciceros dagegen wohl realistischer Woodman, Rhetoric (s. Anm. 18), 70–116. 22  Zur Diskussion des Passus Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 132 f.; zur Einordnung des Kleitarch Klaus Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990, 118–122; Otto Lendle, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung. Von Hekataios bis Zosimos, Darmstadt 1992, 168–171; Ernst Badian, Art. „Kleitarchos [2]“, in: DNP VI (1999) 571.

3. Rhetorische Konstruktion: ἐνάργεια

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als exornatores rerum (Cicero, de orat. 2,5423). Denn, wie Quintilian es schlagend formuliert: Es ist allemal weniger, die Einzelheiten unter einem noch so treffenden Begriff zusammenzufassen, als alles zu sagen, ist doch das Ganze weniger als alles (inst. 8,3,6924). Das letzte Ziel solcher erlebnisförmigen Inszenierung, der sub oculos subiectio (vgl. Cicero, de orat. 3,202; orat. 139), lag darin, den Adressaten im Sinne der evidentia / ​inlustratio / ​repraesentatio / ​ἐνάργεια (vgl. bes. Quintilian, inst. 8,3,61–71; ferner 6,2,32; 9,2,40; rhet. Her. 4,68; Ps.-Demetrios, De elocutione 209–222) zum fiktiven Augen‑ und Ohrenzeugen zu machen.25 Wer Geschichtswerke las, erwartete mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, „dass es scheint, als hätten wir, was die Bekanntschaft mit den Geschehnissen betrifft, auch die vergangenen Jahrhunderte selbst miterlebt“ (Quintilian, inst. 12,4,226). Der Redner setzt seine φαντασία in concipiendis visionibus (8,3,88) ein, um dem Adressaten keinen „Verlauf“ zu schildern, sondern durch narrative Aufführung der begleitenden Umstände (τὰ παρεπόμενα, τὰ παρακολουθοῦντα) mit allen Sinnen in die Erzählung hineinzuversetzen und Gleichzeitigkeitserlebnisse herbeizuführen: „Wir werden aber erreichen, dass die Geschehnisse bar vor Augen liegen, wenn sie dem Wahren ähnlich wirken, und es wird erlaubt sein, auch fälschlich alles Mögliche hinzuzudichten (licebit etiam falso adfingere), was zu geschehen pflegt“ (8,3,7027). Immerhin nennt selbst Lukian seinen idealen Historiographen einen „Pheidias der Geschichte“ (hist. conscr. 5128; vgl. 23 (M. Antonius:) ceteri non exornatores rerum, sed tantummodo narratores fuerunt. Zum literarisch‑ stilistischen Anspruch des ciceronischen Historiographie-Ideals Andrew Feldherr, Cicero and the Invention of „Literary History“, in: Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen – Autoren – Kontexte, hg. v. U. Eigler u. a., Darmstadt 2003, 196–212. 24  Quintilian beschreibt die furchtbaren und mitnehmenden Einzelheiten der Eroberung einer Stadt: Feuer über Häusern und Tempeln; laut einstürzende Dächer; die letzte Umarmung der Angehörigen; das klagende Weinen von Kindern, Frauen, Alten; die in Ketten vorangetriebenen Gefangenen; die Mutter, die sich an ihr Kind klammert usw.; er kommt dann zu dem Schluss: licet enim haec omnia, ut dixi, complectatur „eversio“, minus est tamen totum dicere quam omnia (vgl. inst. 8,3,67–69). 25 Vgl. neben Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart (1960) 31990, §§ 810–819; Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 130–140; Willem C. van Unnik, Luke’s Second Book and the Rules of Hellenistic Historiography, in: Les Actes des Apôtres: Traditions, rédaction, théologie, hg v. J. Kremer, BETL 48, Gembloux / ​Löwen 1979, 37–60: 55–57; Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 145 f.; Todd Penner, In Praise of Christian Origins. Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, ESEC 10, New York 2004, 190–196. 26 […] ut, quantum ad cognitionem pertinet rerum, etiam praeteritis saeculis vixisse videamur. 27 consequemur autem ut manifesta sint, si fuerint veri similia, et licebit etiam falso adfingere quidquid fieri solet. 28 Der Bildhauer schaffe das Material nicht selbst, sondern bearbeite, forme und verziere es: Τοιοῦτο δή τι καὶ τὸ τοῦ συγγραφέως ἔργον – εἰς καλὸν διαθέσθαι τὰ πεπραγμένα καὶ εἰς δύναμιν ἐναργέστατα ἐπιδεῖξαι αὐτά. καὶ ὅθαν τις ἀκροώμενος οἴηται μετὰ ταῦτα ὁρᾶν τὰ λεγόμενα καὶ μετὰ τοῦτο ἐπαινῇ, τότε δὴ τότε ἀπηκρίβωται καὶ τὸν οἰκεῖον ἔπαινον ἀπείληφε τὸ ἔργον τῷ τῆς ἱστορίας Φειδίᾳ – „So ist von solcher Art auch das Werk des Geschichtsschreibers: die Geschehnisse gut anzuordnen und kraftvoll auf das Anschaulichste darzustellen. Und wenn

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Plutarch, De gloria Atheniensium 346f–347c). Vermutlich trägt diese Tendenz zur Veranschaulichung wesentlich dazu bei, der hellenistischen Geschichtsschreibung jene Episodengestalt zu geben,29 die dann auch für die neutestamentliche Erzählliteratur kennzeichnend ist. Nicht von der Schlacht, vom Schiffbruch, von der Landschaft, von der Rede ist zu reden, sondern diese sind vor Augen und Ohren zu führen. Sallust, der Zugang zu den Senatsprotokollen über Ciceros erste Catilinaria gehabt hätte, zitiert lieber eine Rede huiusce modi, in der Catilina nach Entfernung möglicher Zeugen im abgelegensten Winkel sein Programm schildert (vgl. Catil. 2030). Die Wirkung solcher Veranschaulichungen lässt sich an jenen letzten Worten fassbar machen, die Cäsar zugeschrieben wurden, ohne dass deren Faktizität als wahrscheinlich gelten kann. Aus der an gewaltsamen Todesgeschicken führender Verantwortungsträger nicht armen Zeit zwischen 100 v.  Chr. und 100 n. Chr. dürfte sich kaum ein Tod auf breitester Ebene so in das kollektive Gedächtnis noch der modernen Gesellschaft eingeschrieben haben wie der Cäsars. Bevor er sein Haupt verhüllt, stellt er die zitierfähige und, wie es scheint, dauerhaft anwendbare Frage: Tu quoque, Brute, fili mi? Nicht das Faktum als solches, sondern seine fiktional vor Augen geführte Konkretion knüpft den kollektiven Gedächtnisstrang. Der Adressat der Episode sieht gleichsam die Dolche und Togen, Purpurstreifen und Blutflecken, wohl noch jenen Blick des „Vaters“ vor sich, nimmt selbst Abschied von einem Großen, dem, aufgerührt durch dessen tragische Worte, tiefes Mitgefühl gilt.31 Ein Jahr später findet Cicero dagegen, zu Lebzeiten nicht verlegen um bewegende Rede, keinen kongenialen Erfinder seiner letzen Worte: Moriar in patria saepe servata! ist trotz leichter Alliteration so blass, abstrakt und unanschaulich, dass sich die nähere Kenntnis von dem an sich erschütternden Tod des Denkers und Staatsmanns, der von seinem politischen Ziehsohn Oktavian den Proskriptionen ausgeliefert und der abstoßenden Rache des von ihm so hinreißend geschmähten Mark Anton zum Opfer fällt, auf Spezialisten beschränkt. ein Zuhörer danach meint, das Berichtete zu sehen, und so zum Lob veranlasst wird, dann in der Tat hat er sorgfältig gearbeitet, und das Werk hat dem Pheidias der Geschichte passendes Lob eingetragen“ (hist. conscr. 51; vgl. 50 f.). Wie der Vergleich mit Pheidias belegt, kommt es eher auf das rechte Maß und die realistische Darstellung als auf die grundsätzliche Legitimität der ἐνάργεια an. Auch Polybios wendet sich gegen die theatralische Übertreibung, nicht gegen die auf die Teilnahme des Adressaten gerichtete historiographische Ausmalung; vgl. Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 132–134. 29 Vgl. Gerhard Wirth, Art. „Geschichtsschreibung“, in: Kleines Wörterbuch des Hellenismus, hg. v. H. H. Schmitt / ​E. Vogt, Wiesbaden 1988, 205–230: 207. 30 in abditam partem aedium secedit atque ibi omnibus arbitris procul amotis orationem huius­ ce modi habuit […] – „in einen abgelegenen Teil des Gebäudes zog er sich zurück und, nachdem dort alle unberufenen Zeugen entfernt worden waren, hielt er ihnen eine Rede dieser Art: […]“. 31  Das Beispiel bei Jörg Rüpke, Römische Geschichtsschreibung. Zur Geschichte des ge­schicht­lichen Bewußtseins und seiner Verschriftlichungsformen in der Antike, Potsdam 1997, 20.

3. Rhetorische Konstruktion: ἐνάργεια

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Der Ahnherr der Zunft, der sich mit hohem Wahrheitsanspruch von Dichtern und Geschichtenschreibern distanziert, fügt im Methodenkapitel die für die hellenistische Historiographie maßgebliche Einschränkung hinzu: Und was sie auf allen Seiten in einer Rede gesagt hatten, als sie daran gingen, Krieg zu führen, oder bereits in ihm standen, dem genauen Wortlaut nach ins Gedächtnis zurückzurufen war schwierig für mich, der ich selbst zugehört hatte, wie für jene, die mir von anderer Seite Bericht erstatteten. Doch wie sie nach meiner Meinung der Situation angemessen wohl am ehesten über den jeweiligen Sachstand hätten sprechen müssen, so soll die Rede, so eng wie möglich angeschlossen an den Gesamtsinn des tatsächlich Gesprochenen, hier stehen (Thuk. 1,22,132).

Die Bindung an den Gesamtsinn (ἡ ξύμπασα γνώμη) erlaubt die imaginative Füllung, um aus der Historiographie die plastische Erzählung zu machen. Die Verve, mit der Polybios solche scheinbare ἀκρίβεια der „plausiblen Lügner“ (τοῖς ἀξιοπίστως ψευδομένοις) (Pol. 3,33,17) verwirft, lässt darauf schließen, dass sie verbreitet war, zumal auch er selbst sich ihr nicht ganz verschließt (vgl. etwa zur τύχη 15,6,4–15,8,14).33 Selbst Lukian schränkt lediglich ein, die fiktive Rede solle  Καὶ ὅσα μὲν λόγῳ εἶπον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῷ ἤδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τῶν λεχθέντων διαμνημονεῦσαι ἦν ἐμοί τε ὧν αὐτὸς ἤκουσα καὶ τοῖς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ’ ἂν ἐδόκουν μοι ἕκαστοι περὶ τῶν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ’ εἰπεῖν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τῆς ξυμπάσης γνώμης τῶν ἀληθῶς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. Zu diesem vielmals und kontrovers diskutierten Passus Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 155–157; Fornara, Nature (s. Anm. 6), 143–145; Conrad Gempf, Public Speaking and Published Accounts, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 259–303: 266–269; W. James McCoy, In the Shadow of Thucydides, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 3–23: 12–16; Stanley E. Porter, Thucydides 1.22.1 and Speeches in Acts. Is There a Thucydidean View? (1990), in: ders., Studies in the Greek New Testament. Theory and Practice, Studies in Biblical Greek 6, New York 1996, 173–193: 179–193; T. James Luce, The Greek Historians, London 1997, 71 f. Zur Rede in der antiken Historiographie allgemein Avenarius, Schrift, 149–157; Fornara, Nature, 142–168; Kenneth Sacks, Rhetoric and Speeches in Hellenistic Historiography, in: At. 64 (1986) 383–395; Penner, Praise (s. Anm. 25), 208–215 und ausführlich Gempf, Speaking. 33  Einschränkend auch zu Polybios Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 153–155; Kenneth Sacks, Polybius on the Writing of History, University of California Publications in Classical Studies 24, Berkeley, Calif. 1981, 79–95; Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 22), 163–165; Gempf, Speaking (s. Anm. 32), 270–274; Stefan Rebenich, Historical Prose, in: Handbook of Classical Rhetoric in the Hellenistic Period 330 b. c.–a. d. 400, hg. v. S. E. Porter, Boston, Mass. 1997, 265–337: 286: Wo die Recherche des Historiographen versagt oder die gekonnte Darstellung es verlangt, muss das möglichst Angemessene vom Geschichtsschreiber geformt werden. Zur Kritik des Polybios an seinen historiographischen Vorgängern insgesamt Klaus Meister, Historische Kritik bei Polybios, Palingenesia 9, Wiesbaden 1975; Lendle, Einführung (s. Anm. 22), 223–234; speziell zur Darstellung wunderhafter Ereignisse Eckhard Plümacher, Τερατεία. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte (1998), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 33–83, bes. 38–46. Luz, Fiktivität (s. Anm. 16), 164 f. dürfte die Faktentreue der Historiographen vom „‚strengen‘ puristischen Typ“ überschätzen; noch die am ehesten autobiographische Schrift des 32

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nach Person und Sache passen; sie dürfe in diesem Rahmen die Beredsamkeit des Historiographen zum Glänzen bringen (hist. conscr. 58), wie es auch bei der Beschreibung dramatischen Geschehens des poetischen Windes bedürfe (vgl. hist. conscr. 45; 51).34 Ein archäologischer Fund erlaubt die Überprüfung: Tacitus bietet die Senatsrede, die Claudius zum Kurienrecht für Gallier hielt (ann. 11,24), zugleich liegt sie fragmentarisch auf einer 1528 zu Lyon gefundenen Bronzetafel vor (CIL XIII / ​1,1, n. 1668): eine adaptierte Rede, wie sie Geschichte schreibt, und eine geschichtliche, die in Teilen zufällig überdauert. Während die inschriftliche Rede des Claudius eher tagespolitische Luft atmet, konkretisiert die Version des Tacitus, was sich in diesem geschichtlichen Moment, vom „Gesamtsinn“ her betrachtet, abspielt: die Öffnung des römischen Herrschaftszentrums auf die bisherigen Ränder hin und deren Integration in die Reichsidee.35 Die imaginative Konkretisierung, die sich in hellenistischer Zeit keineswegs mehr auf Reden beschränkte, tat dem Wahrheitsanspruch im geheimen Einvernehmen mit dem Leser keinen Abbruch, sondern erdete ihn. Das ist keine Rekonstruktion und auch keine glatte Konstruktion. Eher könnte man von rhetorischer Reimagination sprechen, der in einer Zeit ohne die ἐνάργεια von Kamera und Mikrophon eine adressatenlenkende Grundfunktion zukam, freilich auf Kosten des dokumentarischen Erfolgs – ein Umstand, den die antike Literaturkritik, wie bald zu zeigen ist, mit Blick auf die formalen Vorzüge im Allgemeinen durchaus gelassen nahm.

4. Mimetische Konstruktion: ἀξιαφηγητότερα Die Helikonischen Musen: ἴδμεν ψεύδεα πολλὰ λέγειν ἐτύμοισιν ὁμοῖα, ἴδμεν δ’, εὖτ’ ἐθέλωμεν, ἀληθέα γηρύσασθαι. Wir wissen viel Lügnerisches zu sagen, das dem Wirklichen ähnlich scheint. Doch wissen wir auch, wenn wir nur wollen, Wahres zu künden. Hesiod, theog. 27 f.36 Lukian (Περὶ τοῦ ἐνυπνίου ἦτοι Βίος Λουκιανοῦ) lässt fiktive Züge erkennen; vgl. Heinz-Günther Nesselrath, Art. „Lukianos [1]“, in: DNP VII (1999) 493–501: 493. 34 Vgl. Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 63–67, 149 f.; Sacks, Rhetoric (s. Anm. 32), 384– 386; Gempf, Speaking (s. Anm. 32), 277 f. 35 Ein synoptischer Vergleich bei Miriam T. Griffin, The Lyons Tablet and Tacitean Hindsight, in: CQ 32 (1982) 404–418, bes. 418; vgl. Fornara, Nature (s. Anm. 6), 153 f. 36 Zur Interpretation Ewen L. Bowie, Lies, Fiction and Slander in Early Greek Poetry, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 1–37: 20–23; Fuchs, Pseudologia (s. Anm. 10), 194–197; Mario Puelma, Der Dichter und die Wahrheit in der griechischen Poetik von Homer bis Aristoteles (1989), in: ders., Labor et Lima. Kleine Schriften und Nachträge, hg. v. I. Fasel, Basel 1995, 111–151: 120–125 und eingehender

4. Mimetische Konstruktion: ἀξιαφηγητότερα

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Wie von selbst gelangen wir so zum künstlerischen Präsentations‑ und Unterhaltungsanspruch der lebendigen Realitätsabbildung und damit zum episch-dramatischen Anteil der Historiographie.37 Zu den Vorfahren des Historiographen gehören Rhapsode und Schauspieler.38 Der Geschichtsschreiber betrat die Faktenwelt von der Bühne herab. Selbst Thukydides führt unter seinen Quellen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, obschon nicht ohne Distanz, auch Homer an, der ihm als Dichter eher übertreibender denn gar kein Gewährsmann ist (Thuk. 1,3,3; 1,9,3 f.; 1,10,3),39 wie denn die Grenzziehung zwischen Mythos und Geschichte überhaupt ein eigentümlich modernes Phänomen ist.40 Es war nach einer verbreiteten Auffassung Duris von Samos, der die aristotelischen Dramaprinzipien von μίμησις und ἡδονή auf die Geschichtsschreibung übertragen hat (vgl. FGrHist 76, F 1).41 Nach der herkömmlichen Einteilung unterscheidet man die kritisch-pragmatische von der mimetisch-dramatischen („tragischen“, „sensationalistischen“) wie auch von der rhetorischen Geschichtsschreibung.42 Doch in der uns interessierenden Phase kennen wir als Vertreter ­ ilfried Stroh, Hesiods lügende Musen, in: Studien zum antiken Epos, hg. v. H. GörgeW manns / ​E. A. Schmidt, BKP 72, Meisenheim am Glan 1976, 85–112. 37  Zur rhetorischen Funktion und Strategie der Mimesis im Allgemeinen Lausberg, Handbuch (s. Anm. 25), §§ 1162–1242. 38  In Rom wurden die Episoden der Stadtgeschichte regelmäßig im Theater aufgeführt, längst bevor solche Episoden historiographisch festgehalten wurden; vgl. Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 134; Hans Beck / ​Uwe Walter, Die frühen römischen Historiker, 2 Bde., TzF 76/77, Darmstadt (2001) 22005/2004, I: 31 f. Zum Epos als literarischer Vorform der Historiographie Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 22), 13–15. 39  Vgl. Wolfgang Rösler, Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike, in: Poetica 12 (1980) 283–319: 299 f.; Gill, Plato (s. Anm. 7), 73 f.; Moles, Truth (s. Anm. 5), 98–103; Luce, Historians (s. Anm. 32), 74. Zur Allgegenwart der Dramenbühne im Hintergrund der römischen Geschichtsschreibung Timothy P. Wiseman, The Origins of Roman Historiography, in: ders., Historiography and Imagination. Eight Essays on Roman Culture, Exeter 1994, 1–22: 16–21. Eine gewisse Bühnensituation und das damit verbundene Bedürfnis nach dem theatralischen Effekt darf man wohl auch für die von Lukian mitunter vorausgesetzte öffentliche Lesung als ordentlichem Lebenssitz der Historiographie annehmen; zu solcher Praxis der Rezitation von Geschichtsschriften im Prinzipat Martin Hose, Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio, Beiträge zur Altertumskunde 45, Stuttgart 1994, 19–21. 40  Vgl. Hans-Joachim Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik – antik und modern, in: Saec. 45 (1994) 239–264: 248 f. 41  Dazu allerdings kritisch Meister, Kritik (s. Anm. 33), 109–126; vgl. Bruno Gentili  / ​ Giovanni Cerri, History and Biography in Ancient Thought, London Studies in Classical Philology 20, Amsterdam 1988, 14–20; Plümacher, Τερατεία (s. Anm. 33), 34–38. Zur Einordnung des Duris von Samos Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 22), 96–100; Lendle, Einführung (s. Anm. 22), 181–189; Klaus Meister, Art. „Duris von Samos“, in: DNP XII / ​2 (2002) 947. 42  Zur Einteilung der für die Konstruktivitätsproblematik naturgemäß wichtigen Darstellungsstile vgl. mit recht unterschiedlichen Schwerpunkten und Grenzziehungen Gentili  / ­​ ­C erri, History (s. Anm. 41), 7–33; Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 22), bes. 80– 102; Kota Yamada, A Rhetorical History: The Literary Genre of the Acts of the Apostles, in: Rhetoric, Scripture and Theology, hg. v. S. E. Porter / ​T. H. Olbricht, JSNTS 131, Sheffield 1996,

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Spielräume der Wahrheit

der ersten Kategorie einzig den isolierten Polybios.43 Phylarch, den er angreift, weil dieser die Rolle von Historiograph und Dramatiker nicht zu unterscheiden wisse (Pol. 2,56,10–12; vgl. Cicero, leg. 1,4 f.; Diod. 1,2,7; Plutarch, Themistokles 32,3 f.), dürfte den Durchschnitt vertreten44 und sich als legitimer Sohn des pater historiae45 Herodot fühlen, der wohl kaum ohne Wirkung auf sein Werk mit Sophokles befreundet war46 und dessen ἱστορίης ἀπόδεξις nicht Geschehen als solches, sondern ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά (Hdt. 1 pr.) zu dokumentieren suchte. Der Erwartung, nicht nur zu unterrichten, sondern zu unterhalten, trug die Geschichtsschreibung bleibend Rechnung.47 Mit der Leitabsicht des docere war die des movere und delectare innerlich verbunden. Man wünschte reizvoll, ergötzlich, erschütternd zu schreiben, der ästhetischen Befriedigung und affektiven Erregung zu dienen, kurzum: „schöne Literatur“ zu bieten. Programmatische Äußerungen, die dem forciert widersprechen und ἀλήθεια wie ἀκρίβεια der 230–250, bes. 241–249; Plümacher, Τερατεία (s. Anm. 33), bes. 34–38; Jens Schröter, Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums: Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, hg. v. dems. / ​ A. Eddelbüttel, TBT 127, Berlin 2004, 201–219: 205–207; zum Hintergrund Sacks, Polybius (s. Anm. 33), 144–170; Luce, Historians (s. Anm. 32), 111–122; Rebenich, Prose (s. Anm. 33), bes. 265–274; relativierend etwa Wirth, Art. Geschichtsschreibung (s. Anm. 29), 207 f.; Penner, Praise (s. Anm. 25), 117 f.; Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 18), 75 f. Als Vertreter der rhetorischen Schule werden außer Isokrates vor allem Ephoros von Kyme, Theopomp von Chios und Anaximenes von Lampsakos genannt (vgl. Rebenich, Prose, 269–274). Von historiographischen Schulen im engeren Sinn (etwa „peripatetisch vs. isokratisch“) wird man kaum sprechen können, und in jedem Fall sind die Grenzen zwischen „mimetisch“ („tragisch“, „sensationalistisch“), „rhetorisch“ und (nur noch in Spuren) „pragmatisch“ gerade seit hellenistischer Zeit fließend. 43  Zumal Polybios galt der hellenistischen Geschichtsschreibung kaum als nachahmenswerter Autor; auch Thukydides scheint weniger oft gelesen worden zu sein, als man es heute annehmen möchte; die Modellrolle nahmen eher Theopomp und Ephoros ein; vgl. näher Emilio Gabba, True and False History in Classical Antiquity, in: JRS 71 (1981) 50–62: 50–52; Sacks, Rhetoric (s. Anm. 32), 394 f.; Daryl D. Schmidt, Rhetorical Influences and Genre. Luke’s Preface and the Rhetoric of Hellenistic Historiography, in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 27–60: 38–42. 44  Zur Einordnung des Phylarch Meister, Geschichtsschreibung (s. Anm. 22), 100 f.; Lendle, Einführung (s. Anm. 22), 195–202; Klaus Meister, Art. „Phylarchos [4]“, in: DNP IX (2000) 981 f. 45  et apud Herodotum patrem historiae et apud Theopompum sunt innumerabiles fabulae (Cicero, leg. 1,5). Einen anderen Schwerpunkt setzt Burkhard Meissner, Anfänge und frühe Entwicklungen der griechischen Historiographie, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 83–109: 90–97, der Herodot insofern als Vater der πραγματικὴ προαίρεσις (Dionysios von Halikarnass, De Thucydide 5) würdigt, als dieser erstmals (Kriegs‑)Geschichte als kausal verknüpfte Ereignisfolge auf geographisch wie kulturell weiter Fläche monographisch konzipiert und damit ungeachtet seiner Freude am Fiktiven den grundsätzlichen Anspruch auf rationale Stiftung von Zusammenhangwissen als Postulat historischer Vernunft erhoben habe. 46  Vgl. Klaus Meister, Art. „Herodotos [1]“, in: DNP V (1998) 469–475: 469 f. 47 Vgl. näher Fornara, Nature (s. Anm. 6), 120–134; zur ästhetischen Komponente der hellenistisch-kaiserzeitlichen Historiographie Hose, Erneuerung (s. Anm. 39), 25–29.

4. Mimetische Konstruktion: ἀξιαφηγητότερα

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ἡδονή nachgerade diametral konfrontieren, finden sich von Josephus (bell. Iud. 1,3048) bis Prokop von Cäsarea (BP 1,1,449). Durch ihre literarische Ausführung belegen sie das Gegenteil: Es galt, den Leser in Bann zu schlagen. Diente das Detail dem erzählerischen Reiz oder auch nur der klareren Ordnung, so konnte es guten Gewissens verändert, umgestellt und zur Not passend ersonnen werden. Als Geschichtstheoretiker scheinbar streng, gibt Cicero als Politiker dem Historiographen L. Lucceius höchst engagierte Ratschläge, wie er die Leser bei der Darstellung seines Konsulatsjahres erzählerisch mitreißen könne durch „volle Abwechslung jeglichen Reizes, die die Gemüter der Menschen, wenn sie dein Werk lesen, in Bann zu schlagen vermag“ (fam. 5,13[12],450). Annalistisch-korrekte Aufzählung nach Kalenderart pflege zu langweilen, wo die Geschichte stattdessen Staunen, Spannung, Freude, Bedrückung, Hoffnung und Angst und mit einem denkwürdigen Schluss ungetrübte Lust zu wecken vermöge (5,13[12],5). Die res gestae seien mit Verlaub als Drama (hanc quasi fabulam rerum eventorumque nostrorum) zu konzipieren (5,13[12],6). Dass solche dramatische Konzeption in diesem Fall auch mit unentschuldigten Fiktionen der Propaganda dienen sollte, stimmt ihn nicht verlegen: „Deshalb bitte ich dich offen wieder und wieder, dass du das Geschehene auch entschiedener ausschmückst, als du es vielleicht wahrnimmst, und in diesem Fall die Gesetze der Geschichtsschreibung hintanstellst (leges historiae neglegas) […] und unserer herzlichen Freundschaft sogar ein klein wenig mehr zubilligst, als es die Wahrheit zulässt (amorique nostro plusculum etiam, quam concedet veritas, largiare)“ (5,13[12],351). Der charmanteste Hinweis auf eine die mimetischen Erfordernisse freilich weit überbietende Praxis wird dem verurteilten Milo zugeschrieben, der dem Cicero für die Zusendung der Verteidigungsrede Pro Milone mit den Worten dankt, er preise sich glücklich, dass dieser eine derartig glänzende Rede nie gehalten habe, denn sonst könne er 48  τοῖς γε τὴν ἀλήθειαν ἀγαπῶσιν, ἀλλὰ μὴ πρὸς ἡδονὴν ἀνέγραψα – „Für jene, die die Wahrheit schätzen, habe ich geschrieben, aber nicht um der Ergötzung willen.“ 49  πρέπειν τε ἡγεῖτο ῥητορικῇ μὲν δεινότητα, ποιητικῇ δὲ μυθοποιΐαν, ξυγγραφῇ δὲ ἀλήθειαν – „Er betrachtete das am tiefsten Staunenerweckende als angemessen für die Rhetorik, die Mythenkunst für die Dichtung, für die Geschichte aber die Wahrheit.“ 50 varietatem […] plenam cuiusdam voluptatis, quae vementer animos hominum in legendo te scriptore tenere possit. 51  itaque te plane etiam atque etiam rogo, ut et ornes ea vementius etiam quam fortasse sentis, et in eo leges historiae neglegas gratiamque illam, de qua suavissime quodam in prooemio scripsisti, a qua te flecti non magis potuisse demonstras quam Herculem Xenophontium illum a Voluptate, eam, si me tibi vementius commendabit, ne aspernere amorique nostro plusculum etiam, quam concedat veritas, largiare. Zum Lucceius-Brief Eckhard Plümacher, Cicero und Lukas. Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie (1999), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 15–32, bes. 17–26. Fornara, Nature (s. Anm. 6), 101 f. weist darauf hin, dass dieser Passus keine „theoretical justification for panegyric historiography“ biete, sondern gerade für die Beugung der leges historiae werbe, doch tritt gerade so umso nachdrücklicher vor Augen, unter welchen lebensweltlichen Bedingungen solche leges stehen konnten.

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nicht Seebarben von solchem Geschmack genießen, wie man sie nur in seiner Exilstadt Massilia antreffe.52 Aber so weit muss man gar nicht gehen. Es sind ganz allgemein eher die formalen als die dokumentarischen Vorzüge, die der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie ihren Wert zu geben scheinen (anders freilich etwa Pol. 16,17,8– 11; Josephus, c. Ap. 1,27). Arrian erklärt im Proömium seiner Anabasis, bei der Auswahl zwischen seinen Quellen Ptolemaios und Aristobulos habe er sich je für jene Version entschieden, die ihm glaubwürdiger und  – in einem Atemzug – erzählenswerter (ἀξιαφηγητότερα) erschienen sei.53 Thukydides sticht für Cicero, Dionysios von Halikarnass, Plutarch nicht etwa vor allem deshalb als Historiograph hervor, weil er den geschichtlichen Ablauf zuverlässig wiedergebe, sondern weil er Geschichte lebendig und mit schwungvollem Stil zu malen verstehe (vgl. Plutarch, De gloria Atheniensium 347a–c; ähnlich Cicero, de orat. 2,56; orat. 39; Dionysios von Halikarnass, De Thucydide 21); Petron nennt ihn in einem Atemzug mit Hypereides als vollendeten Vertreter der Eloquenz (vgl. Petron. 2,7–9). Quintilian bestimmt die historia denn gleich als die der Poesie am meisten benachbarte Form: quodam modo carmen solutum, zum Erzählen, nicht zum Beweisen verfasst, und zwar zu zwei gleichberechtigten Zwecken: ad memoriam posteritatis et ingenii famam (inst. 10,1,31). Solches ingenium ist auch im Blick, wenn Quintilian sich bei Thukydides, Herodot, Theopomp, Philistos, Sallust, Livius, Servilius Nonianus, Aufidius Bassus und Cremutius Cordus ausschließlich für Fragen des Erzählstils, der in narrando iocunditas und eloquentia (vgl. 10,1,101), zu interessieren scheint (vgl. 9,4,18.129; 10,1,73–75.101–104), während Polybios in dieser Hinsicht zur quantité négligeable avanciert.54 Umgekehrt trifft der von Polybios so heftig gescholtene Kleitarch unter stilistischem Gesichtspunkt auf bezeichnende Anerkennung: Clitarchi probatur ingenium, fides infamatur (10,1,74). Die frühhellenistische Historiographie ist uns vor allem deshalb gar nicht mehr oder allenfalls höchst fragmentarisch erhalten, weil sich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. der literarische Geschmack gründlich änderte und das historische Sachinteresse als solches die Tradierung

52  So die Anekdote bei Manfred Fuhrmann, Cicero und die römische Republik. Eine Biographie, München (1989) 31991, 171 f. Ciceros tatsächlich gehaltene Rede – sie war ihm unter einschüchternden Prozessumständen misslungen – war stenographisch mitgeschrieben worden und noch lange zum Vergleich einsehbar. 53  τούτων τὰ πιστότερα ἐμοὶ φαινόμενα καὶ ἅμα ἀξιαφηγητότερα ἐπιλεξάμενος (an. 1 pr. 1); vgl. Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 135 f. 54 Vgl. auch Sacks, Rhetoric (s. Anm. 32), 394; M. J. Wheeldon, “True Stories”: the Reception of Historiography in Antiquity, in: History as Text. The Writing of Ancient History, hg. v. A. Cameron, London 1989, 36–63 (Addendum Hg. 33–36): 59–61; Rebenich, Prose (s. Anm. 33), 286 f. Zum Vergleich der ästhetischen und rhetorischen Kritik von Dionysios von Halikarnass und Lukian Matthew Fox, Dionysius, Lucian, and the Prejudice against Rhetoric in History, in: JRS 91 (2001) 76–93.

4. Mimetische Konstruktion: ἀξιαφηγητότερα

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nicht hinreichend motivierte.55 So zielte Geschichtsschreibung weniger auf Dokumentation der Vergangenheit in ihrer unwiederholbaren Eigenart als auf das, was man heute „Dokudrama“ zu nennen pflegt: deren Verlebendigung im Inter­ esse der Gegenwart.56 Der Unterschied zwischen „Doku“ und „Drama“, Fakt und Fiktion scheint in keiner Weise so relevant gewesen zu sein, wie es für uns selbstverständlich ist. Von hierher fällt Licht auf die Eigentümlichkeit, dass die hellenistische Zeit zwar die romanhafte Prosafiktion erfunden hat, aber bei all ihrer texttypologischen Differenzierungsfreude keinen Begriff für sie prägte.57 Es gab den Begriff nicht, weil man die Frage nicht hatte, auf die er eine Antwort hätte geben können. Wie etwa soll man das Genus der Kyrupädie Xenophons oder Philostrats Apollonios-Vita beschreiben: historische Biographie oder Roman?58 Die Entwicklung der narrativen Prosa im Hellenismus führt zu literarischen Mischtypen und transversalen Erzählern, die zwischen Dokumentation und Fiktion höchst flexibel und besten Gewissens zu wechseln vermögen.59 Was wir „Roman“ nennen, entstand gattungskritisch unbemerkt unter dem Signum der Geschichtsschreibung, vornehmlich der Alexander-Zeit.60 Wie historiographische Werke romanhafte 55 Vgl. Rebenich, Prose (s. Anm. 33), 288. Der Vergleich mit modernen schulischen Gepflogenheiten drängt sich auf: Wenn Cäsars Bellum Gallicum vielen Generationen als Einstiegslektüre ins Lateinische diente, so dürfte dabei der Prosastil ausschlaggebend gewesen sein, kaum etwa die Absicht, die Schüler über einen vorrangig wichtigen Geschichtsabschnitt möglichst objektiv zu informieren. Die Freude an den formalen Vorzügen führte dann allerdings nicht selten dazu, dem eindrucksvollen Stilisten auch Glaubwürdigkeit in der Sache zuzuschreiben und damit eben noch immer jenem Propagandazweck zu dienen, den das Unternehmen von Anfang an verfolgte. 56  Vgl. Wiseman, Historians (s. Anm. 11), 141. Dass die Vermengung antiker Historiographie mit modernem Geschichtsbewusstsein anachronistisch sei, ist die Leitthese in Woodman, Rhetoric (s. Anm. 18). 57  Wahrscheinlich wuchs die byzantinische Bezeichnung der Romanliteratur als δράματα oder δραματικά aus der Fortschreibung der dritten Erzählkategorie (s. o.) in enger Anlehnung an deren Prototyp, die Komödie; vgl. Μüller, Chariton (s. Anm. 16), 116–118. 58  Die jüngere Gattungskritik ist uneins. Massimo Fusillo, Art. „Roman II: Griechisch“, in: DNP X (2001) 1108–1114: 1112 schlägt vor: „histor.-biographische Werke mit deutlichen romanhaften Elementen“. Doch mag man eher an (fast) reine Fiktion denken: für die Kyrupädie (vgl. Cicero, ad Q. fr. 1,1,23) James Tatum, The Education of Cyrus, in: Greek Fiction. The Greek Novel in Context, hg. v. J. R. Morgan / ​R. Stoneman, London 1994, 15–28, bes. 25–27; Eckart E. Schütrumpf, Art. „Xenophon [2]“, in: DNP XII / ​2 (2002) 633–642: 637; für Philostrat Ewen L. Bowie, Philostratus. Writer of Fiction, in: Greek Fiction. The Greek Novel in Context, hg. v. J. R. Morgan / ​R. Stoneman, London 1994, 181–199. Jedenfalls dürfte Philostrat, Ap. 1,3 Quellenbindung lediglich fingieren. Interessant scheint die Beobachtung bei Glen W. Bowersock, Fiction as History. Nero to Julian, Sather Classical Lectures 58, Berkeley, Calif. 1995, 22–27, 121–143, die „massive proliferation of fiction“ verdanke sich den Inspirationen der neronischen Zeit und habe später auch Anstöße durch die christliche Literatur gewonnen. 59  Dazu ausführlich Penner, Praise (s. Anm. 25), 130–146. 60  Dazu näher Richard Stoneman, The Alexander Romance. From History to Fiction, in: Greek Fiction. The Greek Novel in Context, hg. v. J. R. Morgan / ​R. Stoneman, London 1994, 117–129.

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Erzählelemente einbauen, Geschichtsschreibung im Hellenismus – nicht zuletzt mit der Entdeckung des Ostens als Inspirationsquelle  – insgesamt romanhaft wird,61 so zimmern sich die Romane für ihre erzählte Welt spielerisch eine historisch fixierbare und plausible Gesamtszenerie, werden geschichtshaltig.62 Im vierten Jahrhundert noch muss Kaiser Julian in seiner Lektüre-Vorschrift an pagane Priester gegen eine offenkundig verbreitete Leserhaltung Stellung beziehen, die nicht zwischen ἱστορίαι, ὁπόσαι συνεγράφησαν ἐπὶ πεποιημένοις τοῖς ἔργοις und dem Liebesroman als ὅσα δέ ἐστιν ἐν ἱστορίας εἴδει […] πλάσματα zu unterscheiden vermag (Julianus Imp., epist. 48 [= 288a–305d, ed. B. K. Weis, 1973], hier: 48,301b).63 Erst etwa 300 Jahre nach Apuleius’ Metamorphoses scheint der historische Anspruch des Werks überhaupt problematisiert worden zu sein (vgl. Macrobius, somn. 1,2,7 f.64; Augustinus, civ. 18,18,18–2465). Noch die Suda bezeichnet die Verfasser von Liebensromanen recht allgemein als ἱστορικοί.66 Es ist 61 Vgl.

Wirth, Art. Geschichtsschreibung (s. Anm. 29), 206.  Chariton etwa siedelt mit der Pose des Historiographen Chaireas und Kallirhoë sehr gezielt in historisch fassbarem Milieu an: So ist seine Heldin die Tochter des syrakusanischen Feldherrn Hermokrates. In der Zeit nach Chariton nähert sich der Roman freilich auch der Poesie und Dramatik; vgl. Karl Kerényi, Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Betrachtung, Darmstadt (1927) 21962, bes. 17–19. Die historisierende Werkaufnahme wird durch Titel wie  Ἐφεσιακά, Αἰθιοπικά, Historia Apollonii regis Tyri nachhaltig gesteuert; vgl. Müller, Chariton (s. Anm. 16), 118 Anm. 15; Niklas Holzberg, Der antike Roman. Eine Einführung, Düsseldorf (1986) 22001, 45. Zur historischen Plausibilisierungsstrategie des Romans näher Fuchs, Pseudologia (s. Anm. 10), 213–216; Morgan, Make-Believe (s. Anm. 16), 197–215; Holzberg, Roman, 45 f.; ders., Historie (s. Anm. 16), bes. 99–101; zu Apuleius, met. vgl. die Analyse bei Andrew Laird, Fiction, Bewitchment and Story Worlds: The Implications of Claims to Truth in Apuleius, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 147–174. Dass das Spiel mit dem historiographischen Rahmen gezielt auf Durchschaubarkeit angelegt ist (so Müller, Chariton, 123–126), scheint mir gerade aufgrund der Rezeption in der Breite eine etwas gewagte Annahme. 63  Vgl. Holzberg, Historie (s. Anm. 16), 94–96. 64  argumenta fictis casibus amatorum referta, quibus uel multum se Arbiter exercuit uel Apuleium non numquam lusisse miramur – „Erzähldarstellung durch erdichtete Fälle von Liebenden angefüllt, mit denen entweder der Arbiter [Petronius] sich geübt oder mitunter, wunderlicherweise, Apuleius gespielt hat“ (somn. 1,2,8). 65  […] sicut Apuleius in libris, quos asini aurei titulo inscripsit, sibi ipsi accidisse, ut accepto ueneno humano animo permanente asinus fieret, aut indicauit aut [!] finxit. Haec uel falsa sunt uel tam inusitata, ut merito non credantur – „[…] dass er, nachdem er Gift genommen habe, zum Esel geworden sei, aber die menschliche Seele beibehalten habe, wie Apuleius in den Büchern, denen er den Titel Der goldene Esel gegeben hat, mitgeteilt oder erdichtet hat. Solche Dinge sind entweder falsch oder so ungewöhnlich, dass sie mit Recht nicht geglaubt werden“ (civ. 18,18,19–24). 66  Vgl. Müller, Chariton (s. Anm. 16), 118 Anm. 15. Zur Verwandtschaft zwischen Historiographie und Roman Emilio Gabba, Literature, in: Sources for Ancient History, hg. v. M. Crawford, Cambridge 1983, 1–79: 15 f.; Bryan P. Reardon, The Form of Greek Romance, Princeton, N. J. 1991, 142–148; Morgan, Make-Believe (s. Anm. 16), 186 f.; dagegen betonen Ben E. Perry, The Ancient Romances, Sather Classical Lectures 37, Berkeley, Calif. 1967, 32–43; Müller, Chariton, bes. 132–136; Tomas Hägg, The Novel in Antiquity, Berkeley, Calif. 1983 (schwed. Orig. 1980), 87–90, 110–117 eher die Nähe zum Epos. Zu beachten ist, dass der Roman als undefinierte, offene Textsorte verschiedenste Gattungselemente kombinieren 62

5. Paideutische Konstruktion: τὰ καθόλου

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kaum übertrieben zu behaupten, der Roman sei eine historische Monographie, deren Plot sich fiktional verselbstständigt hat. Moderne Gattungskritik muss sich gar nicht eindeutig zwischen Roman und historischer Monographie entscheiden: die Gattungsträger selbst waren gerade vom Gattungsziel her daran interessiert, genau dieser Unterscheidung entgegenzusteuern.

5. Paideutische Konstruktion: τὰ καθόλου ὅ τ’ ἀπατήσας δικαιότερος τοῦ μὴ ἀπατήσαντος, καὶ ὁ ἀπατηθεὶς σοφώτερος τοῦ μὴ ἀπατηθέντος. Wer täuscht, ist gerechter als wer nicht täuscht, und getäuscht ist man weiser als nicht getäuscht. Gorgias nach Plutarch, De gloria Atheniensium 348c

Jeder Erzählvorgang setzt eine imaginäre Welt, die ihren eigenen Sinnregeln folgt, oder knüpft an eine solche an und durchbricht damit die Zusammenhänge und Gebundenheiten der tatsächlich erfahrbaren Welt und der tatsächlichen Sinnlosigkeit purer Faktizität. So ist auch der historiographische Erzählvorgang Ausdruck und Stiftung eines Sinnkonzepts67 und bietet, indem er Vergangenheit zu klären beansprucht, der Gegenwart Identitätsmuster und normatives Zusammenhangwissen an. Daher tritt das Auffinden von Datenmaterial als solchem in der Wahrnehmung zurück, und sein Bedeutungsrahmen wird wesentlich. Dieser Sinnbezug wird nicht vom Historiographen recherchiert, sondern ist ihm in kulturell, religiös, sozial und institutionell konstituierter Weise vorgegeben und keineswegs von den Rezipienten unabhängig. Geschichtsbewusstsein ist Teil des „Gedächtnisbildes“ (George Herbert Mead) einer Gemeinschaft, klärt als „intentionale Geschichte“ (Hans-Joachim Gehrke) deren Herkunft, Wesen und Selbstverständnis, ganz unabhängig von der Frage, ob das Intendierte in unserem Sinne „stimmt“; es muss für das eigene Sinnkonzept „stimmig“ sein. Vergangenheit und Gegenwart rücken eng zusammen, bilden eine Herkunfts‑ und das heißt vor allem Wertegemeinschaft, in der die Vergangenheit den Anspruch der Gegenwart als einer verwurzelten Wirklichkeit begründet. Das gegenwärtige und solche Kombination in jedem einzelnen Textsortenrepräsentanten anders ausfallen kann. Vor allem darf von der (gezielten!) Analogie nicht unmittelbar auf die Gattungsgenealogie geschlossen werden. 67 Ein Sinnkonzept sei mit der Definition bei Jörn Rüsen  /  ​K arl-Joachim Hölkeskamp, Einleitung: Warum es sich lohnt, mit der Sinnfrage die Antike zu interpretieren, in: Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, hg. v. K.-J. Hölkeskamp u. a., Mainz 2003, 1–15: 3 „ein plausibler und verläßlich beglaubigter reflektierter Bedeutungszusammenhang der Erfahrungs‑ und Lebenswelt und dient dazu, die Welt zu erklären, Orientierungen vorzugeben, Identität zu bilden und Handeln zweckhaft zu leiten“.

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Spielräume der Wahrheit

Orientierungssystem platziert sich im Vergangenheitsraum und wird auf solche Weise unangreifbar „objektiv“.68 Der Schritt zur wertstiftenden Dichtung ist kurz. Den Rang von Geschichtsschreibung und Dichtung abwägend, entscheidet sich Aristoteles dafür, der Dichtung den Vorzug einzuräumen: Die Wahrheit der Geschichtsschreibung ist nur prima facie wahrer als die Poesie. Der Dichter solle im Unterschied zum Historiographen (ἱστορικός) aber gar nicht dieses oder jenes Passierte berichten, sondern was jederzeit und überall geschehen könne: „Deshalb ist auch die Dichtung philosophischer und wesentlicher als die Geschichte: Die Dichtung handelt nämlich eher von der allgemeinen Wahrheit, die Geschichte dagegen vom Einzelfall“ (poet. 1451a–b69). Die dichterische Fiktion führt nicht von der Wahrheit fort, sondern wird zu einem „Akt spezifischer Wahrheitsstiftung“70, in der die Memoria sich statt dem extratextuellen Detail und Zufall einer erstrebten Ganzheit unterwirft, das Denkmögliche austariert, Gestaltungsspielräume ausmisst, Lebensfelder für den Adressaten affektiv berührbar macht.71 Das Denotat der Fiktion ist nicht der empirische Verlauf, sondern dessen – im Realitätsentwurf des Erzählers keineswegs weniger wahre – Deutungsrahmen. 68  Vgl. Hans-Joachim Gehrke, Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewußtseins, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 29–51, bes. 29–31, 49–51; Jens Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 237–262: 248 f. 69 Φανερὸν δὲ ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι οὐ τὸ τὰ γενόμενα λέγειν, τοῦτο ποιητοῦ ἔργον ἐστίν, ἀλλ’ οἷα ἂν γένοιτο καὶ τὰ δυνατὰ κατὰ τὸ εἰκὸς ἢ τὸ ἀναγκαῖον. ὁ γὰρ ἱστορικὸς καὶ ὁ ποιητὴς οὐ τῷ ἢ ἔμμετρα λέγειν ἢ ἄμετρα διαφέρουσιν· εἴη γὰρ ἂν τὰ  Ἡροδότου εἰς μέτρα τεθῆναι καὶ οὐδὲν ἧττον ἂν εἴη ἱστορία τις μετὰ μέτρου ἠ ἄνευ μέτρων· ἀλλὰ τούτῳ διαφέρει, τῷ τὸν μὲν τὰ γενόμενα λέγειν, τὸν δὲ οἷα ἂν γένοιτο. διὸ καὶ φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον ποίησις ἱστορίας ἐστίν· ἡ μὲν γὰρ ποίησις μᾶλλον τὰ καθόλου, ἡ δ’ ἱστορία τὰ καθ’ ἕκαστον λέγει – „Aus dem Gesagten wird auch klar, dass dies nicht die Aufgabe eines Dichters ist: Geschehenes darzustellen, vielmehr das, was geschehen kann, also das, was nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit möglich ist. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch, dass sie in Versen oder ohne darstellen (denn das Werk des Herodot ließe sich in Verse setzen und wäre wohl nichtsdestoweniger Geschichtsschreibung in oder ohne Versmaß). Vielmehr unterscheiden sie sich dadurch, dass der eine das Geschehene darstellt, der andere das, was geschehen könnte. Deshalb ist auch Dichtung philosophischer und wesentlicher als Geschichtsschreibung: Die Dichtung handelt nämlich eher von der allgemeinen Wahrheit, die Geschichte dagegen vom Einzelfall.“ Zur Diskussion der umstrittenen Passage Rösler, Entdeckung (s. Anm. 39), 308–312; Hans-Jürgen Horn, Zum neunten Kapitel der Aristotelischen Poetik, in: RMP 131 (1988) 113–136, bes. 117–130; Gill, Plato (s. Anm. 7), 74–79; Moles, Truth (s. Anm. 5), 107 f.; Puelma, Dichter (s. Anm. 36), 139–142. 70  Rösler, Entdeckung (s. Anm. 39), 310. 71  Vgl. Lausberg, Handbuch (s. Anm. 25), § 1167; Steichele, Vergleich (s. Anm. 18), 30–32; bes. Michael Franz, Fiktionalität und Wahrheit in der Sicht des Gorgias und des Aristoteles, in: Ph. 135 (1991) 240–248: 244–248.

5. Paideutische Konstruktion: τὰ καθόλου

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Platon, der die Dichter aus seinem Staat verbannen will, hat den Dialog, in dem er diese Forderung vorträgt, selbst erdichtet, sie einem „Sokrates, der schön und jung geworden ist“ (so aus der Schulperspektive: epist. 2,314c72), in den Mund gelegt, und seinen Atlantis-Mythos hat man die Geburtsstunde des fiktionalen Wahrheitsspiels genannt.73 Nicht Fiktion will er verbannen, sondern Falschheit, genauer: Dichtung, die ethisch in die Irre führt. Wo Fiktion zum Gaukelspiel an der Wand des Schattenreiches dient, verurteilt Platon sie; wo sie auf die Sonne weist, fingiert er selbst mit Freude: „Da wir nicht wissen, wie die Wahrheit um die alten Geschehnisse sich verhält, gleichen wir die Unwahrheit dem Wahren an, so sehr es geht, und machen so etwas Nützliches daraus“ (rep. 382d74; vgl. 377a–383c). Fiktionen sind also entweder Lüge oder Wahrheit: Wahrheit kann sich als inspirierte, angemessene, wertbezogene, enthüllende und in diesem Sinn nützliche Fiktion präsentieren. Bezeichnend ist, wie Augustinus, dessen Wahrhaftigkeitspathos keinem Zweifel unterliegt, jene lukanische Episode (Lk 24,28) auslegt, in der der Auferstandene die beiden Emmaus-Jünger, am Ziel angekommen, zu täuschen sucht: „Er stellte sich, als ob er weitergehe“ (προσεποιήσατο πορρώτερον πορεύεσθαι). Im Lateinischen ist das fiktive Moment sprachgeschichtlich fassbar: Finxit se longius ire. Der Kirchenvater, dem nicht daran gelegen sein kann, den Auferstandenen der Lüge zu zeihen, sieht sich zur Unterscheidung zwischen fictio und mendacium herausgefordert: Non enim omne quod fingimus mendacium est; sed quando id fingimus quod nihil significat, tunc est mendacium. Cum autem fictio nostra refertur ad aliquam significationem, non est mendacium sed aliqua figura ueritatis (Quaestiones evangeliorum 2,51,1 [CCSL 44B,116]75). Dass es bei solchen Unterscheidungen keineswegs um apologetische Subtilitäten geht, belegt ein Blick auf die heutige Diskussion, in der die literarische Imagination im historischen Konstrukt als kommunikativer Normalfall verteidigt wird, insofern sie nicht fort von konkretem Realitätswissen führe, sondern gerade zu ihm hin.76  τὰ δὲ νῦν λεγόμενα Σωκράτους ἐστὶν καλοῦ καὶ νέου γεγονότος. Christopher Gill, Plato’s Atlantis Story and the Birth of Fiction, in: Philosophy and Literature 3 (1979) 64–78; eine modifizierte Sicht entwickelt ders., Plato (s. Anm. 7), 62–66. Rösler, Entdeckung (s. Anm. 39), bes. 308–319 setzt die Zäsur – im Gefolge der Sophistik – bei Aristoteles, der als Erster textsortenkritisch die eigentümliche literarische Wahrheitsmöglichkeit bestimmt habe; ähnlich Luz, Fiktivität (s. Anm. 16), 162–164. Die Grenzziehung hängt freilich davon ab, was an der Fiktion als wesentlich und welcher Modus an literarischer Gestaltungsleistung als maßgeblich erachtet wird. Im Kern dürfte das Phänomen bereits in der archaischen Dichtung angezielt sein. 74  διὰ τὸ μὴ εἰδέναι ὅπῃ τἀληθὲς ἔχει περὶ τῶν παλαιῶν, ἀφομοιοῦτες τῷ ἀληθεῖ τὸ ψεῦδος ὅτι μάλιστα, οὕτω χρήσιμον ποιοῦμεν; (Καὶ μάλα, ἦ δ’ ὅς [Adeimantos], οὕτως ἔχει.) 75 „Nicht alles nämlich, was wir erdichten, ist Lüge, sondern wenn wir etwas erdichten, was nichts bedeutet, dann ist es Lüge. Sofern jedoch unsere Erdichtung sich auf irgendeine Bedeutung bezieht, ist sie nicht Lüge, sondern eine bestimmte Gestalt der Wahrheit.“ 76  „to say that we make sense of the real world by imposing upon it the formal coherency that we customarily associate with the products of writers of fiction in no way detracts from the status as knowledge which we ascribe to historiography. It would only detract from it if we were to be72

73 So

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Spielräume der Wahrheit

Vor diesem philosophisch-psychagogischen Horizont kann es durchaus zum Vorzug des Historiographen werden, öffnet er τὰ καθ’ ἕκαστον auf τὰ καθόλου. Die historia, so verkündet Diodorus Siculus, ist „Prophetin der Wahrheit“ und „Mutterstadt der gesamten Philosophie“ (Diod. 1,2,277; vgl. 21,17,4); sie ist paradigmatisch konkretisierte und geerdete Welt-Anschauung (vgl. Cicero, de orat. 2,3678; Dionysios von Halikarnass, ant. 5,48,1; 5,75,1; Josephus, ant. 17,60; Tacitus, hist. 1,3).79 Das Streben, im Rahmen von Geschichtsdokumentation der allgemeinen Wirklichkeitsdefinition und aktuellen Gemeinschaftskonstitution mittels der Anführung normativer exempla zu ihrem Recht zu verhelfen, und sei es auf Kosten des zufälligen Einzelfalls, dürfte ein Grundzug antiker Historiographie und Biographie sein und macht auch vor den Stärksten nicht Halt. Gerade die römische Geschichtsschreibung tritt seit Cato Maior mit moralischem Impetus auf.80 Sallust wie Tacitus bekennen sich programmatisch zum staatsphilosophisch-ethischen Darstellungsziel ihrer Geschichtsschreibung (Sallust, Catil. 5,9; Iug. 4,5–9; Tacitus, ann. 3,65).81 Die Handlungsträger  – Kleon bei Thukydides, Mark Anton bei Plutarch, Agricola bei Tacitus, die Catones bei lieve that literature did not teach us anything about reality, but was a product of an imagination which was not of this world but of some other, inhuman one“ (White, Tropics [s. Anm. 7], 99). Zur Legitimität der Fiktion bei Augustinus Assmann, Legitimität (s. Anm. 8), 82–85. 77  εἰ γὰρ ἡ τῶν ἐν ᾅδου μυθολογία τὴν ὑπόθεσιν πεπλασμένην ἔχουσα πολλὰ συμβάλλεται τοῖς ἀνθρώποις πρὸς εὐσέβειαν καὶ δικαοσύνην, πόσῳ μᾶλλον ὑποληπτέον τὴν προφῆτιν τῆς ἀληθείας ἱστορίαν, τῆς ὅλης φιλοσοφίας οἱονεὶ μητρόπολιν οὖσαν, ἐπισκευάσαι δύνασθαι τὰ ἤθη μᾶλλον πρὸς καλοκἀγατίαν;  – „Denn wenn schon die Erzählung von Mythen über die Dinge des Hades, die doch auf fiktiver Grundlage ruht, den Menschen viel Nutzen für Frömmigkeit und Gerechtigkeit bringt, um wie viel mehr ist dann anzunehmen, dass die Prophetin der Wahrheit, die Geschichte, gewissermaßen Mutterstadt der gesamten Philosophie, umso machtvoller den Charakter zu sittlichem Edelmut zu rüsten vermag?“ 78  Historia vero testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis, qua voce alia nisi oratoris immortalitati commendatur? – „Die Geschichte aber, Zeugin der Zeiten, Licht der Wahrheit, Leben der Erinnerung, Lehrerin des Lebens, Botin des Altertums – mit welcher anderen Stimme als der des Redners wird sie der Unsterblichkeit anheimgegeben?“ 79  Quintilian definiert das exemplum / ​παράδειγμα als rei gestae aut ut gestae utilis ad persuadendum id, quod intenderis, commemoratio (inst. 5,11,6; vgl. 5,11); dazu näher Lausberg, Handbuch (s. Anm. 25), §§ 410–426. Nach Fornara, Nature (s. Anm. 6), 115 f. wird in der frühreichsrömischen Zeit „Geschichte“ von den Ereignissen auf mores vitaeque der als modellhaft empfundenen Vorfahren ausgedehnt und so redefiniert. 80  Vgl. Andreas Mehl, Geschichtsschreibung in und über Rom, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 111–136, bes. 126 f. Zur Funktion des exemplum bei der Kanonisierung von Vergangenheitsbildern in der spätrepublikanischen römischen Rhetorik Stemmler, Auctoritas (s. Anm. 16); zur Zitationsfähigkeit und Moralisierung der exemplarischen Geschichtsbilder Karl-Joachim Hölkeskamp, Exempla und mos maiorum: Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“ der Nobilität (1996), in: ders., Senatvs popvlvsqve Romanvs. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen, Stuttgart 2004, 169–198, bes. 176–183. 81  Bei Sallust bestimmt dieses Darstellungsziel bereits insofern die Prologe der Coniuratio wie des Bellum Iugurthinum, als diese von der üblichen, eindeutig das historische Thema benennenden Eingangspartie historiographischer Werke erkennbar abweichen und allgemein-anthropologische Erwägungen bieten; vgl. dazu näher Donald Earl, Prologue-Form

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allen  – sind eher moralische Typoi als Individuen: Exempel zu Vorbild oder Warnung. Livius gestaltet Geschichte als Galerie didaktischer Musterfälle (vgl. Liv. pr. 9 f.).82 Plutarch steht in seinen Bioi vor dem Problem, dass Solon sich chronologisch schwerlich mit Krösus hat treffen können, was den Verlust einer moralischen Pointe bedeutet. Er löst es folgendermaßen: „Seine Begegnung mit Krösus möchten einige aufgrund der Chronologie als fiktiv entlarven. Ich indes möchte eine Geschichte, die so bekannt ist und so viele Zeugen aufweist, und, was wesentlicher ist, dem Charakter Solons und seiner Seelengröße und Weisheit so sehr entspricht, nicht aufgeben für irgendwelche sogenannten chronologischen Leitfäden!“ (Solon 27,183) Nun gehört es in der rhetorischen Kritik durchaus zu den vitia des exemplum, wenn es falsum ist, ut reprehendatur (rhet. Her. 2,4684). Gerade der Konsekutivsatz freilich enthüllt den Kern des Falschen: Ein solches exemplum erfüllt – wie das ethisch anfechtbare oder das ästhetisch über‑ oder untertriebene  – seine Funktion nicht. Es überschreitet den ihm erlaubten Spielraum. Ob der beschriebene Fall historisch stattgefunden hat oder nicht, ist dem Redner und, in seinem Gefolge, dem rednerisch anspruchsvollen oder an kanonisierten Vergangenheitsbildern interessierten Historiographen weniger bedeutsam. Wenn nur die Sinnlinie stimmt und die gewollte Wirkung erzielt wird, eröffnen sich geradezu natürliche Spielräume für die Fiktion. Bezeichnend ist erneut Cicero: Während Plutarch keine Schwierigkeit sieht, den zweiten König und Stifter des Staatskults Numa Pompilius, wie immer es um die Chronologie stehe, neben Pythagoras zu halten (Numa 1,2–4; 8,10; 22,4; dagegen kritisch: Dionysios von Halikarnass, ant. 2,59), weist Ciceros redlicher Scipio, angesprochen auf das Missverhältnis zwischen den öffentlichen Annalen und der These, Numa sei Pythagoras-Schüler gewesen, jene Zuordnung entschieden zurück: „Das nämlich, Manilius, ist völlig falsch, und nicht nur erdichtet (fictum), sondern auch noch unfachmännisch und ungereimt erdichtet (imperitum et absurdum fictum). in Ancient Historiography, in: ANRW I.2 (1972) 842–856; zur Wirkabsicht des χρήσιμον Avenarius, Schrift (s. Anm. 13), 22–26. 82 Vgl. Fornara, Nature (s. Anm. 6), 117 f. 83 Τὴν δὲ πρὸς Κροῖσον ἔντευξιν αὐτοῦ δοκοῦσιν ἔνιοι τοῖς χρόνοις ὡς πεπλασμένην ἐλέγχειν. ἐγὼ δὲ λόγον ἔνδοξον οὕτω καὶ τοσούτους μάρτυρας ἔχοντα, καί, ὃ μεῖζόν ἐστι, πρέποντα τῷ Σόλωνος ἤθει καὶ τῆς ἐκείνου μεγαλοφροσύνης καὶ σοφίας ἄξιον, οὔ μοι δοκῶ προήσεσθαι χρονικοῖς τισι λεγομένοις κάνοσιν. Zum durchaus kritischen, freilich in gesetzten Grenzen kreativen Umgang mit Quellen und historischen Einzelsachverhalten in Plutarchs Bioi vgl. die umsichtige Analyse bei Pelling, Truth (s. Anm. 6). Zur psychagogischen Formung des Lesenden mittels biographischen Erzählens ders., The Moralism of Plutarch’s Lives, in: Ethics and Rhetoric. FS D. Russell, hg. v. D. Innes / ​H. Hine / ​C. Pelling, Oxford 1995, 205–220; Philip A. Stadter, The Rhetoric of Virtue in Plutarch’s Lives, in: Rhetorical Theory and Praxis in Plut­ arch, hg. v. L. van der Stockt, Collection d’Études Classiques 11, Löwen / ​Namur 2000, 493–510. 84  Exemplum vitiosum est, si aut falsum est, ut reprehendatur, aut inprobum, ut non sit imitandum, aut maius aut minus, quam res postulat – „Ein Beispiel ist mangelhaft, wenn es falsch ist, sodass es widerlegt wird, oder verwerflich, sodass es nicht nachgeahmt werden darf, oder größer oder kleiner, als die Sache gebietet.“

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Denn gerade solche Lügen (mendacia) sind unerträglich, bei denen wir deutlich sehen (cernimus), dass sie nicht nur erdichtet sind, sondern dass sie gar nicht hätten geschehen können!“ (rep. 2,15 [28]85) Nicht die Fiktion verdient das Verdikt, sondern die „unverschämte“ Fiktion (vgl. sogar Pol. 16,12,5–11). Es ist die Fiktion des Unmöglichen – wie des Unsittlichen und des Unpassenden –, die den Spielraum der Wahrheit verletzt. Quintilians Fiktionsanweisung quidquid fieri solet (inst. 8,3,70) setzt der Kreativität denn doch auch eine innere Grenze. Was unmöglich war oder „zu geschehen pflegt“, darüber freilich herrschten zwischen den Historiographen je nach Naturbegriff, religiösen Prämissen, sozialem Milieu und Temperament äußerst unterschiedliche Ansichten.86 Berührte die Fiktion jedoch publikumsbezogen den Bereich dessen, was als „damals möglich“ schien, so war sie, so dürfen wir folgern, weniger verwerflich. Berührte sie darüber hinaus den Bereich dessen, was als „heute dienlich“ galt, so sah man sie wohl als passend an: Se non è vero, è molto ben trovato. Denn die Lüge um den Pythagoras-Schüler Numa erschien Cicero anders als Plutarch wohl nicht zuletzt insofern „unverschämt“, als er in Numa die Verkörperung der autochthonen römischen Tradition, der genuini domesticique virtutes (vgl. rep. 2,29), sah, während es Plutarch umgekehrt darauf ankam, die römische und die griechische Kultur in eine wechselseitige Beziehung zu setzen.87 Die Spielräume der Wahrheit wurden also gerade durch die Darstellungsinteressen bestimmt. Am Ende war es wesentlich, die Vergangenheit insofern zu kennen, als ihr Richtungspfeil auf die Möglichkeiten der Gegenwart zulief. Der berichtete Einzelfall stand weniger im Indikativ des Präteritums als im Potentialis der Gegenwart. Dort aber ist die historische Faktentreue dem Nutzen eher abträglich, wo sie dem Pfeil seine Konturen nimmt. Mehr noch: „Eine zu genaue Rekonstruktion der historischen Wirklichkeit könnte ernüchtern; man braucht eine gewisse mythologisierende Distanz, eine suggestive Unklarheit, die es jeder Gesellschaft, jeder Gegenwart erlaubt, durch Wiedererzählung, Phantasie und Reflexion ihre eigene Aura um diese ausgewählten historischen Ereignisse zu legen“88. Kurzum: Was die Fiktion moralisch macht, ist ihre Moral.89 Das bedeutet nun keineswegs, dass der Historiograph, was und wie immer er wünscht, im Namen der Moral frei erfinden darf. Jedoch genießt er im Rahmen seiner Interpretationsvollmacht Freiheit gegenüber dem Detail: „Wohl geben wir 85  „Falsum est enim Manili“ inquit „id totum, neque solum fictum sed etiam imperite absurdeque fictum; ea sunt enim demum non ferenda mendacia, quae non solum ficta esse sed ne fieri quidem potuisse cernimus“. 86  Vgl. zur Darstellung wunderhafter Geschehnisse und deren Kritik in der hellenistischen Historiographie die eindringliche Studie von Plümacher, Τερατεία (s. Anm. 33). 87 Zu Numa als kulturellem Identifikationssymbol Mareile Haase, Art. „Numa Pompilius“, in: DNP VIII (2000) 1045 f.: 1046. 88  Stemmler, Auctoritas (s. Anm. 16), 178. 89 Zum Wahrheitsanspruch des exemplum insgesamt Stemmler, Auctoritas (s. Anm. 16), 168–179.

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der Geschichte ihren Sinn, doch nicht, ohne daß sie ihn selber uns nahelegte“90. Gerade so, unter Absehung von der Wahrheit des Details, trägt Historiographie zur paideia bei, in der sich die Wahrheit der Polis oder des Reichskörpers als Ganze definiert und erschließt.91 Erinnerungskultur ist in wesentlicher Weise gesellschaftlich bzw. teilgesellschaftlich geprägt.92 Geschichtsschreibung pflegt die funktionale Gedächtniskultur der Gemeinschaft in ihrer gegenwärtigen Befindlichkeit und wird zugleich auch maßgeblich von dem sozialen Funktionsgedächtnis bestimmt.93 Der Historiograph ist zuerst Bürger, und dort, wo er kritisiert, ist er es umso mehr. Denn dann hält er – Tacitus als Musterfall – der Bürgerschaft ein Idealbild vor, um eine reale Gemeinschaft, „die es gibt“, im Namen einer idealen, „die es nie gegeben hat“, umzugestalten. In der konkreten Erzählform soll sich die Einsicht in Wesen und Wert der sozialen Körperschaft überhaupt spiegeln, und wenn die Rekonstruktion des Faktums keine Demonstration allgemeiner Wahrheit erlaubt, so konstruiert man sich ganz oder teilweise das dazu gehörige Faktum selbst.94 So gesehen mag man das Konstrukt des römischen mos maiorum für die nachhaltigste aller Fiktionen halten.95 Funktionale Äquivalente besaß es wohl in jeder antiken Sozietät. Auf diese Weise öffentlich eingebunden, bleibt es daher keineswegs dem Historiographen vorbehalten, die Spielräume der Wahrheit auszumessen. Erste Bemessungsgrundlage ist sein Publikum und dessen Plausibilitätsanspruch. Durch die mehr oder weniger kritische Einsicht der Lesenden / ​Hörenden bzw. der dieser zugrunde liegenden Bildungsbasis ergeben sich die deutlichen Unter90  So Maurice Merleau-Ponty im Motto von Dietrich Harth, Die Geschichte ist ein Text. Versuch über die Metamorphosen des historischen Diskurses, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. R. Koselleck / ​H. Lutz / ​J. Rüsen, Beiträge zur Historik 4, München 1982, 452– 479: 452. 91  Vgl. Todd Penner, Civilizing Discourse: Acts, Declamation, and the Rhetoric of the Polis, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. dems. / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 65–104, bes. 72–78; zur didaktischen und politischen Funktion der Historiographie näher Hose, Erneuerung (s. Anm. 39), 29–52. 92 Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, bes. 29–86; Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 68), 29–35. Dass mit dieser gesellschaftlichen Prägung zugleich eine standespolitische gegeben sein kann, lässt sich besonders deutlich an der kaiserzeitlich-römischen Historiographie zeigen, die die geschichtliche Erinnerung einer Traditions‑ und Bildungselite dokumentiert; dazu näher Dieter Timpe, Memoria und Geschichtsschreibung bei den Römern, in: Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein, hg. v. H.J. Gehrke / ​A. Möller, ScriptOralia 90, Tübingen 1996, 277–299, bes. 287–294. 93 Zur Unterscheidung von Funktions‑ und Speichergedächtnis Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München (1999) 3 2006, 130–142. 94 Vgl. Moles, Truth (s. Anm. 5), 120 f. 95  Zur Entwicklung des römischen Konstrukts des mos maiorum Wolfgang Blösel, Die Geschichte des Begriffes mos maiorum von den Anfängen bis zu Cicero, in: Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, hg. v. B. Linke / ​M. Stemmler, Hist.E 141, Stuttgart 2000, 25–97.

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schiede im fiktionalen Wagemut (vgl. Lukian, hist. conscr. 10). Es sind zudem die Anwälte der Vergangenheit, die vorangegangenen Historiographen, die die fiktionale Freiheit des einzelnen Schriftstellers begrenzen, mag er sich ihnen anschließen oder sich unter Anführung von Gründen von ihnen absetzen. Und mehr noch: Die folgenden Historiographen bilden bereits während der Abfassung eine heuristisch wirksame Kontrollinstanz, die den Wissensvorsprung des Autoren gegenüber den Adressaten prüfen, die Wahrscheinlichkeit seiner Konkretionen beurteilen, die Kriterien seiner Detaildarstellung abwägen wird (vgl. Lukian, hist. conscr. 40; 42). Es ist unübersehbar, dass sich die antiken Historiographen dieser Diskursgemeinschaft bewusst sind und sie zum Teil auch selbst suchen. Xenophon beginnt seine  Ἑλληνικά völlig unvermittelt im peloponnesischen Krieg dort, wo die Darstellung des Thukydides im Jahr 411 v. Chr. abgebrochen hatte (hell. 1,1,196), und bricht seinerseits nach der Schlacht von Mantineia 362 v. Chr. mit einem Hinweis auf die eigenen Nachfolger ab (7,5,2797). Es ist diese literarisch institutionalisierte Kontinuität, die aus der Fiktion die kontrollierte Fiktion werden lässt. Pelling schlägt mit Blick auf die Historio‑ und Biographien der Kaiserzeit vor, neben der modernen Unterscheidung von „true“ und „false“ eine dritte Kategorie zuzulassen: „true enough“.98 Der Schriftsteller erlaubt sich, Verläufe zu rearrangieren, fortzulassen oder hinzuzufügen, um den Charakter der Aktanten, das bezeichnende Hauptgeschehen in das rechte Licht zu rücken, nicht weil er die geschichtliche Wahrheit verändern möchte, sondern um seine Adressaten in eben diese zu führen. Denn wenn es schon nicht so war, so hat es aus einer deduktiven Sicht vom Ganzen her auf die Einzelheit doch so sein müssen, würdigt man nur die Geschichte in ihrer Gesamtdynamik. Die einfache Unterscheidung zwischen „wahr“ und „falsch“ wird dem Leben und damit der Geschichtsschreibung nicht gerecht: Aus dem Zusammentreffen der Grauzonen der Überlieferung mit der hellen Überzeugung des Verfassers entsteht die paideutische Konstruktion: nicht durch Quellenbefund abgesichert, nicht durch das Leben widerlegt, doch für das Heute sinnvoll – und damit hinreichend wahr, um erzählt zu werden. Oder in der freien Aneignung eines gern und nicht immer triftig angeführten dogmatischen Dreisatzes: Es konnte geschehen – es ist sinnvoll, dass 96 Μετὰ δὲ ταῦτα οὐ πολλαῖς ἡμέραις ὕστερον ἦλθεν ἐξ Ἀθηνῶν Θυμοχάρης ἔχων ναῦς ὀλίγας – „Danach, nicht viele Tage später, kam aus Athen Thymochares mit einigen wenigen Schiffen.“ 97  ἐμοὶ μὲν δὴ μέχρι τούτου γραφέσθω· τὰ δὲ μετὰ ταῦτα ἴσως ἄλλῳ μελήσει – „Von mir sind die Geschehnisse bis zu diesem Punkt aufzuschreiben; danach aber dürfte es an einem anderen liegen.“ Vgl. auch John Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography, Cambridge 1997, 237–241; Meissner, Anfänge (s. Anm. 45), bes. 83–86. 98  Truth (s. Anm. 6), 49; vgl. ebd. 42 f.: „he is only helping the truth along a little, allowing himself some licence to support a picture generally true. […] It is simply that the boundary between truth and falsehood was less important than that between acceptable and unacceptable fabrication, between things which were ‘true enough’ and things which were not“.

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es geschehen ist – also ist es als geschehen zu erzählen. Weil die Wahrheit, um dem Leben zu entsprechen, Ermessensspielräume braucht, wird die Historie in gemessenem Rahmen beweglich.

Lukas der Maler Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche In Acts, Luke draws a memory image of earliest Christianity by means of apologetic historiography. More exactly, he draws a vivid “memory painting” (“Gedächtnisgemälde”) of the origins and beginnings of what was to be called Christianity. He anchors a pastrelated conceptualisation of the Jesus-movement in the apparently “objective” depth of its first period in order (1) to assure, on the forum of competing religious self-definitions, his addressees of their ancient, biblical origin, (2) to enact the normative foundation narrative of the nascent church, (3) to make visible its significant attractive factors, and, in this way, (4) to provide his contemporary community with a meaningful place and future direction in history. In short, what Luke offers is the emplotment of extratextual reference. With regard to this purpose-designed mode of memory, we may read Acts as a creative construction of identity-forming order. However, if this peculiarity of the Lukan art of historiographic narration is taken into account, it also becomes possible to develop specific criteria for the historical quest.

1. Das Gedächtnisgemälde Wie konzipiert der ideale Historiograph seine Schrift? Lukian von Samosata (um 120–190 n.  Chr.) greift zur Beantwortung dieser Frage auf die Kunst zurück: Einem Bildhauer gleich bearbeitet der Geschichtsschreiber das ihm vorgegebene Material, das er nicht selbst herzustellen hat, das er aber zu einer Ordnung zu fügen und kraftvoll auf das Anschaulichste darzustellen weiß: „Und wenn ein Zuhörer danach meint, das Berichtete zu sehen, und so zum Lob veranlasst wird, dann in der Tat hat er sorgfältig gearbeitet, und das Werk hat dem Pheidias der Geschichte passendes Lob eingetragen“ (hist. conscr. 51; vgl. Plutarch, De gloria Atheniensium 346f–347c). Die alte Legende will wissen, der Evangelist Lukas sei ein Maler gewesen.1 Wie meist, ist die Legende im Faktum unzutreffend, doch in einem tieferen Sinn 1 Im frühen 8. Jh. war diese Legende verbreitet; möglicherweise kam sie im 6. Jh. auf; vgl. Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München (1990) 21991, 70–72; zum Zusammenhang mit der Bilderdebatte der frühen Kirche Ernst von Dobschütz, Christusbilder. Untersuchungen zur christlichen Legende, 3 Bde., TU 18, Leipzig 1899, I: 26–39; III: 267–280; zur kunstgeschichtlichen Nachwirkung Gisela Kraut, Lukas malt die Madonna. Zeugnisse zum künstlerischen Selbstverständnis in der Malerei, Worms 1986.

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wahr. Lukas „malt“ mit Sprachfarben, (atl.‑)biblischen Motivmustern, eindrucksvollen Szenenbildern und dramatischen Geschehenssequenzen. Wenn ein neutestamentlicher Schriftsteller das Prinzip der anschaulichen Vergegenwärtigung (ἐνάργεια) kultiviert hat, so er, und zwar gerade im zweiten Teil seines Doppelwerks, das nicht von ungefähr die Historienmalerei immer wieder zu inspirieren vermocht hat. Wie wir sahen,2 hat sich die hellenistisch-frühreichsrömische Geschichtsschreibung auf ihren verschiedenen Ebenen vorrangig als Ausmalung (Retusche inbegriffen) von Überlieferung verstanden, als Re-Arrangement, das sich an das Referenzgeschehen gebunden weiß, nicht zuletzt dadurch, dass sie es mit fiktionalen Darstellungselementen angesichts wechselnder Rezeptionsinteressen und Wahrheitsdefinitionen als überlieferungsfähig bewahrte. In diesem Sinn malt Lukas, der Pionier des sozialen Funktionsgedächtnisses im Urchristentum, seiner jungen Gemeinschaft ihren mitgehenden Anfang vor Augen.3 Er bevorzugt dabei die altbiblischen und heroischen Farben: Keine an den Rand und in die Illegalität zu drängende superstitio nova et malefica (Sueton, Nero 16,2; vgl. Tacitus, ann. 15,44,3; Plinius d. J., epist. 10,96,8) ist das Christentum, sondern eine attraktive religio vetus et pia.4 Die hier zu verfolgende These lautet: Im Modus apologetischer Geschichtsschreibung zeichnet Lukas in der Apostelgeschichte das Gedächtnisbild des Urchristentums, genauer: ein bewegtes und bewegendes Gedächtnisgemälde von Herkunft und Anfang des Christentums. Er verankert die relationale Erinnerung in der „objektiven“ Tiefe einer Erstepoche, um seiner Gemeinschaft auf einem lebhaften Forum konkurrierender religiöser Selbstdefinitionen die altbiblische Herkunft sichtbar zu machen, die Stiftungsmemoria zu vergegenwärtigen, die bleibende Attraktivität vor Augen zu führen und so ihrer Gegenwart verbindliche Identität, das heißt Platz und Richtungssinn in der Geschichte, zu geben. Anders gesagt: Er entwirft die intentionale Geschichte der werdenden Kirche. Es ist diese Intentionalität, die seine Geschichtsschreibung als konstruktives Ordnungshandeln verstehen lässt.

2  S. den Beitrag „Spielräume der Wahrheit. Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung“ [in diesem Band S. 129–155]. 3  Zur Formulierung vgl. Otto Hermann Pesch, „Der mitgehende Anfang“. Die Bedeutung von Bibel und Bibelauslegung für Glaube und Theologie, in: H.-J. Fabry u. a., Bibel und Bibelauslegung. Das immer neue Bemühen um die Botschaft Gottes, Regensburg 1993, 117–145. Versteht man die Emmaus-Episode (Lk 24,13–35) als christologische Programmerzählung für den zweiten Teil des Doppelwerks, so lässt sich Apg als die narrative Umsetzung dieser Bildfigur lesen. 4  Zur gepflegten Erinnerung in Apg näher Knut Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Chr. Böttrich / ​J. Herzer, WUNT 209, Tübingen 2007, 401–428 [in diesem Band S. 257–282].

1. Das Gedächtnisgemälde

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Als Haftpunkt dieser intentionalen Geschichte5 wählt Lukas – da der Ursprung die Intention am eindrucksvollsten zu markieren vermag – die Erstepoche seiner Gemeinschaft:6 ihre Stiftung und anfängliche Ausbreitung, darin eingeschlossen: der Trennungsprozess zwischen Christen und Juden. Eingefügt ist dieser Geschehenszusammenhang  – als Epoche eben  – in die umfassende Geschichte des Gottesvolks, sodass die Erzählung programmatisch einerseits auf einen unvordenklichen Hintergrund (in der biblischen Geschichte Israels) zurück‑ und andererseits auf einen universalen Horizont (für alle Völker bis an die „Enden

5  Der Begriff der intentionalen Geschichte für die im Interesse der wissenssozialen Gegenwartskonstitution gepflegte relationale Erinnerung wurde 1994 von dem Freiburger Althistoriker Hans-Joachim Gehrke geprägt: „was in einer Gruppe von der Vergangenheit ,gewußt, wie über sie geurteilt, was mit ihr gemeint ist‘ – unabhängig davon, was die historische Forschung im modernen Sinne davon hält“ (Hans-Joachim Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik – antik und modern, in: Saec. 45 [1994] 239–264: 247; vgl. ebd. 252–257). Gehrke hat das Konzept in verschiedenen Zusammenhängen ausgearbeitet, konkretisiert und fruchtbar gemacht; vgl. bes. ders., Was ist Vergangenheit? oder: Die „Entstehung“ von Vergangenheit, in: Der neue Streit um Troja. Eine Bilanz, hg. v. Chr. Ulf, München 2003, 62–81; ders., Einleitung, in: Normen, Ausgrenzungen, Hybridisierungen und „Acts of Identity“, hg. v. M. Fludernik / ​H.-J. Gehrke, Identitäten und Alteritäten 18, Würzburg 2004, 11–19; ders., Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewußtseins, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 29–51. 6  Der geschichtliche Grundbegriff Epoche sei verstanden als der diachron nach beiden Seiten abgegrenzte, individuell konfigurierte Geschehenszusammenhang in einem für die historische Betrachtung relevanten Zeitraum; dazu näher Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004, 253–284: 255–257. Eingangszäsur ist, wie Wolter triftig begründet, Gottes neue Heilsinitiative (vgl. Lk 1,8–20.26– 38), Schlusszäsur die Bilanzrede des Paulus vor Agrippa II. (vgl. Apg 26,1–29) (vgl. Wolter, Doppelwerk, 265–271). Die diesen Zeitraum namentlich in den Paulus-Episoden der Apg kennzeichnende Ereignisfolge ist der durch das Christus-Geschehen ausgelöste Trennungsprozess zwischen Juden und Christen (vgl. ebd. 258–265) und damit zugleich das Werden der Kirche. Der lukanische Erzählzusammenhang ragt nun narrativ nach beiden Seiten über die Epochenschwellen hinaus: Die dramatisch entfaltete Seereise von Cäsarea nach Rom (Apg 27,1–28,16) inszeniert den Übergang in ein neues Verkündigungsstadium, von dem aus in der abschließenden Begegnung zwischen Paulus und den stadtrömischen Juden (Apg 28,17–31) bereits auf eine vergangene Epoche zurückgeblickt wird (vgl. ebd. 266–268, 271). Dem ist hinzuzufügen, dass die Vorgeschichte die Epochenschwelle in der anderen Richtung überschreitet, und zwar insofern, als sie nach Sprache, Handlungsträgern, Grundmotiven und Geschehensfolge in die biblische Herkunftsgeschichte des Christentums gehört. Kurzum: Die lukanische Vorgeschichte beginnt, cum grano salis, mitten im „Alten Testament“; Apg endet in einem nach vorn offenen Ausbreitungsprozess. Dazwischen liegt die Erstepoche der Kirche. Zur Apg als identitätsstiftender Darstellung dieser Erstepoche vgl. auch Daniel Marguerat, The First Christian Historian. Writing the “Acts of the Apostles”, MSSNTS 121, Cambridge 2002, 31–34 („a narrative of beginnings“) sowie Jens Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 237–262: 250–254.

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der Erde“) vorausweist. Apg stellt dem werdenden Christentum einen gepflegten Vergangenheitsraum zur Verfügung. Sie ist ein „fundierender Text“.7 Sucht man diesen wissenssozialen Abfassungszweck einer literarischen Gattung zuzuweisen, so bietet sich die einer apologetisch-historiographischen Teilmonographie an.8 Die Beschreibung als Teilmonographie stellt den narrativen Bezug der Apg auf die Episodenbiographie des dritten Evangeliums heraus.9 Die Form der apologetischen Historiographie bedarf näherer Erläuterung:10  7 Vgl. Gehrke, Mythos (s. Anm. 5), 245 f. in Anlehnung an Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992.  8  Gattungskritische Bestimmungen sind naturgemäß stets anfechtbar, weil jede Festlegung Textzüge auszublenden oder zu marginalisieren scheint, die dem jeweiligen Beobachter wichtig sind. Je nach komparativem Interesse sind daher auch andere Zuweisungen denkbar. Betont sei, dass eine Gattungsbestimmung keine empirisch vorgegebene Textklasse „entdeckt“, sondern einen stets individuell geprägten Einzeltext in den keineswegs exklusiven Kontext literarisch und pragmatisch verwandter Texte stellt. Entscheidend ist, ob dieser Kontext zweckmäßig definiert wird und ob er zu aussagekräftigen Lektürebeobachtungen führt. Vgl. auch Alexander J. M. Wedderburn, Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte, in: Geschichte  – Tradition – Reflexion. FS M. Hengel III: Frühes Christentum, hg. v. H. Lichtenberger, Tübingen 1996, 303–322, der für eine Würdigung der Apg als „Werk sui generis“ bei gleichzeitiger Beachtung der verschiedenen textfamiliären Beziehungen plädiert, sowie die grundsätzlichen Überlegungen zur klassifikatorischen Mehrdeutigkeit der Apg gerade auch als Historiographie bei Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, 59–63.  9  Zum monographischen Charakter dieser „Epochengeschichte“ näher Klaus Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, in: ANRW II.25.2 (1984) 1031–1432: 1278– 1281; Darryl W. Palmer, Acts and the Ancient Historical Monograph, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​ A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 1–29; Eckhard Plümacher, Die Apostelgeschichte als historische Monographie (1979), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 1–14; ders., Cicero und Lukas. Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie (1999), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 15–32, bes. 28–32. Mutatis mutandis lassen sich die Feststellungen zum historiographischen zweiten Teil des Doppelwerks auf dessen biographisch zentrierten ersten Teil übertragen. Das dritte Evangelium bildet literarisch wie sachlich die Brücke zwischen den Schriften Israels und der Apg. Deshalb ist Apg als Geschichtswerk theologisch aus sich allein nicht lebensfähig; sie bedarf des relationalen Hintergrunds der in den biblischen Ur-Kunden aufgezeichneten Geschichte des Gottesvolks und jener Christus-Diegese, die vor diesem Hintergrund das Stiftungsgeschehen als solches markiert. Wenn wir uns in diesem Beitrag weithin auf Apg beschränken, so deshalb, weil hier der Vergleich mit der oben analysierten Historiographie unmittelbar anwendbar ist. 10  Diesem historiographischen Genre widmet sich grundlegend die umfassende komparative Studie von Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Leiden 1992. Die von David Aune, The New Testament in Its Literary Environment, LEC, Philadelphia, Pa. (1987) 1989, 88 f. vorgeschlagene Gattung der general history deckt sich nach Inhalt, Zweck und Trägerkreisen weithin mit der apologetic historiography. Sterling definiert diese folgendermaßen: „the story of a subgroup of people in an extended prose narrative written by a member of the group who follows the group’s own traditions but Hellenizes them in an effort to establish the identity of the group within the setting

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Die hellenistisch-reichsrömische Kultursynthese führte dazu, dass sich – meist ethnisch geprägte  – kulturelle Teilgemeinschaften innerhalb der umgebenden Mehrheitsgesellschaft ihrer eigenen, jetzt als relativiert oder bedroht erscheinenden Identität annahmen, ihre Vergangenheit aufarbeiteten und durch Geschichtsschreibung zum Zweck der Selbstvergewisserung ad intra wie der Selbstbehauptung ad extra re-konstruierten.11 Gerade die jüdisch-hellenistische Geschichtsschreibung hat sich auf diesem Feld mit selbstbewusster Kreativität engagiert12 und als wohl anspruchsvollstes Opus die Antiquitates Iudaicae des Josephus hervorgebracht.13 Vor eine ähnliche Aufgabe sieht sich Lukas gestellt: Ging es dem Evangelisten Matthäus – wie der vorangehenden christlichen Generation – noch wesentlich um den Ort der Heiden in der Ekklesia, so will Apg die of the larger world“ (Sterling, Historiography, 17 [dort kursiviert]). Das Adjektiv apologetisch kennzeichnet dabei den Versuch der Etablierung der eigenen Identität gegenüber der Außenwahrnehmung; vgl. auch Aune, Testament, 136–141. Sieht man von der naturgemäß nie ganz zufriedenstellenden terminologischen Festlegung ab (das Adjektiv weckt seinerseits wissenschaftsapologetische Ressentiments), so scheint mir Sterlings Gattungsbeschreibung pragmatisch hilfreich. Sie stößt in der englischsprachigen Forschung auf lebhaftes kritisches Interesse, während sie im deutschsprachigen Raum bislang nur unzureichend zur Kenntnis genommen wird; vgl. Palmer, Acts (s. Anm. 9), 15–18; Loveday Alexander, The Preface to Acts and the Historians, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 73–103: 99 f.; Kota Yamada, A Rhetorical History: The Literary Genre of the Acts of the Apostles, in: Rhetoric, Scripture and Theology, hg. v. S. E. Porter / ​T. H. Olbricht, JSNTS 131, Sheffield 1996, 230–250: 239–241; Loveday Alexander, The Acts of the Apostles as an Apologetic Text, in: Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians, hg. v. M. Edwards u. a., Oxford 1999, 15–44: 19, 26 f.; Carl R. Holladay, Acts and the Fragments of Hellenistic Jewish Historians, in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 171–198: 172 f.; Walter T. Wilson, Urban Legends: Acts 10:1–11:18 and the Strategies of Greco-Roman Foundation Narratives, in: JBL 120 (2001) 77–99: 78, 98 f.; Marguerat, Historian (s. Anm. 6), 29–34; Todd Penner, In Praise of Christian Origins. Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, ESEC 10, New York 2004, 138–146, 227–229; Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhet­ oric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004, 50–53. 11  Zu solcher Vermittlungsarbeit zwischen indigener Tradition und hellenistischer Großkultur sahen sich gerade Angehörige der priesterlichen Bildungsschicht berufen: Berossos in den Βαβυλωνιακά, Manethon in den Ἀιγυπτιακά; dazu näher Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 103–136; zu den ethnographischen Ursprüngen der apologetischen Geschichtsschreibung bei Hekataios von Milet, Herodot, Hekataios von Abdera und Megasthenes ebd. 20–102. 12  Sie ist freilich mit Ausnahme von Josephus nur in bezeichnenden Fragmenten greifbar; vgl. näher John J. Collins, Between Athens and Jerusalem. Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, New York (1983) 1986, 25–59; Robert Doran, The Jewish Hellenistic Historians before Josephus, in: ANRW II.20.1 (1987) 246–297: 247–274; Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 137–225; Holladay, Acts (s. Anm. 10); Penner, Praise (s. Anm. 10), 223–261. 13  Dazu ausführlich Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 226–310; zum Vergleich zwischen den historiographischen Profilen des Josephus und des Lukas Steve Mason, Josephus and the New Testament, Peabody, Mass. ([1992] 22003) 2005, 251–295, der die textpragmatischen und inhaltlichen Schnittfelder herausstellt und es für wahrscheinlich hält, dass Lukas Zugang zum Werk des Josephus hatte.

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Ekklesia unter den Heiden verorten. Nichts war dazu dringender nötig als eine soziale Gedächtnisstrategie, die nur der Historiograph zu erbringen vermochte: der augenfällig-nachvollziehbare Aufweis einer alten und edlen Abkunft und die Kanonisierung eines Vergangenheitsbildes, das den Christen selbst Orientierung gewährte und sowohl die Geringschätzigkeit als auch das Misstrauen der Beobachter abzubauen vermochte. In solchem Sinn – also nicht nur als Legitimation gegenüber politischen Machtträgern14 – wird man Apg als apologetische Rekonstruktion der christlichen Erstepoche, eingezeichnet in ihre biblisch-jüdische Urgeschichte, lesen können: Sie wirbt für die soziokulturelle Akzeptanz der eigenen Gemeinschaft im umfassenden Feld der reichsrömischen Mehrheitsgesellschaft und reorganisiert aus diesem Grund in selbstlegitimierenden und selbstaffirmierenden Bildern das geschichtliche Herkunftswissen des Urchristentums. Die Untersuchung, die wir oben dem Referenzanspruch in der hellenistisch-frühreichsrömischen Geschichtsschreibung gewidmet haben, lässt uns dieses sinnstiftende Ordnungshandeln des Lukas präziser erfassen.15 Der Vergleich lehrt, dass Apg als urchristliches Fallbeispiel einer deutlich rhetorisierten, mimetisch-dramatischen und paideutisch orientierten Historiographie zu lesen ist. Die Frage lautet also keineswegs, ob Lukas konstruiert oder nicht, sondern mit welchen – gerade auch theologischen – Leitlinien und in welchem – gerade auch adressatengeprägten  – Imaginationsrahmen er dies tut. Es ist damit das intentionale Moment der lukanischen Historiographie näher zu bestimmen.

2. Der dokumentarische Anspruch Unsere Beobachtungen zur zeitgenössischen Historiographie sollten drei Fehleinschätzungen bezüglich der Apg ausschließen: (1) Weil Apg einen historiographischen Anspruch erhebt, ist sie „historisch zuverlässig“. (2) Weil Apg ihr Gedächtnisbild vom Urchristentum konstruiert, erhebt sie keinen historiographischen Anspruch, sondern ist einer fiktionalen Gattung zuzuordnen. 14 Dies ist eine geläufige Engführung, die allenfalls einen Teilaspekt der hier versuchten Konzeption trifft. Alexander, Acts (s. Anm. 10), 16–19 unterscheidet zwischen fünf Typen frühchristlicher Apologetik: binnenkirchliche Auseinandersetzung, Verteidigung angesichts des Judentums, religiöse Werbung gegenüber der griechischen Welt, politische Verteidigung gegenüber der römischen Macht, Legitimation und Selbstdefinition, wobei der letzte Typus im Grunde aller literarischen Apologetik zugrunde liegt (vgl. ebd. 22). 15 Dazu s. den vorangehenden Aufsatz in diesem Band: Spielräume der Wahrheit (S. 129– 155). – Dass das Selbstverständnis des Historiographen Lukas nach den Maßstäben seiner Zeit, nicht nach denen der modernen Forschung zu beurteilen ist und dies nicht nur eine einmalige Einsicht darstellt, sondern die Lektüreperspektive insgesamt verändern muss, war das Anliegen einer Pionierstudie zur Verortung des Lukas in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung: Willem C. van Unnik, Luke’s Second Book and the Rules of Hellenistic Historiography, in: Les Actes des apôtres. Traditions, rédaction, théologie, hg. v. J. Kremer, BETL 48, Gembloux / ​ Löwen 1979, 37–60.

2. Der dokumentarische Anspruch

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(3) Historiographie und Theologie sind zwei unterschiedliche Darstellungsstränge der Apg bzw. sogar gegensätzliche Texttypen. (1) Aus unseren gattungskritischen Überlegungen ist kein unmittelbarer Schluss auf den Quellenwert der Apg und den extratextuellen Referenzstatus des Mitgeteilten zu ziehen.16 Dies würde selbst dann gelten, wenn man die Dokumentationsstrenge des Lukas, wie mitunter versucht wird, auf der Ebene der kritisch-pragmatischen Historiographen Thukydides und Polybios ansiedelt.17 Tatsächlich ist Apg aber vor dem Hintergrund der Geschichtsschreibung des ersten Jahrhunderts auszuwerten, in dem neben Theopomp eher Ephoros, Kleitarch und Timaios einflussreich waren und Thukydides vornehmlich mit Blick auf seinen Erzählstil als Vorbild galt. Historiographische Referentialität war hier auf allen Ebenen durch rhetorische Kunst, die Absicht literarischer Unterhaltung und übergeordneten Sinnstiftungs‑ und Erziehungswillen eingebunden. Zudem ist zu beachten, dass der Historiograph Lukas, soweit wir sehen, in einem bildungssozialen Milieu schrieb, in dem die kritische Kontrolle weniger gewichtet wurde als in elitären Gesellschaftsschichten.18 So haben wir für jeden Einzeltext der Apg mit starken dramatischen, romanhaften und teilweise auch epischen Erzählartefakten und insgesamt mit einem hohen Anteil an Konstruktivität durch die exornatio rerum, präsentativen movere‑ und delectare-Willen und (theologisch‑)paideutischer Sinnenthüllung zu rechnen. Wie für die Historiographen seiner Zeit dürfen wir auch für Lukas annehmen, dass all dies in seiner Sicht den Wahrheitsanspruch seiner Schriften nicht einschränkte, sondern entfaltete. Die Einsicht in die ausgeprägte konstruktive Ten16 Vgl. auch Loveday Alexander, Fact, Fiction and the Genre of Acts, in: NTS 44 (1998) 380–399: 381 f., 394–399. Henry J. Cadbury hat auf den in seiner Zeit gängigen Fehlschuss von der Verfasserfrage auf das Problem historischer „Zuverlässigkeit“ aufmerksam gemacht: Ist der Verfasser der Paulus-Begleiter Lukas, so sind die historischen Angaben glaubwürdig; ist er es nicht, steht der Quellenwert auf dem Spiel. Und umgekehrt: Historische Ungenauigkeiten, wie etwa Spannungen zu dem „Paulus der Briefe“, gelten als Argument, um auszuschließen, dass der Paulus-Begleiter Lukas das Werk verfasst habe (The Making of Luke-­Acts, London [1927] 2 1958, 360 f.). 17  So Ben Witherington in einem überraschenden editorischen Nachwort zu W. James McCoy, In the Shadow of Thucydides, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 3–23 (Addendum des Hg.: 23–32) sowie in seinem eigenen Beitrag: ders., Editing the Good News: Some Synoptic Lessons for the Study of Acts, ebd. 324–347: 344–347. Unberührt von der jüngeren Diskussion, verharrt Claudio Ferone, Der Prolog des Lukasevangeliums (1,1–4) und die griechische Geschichtsschreibung, in: Gym. 109 (2002) 323–329 allzu unkritisch bei Programmbegriffen der exordialen Topik; vgl. dagegen die differenzierte Analyse bereits bei Cadbury, Making (s. Anm. 16), 360–368. 18 Freilich wird man sich hier vor anachronistischem Urteil hüten müssen: Die geschichtliche Plausibilität entschied sich keineswegs nur an der intellektuellen Kritikfähigkeit, sondern mehr noch an der gesellschaftlichen Akzeptanzbereitschaft. Bezeichnend ist es etwa, wenn der dem Senatorenstand angehörige Historiograph Tacitus den von ihm als inferior eingestuften Juden vorwirft, dass ihr Aberglaube so weit reiche, dass sie vor der Eroberung Jerusalems nicht einmal auf wunderbare Vorzeichen, die er bunt auszumalen weiß, geachtet hätten, um den erzürnten Göttern sogleich Sühnopfer und Gelübde darzubringen (hist. 5,13,1 f.).

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denz der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie kommt dem modernen Wunsch nach einer möglichst tragfähigen Dokumentation der urchristlichen Geschichte nicht entgegen.19 Wohl aber lässt die Einsicht in die Eigenart solcher Konstruktivität Rückschlüsse auf die historischen Möglichkeitsbedingungen des jeweils entworfenen Gedächtnisbildes zu. (2) In jüngerer Zeit neigt die Forschung auch zu der diametral entgegengesetzten Folgerung: Weil wir in Apg konstruktive Kohärenz und schöpferisch herbei-gemalte Darstellungselemente antreffen, ist ihr extratextueller Referenzstatus zu vernachlässigen;20 sie ist der Prosafiktion zuzuordnen, namentlich dem Reise‑ und Abenteuerroman21 oder dem Epos.22 Gerade das Mirakulöse in der lukanischen Berichterstattung scheint modernen Beobachtern die 19 Wir beobachten hier die Verlagerung einer argumentativen Situation: Exegeten wird von Althistorikern und mehr noch von engagierten Christen, die sich auf Althistoriker berufen, nicht selten vorgeworfen, den Quellenwert der ntl. Erzähltexte unzulässig zu relativieren. Eine vergleichbare Skepsis gegenüber dem Referenzanspruch antiker Quellen sei für die historische Wissenschaft undenkbar (vgl. pars pro toto Helga Botermann, Der Heidenapostel und sein Historiker. Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte, in: ThBeitr 24 [1993] 62–84). Die jüngere Diskussion gerade auch in der althistorischen und altphilologischen Forschung zeigt demgegenüber genau umgekehrt, dass eben jene kritische Distanz, die Exegeten gegenüber dem Dokumentationsanspruch ihrer konfessorischen Texte seit langem pflegen, auch gegenüber den klassischen Historiographen sehr angebracht ist. 20 Vgl. die Skizze über die aktuelle US-amerikanische Actaforschung bei Joseph B. Tyson, From History to Rhetoric and Back: Assessing New Trends in Acts Studies, in: Contextualiz­ ing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 23–42 und das Resümee bei Todd Penner, Civilizing Discourse: Acts, Declamation, and the Rhetoric of the Polis, ebd. 65–104: 103: „Acts is, finally, important for what it actually represents: a creative and innovative mythology of the formation and expansion of the Christian politeia. The historical kernel is really quite beside the point for Lukan historia“. 21 So Susan M. Praeder, Luke-­Acts and the Ancient Novel, in: SBLSP 20 (1981) 269–292, bes. 283–289; Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987. Differenzierter Stephen P. Schierling / ​Marla J. Schierling, The Influence of the Ancient Romances on Acts of the Apostles, in: ClB 54 (1978) 81–88, die Apg zwar maßgeblich durch den antiken Roman beeinflusst sehen, sie aber weder für „pure fiction“ halten noch die Gattungsfrage berührt wissen wollen: „It seems that the style of the romances did influence Luke’s narration of this early period of the church, just as Star Wars or Love Story have left their marks upon us“ (ebd. 88). Richard S. Ascough, Narrative Technique and Generic Designation: Crowd Scenes in Luke-­Acts and in Chariton, in: CBQ 58 (1996) 69–81 zeigt am Beispiel der Massenszenen in Charitons Chaireas & Kallirhoë Schnittfelder mit der lukanischen Erzähltechnik auf, in der er romanhafte mit biographischen wie historiographischen Elementen verbunden sieht. 22  Marianne P. Bonz, The Past as Legacy. Luke-­Acts and Ancient Epic, Minneapolis, Minn. 2000, bes. 183–193 sieht das lukanische Opus nicht als Historiographie, sondern als historische Epik in literarischer Prosaform. Grob vereinfachend Dennis R. MacDonald, Paul’s Farewell to the Ephesian Elders and Hector’s Farewell to Andromache: A Strategic Imitation of Homer’s Iliad, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​ C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 189–203: 189 f.: „Far from being a rustic, empirically challenged, Thucydides-wannabe, Luke was, among other things, a sophisticated, clever, and creative author of fiction. […] Luke is thus epic, not history“.

2. Der dokumentarische Anspruch

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Grenzen des in der antiken Geschichtsschreibung Möglichen zu sprengen.23 Tatsächlich fällt es nicht schwer, charakteristische Elemente aus diesen Textsorten in Apg aufzuzeigen,24 denn Randunschärfen dieser Art sind für die hellenistisch-reichsrömische Historiographie als Mischtypus schlechterdings kennzeichnend. Romanhafte Erzählzüge gehören seit der Alexander-Zeit zum Vergnügungs‑ und Spannungsaspekt des Geschichtswerks; epische Erzählweisen sind naturgemäß gut geeignet, die heroisch-dramatische Darstellung einer verheißungsumwobenen, mythisierten Gründungsepoche zur Geltung zu bringen. Zu Gattungsbestimmungen reicht dies nicht. Ein Vergil oder Apuleius ist Lukas noch weniger als ein Thukydides oder Polybios. Der Versuch, bei der Lektüre von der Mitteilung rekonstruierter Sachverhalte abzusehen, die story an die Stelle der history zu setzen,25 wird seinem geschichtsvermittelnden Grundanliegen (vgl. Lk 1,1–4; Apg 1,1) nicht gerecht, das zwar über eine re-imaginativ konkretisierte, präsentierte, gedeutete, aber gerade so nicht erfundene, sondern überkommene Wirklichkeit handelt. Unser Vergleich mit der zeitgenössischen Historiographie legt die Annahme nahe, dass Lukas die historischen Sachverhalte eher beugt, füllt und neu gruppiert, dass er ihnen auf die literarischen Sprünge hilft, nicht aber, dass er sie im Plot von der Wurzel auf konstruiert. Sie sind im Einzelnen denn oft genug auch zu sperrig, zu widersprüchlich, den lukanischen Erzählinteressen zu offenkundig entgegengesetzt, als dass sie sich aus fiktionaler Gestaltungsfreude allein erklären ließen. Diese verschwistert sich vielmehr mit dem dokumentarischen Bewahrungswillen. Nicht die Fiktion im freien Fall, sondern die kontrollierte Fiktion bestimmt die Historiographie des ersten Jahrhunderts. Für Lukas ist der vorgegebene Konstruktionsrahmen erstens durch die recherchierte Über23 Vgl. Pervo, Profit (s. Anm. 21), 7; zur gründlichen Widerlegung dieser Einschätzung Eckhard Plümacher, Τερατεία. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte (1998), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 33–83. 24  Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien typische romanhafte Erzählzüge aufgelistet, die jedem Leser der Apg vertraut vorkommen: abenteuerliche Reisen gefährdeter Sympathieträger, exotische Begegnungen, staunenswerte Ereignisse unter Intervention der Götterwelt, Träume und Vorhersagen, Verwechslung von Menschen mit Gottheiten, traurige Abschiede, Verschwörungen, burleske Beschämung der Gegner, Gerichts‑ und Versammlungsszenen, Tumulte, Gefangenschaft, außergewöhnliche Todesarten, wunderbare Rettungen, Seestürme und Schiffbrüche. Was auffällig fehlt, sind die erotischen Züge und die Gestalt einer beeindruckenden Heroine als Leitfigur sowie ein auch nur romanhaft angehauchter Erzählschluss (vgl. William F. Brosend, The Means of Absent Ends, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 348–362: 353 f.). 25 Zur Vermittlung zwischen erzählter Welt und extratextuellem Sachverhalt unter den Bedingungen einer Mündlichkeits‑ bzw. Vorlesekultur grundsätzlich Samuel Byrskog, Story as History – History as Story. The Gospel Tradition in the Context of Ancient Oral History, WUNT 123, Tübingen 2000; mit genauerem Blick auf Apg auch ders., History or Story in Acts – A Mid­ dle Way? The “We” Passages, Historical Intertexture, and Oral History, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 257–283.

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lieferungslage (vgl. Lk 1,1–4), zweitens durch den Plausibilitätsanspruch der intendierten (vornehmlich christlichen) Leserschaft und drittens vermutlich auch durch die heuristische Kontrollinstanz nachfolgender christlicher Geschichtsschreibung26 gesetzt. Mögen sich für Apg die im Einzelnen benutzten Vorlagen und Traditionen letztlich der Verifikation entziehen, so erlaubt es doch der erste Teil des Doppelwerks, die Bearbeitung des Quellenguts durch Lukas synoptisch zu beurteilen und daraus auch Rückschlüsse auf seine Arbeitsweise in Apg zu ziehen.27 Man wird seinen Umgang mit Mk und, sofern ersichtlich, mit Q als maßvoll kreative Aus‑ und Übermalung beschreiben können, eher bewahrend im Blick auf Herrenworte und die überlieferte Geschehensfolge, zupackender, wo sein Sprachempfinden, seine theologischen Grundanliegen, seine geschichtlichen Vernetzungsinteressen berührt sind. Wo Apg Einzelangaben über politische Verantwortungsträger (wie M. Antonius Felix, Porcius Festus, L. Iunius Gallio, vermutlich auch Q. Sergius Paullus) oder, wenn auch chronologisch unkorrekt, deren Widersacher (Judas der Galiläer, Theudas) bietet, lassen sich diese im Kern historisch belegen. Ergibt sich in einem Einzelfall wie der Überlieferung des Todes Agrippas I. (Apg 12,19b–23; Josephus, ant. 19,343–350) die Möglichkeit eines genaueren Vergleichs zwischen Apg und Josephus, so wird ein geteiltes Überlieferungsprofil mit Entsprechungen und Divergenzen erkennbar, wie wir es auch sonst zwischen literarisch voneinander unabhängigen Historiographen finden. Beide Schriftsteller lassen sich von dem – wiederum auch den Roman faszinierenden – Thema eines außergewöhnlichen Todes anziehen. Dabei sind historische Mitteilung und legendarische Ausmalung keineswegs je einseitig verteilt: Lukas bietet nüchterne, anscheinend keinem theologischen Interesse geschuldete Nachrichten über die politischen Hintergründe des vermessenen Auftritts des Herrschers (die Gesandtschaft von Tyrus und Sidon, die prekäre Ernährungslage dieser Städte, die „Gewinnung“ des Kämmerers Blastus für ihre Sache), nicht aber das Omen des Uhus (Josephus, ant. 19,346). In seiner Interpretation des Geschehens stellt er hingegen den religiösen Bedeutungszusammenhang 26  Wenn Lukas sein Geschichtswerk wie Thukydides und vor allem Xenophon (hell. 7,5,27) unvermittelt abbricht und zugleich zu erkennen gibt, dass er um eine Weiterentwicklung nach der Erstepoche weiß, lässt dies möglicherweise darauf schließen, dass er mit historiographischen Nachfolgern gerechnet hat, die über die folgende Epoche der Gottesvolk-Geschichte Bericht erstatten würden; vgl. auch Brosend, Means (s. Anm. 24), 362: „while the end of Luke’s Gospel gives testimony that Mark’s ending begged for extension, the end of Luke-­Acts suggests that it begged for emulation“. 27 Darin liegt das methodische Recht des (in seinen Folgerungen dann unrealistischen) Ansatzes von Witherington, News (s. Anm. 17), 324–335; vgl. bereits Cadbury, Making (s. Anm. 16), 365 f. Es entbehrt daher nicht der Konsequenz, wenn Pervo versucht, Apg literarisch wie gattungskritisch von Lk zu lösen: Richard I. Pervo, Must Luke and Acts Belong to the Same Genre?, in: SBLSP 28 (1989) 309–316; Mikeal C.  Parsons / ​R ichard I.  Pervo, Rethink­ing the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. 1993. Zu einer differenzierten Bestimmung der narrativen Einheit zwischen den beiden gattungsmäßig relativ selbständigen Teilwerken Schröter, Lukas (s. Anm. 6), 237–247; Shauf, Theology (s. Anm. 8), 52–54.

2. Der dokumentarische Anspruch

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des Straftods heraus.28 Insgesamt ist oft beobachtet worden, dass Lukas teilweise recht genaue politische, juridische, lokale Kenntnisse verrät.29 Doch auch auf einer anderen Ebene werden Kenntnisse greifbar: Selbst dort, wo man zunächst am wenigsten geneigt sein dürfte, einen historischen Sachverhalt anzunehmen, wie in der Areopagrede des Paulus (Apg 17,22–31), inszeniert Lukas, genauer betrachtet, durchaus mit den Mitteln historiographischer Darstellung – die Rede kommentiert einen dramatischen Höhepunkt  – einen durchaus zutreffenden Sachverhalt: Es ist Paulus, der den entscheidenden Schritt tut, das Evangelium in die pagane Mehrheitskultur zu tragen.30 Kurzum: Lukas gibt der Geschichte des Urchristentums konstruktiv ihren Sinn, doch einen, den deren Verlauf selbst ihm nahelegt.31 Seine fiktionalen Erzählelemente wollen die historischen Ereignisse beleuchten, kompakt und transparent werden lassen, vertiefen, nicht ersetzen. Die exegetische Herausforderung scheint somit darin zu liegen, die generellen Grenzen ungefähr zu bestimmen, in denen der lukanische Gestaltungswille sich zu bewegen erlaubt.32 (3) Unsere Einsicht in die rhetorisch-mimetisch-paideutische Funktionseinheit der hellenistisch-frühreichsrömischen Geschichtsschreibung lässt uns eine Dichotomie überwinden, die die Actaforschung in weiten Teilen noch immer 28 Zur vergleichenden Interpretation näher Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 51–57; Mason, Josephus (s. Anm. 13), 163. 29  Je nachdem, auf welche Teile der Darstellung man sich konzentriert, kann das Urteil sogar enthusiastisch ausfallen, gerade bei jenen eher vorausgesetzten als gezielt mitgeteilten Details, mit denen sich keine intentionale Übermalung zu verbinden pflegt: „As soon as Christ enters the Roman orbit at Jerusalem, the confirmation begins. For Acts the confirmation of historicity is overwhelming“ (Adrian N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament. The Sarum Lectures 1960–1961, Oxford 1963, 189; vgl. ebd. 172–193); nüchtern abwägend dagegen Charles H. Talbert, What Is Meant by the Historicity of Acts? (1997), in: ders., Reading Luke-­Acts in Its Mediterranean Milieu, NT.S 107, Leiden 2003, 197–217. 30  Vgl. näher die Ausführungen in Jens Schröter, Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums: Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive, in: Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, hg. v. dems. / ​A. Eddelbüttel, TBT 127, Berlin 2004, 201–219: 212–217, die auf die geschichtstheoretische Konstruktivitätsdebatte zurückgehen, sich aber mit unseren der antiken Diskussion verdankten Beobachtungen weithin decken. 31  Vgl. das von Maurice Merleau-Ponty stammende Motto über dem Aufsatz von Dietrich Harth, Die Geschichte ist ein Text. Versuch über die Metamorphosen des historischen Diskurses, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. R. Koselleck / ​H. Lutz / ​J. Rüsen, Beiträge zur Historik 4, München 1982, 452–479: 452. 32 Zur Beurteilung des Referenzanspruchs der Apg realistisch Schröter, Lukas (s. Anm. 6), 254–261. Zu einer recht affirmativen Sicht der Darstellung der Apg neigen Martin Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart (1979) 21984, bes. 36–39, 54–61 und Colin J. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, hg. v. C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989 sowie im Ganzen, traditionsgeschichtlich argumentierend, auch Gerd Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987.

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belastet: die Schein-Alternative, ob Apg „historical record or theological reconstruction“ darstelle,33 bzw. deren gemäßigte Variante, wo Apg Theologie, wo dagegen Historiographie biete, wo also Lukas als historischer Chronist Bericht erstatte und wo er als theologischer Redaktor Deutungsmuster konstruiere. Bezeichnend sind die Urteile: „Im letzten aber ist er dann doch nicht Historiker, sondern Prediger“34 oder auch umgekehrt: „he did not allow his theology to distort his history“35. Doch die Theologie liegt gerade nicht neben der Geschichtsschreibung, nicht hinter der rhetorischen Vergegenwärtigung, mimetischen Präsentation, paideutischen Sinnstiftung, sie liegt im Modus von Rhetorik, Mimesis, Paideia selbst. Sie artikuliert kein kerygmatisches Gedankengut, das sich zwischen den historiographischen Erzählsequenzen redaktionskritisch entdecken ließe, etwa in Form einer vom Erzählverlauf selbst unabhängigen Gotteslehre, Pneumatologie, Ekklesiologie usw. Die Sequenzen als solche sind gar nicht anders fassbar als in ihrem notwendig konstruierten Richtungssinn und daher in (theologisch) gedeuteter Form. Genauer: Erzählen selbst ist eine besonders nachhaltige Gestalt von Deutung; Erzählen in religiösem Kontext ist eine besonders nachhaltige Form von Theologie.36 Es ist das emplotment, das Theologie und Geschichtsschreibung zur bedeutungsvollen Einheit verbindet. Lukas wählt in Apg die Form der Historiographie, um seiner theologischen Interpretation im Kontext reichsrömischer Religiosität kulturell akzeptanzfähige Gestalt zu geben.37 Daraus folgt: Auch und gerade die geschichtliche Fiktion erhebt als Vergegenwärtigungs-, Ordnungs‑ und Formungshandeln theologischen Anspruch. Auch die theologische Denkfigur versteht sich dezidiert als sinnstiftender Beitrag zur geschichtlichen Wahrheit. Gerade darin liegt das Wesen lukanischer Intentionalität. 33  So der programmatische Titel des Bilanzaufsatzes von Frederick F. Bruce, The Acts of the Apostles: Historical Record or Theological Reconstruction?, in: ANRW II.25.3 (1985) 2569–2603. 34 Martin Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung (1949), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen 51968, 120–162: 157. Vgl. die gerade mit Blick auf die skizzierte bifurcation sensiblen Forschungsübersichten in den Studien von Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 24–59 und Shauf, Theology (s. Anm. 8), 4–41. 35  Bruce, Acts (s. Anm. 33), 2600. 36  Beverly R. Gaventa, Toward a Theology of Acts. Reading and Rereading, in: Interp. 42 (1988) 146–157 wendet sich mit Verve gegen eine Isolierung von bestimmten theologischen Schaltstellen oder Schlüsselmotiven und wirbt dafür, stattdessen die narrative Ganzheit des Buches lesend wahrzunehmen und die erzählte Welt als solche zu explorieren, da die Theologie der Apg nur auf solche Weise sichtbar werde. 37 Dies setzt voraus, dass unter Theologie kein kategorialer Entwurf der Gegenwart (abgelesen etwa an paulinischen oder systematisch-heilsgeschichtlichen Positionen) verstanden wird, sondern eine – auch paganer Religiosität mögliche – Reflexion über das Divinum und seine Wirkung bzw. Wahrnehmung im menschlichen Erfahrungsraum. Vgl. näher die weithin überzeugenden methodologischen Überlegungen bei Schröter, Lukas (s. Anm. 6), 247–250 und Shauf, Theology (s. Anm. 8), 41–84.

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3. Die intentionale Ausrichtung Geschichtsschreibung ist für Lukas die sich in der Zeitentiefe verankernde Gestalt ekklesialen Selbstbewusstseins. Nicht wie es gewesen ist, scheint ihm belangvoll, sondern was es zu bedeuten hat.38 Sein Blick in den Vergangenheitsraum entdeckt dort narrative Möglichkeiten, ein Gedächtnisbild zu malen, dessen christliche Betrachter sich durch Wahrnehmung einer erwünschten Kontinuität ihrer kollektiven Existenz und ihrer Entwicklungsperspektive vergewissern können. Das soziale Gedächtnis wird durch Bilder – und seien es erzählte Bilder – weitaus intensiver geprägt als durch historisch präzise Wirklichkeitsdarstellungen. „Hermann der Cherusker“, Don Carlos oder Rob Roy üben als Gestalten gepflegter Erinnerung einen sehr viel stärkeren Einfluss auf ihre Nachfahren aus als ihre historischen Bezugsfiguren. Was als Erinnerung zu pflegen wert ist, ist vor allem die geschichtliche Großtat. Die größte geschichtliche Tat ist jene, der die Erinnerungsträger ihre soziale Wirklichkeit verdanken: die Gründung. In diesem Sinn ist das lukanische Werk als relational geformte Herkunfts‑ (→ 3.1) und Stiftungsmemoria (→ 3.2) des Christentums zu lesen, in der dessen Anfänge vereinheitlicht (→ 3.3), teleologisiert (→ 3.4), sakralisiert (→ 3.5) und theologisch geprägt (→ 3.6) sind. 3.1 Herkunftsmemoria Verwurzelt Apg die eigene Gegenwart im Gründungshandeln einer heroischen Pioniergeneration, so wird diese Generation ihrerseits vor dem Hintergrund und als Folge des im Evangelium dargestellten Christus-Geschehens kenntlich gemacht und damit zugleich in eine unvordenklich alte biblisch-jüdische Urgeschichte eingezeichnet. Die vorgeschaltete Erzählung des Lk signalisiert lektürelenkend durch Sprache (Septuaginta-Mimesis, Psalmenimitation), Handlungsträger (Priester, Engel, kinderlose Paare, der gerechte Tempelfromme, die Prophetin), szenisches Kolorit (Jerusalem, Tempel, Opfer, Wallfahrt), verheißungsgeschichtliche Leitmotive (Gottesbund, angesagte Erfüllungsereignisse), dass hier altbiblischer Grund betreten wird. Vornehmlich durch ihre Reden zeichnen sich auch in Apg, die eingangs erneut Jerusalem und Tempel und mittels Sprache die Septuaginta aufruft, die Hauptakteure als „alttestamentliche Charaktere“ aus. Rekurrenzmuster (wie der deuteronomistisch an38  Vgl. Martin Dibelius, Der erste christliche Historiker (1948), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 51968, 108–119: 116 f.: „Die Leser sollen von der gesamten Darstellung getroffen werden, nicht um zu wissen, wie es wirklich gewesen ist, eher schon, um zu verstehen, was dies alles zu bedeuten hat, dieser Einbruch der christlichen Kirche in die Welt der hellenistischen Kultur, vor allem aber, um anbetend zu erkennen, welcher Art das Evangelium ist und wie es die Menschen überwindet“; vgl. Hanneliese Steichele, Vergleich der Apostelgeschichte mit der antiken Geschichtsschreibung. Eine Studie zur Erzählkunst in der Apostelgeschichte, Diss. München 1971, 95–103.

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mutende Tun-Ergehen-Zusammenhang, der an Paulus demonstrierte Topos der Berufungsvision, das Wirken des Pneuma, die Darstellung Pauli als Verkünder des Vätergottes usw.) verstärken diesen Kontinuitätseindruck. Diese narrative Gewinnung einer christlichen Vergangenheit erfüllt eine doppelte Funktion: Nach außen wirkt sie in einer gerade im religiösen Feld für das Altersargument empfänglichen Umwelt attraktiv; nach innen vermittelt sie ein legitimierendes und orientierendes Stetigkeitsbewusstsein. Was also in der hellenistisch-reichsrömischen Großkultur das kanonisierte Urereignis „Troja“ anschluss‑ und fortschreibungsfähig für die erinnerte Ahnengalerie leistet, das findet Lukas für das junge Christentum in den Urkunden Israels.39 3.2 Stiftungsmemoria Zur umfassenden Paideia antiker Gemeinwesen gehörte der Rekurs auf die Stiftungszeit als verbindliche Grundlegung der Gegenwart: „Historia was polis, though not necessarily the city as it was but as it was idealized, mythologized, and immortalized“40. So stellt Lukas die christliche Politeia in das Licht der Jesus‑ und Jerusalem-Ära und nähert sich dabei einer episch verwurzelten, im Hellenismus wieder erstarkenden und über verschiedene Gattungen verstreuten mythhistorischen Erzählform an: den κτίσεις. Die Polis oder der Kleinstaat verdankt sich einer überragenden Gründerpersönlicheit in farbig auszumalender Heroenzeit. Die Stiftungserzählungen begründen und legitimieren die distinkte Existenz, Institutionalisierung und Ausbreitung dieser Gemeinwesen, ihr Verhältnis zu anderen Gruppen und zum umgreifenden religiösen Sinnsystem.41 Antike Gründererzählungen, etwa um Romulus, Theseus, Numa Pompilius oder Lykurg (wie in den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnass, dem Werk Ab urbe condita des Livius oder Plutarchs Vitae parallelae), weisen manche Ähnlichkeit mit der Stiftungsaura im lukanischen Doppelwerk auf: die Markierung eines chronologischen Anfangs, oft als Auszug aus einem Mutterverband, ohne dass jedoch die Verbindung zu diesem abbricht; die wunderbare Geburt und hohe Würde des Gründers; dessen Wunder‑ und Lehrtätigkeit; Krisen um sein Wirken und sein dramatischer Tod; eine ihn glanzvoll legitimierende Nach39 Die Grundlegung einer konnektiven christlichen Herkunftsmemoria durch Lukas habe ich in dem in Anm. 4 genannten Aufsatz zu entfalten versucht. 40  Penner, Discourse (s. Anm. 20), 77; vgl. ebd. 72–78, 101–104 sowie ders., Praise (s. Anm. 10), 146–179. 41 Dazu mit Belegen Wilson, Legends (s. Anm. 10), 79–87; zur Anwendung auf Apg, illus­ triert am Beispiel der Cornelius-Episode, ebd. 87–98, bes. 95. Zum Hintergrund der Ktiseis-Erzählungen Klaus Meister, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990, 41–43; Marco Fantuzzi, Art. „Ktisis-Epos“, in: DNP VI (1999) 880 f.; Andreas Mehl, Geschichtsschreibung in und über Rom, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 111–136: 120 f.

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geschichte mit Himmelfahrt und Erscheinungen; Aussendung, Wanderungen und eigene Gründungstätigkeiten der Nachfolger; das Wachstum der neuen Gemeinschaft, auch unter Überwindung ethnischer Unterschiede – all dies mit himmlischen Interventionen und unter göttlicher Führung.42 Es sind solche Farben, mit denen Lukas die Anfangs‑ und Ausbreitungsepoche des Christentums als Gründungszeit zeichnet. Der biblische Horizont wird durch die Neustiftung nicht gesprengt, im Gegenteil: Das Christus-Geschehen erweist sich als das biblische Großereignis schlechthin. Es sammelt die Fäden der Vergangenheit des Gottesvolks und knüpft sie zu dem festen Strang einer nach vorne offenen christlichen Weltgeschichte.43 Dass die von Jesus selbst eröffnete ὁδός die Richtung des Gottesvolks fortschreibt, belegt die Verheißungsgeschichte. Dass dabei die Trennung vom synagogalen Judentum nötig wird, beleuchtet der zweite Teil der Apg. Selbst dort, wo unverkennbar Einschnitte zu verzeichnen sind – am deutlichsten bei der Aufnahme der Heiden in das Gottesvolk –, ist solcher Wandel in den Herkunftsurkunden angekündigt (vgl. Apg 15,7–21) und wird durch göttliche Intervention beglaubigt (vgl. 10,1–11,18).44 Apg stellt dar, wie eine religiöse Gemeinschaft aus alten Wurzeln und mit Blick auf die überragende Figur der Gründerpersönlichkeit entsteht, in geregelter Weise Führungsgestalten hervorbringt, sich entwickelt und ethisch, institutionell, rituell als eigener sozialer Lebensraum etabliert, gesellschaftlich wahrgenommen wird, wächst, ihre Aufnahmekriterien – nicht ohne sorgfältige Prüfung – adaptiert, einen Namen gewinnt (11,26; vgl. 26,28), durch viele Konflikte und Verwechslungen hindurch Identitätsgrenzen markiert, sich tendenziell weltweit ausbreitet. Von daher hat man passend vorgeschlagen, den δεύτερος λόγος mit dem heuristischen Titel Περὶ ἀρχῆς καὶ αὐξήσεως τῆς τῶν Χριστιανῶν ἐκκλησίας bzw. – berücksichtigt man die Außenwahrnehmung (24,5; 28,22) – αἱρέσεως zu versehen.45 42  Dazu ausführlich mit Belegen David L. Balch, Μεταβολὴ πολιτειῶν – Jesus as Founder of the Church in Luke-­Acts: Form and Function, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 139–188: 154–173. Im Einzelnen wirkt manche Parallele etwas gezwungen, aber es soll hier nicht um eine differenzierte Analogie (oder gar Genealogie) der Erzählungen, sondern um die von Balch triftig erschlossene Stiftungsaura gehen. 43  Dass es innerhalb der Welt auch andere „Geschichten“ zu schreiben geben könnte, ist kein Thema für Lukas. Andere Religionen und Kulturen liegen hier außerhalb des Feldes apologetischer Historiographie und außerhalb des Feldes biblischer Einsicht in Gottes Ratschluss; vgl. Shauf, Theology (s. Anm. 8), 312 f. 44  Auch dies gehört zum Stiftungsmotiv: Die Veränderung der Konstitution muss dem Gründerwillen entsprechen oder in dessen Logik liegen; vgl. Balch, Μεταβολή (s. Anm. 42), bes. 174–183. 45 Hubert Cancik, The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations concerning Luke’s History, in: JBL 116 (1997) 673–695, bes. 675–680. Cancik ordnet Apg der institutional history zu, die er mit vergleichbaren historiographischen Texten zur Entwicklung religiöser Gruppierungen und philosophischer Schulen dokumentiert (ebd. 682–693). Er weist damit auf ein übergreifendes Thema der antiken Geschichtsschreibung, weniger auf eine bestimmte Textsorte hin (vgl. ebd. 693–695). Ebenso

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Spätestens seit hellenistischer Zeit waren es nicht mehr die Reden allein, die das historiographische Programm entfalteten. Es sind auch die gekonnt gemalten Szenenbilder, passend fingierte und arrangierte Geschehenszüge, die den Geschichtsverlauf entfalten und dadurch zugleich kommentieren sollen. Es bedarf vor allem bei dramatischen Ereignissen des poetischen Windes, soll das Schiff der Erzählung mit vollem Segel die Wellen durchqueren (vgl. Lukian, hist. conscr. 45). Mag Lukian hier auch an Schlachten denken, für Lukas sind die Ursprünge des Christentums dramatischer noch. Zwei große Bildkonstruktionen, mit denen Apg das Wesen der christlichen Erstepoche offenlegt, prägen sich dem Adressaten nachhaltig ein. (1) Das Gedächtnisgemälde der Jerusalemer Urgemeinde (Apg 1,4–8,3), durch die Summarien (2,43–47; 4,32–37; 5,12–16) akzentuiert, gibt gerade auch für solche Leser, die in paganem Milieu sozialisiert waren, zu verstehen: Hier hat sich  – im Namen Christi und dank der Mitwirkung des Gottesgeistes  – die mustergültige Politeia ethisch, sozial und philanthropisch verwirklicht und damit das seit je erstrebte Ideal erreicht (vgl. Platon, rep. 462b–d; Aristoteles, eth.  Nic. 1168b; Cicero, off. 1,51; Diog. Laert. 8,10; Jamblich, v. P. 167 f.; mit Bezug auf die Essener: Philo, prob. 75–88; Josephus, bell. Iud. 2,122–127; ant. 15,371).46 Wie in allen Urgeschichten geht es hier weniger um die Beschreibung wie in den oben skizzierten Ktiseis scheint mir hier das Grundanliegen apologetischer Historiographie – die kulturelle Selbstdefinition einer Sondergruppe durch historischen Nachweis von Herkunft und Existenzrecht  – konkretisiert zu werden. Ob der Begriff „Institution“ passend gewählt ist, hängt wohl von dem vorausgesetzten Begriffsinhalt ab, den Cancik recht weit fasst. Christoph Heil spitzt den Vergleich auf den doxographischen Typus Περὶ αἱρέσεων zu und vermag einer von Cancik allerdings so gar nicht behaupteten Zuordnung der Apg zur Philosophiegeschichte nicht beizupflichten (Christoph Heil, Arius Didymus and Luke-­Acts, in: NT 42 [2000] 358–393: 392 f.). Schwer wiegt die Replik von Mark Reasoner, The Theme of Acts: Institutional History or Divine Necessity in History?, in: JBL 118 (1999) 635–659, nach der Canciks Beobachtungen der Erzählbreite der Apg nicht gerecht werden und vor allem ihre trans­ zendente Ausrichtung verfehlen. So richtig es freilich ist, dass Cancik von keiner holistischen Lektüre der Apg ausgeht und ihre theozentrische Perspektive ausklammert, so sehr ist doch zu beachten, dass er, ungeachtet einzelner Unklarheiten, keinen textgenerischen Generalschlüssel zu bieten beansprucht, sondern komparative Lesebeobachtungen zu einem den zweiten lukanischen Logos – auch unter dem für Reasoner zentralen Gesichtspunkt der Verkündigung (ebd. 652–656) – tatsächlich prägenden Thema. Was auf solche Weise erhellt werden kann, ist ein Teil des zeitgenössischen Verstehenshorizonts. Hat Cancik seine Vergleichsperspektive begrenzt, so spielt Reasoner mit seiner Deutungsfigur der „divine necessity in history“ grundsätzlich in dem oben kritisierten Sinn historische und theologische Wahrnehmung gegeneinander aus. Zur Diskussion Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 53–59. 46  Vgl. Hans-Josef Klauck, Gütergemeinschaft in der klassischen Antike, in Qumran und im Neuen Testament (1982), in: ders., Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Per­ spektiven, Würzburg 1989, 69–100, bes. 70–78, 93–95; Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., EKK 5, Zürich / ​Neukirchen-Vluyn 1986, I: 184 f. Solche Musterzeichnungen der Apg entsprechen der ebenfalls apologetischen Darstellung des Judentums bei Josephus (vgl. c. Ap. 2,145–286, bes. 2,145 f.); vgl. Penner, Discourse (s. Anm. 20), 91 f.; zur Interpretation Christine Gerber, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997, 122–387.

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dessen, was damals so war, als um die Entdeckung dessen, was immer so sein könnte, was also ihrem Stiftungsauftrag nach die Ekklesia in jeder Gegenwart ist. Nicht informieren will solche Geschichtsschreibung, sondern formen. Gerade in diesem Ziel der Identitätsbildung stimmt Lukas mit der übrigen apologetischen Historiographie überein, mit dem Unterschied freilich, dass er in der Schwellenphase einer jungen Gemeinschaft schrieb, die der ermutigenden und leitenden Orientierung umso dringender bedurfte, als sie sich ihrer Grenzen, ihres Rechts und ihrer Zukunft unsicherer war als die etablierten Teilgruppen der reichsrömischen Gesellschaft. Das Unternehmen, Christen bzw. solchen, die es werden wollten, nicht nur den Vergangenheitsraum Israels in seiner ganzen epischen Breite zu eröffnen, sondern sie auch an die Wurzeln der eigenen bzw. angebotenen Gruppenidentität zu führen, erforderte eine mythhistorische Imaginationskraft, von der gerade der Jerusalem-Teil der Apg beredtes Zeugnis gibt. Verwurzeln die Jerusalemer Szenen und der Stammbaum am Eingang des Doppelwerks das Evangelium in der biblischen Zeitentiefe, so geben die Jerusalemer Szenen am Eingang der Apg der christlichen Gemeinschaft gewissermaßen einen eigenen Stammbaum, kaum anders als die im römischen Großreich um ihre Selbstdefinition ringenden Lokalwesen, die in bunten Erzählungen die homerischen Heroen als ihre Vorfahren entdeckten.47 Nicht erst des Misstrauens römischer Machtträger bedurfte es also, um das Bild von der noblen Urzelle in Jerusalem zu zeichnen. Es war der Identitätswillen des werdenden Christentums selbst, der das edle Selbstbild nötig hatte. Der Hellenisten-Konflikt (Apg 6,1–8,3) bezeichnet das Ende dieser Jerusalemer Urzeit: Hier tritt die anziehende urchristliche Philadelphia noch einmal eindrucksvoll hervor (vgl. bes. 6,5–8). Doch gerade sie ruft den heftigen Widerstand seitens der geistfernen „Halsstarrigen“ (vgl. 7,51–53) hervor, die im narrativen Kontrast die Misanthropie verkörpern. So mündet die Jerusalemer Urzeit in dem umfassenden Geschichtsüberblick der Stephanus-Rede (7,2–53), die den Redner als einen charakterisiert, der aus altem biblischen Holz geschnitzt ist. Dass gerade er von jüdischen „Tora-Untreuen“ (vgl. 7,53) gesteinigt wird, zeigt die Umkehrung der biblischen Logik an. Im Rekurrenzmuster, in dem sich der andere Jerusalemer Tod widerspiegelt, erweist sich jedoch auch hier, dass Gottes Plan einen Schritt weiter in die historische Wirklichkeit getreten ist.48 47  Vgl. insgesamt Milton Moreland, The Jerusalem Community in Acts: Mythmaking and the Sociorhetorical Functions of a Lukan Setting, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 285–310, bes. 294 f., 299–309. 48 Zur soziorhetorischen Erschließung von Apg 6,1–8,3 Penner, Praise (s. Anm. 10), 262– 330; zur Interpretation der Stephanus-Rede Marion L. Soards, The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville, Ky. 1994, 57–70; Joachim Jeska, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b–53 und 13,17–25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels, FRLANT 195, Göttingen 2001, 154–220.

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(2) Die Erzählgestalt des Paulus zeigt insofern funktionale Ähnlichkeit mit dem Erzählmotiv der Jerusalemer Urgemeinde, als auch Paulus – freilich dynamischer – eine zentrale Schaltstelle im Anfangsgeschehen darstellt (und schon deshalb, anders als die Brückenfigur Stephanus, nicht vor offenem Vorhang sterben darf). Zugleich birgt er als individueller Aktant unter dem Gesichtspunkt der ἐνάργεια vorzügliches narratives Potential. Er gibt dem Erzähler, pointiert gesagt, die Möglichkeit zu einer προσωποποιΐα des Evangeliums bei seinem Eintritt in die Völkerwelt.49 Apg berichtet über das unaufhaltsame Wachstum des Gottesvolks und zeigt dabei keine Scheu vor der beeindruckenden Zahl und der Massenszene (z. B. 2,41; 4,4; 6,7; 11,26; 16,5; 19,17–20; 21,20). Doch ein Ausbreitungsprozess ist abstrakt und bedarf, soll er vor Augen treten, des Individuums und der mimetischen Episode. So malt Lukas den universalen Siegeszug des Evangeliums, darin Livius nicht unähnlich, wesentlich in exempla als dramatische Individualgeschichte und beschränkt sich rhetorisch geschickt auf wenige Charaktere (vor allem Petrus, Stephanus, Philippus, Paulus). Für das narrative Konstrukt Paulus heißt dies: Es verkörpert den grundlegenden Geschichtsprozess und den qualitativen Wandel in der Verheißungsgeschichte. Paulus dient also erzählstrategisch als Brücke.50 Er steht als Verfolger am Ende der Jerusalemer Urgemeinde (vgl. Apg 7,58–8,1; 9,1 f.) und als Missionar für den Aufbruch des Evangeliums in die Völkerwelt, doch als vir vere Israeliticus verkörpert er zugleich die Kontinuität zur Väterreligion, deren Gott sich nun anschickt, die Heiden am Heil teilhaben zu lassen. Dem „Gott der Väter“ und den „väterlichen Sitten“ gegen alle falschen Anschuldigungen (vgl. 21,21; 25,7 f.; 28,17–20) bis zuletzt (vgl. 21,18–36) treu, tritt er den Lesern als Wahrer der Tora vor Augen (vgl. 16,3; 18,18; 22,3; 23,1–6; 24,14–21; 26,2–11). Er achtet den mos maiorum seines Volkes, und erst unter diesem Aspekt verdient er als civis Romanus Achtung. Nicht nur das in den paulinischen Reden entfaltete Programm (vgl. 13,16–41.46 f.; 14,15–17; 17,22–31; 20,18–35; 22,1–21; 23,1–6; 24,10–21; 26,2–29; 28,25–28), auch die seitens der Missionare regelmäßig ähnliche, durch die Reaktion der Hörer meist lebhaft variierte Evangeliumsverkündigung kommentiert den Geschichtsverlauf. Nicht zuletzt die allmähliche Trennung vom syn­agogalen Judentum als dem der Tora abspenstigen Teil des Gottesvolks wird in immer neuen Einzelbildern augenfällig: Alterität wird nicht durch Lehrvergleich, sondern durch kontrastierende Erzählung vom Standpunkt christlicher Selbstdefinition her markiert. Mit seiner Bilanzrede vor Agrippa II. (vgl. 26,1– 32) setzt Paulus den Schlusspunkt der christlichen Erstepoche und begibt sich über die mit Seefahrt und Schiffbruch dramatisch inszenierte Epochenschwelle nach Rom (vgl. 27,1–28,16), wo ein neues Kapitel in der Geschichte des Gottes-

 Vgl. Robert Maddox, The Purpose of Luke-­Acts, FRLANT 126, Göttingen 1982, 70.  Vgl. Maddox, Purpose (s. Anm. 49), 76–79.

49 50

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volks beginnt (vgl. 28,17–31).51 Wie also die Zwölf zu Jerusalem das Wirken Jesu „seit der Taufe des Johannes“ mit der österlichen Zeit verbinden (1,21 f.), so verbindet der Völkermissionar als Gottes „auserwähltes Werkzeug“ (9,15) Jerusalem mit Rom. Es signalisiert nachdrücklich die geschichtliche Kontinuität, wenn der Erzähler jenes Berufungsgeschehen, das diesen rasanten Prozess auslöst, gleich dreimal abschreitet, dabei den Grundbericht (9,1–22) auf der Schwelle zur Völkerwelt positioniert und die beiden dem Berufenen selbst zugeschriebenen Reden zum einen auf der Tempeltreppe (22,5–16), zum anderen in der großen Bilanz-Apologia (26,12–18) verortet.52 Es sollte offenkundig sein, dass dieses Geschichtsportrait nicht über die Lebenswelt oder Lehre eines Einzelnen berichten will. Spannungen und Unvereinbarkeiten zwischen dem lukanischen Paulus, dem Paulus der brieflichen Selbstdarstellung und dem (erschlossenen) „historischen Paulus“ tun dem Histo­ rio­graphen Lukas keinen größeren Abbruch als solche zwischen dem „Cicero der Briefe“ und dem „Cicero des Bios“ dem Plutarch.53 Will dieser durch seine Lebenszeichnung den Charakter seiner Leser formen, so jener durch das Paulus-Portrait den Charakter seiner Gemeinschaft. Wie beim Jerusalem-Gemälde geht es Lukas nicht darum, diese zu informieren, sondern deren Selbstwahrnehmung zu formen, indem er ihr die eigene durch Gottes Führung gewährleistete geschichtliche Legitimität und Kontinuität vergegenwärtigt. Nicht nur als historisches Fenster, sondern mehr noch als Spiegel für die Gegenwart dient dieses Paulus-Bild. Es ist der von ihm wahrgenommene umfassende Richtungssinn des historischen Geschehens, der dem Historiographen Lukas lege artis das Schreibrohr führt. 3.3 Vereinheitlichung des Geschichtsbildes Historiographie ist zuerst die Kunst, verstreuten Überlieferungsfragmenten einen bedeutungsvollen Zusammenhang einzustiften. Das Gedächtnisgemälde, soll es sich dem Betrachter einprägen, muss als harmonische Einheit wirken. Tatsächlich ist Lukas energisch bemüht, seinem Geschichtsbild Kohärenz und 51  Zur narrativ-theologischen Eigenart dieser Epochenschwelle Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 6), 268–271. 52  Die „dreifache Berufung“ entspricht damit erzähltechnisch der „doppelten Himmelfahrt“ (vgl. Lk 24,36–53; Apg 1,4–13a), die ja ebenfalls dem geschichtlichen Brückenbau dient. Zur näheren Erschließung der narrativen Redundanz beim Berufungsbericht Marguerat, Historian (s. Anm. 6), 179–204. 53 Daraus folgt, dass dieses Portrait grundsätzlich nicht weniger als Quelle zu dienen vermag als das Plutarchs. Der Unterschied liegt darin, dass die Quellenlage bei Cicero quantitativ günstiger und daher kontrollierbarer ist und vor allem durch die private Atticus‑ und Quintus-Korrespondenz im Ganzen auch den „historischen Cicero“ sichtbarer macht – jedenfalls in den von Tiro zugelassenen Grenzen. Das Manko im Fall des Paulus ist damit keines des Historiographen Lukas, sondern der Datenlage insgesamt.

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Konsistenz zu geben und so dem Leser die Auswahl zwischen möglichen Vergangenheiten werbend zu erleichtern. Angesichts der topographischen Weite, der Unterschiedlichkeit der Handlungsträger und der Vielzahl historischer Weggabelungen stellt es eine beachtliche Leistung dar, wenn dem Leser, auf das Ganze gesehen, schließlich in der Tat das Bild einer folgerichtigen Wegstrecke von Galiläa über Jerusalem nach Rom, von dem altbiblischen Musterfrommen Simeon bis zu M. Iulius Agrippa II. vor Augen steht. Die erfolgreiche Darstellungsstrategie zeugt von dem kreativen Geschick des Historiographen, der sich einer Vielzahl vereinheitlichender Erzähltechniken bedient: Voranzeigen (vgl. bes. Lk 2,29–35; Apg 1,8); Summarien; Geschichtsüberblicke in ansprechender Redeform, die eine verbindliche Vergangenheitsdefinition anbieten und die Linie in die Gegenwart ziehen (vgl. bes. Apg 2,14–36; 3,12–26; 7,2–53; 13,16–41);54 Rekurrenzmuster, die Lk wie Apg in sich, aber auch miteinander und mit den Schriften Israels verzahnen;55 die Charakterkonstanz profilierter Aktanten; übergreifende Spannungsbögen und Leitmotive; typische Handlungssequenzen; narrativ abgesicherte „Bruchlosigkeiten“ (vgl. z. B. Apg 16,4–10); vor allem: Gott und sein Geist als Subjekt dieser Geschichte von ihren Anfängen in Nazaret bis zum offenen Ende. Christliches Zögern und Scheitern, Diskontinuitäten, Ungleichzeitigkeiten, komplexe und polyzentrische Entwicklungen haben in diesem Geschichtsbild auf den ersten Blick keinen Raum. Nicht die gebrochene, sondern die ideale Kurve will Lukas zeichnen.56 Gerade in den gleichwohl erkennbaren Brechungen macht sich die Eigenrichtung der Überlieferung bemerkbar. Die Gesamtlektüre freilich führt in jenen Sinnzusammenhang, der unter dem Terminus „Heilsgeschichte“ Lukas – je nach modernem Konstruktionswillen – theologische Ehre oder Schmach bereitet hat. 3.4 Teleologisierung des Geschichtsbildes Die Einheitlichkeit des Geschichtsbildes verdankt sich wesentlich der Tatsache, dass der Berichterstatter sein Erzählziel von Beginn des Doppelwerks an zumindest umrisshaft (vgl. Lk 2,29–35) und spätestens von Beginn der Apg an sehr fest im Blick hat. Dieses Ziel liegt in der Gegenwart: der geschichtlich durchschaute und legitime Ort der christlichen Gemeinschaft in der nunmehr erreichten Epoche einer universalen Verkündigung des Evangeliums. Tatsächlich 54 Vgl.

271.

Soards, Speeches (s. Anm. 48), 200–204; Jeska, Geschichte (s. Anm. 48), bes. 257–

55 Zur Rekurrenz als Darstellungselement historiographischer Rhetorik Rothschild, Luke-­ Acts (s. Anm. 10), 99–141; grundlegend ist Garry W. Trompf, The Idea of Historical Recurrence in Western Thought. From Antiquity to the Reformation, Berkeley, Calif. 1979, bes. 121–178. 56  So Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen (101956) 161977, 114; vgl. ebd. 109–114.

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denkt aitiologisches Erzählen – der Etymologie zum Trotz – nicht von der Ursache, sondern vom Ziel her. Darin liegt ein deutlicher Unterschied zur modernen, aber auch zur klassisch-pragmatischen Geschichtsschreibung, die namentlich in Form der Kriegsgeschichte kausal interessiert war und der es darum ging, die Motive der handelnden Parteien aufzuzeigen, die Zusammenhänge und Folgen des Handelns verständlich zu machen und die Entscheidungen nach den Maßstäben von Rationalität und Moralität zu bewerten (vgl. z. B. Cicero, de orat. 2,63).57 Diese an Handlungszwecken orientierte Perspektive entwickelte für ein höheres Geschichtsziel naturgemäß geringes Erzählinteresse. Seit Livius geriet selbst für die reichsrömische Geschichtsschreibung ein solches Ziel aus den Augen, da sich das goldene augusteische Zeitalter als allzu unsicherer Kandidat erwiesen hatte und ein philosophisches oder religiöses Sinnsystem nicht konsensfähig zur Verfügung stand.58 Ganz anders Lukas: Nicht die Ursachen, sondern den Urheber der geschichtlichen Entwicklung zu kennen scheint ihm zu genügen. Die den epochalen Prozess entscheidend prägende notorische Feindschaft der jüdischen Verantwortungsträger ist durch den Verweis auf „Eifersucht“ (vgl. Apg 5,17; 13,45) oder die Neigung zum „Mordschnauben“ (vgl. 7,52; 9,1) hinreichend erklärt. Mitunter wirkt das Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung nahezu verblüffend (vgl. z. B. 3,15–18; 5,1–11; 8,3; 24,26 f.).59 Dennoch gewinnt die lukanische Darstellung am Ende ihre eigene Stimmigkeit dadurch, dass die hier angebotene Geschichtsversion als Ganze  – auch im Wettbewerb mit zeitgenössischer Geschichtsschreibung – Konsequenz besitzt. Die Dynamik wird, so wirkt es auf den Leser, durch die seit jeher erkennbare biblische Logik vorangetrieben und durch den Blick auf Verheißungen und Vorhersagen nachvollziehbar, und zwar gerade dann, wenn Diskontinuitäten zu erklären sind oder der Ablauf für konventionelle historische Vernunft problematisch wird.60 Wie im lukanischen Leitverb δεῖ zwar nicht einsehbar, wohl aber sichtbar wird (vgl. z. B. Lk 24,26; Apg 1,21 f.; 3,20 f.; 14,22; 19,21; 23,11; 27,24; ferner Apg 13,46), spiegelt die erzählte Ereignisfolge die souveränen Pläne des Vätergottes, die sich in eindrucksvoller Notwendigkeit in geschichtliche Abläufe umsetzen,

57  Vgl. Burkhard Meissner, Anfänge und frühe Entwicklungen der griechischen Historiographie, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 83–109, bes. 90–101. 58 Vgl. Mehl, Geschichtsschreibung (s. Anm. 41), 132–136. 59  Lukian macht sich über einen Historiographen lustig, der als „Ursache“ des Partherkriegs die Verworfenheit des Gegners ausfindig gemacht habe (hist. conscr. 14). 60 Vgl. John T. Squires, The Plan of God in Luke-­ Acts, MSSNTS 76, Cambridge 1993, 78–102, 121–154; zum hellenistisch-jüdischen Hintergrund William Kurz, Promise and Fulfillment in Hellenistic Jewish Narratives and in Luke and Acts, in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 147–170; zur damit verknüpften persuasiven Strategie Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 142–184.

