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German Pages 144 Year 2014
Thomas Beckh / Gregor Neunert
Die Entdeckung Ägyptens Die Geschichte der Ägyptologie in Porträts
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt. Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Umschlagbild: “M.Drovetti et sa suite mesurant un fragment de colosse dans la haute Egypte”. Kreidelithographie von Gottfried Engelmann (1788–1839) © akg-images Redaktion, Lektorat: Dr. Cornelius Hartz, Hamburg Satz: Mario Moths, Marl Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-4799-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4872-0 eBook (epub): 978-3-8053-4873-7
I n h a lt
Vorwort –
Die Napoleonische Expedition 6
P o r t r ät N r. 1:
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler 9
P o r t r ät N r. 2 :
Giovanni Battista Belzoni – im Wettstreit um die Altertümer 26
P o r t r ät N r. 3 :
John Gardner Wilkinson – auf der Suche nach kulturellem Wissen 41
P o r t r ät N r. 4 :
Auguste Mariette – im Dienste des Vizekönigs 50
P o r t r ät N r. 5 :
William Matthew Flinders Petrie – die (R)Evolution der Archäologie 67
P o r t r ät N r. 6 :
Ernesto Schiaparelli – Ägypten am Rande der Pharaonen 90
P o r t r ät N r. 7 :
Howard Carter – ein Archäologe neuer Schule 97
En d n o t e n
126 Lit e r at u r
142 P e r s o n e n r e gi s t e r
143
Vorwort
Die Napoleonische Expedition
Ende des 18. Jahrhunderts bahnte sich eine der gewagtesten militärischen Operationen ihrer Zeit an: die Eroberung Ägyptens durch französische Truppen. Das Ziel der Unternehmung war die Errichtung einer französischen Kolonie, um die Vorherrschaft des britischen Empire im Mittelmeerraum zu beenden und den Nachrichtenfluss der Engländer über das Rote Meer zu den fernöstlichen Kolonien, allen voran Indien, zu behindern. Das französische Direktorium vertraute das Kommando für diese Unternehmung einem jungen General an, der sich bereits im Italienfeldzug ausgezeichnet hatte: Napoleon Bonaparte, der spätere Kaiser Frankreichs. Auch wenn die Expedition nach anfänglichen Erfolgen am Ende doch noch in einem militärischen Desaster endete1, war ihr Nachwirken außergewöhnlich. An der Expedition, die später unter der Bezeichnung „Napoleonische Expedition“ in die Geschichte einging, nahmen nicht nur militärische Streitkräfte, sondern auch ein ganzes Korps wissenschaftlicher Gelehrter unterschiedlichster Fachrichtungen teil. Vertreten waren Vermesser, Geologen, Zeichner, Historiker, Mathematiker, Astronomen, Ingenieure und zahlreiche Hilfskräfte. Eine der wichtigsten Personen dieser „Spezialabteilung“ war Dominique Vivant Denon. Sein Ziel war die umfassende Aufnahme des Landes Ägypten und seiner geographischen und geschichtlichen Besonderheiten. Denon war ein ehemaliger französischer Adeliger, der seinen Titel „de Non“ in den Revolutionswirren in „Denon“ umbenannt hatte, und blickte auf eine schillernde Karriere als Diplomat, freischaffender Künstler und Sammler archäologischer Kuriositäten zurück, sozusagen ein perfekter Lebenslauf, um von Napoleon in das Wissenschafts-Korps berufen zu werden. Im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen
Die Napoleonische Expedition 7
der französischen Streitkräfte mit dem Heer der Mameluken bekam Denon allerlei ägyptische Relikte zu Gesicht2, von denen er beeindruckende Zeichnungen anfertigte. Diese Bilder bewegten Napoleon dazu, zwei Kommissionen mit der Aufnahme der ägyptischen Altertümer zu beauftragen, und sie bilden den Grundstock für eine der wichtigsten kulturwissenschaftlichen Publikationen ihrer Zeit, der Description de l’Égypte ou recueil des observations et des recherches qui ont été faites en Égypte pendant l’expedition de l’Armée Française publié par les ordres de Sa Majesté l’empereur Napoléon le Grand, kurz: Description de l’Égypte. Der Einfluss dieses Buches, das ab 1809 in mehreren Teilen erschien und eine Fülle an neuen, durch die Expedition ans Licht gebrachten archäologischen Entdeckungen zeigte, löste nicht nur in der Welt der Gelehrten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit eine regelrechte Ägyptomanie aus. Diese Begeisterung für die ägyptische Kunst schlug sich zum Beispiel in Kunststilen wie dem sogenannten Empire mit seinen Elementen aus der griechischen, römischen und ägyptischen Antike nieder. Napoleon förderte diesen Stil, auch um seine kaiserlichen Ansprüche zu untermauern. Darüber hinaus schossen zahlreiche neue esoterische Strömungen, die im alten Ägypten ihre „mystischen“ Wurzeln suchten, genauso wie meist konservative christliche Verbindungen und Vereine aus dem Boden, die durch die Erforschung Ägyptens auf eine Bestätigung der in der Bibel überlieferten Geschichten hofften. In dieser Zeit der Ägyptenbegeisterung entbrannte auch ein Wettstreit um die Entzifferung der Hieroglyphen, der vor allem zwischen dem englischen Philologen Thomas Young3 und dem französischen Sprachgenie Jean-François Champollion ausgetragen wurde. Mit seinem legendären Brief aus dem Jahre 1822, der an Monsieur Dacier adressiert war und die erfolgreiche Entzifferung der altägyptischen Schriftzeichen bekanntgab, entschied Champollion diesen Wettstreit für sich. Der wichtigste Schlüssel für diese Leistung war ein Fund der Napoleonischen Expedition: der legendäre Stein von Rosetta.4 Diese Entwicklungen, die wohl als Geburtsstunde der Ägyptologie als Wissenschaft gelten dürfen, zogen viele Personen an, die aus den unterschiedlichsten Motiven heraus nach Ägypten kamen. Einige boten ihre Dienste beim Wiederaufbau des Landes an, andere trieb die Abenteuerlust oder die Suche nach Wissen an. Ihnen allen ist aber gemein, dass sie über kurz oder lang
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ihre Begeisterung für die antiken Stätten Ägyptens entdeckten und zu den Gründervätern der Archäologie in Ägypten wurden. Aus diesen Personen sollen hier ein paar Persönlichkeiten herausgegriffen werden, die aufgrund ihrer Entdeckungen oder Leistungen für das Fach von besonderer Bedeutung waren.
P o r t r ät N r. 1:
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler
M
it den politischen Ereignissen rund um die Napoleonische Expedition kam ein Mann nach Ägypten, der sich als einer der ersten Europäer ausführlicher mit den Relikten der altägyptischen Kultur beschäftigte und diese in Sammlungen zusammenstellte: Bernardino Drovetti. Seine Sammlungen bildeten den Grundstein für einige der wichtigsten ägyptischen Abteilungen europäischer Museen und erregten im 19. Jahrhundert massiv das öffentliche Interesse am pharaonischen Ägypten. Drovetti wurde am 4. Januar 1776 im Städtchen Barbania in der Nähe von Turin geboren. Als zweites von vier Kindern trat er zu Beginn seiner Ausbildung in die Fußstapfen seines Vaters und studierte Rechtswissenschaften mit dem Ziel, Anwalt zu werden. Mit knapp 19 Jahren beendete er seine Ausbildung an der Universität von Turin mit einem Abschluss in Kirchen- und Zivilrecht. Nur ein Jahr später verpflichtete sich Drovetti bei der „Armee der Republik“ und nahm an den Gefechten der sogenannten italienischen Armee unter Napoleons Befehl teil. Seine militärische Karriere ging gut voran, und er wurde schnell vom Sergeanten zum Leutnant befördert. Man teilte ihn dem Generalstab von Guiseppe La Hoz1 zu, unter dem er an Feldzügen gegen die österreichischen Streitkräfte in Italien teilnahm. Sein erfolgreicher Dienst brachte ihm den Rang eines Captain ein. Kurz darauf wurde Drovetti im März 1799 in die Verwaltung der Republik Piemont berufen, um dort als Kommissar (also als Verwaltungschef) der Stadt Turin zu arbeiten2. Aber lange blieb Drovetti nicht in seiner Heimat. Bereits zwei Monate später befand er sich auf dem Weg ins französische Exil. Anrückende österreichisch-russische Truppen bedrohten Napoleons Reich und nutzten die Abwesenheit des in Ägypten weilenden Feld-
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herrn dazu, die norditalienischen Gebiete zurückzuerobern. Erst als Napoleon heimkehrte und sich durch einen Staatsstreich zum ersten Konsul Frankreichs mit umfassenden Vollmachten beförderte, wendete sich das Blatt wieder. Mithilfe seiner italienischen Regimenter machte sich Napoleon im sogenannten Zweiten Koalitionskrieg an die Rückeroberung der verlorenen Gebiete. An diesen Feldzügen nahm auch Bernardino Drovetti teil; als persönlicher Adjutant von Joachim Murat3 konnte er dabei wertvolle Kontakte für seine Zukunft knüpfen. Drovettis Zuverlässigkeit brachte ihm schließlich im Jahr 1801 den Posten eines Stabschefs unter General Luigi Colli4 ein, und das im jugendlichen Alter von nur 25 Jahren. In der Folge wechselte er erneut zur Verwaltung der Stadt Turin. Man berief Drovetti auf den gut bezahlten Posten eines Richters. Zum einen brachte er dank seiner ursprünglichen Ausbildung als Anwalt das nötige Wissen mit, zum anderen waren es seine guten militärischen Kontakte, die ihm dieses renommierte Amt einbrachten. Speziell das Gutachten seines Generals Colli dürfte gewissen Einfluss gehabt haben. Colli schrieb: „[Drovetti] ist Rechtsgelehrter, [ein Mann] mit viel Bildung und Talenten, von einer Redlichkeit und Unbestechlichkeit, die über jeden Zweifel erhaben ist.“ 5 Im Richteramt verblieb Drovetti, bis er im Oktober des Jahres 1802 auf einen neuen Posten versetzt wurde. Und dieser neue Posten sollte ihm einen dauerhaften Platz in der Geschichte der Ägyptologie einbringen: Drovetti wurde Vize-Konsul in Ägypten, mit dem Auftrag, vor Ort die wirtschaftlichen Belange Frankreichs zu vertreten. Diese Stellung hatte er seinen beiden großen Unterstützern, Colli und Murat, zu verdanken.Was sich anfänglich wie eine Beförderung ausnahm, entpuppte sich mit der Zeit als äußerst schwieriger Auftrag. Zwei Umstände machen Drovetti bei dieser Unternehmung zu schaffen. Zum einen sein direkter Vorgesetzter und zum anderen die politische Situation in Ägypten. Diese war alles andere als stabil, und Drovettis Vorgesetzter, der französische Botschafter Matthieu de Lesseps6, hatte große Schwierigkeiten, die akuten Probleme Ägyptens richtig einzuschätzen. Er war den enormen Anstrengungen seiner Position nicht gewachsen und kehrte im Jahr 1804 nach Frankreich zurück. Erst ab diesem Zeitpunkt war Drovetti, wenn auch nicht dem Titel nach, de facto leitender Konsul der französischen Interessen in Ägypten.
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler 11
Die schwierige politische Lage in Ägypten war eine direkte Folge des napoleonischen Feldzugs. Nach der französischen Niederlage und dem Abzug der britischen Streitkräfte im Frühling des Jahres 1803 kämpften in Ägypten drei Kräfte um die Vorherrschaft: der vom Sultan in Konstantinopel ernannte Vizekönig, die verbliebenen Clans der Mamelukenherrscher und schließlich die albanischen Streitkräfte des Vizekönigs, die nach Ausbleiben ihrer Bezahlung eine eigene Machtfraktion bildeten. Die frühen Jahre des 19. Jahrhunderts in Ägypten kamen einem anarchischen Zustand gleich, geprägt von Schlachten, Aufständen und schnell wechselnden Herrschern, die keines natürlichen Todes starben. Auch für die in Ägypten ansässigen Europäer gestaltete sich das Leben äußerst schwierig. Sie mussten schlicht um Gut, Leib und Leben fürchten. Der ständig von Geldknappheit geplagte Vizekönig nahm häufig Anleihen bei den örtlichen europäischen Kaufleuten und erhob zu alledem Sonderabgaben, die albanischen Streitkräfte drangsalierten die Bevölkerung und schossen auf die ausländischen Botschafter – auch Drovetti und de Lesseps wurden zum Ziel solcher Attacken, blieben allerdings unversehrt – und durch ihre stetig wechselnden politischen Ansichten und Meinungen waren die Mamelukenherrscher so unberechenbar, dass sie keine verlässlichen Partner für die europäischen Mächte im Land darstellen konnten. Umso bemerkenswerter ist es, dass es Drovetti innerhalb kürzester Zeit gelang, ein Informanten-Netz in allen politischen Lagern zu etablieren und so einen äußerst effektiven Nachrichtendienst ins Leben zu rufen. Er freundete sich mit dem Admiral der türkischen Flotte an und konnte den Sekretär des Vizekönigs zur Zusammenarbeit und Informationsweitergabe überreden. Sein Kontakt zu den Mameluken war so gut, dass er vom Anführer der albanischen Streitkräfte Mehmet Ali als Vermittler eingesetzt wurde. Dies zeigt, dass Drovetti bei Weitem nicht nur als Handelsvertreter, sondern auch als Spion für die französischen Interessen tätig war. Als äußerst hinderlich erwies sich in dieser kritischen Phase, dass Frankreichs Aufmerksamkeit vor allem auf das Kriegsgeschehen in Europa ausgerichtet war, und so Instruktionen für die Außenpolitik in Ägypten nur mit langer Verzögerung eintreffen konnten. Oftmals waren die Anweisungen Frankreichs längst von neuen Ereignissen in Ägypten überrollt worden und in Anbetracht der neuen politischen
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Lage obsolet. Dieser mangelnde Rückhalt Frankreichs gegenüber seinem offiziellen Vertreter Drovetti nutzte besonders den britischen Vertretern, die Ägypten als wichtigen Posten für den Handel mit ihren Kolonien in Indien erkannt hatten und ihren Vorteil aus der instabilen politischen Situation Ägyptens ziehen wollten. Die Spannungen zwischen England und Frankreich ermöglichten es Drovetti schließlich, seine Situation vor Ort entscheidend zu verbessern. Als einer der Ersten erkannte er das Potenzial des Anführers der albanischen Streitkräfte, Mehmet Ali, der sich durch militärische Gefechte, Anschläge, Bestechung und politisches Taktieren allmählich zum „Pascha von Kairo“ hochgearbeitet hatte. In dieser Position war er für die rivalisierenden türkischen Kräfte unangreifbar, obwohl er nicht vom Sultan als Vizekönig Ägyptens eingesetzt worden war. 1807 beschlossen die Engländer auf Empfehlung ihres Konsuls Ernest Misset7, das ihrer Meinung nach in Ägypten herrschende politische Machtvakuum auszunützen und mit einer militärischen Operation erneut die Macht in Ägypten zu ergreifen. Aber Drovetti gelang es dank seines verlässlichen Nachrichtendienstes, Mehmet Ali über diesen Plan in Kenntnis zu setzten. Noch bevor die Engländer unter General Mackenzie-Fraser8 mit ca. 6600 Mann ihre Invasion starten konnten, hatte der Pascha von Kairo dank Drovettis Einsatz rechtzeitig zusätzliche Truppen nach Alexandria verlegt. Zwar fiel die Stadt relativ bald nach der Landung der Engländer, aber kurz darauf zeigte sich bei dem Angriff auf Rosetta, wie wichtig die frühe Warnung Drovettis war, denn hier erlitten die Engländer zwei empfindliche Niederlagen und stellten daraufhin ihr Unternehmen mit sofortiger Wirkung ein. Auch die Tatsache, dass ein Großteil der Mamelukenherrscher nicht auf britischer Seite in die Kämpfe eingriff, ist der Diplomatie Drovettis zu verdanken. Ironischerweise war es dann wiederum Drovetti, der sich für die rund 470 britischen Gefangenen einsetzte und so nach ihrer Gefangenahme ein Massaker durch die albanischen Truppen verhinderte. Drovettis Einsatz zugunsten Mehmet Alis legte wohl die Basis für das gute Verhältnis, das der Herrscher Ägyptens und seine Söhne nach ihm zu Drovetti hatten.9 Es gab zwar immer wieder Spannungen zwischen beiden Parteien, doch waren diese wohl eher politischer und weniger persönlicher Natur, eben eine Folge der Machtverschiebungen
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler 13
zwischen den damaligen Großmächten England, Frankreich und Russland und ihrer Politik im harten Kampf um wirtschaftliche Interessen. Nach dem Abschluss eines Friedensvertrages mit England und den Mamelukenherrschern wurde Mehmet Ali schließlich vom türkischen Sultan offiziell zum Vizekönig von Ägypten ernannt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Sultan brauchte militärische Unterstützung gegen die sogenannte Wahabitenbewegung, eine Gruppe religiöser Fanatiker, die auf der arabischen Halbinsel gegen die türkische Oberhoheit rebellierten. Mehmet Ali entsandte seine Unterstützung, woraufhin die Mamelukenherrscher die Abwesenheit der Armee ausnützen wollten, um ihren eigenen politischen Einfluss zu verbessern. Den drohenden Unruhen begegnete Mehmet Ali in seinem ganz eigenen Stil: Er lud seine politischen Gegner zu einer Feier nach Kairo ein und ließ seine albanischen Truppen das Feuer eröffnen. 500 seiner „Gäste“ wurden erschossen, darunter die Führungsriege der Mameluken. Direkt im Anschluss befahl er, ihre Häuser zu plündern, ihre Güter zu beschlagnahmen und ihre verbliebenen Anhänger zu verfolgen. Damit waren auf einen Schlag die Macht der Mameluken gebrochen10, Mehmet Alis Finanzprobleme gelöst und er selbst unumstrittener Herrscher des Landes am Nil. Wie unumstritten Mehmet Alis Machtanspruch war, zeigt sich in der Tatsache, dass er sich (entgegen der Weisung des Sultans) unbehelligt von den Engländern mit Waffen versorgen ließ. So konnten die Briten zusehends ihre Handelsinteressen in Ägypten deutlich machen und durchsetzen. Da Drovetti immer noch mehr oder weniger von der französischen Regierung allein gelassen wurde, konnte er gegen diese neuen Handelskontakte Ägyptens nicht vorgehen. Ihm blieb lediglich, Mehmet Ali darauf hinzuweisen, dass durch ein Zerwürfnis mit dem Sultan die Gefahr für eine erneute Invasion der Engländer steigen würde. Mehmet Ali antwortete nur, dass die Briten dann ihre eigenen Kugeln verabreicht bekämen.11 Diese unbekümmerte Haltung des ägyptischen Vizekönigs spiegelte sich auch in der Außenpolitik wieder, in der Mehmet Ali zunehmend die englischen Interessen unterstützte. Frankreich zeigte zunehmend Desinteresse in Bezug auf Ägypten und erkannte die Möglichkeiten nicht, die von einer Kontrolle der Küsten des Roten Meeres ausgingen. Diese distanzierte Haltung frustrierte
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Drovetti immer mehr, so dass schließlich auch seine Gesundheit darunter litt und er an seinen Rücktritt vom Staatsdienst dachte. Jedoch kamen ihm die politischen Ereignisse zuvor. Nach der verlorenen Völkerschlacht von Leipzig und der Besetzung der Hauptstadt Paris durch die alliierten Streitkräfte musste Napoleon am 12. April 1814 abdanken. Die darauf folgende Wiedereinsetzung der Bourbonendynastie auf dem französischen Thron dürfte von Drovetti, der seine Position indirekt dem Aufstieg Napoleons zu verdanken hatte, sicherlich nicht mit Begeisterung beobachtet worden sein. Die „Herrschaft der 100 Tage“, die Schlacht von Waterloo und die endgültige Verbannung Napoleons nach St. Helena hatten auch für Drovetti direkte Auswirkungen: Im November des Jahres 1815 wurde er von seinem Nachfolger Pierre Thédénat-Duvent auf seinem Posten als Konsul abgelöst. Bernadino Drovetti verließ den Staatsdienst und war nun erst einmal „Privatperson“. Er konnte sich seiner Familie12 und seinen eigenen Interessen widmen. Und genau diese Interessen führen schließlich zu seinem Ruhm in der Ägyptologie. Drovetti war fasziniert von den Relikten der altägyptischen Kultur. Mit der ihm eigenen Effizienz, mit der er als Konsul seine Informationsnetzwerke eingerichtet hatte, begann er nun, seine Kontakte und seinen Einfluss zu nutzen, um ein Netzwerk ins Leben zu rufen, das der Beschaffung von Antiquitäten dienen sollte. Über seine Verbindung zum Hof Mehmet Alis beantragte er einen sogenannten Firman, ein Dokument, das es ihm und Personen in seinem Auftrag erlaubte, Ausgrabungen durchzuführen. Nachdem er diesen erhalten hatte, begann er mit der Rekrutierung seiner „Agenten“, deren Namen teilweise bis heute bekannt sind. Zu den berühmtesten unter ihnen gehörten Frédéric Cailliaud13, ein französischer Mineraloge, der über seine Reisen in den „Orient“ nach Ägypten gelangt war, Jean-Jacques Rifaud14, ein Steinmetz aus Marseille, der später als Schriftsteller tätig war, Guiseppe Rosignani15, ein piemontesischer Abenteurer, und schließlich Antonio Lebolo16, der im Raum Theben besonderen Einfluss genoss. Lebolos Person und Aufgabenbereich wurden von dem Reisenden Carlo Vidua ausführlicher beschrieben: Er ist der Nachfolger von Ozymandias17 und Sesostris. […] Sein Einflussbereich reicht nicht weit in den Provinzen, in Theben jedoch gehorcht man
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler 15
ihm. Der Scheich und der Kaimakam [Titel des obersten Beamten eines Verwaltungsbezirks, Anm. d. Verf.] befolgen seine Anordnungen; er sucht Mumien; er findet Papyri; oft arbeiten fünfzig, sechzig, ja sogar ein- bis zweihundert Araber unter seinem Kommando. Drovetti hat ihn angestellt, um seine Ausgrabungen und Unternehmungen in Theben zu überwachen.18
Von vielen seiner anderen Agenten sind heute nur noch Namensteile bekannt wie zum Beispiel von einem französischen Mameluken namens „Youssef“ oder dem vor allem im thebanischen Raum berühmten „Piccinini“, von dem berichtet wird, dass er in Theben ein außergewöhnliches Haus besaß, das wie folgt ausgesehen haben soll: Sein ganzes Haus besteht aus einem einzigen Raum; die Fenster, die Fensterläden, die Stufen und der Boden wurden allesamt aus hölzernen Särgen gefertigt.19
Seine Mitarbeiter platzierte Drovetti, wie aus der Aufgabenbeschreibung Viduas hervorgeht, an speziell von ihm ausgewählten Orten und überließ ihnen die Aufsicht über die Ausgrabungen. Er selbst war nicht kontinuierlich vor Ort und begab sich stattdessen auf Expeditionsreise. 1816 unternahm er, begleitet von Rifaud und Cailliaud, eine Reise zum zweiten Nilkatarakt. Drovetti und seine Gefährten zählen damit neben John Lewis Burckhardt20 und William Bankes21 zu den ersten Europäern, die dieses Gebiet bereisten. Sie besuchten Amada, Wadi es Sebua, Dendur, Kalabsha und natürlich Abu Simbel. Hier bot Drovetti dem ortsansässigen Scheich 300 Piaster, damit dieser für Drovetti den großen Tempel Ramses’ II. freilegte. Als er allerdings später auf seiner Reise nach Abu Simbel zurückkehrte, musste er feststellen, dass der Tempel noch genauso verschüttet war wie zuvor. Er musste also zumindest in dieser Hinsicht ergebnislos nach Kairo zurückkehren. In den folgenden Jahren widmete sich Drovetti voll und ganz seinen Ausgrabungen, vor allem in der Region Luxor. Hier zeichneten sich schon bald die nächsten Schwierigkeiten ab, und zwar ausgerechnet mit seinen alten Kontrahenten, den Briten. Denn auch die Engländer hatten inzwischen ein großes Interesse an altägyptischen Altertümern entwickelt. Allen voran ist hier der britische Konsul Henry Salt zu nennen,
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der im Jahr 1816, einige Zeit nach dem militärischen Debakel von Rosetta, die Stelle des abgesetzten Misset übernahm und damit über die Wahrung der britischen Interessen in Ägypten wachte. Henry Salt (1780–1827) begann seine Karriere als Maler und Zeichner, konnte sich jedoch für den Beruf nicht richtig erwärmen. In der Folge trat er als Sekretär und Zeichner in den Dienst von George Annesley, dem Viscount Valentia und späteren Lord Mountnorris.22 Diesen begleitete er auf einer Reise nach Indien und nach Äthiopien, wo Salt den Auftrag bekam, mit einer kleinen Mannschaft ins Landesinnere vorzustoßen. Dort traf er auf den Ras von Tigray23, der sich von Salt beeindruckt zeigte. Auf diese Weise gelangte Salt zu seinem ersten diplomatischen Auftrag. Der Ras gab ihm Briefe und Geschenke des äthiopischen Kaisers an den englischen König, die Salt, zurück in England, an das Auswärtige Amt übergab. Die Briten hatten Interesse an Äthiopien und beschlossen, den Kontakt zu intensivieren. Da Salt bereits eine erste Kontaktaufnahme gelungen war und er sozusagen freundschaftliche Beziehungen zu einem äthiopischen Provinzverwalter unterhielt, sollte er die Beziehungen vertiefen und wurde 1809 erneut nach Äthiopien geschickt. Auch diese Mission erwies sich als Erfolg, und so konnte Salt nicht nur seine Reiseerinnerungen in einem Buch24 veröffentlichen, sondern es gelang ihm auch, sich im Alter von 35 Jahren durch seine neuen Kontakte den vakant werdenden Posten des britischen Konsuls in Ägypten zu sichern. Salts großes Interesse an den ägyptischen Altertümern wurde ihm später vorgeworfen. Man sagte ihm nach, dass er sich weniger der Politik als vielmehr seiner Sammelleidenschaft, seiner Malerei und seinen philologischen Interessen, allen voran der Entzifferung der Hieroglyphen, gewidmet hätte.25 Dieser Eindruck relativiert sich jedoch, wenn man sich Salts finanzielle Situation vor Augen hält. Sein Posten war unterbezahlt und sein Salär wurde nur äußerst unregelmäßig ausbezahlt. Daher war er gezwungen sich eine zweite Einkommensquelle zu suchen, und diese fand er in den Antiquitäten. Ebenso wie Drovetti hatte sich Salt mit den nötigen Firmanen ausstatten lassen, um Ausgrabungen durchführen zu können. Bei der Absteckung der Ausgrabungsgebiete entbrannte schnell eine erbitterte Feindschaft zwischen Salt und Drovetti. Salt arbeitete genauso wie Drovetti mit eigenen Agenten, die vor Ort nach Altertümern suchten. Der berühmteste unter Salts Männern,
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Giovanni Battista Belzoni, wird im folgenden Kapitel ausführlicher beschrieben. Neben Belzoni arbeiteten auch Giovanni d’Athanasi26 und Thomas Triantaphyllos27 für den britischen Konsul. Salts Zeitgenossen zeichnen allerdings ein zwiespältiges Bild seiner Person. Salt soll ein durchaus fähiger Diplomat gewesen sein, der die britischen Interessen am Hofe Mehmet Alis immer wieder erfolgreich zu vertreten wusste. Allerdings litt Salt Zeit seines Lebens unter der Tatsache, dass er sich als Zeichner aus „einfachen Verhältnissen“ hochgearbeitet hatte. Dies erzeugte wohl ein gesteigertes Geltungsbedürfnis, wie es von einem Zeitgenossen in einem Gedicht karikiert wird.28 Und obwohl sich der Entzifferer der Hieroglyphen, Jean François Champollion, lobend über Salts Forschungen äußerte, wurden seine Bemühungen um die Erforschung der ägyptischen Altertümer und der Hieroglyphen häufig als „dilettantisch“ abgetan. Ihnen fehle die letzte Stichhaltigkeit. Die Geschichte, dass er angeblich eine von ihm geschwängerte Sklavin an einen „Muselmanen“ verkauft haben soll, dürfte seinem Ruf auch nicht besonders förderlich gewesen sein.29 Dies soll sich im Jahr 1822 zugetragen haben, ist allerdings mit einer gewissen Vorsicht zu nehmen. In dieser Zeit war Salt, wenn auch nur kurz, mit einer jungen Italienerin verheiratet, die eigentlich per Brief von einem österreichischen Kaufmann nach Ägypten „bestellt“ worden war, sich aber stattdessen für Salt entschied. Nach nur drei Jahren endete die Ehe tragisch. Seine Frau starb an Kindbettfieber.30 Bis er am 30. Oktober 1827 an einem Leberleiden starb, blieb Henry Salt sowohl in seiner Rolle als Konsul als auch in seiner Rolle als Antikensammler einer der großen Kontrahenten Drovettis. Welche Auswirkungen diese Rivalität zwischen Drovetti und Salt hatte und welche Formen die Antikenbegeisterung der „Touristen“ und Ägyptenreisenden inzwischen angenommen hatte, zeigt eine kurze Schilderung Thebens von Drovettis Mitarbeiter Cailliaud: Ich habe in Theben zahlreiche Europäer versammelt gefunden, die an interessanten Ausgrabungen arbeiten, von Gurna hin zu den Ruinen von Medinet Habu und denen des Memnoniums [hierbei handelt es sich um das Ramesseum, den Totentempel Ramses’ II., Anm. d. Verf.]; der gesamte Raum, der von den Ruinen Karnaks bedeckt wird, ist durchzogen von
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„Demarkationslinien“, die das Areal der Franzosen von dem der Engländer trennen […]. Die europäischen Damen durchschreiten die Ruinen und dringen bis in die Katakomben vor, genau wie die anderen Reisenden. Alle sammeln und kaufen sie Antiquitäten […].31
Diese Unternehmungen hatten kaum wissenschaftlichen Anspruch und waren eher noch unsachgemäß durchgeführte und immens teure Schatzsuchen. Wie gefährlich die Arbeit sein konnte, veranschaulicht ein Vorfall im großen Tempel von Karnak, der die Zustände auf Drovettis Grabungen in ein schlechtes Licht rückt. Als die Gräben, die man in die riesigen Haufen von Schutt, Geröll und Sand getrieben hatte, eine Tiefe von zehn Metern erreichten, vergaß der ortsansässige Vorarbeiter, die Seitenwände ausreichend abzustützen. Es kam, wie es kommen musste: 12 Kinder, die zum Abtransport des Grabungsschuttes angeheuert worden waren, wurden untern den einstürzenden Seitenwände begraben, nur sechs von ihnen konnten lebendig geborgen werden. Die Dorfbevölkerung war aufgebracht, und die Situation wurde schwierig für Drovetti.32 Immer wieder unternahm Drovetti Expeditionsreisen, während seine Agenten die Grabungen leiteten. Im Frühjahr 1819 reiste er in die westlich des Niltals gelegene sogenannte Libysche Wüste, um dort die Oasen Charga und Dachla zu besuchen. Er wollte von Assiut aus auf den Spuren Cailliauds, der Charga 1818 bereits besucht hatte, die erste der beiden Oasen erreichen und von dort aus als erster Europäer nach Dachla weiterreisen. Dies war in der damaligen Zeit ein gewagtes Unterfangen, nicht nur weil es eine mehrtägige Durchquerung der Wüste bedeutete, sondern auch weil die Oasenbewohner in der Wüste weitgehend unabhängig von der Herrschaft und den Gesetzten Mehmet Alis lebten. Die Oasen waren schon seit der Antike „freiere Orte“, ein sicherer Hafen für Religionsbewegungen, die in diesen abgelegenen Gegenden nicht verfolgt wurden und deutlich länger nachgewiesen werden können, wie zum Beispiel die Manichäer, eine spätantike Glaubensgemeinschaft, die zeitweise sehr weit verbreitet war. In die Oasen wurden schon in pharaonischer und spätantiker Zeit unliebsame Charaktere verbannt, wie Athanasius, der berühmte Bischof von Alexandria, der es im Laufe seiner Karriere auf immerhin fünf Verbannungen brachte.
Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler 19
Drovettis Unternehmung gelang trotz aller Widrigkeiten. Er erreichte die Oasen, und auf seinem Weg von Charga nach Dachla traf er einen weiteren Europäer, den Schotten Archibald Edmonstone33. Dieser hatte ausgerechnet von Belzoni gehört, was Drovetti vorhatte, und beschloss, selbst in die Oasen aufzubrechen. Als er aber erkannte, dass Drovetti einen Vorsprung von drei Tagen hatte und Dachla vor ihm erreichen würde, faste der Schotte den Plan, den Umweg über die Oase Charga zu vermeiden und direkt nach Dachla aufzubrechen. Er erreichte Dachla vor Drovetti und gilt heute als „Entdecker“ der Oase. Interessanterweise datierte Drovetti seine eigene Reiseerzählung Journal d’un voyage à la valée de Dakel vers la fin de 1818, wie der Titel zeigt, an das Ende des Jahres 1818, obwohl er erst im Frühjahr 1819 aufbrach.34 Zumindest ist er so literarisch der Entdecker der Oase. Seine Reiseerzählung erschien 1821 als Teilbeitrag in einem Buch von Jomard35 und Cailliaud. Dieser Misserfolg entmutigte Drovetti aber keineswegs. Bereits 1820 begab er sich auf seine nächste Oasenreise. Diesmal zog es ihn auf der Suche nach dem legendären Amun-Tempel Alexanders des Großen nach Siwa. Und auch hier folgte er erneut den Spuren Cailliauds, der die Oase im Winter des Jahres 1819 erreicht hatte und nur mit Glück den unfreundlich gesinnten Bewohnern der Oase „entronnen“ war. Da die Oase mit ihrer Lage an der Karawanenstraße nach Libyen von besonderer taktischer Bedeutung für Mehmet Ali war, beschloss dieser, Siwa 1820 zu erobern. Diese Chance nützte Drovetti und erhielt, durch seine nach wie vor guten Beziehungen zum Vizekönig, die Erlaubnis sich dem ägyptischen Expeditionsheer anzuschließen. Nach einer dreistündigen Schlacht und drei weiteren Verhandlungstagen ergaben sich die Herrscher von Siwa dem ägyptischen Heer und die Oase wurde Teil von Mehmet Alis Reich. In der gesamten Zeit ist es erstaunlich, dass Drovetti, obwohl er nicht mehr französischer Konsul war, weiterhin seinen Einfluss bei Mehmet Ali behielt. Dies brachte ihn in die günstige Position, den nach Kairo kommenden europäischen Reisenden jeglicher Nationalität zu helfen. Er zeigte sich äußerst hilfsbereit und freigiebig, wo er nur konnte. Die berühmteste Unternehmung, der Drovetti in dieser Zeit seine Unterstützung gewährte, war die archäologische Expedition des
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Freiherrn Heinrich von Minutoli36, der 1820 zusammen mit seiner frisch angetrauten zweiten Ehefrau auf Befehl des preußischen Königs nach Ägypten reiste, um dort ägyptische Altertümer zu erwerben. Drovetti sorgte nicht nur für ein Unterhaltungsprogramm, er verschaffte Minutoli auch eine Audienz bei Mehmet Ali. Bei solcher Unterstützung ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Minutolis am Ende ihrer Expedition schließlich begeistert und mit Antiken beladen heim nach Berlin reisten. Tragisch ist allerdings, dass das Schiff, auf dem der Großteil der Minutolischen Sammlung transportiert wurde, bei einem Sturm in der Elbmündung unterging. Bis heute ist dieser unermessliche Kunstschatz verschollen. Die verblieben 20 Kisten, die Minutoli über den Landweg nach Berlin bringen ließ, bildeten den Grundstock für die Sammlung des dortigen Ägyptischen Museums. Die Unterstützung seiner Landsleute, aber auch zahlreicher Reisender anderer Nationen, brachten Drovetti viel Lob und Auszeichnungen ein. So ist es auch nicht merkwürdig, dass er als Kenner des Landes und aufgrund seiner Kontakte zum Hof des Vizekönigs im Jahr 1821 erneut zum leitenden Konsul Frankreichs in Ägypten ernannt wurde. Und diese Ernennung erfolgte gerade rechtzeitig, denn es bahnte sich die nächste größere Krise in Ägypten an: Krieg mit Griechenland. Auslöser für diese Krise war der Versuch der Griechen, sich vom türkischen Joch zu befreien und die Besatzer aus dem Land zu werfen. Mehmet Ali, nominell immer noch Untertan des türkischen Sultans, wurde mit in den Krieg hineingezogen. Seine Unterstützung des Sultans stand außer Frage, zumal er sich von diesem weitgehende Machtbefugnisse im Gebiet des heutigen Syrien erhoffte. In dieser politisch prekären Situation zeigte Drovetti erneut sein politisches Geschick. Da für einen Krieg mit Griechenland eine Flotte vonnöten war, vermittelte er zwei hochmoderne französische Fregatten an den ägyptischen König. Das war ein lukratives Geschäft für Frankreich, und Mehmet Ali benötigte dringend solches Kriegsgerät. Auf diese Weise gelang es Drovetti, diesmal in der Rolle des „Waffenhändlers“, erneut seine Bedeutung für den französischen Einfluss in Ägypten und seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen und die Position Frankreichs im Land am Nil zu stärken. Interessant ist auch, welche Anfragen außerhalb der politischen Arena an Drovetti gerichtet wurden und welche „Probleme“ in seinen
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Aufgabenbereich fielen. Neben der offiziellen Staatskorrespondenz erreichten ihn auch immer wieder Hilfegesuche bei Rechtsstreitigkeiten und Auftragsschreiben zur Beschaffung von Antiquitäten, Fossilien und zoologischen Raritäten. Belegt sind – vorwiegend an königliche Haushalte – die Lieferung eines Antilopenpärchens, die Lieferung einer Oryx-Antilope, die ihren Bestimmungsort allerdings nur tot erreichte, und schließlich die Sendung einer Giraffe für den Pariser Zoo, auf Befehl Karls X.37 Natürlich kamen auch seine eigenen Ausgrabungen dank seiner vielen Agenten nicht zum Erliegen. So widmete sich sein langjähriger Weggefährte Rifaud im Faijum38 den Pyramiden von Hawara. Doch der Versuch, die Pyramide von Amenemhet III. zu öffnen, scheiterte und auch die noch unstrukturiert erfolgenden Grabungsversuche im umliegenden Gelände erwiesen sich als „fundarm“. Um den bei dieser Grabung entstandenen Verlust zu minimieren, wurden die gefunden Lehmziegel verkauft, die bei den Ausgrabungen angefallen waren. Erst 64 Jahre später gelang es William Matthew Flinders Petrie erfolgreich, das Rätsel um den Eingang der Pyramide zu lösen und mit seinen grandiosen archäologischen Entdeckungen aus dem Umfeld von Hawara die Hallen der Londoner Ausstellunghäuser zu füllen. 1825 unternahm Drovetti Ausgrabungen in Tanis, im Nildelta, was sich als eine seiner erfolgreichsten Kampagnen erwies. Auch hier wurde wieder Rifaud beauftragt, die Arbeiten durchzuführen. Tanis bzw. San el Hagar, wie die arabische Bezeichnung für diesen Ort lautet, ist eine außergewöhnliche archäologische Stätte im nordöstlichen Nildelta. Im Zuge der sogenannten 3. Zwischenzeit, genauer der 21. und 22. Dynastie (10. bis 9. Jh. v. Chr.), verlegten die Herrscher Ägyptens, eine aus Libyen eingewanderte Dynastie aus Militärpotentaten, die Hauptstadt von Piramesse (Qantir) nach Tanis. In der neuen Hauptstadt wurden riesenhafte Tempelanlagen, Kulteinrichtungen und große Mengen an Statuen und Bildwerken errichtet. Um diese Menge an Neubauten bewältigen zu können, diente auch das ganz in der Nähe gelegene Piramesse als „Steinbruch“. Die Herrscher der 21. und 22. Dynastie ließen sich auch in Tanis bestatten. Ihre Gräber wurden im Zuge der archäologischen Arbeiten von Pierre Montet39 in den Jahren 1929 bis 1951 gefunden, die einzigen nahezu ungestörten königlichen Bestattungen des antiken
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Ägypten, vom Grab des Tutanchamun im Tal der Könige einmal abgesehen. Die Goldmaske Psusennes’ I. und sein aus Silber gefertigter Sarg gehören bis heute zu den schönsten Stücken des Kairoer Museums.40 Tragischerweise blieb die Entdeckung Montets relativ unbeachtet, da sie mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 zusammenfiel. Montet musste aus diesem Grund auch seine Ausgrabungsarbeiten für einige Jahre unterbrechen. Drovetti hatte Glück. Trotzdem sich Rifaud über mangelnde Verpflegung und ausbleibende Zahlungen seitens Drovettis beschwerte, fand er innerhalb kürzester Zeit eine enorme Menge an übergroßen Statuen aus Rosengranit. Die Statuen brachten zunächst ein Transportproblem mit sich, doch die Schwierigkeiten konnten behoben werden, und so fanden sie ihren Weg nach Alexandria, in die inzwischen legendäre Sammlung Drovettis. Vor allem vor dem Hintergrund des wachsenden Interesses Europas am griechischen Unabhängigkeitskrieg hatte Drovetti immer mehr auf der politischen Bühne zu tun. Zeitweise arbeitete er auch für Russland als Konsul. Bei all diesen Aufgaben ist es kaum verwunderlich, dass sich Drovettis Gesundheitszustand zunehmend verschlechterte, sein Rücken und ein Augenleiden machten ihm zusehends zu schaffen. Ermattet von den Ereignissen der frühen 20er Jahre des 19. Jahrhunderts auf der politischen Bühne Ägyptens beantragte er seine Rückversetzung nach Europa, die ihm nach seinen 24 Jahren Aufenthalt im Land am Nil auch tatsächlich gewährt wurde. Für seine Verdienste von Mehmet Ali hoch geehrt, verließ Drovetti schließlich am 20. Mai 1827 die Gestade Ägyptens. Aber lange konnte Drovetti seinen wohlverdienten Ruhestand und die damit verbundenen Ehrungen nicht genießen. Genau sechs Monate nach seiner Abreise hatte sich die militärische Situation im griechischen Krieg dramatisch zugespitzt. England, Frankreich und Russland sahen durch den andauernden Krieg im Südosten Europas ihre Interessen bedroht und versuchten, einen Waffenstillstand zwischen Griechenland und dem Osmanischen Reich zu erzwingen. In der direkten Folge verbot man der osmanischen Flotte, die unter der Leitung von Mehmet Alis Sohn Ibrahim stand, weiter gegen die griechischen Kräfte vorzugehen. Aber die Situation eskalierte dank einer Verkettung un-
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glücklicher Umstände. Es kam zur Seeschlacht von Navarino, in der die vereinten Schiffe Englands, Frankreichs und Russlands die osmanische Flotte nahezu vollständig vernichteten – darunter auch die zuvor von Mehmet Ali gekauften französischen Fregatten. Da Mehmet Ali oberster Feldherr des türkischen Sultans war und ein Großteil seiner eigenen Streitkräfte zerstört worden war, erwartete man, dass sich die Situation für Ausländer in Ägypten und auch die Handelsbeziehungen zu den europäischen Mächten stark verschlechtern würden. In diese angespannte Situation schickte Frankreich ausgerechnet Drovetti, seinen erfahrensten Kenner des Landes, zurück nach Ägypten. Und obwohl kurz nach seiner Ankunft am 6. Januar 1828 griechische Einheiten den Waffenstillstand missachteten und die türkischen Stellungen auf Kreta überfielen, ohne dass die alliierten Kräfte eingriffen, ist es faszinierend, wie schnell Drovettis Diplomatie Früchte trug. Französischen Schiffen wurde der uneingeschränkte Zugang zu ägyptischen Häfen gewährt und es wurde den französischen Kaufleuten umfassender Schutz zugesichert. Mehmet Ali erklärte sich sogar dazu bereit, Informationen aus Konstantinopel an die Alliierten weiterzuleiten, wenn er im Gegenzug über die Verhandlungen der Alliierten mit dem Sultan informiert wurde. Und auch als sämtliche europäischen Interessensvertreter vom Sultan des Landes verwiesen wurden, waren es allein die in Ägypten ansässigen Konsuln, die von diesem Verbot ausgenommen wurden.41 Drovetti wurde sogar zum ständigen Begleiter des Vizekönigs von Ägypten, wenn dieser auf Reisen ging. In diese zweite Amtszeit Drovettis fiel auch ein bedeutendes ägyptologisches Unternehmen: die sogenannte französisch-toskanische Expedition. Bereits 1826 nahm Ippolito Rossellini42 Kontakt zu Drovetti auf und erkundigte sich nach Möglichkeiten, eine Expedition in Ägypten durchzuführen. Bis es jedoch soweit war und die Expedition tatsächlich stattfinden konnte, vergingen zwei weitere Jahre. Dann betraten Rossellini und Champollion als Expeditionsleiter ägyptischen Boden. Sie mussten aber feststellen, dass sie für ihre Reise durch das Land und ihre Ausgrabungen spezielle Erlaubnisbescheinigungen brauchten. Zu diesen verhalf ihnen niemand anderes als Drovetti, der die beiden Forschungsreisenden dem Vizekönig vorstellte und seine eigene Grabungserlaubnis auf Champollion übertragen ließ. Trotz dieser
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Unterstützung blieb der Dank der beiden Reisenden gegenüber Drovetti aus, was wohl in Champollions schwierigem Charakter begründet lag: Er war fast krankhaft misstrauisch und besaß ein ziemlich übersteigertes Selbstverständnis. Als Folge der langen Verzögerungen entwickelte Champollion ausgerechnet gegenüber Drovetti, der ihm durch seine Beziehungen zum Hof die Reise erst ermöglicht hatte, eine starke Abneigung. Die Expedition reiste den Nil hinauf bis an die sudanesische Grenze, doch noch bevor sie im Dezember des Jahres 1829 erfolgreich nach Europa zurückgekehrt war, ging es mit Drovettis Gesundheit massiv bergab. Ihm machten nun nicht mehr nur seine alten Leiden zu schaffen, sondern er erkrankte auch an Dengue-Fieber und einer chronischen Magen-Darm-Infektion. Sein Zustand verschlechterte sich schließlich so stark, dass seine Ärzte ihm rieten, dringend nach Europa zurückzukehren, da er sonst das kommende Jahr nicht überleben würde. Am 20. Juni 1829 verließ Drovetti dann zum zweiten Mal das Land am Nil, und diesmal kehrte er nicht wieder zurück. Die Jahre bis zu seinem Tod am 11. März 1852 reiste Drovetti nurmehr durch Europa, besuchte alte Freunde und war gerade in den Sommermonaten viel auf Kur. Sein diplomatischer Rat blieb weiterhin hoch geschätzt und er wurde unter anderem bei der berühmten Algerienkrise konsultiert.43 Mit zunehmendem Alter zog er sich aber in seine Geburtsstadt Barbania am Fuß der italienischen Alpen zurück. Seinem alten Weggefährten Mehmet Ali begegnete er ein letztes Mal in Neapel, als dieser zusammen mit seinem Sohn Ibrahim 1848 Italien besuchte. Drovettis Rolle war sicherlich in erster Linie die eines Diplomaten und erst in zweiter Linie die eines „Archäologen“. Nichtsdestotrotz hinterließ er mit seinen drei Sammlungen an altägyptischen Antiken, die er von seinen Agenten zusammentragen ließ, die Grundlage für drei der bedeutendsten ägyptischen Museen Europas. Seine erste Sammlung, für deren Zusammenstellung er angeblich 15 Jahre brauchte, verkaufte er 1820 ins Piemont. Sie war der Grundstock für die heutige ägyptische Abteilung des Turiner Museums. Seine zweite Sammlung fand erste Erwähnung in Berichten aus den Jahren 1822 und 1824. Drei Jahre später wurde sie für 150.000 Francs an Frankreich verkauft. Sie befindet sich bis heute im Louvre. Und die dritte Sammlung wurde schließlich 1830,
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auf das Anraten von Richard Lepsius44 hin, vom preußischen König für 30.000 Francs erworben und dem Berliner Museum vermacht. In zahlreichen weiteren europäischen Museen befinden sich Stücke, die von Drovetti zumeist als Geschenk an die jeweiligen Institutionen gegeben wurden. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass der Mann, der angeblich die „graue Eminenz“ hinter dem ägyptischen Vizekönig Mehmet Ali war, der „jede Maßnahme des Vizekönigs plante“ und diesem auf seinen Thron verhalf,45 ausgerechnet als einer der Gründerväter der Ägyptologie im Gedächtnis der Wissenschaft verhaftet ist.