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wider.61 Für göttliche Vorsehung hatte die reichsrömische Geschichtsschreibung nun durchaus Sensorium (vgl. z. B. Diod. 1,1,3; Dionysios von Halikarnass, ant. 1,5,2 f.; Josephus, ant. 1,14).62 Hier kann Lukas an zeitgenössische Vorstellungen anknüpfen, die er freilich, durch die biblische Tradition Israels inspiriert, erheblich ausbaut und zur Grundstruktur seines gesamten Geschichtsentwurfs macht, der so den Charakter einer theologia providentiae gewinnt.63 Das für Josephus kennzeichnende Programmwort πρόνοια kommt zwar bei Lukas nur einmal vor, und dies höchst doppeldeutig (Apg 24,2), aber es fehlt ihm nicht an theozentrischen Äquivalenten, vor allem ἡ βουλή (Lk 7,30; Apg 2,23; 4,28; 13,36; 20,27; vgl. Apg 5,38 f.) bzw. τὸ θέλημα (Lk 12,47; 22,42; Apg 13,22; 21,14; 22,14) sowie das Verb ὁρίζω (Lk 22,22; Apg 2,23; 10,42; 17,26.31; vgl. Apg 4,28).64 Mehr noch ist es der vom Historiographen geordnete Verlauf der Geschichte selbst, der durch offenkundig unaufhaltsames, geistgeleitetes Voranschreiten sein eigenes von Gott gesetztes Ziel unmissverständlich demonstriert. Diese Teleologisierung der christlichen Anfangsgeschichte ist die entschiedenste und wohl auch kühnste Konstruktionsleistung des Lukas, der so im Rahmen der christlichen Vergangenheitsdefinition wird, was Diodorus Siculus vom Historiographen zu sein erwartet: ein ὑπουργὸς τῆς θείας προνοίας (vgl. Diod. 1,1,3). 3.5 Sakralisierung des Geschichtsbildes Wer von dem fachprosaisch klingenden Proömium (Lk 1,1–4) in die Vorgeschichte eintritt, erlebt eine Überraschung:65 Sowohl die Bildmotive als auch die Sprachfarbe gehören zu einer anderen Welt. Szenerie, Handlungsträger, 61  Zum heilsgeschichtlichen Motivzusammenhang Charles H. Cosgrove, The Divine δεῖ in Luke-­Acts. Investigations into the Lukan Understanding of God’s Providence, in: NT 26 (1984) 168–190; Squires, Plan (s. Anm. 60), 155–185; Reasoner, Theme (s. Anm. 45), 650–659; zur „rhetoric of necessity“ näher Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 185–212. 62 Zum Vorsehungsmotiv in der reichsrömischen Geschichtsschreibung Squires, Plan (s. Anm. 60), 15–17, 38–46; speziell zu Josephus Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 295–297; Squires, Plan, 18–20, 46–52. 63 Marguerat, Historian (s. Anm. 6), 38–40; vgl. Squires, Plan (s. Anm. 60), bes. 20–35, 52–76; Soards, Speeches (s. Anm. 48), 187–189. 64  Vgl. Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 358 f.; Jacob Jervell, The Future of the Past: Luke’s Vision of Salvation History and Its Bearing on His Writing of History, in: History, Liter­ ature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 104–126: 106 f. 65  Solcher Stilbruch ist für Lukian von Samosata ein historiographischer Kunstfehler, denn der Übergang vom Proömium zur Erzählung sollte gefällig und fließend sein (hist. conscr. 55; vgl. 53 f.): Kallimorphos, Arzt in der römischen Armee, beginnt seinen trockenen Geschichtsbericht mit einem Proömium in gehobenem Ionisch und fällt dann in die Alltagssprache (hist. conscr. 16): der Kopf eines Riesen auf dem Leib eines Zwerges (vgl. hist. conscr. 23)! In den „Wahren Geschichten“ parodiert Lukian solchen Dilettantismus: Dem fachlich ambitionierten Proömium (VH 1,1–4) lässt er im Stil von „Es war einmal“ unmittelbar  Ὁρμηθεὶς γάρ ποτε (1,5) folgen; vgl. Daryl D. Schmidt, Rhetorical Influences and Genre. Luke’s Preface and the Rhet­ oric of Hellenistic Historiography in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 27–60: 52 f.

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Erzählverlauf, Sprachkolorit  – all dies trägt die Züge der Septuaginta, wirkt also ganz „alttestamentlich“.66 Zwar steht Lukas hier in der historiographischen Tradition archaisierender imitatio,67 aber seine Nachahmung beansprucht gerade dort, wo er den Lektürehorizont seines Werkes setzt,68 mehr als literarische Kontinuität. Sie gibt eine klare Verstehensanweisung: Introite, nam et hic Biblia sunt! Die Herkunftsmemoria schreibt die Herkunft fort. So wie Aischylos einst, vom Großereignis Salamis beflügelt, in den Persae die eigene Generation auf die bislang dem Mythos vorbehaltene Bühne zu heben gewagt hat, um als Zeitzeuge Hybris und Götterhilfe realistisch und mythisch zugleich zu demonstrieren,69 so malt Lukas angesichts des Großereignisses Christus seine Helden in den altbiblischen Farben, kaum weniger stolz auf den Triumph seiner kleinen Gemeinschaft. Sie stehen denen anderer Stiftungserzählungen an Charakter, Wunderkraft und himmlischen Kontakten nicht nach. Die heilige Urzeit verlangt den ihr entsprechenden erhabenen Stil, und so bietet Lukas Sakralgeschichte.70 In einer wesentlichen Hinsicht jedoch steht hier die antike Heldenzeichnung auf dem Kopf: Es sind zeitgenössisch-lebensweltliche Individuen, zudem aus marginalen Gesellschaftsschichten, ἀγράμματοι καὶ ἰδιῶται (Apg 4,13), die in das 66  Zur Septuaginta-Mimesis im lukanischen Doppelwerk Albert Wifstrand, Lukas och Septuaginta, in: STK 16 (1940) 243–262; Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 38–79; ders., Art. „Lukas als griechischer Historiker“, in: PRE.S XIV (1974) 235–264: 250–255; Loveday Alexander, Septuaginta, Fachprosa, Imitatio: Albert Wifstrand and the Language of Luke-­Acts, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004, 1–26, bes. 14–26. Zum Gesamtansatz der Apg als „biblische Geschichte“ Brian S. Rosner, Acts and Biblical History, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 65–82 sowie die Forschungsskizze über den „prophetischen Anspruch“ der lukanischen Geschichtsschreibung bei Shauf, Theology (s. Anm. 8), 31–36. 67  Vgl. näher Thomas L. Brodie, Greco-Roman Imitation of Texts as a Partial Guide to Luke’s Use of Sources, in: Luke-­Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, hg. v. C. H. Talbert, New York 1984, 17–46, bes. 26–32; Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 86–93. 68 Vgl. Ulrich Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 161–179; Walter Radl, Die Beziehungen der Vorgeschichte zur Apostelgeschichte. Dargestellt an Lk 2,22–39, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 297–312. Das Phänomen begegnet in ähnlicher Weise vor allem in den Anfangskapiteln der Apg; dazu Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 353 f. 69 Vgl. Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 5), 39 f.; zum Hintergrund Wilhelm Kierdorf, Erlebnis und Darstellung der Perserkriege. Studien zu Simonides, Pindar, Aischylos und den attischen Rednern, Hyp. 16, Göttingen 1966, bes. 48–82, 111–119. 70  Vgl. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller (s. Anm. 66), 72–78; Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 352–363, 393; Bill T. Arnold, Luke’s Charakterizing Use of the Old Testament in the Book of Acts, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 300–323: 322 f.

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quasi-mythische Licht der unvordenklichen biblischen Überlieferung getaucht werden. Es ist ein für römisches Empfinden abergläubischer Wandergaukler, der, in tragisches Pathos gehüllt, heroischen Abschied von seinen Paladinen nimmt (vgl. 20,17–38). In höchst selbstbewusster Unmittelbarkeit bringt Lukas eine „Geschichte von unten“ zur Geltung, die dem antiken Historiographen gemeinhin keinerlei Aufmerksamkeit wert schien.71 Dass sie in dieser Form keine Fortsetzung gefunden hat, mag nicht zuletzt daran liegen, dass es den folgenden Generationen an mythologischer Kreativität und theologischer Kühnheit fehlte, die Heiligen Schriften durch die eigene lebensweltliche Wirklichkeit fortzuschreiben.72 3.6 Theologische Prägung Die Theologie der Apostelgeschichte73 ist nicht als Hinzufügung kategorialer Sachfelder zum Erzählverlauf zu betrachten, sondern bestimmt die bislang skizzierte Intentionalität von Grund auf. Denn der narrativ gewonnene biblische Vergangenheitsraum, das Anfangsgeschehen in Jerusalem und der Völkermission, Zusammenhang und Zielrichtung des beschriebenen Geschehens, die Heiligkeit der Stiftungsaura – all dies ist theozentrisch bestimmt. Diese Theozentrik prägt sich der gesamten Konstruktion rhetorisch, mimetisch und paideutisch ein. Wenn Lukas der Apg wie zuvor dem Evangelium die Grundstruktur des Weges gibt, so erschließt er gerade damit Sehweise und Denkrichtung. Nichts, was auf diesen „Wegen“ geschieht, ist religiös bedeutungslos. Ist etwa Paulus „auserwähltes Werkzeug“ des göttlichen Ratschlusses (Apg 9,15), so ist jede Paulus-Episode ipso facto und nicht erst durch Hinzufügung bestimmter Leitbegriffe oder ‑motive vom Divinum geprägt, das heißt: Sie ist Theologie im Vollzug, und zwar in der Form historiographischer Erzählung.74 „Heilsgeschichte“ ist nicht ein Denkmodell, das Lukas etwa im Gegensatz zu Paulus zu propagieren sucht und auf das er mit einer etwas sensibleren Theologie auch hätte verzichten können. Sie ist vielmehr unausweichlich das Ergebnis einer geschichtlichen Darstellung der christlichen Anfänge, sofern diese religiöses Sinnwissen voraussetzt und stiftet.75 71  Dies hat Erich Auerbach eindrücklich am Vergleich von Petron und Tacitus mit der ntl. Petrus-Darstellung illustriert: Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen (1946) 102001, 28–52. 72  Vgl. Jörg Rüpke, Römische Geschichtsschreibung. Zur Geschichte des geschichtlichen Bewußtseins und seiner Verschriftlichungsformen in der Antike, Potsdam 1997, 224 f. 73  Von einer (narrativen) Theologie der Apg darf insofern gesprochen werden, als die Erzählung in sich relativ abgerundet ist und deren Aktanten und Abläufe religiös verstanden und vermittelt werden (vgl. Shauf, Theology [s. Anm. 8], 48–57). Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass Apg das dritte Evangelium und damit den lukanischen Sinnentwurf im Ganzen literarisch und theologisch voraussetzt. 74  Vgl. Shauf, Theology (s. Anm. 8), 268, 298 f. 75 Wo der lukanische Entwurf angefochten wird, geht es entweder um einen Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Heilsdefinitionen bzw. Ordnungsansprüchen oder um den (be-

3. Die intentionale Ausrichtung

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Hier allerdings, im Blick auf das symbolische Universum des Historiographen, ist ein qualitativer Unterschied zur paganen Geschichtskonstruktion zu vermerken. Das in Apg vorausgesetzte religiöse Ordnungswissen ist konfessorischer Natur und steht im maßgeblichen Verstehenskontext der biblisch-jüdischen Tradition monotheistischer Geschichtswahrnehmung. Die pagane Historiographie bemüht sich im Allgemeinen dem Anspruch nach um unparteiliche, ausgewogene Darlegung (vgl. z. B. Tacitus, ann. 1,1,2 f.; Lukian, hist. conscr. 38–41). Naturgemäß misslingt dies ständig, sei es, weil gerade der Kriegsbericht zur Parteinahme reizt, sei es, weil der Berichterstatter das sozial erworbene Plausibilitätssystem gar nicht zu überschreiten vermag. Grundsätzlich gehört aber die Fähigkeit zur Distanzierung vom berichteten Geschehen zur historiographischen Kompetenz. An wunderhaften Ereignissen fehlt es der paganen Geschichtsschreibung keineswegs. Sie kann solchen Überlieferungen mehr oder weniger Glauben schenken, unter Angabe von Gründen den Glauben verweigern, vergleichend andere Überlieferungen heranziehen (vgl. Lukian, hist. conscr. 60). Die lukanische Geschichtsschreibung steht hier unter völlig anderen Voraussetzungen, nicht nur weil ihre Adressaten grundsätzlich eher zum Akzeptieren von imposanten Wundern geneigt scheinen als etwa die der senatorischen Literatur,76 sondern vor allem deshalb, weil kritischer Abstand zum Berichteten und prüfende Abwägung zwischen verschiedenen Versionen hier erst gar nicht zum Repertoire des Berichterstatters gehören. Apg sucht von Anfang an affirmativ und distanzlos ein Geschichtsbild durchzusetzen; andere Vergangenheitsversionen, etwa die synagogal-jüdische, kommen nicht einmal unter polemischen Vorzeichen zur Sprache. Wie der homerische Zeus soll der Historiker auf beide Parteien ein Auge haben, fordert Lukian (hist. conscr. 49). Der Gott des Lukas indes hat nur die eine Partei im Blick, und allein deren Sache verficht sein Historiograph. Geschichtsschreibung ist ein kulturspezifisches Phänomen. Die gedächtnispolitische Strategie der Apg ist nicht die „kalte Erinnerung“ im Sinn einer orientierenden Abmessung des Vergangenheitsraums, sondern die einer „heißen Erinnerung“,77 die die Identität der Gemeinschaft leidenschaftlich strukturiert und die Gestalt verbindlicher Lebenswelt annimmt.78 In dieser Hinsicht gründungspflichtigen) Vorbehalt gegen eine Verbindung von geschichtlichem und religiösem Sinnwissen überhaupt. 76  Zu Möglichkeiten und Grenzen des Mirakulösen in den verschiedenen Sparten paganer Historiographie und der Verortung der Apg auf diesem Feld Plümacher, Τερατεία (s. Anm. 23), bes. 53–59, 68–83. 77 Die Unterscheidung geht auf Claude Lévi-Strauss zurück und wird von Assmann, Gedächtnis (s. Anm. 7), 66–86 über das hier Gemeinte hinaus auf eine (kalt‑)quietive (den Wandel einfrierende) und eine inzentive (den Umschwung betonende) Gesellschaftsoption hin akzentuiert; vgl. Gehrke, Mythos (s. Anm. 5), 247; Sylvia Hagene, Zeiten der Wiederherstellung. Studien zur lukanischen Geschichtstheologie als Soteriologie, NTA 42, Münster 2003, 54. 78  Bezeichnenderweise kann Polybios die Überlieferung der von ihm höchst skeptisch beurteilten Wunder dann für gerechtfertigt halten, wenn es um die religiöse Formung der Masse

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lebt Lukas tatsächlich ganz aus jener Ahnengemeinschaft mit Israel, die sein Doppelwerk darzustellen sucht. Er sieht sich auch als Historiograph im Dienst des kollektiven Bindungsgedächtnisses,79 das ihm a priori religiös ist.80 In diese Linie des biblisch-jüdischen Zusammenhangwissens ordnet er seine eigene Geschichtsversion christlich positioniert, aber kulturell distanzlos ein.81 Dass diese Einordnung seine im Proömium (Lk 1,1–4) bekundete Neigung, sich an die Konventionen griechisch-römischer Fachprosa anzuschließen, ernsthaften Zweifeln aussetzen könnte, ist ihm vermutlich – ganz anders als Josephus – gar nicht bewusst geworden. Im Gegenteil, gerade im Vorwort lässt er die für die griechisch-römische Geschichtsschreibung kennzeichnende Unterscheidung zwischen dem Beobachter und dem Gläubigen fallen und schließt sich in jenes „Wir“ ein, in dessen kollektiver Erinnerung sich die Geschichte erfüllt hat und dessen orientierende Kraft zu erhalten und zu stärken er selbst sich zum Ziel setzt.82 So gesehen ist die Beobachtung, die lukanische Geschichtsschreibung verchristliche die mimetische Wirkabsicht der ἡδονή auf ἐλπίς und οἰκοδομή hin,83 in einem denkbar weiten Sinn zu verstehen: Geschichtsschreibung wurzelt stets in der Gegenwart und zielt auf sie. Die lukanische Variante jedoch handelt ganz unmittelbar von ihr. Denn die Aktanten, die das gesamte Geschehen tragen und bewegen, konstituieren die Gegenwart der Adressaten noch immer: Gott, das Pneuma und der Christus. Keine profane Informations‑ oder Unterhaltungsabsicht wird hier religiös vertieft, sondern die religiöse Perspektive beherrscht von der Wurzel an alle Mimesis. Lukas bewegt sich in offenbarter Geschichte, an der seine Leser noch immer teilhaben.84 Diese bestimmt Grund und Grenzen seiner narrativen Konstruktion. geht (Pol. 16,12,9: διασῴζειν τὴν τοῦ πλήθους εὐσέβειαν πρὸς τὸ θεῖον; ähnlich Diod. 1,2,2); vgl. Plümacher, Τερατεία (s. Anm. 23), 69 f. 79 Vgl. Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München (2000) 22004, 15–37. 80  Auch griechisch-römische Geschichtsschreibung kann religiöse Züge tragen, aber dann doch in einem eher beiläufigen, unkonkreten und oft auch unverbindlichen Sinn. Zum typologischen Vergleich zwischen der griechisch-römischen und der biblisch-frühjüdischen Geschichtsschreibung näher Aune, Testament (s. Anm. 10), 77–115; Marguerat, Historian (Anm. 6), 13–25, bes. 21–23; Hagene, Zeiten (s. Anm. 77), 27–58. Zu den Schnittfeldern zwischen der lukanischen Geschichtsschreibung und dem deuteronomistischen Erinnerungstypus Sterling, Historiography (s. Anm. 10), 357–363; Thomas Römer / ​Jean-Daniel Macchi, Luke, Disciple of the Deuteronomistic School, in: Luke’s Literary Achievement. Collected Essays, hg. v. C. M. Tuckett, JSNTS 116, Sheffield 1995, 178–187. 81  „Even in the preface, where Josephus ducks and weaves expertly to avoid flying shrapnel, Luke seems scarcely to be aware that he has strayed into a battle-zone“ (Alexander, Fact [s. Anm. 16], 397). 82  Vgl. Alexander, Fact (s. Anm. 16), 398 f. 83  Plümacher, Art. Lukas als griechischer Historiker (s. Anm. 66), 261. 84  Vgl. Robert G. Hall, Revealed Histories. Techniques for Ancient Jewish and Christian Historiography, JSPES 6, Sheffield 1991, 171–208; Jervell, Future (s. Anm. 64), bes. 104–110, 125 f.

4. Die historische Rückfrage

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4. Die historische Rückfrage Wir haben festgestellt, dass Apg grundsätzlich einen Dokumentationsanspruch erhebt (Kap. 2). Doch steht dieser, wie wir sodann beobachteten (Kap. 3), in einem ausgeprägten intentionalen Gestaltungsrahmen. Nicht harte Fakten liefert Lukas, sondern ein weiches Geschichtsbild. Moderne Informationsanliegen werden damit zweifellos enttäuscht. Die hellenistisch-reichsrömische Geschichtsschreibung hat das freilich anders wahrgenommen: Ihr galt eher das chronologische Faktum als verschwommen und das gekonnt gemalte Bild als klar und weiterführend. Vor dem Hintergrund dieses Wahrheitsverständnisses gelangen wir so zu einer ersten Einschätzung hinsichtlich der Möglichkeit, Apg historisch auszuwerten: Dem konstruktiven Moment lukanischer Literatur werden wir gerecht, indem wir sie als kreative Rekonstruktion lesen,85 d. h. als eine Großerzählung, die (für modernes Maß) relativ weite fiktionale Spielräume zulässt, aber gerade mittels einer solchen imaginativen Vergegenwärtigung geschichtlichen Referenzanspruch erhebt. Sie ist insofern zunächst gewiss als Quelle zum lukanischen Geschichtsbild, dann aber – ihrerseits aus schriftlicher oder mündlicher Tradition schöpfend – durchaus auch als Quelle zur Geschichte des Urchristentums zu nutzen.86 Solche Nutzung steht nun allerdings vor zwei ernsten Schwierigkeiten: (1) Hellenistisch-reichsrömische Geschichtsschreibung bindet Überlieferung fiktional ein, fingiert Überlieferung und überliefert Fingiertes. Deshalb stößt die streng kriteriengeleitete Rückfrage auch für Apg an Grenzen, die nicht mehr überwindbar sind. Das seit der Alexander-Zeit vordringende romanhafte Element in der Geschichtsdarstellung lässt nach der Tauglichkeit gängiger Historizitätsargumente fragen. Lokalkolorit etwa gehört zum Œuvre und verrät nicht ohne Weiteres Ortskenntnis oder Lokaltradition: Wenn man schon nicht am Ort oder beim Geschehen war, so kann man wenigstens den Eindruck erwecken, man sei es gewesen.87 Zu den mit Vorliebe erfundenen Konkretionen 85 So Christopher B. R.  Pelling, Truth and Fiction in Plutarch’s Lives, in: Antonine Liter­ ature, hg. v. D. A. Russell, Oxford 1990, 19–52: 38, 42 mit Blick auf Plutarchs Bioi; vgl. Timothy P. Wiseman, Lying Historians: Seven Types of Mendacity, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 122–146: 142. 86  Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 6), 253 Anm. 2 möchte Apg als „Sekundärliteratur“ verstanden wissen und nur für die lukanische Theologie als „Quelle im eigentlichen Sinne des Wortes“; ähnlich das Resultat der Forschungsskizze bei Tyson, History (s. Anm. 20), bes. 40–42. In diesem Sinn sind sicher auch Tacitus oder Sueton – mit keinem geringeren Abstand vom Berichtsgeschehen – zunächst Quellen für ihr jeweils eigenes Weltbild, aber es scheint mir doch künstlich, sie als Sekundärliteratur für den julisch-claudischen Prinzipat aufzufassen. 87 In satirischer Überzeichnung berichtet Lukian von einem Thukydides-Jünger, der in detailfreudigstem Kolorit alle Städte, Berge, Ebenen und Flüsse zu beschreiben weiß (vgl. hist. conscr. 19 f.). Bezeichnender noch scheint jener korinthische Gelehrte, der seine Heimatstadt niemals auch nur in Richtung Kenchreä verlassen hat, seinen Bericht über den Partherkrieg in Syrien und Armenien aber mit den Worten beginnt: „Ohren sind unglaubwürdiger als Augen. Folg-

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der Darstellung gehört das „unerfindliche“ Detail, das der Erzählung erst die Würze des ἀξιαφηγητότερον gibt. Die scheinbare Epitomisierung von Quellen gehört ebenso wie die Anführung von Augenzeugen zur historiographischen Plausibilisierungsstrategie, sodass man von daher keineswegs zwingend auf tatsächliche Überlieferungsabhängigkeit schließen kann.88 Der indirekte Hinweis auf Autopsie, wie er für die Wir-Berichte diskutiert wird, kann im Licht der zeitgenössischen Geschichtsschreibung entweder Niederschlag eigener Reisegenossenschaft sein oder auf Überlieferung von Reisegenossen schließen lassen oder ein korporatives Bewusstsein zur Geltung bringen oder eine literarische Fiktion darstellen. Werden, wie es in Apg bemerkenswert häufig der Fall ist, individuelle Teilnehmer am Geschehen namentlich genannt, so kann dies detailfreudig ausgemalter ἐνάργεια dienen. Auch sehr konkrete Einzelangaben – Paulus lässt sich aufgrund eines Gelübdes zu Kenchreä den Kopf scheren (Apg 18,18) oder beschneidet mit Rücksicht auf jüdische Beobachter den Timotheus (16,3) – können bei näherem Hinsehen im Dienst christlicher Paideia stehen und etwa die jüdische Traditionstreue des Stiftungsheros Paulus unterstreichen. Selbst dort, wo der Erzähler auf Überlieferung rekurriert, ist diese ihrerseits einem Konstruktionswillen unterworfen, der sich der Kontrolle insofern entzieht, als wir die Überlieferungsabsicht der Gewährsleute hier mangels Quellenevidenz nicht mehr beurteilen können. (2) Gerade intentionale Geschichtsschreibung ist als Gesamtkonstruktion literarische Kunst in paideutischer Absicht. Dokumentationswillen ist zwar durchaus anzunehmen, aber tritt niemals isoliert hervor. Deshalb fällt es schwer, textanalytisch zwischen konstruktiven und nicht-konstruktiven Momenten zu unterscheiden. Das Projekt, bruta facta oder ipsissima verba aus der kreativen Einbettung freizulegen und Deutung und Gedeutetes zu trennen, ist methodisch meist unumgänglich. Doch die Grenzen solchen Vorhabens sind nicht zu übersehen: Man entfernt gewissermaßen ein Organ aus einem Organismus, von dem man gar nicht weiß, wie es seine Umgebung beeinflusst hat und seinerseits von seiner Umgebung beeinflusst wurde.89 Die angeführten Aporien schwächen die Triftigkeit manches Plädoyers für Historizität. Jedoch eignen sie sich ihrerseits keineswegs zu schlagender Gegenargumentation. So mag das Speichergedächtnis einer Mündlichkeitskultur dem Berichterstatter durchaus zuverlässige Erinnerungen zur Verfügung gestellt lich schreibe ich, was ich gesehen, nicht, was ich gehört habe.“ Das Schlachtengewirr vermag er ἀκριβῶς zu beschreiben, da er es nach eigenen Angaben als Augenzeuge von einem Baum aus beobachtet hat. Er verliest seinen Geschichtsbericht vor dem Publikum seiner Heimatstadt, das durchaus weiß, dass er eine Schlacht nicht einmal als Wandgemälde je gesehen hat (hist. conscr. 29). 88  Vgl. näher Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 10), 213–290. 89  So die Metaphorik bei John L. Moles, Truth and Untruth in Herodotus and Thucydides, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 88–121: 114 f.

4. Die historische Rückfrage

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haben. Es entspricht historiographischer Praxis und ist gut denkbar, dass Lukas tatsächlich Quellen epitomisiert hat und von Geschehenszeugen weiß. Es ist, um bei den Beispielen zu bleiben, zweifellos möglich, dass Paulus in Kenchreä ein Gelübde abgelegt hat und Lukas dieses Detail deshalb für überlieferungswürdig hält, weil es sich seiner Herkunftsmemoria passend einfügt. Und der „historische Paulus“ kann dem „Paulus der Apostelgeschichte“ durchaus ähnlicher sein als der – gewiss nicht tendenzfreie – „Paulus des Galaterbriefs“: Möglicherweise hat der Apostel aus Konvenienzgründen, die ihm auch sonst nicht fern liegen (vgl. Röm 14,1–6.13–23; 1Kor 8,7–13; 9,19–23; 10,23–33, bes. 10,32 f.), tatsächlich Timotheus beschnitten. Lukas konstruiert, gerade weil er sich als Historiograph versteht, besten Gewissens. Aber aus dem gleichen Grund konstruiert er nicht willkürlich, sondern kontrolliert. Die Frage „historisch oder nicht?“ verfehlt das Selbstverständnis antiker Historiographie. Zu erkunden sind vielmehr die Ermessensräume, in denen lukanische Konstruktivität sich dabei bewegt, freier als Polybios, aber gebundener als Philostrat. Für die historische Rückfrage ergeben sich daraus folgende Leitlinien: (1) Ausgangsbasis: Es ist zuerst weder nach der historischen Referenz der Darstellung noch nach der theologischen Absicht des Redaktors zu fragen, sondern nach dem christlichen Vergangenheitsbild, das Apg zu kanonisieren bestrebt ist. Erst wenn der intentionale Richtungssinn erfasst ist, können die möglicherweise in diesem Bild enthaltenen historischen Fakten in den Blick treten. Das Bild als solches, das emplotment der Erzählung, verdankt sich wie bei jeder geschichtlichen Rekonstruktion der imaginativen Kunst des Berichterstatters. Dabei ist jedoch vorauszusetzen, dass Lukas als Historiograph nicht frei fingiert, sondern auswählend, auslegend, ergänzend und ausrichtend Überlieferungsgut in die Gesamtkonstruktion der Erzählung einarbeitet. (2) Erschließung der Ermessensräume: Haben wir es in der lukanischen Geschichtsschreibung mit kontrollierter Kreativität zu tun, so sind sowohl die Ressourcen solcher Kreativität als auch ihre inneren Grenzen präziser zu erfassen und heuristisch für die Rückfrage heranzuziehen. Die (sozio‑)rhetorische Prägung hellenistisch-reichsrömischer Geschichtsschreibung lässt nach den in den antiken Wissensspeichern gut dokumentierten Regeln der partes artis, vornehmlich für inventio und dispositio, fragen, aus dem Bereich der elocutio vor allem nach der evidentia / ​ἐνάργεια. Dabei ist der Standard bildungsgesellschaftlicher Beredsamkeit für das lukanische Werk weniger einschlägig als einerseits die persuasive Strategie überhaupt und andererseits die imaginative Praxis, Darstellungsstoff zu finden, zu ordnen und zu vergegenwärtigen.90 Gerade auf der Ebene der Apg versprechen zum einen die zeitgenössischen Progymnas90  Einen instruktiven Einblick in das hier zu erschließende Terrain bietet Philip E. Satterthwaite, Acts against the Background of Classical Rhetoric, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​ A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 337–379, bes. 344–379.

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mata,91 zum anderen die Schnittfelder mit dem antiken Roman heuristischen Gewinn. Schließlich ist die für die Schwellenzeit einer jungen Gemeinschaft kennzeichnende formative Funktion der historiographischen Paideia besonders zu beachten, wobei sich der heuristische Vergleich mit den mythhistorischen Stiftungstraditionen einschließlich der Epik lohnen dürfte. (3) Ansatzpunkt: Bei der historischen Würdigung der Apg ringen oft generelle Skepsis und allgemeine Affirmation miteinander. Die Kontrahenten zeigen sich dabei nicht selten eher einer systematischen Grundsatzposition oder spirituellen Gestimmtheit verbunden als präziser Textbeobachtung. Apriori-Auskünfte über die „Zuverlässigkeit“ der Apg als Geschichtsschreibung im Ganzen sind jedoch kaum sachdienlich. Vielmehr hat die Rückfrage beim Einzeltext anzusetzen.92 Denn der Historiograph Lukas dürfte für verschiedene Berichtszeiträume oder ‑schauplätze unterschiedlichen Überlieferungszugang haben, sodass er einmal in der Lage ist, Daten auszuwählen, sie ein anderes Mal jedoch, gängiger Praxis entsprechend, passend – das heißt: mit fiktionalem Geschick – ergänzen muss. Auch die Überlieferung selbst kann von ganz unterschiedlicher kreativer Energie getragen sein. Vor allem zeigen sich Relationalitäten in die maßgebliche Gegenwart hinein je nach Erzähleinheit anders. Das Verhältnis der Zwölf zum Tempel etwa hat anderen Aktualitätsbezug als das Verhältnis des Völkermissionars Paulus zu Rom. Schließlich stellen sich die je gegebenen Kontrollmöglichkeiten des Lesepublikums und wohl auch der nachfolgenden Geschichtsschreibung für jede Einzelüberlieferung anders dar. Die historische Rückfrage ist also für jedes Textsegment neu zu stellen. (4) Methodischer Zugriff: Unsere Überlegungen haben die Plausibilität einiger „weicher“ Kriterien historischer Rekonstruktion (wie Lokalkolorit oder „unerfindliche“ Details) fraglich werden lassen. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass das „harte“ Kriterium der Quellenkohärenz bzw. der mehrfachen Bezeugung einer Tradition in literarisch voneinander unabhängigen Texten gerade in Apg günstig anwendbar ist, da diese manches Traditionsgut mit außerbiblischer Bezeugung teilt. Vor allem lässt uns die intentionale Ausrichtung der lukanischen Geschichtsschreibung den Wert des Kriteriums der Tendenz91  Im Ausgang von Ailios Theon und unter Hinzuziehung von Quintilian hinführend Mikeal C. Parsons, Luke and the Progymnasmata: A Preliminary Investigation into the Preliminary Exercises, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 43–63. 92 Vgl. zu dieser Aufgabenstellung grundsätzlich am Beispiel Plutarchs Pelling, Truth (s. Anm. 85), 51 f. So bereits Cadbury, Making (s. Anm. 16), 365: „Our alternatives are not to take it or leave it, to accept it ‘from cover to cover’ or to reject it in toto. We shall prefer to form our verdict about its contents piece by piece“. Mir scheint, dass sich so auch die Ambivalenz des Versuchs von Byrskog, Story (s. Anm. 25); ders., History (s. Anm. 25) erklärt, die Historizität der Überlieferung in der erzählenden Literatur des NT zu erhärten: In der kulturgeschichtlichen Theorie wirken seine Darlegungen überzeugend, bei konkreten Schlussfolgerungen bezüglich extratextueller Sachverhalte indes nicht, da diese die detaillierte Textanalyse erfordern.

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sprödigkeit bzw. Tendenzwidrigkeit hoch veranschlagen.93 Wo die „ideale Kurve“ verlassen oder gebrochen scheint, mag sich das Gewicht der Überlieferung geltend machen: So ist etwa das offenkundig besonders überlieferungsfeste (im Erzählzusammenhang an sich unnötige) Detail, Barnabas habe der Gemeinde den Erlös eines Ackers übereignet (Apg 4,36 f.), angesichts der Idealzeichnung vollkommener Gütergemeinschaft zu Jerusalem als historisch wahrscheinlich anzusehen. Die diffuse Situation von Apollos (18,24–28) und den Johannesjüngern zu Ephesus (19,1–7) sprengt das vereinheitlichende Geschichtsbild und dürfte die mannigfachen Grauzonen christlicher Identitätsbildung wirklichkeitsgerecht widerspiegeln; der Missionar Apollos ist zudem in einer mit der Darstellung der Apg gut zu vereinbarenden Weise durch die paulinische Korrespondenz belegt. Insofern kann gerade die Einsicht in die intentionale Eigenart lukanischer Geschichtsschreibung die historische Rückfrage in mancher Hinsicht erleichtern. (5) Einschätzung fiktionaler Zumutbarkeit: Das Kriterium der Tendenzsprödigkeit und ‑widrigkeit dient als Eingangskriterium zur Sicherung eines historischen Minimalbestands. Wenn der Historiograph der Geschichte einen Sinn gibt, aber jenen, den sie selbst ihm nahelegt, dann ist damit zu rechnen, dass auch manche Strecke auf der „idealen Linie“ dem Geschichtsverlauf ungefähr entspricht, „hinreichend wahr“ ist.94 Aus dem Umstand, dass Aischylos in den Persae das Großereignis grundsätzlich beleuchtet und dabei seine Zeitgenossen siegesstolz mythisiert, lässt sich nicht schließen, die Schlacht von Salamis habe niemals stattgefunden. Erst recht betätigte sich die historiographische Kunst zwar in der Ausarbeitung des vorgegebenen Stoffs, nicht aber in der Stoffschöpfung ex nihilo. Die kunstgerechte, Wahrheit aufdeckende Fiktion als planvoll deutendes Ordnungshandeln war Ausdruck historiographischer Kompetenz. Problematisch wurde die unpassende Fiktion, jene also, die ihren Spielraum überschreitet, „ut reprehendatur“ (vgl. rhet. Her. 2,46), also jenes „unfachmännisch und ungereimt Erdichtete (imperitum et absurdum fictum)“, bei dem man nicht nur deutlich erkennt, dass es erdichtet ist, sondern auch „dass es gar nicht hätte geschehen können“ (vgl. Cicero, rep. 2,28). Die Spielräume stellten sich naturgemäß auf den verschiedenen – teilweise bildungssozial bestimmten – Ebenen unterschiedlich dar. Um kunstgerecht zu fingieren, bedarf es des peritus. Das eine Publikum stellt qualitative Erwartungen an die Fiktion, das andere quantitative. Doch wird eine Auslegung, die von unkontrollierten Fiktionsmöglichkeiten ausgeht, auch auf der sozialen Ebene der urchristlichen Rezeption den inneren Grenzen historio93 Vgl. mit Blick auf die historische Jesus-Forschung grundlegend Gerd Theissen  /  ​Dagmar Winter: Die Kriterienfrage in der Jesusforschung. Vom Differenzkriterium zum Plausibilitätskriterium, NTOA 34, Göttingen / ​Freiburg i. Ue. 1997, 175–232 sowie den Beitrag von Gerd Häfner, Das Ende der Kriterien? Jesusforschung angesichts der geschichtstheoretischen Diskussion, in: K. Backhaus / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BTHSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 97–130. 94  Vgl. Pelling, Truth (s. Anm. 85), 49.

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graphischer Kreativität nicht gerecht. So ist es beispielsweise angesichts eines durchaus üblichen Re-Arrangements vorstellbar, dass Apg die erste Missionsreise des Paulus (Apg 13,1–14,28) auf der Grundlage verstreuter Nachrichten eigenständig komponiert und in musterhaftem Überblick als „Modellreise“95 vor dem Jerusalemer Konvent verortet hat. Mit einem solchen eleganten Verfahren jedenfalls setzt Plutarch die Rhodos-Reise Cäsars in einem Block der frühen auswärtigen Erlebnisse vor dessen römische Erfolge, um narrative Übersicht zu schaffen und die Ausbildung des Hauptcharakters zeitlich vor die Anwendung dieser Ausbildung zu setzen (Plutarch, Caesar 1,4–2,4; anders Sueton, Iul. 4).96 Kaum vorstellbar scheint mir allerdings, dass Lukas das römische Bürgerrecht des Paulus fingiert, da er sich auf solche Weise der reprehensio seiner Adressaten aussetzen würde, deren lebensweltliche Kompetenz nicht weniger als moderne Gelehrsamkeit Widersprüche zu der römischen Rechtspraxis wahrnehmen würde. Dass Lukas zudem die Gefangenschaftsreise des Paulus fingiert, um auf solche Weise dem fingierten Bürgerrecht Rechnung zu tragen,97 sprengt vollends den Rahmen zumutbarer Kreativität. Nicht nur die lukanische Geschichtsversion, auch die moderne Rekonstruktion muss am Ende plausibel sein. In der skizzierten Weise wird die Actaforschung historische Wahrscheinlichkeiten begründen können. In den meisten Fällen dürfte jedoch ein Non liquet den Forschungsfortschritt realistischer anzeigen als die Behauptung oder Bestreitung historischer Referenz. Die historische Rückfrage ist aus Gründen moderner intellektueller Selbstvergewisserung unerlässlich und, wie wir sahen, in Grenzen möglich. Doch Lukas hat nicht daran gedacht, ihr günstige Ausgangsbedingungen zu schaffen, als er seine Erzählung über die malerischen Anfänge des Christentums schuf. Die ἀσφάλεια, die sich in dieser spiegelt, ist eigener Art.

 Zur Diskussion Schröter, Lukas (s. Anm. 6), 255–258.  So Pelling, Truth (s. Anm. 85), 39. 97  So David Alvarez Cineira, Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission, HBS 19, Freiburg i. Br. 1999, 348–370. 95 96

Asphaleia Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses In Greco-Roman historiography, an episodic narrative fiction is taken to be a configuration and re-imagination of truth insofar as it is bound by the “general sense” of the narration. Normally religious elements will be subordinate to the narrative plot. In apologetic historiography, however, these elements constitute the conceptual framework of the narration. Seen in this light, Luke-­Acts including its imaginative constructions may be read as an act of theological arrangement that is intended to shape a specific Christian memory of provenance and past-related self-definition. Thus, the truth claim of Acts and its fictional elements do not contradict but rather complement each other. Das ist das Paradox der Geschichte: Der Historiker, der forscht, wird zum sprachlichen Schöpfer der Welten, die er erforscht. Wo ist dann Wahrheit? Johannes Fried1

Stellen wir uns vor: Theophilus setzt Lukas die Pistole auf die Brust, nötigt ihn zur Auskunft über die Frage, ob sein Doppelwerk referenztreu sei oder fiktionaler Natur. Die Reaktion des Lukas ist eine dreifache: Er erkundigt sich zuerst nach dem Unterschied zwischen Referenztreue und Fiktionalität. Er räumt sodann freimütig ein, dass vieles in seinem Doppelwerk von ihm oder anderen erfunden sei. Er fragt schließlich verblüfft, warum ihn Theophilus deshalb mit einer Pistole bedrohe. Diese Eingangsszene hat mit der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie allerlei gemeinsam: Ich habe sie erfunden. – Ich zweifle nicht an ihrer Wahrheit.  – Ich habe sie, stolz auf meine Imagination, gleichwohl ein wenig abgekupfert, nämlich von Christopher Pelling, der sie freilich am Beispiel des Tacitus erprobt.2 – Bei alledem treibe ich ein offenes Flunkerspiel, denn mir ist schon klar, dass spätestens bei der anachronistischen Erwähnung der Pistole meine Fiktion durchschaubar wird.  Wissenschaft und Phantasie. Das Beispiel der Geschichte, in: HZ 263 (1996) 291–316: 300.  Christopher Pelling, Truth and Fiction in Plutarch’s Lives, in: Antonine Literature, hg. v. D. A. Russell, Oxford 1990, 19–52: 49 f. 1 2

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Referenztreue ist kein antikes Ideal, sondern eine neuzeitliche Illusion. Was die jüngere Geschichtswissenschaft als notwendiges Übel entdeckt – wir kon­ struieren auch dann, wenn wir ein Re‑ vor die Konstruktion setzen3–, das sah die antike Historiographie weithin als ästhetischen Gestaltungsspielraum und ernsthafte Wahrheitschance. Ihr Wahrheitsbegriff ist weich: Ein historischer Sachverhalt muss nicht ganz wahr sein; er darf auch nicht unwahr sein; er sollte hinreichend wahr sein, um aus gutem Grund erzählt zu werden.4 Im Folgenden geht es mir darum, das Modaladverb „hinreichend“ sowie die Umstandsangabe „aus gutem Grund“ für den antiken Wahrheitsdiskurs abzuwägen und für das lukanische Doppelwerk genauer zu bestimmen.5

1. Klio tanzt – oder: Geschichtsschreibung und Wahrheitsdiskurs 1.1 Bestimmung und Bestimmungsfaktoren narrativer Wahrheit Wahrheit ist in der hellenistisch-reichsrömischen Vergangenheitskonstruktion eine pragmatische Kategorie.6 Sie ist für den szenischen Erzähltext als sachliche 3  Zur Diskussion vgl. den Sammelband Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive, hg. v. J. Schröter / ​A. Eddelbüttel, TBT 127, Berlin 2004; Gerd Häfner, Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion, in: K. Backhaus / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 67–96. 4  Vgl. Pelling, Truth (s. Anm. 2), bes. 42 f., 49 (mit Blick vor allem auf Plutarchs Bioi). 5  Ich benutze den Begriff der Historiographie einfachheitshalber für die literarische Vergangenheitskonstruktion unter Einschluss der Biographie: Zwischen beiden Zweigen, die mitunter voneinander abgehoben werden (oft zitiert: Pol. 8,11,3–8; 10,21,5–8; Nepos, vir. ill. pr. 1; Plutarch, Nikias 1,5; Alexander 1,2), bilden sich im Bereich der aktantenzentrierten Geschichtsschreibung hellenistisch-reichsrömischer Zeit zunehmend Schnittfelder. Die Bestimmung „hellenistisch-(früh‑)reichsrömisch“ sei ungefähr auf die Zeit zwischen Polybios und Lukian von Samosata bezogen; dabei werden maßgebliche Entwürfe der klassischen Geschichtsschreibung und bezeichnende Rezeptionsweisen der späteren Zeit nicht aus unserer Betrachtung ausgeklammert. Selbstverständlich ist das Adjektiv-Paar nicht mit „griechisch-lateinisch“ zu verwechseln. Gleichwohl dürfte, wenn irgendwo, so im Feld der Historiographie die griechische Literatur die lateinische (und umgekehrt) beeinflusst haben. Zur formalen wie sachlichen Symbiose als elementarem Wesenszug der römischen Geschichtsschreibung Dieter Timpe, Memoria und Geschichtsschreibung bei den Römern (1996), in: ders., Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, hg. v. U. Walter, Darmstadt 2007, 64–85: 79 f. 6  An anderer Stelle habe ich die These zu belegen versucht, dass hellenistisch-frühreichsrömische Historiographie im Hauptstrom einen Mischtypus darstellt, der die Rekonstruktion extratextueller Sachverhalte mit ordnenden Konstruktionselementen aus Rhetorik, mimetischer Kunst (Epos, Drama, Roman) und paideutischem Traktat zur narrativen Kohärenz verbindet. Diese Untersuchung setze ich hier voraus und greife nur wahlweise illustrierend auf sie zurück; vgl. Knut Backhaus, Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 2 2009, 1–29 [in diesem Band S. 129–155].

1. Klio tanzt – oder: Geschichtsschreibung und Wahrheitsdiskurs

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Angemessenheit zu bestimmen, als adaequatio narrationis ad rem, wobei sich die res sehr flexibel darstellt. Sie richtet sich (idealtypisch7) (1) nach der Textgattung und, damit verbunden, dem narrativen Ziel Historiographische Textsorten tendieren zur Stiftung sozialen Ordnungswissens, biographische Textsorten zur Stiftung ethischen Wertwissens, dikanische Textsorten zur Stiftung parteiischen Zweckwissens.8 Den unterschiedlichen Erzählabsichten will auch die konventionelle Unterscheidung von pragmatischer, rhetorischer und mimetischer Geschichtsschreibung Rechnung tragen.

(2) nach den Adressaten in einer bestimmten sozialen Verstehenssituation und, damit verbunden, dem lebenspraktischen Formungswillen des Erzählers Pointiert gesagt: Was als erzählerische Wahrheit zu betrachten ist, entscheidet sich nicht an der kritischen Auswertung von Quellengut, sondern am Gewicht der gruppeneigenen Tradition und an der Gedächtnisstrategie der sozial bestimmenden Elite.9

(3) nach dem rhetorischen Duktus Geltungsansprüche werden nicht einfach erhoben und begründet, sondern oratorisch, eidetisch und pathetisch inszeniert. Im Allgemeinen sah sich der Historiograph eher vor der Aufgabe, die Wahrheit zu vermitteln als zu erforschen.

 Dabei vereinfacht die These insofern idealtypisch, als die Textgattungen Schnittfelder und offene Grenzen aufweisen, die Adressaten als Gruppe oder Einzelne verschiedene Verstehensanliegen hegen können, der rhetorische Spielraum nicht von der kulturellen Enzyklopädie getrennt werden kann usw. Eine Literaturtheorie der Geschichtsschreibung hat sich in hellenistischer Zeit nicht entfaltet (vgl. Cicero, de orat. 2,62–64). Wir sind auf die methodologischen und kompetitiven Zwischenbemerkungen der Geschichtsschreiber, karge Auskünfte der Biographen und sehr begrenzte Überreste eines zweifellos eingehend geführten Diskurses verwiesen. Aufschlussreich sind die rhetorischen Wissensspeicher, zumal deren narratio-Partien nicht spezifisch von forensischen Gesichtspunkten geprägt sind (vgl. Quintilian, inst. 2,4,2 f.18 f.; 10,1,31–34; 10,5,15; 12,4; 12,11,17); zum Einfluss der forensischen Rhetorik auf die Geschichtsschreibung vgl. näher Eckhard Kessler, Das rhetorische Modell der Historiographie, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. R. Koselleck / ​H. Lutz / ​J. Rüsen, Beiträge zur Historik 4, München 1982, 37–85: 38–58. Sehr instruktiv untersucht die Relevanz historiographischer Rhetorik im lukanischen Doppelwerk Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004. Zur (eng mit literarisch-stilistischen Fragen verwobenen) geschichtstheoretischen Diskussion in der Antike sind besonders zu nennen: Thuk. 1,20–22; Cicero, de orat. 2,51–64; Ciceros Lucceius-Brief: fam. 5,13(12); Dionysios von Halicarnass, Περὶ τοῦ Θουκυδίδου χαρακτῆρος; Quintilian, inst. 10,1,73–75.101–104; Plutarch, Περὶ τῆς  Ἡροδότου κακοηθείας; Lukian, Πῶς δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν. Wahrscheinlich wäre Plutarchs nicht überkommene Schrift Πῶς κρινοῦμεν τὴν ἀληθῆ ἱστορίαν (Lampriaskatalog, n. 124) für unsere Fragestellung wertvoll gewesen. 8 Das Verb „tendieren“ sei betont: Besonders die rhetorische Geschichtsschreibung etwa hat anscheinend den moralischen Lehreffekt hoch geschätzt. 9  Vgl. Timpe, Memoria (s. Anm. 5), 71. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass jene Geschichtsschreiber, die sich noch am ehesten unabhängig äußern, Thukydides und Polybios, zuvor durch Verbannung bzw. Deportation sozial entwurzelt wurden. 7

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(4) nach dem Quellenzugang Autopsie und Zugang zu verlässlicheren Quellen bzw. zu Quellen überhaupt werden (mehr oder minder) geschätzt. Wo keine Quellen zur Verfügung stehen, zum Beispiel bei der Kindheit von wichtigen Handlungsträgern oder in ethnischen Frühzeiten, wird der Fiktionalitätsspielraum erweitert.

(5) nach dem metahistorischen Verstehensrahmen und dem jeweiligen Zugang zur kulturellen Enzyklopädie. Daraus folgt: Die Re-Konstruktion der geschichtlichen res wird durch die Gegenwart bestimmt, nicht nur die Konstruktion als solche, sondern auch Auswahl, Inhalt, Umfang und Farbe des Re-. Das Präsens ist die einzige Daseinsform der Geschichtsschreibung: Sie wird von den Erkenntnisgrenzen und ‑interessen der Gegenwart bestimmt. Wenn Lukian von Samosata (hist. conscr. 39) den Geschichtsschreibern die einzige Aufgabe zuteilt, zu sagen, „wie es eigentlich gewesen“ (Τοῦ δὴ συγγραφέως ἔργον ἕν  – ὡς ἐπράχθη εἰπεῖν  – wir kennen dieses Diktum durch Leopold von Ranke10), greift er verräterischerweise auf die Metapher vom Spiegel zurück (vgl. hist. conscr. 50). Wir haben keine Fenster in die Vergangenheit; wir haben nur die optische Projektion; Geschichtsschreibung spiegelt uns selbst. 1.2 Der Fiktionalitätsvertrag Im Unterschied zum Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts weiß die antike Geschichtsschreibung um ihre Perspektivität und pflegt diese. Mehr als δόξα will sie nicht bieten, wenn auch literarisch gepflegte δόξα.11 Gleicht – nach dem beißenden Bild von Peter Lampe12 – Rankes Streben nach dem „eigentlich Gewesenen“ dem Versuch, mit einem Seil den Mond zu erklimmen, so übt sich der antike Geschichtsschreiber im Freistil des narrativen Seilspringens: Nicht die Länge des Seils ist es, die über dessen Qualität entscheidet, sondern die Fertigkeit, mit ihm umzugehen. Anders gesagt: Nicht als Wissenschaft galt Geschichtsschreibung, sondern als (mehr oder minder) literarische Kunst.13 Erst die Neuzeit hat die kritisch-pragmatische Geschichtsschreibung als solche schätzen gelernt: 10  Leopold von Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514, Sämmtliche Werke 33, Leipzig (1824) 31885, VII; vgl. näher Reinhart Koselleck, Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historiographischen Erschließung der geschichtlichen Welt (1977), in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, 176–207: 178–183, 195–202. 11  Roberto Nicolai, The Place of History in the Ancient World, in: A Companion to Greek and Roman Historiography I, hg. v. J. Marincola, Malden, Mass. 2007, 13–26: 17–19. 12  Peter Lampe, Der Modellfall Auferstehung Jesu. Zu einer konstruktivistischen Theorie der Geschichtsschreibung, in: EvTh 69 (2009) 186–193: 193. 13  Nepos etwas geringschätzig über Catos Origines: in quibus multa industria et diligentia comparet, nulla doctrina (Cato 3,4); vgl. Cicero, de orat. 2,51–54; fam. 5,13(12),5.

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Polybios galt den Zeitgenossen als öde; Thukydides eroberte sich seine so beachtliche wie begrenzte Stellung weniger als Historiker denn als Stilmuster für Attizisten.14 Es waren, bezeichnend genug, jene Passagen, die Thukydides offen als fingiert ausweist, die den Tag überlebten: die Reden, in denen sich – weit über den peloponnesischen Krieg hinaus – eine düstere Anthropologie hohen Ranges abzeichnet. In alldem bringt sich eine grundlegende und vielfach variierte Einsicht der aristotelischen Poetica zur Geltung, die man als literaturtheoretische Geburtsanzeige des fiktionalen Genres lesen darf: Der Geschichtsschreiber  – Wirklichkeitsmensch im Sinne Robert Musils  – stellt dar, was geschehen ist, der Dichter – Möglichkeitsmensch –, was geschehen kann: „Deshalb ist Dichtung philosophischer und wesentlicher als Geschichtsschreibung: Die Dichtung handelt nämlich von der allgemeinen Wahrheit, die Geschichte dagegen vom Einzelfall“ (Aristoteles, poet. 1451a–b; vgl. 1447b; 1460a–b15). Die Fiktion in der Historiographie macht Ernst mit der Grunderfahrung, dass Literatur sich nicht in Referenz erschöpft.16 Zwischen dem antiken Geschichtsschreiber und seinen Adressaten herrscht ein sublimes Fiktionalitätsabkommen: Die Rolle des Verfassers ist es, den Adressaten in eine Vergangenheit zu führen, die keinen anderen ontischen Status haben kann als den der Imagination; die Rolle des Adressaten ist es, so zu tun, als ob er daran glaube.17 Plutarch hat das Abkommen mit entwaffnender Non14 An kritischer Pragmatik herrschte in hellenistisch-kaiserzeitlicher Ära schon deshalb kein reges Interesse, weil deren Sitz im Leben geschwunden war: die informierte Meinungsbildung einer bürgerlichen Gemeinde im politischen Willensbildungsprozess, speziell zu Fragen von Kriegsführung. Zur begrenzten Wahrnehmung von Thukydides und Polybios Emilio Gabba, True History and False History in Classical Antiquity, in: JRS 71 (1981) 50–62: 50–52. Quintilian nennt Herodot viermal und Thukydides sechsmal; zum Vergleich mit anderen griechischen Autoren: Demosthenes ist bei Quintilian 60-mal, Homer 41-mal, Platon 40-mal genannt. Eine vergleichsweise hohe Belegzahl haben Thukydides (156) und mehr noch Herodot (304) bei Plutarch; Dionysios von Halikarnass nennt Thukydides 24-mal, Herodot 16-mal (Demosthenes 73-mal, Homer 37-mal, Platon 44-mal); vgl. näher Teresa Morgan, Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds, Cambridge Classical Studies, Cambridge (1998) 2000, 94–100, 317–319. Im gattungsgeschichtlichen Überblick über die griechische Geschichtsschreibung (Cicero, de orat. 2,55–58) nennt der ciceronische Antonius Thukydides aufgrund seiner stilistischen Vorzüge neben dem von Polybios so heftig gescholtenen Timaios (longe eruditissimus); Polybios selbst fehlt ebenso wie im Lesekanon Quintilians (inst. 10,1,73–75). 15 διὸ καὶ φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον ποίησις ἱστορίας ἐστίν· ἡ μὲν γὰρ ποίησις μᾶλλον τὰ καθόλου, ἡ δ᾽ ἱστορία τὰ καθ᾽ ἕκαστον λέγει (Aristoteles, poet. 1451b). Zur Diskussion Wolfgang Rösler, Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike, in: Poetica 12 (1980) 283–319: 308–312; Hans-Jürgen Horn, Zum neunten Kapitel der aristotelischen Poetik, in: RMP 131 (1988) 113–136, bes. 117–130; Mario Puelma, Der Dichter und die Wahrheit in der griechischen Poetik von Homer bis Aristoteles (1989), in: ders., Labor et Lima. Kleine Schriften und Nachträge, hg. v. I. Fasel, Basel 1995, 111–151: 139–142. 16  Dazu durchdringend Karlheinz Stierle, Erfahrung und narrative Form. Bemerkungen zu ihrem Zusammenhang in Fiktion und Historiographie, in: Theorie und Erzählung in der Geschichte, hg. v. J. Kocka / ​Th. Nipperdey, Beiträge zur Historik 3, München 1979, 85–118. 17  Vgl. John R. Searle, The Logical Status of Fictional Discourse (1974/75), in: ders., Expression and Meaning. Studies in the Theory of Speech Acts, Cambridge (1979) 1999, 58–75.

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chalance auf den Punkt gebracht: „Möge uns also gegeben sein, durch Vernunft das sagenhaft Erzählte blank zu putzen, dass es gehorche und das Aussehen von Geschichte (ἱστορίας ὄψιν) annehme. Wo es indes eigensinnig verschmäht, sich glaubwürdig zu machen, und die Zumischung zur Wahrscheinlichkeit nicht annehmen will, wollen wir um geneigte Hörer / ​Leser bitten und solche, die die Altertumskunde in wohlwollendem Sinn aufnehmen“ (Plutarch, Theseus 1,318; vgl. Liv. pr. 5–7). Samuel Taylor Coleridge hat (für den poetic faith) diese Haltung ebenso anmutig wie angreifbar als willing suspension of disbelief beschrieben.19 Mitunter wird sie von antiken Geschichtsschreibern auf der Meta-Ebene pro­ blematisiert.20 Den klassischen Fall bietet der Methodenabschnitt des Thukydides (Thuk. 1,20–22). Mitunter wird sie auch karikiert. Den klassischen Fall zeichnet Lukian: Der Geschichtsschreiber hält, mit seiner Autopsie gestikulierend, öffentliche Vorlesungen zu Korinth über den Partherkrieg, erzählt von Schlangen und Schlachten im fernen Osten und schlägt sein Publikum mit exotischer Erfahrung und militärischer Sachkunde in Bann, obschon es doch weiß, dass er nicht einmal das Gemälde einer Schlacht je gesehen hat, ist er doch aus der Innenstadt niemals auch nur in Richtung Kenchreä gelangt (vgl. hist. conscr. 29). Dieses Beispiel zeigt, dass der Leser geschichtlicher Werke nicht immer so willig sein muss, seinen Unglauben zu suspendieren. Bei einem eindeutig fiktionalen Werk ließe sich eine solche Rezeptionsverweigerung nur mit Bosheit oder Naivität erklären; die einschlägigen Beispiele stiften Vergnügen.21 Anders verhält es sich mit der hellenistisch-reichsrömischen Historiographie, denn hier verlaufen die Grenzen zwischen Referenz und Konstruktion alles andere als eindeutig. Mehr noch: Die antike Literaturtheorie, so differenzierungsfreudig sie im Blick auf Textsorten war, hat keine gattungskritische Unterscheidung zwischen Das Denkmodell des Fiktionalitätsvertrags wurde wesentlich durch Umberto Eco entwickelt; vgl. bes. Umberto Eco, Six Walks in the Fictional Woods, Cambridge, Mass. 1994, 75–96. 18 εἴη μὲν οὖν ἡμῖν ἐκκαθαιρόμενον λόγῳ τὸ μυθῶδες ὑπακοῦσαι καὶ λαβεῖν ἱστορίας ὄψιν, ὅπου δ᾽ ἂν αὐθαδῶς τοῦ πιθανοῦ περιφρονῇ καὶ μὴ δέχηται τὴν πρὸς τὸ εἰκὸς μῖξιν, εὐγνωμόνων ἀκροατῶν δεησόμεθα καὶ πρᾴως τὴν ἀρχαιολογίαν προσδεχομένων. 19 Samuel Taylor Coleridge, Biographia Literaria or Biographical Sketches of My Liter­ ary Life and Opinions II, hg. v. J. Engell / ​W. J. Bate, Collected Works 7/2, London / ​Princeton, N. J. 1983, 6. 20  Vgl. Cicero, Brut. 42 f.; leg. 1,1–5; satirisch Lukian, VH 1,1–4. Sehr verwandt für die Dichtkunst: Horaz, ars 11: hanc veniam petimusque damusque vicissim – „Solche Freiheit erbitten und gewähren wir uns gegenseitig“ – jedoch ist nicht einmal diese Freiheit unbegrenzt (vgl. ars 12 f.). 21  König Viktor Emmanuel III., nicht gerade subtiler Kunstfreund, bleibt bei der Eröffnung einer Ausstellung vor dem ergreifend schönen Bild einer Berglandschaft mit Dorf stehen, mustert es lange, wendet sich dann an den Ausstellungsleiter und fragt ihn: „Wie viele Einwohner hat dieses Dorf?“ (Eco, Walks [s. Anm. 17], 75) Die biblische Rezeptionsgeschichte ist voll von – zum Teil sehr produktiven – Missverständnissen dieser Art. Fiktive Gestalten wie Veronika drängen zur geschichtlichen Verkörperung (durch Tuch-Reliquien, Erinnerungsorte, Nachahmung usw.); reale Gestalten wie Petrus drängen zur literarischen Fiktionalisierung (in der romanhaften Fortschreibung). Im Heiligen Land weiß man bei Jericho jene Karawanserei zu zeigen, in der der Samaritaner aus dem Gleichnis den verletzten Wanderer untergebracht hat.

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fiktionaler und non-fiktionaler Literatur getroffen. Daher ist das Fiktionalitätsabkommen meist kein Formularvertrag, und wenn doch, gibt es zweifellos viele, die die allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht verstehen. Vermutlich gilt das auch für uns selbst: Dem Großwerk des Livius, das für eine Pionierleistung frühkaiserzeitlicher Geschichtsschreibung zu halten wir geneigt sind, bescheinigt ein Kenner wie Dieter Timpe „die Naivität eines anachronistischen historischen Romans“, wenn auch in den „Dimensionen eines Brockhaus“22. Erst recht treiben uns etwa die Kyrupädie oder das, was wir von Artapanos kennen, in die gattungskritische Verlegenheit, während Chariton von Aphrodisias Chaireas und Kallirhoë zwischen dem Syrakus des Hermokrates und dem Persien des Artaxerxes irren lässt, durch jene Welt also, die wir von Thukydides und Xenophon her kennen. Dass breitere Leserschichten nicht erst in der heutigen Gesellschaft außerstande sind, das Wahrheitsspiel zu durchschauen,23 belegt noch im vierten Jahrhundert Kaiser Julian, der in seinem Bildungsbemühen die paganen Priester mahnt, im Unterschied zu den Phantasien von Juden und Christen zwischen ἱστορίαι (ὁπόσαι συνεγράφησαν ἐπὶ πεποιημένοις τοῖς ἔργοις) und Liebesromanen als πλάσματα (ὅσα δέ ἐστιν ἐν ἱστορίας εἴδει) zu unterscheiden (vgl. Julianus Imp., epist. 48 [= 288a–305d, ed. B. K. Weis, 1973], hier: 48,301b).24 Man liest Romane, aber weiß es nicht recht.25 Wie offen die Fachsprache ist, belegen die Progymnasmata: διήγημα / ​διήγησις, so definiert Ailios Theon, ist „eine entfaltende Darlegung über Dinge, die geschehen sind oder als wären sie geschehen“ (Ailios Theon, Progymnasmata  Timpe, Memoria (s. Anm. 5), 83. der es wissen muss, Umberto Eco, weist darauf hin, dass es ab der ersten verkauften Million eines Romans unsicher wird, ob die Leser den Fiktionalitätsvertrag noch verstehen (Eco, Walks [s. Anm. 17], 75 f.). Schriftsteller wie Dan Brown nutzen diese gattungskritische Unsicherheit moderner Leser dazu aus, ihren Fiktionen die scheinbare Relevanz sensationeller Entlarvung zu geben. 24  Vgl. Niklas Holzberg, Historie als Fiktion  – Fiktion als Historie. Zum Umgang mit Geschichte im griechischen Roman, in: Rom und der Griechische Osten. FS H. H. Schmitt, hg. v. Ch. Schubert / ​K. Brodersen, Stuttgart 1995, 93–101: 94–96. 25  Zur historisierenden Verortung des Romans näher Elfriede Fuchs, Pseudologia  – Ψευδολογία. Formen und Funktionen fiktionaler Trugrede in der griechischen Literatur der Antike, BKAW II / ​91, Heidelberg 1993, 213–216; John R. Morgan, Make-Believe and Make Believe: The Fictionality of the Greek Novels, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 175–229, bes. 197–215; Holzberg, Historie (s. Anm. 24), bes. 99–101; Loveday Alexander, Fact, Fiction and the Genre of Acts, in: NTS 44 (1998) 380–399: 392–394; Niklas Holzberg, Der antike Roman. Eine Einführung, Darmstadt (1986) 3 2001, 26–30, 43–45. Zur poetischen Funktion des historiographischen Verweisspiels näher Carl W. Müller, Chariton von Aphrodisias und die Theorie des Romans in der Antike, in: AuA 22 (1976) 115–136: 123–126. Es war vor allem Richard Pervo, der die romanhaften Darstellungselemente in Apg verdienstvoll aufgezeigt hat; vgl. Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987; ders., Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009, 14–18. Insofern diese Elemente zu den gängigen historiographischen Erzählmustern gehören, lassen solche Beobachtungen jedoch keineswegs eine gattungskritische Entscheidung zu. 22

23 Einer,

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78,16 f.26; ganz ähnlich Ps.-Hermogenes, Progymnasmata 2,1; Aphthonios von Antiochien, Progymnasmata 2,1; vgl. Servius, Aen. 1,235). Auch das stolze Epitheton „historisch“ hilft – trotz vielversprechender Ansätze bei der forensischen narratio in der lateinischen Rhetorik27 – nur begrenzt weiter, denn der vermutlich seit Herodot von der allgemeinen „Erkundung / ​Kunde“ auf die Geschichtsschreibung konzentrierte, Thukydides indes in diesem Sinn noch unbekannte und erst mit Ephoros eindeutig benutzte Fachterminus ist so schwammig wie die Sache selbst. Für die Suda sind die ἱστορικοί die Verfasser von Liebesromanen.28 Fiktional und nicht-fiktional, bemerkt Andrew Laird, sind in der antiken Literaturwahrnehmung nicht zwei entgegengesetzte Pole, sondern Richtungen auf einer Farbskala, die am Ende zwischen Rot hier und Violett dort changieren.29 „Nur wer nichts zu sagen hat, kaut Quellen wieder“, stochert in Daten herum, fischt ein paar Fakten heraus.30 Der wahre συγγραφεύς vermag zwischen den Genres zu wechseln und aus verschiedenen literarischen Typen ein unverkennbares Ganzes zu machen. Für uns, denen Dokumentation alles ist, wird das Ganze so freilich unüberschaubar: „Das Verhältnis der antiken Geschichtsschreibung zur äußeren Realität ist schwankend, mehrdeutig, facettenreich, ein wenig schlampig. In dieser Hinsicht wenigstens ist sie wie das Leben selbst“31. Halten wir fest: Geschichtsschreibung fand weder am non-fiktionalen noch am fiktionalen Ufer statt; sie schwamm im literarischen Strom. Gerade in dem, was wir als schwammig empfinden, lag für den antiken Leser der sportive Reiz. Was dabei herauskommt, ist das Dokudrama (englisch: real fiction!): die literarisch ergötzliche oder paideutisch belehrende Mischung aus fact und fiction, 26  Διήγημά ἐστι λόγος ἐκθετικὸς πραγμάτων γεγονότων ἢ ὡς γεγονότων. Die vereindeutigende Wiedergabe von διήγησις mit „Bericht“ (Lk 1,1) in allen maßgebenden Übersetzungen des lukanischen Proömiums (mit Ausnahme der alten Zürcher Bibel: „Erzählung“) ist daher irreführend [Nachtrag 2018: Die revidierte Einheitsübersetzung von 2016 überträgt jetzt ebenfalls mit „Erzählung“]. Vgl. näher Timothy P. Wiseman, Lying Historians: Seven Types of Mendacity, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 122–146: 129 f.; Mikeal C. Parsons, Luke and the Progymnasmata: A Preliminary Investigation into the Preliminary Exercises, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 43–63: 51–56. 27  Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota im Unterschied zum argumentum, das die ficta res, quae tamen fieri potuit zum Gegenstand macht, und zur fabula, quae neque veras neque veri similes continet res (rhet. Her. 1,13); ähnlich Cicero, inv. 1,27; Quintilian, inst. 2,4,2. 28 Vgl. Müller, Chariton (s. Anm. 25), 118 Anm. 15. 29  Andrew Laird, Fiction, Bewitchment and Story Worlds: The Implications of Claims to Truth in Apuleius, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 147–174: 174. 30  So (inspiriert von Gerhard Ritter) mit ironischem Blick auf den heutigen Historiker Fried, Wissenschaft (s. Anm. 1), 303 f. 31  John L. Moles, Truth and Untruth in Herodotus and Thucydides, in: Lies and Fiction in the Ancient World, hg. v. C. Gill / ​T. P. Wiseman, Exeter 1993, 88–121: 121.

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„faction“, wenn man so will. Damit stehen wir vor einem grundsätzlichen Problem: Wie weit reicht der Fiktionalitätsvertrag? Wodurch unterscheidet er sich von der Lizenz zum Lügen? 1.3 Die Fiktion als Wahrheitsfigur An dieser Stelle scheint ein Caveat angebracht: Was ich bislang „Historiographie“ genannt habe, ist ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Arten der Vergangenheitskonstruktion, zwischen denen keine texttypologische Einheit besteht, sondern eher Familienverwandtschaft im Sinne Ludwig Wittgensteins. Wie weit die Spielräume der Wahrheit sind, entscheidet sich an der Freiheit, die der Verfasser sich zumisst und der Adressat hinzunehmen kundig oder willig ist (wobei auch die Variable „Adressat“ eine unübersehbare Vielzahl von Prämissen und Kompetenzen einschließt). Dies vorausgeschickt, steht eines doch fest: Wahrheit bewegt sich in der antiken Geschichtsschreibung relativ frei, aber nicht willkürlich frei, sondern in bemessenen Spielräumen. Wollen wir diese ausmessen, so leistet uns die exordiale Topik wichtige Hilfestellung. (1) Ein Grundzug dieser Topik ist die Beteuerung des Wahrheitsanspruchs, bisweilen ergänzt durch die Kritik an anderen Geschichtsschreibern, die diesem Anspruch nicht genügen (Josephus, bell. Iud. 1,30; c. Ap. 1,2–4; Thuk. 1,21 f.; Diod. 1,4,1–5; Nikolaos von Damaskus, Vita Augusti 2; Sallust, Catil. 4,3; Dionysios von Halikarnass, ant. 1,1,2; Liv. pr. 5; Tacitus, hist. 1,1,1–3; ann. 1,1,2 f.; Arrian, an. 1 pr. 1 f.; 7,30,3; Cass. Dio 1,1,2; Herodian. 1,1,1–3; Prokop, BP 1,1,3–6).32 Wer einen Wahrheitsanspruch erhebt, hat ihn damit natürlich nicht schon eingelöst (vgl. Pol. 3,33,17). Wahrheitsbeteuerungen gehören, gern auch mit Eidleistung, zu den Kennzeichen von Fälschungen.33 Lukian führt dies mit kaustischem Humor in seinen ἀληθῆ διηγήματα (VH 1,1–4.25 f.40; 2,31; vgl. hist. conscr. 14) vor, und Seneca will gar nur zwei Sorten von Geschichtsschreibern unterscheiden: solche, die selbst lügen, und solche, die der Lüge zum Opfer fallen 32  „Wer wüsste nicht, dass es das erste Gesetz der Geschichtsschreibung ist, dass sie nicht wage, etwas Falsches zu sagen? Sodann, dass sie nicht wage, etwas Wahres zu verschweigen, damit sich nicht der Verdacht einstellt, beim Schreiben habe Gunst oder Missgunst eine Rolle gespielt“ (Cicero, de orat. 2,62). Freilich nicht ganz ohne geringschätziges Achselzucken: (Antonius) „Was für einer Art von Redner und sprachbegabtem Menschen bedarf es deiner Ansicht nach, um Geschichte zu schreiben?“ – (Catulus:) „Des höchsten Anspruchs, wenn es nach der Weise der Griechen geschehen soll, wenn nach unserer Weise, ist kein Redner vonnöten; es reicht schon, dass er kein Lügner ist“ (2,51). Zum stilgeschichtlichen Hintergrund Andrew Feldherr, Cicero and the Invention of „Literary“ History, in: Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen – Autoren – Kontexte, hg. v. U. Eigler u. a., Darmstadt 2003, 196–212. 33  Vgl. Wolfgang Speyer, Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung, HAW 1/2, München 1971, 60 f.

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(vgl. nat. 7,16,1 f.). Aber wer klagt und spottet, appelliert an öffentliches Moralempfinden. Die Wahrheit mag geschminkt, verkleidet, halb gekürzt und ganz erfunden sein. Sie besteht als Ideal und Maß. In einem der seltenen Fälle, in denen sich uns ein Blick hinter die Kulisse auftut, bittet Cicero den Lucceius mit Blick auf die historiographische Darstellung seines Konsulats „offen wieder und wieder, dass du das Geschehene auch entschiedener ausschmückst, als du es vielleicht wahrnimmst, und in diesem Fall die Gesetze der Geschichtsschreibung hintanstellst (leges historiae neglegas) […] und unserer herzlichen Freundschaft sogar ein klein wenig mehr zubilligst, als es die Wahrheit zulässt (amorique nostro plusculum etiam, quam concedet veritas, largiare)“ (fam. 5,13[12],3).34 Mag hier auch im Interesse von Tagespolitik und Eitelkeit um Wahrheitsbeugung gebeten werden, so setzt dies doch voraus, dass etwas zu beugen ist, dass eben leges historiae im allgemeinen Bewusstsein verankert waren. Vor seine Bitte setzt Cicero eine Einsicht, der nicht ohne Grund Flügel wachsen sollten: epistula […] non erubescit (5,13[12],1). Es geht bei der Geschichtsschreibung tatsächlich um Wahrheit, sonst wäre nichts zu beugen – und die Gesichtsfarbe des Beugers bliebe konstant.

Sehen wir näher darauf, wie die Proömien Wahrheit kennzeichnen, so stoßen wir weniger auf Referenztreue gegenüber einem extratextuellen Sachverhalt als auf Unparteilichkeit gegenüber den geschichtlichen Handlungsträgern.35 Überprüfbarkeit der Datenlage ist das eine, Überlieferungstreue das andere, und hier entscheidet der Charakter des Erzählers.36 Damit ist weniger beansprucht als das, was wir heute unter „reflektierter Perspektivität“ verstehen. Eine patriotische Sichtweise galt in der Regel als geboten;37 die schichtenspezifische – etwa 34  Zu dem sehr aufschlussreichen Lucceius-Brief näher Anthony J. Woodman, Rhetoric in Classical Historiography. Four Studies, London / ​Portland, Oreg. 1988, 70–116; Karl-Ernst Petzold, Cicero und Historie (1972), in: ders., Geschichtsdenken und Geschichtsschreibung. Kleine Schriften zur griechischen und römischen Geschichte, Hist.E 126, Wiesbaden 1999, 86–109, bes. 105–107; Eckhard Plümacher, Cicero und Lukas. Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie (1999), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 15–32, bes. 17–26. 35  Tacitus betont, er wisse sich gegenüber den Herrschern weder zu Abneigung noch zu Dankbarkeit verpflichtet (ann. 1,1,3: sine ira et studio, quorum causas procul habeo; vgl. hist. 1,1,4); die veritas leide in der Alleinherrschaft unter dem adulatorischen Ehrgeiz und der (nachfolgenden) Abrechnung mit den „Tyrannen“ gleichermaßen (hist. 1,1,1–3); vgl. auch Thuk. 1,22,3; Sallust, Catil. 4,2; Josephus, bell. Iud. 1,1 f.; Herodian. 1,1,2; ferner Cicero, de orat. 2,62. Für Lukian ist der Verzicht auf parteiische Darlegung der schlechthinnige Maßstab angemessener Geschichtsschreibung (vgl. hist. conscr. 38–41). Zum Unparteilichkeitspostulat eingehend John Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography, Cambridge (1997) 2004, 158–174. 36  Bei Herodot gehen für Plutarch sachlicher Irrtum und angreifbarer Charakter Hand in Hand; sein Hauptfehler liegt indes offenkundig darin, dass er die böotischen Landsleute Plutarchs zu ungünstig darstellt (vgl. De Herodoti malignitate 854f–855a). 37 Die bemerkenswerte Unabhängigkeit der klassischen attischen Geschichtsschreibung stieß in hellenistisch-reichsrömischer Zeit auf Unverständnis: Plutarch kritisiert Herodot wegen seiner Unbefangenheit gegenüber Barbaren (vgl. De Herodoti malignitate 857a–858f) und seiner (zeitweiligen) Vorliebe für Athen (vgl. bes. De Herodoti malignitate 861e–862b; 871e–872b); Dionysios von Halikarnass kritisiert umgekehrt Thukydides, weil dieser bei der Darstellung des peloponnesischen Kriegs einen nicht-athenischen Standpunkt einnehme, und führt dies auf

1. Klio tanzt – oder: Geschichtsschreibung und Wahrheitsdiskurs

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senatorische – Perspektive zu problematisieren, wäre keinem Historiographen, der dieser Schicht angehörte, eingefallen.38 Wahrheit ist primär kein induktives, sondern ein deduktives Phänomen. Sie wird weniger ermittelt als abgeleitet. (2) Sodann: Wahrheit ist primär kein kognitives, sondern ein ästhetisches Phänomen. Sie wird weniger ermittelt als vermittelt. Damit sind wir beim zweiten Grundzug der exordialen Topik. Er liegt darin, dass die Relevanz der Darlegungen für den Leser betont wird (2Makk 2,24 f.; Josephus, ant. 1,5; Thuk. 1,22,4; Pol. 1,1; Diod., bes. 1,1,4–1,2,8; Sallust, Catil. 4,4; Dionysios von Halikarnass, ant. 1,1,2; Liv. pr. 9 f.; Herodian. 1,1,3; Prokop, BP 1,1,1 f.). Neben der politischen Einsicht fordert Lukian vom Geschichtsschreiber die δύναμις ἑρμηνευτική, die kraftvolle Kunst, diese Einsicht einsichtig zu machen (hist. conscr. 34). Dionysios von Halikarnass spricht vom ἄλογον τῆς διανοίας κριτήριον: Die Wahrheit will begriffen sein, aber auch ergreifen (De Thucydide 27).39 Wahrheits‑ und Vermittlungsziel modifizieren sich wechselseitig. Eine Konstruktion kann den Wahrheitsanspruch aufheben. Sie kann ihn aber auch einlösen, und zwar im Interesse des Lektüregewinns. Die Wahrheit ist um die Klarheit zu ergänzen: Es genügt nicht, dass sie in sich ruht; man muss ihr gelegentlich auf die Sprünge helfen, damit sie nicht nur im Text erscheint, sondern auf den Adressaten ausgreift. Die Fiktion kann daher, muss aber nicht Lüge sein. Die Unterscheidung zwischen der wahrheitswidrigen und der wahrheitstreuen Fiktion hat sich auch terminologisch niedergeschlagen.40 Während ψεῦδος im hellenistisch-frühkaiserzeitlichen Griechisch wertneutral als Oppositionsbegriff zum tatsächlichen Sachverhalt gilt, mithin sowohl gezielte Täuschung als auch unwissentlichen Irrtum und dichterische Imagination umfasst, ist das Denotat von mendacium im Lateinischen eindeutig die moralisch verwerfliche Lüge.41 Augustinus bringt es am klarsten zum Ausdruck: Non enim omne quod fingimus mendacium est; sed dessen Verbannung aus Athen zurück (epist. ad Cn. Pompeium Geminum 3). Selbst Polybios bringt für Patriotismus ein gewisses Verständnis auf; Livius zelebriert ihn (vgl. Liv. pr. 11). Für Josephus liegt einer der Gründe, überhaupt Geschichte zu schreiben, darin, sich Dritte zu verpflichten (Josephus, ant. 1, 2). 38  Zur Identität von Wahrheits‑ und Unparteilichkeitsanspruch Woodman, Rhetoric (s. Anm. 34), 78–83; T. James Luce, Ancient Views on the Causes of Bias in Historical Writing, in: CP 84 (1989) 16–31; Wiseman, Historians (s. Anm. 26), 126 f. 39  Vgl. Matthew Fox, Dionysius, Lucian, and the Prejudice against Rhetoric in History, in: JRS 91 (2001) 76–93: 82 f. 40  Zur semantischen Entwicklung von der griechischen Dichotomie Wahrheit / ​Pseudologia zur lateinischen Trichotomie Wahrheit / ​Fiktion / ​Fabel grundlegend Martin Hose, Fiktionalität und Lüge. Über einen Unterschied zwischen römischer und griechischer Terminologie, in: Poetica 28 (1996) 257–274; zum Verhältnis zwischen der poetologischen Trias „wahr, wahrscheinlich, unwahr(scheinlich)“ und dem Geschichtsdrama vgl. auch Reinhard Häussler, Studien zum historischen Epos der Antike II: Das historische Epos von Lucan bis Silius und seine Theorie, BKAW II / ​59, Heidelberg 1978, 212–231. 41  Qui mentitur, ipse non fallitur, alterum fallere conatur (Gell. 11,11,1). πλάττειν / ​πλάσμα als Übersetzungsäquivalent von fingere / ​fictio ist vermutlich dem Lateinischen nachgebildet, nicht umgekehrt (vgl. Hose, Fiktionalität [s. Anm. 40], 271–273).

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quando id fingimus quod nihil significat, tunc est mendacium. Cum autem fictio nostra refertur ad aliquam significationem, non est mendacium sed aliqua figura veritatis (Augustinus, Quaestiones evangeliorum 2,51,1 [CCSL 44B,116]42). Geschichte will auf ihren inneren Kern hin (so wie ihr Schreiber ihn sieht) transparent und greifbar gemacht werden, das heißt: geschaut, gefühlt, erlebt, verstanden. In diesem Sinn ist die Fiktion in der Tat nichts anderes als eine Figuration, die Wahrheit aufdeckt und darstellt. Am Ende zählt der Unterschied zwischen Fiktionalität und Referenztreue weniger als der zwischen einer angemessenen und sachdienlichen Fiktion einerseits und einer unangemessenen und verwerflichen Fiktion andererseits.43 Die entscheidende Frage lautet mithin: Wo liegt die Grenzscheide zwischen mendacium und aliqua figura veritatis? Die Antwort ist so alt wie die methodisch reflektierte Geschichtsschreibung überhaupt, denn sie findet sich im thukydideischen Methodenkapitel, und zwar bei der Begründung der Rede-Fiktionen, wurde aber weit darüber hinaus ausgedehnt. Selbst Polybios (z. B. Pol. 15,6,4– 15,8,14; 36,1,1–3) und Lukian (z. B. hist. conscr. 45; 58) verschließen sich ihr nicht. Es ist die ξύμπασα γνώμη, an der sich alles entscheidet (Thuk. 1,22,144). Wenn eine Fiktion den Gesamtsinn der Geschichtsdynamik glaubwürdig widerspiegelt, so ist sie statthaft oder angebracht. Damit haben wir ein Basiskriterium gewonnen und verstehen zugleich, warum der deduktive Wahrheitsbegriff uns schwammig vorkam: Was als ξύμπασα γνώμη wahrgenommen wird, hängt vom jeweils eigentümlichen Vergangenheitskonzept ab und ist je ein anderes beim schreibenden Staatsmann, Rhetor, Philosophen, Chronisten, ein anderes beim Sieger, Verlierer, Marginalisierten, Skeptiker oder heißblütig Glaubenden. Wahr im beschriebenen Sinn ist eine Erzählung, wenn ihr Plot dem Selbstbewusstsein der Gruppe (bzw. dem Selbstbewusstsein von deren prägender Elite) entspricht, es entfaltet, vertieft und anleitet. Lügenhaft wird eine Erzählung nicht deshalb, weil sie Einzelheiten falsch darstellt, sondern weil sie ein „falsches Bild“ vermittelt und damit das Selbstverständnis der Erinnerungsgemeinschaft in Frage stellt. 42  „Nicht alles nämlich, was wir erdichten, ist Lüge, sondern wenn wir etwas erdichten, was nichts bedeutet, dann ist es Lüge. Sofern jedoch unsere Erdichtung sich auf irgendeine Bedeutung bezieht, ist sie nicht Lüge, sondern eine bestimmte Gestalt der Wahrheit.“ 43  Vgl. Pelling, Truth (s. Anm. 2), 43. 44  Καὶ ὅσα μὲν λόγῳ εἶπον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῷ ἢδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τῶν λεχθέντων διαμνημονεῦσαι ἧν ἐμοί τε ὧν αὐτὸς ἢκουσα καὶ τοῖς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ᾿ ἂν ἐδόκουν μοι ἕκαστοι περὶ τῶν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ᾿ εἰπεῖν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τῆς ξυμπάσης γνώμης τῶν ἀληθῶς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. – „Und was sie auf allen Seiten in einer Rede gesagt hatten, als sie daran gingen, Krieg zu führen, oder bereits in ihm standen, dem genauen Wortlaut nach ins Gedächtnis zurückzurufen, war schwierig für mich, der ich selbst zugehört hatte, wie für jene, die mir von anderer Seite Bericht erstatteten. Doch wie sie nach meiner Meinung der Situation angemessen wohl am ehesten über den jeweiligen Sachstand hätten sprechen müssen, so soll die Rede, so eng wie möglich angeschlossen an den Gesamtsinn des tatsächlich Gesprochenen, hier stehen.“

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Während der postmodernen Historik die geschichtliche Wahrheit entgleitet, weil sich unübersehbar viele Sinnlinien durchkreuzen und verknäulen, zeichnet die antike Geschichtsschreibung die Sinnlinie in ein vorher bestehendes Koordinatensystem ein: das πρῶτον ψεῦδος, so möchten wir meinen. Aber das postmoderne Vernunftkonzept würde ψεῦδος dann neutral verstehen und vom Münchhausen-Trilemma sprechen oder von der notwendigen Wahl eines kon­ struktiven Präferenzsystems, anders gesagt: einer ξύμπασα γνώμη. Daraus folgt: Je weiter der Verfasser die Perspektive über die Darstellung des brutum factum ausdehnt, je anspruchsvoller er auf Sinnsysteme ausgreift, desto freier werden seine Wahrheitsspielräume. Für die religiöse Stiftungs‑ und Herkunftsmemoria dürfen wir daher mit weiten Grenzen rechnen. Es ist möglich, die Dauer und Wegstrecke eines Feldzugs protokollgerecht wiederzugeben, dazu reicht ein chronologisches und topographisches Datengerüst (vgl. Cicero, fam. 5,13[12],5; Lukian, hist. conscr. 4). Wo dagegen ein Bedeutung tragender und stiftender Geschichtszusammenhang erzählt wird, bedarf es der Wahrheitskunst. Diese freilich ist angreifbar, denn für den Sinnkonkurrenten – auch dies gehört zur exordialen Topik  – ist das, was in diesem Kontext Gesamtsinn ist, stattdessen Lügengespinst (vgl. Josephus, bell. Iud. 1,13–16; ant. 1,4; c. Ap. 1,53).45 Ich fasse zusammen: Die weiche Wahrheit antiker Geschichtsschreibung ist biegsam, aber nicht beliebig. Die Wahrheitsfrage zu stellen heißt hier also, die jeweils gegebenen Spielräume auszumessen und dabei jenen versteckten Gesamtsinn im Blick zu halten, der den Historiographen steuert. Ich erlaube mir, meinen eigenen Wahrheitsanspruch ins Bild zu setzen: Klio, die Tochter der Titanin Mnemosyne, ist die Muse der Geschichtsschreiber. Sie lässt es nicht dabei, sich zu schminken. Sie tanzt auf dem Helikon im Kreis der anderen Musen, Hand in Hand mit Epik, Rhetorik und Drama. Glauben wir Hesiod, so singt sie dabei spielerisch-spöttische Lieder auf die Wahrheit (Hesiod, theog. 27 f.).46 Tanz ist eine höchst ungezwungene Bewegungskunst – und doch gelten hier unsichtbare Regeln. Wer sie verstanden hat, kann den Pirouetten der Wahrheit folgen. Darum:

2. Pheidias formt – oder: Geschichtsschreibung als Ordnungshandeln 2.1 Das Vergangenheitskonzept als geordnete Reimagination Antike Geschichtsschreibung, so haben wir festgestellt, ist im Ansatz ein deduktiv-relationales Verfahren. Für diesen Ansatz hat die jüngere Geschichts45  Der Bericht des Tacitus über den Exodus (hist. 5,2–5), gelesen neben den Parallelen bei Josephus, dürfte die deutlichste Dokumentation des hier Gemeinten bieten. 46  Zur Interpretation Wilfried Stroh, Hesiods lügende Musen, in: Studien zum antiken Epos, hg. v. H. Görgemanns / ​E. A. Schmidt, BKP 72, Meisenheim am Glan 1976, 85–112.

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wissenschaft den Begriff der Intentionalität geprägt. Die Geschichte wird durchformt und aufbereitet im Interesse des sozialen Funktionsgedächtnisses einer Gesellschaft (society) oder Teilgesellschaft (community). Sie ist die in der Tiefe der Vergangenheit verankerte Form des aktuellen Selbstbewusstseins einer Erinnerungsgemeinschaft.47 Ist diese Erinnerungsgemeinschaft eine ethnische und / ​oder religiöse Minorität, die sich im kulturellen Dominanzrahmen einer Mehrheitsgesellschaft durch Erzählprosa zu affirmieren sucht und anderen Kulturgruppen prononcierte Alterität zuweist, wie es im römischen Reich etwa für Ägypter, Frühjudentum und die werdende Kirche der Fall war, so mag man von apologetischer Geschichtsschreibung sprechen.48 Die ξύμπασα γνώμη fällt dann mit der Selbstdefinition der betreffenden Teilgesellschaft zusammen. Historische Fakten als solche wachsen und wechseln wahllos und wirr. Sie „liegen einfach nur herum“, sie „erfüllen sich nicht“. Intentionale Geschichtsschreibung ist jenes kultivierte Ordnungshandeln, das diese Fakten zu dem stimmigen und sinnstiftenden Gedächtnisbild einer Erinnerungsgemeinschaft zusammenfügt und ihrem Selbstbewusstsein einstiftet. Die Aufgabe des Historiographen ist daher nicht das Erfinden, sondern das narrative Ordnen: Aus dem, was ihm vorliegt – Mythen, Legenden, Traditionen, Quellen, Augen‑ und Ohrenzeugenberichte, eigene Autopsie  –, „schreibt“ er produktiv Erzählung „zusammen“.49 Der συγγραφεύς bietet Zusammenhangwissen an, stellt damit die Adressaten selbst in Zusammenhänge und stiftet so orientierende Kohärenz. Wo die bedeutungshaltigen Zusammenhänge verlassen werden, wird aus der fictio die unfachmännische Konstruktion, die Ordnungswidrigkeit, das imperite absurdeque fictum (Cicero, rep.  2,28; vgl. Pol.  16,12,5–1150). inventio war eine geregelte Kunst.51 Das Grundgesetz des πρέπον / ​aptum, des geziemenden Maßes, galt auch für die geschichtliche Erzählung. Was erzählt wurde, durfte nicht so 47 So maßgeblich  – im Anschluss an die Konzepte einer funktionalen Erinnerungskultur bei Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Jan und Aleida Assmann – Hans-Joachim Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik – antik und modern, in: Saec. 45 (1994) 239–264: 247, 252–257; ders., Was ist Vergangenheit? oder: Die „Entstehung“ von Vergangenheit, in: Der neue Streit um Troia. Eine Bilanz, hg. v. Chr. Ulf, München 2003, 62–81; ders., Einleitung, in: Normen, Ausgrenzungen, Hybridisierungen und „Acts of Identity“, hg. v. M. Fludernik / ​H.-J. Gehrke, Identitäten und Alteritäten 18, Würzburg 2004, 11–19; ders., Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewußtseins, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 29–51. 48  Mit Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­Acts and Apologetic Historiography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005, bes. 16–19. 49  συγγραφεύς ist der ursprüngliche Begriff für den Historiographen; mit dem Verb componere / ​conscribere kennzeichnen lateinische Geschichtsschreiber ihre Leistung. 50  Pol. 16,12,10: τάχα μὲν οὖν ἐν παντὶ δυσπαράγραφός ἐστιν ἡ ποσότης, οὐ μὴν ἀπαράγραφός γε – „Es mag schwierig sein, in jeder Hinsicht die Grenze zu ziehen, aber unmöglich ist es nicht.“ 51 Zur Funktion der rhetorischen inventio in Theorie und Praxis der Geschichtsschreibung Woodman, Rhetoric (s. Anm. 34), 87–94, 176–179.

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falsch, so verwerflich oder so unstimmig sein, ut reprehendatur (rhet. Her. 2,4652). Es gab, anders gesagt, kognitive, ethische und ästhetische Grenzen der Fiktion. Wo diese lagen, entschied das intendierte Publikum, entschieden aber auch, als unbestechliche Wahrheitsinstanz, die nachfolgenden Generationen der eigenen Erinnerungsgemeinschaft.53 Im Ganzen dürfte auf allen Ebenen antiker Geschichtsschreibung gelten, dass der Historiograph dem Plot seiner Erzählung und damit dem erwünschten Vergangenheitskonzept in fünffacher Weise ordnend nachhelfen kann und soll. Er gibt ihm kreativ Gestalt, Maß, Richtung, Farbe und Fülle, und zwar durch: (1) Inszenieren, (2) Komprimieren, (3) Arrangieren, (4) Kolorieren und (5) Explizieren. (1) Inszenieren: Geschichte liegt amorph vor. Sie ist daher dem ganzen Menschen wahrnehmbar zu machen. Es genügt nicht, dass der Adressat „einen Begriff von etwas“ bekommt; er soll erlebnisförmig zum Augen‑ und Ohrenzeugen werden. Denn das Ganze, sagt Quintilian, ist weniger als alles (inst. 8,3,69). Es sind daher Reden, letzte Worte des Sterbenden, Schlüsselszenen und Geschichten, die „die Geschichte“ zum Subjekt transportieren. Den Regeln zur Ausfeilung der ἐνάργεια (ὑποτύπωσις) oder sub oculos subiectio (evidentia, demonstratio, repraesentatio, illustratio) gilt lebhafte Aufmerksamkeit (vgl. bes. rhet. Her. 4,68; Cicero, de orat. 3,202; orat. 139; Quintilian, inst. 6,2,32; 8,3,61–71; 9,2,40; Ps.-Demetrios, De elocutione 209–220). Um Geschichte gleichzeitig werden zu lassen, bedarf ihr Erzähler der φαντασία in concipiendis visionibus (Quintilian, inst. 8,3,88): „Wir werden […] erreichen, dass die Geschehnisse bar vor Augen liegen, wenn sie dem Wahren ähnlich wirken, und es wird erlaubt sein, auch fälschlich alles Mögliche hinzuzudichten, was (in solchen Fällen) zu geschehen pflegt“ (8,3,7054). Von daher erklärt sich die Vorliebe der hellenistischen Geschichtsschreibung für die Episodengestalt.55 Die Fiktion dient vor allem dazu, die üblicherweise begleitenden Umstände aufzuführen und so die Rezeption zu steuern. Ein häufiges Begebnis geschichtlicher Erzählung bei52  Exemplum vitiosum est, si aut falsum est, ut reprehendatur, aut inprobum, ut non sit imitandum, aut maius aut minus, quam res postulat – „Ein Beispiel ist mangelhaft, wenn es falsch ist, sodass es widerlegt wird, oder verwerflich, sodass es nicht nachgeahmt werden darf, oder größer oder kleiner, als die Sache gebietet.“ 53 Von Thukydides (Thuk. 1,22,4) bis Lukian (hist. conscr. 13; 40; 63) – in eigentümlichster Brechung noch bei Prokop (HA 1,4–10) – gilt eine (kontrafaktische) „ideale Leserschaft“ als Wahrheitsinstanz, wie sie nur die Zukunft stellen kann, da die Gegenwart durch eigene Interessen und nicht zuletzt durch die dem jeweiligen Jetzt verhaftete Neigung, sich unterhalten zu lassen, abgelenkt wird. Dagegen sieht Dionysios von Halikarnass in der Rhetorik gerade umgekehrt eine Chance, die Wahrheit nicht zu vertuschen, sondern zu vergegenwärtigen; vgl. näher Fox, Dionysius (s. Anm. 39), 78–82. 54  consequemur autem ut manifesta sint, si fuerint veri similia, et licebit etiam falso adfingere quidquid fieri solet. 55  Vgl. Gerhard Wirth, Art. „Geschichtsschreibung“, in: Kleines Wörterbuch des Hellenismus, hg. v. H. H. Schmitt / ​E. Vogt, Wiesbaden 1988, 205–230: 207.

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spielsweise ist die Eroberung einer Stadt. Bei Thukydides oder Polybios wirkt derlei oft recht monoton. Quintilian empfiehlt, nicht die Eroberung als solche, sondern deren Einzelheiten mitzuteilen: Ein Flammenmeer ergießt sich über Häuser und Heiligtümer; krachend stürzen Dächer ein; Familien umarmen sich ein letztes Mal; Kinder, Frauen, Alte klagen laut; die Mutter klammert sich an ihr Kind, während man in Ketten die Unglücklichen davontreibt (vgl. inst. 8,3,67–69).

(2) Komprimieren: Geschichte kommt als Vielzahl zusammenhangloser Bruchstücke an. Daher ist ihre Kohärenz darzutun und zugleich durch Datenselektion der Stoff auf das Wesentliche zu begrenzen. Nur so – konzentriert und kontex­ tualisiert – wird aus Erzählstoff Erzählung. Wie Shakespeare es für das Bühnendrama sagt, muss der Historiograph das Publikum so lenken, dass es über Zeiten zu springen vermag und die Geschehnisse und Taten von vielen Jahren in eine Stundenuhr passen.56 Dazu eignen sich Summarien, Geschichtsüberblicke, paradigmatische Einzelszenen, die das Geschehen brennpunktartig als Ganzes kennzeichnen. (3) Arrangieren: Geschichte findet einfach nur statt. Das Unübersichtliche ist so einzuteilen und einzurichten, dass ein Ablauf daraus wird (vgl. Cicero, fam. 5,13[12],2). Der Geschichtsschreiber ordnet die historischen Segmente einer von ihm entworfenen Erzählsequenz zu und gibt ihnen damit sublim ihre Sinnrichtung.57 Wo die erzählerische virtus der Klarheit es nahelegt, kann er die Geschehnisse auch rearrangieren, etwa durch Umstellung der Chronologie. Hier tritt das deduktive Wahrheitskonzept zutage: Nicht aus dem Datengut geht die Wahrheit hervor, sondern das Datengut formiert sich um die Wahrheitsmitte. Plutarch beschreibt die Rhodos-Fahrt Cäsars in einem vorgelagerten Erzählblock mit frühen auswärtigen Erlebnissen seines Helden (Caesar  1,4–2,4). Damit kann er dessen Charakter herausarbeiten und jenen Horizont schaffen, den er benötigt, um die Erfolge Cäsars im folgenden römischen Erzählblock plausibel zu machen (vgl. Sueton, Iul. 4).58 Besonders weit können chronologische Umordnungen gehen, wenn das kulturelle Selbstverständnis der Erinnerungsgemeinschaft betroffen ist: Plutarch, dem an der Parallele von Griechentum und Römertum liegt, stellt, unbekümmert um die Frage nach deren kaum möglicher Zeitgenossenschaft, Numa Pompilius neben Pythagoras (Numa 1,2–4; 8,10; 22,4; dagegen kritisch: Dionysios von Halikarnass, ant. 2,59). Ciceros Scipio, dem es um

56 Prolog zu King Henry V.: „O for a Muse of fire, that would ascend / ​The brightest heaven of invention […] For ‘tis your thoughts that now must deck our kings, / ​Carry them here and there; jumping o’er times, / ​Turning the accomplishment of many years / ​Into an hour-glass“. 57 Bereits Thukydides beherrscht diese verborgene Deutungskunst meisterlich: Auf die humanistische Epitaph-Rede des Perikles zum Ende des ersten Kriegsjahrs (Thuk. 2,35–46) folgt die Enthumanisierung in der Pestzeit (2,48–54); auf den im Detail ausgefeilten Melier-Dialog folgt die erschreckend knappe Notiz über die Hinschlachtung, die allein durch ihre kompositorische Anlage alles Nötige zum vorher bekundeten Gottvertrauen der Opfer sagt (5,85–116). 58  Vgl. Pelling, Truth (s. Anm. 2), 39.

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die autochthone Kultur Roms geht, hält die These, Numa sei ein Schüler des Pythagoras, dagegen für entrüstend (rep. 2,23–30; vgl. Liv. 1,18,4).59

(4) Kolorieren: Geschichte als solche ist stumm und farblos. Dem Geschichtsschreiber obliegt es, das Überkommene so betrachten zu lassen, dass es auf Bedeutung und Regelhaftigkeit durchschaubar wird. Nicht als narrator soll sich der Erzähler fühlen, sondern als exornator rerum (Cicero, de orat. 2,54), und dies keineswegs nur in stilistischer Ausmalung, sondern mehr noch durch Eintrag in die großen Gedächtnisgemälde der mediterranen Kultur. Die Wahrheit, apriorisch, färbt die Fakten, nicht umgekehrt. Die ἱστορία wird zwar zur προφῆτις τῆς ἀληθείας und zur ὅλης τῆς φιλοσοφίας μητρόπολις (Diod. 1,2,2), lux veritatis und magistra vitae (Cicero, de orat. 2,36), aber gerade deshalb bietet sie nichts weniger als bruta facta. Sie ist die geerdete Gestalt der verbindlichen Welt-Anschauung, ein Reservoir typisierter Problembewältigung. Sie hat daher so viel mit normativen Aussagen zu tun, dass sie die deskriptiven Einzelheiten guten Gewissens vernachlässigt. Sie umgeht die Wahrheit nicht, im Gegenteil: Sie stößt den Adressaten mit der Nase darauf. Die beliebteste intentionale Ordnungsfigur ist die Repristination: Individuen und Geschlechter, Städte und Inseln, ganze Völker wurden in das kanonische Bild von Troja eingetragen und gewannen so uralten Adel und politische Legitimation. Aeneas scheint aus keinem anderen Grund die Mittelmeerwelt bereist zu haben, als um einschlägige Ahnengalerien und Stammbäume zu ermöglichen. Dem Römer erklärt der mos maiorum alles, und Geschichtsschreibung führt solche Ahnensitte vor Augen – wie ein literarisches Echo auf die pompa funebris. Die Farbpaletten boten viele Möglichkeiten, nackte Fakten in passende Farben zu kleiden: Neben die Patina des Alters tritt das Schwarz der Tragödie wie in der Kriegsdarstellung des Thukydides, das Bunte des Abenteuerromans wie bei den Alexander-Historikern oder das Gold des Mythos, mit dem Livius den Prinzipat des Augustus und Velleius Paterculus den des Tiberius färben. Sallust erhebt seine Geschichtsschreibung zu einem Programm politischer Anthropologie (vgl. Catil. 1–4; Iug. 1–4); Florus schreibt römische Geschichte nach dem biologischen Modell (vgl. epit. 1 pr. 4–8); Aurelius Victor macht, etwas überraschend, aus der Caesarengeschichte eine Art Bildungsspiegel. Ein wichtiger Grund, die überkommenen Daten einzufärben, liegt in der mentalen Anpassung. Hier waren naturgemäß die Historiographen kognitiver Minderheiten gefordert: Was in

59 Als Plutarch vor der Aporie steht, dass der weise Solon und der nicht ganz so weise Kroisos sich – sehr zum Schaden aphoristischer Belehrung – zeitlich gar nicht haben begegnen können, verwirft er die „chronologischen Leitfäden“ einfach, weil seine Anekdote so sehr der Seelengröße und Weisheit des Solon entspreche (Solon 27,1). Auch symbolische Chronologisierungen sind wichtig: Der herodianische Tempel ist am Jahrestag seines biblischen Vorgängers zerstört worden – dies ersparte jede weitere Deutung (Josephus, bell. Iud. 6,250.268–270).

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ihrem Kulturkreis als üblich galt, konnte in der dominierenden Kultur als fremd, niedrig oder subversiv gelten.60 (5) Explizieren: Geschichte ist breiter und tiefer als die Datenlage. Deshalb ist Quellengut stimmig zu ergänzen, zu erweitern, zu vertiefen. Was man anstelle von Quellen hatte, waren kanonisierte Überlieferungen und feste Überzeugungen. So ließ sich Geschichte auch ohne Quellen schreiben. Vor allem „der Römer“ musste wissen, wie es gewesen war, hatte er doch als solcher an der Staatsbiographie, den res gestae populi Romani, korporativ teilgenommen.61 Die Rhetoren, so räumt der ciceronische Atticus ein, dürfen die Todesart der Helden selbst bestimmen: concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius (Cicero, Brut.  42 f.). Selbst das Hinzuerfinden verfälscht die Wahrheit also nicht, sondern „rückt sie zurecht“,62 holt, argutius, aus ihr heraus, was in ihr liegt. Es ist erlaubt zu täuschen, damit die Hörer sich nicht irren (vgl. Quintilian, inst. 2,17,26–28). Schriftliche Zeugnisse lagen spärlich vor. Autopsie erfasste naturgemäß nur einen kleinen Abschnitt des Geschehens. Wo sich die Möglichkeit der Befragung von Zeitzeugen auftat, war man oft – wie Kleitarch bei der Recherche über den Alexander-Zug – Aufschneidern und Wichtigtuern ausgesetzt. Weithin hatte die Geschichtsschreibung mit jenen Zeiträumen zu tun, über die überhaupt keine Quellen vorlagen, die also in strengem Sinn als prähistorisch zu bezeichnen sind. Plutarch, als er sich Theseus und Romulus zuwendet, beschreibt solche Zonen malerisch als wasserlose und gefährliche Weiten, die sich, mit Fabelwelten angefüllt, der ἱστορία πραγμάτων entziehen (Theseus 1,1 f.). Als Vertreter der zugänglichen Ära stellt er Lykurg und Numa Pompilius dagegen, die wir nicht minder für fabulöse Gestalten imaginierter Vorzeit halten, auch wenn Plutarch gar auf den Tag genau das Geburtsdatum nennt (vgl. Numa 3,4). Was für die öffentliche Memoria der Rückschluss aus dem Volkscharakter war, war für die individuelle Vita nicht weniger statthaft. An Zeugnissen aus der frühen Biographie fehlte es häufig auch bei wichtigen Handlungsträgern. Der Verlegenheit half mitunter das Denkmodell von der Konstanz des Charakters ab: Ein Held war heroisch seit frühester Jugend. Ein Tyrann musste auch schon in der Kindheit verwerflich gewesen sein; allenfalls Verstellung oder Krankheit konnten beobachtbare Veränderungen erklären (vgl. z. B. Vell. 2,94; Sueton, Cal. 10,2–12,2; Otho 2,1 f.; Dom. 1,3–2,2). Ähnliches gilt für die Sterbestunde als Summe eines Charakters.

Fazit: Es trifft den Kern unserer Beobachtungen, wenn wir für die antike Historiographie statt von Rekonstruktion von einer rhetorisch, eidetisch und intentional ordnenden Reimagination sprechen. 60  Ein deutliches Beispiel liefert Josephus, der den apokalyptischen Taufpropheten Johannes der römischen Leserschaft als frommen Tugendlehrer ohne Endzeitbotschaft und mit einem pädagogischen Waschungssymbol vorstellt: Nicht Subversion und Magie repräsentiert er also, sondern friedliche jüdische Weisheitslehre (vgl. ant. 18,116–119). 61  Vgl. Timpe, Memoria (s. Anm. 5), 76–84. 62  So die Übersetzung für ementiri im zitierten Passus durch Bernhard Kytzler (Sammlung Tusculum, Darmstadt 41990).

2. Pheidias formt – oder: Geschichtsschreibung als Ordnungshandeln

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2.2 Religiöse Ordnungsfaktoren Wir haben von der Familienverwandtschaft antiker Geschichtsschreibung gesprochen; es wird Zeit, sich den frommen Verwandten zuzuwenden. Wie in den meisten Familien ist deren Frömmigkeit nach Grad und Ausrichtung höchst unterschiedlich. Über die Relevanz religiöser Deutungsmuster entscheiden zudem auch andere Faktoren wie die Unterhaltungsabsicht und der soziale Hintergrund. Zweifellos tendierte das einfache Publikum stärker zu den religiös konnotierten τερατεία,63 aber vor Verallgemeinerungen sei gewarnt: Nicht Bildung und Unbildung konkurrieren miteinander, sondern kulturelle Plausibilitäten. Tacitus notiert gläubig allerlei wunderhafte Vorzeichen im Vorfeld der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und berichtet von dem durch Auszugsgetöse untermalten Ruf, die Götter zögen aus. Doch die Juden, so kopfschüttelnd weiter, hätten, dem Aberglauben verfallen, darauf nicht mit Schlachtopfern und Gelübden reagiert (hist. 5,13,1 f.; vgl. Josephus, bell. Iud. 6,312–315). Von einem atheistischen Blickpunkt64 lässt sich für keine Schicht paganer Historiographie sprechen. Herodot, Xenophon, Tacitus, Appian neigen stärker zu religiöser Wahrnehmung, Thukydides, Polybios, Sallust, Lukian weniger. Prodigien und Träume haben bis hin zu dem Christen Prokop noch starkes Gewicht.65 Im Allgemeinen gilt: Geschichtsschreibung zeigt eine gewisse Affinität zur Religion; genauer: kritischen Abstand zur theologia mythica, Respekt vor der theologia civilis und Nähe zur theologia naturalis, sofern wir darunter auch das Wirken gestaltender Schicksalsmächte bis hin zur Tyche (von Polybios bis Prokop) verstehen.66 Religion ist präsent, meist zwar zurückhaltend  – aus christlich geprägter Sicht: vage –, aber hintergründig bietet sie Deutungsmuster (kennzeichnend: Pol. 36,17,12–15; Arrian, an. 7,30,2 f.). Bei Autoren in der Tradition des Herodot kann die Gottheit durchaus in das Geschehen eingreifen, indem sie zürnt, straft, Sittlichkeit durchsetzt, Hybris rächt, Handlungsträger verblendet, Rom zur Größe führt.67 Dabei überwältigt die Religion jedoch nicht die Erzählung, sondern steht – mitunter recht unverbunden – neben ihr. In der 63  Vgl. eingehend Eckhard Plümacher, Τερατεία. Fiktion und Wunder in der hellenistisch-römischen Geschichtsschreibung und in der Apostelgeschichte (1998), in: ders., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, hg. v. J. Schröter / ​R. Brucker, WUNT 170, Tübingen 2004, 33–83. 64 So Ulrich Luz, Geschichte und Wahrheit im Matthäusevangelium. Das Problem der narrativen Fiktionen, in: EvTh 69 (2009) 194–208: 203 f. 65 Cassius Dio (Cass. Dio 73,23) wird in einem Traum durch die Gottheit zum Geschichtsschreiber berufen und geweiht. 66 Der aufschlussreiche Passus Pol. 36,17 wendet sich gegen Übertreibungen, räumt die legitime Möglichkeit religiöser Deutungen aber ausdrücklich ein. Andererseits ist seit Thukydides die eigentlich die Geschichte determinierende Macht die menschliche Natur. Zur religiösen Denotation der Tyche Attilio Roveri, Tyche in Polibio, in: Conv. 24 (1956) 275–293. 67  Vgl. z. B. zu Appian Barbara Kuhn-Chen, Geschichtskonzeptionen griechischer Historiker im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Untersuchungen zu den Werken von Appian, Cassius Dio und Herodian, EHS 15/84, Frankfurt a. M. 2002, 100–112.

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Tradition des Thukydides ordnet sie sich oft insofern der Erzählung unter, als sie im Modus des (unkommentierten) Referats auftritt. Man kann distanzlos über Wundersames berichten; man kann es problematisieren, seine Wahrscheinlichkeit abwägen, verschiedene Deutungen vergleichen.68 Im Ansatz ist den Lesern freigestellt, ob sie daran glauben wollen oder nicht.69 Selbst wenn Geschichtsschreibung, wie bei Velleius Paterculus, in Gebet mündet (Vell. 2,131), schmückt nicht der geschichtliche Ablauf das Handeln der Gottheit, sondern die Gottheit den geschichtlichen Handlungsträger. Entfernt man die Religion aus den Darstellungen, so bleibt deren Grundstruktur erhalten. Religion ist Erzählinhalt, nicht Ordnungsfaktor. Das heißt: Sie dient nicht als Rezeptwissen, als selbstverständlich vorausgesetzter und routiniert eingesetzter Wissensvorrat.70 Dies verhält sich ganz anders, wo die ξύμπασα γνώμη als solche religiös gedacht wird. In der indigenen Historiographie der hellenistisch-frühreichsrömischen Zeit sind es die Priester und Propheten, die Geschichte aufschreiben, nicht nur aufgrund ihrer Schreibfertigkeit, sondern auch aufgrund ihrer religiösen Deutungskompetenz: Berossos, Manethon, nicht zuletzt Josephus, der diesen Aspekt mit dem Hintergedanken seiner doppelten Selbstinszenierung als Priester und Prophet herausstellt (vgl. c. Ap. 1,28–36).71 In der biblischen, namentlich etwa der deuteronomistischen Geschichtskonzeption oder jener der Makkabäer-Literatur, verdankt sich der Gesamtsinn keiner Deutungstat des Historiographen, sondern liegt ihr voraus, weil er selbst Bestandteil der Offenbarung ist, die alle Geschichte begründet. Damit sind Darstellung wie Deutung weithin dem Diskurs entzogen. Alternative Geschichtsversionen werden nicht erwogen, sondern, wenn sie überhaupt vorkommen, als gottwidrig verworfen. Dies entspricht insofern dem Wesen der apologetischen Geschichtsschreibung, als diese ja eine bestimmte Vergangenheitsversion gegen andere durchzusetzen bemüht ist. Sie will das identitätsstiftende Großparadigma, die Meistererzählung, etablieren, die das Geschehen in die Koordinaten des eigenen Sinnsystems überträgt und damit 68  Thukydides ist gegenüber Prodigiengläubigkeit skeptisch (vgl. Thuk. 7,50,4) und kann sie bemerkenswert denkscharf analysieren (2,54,2–5), referiert aber meist mit interessierter Di­ stanz, die er jedoch zumindest in 1,126,3–6; 2,17,1 f. überraschenderweise aufgibt. 69  Tacitus belegt das alexandrinische Heilungswunder des Vespasian mit nüchternem Realitätssinn: „Die Teilnehmer erinnern sich beider Geschehnisse auch heute noch, obgleich einer Lüge kein Preis mehr winkt“ (hist. 4,81,3). 70  Vgl. Alfred Schütz / ​Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, UTB 2412, Konstanz 2003, 156–163, 194 f. 71 Vgl. Sterling, Historiography (s. Anm. 48), 103–136, 235–238. Für Josephus gehört es zum prophetischen Selbstverständnis, dass er den Sinn des Geschehens zu deuten vermag: Die zitierte Rede, derer er sich dazu bedient, ist seine eigene (bell. Iud. 5,375–419); vgl. Robert G. Hall, Revealed Histories. Techniques for Ancient Jewish and Christian Historiography, JSPES 6, Sheffield 1991, 24–30. Für die paganen Autoren hat es dagegen kaum Auswirkungen auf ihre Geschichtsschreibung, wenn sie ein Priesteramt bekleiden, am ehesten noch für Plutarch, aber auch dies ohne Offenbarungsanspruch.

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zugleich hierarchisiert.72 Worauf es ankommt, ist das (religiöse) Rezeptwissen, das der Geschichte nicht entnommen wird, sondern dazu dient, die Geschichte zu verstehen. So wird in der religiösen Geschichtsschreibung das Walten der Gottheit selbst zum Ordnungsfaktor. Es erlaubt, fordert und inspiriert jene übergeordnete Perspektive und kreative Phantasie, die Geschichte inszenieren, komprimieren, arrangieren, kolorieren und explizieren lässt. Wer glaubt, dem ist alles möglich: Zur Not kann er auch ohne Seil den Mond erklimmen. Wollen wir auch das Ergebnis des zweiten Durchgangs in ein Bild fassen, so legt die antike Theorie selbst das des bildenden Künstlers nahe: Er stellt zwar seinen Stoff, den Marmor etwa, nicht selbst her, aber er bearbeitet ihn schöpferisch. Das Proömium zum Zweiten Makkabäerbuch vergleicht das Schaffen des Historiographen mit dem des Architekten und das des Epitomators mit dem Anstreichen und Dekorieren (2Makk 2,29–31); Sallust denkt an die erinnernde Kraft der Wachsbilder (Iug. 4,5 f.); Florus sieht sich als Miniaturzeichner (epit. 1 pr. 3); für Plutarch ist der Geschichtsschreiber zur Malkunst berufen (De gloria Atheniensium 346f–347c); für Cicero ist er der eigentliche Maler und Bildhauer zugleich (fam. 5,13[12],7). Prägnanten Ausdruck findet dieser Konsens bei Lukian: „Von solcher Art ist das Werk des Geschichtsschreibers: die Geschehnisse gut anzuordnen und kraftvoll auf das Anschaulichste darzustellen. Und wenn ein Zuhörer danach meint, das Berichtete zu sehen, und so zum Lob veranlasst wird, dann in der Tat hat er sorgfältig gearbeitet, und das Werk hat dem Pheidias der Geschichte passendes Lob eingetragen“ (hist. conscr. 51; vgl. 13; 50).

3. Lukas malt – oder: Die Reimagination des verbindlichen Ursprungs 3.1 Das lukanische Doppelwerk als Urkunde christlicher Erinnerungskultur Wie von selbst haben wir so Lukas erreicht. Er stand nicht heuristisch im Hintergrund der Darlegungen, aber er findet zwischen ihnen gewissermaßen einen natürlichen Ort. Es hat seinen inneren Grund, wenn die Legende ihn als Maler sieht. Lukas ist der Gedächtnisspezialist der frühen Kirche. Er malt als Historiograph jenes Erinnerungsgemälde, in dem sich die urchristliche Minderheit als soziale Wirklichkeit im Sinn der intentionalen, näher: apologetischen Geschichtsschreibung selbst definiert. Dazu entwirft er ein Erinnerungsdiptychon, das Identität durch Herkunft und Verwurzelung stiftet und der jungen Kirche statt 72  Zur kulturwissenschaftlichen Würdigung des geschichtlichen Erzählens Lukas Bormann, Kulturwissenschaft und Exegese. Gegenwärtige Geschichtsdiskurse und die biblische Geschichtskonzeption, in: EvTh 69 (2009) 166–185: 178–181.

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den neuen Schläuchen den alten Wein schmackhaft macht (vgl. Lk 5,37–39 diff. Mk 2,22), sofern dieser nur auf ihrem eigenen kognitiven Weinberg wuchs. Die Sortierungsschwierigkeiten, die das lukanische Doppelwerk der Gattungskritik regelmäßig bereitet,73 sind angesichts dessen, was wir über die Familienähnlichkeit antiker Historiographie festgestellt haben, durchaus erwartbar. Der erste Teil ist eher biographisch, der zweite eher historiographisch geprägt. Beide dienen in funktionaler und motivischer Kohärenz als Stiftungs‑ und Herkunftsmemoria der normativen Erstepoche des Christentums.74 Die Erzählweise ist nach Art der hellenistischen Historiographie aktantenzentriert, episodenförmig und so zur Reimagination der verbindlichen Ursprünge geeignet. Es dürfte klar geworden sein, dass die Textsorte als solche uns nicht erlaubt, die Frage nach der Referenztreue des lukanischen Werks im Ganzen für beantwortet zu halten. Wohl aber dürfen wir davon ausgehen, dass Lukas beansprucht, Wahrheit zu vermitteln. Im breiten Spektrum dessen, was an antiker Geschichtsschreibung möglich ist, hat er dabei ein anderes Wahrheitskonzept als Thukydides oder Polybios. Er stellt zu dieser auf die Erfordernisse der Machtpolitik ausgerichteten kritischen Pragmatik etwa den am weitesten entfernten Pol dar.75 Es ist freilich nicht auszuschließen, dass er selbst in einer vergleichbaren Liga zu spielen wünscht. Vier Verse lang, in seinem fachprosaischen Proömium, mag man ihm dies auch abnehmen. Aber mit dem fünften Vers schon tummelt er sich unbeschwert auf dem historiographischen Feld, als wisse er von dessen Minen nichts.76 73  Zu den Aporien der Diskussion Ian H. Marshall, Acts and the „Former Treatise“, in: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 163–182; Alexander J. M.  Wedderburn, Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte, in: Geschichte – Tradition – Reflexion. FS M. Hengel III: Frühes Christentum, hg. v. H. Lichtenberger, Tübingen 1996, 303–322; Daniel Marguerat, The First Christian Historian. Writing the „Acts of the Apostles“, MSSNTS 121, Cambridge 2002, 26–31. 74  Erhellend Marguerat, Historian (s. Anm. 73), 31–34; Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004, 253–284; Jens Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte (2005), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 223–246: 235–238. Zur mythhistorischen Stiftungsmemoria David L. Balch, Μεταβολὴ πολιτειῶν. Jesus as Founder of the Church in Luke-­Acts: Form and Function, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 139–188. 75  Anders Ben Witherington in einem editorischen Addendum zu den ganz anders ausgerichteten (und deutlich triftigeren) Ausführungen von W. James McCoy, In the Shadow of Thucydides, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 3–23, 23–32 sowie in seinem eigenen Beitrag: ders., Editing the Good News: Some Synoptic Lessons for the Study of Acts, ebd. 324–347: 344–347. Allzu undifferenziert auch die althistorische „Standpauke“ von Helga Botermann, Der Heidenapostel und sein Historiker. Zur historischen Kritik der Apostelgeschichte, in: ThBeitr 24 (1993) 62–84. 76  Vgl. Alexander, Fact (s. Anm. 25), 394–399.

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Gerade dieser – aus stilkritischer Sicht harsche77 – Übergang, der nach Diktion, Aktanten und Motiven die biblische Welt heraufbeschwört, führt in die verbindliche Ursprungskultur dieses Historiographen und lässt uns die Eigenart seines Opus tiefer verstehen. Der im Proömium sonst unübliche zusammenschließende Gebrauch der ersten Person des Plurals (Lk 1,1: πεπληροφορημένα ἐν ἡμῖν πράγματα; παρέδοσαν ἡμῖν) setzt eine Traditions‑ und Lesegemeinschaft voraus, die sich von dieser biblischen Herkunft her definiert.78 Antike Geschichtsschreibung ist eher traditions‑ als quellengeprägt. Darin unterscheidet sich das lukanische Doppelwerk nicht von anderen Geschichtsschriften. Sein besonderer Zug liegt darin, dass die normative Tradition hier gruppenspezifisch-religiös bestimmt ist, genauer: biblisch-jüdisch-urchristlich. Das pagane Geschichtswerk setzt den interessierten Leser voraus, das lukanische den initiierten vom Schlage des Theophilus (vgl. 1,3 f.). Das lukanische Opus weist somit die Eigenarten der religiösen Geschichtsschreibung auf: Das göttliche Walten ist strukturell ordnender Erzählfaktor. Mit Lk 1,5 betritt der Leser eine nach Sprache (Septuaginta-Mimesis, Strukturierung durch Psalmen), Motiven (Priester, Engel, Jerusalem, Tempel, fromme Paare, gnadenhaft geschenkte Mutterschaft, Wallfahrt, Propheten) und Sache (der Heilsplan des Bundesgottes Israels) biblisch getönte Welt. Das Alte Testament, das hier nach Art einer ἀρχαιολογία79 am Anfang steht und immer wieder, vor allem in den geschichtlichen Summarien der Reden (vgl. bes. Apg 7,2–53), aufgerufen wird, stiftet einen Vergangenheitsraum, ein genealogisches Ahnengeflecht – der Funktion von Troja in der paganen Memoria vergleichbar – und damit eine kohärente Eigenwelt, Eigenkultur und Eigenzeit für die werdende Kirche. Sie wird soziales Subjekt, gewinnt sinnhafte Kontinuität.80 Die Markierung von Alterität, wie sie wesentlich zur apologetischen Geschichtsschreibung gehört, findet vor allem im Umgang mit dem nicht-christlichen Judentum statt. Lukas bietet keine ausdrückliche Geschichtsdeutung auf der Meta-Ebene. Jedoch treten in der erzählten Welt Offenbarungsträger auf – neben Engeln eine Reihe schriftkundiger, prophetischer und unmittelbar inspirierter Geschichtsdeuter –, die den Richtungssinn der Erzählung unzweideutig anzeigen.81 Auch der Plot als solcher wird immer wieder dem – in beiden Büchern programmatisch als Initialzündung herausgestellten – Wirken des Pneuma zugeordnet (vgl. 77  Lukian, hist. conscr. 16 warnt den Geschichtsschreiber ausdrücklich davor, nach dem Proömium jäh in eine andere Erzählweise zu verfallen (vgl. hist. conscr. 23; 55). 78  Vgl. Marguerat, Historian (s. Anm. 73), 23 f. 79  Eine solche ἀρχαιολογία findet sich stilgebend in Thuk. 1,1–19; vgl. etwa Sallust, Catil. 5,9–13,5. 80 Vgl. näher Karl-Siegbert Rehberg, Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. R. Blänkner / ​ B. Jussen, VMPIG 138, Göttingen 1998, 381–407, bes. 385–390, 399–402. 81  Dazu näher Hall, Histories (s. Anm. 71), 171–208.

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z. B. Apg 16,6–10). Fehlt auch das Nomen einer (göttlichen) πρόνοια, so setzt die Geschichte doch Gottes Plan um.82 Der Anspruch auf Wahrheit ist entsprechend eindeutig. Lukas stellt keine alternativen Deutungsmodelle vor, sowenig wie er es den Lesern überlässt, ob sie eine Wunderüberlieferung für triftig halten oder nicht. Wesentlich geht es hier nicht darum, einen Geschichtsverlauf zu beschreiben, sondern ein Verhältnis zur Geschichte zu konstituieren. Greifen wir auf unsere Eingangsdefinition historiographischer Wahrheit zurück  – adaequatio narrationis ad rem  –, so ist die res für Lukas präzise zu bestimmen: Sie ist das epochale Ereignis des Christus-Geschehens und das Werden der Kirche in der von Lukas geordneten Memoria und damit in einer an die pagane Kultur anschlussfähigen, indes vom Bekenntnis her profilierten Identität. Die ξύμπασα γνώμη ist also das Erscheinen des σωτήρ und die erste Epoche des in seinem Namen gesammelten Gottesvolks unter der Lenkung des Gottesgeistes. Deshalb ist für Lukas Geschichtsschreibung der status confessionis. Er ist nicht einerseits Theologe, andererseits Historiker. Er ist Theologe, indem er Geschichte schreibt, und Historiograph ist er, weil er – hier sei Ranke zitiert (vgl. auch Diod. 1,1,3)  – in der Demut der Sachlichkeit die Gedanken Gottes in der Welt nachzeichnet.83 Theologie ist daher auch nicht in einzelnen Begriffen oder Leitmotiven seines Doppelwerks zu finden, schon gar nicht, indem man von außen paulinische oder dogmatische Konzepte an seine Erzählung heranträgt, sondern in jedem Satz dieser Erzählung selbst, in ihrem Plot, ihren Spannungsbögen, ihren Episoden und Szenenbildern.84 Das lukanische Erzählwerk als solches ist Theologie, und von hier aus ergeben sich Pflicht, Recht und Grenze der Fiktion. Das Opus Lucanum ist weder ein fiktionales noch ein non-fiktionales Werk. Es ist ein Mischtypus, der einen geschichtlichen Plot detailfreudig reimaginiert und dabei das erzählte Geschehen im Interesse der Ergötzlichkeit, der Anschaulichkeit und vor allem der Paideia so an-, um‑ und einordnet, dass jenes normative Vergangenheitsbild entsteht, das dem Identitätsentwurf der intendierten Leserschaft entspricht. Es ist sinnvoll erzählte Theologie und theologisch sinnvoll geordnete Erzählung. Dass der Sinn, ξύμπασα γνώμη, nicht selbst dem empirischen Verlauf zu entnehmen, sondern nur als Glaubensakt fassbar ist  – mit Ludwig Wittgenstein gesagt: als Sehakt –, bedarf keiner Erwähnung. Dennoch erfindet Lukas ihn nicht, er findet ihn, als Mitglied einer Überlieferungsgemeinschaft. 82 Vgl. John T. Squires, The Plan of God in Luke-­Acts, MSSNTS 76, Cambridge 1993, bes. 37–77; Marguerat, Historian (s. Anm. 73), 38–40. 83 Meist wird übersehen, dass Rankes historistischer Optimismus selbst religiös konnotiert ist; vgl. näher Thomas Nipperdey, Zum Problem der Objektivität bei Ranke, in: Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft, hg. v. W. J. Mommsen, Stuttgart 1988, 215–222, bes. 216–218. 84  Dazu eingehend Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, bes. 41–84.

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Er entnimmt ihn der Geschichte, insofern diese selbst ihm den Sinn nahelegt.85 Auf diese Ordnungsleistung weist die exegetische Rede von Lukas als dem „Entdecker der christlichen Heilsgeschichte“86. 3.2 Das lukanische Doppelwerk als theologische Ordnungsleistung In diesem Sinn dürfen wir nicht nur einzelne fiktionale Elemente im Doppelwerk erwarten, sondern eine konstruierte Erzählwelt im Ganzen, deren Plot der Theologie des Lukas entspricht und daher in seinem Verständnis Wahrheit repräsentiert und inszeniert. Es ist nicht leicht, den theologischen vom dokumentarischen Geltungsanspruch zu trennen, denn in der erzählten Welt bildet beides eine dramatische Einheit.87 Gerade in den fiktionalen Anteilen dürfte sich die Deutungsabsicht des Lukas und damit sein Wahrheitsanliegen am ehesten finden lassen. Zudem setzt Lukas wie andere Historiographen in den verschiedenen Teilen seiner Erzählung je nach Bedarf, das heißt: nach Quellen‑ und Traditionszugang oder nach darstellerischer und theologischer Notwendigkeit, seine φαντασία in concipiendis visionibus (Quintilian, inst. 8,3,88) unterschiedlich ein. Gleichwohl sind wir nicht auf Mutmaßungen angewiesen. Das dritte Evangelium gibt uns Einblicke in die Weise, wie Lukas mit seinen Quellen, also Logienquelle und Mk, umgeht. Vereinzelt erlaubt auch Apg die „synoptische“ Kontrolle, etwa mit der Paulus-Korrespondenz oder Josephus. Unser Umblick in der zeitgenössischen Historiographie lässt uns annehmen, dass Lukas die „unverschämte und unfachmännische“ Fiktion, die dem Sachwissen und Selbstbewusstsein der urchristlichen Erinnerungsgemeinschaft widerspricht, meidet: Er fingiert nicht, ut reprehendatur. Wenn etwa die römische Staatsbürgerschaft des Paulus zeitgenössisch unvorstellbar wäre, würde er sie kaum in dieser Form konstruieren. Schauen wir das Doppelwerk auf unsere fünf ordnenden Wahrheitsfiguren durch, so wird deutlich, dass die lukanische Konstruktivität eher im Bereich der Ordnungsleistung als in dem der referenzfreien Erfindung zu verorten ist. Wir beschränken uns auf bezeichnende Beispiele: (1)  Inszenieren: Lukas führt Geschichte vor Augen und Ohren. Die ersten beiden Kapitel des Opus Lucanum stellen gewissermaßen performativ die Verwurzelung des Urchristentums in der unvordenklichen Herkunft aus dem „Alten Testament“ dar. Mit ähnlicher Erzählfunktion tritt Paulus als ein frommer Jude 85 Vgl. Dietrich Harth, Die Geschichte ist ein Text. Versuch über die Metamorphosen des historischen Diskurses, in: Formen der Geschichtsschreibung, hg. v. R. Koselleck / ​H. Lutz / ​ J. Rüsen, Beiträge zur Historik 4, München 1982, 452–479: 452 (mit einem Zitat von Maurice Merleau-Ponty). 86  Schröter, Lukas (s. Anm. 74), 246. 87  Zur kriteriologischen Problematik näher Knut Backhaus, Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 30–66: 59–66 [in diesem Band S. 157–188: 183–188].

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auf, der der Tora als dem mos maiorum seiner Ahnen verbunden ist und „nichts gegen die väterlich ererbten Sitten“ getan hat (Apg 28,17; vgl. 24,14).88 Dass er „allen alles“ wird, zeigen – mit dem Recht einer geschichtlichen Gesamtbilanz – seine Reden im lykaonischen Hinterland (14,15–17) und auf dem Areopag zu Athen (17,22–31). Den gottgewirkten Triumph des Evangeliums, der selbst Paulus eine ausdrucksstarke Metapher wert ist (2Kor 2,14–17), inszeniert Lukas auf seine Weise meisterlich in den sich dramatisch überstürzenden Ereignissen zu Ephesus (Apg 19). Erfolg und Scheitern bei der Gewinnung der jüdischen Welt zeigen sich in der Sequenz von Szenen, nicht im Grundsatzurteil. Die Adressaten lesen nicht darüber, dass das Evangelium sich verbreitet; sie gewinnen bleibende Eindrücke, während sie an der Seite des Paulus selbst von Antiochien nach Rom wandern. (2) Komprimieren: Hier beherrscht Lukas das Instrumentarium der Zunft: Psalmen und Reden summieren den Geschichtsverlauf von Jahrhunderten; der Gesang des Simeon im Tempel (Lk 2,29–32.34 f.) stellt in dieser Hinsicht nach Lokalkolorit und Synthesedichte eine Pretiose dar. Gezielt gesetzte Summarien fangen die typischen Entwicklungen ein (bes. Lk 6,17–19; 8,1–3; Apg 2,42–47; 4,32–35; 5,12–16). Die zahlreichen Gerichtsszenen bringen die antagonistischen Prinzipien in aller Dichte auf die Bühne der Gerechtigkeit. Paradigmatische Episoden beleuchten den Gesamtverlauf, charakterisieren die Aktanten, spiegeln die ethischen Codes wider. Redundanzen werden konsequent ausgeschieden (vgl. bes. Mk 6,45–8,26 diff. Lk) oder, wo sie die Perspektive auffächern können, auch konsequent aufgeführt (vgl. Lk 24,50–53/Apg 1,9–11; Apg 9,1–22/22,5–16/26,12–18). (3) Arrangieren: Auch in der An-, Um‑ und Zuordnung des Stoffs zeigt sich Lukas, soweit wir sehen, entschlossen: Vermutlich ist die erste Missionsreise (Apg 13,4–14,28) als Ganze – vergleichbar der in Plutarchs Cäsar-Bios vorangestellten Seereise (vgl. Caesar 1,4–2,4) – ein Arrangement, in dem verdichtet wird, wie Mission aussah, sodass der passende Hintergrund zum Apostelkonvent entsteht. Freischärler lässt Lukas, unbekümmert um chronologische Fragen, auftreten, wie er sie braucht, um an ihnen den anderen Charakter der Gemeinde zu veranschaulichen (vgl. Apg 5,36 f.). Vergleichen wir den Straftod Agrippas I. (Apg 12,19b–23) mit der Parallelüberlieferung bei Josephus (ant. 19,343–350), wirken die Unterschiede zunächst geringfügig: Hier ist es ein paganer Uhu, dort ein jüdischer Engel, der den Eingriff der himmlischen Macht anzeigt; hier ist es die Optik des Kleides, dort (wohl mit sublimem Bezug auf Nero89) die Akustik 88 Zur intentionalen Engführung des Paulus-Bilds in Apg Knut Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Chr. Böttrich / ​J. Herzer, WUNT 209, Tübingen 2007, 401–428: 422 f. [in diesem Band S. 257–282: 276–278]; ders., Lukas (s. Anm. 87), 48–50 [in diesem Band S. 174 f.]. 89  So die plausible Vermutung von Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 53–57.

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der göttlichen Stimme, die den Eingriff als Ahndung der Hybris begründet. Doch gewinnt die scheinbar deplatzierte Szene bei Lukas erst dadurch ihre Erzählfunktion, dass sie „nach hinten“ unmittelbar an die Verfolgung der Urgemeinde anschließt und „nach vorn“ einen Kontrast zur unaufhaltsamen Ausbreitung des Gottesworts bildet (vgl. Apg 12,1–19a.24 f.). Sie wird dadurch, wie in der makkabäischen Historiographie (vgl. 2Makk  9,5–28: Antiochos IV.; 15,25–36: Nikanor), zum Musterfall einer mors persecutorum. (4) Kolorieren: Zu den zentralen Anliegen apologetischer Geschichtsschrei­ bung gehört die Repristination der eigenen Gemeinschaft. Lukas malt die Anfänge Jesu und die Entstehung der jungen Kirche in alttestamentlichen Farben. Das lukanische „Vorevangelium“ Lk 1 f. hat die kompositionelle Funktion der ἀρχαιολογία: Sie malt einen unvordenklich alten Hintergrund aus. In das Gold der Urzeit taucht Lukas die Jerusalemer Gemeinde, in das Schwarz der Misanthropie die jüdischen Gegenspieler, in das graue Zwielicht zwischen Toleranz und Korruption die staatlichen Machthaber. Das gilt auch für die Inkulturation: Das letzte Wort des sterbenden Jesus ist für einen nicht im jüdischen Psalmgebet sozialisierten Leser schwer verständlich: Lukas übermalt es mit einem Psalmwort, das Jesu Lebenswerk prägnant, passend und unzweideutig zusammenfasst (Lk 23,46 diff. Mk 15,34.37). (5) Explizieren: Wo Lukas nicht auf Überlieferung zurückgreifen konnte oder keine solche fand, die seiner erzählerischen Unterhaltungs‑ und Deutungsabsicht entsprach, dürfte er der Wahrheit „auf die Sprünge geholfen“ haben. Sichere Aussagen sind hier allerdings nur schwer zu treffen. Wir müssen uns vor modernen Wahrscheinlichkeitsansinnen hüten. Ich gebe zu, dass ich den Schiffbruch (Apg 27,27–44) oder die Flucht aus Damaskus im Korb (9,23–25) für romanhafte Spannungsfiktionen hielte, wäre Ähnliches nicht vom direkt Betroffenen bestätigt (2Kor 11,25.32 f.).90 Zumal am Anfang und Ende seines Erzählwerks scheinen mir weitgehende Eingriffe des Lukas wahrscheinlich, nämlich in der Vorgeschichte (Lk 1,5–2,52) und bei der großen Rede des Paulus vor zwei reichsrömischen Repräsentanten der Zeitgeschichte, Agrippa II. und Berenike, mit der Lukas die grundlegende Epoche des Christentums beschließt (Apg 25,13–26,32). In alldem finden wir nichts anderes ausgeführt, als Lukas in seinem Proömium (Lk 1,1–4) ankündigt: wahrheitsgemäße – im Sinn von: überlieferungsnahe und ‑erhellende – Herkunftsmemoria und einen Erkenntnisfortschritt für den Leser, sofern er eine Form erster Sozialisation hinter sich hat und der Einweisung in die gruppenspezifische Erinnerungskultur bedarf. Damit entspricht Lukas auf eigene Art den beiden exordialen Topoi antiker Geschichtsschreibung: sachgerechte Unterrichtung und charakterformender Lektüregewinn. 90  Das schließt nicht aus, dass Lukas solche Szenen dankbar und kräftig ausmalt: Wenn die Vita Pauli an sich romanhafte Szenen bot, wird er diese eher ausgestaltet haben, als neue zu erfinden. Gerade beim Schiffbruch lag Ausgestaltung eines realen Vorkommnisses – ebenso wie der Einfluss der Romanliteratur – nahe.

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Asphaleia

Beachtenswert ist der Ordnungsanspruch, mit dem Lk 1,1–4 die ἀσφάλεια der folgenden διήγησις begründet: Andere haben versucht, die Anfangsereignisse „anzuordnen“ (ἀνατάσσομαι); Lukas, der allem „von Anfang“ an (ἄνωθεν) genau (ἀκριβῶς) „durchdenkend gefolgt“ ist (παρακολουθέω),91 scheint es angebracht, diese Erstepoche als überliefertes Herkunftsgeschehen92 dem Theophilus „in sachentsprechender Folge“ (καθεξῆς)93 aufzuschreiben. Es ist die Ordnung, nicht die Recherche, die die ἀσφάλεια begründet.94 Die exordiale kritische Selbstqualifikation durch ἀλήθεια gewinnt hier die affirmative Nuance von „Tragfähigkeit“.95 In diesem Sinn liegt der Wahrheitsanspruch des Doppelwerks darin, dass es jene Ordnung konfiguriert, die der „Sache“ des Evangeliums am ehesten entspricht 91  Das Verb παρακολουθέω ist – gegen die übliche Übersetzungs‑ und Deutungsweise – nicht investigativ, sondern affirmativ-organisierend denotiert (vgl. Josephus, c. Ap. 1,218); dazu näher Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 64 f.; zum semantischen Hintergrund Loveday Alexander, The Preface to Luke’s Gospel. Literary Convention and Social Context in Luke 1.1–4 and Acts 1.1, MSSNTS 78, Cambridge 1993, 128–130. 92  Die Wendung πεπληροφορημένων ἐν ἡμῖν πραγμάτων beschreibt die Stiftungsgeschehnisse (den Grundstoff der Apg konzeptionell eingeschlossen) aus der Sicht der nachfolgenden Generation im resultativen Perfekt als abgeschlossene (und grundlegende) Erstepoche; vgl. Wolter, Lk (s. Anm. 91), 62 f. 93  Dass mit καθεξῆς (vgl. auch Apg 11,4) nicht lediglich die chronologische Sequenz gemeint ist, liegt schon deshalb auf der Hand, weil dies kein Spezifikum gegenüber den vorangehenden Versuchen markiert. Dass an eine Verstehensleistung gedacht ist, belegt die Finalwendung ἵνα ἐπιγνῷς. Josephus, ant. 1,17 versteht die historiographische τάξις unter dem Gesichtspunkt der „Vollständigkeit“, aber im Licht von 1,24 wird deutlich, dass auch dieser Anspruch theologisches Verstehen voraussetzt. Mit Lukian, hist. conscr. 51: Dem Geschichtsschreiber obliegt es, den Geschehnissen eine rechte Ordnung zu geben und sie durchschaubar zu machen (εἰς καλὸν διαθέσθαι τὰ πεπραγμένα καὶ εἰς δύναμιν ἐναργέστατα ἐπιδεῖξαι αὐτά). Sehr hilfreich: David P. Moessner, The Meaning of καθεξῆς in the Lukan Prologue as a Key to the Distinctive Contribution of Luke’s Narrative among the “Many”, in: The Four Gospels 1992. FS F. Neirynck II, hg. v. F. Van Segbroeck u. a., BETL 100, Löwen 1992, 1513–1528. Moessner versteht das Adverb im Sinne von „getting the story straight“. Vgl. ferner (mit anderen Nuancen) Martin Völkel, Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffs καθεξῆς im lukanischen Prolog, in: NTS 20 (1974) 289–299; Gerhard Schneider, Zur Bedeutung von καθεξῆς im lukanischen Doppelwerk (1977), in: ders., Lukas, Theologe der Heilsgeschichte. Aufsätze zum lukanischen Doppelwerk, BBB 59, Königstein i. Ts. 1985, 31–34; zum semantischen Hintergrund Alexander, Preface (s. Anm. 91), 131 f., 134–136. 94  Josephus, ant. 1,17 (vgl. 1,24) kennzeichnet die historiographische τάξις ausdrücklich als theologischen Geltungsanspruch. 95  Vgl. Willem C. van Unnik, Remarks on the Purpose of Luke’s Historical Writing (Luke I 1–4), in: ders., Sparsa Collecta [I], NT.S 29, Leiden 1973, 6–15: 13 f.; Wolter, Lk (s. Anm. 91), 67 f. Obschon es häufiger behauptet wird, vermag ich nicht zu erkennen, dass es sich bei dem Nomen ἀσφάλεια um einen terminus technicus der Geschichtsschreibung handelt. Das Wortfeld kommt, bezogen auf die Sicherheit einer Truppe, Stadt oder Gesandtschaft usw., oft genug im Erzählzusammenhang vor, aber kaum auf der Meta-Ebene. Wo es mit Bezug auf geistige Prozesse vorkommt, bezieht es sich auf die Tragfähigkeit, Stichhaltigkeit oder Zustimmungsfähigkeit von Gedankengängen; vgl. bes. Xenophon, mem. 4,6,15; Dionysios von Halikarnass, ant. 2,35,2; Plutarch, Nikias & Crassus 5,2; de def. or. 431a; De communibus notitiis contra Stoicos 1058f; 1061f; 1Clem. 1,2; Athenagoras, res. 2,1; Clem. hom. 2,48,1; zur zeitgenössischen Definition Philon von Byblos, De diversis verborum significationibus (ed. V. Palmieri, 1988), 586–590 (Η 88).

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(vgl. Apg 26,25). ἀσφάλεια gewinnt der Leser nicht durch die Kenntnisnahme von Faktengut, sondern durch das Verstehen einer Richtung und Sinnlinie in der Faktenfolge: der ξύμπασα γνώμη. Diese greifbar zu machen, ist das Opus proprium des Geschichtsschreibers. Lukas stiftet mit seinem Doppelwerk verbindliche Herkunftsmemoria. Er hat der christlichen Erinnerungskultur jene Meistererzählung geboten, derer sie in ihrer Sattelzeit bedurfte, um sich in der Geschichte zurechtzufinden.

Transformation durch Humor Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte Für Michael Theobald

Early Christian literature is seemingly lacking in humour, a deficit which may be explained by sociological reasons. However, considered in the light of the ancient theory (and literary practice) of humour, the Book of Acts is an exception. It presents, especially in its second half, when the gospel enters the forum of pagan culture, numerous episodes between subtle irony and rough slapstick. We analyse in detail the satirical rhetorical duel between the orator Tertullus and Paul (Acts 24), explore the sensitively compiled trajectory of witty scenes in the plot, and eventually describe Luke’s theological strategy of humour. The pivotal point of ancient humour is the unexpected event or word παρὰ τὴν προσδοκίαν. It is this breach of expectation that characterises Luke’s humorous episodes, especially in the form of a surprising inversion of roles, e. g., the exorcism of the exorcists (19:13–20). Above and beyond the historian’s duty to entertain, Luke uses this mode of narration to demonstrate God’s guidance and to introduce a theocentric concept of history. Luke does not write from the perspective of a disheartened minority but rather represents an ambitious cultural claim. By transforming his religious tradition in a humorous mode, he takes it, theologically speaking, more seriously. The transformation of tradition by humour turns out to be applied soteriology.

1. Das Lachen des Lukas: Annäherung an den antiken Humor Das Urchristentum ist witzlos. Das Wanzenwunder der Johannesakten habe alles Zeug zum „guten Schwank“, klagt Wilamowitz, doch habe der Verfasser es ernst gemeint – „leider ist in aller jüdischen und christlichen Schriftstellerei auch kein Körnchen Humor zu finden: es ist, als hätte eine ganze Welt das Lachen verlernt“1. Hans von Campenhausen hat einem „Witz des Apostels Paulus“, nämlich Gal 5,12, einen feinsinnig-vornehmen Aufsatz gewidmet,2 doch die apostolische 1 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Die griechische Literatur des Altertums, Stuttgart (31912) 1995, 262 f. Ähnlich das Urteil bei Rudolf Bultmann, Das Christentum als orientalische und als abendländische Religion (1949), in: ders., Glauben und Verstehen II, Tübingen (1952) 21958, 187–210: 208 f. 2  Ein Witz des Apostels Paulus und die Anfänge des christlichen Humors (1957), in: ders., Aus der Frühzeit des Christentums. Studien zur Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts, Tübingen 1963, 102–108.

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Transformation durch Humor

Witzigkeit selbst wirkt auf Heutige grob-geschmacklos, von dem verwandten frostigen Wortspiel Phil 3,2 noch abgesehen: Humor ist das nicht.3 Die These gar, Paulus sei der theologische Entdecker des Humors,4 setzt beim Leser entweder ein komplexes Humorverständnis oder einen speziellen Humor voraus. Das Neue Testament mag das Lachen nicht: Dreimal kommt das Wortfeld γελᾶν in seinen 27 Schriften vor, in allen drei Fällen als aggressive Absage an den Augenblickshumor: „Wehe euch, die ihr jetzt lacht!“ (Lk 6,25; vgl. 6,21) – „Brecht in Wehklagen aus und fallt in Trauer und weint auf! Euer Lachen kehre sich in Trauer und die Freude in Bedrückung!“ (Jak 4,9) Als hätte eine ganze Welt das Lachen zu verlernen! Doch vielleicht hat nicht eine ganze Welt das Lachen verlernt, sondern wir betreten im Urchristentum eine Welt, in der es nicht viel zu lachen gab: Für den selbstverliebt-urbanen Humor eines Cicero oder die meisterliche Strategie des Lachens eines Quintilian fehlte es in der marginalen Schicht des Urchristentums an den sozialen und kulturellen Voraussetzungen. Hinzu kommt die generische Engführung: Gemeindebriefe, theologische Traktate, Bioi, die auf das Kreuz zielen, oder transzendenzbezogene Offenbarungsschriften neigen schwerlich zum Treiben kaustischen Spaßes. Wo es im Ernst um Endzeit geht, wirkt der Ulk um die Schwächen der Anderen – darum geht es dem antiken Humor wesentlich – verfrüht. Eine Ausnahme scheint allerdings die Apostelgeschichte darzustellen.5 Schon generisch legt die Geschichtsschreibung, insofern sie sich durchaus auch dem delectare verpflichtet weiß, Unterhaltungselemente nahe. Immerhin bietet selbst dem notorisch pessimistischen Tacitus das historiographische Genus Gelegenheit, seinen grimmen Witz aufblitzen zu lassen.6 Die leichtfüßige Weise, in der der Verfasser der Apg (im Folgenden: Lukas) die Geschichte der werdenden Kirche darstellt, belegt in der Tat von feiner Ironie bis zur derben Burleske Heiterkeit in ihren verschiedensten Varianten. Kaum richtet sich das Evangelium in der 3 So auch von Campenhausen, Witz (s. Anm. 2), 106 f., der die Anfänge des Humors recht genau (und wohl idealisierend) zu verorten weiß: „innerhalb des frühen Mönchtums, das soziologisch, psychologisch und theologisch alle Voraussetzungen mitbringt, um in seinem intimen und intensiven Zusammenleben, in seiner Verbindung von Ernst und Freiheit und angesichts der Radikalität der eigenen Forderungen die wehmütige Tiefe der Erfahrung zu gewinnen, in der – jenseits des Lächelns bloßer Auguren – der echte Humor anhebt“ (ebd. 107). 4  François Vouga, Personalität und Identität bei Paulus. Die theologische Entdeckung des Humors, in: Biographie und Persönlichkeit des Paulus, hg. v. E.-M. Becker / ​P. Pilhofer, WUNT 187, Tübingen 2005, 149–165, bes. 162–165. 5 Zum Humor in Apg vgl. Jakob Jónsson, Humour and Irony in the New Testament. Illuminated by Parallels in Talmud and Midrash, BZRGG 28, Nachdruck: Leiden (1965) 1985, 208–222; Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987, bes. 58–66; zum Humor in den beiden lukanischen Schriften Marius Reiser, Witz, Komik und Satire im lukanischen Doppelwerk, in: Volksglaube im antiken Christentum. FS Th. Baumeister, hg. von H. Grieser / ​A. Merkt, Darmstadt 2009, 71–86. 6 Vgl. Ronald Mellor, Tacitus, New York 1993, 129–136.

1. Das Lachen des Lukas: Annäherung an den antiken Humor

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Mittelmeerkultur ein, entdeckt es den Humor – als charmante Möglichkeit, in dieser Welt zu überleben. Caveat lector: Humor ist ein psychisch, sozial und diachron vielschichtiges Kultur‑ und Kontextphänomen. Bereits in unserer eigenen Lebensgeschichte verstehen wir oft nicht recht, worüber die Vorgeneration oder wir selbst in den fünfziger oder siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu lachen vermochten oder wir lachen herzhaft über damals ernst gemeinte Reden oder Werbesendungen.7 Das gilt erst recht für den Abstand zur Antike: Wenn Sceledrus in Plautus’ Miles gloriosus als rechter Galgenstrick seufzt, er wisse, dass sein Familiengrab das Kreuz sei, seien dort doch bereits Vater und Ahnen bestattet (mil. 372 f.), kommt uns das gar nicht so komisch vor wie einst wohl den römischen Adressaten. Und das, worüber wir heute lachen mögen, regte die ersten Rezipienten womöglich zum Offenbarungsschauder an – das Wanzenwunder ist nur ein Beispiel von vielen. Ein und derselbe Text kann im Traditionsprozess eine Komikkarriere nehmen oder abbrechen. Wenn wir vom lukanischen Humor handeln, wollen wir ermitteln, was der Erzähler selbst dem intendierten Leser als Komik zu vermitteln suchte.

Um den lukanischen Humor nicht anachronistisch zu verfehlen, bedarf es (unter Verlust der bei diesem Sujet so reizvollen Leichtigkeit) definitorischer und methodischer Absicherung: Im literaturwissenschaftlichen Sinn ist „Humor“ ein ästhetischer Begriff, der subjektiv eine Distanzierung vom konventionellen Weltverhältnis und objektiv einen Modus der Kommunikation oder Darstellung beschreibt.8 Im ersten Fall liegt das Spezifikum des Humors in der Verarbeitung, im zweiten in der Repräsentation komischen Sachverhalts, wobei unter „Komik“ (bewusst allgemein) die lachhaft-überraschend verzerrte Diskrepanz zwischen Erwartung / ​Anspruch und Verlauf / ​Wirklichkeit verstanden sei. Sofern klar bleibt, dass der Terminus als solcher erst neuzeitlich aufkommt und das Phänomen mentalitätsgeschichtlich zu differenzieren ist, scheint es mir statthaft, den Humor-Begriff beschreibungssprachlich auch auf antike Literatur anzuwenden.9 Zur Erfassung humoriger Darstellung kann man auf das gattungsübergreifende Sachfeld Περὶ γελοίου zurückgreifen, wie es etwa zeitgenössisch zu Lukas der rhetorische Wissensspeicher Quintilians (vgl. inst. 6,3; ferner Cicero, de orat. 2,216–290) dartut, ebenso auf die Stilkunde des Ps.-Demetrios (vgl. bes. 7  Dies sieht grundsätzlich auch Reiser, Witz (s. Anm. 5), 72 f., doch ohne methodische Folgerungen daraus zu ziehen. Der von ihm im dritten Evangelium wahrgenommene Humor scheint mir weithin unter modernen Lektürebedingungen assoziiert. Sieht man noch davon ab, dass Reiser großenteils synoptische Tradition heranzieht, also weniger den spezifisch lukanischen Humor erfasst, sind einige seiner Beispiele (z. B. Lk 4,30; 8,26–39) eher dem Bereich des tremendum als dem des „Lustspielhaften“ zuzuweisen. Dass etwa Lk 2,49 „unzweifelhaft“ „grotesk erscheint“ (ebd. 73), bezweifle ich. Komische Züge finden sich allenfalls in Gleichnissen des lukanischen Sonderguts (z. B. Lk 18,1–8). Bei der Wahrnehmung humorhaltiger Passagen in Apg erfreue ich mich weitreichender Übereinstimmung mit Reiser, ebd. 79–84, versuche aber den sprechenden Leerstellen und literarischen und theologischen Differenzierungen genauer nachzuspüren. 8  Vgl. Wolfgang Preisendanz, Art. „Humor“, in: RLW II ([2000] 2007) 100–103: 100. 9  Anders Preisendanz, Art. Humor (s. Anm. 8), 101.

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Transformation durch Humor

De elocutione 163–172). Für den hintergründig-gezielten Humor der Apg lohnt sich der Blick auf die Ironie10 als indirekte und die Parodie11 als imitierende Spottfigur. In generischer Hinsicht ist für Apg als Erzählprosa neben dem Roman vor allem die menippeische Satire, greifbar durch Lukian von Samosata, heuristisch relevant, in motivischer Hinsicht auch die Komödie. Auch wenn wir uns auf solche Weise dem literarischen Humor der lukanischen Zeit annähern, bedarf es der Gegenkontrolle im Blick auf soziale Minderheiten. Erich S. Gruen hat mit Bezug vor allem auf die fiktiv-historisierende (Est, Tob, Jdt, Sus) und historiographische (2Makk, Artapanos) Erzählprosa, wie sie im hellenistisch-frühreichsrömischen Diaspora-Judentum entstand oder kursierte, den Humor einer religiösen Minorität untersucht.12 Auch wenn seine komikzentrierte Relektüre des einschlägigen Textguts im Einzelnen Zweifel weckt,13 lässt sich doch die Tendenz zu einer narrativen Leichtigkeit nicht verkennen: Die Erzählungen sind ungeachtet ihrer theologischen Wirkabsicht teilweise überraschend unterhaltsam und spielerisch angelegt. Ihre hintergründige Komik lebt wesentlich aus der Umkehrung als selbstverständlich geltender Verhältnisse.14 Damit ist keineswegs gesagt, dass Diaspora-Juden in hoffnungsloser Isolation und angstbesetzter Verliererpose nur „durch ihre Tränen hindurch lächeln“ konnten. Ihr Status erlaubte der Minderheit nach Ausweis der überkommenen Literatur eine kreative, ergötzliche, imaginationsfreudige, mitunter frivole, schenkelklopfende Erzählkultur, gelegentlich auch selbstkritischen Umgang mit sich und weitherzigen mit ihrer Umwelt: „The texts leave an impression of amused observation and sardonic detachment. Above all, they reveal a self-esteem among diaspora Jews and a sufficiently satisfying life-style that allowed for irony without rancor and burlesque without bitterness“15. Gerade hier wirkt der heuristische Vergleich mit Apg vielversprechend. Zu den schichtenübergreifenden Kennmalen des antiken Sinnes für Komik gehört es, dass diese sich gegen spottwürdige Andere richtet und auf einem 10  Dazu eingehend Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart (1960) 31990, §§ 582–585; 902–904. 11  Sie ist in der antiken Theorie nicht eingehend erfasst, aber bekannt (Quintilian, inst. 6,3,97; 9,2,34 f.), vor allem jedoch literarisch präsent: als spielerische Parodie etwa in der späthellenistischen Batrachomyomachia, als politisch-religiöse Parodie in Senecas Apokolokynthosis. Petron und Lukian arbeiten vielfältig mit parodistischen Mitteln, sei es intertextuell-ästhetisch, sei es gesellschaftskritisch. 12  Erich S. Gruen, Diaspora. Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge, Mass. (2002) 2004, 135–212. 13 Sie erscheint mir nicht immer komparativ kontrolliert und mitunter anachronistisch. Vor allem verwechselt sie die Imaginationsfreude und bramarbasierende Unbekümmertheit naiver Erzählweise mit sardonischem Spiel und macht aus hellenistischen Geschichtenerzählern ironisierende Vorfahren von Thomas Mann. 14  Dies gilt am greifbarsten nach Plot und vielen Erzähldetails für Est und unverkennbar für Jdt, in binnenjüdischer Perspektive aber auch für Tob und Sus, nicht zuletzt für die Retributionslogik in 2Makk. 15  Gruen, Diaspora (s. Anm. 12), 181; vgl. ebd. 146 f., 174, 180 f., 211 f.

2. Der ridiküle Rhetor: Komik als Redaktionsleistung

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Verstoß gegen Rezeptionserwartung (παρὰ τὴν προσδοκίαν) basiert (Ps-Demetrios, De elocutione 152 f.; vgl. Aristoteles, rhet. 1412a–b; Cicero, de orat. 2,289; Quintilian, inst. 6,3,22–24).16 Wir werden sehen, dass sich Apg in dieser Hinsicht nicht vom zeitgenössischen Humor unterscheidet. Die innovatorische Leistung lukanischer Komik entdecken wir dort, wo wir nach dem Grund für Spottwürdigkeit und der Art der verletzten Erwartung fragen. Es geht Apg wesentlich darum, die προσδοκία als solche zu verändern. Dies schließt einen spielerischen, schöpferischen Umgang mit der eigenen Tradition ein. Ihm widmen wir uns mikroskopisch (2.), makroskopisch (3.) und analytisch (4.).

2. Der ridiküle Rhetor: Komik als Redaktionsleistung Um einen repräsentativen Eindruck von dem Humor des Redaktors Lukas zu gewinnen, eignet sich die einzige Anklagerede (Apg 24,2–8) im Rahmen des einzigen Rede-Agons der Apg in besonderer Weise (vgl. 24,1–23). Gerichtsprozesse sind vorzügliche Foren zur Profilierung von Parteiinteressen; die Rede des Gegenspielers verlockt zur humorigen Entlarvung, und die Tertullus-Rede ist nicht nur die brillanteste Parodie des lukanischen Erzählwerks, sondern ermöglicht auch den vergleichenden Blick auf funktionsanaloge Reden, wie sie papyrologisch dokumentiert (P Fouad 26; P Oxy. 2131; P Ryl. 114)17 oder romanhaft fingiert (Chariton von Aphrodisias, Chaireas & Kallirhoë 3,4,5 f.; 5,6,1–10; Achilleus Tatios, Leukippe & Kleitophon 8,8; Lukian, bis acc. 16.20.26–29.33; Apuleius, met. 3,3)18 vorliegen. Vor allem gestattet dieser Testfall dem Ausleger, sich methodisch kontrollierten Zugang zum spezifischen Humor des Redaktors Lukas zu ebnen: Aktantenreden galten allgemein als Herausforderung für den Ehrgeiz des Historiographen: „Wenn man einen Handlungsträger einzuführen hat, der eine Rede halten soll, so rede er zuallererst so, dass es seinem Charakter und Thema entspricht, und außerdem auch so klar wie möglich! In diesem Fall indes steht es dir zu, selbst 16  Zu dieser Strategie in der Geschichtsschreibung, namentlich bei Tacitus Paul Plass, Wit and the Writing of History. The Rhetoric of Historiography in Imperial Rome, Madison, Wisc. 1988, 56–68. 17  Dazu eingehend Bruce W. Winter, Official Proceedings and the Forensic Speeches in Acts 24–26, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. dems. / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 305–336; vgl. Stephan Lösch, Die Dankesrede des Tertullus: Apg 24,1–4, in: ThQ 112 (1931) 295–319; Bruce W. Winter, The Importance of the captatio benevolentiae in the Speeches of Tertullus and Paul in Acts 24:1–21, in: JThS 42 (1991) 505–531. 18 Vgl. näher Pervo, Profit (s. Anm. 5), 42–50; Derek Hogan, Paul’s Defense: A Comparison of the Forensic Speeches in Acts, Callirhoe, and Leucippe and Clitophon, in: PRSt 29 (2002) 73–87, bes. 75–79; Saundra Schwartz, The Trial Scene in the Greek Novels and in Acts, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 105–137, bes. 109–117.

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den Rhetor zu spielen und deine ureigene rednerische Macht vorzuführen!“ (vgl. Lukian, hist. conscr. 5819) Lukas hat sich dieser Herausforderung mehrfach gestellt. Dass die Tertullus-Rede sich seiner ureigenen  – in diesem Fall: recht spitzen – Feder verdankt, sollte außer Zweifel stehen.20 Wenn sie zugleich ein „Meisterstück von ausgesuchter rhetorischer Kleinkunst“ ist,21 deutet dies nicht auf die Historizität der Rede, sondern auf des Verfassers Talent zur Persiflage. Zweifellos bergen die lukanischen Reden gewichtige Theologie, aber Lukas hat die Chancen der Rhetorik genutzt, diese Theologie spielerisch darzutun.22 Bereits die Einschaltung eines ῥήτωρ – zumal vor dem Hintergrund des rednerisch versierten Angeklagten, der sich selbst zu verteidigen weiß – birgt Komik: Ananias, die „getünchte Wand“ (Apg 23,3), und seine Elite bedürfen wie Angehörige der Unterschicht 19  Ἢν δέ ποτε καὶ λόγους ἐροῦντά τινα δεήσῃ εἰσάγειν, μάλιστα μὲν ἐοικότα τῷ προσώπῳ καὶ τῷ πράγματι οἰκεῖα λεγέσθω, ἔπειτα ὡς σαφέστατα καὶ ταῦτα. πλὴν ἐφεῖταί σοι τότε καὶ ῥητορεῦσαι καὶ ἐπιδεῖξαι τὴν τῶν λόγων δεινότητα. 20 Die redaktionelle Formung der Reden schließt Traditionsbindung durchaus ein: Der Historiograph formt zwar seinen Stoff, aber er schafft ihn nicht (Lukian, hist. conscr. 50 f.; vgl. Plutarch, De gloria Atheniensium 346f–347c). Soll die Rede Person und Situation entsprechen, dann zieht der Redaktor selbstverständlich ihm zugängliche Überlieferung heran, auch wenn wir diese allenfalls in groben Umrissen wahrscheinlich machen können. Historisch abzusichern sind in Apg 24,1–23 die Namen des amtierenden Hohepriesters Ananias ben Nedebaios (um 47–59 n.  Chr.) und des Statthalters M. Antonius Felix (um 52–60 n.  Chr.). Anzunehmen ist ein auf den Vorwurf der στάσις (seditio) konzentriertes Kognitionsverfahren (cognitio extra ordinem), das in der Amtszeit des Felix zu keinem Abschluss fand; möglicherweise wurde dabei ein Tertullus als Anwalt für die jüdische Führungsschicht eingeschaltet, aber das bleibt höchst unsicher. Zur Diskussion Alfons Weiser, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., ÖTBK 5, Gütersloh / ​Würzburg 1981/1985, II: 626 f.; Gerd Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte, Göttingen 1987, 256–260; Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, II: 1091 f.; Richard I. Pervo, Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009, 593–595; ausführlich (wenn auch traditionskritisch allzu unbeschwert) Heike Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, BZNW 115, Berlin 2002, 421–457. Zur Rede als Darstellungs‑ und Deutungsmodus in der antiken Historiographie allgemein Charles W. Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome, Eidos, Berkeley, Calif. 1983, 142–168; Kenneth Sacks, Rhetoric and Speeches in Hellenistic Historiography, At. 64 (1986) 383–395; Conrad Gempf, Public Speaking and Published Accounts, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​ A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 259–303; speziell zu Apg ebd. 291–303; Marion L. Soards, The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville, Ky. 1994, 134–161. 21  So Lösch, Dankesrede (s. Anm. 17), 317. 22  Zum Spielerischen in den Reden der Apg aufschlussreich Steve Mason, Speech-Making in Ancient Rhetoric, Josephus, and Acts: Messages and Playfulness, in: Early Christianity 2 (2011) 445–467; 3 (2012) 147–171, II: 152–171. Zur Auslegung von Apg 24,1–23 Jürgen Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen (1981) 32010, 333–339; Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 623–631; Barrett, Acts II (s. Anm. 20), 1089–1113; Pervo, Acts (s. Anm. 20), 589–601; Mason, Speech-Making II, 160–163. Zur rechtlichen Würdigung der rhetorischen Situation Harry W. Tajra, The Trial of St. Paul. A Juridical Exegesis of the Second Half of the Acts of the Apostles, WUNT II / ​35, Tübingen 1989, 118–130; Omerzu, Prozeß (s. Anm. 20), bes. 422–426.

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eines Anwalts, der für sie redet. Lukian macht sich einen Spaß daraus, dass sich die (personifizierte) Rauschfreude ethanolbedingt des Plädoyers enthalten muss, sodass richterlich nach dem Sachwalter gerufen wird: „Lasse man dann doch irgendeinen von diesen öffentlichen Advokaten auftreten! Denn viele stehen bereit, die sich für drei Obolen zerreißen!“ So wird die spitzfindig-redekundige Akademia beauftragt, gleich beide Parteien im Rede-Agon zu vertreten (Lukian, bis acc. 1523). Achilleus Tatios führt einen geschliffenen ῥήτωρ in den Prozess gegen Kleitophon ein, der dem Schurken Thersander zur Seite springt: „Als ein Anwalt von nicht unbeträchtlichem Ruf, Mitglied auch der Ratsversammlung, gerade für mich [scil. Kleitophon] und Melite plädieren wollte, kam ihm ein anderer Anwalt zuvor, der Sopater hieß und Advokat des Thersander war: ‚Nein doch‘, rief er aus, ‚jetzt ist es an mir, die Rede wider dieses Buhlpaar zu führen, mein trefflichster Nikostrat (denn dies war der Name meines Anwalts). Danach bist du dran!‘“ (Leukippe & Kleitophon 8,10,124) Da der Mandant seinerseits, am Ende seiner Geduld, die melodramatische Posse25 brüsk mit einem Antrag zur Sache abschneidet (8,11,1 f.), ist es nicht Nikostrat, sondern der weitere Verlauf, der die Angeklagten entlastet.

Der komische Advokat besitzt also eigenen Unterhaltungswert. Unterhaltung ist in Apg jedoch kein Selbstzweck, sondern subtiler angelegt. Lukas lässt den Anwalt mit dem römischen Namen nur deshalb die Reise von Jerusalem antreten, um das hohle Pathos reichsrömischer Herrschaftsideologie nachgerade zu verkörpern.26 Dazu würde die (bei einer Spätdatierung der Apg) reizvolle Möglichkeit passen, die Namenswahl als ironische Anspielung auf C. Iulius Cornutus Tertullus aus dem pamphylischen Perge (cos. suff. 100 n. Chr.) zu lesen, der vor allem nach der Beseitigung Domitians eine prominentere Rolle in der Reichsverwaltung, auch des Ostens, spielte und als Anklagevertreter Aufsehen erregte.27 Das Cognomen ist jedoch zu häufig belegt,28 um uns auf dieser Möglichkeit bestehen zu lassen. 23 Ähnlich Lukian, bis acc. 20: Die Stoa bezichtigt die Hedone der Verachtung des Gerichts, da diese, statt in eigener Person zu erscheinen, Epikur als Advokaten einschaltet. 24 Μέλλοντος δὲ ὑπὲρ ἐμοῦ καὶ τῆς Μελίτης ἀνδρὸς οὐκ ἀδόξου μὲν ῥήτορος, ὄντος δὲ [τῆς] βουλῆς, λέγειν, φθάσας ῥήτωρ ἕτερος, ὄνομα Σώπατρος, Θερσάνδρου συνήγορος, Ἀλλ’ ἐμός, εἶπεν, ἐντεῦθεν ὁ λόγος κατὰ τούτων τῶν μοιχῶν, ὦ βέλτιστε Νικόστρατε, τοῦτο γὰρ ἦν ὄνομα τὠμῷ ῥήτορι, εἶτα σός. 25  τερατευσάμενος καὶ τρίψας τὸ πρόσωπον (Leukippe & Kleitophon 8,10,2). 26  Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), 161 spricht frohgemut von einem „Mr. Third [Party?]“. Die Charakter-Mimesis tritt rhetorisch als notatio (rhet. Her. 4,63–65) oder morum ac vitae imitatio (Cicero, de orat. 3,204) in Erscheinung. Dies trifft auf den verzerrten Charakter des Tertullus zu: Er dient als Karikatur und steht für die offizielle Herrschaftsinszenierung. 27  Vgl. Ronald Syme, Pliny’s Less Successful Friends (1960), in: ders., Roman Papers II, hg. v. E. Badian, Oxford 1979, 477–495: 477–479; Werner Eck, Senatoren von Vespasian bis Hadrian. Prosopographische Untersuchungen mit Einschluß der Jahres‑ und Provinzialfasten der Statthalter, Vestigia 13, München 1970, z. Stw.; Helmut Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr., Hyp. 58, Göttingen 1979, 117; Werner Eck, Art. „C. I. [ – ‑] Cornutus Tertullus“, in: DNP VI (1999) 33. 28  Immerhin nicht im jüdischen Onomastikon: Margaret H. Williams, Palestinian Jewish Personal Names in Acts, in: The Book of Acts in Its First Century Setting IV: The Book of Acts in Its Palestinian Setting, hg. v. R. Bauckham, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1995, 79–113: 112.

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An sich entspricht die Anklagerede des Tertullus nach Aufbau und Topik der Konvention forensischer Rhetorik. Auf eine kunstvoll komponierte captatio benevolentiae ab iudicis persona (vgl. rhet. Her. 1,8; Cicero, inv. 1,22) in Apg 24,2b–4 folgt die Anklage mit Belegen in V. 5 f. sowie der Antrag zum weiteren Vorgehen in V. 8. Die natürliche Folge von exordium – narratio – argumentatio – peroratio ist somit im Kern gewahrt. Schon beim ersten Lesen / ​Hören fallen freilich die verzerrten Relationen auf: Auf dem brüchigen Eis des einfallslosen Antrags stehen die dünnen Beine der Beweisführung, auf denen der wuchtige Wasserkopf einer komischen captatio ruht! Dieser Wasserkopf  – rhetorisch korrekter: das exordium separatum (vgl. Cicero, inv. 1,26; Quintilian, inst. 4,1,71)  – beherrscht das Bild und verletzt gleich dreifach das aptum, das in der papyrologisch dokumentierten Lebenswelt durchaus Beachtung findet: (1) Das Ungleichgewicht der Redeteile stellt einen schweren Dispositionsfehler dar. (2) Die Schmeichelrede sprengt als assentatio nimia das in diesem heiklen Bereich der Redner-Richter-Relation wichtige Gebot von Umsicht und Maß (Cicero, inv. 1,22; vgl. Quintilian, inst. 4,1,16; 11,1,91). (3) Zwischen der captatio benevolentiae und der zu verhandelnden Sache wird nur ein loser und unglaubwürdiger Zusammenhang deutlich (vgl. rhet. Her. 1,11; Cicero, inv. 1,26; Quintilian, inst. 4,1,16).29 Diese formalen vitia dienen freilich nur dazu, das Schlaglicht auf das politische (im Sinn des Lukas: theologische) vitium zu lenken. Der angeheuerte Schwadroneur reiht vielsagend klingende Programmwörter der offiziellen Pax Romana-Ideologie aneinander: großer Friede – Verwaltungseffizienz – Einsatz für das Volk – πρόνοια – „in jeder Weise und überall“ – Beifall – Dankbarkeit – Milde – Erdkreis. Nahezu die gleichen Topoi finden sich im großen Rom-Enkomion, das Ailios Aristeides unter Antoninus Pius halten sollte und das zum klassischen Paradestück der Epideixis vor dem Machthaber wurde. Die Ironie wäre ungemein verstärkt, wenn wir annehmen dürften, dass Lukas und seine Adressaten Kenntnis über die tatsächliche Amtszeit des Felix besaßen.30 Sie wurde zum blutigen Vorspiel des ersten jüdisch-römischen Krieges und war, statt durch „großen Frieden“, durch eine Kette rohster Gewalt gekennzeichnet – καθάπερ ἐν πολέμῳ (Josephus, bell. Iud. 2,256; vgl. 2,247–270; ant. 20,160–178). Die „effiziente Verwaltung“ und das „milde Wesen“ des Felix beschreibt (aus senatorischer Standessicht) Tacitus mit düsterem Witz: per omnem saevitiam ac libidinem ius regium servili ingenio exercuit (hist. 5,9,3; vgl. 29  Insofern der „Rädelsführer“ Paulus den als Verdienst des Felix gerühmten Frieden stört (so Winter, Proceedings [s. Anm. 17], 318 f.; Omerzu, Prozeß [s. Anm. 20], 433 f.), ist ein recht allgemeiner Zusammenhang gegeben. Winters Voraussetzung, dass nur das Exordium in ganzer Länge zitiert wird und die anderen Teile summarisch wiedergegeben werden (Proceedings, 315), wirkt künstlich und wirft erst recht die Frage auf, warum gerade das Exordium, dessen ironischen Charakter Winter bestreitet, den breiten Umfang erheischt. 30  Apg 21,38 verrät diffuse (kaum von Josephus abhängige) Kenntnis von Gewalttaten, die in die Amtszeit des Felix fallen (vgl. Josephus, bell. Iud. 2,253–265): das Aufkommen des Sikarierproblems und der als aufrührerisch verstandene Auszug des „Ägypters“ in die Wüste.

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ann. 12,54). Das Regiment des Felix führte zu bitteren Klagen (vgl. Josephus, ant. 20,162); nur dem Bruder Pallas gelang es, den Repetundenprozess zu verhindern (so ant. 20,182). Jedenfalls malt Lukas, indem er die offizielle Wertskala in einen karikativen Rahmen stellt, deren Unwahrheit lebhaft vor Augen.

Die Semantik des Tertullus vor dem römischen Machthaber ist also alles andere als unschuldig. Was mit Recht πολλὴ εἰρήνη genannt zu werden verdient, ist eine aktuelle Frage der frühkaiserzeitlichen Geschichtsschreibung. Gerade Tacitus nimmt die klingenden Wortprägungen der Pax Romana-Ideologie ins Visier. Auch er findet, ungleich bissiger als Lukas, zum ironischen Bedeutungsspiel: „Ausplündern, Hinmetzeln, Fortraffen  – sie nennen es fälschlich Herrschaft. Und wo sie menschenleere Öde hinterlassen, heißen sie es Frieden“ (Agr. 30,431). Lukas bringt also, auf weniger sarkastische Weise, mit dem grotesken Exordium des Tertullus die Weltsicht derer zu Sprache, qui pacem nostrum metuebant (Tacitus, ann. 12,33), weil sie die Segnungen der Pax Romana nicht recht zu genießen wissen: miseram servitutem falso pacem vocarent (Tacitus, hist. 4,17,2). In deutlichem Kontrast zum lächerlichen Versuch des Tertullus gehört εἰρήνη (ähnlich ironisierend: Apg 12,20) zu den großen soteriologischen Themen seiner beiden Schriften (vgl. Lk 1,79; 2,14.29; 19,38.42; 24,36; Apg 9,31; 10,36; 15,33).32 Noch die Rücksicht auf die Zeit des Richters, wie sie zur Redetopik gehört (vgl. Quintilian, inst. 4,1,34.79; 4,2,40–51), wird doppeldeutig dargeboten: μὴ ἐπὶ πλεῖόν σε ἐγκόπτω. Allzu augenfällig sodann löst Tertullus sein Versprechen, kurz zu bleiben, ein: Paulus ist eine Pestbeule! Zwar ist diese Titulatur, wie schier alles, was Tertullus vorzutragen hat, topisch (vgl. Demosthenes, or. 25,80; Cicero, Verr. 2,3,64; Catil. 2,1; Liv. 29,17,12; ferner 1Βασ 25,25; 30,22; 1Makk 15,21),33 doch wirkt der rhetorische Sprung angesichts des exordialen Anlaufs erheiternd kurz. Eine narratio credibilis (Quintilian, inst. 4,2,52) ist das nicht. Sie wird es auch nicht durch die folgende confirmatio: Diese ist nämlich sowohl offenkundig übertrieben („unter allen Juden auf dem Erdkreis“) als auch – für die „lesenden Augenzeugen“ des bislang Erzählten – offenkundig falsch („Aufruhr stiftender Rädelsführer der Nazoräer-Partei, der versucht hat, den Tempel zu schänden“). Es liegt zutage: Der politisch korrekte Rhetor wie sein unwahrhaftiger Redeschwall werden mit boshaftem Genuss persifliert. Tertullus führt die Gegenseite 31 auferre trucidare rapere falsis nominibus imperium, atque ubi solitudinem faciunt, pacem appellant – aus der Freiheitsrede des Kaledonierhäuptlings Calgacus am Mons Graupius (Agr. 30,1–32,4), der Tacitus die Rede des römischen Feldherrn Agricola gegenüberstellt (33,2–34,3). Zur Friedens‑ und Freiheitsrhetorik der taciteischen Widerstandsführer Calgacus und Civilis Richard Rutherford, Voices of Resistance, in: Ancient Historiography and Its Contexts, FS A. J. Woodman, hg. v. C. S. Kraus / ​J. Marincola / ​C. Pelling, Oxford 2010, 312–330, bes. 315–326. 32  Vgl. etwa Stefan Schreiber, Weihnachtspolitik. Lk 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA / ​StUNT 82, Göttingen 2009, bes. 63–83. 33  Die Pointe der Metapher liegt auf der Ansteckungs‑ und Verbreitungsgefahr politischer Agitation; vgl. Tajra, Trial (s. Anm. 22), 121; Omerzu, Prozeß (s. Anm. 20), 427 f.; Pervo, Acts (s. Anm. 20), 596 f.

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vor, und zwar sowohl die jüdischen als auch, subtiler, die römischen Machthaber. Der Hörer / ​Leser wird (scheinbar!) nicht der Kommentierung durch den Redaktor ausgesetzt, sondern selbst zum Zeugen einer Selbstentlarvung. Im Gesamtzusammenhang der Apg bildet die Klageeinbringung lediglich den kuriosen Anlass zur furiosen Apologie des Angeklagten (Apg 24,10–21).34 Ihrem Aufbau nach entspricht diese der Tertullus-Rede,35 aber das stellt den Kontrast nur umso schlagender heraus. Die Darlegungen lösen souverän die Erfordernisse einer passenden und glaubwürdigen Verteidigungsrede ein. Nichts an ihr ist komisch, außer Anfang und Ende. Die – in diesem Fall: sehr knappe – captatio benevolentiae lautet: Felix hatte eine lange Amtszeit (24,10)! Der feine Doppelsinn verrät die urbanitas des Kosmopoliten aus Tarsus, wie sie eleganter kaum geäußert werden könnte (vgl. Ps.-Demetrios, De elocutione 29436). Die refutatio mündet in ein „Geständnis“ (Apg 24,14: ὁμολογῶ) unerwartbarer Art: Der von Tertullus αἵρεσις genannte „Weg“ ist der der Väter Israels; er beruht auf Tora und Propheten, und er führt zur Hoffnung auf die Auferstehung, dem heimlichen Thema der Anklage (24,21). Genau dieses Thema aber hat nicht etwa Paulus, sondern die jüdischen Ankläger zum Aufruhr verführt, wie Lukas den Lesern in der erheiternden Burleske der Synedrium-Szene (23,1–10) verdeutlicht hat. Die von Tertullus erhobene Anklage der στάσις (24,5) findet sich dort gleich zweifach gegen die Ankläger selbst gerichtet (23,7.10; vgl. 19,40).37 Der Rollentausch ist perfekt: Der Angeklagte führt offensiv die confirmatio für die „Nazoräer-Sekte“, und die Ankläger finden sich als Aufrührer entlarvt. Der Mietredner und seine hohen Klienten sind keiner Rede mehr wert; die Anklage verläuft im Sand (24,22 f.). Der zwielichtig-wohlwollende Statthalter schiebt den Prozess auf und das Anklageteam hinaus (ἀνεβάλετο αὐτούς). Seine Ausrede wirkt faul, da sich der Chiliarch Lysias bereits wünschenswert deutlich zur Sache eingelassen hat (vgl. 23,25–30). Aus der vermutlich spröden Nachricht über die in die Länge gezogene Untersuchungshaft des Paulus macht der Redaktor zum einen den unterhaltsamen Bericht über einen souveränen Erfolg des Evangeliums, zum anderen eine kleine Charakterstudie über das Zwielicht des Imperiums: Felix erweist sich, hier wie sonst, als Virtuose der Prokrastination (vgl. 23,35; 24,25–27).38 34  Zur überlegenen Verteidigungsrede Chariton, Chaireas & Kallirhoë 5,7; Lukian, bis acc. 17.21.30–32.34. 35 Vgl. Roloff, Apg (s. Anm. 22), 335; Pervo, Acts (s. Anm. 20), 594 f. 36  τὸ μὲν οὖν κολακεύειν αἰσχρόν, τὸ δὲ ἐπιτιμᾶν ἐπισφαλές, ἄριστον δὲ τὸ μεταξύ, τοῦτ’ ἔστι τὸ ἐσχηματισμένον. 37 Dabei kann das Nomen einerseits den Tumult allgemein, andererseits im prägnant rechtlichen Sinn den Aufruhr bezeichnen: Lukas spielt mit der Doppeldeutigkeit; vgl. Omerzu, Prozeß (s. Anm. 20), 433. 38  Vielleicht darf man mit Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), 163 f. noch weitergehen und Lukas dabei zuschauen, wie er sich, verhalten die Hände reibend, über Felix mokiert: Dessen Ehe mit der prominenten Jüdin Drusilla (geb. 38/39 n. Chr.), Tochter Agrippas I., war einigermaßen skandalträchtig. Felix, durch die Attraktivität der Drusilla in Liebesleidenschaft getrieben, bediente sich, wie es hieß, eines Magiers, um sie von der Seite ihres jüdischen Gatten

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Ziehen wir das Zwischenfazit: Zweifellos lag Lukas nur karge und gewiss kaum unterhaltsame Tradition über die Untersuchungshaft des Paulus in Cäsarea vor. Er lockert den betrüblichen (und sich in der Ausgestaltung etwas hinziehenden) Stoff in historiographischer Manier kreativ mit einem Rede-Agon auf, der seinem Helden die Gelegenheit gibt, seinen Haftgrund auf den theologischen Punkt zu bringen: Die christliche Hoffnung ist Frucht jüdischer Überlieferungstreue. Der Ernst der Apologie wird durch die komische Folie der Anklage gesteigert: Ein  – vielleicht fiktiver  – Anwalt der jüdischen Seite verkörpert ironisch-bedeutsam das hohle Friedenspathos jenes Imperiums, in dessen Mitte sich der Angeklagte alsbald zu begeben hat. Einerseits dient der redaktionelle Humor – in motivischer Nähe zu Roman und menippeischer Satire – der Pflicht des Historiographen, durch Erzählen zu unterhalten. Andererseits zeigt er vier markante Grundzüge, die vom literarischen delectare zum theologischen docere führen: (1) Lukas spielt mit dem spöttischen Kontrast: Die Ankläger, bereits in der turbulenten Vorszene ihrer Würde entkleidet, werden auf dem Forum des Rede-Agons vollends zu komischen Figuren. Dagegen äußert der christliche Heros fein-urbanen Witz auf Kosten des zweifelhaften Machthabers und gewinnt trotz seiner ungünstigen Position Glaubwürdigkeit und Autorität. Humor dient also der Bloßstellung der Gegner, die ihrerseits als lachhafte Folie zum Aufweis christlicher Seriosität dienen. Er zielt keineswegs in Selbstdistanz auf die eigene Person oder Partei, sondern auf die ergötzliche Verspottung gegnerischer Positionen. Humor ist wesentlich parteiliche Waffe; er depotenziert konkurrierende Geltungsansprüche und dient der Abgrenzung und Selbstaffirmation. (2) Lukas spielt mit der verletzten Erwartung: Der Handlungsverlauf παρὰ τὴν προσδοκίαν verbindet ihn mit dem üblichen antiken Humor. Der Rhetor versagt rhetorisch; das Geständnis entpuppt sich als Offensive; der Statthalter, seiner aktiven Verwaltung wegen gepriesen, agiert als Hanswurst. Doch dabei bleibt es nicht: Die redaktionell gewendete προσδοκία richtet sich auf das Evangelium, in diesem Fall konkret auf die biblische Legitimität des christlichen Weges und die Auferstehungshoffnung als „corpus delicti“. Die Anklage wird Anlass zur Apologia des Christentums. (3) Lukas spielt mit dem Rollentausch: Diese Dynamik schließt eine überraschende Statusverkehrung ein. Am Anfang der Szene sehen wir Ankläger und den des Aufruhrs Angeklagten. Am Ende stehen die Ankläger als Aufrührer da und der Angeklagte als Hüter von jüdischem Recht und römischer Ordnung. Der

an die seine zu ziehen (vgl. Josephus, ant. 20,141–144; ferner ant. 19,357; Tacitus, hist. 5,9,3; Sueton, Claud. 28). Wenn Paulus in der folgenden Szene gegenüber diesem Paar ausgerechnet die Themen „Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit, Gottesgericht“ anschneidet, ist es nicht verwunderlich, dass Felix, „in Ängstlichkeit geraten“, seinen Zeitmangel bemerkt und abwinkt (Apg 24,25). Zu Felix Rainer Metzner, Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar, NTOA / ​StUNT 66, Göttingen 2008, 497–509; zu Drusilla ebd. 510–513.

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Grund der στάσις ist bezeichnenderweise die Auferstehung, die keineswegs Paulus, sondern ausgerechnet den Hohen Rat zu aufrührerischem Tumult verführt. (4) Lukas setzt eine theozentrische Pointe: Wesentlichen Anteil an der Komik haben die Verzerrung der politisch üblichen Semantik, ihr greller Widerspruch zur Wirklichkeit und das paulinische doublespeak. Wie wir sahen, ist die Frage nach der Herrschaftssprache in der zeitgenössischen Historiographie von politischer Brisanz. Durch die semantische Neuordnung nehmen die lukanischen Schriften auf eigene, bereits bildungsnähere Weise Teil an den hidden transcripts reichsrömischer Minderheiten, die Herrschaftssymbolik unterlaufen, gegenbesetzen und umkehren.39 Doch lässt sich die lukanische Ironie nicht auf tagespolitische Stellungnahme reduzieren. Politik ist der theologischen Offensive unter‑ und zugeordnet: „Friede“ und „Heil“ hängen nicht am römischen Imperium, denn sie sind allein in Jesus Christus verankert. Nicht anders als der Humor in der jüdischen Diaspora lebt die lukanische Komik wesentlich aus der symbolischen Inversion geltender Ordnung. Signifikanzmaßstab dieser Inversion ist die in dem σωτήρ Jesus Christus verkörperte Gottesherrschaft. Die Pointe des lukanischen Humors ist in diesem Sinn theozentrisch.

3. Rollenrochaden: Komödisierung als Transformationsprozess Mit diesem ersten, aber gründlichen Blick auf den spezifisch redaktionellen Humor in Apg haben wir eine Ausgangsbasis für unser weiteres Vorgehen gewonnen. Zwei Vereinfachungen sind von vornherein abzuwehren: (1) die Vorstellung, dass der lukanische Traditionsstoff wesentlich durch Komik geprägt war, (2) die Vorstellung, dass Lukas seinem Traditionsgut im Ganzen einen komischen Stempel aufzudrücken suchte. (Zu 1) Die Auffassung, dass sich bereits die Tradition in wesentlichen Teilen durch breite Komik auszeichnet,40 erscheint in formgeschichtlicher Hinsicht unplausibel. Personallegenden, die die eigene Stiftungsmemoria absichern sollen, Wundererzählungen, Berichte von Verfolgungen und Martyrien, Itinerarien tendieren insofern nicht zu Komik, als dies dem Traditionszweck als solchem widerstreiten würde. Konfessorische Überlieferung will nicht ergötzlich oder 39  Vgl. näher James C. Scott, Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts, New Haven, Conn. 1990, bes. 166–172; zum literarischen Zusammenhang Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005, bes. 374–389. Wo diese Theozentrik übersehen wird, mag der Eindruck entstehen, es gehe Apg um seichte Unterhaltung, kritisch dazu Rick Strelan, Strange Acts. Studies in the Cultural World of the Acts of the Apostles, BZNW 126, Berlin 2004, 31 f. Den radikalen Transformationsanspruch der Apg betont mit überzeugendem Nachdruck C. Kavin Rowe, World Upside Down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford (2009) 2010. 40  Vgl. Reiser, Witz (s. Anm. 5), 84.

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sympathisch wirken, sondern normative Orientierung und verbindliche Identität stiften. Auf einer neuen Ebene ist der Unterhaltungszweck Implikation der Literaturwerdung von Überlieferung und steht unter dem spezifisch ästhetischen Anspruch von kohärenter Werklektüre. Dies schließt nicht aus, dass die erste Naivität der überkommenen Erzählungen im Zuge des Traditionsprozesses von Rezipienten mit zweiter Naivität humorvoll aufgenommen wurde.41 Damit ist sogar insofern zu rechnen, als großstädtische Überlieferungsträger in Kleinasien oder Griechenland vermutlich aufnahmefähiger und ‑bereiter für ironische Gesichtspunkte im erzählten Geschehen waren als die Ersttradenten. Ziehen wir einen synoptischen Vergleich: Die Tatsache, dass wir Jesu nicht auf Anhieb gelingenden Versuch der Blindenheilung (Mk 8,22–26) oder den nackt davonspringenden Jüngling in der Verhaftungsszene (14,51 f.) „mit Humor nehmen“, verrät nichts über die Ursprungsintention des ältesten Evangelisten. Doch lässt der Umstand, dass beide synoptische Seitenreferenten diese Episoden tilgen, darauf schließen, dass ihnen unziemliche Komik bewusst wurde. (Zu 2) Bereits der Umstand, dass Lukas im Jesus-Bios dazu neigt, (unfreiwillige) Komik der markinischen Vorlage zu tilgen, rät zur Vorsicht gegenüber einer Überschätzung seines Willens zur komischen Darstellung. Auch hier hilft ein Vergleich mit einer gesicherten Vorlage: Zwischen dem Prozess Jesu vor Pilatus und dem Prozess des Paulus vor Felix lassen sich manche Motiventsprechungen wahrnehmen (vgl. bes. Lk 23,1–5.13–23). Umso mehr fällt ins Auge, wie sehr sich der ernste Ton des Jesus-Prozesses von dem des Paulus-Prozesses unterscheidet. Wenn ein urchristlicher Erzähler ein Gespür für das πρέπον besitzt, so ist es Lukas. Undifferenzierte Aussagen über die Komik der Apg werden seinem schriftstellerischen Nuancierungsvermögen nicht gerecht. Wir sollten also nicht fragen, ob Apg zur Komik neigt, sondern wo und warum. Die Demarkationslinie zwischen Humor und Ernst ist kaum sicher auszumachen: Ironie lebt davon, dass man niemals genau weiß, ob man ihr gerade zum Opfer fällt. Insgesamt jedoch atmet die Jerusalemer Urphase des christlichen „Weges“ (Apg 1,1–8,3) nach Sprache und Motivik den erhabenen Geist biblischen Altertums. Die getragene Darstellung ist vom ridiculum weit entfernt. Die schlichte Freude, die die Urgemeinde erfüllt, und die staunende Gunst beim Volk wären mit Komik kaum vereinbar. Auch der gute Witz ist, wenn er die Situation verfehlt, ein schlechter Witz. Vereinzelt mögen wir gemessen humorige Züge entdecken: Nüchterne Beobachter halten die geisterfüllte Urgemeinde, ungeachtet der Morgenstunde, für „von süßem Wein vollgetrunken“, um alsbald selbst im 41  Es geht auch umgekehrt: Plutarch bedient sich in seinen Bioi der attischen Komödien als historischer Quelle; vgl. Dominique Lenfant, De l’usage des comiques comme source historique : les Vies de Plutarque et la Comédie Ancienne, in: Grecs et Romains aux prises avec l’histoire. Répresentation, récits et idéologie II: Présence de l’histoire et pratiques des historiens, hg. v. G. Lachenaud / ​D. Longrée, Rennes 2003, 391–414.

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Transformation durch Humor

Herzen von der Geistrede getroffen zu werden (2,13.15.37); Petrus spricht mit urbanem Charme (3,6) oder leichtem Sarkasmus (4,9). Von szenischer Komik ist in diesem Teil allein Apg 5,17–26, wohl nicht zufällig wiederum eine von Lukas ausgestaltete Gerichtsszene: Die eifersüchtige jüdische Obrigkeit wirft die Apostel ins Gefängnis. In gleicher Nacht führt sie ein Engel heraus, der sie in den Tempel schickt, um dort zum Volk „alle Worte dieses Lebens“ zu reden: Als nun der Hohepriester eintraf und die, die an seiner Seite standen, beriefen sie den Hohen Rat ein und die ganze Ältestenschaft der Söhne Israels, und sie sandten in den Kerker, sie vorführen zu lassen. Doch als die Büttel ankamen, fanden sie sie nicht im Gefängnis vor. Da kehrten sie zurück und meldeten es mit den Worten: „Wir fanden den Kerker völlig sicher verschlossen vor und die Wächter an den Türen postiert. Als wir aber aufgeschlossen haben, trafen wir drinnen niemanden an!“ Als der Tempelhauptmann und die Hohepriester diese Worte hörten, wussten sie sich keinen Rat dazu, was denn dies wohl solle. Da traf jemand ein, der ihnen meldete: „Siehe, die Männer, die ihr ins Gefängnis geworfen habt – im Heiligtum stehen sie derweil und lehren das Volk!“ Daraufhin ging der Hauptmann mit den Bütteln fort und brachte sie herbei – nicht mit Gewalt, denn sie hatten Furcht vor dem Volk, dass man sie steinige. (5,21b–26)

Wer sich die verblüffte und verängstigte Reaktion der Obrigkeit vorstellt, wird die hier angelegte Komik genießen.42 Die Episode birgt unter theozentrischem Vorzeichen genug an spöttischem Kontrast, verletzter Erwartung und Rollentausch, um es auch unter dem hier verfolgten Gesichtspunkt wahrscheinlich zu machen, dass sie wesentlich auf den Redaktor selbst zurückgeht:43 „L’art du narrateur, maniant tour à tour le drame et l’ironie, est magistral“44. Doch die Dezenz bleibt gewahrt; Turbulenzen werden vermieden; die Apostel folgen dem Hauptmann mit Würde. Auch die Phase des allmählichen Übergangs in die pagane Kultur (Apg 8,4– 11,26) wahrt den Ernst. Man vergleiche die motivisch verwandten Szenen mit den Magiern Simon (8,9–24) und Bar-Jesus / ​Elymas (13,6–12), um den Unterschied zwischen einem erbaulichen und einem spöttischen Ausgang, zwischen tremendum und ridendum wahrzunehmen.45 Selbst der äthiopische Eunuch  – eine beliebte Spaßfigur für Komödie und Satire – entbehrt jeglicher Komik und spiegelt im Gegenteil die Hoffnung auf endzeitliche Heimholung (vgl. Jes 56,3–7) 42  „Was vom Autor nicht ausgeführt wird, kann man leicht ergänzen: die höfliche Bitte des Obersten an die Apostel, sie mögen ihm doch unauffällig folgen, und wie diese harmlosen Gesellen ohne weiteres mitgehen“ (Reiser, Witz [s. Anm. 5], 80). 43  Dies ist redaktionskritische Mehrheitsmeinung: Roloff, Apg (s. Anm. 22), 99–101; Weiser, Apg I (s. Anm. 20), 154–159; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 75; Barrett, Acts I (s. Anm. 20), 281 f. 44  Daniel Marguerat, Les Actes des apôtres I, CNT 5a, Genf 2007, 188. 45  In der Lesart des D* von Apg 8,24 vergießt Simon gar heftig Reuetränen. Zur Auslegung vgl. Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 22–35, 60–69.

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wider (Apg 8,26–40).46 Dem Übergang des Evangeliums in neue Heilszonen geziemt gemessenes Staunen, nicht aber Spott. Kaum aber ist das Schwellenkapitel Apg 12 und damit das Forum paganer Kultur betreten, führt Lukas beschwingt das theatrum mundi vor Augen: Vom blutrünstigen Gewaltherrscher bis zur einfältigen Magd, vom korrupten Kämmerling bis zum unbestechlichen Racheengel, vom Gotteswort bis zum Gewürm bietet die Episodenfolge eine bunte Welt, darin immerhin achtzehn Tote, darunter der erste Martyrer aus dem Zwölferkreis – dies alles vergnüglich dargeboten. Der Grund für solche Vergnüglichkeit liegt einerseits im befreiend theozentrischen Duktus dieses ersten Kapitels kirchlicher „Weltgeschichte“, andererseits im konsequenten Erzählerwillen, jene Welt dar‑ und bloßzustellen, in der sich kirchliche Geschichte vollziehen wird.47 Apg 12 ist ungewöhnlich dicht von Tradition geprägt.48 Der Humor wächst durch die Kompositionsarbeit hinzu. Er trägt die uns bereits bekannten lukanischen Züge. So fehlt es nicht an spöttischen Kontrasten: Der tyrannische Mörder steht zwei apostolischen Opfern gegenüber; die Gewaltgeschichte am Hofe kontrastiert der friedlich betenden Gemeinde; Bestechung und Herrschervergottung bei den um ihre Ernährungslage bekümmerten Phöniziern setzen das Gegenbild zur urchristlichen Hilfsgesandtschaft in der Hungerkrise (vgl. 11,27–30; 12,25). Ein Engel befreit, ein anderer schlägt nieder. Petrus verwechselt den Engel mit einem Traumgesicht, die Gemeinde Petrus mit einem Engel, das Volk den Herrscher mit einem Gott, und der Herrscher hat die Rechnung ohne Gott und Engel gemacht. Der Apostel bleibt der demütig Geführte, der Herrscher sucht Gott zu verdrängen. Auf die Huldigung des Tyrannen, der in Königsrobe und mit Volksrede glänzt, folgt dessen ebenso unverzügliches wie elendes Ableben zur Doxa des wahren Gottes. Der Apostelverfolger stirbt schmählich, das Gotteswort „wächst und mehrt sich“. Dem entspricht der Rollentausch: Aus den Wärtern des zum Tode Verurteilten werden zum Tode verurteilte Wärter; aus dem König, der einen Apostel tötet und den anderen öffentlich töten will, wird ein Tyrann, der eines öffentlichen Straftods stirbt. Erwartungen werden sowohl in der erzählten Welt als auch für die Leserschaft verletzt, allen voran die προσδοκία τοῦ λαοῦ τῶν  Ἰουδαίων (12,11): Für Petrus, angekettet und von vielen Soldaten bewacht, tut sich die eiserne Pforte αὐτομάτη auf, während ihm das Tor seiner Glaubensschwester „vor Freude“ verschlossen bleibt. Die serva currens Rhode entspricht einem der realistischen Situationskomik und Spannung dienenden Klischee der Neuen 46 Zur

Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 35–42.

47 Zur Begründung der hier vorausgesetzten Sinnlinien Knut

Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103 (2012) 157–176 (Lit.) [in diesem Band S. 283–303]. 48  Zur traditionsgeschichtlichen Analyse näher Walter Radl, Befreiung aus dem Gefängnis. Die Darstellung eines biblischen Grundthemas in Apg 12, in: BZ 27 (1983) 81–96: 82–86; Weiser, Apg I (s. Anm. 20), 286–288; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 145–152; Marguerat, Actes (s. Anm. 44), 424 f.

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Komödie und der comoedia palliata (vgl. bes. Plautus, capt. 778–780; Terenz, eun. 36–40; haut. 35–40).49 Die für den Apostel betende Gemeinde erwartet nicht einmal die Erhörung ihres Gebets. Hier nun werden auch Züge milder Selbstironie wirksam, die wiederum die theozentrische Pointe unterstützen: Von dem geführten Anführer Petrus und der Gemeinde, die sich eher verwirrt zeigt, hängt nichts ab. Aus der symbolischen Inszenierung von Macht – die Apotheose der Herrscherstimme erinnert subtil an Nero50 – wird die Doxa Gottes, dessen Wort sich ausbreitet, während sich der Theomachos in Würmern windet.51 In alldem sind es die Farben des Exodus‑ und des Ostergeschehens, die das an sich betrübliche Geschehen – im weitesten Sinn – zu einem Türöffnungswunder für das Evangelium auf seinem Weg in die Weltkultur werden lassen. Nicht jedes einzelne Motiv birgt in sich schon Komik,52 aber die kunstvolle Abstimmung des so disparaten Traditionsguts ergibt ein ironisches Ganzes. Die tiefste Pointe liegt darin, dass sich die Aktanten in einem Spiel bewegen, dessen Plot allein der Herr der Geschichte bestimmt, dem seinerseits weitherziger Sinn für Überraschungen eigen scheint. Der erzählte Tod des „Herodes“ (Apg 12,20–23) gewährt uns die einzigartige Möglichkeit, eine Tradition, die Lukas mit Josephus (ant. 19,343–352) teilt, synoptisch heranzuziehen. Beide Autoren schöpfen aus einem Traditionspool,53 in dem der spektakuläre Tod Agrippas I. auf offener Bühne als vom Himmel gesandte Strafe für seine hellenistische Herrschaftsinszenierung gedeutet wird. Josephus führt die adulatorischen Zurufe, statt akustisch auf die (neronisch-ko49  Dazu J. Albert Harrill, The Dramatic Function of the Running Slave Rhoda (Acts 12.13–16): A Piece of Greco-Roman Comedy, in: NTS 46 (2000) 150–157. Rhodes Einsatz entspricht der Erzähltechnik des Terenz: „suspense that combines anticipation and irony because the spectators know from earlier action of the drama what the announcement of the slave will be and have more knowledge of the situation than do the characters“ (ebd. 153; vgl. ebd. 156 f.). Zum ikonographischen Zusammenhang Eric G. Csapo, A Case Study in the Use of Theatre Iconography as Evidence for Ancient Acting, in: AK 36 (1993) 41–58; Zum motivgeschichtlichen und ikonographischen Zusammenhang George E. Duckworth, The Dramatic Function of the servus currens in Roman Comedy, in: J. T. Allen u. a., Classical Studies. FS E. Capps, Berkeley, Calif. 1936, 93–102. 50  Vgl. näher Hans-Josef Klauck, Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20–23 (2002), in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum. Neutestamentliche Studien, WUNT 152, Tübingen 2003, 251–267. 51  Prototyp des verfolgenden Theomachen und wahrscheinlich Vorbild der lukanischen Retributionsszene ist Antiochos IV. Epiphanes, dessen ähnlicher Wurmtod in 2Makk 9 makaber überzeichnet wird, worin sich für Gruen, Diaspora (s. Anm. 12), 178 f. sardonischer Humor spiegelt. 52 Vgl. die Warnung bei Strelan, Acts (s. Anm. 39), 264, der „in the face of extreme adversity and peril“ keinen Raum für „sheer amusement and entertainment“ sieht und allzu tiefsinnig nach „symbol and metaphor“ schürft (vgl. ebd. 263–273), statt die theologische Tiefe darin zu entdecken, dass „amusement und entertainment“ trotz allem möglich bleiben. 53  Die jeweilige Darbietung ist nicht nur verschieden akzentuiert, sondern auch perspektivisch derartig unterschiedlich, dass ich keine direkte Abhängigkeit von Josephus zu erkennen vermag; anders die Vermutung bei Pervo, Acts (s. Anm. 20), 312 f.

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mische) Stimmdarbietung, optisch auf die (apollinisch) strahlende Königsrobe zurück. An sich ist Agrippa I. für ihn eine vom Himmel begünstigte Figur: Der als ἄγγελος waltende Uhu ist kein Rache-, sondern Schicksalsbote (vgl. 18,195.200 f.; 19,346). Der König nimmt bei seinem gar nicht so abrupten Ableben Gelegenheit, das eigene Geschick opernhaft als insgesamt günstig und am Ende gerecht zu deuten (19,347). Sein jüdisches Volk betrauert ihn, während die undankbaren heidnischen Untertanen ihn post mortem verhöhnen (vgl. 19,349.356–359). Ganz anders in Apg: Der Erzähler sieht keinen Grund zur Dankbarkeit. Hier stirbt ein Tyrann zwischen Racheengel und Würmern den grausigen Straftod. Dabei lässt Lukas die hellenistische Hybris zu dessen unterhaltsamem Anlass herabsinken, während er durch seine Kompositionsarbeit als eigentliche Ursache die Verfolgung der Apostel herausstellt: Der Verfolger stirbt eben jenen theatralischen Tod vor dem Volke, den er Petrus zugedacht hatte. Ein und dieselbe Tradition nimmt also bei Josephus eine tragische, bei Lukas eine ironische Prägung an. Die folgenden Kapitel (Apg 13,1–19,40) spielen die comédie humaine auf dem mediterranen Jahrmarkt der Eitelkeiten durch und geben damit eine Probe von der Be‑ und Vergegnung von Evangelium und paganen Lebenswelten. Lukas wird verkannt, wo man ihn  – etwa unter Verweis auf die Areopagrede  – als Bewunderer der reichsrömischen Kultur einschätzt. Wir haben seinen Humor hinreichend kennengelernt, um die ironisch-distanzierten Untertöne bei der Beobachtung reichsrömischer Wirklichkeit wahrzunehmen: Paulus, „erfüllt von Heiligem Geist“, enttarnt Elymas, „voll von aller Tücke und aller Arglist“. „Bar-Jesus“ entpuppt sich als „Teufelssohn“; der Magier wird in einen zeitweilig Blinden verwandelt, der Verführer, von Gottes Hand getroffen, tappt umher und sucht nach Helfern, die ihn an der Hand führen (13,6–12). Lukas gestaltet hier Überlieferung, aber er arbeitet den spöttischen Kontrast, das Überraschungsmoment und den ironischen Rollenwechsel heraus.54 In einer erneuten Verwechslungsszene (14,8–18) hält lykaonisches Landvolk Barnabas und Paulus für Zeus und Hermes, und wir sehen den Priester des „Zeus vor der Stadt“, wie er gleich mehrere Stiere mit Kränzen an die Tore treibt, um samt der Menge seinem nun in der Stadt weilenden Dienstgott zu opfern: ein Meteor aus dem Sternenhimmel Lukians! Vielleicht hat Lukas das Szenario in Anschluss an lokal verankerten Mythenstoff (vgl. Ovid, met. 8,626–724) selbst geschaffen, um den überkommenen nüchternen Reisebericht unterhaltsam aufzulockern; in jedem Fall aber hat er seine Tradition kraftvoll durchkomponiert.55 Solche Überarbeitung ist ähnlich für eine längere Sequenz mit doppeltem Befreiungswunder 54 Zur Traditionsanalyse Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 312–314, der gerade die Kontraste in Apg 13,10 auf den Redaktor zurückführt; ferner Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 154–158. 55  Zur Traditionsanalyse Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 343–347; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 164–172; zur Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 69–76.

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anzunehmen (Apg 16,16–40):56 Paulus treibt, durch das ständige Sehergeschrei der Geduld beraubt, den Python-Geist aus einer Wahrsagemagd, wird von den finanziell geschädigten Geschäftsherren verklagt und erhält schließlich – nach wundersamer Befreiung aus dem Kerker mittels Erdbeben zum Nachtgebet  – demutsvolles Abschiedsgeleit von den Ratsherren, müssen diese doch feststellen, dass sie römische Bürger widerrechtlicher Körperzucht ausgeliefert hatten. In Athen, für das ihm nur spärliche Nachrichten vorliegen,57 lässt Lukas desto mehr eigenen Witz sprühen, um den genius loci nicht in trockenen Wegnotizen untergehen zu lassen (17,16–34): Die stets nach Neuigkeiten gierenden Athener verwechseln Jesus und Anastasis mit einem der herkömmlichen Götterpaare, und Paulus, der auf den großen Ironiker Sokrates durchsichtig wird, hält seine captatio benevolentiae auf dem Areopag wiederum doppeldeutig. An sich empört über die Fülle an Götterbildern in der Stadt, verneigt er sich gleichwohl vor seinem Auditorium: „Ihr Männer von Athen! Wie ich wahrnehme, seid ihr in jeder Hinsicht ausgesprochen gottesscheu (δεισιδαιμονεστέρους ὑμᾶς θεωρῶ)!“ (17,22) Das Adjektiv δεισιδαίμων trägt einerseits die Denotation von „fromm“, andererseits die von „abergläubisch“. In der Verfasser / ​Paulus-Leser-Beziehung finden sich die Athener als superstitio nova karikiert, in der erzählten Welt mögen sie sich geschmeichelt fühlen. Nicht nur dem Tyrannen gegenüber, sondern auch zur Menschenmenge sollte man eher mit der doppeldeutigen Anspielung reden, rät Ps.-Demetrios und führt als Beispiel die Athener an (De elocutione 294). In Korinth ist es abermals eine Gerichtsszene, die die Erwartung der Leser (wie der Kläger) verletzt, wenn am Ende ausgerechnet der Synagogenvorsteher Sosthenes vor dem Richterstuhl verprügelt wird, während der Prokonsul achtlos die Schultern zuckt (Apg 18,16 f.). Die Nachricht selbst wird Lukas aus korinthischer Lokaltradition überkommen sein;58 die Auswahl gerade dieser burlesken Szene und wohl auch die vergnügliche ἐνάργεια verraten die redaktionelle Hand. Zum turbulenten Finale kommt es in Ephesus. Der Gauklertrupp „Die Sieben Söhne des Hohepriesters Skeuas“ setzt die vier Grundzüge lukanischen Humors geradezu in Slapstick um (19,13–20). Ihr parasitär-namensmagischer Beschwörungsversuch setzt einen lachhaften Kontrast zur Verkündigung des Namens Jesu durch Paulus, doch ihre (wie der Leser) Erwartung wird durch die Rollenrochade grob enttäuscht: Der Abergeist kennt zwar Jesus und Paulus, nicht aber die Exorzisten. So sehen wir die ihrerseits vom Abergeist ausgetriebenen Geistaustreiber übel gepackt, nackt und zerschunden dem Haus entfliehen. Vielleicht ist die schwankartige Legende Lukas ohne christlichen Bezug überkommen. Jedenfalls 56  Zur Traditionsanalyse Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 421–431; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 185–191; zur Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 77–87. 57  Zur Traditionsanalyse Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 457–463; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 196–202; zur Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 88–111, bes. 91–99. 58  Vgl. Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 483–488; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 202– 212.

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war sie ihm zur Charakterisierung von Ephesus, der „Hauptstadt der Magie“, willkommen. Er hat mit literarischer Brillanz das Beste daraus gemacht: eine Parodie.59 Aber auch hier dürfen wir die theozentrische Pointe nicht übersehen: Juden wie Hellenen zu Ephesus lachen nicht; vielmehr werden sie von Offenbarungsehrfurcht ergriffen und preisen den vom Gauklertrupp missbrauchten Namen des Kyrios Jesus. Am Ende verbrennt man Zauberbücher im Wert von 50.000 Silbermünzen.60 Auch hier lautet das Fazit: „So gedieh mit Macht des Herren Wort und wurde kraftvoll!“ (19,20) Der Showdown dieser lebenskulturellen Besichtigungsreise findet  – wie deren Anfang – im Theater statt, und abermals auf wahrhaft theatralische Weise (Apg 19,23–40). Die Silberschmiede von Ephesus fürchten erstens um ihren „nicht spärlichen Gewinn“ aus den Artemis-Devotionalien und zweitens um das Ansehen der Artemis selbst. So zetteln sie einen städtischen Auflauf an. Die Menge wogt ins Theater, um eine konfuse Volksversammlung abzuhalten: „Da schrien denn die einen dies, die anderen das; die Versammlung war nämlich in Verwirrung geraten, und die meisten wussten nicht, weswegen sie zusammengeströmt waren“ (19,32).61 So verwechselt man die Verdächtigen und brüllt den arglosen Vertreter der Judenschaft mit einem Geistesreichtum nieder, der an die Schafe in George Orwells „Animal Farm“ erinnert. „Etwa zwei Stunden lang“ skandiert der Mob: „Groß ist die Artemis der Epheser!“ Deren Verehrung steht für den sich einschaltenden Stadtschreiber außer Zweifel. Doch sieht er keineswegs die von Silberschmied-Seite beschworene Gefahr, dass Paulus die Volksmenge verführe (19,26), sondern eher die, dass die Volksmenge ihrerseits des Aufruhrs verdächtig wird. Die dramatische Episode mag auf ephesische Lokaltradition von einer tumultuarischen Auseinandersetzung zwischen paganer Stadtbevölkerung und örtlicher Judenschaft oder (eher) christlicher Ortsgemeinde zurückgehen.62 Die amüsierte Erzählgestalt hat ihr jedenfalls erst der Redaktor gegeben, der hier  – wie auch sonst63  – die Gelegenheit ergreift, um den amorphen Volkshaufen zu karikieren, der raschen Stimmungswechseln und rauen Demagogen erliegt, irrational handelt, jederzeit zu Aufruhr bereit und doch am Ende ängstlich und mühelos einzuschüchtern ist. Hier teilt Lukas  Vgl. Pervo, Acts (s. Anm. 20), 476. Diskussion des Traditionshintergrunds Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 521–526; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 219–223; zur Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 114–117; Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, 177–234. 61  Klauck, Magie (s. Anm. 45), 125 gibt (wohl doch zu kühn) die Möglichkeit zu bedenken, in der ἐκκλησία συγκεχυμένη „eine förmliche Anti-Ekklesia zu entdecken, eine Karikatur dessen, was Gemeindeversammlung auch im Christentum sein soll“. 62  Die Traditionsgrundlage ist umstritten; vgl. Weiser, Apg II (s. Anm. 20), 541–549; Lüdemann, Christentum (s. Anm. 20), 223–228; Pervo, Acts (s. Anm. 20), 485–490; zur Auslegung Klauck, Magie (s. Anm. 45), 117–126; Shauf, Theology (s. Anm. 60), 240–263. 63  Zum literarischen Motiv des Mobs vgl. Pervo, Profit (s. Anm. 5), 34–39. 59

60 Zur

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auffällig und in gezielter Literarisierung eine für die reichsrömische Elite bezeichnende Sichtweise.64 Paulus bleibt als ernst zu nehmende Kontrastgestalt im erzählerischen Hintergrund. Der Ernst um seine Person wird im weiteren Verlauf leitend. Seine Abschiedsrede vor den ephesischen Presbytern in Milet (Apg 20,17–38) setzt als Gegenaffekt das Pathos.65 Tränen fließen (vgl. 20,19.31.37 f.; 21,13); die Zeichen stehen auf Nimmerwiedersehen (20,38; 21,4–6.10–14). Selbst Paulus will es das Herz brechen (21,13), obschon es eigentlich ja nur zu den Brüdern der Urgemeinde geht. Sein Martyrium muss nicht geschildert werden; es färbt die Darstellung. Mit der Reise nach Jerusalem hebt eben jener gemessene Erzählstil wieder an, der die ersten Berichte über Jerusalem geprägt hat. Wie im ersten Teil heitern allenfalls hier und dort kleinere Erzählzüge die getragene Darstellung ein wenig auf: eine Verwechslung (21,37–39), das nach wie vor irritierende Bürgerrecht (22,25–29). Nur der Tumult im Synedrium und der Rede-Agon vor Felix durchbrechen als redaktionelles Intermezzo (in funktionaler Analogie zur Gerichtsszene 5,17–26) den getragenen Gang. Dass ein Aktant auf dem strandenden Schiff ungerührt seiner kennzeichnenden Beschäftigung nachgeht, kommt in komischer Überzeichnung auch bei Petron vor, bei dem der bizarre Poet Eumolpus in vicinia mortis Verse schmiedet (Petron. 115,1–5). Doch der Unterschied ist nicht zu übersehen: Paulus bricht in vicinia mortis das Brot, weil er sich geführt weiß. Glauben bedeutet „guten Mutes“ zu sein (Apg 27,34–36; vgl. 27,22–25). Trotz der abschiedlichen Stimmung der letzten Reise wird die Perspektive an keiner Stelle bitter. Optimistischer als Apg kann eine Schrift nicht enden.

4. Die Erlösung vom Ernst und der Ernst der Erlösung: Humor als Aneignung Humor, so hatten wir eingangs festgestellt, distanziert sich vom konventionellen Weltverhältnis. Er ist keine Launigkeit, sondern Indikator von Selbstverortung und Sinnwahrnehmung. Unsere Beobachtungen zu der Weise, mit der Apg Traditionsstoff in abgewogen humoriger Weise literarisiert, wirft damit neues Licht auf ihr literarisches Selbstverständnis, ihren sozialen Ort und ihren theologischen Anspruch. (1) Die narrative Strategie des Humors: Lukas ist nicht einfachhin lustig. Er ist es literarisch sehr gekonnt und theologisch sehr gezielt. Sein Humor entspricht dem rhetorisch geforderten πρέπον. Im biblisch gefärbten Eingangsteil, der von der Urgemeinde erzählt, findet dieser Humor sich (ähnlich wie im dritten Evan64  Vgl. Alfred Kneppe, Metus temporum. Zur Bedeutung von Angst in Politik und Gesellschaft der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jhdts. n. Chr., Stuttgart 1994, 330–337. 65  Vgl. Pervo, Profit (s. Anm. 5), 66–69.

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gelium) nur in gemessener Form. Der Schlussteil der Apg ist eher vom Pathos geprägt. In beiden Teilen findet sich allerdings ein redaktionelles Interludium in Gestalt eines Prozesses, der zur Charakterisierung der beteiligten Parteien im je erzählten dramatischen Verlauf dient (Apg 5,17–26; 24,1–23 i. V. m. 23,1–10). Die eigenen Heroen wirken dabei überlegen, mitunter urban; die Gegner werden ironisch bis burlesk entlarvt. Dagegen wird dem Humor im mittleren Teil, der den Eintritt des Evangeliums in die pagane Kultur vorführt, breiter Raum gewidmet. Hier gibt die Komik dem Plot weithin eigene Färbung. Sie schöpft die auch in Roman und menippeischer Satire genutzten Möglichkeiten aus: Gerichtsprozesse, Rededuelle, Mobszenen, Verwechslungen, komische Charaktere von der „laufenden Magd“ bis zu den „ausgetriebenen Exorzisten“. Lukas setzt diesen szenischen Humor ein, weil er ihm am wirksamsten dazu dient, in anschaulichen und mitreißenden Sequenzen, also nach Maßgabe der ἐνάργεια, die umgebende Kultur zu kennzeichnen und die Überlegenheit des Evangeliums deutlich werden zu lassen. Insofern hat sein Humor unmittelbar theologischen Rang. Die Komik dient der konkreten Kennzeichnung und befreienden Relativierung von Mehrheitsgesellschaft und Konkurrenten auf dem Markt der Religionen. (2) Humor als Redaktionsarbeit: Lukas findet in seinen Traditionen selbst keinen (gezielten) Humor. Er stiftet seiner Großerzählung auf doppelte Weise Komik ein: (a) Relecture: Er nimmt die Geschehensabläufe, die mit erster Naivität tradiert sind, unter ihren komischen Gesichtspunkten wahr und verstärkt diese Gesichtspunkte im Erzählprozess. (b) Réécriture: Er gibt dem Geschehen selbst den komischen Ablauf, den spöttischen Kontrast oder die ironische Note. Die Komödisierung ist also Teil der literarischen Formung von Tradition, der Rekontextualisierung durch Geschichtsschreibung und der Gattungsdynamik historiographischen Erzählens. Gerade an Apg 12 ließ sich zeigen, dass Lukas seine Pointen nicht zuletzt durch Kompositionsarbeit und intertextuelle Vernetzung gewinnt: Disparates Traditionsgut (Verfolgung der Apostel, Intervention des Himmels, Tod des Tyrannen) erklärt sich schwarzhumorig wechselseitig selbst oder im Rahmen biblischer und urchristlicher Rekurrenz (Tod ­Antiochos’ IV., Exodus‑ und Ostergeschehen). (3) Aneignung als affirmative Neudeutung: Nach Lukian gleicht der Historiograph dem plastischen Künstler. Er bedient sich seiner Quellen und Traditionen, wie ein Bildhauer das ihm vorgegebene Material formt. Er ist nicht Herr dieses Materials, wohl aber gibt er ihm seine sinnspendende und anschauliche Gestalt (hist. conscr. 51; vgl. Plutarch, De  gloria Atheniensium 346f–347c). So auch Lukas: Der Redaktor gibt seiner Überlieferung eine Richtung, die sie vorher nicht besaß. Er schöpft ortsgemeindliche Traditionen aus, um erheiterndes Lokalkolorit zu schaffen, und nutzt die Konflikte „von damals“, um „heute“ unterhaltsam zu wirken. Diese Neuausrichtung des überkommenen Erzählguts verdankt

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sich auch seinem schriftstellerischen Ehrgeiz: Das überkommene Erzählgut dient jetzt zum delectare und movere nicht weniger als zum conservare und docere. Die Komödisierung altehrwürdiger Tradition ist in der hellenistisch-frühreichsrömischen Kultur an sich nicht ungewöhnlich. Der überkommene Mythenstoff samt seinem Götterapparat gewann gerade in humorigen Fortschreibungen neue Aktualität: Zwischen den Hexametern seines Argonauten-Epos schmilzt Apollonios von Rhodos die ehemals frommen Zuschreibungen in spielerische Unterhaltung um. Man hat dies „domestication of the divine“66 genannt: Aphrodite richtet dem hinkenden Göttergatten das Bett und widmet sich, nach dem Vorbild der alexandrinischen Damenwelt, vornehmlich ihrer Haarpracht (Apoll. Rhod. 3,36–51), wird aber gestresst durch ihren Sohn Eros. Der entpuppt sich als bockige Göre, die beim Spiel mit Ganymed mogelt und der man zur Strafe den Bogen wegnehmen müsste, die aber durch die Bestechung mit Spielzeug dazu gebracht werden kann, Medea  – an sich die klassische Tragödienfigur  – in den Liebeswahn zu treiben (3,91–155). Hera ist eine mit Blick auf den abenteuerlustigen Gatten leidgeprüfte Matrone (vgl. bes. 4,794 f.817). Mit gespieltem Respekt vor den Musen beteuert der Dichter augenzwinkernd, die Überlieferung dulde keinen Zweifel daran, dass die Argonauten ihr Schiff in Ermangelung von Wasser zwölf Tage und Nächte eigenhändig durch die libysche Wüste bis zum Trichonischen See trugen (4,1381 f.).67 Etwa zur lukanischen Zeit spielen Senecas Apokolokynthosis oder die Dialoge Lukians mit der überkommenen Götterhierarchie, um die Gegenwart aus einer neuen und radikal anderen Perspektive vorzuführen. Herakles dient nicht nur als Figuration von Philosophie, Symbolisierung von Herrschaft, Verkörperung menschlicher Tragik, sondern nimmt auch eine Komiklaufbahn, die zwischen lustigem Trunkenbold und kraftstrotzendem Schrumpfhirn wechselt.68

Die Dynamik, die wir in Apg beobachten, ist indes eine andere: Die, „die von Anfang an Augenzeugen waren und Diener des Wortes“ (Lk 1,2), sind eben keine Musen. Lukas behandelt seine Tradition nicht mit einer vorwiegend ästhetischen Absicht, und er redigiert keineswegs gegen sie. Vielmehr gibt er ihr eine Sinnkarriere, die sie im Licht des göttlichen Geschichtshandelns und damit in ihrem theologischen Zusammenhang allererst sachgerecht verstehbar macht. (4) Eigenart und Grund des lukanischen Humors: Wir haben gesehen, dass sich der in Apg äußernde Humor zunächst kaum von jenem unterscheidet, den wir im literarischen Umfeld beobachten. Er gewinnt seinen Reiz im spöttischen Kontrast, ist parteiliche Waffe zur Entlarvung der Gegner, rochiert heiter mit Aktantenrollen, wendet sich παρὰ τὴν προσδοκίαν, gibt überraschend dem scheinbar Sinnlosen vollen Sinn in neuem Schein. Dem Humor der Apg eignet nichts vom kaustischen Wortwitz des Tacitus; er entspricht im Ganzen der Komik von 66 Simon Goldhill, The Poet’s Voice. Essays on Poetics and Greek Literature, Cambridge 1991, 312; vgl. ebd. 311–313. 67 Zur Erschließung der komischen Züge vgl. die Kommentierung durch Reinhold Glei  / ​ Stephanie Natzel-Glei in der Textausgabe, 2 Bde., Darmstadt (1996) 22007. 68  Bernd Effe, Held und Literatur. Der Funktionswandel des Herakles-Mythos in der griechischen Literatur, in: Poetica 12 (1980) 145–166: 160 f. zeigt auf, dass selbst die grobe Komödisierung die Admiration gegenüber dem tradierten Heros nicht einschränkt, sondern lebensweltlich fördert und zum vertrauten Habitus werden lässt.

4. Die Erlösung vom Ernst und der Ernst der Erlösung: Humor als Aneignung

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Roman und menippeischer Satire, wenn auch subversiver als der erstere und milder als die zweite. Ziehen wir Quintilians Typologie des ridiculum (vgl. inst. 6,3,17–24) heran, so erscheint uns der lukanische Humor vornehmlich als der des salsum (vgl. 6,3,18 f.), also der vergnüglichen Ereignisdarstellung, wie sie auch (aber keineswegs nur) breitere Schichten anspricht. Diese episodische Darstellung führt, wie wir sahen, im Mittelteil mit überlegener Distanz die Buntheit des römischen Imperiums vor Augen. Davon abgesehen legt sich über alle Einzelszenen hinweg eine gelassen-heitere Atmosphäre. Sie wird durch die pathos-haltigen Teile nicht aufgelöst, sondern tritt desto klarer hervor. Diese Atmosphäre scheint von jener „Freude“ geprägt, die der Erzähler in semantischer Breite immer wieder als Kennmal der christlichen Wirklichkeit ausweist. Lukas wird nicht sarkastisch wie ein senatorischer Geschichtsschreiber, dessen Stand bessere Zeiten erlebt hat. Er neigt auch nicht zu ironischer Resignation wie Josephus, der die Katastrophe seines Volkes bezeugt. Die erzählten Katastrophen des Lukas halten sich in Grenzen; die Jerusalemer Hungersnot ist nicht mehr als Anlass für eine zügige Hilfsaktion (Apg 11,28–30); der Untergang von Jerusalem und Heiligtum wirft keinen schweren Schatten auf den Erzählverlauf.69 Die in frühchristlichen Kreisen nicht selten gepflegte Selbststigmatisierung in der Opferrolle findet in Apg keinen Widerhall, auch wenn von Opfern die Rede ist und Christsein durchaus Lebensgefahr zu bergen scheint. Das scheinbare Scheitern des Gründers, seine Anklage durch das eigene Volk und die Kreuzigung durch das herrschende System, wird als versöhnter und versöhnender Tod gezeichnet. Er wird Ursache erfüllter Freude für die Seinen (2,22–28) und Anlass für eine galante Verbeugung vor den „Tätern“: „Nun denn, Brüder: Ich weiß, dass ihr aus Unkenntnis gehandelt habt – gleichwie auch eure Vorsteher“ (3,17). Steve Mason macht darauf aufmerksam, dass sich ἐλπίς bei Josephus meist auf individuelle Ziele richtet, die, sofern sie edler Natur sind, bitter verfehlt werden. Der Begriff wird zu einem morbiden Leitwort der zu erzählenden, letztlich tragischen Geschichte. Dagegen sieht Apg ἐλπίς als vorwärtsdrängende, erfüllte und sich erfüllende, nicht von den Akteuren, sondern vom Herrn der Geschichte verbürgte Glaubensleidenschaft.70 Für Josephus ist ἀνάγκη Schicksal und Verhängnis, in Apg vollzieht sich der Geschichtsplan nach Gottes unbezwingbarem Heilswillen.71 Noch die tränenreiche Abschiedsrede des Paulus ist nur ein Fortschritt auf den Erfolg hin, den das „Wort seiner Gnade, das Kraft besitzt aufzubauen“ (Apg 20,32), untrüglich nehmen wird. Das offene Ende der Apg ist die Einlösung dieses Versprechens. Von hierher können 69  Vgl. die instruktiven Beobachtungen bei Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), bes. 154 f. 70  Vgl. Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), 155. 71  Vgl. Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), 155 f. Zur Bedeutung des göttlichen Heilsplans für die lukanische Geschichtskonzeption im Vergleich mit anderen Historiographen John T. Squires, The Plan of God in Luke-­Acts, MSSNTS 76, Cambridge (1993) 2004, bes. 15–77.

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Transformation durch Humor

wir den Humor der Apg tiefer verstehen: Er ist Konsequenz aus dem Geschichtsbild des Verfassers und aus dem daraus abgeleiteten Ordnungswissen. Insofern der Redaktor die Geschichte wissender überschaut als die Tradenten der Einzelstoffe, gewinnt er das Recht auf und die Pflicht zum Humor. (5) Der soziale Ort des lukanischen Humors: Die humorgeprägte Fortschreibung von Tradition verrät einiges über Änderungen im sozialen und intellektuellen Milieu des frühen Christentums. Es ist bemerkenswert, mit welcher Bravour und welchem Differenzierungsvermögen Lukas die Spielräume ausmisst: Er kann souverän prozessuale Verfahren darstellen und Reden imitieren. Er karikiert den Mob nicht ohne Verächtlichkeit. Er vermag Bilder von bäurisch-einfachen, abergläubischen, geldgierigen und furchtsamen Menschen zu zeichnen, wie es Quintilian vom ausgebildeten Redner verlangt (inst. 6,2,1772). Er kennt Gattungsspiel und Sprachformwechsel, feine Anspielung, etwa auf den Ironiker Sokrates, gezielte Doppeldeutigkeit, urbanen Witz, stilvolle Ironisierung, spöttische Parodie, derbe Burleske, in Maßen auch (theozentrische) Selbstironie mit Blick auf seine Helden – all dies auf literarische Wirksamkeit hin sorgfältig abgestimmt. Vielleicht hat Steve Mason recht: Hätte Lukas gewollt, hätte er die rhetorische Kunst noch weiter ins Kraut schießen lassen können. Wenn er es nicht wollte, lag dies an einer letztlich in der Christus-Bindung verankerten Tendenz zur Einfachheit.73 Dann ist noch die ἰδιωτικὴ φράσις74 Teil des literarischen Könnens. Mag Lukas auch mit Sympathie über ἄνθρωποι ἀγράμματοι καὶ ἰδιῶται berichten (vgl. Apg 4,13), so gehört er selbst doch keineswegs zu solchen. Er teilt ihren Glauben; ihren Status teilt er nicht. Ein Humor, der mit Roman und menippeischer Satire Schritt hält, wird sich an Adressaten richten, die an eben solchem Humor Freude finden. Die Leserkreise von Romanen werden in gebildeteren und wohlhabenderen Schichten der reichsrömischen Gesellschaft vermutet.75 Dies lässt noch keine Rückschlüsse auf Bildungsgrad und Sozialstatus der Leser der Apg zu. Gleichwohl: Wer Wundererzählungen in Form historiographischer Stiftungsmimesis und in ironischer Einkleidung wahrnimmt, zeigt eine anspruchsvollere Form von Neugier. Die Aneignung von Tradition im Modus des Humors zeugt in jedem Fall von einer  rusticos, superstitiosos, avaros, timidos secundum condicionem positionum effingimus. Mason, Speech-Making II (s. Anm. 22), 165 f., 170. 74  BDR § 485: „die Acta sind zwar in der Anlage und Disposition vortrefflich, aber in der Darstellung stark ‚idiotisch‘ (ἰδιωτικὴ φράσις Gegensatz zu τεχνική)“ (F. Blass); vgl. Pervo, Acts (s. Anm. 20), 7–12, der zum Vergleich neben den Romanen den in einfachem Stil schreibenden Biographen Nepos sowie die Antiquitates Biblicae heranzieht. 75 Vgl. Niklas Holzberg, Der antike Roman. Eine Einführung, Darmstadt (1986) 32006, 52–55; skeptischer bzgl. des Bildungsniveaus bleibt Pervo, Profit (s. Anm. 5), 81–85. Unter den Voraussetzungen einer jüdisch-christlichen Sozialisation kann man möglicherweise davon ausgehen, dass die Zahl lesefähiger Individuen über den geschätzten 15 % der Bevölkerung lag. In jedem Fall war die Vorlesekultur stärker ausgeprägt, sodass auch breitere Kreise Zugang zu Apg hatten. 72

73 Vgl.

4. Die Erlösung vom Ernst und der Ernst der Erlösung: Humor als Aneignung

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bereits gewachsenen Kulturhöhe des Christentums. Angstbesetzte Verliererpose und Außenseitersyndrom sehen anders aus. Von hier aus lässt sich auch eine Brücke zu Erich Gruens Beschreibung des jüdischen Diaspora-Humors schlagen. So wenig wie die jüdischen Zeitgenossen lächelt Lukas „durch Tränen hindurch“. Seine und seiner Adressaten Situation erlaubt die amüsierte Beobachtung, die ironische Distanz und die überlegene Freude an sich und den Anderen. Apg entstand in einer Zeit, an einem Ort und / ​oder in einer Situation, in der Christsein gewiss Risiken barg, aber weder den Optimismus trübte noch zu Bitterkeit reizte. (6) Humor als ernst genommenes Heilswissen: Komik, so haben wir festgestellt, besitzt in Apg unmittelbar theologischen Rang. Apg will nicht gute Laune, sondern christliche Identität stiften. Ihre christlichen Aktanten erzählen keine Witze, sondern verkünden Umkehr. Der spöttische Kontrast profiliert wahren und falschen Glaubens‑ und Lebensstil. Jene προσδοκία, die im lukanischen Humor verletzt wird, wurzelt in dem Umstand, dass die Aktanten ihre Rechnung ohne den göttlichen Wirt machen. Die Rollenrochaden rücken die Welt aus himmlischer Perspektive ins rechte Maß zurück. Die Pointe des lukanischen Humors ist wesentlich theozentrisch. Letztlich setzt er das Programm des Magnifikat in Erzählprosa um: „Komisch ist und zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt“76. Apg opfert ihr Traditionsgut also keineswegs anspruchsloser Ergötzung. Im Gegenteil: Sie nimmt ihre Tradition theologisch ernster, als diese sich selbst nimmt. Die Transformation durch Humor erweist sich als Signum angewandter Soteriologie. Lukas lacht, als habe eine ganze Welt das erlöste Lachen zu lernen.

76 Odo Marquard, Exile der Heiterkeit, in: Das Komische, hg. v. W. Preisendanz / ​R. Warning, PuH 7, München 1976, 133–151: 141; vgl. ebd. 141–144.

Christologia Viatorum Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte Für Claus-Peter März

The Emmaus narrative (Luke 24:13–35) encapsulates the christological (and thereby ecclesiological) programme that is developed in the Book of Acts. The companionship of the exalted Lord is revealed to his disciples on the “way” by the breaking of the bread, the christocentric exploration of Scripture, and the apostolic testimony. It is precisely these key motifs that are narratively unfolded from manifold viewpoints in Acts. Emmaus is enduringly the middle of time because the risen Lord is the hidden but decisive actant on all the ways of the disciples through history. Thus Acts proves to be the continuation of Jesus’ biography in the times of the church.

Seltsame Grille des Volkes! Es verlangt seine Geschichte aus der Hand des Dichters und nicht aus der Hand des Historikers. Es verlangt nicht den treuen Bericht nackter Thatsachen, sondern jene Thatsachen wieder aufgelöst in die ursprüngliche Poesie, woraus sie hervorgegangen. Heinrich Heine1

Der Bindestrich in Luke-­Acts wird ständig länger. Längst ist er zum Gedankenstrich geworden, und mitunter wird er bereits gegen eine Konjunktion ausgetauscht: „Luke and Acts“.2 In der deutschsprachigen Exegese waltet die ori Reisebilder. Zweiter Theil, Sämmtliche Werke 2/2, Hamburg 1861, 36.  Vgl. James Dawsey, The Literary Unity of Luke-­Acts: Questions of Style – A Task for Lit­ erary Critics, in: NTS 35 (1989) 48–66; Mikeal C.  Parsons / ​R ichard I.  Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. (1993) 2007; Patricia Walters, The Assumed Authorial Unity of Luke and Acts. A Reassessment of the Evidence, MSSNTS 145, Cambridge 2009. Unter rezeptionsgeschichtlichem Aspekt: C. Kavin Rowe, History, Hermeneutics and the Unity of Luke-­Acts, in: JSNT 28 (2005) 131–157; Andrew Gregory, The Reception of Luke and Acts in the Period before Irenaeus. Looking for Luke in the Second Century, WUNT II / ​169, Tübingen 2003, bes. 352–354; ders., The Reception of Luke and Acts and the Unity of Luke-­Acts, in: JSNT 29 (2007) 459–472; C. Kavin Rowe, Literary Unity and Reception History: Reading Luke-­Acts as Luke and Acts, in: JSNT 29 (2007) 449–457. Einen Überblick über die 1 2

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Christologia Viatorum

ginelle Wendung „lukanisches Doppelwerk“ zwar noch unangefochten, doch eigentlich ohne Grund: Obwohl etwa die auktoriale, generische und konzeptionelle Konsistenz der Historiae und Annales außer Frage steht, käme man schwerlich auf den Gedanken, die beiden getrennt publizierten (und rezipierten) Werke „taciteisches Doppelwerk“ zu nennen. Dagegen steht die konzeptionelle Einheit von Lukasevangelium und Apostelgeschichte auf dem Prüfstand, die generische wird selten vermutet, und selbst die auktoriale stößt mittlerweile auf Widerspruch. Als gesichert gilt, dass beide Werke getrennt veröffentlicht und getrennt rezipiert wurden. Die Zeit, in der es als methodischer Fortschritt galt, die „narrative unity of Luke and Acts“ zu verfolgen,3 scheint vorüber. Anders sieht es im exegetischen Alltag aus. An den großen Spannungsbögen, die seit je in den beiden lukanischen Schriften beobachtet wurden, wird nicht gerüttelt: die Theologie des Weges, das Thema des Geistes, das Anliegen einer verheißungsgeschichtlichen Kontinuität. Vielmehr werden neue Einsichten gewonnen, die die konzeptionelle Verklammerung von Jesus-Bios und Jünger-Historia durchaus belegen. Dabei tritt neben den Proömien vor allem die lukanische Vorerzählung in den Blick.4 Namentlich die Simeon-Weissagung (vgl. Lk 2,25–35) wird als christologisches Programm beider Schriften gelesen, dessen zweiter Teil erst in Apg eingelöst und dessen Einlösung mittels literarischer Inklusionstechnik in der Schlussszene der Apg gemeldet wird.5 Stärker als zuvor gerät die narrative Rekurrenz ins Licht: In der Wiederkehr kennzeichnender Verlaufsmuster – etwa im Wirken und Geschick Jesu, Petri und Pauli – durchzieht sie Lk und Apg und trägt so zur konzeptionellen Einheit beider Schriften bei.6 In diesem Beitrag sei eine weitere, direkte Erzählbrücke überprüft: die erste der beiden österlichen Christophanien im Evangelium, die Emmaus-Episode (Lk aktuelle Diskussion geben Michael F. Bird, The Unity of Luke-­Acts in Recent Discussion, in: JSNT 29 (2007) 425–448 und Patrick E. Spencer, The Unity of Luke-­Acts: A Four-Bolted Hermeneutical Hinge, in: CBR 5 (2007) 341–366. 3 So der Titel des erzählanalytisch angelegten Kommentars von Robert C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-­Acts. A Literary Interpretation, 2 Bde., Philadelphia, Pa. / ​Minneapolis, Minn. (1986/1990) 1991/1994; ähnlich Paul Borgman, The Way according to Luke. Hearing the Whole Story of Luke-­Acts, Grand Rapids, Mich. 2006. Vgl. den wichtigen Tagungsband The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, bes. die Problemskizze des Hg., ebd. 3–56. 4  Vgl. Ulrich Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 161–179; Walter Radl, Die Beziehungen der Vorgeschichte zur Apostelgeschichte. Dargestellt an Lk 2,22–39, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 297–312. 5 Vgl. Simon D. Butticaz, L’identité de l’Église dans les Actes des apôtres. De la restauration d’Israël à la conquête universelle, BZNW 174, Berlin 2011, 392–414. 6  Pars pro toto sei eine rhetorisch konzentrierte Studie zur Rekurrenz in Lk / ​Apg genannt: Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004, 99–141.

1. Lk 24,13–35 als ekklesiologische Schlüsselepisode

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24,13–35),7 die fließend in die nachfolgende Begegnungsszene samt der Himmelfahrtsepisode übergeht. Dabei sei folgende These vertreten: Die Emmaus-Episode legt die Perspektive für die christologische Lektüre der „Apostelgeschichte“ frei. Lk und Apg sind konzeptionell durch den Hauptaktanten Jesus Christus verbunden.

1. Lk 24,13–35 als ekklesiologische Schlüsselepisode Selten passt der deiktische Auftakt καὶ ἰδού besser als in dieser Straßenszene: Der Leser wird mit auf den „Weg“ genommen. Der Erzähler liebt die Symbolik von Orten. Von allen Orten ist la strada das für sein Werk markanteste Setting: Die Vita Jesu ist als Wanderung nach Jerusalem inszeniert. Im Aufbruch befährt das Evangelium die Straße nach Gaza auf dem Wagen des Äthiopiers (Apg 8,26–40). Dreifach wird der Weg des Paulus nach Damaskus geschildert, und vor allem geht es in nachdrücklicher Zielgenauigkeit um den Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom. Apg ist Reise-Erzählung: πορεύεσθαι (Lk 24,13.28; vgl. VV. 17.33) fasst zusammen, was es bedeutet, im Gefolge Jesu ein Jünger zu sein. Das Verbum ist mit 51 Belegen in Lk und 38 Belegen in Apg ein bezeichnender Lukanismus.8 Jeweils 20 Belege weist das Nomen ὁδός, das den Erzählrahmen schließt (VV. 32.35), in den beiden lukanischen Schriften auf, wobei mehr als die Quantität die inhaltliche Färbung des Begriffs ins Auge sticht: ὁδός rangiert in Apg als Begriff für soziale Lebensgestalt und existentielle Lebensform des Christseins schlechthin.9 Die beiden Wanderer sind, so gesehen, Urbild für die Jünger aller Zeiten.10  7  Die diachrone Fragestellung dürfen wir hier ausklammern, da der Redaktor, sofern er die Szene nicht ohnehin selbst geformt und mit einem narrativen Beglaubigungsapparat versehen hat, in jedem Fall die Tradition seinem Darstellungsanliegen dienlich gemacht hat. Einen Überblick über die Diskussion gibt François Bovon, Das Evangelium nach Lukas IV, EKK 3/4, Neukirchen-Vluyn / ​Düsseldorf 2009, 552–554. Die eingehendste traditions‑ und redaktionskritische Untersuchung bietet Joachim Wanke, Die Emmauserzählung. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zu Lk 24,13–35, EThSt 31, Leipzig 1973, bes. 109–125; vgl. auch ders., „… wie sie ihn beim Brotbrechen erkannten“. Zur Auslegung der Emmauserzählung Lk 24,13–35, in: BZ 18 (1974) 180–192.  8  Mk: 3; Mt: 29; Joh: 16; Corpus Paulinum: 8; Katholische Briefe: 9 (Zählung nach: Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament II, hg. v. K. Aland, Berlin 1978).  9  Vgl. Stanislas Lyonnet, « La voie » dans les Actes des apôtres, in: RSR 69 (1981) 149– 164; Martin Völkel, Art. ὁδός, in: EWNT II (1981) 1200–1204: 1203 f.; Georg Geiger, Der Weg als roter Faden durch Lk-Apg, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 663–673, bes. 669–671. 10 Auf die kognitiven und emotiven Mängel, die den Auferstehungsglauben als solchen gefährden, hebt die eindringliche Untersuchung von Santi Grasso ab: Emmaus, testo della criteriologia ecclesiale per la fede nella risurrezione di Gesù (Lc 24,13–35), in: RivBib 56 (2008) 433–453, bes. 435–440. Auch Hans Dieter Betz legt die Erzählung als Fundamentaldeutung von Christsein aus: Ursprung und Wesen christlichen Glaubens nach der Emmauslegende (Lk. 24:13–32) (1969), in: ders., Synoptische Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 1992, 35–49. Vgl. auch Matti Myllykoski, On the Way to Emmaus (Luke 24:13–35): Narrative and

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Da sie es nicht wissen, gehen sie gramvoll einher. Sie neigen dazu, ihren Kyrios für tot zu halten. Der gemeinsame Weg ist für sie Gelegenheit zum Disput, und zwar zu einem solchen, der am Wesenskern des Evangeliums vorbeiführt. Sie erweisen sich als blind für die Auferstehung, blind für die Schriften, blind für Christus als ihren Begleiter. Die Bilanz scheint nach zweitausend Jahren Kirchengeschichte nicht verfrüht: Die Beschreibung trifft die Verfasstheit der Christenheit aller Zeiten recht genau. Dass Lukas, der im Ganzen eher die urchristliche Harmonie unterstreicht, es ähnlich sieht, belegt die Sorgfalt, mit der er den Streit der Jünger verbal ausmalt: ὁμιλεῖν πρὸς ἀλλήλους, ὁμιλεῖν, συζητεῖν, ἀντιβάλλειν πρὸς ἀλλήλους. Entsprechend entmutigt wirken die beiden Wanderer: Sie bleiben σκυθρωποί stehen (V. 17). Der Grund für die Trübsal wird eingehend beschrieben. „All das Widerfahrene“ (V. 14), „das Geschehene“ (V. 18) hat sie nicht nur in Trauer, sondern in doppelte Verwirrtheit gestürzt: Einerseits wurde die Erlösungshoffnung, die sie als Israeliten hegten, enttäuscht (V. 21). Andererseits hat das österliche Hörensagen zwischen „einigen unserer Frauen“, angeblichen Engeln und „einigen der Unseren“ sie außer sich gebracht (ἐξέστησαν): „Er selbst“ nämlich blieb unsichtbar (αὐτὸν δὲ οὐκ εἶδον) (VV. 22–24). Die Krisis dieser beiden Platzhalter ist die Krisis – recht besehen: die einzige Krisis – der Kirche aller Zeiten. Die Ursache solcher Krisis fasst der Kyrios scheltend mit dem Hendiadyoin ὦ ἀνόητοι καὶ βραδεῖς τῇ καρδίᾳ zusammen (V. 25). Einzig darauf kommt es an, die Prophetenbotschaft zu verstehen, das heißt: ihren christologischen Kern. Mit einem ähnlichen Appell schließt die letzte große Rede des Paulus im zweiten Teil der lukanischen Erzählung (Apg 26,27). Die Gefahr der blinden Augen und des gelähmten Herzens begleitet die Christus-Botschaft bis in das jesajanische Schlusszitat (28,26 f.). Die beiden Verwirrungen heben sich gegenseitig auf. Im Licht des sichtbar gewordenen Kyrios wird aus dem Hörensagen das verbindliche Osterzeugnis und die Hoffnung der Israeliten wird als irdisch verkürzt durchschaut.11 Der biblische Sinn von Ostern wird hier in das denkbar einfachste Bild gesetzt. Nicht wie es den Jüngern geht, ist entscheidend, sondern wer mit ihnen geht. Doch wird dies nicht erläutert. Es wird gezeigt. Der Auferstandene tritt, in der Weise des Erzählens, vor Augen: καὶ αὐτὸς  Ἰησοῦς. Letztlich konzentriert sich die entschlüsselte Osterbotschaft auf die Wendung ἐγγίσας συνεπορεύετο αὐτοῖς (V. 15). Das durative Moment im Imperfekt des Kompositums besitzt ekklesiologische Qualität. Dass Ostern die Krisis der Jünger nicht löst, erklärt unsere Erzählung damit, dass deren Augen gehalten waren,12 „auf dass (finaler Infinitiv) Ideological Aspects of Fiction, in: Lux Humana, Lux Aeterna. FS L. Aejmelaeus, hg. v. A. Mustakallio, SESJ 89, Helsinki / ​Göttingen 2005, 92–115: 112 f. 11  Vgl. Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 778–784. 12  Zur Diskussion der Wendung Wolter, Lk (s. Anm. 11), 778.

1. Lk 24,13–35 als ekklesiologische Schlüsselepisode

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sie ihn nicht erkannten“ (οἱ δὲ ὀφθαλμοὶ αὐτῶν ἐκρατοῦντο τοῦ μὴ ἐπιγνῶναι αὐτόν) (V. 16). Die ὀφθαλμοί sind für den „Maler Lukas“ ein christologisches Organ, programmatisch für seinen gesamten Geschichtsentwurf bereits in der Simeon-Weissagung Lk 2,30. Das dort geschaute Objekt τὸ σωτήριον wird in leserlenkender Rahmung13 in der Schlusspassage der Apg aufgenommen, versehen mit der  – ebenfalls prophetisch konnotierten  – Warnung vor den verschlossenen Augen und unverständigen Herzen (Apg 28,26–28; vgl. auch Lk 19,42 diff. Mk / ​Mt). Das Thema, das die Emmaus-Jünger ansprechen, zielt, wie vorläufig und verkürzt auch immer, auf das gesamte Kerygma: τὰ περὶ  Ἰησοῦ (V.  19; vgl. Apg 18,25), also: Jesu prophetisches Auftreten, Werk und Wort, Israel als Adressat, die Feindschaft der Elite, Kreuzigung, Erlösungshoffnung, klärungsbedürftig: die Osterberichte. Ebenso umfassend ist die Auflösung: τὰ περὶ ἑαυτοῦ (V. 27). Messianisches Leiden und österliche Doxa des Kyrios sind in Tora und Propheten eingeschrieben. In der Substanz wird Apg christologisch nicht mehr zu sagen haben als eben dies. Dass Jesus „so tut, als ob“ (προσεποιήσατο) er weitergehen wolle (V. 28), hat der Rezeption einerseits Verlegenheit bereitet – der Auferstandene täuscht seine Jünger  –, andererseits unerwartbar kreatives Potential entfaltet  – die Legitimierung der theologischen Fiktion (vgl. Augustinus, Quaestiones evangeliorum 2,51,1). Im Erzählkontext ermöglicht die vorgespielte Trennung die inständige, nachgerade nötigende Bitte (παραβιάζομαι) an den Kyrios, er möge „bleiben“ (V. 29): μεῖνον μεθ’ ἡμῶν, ὅτι πρὸς ἑσπέραν ἐστὶν καὶ κέκλικεν ἤδη ἡ ἡμέρα. Vom Blickpunkt der johanneischen Abschiedsreden betrachtet, liegt genau hierin das wesentliche Gebet der Ekklesia. In unserem Kontext hat die Bitte, symbolsprachlich eingefärbt, eine ähnliche Funktion. καὶ εἰσῆλθεν τοῦ μεῖναι σὺν αὐτοῖς: Dieser Finalsatz birgt die österliche Mitte auch der lukanischen Konzeption von Kirchlichkeit. Jesus, ins Haus eingetreten, übernimmt ebenso überraschend wie selbstverständlich die Rolle des Hausvaters. Der Anagnorismos entfaltet sich in drei Stadien: (1) Unmittelbarer Anstoß zur Rekognition ist die Brotbrechung (VV. 30 f.35). Dieses Charakteristikum ihres Begleiters lässt die beiden Jünger dessen Identität erkennen, öffnet, buchstäblich, ihre Augen. Die Sequenz „das Brot nehmen – segnen – brechen – ihnen geben“ ist auf das Abschiedsmahl Jesu zu beziehen (vgl. Lk 22,19) und eucharistisch konnotiert.14 Das anschließende „Entschwinden“ 13 Vgl.

Butticaz, Identité (s. Anm. 5), 399–404.  Lk  22,19 bietet die gleichen Verben in gleicher Folge, allerdings statt εὐλογέω das Funktionsäquivalent εὐχαριστέω. Mitunter wird der engere eucharistische Bezug von Lk 24,30 f. in Frage gestellt, so bei Marco Frenschkowski, Offenbarung und Epiphanie II, WUNT II / ​ 80, Tübingen 1997, 240 f. Zweifellos liegt in der mehrlinigen Applizierbarkeit der Reiz symbol14

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(αὐτὸς ἄφαντος ἐγένετο ἀπ’ αὐτῶν) widerspricht nur scheinbar der ausdrücklich formulierten Absicht, bei den Jüngern zu bleiben. Es ist nicht ontischer, sondern optischer Natur. Dies wird die folgende Jerusalemer Begegnung handgreiflich vor Augen führen. (2) Das Brotbrechen öffnet den Jüngern die Augen, doch eigentlich ist es die Erschließung der Schriften, die sie, wäre es recht zugegangen, den Herrn auf dem Weg hätte erkennen lassen. In der Retrospektive jedenfalls haftet das „brennende Herz“ daran, dass ihnen der unerkannte Begleiter „alle Schriften“ eröffnet hat (vgl. VV. 25–27.32). Dabei geht es nicht um ein theoretisches Verstehen des messianischen Geschicks, sondern um die Erkenntnis des Messias als Mitte von Mose und Propheten. Derlei biblische Christologie – so wird den wandernden Jüngern bewusst – findet im Tempus der Gegenwart statt. (3) Erst nach dem Aphanismos erreicht die Rekognition ihr Ziel: Die Jünger kehren unverzüglich in die heilsgeschichtliche Mitte Jerusalem und zum versammelten Kreis der Elf zurück. Dort, in der Gemeinschaft der Osterzeugen, sind sie selbst es, die von der – in Lk gar nicht geschilderten – Christophanie vor Simon vernehmen, bevor sie ihr eigenes Zeugnis hinzufügen können (VV. 33–35). Das österliche Erleben findet im Apostelkreis seinen genuinen Echoraum.15 Dem entspricht die weitere  – fließend angehängte  – Szenenfolge: In diesem Kreis erscheint der Auferstandene  – jetzt kontrastreich in leibhaftiger Dauer.16 Einerseits öffnet er nunmehr allen Versammelten „den Sinn für das Verstehen der Schriften“; andererseits sagt er ihnen die Geistsendung an, die sie für ihr Osterzeugnis vor den Völkern benötigen (Lk 24,36–49). Der Segen des zum Himmel Erhöhten rundet die Osterszenen ab. Danach (24,52 f.) wechselt die Perspektive zur Jerusalemer Urgemeinde als Handlungsträger im Wartestand – ein Abschluss, in dem sich die Fortsetzung der Apg bereits abzeichnet: „An die Stelle Jesu treten die Jünger, und das Ende der Jesusgeschichte wird an dieser Stelle zum Beginn der Jüngergeschichte“17. Ist freilich die apostolische Gemeinschaft hier vor allem als Möglichkeitsbedingung der plena recognitio Christi gezeichnet, so ist dieser Aktantenwechsel nicht mehr als eine narrative Blickwinkelveränderung. In der christologischen Wirklichkeit bleibt der himmlisch erhöhte Kyrios Protagonist.

sprachlicher Darstellung, doch gerade deshalb wirkt es künstlich, den eucharistischen Bezug auszuschließen oder hintanzusetzen, wenn anders man das eucharistische Mahl in der lukanischen Erfahrungswelt überhaupt voraussetzt. 15  Vgl. Wanke, Brotbrechen (s. Anm. 7), 186–188. Zur verstehensleitenden Funktion der Schriften in der „hermeneutischen Tischgemeinschaft“ Grasso, Emmaus (s. Anm. 10), 445– 452. 16  Zu Lk 24,36–43 als Kontrasterzählung zur Emmaus-Episode Myllykoski, Way (s. Anm. 10), 110–112. 17  Wolter, Lk (s. Anm. 11), 797.

2. Die Apostelgeschichte als christozentrische Schrift

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2. Die Apostelgeschichte als christozentrische Schrift Es ist offen, welcher zeitliche Abstand zwischen den beiden lukanischen Schriften liegt und in welcher Weite und Weise der dritte Evangelist den zweiten Logos bereits im Sinn hatte, als er den ersten schrieb. Indes sahen wir, dass das Ende des Evangeliums den Anfang der Apostelgeschichte vorinszeniert. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apg lesen.18 An den Anfang seines Evangeliums setzt Lukas eine Vorgeschichte (Lk 1 f.), gewissermaßen ein Stück Altes Testament im Neuen, das die Lektüre des Jesus-Bios verheißungstheologisch prädisponiert. Das „Alte Testament“ wird christozentrisch ausgerichtet. An den Ausgang seines Evangeliums setzt Lukas die Emmaus-Episode, gewissermaßen ein Stück Jüngergeschichte im Jesus-Bios, das die christozentrische Lektüre des zweiten Logos vorbereitet. Die Geschichte des christlichen „Weges“ wird christozentrisch rückgebunden. Es geht Lukas also gerade nicht darum, die Zeiten Israels, Jesu und der Kirche zu trennen.19 Zu den Ordnungsleistungen des Historiographen gehört es zwar, verschiedene Epochen voneinander abzuheben, doch nicht minder hat er auch deren innere Stimmigkeit und Einheit aufzuzeigen. Es ist diese zweite Aufgabe, in der Lukas sein Opus theologicum sieht. Das Grundproblem aller „Kirchengeschichte“ liegt darin, dass der Kyrios  – oft schmerzhaft  – unsichtbar bleibt. Die Kunst einer christlichen Geschichtsschreibung liegt deshalb darin, die Augen für die Gegenwart des Auferstandenen zu öffnen. Die drei Anagnorismos-Motive, die wir beobachtet haben, ziehen sich als Wegzeichen des Kyrios durch den gesamten Verlauf der Apg und leisten damit für die ὁδός der Christus-Gläubigen nichts anderes als der unerkannte Begleiter auf dem Weg nach Emmaus. (1) Brotbrechung: Gemessen an der Häufigkeit der Motivverwendung, erscheint die Brotbrechung in Apg nicht auffällig. Als Expansionsgeschichte ist die Makroerzählung an binnengemeindlichen Vorgängen weniger interessiert. Anders verhält es sich mit der narrativen Verortung des Motivs. Die Brotbrechung figuriert an leserlenkenden Schaltstellen als wichtiges Signum der urchristlichen Koinonia.20 Sie rahmt die Schilderung des Binnenlebens der Jerusalemer Gemeinde, wie sie, unmittelbar als Folge des Pfingstgeschehens, im ersten Summarium urbildlich vor Augen tritt (Apg 2,42.46). Im zweiten Teil der Apg wird Paulus gezeichnet, wie er 18 Zur intertextuellen Einbindung der Emmaus-Episode in die erzählerische Strategie der beiden lukanischen Schriften, bes. zur Korrelation mit Lk 1,1–4; Apg 8,26–40 und Apg 28,17–31, vgl. auch John Gilman, The Emmaus Story in Luke-­Acts Revisited, in: Resurrection in the New Testament. FS J. Lambrecht, hg. v. R. Bieringer / ​V. Koperski / ​B. Lataire, BETL 165, Löwen 2002, 165–188. 19  Zum heilsgeschichtlichen Drei-Phasen-Modell klassisch Hans Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen (1954/41962) 71993. 20  Eine Übersicht zur Bedeutung des Motivs in beiden lukanischen Schriften bietet Paul B. Decock, The Breaking of Bread in Luke 24, in: Neotest. 36 (2002) 39–56.

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in einer Gemeindeversammlung zu Troas das Brot bricht, und zwar abermals im Erzählrahmen (vgl. 20,7.11). Recht auffällig ist die Brotbrechung im Seesturm auf der Überfahrt nach Rom (27,35). In der Sequenz „Brot nehmen – danken – brechen“ fehlt das Austeilungsmotiv, wohl wegen des paganen Charakters der Reisegesellschaft. Das überraschende Mahl des Paulus auf bewegter See ist offenkundig von der Zusage des göttlichen Beistands (27,23–25.34) nicht zu trennen. Dass der Held in bewegter Not etwas für ihn besonders Kennzeichnendes und von der Not Unberührtes tut, ist auch sonst belegt, eindrücklich in Petrons Schelmenroman, wo der Verseschmied Eumolpus noch im Schiffbruch, in vicinia mortis, sein Poem abzuschließen sucht (Petron. 115,1–5). Paulus bricht in vicinia mortis das Brot: Eindrücklicher lässt sich die programmatische Bedeutung des Brotbrechens für die werdende Kirche kaum illustrieren. (2)  Schrifterschließung: Die Emmaus-Episode führt zu einem Zirkelschluss: Der Auferstandene eröffnet die Schrift Israels. – Die Schrift wird zum Ort, dem Auferstandenen zu begegnen. Archimedischer Punkt solcher Hermeneutik ist die personale Beziehung zum lebendigen Kyrios.21 Das Motiv von „Mose / ​Gesetz und Propheten“ bzw. den „Schriften“ in der interpretatio Christiana et christologica bildet einen Leitfaden der Apg (vgl. bes. 18,28; 24,14 f.; 26,22 f.; 28,23). Der im geschichtlichen δεῖ (vgl. Lk 24,26) zur Geltung gebrachte göttliche Heilsplan ist in den Schriften Israels vorformuliert. Programmatisch wird dieser Zusammenhang an zwei Stellen entfaltet. In der Synagoge im pisidischen Antiochien hält Paulus seine bibelfest-jüdische Grundsatzrede (Apg 13,15–41). Nicht weniger repräsentativ wirkt die erste Einzelbekehrung: Im äthiopischen Hofeunuchen kommt das „Ende der Welt“ dem Evangelium entgegen und wird, prophetischer Ansage gemäß (Jes 56,3–8), ein Verschnittener (vgl. Dtn 23,2) in das endzeitliche Gottesvolk aufgenommen (Apg 8,26–40). Lukas führt an dessen Jesaja-Lektüre (Jes 53,7 f.) subtil vor, wie das Prophetenwort auf Jesus Christus, sein Leiden und das Hineingehen in die Herrlichkeit, transparent wird. Die Klage οὐκ ἀνοίγει τὸ στόμα αὐτοῦ (Apg 8,32) wird – da sich „ein Geschlecht“ findet, „das erzählt“ (vgl. V. 33) – zu einem Hinweis auf jene Boten, die die Schrift erschließen, um in ihr den Auferstandenen zu entdecken: ἀνοίξας δὲ ὁ Φίλιππος τὸ στόμα αὐτοῦ καὶ ἀρξάμενος ἀπὸ τῆς γραφῆς ταύτης εὐηγγελίσατο αὐτῷ τὸν  Ἰησοῦν (V. 35). Noch der ursprüngliche Trauersatz αἴρεται ἀπὸ τῆς γῆς ἡ ζωὴ αὐτοῦ (V. 33) weist prophetisch auf die Himmelfahrt. Jesus spricht durch die Schrift im Mund der Boten. Im Modus von „Mose und Propheten“ bleibt er, letztlich nicht anders als in Emmaus, lebendige Gegenwart. So wird es erklärlich, dass in Apg immer wieder „Herzen“, wenn nicht brennen, so doch in anderer Weise von der in den Schriften bezeugten Gegenwart des Auferstandenen berührt und verwandelt werden: Ἀκούσαντες δὲ κατενύγησαν τὴν καρδίαν … (Apg 2,37; vgl. 2,25 f.; 11,23; 21 Vgl. näher Josef Ernst, Schriftauslegung und Auferstehungsglaube bei Lukas (1970), in: Schriftauslegung. Beiträge zur Hermeneutik des Neuen Testamentes und im Neuen Testament, hg. v. dems., München 1972, 177–192.

2. Die Apostelgeschichte als christozentrische Schrift

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15,9; 16,14). Auf der anderen Seite ist es das verkrümmte Herz, das erklärt, wenn Menschen – nächstliegend: aus dem Volk der Schrift – nicht zum Kyrios finden, den sie doch durch die Schrift kennen sollten (7,51.54; 28,27; vgl. 5,3 f.; 8,21 f.). Es verrät viel über das Kirchenbild der Apg, wenn das „Herz“ als Personmitte zugleich zum Zentralorgan der Ekklesia wird (vgl. 2,46; 4,32). Sie bietet den sozialen und theologischen Raum, um dem Auferstandenen „leibhaftig“ zu begegnen. (3)  Gemeinschaft der Osterzeugen: Die Rekognition, so nahmen wir in der Emmaus-Episode wahr, zielt auf die apostolische Gemeinschaft der Osterzeugen. Es liegt zutage, dass auch dieser Strang in Apg weitergeknüpft wird, deren erster Teil diese Gemeinschaft durchgehend schildert und in den Summarien als solche thematisiert (vgl. Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16). Als Äquivalent für die apostolischen Auferstehungszeugen fungiert im zweiten Teil des Werkes die österlich geprägte μαρτυρία des Paulus. Die Christophanie des Erhöhten dient hier, per­ spektivisch variiert, als cantus firmus. An drei Wendepunkten der Verheißungsgeschichte wird sie nachgerade „eingehämmert“ (9,1–19; 22,3–21; 26,9–18): Es ist die Aufgabe des Paulus, des „Werkzeugs der Erwählung“ (9,15), das Osterzeugnis vor die Völker, das Volk der Juden eingeschlossen, zu tragen, um so auf seine Weise „Zeuge seiner Auferstehung“ (vgl. 1,22!) zu werden. Dieses Zeugnis, gründend in der Begegnung mit dem Erhöhten, wird zur Stiftungsurkunde der Ekklesia. Dabei ist die paulinische Gemeinschaft als solche ebenso wenig wie die apostolische Urzelle auf dauerhafte Fortschreibung angelegt. Jedoch hält die Abschiedsrede vor den ephesischen Presbytern in Milet fest, dass die „Herde“ auch dann vom Geist als Lebensraum des Auferstandenen bewahrt wird, wenn Paulus selbst Lauf und Dienst vollendet hat (vgl. bes. 20,24–28). „Emmaus“ ist, so gelesen, nicht die letzte Etappe des Lebenswegs Jesu, sondern die erste Etappe der Geschichte seiner Jünger. Pointiert: Emmaus ist die bleibende Mitte der Zeit, weil es die bleibende Mitte der Kirche ist. Die Emmaus-Szene selbst führt vor Augen, dass die „Zeit Jesu“ der „Zeit der Kirche“ nicht vorausgeht, sondern sie begleitet, trägt und führt. Die formative Phase der Kirche ist ohne die normative Phase des Bios Jesu und der – auf Jesus Christus bezogenen – Schriften Israels nicht zu verstehen. So bietet unsere Erzählung den Schlüssel für die Geschichte der werdenden wie der gewordenen Ekklesia. Sie legt leserlenkend die Perspektive für die lukanische Historiographie fest. Die Historia der Kirche setzt den Bios des Kyrios organisch fort, ist „Biographie“ des Erhöhten. Wenn Apg anfänglich darauf verweist, dass der erste Logos von all dem handelt, was Jesus zu tun und zu lehren begonnen hat (Apg 1,1),22 schließt dies ein, dass der zweite Logos von dem handeln wird, was Jesus zu tun und zu lehren auf neue Weise fortsetzt. Der Auferstandene ist, buchstäblich, der „mitgehende Anfang“. 22  In den Kommentaren wird das Prädikat ἤρξατο vielfach unprägnant verstanden; für die „full natural force“ plädiert Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles I, ICC, London (1994) 2006, 66 f.

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3. Christus praesens Aus unseren Beobachtungen wird deutlich, warum die jesajanisch inspirierte Metaphorik der geöffneten bzw. verschlossenen Augen oder, damit verwandt, von Licht und Blindheit beide lukanischen Schriften durchzieht, und zwar christologisch gezielt und keineswegs auf das „verstockte Judentum“ begrenzt. Die Aufgabe, die sich aus unserer Lektüre der Emmaus-Szene ergibt, ist keine geringere als die, die zweite lukanische Schrift neu zu lesen, und zwar mit Christus als sublimem Hauptakteur. Die einzige Ostererscheinung vor den Elf im Matthäus-Evangelium (Mt 28,16– 20) stellt heraus, dass der Auferstandene „alle Tage bis zur Vollendung des Aions“ mit den Seinen ist, und schließt damit die Klammer zur Vorgeschichte, in der Jesus den programmatischen Beinamen Immanuel erhält (1,23). Die „Himmelfahrt“ geschieht in Mt, so gesehen, in die Ekklesia hinein.23 In Apg kann dagegen der Eindruck entstehen, dass die Himmelfahrt Jesus von den Seinen trennt und diese Trennung bis zur Parusie währen wird. Apg steht damit vor der Herausforderung, die Kluft christologisch zu überwinden. C. F. D. Moule hat dieses Phänomen als absentee christology wahrgenommen.24 George W. MacRae hat es systematischer verfolgt und vier Weisen benannt, in denen der Erhöhte irdisch bedeutsam wird: (1) das Pneuma, (2) der Gegenwart setzende „Name“ des Kyrios,25 (3) die Anwesenheit mittels Verkündigung, (4) die Gegenwart in Gestalt von Leben, Leiden und Wundertaten der Jünger.26 Diese Modi der praesentia Christi hat Friedrich Avemarie eingehend untersucht und, gestützt auf triftige Textbeobachtungen, die These vertreten, „dass sich in den vielerlei übernatürlichen Manifestationen und Zwischenfällen, von denen die Apostelgeschichte erzählt, 23  Vgl. näher Knut Backhaus, Kirchenkrise und Auferstehungschristologie. Zum ekklesiologischen Ansatz des Matthäusevangeliums, in: Surrexit Dominus vere. Die Gegenwart des Auferstandenen in seiner Kirche. FS J. J. Degenhardt, hg. v. J. Ernst / ​St. Leimgruber, Paderborn 1995, 127–139: 134–139. 24  Vgl. Charles F. D.  Moule, The Christology of Acts, in: Studies in Luke-­Acts. FS P. Schubert, hg. v. L. E. Keck / ​J. L. Martyn, London (1966) 1968, 159–185: 179 f. Moule beschreibt die absentee christology (ebd. 179) folgendermaßen: „More consistently than in any other New Testament writing, Acts presents Jesus as exalted and, as it were, temporarily ‘absent’, but ‘represented’ on earth in the meantime by the Spirit (except that, undeniably, in the vision of Acts 18:10 Jesus says ἐγώ εἰμι μετὰ σοῦ)“. Freilich verrät die Klammerbemerkung eine gewisse Unklarheit der These: Es geht dem Erzähler weniger um die Abwesenheit des Erhöhten als um die Modi seiner Gegenwart! 25  Vor einer undifferenzierten Konzeptionalisierung des ὄνομα-Motivs in Apg warnt John A. Ziesler, The Name of Jesus in the Acts of the Apostles, in: JSNT 4 (1979) 28–41. Er vermag im Namensmotiv „not a way of supplying the absence of Christ“ zu sehen (ebd. 38), wird aber den beiden für die abgewiesene Deutung maßgeblichen Denkfiguren kaum gerecht: Der Name stiftet eine Beziehung. – Der Träger dieser Beziehung ist als „Erhöhter“ gleichzeitig. 26  George W. MacRae, “Whom Heaven Must Receive until the Time”: Reflections on the Christology of Acts (1973), in: ders., Studies in the New Testament and Gnosticism, hg. v. D. J. Harrington / ​S. B. Marrow, Wilmington, Del. 1987, 47–64: 58–64.

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im Grunde nichts anderes ereignet als eine Fortsetzung der Geschichte Jesu Christi unter den veränderten Voraussetzungen, die durch seine Auferstehung und Erhöhung zur Rechten Gottes geschaffen sind“27. Zwar steht der Kyrios, wie Stephanus sieht, zur Rechten Gottes erhöht in der ganz anderen Welt des Himmels (vgl. Apg 7,55 f.), aber dies hindert ihn keineswegs daran, auf der Erde einzugreifen, im Einzelfall, wie bei der Bekehrung des Saulus, in nahezu hektischer Betriebsamkeit (vgl. 9,3–6.10–16; vgl. 22,17–21). Sein Kommunikationsmittel wird in der Zeit seiner Erhöhung das ὅραμα,28 das freilich reales Mit-Sein widerspiegelt (vgl. 18,10). Alle wesentlichen Veränderungen, Abschlüsse und Neuaufbrüche werden in der Apg durch himmlische Interventionen angestoßen, modifiziert und legitimiert29 und damit letztlich vom erhöhten Kyrios – in Funktionseinheit mit Gott – bewirkt. So erweist sich die „Apostelgeschichte“ als Geschichte Jesu Christi mit seinen Jüngern. Der, dessen Thron der Himmel ist, bedient sich – auch dies weiß Stephanus – der Erde als Fußschemel (vgl. 7,49). So wenig wie Gott lässt sich der Auferstandene verorten: Er ist dort, wo die Jünger sind – und nur deshalb sind sie Jünger. Der Leser muss in „Emmaus“ gewesen sein, um den Weg der Jünger aller Zeiten zu durchschauen. „Kirchengeschichte“, theologisch verstanden, ist angewandte Christologie. Von hier aus lässt sich am Ende die lukanische Himmelfahrt-Episode (Lk 24,50 f.; Apg 1,9–11) tiefer verstehen. Im Evangelium ist die Schlussweisung von der Himmelfahrt getrennt und diese durch Segensgestus und separative Wortwahl (διέστη ἀπ’ αὐτῶν καὶ ἀνεφέρετο εἰς τὸν οὐρανόν) als Abschied inszeniert. Die Erhöhung schließt den Jesus-Bios ab. Ganz anders in der Version des zweiten Logos: Diese rekapituliert nicht einfach die erste Fassung, sondern verschiebt sie perspektivisch, indem sie das österliche Ende des Evangeliums als Auftakt von „Apostelgeschichte“ sehen lässt. Die Weisung Jesu wird stärker auf die Zukunft ausgerichtet und mit der Erhöhung verschränkt; der abschiedliche Gestus fehlt. Stattdessen wird der aufsteigende Kyrios, „während sie zusahen“, durch eine Wolke „vor ihren Augen verborgen“ (βλεπόντων αὐτῶν ἐπήρθη καὶ νεφέλη ὑπέλαβεν αὐτὸν ἀπὸ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν). Damit wird der ekklesiale Sehzustand post Christum ascensum bezeichnet. Die beiden Engel – die in der Lk-Parallele nicht vorkommen – richten den Blick der „Männer von Galiläa“ ent27  Friedrich Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562 (Zitat: 543 [dort kursiviert]). 28 Vgl. Avemarie, Acta (s. Anm. 27), 550 f. 29 Genannt seien hier nur: Pfingstereignis (Apg 2,1–13); Berufung des Paulus als „Werkzeug der Erwählung“ (9,1–22 u. ö.); erste Heidentaufe (10,1–11,18); Abschluss der apostolischen Phase (12,1–24); Übergang nach Makedonien (16,6–10); Fahrt nach Rom (23,11; 27,23–26 u. ö.). Eine bemerkenswerte Ausnahme ist der Apostelkonvent, der ohne himmlischen Eingriff geschildert wird (vgl. allerdings 15,7–11).

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sprechend auf die Erde zurück, auf der dieser Gemeinde ein langer Weg bis zur Parusie zu Füßen liegt. Zwischen Himmelfahrt und Parusie ist Jesus nicht „fort“, sondern „erhöht“, und zwar zum Kosmokrator. Die Himmelfahrt wird so zur österlichen Verstehenserfahrung für die Weltreise des Evangeliums. Stephanus sieht nicht die Kluft zwischen Erde und Himmel: Zur Rechten Gottes steht der Menschensohn als der vollmächtige Herr der Geschichte. An dieser privilegierten Perspektive hat der Leser teil.30 Dagegen wird das Privileg der historischen Nähe zu Jesus aufgehoben. Mit Søren Kierkegaard gesagt: Nach Emmaus gibt es keine Jünger erster und zweiter Hand mehr, denn im Verhältnis zum Erhöhten zählt nur die Gegenwart. Emmaus ist, so gesehen, die Erzählung bleibender Gleichzeitigkeit. Darin findet die konzeptionelle Einheit von Evangelium und Apostelgeschichte ihre Mitte: Die beiden lukanischen Schriften führen das gleiche christologische Thema in der generischen Varianz von Bios und Historia aus. Sie beschreiben verschiedene Etappen auf dem einen Weg des Kyrios.

30  Der innere Zusammenhang zwischen der Erhöhung des Kyrios, seiner fortwirkenden Handlungsmacht und seinem höchst gegenwärtigen Heilsanspruch ist ein Leitgedanke der unter der Ägide des Jubilars erarbeiteten Erfurter Dissertation von Markus Schnauss, Die Jesus-Geschichte als Repräsentation des Erhöhten. Der Erhöhungsgedanke als innere Orientierung des Lukasevangeliums – eine bibeltheologische Studie, EThSt 100, Würzburg 2011. Was dort für das dritte Evangelium gezeigt wird, findet seine unmittelbare Anwendung in Apg. – Es stimmt mich dankbar, dass ich jetzt bereits der vierten Generation Erfurter Lukas-Exegese begegnen darf. Gern nutze ich die Gelegenheit, mit diesem Beitrag zur lukanischen Christologie meine Verbundenheit mit Claus-Peter März, dem Protagonisten der dritten Generation, zu bekunden.

Mose und der Mos Maiorum Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte Against the background of the Greco-Roman plausibility argument “the more ancient, the better”, the Book of Acts canonises the image of the Christian past by inscribing it into the great narrative of God’s people Israel so that the Jesus movement proves to be the legitimate keeper of the biblical tradition. In this way, Israel’s Bible provides the nascent church with its own mos maiorum, a desirable attribute of highbrow culture and a social attractivity factor in the forum of religious competition. Luke, the narrative expert of the Christian “social memory”, takes advantage of the awe-inspiring age of Judaism to provide his addressees (1) with a meaningful historical origin and direction, (2) a legitimating monograph on their foundation and ancestry, (3) a well-ordered relational space in the past in the biblical depth of time.

Newcomer haben es schwer – zumal dort, wo Alter alles ist. Auf der Akropolis zu Athen ließ König Attalos II. von Pergamon (reg. 159–138 v. Chr.), gut sichtbar, eine Weihegabe errichten, die vier monumentale Schlachten darstellte: die Gigantomachie, die Amazonomachie, die Schlacht von Marathon und – einen kürzlich errungenen Sieg seines Hauses über die Galater in Mysien (vgl. Paus. 1,25,2). Zwei mythische Großereignisse, eine historische Schlacht, die längst mythischen Glanz besaß, und lokalpolitisches Zeitgeschehen. Die Attaliden, Newcomer eben unter den hellenistischen Herrscherhäusern, bedurften der Legitimierung durch Einzeichnung in eine ehrwürdige Urgeschichte.1 Mehr noch: Ihr Sieg gegen die keltischen Stämme prägte ihre Selbstinszenierung als berufene Wahrer griechischer Kultur. 1  Hinweis bei Hans-Joachim Gehrke, Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewußtseins, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 29–51: 47; vgl. näher Martin Flashar, Die Sieger von Marathon – Zwischen Mythisierung und Vorbildlichkeit, in: Retrospektive. Konzepte von Vergangenheit in der griechisch-römischen Antike, hg. v. dems. / ​H.-J. Gehrke / ​E. Heinrich, München 1996, 63–85: 66–74, 82 f. Anm. 74. Zur Funktion des Galatersieges für die Selbstinszenierung der Attaliden-Dynastie Hans-Joachim Schalles, Untersuchungen zur Kulturpolitik der pergamenischen Herrscher im dritten Jahrhundert vor Christus, IF 36, Tübingen 1985, bes. 51–127; zur Erinnerungspflege der Attaliden-Dynastie Christian Habicht, Athens and the Attalids in the Second Century b. c., in: Hesp. 59 (1990) 561–577; Biagio Virgilio, Fama, eredità e memoria degli Attalidi di Pergamo, in: Aspetti e problemi dell’ Ellenismo, hg. v. dems., Studi Ellenistici 4, Pisa 1994, 137–171.

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Die aus unserer Sicht unrealistische Weihegabe dient einem realistischen Zweck: Sie kanonisiert ein Vergangenheitsbild, und dies in einem Legitimationsinteresse der Gegenwart. Sie prägt das aus, was die jüngere Kulturwissenschaft „soziales Funktionsgedächtnis“ nennt.2 Geschichtsbewusstsein ist eine scheinbar objektivierte Form des Selbstbewusstseins. Meine Leitthese im Folgenden lautet: Lukas kanonisiert – namentlich in der Apostelgeschichte  – das Vergangenheitsbild des Christentums, und zwar durch Einzeichnung in die biblisch-jüdische Urgeschichte, als deren berufene Wahrerin er seine Gemeinschaft darstellt. Als narrativer Spezialist für das soziale Gedächtnis verortet er seine junge Gemeinschaft im monumentalen Vergangenheitsraum Israels und unterfüttert seinen aktuellen Geltungsanspruch durch den ersten literarischen Entwurf gepflegter Erinnerung im Urchristentum. Die archaische Tradition der biblischen Literatur, „Mose“, nutzt er dabei apologetisch zum Anschluss an die griechisch-römischen Geltungsstandards, für die der mos maiorum, im weiten Sinn verstanden, Identität, Legitimation und Konkurrenzfähigkeit stiftet, für die das πρεσβύτερον sich der Vermutung des κρεῖττον erfreut und Alter Attraktivität steigert. Kurzum: Sein Doppelwerk zeichnet die intentionale Geschichte der werdenden Kirche.3 Der Auctor ad Theophilum argumentiert also im Prinzip ähnlich wie der Auctor ad Epaphroditum, wobei sich – je nach Sichtweise – einschränken lässt: Er musste sich das Alter ausleihen, da ihm derzeit kein anderes zur Verfügung stand.4 2  Das Verstehenskonzept einer funktionalen Erinnerungskultur wurzelt bei Maurice Halbwachs, Les cadres sociaux de la mémoire, Paris (1925) 1994; ders., La mémoire collective, hg. v. G. Namer, Paris (1950) 1997 und empfing wichtige Impulse von dem Kunsthistoriker Aby Warburg (dazu Roland Kany, Mnemosyne als Programm. Geschichte, Erinnerung und die Andacht zum Unbedeutenden im Werk von Usener, Warburg und Benjamin, Studien zur deutschen Literatur 93, Tübingen 1987, bes. 168–185); vgl. Otto Gerhard Oexle, Memoria als Kultur, in: Memoria als Kultur, hg. v. dems., VMPIG 121, Göttingen 1995, 9–78, bes. 22–29. In der jüngeren deutschen Kulturwissenschaft wurde es vor allem unter der Denkfigur des „kulturellen Gedächtnisses“ durch Jan und Aleida Assmann fortentwickelt; vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992; Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999; Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München (2000) 22004. 3  Der Begriff der „intentionalen Geschichtsschreibung“ für die im Interesse der Gegenwartskonstitution gepflegte relationale Erinnerung geht auf Hans-Joachim Gehrke (vgl. Hans-Joachim Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik – antik und modern, in: Saec. 45 [1994] 239–264: 247, 252–257) zurück und wurde von ihm in verschiedenen Zusammenhängen konkretisiert und erweitert; vgl. bes. ders. Was ist Vergangenheit? oder: Die „Entstehung“ von Vergangenheit, in: Der neue Streit um Troja. Eine Bilanz, hg. v. Chr. Ulf, München 2003, 62–81; ders., Einleitung, in: Normen, Ausgrenzungen, Hybridisierungen und „Acts of Identity“, hg. v. M. Fludernik / ​H.J. Gehrke, Identitäten und Alteritäten 18, Würzburg 2004, 11–19; ders., Bedeutung (s. Anm. 1) (2005). 4  Edna Brocke hat für dieses Phänomen den Begriff der christlichen „Leihidentität“ geprägt (vgl. Edna Brocke, [Briefwechsel mit Jürgen Moltmann]: Das christlich-jüdische Verhältnis und der zweite Golfkrieg, in: KuI 6 [1991] 163–185: 174 f.). Auch solches Urteil entspringt

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Man mag sogar boshaft vom Griff in das „Ahnenkapital“5 sprechen. Denn die Jesus-Bewegung als solche verfügte nicht einmal über das Kleingeld ererbter Eigenschaften und Würdetitel, war sie doch aufgebrochen im Gefolge eines Gedächtnisbilderstürmers, der die Berufung auf Abkunft nicht gelten ließ und noch aus Steinen Abraham-Kinder werden sah (Q 3,8). Ihr eigener Neuheitsanspruch war nicht minder radikal: „Neuer Wein in neue Schläuche!“, so lautet die Devise (Mk 2,22; vgl. Mt 9,17/Lk 5,37 f.; EvTh 47).6 Doch der Dritte in der traditio triplex fügt einen verblüffenden Nachsatz hinzu: „Niemand, der alten Wein trinkt, will neuen. Denn er sagt: Der alte ist ersprießlich!“ (Lk 5,39) Das ist wohl weniger ein irenisch-ironischer Stoßseufzer7 als ein kulturelles Aha-Erlebnis.8 Um dieses „Aha“ etwas zu differenzieren, gliedere ich meine eben aufgestellte Leitthese in drei Unterthesen: In einem religiös-kulturellen Wettbewerb, in dem geschichtliche Herkunft entscheidender Attraktivitätsfaktor sein konnte, hat Lukas im Blick auf das „Alter des Judentums“ (1) das sinnstiftende Potential des sozialen Funktionsgedächtnisses für das werdende Christentum erkannt, ihm (2) entschlossen die historiographische Teilmonographie als legitimierende Herkunfts‑ und Stiftungsmemoria zur Verfügung gestellt und ihm (3) durch erzählendes Ordnungshandeln einen relationalen Vergangenheitsraum in der biblischen Tiefe der Zeit erarbeitet. freilich keineswegs historischer Tatsachenbeobachtung, sondern artikuliert seinerseits  – als Ausdruck systematisierender Entscheidung – das soziale Funktionsgedächtnis. Dies erweist die jüngste – mit bezeichnender Familienmetaphorik geführte – Debatte über die Frage, inwiefern das Judentum, wie oft zu hören ist, als „Mutterreligion“ des Christentums (und Islams) gelten könne oder seinerseits „Tochter“ der biblischen Tempel-Religion sei, mit dem Christentum durch Ursprungsverwandtschaft „geschwisterlich“ verbunden: Michael Wolffsohn, Juden, Christen, Brüderlichkeit? Historiker-Gedanken zum Kampf der universalistischen und partikularistischen Tendenzen in der Religion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 12. ​2005, Nr. 294, S. 40. 5  Die Metapher (mit Bezug auf den aristokratischen Statuswettbewerb in der römischen Republik) bei Uwe Walter, Ahn macht Sinn. Familientradition und Familienprofil im repu­ blikanischen Rom, in: Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, hg. v. K.-J. Hölkeskamp u. a., Mainz 2003, 255–275: 258 f.; zum Begriff des „symbolischen Kapitals“ (Pierre Bourdieu) vgl. auch Egon Flaig, Die Pompa Funebris. Adlige Konkurrenz und annalistische Erinnerung in der Römischen Republik, in: Memoria als Kultur, hg. v. O. G. Oexle, VMPIG 121, Göttingen 1995, 115–148: 126 f. 6  Zu diachronem Profil und historischer Rückfrage Knut Backhaus, Die „Jüngerkreise“ des Täufers Johannes. Eine Studie zu den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Christentums, PaThSt 29, Paderborn 1991, 138–161. Zum Neuheitsanspruch des Frühchristentums Wolfram Kinzig, Novitas Christiana. Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius, FKDG 58, Göttingen 1994, bes. 111–117. 7 In diese Richtung ging meine Deutung in Backhaus, Jüngerkreise (s. Anm. 6), 160; zur Diskussion des Passus R. S.  Good, Jesus, Protagonist of the Old, in Lk 5:33–39, in: NT 25 (1983) 19–36. 8  Vgl. Helmut Merkel, Israel im lukanischen Werk, in: NTS 40 (1994) 371–398: 385 f.; ders., Das Gesetz im lukanischen Doppelwerk, in: Schrift und Tradition. FS J. Ernst, hg. v. K. Backhaus / ​F. G. Untergaßmair, Paderborn 1996, 119–133: 133.

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1. Die Gedächtnisstrategie des Lukas 1.1 Der römische mos maiorum: ein heuristischer Musterfall In was für eine Gesellschaft klingt der Nachsatz vom „alten Wein“ hinein? Unter dem mos maiorum verstehe ich hier die für das griechisch-römische Wertsystem im weitesten Sinn kennzeichnende normative Herkunftsreferenz.9 Doch der mos maiorum im engeren Sinn, die Selbstvergewisserung und ‑darstellung der republikanisch-römischen Nobilität durch Verweis auf typische Eigenschaften und beispielhafte Taten der Vorfahren,10 kann in vierfacher Hinsicht als heuristischer Musterfall gelten: (1) Er ist ein schöpferisches, aber auch subversives Konstrukt. Als „Faktum“ in der Vergangenheit entdeckt, dient er als bedrohte und verpflichtende Norm für die Gegenwart: Cäsar entdeckt die Vorfahren des julischen Hauses nicht ohne Programmatik außer bei Venus auch bei dem legendären König Ancus Marcius (vgl. Sueton, Iul. 6,111)  – nicht ohne Programmatik entdeckt sein Attentäter M. Iunius Brutus die Wurzeln seines eigenen Geschlechts bei Brutus, dem legendären Tyrannenfeind.12  9  Sex. Pompeius Festus definiert recht allgemein: mos est [institutum pa]trium; id est memoria veterum pertinens maxime ad religiones [caerim]oniasque antiquorum (De verborum significatu [ed. W. M. Lindsay, 1913] p. 146, ll. 3–5); zur Phänomenologie des mos bei Varro Maurizio Bettini, mos, mores und mos maiorum: Die Erfindung der „Sittlichkeit“ in der römischen Kultur, in: Moribus antiquis res stat Romana. Römische Werte und römische Literatur im 3. und 2. Jh. v. Chr., hg. v. M. Braun / ​A. Haltenhoff / ​F.-H. Mutschler, BzA 134, München 2000, 303–352: 314–318. 10 In ntl. Zeit hatte der mos maiorum in diesem primär standesethischen Sinn seine Blütezeit bereits hinter sich, da er naturgemäß den Interessen der Kaiser, so sehr diese sich gerade im 1. Jh. auf die altrömischen Gepflogenheiten beriefen, zuwiderlaufen musste. So dient er selbst bei Tacitus allenfalls noch zur Kennzeichnung althergebrachter Hinrichtungsart (z. B. ann. 4,30,1; 16,11,3; vgl. Sueton, Nero 49,2; Dom. 11,2; Apuleius, met. 10,11,3). Eine instruktive begriffs‑ und motivgeschichtliche Übersicht bis zur Zeit Ciceros mit einem Ausblick auf die Folgezeit gibt Wolfgang Blösel, Die Geschichte des Begriffes mos maiorum von den Anfängen bis zu Cicero, in: Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, hg. v. B. Linke / ​M. Stemmler, Hist.E 141, Stuttgart 2000, 25–97. Zu den Funktionen und Formen der Ahnenreferenz in der spätrepublikanischen Nobilität erhellend Karl-Joachim Hölkeskamp, Exempla und mos maiorum: Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“ der Nobilität (1996), in: ders., Senatvs popvlvsqve Romavs. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen, Stuttgart 2004, 169–198 und Walter, Ahn (s. Anm. 5); vgl. insgesamt auch die Sammelbände Moribus antiquis res stat Romana. Römische Werte und römische Literatur im 3. und 2. Jh. v. Chr., hg. v. M. Braun / ​A. Haltenhoff / ​F.-H. Mutschler, BzA 134, München 2000 und Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik, hg. v. B. Linke / ​ M. Stemmler, Hist.E 141, Stuttgart 2000. 11  Die pro rostris gehaltene laudatio funebris – in diesem Fall für Cäsars Tante Julia im Jahr 69 v. Chr. – war ein natürlicher Ort für die genealogische Heeresschau. Ancus Marcius galt der Staatsüberlieferung als der vierte von den sieben Stiftungskönigen Roms. 12  Vgl. Walter, Ahn (s. Anm. 5), 264, 272–274.

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(2) Er ist je nach Gegenwartsinteresse beweglich. Es sind die homines novi obscuris orti maioribus (vgl. Cicero, off. 1,116), die seinen Verlust am heftigsten beklagen, ihn am tiefsten beschwören und am kühnsten umdeuten und so Ahnengemeinschaften entdecken, wo man zuvor keine sah: Die „Vätersitte“ wird bei Cato Censorius und Cicero (z. B. rep. 5,1) zur leitenden Denkfigur und zugleich von der Standestugend der adeligen gentes ausgeweitet zum Identitätsmaßstab des Römertums schlechthin.13 (3) Er ist diskursiv kaum einlösbar, sondern begegnet vor allem als lebensweltliche Realität. Er wird durch Sozialisation vermittelt, durch beeindruckende Beispielfälle und vorbildhafte Individuen konkretisiert, an typischen Verhaltensmustern erzählend eingeschärft, historiographisch verstetigt, an festen Erinnerungsorten in Tempeln oder Atrien kultiviert, in Wachsbildern (imagines maiorum) visualisiert und mit Aufzügen inszeniert, besonders nachhaltig in der pompa funebris.14 Die Erinnerung war erzähltechnisch kanalisiert und augenfällig. (4) Er ist, gerade auch in seiner auf die Gesamtgesellschaft erweiterten Gestalt, religiös geprägt. Zum einen verankert er die derzeitige Ausübung der Religion in einer unvordenklichen und daher als sakrosankt empfundenen Vergangenheit und gibt ihr so innere wie soziale Verbindlichkeit (z. B. Cicero, Mur. 1), zum anderen gewinnt er seine eigene Verbindlichkeit umgekehrt durch religiöse Sinnstiftung, die über die rationale Vergewisserung hinausreicht (z. B. Cicero, nat. deor. 3,43.94). Der mos maiorum war also nicht Standesethos allein, er war alltägliche Plausibilität – und als solche gerade auch Zielscheibe des Spotts. Denn vermutlich sind es Komödienschreiber und Satiriker, die die Selbstverständlichkeiten einer Gesellschaft am treffsichersten wiedergeben. Bei Plautus machen sich gerade die – juristisch betrachtet: stammbaumlosen – Sklaven den mos maiorum zu eigen: scio crucem futuram mihi sepulcrum; / ​ibi mei sunt maiores siti, pater, avos, proavos, abavos (mil. 372 f.15: Sceledrus). Der Schmarotzer Saturio kann darauf verweisen, dass er das altehrwürdige Gewerbe seiner Vorfahren, ihnen getreu,  Vgl. näher Blösel, Geschichte (s. Anm. 10), 53–59 (Cato), 68–85 (Cicero).  Zu den imagines maiorum umfassend Harriet I.  Flower, Ancestor Masks and Aristocrat­ ic Power in Roman Culture, Oxford 1996; im Überblick Wilhelm Kierdorf, Art. „Imagines maiorum“, in: DNP V (1998) 946 f. Zur pompa funebris Flaig, Pompa (s. Anm. 5), bes. 118–133; Flower, Masks, 91–127; Hölkeskamp, Exempla (s. Anm. 10), 188–190; Blösel, Geschichte (s. Anm. 10), 37–46; Walter, Ahn (s. Anm. 5), 260–263. Zur „zitierten“ bzw. „moralisierten“ Geschichte Hölkeskamp, Exempla, 176–183. Eine Überblicksskizze zur Memorialtechnik der römischen Nobilität bietet Wolfgang Blösel, Die memoria der gentes als Rückgrat der kollektiven Erinnerung im republikanischen Rom, in: Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius. Gattungen – Autoren – Kontexte, hg. v. U. Eigler u. a., Darmstadt 2003, 53–72. Zur Beweglichkeit von Begriffsinhalt und ‑umfang der mores maiorum in der griechisch-römischen Kultur Bettini, Mos (s. Anm. 9). 15  „Ich weiß, dass mir künftig ein Kreuz zum Grab dient; dort sind meine Vorfahren schon gebettet: Vater, Großvater, Urgroßvater, Ururgroßvater“. 13 14

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mit aller Sorgfalt fortsetze: denn auch Vater, Großvater, Urgroßvater, Ururgroßvater, Urururgroßvater, Ururururgroßvater hätten sich eifrig schmarotzend den Bauch gefüllt, und deren Stelle gedenke er auszufüllen (vgl. Persa 53–61).16 Noch Juvenal in seiner beißenden Kritik am Adelsstolz moniert doch eher, dass die Nachfahren sich ihrer stemmata als unwürdig erweisen, als die stemmata selbst (Iuv. 8). Der „Stammbaum“ also war in umfassender Weise jener Fixpunkt, der half, Orientierung über die eigene Position zu gewinnen. 1.2 Herkunftsbehauptung und Geltungsanspruch: Das Problem des Lukas Nicht nur Familien und Völker besaßen Genealogien, sondern auch Poleis, politische und soziale Allianzen, Kultgruppen. Allerorten baute und pflegte man emsig Erinnerungsräume – die Pflege schloss bei Bedarf den Umbau ein. In solchen Räumen wurde die eigene Gegenwart durch narrative, literarische und rituelle Stränge mannigfach mit einem dem aktuellen Diskurs enthobenen Objektivitätsanspruch „tief unten“ in der Geschichte verankert.17 Das archaische Urgemälde war Troja: in alle Richtungen kommunikabel, da gemeinkulturell kanonisiert  – mit einer variablen Vielfalt von Anknüpfungsmöglichkeiten für brauchbare Einzelbilder und gewünschte Erinnerungen – mit unbegrenzter Fortschreibungsfähigkeit: Denken wir nur an die erzählten Reisen des Troja-Flüchtlings Aeneas, dessen behauptete Anwesenheit Orte, Bräuche und Verhältnisse der Mittelmeerwelt adelt, die Rom-Idee aus sich entlässt, in griechischem Raum werbend darstellt, schließlich ihre militärische Expansion legitimiert, die julische Dynastie, als sie es braucht, mit mythischem Glanz umstrahlt, noch im Mittelalter zur Konstruktion langer Stammbäume anregt und die damit verbundenen Macht‑ und Prestige-Ansprüche nachhaltig unterstreicht.18 Dabei lassen sich zwei Richtungspfeile unterscheiden. Zum einen reprojiziert man das eigene Selbstbild in die unvordenkliche Vergangenheit und schafft ihm 16  Veterem atque anitquom quaestum maiorum meum / ​servo atque optineo et magna cum cura colo. / ​nam numquam quisquam meorum fuit, / ​quin parasitando paverint ventris suos: / ​pater, avos, proavos, abavos, atavos, tritavos / ​… / ​unde ego hunc quaestum optineo et maiorum locum (Persa 53–57.61). Zum mos maiorum bei Plautus Blösel, Geschichte (s. Anm. 10), 27–37. 17  Vgl. prägnant Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 1), 39–49. 18 Vgl. grundlegend Gerhard Binder, Der brauchbare Held: Aeneas. Stationen der Funktionalisierung eines Ursprungsmythos, in: Die Allegorese des antiken Mythos [in der Literatur, Wissenschaft und Kunst Europas], hg. v. H.-J. Horn / ​H. Walter, Wolfenbütteler Forschungen 75, Wiesbaden 1997, 311–330; Theodoros Mavrogiannis, Aeneas und Euander. Mythische Vergangenheit und Politik im [sic] Rom vom 6. Jh. v. Chr. bis zur Zeit des Augustus, Perugia 2003, bes. 69–83, 163–177; eine knappe Übersicht bietet Hartwig Heckel, Art. „Aineias [1]“, in: DNP I (1996) 329–332; zur mittelalterlichen Rezeption: Paul Wathelet, Le mythe d’Enée dans l’épopée homérique. Sa survie et son exploitation poétique, in: Mythe et politique, hg. v. F. Jouan / ​A. Motte, BFPUL 257, Lüttich 1990, 287–296. Immerhin kennt selbst Tacitus Stimmen, die dem jüdischen Volk die durch Homer geadelten clara initia zuschreiben: Solymos, carminibus Homeri celebratam gentem, conditae urbi Hierosolyma nomen e suo fecisse (hist. 5,2,3).

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damit eine unantastbare, nahezu sakrale Grundlage, beispielsweise in Vergils Aeneis: Man steht fest auf einem so geheiligten Boden. Zum anderen leitet man aus der gefühlten Lichtfülle dieser Vergangenheit jene mythifizierenden Punktstrahlen ins Jetzt über, die man für die je eigene Lebenswelt braucht, beispielsweise in den Persae des Aischylos: Man ist auf Augenhöhe mit den Heroen der Vorzeit.19 In beide Richtungen gilt: Die Herkunftsbehauptung war eine leitende Legitimationsfigur der hellenistisch-reichsrömischen Welt. Als das plausibelste aller Argumente galt die diachrone Kohärenz, und das „seit jeher“ typische Verhaltensmuster besaß normative Kraft. Mit den Worten, die Tertullian den Heiden (mit Blick auf die Bibel Israels zugunsten der Christen!) entgegenhält: auctoritas summa antiquitas; die Glaubwürdigkeit aufgrund der bislang durchschrittenen Zeiträume gehöre zum Kern der religio (vgl. apol. 19,1). Wie aber nun stand da, wer energisch an diese Kultur Anschluss suchte, ohne doch ein solches Gefüge legitimierender Sinnbezüge nutzen zu können? Lukas besaß keine Stammbäume, keinen homerischen Kanon,20 keine beweglichen Götterverwandten, keine Titanen‑ oder Perserschlacht und nicht einmal die mythisierbare Erinnerung an einen Galatersieg. Der Vorwurf traditionsloser Heutigkeit wog schwer.21 Der Neuerer, der auf eine Veränderung von Sitten und sozialer Statik zu zielen schien, grenzte sich kulturell aus. Der Eindruck, von der eigenen, jüdischen Väterreligion abgefallen zu sein, dürfte im Umkreis zahlreicher Synagogen sinnenfällig Nahrung gefunden haben und war angesichts von Schweinefleisch-essenden Unbeschnittenen ohne erkennbare Sabbatfrömmigkeit22 nicht leicht von der Hand zu weisen (vgl. allgemein Josephus, ant. 16,34–36). Es sind, so meint Tacitus mit senatorischem Zorn, die abscheulichsten Elemente der Gesellschaft, die die väterlich ererbten Religionsbräuche aufgeben 19  Vgl. Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 1), 39 f. und allgemein Wilhelm Kierdorf, Erlebnis und Darstellung der Perserkriege. Studien zu Simonides, Pindar, Aischylos und den attischen Rednern, Hyp. 16, Göttingen 1966, bes. 48–82, 111–119. 20  Grundsätzlich ist es denkbar, dass sich der pagane Kulturkanon, wenn schon nicht durch ausdrücklichen Bezug, so doch durch implizite Inanspruchnahme in den lukanischen Schriften niedergeschlagen hat. Für die sokratischen Züge des „athenischen Paulus“ (Apg 17,16–34) ist dies offenkundig. Für die homerische Epik vermisse ich bislang ähnliche Querlinien. In keiner Weise überzeugt der Versuch von Dennis R. MacDonald, Paul’s Farewell to the Ephesian Elders and Hector’s Farewell to Andromache: A Strategic Imitation of Homers Iliad, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 189–203, die Abschiedsrede des Paulus in Milet (Apg 20,17–38) als Echo auf Hektors Abschied von Andromache (Il. 6) zu lesen; vgl. dazu auch Margaret M. Mitchell, Homer in the New Testament?, in: JR 83 (2003) 244–260. 21 Pars pro toto sei zeitgenössisch der Ausfall des Dionysios von Halikarnass, De antiquis oratoribus 1 gegen die asianistische Manier in der Rhetorik genannt, die gleich zwei schwere Makel mit sich zu bringen schien: Sie stammte (anders als der Attizismus) aus östlichen Regionen und war neuartig (ἡ δὲ ἔκ τινων βαράθρων τῆς Ἀσίας ἐχθὲς καὶ πρῴην ἀφικομένη). 22  Vgl. David L. Balch, Μεταβολὴ πολιτειῶν – Jesus as Founder of the Church in Luke-­ Acts: Form and Function, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBL.SymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 139–188: 153, 183.