P o r t r ät N r. 2:
Giovanni Battista Belzoni – im Wettstreit um die Altertümer
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rovettis großer Gegenspieler auf dem Gebiet des Antikenerwerbs war Giovanni Battista Belzoni. Und Belzoni kann mit Fug und Recht zu den schillerndsten Figuren gerechnet werden, die für das Fach eine wichtige Rolle gespielt haben. Sein Leben liest sich, als hätte es für einen Karl-May-Roman als Vorbild gedient. Belzoni wurde am 15. November 1778 in Padua als Sohn eines dort ansässigen Barbiers geboren. Bereits in früher Jugend, die er in Rom verbrachte, beschäftigte er sich mit den Prinzipien der Hydraulik und interessierte sich für die Ingenieurswissenschaften. Um dem drohenden Armeedienst zu entgehen, flüchtete er 1797 vor den Truppen Napoleons zuerst nach Holland und dann 1803 über den Kanal nach England. Hier heiratete Belzoni Sarah Bane1 und entdeckte seine Liebe zur Schauspielerei und zum Theater. Da er überaus groß (angeblich über 2 Meter) und von äußerst kräftiger Natur war, trat er unter verschiedenen Pseudonymen als Kraftprotz auf: „Samson aus Patagonien“ und „der große Belzoni“ sind nur einige davon. Neben seinen akrobatischen Künsten betätigte er sich auch als Schauspieler, Geisterbeschwörer und Musiker. Seine Darbietungen, die er mit optischen Täuschungen untermalte, waren so erfolgreich, dass er nicht nur im alteingesessenen Londoner Zirkus „Sadler’s Well Theater“ auftrat, sondern auch durch Großbritannien, Spanien und Portugal reiste, um seine Kunststücke aufzuführen. Angelockt durch die Aussicht auf eine Karriere als Ingenieur in den Diensten des ägyptischen Vizekönigs reiste er im Jahr 1815 zusammen mit seiner Frau nach Kairo. Hier erhielt er den Auftrag, eine hydraulische Pumpe zur Bewässerung zu entwickeln. Doch als seine Erfindung bei der Vorführung versagte – der Grund hierfür lag wohl in der un-
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sachgemäßen Handhabung des Gerätes, denn anstelle der geplanten Kühe wurden Menschen als „Zugtiere“ eingespannt – und noch dazu seinen Diener verletzte, bedeutete dies auch das Ende seiner Karriere als Ingenieur in den Diensten Mehmet Alis. An diesem Tiefpunkt seiner Karriere traf er schließlich auf zwei Personen, die sein Leben verändern sollten: den Expeditionsreisenden John Lewis Burckhardt und den englischen Konsul Henry Salt. Dieses Treffen sollte Belzonis gesamten weiteren Werdegang bestimmen. Salt erkannte sofort, dass Belzoni mit seinen Ingenieurskenntnissen der ideale Partner für seine Grabungen war. Belzoni wusste wie man große Altertümer transportieren konnte. Und diese wollte Salt unbedingt in seiner Sammlung haben. Salt hatte bei Belzonis Verpflichtung ein bestimmtes Objekt im Sinn, das Burckhardt auf seinen Reisen in Theben-West gesehen hatte: den sogenannten „Kopf des jungen Memnon“ 2. Bei diesem handelte es sich um Kopf und den Oberkörper einer kolossalen Statue Ramses’ II., die ursprünglich am Eingang zum Ramesseum, dem Totentempel des Königs, aufgestellt war. Dieses Stück war nicht nur wegen seines außergewöhnlich guten Erhaltungszustands interessant, sondern auch, weil die Franzosen bereits versucht hatten, es abzutransportieren, und an der schieren Masse des Objektes gescheitert waren.3 Damit war der „Kopf des jungen Memnon“ nicht nur ein unschätzbares Kunstobjekt, sondern wurde auch zu einem Symbol der politischen Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich. Belzoni, der dringend Geld brauchte, erklärte sich zu dem Unterfangen bereit und wurde daraufhin von Salt mit einem Firman ausgestattet. Bestens ausgerüstet startete Belzoni zusammen mit seiner Frau am 30. Juni 1816 zu seiner ersten archäologischen Unternehmung nach Süden. Nach gut drei Wochen erreichten sie Luxor und hatten kein Problem, den Kopf ausfindig zu machen. Das Aufeinandertreffen mit der Statue des berühmten Pharaos beschrieb Belzoni mit folgenden Worten: „[Er lag] nahe bei den Überresten seines Körpers und seines Stuhles, mit dem Gesicht nach oben, und lächelte mir offensichtlich zu bei dem Gedanken nach England gebracht zu werden.“4 Doch hier begannen für Belzoni die ersten Schwierigkeiten. Als er in Armant im Büro des ortsansässigen Verwalters für das Gebiet von Theben-West vorstellig wurde, empfing man ihn zwar freundlich, musste
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ihm aber mitteilen, dass man leider keine Arbeiter für ihn habe. Die Leute aus dem Dorf hätten erst nach der Nilflut wieder Zeit, sich um solche Angelegenheit zu kümmern. Belzoni war erbost. Dieser Zustand war für ihn nicht tragbar. Die Nilflut, die zur damaligen Zeit bis ans Ramesseum heranreichte, würde den Abtransport des Kopfes unmöglich machen, und seine ganze Unternehmung würde sich so um ein Jahr verzögern. Nach längeren Verhandlungen wurde ihm zugesichert, dass sich der Bruder des Verwalters am folgenden Tag um die Bereitstellung von Arbeitern kümmern würde. Doch als Belzoni sich am nächsten Morgen zur Arbeit begab, war kein einziger Einheimischer erschienen. Er begab sich erneut nach Armant, um dem Verwalter einen zweiten Besuch abzustatten. Diesmal überreichte er Geschenke und erhielt im Gegenzug eine Anweisung an den Kaimakam5 von Gurna, der Belzoni Arbeiter zur Verfügung stellen sollte. Damit hatten die Schwierigkeiten aber noch lange kein Ende, denn der Kaimakam stand in den Diensten von niemand anderem als Bernadino Drovetti. Bereits hier zeichnete sich ein Konflikt ab, der in seinem vollen Ausmaß erst in den kommenden Jahren zu Tage treten sollte. Auch am folgenden Tag erschienen keine Arbeiter. Belzoni musste wieder verhandeln und konnte schließlich das Dilemma lösen. Nun standen Belzoni Arbeitskräfte aus Armant und Gurna zur Verfügung, und es gelang ihm mit Hilfe der Männer, den Kopf auf ein auf Rollen laufendes Gerüst zu hieven. Erste Meter in Richtung Nilufer konnten bewältigt werden. Doch kamen neue und unerwartete Hindernisse auf Belzoni zu: ein Hitzschlag und ein erneuter Disput mit dem Kaimakam. Wieder versuchte jener die Arbeiten zu unterbinden und untersagte den Helfern von Belzoni, zur Arbeit zu erscheinen. Er wollte schlichtweg mehr Geld aus Belzoni herauspressen, und die schnell verrinnende Zeit bis zur anstehenden Nilflut setzte Belzoni zusätzlich unter Druck. Doch er ließ sich nicht erpressen. Bei einem Gespräch der beiden entbrannte ein hitziger Streit, und als der Kaimakam Belzoni mit seinem Säbel bedrohte, kam es zum Kampf. Was folgte, könnte eine Szene aus einem Abenteuerfilm sein: Belzoni rang mit seinem Gegner, nahm ihm Säbel und Pistolen ab und verprügelte ihn. Aber das löste Belzonis Probleme nicht. Er war für den Abtransport des Kopfes ja weiterhin auf die einheimischen Arbeiter angewiesen. Belzoni, den
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Zeitdruck im Rücken, begab sich also schnellstens nach Armant, um dem dortigen Verwalter einen erneuten Besuch abzustatten. Und diesmal gewann er dessen Freundschaft auf eine schnelle und sichere Art und Weise: Bestechung – er machte dem Verwalter ein Paar Pistolen zum Geschenk. Der weitere Verlauf der Geschichte ist schnell erzählt: Die Arbeiter erschienen, um beim Transport zu helfen, und es gelang Belzoni tatsächlich den Kopf noch rechtzeitig vor Eintreffen der Flut an das Nilufer zu bringen. Nachdem der Kopf nun am Nilufer auf seinen Abtransport nach Alexandria wartete, machte sich Belzoni an den zweiten Teil des Auftrags, den er von Salt erhalten hatte: die Suche nach weiteren „lohnenswerten“ Antiquitäten. Belzoni besuchte das Tal der Könige. Drovetti, der zu diesem Zeitpunkt wohl noch nichts von Belzonis Beziehungen zu Salt wusste, hatte seinem Landsmann einen guten Tipp gegeben: In besagtem Tal wartete der Granitsarkophag Ramses’ III. Belzoni brach also mit seinem Übersetzer und zwei Führern von Gurna auf, um in das Grab Ramses’ III.6 zu klettern. Dabei waren sie nur mit ein paar Kerzen ausgerüstet und der Weg ins Grab gestaltete sich äußerst schwierig. Belzoni musste seine Kleider ablegen und auf dem Bauch durch die Gänge robben, um bis ans Ziel zu gelangen.7 Wie kritisch die Situation wirklich war, zeigte sich, als der erste der ortsansässigen Führer in eine Grube stürzte. Der zweite Führer musste zugeben, dass auch er das erste Mal in dem Labyrinth von Kammern und Gängen unterwegs war und den Weg zurück nicht kannte. Mit der Zeit brannten die Kerzen immer weiter ab. Aber schließlich gelang es Belzoni, einen Weg aus dem Grab zu finden. Dabei entdeckte er eher zufällig, dass die Einwohner von Gurna den eigentlichen Grabeingang blockiert und versteckt hatten, um als Führer von Besuchern aufgrund des schwierigeren und längeren Wegs mehr Geld verlangen zu können. Dies war Belzonis erster Besuch im Tal der Könige, in dem er später mit dem Grab Sethos’ I. eine seiner größten Entdeckungen machen sollte. Aber die Arbeit in Theben-West wurde für Belzoni bald schon wieder schwieriger. Die Agenten Drovettis hatten ihrerseits dem Verwalter Armants einen Besuch abgestattet – ebenfalls mit Geschenken bewaffnet. Und genauso schnell wie Belzoni die „Freundschaft“ des Verwalters gewonnen hatte, genauso schnell verlor er sie nun wieder. Belzoni
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setzte seine Reise nach Süden fort und besuchte mit seiner Frau die Altertümer von Esna, Edfu und Kom Ombo. Die Reise führte sie bis Assuan, wo sie den örtlichen Agha8 trafen. Auch der Agha von Assuan erklärte sich bereit, nachdem Belzoni Geschenke überreicht hatte, ihm sein eigenes Boot mit Mannschaft zur Verfügung zu stellen, damit er bis zum zweiten Nilkatarakt vordringen konnte. Dass eine solche Reise gewisse Gefahren barg, wird durch die Tatsache deutlich, dass das Schiff gleich südlich von Philae von einer Bande nubischer Krieger überfallen wurde. Belzoni und seine Frau konnten sie aber mit Waffengewalt vertreiben. Auch wenn dieser Vorfall noch glimpflich ausging, zeigt er doch, wie gering die militärische Kontrolle des Vizekönigs in den Gebieten südlich von Assuan ausgeprägt war. Belzoni sicherte sich deshalb das Wohlwollen der lokalen Potentaten, und so gelang es ihm schließlich, für den Preis einiger Glasperlen und eines Handspiegels,9 bis nach Abu Simbel zu reisen. Man darf annehmen, dass vor allem die Erzählungen seines Bekannten Burckhardt Belzonis Interesse an diesem Ort geweckt hatten. Belzoni war auch nicht der erste Europäer, den es auf der Jagd nach antiken Schätzen an diesen Ort verschlagen hatte. In Abu Simbel erfuhr er, dass vor nicht allzu langer Zeit ein anderer Ausländer vergeblich versucht hatte, die gigantischen Statuen Ramses’ II. am Eingang des großen Tempels freizulegen. Dieser Ausländer war niemand anderes als Belzonis Konkurrent Drovetti. Als Belzoni dies hörte, entschloss er sich, sofort mit den Grabungsarbeiten zu beginnen, auch wenn sich bereits abzeichnete, dass er diese Arbeiten nicht mehr auf dieser Kampagne, sondern erst später würde vollenden können. Legendär ist die Absprache, die er mit dem Vertreter der Staatsmacht vor Ort traf: Befindet sich Gold in der Anlage, die von den gigantischen Figuren bewacht wird, so wird es halbiert, befinden sich dagegen nur Steine darin, so gehören diese allein Belzoni.10 Einige Zeit später begab sich Belzoni zurück nach Luxor, um den Abtransport des Kopfes Ramses’ II. zu überwachen. Er stellte fest, dass sich inzwischen herumgesprochen hatte, dass er für die „Engländer“ Antiken sammelte. Jetzt begann ein Konkurrenzkampf, in dem mit harten Bandagen gekämpft wurde. Den Einheimischen wurde angedroht, dass sie die Bastonade erhalten würden, wenn sie Antiquitäten an Belzoni verkauften. Guiseppe Rosignano, einer von Drovettis Agenten,
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drohte Belzoni und prophezeite, man werde ihm die Kehle durchschneiden, falls er sich nicht aus dem Geschäft mit den Antiquitäten zurückziehe.11 Doch Belzoni ließ sich nicht einschüchtern. Er kaufte weiter Antiquitäten, und mehr noch: Er begann im Umfeld des großen Tempels von Karnak zu graben und wurde auch noch mit dem Fund mehrerer löwenköpfiger Statuen der Göttin Sachmet belohnt. Im November des Jahres 1816 gelangte Belzoni schließlich mit seiner wertvollen Fracht zurück nach Alexandria, wo er von Burckhardt begeistert empfangen wurde. Sein Auftraggeber Henry Salt war mit den Ergebnissen der Reise Belzonis ebenfalls sehr zufrieden. Schwierig gestaltete sich nur die Regelung der finanziellen Seite der Unternehmung. Salt hatte zwar 200 Pfund für die Reise und die Arbeit vorgestreckt, jedoch erkannte Belzoni langsam den Wert der beschafften Objekte und forderte mehr. Salt überließ ihm zusätzlich zwei der gefundenen Sachmetstatuen. Nachdem die Zusammenarbeit zwischen Salt und Belzoni so fruchtbar war, sollte sie fortgesetzt werden. Also brach Belzoni bereits kurz nach seiner Rückkehr nach Kairo erneut in Richtung Süden auf. Ihn trieb vor allem der Gedanke an sein begonnenes Werk in Abu Simbel, das er natürlich vollenden wollte. Auf dieser zweiten Reise wurde er von Henry William Beechey12, Salts Sekretär, und dem Griechen Yanni begleitet, der am Konsulat in Salts Diensten stand. Bevor aber die Gruppe weiter nach Abu Simbel reisen konnte, hielt sie sich zunächst in der Gegend von Luxor auf dem östlichen Nilufer auf, wo große Tempelanlagen zu Ausgrabungen lockten. Hier musste Belzoni allerdings feststellen, dass Drovettis Männer bereits in der Gegend arbeiteten und es für ihn nahezu unmöglich war, einheimische Hilfskräfte zu rekrutieren. Er konzentrierte sich deshalb zunehmend auf die westliche Uferseite des Nils und grub vor allem in der Nekropole von Gurna. Seine Eindrücke in den Grabanlagen beschreibt Belzoni sehr malerisch: Was für ein Rastplatz! Umgeben von Körpern und haufenweise Mumien in allen Richtungen, ein Anblick, der mich, bevor ich mich daran gewöhnte, mit Furcht erfüllte. Die geschwärzten Wände, das dimme Licht der Kerzen und Fackeln, die verschiedenen Objekte, die mich umgeben und miteinander zu reden scheinen und schließlich die nackten, mit Staub
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bedeckten Araber, die selbst wie lebende Mumien erscheinen, ergeben eine Szenerie, die sich nicht beschreiben lässt.13
Einmal unterschätzte Belzoni die Belastbarkeit einer Sitzgelegenheit. Er brach in ein Grab ein und wurde von Mumien und ihren Überresten überschüttet – eine Szene wie aus einem Horrorfilm, vor allem da er keinen Schritt machen konnte, ohne eine Mumie zu zertreten.14 Belzonis Unternehmungen fielen äußerst positiv aus, sehr zum Verdruss seiner in französischen Diensten stehenden Widersacher. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass es schließlich zu körperlichen Auseinandersetzungen kam. Leidtragender war der nun schon mehrfach erwähnte Grieche Yanni. Er wurde von einer Gruppe Araber in Luxor gestellt und verprügelt. Belzoni beschloss schließlich, die Arbeiten in Theben und Luxor abzubrechen und seine Reise nach Süden fortzusetzen. Doch auch weiter südlich zeigte sich der Einfluss von Drovettis Agenten. Die Stücke, die Belzoni bereits auf seinem ersten Besuch zum Abtransport nach Kairo am Nil bereitgelegt hatte, weisen deutliche Beschädigungen auf – angeblich ein Werk der Gruppe um Cailliaud. Umso dringender verspürte Belzoni den Wunsch, zurück nach Abu Simbel zu gelangen. Er fürchtete, dass seine Arbeit und damit die Lorbeeren an Drovetti verlorengehen könnten. Belzonis Tatendrang muss ansteckend gewesen sein. Auf dem Weg nach Süden schlossen sich seiner Gruppe zwei ehemalige Marineoffiziere namens James Mangles15 und Charles Irby16, der Reisende Giovanni Finati17 und schließlich seine Frau Sarah an, die ihm aus Kairo nachgereist war. Als die Gruppe schließlich in Abu Simbel angekommen war, stellte Belzoni erleichtert fest, dass sich niemand an seinem Grabungsplatz zu schaffen gemacht hatte. Er konnte also ohne größere Verzögerungen weiter an der Freilegung des Tempels arbeiten. Die einzigen Schwierigkeiten bereitete die ortsansässige Bevölkerung, die mehr Lohn forderte und die Abrechnung fälschte, indem man nicht existente Personen als Mitarbeiter angab. Es kam auch zunehmend zu gewalttätigen Übergriffen, sodass Belzoni letztendlich beschloss, ohne Hilfe der Einheimischen weiterzuarbeiten. Ihm blieb nur, auf die mitgereiste Bootsmannschaft aus Assuan zurückzugreifen, die ihm nach wie vor vom Agha von Assuan zur Verfügung gestellt wurde. Begonnen
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wurde vor Sonnenaufgang und so lange gearbeitet, bis die Hitze weitere körperliche Anstrengungen unmöglich machte. Dann ging es erst am späten Nachmittag weiter, wenn die untergehende Sonne nicht mehr genügend Kraft hatte, das Gestein und den Sand aufzuheizen und das Land in einen Backofen zu verwandeln. Nach mehreren Tagen Arbeit wurde Belzonis Ausdauer schließlich belohnt. Der obere Bereich des Tempeleingangs zeichnete sich ab, und kurz darauf gelang es Finati und dann auch den anderen von Belzonis Mannschaft, in das Innere des Tempels zu kriechen. Sie waren die ersten Besucher seit einer halben Ewigkeit und wurden von den Statuen der alten Götter und des Königs begrüßt, die sich ebenso wie die an den Wänden befindlichen Reliefs und Malereien noch nahezu perfekt erhalten hatten. Einziger Leidtragender der ganzen Geschichte war der regionale Verwalter. Denn da sich kein Gold im Tempel befand, ging er gemäß der Abmachung leer aus. Belzoni verließ am 4. August 1817 mit einer Bootsladung Statuen, einem Plan und mehreren Zeichnungen der Tempelanlage und seiner Dekoration Abu Simbel. Mit dieser Entdeckung hatte er sich fest in die Annalen der Ägyptologie eingeschrieben. Als Belzoni wieder nach Theben kam, stand er kurz vor einem weiterem „Highlight“ seiner Karriere, auch wenn es zunächst nicht danach aussah. Belzoni musste bei seiner Rückkehr feststellen, dass sich Drovettis Agenten mit ihren Grabungen in das Gebiet von Gurna ausgedehnt hatten. Daher beschloss er in einem weiter entfernten Tal zu arbeiten, in dem er bereits zuvor gute Ergebnisse erzielt hatte: dem Tal der Könige. Belzoni hatte mit der Wahl seines neuen Grabungsplatzes Glück. Bereits bei seinem ersten Besuch im sogenannten West-Tal fand er in der Nähe des Grabes des Eje ein weiteres Grab (WV 25), dessen Inhaber bis heute nicht näher identifiziert sind. Belzoni konnte aus diesem Grab einige Mumien und Reste der Grabausstattung bergen. Da aber weitere Funde ausblieben, wandte er sich dem eigentlichen Tal der Könige zu. Diese Entscheidung erwies sich als richtig. In relativ kurzer Zeit entdeckte Belzoni zwei Gräber, darunter das des Prinzen Mentuherchepeshef. Angezogen durch diese Funde kamen Besucher ins Tal. Sie wurden von Beechey geführt. Manche von ihnen hatten das Glück, der Entdeckung von fünf weiteren Gräbern beiwohnen zu dürfen: den Gräbern der Pharaonen Merenptah, Amenmesse, Ramses III.,
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Ramses VI. und Ramses IX. In dem Areal, in dem Belzoni diese Gräber fand, lag auch das Grab des Tutanchamun, zu dieser Zeit begraben unter Schuttmassen und Arbeiterhütten. Belzoni stand also kurz davor, das Grab zu entdecken, beschloss jedoch wegen des hohen Arbeitsaufwandes die Arbeiten an diesem Punkt einzustellen. Tutanchamun musste weitere 105 Jahre auf seine Entdeckung warten. Das Glück war Belzoni weiter hold. Es folgte die Entdeckung des Grabes Ramses’ I. und eines Grabes, das auch heute noch zu den schönsten Gräbern des Tals der Könige gehört und unter dem Namen „Belzoni’s tomb“ Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden hat: das Grab Sethos’ I. Allein die Größe der Anlage, die fein gemeißelten Reliefs, die perfekt erhaltenen Farben und ein Sarkophag aus Chalzitalabaster machen das Grab, auch im Vergleich mit den anderen prächtig ausgestatten Pharaonengräbern, zur bemerkenswertesten Anlage im ganzen Tal der Könige. Belzonis Entdeckung rief internationales Interesse hervor, und selbst sein alter Konkurrent Drovetti kam ins Tal, um Belzonis Fund zu bestaunen. Das Grab Sethos’ I. stellte auch in der Beziehung Belzonis zu Henry Salt einen Wendepunkt dar. Bisher war Belzoni mit seiner Rolle als Salts Agent zufrieden, aber mit der Zeit suchte er immer mehr die Anerkennung und Bestätigung als eigenständiger Forscher. Ein weiteres Mal brachte Belzoni die Frage der finanziellen Unterstützung gegenüber Salt zur Sprache, ein Thema, das bei beiden ein Gefühl der Unzufriedenheit und des Unverständnisses hinterließ. Die Kluft zwischen ihnen wurde zusehends tiefer. Bevor er seine nächste große Unternehmung in Angriff nahm, diesmal auf dem Pyramidenplateau von Giza, wartete Belzoni, bis Salt nicht mehr in Kairo weilte und sich auf den Weg nach Theben gemacht hatte. Er plante die Pyramide des Chephren zu untersuchen. Diese zählt, zusammen mit den Pyramiden des Cheops und des Mykerinos, nicht nur zu den größten Pyramiden Ägyptens, sie ist darüber hinaus mit den anderen Sehenswürdigkeiten auf dem Giza-Plateau – den Totentempeln, der Sphinx und dem die Pyramiden umgebenden Friedhof – fester Bestandteil jeder Ägyptenreise. Zu Belzonis Zeiten war allerdings nur der Eingang in die große Cheopspyramide bekannt. Die Chephren-Pyramide stellte also für seine archäologischen Fähigkeiten und seine Ingenieurskenntnisse eine Herausforderung dar. Es galt, den
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Eingang zu finden, um das Innere der Pyramide erforschen zu können. Ein erster Versuch, einen Tunnel in einer der Seitenwände zu öffnen, scheiterte, und nur durch Glück wurden keine Personen durch die nachrutschenden Steine verletzt. Belzoni musste diesen Plan aufgeben. Die Gefahr eines weiteren Unglücks war zu groß. Also versuchte Belzoni in einem zweiten Anlauf, die Konstruktion der Pyramide des Chephren über einen Vergleich mit dem Kammersystem der Cheopspyramide zu verstehen. Er hatte Erfolg: Nach kurzer Zeit fand Belzoni den oberen Abschluss des Pyramideneingangs und legte ihn frei. Es gelang ihm auch tatsächlich, den tonnenschweren Verschlussstein, der den Zugang versperrte, nach oben wuchten zu lassen. Leider musste Belzoni erkennen, dass er nicht der Erste war, der die Pyramide öffnen ließ. Laut einer Inschrift, die Belzoni im Eingangsbereich entdeckte, war dies bereits unter den abbasidischen Herrschern Ägyptens geschehen, also wohl um die Mitte des 9. Jahrhunderts n. Chr.18 Trotz alledem war das Echo auf Belzonis Entdeckung enorm und erreichte schließlich auch den in Theben beschäftigten Salt. Dieser reiste umgehend zurück nach Kairo. Erst dort wurde ihm wirklich bewusst, was Belzoni, ohne Rücksprache mit ihm zu halten, in seinem Namen erreicht hatte. Salt zeigte sich verstimmt, war jedoch bereit aufgrund des großen Erfolges von Belzoni die Kosten der Unternehmung zu tragen. Doch Belzoni lehnte ab. Für ihn zählte nur, allein den Ruhm der Entdeckung zu ernten und seinen Namen unsterblich zu machen. Da Salt an einer gütlichen Einigung interessiert war, erklärte er sich bereit, seinen Vertrag mit Belzoni neu aufzusetzen. Endlich bekam Belzoni die Wertschätzung, die er brauchte. Salt erklärte sich bereit, für Belzonis außergewöhnliche Leistungen Extrazahlungen zu veranlassen, gerade was den Sarkophag Sethos’ I. anging. Zusätzlich verpflichtete er sich, Belzoni beim Aufbau einer eigenen Sammlung behilflich zu sein. Belzoni wurde auch nicht mehr als Salts direkter Angestellter bezeichnet, sondern arbeitete für sich, nur noch unter Salts Aufsicht. Das wirkte sich entscheidend auf die Rechte an den jeweiligen Entdeckungen aus und es ermöglichte Belzoni, Ausgrabungen in seinem eigenen Namen durchzuführen. Damit konnte ein direkter Bruch in der Beziehung zwischen den beiden unterschiedlichen Charakteren erst einmal abgewendet werden. Aber ihr Verhältnis wurde immer schwieriger, und das ganz
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besonders nach dem unerwartet frühen Tod Burckhardts, der mit seiner ausgleichenden Art oft zwischen Salt und Belzoni vermittelt hatte. Nach seinem Erfolg gegenüber Salt begab sich Belzoni wieder nach Theben und arbeitete im Areal des sogenannten Kom el-Hettan, des Totentempels Amenophis’ III. Von diesem Tempel ist trotz seiner enormen Größe heute nur noch wenig erhalten. König Merenptah, der gut 160 Jahre nach Amenophis III. regierte, benutzte den Tempel als Steinbruch, um seinen eigenen Totentempel errichten zu lassen. Die einzigen Relikte des Tempels, die heute noch sichtbar sind, sind zwei gigantische Sitzfiguren Amenophis’ III., die unter der Bezeichnung „Memnonskolosse“ in die Geschichte eingegangen sind. Namenspatron war die Figur des Memnon, Neffe des Priamos, König von Äthiopien und Sohn der Göttin der Morgenröte, der im Trojanischen Krieg ums Leben kam. Auslöser für diese Geschichte war ein Riss im Gestein einer der Statuen. Bei günstigem Wind blies die Brise durch den Riss und ließ die Statue „singen“. Dieses Phänomen wurde als das Klagen der Mutter gedeutet, die um ihren gefallenen Sohn weinte. Bereits unter den römischen Kaisern kam es zu Restaurierungsmaßnahmen an den Statuen, wodurch besagtem Klagen ein Ende gesetzt wurde. Bis heute wird im Areal des Totentempels gearbeitet. Auch Belzoni fand im Kom el-Hettan eine übergroße Sitzfigur des Königs. Dieser Fund konnte aber nicht zur Entspannung der Situation mit Salt beitragen, denn Belzoni hatte einfach dessen Grabung übernommen. Kurz darauf kehrte Belzoni in das Tal der Könige zurück, um die Dokumentation des Grabes Sethos’ I. weiter voranzutreiben. Unterstützt wurde er dabei von Alessandro Ricci19, der für die zeichnerische Aufnahme zuständig war. Zusammen mit Ricci und seinen alten Weggefährten Yanni und Beechey begab sich Belzoni einige Zeit später auf ein neues Abenteuer, das ausgerechnet durch eine Entdeckung von Cailliaud angeregt wurde. Cailliaud stand inzwischen als Geologe in den Diensten des Vizekönigs und entdeckte bei einer Expedition in die Ostwüste neben einem Smaragdvorkommen auch die Überreste einer antiken Stadt. Cailliaud hielt die Ruinen für den aus griechischen Texten bekannten Ort „Berenike“. Belzoni erfuhr von dieser Entdeckung, als ein Mitarbeiter der Mannschaft, die in der Smaragdmine schürfte, erkrankte und ausgerechnet von Ricci medizinisch behandelt wurde.