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(hist. 5,5,123). So stand der Amnesieverdacht gegen die junge Gemeinschaft als superstitio nova et malefica (vgl. Sueton, Nero 16,2; ferner Tacitus, ann. 15,44,3; Plinius d. J., epist. 10,96,8) deutlich im Raum. Gerade im Bereich der Religionspraxis neigte die reichsrömische Gesellschaft zu Respekt vor Alter und Herkunft kultischer Praxis (religio) und zu Misstrauen gegenüber Neuem, Fremdländisch-Ungewohntem, sozial Inkompatiblem (superstitio).24 Selbst dort, wo eine judenfeindliche Grundhaltung herrschte, würdigte man doch das Judentum wenigstens als alte Religion,25 um dann freilich im Vergleich das Christentum umso schärfer zu verurteilen (vgl. Tacitus, ann. 15,44,3 mit hist. 5,5,1).26 So sind die pagane Kritik am werdenden Christentum und nicht minder die apologetischen Versuche seiner Erzähler und Vordenker wesentlich durch das Alters‑ und Herkunftsproblem geprägt (vgl. z. B. Tertullian, apol. 19,1–4; 20,1; 46,1). Es darf als sicher gelten, dass dieses Thema auch in der Auseinandersetzung zwischen Christusgläubigen und Synagogengemeinden eine erhebliche Rolle gespielt hat.27 23  Hi ritus quoquo modo inducti antiquitate defenduntur; cetera instituta, sinistra foeda, pravitate valuere. nam pessimus quisque spretis religionibus patriis – „Diese Bräuche [scil. jüdischer Observanz wie Beschneidung und Sabbat], auf welche Weise auch immer eingeführt, sind durch ihr hohes Alter gerechtfertigt; die übrigen Einrichtungen, widerwärtig und scheußlich, gewannen noch durch ihre Schlechtigkeit Kraft. Denn gerade der übelste Teil verwarf die väterlich ererbte Religion“. 24  Die novitas scheint den Vorwurf der superstitio hinreichend zu begründen. War (oder schien) ein religiöser Brauch alt, so konnte es dem römischen Sinn als pietas gelten, Menschen zur Sühne lebendig zu begraben (Sueton, Dom. 8,4; Plinius d. J., epist. 4,11,4–14). Schien er fremd oder neu und jedenfalls der eigenen Überlieferung oder sozialen Balance nicht adaptionsfähig, war er superstitio (vgl. Tacitus, hist. 5,13,1 f.); zur ersten Übersicht Christa Frateantonio, Art. „superstitio“, in: DNP XI (2001) 1113–1115. Cicero, leg. 2,19: Separatim nemo habessit deos neve novos neve advenas nisi publice adscitos; privatim colunto quos rite a patribus cultos acceperint (vgl. 2,23.25–27); vgl. Peter Pilhofer, Πρεσβύτερον κρεῖττον. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT II / ​39, Tübingen 1990, 138–141. Ungeachtet der Authentie-Frage dürften Erlasse wie der von Josephus, ant. 14,213–216 zitierte C. Julius Caesars eine Grundstimmung gegenüber den πάτρια ἔθη auch des jüdischen Volkes widerspiegeln. 25 Zum Bild des Mose als eines weisen Gesetzgebers in der paganen Literatur John G. Gager, Moses in Greco-Roman Paganism, SBLMS 16, Nashville, Tenn. 1972, 25–79. 26  Freilich kann sich Tacitus in seiner Judentumspolemik nicht versagen, noch Mose vorzuwerfen, seinerzeit novos ritus contrariosque ceteris mortalibus eingeführt zu haben (hist. 5,4,1); zum Mose-Bild des Tacitus Gager, Moses (s. Anm. 25), 82–86, 127 f.; zum negativen Mose-Bild des Kelsos ebd. 92–101. Gerade die explizite Christentumskritik des Kelsos konzentrierte sich, sofern noch erkennbar, auf den Einwand der Neuartigkeit und des Abfalls von den jüdischen Wurzeln (vgl. Origenes, Cels. 1,14.16.26; 2,4; 5,33); dazu Heinrich Dörrie, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie auf Grund von Origenes c. Celsum 7,42ff, NAWG.PH 1967/2, 1967, 19–55: 25–28; Pilhofer, Πρεσβύτερον (s. Anm. 24), 224–226. 27  Zum Altersargument in der griechisch-römischen Literatur umfassend Pilhofer, Πρεσβύτερον (s. Anm. 24), 17–141; zur Auseinandersetzung der frühchristlichen Apologetik mit diesem Thema Arthur J. Droge, Homer or Moses? Early Christian Interpretations of the History of Culture, HUTh 26, Tübingen 1989, 49–193; Pilhofer, Πρεσβύτερον, 221–284.

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Abgesehen von der kulturellen Akzeptanz war das Risiko der Amnesie auch ad intra ernst zu nehmen: Was  – meist im Zusammenhang der „Parusieverzögerung“  – mit der Metapher „Das Christentum hatte sich in der Geschichte einzurichten“ beschrieben wird, stellte zunächst eine Herausforderung an die Wissensorganisation angesichts von möglichen Vergangenheiten dar, deren Auswahl die eigene Gegenwart definiert und die Zukunft vorprägt. Das soziale Gedächtnis hat eine kollektive Bindungsfunktion,28 und es war Lukas, der seine ekklesiogene Kraft entdeckt hat. Wenn die Zeit „zerdehnt“ war, galt es ihr Tiefe zu geben. Denn nur eine Gemeinschaft, die sich erzählend auf „ihre Geschichte“ zu einigen weiß, kann ihre Identität markieren und ausprägen. 1.3 Das biblische Alter des christlichen „Weges“: Die Lösung des Lukas Solche Tiefe gewann Lukas aus der Bibel Israels und damit zugleich aus der Religionskultur und Geschichte des jüdischen Volkes, das aufgrund seines unvordenklichen Alters in der Selbstwahrnehmung kräftigen Stolz nährte und in der Fremdwahrnehmung zumindest auf relativen Respekt stieß. In diese Geschichte schreibt Lukas die Geschichte Jesu und der Kirche ein.29 Er positioniert den christlichen „Weg“ also zum einen auf der Erinnerungsbahn Israels (Kontinuität), weist bedeutungsstiftend auf, dass das Christentum deren Richtungssinn entspricht (Identität), und zugleich, dass das synagogale Judentum durch seine Entscheidung gegen den verheißenen Messias aus deren Logik herausgefallen ist (Alterität). Unter der Hand wird die alte Herkunft freilich entschieden modernisiert. Zugespitzt gesagt: Was der reichsrömischen Mehrheitskultur an Israels Herkunft attraktiv schien – sein Alter –, wird für das Christentum als biblische Religion beansprucht; was auf das Misstrauen dieser Mehrheitskultur stieß – sein „sonderlicher Aberglaube“30  –, wird vom Christentum als ethischer Gemeinschaft abgegrenzt.31 Das Christentum wird als eine alte Religion konstruiert, 28 Zur soziogenen Kraft des Gedächtnisses Assmann, Religion (s. Anm. 2), 15–20; zum wissenssoziologischen Zusammenhang Peter L.  Berger / ​Thomas Luckmann, The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge, London (1966) 1991, 110– 146; zur Relevanz für das lukanische Doppelwerk Philip F. Esler, Community and Gospel in Luke-­Acts. The Social and Political Motivations of Lucan Theology, MSSNTS 57, Cambridge 1987, 65–70, 214–219. 29 Von „inscribing“ spricht Joel B. Green, Internal Repetition in Luke-­Acts: Contemporary Narratology and Lucan Historiography, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington Cambridge 1996, 283–299: 295. 30  Von der Beschneidung bis zur Sabbatfrömmigkeit konnten pagane Beobachter massiven Anstoß an jüdischer Tora-Observanz nehmen (vgl. z. B. Tacitus, hist. 5,4,2; 5,5,2; Plutarch, De superstitione 169c); vgl. näher F. Gerald Downing, Law and Custom: Luke-­Acts and Late Hellenism, in: Law and Religion. Essays on the Place of the Law in Israel and Early Christianity, hg. v. B. Lindars, Cambridge 1988, 148–158: 154–157. 31  Lukas entwickelt also erstmals eine Strategie, von der Tertullian feststellt, dass sie nicht alle paganen Beobachter überzeugt: Sed quoniam edidimus antiquissimis Iudaeorum instrumentis sectam istam esse suffultam, quam aliquanto novellam, ut Tiberiani temporis, plerique sciunt

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und alle πράγματα, von denen die lukanische διήγησις zu berichten hat, sind erfüllte πράγματα (so programmatisch Lk 1,1), in der unvordenklichen Herkunft je schon angelegt.32 So erklärt sich auch der auf den ersten Blick irritierende Umstand, dass die Herkunftsmemoria zugleich Stiftungsmemoria ist, denn gerade der zweite Teil des Doppelwerks verzeichnet ja das anfanghafte Gründungshandeln der heroischen Stiftergeneration.33 Wo es indes zu einer Umwandlung des Alten kommt – am nachhaltigsten mit der Aufnahme der Heiden in das Heilsvolk –, da ist solcher Wandel doch in den Herkunftsurkunden seit jeher als Stiftungswille angezeigt (vgl. bes. Apg 15,7–21) und wird zudem durch unmittelbaren Eingriff Gottes verfügt (vgl. bes. 10,1–11,18). Auf nichts sind die Christen weniger aus als auf eine Störung der sozialen Balance oder gar eine grundstürzende Neuerung der gesellschaftlichen Verfassung bzw. – mit lukanischen Vorzugswörtern gesagt34 – eine Veränderung der „väterlichen Sitten“.35 Gerade umgekehrt tragen sie zur profitentibus nobis quoque, fortasse an hoc nomine de statu eius retractetur, quasi sub umbraculo insignissimae religionis, certe licitae, aliquid propriae praesumptionis abscondat, vel quia praeter aetatem neque de victus exceptionibus neque de solemnitatibus dierum neque de ipso signaculo corporis neque de consortio nominis cum Iudaeis agimus – „Aber weil wir verbreitet haben, dass diese Gemeinschaft hier sich auf die uralten Dokumente der Juden stütze, obwohl die meisten wissen – und wir selbst bekennen uns durchaus dazu –, dass sie, aus der Zeit des Tiberius stammend, ziemlich neu ist, mag man vielleicht unter dem Eindruck Einwände gegen ihren Status erheben, dass sie gleichsam unter dem Sonnenschirm einer höchst angesehenen, jedenfalls erlaubten, Religion allerlei von unserem eigenen Bekenntnis verberge, zumal wir, vom Alter abgesehen, aufgrund von Speiseverboten, bestimmten Festtagen, des Zeichens am Körper gar oder eines gleichen Namens keine Gemeinschaft mit den Juden pflegen“ (apol. 21,1 f.). 32  Zur Doppelsinnigkeit des Partizips πεπληροφημένα im Sinne von „zum Abschluss / ​ Vollmaß kommen“ und „Verheißung erfüllen“ Heinz Schürmann, Das Lukasevangelium I, HThKNT 3/1, Freiburg i. Br. (1969) 41990, 5 f. 33 Zum heuristischen Vergleich des lukanischen Doppelwerks als Stiftungserzählung mit dem einschlägigen Stoff bei Dionysios von Halikarnass und in Plutarchs Biographien Balch, Μεταβολή (s. Anm. 22), bes. 154–174. In heuristischer Hinsicht – freilich nicht unter gattungskritischem Aspekt – ist auch die Lektüre des Doppelwerks als christliche Gründungsepik bei Marianne P. Bonz, The Past as Legacy. Luke-­Acts and Ancient Epic, Minneapolis, Minn. 2000 aufschlussreich. 34  Das Nomen ἔθος erscheint in den lukanischen Schriften 10-mal (Lk 1,9; 2,42; 22,39; Apg 6,14; 15,1; 16,21; 21,21; 25,16; 26,3; 28,17), in der gesamten übrigen ntl. Literatur nur 2-mal, und dort eher unprofiliert (Joh 19,40; Hebr 10,25). In Apg steht das Motiv einer Veränderung der Sitten im Zentrum von erzählter Anklage (Apg 6,14; 16,21; 21,21), Warnung (15,1) und Verteidigung (28,17). Das Adjektiv πατρῷος kommt im NT ausschließlich in Apg vor, und zwar positiv konnotiert (22,3; 24,14; 28,17), wie denn überhaupt die Wertschätzung „unserer Väter“ im Sinne der maiores ein Kennzeichen lukanischer Geschichtswahrnehmung ist. Zu den semantischen Schnittfeldern von ἔθος im lukanischen Doppelwerk (νόμος, Mose) Stephen G. Wilson, Luke and the Law, MSSNTS 50, Cambridge 1983, 1–11; Downing, Law (s. Anm. 30), 150–152; Matthias Klinghardt, Gesetz und Volk Gottes. Das lukanische Verständnis des Gesetzes nach Herkunft, Funktion und seinem Ort in der Geschichte des Urchristentums, WUNT II / ​32, Tübingen 1988, 115–123. Der Sprachgebrauch ist dem des Josephus sehr verwandt. 35  Die μεταβολὴ πολιτειῶν, die Veränderung der Gemeinschaftsverfassung, ist ein legitimatorisches Grundproblem hellenistisch-reichsrömischer Historiographie; vgl. umfassend Balch,

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Bereicherung des Erbes bei: Denn das Heidentum besitzt keine erinnerte Verheißung und deshalb aus sich heraus auch keine Zukunft.36 Jetzt aber, nachdem sich, wie Lukas beschreibt, das Gottesvolk für es geöffnet hat, darf es teilhaben an der Memoria Israels. Keine nova et malefica superstitio sind die Christiani, sondern im Gegenteil: eine vetus et pia religio. Dies nach innen wie nach außen transparent zu machen, bedarf es einer sinnstiftenden Kultur sozialer Erinnerungspflege. Es ist die Aufgabe der Historiographie, eine solche zu entwickeln und so zugleich den Anschluss an die kulturellen Erwartungen der Umwelt herzustellen.37 Lukas widmet dieser Aufgabe vor allem den zweiten Teil seines Doppelwerks.

2. Geschichtsschreibung als Herkunftsmemoria Gattungskritische Zuweisungen sind keine empirischen Klassifikationen, sondern der Versuch, eine möglichst aussagekräftige Vielzahl von vergleichenden Textbeobachtungen zu bündeln. So gesehen legt es sich nahe, den zweiten Teil des lukanischen Doppelwerks der „apologetischen Geschichtsschreibung“38 zuΜεταβολή (s. Anm. 22), bes. 174–183, 186–188; zum paganen Respekt vor der alten (und kompatiblen!) Sitte und dem lukanischen Rekurs auf die stabile Sittenbasis des Christentums David L. Balch, Paul in Acts: “… you teach all the Jews … to forsake Moses, telling them not to … observe the customs” (Act. 21,21), in: Panchaia. FS K. Thraede, hg. v. M. Wacht, JbAC.E 22, Münster 1995, 11–23. 36  Vgl. Jacob Jervell, The Future of the Past: Luke’s Vision of Salvation History and Its Bearing on His Writing of History, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 104–126: 107; zum Vorsprung jüdischen Hoffnungswissens vor heidnischer Frömmigkeit Karl Löning, Das Gottesbild der Apostelgeschichte im Spannungsfeld von Frühjudentum und Fremdreligionen, in: Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, hg. v. H.-J. Klauck, QD 138, Freiburg i. Br. 1992, 88–117: 110–115. 37  Der nächste Christ, der sich – erst nach zwei Jahrhunderten und in einer neuen Schwellenphase – als Geschichtsschreiber betätigte, hat diese Aufgabe deutlich erkannt und beschrieben (Eusebios, h. e. 1,2,1; 1,4, bes. 1,4,1.15); vgl. Jörg Ulrich, Eusebius als Kirchengeschichtsschreiber in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 277–287, bes. 279–281. 38  Grundlegend und umfassend dazu Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Leiden 1992. Die ebenso behutsame wie gründliche komparative Studie ist namentlich in der deutschsprachigen Actaforschung wohl noch zu wenig beachtet, möglicherweise auch deshalb, weil das Epitheton des „Apologetischen“  – anachronistisch  – störende Konnotationen birgt. Sterling definiert „apologetic historiography“ folgendermaßen: „the story of a subgroup of people in an extended prose narrative written by a member of the group who follows the group’s own traditions but Hellenizes them in an effort to establish the identity of the group within the setting of the larger world“ (ebd. 17 [dort kursiviert]). – Wichtig ist es, diesen an den soziokulturellen Standards der hellenistisch-reichsrömischen Welt Maß nehmenden Apologetik-Begriff von einem solchen zu unterscheiden, der lediglich auf die politische Toleranz römischer Verantwortungsträger abhebt; vgl. dazu Abraham J. Malherbe, “Not in a Corner”: Early Christian Apologetic in

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zuweisen. In erzählerischer Einheit mit der Episodenbiographie des Evangeliums legitimiert sie die christliche ὁδός angesichts der religiösen Plausibilitäten der hellenistisch-reichsrömischen Mehrheitsgesellschaft. Das Alter der je eigenen Kultur und Religion ist Standardthema jener – vor allem ethnisch geprägten  – Teilgemeinschaften, die sich gegenüber der hellenistischen Synthese durch Anpassung wie Selbstaffirmation zu definieren suchten und zu diesem Zweck ihre Vergangenheit (neu) ordneten und mittels Geschichtsschreibung „re-dokumentierten“.39 Auf diesem Feld haben, sofern die wesentlich auf Alexander Polyhistor gestützte fragmentarische Überlieferung ein sachgerechtes Bild bietet,40 gerade jüdische Historiographen so rege wie vielfältig mitgespielt. Abraham wird zum Stammvater für Afrikaner und Assyrer und obendrein Schwiegergroßvater des Herakles (Kleodemos Malchas, fr. 1 [Josephus, ant. 1,240b–241; vgl. Eusebios, praep. 9,20,2 f.]), aber auch astrologischer und mathematischer Lehrer der Phönizier und Ägypter (vgl. Ps.-Eupolemos, fr. 1 f. [Eusebios, praep. 9,17,2–9; 9,18,2b]; Ps.-Hekataios II, fr. 1 [Josephus, ant. 1,165b–168]). Vor allem Mose wird zum Archegeten aller Zivilisation, indem er den Juden die Schrift beibringt, die sie an die Phönizier, die sie an die Griechen weitergeben (Eupolemos, fr. 1 [Eusebios, praep. 9,26,1]). Er legt, mit Thot-Hermes gleichgesetzt, der nur scheinbar ältesten Kultur der Ägypter nichts weniger als deren militärische, staatliche, intellektuelle und technische Basis, setzt – in Acts 26:26, in: SecCen 5 (1985/86) 193–210, bes. 193–197; Esler, Community (s. Anm. 28), 205–219; Downing, Law (s. Anm. 30), 154. Hilfreich ist die typologische Unterscheidung des Apologetischen bei Loveday Alexander, The Acts of the Apostles as an Apologetic Text, in: Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians, hg. v. M. Edwards u. a., Oxford 1999, 15–44: 16–19: (1) Binnenkirchliche Auseinandersetzung, (2) Verteidigung angesichts des Judentums, (3) Religiöse Werbung gegenüber der griechischen Welt, (4) Politische Verteidigung gegenüber der römischen Macht, (5) Legitimation und Selbstdefinition (Typ 5 dient eher als Funktion aller literarischen Apologetik; vgl. ebd. 22). Zur kritischen Diskussion der Gattungsbeschreibung Sterlings vgl. Darryl W. Palmer, Acts and the Ancient Historical Monograph, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 1–29: 15–18; Kota Yamada, A Rhetorical History: The Literary Genre of the Acts of the Apostles, in: Rhetoric, Scripture and Theology, hg. v. S. E. Porter / ​T. H. Olbricht, JSNTS 131, Sheffield 1996, 230–250: 239–241; Alexander, Acts, 19, 26 f.; Carl R. Holladay, Acts and the Fragments of Hellenistic Jewish Historians, in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 171–198: 173 f.; Todd Penner, In Praise of Christian Origins. Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, ESEC 10, New York 2004, 223–261; Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004, 50–53. 39 Der Herausforderung stellten sich in der Regel Angehörige der priesterlichen Bildungsschicht, die jene Querkompetenz besaßen, der es bedurfte, um zwischen der indigenen Tradition und der hellenistischen Großkultur zu vermitteln: Berossos in den Βαβυλωνιακά (vgl. Sterling, Historiography [s. Anm. 38], 104–117), Manethon in den Αἰγυπτιακά (vgl. ebd. 117–135); zu den ethnographischen Ursprüngen apologetischer Geschichtsschreibung bei Hekataios von Milet, Herodot, Hekataios von Abdera und Megasthenes vgl. ebd. 20–102. 40  Vgl. bes. Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 141–152.

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gutem Einvernehmen mit der ägyptischen Priesterschaft – den Grund für Hieroglyphenschrift und Pyramidenbau und führt – für uns verblüffend – nicht nur die Beschneidung ein, sondern auch Polytheismus und den reich ausgestatteten Tierkult (vgl. Artapanos, fr. 3 [Eusebios, praep. 9,27,3–37]). Unter dem Namen Musaios wird er nicht etwa Schüler, sondern Lehrer des Orpheus und so indirekt auch zum Stifter der hellenischen Kultur (Artapanos, fr. 3 [Eusebios, praep. 9,27,3 f.]).41 Die ἀρχαιολογία des Josephus fügt sich diesem Strom apologetischer Geschichtsschreibung insofern ein, als sie ja gerade die Altertümlichkeit des Judentums – primär an Nicht-Juden gerichtet – nachzeichnet,42 eine Tendenz, die Contra Apionem dann ausdrücklich in das Zentrum stellt (vgl. bes. c. Ap 1,1; 2,152). Das Anliegen des Historiographen Lukas ist vergleichbar:43 Ihm geht es weniger – wie der Generation vor ihm und vor allem Matthäus – um den Ort der Heiden in der Ekklesia als vielmehr um den Ort der Ekklesia unter den Heiden, und so verfasst er eine ἀρχαιολογία für jenes „große Volk“ (vgl. Apg 18,10) der Christen, und zwar in einem doppelt legitimierenden Sinn: Er bietet ihre heroische Gründungs‑ und Erstepochengeschichte und zeigt zugleich auf, dass diese Geschichte ihrerseits auf einen unvordenklichen Hintergrund zurück41 Das Thema von Erfindung und Kulturstiftung nebst den damit verbundenen Prioritätsansprüchen und Abhängigkeitsbehauptungen beschäftigt die hellenistische Gelehrsamkeit nachhaltig; vgl. Klaus Thraede, Art. „Erfinder II (geistesgeschichtlich)“, in: RAC V (1962) 1191–1278. Zu den jüdisch-hellenistischen Historiographen vgl. die Textausgabe JSHRZ 1/2, ed. N. Walter (1976) sowie Thraede, Art. Erfinder, 1242–1247; Hans Conzelmann, Heiden  – Juden  – Christen. Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistisch-römischen Zeit, BHTh 62, Tübingen 1981, 139–159; John J. Collins, Between Athens and Jerusalem. Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, New York (1983) 1986, 25–59; Robert Doran, The Jewish Hellenistic Historians before Josephus, in: ANRW II.20.1 (1987) 246–297: 247–274; Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 137–225; Holladay, Acts (Anm. 38); Penner, Praise (s. Anm. 38), 223–261; Oda Wischmeyer, Orte der Geschichte und der Geschichtsschreibung in der frühjüdischen Literatur, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 157–169, bes. 164–169; speziell zum Altersargument bei den jüdisch-hellenistischen Historiographen vor Josephus Droge, Homer (s. Anm. 27), 13–35; Pilhofer, Πρεσβύτερον (s. Anm. 24), 148–163; zu Josephus Droge, Homer, 35–47; Pilhofer, Πρεσβύτερον, 193–206. 42  Dazu ausführlich Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 226–310. 43 Auch sonst lassen sich funktional bedingte Parallelen zwischen Apg und den apologetischen Werken des Josephus aufzeigen, nicht zuletzt darin, dass Lukas ähnlich wie Josephus die eigene Gemeinschaft als mustergültige Politeia darstellt: In den lukanischen Summarien wie bei Josephus (vgl. c. Ap. 2,145–286, bes. 2,145 f.) erscheinen die christliche bzw. jüdische Ethik, Gemeinschaft und Menschenfreundlichkeit als ideal (vgl. Todd Penner, Civilizing Discourse: Acts, Declamation, and the Rhetoric of the Polis, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. dems. / ​C. Vander Stichele, SBL.SymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 65–104: 91 f.; zur Interpretation Christine Gerber, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997, 122–387). Die jüdische / ​christliche Lebensform etabliert, was menschliches Kulturhandeln seit jeher zu verwirklichen suchte.

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weist.44 Anders als Josephus bietet er dazu keine hellenistische Nacherzählung der biblischen Geschichte. Er setzt „Mose und Propheten“ voraus, gibt ihnen ein verheißungsgeschichtliches und christologisches Vorzeichen und fügt den (vorerst) jüngsten Akt erzählend hinzu, und zwar so, dass kein Zweifel an der Einheit dieses Aktes mit dem Gesamtdrama aufzukommen vermag. Wer sich „in Geschichte einrichten“ will, bedarf der Geschichtsschreibung. Zu den maßgeblichen Leistungen historischer Vernunft gehört es, Kontinuitäten wahrzunehmen und dem eigenen Deutungskosmos zuzuordnen, um somit allererst eigene Kontinuität entfalten zu können. Lukas bedient sich solcher Vernunft, um für das werdende Christentum im Modus historiographischen Erzählens Zeit, Raum, Sinnsystem, Wertentwürfe und Handlungszwecke zu erarbeiten.45 Sein Doppelwerk stellt der Generation einer Übergangs‑ und Sattelzeit jenes Zusammenhangs‑ und Orientierungswissen zur Verfügung, dessen sie bedurfte, um einen kognitiven und, darauf aufbauend, lebensweltlichen Standort in der reichsrömischen Kultur zu gewinnen. Zurückhaltung ist Lukas dabei so fremd wie den anderen Apologeten seiner Zunft. Ort und Zeit, die er seiner Gemeinschaft zuweist, lassen sich pointiert wiedergeben: die Mitte schlechthin. Dass das werdende Christentum konsequent seinen Weg vom Jerusalemer Ursprung zur römischen Mitte der Welt schreitet, kennzeichnet den Plot der lukanischen Großerzählung.46 Dass sie mit dem Christus-Ereignis auch die „Mitte der Zeit“ umkreist, scheint mir den historiographischen Entwurf des Lukas  – ungeachtet der heute lebhaften Kritik am heilsgeschichtlichen Sche44  Vgl. auch Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 378–386; ähnlich Eckhard Plümacher, Art. „Apostelgeschichte“, in: TRE III (1978) 483–528: 518–520; Jens Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 237–262: 261; zur Apg als programmatischer Darstellung der ersten Epoche des Christentums Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004, 253–284; Schröter, Lukas, 250–254; Knut Backhaus, Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn 2007, 30–66 [in diesem Band S. 157–188]. 45  Zum Sinnkonzept als lebens‑ und handlungsleitendem Orientierungssystem in der Antike grundlegend Jörn Rüsen / ​K arl-Joachim Hölkeskamp, Einleitung: Warum es sich lohnt, mit der Sinnfrage die Antike zu interpretieren, in: Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, hg. v. K.-J. Hölkeskamp u. a., Mainz 2003, 1–15, bes. 3–9. 46 Apg 1,8 nennt allerdings programmatisch (und nicht bescheidener) das „Ende der Erde“ (vgl. Jes 49,6). Dies bezeichnet nicht das zum Erzählschluss erreichte Reichszentrum, sondern die Verkündigung an „alle Völker“ (vgl. Lk 24,47; Apg 13,47). Insofern die Reichsmetropole jedoch für das Ganze der Welt steht, sind beide Zielbestimmungen funktional gleich. Zur Diskussion Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., EKK 5, Zürich / ​Neukirchen-Vluyn 1986, I: 70; Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, Edinburgh 1994/1998, I: 80.

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ma Hans Conzelmanns47  – zunächst durchaus treffend wiederzugeben. Denn Lukas flicht das Christus-Geschehen einerseits programmatisch in den literarischen Zusammenhang von „Mose und Propheten“ ein und stellt es andererseits als Stiftungsgeschehen für die teleologisch konzipierte „Weltgeschichte“ des Evangeliums dar. Die lukanischen Ostererzählungen lassen sich von daher als narrativ inszenierte Lektüreanleitung für den zweiten Teil des Doppelwerks verstehen: der Weg der Jünger mit dem (unsichtbaren) Auferstandenen (Lk 24,13–35) vor dem Hintergrund von „Mose, Propheten, Psalmen und gesamter Schrift“ (vgl. 24,25.27.32.44–46), ausgerichtet auf die Verkündigung an alle Völker, angefangen in Jerusalem (vgl. 24,47–49). Hier nun sehe ich allerdings einen entscheidenden Unterschied zu Conzelmanns Schema: Lukas grenzt die drei Zeiten gerade nicht voneinander ab. Im Gegenteil: Er schreibt, um sie miteinander zu verknüpfen, mehr noch: um sie ineinander zu verschieben. Die Zeit der Kirche ist dank der Zeit Jesu bleibend die Zeit Israels. Das Evangelium steht also literarisch wie sachlich als verbindende Mitte zwischen den (atl.) Schriften und der Apostelgeschichte. Daraus folgt: Die Apostelgeschichte („die Zeit der Kirche“) ist aus sich nicht lebensfähig, sondern bedarf des Hintergrunds von Israels „uralten“ Schriften und jener Christus-Diegese, die diese Schrift auf den geschichtlichen Moment zuspitzt. So malt der Historiograph Lukas der jungen Gemeinschaft ein „Gedächtnisgemälde“,48 das sie in der Vergangenheitstiefe verankert und zugleich der Zukunft nicht weniger heroische und farbige Anknüpfungsmöglichkeiten bietet als etwa die Makro-Erzählung von Troja den politischen und regionalen Teilgemeinschaften. Die Gründungsgeschichte der Kirche wird zum tiefverwurzelten biblischen Großereignis (Modell Aeneis); die eigene Gegenwart wird mythisch umstrahlt (Modell Persae): Von der Prophetin Hanna bis zum Tora-Streiter Paulus ist man auf Augenhöhe mit den Helden der biblischen Ahnengemeinschaft. In diesem Sinn nutzt Lukas – über das verheißungsgeschichtliche Erfüllungsschema hinaus49  – die der Historiographie eigenen Gattungsmöglichkeiten mit aufmerksamer Konsequenz. Im Einzelnen sehe ich drei intertextuelle Darstellungslinien, die die Herkunftsmemoria literarisch aufbereiten: (1) programmatische Reden, (2) narrative Mimesis, (3) handlungstypische Rekurrenzmuster. (1) Es ist seit langem erkannt, dass Lukas in einer breiten historiographischen Tradition50 steht, wenn er den Handlungsträgern an markanten Punkten des 47  Vgl. Hans Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen (1954) 71993, bes. 4–11. 48  Der Begriff des „Gedächtnisbilds“ stammt von George Herbert Mead; vgl. Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 1), 29. 49  Dazu jüngst umfassend Dietrich Rusam, Das Alte Testament bei Lukas, BZNW 112, Berlin 2003, 150–431, 492–496. 50  Sie reicht von Thukydides (vgl. Thuk. 1,22,1) bis Lukian von Samosata (vgl. hist. conscr. 58). Zur Rede in der antiken Historiographie allgemein Charles W. Fornara, The Nature of History in Ancient Greece and Rome, Eidos, Berkeley, Calif. 1983, 142–168; Conrad Gempf,

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Erzählablaufs – gewissermaßen auf der Meta-Ebene – interpretierende Reden in den Mund legt. Kennzeichnend für die den lukanischen Reden eigene Programmatik sind dabei Einheit, Bruchlosigkeit und Richtungssinn des historischen Geschehens (vgl. bes. Apg 2,14–36; 3,12–26; 13,16–41).51 Die Vergangenheit Israels wird für die christliche ὁδός reklamiert und – insofern sich die Erinnerungsstränge fest an die „Zeit Jesu und der Kirche“ knüpfen  – vereindeutigend monopolisiert. Dramatisch schlägt dies in dem Geschichtssummarium der Stephanus-Rede (7,2–53) durch, wenn diese die immerhin dreizehn beziehungsstiftenden Rekurse auf „unsere Väter“ (7,2.11 f.15.19.38 f.44.45bis; vgl. 7,8 f.32) in den Ablehnungsvorwurf an „eure Väter“ ausklingen lässt (7,51 f.; vgl. 28,25!).52 Insofern die Reden zugleich der Charakterzeichnung der Akteure dienen, lassen Zitate wie Allusionen die lukanischen Protagonisten Petrus, Stephanus und Paulus als – cum grano salis –„alttestamentliche“ Charaktere erscheinen.53 (2) In einer weniger aus‑ als eindrücklichen Form macht Lukas von der stilistischen Möglichkeit des code switching Gebrauch, die sich als imitatio gerade in der Historiographie – freilich dort nach dem Vorbild anderer „Klassiker“ – darstellerischer Beliebtheit erfreute (vgl. Quintilian, inst. 10,2).54 Bereits beim ÜberPublic Speaking and Published Accounts, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 259–303; zu Lukas in diesem Kontext Stanley E. Porter, Thucydides 1.22.1 and Speeches in Acts. Is There a Thucydidean View? (1990), in: Studies in the Greek New Testament. Theory and Practice, hg. v. dems., Studies in Biblical Greek 6, New York 1996, 173–193; Marion L. Soards, The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville, Ky. 1994, 134–161. 51  Zum Vergangenheitsbezug in den lukanischen Reden Soards, Speeches (s. Anm. 50), bes. 200–203; zur lukanischen Komposition und literarischen Funktion der Geschichtssummarien in Apg 7,2b–53; 13,17–25 Joachim Jeska, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b–53 und 13,17–25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels, FRLANT 195, Göttingen 2001, bes. 257–271. 52  Zur Auslegung der Stephanus-Rede im Kontext jüdischer Geschichtssummarien Jeska, Geschichte (s. Anm. 51), bes. 154–220; speziell zu ihrer Bedeutung für die lukanische Einschätzung des Tempels Michael Bachmann, Die Stephanusepisode (Apg 6,1–8,3). Ihre Bedeutung für die lukanische Sicht des jerusalemischen Tempels und des Judentums, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 545–562; zu ihrem Zusammenhang mit hellenistisch-reichsrömischer Stiftungsmimesis Penner, Praise (s. Anm. 38), 262–330. 53  Vgl. Bill T. Arnold, Luke’s Charakterizing Use of the Old Testament in the Book of Acts, in: History, Literature, and Society in the Book of Acts, hg. v. B. Witherington, Cambridge 1996, 300–323, bes. 306–323. 54  Die lukanische Septuaginta-Mimesis wurde  – nach der Pionierleistung von Albert ­Wifstrand, Lukas och Septuaginta, in: STK 16 (1940) 243–262 – grundlegend von Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 38–79; ders., Art. „Lukas als griechischer Historiker“, in: PRE.S XIV (1974) 235–264: 250–255; ders., Art. Apostelgeschichte (s. Anm. 44), 506–508 aufgearbeitet; vgl. ferner Thomas L. Brodie, Greco-Roman Imitation of Texts as a Partial Guide to Luke’s Use of Sources, in: Luke-­Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, hg. v. C. H. Talbert, New York 1984, 17–46: 32–34; Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 352–363; Brian S. Rosner, Acts and Biblical History, in: The Book of Acts in Its First Century Setting I: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting, hg. v. B. W. Winter / ​A. D. Clarke, Grand

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gang von der technischen Fachprosa des lukanischen Proömiums (Lk 1,1–4) zu den solennen Wendungen der Geburtsgeschichten wird – fast schmerzhaft55 – deutlich, wie sehr es dem Evangelisten darum zu tun ist, sein Doppelwerk mit der biblischen Geschichte zu verbinden, genauer: es selbst als solche zu kennzeichnen. Die Vorgeschichte, die das gesamte Doppelwerk an der entscheidenden Stelle der Leserlenkung fundiert und die dessen verheißungsgeschichtliche Tiefe auslotet,56 setzt ein klares Motto: Introite, nam et hic Biblia sunt! Es sind, in die Sprache der Septuaginta gekleidet, unmittelbar wiederzuerkennende Erzählfälle (z. B. die göttliche Verheißung im Modus der Angelophanie) und Standardbiographien (z. B. kinderlose Paare, die von Gott mit einem das Drama Israels vorantreibenden Kind beschenkt werden), der Einschub archaisierender Lobpsalmen (vgl. Lk 1,46–55.68–79; 2,29–32), verheißungsgeschichtliche Grundstrukturen (bes. der Gottesbund: Lk 1,72; vgl. Apg 3,25; 7,8), nicht zuletzt soziale Identitätsmarker wie Priester, Prophetin, die Stadt Jerusalem, Tempel, Opfer, Wallfahrt, die – bis in Wortwahl, Satzbau und Stil hinein – den Leseraum des Doppelwerks als altbiblischen Grund ausweisen. Dem Lesenden wird im Erzähleingang des Doppelwerks unmissverständlich signalisiert: Er betritt jenen Boden, der von den γραφαί Israels abgesteckt worden ist; der sich auf ihm kundtuende Gott ist jener, der „schon immer“ so gehandelt und nunmehr „sich der Väter erbarmt (ποιῆσαι ἔλεος μετὰ τῶν πατέρων ἡμῶν) und seines heiligen Bundes gedacht“ hat (Lk 1,72).57 Die hier begegnenden Handlungsträger und Frömmigkeitsgestalten füllen Rollen aus, die „seit jeher“ so beschrieben Rapids, Mich. / ​Carlisle 1993, 65–82; Schröter, Lukas (s. Anm. 44), 241 f. Zur literarischen imitatio in der griechisch-römischen Geschichtsschreibung Brodie, Imitation, 26–32; zu den soziolinguistischen Aspekten der entwickelten lukanischen Kode-Kompetenz Loveday Alexander, Septuaginta, Fachprosa, Imitatio: Albert Wifstrand and the Language of Luke-­Acts, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. FS E. Plümacher, hg. v. C. Breytenbach / ​J. Schröter, AGJU 57, Leiden 2004, 1–26, bes. 14–26. 55  Lukian hält es für schlechten Stil, wenn der Historiograph beim Übergang vom Proömium zum Erzählcorpus auch die Sprachfarbe wechselt (hist. conscr. 16); vielmehr sei der Übergang vom προοίμιον zur διήγησις gefällig und fließend (εὐαφὴς τε καὶ εὐάργως) zu halten (hist. conscr. 55; vgl. 53 f.); vgl. Daryl D. Schmidt, Rhetorical Influences and Genre. Luke’s Preface and the Rhetoric of Hellenistic Historiography, in: Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, hg. v. D. P. Moessner, Harrisburg, Pa. 1999, 27–60: 52–54. 56  Zu Lk 1 f. als Grundlegung und Tiefenspiegelung beider lukanischer Schriften Ulrich Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 161–179; Joseph B. Tyson, Images of Judaism in Luke-­ Acts, Columbia, S. C. 1992, 42–55; Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, GNT 10, Göttingen 1993, 192–195; zum Zusammenhang zwischen Vorgeschichte und Apg auch Walter Radl, Die Beziehungen der Vorgeschichte zur Apostelgeschichte. Dargestellt an Lk 2,22–39, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 297–312. 57  Josephus bevorzugt das Nomen πρόνοια, um Gottes Geschichtswalten als Einheit zu beschreiben; Lukas benutzt stattdessen eine Vielzahl von Wendungen (βουλὴ τοῦ θεοῦ, δεῖ, ὁρίζω o. ä.); vgl. näher Sterling, Historiography (s. Anm. 38), 358 f.

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oder vorgesehen waren.58 Deutlich mimetische Züge trägt auch der erneut in Jerusalem zentrierte Eröffnungsteil der Apg, etwa mit archaischen Christus-Titeln (vgl. z. B. Apg 3,13 f.26) und szenischen wie rednerischen Darstellungen (vgl. z. B. 2,22–36).59 Die Septuaginta wird nachgerade als semantisch-syntaktisches Lokalkolorit fassbar; die literarische Kontinuität wird zum Ausdruck des geschichtlichen Kontinuums. Keine neue Welt lehrt Lukas zu sehen, sondern die alte Welt mit neuen Augen. (3) Ein historiographisches Darstellungsmittel, das der imitatio verwandt ist, ist die Rekurrenz. Sie beruht auf der Überzeugung, dass geschichtliches Handeln übergreifenden Gesetzmäßigkeiten untergeordnet ist und sich daher wiederholt.60 Ahnenbezug – so zeigte uns der Blick auf den stadtrömischen mos maiorum – orientiert sich an typischen Eigenschaften und beispielhaften Taten der Vorfahren. Man orientiert sich an den alten Überlieferungen und bringt das eigene Verhalten interpretierend auf deren Linie: „An ihren Taten erkennt man Gestalten aus dem Holze Israels. So waren sie schon immer, und so sind sie es noch!“61 Bereits innerhalb des Doppelwerks selbst bilden sich intratextuelle Handlungsmuster heraus: Johannes der Täufer wird unter vergleichbaren Umständen wie Jesus geboren (vgl. Lk 1,5–25.26–38.57–80; 2,1–20) und predigt wie er (3,10–14); Stephanus stirbt unter vergleichbaren Umständen wie Jesus (vgl. bes. Lk 23,46; Apg 7,59 f.); Paulus heilt zu Lystra ähnlich wie Petrus an der Schönen Pforte des Jerusalemer Tempels einen Gelähmten (vgl. Apg 3,1–10; 14,8–11); die nicht-christlichen Juden bilden in stets ähnlicher Weise die städtische Opposition zu den christlichen Verkündigern (vgl. Apg 9,23–25; 13,45–52; 14,4–7.19; 17,5–9.13 f.; 18,5 f.12–17; 20,3; 21,27–36; 23,12–15; 25,2 f.); das Pneuma treibt die  Zur Technik der diegetischen, narrativ-kompositionellen und verbalen Allusion in der lukanischen Vorgeschichte ausführlich Rusam, Testament (s. Anm. 49), 40–89; zum Septuaginta-Stil in Lk 1 f. auch John Drury, Tradition and Design in Luke’s Gospel. A Study in Early Christian Historiography, London 1976, 46–66; Hedley F. D.  Sparks, The Semitisms of St. Luke’s Gospel, in: JThS 44 (1943) 129–138; Fearghus Ó Fearghail, The Imitation of the Septuagint in Luke’s Infancy Narrative, in: PIBA 12 (1989) 58–78. Die biblische Gesamtatmosphäre wird eher durch diese literarische Technik „herbeigemalt“ als durch das Programm erfüllter Schriftverheißungen oder konkrete christologische Modelle wie etwa das eines „neuen Mose“ (das David Daube, Neglected Nuances of Exposition in Luke-­Acts, in: ANRW II.25.3 [1985] 2329–2356: 2346, im Doppelwerk vermutet). 59 Vgl. Plümacher, Art. Apostelgeschichte (s. Anm. 44), 506–509. 60  Einschlägig ist die ideengeschichtliche Monographie von Garry W. Trompf, The Idea of Historical Recurrence in Western Thought. From Antiquity to the Reformation, Berkeley, Calif. 1979, bes. 121–178, der den beiden lukanischen Büchern eine für die westliche Geschichtsdeutung maßgebliche Rolle zuschreibt: „They reflect notions which derive from both Hebraic and Greco-Roman traditions, leading us back into the Old Testament world while at the same time allowing us to continue our story forward from Polybius“ (ebd. 121); zur rhetorischen Funktion der Rekurrenz im lukanischen Doppelwerk Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 38), 99–141. 61  Ich imitiere hier Gehrke, Bedeutung (s. Anm. 1), 43 f., der seine Beobachtungen allerdings an den Athenern vornimmt. 58

2. Geschichtsschreibung als Herkunftsmemoria

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Heilsgeschichte in fast zyklischen Wiederholungen voran (vgl. z. B. Lk 1,3; 3,22; 4,18; Apg 2,1–36; 19,5 f.). Wichtige Weggabelungen müssen gleich in mehrfacher „Lesung“ verhandelt werden: Jesu Himmelfahrt (Lk 24,50–53; Apg 1,9–11), die Berufung des Paulus (Apg 9,1–22; 22,1–21; 26,2–23), die Taufe des Heiden Cornelius mit der legitimierenden Vision (Apg 10,9–48; 11,4–17).62 In ähnlicher Weise repetieren die lukanischen Handlungsträger aber auch ihre biblischen Ahnen: Maria singt über Jesus ähnlich wie Hanna über Samuel (Lk 1,46–55; 1Sam 2,1–10); der Täufer Johannes re-inszeniert den Propheten Elija (vgl. bes. Lk 1,17); Jesus verabschiedet sich mittels Himmelfahrt auf „Alttestamentlich“;63 die Erscheinung, die Paulus bei seiner Berufung erlebt, könnte ähnlich auch in Tora und Propheten stehen (vgl. bes. Gen 31,11–13; 46,2 f.: Jakob; Ex 3,4–10: Mose; Ez 1,28–2,3: Ezechiel).64 Paulus findet zu Athen – hier freilich in den paganen Kulturkanon hineinwandernd – einen Vorläufer im philosophischen Urhelden Sokrates (Apg 17,16–34).65 Und nicht zuletzt: Der Gottesgeist, der in beiden Teilen des Doppelwerks so klar das Handeln führt, hat dies auch zuvor schon getan – und wird es weiter tun. So weist das memoriale Fragment auf die (aus der jüdischen Perspektive gewonnene) universalgeschichtliche Orientierung des Erzählers. Lukas hätte dem Eindruck entschieden widersprochen, mit dem Christentum breche die Universalgeschichte ab, weil die Geschichte als solche apokalyptisch am Ende sei, die urchristlichen Erzählschriften stellten daher Ausnahmen dar, „die allerdings insofern die Regel bestätigen, als sie sich mit historisch extrem kleinen Zeiträumen und eher biographisch orientiert mit der Stifterfigur, mit Jesus von Nazaret, beschäftigen“66. Der lukanische Zeitraum ist nicht extrem klein, sondern „universal groß“ angelegt und beschränkt sich gerade nicht auf eine biographisch isolierte Stifterfigur. Deshalb beginnt die Vorgeschichte des Lk – cum grano salis – mitten im Alten Testament; deshalb endet das Geschichtswerk der Apg nach vorn offen. Denn weder „nach vorn“ noch „nach zurück“ ließ sich der Berichtszeitraum begrenzen. In die eine Richtung zielt die Herkunftsmemoria; mit Blick auf die andere rechnete der Historiograph womöglich damit, dass seine Diegese ihrerseits als Herkunft memoriert und fortgesetzt werde. Denn auch theologische  Vgl. auch Green, Repetition (s. Anm. 29), bes. 289–297. Goulder, Type and History in Acts, London 1964, 146–149 (freilich nicht ohne sehr konjekturale Züge); Darryl W. Palmer, The Literary Background of Acts 1.1–14, in: NTS 33 (1987) 427–438: 430–435 (unter Betonung jüdisch-hellenistischer Adaptionen der Abschieds‑ und Himmelfahrtsszene). 64  Vgl. näher Gerhard Lohfink, Eine alttestamentliche Darstellungsform für Gotteserscheinungen in den Damaskusberichten (Apg 9; 22; 26), in: BZ 9 (1965) 246–257; Rosner, Acts (s. Anm. 54), 72. Ein Spektrum weiterer möglicher Bezüge ebd. 71–75. 65  Vgl. näher Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 88–111. 66 So Jörg Rüpke, Römische Geschichtsschreibung. Zur Geschichte des geschichtlichen Bewußtseins und seiner Verschriftlichungsformen in der Antike, Potsdam 1997, 209 f. 62

63 Vgl. Michael

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Geschichtsschreibung ist auf Vorgänger wie Nachfolger angelegt.67 Dass sich die Letzteren für Lukas nicht mehr fanden, mag dadurch zu erklären sein, dass es den folgenden Generationen literarisch wie theologisch an Mut gebrach, die γραφαί fortzusetzen.68

3. Die narrative Gewinnung der Vergangenheit Die konsequente Berücksichtigung der Gedächtnisstrategie des Lukas ist geeignet, exegetische Sachfragen einerseits wirkpragmatisch zu konkretisieren und andererseits gerade so zu entdramatisieren. Dies sei an drei ebenso neuralgischen wie bezeichnenden Erzähltopoi beleuchtet: (1) die Erzählfigur des Paulus (im Kontrast zum „Paulus der Briefe“), (2) die Dignität der Tora (deren scheinbar widersprüchliche Darstellung durch Lukas auf Kritik stößt), (3) die Darstellung der Juden (die nicht selten als antijudaistisch empfunden wird). Gedächtnisstrategisch handelt es sich dabei um (1) die Gewinnung von in Frage gestelltem Kontinuitätsbewusstsein, (2) die Redefinition des Erinnerungszentrums und (3) die Sicherung von Identität durch markierte Alterität.69 (1) Das Lebenswerk des Paulus findet vor Felix zu verblüffender Bilanz: „Ich bekenne dir nun dies: Gemäß dem Weg, den sie eine Sekte nennen, diene ich so [scil. wie die Juden] dem väterlich ererbten Gott, indem ich allem glaube gemäß dem, was im Gesetz und bei den Propheten geschrieben steht …“ (Apg 24,14). Paulus, der sich vor dem heidnischen Richter hier ausdrücklich der ἀπολογία widmet (24,10: τὰ περὶ ἐμαυτοῦ ἀπολογοῦμαι; vgl. 22,1; 25,7 f.; 26,1 f.24; ferner Lk 12,11; 21,14; Apg 19,33), beschreibt präzise, was wir als Grundlinie apologetischer Geschichtsschreibung wahrnahmen: Er ist seiner väterlichen Herkunft treu und kann so gegen alle Kritik seinen Selbststand begründen. Diese Treue den Ahnen und der ihnen gegebenen Verheißung gegenüber ist es, die allererst die Anklage gegen den lukanischen Paulus – stellvertretend für das lukanisch gedeutete Christentum – veranlasst (vgl. Apg 26,1–7). Noch mit seinen letzten Worten beteuert Paulus an einer entscheidenden Stelle der Leserlenkung: 67  Unter Verzicht auf jegliche Hinführung beginnt Xenophon seine  Ἑλληνικά dort, wo Thukydides seine Darstellung des peloponnesischen Krieges mit dem Jahr 411 v. Chr. abgebrochen hatte (hell. 1,1,1). Seine eigene Darstellung bricht nach der Schlacht von Mantineia 362 v. Chr. unter Hinweis auf die kommende Geschichtsschreibung ab (hell. 7,5,27); vgl. grundsätzlich John Marincola, Authority and Tradition in Ancient Historiography, Cambridge 1997, 237–241; Burkhard Meissner, Anfänge und frühe Entwicklungen der griechischen Historiographie, in: Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, hg. v. E.-M. Becker, BZNW 129, Berlin 2005, 83–109: 83–86. 68  So die Vermutung bei Rüpke, Geschichtsschreibung (s. Anm. 66), 224 f. 69  Es wäre reizvoll, hier (1) die Selbstdarstellung des Josephus als jüdischer Kontinuitätsträger, (2) dessen Darstellung der hergebrachten jüdischen Lebensform und (3) dessen Beschreibung der „Juden“, namentlich der Antagonisten im eigenen Volk, zu heuristischem Vergleich heranzuziehen. Es dürfte hier nicht wenige strategische Parallelen geben.

3. Die narrative Gewinnung der Vergangenheit

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„Ich habe nichts gegen […] die väterlich ererbten Sitten getan!“ (28,17: ἐγώ, ἄνδρες ἀδελφοί, οὐδὲν ἐναντίον ποιήσας τῷ λαῷ ἢ τοῖς ἔθεσι τοῖς πατρῴοις; vgl. 21,20 f.; 22,3.14 f.). Je weiter Paulus die Kirchengründung vorantreibt und je deutlicher die Urchristen sich aus den „Mutterarmen“ der Synagoge lösen, desto „väterlicher“ scheint die ihnen eigene Sitte! So wird der Verkünder des Evangeliums zum Heros des mos maiorum: Er beschneidet den offenbar bereits getauften Timotheus, wenn auch, statt aus Gehorsam gegenüber dem eindeutigen Gebot des Bundesgottes, nur mit Rücksicht auf die Empfindungen jüdischer Beobachter (vgl. Apg 16,3).70 Kommt es zum clash of cultures, so hält der Missionar seinen Kopf für die jüdische „Sitte“ hin: In der von römischer Lebensform geprägten Kolonie Philippi werden er und Silas beschuldigt, als Juden Sitten (ἔθη) zu verkünden, „die wir, die wir Römer sind, weder annehmen noch praktizieren dürfen“ (16,20 f.), und deshalb schwerer Prügelstrafe mit anschließender Haft unterworfen (vgl. 16,19–23).71 Wird Paulus andererseits von jüdischer Seite angeklagt, so gerade deshalb, weil er eben diese jüdische, auf Mose zurückgehende „Sitte“ verletze (15,1 f.; 21,21; 26,2 f.; 28,17; vgl. 6,14), und gerade in solchen Zusammenhängen betont er sein reines Gewissen (vgl. 23,1; 24,16).72 Zu Kenchreä lässt er sich gar – für Lukas mag das Nasiräatsgelübde mitschwingen (vgl. Num 6,1–21)73  – den Kopf kahl scheren (Apg 18,18). Als er in Jerusalem mit dem unter den Judenchristen herrschenden Eindruck konfrontiert wird, er lehre die Juden der Diaspora, „nicht nach den Sitten zu wandeln“ (21,21: … μηδὲ τοῖς ἔθεσιν περιπατεῖν), entschließt er sich, dem Rat des Jakobus zu folgen und durch Beteiligung an der Auslösung von vier Nasiräern (vgl. Josephus, ant. 19,294) auch öffentlich zu dokumentieren, dass „du dich in Einklang befindest, indem du auch selbst das Gesetz genau beachtest“ (vgl. Apg 21,24: … στοιχεῖς καὶ αὐτὸς φυλάσσων τὸν νόμον). Tragischerweise führt gerade die rituelle Sorge um die levitische Reinheit dann dazu, dass Paulus zum letzten und entscheidenden Mal verhaftet wird, sodass er gar als ein Martyrer der Gesetzesfrömmigkeit betrachtet werden kann (vgl. 21,18–34). Ironisch mutet es an, wenn der urchristliche Missionar ausgerechnet den Hohepriester vor dem Synedrium nicht ohne Schärfe dazu ermahnt, die Tora zu halten, um sich dann, nicht minder toratreu, von den „Brüdern“ (im Synedrium!) im Nachhinein über dessen hohes Amt unterrichtet, mit galanter Entschuldigung vor dem „Fürsten seines Volkes“ zu verbeugen (vgl. 23,1–5). Kurzum: Der Paulus der 70  Zur Diskussion Pesch, Apg II (s. Anm. 46), 97; Barrett, Acts II (s. Anm. 46), 760–763; Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New York 1998, 575 f. 71  Die in Philippi ergriffenen Maßnahmen suchen den mos maiorum gegen Neuerungen zu schützen; vgl. mit zahlreichen Belegen Willem C. van Unnik, Die Anklage gegen die Apostel in Philippi (Apostelgeschichte xvi 20f) (1964), in: ders., Sparsa Collecta [I], NT.S 29, Leiden 1973, 374–385, bes. 379–385. 72  Zum Hintergrund Balch, Paul (s. Anm. 35), bes. 11 f., 22 f. 73  Vgl. Pesch, Apg II (s. Anm. 46), 155 f.; Barrett, Acts II (s. Anm. 46), 876–878; Fitz­ myer, Acts (s. Anm. 70), 634.

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Apostelgeschichte verkörpert Kontinuität. Bis zuletzt bleibt er vir vere Israeliticus, Inbegriff des den eigenen mos maiorum achtenden Frommen und erst unter diesem Aspekt ein respektabler civis Romanus. (2) Aus dem Dargelegten geht bereits hervor, wie Lukas es mit der Tora als soteriologisch geprägtes Weisungsbuch hält: Er ehrt sie, doch ohne Verlangen. So erklärt sich der zwiespältige Eindruck, der sich auch in der Forschungsdiskussion widerspiegelt.74 Lukas spricht  – auch über die prophetische Funktion der Schrift hinaus  – dezidiert positiv vom Gesetz, doch wirbt er keineswegs dafür, es zu befolgen.75 „Mose“ ist ihm der jüdische mos maiorum, und so besitzt die durch die Tora geprägte, „väterlich ererbte“ Lebensform für jüdische Christen durchaus präskriptive Kraft. Sie wird als kulturelles Ordnungswissen dem ἔθος wie dem ἔθνος zugeordnet.76 Als kulturelles Herkunftswissen im Modus der „Schrift“ wirkt sie überdies als christlicher Attraktivitätsfaktor. Sie positiv darzustellen gehört also zum apologetischen Wirkinteresse des Lukas gegenüber der paganen Kultur.77 Dagegen ist die Tora in keiner Weise normatives Zentrum der christlichen Wissensorganisation; dieses Zentrum wird vielmehr durch Jesus Christus und die in ihm vollzogenen Eschata redefiniert, und allein von diesem Zentrum aus gewinnt die Vergangenheit Richtung (vgl. Lk 24,44–47; Apg 2,38; 4,12; 13,38 f.; 15,8–11). So lösen sich die scheinbaren Widersprüche im Gesetzesverständnis des lukanischen Doppelwerks auf: In ihrem begrenzten Geltungsbereich besitzt die Tora kulturelle – das heißt nach antikem Maßstab durchaus religiös-ethische – Verbindlichkeit. Sie kann in deutlich relativierter und pragmatischer Weise, letztlich auf ein defensives Reinheitskonzept reduziert, auf Heidenchristen ausgedehnt werden, um rituell gemeinsame Lebensformen zu ermöglichen, wie es auf dem Apostelkonvent geschieht (vgl. Apg 15,19 f.28 f.; 74  Überblicke bei Klinghardt, Gesetz (s. Anm. 34), 1–9; Kalervo Salo, Luke’s Treatment of the Law. A Redaction-Critical Investigation, AASF.DHL 57, Helsinki 1991, 13–23; Merkel, Gesetz (s. Anm. 8), 119–121. 75  Eine eindringliche Musterung des einschlägigen Textguts beider Teile des lukanischen Doppelwerks bei Wilson, Luke (s. Anm. 34), 12–102; Craig L. Blomberg, The Law in Luke-­ Acts, in: JSNT 22 (1984) 53–80: 57–69; Esler, Community (s. Anm. 28), 111–128; Rusam, Testament (s. Anm. 49), 90–149. 76  In dieser Richtung (mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Nuancierungen) Wilson, Luke (s. Anm. 34), bes. 103–117; Karl Löning, Das Evangelium und die Kulturen. Heilsgeschichte und kulturelle Aspekte kirchlicher Realität in der Apostelgeschichte, in: ANRW II.25.3 (1985) 2604–2646: 2621–2627; Mark A. Seifrid, Jesus and the Law in Acts, in: JSNT 30 (1987) 39–57; Merkel, Gesetz (s. Anm. 8), bes. 126–133; sehr stark betont die lukanische „Gesetzesfreiheit“ Blomberg, Law (s. Anm. 75). In Anschluss an Jacob Jervell, Luke and the People of God. A New Look at Luke-­Acts, Minneapolis, Minn. 1972, 133–151 vermuten dagegen ein lebhafteres Geltungsinteresse der pluraler gefassten „lukanischen Gemeinde“ an der Tora Esler, Community (s. Anm. 28), bes. 128–130; Klinghardt, Gesetz (s. Anm. 34), bes. 306–320 und Salo, Treatment (s. Anm. 74), bes. 298–304. 77  Zu ἔθος als apologetischer Begriffsprägung auch bei Josephus Wilson, Luke (s. Anm. 34), 6–10.

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21,25).78 Ihren soteriologisch entscheidenden Rang jedoch hat sie verloren, und eine ekklesiologisch einende Funktion gewinnt sie nicht (vgl. 15,9.11!). Sie setzt ihre Geltung zudem nicht durch eigenen Anspruch, steht vielmehr unter freiem Diskurs (vgl. bes. 15,7–11) und wird am Ende durch Pneuma und apostolische Autorität (15,28) geregelt. Selbst die Verbindlichkeit der vier „Jakobusklauseln“ wird mit einem recht konstruiert wirkenden Altersargument begründet: „Denn Mose hat von alten Zeiten her (ἐκ γενεῶν ἀρχαίων) in jeder Stadt solche, die ihn verkünden in den Synagogen, da er an jedem Sabbat vorgelesen wird“ (15,21). Der rätselhafte und umstrittene Satz gewinnt Sinn, sieht man ihn als universalisierende Reprojektion des jüdischen mos: In ihrem Kern – der in der partikularen Überlieferung eines einzelnen Volkes zu finden und zugleich von ihr zu unterscheiden ist – ist die Tora ethische Menschheitsüberlieferung – und hebt sich in ihr auf. Dass gewissenhafte Observanz partikular überlieferter Religionsnormen mit einem theologisch relativierten Geltungsanspruch und einem begrenzten Geltungsbereich verbunden werden kann, ist ein Signum hellenistisch-reichsrömischer Frömmigkeit.79 Vor dem Hintergrund der universalgeschichtlichen Ausrichtung des lukanischen Erzählwerks erscheint die Tora als kategoriale Lebensordnung damit freilich als marginal.80 So ist die Dignität der Tora für Lukas knapp zu beschreiben: Sie stiftet für alle Christen verbindliches Herkunftswissen, für Judenchristen lebenspraktisches Ordnungswissen und für diese wie jene einen Echoraum in der Tiefe der Zeit, wodurch die eigene Identität auf der Höhe der Zeit geadelt wirkt. 78 Der Zusammenhang der „Jakobusklauseln“ mit Lev 17 f. ist zumindest auf der lukanischen Bezugsebene recht fraglich; vgl. Wilson, Luke (s. Anm. 34), 84–94; Seifrid, Jesus (s. Anm. 76), 47–51; Merkel, Gesetz (s. Anm. 8), 128; zur Diskussion Alexander J. M.  Wedderburn, The “Apostolic Decree”: Tradition and Redaction, in: NT 35 (1993) 362–389. Dass die vier Auflagen als in der Tora wurzelnd gesehen werden, geht allerdings aus dem Begründungssatz Apg 15,21 (vgl. Josephus, c. Ap. 2,175) hervor. 79  Vergleichbar ist Ciceros Vorgehen in De legibus (leg. 2): Die altrömische, durch Numa und die Vätersitten konstituierte Religion erweist sich als die Menschheitsreligion; die partikulare Vätersitte ist dabei lediglich die dem Menschen als sozialem Wesen gemäße Konkretion der richtigen Lebensform: secundam naturam, quae norma legis est (leg. 2,61). Was bei Cicero universale, da stoisch „natürliche“ Religion ist, ist für Lukas die universale, da „mosaisch“ allerorten verkündete Religion; vgl. zu Cicero Hubert Cancik / ​Hildegard Cancik-Lindemaier, patria – peregrina – universa. Versuch einer Typologie der universalistischen Tendenzen in der Geschichte der römischen Religion, in: Tradition und Translation. Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. FS C. Colpe, hg. v. Chr. Elsas u. a., Berlin 1994, 64–74: 66–68; zu Lukas auch Balch, Μεταβολή (s. Anm. 22), 184–186. Zur praktischen Verbindlichkeit der überlieferten Norm bei gleichzeitiger Relativierung ihrer theologischen Basis erhellend ist Cicero, nat. deor. 3,43.94. 80 Das Gesetz „ist weder heilsnotwendig (als Taufvoraussetzung) noch konstitutiv für die vita christiana. Es ist als Sittenkodex nichts als ein kulturelles Phänomen. Dies ist gewiß eine Relativierung, aber keine Kritik an der mosaischen Normenwelt. Das Evangelium ist nicht der Feind der Kulturen. Es ist aber auch nicht der Prophet einer bestimmten Kultur“ (Löning, Evangelium [s. Anm. 76], 2627).

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(3) Aus dem Dargelegten erklärt sich schließlich die außerordentliche Wertschätzung des Judentums im lukanischen Doppelwerk: seiner heils‑ und verheißungsgeschichtlichen Würde, seiner Heiligen Schriften, seiner Frömmigkeit, mit zunehmender Abschiedsstimmung auch seiner Hauptstadt und seines Tempels, dessen Tore am Ende für den Leser symbolträchtig ins Schloss fallen (Apg 21,30).81 Diese Hochachtung entspringt nicht freundlicher Rücksicht auf eine judenchristliche Minderheit in der „lukanischen Gemeinde“, sie ist Wurzel von deren Selbstachtung. Sie entspricht dem Gegenwartsanliegen des Historiographen Lukas, der in seinem Ringen um einen Platz in der reichsrömischen Kultur die Vergangenheit der eigenen Gemeinschaft zu kanonisieren bestrebt ist. Dies schließt den lukanischen Respekt vor dem Judenchristentum als lebendigem Kontinuitätsträger ein: „Sein Lebenswerk wird uns Auftrag und Verpflichtung sein!“82 Nun lässt sich dieser gute Vorsatz vornehmlich dann vernehmen, wenn es traurigerweise zu spät ist. In der Tat entspricht die Wertschätzung des Judentums bei Lukas in keiner Weise der der Juden,83 genauer: der synagogalen Konkurrenz. Wie so oft ist die polemische Herabsetzung der Anderen die dunkle Seite der apologetischen Selbstbehauptung. Die gesuchte Identität gewinnt sich nicht zuletzt durch die Markierung von Alterität.84 Tatsächlich ist die Gefahr eines verwechselbaren Christentums in Apg allgegenwärtig.85 Nun ist die Verwechslung 81 Vgl.

Tyson, Images (s. Anm. 56), 83–185. Zum Tempel im lukanischen Doppelwerk Michael Bachmann, Jerusalem und der Tempel. Die geographisch-theologischen Elemente in der lukanischen Sicht des Kultzentrums, BWANT 109, Stuttgart 1980, 171–381; Esler, Community (s. Anm. 28), 131–163; Bachmann, Stephanusepisode (s. Anm. 52). 82  Mit dieser – längst erbaulich zersagten – Floskel lässt sich, nimmt man sie denn beim Wort, nach Walter, Ahn (s. Anm. 5), 271 der Grundgedanke der antiken Ahnenreferenz einfangen. 83 Vgl. Wilson, Luke (s. Anm. 34), 116. 84  Identität und Alterität sind relationale Größen. Die Selbstdefinition grenzt den eigenen Identitätsraum von dem des Anderen – in unserem Fall: der (synagogalen) Juden – ab. Solche Abgrenzung kann mit radikalem Impetus in binär-exklusiver Weise erfolgen (so Offb). Sie kann aber auch Schnittfelder und dynamische Öffnungen zulassen (vgl. grundsätzlich Gehrke, Einleitung [s. Anm. 3], bes. 11–14). Dies scheint mir im Opus Lucanum eher gegeben, obschon zu beachten ist, dass in Schwellen‑ und Krisenphasen die Identität, die als instabil wahrgenommen wird, zweifellos hermetischer konstruiert wird. Zur Diskussion um den „Antijudaismus“ in den lukanischen Schriften vgl. die Forschungsskizzen bei Martin Rese, „Die Juden“ im lukanischen Doppelwerk. Ein Bericht über eine längst nötige „neuere“ Diskussion, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 61–79 und Merkel, Israel (s. Anm. 8), 371–382 sowie die Diskussion bei Matthias Blum, Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk? Zur These eines lukanischen Antijudaismus, in: „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, hg. v. R. Kampling, Paderborn (1999) 22003, 107–149. 85 Chancen und Risiken der Inkulturation in pluralem religiösen Milieu arbeitet in aufschlussreichem Gang durch die Verwechslungsepisoden der Apg bes. Klauck, Magie (s. Anm. 65) heraus; vgl. auch Knut Backhaus, Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9). Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit, in: ThGl 91 (2001) 4–23: 7–21 [in diesem Band S. 417–436: 420–424].

3. Die narrative Gewinnung der Vergangenheit

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mit paganen Gruppierungen dem Berichterstatter offenkundig ein Dorn im Auge; die Verwechslung mit jüdischen Verkündigern dagegen nimmt er ohne Groll zur Kenntnis (vgl. Apg 16,20 f.; 18,15; 19,33 f.), und er lässt in heidnischem Hinterland Paulus auch gar nicht anders predigen als sie (vgl. 14,15–17). Die als notorisch und leidenschaftlich dargestellte Feindschaft der  Ἰουδαῖοι resultiert nicht aus einer Unterlegenheit der jüdischen Religion. Im Gegenteil, sie resultiert gerade aus der Ursprungsnähe und „Seelenverwandtschaft“, und der einzige, freilich entscheidende Vorwurf, den Lukas den Juden zu machen hat, lautet im Grunde: Sie sind jener Teil Israels, der nicht am mos maiorum festhält, und nur darum widersetzen sie sich ihrer endzeitlichen Sammlung.86 Agrippa II. als wahrer Kenner des Judentums muss, so sagt es Paulus in seiner großen Bilanzrede,87 nur konsequent sein, um Christ zu werden (vgl. 26,2 f.24–29). In gewisser Weise kehrt Lukas damit das gegen die Christen gerichtete Argument um: Nicht sie sind eine Abspaltung vom Judentum, sondern ihre synagogalen Gegner. Diese – die christliche Selbstwahrnehmung stabilisierende – Umkehrung der polemischen Situation sollte nicht theologisch überinterpretiert werden, etwa als endgültige Verwerfung Israels im Erzählende 28,25–28 (mit Jes 6,9 f.).88 Das offene Erzähl­ ende zeugt ebenso wie der Respekt vor der uralten Herkunft des Judentums von einem langen Atem. Die Konflikt‑ und Trennungsgeschichte zwischen Juden und Christen ist eine individuelle Epoche in der sehr langen Geschichte Israels.89 Gut denkbar ist es, dass Lukas meinte, seine historiographischen Nachfolger könnten zu diesem Thema noch andere Kapitel zu schreiben haben: τὰ δὲ μετὰ ταῦτα ἴσως ἄλλῳ μελήσει (Xenophon, hell. 7,5,27). Blicken wir abschließend – längst in einer anderen „Epoche“ – auf das Bleibende an der historiographischen Leistung des Lukas: Zweifellos diente die literarische Gewinnung urchristlichen Herkunftsbewusstseins der sinnstiftenden Legitimation und Orientierung für eine kirchliche Sattelzeit. Indem Lukas den Vergangenheitsraum Israels der christlichen Selbstvergewisserung adaptierte, ordnete er zugleich ein vielschichtiges, eigendynamisches und so auch subversives Kulturwissen. Dieses ist nicht einfach eine Variante religiöser Exklusivitätsansprüche, sondern ermöglicht die memoriale Entfaltung von biblischen Beziehungen, in der am Ende die Alterität des jüdischen „Vergangenheitspartners“ 86  Vgl. Löning, Evangelium (s. Anm. 76), 2613–2616; Roloff, Kirche (s. Anm. 56), 192– 206; Merkel, Israel (s. Anm. 8), 389–398. 87 Zu Stellung und Funktion der Rede Apg 26,1–27 vgl. Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 44), 268–271; zu deren apologetischem Verstehenskontext auch Malherbe, Corner (s. Anm. 38), 201–206. 88 Dies scheint mir häufig die Gefahr, so etwa bei Robert Maddox, The Purpose of Luke-­ Acts, FRLANT 126, Göttingen 1982, 183–185; Jacob Jervell, Gottes Treue zum untreuen Volk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 15–27: 25 f.; Roloff, Kirche (s. Anm. 56), 206; dagegen triftig Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 44), 266–268, 280. 89  Vgl. auch Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 44), bes. 279–282.

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eigenes Recht gewinnen kann.90 Für das Christentum ist Israel kein beziehungsloses Präteritum, sondern eine im Gegenwartssinn erinnerte Größe. So gesehen hat Lukas schreibend verhindert, dass Geschichte verloren ging.91 Man mag seinen Umgang mit den Miterben des „Ahnenkapitals“ aus guten Gründen kritisch sehen. Gleichwohl: Dass Christen mit Blick auf Israel in der Lage sind, „wir“ zu sagen, verdanken sie wesentlich ihm.

90  Vgl. grundsätzlich (im Zusammenhang mit der Vergangenheitsorientierung in der repu­ blikanischen Nobilität Roms) Walter, Ahn (s. Anm. 5), 255 f. 91  Vgl. Gehrke, Vergangenheit (s. Anm. 3), 64.

Die Erfindung der Kirchengeschichte Zur historiographischen Funktion von Apg 12 Acts is to be located between the “hidden transcripts” of marginalised cultural minorities and the highbrow historiography of the social elites. It is Luke, who, for the first time, turns the Jesus movement into a subject of history. Often perceived as incongruous in its character and difficult to explain, the bridge chapter Acts 12 is in fact the decisive step towards “church history”. On the threshold to the “global culture” of the Roman Empire, it deals with a high-profile political process, thereby both using conventional patterns of historical interpretation and spotlighting the minority, which now, for the first time, becomes a player on a central stage. A comparison with the parallel narrative in Josephus’s Antiquities shows how Luke indirectly on comments this story of persecution, retribution, justice, first institutionalisation, and historical caesura by means of literary arrangement and imaginative reconstruction and how he develops a specific Christian sense of history. The theocentric framework connected to a biographical structure is a peculiar feature of Luke’s historical concept rooted in his Jewish tradition.

Geschichtsschreibung ist in der Antike eine Tätigkeit gesellschaftlicher Eliten. So kann es Kirchengeschichtsschreibung erst geben, wenn die Kirche selbst Elite stellt, also seit Eusebios. So lautet das übliche Urteil.1 Es entstammt seinerseits der Sichtweise einer gesellschaftlichen Elite. Es übersieht die eigene Geschichte der Nicht-Eliten und deren Artikulation jenseits der offiziellen Bühne. Die jüngere Soziologie hat sich solchen hidden transcripts zugewandt.2 Auf der Schwelle zwischen diesen Artikulationen und einem literarischen Selbstverständnis steht die Apostelgeschichte. Ihr Verfasser verortet das werdende Christentum mit den Mitteln der Historiographie und konstituiert es damit erstmals literarisch als Subjekt von Geschichte. Als der entscheidende Schritt in die Kirchengeschichtsschreibung soll hier das 12. Kapitel gewürdigt werden. Fehlte das Kapitel, würde der Leser es kaum bemerken.3 Mit seinem unmotiviert wirkenden Orts-, Handlungs‑ und Aktantenwechsel unterbricht es den glatten Übergang des Evangeliums von Jerusalem nach Antiochien, der in Apg 11,19 vollzogen schien (vgl. 13,1–3). Vor dem Hintergrund der antiochenischen 1  Aktuell bei Beat Näf, Antike Geschichtsschreibung. Form – Leistung – Wirkung, Stuttgart 2010, 199 f., 206–209. 2  Vgl. James C. Scott, Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts, New Haven, Mass. 1990, bes. 136–182. 3   So z. B. Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles I, ICC, London (1994) 2006, 568 f.; Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New Haven, Conn. 1998, 485.

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Hilfsgesandtschaft nach Jerusalem (11,27–30; 12,25) bietet die Erzählung eine Art „Pausenfüller“. Der Straftod des „Herodes“ (VV. 20–23) ist zwar eine der wenigen Episoden im lukanischen Werk, die wir auf das Jahr (44 n. Chr.) genau datieren können, und die einzige, die eine direkte Parallele bei Josephus aufweist, zugleich aber auch die einzige, die ohne christliche Bezugsgestalt auskommt. Die Szene scheint weder urchristliche Eigenart noch narrative Bedeutsamkeit zu besitzen. Die Nachricht über Tyrer, Sidonier und Blastus (V. 20) mag man als die unnötigste des ganzen Doppelwerks empfinden. Theologisch stimmt das Ganze vom Henker über die Engel bis zu den Würmern ohnehin verlegen. So wirkt der „Einschub“ erzählerisch ortlos und inhaltlich entbehrlich.4 Oft sucht man seine Bedeutung eher metaphorisierend hinter dem Text als in ihm selbst. Tatsächlich aber tut Lukas hier eine entscheidende Zäsur der urchristlichen Geschichte dar. Im Gefüge der Apg interpretiert Kap. 12 nicht weniger als das Ende der (apostolischen) Jerusalemer Ursprungsphase und den Übergang in die (paulinische) Universalgeschichte, den schärfsten Einschnitt zwischen Χριστιανοί und jüdischer Mehrheit, die Verwechslung von Gott und Mensch als Grundirrtum der paganen Kultur, den Wechsel von Petrus zu dem Herrenbruder Jakobus bzw. Paulus und damit die endgültige Transformation der binnenjüdischen Verkündigung in die Ekklesia aus Israel und den Völkern. Der „Einschub“ erweist sich als Prisma, in dem die Erzählfarben gebrochen und ansichtig werden. Freilich wird dieser Übergang nicht erklärt, sondern gezeigt, als Eindruck geformt, nachhaltig dramatisiert. Apg 11,19–26 beschreibt die Anfänge der ersten „christlichen“ Normalgemeinde (vgl. 11,26). Die Rahmenstücke 11,27–30; 12,25 dienen dem Kameraschwenk auf Jerusalem und zurück. 13,1 wirkt wie eine Ergebnisnotiz über die οὖσα ἐκκλησία: Wie auch sonst (1,13; 6,5; 20,3 f.) markiert der Namenskatalog den Übergang in Neuland.5 In 13,2 f. ergreift der Heilige Geist selbst die dazu nötige Initiative. Das geschichtstreibende Wirken des Pneuma verlagert sich in das unmittelbare Vorfeld der Völkerwelt. In diese Anfänge hinein setzt Kap. 12 programmatische Abschlussszenen: Mit dem Tod des Zebedaiden Jakobus (und dem Fortgang des Petrus) endet der Zwölferkreis, an dessen Vollzähligkeit und Kontinuität zunächst so viel lag (1,15–26). Mit dem Tod des „Herodes“ findet die Verfolgung der Urgemeinde ein stimmiges Darstellungsende;6 mit der Wachstumsnotiz V. 24 kommt die apostolische Urzeit zu einem theologischen Abschluss. Ein letztes Mal – vom rückblickenden Auftritt beim Apostelkonvent abgesehen (15,7–11) – handelt Kap. 12 von Petrus, der in den ersten zwölf Kapiteln als Leitfigur diente. Dass hier der Abschied 4 Vgl. auch die Problemskizze bei O. Wesley Allen, The Death of Herod. The Narrative and Theological Function of Retribution in Luke-­Acts, SBLDS 158, Atlanta, Ga. 1997, 1–4. 5 Richard I. Pervo, Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009, 321. Es entspricht freilich der lukanischen Kompositionsstrategie (und Geschichtsdarstellung), die Übergänge nicht blockartig nebeneinanderzusetzen, sondern die Einheiten durch ein feines Netz von Vor-, Quer‑ und Rückbezügen miteinander zu verweben; dazu näher Bruce W. Longenecker, Lukan Aversion to Humps and Hollows: The Case of Acts 11.27–12.25, in: NTS 50 (2004) 185–204: 197–201. 6  Zum Tod des Agrippa als Signal eines Übergangs Allen, Death (s. Anm. 4), 130–136.

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des Petrus – genauer: der Abschluss des durch sein Wirken geprägten Kontinuums (vgl. 1,21 f.)  – interpretiert wird, wird über der vieldiskutierten Frage, wohin er denn wohl gegangen sei (vgl. V. 17b), meist übersehen. Diese Frage interessiert die Ausleger; den Erzähler interessiert sie programmatisch nicht. Nicht nur die Zwölf oder Petrus, sondern alle seine irdischen Akteure verlassen ohne biographischen Aufhebens die Bühne, auf der sie denn auch unversehens aufgetaucht sind.7 Das „Türöffnungswunder“ und der Fortgang des Apostels entsprechen als narratives Funktionsäquivalent dem Adverb ἀκωλύτως, mit dem Apg nachdrücklich schließt (28,31). Freilich ist wie dort, so auch bei Petrus mit diesem Abschied eine Zuspitzung des Verhältnisses zu den Juden gegeben.8 Bislang war das Verhältnis der Urgemeinde im Rahmen des jüdischen Volks günstig gezeichnet; die Konflikte gingen in der Regel von jüdischen Teilgruppen aus.9 Unsere Szenen schildern den Bruch dieser Nachbarschaft. Die  Ἰουδαῖοι erscheinen hier in kennzeichnender Handlungseinheit mit einem – in seiner Hybris heid7  Petrus wird über die Schwiegermutter, Barnabas über den Acker, Paulus über die Bewachung der Kleider, Johannes Markus über das Haus seiner Mutter, der Herrenbruder Jakobus durch beiläufige Nennung in unserer Perikope eingeführt. Alle diese nehmen, wie die Zwölf in unserem Kapitel, stillen Abschied aus der Erzählung (ähnlich Lk 3,19 f. diff. Mk 6,17–29 über den Tod des Täufers Johannes unter Herodes Antipas). Das gilt auf eigene – viel diskutierte – Weise auch für Paulus (Apg 28,30 f.). Andreas Lindemann, Paulus und die Rede in Milet (Apg 20,17–38), in: Reception of Paulinism in Acts – Réception du paulinisme dans les Actes des apôtres, hg. v. D. Marguerat, BETL 229, Löwen 2009, 175–205: 203 f. hebt den unscheinbaren Abgang des Petrus von dem rednerischen Abschied des Paulus in der Milet-Rede ab. Die Folgerung, anders als bei Paulus gebe es damit „kein abschliessend gezeichnetes ‚Petrusbild‘, das sich die Leser der Apostelgeschichte einprägen könnten“ (ebd. 204), ist zu präzisieren: Das abschließende Wort spricht Petrus Apg 11,1–18 (dazu die Reprise 15,7–11). Das abschließende Bild ist das des himmlisch befreiten Gottesboten und Antityps zum jüdischen König. Vor dessen Sohn wird Paulus mit seinem theologischen Rede-Abschied die Gründungsepoche der Ekklesia abschließen (vgl. 26,2–29). Freilich bedarf die Gestalt des Petrus anders als die des Paulus offenkundig keiner Rezeptionssteuerung mehr, sodass Lukas auf eine Selbstdefinition im Sinn der Milet-Rede verzichtet. In keinem dieser Fälle geht es um den biographischen Schlusspunkt, vielmehr stets um die christentumsgeschichtliche Zäsur, genauer: das je neue Gedeihen des Gottesworts. Eine Ausnahme von der Regel des stillen Aktantenwechsels bildet lediglich das paradigmatische Martyrium des Stephanus. – Zu dem hier vorausgesetzten Epochenbegriff Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289: 263–265; zu 26,1–27 als Epochenabschluss ebd. 275–278. Zu Apg als Darstellung der christlichen Erstepoche auch Jens Schröter, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte (2005), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 223–246: 235–238. 8  Eine ähnliche Folge hat sich bereits beim Wechsel von Jerusalem nach Samarien abgespielt: Stephanus wird vom jüdischen Hoheitsträger – hier: dem Synedrium – umgebracht; die Urgemeinde verlässt (mit Ausnahme der Apostel) Jerusalem; das Wort schreitet nach Samarien voran (Apg 8,1.4). Dahinter steht die für Apg insgesamt charakteristische Einsicht: Die Niederlage des Evangeliums erweist sich als dessen Schritt nach vorn. 9 Als Gegenspieler treten (nach der verpassten Chance in Apg 3,17–19) die „Anführer“ unter Leitung der Hohepriester (breit eingeführt: 4,5 f.) auf. Der Konflikt eskaliert von Bedrohung (4,18–21) über Züchtigung (5,40) zur Beseitigung (vgl. 7,54–60). Diese Spirale verantwortet das Synedrium; das Volk tritt in letzterem Fall als von einigen Synagogengruppen getäuscht in den Blick (6,12). Zu einem Mordplan kommt es seitens der damaszenischen Juden (9,23). Jedoch liegt vor Kap. 12 grundsätzlich Frieden über der Ekklesia (9,31; 11,19).

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nisch konnotierten – Tyrannen: Der Apostelmord ist ihnen „wohlgefällig“ (V. 3). Diesem λαός zu Gefallen soll der Anführer der Urchristen zur Hinrichtung vorgeführt werden (VV. 4.11). Der Konflikt wird tödlich. In Kap. 13 wird er nur noch „demokratisiert“ (vgl. bes. 13,45–47). Zugleich wird mit der Tribünenszene in Cäsarea das Kernproblem des Heidentums als Voranzeige vor Augen geführt: Es verwechselt Göttliches mit Menschlichem (vgl. bes. 10,25 f.; 14,11–18; 17,24 f.29; 28,6). Insgesamt begründet und beschreibt Kap. 12 damit einen Qualitätssprung im Werden der Kirche.

Selten greift Lukas daher entschiedener auf die historiographischen Gestaltungsmöglichkeiten zurück, um Theologie zu treiben: Geschichte kommentiert sich selbst. Genauer: Der Erzähler kommentiert, außer durch die Stoffauswahl als solche, durch Komposition (→ 1) und Eidetik (→ 2). So stellt sich bei den Adressaten der Eindruck ein, sie seien gar keiner Deutung ausgesetzt, sondern selbst Augenzeugen des religiös erwünschten Geschichtsverlaufs. Was sie inmitten der gemalten Sequenzen „sehen“ – nicht etwa das, was ein Deuter ihnen nahelegt – prägt ihre Erinnerungsarbeit (→ 3).

1. Komposition: Der verschränkte Übergang Eine allzu kantige Segmentierung der Erzählung verfehlt deren Wirkabsicht. Gerade die fließende Episodenfolge und das Wechselspiel der Details bergen die lukanische Absicht. Gekennzeichnet ist die Szenensequenz (1)  durch den markanten Wechsel höchst unterschiedlicher Erzählbilder und ‑farben zwischen Tyrannei und Befreiung: Am Ende hat der Leser den Eindruck, dass er einer lebhaften Entfesselung des Gottesworts und deren launiger Inszenierung, kaum aber einem Kontinuitätsbruch mit immerhin achtzehn Todesfällen beigewohnt hat; (2) durch die Konstanz von Handlungsträgern und ‑motiven: Die Rahmenszene mit Barnabas und Paulus nebst dem hinzugewonnenen Johannes Markus, das variierte Motiv des Engels, des Tyrannen, der Verwechslung von Himmel und Erde, der zu öffnenden Tür, der Nachricht an den zweiten Jakobus, nicht zuletzt die eingespielte Epiphanie-, Exodus-, Passions-, Ostermotivik stiften der bunten Szenenfolge eine Stimmigkeit ein, die das Geschehen im Kontinuum typischer Gottesvolk-Geschichte wahrnehmen lässt; (3)  durch die Kohärenz der historiographischen Deutungsmuster: Kontrast – Rekurrenz – Retribution – Rollenwechsel. Den Rahmen der Handlung bildet die Gesandtschaft von Barnabas und Saulus von Antiochien nach Jerusalem. In Apg 11,30 brechen sie auf; in V. 25 kehren sie zurück. In 13,1 f. beginnt von Antiochien aus das Missionswerk unter den Heiden. Damit ist nach V. 1 der καιρός gekennzeichnet, also die qualifizierte Zeit des Übergangs, in der die Ereignisse des Kap. 12 spielen und zu deren Qualifikation sie beitragen. Folgt man den Markierungen des zeitlichen Ablaufs, ergibt sich folgende doppelt gerahmte Szenenfolge:

1. Komposition: Der verschränkte Übergang

Barnabas und Saulus von Antiochien nach Jerusalem (11,30) I. Szene Tod und Tyrannei (VV. 1–5) II. Szene Intervention des Himmels (VV. 6–17) III. Szene Tyrannei und Tod (VV. 18–23) IV. Szene Wachstum des Gottesworts (V. 24) Barnabas und Saulus (mit Johannes Markus) von Jerusalem nach Antiochien (V. 25)

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→ narrative Qualifizierung des Übergangs ←

Die Szenen legen durch die grave-allegro-Sequenz ihre befreiende Sinnrichtung offen und deuten sich durch Kontrast und Entsprechung wechselseitig. Lukas gibt dem Geschehen einen doppelten Vorzeichenwechsel: In der unmittelbaren Folge verwandelt sich Misshandlung (I) in Befreiung (II) und der Kollaps des Wahngotts (III) in das Wachstum des Gottesworts (IV). In der inneren Rahmung verwandelt sich Misshandlung der Minderheit (I) in göttlichen Triumph (IV) und der beabsichtigte Schautod des Apostels  (II) in den realen Schautod des Tyrannen (III). Erst durch diese Sequenz wird der Tod des Herrschers zur mors persecutoris (ausdrücklich: Eusebios, h. e. 2,10,1). Das fast manierierte Spiel reicht bis ins Detail: Petrus wie Herodes werden vom Engel (dort um zu wecken, hier um zu töten) geschlagen (VV. 7.23: πατάσσω); die eiserne Tür des Kerkers öffnet sich dem Apostel αὐτομάτη, die der häuslichen Beter ironischerweise nur unter Mühen (VV. 10.13–16). Im Ausgang besitzt Lukas disparates Traditionsmaterial, eine Jerusalemer Personallegende und ein Erzählkonzept von der Reise des Gottesworts bis ans Ende der Welt.10 Indem er diese erzählten Welten aufeinander öffnet und miteinander verwebt, gewinnt er jenen Blickwinkel, den er braucht, um die geschichtliche Zäsur als Ausdruck göttlicher Führung, mehr noch: göttlichen Befreiungshandelns zu deuten. Selbst für die erzählfreudige Apg wirken die Akteure bunt zusammengewürfelt: ein Gewaltherrscher; zwei Apostel als Opfer; sechzehn – am Ende tote – Soldaten; eine friedfertige Betgemeinschaft; eine naive Magd; betende wie zweifelnde Urchristen; ein nicht nur korrupter, sondern auch kontextloser Kämmerling; verblüffend präzise situierte Gesandtschaften; viel Volk; dreimal ein Engel (zuerst hilfreich-real, dann eingebildet, schließlich real-tödlich); Würmer; Gotteswort. Gott selbst wird nicht direkt zur persona dramatis; ein eingebildeter Gott indes beendet seine Dramenrolle unter dramatischen Umständen. Der Leser dieser Episodenfolge sieht, dass es hier letztlich keine Handlungsträger im eigentlichen 10 Zum historischen Hintergrund von Kap. 12 Julia Wilker, Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Studien zur Alten Geschichte 5, Frankfurt a. M. 2007, 164–178. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse Walter Radl, Befreiung aus dem Gefängnis. Die Darstellung eines biblischen Grundthemas in Apg 12, in: BZ 27 (1983) 81–96: 82–86; Gerd Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte, Göttingen 1987, 145–152; Daniel Marguerat, Les Actes des apôtres I, CNT (N) 5a, Genf 2007, 424 f.

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Sinn gibt, sondern dass alle Handlung durch den (nicht erwähnten) göttlichen Akteur getragen bzw. drastisch unterbrochen wird. Was die so unterschiedlichen Szenen wesentlich zusammenhält, ist diese unterschwellige Handlungsführung: Sie deutet sich nach gottlosem Auftakt (V. 1: „enter a murderer“) im Schlusssatz der ersten Szene an (V. 5b), kehrt das Geschehen eindrücklich um (V. 7: „enter an angel“), führt es machtvoll (abermals mittels des Engelmotivs: V. 23) ins Gegenteil und setzt sich nachhaltig durch (V. 24). Kurzum: Der Übergang in die neue Phase des werdenden Christentums wird in radikaler Theozentrik dargetan  – und damit als Kontinuum. Gerade deshalb treten die lukanischen Akteure leise von der Bühne: Sie sind weder Helden noch Hauptpersonen. Sie sind Träger des Wortes. Darin allein liegt ihre Bedeutung.

2. Eidetik: Die scheinbare „Demut der Sachlichkeit“ Die farbigen Einzelheiten, etwa die Ankleideanweisungen des Engels an Petrus (V. 8), werden im jüngsten Kommentar als pittoreske „niceties“ abgetan, um ihre eigentliche Bedeutung in symbolsprachlicher Auslegung zu gewinnen: Um die Auferstehung des Petrus und die Tauferfahrung der Adressaten gehe es hier.11 Doch die Bedeutung unserer Episode liegt nicht hinter dem Text, sondern in ihm. Lukas folgt den Regeln der ἐνάργεια (evidentia, demonstratio, sub oculos subiectio), die etwa zeitgleich Quintilians rhetorischer Wissensspeicher anführt (inst. 4,2,63–65.123 f.; 6,2,32; 8,3,61–71; 9,2,40; vgl. rhet.  Her. 4,68; Cicero, de  orat. 3,202).12 Sie stellen, entfernt an den Exodus mahnend (vgl. Ex 12,11), Gegenwart her: Geschichte wird eidetisch herbeigeführt; der Leser wird Zeitgenosse, Teilhaber dieses Auszugs durch Anschauung. Dem Adressaten wird der Verlauf nicht erklärt, er nimmt als (lesender) „Augenzeuge“ an dem wechselvollen Prozess teil und wird auf solche Weise transformiert: Durch den verstörenden Geschichtsverlauf hindurch nimmt er die Handlungsführung Gottes wahr.

11  Pervo, Acts (s. Anm. 5), 302, 304, 310–312. In ähnlicher Weise sucht Rick Strelan, Strange Acts. Studies in the Cultural World of the Acts of the Apostles, BZNW 126, Berlin 2004, 263–273 nahezu allegorisierend, nach Erzählsinn, bes. als kryptische Darstellung des Todes Petri. 12 Vgl. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart (1960) 31990, §§ 810–819. Die „niceties“ sind jene narrativen Details (ἐναργήματα), derer der Erzähler bedarf, um den Leser eidetisch in die Erzählung zu versetzen. Ein sprechendes Beispiel sind die – sachlich unnötigen – Wäschestücke, die Tabita zu Lebzeiten angefertigt hatte und die die weinenden Witwen dem Petrus zeigen (Apg 9,39). Auch hier besitzt das Erzählte keinen symbolischen Hintersinn, sondern zieht den Adressaten auf der Erzähloberfläche in die Trauer hinein.

2. Eidetik: Die scheinbare „Demut der Sachlichkeit“

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I. Apg 12,1–5 Bereits der Name  Ἡρῴδης ὁ βασιλεύς besitzt dunklen Signalwert.13 Wie Herodes Antipas Jesus verfolgt, so der „andere Herodes“ dessen Jünger. Daran lässt die sofort einsetzende Konfrontation mit der ἐκκλησία ebenso wenig Zweifel wie die das Exodus-Geschehen assoziierende Wortwahl: ἐπέβαλεν […] τὰς χεῖρας κακῶσαι (vgl. Lk 20,19 diff. Mk / ​Mt; Lk 24,7 diff. Mk / ​Mt; Gen 15,13 f.LXX; Ex 3,7LXX; dazu: Apg 7,6.19.34). Nicht zufällig klingt hier semantisch wie motivlich Jesu Vorausschau Lk 21,12 (diff. Mk / ​Mt) durch. Auch der Feiertag14 dient der Milieufärbung. Was hier geschieht, entspricht der Logik des Exodus wie der Passion,15 nicht als heilsgeschichtlicher Typus, sondern als „typische“ Geschichte. In der Dynamik Bedrohung – Bestrafung – Beseitigung, die die wachsende Entfremdung zwischen dem dominanten Judentum und der frohgemut-leidenden Ekklesia in Apg kennzeichnet, ertönt die Wendung in der Folge von Apg 4,3 und 5,18 wie ein dritter Glockenschlag. Die Milieuskizze belegt Lukas mit einer präzisen Mitteilung:16 Der König lässt den Zebedaiden Jakobus mit dem Schwert hinrichten.17 Die erste Hinrichtung 13 Der

Name „Herodes“ ist außer an unserer Stelle und der von ihr abhängigen Literatur für Agrippa I. sonst nicht belegt (harmonisierend: Eusebios, h. e. 2,10,10); vgl. Wilker, Rom (s. Anm. 10), 153 f. Lukas bedient sich des Namens um der Rekurrenz willen; vgl. Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 51–53. Der erste Namensträger herrscht zur Zeit der Geburt Jesu (Lk 1,5); der zweite, Herodes Antipas, ist später dessen Landesherr, lässt den Vorläufer Johannes hinrichten und sich (diff. Mk / ​Mt) Jesus in der Passion vorführen (Lk 3,1.19 f.; 8,3; 9,7–9; 13,31 f.; 23,6–12). Dieses Licht fällt bezeichnend auf seinen „Namensvetter“ in unserer Erzählfolge: (M. Julius) Agrippa I. (11/10 v. Chr.–44 n. Chr.; reg. 41–44 n. Chr.). Er ist Enkel des Erstgenannten und herrscht noch einmal über dessen Königreich. Vor Agrippa II. und Berenike, seinen Kindern, hält Paulus seine letzte Apologie, mit der die Erstepoche des Christentums schließt (vgl. Apg 25,13–26,32). Der Sohn, der als Kenner der jüdischen Überlieferung und (daher auch) Sympathisant des Paulus dargestellt wird, tritt auch in Apg unter dem (römisch konnotierten) Agrippa-Namen auf. 14  ἡμέραι τῶν ἀζύμων: vgl. Lk 22,1.7; auch das Verb παραδίδωμι ist passionssprachlich verankert: Lk 9,44; 18,32; 20,20; 22,4.6.21 f.48; 23,25; 24,7.20; Apg 3,13. Zu φυλακή vgl. Lk 22,33! 15  Zur Pascha‑ und Exodus-Motivik August Strobel, Passa-Symbolik und Passa-Wunder in Act. XII.3ff, in: NTS 4 (1957/58) 210–215 (traditionsgeschichtlich akzentuiert); Radl, Befreiung (s. Anm. 10), 87–91; relativierend: John B. Weaver, Plots of Epiphany. Prison-Escape in Acts of the Apostles, BZNW 131, Berlin 2004, 155–159, 191–194. Zur Passions‑ und Ostertradition Jacques Dupont, Pierre délivré de prison (Ac 12,1–11) (1967), in: ders., Nouvelles études sur les Actes des apôtres, LeDiv 118, Paris 1984, 329–342, bes. 338–341; Radl, Befreiung, 92–95; David T. N.  Parry, Release of the Captives – Reflections on Acts 12, in: Luke’s Literary Achievement, hg. v. C. M. Tuckett, JSNTS 116, Sheffield 1995, 156–164, bes. 159–161. Motivgeschichtlich sind die Ebenen nicht zu trennen; vgl. bes. (wenn auch mit einseitiger Betonung des kosmischen Satanskampfs) Susan R. Garrett, Exodus from Bondage: Luke 9:31 and Acts 12:1–24, in: CBQ 52 (1990) 656–680; Johann Hintermaier, Die Befreiungswunder in der Apostelgeschichte, BBB 143, Berlin 2003, 215–236 (nimmt eine strukturierende Funktion der Exodus-„Typologie“ wahr). 16  Ähnlich die konkrete (und historisch plausible) Notiz Apg 4,36 f. vor dem generalisierenden und idealisierenden Hintergrund von 4,32–35. 17 Das lukanische Vorzugsverb ἀναιρέω steht vorwiegend im Zusammenhang der Passion

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eines Apostels wird überraschend knapp erwähnt (vgl. dagegen Apg 1,15–26). Der tödliche Ausgang für seine Charaktere ist Lukas tatsächlich nur als Strafe oder Vorbild erzählenswert.18 Dass er hier geschichtliche Erinnerung bietet, darf als sicher gelten. Agrippa I. arbeitete aus innenpolitischer Rücksicht an seinem Image als Wahrer jüdischen Herkommens (vgl. Josephus, ant. 19,331).19 In der präsentisch formulierten Generalisierung ὅτι ἀρεστόν ἐστιν τοῖς  Ἰουδαίοις (V. 3) wird der Bruch zur Stammreligion sichtbar, der hintergründig die alsbald einsetzende Völkermission motiviert. Dies ist, akzentuiert durch V. 11, die letzte Nachricht über die Juden, bevor die antiochenische Mission sich den Heiden zuwendet (vgl. 13,46–49). Die Ankündigung, Herodes wolle Petrus dem Volk (zur Hinrichtung) vorführen, bereitet die Rollenrochade vor: Dem Volk wird alsbald der König selbst tödlich vorgeführt (VV. 21–23). Mit einer μέν-δέ-Konstruktion schwenkt V. 5 das Licht elegant auf die Urgemeinde um, die mit der kennzeichnenden Haltung des inständigen Gebets (vgl. Apg 1,14; 2,42.46 f.) den Kontrast zum Handeln des Königs darstellt: Die Fürbitte trifft auf den Herrscher, der über Leichen geht. Mit der Wendung προσευχὴ δὲ ἦν ἐκτενῶς γινομένη ὑπὸ τῆς ἐκκλησίας wird eine Klammer um die Kerkerszene gesetzt, deren anderen Teil die Rückkehr des Petrus in den Kreis dieser Beter darstellt (V. 12). Das unscheinbare Gebet der im Haus der Maria versammelten Gemeinde ist das Gegenbild zur tödlichen Tyrannei: πρὸς τὸν θεὸν περὶ αὐτοῦ. Damit ist die maßgebliche Geschichtsinstanz auf den Plan gerufen und eine Spannungsschiene zum Folgenden gelegt. II. Apg 12,6–17 In inszenatorischer Breite ergeht Lukas sich im topischen Befreiungswunder.20 Die Peripetie wird mit dem deiktischen καὶ ἰδού eingeleitet. Sie ergibt sich nicht (Lk 22,2; 23,32; Apg 2,23; 10,39; 13,28) oder der Verfolgung der Verkünder (Apg 5,33; 9,23 f.29; 22,20; 23,15.21.27; 25,3; 26,10; nominal: 8,1). 18  Dies wurde im Zeichen hagiographischer Interessen früh als Mangel empfunden: Eusebios amplifiziert, indem er unter Berufung auf Clemens Alexandrinus die Bekehrung des Denunzianten ergänzt (h. e. 2,9,1–3). Unter historischem Gesichtspunkt wurde seit Eduard Schwartz die gleichzeitige Hinrichtung des Zebedaiden Johannes vermutet (vgl. Mk 10,39), die Diskussion bleibt mit Recht skeptisch; vgl. Gerd Theissen, Die Verfolgung unter Agrippa I. und die Autoritätsstruktur der Jerusalemer Gemeinde. Eine Untersuchung zu Act 12,1–4 und Mk 10,35–45, in: Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte. FS J. Becker, hg. v. U. Mell / ​U. B. Müller, BZNW 100, Berlin 1999, 263–289: 269–273, 280–283; Wilker, Rom (s. Anm. 10), 172–174. 19  Dazu näher Theissen, Verfolgung (s. Anm. 18), 273–280. Zu Vita und Regierungsstil Agrippas I. Daniel R. Schwartz, Agrippa I. The Last King of Judaea, TSAJ 23, Tübingen 1990; Nikos Kokkinos, The Herodian Dynasty. Origins, Role in Society and Eclipse, JSPES 30, Sheffield 1998, 271–304; zu dessen Haltung gegenüber den religiösen Strömungen Schwartz, Agrippa, 116–130; Wilker, Rom (s. Anm. 10), 146–178. 20  Zur Formgeschichte und Topik des Befreiungswunders Reinhard Kratz, Rettungswunder. Motiv-, traditions‑ und formkritische Aufarbeitung einer biblischen Gattung, EHS.T 123, Frankfurt a. M. 1979, 459–473; Weaver, Plots (s. Anm. 15), 149–217.

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aus dem Handlungsablauf, sondern bricht dessen Konsistenz. Zugleich wird der Kontrast zwischen Gottesplan und Menscheneinsicht durch die binnenszenische Motivaufnahme (Engel, Realitätsfrage, Türöffnung) spielerisch ausgefeilt. Anders als der Tod des einen wird die Befreiung des anderen Apostels in jenen Einzelheiten, an denen sich die ἐνάργεια bewährt, vor Augen gemalt. Sie beginnen bei dem in nächtlicher Finsternis epiphan erleuchteten Kerker, führen über das gestufte Wecken des trotz Ankettung friedlich Schlummernden, das Zerspringen der Ketten, das geleitete Ankleiden (Gürtel, Sandalen, Oberkleid), durch mehrere Wachen, bis schließlich die eiserne Pforte αὐτομάτη aufspringt. Der auktoriale Erzähler liefert – ungewöhnlich für die urchristliche Literatur – noch die Introspektive mit: Erst am Ausgang der Befreiung erkennt Petrus, der sich in einer Vision wähnt, dass der Engel Realität war. Diese Erzählkunst zielt darauf ab, den Leser zum Begleiter zu machen. Die wunderbare Befreiung aus der Haft mit ihren Einzelmotiven ist vor allem im dionysischen Motivzyklus belegt (bes. Euripides, Bacch. 443–450.604–655; Ovid, met. 3,696–700; Nonnus Pan., Dion. 45,270–285; 46,1–3). Artapanοs transponiert sie auf Mose (fr. 3 [Eusebios, praep. 9,27,23–26]).21 Die ebenso eindrückliche wie parteiische Erscheinung der Gottheit verfolgt einen konkreten Legitimationszweck: Die (neue) Kultgemeinschaft setzt sich machtvoll gegenüber den Zwängen der dominierenden Gesellschaft durch.22 Genau deshalb schildert unser Abschnitt die Befreiung des Petrus und gibt ihr angelophanes Licht: Sie steht für den Fortzug der Ekklesia aus dem jüdischen Hauptstrom und meldet zugleich deren Identitätsanspruch gegenüber der paganen Mehrheitsgesellschaft an. Daher ist es kein Zufall, dass die Feststellung der Befreiung in dem – zweifellos redaktionellen23  – V. 11 an das Exodus-Geschehen erinnert: ἐξείλατό με ἐκ χειρὸς  Ἡρῴδου (vgl. bes. Ex 3,8; 18,1.4.8–10; dazu: Apg 7,34.36.40; 13,17). Jedoch ist es der λαὸς τῶν  Ἰουδαίων, der an die Stelle der Ägypter tritt, die das Gottesvolk misshandeln. Diese Wendung, die bereits die Trennung der Wege voraussetzt, wird hier zum ersten und (neben EvPetr 48) einzigen Mal in der urchristlichen Literatur verwendet.24 Kap. 12 deutet den Abschluss der binnenjüdischen Phase – modern gesprochen: das Werden der Kirche – als Exodus des Gottesvolks. Die Rolle des Pharao nimmt „Herodes“, die Rolle der Ägypter das „Volk der Juden“ ein. Die epiphan gefärbte Befreiungsepisode gewinnt damit den 21  Zum Dionysos-Mythos eingehend Weaver, Plots (s. Anm. 15), 29–64, 150 f., 194–201; zu Artapanos (Fragmentzählung hier nach JSHRZ) ebd. 64–78, 201–204; zum aitiologischen und gruppenkonstituierenden Charakter der Dionysos-Tradition als „fundamental myth“ ebd. 9 f., 90 f., 202 f., 217, 281–283; vgl. auch Hintermaier, Befreiungswunder (s. Anm. 15), 14–28, 45–47. 22  Vgl. Marguerat, Actes (s. Anm. 10), 423 f. Dazu auch Weaver, Plots (s. Anm. 15), 204–217, der die Epiphanie-Topik allerdings gegenüber den biblischen Bezügen überbetont. 23  Zur Begründung Radl, Befreiung (s. Anm. 10), 83 f. 24  In zitierter Fremdperspektive: Josephus, c. Ap. 1,305.313; unspezifisch bei den Apologeten: Justin, 1apol. 52,10; Theophilos Ant., Autol. 3,25,3.

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Rang einer mythos-affinen Fundamentalerzählung zum Sprung des Christentums in die Völkergeschichte. Im Folgenden treten österliche Assoziationen in den Vordergrund: Die Identität des Gottesvolks gewinnt sich durch Schicksalsgemeinschaft mit dem Gottessohn. Petrus findet sich in der Gasse wieder, die zum Haus eben jener Gemeinde führt, die für ihn betet. Abermals verlangsamt sich das Erzähltempo, diesmal freilich, um in ironischer Brechung die Schwierigkeiten beim Öffnen einer gewöhnlichen Tür nachzuzeichnen. Während es dem Himmel gelingt, die Todeszelle traumartig durchschreitbar zu machen, bleibt dort die einfache Haustür dem Apostel verschlossen. Dass die Magd „vor Freude“ (ἀπὸ τῆς χαρᾶς) vergisst, die Tür zu öffnen, und für „verrückt“ erklärt wird, ist ein vergnüglicher Zug, dem Motiv des servus currens der Neuen Komödie vergleichbar.25 Doch führt das Vergnügen durchaus ernsthaft in die Ostertradition: Auch die versammelten Jünger halten sowohl das Auferstehungszeugnis der Frauen für unglaubwürdiges Gerede (Lk 24,11) als auch den Auferstandenen für einen Geist (24,37) und sind schließlich „ungläubig vor Freude“ (24,41). Im Verwirrspiel zwischen Himmel und Erde halten sie den Menschen Petrus für dessen Schutzengel. Petrus, der ganz nach der eindrücklichen Kunst der ἐνάργεια im Klopfen verharrt, kann die – im Offenbarungsschauder ekstatischen (vgl. Lk 24,22) – Mitchristen überzeugen. Auf solche Weise wehrt er – im Gegenzug zu Herodes – der Verwechslung mit einem Himmelswesen (vgl. Apg 14,14 f.). Er beschreibt seinen „Auszug“ (πῶς ὁ κύριος αὐτὸν ἐξήγαγεν) und lässt „Jakobus und den Brüdern“ die Botschaft ausrichten (vgl. Lk 24,6–9). Durch die Mitteilung (vgl. Mk 16,7) wird der Herrenbruder, wie Lukas eher beiläufig zu erkennen gibt, zum Leiter der Jerusalemer Gemeinde. Der Nachfolgetopos verbürgt Kontinuität über die apostolische Gründungszeit hinaus. Ganz unbetont wandert Petrus nicht nur an einen „anderen Ort“, sondern aus der erzählten Welt – ἀκωλύτως, wie sichtlich zu verfolgen war.26 Nicht ohne Grund klingt das Motiv der Türöffnung auch in der Missionssprache an (Apg 14,27; vgl. 2Kor 2,12). In diesem Sinn ist die Einbettung unseres 25 Pervo, Acts (s. Anm. 5), 306; vgl. näher J. Albert Harrill, The Dramatic Function of the Running Slave Rhoda (Acts 12.13–16): A Piece of Greco-Roman Comedy, in: NTS 46 (2000) 150–157. 26  Gegen die Topik wie die Quellenlage, wenn nicht gegen die Logik (vgl. Apg 15,7), verstößt die mitunter behauptete oder erwogene Annahme, ursprünglich sei vom „Hingang“, d. h. dem Tod, des Petrus die Rede. Ebenso textfern ist es, den „Fortgang“ mit der Himmelfahrt Christi (vgl. 1,10) zu parallelisieren und als Voraussetzung apostolischer Kontinuität zu deuten; so aber Robert W. Wall, Successors to “the Twelve” according to Acts 12:1–17, in: CBQ 53 (1991) 628–643: 641 f. Unter historischem Gesichtspunkt lässt sich nicht mehr sagen, als dass Petrus sich dem Zugriff des Agrippa entzogen hat, vermutlich im Zusammenhang mit einer versuchten oder vorübergehenden Inhaftierung. Traditionsgeschichtlich hat sich dies in einer Befreiungslegende verdichtet. Unter redaktionsgeschichtlichem Aspekt gestaltet Lukas diese Tradition als theozentrische Brückenerzählung vom Fortgang des Gottesworts über eine kritische Phase der Frühgeschichte.

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Kapitels in die antiochenisch-paulinische Rahmenerzählung zu lesen. Sie hat einen „Bühne-frei“-Effekt für das paulinische Werk und damit für die (tendenziell) universale Phase der christlichen Erstepoche: Der Zwölferkreis findet sein Ende, Petrus entschwindet, die Jerusalemer Gemeinde tritt in den Hintergrund. Zweifellos berichtet Lukas hier von den Handlungsträgern, die die Jüngergemeinschaft auf das Forum der Geschichte heben. Aber der eigentliche Akteur ist Gott. Tatsächlich dient die Befreiung dem geschichtlichen Ortswechsel des Gottesworts (vgl. Apg 5,19 f.). Alles andere – das Schicksal des Petrus, die Funktion des Jakobus, der Antritt des Paulus  – ist Mittel zu diesem weltgeschichtlichen Zweck.27 III. Apg 12,18–23 Retribution ist ein Leitmuster zeitgenössischer Geschichtsschreibung.28 Sie weist nicht nur auf die Bestrafung eines θεομάχος, sondern legitimiert dadurch das Selbstverständnis der je eigenen Gemeinschaft. So reinszeniert Lukas den spektakulären Abgang des Agrippa als das, was Philo in der Legatio ad Gaium im Schlusssatz über Caligula andeutet: Der Grund seines Hasses auf die Juden habe in seinem Anspruch gelegen, ein Gott zu sein, und damit müsse die „Palinode“ über dessen Abgang folgen – der letztlich, so wird man ergänzen, das jüdische Volk gerettet hat (Gai. 372 f.; vgl. Flacc. 189–191; Josephus, ant. 19,15 f.). Im Vergleich zur verbreiteten Konvention des Verfolgertods hält Lukas sich allerdings mit grausigen Details bemerkenswert zurück. Das Entschwinden des Apostels wird nicht ohne Komik festgestellt (vgl. Apg 5,22–25). Der Kerker ist leer; die Wächter verwandeln sich in Gefangene: Erst werden sie vom Tyrannen verhört, dann zur Hinrichtung abgeführt.29 Der Ortswechsel erfolgt rapide, wie um zu demonstrieren, dass ein Bauernopfer noch keine Rochade macht. Lukas beschreibt die historische Situation zu Caesarea Maritima ungewöhnlich konkret, als wolle er sich gerade hier zeitgeschichtlich ausweisen.30 Un27  Der frühe Leser erkennt dies: Petrus wird durch die Vorsehung (οἰκονομία) dem Dienst an der Verkündigung zurückgegeben (Eusebios, h. e. 2,9,4: ἐπὶ τὴν τοῦ κηρύγματος ἀφεῖται διακονίαν). 28  Zur historiographischen Retributionslogik Garry W. Trompf, Early Christian Histori­ ography. Narratives of Retributive Justice, London 2000, bes. 47–106; unter besonderer Berücksichtigung von Diodorus Siculus, Dionysios von Halikarnass und Josephus Allen, Death (s. Anm. 4), 149–198. 29  Der Euphemismus ἀπάγω schließt die Hinrichtung ein (vgl. z. B. Sus 45θ‘; Diod. 13,102,1; Josephus, bell. Iud. 6,155; ant. 19,269). Dies war die übliche Strafe für grobe soldatische Pflichtverletzung (vgl. Apg 16,27; 27,42). Das Verb kommt ebenfalls in der Passionstradition vor (Lk 23,26). 30  Zeitpolitisch ist die Auseinandersetzung zwischen dem König und den Stadtstaaten, die nicht auf eigenes Agrarland zurückgreifen konnten, plausibel. Dass solche Konflikte dadurch gelöst wurden, dass man einflussreiche Personen am Hof zu „gewinnen“ wusste, ist nicht außergewöhnlich: Als Agoranomos von Tiberias hat Agrippa selbst etwa zehn Jahre zuvor von den

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geachtet der Frage, ob er Nachrichten dokumentiert oder einen Beglaubigungsapparat aufbaut, geht es ihm kaum darum, Wissenswertes über die Beziehungen zwischen den syrophönizischen Städten und Agrippa I. mitzuteilen. Er will seine Darstellung faktengeschichtlich einbetten und damit die Schwelle zur urchristlichen Weltgeschichte punktgenau verorten.31 Wenn man über das Urchristentum in Gestalt politischer Geschichtsschreibung berichten kann, gehört es in die politische Geschichte. So gesehen bietet das Kapitel historiographische Mimesis. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist der Vergleich mit Josephus aufschlussreich: Was bei dem flavischen Hofhistoriker im Zentrum steht, wird hier zum Nebenschauplatz, dessen einzige Funktion darin besteht, die urchristliche Gemeinde zum historischen Fokus zu machen. Der Fokus wird zugleich Ort des Wettbewerbs: Im Vordergrund wird die Nahrungsmittelkrise durch Erpressung seitens des Königs und Bestechung seitens der Delegation gelöst, in der Rahmenhandlung durch eine solidarische Hilfsgesandtschaft (Apg 11,27–30; 12,25). Die Urgemeinde erweist sich auch auf dem neuen Forum sogleich als attraktive Gegengesellschaft.32 Die Szene ist oft mit der Parallele in Josephus, ant. 19,343–352 verglichen worden.33 Die Ähnlichkeiten sind eher durch Traditionsverwandtschaft als durch literarische Dependenz zu erklären, zumal die Tendenz unterschiedlich ist: Josephus beurteilt den Herrscher im Ganzen günstig; für Lukas sagt die Hybris alles über ihn aus, was über ihn zu sagen ist. Das äußere Geschehen wird indes ähnlich geschildert. Agrippa erleidet während einer theatralischen Herrschaftsdemonstration einen akuten Krankheitsanfall. Dieser spektakuläre Sturz auf dem Höhepunkt einer rasanten Karriere wurde zeitgenössisch offenbar als Folge von Hybris gedeutet. Um diese Deutung zu unterlegen, führen Josephus wie Lukas (bzw. deren Tradition) einen himmlischen Boten in das Geschehen ein: Bei Josephus ist es der Uhu als ἄγγελος (19,346; vgl. 18,195.200 f.), bei Lukas der Damaszenern Bestechung angenommen, um bei dem Legaten von Syrien L. Pomponius Flaccus in einem Grenzstreit mit den Sidoniern zugunsten der Damaszener zu wirken; die Folgen für ihn waren jedoch schmählich (Josephus, ant. 18,151–155). 31 Der Begriff der Weltgeschichte nach Zeit (Rückbezug auf die biblische Geschichte) und Raum (perspektivisch ab Apg 12) bezeichnet selbstverständlich nur die Option, nicht die Ausführung. Zum weltgeschichtlichen Interesse in der späthellenistisch-frühreichsrömischen Literatur Katherine Clarke, Universal Perspectives in Historiography, in: The Limits of Historiography. Genre and Narrative in Ancient Historical Texts, hg. v. C. S. Kraus, Mn. 191, Leiden 1999, 249–279. 32  Kompositionsstrategisch vergleichbar ist die Hinrichtung des Täufers Johannes durch Herodes Antipas in Mk 6,14–29, die durch die Sendung der Zwölf (Mk 6,12 f. und 6,30 f.) gerahmt wird und mit ihrem Erzählortwechsel gewissermaßen die Wartezeit ausfüllt. Scheinbar beiläufig führt sie mittels der Syzygie (Johannes als Vorläufer der Passion Jesu) vor Augen, was es heißt, ein Jünger zu sein. Bezeichnenderweise wird auch hier eine Tradition, die von außen stammt (oft als Basargerücht o. ä. bezeichnet), redaktionell eingebaut und theologisch ausgerichtet. Sie ist auch insofern mit unserer „Herodes“-Episode vergleichbar, als sie die einzige Begebenheit im markinischen Erzählcorpus darstellt, in der Jesus nicht im Zentrum steht. 33  Z. B. Allen, Death (s. Anm. 4), bes. 66–74; Wilker, Rom (s. Anm. 10), 179–187.

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ἄγγελος κυρίου als solcher. Bei Josephus stirbt der Herrscher einsichtig, opernhaft den eigenen Tod erläuternd, nach mehrtägigem Leiden, vom jüdischen Volk betrauert, vom heidnischen verhöhnt (19,349–359), in Apg plötzlich geschlagen, passiv, von Würmern zerfressen und unbeweint. Bei Josephus ist es (optisch) das Festkleid, das zur Hybris verführt, bei Lukas (akustisch) die Stimme des Herrschers  – eine Sonderlichkeit, die die Annahme stimmig erscheinen lässt, hier werde sublim mit dem Bild vom stimmfreudigen Kaiser Nero, dem publikumswirksamsten Darsteller hellenistischer Herrschaftsinszenierung, gespielt.34 Dabei spielt das Individuum Nero weniger eine Rolle als der Typus, den er verkörpert: Es ist genau diese Art von Herrschern, die mit der Apostelverfolgung in Jerusalem begonnen und sie in Rom vollendet hat. Von solcherart Tyrannen verfolgt worden zu sein, bedeutete nicht zuletzt einen eigengeschichtlichen Prestigegewinn (vgl. Tertullian, apol. 5,3 f.; Eusebios, h. e. 2,25,4). Auch der Würmertod ermöglicht geschichtlichen Anschluss. Es fällt auf, dass Lukas gerade für die bei Historiographen beliebte Sterbeszene des Mächtigen alle Deutungsregister zieht. Kontrast und Rollenrochade sind bis ins Detail von πατάσσειν schlagend: Das Opfer, das sich des Himmels nicht sicher ist und sich gegen die Verwechslung mit einem Himmelswesen wehrt, lebt und dient frei dem Gotteswort. Der Mörder geriert sich selbst als himmlisch und stirbt jenen öffentlichen Tod, den er dem Opfer zugedacht hatte. Diese Hybris ist – in der Anwendung des Lukas – stimmige Fortsetzung der Apostelverfolgung, die Herodes zum θεομάχος hat werden lassen (vgl. Apg 5,38 f.). Dass damit im Sinne eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs eine Retribution beschrieben wird, ist offenkundig. Erstmals in der urchristlichen Literatur stoßen wir auf das Erzählmuster der mors persecutoris, das mit Laktanz und Eusebios langfristig zu einem Signum christlicher Geschichtslogik wird. Das unverzügliche Eintreten der Strafe wird oft mit παραχρῆμα o. ä. angezeigt (vgl. Josephus, ant. 19,347; ferner: Apg 5,10; 13,11; Josephus, ant. 14,25; über den jähen Tod des Arius nach Judas-Art: Atha­ nasios, epist. ad Serapionem de morte Arii 3; vgl. Theodoret von Kyrrhos, h. e. 1,14,6–8). Auch die Rekurrenz sticht ins Auge. Der plötzliche qualvolle Tod des Verfolgers ist in der paganen wie jüdischen Literatur ein ständiger Topos vor allem apologetischer Geschichtsschreibung. Sitz der Krankheit sind meist die Eingeweide. Dabei dient der abstoßende Tod durch Würmer der Veranschaulichung der moralischen Fäulnis.35 Umso stärker fällt auf, dass Lukas das sonst 34 Vgl. näher Hans-Josef Klauck, Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20–23 (2002), in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum, WUNT 152, Tübingen 2003, 251–267. Zum herrscherkritischen Impetus von Apg 12,20–23 Lynn A. Kauppi, Foreign But Familiar Gods. Greco-Romans Read Religion in Acts, LNTS 277, London 2006, 42–63. 35  Materialreich dazu Wilhelm Nestle, Legenden vom Tod der Gottesverächter, in: ARW 33 (1936) 246–269; vgl. auch Allen, Death (s. Anm. 4), 29–74. In Apg quillen aus dem entzweigeplatzten Judas die Eingeweide heraus (Apg 1,18); dies wird in der drastischen Ausgestaltung,

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in schaurigen Einzelheiten beschriebene Sterben auf jenes Minimum reduziert, das er braucht, um das theologische Signal zu setzen.36 In jüdischem Kontext ist die nächste Parallele der seleukidische Herrscher Antiochos IV. Epiphanes (2Makk 9; vgl. 1Makk 6,1–17; Josephus, ant. 12,357– 359; Pol. 31,11; Diod. 29,15). Die bis in die Semantik reichende Ähnlichkeit legt die Annahme nahe, dass es dieser Straftod ist, der Lukas unmittelbar als Vorlage dient.37 Bei Josephus ist es Herodes d. Ä., den in seinem qualvoll-endlosen Sterben die Würmer befallen; das Urteil des Straftods legt er in den Mund von ἐπιθειάζοντες (bell. Iud. 1,647–673, bes. 1,656 f.) bzw. kommentiert er zustimmend (ant. 17,168–192, bes. 17,168–170).38 Agrippa  I. indes, einst selbst unter wundersamen Umständen aus der Haft befreit (vgl. ant. 18,195–239), stirbt einen ästhetisch unverdächtigen Tod (18,200: εὐδαίμων τελευτή). Lukas dürfte die Vorstellungsfigur aus solchen Motivgefügen auf „seinen“ Verfolgerkönig projiziert haben: Was Antiochos dem Judentum, das hat Agrippa dem Christentum angetan, das damit abermals die geschichtlichen Farben des Gottesvolks gewinnt. So meldet sich in unserem Kapitel betont historischer Geltungsanspruch: Am Ende der apostolischen Gründungsphase betreten die Χριστιανοί den Raum der Geschichte und besetzen sogleich dessen Mitte. Der Mächtige ist vom Thron gestoßen, die Niedrigen sind erhöht – zu Geschichtssubjekten. Von daher erhellt, warum der jüdische König in paganer Hybris vor einem „internationalen“ Publikum auftritt: Hier wird vor Augen geführt, was an einem Darstellungshöhepunkt der Apg (4,24–31) theologisch reflektiert wird: die Weltgeschichte (in nuce) als Bewährungsort des Christentums. Hier erleidet ein römischer Vasall für das gesamte „Volk der Juden“ vor einem kosmopolitischen wie sie bei Papias greifbar wird, durch das Würmermotiv ergänzt (Papias Hier. [ed. U. H. J. Körtner, 1998], fr. 6). 36  Auch hier vertauscht Eusebios die Vorzeichen: Die Befreiung des Petrus wird nur knapp und im theologischen Ergebnis berichtet (h. e. 2,9,4), das erzählerische Schwergewicht liegt auf der Bestrafung des Gottesverächters (h. e. 2,10,1–10). 37  Der Verfolger ist von θυμός entbrannt (2Makk 9,4.7; vgl. Apg 12,20) und droht dem Gottesvolk mit Vernichtung. Die ausgleichende Gerechtigkeit des Himmels „schlägt zu“ (ἐπάταξεν), und zwar nach Beendigung bzw. im Zusammenhang einer Rede (2Makk 9,5; Apg 12,23). Das Vergehen ist in beiden Fällen nicht unmittelbar die (geplante) Verfolgung, sondern Hybris (ὑπερηφανία), genauer: die Verwechslung von Gott und Mensch (vgl. 2Makk 9,7.12), was hier wie dort (für Lukas eine Seltenheit) ein Verfasserkommentar ausdrücklich feststellt. Die Strafe veranschaulicht sich in der Wurmqual (2Makk 9,9). In beiden Fällen stirbt der Tyrann jenen Tod, den er über andere verfügt hat (2Makk 9,6.28). Beide Episoden münden in eine Notiz über den Erfolg der eigenen Bewegung und deren betende Vorbereitung auf die Zukunft (2Makk 10,1–3; Apg 12,24–13,3). In D (mae) fällt Herodes zudem vom Thron wie Antiochos vom Wagen (2Makk 9,7). Zur vielperspektivischen Überlieferung vom Tod des Antiochos Jörg-Dieter Gauger, Der „Tod des Verfolgers“: Überlegungen zur Historizität eines Topos, in: JSJ 33 (2002) 42–64. 38  Eusebios übernimmt die Deutung wie die Genugtuung, tauft sie aber gewissermaßen, indem er die Strafe – darin dem Vorgehen des Lukas in Apg 12 vergleichbar – auf das Vergehen des Herodes gegen Jesus Christus umlenkt (h. e. 1,8,3–16).

2. Eidetik: Die scheinbare „Demut der Sachlichkeit“

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Publikum seine dramatische Niederlage, mit der die apostolische Gründungsphase endet. In gleicher Weise, jetzt aber mit positivem Vorzeichen, wird der Abschluss der christlichen Erstepoche, abermals vor einem jüdischen König, diesmal durch Berenike und Festus zum weltgeschichtlichen Schauplatz ergänzt, angezeigt (Apg 25 f.); dabei tritt der Kaiser als Ziel der letzten Reise unmittelbar in den Blick (26,32). Nicht erwähnt wird der universale Horizont der christlichen Geschichte – er wird stattdessen vorgeführt. IV. Apg 12,24 Das Ende des Verfolgers bildet einen passenden Abschluss für die Verfolgung,39 nicht aber für die apostolische Gründungsphase als solche. Zum topischen Tod des Tyrannen gehört dessen heilsamer Effekt für die Opfer. Er schafft einen Hinderungsblock aus dem Weg und treibt so die nächste Phase ihrer Entwicklung voran. So handeln die Befreiungserzählungen der Apg (5,17–26; 16,19–40) vom Aufbruch des Gottesworts aus der Krise in die neue Kraft. V. 24 zieht (redaktionelle) Bilanz: Den Stimmgewaltigen fressen die Würmer, das Wort wächst und gedeiht – in der sozialen Gestalt der Ekklesia: als christliche „Volkwerdung“.40 Die Personifikation erinnert noch einmal an den Exodus (Ex 1,7; dazu Apg 7,17). Sie unterstreicht: Nicht um den Triumph der Apostel geht es, sondern um Gottes Sieg. Der Abschied vom palästinischen Judentum ist von Gott gewollt und gelenkt. Die Schlussnotiz bildet den cantus firmus der Apg (2,41.47; 4,4; 5,14; 6,1.7; 9,31.35.42; 11,21.24; 13,48 f.; 14,1; 16,5; 17,4.12; 18,8; 19,20) und hämmert nahezu ein: Das Evangelium schreitet – bis in das letzte Adverb der Apg – unaufhaltsam voran. Der Sinn der Geschichte liegt offen vor Augen. Kap. 12 ist  – die Josephus-Parallele zeigt es  – ein Kapitel reichsrömischer Historiographie. Es ist zugleich – das Befreiungswunder zeigt es – ein Kapitel der offensiven Selbstdefinition einer kulturellen Minderheit. Es ist schließlich wie kaum eine andere Passage der Apg ein Kapitel Theozentrik. Man ist versucht, an Ranke – den als Historiker „verleiblichten“ Theologen – zu denken: In der (scheinbaren) „Demut der Sachlichkeit“ blickt Lukas auf den Geschichtsverlauf und findet in ihm nicht etwa die eigenen, sondern die Gedanken Gottes wieder (vgl. Apg 5,38 f.).41

 Vgl. näher Allen, Death (s. Anm. 4), 77–92. Kodell, “The Word of God Grew”. The Ecclesial Tendency of Λόγος in Acts 1,7 [lege 6,7]; 12,24; 19,20, in: Bib. 55 (1974) 505–519. 41  Dazu näher Knut Backhaus, Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 1–29: 1 f. [in diesem Band S. 129–155: 129 f.]. 39

40 Vgl. Jerome

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Die Erfindung der Kirchengeschichte

3. Erinnerungsarbeit: Kirche als Geschichte Die fromme Zurückhaltung des Erzählers täusche nicht darüber hinweg, mit welcher Konsequenz er hier eine hochkritische Zäsur in der Stiftungsmemoria der Kirche markiert und gestaltet (vgl. Lk 2,34 f.). Zur „Halbzeit“ der Apg wechselt er das Aktanteninventar nahezu vollständig aus. Kap. 12 versammelt Juden, Heiden, (angehende) Christen, Täter und Opfer der Geschichte, markiert den Schluss der apostolischen Gründungsphase, besiegelt die Schwellenphase der Völkermission (Berufung des Paulus – Aufnahme des Cornelius – Rechenschaftsbericht des Petrus in Jerusalem – Etablierung der ersten gemischten Gemeinde in Antiochien) und leitet – mit einer bezeichnenden Vorschau (Verwechslung von Göttlichem und Menschlichem in typisch paganem Milieu) – zur Völkermission über. Das Paradigma von Befreiung, Straftod und Neuaufbruch dient als metahistorischer Exkurs:42 Der Erzähler tritt einen Schritt zurück und beschreibt mit einer kennzeichnenden Episodenfolge, theologisch vielfach assoziierbar und mit ausgeprägtem Legitimierungsinteresse den Übergang des Evangeliums in die Weltgeschichte als theozentrisch verbürgtes Kontinuum und befreiende Volkwerdung des Christentums. In der den Fortgang bestimmenden Epiphanie und in der Linie des Exodus‑ wie des Christus-Geschehens bleibt Gottes Handschrift in der Geschichte erkennbar. (1) Christentum als Subjekt der Geschichte: Der eingangs erwähnte Eindruck, Kap. 12 sei weithin redundant, ist in materialer Hinsicht nicht unberechtigt. Seine formale Leistung jedoch liegt darin, dass es an einer Schaltstelle der Makroerzählung den Anschluss an aktantenzentrierte Machtgeschichte herstellt, diese auf den dunklen Charakter tyrannischer Gewalt freilegt, ihr selbstbewusst eine Alternative entgegenstellt und sie zum Nebenschauplatz der Geschichte depotenziert. Die Bühnenmitte nimmt die werdende Kirche ein. Die Tyrannentod-Szene, der griechisch-römischen Geschichtsschreibung entlehnt, wird zu einem gezielt unterbetonten Nebenzug in der mittels Befreiungsdrama und Wachstumsnotiz herausgestellten Progression des Christentums. Die scheinbare Winkelsekte (Apg 26,26) hat teil an Weltgeschichte und steht (narrativ) in deren hellem Zentrum. Lukas erarbeitet einer marginalen Minderheit damit jene literarische Kultur, die eine kontinuierliche Eigenzeit, einen weitgespannten Eigenraum und eine soziale Eigendynamik erkennen lässt, Herkunft, Stabilität und Dauer nahelegt, diachrone Selbstwahrnehmung ermöglicht.43 Kurz 42 Man vergleiche die gestaltete Zäsur in Vell. 2,41 f.: Der Historiograph drosselt vor dem Eintritt in eine neue Phase sein Erzähltempo (2,41,1: secutus deinde est consulatus C. Caesaris, qui scribenti manum iniicit et quamlibet festinantem in se morari cogit) und verweilt bei einer charakteristischen Einzelheit, der Piratenepisode, in der sich Grundzüge der kommenden, vom Historiographen lebhaft begrüßten Zeit bereits im Kern widerspiegeln (2,42,1: illud referatur documentum tanti mox evasuri viri). 43  Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Die stabilisierende „Fiktionalität“ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung, in: Institutionen und Ereignis. Über

3. Erinnerungsarbeit: Kirche als Geschichte

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gesagt: Er definiert das werdende Christentum als autonomes Subjekt der Geschichte. Apg ist damit weit entfernt von der im Urchristentum gängigen Selbststigmatisierung als Opfer des Geschichtsverlaufs. Dem Christentum geht es wie dem biblischen Gottesvolk – weil es das biblische Gottesvolk ist. Und es geht ihm so wie seinem Kyrios – weil zwischen der „Zeit Jesu“ und der „Zeit der Kirche“ keinerlei Graben liegt. So erweist sich der zweite Logos des Lukas zum einen als angewandte Gottesvolk-Geschichte in der Jetztzeit. Zum anderen schreibt er die Christus-Geschichte mit kirchengeschichtlichen Mitteln fort. Lukas treibt die hidden transcripts aus der Verborgenheit hinaus in die (ihm zugängliche) Mitte der Gesellschaft.44 (2) „Kirche“ als geschichtlicher Akteur: Wir haben bislang den beschreibungssprachlichen Hilfsbegriff „(werdendes) Christentum“ o. ä. verwendet. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass Apg mithilfe konventioneller Symbolsprache, vor allem der legitimierenden Epiphanie und des Exodus, die Entstehung einer neuen religiösen Formation („Kirche“) als organische Fortsetzung einer alten (des Gottesvolks Israel) beschreibt. Der Hauptstrom der Stammreligion (λαὸς τῶν  Ἰουδαίων) dient ab Kap. 12 zur Bezeichnung von Alterität und damit der christlichen Selbstdefinition. Trifft unsere These zu, dass sich der entscheidende Schritt auf dem Weg zur „Kirche“ in diesem ersten Kapitel von „Kirchengeschichtsschreibung“ widerspiegelt, so ist zu erwarten, dass sich dies im Makrotext belegen lässt. Die Rahmenszene unseres Kapitels nennt zum ersten Mal die πρεσβύτεροι im Sinne einer christlichen Einrichtung (Apg 11,30). Bislang war der Titel der jüdischen Hierarchie vorbehalten. Im unmittelbaren Anschluss werden in 13,1, scheinbar etwas unmotiviert, die Gemeindeämter der οὖσα ἐκκλησία in Antiochien – Propheten und Lehrer – genannt, deren Träger namentlich angeführt und in rituellen Akten (Fasten, Beten, Handlauflegung) vorgestellt. Zwölfer‑ und Siebenerkreis der Urgemeinde ausgeklammert, ist damit erstmals in Apg von institutionell stabilisierten Gemeindeämtern die Rede.45 Kap. 12 wird häufig als Legitimation des Übergangs der Leitung von Petrus auf den Herrenbruder Jako-

historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hg. v. R. Blänkner / ​B. Jussen, VMPIG 138, Göttingen 1998, 381–407, bes. 385–390, 399–402. 44  Intendierte Adressaten der Apg sind Christen oder Sympathisanten, jedoch solche, die den offensiven Zugang der Protagonisten in die gesellschaftliche Mitte hinein würdigen und fortsetzen. Freilich geht es dabei noch immer um die apologetische Geschichtsschreibung einer kulturellen Minderheit; doch stellt sie den inferioren Status mit kulturellem Selbstbewusstsein offensiv infrage; vgl. näher Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Defintion. Josephos, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, NT.S 64, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005, bes. 374–389. 45  Zum Begriff der Institution Rehberg, Fiktionalität (s. Anm. 43), 386 f.

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Die Erfindung der Kirchengeschichte

bus bzw. Paulus gelesen.46 V. 17 dürfte damit überfrachtet sein. Für ein isoliertes Sukzessionsmotiv lässt das Erzählgefälle keinen Raum: Nicht ein Individuum, sondern das Evangelium schafft sich seine „Sukzession“. Als Moment des übergeordneten Kontinuitätsanliegens gewinnt unser Kapitel indes Bedeutung: Die Ekklesia beginnt sich zu institutionalisieren. Damit dürfte Lukas der historischen Entwicklung gerecht werden. Gerd Theißen hat wahrscheinlich gemacht, dass die Verfolgung von urchristlichen Führungsgestalten unter Agrippa I. die Entwicklung vom Personalcharisma zur amtscharismatischen Funktionalisierung von Autorität begünstigt hat.47 Zudem tritt mit Antiochien erstmals eine von einer differenzierten Synagogalkultur geprägte, eigenständig entwicklungsfähige Christengemeinde in das Blickfeld. Mit alldem beginnt nichts grundlegend Neues: Nichts im lukanischen Doppelwerk ist grundlegend neu. Aber in der Letztphase jener Epoche Israels, die auch die christliche Erstepoche ist, bildet sich die Ekklesia als korporatives Ganzes heran, und zwar vorwiegend durch die Gründung von Gemeinden. Die Ekklesia wird zum bestimmenden Moment der lukanischen Normalzeit. Apg 27 f. setzt den Übergang in diese Normalzeit in das bewegte Bild einer nautischen Überfahrt.48 Bezeichnenderweise kommt im Rahmen des zweiten Teils der Apg (11,26; 26,28) zum einzigen Mal im Doppelwerk das nomen Christianorum vor; gerade in diesem Teil dienen die (nicht christus-gläubigen) Juden zur Markierung von Gruppenalterität. Kap. 12 also beendet die von Jerusalem geprägte Urzeit der Kirche (deren letzter und maßgeblicher Akt in 10,1–11,18 beschrieben wird) und erhebt sie zum Idealbezug für die Normalzeit. Das Charisma versachlicht sich und haftet sich an das soziale Dauergebilde,49 an das sich noch Paulus als 46  So etwa Wall, Successors (s. Anm. 26); Richard Bauckham, James and the Jerusalem Church, in: The Book of Acts in Its Palestinian Setting, hg. v. dems., Grand Rapids, Mich. 1995, 415–480: 427–441, bes. 434–436. 47  Vgl. Theissen, Verfolgung (s. Anm. 18), 285–289. Zur komparativ-institutionengeschichtlichen Analyse der Apg hat Hubert Cancik mehrfach instruktiv beigetragen, dabei aber das binnenliterarische Gefälle in Apg unterbelichtet: Hubert Cancik, The History of Culture, Religion, and Institutions in Ancient Historiography: Philological Observations concerning Luke’s History, in: JBL 116 (1997) 673–695; ders., Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte. Die Vorbereitung des Zweiten Logos im Ersten, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 519–538; ders., Hairesis, Diatribe, Ekklesia. Griechische Schulgeschichte und das Lukanische Geschichtswerk, in: Early Christianity 2 (2011) 312–334. Zum Doppelwerk als Gründungserzählung auch David L. Balch, Μεταβολὴ πολιτειῶν. Jesus as Founder of the Church in Luke-­Acts: Form and Function, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 139–188. 48 Zur Schiffbruch-Szene als Markierung einer wesentlichen Zäsur Wolter, Doppelwerk (s. Anm. 7), 277 f. 49  Zur Versachlichung und sozialen Verstetigung (oder auch Verflachung) vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft IV: Herrschaft (1921/22), hg. v. E. Hanke, Max Weber-Gesamtausgabe 1/22/4, Tübingen 2005, 517–535, bes. 525–527; dazu Wolfgang Schluchter, Max Webers Analyse des antiken Christentums. Grundzüge eines unvollendeten Projekts, in: Max

3. Erinnerungsarbeit: Kirche als Geschichte

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Offenbarungsträger par excellence gebunden weiß (vgl. 15,1–35; 20,17–35). Von Kirchengeschichte (als literarischem Ordnungshandeln bezüglich der distinkten Gruppe der Christen) kann man daher im engeren Sinn erst mit Kap. 12 (als kommentierender Mitte von 11,19–30; 13,1–3) sprechen. Durch die Verschriftlichung der Erinnerung wie die Sakralisierung der ekklesialen Urgeschichte trägt Apg ihrerseits mit historiographischen Mitteln zur Ablösung vom charismatischen Persönlichkeitsstil und zur institutionellen Verstetigung des Charismas bei. (3) Retribution als Grundfigur: Das historiographische Deutungsmuster von Untat und Vergeltung antwortet auf die sublime Leitfrage aller Geschichtsschreibung: Gibt es Gerechtigkeit? Es gehört zur Kunst des Historiographen, diese Frage durch kennzeichnende Episoden zu beantworten, und zu deren apologetischer Spielart, in solcher Gerechtigkeit die eigene Minderheit als verankert und ihren Bestand als verbürgt zu zeichnen. Die klassische Verneinung der Frage nach der geschichtlichen Gerechtigkeit findet sich bei Thukydides. Lukas weiß zwar um das Scheitern, zeigt jedoch den befreiten Fortschritt. Erst so, letztlich als Ausfluss von Soteriologie, wird der leichtfüßige Humor verständlich, der unser Kapitel durchzieht. Zugleich wird deutlich, dass derlei Gerechtigkeit nicht von irdischen Machthabern und Mehrheiten zu erwarten ist, sondern ausschließlich von der so schlagend wirksamen Himmelsmacht. Immanent ist die Weltdynamik tragisch, Humor erlaubt sie nur sub specie aeterni. Mithilfe der Retribution umschreibt Lukas zugleich konsequent die Handlungsoption, die er für die Christen auf dem neuen Forum sieht. Die Ekklesia ist (durchgehend) gewaltfrei, aber setzt auf Gottes Geschichtsmacht, wie sie durch die Geschichte des Gottesvolks und Jesu bezeugt ist. Es mag überraschen, dass gerade die Retributionsfigur eine Vertiefung des Kontrastanspruchs gegenüber der hochaggressiven reichsrömischen Gesellschaft erlaubt. Unser Kapitel belegt die makroskopische These Gerd Theißens zum Verhältnis zwischen Urchristentum und Gewalt am Detail:50 Der Mythos des Urchristentums  – repräsentiert durch den ἄγγελος κυρίου – ist aggressiv, doch bleibt die Aggression auf den Himmel beschränkt und ist ihm – hier wie auch sonst in der Apg – vorbehalten. Dieses göttliche Gewaltmonopol stärkt die innere Widerstandskraft der Randschicht. Sie muss Gerechtigkeit nicht erzwingen, darf aber auf sie hoffen. Das Ethos – repräsentiert durch die (eindrucksvoll gezeichnete) Passivität des hingerichteten Jakobus, des gefangenen Petrus, der betenden Hausgemeinde – ist daher non-aggressiv; der Ritus, repräsentiert im Fürbittgebet, wirkt sublimierend.

Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik, hg. v. dems., Frankfurt a. M. 1985, 11–71: 39–44; Hubert Treiber, Anmerkungen zu Max Webers Charismakonzept, in: ZAR 11 (2005) 195–213: 197–199; Cancik, Geschichtswerk (s. Anm. 47), 522. 50  Gerd Theissen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007, 420–433.

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(4) Verhältnis zum Judentum: Wir haben Apg 12 als zentrale Zäsur der Apg wahrgenommen. „Herodes“ wird ausdrücklich als Vollstrecker des jüdischen Volkswillens gedeutet. Mit diesem tödlichen Zwist endet die apostolische Gründungsphase des Christentums, die in Apg 13 in die paulinische Phase der Völkermission mündet. Diese ihrerseits endet vor König Agrippa II., dem Sohn des Vorgenannten (25,13–26,32). Auch er wird, freilich in ganz anderem Licht, als Repräsentant des Judentums gezeichnet (26,2 f.). Gerade deshalb ist er Paulus wohlgesonnen und wird – ohne Ironie – als Beinahe-Christ vorgestellt (26,26– 32). Die Stiftungsepoche des Christentums endet damit in der grundsätzlich günstigen Stellungnahme eines repräsentativen Juden, der freilich durch den Statthalter Felix und nicht zuletzt durch Berenike, die (künftige) Gefährtin des Flaviers Titus, mit der Völkerwelt verbunden ist. Dieser optimistische Epochenschluss ist hoch zu veranschlagen. Nicht der Ausklang der Jerusalemer Phase, sondern der der Stiftungsepoche insgesamt bestimmt den letzten Eindruck von den kirchlichen Anfängen: eine glaubende Menschheit aus Juden und Heiden, ohne Fesseln (26,29). Auf das gewaltgetränkte Bild Agrippas I. am Schluss der Jerusalemer Urzeit folgt das versöhnlich stimmende Bild Agrippas II. am Schluss der Stiftungsepoche mit dem umfassenden Freispruch (durch einen Vertreter des Judentums) als Schlusswort (26,32). In der lukanischen Normalzeit bleibt das Verhältnis zum Judentum so offen wie das literarische Ende des Geschichtswerks. Die Gewalt wird Episode, deren Ende Perspektive. (5) Theozentrischer Grundzug: Unser Kapitel hat keine Helden. Konsequente Theozentrik schließt das Heroische aus. Bis in die humorvollen Partien hinein wird die Irrtumsfähigkeit, Begriffsstutzigkeit und Passivität der christlichen Handlungsträger fast provozierend dargestellt. Es gibt zweifellos andere, eher „heroische“ Partien in der Apg, aber letztlich sind selbst ihre führenden Figuren Geführte. Wenn es zum Geschäft des Historiographen gehört, die treibende Geschichtskraft im Spiel der Mächte aufzuweisen, so hat Lukas seine Pflicht erfüllt. Es ist der Gottesplan über aller menschlichen Wirrnis, der  – in funktionaler Entsprechung zur τύχη oder πρόνοια – der christlichen Gemeinschaft ihren Ort in der Weltgeschichte zuweist.51 Nicht der theologische Zug seiner Geschichtsdeutung als solcher setzt dabei einen grundsätzlichen Unterschied zu den paganen Historiographen. Was Lukas unterscheidet, ist die alternativlose Theozentrik. Hier stellt er sich ganz in die jüdische Tradition der Geschichtswahrnehmung. Lukas schreibt mit Apg 12 das erste Kapitel der Kirchengeschichte. Er fügt sie, wie wir sahen, organisch an die Geschichte Israels und so auch an den Bios Jesu. Die farbige Ausmalung unseres dramatischen Kapitels verdankt sich letztlich 51  Zur Bedeutung der Providenz für Lukas im Vergleich mit Diodorus Siculus, Dionysios von Halikarnass und Josephus John T. Squires, The Plan of God in Luke-­Acts, MSSNTS 76, Cambridge (1993) 2004, 37–77.

3. Erinnerungsarbeit: Kirche als Geschichte

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einer Grundentscheidung des Erzählers: Er wählt, in Anlehnung an das Evangelium, die Bios-Struktur, um Kirchengeschichte darzustellen.52 Kirchengeschichte tritt so mit einem eminent biblischen, christologischen und personalen Impetus auf den Plan. Sie schreibt den Bios Christi fort und legt ihn mit historiographischen Mitteln als konkrete Lebenserzählung aus. Die Kirche verdankt sich der Nachfolge, der Verfolgung, der Epiphanie, der Befreiung und dem Wunder. Auf diese Weise wird Kirchengeschichte, kaum hat sie sich erfunden, bereits zur Fußnote in der Geschichte Gottes mit der Welt.

52  Vgl. grundlegend Christopher B. R.  Pelling, Biographical History? Cassius Dio on the Early Principate, in: Portraits. Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire, hg. v. M. J. Edwards / ​S. Swain, Oxford 1997, 117–144, bes. 117–125. Zur biographischen Prägung der Apg Bernhard Heininger, Das Paulusbild der Apostelgeschichte und die antike Biographie, in: Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit, hg. v. M. Erler / ​ St. Schorn, BzA 245, Berlin 2007, 407–429; zur generischen Nähe zwischen Bios und Historia Guido Schepens, Zum Verhältnis von Biographie und Geschichtsschreibung in hellenistischer Zeit, ebd. 335–361.

ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ Paulus als theologischer Topos in der Apostelgeschichte Für Andreas Lindemann

The Lukan Paul is a historically informed narrative construct based on an extratextual and socially remembered individual within the limits of historiographic fiction. Thus, the conundrum “Paul and Luke” is essentially no historical but a literary question: Before we ask how Paul has influenced Luke, we need to ask how Luke has shaped Paul. The dramatic transition of the vir vere Israeliticus from a fervent Pharisee to God’s chosen instrument for the gospel represents the transformation of Israel. This is reflected in the threefold retelling of the conversion: from the intratextual point of view, from a genuinely Jewish perspective in Paul’s speech on the temple square, and from a cosmopolitan perspective in Paul’s speech on the colourful stage in Caesarea Maritima. Paul’s turns out to be the ekphrasis of the chosen people’s great transition from Jerusalem to Rome (as the centre of the world-wide forum). The individual actor Paul dramatises what God’s guidance, God’s historical aims, the church’s present experience, and Christ’s resurrection theologically mean. Paul (seen from a viewpoint somewhat remote in time) is not dealt with for his own sake, e. g., as a controversial figure, but as a bridge over a historical break and a mirror of the Christian way through history.

Paulus, erinnert und erzählt, bildet einen Schwerpunkt der Actaforschung. Angesichts seiner Bedeutung als Protagonist im zweiten Teil der Apostelgeschichte überrascht dies nicht. Überraschender schon wirkt es, wie unterschiedlich die Auskünfte sind, zu denen die Exegese vorstößt, und wie lebhaft „ihr“ Paulus mit dem Wechsel der Fragerichtung sein Profil ändert. Seit den frühkirchlichen Anfängen bei Eusebios werteten die Ausleger die lukanischen Angaben dokumentarisch und hagiographisch aus. Mit dem Aufkommen der historischen Kritik verschob sich das Interesse auf die Frage, welchen Zweck der Verfasser, „Lukas“, mit seinem Portrait verfolgt und wo der theologiegeschichtliche Ort dieses Portraits liegt. Die Tendenz, zumal in der deutschsprachigen Forschung, namentlich bei Ernst Haenchen und Philipp Vielhauer, ging dahin, Lukas vom historischen Paulus abzurücken, kämpfte sich also an der altkirchlichen Überlieferung von dem Arzt Lukas als Paulus-Begleiter ab. Ganz durchsetzen konnte sie sich allerdings nicht. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert waren es vor allem Adolf Harnack und Eduard Meyer, die der alten

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ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ

Zuschreibung historische Triftigkeit zu verschaffen suchten.1 Auch durch die Brechungen der Formgeschichte hindurch blieb für viele Ausleger, besonders in der englischsprachigen Forschung und zu Tübingen, die biographische und theologische Nähe zwischen Lukas und Paulus plausibel. Aktuell lassen sich drei Strömungen unterscheiden: (1)  Das Vertrauen auf den historischen Referenzstatus des lukanischen Paulus-Bilds erstarkt derzeit wieder, wenn auch mit mancher kritischen Nuance. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die traditionsgeschichtliche These vom Weggenossen in den Wir-Berichten  – in differenzierteren Varianten  – neues Gewicht.2 (2) Die zweite Strömung ist vollkommen gegenläufig. Im konstruktivistischen Forschungstrend gewinnt die wissenssoziale „Erfindung“ des Paulus Aufmerksamkeit. Mit stärkster Wirkung und Konsequenz engagiert sich hier Richard I. Pervo.3 Auch bei ihm hat die Ausgangsthese von der Romanhaftigkeit des lukanischen Paulus-Bilds4 manche Nuancierung erfahren, aber der Primat von Imagination und Interesse beherrscht seinen Ansatz nach wie vor. (3) Die dritte Strömung bringt sich in dem aktuell wohl repräsentativsten Sammelband Reception of Paulinism in Acts5 zur Geltung. Sie setzt (wie Ansatz 2) gerade bei 1 Adolf

Harnack, Lukas der Arzt. Der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte, Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament 1, Leipzig 1906; Eduard Meyer, Ursprünge und Anfänge des Christentums III, Nachdruck: Darmstadt (1923) 1962, 3–36. 2  Die wuchtig vorgetragene Position von Claus-Jürgen Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, einst im deutschsprachigen Raum fast isoliert, findet heute von unterschiedlichen Ansätzen her Unterstützung: Marius Reiser, Von Caesarea nach Malta. Literarischer Charakter und historische Glaubwürdigkeit von Act 27, in: Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, hg. v. F. W. Horn, BZNW 106, Berlin 2001, 49–74; Alexander Mittelstaedt, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes, TANZ 43, Tübingen 2006, bes. 21–34, 251–255 (allerdings mit gering ausgeprägtem Problemverständnis); Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 7–9; auch in jüngeren Apg-Kommentaren schlägt sich diese Tendenz nieder. Zur Diskussion der Wir-Erzählungen Stanley E. Porter, The Paul of Acts. Essays in Literary Criticism, Rhetoric, and Theology, WUNT 115, Tübingen 1999, 10–46 sowie gründlich Jens Börstinghaus, Sturmfahrt und Schiffbruch. Zur lukanischen Verwendung eines literarischen Topos in Apostelgeschichte 27,1–28,6, WUNT II / ​274, Tübingen 2010, 281–336. 3 Richard I. Pervo, The Making of Paul. Constructions of the Apostle in Early Christianity, Minneapolis, Minn. 2010, bes. 149–156; vgl. auch Pervos Beitrag in dem von D. Marguerat edierten Sammelband (s. u. Anm. 5): The Paul of Acts and the Paul of the Letters. Aspects of Luke as an Interpreter of the Corpus Paulinum, 141–155 sowie bes. seinen Standardkommentar in der Hermeneia-Reihe: Acts, Minneapolis, Minn. 2009. 4  Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987. 5 Reception of Paulinism in Acts  – Réception du paulinisme dans les Actes des apôtres, hg. v. D. Marguerat, BETL 229, Löwen 2009; darin programmatisch Jens Schröter, Paulus als Modell christlicher Zeugenschaft. Apg 9,15f und 28,30f als Rahmen der lukanischen Paulusdarstellung und Rezeption des „historischen“ Paulus, ebd. 53–80: 53–60. Vgl. auch Porter, Paul (s. Anm. 2), 187–206; Dietrich Rusam, Die Apostelgeschichte, in: Einleitung in das Neue Testament, hg. v. M. Ebner / ​St. Schreiber, KStTh 6, Stuttgart 2008, 229–249: 235–239; Jens Schröter, Paulus in der Apostelgeschichte, in: IKaZ 38 (2009) 135–148: 144–146.

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der jüngeren Einsicht in die Dynamik von Konstruktionen an, um (wie Ansatz 1) die klassische Dissoziation zu entkräften. Die Abweichungen vom historischen Paulus – oder, wie genauer zu formulieren ist: von der brieflichen Selbstkonstruktion des Paulus – lassen sich auch unter der Annahme einer Nähe zum paulinischen Wirken triftig entschärfen. Das Paulus-Bild der Apg kann durchaus als Rezeption, Nachhall oder Wirkung des Apostels erklärt werden. Selbst der Areopagrede  – Paradefall dessen, was Paulus unmöglich gesagt oder gedacht haben kann – mag, insofern sie seine geschichtliche Wirkung sachgerecht würdigt, historische Referenz zugeschrieben werden.6 Welchen Weg diese Erklärung zu gehen hat, wird freilich keineswegs einlinig beschrieben. Die Leistung dieses dritten Ansatzes scheint mir eher darin zu liegen, die konventionellen Vorbehalte ausgeräumt als eine biographische bzw. prägnant-theologische Nähe zwischen Paulus und Apg profiliert zu haben. Aus der plausiblen Annahme, dass Lukas in keiner unüberwindbaren Spannung zum Apostel steht, folgt noch nicht, dass er „Schüler“ des Paulus war, ihn begleitet hat, seine Briefe kennt oder seine Botschaft konkret voraussetzt. Die folgenden Überlegungen fragen nicht nach dem Verhältnis zwischen Lukas und Paulus, sondern halten es für geklärt: Paulus ist eine lukanische Erzählgestalt (im Sinne von Ansatz  2). Unabhängig von allen Gattungs-, Traditions‑ und Referenzproblemen handelt es sich beim lukanischen Paulus um eine narrative Konstruktion, jedoch nicht um eine nur binnenliterarisch zu erklärende Fiktion, sondern um einen informierten Erzählentwurf. Er setzt eine Erinnerungsgemeinschaft (im Sinne von Ansatz  3) voraus, in die auf den sublimen Pfaden einer semi-oralen Kultur auch mündliche oder schriftliche Dokumentation (im Sinne von Ansatz  1) eingegangen ist, ohne dass die diachronen Schichten als ganze noch kontrollierbar voneinander abzuheben sind.

1. Paulus als ekklesiales Gedächtnisbild Hinsichtlich der historischen Rückfrage haben in der mehr als hundertjährigen Diskussion einfache Lösungen (z. B. Lukas als Augenzeuge und Paulus-Begleiter, die Wir-Berichte als unmittelbar eingearbeitete einheitliche Quelle, Apg als direktes Echo der oder diametraler Widerspruch zur paulinischen Botschaft) mehr Schwierigkeiten geschaffen als gelöst. Es muss endlich akzeptiert werden, dass die Beziehung Paulus / ​Lukas sich als Vexierfrage modernen Problemkonstellationen verdankt. Das Verhältnis des Lukas zu Paulus ist grundsätzlich kein anderes als zu Petrus, Stephanus oder Philippus. Es ist zuerst das literarische Verhältnis eines 6  So Jens Schröter, Konstruktion von Geschichte und die Anfänge des Christentums. Reflexionen zur christlichen Geschichtsdeutung aus neutestamentlicher Perspektive (2004), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 37–54: 48–52.

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Erzählers zu einer Erzählfigur. Die erste Frage lautet nicht, wie Paulus Lukas beeinflusst hat, sondern wie Lukas Paulus entwirft. Ansatzpunkt kann daher kein postulierter Hintergrund, sondern nur Paulus als Aktant der Apg sein.7 Insofern Apg intentionale, näherhin: theologische Historiographie bietet,8 ist die Erzählfigur Paulus als sozial erinnertes Theologumenon zu betrachten. Dabei sind nicht einzelne Erzählstränge, sondern ist das gesamte Opus der Apg – in perspektivischer Verbindung mit dem lukanischen Evangelium – zu würdigen. Diese Würdigung hat nicht Vorkonzepte, etwa über die Normativität paulinischer Theologie, an die Erzählung heranzutragen, sondern ist auf die innere Stringenz des lukanischen Erzählgefüges verwiesen.9 Erst von der intentional kanalisierten, theologisch geformten Erinnerungsleistung her kann dann auf den „historischen Paulus“ geblickt werden. Apg stellt aktantenzentrierte Geschichtsschreibung dar. Das heißt: Sie orientiert sich an einzelnen Handlungsträgern als bios-basiertem Strukturierungs‑ und Veranschaulichungsprinzip der historiographischen Darstellung.10 In dieser Stofforganisation tritt Paulus als der strukturierende Aktant von Apg 13–28 auf. Die herausgehobene Erzählposition rechtfertigt jedoch keine isolierte Betrachtung seines Wirkens. Das Paulus-Bild ist nur ein, freilich bedeutsames Einzelportrait im Gesamtgemälde über die christlichen Anfänge und ohne die gesamte Bildfolge nicht zu begreifen. Paulus wird  – wie alle strukturierenden Charaktere der Apg – beiläufig eingeführt (7,58) und tritt am Ende nicht ab, sondern hinter die Jesus-Botschaft zurück (28,30 f.). Dies sticht gerade im Vergleich mit der von Lukas gegenüber seiner markinischen Vorlage massiv ausgebauten Anfangs‑ und Endgeschichte Jesu ins Auge. An Persönlichkeit, Vita und Ende des Paulus herrscht kein eigenes Interesse. Kommen sie in den Blick, dann nur, um einen Aspekt des Evangeliums zu beleuchten.11 Lukas schreibt keinen Pau 7 In einem verwandten Sinn plädiert Daniel Marguerat für ein „quitter l’illusion du positivisme historique“ in der Frage nach dem lukanischen Paulus-Bild: L’image de Paul dans les Actes des apôtres, in: Les Actes des apôtres. Histoire, récit, théologie, hg. v. M. Berder, LeDiv 199, Paris 2005, 121–154: 128–130.  8  Dazu näher Knut Backhaus, Lukas der Maler: Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche, in: ders. / ​G. Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThS 86, Neukirchen-Vluyn (2007) 22009, 30–66 [in diesem Band S. 157–188].  9  Methodologisch erhellend Scott Shauf, Theology as History, History as Theology. Paul in Ephesus in Acts 19, BZNW 133, Berlin 2005, 4–84; vgl. auch Beverly R. Gaventa, Toward a Theology of Acts, in: Interp. 42 (1988) 146–157. 10 Zur Bios-Struktur der kaiserzeitlichen Geschichtsschreibung Christopher B. R.  Pelling, Biographical History? Cassius Dio on the Early Principate, in: Portraits. Biographical Representation in the Greek and Latin Literature of the Roman Empire, hg. v. M. J. Edwards / ​ S. Swain, Oxford 1997, 117–144, bes. 117–125. 11  Zur biographischen Prägung des lukanischen Paulus-Bilds Bernhard Heininger, Die Rezeption des Paulus im 1. Jahrhundert: Deutero‑ und Tritopaulinen sowie das Paulusbild der Apostelgeschichte, in: Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, hg. von O. Wischmeyer, UTB 2767, Tübingen 2006, 309–340: 329–335; ders., Das Paulusbild der Apostelgeschichte und die an-

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lus-Bios, sondern fügt biographische Elemente in die Mimesis der urchristlichen Herkunft ein, um Heilsführung am geführten Individuum zu demonstrieren. Unzweifelhaft dient es der Erschließung des lukanischen Paulus-Bilds, wenn einzelne Stränge in der Charakterzeichnung verfolgt werden (Redner, Wundertäter, Leidenszeuge, sozialer Status usw.). Doch muss das Risiko einer paulozentrischen Verzerrung bewusst bleiben: Diese Stränge dienen einem werkumfassenden Zweck, was schon daran deutlich wird, dass sie in ähnlicher Weise, wenn nicht in gezielter Parallele, auch für den Hauptaktanten Petrus gezeichnet werden. Lukas erzählt von Paulus nicht um seiner selbst willen, für das christliche Speichergedächtnis oder um ihn in aktueller Auseinandersetzung zu etablieren oder zu domestizieren. Das lukanische Paulus-Bild dient vielmehr der urchristlichen Erinnerungskultur, ist historiographisches Arrangement der christlichen Erstepoche und diesem ein‑ und unterzuordnen. Wir sehen Paulus wesentlich in „Apologien“ engagiert (Apg 22,1; 24,10; 25,7 f.16; 26,1 f.24). Es sind „Apologien“ des christlichen Werdegangs. In diesem Sinn hat Jürgen Roloff die Paulus-Deutung des Lukas als „Funktion seiner Ekklesiologie“ verstanden: Der Völkermissionar mit jüdischer Wurzel ist Identifikationsfigur kirchlicher Selbsterfahrung.12 Paulus ist ekklesiales Gedächtnisbild, anschaulicher Faktor lukanischen Ordnungswissens. Lukas zeichnet also mit seinem Paulus-Bild ein aufwendiges Bewegungsgemälde, dessen Namen, Kontur und Hintergrund er der kirchlichen Erinnerung entnimmt, das er aber nach Farben, Details und Grundperspektive zum Ausdruck seines geschichtlichen Deutungswillens macht. Paulus wird zum Monument jener Transformation, der sich die Ekklesia verdankt.

2. Signum conversionis 2.1 Conversus – semper idem Der lukanische Paulus verkörpert unzweideutige und bleibende Herkunft. Von seinem ersten Auftreten bis zu seinem letzten Schriftwort steht er, der bei Gamaliel studiert hat (Apg 22,3), für das (aus lukanischer Sicht) genuine Judentum: ein vir vere Israeliticus.

tike Biographie, in: Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit, hg. v. M. Erler / ​St. Schorn, BzA 245, Berlin 2007, 407–429. Zu beachten ist, dass die Bios-Elemente nicht Erzählzweck, sondern Erzählmittel sind. Wird „ein dezidiertes Interesse an der paulinischen Biographie (wenn auch nicht im modernen Sinn)“ festgestellt (Heininger, Rezeption, 329 f.), so ist dieses näher zu beschreiben: ein Interesse an theozentrik-tauglichen Bios-Elementen. 12  Jürgen Roloff, Die Paulus-Darstellung des Lukas. Ihre geschichtlichen Voraussetzungen und ihr theologisches Ziel, in: EvTh 39 (1979) 510–531, bes. 520, 531; vgl. auch die problemgeschichtlich sensible Studie von Augusto Barbi, Il paolinismo degli Atti, in: RivBib 34 (1986) 471–518; bilanzierend Marguerat, Image (s. Anm. 7), bes. 153 f.

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Treu der Tora beschneidet er den Timotheus (Apg 16,3), löst er Gelübde ein (18,18), löst er Nasiräer aus (21,26), achtet er den Hohepriester seines Volkes (23,4 f.). In keinem Detail wendet er sich von Tora und Propheten ab; er steht zum θεὸς πατρῷος wie dieser zu ihm. Je näher die Ekklesia mit Paulus dem römischen Ziel kommt, desto leidenschaftlicher versichert sie durch ihn, den „väterlich ererbten Sitten“ die Treue gehalten zu haben (22,3; 24,14; 26,22; 28,17). Das Gewissen des Völkermissionars gegenüber der Anschuldigung, den jüdischen Weg verlassen zu haben (21,21), ist rein (23,1; 24,16). Im Kosmopoliten Paulus gewinnt die weitgefächerte christliche Erinnerungsgemeinschaft theologisch eindeutige Vergangenheit.13 Aufgrund seines gesetzesfrommen Werkes (vgl. 21,24) wird Paulus schließlich von der jüdischen Gegenpartei im Tempelareal festgenommen, sodass er letztlich seiner Tora-Treue zum Opfer fällt. Was Tora-Treue bedeutet, stellt sich Lukas freilich christologisch dar. Das ganze Heil bindet sich an den Auferstandenen; nur von ihm her gewinnt die Tora ihre Bedeutung. Er ist es, der als Kyrios in Israel und unter den Völkern zu verkünden ist. Die Tora wird von der Heils‑ auf die Zeugnisfunktion, vom universalen Anspruch auf den Anspruch einer partikularen Kulturidentität reduziert.14 Tora-Gehorsam schlägt sich, so gesehen, im unbeirrbaren Glauben des Paulus an die Propheten nieder, konkretisiert sich in der Hoffnung auf die Auferstehung, die Paulus mit den Pharisäern teilt, und findet in Jesu Auferstehung zur aktuellen Realität. In der Abschiedsrede an die christlichen Verantwortungsträger zu Milet spielt die Tora keine eigene Rolle: Sie ist (im dreifachen Sinn) aufgehoben in dem „Glauben an unseren Kyrios Jesus“ (Apg 20,21). Die Geradlinigkeit des Paulus steht für das alttestamentlich-jüdisch-urchristliche Kontinuum, an dem unserem Geschichtsschreiber alles gelegen ist.15 Eine Wandlung im Gottesvolk kann es nur geben, wenn sie verheißungsgeschichtlich erwartbar und aufgrund himmlischer Intervention legitimiert ist. Es sind solche Interventionen, die das Gottesvolk im Zuge der lukanischen Erzählung umformen – wie sie Paulus umgeformt haben. Die erste Blitzlichtaufnahme, mit der Paulus als Aktant eingeführt wird, stellt ihn in bezeichnender Weise als einen quasi-offiziellen Zeugen der Steinigung des Stephanus vor, also am tödlichen Bruch zwischen Urgemeinde und Jerusalemer 13 Dazu näher Knut Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Chr. Böttrich / ​J. Herzer, WUNT 209, Tübingen 2007, 401–428: 422 f. [in diesem Band S. 257–282: 276–278]. 14 Vgl. Karl Löning, Das Evangelium und die Kulturen. Heilsgeschichtliche und kulturelle Aspekte kirchlicher Realität in der Apostelgeschichte, in: ANRW II.25.3 (1985) 2604–2646: 2621–2627; Helmut Merkel, Das Gesetz im lukanischen Doppelwerk, in: Schrift und Tradition. FS J. Ernst, hg. v. K. Backhaus / ​F. G. Untergaßmair, Paderborn 1996, 119–133. 15  Vgl.  – als Beispiel für viele  – Roloff, Paulus-Darstellung (s. Anm. 12), 529; Simon D. Butticaz, L’identité de l’Église dans les Actes des apôtres. De la restauration d’Israël à la conquête universelle, BZNW 174, Berlin 2011, 415–421.

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Obrigkeit (Apg 7,58; 8,1–3). Als Delegat der Jerusalemer Autoritäten, amtlich beglaubigt, reist er nach Damaskus; als mordschnaubender Verfolger des „Weges“ ist er deren Ebenbild (9,1 f.). Nicht mit dem Judentum muss er brechen, sondern mit diesem Jerusalem. Die Scheidung von den scheelsüchtigen Stammesgenossen, die dem Jerusalemer Urbild entsprechen, wird im weiteren Handlungsverlauf schmerzhaft dargetan. Aber die tragischen Nachstellungen münden in die Anerkennung aus berufenstem Mund: dem eines jüdischen Königs, der „anders“ ist, weil er seine Religion von innen kennt (Apg 26,3.28.32). Bis in seinen jesajanischen Schlusssatz hinein ist Paulus Jude unter (auch) hörbereiten Mit-Juden. Alles, was er tut, tut er als mustergültiger Jude aus Gehorsam gegenüber Gesetz und Propheten. In seinem Identitätswandel wird zum einen die Kontinuität des Gottesvolks greifbar und zum anderen gerade so dessen notwendige Veränderung, die letztlich allein darin besteht: auf dem Weg Christus zu finden. Den Anspruch, ein wahrer Israelit zu sein, löst Paulus dadurch ein, dass er sich dem Auferstandenen zuwendet und für dessen Herrschaft wirkt. Dass er aus solcher Treue Neuland beschreitet und pagane Reisegenossen findet, ist göttlich vorprogrammiert. Die conversio Pauli bildet mikroskopisch ab, was in der Makroskopie die conversio populi bedeutet: Die Wendung zu Christus führt in die gewandelte Identität unter den Völkern – als Konsequenz aus dem eigenen „Weg“. Lukas nimmt sich Erzählzeit, um das göttliche Wandlungsprogramm via Pauli geradezu in seine Schrift einzumeißeln. Drei Bekehrungserzählungen,16 perspektivisch unterschiedlich und an verheißungsgeschichtlichen Wendepunkten sorgsam platziert,17 widmet er der Christophanie, die den Verfolger auf den Heilspfad zwingt: eingangs – unter Rückgriff auf Personaltradition18 – aus der auktorialen Erzählerperspektive (Apg 9,1–19a), retrospektiv als Eigenbericht in der „hebräischen“ Rede am Tempel (22,3–21), ebenfalls als retrospektiver Eigenbericht in der „ökumenischen“ Rede vor Agrippa II., Berenike und Festus (26,9–18). Nirgends sticht das individuell-biographische Desinteresse an Paulus so sehr ins Auge wie bei diesem entscheidenden Ereignis seiner Vita. Zwar widmet Lukas ihm nach Umfang und Ort in der Leserlenkung eingehendste Aufmerksamkeit. 16  Zum Texttyp der Bekehrungserzählung (conversion story) Christoph Burchard, Der dreizehnte Zeuge. Traditions‑ und kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Lukas’ Darstellung der Frühzeit des Paulus, FRLANT 103, Göttingen 1970, 52–88; Odile Flichy, La figure de Paul dans les Actes des apôtres. Un phénomène de réception de la tradition paulinienne à la fin du premier siècle, LeDiv 214, Paris 2007, 67–73; Pervo, Acts (s. Anm. 3), 233–237. 17  Zur narrativen Strategie von Redundanz Ronald D. Witherup, Functional Redundancy in the Acts of the Apostles: A Case Study, in: JSNT 48 (1992) 67–86, bes. 68–75, 83–85; Daniel Marguerat, The First Christian Historian. Writing the ‘Acts of the Apostles’, MSSNTS 121, Cambridge (2002) 2004, 183–191. 18  Zur traditionsgeschichtlichen Diskussion bilanzierend Christoph Burchard, Paulus in der Apostelgeschichte, in: ThLZ 100 (1975) 881–895: 888–890 sowie Jacob Kremer, Die dreifache Wiedergabe des Damaskuserlebnisses Pauli in der Apostelgeschichte, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 329–355: 338–345.

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Was jedoch das Geschehen für Geschick und Botschaft des Individuums Paulus bedeutet, ist ihm so unbeachtlich wie die Frage, ob die topische Malerei von einem Wüterich, der „Drohung und Mord wider die Jünger des Herrn schnaubt“ (Apg 9,1), die frühere Wirkphase des Paulus irgendwie treffen mag. In den Bekehrungserzählungen entfaltet sich die dramatische Transformation des Gottesvolks im perspektivischen Dreischritt: Der Bekehrte ist erwählt (Apg 9). – Die Erwählung bedeutet: Abschied vom Jerusalemer Judentum (Apg 22).  – Der Abschied bedeutet: Hinwendung zur Mitte des Imperium Romanum (Apg 26). Schrittweise wird so auch der Verstehensprozess der Adressaten geformt, bis er in 26,17 f. mittels der Kumulation von Leseeindrücken seine Klimax erreicht hat; dabei vereindeutigt sich die geschichtliche Rolle des Paulus in den drei Berichten mehr und mehr.19 Der entscheidende Leseeindruck lautet: Nicht Paulus, sondern Gott handelt. Die Schlussbilanz  Ὅθεν […] οὐκ ἐγενόμην ἀπειθὴς τῇ οὐρανίῳ ὀπτασίᾳ (26,19) schließt die Klammer zu 9,3 und bietet eine theozentrische Summa des gesamten paulinischen Wirkens. Für die Frage nach Paulus als theologischem Topos sind die drei Wandlungsberichte von maßgeblicher Bedeutung.20 2.2 Instrumentum electionis (Apg 9) Apg 9,1–19a dient als bewegtes Vorspiel zum Übergang des Evangeliums in die Völkerwelt. Wenn sich, bevor Petrus die erste regelrechte Heidentaufe vollzieht und begründet, der Himmel selbst in Paulus ein Werkzeug für die Völkermission schafft, wird darin, wie in einem christozentrischen Präludium, vorgeführt, dass das Geschehen den Willen des Auferstandenen unmittelbar und wirkungsreich widerspiegelt. So reiht sich die Verwandlung des Paulus in eine Folge von Bekehrungsepisoden ein, mit der der Kyrios das Gottesvolk machtvoll umformt: 19  Zur schrittweisen Entfaltung des Sendungsmotivs Gerhard Lohfink, „Meinen Namen zu tragen …“ (Apg 9,15) (1966), in: ders., Studien zum Neuen Testament, SBAB 5, Stuttgart 1989, 213–221: 220 f.; Pervo, Acts (s. Anm. 3), 629 f. 20  Zu Vergleich und Auslegung der drei Erzählungen Burchard, Zeuge (s. Anm. 16), 88–136; Karl Löning, Die Saulustradition in der Apostelgeschichte, NTA 9, Münster 1973, 126–201; Volker Stolle, Der Zeuge als Angeklagter. Untersuchungen zum Paulusbild des Lukas, BWANT 102, Stuttgart 1973, 155–212; Klaus Obermeier, Die Gestalt des Paulus in der lukanischen Verkündigung. Das Paulusbild der Apostelgeschichte, Diss. Universität Bonn 1975, 97–117; Andreas Lindemann, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 52–56; Charles W. Hedrick, Paul’s Conversion / ​Call: A Comparative Anal­ ysis of the Three Reports in Acts, in: JBL 100 (1981) 415–432; Beverly R. Gaventa, From Darkness to Light. Aspects of Conversion in the New Testament, Philadelphia, Pa. 1986, 52–95; Witherup, Redundancy (s. Anm. 17), 75–83; Kremer, Wiedergabe (s. Anm. 18), 329–338; Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 179–204; István Czachesz, Commission Narratives. A Comparative Study of the Canonical and Apocryphal Acts, Studies on Early Christian Apoc­ rypha 8, Leiden 2007, 60–91; Flichy, Figure (s. Anm. 16), 55–166; Schröter, Modell (s. Anm. 5), 61–74.

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von den Rändern her die Samaritaner und der äthiopische Hofeunuch (8,4–40), als Zielpunkt: Cornelius (10,1–11,18).21 Wie alle diese Episoden malt Lukas auch die Bekehrung des Paulus sorgfältig aus. Er benutzt dazu die Septuaginta-Farben der prophetischen Berufung und Beauftragung und stellt damit den geschichtlichen Wandlungspunkt in die biblische Kontinuität göttlicher Heilsführung. Die Regie, die der Auferstandene gleich an mehreren Schauplätzen des Geschehens in die Hand nimmt, wirkt genau bedacht. Saulus begegnet Jesus auf dem „Weg“ nach Damaskus, als er den „Weg“ verfolgt. Von Licht umstrahlt, nimmt er wahr, Jesus längst begegnet zu sein, der als corporate personality für die Seinen steht. Die Rollenrochade ist von lukanischer Ironie: Nicht Saulus führt Männer und Frauen „gebunden“ nach Jerusalem (Apg 9,2), sondern er wird selbst, vom Herrn überwältigt und gebunden (vgl. 20,22; 21,11.13; 26,29.31), nach Damaskus, nach Jerusalem, nach Rom geführt. Die Szene schildert keinen Glaubens‑ oder Gesinnungswechsel, weder Einsicht noch Reue, keinen Missionsvorsatz, überhaupt keine innere Geschichte des Saulus. Sie schildert, wie er gebrochen wird. Jede Einzelheit zielt darauf ab zu demonstrieren, dass nichts am christlichen Heros liegt und alles an der machtvollen Initiative des Kyrios. Nach der Christus-Begegnung liegt Saulus am Boden: geführt, drei Tage blind und ohne Nahrung. Es ist diese „paulinische Leerstelle“, in der sich der Auferstandene das Werkzeug schafft, mit dem er die Transformation des Gottesvolks durchzuführen gedenkt. Der alttestamentlich klingende Ruf „Saul! Saul!“ (vgl. Gen 22,11; 46,2; Ex 3,4; 1Βασ 3,4) läutet einen verheißungsgeschichtlichen Fortschritt Israels ein, indem er Saulus eine Bestimmung zuteilt. Saulus wirkt daran nicht aktiv mit; er führt ab sofort, wie Apg 9,17–19 demonstriert, eine neue, geistgewirkte Existenz. Die Christophanie führt Saulus in die völlige Passivität; alle Aktivität, die noch folgt, ist geführtes Tun.22 Entsprechend umtriebig wirkt der Auferstandene im (himmlischen) Hintergrund. Nach denkbar knapper Selbstvorstellung, einer Identifikation mit dem (christlichen) „Weg“, erteilt er dem Gebrochenen unmittelbar mündliche Weisung für seine weitere Reise und kündigt weitere Weisung an (Apg 9,6). Noch liegt Saulus im Hause des Judas blind und betend darnieder, als der Kyrios sich bereits in einer neuen Erscheinung dem damaszenischen Jünger Hananias zuwendet, um das weitere Geschick des Saulus, den alsbald die nächste Erscheinung trifft, mittels eines Agenten zu regeln. Die klassisch stilisierte Prophetenvision23 birgt den detailfreudigsten Dialog „zwischen Himmel und Erde“, der in Apg geführt wird; gar Straßen‑ und Hausadresse benennt der Kyrios (9,11; vgl. 10,5.32). Die Einwände des Musterchristen Hananias, der hier für die damaszenischen Juden21  Vgl. Witherup, Redundancy (s. Anm. 17), 72 f.; Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 189 f. 22  Vgl. Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 191 f.: „received identity“. 23  Vgl. Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 192 f.

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christen insgesamt spricht (9,13 f.; vgl. 9,21), überwindet der Kyrios souverän durch eine Skizze seiner Absicht: σκεῦος ἐκλογῆς ἐστίν μοι οὗτος τοῦ βαστάσαι τὸ ὄνομά μου ἐνώπιον ἐθνῶν τε καὶ βασιλέων υἱῶν τε  Ἰσραήλ· ἐγὼ γὰρ ὑποδείξω αὐτῷ ὅσα δεῖ αὐτὸν ὑπὲρ τοῦ ὀνόματός μου παθεῖν (9,15 f.). Vergleichbar ausführlich ist neben dem stereotypen Austausch zwischen Pe­ trus und der Himmelsstimme in der Cornelius-Episode nur die Vision des Paulus im Tempel (Apg 22,17–21); funktional entspricht sie dem Hananias-Dialog. Zudem zeichnet sich die Weisung an Hananias dadurch aus, dass hier Christus selbst spricht, während er sich im Regelfall durch „Stimme“ (10,13.15; 11,7.9), Engel (8,26; 10,3.22.30; 11,13; 27,23; vgl. 12,7–11) oder „Geist“ (11,12; vgl. 16,6– 10; 20,23; 21,4.11) vertreten lässt, und selbst dies meist wortkarg. Erscheinungen des Kyrios  – gemeint ist stets Christus  – werden sonst nur Paulus zuteil (vgl. 18,9 f.; 22,17–21; 23,11). Beachtenswert ist schließlich, dass der Kyrios in der Vision den Paulus in der Vision beschreibt, der seinerseits den visionsgesandten Hananias schaut. Diese Schauungsverschränkung markiert – ähnlich wie in der Cornelius-Sequenz  – die Interventionsfreude des Auferstandenen an diesem Wendepunkt in der Geschichte des Gottesvolks wohl am deutlichsten.24 Die (argumentative!) Überwindung der Bedenken des Hananias ist in jeder Einzelheit theologisch wohldurchdacht: Mit der Metapher σκεῦος (1), dem Genetivattribut ἐκλογῆς (2) und dem dativus commodi μοι (3) wird Paulus präzise christozentrisch redefiniert. (1) Das Nomen σκεῦος bezeichnet im weitesten Sinn zuhandenes „Gerät“ oder „Gefäß“.25 Die erste Bedeutungsnuance ist im Sinne von „auserwähltes Werkzeug“ im deutsch­sprachigen und romanischen Raum verbreiteter als im englischsprachigen, wo die Denotation des Hohlgefäßes (vessel) überwiegt. Das aktiv-instrumentelle Verständnis entspricht dem Mikrokontext, dem biblischen Hintergrund und den vergleichbaren Funktionsbeschreibungen des Paulus in Apg (vgl. bes. 26,16–18) eher als die zweite, mag diese auch der apostolischen Selbstdeutung des Paulus verwandt sein (vgl. bes. 2Kor 4,7).26 Der Bezug von σκεῦος auf Menschen ist außerhalb des biblischen Sprachgebrauchs belegt (vgl. Pol. 13,5,7; 15,25,1), zielt in Apg 9 aber auf den Anschluss an alttestamentliche Theozentrik, wo die Metapher vor allem das Verhältnis zwischen JHWH und Israel veranschaulicht.27 Das σκεῦος (hebräisches Äquivalent: ‫ )כְּלִי‬konnotiert Zerbrechlichkeit; den äußeren Einflüssen ausgesetzt, ist es gewissermaßen „leidensfähig“ (vgl. ψ 2,9; 30,13). Es verweist auf seinen Schöpfer, der es sich, einem Töpfer vergleichbar (vgl. Jer 18,1–6), frei für einen von ihm gesetzten Zweck formt. Wie Axt und Säge (vgl. Jes 10,15) ist es nicht um seiner selbst willen da, sondern wird nach seiner werkzeuglichen Brauchbarkeit beurteilt (vgl. Jer  Vgl. Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 193 f.  Zur Semantik Christian Maurer, Art. σκεῦος, in: ThWNT VII (1964) 359–368; Löning, Saulustradition (s. Anm. 20), 32–37, 113–115; Eckhard Plümacher, Art. σκεῦος, in: EWNT III (1983) 597–599; Schröter, Modell (s. Anm. 5), 65 f. 26  Das metaphorische Schnittfeld zu 2Kor 4,7–12 scheint mir weniger signifikant als Schröter, Modell (s. Anm. 5), 66, 79. 27  Vgl. Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, I: 455 f. 24 25

2. Signum conversionis

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22,28; Hos 8,8).28 Der Apostel Paulus bedient sich der Töpfermetapher (mit Jes 29,16) und des σκεῦος-Motivs in dezidiert erwählungstheologischem Zusammenhang: Gott selbst, der die σκεύη geformt hat, bestimmt in freier Wahl auch deren Gebrauch und vollzieht so an Heiden und Israel souverän seinen Erwählungswillen (Röm 9,20–29; in glaubenspraktischer Applikation: 2Tim 2,20 f.). (2) In biblischer Sprachimitation bildet die Genetivbestimmung ἐκλογῆς einen hebraisierenden Qualitätsgenetiv, der das Verbaladjektiv ἐκλεκτός variiert, also Paulus als auserlesenes Werkzeug der göttlichen Heilsführung beschreibt.29 Dieser individuelle Erwählungsaspekt ist durch die Parallelaussagen Apg 22,14 und 26,16 (προχειρίζω) gesichert. Er entspricht in der Sache der Selbstdeutung des Apostels (bes. Gal 1,15 f.). Allerdings bezieht Paulus das Nomen ἐκλογή auf die Erwählung des Gottesvolks, und dies ist der einzige neutestamentliche Bezug dieses Nomens (1Thess 1,4; Röm 9,11; 11,5.7.28; 2Petr 1,10; vgl. 1Clem. 29,1; Diogn. 4,4).30 Auf die Erwählung des Gottesvolks lässt sich in einem weiteren Sinn die Wendung auch in Apg 9,15 beziehen, sofern man sie als genetivus obiectivus und den anschließenden finalen Infinitiv epexegetisch liest. Der Doppelsinn ist subtil: Paulus ist zur Erwählung erwählt. Mit der individuellen Vorherbestimmung des Paulus sind bereits die Völker für das Heil ausersehen. Die eigene Rollendeutung des Petrus während der Jerusalemer Versammlung zeigt eine ähnlich fein gesponnene Ambivalenz: ὑμεῖς ἐπίστασθε ὅτι ἀφ’ ἡμερῶν ἀρχαίων ἐν ὑμῖν ἐξελέξατο ὁ θεὸς διὰ τοῦ στόματός μου ἀκοῦσαι τὰ ἔθνη τὸν λόγον τοῦ εὐαγγελίου καὶ πιστεῦσαι (Apg 15,7).31 Die Erwählung der Einzelnen ist nicht individualbiographisch zu verstehen, sondern als Initialzündung des göttlichen Erwählungshandelns. Die Erwählung des Paulus ist, wie die des Petrus, ekklesialer Stiftungsakt. (3) Mit dem Dativ μοι schließlich wird die – von den biblischen Vorlagen her geläufige – theozentrische Zwecksetzung auf Christus übertragen. Paulus ist ausgewähltes Werkzeug Christi, und er ist es, insofern er dem Inhalt der folgenden Infinitivkonstruktion gerecht wird.

Der finale Infinitiv schreibt das Grundprogramm von Apg 1,8 situationsgerecht fort und setzt Paulus, vom Himmel her, den Jerusalemer Aposteln gleich. Genauer: Für die ökumenische Phase der christlichen Erstepoche soll er leisten, was diese in der Jerusalemer Phase geleistet haben. Die Wendung τοῦ βαστάσαι τὸ ὄνομά μου ἐνώπιον ἐθνῶν τε καὶ βασιλέων υἱῶν τε  Ἰσραήλ bezeichnet das werkzeugliche Handeln des Bekehrten als bezeugende Proklamation des Auferstandenen.32 Der Bezug auf den Namen des Kyrios ist im Einwand des Hananias mit der Parallelisierung von „Heiligen“ und „deinen Namen anrufen“ vorbereitet (9,13 f.) und wird im folgenden Satz mit „für meinen Namen leiden“ (9,16) lebensweltlich übersetzt. Werkzeugliches Handeln, Leiden und Geistausstattung  Vgl. Maurer, Art. σκεῦος (s. Anm. 25), 360.  BDR § 165,2; vgl. Gottlob Schrenk, Art. ἐκλογή, in: ThWNT IV (1942) 181–186: 183 f. 30  Im lukanischen Doppelwerk kommt das Nomen sonst nicht vor; das Verbaladjektiv belegt sowohl eine kollektive (Lk 18,7) als auch eine singuläre, jedoch messianische Variante (Lk 23,35). 31  Zur textkritischen und grammatischen Diskussion Barrett, Acts II (s. Anm. 27), 714. 32 Das Verb βαστάζειν denotiert eher das Bekenntnis des Zeugen als die Sendung zu den Völkern; dazu näher Lohfink, Namen (s. Anm. 19); Schröter, Modell (s. Anm. 5), 67. 28 29

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(9,17) bedingen einander: Der Zeuge ist in seiner ganzen Existenz vom Auferstandenen geprägt, der im Futurum ὑποδείξω αὐτῷ ebenso wie im geschichtstheologisch gefärbten Impersonale δεῖ alle wirkliche Aktivität an sich bindet. 2.3 Secessio populi (Apg 22) Visionen legitimieren in Apg Transformationsprozesse. Sie verankern die Wandlungen des Gottesvolks in der himmlischen Regie. Dieses Legitimationsinteresse zeigt sich an der Variation der Christophanie in den beiden Reprisen, die biographisch nichts Neues, geschichtlich aber Wesentliches aussagen. In allen drei Berichten wird jeweils die gleiche Sendung beschrieben, doch unter je neuem Kontextaspekt und damit auch in je eigener geschichtlicher Färbung.33 In beiden Reprisen handelt es sich um ἀπολογίαι des Aktanten Paulus innerhalb der erzählten Welt. Dabei dient der unmittelbare Verteidigungszweck – Paulus ist erweislich kein Rechtsbrecher – als Anlass für die eigentliche Apologia: Mittels seines Werkzeugs Paulus vollzieht der Kyrios selbst den Übergangsprozess von der Mitte des Judentums in die Mitte des römischen Reiches. Der Modus der Aktantenrede erlaubt es Lukas, die dem Historiographen gewährten Gestaltungsmöglichkeiten und Wahrnehmungsregeln flexibel zur Deutung der jeweils eigengeprägten Transformation einzusetzen. Die Rede dramatisiert, deutet und verortet historische Höhe‑ oder Wendepunkte aus Sicht des Erzählers, der sich dabei (im Idealfall) dem Charakter und Redestil des Aktanten und der situativen Einbindung anpasst. Die erste Reprise (Apg 22,3–21) ist symbolisch hochkonzentriert. Der  – ironischerweise gerade mit torafrommem Werk befasste  – Paulus wird von den Jerusalemer Juden denkbar umfassend verschrien, gegen die drei zentralen Identitätsmerkmale des Judentums zu lehren, und dies gegenüber jedermann und überall (πάντας πανταχῇ): κατὰ τοῦ λαοῦ καὶ τοῦ νόμου καὶ τοῦ τόπου τούτου (21,28). Demgegenüber ist die vermeintliche Mitnahme des Heidenchristen Trophimus ins Tempelareal eher Anlass als Ursache der Konfrontation. Der Volksauflauf nimmt offizielle Färbung an. Hatten die kleinasiatischen Juden zuvor die ἄνδρες  Ἰσραηλῖται zur Hilfe gerufen (21,28), so gerät 21,30 zur Ekphrasis einer folgenschweren Trennungshandlung: „Da geriet die ganze Stadt in Bewegung, und es kam zu einem Auflauf des Volkes, und man packte den Paulus und zerrte ihn aus dem Heiligtum – und sogleich wurden die Pforten verschlossen“ (ἐκινήθη τε ἡ πόλις ὅλη καί ἐγένετο συνδρομὴ τοῦ λαοῦ, καὶ ἐπιλαβόμενοι τοῦ Παύλου εἵλκον αὐτὸν ἔξω τοῦ ἱεροῦ καὶ εὐθέως ἐκλείσθησαν αἱ θύραι). 33  Welche Aspekte wahrgenommen werden, hängt von der Lektüreperspektive ab. Methodisch am stärksten reflektiert ist Marguerat, Historian (s. Anm. 17): „ecclesial mediation“ – „affirmation of Jewishness“ – „power of the Risen One“; allzu schematisch Czachesz, Narra­ tives (s. Anm. 20): institutionelle, prophetische, philosophische Indienstnahme.

2. Signum conversionis

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Der narrative Pinselstrich, mit dem unverzüglich die Tempeltore hinter Paulus geschlossen werden, ist ein Paradestück lukanischer Eidetik. Was hier ins Bild gesetzt wird, ist vordergründig die gewaltsame Trennung des Juden Paulus von seinem Heiligtum, hintergründig die erzwungene Abzweigung der Ekklesia. Seit Zacharias und Elisabet, Simeon und Hanna, seit den Tagen der Jerusalemer Urgemeinde mit dem Tempel als Mitte Israels verbunden, ist dieser Teil der christlichen Stiftungsepoche nun endgültig abgeschlossen. Es ist der λαός, der Paulus aus dem Heiligtum zerrt. Interessanterweise bleibt der λαός, jüdisch verstanden, aktuelle Bezugsgröße (Apg 23,5; 28,17.26).34 Vom Tempel ist im Folgenden dagegen nur noch retrospektiv die Rede. Seine Tore werden sich (für Christen) nicht mehr auftun. Die Szene atmet Abschiedsstimmung. Apg 21 ist ein Meilenstein der werdenden Kirche und V. 30 dessen prägnante Miniatur. So bedarf es der ordnenden Deutungsrede. Die ἀπολογία, die Paulus τῇ  Ἑβραΐδι διαλέκτῳ auf den Tempelplatzstufen35 hält (Apg 21,37–40), dient als theologischer Kommentar über die verheißungsgeschichtliche Zäsur. Der mustergültige Jude Paulus, der sich jetzt dauerhaft in Heidenhand begibt, sich alsbald als ἄνθρωπος Ῥωμαῖος ausweist (22,25–29) und sich auf den Weg nach Rom macht, erläutert dem als Tempelvolk versammelten λαός am eigenen Beispiel, wie sich der Übergang gottgewollt vollzieht und Gottes Geschichtsplan dartut. Naturgemäß fällt der Dialog zwischen dem Kyrios und Hananias aus der Erzählung heraus. Um dies auszugleichen, äußert sich Hananias gegenüber Paulus im Vergleich mit Apg 9 eingehender zu dessen Sendung, und zwar in dezidiert jüdischem Verstehenskontext. Im Erstbericht nur „ein Jünger“, wird Hananias „ein frommer Mann nach dem Gesetz, von gutem Leumund bei allen jüdischen Einwohnern“ (22,12). Auch die Sendung des Paulus wird in alttestamentliche Farben getaucht; sie schlägt zugleich eine Brücke zum apostolischen Kontinuitätsanspruch in 1,21 f.: Der „Gott unserer Väter“ hat Paulus vorherbestimmt, seinen Willen zu erkennen, das heißt: den „Gerechten“ zu sehen und zu hören und so zum Zeugen des Auferstandenen vor allen Menschen zu werden (vgl. 22,14 f.). Dies entspricht funktional der Bestimmung in 9,15, variiert sie jedoch insofern, als hier der Vätergott und sein Wille im Zentrum stehen und Jesus allen Menschen, gut jüdisch, als ὁ δίκαιος bezeugt werden soll. Das Motiv der Erwählung der Völker tritt zurück. In einer nachklappenden Vision wird dieses Motiv unmittelbar einer Initiative des Kyrios zugeordnet (Apg 22,17–21). Diese Variante ist gegenüber Apg 9 neu 34 Zum Wortgebrauch Reinhard von Bendemann, Paulus und Israel in der Apostelgeschichte des Lukas, in: Ja und nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS W. Schrage, hg. v. K. Wengst / ​G. Saß, Neukirchen-Vluyn 1998, 291–303: 293 f. 35  Die Stufen führen vom Tempelplatz zur Burg Antonia hinauf; von ihnen aus sieht der Sprecher auf das Heiligtum: Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte II, HThKNT 5/2, Freiburg i. Br. 1982, 315, 319.

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und fehlt in Apg 26. Sie findet – der Redesituation entsprechend – im Tempel statt, und zwar als Unterredung zwischen dem Beter Paulus und seinem Herrn, der ihn anweist, das aussichtslose Zeugnis in Jerusalem aufzugeben: „Nimm deinen Weg! Denn ich bin es, der dich in die Ferne aussenden wird zu den Heidenvölkern.“ Die damalige Ansage verwirklicht sich sogleich auf ironische Weise, da das bis zu diesem Punkt zuhörende „Jerusalem“ mit seinem Getöse dafür sorgt, dass Paulus abermals, diesmal endgültig, die Stadt verlässt, um zu den Völkern zu gehen – die im Chiliarchen den Plan betreten. Der Bruch mit Heiligtum und Tempelvolk ist so dem Jerusalemer Judentum zugeschrieben, zugleich freilich in der lang angelegten Regie des Himmels verankert. Das hierin nicht zu übersehende Paradox zwischen jüdischer Verweigerung und göttlicher Vorherbestimmung „löst“ Lukas mit dem biblischen Leitmotiv der Herzensverstockung (vgl. bes. Apg 28,26–28). Für das sachgerechte Verständnis des lukanischen Geschichtsbilds ist es entscheidend, darin nicht den Prädestinationsentwurf eines Systematikers, sondern die Dramatik eines Erzählers wahrzunehmen. Dieses Geschichtsbild lebt vom offenen Ende. Gleichwohl gibt die zweite Bekehrungserzählung dem parting of the ways durchaus den Grundzug eines urchristlichen Exodus. Apg 22 entfaltet eine abschiedliche Stimmung. 2.4 Captatio mundi (Apg 26) Im Gegenzug deutet die zweite Apologie den entschiedenen Aufbruch in Neuland (Apg 26,9–18). Abermals beleuchtet eine vor symbolgeladener Kulisse gezeichnete Wandlungsepisode in der Vita des Paulus einen wesentlichen Übergang in der Geschichte des Gottesvolks. Mit der letzten großen Rede des Paulus endet die lukanische Darstellung der christlichen Erstepoche; die Seefahrt nach Rom inszeniert die Zäsur zur lukanischen Normalzeit in der Mitte der reichsrömischen Welt.36 Die Schlusscoda bringt mit Verve die großen Themen der Paulus-Darstellung zur Geltung: Ein genuin jüdischer König in paganem Kontext bekennt sich – ohne Ironie – als Beinahe-Christ, und Paulus bekennt sich ironisch-irenisch zur Weltmission (26,28 f.). Er folgt Christi Sendung nach Rom, um zu bleiben, was er war: ein Jude, der Tora und Propheten glaubt. War die Apologie auf dem Tempelplatz ganz alttestamentlich gefärbt, so ist die am anderen Ende der Haftzeit, jetzt zu Caesarea Maritima, nach Publikum und Kolorit griechisch-römisch gezeichnet. Während Hananias, der gesetzesfromme Jude, die Rückschau gar nicht mehr betritt, lässt der Auferstandene in den Prophetenaufruf, wenn auch aramäisch, ein griechisches Sprichwort einfließen 36  Vgl. Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289: 277 f.

2. Signum conversionis

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(Aischylos, Ag. 1624; Pindar, P. 2,94–96; Euripides, Bacch. 794 f.; Julianus Imp., or. 8,246b; vgl. PsSal 16,4; Philo, decal. 87; Terenz, Phorm. 77 f.),37 mit dem er seinen Handlungsprimat gegenüber dem Niedergefallenen in das drastische Bild von Vieh und Stachelstock kleidet (vgl. 1Kor 9,9 f.). Aus der Vorherbestimmung durch den „Gott der Väter“ wird hier die Wahl durch den Auferstandenen selbst (vgl. Apg 22,14 mit 26,16: προχειρίζω). Nicht mehr um Pauli Blindheit geht es, sondern um die von „Volk und Völkern“, die durch nichts anderes zum Licht kommen als die πίστις εἰς ἐμέ (26,18; vgl. 26,23). Abermals scheut Lukas keine Mühe, die geschichtliche Bedeutung der Situation malerisch darzutun. Ein größerer Unterschied zur Menge in Jerusalem lässt sich kaum denken als jene Zuhörer, die sich zur Audienz in der pagan konnotierten Residenzstadt Caesarea Maritima, dem Hafen nach Rom, versammeln, um den Bericht des Paulus über seine Christus-Begegnung entgegenzunehmen. Der Hausherr Festus ist umgeben von buntem Gepränge (μετὰ πολλῆς φαντασίας), hohen Offizieren und der Stadtelite, vor allem aber begleitet von König ­Agrippa (II.) und dessen Schwester Berenike (Apg 25,23). Beide sind Repräsentanten eines auf Rom hin offenen Judentums.38 Anders als sein Vater Agrippa I., den Lukas „Herodes“ nennt und als Apostel-Verfolger zeichnet (Apg 12,1–24), behält König Agrippa (geb. 27/28 n.  Chr.) seinen römischen Namen. Zugleich wird er mit Nachdruck als gebildeter Jude vorgestellt (26,2 f.). Die Fürstin Berenike (geb. 28/29 n. Chr.) setzt Lukas bei seinen Lesern als bekannt voraus. In der Tat genoss sie aufgrund ihres wechselhaften Werdegangs, der zwischen jüdischer Observanz und einer Liaison mit Titus changierte, Prominenz. Auch wenn das enge Verhältnis des Geschwisterpaares Aufmerksamkeit auf sich zog, lässt Lukas Berenike kaum im Auditorium des Paulus Platz nehmen, um Lokalkolorit zu schaffen. Im Gegenteil: Er will es sprengen. Agrippa und Berenike stehen für Weltpolitik, die im Judentum verwurzelt ist, doch jenseits der engen Grenzen, die Paulus in Ketten gebracht haben. Sie dienen als Adressaten einer Verkündigung, die sich nicht mehr vorrangig an Juden wendet, diese aber, wie der Kyrios in allen drei Berichten voraussetzt (Apg 9,15; 22,15; 26,17 f.), einschließt und die in Rom einen Neuanfang macht (vgl. 28,21 f.). Die Verstockungswarnung angesichts der gespaltenen römischen Judenschaft (28,25–28) schließt die Sendung an das alte Gottesvolk nicht ab, sondern gibt ihr Appellstruktur. Immerhin war Agrippa die führende Gestalt des Judentums im römischen Reich und hatte noch einmal die religiöse Aufsicht über Jerusalem inne. Dass er zum Abschluss der christlichen Stiftungsepoche zum Beinahe-Christen avanciert, zeugt von einer erstaunlichen lukanischen Zuversicht hinsichtlich des weltweiten Judentums. Es ist kaum genug zu betonen: Das letzte Wort über Paulus am Ende der christlichen Erstepoche ist ein Freispruch durch einen mustergültigen jüdischen Herrscher (26,32)! 37 Zur Inkulturationsregel im Rahmen von narrativer Redundanz Marguerat, Historian (s. Anm. 17), 200 f. 38  Vgl. näher Nikos Kokkinos, The Herodian Dynasty. Origins, Role in Society and Eclipse, JSPES 30, Sheffield 1998, bes. 317–341; Julia Wilker, Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Studien zur Alten Geschichte 5, Frankfurt a. M. 2007, bes. 30–35.

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Die Sendung des Paulus (ἐγὼ ἀποστέλλω σε) wird an diesem letzten Brückenkopf zur Bilanz gebracht (Apg 26,16–18): Christus hat Paulus als ὑπηρέτην καὶ μάρτυρα seiner österlichen Gegenwart wie der kommenden Offenbarungen (ὧν τε εἶδές [με] ὧν τε ὀφθήσομαι σοι) vorherbestimmt und aus Israel und den Völkern ausgesondert, um seinen Heilswillen an den Völkern zu vollziehen. Die jesajanisch klingende Metaphorik von 26,18 setzt den Kontrapunkt zur Warnung 28,27 und wirft damit – unmittelbar vor der Überfahrt nach Rom – theologisches Licht auf die Jetztzeit der Ekklesia. Das Los des Paulus, auf das dieser abschließend (26,19–23) eingeht, ist ein konsequent jüdisches. Die Wendung zu den Völkern ist Gehorsam gegenüber dem auferstandenen Kyrios (26,19), aber gerade so auch – wie in ironischer Brechung sogar Festus wahrnimmt (vgl. 26,24) – Folge des Schriftstudiums, der Treue zu den Propheten, des nachdrücklichen Willens des geschulten Pharisäers Paulus, ein wahrer Israelit zu bleiben. Unter den allzu oft polemischen Zügen der Apg gegen das zeitgenössische Judentum besitzt der verhaltene Appell in 26,29 ökumenischen Charme. Dass Agrippa II., der andere mustergültige Jude, ebenfalls vornehm und weitherzig reagiert, ist folgerichtig. Es ist theologisch kostbar, dass die christliche Stiftungsepoche der Apg in diesen irenischen Dialog unter Juden mündet.

3. Ekphrasis des Übergangs Wir sahen: Die Erzählgestalt Paulus mit ihrer dreifach unterschiedlich beleuchteten Kehre dient als theologisches Kompositionsprinzip der Apg. Im Blick auf das Geschick des Paulus, das ganz durch den Kyrios veranlasst und gelenkt wird, gewinnt die Grunddynamik des lukanischen Geschichtsentwurfs christologische Sinnrichtung: die Aufnahme von Heiden in das Gottesvolk, der endgültige Bruch mit dem Jerusalemer Judentum und der dauerhafte Übergang in die Völkerwelt (zu der bleibend auch das jüdische Volk gehört). Der lukanische Paulus ist individualisierte Topik, veranschaulichte Heilsgeschichte, Reflex des Handelns Christi – so wenig eine differenzierte Persönlichkeit wie die anderen Hauptaktanten. Larger than life-characters nennt man diese Form von Aktantenzeichnung mitunter: Das eigene Leben jedenfalls spiegeln die Zeugen nicht mehr wider, wohl aber das größere der Ekklesia. Am Paradigma Paulus verdeutlicht Lukas, wie die in Apg 13–28 anhebende Kirchengeschichte  – und damit die herkünftige Gegenwart seiner Adressaten – theologisch zu durchschauen ist. Er versieht die Erzählgestalt Paulus deshalb mit besonderem Gewicht, weil der transformierte Weitgereiste die Deutung der epochalen Übergänge, von denen das Doppelwerk handelt, in besonderer Weise fassbar werden lässt. Seine Reisen bilden die Ekphrasis ekklesialer Übergänge: In Paulus reist das Gottesvolk von Jerusalem nach Rom.

3. Ekphrasis des Übergangs

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Paulus besitzt in alledem, ungeachtet der heroisierenden Tendenz seiner Charakterzeichnung, kein Eigengewicht, das etwa von „high ‘paulology’“39 sprechen ließe. Er begründet keine gegenwärtigen theologischen Geltungsansprüche und bewegt keine aktuellen Kontroversen.40 Er hat die lukanische Theologie weder inauguriert noch in spezifischem Sinn inspiriert. Sollte Lukas Paulusbriefe gekannt haben – was keineswegs auszuschließen ist, sondern eher naheliegt –, hätte er ihrer nicht bedurft. Er findet weder maßgebliche Verwendung für sie noch versucht er potentiellen Benutzern solcher Briefe einen biographischen Verstehensrahmen zu schaffen. Gewiss baut Lukas auf theologischen Fundamenten, die einst auch Paulus gelegt hat, aber dessen Autorität ist eine der Vorzeit. Aktuell bedeutsam ist seine Funktion für die Stiftungsmimesis, als Topos einer theologisch-intentionalen Geschichtsschreibung. In dieser Hinsicht sind vier Funktionsrichtungen zu unterscheiden: (1) Mustertyp historiographischer Rekurrenz: Die lukanische Zeichnung des In­ di­viduums Paulus enthüllt Sinnmuster eines bezeichnenden Geschichtsverlaufs.41 Der Erwählte handelt und leidet ähnlich wie Jesus im dritten Evangelium.42 Er teilt kennzeichnende Erfahrungen des Gottesvolks, etwa das Prophetengeschick, aber er erinnert auch an Charakter und Los des Sokrates (Apg 17,16–34). Wer auf den erzählten Werdegang des Paulus schaut, gewinnt am Individuum durch Wiedererkennungseffekte Einsicht in die Verlaufslinien göttlich geführter Heilsgeschichte. Dies erklärt auch die oft beobachtete Parallelität zwischen Petrus und Paulus, die mitunter an narrative Austauschbarkeit grenzt.43 Es geht Lukas  So Pervo, Making (s. Anm. 3), 155.  Vgl. etwa Roloff, Paulus-Darstellung (s. Anm. 12), bes. 519–522. Anders Günter Wasserberg, Lk-Apg als Paulusapologie, in: The Unity of Luke-­Acts, hg. v. J. Verheyden, BETL 142, Löwen 1999, 723–729, der das lukanische Doppelwerk pointiert als „Paulusapologie mit ausführlicher Einleitung“ charakterisiert (ebd. 728). Dies scheint auch dann perspektivisch verzerrt, wenn Wasserberg sich nicht ausschließlich auf den apologetischen Aspekt beschränkt, wohl aber präzisiert: „Paulus hat für die von Lukas anvisierte Leserschaft offenkundig eine vergleichbare Bedeutung wie Luther für die Lutheraner“ (ebd. 728 Anm. 13). Wenn es schon anachronistisch sein darf, dann vielleicht: wie Wallace für die Schotten oder Hermann der Cherusker für das deutsche Kaiserreich  – jedenfalls inhaltlich eher unbestimmt und auf die geschichtliche Symbolkraft konzentriert. 41  Zur Funktion von Rekurrenz in der antiken Geschichtsdeutung allgemein und konkret im lukanischen Doppelwerk Garry W. Trompf, The Idea of Historical Recurrence in Western Thought. From Antiquity to the Reformation, Berkeley, Calif. 1979, 116–178; Clare K. Rothschild, Luke-­Acts and the Rhetoric of History. An Investigation of Early Christian Historiography, WUNT II / ​175, Tübingen 2004, 99–141. 42 Die Parallelen sind oft beobachtet worden; vgl. etwa Walter Radl, Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk. Untersuchungen zu Parallelmotiven im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte, EHS.T 49, Frankfurt a. M. 1975; Pervo, Making (s. Anm. 3), 150–155; ergänzt um Petrus bei Rothschild, Luke-­Acts (s. Anm. 41), 115–118. 43  Die Heilung des Lahmgeborenen an der Schönen Pforte durch Petrus mit der anschließenden Predigt und Verhaftung entspricht der Heilung des Lahmgeborenen zu Lystra durch Paulus mit der anschließenden Predigt und Steinigung (Apg 3,1–4,4; 14,8–20); beide Aktanten wirken Strafwunder (5,1–11; 13,6–12), ziehen als θεῖοι ἄνδρες „magisch“ Massen 39

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nicht darum, Petrus und Paulus als gleichberechtigt darzustellen bzw. petrinisches und paulinisches Christentum miteinander zu versöhnen, sosehr dies eine aspekthafte Nebenfolge seines Geschichtsentwurfs sein dürfte. Die Parallelität erschließt vielmehr die innere Logik von Gottesvolk-Geschichte: Der Übergang in die Jetztzeit der Ekklesia ist von Gott nicht anders geführt als die Geschichte Jesu und die Geschichte Israels. (2) Prototyp historiographischer Teleologie: Die Bekehrungserzählungen stellen prononciert die Zwecksetzung des Bekehrten heraus, sei es durch das Motiv der Vorherbestimmung durch Gott (Apg 22,14) oder Christus (26,16 f.), syntaktische Finalisierung (9,15; 22,15; 26,18) oder instrumentelle Beschreibung: Werkzeug der Erwählung (9,15), Zeuge Christi (22,15; 26,16; vgl. 9,15 f.; 22,18), gesandter Diener (vgl. 22,21; 26,16 f.). Unter wechselnden Aspekten geht es dabei stets um den heilsgeschichtlichen Fortschritt, der sich in der Sendung des Zeugen vollzieht. Das im Evangelium Jesu Weg bestimmende δεῖ transponiert Apg auf Paulus (bes. 9,6.16; vgl. 13,46). Wie das Wortfeld des göttlichen Willens (βουλή: 2,23; 4,28; 5,38; 13,36; 20,27; θέλημα: 13,22; 21,14; 22,14; vgl. 18,21) richtet es das gesamte Handeln der beteiligten Personen teleologisch aus. Der Völkermissionar wird von seinem Ziel her definiert. Er muss die Völkerwelt durchdringen und deren Mitte, die Hauptstadt des Imperium Romanum, erreichen (vgl. 19,21; 23,11; 25,10.12; 27,23 f.).44 Dies suchen nicht zuletzt die himmlischen Interventionen (16,9 f.; 18,9 f.; 23,11; 27,22–25.34) und pneumatischen Anleitungen (9,17; 13,2–4; 16,6–8; 20,22 f.; 21,10–14) zu gewährleisten. Dabei deutet Paulus intradiegetisch abschließend sein gesamtes Wirken als eine einzige Gehorsamstat gegenüber der himmlischen Erscheinung, die von Gottes Hilfe (ἐπικουρίας τῆς ἀπὸ τοῦ θεοῦ) getragen worden ist (26,19–23). Die zahlreichen Hindernisse und Gefahren, die der Reisende auf dem vorbestimmten Weg zu überwinden hat, lassen nur umso gespannter auf das Ziel blicken. Apg ist eine im Wortsinn „eskapistische“ Schrift: Paulus kommt immer wieder und unter energischem Zugriff himmlischer Kräfte gerade noch einmal davon. Dieses Romanmotiv dient gewiss der Unterhaltung.45 Es birgt jedoch vor allem teleologischen Tiefensinn, der insofern an die Aeneis gemahnt, als diese episch, aber funktional vergleichbar die Schaffung einer neuen, quasi-messianischen Weltordnung durch Aufweis eines himmlischen Regieplans zu legitimieren sucht.46 Herkunft und Hinkunft an (5,15 f.; 19,11 f.), wecken (Quasi‑)Tote auf (9,36–42; 20,7–12), werden wundersam aus dem Gefängnis befreit (12,6–17; 16,25–34), halten die maßgebenden Reden usw. Zur doppelbiographischen Anlage der Apg näher Heininger, Paulusbild (s. Anm. 11), 419–423. 44  Vgl. Carsten Burfeind, Paulus muß nach Rom. Zur politischen Dimension der Apostelgeschichte, in: NTS 46 (2000) 75–91. 45  Vgl. Pervo, Profit (s. Anm. 4), 12–57. 46  Dazu in Auseinandersetzung mit der einseitigen Pionierschrift von Marianne P. Bonz, The Past as Legacy. Luke-­Acts and Ancient Epic, Minneapolis, Minn. 2000, die abwägende Untersuchung von Stefan Krauter, Vergils Evangelium und das lukanische Epos? Überlegungen zu Gattung und Theologie des lukanischen Doppelwerkes, in: Die Apostelgeschichte

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des Paulus bilden jedenfalls zielgenau die erwünschte Vergangenheit einer gegenwärtigen Erinnerungsgemeinschaft ab. 28,31 ist kein diffuser Erzählschluss, sondern die punktgenau erreichte Zielgerade. (3) Indikator der lukanischen Normalzeit: Sowohl die Zwölf als auch Paulus sind im Vollsinn μάρτυρες des Auferstandenen, doch sind sie es in unterschiedlicher Weise. Das Zeugnis der Zwölf weist auf die Kontinuität mit Israel und der Jesus-Zeit zurück. Das Zeugnis des Paulus weist auf jene neue Phase voraus, die mit der Ankunft in Rom erreicht ist: Es ist die Phase, in der sich das Christentum unter der Herrschaft des Auferstandenen als Volk aus allen Völkern im römischen Reich eingefunden hat und sich auszubreiten beginnt. Der Übergang zur Kirchengeschichte in diesem Sinn wird in Apg 12 dramatisiert;47 in 13,1–28,31 wird die anhebende Kirchengeschichte anhand der wechselvollen Weltreisen des Paulus in bezeichnenden Szenen vor Augen geführt. Paulus ist „early bird“ der lukanischen Normalzeit. Er verbindet die Herkunft aus einer altehrwürdigen Religion und die kulturelle Treue zu seinem indigenen mos maiorum mit einem für die kirchliche Zukunft wünschbaren Profil: ein Christ von ausstrahlender Bürgertugend und mustergültigem gesellschaftlichen Ansehen,48 der sich bewährt vor römischen Machthabern, im Umgang mit allen möglichen Konkurrenten und in paganen Zweckverbänden. Dieser Vorzeigegläubige wirbt aggressionsfrei, von Obrigkeiten geduldet, wenn nicht zögernd geschätzt, vom Himmel gesegnet für das Evangelium. Zwar stößt er dabei auf politische, rechtliche und religiöse Schwierigkeiten, aber er vermag sie einzudämmen, zu umgehen, neue Felder zu erschließen und wagt sich bis in den Diskurs mit Straßenphilosophie vor. Sogar allererst bevorstehende binnenchristliche Konflikte sieht er voraus, und er bekräftigt sein Zeugnis durch selbstlose Mühen und Leiden, wie sie auch den Seinen nicht erspart bleiben (20,18–35). Als halbwegs tolerierter Einwohner verkündigt er die Jesus-Botschaft in der Mitte des Reiches, seiner Identität als vir vere Israeliticus et Romanus gewiss, von Juden und Heiden gehört, mit allem christlich-bürgerlichen Freimut und ungehindert. Es ist genau dieser erzählte Paulus, den sich der Kyrios als Werkzeug der Erwählung formt: An seinem Walten zwischen den Welten sollen die Erwählten theologisches Maß nehmen. Er hat gelebt, wie sie leben sollen. Das offene Ende ist nicht zuletzt auch ein ekklesiologisches Interpretament: Es stiftet Kontinuität nach vorn. Der Abschluss ist ein Auftakt.

im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. von J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​ J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 214–243; jüngst auch, unter Betonung des Ktisis-Motivs, Butticaz, Identité (s. Anm. 15), 439–454. 47  Zur Begründung Knut Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103 (2012) 156–176 [in diesem Band S. 283–303]. 48  Dazu eingehend John C. Lentz, Luke’s Portrait of Paul, MSSNTS 77, Cambridge 1993, bes. 23–104.

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(4) Platzhalter des Auferstandenen: Es griffe jedoch zu kurz, würde man den lukanischen Paulus auf das liminale oder ethische Paradigma reduzieren. Er ist in einer nur dem Zwölferkreis vergleichbaren Qualität Zeuge des Auferstandenen; durch ihn werden geschichtliche Grundlagen geschaffen. Die dreifach erzählte Kehre rekurriert nicht auf ein punktuell vorbildliches Geschehen, sondern weist auf eine dauerhafte Syzygie. In seinen Offenbarungen sagt Jesus im Futurum Begleitung an (Apg 9,16; 22,10.15; 26,16); in den Übergangskrisen wird diese Zusage bekräftigt (18,9 f.; 23,11; 27,23–25). Die Parallele zum Wirken und Leiden Jesu macht aus Paulus weder eine „savior figure“ noch einen Jesus redivivus,49 wohl aber spiegelt sich in seinem Wirken, Wundertun und Leiden die unverwechselbare Gestalt des Auferstandenen wider, der mit Paulus eine Schicksalsgemeinschaft eingeht: Der Zeuge wird christologisch transparent. Paulus wird in den drei Zentralpassagen seiner Deutung, wie wir sahen, vornehmlich als Werkzeug ins Licht gestellt. Dies ist die Kehrseite seiner Mittlerfunktion. Gewiss ist Paulus für Lukas kein Heilsmittler, wohl aber Repräsentant, Beziehungsmittler jenes Auferstandenen, in dem allein sich alles Heil konzentriert. „Durch“ seinen Zeugen, der „in seinem Namen“ spricht und handelt, wird der in den Himmel Erhöhte selbst tätig. Seine programmatische Erstrede im pisidischen Antiochien lässt Paulus in den göttlichen Selbstverweis (Hab 1,5) münden: ἔργον ἐργάζομαι ἐγὼ ἐν ταῖς ἡμέραις ὑμῶν (Apg 13,41). Es ist das Werk Gottes in diesen Tagen, dem er als Werkzeug der Erwählung dient: So unwiederholbar wie „diese Tage“ ist sein Lotsendienst am Übergang Israels in die Völkerwelt. Die lukanische Paulus-Darstellung trägt damit wesentlich zur Anwesenheitschristologie bei, die aus den Acta Apostolorum die Acta Jesu Christi werden lässt.50 Die binnenjüdische Spaltung, die seine Erstpredigt im pisidischen Antiochien auslöst, deutet Paulus mit dem Prophetenwort Jes 49,6: τέθεικά σε εἰς φῶς ἐθνῶν τοῦ εἶναί σε εἰς σωτηρίαν ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (Apg 13,47). Damit schlägt er die Brücke (1)  zur christologischen Symbolszene der Simeon-Weissagung Lk 2,29–32, (2) zum Programmwort des Auferstandenen Apg 1,8 und (3) zum eigenen, abermals jesajanisch geprägten (Jes 6,9 f.) Schlusswort Apg 28,26–28. Es ist dieser christologische Rahmen, der dem Werk des Paulus einerseits einmalige Bedeutung gibt und es andererseits der wertstiftenden Vergangenheit zuweist. Was dem Gottesvolk als schmerzhafte Spaltung angekündigt wird (Lk 2,34 f.), vollzieht sich historisch durch die Reisen des Paulus. Es ist jedoch nicht Paulus, sondern das im Tempel dargebrachte Kind, das diese Reisen zum Zeichen 49 Gegen

Pervo, Making (s. Anm. 3), 154 f. instruktiv – unter Bezug auf die von C. F. D. Moule konstatierte absentee christology der Apg – Friedrich Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. von J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562, bes. 543–545. 50 Dazu

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des Widerspruchs, zu Fall und Auferstehung vieler in Israel werden lässt (vgl. Lk 2,34). Man wird der Darstellung der Apg gerecht, wenn man in Paulus den Geführten wahrnimmt, in dessen Geschick der Auferstandene selbst sein Volk führt. In der Milet-Rede (Apg 20,18–35) zeichnen sich allgemeine Züge hagiographischer Erinnerungspflege ab, aber gerade hier wird deutlich: Der Zeuge hat seinen Lauf vollendet, seinen Dienst getan, seine Rolle abgeschlossen, sodass er seine Aufgabe dem Kyrios Jesus, von dem er sie empfangen hat, zurückgeben kann (20,24). Diese Rede präfiguriert einerseits den Abschied von Jerusalem, andererseits die Ankunft in Rom. Danach besteht für Paulus keine weitere Verwendung als die, das Vergangenheitskonzept im beschriebenen Sinn bedeutsam zu sakralisieren. Die Apg legt Paulus ad acta Christi.51 Blicken wir abschließend noch einmal auf die Frage nach dem Verhältnis der Apg zum „historischen Paulus“. Es ist deutlich geworden, dass sich manche Grundzüge der lukanischen Paulus-Darstellung mit der paulinischen Selbstkonstruktion eng verwandt zeigen: das Motiv der Erwählung; die instrumentelle Selbstdeutung; das Bestreben, den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide zu sein; die Denkfigur von der Aufnahme der Heiden ins Gottesvolk angesichts jüdischer Verweigerung. Die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Wahrnehmung erklärt sich indes nicht nur durch die unterschiedliche Gattungswahl. Wir haben es vielmehr auf der einen Seite mit einer rezent-individuellen, auf der anderen Seite mit einer sozial-verarbeiteten Erinnerungsleistung zu tun. Nicht die sachliche Antithese, sondern die perspektivische Diastase rät dazu, den Abstand zwischen Paulus und Lukas breiter einzuschätzen, als es in den aktuellen Forschungstrends häufig geschieht.

51  Zu einem anders akzentuierten Ergebnis – das offene Ende weist auf „eine fortdauernde Präsenz des Paulus“ – gelangt der Jubilar: Andreas Lindemann, Paulus und die Rede in Milet (Apg 20,17–38), in: Reception of Paulinism in Acts – Réception du paulinisme dans les Actes des apôtres, hg. v. D. Marguerat, BETL 229, Löwen 2009, 175–205, bes. 205. Ihm danke ich herzlich für drei Jahrzehnte einer exegetisch spannenden und menschlich bereichernden Freundschaft!

From Disaster to Disclosure The Shipwreck in the Book of Acts in Light of Greco-Roman Ideology In ancient Mediterranean culture, storms at sea and shipwrecks were regarded as an image of human life and its liminal situation. Both documentary and fictional literature describe shipwrecks as a test case of character, of philosophy, and of religion. It is against this background, that the surprisingly broad narration of Paul’s sea passage (Acts 27:1–28:16) gains a deeper level of understanding, which may be discovered by a comparative reading. Even by its stylistic features the story marks the cultural transformation: Where the ancient Bible has been in Lk 1–2, there is now the contemporary “novel” in Acts 27–28. The conventional story of distress at sea teaches the addressees to change their cultural maps. However, it is also “baptised”: it serves now as a disclosure of Paul’s character and Christian credibility and as a demonstration of the God of Israel who reveals his power, justice, and guidance. In sum, Luke uses the conventional forms of a Mediterranean sea travel narrative to transform the topos of the final disaster into an image of the decisive transition. También se le ocurrió que los hombres, a lo largo del tiempo, han repetido siempre dos historias: la de un bajel perdido que busca por los mares mediterráneos una isla querida, y la de un dios que se hace crucificar en el Gólgota. – It did also occur to him that humans, throughout the times, have always retold two tales again and again: the tale of a forlorn ship crossing the Mediterranean in search of an island eagerly longed for, and the tale of a god who has himself crucified on Golgotha. Jorge Luis Borges1

1  “Evangelio según Marcos”, 128–129. I owe the reference to this short story to Alexander, “Maps”, 118–119. – I have discussed the subject of this paper in greater length and with further relevant literature in my book Religion als Reise, ch. 3, pp. 173–240, parts of which are incorporated into this article; see also Backhaus, “Paulus”. All translations are mine, with the exception of biblical literature, which is quoted from the New Revised Standard Version. [The abbreviations of ancient sources follow the SBL Handbook of Style.] I am gratefully indebted to Dr Joseph Sanzo (Hebrew University / ​LMU Munich), who patiently and carefully revised my English.

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1. Weighing Existence: Shipwreck as condicio humana “What is a ship?” – τί ἐστι πλοῖον; Hadrian, the travelling emperor, is said to have asked Secundus the Silent this question. And since this Cynic was a silent one, he wrote his answer down: Tottering thing, house without fundament, tomb already prepared, cubical piece of timber, voyage ruled by winds, prison hovering through the air, fate in fetters, sport of storms, doom fully rigged, wooden poultry, marine horse, open weasel trap, rescue most unsure, lurking death, wanderer through waves (Secundi philosophi Taciturni vita ac sententiae 142).

Hadrian, as the legend tells, added a further question: “What is a sailor?” – τί ἐστι ναύτης; Again, the philosopher’s sententia proves to be less than encouraging: One who rides on waves, mounted messenger at sea, windy tracking dog, companion of winds, alienated from civilisation, deserter of the earth, hostile to the winter storm, gladiator at sea, unsure about his rescue, next door to death, a lover of the sea (Secundi philosophi Taciturni vita ac sententiae 153).

These impressions represent the common view of ancient Mediterraneans, who do not seem to have been “lovers of the sea.” As long as the Romans stood on the shore they would proudly speak of the mare nostrum, but as soon as they found themselves on the high sea, they felt at the mercy of its tremendous powers. In Aratus’s Phenomena this experience has found vivid (or deadly) expression: Similar to seabirds diving into water, we will often sit timidly gazing at the sea from our ships and longing for the shore. But it is far away behind the waves. And only a thin plank of timber separates us from Hades (Phaen. 296–2994).

The Jewish Book of Wisdom, probably originating from the great harbour city Alexandria, communicates a similar feeling: “People trust their lives even to the smallest piece of wood” (Wis 14:5). Nevertheless, the wise will take this risk as an amazing sign of trust in God’s fatherly providence (cf. Wis 13:18; 14:1–8). It is without this particular trust that Juvenal gives his caustic advice: “Go then and commit your soul to the winds! Put your trust to a hewn piece of wood! May 2  Ἐπίσαλος πρᾶξις, ἀθεμελίωτος οἰκία, ἡρμοσμένος τάφος, κυβικὴ σανίς, ἀνέμων ὁδοιπορία, ἀνιπταμένη φυλακή, συνδεδεμένη μοῖρα, ἀνέμων παίγνιον, ἐπιπλέων μόρος, ὄρνεον ξύλινον, πελάγιος ἵππος, ἠνεωγμένη γαλεάγρα, ἄδηλος σωτηρία, προσδοκώμενος θάνατος, ἐγκύματος ὁδοιπόρος. – The Greek text follows the edition by Ben Edwin Perry (1964). 3 Κυμάτων ὁδοιπόρος, θαλάσσιος βερεδάριος, ἀνέμων ἰχνευτής, ἀνέμων συνοδευτής, οἰκουμένης ξένος, γῆς ἀποστάτης, χειμῶνος ἀνταγωνιστής, διαπόντιος μονομάχος, ἄδηλος ἐπὶ σωτηρίᾳ, θανάτου γείτων, θαλάσσης ἐραστής. 4  … ἴκελοι δὲ κολυμβίσιν αἰθυίῃσιν πολλάκις ἐκ νηῶν πέλαγος περιπαπταίνοντες ἥμεθ’ ἐπ’ αἰγιαλοὺς τετραμμένοι· οἱ δ’ ἔτι πόρσω κλύζονται· ὀλίγον δὲ διὰ ξύλον ἄϊδ’ ἐρύκει.

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spruce timber part you from death by its breadth of four fingers or maybe, if it is especially thick, seven” (Sat. 12:57–595). Dedicated to loved ones who were drowned, the epigrammata often give a melancholic echo of the experience of the sea being the all too permeable frontier between life and death.6 Propertius, in a moving elegy on a friend who has fallen prey to a shipwreck, sighs: “Whatever you may build – it belongs to the winds. No ship will ever grow old. Even the harbour will betray your trust!” (Eleg. III 7:35–367) As a matter of fact, many of the epic heroes suffer shipwreck: the Argonauts, Ulysses, Aeneas.8 The subject attracts Greek tragedians, Roman poets, philosophers, rhetoricians, fabulists, satirists, historians, biographers, autobiographers, and private or official letter writers.9 In a particular manner, it occupies novelists10 as well as the novel-like apocryphal Acts of the Apostles.11 Hence, it is hardly surprising that the Bible, being part of the Mediterranean culture, is deeply committed to this subject as well. In the Hebrew Bible the scope ranges from Leviathan, the crocodile-like embodiment of the monstrous powers of the sea,12 to the prophet Jonah, who survives his very individual sea storm in a rather unusual vessel (cf. Jonah 1:3–2:11). As God manifests his power by taming Leviathan, Jesus in the New Testament conquers the chaos on the Sea of Galilee13 – labelled  5  i nunc et ventis animam committe dolato / ​confisus ligno, digitis a morte remotus / ​quattuor aut septem, si sit latissima, taedae.  6   Cf., e. g., Anthologia Graeca 7:263–279, 282–288, 291–292, 494–503. For the crude reality of travelling by sea in Roman times, see Casson, Travel, 149–162; André and Baslez, Voyager, 419–447. For an impressive collection of testimonies about sea travelling as a risk and a liminal situation, see Rahner, Mythen, 291–294; Wachsmuth, Δαίμων, 431–434.  7  ventorum est, quodcumque paras: haut ulla carina / ​consenuit, fallit portus et ipse fidem.  8  Argonauts: Apollonius of Rhodes, Argon. 2:1097–1122; 4:1223–1249; Valerius  Flaccus, Argon. 1:608–658; Ulysses and his comrades: Od. 3:286–300; 5:291–463; 7:248–255, 270–282; 9:67–84; 12:401–450; Aeneas: Virgil, Aen. 1:81–156; 3:192–208; 5:8–25.  9 For examples, which are representative of the respective groups and literary types, see Euripides, Hel. 400–413; Horace, Carm. I 3:9–24; Propertius, Eleg. 3:7; Phaedrus, Fab. IV 23:9–25; Lucanus, Bell. civ. 9:319–347; Josephus, Vita 14–15; Dio Chrysostomus, Or. 7:2, 31–32 (cf. Aelius Aristides, Or. 45:33–34); Plutarch, Dion 25:3–11; Arrian, Peripl. M. Eux. 3:2–5:3; Appian, Bell. civ. 5:88–90; Aelius Aristides, Or. 48 (Sacri sermones 2): 12–14, 65–68; Lucian of Samosata, Merc.  cond. 1; Nav. 7–9; Tox. 19–21; Ver. hist. 1:6, 9–10; Diogenes Laertius, Vit. phil. 7:4–5 (Zeno); Synesius of Cyrene, Epist. 5:69–174, 195–227. 10 Chariton, Callirhoe III 3:10–12; Xenophon of Ephesus, Anthia & Habrocomes II 11:10; Achilles Tatius, Leucippe & Clitophon 3:1–5; Longus, Daphnis & Chloe I 30:1–31:1; Heliodorus of Emesa, Aethiopica I 22:21–29; V 27:1–45; Historia Apollonii regis Tyri 11–12. For details, see the instructive study by Börstinghaus, Sturmfahrt, 69–118; for the travel motif in the early novels in comparison with Acts, see Alexander, “Journeyings”; “Maps”, esp. 101–117. 11  Ps.-Clem. hom. XII 16:3–17:4; Acts John Pro. (ed. T. Zahn, 1880) p. 8, l. 9 – p 9, l. 7; p. 50, l. 6 – p. 51, l. 6; Acts Phil. 3:10–12 (33–34). For the motifs of sea storm and shipwreck in the apocryphal Acts of the Apostles, see Söder, Apostelgeschichten, 48; Börstinghaus, Sturmfahrt, 237–245. 12  Pss 74:14; 104:26; Isa 27:1; cf. Job 38:8–11. 13  Cf. Mark 4:35–41 parr.; 6:45–52 par.; John 6:16–21.

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as θάλασσα by the first Christians (not without some exaggeration, to be sure, but without any alternative as far as seamanship background is concerned).14 In sum, for Greco-Romans, for Jews, and for early Christians sea travelling was the liminal situation par excellence, and both in documentary and fictional literature, sea storms and shipwrecks do not only occur extensively but also serve as a test case of character, of philosophy, and of religion. If there is a condicio humana, nothing is more suitable for illustrating it than exactly this type of story.

2. Changing the Maps: Paul’s Sea Passage and the Cultural Passage of the Gospel (Acts 27:1–28:16) It is in this liminal space above the numinous deep that “Luke,” the ostensible author of the third gospel and the Book of Acts, places his revealing narrative picture of Christianity as it enters the centre of the Empire (Acts 27:1–28:16).15 Notwithstanding its polycentric setting, Luke’s two-volume work, as a whole, is designed along the axis Jerusalem – Rome (periphery – centre).16 The narration starts in Jerusalem as the omphalos of the world. Thus, in the first two chapters of his gospel, the evangelist – who, according to the old legend,17 was often depicted as a painter  – draws an entirely “Hebrew Bible scenery” before our eyes: Jerusalem, temple, priest, sacrifice, pilgrimage, angels, prophets, scribes, barren woman, unexpected hero boys, psalms prayed. These motifs are styled in semantic imitation of the Septuagint. Luke leaves no doubt in his readers’ minds: the (Christian) Messiah is born on the venerable ground  I use the term “Christianity etc.” for the sake of convenience. However, I am aware of the fact that Judaism and Christianity were not clear-cut religions in the era of Second Temple Judaism and some decades thereafter. For a methodological discussion of the selection and comparative evaluation of “parallel” texts, see Backhaus, Religion, 2–16. For the intertextual and intracultural background of Acts 27–28, see first of all Börstinghaus, Sturmfahrt, esp. 13–277. Also helpful: Plümacher, Lukas, 14–15; Praeder, Voyage, 227–245; Pervo, Profit, 50–51, 156 nn. 182, 189; Thimmes, Studies, 40–80; Talbert and Hayes, “Theology”. For the cross-cultural profile of the narration, see Hummel, “Factum”. 15  To be sure, there were obviously already Christians in the city (cf. Acts 28:15); however, what we find in Acts 27–28 is the spirit-guided advent of the gospel to Rome as its divine destination. 16  Alexander (“Mapping”, esp. 170–173) warns against a centrist view of early Christianity that does not represent the more fluid Lukan model of loosely connected Christian commu­ nities. According to her, it is to be taken seriously that the main characters in Acts are neither “itinerant bishops” nor “local church leaders” but travellers on a way that mirrors a web of social and communicative networks. However, it seems hard to deny that the axis Jerusalem – Rome (periphery – centre) in fact dominates the Lukan road map as a whole, and this obviously with the purpose of revealing the course of historical change guided by God’s plan. For detailed argumentation, see Schäfer, “Zentrum”. 17  This legend, which may go back to the sixth century, was popular since the eighth century, see Belting, Bild, 70–72; Bacci, Pennello, esp. 33–96. 14

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of Israel’s Holy Scripture; the Christian “way” takes as its point of departure the time-honoured biblical foundation invoked by this imagery. By contrast, in the last two chapters of Luke’s two-volume work, this master of mimesis changes the literary colours completely: now he leaps into the urbanity of sea travels, sea storms, and shipwreck, so familiar to the cultural encyclopaedia of each pagan around the Mediterranean. He does not only change the subject but also the way to present it. To put the matter pointedly: Where before there has been “Bible,” there is now “novel.” His last and most adventurous journey leads Paul, the prisoner, from the East to the West, from the margins to the centre, from Caesarea Maritima to Rome.18 He faces many dangers, some of which are rather novelistic in character, on a sea voyage extending from Sidon, Myra, Syracuse and Rhegium to Puteoli. The disaster – a tempest of fourteen days and an odyssey between Crete, Syrtis and “Adriatic Sea” – occurs between the port of Fair Havens and Malta.19 Off the island of Malta, Paul and his company eventually suffer shipwreck and encounter “philanthropic barbarians.” As a result, they spend the winter on the island. Paul, Luke’s prototypical Jew, who circumcised Timothy in the central part of Acts (16:1–3), is now portrayed as the travel companion of Julius, the – again “philanthropic” – centurion of the Augustan Cohort, who saves Paul’s life as he is likewise saved by Paul. At the end of the day, the messenger of the God of Israel reaches the Italian shore from the Gentile island on board an Alexandrian ship under the protection of the Dioscuri (cf. Acts 28:11). We may wonder why the sea storm and the shipwreck  – which in no way propel the plot forward – are so important to Luke that he dedicates one of his most extensive and detailed stories to this very subject. Loveday Alexander has called this sort of narrative retardation “slow motion filming.”20 No feature of the conventional tales of sea storms and shipwrecks seems to be left out.21 Luke, who omits years of development and skips months of Paul’s last journey, is suddenly indulging in sailor’s parlance (and hapax legomena): “to sail slowly” (βραδυπλοέω, Acts 27:7), “northeaster” (εὐρακύλων, 27:14), “to take soundings” (βολίζω, 27:28), “steering-oars” (πηδάλια, 27:40), “to hoist the foresail to the wind” (ἐπαίρω τὸν ἀρτέμωνα τῇ πνεούσῃ, 27:40), etc. Having started with pious 18  For interpretation, see Pervo, Profit, 50–57; Klauck, Magie, 127–133; Pervo, Acts, 639–678; see also the monographs by Praeder, Voyage, and Börstinghaus, Sturmfahrt, esp. 279–444. 19 There has been some dispute about the isle Μελίτη; for a comprehensive and reliable discussion, see Börstinghaus, Sturmfahrt, 432–444. 20 Alexander, “Maps”, 118. 21 Untimely departure, treacherous winds, distressing darkness, helpless nautical maneuvers, the superior knowledge of the special passenger, his being guided by dreams, the lightening of the ship by throwing cargo overboard, the lowering of the dinghy, the sinking hope, again and again the wooden ship planks – sometimes rescuing the shipwrecked, sometimes not – , swimmers, who save their comrades, and – as an encouragingly frequent pattern – helping natives. For reference material, see Backhaus, Religion, 194–195.

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legends in the milieu of the Jerusalem temple, Luke now comes to his conclusion by spinning a sailor’s yarn. What is going on? He is spinning his yarn, as it were, from east to west, or, more exactly, from the Galilean margins of the Roman Empire to its very centre. This extensive narrative marks the caesura between the first Christian epoch, which takes place on the familiar ground of the biblical world, and the Mediterranean culture, in which the readers live their lives.22 It was of vital importance for the “functional memory” to have an ancient and venerable past in order to legitimise Christian identity. In this view, “Moses” is the “mos maiorum” of the Christians.23 Nevertheless, it was of equal importance to the Christian historian to be on a par with contemporary Greco-Roman culture. And it is this culture, in particular, which the sea storm narrative puts into a quasi-visual effect created by the rhetorical technique of ἐνάργεια (“vivid illustration”).24 The subject as such, the setting, the motifs and topoi, the semantic inventory, lines, and colours together serve the rhetorical function of placing the gospel in a new world. The reader will mentally grasp that the cognitive cartography has changed. Although the gospel is rooted in the biblical world of old, it has now reached the centre of the contemporary Roman world. It is not only the last journey of the individual Paul that is told in Acts 27–28 but a dramatic change of historical spotlight, of cognitive maps, of cultural orientation. Our travel narrative builds “the moving bridge between the mysterious scene of Christian origins and the awesome power of the Roman forum.”25 What these concluding chapters focus on – in the narrated world but also by the conventional mode of narration – is nothing less than the key experience of nascent Christianity: reaching the shores of the “here and now.”26 The tale of the disaster turns out to be the ekphrasis of a transition, as violent as a sea storm, as dangerous as a shipwreck, and as necessary and secure as this particular passage guided by God’s providence. Plato once remarked that the Greeks lived between the Pillars of Hercules and the Black Sea like frogs about a pond (cf. Phaed. 109a–b). On a more modest level, we may say that Luke considers the narrated world, in which the first followers of Jesus lived, as a frog-like existence about the shores of the Sea of Galilee. While he is the first evangelist to call the Lake of Gennesaret λίμνη, that is to say a kind of pond, he reserves the noun θάλασσα for the Mediterranean, 22  For the epochal break marked by the narrative device of the sea storm episode, see Wolter, “Doppelwerk”, 277–278. 23  For detailed discussion (and relevant literature), see Backhaus, “Mose”. 24  Cf. Backhaus, Religion, 40–45, 63, 192, 202; for the rhetorical strategy of ἐνάργεια in Acts 27, see now also Neumann, “Rhetorik”. 25 Miles and Trompf, “Luke”, 259. 26  Cf. Jipp, Visitations, 28–30. The “cognitive cartography” of Luke-­Acts, esp. Acts 27–28, was insightfully explored by Loveday Alexander in two important contributions: “Journeyings”, esp. 75–86; “Maps”, esp. 108–119. For the divine plan in Paul’s sea adventure, see Talbert and Hayes, Theology, esp. 278–280.

2. Changing the Maps

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thereby indicating that it has become the mare nostrum of the developing Christian οἰκουμένη (“universal culture”).27 The Mediterranean puts dramatically into effect that “[b]ig events happen on a big stage.”28 The gospel requires the world stage – nothing less will suffice. Thus, what is first and foremost disclosed by this narrated disaster is the cultural claim of nascent Christianity and its changing self-definition. No longer were demons expelled, but waves were conquered. Lukan Christians are no longer content with the “hidden transcripts” of cultural underdogs. Instead, these believers are becoming familiar with the urbane Mediterranean map visualised from Homer to Chariton by sailing through storms and surviving shipwrecks. The culmination of this development was reached with Synesius of Cyrene (ca. 370–413 ce). We owe this highly learned philosopher-bishop a late but delectable eyewitness report (Epist. [ed. A. Garzya, 2000] 5:296–297). His fifth epistle has left us an extensive and valuable description of two sea storms, which illustrates that autopsia and fiction do in no way exclude each other: sea storms are always similar (cf. Epist. 5:198–200), but they may be shaped to be an entertaining δρᾶμα ἐκ τραγικοῦ κωμικόν, a “comedy woven from a tragic event” (cf. Epist. 5:296–301).29 With a twinkle in the eye, Synesius intimates that such stories might appear, for sophisticated readers, somewhat conventional or even overused. Indeed, already the satirical writers of the first and second centuries like to jump into the genre of the poetica tempestas to take an ironical bath in it: omnia fiunt / ​talia, tam graviter, si quando poetica surgit / ​tempestas (Juvenal, Sat. 12:22–2430). We have, of course, reason to believe that the early Christians were less than sophisticated readers, and they may have found both entertainment and edification even in a “literary mass-product item.”31 By offering a popular form of entertainment, Luke shows himself able to keep pace with contemporary literature. The elaborate maritime story indicates that nascent Christianity is on its way to emerge from the phase of (semi‑)orality and to claim its equal footing with the dominant literary culture. Luke may even embrace the cliché, for how else should he demonstrate that he shares common social values? However, the point is that our author, while using the traditional shipwreck narrative, lends some of its motifs and topoi a particularly Christian colour. He baptises, as it were, the cliché in order to transform the conventional disaster into a theological disclosure so that an existential border experience between life and death, separated by a “tottering thing,” reveals who the Apostle Paul is, what sort of gospel he delivers, and how his God works.  Cf. Alexander, “Journeyings”, 81. (in regard to the apocryphal Acts of the Apostles) Spittler, “Christianity”, 372. 29  For a detailed discussion of Synesius’s report, see Börstinghaus, Sturmfahrt, 253–277. 30  “It always happens in this way, so gravely, when once the poetical storm has risen.” Cf. also Juvenal, Sat. 1:9, 14; 12:81–82; Lucian of Samosata, Merc. cond. 1; Tox. 19; Ver. hist. 1:1–4. 31  Cf. Börstinghaus, Sturmfahrt, 142–143. 27

28 Thus

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3. Revealing the Truth: The Disaster as Disclosure of Character It is in extremis that we may see how truthful a person is and how genuine his or her convictions really are. Hence, sea storms and shipwrecks provide the narrator with the opportunity of disclosing what is in a character. It is therefore not by accident that the first downright characterology, Theophrastus’s Χαρακτῆρες ἐθικοί, unmasks one of its most telling types – i. e., the coward – by placing him aboard a vessel (cf. Char. 25:1–2). In particular, philosophers as well as political leaders often passed their “trial by fire” above water: “Tell me how they behave in disaster and I will tell you how much their view of life is worth.”32 The “Stoic in the sea storm” is an attractive subject. After all, it is the Apostle Paul himself who, in a hardship (peristasis) catalogue, refers to his experience of suffering shipwreck as proof of his apostolic character: “Three times I was shipwrecked; for a night and a day I was adrift at sea; on frequent journeys, in danger from rivers, danger from bandits, danger from my own people, danger from Gentiles, danger in the city, danger in the wilderness, danger at sea” (2 Cor 11:25–26). It is sufficient to offer only one example, not too remote from Luke’s time. The satirist Lucian of Samosata (ca. 120–190 ce) takes obvious pleasure in revealing the true character of his antihero Peregrinus, a Cynic and for some time a Christian prophet-celebrity: Peregrinus, who is a master of an eyecatching contempt of death, proves to be excessively timid in the eye of a sea storm: “We were shaken up during the night in the middle of the Aegean. Dark storm-clouds came up and a tremendous sea rolled in. And, behold, this right admirable gent, who appeared to be superior to death, broke into wailing along with the women” (Peregr. 4333). Although Peregrinus survives the tempest, his philosophy suffers shipwreck! It goes without saying that the Lukan Paul, in contrast, reveals himself to be a first-class sea hero. He is the one who warns against putting out to sea (Acts 27:10–11, 21), thereby displaying more nautical expertise than the centurion, the skipper, and the ship-owner. He is the only one keeping calm amid the tempest, between all the hectic activities on deck during that odyssey of two weeks; eventually we even see him taking over the command. This leads us to another feature of our travel narrative, which may be called “The special passenger”: the lay expert who proves himself more competent in seamanship than the professional sailors. The prototype is, of course, the indefatiPlutarch, Caes. 38:2–4; Gellius, Noctes Atticae 19:1; Augustine, Civ. IX 4:29–71.  ὡς ἐπεὶ ταραχθείημεν τῆς νυκτὸς ἐν μέσῳ τῷ Αἰγαίῳ γνόφου καταβάντος καὶ κῦμα παμμέγεθες ἐγείραντος ἐκώκυε μετὰ τῶν γυναικῶν ὁ θαυμαστὸς καὶ θανάτου κρείττων εἶναι δοκῶν.  – For interpretation, see Börstinghaus, Sturmfahrt, 176–178, who also elucidates the contrast to Paul, the “sea hero” (cf. ibid. 181–182). 32 Cf. 33

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gably lamenting Aelius Aristides.34 Philostratus’s Apollonius of Tyana is probably the closest parallel to Luke’s Paul. Nonetheless, his fellow passengers are doomed to suffer shipwreck; only Apollonius and his friends survive by timely changing the vessel (cf. Philostratus, Vit. Apoll. 5:18). In contrast, no lesser than God above grants safety to Paul’s travel party, obviously for the sake of Paul’s errand (cf. Acts 27:22–25). Perhaps the most appropriate means of characterising one’s hero is to describe what the special passenger does while the world around him is on the verge of sinking down. In his twelfth satire, Juvenal describes his friend Catullus, who finds himself in a deadly sea storm, with all its dangers and horrors, which, by the way, are very similar to those experienced by Paul in Acts 27–28 (cf. Sat. 12:10–82). The central hull is already flooded when Catullus decides to throw overboard quae mea sunt … cuncta (Sat. 12:37) – a business to which Juvenal dedicates no less than 25 verses. Eventually, even the ship’s mast is lowered: “The danger is extreme when we take refuge to such means that make the ship smaller” (Sat. 12:55–5635). Throwing off the ballast is, of course, a common emergency measure in distress at sea as well as a common motif in sea storm narratives. However, in this case the motif illustrates Catullus’s character: In telling contrast to the legacy hunters, whom Juvenal wishes to unmask, his friend is prepared to part decisively with all his possessions in order to save his life. It is the last minute that makes the man! Let us contemplate for a while another hero’s “last minute.” We remain close to Luke – not only as far as the dating but also as far as the special passenger’s behaviour is concerned (although, at first glance, this may seem rather doubtful). In his Satyrica, Petronius Arbiter (died 66 ce) depicts a sea storm off the Italian coast with the typical elements we know from Acts 27–28 (Sat. 114:1–115:5): the play of winds, darkness, the dinghy lowered, the mast cracked, timber planks on the roaring sea. Once again, the ship runs on a cliff; once again, local people turn out to be “philanthropic” helpers; once again, the catastrophe throws light on a character. In this case, it is the peculiar poet Eumolpus, whom the narrator Encolpius finds wholly absorbed in his poetic activities in the midst of disaster: We hear an odd murmuring, a sort of groaning under the skipper’s cabin as if some beast is trying to escape. So we follow up the sound and find Eumolpus sitting there and scribbling verses on an immense scroll of parchment! We are taken by surprise that he finds leisure to engage in poetry being in the neighbourhood of death (in vicinia mortis). We pull him out although he is screaming and adjure him to get his senses back. This guy, however, enraged because he is interrupted, cries: “Let me complete this sentence! My poem might grow bad in the end!” (Sat. 115:1–436) 34  Cf. Or. 48 (Sacri sermones 2):67–68; Or. 50 (Sacri sermones 4):33–36; Synesius of Cyrene, Epist. 5:57–71. For a detailed discussion of Aelius Aristides, see Börstinghaus, Sturmfahrt, 44–59. 35  discriminis ultima, quando / ​praesidia adferimus navem factura minorem. 36  audimus murmur insolitum et sub diaeta magistri quasi cupientis exire beluae gemitum.

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Although in satirical distortion, the scene implies a serious message: in the vicinia mortis, the neighbourhood of death, the truth of a life is revealed. What is not worth dying for is neither worth living for. Notwithstanding the obvious difference in literary genre, the “special passenger” Paul bears some resemblance to Eumolpus. Like Eumolpus, Paul is described as acting normally when in vicinia mortis: The stable pole in the middle of the storm, he speaks to his fellow passengers about σωτηρία (“salvation”), a noun that acquired theological connotations since having been proclaimed in the nativity story in view of the expected Messiah (Luke 1:69, 71, 77; cf. 2:30). Salvation is more than sea rescue, and it may be found not beyond, but amidst the disaster: After having raised the morale of his 275 fellow passengers, Paul “took bread; and giving thanks to God in the presence of all, he broke it and began to eat. Then all of them were encouraged and took food for themselves” (Acts 27:35–3637). Of all the conventional narrative elements, this feature catches the eye. As it is salvation that shines through rescue, it is the Christian Eucharist that shines through this act of reinforcement.38 Thus, Luke borrows elements from the broader Mediterranean world and makes them acceptable narrative forms for the Christian gospel.39 This leads us to the last way in which narratives of sea storms and shipwrecks contribute to characterisation. In particular, these motifs address the overlapping concerns of what really matters to a human being and what he or she has made of himself or herself. It is again the vicinia mortis that demonstrates what is of remaining value for a person. Catullus, Juvenal’s friend, for instance, wisely puts – in contrast to the voracious Roman legacy hunters – all his eggs in one basket when he decides to throw overboard all his belongings because he knows that life is his only real property.40 The Roman author Vitruvius reports that the persecuti igitur sonum invenimus Eumolpum sedentem membranaeque ingenti versus ingerentem. mirati ergo quod illi vacaret in vicinia mortis poema facere, extrahimus clamantem iubemusque bonam habere mentem. at ille interpellatus excanduit et “sinite me” inquit “sententiam explere; laborat carmen in fine”. 37  εἴπας δὲ ταῦτα καὶ λαβὼν ἄρτον εὐχαρίστησεν τῷ θεῷ ἐνώπιον πάντων καὶ κλάσας ἤρξατο ἐσθίειν. εὔθυμοι δὲ γενόμενοι πάντες καὶ αὐτοὶ προσελάβοντο τροφῆς. 38  Read against a pagan background, a certain closeness to the votum in tempestate might have been observed; for this form of prayer in distress at sea, see Wachsmuth, Δαίμων, 435–439. Acts 27:35–36 may allude to the Eucharist; for discussion on this question, see Klauck, Magie, 128–129; Pervo, Acts, 664. In Acts Pet. 5, the Apostle Peter uses the time of a calm to baptise the skipper and to share the Eucharist with him. 39 For the relationship between literary convention and innovation in ancient sea storm narratives, see Thimmes, Studies. 40  Juvenal illustrates what he means by a drastic image from wildlife: imitatus castora, qui se / ​eunuchum ipse facit cupiens evadere damno / ​testiculi: adeo medicatum intellegit inguen – “He imitates the beaver that makes himself a eunuch by forgoing his testicles in order to escape: Clearly enough he understands the abdomen’s healing power” (Sat. 12:34–36). The beaver was said to shake off the hunter by biting off and throwing away his own testicles, which putatively

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Socratic philosopher Aristippus, when he was stranded on the Rhodian shore, learnt an important lesson: Only such belongings and provisions for the journey should be delivered to the young people that may be rescued from a shipwreck. For only those things may help us to live which may not be harmed by the changeful tempest of fate nor by political overthrow nor by the devastation of war (Vitruvius, De architectura 6 praef. 1–241).

When Paul suffered shipwreck on the Maltese shore, he was left with nothing but his fellow passengers, the gospel, and the spirit. As he continued the voyage aboard the Alexandrian vessel ΔΙΟΣΚΟΥΡΟΙ three months later, he had all that he needed. Like Zeno, the founder of the Stoic school, he could have said: Bene navigavi, cum naufragium feci – “I have navigated well when I have suffered shipwreck” (cf. Diogenes Laertius, Vit. phil. 7:4; Seneca, Tranq. 14:3). The old Mediterranean tale of the shipwreck provided Luke with the image he needed to demonstrate the new beginning “beyond the Sea.” Indeed, for Luke the traditions, labours, and struggles of the past sink without any trace. He does not explain the paradigmatic shift; rather, he paints a picture of it in a genre that is familiar to his readers. There is a fresh start in Rome, an open end, and a new story to be told by subsequent Christians in other books.

4. Fathoming the Deep: The Disaster as Disclosure of the Divine The sea with its tremendum et fascinosum is a natural medium of disclosing divine sovereignty and guidance. We observe the Argonauts, Ulysses, and Aeneas crossing not only the sea but also the stories of classical gods and goddesses. The names given to ships in Hellenistic and Roman times may remind us of the index of a theological handbook (Clementia, Concordia, Constantia, Fides, Iustitia, Pax, Pietas, Providentia, Salus, Salvia) but also of the “who’s who” of Mount Olympus (Aphrodite, Artemis, Asclepius, Athena, Demeter, Apollo, Dionysus, Hercules, Isis, Parthenos, Poseidon, Eleutheria, Castor, Pollux, Dioscuri).42 Such names reveal a bit of the existential insecurity of seafarers but also imply that those who go on contained valuable remedies. Similarly, the sea passenger who is hunted by storms saves his life by throwing away his belongings. For the interpretation of Juvenal’s twelfth satire, see Adamietz, Satiren, 417–421. 41 eiusmodi possessiones et viatica liberis oportere parari, quae etiam e naufragio una possent enare. Namque ea vera praesidia sunt vitae, quibus neque fortunae tempestas iniqua neque publicarum rerum mutatio neque belli vastatio potest nocere. – In his magisterial work Schiffbruch mit Zuschauer, Hans Blumenberg refers to this anecdote in the thought-provoking chapter “What the shipwrecked person is left with” (12–27; English version: 10–26). 42  See Casson, Ships, 354–360; for a list of ancient ship names, see ibid. 439–441; for theophoric or soteriological ship names, see Wachsmuth, Δαίμων, 98–100.

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an errand will always cross boundaries, even those separating the earthly from the transcendent. We have seen that the historical Paul was shipwrecked three times and drifted at sea for a night and a day (2 Cor 11:25). That may sound a bit fictitious. Ulysses, after all, suffers a very similar fate – not without cogent theological reasons, to be sure.43 However, the boundaries between fact and fiction are porous. Josephus, in his autobiographical report on his embassy to Rome, which was at the very least meant to be documentary, tells the same story. He was travelling, probably aboard a large Alexandrian grain freighter, from Caesarea Maritima to Italy, when fate – or, as we shall see, providence – struck: After our vessel had sunk in the middle of the Adriatic Sea, we – being about six hundred passengers in number – kept ourselves above water, swimming through the entire night. At daybreak, by God’s providence a Cyrenaic ship appeared so that I and a few others, setting the rest behind, were picked up aboard, all together about eighty people (Vita 1544).

When a man is to be praised, Cicero remarks, one should tell of great and incredible events that have occurred to him, most of all when such events seemed to be caused by divine intervention.45 It is by divine intervention (κατὰ θεοῦ πρόνοιαν) that Josephus is saved: after all, only eighty out of six hundred passengers are saved. Josephus is obviously chosen by God in order to reach the destination that providence has reserved for him in Rome and Jerusalem. Likewise, Paul is saved because he has a place reserved for him in Rome, as the angel tells him with the typically Lukan “divine δεῖ” (“must”): “Do not be afraid, Paul; you must stand before the emperor; and indeed, God has granted safety to all those who are sailing with you” (Acts 27:24; cf. 19:21; 23:11). Luke uses the verb διασῴζειν / ​ διασῴζεσθαι – “to save someone through” to indicate God’s hand in this sort of “religious escapism”.46 The disaster results not from coincidence, but from God’s sovereign plan. Thus, what is at stake here is the legitimacy of the very transition Paul’s last journey dramatically visualises. This legitimacy implies that Paul is innocent regardless of what the emperor will decide. Here Luke is touching a far-reaching conviction in Greco-Roman ideology: Those whom the gods wish to punish, they punish at open sea. Those whom the gods wish to exonerate, they spare or rescue 43  Cf. Od. 5:388–389: ἔνθα δύω νύκτας δύο τ’ ἤματα κύματι πηγῷ / ​πλάζετο, πολλὰ δέ οἱ κραδίη προτιόσσετ’ ὄλεθρον – “In this way, he drifted around on roaring waves for two nights and two days; often his heart saw doom ahead.” 44 βαπτισθέντος γὰρ ἡμῶν τοῦ πλοίου κατὰ μέσον τὸν Ἀδρίαν, περὶ ἑξακοσίους τὸν ἀριθμὸν ὄντες, δι’ ὅλης τῆς νυκτὸς ἐνηξάμεθα, καὶ περὶ ἀρχομένην ἡμέραν ἐπιφανέντος ἡμῖν κατὰ θεοῦ πρόνοιαν Κυρηναϊκοῦ πλοίου, φθάσαντες τοὺς ἄλλους ἐγώ τε καί τινες ἕτεροι, περὶ ὀγδοήκοντα σύμπαντες, ἀνελήφθημεν εἰς τὸ πλοῖον. For interpretation, see Mason, Life of Josephus, 23–24; Börstinghaus, Sturmfahrt, 35–37. 45  si quid cui magnum aut incredibile acciderit maximeque si id divinitus accidisse potuerit videri (Part. or. 82). 46  Cf. Luke 7:3; Acts 23:24; 27:43–44; 28:1, 4.

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from distress at sea. We know this act-and-consequence connection best from the Book of Jonah.47 The role this connection played in Greco-Roman culture was so important that it could even be employed in lawsuits: suffering shipwreck or being spared from shipwreck is treated as evidence in cases of murder48 and impiety.49 To demonstrate that the whole passage – and thereby the transition it illustrates – is guided by God, Luke makes use of the conventional elements of a sea travel story. The apparition of an angel, presumably in a dream, prepares the special passenger for the perils ahead.50 Once again – now from the perspective of the Maltese Gentiles – the divine will is disclosed. After Paul and his company have been rescued (Acts 28:1–6), a viper bites the holy man at the fire kindled by the “philanthropic barbarians.” The logic of retribution seems obvious. Someone who has just managed to escape from a deadly peril only to fall prey to another  The Rabbinic tradition provides an impressive counter-story: Titus, the destroyer of the Jerusalem temple, fell into blasphemous boasting but was spared from shipwreck and survived a tempest. However, soon enough he found himself vexed by some gnat in his brain – eventually swollen to the size of a bird (Giṭ. 56b; cf. Gen. Rab. 10:7). For the motif of pious Jews being saved from sea storm and shipwreck by divine intervention in Rabbinic narratives, see Hezser, Travel, 262–64. 48 Miles and Trompf, “Luke”, esp. 261–63 refer to the oration Περὶ τοῦ  Ἡρῶδου φόνου (Or. 5) by the Athenian logographer Antiphon of Rhamnous (ca. 480–411 bc). The defendant was accused of having killed and removed a fellow traveller named Herodes on a passage to Aenus. The defense made clear that impure passengers had often perished at sea taking the lives of their fellow passengers, even the innocent ones, with them. In the present case, however, all the passengers had enjoyed a favorable voyage so that the defendant’s innocence seemed to be established (De caed. Herod. 82–83). The analogy to the case of Paul, for whose sake the fellow passengers were saved, is obvious (cf. Acts 27:22–24, 34, 44). Sure enough, this passage is somewhat remote from Luke’s times and culture. Its heuristic value lies in illustrating a common Greco-Roman ideologoumenon, which reaches from the punishment of Ulysses’s comrades for the slaughter of Helios’s cattle (Od. 12:127–141, 260–446) to Lactantius (cf. Miles and Trompf, “Luke”, 263–264). 49  A relevant source text from the forensic milieu of classical Athens is contributed by Ladouceur, “Preconceptions”, esp. 436–441. In 399 bc, the orator Andocides was accused of ἀσέβεια. In this case, not only the speech for the defense but also the prosecution speech has come down to us (in the corpus of Lysias’s orations). Both sides concentrated on the fact that Andocides had survived several sea journeys without any harm. On the one hand, the prosecution allowed that the gods had saved the blasphemer, but only for the official punishment (Pseudo-Lysias, Contra Andociden 19–20, 26–28, 31–32). On the other hand, Andocides was not reluctant to emphasise how dangerous his journeying had been in so uncertain a time. He who was spared by the gods was not to be judged by humans: ἐγὼ μὲν οὖν, ὦ ἄνδρες, ἡγοῦμαι χρῆναι νομίζειν τοὺς τοιούτους κινδύνους ἀνθρωπίνους, τοὺς δὲ κατὰ θάλατταν θείους – “I for my part, gentlemen, hold that this sort of dangers [viz., the risks of a lawsuit] are to be considered only human, whereas the dangers at sea are to be considered divine in nature” (De mysteriis 139; cf. 137–139). Again the analogy is obvious: If God was on Paul’s side in the drama at sea, it did not matter what Nero was about to do in Rome. As Ladouceur himself stresses (“Preconceptions”, 441), we again have to take into account the temporal and cultural remoteness from the first century ce. Therefore, he adds further evidence (e. g., Virgil, Aen. 1:39–45; Horace, Carm. III 2:26–30) (“Preconceptions”, 441–43). For the concept of shipwreck or ἄπλοια because of impiety, see Wachsmuth, Δαίμων, 265–271; for the complementary idea of εὔπλοια, see ibid. 272–276. 50  Acts 27:23–26; cf., e. g., Aelius Aristides, Or. 48 (Sacri sermones 2):12–14. 47

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one has doubtless incurred divine wrath: “This man must be a murderer; though he has escaped from the sea, justice [viz., Δίκη, which also may refer to the goddess of justice] has not allowed him to live” (28:4).51 The viper executes the divine judgement. In Heliodorus’s novel Aethiopica the rascal Thermuthis discloses his character by dying in an appropriate way: Thermuthis laid down to sleep, and so he fell into a sleep that was his last and a deadly one caused by the bite of a venomous snake. Perhaps it was the counsel of the Moirai that he found his end in a way that was not unsuitable to his character (Heliodorus, Aethiopica II 20:13–1652).

Observing that Paul has not only survived the shipwreck but also the bite of the snake, the Maltese barbarians change their mind entirely: the stranger is not a murderer but a god (Acts 28:5–6). Luke, who is not normally prepared to allow the confusion of man with god (cf. Acts 12:20–24; 14:8–20), does not seem to have any problem with such a questionable theology. For, in this case, even in terms of a pagan framework, Paul is on the right side. Whatever might happen in front of the emperor’s court in Rome, providence has passed its judgement!53 And so we come finally to the Dioscuri, in whose sign (Acts 28:11: παρασήμῳ Διοσκούροις) and, apparently, under whose protection the gospel reaches its destination port.54 The Twin Brothers belong to the usual cast of seafarer stories, and they create a marine milieu that is, as we have seen, so important to Luke. Sure enough, the inconspicuous detail of the ship’s name and sign may have come down to Luke from his tradition. Nevertheless, even in this case we may wonder why, of all details, he considers this one important enough to be told. In a rather widespread tradition of Greek and Roman mythology, Castor and Pollux were the patrons of sailors and helpers to those in distress at sea.55 Ever 51  Without retributive character: The shipwrecked, who has managed to escape to the shore, is bitten by a venomous snake (Anthologia Graeca 7:290) or killed by a wolf (Anthologia Graeca 7:289, 550). Cf. Amos 5:19: “as if someone fled from a lion, and was met by a bear; or went into the house and rested a hand against the wall, and was bitten by a snake.” A variant with a retributive seal is offered in Anthologia Graeca 9:269 (Antipatros of Thessalonike). 52  πρὸς ὕπνον τραπεὶς ὁ Θέρμουθις χάλκεόν τινα καὶ πύματον ὕπνον εἵλκυσεν, ἀσπίδος δήγματι, μοιρῶν τάχα βουλήσει, πρὸς οὐκ ἀνάρμοστον τοῦ τρόπου τὸ τέλος καταστρέψας. 53  For interpretation of Acts 28:1–6, see Ladouceur, “Preconceptions”, 448–449; Klauck, Magie, 129–131; Talbert and Hayes, “Theology”, 272–275; Kauppi, Gods, 107–112; Pervo, Acts, 673–675; Jipp, Visitations, 257–264. 54  For mythographic evidence, see Diodorus Siculus, Bibl. hist. VI 6:1; Apollodori Bibliotheca 1:67, 111, 119; 2:63; 3:117, 126–128, 134–137, 173; Hyginus, Fab. 77; 80. As always, there are numerous variants: Sometimes Zeus is not the father of both twins; often human origin is attributed to Castor, and he is regarded as mortal. For an overview of the myth, the religious and political significance, and the iconography of the Twin Brothers, see Bethe, “Dioskuren”; Kraus, “Dioskuren”, 1122–1133; Poulsen, “Ideologia”; Geppert, Castor; Scheer and Ley, “Dioskuroi”. The relationship between the Twin Brothers and Acts 28:11 is discussed in Ladouceur, “Preconceptions”, 443–449; Backhaus, “Paulus”. 55 That is why Theophrastus’s coward does well to check if someone aboard is not initiated, when the sea is getting up (cf. Char. 25:1–2). The lily-livered passenger probably thinks of the

4. Fathoming the Deep:The Disaster as Disclosure of the Divine

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since the time of the late Republic they symbolised Rome’s expansive claim on the world. Particularly in the early Empire they were also venerated as patron gods of the city of Rome and as role models in the emperor cult and ideology. The reason for this veneration was not least due to the cultivated remembrance of their deeds as saviours (οἱ Σωτῆρες) and messengers of the good news of victory in Rome’s legendary past.56 Such distinctive features doubtless belonged to the cultural encyclopaedia of Luke’s readers. Therefore, we do not go too far when we transfer this symbolic system of meaning to the traveller Paul: he is depicted as the pre-destined messenger of the good news of God’s victory in the city of Rome, claiming the world both for the gospel and for the true σωτήρ (“saviour”) and βασιλεύς (“king / ​emperor”). Let us add a virtue of the Dioscuri that correlates with Dike’s function: The Dioscuri were regarded as guardians of oath and verity.57 They punished the wrongdoers and saved the innocent at open sea. To be sure, Luke, as a Christian, does not “believe” in these functions (cf. Acts 14:11–17; 17:16–34), but he is – at least, to a certain measure – accommodating towards popular piety. The subtle symbolism of the detail “Dioscuri” lies in the field of connotation and enculturation, not meaning and message. For Luke, the Twin Brothers are a culturally adaptable indicator of the “good star” and universal claim, under which the gospel’s journey to the end of the world takes place. But the God of Israel remains in control.58 It is human disaster that opens space for his disclosure – not Samothracian mysteries of the Cabiri, which were, on a popular level, often identified with the Dioscuri. Of course, he is eagerly interested in good relationships with those gods who are “in charge of the sea”; cf. Ladouceur, “Preconceptions”, 442. 56 Cf. Geppert, Castor, 19–28, 32–35. In Christian times, Paul as well as the Apostle Peter adopted important functions of the Twin Brothers, e. g., as patrons of the city of Rome and helpers of the sailors; cf. Ladouceur, “Preconceptions”, 448. 57  Cf. Ladouceur, “Preconceptions”, 445–446, who refers to the function of the Twin Brothers as warrantors of oaths, which is demonstrable for the first century ce. The self-description of the Dioscuri in the conclusion of Euripides’s Electra is much older, but extraordinarily clear: νὼ δ’ ἐπὶ πόντον Σικελὸν σπουδῇ / ​σῴσοντε νεῶν πρῴρας ἐνάλους. / ​διὰ δ’ αἰθερίας στείχοντε πλακὸς / ​τοῖς μὲν μυσαροῖς οὐκ ἐπαρήγομεν, / ​οἷσιν δ’ ὅσιον καὶ τὸ δίκαιον / ​φίλον ἐν βιότῳ, τούτους χαλεπῶν / ​ἐκλύοντες μόχθων σῴζομεν. / ​οὕτως ἀδικεῖν μηδεὶς θελέτω / ​μηδ’ ἐπιόρκων μέτα συμπλείτω – “We two must now hurry over the Sicilian Sea to rescue the ships floating in its waves. As we stride through the regions of the air, we will not give help to those who are polluted. But those who are attached to piety and justice in their lives we will save and deliver from grave hardships. Hence, make sure that no one does wrong or joins perjurers when they go to sea” (El. 1347–1355; cf. Isocrates, Or. 10:61; Libanius, Or. 57:24). The warning against sharing a ship with perjurers sources from the concern that the fellow passengers will have to share the punishment at open sea (cf. the sarcastic anecdote in Diogenes Laertius Vit. phil. 1:86). 58 For interpretation, see Klauck, Magie, 132–133; Kauppi, Gods, 112–117. For a critical overview of the motif of Paul’s “innocence” in Acts 27–28, see Jipp, Visitations, 7–12. Paul is not only “innocent,” he is God’s empowered messenger; cf. Börstinghaus, Sturmfahrt, 449, 451; Jipp, Visitations, 11–12, and, comprehensively, Labahn, “Paulus”, 89–91. Thus, Paul’s innocence is but one aspect within the comprehensive theme of God’s plan with the transition of the gospel from the margins to the centre; cf. Alexander, “Journeyings”, 74; Börstinghaus, Sturmfahrt, 452–453.

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yet at the end of the world, to be sure, but at the end of an adventurous journey and at the world’s very centre. Hence, there is one insight – probably one insight only – that connects Luke’s shipwrecked hero Paul to Petronius’s shipwrecked fool Encolpius, who sits, after all, at the shore and who has come to his wisdom: si bene calculum ponas, ubique naufragium est – “If you draw the right conclusion, there is shipwreck everywhere” (Sat. 115:16).

5. Drawing the Right Conclusion: “There is Shipwreck Everywhere” The “right conclusion” takes us back to Secundus the Silent: shipwreck is not the worst illustration of our condicio humana. Nor is it the worst illustration of the condicio Lucana of early Christianity. Ever since John the Baptist, the prophetic desert nomad, the followers of Jesus formed an itinerant movement as part of a religion that formed an itinerant people ever since Abraham and Moses. Luke, however, was the first Christian author who made, in literary form and clearness, of this pragmatic necessity a programme of self-affirmation, thereby transforming a style of life into a style of spirituality.59 Remarkably enough, he chooses the genre of a travel report in order to explain a religious journey. Christianity in its beginnings––or, as Luke calls it, “The Way” (ἡ ὁδός) –– is itinerant by definition. In the particular case of sea storm and shipwreck, we have worked out how Luke uses the conventional forms of a Mediterranean narrative to transform the topos of the final disaster into an image of the decisive transition. Paul’s last journey demonstrates that Christianity has reached both (intradiegetically) the cultural and political centre of the Roman empire and (in the “real world”) the level of contemporary literature. By means of μίμησις (“imitation”) and ἐνάργεια (“vivid illustration”), Luke creates a narrative atmosphere in which this change is conjured up before the eye of the mind. Intended readers are “at home” between the philanthropic centurion Julius, Dike, and the Dioscuri; they face this liminal situation at the side of the special passenger Paul, whose privileged knowledge and theological bird’s eye view they share. In this way, the readers get, so to speak, a first-hand experience of the decisive transformation of Christianity: the passage from the epoch of Judean origins to the epoch of the “here and now,” from the biblical ancestry to the pagan culture, from the Sea of Galilee to the mare nostrum. The dramatic story of a complicated passage legitimises the (similarly 59 Accordingly, the third gospel, Luke’s bios of Jesus, describes its hero as a wanderer proclaiming God’s kingdom as a message on the way and for the way; see the contribution by ­Reinhard Feldmeier in this volume [= Feldmeier, Reinhard. “The Wandering Jesus: Luke’s Travel Narrative as Part of His Hermeneutical Strategy of ‘Double Codification’.” Pages 343–353 in Journeys in the Roman East: Imagined and Real. Edited by Maren R. Niehoff. Culture, Religion, and Politics in the Greco-Roman World 1. Tübingen: Mohr Siebeck, 2017.]

Works Cited

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complicated) passage from a Christianity that is centred on its Jewish descent to a Christianity that is on a par with the dominating society. So, first of all, our travel narrative reveals the direction of the course of history. For Luke, the conventional plot and narrative strategies provided the opportunity to connect this lesson in salvation history with a lesson about the character of the protagonist Paul: He is the calm force in the eye of the storm; he is the upright Jewish hero and the saving companion of Gentiles. If Nero’s court condemns him, the heavenly court obviously does not. Instead, the plot affirms the passenger Paul to be God’s distinguished messenger – eventually taking over the role of the Dioscuri as deliverer of good news to Rome. At the end of the day, what is disclosed is God’s guiding hand in the course of history. Thus, Paul’s dramatic sea travel ends where journeying will always end: It does not matter to be elsewhere; it matters to be someone else.

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Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11) Über zwei denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums Für Joachim Gnilka, den verehrten Vorgänger und Freund [† 15. Januar 2018]

Surprisingly, the Gospel reaches Rome under the sign of the Dioscuri (Acts 28.11). In the first two centuries ce these saviours represent, at a broad cultural level, salvation and secure justice, deliver the message of victory to Rome, and symbolise the Empire’s expansive claim on the world. In the rhetoric of ἐνάργεια the nautical detail marks a theological and cultural turnaround: the Mediterranean becomes the mare nostrum of Christians; this transformation is plausible even according to pagan eusebia; the gospel reveals itself as good news of victory claiming the world. It is within this illustrative logic that the noteworthy detail gains its meaning.

Der Bote des Evangeliums erreicht sein lang angesagtes Ziel im Zeichen von zwei Zeussöhnen. Zu den auffälligsten Details im Ausgang der Apostelgeschichte gehört die im Kontext nicht motivierte Notiz, das alexandrinische Schiff, mit dem Paulus nach der Überwinterung auf Malta die Fahrt nach Italien antrat, habe als Schiffszeichen die Dioskuren geführt: Μετὰ δὲ τρεῖς μῆνας ἀνήχθημεν ἐν πλοίῳ παρακεχειμακότι ἐν τῇ νήσῳ, Ἀλεξανδρίνω, παρασήμῳ Διοσκούροις (Apg 28,11). Überraschenderweise halten die Kommentare diese Nachricht nicht für überraschend. In der Regel wird mitgeteilt, dass Kastor und Polydeukes als Schutzgottheiten der Seefahrt dienten und das Schiffszeichen am Bug angebracht und mit dem Namen des Schiffes verbunden gewesen sei. Warum diese Einzelheit mit ihrem Bezug auf das pagane Mytheninventar Lukas einen ausdrücklichen Hinweis in der Zielgeraden seiner Großerzählung wert war, wird nicht gefragt. Zu den wenigen Ausnahmen zählt Beverly Gaventa, die den Bezug für „puzzling“ hält und „a whiff of irony“ erwägt: „those who seek the protection of the Twin Brothers have stayed ashore during the winter while the true God protect­ ed both Paul and those outside the community of believers“1. Zwar ist Lukas 1  Beverly R. Gaventa, The Acts of the Apostles, Nashville, Tenn. 2003, 360; vgl. Charles H. Talbert, Reading Acts. A Literary and Theological Commentary on the Acts of the Apostles, Macon, Ga. (1997) 2005, 219 f.; F. Scott Spencer, Acts, Sheffield 1997, 236; Lynn A. Kauppi,

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Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11)

Ironie gegenüber der paganen Religionspraxis durchaus zuzutrauen (vgl. bes. Apg 14,11–13; 19,24–29), aber hier träfe die Pointe ihn selbst: Immerhin hat das alexandrinische Schiff die Überfahrt nach Malta im Zeichen der Dioskuren unbeschadet überstanden, während das Schiff unter Aufsicht des „true God“ havariert ist.2 Gaventa scheint selbst nicht überzeugt, denn sie hält die Möglichkeit offen, die Dioskuren seien schlicht „vivid detail“. Tatsächlich dürfte sich so erklären, dass die Kommentare keinen Erklärungsbedarf sehen: Die Notiz erscheint als gängiges Erzählmotiv. Wer geneigt ist, den Schifffahrtbericht für dokumentarisch zu halten, sieht hier die Spur einer von Lukas mitgeteilten Tradition, die übliche nautische Praxis widerspiegelt. Wer die fiktionalen Anteile stärker gewichtet, wird das topische Detail dem Beglaubigungsapparat zuweisen. Solche Erklärungen verfehlen jedoch das eigentliche Problem: Warum wird ausgerechnet dieses Detail mitgeteilt bzw. fingiert? Was liegt an dem Schiffszeichen in einem Bericht, der ganze Monate der Überfahrt nach Rom mit wenigen Sätzen übergeht? Warum stellt Lukas die entscheidende Etappe, in der das Evangelium sein Ziel erreicht, ausdrücklich unter das Zeichen paganer Gottheiten? Die Dioskuren gehören mit selbstverständlicher Breite zur antiken Mittelmeerkultur, aber sie gehören dorthin mit einer populären kultischen Funktion. Es leidet keinen Zweifel, dass diese Funktion Lukas und seinen Lesern vertraut war. Die frühen Kirchenschriftsteller haben in den beiden Gottessöhnen ernst zu nehmende Konkurrenten Jesu Christi gesehen.3 Neuzeitliche Ausleger haben Apg 28,11 durchaus als crux interpretum wahrgenommen.4 Wir widmen uns dieForeign But Familiar Gods. Greco-Romans Read Religion in Acts, LNTS 277, London 2006, 115 f. 2 „The Dioscuri evidently benefited from its patrons, for it had been able to winter at Malta“ – so exegetisch unbekümmert Richard I. Pervo, Acts, Hermeneia, Minneapolis, Minn. 2009, 676. 3  In seiner Auslegung von Apg 28,11 verurteilt Cyrill von Alexandrien das Bugzeichen der Dioskuren als nichtige εἰδωλολατρία. Sein eigentlicher Sinn werde erst durch Jes 11,14LXX erhellt und ziele auf die apostolische Mission: „Und flugs werden sie eilen auf den Schiffen von Fremdstämmigen und über das Meer hinweg sammeln sie zusammen ein“ (Cyr. Alex. ad loc., CGPNT 3, p. 411, ll. 16 f.; vgl. p. 411, ll. 15–17). Zur Auseinandersetzung mit den beiden volkstümlichen Christus-Konkurrenten auch Justin, 1apol. 21,2; Tatian, or. 10,2; Min. Fel. 22,7; 27,4; Clemens von Alexandrien, protr. 2,26,7; 2,30,4–6; Origenes, Cels. 3,22; Laktanz, inst. 1,10,5 f.; Athanasios, gent. 12,1–10; Augustinus, civ. 4,27; Gelasius I., Adversus Andromachum et ceteros Romanos qui Lupercalia secundum morem pristinum colenda constituunt 18 (ed. G. Pomarès, 1959 = Epistulae Romanorum Pontificum I, ed. A. Thiel, 1868, 8, p. 603). Am Ende übernehmen Petrus und Paulus die Funktion der Dioskuren: als römische Stadtpatrone, als Symbole des römischen Anspruchs auf den Erdkreis, als Nothelfer der Seeleute und noch als Wetterheilige. Dazu insgesamt Karl Jaisle, Die Dioskuren als Retter zur See bei Griechen und Römern und ihr Fortleben in christlichen Legenden, Tübingen 1907, 38–40; Walther Kraus, Art. „Dioskuren“, in: RAC III (1957) 1122–1138, bes. 1133–1135; David Ladouceur, Hellenistic Preconceptions of Shipwreck and Pollution as a Context for Acts 27–28, in: HTR 74 (1980) 435–449: 448. 4  Pars pro toto sei auf Jean Calvin verwiesen, der sich intensiv und geradezu gequält mit den Dioskuren in Apg 28,11 auseinandersetzt: Die superstitio, sie in Seenot herbeizuflehen, gemahnt

1. Die Dioskuren in der kulturellen Enzyklopädie des ersten / zweiten Jahrhunderts

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ser Crux in drei Umläufen: Wir fragen (→ 1) nach der Bedeutung der Dioskuren in der kulturellen Enzyklopädie des Lukas, beleuchten (→ 2) die Bedeutung des nautischen Details in der für ihn kennzeichnenden Weise der Erzählrhetorik, die wir als „eidetisch“ bezeichnen, und versuchen (→ 3) in diesem Licht dem Rätsel der denkwürdigen Schutzpatrone beizukommen.

1. Die Dioskuren in der kulturellen Enzyklopädie des ersten / ​zweiten Jahrhunderts Das Zwillingspaar Kastor und Polydeukes (lat. Castor und Pollux)5 ist seit der griechischen Frühzeit mit seinen mythischen Abenteuern narrativ, vor allem durch die großen Epen, sowie kultisch, poetisch, ikonographisch und numismatisch in Ost und West gegenwärtig. Dabei lassen sich vier Grundfunktionen unterscheiden: Die beiden kampffreudigen Gottessöhne wirken (1) als Retter und Heilbringer, namentlich zur See, (2) als Rächer von Frevlern und Bürgen der Unschuld, abermals namentlich zur See, (3) als Boten froher Rettungsnachricht und Schutzgötter der Stadt Rom, (4) als Bezugsgottheiten des römischen Machtanspruchs und der kaiserlichen Repräsentation. (1)  Die Dioskuren, οὓς πάντες Σωτῆρας ὀνομάζουσιν (Strab. 5,3,5), intervenieren in verschiedensten Nöten als Heilandsgestalten zugunsten der Menschen: σωτῆρες ἔνθα κἀγαθοὶ παραστάται (Ailian, var. 1,30). Besonders populär waren sie im bedrohlichen Milieu der Seefahrt: σωτῆρες ἐπιχθονίων ἀνθρώπων ὠκυπόρων τε νεῶν (vgl. Hom. h. 33,6 f.).6 Sie galten als Retter in Schiffsnot, den Reformator an die Heiligenanrufung der Papisten. Das alexandrinische Schiff sei impio sacrilegio polluta, aber Paulus entheilige sich nicht, da er sich dieses Schiffes notwendig bedienen müsse und ihm die „Götzen“ ein Nichts seien. Doch hegt der Ausleger keinen Zweifel daran, dass der Apostel das Schiff dolenter et cum gemitu bestiegen habe, quia videbat inanibus figmentis tribui Dei honorem. So gehört es nachgerade zu den Peristasen des Paulus, quod duces habuit itineris, qui se ab idolis gubernari putabant et navem commiserant eorum tutelae ac praesidio (Commentariorum in Acta Apostolorum liber posterior [1560], ed. H. Feld, Genf 2001, ad loc.). 5  Mythographischer Befund bei Diod. 6,6,1; Hyginus, fab. 77; 80; Apollod. 1,67.111.119; 2,63; 3,117.126–128.134–137.173. Natürlich variieren die Mythenstränge: Auch Ledas Gatte, der Spartanerkönig Tyndareos, wird als Vater genannt; oft gilt nur Polydeukes als Zeussohn, der aus Bruderliebe mit Kastor die Unsterblichkeit teilt. Zum Überblick über Mythologie und Ikonographie Erich Bethe, Art. „Dioskuren“, in: PRE V / ​1 (1903) 1087–1123; Kraus, Art. Dioskuren (s. Anm. 3), 1122–1133; Birte Poulsen, Ideologia, mito e culto dei Castori a Roma: dall’età repubblicana al tardo-antico, in: Castores. L’immagine dei Dioscuri a Roma, hg. v. L. Nista, Rom 1994, 91–100; Stefan Geppert, Castor und Pollux. Untersuchung zu den Darstellungen der Dioskuren in der römischen Kaiserzeit, Charybdis 8, Münster 1996, 4–16; Tanja Scheer / ​Anne Ley, Art. „Dioskuroi“, in: DNP III (1997) 673–677. 6 Zur rettenden Epiphanie der Dioskuren in der Seefahrt Bethe, Art. Dioskuren (s. Anm. 5), 1096 f.; Jaisle, Dioskuren (s. Anm. 3), 6–25 (griech. Zeugnisse), 25–36 (lat. Zeugnisse); Dietrich Wachsmuth, Πόμπιμος ὁ δαίμων. Untersuchung zu den antiken Sakralhandlungen bei Seereisen, Diss. FU Berlin 1967, 437–439; Geppert, Castor (s. Anm. 5), 10 f.; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 112 f.; Jens Börstinghaus, Sturmfahrt und Schiffbruch. Zur lukanischen Ver-

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wobei sie im Zwillingsgestirn und St. Elmsfeuer epiphan wurden.7 So werden sie zu volkstümlichen Schutzpatronen einer gunstreichen Überfahrt.8 Diese soteriologische Zuschreibung war im ersten und zweiten Jahrhundert in der griechischen und lateinischen Sprachkultur auf breiter, auch volkstümlicher Basis vertraut.9 Die Dioskuren, so meint Lukian ironisch, gehören einfach zum Seemannsgarn dazu: οἰκεῖοι γὰρ τῆς τοιαύτης τραγῳδίας οὗτοί γε (merc. cond. 1). (2) Naturgemäß fühlte sich der antike Seefahrer auf dem Meer, auf dem ihn nur ein schmales Stück Holz vom Tod trennte (vgl. Arat. 296–299; Iuv. 12,57–59), dem Numen besonders ausgeliefert. Vor dem Hintergrund des für weite Kreise plausiblen Tun-Ergehen-Zusammenhangs trifft den Frevler auf hoher See die Strafe, während der Unschuldige bewahrt bleibt. Die überstandene Schiffsgefahr konnte noch im Kapitalprozess wegen Mordes oder Asebie zugunsten der Unschuld angeführt werden.10 Umgekehrt bringt ein εὐσεβής seinen Mitreisenden Aussicht auf Euploia.11 Diese Denkfigur durchzieht die Mittelmeerwelt kultur‑ und gattungsübergreifend von Homer über das Buch Jona bis Laktanz.12 Sie ist wendung eines literarischen Topos in Apostelgeschichte 27,1–28,6, WUNT II / ​274, Tübingen 2010, bes. 89–91.  7  Vgl. z. B. Hom. h. 33,6–17; Alkaios, fr. 78 (ed. E. Diehl, 21953 = fr. 34a, ed. E. Lobel / ​D. Page, (1955) 1968 = p. 24, ed. M. Treu, 31980); Euripides, Hel. 1495–1505.1663–1665; Or. 1635–1637; Platon, Euthyd. 293a; Apoll. Rhod. 4,649–653; Theokr. 22,1–26; Diod. 4,43,1–2; Horaz, carm. 1,12,25–32; Ovid, trist. 1,10,45 f.; Libanios, epist. 1124,3; 1189,1; or. 29,8; 57,24; Nonnos, Dion. 28,254–256.  8 Vgl. Thuri Lorenz, Die Epiphanie der Dioskuren, in: Kotinos. FS E. Simon, hg. v. H. Froning / ​T. Hölscher / ​H. Mielsch, Mainz 1992, 114–122: 114 f.; Geppert, Castor (s. Anm. 5), 10.  9  Vgl. Dion Chrys. 64,8; Plutarch, Lysandros 12,1; Theseus 33,2; de def. or. 426c; Non posse suaviter vivi secundum Epicurum 1103c–d; Epikt. 2,18,29; Lukian, d. deor. 280–287 (25 [26]); nav. 9; Ps.-Lukian, Charidemos 3; Herpyllis-Roman (P Dublin inv. C 3; ed. R. Kussl, Papyrusfragmente griechischer Romane, Tübingen 1991 [Classica Monacensia 2]) ll. 55–60; Ovid, fast. 5,720; Seneca, Herc. f. 552 f.; nat. 1,1,13; Plinius d. Ä., nat. 2,101; Sil. 15,82 f.; Statius, silv. 3,2,1–12; Theb. 7,791–793; Val. Fl. 1,568–573. 10  Diskutiert werden vor allem Prozesse im klassischen Athen: Bei Antiphon von Rhamnous zielt die Verteidigung darauf ab, dass unreine Passagiere oft auf See umgekommen seien und die Reisegenossen in ihr Unglück mitgerissen hätten; der des Mordes Angeklagte und die anderen Passagiere indes hätten günstige Fahrt genossen: ἃ ἐγὼ ἀξιῶ μεγάλα μοι τεκμήρια εἶναι τῆς αἰτίας (Antiph. 5 [De caede Herodis] 83; vgl. 82 f.); vgl. Gary B.  Miles / ​Garry Trompf, Luke and Antiphon: The Theology of Acts 27–28 in the Light of Pagan Beliefs about Divine Retribution, Pollution, and Shipwreck, in: HTR 69 (1976) 259–267, bes. 261–263. Im Asebieprozess gegen den Redner Andokides muss die Anklage den Einwand, dass der angebliche Frevler gefährliche Seereisen unbeschadet überstanden hat, umständlich wegerklären (vgl. Ps.-Lysias, Contra Andociden 19–20.26–28.31 f.), während der Angeklagte selbst darin einen tragfesten Hinweis auf seine Unschuld sieht (vgl. Andokides, De mysteriis 137–139); dazu Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), bes. 436–441. 11 Das galt noch in byzantinischer Zeit: Beim Auslaufen der Flotte im Vandalenkrieg wird ein frischgetaufter Soldat demonstrativ an Bord genommen, damit er, von Sünden gewaschen und in die christlichen Mysterien eingeweiht, dem Unternehmen Gottesgunst eintrage (Prokop, BV 1,12,1 f.); vgl. Wachsmuth, Δαίμων (s. Anm. 6), 317 f. 12 Vgl. Wachsmuth, Δαίμων (s. Anm. 6), 265–276; Miles  /  ​Trompf, Luke (s. Anm. 10), 263 f.; Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 441–443.

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auch im ersten und zweiten Jahrhundert selbstverständlich (vgl. z. B. Plutarch, Lucullus 13,4) und prägt nicht zuletzt das romanhafte Erzählen.13 So wurden die Dioskuren als zur See waltende Gottheiten wie von selbst zu Sachwaltern der Gerechtigkeit und Bürgen der Wahrhaftigkeit. Ihre Intervention straft den Frevler und schützt den Unschuldigen:14 νὼ δ’ ἐπὶ πόντον Σικελὸν σπουδῇ / ​σῴσοντε νεῶν πρῴρας ἐνάλους. / ​διὰ δ’ αἰθερίας στείχοντε πλακὸς / ​τοῖς μὲν μυσαροῖς οὐκ ἐπαρήγομεν, / ​οἷσιν δ’ ὅσιον καὶ τὸ δίκαιον / ​φίλον ἐν βιότῳ, τούτους χαλεπῶν / ​ ἐκλύοντες μόχθων σῴζομεν. / ​οὕτως ἀδικεῖν μηδεὶς θελέτω / ​μηδ’ ἐπιόρκων μέτα συμπλείτω (Euripides, El. 1347–135515; vgl. Isokrates, or. 10,61; Libanios, or. 57,24). Die Warnung davor, mit Meineidigen das Schiff zu teilen,16 liegt in der Sorge begründet, dass Reisegenossen von der fälligen Bestrafung mitbetroffen sind (kaustisch: Diog. Laert. 1,86). (3) Eine die stadtrömische Frömmigkeit und das reichsrömische Selbstverständnis prägende Funktion der Castores in der erzählten Welt war die Unterstützung beim Sieg und die Überbringung rettender Nachricht. Diese Funktion wurde kultisch – gerade in julisch-claudischer und flavischer Zeit – an zentraler Stätte vergegenwärtigt. Die bedeutsame, politisch und wirtschaftlich viel genutzte aedes Castoris (griech. νεὼς τῶν Διοσκούρων u. ä.), die den beiden Dioskuren im Südosten des Forum Romanum geweiht war,17 ist unter der Herrschaft des Augustus im Jahr 6 n. Chr. von Tiberius neu errichtet und dediziert worden (vgl. Ovid, fast. 1,705–708; Sueton, Tib. 20). Auch Domitian soll das Heiligtum restauriert haben (Chronographus anni CCCLIV [ed. Th. Mommsen, 1892] p. 146, ll.

13  Vgl. Chariton, Chaireas & Kallirhoë 3,3,10–12; 3,4,9 f.; Longos, Daphnis & Chloe 2,25,3– 2,27,3; Heliodor, Aithiopika 4,16. 14  Der – wegen seiner aitiologischen Bedeutung für die Mnemotechnik – meistdiskutierte (nicht maritime) Fall ist der des Dioskuren-Verehrers Simonides, den die Brüder anonym aus einem Festsaal rufen; dieser bricht alsbald über dem undankbaren Gastgeber und seinen Gästen ein; vgl. z. B. Cicero, de orat. 2,352 f., kritisch Quintilian, inst. 11,2,11–16; dazu Marco Frenschkowski, Offenbarung und Epiphanie, 2 Bde., WUNT II / ​79/80, Tübingen 1995/1997, II: 100. Möglicherweise steht hinter der Bestrafung des Tempelräubers Heliodor durch zwei übermenschliche Jünglinge (2Makk 3,26 f.33–35) eine jüdische Adaption des Dioskurenmythos; vgl. Frenschkowski, Offenbarung II, 100. 15  „Wir beide aber eilen dahin zur sizilischen See, zu retten Schiffe, die im Meer treiben. Wenn wir die Flächen der Lüfte durchschreiten, stehen wir denen nicht bei, die befleckt sind. Die jedoch, die im Leben der Gottesordnung und Gerechtigkeit zugetan sind, retten wir als Befreier aus schweren Nöten. So lasse niemanden Unrecht tun und fahre nicht mit Meineidigen gemeinsam zur See!“ – Es charakterisiert den Feigling bei Theophrast, dass er fürchtet, an Bord könnten sich „Uneingeweihte“ befinden (Theophrast, char. 25,1 f.). Dabei steht ihm wohl der samothrakische Kult der Kabiren (vgl. Wachsmuth, Δαίμων [s. Anm. 6], 274 f., 413–419), die man volkstümlich mit den Dioskuren identifizierte, vor Augen; vgl. Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 442. 16  Die Dioskuren gelten, auch im 1. Jh., als θεοὶ ὅρκιοι, eidsichernde Götter; vgl. Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 445 f. 17  Zu dieser Doppelwidmung Geppert, Castor (s. Anm. 5), 23 f.

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14–20]; vgl. Mart. 9,3,11).18 Es diente der steinernen Erinnerung an einen römischen Gründungsmythos:19 Zu Beginn des fünften Jahrhunderts v. Chr., als die Stadt am See Regillus gegen die Latiner kämpfte, auf deren Seite der vertriebene Tarquinius Superbus focht, habe, wie das öffentliche Gedächtnis festhielt, der römische Diktator A. Postumius während der Schlacht dem Castor einen Tempel gelobt (Liv. 2,19,3–2,20,13, bes. 2,20,12). Die bei Dionysios von Halikarnass mitgeteilte Tradition (ant. 6,2,1–6,13,5, bes. 6,10,1; 6,13,1–3) berichtet, Kastor und Polydeukes seien während der Schlacht beritten erschienen, um die Römer zum Sieg zu führen. Kurz darauf seien sie auf schweißnassen Pferden in Rom eingetroffen und hätten auf dem Forum die Siegesbotschaft verkündet.20 Ähnliche Epiphanien der Dioskuren wurden mit anderen römischen Entscheidungssiegen verknüpft.21 Die Intervention der Dioskuren am See Regillus wurde an den Iden des Juli kommemoriert (Dionysios von Halikarnass, ant. 6,13,4; Plutarch, Coriolanus 3,4; vgl. Liv. 2,42,5), der Weihetag der aedes Castoris am 27. Januar (Ovid, fast. 1,705–708). Am 15. Juli fand auch die pompöse transvectio equitum statt, die das Gründungsgeschehen reinszenierte (vgl. Dionysios von Halikarnass, ant. 6,13,4 f.); dieses Staatsritual war von Augustus im Zuge seiner religiösen Restauration und der Aufwertung des Ritterstands erneuert worden (vgl. Liv. 9,46,15; Sueton, Aug. 38,3). Das wunderbare Geschehen als solches lag offenkundig auch atmosphärisch in der Luft: Der Tod des Drusus, des Bruders des Tiberius, im Feldlager wurde mit dem Erscheinen der Dioskuren verbunden (vgl. Cass. Dio 55,1,5) und der Dioskurentempel auf dem Forum ausdrücklich im Namen beider 18  Zu Geschichte und Anlage der aedes Castoris Lawrence Richardson, A New Topograph­ ical Dictionary of Ancient Rome, Baltimore, Md. 1992, 74 f.; Inge Nielsen, Art. „Castor, aedes, templum“, in: Lexicon Topographicum Urbis Romae I, hg. v. E. M. Steinby, Rom 1993, 242–244; Siri Sande, Il tempio del Foro Romano: l’età augustea, in: Castores. L’immagine dei Dioscuri a Roma, hg. v. L. Nista, Rom 1994, 113–118. Die Kolossalstatuen der beiden Dioskuren mit Pferd, die heute an der Piazza di Campidoglio zu sehen sind, wurden gewöhnlich in die neronische Zeit datiert, dürften jedoch eher um 120 n. Chr. entstanden sein (so Geppert, Castor [s. Anm. 5], 41–44); zur Geschichte der Skulpturengruppe Claudio Parisi Presicce, I Dioscuri capitolini e l’iconografia dei gemelli divini in età romana, in: Castores. L’immagine dei Dioscuri a Roma, hg. v. L. Nista, Rom 1994, 153–191. 19  Zur Überlieferungskritik Geppert, Castor (s. Anm. 5), 19–22; zur Rolle der Dioskuren in der römischen Staatsmemoria Lorenz, Epiphanie (s. Anm. 8), 119–121; Geppert, Castor, 23–28, 32–35. 20  Vgl. auch Cicero, nat. deor. 2,6; 3,11–13; Val. Max. 1,8,1; Plutarch, Aemilius Paullus 25,2–4; Coriolanus 3,4; Florus, epit. 1,5,4; Min. Fel. 7,3; Laktanz, inst. 2,7,9; Symmachus, epist. 1,95,3; De viris illustribus urbis Romae 16,3; Denar, RV: RRC 335/10a. 21 Schlacht von Pydna: Cicero, nat. deor. 2,6; 3,11–13; Val. Max. 1,8,1; Plinius d. Ä., nat. 7,86; Florus, epit. 1,28,14 f.; Min. Fel. 7,3; Laktanz, inst. 2,7,10; vgl. Plutarch, Aemilius Paullus 24,4–6; Schlacht bei Vercellae: Florus, epit. 1,38,19–21; vgl. auch Cass. Dio 41,61,4 für die Schlacht von Pharsalos. Grundlage solcher Legenden dürfte die Botschaft von dem den Dioskuren verdankten Sieg der Lokrer gegen die übermächtige Stadt Kroton am Fluss Sagra sein (Cicero, nat. deor. 2,6; 3,11–13; Strab. 6,1,10; vgl. Plutarch, Aemilius Paullus 25,1); dazu Geppert, Castor (s. Anm. 5), 22.