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Kurzentschlossen rüstete Belzoni eine eigene Expedition mit einem ortskundigen Führer aus, um Cailliauds angeblicher Entdeckung auf den Grund zu gehen. Er benutzte eine alte Karawanenstraße, die auch schon den Griechen und Römern gedient hatte, um an die Küste des Roten Meeres zu gelangen. Als die Gruppe ihren Bestimmungsort erreichte – nun ohne Ricci, der aufgrund einer schweren Erkrankung nach Theben zurückkehren musste –, war das Bild, das sich ihr bot, enttäuschend. Das von Cailliaud entdeckte Berenike war nicht mehr als eine kleine antike Bergbausiedlung. Doch Belzoni gab nicht auf. Trotz knapper Wasservorräte und schlechter Verpflegung drang er mit seinen Gefährten bis an die Küste des Roten Meeres vor und entdeckte mit Hilfe einer Karte und anhand der Beschreibungen von Plinius tatsächlich die von Ptolemäus’ II. gegründete Hafenstadt Berenike. Das gab Belzoni enormen Auftrieb. Diese Entdeckung war ein wichtiger Erfolg für seine Arbeit, und darüber hinaus konnte er seinen alten Konkurrenten, Drovettis Männern, einen Fehler nachweisen. Gerade mit den Agenten Drovettis spitzte sich die Situation im Kampf um die bedeutendsten Antiquitäten immer weiter zu. Neues Streitobjekt war ein Obelisk, der sich auf der bei Assuan gelegenen Nilinsel Philae befand. Bereits bei seiner ersten Reise nach Abu Simbel fand Belzoni Gefallen an dem Obelisken und er hinterlegte beim Agha von Assuan einen Geldbetrag, um sich die Rechte an dem Objekt zu sichern. Salt und Bankes hatten sich mittlerweile dazu entschlossen, Belzoni mit dem Abtransport des Obelisken zu beauftragen. Doch Drovetti zeigte ebenfalls ein verstärktes Interesse an dem Objekt. Es begann ein erbittertes Wettrennen zwischen Belzoni und Drovettis Agent Lebolo um die Rechte an dem Obelisken. Lebolo erreichte zuerst Assuan. Als er dort erfuhr, dass Belzoni bereits Anspruch auf den Obelisken beim Agha von Assuan angemeldet hatte, war er sich nicht zu schade, den Agha und weitere Männer zu bestechen. Allerdings scheiterten seine Versuche, den Obelisken zu bewegen. Die Nilflut ging bereits zurück, und bald führte der Fluss im Bereich des ersten Kataraktes zu wenig Wasser, um einen solchen Schwertransport noch möglich zu machen. Lebolo reiste daraufhin ab und wiegte sich in Sicherheit, dass ein Abtransport bis zum nächsten Jahr unmöglich wäre. Das war ein Fehler. Lebolo hatte Belzonis Verhandlungsgeschick und seine Erfahrung im
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Heben schwerer Lasten unterschätzt. Belzoni gelang es nicht nur, die „bürokratischen“ Hindernisse aus dem Weg zu räumen, er organisierte auch noch ein Boot und konnte mit der Arbeit beginnen. Aber auch sein erster Versuch schlug fehl und endete damit, dass der Obelisk in den Fluss rutschte. Doch der zweite Versuch, den Obelisken anzuheben und auf das Boot zu verladen, hatte Erfolg. Als das Boot dann auch noch sicher den ersten Katarakt durchquert hatte, fiel Belzoni im wahrsten Sinne des Wortes ein Stein vom Herzen. Ein weiteres Mal kehrte er erfolgreich und als Sieger im Streit mit Drovettis Agenten nach Theben zurück. Die Stimmung unter den Agenten Drovettis, allen voran Lebolo, war gedrückt. Ihnen war ein äußerst lukratives Geschäft entgangen. Drovetti hatte ihnen eine finanzielle Beteiligung aus dem Erlös des Obelisken versprochen. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass die Situation schließlich eskalierte. Als Belzoni das Tempelgelände von Karnak besuchte und feststellte, dass fast alle ergiebigen Grabungsplätze von Drovettis Leuten besetzt waren, umringte ihn eine Gruppe aufgebrachter Araber unter der Führung von Lebolo und Rosignano. Sie waren bereit, den Konkurrenten mit Gewalt auszuschalten. Während Lebolo versuchte, Belzoni von seinem Reittier zu ziehen, zückte Rosignano eine Pistole und gab einen Schuss ab. Ausgerechnet sein Erzfeind Drovetti, der in Begleitung eines Besuchers in Karnak aufgetaucht war, rettete ihm das Leben. Drovetti rief seine Arbeiter zurück. Ihm war bewusst, dass sie über das Ziel hinausgeschossen waren. Unversehrt, zumindest körperlich, kehrte Belzoni auf die Westseite des Nils zurück. Aber dieses Erlebnis führte ihm die beängstigende Tatsache vor Augen, dass seine Person in Luxor nicht mehr sicher war und es nur eine Frage der Zeit war, bis man ihm erneut auflauern und nach dem Leben trachten würde. Belzoni entschloss sich, im Frühjahr 1819 Luxor endgültig zu verlassen und nach Kairo zurückzukehren. Sowohl Belzoni als auch Salt versuchten einen Prozess gegen Rosignano und Lebolo anzustrengen. Aber die ägyptische Gerichtsbarkeit hielt sich aus den Streitigkeiten der Europäer heraus. Der für diese Angelegenheit zuständige französische Konsul verkündete, dass der Fall in Turin verhandelt werden müsste, da die Angeklagten aus dieser Region stammten. Mit diesem Urteil verlief der Prozess endgültig im Sande, was keine Überraschung ist,
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wenn man sich Drovettis Einfluss am französischen Konsulat in Erinnerung ruft. Belzonis letzte Unternehmung in Ägypten führte ihn ins Fayum, wo er hoffte, das berühmte Labyrinth zu entdecken. Dieses Bauwerk wurde bereits durch den antiken Historiker Strabo als gigantische Anlage mit über 1500 Kammern beschrieben. Doch Belzoni konnte nicht mehr an seine großen Erfolge anknüpfen. Er besuchte die Lehmziegelpyramiden der Herrscher des Mittleren Reichs und beschloss, vom Fayum weiter in die Oasen vorzudringen. Auf seiner Reise besuchte er Bahariyya und unternahm von dort einen Ausflug nach Farafra. Damit war er der erste Europäer, der diese beiden Oasen besuchte. In Bahariyya besichtigte er unter den Augen der misstrauischen Bevölkerung römische Siedlungsreste. Belzoni war allerdings fest davon überzeugt, die bereits bekannte Oase des Jupiter Amon zu besichtigen,20 bei der es sich eigentlich um die Oase Siwa handelte. So blieb ihm seine letzte Entdeckung, die römischen Ruinen von Bahariyya, aufgrund einer Verwechslung verwehrt. Siwa bekam Belzoni nie mehr zu Gesicht. Nach seiner Rückkehr regelte Belzoni seine ausstehenden finanziellen Angelegenheiten mit Salt und verließ schließlich im September des Jahres 1819 Ägypten. Auf der Rückreise besuchte Belzoni mit seiner Frau seine Familie in Padua und wurde von der dortigen Gemeinde mit großen Ehren empfangen. Doch bereits im Frühjahr des Jahres 1820 reiste er weiter nach London. Hier gelang es ihm, in kurzer Zeit seine Reiseerzählungen und Memoiren zu veröffentlichen und für die breite Öffentlichkeit eine große Ausstellung zu organisieren. Bei der Ausstellung kam Belzoni seine frühere Erfahrung als „Showman“ zugute. Er traf mit den Originalstücken seiner Sammlung, den Modellen der von ihm geöffneten Pyramide des Chephren und der begehbaren Nachbildung des Grabes Sethos’ I. den Nerv der Zeit. Seine Ausstellung wurde für Belzoni zum großen Erfolg. Doch hatte er auf noch ein weiteres Highlight für seine Ausstellung gehofft: den Sarkophag Sethos’ I., an dem er gemäß der Absprache mit Salt immer noch finanzielle Ansprüche hatte. Als die Sammlung Salts zusammen mit dem Sarkophag schließlich per Schiff in London angekommen war, wurde sie an das British Museum geliefert. Belzoni wurde bei der Museumsverwaltung vorstellig, um seinen Anspruch am Erlös des Sarges anzumelden. Was
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folgte, wirft kein schönes Licht auf die damaligen Kuratoren des Museums. Sie waren zwar sehr an Salts Stücken interessiert, waren aber nicht bereit, den von ihm geforderten Preis zu bezahlen. Belzonis Anspruch gab ihnen nun die Möglichkeit, auf Zeit zu spielen und einen teuren Ankauf zu verzögern, ohne den Sarkophag herausgeben zu müssen. Es verging Monat um Monat, ohne dass eine Entscheidung bezüglich der Sammlung Salts gefällt wurde. Interessanterweise konzentrierte sich Salts Ärger über die Verzögerung nicht so sehr auf die Verantwortlichen des British Museum, sondern auf Belzoni. Diese Affäre führte endgültig zum Bruch zwischen den beiden Männern. Belzoni verkaufte in der Zwischenzeit einen Teil seiner Sammlung in einer Auktion und arbeitete an einer Ausstellung in Paris. Allerdings zeigte er sich zunehmend frustriert von den andauernden Verhandlungen mit dem British Museum und wohl auch von den Zwängen der „zivilisierten“ viktorianischen Gesellschaft. Deshalb war es kaum verwunderlich, dass er sich einem neuen Projekt zuwandte: einer Expedition zur legendären Handelsstadt Timbuktu. 1822 begab sich Belzoni erneut auf eine Reise nach Afrika. Seine Expedition startete an der Mündung des Benin-Flusses, an der westafrikanischen Küste. Auf seiner Reise ins Landesinnere hatte Belzoni gerade Gwato erreicht, als er an der Ruhr erkrankte und am 3. Dezember 1822 starb. Nach Belzonis Tod verkaufte Salt den Sarkophag Sethos’ I. an den Architekten John Soane. Und auch das British Museum erklärte sich endlich bereit, Salts Sammlung aufzukaufen.21 Auf diesem Weg fanden die von Belzoni entdeckten Stücke doch noch den Weg in ein Museum und formen heute den Kern der ägyptischen Abteilung des British Museum in London. Weder Belzoni noch seine Frau Sarah wurden am Gewinn aus diesen Verkäufen beteiligt. Was ihnen bis heute bleibt, ist der Ruhm, den Belzoni diesen Objekten und vor allem seinen Entdeckungen auf dem Gebiet der Ägyptologie verdankt, auch wenn er selbst einmal gesagt hat, dass ihm das alles „viel Ungemach bereitete“.22
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John Gardner Wilkinson – auf der Suche nach kulturellem Wissen
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m Gegensatz zu Belzoni, dem Abenteurer, und Drovetti, dem Diplomaten in französischen Diensten, handelte es sich bei John Gardner Wilkinson um einen Vertreter der englischen upper class. Er wurde am 5. Oktober 1797 als Sohn eines anglikanischen Geistlichen geboren. Doch seine Eltern verstarben bald und ließen Wilkinson als Waisen zurück. Allerdings vermachten sie ihm einigen Grundbesitz und dadurch ein regelmäßiges Einkommen. So war Wilkinson bereits in jungen Jahren zwar nicht reich, aber doch finanziell unabhängig. Sein Vormund war wie sein Vater ein Mann des geistlichen Standes. Er gab Wilkinson in ein Internat. Der Schulleiter war ein an der altägyptischen Kultur interessierter Schüler von Thomas Young. So erhielt Wilkinson nicht nur eine solide Erziehung, sondern es wurde ihm auch ein Interesse an antiken Kulturen vermittelt. Nach seiner Schulzeit begab sich Wilkinson zur weiteren Ausbildung an das Exeter College in London. Aber er konnte sich nicht für das Universitätsleben begeistern, sondern entdeckte seine Leidenschaft für das Zeichnen. Wäre es nach dem Willen seines Vormunds gegangen, hätte Wilkinson in die Fußstapfen seines Vaters treten und Geistlicher werden sollen. Aber für diesen Beruf konnte er sich nicht erwärmen. Ihm selbst schwebte vielmehr eine militärische Karriere vor. Er bewarb sich bei einem Regiment ihrer Majestät, doch die Warteschlange für ein Offizierspatent war lang, und so beschloss Wilkinson, diese Wartezeit zu nutzen und die sogenannte „Grand Tour“ zu absolvieren. Bei der Grand Tour handelte es sich um eine zu jener Zeit gängige Sitte der englischen Oberschicht: Die jungen Männer wurden auf eine Reise quer durch Europa geschickt, um Lebenserfahrung zu sammeln, Wissen zu erwerben und einen besseren Einblick in die Kulturen des
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europäischen Festlandes zu erhalten. Besonders beliebte Reise- oder „Bildungsziele“ dabei waren Italien und Frankreich. Ausgerüstet mit ein paar Empfehlungsschreiben, brach Wilkinson 1819 zu seiner Reise durch Europa auf. Im Vordergrund standen Aufenthalte in Frankreich, Spanien, Deutschland, der Schweiz und Italien, jedoch scheint Wilkinson bereits zu dieser Zeit einen Abstecher nach Ägypten mit eingeplant zu haben. Seine Tagebücher, die er in dieser Zeit zu schreiben begann und zeit seines Lebens führte, sind bis heute eine wichtige Informationsquelle für Forscher, die das Leben und die Umstände des frühen 19. Jahrhunderts in den verschiedenen Regionen Europas erforschen und rekonstruieren wollen. Wilkinson widmete sich zunächst mehr der Sammlung von „Lebenserfahrung“. Erst mit der Zeit entwickelte sich sein Interesse für die „kulturelle“ Seite der Reise. So findet sich, nach einigen Kommentaren zu den weiblichen Reizen der Frauen in Frankreich und England, in seinen Notizen ausgerechnet folgende Bemerkung für Stuttgart: „Hier habe ich überhaupt keine Bettgenossinnen gefunden.“1 Seine Einstellung zur Grand Tour änderte sich aber zunehmend, als er nach Italien kam. Denn hier faszinierten ihn vor allem die antiken Stätten, allen voran die der alten Stadt Rom. Zu dieser Zeit hielt sich auch der international hochgeschätzte Gelehrte William Gell2 in Rom auf. Seine Bekanntschaft zu Wilkinson verstärkte dessen Interesse an den Altertümern noch weiter. Gell führte Wilkinson durch die antiken Stätten und unternahm mit ihm auch einen Ausflug nach Pompeji. Wilkinson zeigte sich von der Person Gells so tief beeindruckt, dass er den Gelehrten am Ende seiner Italienreise in dessen Haus in Neapel noch einmal aufsuchte. Dieser Besuch hat das weitere Leben Wilkinsons entscheidend geprägt. Denn auch Gell war von dem jungen Wilkinson so angetan, dass er bereit war, ihn zu fördern. Er wies Wilkinson auf das große Potenzial hin, dass die Erforschung der altägyptischen Kultur versprach, und lehrte ihn alles, was er selbst wusste. Äußerst positiv wirkte sich natürlich Gells Bekanntschaft mit Young und Salt, dem englischen Konsul in Ägypten, aus. Auf diese Weise begann Wilkinsons ägyptologische Karriere ausgerechnet in Neapel. Bis 1821 blieb Wilkinson bei Gell in Neapel. In dieser Zeit studierte Wilkinson das Zeichnen von Hieroglyphen, verfeinerte seine Kennt-
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nisse im Kopieren von Kunstwerken und übte sich im Erstellen von Landkarten und Plänen, eine Fähigkeit, die auch für eine Karriere bei der Armee nützlich gewesen wäre. Er lernte Arabisch und erwarb grundlegende Kenntnisse des Koran und der Landessitten. Das Beherrschen der Landessprache und die kulturellen Einblicke in die ägyptische Lebenswelt waren unablässig, um im Land am Nil ungehindert Reisen zu können. Mit Eifer widmete sich Wilkinson diesen Dingen. In Neapel traf er auch auf eine weitere wichtige Person, die in den nächsten Jahren zu seinem engsten Freundeskreis gehören würde: den ebenfalls auf Grand Tour befindlichen James Burton3. Gut vorbereitet und mit Empfehlungsschreiben an Salt ausgerüstet, verließ Wilkinson schließlich den europäischen Kontinent und erreichte im November des Jahres 1821 Alexandria. Von dort reiste er weiter nach Kairo, wo er umgehend Salt aufsuchte. Dieser unterstützte ihn nach Kräften und vermittelte Wilkinson einen weiteren äußerst nützlichen Kontakt: Donald Thompson. Thompson, ein schottischer Soldat, der nach der gescheiterten englischen Invasion in Gefangenschaft geraten und als Sklave an einen Türken verkauft worden war, gewann das Vertrauen seines neuen Herrn und wurde von diesem nicht nur freigelassen, sondern auch mit Geld und einer Ehefrau bedacht. Thompson blieb in Ägypten und konvertierte zum Islam. Fortan war er unter dem Namen „Osman“ bekannt, arbeitete für das englische Konsulat als Dolmetscher und diente Expeditionen und Reisenden als Führer und Vermittler. Bald hatte er sich den Ruf eines vertrauenswürdigen Ratgebers in allen Lebenslagen erworben. Mit Thompsons Hilfe konnten sich Wilkinson und Burton, der seinem Freund nach Kairo nachgereist war, in ihrer neuen Situation und der fremden Stadt zurechtzufinden. Unter seiner Anleitung machten die beiden eine radikale Veränderung durch. In Folge der militärischen Invasionen durch die Briten herrschte eine stark antieuropäische Stimmung in Ägypten, und Reisende, die als Europäer erkennbar waren, mussten mit Handgreiflichkeiten und Beschimpfungen seitens der einheimischen Bevölkerung und des Militärs rechnen. Also verkleidete „Osman“ Wilkinson und Burton als Türken. Dazu mussten sie sich nicht nur andere Kleidung, Frisuren und eine andere Barttracht zulegen, sondern auch ihr Verhalten und ihr Auftreten ändern. Wie perfekt die Tarnung funk-
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tionierte und von Wilkinson angenommen wurde, wird daran deutlich, dass er auf seiner Reise durch Ägypten kaum Schwierigkeiten hatte. Er besuchte die Sehenswürdigkeiten entlang des Nils, besichtigte Meidum, Beni Hassan, Antinoopolis, Abydos, Dendera, Luxor, Esna, Edfu, Kom Ombo, Assuan und erreichte sogar Semna an der nubischen Grenze. Auf dieser Reise hatte er zahlreiche Gelegenheiten, die antiken Stätten zu zeichnen und hieroglyphische Inschriften zu kopieren. Nachdem er und Burton wieder nach Kairo zurückgekehrt waren, schickte Wilkinson seine ersten Erfolge an Gell, der sich von der Arbeit des jungen Briten begeistert zeigte. Zurück in Kairo vertiefte sich die Freundschaft zu James Burton und beide zogen nicht nur in dasselbe Viertel der Stadt, sondern nahmen immer mehr den orientalischen Lebensstil an. Das ging so weit, dass sie durch Vermittlung von Osman Sklaven erwarben, darunter auch Frauen, die für sie mehr als einfache Hausbedienstete waren.4 Wilkinson und Burton gelang es nicht nur, erfolgreich Muslime darzustellen, auch ihre wissenschaftlichen Ambitionen nahmen immer konkretere Formen an. Und so beschlossen sie zusammen, eine Expedition in die Ostwüste zu unternehmen – ein Gebiet, das Burton schon in seiner kurzen Anstellung als Geologe des Vizekönigs Mehmet Ali besucht hatte. Im Frühjahr des Jahres 1823 starteten sie mit einer Kamelkarawane in das Ostgebirge und erreichten das Kloster des Heiligen Antonius. Nach einem kurzen Aufenthalt reisten sie weiter in Richtung des Roten Meeres, wobei sie es vermieden, durch die direkten Küstenregionen zu reisen. Wilkinson vermerkte über die am Ufer befindlichen Marschlandschaften: Der feuchte Dampf, der aus dem sumpfigen Boden aufsteigt, muss unglaublich anstrengend sein und in den heißen Jahreszeiten sogar gefährlich.5
Und auch über gelegentliche Besucher aus der Tierwelt finden sich Notizen in seinen Tagebüchern: Geier und Milane kreisen über uns, und am Abend werden wir von einer herumstreunenden Bande Skorpione und einer wandernden Schlange besucht.6
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Die Reise führte Wilkinson und Burton schließlich zu den beeindruckenden Ruinen der aus römischer Zeit stammenden Bergbausiedlungen am „Mons Porphyrites“ und am „Mons Claudianus“. Doch hier erkrankte Wilkinson ernsthaft an der Ruhr. Er musste seine Reise abbrechen. Auf dem Rückweg entdeckte er außerdem, dass seine Wasserschläuche durchlässig waren und ihm kaum genug Wasser blieb, um das Niltal zu erreichen – in seinem Zustand eine durchaus gefährliche Situation. Es gelang ihm jedoch, eine Kamelstaffel in das Niltal vorauszusenden, um das lebensspendende Nass zu holen und ihm entgegenzutragen. Die helfende Staffel erreichte ihn gerade noch rechtzeitig. Zurück in Kairo verfasste Wilkinson seinen ersten Reisebericht über seine Erlebnisse in Nubien und seine Reise in die Ostwüste und betrat so endgültig den Pfad hin zu einer wissenschaftlichen Karriere. Seine Begeisterung für weitere Expeditionen war Wilkinson durch seine gefahrvolle Rückreise aus der Ostwüste nicht abhanden gekommen. Bereits 1824 begab er sich auf weitere Unternehmungen. Eine Reise nach Oberägypten musste er wegen eines Bauernaufstandes abbrechen, der später von Mehmet Ali niedergeschlagen wurde. Stattdessen begab er sich ins Faijum, reiste weiter in die Oasen und kehrte ein weiteres Mal in die Ostwüste zurück. Auf all diesen Reisen kopierte er antike Inschriften und bemühte sich um die Beschreibung der noch sichtbaren Relikte der altägyptischen Kultur. Zugute kam ihm dabei, dass er inzwischen ebenfalls einen Firman erhalten hatte, der ihm auf Vermittlung von Salt von Mehmet Ali persönlich ausgestellt worden war. Seine Begeisterung galt zunehmend den großen Pyramiden des Alten Reiches, vor allem in Dashur und Giza. Mit Hilfe seiner inzwischen erworbenen Erfahrung und den neuen Kenntnissen ordnete er die Bauwerke zeitlich korrekt ein. Eine besondere Überraschung hielt für ihn ein Besuch in Amarna bereit, denn der in den dortigen pharaonischen Grabanlagen spezifische Kunststil gab ihm Rätsel auf. Auch sein Freund Burton hatte dafür keine Erklärung. Die religiösen Reformen des Pharaos Echnaton in der 18. Dynastie des Neuen Reiches, seine Verlegung der Hauptstadt von Theben nach Amarna und seine eigenwillig erscheinenden Statuen und Bilder sind bis heute das Thema zahlreicher wissenschaftlicher Bücher und haben nichts von ihrer Faszination verloren. Zusammenfassend kennt man diese
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kurze Epoche heute unter dem Begriff „Amarnazeit“. Wilkinson war einer der Ersten, die das Potenzial dieses Grabungsortes erkannten. Die ganz großen Entdeckungen in Amarna bleiben allerdings seinen Nachfolgern überlassen. Es folgten weitere Unternehmungen: die Gräber des Mittleren Reiches in Beni Hassan und 1826 eine Begehung des Pyramidenplateaus in Giza, bei der er einen Plan erstellte. Der Ort, der Wilkinson aber am meisten in seinen Bann zog, war das antike Theben mit seinen aufwendig dekorierten Grabanlagen und nahezu perfekt erhaltenen Tempeln. Zunehmend konzentrierte er sich auf die Erforschung dieser Region und teilte seine Entdeckungen in mehreren Briefen seinem alten Mentor William Gell mit. Um mehr Zeit in Theben verbringen zu können, beschloss Wilkinson 1827 schließlich, sich vor Ort anzusiedeln, und zwar in einem eigenen Haus mitten in einem alten pharaonischen Grab, das er für seine Bedürfnisse herrichtete und ausbaute. Wie vorteilhaft diese Behausung für ihn war, gerade hinsichtlich des Klimas, zeigt einer seiner Briefe: Ich beglückwünsche die Höhlenbewohner zur Wahl ihrer Unterbringung, denn diese hat Sommers wie Winters eine einheitliche Temperatur.7
Und auch seine Freunde waren voll des Lobes für die neue Behausung. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sich immer mehr Besucher bei ihm einfanden und einige sogar dazu übergingen, sich in seiner „Nachbarschaft“ anzusiedeln. Zu diesen gehörten unter anderem neben Burton die Briten Robert Hay8 und Edward William Lane9, Freunde, die Wilkinson bereits in Kairo zu seinem engsten Bekanntenkreis zählte. Hay hatte zuerst eine Karriere beim britischen Militär angestrebt, als er durch Zufall größere Ländereien und damit verbundene Titel erbte. Wie Wilkinson wurde er mit diesem Erbe finanziell unabhängig und beschloss, ebenfalls im Zuge der Grand Tour, eine Expedition nach Ägypten zu unternehmen. Als er dort war, erregten die Überreste der antiken Kultur sein wissenschaftliches Interesse, und er heuerte Zeichner und Arbeiter an, um seine Entdeckungen zu Papier bringen zu lassen. Die bekanntesten Teilnehmer seiner Unternehmungen waren Joseph Bonomi10 und später Frederick Catherwood11, die
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beide als Zeichner angestellt wurden. Lane war weniger an der antiken Kultur Ägyptens als vielmehr an der arabischen Sprache und den Lebensumständen, Sitten und Gebräuchen der zeitgenössischen Ägypter interessiert. Durch seine Studien wurde er zu einem der führenden Orientalisten seiner Zeit. Wilkinson selbst wurde in den folgenden Jahren immer besser auf dem Gebiet der pharaonischen Sprache. Er studierte Youngs und Champollions Ergebnisse und verfolgte ihre stetig voranschreitende Erforschung der altägyptischen Schrift und Sprache, was ihn bald selbst zu einem der führenden Experten auf dem Gebiet der Hieroglyphen machte. Daneben erstellte er erfolgreich einen topographischen Plan der Region von Theben und widmete sich verstärkt der Aufnahme der in den alten Gräbern erhaltenen Szenen des pharaonischen „Alltagslebens“. Anders als seine Vorgänger war Wilkinson nicht einfach nur daran interessiert, eine unzusammenhängende Sammlung von antiken Relikten anzuhäufen, es ging ihm vielmehr um ein besseres Verständnis der altägyptischen Kultur und um eine Rekonstruktion des kulturellen Umfeldes, in dem die verschiedenen Relikte ihre Verwendung fanden. Die Ägyptologie war als Fach noch nicht etabliert und die Erkenntnisse waren jung und frisch und noch lange nicht so weit gediehen, dass man ein umfassendes Bild der alten Ägypter hätte zeichnen können. Und entsprechend machte Wilkinson in seiner Interpretation der Altertümer sicherlich viele Fehler, die gewissermaßen dem damaligen Stand der Forschung geschuldet waren. Aber mit seiner Einstellung, die Altertümer in ihrem kulturellen Umfeld verstehen zu wollen, war er seiner Zeit weit voraus. Auch die Abscheu Wilkinsons und seiner Freunde vor der oftmals mutwilligen Zerstörung der Grabanlagen und Kunstwerke durch Reisende, die meist nur an der Zusammenstellung einer wertvollen Privatsammlung oder an der Ausstattung eines westlichen Museums interessiert waren, mutet sehr modern an. Unter zunehmendem Druck von Gell und angesichts der Masse des angehäuften archäologischen Materials erkannte Wilkinson schließlich, dass es für ihn unumgänglich sein würde, nach Europa zurückzukehren und seine Ergebnisse zu veröffentlichen. Im Sommer des Jahres 1833, nach rund 12 Jahren, verließ Wilkinson Ägypten und reiste zurück in seine englische Heimat.
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Auch nach seiner Abreise profitierten noch zahlreiche Reisende von Wilkinsons „Haus“ in Theben. Mit seiner idealen Lage mitten in der thebanischen Nekropole wurde es zu einer beliebten Unterkunft. Einer der berühmtesten Besucher war der „Vater“ der deutschen Ägyptologie: Richard Lepsius. Noch vor seiner Ägyptenexpedition suchte Lepsius Wilkinsons Rat. Er wollte sich bei ihm persönlich über die Bedingungen in Ägypten informieren. Im Zuge der legendären preußischen Expedition nach Ägypten, die Lepsius von 1842 bis 1845 leitete, machte er für die Dauer seines Aufenthalts in Theben in Wilkinsons Haus Station. Mit dieser dreijährigen Expedition legte Lepsius den Grundstock für seine ägyptologische Karriere als Professor für Ägyptologie und Leiter der ägyptologischen Abteilung der Berliner Museen, immer mit der vertrauensvollen Unterstützung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. Durch seine Entdeckungen und seine wissenschaftlichen Leistungen gerade auf dem Gebiet der Philologie wurde Lepsius zu einem der Begründer der Ägyptologie in Deutschland.Wilkinson selbst betrachtete die preußische Expedition allerdings mit gemischten Gefühlen, wie sich aus einer kritischen Bemerkung über Lepsius’ Veröffentlichungen ablesen lässt: Sie sparen aus, was andere getan haben und lassen es erscheinen, als wäre jede Entdeckung eine preußische, so dass man glaubt, niemand hätte die Gräber und die Pyramiden vor den Preußen untersucht, mit Ausnahme von ein oder zwei Personen.12
Zurück in England widmete sich Wilkinson in den folgenden Jahren der Veröffentlichung seiner Ergebnisse. So erschien 1835 seine Topography of Thebes und 1837 sein wohl bekanntestes Buch, Manners and Customs of the Ancient Egyptians, das bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder nachgedruckt wurde. Mit diesem Buch traf Wilkinson den Nerv der Zeit, und für seine Erfolge auf dem Gebiet der Archäologie wurde er zum Ritter geschlagen. Jedoch konnte sich „Sir Gardner“, wie er sich fortan nennen durfte, immer weniger dazu begeistern, seine Kenntnisse des alten Ägypten noch weiter zu intensivieren, und schließlich wandte er sich neuen Betätigungsfeldern zu. Er unternahm immer wieder ausgedehnte Reisen in Europa und dar-
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über hinaus; so besuchte er Kroatien, Montenegro, Syrien und weitere Anrainerstaaten des Mittelmeeres. Auch über diese Unternehmungen verfasste er Reiseberichte und Reiseführer, arbeitete jedoch auch an Studien zur Kunst- und Farbwahrnehmung und begann ein Projekt zur Erforschung altgriechischer Vasen. Auf diesen Gebieten blieb ihm ein größerer Erfolg aber verwehrt. Als er sich, gesundheitlich angeschlagen, 1855 doch noch einmal entschloss, nach Ägypten zu reisen, war ihm bewusst, dass er sein Spezialgebiet lange schon vernachlässigt und den Anschluss an die aktuelle Forschung verloren hatte. Also beschäftigte er sich zunehmend mit der Archäologie seiner Heimat, vor allem der Gegend von Wales. Später wurde er sogar Vizepräsident der Cambrian Archaeological Society. 1856 heiratete Wilkinson eine Frau namens Caroline Lucas und führte mit ihr trotz eines deutlichen Altersunterschiedes eine harmonische Ehe. Bis zu seinem Tod im Oktober des Jahres 1875 lebte Wilkinson, allgemein als Gelehrter respektiert, zurückgezogen auf seinem Landsitz. Was Wilkinson für die Ägyptologie unsterblich macht, ist die Tatsache, dass er als einer der Ersten seine Ergebnisse wissenschaftlich veröffentlichte. Darin unterschied er sich von seinen Freunden Burton und Hay, die zwar Ähnliches leisteten, ihre Ergebnisse aber nie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machten. Die Genauigkeit der Zeichnungen Wilkinsons und die in seinen Tagebüchern festgehaltenen Beobachtungen bieten bis heute eine unschätzbare Quelle des Wissens, da sie ein exaktes Bild des archäologischen Zustands der Altertümern im frühen bis mittleren 19. Jahrhundert liefern. Heute sind viele dieser Altertümer stark beschädigt und teilweise sogar ganz verloren. Somit war er einer der Wegbereiter für die Weiterentwicklung der praktisch-archäologischen Arbeit in Ägypten.
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Auguste Mariette – im Dienste des Vizekönigs
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uguste Mariette erscheint in den Zeiten europäischer Schatzjagden und Plünderungen ein wenig wie die mahnende Stimme des ägyptischen Königreichs. Er war es, der der Antiquitätenausfuhr im Dienste der „Wissenschaft“ und der Bereicherung privater und musealer Sammlungen einen Riegel vorschob und die antiken Stätten systematisch überwachen ließ. Umso mehr ist er zu jenen Persönlichkeiten zu zählen, die dem Fach Ägyptologie und der Feldarchäologie in Ägypten ihren Stempel aufdrückten. François Auguste Ferdinand Mariette wurde am 11. Dezember 1821 in Boulogne-sur-Mer an der nordfranzösischen Küste nahe Calais geboren. Sein Vater François Paulin Mariette war Rechtsgelehrter und arbeitete im Rathaus von Boulogne. In seiner Schulzeit war Mariette recht erfolgreich und wurde in so manchem Fach ausgezeichnet: in Geometrie, Physik, Chemie, in Griechisch, Latein, Englisch und in Geschichte. Mariette zeigte auch schon früh eine Leidenschaft für das Zeichnen. Mit neun Jahren nahm ihm das Schicksal seine Mutter; das war 1830. Zwei Jahre später gründete sein Vater eine neue Familie und heiratete Isabelle Beck, die ihm weitere Kinder schenkte. Der junge Mariette hatte viele Stiefgeschwister. Im Alter von 16 Jahren brach er die Schule ab. Er war von August 1837 bis Juni 1839 Hilfs-Redakteur im Amt seines Vaters und kopierte die Akten des Ortsregisters. Im Sommer 1839 wurde ihm der Posten eines Französisch- und Zeichenlehrers in der Geburtsstadt Shakespeares, Stratford-upon-Avon, angeboten. Also ging Mariette im Alter von 18 Jahren am 3. Oktober 1839 nach England, um an der Shakespeare House Academy Jungen zu unterrichten und auf ihre Zeit an den umliegenden Privatschulen vorzubereiten. Aber er blieb dort nur zehn Monate. Im Juli 1840 zog er nach Coventry, um für
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einen Textilhersteller Muster für Bänder zu entwerfen. Enttäuscht von seinem schmalen Einkommen, kehrte Mariette 1841 in seine Heimat Boulogne-sur-Mer zurück. Er schloss seine abgebrochene Schulausbildung am 4. August 1841 mit dem baccalauréat ab. Im gleichen Jahr wurde er am örtlichen collège als Lehrer angestellt und unterrichtete die 8. Klasse in Französisch. Auch wenn der Fortschritt der Schüler unter Mariette erfreulich war, gab es doch Beschwerden über ihn. Der Schulleiter schrieb am 4. Juni 1843 an den Rektor der Akademie von Douai: Seit drei Monaten versuche ich einen qualitativen Ersatz für den Lehrer Herrn Mariette zu finden […]. Dieser junge Mann ist ein heller Kopf, und es ist wahr, dass er sich zweimal vom Zorn beherrschen ließ, so weit, dass er zwei Schüler geschlagen hat.1
Trotz der Beschwerden blieb Mariette bis Mai 1849 Lehrer, wurde aber einer 7. Klasse zugeteilt. In dieser Zeit unterrichtete er hauptsächlich Französisch und Latein und vertrat von Zeit zu Zeit die Kollegen in den Fächern Englisch und Schreiben. Ab 1864 war er auch Direktor der Zeichenschule. Aber das Unterrichten allein füllte ihn nicht aus. Von 1841 an schrieb er nebenher für verschiedene Magazine und Zeitungen, darunter den Annotateur, für den er von Juli 1843 bis August 1846 auch als Redakteur arbeitete. Ortsgeschichte, englische und französische Geschichte, Innen- und Außenpolitisches, Regionales, Romantisch-Fiktives, Kunstkritik – es gab kaum ein Gebiet, über das Mariette nicht schrieb. 1842 wurde für Mariette zum Schicksalsjahr. Die Familie erbte die Hinterlassenschaften eines entfernten Cousins namens Nestor l’Hôte2. L’Hôte hatte im Jahr 1828 an der französisch-toskanischen Ägyptenexpedition von Champollion und Rosselini teilgenommen und zahlreiche Skizzen und Zeichnungen hinterlassen. In diesen Dokumenten fand Mariette sozusagen über Nacht sein Interesse an der altägyptischen Kultur. Sofort begann er, sich selbst den Umgang mit Hieroglyphen beizubringen, studierte die altägyptische Grammatik und versuchte Koptisch3 und Demotisch4 zu erlernen. Das war in den 1840ern natürlich nicht ganz einfach. Es gab noch wenig verlässliche
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ägyptologische Literatur,und die Description de l’Égypte,Mariettes stetiger Begleiter, war nur ein erstes und nicht ganz fehlerfreies Werk. Mariettes Ägypteninteresse wurde auch durch einige Altertümer beflügelt, die einst Dominique Vivant-Denon von der Napoleonischen Expedition mitgebracht hatte und die im Museum von Boulogne-sur-Mer ausgestellt waren. Am 5. Juni 1845 heiratete Mariette Eléonore Millon. In dieser Zeit war er Mitglied einiger kommunaler Vereine und Organisationen, schrieb für verschiedene Zeitungen und folgte seinen Interessen in Geschichte und Kunst. Und gerade das Historische beschäftigte ihn immer mehr. Im Jahr 1846 bewarb er sich erstmals beim französischen Bildungsministerium für eine wissenschaftliche Mission nach Ägypten, wurde aber abgelehnt. Sogar als Mariette anbot, einen Teil der Kosten selbst zu tragen, konnte seine Bewerbung nicht berücksichtig werden. Mariettes Zeit war noch nicht gekommen. Aber er ließ sich von diesem Rückschlag nicht abschrecken. Er veröffentlichte 1847 über den Annotateur seinen ersten sozusagen ägyptologischen Beitrag, Quelques Mots sur la Galerie egyptiénne du Musée de Boulogne, und in den Osterferien 1848 reiste er zum ersten Mal nach Paris, um seine Studien zur altägyptischen Kultur in der Nationalbibliothek und im Louvre zu vertiefen. Dort lernte er Emmanuel de Rougé 5, den Konservator der ägyptischen Abteilung, kennen. In den Sommerferien fuhr er ein zweites Mal nach Paris und zeigte seine bisherigen Forschungsunterlagen Charles Lenormant6, Professor für Archäologie des Collège de France, der von Mariettes Hingabe an das alte Ägypten überrascht und angetan war. Mariette stand nun vor einer schwerwiegenden Entscheidung: Sollte er, als Familienvater, seine sichere Anstellung als Lehrer für das intellektuelle aber unsichere Leben in der Ägyptologie aufgeben? Im Grunde hatte er sich schon entschieden. Seine Leidenschaft für die Ägyptologie war zu groß. Im Frühjahr 1849 erreichte die Verwaltung von Boulogne unerwartet ein Brief von Lenormant, in dem sich der Ägyptologe für Mariettes wissenschaftliche Fähigkeiten aussprach und die Notwendigkeit eines längeren Aufenthalts in Paris zur Entwicklung seiner Studien hervorhob. Und am ersten Mai 1849 ermutigte der Direktor der staatlichen Museen Mariette per Brief, sich für einen kleinen und zeitlich begrenzten Posten in der ägyptischen Abteilung des Louvre zu bewerben. Mariette
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fackelte nicht lange. Er beantragte eine unbezahlte Beurlaubung beim Rektor der Akademie von Douai für das gesamte restliche Schuljahr. Sein Antrag wurde gewährt, und die Familie Mariette zog nach Paris. Die kleine Anstellung am Louvre, die zunächst bis zum ersten Oktober ging, sicherte das Auskommen. Ab Oktober schaffte es der Direktor der staatlichen Museen Mariette eine weitere Bezahlung zu sichern, sodass dieser am Louvre bleiben konnte. Mariette kehrte nie wieder in den Schulbetrieb zurück. Mariettes Aufgabe am Louvre bestand darin, die neuen Einkäufe des Museums zu katalogisieren, sich um die Papyri zu kümmern und mit der Sammlung an sich vertraut zu werden. Im Jahr 1850 wurde eine weitere wissenschaftliche Mission nach Ägypten geplant. Ziel war die Erforschung koptischer Niederlassungen im Niltal und der Erwerb koptischer, syrischer, arabischer und äthiopischer Manuskripte. Der Generalsekretär des Bildungsministeriums schlug Mariette vor, sich für diese Mission zu bewerben. Umgehend stellte Mariette ein Dossier über koptische Schriften zusammen und empfahl, auch Grabungen zu unternehmen. Niemand Geringerer als Lenormant präsentierte Mariettes Dossier dem Minister, und am 22. August 1850 erhielt Mariette eine Depesche, dass er für sechs Monate im Auftrag Frankreichs nach Ägypten reisen solle, um Manuskripte zu kaufen. Am 4. September 1850 brach Mariette von Marseille aus auf. Vorher besuchte er noch einmal seinen Vater in Boulogne – zu seinem Glück, denn sein Vater verstarb im Dezember 1850, als Mariette in Ägypten war. Am 2. Oktober 1850 erreichte Mariette Alexandria und machte sich sofort an die Arbeit. Er wurde beim französischen Konsulat vorstellig und wollte seine Forschungsarbeit bei den alten koptischen Stätten organisieren. Aber ihm wurde schnell bewusst, dass ohne Genehmigung des Patriarchen der koptischen Kirche keine Arbeit möglich war. Und der Patriarch saß in Kairo. Damit war Mariette vor seiner Weiterreise in die Hauptstadt zum Müßiggang gezwungen und spazierte durch die Stadt. Im Garten des belgischen Konsulats entdeckte er mehrere gleich gearbeitete Kalksteinsphingen, die angeblich aus Sakkara stammten. Als er einige Zeit später in Kairo angekommen war, bat er sofort um eine Audienz beim Patriarchen, der allerding keine große Eile verspürte, Mariette zu empfangen. Mariette suchte die Unterstützung der
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französischen Botschaft und zweier in Kairo und ganz Ägypten gut bekannter Persönlichkeiten: Linant de Bellefonds und Clot Bey.7 Aber all die Unterstützung nützte nichts. Um den Bittsteller nicht vollends zu enttäuschen, versprach der Patriarch, ein Schreiben für das Makarios-Koster im Wadi Natrun aufzusetzen, damit Mariette dort eingelassen würde. Aber solch ein Brief verlangte Zeit und Meditation, um die rechten Worte zu finden. Mariette musste sich wieder gedulden und nutzte die Wartezeit, um Kairo zu besichtigen. Er besuchte die Antiquariate und fand bei einigen Händlern Sphingen, die denen im Garten der belgischen Botschaft in Alexandria ähnelten. Und sie stammten ebenfalls aus Sakkara. Am 17. Oktober 1850 versuchte er ein weiteres Mal, mit seinem Anliegen beim Patriarchen vorstellig zu werden, hatte aber erneut keinen Erfolg. Enttäuscht entschloss sich Mariette, seine Zeit anders zu nutzen. Später schrieb er. Für den nächsten Tag habe ich zwei oder drei Maultiere für das Gepäck und ein oder zwei Esel für mich selbst gemietet; ich habe ein Zelt gekauft, einige Vorratskisten, all die Dinge für eine Reise in die Wüste, und am 20. Oktober 1850 habe ich tagsüber am Fuße der großen Pyramide kampiert.8
Mariette zog in die Wüste, um all die altägyptischen Stätten zu sehen, die ihn schon daheim fasziniert hatten. Er verbrachte eine Woche auf dem Pyramidenplateau von Giza und nahm an Ausgrabungen teil. Dann zog er weiter nach Süden, nach Sakkara, einem Ort, der ihn seit seiner Ankunft in Alexandria in seinen Bann gezogen hatte. Dort wollte Mariette unbedingt eine Allee aus Sphingen besichtigen, die illegale Ausgräber vor Jahrzehnten vom Sand befreit hatten. Sakkara, eine der wichtigsten Touristenattraktionen, ist heute ein bedeutendes Pyramiden- und Gräberfeld südlich von Kairo zwischen Abusir und Dashur, das neben der berühmten Stufenpyramide des Djoser und dem legendären Serapeum zahlreiche Gräber, verteilt über alle Epochen des alten Ägypten, birgt. Zu Mariettes Zeiten waren die meisten der heute sichtbaren Monumente verschüttet. Zwischen den Sand- und Geröllhügeln waren nur Pyramiden zu sehen, die mit unterschiedlichem Erfolg die Jahrtausende überdauert hatten. Um sich von diesem Areal einen Überblick zu verschaffen, spazierte Mariette
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zwischen den verschütteten Altertümern umher. Dabei entdeckte er den Kopf einer Sphinx, der aus dem Sand ragte und den Sphingen in Alexandria sehr ähnlich war. Sofort kam Mariette eine bekannte Textpassage aus dem Werk des Historikers Strabo in den Sinn: Wir fanden [in Memphis] einen Tempel des Serapis an einem derart sandigen Ort, dass die Winde dort Mengen von Sand anhäuften, unter denen wir Sphingen sahen, die einen zur Hälfte, die anderen bis zum Kopf begraben, wonach man vermuten kann, dass der Weg in Richtung auf diesen Tempel nicht ungefährlich sein würde, wenn man von einem Windstoß überrascht würde.9
Mariette begriff, dass er dem legendären „Serapeum von Memphis“ auf der Spur war. Dieses Bauwerk suchte man schon lange, bisher jedoch ohne Erfolg. Die Sphingen in Alexandria und Kairo hatten Mariette den Weg nach Sakkara gewiesen, wo er schließlich das Serapeum finden sollte. Dennoch steckte er in einem Dilemma. Sein Auftrag lautete, für den Louvre Manuskripte zu sichten und nach Möglichkeit zu erwerben, und das wollte ihm nicht gelingen. Er musste entscheiden, ob er seinen Auftrag eigenmächtig ändern und so der Regierung von Frankreich untreu werden sollte. Die Aussicht auf eine archäologische Sensation war zu groß. Mariette kommentierte: „Ohne etwas zu sagen und nahezu heimlich versammelte ich einige Arbeiter und begann mit der Säuberung.“10 Er entdeckte Sphinx um Sphinx und hoffte, am Ende einer Allee auf den Eingang zum Serapeum zu stoßen. Zwei Monate lang legten Mariette und seine Arbeiter Sphingen frei. Anfang 1851 hatten sie bereits über 130 Stück gefunden, und am 1. März, nach Sphinx Nummer 141, fand Mariette den Eingang zu einem verschütteten Gebäude. Nach und nach legte er einen Tempel frei und fand Statuen, Bronzen und andere Antiquitäten, bis das Geld seiner Mission erschöpft war. Mitte April 1851 schickte er einen Bericht über seine Mission und seine Entdeckungen nach Frankreich und kümmerte sich in Kairo um die Weiterfinanzierung seiner archäologischen Unternehmung. Seit Mai 1851 musste Mariette in Sakkara auch nicht mehr kampieren. Er hatte sich ein einfaches Haus unweit seines Gra-
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bungsareals gebaut. Auch wenn es sehr spartanisch war, nannte er es „Villa Mariette“, und es besaß eine „charmante Terrasse“.11 Mariette arbeitete immer weiter, ohne längere Pausen und vor allem ohne Genehmigung. Das störte zunächst niemanden, bis die Funde spektakulärer wurden und immer klarer war, das Mariette auf dem besten Weg war, das Serapeum zu finden. Mariette musste sich zunehmend Problemen stellen. Man überzeugte seine Arbeiter, nicht mehr auf der Grabung zu erscheinen, und sorgte dafür, dass die umliegenden Dörfer Mariette kein Wasser und keine Lebensmittel mehr lieferten. Mariette kämpfte gegen einen unsichtbaren Feind, gegen all die missgünstigen Rivalen, Schatzjäger, Antikenhändler und europäischen Sammler, die ihm seine Fortschritte neideten. Er war mitten im Wettstreit um die besten Antiken angekommen. In Kairo sprach man bereits davon, dass Mariette Gold gefunden hätte – ein Gerücht, das dazu beitrug, dass die Grabung am 4. Juni 1851 durch vier Regierungsvertreter geschlossen und die Funde beschlagnahmt wurden. Mariette beschwerte sich, dass ausgerechnet er solche Maßnahmen erdulden musste, wo doch überall in Ägypten Ausgräber ohne Genehmigung tätig waren. Die Regierung bat ihn um Entschuldigung, erlaubte ihm aber nicht, am Serapeum weiterzuarbeiten. Auf den Rat des französischen Generalkonsuls hin entließ Mariette seine Arbeiter und wartete auf das Ergebnis weiterer diplomatischer Bemühungen. Und es half. Am Ende des Monats bekam Mariette den Firman und konnte mit seiner Arbeit fortfahren. Währenddessen war man in Frankreich über Mariettes sensationellen Fund in heller Aufregung. Bis Ende August konnte eine weitere finanzielle Unterstützung von 30.000 Francs für die Räumungsarbeiten des Serapeums und die Übersendung der Funde nach Frankreich gewährt werden. Wenige Wochen später sah sich Mariette aber mit einem neuen Problem konfrontiert. In einem Brief an den Generalkonsul erklärte die ägyptische Regierung, dass sie die Arbeit Mariettes überwachen wolle. Grund dafür war der seither übliche Umgang mit den Relikten, die nicht selten von den Grabungen gestohlen wurden und ihren Weg in den Antikenhandel fanden. Diese Praxis wollte die ägyptische Regierung unterbinden. Und da die Grabung Mariettes nicht genug Sicherheitspersonal hatte, sollten fünf Regierungsbeauftrage seiner täglichen Arbeit beiwohnen und
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die „tragbaren Funde […] in einem der Räume des Bildungsministeriums“12 sicherstellen – das mutet heute wie ein Vorläufer des späteren Antikendienstes an, den Mariette höchstpersönlich gründete. Mariette bekam also ungebetene Gesellschaft in Sakkara und der Louvre musste um seine Erträge bangen. Ein paar Tage später erschienen drei der fünf angekündigten offiziellen Aufseher. Sie hatten eine Liste mit 513 Objekten, die gefunden worden und abzugeben waren. Aber Mariette entwickelte Wege, die Überwachung seiner Arbeit zu umgehen oder sie für die Aufseher zumindest sehr unangenehm zu gestalten. Man konnte an verschiedene Stellen auf der gesamten Grabungsfläche gleichzeitig arbeiten, sodass die Aufseher längere Strecken in der Sonne zurücklegen mussten, was ihnen sehr missfiel. Man konnte sie zur Inspektion in einen Grabschacht abseilen und für einige Zeit das Seil heraufziehen. Oder man arbeitete nachts, wenn die Aufseher in den umliegenden Dörfern schliefen. Und Funde, die Mariette dem Louvre senden wollte, versteckte man einfach im Sand, um sie später heimlich zu verpacken. Bei einer solchen nächtlichen Aktion entdeckten Mariette und ein paar Vertraute am 12. November 1851 endlich den Eingang zum Serapeum13, der unterirdischen Begräbnisstätte der heiligen Apis-Stiere. Währenddessen war der Generalkonsul weiter bemüht, durch Verhandlungen die strikten Anweisungen der ägyptischen Regierung zu lockern. Er konnte Mitte November aber nur einen Teilerfolg verbuchen: Zwar durfte der Louvre die gelisteten 513 Objekte nun sein Eigentum nennen, aber die Weiterführung der Arbeiten wurde nur genehmigt, wenn die Franzosen ihren Anspruch auf alle weiteren Funde aufgaben. Die französische Öffentlichkeit witterte sofort den politischen Einfluss der Briten. Es war ein herber Rückschlag für Mariette. Ihm blieb nichts anderes übrig, als weiter nachts zu graben. In den weitläufigen unterirdischen Galerien fand er eine beachtliche Menge an altägyptischen Relikten. Aber es dauerte noch bis Februar 1852, bis Mariette nicht mehr gezwungen war, heimlich zu arbeiten. Mittlerweile war Mariette am Louvre beruflich aufgestiegen und bekam ein deutlich besseres Gehalt. Seine Familie lebte nun mit ihm in Ägypten. Und am 12. Februar 1852 kam der lang ersehnte neue Firman, der ihm die Weiterführung der Grabung am Tage ermöglichte.