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Prinzen dediziert.22 Im Zusammenhang mit den Dioskuren berichtet Plutarch von einer unerklärlichen Siegesfreude, die nach verbreitetem zeitgenössischen Wissen (ταῦτα μὲν οὐδεὶς ἀγνοεῖ τῶν καθ’ ἡμᾶς) die römische Stadtbevölkerung beim Aufstand des Saturninus im Jahr 89 n. Chr. erfasst habe, obschon keinerlei menschliche Siegesbotschaft vorlag (vgl. Plutarch, Aemilius Paullus 25,5–7). Zur gleichen Zeit trifft der nüchterne Frontinus wohl den Punkt, wenn er den Einsatz der Dioskuren am See Regillus prosaisch unter den Motivationsstrategien gewiefter Feldherren anführt (strat. 1,11,8).

Abb. 1. Denar, 114/113 v.  Chr.: RRC 290/1; Prägung Rom (Münzmeister: C. Fonteius). (a) AV: Janusförmiger Kopf der Dioskuren mit Lorbeerkranz; l. unten Kontrollzeichen; r. unten Stern. (b) RV: Schiff n. l., darüber C FONT, darunter ROMA. Mit freundlicher Genehmigung der American Numismatic Society, New York.

(4) Aus den genannten Funktionen ergibt sich die vierte: Die Dioskuren, bevorzugt als offensive Reiter oder mit kosmischem Sternzeichen dargestellt, verkörpern den römischen / ​kaiserlichen Machtanspruch in der Mittelmeerwelt. Die abgebildete Münze (Abb. 1) stammt aus der Expansionsphase der Republik, illustriert jedoch darüber hinaus die noch im ersten und zweiten Jahrhundert nachhaltig wirksame Verbindung der beiden imperialen Götter mit Seefahrt, römischem Selbstverständnis und offensivem Ausbreitungsstreben. Insofern die mythische Legitimation des Reiches mit der des jeweiligen Herrschergeschlechts verbunden war, wurden Castor und Pollux auch, besonders in julisch-claudischer, domitianischer und antoninischer Zeit, mit dem Kaiserhaus verknüpft. Augustus wandte sich ihnen im Zuge seiner religiösen Reichsbegründung zu (vgl. auch Plinius d. Ä., nat. 35,27).23 Sie wurden zu Schutzpatronen des als staatstragend aufgewerteten Ritterstands und der kampffreudigen Reiterei (vgl.

22 Vgl. Ovid, fast. 1,707 f.; Ps.-Ovid, cons. ad Liviam 283 f.; Val. Max. 5,5,3; Cass. Dio 55,27,4. Dazu Kenneth Scott, Drusus, nicknamed “Castor”, in: CP 25 (1930) 155–161, bes. 158f; Birte Poulsen, The Dioscuri and Ruler Ideology, in: SO 66 (1991) 119–146, bes. 126 f. 23  Vgl. Poulsen, Dioscuri (s. Anm. 22), 120–126; Eugenio La Rocca, «Memore di Castore»: principi come Dioscuri, in: Castores. L’immagine dei Dioscuri a Roma, hg. v. L. Nista, Rom 1994, 73–90, bes. 79, 82.

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Statius, silv. 4,7,47 f.).24 Seit den Anfängen der Kaiserzeit galten sie, gerade auch mit ihrer untrennbaren Bruderliebe, als propagandistisches Rollenmuster für die Prinzen als principes iuventutis (vgl. Ovid, trist. 2,167 f.; Pont. 2,2,81–84)25 sowie, zumal bei den exzentrischen Herrschern Gajus (vgl. Sueton, Cal. 22,2 f.; Cass. Dio 59,28,5; dazu Philo, Gai. 87.92) und Domitian (vgl. Statius, silv. 1,1,52–55), als kaiserliches Repräsentationsmodell.26 So symbolisieren sie medial, dauerhaft und tief verwurzelt den politischen Anspruch des Kaiserreichs.

2. Das eidetische Detail als Bedeutungsträger Unsere Notiz knüpft an populäres Breitenwissen an: παρασήμῳ Διοσκούροις27 bezieht sich unmittelbar auf die Schiffsfigur (τὸ παράσημον), die am Bug als Plastik, Relief oder Malerei angebracht war und dem Schiff im Allgemeinen seinen Namen gab.28 Die Strecke zwischen Alexandrien und Puteoli gehörte zu der Nordroute der großen Getreidelinie.29 Das Parasemon von Soter-Gottheiten wie namentlich der Dioskuren war geläufig.30 Kastor und Polydeukes galten als eponyme Geleitgottheiten des Schiffes.31 Zu den Schutzgeistern wurde gebetet (vgl. Ovid, trist. 1,10,1–14); ihnen wurde bei Verletzung ihrer sakralen Rechte Sühne geleistet (vgl. Petron. 105,4); sie galten gar als Mitpassagiere: … solus 24  Vgl. Bethe, Art. Dioskuren (s. Anm. 5), 1092–1094; Geppert, Castor (s. Anm. 5), 25–28, 32–34. 25  Zu den Dioskuren als Rollenmuster der vorgesehenen Herrschaftsnachfolger Scott, Drusus (s. Anm. 22); ders., The Dioscuri and the Imperial Cult, in: CP 25 (1930) 379 f.; Poulsen, Dioscuri (s. Anm. 22), 120–137; La Rocca, Memore (s. Anm. 23), 79–86; Geppert, Castor (s. Anm. 5), 34 f. Der Bezug reicht bis ins Anekdotische: Das Cognomen Ahenobarbus – das Geschlecht, aus dem Nero stammte – verdanke sich etymologisch den Dioskuren, die nach der Schlacht am See Regillus den Bart des Ahnherrn ins Rote verwandelt hätten (Plutarch, Aemilius Paullus 25,3–4; vgl. Sueton, Nero 1). 26 Vgl. Kenneth Scott, The Imperial Cult under the Flavians, Stuttgart 1936, 114, 136, 141, 143; Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 446 f.; Poulsen, Dioscuri (s. Anm. 22), 129, 133–135; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 113 f. 27  Die attische Lesart – κορ – (𝔓74 Ψ et al.) ist sekundär; vgl. BDR § 30,3. Die Konstruktion ist unklar: παρασήμῳ dürfte nominal sein; diskutiert werden soziativer und instrumentaler Dativ; dokumentarisch plausibel ist eine nautisch-technische Bezeichnung: „Schiffzeichen: Dioskuren“ (BDR § 19811). Zur Diskussion Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, II: 1227 f. 28  Zum Parasemon bei alexandrinischen Schiffen: Lukian. nav. 5 (ägyptisches Getreideschiff Isis); Cyr. Alex. ad loc., CGPNT 3, p. 411, ll. 11 f.; vgl. realienkundlich Franz J. Dölger, „Dioskuroi“. Das Reiseschiff des Paulus und seine Schutzgötter: Kult‑ und Kulturgeschichtliches zu Apg 28,11, in: AuC (1940/1950) 21976, 276–285. 29  Vgl. Lionel Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Princeton, N. J. (1971) 1973, 297–299. 30  Vgl. näher Franz Miltner, Art. „Seewesen“, in: PRE.S V (1931) 906–962: 946–956; Casson, Ships (s. Anm. 29), 344–360; zur Mitteilung antiker Schiffsnamen, darunter Διόσκο[υ]ροι, CASTOR, POLLVX, ebd. 439–441. 31 Vgl. Wachsmuth, Δαίμων (s. Anm. 6), 98–100.

2. Das eidetische Detail als Bedeutungsträger

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stat puppe magister / ​pervigil inscriptaque deus qui navigat alno (Statius, Theb. 8,269 f.).32 Lukas wählt mit seinen δαίμονες πόμπινοι also keineswegs ein religiös „unschuldiges“ Detail. Wir haben uns im ersten Schritt (mühsam) einen kulturellen Verstehenshorizont erarbeitet, wie er für Lukas und seine Rezipienten (mühelos) selbstverständlich war. Die vier skizzierten mythisch-ideologischen Grundfunktionen der Dioskuren dürfen wir nach Zeit und Raum für Apg 28,11 voraussetzen.33 Wo überhaupt nach der Bedeutung von παρασήμῳ Διοσκούροις gefragt wird, ist damit meist die Auslegung bereits abgeschlossen: Die Dioskuren tragen eine „versteckte Botschaft“ – vor allem im Sinne der zweiten Funktion. Sie verbürgen die Unschuld des Paulus und greifen damit dem Ende des römischen Prozesses nach himmlischem Maßstab entlastend voraus.34 Mitunter stehen sie auch für eine unterschwellige Kritik am Kaiser und damit am präsumtiven Richter Nero.35 Gegen solche Ansätze lässt sich keineswegs einwenden, sie seien „too subtle to be sustainable“36. Für einen pagan sozialisierten Adressaten gehörten diese Funktionen zur Lebenswelt. Wo die Rolle der Dike (vgl. Apg 28,2–6) oder die Persiflage auf den Kaiserkult (vgl. 12,20–23) verstanden werden kann, können auch solche Botschaften verstanden werden. Nicht zu subtil sind sie, sondern zu eindeutig. Denn die Dike trägt als Personifikation der Gerechtigkeit christliche Deutungsmöglichkeiten in sich, und das Urteil der maltesischen βάρβαροι gilt allein intradiegetisch. Warum jedoch sollten dem Theologen Lukas oder seinen frühchristlichen Adressaten die genannten Funktionen von Kastor und Polydeukes beachtenswert sein? Um die günstige Seefahrt zu sichern, die Unschuld

32 Vgl.

Dölger, Dioskuroi (s. Anm. 28), 282 f.; zu Pompe-Religiosität, Sakralhandlung und Gebet in Seenot Wachsmuth, Δαίμων (s. Anm. 6), 424–450. 33  Inschriftlich lässt sich die Dioskurenfrömmigkeit auch in Städten belegen, die bevorzugt mit Lk / ​Apg verbunden werden. Zu Philippi: Peter Pilhofer, Philippi II: Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tübingen (2000) 22009, nn. 361, 388, 509e. In seiner rhetorischen Analyse von 1Thess 4,9–12 hat John S. Kloppenborg eindringlich auf die Ortspräsenz der Dioskuren und das sie kennzeichnende Motiv der φιλαδελφία in Thessalonich hingewiesen: Φιλαδελφία, θεοδίδακτος and the Dioscuri: Rhetorical Engagement in 1 Thessalonians 4.9–12, in: NTS 39 (1993) 265–289, bes. 281–289. 34  So, umsichtig argumentierend, Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), bes. 443–446; vgl. auch Miles / ​Trompf, Luke (s. Anm. 10), bes. 264–267; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 114– 117. Triftige Einwände gegen die Einseitigkeit der „Unschuldsvermutung“ bei Michael Labahn, Paulus  – ein homo honestus et iustus. Das lukanische Paulusportrait von Act 27–28 im Lichte ausgewählter antiker Parallelen, in: Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, hg. v. F. W. Horn, BZNW 106, Berlin 2001, 75–106: 89–91; ­Joshua W. Jipp, Divine Visitations and Hospitality to Strangers in Luke-­Acts. An Interpretation of the Malta Episode in Acts 28:1–10, NT.S 153, Leiden 2013, 11 f. 35  Vgl. Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 446 f.; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 113 f., 117. 36 Brian M. Rapske, Acts, Travel and Shipwreck, in: The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting, hg. v. D. W. J. Gill / ​C. Gempf, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1994, 1–47: 44.

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Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11)

des Paulus zu verbürgen und den nichtigen Herrscheranspruch zu entlarven, bedarf es des Gottes Israels und nicht der Dioskuren. Tatsächlich sind wir nicht auf eine determinierte Bedeutung gestoßen, sondern auf ein Assoziationsfeld, auf keinen fixen theologischen Geltungsanspruch, sondern auf eine Bandbreite möglicher Konnotationen. Der Rekurs auf die kulturelle Enzyklopädie schließt das exegetische Verfahren nicht ab, sondern ermöglicht es. Bevor daher nach der Bedeutung der göttlichen Geschwister gefragt wird, bedarf es der Frage nach der lukanischen Paulus-Darstellung. Denn der Völkermissionar nimmt in Apg 27 f. die topische Rolle des „besonderen Passagiers“ ein, der einerseits die geschilderte Überfahrt prägt und steuert und andererseits durch eben diese Überfahrt in seinem Charakterbild gezeichnet wird. Plutarch bemerkt, dass es – in der Malerei wie in der Fachprosa – oft die unscheinbaren Details sind, die einen Akteur recht eigentlich charakterisieren (Alexander 1,2 f.; vgl. Nikias 1,5). Dabei muss es sich keineswegs um subjektive Verhaltensweisen handeln; auch fauste wie infauste, milieufärbende, entschlüsselnde Umstände und Begleiterscheinungen können den Charakter vor Augen führen. In der Erzählkunst hat der „pictorial realism“ seit der hellenistischen Poesie, und hier im Sog der alexandrinischen Malerei, solche Charakterzeichnung beeinflusst.37 In der zeitgenössischen Rhetorik wurde auf allen Ebenen die Anschaulichkeit des Erzählentwurfs (ἐνάργεια, ὑποτύπωσις, sub oculos subiectio, demonstratio, evidentia u. ä.) gefordert38 und zur Aufdeckung des Charakters eingesetzt.39 Solche Gestaltungsregeln galten auch für die Geschichtsschreibung: Sie war sprechende Malerei. Ihr Leser wurde zum verstehenden Augenzeugen: τῶν ἱστορικῶν κράτιστος ὁ τὴν διήγησιν ὥσπερ γραφὴν πάθεσι καὶ προσώποις εἰδωλοποιήσας – „Jener ist der Wirkungsreichste unter den Geschichtserzählern, der die Erzählung wie ein Gemälde mit fühlbaren Eindrücken und sichtbaren Charakteren malt“ (Plutarch, De gloria Atheniensium 347a; vgl. 346f–347c; Lukian, hist. conscr. 51). In diesem Rahmen gewinnt die zunächst enttäuschende Behauptung des „vivid detail“ heuristischen Wert in Gestalt der bedeutungstragenden Ekphrasis: Lukas, der „Maler“, erzählt ein stimmiges nautisches Milieu herbei, in dem der Plot – der Geschichtsplan des Gottes Israels – im Wortsinn einsichtig wird. In 37 Vgl. Graham Zanker, Realism in Alexandrian Poetry: A Literature and Its Audience, London 1987, 39–112; über den Einfluss der alexandrinischen bildenden Kunst auf die „Sprachmalerei“ Thomas B. L. Webster, Hellenistic Poetry and Art, London 1964, 156–177. 38  Vgl. Rhet.  Her. 4,68–69; Cicero, de  orat. 3,202; Dionysios von Halikarnass, De Lysia 7; Quintilian, inst. 6,2,32 f.; 8,3,61–71; 9,2,40; Ailios Theon, Progymnasmata 118,6–120,11; Ps.-Demetrios, De elocutione 209–220. 39 Das berüchtigtste Beispiel für eine detailfreudig-anschauliche Charakterzeichnung ist Ciceros Schilderung eines Vomitus des Magister Equitum Marcus Antonius angesichts der römischen Volksversammlung (Phil. 2,63): Wer zum imaginierten Augenzeugen dieses Auftritts geworden ist, wird, nicht ohne Abscheu, ein für alle Mal wissen, wie es um einen solchen Akteur und dessen Amtswaltung bestellt ist.

2. Das eidetische Detail als Bedeutungsträger

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diesem Milieu werden auch wenige Pinselstriche vielsagend. Zwei Beispiele – das erste für den Geschichtsplan, das zweite für das Milieu – mögen beleuchten, wie das eidetische Detail, also die rhetorisch imaginierte Einzelheit, sinnenthüllende Bedeutung gewinnt: (1) Bei der Verhaftung des Paulus auf dem Tempelplatz findet sich eine meist übersehene, dennoch bezeichnende Notiz: „Da geriet die ganze Stadt in Bewegung, und es kam zu einem Auflauf des Volkes, und man packte Paulus und zerrte ihn aus dem Heiligtum – und sogleich wurden die Pforten verschlossen“ (Apg 21,30). Der Aufruhr von Stadt und Volk (συνδρομὴ τοῦ λαοῦ) gegen Paulus klingt grundsätzlicher, als es die Situation verlangt. Die unverzügliche (εὐθέως) Verschließung der Tempelpforten hinter dem herausgezerrten und den Römern übergebenen Gottesboten ist ein „vivid detail“, das das Erzähltempo unverhältnismäßig retardiert. Den Kommentaren ist es meist so wenig Erklärungsaufwand wert wie die Dioskuren.40 Gleichwohl besitzt die Einzelheit Bedeutungstiefe: Mit der Übergabe des Paulus in die Hände der Römer ist jene Phase abgeschlossen, in der der Tempel – wie seit dem lukanischen Vorevangelium selbstverständlich – Identitätsausweis des werdenden Christentums war. Das Evangelium rochiert im Kleinen von Jerusalem nach Rom. Die Pforten, die sich zwischen dem jüdischen Tempelareal und dem Vorhof der Heiden schließen, transportieren Theologie. Paulus, der vir vere Israeliticus, ist der Ausgesperrte, der eine neue Welt zu betreten hat, die sich ebenso unverzüglich (ἐξαυτῆς) in der (rettenden!) römischen Mannschaft auf der Bühne zeigt (vgl. 21,31–36). Nicht behauptet wird die heilsgeschichtliche Wende, sondern am Detail vorgeführt. (2) Eine befremdliche Einzelheit führt Lukas an, als Paulus die Seereise von Korinth nach Ephesus antritt: „Zuvor hatte er sich in Kenchreä das Haupt geschert; er hatte nämlich ein Gelübde abgelegt“ (Apg 18,18). Man bringt dieses Gelübde meist in engeren Zusammenhang mit dem Nasiräat, handelt sich hier aber insgesamt mehr Probleme ein, als man löst.41 Als nautisches Detail – den Dioskuren vergleichbar  – ergibt die scheinbare Kleinigkeit Sinn: Der geschorene Kopf gehört zum topischen Inventar von Seefahrterzählungen. Das Haareschneiden auf See forderte das Numen heraus und galt als ungünstiges Vorzeichen: Wer nicht provozieren wollte, sorgte sich rechtzeitig um die Schur (vgl. Petron. 103,3–6; 104,5–105,4).42 Andererseits diente das geschorene Haupt auch als dankbare Demonstration gegenüber den rettenden Seegottheiten (vgl. Iuv. 12,81 f.; Lukian, merc. cond. 1). Paulus wird also in ambivalenter Weise als 40  Verwiesen wird in der Regel darauf, dass der Tempel nicht durch den Lynchmord entweiht werden und Paulus der Fluchtweg abgeschnitten werden sollte. Die symbolische Bedeutung sehen etwa Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles, AncB 31, New Haven, Conn. 1998, 697; Pervo, Acts (s. Anm. 2), 551. 41  Zur Diskussion Barrett, Acts II (s. Anm. 27), 877 f. 42  Zum nautischen Haartabu näher Wachsmuth, Δαίμων (s. Anm. 6), 302–304; Börstinghaus, Sturmfahrt (s. Anm. 6), 121 f.

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Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11)

frommer Seefahrer vor Augen geführt: Der pagane Brauch und der von Lukas eher konnotierte als konkret bezeichnete Nasiräatsritus finden zur Einheit. Unmittelbar zuvor ist Paulus von der Synagoge in das Haus des Gottesfürchtigen Titius Justus gezogen und hat den Entschluss gefasst: „Von jetzt an werde ich zu den Heiden gehen“ (Apg 18,6); zugleich haben die korinthischen Juden vor Gallio einen Grundsatzprozess (18,13) um sein Judesein angestrengt (18,12–17). In diese Grenzlage ist seine fromme Praxis einzuordnen: den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide. Das Paulusbild wird pagan anschlussfähiger, ohne dass Lukas an der urjüdischen Verwurzlung des Völkermissionars Zweifel aufkommen lässt.43 Das Changieren zwischen dem mediterranen Seemannsgarn und dem toratreuen Judentum beschwört den kulturellen Grenzgang herauf: Beide Formen sind vereinbar. Das eidetische Detail eines geschorenen Hauptes nutzt das nautische Milieu als Signum einer ganz anderen Überfahrt. Der Seitenblick erleichtert uns das Verständnis für die Miniatur der Dioskuren. Wie der geschorene Kopf illustrieren sie das nautische Milieu des „Seefahrers“ Paulus. Die gesamte Überfahrt nach Italien (vgl. Apg 27,1–28,16), besonders eindringlich Seesturm und Schiffbruch, beschwört eine maritime Stimmung herauf, die in einem solchen Ausmaß konventionalisiert ist, dass sie im ersten / ​zweiten Jahrhundert die gehobene Literatur zu Spott und Persiflage reizt: Der größte und der kleinste Dichter berichten, quid agant venti (Iuv. 1,9.14; zur poetica tempestas 12,22–24; ferner Petron. 114,1–115,5; Lukian. merc. cond. 1; Toxaris 19; VH 1,3 sowie noch Synesios, epist. [ed. A. Garzya, 2000] 5,296 f.).44 Gerade diese Konventionalität dient nun freilich dem lukanischen Darstellungszweck insofern, als sie die Anschlussfähigkeit an das mediterrane Kulturwissen herstellt. Wie Lukas im Vorevangelium (Lk 1 f.) das altbiblische Milieu zeichnet, so wählt er in der Schlussszenerie mit kulturellem Wiedererkennungseffekt eine kennzeichnend mediterrane Erzählfarbe. Er „malt“ noch immer, aber er malt eine neue Landschaft. Innerhalb dieser Meerlandschaft gewinnt der Völkermissionar ein charakterisierendes griechisch-römisches Flair. Diese lukanische Inkulturationsleistung ist im Licht unserer Beobachtungen zur kulturellen Enzyklopädie der Dioskuren theologisch zu präzisieren.

43  Vgl. Knut Backhaus, Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte, in: Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Chr. Böttrich / ​J. Herzer, WUNT 209, Tübingen 2007, 401–428, bes. 421–427 [in diesem Band S. 257–282, bes. 276–281]. 44 Zum Seefahrt‑ und Schiffbruchmotiv in der zeitgenössischen non-fiktionalen und fiktionalen Literatur monographisch Susan M. Praeder, The Narrative Voyage. An Analysis and Interpretation of Acts 27–28, Diss. Graduate Theological Union, Berkeley, Calif. 1980, bes. 227–245; Börstinghaus, Sturmfahrt (s. Anm. 6), bes. 13–277; zur Seesturmerzählung als literarischer „Dutzendware“ ebd. 142 f.

3. Mare nostrum: Das Evangelium im Zeichen der Dioskuren

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3. Mare nostrum: Das Evangelium im Zeichen der Dioskuren Im ersten Schritt haben wir die zeitgenössische Relevanz der Dioskuren erarbeitet, im zweiten den Eindruck begründet, dass das Detail des Schiffzeichens selbst Bedeutung trägt. Welche Brücke zwischen diesen Bereichen zu schlagen ist, entscheidet sich am narrativen Kontext. Dieser zeigt kein Interesse am paganen Mythos als solchem, wohl aber legt er die Integrationsfähigkeit des Evangeliums offen. In diesem Licht gewinnen die Dioskuren in vierfacher Hinsicht eidetisches Sinnpotential: (1) Kulturelle Adaption: Nicht als Soter-Gottheiten zur See führt Lukas die Dioskuren an, sondern  – in dieser pagan zugeschriebenen Eigenschaft  – als kulturelles Signal: „his hero is presented as ‘invading’ Greek cultural territory“45. Stand am Beginn des Doppelwerks die Septuaginta-Mimesis für die Herkunft des Evangeliums (Lk 1 f.), so steht an dessen Abschluss die Mimesis nautischer Weitläufigkeit für dessen Ankunft. Nach Platon wohnen die Griechen um das Mittelmeer wie Ameisen und Frösche um einen Sumpf (Phaid. 109a–b). In der kleinräumigeren Sicht der Jesusbewegung lässt sich das Bild auf den See Gennesaret übertragen, der für das Markusevangelium noch θάλασσα ist. Bekanntlich meidet Lukas diesen provinziellen Sprachgebrauch, ersetzt das Nomen durch λίμνη und verwendet θάλασσα für das Mittelmeer:46 Die kognitive Landkarte hat sich gewandelt. Während im ersten Teil der Apg Jerusalem den Nabel der Welt bildet und Rom an der westlichen Peripherie liegt (vgl. Apg 2,9–11), tritt Rom mit der Überfahrt von Malta in das perspektivische Zentrum und versetzt Jerusalem perspektivisch an den östlichen Rand.47 Das Schiff aus der Weltstadt Alexandrien auf der Überfahrt zur Weltstadt Rom weitet den Horizont auf die Oikoumene hin. Der „Maler“ Lukas drückt diesen Wechsel in der Erzählfarbe aus: „Both the theme of Mediterranean sea-travel as well as the specific vocabulary signal that the reader is in Gentile territory“48. Insofern steht das Detail der Dioskuren am 45 Loveday C. A.  Alexander, “In Journeyings Often”: Voyaging in the Acts of the Apostles and in Greek Romance (1995), in: dies., Acts in Its Ancient Literary Context. A Classicist Looks at the Acts of the Apostles, LNTS 298, London 2007, 69–96: 86; vgl. ebd. 80–85. 46  Vgl. Alexander, Journeyings (s. Anm. 45), 81. 47  Dazu instruktiv Alexander, Journeyings (s. Anm. 45), 75–80; zur kulturell „gefühlten“ und narrativ veranschaulichten Landkarte der Apg im Vergleich mit den frühen Romanen auch dies., Narrative Maps: Reflections on the Toponomy of Acts (1995), in: dies., Acts in Its Ancient Literary Context. A Classicist Looks at the Acts of the Apostles, LNTS 298, London 2007, 97–131. Zu Jerusalem im ersten Teil der Apg Richard Bauckham, James and the Jerusalem Church, in: The Book of Acts in Its Palestinian Setting, hg. v. dems., Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1995, 415–480: 417–427; zur geographischen Grundvorstellung des Lukas als Mischung aus jüdischer und griechisch-römischer Weltsicht James M. Scott, Luke’s Geographical Horizon, in: The Book of Acts in Its Graeco-Roman Setting, hg. v. D. W. J. Gill / ​C. Gempf, Grand Rapids, Mich. / ​Carlisle 1994, 483–544: 522–543. 48  Jipp, Visitations (s. Anm. 34), 30, vgl. ebd. 28–30. Zu Apg 27 f. als Zäsur zwischen der urchristlichen Erstepoche und der lukanischen Normalzeit Michael Wolter, Das lukanische

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Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11)

Bug des alexandrinischen Schiffes auf dem Seeweg nach Rom eidetisch für das neue kulturelle Ufer. Die beiden Seegötter führen die reichsrömische Zukunft des Evangeliums so vor Augen, wie die verschlossenen Tempelpforten den Abschluss der Jerusalemer Phase markierten. Die Überfahrt nach Rom ist gewissermaßen die große Rochade des Evangeliums. Vor diesem Hintergrund gewinnt der WirStil der Seefahrtberichte, unabhängig von der Quellenfrage, eigene Pragmatik.49 Der Leser wird zum Mitreisenden in die Weltkultur des Evangeliums. Die Dioskuren verkörpern die epochale Transformation, in der das Mittelmeer zum mare nostrum der Ekklesia wird. (2) Retributive Logik: Die Dioskuren vermögen Lukas schwerlich als Bürgen der Unschuld des Paulus zu dienen. Sie erweisen vielmehr die Vereinbarkeit seiner Darstellung mit paganen Retributionsvorstellungen. Sie dienen damit umgreifend dem maßgeblichen Erzählinteresse an der Legitimation des Völkermissionars und seines Werkes in der urchristlichen Sattelzeit. Nicht der Mythos als solcher, wohl aber die geschichtstheologische Grundfigur einer ausgleichenden Gerechtigkeit verbindet den Historiographen Lukas mit der Mehrheitskultur. Die Parallele der Dike (Apg 28,2–6) führt hier weiter: Das tödliche Unglück für den, der gerade der Todesgefahr des Schiffbruchs entronnen ist, gilt als numinos verhängter Schicksalstod (z. B. Anth. Gr. 9,269 [Antipatros von Thessalonike]); der Tod durch giftigen Schlangenbiss entspricht dem üblen Charakter (z. B. Heliodor, Aethiopica 2,20,12–16).50 Paulus bewährt sich und seine Mission also offenkundig auch am paganen Prüfstein. Demgegenüber ist die Verwechslung mit einem Gott (ἔλεγον αὐτὸν εἶναι θεόν), die für Lukas an sich der theologischen Richtigstellung bedarf (vgl. bes. Apg 12,20–23; 14,8–18), in diesem Fall nicht nur (intradiegetisch) hinnehmbar, sondern dient sogar als Chorschluss. Dieses „Bekenntnis“ der Malteser irritiert immer wieder. Bereits Martin Dibelius empfindet die Erzählung als „weltlich“ und im Kern nicht-christlich.51 Gerade darin freilich liegt die christliche Pointe, dass sich das Evangelium ungewappnet der paganen Logik stellt. In ihrer unbeholfenen Denkweise haben die menschenfreundlichen Barbaren im entscheidenden Punkt von gerecht / ​ungerecht und himmlisch / ​irdisch durchaus Recht.52 Ähnlich greift Lukas auf die naheliegende Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289, bes. 272–278. 49 Vgl. Alexander, Journeyings (s. Anm. 45), 81 f. 50  Zur Auslegung von Apg 28,1–6 Ladouceur, Preconceptions (s. Anm. 3), 448 f.; Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 129–131; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 107–117; Pervo, Acts (s. Anm. 2), 673–675; Jipp, Visitations (s. Anm. 34), 257–264. 51 Martin Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 51968, 173 Anm. 1. Einen Überblick über die Diskussion bietet Jipp, Visitations (s. Anm. 34), 4–12. 52  Vgl. näher Ilze Kezbere, Umstrittener Monotheismus. Wahre und falsche Apotheose im lukanischen Doppelwerk, NTOA / ​StUNT 60, Göttingen / ​Freiburg i. Ue. 2007, 188–203; Jipp, Visitations (s. Anm. 34), 44–49.

3. Mare nostrum: Das Evangelium im Zeichen der Dioskuren

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Verbindung der Dioskuren mit der Gerechtigkeit des „besonderen Passagiers“ zurück. Innerhalb des paganen Koordinatensystems wird so am Detail der Dioskuren dessen Unschuld und, weit darüber hinaus, dessen himmlische Befugnis konnotiert. Aber ebenso wenig wie die Dike der Barbaren werden die Dioskuren der Seeleute selbst Handlungsträger. Sie stehen für die Doppeldeutigkeit paganer δεισιδαιμονία zwischen empörender Superstition und sublimem Verweis auf den – den Heiden – unbekannten Gott (vgl. 17,16.22 f.). Dieser ist es, der – wie der ganze Erzählverlauf belegt – die Gerechtigkeit seines Boten erweist. Nicht die Unschuld des Paulus verbürgen die Dioskuren, sondern dessen Augenhöhe mit – oder Überlegenheit gegenüber – der paganen Eusebie. Ihre theologische Dignität liegt auf der Ebene geschichtstheologischer Stimmigkeit. (3) Soteriologische Reinterpretation: Das Bild der Dioskuren als Helfer beim Sieg und Überbringer der frohen Botschaft an den Zielort Rom war, wie wir sahen, bis in das römische Stadtbild und die Lebenswelt auch östlicher Reichsbewohner präsent. Insofern σωτήρ ein stehender Titel der Dioskuren war und sie als prominenteste Träger von Frohbotschaft galten, sollte dieses politische Erzählkonnotat gewürdigt werden. Lukas spielt durchaus mit dem Kontrast zwischen dem Evangelium von Jesus Christus, dem endzeitlichen Retter und Friedensbringer, und der reichsrömischen Propaganda. Leserlenkend hat er dies im Vorevangelium Lk 1 f. und, redaktionell stark engagiert und mit hohem narrativem Aufwand, im Rededuell zwischen dem Anwalt Tertullus und Paulus (Apg 24,1–23) getan.53 So sind die Adressaten gegen Ende ihrer Lektüre für diesen Kontrast sensibel geworden. Die Dioskuren als gesellschaftlich verbreitetes Signum politischer Heilsbotschaft werden im anschaulichen Zeichen der Überfahrt des Evangeliums nun gewissermaßen theologisch umgesattelt. Ihr Bild führt dem Leser vor Augen: Das „andere Evangelium“, die frohe Siegesbotschaft von der Königsherrschaft Gottes (28,23.31), ist mit einer ungebrochenen himmlischen Macht, wie sie mit den beiden Reitergöttern verbunden war, unterwegs zu der Hauptstadt des römischen Reiches: μετὰ πάσης παρρησίας ἀκωλύτως. Die Dioskuren gewinnen so keinen Eigenwert; sie besitzen jene Plausibilisierungsfunktion, die Herakles, Orpheus oder Odysseus für die altkirchliche Christologie zukam. Sie bieten der theologischen Aussage eine kulturelle Anschauungsform. 53  Vgl. Gary Gilbert, Roman Propaganda and Christian Identity in the Worldview of Luke-­ Acts, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​ C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 233–256, bes. 237–242; Stefan Schreiber, Weihnachtspolitik. Lk 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA / ​StUNT 82, Göttingen 2009, bes. 84–102; Kazuhiko Yamazaki-Ransom, The Roman Empire in Luke’s Narrative, LNTS 404, London 2010, bes. 69–105; zu Apg 24,1–23 Knut Backhaus, Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte, in: Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS M. Theobald, hg. v. W. Eisele / ​Chr. Schäfer / ​H.-U. Weidemann; HBS 74; Freiburg i. Br. 2013, 209–237: 213–222 [in diesem Band S. 219–243: 223–230].

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(4) Anspruch auf die Oikoumene: Subtile Kritik am Kaiserkult durchzieht das ganze lukanische Erzählwerk. Im lektüreleitenden Eingangspassus der Versuchungsgeschichte gewinnt der Teufel  – paradigmatisch für die kaiserliche Selbstpräsentation – neronische Züge; auch „Herodes“ Agrippa I. wird auf den sangesfreudigen Kaiser transparent (Apg 12,20–23).54 Zudem war, wie wir sahen, die Verbindung der Dioskuren mit dem Kaiserhaus offenkundig über die stadtrömische Elite hinaus auf breiterer Ebene geläufig. Gleichwohl ist kaum ersichtlich, welchen konkret herrscherkritischen Impetus unsere Notiz, die die Dioskuren weder direkt noch indirekt abwertet, bergen mag. Näher liegt es, sie allgemein als mythische Verkörperung des reichsrömischen Anspruchs auf die Völkerwelt zu sehen, zumal Kaiserhaus und Imperium in der Reichsöffentlichkeit ohnehin eine mediale Einheit bildeten. Hier bietet das lukanische Erzählwerk in der Tat manchen kontrastiven Anknüpfungspunkt. Der Echoraum des Evangeliums ist, wie die Völkertafel 2,9–11 demonstriert, die Oikoumene. Die Himmelfahrtsberichte entsprechen dem Romulus-Mythos und seiner kosmischen Reinszenierung in der consecratio des Kaisers.55 Es ist der Kyrios der Christen, der auf die „Grenzen der Erde“ (1,8) und damit den orbis Romanus ausgreift: Deshalb muss der Völkermissionar nach Rom (vgl. 19,21; 23,11; 25,10–12; 26,32; 27,24).56 Gerade in der kognitiven Eroberung des mare nostrum wird der Anspruch des Evangeliums auf die reichsrömische Welt noch einmal abschließend zur Geltung gebracht. So dienen die Dioskuren auch unter diesem Aspekt als eidetisches Signal für die Offensivkraft des Evangeliums. In ihrem Zeichen zieht Paulus in Rom ein wie ein friedlicher Eroberer. Das Evangelium ist endgültig an seinem Bestimmungsort eingetroffen. Ziehen wir das Fazit: Das Erzähldetail der Dioskuren entspricht der eidetischen Theologie des Lukas. Es ist weder eine bedeutungsschwache Einzelheit noch auf eine eindimensionale Bedeutung (etwa Unschuld des Paulus, politische Kritik) festzulegen. Vielmehr schafft es jene nautische Atmosphäre, in der die Bedeutung der Romfahrt im konnotativen Spiel ansichtig wird. Im Medium der Dioskuren treten narrative Stimmigkeiten vor Augen: die kulturelle Rochade des Urchristentums, die geschichtstheologische Plausibilität der Überfahrt, die Soteriologie des „anderen Evangeliums“ sowie dessen kontrastiver Anspruch auf den orbis Romanus. Keine Übersetzungsleistung wird von dem Adressaten 54 Zu Lk 4,5–8 Knut Backhaus, Der Tyrann als Topos. Nero  / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung, in: Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich, hg. v. S. Bönisch-Meyer u. a., Classica Monacensia 46, Tübingen 2014, 379–403: 380–384 [in diesem Band S. 365–386: 366–370]; zu Apg 12,20–23 Klauck, Magie (s. Anm. 50), 51–57; Kauppi, Gods (s. Anm. 1), 42–63. 55  Zur Himmelfahrt Gilbert, Propaganda (s. Anm. 53), 242–247; zur Völkertafel ebd. 247– 253. 56  Vgl. Carsten Burfeind, Paulus muß nach Rom: Zur politischen Dimension der Apostelgeschichte, in: NTS 46 (2000) 75–91.

3. Mare nostrum: Das Evangelium im Zeichen der Dioskuren

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erwartet, sondern eine imaginative Einfügung in die lebensweltlich verankerte und konkret-anschauliche Bildlogik. Es verrät viel über das theologische Selbstbewusstsein des Lukas, dass er die beiden populären Zeussöhne wie selbstverständlich in die Erzählung integriert. Unsere Notiz trägt keinen polemischen Zug.57 Die Dioskuren gehören – wie die Weggenossenschaft des Julius, des menschenfreundlichen Zenturios der kaiserlichen Kohorte (Apg 27,1.3), wie die menschenfreundlichen Barbaren auf Malta (28,2), wie das humorvolle Spiel mit der „Dike“ (28,3–6) – in einen optimistisch gezeichneten Übergang. Der Gott des Paulus zerstört die paganen Symbole nicht, sondern nimmt sie in seinen Dienst, in dem sie positive, negative und supereminenter auf-gehoben sind. Insofern die Dioskuren für die glückliche Überfahrt nach Rom stehen, wählt Lukas sie als eindringliches Signum für die weit offene Zukunft des Evangeliums.

57  Auf einer ironischen Abrechnung mit den „useless mythological brothers“, denen die wahren „Brüder“ (vgl. Apg 28,14 f.) entgegenstehen (so Spencer, Acts [s. Anm. 1], 236), liegt keinerlei Akzent. Auch eine Polemik gegen „handgemachte Götter“ (vgl. Weish 13,18; 14,1–10) liegt nicht erkennbar in der Wirkabsicht (anders Kauppi, Gods [s. Anm. 1], 115 f.). Zur optimistischen Grundstimmung Klauck, Magie (s. Anm. 50), 132 f. sowie Kauppi selbst, der von einer „Taufe“ paganer Religiosität spricht: „in Acts 28.1–11 Greco-Romans may have noticed a willing and free adoption and use of their traditional religious concepts when these concepts agree with and promote the themes of Acts“ (Gods [s. Anm. 1], 117; vgl. ebd. 116 f.).

Der Tyrann als Topos Nero / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung In early Judaism / ​Christianity, dealing with ruler representation mirrors the particular features of an oral minority culture, be it in the mode of apocalyptic counter-cathexis or as subtle transformation. The Lukan writings respond to the Emperor presentation, in the form in which it reached a broader provincial population, with creativity: attributes that were highlighted in public media (e. g., the bestowal of rulership, the Apollonian art of chant, cultic claims) break free and serve to inspire, in a socio-morphic way, the very Jewish / ​Christian symbolic system, not least by merging into a biblically connotated conglomerate of “tyranny”. In this context, Nero’s eccentricity makes him an ideal prototype of the literary topos “tyrannical persecutor”. The early Jewish Sibylline Oracles announce, with broad impact, Nero’s demonic return from the East, whereas the Emperor Domitian remains vague. In contrast, Domitian is described in “Neronian colours” in the early Christian Apocalypse and turns out to be, in this borrowed identity, an actor on the eschatological stage. Trying to connect themselves to the official patterns of memory the theologians of the early church dismiss the popular expectation of Nero redux / ​redivivus. In this official trajectory and under the influence of the Book of Revelation, which is now read in a documentary rather than in an apocalyptic way, Domitian develops into the second tyrannical persecutor of Christians. The Neronian construct of Domitian enables Christian self-stigmatisation, heroises the normative time of foundation, and shapes the cultural arrangement within the framework of the group-specific memory.

Dieser Beitrag sucht drei Fragen zu beantworten: (1)  Wie hat eine kognitive Minderheit in Segmenten der östlichen Reichsbevölkerung, vereinfacht „Juden / ​ Christen“ genannt, die mediale Inszenierung von Herrschern, namentlich Nero, verarbeitet? (2) Wie kommt es zur Auflösung individueller Grenzen, vor allem zwischen Nero und Domitian, also zur topischen Verschmelzung von repräsentativem Herrscherbild und gruppenspezifischer Herrscherspiegelung? (3)  Wie haben diese Rezeptionsprozesse das konventionell-christliche Geschichtsbild geprägt? Ich konzentriere mich auf die Oracula Sibyllina und die Johannes-Apokalypse, die noch ganz in den Wahrnehmungs‑ und Darstellungsformen gruppenkul­tu­ reller Mündlichkeit stehen. Zudem ziehe ich das lukanische Doppelwerk heran, den ersten „kirchlichen“ Entwurf einer Geschichtsschreibung; er ist noch in das Selbstverständnis der jüdisch-christlichen Minderheit rückgebunden, sucht dieses aber für die reichsrömische Breitenkultur anschlussfähig zu machen. Die Altertumsdisziplinen konzentrieren sich naturgemäß auf die public performance

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der Eliten und Retainer-Schichten. Die hier untersuchten Kontra-Imaginationen leisten möglicherweise einen (begrenzten) Beitrag zur perspektivischen Erweiterung und sozialgeschichtlichen Erdung.

1. Die Neronisierung des Teufels (Dreieck Teufel – Nero – Domitian) Nero führt in der frühjüdisch-urchristlichen Literatur ein recht dramatisches Eigenleben, das von der Wahrnehmung anderer Kaiser des ersten Jahrhunderts deutlich absticht. Der Grund für diese Sonderstellung liegt nicht in einer traumatisierenden Wirkung auf jüdische Zeitgenossen, wie sie für Gajus, Vespasian oder Titus festzustellen ist. Er ist auch nicht unmittelbar an die stadtrömische Christenverfolgung nach dem Brand Roms im Jahr 64 geknüpft. Er liegt vielmehr zuerst in der Selbstdramatisierung Neros. Was sich im frühjüdisch-urchristlichen Bild von Nero festsetzt, ist kein politischer oder militärischer Handlungszusammenhang, sondern dessen spezifische Herrscherrepräsentation: apollinische Massenkommunikation, Isthmos-Durchstich, die inszenierten Beziehungen zum Partherreich und zu Armenien, schließlich – aus der nicht minder dramatischen Gegenpropaganda – der Muttermord. Der theatralische scaenicus (Tacitus, ann. 15,59,2) eignete sich hervorragend als Akteur auf der Endzeit-Bühne.1 Wie kein anderer Herrscher des ersten Jahrhunderts vermochte Nero die Imaginationen von Teufel, Beliar, Antichrist, Antichrist-Vorläufer farbig und nachhaltig zu beleben. Während die diabolische Deutungskarriere in der noch ganz in der Oralität verwurzelten Apokalyptik massiv in den Vordergrund tritt, sei an einem auf den ersten Blick unscheinbaren Beispiel demonstriert, wie Neros ausgeprägte Herrschaftsrepräsentation auch Christen beeindrucken konnte, die sich  – wie der dritte Evangelist – um Anschluss an die Mehrheitskultur bemühten. An den Anfang des öffentlichen Wirkens setzt Lukas die drei Versuchungen Jesu, deren Bestehen diesen lektürelenkend als Messias ausweist (Lk 4,1–13). In der zweiten Versuchung (4,5–8) führt der διάβολος Jesus zu einer höheren Aussicht auf πάσας τὰς βασιλείας τῆς οἰκουμένης und erläutert ihm seine ἐξουσία und δόξα: ὅτι ἐμοὶ παραδέδοται καὶ ᾧ ἐὰν θέλω δίδωμι αὐτήν.2 Die einzige Be1 Zur theatralischen Selbststilisierung Neros Shadi Bartsch, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge, Mass. 1994, 36–62; im Überblick Christian Witschel, Verrückte Kaiser? Zur Selbststilisierung und Außenwahrnehmung nonkonformer Herrscherfiguren in der römischen Kaiserzeit, in: Einblicke in die Antike. Orte – Praktiken – Strukturen, hg. v. Chr. Ronning, München 2006, 87–129: 101 f.; zur Rezeption dieser Herrscherrolle in der Bevölkerung ebd. 111–114. 2  Im komprehensiven Abstraktum ἐξουσία (Lk 4,6) geht es, genau betrachtet, nicht um eine Macht über Königreiche, sondern um eine allen Königreichen vergleichbare Macht und damit

1. Die Neronisierung des Teufels

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dingung ist rasch genannt: ἐὰν προσκυνήσῃς ἐνώπιον ἐμοῦ. Jesus antwortet mit dem monolatrischen Anspruch des Gottes Israels nach der Septuaginta-Fassung des Deuteronomium (vgl. Dtn 6,13; 10,20). Die breit rezipierte Szene wirkt für den, der von der frühjüdisch-urchristlichen Satansvorstellung her kommt, überraschend: Denn der Teufel sprengt hier durchaus die seinem Amt auferlegten Grenzen. Es gehört nicht zum Rollenrepertoire dieses Akteurs, nach Belieben Macht und Glanz von Königreichen zu vergeben; in der synoptischen Parallele (Mt 4,8–10) bzw. der Vorlage in der Logienquelle (Q 4,5–8)3 ist davon ebenso wenig die Rede wie von der – bei Lukas dezidiert politisch gefassten (Lk 2,1; vgl. Apg 17,6; 24,5) – οἰκουμένη, dem orbis Romanus. Wie also kommt der Erzähler dazu, die Versuchungsszene derart zu variieren? Ich wage einen scheinbar weiten Sprung: zur spektakulären Vergabe des Königreichs Armenien an den arsakidischen Prätendenten Tiridates I. durch Nero im Jahr 66. Nach etlichen Machtrochaden in wenigen Jahren hatten sich Nero und der Großkönig Vologaeses I. auf den Kompromiss geeinigt, dass der parthische Prinz das armenische Diadem durch römische Verleihung empfangen sollte, und zwar in Rom selbst. Die Einigung mit der östlichen Großmacht, der wichtigste außenpolitische Erfolg Neros in heikler Zeit, ist propagandistisch reichlich verwertet worden.4 Ausführlich zeichnet Cassius Dio, wenn nicht das Geschehen, so doch den Eindruck, den es machte oder machen sollte: εὐδοξότατον ἔργον (vgl. Cass. Dio 63,1,1).5 Die Anreise des Fürsten vom Euphrat mit seinem Gefolge, zu dem 3000 parthische Reiter gehören, gleicht einem Triumphzug durch festlich geschmückte Städte; 800.000 Sesterzen beträgt der tägliche Aufwand für die neunmonatige Prinzenparade (63,2,1 f.; vgl. Sueton, Nero 30,2). Die ebenso auffällige Rückreise führt durch die Städte der Asia (Cass. Dio 63,7,1). Höhepunkt ist ein prunk‑ und massenhafter Tag in Rom, der im Volksmund das Epitheton „golden“ erwirbt (63,4,1–63,6,2). Höhepunkt dieses Tages wiederum sind Proskynese und Reichsverleihung an Tiridates. Bereits beim ersten Zusammentreffen mit Nero in Neapel leistet Tiridates öffentlich die Proskynese (63,2,4). Auf dem Forum, wo Nero in Triumphrobe auf der Rostra Platz genommen hat, wird die Huldigung durch Tiridates und sein ganzes Gefolge wiederholt (63,4,3: προσεκύνησαν αὐτόν). Schließlich kommentiert Tiridates, um kosmische Herrschaft; gleichwohl ist die politische Dimension der Machtübergabe nicht zu übersehen; vgl. Michael Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 181 f. 3 So jedenfalls die Schulmeinung der Standardedition des International Q Project (Löwen 2000). Bei einer nicht ohne Erzählteile auskommenden Szenerie handelt es sich freilich nicht allein um Logienstoff im engeren Sinn; zudem liegt mit Mk 1,13 gewissermaßen die Minimalform einer traditio triplex vor. Die Sparsamkeitshypothese rät zum IQP-Ansatz. 4 Tacitus, ann. 15,29,3: iturum Tiridaten ostentui gentibus. Auch Sueton entgeht die propagandistische Zwecksetzung der Inszenierung nicht; er rechnet das pompöse Geschehen ironisch unter die spectacula (Nero 13,1). 5  Weitere Berichte: Tacitus, ann. 15,29–31; 16,23,2; Sueton, Nero 13; ferner Plinius d. Ä., nat. 30,16 f. Vgl. Marianne Bergmann, Die Strahlen der Herrscher. Theomorphes Herrscherbild und politische Symbolik im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Mainz 1998, 181–185; Edward Champlin, Nero, Cambridge, Mass. (2003) 22005, 221–229.

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nachdem er sich vom numinosen Schauder erholt hat, die Huldigung mit den gebetshaften Worten: ἐγώ, δέσποτα, Ἀρσάκου μὲν ἔκγονος, Οὐολογαίσου δὲ καὶ Πακόρου τῶν βασιλέων ἀδελφός, σὸς δὲ δοῦλός εἰμι. καὶ ἦλθόν τε πρὸς σὲ τὸν ἐμὸν θεόν, προσκυνήσων σε ὡς καὶ τὸν Μίθραν, καὶ ἔσομαι τοῦτο ὅ τι ἂν σὺ ἐπικλώσῃς· σὺ γάρ μοι καὶ μοῖρα εἶ καὶ τύχη (63,5,26). In huldvoller Replik betont Nero, dass weder der Vater noch der Bruder imstande waren, Tiridates die Königsherrschaft zu verleihen. Doch seine, Neros, Gnade vermöge dies, ἵνα καὶ σὺ καὶ ἐκεῖνοι μάθωσιν ὅτι καὶ ἀφαιρεῖσθαι βασιλείας καὶ δωρεῖσθαι δύναμαι (63,5,37).

Neros souveräne Verteilung von Königreichen unter Einforderung der Proskynese bietet einen plausiblen Hintergrund für die lukanische Variation der Q-Szenerie, in der sich der Teufel βασιλείας ᾧ ἐὰν θέλω zu verteilen befugt sieht. Herrschaftsschauen und Barbarenempfänge dieser Art gab es im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr. zweifellos manche (vgl. z. B. Cass. Dio 59,12,2 über Gajus).8 Neros Tribunalszene als solche war denn auch keineswegs außergewöhnlich.9 Die Inszenierung um Tiridates jedoch wurde reichsweit in einer intensiven medialen Propagandastrategie verarbeitet und hat, wie die Sibyllinik zeigt, die religiöse Imagination sehr nachhaltig inspiriert (vgl. 5Sib 147 f.). Die Prinzenparade, auch in Münzprägungen präsent,10 berührte die Provinz Asia – vermutlich zwei bis drei Jahrzehnte, bevor Lukas dort sein Evangelium schrieb – in einem jüdisch-christlichen Milieu, das an den Parthern lebhaft interessiert war. Ein Interesse des Lukas an Nero steht außer Frage. Er hat wahrscheinlich keine zeitgenössischen Geschichtsschreiber gelesen, aber er zeigt im Gegen 6  „Ich, Herr, bin zwar ein Abkömmling des Arsakes und Bruder der Könige Vologaeses und Pakoros, aber dennoch dein Knecht! Und ich bin zu dir gezogen, meinem Gott, um dich anzubeten wie den Mithras. Und das werde ich sein, was immer du mir zuteilen magst! Denn du bist mir Fügung und Schicksal!“  7  „[…] auf dass auch du und jene erfahren, dass ich Königreiche fortzunehmen wie auch zu geben vermag!“  8  Zur Bühnenaffinität hellenistischer Herrschaftsdarstellung Angelos Chaniotis, The­ atricality beyond the Theater. Staging Public Life in the Hellenistic World, in: Pallas 47 (1997) 219–259; zur wissenssoziologischen Verortung des öffentlichen Rollenspiels und der kreativen Gegendiskurse subordinierter Traditionsträger James C. Scott, Domination and the Arts of Resistance. Hidden Transcripts, New Haven, Conn. 1990, bes. 17–69; zur herrscherlichen Audienz‑ und Tribunalszene Hanns Gabelmann, Antike Audienz‑ und Tribunalszenen, Darmstadt 1984, bes. 86–110, 169–177.  9  Vgl. Gabelmann, Audienzszenen (s. Anm. 8), 171 f.; Bergmann, Strahlen (s. Anm. 5), 183 f. Immerhin notiert Gabelmann, dass die dramatische Regie der römischen Stadtbevölkerung offenkundig noch unvertraut war (Audienzszenen, 172). 10  Die submissio als solche findet sich nicht abgebildet. Doch hatte Nero anlässlich des di­ plomatischen Erfolgs nicht nur den Imperator-Titel als praenomen angenommen, sondern auch die Pforten des Janus-Tempels schließen lassen (vgl. Sueton, Nero 13,2): Dies wurde ausgiebig ins Münzprogramm aufgenommen (RIC² I, Nero 50 f. 58. 263–271. 283–291. 300–311. 323– 328. 337–342. 347–350. 353–355. 362. 366 f. 421. 438 f. 468–472. 510–512. 537–539. 583–585); vgl. Frank Bubel, Pace popvli Romani terra mariqve parta ianvm clvsit. Zum Datum der Schließung des Janus-Tempels durch Nero, in: RMP 141 (1998) 410–412; Champlin, Nero (s. Anm. 5), 329 Anm. 20.

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satz zu den anderen Evangelisten ein – freilich diffuses – Wissen um einzelne Principes: Augustus, Tiberius und Claudius nennt er namentlich; Nero steht als Καῖσαρ ab Kapitel 20 nachdrücklich (Apg 25,8.10–12.21; 26,32; 27,24; 28,19) in der Zielperspektive der Apg. Natürlich erlaubt die kurze Versuchungsszene kein sicheres Urteil, aber dass das neronische Großereignis den nächstliegenden Anstoß zu ihrer lukanischen Umgestaltung bietet, scheint mir eine sehr triftige Annahme, solange man nicht (in der konfessionellen Tradition eines „staatsapologetischen“ Wirkanliegens des dritten Evangelisten11) eine gezielte Selbstisolierung des Lukas voraussetzt. Sicher ist: Eine Inszenierung von ἐξουσία und δόξα, die προσκύνησις vor dem als göttlich verehrten Kaiser und die Vergabe der βασιλείαι verfehlten ihre Wirkung auf urchristliche Rezipienten in Asia keineswegs. So hat die auf massenhafte Wirkung ausgerichtete symbolische Kommunikation zweifellos auch Echoräume unter Christen gefunden. Doch haben diese die Herrscherrepräsentation auf eigentümlich kreative Weise umgeschmolzen. Was man unter anderem Gesichtspunkt durchaus als einen bestechend dramatisierten Erfolg effizienter Vernunftpolitik sehen könnte, wird hier auf das Irrationale, mehr noch: das Dämonische durchgefiltert. Das fascinosum, das nach Cassius Dio (vgl. auch Tacitus, ann. 15,29,3) die Augenzeugen von Proskynese und Reichsbelehnung bewegt, wird als tremendum reinszeniert. Der „great communicator“ Nero inspiriert also mit seiner Symbolisierungskompetenz die bildsprachliche Imagination unter Christen und erweitert damit den teuflischen Handlungsspielraum um die attraktive Möglichkeit imposanter Herrschaftsvergabe auf Erden. Hat es rezeptionsgeschichtlich in Anschluss an die Paradieserzählung der Genesis zu den Aufgaben des Teufels gehört, den Menschen als solchen die Versuchung einzuflüstern, „wie Gott zu sein“ (Gen 3,5), so 11 Die schon mit Blick auf die intendierten Adressaten fragwürdige apologetische Zielsetzung der lukanischen Schriften gegenüber den römischen Machthabern wird heute differenzierter gesehen, rundweg abgelehnt oder, wofür viel spricht, Oppositionsstrategien der frühen Kaiserzeit untergeordnet. Einen Überblick über die diskutierten Deutungsvarianten gibt Steve Walton, The State They Were In: Luke’s View of the Roman Empire, in: Rome in the Bible and the Early Church, hg. v. P. Oakes, Carlisle / ​Grand Rapids, Mich. 2002, 1–41: 2–29, für den Lukas eher an einem pragmatischen Kompromiss mit den römischen Obrigkeiten interessiert ist, der aber das zur Not standhafte Bekenntnis zum Kyrios Christus einschließe. Das bislang weithin unterschätzte lukanische Aggressionspotential zeigt, seinerseits übertreibend, Kazuhiko ­Yamazaki-Ransom, The Roman Empire in Luke’s Narrative, LNTS 404, London 2010, bes. 87–102 auf. Er liest die beiden lukanischen Schriften nahezu apokalyptisierend: Mit Ausnahme von Sergius Paul[l]us (vgl. Apg 13,6 f.) stehen alle Machthaber im dämonischen Einflussbereich. Lk 4,5–7 bestimmt hier die Gesamtlektüre, während gegenläufige Textsignale nicht hinreichend gewürdigt werden. Richtig ist, dass es Lukas nicht um einzelne Geltungsansprüche und Bildbesetzungen geht, sondern um die alternativen bzw. kontradiktorischen Deutungsprämissen und Signifikanzmaßstäbe überhaupt; dies betont mit überzeugendem Nachdruck C. Kavin Rowe, World Upside Down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford (2009) 22010, bes. 91–137.

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passt sich der mythische Unhold hier den monokratischen Realitäten der frühen Kaiserzeit an: Die Versuchung, wie Gott zu sein, ist nicht mehr (gewissermaßen demokratisch) eine Möglichkeit der Menschen überhaupt, sondern allein die des Herrschers über βασιλείαι. Der Teufel nimmt eine medial verbreitete Machtrolle Neros in sein Repertoire auf. Nero seinerseits wird auf solche Weise vom symbolisierten Herrscher zum entindividualisierten Herrschaftssymbol. Denn es geht ja nicht darum, einen bestimmten Herrscher zu dämonisieren, weil seine politische Handlungsweise zu Kritik Anlass böte. Vielmehr werden seiner medialen Selbstdarstellung tremendum-Attribute für die religiösen Rollenträger entlehnt, und nur in dieser eigenen Symbolwelt gewinnt der Herrscher Bedeutsamkeit. Gleichwohl ist selbstverständlich mit einer Rückkoppelung auf den (je regierenden) Kaiser zu rechnen, ohne dass wir bei Frühchristen einen feineren Blick für individuelle Unterschiede voraussetzen dürfen, wie er für senatorische Historiographen selbstverständlich war. Domitian ist der Dritte im Dreieck: Nach der Mehrheitsdatierung ist das lukanische Evangelium in seiner Herrschaftszeit geschrieben worden. Insofern gilt das Logion „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist!“ (Lk 20,25 parr.) bei Lukas ihm. Wenn wir es vor dem leserlenkenden Hintergrund der diabolischen Eingangsszene sehen, ist es eher ironisch als irenisch zu verstehen. Plinius d. J. lobt sich gelegentlich, auf eine vergleichbare Fangfrage im Senat über seine Loyalität zu Domitian mit derlei doublespeak schlagfertig reagiert zu haben (vgl. epist. 1,5,5–7).12 Bei Lukas fehlt jedoch jeder individuelle Zug. Domitian ist ein zu erschließendes chronologisches Datum: nicht böse, nicht gut, einfach nur da, und dies austauschbar. Er ist nicht gerade jener Charakterkopf, den eine volkstümliche Überlieferung liebt. Das unterscheidet ihn von Nero, der die Phantasie mit Muttermord, Isthmos-Durchstich, apollinischem Saitenspiel und Tiridates-Krönung ungemein zu befruchten wusste. Anders als die beiden ersten Flavier hatte Domitian sich nicht einmal im Krieg (aus jüdischer Sicht) „diabolisch“ ausgezeichnet. Der exzentrische Nero indes passte so gut ins topische Schema, dass die an historischer Exaktheit nicht rege interessierte Sibylle die Kausalketten im ersten jüdisch-römischen Krieg etwas großzügiger bemaß, um die Zerstörung Jerusalems und des Tempels ihm noch zudatieren zu können (5Sib 150–154). Die Vernichtung der Stadt Jerusalem und ihres Heiligtums war eine Katastrophe von apokalyptischem Rang: Wenn sie schon eintreten musste, dann wenigstens durch ein Monstrum nach apokalyptischem Maß!

 Dazu Bartsch, Actors (s. Anm. 1), 63–65.

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2. Die Topisierung des volkstümlichen Attributs

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2. Die Topisierung des volkstümlichen Attributs (Fünfeck Agrippa I. – „Herodes“ – Antiochos IV. – Nero – Domitian) Blicken wir vor diesem Hintergrund auf eine zweite lukanische Szene repräsentierter Herrschaft.13 Sie bietet insofern eine günstige Ausgangsbasis, als wir den flavischen Hofhistoriographen Josephus (ant. 19,343–352) zum Vergleich heranziehen können. Vermutlich schöpfen er und Lukas aus demselben Traditionspool.14 Die Referenz stimmt überein, Verortung und Deutung divergieren. Die Szene eignet sich, um zu illustrieren, dass (1) Herrschergestalten in jüdisch-christlicher Perspektive austauschbar und auch verwechselbar waren, (2) daher auch deren Attribute relativ frei fluktuierten und kombiniert werden konnten, wobei Neros Herrschaftskommunikation einen nachhaltigen Einfluss auf spätere Generationen auszuüben scheint. Agrippa I., der 41–44 n. Chr. noch einmal über das jüdische Reich in den Grenzen seines Großvaters Herodes’ d. Ä. herrschte, erlitt bei einem öffentlichen Akt hellenistischer Herrscherrepräsentation im Theater von Caesarea Maritima einen physischen Zusammenbruch und starb alsbald. Sowohl Josephus als auch Lukas geben einen unter jüdischen Zeitzeugen verbreiteten Eindruck wieder, wenn sie dieses spektakuläre Ereignis als Straftod für Hybris deuten, da der König sich durch den versammelten δῆμος als Gott habe akklamieren lassen. Josephus nimmt die Sache indes gelassen: Der Uhu, der Agrippa als ἄγγελος den Tod anzeigt, war zuvor als dessen Glücksbote im Einsatz (vgl. ant. 18,195–202), und Agrippa stirbt einen noble death, den er noch opernartig zu kommentieren vermag (19,347). Anders in Apg: (1) Agrippa I. heißt hier „Herodes“: ein Name, der außerhalb von Apg und der von ihr abhängigen Literatur für ihn nicht belegt ist. So wird bereits der Name zum topischen Zug, denn er stellt Agrippa I. in eine Linie mit König Herodes d. Ä. (reg. 37–4 v. Chr.) und vor allem dem ebenfalls „König“ genannten Tetrarchen Herodes Antipas (reg. 4 v. Chr.–39 n. Chr.), die in der frühjüdisch-urchristlichen Welt keine Sympathie genossen: „Kennt man einen, kennt man alle!“ Agrippa II., den Lukas positiv zeichnet, heißt auch bei ihm Agrippa (vgl. Apg 25,13–26,32). (2) „Herodes“ Agrippa wird topisch von Würmern gefressen, wenn dieser Zug auch ohne die übliche Detailfreude, fast pflichtgemäß, nachgereicht wirkt (12,23: σκωληκόβρωτος ἐξέψυξεν). Würmerfraß ist ein nahezu beliebig 13 Zur Interpretation O. Wesley Allen, The Death of Herod. The Narrative and Theological Function of Retribution in Luke-­Acts, SBLDS 158, Atlanta, Ga. 1997, bes. 75–147; Hans-Josef Klauck, Des Kaisers schöne Stimme. Herrscherkritik in Apg 12,20–23 (2002), in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum, WUNT 152, Tübingen 2003, 251–267; Julia Wilker, Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Studien zur Alten Geschichte 5, Frankfurt a. M. 2007, 179–187; Knut Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103 (2012) 157–176 [in diesem Band S. 283–303]; zur herrscherkritischen Stoßrichtung von Apg 12,20–23 Lynn A. Kauppi, Foreign But Familiar Gods. Greco-Romans Read Religion in Acts, LNTS 277, London 2006, 42–63. 14  Neuerdings wird wieder literarische Abhängigkeit von Josephus erwogen; vgl. Richard I. Pervo, Acts, Minneapolis, Minn. 2009, 312 f. Doch sind nicht nur die Akzente, sondern die Prämissen und Perspektiven der jeweiligen Darstellung so unterschiedlich, dass unmittelbare Dependenz unwahrscheinlich bleibt.

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zuweisbarer Straftod, der vor allem Herrschergestalten trifft, und verrät wenig über das Sterben solcher Herrscher, aber viel über die Strategie ihrer Deuter.15 Der Wurmtod ist selbst Teil symbolischer Kommunikation und dient oft als Gegenentwurf zur public performance offizieller Memorialkultur. Josephus etwa lässt den glanzvoll bestatteten älteren Herodes so sterben (bell. Iud. 1,656–658; ant. 17,168–170). Unmittelbares Vorbild für Lukas ist der aus makkabäischer Sicht erzählte Straftod des seleukidischen „Judenverfolgers“ Antiochos IV. Epiphanes (2Makk 9; vgl. 1Makk 6,1–16). Entscheidend für die Deutung sind Retribution, Rollenrochade und Rekurrenz: Agrippa I., der zuvor den Zebedaiden Jakobus hat hinrichten lassen (Apg 12,1 f.), wird vom Himmel mit jenem öffentlichen Schautod bestraft, den er selbst Petrus, der Leitfigur der Jerusalemer Urgemeinde, zugedacht hat (12,3 f.). Durch die Rekontextualisierung in Apg 12 wird aus dem Straftod für die Hybris also zugleich der kennzeichnende Verfolgertod, ein in der Josephus-Parallele völlig fehlender Zug. Solche Rekurrenz und damit auch die Topisierung von „Tyrannen“16 ermöglicht identitätsstiftende Wiedererkennungseffekte: Antiochos und Agrippa sowie die sie ereilenden Straftode entsprechen sich signifikant. Daraus folgt: „Wir sind noch immer in der Geschichte, in der schon die Makkabäer standen  – also sind wir zwar verfolgtes, doch erwähltes Gottesvolk.“ Das schließt die geschichtliche Subjektwerdung der christlichen Erinnerungsgemeinschaft ein: Sie gewinnt im Modus von Rekurrenz Eigenzeit und Richtungssinn.17

Wir treffen hier auf die erste christliche Adaption der mors persecutorum, die mit Laktanz und Euseb zu einer Grundfigur kirchlicher Geschichtsdeutung werden sollte. Agrippa I. ist der Prototyp des hellenistischen Grenzüberschreiters und Verfolgers. Zugleich wachsen zwei Motivkreise zusammen, die historisch keineswegs selbstverständlich zusammengehören: Exzentrische Selbstdarstellung und Verfolgung erweisen sich als zwei Seiten einer Medaille. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein Detail Gewicht: Sowohl bei Josephus als auch bei Lukas wird die Hybris des Agrippa mit dessen Königsrobe (Apg 12,21; ant. 19,344) in Verbindung gebracht. In deren Silber habe sich die Morgensonne derart gespiegelt, berichtet Josephus, dass man sich erschauernd abwenden musste. Adulatorische Zurufe priesen den Herrscher als Gott (θεὸν προσαγορεύοντες): „Sei gnädig! Wenn unsere Ehrfurcht dir bisher nur als Mensch gegolten hat, werden wir dich künftig doch als einen preisen, der machtvoller ist als sterbliches

15  Materialreich Wilhelm Nestle, Legenden vom Tod der Gottesverächter, in: ARW 33 (1936) 246–269; speziell zur motivgeschichtlichen Verknüpfung von Verfolgungstätigkeit und Wurmbefall in der Erinnerungsarbeit der sich verfolgt sehenden Gruppen Jörg-Dieter Gauger, Der „Tod des Verfolgers“: Überlegungen zur Historizität eines Topos, in: JSJ 33 (2002) 42–64; vgl. auch Allen, Death (s. Anm. 13), 29–74. 16  Das Nomen ist hier und im Folgenden beschreibungssprachlich zur Kennzeichnung eines autokratischen, grenzüberschreitenden und gewalttätigen Herrschers aus der Sicht kritischer Schichten der eigenen oder fremder Bevölkerung benutzt. 17  Zu Apg 12 als „erstem Kapitel“ einer Kirchengeschichtsschreibung in nuce Backhaus, Erfindung (s. Anm. 13), bes. 171–176 [in diesem Band S. 298–303].

2. Die Topisierung des volkstümlichen Attributs

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Wesen!“ Diese lästerlichen Schmeicheleien  – und darin sieht Josephus seine Schuld – habe der Herrscher sich gefallen lassen (ant. 19,345 f.18). Sonnengottartige Selbststilisierung ist für einen hellenistischen Herrscher ohne Weiteres vorstellbar und muss nicht mit Nero verbunden werden. Indes fällt auf, dass der Zuruf des Publikums sich in Apg nicht mehr optisch, sondern akustisch begründet. Der δῆμος akklamiert: θεοῦ φωνὴ καὶ οὐκ ἀνθρώπου (Apg 12,22). Die kontextuell unvermittelte Stimmapotheose konnotiert deutlich den scaenicus Nero (vgl. Tacitus, ann. 15,59,2). Dessen ἱερὰ φωνή (Cass. Dio 63,20,5) verletzte einerseits in senatorischer Sicht‑ (und Hör‑)weise nicht nur (nachträglich) das akustische Wohlbefinden, sondern mehr noch die Standesnorm. Sie wirkte aber andererseits als apollinische Vorführung auf breitere Kreise offenbar faszinierend. Die Griechenland-Tournee war, wie die Tiridates-Parade, ein resonanzreiches Großereignis aus der entschränkten, von der Führungsschicht skandalisierten Phase Neros. Das Motiv des göttlichen Kitharöden Nero war auch im Osten multimedial verbreitet19 und wird auf vielen volkstümlichen Ebenen nahezu zum stehenden Attribut.20 Wenn Lukas mithin den Sack Agrippa schlägt, meint er den Esel Nero. Diese aus der senatorischen Opposition im ersten Jahrhundert vielfach belegte und zeitgenössisch bis zur rhetorischen Theorie des σχηματίζειν diskutierte Strategie (vgl. Quintilian, inst. 9,2,65–9921; Ps.-Demetrios, De elocutione 289–294)22 dient bei Lukas jedoch nicht der sublimen Kritik an der Herrschaftsrepräsentation des (längst verblichenen) Nero. Die Umbesetzung der Rollen zielt auch kaum, wie in der rhetorischen Strategie, auf politische Risikoreduktion. Lukas verschmelzt einfach auffällige herrscherliche Verhaltensweisen: Wenn der Verfolgerkaiser die Sonne mit der Stimme verband, mag dies ein verfolgender Duodeztyrann ähnlich tun. Apg 12 – als erster Versuch eines urchristlichen Einstiegs in „Weltgeschichte“ – bietet in Agrippa I. ein paradigmatisches Tyrannen-Konvolut: Name und Charakter spiegeln Herodes d. Ä. und Herodes Antipas wider, die theomachische 18  εὐθὺς δὲ οἱ κόλακες τὰς οὐδὲ ἐκείνῳ πρὸς ἀγαθοῦ ἄλλος ἄλλοθεν φωνὰς ἀνεβόων, θεὸν προσαγορεύοντες εὐμενής τε εἴης ἐπιλέγοντες, εἰ καὶ μέχρι νῦν ὡς ἄνθρωπον ἐφοβήθημεν, ἀλλὰ τοὐντεῦθεν κρείττονά σε θνητῆς φύσεως ὁμολογοῦμεν. οὐκ ἐπέπληξεν τούτοις ὁ βασιλεὺς οὐδὲ τὴν κολακείαν ἀσεβοῦσαν ἀπετρίψατο. 19 Vgl. eingehend Bergmann, Strahlen (s. Anm. 5), 133–230. 20  Obsessiv bei Philostrat, Ap. 4,36; 4,39; 4,42; 4,44; 5,7–10; 5,19; 5,28; 5,32 f.; 7,4; 7,12. 21  id genus, quod et frequentissimum est et expectari maxime credo, […] in quo per quandam suspicionem quod non dicimus accipi volumus, non utique contrarium, ut in εἰρωνείᾳ, sed aliud latens et auditori quasi inveniendum – „jene Art, die am häufigsten vorzukommen pflegt und die man, wie ich annehme, am meisten erwartet […]: In ihr wollen wir, aufgrund eines gewissen Misstrauens, dass das, was wir nicht sagen, verstanden wird, nicht gerade – wie in der Ironie – das Gegenteil, sondern etwas anderes, das verborgen liegt und vom Hörer gewissermaßen entdeckt werden muss“ (Quintilian, inst. 9,2,65). 22 Vgl. Frederick Ahl, The Art of Safe Criticism in Greece and Rome, in: AJP 105 (1984) 174–208, bes. 185–197; Bartsch, Actors (s. Anm. 1), bes. 63–97.

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Vernichtungsabsicht und der bezeichnende Wurmtod Antiochos IV. Epiphanes, Herrschaftsinszenierung und Gottesstimme Nero. Der erste regionale Christenverfolger, der Petrus umbringen wollte, wurde auf den anderen, römischen Christenverfolger, der ihn umgebracht hat, transparent, und beide bilden den berüchtigten hellenistischen Urtyrannen der Makkabäerzeit ab. So war ein Topos entworfen, der gewiss nicht der historischen Differenzierung diente, wohl aber dem Versuch, kognitive Ordnungsmuster für eine intentionale Geschichtswahrnehmung zu schaffen. Einfacher gesagt, den Christen das Aha-Erlebnis zu verschaffen, das sie brauchten: Kennt man einen, kennt man alle, und kennt man alle, kennt man sich aus, und dies am Ende mit sich selbst, denn man kennt, durch Rekurrenz belehrt, den Richtungssinn des Ganzen. Auch hier liefere ich Domitian im Postskript: Er ist nach der derzeit mehrheitlich akzeptierten Datierung noch immer der Kaiser, den Lukas im Blick hat, wird also von der Rollenrochade mitbetroffen. Das durch Antiochos, Agrippa und Nero belegte Junktim von „hellenistischer Repräsentation“ und „Verfolgertypus“ betrifft daher auch ihn. Aber er bleibt abermals als Individuum hintergründig, austauschfähig und unscheinbar. Ein konkret Domitian zuweisbarer Repräsentations‑ und Politikstil wird nicht ersichtlich.

3. Nero redux (Diastase Nero – Domitian im Frühjudentum) Bestimmte Ähnlichkeiten im selbstbezüglichen und repressiven Gebaren mögen politischen Beobachtern zwischen dem letzten Claudier und dem letzten Flavier, dem calvus Nero (vgl. Iuv. 4,37 f.), aufgefallen sein.23 Die Invektive saevior Domitiano, impurior Nerone (SHA Comm. 19,2) kennzeichnet die Schwerpunktsetzung in der Bewertung des Tyrannenduos: Wie dieser für die Sprengung der sittlichen Grenzen stand, so jener für die Missachtung der herrscherlichen Milde. So bilden beide im Bewusstsein der maßgebenden Schichten ein Junktim. Auf breiterer Ebene sah man es, jedenfalls in den nicht-elitären Schichten östlicher Reichsteile, anders. Die Oracula Sibyllina sammeln, quer durch die paganen, frühjüdischen und frühchristlichen Mündlichkeitskulturen, etwas wild fluktuie-

23  Ähnlichkeiten zwischen den jeweils letzten Vertretern ihrer Dynastie wurden bereits von Zeitgenossen wahrgenommen, freilich aufgrund von Neros zweifelhaftem Ruf erst nach Domitians Tod offen reflektiert; vgl. näher Ruurd Nauta, Flauius ultimus, caluus Nero. Einige Betrachtungen zu Herrscherbild und Panegyrik unter Domitian, in: Tradition und Erneuerung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, hg. v. N. Kramer / ​Chr. Reitz, BzA 285, Berlin 2010, 239–271. Zur Tyrannentopik bei Nero Alfred Kneppe, Metus temporum. Zur Bedeutung von Angst in Politik und Gesellschaft der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jhdts. n. Chr., Stuttgart 1994, 167–179, bei Domitian ebd. 182–187.

3. Nero redux

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rende Wahrnehmungen, die Nero gegen den je regierenden Kaiser ausspielen.24 Erregte Kreise hegten offenbar die Erwartung, Nero, von dessen Ableben sie sich nicht zu überzeugen vermochten, werde aus dem Osten zurückkehren, und dies mit parthischem Heerbann, um so seine Herrschaft, die sich dem kollektiven Gedächtnis fest eingeprägt hatte, wiederzuerlangen.25 Tatsächlich traten seit 69 n. Chr. auch einige Nerones im Osten auf, zuletzt wohl in der Zeit Domitians. Physische Ähnlichkeit, erlerntes Saitenspiel und vor allem politische Interessen, nicht zuletzt der Parther, erleichterten die Maskerade, die nach Tacitus gar an den Rand des Krieges geführt hat (vgl. Tacitus, hist. 1,2,1; 2,8 f.; Sueton, Nero 57,2; Cass. Dio 64,9,3; 66,19,3; Lukian, ind. 20). Die Erregung erfasste, wie das vierte Buch der Oracula Sibyllina für die Flavierzeit belegt, auch jüdische Kreise. Das Werk, endredigiert um 80 n. Chr., entstammt syro-palästinischen Täufergruppen.26 Hier herrscht allerdings keine Hoffnung auf die Rückkehr goldener Zeiten, sondern endzeitliche Krisenstimmung. Das vierte Orakelbuch bettet Neros Wiederkunft in dezidiert politische vaticinia ex eventu ein:27 die Lehnsherrschaft über Armenien, das Vierkaiserjahr, die Vernichtung Jerusalems, Landschaftszerstörung durch Titus’ militärischen Straßenbau (4Sib 114–128). Nero redux wirkt im Endzeitdrama als Akteur nach menschlichem Maß. Es herrscht die Erwartung, dass der Ῥώμης ὁ φυγάς bald nach dem Vesuvausbruch (4Sib 130–136) und als Träger des göttlichen Zornes die Kriegslanze erhebt und mit Abertausenden den Krieg über den Euphrat westwärts trägt:

24  Die Oracula Sibyllina sind auf der Grundlage der Ausgabe von Alfons Kurfeß ediert sowie prägnant verortet und kommentiert durch Jörg-Dieter Gauger (Sammlung Tusculum; 2 2002). Eine Übersetzung ins Englische mit ausführlicher und solider Einführung in alle Bücher findet sich bei John J. Collins, Sibylline Oracles, in: The Old Testament Pseudepigrapha I, hg. v. J. H. Charlesworth, New York 1983, 317–472; vgl. auch John J. Collins, The Development of the Sibylline Tradition, in: ANRW II.20.1 (1987) 421–459. Die deutsche Standardausgabe für 3–5Sib bietet Helmut Merkel (JSHRZ 5/8; 1998). Die weiterführende Literatur zur historischen, motivgeschichtlichen und literarischen Verortung der Sib ist in diesen Editionen angezeigt. 25  Dass sich zur Zeit Domitians breitere Bevölkerungskreise nach der großzügigen Ära Neros zurücksehnten und mit seinem allzu plötzlichen Tod nicht abfanden, belegt deutlich Dion Chrys. 21,9 f.; vgl. Hans-Josef Klauck, Do They Never Come Back? Nero Redivivus and the Apocalypse of John, in: ders., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum, WUNT 152, Tübingen 2003, 268–289: 268–273. In uneigentlichem und pejorativem Sinn wertet Vespasian bei Philostrat Vitellius als εἴδωλον τοῦ Νέρωνος (vgl. Ap. 5,33): ἀναβιῴη Νέρων (5,32). 26 4Sib 162–178 ist der täuferischen Umkehrbewegung zuzuordnen, für die auf eigene Weise in Judäa und Samaria der Täufer Johannes steht; eine nähere Zuordnung – gar zu essenischen Kreisen – ist nicht möglich. 27  Im römisch-jüdischen Geschichtsüberblick wird nur Nero als Individuum herausgestellt. Möglicherweise bezieht sich 4Sib 115 f. auf Pompejus. Der πρόμος aus Rom, der Jerusalem zerstört, viele Juden erschlägt und die Landschaft mit breiten Straßen verdirbt (4Sib 125–127), ist jedenfalls Titus.

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καὶ τότ’ ἀπ’  Ἰταλίης βασιλεὺς μέγας οἷά τε δράστης φεύξετ’ ἄφαντος ἄπυστος ὑπὲρ πόρον Εὐφρήταο, ὁππότε δὴ μητρῷον ἄγος στυγεροῖο φόνοιο τλήσεται ἄλλα τε πολλὰ κακῇ σὺν χειρὶ ποιήσας. πολλοὶ δ’ ἀμφὶ θρόνῳ Ῥώμης πέδον αἱμάξουσιν κείνου ἀποδρήσαντος ὑπὲρ Παρθηίδα γαῖαν. […] ἐς δὲ δύσιν τότε νεῖκος ἐγειρομένου πολέμοιο ἥξει καὶ Ῥώμης ὁ φυγάς, μέγα ἔγχος ἀείρας, Εὐφρήτην διαβὰς πολλαῖς ἅμα μυριάδεσσιν. – Und dann: Von Italien ein großer König – einer, der entlaufen ist! Flüchten wird er: ungesehen, verschollen über die Furt des Euphrat, nachdem er Frevel an der Mutter in grausiger Mordtat gewagt und vieles andere mit ekler Hand verübt. Viele werden den Boden mit Blut bedecken um des römischen Thrones willen, wenn jener davonläuft über der Parther Land hinweg! […] Dann wird in den Westen ziehen das Schlachtgewirr, auferstanden, und der Flüchtling aus Rom wird erheben eine große Lanze, und überquert mit Abertausenden den Euphrat! (4Sib 119–124.137–139)

Nero redux tritt damit als kriegerischer, machtvoller Gegenspieler, wenn nicht bereits des zweiten, so des dritten Flaviers an. Impliziert wird vermutlich ein kriegerischer Gegensatz zwischen Nero und Domitian, aber der Letztere bleibt abermals gänzlich konturlos. Dieser Kontrast tritt in dem in Ägypten zu lokalisierenden fünften Buch der Oracula Sibyllina, das, ungeachtet vereinzelter Fortschreibungen, vor dem zweiten jüdisch-römischen Κrieg endredigiert worden ist, noch deutlicher zutage. In den wuchtigen Imaginationen der gematrischen Eingangspartie (5Sib 1–51)28 bleiben nur drei Herrscher farblos: Gajus fängt mit Gamma an, Nerva wirkt ältlich, und Domitian ist aschblond (5Sib 40: τεφρώκομος). Bei den Erstgenannten wird das Beschreibungsdefizit durch die kurze Herrschaftszeit erklärbar, bei Domitian nicht, zumal Vespasian als εὐσεβέων ὀλετὴρ μέγας (vgl. 5Sib 36) wütet und Titus zum vatermordenden Thronräuber avanciert (5Sib 38 f.). Während also Domitian die apokalyptische Imagination nicht recht anzuregen weiß,29 kommt Nero mit zunehmend dämonischen Zügen aus der Zukunft dahergaloppiert, am Ende gar durch die Lüfte (5Sib 217). Seine Rückkehr aus dem Partherreich wird im weiteren Verlauf des Orakels zum Leitmotiv (5Sib 137–154.215–246.361–369). Als apokalyptische Attribute dienen ihm individuell zuweisbare Normbrüche: theatralisch-sportive Selbstinszenierung, 28 Die Eingangspassage wird, vor allem in der älteren Forschung, gelegentlich dekomponiert, sodass die Zeit Hadrians bzw. der Antonine (vgl. 5Sib 49–51) als terminus post quem für 5Sib entfallen würde und wir näher an die Verarbeitung des ersten jüdisch-römischen Krieges rückten. 29  Pagane Zeitgenossen zögerten dagegen nicht, den Herrscher (nach seinem Tod) metaphorisch zu dämonisieren; deutlich illa immanissima belua bei Plinius d. J., paneg. 48,3; vgl. auch Dion Chrys. 45,1; Philostrat, Ap. 7,4; 7,24; dazu Kneppe, Metus (s. Anm. 23), 185 f.

3. Nero redux

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Isthmos-Durchstich, Muttermord, sexuelle Verfehlungen, Freundschaft mit den Partherherrschern, Judenkrieg, anachronistisch auch die Tempelvernichtung, Auslösung des „Weltenkrieges“ (im Vierkaiserjahr). Um einen Eindruck zu vermitteln, sei die erste, noch relativ überschaubare Ankündigung angeführt. Neros (milesischer) Zahlwert lautet Ny, also: πεντήκοντα ὅτις κεραίνην λάχε, κοίρανος ἔσται, δεινὸς ὄφις φυσῶν πόλεμον βαρύν, ὅς ποτε χεῖρας ἧς γενεῆς τανύσας ὀλέσει καὶ πάντα ταράξει ἀθλεύων ἐλάων κτείνων καὶ μυρία τολμῶν· καὶ τμήξει τὸ δίκυμον ὄρος λύθρῳ τε παλάξει· ἀλλ’ ἔσται καὶ ἄιστος ὀλοίιος· εἶτ’ ἀνακάμψει ἰσάζων θεῷ αὑτόν· ἐλέγξει δ’ οὔ μιν ἐόντα. – Welcher als Zahl die Fünfzig erlangt, wird Herrscher sein: eine furchtbare Schlange, die ausschnaubt heftigen Krieg, der einstmals die Hände ausstreckt, die aus eigenem Geschlecht zu vernichten, und alles wird er in Verwirrung stürzen! Ein Wettkämpfer, Wagenführer, Totschläger, der Unzähliges wagt! Und er wird schneiden den zweifach umwogten Berg und besudeln mit schmutzigem Blut! Jedoch wird er unsichtbar werden, der Verderbte, danach zurückkehren, sich selbst Gott gleichsetzend; der nun wird ihm beweisen, dass er es nicht ist! (5Sib 28–34)30

Neros endzeitliches Wirken ist gewissermaßen die Entschränkung seiner herr­ scher­lichen Selbstdarstellung (bzw., wie im Fall des Muttermords, der Gegenpropaganda), wie sie in breiteren Schichten aufgenommen wurde.31 Vorstel­lungen dieser Zeit bewegten die Gemüter noch unter der Regierung Mark Aurels (8Sib 68–80.139–159).32 So wird Nero in der Spätantike als Antichrist oder dessen Vorläufer zu einer festen Rollenbesetzung im christlich erwarteten Endzeitdrama.33 30 Die gemeinten Ereignisse sind ohne Weiteres zu entziffern; die Anschuldigung, sich beim Isthmos-Durchstich mit „schmutzigem Blut“ besudelt zu haben, wird auf die Tatsache anspielen, dass Nero für dieses Großprojekt von Vespasian in der frühen Kriegsphase überstellte jüdische Gefangene einsetzte (Josephus, bell. Iud. 3,539 f.); vgl. Waltraud Jakob-Sonnabend, Untersuchungen zum Nero-Bild der Spätantike, AWTS 18, Hildesheim 1990, 144; Klauck, Nero (s. Anm. 25), 275. 31 Der Nero redux ist in 5Sib keineswegs eine positiv gezeichnete Hoffnungsfigur, wie Champlin, Nero (s. Anm. 5), 13–15 referiert, sondern ein mörderischer Vollzieher des endzeitlichen Schreckens, in schwärzesten Farben gezeichnet. Der ἐπίκλοπος ἐν δολότητι (5Sib 362) ist eher ein arglistiger Schurke als „a wise and clever conqueror“ (ebd. 15). 32 In 13Sib 119–130 (um 265 n. Chr.) verselbständigen sie sich und werden auf den (geschichtlich schwer aufzuhellenden) syrischen Überläufer und Usurpator Mareades / ​Kyriades übertragen. 33 Einen Überblick über den „once and future king“ gibt Champlin, Nero (s. Anm. 5), 1–35; mit Blick auf das frühjüdisch-frühchristliche Quellengut scheint mir sein Urteil allerdings nicht immer sicher. Vgl. auch Johannes Geffcken, Studien zur älteren Nerosage, NGWG. PH (1899), 441–462; Carlo Pascal, Nerone nella storia aneddotica e nella leggenda, Mailand 1923, bes. 273–286; Jakob-Sonnabend, Untersuchungen (s. Anm. 30), 133–152.

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Die Gabelung „dämonischer Nero vs. farbloser Domitian“ kennzeichnet auch die weitere Entwicklung in der Sibyllinik. Mit Ausnahme des unmittelbar auf den ersten jüdisch-römischen Krieg reagierenden 4Esra34 und trotz seines repressiven Vorgehens beim Eintreiben des fiscus Iudaicus (vgl. Sueton, Dom. 12,2)35 bleibt Domitian unprofiliert. In dem nach dem Tod des Alexander Severus (235 n. Chr.) endredigierten, aus Ägypten stammenden zwölften Buch der Oracula Sibyllina, das volkstümliche Einschätzungen über römische Kaiser sammelt, klafft die Schere weit auseinander. Nero ist eine sich als Gott gebärdende Schlange mit dem gewohnten dämonischen Verhaltensrepertoire, allerdings nach seiner (auch hier angenommenen) Flucht endgültig zugrunde gegangen (12Sib 78–94). Domitian dagegen ist allseits äußerst beliebt: Als mächtiger Krieger und fürsorglicher Herrscher setzt er den Frieden durch; alle Sterblichen hangen ihm in selbstgewählter Verehrung an, und der Himmel verleiht ihm edlen Glanz, bis er im eigenen Palast arglistigem Mord zum Opfer fällt (12Sib 124–142). Wenn die Herrscherstilisierung bei Domitian wesentlich am Motiv militärischer Sieghaftigkeit haftete,36 so hat sich dies offensichtlich gerade der jüdischen Erinnerung nicht eingeprägt: Vespasian und Titus waren vor ihm eng mit dem ersten jüdisch-römischen Krieg (66–73 n. Chr.), Trajan nach ihm mit der Niederschlagung der jüdischen Diaspora-Aufstände (115–117 n. Chr.) und Hadrian mit dem zweiten jüdisch-römischen Krieg (132–136 n. Chr.) verbunden. Domitians Herrschaft schien demgegenüber, mit jüdischen Augen betrachtet, wie eine friedliche Oase zwischen blutigen Kriegswirren. In der rabbinischen Erinnerungsarbeit kommt allerdings am Ende gar noch Nero zu späten Ehren: Er schreckt fromm davor zurück, Jerusalem zu vernichten, tritt zum Judentum über; von ihm stammt immerhin kein Geringerer als R. Meir ab (bGit 56a).37 Wahrscheinlich hat Neros ungünstiges Prestige als Christenverfolger ihm in ihrerseits von Christen bedrückten jüdischen Kreisen Sympathiepunkte eingebracht. Das Vergangenheitskonzept, in dem des einzelnen Kaisers gedacht wurde, hing offenkundig wesentlich von der je erforderten Gegenwartsbewältigung ab. 34 Die fünfte Vision (4Esra 11,1–12,51) zielt im allegorischen Adlerbild nach der nächstliegenden Deutung zwar auf Domitian, aber dieses Bild wird in keinen Bezug zu Nero gesetzt. Domitians einziges auffälliges Verhalten besteht darin, dass er das zweite Seitenhaupt verschlingt (11,35), worin sich Gerüchte über eine gewaltsame Beseitigung des auffällig früh verstorbenen Titus niederschlagen dürften. 35 Dazu näher Dieter Timpe, Domitian als Christenfeind und die Tradition der Verfolgerkaiser, in: Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, hg. v. J. Frey / ​St. Krauter / ​H. Lichtenberger, WUNT 248, Tübingen 2009, 213–242: 218 f. 36  Vgl. Witschel, Kaiser (s. Anm. 1), 102 f., 114 f. 37  Vgl. Saul J. Bastomsky, The Emperor Nero in Talmudic Legend, in: JQR 59 (1968/69) 321–325. Eine höchst geradlinige Umkehr vollzieht bereits der seleukidische Urtyrann Antiochos IV., wenn er 2Makk 9,17 in seiner Strafpein den Beschluss fasst, nicht nur Jude zu werden, sondern in aller Welt die Macht des Gottes Israels zu verkünden.

4. Nero redivivus

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4. Nero redivivus (Verschmelzung Nero – Domitian im Urchristentum) Auch im Frühchristentum entwickelt der Nero-Mythos eine erstaunlich lange Lebensdauer.38 Besonders anziehend wirkte er auf die Johannes-Apokalypse (Offb).39 Das Werk ist in der Provinz Asia zu verorten und nach – mittlerweile umstrittener, aber meiner Ansicht nach noch immer triftiger – Schulmeinung unter Domitian, allenfalls wenig später unter Nerva oder Trajan, zu datieren.40 In der Wirkungsgeschichte ist die Wahrnehmung des ersten Jahrhunderts im Allgemeinen und des „Tyrannen‑ und Verfolgerduos“ Nero / ​Domitian im Besonderen maßgeblich von diesem resonanzreichen letzten Buch der Bibel geprägt. Doch erschweren es Symbolsprache, Traditionsakkumulation, die eher leidenschaftlichen als logischen Visionsverschränkungen und nicht zuletzt die Adaption an andere Herrschaftsvisionen, besonders Dan 7 (wodurch noch Nebukadnezar das Ensemble eher imposanter als sympathischer Herrschaftsstile bereichert), die Verhältnisse zwischen Nero und Domitian ganz zu durchschauen.41 38  Hieronymus bezeugt ihn noch für seine Zeit als sehr lebendig: multi nostrorum putant, ob saeuitiae et turpidinis magnitudinem, [Domitium / ​Domitianum / ​Domitianum uel] Neronem Antichristum fore – „Viele unter uns meinen, dass, wegen des Ausmaßes seiner Gewalttätigkeit und Schändlichkeit, […] Nero der Antichrist sein werde“ (comm. in Dn 4: De Antichristo in Dn 151–153; vgl. 147–153); die Ergänzung zu Nero variiert textgeschichtlich und verrät einiges über die einschlägigen Spekulationen: Domitium (als Neros Geburtsname: L. Domitius Ahenobarbus), Domitianum (prädikativ: Domitian als Nero), Domitianum uel (alternativ: oder Nero). 39  Zum eingehenden Vergleich zwischen der Nero / ​Domitian-Darstellung der Offb und ­AscJes 4,1–13, auf die Champlin, Nero (s. Anm. 5), 17 f. verweist (vgl. auch 3Sib 63–74), Jan Dochhorn, Beliar als Endtyrann in der Ascensio Isaiae. Ein Beitrag zur Eschatologie und Satanologie des frühen Christentums sowie zur Erforschung der Apokalypse des Johannes, in: Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption, hg. v. J. Frey / ​J. A. Kelhoffer / ​F. Tóth, WUNT 287, Tübingen 2012, 293–315: 299–315. Die Passage über die Wiederkehr Neros als Herrschaft des Beliar ist Teil einer (gewöhnlich um 100 n. Chr. datierten) christlichen Interpolation (AscJes 3,13–4,22) in das jüdische MartJes (AscJes 1–5). Das Szenario ähnelt dem der Offb, obschon Bezüge speziell auf Domitian nicht erkennbar werden und es um den historischen Nero als inkarnierten Beliar zu gehen scheint; vgl. Klauck, Nero (s. Anm. 25), 277 f.; John G. Cook, Roman Attitudes Toward the Christians. From Claudius to Hadrian, WUNT 261, Tübingen 2010, 99 f., 107; zur Situierung von AscJes Michael A. Knibb, Martyrdom and Ascension of Isaiah, in: The Old Testament Pseudepigrapha II, hg. v. J. H. Charlesworth, New York 1985, 143–176: 143–154; Jan Dochhorn, Die Ascensio Isaiae, in: Unterweisung in erzählender Form, hg. v. G. S. Oegema, Gütersloh 2005 (JSHRZ 6/1/2), 1–48. 40  Zur Situierung näher Knut Backhaus, Die Vision vom ganz Anderen. Geschichtlicher Ort und theologische Mitte der Johannes-Offenbarung, in: Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung, hg. v. dems., SBS 191, Stuttgart 2001, 10–53: 16–30 (Lit.); hilfreich zur jüngst entfesselten Datierungsdiskussion Stephan Witetschek, Ein weit geöffnetes Zeitfenster? Überlegungen zur Datierung der Johannesapokalypse, in: Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption, hg. v. J.  Frey / ​J. A.  Kelhoffer / ​F.  Tóth, WUNT 287, Tübingen 2012, 117–148. 41  Da die leidenschaftlichen Visionen schon an sich auf Liebhaber des Altertums, die die (relative) Klarheit senatorischer Geschichtsschreibung oder die Schönheit klassischer Poesie gewohnt sind, verwirrend wirken mögen, scheint es mir nicht ratsam, durch Hinweis auf die

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Klar erkennbar ist eine teuflische Trias aus dem Drachen, dem Tier aus dem Meer und dem Tier aus der Erde. Das Urmonstrum ist Satan, der durch das mit dem Messias initiierte Endzeitgeschehen aus dem Himmel gestürzt wird, wo er mit seinem zwar letzten, aber durch immer neue Zugaben verlängerten Kampf noch allerlei Unruhe gegen das Gottesvolk auf Erden anzurichten vermag (Offb 12,7–17). Zu diesem Zweck bestallt er als eine Art Geschichtsvollzieher ein Filialmonster: das Tier aus dem Meer (12,18–13,10) – einen traditionsgeschichtlichen Enkel des Leviathan –, das die grausigen Merkmale der Großreichverkörperungen des Buches Daniel in sich vereint und deutlich genug als Imperium Romanum erkennbar wird. Unter anderem hat es sieben Häupter mit „Lästernamen“ – lies: herrschaftslegi­ti­mie­ renden und ‑stilisierenden Tituli  – (Offb 13,1), die unter anderem sieben „Königen“ gleichgesetzt werden (vgl. 17,9 f.). Dieses Tier tritt in Konkurrenz zum Lamm, dem im soziomorph als Kontrastanlage gezeichneten himmlischen Thronsaal die Weltregie übertragen wurde (vgl. 4,2–5,10). In eigentümlicher Verzerrung spiegelt das Meertier Attribute des Lammes wider. So äfft es gar dämonisch dessen Tod und Auferstehung nach: Eines der Häupter des Tieres, durch Schwerthieb „wie zum Tod geschlachtet“, erhebt sich mit geheilter Wunde neu (13,3).42 Der redundanten Häupterzahl scheint sich das Monstrum indes nicht nachhaltig zu erfreuen, denn sein bestialisches Wirken hängt im Folgenden ganz an diesem einen, wiederhergestellten Haupt (13,12.14), das mit dem Tier identisch wird. Dessen Name wird in einer Gematrie (13,18) als 666 wiedergegeben und ist dem Seher Johannes offenkundig als Name einer individuell bestimmbaren Person bedeutsam.43 Ohne die Text‑ und Deutungsvarianten zu diskutieren,44 entscheide ich mich, weil für diese die meisten und konvergierend recht unterschiedliche Gründe sprechen, für die hebräische Zahlwert-Quersumme: ‫( קסר נרון‬qsr nrwn, Nero Caesar).

Wenn es ein Ziel symbolischer Herrschaftskommunikation war, Rom und den Kaiser als Einheit sichtbar zu machen, so ist dies im Fall des Sehers Johannes vollauf geglückt: Neronischer Wiedergänger und Meertier verschmelzen zur funktionalen Einheit. In unserem Zusammenhang fällt auf, dass die so entstandene Gestalt vorrangig in den Modi der Herrscherrepräsentation und des weltweiten Faszinosum gezeichnet wird. Zum Zweck der Propaganda nimmt das Meertier ein zweites Filialmonster in den Dienst (Offb 13,11–17), das im weiteren Verlauf auch als „Trugprophet“ exegetischen Diskussionen die Verwirrung noch zu steigern, zumal auch diese Diskussionen mitunter in nachgerade apokalyptischer Leidenschaft geführt werden. Ich erläutere meine eigene – natürlich im Fachdiskurs gewonnene und ziemlich unoriginelle – Auffassung, ohne die weitläufigen Debatten zu referieren. Zur Auslegung vgl. bes. Klauck, Nero (s. Anm. 25), 278–289 sowie im Detail die Standardkommentare von Heinz Giesen, Die Offenbarung des Johannes, RNT, Regensburg 1997 und David E. Aune, Revelation, 3 Bde., WBC 52, Dallas, Tex. / ​Nashville, Tenn. 1997/1998. 42 Klauck, Nero (s. Anm. 25), 283 macht darauf aufmerksam, dass man erst hier, also unter Einfluss der urchristlichen Soteriologie, im engeren Sinn vom Nero redivivus-Motiv sprechen kann. 43  Champlin, Nero (s. Anm. 5), 18 verwechselt aufgrund des unmittelbaren Übergangs in Offb 13,17 f. das erste und das zweite Tier und sieht irrtümlich Nero redivivus im propagandistischen Erdtier verkörpert. 44  Dazu näher Giesen, Offb (s. Anm. 41), 316–318; Aune, Rev II (s. Anm. 41), 769–773; Klauck, Nero (s. Anm. 25), 280 f.

4. Nero redivivus

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firmiert (vgl. 16,13; 19,20; 20,10). Es entsteigt – traditionsgeschichtlich ein Abkömmling Behemots – der (kleinasiatischen) Erde und verkörpert die regionalen Betreiber des Herrscherkults, also die einschlägige Priesterschaft und / ​oder das κοινὸν Ἀσίας.45 Die Funktion dieses Erdtieres erschöpft sich darin, durch allerlei genauer beschriebene und mit Gegenwartssignalen ausgestattete Riten und Wunderzeichen die Erdbewohner zur Proskynese vor dem ersten Tier zu verführen.46 Die rezeptionssatte Vision von der Hure Babylon in Offb 17 rekapituliert diese Wahrnehmung. Die trotz (bzw. wegen) ihrer Unzuchtsfreude attraktive Frau mit dem Stirnband „Babylon“, die als polemische Ekphrasis der Dea Roma gelten darf,47 sitzt auf einem scharlachroten Tier, das eidetisch wie funktional dem Meertier und damit auch als totum pro parte dem wiedererstandenen Nero entspricht (17,3). Ihm wird der Trugprophet zugeordnet, dessen Aufgabe abermals die herrscherrepräsentative Öffentlichkeitsarbeit ist. Dass die Herrschaftskommunikation ihr Ziel erreicht, wird  – aus der Sicht des einfachen Reichsbewohners – mit dem redundanten Wortfeld des Staunens (θαυμάζω κτλ) festgestellt, dem auch der Seher selbst verfällt (vgl. 17,7 f.). Dessen Staunen wird freilich durch die Enthüllung des künftigen Geschicks herb ernüchtert: Meertier und Trugprophet werden nach der Endschlacht in den Feuerpfuhl geworfen, während ihre Trabanten samt Anhang auf Einladung eines Engels der Vogelwelt zum endzeitlichen Leichenmahl dienen (19,17–21). Mit der allegorischen Deutung des siebenköpfigen Monstrums bietet der Seher eine kaisergeschichtliche Verortung, die freilich für die Exegese nicht so eindeutig ist, wie der angelus interpres es vermeint (Offb 17,7). Die Diskussion der sieben βασιλεῖς (17,9–11) konzentriert sich auf die Fragen, wo die Zählung beginnt, wie mit den Kaisern des Jahres 68/69 umzugehen und wie das Verbum πίπτω gefärbt ist. Ohne die Details zu diskutieren,48 scheint mir die triftigste Lösung die folgende zu sein: Die fünf Herrscher sind die Kaiser der julisch-claudischen Dynastie. Die drei kurzfristigen Herrscher des Vierkaiserjahrs (Galba, Otho, Vitellius) werden vom Apokalyptiker aus der Sicht des entfernten, schlichten Provinzialen nicht als regelrechte Kaiser wahrgenommen. Dann ist der sechste Herrscher (unter dem die Vision empfangen zu haben Johannes angibt) Ves45  Dazu Aune, Rev II (s. Anm. 41), 773–775; Babett Edelmann-Singer, Die Provinzen und der Kaiserkult. Zur Entstehung und Organisation des Provinziallandtages von Asia, in: Kaiserkult, Wirtschaft und spectacula. Zum politischen und gesellschaftlichen Umfeld der Offenbarung, hg. v. M. Ebner / ​E. Esch-Wermeling, NTOA 72, Göttingen 2011, 81–102. 46  Die in Offb 13,13–15 beschriebenen σημεῖα μεγάλα sind nicht mit den für die Zukunft angesagten kosmischen Zeichen zu verwechseln, sondern entsprechen dem rituellen und thaumaturgischen Beiwerk des Herrscherkults. Die Verbindung von ἐξουσία und προσκυνεῖν erinnert an Lk 4,5–8. 47  Vgl. näher Aune, Rev III (s. Anm. 41), 919–928. 48  Zur Diskussion Giesen, Offb (s. Anm. 41), 374–383; Aune, Rev III (s. Anm. 41), 945–950; Klauck, Nero (s. Anm. 25), 283–287.

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pasian, und der kommende und nur kurze Zeit herrschende Herrscher ist Titus. Das Tier, das war und nicht ist (und wieder sein wird), ist der achte Kaiser, der aus den sieben stammt. Dies bezieht sich auf Domitian, aber – erst das sichert ihm die apokalyptische Obacht – in seiner mythischen Aufladung als Nero redivivus.49 Was der Seher an Domitian und an der Herrschaftsrepräsentation unter dessen Prinzipat wahrnimmt, gerät also in den Sog Neros, der hier weniger als Anführer einer Partherinvasion dient denn als Protagonist von Kaiserkult und, motivlich damit verwoben, Verfolgung. Die visionäre Verschmelzung von Nero und Domitian ist Teil einer „per­ ceived crisis“50 des Apokalyptikers. Sie dokumentiert gruppeneigene Krisenwahrnehmung, jedoch keineswegs einen für die Domitian-Zeit spezifischen Befund in der Provinz Asia. Dass es in den achtziger / ​neunziger Jahren zu einer außergewöhnlichen Steigerung des Kaiserkults in der Provinz Asia gekommen ist, wird heute bestritten;51 man mag eher die Forcierung bestehender Praxis vermuten. An eine systematische Christenverfolgung – wie später unter Decius oder Diokletian – konnte man überhaupt erst denken, als man Offb als heiliges Buch mit gesicherter historischer Referenz zu lesen begann; vor diesem Echoraum hörte man dann stadtrömische Flöhe kirchengeschichtlich husten (vgl. Sueton, Dom. 15,1; Cass. Dio 67,14,1 f.; Eusebios, h. e. 3,18,4).52 Johannes blickt vielmehr durch sein apokalyptisches Vergrößerungsglas auf des Kaisers symbolische Präsenz in Asia, radikalisiert und universalisiert Einzelerfahrungen in seinen kleinasiatischen Gemeinden und nimmt auf solche Weise Domitian als den entgrenzten Nero wahr.53 Man mag hier von einer Art Leihidentität des dritten 49  Es scheint mir nicht geklärt, ob eine solche  – in der apokalyptischen Vorstellungswelt nicht ganz seltene – Wiederverkörperung funktional oder ontisch zu verstehen ist und ob die Traditionsträger solche Unterschiede überhaupt gemacht haben. 50  Vgl. Adela Y. Collins, Crisis and Catharsis: The Power of the Apocalypse, Philadelphia, Pa. 1984, 84–110. 51  Aktuell mit besonderem Nachdruck von Thomas Witulski, Kaiserkult in Kleinasien. Die Entwicklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung in der römischen Provinz Asia von Augustus bis Antoninus Pius, NTOA 63, Göttingen / ​Freiburg i. Ue. 2007; einen Überblick über die Problemkonstellation gibt Daria Pezzoli-Olgiati, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung, FRLANT 175, Göttingen 1997, 221–241. 52  Zur skeptischen Beurteilung des Konstrukts einer domitianischen Christenverfolgung Brian W. Jones, The Emperor Domitian, London 1992, 114–117; Leonard L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire, New York (1990) 21997, bes. 104–107, 116– 132; Stefan Pfeiffer, Die Zeit der Flavier. Vespasian – Titus – Domitian, Darmstadt 2009, 117–120; Timpe, Domitian (s. Anm. 35), 219–223; Cook, Attitudes (s. Anm. 39), 112–137. 53 Zum Verhältnis zwischen apokalyptischer Wahrnehmung und extratextuellem Geschichtsverlauf näher Pezzoli-Olgiati, Täuschung (s. Anm. 51), 215–251; zur Textpragmatik apokalyptischer Symbolsprache Collins, Crisis (s. Anm. 50), 141–164; Knut Backhaus, Apokalyptische Bilder? Die Vernunft der Vision in der Johannes-Offenbarung, in: EvTh 64 (2004) 421–437; grundsätzlich auch David A. deSilva, Seeing Things John’s Way. The Rhetoric of the Book of Revelation, Louisville, Ky. 2009, bes. 193–255, der aber den „rhetorisch-argumentativen“ Duktus der Offb überintellektualisiert.

5. Die konventionelle Deutungsfigur Enter two murderers

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Flaviers sprechen: Um den mitunter vielleicht nicht grundlos eher graumäusig wirkenden Domitian apokalyptisch zu „entharmlosen“, bedurfte es der Gestalt des letzten Claudiers, der mit seiner Exzentrik und stadtrömischen Christenverfolgung das Endzeitdrama wirksamer zu beleben vermochte.

5. Die konventionelle Deutungsfigur Enter two murderers (Syzygie Nero – Domitian im Frühchristentum) Halten wir fest: Die frühjüdische und urchristliche Literatur hat Herrschaftskommunikation in vielfältiger Weise verarbeitet: Die Reaktionsformen reichen von der subtilen Ironie und dem intertextuellen Spiel in Apg 12 bis zu den monströsen Visionsverzahnungen der apokalyptischen Schriften. Die herrscherliche Repräsentation hat die jüdische wie christliche Phantasie auf diesen verschiedenen Ebenen ungemein inspiriert, sei es positiv zu Gegenbesetzungen im eigenen symbolischen Universum, sei es negativ zu Dämonisierungen. Neros Normbrüche erwiesen sich als reizvoller Anknüpfungspunkt für apokalyptische Entgrenzungsimaginationen. Der kaiserliche scaenicus gewinnt eine Bühnenkarriere im kosmischen Endzeitdrama. Relativ stabil zeigte sich bei Antiochos IV., Agrippa I. und Nero die Motivaffinität „grenzüberschreitende Selbstdarstellung – Theomachie mit Verfolgung des Gottesvolks – Retribution durch gewaltsamen Tod  – Prädikat: exzentrischer Tyrann“. Domitian als aktueller Herrscher bleibt indes farblos und will sich kaum ins symbolische Universum einfügen. Allerdings lädt er sich durch die spezifische Wahrnehmung der Johannes-Apokalypse gewissermaßen neronisch auf und verschmilzt mit Nero als dessen entschränkter Wiederverkörperung zum endzeitlichen Gegenspieler. Dies liegt aber allenfalls rudimentär in seinem eigenen repräsentativen oder repressiven Herrschaftshandeln begründet. Im Judentum bleibt er aus dem genannten Motivverbund ausgeklammert und kann sogar (wie rabbinisch dann auch Nero) zum guten Gegenbild eines Tyrannen avancieren. Um das durch das Christentum etablierte Geschichtsbild von einer dunklen Syzygie von Nero und Domitian zu erklären, bedarf es jetzt eines letzten Schrittes. Die frühchristlichen Schriftsteller grenzten sich einerseits als Angehörige der Bildungsschicht von den volkstümlichen Nero-Phantastereien, namentlich den sibyllinischen „Pamphleten“, ab (Laktanz, mort. pers. 2,7–954; vgl. auch Irenäus, 54 unde illum quidam deliri credunt esse translatum ac vivum reservatum Sibylla dicente matricidam profugum a finibus terrae esse venturum, ut, quia primus persecutus est, idem etiam novissimus persequatur et antichristi praecedat adventum, quod nefas est credere – „Daher nehmen einige Wahnwitzige an, er sei entrückt worden und lebendig aufgespart, wie die Sibylle sage: Ein Muttermeuchler werde als Flüchtling von den Enden der Erde kommen, damit er, der als Erster verfolgt hat, auch als Letzter verfolgen werde und der Ankunft des Antichrist vorangehen

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haer. 5,30,3; Augustinus, civ. 20,19,53–89).55 Andererseits eigneten sie sich die Wertungsmuster der senatorischen Historiographie an. Zu dem ersten, stadtrömischen Christenverfolger Nero passte es vorzüglich, dass er auch von der herrschenden Geschichtsschreibung als exzentrischer Tyrann verworfen wurde.56 Die Verbindung von gottverachtender Selbstübersteigerung, grausamer Verfolgung des Gottesvolks und eklem Ab‑ und Nachleben schien, wie wir sahen, ohnehin ein heilsgeschichtliches Grundmuster der gruppeneigenen Erinnerung zu sein. Der Verworfene fiel der Verwerfung anheim: Eben dies war nun für Domitian zu konstatieren. Nach seiner damnatio memoriae war es gewissermaßen prestigefördernd, von ihm verfolgt worden zu sein.57 Auf diese Weise kam es zu einer intentional erinnerten Einheit von verfolgten Stoiker-Senatoren und Christen, in der die Letzteren sozial und moralisch zu viri vere Romani aufrückten. Auf solchem Umweg avancierte Domitian zum zweiten Christenverfolger. Im zweiten Jahrhundert bzw. frühen dritten Jahrhundert wurde noch kolportiert, als portio Neronis habe er die Christenverfolgung resignierend eingestellt (Tertullian, apol. 5,458; vgl. Eusebios, h. e. 3,19 f.59); allenfalls wurde beschimpfend dargetan, seine ungezügelte Wesensart weise ihn als Subnero aus (Tertullian, pall. 4,560). Doch mit fortschreitender Erinnerungsarbeit nahm seine saevitia gegen werde – was anzunehmen frevelhaft ist“ (mort. pers. 2,8 f.). Andernorts sieht Laktanz freilich die Sibyllen auf Augenhöhe mit der Prophetie. 55 Eine Ausnahme sind die Lehrgedichte Commodians, „dessen Darstellung zwar die denkbar konfuseste ist und eine abscheuliche Mischung von Motiven bietet“ (Geffcken, Studien [s. Anm. 33], 458), aber doch ein Licht auf die spätantik-christliche Rezeption des Nero-Mythos wirft: Nero, der die apokalyptischen dreieinhalb Jahre herrschen wird, geht hier dem Antichrist voraus und steht gegen den Propheten Elija; vgl. Commodian, apol. 823–936; instr. 1,41 (De Antechristi tempore). 56  consulite commentarios vestros, illic reperietis primum Neronem in hanc sectam cum maxime Romae orientem Caesariano gladio ferocisse. tali dedicatore damnationis nostrae etiam gloriamur: qui enim scit illum, intellegere potest non nisi grande aliquod bonum a Nerone damnatum – „Überprüft doch eure eigenen Aufzeichnungen! Dort werdet ihr darauf stoßen, dass als Erster Nero gegen diese Gemeinschaft, als sie gerade damals in Rom zu blühen begann, mit kaiserlichem Schwert gewütet hat. Doch wir rühmen uns in der Tat, dass ein solcher Mensch Urheber unserer Verdammung war! Wer den nämlich kennt, vermag zu verstehen, dass etwas schon ein großes Gut sein muss, wenn es von Nero verurteilt worden ist“ (Tertullian, apol. 5,3). 57  Vgl. eingehend Timpe, Domitian (s. Anm. 35), bes. 234–242. 58  temptaverat et Domitianus, portio Neronis de crudelitate; sed, quia homo, facile coeptum repressit, restitutis etiam quos relegaverat – „Auch Domitian hatte den Versuch unternommen, an Grausamkeit ein abgebrochener Nero. Aber da er noch menschliche Züge hatte, hat er sein Vorhaben rasch eingestellt und die, die er verbannt hatte, wieder in ihre Stellungen eingesetzt.“ 59  Auf Hegesipp geht die von Eusebios mitgeteilte legendarische Überlieferung zurück, Domitian, ein zweiter Herodes (d. Ä.), habe im Rahmen einer Davididen-Verfolgung Verwandte Jesu verhört und sich persönlich von ihrer Harmlosigkeit überzeugt, sodass er angeordnet habe, die Verfolgung der Kirche einzustellen (vgl. h. e. 3,20,1–6). 60  ne caninae forte constantiae mandatum sit impuriorem Physcone et molliorem Sardanapallo Caesarem designare et quidem Subneronem – „um es nicht gar einer bissigen Kühnheit anzulasten, wenn man einen als Kaiser bezeichnet, der wollüstiger war als Physkon [Ptolemaios VIII.] und verweichlichter als Sardanapal und dazu noch ein Vize-Nero.“

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Christen zu (Laktanz, mort. pers. 3,1–361; Eusebios, h. e. 3,1762; 3,32,1; Augustinus, civ. 5,21,18–21). Was Nero auf städtischer Ebene begonnen hatte, setzte Domitian nunmehr – in der gepflegten Erinnerung – reichsweit fort. Schließlich fügte er sich ganz in das heilsgeschichtliche Schema von Verfolgerkaisern, dem Augustinus in Kontakt mit Orosius (vgl. Orosius, hist. 7, bes. 7,26 f.) und in Typologie zu den zehn ägyptischen Plagen klassischen Ausdruck gegeben hat (Augustinus, civ. 18,52,1–20).63 Neben einzelnen stadtrömischen Hinrichtungen oder Verbannungen, die sich wahrscheinlich gar nicht gegen Christen richteten oder diese allenfalls mitbetrafen, hat die Johannes-Apokalypse – jetzt nicht mehr apokalyptisch, sondern als Dokument der Domitian-Zeit gelesen – diese Fortschreibung maßgeblich beeinflusst. Vor allem aber wurde Domitian zum zweiten Christenverfolger, weil Nero der erste gewesen war und sich so ein einleuchtender moralischer Richtungssinn gewinnen ließ. Im Grunde ging der üble Ruf der Christen auf Nero und Domitian zurück, und auf diese allein, womit alles gesagt sei, behauptet in seiner an Mark Aurel gerichteten Apologie Meliton von Sardes (nach Eusebios, h. e. 4,26,964). Es gehört zum Wesen normbrüchiger Kaiser, normtreue Menschen zu verfolgen. Wer daher von Nero und Domitian verfolgt worden ist, ist notwendig normtreu: facilius utique pessimi ab optimis quibusque, ut ab aemulis, quam a suis sociis

 alter non minor tyrannus ortus est (mort. pers. 3,1): Ermordung und damnatio memoriae sind unmittelbar Folge der „Christenverfolgung“, während die Kirche unter den folgenden, gerechten Herrschern (multi ac boni principes Romani imperii clavum regimenque tenuerunt) reichsweit aufblühte (3,4 f.). 62 Der Kirchenhistoriker referiert die üblichen Vorwürfe: rechtswidrige Tötung, Verbannung und Vermögenseinzug gegenüber zahlreichen adeligen, angesehenen und anderen herausragenden Männern (εὐπατριδῶν τε καὶ ἐπισήμων ἀνδρῶν […] μυρίους τε ἄλλους ἐπιφανεῖς ἄνδρας) als Erweis großer Grausamkeit. Im gleichen Atemzug mit der Repression gegenüber stadt‑ und reichsrömischer Elite und als deren natürliche Vollendung nennt er Theomachie, in die er die Verfolgung der Christen einschließt: τελευτῶν τῆς Νέρωνος θεοεχθρίας τε καὶ θεομαχίας διάδοχον ἑαυτὸν κατεστήσατο. δεύτερος δῆτα τὸν καθ’ ἡμῶν ἀνεκίνει διωγμόν – „Er setzte sich schließlich gar zum Nachfolger von Gotteshass und Gotteskampf eines Nero ein. Als Zweiter folglich hat er eine Verfolgung gegen uns betrieben.“ Natürlich verrät diese Verfolgungslinie viel über die retrospektive soziale Selbstdefinition. 63  Zu den altkirchlichen Systematisierungen der Verfolgungen näher Timpe, Domitian (s. Anm. 35), 234–236; zum spätantiken Nero-Bild allgemein Jakob-Sonnabend, Untersuchungen (s. Anm. 30); speziell zum christlichen Nero-Bild an der Wende vom 4. zum 5. Jh., bes. bei Orosius, Jean Rougé, Néron à la fin de IVe et au début du Ve siècle, in: Latomus 37 (1978) 73–87. 64 μόνοι πάντων, ἀναπεισθέντες ὑπό τινων βασκάνων ἀνθρώπων, τὸν καθ’ ἡμᾶς ἐν διαβολῇ καταστῆσαι λόγον ἠθέλησαν Νέρων καὶ Δομετιανός, ἀφ’ ὧν καὶ τὸ τῆς συκοφαντίας ἀλόγῳ συνηθείᾳ περὶ τοὺς τοιούτους ῥυῆναι συμβέβηκεν ψεῦδος – „Von allen Kaisern haben einzig Nero und Domitian, von gewissen Verleumdern verführt, versucht, uns in üblen Ruf zu bringen; von ihnen her stammt auch das anklägerische Lügengespinst, das über derlei Leute [scil. die Christen] nach unsinniger Gewohnheit im Umlauf ist“ (vgl. Meliton von Sardes nach Eusebios, h. e. 4,26,7–11). 61

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eradicandi iudicarentur (Tertullian, apol. 5,865). Domitian, der Deutero-Nero, dient damit als schlagender Beweis für die These: tales semper nobis insecutores, iniusti, impii, turpes, quos et ipsi damnare consuestis (5,466; vgl. 5,5–8). Es bedarf der mali principes, um die Christen als boni homines auszuweisen. In der schon früh als apostolische Urzeit vergoldeten Schwellenphase des Urchristentums bot der senatorisch erinnerte Tyrann Domitian eine geeignete Projektionsfläche für die eigene heldische Herkunftsmemoria. Nicht nur Jakobus, Petrus und Paulus, sondern auch Johannes, der letzte Apostel, und mit ihm die ganze Stiftungsgeneration waren  – gut biblisch  – tyrannischen Gottesverächtern in die Hände gefallen. Die nachfolgenden, geachteten Adoptivkaiser hatten dann nicht mehr selbst verfolgt, sondern – wider besseres Wissen oder verführt (Meliton von Sardes nach Eusebios, h. e. 4,26,9)  – zugelassen, dass „unter ihnen“ verfolgt wurde.67 Das neronische Domitian-Konstrukt diente also der Selbststigmatisierung und der Heroisierung der verbindlichen Stiftungszeit, bediente so das kirchliche Legitimationsinteresse und kodierte das gruppeneigene Ordnungswissen. Am Ende löst sich Domitians dämonisches Wesen aus der Personalunion mit Nero und lädt seinerseits Tyrannen dämonisch auf. In seiner Geheimgeschichte (HA 8,12–21) kommt Prokop auch auf das Aussehen Justinians zu sprechen. Nach einigen eher antriebslosen Versuchen entschließt er sich zur Abkürzung, die ihm zugleich das ungleich schwierigere Geschäft der Beschreibung von dessen grauenhaftem Charakter (8,22–33) erleichtert: Justinian sah aus wie Domitian. Eine einzige Statue des meistgehassten Kaisers, geformt nach seinen zerfetzten Leichenteilen, habe die damnatio memoriae überdauert. Daher könne man sich überzeugen: Nach Leib, Aussehen und sämtlichen Charakterzügen erweise sich Justinian als zweiter Domitian.68

65  „Es sollten doch die schlechtesten eher von den besten Menschen – solchen, die ihnen von sich aus widerstreben – zur Beseitigung verurteilt werden als von ihren eigenen Spießgesellen!“ 66  „Es waren stets Menschen dieser Art, die uns verfolgt haben: ungerecht, gottlos, schandbar. Auch ihr selbst pflegt sie ja zu verdammen.“ 67  Vgl. Timpe, Domitian (s. Anm. 35), 239 f. Mark Aurel, unter dem regional vergleichsweise harte Verfolgungen wie die um 177 n. Chr. in Lyon stattfanden, passt nicht in das Schema der Verfolger, weil er ja ein „guter Herrscher“ war (so ausdrücklich Tertullian, apol. 5,6). 68  εἰκάσειεν ἄν τις τό τε ἄλλο  Ἰουστινιανοῦ σῶμα καὶ τὴν ὄψιν αὐτὴν καὶ τὰ τοῦ προσώπου ἅπαντα ἤθη ἐν ταύτῃ τῇ εἰκόνι διαφανῶς εἶναι (HA 8,21).

Markion und die Apostelgeschichte Ein Beitrag zum Werden des Kanons Für Udo Schnelle

In the mainstream of research it is taken for granted that Marcion rejected the Book of Acts from the biblical canon (or canonical process). In fact, there are some sources that seem to support this view (Tertullian, Ps.-Tertullian, Adamantius Dialogue, and a writing ascribed to Mārūtā of Maipherqaṭ). However, these testimonies, mostly anachronistic in character, do not withstand critical examination. It is even to be doubted if Marcion might have attributed the third gospel or Acts to “Luke” or that he has created some form of “canon” in analogy to the “Old Testament”. On the other hand, the recent thesis that the Book of Acts responds to Marcion suffers from mirror-reading and fails to do justice both to the literary text and the historical context of Acts. In early Christian theology, Acts was not “invented” but, in its “second spring”, rediscovered by Irenaeus of Lyon now to serve as the normative basis for the apostolic self-definition of the dominant church.

Das theologiegeschichtliche Geschick des Markion besteht seit Johann Salomo Semler wesentlich darin, rehabilitiert zu werden.1 Dies ist umso bemerkenswerter, als die Anklagen oft variieren und das Einzige, was vom Angeklagten greifbar scheint, seine Unschuld ist. Die jüngere Forschung zeigt sich darin einig, dass Harnacks Bild vom Frühreformator anachronistische Züge barg, nicht aber darin, was an dessen Stelle zu setzen ist. Dies gilt vor allem hinsichtlich der (für die ersten Kritiker und die heutigen Forscher, jedoch kaum bereits für Markion selbst) zentralen Frage nach seinem Bezug zum urchristlichen Schriftgut. Dabei wird der altkirchliche Vorwurf, Markion habe den „neutestamentlichen“ Quellen so willkürlich Gewalt angetan, wie er die „alttestamentlichen“ abgetan habe, aus guten Gründen aufgegeben. Stattdessen treten Gestalt und Umfang der urchristlichen Schriften, die Markion rezipierte, sowie die Hermeneutik, mit der er sie interpretierte, in den Blick. Markion gilt nicht mehr als der isolierte Sonderling, zu dem ihn die Polemik machte, noch als der geniale Außenseiter, als den Harnack ihn sah. Er steht in Diskursen, die erst dort unerhört schienen, wo kirchliche Kontinuitätsbehauptung und biblischer Kanon jenen Spielraum begrenzt hatten, den die Generation Markions noch freier ausgelotet hatte. 1  Vgl. etwa Johann Salomo Semler, Vorrede zu Thomas Townsons Abhandlungen über die vier Evangelien. Erster Theil, Leipzig 1783 (unpaginiert).

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Markion und die Apostelgeschichte

Der Versuch der Mehrheitsforschung, Markions Schriftenbezug zu rekon­ struieren, kann grob in drei Phasen geteilt werden: Zunächst übernahm man Tatsachenbehauptung und Wertung der frühesten Quellen; dann übernahm man die Tatsachenbehauptung und misstraute der Wertung; schließlich sah man die Tatsachenbehauptung als Folge der Wertung und misstraute dieser wie jener. Das Methodenproblem der jüngeren Forschung liegt deshalb darin, dass sie, da sie ohne Quellen nicht rekonstruieren kann, gegen die Quellen rekonstruieren muss. So ist die Arbeit an Markion induktiv, mühsam und undankbar geworden. Wo sie, was freilich auch zu beobachten ist, mit aufregenden Neuigkeiten aus dem 19. Jahrhundert aufwartet, ist es heilsam, sich in Erinnerung zu rufen, warum die Forschung des 19. Jahrhunderts den gleichen Neuigkeiten am Ende nicht zuzustimmen vermochte. Während Markions Verhältnis zum Lukasevangelium seit jeher im Zentrum der Rückfragen stand und aktuell zu lebhaften Debatten führt, blieb das Interesse der Markionforschung an der Apostelgeschichte marginal. Dabei hängt es durchaus auch an Markion, dass der zweite lukanische Logos überhaupt eine späte Rezeptionskarriere nahm. Die beiden ersten Sätze der traditionsreichen „Einleitung“ von Udo Schnelle erinnern daran, dass die neutestamentliche Einleitungswissenschaft von Anfang an vor das Kanonproblem als Schnittfeld von historischer Betrachtung und theologischem Urteil gestellt war.2 Dieser dem geschätzten Kollegen zugeeignete Beitrag widmet sich der Spurensuche in einem zu Unrecht entlegenen Winkel der Kanongeschichte.

1. Hat Markion die Apostelgeschichte verworfen? Konventionell vertritt die Forschung die Auffassung, Markion habe Apg, weil sie sich nicht in sein Lehrsystem fügte, verworfen.3 Ob Markion überhaupt eine ver Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen (1994) 82013, 18.  Es sei nur eine repräsentative Auswahl genannt: Theodor Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I, Nachdruck: Hildesheim (1889/89) 1975, 194 f.; Adolf von Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott. Eine Monographie zur Geschichte der Grundlegung der katholischen Kirche, TU 45, Leipzig (1921) 21924, 83.172*–174*.249*; Claus-Jürgen Thornton, Der Zeuge des Zeugen. Lukas als Historiker der Paulusreisen, WUNT 56, Tübingen 1991, 1; Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles, 2 Bde., ICC, London (1994/1998) 2006/2008, II: lxvi f.; David E. Smith, The Canonical Function of Acts. A Comparative ­Analysis, Collegeville, Minn. 2002, 77 f.; Jens Schröter, Die Apostelgeschichte und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons. Beobachtungen zur Kanonisierung der Apostelgeschichte und ihrer Bedeutung als kanonischer Schrift (2003), in: ders., Von Jesus zum Neuen Testament. Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons, WUNT 204, Tübingen 2007, 297–329: 318; François Bovon, The Reception of the Book of Acts in Late Antiquity, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 66–92: 71; Christoph Dohmen, Der eine Gott in der Zweiheit der einen christlichen Bibel, in: Gottesname(n). GS E. Zenger, hg. v. I. Müllner / ​L. Schwienhorst-Schönberger / ​ R. Scoralick, HBS 71, Freiburg i. Br. 2012, 52–66: 59; Winrich Löhr, Art. „Markion“, in: RAC 2 3

1. Hat Markion die Apostelgeschichte verworfen?

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bindliche kirchliche Schriftensammlung vorfand, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, er habe die bereits begonnene Dynamik auf einen kirchlichen Kanon hin beschleunigt,4 teilweise, er habe sie allererst ausgelöst.5 Die letztere Auffassung vertrat einflussreich Harnack. Etwas inkonsistent wirkt seine weitere Annahme, im Kanon der Markioniten sei die „Ausstoßung“ der Apg durch die antitheseis ausgeglichen worden, die bereits ihrem Charakter nach als Ersatz für Apg angelegt seien: Wie mit dieser die Kirche die Konkordanz zwischen Altem und Neuem Bund sowie den Uraposteln und Paulus begründet habe, so habe Markion mit jenen gerade deren Diskordanz belegt.6 Für die Auffassung, Markion (bzw. die markionitische Schule) habe Apg  – allgemein formuliert  – „verworfen“, kann das Zeugnis einiger früher Quellen angeführt werden. (1) Tertullian wirft in seinem polemischen Traktat De praescriptione haereticorum den haeretici willkürlichen Umgang mit den Schriften vor: Sie nehmen einige Schriften nicht an, verändern die, die sie annehmen, durch Zusätze wie Auslassungen und deuten die, die sie nicht verändern, gewaltsam um (vgl. prae­ scr. 17,1). Nicht aber die Schriftauslegung als solche kann den Streit zwischen rechtem und falschem Glauben entscheiden, sondern nur der rechtmäßige Anspruch auf die Schriften selbst, welcher auf der – in Apg bezeugten – apostolischen Herkunft beruht (vgl. bes. 20,7; 37,1). Die Rechtsfigur der praescriptio greift insofern, als die Voraussetzung für eine rechtsgültige Auseinandersetzung fehlt: Ohne apostolische Herkunft und Integrität des Glaubens sind die Gegner erst gar nicht zum Prozess der Schriftauslegung zuzulassen (vgl. praescr. 15; 21; 37; 44,13). In praescr. 22 f. wendet sich Tertullian dagegen, dass die Gegner esoterisches Sonderwissen für sich reklamieren. Die Geistverheißung Jesu sei durch das Pfingstereignis eingelöst worden, welches in Apg belegt sei (22,10: probantibus actis apostolorum). Jenen, die diese Schrift nicht annehmen, hält Tertullian entXXIV (2012) 147–173: 150. Henry J. Cadbury, The Book of Acts in History, New York 1955, 145, 156 führt diese Ansicht, die er allerdings ablehnt, auf eine einflussreiche Apologie aus frühgeorgianischer Zeit zurück: Richard Biscoe, The History of the Acts of the Holy Apostles Confirmed from Other Authors; and Considered as Full Evidence, Oxford (1742) 1840, 321 f., 342 f., 348; das Werk wurde auch ins Deutsche übersetzt: Erläuterung der Apostelgeschichte aus den Weltgeschichten und Alterthümern; als ein Erweis von der Wahrheit der christlichen Religion. Aus dem Englischen übers. v. Friedrich Eberhard Rambach, Magdeburg (1751) 21756. 4  So etwa Werner G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg (121963) 211983, 430 f.; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 2), 436; Dohmen, Gott (s. Anm. 3), 56–58. 5  So etwa von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), bes. 173*f.; Hans von Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel, BHTh 39, Tübingen 1968, bes. 174–180: 192 f.; Gerhard May, In welchem Sinn kann Markion als der Begründer des neutestamentlichen Kanons angesehen werden? (2000), in: ders., Markion. Gesammelte Aufsätze, hg. v. K. Greschat / ​M. Meiser, VIEG.B 68, Mainz 2005, 85–91: 87–89. 6  von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 174*f.; vgl. ebd. 257*. An eine theologische oder hermeneutische Einführung in das „Neue Testament“ Markions denkt Barrett, Acts (s. Anm. 3), I: 47; II: lxvii–lxx.

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gegen, dass sie des – literarischen bzw. theologisch verbindlichen – Zugangs zur Geistsendung entbehrten, sodass sie sich nicht auf den Heiligen Geist berufen könnten. Ebenso wenig dürften sie sich als Kirche verstehen, da sie deren Ursprungskunde verfehlten, die doch in Apg belegt sei.7 Freilich mache es den Gegnern nichts aus, keine Belege für ihre Aufstellungen zu besitzen, solange nur die Widerlegungen solcher Falschbehauptungen nicht zur Geltung gelangten.8 Schließlich spricht Tertullian jenen, die Apg verwerfen (acta apostolorum repudiantibus), überhaupt das Recht ab, sich auf den Apostel Paulus zu stützen, da ihnen die Beurkundung von dessen Wesen, Herkunft und Amt fehle und sie so auf sein Selbstzeugnis zurückgeworfen seien (vgl. 23,3): Sed credant sine scripturis ut credant aduersus scripturas (23,5). So gilt Apg Tertullian als legitimierende und normative scriptura. Welche Gegner es sind, die Apg verwerfen, geht aus dem unmittelbaren Kontext nicht hervor. Die Berufung auf Sonderoffenbarungen passt kaum zu den Markioniten. Tertullian neigt jedoch, wenn er die Gegenseite beschreibt, nicht zu subtilen Unterscheidungen. So ist es aussichtslos, anhand der polemischen Texte zwischen den Markioniten und ihrem Eponymos unterscheiden zu wollen: Die Ursprungslehren und ihre spätere Entwicklung fließen zusammen, sind doch die Schüler nicht weniger findig als ihre Meister (vgl. praescr. 42,8). Im Gesamtkontext des Traktats stehen neben den Valentinianern eindeutig Markion bzw. die Markioniten im Zentrum (vgl. 30,12). Die Markioniten verfälschen den Text, die Valentinianer den Sinn (38,6–10). Während diese die Schrift listig im Umfang unversehrt halten, aber ihrer eigenen Deutung unterwerfen, greifen jene zu einer einschneidenden Methode: Marcion enim exerte et palam machaera, non stilo usus est, quoniam ad materiam suam caedem scripturarum confecit (38,9). Diesem Messermord ist offenkundig auch Apg zum Opfer gefallen. (2) Im fünften Buch Adversus Marcionem betont Tertullian die Übereinstimmung zwischen der Darstellung des Paulus im Galaterbrief (vgl. Gal 1,11– 24) und der in Apg. Weil Apg den rechtgläubigen Schöpfer‑ und Christusglauben verkündige sowie als einzige Schrift die Geistverheißung belege, werde unübersehbar, warum „ihr“ sie „ausspeit“ (adv. Marc. 5,2,7: Quodsi et ex hoc congruunt Paulo Apostolorum Acta, cur ea respuatis iam apparet). Der Plural bezieht sich eher auf die Markioniten als auf ihren Gründer.9 Gleichwohl bezieht der Vorwurf Markion ein, denn dass die Schüler Apg aus dem Konvolut des Markion entfernt hätten, will Tertullian gewiss nicht behaupten. Letztlich erschöpft sich die An7  Quam scripturam qui non recipiunt nec spiritus sancti esse possunt, qui necdum spiritum sanctum possunt agnoscere discentibus missum. Sed nec ecclesiam se defendere qui, quando et quibus incunabulis institutum est hoc corpus, probare non habent (praescr. 22,11). 8  Tanti est enim illis non habere probationes eorum quae defendunt ne pariter admittantur traductiones eorum quae mentiuntur (praescr. 22,12). 9  Vgl. Judith M. Lieu, Marcion and the Making of a Heretic. God and Scripture in the Second Century, New York 2015, 430 Anm. 89.

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klage darin, dass die Häretiker zu anderen verbindlichen Schriften greifen als die Rechtgläubigen: Da dies verwerflich ist, muss die Verwerflichkeit auf ihren Stammvater zurückgehen. (3) In dem häresiologischen Libellus Adversus omnes haereses schildert Ps.-Tertullian eine Sukzession von Irrlehrern, die mit Kerdon anhebt,10 dessen Schüler Markion erfasst und sodann auf dessen beide Schüler Lukan und Apelles übergeht (adv. omn. haer. 6). Über Kerdon weiß er zu berichten: Solum euangelium Lucae nec tamen totum recipit. Apostoli Pauli neque omnes neque totas epistolas sumit. Acta Apostolorum et Apocalypsim quasi falsa reicit (6,1). Da der Häresiologe die völlige Übereinstimmung zwischen Kerdon und Markion betont,11 dürfte diese Feststellung auch für Markion gelten.12 (4) In dem mit dem Namen des Gesprächspartners Adamantios verbundenen Dialog De recta in Deum fide (um 300 n. Chr.) stoßen die Kontrahenten auf die Frage, wie Paulus, von seinem Selbstzeugnis abgesehen, als Apostel identifiziert werden könne (2,12GCS [828c–829b]).13 Der markionitische Gesprächspartner Markos argumentiert damit, dass Paulus in den Evangelien nicht erwähnt sei, die Gegenseite hier also in keine geringere Verlegenheit gerate als die Markioniten selbst. Adamantios beruft sich daraufhin auf die Nennungen des Paulus in Apg und 2Petr. Als Eutropios, der heidnische Schiedsrichter, Markos nunmehr fragt, ob die Markioniten Apg und nicht-paulinische Briefe annähmen (Δέχεσθε, Μᾶρκε, τὰς τῶν ἀποστόλων πράξεις καὶ μαθητῶν λεγομένων ὡς ἀληθῆ ἢ οὐ;), muss dieser sich auf εὐαγγέλιον und ἀπόστολος zurückziehen (Ἡμεῖς πλέον τοῦ εὐαγγελίου καὶ τοῦ ἀποστόλου οὐ δεχόμεθα). Eutropios erkundigt sich danach, woher Acta und Epistulae denn stammten, und so hat Adamantios leichtes Spiel: Die zwölf Apostel und die 72 Jünger sind im (lukanischen) Evangelium verankert. (5) Die dem Bischof Mārūtā von Maiperqaṭ (um 400 n. Chr.) zugeschriebene Schrift De Sancta Synodo Nicaena14 berichtet (I, p. 23; II, pp. 18 f.), dass die mesopotamischen Markioniten, die als dritte Häresie geschildert werden, Apg 10  Das Verhältnis, das Markion und der Gnostiker Kerdon zu Rom pflegten, ist kaum noch zu erhellen; vgl. Gerhard May, Markion und der Gnostiker Kerdon (1984), in: ders., Markion. Gesammelte Aufsätze, hg. v. K. Greschat / ​M. Meiser, VIEG.B 68, Mainz 2005, 63–73. 11 haeresim Cerdonis approbare conatus est [et] eadem dicere, quae ille superior hae­re­ticus ante dixerat (adv. omn. haer. 6,2). 12 Vgl. von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 172*f. 13 Textausgabe: GCS 4, ed. W. H. van de Sande Bakhuyzen (1901); kommentierte Übersetzung: Adamantius. Dialogue on the True Faith in God. De Recta in Deum Fide, übers. u. komm. v. Robert A. Pretty / ​Garry W. Trompf, Gnostica 1, Löwen 1997; zur Kommentierung von dial. de recta in Deum fide 2,12 vgl. auch Kenji Tsutsui, Die Auseinandersetzung mit den Markioniten im Adamantios-Dialog. Ein Kommentar zu den Büchern I–II, PTS 55, Berlin 2004, 238–241. 14 Textausgabe: The Canons Ascribed to Mārūtā of Maipherqaṭ and Related Sources, 2 Bde., hg. v. A. Vööbus, CSCO 439/440, Löwen 1982, I: pp. 22–27; II: pp. 17–24.

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gegen ein anderes, ihnen lehrkonformes Buch ausgetauscht hätten. Es werde Sākā („Summa“) genannt; Harnack denkt hier an die antitheseis.15 Diese Berichte ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin und erscheinen prima facie plausibel: Da wir Apg in Markions Konvolut neben Lk und den zehn Paulusbriefen nicht finden, liegt es nahe, dass er sie abgelehnt bzw. ausgeschieden hat. Die Plausibilität wird durch den Eindruck verstärkt, dass das biblische Gottesbild und heilsgeschichtliche Selbstverständnis der Apg zu der Theologie Markions, wie immer man sie rekonstruiert, schlechterdings nicht passen. Gleichwohl sprechen gegen die These, Markion habe Apg verworfen, ernste Bedenken: (1) Die angeführten Belege sind angesichts der Fülle des Materials eher knapp. Vor allem gehören sie in den Zeitraum von etwa 200 bis 400 n. Chr., in dem Apg der werdenden Großkirche zur Argumentation gegen die markionitische Konkurrenz dient. Beim frühesten Zeugen, Justin, findet sich kein solcher Vorwurf (vgl. 1apol. 26,5; 58; ferner dial. 35,5 f.). Vielmehr hat er seinerseits Apg nicht genutzt, möglicherweise nicht gekannt.16 Auch Irenäus, der sich energisch auf Apg beruft, wirft Markion keineswegs vor, diese zu verwerfen, sondern bringt ihr Zeugnis gegen ihn zur Geltung (vgl. bes. haer. 3,14,1 f.). (2) Die Einheit des sog. lukanischen Doppelwerks wird in der aktuellen Exegese in mannigfacher Hinsicht – auktorial, generisch, literarisch, narrativ, konzeptionell, kanonisch und medial – kontrovers diskutiert. Die Einheitssignale, die Lk / ​Apg nach üblicher Auslegung aussenden, können durch semantische, stil‑ und redaktionskritische Erwägungen ebenso in Zweifel gezogen werden wie durch literarkritische Dekompositionen. Solche Dekompositionen überschneiden sich teilweise mit einer grundsätzlicheren Position, wie sie bereits im 19. Jahrhundert vertreten wurde und auch aktuell vertreten wird: Die Textgestalt, in der das Opus Lucanum auf Markion überkommen sei, habe jene Partien gar nicht enthalten, die die deutlichsten Einheitssignale setzen (bes. Lk 1,1–4; 1,5–2,52; Apg 1,1 f.). Möglicherweise lagen solche Passagen Markion in dem von ihm benutzten Corpus nicht vor oder sind allererst in der Reaktion auf Markion hinzugewachsen.17 Nicht zuletzt ist es zweifelhaft geworden, ob 15  Vgl. von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 174*f., 363*f.; skeptisch Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 270 f., 432 u. ö. 16  Vgl. Barrett, Acts I (s. Anm. 3), 41–44; Andrew Gregory, The Reception of Luke and Acts in the Period before Irenaeus. Looking for Luke in the Second Century, WUNT II / ​169, Tübingen 2003, 317–321; ders., Irenaeus and the Reception of Acts in the Second Century, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 47–65: 56–58. 17 Die Diskussion ist sachlich verzweigt und methodisch komplex. Grundlegende synoptische, chronologische und rekonstruktive Neuentwürfe erschienen jüngst in rascher Folge: Sebastian Moll, The Arch-Heretic Marcion, WUNT 250, Tübingen 2010; Jason D. BeDuhn, The First New Testament. Marcion’s Scriptural Canon, Salem, Oreg. 2013; Markus Vinzent, Marcion and the Dating of the Synoptic Gospels, StPatr Suppl. 2, Löwen 2014; Matthias Klinghardt, Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien, 2 Bde., TANZ 60, Tübingen 2015; Lieu, Marcion (s. Anm. 9) (2015); Dieter T. Roth, The Text of

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Lk und Apg überhaupt als Einheit publiziert oder rezipiert worden sind.18 Von Apg 1,1 f. abgesehen ist der zweite lukanische Logos ohne den ersten lesbar und weist nirgends auf ihn zurück.19 Der frühe handschriftliche Befund kennt das „Doppelwerk“ nicht, sondern fasst Apg meist mit den Katholischen Briefen zum Praxapostolos zusammen, ordnet sie zwischen Evangelien und Corpus Paulinum ein oder setzt sie an entferntere Stellen, nicht aber in Einheit mit Lk.20 Selbst jene Kirchenschriftsteller, die  – immerhin meist deutlich später  – gegen Markion polemisieren, scheinen Lk / ​Apg kaum als Lektüreeinheit wahrgenommen zu haben. Wenn daher Markion Apg gar nicht mit Lk in Verbindung brachte, hat er Apg auch nicht gezielt aus der Einheit eines Doppelwerks entfernt, sondern allenfalls als unbrauchbar ignoriert. (3) Möglicherweise hat Markion Apg „nicht einmal ignoriert“, sondern gar nicht kennen können. In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts wird Apg überraschend wenig genutzt.21 Nur die Epistula Apostolorum,22 möglicherweise auch der (nicht sicher datierbare) kanonische Markusschluss, lassen literarische Abhängigkeit erkennen. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts oder wenig später können die Grundschrift der pseudoklementinischen Recognitiones, die Paulus-, Johannes‑ und Petrusakten und die Epistula Petri ad Philippum (NHC VIII,2) in Beziehungen zur Apg oder ihrer Tradition stehen, aber unmittelbare Dependenz lässt sich allenfalls im letzten Fall, also kaum vor der Zeit des Irenäus, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit behaupten. Lediglich die Epistulae de martyribus Lugdunensibus et Viennensibus (zitiert bei Eusebios, h. e. 5,1,3–63 und in 5,2–4) setzen, vermutlich um 177 n. Chr., Apg deutlich voraus. Sie gehören bereits in jenes kirchliche Milieu, in dem Irenäus beheimatet ist, und stehen in Beziehungen zur Asia, in der auch die Epistula Apostolorum Marcion’s Gospel, NTTSD 49, Leiden 2015. Die beiden letzteren Studien bieten mit ihrem induktiven Ansatz eine tragfähige Basis für vorsichtig tastende – und daher wohltuend unaufgeregte – Rückschlüsse. 18  Zur Diskussion Mikeal C. Parsons / ​R ichard I. Pervo, Rethinking the Unity of Luke and Acts, Minneapolis, Minn. (1993) 2007; Rethinking the Unity and Reception of Luke and Acts, hg. v. A. F. Gregory / ​C. K. Rowe, Columbia, S. C. 2010. 19  Vgl. Charles K. Barrett, The Third Gospel as a Preface to Acts? Some Reflections, in: The Four Gospels 1992. FS. F. Neirynck II, hg. v. F. Van Segbroeck u. a., BETL 100/2, Löwen 1992, 1451–1466: 1461 f.; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 322 f. 20 Vgl. näher Barrett, Acts I (s. Anm. 3), 32–34; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 309–324, 328 f. 21  Zur altkirchlichen Rezeption der Apg Barrett, Acts I (s. Anm. 3), 30–48; Smith, Function (s. Anm. 3), 41–89; Gregory, Reception (s. Anm. 16), 299–354; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 300–309; Bovon, Reception (s. Anm. 3); Gregory, Irenaeus (s. Anm. 16); David E. Smith, Acts and the Structure of the Christian Bible, in: Contemporary Studies in Acts, hg. v. T. E. Phillips, Macon, Ga. 2009, 93–102; zum kanonischen Markusschluss auch James A. Kelhoffer, Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark, WUNT II / ​112, Tübingen 2000, 169–175. 22  Zur Situierung Charles E. Hill, The Epistula Apostolorum: An Asian Tract from the Time of Polycarp, in: JECS 7 (1999) 1–53.