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Nun hatten auch die Streitigkeiten mit der ägyptischen Regierung ein Ende. Man konnte die Funktionäre davon überzeugen, die Funde zu teilen und rund 2500 Relikte in 41 Kisten nach Frankreich schicken zu dürfen. Die Ausstellung dieser Antiquitäten war eine Sensation und für Mariette so erfolgreich, dass er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde und weitere 50.000 Francs für die Fortführung seiner Unternehmung zugesprochen bekam. Die Grabung verlief zufriedenstellend. Trotzdem blieb Mariette vorsichtig. Er versteckte weiter die lohnendsten Funde vor den Augen der Kommission, die jedes halbe Jahr die Funde sichtete und zwischen Kairo und dem Louvre teilte. Im November 1852 gingen 87 Kisten nach Paris und im Juli 1853 waren es 230. Im Verlauf des Jahres 1853 nährten sich die Räumungsarbeiten im Serapeum langsam dem Ende, und die Veröffentlichung der Grabung und ihrer Ergebnisse musste in Angriff genommen werden. Mariette schrieb seinerzeit nur einen ersten Bericht, während die Publikation später, nach seinem Tod, im Jahr 1883 von Gaston Maspero14 verwirklicht werden konnte. Bereits zu Beginn des Jahres 1853 bat der Direktor der staatlichen Museen Mariette, er möge wieder nach Frankreich und auf seinen Posten im Louvre zurückkehren. Daraufhin schrieb Mariette am 26. Mai an seinen direkten Vorgesetzten, de Rougé, dass er durchaus Gefallen an einer Rückkehr nach Paris finden könne, ihn aber noch zu viele Ideen zu Unternehmungen in Ägypten umtrieben. Er könne auch nicht zurückkehren, bevor er nicht Oberägypten besichtigt hätte. Zu guter Letzt zählte er in seinem Antwortbrief diverse nicht-französische europäische Grabungen auf. Alles in allem machte Mariette auf eine geschickte Art und Weise deutlich, dass er Frankreichs Nationalstolz am besten dienen könne, wenn er für den Louvre weiter in Ägypten graben würde. Aber er stieß auf taube Ohren. Es gab keine weitere Unterstützung für seine Unternehmungen. Da sprang der Herzog von Luynes15 in die Bresche und bot 6.000 Francs für die Klärung einer Passage bei Plinius. Der römische Gelehrte hatte geschrieben, dass die Sphinx von Giza nicht aus einem Stein geschlagen, sondern gebaut worden sei, und dass sie das Grab eines Königs bedecken würde. Also führte Mariette im Frühjahr 1854 eine Grabungskampagne am Pyramidenplateau in Giza durch und räumte vor der großen Sphinx den acht Meter hohen Schutt
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und Sand beiseite. Er entdeckte den Taltempel des Königs Chephren, den sogenannten Tempel der Sphinx. Am 16. Juli 1854 wurde der seit 1848 regierende Vizekönig Abbas I. Hilmi ermordet und die Mariettes verließen Ägypten. Die nächsten drei Jahre verbrachte Mariette in Frankreich, arbeitete am Louvre, wurde erneut befördert, konzipierte Ausstellungen, besuchte andere europäische Sammlungen, erhielt mehrere Auszeichnungen, fühlte sich aber nie „am rechten Platz“. In einem späteren Schreiben an Maspero beschreibt er seine Gefühle dieser Zeit: Meine Kampagnen am Serapeum machten mir eine Karriere als Philologe unmöglich: sie riefen die Instinkte eines Kämpfers wach, die in mir schlummerten, und einmal zum Einsatz gekommen, treiben sie mich bis zum Ende an. Sehen Sie, das ist die Geschichte des Zauberlehrlings, der den Teufel gerufen hat: Als er ihn wieder vertreiben wollte, hatte er nicht mehr die Kraft dazu, und es war der Teufel, der ihn mitriss. […] Ich werde sterben oder verrückt werden, wenn ich nicht die Möglichkeit bekomme, sofort nach Ägypten zurückzukehren.16
In Ägypten hatte nach der Ermordung von Abbas Pascha mittlerweile der vierte Sohn Mehmet Alis, Mehmet Said, den Thron des Vizekönigs übernommen. Und Ägyptens Blick war wieder auf eine modernere Zukunft gerichtet. Seit 1854 war die Idee eines Kanals zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer wieder aufgenommen worden, und Said Pascha hatte einen Mann namens Ferdinand de Lesseps17 ins Land geholt, um den Kanal zu planen. De Lesseps war mit dem amtierenden Vizekönig seit Jahren befreundet, und im Juli 1857 trafen Mariette und de Lesseps in Paris aufeinander. Sie kamen ins Gespräch, und Mariette schilderte seine Bedenken bei der Erhaltung der ägyptischen Altertümer. Während seiner Zeit in Sakkara hatte er erlebt, wie schwer es war die allmähliche Zerstörung der antiken Stätten zu verhindern. Er schlug de Lesseps vor, eine Maßnahme zum Schutz der Antiken zu entwickelt. De Lesseps biss an und schlug vor, die Idee dem Vizekönig zu unterbreiten. Nur musste Mariette auf offiziellem Wege an den Hof kommen, um seine Idee dort vorzustellen. Prinz Napoleon, der Cousins des Kaisers, hatte zu dieser Zeit den Wunsch, Ägypten zu bereisen. Dieser Wunsch sollte die Audienz
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Mariettes bei Said Pascha ermöglichen. Mit seiner Landeskenntnis war Mariette der perfekte Mann, um die achtmonatige Reise des Prinzen zu organisieren und in dessen Begleitung zu graben. Mariette hatte wieder eine Aufgabe, die ihn Ende 1857 nach Ägypten führte. Zurück in Kairo unterbreitete Mariette dem Vizekönig seinen Vorschlag, einen Dienst zum Schutz der Antiken einzurichten; dieser war von der Idee angetan. Said Pascha übertrug Mariette die Aufsicht über die Altertümer. Sein Befehl lautete: Sie achten auf den Schutz der Monumente; Sie teilen den Verwaltungen aller Provinzen mit, dass ich ihnen untersage, nur einen antiken Stein zu berühren; sie schicken jeden Fellachen ins Gefängnis, der einen Fuß in einen Tempel setzt.18
Außerdem stattete Said Pascha die Reise des französischen Prinzen mit einer umfassenden Grabungsgenehmigung und zusätzlichen finanziellen Mitteln aus. Die Verantwortung wurde an Mariette übergeben, der in den kommenden Monaten an vielen Orten Ägyptens mit Erfolg arbeiten konnte: Giza, Sakkara, Abydos und Theben. Bereits Ende Januar 1858 schwand das Interesse des Prinzen und er brach seine Reise ab. Mariette wurde umgehend an den Louvre zurückbeordert, um seine Arbeit wiederaufzunehmen. Aber Mariette wollte nicht. Er wollte in Ägypten bleiben und brauchte einen offiziellen Auftrag, der ihn dort hielt. Er schrieb sofort seine einflussreichen Kontakte wie de Lesseps und de Rougé an. Der Auftrag erfolgte prompt am 9. März 1858: Mariette sollte eine Sammlung für den Prinzen zusammenstellen. Im Rahmen der Verhandlungen wurden die Antiken nicht wie üblich verkauft, sondern vom Vizekönig dem Prinzen geschenkt. Mariette bekam den Auftrag, den Dank im Namen des Prinzen für diese Großzügigkeit zu überbringen und wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass „Prinz Napoleon keine Bedenken habe, den Vizekönig wissen zu lassen, dass, sollte seine königliche Hoheit einen Wissenschaftler aus Frankreich für die Mitwirkung bei der Errichtung eines Ägyptischen Museums wünschen, die französische Regierung gewiss niemand anderes anbieten würde als Sie“19. Mariette konnte also in Kairo bleiben und sich seiner Organisation zum Schutz der Antiken widmen.
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Ab April 1858 plante Mariette sein Projekt. Grabungen im Niltal sollten gelistet und die Zahl der nötigen Arbeiter festgehalten werden. Die Provinzverwaltungen brauchten ihre Befehle. Die Zahl der ägyptischen Vorarbeiter, die tägliche Bezahlung der Arbeiter durch die Verwaltung und die Zusammensetzung der einheimischen Hilfskräfte sollten geregelt werden. Außerdem waren zumindest für die organisationseigenen Projekte Arbeitsmaterial, Werkzeug und Transportutensilien vonnöten. Mariette brauchte ein Dampfschiff, mit dem er schnell den Nil bereisen konnte. Zum Transport der Funde bedurfte die Organisation ebenfalls mindestens zweier Schiffe. Ein internationales Komitee war notwendig, um die Organisation zu kontrollieren. Und es sollte der Posten eines Inspektors eingerichtet werden, besetzt mit einem Europäer, der unablässig von Grabung zu Grabung reiste, um die Arbeiten und die Arbeiter von der ersten Begehung des Grabungsareals bis zum Abtransport der Funde zu überwachen. Auch der Inspektor brauchte ein Schiff. Die Grabungsfunde sollten registriert und nicht komplett außer Landes gehen. Es sollte zwischen Grabungsauftraggeber und Ägypten eine Fundteilung geben. Am Nil, und zwar in Qena/Oberägypten und in Boulaq/Kairo, sollten Lagerhäuser errichtet werden, um die Funde zu magazinieren. Mariette wurde neben seiner immer noch bestehenden Anstellung am Louvre zu einem Funktionär der ägyptischen Regierung. Said Pascha ernannte ihn zum „Direktor der antiquarischen Arbeiten in Ägypten“ und zahlte für die neueingerichteten Stellen rund 20.000 Francs pro Jahr. Auf Empfehlung von Mariette wurde sein Freund und Kollege Bonnefoy20, der bereits bei der Grabung am Serapeum Mariette assistiert hatte, zum Inspektor ernannt.21 In den Folgejahren konnte Mariette mit der Unterstützung des Vizekönigs seine Organisation erfolgreich aufbauen, Mitarbeiter einstellen und mehrere Grabungen, verteilt über ganz Ägypten, etablieren, die eine Vielzahl an einheimischen Arbeitern beschäftigten. Aber die vielen Funde, die ans Tageslicht gefördert wurden, brauchten ein Museum. Mariette begann im Jahr 1859 mit der Planung. Im selben Jahr war Bonnefoy verstorben und Mariette musste einen neuen Inspektor benennen. Ein Mann namens Gabet22 folgte Bonnefoy auf den Posten. Trotz längerer Aufenthalte in Frankreich verbrachte Mariette die meiste Zeit in Ägypten an der Spitze seines Antikendienstes. Am Louvre
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wurde man sich immer mehr bewusst, dass der Posten Mariettes neu vergeben werden musste. Anfang des Jahres 1861 wurde Mariette, der sich längst für seine Arbeit in Kairo und gegen Paris entschieden hatte, zum Ehrenmitarbeiter des Louvre ernannt. Théodule Devéria23 folgte ihm auf seinen Posten. In diesen Jahren lief es für Mariette hervorragend. Sein Antikendienst arbeitete erfolgreich. Er hatte den vollen Zuspruch des ägyptischen Oberhauptes, das auch sein geplantes Museum und die Publikationen finanziell unterstützte. Und er machte eine gute Figur in den diplomatischen Geschäften zwischen Ägypten und Frankreich. 1862 wurde Mariette durch Said Pascha der Ehrentitel Bey verliehen. Doch am 18. Januar 1863 starb Said Pascha und sein Neffe Ismail Pascha, auch Ismail der Prächtige genannt, folgte ihm auf den Thron. Zu Mariettes Erleichterung war der neue Vizekönig wie sein Vorgänger am Schutz der pharaonischen Hinterlassenschaften interessiert. Der Antikendienst und das Ägyptische Museum fanden weiter Unterstützung am Hofe. Ismail Pascha verstand das geplante Museum im Kairoer Stadtteil Boulaq sogar als erstrebenswertes Prestigeprojekt und trieb die Fertigstellung der Räumlichkeiten und die Einrichtung der Ausstellung voran. Mariette wollte mit diesem Museum den Ägyptern selbst ihre Vergangenheit näherbringen. Es sollte nicht für eine reisende europäische Elite konzipiert werden, sondern die altägyptische Kultur denen vermitteln, die noch nichts darüber wussten. Die Ausstellungsobjekte sollten Herkunftsangaben und Datierungen haben und so dem neuen Museum einen moderneren Anstrich verleihen als ihn europäische Sammlungen jener Zeit hatten. In so mancher Hinsicht war Mariette seiner Zeit einige Schritte voraus. Doch kurz vor der Museumseröffnung am 16. Oktober 1863 verlor Mariette die Gunst des Vizekönigs. Das Museum hatte bereits riesige Mengen an Geld verschlungen, und es hieß, der Großteil sei in Mariettes eigene Tasche geflossen. Ismail Pascha wurde misstrauisch und wollte die Museumseröffnung verzögern. Er sah aber letztlich davon ab: Er wollte die Beziehungen zu Frankreich nicht weiter strapazieren, denn er hatte bereits durch die Abschaffung der Fronarbeit den Bau des Suezkanals behindert. Dafür versagte er Mariette die Nutzung der Nildampfer seiner Flotte für Inspektionen in Oberägypten. Mariette
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fand andere Wege, um mit seinen jährlichen Inspektionen fortzufahren. Ein Jahr später hatte er die Möglichkeit, in Alexandria bei einem Treffen mit dem Vizekönig alles zu klären. Es stellte sich heraus, dass die Vorwürfe gegen ihn nur Gerüchte waren, gestreut, um ihn bei Ismail Pascha in Misskredit zu bringen. 1867 wurde Mariette von Ismail Pascha als Generalkommissar für Ägypten zur Weltausstellung geschickt, die von April bis Oktober auf dem Pariser Marsfeld stattfand. Als Gegenleistung versprach der Vizekönig weitere finanzielle Unterstützung für Mariettes Arbeit. Der ägyptische Pavillon erinnerte an einen Tempel aus pharaonischer Zeit und beherbergte unter anderem ein Café, Unterkünfte für das ägyptische Personal, Ateliers und Boutiquen und eine Ausstellungsfläche, auf der viele bedeutenden Funde aus Mariettes Grabungen gezeigt wurden. Vor allem die ausgestellten Mumien und Schädel sorgten für einen enormen Zuschauerandrang. Der ägyptische Pavillon war ein großer Erfolg, und Mariette wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet. Während der Weltausstellung traf Mariette auch zum ersten Mal auf Gaston Maspero, der später sein Nachfolger als Direktor des Antikendienstes werden sollte. Mariette legte ihm schwierige altägyptische Texte vor und war verblüfft von den Fähigkeiten des jungen Studenten. Bei seiner Rückkehr nach Kairo Ende 1867 sah sich Mariette einem Berg von Problemen gegenüber. Viele Löhne waren seit Monaten nicht gezahlt worden. Der schlecht beratene Vizekönig konnte die nötigen Mittel nicht mehr aufbringen. Als Anfang 1868 die Objekte von der Weltausstellung ankamen, waren einige davon beschädigt und mussten restauriert werden. In Zukunft stellte Mariette für solche Ausstellungen keine Originale mehr zur Verfügung. Die Besucher mussten sich mit Reproduktionen begnügen. Mariette selbst ging es schon seit Jahren nicht mehr gut. Seine Frau war vor einiger Zeit an der Cholera gestorben und auf dem Alten Friedhof von Kairo bestattet worden, und er selbst litt an Diabetes. Der Vizekönig schien sich nicht mehr für das Museum zu interessieren, und im Juli musste sich Mariette Geld leihen, um weiterarbeiten zu können. Es stand zunehmend schlechter um die ägyptischen Finanzen. 1868 wollte Mariette bereits alles hinschmeißen und nach Frankreich zurückkehren: „Meine Gesundheit ist sehr angeschlagen und meine Moral ist äußerst bitter“, schrieb er im August 1868
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an Devéria.24 Mariette blieb nur, sich in die Publikationsarbeit zu stürzen und einen Teil seiner Forschungsergebnisse niederzuschreiben. 1869 grub der Antikendienst an vielen verschiedenen Orten in Ägypten:Tanis, Sakkara, Faijum, Abydos, Dendera,Theben und Assuan. Die Arbeit ging gut voran, aber Mariettes Gesundheit verschlechterte sich zusehends. Er verbrachte den Sommer auf Kur in Frankreich, ohne wirkliche Besserung. Als er wieder nach Kairo zurückkam, hatte dort eine Schule für Ägyptologie eröffnet, um ägyptische Philologen auszubilden. Die Leitung sollte Heinrich Brugsch25 übernehmen, ein versierter deutscher Ägyptologe, der vor allem als Philologe tätig war. Er und Mariette waren schon in der Vergangenheit immer wieder aufeinandergetroffen, zuletzt auf der Weltausstellung, wo Brugsch Mariette bei der Gestaltung des Pavillons unterstütze. Die zweite Hälfte des Jahres wurde nahezu komplett von den Vorbereitungen für die Eröffnung des Suezkanals überschattet, die im November stattfinden sollte. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurde auch ein neues Opernhaus in Kairo eröffnet, mit Verdis Rigoletto. Mit diesem Opernhaus verknüpfte sich eine neue Aufgabe für Mariette – eine Aufgabe, der sich ein Ägyptologe eher selten stellen darf. Der Vizekönig wünschte sich als Oper eine ägyptische Geschichte im Stil der großen europäischen Opern, die in seinem neuen Haus uraufgeführt werden sollte. Also beauftragte er seinen Haus- und Hofägyptologen Mariette mit dem Entwurf. Mariette entwarf also ein Drama am Königshofe im alten Ägypten. Mit diesem Entwurf wandte er sich an Camille de Locle, den Direktor der Opéra Comique in Paris, der bereits das Libretto zu Verdis Don Carlos geschrieben hatte. De Locle nahm Mariettes Entwurf an und entwickelte Bühnenszenen für die nach wie vor in Prosa geschriebene Geschichte. Mit der Versform des Textes wurde Antonio Ghislanzoni beauftrag, der die Geschichte ins Italienische und eben in Verse umschrieb. Die Verse übersetzte de Locle wieder zurück ins Französische. Nun fehlte noch ein Musiker, der die passende Musik komponieren sollte. De Locle versuchte Guiseppe Verdi zu gewinnen. Verdi zeigte sich zunächst wenig begeistert, dass er „für Kairo“ eine Oper komponieren sollte. Mittlerweile war es Sommer 1870 und die Vorbereitungen zogen sich nun schon ein knappes Jahr hin. Inspiriert durch sein Wissen und sein Museum hatte Mariette eigenhändig die
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Bühnenbilder und Kostüme entworfen und gezeichnet. Bis Juli 1870 zierte sich Verdi, aber nach der Lektüre von Mariettes Geschichte entschloss er sich dann schließlich doch, die Oper Aida zu vertonen. Er zeigte sich sogar enthusiastisch, die Geschichte und die Szenen gefielen ihm außerordentlich. Verdi schrieb schnell, und bis November war die Musik fertig. Aber die Uraufführung musste noch ein ganzes Jahr warten. Im Sommer 1870 war Mariette nach Paris gereist, um die Kostüme und die Bühnendekoration für Aida in Auftrag zu geben. Da brach der Krieg zwischen Frankreich und Preußen aus. Mariette war mit den Requisiten in Paris eingeschlossen. Die Preußen belagerten die Stadt. Erst Anfang 1871 konnte ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Paris war nun in der Hand der Deutschen. Während seiner langen Abwesenheit hatten seine Gegner versucht, Ismail Pascha zu beeinflussen und Brugsch auf Mariettes Posten zu setzten. Brugsch selbst distanzierte sich von dieser Intrige, die denn auch fehlschlug. Mariette schrieb Brugsch: Für mich bist Du kein Deutscher, Du bist Brugsch; und Du musst dich nicht entschuldigen und für solche Taten rechtfertigen. Sie konnten den Franzosen in mir beleidigen; aber sie konnten mein Herz nicht umstimmen, vor allem gegenüber Dir. Ich liebe Dich als treuen Freund […].26
Die Affäre tat der Freundschaft zwischen beiden keinen Abbruch. Zwei Jahre später stellte Mariette auch Brugschs jüngeren Bruder Émile ein, der eine lange Karriere im Antikendienst haben sollte. Im Frühjahr 1871, als Mariette nach Kairo zurückgekehrt war, musste er zunächst die Grabungen und antiken Stätten entlang des Nils observieren, bevor er wieder längere Zeit in Kairo bleiben und arbeiten konnte. Im Dezember 1871 wurde Aida dann endlich uraufgeführt. In den letzten zehn Jahren seines Lebens wurde Mariettes Diabetes zunehmend schlimmer, und auch das Museum in Boulaq bereitete ihm immer größere Sorgen. Die jährlichen Nilüberschwemmungen hatten die Fundamente des Gebäudes untergraben und es baufällig gemacht. Nur fehlte es an den finanziellen Mitteln. Ismail Pascha hatte den Staat tief verschuldet. Die Beteiligung Ägyptens an den Baukosten des Suezkanals, rege Bautätigkeit sowie die Aufrüstung der Flotte
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ließen Ägypten bis 1875 in die Zahlungsunfähigkeit rutschen. Ismail Pascha war bankrott. 1878 wurde das Museum erneut überflutet. Diesmal war es so schlimm, dass ein großer Teil der ebenerdigen Räume starke Zerstörungen erlitt, darunter auch Mariettes Wohnung und Büro. Viele Bücher, Manuskripte und Notizen gingen im Nil für immer verloren. 1879 wurde Mariette noch einmal vom Vizekönig geehrt. Ismail Pascha verlieh ihm den Ehrentitel Pascha. Auch das Museum wurde wieder instandgesetzt. Mariettes Ärzte sorgten sich um seinen Gesundheitszustand. Sie rechneten mit dem Schlimmsten. Aber er arbeitete weiter: 1880 mussten die neuen Räume des Museums bestückt werden. Er arbeitete noch einmal in Sakkara. Im Juni reiste er nach Frankreich, ging in La Bourboule zur Kur und besuchte im Herbst seine Heimat Boulogne-sur-Mer. Sein Gesundheitszustand war desaströs. Im November kehrte er nach Kairo zurück. Er wollte in der Nähe seiner geschätzten Altertümer sein. Anfang des neuen Jahres war Mariette kaum noch bei Bewusstsein. Er litt und rang mit dem Tod und verstarb schließlich am 18. Januar 1881 in seinem Haus in Boulaq im Kreise seiner Familie und Freunde. Seine sterblichen Überreste ruhen bis heute in einem Sarkophag auf dem Gelände des Ägyptischen Museums in Kairo. Betrachtet man Auguste Mariettes Arbeit in Ägypten, so sind vor allem seine frühen Jahre von archäologischen Sensationen geprägt. Zwar brachten die Grabungen des Antikendienstes immer wieder besondere Funde und viele Highlights des Kairoer Museums hervor, aber Mariettes Bedeutung für das Fach ist vielmehr auf den Antikendienst und das Museum zurückzuführen. Beides wäre ohne Mariette nicht denkbar gewesen. Der Antikendienst hat die Rolle Ägyptens bezüglich der antiken Stätten und Grabungsareale neu definiert und Ägyptens Interessen gegenüber Europa und später auch Amerika gestärkt. Die Errichtung des Museums, sozusagen der Versuch, das antike Ägypten mit dem modernen in Beziehung zu setzen, war zusammen mit der Gründung des Antikendienstes der wichtigste Schritt, das nationale Erbe Ägyptens zu bewahren. Zwar waren die Direktoren des Museums und des Antikendienstes noch lange nach Mariette Europäer. Aber bis heute haben beide Einrichtungen maßgeblich dazu beigetragen, den modernen Ägyptern eine historische Identität zu verleihen.