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verortet werden kann. Daraus folgt: Apg war nach dem überkommenen Textbefund im zweiten Jahrhundert wahrscheinlich nur örtlich begrenzt zugänglich und auf breiterer Ebene kaum bekannt. Erst seit der Zeit des Irenäus wurde sie entschlossen rezipiert, wobei Irenäus selbst die theologische Wertschätzung wesentlich gefördert haben dürfte. Seit dem frühen dritten Jahrhundert spiegeln der Handschriftenbefund, die ausdrückliche Zitierung und die Verfasserlegende eine rapide Verbreitung der Apg wider, die letztlich mit deren kanonischem Status kirchlich verstetigt wurde. Erst jetzt erstand Apg aus dem Winkeldasein. Diese späte Wertschätzung verdankt die Schrift in gewisser Weise Markion und anderen konkurrierenden Strömungen, die eine „apostolische“ Antwort der werdenden Großkirche herausforderten, sodass diese den lange übersehenen Nutzen dieser Schrift für sich entdeckte. Als diese Herausforderung bewältigt war, trat Apg  – jetzt freilich auf kanonischer Ebene  – abermals in den Hintergrund.23 Johannes Chrysostomos kann, rhetorisch zugespitzt, öffentlich beklagen, dass viele nicht wüssten, dass es eine Apostelgeschichte überhaupt gebe und woher sie stamme (hom. in Act 1,1 [PG 60,13]; vgl. Augustinus, in Io 6,18).24 Wenn also Apg ihr Bekanntwerden dem Markionitismus verdankte, so weckt dies Zweifel, ob Markion selbst sie bereits gekannt hat. (4) Selbst unter der Voraussetzung, dass Markion Apg gekannt hat, besaß sie für ihn keinerlei normativen Rang. Bereits die freie handschriftliche Überlieferung lässt auf einen noch geringen Verbindlichkeitsstatus schließen. Wo Apg früh zitiert wird, sind die genannten Akteure (Petrus, Paulus, Stephanus) maßgeblich, nicht der theologische Anspruch der benutzten Quelle. Auch Irenäus behandelt Lk und Apg nicht auf einer Stufe. Die literarische Gattung und die geschichtstheologische Eigenart der Apg blieben den Christen des zweiten Jahrhunderts im Ganzen fremd. Einen stabilen liturgischen Lesezusammenhang dürfte es, soweit wir sehen, kaum gegeben haben. So wenige Gründe sich fanden, Apg nach historiographischer Manier fortzuschreiben, so wenige Gründe fanden sich wohl auch, sie zu lesen oder ihr verbindliche Zitierqualität zuzusprechen. Nachdem die urkirchliche Schwellenphase überschritten war, war das Deutungsanliegen des Lukas – die Herkunft des werdenden Christentums aus Israel – nicht mehr gefragt. Erst als es um die Herkunft der gewordenen Kirche aus apostolischer Urzeit ging, wuchs das geschichtstheologische Interesse. Jenen Verbindlichkeitsstatus, der eine Verwerfung überhaupt nötig gemacht hätte, besaß Apg zwar seit der Zeit des Irenäus, nicht aber zu der des Markion. Daher ist die These, Markion hätte Apg „verworfen“, in jedem Fall anachronistisch. (5) Dass Apg nicht genannt, zitiert oder erkennbar vorausgesetzt wird, ist von Papias bis Justin Regel, nicht Ausnahme. Ursprungsgeschichte um ihrer selbst 23  Vgl. Richard I. Pervo, Dating Acts. Between the Evangelists and the Apologists, Santa Rosa, Calif. 2006, 332. 24  Vgl. Christopher Mount, Pauline Christianity. Luke-­Acts and the Legacy of Paul, NT.S 104, Leiden 2002, 49.

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willen war kein Thema, das Christen des zweiten Jahrhunderts anzog. Wenn Markion also Apg nicht nutzt, ist dies ein unauffälliger Befund. Daher sind die Vorwürfe der frühen Kirchenschriftsteller, Markion habe Apg wegen deren Unvereinbarkeit mit seinen Anschauungen zurückgewiesen, ihrer auch sonst herrschenden Argumentationsweise zuzuordnen. Sie begeben sich keineswegs in das Koordinatensystem des Kritisierten selbst, sondern kritisieren ihn auf der Basis ihrer eigenen Prämissen, wobei der Umstand, dass er diese Prämissen nicht geteilt hat (bzw. noch gar nicht teilen konnte), seinerseits zum Anlass von Fundamentalkritik wird: Wenn Markion Apg nicht berücksichtigt, steht er mit ihr jenseits der geistgelenkten apostolischen Überlieferung, und somit wird diese „Verwerfung“ zum proton pseudos des Häretikers. Ob nun ihn selbst, seinen Lehrer Kerdon oder seine Schüler der Vorwurf trifft, ist letztlich gleichgültig, denn sie allesamt stehen als Häretiker außerhalb der durch Apg markierten Kontinuität und Legitimität. Wenden wir uns noch einer weiteren These aus diesem Zusammenhang zu, die schwerlich haltbar ist. Oft wird angenommen, dass Markion Lk oder, sofern er sie kannte, Apg auf einen Verfasser namens Lukas zurückgeführt hat, der ihm dann wohl der Paulusmitarbeiter aus Kol 4,14; Phlm 24 war.25 Harnack vermutete, Markion habe den ihm überkommenen Namen des Lukas bewusst unterdrückt und in Kol 4,14 getilgt, weil Lukas, der judaistische Verfasser der Apg, ihm nur als Verfälscher des reinen Christus-Evangeliums in Betracht gekommen sei.26 Christoph Dohmen meint, Markion habe Apg verworfen, „weil ihre geschichtstheologische Konzeption seiner Theologie entgegenstand“, und den Namen des Evangelisten getilgt, um nicht die Frage nach der „lukanischen Fortsetzung“ in der Apg zu provozieren.27 Es ist jedoch alles andere als gesichert, dass Markion die altkirchliche Lukas-Tradition teilte oder überhaupt kannte. Er sah sein εὐαγγέλιον wahrscheinlich als die literarische Wiederherstellung des Evangeliums, auf das Paulus sich, vor allem im Galaterbrief (vgl. Gal 1,6–9), berief (vgl. Eusebios, h. e. 3,4,7; Hieronymus, vir. ill. 7). Dass Markion keinen Autor angab, sagt Tertullian ausdrücklich (vgl. adv. Marc. 4,2,3; 4,3,5), aber auffällig wird dies erst unter Voraussetzung des kirchlich etablierten Evangelien-Konvoluts.28 Auch Epiphanios belegt, dass die Schrift nur den Titel εὐαγγέλιον trug (haer. 42,10,2); nach der Adamantios-Schrift haben die Markioniten das Evangelium auf Christus oder Paulus zurückgeführt (dial. de recta in Deum fide 1,8 [808d–e]; vgl. Ps.-Tertullian, carmen adv. Marc. 2,28 f.). Wenn Markion also weder ein spezielles Bild von Lukas noch von dessen zweitem Werk besaß, fallen zwei wichtige Stützen für die Annahme, dass das dritte Evangelium für Markion 25  Dies setzt voraus, dass Lk / ​Apg bereits früh mit dem Namen des Lukas verbunden waren, so etwa Thornton, Zeuge (s. Anm. 3), 55–81; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 312 f. 26  von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 249*f. 27  Dohmen, Gott (s. Anm. 3), 59. 28  Vgl. Gregory, Reception (s. Anm. 16), 209 f.; Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 212 f.

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aufgrund seines „heidenchristlichen“ Charakters29 oder als Werk eines Paulusbegleiters30 anziehend war.31 Schließlich ist die verbreitete These zu bezweifeln, dass Markions Apostolikon mit dem Evangelium – samt, folgen wir Harnack, den antitheseis – eine Art neutestamentlichen Protokanons im Kontrast zum „Alten Testament“ gebildet hätten. Auch diese Denkfigur ist anachronistisch und setzt die spätere Entwicklung voraus.32 Markion selbst hat, soweit wir sehen, versucht, seinem Gottes-, Christus‑ und Menschenbild eine literarische Referenzbasis zu geben, und dabei jenen Jesus-Bios genutzt, der ihm lebensgeschichtlich nahelag. Fazit: Insgesamt lässt es sich nicht wahrscheinlich machen, dass Markion sich zu Apg verhalten hat. Sie war ihm entweder unbekannt oder irrelevant. Die altkirchliche Behauptung, Markion habe Apg gezielt verworfen, ist nicht belastbar.

2. Reagiert die Apostelgeschichte auf Markion? In Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungstrend, Markion als Generalschlüssel der Einleitungswissenschaft zu nutzen, hat Judith Lieu den Typus jenes Forschers benannt „who, once having seen a particular ghost in the shadows suddenly, with almost paranoid insistence, finds it lurking everywhere“33. So gesehen überrascht es nicht, dass dort, wo man die chronologische Sequenz umkehrt und Lukas als Redaktor des εὐαγγέλιον des Markion sieht, auch Apg als eine Reaktion auf Markion interpretierbar wird. Bereits im 19. Jahrhundert hatte vor allem Ferdinand Christian Baur die These vertreten, der Verfasser der Apg, den er vom ursprünglichen Lukasevangelisten unterschied, habe das Doppelwerk als Nebenentwurf zum markionitischen Projekt entwickelt.34 Von 29 Vgl. von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 41 f.; von Campenhausen, Entstehung (s. Anm. 5), 187; dazu kritisch Gregory, Reception (s. Anm. 16), 199 f. 30  Edwin C. Blackman, Marcion and His Influence, London 1948, 43; Thornton, Zeuge (s. Anm. 3), 61; dazu kritisch von Campenhausen, Entstehung (s. Anm. 5), 187; Gregory, Reception (s. Anm. 16), 203 f. 31  Die Diskussion darüber, warum sich Markion für Lk „entschied“, setzt die Nötigung zur Auswahl aus einer kirchlichen Evangeliensammlung voraus. Wahrscheinlich hat Markion sich an jenes Evangelium gehalten, das ihm biographisch, etwa durch Heimat oder Lehrer, zugewachsen war; vgl. von Harnack, Marcion (s. Anm. 3), 42; von Campenhausen, Entstehung (s. Anm. 5), 187 f.; Gregory, Reception (s. Anm. 16), 197–201; Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 430. 32 Vgl. Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 183–187, 431. 33 The Enduring Legacy of Pan-Marcionitism, in: JEH 64 (2013) 557–561: 561. 34 Das Markusevangelium nach seinem Ursprung und Charakter. Nebst einem Anhang über das Evangelium Marcion’s, Tübingen 1851, 191–226, bes. 223–226. Im Ganzen betrachtet führte die differenzierte Forschungsdebatte im 19. Jh. eher zur Skepsis gegen die heute aufgefrischten Thesen der Markion-Priorität. Einen soliden Überblick über die Diskussion im 19. Jh. bietet Dieter T. Roth, Marcion’s Gospel and Luke: The History of Research in Current Debate, in: JBL 127 (2008) 513–527.

2. Reagiert die Apostelgeschichte auf Markion?

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hier aus war es zur These einer antimarkionitischen Ausrichtung der Apg ein kleiner Schritt. Ihr Pionier war 1942 John Knox. Die Klage, er sei nicht diskutiert worden,35 erscheint unberechtigt: Er wurde vielfach diskutiert, aber weithin nicht akzeptiert.36 2006 haben Joseph B. Tyson und Matthias Klinghardt den Ansatz aufgegriffen und ausgebaut. Für John Knox taucht Apg rettend nahezu aus dem Nichts auf, als man sie, durch Markion herausgefordert, am dringendsten braucht. Sie gehört zu einem „Doppelwerk“, dessen andere Hälfte jenes „Evangelium“ bildet, das dem markionitischen entspricht, aber erweitert ist, etwa um die Vorgeschichte, die die Kontinuität mit Israel herausstellt. Die Gestalt dieses lukanischen Doppelwerks selbst reagiert auf das Konvolut des Markion: Apg dient der Domestikation des Paulus, also einerseits seiner Idealisierung, andererseits seiner Integration in den apostolischen Hauptstrom. Durch die Verbindung mit Lk, die Knox einem Schlussredaktor in der Mitte des zweiten Jahrhunderts zuschreibt, bietet das Doppelwerk eine apologetische Alternative zum „Kanon“ des Markion und einen Vorläufer zum integrativen Kanon der Großkirche.37 Die Warnung seines Lehrers – „the evidence is too meager either to disprove or to prove“38 – hintanstellend, hat sich Joseph B. Tyson um die Amplifikation dieses Ansatzes bemüht. Für ihn hat der Schlussredaktor des kanonischen Lk, der auch Apg verfasst hat, um 120/125 n. Chr. direkt gegen Markion geschrieben, indem er sich „almost point by point“39 mit Markion (wie er Tyson vor Augen steht) auseinandersetzt. So erklären sich die Themen der Eintracht und Ordnung der Gemeinde, die Loyalität gegenüber jüdischer Tradition, die Charakterisierung der Handlungsträger, namentlich des vorbildlichen Juden Paulus, die Petrus-Paulus-Parallele und dergleichen mehr. Die Erweiterung der Markion-Vorlage, namentlich um die Rahmenstücke (Lk 1 f.; 24), dient dem gleichen kontroverstheologischen Zweck. Matthias Klinghardt hält das Doppelwerk aus Lk und Apg für eine antimarkionitische Fiktion, die durch redaktionelle Verknüpfung zweier voneinander

35  Matthias Klinghardt, Markion vs. Lukas: Plädoyer für die Wiederaufnahme eines alten Falles, in: NTS 52 (2006) 484–513: 491. 36 Unter den Rezensenten findet sich, besonders luzide, Henry J. Cadbury, in: JBL 62 (1943) 123–127; Stellung nahmen etwa Blackman, Marcion (s. Anm. 30), 38–41; Leland E. ­Wilshire, Was Canonical Luke Written in the Second Century? – A Continuing Discussion, in: NTS 20 (1974) 246–253; Barrett, Acts II (s. Anm. 3), lxvi; im deutschsprachigen Raum Kümmel, Einleitung (s. Anm. 4), 430 f. Affirmative Rezeption belegen die dem „questioning mind of John Knox“ in der Actaforschung gewidmeten Beiträge von Joseph B. Tyson, John T. Townsend und Vernon K. Robbins, nebst einer Erwiderung von John Knox selbst, in: Cadbury, Knox, and Talbert. American Contributions to the Study of Acts, hg. v. M. C.  Parsons  / ​ J. B.  Tyson, SBLCP, Atlanta, Ga. 1992 53–130. Zu den zustimmenden Stellungnahmen gehören R. Joseph Hoffmann, Marcion: On the Restitution of Christianity. An Essay on the Development of Radical Paulinist Theology in the Second Century, AARAS 46, Chico, Calif. 1984, 113–134; John T. Townsend, The Date of Luke-­Acts, in: Luke-­Acts. New Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, hg. v. C. H. Talbert, New York 1984, 47–62, bes. 48 f., 58. 37 Marcion and the New Testament. An Essay in the Early History of the Canon, Chicago, Ill. 1942, bes. 114–139, 162–165. 38  Knox, Marcion (s. Anm. 37), 166. 39 Joseph B. Tyson, Marcion and Luke-­ Acts. A Defining Struggle, Columbia, S. C. 2006, 76; vgl. ebd. 50–120.

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Markion und die Apostelgeschichte

unabhängiger Werke, vor allem durch Ergänzung von Proömien und Kindheitserzählung sowie die programmatische Hervorhebung von Lk 4,16–30, zustande gekommen sei.40

Es ist nicht zu bestreiten, dass Apg altkirchlich zur Auseinandersetzung mit markionitischen (und anderen) Strömungen im Frühchristentum herangezogen wurde. Gegen die Annahme, dass Apg selbst bereits ursprünglich solche polemischen Ziele verfolgt habe, sprechen folgende Einwände: (1) Dem Doppelwerk als solchem, also der für Knox, Tyson und Klinghardt entscheidenden Verbindung von Lk und Apg, kommt in der frühkirchlichen Argumentation von Justin über Irenäus bis Tertullian keine Bedeutung zu. Lediglich die Herkunft vom gleichen Verfasser wird argumentativ eingesetzt. Ebenso wenig dokumentiert der handschriftliche Befund, dass Lk und Apg als Einheit rezipiert wurden. So hätten die Zeitgenossen ungeachtet ihres dringenden Applikationsinteresses jenen apologetischen Zweck der Verbindung übersehen, der dann erst dem 19. Jahrhundert aufgehen sollte. (2) Das mirror-reading der Apg bei Tyson ist weder falsifizier‑ noch verifizier‑ und somit nicht diskutierbar; es erklärt schlechterdings keinen problematischen Befund. Klinghardts Lektüre von Lk 1,1–4 unter Annahme einer antimarkionitischen Tendenz ist nachgerade Paradefall eines projektiven Textzugangs: Aus weithin topischen Gemeinplätzen wird subtile Polemik.41 Wie soll man sich eine antimarkionitische Tendenzschrift erklären, die auch in ihren redaktionellen Teilen keine Spur von Auseinandersetzung mit Markions dualistischem Gottes-, Christus‑ oder Weltbild, seiner Ablehnung der biblischen Schriften Israels oder seinem aszetischen Ethos verrät? Wenn die Miletrede (bes. Apg 20,29 f.) alles ist, was der kanonische Lukas unmittelbar zur Kontroverse beizusteuern hat, hat er das Phänomen Markion deutlich verfehlt. (3) Tatsächlich verlief die Dynamik umgekehrt: Weil die frühkirchlichen Theologen durchaus daran interessiert waren, die Häresien bereits in den neutestamentlichen Schriften entlarvt zu sehen, wird Simon Magus (Apg 8,9–24) ihrer aller Stammvater – und so auch eine Art reprojizierter Markion. Der lukanische Simon Magus wäre über die ketzerische Karriere, die er seit Justin nimmt, durchaus überrascht (vgl. Irenäus, haer. 1,23,1–4; 3 pr.). Er dient als Statthalter der Häretiker, weil selbst den frühen Kirchenschriftstellern jenes Maß an Phantasie fehlte, dessen sie bedurften, um brauchbare Antimarkionismen unmittelbar im Erzählgefüge der Apg zu entdecken. So wird Apg bei Irenäus nicht nur zur

40 Klinghardt, Markion (s. Anm. 35), 496–513; vgl. ders., Evangelium I (s. Anm. 17), 142–162. Zu einer Gesamtkritik des Ansatzes Christopher M. Hays, Marcion vs. Luke: A Response to the Plädoyer of Matthias Klinghardt, in: ZNW 99 (2008) 213–232. 41  Auch Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 430 f. neigt zu Skepsis gegenüber jener beträchtlichen „eisegesis“, der es bedarf, um eine antimarkionitische Stoßrichtung in Apg zu entdecken, selbst dann, wenn man sie als Begleitband zu Lk liest.

2. Reagiert die Apostelgeschichte auf Markion?

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Basiserzählung der apostolischen Tradition, sondern mit Apg 8 auch zur Basiserzählung der häretischen Deviation mit der ihr eigenen Genealogie.42 (4) So richtig es ist, dass Apg die Kontinuität mit Israel herausstellt, so deutlich steht doch die biblisch getönte Herkunftsmimesis in Kontrast zur wachsenden Entfremdung zwischen den Christusgläubigen und ihren jüdischen Gegenspielern. In der Tat stand Lukas lange unter der Anklage eines heftigen Antijudaismus.43 Apg ist die intentionale Geschichte einer Erstepoche, in der sich das Werden der christlichen Gemeinden in Israel mit der Trennung vom (synagogalen) Judentum verbindet.44 Darin mit Tyson eine Reaktion auf den markionitischen Entwurf vom Christentum zu sehen fällt schwer. (5) Klinghardts These von einer künstlichen Zusammenfügung zweier ursprünglich unabhängiger Werke dispensiert sich allzu rasch von der Diskussion um die auktoriale, narrative und konzeptionelle Einheit von Lk und Apg. Der kanonischen Redaktion wird hier eine in der Tat tiefgehende Vereinheitlichung zugetraut, in der sie sich zwar einerseits um subtile semantische Feinheiten bemüht, aber andererseits davon absieht, das theologische Konzept Markions überhaupt wahrnehmbar zu machen. (6) Die Fragen, auf die Lk / ​Apg eine Antwort geben, stellten sich nicht erst mit Markion. Die Herkunft des „Weges“ aus Israel, die Stellung des Paulus in der Ursprungsgeschichte, die gottgelenkte Ausformung einer geordneten Gemeinschaft gehören zu den erwartbaren Anliegen einer Schwellengeneration. Die Selbstaffirmation durch biblische Erinnerungsstrategie und selbstadelnde Vergangenheitsbehauptung wird durch die Legitimationsbedürfnisse in der urchristlichen Übergangsphase als solcher, nicht erst durch das Wirken bestimmter Gegenspieler herausgefordert. Apg wurde nicht für die markionitische Herausforderung abgefasst oder angepasst, sonst wäre sie „passgenauer“. Fazit: Die These einer antimarkionitischen Zielsetzung der Apg ist nicht haltbar. Die frühkirchliche Auseinandersetzung mit Markion hat nicht dazu geführt, dass Apg entworfen, wohl aber dass sie entdeckt wurde. Dies gilt es abschließend näher zu betrachten.

42  Vgl. Mount, Christianity (s. Anm. 24), 15 f. Anm. 22, 19 f. Zu Simon Magus und seiner Sinnkarriere in der altkirchlichen Literatur insgesamt Stephen Haar, Simon Magus: The First Gnostic?, BZNW 119, Berlin 2003. 43 Einen Überblick bietet Matthias Blum, Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk? Zur These eines lukanischen Antijudaismus, in: „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, hg. v. R. Kampling, Paderborn 1999, 107–149. 44  Dazu näher Michael Wolter, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte (2004), in: ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 261–289.

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Markion und die Apostelgeschichte

3. Die zweite Karriere der Apostelgeschichte Ursprüngliches Leitanliegen der Apg war es, der sich allmählich wahrnehmenden und definierenden Gemeinschaft der Christusgläubigen biblische Herkunft aus der Ahnengemeinschaft Israels zu bezeugen, wobei die Apostel und Paulus als Scharnier zwischen der Epoche Jesu und der Gegenwart dienten. In einer neuen Schwellenzeit, um 180 n. Chr., fand Apg ihren zweiten Kairos: Sie bezeugte der gewordenen Kirche apostolische Herkunft aus der Christus-Zeit durch „alle Apostel“ unter Einschluss von Paulus. Die gnostizistische, markionitische und ebionitische Konkurrenz ließ Fragen wach werden, die sich Lukas einst unter anderen Vorzeichen gestellt hatten. Abermals dient das Opus Lucanum der Herkunftsmimesis, doch in heilsgeschichtlicher Rochade wird der einstige Zielpunkt  – Paulus  – jetzt zum Ausgangspunkt: Sein Evangelium ist apostolisch ausgerichtet und eingebunden. Der eigentliche Entdecker der Apg und des „lukanischen Doppelwerks“ ist, sofern uns die Überlieferungslage nicht täuscht, Irenäus von Lyon.45 Für ihn ist Apg die Lösung für das Problem, das Markion darstellt.46 Tertullian baut diese Lösung aus und ebnet Apg ihren Weg in den Kanon, eine Bedeutung, die sich – vermutlich etwa in dieser Zeit – auch im muratorischen Fragment abzeichnet. Dabei ist Markion nicht zu monopolisieren. Irenäus nennt in den maßgeblichen Passagen auch andere, gnostizistische oder judenchristliche Antagonisten. Er wirft diesen Gegnern nicht vor, dass sie Apg verworfen haben, sondern benutzt Apg, um diese Gegner zu verwerfen. Folgende Argumentationslinien sind kennzeichnend: (1) Apg bietet die Erzählung vom legitimen Ursprung: Hae voces ecclesiae ex qua habuit omnis ecclesia initium. Von den Irrlehrern gilt mit Blick auf den Anfang der Kirche, was auch für den Anfang der Schöpfung gilt: Non enim erat ibi tunc Valentinus nec Marcion nec reliqui sui vel eorum qui adsentiunt eis eversores … (haer. 3,12,5). Ganz anders dagegen der Verfasser der Apg, von dem mit Blick auf Paulus gilt: Omnibus his cum adesset Lucas, diligenter conscripsit ea (3,14,1). Wenn das Neue, das Jesus Christus brachte, er selbst war (vgl. 4,34,1 f.), dann ist das apostolische Ursprungszeugnis von Jesus Christus, wie es sich in Apg verdichtet, die schlechthinnige Basis, ohne die man außerhalb der Heilsordnung steht. Dieses Zeugnis überbietet so noch die Ankündigung des Messias durch die Propheten (vgl. etwa 4,35,2). (2) Apg belegt in doppelter Hinsicht die Katholizität (im Sinn einer Zeit, Raum und Gemeinschaft umfassenden Geltung) als Glaubwürdigkeitsnachweis. Sie verbürgt diachron die Kontinuität der kirchlichen Jetztzeit bis zur Zeit der Apos45 Vgl.

Mount, Christianity (s. Anm. 24), 28 f.  Zur Rezeption und Interpretation der Apg bei Irenäus von Campenhausen, Entstehung (s. Anm. 5), 234–240; Barrett, Acts I (s. Anm. 3), 45–47; Mount, Christianity (s. Anm. 24), 12–29; Smith, Function (s. Anm. 3), 53–66; Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 303– 306; Gregory, Irenaeus (s. Anm. 16), 48–55; Smith, Acts (s. Anm. 21), 96 f. 46

3. Die zweite Karriere der Apostelgeschichte

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tel und damit zum Ursprung bei Christus. Zugleich verbürgt sie synchron über alle Räume und Gruppierungen hinweg die Einheit dieses Zeugnisses, das allen Aposteln, Paulus eingeschlossen, gemeinsam war und bleibt (vgl. etwa haer. 3,12,1–11). Der Kanon Muratori nennt unsere Schrift acta omnium apostolorum sub uno libro (vgl. l. 34 f.). Hier wird diese doppelte Funktion – Kontinuität und Einheit – bereits im Titel greifbar. (3) Apg stellt mit dem Pfingstbericht die Urkunde vom Geistbesitz (vgl. haer. 3,1,1; 3,12,1 f.; 3,17,2): Wem diese fehlt, dem fehlt damit auch der Geist selbst, sodass er zu authentischem Urteil weder befähigt noch berechtigt ist. Gerade dieses pneumatologische Argument durchzieht die weitere polemische Indienstnahme der Apg (vgl. z. B. Tertullian, praescr. 22,9–11; adv. Marc. 5,2,7). (4) Apg wandert in den werdenden Kanon, und zwar strukturierend in dessen Mitte (vgl. bes. haer. 3,14,1–3,15,1). Sie dient dabei zwei Zwecken: (a) der apostolischen Rekontextualisierung, (b) der literarischen Synthese. (a) Markion hatte die Paulusbriefe, allen voran Gal, vertieft durch das (paulinische) εὐαγγέλιον, als Referenzbasis benutzt. Irenäus verortet die Briefe wie die Evangelien im Gedächtnisgemälde der Apg und rekontextualisiert so die Bezugstexte in der verbindlichen apostolischen Herkunftsmimesis. Mit dem neuen Kontext legt er die Verstehensprämissen ihrer Lektüre fest. Apg bestimmt, was aus Evangelium und Apostolikon notwendig werden muss. Der Jesus-Bios schwebt nicht (wie bei Markion) im literarisch freien Raum, sondern mündet geradezu natürlich in die apostolische Verkündigung. Die Briefliteratur wird nicht (wie bei Markion) mit unmittelbarem Urteil ausgelegt, sondern in der durch Apg ausgerichteten Perspektive. Die acta apostolorum werden zur praeambula fidei. (b) Als ea testificatio quae est de Paulo und regula veritatis (vgl. haer. 3,15,1) sichert Apg auf breiter literarischer Front die großkirchliche Lehretablierung.47 Auf die Denkfigur eines „Doppelwerks“ greift Irenäus insofern zurück, als die auktoriale Einheit durch Lukas verknüpft, was bislang (kaum nur bei den Gegnern) getrennt war: Lukas, der unzertrennliche Begleiter und intime Kenner des Völkermissionars, ist zugleich Verfasser des – für Markion maßgeblichen – Evangeliums. In seiner Person verbindet er Jesus-Bios und Paulus-Expertise und wehrt, namentlich mit seinem zweiten Werk, den Gefahren isolierter Schriftwahrnehmung. Apg dient Irenäus dazu, die evangelische Jesus-Überlieferung und die paulinische Korrespondenz so miteinander zu verknüpfen, dass er den Gegnern sowohl diese als auch jene aus der Hand schlägt. Gegen den ebionitischen Antipaulinismus sichert Apg die kirchliche Wertschätzung des maßgeblichen Apostels, gegen die markionitische Paulozentrik dessen apostolische Ein47  Fortassis enim et propter hoc operatus est Deus plurima evangelii ostendi per Lucam quibus necesse haberent omnes uti, ut, sequenti testificationi eius quam habet de actibus et doctrina apostolorum omnes sequentes et regulam veritatis inadulteratam habentes, salvari possint (haer. 3,15,1).

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Markion und die Apostelgeschichte

bindung, gegen die valentinianische Esoterik die öffentliche Proklamation des Evangeliums. Vornehmlich gegen Markion und Valentinus richtet sich der Vorwurf des Selbstwiderspruchs, in den diese geraten, wenn sie sich zwar vielfach auf die lukanische Jesus-Erzählung berufen, jedoch die lukanische Paulus-Überlieferung – literarisch gewendet: den zweiten Logos des Lukas – ablehnen.48 Ich halte es für die wahrscheinlichste Annahme, dass es erst Irenäus (bzw. sein Umfeld) war, der durch literarische Kombination von „lukanischem“ Evangelium, Wir-Berichten der Apg und Lukas-Passagen der Paulusbriefe den apostolischen Paulusbegleiter und Erstzeithistoriographen „Lukas“ als synthetisches Modell geschaffen hat. Wie der Hebräerbrief durch Paulus (oder Lukas) und die Johannes-Apokalypse durch den Apostel Johannes „kanonreif“ ausgestattet wurden, so erhielt auch Lk / ​Apg ein apostolisches Siegel, freilich aus der nächsten Generation. Gerade die Generationenfolge aber gewährleistete Traditionsbildung in Einheit mit Paulus.49 Das altkirchliche Lukas-Narrativ war eine vorzügliche Integrationsleistung: Der Historiograph der Spätgeneration (Lk 1,1–4) ist der Paulusbegleiter der Wir-Berichte, den auch die Briefe nennen.50

Die geläufige Anwendung von 2Kor 8,18 auf Lukas verankert die Trias „Jesus-Evangelium  – Paulus  – Lukas“ auch in den Paulusbriefen: Paulus selbst schickt den Bruder, der mit seinem „Evangelium“ – jetzt literarisch verstanden – in der ganzen Kirche anerkannt wird (z. B. Hieronymus, epist. 53,9; vir. ill. 7; vgl. Origenes, nach Eusebios, h. e. 6,25,6). Im Kanon entwickelt sich Apg zur synthetischen Schrift: Sie bildet meist die Brücke zwischen Evangelien und katholischen Briefen oder die zwischen Evangelien und Corpus Paulinum, was sie in der Lesesequenz einerseits zu einer logischen Folge des Evangeliums, andererseits zu einem kirchlich situierenden Prolog für Apostel und Paulus macht.51 Im Grunde wird damit ein integrierendes Potential neu entdeckt, das im lukanischen Doppelwerk als solchem angelegt ist: die Verbindung des in den Schriften Israels verwurzelten Jesus-Bios mit der apostolischen Erstepoche zur 48  Necesse est igitur et reliqua quae ab eo [scil. Luca] dicta sunt recipere eos [scil. Marcionem et Valentinum] aut et his renuntiare: non enim conceditur eis ab his qui sensum habent quaedam quidem recipere ex his quae a Luca dicta sunt quasi sint veritatis, quaedam vero refutare quasi non cognovisset veritatem (haer. 3,14,4; vgl. 3,14,3 f.). Ähnlich 3,14,4 gegen den ebionitischen Antipaulinismus: Si autem et reliqua suscipere cogentur, intendentes perfecto evangelio et apostolorum doctrinae, oportet eos paenitentiam agere ut salvari a periculo possint. 49  Mount, Christianity (s. Anm. 24), 34 f. nimmt an, die Namensangabe „Lukas“ habe ursprünglich nicht dem Lukas der Paulusbriefe gegolten, sondern einem „otherwise unknown Luke“. Solche Ideen werden bekanntlich auch für den Petrus‑ und Paulusschüler „Markus“ gepflegt. Der Zufall wäre fürwahr mächtig, wenn gleich zwei Evangelien zufällig mit Namensvettern von brauchbaren Apostelschülern verbunden waren. 50 Vgl. Henry J. Cadbury, The Tradition, in: The Beginnings of Christianity II, hg. v. F. J. Foakes Jackson / ​K. Lake, London 1922, 209–264: 261–264; Hans-Martin Schenke / ​K arl Martin Fischer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments II, Berlin 1979, 160; Schnelle, Einleitung (s. Anm. 2), 312. 51  Zu Apg als Integrationsschrift vgl. Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), bes. 319–324. Zur Anlage von Apg als Paradigma theologischer Synthese (Propheten, Jesus, Jerusalem, Paulus) und „fabric of unity“ des frühkirchlichen Kanonkonzepts erhellend Smith, Acts (s. Anm. 21).

3. Die zweite Karriere der Apostelgeschichte

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identitätsstiftenden Einheit. In diesem Sinn hat C. K. Barrett das Doppelwerk (ein wenig anachronistisch) „the first New Testament“ genannt,52 und in diesem Sinn hat Irenäus nicht nur Apg, sondern das lukanische Doppelwerk – im Wortsinn – entdeckt. Die zweite Karriere der Apg muss daher nicht als Verfälschung der lukanischen Absicht interpretiert werden, sondern kann als deren theologische Fortschreibung gelten.53 Hier wie dort geht es um Legitimität durch Herkunft; hier wie dort waltet der Wille zur theologischen Synthese, der hier wie dort auch zur – uns befremdenden – Markierung von Alterität (Ἰουδαῖοι, haeretici) führt. Der Grundgedanke des Kanons jedoch hat etwas sehr Lukanisches: Gegensätze zusammenbringen, als bestünden sie nicht. Wie immer man Markion rekonstruiert: Er hat die Dinge stringent durchdacht.54 So gesehen liegt zwischen ihm und Lukas eine ganze Welt – jene Welt, die Apg lebendig erzählend durchquert, weil ihr das stringente Durchdenken am Ende lebensfremd wirkt.

 Charles K. Barrett, The First New Testament, in: NT 38 (1996) 94–104: 102–104.  Vgl. auch Schröter, Apostelgeschichte (s. Anm. 3), 326 f. 54  Vgl. die Würdigung bei Lieu, Marcion (s. Anm. 9), 433–439. 52 53

No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana The Opus Lucanum may serve as a model of Christian “apologetics”, not in the conventional meaning of an apology that tries to convince the Roman Empire that Christianity is harmless, but as a narrative self-explanation demonstrating a theocentric sense of identity, the force of Christian counter-definitions, a realistic and sympathetic awareness of the “world”, a both critical and serene approach to the dominant society, and a responsorial structure of the gospel.

Das Glauben fängt mit dem Glauben an. Man muss mit dem Glauben anfangen; aus Worten folgt kein Glaube. Genug. Ludwig Wittgenstein1

Pilatus und die Philosophen  – sie treten vor Augen, wenn wir an Lukas den Apologeten denken. Im dritten Evangelium bemüht sich der Präfekt, Jesus freizubekommen; der Evangelist legt so eine Spur, an deren legendarischem Ende Pilatus zum Heiligen wird. Und was wird aus Paulus, dem kantigen Charakterkopf, sieht man ihn mit der lukanischen Brille? Auf dem Areopag verbeugt er sich vor Epikureern und Stoikern und sucht ihnen das Evangelium mit dünnen Philosophenzitaten schmackhaft zu machen. Lukas  – so war lange Zeit sein Ruf – richtet sich, da die Parusie und mit ihr Christus ausbleibt, geschmeidig in Politik und Kultur ein. Er wird, spätestens mit der Apostelgeschichte, zum ersten Apologeten der Kirche und versichert Machthabern und Meinungsmachern: Das Christentum ist anders, als ihr denkt. Es ist „offensiv harmlos“2. 1  Denkbewegungen. Tagebücher 1930–1932, 1936–1937, hg. v. I. Somavilla (I. Normalisierte Fassung), Innsbruck 1997, 71 (n. 151). 2  Lk will „in einer der politischen Situation angemessenen Weise seine christlichen Adressaten dazu befähigen, die Harmlosigkeit der eigenen Bewegung für das Imperium Romanum offensiv zu vertreten“  – so Martin Meiser, Lukas und die römische Staatsmacht, in: Zwischen den Reichen: Neues Testament und römische Herrschaft, hg. v. M. Labahn / ​J. Zangenberg, TANZ 36, Tübingen 2002, 175–193: 178. Ähnlich an repräsentativer Stelle Gerd Lüdemann: „Inhaltlich wird die romfreundliche A[pologetik] vor allem in dem Bemühen des Vf. deutlich, die polit. Ungefährlichkeit bzw. Loyalität des Christentums aufzuzeigen“, Art. „Apologetik III. Neues Testament“, in: RGG4 I (1998) 614–616: 615.

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No Apologies!

Zweifellos treibt Lukas „Apologie“.3 Der Wortstamm (ἀπολογία / ​ἀπολογεῖσθαι) ist in seinem Doppelwerk vergleichsweise breit belegt, und zwar ausnahmslos forensisch.4 Dies liegt an einer Eigenart lukanischer Erzählkunst. Sie stellt das werdende Christentum bevorzugt in der Anschaulichkeit von Gerichtsprozessen dar und somit im Modus der Verteidigung gegenüber einer anklagenden Behörde (oder zur Lynchjustiz aufgelegten Volksmenge). Vierzehn Gerichts‑ und prozessähnliche Mobszenen schildert die Apostelgeschichte.5 Die Prozesse gegen Jesus und – über acht Kapitel hinweg – Paulus sind für das christliche Selbstverständnis wegweisend. Nur Lukas bereitet seine Adressaten ausdrücklich auf die Möglichkeit eigener „Apologie“ vor (vgl. Lk 12,11; 21,14 diff Mk / ​Mt). Noch die Areopagrede, die als Musterfall geschmeidiger Apologetik gilt, erinnert an die Apologie des Sokrates in dessen tödlichem Konflikt mit der Polis. Stephanus und Jakobus werden hingerichtet; neben Petrus und Paulus werden zahllose Christen verfolgt und eingekerkert. Paulus allein überlebt etwa sieben Mordversuche, und das Einzige, was der Heilige Geist ihm am Ende mitzuteilen hat, ist, dass „Stadt für Stadt Fesseln und Drangsale“ auf ihn warten (Apg 20,23). Harmlos ist das Christentum nicht. Die Kriminalprozesse sind wie Funkenschläge, in denen sich die Spannung zwischen zwei Größen verrät: Mehrheitsgesellschaft und Evangelium.6 Wie kein anderer urchristlicher Theologe bemüht sich Lukas, das Verhältnis dieser Größen in allen Facetten zu zeichnen. Die Apostelgeschichte ist als Reise des Evangeliums bis ans Ende einer sehr herausfordernden Welt angelegt: Das Evangelium bewegt sich zwar mit Verve nach vorn, aber es bewegt sich von Krise zu Krise. Es kommt zwar immer „gerade noch einmal durch“, aber der Leser weiß nach 28 Kapiteln geglückter Fluchten: Christsein ist seinem Ursprung nach Überlebenskunst. Solange die Kirche lebt, steht sie unter Verdacht und Anklage. Solange sie verdächtig und angeklagt ist, lebt sie noch. „Apologie“ bedeutet vor solchem Verstehenshorizont zweifellos wie im üblichen Sprachgebrauch: Verteidigungsrede, Plausibilisierung der eigenen Gel­ tungsansprüche gegenüber einer feindlichen oder skeptischen Öffentlichkeit. Aber von den diskursiven Entwürfen der frühkirchlichen Apologeten sind wir 3  Gewöhnlich unterscheidet man verschiedene Richtungen der lukanischen Apologetik: jüdisches, paganes Umfeld, römischer „Staat“; binnenchristliche Selbstvergewisserung. Eine terminologisch und typologisch hilfreiche Bestandsaufnahme der Diskussion bietet Loveday C. A.  Alexander, The Acts of the Apostles as an Apologetic Text (1999), in: dies., Acts in Its Ancient Literary Context, LNTS 298, London 2007, 183–206. 4 Nomen (Apg 22,1; 25,16) und Verb (Lk 12,11; 21,14; Apg 19,33; 24,10; 25,8; 26,1.2.24) kommen in der ntl. Erzählliteratur ausschließlich im lukanischen Doppelwerk vor. 5 Saundra Schwartz, The Trial Scene in the Greek Novels and in Acts, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 105–137: 117–137; vgl. Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987, bes. 36–39, 42–47. 6  Für eine konfrontative Lesart der Apg plädiert energisch C. Kavin Rowe, World Upside Down. Reading Acts in the Graeco-Roman Age, Oxford 2009.

1. Selbstbewusstsein und Theozentrik

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hier deutlich entfernt. Zwar ist besonders die Frage nach biblischer Abkunft und Alter des christlichen „Weges“ auch für Lukas höchst bedeutsam, aber er liefert keine Schrift‑ und Altersbeweise, er setzt sich nicht auseinander, er rechtfertigt nichts. Nichts wird „bewiesen“: Das Heil „erweist“ sich selbst als solches: Es zeigt sich. So wird der Leser, schreitet er durch die erzählte Welt, das Wachstum des Wortes sehen, die klärenden Reden hören, zum Augenzeugen des Heils werden. Vor seinen Augen entrollt sich (natürlich unter der sanften Regie des Erzählers) der Geschichtsplan Gottes. Wo es um Gottes Plan mit der Welt geht, bedarf es weder der engagierten Verteidigung noch des kulturellen Anschmiegens. Es bedarf der Aufmerksamkeit. Apologie, lukanisch geformt, ist biblisch geschulte, theologisch ansprechende Aufmerksamkeit. Unter vier Aspekten sei solche Apologia Christiana entfaltet.

1. Selbstbewusstsein und Theozentrik Lukas schildert die Schwellenzeit des Evangeliums, aber es scheint seiner selbst bereits überraschend sicher. Gregory Sterling hat das lukanische Doppelwerk dem Genre der „apologetischen Geschichtsschreibung“ zugewiesen. Darunter versteht er die Prosaerzählung einer soziokulturellen Minderheit, die sich in der zusammenwachsenden mediterranen Welt der späthellenistisch-reichsrömischen Zeit ihrer eigenen Herkunft versichert und ihren eigenen Geltungsanspruch dartut.7 Was im Hellenismus die Priester Berossos für die babylonische und Manethon für die ägyptische Kultur leisten, was in flavischer Zeit der sich prophetisch gebärdende Priester Josephus für Alter, Herkunft und Identität des angefochtenen Judentums erbringt, das vertritt Lukas für die werdende Kirche. Er beruft sich dabei nicht auf priesterliches oder prophetisches Wissen, sondern auf die dem Historiographen gegebene Einsicht in den Richtungssinn des Geschehens. Dieser – ganz und gar biblische – Richtungssinn zielt auf die Ekklesia. Es beeindruckt, mit welcher Geschlossenheit Lukas die Ekklesia konzipiert. Indem er die „Kirchengeschichte“ erfindet, gibt er ihr eigene Herkunft, historische Eigendynamik, stabile Subjekthaftigkeit und kulturellen Selbststand.8 Die aktuelle Exegese liest sein Doppelwerk in mancher Hinsicht als selbstbewusstes Kontrastprogramm zur Herrschaftspropaganda des römischen Imperium: Die Verkündigungsszene wirkt als Gegenbild zur Empfängnis des Staatsgründers Romulus, die Kindheitsgeschichte zum augusteischen Reichsfrieden, die Himmelfahrt Christi zur kaiserlichen Apotheose, der pfingstliche Völkerkatalog zur im7  Vgl. Gregory E. Sterling, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-­Acts, and Apologetic Historiography, Nachdruck: Atlanta, Ga. (1992) 2005, bes. 16–19. 8  Dazu näher Knut Backhaus, Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12, in: ZNW 103 (2012) 157–176 [in diesem Band S. 283–303].

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perialen Expansion. Jesus Christus ist der herrscherliche Heiland (σωτήρ) „bis an die Enden der Erde“; die Urgemeinde erfüllt die uralten Utopien von der solidarischen Gesellschaftsform.9 Blicken wir von hier aus auf den Paradefall lukanischer Apologetik: die Areopagrede (vgl. Apg 17,16–34).10 Sie verneigt sich nicht vor der paganen Kultur, sondern stellt sich ihr. Gewiss, Paulus tritt wie Sokrates auf: Auf dem Marktplatz verwickelt er Passanten ins Gespräch, wie der große Athener es einst tat. Die „Anklage“ lautet auch hier auf Einführung neuer Gottheiten, und die Rede an klassischer Stätte lässt noch in der Adresse Ἄνδρες Ἀθηναῖοι die Apologia Socratis anklingen. Jedoch ist Paulus keineswegs der „neue Sokrates“. Der Bote des Evangeliums verwirklicht vielmehr, was in Sokrates angelegt war: Sokrates ist der „vorausgeahnte Paulus“. Am Eingang seiner Rede bedient sich Paulus einer Sprache, die man heute „doublespeak“ nennt: „Wie ich wahrnehme, seid ihr in jeder Hinsicht ausgesprochen gottesscheu!“ (17,22) Das Adjektiv „gottesscheu“ (δεισιδαίμων) bezieht sich in der dem kundigen Redner anstehenden captatio benevolentiae auf die löbliche Gottesfurcht der Altarwidmung „Dem unbekannten Gott!“ Der Leser weiß freilich aus dem Erzählkontext – die Götterbilder erregen den prophetischen Grimm des Paulus –, dass diese Kultfrömmigkeit auch anders gesehen werden mag. Die zweite Bedeutung des Adjektivs ist denn auch „abergläubisch“. Diese dem Leser zugespielte Lesart ist umso brisanter, als der Vorwurf des Aberglaubens, der δεισιδαιμονία / ​superstitio, üblicherweise von paganer Seite den Christen gemacht wurde. Die Widmung selbst dürfte Lukas in monotheistischer Aneignung aus dem Plural „Den unbekannten Göttern!“ abgeleitet haben. Ihr Akzent liegt (für den Leser) auf „unbekannt“. Es steht außer Frage, dass dieser „Unbekannte Gott“ alle bekannten Götter aus dem Olymp treiben soll. Die stoischen Dichterzitate, die den humanistisch Gebildeten seit jeher zu erfreuen pflegen, suchen nicht Anschluss an zeitgenössisches Bildungswissen, sondern überführen dieses einer gewissen Inkonsequenz. Das Schnittfeld liegt in der Religionskritik, aber in den frei werdenden Gottesraum tritt der Schöpfergott  9  Vgl. insgesamt Gary Gilbert, Roman Propaganda and Christian Identity in the Worldview of Luke-­Acts, in: Contextualizing Acts. Lukan Narrative and Greco-Roman Discourse, hg. v. T. Penner / ​C. Vander Stichele, SBLSymS 20, Atlanta, Ga. 2003, 233–256. Zur Verkündigungsszene Gudrun Nassauer, Göttersöhne. Lk 1.26–38 als Kontrasterzählung zu einem römischen Gründungsmythos, in: NTS 61 (2015) 144–164; zur Kindheitsgeschichte Stefan Schreiber, Weihnachtspolitik. Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA / ​StUNT 82, Göttingen 2009, bes. 63–102; zur Himmelfahrtsmotivik Knut Backhaus, Religion als Reise. Intertextuelle Lektüren zwischen Antike und Christentum, Tria Corda 8, Tübingen 2014, 273–297; zum Völkerkatalog in Apg  2 Gilbert, Propaganda 247–253; zum σωτήρ-Titel ebd. 237–242; zur Urgemeinde als Erfüllungsfall der Utopie Pervo, Profit (s. Anm. 5), 69 f. 10 Zu Kontext, Inhalt und Deutung der Rede Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 88–111. Eindringlich plädiert Rowe dafür, die Rede unter ihren eigenen, urchristlichen Verstehensvoraussetzungen zu lesen und damit als Gegenoption zu philosophischen Sinn‑ und Lebensentwürfen: C. Kavin Rowe, The Grammar of Life: The Areopagus Speech and Pagan Tradition, in: NTS 57 (2011) 31–50.

1. Selbstbewusstsein und Theozentrik

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Israels, nicht der Pantheismus der Stoiker. Die Zitate bringen das „Herumtasten“ der Heiden zum Ausdruck: „auf dass sie Gott suchen, ob sie denn wohl nach ihm tasten und auf ihn stoßen mögen, ist er ja doch nicht fern einem jeden Einzelnen von uns!“ (17,27) Die „Apologetik“ liegt also darin, dass Paulus das Panier des Gottes Israels in der Mitte der antiken Kultur aufpflanzt. Er verteidigt sich nicht, er ruft zur Umkehr. Er beugt sich dieser Kultur nicht, er bietet ihr die Taufe an. Die ganze Philosophie, die ganze Götterwelt werden somit im Evangelium aufgehoben. Sie sind Vergangenheit. Das Evangelium ist Zukunft. Nach soziologischer Schätzung mag man die Zahl der Christen zur Zeit des Lukas weltweit ungefähr bei 7500 Gläubigen ansetzen; dies entspricht etwa 0,0125 % der Reichsbevölkerung.11 Äußerlich betrachtet, beansprucht hier also ein Winzling Augenhöhe mit dem Titanen. Woher nimmt Lukas seine Sicherheit? Er nimmt sie aus dreierlei Gewissheiten: Die Ekklesia besitzt altbiblischen Adel, sie weiß post Christum resurrectum alle Hoffnung auf ihrer Seite, ihre Herkunftsgeschichte stiftet Stärke. Dies darzutun ist Sache der Apostelgeschichte als Apologia Chris­ tiana. Die tiefste Apologie liegt nicht darin, nach außen auf Unschuld zu plädieren, sondern seine Schuldigkeit zu tun. Die triftigste Verteidigung des Christentums liegt darin, selbst zu sein. Dazu bedarf die Kirche ihrer Geschichte. Aus ihr geht ihr Auftrag hervor: „Man muss mit dem Glauben anfangen; aus Worten folgt kein Glaube.“ Solches theozentrische Selbstbewusstsein ist nicht mit kirchlicher Selbstgefälligkeit, Gottesvereinnahmung, Kritikresistenz zu verwechseln. Es sagt viel, wenn das erste Kapitel der Kirchengeschichte nicht ohne komische Züge auskommt (vgl. Apg 12,6–17): Herumeilende Sklavinnen, gar als Gesprächspartner des verwirrten „Helden“, kommen in Possen vor, nicht in Geschichtsschreibung.12 Die Apostelgeschichte kennt keine Helden; ihre Führungsgestalten sind Geführte: Sie müsste „Acta Iesu Christi“ heißen.13 Die kirchlichen Ursprünge sind verdankte Ursprünge. Wenn die tiefste Apologie darin liegt, nicht nach außen zu plädieren, sondern selbst zu sein, so geht es Lukas um das geschenkte Selbstsein. 11  Natürlich sind diese Zahlen mangels empirischer Daten nicht belastbar; sie sollen nur, unter Voraussetzung eines Wachstums von 40 % pro Dekade, einen Eindruck von den Größenverhältnissen geben; vgl. näher Rodney Stark, The Rise of Christianity. A Sociologist Reconsiders History, Princeton, N. J. 1996, 4–13. 12  Darauf macht feinsinnig (im Blick auf die Begegnung zwischen Petrus und der Magd der Passionserzählung) Erich Auerbach aufmerksam: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen (1946) 102001, 45–49; vgl. J. Albert Harrill, The Dramatic Function of the Running Slave Rhoda (Acts 12.13–16): A Piece of Greco-Roman Comedy, in: NTS 46 (2000) 150–157. 13 So bereits Eduard Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums III (1923), Darmstadt 1962, 6; in exegetischer Detailarbeit Friedrich Avemarie, Acta Jesu Christi. Zum christologischen Sinn der Wundermotive in der Apostelgeschichte, in: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. J. Frey / ​C. K. Rothschild / ​J. Schröter, BZNW 162, Berlin 2009, 539–562.

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2. Realismus und Sympathie „… ist er ja doch nicht fern einem jeden Einzelnen von uns“: Erst die theologische Selbstvergewisserung macht angstfreien Realismus möglich und soziale Nähe fruchtbar. Die Apostelgeschichte ist eine Folge dramatischer Episoden, die die Begegnung zwischen dem Evangelium von Jesus Christus und der multikulturellen Mittelmeergesellschaft vor Augen führen.14 Die Botschaft begegnet berechnenden Tyrannen und kopflosen Volksmengen, äthiopischem Wesir und maltesischen Barbaren, Straßengauklern und Erzmagiern, frommen Pharisäern und prügelnder Synagogenschar, Freigeistern und verirrten Täuferanhängern, jüdischen Gemeindevorstehern und heidnischen Kerkermeistern, Folterknechten und empathischen Soldaten, werktätigen Geschäftsfrauen und verunsicherten Silberschmieden, einer Wahrsagesklavin und prophetischen Töchtern, Philosophen und Presbytern, Glamouradel und Nasiräern, Gelähmten und Besessenen, Verschwörern und Attentätern, verhärteter und weiser Obrigkeit, korrupten und korrekten Gerichtshöfen, Statthaltern, die christenfreundlich, gleichgültig oder käuflich sind, Römern, Juden, Proselyten, Kretern, Arabern … Es fliegen Steine, und in Synagoge wie Hörsaal werden Argumente gewechselt; Mordpläne werden geschmiedet, verhindert und ausgeführt; Volksscharen rotten sich zusammen, und Besonnene mahnen zur Vernunft; die innerlich freie Glaubensrede ertönt auf dem Markt und auf der Folterbank. Sie stößt auf Offenheit, Feindschaft und Gleichgültigkeit. Lukas macht die Kultur, durch die sich das Evangelium bewegt, nicht schöner, als sie ist – allenfalls ein wenig spannender. Nichts an der skizzierten Bandbreite verrät das biegsame Rückgrat des „Frühkatholiken“, der sich anzudienen bemüht ist. Er durchwandert diese Kultur aufrecht: mit Sympathie, Vergnügen (hier und dort auch: ein wenig Schadenfreude) und evangelischem Eigensinn. Letzterer ist entscheidend: Die Vielzahl der Begegnungen verdankt sich nicht nur dem Unterhaltungswunsch. Sie demonstriert die geschichtliche Festigkeit des Evangeliums: „nur an vielen beliebigen Personen können solche geschichtlichen Kräfte in ihrer hin‑ und herflutenden Wirksamkeit lebendig gemacht werden; als beliebig werden dabei solche Personen bezeichnet, die, aus allen möglichen Ständen, Berufen und Lebenslagen stammend, ihren Platz in der Darstellung nur dem Umstand verdanken, daß sie gleichsam zufällig von der geschichtlichen Bewegung getroffen werden und nun genötigt sind, sich in irgendeiner Weise dazu zu verhalten“.15 14 Zum dramatischen Episodenstil Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 80–111; zur nahezu postmodern anmutenden bunten Welt der reichsrömischen Mittelmeerkultur als Forum des Evangeliums Bruno Wildhaber, Paganisme populaire et prédication apostolique. D’après l’exégèse de quelques séquences des Actes. Eléments pour une théologie lucanienne de la mission, Genf 1987 sowie die instruktive Studie von Klauck, Magie (s. Anm. 10). 15  Auerbach, Mimesis (s. Anm. 12), 47.

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Lukas mustert die bunte Vielfalt seiner Kultur realistisch wie differenzierungsfreudig, aber er lässt sich dabei leiten von einem differenzierenden Realismus theologischer Art: Alle diese Episoden verfolgen letztlich den Zweck, das Evangelium als jene Bewegung auszuweisen, die der Geschichte eine neue, kritische Mitte gibt. Im Vergleich mit den frühkirchlichen Apologeten fällt auf, dass Lukas dabei auf rabiate Polemik völlig verzichtet. Die pagane Religiosität trägt keine dämonischen Züge. Als der grimmigste Feind des Evangeliums tritt noch Saulus auf, der „Drohung und Mord wider die Jünger des Herrn schnaubt“ (Apg 9,1). Zweifellos: Das Heidentum verwechselt Gott und Mensch; seine Kultwerke sind nichtig; der einzige heidnische Priester kommt als Karikatur daher (14,13). Doch ebenso: Die Einzigen, die das Adelsprädikat der Philanthropia erhalten, sind ein römischer Centurio und maltesische Barbaren (27,3; 28,2). Wird der gaukelnde Hofhebräer bestraft, bleibt seine Blindheit zeitlich begrenzt (13,11). Wenn der Christenverfolger den topischen Wurmtod stirbt, ist dies nur ein lustloses Adjektiv wert (12,23): Was hätte Laktanz daraus gemacht! Noch das, was einmal der furchtbarste Anwurf gegen die „Juden“ sein sollte, die Kreuzigung Jesu, wird von Petrus nachsichtig bewertet: „Nun, Brüder: Ich weiß, dass ihr aus Unkenntnis gehandelt habt – gleichwie auch eure Vorsteher“ (3,17). Mit ähnlicher Großmut dürfen die Heiden beim lukanischen Paulus rechnen: „Nun hat Gott denn über die Zeitläufte der Unkenntnis hinweggesehen, im Blick auf die Jetztzeit gebietet er den Menschen, dass alle allerorts umkehren“ (17,30). Man vergleiche den vernichtenden Gotteszorn über die verkehrten Wege der Heiden bei Paulus im Original (Röm 1,18–2,11)! Im Ausgang sehen wir Heiden und Christen in trauter Weggemeinschaft in die kulturelle Gegenwart des mare nostrum segeln und einander das Leben retten (Apg 27,1–28,16). Nachsicht und Nähe weisen nicht auf Unterwürfigkeit, sondern auf Überlegenheit. Was oft mit Geschmeidigkeit verwechselt wird, ist nichts anderes als Gelassenheit. Großmut und Gelassenheit – sie sind die triftigste Form von Erlösungsglauben. Wenn Lukas Apologet ist, so liegt nicht zuletzt darin das Apologetische: Das Evangelium entschuldigt sich nicht, es verbeugt sich nicht, es dient sich nicht an. Es ist einfach da – heilsam da, denn es wirkt Wunder in einer wundersamen Welt.

3. Kritik und Humor Parrhesia – die aufrecht-gewissensfreie Rede des Überzeugten vor Mehrheiten und Machthabern – gehört zu den Vorzugsvokabeln des Lukas. Nicht polemisch ist er, wohl aber politisch.16 Wie wir wahrnahmen, zeichnet er Gegenbilder zur  Zur politischen Dimension von Lk / ​Apg ausführlich Steve Walton, The State They Were

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Herrschaftspropaganda des römischen Reiches: von der Geburt bis zur Himmelfahrt des Kyrios, von der idealen Wohlfahrt bis zur friedlichen Expansion seines Volkes. Damit tritt die Ekklesia als gottgewollte Alternative auf die Bühne der Geschichte – dies ist eine politisch kühne Option. Darüber hinaus wird dort, wo man den „politischen Apologeten“ Lukas geringschätzt, meist die subtile Herrschaftskritik zwischen den Zeilen seines Werkes übersehen. Gewiss ist er weit entfernt von der hochaggressiven Widerborstigkeit, wie wir sie bei Johannes von Patmos finden. In der Umgangsform ähnelt er eher jener Apologia, wie sie, ebenfalls in Kleinasien, der Erste Petrusbrief empfiehlt: freundlich, ja respektvoll (vgl. 1Petr 3,15 f.).17 In der Sache freilich geht er keine Kompromisse ein. In der zweiten Versuchungsszene rühmt sich bei Lukas (anders als in seiner Vorlage) der Teufel, alle Königreiche des Erdkreises vergeben zu können, und bietet sie Jesus gegen die Proskynese an (Lk 4,5–8). Dieser antwortet biblisch mit dem alleinigen Anbetungsanspruch Gottes (Dtn 5,9; 6,13; 10,20). Vollmacht und Angebot gehören weder zu den apokalyptischen Befugnissen des Teufels noch entsprechen sie seinem üblichen Verhalten. Wohl aber spiegeln sie recht genau ein Szenario wider, das im ganzen Imperium nachhaltiges Echo fand: die Verleihung des Königreichs Armenien an den arsakidischen Prinzen Tiridates I. im Jahr 66. In einem aufwendig propagierten Spektakel zu Rom rühmte sich Nero, als Einziger Königreiche vergeben zu können. Tiridates vollzog vor ihm die Proskynese und betete ihn unter Verweis auf diese als Gott an.18 In der evangelischen Kontrastwelt des Lukas entlehnt also der Teufel sein Verhalten dem römischen Kaiser, der Symbolfigur von politischer Macht und gesellschaftlicher Hierarchie. Damit ist alles gesagt. Auch König Agrippa I. – nur bei Lukas trägt er den bezeichnenden Namen „Herodes“ – wird auf den meisterlichen Herrschaftskommunikator Nero durchsichtig.19 Im Theater von Caesarea Maritima schmeichelt die Menge dem jüdischen Fürsten mit dem Zuruf „Eines Gottes Stimme und nicht eines Menschen!“ Darauf stirbt er den Wurmtod des gotteslästerlichen Tyrannen (Apg 12,18–24). Flavius Josephus (ant. 19,343–352) weiß von diesem Aufsehen erregenden Tod Agrippas im Jahr 44 n. Chr. und deutet ihn ebenfalls als Bestrafung für dessen In: Luke’s View of the Roman Empire, in: Rome in the Bible and the Early Church, hg. v. P. Oakes, Carlisle / ​Grand Rapids, Mich. 2002, 1–41 sowie zuletzt Schreiber, Weihnachtspolitik (s. Anm. 9), bes. 84–102. 17  „Für den 1Petr muß die Rede von der christlichen Hoffnung ihrerseits noch einmal die Signatur des christlichen Ethos an sich tragen“ (Norbert Brox, Der erste Petrusbrief, EKK 21, Zürich / ​Neukirchen-Vluyn [1979] 41993, 161; vgl. ebd. 159–162). 18 Zur Quellenlage wie zur Deutung näher Knut Backhaus, Der Tyrann als Topos. Nero / ​ Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung, in: Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich, hg. v. S. Bönisch-Meyer u. a., Classica ­Monacensia 46, Tübingen 2014, 379–403: 380–384 [in diesem Band S. 365–386: 366–370]. 19  Zur Interpretation Klauck, Magie (s. Anm. 10), 51–57; Lynn A. Kauppi, Foreign But Familiar Gods. Greco-Romans Read Religion in Acts, LNTS 277, London 2006, 42–63; Backhaus, Tyrann (s. Anm. 18), 385–388 [in diesem Band S. 371–374].

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Hybris. Aber er bringt ihn nicht mit der göttlichen Stimme in Verbindung, die weithin und langfristig für die apollinische Selbstinszenierung des Kaisers Nero stand. Bei Lukas ist die Hybris zudem eher Anlass zum Straftod. Ursache ist das Wirken des „Herodes“ als erster Christenverfolger. Den öffentlichen Schautod, den er aufgrund himmlischer Intervention am Ende selbst stirbt, hatte Agrippa dem Petrus zugedacht, der schließlich wiederum Nero zum Opfer fallen sollte. Der topische Tyrannentod unter Würmerbefall verbindet den jüdischen Herrscher, der sich nach Heidenart als Gott geriert, zudem mit dem klassischen Judenverfolger Antiochos IV. Epiphanes (2Makk 9; vgl. 1Makk 6,1–16). Das Geschehen deutet sich selbst, auch ohne dass es des (ausdrücklichen) Erzählerkommentars bedarf: Die Christen sind das Gottesvolk, und ihre Verfolger – ob nun „Herodes“ oder Nero – sind die topischen Tyrannen. Die triftigste Apologie für das werdende Christentum ist dessen Geschichte. So überrascht es nicht, dass man mittlerweile Lukas gar eine Dämonisierung des römischen Reiches zuschreibt.20 Deutlicher kann man der konventionellen These von seiner politischen Harmlosigkeit kaum den Abschied geben. Das Pendel schlägt hier jedoch zu weit in die Gegenrichtung aus. Lukas zeichnet die Mächtigen ohne Zorn: Sie sind nicht teuflisch, allenfalls korrupt oder unbeteiligt. Agrippa II. und seine Schwester Berenike  – Gefährtin des späteren Kaisers Titus – wirken in der Schlussszene auf judäischem Boden sogar durchaus freundlich und geben, zusammen mit dem Statthalter Festus, dem Angeklagten Paulus den entscheidenden moralischen Freispruch mit auf den Weg nach Rom (vgl. Apg 26,30–32). Die Kritik des Lukas an Herrschaft und Gesellschaft bleibt insgesamt gemäßigt. Wie Dämonisierung aussieht, mag man bei Johannes von Patmos studieren. Die lukanische Strategie wirkt sanfter, aber auch subtiler. Wir beobachten es ähnlich bei der zeitgenössischen senatorischen Opposition gegen den Kaiser: Mit der dem Reich im Grundsatz geschuldeten Loyalität verbindet sich eine unterschwellige, aber konsequente Kritik an der Herrschaft. Wesentlich ist allerdings ein anderer Aspekt: Lukas hat die Mehrheiten und Machthaber eher am Rand im Blick. Es geht ihm um den radikalen Wechsel der Mitte, wie ihn das – im Wortsinn: re-volutionäre – Magnifikat gleich zu Beginn des Doppelwerks zu programmatischer Geltung bringt. So werden die alten Größen in evangelischer Rochade randständig. Nicht der Kaiser gewinnt teuflische Züge, sondern der Teufel neronische! Zur Zeit des Lukas ist Nero nur noch eine – wenn auch lebhafte – Erinnerung, eher Symbol als Herrscher. Gerade so schlägt freilich seine Geringschätzung auf die Regel „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“ (Lk 20,25) zurück: Bei Lukas klingt sie ein 20  Nachdrücklich jetzt Kazuhiko Yamazaki-Ransom, The Roman Empire in Luke’s Narrative, LNTS 404, London 2010, 69–203. So einseitig der Verfasser das einschlägige Textgut auslegt, so textgerecht weist er doch auf den Umstand hin, dass die Kritik des Lukas am römischen Reich nicht sozial oder politisch, sondern theologisch gezielt ist – was freilich politische und soziale Implikationen besitzt.

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wenig sarkastisch. Aber letztlich geht es ihm nicht um die Deutung des Politischen im Licht des Glaubens, sondern um die Darstellung des Glaubens mithilfe des Politischen. Die reichsrömische Herrschaftspräsentation liefert Bildgut und Anknüpfungspunkte, aber Lukas lässt sie endzeitlich hinter sich. Wenn er sich arrangiert, dann deshalb, weil die alten Größen eschatologisch gleichgültig geworden sind. Am meisten unterscheidet sich Lukas vom Seher Johannes (leider müssen wir hinzufügen: von der frühchristlichen Literatur überhaupt, zumal von ihrer Apologetik) durch seinen Humor. Gilbert Keith Chesterton, der etwas von Apologetik verstand, sah im Humor eine wirksame Waffe: „wit is a fighting thing and a working thing. […] wit is a sword; it is meant to make people feel the point as well as see it“21. Lukas legt das Schwert des Evangeliums nicht irenisch aus der Hand, er weiß es ironisch zu bedienen. Natürlich achtet er auf rhetorische Angemessenheit: Die ehrwürdige Geschichte Jesu wie die der Jerusalemer Urgemeinde bleiben, von aufhellenden Blitzlichtern abgesehen, ernst. Aber dort, wo Lukas die Begegnung zwischen dem Evangelium und jener Mittelmeerkultur beschreibt, die seine Jetztzeit prägt, nutzt er das Tableau des Humors von der derben Burleske bis zur feinen Satire.22 Die Adressaten sollen den „Punkt“ des Christentums sehen und zugleich fühlen. Ein einziges Beispiel muss genügen: die Apologia des Paulus vor dem Statthalter Felix (vgl. Apg 24,1–21). Die Ankläger  – der Hohepriester und Älteste – mieten sich einen Advokaten namens Tertullus (vielleicht nicht zufällig der Name eines berühmten Anklägers der Trajanzeit). Er hat ihre Beschuldigungen gegen Paulus vorzutragen, weil sie dazu lächerlicherweise selbst nicht in der Lage sind. Die unverhältnismäßig breite captatio benevolentiae der Anklagerede gerät zu einer Persiflage auf die offizielle Propaganda des römisches Reiches: umfassender Friede, zweckmäßige Verwaltungspraxis, Dienst am Volk, kluge Voraussicht, „in jeder Weise und überall“, Dankbarkeit der Schutzbefohlenen, Milde. Der so gerühmte Richter galt bei Juden wie Römern als abscheuliches Beispiel brutalster Verwaltungspraxis; das ihm anvertraute Land habe sich, notiert Josephus, im Kriegszustand befunden (bell. Iud. 2,256). So sieht es aus mit der Pax Romana, nimmt man die Sicht der Opfer ein: „Ausplündern, Hinmetzeln, Fortraffen – sie nennen es fälschlich Herrschaft. Und wo sie menschenleere Öde hinterlassen, heißen sie es Frieden“, lässt Tacitus einen Freiheitskämpfer sagen (Agr. 30,4). Weniger direkt, aber nicht weniger wirkungsvoll bringt Lukas die 21 In einem Essay über Mark Twain in T. P.’s Weekly (1910), in: Mark Twain, hg. v. H. Bloom, New York 2009, 214–219: 216. 22 Wir sind diesen Zusammenhängen nachgegangen in Knut Backhaus, Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte, in: Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS M. Theobald, hg. v. W. Eisele / ​Chr. Schaefer / ​H.-U. Weidemann, HBS 74, Freiburg i. Br. 2013, 209–237; zur Tertullus-Episode ebd. 213–222 [in diesem Band S. 219–243; zur Tertullus-Episode ebd. 223–230]; vgl. auch Pervo, Profit (s. Anm. 5), 58–66.

4. Antwort

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Weltsicht derer zur Sprache, qui pacem nostrum metuebant (Tacitus, ann. 12,33). Was Frieden wirklich ist, wissen die Leser des Lukas seit dem Engelgesang bei Betlehem (vgl. Lk 2,8–14)! Nach der entlarvend breiten Einleitung folgt der entlarvend knappe Hauptteil, die Anklage: Paulus ist eine Pestbeule für den Orbis Romanus! Die plumpe Bezichtigung wird mit nichts begründet als einer Lüge und bietet nichts als das Vorspiel zur glänzenden Verteidigungsrede des Paulus. Auch er beginnt mit einer captatio benevolentiae. Jetzt aber ist sie in jeder Hinsicht knapp und in mehr als einer Hinsicht wahr: Felix hat lange genug regiert! Überraschend folgt das Geständnis des Angeklagten: „Dies bekenne ich dir: Dem Weg gemäß, den sie eine Partei heißen – auf diese Weise versehe ich Dienst für den väterlich ererbten Gott“ (Apg 24,14). Die Apologie kleidet sich als ironisches Schuldbekenntnis! So stoßen wir abermals auf unsere Einsicht: Die „Schuld“ des werdenden Christentums liegt darin, dass es in der Welt ist, dass es nichts ist als es selbst – und darin liegt, recht betrachtet, seine überzeugende Apologia! Die humorvolle Gestalt, in der diese Einsicht daherkommt, zeigt zwischen den Zeilen, dass Apologie leichtfüßig werden kann, weil sie nichts zu befürchten hat als menschliche Strafverfolgung. Der Glaubende sieht keine andere Welt, aber er sieht die Welt anders. Sie ist nicht abgrundtief schlecht, aber, im Licht des Glaubens betrachtet, mitunter recht bizarr. Das Wesen des Humors liegt darin, dass er sich παρὰ τὴν προσδοκίαν (vgl. Ps-Demetrios, De elocutione 152 f.) richtet: gegen die Erwartung. So lebt auch die gewitzte Überraschung bei Lukas wesentlich aus unerwartbaren Rollenrochaden: Opfer werden zu Überraschungssiegern und eine Minderheit gewinnt die Oberhand, während die Mächtigen ins Farblose sinken oder sich verblüfft auf der Verliererseite wiederfinden. Solcher Humor setzt das Programm des Magnifikat um: Die „Erwartung“, die er pointiert durchbricht, sind die Selbstverständlichkeiten der nichtgläubigen Welt. Man hat die Apologetik des Lukas dann verstanden, wenn man einsieht, dass es für den Glaubenden am Ende immer Grund zum Lachen gibt. Lachen ist die herzhafteste Verteidigung der eigenen Soteriologie.

4. Antwort Apologie, auf eine einfache Formel gebracht, ist die „Kunst des Antwortens“, „und zwar auf die Frage nach Sinn und Wahrheit des christl. Lebens und seiner tragenden und leitenden Daseinsgewißheit“23. Lukas antwortet nirgends unmittelbar auf bedrängende Fragen von Außenstehenden. Die vielfältigen Begegnungen, in denen er das Evangelium vorstellt, belegen jedoch, dass der „Weg“ 23 So (mit Paul Tillich) Eilert Herms, Art. „Apologetik VI. Fundamentaltheologisch“, in: RGG4 I (1998) 623–626: 623.

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(wie Lukas das werdende Christentum nennt) Antwortstruktur besitzt. So wird das Evangelium als die verkündigte Antwort auf die Frage vernehmbar, die der Mensch sich selbst ist. Daher wird Jesus Christus vor dem Verstehenshorizont des Alten Testaments wie der aktuellen Mittelmeergesellschaft vor Augen geführt: Er verkörpert religiöses Fernweh und entspricht dem uralten Anliegen, dass das Menschsein gelingen möge. Aus diesem Grund wird die Urgemeinde zu einer idealen Lebensform, die als solche werbend wirkt: nicht, indem sie – gar mit ihrer Moral, Demut, Armut, Barmherzigkeit, Geschwisterlichkeit – für sich wirbt, sondern indem sie die ihr geschenkte Daseinsgewissheit auslebt, sie als tragend und leitend erfährt und erfahren lässt. Sie kommt keiner Moral nach, sie erfüllt im Zeichen Christi Menschheitshoffnung. Wenn das Evangelium Antwortstruktur besitzt, dann ist der Mensch zwar fraglich, aber so falsch kann er nicht sein. Der Höhepunkt aller Verteidigungsreden der Apostelgeschichte liegt in der Feststellung: Das Evangelium führt kein Winkeldasein (vgl. Apg 26,26)!24 Christentum gehört in die Mitte der Welt, weil es die Mitte des Menschseins trifft. Die Apologie des Lukas setzt die humane Weite des Evangeliums voraus: Deshalb muss das Christentum, wie der Eingang im Tempel von Jerusalem belegt, unvordenklich alt sein. Deshalb kennt es, wie der Ausgang in Rom belegt, keine Grenzen, außer die programmatische Grenze der Erde  – und selbst die, verstehen wir die Himmelfahrt richtig, nur äußerlich. Lukas schottet das „Vorfeld des Glaubens“ deshalb nicht ab, sondern er weitet es aus: auf die Geschichte der Menschheit, bis an die Grenzen der Erde, bis an das Ende der Zeit. Alles wird Vorfeld, wenn das Evangelium Mitte ist.

24 Vgl. näher Abraham J. Malherbe, “Not in a Corner”: Early Christian Apologetic in Acts 26:26, in: SecCen 5 (1985/86) 193–210.

Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9) Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit* Today, the Christian message finds itself placed on the postmodern market of possibilities. The Lukan art of persuasion was developed in an analogous situation and may teach us the optimism to convince a dominant non-Christian world on the basis of plausible reasons. Such plausibility is not argued but enacted, thrown before our eyes, in the narration of the Book of Acts. This essay, originally an address delivered to a broader audience, tries to demonstrate how Luke perceives his pluralistic world and how he responds to its challenges in order to demonstrate the attractivity factors of the gospel and its open future: ancient roots, individual dignity, social coherence, critical contemporaneity, in sum: Christ as God’s answer to the question of what it means to be human.

1. Problemhorizont: Das Evangelium auf dem Markt der Möglichkeiten „Lebt das Wort, so wird es von Zwergen getragen; ist das Wort tot, so können es keine Riesen aufrechterhalten“ – Solchermaßen zeigt Heinrich Heine, Spötter und Pfaffenfresser, in seiner Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland1 die Geburt der historisch-kritischen Exegese2 an. Zugleich meldet er einen ergreifenden Sterbefall: „[…] es ist der alte Jehova selber, der sich zum Tode bereitet. Wir haben ihn so gut gekannt, von seiner Wiege an, in Ägypten, als er unter göttlichen Kälbern, Krokodilen, heiligen Zwiebeln, Ibissen und Katzen erzogen wurde […] – wir sahen, wie er sich […] vergeistigte, wie er sanftselig wimmerte, wie er ein liebevoller Vater wurde, ein allgemeiner Menschenfreund, ein Weltbeglücker, ein Philanthrop – es konnte ihm alles nichts helfen * Vortrag zur Akademischen Jahresfeier am 16. 10. ​2000 im Auditorium Maximum der Theologischen Fakultät Paderborn anlässlich des Amtsantritts als Rektor. – Der mündliche Vortragsstil wurde weithin beibehalten. Das Gewicht der Anmerkungen erklärt sich aus der Absicht, dem Festauditorium kein fachexegetisches Kolleg zu bieten, den Fachkollegen indes Begründung, Präzisierung und Forschungsanbindung nicht ganz schuldig zu bleiben. 1 Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834/​ 1852), hg. v. W. Harich, Frankfurt a. M. 1966, 134. 2  „Diese Richtung in der protestantischen Theologie beginnt mit dem ruhigen Semler, den ihr nicht kennt, erstieg schon eine besorgliche Höhe mit dem klaren Teller, den ihr auch nicht kennt, und erreichte ihren Gipfel mit dem seichten Bahrdt, an dessen Bekanntschaft ihr nichts verliert“ (Heine, Geschichte [s. Anm. 1], 135).

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Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9)

– Hört ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder – man bringt die Sakramente einem sterbenden Gotte“.3

In dem Moment also, in dem sich die Vernunft aus dem Würgegriff des Buchstabens befreit, muss das Wort sterben – und mit ihm auch jener, bei dem es „im Anfang“ war. Das Glöckchen freilich klingelt immer noch, und wenn heute keiner mehr niederkniet, so weil man sich an den Klang längst gewöhnt hat. Das Glöckchen vom sterbenden Gott klingelt vergnügt im journalistischen Kirchenjahr durch Spiegel und Stern; es klingelt vergrämt auf so mancher Pastoralkonferenz, wo in Fieberkurven der aktuelle Glaubensstand berechnet wird; es klingelt verschämt in klammer Theologenbrust, die sich – wie auf der Intensivstation – fragt, ob der Patient die kommende Nacht wohl überstehen wird. Aber der Patient, umsorgt von zaghaften Zwergen, atmet immer noch. Dieser Vortrag sei genutzt, um durch alle Trauerschleier hindurch solchen langen Atem zu analysieren. Als Arzt bietet sich Lukas an. Er bietet sich weniger deshalb an, weil die Überlieferung ihm just diesen Beruf zuschreibt, schon eher, weil die Lukasforschung gute Tradition in Paderborn hat. Vor allem aber darum: Wer denn sollte uns Kurzatmige besser therapieren als der Theologe des langen Atems? Und genau das ist Lukas in doppelter Hinsicht. Man hat ihn den Evangelisten des Heiligen Geistes genannt, und das πνεῦμα, der Lebensatem Gottes, ist in der Tat die heimliche Hauptperson seines Doppelwerks. Und dann: Solcher Atem ist so lang, dass Lukas als einziger der Evangelisten mit der Auferstehung nicht etwa aufhört, sondern erst so richtig anfängt. Denn es geht ja nicht nur darum, dass Christus eine Frohe Botschaft gebracht hat; es gilt ja auch, die Menschen davon zu überzeugen. Und überzeugen will Lukas! Bereits im ersten Satz seines Doppelwerks legt er dem Theophilos („Gottlieb“ – wir lesenden Gottesfreunde dürfen uns angesprochen wissen) als dem Prototyp des intendierten Lesers seine Wirkabsicht offen: „damit du dich von der Tragfähigkeit (ἀσφάλεια) der Logoi überzeugst (ἵνα ἐπιγνῷς), von denen du unterrichtet wurdest“ (Lk 1,4).4 πείθω ist denn  Heine, Geschichte (s. Anm. 1), 148.  Das Doppelwerk ist nicht der protreptischen Textsorte zuzuordnen, sondern richtet sich primär ad intra. Gleichwohl fehlt ihm der Seitenblick ad extra keineswegs, wie denn bereits die enigmatische Gestalt des Theophilus eher im inter als im intra anzusiedeln ist. Die Grenzen zum extra sind fließend, und das religiöse Milieu dürfte das umkämpfte (und uneindeutige) Feld der „Gottesfürchtigen“ (σεβόμενοι, φοβούμενοι [τὸν θεόν]) sein. Der Versuch, pagane Leser zu überzeugen, und der Versuch, die Christen von der Tatsache zu überzeugen, dass sie in der Tat überzeugend sind, gehen ineinander über, wenn auch die Formung des christlichen Selbstverständnisses offenkundig den Vorrang hat. Zur Diskussion Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., HThKNT 5, Freiburg i. Br. 1980/1982, I: 139–147; Max Wilcox, The “God-Fearers” in Acts – a Reconsideration, in: JSNT 13 (1981) 102–122; Thomas M. Finn, The God-Fearers Reconsidered, in: CBQ 47 (1985) 75–84; John G. Gager, Jews, Gentiles, and Synagogues in the Book of Acts, in: Christians among Jews and Gentiles. FS K. Stendahl, hg. v. G. W. E. Nickelsburg / ​G. W. MacRae, Philadelphia, Pa. 1986, 91–99; Martinus C. De Boer, God-Fearers in Luke-­Acts, in: Luke’s Literary Achievement, hg. v. C. M. Tuckett, JSNTS 116, 3 4

1. Problemhorizont: Das Evangelium auf dem Markt der Möglichkeiten

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auch ein Herzwort, das viel über das lukanische Programm verrät.5 Darin – wie auch sonst – teilt der dritte Evangelist den Bildungsoptimismus jenes Volkes, in dem Peitho, die Überzeugungskraft, gar als Göttin verehrt wurde – freilich neben ihrer nicht unverdächtigen Cousine Ananke (vgl. Hdt. 8,111,2 f.).6 Bei Lukas jedoch ist die Peitho Schwester der Martyria.7 πιστεύειν und das rational verantwortete πείθεσθαι werden im Zuge seiner Erzählung weithin synonym: Glauben heißt sich durch gute Gründe gewinnen lassen. Welcher Art sind diese Gründe? Lukas nennt sie nicht, er inszeniert sie im Modus der Erzählung.8 Die Apostelgeschichte fügt dem Evangelium theologisch nichts hinzu, sondern beleuchtet seine maßgebliche Ausführung. In Form gesammelter Modellerzählungen dient sie der Identitätswahrung und ‑erweiterung des Christentums durch Evangelisierung. Einfacher gesagt: Das Evangelium begibt sich in der Apostelgeschichte auf den Markt der religiösen Möglichkeiten.9 Der Neutestamentler wird nicht geschichtslos parallelisieren. Aber er nimmt wahr, dass wir heute nach fast zwei Jahrtausenden erstmals wieder in einer Situation stehen, die für die ersten Christen Alltag war und in deren Schatten Lukas seine Quellen suchte: eine abenteuerSheffield 1995, 50–71; Joseph B. Tyson, Jews and Judaism in Luke-­Acts: Reading as a Godfearer, in: NTS 41 (1995) 19–38; problematisierend und weiterführend Günter Wasserberg, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas, BZNW 92, Berlin 1998, 44–54. 5 Von 24 Belegen in der erzählenden Literatur gehen 21 auf Lukas zurück. Allerdings ist der semantische Spielraum weit; urchristliche Überzeugungsarbeit beschreibt das Verbum Apg 13,43; 17,4; 18,4; 19,8.26; 26,28; 28,23.24 (vgl. Lk 16,31; 20,6). Zum Wortbefund Rudolf Bultmann, Art. πείθω κτλ, in: ThWNT VI (1959) 1–12; Jens-Wilhelm Taeger, Der Mensch und sein Heil. Studien zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas, StNT 14, Gütersloh 1982, 147–149; Alexander Sand, Art. πείθω, in: EWNT III (1983) 148–150. 6  Vgl. Walter Pötscher, Art. „Peitho“, in: KP IV ([1975] 1979) 591 f. 7  Mit diesem Wortfeld ist die primäre Kennzeichnung der Verkündigung in Apg genannt; dazu näher Ernst Nellessen, Zeugnis für Jesus und das Wort. Exegetische Untersuchungen zum lukanischen Zeugnisbegriff, BBB 43, Köln 1976; Manfred Korn, Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit. Studien zur bleibenden Bedeutung Jesu im lukanischen Doppelwerk, WUNT II / ​51, Tübingen 1993, 193–213. 8  Zur narrativen Auslegung des lukanischen Doppelwerks konzeptionell Beverly R. Gaventa, Toward a Theology of Acts. Reading and Rereading, in: Interp. 42 (1988) 146–157; Mark A. Powell, Toward a Narrative-Critical Understanding of Luke, in: Interp. 48 (1994) 341–346 sowie die Texterschließungen bei Robert C. Tannehill, The Narrative Unity of Luke-­Acts. A Literary Interpretation, 2 Bde., Philadelphia, Pa. (1986/1990) 1990/1994; Wasserberg, Mitte (s. Anm. 4), 69–357. 9  Apg fügt dem πρῶτος λόγος substantiell nichts hinzu und ist theologisch allein, von Lk isoliert, nicht lebensfähig. Das Evangelium handelt fundamental von dem, was Jesus „tat und lehrte“ (Apg 1,1)  – die Apg von dessen Konsequenz in geistgetragener Bezeugung (1,8). So bildet Apg als Dokumentation des Christus-Zeugnisses der Urkirche gewissermaßen die eine Hälfte des Rings, dessen andere das Christus-Zeugnis von „Mose und den Propheten“ darstellt. In diesem theologisch-konzentrischen (nicht aber geschichtlich-linearen!) Sinn beschreibt das Evangelium die Jesus-Zeit als die Mitte der Zeit. So lässt sich die Trias strukturieren: Normative Erwartung – grundlegende Offenbarung – normative Aufnahme. Vgl. dazu Korn, Geschichte (s. Anm. 7), bes. 270–273.

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liche Konkurrenz von Weltanschauungen, unter denen sich die Sachwalter des Evangeliums nicht als Schiedsrichter oder FIFA-Präsidenten bewegen, sondern schlicht als Mitspieler.10 Sie müssen allererst beweisen, was eigentlich im Evangelium steckt, so wie der lukanische Paulus: vor Skeptikern, Spöttern, Schlafmützen, Schwerhörigen und Leichtgläubigen in Synagogen, auf Basaren und in Dachkammern – oder (und hier löse ich die rätselhafte Überschrift auf) in jenem Hörsaal (σχολή), den Paulus in Ephesus anmietet bei einem Schulmeister namens Tyrannus, um dort (als alles andere schwierig wird) über das Evangelium διαλέγεσθαι – Gespräch zu pflegen – ebenfalls ein lukanisches Vorzugsverb11 (Apg 19,8–10).12 Verkündigung geschieht durch διαλέγεσθαι – durch Zusammenkommen mittels Auseinandersetzung. Kritische Inkulturation nennen wir es heute. Fassen wir zusammen: Der Logos auf den Märkten der antiken Multikultur – das ist der Ernstfall des Evangeliums in der Apostelgeschichte. Ich darf unsere Frage nach dem langen Atem Gottes also präzisieren, sodass sie exegetisch korrekt lautet: Wie begründet der Auctor ad Theophilum seinen optimistischen Anspruch, das Evangelium könne eine plurale nicht-christliche Umwelt für das Christsein gewinnen? In zwei Umläufen sei diese Frage eingekreist. Erster Umlauf: Wie nimmt Lukas diese fast „postmoderne“ Umwelt wahr? Zweiter Umlauf: Woran liegt es nach Lukas, dass ausgerechnet in solcher Umwelt das Evangelium so attraktiv wirkt?

2. Erster Umlauf: Lukanische Skizzen einer kurzatmigen Zeit Sehr lehrreich ist es, wie unser Chronist jene Kultur malt, mit der Paulus es im Hörsaal zu Ephesus zu tun bekommt. Das Bestechende an seinem Entwurf liegt darin, dass er ganz das Postulat Ludwig Wittgensteins einzulösen scheint: „Denk 10  Vgl. Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996, 11 f.; diese Studie sowie die (gattungskritisch allerdings anfechtbare) Monographie von Richard I. Pervo, Profit with Delight. The Literary Genre of the Acts of the Apostles, Philadelphia, Pa. 1987 haben meine Überlegungen in mancher Hinsicht angeregt. Vgl. insgesamt auch Bruno Wildhaber, Paganisme populaire et prédication apostolique, Genf 1987; Richard I. Pervo, Luke’s Story of Paul, Minneapolis, Minn. 1990; Knut Backhaus, Evangelium und Kultur. Oder: Vom Bruch einer (über‑)lebensnotwendigen Allianz, in: Über-Gänge – Die Kirche im 3. Jahrtausend. Forum Zukunft, hg. v. U. Zelinka, Paderborn 2000, 19–48. 11  Von 13 ntl. Belegen 10 in Apg (17,2.17; 18,4.19; 19,8 f.; 20,7.9; 24,12.25). Zum Wortbefund Gottlob Schrenk, Art. διαλέγομαι κτλ, in: ThWNT II (1935) 93–98: 93–95; George D. Kilpatrick, διαλέγεσθαι and διαλογίζεσθαι in the New Testament, in: JThS 11 (1960) 338–340; vgl. näher Dieter W. Kemmler, Faith and Human Reason. A Study of Paul’s Method of Preaching as Illustrated by 1–2 Thessalonians and Acts 17,2–4, NT.S 40, Leiden 1975, 18–32. 12  Zur Deutung der etwas enigmatischen Tyrannus-Notiz Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen (10/11956) 16/71977, 535–538; Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte, 2 Bde., EKK 5, Zürich / ​Neukirchen-Vluyn 1986, II: 167–169.

2. Erster Umlauf: Lukanische Skizzen einer kurzatmigen Zeit

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nicht nach, schau hin!“ Lukas geht nicht als grüblerischer Gottprotz, Bescheid wissend und gebend, auf diese nicht-christliche Umwelt zu, sondern lernbereit, also christlich-selbstbewusst. Schwarz-Weiß-Kolorierung fehlt bei ihm fast ganz. Wenn die Mehrheit anders denkt, als der Evangelist es gerne sähe, dann fordert dies heraus, besser, nicht bitterer zu werden: „Kultur des Todes“ würde Lukas seine Lebenswelt sicher niemals nennen. Und umgekehrt, der Sinn des Evangeliums liegt für Lukas keineswegs darin, sich den jeweiligen Plausibilitäten der Mehrheit geschmeidig anzudienen, zahm und zahnlos hinter dem Zug der Zeit zu zotteln, die Hilflosigkeiten zu verdoppeln und ein paar abgeschliffene Profile als innere Heimat anzubieten. Kurzum: Lukas beschreibt die Adressaten des Evangeliums mit theologischer Sympathie und Differenzierungsbereitschaft. Gerade inmitten all der zum Teil bizarren Symptome religiöser Orientierungslosigkeit sieht er sie vor allem als zur Selbstüberschreitung geneigte Hörer des Wortes. So malt Lukas farbige Szenen mit den buntesten Charakteren, und er malt sie mit sehr unterschiedlichen Federn: Mit der klaren Feder des Respekts die suchenden Menschen: die Fragenden, die es mitten ins Herz traf, wie es in der Pfingsterzählung heißt (Apg 2,37); die Bibelleser wie jenen Äthiopier, den Philippus auf seinem Fuhrwerk begleitet (8,26–40); die Jünger aus dem halbkirchlichen Freibeutermilieu, die noch nicht einmal davon gehört haben, es könne einen Heiligen Geist geben (vgl. 18,24– 19,7); römische Beamte, zwielichtig oft, auch innerlich zerrissen, doch mit einer Spur von heimlicher Sympathie (z. B. 13,7.12; 24,22–27); Intellektuelle wie jene Epikureer und Stoiker, die den Paulus auf der Agora hören wie einst die Athener an gleicher Stelle den Sokrates und ihn mit ähnlichen Worten kommentieren (17,17–20).13 Mit der derben Feder der Polemik zeichnet Lukas oft die einzig ernst zu nehmenden Mitbewerber im Milieu der Gottesfurcht: die Juden. Doch scheint mir gegen holzschnittartige Rekonstruktionen Sorgfalt angebracht: Bei Lukas gibt es – das ist in der Schwellenzeit des parting of the ways bemerkenswert – auch das andere Bild, und es entscheidet sich nicht an der Taufe: Juden, die die Kunst des Zuhörens beherrschen (Apg 25,13–26,32), die ritterlichen (εὐγενέστεροι) Synagogenmitglieder von Beröa (17,10–15), den weisen Gamaliel und den greisen Simeon, der prophetisch von der Herrlichkeit Israels spricht und von dem Schwert, das nicht nur die Seele der Jüdin Maria, sondern die ihres Volkes durchschneidet (Lk 2,34 f.).14 13 Zur Auslegung der Areopagrede Karl Löning, Das Gottesbild der Apostelgeschichte im Spannungsfeld von Frühjudentum und Fremdreligionen, in: Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, hg. v. H.-J. Klauck, QD 138, Freiburg i. Br. 1992, 88–117: 103–110; Klauck, Magie (s. Anm. 10), 88–111. 14  Zu diesem disclosure-Text näher David L. Tiede, “Glory to Thy People Israel”: Luke-Acts and the Jews, in: Luke-Acts and the Jewish People. Eight Critical Perspectives, hg. v. J. B. Tyson,

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Mit der spitzen Feder der Ironie malt Lukas die leichtgläubigen Heiden, wie jene im entlegenen Lystra, die Barnabas und Paulus für Zeus und Hermes halten, sodass sie Stiere und Opferkränze nebst zugehörigem Priester heranschleppen und erst theologischer Aufklärung bedürfen (Apg 14,8–18).15 Oder jene naiven Königsanbeter, die die Stimme des Agrippa in der Arena zu Cäsarea als die eines Gottes proklamieren – Zeitsatire zum Thema Nero liegt nahe (12,19b–23);16 die Beschwörer, die Paulus nachzuahmen suchen, aber etwa von einem verdrießlichen Dämon in burleskem Spiel nackt und zerschunden fortgejagt werden, ist dieser doch prominentere Exorzisten gewohnt: „Jesus kenne ich und Paulus auch. Doch wer seid ihr?“ (19,13–19)17 Von all diesen Menschen am Wegrand des Evangeliums schließen sich die einen dem „Weg“ an, wie Lukas die christliche Bewegung nennt,18 die anderen nicht. Lukas geizt mit Erzählerkommentaren: Denen, die den Weg betreten, wird nicht der Lohn des Lobs entgegengebracht, denen, die davongehen, nicht apokalyptischer Zorn nachgeschickt. Er nimmt es mit erzählerischer Noblesse, wie es kommt. Die einzigen Menschen, denen er (und damit das Neue Testament überhaupt) den Ritterschlag des Adjektivs φιλάνθρωπος gibt, sind ausgewiesene Heiden: ein römischer Soldat (Apg 27,3) und maltesische Barbaren (vgl. 28,2).19 Solche Weitherzigkeit scheint mir zwei Gründe zu haben: (1) In all den grellen Momentaufnahmen meldet sich fast dramatisch ein seelisches Heimweh, das geradezu nach einer Inkulturation des Evangeliums ruft: Die Verkünder werden mit Fragen überhäuft; so anziehend spricht Paulus in Tyrannus’ Hörsaal, dass man ihm gar, wie Lukas heiter meldet, Schnupftücher und Leibwäsche entwendet, um sie als Talisman zu gebrauchen (vgl. Apg 19,12). Am Wegrand türmt sich eine esoterische Flut von Zauberbüchern und selbstgebastelten Privatreligionen. Die Darsteller – sie schwanken: zwischen gutem Willen und der Lähmung durch dämonische Kräfte (zu Philippi hält man sich einen horoskopischen Wahrsagegeist: 16,16–18), der Diktatur des Profits Minneapolis, Minn. 1988, 21–34; Bart J. Koet, Simeons Worte (Lk 2,29–32.34c–35) und Israels Geschick, in: The Four Gospels 1992. FS F. Neirynck, hg. v. F. Van Segbroeck u. a., 3 Bde., BETL 100, Löwen 1992, II: 1549–1569, bes. 1564–1566. Zum tragischen Aspekt in der Darstellung des Judentums bei Lukas (dem der persiflierende Grundzug mancher Darstellung der paganen Welt gegenübersteht) Robert C. Tannehill, Israel in Luke-Acts: A Tragic Story, in: JBL 104 (1985) 69–85. 15  Dazu Pervo, Profit (s. Anm. 10), 64 f.; Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 102 f.; Klauck, Magie (s. Anm. 10), 69–76. 16  Dazu Wildhaber, Paganisme (s. Anm. 10), 69–74; Klauck, Magie (s. Anm. 10), 51–57. 17 Dazu Pervo, Profit (s. Anm. 10), 63; Wildhaber, Paganisme (s. Anm. 10), 112–124; Klauck, Magie (s. Anm. 10), 114–116. 18 Apg 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22. Die Paraphrase „(neuer) Weg“ in der Einheitsübersetzung bringt insofern das Gegenteil des Gemeinten zur Geltung, als es Lukas gerade darum geht, die christliche Richtung nicht als neue Abspaltung von Israel erscheinen zu lassen, sondern als den (uralten) Weg Gottes mit Israel [Nachtrag 2018: In der revidierten Einheitsübersetzung von 2016 wurde die Fehlübersetzung berichtigt]. 19  Vgl. auch Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 89–92.

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(am Wirtschaftsstandort Ephesus wird Artemis schon um des Devotionalienmarketings wegen verehrt: 19,23–40) und dem Zwielicht öliger Amüsierkultur (zu Cäsarea lässt man sich von der Predigt solange faszinieren, bis sie in Ethik mündet: 24,24–27). Die Dramatik des narrativen Episodenstils weist hin auf das Drama im Seelenkampf.20 Hintergründig wirkt die metaphorische Opposition Licht / ​Finsternis: So blind wie Saulus vor Damaskus war, sind diese Menschen noch immer, und das Licht, das dem Apostel in seiner Osterchristophanie aufging, kann dort, wo Menschen sich in der personalen Begegnung mit dem Evangelium die Augen öffnen lassen, von neuem strahlen (vgl. 26,12–23).21 (2) Neben das seelische Heimweh tritt das metaphysische Fernweh: In all dem Suchen und Tasten, so krumm es sich mitunter gebärdet, sieht Lukas das Fragezeichen, ohne das Verkündigung ja gar nicht leben kann. Heikler wäre wohl eine Kultur der Auslassungspünktchen und vorschnellen Ausrufezeichen. Bezeichnend scheint mir hier vor allem die Wegstation Athen, und dort kommentiert Lukas denn doch: „Alle Athener und die Fremden hatten für nichts anderes Zeit, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören“ (Apg 17,21). Genau daran knüpft Paulus in der Areopagrede an, freilich mit Uraltem: „Athener, ich nehme wahr, dass ihr durch und durch religiöse Menschen seid. Denn als ich herumging und eure Heiligtümer besichtigte, fand ich auch einen Altar, auf dem geschrieben steht: ,Einem unbekannten Gott!‘ Was ihr also verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch!“ (17,22 f.) Kurz darauf das desiderium naturale als Daseinsgrund des Glaubens, sekundiert von dem Stoiker Aratos (Arat. 5; vgl. Aristobulos, fr. 4 [Eusebios, praep. 13,13,3–8]) – ausgerechnet mit einem Trinkspruch auf den olympischen Zeus:22 Gott artverwandt sind die Menschen, erschaffen, „dass sie Gott suchen, ob sie ihn wohl ertasten und finden können, ist er doch keinem Einzigen von uns fern. Denn in ihm leben wir und bewegen wir uns und sind wir“ (17,27 f.).23 Ich erlaube mir das Fragezeichen, in dem Lukas seine Welt mit ihrem Heim‑ und Fernweh sieht, zusammenfassend zu visualisieren mit einer zeitgenössischen Plastik: der Laokoon-Gruppe (Abb. 1).24 Etwa in der Zeit, als das Doppelwerk entstand, bewunderte Plinius d. Ä. sie im Haus des Titus: Laokoon, der Skeptiker 20  Zum dramatischen Episodenstil der Apg Eckhard Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StUNT 9, Göttingen 1972, 80–111. 21  Vgl. auch Dennis Hamm, Paul’s Blindness and Its Healing: Clues to Symbolic Intent (Acts 9; 22 and 26), in: Bib. 71 (1990) 63–72. 22  Vgl. Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 109. 23 Zur näheren Charakterisierung des vorgläubigen und entscheidungsfähigen Adressaten bei Lukas Taeger, Mensch (s. Anm. 5), 19–103. 24  Einen knappen Überblick gibt Richard Neudecker, Art. „Laokoongruppe“, in: DNP VI (1999) 1135–1137; vgl. näher Georg Daltrop, Die Laokoongruppe im Vatikan. Ein Kapitel römischer Museumsgeschichte und Antiken-Erkundung, Xenia 5, Konstanz 1982; German Hafner, Die Laokoon-Gruppen. Ein gordischer Knoten, AAWLM.G 1992/5, Mainz 1992 (Lit.: 47–55); Horst Althaus, Laokoon. Stoff und Form, Tübingen (1968) 22000.

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Abb. 1. Marmorgruppe: Tod des Laokoon und seiner Söhne; Rom: Vatikanische Museen.

von Troja, wird mit seinen Söhnen verhängnishaft von den Meeresschlangen erwürgt, die eine unsichtbar bleibende Gottheit ihm schickt. Der verkrümmte, weiß Gott kurzatmige und doch edel über sich hinausweisende Kampf des Menschen – Plinius hat diese Plastik als Metapher für seine Zeit25 gedeutet. Sehr weit ist die plastische Erzählung seines Zeitgenossen Lukas gar nicht von ihm entfernt.

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opus omnibus et picturae et statuariae artis praeferendum (Plinius d. Ä., nat. 36,37).

3. Zweiter Umlauf: Der lange Atem des Evangeliums

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3. Zweiter Umlauf: Der lange Atem des Evangeliums Dünn ist es geworden, das Eis, das uns trägt! Der Wind, der uns heute entgegenbläst, mag Tauwind sein, und dort, wo wir noch gehen, wird bald niemand mehr gehen können. Wo altgediente und angehende Seelsorger solch Prophetie im Sinne Friedrich Nietzsches26 hören, da laufen ihnen in der Tat Eisschauder den Rücken hinunter, und darunter leidet der aufrechte Gang durch die Theologie, zumal die Fächer mit empirischer oder historisch-kritischer Methodik: Das Eis ist dünn, und jeder theologische Gedanke belastet es unnötig. So sieht sich zunehmend schon der Studierende des zweiten Semesters, längst nicht mehr aufgewachsen im tragend-katholischen Milieu, in der furchtbaren Verantwortung, die fragilen Eisschichten des Glaubens vor den derben Stiefeln empirischer Vernunft und theologischer Reflexion zu retten. Im Hörsaal des Tyrannus pflegte man anderes διαλέγεσθαι! Ihr habt, so versichert Lukas seinen Lesern, nicht dünnes Eis unter den Füßen, sondern Boden, festen, ewigen Boden! Konkret daher: Warum ist das Evangelium für Lukas bleibend attraktiv? Warum vermag es selbst den Theologen dauerhaft zu tragen? Und warum hat es in den anderthalb Jahrhunderten nach Lukas (und lange vor Konstantin) die Kultur dieser kurzatmigen Kämpfer von innen her erobern können? – Lukas narrativiert vier Überlebens‑ und Attraktivitätsfaktoren. 3.1 Das Schwergewicht des Alters in einer leichtfüßigen Welt „Junger Wein in neue Schläuche!“ fordert Jesus im Markusevangelium (Mk 2,22), doch Lukas fügt seinem Seitenreferenten eine überraschende Korrektur hinzu: „Keiner, der alten Wein gekostet hat, will jungen; denn er sagt: der alte ist besser!“ (Lk 5,39) Das in der Antike so plausible Altersargument τὸ πρεσβύτερον κρεῖττον spielt für Lukas tatsächlich eine verblüffend starke Rolle.27 Verblüffend! Denn anders als die zaghaften Zwerge von heute konnte er sich ja nicht darauf stützen, dass er die älteste und größte Bewegung der Menschheitsgeschichte vertrat: ein Erfahrungsvorsprung von 2000 Jahren und ein menschlicher Reichtum von zur Zeit 1,8 Milliarden Christen. Zwar meldet er im Rückblick forsch: „Ein großes Volk“ (Apg 18,10) hat Gott in Korinth gesammelt. Doch man schätzt, dass Paulus 30 bis 50 Christen um sich gesammelt hatte, ein halbes Promille der Stadtbevölkerung. Weltweit mögen es damals vielleicht 40.000

26 Vgl. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft ([1882] 1887), in: ders., Werke in drei Bänden II, hg. v. K. Schlechta, Darmstadt (1955) 1997, n. 377 (S. 251 f.). 27  Zum Altersbeweis in der paganen, jüdischen und christlichen Literatur Peter Pilhofer, Πρεσβύτερον κρεῖττον. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, WUNT II / ​39, Tübingen 1990.

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Christen gewesen sein,28 85 bis 90 % konnten nicht lesen noch schreiben.29 Der Eindruck, das Christentum sei eine modische Winkelsekte, ein obskurer orientalischer Kultverein unter vielen, gestern entstanden und morgen verendet, lag nahe. Auf den schon damals laut werdenden Vorwurf an die Christen „Ihr seid von gestern!“ erwidert Lukas pikiert: „Nein, nein: von vorgestern!“ Der Eindruck spritziger Heutigkeit galt als triftiges Argument gegen den Wahrheitsanspruch des Christentums. Die Lukasforschung belässt es oft bei dieser chronologischen Denkfigur. Doch ist sie nur eine Funktion der lukanischen Christologie. Deutlich wird dies schon am breiten Eingangsportal des Doppelwerks, das gezielt altertümelnd mit Septuagintismen geschmückt ist: Dort sammeln sich jüdische Priester und Lehrer, ein frommer Greis und noch im gesetzten Alter von 105 Jahren die Prophetin Hanna (Lk 2,36–38),30 um dieses Kind zu bezeugen als den seit jeher Erwarteten, stellen es leibhaftig in das Kontinuum der uralten Hoffnungsgeschichte Israels.31 „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt“ (Apg 5,30) – „Dem Weg entsprechend, den sie eine Sekte nennen, diene ich dem von den Vätern ererbten Gott“ (24,14) – solche Wendungen sind charakteristisch für die lukanische Geschichtssicht. Der Weg – so zeigt Lukas – hat eine lange Strecke hinter sich. Zwei Grundfaktoren kennzeichnen ihn; genauer betrachtet sind es gerade jene Faktoren, die auch das Judentum im ersten Jahrhundert zu einer anziehenden Religion werden ließen: Zuerst die Heilsgeschichte des einen Gottes mit seinem Bundesvolk – in den großen Missionsreden wird die innere Logik dieser Geschichte auf den Messias Jesus hin gelenkt (z. B. 2,14–36). Sodann die Heilige Schrift – in den rezeptionsleitenden Auslegungspassagen wird das Christus-Geschehen als die geoffenbarte Mitte von „Mose und den Propheten“ erschlossen (z. B. 28,23).

28 Schätzungen dieser Art sind freilich denkbar ungesichert und sollen nur einen annähernden Eindruck geben; vgl. Robin L. Fox, Pagans and Christians, New York (1986) 1987, 268–271; Ernst Dassmann, Kirchengeschichte I: Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten, KStTh 10, Stuttgart 1991, 260–262. 29  Zum Problem der Lese‑ und Schreibkundigkeit im Urchristentum Harry Y. Gamble, Books and Readers in the Early Church. A History of Early Christian Texts, New Haven, Conn. 1995, 2–10; Carolyn Osiek, The Oral World of Early Christianity in Rome: The Case of Hermas, in: Judaism and Christianity in First-Century Rome, hg. v. K. P. Donfried / ​P. Richardson, Grand Rapids, Mich. 1998, 151–172: 159. Die geschätzte Alphabetisierungsrate dürfte der entsprechen, die in der westlichen Antike überhaupt anzunehmen ist; dazu ausführlich William V. Harris, Ancient Literacy, Cambridge, Mass. 1989. 30 Ich beziehe die 84 Jahre aufgrund der Opposition zwischen V. 36b und V. 37a auf die Zeit der Witwenschaft (vgl. Jdt 16,22 f.); vgl. Heinz Schürmann, Das Lukasevangelium I, HThKNT 3/1, Freiburg i. Br. (1969) 41990, 130. 31  Vgl. näher Ulrich Busse, Das „Evangelium“ des Lukas. Die Funktion der Vorgeschichte im lukanischen Doppelwerk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 161–179, bes. 172–175.

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Solche Dynamik hat Paul van Buren unter dem grimmigen Aufsatztitel On Reading Someone Else’s Mail veranschaulicht.32 In der Tat liegt hier ein Pro­ blem: Lukas würdigt die heilsgeschichtliche Rolle Israels, Jerusalems, der Tora, des Tempels mit Nachdruck. Wird jedoch am Anfang des Doppelwerks das Judentum mit allen Heilslichtern angestrahlt, so ist am Ende die Beleuchtung der Schauplätze umgeschwenkt: Gottes Machtglanz liegt über der christlichen Gemeinde; die  Ἰουδαῖοι, so scheint es, bleiben nach dem letzten Gespräch mit Paulus verstockt im Schatten zurück.33 Umso dringlicher wird es, das offene Ende des Doppelwerks exegetisch ernst zu nehmen. Es weist weder auf den endgültigen Bruch mit den Judentümern der Zeit noch auf die Revokation des lukanischen Leitmotivs der Verheißungstreue Gottes.34 Freilich, um eine plurale Israel-Theologie geht es Lukas nicht, sondern um die Legitimität einer Kirche, zu der auch die Heiden gehören. Solche Legitimität wird jedoch bei allem Wettbewerb nicht begründet durch feindliche 32  Paul van Buren, On Reading Someone Else’s Mail: The Church and Israels Scriptures, in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. FS R. Rendtorff, hg. v. E. Blum / ​Chr. Macholz / ​E. W. Stegemann, Neukirchen-Vluyn 1990, 595–606. 33  So etwa der Duktus der Auslegung bei Hermann J. Hauser, Strukturen der Abschlußerzählung der Apostelgeschichte, AnBib 86, Rom 1979, bes. 229–242. Zu der höchst kontroversen Diskussion um die lukanische Judentumskritik Jacob Jervell, Luke and the People of God. A New Look at Luke-­Acts, Minneapolis, Minn. 1972, 41–74; Tannehill, Israel (s. Anm. 14); Lloyd Gaston, Anti-Judaism and the Passion Narrative in Luke and Acts, in: Anti-Judaism in Early Christianity I, hg. v. P. Richardson, Waterloo 1986, 127–153; Robert L. Brawley, Luke-­ Acts and the Jews, SBLMS 33. Atlanta, Ga. 1987; Jack T. Sanders, The Jews in Luke-­Acts, London 1987; ders., The Jewish People in Luke-­Acts, in: Luke-Acts and the Jewish People. Eight Crit­ ical Perspectives, hg. v. J. B. Tyson, Minneapolis, Minn. 1988, 51–75; Robert C. Tannehill, Rejection by Jews and Turning to Gentiles: The Pattern of Paul’s Mission in Acts, ebd. 83–101; Joseph B. Tyson, The Problem of Jewish Rejection in Acts, ebd. 124–137; James D. G.  Dunn, The Partings of the Ways. Between Christianity and Judaism and Their Significance for the Character of Christianity, London / ​Philadelphia, Pa. (1991) 21996, 149–151; Jacob Jervell, Gottes Treue zum untreuen Volk, in: Der Treue Gottes trauen. Beiträge zum Werk des Lukas. FS G. Schneider, hg. v. C. Bussmann / ​W. Radl, Freiburg i. Br. 1991, 15–27; Franz Mussner, Die Erzählintention des Lukas in der Apostelgeschichte, ebd. 29–40; Martin Rese, „Die Juden“ im lukanischen Doppelwerk. Ein Bericht über eine längst nötige „neuere“ Diskussion, ebd. 61–79; Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, GNT 10, Göttingen 1993, 192–206; Helmut Merkel, Israel im lukanischen Werk, in: NTS 40 (1994) 371–398; Tyson, Jews (s. Anm. 4); Wasserberg, Mitte (s. Anm. 4), bes. 361–366; Matthias Blum, Antijudaismus im lukanischen Doppelwerk?, in: „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, hg. v. R. Kampling, Paderborn 1999, 107–149, bes. 133–146. Zum religiösen und politischen Hintergrund der Konflikte Wolfgang Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Christen, FRLANT 152, Göttingen 1991, bes. 147–186. 34 Vgl. Tannehill, Unity II (s. Anm. 8), 356 f.; Dunn, Partings (s. Anm. 33), 150 f.; Blum, Antijudaismus (s. Anm. 33), 140–146; anders Hauser, Strukturen (s. Anm. 33), 232–234; Sanders, Jews (s. Anm. 33), 297–299; Daniel Marguerat, The End of Acts (28.16–31) and the Rhetoric of Silence, in: Rhetoric and the New Testament, hg. v. S. E. Porter / ​T. H. Olbricht, JSNTS 90, Sheffield 1993, 74–89: 86 f.; Tyson, Jews (s. Anm. 4), 33–37; Wasserberg, Mitte (s. Anm. 4), 354 f.

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Übernahme der Identität Israels, sondern durch die theologische Definition des Christus-Geschehens mittels Rekurs auf den mos maiorum – ein Verfahren, das Lukas im Umgang mit der paganen Weisheit, von Sokrates bis zur Stoa, zurückhaltender35 wiederholt.36 Die Kirche, so soll sichtbar werden, ist kein Rinnsal im Sand der reichsrömischen Kultvereine; sie fließt aus dem breiten biblischen Strom Israels, verbreitert durch die Nebenflüsse der hellsichtig-heidnischen Poesie.37 Dahinter steht die weite Perspektive eines Gottes‑ und Menschenbildes, das sich später in den schöpferischen Entwürfen der anima naturaliter Chris­ tiana und des λόγος σπερματικός niederschlagen sollte. Im Schluss der zitierten Areopagrede weist Lukas darauf hin, dass all das Suchen und Ertasten der Geschöpfe, von denen sein Paulus spricht, am Ende nicht ins Leere greift (vgl. Weish 13,6), sondern den Auferstandenen berührt. Fazit: Das Evangelium erscheint Lukas erstens langlebig, weil es auf die uralte religiöse Sehnsucht der Menschheit antwortet, wie sie vor allem das Gottesvolk Israel verkörpert. Die Antwort ist konkret. Sie besteht in der leibhaftigen Selbstmitteilung Gottes in der Person Jesu Christi. 3.2 Die Entdeckung des Individuums inmitten des Kollektivs Die große Rede zu Athen zeitigt magere Früchte. Spotten und Zögern, so wird nüchtern notiert, ein paar, die zum Glauben finden.38 Sie werden genannt: „Dionysios der Areopagit, eine Frau namens Damaris und andere mit ihnen“ (Apg 17,34). Wir stoßen hier auf einen auffälligen Zug der Apostelgeschichte: die Freude am Eigennamen, am kleinen unscheinbaren Erzählcharakter.39 Insgesamt 117 Individuen werden in den 28 Kapiteln namentlich genannt. In vergleichbaren Schriften der hellenistischen Thaumaturgenbiographie fehlt dieser Zug: Dort treten Menschen eher als Typen auf denn als Originale.40

35  Zum „Vorsprung jüdischen Hoffnungswissens vor heidnischer Frömmigkeit“ Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 110–115. 36  Zum kulturellen Phänomen des mos maiorum bei Lukas Karl Löning, Das Evangelium und die Kulturen. Heilsgeschichtliche und kulturelle Aspekte kirchlicher Realität in der Apostelgeschichte, in: ANRW II.25.3 (1984) 2604–2646: 2621–2627; Helmut Merkel, Das Gesetz im lukanischen Doppelwerk, in: Schrift und Tradition. FS J. Ernst, hg. v. K. Backhaus / ​F.-G. Untergaßmair, Paderborn 1996, 119–133. 37  Vgl. Löning, Evangelium (s. Anm. 36), 2635. 38 Textpragmatisch unterscheidet Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 105 Anm. 40 „erzählte Kommunikation“ und „Kommunikation durch Erzählen“; der mangelhafte Erfolg der Areopagrede stellt zwischen dem Verfasser und seinen Lesern ein Einverständnis über die mangelhaften Hörvoraussetzungen der „neugierigen“ Philosophen her. 39  Vgl. dazu grundsätzlich auch Joel F. Williams, Other Followers of Jesus. Minor Characters as Major Figures in Mark’s Gospel, JSNTS 102, Sheffield 1994. 40  Zu der Darstellung individueller Konversionen in Lk / ​Apg Taeger, Mensch (s. Anm. 5), 188–224.

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Auch hier bleibt es zu vordergründig, erklärt man das Phänomen nur mit dem lukanischen Hang zum Historisieren. Vielmehr ist es Folge einer Individualisierung, die zukunftsträchtig zum christlichen Neuheitserlebnis gehörte: Im Vereinzelungsakt der Glaubenstaufe traf der Urchrist eine selbstverantwortliche Grundentscheidung, und zwar in einer von ethnischen, sozialen und religiösen Kollektiven geprägten Gesellschaft (Laokoon wird im Verbund erdrosselt). Lukas sieht den Menschen nicht unter der Macht der σάρξ, sondern unter dem Aspekt seiner individuellen Ansprechbarkeit, Verantwortlichkeit, Lebensstrategie: Auch ψυχή und καρδία gehören nicht ohne Grund zu den lukanischen Vorzugsvokabeln.41 Dass Religion und Seelsorge, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten, schließlich zusammenwuchsen, ist eine Folge genau solcher christlichen Selbstdefinition. Es besitzt daher theologisches Gewicht, wenn Lukas die großen Übergänge, die sich im Laufe der Apostelgeschichte vollziehen, in Form der reflektierten biographischen Episode erzählt: Das Individuum wird zum Offenbarungsträger. Die Organisation der Jerusalemer Urgemeinde, der Schritt nach Samarien, Äthiopien, Europa – das ist die Geschichte des Pneuma mit Individuen. Die religionsgeschichtlich epochale Wende, mit der das Christsein sich für die Heiden öffnet – sie wird als Geschichte des Centurio Cornelius aus der Italischen Kohorte detailfreudigst mit gleich mehreren Visionen erzählt oder genauer: reflektierend umkreist (Apg 10,1–11,18). So erklärt sich auch die dreifache, ebenso detailfreudige Schilderung der umwerfenden Osterbegegnung des Paulus vor Damaskus (9,1–22; 22,3–21; 26,4–18): Sie ist kirchengeschichtlicher Grundlagenbericht.42 Kirchengeschichte aber ist für Lukas gerade Begegnung des Einzelnen mit seinem Gott. Glaubensbiographie besitzt Offenbarungscharakter. Dies wird am deutlichsten wohl in der Pfingstrede des Petrus: „Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure jungen Leute werden Visionen haben und eure Alten Träume träumen“ (Apg 2,17, cit. Joël 3,1). Diese Joël-Verheißung, so schließt Petrus, realisiert sich, indem der Einzelne inmitten einer „verdorbenen Generation“ zur Taufe um-kehrt und damit durch die Geistgabe unmittelbar Gott nah ist im Magnetfeld Jesu Christi (Apg 2,37–42). Fazit: Das Evangelium erscheint Lukas zweitens langlebig, weil es das Individuum als Subjekt wahrnimmt, nicht definiert durch Herkunft, Eigenschaft, Heilsleistung und praktische Zwecke, sondern durch die je ureigene Erlösung und das unvertretbare Angesprochensein vom Geist Jesu Christi in der markant eigenen Lebensgeschichte. Menschen, die genau das suchen, wird es immer geben – heute vielleicht mehr noch als früher (hier bieten sich der Seelsorge wie auch der Theologenausbildung bislang allzu oft ungenutzte Chancen).  Vgl. Taeger, Mensch (s. Anm. 5), 225.  Vgl. auch Daniel Marguerat, Saul’s Conversion (Acts 9, 22, 26) and the Multiplication of Narrative in Acts, in: Luke’s Literary Achievement, hg. v. C. M. Tuckett, JSNTS 116, Sheffield 1995, 127–155. 41 42

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3.3 Die Bindekraft der Gemeinde in fragmentierter Gesellschaft Es ist eine soziologische Binsenweisheit, dass dort, wo das Individuum stark gemacht wird, die sozialen Bindungskräfte mittelfristig ebenfalls stärker werden. Lukas bemüht sich daher folgerichtig darum, gerade die Integrationsfähigkeit der jungen Kirche aufzuzeigen. Das bedeutet zweierlei: Das Christentum, so führt sein Paulus im liberalen Milieu des Wohlstandsrömertums vor, ist eine existentiell verbindliche Religion: Wird man Χριστιανός, so ist es mit der religiösen Bastelbiographie und dem Kult-Hopping endgültig vorbei. Und, damit zusammenhängend, das Christentum ist eine Religion, die nicht nur Worte austauscht, sondern – im Wortsinn – Lebens-Mittel. Die antiken Kritiker des Christentums haben es genauso gesehen: Erste Ursache für die Unerträglichkeit der „Galiläer“ war ihr dummdreister Ausschließlichkeitsanspruch; erste Ursache für deren Erfolge ihre soziale Wachheit, und zwar in einer Zeit, als die vertrauten Sozialbeziehungen der Polis nicht mehr trugen. Dass Christen zusammenhielten, war inmitten einer Gesellschaft von Vereinsmeiern nichts Neues, aber dass hier eine Gemeinschaft jenseits aller ökonomischen, ethnischen, berufsspezifischen, geschlechtlichen Unterschiede um eine innere Mitte zusammenfand – Lukas nennt Synagogenvorsteher und Schneiderin, begüterte Frauen und handfeste Handwerker, den Prokonsul von Zypern und Ex-Zauberer – das fiel auf. Und auch die soziale Sensibilität dieser neuen Gemeinschaft regte zum Nachdenken an. Zwar herrschte in der reichsrömischen Welt ein ausgeprägtes Sponsorenwesen, aber dass Wohltätigkeit auch jenen zukommen könnte, die sie am meisten brauchten, den Armen, war ein Gedanke, auf den man merkwürdigerweise so recht erst im Horizont des jüdisch-christlichen Menschenbildes kam. Es sind vor allem die Szenen aus der Jerusalemer Urgemeinde, die diesen Aspekt herausarbeiten, leitmotivisch in den Summarien: Die Gläubigen sind ein Herz und eine Seele, sie teilen ihr Eigentum, keiner leidet Not, und die Außenwelt sieht und staunt und strömt herbei (Apg 2,43–47; 4,32–37; 5,12–16). Dabei orientiert sich unser Berichterstatter gewiss eher an den Legenden goldener Urzeit und an Staatsutopien, wie wir sie sehr ähnlich in der Vorstellung pythagoreischen Lebensideals beim Neuplatoniker Jamblich finden (v. P. 167 f.), aber auch bereits in Platons Politeia (rep. 462c) und Nomoi (leg. 739b–e) nachlesen können – dort bereits als τὸ πάλαι λεγόμενον.43 Aber gerade dadurch wird die Jerusalemer Urzeit menschlich anschlussfähig, sollen solche Legenden doch 43 Vgl. Plümacher, Lukas (s. Anm. 20), 16–18; Hans-Josef Klauck, Gütergemeinschaft in der klassischen Antike, in Qumran und im Neuen Testament (1982), in: ders., Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 69–100, bes. 70–74, 89–99; Alan C. Mitchell, The Social Function of Friendship in Acts 2:44–47 and 4:32–37, in: JBL 111 (1992) 255–272; Wolfgang Speyer, Dekadenzempfinden und Sehnsucht nach den für machtvoll gehaltenen Anfängen. Zu einem romantischen Charakterzug in der Antike (1996), in: ders., Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld. Kleine Schriften II, WUNT 116, Tübingen

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nicht zeigen, was einmal war, sondern was immer sein könnte – und was aus der Sicht des Lukas in der christlichen Freundschaftsethik von Grund auf angelegt ist. Richtungweisend ist die Basisidee: werbende Lebensführung; genauer: eine μαρτυρία, die auf das Heilshandeln Christi hin transparent wird und der Welt so eine Seele gibt. ἰδιῶται ἄνθρωποι wird, ein paar Jahrzehnte später, Lukian von Samosata spotten, die den Gesetzen ihres gekreuzigten Sophisten folgen und sich für Geschwister halten (Peregr. 13). Fast wörtlich findet sich das schon bei Lukas: ἀγράμματοι καὶ ἰδιῶται nennt er – unbefangen – Petrus und Johannes, deren ganze Faszination nun aber darin liegt, dass sie im Namen des Gekreuzigten und mit seiner Kraft am Kranken genau das tun, was er getan hat: „Da staunten sie, und sie erkannten: diese waren mit Jesus!“ (Apg 4,13)44 Fazit: Das Evangelium erscheint Lukas drittens langlebig, weil es gerade in einer Zeit fragmentierter Sozialität aus seiner Glaubensmitte heraus eine human werthaltige Leibgestalt stiftet und die Gesellschaft kommunitär zu inspirieren vermag. In einer Zeit, in der der ökonomische Wettbewerb zum sozialen Paradigma schlechthin auszuwachsen droht, ist dieser Kontrastentwurf unentbehrlich. 3.4 Kritische Zeitgenossenschaft Lukas ist Zeitgenosse. Es bleibt ihm ja auch nichts anderes übrig: Er schreibt nicht für antike Zeitgenossen, er ist selber einer – mit Haut und Haaren. Aber er ist es mit besonderer Liebhaberei. Sokrates und Aratos etwa sind keineswegs Zugpferde, die Lukas vor den Karren des Evangeliums spannt: Die beiden sitzen auf dem Karren, bringen zur Geltung, was Evangelium bedeutet. Anders gesagt: Lukas will nicht nur die reichsrömische Kultur evangelisieren, er will auch das Evangelium kultivieren. Die Reden markieren bei Lukas wie bei anderen antiken Historiographen die Innenseite großer Wendepunkte, das Übergeschichtliche des Augenblicks.45 Die Rede auf dem Areopag zeigt an: Das Evangelium hat die hellenistische Bildungswelt entdeckt – und umgekehrt.46 Wieweit dieser Anspruch eingelöst wird, ist eine andere Frage. Über den Verdacht, ein intellektueller Körnerpicker σπερμολόγος zu sein, der seinen Paulus in Athen trifft (Apg 17,18), ist Lukas selbst nicht erhaben, und Kaiser Julian hat jenen christlichen Rhetoren, die er vom Studium der Klassiker ausschloss, nur 1999, 69–87; Petr Pokorny´ , Theologie der lukanischen Schriften, FRLANT 174, Göttingen 1998, 188–190. 44  Vgl. Korn, Geschichte (s. Anm. 7), 233–241. 45  Vgl. Martin Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung (1949), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 51968, 120–162; Plümacher, Lukas (s. Anm. 20), 10 f. 46  Dazu klassisch Martin Dibelius, Paulus auf dem Areopag (1939), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, FRLANT 60, Göttingen (1951) 51968, 29–70.

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aus Hohn geraten, sich ersatzweise etwa an Lukas zu halten (Julianus Imp., epist. 55 [= 422a–424b, ed. B. K. Weis], bes. 55,423d).47 Aber gerade dies zeigt ja, dass unser Evangelist wenigstens den Anfang wagt, das Evangelium in seiner Weitläufigkeit vorzuführen. Das Risiko dieses Konzepts liegt darin, dass das weitläufige Evangelium als Kopie der Welt endet, verwechselbar wird und so im Grunde für niemanden nütze. Tatsächlich gibt es kaum eine Gruppierung, mit der die lukanischen Verkünder nicht verwechselt werden: olympische Götter, heidnische θεῖοι ἄνδρες, römerfeindliche Judenfreunde (Apg 16,20 f.), griechenfreundliche Judenfeinde (21,27–30), seriöse Magier, gewinnsüchtige Scharlatane, messianische Rebellen, ägyptische Dolchmänner gar (21,38). Fast gewinnt man den Eindruck, gerade die Verwechslungsszenen böten dem Parodisten in Lukas Gelegenheit, sein Talent zu beweisen, und ganz gewiss straft er Rudolf Bultmanns Diktum Lügen, im Neuen Testament finde sich keine Spur von Humor.48 Aber inmitten des frommen Vergnügens meistert Lukas christliche Verwechselbarkeit sehr ernsthaft, indem er schöpfungstheologisch die Transzendenz des jüdisch-christlichen Gottesbildes herausstellt, die Wortverkündigung wie die ethische Verbindlichkeit des Christseins akzentuiert und vor allem jeden Erweis des Geistes und der Kraft christologisch transparent werden lässt.49 Nicht eine Kopie bietet das Evangelium, sondern eine Alternative. All dies findet in der Apostelgeschichte regelmäßig unter dem unverwechselbaren Signum zusammen: „im Namen Jesu“.50 Dieses Programm einer christlich-kritischen Zeitgenossenschaft illustriert Lukas in einem abenteuerlichen Finale. Das Vorbild ist einem Genre entnommen, das dem Geschmack des zeitgenössischen Romanpublikums entgegenkommt:51 die ergötzliche Schiffbruch-Erzählung in Apg 27. Mit 275 Zeitgenossen sitzt der gefangene Paulus bei winterlicher Überfahrt nach Rom buchstäblich in einem Boot – und das gerät in heftiges Unwetter. Unmöglich wird es, weiter gegen den Wind zu segeln, und – so notiert Lukas in sei47  Vgl. Plümacher, Lukas (s. Anm. 20), 15 f., 30. Bärbeißig auch das Urteil des klassischen Philologen: „he has no great acquaintance with literary style, and when he tries to give a speech to a trained pagan orator, he falls away into clumsiness after a few good phrases. His literary gifts lay, rather, with the Greek translation of Scripture, the Septuagint, which he knew in depth and exploited freely: to pagans, its style was impossibly barbarous“ (Fox, Pagans [s. Anm. 28], 305). Zu Lukas als (begabtem) Repräsentanten von „lowbrow history“ Pervo, Profit (s. Anm. 10), bes. 1–11. 48  Vgl. näher Pervo, Profit (s. Anm. 10), 58–66. 49  Vgl. Klauck, Magie (s. Anm. 10), bes. 137. 50 Zur bleibenden Bedeutung Jesu Christi in der Apg umfassend Korn, Geschichte (s. Anm. 7), 173–269. 51  Zu folkloristisch-romanhaften Erzählelementen Gary B.  Miles / ​Garry Trompf, Luke and Antiphon: The Theology of Acts 27–28 in the Light of Pagan Beliefs about Divine Retribution, Pollution, and Shipwreck, in: HTR 69 (1976) 259–267; David Ladouceur, Hellenistic Preconceptions of Shipwreck and Pollution as a Context for Acts 27–28, in: HTR 73 (1980) 435–449; Pervo, Profit (s. Anm. 10), 50–57.

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nem dramatischen Wir-Stil – „wir gaben auf und ließen uns treiben“ (Apg 27,15). Tagelang zeigen sich weder Sonne noch Sterne (V. 20). In solcher Not beobachtet der Erzähler das hektische Treiben der heidnischen Reisegenossen genau. Sie werfen ängstlich allerlei Treibanker aus, um die wellenbewegte Fahrt zu verzögern – nutzlos (VV. 17.29); sie werfen umgekehrt scheinbar überflüssigen Ballast von Bord (VV. 18 f.) – nutzlos; sie versuchen gar unter schäbigen Ausreden, sich in Beibooten davonzustehlen (VV. 30–32) – nutzlos; ihnen schwindet am Ende alle Hoffnung – nutzlos (V. 20). Wie reagiert der wettergegerbte Bote des Evangeliums angesichts solch organisierter Nutzlosigkeit? Er geht auf dem Schiff beruhigend umher, empfiehlt kräftigende Nahrung, denn Schiffbrüche (es war nach konventioneller Zählung sein vierter) sind anstrengend: Jetzt zu speisen dient eurer σωτηρία (VV. 33 f.). – Er schätzt die Lage realistisch ein: Wir werden alle untergehen mit Mann und Maus (VV. 22.26)! – Und er empfiehlt gelassen Gottvertrauen (VV. 21–25.34): „Nach diesen Worten nahm er Brot, dankte Gott vor aller Augen, brach es und begann zu essen. Da wurden sie alle guten Mutes und aßen ebenfalls“ (VV. 35 f.). Und alle werden sie gerettet und gelangen schließlich ans Ziel. Der Untergang – er wurde zum Übergang. Diese Mahlzeit des Paulus auf sturmbewegten Wellen klingt nicht von ungefähr an die Eucharistie an: Auch die zunächst nautisch daherkommenden Wortstämme σωτηρία (7-mal) und ἐλπίς lassen sich in ihrer Tiefenschärfe lesen.52 Und vielleicht lässt sich selbst das nächtliche Engelwort an Paulus so verstehen: „Geschenkt hat dir Gott alle deine Mitreisenden!“ (Apg 27,24) Lukas also bietet eine christliche Relektüre des Abenteuerromans: Aus dem Heroen freilich wird der Zeuge des Evangeliums. Er wird es dadurch, dass er in aller Seenot Reisegenosse bleibt, von den anderen durch nichts getrennt als durch Sachverstand, gelassenes Gottvertrauen und – auch dies – Dankbarkeit für die Mitreisenden. Fazit: Das Evangelium erscheint Lukas viertens langlebig, weil es dem Glaubenden ermöglicht, die stürmischen Fahrten durch das Meer einer abgründigen Zeit lebenskompetent zu begleiten und sich doch durch Christus mit einer Hoffnung beschenkt zu wissen, die noch über alle Stürme getragen hat. Auch die Resultate des zweiten Umlaufs möchte ich anschaulich machen (Abb. 2). Michelangelo ließ sich von der 1506 gerade wiederentdeckten Figurengruppe beeindrucken, und sein Christus im Fresko vom Weltgericht scheint dem Laokoon sichtbar nachempfunden.53 Doch aus dem Gestus des Kamp52 Vgl. Schneider, Apg II (s. Anm. 4), 396 f.; Löning, Gottesbild (s. Anm. 13), 89–95; Klauck, Magie (s. Anm. 10), 127–129; Pokorny´, Theologie (s. Anm. 43), 84 f.; anders Jacob Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 17/11998, 609 f. ActPetr 5 (Actus Vercellenses) verbinden dann ausdrücklich die Eucharistie mit der (hier durch eine Flaute unterbrochenen) Überfahrt nach Rom. 53  Den Hinweis verdanke ich Georg Daltrop; zu der Wirkungsgeschichte der Laokoon-Gruppe und ihrem Einfluss auf Michelangelo näher Althaus, Laokoon (s. Anm. 24).

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Abb. 2. Michelangelo: Christus als Weltenrichter; 1536–1541; Rom: Sixtinische Kapelle.

fes gegen undurchschaubare Schicksalsmächte wird die Gebärde des von Gott geschenkten Sieges mit Christus, umgeben übrigens von jüdischen Propheten und heidnischen Sibyllen. Ganz in dieser Richtung scheint mir der skizzierte Entwurf des Lukas zu liegen. Unsere vier Überlebensfaktoren sind, wie ich zu zeigen versuchte, jeweils angesiedelt in der Mitte der lukanischen Christologie. Damit erweist sich für Lukas die je neue Selbsterschließung des Auferstandenen als Summe eines langlebig-attraktiven Evangeliums. So empfiehlt er im Ganzen eine Option, die auf eigene Weise in unserer Zeit von der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Gaudium et spes (art. 21 f.) entfaltet wurde: Jesus Christus ist Gottes Antwort auf die Frage, die wir Menschen uns selbst sind.

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4. Das offene Ende Ich bin am Schluss, und damit unterscheidet sich dieser Vortrag sehr von der Apostelgeschichte: Diese hat kein Ende.54 Wir sehen Paulus im letzten Kapitel irgendwo in seiner Wohnung in einer römischen Mietskaserne (Apg 28,16–31). Und wie einst im Hörsaal des Tyrannus ist er noch immer ins διαλέγεσθαι vertieft: „über den Herrn Jesus Christus μετὰ πάσης παρρησίας ἀκωλύτως – in gerader Offenheit und ungehindert“ (28,31).55 Warum endet das Werk so unvermittelt, sagt nichts mehr über die Hinrichtung des Paulus? Paulus war noch gar nicht tot: Lukas konnte nichts berichten – dekretierte die alte, katholisch geprägte Exegese. Paulus war zwar tot, aber durch Selbstentleibung: Lukas durfte nichts berichten – denkt sich die jüngere, kalifornisch geprägte.56 Quellennäher ist die Annahme, die Hinrichtung der Hauptperson hätte im Konzept kritischer Zeitgenossenschaft das kritische Moment denn doch überfrachtet: Lukas wollte nichts berichten. Aber vor allem ist das offene Ende Krönung der Erzählkunst: μετὰ πάσης παρρησίας ἀκωλύτως. Man spürt förmlich den langen Atem, der den Theophiloi aller Zeiten aus diesen vier letzten Worten entgegenweht. So abzuschließen ist keine stilistische Entgleisung, und auch jenen Exegeten vermag ich nicht beizupflichten, die dahinter die Absicht vermuten, Lukas wolle noch einen dritten Logos folgen lassen. Den dritten Logos muss schon der Leser selbst schreiben in seiner eigenen Glaubensbiographie. Denn nicht um die Reisen des Paulus geht es, sondern um die des Evangeliums – und diese haben kein Ende. Lukas, in dieser Hinsicht wohl der hellsichtigste unter den Evangelisten, sieht die Kirche in ihrer Zukunftsfähigkeit: Sie wird wieder und wieder vor dem offenen Schluss stehen und wieder und wieder Mut, Phantasie und Treue brauchen, den Menschen jene Antwort zu geben auf die Frage, die sie sich selber sind, über diesen Christus also Gespräch zu pflegen μετὰ πάσης παρρησίας ἀκωλύτως. Wenn viele zaghafte Zwerge dies je an ihrer Stelle in der Kette versuchen, so kann selbst daraus Gottes langer Atem wehen. Keinen besseren Zeugen für diesen langen Atem wüsste ich zu nennen als Heinrich Heine. Zwei Jahrzehnte nach Erscheinen seiner Geschichte der Religion 54  Zum offenen Erzählschluss als Mittel der Leserlenkung Marguerat, End (s. Anm. 34); William S. Kurz, The Open-Ended Nature of Luke and Acts as Inviting Canonical Actualisation, in: Neotest. 31 (1997) 289–308; Wasserberg, Mitte (s. Anm. 4), 354 f. 55  Zur Auslegung im Gesamtrahmen des Doppelwerks Jacques Dupont, La conclusion des Actes et son rapport à l’ensemble de l’ouvrage de Luc, in: Les Actes des apôtres. Traditions, rédaction, théologie, hg. v. J. Kremer, BETL 48, Gembloux / ​Löwen 1979, 359–404. 56 Die Vermutung, hinter Phil 1,21–26 verberge sich eine suizidale Reflexion des Paulus, die er möglicherweise auch habe Wirklichkeit werden lassen (vgl. Phil 1,23; 2Kor 5,8), findet sich bei Arthur J. Droge, Mori lucrum: Paul and Ancient Theories of Suicide, in: NT 30 (1988) 263–286; ders., Art. „Suicide“, in: ABD VI (1992) 225–231: 228 f.; vgl. James L. Jaquette, A Not-So-Noble Death: Figured Speech, Friendship and Suicide in Philippians 1:21–26, in: Neotest. 28 (1994) 177–192.

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und Philosophie schrieb er das Vorwort zur Neuauflage. Der Patient lebte noch immer, stellte er fest; die spinnwebige Vernunftkritik hat niemals die Kraft, das Wort umzubringen.57 Merkwürdiger noch: Eben jener Gott, zu dessen Sterben das Glöckchen geschellt hatte, läutete nun mächtig mit allen Glocken im Herzen des Spötters und Pfaffenfressers selbst. Was war geschehen? Keineswegs ein Wunder, etwa von der Art des bösen Propheten Balaam, dessen Esel plötzlich wie ein Mensch gesprochen habe. Zwar seien ihm, Heine, ganz umgekehrt Menschen begegnet, Christen zumal, die wie Esel sprachen, doch nicht solchem Wunderspuk verdanke er seine neue Sicht, sondern einem Buch, von Zwergen getragen: „ein altes, schlichtes Buch, bescheiden wie die Natur, auch natürlich wie diese; ein Buch, das werkeltätig und anspruchslos aussieht wie die Sonne, die uns wärmt, wie das Brot, das uns nährt […] – und dieses Buch heißt auch ganz kurzweg das Buch, die Bibel. Mit Fug nennt man diese auch die Heilige Schrift; wer seinen Gott verloren hat, der kann ihn in diesem Buche wiederfinden, und wer ihn nie gekannt, dem weht hier entgegen der Odem des göttlichen Wortes. Die Juden, welche sich auf Kostbarkeiten verstehen, wußten sehr gut, was sie taten, als sie bei dem Brande des zweiten Tempels die goldenen und silbernen Opfergeschirre, die Leuchter und Lampen, sogar den hohenpriesterlichen Brustlatz mit den großen Edelsteinen im Stich ließen und nur die Bibel retteten. Diese war der wahre Tempelschatz […]. Er ist nie gewesen, der es ausgelernt hätte, und wird nimmermehr werden, der es ausgründen möchte. Denn sein Sinn ist reicher, weder kein Meer und sein Wort tiefer denn kein Abgrund“.58

Der Hörsaal ist jener Ort, in dem man mit allen Mitteln der Vernunft erproben darf, ob Heine gar recht damit hat. Die Immatriculanden werden in ihrem Studium so manchen Hörsaal so mancher Tyrannoi betreten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dort auch Paulus begegnen, abenteuerliche Erfahrungen mit dem strapazierfähigen Buch machen wie Heinrich Heine. Und dass Sie solche Hörsäle am Ende nicht verlassen ohne jenen tragbaren Tempelschatz, den wir Evangelium nennen: Gottes Antwort auf die Frage, die wir (es wäre gut) uns selber sind.

57 Vgl.

Heine, Geschichte (s. Anm. 1), 58.  Heine, Geschichte (s. Anm. 1), 60 f. (mit dem Schlusszitat Sir 24,23–29). Zur Fragwürdigkeit der Alterskonversion vgl. freilich den „jungen Heine“ ebd. 195 f.! Zum Charakter der Hinwendung Heines zum Gott der Bibel Jan-Christoph Hauschild / ​Michael Werner, „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“ – Heinrich Heine. Eine Biographie, Köln 1997, 532–535. 58

Die Entdeckung der Oikoumene Exegetische Erfahrungen mit der Apostelgeschichte This personal reflection contemplates the experience of reading (and commenting) the Book of Acts in the EKK series (“Evangelisch-Katholischer Kommentar”): The tension of “Protestant / ​Catholic” opens heuristic opportunities. – With its narrative world that mirrors an almost post-modern plurality, the Book of Acts inspires a self-confident Christian perspective that both crosses boundaries and appreciates identities. – The Book of Acts encourages critical contemporaneity that shows sensitivity to religious traditions, individual biographies, social cohesiveness amid a fragmented society, cultural alertness on a broad forum of worldviews, and the concept of faith in terms of relationship. – As a “companion volume”, Acts inspires an attitude that accepts piecemeal knowledge and piecemeal existence. In sum, what we may learn by reading Acts in this new “saddle period” is the Christian passion for understanding.

Mein erstes Aha-Erlebnis mit der Apostelgeschichte hatte ich 1997 in Birmingham. Dort fand ein Neutestamentler-Kongress statt. Aus Gründen des leichten Gepäcks hatte ich mir Hans-Josef Klaucks kleine Studie Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas1 eingepackt, die ich für eine Besprechung lesen wollte. An einem Abend wurde der Kongress im Rathaus von Birmingham empfangen. Die Bürgermeisterin, die einen afrikanischen Hintergrund hatte, stellte uns in einer beeindruckenden Rede das multikulturelle Spektrum ihrer Metropole vor. In religiöser Hinsicht gab es ein breites Feld „fernöstlicher“ Religionen, einen sehr starken Islam; kaum die Hälfte der Bewohner gehörte einer der christlichen Denominationen an. Als Paderborner an ein vergleichsweise homogenes „Schwarz“ gewöhnt, sah ich eine überraschend bunte Welt vor mir. Zurück im Hotel, schlug ich Klaucks Buch auf und las gleich als Motto ein Zitat des belgischen Religionsgeschichtlers Franz Cumont, der 1906 schreibt: Nehmen wir einmal an, das moderne Europa wäre Zeuge davon gewesen, wie die Gläubigen die christlichen Kirchen verließen, um Allah oder Brahma zu verehren, die Gebote des Konfuzius oder des Buddha zu befolgen, die Grundsätze des shinto anzunehmen; denken wir uns ein großes Durcheinander von allen Rassen der Welt, in dem arabische Mullahs, chinesische Literaten, japanische Bonzen, tibetanische Lamas, hinduistische Pandits zu gleicher Zeit den Fatalismus und die Prädestination, den Ahnenkult und die Anbetung des vergötterten Herrschers, den Pessimismus und die Erlösung durch Selbstvernichtung 1  Hans-Josef Klauck, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas, SBS 167, Stuttgart 1996.

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Die Entdeckung der Oikoumene

verkündigten, und daß alle diese Priester in unseren Städten fremdartig stilisierte Tempel erbauten und in diesen ihre verschiedenen Riten zelebrierten – dann würde dieser Traum, den die Zukunft vielleicht einmal verwirklichen wird, uns ein ziemlich genaues Bild von der religiösen Zerrissenheit gewähren, in der die alte Welt vor Konstantin verharrte.

„Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte“ – das war plötzlich nicht mehr nur ein religionsgeschichtliches Thema. Es war Gegenwart. Mit Klaucks Worten: „Nach der langen Phase des christlichen Abendlands mit seiner relativ einheitlichen Kultur können wir uns auch in Europa zum ersten Mal wieder in eine Situation zurückversetzen, die für die ersten christlichen Generationen Alltag war“2. Die 28 Kapitel zwischen Jerusalem und Rom, bunte und dramatische Episoden, die das römische Reich mit seiner multikulturellen Wirklichkeit und seinen breiten Spektren religiöser Suche malerisch inszenieren, verorten das Evangelium, wo es sich auch heute in Anknüpfung und Widerspruch zu behaupten hat: auf dem Markt der Möglichkeiten. Zwischen Apostelgeschichte und Birmingham gewann ich eine ökumenische Perspektive – sofern wir οἰκουμένη (wie Lukas selbst) weiter fassen: nicht nur zwei, sondern alle Glaubensformen in der einen Welt, die aus unübersichtlich vielen Welten besteht. Die Apostelgeschichte sieht Vielfalt als Bewährungsfeld. Und sie schildert sie offenkundig mit Freude – dem sichersten Zeichen, dass man das Evangelium verstanden hat. Vier ökumenische Erfahrungen mit meinem Kommentarprojekt „Apostelgeschichte“ sind mir wichtig geworden.

1. „Evangelisch-katholischer Kommentar“: Eine programmatische Spannung birgt theologisches Potential. Mein Projekt steht in einer Reihe, die sich Evangelisch-Katholischer Kommentar nennt. Nicht: ökumenischer, konfessionsloser, religionsgeschichtlicher Kommentar. Es geht nicht darum, Überzeugungen zu neutralisieren, Verschiedenheiten zu überdecken, papierne Konsense zu formulieren. Der Titel des Kommentars bringt eine Spannung zum Ausdruck – und darin schwingt Geisteslust an der konfessionellen Alterität mit. Sie ist eine Chance. In München ist mir ein Kirchenhistoriker wichtig geworden, der zwischen allen konfessionellen Stühlen saß: Ignaz von Döllinger  – ausgeschlossen aus meiner Kirche und nie einer anderen beigetreten. 1863 hat er in München auf einer Gelehrtenversammlung in St. Bonifaz eine der wenigen klassischen Reden in der theologischen Fachgeschichte gehalten. Es ging um Geschichte und Aufgabe der katholischen Theologie. Dabei hat er eine kühne These aufgestellt: Die durch die Reformation verursachte Spaltung in evangelische und katholische Theologie ist aus wissenschaftlicher Sicht „Gewinn und großartiger Fortschritt“.  Klauck, Magie (s. Anm. 1), 11.

2

1. „Evangelisch-katholischer Kommentar“

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Denn so wurde die Möglichkeit geschaffen, voneinander zu lernen, sich zu reinigen und wechselseitig zu orientieren. Die Trennung ist keine Tragik, sondern Bedingung fruchtbarer Vielfalt. Konfessionelle Antithesen sind Vorstufen neuer theologischer Synthesen. Tatsächlich stoßen wir in der Geschichte der Neuzeit  – inmitten der Auseinandersetzungen und Gewalt auf allen Seiten – auf eine sublime Republik der biblischen Gelehrten. Sie waren sicher auch Täter und Opfer der konfessionellen Streitigkeiten, aber mehr noch zog sie die Heilige Schrift in den gemeinsamen Diskurs. Die religiösen Grenzen trennten hier nicht, sie verbanden, und sei es zu ergiebigem Streit. Luther lernte von Erasmus und Maldonatus von Calvin. Ohne den Dominikaner Sixtus von Siena wäre die protestantische Einleitungswissenschaft kaum denkbar, und von Johann Salomo Semler bis Johann Gottfried Herder beruft man sich auf den Oratorianer Richard Simon als Vater der historischen Kritik. Im Gegenzug sind die großen katholischen Bibelbewegungen vom Jansenismus bis zur bayerischen Aufklärungsfrömmigkeit, für die Johann Michael Sailer steht, ohne die reformatorische Schriftspiritualität nicht vorstellbar. Katholiken im Allgäu des 19. Jahrhunderts zählen in merkwürdiger Ungleichzeitigkeit Spener, Francke, Tersteegen und Zinzendorf zu ihren biblischen Befreiern. Alfred Loisys L’Évangile et l’Église, die Initialzündung der modernen katholischen Exegese und zugleich der Modernismuskrise, antwortet auf Har­ nacks Das Wesen des Christentums. Jene Theologen in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, die noch den Antimodernismuseid geschworen hatten, gingen bei der protestantischen Exegese in die Schule, um in der Lebensspanne einer einzigen Generation nachzuholen, wofür die evangelische Schwesterwissenschaft dreihundert Jahre Zeit gehabt hatte. Als er die Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanums, Dei Verbum, kommentierte, öffnete sich der Konzilsperitus Joseph Ratzinger auch für die Bultmann-Schule, und im einschlägigen Dokument der Päpstlichen Bibelkommission von 1993 werden – wohl auch aus Besorgnis gegenüber einer „gnostischen“ Verflüchtigung der biblischen Botschaft – Rudolf Bultmann und Martin Dibelius (cum grano salis) zur „Ehre der Altäre“ erhoben. Auf der anderen Seite hat der evangelische Systematiker Jörg Lauster in seiner Habilitationsarbeit zum Schriftprinzip mit hermeneutischer Sensibilität zur katholischen Tübinger Schule gefunden.3 Wie fade, herausforderungslos und unfruchtbar wäre unsere Fachgeschichte verlaufen, wenn es in der Exegese die Spannung „katholisch-evangelisch“ nicht gegeben hätte. Mich besticht die Idee, dass diese über Jahrhunderte gegen die äußere Geschichte verlaufende Ökumene der Gelehrten ein Paradigma für die oikoumenische Aufgabe sein kann, die heute vor uns liegt: ein Diskurs aller religiösen 3  Ich gehe diesen Zusammenhängen im Einzelnen (und mit den einschlägigen Literaturangaben) in einem jüngeren Aufsatz zum Jubiläum von 1517 nach: Reformation als Gewissensstachel. Das Schriftprinzip im Spiegel katholischer Exegesegeschichte, in: ZThK 113 (2016) 123–155.