P o r t r ät N r. 5:
William Matthew Flinders Petrie – die (R)Evolution der Archäologie
M
it William Matthew Flinders Petrie veränderte sich die Art und Weise, wie in Ägypten Archäologie betrieben wurde, grundlegend. Waren die Ausgräber vor ihm vor allem daran interessiert „Schätze“ wie Statuen, Schmuck, Papyri, Särge und überhaupt jegliches Grabinventar zu bergen, meist ohne jeden Kontext und Zusammenhang, so war Petrie daran gelegen, genau diese bislang vernachlässigten Zusammenhänge zu ermitteln, um so ein historisch korrektes Bild der Geschichte Ägyptens zu erhalten. Seine Methoden revolutionierten im Laufe seines Lebens die Archäologie und es ist seinem Einfluss zu verdanken, dass bis dahin minder geschätzte Gegenstände wie Keramik, Perlen oder Siegel aufgenommen und untersucht wurden und stärker in den Fokus der Wissenschaft gerückt sind. Kein anderer Archäologe vor ihm hat an vergleichbar vielen Ausgrabungsstätten in Ägypten gegraben und kein anderer hat eine vergleichbare Menge an Publikationen zu Grabungen verfasst. Die Liste seiner Schüler, die von ihm das Ausgrabungshandwerk lernten, liest sich wie ein Who is who der angelsächsischen Archäologie des frühen 20. Jahrhunderts. Diesen jungen Nachwuchs-Ägyptologen ist es zu verdanken, dass Petries Methoden bis heute zum festen Standardrepertoire einer jeden Ausgrabung gehören. Bevor es jedoch dazu kam, hatte Petrie einen langen Weg zurückzulegen. Am 3. Juni 1853 – als Mariette seine Arbeiten am Serapeum fast abgeschlossen hatte – wurde Petrie in Carlton geboren. Sein Vater, William Petrie, war Erfinder, Ingenieur, Vermesser und Chemiker. Seine Mutter, Anne Flinders, war die Tochter des berühmten Australienforschers Matthew Flinders. Bereits früh zeigten sich bei dem Jungen Zeichen einer Hochbegabung: Laut seiner Mutter verstand er die von
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seinem Vater angefertigten topographischen Pläne bereits, bevor er richtig sprechen konnte, und durch die intensive Beschäftigung mit Bildern und Geschichten, die seine Eltern ihm vorlasen, konnte er noch vor seinem vierten Lebensjahr lesen. Auch die Grundlagen der Naturwissenschaften lehrte ihn sein Vater. Im Alter von vier Jahren zog er sich bei einem Ausflug zu seiner Patin eine starke Erkältung zu, die sich zu einer Kehlkopfdiphterie entwickelte. Der Junge erholte sich zwar, blieb aber Zeit seines Lebens anfällig für Erkrankungen der Atemwege. In der Folge der Krankheit rieten ihm die Ärzte von jeglicher sportlichen Aktivität im Freien ab. Gerade im Winter durfte er das Haus nicht verlassen. Dies führte dazu, das Petrie nicht wie ein normales Kind eine Schule besuchte, sondern zu Hause erzogen wurde.1 Seine Großtante übernahm einen Großteil dieser Ausbildung. Sie brachte ihm nicht nur das Schreiben, die Grammatik, die Mathematik und die Grundlagen der hebräischen und griechischen Sprache bei, sondern sie war es auch, die dem Jungen, als er wieder einmal krank im Bett lag, antike Münzen, Mineralien und ein Buch über altägyptische Hieroglyphen schenkte und so sein Interesse an der Archäologie und Ägypten weckte. Dieses Interesse hielt an, und der Junge steckte zunehmend sein Taschengeld in den Erwerb antiker Münzen. Petrie fing an, sich eine Sammlung aufzubauen. Über sein Hobby lernte er schließlich N. T. Riley kennen, den Besitzer eines Antique Shop in Lee. Riley, der selbst ein Autodidakt auf dem Gebiet der Antiquitäten, Altertümer und überhaupt der Kuriositäten war, erkannte das Potenzial des Jungen und förderte sein Interesse, indem er ihn zu Auktionen nach London mitnahm und ihn zum Besuch der Ausstellungen des British Museum schickte. Sein Talent auf dem Gebiet der Numismatik fiel auch den Kuratoren der Münz- und Medaillenabteilung des Museums auf und sie ermunterten ihn, Münzen für sie zu erwerben, die in ihrer Sammlung noch fehlten. Immer mehr zeigte sich sein Talent auf dem Gebiet der Mathematik, insbesondere der Vermessung, und sein Vater förderte dieses Talent.2 Die Verbindung seines Interesses für antike Stätten und seiner Fähigkeiten als Vermesser führten Petrie 1874 nach Stonehenge, wo er den bis dahin nur unzureichend dokumentierten Steinkreis vermaß. Sein Vater begleitete ihn dabei. Ein erster Schritt in Richtung Feldarchäologie war getan. Im Alter von 22 Jahren führ-
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te er, dieses Mal ohne seinen Vater, einen Survey mit Ausgrabungen in Südengland durch, um die dortigen vorgeschichtlichen Stätten zu erforschen. Dieser Survey fand über zehn Kampagnen hinweg in den Jahren 1875 bis 1880 statt, und bereits 1877 konnte William Flinders Petrie dem British Museum seine Karten zur Verfügung stellen, die er dabei angefertigt hatte. Das Interesse an seiner Arbeit war so groß, dass er, der bis dahin nicht einmal einen Universitätsabschluss besaß, noch im Juni desselben Jahres zu einem Vortrag der Royal Archaeological Society eingeladen wurde, um seine Messungsmethoden und Forschungsergebnisse einem breiten Publikum vorzustellen. Dies war Petries erster Vortrag vor einem wissenschaftlichen Publikum, und dazu merkte er an: Ich hatte im Anschluss eine Unterhaltung mit Colonel Lane Fox3, der, glaube ich, der Einzige war, der etwas von der Materie des Vortrags verstand.4
Diese Erfolge förderten Petries Interesse an Vermessung und an antiken Maßeinheiten, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass er zusehends in Kontakt mit der Kultur der alten Ägypter kam. Eine entscheidende Rolle spielte dabei erneut sein Vater: Dieser war überzeugtes Mitglied einer streng evangelikalen Glaubensgemeinschaft, der sogenannten „Bruderschaft“. Die dort vermittelten Werte und das stark biblisch geprägte Weltbild gab er seinem Sohn von klein auf mit. Als ein alter Freund der Familie ein Buch über die Pyramiden von Giza schrieb, fielen die dort vertretenen Thesen im Hause Petrie auf fruchtbaren Boden: Die Planung der großen Pyramide, hieß es dort, sei von Gott beeinflusst gewesen, und deshalb lasse sich in ihrem Bauplan die gesamte Geschichte und Zukunft der Menschheit ablesen – sobald man die richtigen Maßeinheiten entschlüsselt habe. Bei beiden Petries rief dieses Buch Begeisterung hervor, denn es sprach mehrere ihrer eigenen Interessen an: Mathematik, Vermessung und biblische Themen. Auch wenn sich in der weiteren Diskussion mit dem Autor des Buches, dem berühmten Astronomen Charles Piazzi Smyth, zunehmend argumentative Diskrepanzen ergaben, so wuchs doch bei beiden die Idee, selbst nach Ägypten zu fahren und dort die große Pyramide von Giza eigenhändig zu vermessen. Schon bald nahm
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die Idee immer mehr konkrete Formen an: Petrie suchte den Kontakt zu Ägyptenreisenden, die vor Ort an den Pyramiden tätig gewesen waren und er begann, ausgewählte Vermessungsgeräte zu erwerben bzw. selbst zu bauen. Petrie beschäftigte sich intensiv mit Reiseliteratur und vertiefte über seine Kontakte zum British Museum sein Wissen über das alte Ägypten. Im Fokus standen dabei antike Monumente, Hieroglyphenkunde, altägyptische Geschichte und Pharaonen genauso wie Geologie, moderne Landeskunde und das Lernen der arabischen Sprache. Die gesamte Vorbereitung nahm mehrere Jahre in Anspruch. Am 25. November 1880 machte sich Petrie mit seiner Ausrüstung auf den Weg nach Ägypten – allerdings ohne seinen Vater, der beschlossen hatte, doch in England zu bleiben. Petries Reise begann in Liverpool und führte ihn über Gibraltar nach Alexandria, wo er am 14. Dezember 1880 zum ersten Mal ägyptischen Boden betrat. Nach einigen Verzögerungen am Zoll – die Zeit nutzte er, um die antiken Stätten von Alexandria zu besuchen – gelangte Petrie schließlich mit dem Zug nach Kairo. Hier öffneten ihm Briefe der zuvor in London kontaktierten Ägyptenreisenden die Türen zur europäischen Gemeinde in Kairo, allen voran der Familie Grant.5 Aus dieser Bekanntschaft entwickelte sich eine beiderseitige Freundschaft, die sich über die Jahre hinweg zu Petries Nutzen vertiefte. Gerade am Beginn seiner Karriere nahmen die Grants Petrie unter ihre Fittiche und halfen ihm bei der Vermittlung des vertrauenswürdigen Dieners Ali Gabri, der Petrie auch bei seinen kommenden Expeditionen zur Seite stehen sollte. Mit Alis Hilfe konnte Petrie kurz nach Weihnachten 1880 direkt am Pyramidenplateau von Giza in einem pharaonischen Grab seine neue Wohnung aufschlagen. Hier pflegte er einen einfachen, fast asketisch anmutenden Lebensstil, der ihm jedoch sehr entgegenkam. Er sah sich von den Zwängen der Zivilisation befreit. Legendär ist die Geschichte, dass Petrie, wenn er alleine war, gerne nur mit Unterwäsche bekleidet an der Pyramide arbeitete. Hierzu ist folgendes Zitat von ihm überliefert: Falls [die Unterwäsche] rosa war, half sie, die Touristen auf Abstand zu halten, da ihnen das „Wesen“ zu schräg erschien, um es näher in Augenschein zu nehmen.6
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Mit den Messungen an den Pyramiden erkannte Petrie, dass die von Piazzi Smyth genommenen Messungen und seine darauf basierenden Theorien jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrten. Ihm wurde auch klar, dass es für weitere notwendige Schritte – für eine komplette Vermessung der Pyramide waren noch zu viele Teile verschüttet – immer wichtiger wurde, eine Grabungserlaubnis zu erhalten. Da eine solche Genehmigung für die laufende Saison jedoch nicht mehr zu erhalten war, vertagte er dieses Problem. Petrie arbeitete bis Mitte Mai 1881 an den Pyramiden, bevor ihn die Hitze dazu zwang, seine fünfmonatige Kampagne zu beenden. Seine Messgeräte konnte er bei den Grants unterstellen. Bevor er aber zurück nach England reiste, gelang es ihm noch, einige altägyptische Antiquitäten zu erwerben, die er nicht nur für seine eigene Sammlung, sondern auch auf Bitten seiner Bekannten beim British Museum kaufte. Dank seiner Erfahrung mit Münzen und antiken Gegenständen erkannte Petrie schnell, dass im Antikenhandel eine Möglichkeit lag, durch den Wiederverkauf der Gegenstände in London zu Geld zu kommen und sein spärliches Einkommen aufzubessern. Mit seiner Rückkehr am 23. Juni 1881 endete Petries erster Ausflug nach Ägypten und er war endgültig vom „Ägypten-Virus“ infiziert. Der Grundstein für eine der glänzendsten Karrieren in der Ägyptologie war gelegt. Die Zeit in England nützte Petrie, um sich einen Expeditions-Fotoapparat zu bauen und mit diesem zu experimentieren. Schon im Herbst desselben Jahres zog es ihn wieder nach Ägypten. Er wollte den Pyramidensurvey vorantreiben. Zurück in Kairo lernte er Gaston Maspero kennen, der nach dem Tod Auguste Mariettes das Amt des Direktors der Antikenverwaltung übernommen hatte. Maspero stellte Flinders Petrie eine Erlaubnis zu Ausgrabungen an der großen Pyramide in Giza aus und stellte ihn vorübergehend im Ägyptischen Museum Kairo an. In der Kampagne gelang es Petrie nicht nur seine Messungen an den Pyramiden abzuschließen, sondern er bekam auch die Möglichkeit, an einer Nilkreuzfahrt teilzunehmen und so Meidum, das antike Luxor und das Tal der Könige zu besuchen. Weitere Ausflüge ins Faijum – hier vor allem nach Hawara –, nach Dashur und Saqqara ermöglichten es ihm seine Kenntnis der antiken Stätten Ägyptens und vor allem der großen Pyramiden zu vertiefen. Doch fast noch wichtiger als diese Reisen
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waren die Neuigkeiten, die Petrie durch einen seiner Mitreisenden, den Assyriologen Archibald Sayce, zu hören bekam: In London plante man, eine Organisation zu gründen, deren erklärtes Ziel es war, im Nildelta nach antiken pharaonischen Stätten zu suchen und diese systematisch zu erforschen. Im Forschungsinteresse stand vor allem die Identifikation der in der Bibel erwähnten Stätten. Petrie war sofort klar, dass sich hier für ihn die einzigartige Möglichkeit bot, sein „Hobby“ zum Beruf zu machen. Er schrieb umgehend an die Verantwortlichen des neu gegründeten Egypt Exploration Fund7 (EEF) und bat seine Kontakte am British Museum, für ihn ein gutes Wort einzulegen. Sofort nach seiner Rückkehr nach London kontaktierte er Reginald Stuart Poole8, ehrenamtlicher Sekretär und einer der Gründer der neuen Vereinigung, und wurde bei diesem persönlich vorstellig. Das Treffen verlief allerdings nicht zu Petries Zufriedenheit. Die politische Situation in Ägypten wurde als zu unsicher eingeschätzt. Der nationalistisch motivierte Aufstand des Arabi Pascha vertrieb den Vizekönig und die Ausländer aus Ägypten. Erst mit der Niederschlagung des Aufstands im September 1882 und der Errichtung eines britischen Protektorats in Ägypten war es wieder möglich, an archäologische Tätigkeiten in Ägypten zu denken. Neuer Grabungsleiter des EEF wurde aber nicht Petrie, sondern Edouard Naville9. Petrie vertröstete man mit der Aussicht, dass sich möglicherweise in der Zukunft für ihn eine Anstellung beim EEF ergeben würde. Knapp ein Jahr später erfüllte sich diese Hoffnung, da Naville zu beschäftigt war, um auf Grabung zu fahren. Die so entstandene Lücke füllte Petrie, der mit seinem neu erschienen Buch zu den Pyramiden von Giza nicht nur die wissenschaftliche Fachwelt, sondern auch den zweiten Sekretär des EEF begeisterte – Amelia Edwards10, seine spätere Freundin und Gönnerin. Nachdem auch Maspero seine Einwilligung erteilt hatte, begann Petrie im Winter des Jahres 1883 mit seinen Forschungen im Nildelta. In den folgenden drei Jahren arbeitete er im Auftrag des EEF an den verschiedensten Ausgrabungsstätten im Nildelta, wobei vor allem seine Arbeiten in Tanis (San el-Hagar) und Naukratis hervorzuheben sind. Von 1883 bis 1886 entwickelte und verfeinerte Petrie die Methoden, denen er seine großen wissenschaftlichen Erfolge zu verdanken hat. An erster Stelle stand hier die Erkenntnis, dass man mit Hilfe der gefun-
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denen Keramik die restlichen Funde datieren konnte und es möglich war, kulturelle Zugehörigkeiten an der Keramik abzulesen. Dies war für die damalige Zeit ein revolutionärer Ansatz. Auch das Erstellen von Profilen in Grabungsschnitten sowie das Arbeiten nach sogenannten Abhüben, d. h. das schichtweise Abtragen vorher festgelegter Erdmengen, war für seine Zeit außergewöhnlich und unterschied sich massiv von den Techniken seiner Zeitgenossen. Petries neuen Methoden lag die Idee zugrunde, dass alle Gegenstände gleich datieren, solange sie, auch in unterschiedlichen Grabungsbereichen, auf derselben absoluten Höhe zu finden sind. Auch Petries Interesse an den „alltäglichen“ und auf einer Ausgrabung häufig vorkommenden Gegenständen wie Perlen, Münzen, Skarabäen und Gewichten war neu. Seine Zeitgenossen ignorierten solche Funde. Gerade diese Gegenstände ermöglichten es Petrie aber, Aussagen zu den Lebensgewohnheiten und -umständen der antiken Kulturen zu treffen, Zusammenhänge, die anderen Archäologen seiner Ära meist verborgen blieben. Bis heute prägen die von Petrie entworfenen Methoden die Arbeitsweise eines jeden Archäologen, wenn auch in stark modifizierter Art und Weise. Alle Kampagnen Petries hatten die gleiche spartanische Lebensweise, vor allem, was die Ernährung anbelangte. Die Bedingungen galten nicht nur für Petrie selbst, sondern für alle Teilnehmer. Legendär ist hier eine Erzählung von Margaret Murray11, einer langjährigen Mitarbeiterin von Petrie, die berichtete, dass überzählige Dosen im Wüstensand vergraben wurden, um sie im nächsten Jahr wieder zu nutzen. Um zu testen, ob das Essen in den Dosen noch genießbar war, wurden die Dosen an eine Felswand geworfen. Platzten sie auf, hatten sie den Sommer im ägyptischen Boden nicht überlebt und wurden entsorgt.12 Ähnliches erzählte Thomas E. Lawrence, der spätere „Lawrence of Arabia“ – von seiner Ausbildung her eigentlich vorderasiatischer Archäologe –, der von seinem Lehrer David G. Hogarth13 zu Petrie geschickt wurde, um von ihm archäologische Ausgrabungsmethoden zu lernen. Lawrence schrieb über Petrie: Warum ist er noch nicht an einer Lebensmittelvergiftung gestorben? […] Sie essen aus seit Wochen geöffneten Dosen, nachdem sie innen die grüne Kruste heruntergekratzt haben.
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Überhaupt beschrieb er die Lebensumstände äußerst plastisch: Eine Petrie-Ausgrabung ist eine Erfahrung mit einem ganz eigenem Geschmack: Nieren in Dosen vermischen sich mit Mumienteilen und es finden sich antike Amulette in der Suppe: Meine Füße halten in der Nacht die Ratten vom Brotkorb fern. Seit zehn Tagen habe ich die Sonne beim Frühstücken aufgehen sehen und wenn wir nach Sonnenuntergang heimkommen, nachdem wir unser Mittagessen am Boden eines 50 Fuß tiefen Grabschachts eingenommen haben, zeichnen wir Keramikprofile oder Halsketten aus Perlenschnüren.Wenn ich nicht Malaria hätte, könnte ich eine schöne Geschichte daraus machen – aber dann müsste ich ja arbeiten.14
Mit zunehmendem Erfolg wurde es für Petrie schwer, sich mit dem bürokratisch organisierten EEF zu verständigen. Auch persönliche Differenzen – hier vor allem mit dem bereits vorher erwähnten Poole, der immer stärker Naville als Hauptausgräber des EEF protegierte – veranlassten Petrie dazu, seine Grabungstätigkeit für den EEF einzustellen. Trotz seines offiziellen Ausstiegs beim EEF gelang es ihm, weitere Aufträge in Ägypten zu erhalten, vor allem durch Edwards Vermittlung. Sie war es auch, die an Petrie einen finanzkräftigen Sponsor vermittelte: Jesse Haworth.15 Dank seiner Unterstützung konnte Petrie in den folgenden Jahren finanziell unabhängig in Ägypten arbeiten. Diese Jahre zählten zu seinen produktivsten. Inzwischen wurde der Antikendienst von Eugène Grébaut16 geleitet und Petrie erhielt eine Genehmigung für Unternehmungen in der Region des Faijum: Hawara, Ilahun und Gurob erbrachten nicht nur neue Erkenntnisse zum Mittleren Reich, sondern förderten auch die weltberühmten aus römischer Zeit stammenden Mumienporträts zutage, die bis heute als herausragende Beispiele antiker Porträtkunst gelten. Nach einer kurzen Expedition nach Syrien wandte Petrie sich nach Meidum und arbeitete dort an der Pyramide des Snofru aus der frühen 4. Dynastie. Hier fand er nicht nur das zur Pyramide gehörige Tempelareal, sondern konnte die Pyramide auch zu denen in Giza zeitlich einordnen. In den Jahren 1890 bis 1892 begann Petrie seine Arbeiten in Amarna, die allerdings von dem immer schlechteren
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Verhältnis zum Leiter des Antikendienstes Grébaut überschattet waren. Durch die Unterstützung der offiziellen britischen Verwaltungsstellen gelang es Petrie, die Arbeit vor Ort weitgehend unbehelligt vom Antikendienst fortzuführen. Das Jahr 1892 brachte schließlich eine Wende in Petries Leben. Er erhielt nicht nur die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford, sondern erfuhr auch eine letzte Wohltat durch Edwards, die im selben Jahr verstarb: In ihrem Testament stiftete sie mit ihrem Vermögen eine Professur für Ägyptologie am University College in London. Die an diese Stelle geknüpften Bedingungen waren Petrie geradezu auf den Leib geschneidert. Unverzüglich wurde er auf die neu gegründete „Edwards-Professur“ berufen. Mit dieser Berufung begann Petries akademische Karriere, die neben dem Unterrichten von Studenten per Satzung auch das Durchführen praktischer Ausgrabungen in Ägypten beinhaltete. Und dieser praktischen Verpflichtung kam er nach, indem er 1884 mit Ausgrabungen in Koptos, Nagada und Ballas begann. Hier entdeckte er das Gräberfeld einer der ältesten Kulturen Ägyptens, die nach ihrem Fundort „Nagada-Kultur“ benannt wurde.17 Sein Rang als Professor ermöglichte es ihm auch, den sogenannten Egyptian Research Account ins Leben zu rufen. Dieser hatte zum Ziel, Geldmittel zur Unterstützung von Petries Ausgrabungen einzuwerben. Auch das Verhältnis zum Antikendienst entspannte sich zusehends, als Grébaut durch Jaques de Morgan18 ersetzt wurde. 1896 begann Petrie dann ein neues Vorhaben, und zwar interessierte er sich für Ausgrabungen in Theben-West. Zu seiner neuen Konzession gehörten unter anderem die Totentempel Ramses’ II., das sogenannte Ramesseum, und dessen Sohnes Merenptah. Hier fand Petrie eine Stele, auf der die militärischen Erfolge Merenptahs aufgelistet sind und auf der sich der Name des Volkes Israel befindet. Diese Nachricht wurde nicht nur von der Presse begeistert aufgenommen, sondern legte auch den Namen der Stele fest, die bis heute unter der Bezeichnung „Israelstele“ ihren Platz in der Wissenschaft hat. Nach seiner thebanischen Unternehmung begab sich Petrie für kleinere Arbeiten nach Mittelägypten, genauer nach Oxyrhynchos und Deshasheh.19 Das Jahr 1897 hielt eine Überraschung für Petrie bereit, denn aus einer im Vorjahr begonnenen Brieffreundschaft entwickelte sich für
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ihn eine ernste Liebesbeziehung. Ziel seiner Zuneigung war die deutlich jüngere Hilda Urlin, die sich jedoch anfänglich unentschlossen zeigte. Mehrere Besuche und Ausflüge seitens Petries hatten Wirkung: Sie nahm seinen Antrag an. Nach einer kurzen Verlobungszeit heirateten die beiden im November, um direkt nach der Zeremonie die gemeinsame Hochzeitsreise anzutreten – wie nicht anders zu erwarten, nach Ägypten. Hilda war von den Eindrücken dieses Abenteuers hingerissen. Petrie veränderte ihr Leben. Sie schenkte ihm im Laufe der Jahre nicht nur zwei Kinder, sondern wurde auch seine regelmäßige Begleiterin auf seinen Ausgrabungen. Auf Grabung half sie bei allen wichtigen Aufgaben mit, kümmerte sich um organisatorische Dinge, und ihr zeichnerisches Talent war so gut, dass Petrie zahlreiche ihrer Bilder und Kopien in seinen Büchern publizierte. Bevor beide jedoch so weit waren, erwartete sie ein größeres Problem: Die Anreise zu Petries neuem Ausgrabungsort Dendera. Nach Ausflügen in Altkairo, zu den Pyramiden von Giza, Saqqara, Meidum und Dashur und schließlich zu den Felsgräbern von Beni Hassan und Amarna gestaltete sich die Weiterfahrt ab Nag Hammadi schwierig. Petries Versuch, auf einem kleinen Frachtkahn die letzte Etappe nach Dendera zurückzulegen, machte eine Flaute zunichte. Das frisch vermählte Ehepaar war gezwungen, auf dem Kahn zu übernachten. Auch der folgende Tag brachte keinen Wind, sodass das Ehepaar Petrie beschloss, zu Fuß zum Grabungscamp zu gelangen. Als „die Flitterwochen der Petries auf einem Kohlenboot“20 fand diese Episode Eingang in die archäologischen Legenden.Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten liefen die Arbeiten in Dendera aber gut an und gaben Petrie interessante Einblicke in die Bestattungspraxis und Grabarchitektur der 1. Zwischenzeit. Nach einer kurzen archäologischen Unternehmung in Hu reisten die Petries schließlich via Italien, hier mit Besuchen in Neapel, Pompeji und Rom, zurück nach England und beendeten ihre „Flitterwochen“. Nun stand beiden einer der wichtigsten Ausgrabungen kurz bevor: Petries Expedition nach Abydos. Abydos selbst gilt als einer der bedeutendsten Kultorte des alten Ägypten. Erste Siedlungsspuren finden sich bereits in vordynastischer Zeit. Bekannt geworden ist Abydos aber vor allem durch die Bestattungsanlagen der Könige der Frühzeit, genauer der 0. bis 2. Dynastie.
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In dieser Tradition ließen die nachfolgenden Könige des Alten, Mittleren und Neuen Reichs zahlreiche Tempel errichten. Abydos war dem Mythos nach der Bestattungsort des Osiris, und alljährlich war dort zu dessen Ehren ein bedeutendes Fest gefeiert worden. Die hohe Bedeutung, die Osiris und sein Kult durch die verschiedenen pharaonischen Epochen hatten, machte Abydos über Jahrtausende so populär, dass nicht nur Könige, sondern alle, die es sich leisten konnten, dorthin reisten, um in Form von Stelen, Statuen oder kleinen Kapellen ihre Spuren zu hinterlassen. Diese sogenannte „Abydosfahrt“ wurde auch in der Grabdekoration wiedergegeben. Erste archäologische Arbeiten erfolgten durch Mariette, Maspero und zuletzt durch Émile Amélineau21, der nach seinen Arbeiten erklärte, „dass dort nichts mehr zu finden sei“. Petrie hatte vor allem an den frühen Relikten in Abydos Interesse. Er hatte sich bereits mehrere Male vergeblich um eine Konzession bemüht. Als aber im Jahr 1899 Maspero wieder zum Generaldirektor des Antikendienstes ernannt wurde, konnte er seinem alten Bekannten Petrie die Konzession für Abydos gewähren. Wie sich sehr bald zeigte, war der Grabungsplatz alles andere als vollständig untersucht. In den Jahren 1899 bis 1903 widmete sich Petrie zuerst einem als „Umm el-Quaab“ (Mutter der Scherben) bezeichneten Ort, an dem sich die Gräber der frühen Könige befinden. Er entdeckte, dass Amélineau zahlreiche Bestattungen einfach übersehen oder die Funde nur sehr unzureichend wahrgenommen hatte. Zahlreiche von Petrie gefundene Elfenbeintäfelchen und Stelen enthielten die Namen der in den jeweiligen Grabanlagen bestatteten Könige. Dieser Umstand ermöglichte es Petrie, die Zuordnung der einzelnen Bauten zu bestimmten Königen der frühen Dynastien durchzuführen und damit eine historische Rekonstruktion der frühesten geschichtlich fassbaren Phase der altägyptischen Hochkultur. Die beschrifteten Täfelchen und Stelen waren zudem frühe Zeugen der Entwicklung der komplexen Hieroglyphenschrift. Wie heute bekannt ist, entwickelte sich diese aus Symbolen die zur Abrechnung von Waren verwendet wurden. Die Elfenbeintäfelchen oder jar dockets spielten für diese Erkenntnis eine entscheidende Rolle. Zu den Funden der folgenden Kampagnen gehörten auch die Überreste eines antiken Tempels, die ältesten Juwelen des alten Ägypten aus dem Grab des Khasechemui und schließlich die Überreste des sogenannten Osireions,
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einer Art künstlich nachgebauter mythologischer Landschaft aus dem Osirismythos, die das Grab des Gottes darstellen sollte. Die Ausgrabungen Petries in Abydos erbrachten außerdem eines der bekanntesten Stücke des Ägyptischen Museums in Kairo: die kleine Elfenbeinstatue des Königs Cheops.22 Für die Archäologie ist Abydos bis heute ein Platz ersten Ranges. Seit 1977 gräbt dort das Deutsche Archäologische Institut Kairo im Areal von Umm el Qaab, dem sogenannten Friedhof U. Die Arbeiten werfen neues Licht auf die Gräber der frühesten Könige Ägyptens und rekonstruieren die komplexen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Arealen und Einrichtungen über die Jahrtausende hinweg. Im Zentrum der Untersuchungen stehen dabei auch die bereits von Petrie untersuchten Befunde und die aus diesen Altgrabungen stammenden Museumsbestände. Insgesamt unterscheidet man inzwischen drei Hauptnekropolen: den Friedhof U, der vor allem die frühdynastischen Bestattungen umfasst (zwischen 3700 und 3050 v. Chr., auch bekannt als Nagada-I–Nagada-III-Zeit), den Friedhof B, in dem sich die Bestattungen der vordynastischen Könige bis zur 1. Dynastie befinden (3050–2950 v. Chr.), und schließlich die großen Grabanlagen der Könige der 1. und 2. Dynastie (2950–2700 v. Chr.). Auch eine amerikanische Mission ist seit 1967 in Abydos tätig. Seit 1993 arbeitet sie an den Tempelanlagen der Tetischeri und des Ahmose, die aus der frühen 18. Dynastie stammen. All diese Unternehmungen (die bei Weitem keine vollständige Liste der modernen archäologischen Projekte in Abydos darstellen) zeigen, dass das Interesse an diesem außergewöhnlichen Grabungsplatz keinesfalls erloschen ist und sich auch heute noch neue und spektakuläre Erkenntnisse aus diesem angeblich schon vor 100 Jahren ausgebeutetem Fundort ziehen lassen. Petries Arbeiten in Abydos dauerten vier Jahre. Dann zog es ihn zu neuen Arbeitsplätzen; er wusste, dass es noch viel zu tun gab. Seine nächsten Ziele waren Herakleopolis, Gurob und Buto, alles Orte, die ebenfalls über sehr frühe Siedlungsstrukturen verfügen. Mit der Zeit geriet der EEF, der nach wie vor Petries Hauptgeldgeber war, in finanzielle Schwierigkeiten. Petrie blieb kein großer Spielraum mehr bei der Auswahl seiner Grabungsplätze. Er beschloss daher, einen Survey auf der Sinai-Halbinsel durchzuführen. Diese Unternehmung
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wurde von kleineren Diebstählen und Überfällen auf Petries Camp überschattet. Es war sehr schwierig, den Sinai staatlich zu überwachen. Erst als ein ortsansässiger Scheich als Vermittler angeheuert wurde, verbesserte sich die Situation für Petrie. Er nahm antike Felsinschriften pharaonischer Expeditionen auf und konzentrierte sich auf die Dokumentation des Tempels der Hathor in Serabit el-Chadim, die dort in antiker Zeit als „Herrin des Türkis“ verehrt wurde. Erneut war Petries Unternehmung ein voller Erfolg, auch wenn immer deutlicher wurde, dass eine Zusammenarbeit mit dem EEF auf Dauer nicht mehr infrage kam. Alte und neue Streitigkeiten über die Subvention der Unternehmung und die Kosten für Petries Publikationen führten schließlich zum endgültigen Bruch beider Parteien. Petrie gründet eine neue Organisation: die British School of Archaeology in Egypt, eine größere Version seines zuvor gegründeten Egypt Research Account. Diese School wurde ebenfalls an das University College angebunden. Sie sorgte für weiteren Streit mit dem EEF, da Petrie sein Konkurrenzunternehmen bekanntmachte und es ihm gelang, zahlreiche Sponsoren des EEF für seine Organisation zu gewinnen. Die Finanzen der School waren in den folgenden Jahren äußerst zufriedenstellend und sicherten Petries Grabungen. Mit dieser Rückendeckung begab sich Petrie im Winter des Jahres 1905 erneut ins Nildelta. Ziel war diesmal Tell el-Yahudiyeh. Petrie entdeckte hier nicht nur die Bauwerke einer jüdischen Exilgemeinde, die einen älteren Tempel und eine in ptolemäischer Zeit gegründete Siedlung überlagerten, sondern auch die Reste einer Befestigung der sogenannten „Hyksos“23. Nach seinen Untersuchungen in Tell el-Yahudiyeh wandte sich Petrie Tell el-Retaba zu, einem weiteren Ort im Nildelta. Hier fand er Besiedlungsspuren, die vom Alten Reich bis in die griechisch-römische Zeit reichten.24 Auf seiner Rückreise nach England hielt Petrie mehrere Vorträge in Italien und Frankreich. Wenige Monate später, im Herbst des Jahres 1906, machte sich Petrie erneut auf nach Ägypten, diesmal allerdings ohne Hilda, die schwanger in England zurückblieb. Petrie beantragte wieder eine Konzession in Giza. Hier fand er Beweise, dass Giza bereits vor dem Bau der großen Pyramiden als Begräbnisplatz genutzt wurde. Er entdeckte eine Grabanlage der 2. Dynastie, die architektonisch eine große Nähe zu seinen
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Entdeckungen in Abydos aufwies. Nach nur fünf Wochen Arbeit erklärte Petrie seine Aktivitäten für erledigt und widmete sich Rifeh25, einem Ort in der Nähe von Assiut. Hier fand er die ungestörte Bestattung eines Brüderpaares aus dem Mittleren Reich, die sich heute komplett im Manchester Museum befindet und im Zuge des berühmten Manchester Mummy Project genauer untersucht wurde.26 Kurz nach Petries Rückkehr in die Heimat kam im April 1907 sein Sohn John Flinders zur Welt, was Petrie aber nicht davon abhielt, bereits im Winter das nächste große Projekt in Angriff zu nehmen: die Ausgrabungen in Memphis, der ehemaligen Hauptstadt des Alten Reichs. Hier entdeckte er nicht nur die Überreste des berühmten Tempels des Schöpfergottes Ptah und eine Militärgarnison aus der Zeit des Herrschers Apries, sondern auch einen riesengroßen königlichen Alabastersphinx, der wohl König Amenophis II. zuzuordnen ist und den man heute noch bewundern kann, wenn man Memphis besucht, direkt neben dem umgestürzten Koloss Ramses’ II. Anfang 1908 begab sich Petrie nach Theben, diesmal wieder in Begleitung seiner Frau Hilda, die den gemeinsamen Sohn in der Obhut eines Kindermädchens in England zurückgelassen hatte. Im Vordergrund seiner Unternehmung standen jedoch nicht die Tempel des Neuen Reiches, sondern ein Bereich nördlich des kleinen Ortes Gurna in der thebanischen Nekropole. Nachdem anfangs das Finderglück ausblieb, gelang es Petrie schließlich doch noch, eine ungestörte Frauen-Bestattung aus der 2. Zwischenzeit zu bergen. Bis heute ist dieser Fund außergewöhnlich, nicht nur weil man nicht weiß, um wen es sich bei der Bestatteten handelt, sondern auch weil die Umstände der Bestattung – Nutzung einer natürlichen Felsspalte als Begräbnisplatz, eigenartige Beigaben-Mischung – ungewöhnlich sind. Im Anschluss an die thebanische Unternehmung begab sich Petrie zu einer weiteren Kampagne nach Memphis, allerdings ohne seine Frau, da Hilda erneut schwanger war und zurück nach England reiste. Ihr zweites Kind, Ann, erblickte im August 1909 das Licht der Welt. 1910 begab sich Petrie noch einmal in den Schatten der Pyramiden, diesmal jedoch nach Meidum. In der Region wurden viele Gräber geplündert, und die Wissenschaftler versuchten zu retten, was noch zu retten war. Er erlangte nicht nur weitere Erkenntnisse über die Konst-
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ruktion der Pyramide, sondern erforschte auch die im direkten Umfeld gelegenen Mastabas27, Grabanlagen der Edlen des Alten Reiches. Im Anschluss setzte Petrie seine Unternehmung in Memphis fort mit dem Ziel, den Tempel des Ptah und den „Palast des Apries“ weiter vom Sand zu befreien. In den folgenden zwei Jahren arbeitete Petrie erneut in Hawara und an anderen Orten in Mittelägypten, wo er weitere Mumienporträts zutage förderte, sowie auf einem prähistorischen Friedhof (Gerza) in der Nähe von Meidum. 1911 bis 1913 folgten seine Grabungen in Shurafa28, Tarkhan – einem frühdynastischen Begräbnisplatz, der zeitgleich zu Petries Funden in Abydos datiert – und Matariya/Tell el Hisn/ Heliopolis. Hilda begleitete ihn immer wieder. Zumindest zeitweise gab sie die Kinder in Betreuung, um an Petries Seite weiter auszugraben. Petrie konzentrierte sich jedoch nicht lange auf das Areal des antiken Heliopolis, das heute von der Großstadt Kairo überbaut ist. Bei seiner Grabung erwies sich nicht nur der Grundwasserpegel als problematisch, sondern auch die Tatsache, dass das Grabungsareal von privater Hand gemietet werden musste. Der Platz lag Petries Meinung nach zu nah an Kairo und war deshalb stark geplündert und zerstört worden. Petrie beschloss daher, auf weitere Arbeiten in Heliopolis zu verzichten und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Heute finden in Heliopolis Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts und der Universität Leipzig statt, die sich vor allem auf den Tempelbereich, das Kultzentrum der antiken Stadt, konzentrieren.29 Petries Interesse galt in der folgenden Kampagne den von seinen Schülern begonnenen Unternehmungen in Riqqa, Lahun und Harageh, wo er sich den Gräberfeldern und den Pyramidenstrukturen des Mittleren Reiches widmete. Seine akkurate Arbeitsweise wurde belohnt. In einem bereits geplünderten Grab fand er den Goldschmuck der Prinzessin Sit-Hathor-Iunet, zu dem eine Krone, zwei Pektorale, Halsketten, Armreifen sowie die Kosmetikartikel der Prinzessin gehörten. Nach seiner Rückkehr nach England bekam das University College einige neue Räume, für Petrie die ideale Möglichkeit, seine Sammlung unterzubringen. Er bot der Universität seine private Sammlung zum Kauf an, und nach einer größeren Spendenaktion konnte diese die Sammlung auch erwerben. Bis heute bildet Petries Sammlung den
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Kern der ägyptologischen Abteilung des University College und gehört zu den besten ägyptologischen Lehrmittelsammlungen der Welt. Der 1914 ausbrechende Erste Weltkrieg hatte auch für Petrie einschneidende Auswirkung. Zahlreiche seiner bewährten Studenten wurden zum Kriegsdienst eingezogen und Petrie fehlten Mitarbeiter, um die Stücke seiner letzten Grabung für eine Ausstellung vorzubereiten. Auch der Verkauf einiger Stücke aus seiner letzten Unternehmung, darunter die Juwelen der Prinzessin Sit-Hathor-Iunet, gestaltete sich schwierig, da es um die Finanzen der öffentlichen Museen schlecht bestellt war. Und seine Ausgrabungstätigkeit musste während der Kriegsjahre ruhen. Petrie widmete sich stattdessen dem Ausbau und der Organisation seiner Sammlung und der Publikation seiner Grabungsergebnisse und seiner Kataloge altägyptischer Objekte. Dank der erzwungenen Untätigkeit fand Petrie auch Zeit, mit seiner Familie gemeinsame Ausflüge zu unternehmen – vor allem zu (wie sollte es anders sein) archäologischen Exkursionen in England. Zum Beispiel erstellte er zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern Pläne des berühmten „Weißen Pferds von Uffington Hill“ und des „Cerne-Abbas-Giganten“ bei Dorchester.30 Mit dem Ende des Krieges endete auch die Zeit der Familienausflüge. Petrie beantragte die Fortführung der Ausgrabungen in Lahun, was ihm von Pierre Lacau31, Nachfolger des inzwischen verstorbenen Maspero, auch sofort genehmigt wurde. Im Herbst 1919 begann Petrie zusammen mit Hilda und zweien seiner erfahrenen Studenten, Guy Brunton und Rex Engelbach32, mit den Ausgrabungen in Ägypten. Es folgten Unternehmungen in Gurob, Sedment und Ahnas. 1921 wurde erneut in Abydos gegraben, wo Petrie auf weitere Gräber der 1. Dynastie stieß, diesmal allerdings der „niederen“ Hofangestellten und Handwerker. Nach zwei Monaten wandte sich Petrie erneut Oxyrhynchos zu, wo er ein römisches Theater entdeckte. 1922 begab er sich zurück nach England. Dort unternahm er zusammen mit seinem Sohn eine Ausgrabung in Sillbury Hill. Das Jahr sollte indes noch weitreichendere Folgen für die Ausgräber in Ägypten haben: Die offizielle Protektoratsherrschaft Großbritanniens in Ägypten endete, und Howard Carter entdeckte das Grab des Tutanchamun. Beide Ereignisse hatten zur Folge, dass Lacau eine Verschärfung des bisherigen Antikenrechts veranlasste. Bisher war eine Fundteilung üblich: Eine Hälfte der Gra-
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bungsfunde war Eigentum des ägyptischen Antikendienstes und die andere Hälfte Eigentum des Ausgräbers. Jetzt sollte allein der Direktor des Antikendienstes entscheiden, was im Land blieb und welche Stücke dem Ausgräber zugeteilt wurden. Und mehr noch: Der Direktor des Antikendienstes hatte in Zukunft das alleinige Entscheidungsrecht über die Vergabe der Konzessionen. Obwohl aufgrund des internationalen Protestes die Regelung nicht sofort, sondern erst einige Jahre später in Kraft trat, war deutlich zu spüren, dass die Tage der großzügigen Fundaufteilung gezählt waren. Aus diesem Grund beschränkte sich Petrie 1923/24 auf kleinere, wenig fundreiche Grabungen in Qau und Badari.33 1923 wurde Petrie „aufgrund seiner Verdienste für Ägypten“34 zum Ritter geschlagen. Wohl bedingt durch diese neue „Härte“ des Antikendienstes reifte in Petries Kopf die Idee, seine Grabungsarbeiten und damit die der British School of Archaeology in Egypt in den Vorderen Orient zu verlegen. Die Idee hatte er wohl schon während der erzwungenen Grabungspause im Ersten Weltkrieg gehabt, denn bereits im Jahr 1918 hatte er dem British Museum die Gründung einer archäologischen Schule für Vorderasien vorgeschlagen. 1926 kehrte Petrie nach jahrzehntelanger Arbeit Ägypten den Rücken und verlagerte seine Arbeit mit Billigung der British School nach Palästina. Erstes Ziel war der sogenannte Tell Jemmeh, der heute als das antike Yurza, später auch Arza35, identifiziert wurde und sich südlich der Stadt Gaza befindet. Sechs Quftis sowie die erfahrenen Archäologen Gerald L. Harding und J. Starkey begleiteten Petrie auf seiner Unternehmung. Erstaunlich ist, dass sich Petrie mit seinen inzwischen 73 Jahren noch einmal auf ein solches Unternehmen einließ. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich (Grund dafür war wohl die extrem schlechte Wasserversorgung in Jemmeh), aber Petrie überstand die Ausgrabung. Er gönnte sich für die nächste Saison eine Pause und schickte sein Grabungsteam nach Palästina, diesmal nach Tell Fara36. Erst 1928 stieß Petrie wieder zu seinem Team und verbrachte in Tell Fara eine erfolgreiche Saison. Immer häufiger verzichtete er jedoch auf eine Grabungsteilnahme und überließ die Leitung seinen Mitarbeitern. 1930 beging man feierlich Petries 50-jähriges Ägyptenjubiläum, unter allgemeiner Beteiligung der Fachwelt und der Öffentlichkeit. In
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Palästina zeichneten sich dagegen erste Schwierigkeiten ab. Es wurde bemängelt, dass die Fundlisten nicht korrekt geführt worden waren und die Konzessionsgrenzen nicht eingehalten wurden. Auch der Ankauf von Antiquitäten vor Ort stellte ein Problem für den Leiter der Antikenverwaltung Palästinas, E. T. Richmond37, dar. Auch wenn die Probleme nicht restlos ausgeräumt werden konnten, erhielt Petrie eine Genehmigung für Ausgrabungen in Tell Fara und Tell el Ajjul38. Der Grabungsbeginn verlief zunächst schleppend. In Tell el Ajjul war die Malaria ausgebrochen. Aber insgesamt war die Kampagne erfolgreich, auch wenn sich die Arbeit unharmonisch gestaltete: Der Antikendienst hatte durch zusätzliche Auflagen den Druck auf Petries Arbeit erhöht. 1931 kam es zum Streit im Team. Man war nicht mehr bereit, den spartanischen Lebensstil einer Petrie-Grabung klaglos zu erdulden. Auch wurden Petries Grabungsmethoden kritisiert, die einigen Mitarbeitern überholt und für den komplexen Grabungsort ungeeignet erschienen. Schließlich kam es zur Spaltung zwischen Petrie und seiner Mannschaft, die unter der Leitung von Starkey für die kommende Saison beschloss, eine eigene Ausgrabung zu unternehmen. In den folgenden Kampagnen war Petrie also gezwungen, mit einem komplett neuen Team zu arbeiten. Trotz dieser Schwierigkeiten war er sehr erfolgreich, und viele Objekte konnten geborgen werden, darunter eine ungewöhnlich hohe Menge an Goldfunden. 1933 zog sich Petrie im Alter von 80 Jahren von seinem Amt als Professor für Ägyptologie am University College zurück. Gleichzeitig beschloss er, seinen Wohnort nach Jerusalem zu verlegen. Die kalten englischen Winter wurden zunehmend zur Belastung für seine Gesundheit. Da sich Petries Kontakte zum Antikendienst Palästinas verschlechtert hatten, folgte er einer Anfrage Jean Schlumbergers, der Petrie zu einer Ausgrabung in Syrien eigeladen hatte. Als Mitarbeiter des unter französischer Oberhoheit stehenden syrischen Antikendienstes versprach er Petrie eine deutlich größere Entscheidungs- und Handlungsfreiheit bei seinen Unternehmungen, als sie ihm vom Antikendienst Palästinas gewährt worden war. Und so begab sich Petrie auf ein weiteres Abenteuer: Mit einem umgebauten Bus fuhren Hilda, Jack Ellis, der bereits mit Petrie in Tell el-Ajjul gearbeitet hatte, und Petrie selbst im Zuge eines Surveys durch Syrien, auf der Suche nach geeigneten Fundplät-
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zen. Auf dieser siebenwöchigen Fahrt legten die Petries fast 2000 km zurück und besichtigten und vermaßen zahlreiche antike Stätten der unterschiedlichsten Epochen. 1935 und 1936 führte eine Unternehmung Petrie nochmals auf den Sinai. Hier erhielt er durch die Vermittlung seiner beiden ehemaligen Schüler Engelbach und Brunton und dank der Tatsache, dass der englische Gouverneur des Gebietes an Petries Arbeiten sehr interessiert war, noch einmal die Erlaubnis zu Ausgrabungen. Petrie entschied sich für einen Ort im nördlichen Sinai: Sheik Zuweid, einen in der Eisenzeit genutzten Siedlungshügel. Die Ausgrabung wurde gerade in der zweiten Kampagne von Krankheitsfällen überschattet, von denen jedoch ausgerechnet der alte Petrie verschont blieb. Ermutigt durch einen Wechsel in der Verwaltung des Antikendienstes, beantragte er 1937 noch einmal die Genehmigung zu Ausgrabungen in Tell el-Ajjul. Als Leiter der Arbeiten setzte er allerdings nicht sich selbst, sondern Murray und Ernest Mackay39 ein. Die Unternehmung wurde genehmigt und obwohl Petrie selbst nicht mehr Grabungsleiter war, ließ er es sich nicht nehmen, daran teilzunehmen. Bevor er sich in Jerusalem endgültig zur Ruhe setzte, unternahm er noch einen letzten, wenige Tage dauernden Survey in der Gegend um Amman. Er war aber körperlich nicht mehr in der Lage, diesen zu Ende zu führen, und überließ die Arbeit seinen Schülern. Auch an eine Weiterführung der Ausgrabungen in Tell el-Ajjul war nicht mehr zu denken. Durch die zunehmende Verschlechterung der politischen Lage Palästinas und der Instabilität der lokalen Verwaltung kam es 1938 zur zweimaligen Plünderung des Grabungslagers und der kompletten Zerstörung des gesamten Inventars. Dies bedeutete, wie Petrie selbst erkannt hatte, das Ende seiner Arbeit im Raum Gaza. Bis zu seinem Tod am 28. Juli 1942 arbeitete Petrie an seinen Publikationen, trotzdem sich sein Gesundheitszustand zunehmend verschlechterte und die Tage von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs40 überschattet wurden. Legendenumrankt ist auch der Tod Petries. Er hatte noch zu Lebzeiten bestimmt, dass sein Kopf nach seinem Ableben der Wissenschaft vermacht werden sollte, um als Beispiel für einen „typisch britischen Schädel“ zu dienen.41 Vermacht wurde er dem Royal College of Surgeons in London. Obwohl sofort nach Petries Tod
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der Schädel konserviert wurde, kam es nicht zu seiner wissenschaftlichen Auswertung. Zwar wurde der Schädel nach England verschifft (ironischerweise als Antiquität verpackt), doch verlor sich die Beschriftung des Packungsinhalts und wurde in den Nachwirren des Zweiten Weltkriegs schlicht und einfach vergessen. Trotz Nachfrage von Hilda gelang es erst in den 1970er Jahren, den Schädel zu identifizieren. Bis heute befindet er sich im Besitz des Royal College of Surgeons. Petries Körper liegt auf dem protestantischen Zionsfriedhof in Jerusalem. Sein Grabstein in Form einer Stele trägt seinen Namen und ein Anchkreuz – das ägyptische Zeichen für Leben. Bis heute ist Petries Vermächtnis – über 100 Bücher und nahezu 800 Artikel und Beiträge – unübertroffen. Seine Grabungsaktivitäten umfassten Arbeiten in Palästina, Syrien, England und vor allem in ganz Ägypten. Zahlreiche seiner Fundstellen befinden sich bis heute in Bearbeitung und werden weiter wissenschaftlich ausgewertet. Seine archäologischen Funde sind Bestandteil der wichtigsten europäischen und amerikanischen Sammlungen, und die Kenntnis zahlreicher dieser Stücke gehört zur Grundausbildung jedes Ägyptologen. Seine Publikationen bieten bis heute eine unerschöpfliche Quelle an Informationen, da sie den Zustand antiker Stätten dokumentieren, die heute überbaut, beraubt, zerstört oder nicht mehr zugänglich sind. Gerade durch die Tatsache, dass Petrie stets darauf bedacht war, seine Grabungsergebnisse möglichst schnell zu publizieren, haben viele seiner Entdeckungen im Gedächtnis der Wissenschaft überdauert. Möglich wurde diese enorme Arbeitsleistung durch mehrere Faktoren. Zum einen war der Zugang zu den antiken Stätten Ägyptens zu Petries Zeit deutlich einfacher und auch die Vergabe der Ausgrabungskonzessionen durch den ägyptischen Antikendienst erfolgte deutlich großzügiger, da der Antikendienst unter einer englischen Verwaltung von Franzosen geleitet wurde. Auch das Phänomen der Fundteilung und die Ausfuhr von Antiquitäten aus Ägypten (beides ist heute nicht mehr existent bzw. verboten) haben es Petrie erleichtert, seine Ausgrabungen zu finanzieren und neue Geldgeber anzuwerben. Der Hauptgrund liegt jedoch vor allem in der erfolgreichen Personalpolitik, die Petrie bei all seinen Ausgrabungen betrieb. Hier ist einmal die langjährige Ausbildung und Arbeit mit den Bewohnern aus Quft zu nennen, den
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sogenannten Quftis, die automatisch die Methoden Petries übernahmen und diese auch auf anderen Grabungen, auf denen sie angestellt waren, anwendeten. Bis heute arbeiten zahlreiche Quftis sozusagen in Familientradition als Arbeiter auf ausländischen Grabungen, sodass mit Petrie eine inzwischen über 100-jährige Tradition ihren Anfang nahm. Die zweite personelle Maßnahme betrifft die Studenten Petries. Hier wählte er sorgfältig jene aus, die über das nötige Gespür und die körperliche Robustheit verfügten, um auf einer seiner Grabungen bestehen zu können. Die vielversprechendsten wurden von Petrie bald mit einer eigenen Grabungsleitung betraut und später auch an der wissenschaftlichen Publikation der Grabungsergebnisse beteiligt. Zu seinen Studenten zählten zahlreiche Größen der Ägyptologie, deren Namen bis heute unvergessen sind, wie Carter, Brunton, Engelbach, Francis L. Griffith42, Battiscombe Gunn43, Lawrence, Mackay, Murray, Percy Newberry44, James E. Quibell45, Starkey, Gerald Wainwright46 und zahlreiche weitere. Da seine Studenten in eigener Verantwortung und an eigenen Grabungsplätzen arbeiteten, verbreiteten sich auch hier Petries Methoden und wurden verfeinert. Für Petrie, der seine Position als Autodidakt erreichte, war dabei weniger der akademische Abschluss als vielmehr die mentale Eignung seiner Studenten wichtig. Dies prägte eine ganze Generation von Ägyptologen und so wirken seine Methoden und Ansichten, auch wenn sie heute teilweise überholt oder widerlegt sind, bis in die Gegenwart nach. Ein gutes Beispiel für die Karriere eines Petrie-Schülers ist James Edward Quibell. Quibell war Jahrgang 1867 und studierte am Christ Church College in Oxford. Dort machte er die Bekanntschaft von Petrie, der von seiner Begeisterung und seinem Interesse am alten Ägypten so angetan war, dass er Quibell mit auf Ausgrabung nahm. Quibell arbeitete als Assistent auf einigen von Petries wichtigsten Grabungen, darunter Koptos, Nagada und Ballas. Später übertrug ihm Petrie eine eigene Grabungsleitung in Hierakonpolis, das heute als Kom el-Ahmar („roter Hügel“) bekannt ist und ca. 80 km südlich von Luxor liegt. Es ist zusammen mit der auf der anderen Nilseite gelegenen Stadt Elkab einer der frühesten Siedlungsorte der ägyptischen Geschichte. Hier konnten nicht nur frühdynastische Spuren wie in Abydos nachgewiesen werden – die bekannteste ist das aus ungebrannten Lehmziegeln errichtete „Fort
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des Chasechemui“ –, sondern auch einzigartige prädynastische Siedlungsreste. Quibells außergewöhnliche Ergebnisse veranlassten seinen Mentor zu folgender Äußerung: Es ist in höchstem Maße wünschenswert, im Interesse der Wissenschaft und der Entdeckungen Herrn Quibells, der Öffentlichkeit das überaus wichtige Material, das auf diesen Tafeln gezeigt wird, nicht länger vorzuenthalten.47
Und dies kann nur unterstrichen werden, denn zu Quibells Funden gehören einige der wichtigsten Stücke altägyptischer Kunst: die Narmer-Palette48, der Keulenkopf des Königs Skorpion49 und der berühmte goldene Falkenkopf50, wahrscheinlich eine Darstellung des Gottes Horus. Quibell fand auch das berühmte Grab 100, bei dem es sich um das älteste mit Malerei dekorierte Grab Ägyptens handelt. Nach heutigen Erkenntnissen datiert es wohl um das Jahr 3300 v. Chr., in die sogenannte Nagada-II Zeit. Bis heute haben die Funde von Quibells Grabung eine gewisse „wissenschaftliche Brisanz“. Zuletzt konnte bei Restaurierungsarbeiten der vergessene Körper des Falkenkopfes gefunden werden, der jedoch nicht aus Gold, sondern aus Ton ist. Auch neuere Grabungen zeigen, dass Hierakonpolis noch zahlreiche Überraschungen für die Archäologie bereithält: So konnte eine archäologische Unternehmung um Renée Friedman die älteste Palast- und Ritualanlage Ägyptens sowie Reste eines „vordynastischen Zoos“ nachweisen.51 Quibell leitete unter Petries Ägide außerdem die Arbeiten am Totentempel Ramses’ II. Auch privat profitierte er von den Bedingungen der Expeditionen Petries. Angeblich lernte er seine spätere Frau Annie Pirie näher kennen, als sich beide in den provisorisch errichteten Unterkünften in den Vorratsspeichern des Ramesseums von einer Lebensmittelvergiftung erholten.52 1899 wechselte Quibell in den Antikendienst. Hier wurde er zuerst Inspektor für die gesamte Deltaregion und das Gebiet von Mittelägypten. 1904 folgte die Beförderung zum Chefinspektor für die Region Luxor, bevor er schließlich 1905 die Aufsicht über die Region Sakkara erhielt. Zu seinen Entdeckungen gehörten in dieser Zeit die Graban-
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lage von Juja und Tuja, das spätantike Kloster des Jeremias, das Grab des Hesire sowie zahlreiche weitere frühdynastische Grabanlagen und Fundstätten. Wie Hilda Petrie begleitete auch Annie ihren Mann auf seinen Ausgrabungen und zeichnete für ihn. Von 1914 bis 1923 arbeitete Quibell als leitender Kurator am Kairoer Museum, wo er vor allem in den Kriegsjahren maßgeblich das Museum und seine Ausstellung mitgestaltete. Bis 1925 versah er darüber hinaus den Posten des Generalsekretärs des Ägyptischen Antikendienstes. Obwohl sich Quibell anschließend in den Ruhestand versetzen ließ, arbeitete er zusammen mit Cecil Firth53 an der Stufenpyramide des Djoser und übernahm nach dessen überraschendem Tod die Grabung selbst. Quibell verstarb im Alter von 68 Jahren, nachdem er zuvor noch Walter Emery54 als Nachfolger auf seiner Grabung eingewiesen hatte. Auch wenn der Bekanntheitsgrad James Quibells hinter dem seines Lehrers Petrie zurückbleibt, so sind seine archäologische Karriere, seine Leistungen und seine Funde außergewöhnlich, und er gehört zweifellos zu den größten Ägyptologen seiner Zeit.