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Die Entdeckung der Oikoumene

Bekenntnisse (das atheistische eingeschlossen). Er würde auf nichts anderem beruhen als auf der Kraft des besseren Arguments. Es wäre ein Diskurs, in dem Leben und Vernunft mit den schriftlichen Offenbarungszeugnissen zusammenfinden und die Vielfalt zur Chance wird, selbst zu reifen.

2. Die Apostelgeschichte entdeckt die Oikoumene als theologische Haltung. An der Schwelle zwischen „evangelisch“ und „katholisch“ steht, rezeptionsgeschichtlich betrachtet, der dritte Evangelist, besonders sein zweiter Logos, die Apostelgeschichte. Die alte Kirche, Markion wie seine Gegner, haben in Lukas den genuinen Ausleger des Apostels Paulus gesehen. In der evangelischen Exegese stand er lange als paulusferner „Frühkatholik“ unter Anklage, während die katholische Herkunftsbehauptung sich nicht zuletzt auf das große Gedächtnisgemälde des lukanischen Doppelwerks stützte. Die mir aufgetragene historische Auslegung stößt in eine Welt vor, die erfrischend fern ist von solchem Konfessionalismus: Lukas bewegt sich im Modus theologischer Narrativität durch die religiöse Vielfalt der antiken Mittelmeerkultur. Wir Leser werden (mit unserer vom Erzähler gesteuerten Imagination) Augenzeugen, die den unterschiedlichsten Gesprächspartnern begegnen: dem äthiopischen Gottsucher vor Gaza, Köhlergläubigen zu Lystra, Stoikern und Epikureern in Athen, Magiern in Ephesus. Dazwischen: fromme Juden, gehässiger Mob, lächerliche Obrigkeit, große Redner und vor allem eine Fülle von Individuen in allen Farben – so viele Eigennamen wie die Apostelgeschichte (nämlich 117) bietet keine andere frühchristliche Schrift. Lukas stellt diese faszinierende Oikoumene nicht nur dar; er stellt sich auf sie ein. Er beherrscht die ganze Klaviatur der Charakterzeichnung: vom Slapstick der Exorzistentruppe „Skeuassöhne“ über die ironische Sprachimitation des Winkeladvokaten Tertullus bis zum Pathos der Abschiedsrede des Paulus, vom Wurmtod des Herodes Agrippa im Theater von Caesarea Maritima bis zum Dichterzitat auf dem Areopag zu Athen. Lukas erzählt nicht nur von einer weiten Welt; er weitet selber die Welt des Christentums. Dabei neigt er keineswegs zur Positionslosigkeit, sondern schildert „mit allem Freimut“ (vgl. Apg 28,31), wie sich das Evangelium im Wettbewerb zu behaupten vermag. Aber gerade dieses christliche Selbstbewusstsein gibt ihm die Möglichkeit zu kultureller Lernbereitschaft. Nirgends wird dies deutlicher als in seiner Mimesis. Wie das Doppelwerk im Septuaginta-Stil bei einem Engel anhebt, der dem frommen Priester ganz „alttestamentlich“ beim Tempelopfer erscheint, so schließt es mit einem Schiffbruch im Mittelmeer, gemalt in allen – den Mittelmeeranrainern so vertrauten  – Farben vom Epos bis zum Roman. Beten am Anfang zwei Juden, Maria und Zacharias, im Licht des Messias Psalmen, sehen

3. Die Apostelgeschichte illustriert kritische Zeitgenossenschaft

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wir am Ende Paulus unter maltesischen „Barbaren“, mit einem Centurio, der ihm und dem er das Leben rettet. Nur diese heidnischen Reisebekanntschaften, die Insulaner und der Römer, erhalten bei Lukas das Adelsprädikat der φιλανθρωπία, der liebenswerten Menschenfreundlichkeit. Und so verfolgen wir in der Apostelgeschichte nicht nur eine äußere Reise, sondern eine kulturelle Rochade (wie vor allem die britische Exegetin Loveday Alexander gezeigt hat): Der See Gennesaret – „Meer“ (θάλασσα) in der markinischen Vorlage – wird zum „Teich“ (λίμνη), das Mittelmeer zum mare nostrum auch der Christen. οἰκουμένη ist für Lukas gewiss ein politischer Begriff, aber er füllt ihn von innen, und zwar mit dem Evangelium. Vielleicht ist Paulus der Schutzpatron des Denkens im Christentum, wie Albert Schweitzer es behauptet hat. Auf jeden Fall ist Lukas der Schutzpatron der perspektivischen Weite und der kulturellen Empathie. Insofern ist er auch Schutzpatron der Ökumene. Er steht für die Leidenschaft des Verstehens, die die Seele dessen ist, was Exegese leisten kann.

3. Die Apostelgeschichte illustriert kritische Zeitgenossenschaft, wie sie postmodern auf neue Weise von beiden Konfessionen gefordert ist. Die Apostelgeschichte legt erzählerisch Rechenschaft über eine Sattelphase des werdenden Christentums ab. Sie endet mit dem Adverb „ungehindert“ (ἀκωλύτως), weil sie etwas vor sich sieht, was vor sich zu sehen heute den Konfessionen nicht leichtfällt: Zukunft – es geht weiter, und es geht gut weiter. Ich lese die Apostelgeschichte als „intentionale Historiographie“ (im Sinne von Hans-Joachim Gehrke). Solcher biblisch entflammten, „heißen“ Erinnerung geht es nicht darum zu dokumentieren, wie alles einmal begonnen hat, sondern darum zu zeigen, wie alles immer wieder neu beginnen kann. Die Herkunft inspiriert die Zukunft. Deshalb beginnt das Doppelwerk in der Geschichtstiefe Israels und endet so offen wie nur irgend denkbar in einer römischen Mietwohnung. Für uns, die wir abermals an einer Epochenschwelle des Christentums stehen, kann diese verbindliche Erinnerung die Lektüre inspirieren. Die Apostelgeschichte, theologisch gelesen, führt nicht vor Augen, was war, sondern was bleibt. Dieses im eigentlichen Wortsinn Ur-Christliche muss nicht erst auf dem Weg konfessioneller Tarifverhandlungen ökumenisch austariert werden. Es ist vor aller Spaltung Grundlage, Maßstab und Ärgernis aller Konfession. Aus meiner Lektüre ergeben sich mir bislang fünf Attraktivitätsfaktoren, die, folgen wir der lukanischen Erinnerungsstrategie, in der kurzatmigen Postmoderne nicht weniger christliche Zukunft ermöglichen als einst im Orbis Romanus:

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Die Entdeckung der Oikoumene

– der Adel einer alten biblischen Religion – die Bedeutung der individuellen Biographie – die soziale Bindekraft von Gemeinde in fragmentierter Gesellschaft – die kulturelle Wachheit für die unüberschaubar bunte Gegenwart – die Definition des Glaubens als Beziehung: Der Mensch ist sich Frage, auf die Gott in Jesus Christus Antwort gibt. So gelesen steuert die Apostelgeschichte derzeit vielleicht auf ihre abenteuerlichsten Rezeptionschancen zu.

4. Die wichtigste ökumenische Einsicht der Apostelgeschichte und ihres Auslegers lautet: Es bleibt alles Fragment. Ein Alleinstellungsmerkmal der Apostelgeschichte liegt darin, dass sie gezielt Torso bleibt. Über die Einheit des sogenannten Doppelwerks wird heute gestritten; auch in der englischsprachigen Forschung wird der Bindestrich zwischen „Luke-­Acts“ stets länger und ist längst Gedankenstrich geworden. Aber dies steht noch immer fest: Die Apostelgeschichte ist auf das Evangelium (literarisch wie theologisch verstanden) angewiesen. Sie ist gleichsam der erste Kommentar zum dritten Evangelium, die Fortsetzung des Jesus-Bios mit Mitteln der Reiseerzählung. Als sie nach fast einem Jahrhundert bei Irenäus von Lyon erstmals theologische Aufmerksamkeit findet, dient sie der „kanonischen“ Integration zwischen den Evangelien und der apostolischen Überlieferung. Auch das längste Buch des Neuen Testaments ist nur als Teil eines Größeren lebensfähig. In dieser einzigen Hinsicht fühle ich mich meinem Verfasser kongenial: Mit jedem Tag, an dem ich am Kommentar arbeite, wird mir deutlicher, wie fragmentarisch er bleiben wird. Die Rezeptionsgeschichte wird sich auf Auswahl und Ahnungsimpulse beschränken, die theologische Tiefe nur in Probebohrungen erschlossen. Aber genau darum ist Ökumene eine Rechtfertigungserfahrung: Ich darf, simul iustus et peccator, vorläufig und teilförmig bleiben. Am Ende wird mein Kommentar im Regal theologisch eingepackt zwischen dem Johanneskommentar und dem Römerbriefkommentar stehen, beide geschrieben von handfesten Protestanten. Diese Reihung scheint mir reizvoll: Ein „Frühkatholik“ wird flankiert von Johannes und Paulus. Lutherischer geht es kaum. Mit Karl Barth gesagt: Dem kann die Reformation keine Antwort geben, der nicht am Katholizismus das Fragen gelernt hat.4 Vielleicht auch umgekehrt.

4  Vgl. Karl Barth, Der römische Katholizismus als Frage an die protestantische Kirche (1928); in: ders., Gesamtausgabe III: Vorträge und kleinere Arbeiten: 1925–1930, hg. v. H. Schmidt, Zürich 1994, 303–343, bes. 313.

Nachweis der Erstveröffentlichungen Die Apostelgeschichte: Potential und Profil. Eine Hinführung Bislang unveröffentlicht.

Die Apostelgeschichte im Kontext der hellenistisch-römischen Literatur. Interdisziplinäre Annäherungen Theologische Literaturzeitung 137 (2012) 887–900 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt).

Die Apostelgeschichte im Spiegel der aktuellen Forschung Biblische Zeitschrift 56 (2012) 301–303; 57 (2013) 144–146 (Paderborn: Schöningh). Early Christianity 2 (2011) 261–268 (Tübingen: Mohr Siebeck). Review of Biblical Literature, published 4/19/2008 (Atlanta, Ga.: Society of Biblical Liter­ ature). Theologie und Glaube 88 (1998) 115–116 (Paderborn: Schöningh). Theologische Literaturzeitung 131 (2006) 280–282; 137 (2012) 196–198; 141 (2016) 363– 365; 143 (2018) 616–617 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt). Theologische Revue 102 (2006) 30–33, 464–466, 466–467, 467–469; 106 (2010) 293–296; 109 (2013) 28–30 (Münster: Aschendorff).

Zur Datierung der Apostelgeschichte. Ein Ordnungsversuch im chronologischen Chaos Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 108 (2017) 212–258 (Berlin: De Gruyter).

Spielräume der Wahrheit. Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung Knut Backhaus / ​Gerd Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, (2007) 22009, 1–29.

Lukas der Maler. Die Apostelgeschichte als intentionale Geschichte der christlichen Erstepoche Knut Backhaus / ​Gerd Häfner, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, BThSt 86, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, (2007) 22009, 30–66.

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Asphaleia. Lukanische Geschichtsschreibung im Rahmen des antiken Wahrheitsdiskurses Wahrheit und Geschichte. Exegetische und hermeneutische Studien zu einer dialektischen Konstellation, hg. v. Eva Ebel / ​Samuel Vollenweider, AThANT 102, Zürich: TVZ, 2012, 79–108.

Transformation durch Humor. Die Komödisierung von Tradition in der Apostelgeschichte Aneignung durch Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS Michael Theobald, hg. v. Wilfried Eisele / ​Christoph Schaefer / ​ Hans-Ulrich Weidemann, HBS 74, Freiburg i. Br.: Herder, 2013, 209–237.

Christologia Viatorum. Die Emmaus-Episode als christologisches Programm der Apostelgeschichte König und Priester. Facetten neutestamentlicher Christologie. FS Claus-Peter März, hg. v. Martina Bär / ​Markus-Liborius Hermann / ​Thomas Söding, EThS 44, Würzburg: Echter, 2012, 137–148.

Mose und der Mos Maiorum. Das Alter des Judentums als Argument für die Attraktivität des Christentums in der Apostelgeschichte Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, hg. v. Christfried Böttrich / ​Jens Herzer, WUNT 209, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 401–428.

Die Erfindung der Kirchengeschichte. Zur historiographischen Funktion von Apg 12 Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 103 (2012) 157–176 (Berlin: De Gruyter).

ΣΚΕΥΟΣ ΕΚΛΟΓΗΣ. Paulus als theologischer Topos in der Apostelgeschichte Paulus  – Werk und Wirkung. FS Andreas Lindemann, hg. v. Paul-Gerhard Klumbies / ​ David S. du Toit, Tübingen: Mohr Siebeck, 2013, 413–434.

From Disaster to Disclosure. The Shipwreck in the Book of Acts in Light of Greco-­Roman Ideology Journeys in the Roman East: Imagined and Real, hg. v. Maren R. Niehoff, Culture, Religion, and Politics in the Greco-Roman World 1, Tübingen: Mohr Siebeck 2017, 389–407.

Paulus und die Dioskuren (Apg 28,11). Über zwei denkwürdige Schutzpatrone des Evangeliums New Testament Studies 61 (2015) 165–182 (Cambridge: Cambridge University Press).

Nachweis der Erstveröffentlichungen

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Der Tyrann als Topos. Nero / ​Domitian in der frühjüdisch-frühchristlichen Wahrnehmung Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich, hg. v. Sophia Bönisch-Meyer / ​Lisa Cordes / ​Verena Schulz / ​Anne Wolsfeld / ​Martin Ziegert, Classica Monacensia 46, Tübingen: Narr, 2014, 379–403.

Markion und die Apostelgeschichte. Ein Beitrag zum Werden des Kanons Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament. FS U. Schnelle, hg. v. Michael Labahn, FRLANT 271, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017, 213–228.

No Apologies! Lukas als Maßstab einer Apologia Christiana Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“ 43 (2014) 450–461 (Ostfildern: Schwa­ben­verlag).

Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9). Von der Langlebigkeit des Evangeliums in kurzatmiger Zeit Theologie und Glaube 91 (2001) 4–23 (Paderborn: Schöningh).

Die Entdeckung der Oikoumene. Exegetische Erfahrungen mit der Apostelgeschichte Exegese – ökumenisch engagiert. Der „Evangelisch-Katholische Kommentar“ in der Diskussion über 500 Jahre Reformation. Ein Rückblick und ein Ausblick, EKK, hg. v. Ulrich Luz / ​Thomas Söding / ​Samuel Vollenweider, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht / ​Ostfildern: Patmos, 2017, 71–79. Der Wiederabdruck wurde von den Verlagen genehmigt. Die Bildrechte für den Aufsatz „Paulus und die Dioskuren“ wurden erteilt von der American Numismatic Society, 20. 07. ​ 2018. Die gemeinfreien Abbildungen im Aufsatz „Im Hörsaal des Tyrannus (Apg 19,9)“ gehen zurück auf Marie-Lan Nguyen, 2009 (Marmorgruppe: Tod des Laokoon und seiner Söhne) und The Yorck Project, 2002 (Christus des Michelangelo).

Abkürzungen und Quellenzitation Abkürzungen Biblische Schriften werden nach den Loccumer Richtlinien abgekürzt. Die Abkürzung von frühjüdischen und frühchristlichen Quellen folgt in der Regel dem Abkürzungsverzeichnis des Lexikons für Theologie und Kirche (LThK), 3. Aufl. (1993), die der paganen Literatur dem Abkürzungsverzeichnis von Der Neue Pauly (DNP) III (1997), für Lukian von Samosata DNP VII (1999), s. v. Sekundärliteratur wird nach Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 3. Aufl. (2014) zitiert. Beitrag 13 folgt dem SBL Handbook of Style. For Ancient Near Eastern, Biblical, and Early Christian Studies (1999). Die Quellenabkürzungen sind im Stellenregister aufgelöst, die des Beitrags 13 sind, sofern sie vom deutschsprachigen Gebrauch wesentlich abweichen, dort kursiviert beigegeben. Insgesamt wurden formale Vereinheitlichungen vorgenommen.

Quellenzitation In der Regel werden die Werktitel nach der lateinischen Form und die Namen antiker Autoren nach der betreffenden Quellensprache angeführt, sofern nicht im Deutschen ein anderer Sprachgebrauch gängig ist. Die üblichen Standardeditionen und Handausgaben der Quellenliteratur werden nicht angeführt. Wo aktuell unterschiedliche Binnenzählungsweisen kursieren, wird die kleinteiligere bevorzugt. Einzeleditionen ohne standardisierten Gebrauch und Quellenschriften, bei deren Zitation Missverständnisse möglich sind (z. B. Lukian von Samosata, hist. conscr.), werden durch Angabe des Herausgebers im Stellenregister ausgewiesen und, sofern es sachdienlich ist, im Anmerkungsteil präzisiert. Alle Übersetzungen, sofern nicht anders angegeben, stammen von K. B.

Stellenregister Angegeben sind die Seitenzahlen (unter Einschluss der Anmerkungen).

1. Altes Testament (mit Septuaginta) Genesis 3,5 369 15,13 f.LXX 289 22,11 313 31,11–13 275 46,2 313 46,2 f. 275 Exodus 1,7 297 3,4 313 3,4–10 275 3,7LXX 289 3,8 291 12,11 288 18,1 291 18,4 291 18,8–10 291 Levitikus 17 f.

57, 279

Numeri 6,1–21 277 Deuteronomium 5,9 412 6,13 367, 412 10,20 367, 412 23,2 252 1. Samuel 2,1–10 275 1. KönigeLXX (1Βασ) 3,4 313

25,25 227 30,22 227 Judit 16,22 f.

426

1. Makkabäer 6,1–16 372, 413 6,1–17 296 15,21 227 2. Makkabäer 2,24 f. 199 2,29–31 209 3,26 f. 351 3,33–35 351 9 234, 296, 372, 413 9,4 296 9,5 296 9,5–28 215 9,6 296 9,7 296 9,7v.l. 296 9,9 296 9,12 296 9,17 378 9,28 296 10,1–3 296 15,25–36 215 Ijob 38,8–11 329 Psalmen 74,14 329 104,26 329 107 81, 83

450

Stellenregister

PsalmenLXX (ψ)

Jeremia

2,9 314 17,5 f. (18,5 f.MT) 92 30,13 (31,13MT) 314 77 (78MT) 54 106 (107MT) 83

18,1–6 314 22,28 314 f. Ezechiel 1,28–2,3 275 27 81

Weisheit

Susanna

13,6 428 13,18 328, 363 14,1–8 328 14,1–10 363 14,5 328

45θ‘ 293 Hosea 8,8 315

Jesus Sirach

Joël

24,23–29 436

3,1 429

Jesaja 6,9 f. 57, 101, 281, 324 6,9 f.LXX 6, 57 10,15 314 11,14LXX 348 27,1 329 29,16 315 49,6 270, 324 53,7 f. 252 56,3–7 232 56,3–8 252

Amos 5,19 340 Jona 1,3–2,11 329 Habakuk 1,5 324

2. Neues Testament RedenquelleIQP 3,8 259 4,5–8 109, 367 Matthäus 1,23 254 4,8–10 109, 367 9,17 259 24,36 100 28,16–20 254 Markus 1,13 367 2,22 210, 259, 425 4,12 101 4,35–41 81, 329

6,12 f. 294 6,14–29 294 6,17 118 6,17–29 285 6,30 f. 294 6,45–52 81, 329 6,45–8,26 214 6,55 f. 100 7,1–23 100 8,22–26 231 10,39 290 13 49 13,32 100 14,51 f. 231 14,55–60 101 14,63 f. 101 15,34 215 15,37 215

Stellenregister 15,37–39 101 16,7 292 16,9–20 101 16,17c 101 16,19b–c 101 Lukas 1 f.

44, 72, 76, 215, 251, 273 f., 327, 358 f., 361, 397 1–4 75 1,1 30, 196, 211, 266 1,1–4 56, 78, 101 f., 118 f., 165 f., 178, 182, 215 f., 251, 273, 392, 398, 402 1,2 240 1,3 275 1,3 f. 211 1,4 418 1,5 211, 289 1,5–25 274 1,5–2,52 215, 392 1,8–20 52, 159 1,9 266 1,17 275 1,26–38 52, 159, 274 1,46–55 273, 275 1,47 6 1,57–80 274 1,68–79 273 1,69 6, 336 1,71 6, 336 1,72 273 1,77 6, 336 1,79 227 2,1 367 2,1–3 117 2,1–20 274 2,8–14 415 2,11 6 2,14 227 2,22–39 102 2,25–35 246 2,25–38 76 2,29 227 2,29–32 214, 273, 324 2,29–35 176 2,30 6, 249, 336 2,34 325 2,34 f. 214, 298, 324, 421 2,36–38 426 2,36b 426 2,37a 426

451

2,42 266 3,1 76, 118, 289 3,6 6 3,10–14 118, 274 3,19 118 3,19 f. 285, 289 3,21 f. 66 3,22 275 4,1–13 366 4,5–7 369 4,5–8 66, 109, 362, 366, 381, 412 4,6 366 4,16–30 398 4,18 275 5,37 f. 259 5,37–39 210 5,39 259, 425 6,17–19 214 6,21 220 6,25 220 7,3 338 7,30 178 8,1–3 214 8,3 289 8,10 101 9,7–9 289 9,28–36 66 9,44 289 12,11 276, 406 12,47 178 13,31 f. 289 16,31 419 18,7 315 18,32 289 19,12–27 118 19,38 227 19,42 227, 249 19,43 f. 101 20,6 419 20,19 289 20,20 289 20,25 370, 413 21,12 289 21,14 276, 406 21,20–24 101 21,33 f. 100 22,1 289 22,2 290 22,3 105 22,3–6 96 22,4 289 22,6 289 22,7 289

452

Stellenregister

22,19 249 22,19 f. 7 22,21 f. 289 22,22 178 22,25–27 7 22,33 289 22,39 266 22,42 178 22,47 105 22,48 289 22,66–70 101 23,1–5 231 23,6–12 289 23,13–23 231 23,25 289 23,26 293 23,28–31 101 23,32 290 23,35 315 23,46 215, 274 23,46–48 101 24 94, 397 24,6–9 292 24,7 289 24,11 292 24,13 247 24,13–35 16, 102, 158, 245, 247, 271 24,14 248 24,15 248 24,16 249 24,17 247 f. 24,18 248 24,19 249 24,20 289 24,21 248 24,22 292 24,22–24 248 24,25 248, 271 24,25–27 250 24,26 177, 252 24,27 271 24,28 149, 247, 249 24,29 249 24,30 f. 249 24,32 247, 250, 271 24,33 247 24,33–35 250 24,35 247, 249 24,36 227 24,36–43 250 24,36–49 250 24,36–53 175 24,37 292

24,41 292 24,44–46 271 24,44–47 278 24,47 270 24,47–49 271 24,50 f. 255 24,50–53 66, 214, 275 24,52 f. 44, 56, 250 Johannes 6,16–21 329 19,40 266 Apostelgeschichte 1 94 1 f. 79 1,1 165, 253, 419 1,1 f. 392 f. 1,1–11 75 1,1–12 44 1,1–8,3 231 1,4–13a 175 1,4–8,3 172 1,7 100 1,8 3 f., 75, 93, 176, 270, 315, 324, 362, 419 1,9–11 66, 93, 214, 255, 275 1,10 292 1,13 284 1,14 290 1,15 102 1,15–26 284, 290 1,16–18 96 1,16–20 105 1,18 295 1,21 f. 175, 177, 285, 317 1,22 253 1,23–26 96 2 408 2,1–13 255 2,1–36 275 2,1–41 3 2,8–11 78 2,9–11 359, 362 2,11 51 2,13 232 2,14–36 176, 272, 426 2,14–39 51 2,15 232 2,15–21 54 2,17 429 2,21 6

Stellenregister 2,22–28 241 2,22–36 274 2,23 178, 290, 322 2,24v.l. 92 2,25 f. 252 2,30–37 90 2,34 8 2,37 232, 252, 421 2,37–42 429 2,38 278 2,40 6 2,41 174, 297 2,42 251, 290 2,42–47 214, 253 2,43–47 172, 430 2,46 251, 253 2,46 f. 290 2,46–3,2 90 2,47 6, 297 3,1–10 274 3,1–4,4 321 3,2 105 3,6 232 3,11 105 3,12–26 176, 272 3,13 289 3,13 f. 274 3,15–18 177 3,17 241, 411 3,17–19 285 3,20 f. 177 3,25 273 3,26 274 4–17 90 4,3 289 4,4 174, 297 4,5 f. 285 4,9 7, 232 4,12 6, 278 4,13 179, 242, 431 4,18–21 285 4,24–31 296 4,28 178, 322 4,32 253 4,32–35 214, 289 4,32–37 172, 253, 430 4,36 f. 187, 289 5,1–11 177, 321 5,3 f. 253 5,3–21 90 5,10 295 5,12–16 172, 214, 253, 430 5,14 297

5,15 f. 100, 322 5,17 177 5,17–26 232, 238 f. 297 5,18 289 5,19 f. 293 5,21b–26 232 5,22–25 293 5,29 10 5,30 426 5,31 6 5,33 290 5,36 f. 117, 119 f., 214 5,38 322 5,38 f. 178, 295, 297 5,40 285 6,1 297 6,1–8,3 173 6,5 284 6,5–8 173 6,7 174, 297 6,11–14 100 6,12 285 6,14 266, 277 7,1 100 7,2 272 7,2–53 173, 176, 211, 272 7,2b–53 272 7,6 289 7,8 273 7,8 f. 272 7,11 f. 272 7,15 272 7,17 297 7,19 272, 289 7,32 272 7,34 289, 291 7,36 291 7,38 f. 272 7,40 291 7,44 272 7,44–50 124 7,45 272 7,49 255 7,51 253 7,51 f. 272 7,51–53 173 7,52 177 7,53 173 7,54 95, 253 7,54–60 285 7,55 f. 3, 255 7,58 308, 311 7,58–8,1 174

453

454

Stellenregister

7,59 f. 274 7,60v.l. 95 8 79, 399 8,1 285, 290 8,1–3 311 8,3 177 8,4 285 8,4–40 313 8,4–11,26 232 8,5–25 4 8,9–24 232, 398 8,9–25 121 8,14–17 3 8,21 f. 253 8,24v.l. 232 8,26 314 8,26–39 118 8,26–40 4, 52, 233, 247, 251 f., 421 8,27–29 3 8,32 252 8,33 252 8,35 252 9 312 9,1 177, 312, 411 9,1 f. 174, 311 9,1–19 253 9,1–19a 103, 311 f. 9,1–22 175, 214, 255, 275, 429 9,2 313, 422 9,3 312 9,3–6 255 9,6 313, 322 9,10–16 255 9,11 313 9,13 f. 314 f. 9,15 64, 175, 180, 253, 315, 317, 319, 322 9,15 f. 314, 322 9,16 315, 322, 324 9,17 3, 316, 322 9,17–19 313 9,21 314 9,23 285 9,23 f. 290 9,23–25 43, 215, 274 9,25 114 9,29 290 9,31 227, 285, 297 9,33–10,1 90 9,35 297 9,36–42 322 9,39 288 9,42 297

10–14 79 10,1–11,18 4, 100, 103, 171, 255, 266, 300, 313, 429 10,3 314 10,5 313 10,9–48 275 10,13 314 10,15 314 10,22 314 10,25 f. 67, 286 10,30 314 10,32 313 10,36 8, 227 10,38 7 10,39 290 10,42 178 10,44–48 3 11,1–18 285 11,4 216 11,4–17 275 11,7 314 11,9 314 11,12 314 11,13 314 11,15–18 3 11,19 283, 285 11,19–26 284 11,19–30 301 11,21 297 11,23 252 11,24 297 11,26 1, 174, 284, 300 11,27–30 52, 118, 233, 284, 294 11,28 122 11,28–30 241 11,30 286 f., 299 12 16, 107 f., 110, 233, 239, 283–287, 291, 294, 296–302, 323, 372 f., 383 12,1 286, 288 12,1 f. 372 12,1–5 287, 289 f. 12,1–19a 215 12,1–24 255, 319 12,3 286, 290 12,3 f. 372 12,3–17 93 12,4 286 12,5 290 12,5b 288 12,6–17 287, 290–293, 322, 409 12,7 287 f. 12,7–11 314

Stellenregister 12,8 288 12,10 287 12,11 233, 286, 290 f. 12,12 290 12,13–16 287 12,17 300 12,17b 285 12,18–23 287, 293–297 12,18–24 412 12,19b–23 166, 214, 422 12,20 107, 227, 284, 296 12,20–23 110, 118, 234, 284, 295, 355, 360, 362, 371 12,20–24 340 12,21 110, 372 12,21–23 66, 290 12,22 110, 373 12,23 287 f., 296, 371, 411 12,24 284, 287 f., 297–303 12,24 f. 215 12,24–13,3 296 12,25 52, 233, 284, 286 f., 294 13 45, 286, 302 13–28 308, 320 13,1 284, 286, 299 13,1 f. 286 13,1–3 3 f., 283, 301 13,1–14,28 188 13,1–19,40 235 13,1–28,31 323 13,2 f. 284 13,2–4 322 13,4–14,28 214 13,6 f. 369 13,6–8 118 13,6–12 232, 235, 321 13,7 421 13,11 295, 411 13,12 421 13,15–41 252 13,16–41 51, 54, 174, 176, 272 13,17 291 13,17–25 272 13,22 92, 178, 322 13,23 6 13,26 6 13,28 290 13,36 178, 322 13,38 f. 278 13,41 324 13,43 419 13,45 177 13,45–47 286

13,45–52 274 13,46 177, 322 13,46 f. 174 13,46–49 290 13,47 6, 270, 324 13,48 f. 297 13,51 f. 3 14,1 297 14,4–7 274 14,8–11 274 14,8–18 79, 235, 360, 422 14,8–20 34, 66, 78, 321, 340 14,11–13 348 14,11–17 341 14,11–18 286 14,13 411 14,14 f. 292 14,15–17 174, 214, 281 14,19 274 14,19 f. 43 14,22 177 14,27 292 15 45 15,1 266 15,1 f. 277 15,1–35 4, 114, 301 15,7 292, 315 15,7–11 255, 279, 284 f. 15,7–21 171, 266 15,8 3 15,8–11 278 15,9 253, 279 15,11 6, 279 15,19 f. 278 15,21 279 15,22 122 15,22–29 42 15,23–29 115 15, 27 122 15,28 279 15,28 f. 3, 278 15,32 122 15,33 227 16–19 79 16,1–3 331 16,3 174, 184, 277, 310 16,4–10 176 16,5 174, 297 16,6 f. 52 16,6–8 322 16,6–10 3, 212, 255, 314 16,9 f. 322 16,14 253

455

456

Stellenregister

16,16–18 422 16,16–40 236 16,19–23 277 16,19–40 297 16,20 f. 277, 281, 432 16,21 266 16,25–34 67, 322 16,27 293 17,2 420 17,4 297, 419 17,5–9 274 17,6 367 17,6 f. 106 17,10–15 421 17,11 5 17,12 297 17,13 f. 274 17,16 361 17,16–34 4, 26, 125, 236, 263, 275, 321, 341, 408 17,17 420 17,17–20 421 17,18 431 17,21 423 17,22 236, 408 17,22 f. 361, 423 17,22–31 52, 167, 174, 214 17,23 VI 17,24 f. 286 17,26 178 17,27 409 17,27 f. 423 17,29 286 17,30 411 17,31 178 17,34 92, 106, 428 18,4 419 f. 18,5 f. 274 18,6 358 18,6 f. 6 18,8 297 18,9 f. 314, 322, 324 18,10 255, 269, 425 18,12–17 274, 358 18,13 358 18,15 281 18,16 f. 236 18,18 174, 184, 277, 310, 357 18,19 420 18,21 322 18,24–28 187 18,24–19,7 421 18,25 94, 249

18,28 252 19 36, 63, 69, 214 19,1–7 63, 187 19,5 f. 275 19,6 3 19,8 419 19,8 f. 420 19,8–10 420 19,9 6, 19, 124, 417, 422 19,11 f. 79, 100, 322 19,12 422 19,13–17 63 19,13–19 422 19,13–20 219, 236 19,17–20 174 19,20 64, 237, 297 19,21 177, 322, 338, 362 19,23 422 19,23–40 63, 118, 125, 237, 423 19,24–29 348 19,26 237, 419 19,31 106 19,32 237 19,33 276, 406 19,33 f. 281 19,35 107 19,40 228 20,3 274 20,3 f. 284 20,7 252, 420 20,7–12 322 20,9 420 20,11 252 20,17–35 301 20,17–38 4, 78, 100, 114, 125, 180, 238, 263 20,18–35 174, 323, 325 20,19 238 20,20 121 20,21 310 20,22 313 20,22 f. 3, 322 20,23 314, 406 20,24 325 20,24 f. 100 20,24–28 253 20,27 121, 178, 322 20,28 3, 7, 69 20,29 f. 121, 398 20,31 238 20,32 241 20,35 92 20,37 f. 238

Stellenregister 20,38 100, 238 21 317 21–28 106 21,4 314 21,4–6 238 21,8 f. 122 21,10 f. 122 21,10–14 100, 238, 322 21,11 313 f. 21,13 238, 313 21,14 178, 322 21,18–34 277 21,18–36 174 21,20 174 21,20 f. 277 21,21 174, 266, 277, 310 21,23 f. 118 21,24 277, 310 21,25 279 21,26 310 21,27–30 432 21,27–36 274 21,28 316 21,30 5, 124, 280, 316 f., 357 21,30–33 118 21,31–36 357 21,37–39 238 21,37–40 317 21,38 117, 119, 226, 432 22 312, 316–318 22,1 276, 309, 406 22,1–21 174, 275 22,3 174, 266, 277, 309 f. 22,3–21 103, 253, 311, 316, 429 22,4 422 22,5–16 175, 214 22,10 324 22,12 317 22,14 178, 315, 319, 322 22,14 f. 277, 317 22,15 319, 322, 324 22,17–21 255, 314, 317 22,18 322 22,20 290 22,21 322 22,25–29 238, 317 23,1 277, 310 23,1–5 277 23,1–6 174 23,1–10 228, 239 23,3 224 23,4 f. 310 23,5 317

457

23,7 228 23,8 105 23,10 228 23,11 177, 255, 314, 322, 324, 338, 362 23,11–17 90 23,12–15 274 23,12–35 118 23,15 290 23,21 290 23,23–30 42 23,24 338 23,25–29 90 23,25–30 228 23,26–30 115 23,27 290 23,35 228 24 15, 108, 219 24,1–21 414 24,1–23 108, 223 f., 239, 361 24,2 178 24,2–8 223 24,2b–4 226 24,5 171, 228, 367 24,5 f. 226 24,8 226 24,10 228, 276, 309, 406 24,10–21 174, 228 24,12 420 24,14 214, 228, 266, 276, 310, 415, 422, 426 24,14 f. 252 24,14–21 174 24,16 277, 310 24,21 228 24,22 422 24,22 f. 228 24,22–27 421 24,24 118 24,24–27 423 24,25 229, 420 24,25–27 228 24,26 f. 177 24,27 97 24,28 149 25 f. 76, 297 25,2 f. 274 25,3 290 25,7 f. 174, 276, 309 25,8 369, 406 25,10 322 25,10–12 362, 369 25,12 322

458

Stellenregister

25,13 118 25,13–26,32 215, 289, 302, 371, 421 25,16 266, 309, 406 25,21 369 25,23 6, 118, 319 25,23–26,32 118 26 312, 318–320 26,1 406 26,1 f. 276, 309 26,1–7 276 26,1–27 281, 285 26,1–29 52, 159 26,1–32 174 26,2 406 26,2 f. 6, 277, 281, 302, 319 26,2–11 174 26,2–23 275 26,2–29 174, 285 26,3 266, 311 26,4–18 429 26,7 f. 90 26,9–18 103, 253, 311, 318 26,10 290 26,12–18 175, 214 26,12–23 423 26,16 315, 319, 322, 324 26,16 f. 322 26,16–18 314, 320 26,17 f. 312, 319 26,18 319 f., 322 26,19 312, 320 26,19–23 320, 322 26,20 90 26,22 310 26,22 f. 252 26,23 319 26,24 276, 309, 320, 406 26,24–29 281 26,25 217 26,26 V, 4, 298, 416 26,26–32 6, 302 26,27 248 26,28 1, 6, 171, 300, 311, 419 26,28 f. 318 26,29 302, 313, 320 26,30 118 26,30–32 413 26,31 313 26,32 297, 302, 311, 319, 362, 369 27 43, 59, 432 27 f. 79, 300, 327, 330, 332, 335, 341, 356, 359

27,1 363 27,1–28,6 81–83 27,1–28,16 4, 17, 52, 106, 159, 174, 327, 330–333, 358, 411 27,3 363, 411, 422 27,7 331 27,10 f. 334 27,14 331 27,15 433 27,17 433 27,18 f. 433 27,20 433 27,21 334 27,21–25 433 27,22 433 27,22–24 339 27,22–25 238, 322, 335 27,23 314 27,23 f. 322 27,23–25 252, 324 27,23–26 255, 339 27,24 177, 338, 362, 369, 433 27,26 433 27,27–44 215 27,28 331 27,29 433 27,30–32 433 27,33 f. 433 27,34 8, 252, 322, 339, 433 27,34–36 238 27,35 252 27,35 f. 336, 433 27,40 331 27,42 293 27,43 f. 338 27,44 339 28 109 28,1 338 28,1–6 67, 339, 340, 360 28,1–11 363 28,2 363, 411, 422 28,2–6 355, 360 28,3–6 363 28,4 338, 340 28,5 f. 340 28,6 286 28,8 67 28,11 5, 17, 104, 331, 340, 347 f., 355 28,11v.l. 354 28,14 f. 363 28,15 330 28,16–31 72, 75, 435

459

Stellenregister 28,17 214, 266, 277, 310, 317 28,17–20 174 28,17–31 52, 159, 175, 251 28,19 369 28,20–22 5 28,21 f. 319 28,22 171 28,23 252, 361, 419, 426 28,24 419 28,25 272 28,25–27 101 28,25–28 3, 6, 57, 174, 281, 319 28,25b–28 75 28,26 317 28,26 f. 6, 248 28,26–28 249, 318, 324 28,27 253, 320 28,28 6 28,30 98 28,30 f. 57, 75, 285, 308 28,31 3 f., 285, 323, 361, 435, 440 Römerbrief 1,18–2,11 411 6 58 9–11 69, 71 9,11 315 9,20–29 315 11,5 315 11,7 315 11,7–10 57 11,25–27 57 11,28 315 11,32 57 12,11 95 13,1–7 69 14,1–6 185 14,13–23 185 1. Korintherbrief 8,7–13 185 9,9 f. 319 9,19–23 29, 185 10,23–33 185 10,32 f. 185 15,14–17 69 2. Korintherbrief 2,12 292 2,14–17 214

4,7 314 4,7–12 314 5,8 435 8,18 98, 402 11,25 43, 215, 338 11,25 f. 334 11,32 f. 43, 114, 215 Galaterbrief 1,6–9 395 1,11–24 390 1,15 f. 315 2,1–10 114 5,12 219 Philipperbrief 1,3–11 109 1,21–26 435 1,23 435 3,2 220 Kolosserbrief 4,14

98, 395

1. Thessalonicherbrief 1,4 315 4,9–12 355 2. Timotheusbrief 2,20 f. 315 4,11 98 Philemonbrief 24

98, 395

Hebräerbrief 10,25 266 Jakobusbrief 4,9 220 1. Petrusbrief 3,15 f.

412

2. Petrusbrief 1,10 315

460

Stellenregister

Johannes-Offenbarung

13,18 380 16,13 381 17 381 17,3 381 17,7 381 17,7 f. 381 17,9 f. 380 17,9–11 381 19,17–21 381 19,20 381 20,10 381

4,2–5,10 380 12,7–17 380 12,18–13,10 380 13,1 380 13,3 380 13,11–17 380 13,12 380 13,13–15 381 13,14 380 13,17 f. 380

3. Frühjüdische Literatur Aristobulos fr. 4 (Eusebios, praep. 13,3–8) 423 Artapanos fr. 3 (Eusebios, praep. 9,27,3 f.) 269 fr. 3 (Eusebios, praep. 9,27,3–37) 269 fr. 3 (Eusebios, praep. 9,27,23–26) 291 Ascensio Isaiae (AscJes) 1–5 379 3,13–4,22 379 4,1–13 379 4 Esra 11,1–12,51 378 11,35 378 Eupolemos fr. 1 (Eusebios, praep. 9,26,1) 268 1 Henoch (äthHen) 85–90 49 Josephus Antiquitates Iudaicae (ant.) 1,2 199 1,4 201 1,5 199

1,14 178 1,17 216 1,24 216 1,240b–241 268 12,357–359 296 14,25 295 14,213–216 264 15,282–291 118 15,371 172 16,29–57 118 16,34–36 263 17,60 150 17,168–170 296, 372 17,168–192 296 17,222–342 118 18,1–10 117 18,109–119 118 18,116–119 206 18,117 118 18,151–155 294 18,195 235, 294 18,195–202 371 18,195–239 296 18,200 296 18,200 f. 235, 294 18,237 118 19,15 f. 293 19,269 293 19,294 118, 277 19,331 290 19,343–350 110, 118, 166, 214 19,343–352 66, 234, 294, 371, 412 19,344 372 19,345 f. 373 19,346 166, 235, 294 19,347 235, 295, 371

Stellenregister 19,349 235 19,349–359 295 19,356–359 235 19,357 229 20,43–46 118 20,97–99 117 20,97–102 120 20,101 118 20,138 118 20,141–143 118 20,141–144 229 20,142 118 20,145 f. 118 20,160–178 226 20,162 227 20,169–172 117 20,182 227 Bellum Iudaicum (bell. Iud.) 1,1 f. 198 1,1–3 118 1,13–16 201 1,30 56, 143, 197 1,647–673 296 1,656 f. 296 1,656–658 372 2,10 f. 118 2,117 f. 117 2,122–127 172 2,162–166 106 2,247–270 226 2,253–265 226 2,256 226, 414 2,261 119 2,261–263 117 3,539 f. 377 5,375–419 208 6,155 293 6,250 205 6,268–270 205 6,288–309 101 6,312–315 207 7,43–62 118 Contra Apionem (c. Ap.) 1,1 269 1,2–4 197 1,23–27 132 1,27 144 1,28–36 208 1,53 201 1,218 216 1,305 291

1,313 291 2,145 f. 172, 269 2,145–286 172, 269 2,152 269 2,175 279 De vita sua (vit.) 14 f. 329 15 338 Kleodemos Malchas fr. 1 (Josephus, ant. 1,240b–241) 268 Nikolaos von Damaskus Vita Augusti (ed. J. Malitz, 22006) 2 197 Oracula Sibyllina (Sib) → n. 6 Philo von Alexandrien De decalogo (decal.) 87 319 In Flaccum (Flacc.) 189–191 293 Legatio ad Gaium (Gai.) 87 354 92 354 372 f. 293 Quod omnis probus liber sit (prob.) 75–88 172 Ps.-Eupolemos fr. 1 f. (Eusebios, praep. 9,17,2–9; 9,18,2b) 268 Ps.-Hekataios II fr. 1 (Josephus, ant. 1,165b–168) 268 Psalmen Salomos (PsSal) 16,4 319 Testament des Naphtali (TestNaph) 6,1–10 81

461

462

Stellenregister

4. Literatur der paganen Antike Achilleus Tatios

Antiphon von Rhamnous

Leukippe & Kleitophon 3,1–5 329 8,8 223 8,10,1 225 8,10,2 225 8,11,1 f. 225

Orationes (Antiph.) 5 350 5,82 f. 350 5,83 350

Ailian Varia historia (var.) 1,30 349 Ailios Aristeides Orationes (Aristeid. / Or.) 45,33 f. 329 48,12–14 329, 339 48,65–68 329 48,67 f. 335 50,33–36 335 Ailios Theon Progymnasmata (ed. M. Patillon / G. Bolognesi, 1997) 78,16 f. 133, 196 118,6–120,11 356 Aischylos Agamemnon (Ag.) 1624 319 Alkaios (ed. E. Diehl, 21935) fr. 78

350

Andokides De mysteriis 137–139 339, 350 139 339 Anthologia Graeca (Anth. Gr.) 7,263–279 329 7,282–288 329 7,289 340 7,290 340 7,291 f. 329 7,494–503 329 7,550 340 9,269 340, 360

Aphthonios von Antiochien Progymnasmata (ed. M. Patillon, 2008) 2,1 196 Apollonios von Rhodos Argonautica (Apoll. Rhod. / Argon.) 2,1097–1122 329 3,36–51 240 3,91–155 240 4,649–653 350 4,794 f. 240 4,817 240 4,1223–1249 329 4,1381 f. 240 Appian Bella civilia (civ. / Bell. civ.) 5,88–90 329 Apollodori Bibliotheca (Apollod.) 1,67 1,111 1,119 2,63 3,117 3,126–128 3,134–137 3,173

340, 349 340, 349 340, 349 340, 349 340, 349 340, 349 340, 349 340, 349

Apuleius Metamorphoses (met.) 3,3 223 10,11,3 260 Aratos Phaenomena (Arat. / phaen.) 5 423 296–299 328, 350

463

Stellenregister Aristoteles Ethica Nicomachea (eth. Nic.) 1168b 172 Poetica (poet.) 1447b 193 1451a–b 148, 193 1451b 193 1460a–b 193 Rhetorica (rhet.) 1360a 130 1412a–b 223 Arrian Anabasis (an.) 1 pr. 1 144 1 pr. 1 f. 197 7,30,2 f. 207 7,30,3 197 Periplus ponti Euxini (per. p.E. / Peripl. M. Eux.) 3,2–5,3 329 Aurelius Victor Liber de Caesaribus (Caes.) 11,7–11 107 Cassius Dio Historia Romana (Cass. Dio) 1,1,2 197 41,61,4 352 55,1,5 352 55,27,4 353 59,12,2 368 59,28,5 354 63,1,1 367 63,1–7 109 63,2,1 f. 367 63,2,4 367 63,4,1–63,6,2 367 63,4,3 367 63,5,2 110, 368 63,5,3 110, 368 63,7,1 367 63,20,5 110, 373 64,9,3 375 66,19,3 375 67,14,1 f. 382 67,15,1 107

67,17,2 107 67,18 107 68,3,3 107 73,23 207 Chariton von Aphrodisias Chaireas & Kallirhoë (Callirhoe) 3,3,10–12 329, 351 3,4,5 f. 223 3,4,9 f. 351 5,6,1–10 223 5,7 228 Chronographus anni CCCLIV (ed. Th. Mommsen, 1892) p. 146, ll. 14–20 351 f. Cicero Ad Quintum fratrem (ad Q. fr.) 1,1,23 145 Brutus (Brut.) 42 f.

136, 194, 206

De inventione (inv.) 1,22 226 1,26 226 1,27 134, 196 De legibus (leg.) 1,1–5 194 1,4 f. 142 1,5 142 2 279 2,19 264 2,23 264 2,25–27 264 2,61 279 De natura deorum (nat. deor.) 2,6 352 3,11–13 352 3,43 261, 279 3,94 261, 279 De officiis (off.) 1,51 172 1,116 261 De oratore (de orat.) 2,36 150, 205 2,51 197 2,51–54 192 2,51–64 136, 191

464

Stellenregister

2,54 137, 205 2,55–58 193 2,56 144 2,62 197 f. 2,62 f. 136 2,62–64 133, 191 2,63 177 2,216–290 221 2,289 223 2,352 f. 351 3,202 137, 203, 288, 356 3,204 225 De re publica (rep.) 2,15 152 2,23–30 205 2,28 187, 202 2,29 152 5,1 261 Epistulae ad familiares (fam.) 5,13(12) 191 5,13(12),1 198 5,13(12),2 204 5,13(12),3 143, 198 5,13(12),4 143 5,13(12),5 143, 192, 201 5,13(12),6 143 5,13(12),7 209 In Catilinam (Catil.) 2,1 227 In M. Antonium orationes Philippicae (Phil.) 2,63 356 In Verrem (Verr.) 2,3,64 227 Orator (orat.) 39 144 139 137, 203 Partitiones oratoriae (part. / Part. or.) 82 338 Pro L. Murena (Mur.) 1 261 Demosthenes Orationes (or.) 25,80 227 De viris illustribus urbis Romae 16,3 352

Diodorus Siculus Bibliotheca historica (Diod. / Bibl. hist.) 1,1,3 178, 212 1,1,4–1,2,8 199 1,2,2 150, 182, 205 1,2,7 142 1,4,1–5 197 1,4,6 56 4,43,1 f. 350 6,6,1 340, 349 13,102,1 293 21,17,4 150 29,15 296 Diogenes Laertios Vitae philosophorum (Diog. Laert. / Vit. phil.) 1,86 341, 351 7,4 337 7,4 f. 329 8,10 172 Dion Chrysostomos Orationes (Dion Chrys. / Or.) 7,2 329 7,31 f. 329 21,9 f. 375 45,1 376 64,8 350 Dionysios von Halikarnass Antiquitates Romanae (ant.) 1,1,2 197, 199 1,5,2 f. 178 2,35,2 216 2,59 151, 204 5,48,1 150 5,75,1 150 6,2,1–6,13,5 352 6,10,1 352 6,13,1–3 352 6,13,4 352 6,13,4 f. 352 De antiquis oratoribus 1 263 De Lysia 7 356 De Thucydide 5

47, 142

465

Stellenregister 16 75 21 144 27 199 Epistula ad Cn. Pompeium Geminum 3 75, 199 Epiktet Dissertationes (Epikt.) 1,19,17 108 2,18,29 350 Euripides Bacchae (Bacch.) 443–450 291 604–655 291 794 f. 319 Electra (El.) 1347–1355

341, 351

Helena (Hel.) 400–413 329 1495–1505 350 1663–1665 350 Orestes (Or.) 1635–1637 350 Festus (Sex. Pompeius Festus)

Frontinus Strategemata (strat.) 1,11,8 353 Gellius Noctes Atticae (Gell.) 11,11,1 199 19,1 334 Heliodor von Emesa Aethiopica (ed. A. Colonna, 1938) 1,22,21–29 329 2,20,12–16 360 2,20,13–16 340 4,16 351 5,27,1–45 329 Herodian Ab excessu divi Marci (Herodian.) 1,1,1 f. 132 1,1,1–3 197 1,1,2 198 1,1,3 199 8,8,8 100 Herodot

De verborum significatu (ed. W. M. Lindsay, 1913) p. 146, ll. 3–5 260

Historiae (Hdt.) 1 pr. 142 8,111,2 f. 419 9,122,4 99

Florus

Herpyllis-Roman (ed. R. Kussl, 1991)

Epitoma de T. Livio (epit.) 1 pr. 3 209 1 pr. 4–8 205 1,5,4 352 1,28,14 f. 352 1,38,19–21 352

ll. 55–60

FGrHist 76 (Duris von Samos), F 1 141 → n. 3 : Aristobulos, Artpanos, Eupolemos, Ps.-Eupolemos, Ps.-Hekateios, Kleodemos Malchas FHG IV p. 580, n. 110 (Johannes von Antiochien) 107

350

Hesiod Theogonia (theog.) 27 f. 140, 201 Historia Apollonii regis Tyri (ed. G. Schmeling, 1988) 11 f.

329

Homer Ilias (Il.) 6

78, 263

Odyssee (Od.) 3,286–300 329 5,291–463 329

466

Stellenregister

5,388 f. 338 7,248–255 329 7,270–282 329 9,67–84 329 12,127–141 339 12,260–446 339 12,401–450 329

12,10–82 335 12,22–24 106, 333, 358 12,34–36 336 12,37 335 12,55 f. 335 12,57–59 329, 350 12,81 f. 106, 333, 357

Horaz

Libanios

Ars poetica (ars) 11 194 12 f. 194

Epistulae (epist.). 1124,3 350 1189,1 350

Carmina (carm.) 1,3,9–24 329 1,12,25–32 350 3,2,26–30 339

Orationes (or.) 29,8 350 57,24 341, 350 f.

Hyginus Fabulae (fab.) 77 80

340, 349 340, 349

Hymni Homerici (Hom. h.) 33,6 f. 349 33,6–17 350 Isokrates Orationes (or.) 10,61

341, 351

Jamblich De vita Pythagorica (v. P.) 167 f. 172, 430 Julianus Imp. Epistulae (ed. B. K. Weis, 1973) (epist.) 48 (= 288a–305d) 146, 195 48,301b 146, 195 55 (= 422a– 424b) 432 55,423d 432 Orationes (or.) 8,246b 319 Juvenal Saturae (Iuv. / Sat.) 1,9 106, 333, 358 1,14 106, 333, 358 4,37 f. 374 8 262

Livius Ab urbe condita (Liv.) pr. 5 197 pr. 5–7 194 pr. 9 f. 151, 199 pr. 11 199 1,18,4 205 2,19,3–2,20,13 352 2,20,12 352 2,42,5 352 9,46,15 352 29,17,12 227 Longos Daphnis & Chloe 1,30,1–1,31,1 329 2,25,3–2,27,3 351 Lukan Bellum civile (Lucan. / Bell. civ.) 9,319–347 329 Lukian von Samosata (ed. A. M. Harmon / K. Kilburn / M. D. Macleod, 1913–1967 u.ö.) Adversus indoctum (ind.) 20 375 Bis accusatus (bis acc.) 15 225 16 223 17 228 20 223, 225 21 228 26–29 223 30–32 228

Stellenregister 33 223 34 228 De mercede conductis (merc. cond.) 1 329, 333, 350, 357 f. De morte Peregrini (Peregr.) 13 431 43 334 Dialogi deorum (d. deor.) 280–287 (25 [26]) 350 Navigium (nav.) 5 354 7–9 329 9 350 Quomodo historia consribenda sit (hist. conscr.) 4 201 8 135 10 154 13 203, 209 14 177, 197 16 211, 178, 273 19 f. 183 23 178, 211 29 184, 194 34 199 38–41 181, 198 39 130, 192 40 154, 203 42 154 45 135, 140, 172, 200 49 181 50 130, 192, 209 50 f. 138, 224 51 137 f., 140, 157, 209, 216, 239, 356 53 f. 178, 273 55 178, 211, 273 58 140, 200, 224, 271 60 181 63 203 Toxaris (Tox.) 19 19–21

333, 358 81, 106, 329

Verae historiae (VH / Ver. hist.) 1,1–4 106, 178, 194, 197, 333 1,3 358 1,4 55 1,5 178 1,6 329

1,9 f. 329 1,25 f. 197 1,40 197 2,31 197 Macrobius Commentarii in Ciceronis Somnium Scipionis (somn.) 1,2,7 f. 146 1,2,8 146 Martial Epigrammata (Mart.) 5,6 107 9,3,11 352 11,1 107 12,11 107 Nepos De viris illustribus (vir. ill.) pr. 1 190 Cato 3,4 192 Nonnos von Panapolis → n. 6 Ovid Epistulae ex Ponto (Pont.) 2,2,81–84 354 Fasti (fast.) 1,705–708 351 f. 1,707 f. 353 5,720 350 Metamorphoses (met.) 3,696–700 291 8,626–724 235 Tristia (trist.) 1,10,1–14 354 1,10,45 f. 350 2,167 f. 354 Pausanias (Paus.) 1,25,2 257 Petronius Arbiter Satyrica (Petron. / Sat.) 2,7–9 144 100–115 81

467

468 103,3–6 357 104,5–105,4 357 105,4 354 114,1–115,5 106, 335, 358 115,1–4 335 115,1–5 238, 252 115,16 342 Phaedrus Fabulae (Phaedr. / Fab.) 4,23,9–25 329 Philon von Byblos (Herennius Philo) De diversis verborum significationibus (ed. V. Palmieri, 1988) 586–590 (Η 88) 216 Philostrat Vita Apollonii (Ap. / Vit. Apoll.) 1,3 145 4,36 373 4,39 373 4,42 373 4,44 373 5,7–10 373 5,18 335 5,19 373 5,28 373 5,32 375 5,32 f. 373 5,33 375 6,3 27 7,4 373, 376 7,12 373 7,24 376 8,25–27 107 Pindar Pythien (P.) 2,94–96 319 Platon Epistulae (epist.) 2,314c 149 Euthydemos (Euthyd.) 293a 350 Nomoi (leg.) 739b–e 430

Stellenregister Phaidon (Phaid. / Phaed.) 109a–b 332, 359 Politeia (rep.) 377a–383c 149 382d 149 462b–d 172 462c 430 Plautus Captivi (capt.) 778–780 234 Miles gloriosus (mil.) 372 f. 221, 261 Persa 53–57 262 53–61 262 61 262 Plinius d. Ä. Naturalis historia (nat.) 2,101 350 7,86 352 30,16 f. 109, 367 35,27 353 36,37 424 Plinius d. J. Epistulae (epist.) 1,5,5–7 370 2,11,19–24 108 2,11,23 108 2,12 108 4,11,4–14 264 4,17,9 108 5,14 108 7,21 108 7,31 108 9,13,15 f. 108 10,96,8 158, 264 10,96,9 f. 125 Panegyricus (paneg.) 6,1–3 107 48,3 376 Plutarch Aemilius Paullus 24,4–6 352 25,1 352 25,2–4 352

469

Stellenregister 25,3 f. 354 25,5–7 353

Solon 27,1

151, 205

Alexander 1,2 1,2 f.

Themistokles 32,3 f.

142

130, 190 356

Caesar (Caes.) 1,4–2,4 188, 204, 214 38,2–4 334 Coriolanus 3,4 352 De communibus notitiis contra Stoicos 1058 f. 216 1061 f. 216 De defectu oraculorum (de def. or.) 426c 350 431a 216 De gloria Atheniensium 346f–347c 138, 157, 209, 224, 239, 356 347a 356 347a–c 144 348c 147 De Herodoti malignitate 854f–855a 198 857a–858f 198 861e–862b 198 871e–872b 198 De superstitione 169c 265 Dion 25,3–11 329 Lucullus 13,4 351 Lysandros 12,1 350 Nikias 1,5

130, 190, 356

Nikias & Crassus 5,2 216 Non posse suaviter vivi secundum Epicurum 1103c–d 350 Numa 1,2–4 151, 204 3,4 206 8,10 151, 204 22,4 151, 204

Theseus 1,1 f. 206 1,3 194 33,2 350 Polybios Historiae (Pol.) 1,1 199 2,56,10–12 142 3,33,17 139, 197 8,11,3–8 190 10,21,5–8 130, 190 13,5,7 314 15,6,4–15,8,14 200 15,25,1 314 16,12,5–11 152, 202 16,12,9 182 16,12,10 202 16,17,8–11 144 31,11 296 36,1,1–3 200 36,17 207 36,17,12–15 207 Prokop von Cäsarea → n. 6 Properz Elegiae (Prop. / Eleg.) 3,7 329 3,7,35 f. 329 Ps.-Demetrios De elocutione 152 f. 223, 415 163–172 222 209–220 203, 356 209–222 137 219 135 289–294 373 294 228, 236 Ps.-Hermogenes Progymnasmata (ed. M.Patillon, 2008) 2,1 196

470

Stellenregister

Ps.-Lukian Charidemos 3 350 Ps.-Lysias Contra Andociden 19 f. 339, 350 26–28 339, 350 31 f. 339, 350 Ps.-Ovid Consolatio ad Liviam (ed. J. Amat, 1997) (cons. ad Liviam) 283 f. 353 Quintilian Institutio oratoria (inst.) 2,4,2 134, 196 2,4,2 f. 191 2,4,18 f. 191 2,5 135 2,17,26–28 206 3,8,67–70 135 4,1,16 226 4,1,34 227 4,1,71 226 4,1,79 227 4,2,40–51 227 4,2,52 227 4,2,63–65 288 4,2,123 f. 288 5,11 150 5,11,6 150 6,2,17 242 6,2,32 137, 203, 288 6,2,32 f. 356 6,3 221 6,3,17–24 241 6,3,18 f. 241 6,3,22–24 223 6,3,97 222 8,3,61–71 137, 203, 288, 356 8,3,67–69 137, 204 8,3,69 137, 203 8,3,70 137, 152, 203 8,3,88 137, 203, 213 9,2,34 f. 222 9,2,40 137, 203, 288, 356 9,2,65 373 9,2,65–99 373 9,4,18 144

9,4,129 144 10,1,31 144 10,1,31–34 135, 191 10,1,73–75 144, 191, 193 10,1,74 144 10,1,101 144 10,1,101–104 144, 191 10,2 272 10,5,15 191 10,5,15 f. 135 11,1,91 226 11,2,11–16 351 12,4 135, 191 12,4,2 137 12,11,17 191 Rhetorica ad C. Herennium (rhet. Her.) 1,8 226 1,11 226 1,13 134, 196 2,46 151, 187, 203 4,63–65 225 4,68 137, 203, 288 4,68 f. 356 Sallust De bello Iugurthino (Iug.) 1–4 205 4,5 f. 209 4,5–9 150 6 48 114,4 100 De coniuratione Catilinae (Catil.) 1–4 205 4,2 198 4,3 197 4,4 199 5 48 5,9 150 5,9–13,5 211 20 42, 116, 138 25 48 31,6 42, 116 35 116 54 48 Scriptores Historiae Augustae (SHA) Commodus (Comm.) 19,2 374

Stellenregister Secundus Taciturnus Vita ac sententiae 14 328 15 328 Seneca d. J. De tranquilitate (Tranq.) 14,3 337 Hercules furens (Herc. f.) 552 f. 350 Naturales quaestiones (nat.) 1,1,13 350 7,16,1 132 7,16,1 f. 132, 198 Servius Commentarius in Vergilii Aeneida (Aen.) 1,235 133, 196

Symmachus Epistulae (ed. O. Seeck, 1883) (epist.) 1,95,3 352 Synesios von Kyrene → n. 6

Silius Italicus Punica (Sil.) 15,82 f.

Dom.16,2 107 Dom.17,2 107 Iul. 4 188, 204 Iul. 6,1 260 Nero 1 354 Nero 13 109, 367 Nero 13,1 367 Nero 13,2 368 Nero 16,2 158, 264 Nero 30,2 109, 367 Nero 49,2 260 Nero 57,2 375 Otho 2,1 f. 206 Tib. 20 351

350

Statius Silvae (silv.) 1,1,52–55 354 3,2,1–12 350 4,7,47 f. 354 Thebais (Theb.) 7,791–793 350 8,269 f. 355 Strabon Geographika (Strab.) 5,3,5 349 6,1,10 352 Sueton De vita Caesarum Aug. 38,3 352 Cal. 10,2–12,2 206 Cal. 22,2 f. 354 Claud. 28 229 Dom. 1,3–2,2 206 Dom. 8,4 264 Dom.11,2 260 Dom.12,2 378 Dom.15,1 382

Tacitus Annales (ann.) 1,1,2 f. 181, 197 1,1,3 198 3,65 150 4,30,1 260 11,24 140 12,33 227, 415 12,54 227 15,29–31 109, 367 15,29,3 367, 369 15,44,2 f. 1 15,44,3 158, 264 15,59,2 110, 366, 373 16,11,3 260 16,23,2 367 De vita et moribus Iulii Agricolae (Agr.) 30,1–32,4 227 30,4 227, 414 33,2–34,3 227 Historiae (hist.) 1,1,1–3 197 f. 1,1,4 198 1,2,1 375 1,3 150 2,8 f. 375 4,17,2 227 4,81,3 208 5,2–5 201

471

472 5,2,3 262 5,4,1 264 5,4,2 265 5,5,1 264 5,5,2 265 5,9,3 226, 229 5,13,1 f. 163, 207, 264 Terenz Eunuchus (eun.) 36–40 234 Heautontimorumenos (haut.) 35–40 234 Phormio (Phorm.) 77 f. 319 Theokrit Eidyllia (Theokr.) 22,1–26 350 Theophrast Characteres (char.) 25,1 f. 334, 340, 351 Thukydides De bello Peloponnesiaco (Thuk.) 1,1–19 211 1,3,3 141 1,9,3 f. 141 1,10,3 141 1,20–22 191, 194 1,21 f. 197 1,22,1 139, 200, 271 1,22,3 198 1,22,4 199, 203 1,126,3–6 208 2,17,1 f. 208 2,35–46 204 2,48–54 204 2,54,2–5 208 5,85–116 204 7,50,4 208 8,109 99

Stellenregister Valerius Flaccus Argonautica (Val. Fl. / Argon.) 1,568–573 350 1,608–658 329 Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia (Val. Max.) 1,8,1 352 5,5,3 353 Velleius Paterculus Historiae Romanae (Vell.) 2,41 f. 298 2,41,1 298 2,42,1 298 2,94 206 2,131 208 Vergil Aeneis (Aen.) 1,39–45 339 1,81–156 329 3,192–208 329 5,8–25 329 Vitruvius De architectura 6 pr. 1 f.

337

Xenophon von Athen Anabasis (an.) 7,8,24 99 Hellenica (hell.) 1,1,1 154, 276 7,5,27 100, 154, 166, 276, 281 Memorabilia (mem.) 4,6,15 216 Xenophon von Ephesus Ephesiaca (Anthia & Habrocomes) 2,11,10 329

473

Stellenregister

5. Neutestamentliche Apokryphen, Nag-Hammadi-Schriften, Patres Apostolici Petrus-Evangelium (EvPetr)

1. Clemensbrief (1 Clem.) 1,2 216 2,1 93 18,1 92 29,1 315

48 291 Thomas-Evangelium, NHC II,2 (EvTh) 47 259

Diognetschrift (Diogn.)

Johannesakten (Ps.-Prochoros) (ed. Th. Zahn, 1880) (ActJoh)

4,4 315 Epistula Apostolorum (EpApost) 15 (26) 30 (41) 31–33 (42–44) 51 (62)

93 93 93 93

Petrusakten (ActPetr)

Epistula Petri ad Philippum, NHC VIII,2 (EpPt) 139,4–140,1 96

5 433 Philippusakten (ActPhil) 3,10–12 (33 f.)

Judas-Evangelium (EvJud) p. 36,1–4 p.  58,24 f.

p. 8, l. 9 – p. 9, l. 7 329 p. 50, l. 6 – p. 51, l. 6 329

329

Polykarp, Philipperbrief (epist.)

96 96

1,2 92

6. Altkirchliche Literatur Athanasios Contra gentes (ed. R. W. Thompson, 1971) (gent.) 12,1–10 348 Epistola ad Serapionem de morte Arii 3 295 Athenagoras De resurrectione mortuorum (res.) 2,1 216 Augustinus De civitate dei (civ.) 4,27 348 5,21,18–21 385 9,4,29–71 334 18,18,18–24 146 18,18,19–24 146

18,52,1–20 385 20,19,53–89 384 In Ioannem (in Io) 6,18 394 Quaestiones evangeliorum 2,51,1 149, 200, 249 CGPNT (ed. J. A. Cramer, 1838–1844) vol. 3, p. 411, ll. 11 f. (Cyrill von Alexandrien) 354 vol. 3, p. 411, ll. 15–17 (Cyrill von Alexandrien) 348 vol. 3, p. 411, ll. 16 f. (Cyrill von Alexandrien) 348 Clemens von Alexandrien Protrepticus (protr.) 2,26,7 348 2,30,4–6 348

474

Stellenregister

Commodian Carmen apologeticum (apol.) 823–936 384 Instructiones (instr.) 1,41 384 De Sancta Synodo Nicaena, attr. Mārūṯā von Maiperqaṭ (ed. A. Vööbus, 1982) I, pp. 22–27 I, p. 23 II, pp. 17–24 II, pp. 18 f.

391 391 391 391

Dialogus de recta in Deum fide (Adamantius-Dialog) 1,8 (808d–e) 96, 395 2,12 (828c–829b) 391 Epiphanios von Salamis Adversus haereses (haer.) 42,10,2 96, 395 Eusebios von Cäsarea Historia ecclesiastica (h.e.) 1,2,1 267 1,4 267 1,4,1 267 1,4,15 267 1,8,3–16 296 2,9,1–3 290 2,9,4 293, 296 2,10,1 287 2,10,1–10 296 2,10,10 289 2,22,1 f. 98 2,22,6 f. 98 2,25,4 295 3,4,6 98 3,4,7 395 3,17 385 3,18,4 382 3,19 f. 384 3,20,1–6 384 3,24,15 98 3,32,1 385 4,23,3 92 4,26,7–11 385 4,26,9 112, 385 f. 5,1,3 95 5,1,3–63 94, 393

5,1,9 95 5,1,15 95 5,1,60 95 5,2–4 94, 393 5,2,5 95 5,17,3 122 5,24,2 92 6,25,6 402 Praeparatio evangelica (praep.) 9,17,2–9 268 9,18,2b 268 9,20,2 f. 268 9,26,1 268 9,27,3 f. 269 9,27,3–37 269 9,27,23–26 291 13,13,3–8 423 Gelasius I. Adversus Andromachum et ceteros Romanos qui Lupercalia secundum morem pristinum colenda constituunt (ed. G. Pomarès, 1959) 18 348 Hieronymus Commentarius in Danielem (in Dn) 4 (De Antichristo in Dn) 147–153 379 4 (De Antichristo in Dn) 151–153 379 De viris illustribus (vir. ill.) 7 98, 395, 402 Epistulae (epist.) 53,9 402 Irenäus von Lyon Adversus haereses (haer.) 1,23,1 96 1,23,1–4 398 1,26,2 99 1,31,1 96 3 pr. 398 3,1,1 401 3,11,7 99 3,12,1 f. 401 3,12,1–11 401 3,12,5 400 3,13,3 96 3,14,1 400 3,14,1 f. 392

475

Stellenregister 3,14,1–3,15,1 96, 98, 401 3,14,3 f. 402 3,14,4 99, 402 3,15,1 99, 401 3,17,2 401 4,23,2 96 4,34,1 f. 400 4,35,2 400 5,30,3 384 Johannes Chrysostomos Homiliae in Acta Apostolorum (hom. in Act) 1,1 (PG 60,13) 394 1,5 (PG 60,21) 3 3,1 (PG 60,34) 3 Justin der Martyrer Apologia prima (1apol.) 21,2 348 26,5 392 50,12 94 52,10 291 58 392 Dialogus cum Tryphone Iudaeo (dial.) 35,5 f. 392 Kanon Muratori l. 34 f.

401

Laktanz De mortibus persecutorum (mort. pers.) 2,7–9 383 2,8 f. 384 3,1 385 3,1–3 385 3,2 107 3,4 f. 385 Divinae institutiones (inst.) 1,10,5 f. 348 2,7,9 352 2,7,10 352 Minucius Felix Octavius (Min. Fel.) 7,3 352 12,4 109 22,7 348 27,4 348

Nonnos von Panapolis Dionysiaca (Dion.) 28,254–256 350 45,270–285 291 46,1–3 291 Oracula Sibyllina (Sib) 3Sib 63–74 4Sib 114–128 4Sib 115 f. 4Sib 119–124 4Sib 125–127 4Sib 130–136 4Sib 137–139 4Sib 162–178 5Sib 1–51 5Sib 28–34 5Sib 36 5Sib 38 f. 5Sib 40 5Sib 49–51 5Sib 137–154 5Sib 147 f. 5Sib 150–154 5Sib 215–246 5Sib 217 5Sib 361–369 5Sib 362 8Sib 68–80 8Sib 139–159 12Sib 78–94 12Sib 124–142 12Sib 138–142 13Sib 119–130

379 375 375 376 375 375 376 375 376 377 376 376 376 376 376 110, 368 370 376 376 376 377 377 377 378 378 107 377

Origenes Contra Celsum (Cels.) 1,14 264 1,16 264 1,26 264 2,4 264 3,22 348 5,33 264 Homiliae in Lucam (hom. in Lc) 1,1 123 Orosius Historiarum adversus paganos libri (hist.) 7 385 7,26 f. 385

476

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Papias von Hierapolis (ed. U. H. J. Körtner, 1998) fr. 6

296

Prokop von Cäsarea De bello Persico (BP) 1,1,1 f. 199 1,1,3–6 197 1,1,4 143 De bello Vandalico (BV) 1,12,1 f. 350 Historia arcana (Anecdota) (HA) 1,4–10 203 8,12–21 386 8,13–21 107 8,21 386 8,22–33 386 Pseudoklementinen Clem. hom. 2,48,1 216 12,16,3–12,17,1 81 12,16,3–12,17,4 329 Ps.-Tertullian Adversus omnes haereses (adv. omn. haer.) 6 391 6,1 391 6,2 391 Carmen adversus Marcionem (carmen adv. Marc.) 2,28 f. 395 Synesios von Kyrene Epistulae (ed. A. Garzya, 2000) (epist.) 5 81 5,57–71 335 5,69–174 329 5,195–227 329 5,198–200 106, 333 5,296 f. 106, 333, 358 5,296–301 106; 333 Tatian Oratio ad Graecos (ed. M. Marcovich, 1995) (or.) 10,2 348

Tertullian Adversus Marcionem (adv. Marc.) 4,2,3 96, 395 4,3,5 96, 395 5,2,7 97, 390, 401 Apologeticum (apol.) 5,3 384 5,3 f. 112, 295 5,4 384, 386 5,5–8 386 5,6 386 5,8 386 19,1 263 19,1–4 264 20,1 264 21,1 f. 266 35,9 107 46,1 264 50 109 De baptismo (bapt.) 17,5 95 De pallio (pall.) 4,5 384 De praescriptione haereticorum (praescr.) 15 389 17,1 389 20,7 389 21 389 22 f. 97, 389 22,9–11 401 22,10 389 22,11 390 22,12 390 23,3 390 23,5 390 30,12 390 37 389 37,1 389 38,6–10 390 38,9 390 42,8 390 44,13 389 Theodoret von Kyrrhos Historia ecclesiastica (h.e.) 1,14,6–8 295 Theophilos von Antiochien Autol. (ed. M. Marcovich, 1995) 3,25,3 291

477

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7. Rabbinica Babylonischer Talmud bGit (Giṭ.) 56a 378 56b 339

Midraschim BerR (Gen. Rab.) 10,7 339

8. Papyri 𝔓29 90 90 𝔓45 𝔓48 90 𝔓53 90 95, 354 𝔓74 𝔓91 90

P Berol. 11765 (Majuskel 0189) P Fouad 26 P Oxy. 2131 P Ryl. 114

90 f. 223 223 223

9. Inschriften, Münzen CIL XIII/1,1, n. 1668 RIC2 I, Nero 50 f. RIC2 I, Nero 58 RIC2 I, Nero 263–271 RIC2 I, Nero 283–291 RIC2 I, Nero 300–311 RIC2 I, Nero 323–328 RIC2 I, Nero 337–342 RIC2 I, Nero 347–350 RIC2 I, Nero 353–355

140 368 368 368 368 368 368 368 368 368

RIC2 I, Nero 362 RIC2 I, Nero 366 f. RIC2 I, Nero 421 RIC2 I, Nero 438 f. RIC2 I, Nero 468–472 RIC2 I, Nero 510–512 RIC2 I, Nero 537–539 RIC2 I, Nero 583–585 RRC 290/1 RRC 335/10a

368 368 368 368 368 368 368 368 353 352

Autorenregister Adamietz, Joachim ​337, 343 Aejmelaeus, Lars ​113  f. Ahl, Frederick ​373 Aland, Barbara ​90 Aland, Kurt ​90 Alexander, Loveday C. A. ​32, 34, 125, 161–163, 179, 182, 195, 210, 216, 268, 273, 327, 329–333, 341, 343, 359 f., 406 Allen, O. Wesley ​119, 284, 293–295, 297, 371 f. Althaus, Horst ​423, 433 Alvarez Cineira, David ​188 André, Jean-Marie ​329, 343 Arnold, Bill T. ​179, 272 Ascough, Richard S. ​164 Assmann, Aleida ​131, 150, 153, 258 Assmann, Jan ​49, 126, 153, 160, 181 f., 258, 265 Auerbach, Erich ​180, 409 f. Aune, David E. ​135, 160 f., 182, 380 f. Avemarie, Friedrich ​23, 44, 255, 324, 409 Avenarius, Gert ​133, 137–140, 151 Bacci, Michele ​330, 343 Bachmann, Michael ​272, 280 Badian, Ernst ​136 Balch, David L. ​171, 210, 263, 266 f., 277, 279, 300 Barbi, Augusto ​309 Barnikol, Ernst ​90 Barrett, Charles K. ​89, 91, 93 f., 97, 101 f., 106, 111 f., 121, 224, 232, 253, 270, 277, 283, 314 f., 354, 357, 388 f., 392 f., 397, 400, 403 Barth, Karl ​442 Bartsch, Shadi ​366, 370, 373 Baslez, Marie-Françoise ​329, 343 Bastomsky, Saul J. ​378 Bauckham, Richard ​300, 359 Bauernfeind, Otto ​115 Beck, Hans ​141 Becker, Carl ​107 Becker, Eve-Marie ​46–51 BeDuhn, Jason D. ​392 Belser, Johannes E. ​117

Belting, Hans ​157, 330, 343 Bendemann, Reinhard von ​101, 317 Berger, Klaus ​160 Berger, Peter L. ​265 Bergmann, Marianne ​109 f., 367 f., 373 Bethe, Erich ​340, 343, 349, 354 Bethge, Hans-Gebhard ​96 Bettini, Maurizio ​260  f. Betz, Hans Dieter ​247 Billings, Drew W. ​84 f. Binder, Gerhard ​262 Bird, Michael F. ​246 Biscoe, Richard ​389 Blackman, Edwin C. ​396 f. Blösel, Wolfgang ​153, 260–262 Blomberg, Craig L. ​278 Blum, Matthias ​280, 399, 427 Blumenberg, Hans ​337, 343 Börstinghaus, Jens ​81–83, 99, 106, 306, 329–331, 333–335, 338, 341, 344, 349, 357 f. Böttrich, Christfried ​7, 124 Bonz, Marianne P. ​34, 164, 266, 322 Borges, Jorge Luis ​327, 344 Borgman, Paul ​246 Bormann, Lukas ​23, 209 Botermann, Helga ​30 f., 164, 210 Bouwman, Gilbert ​88, 102 f., 109 Bovon, François ​91, 95 f., 98, 247, 388, 393 Bowersock, Glen W. ​145 Bowie, Ewen L. ​140, 145 Brankaer, Johanna ​96 Brawley, Robert L. ​427 Bremmer, Jan N. ​95 Breytenbach, Cilliers ​51–53 Brocke, Edna ​258 Brodie, Thomas L. ​179, 272 f. Broer, Ingo ​23, 89, 112 Brosend, William F. ​165 f. Brox, Norbert ​412 Bruce, Frederick F. ​89, 104, 112, 168 Brüne, Bernhard ​117 Bubel, Frank ​368 Bultmann, Rudolf ​219, 419 Burchard, Christoph ​311  f. Buren, Paul van ​427

Autorenregister Burfeind, Carsten ​322, 362 Burkitt, Francis C. ​116 Busse, Ulrich ​102, 179, 246, 273, 426 Butticaz, Simon D. ​71–73, 246, 249, 310, 323 Byrskog, Samuel ​135, 165, 186 Cadbury, Henry J. ​91, 100, 102, 126, 163, 166, 186, 389, 397, 402 Campenhausen, Hans von ​8, 220, 389, 396, 400 Cancik, Hubert ​171, 279, 300 f. Cancik-Lindemaier, Hildegard ​279 Carhart, Ryan ​121 Cartledge, Paul ​132 Casson, Lionel ​329, 337, 344, 354 Cerri, Giovanni ​141 Champlin, Edward ​109, 367 f., 377, 379 f. Chaniotis, Angelos ​368 Chesterton, Gilbert Keith ​414 Christ, Karl ​31 Clarke, Katherine ​294 Coleridge, Samuel Taylor ​194 Collins, Adela Y. ​382 Collins, John J. ​161, 269, 375 Conzelmann, Hans ​91, 93 f., 120, 123–126, 251, 269, 271 Cook, John G. ​379, 382 Cosgrove, Charles H. ​178 Cribbs, F. Lamar ​103 Csapo, Eric G. ​234 Czachesz, István ​312, 316 Daltrop, Georg ​423 Dassmann, Ernst ​426 Daube, David ​274 Dawsey, James ​245 De Boer, Martinus C. ​418 Decock, Paul B. ​251 deSilva, David A. ​382 Dibelius, Martin ​14, 29, 168 f., 360, 431 Dicken, Frank ​89, 92 Dihle, Albrecht ​130 Dobschütz, Ernst von ​157 Dochhorn, Jan ​379 Dölger, Franz J. ​354 f. Dörrie, Heinrich ​264 Dohmen, Christoph ​388 f., 395 Doran, Robert ​161, 269 Dormeyer, Detlev ​30, 56 Downing, F. Gerald ​265 f., 268 Droge, Arthur J. ​88 f., 121, 264, 269, 435 Drury, John ​274 Duckworth, George E. ​234

479

Duensing, Hugo ​93 Dunn, James D. G. ​2, 427 Dunn, Peter W. ​95 Dupont, Jacques ​289, 435 Earl, Donald ​150 Eck, Werner ​98, 107 f., 225 Eco, Umberto ​194  f. Edelmann-Singer, Babett ​381 Effe, Bernd ​240 Elbert, Paul ​113  f. Ellis, E. Earle ​89 Enslin, Morton S. ​89, 115 Ernst, Josef ​252 Esler, Philip F. ​265, 268, 278, 280 Fantuzzi, Marco ​170 Feeney, Denis C. ​132 Feldherr, Andrew ​137, 197 Feldmeier, Reinhard ​342 Ferone, Claudio ​163 Finn, Thomas M. ​418 Fischer, Karl Martin ​89, 112, 402 Fitzmyer, Joseph A. ​88 f., 277, 283, 357 Flaig, Egon ​259, 261 Flashar, Martin ​257 Fleck, Martin ​136 Flichy, Odile ​311  f. Flower, Harriet I. ​261 Fornara, Charles W. ​130, 136, 139 f., 142 f., 150 f., 224, 271 Fox, Matthew ​144, 199, 203 Fox, Robin L. ​426, 432 Franz, Michael ​148 Frateantonio, Christa ​264 Frenschkowski, Marco ​249, 351 Frey, Jörg ​53–57 Fried, Johannes ​132, 189, 196 Friesen, Steven J. ​106 Fuchs, Elfriede ​132, 134, 140, 146, 195 Fuhrmann, Manfred ​144 Fusillo, Massimo ​145 Gabba, Emilio ​142, 146, 193 Gabelmann, Hanns ​368 Gager, John G. ​264, 418 Gamble, Harry Y. ​426 Garrett, Susan R. ​289 Gasque, W. Ward ​29 f. Gaston, Lloyd ​427 Gauger, Jörg-Dieter ​296, 372, 375 Gaventa, Beverly R. ​36, 45, 168, 308, 312, 347, 419

480

Autorenregister

Geagan, Daniel J. ​106 Geffcken, Johannes ​377, 384 Gehrke, Hans-Joachim ​116, 141, 148, 153, 159 f., 179, 181, 202, 257 f., 262 f., 271, 274, 280, 282 Geiger, Georg ​247 Gempf, Conrad ​139 f., 224, 271 Gentili, Bruno ​141 Geppert, Stefan ​340 f., 344, 349–352, 354 Gerber, Christine ​172, 269 Giesen, Heinz ​380  f. Gilbert, Gary ​361 f., 408 Gill, Christopher ​131, 141, 148 f. Gilman, John ​251 Glei, Reinhold ​240 Goldhill, Simon ​240 Good, R.  S. ​259 Goodspeed, Edgar J. ​112 Goulder, Michael ​275 Grasso, Santi ​247, 250 Green, H. Benedict ​92 f. Green, Joel B. ​6, 8, 265, 275 Gregory, Andrew ​91–96, 99, 101, 103 f., 122 f., 245, 392 f., 395 f., 400 Griffin, Miriam T. ​140 Groag, Edmund ​108 Gruen, Erich S. ​222, 234 Haar, Stephen ​121, 399 Haase, Mareile ​152 Habicht, Christian ​257 Häfner, Gerd ​31, 187, 190 Hägg, Tomas ​146 Haenchen, Ernst ​24–26 f., 91, 93 f., 122, 176, 420 Häußler, Reinhard ​199 Hafner, German ​423 Hagene, Sylvia ​181  f. Hagner, Donald A. ​92 Halbwachs, Maurice ​258 Halfmann, Helmut ​108, 225 Hall, Robert G. ​182, 208, 211 Hamm, Dennis ​423 Hanslik, Rudolf ​107 Hardtwig, Wolfgang ​130 Harnack, Adolf (von) ​22, 27 f., 88, 111, 306, 388 f., 391 f., 395 f. Harrill, J. Albert ​234, 292, 409 Harris, William V. ​426 Harth, Dietrich ​153, 167, 213 Hauschild, Jan-Christoph ​436 Hauser, Hermann, J. ​427 Hayes, John H. ​330, 332, 340, 345

Hays, Christopher M. ​398 Heckel, Hartwig ​262 Hedrick, Charles W. ​312 Heil, Christoph ​172 Heine, Heinrich ​245, 417 f., 436 Heininger, Bernhard ​303, 308 f., 322 Hemer, Colin J. ​30, 88 f., 98, 104–107, 109, 112, 119, 167 Hengel, Martin ​89, 111, 167 Herms, Eilert ​415 Hezser, Catherine ​339, 344 Hidber, Thomas ​100 Hill, Charles E. ​94, 393 Hillard, Thomas ​104, 116 Hintermaier, Johann ​289, 291 Hölkeskamp, Karl-Joachim ​147, 150, 260 f., 270 Hoffmann, R. Joseph ​397 Hogan, Derek ​223 Holladay, Carl R. ​161, 268 f. Holtzmann, Heinrich ​116, 120 Holzbach, Mathis-Christian ​34 Holzberg, Niklas ​134, 146, 195, 242 Horn, Hans-Jürgen ​148, 193 Hornschuh, Manfred ​94 Horsley, Gregory H. R. ​106 Hose, Martin ​24, 134, 141 f., 153, 199 Hübinger, Gangolf ​130 Hummel, Adrian ​330, 344 Hyldahl, Niels ​90, 115, 121 Jacquier, Eugène ​88 Jaeger, Werner ​26  f. Jaisle, Karl ​348  f. Jakob-Sonnabend, Waltraud ​377, 385 Jantsch, Johanna ​22, 28 Jantsch, Torsten ​6–8 Jaquette, James L. ​435 Jarausch, Konrad H. ​2, 9 Jervell, Jacob ​178, 182, 267, 278, 281, 427, 433 Jeska, Joachim ​173, 176, 272 Jipp, Joshua W. ​332, 340 f., 344, 355, 359 f. Jones, Brian W. ​382 Jónsson, Jakob ​220 Jülicher, Adolf ​89, 114, 118, 123 Jung, Franz ​7 Kany, Roland ​97, 100, 258 Kauppi, Lynn A. ​295, 340 f., 344, 347, 349, 354 f., 360, 362 f., 371, 412 Keener, Craig S. ​89, 104, 106, 111 f., 114 Kelhoffer, James A. ​101, 393

Autorenregister Kemmler, Dieter W. ​420 Kerényi, Karl ​146 Keßler, Eckhard ​135 f., 191 Kezbere, Ilze ​64–67, 360 Kierdorf, Wilhelm ​179, 261, 263 Kilpatrick, George D. ​420 Kinzig, Wolfram ​259 Klauck, Hans-Josef ​79 f., 95, 110, 167, 172, 214, 232–237, 275, 280, 289, 295, 331, 336, 340 f., 344, 360, 362 f., 371, 375, 377, 379–381, 408, 410, 412, 420–422, 430, 432 f., 437 f. Klein, Günter ​87, 90, 115 Klein, Hans ​111 Klinghardt, Matthias ​122, 266, 278, 392, 397 f. Kloppenborg, John S. ​355 Knabenbauer, Joseph ​88 Kneppe, Alfred ​238, 374, 376 Knibb, Michael A. ​379 Knox, John ​89, 115, 122, 397 Koch, Dietrich-Alex ​99 Koch, Heinrich ​88, 98, 109 Kodell, Jerome ​297 Köster, Helmut ​90 Koet, Bart J. ​422 Kokkinos, Nikos ​290, 319 Korn, Manfred ​102, 419, 431 f. Koselleck, Reinhart ​129, 192 Koskenniemi, Erkki ​26 Kratz, Reinhard ​290 Kraus, Walther ​340, 344, 348 f. Kraut, Gisela ​157 Krauter, Stefan ​34, 42, 322 Kremer, Jacob ​311  f. Krenkel, Max ​116 Kümmel, Werner G. ​89, 94, 112, 389, 397 Kuhn-Chen, Barbara ​207 Kurz, William S. ​177, 435 Kytzler, Bernhard ​206 Labahn, Michael ​341, 344, 355 Ladouceur, David ​339–341, 344, 348, 350 f., 354 f., 360, 432 Laird, Andrew ​146, 196 Lake, Kirsopp ​94, 98 Lambertz, Maximilian ​98 Lampe, Peter ​192 La Rocca, Eugenio ​353 f. Lausberg, Heinrich ​137, 141, 148, 150, 222, 288 Lendle, Otto ​136, 139, 141 f.

481

Lenfant, Dominique ​231 Lentz, John C. ​323 Leppä, Heikki ​113 Leppä, Outi ​112 Ley, Anne ​340, 345, 349 Lieu, Judith M. ​96, 390, 392, 395 f., 398, 403 Lindemann, Andreas ​113, 285, 312, 325 Löhr, Winrich A. ​94 f., 388 Löning, Karl ​124, 267, 278 f., 281, 310, 312, 314, 421–423, 428, 433 Lösch, Stephan ​223  f. Lohfink, Gerhard ​275, 312, 315 Loisy, Alfred ​109 Longenecker, Bruce W. ​284 Lorenz, Thuri ​350, 352 Luce, T. James ​136, 139, 141 f., 199 Luckmann, Thomas ​208, 265 Lüdemann, Gerd ​102, 121, 167, 224, 232 f., 235–237, 287, 405 Luther, Susanne ​57–59 Luz, Ulrich ​134, 139, 149, 207 Lyonnet, Stanislas ​247 Macchi, Jean-Daniel ​182 MacDonald, Dennis R. ​34, 78, 164, 263 MacRae, George W. ​254 Maddox, Robert ​174, 281 Malherbe, Abraham J. ​267, 281, 416 Marguerat, Daniel ​68–71, 89, 112, 159, 161, 175, 178, 182, 210–212, 232 f., 287, 291, 308 f., 311–314, 316, 319, 427, 429, 435 Marincola, John ​131, 154, 198, 276 Marquard, Odo ​243 Marshall, Ian H. ​210 Mason, Steve ​25, 42, 117–119, 161, 167, 224 f., 228, 241 f., 338, 344 Matson, Mark A. ​103 Mattill, Andrew J. ​89, 101, 109 Maurer, Christian ​314  f. Mavrogiannis, Theodoros ​262 May, Gerhard ​389, 391 McCoy, W. James ​30, 139, 163, 210 McDonald, Alexander H. ​135 Mehl, Andreas ​135, 150, 170, 177 Meiser, Martin ​89, 121, 124 f., 405 Meißner, Burkhard ​142, 154, 177, 276 Meister, Klaus ​136, 139, 141 f., 170 Mellor, Ronald ​220 Merkel, Helmut ​124, 259, 278–281, 310, 375, 427 f. Metzner, Rainer ​98, 229 Meyer, Eduard ​22 f., 25, 27, 102, 306, 409 Miles, Gary B. ​332, 339, 344, 350, 355, 432

482

Autorenregister

Miltner, Franz ​354 Mitchell, Alan C. ​430 Mitchell, Margaret M. ​34, 42, 78, 263 Mittelstaedt, Alexander ​30, 89, 98, 101, 104 f., 109, 114, 118, 306 Moessner, David P. ​216 Moles, John L. ​130, 141, 148, 153, 184, 196 Moll, Sebastian ​392 Momigliano, Arnaldo ​130 Mommsen, Theodor ​22 Mommsen, Wolfgang J. ​132 Montefiore, Hugh ​117 Moreland, Milton ​173 Morgan, John R. ​134, 146, 195 Morgan, Teresa ​193 Motzkin, Gabriel ​2 Moule, Charles F. D. ​254 Mount, Christopher ​12, 89, 99, 123, 394, 399 f., 402 Müller, Carl W. ​134, 145 f., 195 f. Müller, C. Detlef G. ​93 f. Müller, Mogens ​89, 124 Munck, Johannes ​88, 98, 101, 104, 109, 112 Mußner, Franz ​111, 427 Myllykoski, Matti ​247, 250 Näf, Beat ​283 Nasrallah, Laura ​90, 121 Nassauer, Gudrun ​8, 408 Natzel-Glei, Stephanie ​240 Nauta, Ruurd ​374 Neirynck, Frans ​103 Nellessen, Ernst ​419 Nesselrath, Heinz-Günther ​32, 140 Nestle, Wilhelm ​295, 372 Neudecker, Richard ​423 Neumann, Nils ​332, 344 Nicolai, Roberto ​192 Nielsen, Inge ​352 Nietzsche, Friedrich ​425 Nipperdey, Thomas ​130, 212 Nobbs, Alanna ​104, 116 Norden, Eduard ​26  f. Obermeier, Klaus ​312 Oexle, Otto Gerhard ​130, 258 Ó Fearghail, Fearghus ​274 Omerzu, Heike ​98, 224, 226–228 O’Neill, John C. ​89, 124 Osiek, Carolyn ​426 Overbeck, Franz ​94

Paley, William ​104 Palmer, Darryl W. ​160 f., 268, 275 Parisi Presicce, Claudio ​352 Parker, David C. ​90 Parker, Pierson ​88, 102, 109 Parry, David T. N. ​289 Parsons, Mikeal C. ​25, 32, 39, 133, 166, 186, 196, 245, 393 Pascal, Carlo ​377 Pelling, Christopher B. R. ​131, 151, 154, 183, 186–190, 200, 204, 303, 308 Penner, Todd C. ​34, 76–78, 137, 139, 142, 145, 153, 161, 164, 170, 172 f., 268 f. Perry, Ben E. ​146, 328, 344 Pervo, Richard I. ​8, 25, 39–46, 88, 90 f., 94 f., 100 f., 103 f., 107, 113 f., 117, 119–121, 123, 125, 164–166, 195, 220, 223 f., 227 f., 234, 237 f., 242, 245, 284, 288, 292, 306, 311 f., 321 f., 324, 330 f., 336, 340, 344, 348, 357, 360, 371, 393 f., 406, 408, 414, 420, 422, 432 Pesch, Otto Hermann ​158 Pesch, Rudolf ​111, 172, 270, 277, 420 Petzold, Karl-Ernst ​198 Pezzoli-Olgiati, Daria ​382 Pfeiffer, Stefan ​382 Pilhofer, Peter ​264, 269, 355, 425 Plass, Paul ​223 Plümacher, Eckhard ​22–25, 32, 51, 53, 139, 141–143, 152, 160, 165, 179, 181 f., 198, 207, 270, 272, 274, 314, 330, 344, 410, 423, 430–432 Pötscher, Walter ​419 Pokorný, Petr ​431, 433 Porter, Stanley E. ​139, 272, 306 Poulsen, Birte ​340, 344, 349, 353 f. Powell, Mark A. ​419 Praeder, Susan M. ​164, 330 f., 344, 358 Preisendanz, Wolfgang ​221 Pretty, Robert A. ​391 Preuschen, Erwin ​37 Puelma, Mario ​140, 148, 193 Rackham, Richard B. ​88, 98, 109 Radl, Walter ​102, 179, 233, 246, 273, 287, 289, 291, 321 Rahner, Hugo ​329, 345 Ramsay, William M. ​105, 111 Ranke, Leopold (von) ​22, 129 f., 192 Rapske, Brian M. ​355 Reardon, Bryan P. ​146 Reasoner, Mark ​172, 178 Rebenich, Stefan ​22, 139, 142, 144 f.

Autorenregister Rehberg, Karl-Siegbert ​126, 211, 298 f. Reimer, Andy M. ​35 Reiser, Marius ​106, 220 f., 230, 232, 306 Reitzenstein, Richard ​26–28 Rese, Martin ​280, 427 Reuter, Rainer ​91  f. Rexroth, Frank ​2 Richardson, Lawrence ​352 Rinaldi, Giancarlo ​98 Robinson, John A. T. ​89, 98 Röder, Jörg ​57–59 Römer, Franz ​131 Römer, Thomas ​182 Rösler, Wolfgang ​141, 148 f., 193 Roloff, Jürgen ​89, 112, 122, 224, 228, 232, 273, 281, 309 f., 321, 427 Rougé, Jean ​385 Rosner, Brian S. ​179, 272, 275 Roth, Dieter T. ​392, 396 Rothschild, Clare K. ​36, 42, 53–57, 59–62, 135, 142, 161, 168, 172, 176–179, 184, 191, 246, 268, 274, 321 Roveri, Attilio ​207 Rowe, C. Kavin ​4–6, 8, 85, 230, 245, 369, 406, 408 Rüpke, Jörg ​138, 180, 275 f. Rüsen, Jörn ​2, 5, 147, 270 Rusam, Dietrich ​111, 271, 274, 278, 306 Russell, Henry G. ​102 Rutherford, Richard ​227 Sabrow, Martin ​2, 9 Sacks, Kenneth ​139 f., 142, 144, 224 Saddington, Denis B. ​98 Salo, Kalervo ​278 Salonius, Aarne H. ​90 Sand, Alexander ​419 Sande, Siri ​352 Sanders, Jack T. ​427 Satterthwaite, Philip E. ​185 Schäfer, Jan ​330, 345 Schalles, Hans-Joachim ​257 Scheer, Tanja ​340, 345, 349 Schenk, Wolfgang ​113 Schenke, Hans-Martin ​89, 112, 402 Schepens, Guido ​303 Schierling, Maria J. ​164 Schierling, Stephen P. ​164 Schille, Gottfried ​94, 123, 125 Schinkel, Dirk ​107 Schluchter, Wolfgang ​300 Schmidt, Carl ​93  f. Schmidt, Daryl D. ​142, 178, 273

483

Schmidt, Eckart D. ​57–59 Schmidt, Karl Matthias ​109 Schmiedel, Paul W. ​89 Schnauß, Markus ​256 Schneider, Gerhard ​89, 91, 93 f., 111 f., 216, 317, 418, 433 Schnelle, Udo ​89, 123 Schreckenberg, Heinz ​118 Schreiber, Stefan ​227, 361, 408, 412 Schrenk, Gottlob ​315, 420 Schröter, Jens ​29, 34, 51–53, 91, 96 f., 102, 142, 148, 159, 166–168, 188, 210, 213, 270, 273, 285, 306 f., 312, 314 f., 388, 393, 395, 400, 402 f. Schürer, Emil ​118–120 Schürmann, Heinz ​266, 426 Schütrumpf, Eckart E. ​145 Schütz, Alfred ​208 Schuler, Carl ​106 Schulte, Claudia ​107 Schwartz, Daniel R. ​98, 290 Schwartz, Saundra ​223, 406 Schwemer, Anna Maria ​89, 111 Scott, James C. ​230, 283, 368 Scott, James M. ​359 Scott, Kenneth ​353  f. Searle, John R. ​193 Seeck, Otto ​22 Seeliger, Hans R. ​94 Seifrid, Mark A. ​278 f. Sellner, Hans Jörg ​7 Semler, Johann Salomo ​387 Shauf, Scott ​36, 45, 60, 62–64, 160, 166, 168, 171, 179 f., 212, 237, 308 Shellard, Barbara ​89, 103, 116 f., 120 Sherwin-White, Adrian N. ​105, 167 Smith, David E. ​388, 393, 400, 402 Smith, Dwight M. ​103 Smith, Morton ​92  f. Soards, Marion L. ​173, 176, 178, 224, 272 Söder, Rosa ​329, 345 Sonnabend, Holger ​131 Sparks, Hedley F. D. ​274 Spencer, F. Scott ​347, 363 Spencer, Patrick E. ​246 Speyer, Wolfgang ​197, 430 Spittler, Janet E. ​333, 345 Squires, John T. ​177 f., 212, 241, 302 Stadter, Philip A. ​151 Stählin, Otto ​32 Stark, Rodney ​125, 409 Stegemann, Wolfgang ​427 Steichele, Hanneliese ​135, 148, 169

484

Autorenregister

Stein, Arthur ​107 Stemmler, Michael ​134, 150, 152 Sterling, Gregory E. ​24, 89, 111 f., 117 f., 126, 160 f., 178 f., 182, 202, 208, 230, 267–270, 272 f., 299, 407 Stewart-Sykes, Alistair ​94 Steyn, Gert J. ​7 Stierle, Karlheinz ​193 Stolle, Volker ​312 Stoneman, Richard ​145 Strasburger, Hermann ​118, 131 Streeter, Burnett H. ​111, 117 Strelan, Rick ​230, 234, 288 Strobel, August ​289 Strobel, Karl ​107, 110 Stroh, Wilfried ​141, 201 Syme, Ronald ​108, 132, 225 Taeger, Jens-Wilhelm ​7–9, 419, 423, 428 f. Tajra, Harry W. ​224, 227 Talbert, Charles H. ​167, 330, 332, 340, 345, 347 Tannehill, Robert C. ​23, 246, 419, 422, 427 Tatum, James ​145 Taylor, Justin ​33 Theißen, Gerd ​187, 290, 300 f. Thimmes, Pamela Lee ​330, 336, 345 Thompson, Leonard L. ​382 Thornton, Claus-Jürgen ​98, 106, 306, 388, 395 f. Thraede, Klaus ​269 Tiede, David L. ​421 Tillich, Paul ​1 Timpe, Dieter ​112, 153, 190 f., 195, 206, 378, 382, 384–386 Torrey, Charles C. ​88 Townsend, John T. ​90, 95, 397 Treiber, Hubert ​301 Troftgruben, Troy M. ​73–76, 100 Trompf, Garry W. ​176, 274, 293, 321, 332, 339, 344, 350, 355, 391, 432 Tsutsui, Kenji ​391 Tuckett, Christopher ​90 Tyson, Joseph B. ​88 f., 101, 113, 115 f., 122, 164, 183, 273, 280, 397, 419, 427 Ulrich, Jörg ​267 Unnik, Willem C. van ​137, 162, 216, 277 Vander Stichele, Caroline ​76–78 Vielhauer, Philipp ​93, 122 Vinzent, Markus ​122, 392 Virgilio, Biagio ​257

Völkel, Martin ​216, 247 Vouga, François ​220 Wachsmuth, Dietrich ​329, 336 f., 339, 345, 349–351, 354 f., 357 Wachtel, Klaus ​98 Walker, William O. ​113 Wall, Robert W. ​292, 300 Walter, Uwe ​141, 259–261, 280, 282 Walters, Patricia ​101, 245 Walton, Steve ​114, 369, 411 Wanke, Joachim ​247, 250 Wasserberg, Günter ​6, 321, 419, 427, 435 Wathelet, Paul ​262 Weaver, John B. ​289–291 Weber, Max ​300 Webster, Thomas B. L. ​356 Wedderburn, Alexander J. M. ​99, 160, 210, 279 Weinreich, Otto ​27 Weiser, Alfons ​224, 232 f., 235–237 Wendel, Susan ​94, 124 Wendland, Paul ​26, 32 Werner, Michael ​436 Wheeldon, M.  J. ​144 White, Hayden ​31, 131 f., 150 Whitehead, Alfred North ​129 Wifstrand, Albert ​32, 179, 272 Wikenhauser, Alfred ​88, 98, 118 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von ​23, 28, 219 Wilcox, Max ​418 Wilde, Oscar ​132 Wildhaber, Bruno ​410, 420, 422 Wilker, Julia ​119, 287, 289 f., 294, 319, 371 Williams, Charles S. C. ​102 Williams, Joel F. ​428 Williams, Margaret H. ​108, 225 Willing, Meike ​122 Wilshire, Leland E. ​397 Wilson, Stephen G. ​266, 278–280 Wilson, Walter T. ​161, 170 Winter, Bruce W. ​104, 116, 223, 226 Winter, Dagmar ​187 Wirth, Gerhard ​138, 142, 146, 203 Wischmeyer, Oda ​269 Wischmeyer, Wolfgang ​94 Wiseman, Timothy P. ​132 f., 136 f., 141, 144 f., 183, 196, 199 Witetschek, Stephan ​89, 91, 94, 100 f., 105–107, 109, 111, 115, 125, 379 Witherington, Ben ​120, 163, 166 Witherup, Ronald D. ​311–313

Autorenregister Witschel, Christian ​366, 378 Wittgenstein, Ludwig ​405 Witulski, Thomas ​382 Wolffsohn, Michael ​259 Wolter, Michael ​44, 76, 100–102, 123, 125, 159, 175, 183, 210, 216, 248, 250, 270, 281, 285, 300, 306, 318, 332, 345, 359, 367, 399 Wood, Michael ​132 Woodman, Anthony J. ​135 f., 145, 198 f., 202 Wordelman, Amy L. ​34 Wurst, Gregor ​96

Yamada, Kota ​141, 161, 268 Yamazaki-Ransom, Kazuhiko ​361, 369, 413 Zahn, Theodor ​89, 117, 388 Zanker, Graham ​356 Zeller, Eduard ​90 f., 93 f. Ziesler, John A. ​254 Zmijewski, Josef ​111 Zwierlein, Otto ​92  f. Zyl, Hermie C. van ​7

485

Sachregister Griechische Begriffe ἄγγελος ​235, 294 f., 301, 371 ἀγράμματος ​179, 242, 431 αἵρεσις ​117, 228 ἀκρίβεια, ἀκριβῶς ​48, 130, 139, 142, 184, 200, 216 ἀκωλύτως ​3, 75, 285, 292, 361, 435, 441 ἀλήθεια, τὸ ἀληθές, τὸ ὡς ἀληθές ​81, 133 f., 139 f., 142 f., 149 f., 191, 197, 200, 205, 216, 391 ἀνάγκη ​241 ἄνωθεν ​216 ἀξιαφηγητότερον ​140, 144, 184 ἀπολογία, ἀπολογεῖσθαι ​276, 316 f., 406 ἀρεοπαγίτης ​106 ἀρχαιολογία ​194, 211, 215, 269 ἀσιάρχης ​106 ἀσφάλεια ​188, 216 f., 418 βάρβαρος ​355 βαστάζειν ​314  f. βουλή ​178, 225, 273, 322, 340 γραμματεύς ​107, 179 δεῖ ​61, 83, 177, 252, 273, 314, 316, 322, 338 δεισιδαιμονία, δεισιδαίμων ​236, 361, 408 δῆμος ​371, 373 διαλέγεσθαι ​420, 425, 435 διήγημα ​77, 81, 133 f., 195–197 διήγησις ​133, 195 f., 216, 266, 273, 356 δίκαιος ​147, 317, 341, 351 δόξα ​109, 192, 366, 369 δρᾶμα, τὸ δραματικόν ​106, 134, 145, 333 ἔθος, ἔθη ​264, 266, 277 f. εἰρήνη ​227 ἐκκλησία ​171, 237, 284, 289 f., 299 ἐκλογή ​17, 305, 314 f. ἔκφρασις ​17, 59, 82, 125, 305, 316, 320, 332, 356, 381 ἐλπίς ​182, 241, 433

ἐνάργεια ​44, 135, 137 f., 140, 158, 174, 184 f., 203, 216, 236, 239, 288, 291 f., 332, 342, 347, 356 ἐξουσία ​66, 109, 366, 369, 381 εὐεργεσία ​7, 84 εὐλογεῖν ​249 εὐσέβεια, εὐσεβής ​150, 182, 350, 376 εὐχαριστέω ​249, 336 ἡδονή ​141, 143, 182 θάλασσα ​328, 330, 332, 359, 441 θεῖοι ἄνδρες ​83, 321, 432 θέλημα ​178, 322 θεὸς πατρῷος ​310 θυμός ​296 ἰδιώτης ​21, 179, 242, 431 ἰδιωτικὴ φράσις ​41, 242 ἱστορία, τὸ ἱστορικόν ​3, 133 f., 137, 142, 146, 148, 150, 191, 193–195, 205 f., 356 ἱστορικός ​148, 196 καθεξῆς ​216 καθόλου ​147 f., 150, 193 καλούμενος ​105 λαός ​5, 57, 286, 291, 299, 317 λεγόμενος ​105, 137, 149, 151, 391, 430 λίμνη ​332, 359, 441 λόγος σπερματικός ​80, 428 μεταβολὴ πολιτειῶν ​266 μετάνοια ​6  f. μίμησις ​135, 141, 342 μῦθος, τὸ μυθικόν ​134 νεωκόρος ​106 ξύμπασα γνώμη ​139, 200–202, 208, 212, 217 ὁδός ​4, 171, 247, 251, 268, 272, 342 οἰκοδομή ​182

Sachregister οἰκουμένη ​66, 84, 109, 328, 333, 366 f., 438, 441 ὅραμα ​255 ὁρίζειν ​178, 273 παρακολουθεῖν ​137, 216 παράσημον ​340, 354  f. παρεπόμενον ​137 παρρησία ​361, 435 πατρῷος ​266, 310 πείθειν, πείθεσθαι ​418  f. πιστεύειν ​315, 419 πίστις ​6, 319 πλάσμα, τὸ πλασματικόν, πλάττειν ​134, 146, 195, 199 πνεύμα ​3, 95, 418 πολιτάρχης ​106 πορεύεσθαι ​149, 247 πρᾶγμα, πράγματα ​30, 52, 133, 196, 206, 211, 216, 224, 266 πεπληροφορημένα ​211, 216 πραγματικὴ προαίρεσις ​47, 142 πρέπον ​15, 151, 202, 231, 238 πρόνοια ​52, 178, 212, 226, 273, 302, 338 προσδοκία, παρὰ τὴν προσδοκίαν ​219, 223, 229, 233, 240, 243, 415 προσκύνησις ​66 f., 109, 367–369 προσωποποιΐα ​174

487

ῥήτωρ ​224  f. σεβόμενοι (τὸν θεόν) ​418 σκεῦος ​314  f. σπερμολόγος ​431 στάσις ​224, 228, 230 συγγραφεύς ​137, 192, 196, 202 σῴζειν ​6 f., 341, 351 σωτήρ, Σωτῆρες ​6–8, 65, 212, 230, 341, 349, 361, 408 σωτηρία ​6 f., 324, 328, 336, 433 τεχνικὴ φράσις ​41, 242 ὑποτύπωσις ​203, 356 φαντασία ​137, 203, 213, 319 φιλάνθρωπος, φιλανθρωπία ​422, 441 φοβούμενοι (τὸν θεόν) ​418 φωνή ​110, 373 Χριστιανός, Χριστιανοί ​6, 52, 124, 171, 284, 296, 430 ψεῦδος ​134, 199, 201

Lateinische Begriffe aedes Castoris ​351 f. aliqua figura veritatis ​15, 200 angelus interpres ​381 anima naturaliter Christiana ​80, 428 argumentatio ​226 argumentum ​ 134, 196 assentatio nimia ​226 captatio benevolentiae ​226, 228, 236, 408, 414 f. cognitio extra ordinem ​224 confirmatio ​227  f. consecratio ​65, 362 damnatio memoriae ​65, 384–386 delectare ​142, 163, 220, 229, 240 demonstratio ​203, 288, 356 desiderium naturale ​423 dispositio ​185 docere ​142, 229, 240

elocutio ​185 evidentia ​137, 185, 203, 288, 356 exemplum ​150–152, 174 exordium ​226 exordium separatum ​226 exornatio rerum ​163 fabula ​133  f. fascinosum ​337, 369 fictum, fingere ​134, 149, 151, 187, 199 gestae rei expositio ​134 haeretici ​389, 403 historia ​47, 133 f., 142, 144, 150, 164, 170 historia continua, historia perpetua ​6, 54  f., 74, 100 imagines maiorum ​261 imitatio ​70, 75, 179, 272–274

488

Sachregister

inlustratio ​137 inventio ​185, 202

reprehensio ​151, 187 f., 203, 213 res fictae ​134 res gestae ​134, 143, 150, 206 ridendum ​232 ridiculum ​ 231, 241

mendacium ​134, 149, 152, 199 f. mors persecutorum ​215, 287, 295, 372 mos maiorum ​11, 16, 41, 72, 124, 153, 174, 205, 214, 257 f., 260–262, 274, 277 f., 281, 323, 332, 428 movere ​142, 163, 240

salsum ​ 241 scriptura ​390 seditio ​224 servus currens, serva currens ​233, 292 sub oculos subiectio ​137, 203, 288, 356 superstitio ​158, 236, 264, 267, 348, 408

narratio ​54, 134, 191, 196, 212, 226 narratio credibilis ​227 nomen Christianorum ​300 novitas ​264

theologia civilis ​207 theologia mythica ​207 theologia naturalis ​207 transvectio equitum ​352 tremendum ​221, 232, 337, 369 f.

orbis Romanus ​362, 367, 415, ​441 partes artis ​185 peritus ​187 peroratio ​226 pompa funebris ​205, 261 praescriptio ​389 principes iuventutis ​354 providentia ​ 178, 337

urbanitas ​228 vero simile ​105, 134 vicinia mortis ​238, 252, 335 f. vitium ​151, 226

refutatio ​228 repraesentatio ​137, 203

Namen Abraham ​48, 259, 268, 342 Achilleus Tatios ​81, 225 Adamantios (Dialoggestalt) ​387, 391, 395 Aeneas ​2, 205, 262, 329, 337 Agabus ​100, 122 Agricola, Cn. Iulius ​150, 227 Agrippa I. (Herodes Agrippa) ​16 f., 66, 107, 110, 118 f., 166, 214, 228, 234 f., 284, 287, 289 f., 293 f., 296, 300, 302, 319, 362, 371–374, 383, 412 f. Agrippa II., M. Iulius ​6, 42, 52, 118, 159, 174, 176, 215, 281, 289, 292 f., 302, 311, 319 f., 371, 413 Ailios Aristeides ​81 f., 226, 335 Ailios Theon ​58, 77, 133, 186, 195 Alexander der Große ​43, 65, 136, 145, 165, 183, 205 f. Alexander Severus (Kaiser) ​378 Ananias (Hoherpriester) ​224 Ananke (mythische Gestalt) ​419 Anaximander ​47

Anaximenes von Lampsakos ​142 Andokides ​339, 350 Antiochos IV. Epiphanes ​17, 65, 215, 234, 239, 296, 371 f., 374, 378, 383, 413 Antoninus Pius (Kaiser) ​226 Apelles (Markionit) ​391 Aphrodite ​240, 337 Apollo ​28, 110 f., 235, 337, 365 f., 370, 373, 413 Apollonios von Rhodos ​85, 240 Apollonios von Tyana ​27, 82, 145, 335 Apollos (Christ) ​187 Apuleius von Madaura ​146, 165 Aratos von Soloi ​423, 431 Aristides (Apologet) ​66 Aristobulos (Exeget) ​423 Aristobulos von Kassandreia ​144 Aristoteles ​58, 60, 130, 141, 148 f., 193 Aristoxenos ​57 Arrianos, Flavios ​83 Artapanos von Alexandrien ​48, 195, 222, 291

Sachregister Artaxerxes II. (Großkönig) ​195 Artemis ​63, 106, 237, 337, 423 Atomus ​118 Atticus, T. Pomponius ​136, 175, 206 Aufidius Bassus ​144 Augustus (Kaiser) ​138, 205, 351–353, 369 Balaam (Prophet) ​436 Bar-Jesus ​79, 232, 235 Barnabas (Christ) ​66, 187, 235, 285–287, 422 Baur, Ferdinand Christian ​90, 396 Beliar ​366, 379 Berenike, Iulia ​118, 215, 289, 297, 302, 311, 319, 413 Berossos ​161, 208, 268, 407 Blastus (Kämmerer) ​107 f., 166, 284 Bultmann, Rudolf ​24, 53, 432, 439 Cadbury, Henry Joel ​25, 45, 60, 126, 163 Caesar, C. Julius ​28, 82, 138, 145, 188, 204, 214, 260, 264 Caligula (Kaiser) ​65, 293 Calvin, Jean ​52, 348, 439 Cassius Dio ​75, 207, 367, 369 Cato Maior, M. Porcius ​48, 150, 192, 261 Cato Minor, M. Porcius ​150 Catullus (Freund Juvenals) ​335 f. Chaireas (Romanfigur) ​146, 195 Chariton von Aphrodisias ​74, 146, 164, 195, 333 Cicero, M. Tullius ​42, 60 f., 116, 135–138, 143 f., 151 f., 175, 198, 204, 209, 220, 260 f., 279, 338 Claudius (Kaiser) ​118, 140, 369 Coleridge, Samuel Taylor ​194 Conzelmann, Hans ​39, 62, 71, 105, 271 Coriolan ​136 Cornelius (Centurio) ​66, 81, 170, 275, 298, 313 f., 429 Cremutius Cordus ​144 Curtius Rufus, Q. ​48 Cyprian ​98 David ​52, 384 Demetrios (Exeget) ​48, 53 Dibelius, Martin ​24, 60, 439 Dike (mythische Gestalt) ​341 f., 355, 360 f., 363 Diodorus Siculus ​35, 52, 57, 293, 302 Dionysos ​291, 337 Dionysios Areopagita ​92, 428

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Dionysios von Halikarnass ​35, 77, 133, 144, 170, 191, 193, 198, 203, 266, 293, 302 Dionysios von Korinth ​92 Döllinger, Ignaz von ​438 Domitian (Kaiser) ​18, 65, 67, 85, 87, 107 f., 111 f., 127, 225, 351, 353 f., 365 f., 370 f., 374–376, 378 f., 382–386 Drusilla (Tochter Agrippas I.) ​118, 228 f. Drusus, Nero Claudius ​352 Elija ​275, 384 Elymas (Bar-Jesus) ​118, 232, 235 Encolpius (Romanfigur) ​335, 342 Ephoros von Kyme ​142, 163, 196 Epikur ​125, 225, 405, 421, 440 Erasmus von Rotterdam ​439 Eros ​240 Eumolpus (Romanfigur) ​238, 252, 335 f. Eupolemos (Historiograph) ​48 Euripides ​42, 341 Eusebios von Cäsarea ​2, 50, 55 f., 94, 122, 283, 295, 305 Fabius Pictor, Q. ​48 Felix, M. Antonius (Claudius?) ​83, 98, 108, 115, 166, 224, 226–229, 231, 238, 276, 302, 414 f. Festus, Porcius ​97 f., 166, 297, 311, 319 f., 413 Galba (Kaiser) ​34, 381 Gallio, L. Iunius ​166, 358 Ganymed ​240 Gibbon, Edward ​111 Gorgias (Sophist) ​147 Hadrian (Kaiser) ​3, 56, 85, 90, 107, 328, 376, 378 Haenchen, Ernst ​23, 26, 45, 68, 70, 90, 305 Hananias (Christ) ​313–315, 317 f. Harnack, Adolf (von) ​22, 27 f., 88, 305, 387, 389, 392, 395 f., 439 Heine, Heinrich ​417, 435 f. Hekataios von Abdera ​161, 268 Hekataios von Milet ​47, 161, 268 Helios ​339 Hera ​240 Herakles ​240, 268, 332, 337, 361 Herder, Johann Gottfried ​439 Hermann der Cherusker ​169, 321 Hermes ​235, 422 Hermokrates von Syrakus ​146, 195

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Sachregister

Herodes (Angeklagter) ​339 Herodes der Ältere ​104, 119, 289, 296, 371, 373, 384 Herodes Antipas ​289, 294, 371, 373 Herodias ​118 Herodot ​47, 54, 74, 142, 144, 148, 161, 193, 196, 198, 207, 268 Homer ​32, 34, 42, 53, 55, 76, 78, 83, 141, 173, 181, 193, 262 f., 333, 350 Hypereides (Rhetor) ​144

Kallirhoë (Romanfigur) ​74, 146, 164, 195 Kastor ​337, 340, 347, 349, 352–355 Kerdon ​391, 395 Kleitarch von Alexandrien ​136, 144 Kleitarch von Kolophon ​136, 144, 163, 206 Kleitophon ​81, 225 Kleon ​150 Klio ​31, 190, 201 Knox, John (Neutestamentler) ​397 f. Konstantin I. (Kaiser) ​77, 425, 438

Irenäus von Lyon ​11 f., 18, 40, 56, 66, 90 f., 95–99, 101, 122, 126 f., 387, 392–394, 398, 400–403, 442 Isokrates ​60, 142

Laktanz ​295, 339, 350, 372, 384, 411 Laokoon ​423 f., 429, 433 Leda ​349 Livius, T. ​48, 144, 170, 174, 177, 195, 199, 205 Loisy, Alfred ​439 Lucceius, L. ​143, 198 Lukan (Markionit) ​391 Lukian von Samosata ​14, 29, 55, 60, 130, 133, 139–141, 144, 157, 172, 183, 190 f., 194, 198, 207, 222, 225, 235, 240, 271, 334 Luther, Martin ​321, 439 Lykaon ​34, 78 Lykurg ​170, 206 Lysanias (Tetrach) ​118 Lysias, Claudius (Chiliarch) ​115, 228, 339

Jakobus (Herrenbruder) ​277, 284–286, 292 f. Jakobus (Zebedaide) ​110, 284, 289 f., 301,372, 386, 406 Jamblich ​430 Jefferson, Thomas ​59 Jesus von Nazaret ​1, 3 f., 6, 9–11, 15–17, 46, 56–58, 65 f., 78, 100 f., 109, 121, 123 f., 157, 170 f., 187, 215, 230 f., 236 f., 245–247, 249–257, 259, 274 f., 278, 283, 289, 294, 296, 308, 310, 313, 317, 321, 323–325, 329, 332, 342, 359, 361, 366 f., 396, 400–402, 405 f., 408, 410, 412, 416, 419, 422, 425 f., 431, 434 f., 442 Johannes (Apostel) ​290, 386, 402, 431, 442 Johannes (Seher) ​112, 380–382, 412–414 Johannes der Täufer ​118, 175, 187, 206, 274 f., 285, 289, 294, 342, 375, 410 Johannes Chrysostomos ​VI Johannes Markus ​285–287 Jona ​81, 329, 339, 350 Josephus, Flavius ​14, 16 f., 24 f., 42, 48 f., 54 f., 74, 82, 87, 92, 104 f., 110, 116–121, 127, 161, 166, 178, 182, 201, 206, 213, 226, 234 f., 241, 266, 269 f., 273, 276, 278, 283 f., 294 f., 297, 302, 338, 371, 407 Judas (Damaszener) ​313 Judas der Galiläer ​117, 119 f., 166 Judas Barsabbas ​122 Judas Iskarioth ​96, 105, 295 Julian (Kaiser) ​146, 195, 431 Julius (Centurio) ​331, 334, 342, 363, 411, 441 Justin der Martyrer ​8, 66, 94, 101, 103, 121, 124, 394, 398 Justinian (Kaiser) ​386 Justus von Tiberias ​42, 118

Maldonatus, Johannes ​439 Manethon ​161, 208, 268, 407 Mann, Thomas ​222 Marcus Antonius (Triumvir) ​356 Marcus Aurelius (Kaiser) ​112, 377, 385 f. Mareades (Kyriades) ​377 Maria (Mutter Jesu) ​275, 421, 440 Markion ​18, 96, 115, 122, 387–403, 440 Markos (Markionit) ​391 May, Karl ​105 Medea ​240 Megasthenes ​161, 268 Meir, Rabbi ​378 Merleau-Ponty, Maurice ​153, 167, 213 Meyer, Eduard ​22–25, 27, 29 f., 305 Michelangelo Buonarroti ​433  f. Milo, T. Annius ​143 Mose ​16, 48, 250, 252, 257 f., 264, 266, 268, 270 f., 274 f., 277–279, 291, 332, 342, 419, 426 Musaios ​269 Musil, Robert ​193 Nepos, Cornelius ​41, 48, 192, 242 Nero (Kaiser) ​17 f., 34, 65, 87, 107, 109–111,

Sachregister 127, 214, 234, 295, 339, 343, 354 f., 365–371, 373–386, 412 f., 422 Nerva (Kaiser) ​107 f., 376, 379 Nikolaos von Damaskus ​118 Numa Pompilius ​151 f., 170, 204–206, 279 Odysseus ​361 Origenes ​66, 98, 402 Orpheus ​269, 361 Orwell, George ​237 Otho (Kaiser) ​34, 381 Pakoros, König von Atropatene ​368 Parthamasiris ​110 Parthenius, Claudius Ti. (Kämmerer) ​107 Paul[l]us, Q. Sergius ​166, 369 Paulus von Tarsus ​V, 2, 4–6, 11, 15, 17, 23, 27–29, 34, 41–43, 45, 51 f., 54 f., 57, 59, 63 f., 68–73, 75, 78, 80–84, 87, 93, 96–101, 103, 105, 108 f., 111, 114 f., 123–127, 159, 163, 167, 170, 174 f., 180, 184–186, 188, 213–215, 219 f., 226–231, 235–238, 241, 247 f., 251–253, 255, 263, 271 f., 274–277, 281, 284–286, 289, 293, 298, 300, 302, 305–325, 347–349, 355–358, 360–363, 386, 389–391, 394–397, 399–402, 405 f., 408 f., 411, 413–415, 420–423, 425, 427–433, 435 f., 440–442 Peitho (mythische Gestalt) ​419 Peregrinus, Proteus ​334 Perikles ​204 Petronius Arbiter ​146, 180, 222 Petrus, Simon ​51, 66 f., 93, 97, 110, 123 f., 174, 180, 194, 232–235, 250, 272, 274, 284 f., 287 f., 290–293, 296, 298 f., 301, 307, 309, 312, 314 f., 321 f., 336, 341, 348, 372, 374, 386, 394, 397, 402, 406, 409, 411, 413, 429, 431 Pheidias ​137 f., 157, 201, 209 Philippus (Christ) ​92, 122, 174, 307, 421 Philippus (Tetrarch) ​118 Philistos von Syrakus ​144 Philostrat ​27, 82, 145, 185, 335, 375 Pilatus, Pontius ​231, 405 Platon ​131, 149, 193, 359 Plinius, C. Caecilius Secundus Minor ​108, 125, 370 Plinius, C. Secundus Maior ​423 f. Plutarch ​34, 74, 76 f., 82, 144, 150–152, 170, 175, 186, 190 f., 193, 198, 205 f., 208, 231, 266, 353, 356

491

Polybios ​29 f., 48, 54, 75, 133, 135, 138 f., 142, 144, 163, 165, 181, 185, 190 f., 193, 199 f., 204, 207, 210, 274 Polydeukes ​337, 340, 347, 349, 352–355 Polykrates von Ephesus ​92 Postumius, A. ​352 Prokop von Cäsarea ​14, 75, 143, 207, 386 Ps.-Eupolemos (Historiograph) ​48 Ps.-Tertullian ​387 Ptolemaios VIII. Physkon ​144, 384 Pythagoras ​151 f., 204 f. Quintilianus, M. Fabius ​58, 60 f., 77, 134, 137, 144, 150, 186, 193, 204, 220 f., 241 f., 288 Quirinius, P. Sulpicius ​117 Ranke, Leopold (von) ​129 f., 192, 212, 297 Rhode (Sklavin) ​233  f. Romulus ​170, 206, 362, 407 Sallustius, C. Crispus ​74, 144, 150, 205, 207 Sardanapal ​384 Saturninus, L. Antonius ​353 Scipio, P. Cornelius Aemilianus Minor ​151, 204 Semler, Johann Solomo ​387, 417, 439 Servilius Nonianus, M. ​144 Shakespeare, William ​204 Silas ​67, 122, 277 Simeon (Prophet) ​176, 214, 246, 249, 317, 324, 421 Simon Magus ​79, 121, 232, 398 f. Simon, Richard ​439 Simonides von Keos ​351 Skeuas, Söhne des ​79, 236, 440 Sokrates ​27, 236, 242, 275, 321, 406, 408, 421, 428, 431 Stephanus (Märtyrer) ​52, 72, 95, 97, 100, 124, 173 f., 255 f., 272, 274, 285, 307, 310, 394, 406 Synesios von Kyrene ​82 f., 106, 333 Tacitus, P. Cornelius ​31, 48, 55, 102, 117, 140, 150, 153, 163, 180, 183, 189, 198, 201, 207, 220, 223, 227, 240, 260 Tarquinius Superbus ​352 Tertullian ​12, 66, 96, 98, 263, 265, 387, 389 f., 395, 398, 400 Tertullus (Rhetor) ​15, 108, 219, 223–228, 361, 414, 440 Tertullus, C. Iulius Cornutus ​108, 225 Themistokles ​136 Theophilos von Antiochien ​103

492

Sachregister

Theophilus ​189, 211, 216, 418 Theopomp von Chios ​142, 144, 163 Thermuthis (Romanfigur) ​340 Thersander (Romanfigur) ​225 Theseus ​170, 206 Theudas ​117, 119 f., 166 Thot-Hermes ​268 Thukydides ​14, 24, 28 f., 48, 54 f., 74 f., 133, 141 f., 144, 150, 154, 163, 165 f., 183, 191, 193, 195 f., 198, 203–205, 207 f., 210, 271, 276, 301 Thymochares (Stratege) ​154 Tiberius (Kaiser) ​205, 266, 351 f., 369 Timaios ​163, 193 Timotheus (Apostelschüler) ​184 f., 277, 310, 331 Tiridates I. (König von Armenien) ​109, 111, 367 f., 370, 373, 412 Titius Justus ​5, 358 Titus (Kaiser) ​302, 319, 339, 366, 375 f., 378, 382, 413, 423

Trajan (Kaiser) ​3, 84 f., 107 f., 110 f., 378 f., 414 Tyndareos ​349 Tyrannus ​6, 19, 417, 420, 422, 425, 435 Velleius Paterculus ​48, 205, 208 Vergilius, P. Maro ​28, 34, 55, 165, 263 Vespasian (Kaiser) ​208, 366, 375–378 Vielhauer, Philipp ​23, 68, 70, 305 Viktor Emmanuel III. ​194 Vitellius (Kaiser) ​375, 381 Vologaeses I. ​367 William Wallace ​321 Wittgenstein, Ludwig ​197, 212, 420 Xenophon ​24, 48, 75, 145, 154, 195, 207, 276 Zacharias (Priester) ​317, 440 Zeus ​181, 235, 340, 347, 349, 363, 422 f.

Orte Abilene ​118 Ägypten ​65, 94, 376, 378, 417 Äthiopien ​4, 21, 52, 72, 80, 232, 252, 313, 410, 429, 440 Ainos ​339 Alexandrien ​94, 328, 354, 359 Antiochien (in Pisidien) ​51, 54, 252, 324 Antiochien (in Syrien) ​72, 98, 214, 283, 286 f., 298–300 Arkadien ​78 Armenien ​109, 183, 366 f., 375, 412 Asia, Provinz ​11, 94, 97, 109, 112, 367–369, 379, 382, 393 Athen ​21, 26 f., 123, 154, 198 f., 214, 236, 257, 275, 339, 350, 423, 428, 431, 440

Emmaus ​16, 149, 158, 245–247, 249–256 Ephesus ​6, 11, 41, 55, 63 f., 69, 80, 106 f., 114, 123, 125, 187, 214, 236–238, 253, 357, 420, 423, 440 Euphrat ​367, 375  f. Galiläa ​59, 123, 176, 255 Gaza ​247, 440 Gennesaret (See) ​329, 332, 342, 359, 441 Griechenland ​65, 111, 231, 373 Isthmos ​366, 370, 377 Italien ​4, 347, 358, 376

Caesarea Maritima ​66 f., 82, 110, 119, 293, 305, 318 f., 331, 338, 371, 412, 440

Jerusalem ​2, 4–6, 16 f., 21, 49, 51, 72, 78, 82, 88, 101 f., 108, 119, 122 f., 126 f., 163, 167, 169 f., 172–176, 180, 187 f., 207, 211, 215, 225, 231, 238, 241, 247, 250 f., 270 f., 273 f., 277, 283–287, 292 f., 295, 298, 300, 302, 305, 310–313, 315–320, 325, 330, 332, 338 f., 357, 359 f., 370, 372, 375, 378, 402, 414, 416, 427, 429 f., 438 Jordan ​66 Judäa ​98, 123, 375, 413

Damaskus ​43, 215, 247, 285, 311, 313, 423, 429

Kenchreä ​183–185, 194, 277, 357 Kephallenia ​67

Babylon ​65, 381 Beröa ​5, 421 Bithynia et Pontus (Provinz) ​108, 125

Sachregister Korinth ​5, 183, 194, 236, 357 f., 425 Kreta ​331 Kroton ​352 Kyrene ​338

493

Puteoli ​331, 354 Pydna ​352

Libyen ​240 Lykaonien ​21, 214, 235 Lyon ​95, 97, 140, 386 Lystra ​66, 78 f., 274, 321, 422, 440 Malta ​67, 82, 331, 337, 339 f., 347 f., 355, 359, 363, 410 f., 422, 441 Mantineia ​154, 276 Marathon ​257 Massilia ​144 Milet ​11, 78, 100, 114, 238, 253, 263, 285, 310, 325, 398 Mittelmeer ​4 f., 18, 125, 327 f., 331–333, 342, 347, 359 f., 362, 411, 440 f. Myra ​331 Mysien ​257 Nazaret ​176 Neapel ​367 Pamphylien ​108, 225 Perge ​108, 225 Persien ​195 Pharsalos ​352 Philadelphia ​173 Philippi ​21, 67, 277, 355, 422

Regillus (See) ​352–354 Rhegium ​331 Rhodos ​188, 204 Rom ​4 f., 21, 52, 65, 76, 82, 84, 98, 100, 109–111, 126, 141, 159, 174–176, 186, 205, 207, 214, 247, 252, 255, 260, 262, 274, 282, 295, 305, 313, 317–320, 323, 325, 330 f., 337–341, 343, 347–349, 351–353, 357, 359–363, 366 f., 375 f., 380, 382–385, 391, 412 f., 416, 424, 432–434, 438 Sagra (Fluss) ​352 Salamis ​179, 187 Samaria ​4, 72, 194, 285, 313, 375, 429 Sidon ​110, 166, 284, 294, 331 Syrakus ​195, 331 Syrien ​94, 183, 294, 375 Tarsus ​228 Thessalonich ​5, 106, 355 Troas ​252 Troja ​2, 5, 16, 47, 170, 205, 211, 262, 271, 424 Tyrus ​110, 166 Vercellae ​352 Zypern ​430

Sachen absentee christology ​23, 44, 57, 254, 324 Aeneis ​34, 55, 72, 74 f., 81, 263, 271, 322 Ahnenkapital ​259, 282 Alterität ​5, 52, 71, 73, 128, 174, 202, 211, 265, 276, 280 f., 299 f., 403, 438 Anagnorismos ​249, 251 Antichrist ​366, 377, 384 apologetische Historiographie ​15 f., 24, 45, 59 f., 84, 117, 157 f., 160 f., 171–173, 189, 202, 208 f., 211, 215, 267–269, 276, 295, 299, 407 Apostelakten ​40, 56, 95 f. Apostelkonvent ​72, 81, 214, 255, 278, 284 Apotheose ​64–67, 234, 373, 407 Areopag, Areopagrede ​9, 21, 26–29, 52, 72, 80, 167, 214, 235 f., 307, 405 f., 408, 421, 423, 428, 431, 440

Autopsie, Augenzeugenschaft ​56, 58, 81 f., 85, 99, 106, 123, 134, 184, 192, 194, 202, 206, 227, 240, 286, 288, 307, 356, 369, 407, 440 Barbaren ​67, 84, 198, 331, 339 f., 360 f., 363, 368, 410 f., 422, 432, 441 Befreiung ​45, 235 f., 286 f., 290–293, 296–298, 303 Bildung ​3, 11, 22, 33, 41, 45, 104, 135, 153, 161, 207, 242, 383, 408, 431 Bios, Biographie ​1, 8 f., 16, 24, 31, 35, 44, 48, 50, 54 f., 57, 74, 77, 99 f., 130 f., 145, 150 f., 154, 160, 175, 183, 190, 206, 214, 220, 231, 245 f., 251, 253, 255 f., 266, 268, 273, 302 f., 308 f., 342, 396, 401 f., 428–430, 435, 437, 442

494

Sachregister

Brotbrechen, Eucharistie ​16, 249–252, 433 Burleske ​9, 79, 81, 165, 220, 228, 236, 239, 242, 414, 422 code switching ​51, 272 Corpus Paulinum, Paulusbriefe ​42, 69 f., 92, 96–99, 112–116, 121, 126, 247, 321, 392 f., 401 f. Dioskuren ​5, 17 f., 104, 347–363 doublespeak ​230, 370, 408 Ebioniten ​400–402 Eidetik, eidetische Details ​5, 17, 84 f., 104, 124, 191, 206, 286, 288, 317, 349, 354, 357 f., 359 f., 362, 381 Emplotment ​15, 63, 157, 168, 185 Engel ​93, 169, 211, 214, 232 f., 235, 248, 255, 284, 286–288, 291 f., 314, 330, 338 f., 381, 415, 433, 440 Entgrenzung ​V, 1, 4, 6, 8–10, 12 f., 383 Epik, Epos ​9, 14, 35, 47, 50, 55, 72, 74–76, 78, 133, 141, 146, 164, 186, 190, 201, 240, 263, 266, 440 Episodenstil ​25, 51, 410, 423 Epistula Apostolorum ​93 f., 97, 393 Epoche, Erstepoche, Epochenschwelle ​10, 14, 45, 50, 52, 76, 99, 125, 131, 157–160, 162, 165 f., 171 f., 174–176, 210, 212, 215 f., 251, 269 f., 281, 285, 289, 293, 297, 300, 302, 309, 315, 317–320, 359, 399 f., 402, 441 Erinnerung, Erinnerungsstrategie ​2 f., 5, 11, 17, 29, 35, 43, 47, 49, 55, 59, 68, 82, 116, 123, 126, 128, 134, 150, 153, 158 f., 169, 181 f., 184, 194, 209, 215, 217, 257 f., 261–263, 265, 267, 272, 276, 286, 290, 298, 301, 308 f., 325, 352, 372, 378, 384 f., 388 f., 413, 441 Erinnerungs-, Gedächtnisbild/-gemälde ​2, 10, 12, 17, 47, 56, 60, 68, 88, 116, 122 f., 147, 158, 162, 164, 169, 202, 209, 259, 271, 307–309 Erinnerungsgemeinschaft ​2, 182, 200, 202–204, 213, 307, 310, 323, 372 Exodus ​201, 234, 239, 286, 288 f., 291, 297–299, 318 Exzentrik ​18, 54, 354, 370, 372, 383 f. Fachprosa ​43, 51, 135, 178, 182, 210, 273, 356 Faktualität ​57 f., 59, 104 Fiktion, Fiktionalität ​14 f., 17, 43, 57–59, 70, 74, 81, 99, 105 f., 125, 129, 131–133, 138,

143, 145, 147–154, 158, 162, 164 f., 167 f., 183 f., 186 f., 189, 192–197, 199 f., 203, 212 f., 215, 249, 305, 307, 327, 330, 333, 338, 348, 358, 397 Fiktionalitätsabkommen, ‑vertrag ​15, 58, 192–197 Fiktivität ​43, 58 f., 82, 137, 139 f., 142, 149–151, 194, 222, 229 Frieden ​87, 226 f., 229 f., 285, 361, 378, 407, 414 f. Frühkatholizismus ​25, 36, 120, 122, 127, 410, 440, 442 Gematrie ​376, 380 Gerichtsszene ​21, 77, 108, 110 f., 174, 214, 223, 225, 227 f., 231 f., 236, 238 f., 242, 350, 355, 358, 368, 406 Gleichzeitigkeit ​137, 256 Gnosis, Gnostizismus ​93, 96, 115, 121,127, 391, 400, 439 Grenzüberschreitung ​3, 11, 21 Heidenchristen ​41, 71, 83, 90, 278, 316, 396 Heiliger Geist, Pneuma ​VI, 3, 7, 45, 64, 93, 170, 172, 176, 182, 211 f., 232, 235, 246, 250, 253 f., 274 f., 279, 284, 314 f., 389 f., 401, 406, 418, 421, 429, 432 Heilsgeschichte ​17, 36, 45, 50, 53, 56, 70–73, 83, 103, 123, 125, 168, 176, 178, 180, 213, 250 f., 270, 275, 289, 320–322, 357, 384 f., 392, 400, 426 f. Herkunftsmemoria ​1, 11, 55, 169 f., 179, 185, 201, 210, 215, 217, 266 f., 271, 275, 386 Herrscher-, Kaiserkult ​79, 355, 362, 381 f. hidden transcripts ​230, 283, 299, 333 Himmelfahrt ​8, 21, 57, 78, 93 f., 103, 171, 175, 247, 252, 254–256, 275, 292, 362, 407 f., 412, 416 Historiographie ​9, 14–18, 23–25, 29, 35–37, 39, 42–50, 53–56, 60, 62–64, 68, 71, 75, 77, 81, 84 f., 129–132, 137, 139, 141 f., 143–146, 149 f., 152 f., 157, 160, 162–165, 168, 171–173, 175, 181, 185, 189 f., 193 f., 197, 206–208, 210, 213, 215, 224, 230, 253, 266 f., 271 f., 283, 297, 308, 384, 441 Humor ​3, 8, 15 f., 197, 219–223, 229–231, 233–236, 238–243, 301 f., 363, 411, 414 f., 432 Hybris ​110, 179, 207, 215, 235, 285, 294–296, 371 f., 413 Identität ​4, 16, 36, 39, 50, 52, 56, 63 f., 69, 71–73, 78, 84, 117, 128, 147, 157–161, 171,

Sachregister 173, 181, 187, 208 f., 212, 231, 243, 249, 258, 261, 265, 267, 273, 276, 279 f., 291 f., 310 f., 316, 323, 332, 357, 365, 372, 382, 403, 405, 407, 419, 428, 437 Ilias ​74 Individualität ​8, 24 f., 52, 85, 107, 110–112, 123, 151, 174, 179, 205, 242, 261, 295, 300, 309, 312, 320 f., 332, 365, 370, 374 f., 428–430, 440 informierter Erzählentwurf ​307 Institutionengeschichte ​35, 60, 171 intentionale Geschichtsschreibung ​11, 14, 23, 36 f., 44, 46–49, 51, 53–55, 62, 68, 74, 116, 147, 157–159, 162, 168, 183–187, 202, 209, 258, 308, 321, 374, 399, 441 Ironie ​6, 15, 55, 220, 222, 226, 230–232, 234, 242, 302, 313, 318, 348, 373, 383, 422 Israel ​3, 9 f., 16, 49, 52 f., 57, 69, 71 f., 75, 97, 101, 124, 126 f., 159 f., 170, 173, 176, 178, 182, 211, 228, 232, 248 f., 251–253, 257 f., 263, 265, 267, 271–274, 281 f., 284, 299 f., 302, 305, 310 f., 313–315, 317, 320, 322–325, 327, 331, 341, 356, 367, 378, 394, 397–400, 402, 409, 421 f., 426–428, 441 Jakobusklauseln ​279 Johannesakten ​53, 95 f., 219, 393 Juden, Judentum ​2–7, 11, 16, 24, 28, 35 f., 41, 51 f., 54, 69, 71–73, 84, 101, 121, 124, 159, 162 f., 171 f., 174, 195, 207, 211, 222, 227, 237, 253 f., 257, 259, 264–269, 274, 276 f., 280 f., 285, 289–291, 293, 296–298, 300, 302, 309, 311 f., 316–320, 323, 325, 330, 339, 358, 365, 375, 378, 383, 397, 399, 407, 410 f., 414, 421 f., 426 f., 436, 440 Judenchristen ​11, 28, 99, 127, 277, 279 f., 313 f., 400 Judentumspolemik ​71, 264, 276, 280, 399 Kabiren ​351 Kanon, kanonischer Prozess ​10, 18, 35, 40, 387, 389, 394, 396 f., 400–403, 442 Komödisierung ​15, 219, 230, 239 f. Konstruktionsrahmen ​165 Konstruktivismus ​13, 25, 69 Ktisis ​72, 170, 172, 323 kulturelle Enzyklopädie ​18, 191 f., 349, 356, 358 larger than life-characters ​320 Leser ersten/zweiten Grades ​50 linguistic turn ​14, 57, 131

495

Lokalkolorit ​183, 186, 214, 239, 274, 319 Lüge ​131, 136, 149, 152, 197, 199–201, 385, 415 Magie ​35, 57, 63, 79, 206, 228, 232, 235, 237, 410, 432, 437 f., 440 Mantik ​79 Markioniten ​96, 99, 103, 115, 122, 127, 389–392, 394–401 Medium ​VI, 11, 18, 84 f., 102, 109 f., 354, 362, 365, 368, 370, 392 Meistererzählung ​V, 1–3, 5, 9 f., 208, 217 Melier-Dialog ​204 menippeische Satire ​222, 229, 239, 241 f. Mimesis ​14, 23, 27, 51, 60, 69, 114, 123, 129, 133, 135, 140–143, 167–169, 174, 179 f., 182, 190, 211, 225, 242, 271 f., 274, 294, 309, 321, 331, 359, 399–401, 440 mimetische Geschichtsschreibung ​30 f., 141, 162, 167, 182, 191 Mitte der Zeit ​16, 253, 270, 419 Mobszenen, Aufruhr ​119, 226–230, 237, 239, 357, 406 Monographie ​11, 47–49, 55, 130, 142, 147, 160, 257, 259 Montanisten ​122 Mythos ​8 f., 46 f., 75, 77 f., 141, 149 f., 179 f., 202, 205, 257, 262, 271, 291 f., 301, 340, 349, 351–353, 355, 359 f., 362, 370, 379, 382, 384 Nasiräer ​118, 277, 310, 410 Nero redivivus ​365, 379 f., 382 Nero redux ​365, 374–377 New Historicism ​13 f., 21, 57 noble death ​371 Odyssee ​74, 81 Oikoumene ​19, 359, 362, 437, 439 f. Ordnungswissen, ‑handeln ​3 f., 14, 50, 53, 126, 128, 132, 158, 162, 168, 181, 187, 191, 201 f., 242, 259, 278 f., 301, 309, 386 Paideia ​14, 77, 129, 133, 135, 147, 153 f., 162 f., 167 f., 170, 180, 184, 186, 190, 196, 212 Parodie ​55, 79, 178, 222 f., 237, 242 Parther ​110, 177, 183, 194, 366–368, 375–377, 382 Parusieverzögerung ​25, 62, 265 Paulinismus, Paulusschule ​13, 23, 68, 115 Paulusakten ​95  f., 393 Peripatos ​142

496

Sachregister

Periplus ​81, 83 Petrusakten ​81, 95 f., 393 Pfingstereignis, ‑geschehen ​10, 64, 72, 251, 255, 389, 401, 421 Philanthropie ​172, 331, 335, 339, 342, 411 pictorial realism ​356 Polis ​153, 170, 406, 430 pragmatische Geschichtsschreibung ​30, 60, 141, 161, 163, 177, 191 f. Progymnasmata ​35, 41, 76 f., 195 Proskynese ​109 f., 367–369, 381, 412 public performance ​365, 372 real fiction, „Dokudrama“ ​14, 133, 145, 196 Rede-Agon ​15, 223, 225, 229, 238 Réécriture ​239 Referentialität ​14 f., 22, 30, 49, 57–59, 81, 98, 105, 133, 158, 162–164, 167, 183, 185, 188–190, 193 f., 198, 200, 210, 260, 306 f., 371, 382, 396, 401 Re-Konstruktion, Re-Arrangement ​158, 188, 192 Rekurrenz ​42, 44, 47, 60, 169, 173, 176, 239, 246, 271, 274, 286, 289, 295, 321, 372, 374 relationale Erinnerung ​158 f., 258 Relecture ​239 Richtungssinn ​3, 11, 14, 51, 53, 64, 126, 130, 158, 168, 175, 185, 211, 265, 272, 372, 374, 385, 407 Rollenrochade, ‑tausch ​16, 108, 110, 228–230, 232 f., 235 f., 243, 290, 295, 313, 372, 374, 415 Roman ​9, 11, 14, 17, 25, 35, 41, 43, 45, 50, 56, 76 f., 81, 105, 129, 133, 145–147, 164, 166, 186, 190, 195 f., 205, 215, 222, 229, 239, 241 f., 327, 329, 331, 340, 359, 433, 440 Satire ​81, 222, 229, 232, 239, 241 f., 414, 422 Schiffbruch ​17, 34, 43, 59, 81–83, 106, 125, 138, 165, 174, 215, 252, 300, 327–340, 342, 358, 360, 432 f., 440 Schriftauslegung ​16, 124, 252, 389 Seesturm ​17, 81 f., 106, 125, 165, 252, 329–336, 339, 342, 358 Septuaginta ​41 f., 53–55, 169, 179, 273 f., 313, 367, 440 Septuaginta-Mimesis ​51, 169, 179, 211, 272, 359

Sparsamkeitsprinzip ​42, 92, 119, 367 Stiftungsmemoria ​15, 28, 44, 68, 75, 158, 169 f., 210, 230, 259, 266, 298 Stoa ​21, 125, 225, 384, 405, 409, 421, 423, 428, 440 Synagoge ​5 f., 71 f., 124, 252, 263, 277, 279, 358, 410, 420 Synedrium ​108, 228, 230, 232, 238, 277, 285 Teleologie ​15, 48 f., 54 f., 169, 176, 178, 271, 322 Tempel ​4 f., 21, 106, 118, 124, 169, 186, 205, 207, 211, 214, 227, 232, 272–274, 280, 305, 310 f., 314, 316–318, 324, 330, 332, 339, 357, 360, 370, 377, 416, 427, 436 Teufel ​18, 109 f., 235, 362, 366–370, 412 f. Theomachie ​111, 234, 373, 383, 385 Tora ​11, 16, 41, 69, 72, 124, 173 f., 214, 228, 249, 265, 271, 275–279, 310, 318, 427 tragische Geschichtsschreibung ​30 f., 60, 141 f. Tyrann, Tyrannentopos ​18, 107 f., 111, 198, 206, 233, 235 f., 239, 286 f., 293, 295–298, 365, 372–374, 378 f., 383–386, 410, 412 f. Universalisierung, universalhistorisch ​48, 50, 55, 72, 84, 275, 279, 284 Urgemeinde ​2, 10, 72, 78, 110, 122 f., 172, 174, 215, 231, 238, 250, 284 f., 290, 294, 299, 310, 317, 372, 408, 414, 416, 429 f. Utopien ​408, 430 Valentinianer ​99, 103, 390, 402 Verstockung ​52, 57, 101, 254, 318 f. Völkerliste ​78 Volksreligion ​79 Wahrheit ​14 f., 35, 58 f., 99, 129, 131, 133, 135, 139 f., 143, 148–150, 152–155, 158, 163, 168, 187, 189–191, 193, 197–201, 203–206, 210, 212 f., 215 f., 389, 415, 426 Wahrheitsspiel, Wahrheitsspielraum ​2, 14, 129, 132, 149, 152 f., 155, 195, 197, 201 Wir-Berichte ​24, 43, 70, 78, 81 f., 98 f., 184, 306 f., 360, 402, 433 Zeit der Kirche ​253, 271, 299 f. zweite Sophistik ​121, 127