P o r t r ät N r. 6:
Ernesto Schiaparelli – Ägypten am Rande der Pharaonen
Ernesto Schiaparelli passt auf den ersten Blick gar nicht in die
Reihe dieser schillernden Figuren der Ägyptologie. Aber er ist sicherlich der bedeutendste italienische Ägyptologe, der über mehrere Jahre an vielen Orten Ägyptens gegraben hat. Schiaparelli gehört zu den ersten einer neuen Generation von Archäologen an der Wende zwischen Antikenankauf bzw. Museumsbestückung und sorgfältig-wissenschaftlicher Archäologie. Eine Generation, für die die Ansprüche und Methoden Petries immer selbstverständlicher wurden. Das mag daran liegen, dass mit Mariette und dem Antikendienst die Jagd nach Schätzen für Europa schwerer wurde, aber auch daran, dass die Ägyptologie ihre Pionierzeit hinter sich gelassen und immer mehr zur Wissenschaft geworden war. Schiaparelli war einer dieser ausgebildeten Akademiker und ihm gelang mit dem Grab des Kha einer der (aus wissenschaftlicher Sicht) bedeutendsten Funde, die je in Ägypten gemacht wurden. Ernesto Schiaparelli wurde am 12. Juli 1856 am Fuße der Alpen nahe der piemontesischen Stadt Biella geboren. In seiner Familie war das Interesse am Altertum und am Orient allgegenwärtig. Ernestos Vater Luigi war Professor für Alte Geschichte an der Universität von Turin, sein 15 Jahre älterer Cousin väterlicherseits studierte Arabistik. Ernesto wurde seine Profession also sozusagen in die Wiege gelegt. Er studierte zunächst in Turin Ägyptologie, bevor er 1877 für drei Jahre nach Paris ging, um seine Kenntnisse der altägyptischen Kultur bei Gaston Maspero zu vertiefen. Nach dem Studium übernahm er die Leitung der ägyptischen Abteilung im Archäologischen Museum von Florenz, der zweitgrößten Sammlung altägyptischer Relikte nach der in Turin. Schiaparelli blieb dort 14 Jahre und betreute die Sammlung.
Ernesto Schiaparelli – Ägypten am Rande der Pharaonen 91
Am 29. September 1884 unternahm er seine erste Reise nach Ägypten, um für das Museum Antiquitäten zu erwerben. Auf der Reise besuchte er verschiedene Orte, darunter natürlich Giza und Sakkara, Amarna, Abydos und selbstverständlich Theben-West und Assuan. Erst im April 1885 kehrte er nach Florenz zurück. Nach sechs Jahren folgte eine zweite Ägyptenreise im Auftrag des Museums. Während dieser Reise im Winter 1891 bis 1892 fand Schiaparelli das Grab des Harchuf in Assuan, dessen Entdeckung und Inschriften er im darauffolgenden Jahr veröffentlichte. Nachdem Ariodante Fabretti, der Direktor des Ägyptischen Museums von Turin, im Jahr 1894 verstorben war, sollte Schiaparelli den Posten übernehmen. Also kehrte er am 30. September in seine Heimat zurück und leitete fortan das renommierte Turiner Museum, weltweit eines der wenigen Museen, das ausschließlich der altägyptischen Kultur gewidmet ist. Als Direktor unternahm er im Winter 1900/01 seine dritte Reise nach Ägypten mit dem Ziel, Altertümer für die Sammlung zu erwerben. Auf dieser Reise soll er 1400 Objekte gekauft und nach Turin verschifft haben. Im Jahr 1903 gründete Schiaparelli mit der Unterstützung des italienischen Königs Vittorio Emmanuelle III. die Missione Archeologica Italiana (MAI) in Ägypten, deren Leiter er wurde. Vier Jahre später übernahm er auch die Direktion des Archäologie-Inspektorats des Piemont, des Aosta-Tals und Liguriens mit der Aufgabe, die Konservierung und Restaurierung der archäologischen Stätten dieser Gegenden zu gewährleisten. Schiaparellis Arbeit weitete sich immer mehr auf die heimischen Altertümer aus; er beschränkte sich nie darauf, nur die altägyptische Kultur zu erforschen. Durch seine Anstellungen in Florenz und später in Turin war Schiaparelli immer in den breiteren akademischen Austausch eingebunden1 und unterstützte durch Vereinsgründungen verschiedene Missionen und Ideale, zum Beispiel die italienische Kirchenmission, die Schulen und Krankenhäuser in Nordafrika unterhielt, durch die Gründung der Associazione Nazionale per Soccorrere i Missionari Cattolici Italiani (1886) oder emigrierte Landsleute, besonders im Nahen Osten, durch Gründung der Italica Gens (1908). Schiaparelli wurde für seine Taten mit mehreren Orden ausgezeichnet und als er 1924 als Senator des Königs in das italienische
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Parlament gerufen wurde, übernahm er noch in seinen späten Jahren landespolitische Verantwortung. Insgesamt leitete Schiaparelli über mehrere Jahre zwölf Grabungen der MAI an verschiedenen Orten in ganz Ägypten: in Heliopolis, Giza, Assiut, Hammamia, Qau el-Kebir, Hermopolis, in der thebanischen Nekropole (Tal der Königinnen und Deir el-Medina), in Gebelein, Assuan, Oxyrhynchos, Antinoopolis und Atribis. Während der einzelnen Winterkampagnen arbeiteten die italienischen Archäologen teilweise gleichzeitig an mehreren dieser Orte. Im Dezember 1902 startete die erste Winterkampagne Schiaparellis. Zunächst war er mit Antikenkäufen für das Turiner Museum beschäftigt, bevor er am 29. Januar 1903 im Tal der Königinnen in der thebanischen Nekropole mit seinem Kollegen Francesco Ballerini2, einem Mitarbeiter des Turiner Museums, die erste Grabung der Missione eröffnete. Am 15. Februar entdeckten sie das Grab des Prinzen Khaemwese, eines Sohnes Ramses’ III. In dem Grab fand Schiaparelli eine ungewöhnlich große Menge an Särgen (90 an der Zahl), Mumien und Grabbeigaben. Die Arbeiten im Tal der Königinnen wurden bis zum 15. März fortgeführt. Gleichzeitig arbeitete die MAI auf dem Pyramidenplateau in Giza. Dort begann die Grabung am 11. Februar unter der Leitung von Schiaparelli und Evaristo Breccia3. Nachdem Ballerini im Tal der Königinnen fertig geworden war, schloss er sich Ende März der Unternehmung in Giza an und übernahm die Leitung für die letzten Grabungswochen bis zum 13. April. Schiaparelli und Breccia waren bereits weitergezogen und hatten am 20. März in Hermopolis zu graben begonnen. Schiaparelli schrieb: Ungefähr zur Hälfte des März, die Grabung im Tal der Königinnen ist beendet und die in Giza lässt sich gut an, konnte ich Doktor Breccia von der Arbeit abziehen und ihn nach Hermopolis senden, um dort mit der Grabung zu beginnen.4
Am 15. April – die Arbeit in Giza wurde zwei Tage zuvor beendet – begannen Schiaparelli und Ballerini in Heliopolis zu arbeiten. Schiaparelli scheint dabei eher die Rolle eines Aufsichtsrates übernommen zu haben. Während er die Grabungsleitung seinen Kollegen vor Ort überließ, reiste er von Grabung zu Grabung und überwachte den jewei-
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ligen Beginn der Arbeiten. Bis Ende Mai wurde in Heliopolis gegraben. Breccia beendete Hermopolis bereits Ende April 1903. Die zweite Kampagne der MAI startete am 13. Februar 1904 im Tal der Königinnen unter der Leitung von Schiaparelli und Ballerini. Das Tal wurde weiter systematisch untersucht und Schutt und Geröll bis zum Boden abgetragen. Im Rahmen dieser Kampagne entdeckte man fünf Gräber. Darunter war das Grab des Amunherchepeschef, eines weiteren Sohnes Ramses’ III., und das Grab der Nefertari, der Hauptgemahlin Ramses’ II; Letzteres ist bis heute eine der wichtigsten Touristenattraktionen in Theben-West. Die Arbeiten dauerten bis Ende März. Dann gingen Schiaparelli und Ballerini nach Heliopolis, um dort ab dem 8. April die Untersuchungen bis Ende Mai fortzuführen. Gleichzeit fand wieder von Anfang Februar bis Mitte Mai eine Kampagne in Hermopolis unter der Leitung von Schiaparelli und Breccia statt. Breccia wurde im Laufe dieser Kampagne die Direktion des Griechisch-Römischen Museums in Alexandria angeboten; Guiseppe Botti, der Leiter des Museums, war am 3. März 1903 verstorben. Breccia gab die Grabungsleitung an seinen Stellvertreter Giacomo Biondi ab, einen Schüler der Scuola Italiana di Archeologia. 1905 arbeitete die MAI zum ersten Mal in Deir el-Medine (18. Januar bis 8. März), in Qau el-Kebir und Hammamia (Mitte März bis Mitte Mai) und wieder in Heliopolis (zweite Maihälfte bis Anfang Juli). Aber die Siedlung von Deir el-Medine sollte Schiaparelli berühmt machen. Die Siedlung war einst die Heimstatt der Handwerker, die die königlichen Grabanlagen im Tal der Könige errichtet hatten. Funde aus dieser Arbeitersiedlung waren schon früher, seit Drovettis Zeiten, nach Turin gekommen. Die Objekte zeigten ein Ägypten, das man so bisher nicht gekannt hatte. Sie berichteten über den Alltag der „einfachen Menschen“ abseits großer königlicher Grabanlagen und monumentaler Göttertempel. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte noch niemand im Tal von Deir el-Medine gegraben (abgesehen von Grabräubern). Die Relikte aus der Arbeitersiedlung waren über den Antikenhandel nach Europa gekommen, und bis dahin hatten nur wenige die Objekte studiert, die über einzelnen Museen und Sammlungen – vor allem Turin und Paris – verteilt waren. Schiaparelli kannte diese besonderen Relikte, von denen kaum ein Wissenschaftler jener Zeit ahnte, welch
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außergewöhnlichen Einblick sie in das alte Ägypten ermöglichten. Er war der Erste, der das große Potenzial einer Grabungskonzession in Deir el-Medine erkannte, und er war der Erste, der versuchte, die archäologischen Reste der Siedlung ans Tageslicht zu bringen. Am 18. Februar 1905 begann also die MAI einen Teil der alten Siedlung freizulegen, die am Fuß des thebanischen Westgebirges liegt, auf dessen steilen Hang sich die Siedlungsnekropole erstreckt. Daneben untersuchte Schiaparelli mit seinen Leuten auch einen Felsenschrein, der der schlangenförmigen Schutzgöttin der Siedlung geweiht war und auf dem Weg zwischen Deir el-Medine und dem Tal der Königinnen liegt. Die Grabung brachte beachtliche Funde hervor. Aber erst in der darauffolgenden Winterkampagne sollte Schiaparelli in der Nekropole von Deir el-Medine das Grab entdeckten, das ihn über den Tod hinaus bekannt machen würde: das Grab des Kha. Im Turiner Museum befanden sich bereits einige Objekte mit dem Namen des Kha, zum Beispiel die Grabstele des Kha, die zur Sammlung Drovetti gehörte. Auch die pyramidenförmige Grabkapelle des Kha, die in der Siedlungsnekropole steht, war bereits seit Jahrzehnten bekannt. Wilkinson und Lepsius hatten Szenen daraus kopiert, das Grab aber nie gefunden. Wie gewohnt begab sich die MAI im Dezember 1905 nach Ägypten, und am 10. Januar 1906 begann man in Deir el-Medine zu graben. Das Team bildeten Schiaparelli, Ballerini, der Graf Alessandro Casati und zwei Herren namens Fabrizio Lucarini und Benvenuto Savina. Schiaparelli war sich sicher: Wenn die Grabkapelle in der Nekropole war, dann konnte auch das Grab des Kha nicht weit sein. Die MAI begann die umliegenden meterhohen Schutthaufen bis auf den felsigen Grund abzutragen. Aber alle Grabschächte, die ans Tageslicht kamen, waren bereits geplündert worden. Erst Ende Februar, als schon ein Großteil des Areals untersucht worden war, stieß Schiaparelli auf einen Bereich, an dem noch niemand zuvor gesucht hatte. Im Schutt befanden sich keine Knochen und keine Reste von aufgebrochenen Gräbern. Die Stelle war bisher also nie „durchwühlt“ worden. Die Archäologen stießen auf einen Schacht, der tief in die Felswand geschlagen war und befreiten ihn nach und nach vom Schutt. Am Grund des Schachtes fand Schiaparelli eine intakte, versiegelte Wand. Er stoppte mit der Arbeit bis der Chefinspektor des Antikendienstes, zu dieser Zeit Arthur Weigall5, vor
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Ort war, um der Öffnung des Grabes beizuwohnen. So schrieb es der Antikendienst vor, und so lange hielt das Team am Grab Wache: Savina vor der versiegelten Wand am Ende der Leiter, die in den Schacht gestellt worden war, und Casati am Einstieg. Erst am nächsten Tag konnte die Arbeit jetzt mit Weigall weitergehen. Die Wand wurde abgetragen und es folgte ein Korridor, der nach einigen Metern durch eine Mauer aus Bruchsteinen versperrt war. Hinter dieser Mauer folgte ein zweiter, etwas breiterer Korridor. Hier fanden die Ausgräber bereits einige Grabbeigaben: ein Bett, Körbe, einen Spazierstock, einige Möbel und Blumen. Am Ende des Korridors befand sich eine robuste, verriegelte Holztür. Weigall beschrieb diesen Moment: Das Holz hatte die Farbe frischer Bohlen bewahrt und sah für alle Welt aus, als wäre es erst gestern eingesetzt worden. Ein schweres Holzschloss […] hielt die Tür fest. Ein ordentlicher Bronzegriff auf einer Seite der Tür war durch eine Feder mit einem hölzernen Knauf verbunden, der in den steinernen Türrahmen eingesetzt war; und die Feder war fein säuberlich mit einem kleinen Klumpen Lehm versiegelt. Die ganze Einrichtung wirkte so modern, dass Professor Schiaparelli seinen Diener rief, um den Schlüssel zu holen, und dieser antwortete ernsthaft: „Ich weiß nicht wo er ist, Herr.“6
Als sie die Tür öffneten, waren sie seit 3500 Jahren die ersten Menschen, die in die Grabkammer des Kha und seiner Frau Merit blickten. Alles war so, wie es am Tag der Bestattung zurückgelassen worden war: zwei Sarkophage, Lampen, ein weiteres Bett, eine Statuette des Grabherren, Möbel, das Schminkkästchen der Merit, ihre Perückentruhe und noch viele weitere Beigaben. Dieser Fund war nicht nur für die MAI oder das Turiner Museum, sondern für die ganze Ägyptologie von besonderer Bedeutung. Es ist eines der ganz wenigen nicht beraubten und ungestörten Gräber der altägyptischen Beamtenschaft und zeichnet ein Bild der altägyptischen Bestattungssitten der nicht-königlichen Schichten im Neuen Reich. Bis zu Schiaparellis Fund war nur ein weiteres Grab in Deir el-Medine intakt vorgefunden worden: das 1886 von Maspero entdeckte Grab des Sennedjem. Schiaparellis Fund war nicht nur in Fachkreisen eine Sensation.Trotzdem erfolgte die Publikation erst viele Jahre später, in den 1920ern. Die Grabungskampagne in Deir el-Medine
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endete Mitte März 1906 und die MAI begab sich weiter nach Qau el-Kebir und Hammamia und später, Ende April, auch zum ersten Mal nach Assiut, um dann Mitte Juni mit der Arbeit in Heliopolis fortzufahren. Die vierte Kampagne wurde am 10. Juli beendet. In den darauffolgenden Kampagnen der Jahre 1907 bis 1909 wurden die Unternehmungen in Deir el-Medine, Heliopolis, Hermopolis, Assiut und Giza fortgeführt. Ab 1910 arbeitete die MAI das erste Mal in Gebelein, Oxyrhynchos und Antinoopolis. Nach Deir el-Medine und in das Tal der Königinnen kehrte man erst im Winter 1913/14 zurück, um noch einmal abschließend zu fotografieren. In derselben Kampagne begann Schiaparelli auch in Assuan zu arbeiten, wohin er aber nicht mehr zurückkehrte. Nach dem Ersten Weltkrieg unternahm Schiaparelli noch zwei Reisen nach Ägypten: 1920 und 1923. 1920 begab er sich zum letzten Mal als Leiter der MAI nach Gebelein. Danach publizierte er seine wichtigsten Unternehmungen, allen voran die Entdeckung des Grabes des Kha. Am 14. Februar 1928 starb Ernesto Schiaparelli als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der italienischen Ägyptologie. Schiaparelli hat wie viele seiner Kollegen zahlreiche interessante und auch einige bedeutende Funde gemacht, gerade was seine Arbeit in der thebanischen Nekropole betrifft. Das Grab des Kha stellte dabei nicht nur generell eine echte archäologische Sensation dar – das Grab des Tutanchamun war schließlich noch nicht gefunden worden –, sondern vor allem eine wissenschaftliche Sensation. Bisher hatte man Grabbeigaben entweder in geplünderten Gräbern gefunden (weil die Grabräuber sie schlicht übersehen oder für wertlos erachtet hatten) oder im Antikenhandel erworben. Das Grab des Kha wurde dagegen komplett intakt und nicht beraubt vorgefunden. Die Entdecker waren seit der Bestattung die ersten Menschen in der Grabanlage. Damit bot das Grab des Kha einen ungetrübten Blick in die Vergangenheit, den es so in der Geschichte der Archäologie Ägyptens kaum jemals wieder gegeben hat.
P o r t r ät N r. 7:
Howard Carter – ein Archäologe neuer Schule
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oward Carter, der wohl bekannteste Ägyptologe der Welt, behauptete sein ganzes Leben lang, im Jahre 1873 geboren worden zu sein. Ein Fehler, den er schon früh in seiner Karriere und wohl ganz ohne Hintergedanken beging. Erst nach seinem Tod am 2. März 1939 entdeckte seine Nichte Phyllis Walker in der Geburtsurkunde ihres Onkels, dass er erst ein Jahr später, am 9. Mai 1874, im Stadthaus seiner Familie in Brompton in Kensington zur Welt kam. Die Carters stammten aus Swaffham, einer kleinen Marktstadt in Norfolk. Der Ort hatte immer eine hohe emotionale Bedeutung für Carter. Die Carters von Swaffham waren für ihr künstlerisches Talent bekannt. Howards Vater, ein bekannter Maler und Zeichner, arbeitete teils in Swaffham, teils in London für die Illustrated London News und hatte sich vor allem als Tiermaler einen Namen gemacht.1 Dieses Talent ging auch auf seinen Sohn über. Carter verbrachte er einen Großteil seiner Kindheit und Jugend in Swaffham; dort wuchs er bei seinen Tanten Kate und Fanny auf. Eigenen Angaben zufolge war er ein eher schwächliches Kind und konnte weder am regulären Schulleben noch an sportlichen Aktivitäten teilnehmen.2 Carter besuchte eine Dame School, eine Art rudimentärer Grundschule, wo er die Grundzüge des Lesens, Schreibens und Rechnens lernte. Briefe aus seinen frühen Jahren in Ägypten zeigen, dass er selbst als Teenager über kaum mehr als diese Grundausbildung verfügte. Carters Stärke waren das Malen und Zeichnen. In seiner Jugend begleitete er oft seinen Vater, wenn dieser Auftragsarbeiten in den umliegenden Herrenhäusern und Landsitzen erledigte. Das war die beste Schule für die Fähigkeiten, die ihm schon mit 15 Jahren den Lebensunterhalt sicherten und ihn letztlich nach Ägypten bringen sollten.
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Einer der Orte, die Carter mit seinem Vater besuchte, war Didlington Hall, der Landsitz der Familie Tyssen-Amherst3. Didlington Hall verfügte über eine bedeutende Sammlung altägyptischer Relikte, von monumentalen Statuen über kleinere Plastiken und Kleinkunst bis hin zu Texten auf Papyrus. Das Interesse am pharaonischen Ägypten war in Didlington Hall sehr groß, und es ist kaum verwunderlich, dass Mitglieder der Familie ihren Teil zur Ägyptologie beigetragen haben.4 Ob Carter sich oft in Didlington Hall aufhielt, ist nicht bekannt. Später schrieb er aber, die Amherst-Sammlung habe seine Ägypten-Sehnsucht geweckt. Zumindest war er mit der Familie so gut bekannt, dass ihn Lady Amherst 1891 für Arbeiten in Ägypten empfahl. Es sollte sich als Wendepunkt in Carters Leben erweisen. Lady Amherst unterstützte den Egypt Exploration Fund (EEF) und war mit dem Ägyptologen Percy Newberry bekannt, der die Ägyptische Sammlung oft besuchte. Newberry war für den EEF tätig und hatte zusammen mit dem Bauingenieur George Fraser5 den Auftrag, einen Survey in Beni Hassan6 und Deir el-Bersche7 durchzuführen. Sie sollten die vielen Altertümer und Stätten dokumentieren und so vor Verfall und Schaden durch Umwelt und Besucher retten. Alles Sichtbare sollte für die Wissenschaft aufgenommen, gezeichnet und beschrieben werden. Die Unternehmung startete 1890 und es wurde schnell klar, dass die viele Arbeit nicht in der geplanten Zeit zu bewältigen war. Verschiedene Spenden, unter anderem von Lady Amherst, ermöglichten die Einstellung weiterer Mitarbeiter. Und Lady Amherst war es auch, die den 17 Jahre alten Carter und seine zeichnerischen Fähigkeiten an Newberry empfahl. Doch bevor Carter die Unternehmung des EEF 1891 verstärken sollte, bekam er in Didlington Hall die Möglichkeit, sich mit der altägyptischen Kultur eingehend vertraut zu machen. Die Sammlung bot sicherlich einen guten Einstieg, um erste Erfahrungen als Zeichner altägyptischer Bilder zu sammeln. Aber Carter sollte die Pharaonen noch intensiver studieren und bekam im Sommer und im frühen Herbst 1891 die Chance, unter der Aufsicht von Francis L. Griffith die altägyptische Sammlung des British Museum so oft zu besuchen und dort so viele Stücke zu zeichnen, wie er wollte. Darüber hinaus sollte er auch die Reiseberichte und Zeichnungen des frühen 19. Jahrhunderts studieren, die im Magazin des Museum archiviert waren. Von
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besonderer Bedeutung waren dabei die Aufzeichnungen Robert Hays. Carter studierte sie eingehend und kopierte sie. Hays Aufzeichnungen enthielten auch Szenen und Inschriften aus den Gräbern von Beni Hassan und Deir el-Bersche, wo Carter zunächst für den EEF arbeiten sollte. Im Herbst 1891 verließ Carter erstmals seine Heimat. Mit dem Zug fuhr er von London an die Küste, überquerte den Kanal und reiste quer durch Europa nach Italien, wo er eine Schiffspassage nach Alexandria buchte. Carter hatte sich von einem angehenden Tiermaler zu einem archäologischen Zeichner mit Potenzial entwickelt. Durch die Anstellung beim EEF bekam er die Chance, das Leben eines Auftragskünstlers für eine komplett neue Welt zu verlassen. So mag er sich gefühlt haben, als er in Alexandria Newberry traf und den Orient betrat. In Kairo besuchte Carter das Museum und traf das erste Mal auf Petrie, der ein paar Tage in Kairo verbrachte, bevor er seine Arbeit in Amarna aufnahm. Er scheint auf Carter großen Eindruck gemacht zu haben. Zumindest beschrieb Carter das Aufeinandertreffen als „eines dieser beeindruckenden Ereignisse in seinen frühen Jahren“8. Für Carter war Petrie ein Mann, der das nötige Urteilsvermögen, genug Selbstvertrauen und die Kraft hatte, archäologische Fragen wirklich zu lösen. Und was Carter wohl am meisten beeindruckte, war, dass Petrie neben seinem großen und detailreichen Wissen vor allem ein Gespür für die feinen Künste hatte und sie schätzte. Zusammen mit Newberry, Fraser und einem Zeichner namens Marcus W. Blackden9 ging es dann im Winter 1891/92 nach Beni Hassan und Deir el-Bersche. Carter fühlte sich wohl. Er empfand die Lebensumstände als durchaus komfortabel. Die Sicht, die man von den erhöht auf einer Terrasse liegenden Gräbern von Beni Hassan über den Nil und das umliegende Land hatte, beschrieb er als „glorious“ und die Darstellungen in den Gräbern als einzigartig. Ägypten faszinierte Carter immer mehr, nur Newberrys Methoden störten ihn.10 Der ungewöhnliche Szenenreichtum der Grabdarstellungen, die Farbenpracht, die Detailgenauigkeit, mit der die Ägypter das Dargestellte lebendig werden ließen, all das war für den Künstler Carter wichtig. All das sollte in irgendeiner Form dokumentiert werden. Aber so wie Newberry die Darstellungen aufnahm, war das in Carters Augen nicht mehr als ein
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bemühter Versuch. Newberrys Methode sah vor, die Darstellungen (egal ob Relief oder Malerei) mittels großer Papierrollen, die von der Grabdecke an den Wänden hinab aufgehängt wurden, möglichst akkurat zu kopieren. Die Kopien wurden dann aufgerollt und später in London mit Tinte nachgezeichnet. Aus Carters Sicht konnte jeder Künstler bessere Kopien erstellen, wenn er mit freier und verständiger Hand ein Faksimile anfertigte11, das auch die Farben berücksichtigte. Aber er war der Neue im Team und hatte die Aufgaben, die Newberry ihm auftrug, zu erfüllen. Und sein Chef war sehr zufrieden mit ihm, wie Briefe zwischen Newberry und Griffith nahelegen. Die Arbeit in Beni Hassan ging schneller voran als erwartet, und bald wechselte das Team nach Deir el-Bersche. Hier bekam Carter die Gelegenheit mehrere Darstellungen selbst zu kopieren, und wie die Publikationen zu den Gräbern zeigen, durfte er diese später in England höchstwahrscheinlich selbst mit Tinte nachzeichnen. Carters Arbeit hatte eine andere Qualität als Newberrys. Die Zeichnungen wirken, auch wenn sie noch weitgehend in Newberrys Stil gefertigt sind, viel detailreicher und originalgetreuer. Carter nutzte seine Chance und stellte seine Fähigkeiten unter Beweis. Er zeigte, dass er die Methode Newberrys verbessern konnte; dass seine Zeichnungen in den Publikationen genutzt wurden, zeigt einmal mehr, dass Newberry und Griffith Carters Arbeit schätzten. Aber der Aufenthalt in Beni Hassan und Deir el-Bersche brachte auch die Schwierigkeiten zwischen den beteiligten Personen zutage. Fraser und Blackden hatten sich gegen Newberry verschworen und sahen in Carter seinen Schüler. Was der Anlass für diese Spannungen war, ist letztlich nicht zu klären. Womöglich waren die Charaktere einfach zu verschieden. Während der Arbeit in Deir el-Bersche besuchten Carter und Newberry mehrmals Petrie in Amarna. Bei ausgedehnten Wanderungen in die nähere Umgebung trafen sie am 21. Dezember 1891 auf drei Männer – Newberry beschrieb sie als Beduinen –, die ihnen von einem Grab in der Wüste erzählten, das Malereien, Statuen und Inschriften enthalte. Newberry vermutete, dass es sich um das lang gesuchte Grab des Echnaton handeln könnte, und beschloss, besagte Stelle in der Wüste zu besuchen. Zu seiner und Carters Enttäuschung fanden sie aber kein Grab, sondern nur einen Steinbruch. Immerhin entdeckten sie Inschriften, die viel älter waren als die Relikte in Amarna
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oder die Gräber in Deir el-Bersche. Das entschädigte für die anfängliche Enttäuschung. An eine nähere Untersuchung war aber zunächst nicht zu denken. Die Feiertage verbrachte Newberry in Minya in Gesellschaft eines Major Brown, während Carter mit Petrie feiern wollte. Zum Missfallen Newberrys waren auch Fraser und Blackden beim Major geladen. Während dieser Feiertage erfuhren Fraser und Blackden von Newberrys Entdeckung. Zwei Tage nach Weihnachten machten sie sich auf, die Stelle des Steinbruchs näher zu untersuchen, ohne Newberrys Wissen. Dank der Inschriften konnten sie den Steinbruch als Hatnub identifizieren. Sie proklamierten die Entdeckung für sich und sicherten sich die Publikationsrechte, die nach landläufiger Meinung Newberry und Carter zugestanden hätten. Das verschlechterte die Stimmung im Team deutlich, und Carter fand sich inmitten eines Streits wieder. Er fühlte sich natürlich Newberry verbunden. Später beschrieb er diesen Vorfall als Ereignis, das ein unangenehmes Gefühl in das Camp brachte, und Blackden und Fraser bezeichnete er aufgrund ihres unkollegialen Verhaltens als „dirty dogs“12. Aber Carter sollte in dieser Zeit des Zwists die Möglichkeit bekommen, unabhängig von seinen Teamkollegen sich neuen archäologischen Herausforderungen zu stellen. Schon im Sommer 1891 bot Petrie dem EEF an, einen Lehrling in Amarna auszubilden, ein Angebot, dass für den EEF von größtem Wert war. Petrie galt als äußerst erfahrener und zukunftsweisender Archäologe, der schon früh verstanden hatte, was selbst heute noch keine allgemein akzeptierte Wahrheit ist: Ein guter Schreibtisch-Ägyptologe ist nicht zwingend ein guter Feldägyptologe. Umso mehr war es für die Vorsitzenden des EEF von Interesse, dass ein Mann wie Petrie die Ausbildung junger, aussichtreicher und vom EEF angestellter Archäologen übernahm. Zunächst wurde Blackden für diese Ausbildung vorgesehen. Er war zwar, genauso wie Carter, nicht als Archäologe, sondern als Zeichner angestellt, aber die Fähigkeit zu zeichnen und die entsprechende Beobachtungsgabe sind auch heute noch bei Grabungen von Vorteil. Blackdens Verbindung mit Fraser und beider Verhalten gegenüber Newberry ließen jedoch seine Chancen auf eine Ausbildung bei Petrie sinken. Außerdem zeigte sich Blackden unentschlossen: Er wusste nicht, wie sehr er die Arbeit in Deir el-Bersche für Petries Unternehmung vernachlässigen durfte. Dies brachte
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Carter auf den Plan, der ja öfter mit Newberry bei Petrie zu Besuch gewesen war. Zeitgleich bot Lord Amherst über Newberry Petrie seine finanzielle Unterstützung und Partnerschaft für die Arbeit in Amarna an. Im Gegenzug wollte er ein paar Funde für seine Sammlung. Petrie willigte ein und stellte ein Grabungsareal zur Verfügung, auf dem sein neuer Lehrling für Lord Amherst und unter seiner Aufsicht arbeiten konnte. Diese Rolle kam nun Carter zu, und auch wenn Petrie zunächst nicht sehr zufrieden mit der Wahl seines Schülers war, kam die Wahl Lord Amherst natürlich sehr entgegen. Er sah in Carter einen loyalen Repräsentanten seiner Anliegen. Am 2. Januar 1892 begann also Carter für Lord Amherst bei Petrie zu arbeiten. Nach einer Woche Einführung wurde er sich selbst überlassen, sozusagen „ins kalte Wasser geschubst“. Petrie erwartete, dass Carter ganz selbstständig mit seinem Areal vorankam. Mit der Zeit schien Petrie die Qualitäten Carters immer mehr zu schätzen. Ende Januar schrieb er in sein Tagebuch, dass Arbeiter ihm einen Gipskopf des Königs Echnaton gebracht hätten, der nicht gezielt beim Graben, sondern „einfach so“ gefunden worden sei. Das Objekt beschäftigte ihn so sehr, dass er Carter rief, um mit ihm den Fund zu besprechen. Ganz offensichtlich betrachtete Petrie Carters Kenntnisse in der bildenden Kunst als so wertvoll, dass er sie zurate zog. Die Funde in Amarna beschränkten sich auf Keramik, Reste von Glasherstellung und einige Statuen, die in die Amherst-Sammlungen wanderten. Aber Carter fand Gefallen an der archäologischen Arbeit und profitierte enorm von Petries Erfahrung und Rat. Zusammen unternahmen sie regelmäßig Wanderungen in der Umgebung, um die Grenzstelen zu identifizieren und die vielen Grabanlagen zu sichten. Petrie gab seinem jungen Kollegen die Verantwortung über einen Survey, der das Straßennetz von Amarna klärte, und er ließ ihn Zeichnungen von Echnatons Grab anfertigen, die im Vergleich zu den älteren ägyptologischen Dokumenten vorbildlich waren. Carter lernte viel in dieser Zeit; später schrieb er: Ich glaube, während dieser Monate harter Arbeit verlieh mir Petries Training immer mehr das Naturell eines Forschers – systematisch zu graben und zu untersuchen.13
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Anfang Mai 1892 erreichte Carter eine traurige Nachricht: Sein Vater war im Alter von 57 Jahren verstorben. Die Saison in Amarna näherte sich dem Ende, Zeichnungen wurden fertiggestellt, Objekte dokumentiert und Kisten für den Fundtransport gebaut. In den letzten Maitagen schickte Petrie dann 150 Kisten mit Funden aller Art nach Kairo. Carter und Petrie folgten. Als sie in Kairo ankamen, erreichte Carter ein Brief von Newberry. Er wollte Carter für die kommende Wintersaison 1892/93 wieder in seinem Team haben. Fraser und Blackden wurden entlassen, um einen reibungslosen Fortgang zu gewährleisten. Carter wurde also erneut durch den EEF angestellt. Nach den Trainingsmonaten bei Petrie mag die Arbeit unter Newberry eher langweilig gewesen sein, aber so blieb Carter zumindest in Kontakt mit dem EEF und konnte weiter in Ägypten arbeiten. Im Dezember 1892 kehrten Newberry und Carter mit einem neuen Team nach Mittelägypten zurück. Erst wollten sie die zeichnerische Aufnahme der Gräber von Deir el-Bersche fortführen und dann nach Amarna gehen, um dort die Grabmalereien und Inschriften zu dokumentieren. Darauf sollten weitere Nekropolen im Süden folgen. Ein sportliches Unterfangen für eine Saison. Das Team wurde von Newberrys Bruder John unterstützt, einem Architekten, der nach drei Wochen weiter im Süden in Deir el-Bahari die neue Ausgrabung des EEF unter der Leitung von Edouard Naville verstärken sollte. Als das Team in Kairo ankam und seine Grabungsgenehmigung abholen wollte, war der damals neu eingesetzte Generaldirektor des Antikendienstes Jaques de Morgan bei einer Inspektion in Assuan. Newberry schrieb ihm die geplanten Arbeitsabsichten, und das Team brach nach Mittelägypten auf. Nachdem sie in Beni Hassan und Deir el-Bersche farbige Faksimiles von Details der Grabwandszenen angefertigt hatten, ging es weiter nach Amarna. Am 25. Januar 1893 begannen Newberry und Carter die Gräber der Beamten zu vermessen und zu zeichnen. Drei Tage später kam de Morgans Antwort. Der Antikendienst versagte Newberry die Genehmigung für Amarna. Newberry reiste umgehend nach Kairo, um die Situation zu klären, da sein Team bereits einen guten Teil der Inschriften und Szenen kopiert hatte. Er hoffte, de Morgan umstimmen zu können. Auf seiner Reise erreichte ihn ein Brief des Schatzmeisters des EEF: Carter solle sich umgehend nach Kairo begeben, um beiTellTimai einem
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Mann namens Guthrie Roger zur Seite zu stehen. Roger war nach Ägypten gesandt worden, um im Auftrag des EEF und des Papyrologen Arthur Hunt14 die sogenannte „Mendes-Bibliothek“ zu finden: unterirdische Kammern, gefüllt mit Papyri, die bereits Naville entdeckt, aber nicht untersucht hatte. Carter sollte ihn mit seiner archäologischen Erfahrung unterstützen. Also begab sich Carter Anfang Februar 1893 nach Kairo, um mit Roger die nötigen Vorbereitungen für ihre Delta-Unternehmung zu treffen. Die ganze Sache war überstürzt, und der EEF hatte kaum verwertbare Informationen gesandt. Carter und Roger reisten ins Delta und suchten nach den von Naville beschriebenen unterirdischen Kammern. Nur konnten sie sie nicht finden. Hilfe kam von Petrie, der in einem Brief an Newberry die Lage der Kammern etwas genauer beschrieb. Mit Hilfe dieser Informationen konnte Carter am 10. Februar 1893 vermelden, dass er drei oder vier vielversprechende Orte gefunden habe und dass jeder mindestens zwei Monate lang untersucht werden müsse. Wie auch immer die Suche weiterging, am 1. März 1893 schrieb Carter, er habe die Kammern gefunden und sie seien aussichtsreich. Nur fehlte ihm bislang eine offizielle Genehmigung, sodass der ortansässige Scheich jegliche weitere Arbeit untersagte. Immer wieder schrieb Carter dem EEF, um daran zu erinnern, dass sie immer noch keine Genehmigung hatten und die Arbeit still stand. Carter selbst hatte nicht den nötigen Einfluss, um eigenhändig eine Genehmigung zu beantragen, und die Bürokratie des EEF war zu schwerfällig, um schnell Abhilfe zu verschaffen. Unterdessen beschwerte sich Newberry, ihm fehle ein wichtiger Mitarbeiter und die Arbeit in Mittelägypten komme ebenfalls nicht voran. Tell Timai entpuppte sich immer mehr als Verschwendung von Zeit und Geld, und Carter war das unzufriedene Opfer. Am 9. April 1893 schrieb Newberry an den EEF, dass er Carter wieder dringend in Deir el-Bersche brauche. Er berichtete, Carter besitze immer noch keine Genehmigung und sitze in Tell Timai untätig und unzufrieden die Zeit ab. Newberry versprach, Carter wieder freizustellen, sobald die Genehmigung für Tell Timai käme.15 Das zeigte Wirkung: Am 13. April 1893 kehrten Newberry und Carter nach Mittelägypten zurück. Nachdem sie in den nächsten zwei Wochen Gräber in El-Scheich Said aufgenommen hatten, kehrte Newberry zurück nach England, während Carter nach Deir el-Bersche
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ging, um noch einige Farbfaksimiles für die bevorstehende Publikation anzufertigen. Newberry hatte mittlerweile genug Vertrauen in Carters Arbeit, um ihn mit dessen Aufgaben allein zu lassen. Die Genehmigung für Tell Timai kam nicht und sollte auch nie kommen. Mai 1893 beendete Carter seine Arbeit in Deir el-Bersche. Der EEF stellte ihn erneut für ein Jahr ein, immer noch als archäologischen Zeichner, obwohl seine Erfahrungen mit Petrie und seine fruchtlosen Aufgaben in Tell Timai keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten als Archäologe ließen. Über den Sommer sollten die Publikationen für Beni Hassan und Deir el-Bersche fertiggestellt werden, doch dann stellte sich heraus, dass Newberrys Arbeit die Mittel des EEF überbeanspruchen würde und die Spenden unter den Erwartungen geblieben waren. Newberry musste pausieren, und es wäre das frühe Ende von Carters Karriere gewesen, hätte der EEF nicht die Grabung in Deir el-Bahari am großen Terrassentempel der Hatschepsut begonnen. Dort war Platz für einen weiteren Zeichner, und Carter hatte beste Referenzen. Carter nahm also im Dezember 1893 seine Arbeit als Zeichner in Deir el-Bahari auf und wurde Teil von Navilles Team. Zu dieser Zeit waren dessen Arbeitsmethoden nicht unumstritten. Vor allem Petrie kritisierte Navilles Vorgehen und nannte ihn einen „site-cleaner“, der nur darauf bedacht sei, beschriftete Bauwerke aus dem Schutt zu bergen, ohne den feinen archäologischen Details genügenden Wert beizumessen.16 Carter, der durch die Petrie-Schule gegangen war, dürfte Navilles Methoden ebenfalls kritisch gesehen haben. Aber er war als Zeichner angestellt und nicht als Ausgräber – und er war gerade einmal 19 Jahre alt. Zu dieser Zeit glich Deir el-Bahari einer riesigen Schutthalde, sodass Naville für das Wegräumen von Schutt, Geröll und Sand zunächst drei Kampagnen plante. Die zeichnerische Aufnahme der Tempeldekoration konnte beginnen, sobald erste Tempelwände freigelegt waren, was im Dezember 1893 der Fall war. Naville überließ Carter die zeichnerische Aufnahme der Tempeldekoration. Carter schreibt, er habe viele Versuche und Hilfsmittel ausprobiert, um herauszufinden, wie die Reliefs und Inschriften am besten und akkuratesten kopiert werden könnten. Letztlich lieferten er und seine Zeichner eine hervorragende Arbeit ab, die noch lange als Meisterstück galt. Carter bekam in
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Deir el-Bahari die Chance, eine eigene Methode archäologisch-zeichnerischer Aufnahmen zu entwickeln und zu verwirklichen. Das Ergebnis aller Kampagnen wirkt insgesamt sehr homogen, egal von wem die einzelnen Zeichnungen stammen. Sie tragen alle Carters Handschrift. Carter übernahm unter Naville zahlreiche Aufgaben. Neben dem Zeichnen überwachte er gelegentlich die Arbeiter beim Wegschaffen des Schutts und er wurde der Fotograf des Teams. Wo er seine Kenntnisse in der Fotografie erworben hatte, ist nicht bekannt. Aber seine Bilder sind von guter Qualität und dokumentieren Details in der Wanddekoration und den Arbeitsfortschritt. Carter half bei der Sichtung der aus dem Schutt geborgenen Wandfragmente. Um sie zu zeichnen, fügte man sie wieder in ihre Originalposition in den Tempelwänden ein. Carter gewann immer mehr archäologische Erfahrung, auch wenn seine Hauptbetätigung die zeichnerische Aufnahme blieb. Die Fertigstellung der Zeichnungen ging Naville zu langsam voran, daher bat er den EEF um die Entsendung eines weiteren Künstlers. Carter schlug seinen älteren Bruder Vernet vor, der im Februar 1894 nach Ägypten reiste, um Carter zu unterstützen. Es dauert nicht lange bis Naville von den Fähigkeiten der Brüder überzeugt war. Er schrieb in einem Brief: Mr. Verney [sic!] Carter begann sofort zu arbeiten. Er zeichnet so gut wie sein Bruder, für Hieroglyphen-Zeichnungen in Farbe und in Schwarz sind sie ganz sicher Künstler ersten Ranges, und ich glaube, dass die Tafeln, die aus ihren Kopien angefertigt werden, einen sehr guten Eindruck von der Schönheit der Arbeit vermitteln werden.17
Die Ausgrabung endete Mitte März, aber die Carters arbeiteten bis Ende April weiter, um möglichst viel aufnehmen zu können. Die Hitze dieser letzten Wochen machte Vernet Carter sehr zu schaffen, sodass für die folgende Winterkampagne 1894/95 ein neuer Zeichner namens Percy Brown angestellt wurde. In der Kampagne 1895/96 konnte Naville die Aufräumarbeiten abschließen. Über die Jahre hatte sich das Tal von Deir el-Bahari verwandelt und es war zu einem attraktiven Anziehungspunkt für die Touristen dieser Zeit geworden. Carter war noch bis 1899 mit der Aufnahme der Tempelreliefs und Inschriften beschäftigt. Seine Assistenten wech-
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selten regelmäßig, aber dank seiner Brüder Vernet und William und seiner Schwester Amy Carter, die gute Verbindungen zur Londoner Künstlerszene hatten, fand Carter in den Sommern zwischen den Kampagnen vielversprechende Talente für seine Arbeit in Deir el-Bahari. In den Wintern 1895/96 und 1896/97 wurde er zusätzlich durch die Petrie-Schülerin Rosalind Paget18 unterstützt. Sie sollte vor allem farbige Faksimiles von Hieroglyphen und anderen Details anfertigen. Die ganze zeichnerische Leistung wurde bis 1908 in sechs Bänden veröffentlicht. Mit den Jahren entwickelte sich Carter in nahezu allen Belangen immer mehr zu Navilles Stellvertreter und wurde mit diversen baulichen und technischen Problemen betraut. Naville äußerte sich ausnahmslos positiv über Carters Arbeit. Carters Erfolge blieben auch vom EEF nicht unbeachtet, der nun jährlich sein Gehalt anhob. Einer seiner frühen Kollegen in Deir el-Bahari, John Newberry19, beschrieb Carter anfänglich noch als jung und gesellschaftlich unerfahren, als einen Mann, der geistesabwesend sein Whiskyglas randvoll füllte, dann lachte, um Verzeihung bat und versuchte, den Whisky zurück in die Flasche zu füllen, wobei er einen guten Teil vergoss.20 Aber über die Jahre wurde er reifer und erwachsener und entwickelte sich zu einem hervorragenden Archäologen mit vielen Qualitäten. Ende 1899 schrieb Carter ein Telegramm an den EEF mit der Bitte, seine Kündigung zu akzeptieren. Der Antikendienst (seit Herbst 1899 wieder unter der Leitung von Gaston Maspero) hatte beschlossen, Carter als Chefinspektor für Oberägypten anzustellen. Die Aufgaben des Inspektorats waren der Schutz und die Erhaltung der altägyptischen Monumente, das Durchführen von Grabungen des Antikendienstes und die Überwachung der archäologischen Unternehmungen anderer. Der EEF kam Carters Bitte nach und stellte ihn zum 1. Januar 1900 frei. Für manche akademisch ausgebildeten Ägyptologen mag die Berufung Carters unverständlich gewesen sein, aber seine gute Leistung unter Naville hatte ihm diese Stelle eingebracht. Naville sah in ihm einen verlässlichen Stellvertreter, der feldarchäologisch versiert war, Arabisch sprach, mit den ägyptischen Arbeitern umzugehen wusste und Erfahrung mit Problemen der Architektur, der Technik und anderer Bereiche hatte. Carter war bestens gerüstet für die neue Stelle, und Maspero und
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Naville waren gute Freunde. Chefinspektor für Unterägypten wurde Quibell, der sich ob der Wahl Carters überrascht zeigte; er hätte eher Newberry auf dem Posten erwartet.21 Als neuer Chefinspektor von Oberägypten begann Carter mit der Begutachtung der thebanischen Nekropole. Er wollte ein System zu ihrem Schutz entwickeln, und der erste Schritt war das Anbringen von Türen in Grab- oder Kapelleneingängen. Die Arbeit ging nur schleppend voran, und beim Antikendienst war das Geld knapp. Doch Carter besaß einen gewissen gesellschaftlichen Charme, der immer wieder größere und kleinere Spenden von Besuchern zur Folge hatte, die er umgehend in sein Projekt investierte. Zunächst versuchte er es mit Holztüren; es zeigte sich aber, dass Holz keine Grabräuber abhalten konnte. Doch auch die später eingebauten Eisentüren halfen nur bedingt, wenn die Diebe wirklich ambitioniert waren. Gerade in der thebanischen Nekropole und vor allem im Tal der Könige musste man mit Grabplünderungen rechnen. Der Antikenmarkt florierte und bediente die große Nachfrage nach altägyptischen Antiquitäten europäischer und amerikanischer Reisender. Es gehörte zu den Aufgaben eines Chefinspektors, besonders gefährdete Orte zu überwachen, Diebe, wenn sie identifiziert werden konnten, vor Gericht zu bringen und gestohlene Gegenstände sicherzustellen. Carter war in diesen Dingen sehr gewissenhaft und erfolgreich. Ein Fall jedoch machte ihm wirklich zu schaffen. 1898 war das Grab Amenophis’ II. gefunden worden, das neben der unversehrten Mumie des Königs, die in einem Quarzit-Sarkophag ruhte, auch weitere Mumien und einige Grabbeigaben enthielt. Zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 1900 ließ Maspero mit Carters Hilfe die im Grab verbliebenen königlichen Mumien (abgesehen von Amenophis II.) nach Kairo schaffen. Dann wurde ein Eisentor in den Grabeingang gebaut, und Wächter bewachten das Tal der Könige rund um die Uhr. Trotzdem wurde das Grab am 24. November 1901 beraubt. Carters Untersuchung des Falls blieb erfolglos, obwohl er von den ortansässigen Autoritäten und der Polizei unterstützt wurde. Es schien, als seien die Wächter im Tal überrumpelt worden. Dann hatten die Diebe das Grab aufgebrochen, ein Modellboot gestohlen und die königliche Mumie fachmännisch aufgeschnitten: Sie hatten genau gewusst, wo sie wertvolle Objekte finden
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würden. Carter hatte die Vermutung, dass die Familie Abd er-Rasul, eine lang zurückreichende Grabräuberdynastie aus dem nahen Dorf Gurna, hinter dem Coup steckte. Alle Verhöre und Durchsuchungen brachten jedoch kein Ergebnis. Für Carter hatte der Fall einen schalen Beigeschmack. Er vermutete, dass die Wächter im Tal in alles eingeweiht gewesen waren. Es war schon einige Zeit vergangen, als Carter das vermisste Modellboot in einer Glasvitrine im Kairoer Museum entdeckte – es musste über einen Antikenhändler an das Museum verkauft worden sein. Carter folgte der Spur und fand heraus, dass das Oberhaupt der besagten Familie, Mohammed Abd er-Rasul, das Boot an einen Hehler in Giza verkauft hatte.22 Er hatte mit seiner Vermutung Recht gehabt. Solche Erfolge gegen den Antikenhandel bescherten Carter indes nicht nur Freunde. Der bekannte und gut vernetzte Antikenhändler Jan H. Insinger23 ließ in einer Alexandriner Zeitung einen Brief veröffentlichen – eine Attacke gegen Carter und die aus seiner Sicht überhandnehmende Anstellung von Briten im Antikendienst, die im Kampf um die besten Antiquitäten immer mehr eine Monopolstellung innehätten. Eine solche Reaktion auf Carters Arbeit als Chefinspektor kann man nur auf seinen Erfolg gegen die Grabplünderungen zurückführen. Auch wenn Carter immer wieder Inspektionsreisen in den Süden unternahm, so konzentrierte sich seine Hauptarbeit doch auf die Region Theben. Hier fanden die meisten zu beaufsichtigenden Grabungen statt. Genehmigungen mussten eingehalten und die Fundteilung überwacht werden. Im Rest der von Carter kontrollierten Region wurde kaum gearbeitet. Ein weiteres bedeutendes Projekt neben den Eisentüren war das Installieren von Licht in mehreren Gräbern im Tal der Könige. Die vielen von den Besuchern bei der Besichtigung der Gräber benutzten Fackeln, Kerzen und Magnesiumfackeln hinterließen Spuren an den Wänden, die inzwischen die Reliefs und Malereien überdeckten. Hier konnte nur elektrisches Licht helfen. Carters Generator steht bis heute im unvollendeten Grab Ramses’ X. Die viele Arbeit im Tal der Könige ermöglichte Carter, das Tal und die Gräber eingehend kennen zu lernen, ein Vorteil, der ihm später noch nützen würde. Als Chefinspektor konnte er eigene Grabungen durchführen. Bereits 1898 war Carter während seiner Beschäftigung bei Navilles Deir el-Bahari-Projekt auf etwas gestoßen, das damals sein Interesse erregt
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hatte: Ein Sturm mit heftigem Regen hatte Spuren am Tempel der Hatschepsut hinterlassen; Carter war mit einem Kollegen per Pferd unterwegs, um die umliegende Gegend auf weitere Schäden zu prüfen. Bei ihrer Rückkehr zum Grabungshaus stolperte Carters Pferd auf der Ebene vor dem Hatschepsut-Tempel und stürzte mitsamt Reiter. Ursache war ein kleines Loch im Boden, das Spuren von darunterliegendem Steinwerk aufwies. Carter schloss sofort, dass sich hier ein Grab befinden musste. Er berichtete Naville und dem EEF von dem Fund, in der Hoffnung, man würde dort graben, aber der Ort lag außerhalb des für Naville genehmigten Areals. Jetzt, im Jahr 1900, war er als Chefinspektor endlich in der Lage, der Sache nachzugehen. Finanziert von einem unbekannten Spender, begann Carter am Bab el Hosan („Tor des Pferdes“) umfangreiche Ausgrabungen – es war die erste Grabung, die er selbst organisierte und leitete. Er stieß auf einen gewaltigen künstlich angelegten Graben, der nach 17 Metern einen versiegelten Eingang aufwies. Dies ließ zunächst auf ein nicht beraubtes Grab schließen, doch dahinter fand Carter nur einen weiteren 150 Meter langen Gang, der abwärts in eine große Kammer führte. Dort befanden sich eine komplett in Leinen gewickelte Statue, ein beschrifteter hölzerner Sarg und einige Töpfe mit den Resten von Lebensmittelbeigaben. Ein von dort senkrecht hinabführender Schacht war bis oben hin mit Schutt gefüllt. Carter vermutete hier den Zugang zur eigentlichen Grabkammer. Er ließ seine Arbeiter mit der Räumung beginnen, stoppte aber die Arbeiten am 20. April 1900, um erst in der Wintersaison fortzufahren. Am 31. Dezember 1900 erreichte sein Team eine Kammer am Ende des 30 Meter tiefen Schachts, aber sie fanden nur drei grob geschnitzte Boote und wenige Töpfe vor. Letztlich konnte immerhin in einem anderen, deutlich kürzeren Schacht eine kleine Truhe geborgen werden, in der eine weitere kleine Kiste ruhte, deren Inschriften den Eigentümer dieser Grabanlage auswies: Es war der Pharao Mentuhotep II. aus der 11. Dynastie, der 500 Jahre vor Hatschepsut in Deir el-Bahari seinen Totentempel errichten ließ. Entsprechend konnte auch die in Leinen gewickelte Statue24 zugeweisen werden, die heute zu den Highlights der pharaonischen Plastik zählt. In seiner Zeit als Chefinspektor war Carter maßgeblich daran beteiligt, dass der reiche amerikanische Reisende Theodore M. Davis25 eine
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Grabungskonzession für das Tal der Könige erwarb. Carter war zeitweise Teil von Davis’ Team (bis 1904) und die Arbeiten förderten über mehrere Kampagnen so viele Grabanlagen zutage wie keine andere Mission zuvor, darunter das Grab der Hatschepsut und das Grab Thutmosis’ IV. In dieser Zeit sprach Carter in einem Brief an Lady Amherst (18. April 1904) auch erstmals davon, dass er im Auftrag Lord Amhersts nach dem Grab Amenophis’ I. suchen würde, wenn das im Sinne des Lords wäre26 – ein Ziel, das ihn noch lange beschäftigen sollte. Im Jahr 1904 blieb seine Suche danach erfolglos. Im Herbst desselben Jahres wurde Carter nach Kairo versetzt. Er und Quibell tauschten die Posten. Maspero hatte diesen Stellentausch schon für 1903 geplant, aber Carter hatte in Theben zuvor noch einige Projekte abschließen wollen. Immerhin hatte er hier die letzten 11 Jahre gearbeitet. Carter kannte Luxor und Theben-West gut. Er hatte hervorragende Beziehungen zu den Einheimischen und den gut betuchten Reisenden, die jedes Jahr an den Ufern des Nils vor Anker gingen. Er kannte die Antikenhändler und die Grabungsmissionen. Er war sozusagen in Theben-West zu Hause. Und trotzdem schreibt er selbst, dass ihm der Wechsel willkommen war. Nach so langer Zeit war Carter etwas „Theben-müde“. Er verließ also Luxor Ende des Jahres 1904 Richtung Kairo. Doch dort erwartete ihn gleich zu Beginn des neuen Jahres ein folgenschwerer Zwischenfall, die sogenannte Saqqara affair. Am 8. Januar 1905 besuchte eine französische Reisegruppe die Monumente von Sakkara. Der Besuch endete in einer Schlägerei, die wohl der Auslöser dafür war, dass Carter noch im selben Jahr seinen Dienst quittierte. Es gibt verschiedene Berichte über den Vorfall, die die Sicht beider Seiten wiedergeben. Carter gab seinem Chef Maspero gegenüber Folgendes an: 15 streitlustige französische Männer kamen nach Sakkara, und einige von ihnen begaben sich zum Grabungscamp von Petries Frau, die unabhängig von Carter von einer Gruppe ungehobelter Franzosen berichtete, die sie bedrohten. Die Gruppe zog aber kurz darauf zum resthouse weiter. Dort hielten sie sich eine Weile auf und tranken. Dann wünschten sie die Monumente zu sehen und wurden gebeten, die entsprechenden Eintrittsgelder zu entrichten. Nicht alle waren bereit, zu zahlen. Anschließend machte sich die Gruppe mit einem Wächter zum
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Serapeum auf. Der Wächter verlangte die Eintrittskarten und wollte nur diejenigen einlassen, die auch welche besaßen. Aufgebracht versuchte sich die französische Gruppe mit Gewalt Zutritt zu verschaffen und brach eine der Halterungen auf, die das Vorhängeschloss der Zugangstür hielt. Als sie das Serapeum betraten, fanden sie sich in vollkommener Dunkelheit wieder und verlangten vom Wächter Kerzen. Der aber entgegnete, er hätte keine, und der Antikendienst statte Touristen generell nicht mit Kerzen aus. Die Gruppe ging den Wächter hart an und verlangte ihr Geld zurück. Dem Wächter eilten ein ägyptischer Inspektor und ein Reis zu Hilfe, die ebenfalls hart angegangen wurden. Daraufhin kehrte die Gruppe unter Begleitung der Ägypter zum resthouse zurück und man rief den Chefinspektor. Carter kam sofort. Mittlerweile hatten die Franzosen die Wächter aus dem Resthouse gedrängt, die Türen verbarrikadiert und zwangen den Inspektor, ihnen ihr Geld zurückzugeben. Carter versuchte mit der Gruppe zu sprechen, die seiner Aussage nach sehr unfreundlich und rüpelhaft auftrat. Ohne eine Erklärung für den Vorfall zu bekommen, befragte er den Inspektor, der ihm alles schilderte. Daraufhin ermahnte Carter die Franzosen, sie hätten keinerlei Recht, sich so gegenüber seinen Männern zu verhalten und sich überhaupt im resthouse aufzuhalten. Sollten sie nicht umgehend das Haus verlassen, sähe er sich genötigt, sie hinauswerfen zu lassen. Er fragte nach ihren Namen und Adressen. Die Franzosen weigerten sich, seinen Forderungen nachzukommen. Carter verwarnte sie ein weiteres Mal und befahl seinen Wächtern, die Gruppe hinauszukomplimentieren. Da schlug einer der Franzosen einen Wächter mit der Faust nieder. Carter ging dazwischen und wurde ebenfalls mit der Faust bedroht. Er befahl dem Reis, mit weiteren Leuten einzugreifen. Als die Franzosen begannen, mit Stühlen des Antikendienstes auf die Wächter einzuschlagen, erlaubte Carter seinen Leuten, sich zu verteidigen. Eine Prügelei entbrannte, bei der einige der Franzosen verwundet wurden. Einer ging nieder und die Gruppe floh aus dem Haus. Carter packte den niedergeschlagenen Franzosen. Ein anderer kehrte zurück, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen. Steine wurden auf das Haus geworfen. Carter ließ sich von beiden Franzosen die Namen geben und nannte ihnen den seinen und seine Position. Daraufhin verließen die beiden Franzosen unter Drohgebärden das Haus. Carter sandte sofort
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Männer aus, um die Polizei und die entsprechenden Würdenträger der Umgebung zu informieren. Dann verblieben er und seine Männer bis zum Eintreffen der Polizei im Haus, um nicht mit der französischen Gruppe, die draußen wartete, ein weiteres Mal aneinanderzugeraten. Die französischen Reisenden indes stellten den Vorfall in der französischsprachigen Zeitung L’Égypte etwas anders da: Sie hätten zu Recht ihr Geld zurückgefordert und seien von Carter und seinen Männern grundlos verprügelt und so um ihr Recht gebracht worden. Der Fall zog aufgrund des großen öffentlichen Interesses und der Zeitungen immer größere Kreise und wurde schnell zu einem Politikum, das die stetig schwelenden Probleme und Vorurteile zwischen französischen und britischen Kreisen in Ägypten hochkochen ließ. Die Entente cordiale, das Abkommen zwischen den Kolonialmächten Frankreich und England, das die Interessenskonflikte in Afrika lösen sollte, war noch nicht einmal ein Jahr alt. Entsprechend fürchtete der britische Generalkonsul Lord Cromer, dass dieser Vorfall mehr aufs Spiel setzten könnte, als er wert war. Er musste seinem französischen Kollegen Monsieur de la Boulinière irgendeine Form der Wiedergutmachung anbieten. Es wurde eine Kommission einberufen, die den Vorfall näher untersuchen sollte. Über zwei Tage hörte man verschiedene Zeugen an: fünf Männer der französischen Gruppe sowie Carter, den Reis und sechs seiner Wächter. Hier war nun eine gewisse Fähigkeit zur Diplomatie gefordert – etwas, das man Carter nie nachsagen konnte. Er war fest davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. In einem Briefwechsel mit Maspero wird deutlich, dass der Generaldirektor des Antikendienstes hinter Carter stand. Es gab nur ein Problem: Carters Erlaubnis, dass sich seine Männer verteidigen durften. Im Ägypten des Jahres 1905 war kein Szenario vorstellbar, das einen Gewaltakt eines Ägypters gegen einen Europäer rechtfertigen würde. Carter sah sich trotz allem im Recht und er sprach davon, dass er seinen Dienst quittieren müsse, wenn die Franzosen nicht ihre rechtmäßige Strafe bekämen. Maspero hatte unterdessen mit dem französischen Generalkonsul gesprochen, und der Vorfall wäre in Vergessenheit geraten, wenn Carter sich bei de la Boulinière entschuldigt und sein Bedauern über den Vorfall ausgedrückt hätte. Carter hatte aber kein Gespür für die Feinheiten der Diplomatie. Er bestand auf seinem Recht und wäre nur bereit gewesen,
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um Entschuldigung zu bitten, wenn die Franzosen bestraft worden wären oder ihrerseits den Antikendienst um Entschuldigung gebeten hätten. Er lenkte auch nicht auf Anraten seiner Kollegen und Freunde ein, die ihn davor warnten, aufgrund dieses Vorfalls seine Karriere zu riskieren. Carters Engstirnigkeit führte dazu, dass der Generaldirektor ihn erneut versetzen musste. Der Antikendienst konnte zwei weitere Chefinspektoren einstellen und die einzelnen zu kontrollierenden Gebiete verkleinern. Carter wurde ein neuer Posten im Delta mit Sitz in Tanta zugewiesen. Und wie Maspero in mehreren Briefen eindeutig klarmachte, war die Versetzung keine Reaktion auf Carters Verhalten in Sakkara, sondern auf sein Verhalten danach. Carter müsse dafür, dass er nicht eingelenkt habe, gerügt werden. Carter verstand die Welt nicht mehr. Es traf ihn hart, dass man ihm seine Qualität als Gentleman absprach.27 Er bat Maspero aufgrund der Anstrengungen der letzten Monate um Urlaub, was mitten in der Saison sehr ungewöhnlich war. Maspero gestattete die Auszeit. Vielleicht hatte er Angst, Carter könnte kündigen. Er bat ihn in England, fernab der Sakkara-Angelegenheit, die ganze Sache noch einmal zu überdenken. Maspero hoffte, Carter würde seine Haltung und Handlungen zumindest verstehen können. Daraufhin akzeptierte Carter Tanta, vielleicht weil Maspero immer hinter ihm stand, und ging am 8. März 1905 in das sogenannte „nördliche Inspektorat“. Seinen genehmigten Urlaub von drei Monaten trat er dann am 20. März an. Am 5. Mai 1905 kehrte Carter früher als erwartet nach Ägypten zurück. Die Arbeit trieb ihn. Er wollte sein Inspektorat in Tanta vorbereiten. Carter, der die überwältigenden Monumente und die mondäne Gesellschaft von Luxor und Kairo gewohnt war, fand sich an einem Ort wieder, der vom Baumwollhandel bestimmt war. Die meisten Europäer waren Franzosen und man sprach Französisch. Die Monumente in seinem Inspektorat mussten gegen das, was er gewohnt war, dürftig erscheinen, und das Haus, das er sich als Büro und Wohnung mietete, ließ jegliche Annehmlichkeiten vermissen. Entsprechende Umbauten und Restaurierungsarbeiten konnte der Antikendienst nicht übernehmen. Carter ging es im Jahr 1905 nicht sonderlich gut. Die Ereignisse Anfang des Jahres, seine Maßregelung, seine Versetzung, all das hatte
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ihn wohl so sehr mitgenommen, dass er immer wieder krank wurde und Ruhephasen brauchte. Selbst der längere Urlaub im Frühjahr brachte keine wirkliche Besserung. Seine Vorgesetzten, die sich inständig Carters Energie und Erfolge aus seiner Zeit in Luxor auch für das Delta wünschten, machten sich Sorgen über seinen schlechten Allgemeinzustand, der sich bis Oktober nicht besserte. Kein Erfolg konnte ihn aus seiner depressiven Stimmung retten. Lediglich ein kurzer Aufenthalt auf Zypern scheint wieder ein wenig von seiner ehemaligen Begeisterung entfacht zu haben. Aber ein Brief an seine Mutter, den er am 6. Oktober aus Tanta abschickte und in dem er über seine Zeit auf Zypern berichtete, zeigt in einer kurzen Anmerkung, wie er seine Arbeit im Delta empfand: „came back to harness on Monday“28. Am 21. Oktober 1905 reichte Carter seine Kündigung beim Antikendienst ein. Maspero versuchte ihn, umzustimmen, zu halten, zumindest so lange, bis Carter einen neuen Posten gefunden hatte. Er hatte erkannt, dass sein bester Mann jegliche Motivation verloren hatte. Trotzdem hielt er an ihm fest, so gut es ging. Er schrieb dem Freund, wie ihn sein Ausscheiden nach den vielen Jahren der erfolgreichen Zusammenarbeit schmerzte; doch nichts konnte Carters Entschluss ändern. Am 4. Dezember 1905 schrieb die Egyptian Gazette, Carter habe sein Inspektorat beim Antikendienst gekündigt. Carter zog nach Kairo und verbrachte dort den Winter in der Gesellschaft europäischer und amerikanischer Reisender. Er wollte zu seinen Wurzeln zurück und als freischaffender Zeichner und Maler arbeiten. Im Februar 1906 war er wieder in Luxor und begleitete Touristen als Führer und Dolmetscher. Viel hatte er nicht. Er konnte sich kein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung leisten und lebte zunächst zeitweise in Gurna bei einem Ägypter, der seinerzeit unter Carters Inspektorat in Luxor Scheich der Wächter im Tal der Könige gewesen war. In den Folgejahren konnte Carter auf verschiedenen Grabungen als Zeichner arbeiten und wurde dafür gut bezahlt. Meist arbeitete er für Davis, dessen Publikation zum Grab des Juja und der Tuja mehrere von Carter angefertigte Bildtafeln enthält. 1908 bezog er wieder seine alte Unterkunft in Theben-West, die er vom Antikendienst mietete. Bereits seit 1905 bereiste der Earl of Carnarvon29 mit seiner Frau Ägypten. Ein vier Jahre zuvor in Deutschland erlittener Autounfall
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bereitete ihm Beschwerden, die er durch Kuraufenthalte am Nil zu erleichtern suchte. Bei diesen Aufenthalten wuchs in ihm der Wunsch, eine Grabungskonzession zu erwerben und nach Altertümern zu graben. Zu dieser Zeit war Arthur Weigall Chefinspektor in Luxor und nicht sonderlich begeistert von solchen „Amateurarchäologen“. Er wies Lord Carnarvon ein Areal zu, in dem der Neuling nicht „zu viel Schaden“ anrichten konnte.30 Zunächst bekam Lord Carnarvon einige Schutthalden in Gurna zugewiesen, daher bat er im darauffolgenden Jahr um die Konzession Dra Abu el-Naga, etwas nördlich von Gurna. Der Antikendienst erlaubte ihm dort zu arbeiten, ohne dass Weigall die Chance hatte, Einspruch zu erheben, woraufhin er die Arbeiten Lord Carnarvons in der thebanischen Nekropole in ein schlechtes Licht rückte. Aufgrund Weigalls Beschwerden musste Maspero eine Lösung für das „Problem Carnarvon“ finden, und er fand sie: Lord Carnarvon sollte ein erfahrener Archäologe zur Seite gestellt werden – Masperos einstiger Günstling Carter. Für Lord Carnarvon dürfte diese Lösung äußerst willkommen gewesen sein. Seine Unternehmungen bekamen dadurch wissenschaftliches Gewicht. Und Carter hatte wieder eine Perspektive in seiner eigentlichen Leidenschaft: der Archäologie. So begann die folgenschwere Zusammenarbeit zwischen Carter und Lord Carnarvon, die im November 1922 mit der Entdeckung des Grabes des Tutanchamun, des bedeutendsten archäologischen Fundes des 20. Jahrhunderts, ihren Höhepunkt erreichen sollte. 1909 schrieb Maspero in einem Bericht der Arbeiten des Antikendienstes, Lord Carnarvon habe die Aufsicht über seine Unternehmung „unserem ehemaligen Inspektor Mr. Howard Carter anvertraut, über dessen zeitweilige Rückkehr zur archäologischen Arbeit wir froh sind“31. Lord Carnarvon und Carter arbeiteten in einem Gebiet, das im Süden vom Asasif, dem zum Tempel der Hatschepsut führenden Tal, begrenzt wurde und entlang des Westgebirges nach Norden bis Dra Abu el-Naga führte. Trotz der Tatsache, dass dort in der Antike Gräber angelegt wurden, war das Areal nicht sehr beliebt. Die Bewohner der umliegenden Dörfer hatten es schon mehrfach durchsucht. Die Arbeit wurde 1912 in dem Buch Five Years’ Explorations at Thebes veröffentlicht. Die Publikation umfasst die Grabungskampagnen zwischen 1907 und 1911, die durchaus bedeutende Erkenntnisse für die Ägyptologie er-
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bracht hatten. Carter hatte die Möglichkeit, seine Grabungsmethoden weiterzuentwickeln und die Standards der Zeit voranzutreiben. Lord Carnarvon und er legten besonderes Augenmerk auf ein behutsames Vorgehen. Sobald vielversprechende Entdeckungen gemacht wurden, reduzierten sie die Arbeiter auf die nötige Mindestzahl und machten sich selbst „die Finger schmutzig“ – so etwas war zu dieser Zeit eine echte Seltenheit. Carter hatte in Lord Carnarvon einen Finanzier gefunden, der nicht wie die anderen von den Suiten der Tophotels oder dem eigenen luxuriösen Nilschiff aus Anweisungen gab, sondern der mit auf der Fläche stand und, wo immer es nötig war und wie es seine Gesundheit zuließ, mit anpackte. Carter konnte diesen Mann respektieren und sie teilten eine Leidenschaft für Antiquitäten. Lord Carnarvon baute sich auch mit Hilfe Carters eine Sammlung für seinen Sitz Highclere Castle auf. Dafür war Carter der richtige Mann: In seiner Zeit als Chefinspektor Oberägyptens hatte er gute Beziehungen zu den Einheimischen geknüpft und einen tiefen Einblick in das Netz des Grabräuber und der Antikenhändler bekommen. Er kannte den Markt. Und jetzt war er nicht mehr für den Antikendienstes tätig; es stand ihm frei, den Markt und die Antikenhändler selbst zu frequentieren. Und er nutzte seine Kontakte, um an Informationen über „inoffizielle Funde“ zu kommen. Die gemeinsame Arbeit zwischen Carter und Lord Carnarvon schien zukunftsträchtig und sollte sich mit wenigen Ausnahmen auf Theben-West konzentrieren. Carter baute sich mit der materiellen Unterstützung Lord Carnarvons ein neues Haus: Castle Carter II. Sein altes Haus bei Medinet Habu, dem Totentempel Ramses’ III., das er als Chefinspektor bewohnt hatte und nun vom Antikendienst mietete, Castle Carter I, war mehr und mehr zum Streitpunkt zwischen ihm und Weigall geworden; Carter und der Lord waren Weigall nach wie vor ein Dorn im Auge. Der Bau von Castle Carter II schaffte in dieser Sache ein wenig Entspannung. Es wurde 1911 auf einem Hügel nördlich von Dra Abu el-Naga, direkt am Ausgang eines Wadis errichtet, durch das man in das Tal der Könige kam. Carter hatte nun eine feste Basis in Theben-West und plante weitere Unternehmungen mit Lord Carnarvon. Zunächst versuchten die beiden eine Konzession für Dashur zu bekommen, aber Maspero verweigerte dies aufgrund eines alten Gesetztes: die Gräberfelder von Dashur, Sakkara und Abusir waren Unternehmungen des
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Antikendienstes vorbehalten. Daraufhin beantragten Carter und Lord Carnarvon eine Konzession im Delta, die die Reste der antiken Stadt Xois barg. Auch wenn die Arbeitsbedingungen im Delta schwer waren und man durchaus mit enttäuschenden Funde rechnen musste – Carter hatte dahingehend bereits Erfahrung –, sollte die Konzession dem Antikendienst zeigen, dass Lord Carnarvon vor allem aus wissenschaftlichem Interesse grub. Also beantragte Lord Carnarvon im Herbst 1911 die Konzession, aber die erste Kampagne im April war nur von kurzer Dauer. Die Arbeits- und Lebensumstände im Delta waren inakzeptabel, Ergebnisse und Dokumentation enttäuschend. Trotz dieser Erfahrung beantragten Carter und Lord Carnarvon für das Jahr 1913 eine weitere Konzession im Delta: Tell el-Balamun. Lord Carnarvon war dort wohl nur kurz anwesend. Carter vermutete an diesem Ort die in der Antike bedeutende Stadt Diospolis und wollte im Frühjahr 1913 einen ersten Grabungsversuch unternehmen, um mehr über den Ort herauszufinden. Sollten motivierende Funde ausbleiben, wollte er Ende Mai nach Luxor und im Juni nach England zurückkehren.32 Auch wenn Carter Ende Mai in einem Brief an Newberrys Frau von einer erfolgreichen Kampagne in Balamun berichtet – es konnte der antike Name der Stadt identifiziert und Schmuck gefunden werden –, kehrten Carter und Lord Carnarvon nicht mehr ins Delta zurück. Den Sommer verbrachte Carter wie angekündigt in England, bis er gut gelaunt im Herbst nach Ägypten zurückkehrte. Die bevorstehende Grabungskampagne sollte wieder in Theben-West stattfinden. Er wollte sich endlich einer Sache widmen, die er schon seit 1903 im Hinterkopf gehabt hatte: dem Grab Amenophis’ I. Vor ihm hatten bereits andere behauptet, das Grab gefunden und identifiziert zu haben. Aber Carter war von ihren Berichten nicht überzeugt. Alles begann mit einem malerischen Abend im Jahr 1912: Er schrieb: Ich gab mich selbst dem angenehmen Gefühl der Träumerei hin, während ich die Ruhe der Natur beobachtete. Es war einer dieser wunderbar warmen Abende, wenn sich alles zur Rast zu begeben scheint. Die untergehende Sonne goss ihre goldgelben Strahlen über die Landschaft. In der Ferne waren die Spitzen weißer Segel durch die Palmen inmitten eines Meers aus Grün zu sehen, wie sie den Fluss hinabglitten. Hinter
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dem fruchtbaren Tal ließ sich die arabische Wüste in ihren schillernden Schattierungen vermuten. Ihre fernen purpurnen Hügel, bekrönt von einer sanften goldenen Färbung, verschmolzen nach und nach mit der Umgebung. Der Abend ging schnell zu Ende. Langsam wurde man einer kühlen Brise gewahr, die von den Hügeln der lybischen Kette herunter kam; als sich in der Ferne, über den Wüstenrand zwischen meinem Haus und dem fruchtbaren Land, die Silhouette eines Mannes abzeichnete, der sich langsam näherte.33
Der Mann, der sich dort näherte, war Gad Hassan, ein Grabräuber und Nachbar Carters. Er brachte Carter einen Korb mit Alabastergefäßen, die die Namen Amenophis’ I. und seiner Mutter Ahmes-Nefertari trugen. Nachdem Carter die Funde gekauft hatte, konnte er Gad Hassan überreden, ihn zur Quelle dieser Funde zu bringen. Natürlich zahlte Carter dem Mann eine Kompensation dafür, dass er ihm das Grab zeigte. Am nächsten Tag führte Gad Hassan Carter zu einer Stelle, die in Richtung des Tals der Könige und über den Gipfel des Hügels von Dra Abu el-Naga hinweg lag. Dort war ein Loch – ein Schacht, der unter einem großen überhängenden Felsen in die Erde hinabführte. Am Nachmittag kehrte Carter mit ein paar Männern zurück und begann, die Stelle zu untersuchen. Sie fanden ein Grab mit einigen Kammern, die tief in den Fels geschlagen worden waren und in die frühe 18. Dynastie datiert werden konnten. Nur gab es kaum identifizierbare Funde.Trotzdem war die Räumung und Untersuchung einer solchen Grabanlage in Carters Augen immer lohnenswert. Also begannen er und Lord Carnarvon zwei Jahre später, im Frühjahr 1914, an dieser Stelle zu arbeiten. Die Arbeit begann Ende Februar und die Ergebnisse waren gering, aber aus Carters Sicht ausreichend, um die Anlage als Grab Amenophis’ I. zu rekonstruieren. Die Arbeit war also alles in allem „keine Zeitverschwendung“, wie Carter sich ausdrückte.34 Carters Objekt der Begierde war immer das Tal der Könige gewesen, das nach wie vor in der Hand von Davis war. Davis’ Kampagnen hatten zahlreiche Gräber hervorgebracht, darunter allein neun königliche Anlagen. Aber die jüngsten Kampagnen ließen solche Erfolge vermissen. Davis und Maspero waren fest davon überzeugt, dass das Tal nun erschöpft war. Carter war anderer Meinung und er sollte Recht behalten.
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Zunächst blieb ihm und Lord Carnarvon nur, Maspero ihr Interesse an der Konzession deutlich zu machen, damit sie, sollte Davis seinen Anspruch aufgeben, als Erste seine Nachfolge antreten konnten. Diese Chance tat sich am Ende der Grabungssaison 1914 auf. Davis war 77, krank und seine letzte Kampagne blieb ohne jeden Erfolg. Er gab das Tal der Könige auf, und Lord Carnarvon konnte die Konzession im Juni erwerben. Carter war am Ziel und sah einer interessanten neuen Kampagne im Winter 1914/15 entgegen. Dann brach im August 1914 der Erste Weltkrieg aus. Carter war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt und für den Militärdienst nicht mehr erste Wahl. Im Herbst hielt ihn nichts mehr von einer Rückkehr nach Ägypten ab, und im Frühjahr 1915 begann er am Grab Amenophis’ III. zu arbeiten, einem Grab, das ihn bereits früher interessiert hatte, das aber bis dato in der Hand von Davis gewesen war. Die Kampagne dauerte exakt einen Monat, vom 8. Februar bis zum 8. März. Warum die Arbeit nach einem Monat beendet wurde, ist nicht mehr zu klären. Nebenher scheint Carter hier und da Aufträge für das Militär ausgeführt zu haben, auch wenn er keinen offiziellen Rang in der Armee bekleidete. Welcher Art diese Aufträge waren, ist nicht bekannt. Der Kriegsdienst dürfte ihn indes nicht allzu sehr in Beschlag genommen haben. In den Kriegsjahren beteiligte sich Carter an mehreren ägyptologischen Projekten und Publikationen, vor allem in Zusammenarbeit mit Alan H. Gardiner35, einem herausragenden ägyptologischen Text- und Geschichtswissenschaftler. Darüber hinaus wurde er immer mehr zu einem gefragten Spezialisten und Gutachter für den Antikenhandel. Nicht nur Lord Carnarvon suchte seine Expertise und seine Dienste. Carters Vorteil: Er war im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen während der Kriegsjahre in Ägypten. Auch für den Verkauf von britischen Sammlungen nach Amerika wurde Carter als Gutachter herangezogen.36 Er hatte in den Kriegsjahren immer etwas zu tun. Im Sommer 1916 (Carter hielt sich zu diesem Zeitpunkt in England auf) gingen starke Regenfälle auf die thebanische Nekropole nieder. Flutartig stürzten Wassermassen die vielen Wadis des Wüstengebirges hinab und rissen Schutt und Gesteinsbrocken mit sich. Jeder erfahrene Grabräuber wusste, dass solche Regenfälle häufig verborgene Hinweise auf Gräber freilegten. Und so wurde in diesen Tagen auch tatsächlich
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ein bemerkenswerter Fund im „Tal der Affengräber“ (Wadi Qubbanet el-Qirud) südlich der Nekropole gemacht: ein Grab, das die Bestattungen von drei königlichen Gemahlinnen Thutmosis’ III. enthielt. Man fand wertvolle Metallobjekte und beschriftete Gefäße, die ein kleines Vermögen wert waren. Als Carter im Oktober nach Luxor zurückkehrte, war der Fund in aller Munde. Er interessierte sich sehr für den Fund, denn ihm war bewusst, dass in der Gegend des Wadis durchaus weitere bedeutende und noch unentdeckte Gräber ruhen konnten. Eines Nachmittags im Oktober wurden in den Dörfern der thebanischen Nekropole Gerüchte über einen weiteren Fund laut. Schnell kam es zu Streitereien zwischen den rivalisierenden Grabräuberbanden. Carter sollte vermitteln. Dank seiner langjährigen Beziehungen zu den Einheimischen vertrauten ihm die Dörfler. Mitten in der Nacht rief er einen Trupp seiner ehemaligen Arbeiter zusammen, die von Scheich Mansour, einem einflussreichen Dorfoberhaupt, begleitet wurden. So schnell wie möglich näherten sie sich über die Hügel der Fundstelle, die am Ende des Wadi Sikket Taqet Said lag, eines Nebenwadis des Tals der Affengräber. Dort baumelte ein Seil vom oberen Rand der Klippe hinab in einem Spalt, von dem aus Stimmen zu hören waren. Carter stieg vorsichtig hinab. „Ein Seil um Mitternacht hinunterzusteigen, in ein Nest voll emsiger Grabräuber, ist ein Zeitvertreib, der zumindest nicht langweilig ist“, kommentierte Carter mit britischem Understatement sein Vorgehen.37 Er überraschte acht Grabräuber und brachte sie dazu (mit welchen Mitteln auch immer), ganz friedlich zu verschwinden. Zurück blieben er und der Fund, den es zu untersuchen galt. Die anstrengenden Arbeiten dauerten 20 Tage. Wenn auch die Funde unspektakulär waren, so brachte das Grab doch eine interessante Erkenntnis: Es war für Hatschepsut angelegt worden, noch bevor sie die Königsmacht übernahm. Ende des Jahres 1917 machte sich das Gefühl breit, dass der Krieg sich langsam dem erhofften Ende zuneigte. Mittlerweile hatte Pierre Lacau den Posten des Generaldirektors des Antikendienstes von Maspero übernommen, und Carter konnte wieder zu seiner gewohnten Arbeit zurückkehren. Seine Winterkampagne 1917/18 startete am 1. Dezember 1917 „im Osttal, beginnend in dem kleinen Seitental, das zwischen den Gräbern Ramses’ II. und Ramses’ VI. liegt“38. Carter und
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Lord Carnarvon gruben also bereits in unmittelbarer Nähe des Grabes, das sie später berühmt machen sollte, das zu diesem Zeitpunkt aber noch unter Arbeiterhütten versteckt war.39 Ziel ihrer Grabung war es, zunächst Schutt und Geröll bis auf den felsigen Grund abzutragen, denn nur so bestand die Möglichkeit noch unentdeckte Gräber zu finden. Die Kampagne dauerte bis zum 2. Februar 1918 und die Ergebnisse waren mager. Aber Carter war froh, endlich wieder archäologisch tätig zu sein, trotz des anhaltenden Krieges. Im März begab er sich auf eine Reise nilaufwärts bis Kairo, um eine weitere vielversprechende Konzession für Lord Carnarvon zu finden. Diese Reise gefiel ihm sehr, vor allem weil er Stätten besuchen konnte, an denen er vor vielen Jahren tätig gewesen war und die er seitdem nicht mehr besucht hatte. Amarna tat es ihm besonders an. Dort eine Konzession für seinen Finanzier zu erwerben, scheiterte jedoch an den Plänen Lacaus, der Amarna als offizielle Grabungsstätte des Antikendienstes sichern wollte. Letztlich fiel im Sommer 1918 die Wahl auf Meir, einen Friedhof aus dem Alten und Mittleren Reich, der die Gräber der lokalen Elite beherbergte. Dort sollte die Winterkampagne stattfinden; sie begann am 1. Dezember 1918. Zum Team gehörte erstmals Arthur R. Callender40, der später ein wichtiges Mitglied bei den Arbeiten am Grab des Tutanchamun war. Erste Testgrabungen sollten zeigen, ob sich die Arbeit in Meir überhaupt lohnen würde. Enttäuschende Funde ließen Carter die Grabung am 15. Januar 1919 beenden. Er kehrte nicht wieder nach Meir zurück. Seit November 1918 war der Krieg endlich zu Ende, und Carter wollte sich nun ausschließlich auf das Tal der Könige konzentrieren. Lord Carnarvon war während der Kriegsjahre nicht mehr in Ägypten gewesen und sein Gesundheitszustand war angegriffen, zumal er sich von einer Blinddarmoperation im Jahr 1918 erholen musste. Als Carter Anfang 1919 aus Meir zurückgekehrt war, widmete er sich im Februar noch ein paar Tage dem Grab Thutmosis’ I. im Haupttal. Mehr als die Räumung des Areals wurde aber nicht mehr geleistet, ein Beitrag zum generellen Plan, Schutt und Geröll im gesamten Tal bis zum Felsboden zu beseitigen. Die Arbeit musste wohl auch aus Sicherheitsgründen eingestellt werden: Unruhen hatten das Nachkriegsägypten ergriffen.
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Ende Juni kehrte Carter nach England zurück. Er besuchte seine Familie, Freunde und Kollegen und arbeitete mit Lord Carnarvon an dessen Sammlung, von der ein Teil in Lord Carnarvons Londoner Stadthaus gebracht wurde. Wie jedes Jahr kehrte er im Herbst nach Ägypten zurück, um seine Winterkampagne am 19. Dezember im Tal der Könige fortzusetzten. Seine Untersuchungen konzentrierten sich mit einigen Ausnahmen auf das Areal zwischen den Gräbern Ramses’ II. und Ramses’ VI. Mitte Februar reiste auch Lord Carnarvon wieder nach Luxor und bezog Unterkunft in Castle Carter II. Das ersparte einen langen Arbeitsweg. Die Ergebnisse der Winterkampagne waren enttäuschend. Einen kleinen Höhepunkt gab es am 26. Februar, als 13 schön gearbeitete Alabasterkrüge nahe dem Eingang zum Grab des Merenptah gefunden wurden. Die Kampagne endete am 20. März 1920. Carter muss eisern daran geglaubt haben, dass er noch etwas Bedeutendes im Tal der Könige finden würde. Es wirkt fast, als hätte er während seiner ganzen Arbeit dort das Grab Tutanchamuns im Fokus gehabt. In seinen späteren Aufzeichnungen behauptete er, er habe immer gewusst, wonach er im Tal suchte und warum er Lord Carnarvon davon überzeugen musste, die Konzession zu erwerben. Der Name Tutanchamun war bekannt, Davis hatte bereits früher Objekte dieses Königs im Tal gefunden. Nur das Grab selbst war noch nicht entdeckt. Carter und Lord Carnarvon waren sich sicher, „dass da Areale waren, bedeckt vom Schutt anderer Ausgräber, die nie genau untersucht worden waren. […] Wir hatten definitiv die Hoffnung, dass wir das Grab eines bestimmten Königs finden würden, des Königs Tutanchamun“41. Aber die Zeit sollte Carter noch etwas länger auf die Probe stellen. Während der darauffolgenden Kampagne im Winter 1920/21 starb Carters Mutter, aber er blieb trotzdem in Ägypten, um die Suche nach Tutanchamun weiter voranzutreiben. Zunächst grub er im Bereich Ramses II./Ramses VI. Am 23. Dezember vermerkte er in den Grabungsnotizen, dass er die Arbeit nun auf das Areal vor dem Grab Ramses’ VI. konzentrieren wolle, um die Reste von Arbeiterhütten sorgfältiger zu untersuchen. Elf Tage später musste er die Arbeit dort aber schon wieder abrechen. Er wich in den hinteren Teil des Tals zum Grab Thut-
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mosis’ III. aus, weil Touristen und der Besuch des Sultans die Arbeit im vorderen Bereich störten. Später kehrte er zwar wieder in das alte Areal zurück, widmete sich aber nicht mehr den Arbeiterhütten.42 Die Grabung endete ohne nennenswerte Erfolge am 3. März 1921. Das hatte schon eine gewisse Tragik: Wie man heute weiß, befand sich der Eingang zum Ziel seiner Suche direkt unter den Hütten. Gegen Ende des Jahres musste Carter länger als gewohnt in England bleiben. Im Herbst unterzog er sich in Leeds einer Operation. Ihm wurde die Gallenblase entfernt und er blieb sechs Wochen zur Genesung im Krankenhaus. Erst im Januar 1922 konnte er nach Ägypten zurückkehren, um die nächste Kampagne im Tal der Könige durchzuführen. Am 8. Februar wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Es war eine kurze und unproduktive Saison, die im März beendet wurde. Sicher litt Carter noch unter den Folgen der Operation. Schon im April waren er und Lord Carnarvon wieder auf dem Weg nach England. Darauf folgte (zumindest Carters Überlieferung zufolge) ein dramatischer Sommer. Lord Carnarvon lud ihn nach Highclere Castle ein, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Er selbst war zu dem traurigen Entschluss gekommen, aufgrund der mageren Jahre die Konzession im Tal der Könige aufzugeben und ein profitableres Grabungsareal zu erwerben. War es nach all dem Misserfolg noch sinnvoll weiterzumachen? Carter war fest davon überzeugt: Solange es nur einen einzelnen Bereich gab, der noch nicht bis auf den Felsgrund untersucht war, war es jedes Risiko wert, mit Grabungen im Tal fortzufahren. Zumindest eine letzte Kampagne wollte Carter durchführen. Sie sollte früher als gewohnt starten. Sein Ziel war es, die Arbeiterhütten unterhalb des Eingangs zum Grab Ramses’ VI. zu beseitigen. Die Unternehmung würde nur einen geringen Kostenaufwand haben – wenige erfahrene Arbeiter, das Areal war klein. Sollte Lord Carnarvon sich nicht überzeugen lassen, würde er selbst diese letzte Kampagne finanzieren. Doch Lord Carnarvon ließ sich überzeugen. Carter reiste von England nach Frankreich und bestieg dort am 5. Oktober 1922 ein Boot nach Ägypten. Sechs Tage später erreichte er Kairo, und am 27. Oktober 1922 traf er in Luxor ein, im Gepäck ein neues Haustier, einen Kanarienvogel in einem goldenen Käfig. Als er mit dem Vogel bei seinem Haus eintraf, sollen ihn die Einheimischen mit folgenden Worten empfangen haben:
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Glückwunsch – es ist ein goldener Vogel, der Glück bringen wird. Dieses Jahr werden wir, so Gott will, ein Grab voll mit Gold finden!43
Diese Prophezeiung sollte sich bewahrheiten. Am 1. November begannen die Arbeiten im Tal der Könige, die zum wohl bedeutendsten Fund in der Geschichte der Ägyptologie führten, wenn nicht sogar in der Geschichte der Archäologie überhaupt. Am 4. November 1922 trug Carter folgende Notiz in sein Grabungstagebuch ein: „No. 433. Entrance of tomb of“.44 Das Grab des Tutanchamun war gefunden. Was folgt, ist bekannt. Mit Tutanchamun wurde der wohl bedeutendste Schatz der Archäologie wissenschaftlich „gehoben“. Die Begeisterung für die Schätze und die Mysterien alter Kulturen hat nie abgenommen und ist nach wie vor eine Triebfeder für die Beschäftigung mit der Antike. Aber inzwischen hat sich die Suche nach Schätzen gewandelt: Wo früher das Objekt und sein Sachwert im Vordergrund standen, geht es heute um die Rekonstruktion der Zusammenhänge, in die diese Objekte gehörten, und darum, auf diesem Weg ein Verständnis alter Kulturen zu entwickeln. Alle haben sie zu dieser Entwicklung (über Schriften und Bilder die Gedanken und Vorstellungen der alten Ägypter und ihren Blick auf die Welt zu verstehen) beigetragen – die Schatzjäger, Abenteuer und Wissenschaftler, die in der Zeit zwischen Napoleon und der Entdeckung des Grabes des Tutanchamun unser Wissen über das alte Ägypten zusammengetragen haben. Ohne die Sammlungen und Kuriositätenkabinette und die Menschen, die sie bestückten, wäre wohl nie ein Interesse am alten Ägypten entstanden. Ohne Menschen wie John Gardner Wilkinson, Auguste Mariette oder William Matthew Flinders Petrie wäre es vielleicht nur beim Bestücken der Kabinette geblieben. Man sammelte, man wollte verstehen, und dazu musste man genau betrachten lernen. Aus Neugier entstand Interesse, aus Interesse Wissenschaft. Und aus der Schatzsuche wurde die Archäologie Ägyptens.
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En d n o t e n V o r w o r t – Die Napoleonische Expedition
1
ie Niederlage der französischen Kräfte in der Seeschlacht von Abukir gegen D die britische Flotte unter Horatio Nelson isolierte die französischen Heeresteile in Ägypten. Diese sahen sich durch die Kriegserklärung des Osmanischen Reiches und den Ausbruch der Pest trotz weiterer militärischer Erfolge zunehmend unter Druck gesetzt, sodass sich Napoleon zurück nach Frankreich absetzte. Die zurückbleibenden französischen Truppenteile mussten sich schließlich im August des Jahres 1800 den britisch-osmanischen Kräften ergeben und das Land verlassen. Von 30.000 Teilnehmern überlebten angeblich nur 10.000 die Expedition.
2
ei den Mameluken handelte es sich um kaukasische und türkische Militärs, B die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts den Ayyubidenherrschern als Palastgarde dienten. Obwohl sie 1517 von den Türken besiegt und damit Teil des osmanischen Großreichs wurden, gelang es ihnen, bis zur Eroberung Ägyptens durch Napoleon ihre Machtposition und eine gewisse Eigenständigkeit in Ägypten zu bewahren.
3
er Physiker und Augenarzt Thomas Young (1773–1829) gilt als Hauptkonkurrent D Champollions bei der Entzifferung der Hieroglyphen. Seine Forschungen auf diesem Gebiet ermöglichten es Champollion, den entscheidenden Durchbruch bei der Entzifferung der Hieroglyphen zu erzielen.
4
ieses Relikt, das nach dem verlorenen militärischen Unternehmen an die briD tischen Kräfte abgetreten werden musste, befindet sich heute in London im British Museum. Entscheidend für die Entzifferung war dabei die Tatsache, dass sich auf dem Stein ein und dieselbe Inschrift in drei unterschiedlichen Sprachen befindet: Altgriechisch, Hieratisch und Demotisch. Durch den Abgleich mit der übersetzbaren altgriechischen Variante gelang Champollion schließlich der Durchbruch bei der Entzifferung.
P o r t r ät N r. 1: Bernardino Drovetti – Diplomat, Spion und Sammler
1 Guiseppe La Hoz (1766–1799) diente zuerst als Leutnant in der österreichischen Armee, bevor er 1795 zu den französischen Truppen wechselte. Er war während Napoleons Italienfeldzug dessen Adjutant und stieg schließlich zum Befehlshaber der lombardischen und „cisalpinen“ Einheiten auf (Ridley, S. 314). 2 Nach dem italienischen Feldzug Napoleons kam es zu einer Destabilisierung der politischen Situation in Oberitalien. Auf französische Intervention hin wurde die Region des Piemont unter französische Militärherrschaft gestellt und eine direktoriale Verwaltung nach französischem Vorbild installiert.
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3 Joachim Murat (1767–1815) war eine der schillerndsten Figuren der damaligen Zeit. Nach einer gescheiterten Karriere als Priester trat er der Armee bei, die er allerdings wegen Insubordination wieder verlassen musste. Erst im Zuge der Französischen Revolution gelang ihm der Wiedereinstieg in die Garde Ludwigs XVI. Sein rapider Aufstieg begann dann im Gefolge Napoleons, von dem er zuerst zum General ernannt und nach der Heirat mit Napoleons Schwester Caroline Prinz des Reiches und König von Neapel wurde. 4 Luigi Colli (1757–1809), Marquis von Felizzano, wurde von Napoleon zum Brigadegeneral seiner italienischen Armee ernannt und war ab 1801 Anführer der Streitkräfte im Piemont. 5 Ridley, S. 20. 6 Matthieu de Lesseps (1771–1832) begann seine Laufbahn unter der Ägide Napoleons und diente außer in Ägypten auch in den USA, Syrien und Tunesien als Botschafter. 7 Ernest Misset (†1820) diente zuerst in der britischen Armee und war mit Unterbrechung von 1803 bis 1815 britischer Konsul in Ägypten. 8 Alexander Mackenzie-Fraser (1758–1809) wurde nach seinem gescheiterten Ägypteneinsatz noch im Schwedisch-Russischen Krieg und im sogenannten „Peninsular War“ eingesetzt, bevor er während der niederländischen Kampagne Englands 1809 an einer Seuche verstarb, die die britischen Streitkräfte heimsuchte. 9 Laut einer Quelle erhielt Drovetti für seine Unterstützung und Beratung der ägyptischen Streitkräfte bei ihrem Kampf gegen die englischen Invasoren eine jährliche Pension von 50.000 türkischen Piastern (Ridley, S. 62). 10 Einzelnen Mamelukenführern gelang der Rückzug nach Assuan, wo sie sich etablieren konnten. Ihre Macht wurde jedoch nie wieder groß genug, um sich nach Norden zu wenden und die Position des neuen Vizekönigs zu bedrohen. 11 Ridley, S. 55. 12 Seit 1804 war Drovetti mit Rose Balthalon liiert, der Frau eines Kaufmanns aus Alexandria, von dem sie sich aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen trennte. 1812 kam der gemeinsame Sohn Giorgo zur Welt (Ridley, S. 37). 13 Frédéric Cailliaud (1787–1869) arbeitete neben seiner Tätigkeit für Drovetti als Prospektor für Mehmet Ali. Zurück in Europa war er bis zu seinem Tod als Museumskurator in Nantes tätig, laut einer anderen Quelle in Nimes (Ridley, S. 324). 14 Jean-Jacques Rifaud (1786–1852) schrieb das Werk Voyages en Égypte, en Nubie et lieux circonvoisins, depuis 1805 jusqu’en 1827, das 1830 in Paris erschien. Ebenfalls 1830 erschien sein Werk Tableau de l`Égypte, de la Nubie et des lieux circonvoisins und schon 1829 veröffentlichte er den Rapport faits par les diverses Académies et Sociétés savantes de France sur les ouvrages et collections rapportés de l’Égypte et de la Nubie. Für seine Verdienste wurde er mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet. 15 Belzoni bezeichnet ihn als „Deserteur des französischen Expeditionsheeres Napoleons, der in die Dienste Mehmet Alis getreten ist“ (Ridley, S. 326).
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16 Antonio Lebolo (1781–1830) begann seine Karriere als Polizist in Milan in den Diensten Frankreichs. Er legte sich eine eigene Antikensammlung zu und führte wohl auch selbst Ausgrabungen durch (http://www.bhporter.com/lebolo.htm, abgerufen am 14.1.2014). 17 Bei diesem Namen handelt es sich um die Verballhornung des alten Namens Ramses’ II. „User-Maat-Re“. 18 http://www.bhporter.com/lebolo.htm, abgerufen am 14.1.2014. 19 Das Haus Piccininis befand sich angeblich in der Nähe des heutigen Grabes TT161 (Thompson, S. 105). 20 Der Schweizer John Lewis Burckhardt (1784–1817), der auch unter den Namen Jean Louis bzw. Johann Ludwig bekannt ist, gehört mit zu den großen Entdeckern des Orients und Afrikas. Verkleidet als Araber bereiste er unter dem Pseudonym Scheich Ibrahim Ibn Abdallah die Gegenden des heutigen Syrien, Jordanien, Ägypten und des Sudan. Er gehört zu den ersten Europäern, die die heiligen Städte Mekka und Medina besuchten. 21 William John Bankes (1786–1855) war ein englischer Adliger, Reisender und Abenteurer. Seine Reisen führten ihn zuerst nach Spanien und Portugal und von dort in den Nahen Osten und nach Ägypten. Er beschäftigte sich ähnlich wie Young und Champollion mit der Entzifferung der Hieroglyphen. Zu seinem Vermächtnis gehört eine große Anzahl Zeichnungen der von ihm besuchten Orte. 22 George Annesley (1770–1844), Viscount Valentia/Baron Mountnorris, war zuerst im auswärtigen Dienst tätig bevor er Mitglied des britischen Parlaments wurde. 23 Bei dem Begriff „Ras“ handelt es sich um einen Titel, der direkt vom äthiopischen Kaiser verliehen wurde. Er war meist der kaiserlichen Familie und dem Hochadel vorbehalten und kennzeichnete z. B. den Verwalter einer Provinz. 24 H. Salt, A Voyage to Abyssinia, and Travels into the Interior of that Country, Executed under the Orders of the British Government in the Years 1809 & 1810, Boston 1816. 25 Thompson, S. 24. 26 Giovanni d’Athanasi (1798–1854), von Geburt her Grieche, ist auch unter den Namen Dimitrios Papandriopulos oder kurz Yanni bekannt. Er war einer der wichtigsten Helfer Salts, begleitet jedoch auch andere Forscher, wie z. B. den bereits erwähnten William Bankes, auf ihren Expeditionsreisen. Zahlreiche herausragende antike Objekte, die aus seinen Grabungen stammen, befinden sich heute in europäischen Museen wie dem Louvre, dem Ägyptischen Museum Berlin oder dem British Museum. 27 Thomas Triantaphyllos alias Werda war wie d’Athanasi griechischer Kunsthändler im Auftrag Salts und übernahm die Verwaltung der thebanischen Unternehmungen in Abwesenheit von Salt und d’Athanasi.
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28 Thompson, S.37. 29 Ebd., S. 98 und 252. 30 Ridley, S. 94–95. 31 Ebd., S. 79. 32 Ebd., S. 86. 33 Archibald Edmonstone (1795–1871) veröffentlichte 1822 in London seine Reiseerinnerungen unter dem Titel A Journey to Two of Oases of Upper Egypt. Er verfasste auch Studie über die Geschichte seiner Familie (Genealogical Account of the Family of Edmonstone of Duntreath), die aber erst post mortem, 1875, in gedruckter Form erschien. 34 Ridley, S. 88–89. 35 Edmé François Jomard (1777–1862) war Teilnehmer der napoleonischen Expedition nach Ägypten und zusammen mit Vivant Denon Herausgeber der Description de l’Égypte. 36 Johann Heinrich Karl Menu von Minutoli (1772–1846) machte zuerst in der Armee Karriere, bevor er vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. zum Erzieher seines Sohnes Carl ernannt wurde. Sein Interesse an antiken Altertümern brachte ihm nicht nur die Leitung der oben geschilderten Expedition, sondern auch die Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften ein. 37 Ridley, S. 144. 38 Das Fayum ist die größte Oase Ägyptens und liegt südwestlich von Kairo. Sie wird über den Bahr Yussuf, einen Seitenarm des Nils gespeist. 39 Pierre Montet (1885–1966) war französischer Ägyptologe und arbeitete außer in Tanis auch in Abu Roasch, Assiut, Beni Hassan und dem Wadi Hammamat. Er wurde Professor am Collège de France und später auch Präsident des Institut de France. 40 Vgl. hierzu Silvia Enaudi, „Sarg Psusennes I. (JE 85917)“ und „Maske Psusennes I. (JE 85913)“, in: F. Tiradritti (Hg.), Die Schatzkammer Ägyptens. Die berühmte Sammlung des Ägyptischen Museums in Kairo, Mailand 2000, S. 313–315. 41 Ridley, S. 152. 42 Ippolito Rossellini (1800–1843) wurde mit 24 Jahren Professor für orientalische Sprachen an der Universität Pisa. Er gilt heute als einer der Gründerväter der italienischen Ägyptologie. 43 Dieser Vorfall ging unter dem Begriff „Schlag mit dem Fliegenwedel“ in die Geschichte ein. Auslöser war eine gezielte Beleidigung Hussein Paschas (auch bekannt als Hussein III. Dey), des damaligen Herrschers Algeriens, durch den französischen Konsul Pierre Deval. Hussein, der die Rückzahlung von einer Million Francs einforderte – mit dieser Summe hatte sich Frankreich unter der Herrschaft Napoleons bei einem algerischen Handelshaus verschuldet – verabreichte Deval für dessen unverfrorene Anfrage einen Schlag mit seinem Fliegenwedel
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und verwies ihn des Landes. 1830 wurde dieser Vorfall schließlich von Frankreich als Begründung genutzt, um Algier zu besetzen und Hussein Pascha abzusetzen. Diese Aktion gilt als der Beginn der französischen Kolonialzeit in Algerien, die bis 1962 andauerte. 44 Richard Lepsius (1810–1884), deutscher Ägyptologe, erregte durch seine philologischen Ansätze bei der Erforschung alter Sprachen die Aufmerksamkeit von Alexander von Humboldt, der ihn am preußischen Königshaus mit dem späteren Friedrich Wilhelm IV. bekanntmachte. Von diesem erhielt Lepsius die Mittel für die preußische Expedition. Für die Ergebnisse wurde er zum Professor für Ägyptologie ernannt. 45 Ridley, S. 134. P o r t r ät N r. 2 : Giovanni Battista Belzoni – im Wettstreit um die Altertümer
1 Sarah Bane (1783–1870) ist zu den großen Entdeckerinnen ihrer Zeit zu zählen. Sie begleitete zum Teil als Junge verkleidet ihren Mann auf seinen Reisen, unternahm aber auch eigene Reisen, so z. B. ins sogenannte „Heilige Land“. Bekannt sind vor allem ihre Beschreibungen der häuslichen Umstände und der Rolle der Frau in den orientalischen Ländern in der Zeit des 19. Jahrhunderts. 2 Mayes, S. 115–116. Das Stück befindet sich heute im British Museum London und hat die Inventarnummer EA 19 (http://www.britishmuseum.org/explore/ highlights/highlight_objects/aes/c/colossal_bust_of_ramesses_ii.aspx, abgerufen am 31.1.2014). 3 Den Aussagen der damaligen Bewohner von Gurna zufolge stammt das an der rechten Schulter des Stückes befindliche Bohrloch von diesem vergeblichen Versuch (Mayes, S. 115). 4 Ebd., S. 124. 5 „Kaimakam“ lautete der Titel des obersten Beamten eines Verwaltungsbezirks. 6 Das Grab Ramses’ III. trägt heute die Bezeichnung KV 11. Der Sarkophag selbst wurde als Teil der zweiten Sammlung Henry Salts an Ludwig XVIII. von Frankreich verkauft (Reeves, S. 56, 159–161) und befindet sich heute im Louvre. 7 Mayes, S. 133. 8 Der Titel Agha („Anführer“) bezeichnet einen militärischen oder zivilen Würdenträger. Im militärischen Bereich entspricht er etwa dem Rang eines Hauptmanns. 9 Mayes, S. 141. 10 Ebd., S. 144. 11 Ebd., S. 148. 12 Henry William Beechey (1788–1862) war der Sohn eines berühmten Porträtmalers und Rechtsanwalts gleichen Namens. Beechey ließ sich ebenfalls zum Maler ausbilden und trat in die Fußstapfen seines Vaters, bevor er in Salts Diensten an Belzonis Unternehmungen teilnahm. 1821 wurde er vom britischen Außen-
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ministerium entsandt, um die archäologischen Städten des östlichen Libyen zu untersuchen. 1851 emigrierte er nach Neuseeland. 13 Mayes, S. 160. 14 Ebd. 15 James Mangles (1786–1867) hatte als Captain in der Royal Navy gedient, bevor er zusammen mit seinem Freund Irby eine Reise nach Ägypten, Nubien und dem Vorderen Orient unternahm. Zurück in England erreichte er eine gewisse Bekanntheit als Botaniker. 16 Charles Leonard Irby (1789–1845) diente ebenfalls als Captain in der Royal Navy. Zusammen mit seinem Freund Mangles verfasste er ein Buch über ihre Reisen im Vorderen Orient: Travels in Egypt and Nubia, Syria, and the Holy Land (London 1844). 17 Giovanni Finati (1786–1829?) wurde als Italiener zur französischen Armee gepresst, aus der er desertierte und in türkische Dienste trat. Finati konvertierte zum Islam und benannte sich in Mohammed um. Zusammen mit William Bankes veröffentlichte er eine Autobiographie, die 1830 in London erschien und den Titel trägt: Narrative of the Life and Adventures of Giovanni Finati, Native of Ferrara who, under the Assumed Name of Mahomet, made the Campaigns Against the Wahabees for the Recovery of Mecca and Medina and since Acted as Interpreter to European Travellers in some Parts least Visited of Asia and Africa. 18 Mayes, S. 311. 19 Dr. Alessandro Ricci (1795–1834) bereiste als Zeichner und Mediziner Ägypten und Nubien. Neben Belzonis Aufträgen erledigte Ricci Arbeiten für Salt und war Mitglied in den Expeditionsteams von Bankes und Rossellini. 20 Mayes, S. 244. 21 Salt erstellte insgesamt drei Sammlungen. Die erste verkaufte er an das British Museum, die zweite an den Louvre und die dritte schließlich über eine Auktion bei Sotheby’s (Mayes, S. 291). 22 Belzoni, S. 176–177. P o r t r ät N r. 3 : John Gardner Wilkinson – auf der Suche nach kulturellem Wissen
1 Thompson, S. 6. 2 William Gell (1777–1836), britischer Archäologe, ist vor allem für seine archäologischen Forschungen in Griechenland und Kleinasien bekannt. Von der Ausbildung her ein Autodidakt, war er einer der Ersten, die Topographie und Archäologie miteinander verknüpften. Für seine Verdienste auf dem Gebiet der Archäologie wurde er geadelt. 3 James Burton (1788–1826), britischer Archäologe und Reisegenosse Wilkinsons, trat kurzfristig als Geologe in die Dienste Mehmet Alis und bereiste Ägypten bis nach Abu Simbel. Er wurde aufgrund seiner Heirat mit einer griechischen Sklavin enterbt und konnte sich auch durch den Verkauf seiner Sammlung pharaonischer
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Antiken und eines in Ägypten zusammengestellten Zoos finanziell nicht sanieren. Burton verstarb arm in Edinburgh. 4 Thompson, S. 53. 5 Ebd., S. 58. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 102. 8 Robert Hay (1799–1863) war ein schottischer Reisender, Antiquar und Sammler, der mehrere Jahre in Ägypten verbrachte. Er heiratete wie Burton eine griechische Sklavin. Hay machte sich vor allem durch seine Zeichnungen von Altertümern, seine Pläne und kopierten Inschriften sowie seine Sammlung pharaonischer Antiken einen Namen. Teile seiner Sammlung befinden sich heute im British Museum. Die von ihm und seinem Team angefertigten Zeichnungen und Pläne sind Teil der British Library. 9 Edward William Lane (1801–1876), britischer Orientalist, war vor allem für sein Wörterbuch der arabischen Sprache und seine Übersetzung von „1001 Nacht“ bekannt. Er erforschte die Sitten und Gebräuche der Ägypter im 19. Jahrhundert und verfasste darüber auch ein Buch. 10 Joseph Bonomi (1796–1878), italienischer Zeichner und Bildhauer, arbeitete für die Expeditionen von Hay und Lepsius und wurde schließlich Kurator der ägyptischen Abteilung am British Museum und später der Sammlung von Soane. 11 Frederick Catherwood (1799–1854), britischer Maler und Architekt, begleitete Hay auf seinen Unternehmungen und wurde später vor allem für seine Arbeiten bei der Erforschung der antiken südamerikanischen Kulturen im Zuge der Expedition von John Lloyd Stephens bekannt. 12 Thompson, S. 200–201. P o r t r ät N r. 4 : Auguste Mariette – im Dienste des Vizekönigs
1 David, S. 24. 2 Nestor Hippolyte Antoine L’Hôte (1804–1842) war Ägyptologe und Zeichner der französisch-toskanischen Ägyptenexpedition. Er veröffentlichte unzählige Skizzen und Zeichnungen altägyptischer Monumente. 3 Schrift und Sprache der frühen Christen in Ägypten. Koptisch ist bis heute als Liturgiesprache der koptisch-christlichen Kirche lebendig. 4 Das Demotische ist eine Entwicklungsstufe der ägyptischen Sprache und war ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. in Verwendung. Grammatik und Wortschatz unterscheiden sich von den älteren Sprachstufen des Altägyptischen. 5 Emmanuel Charles Oliver Camille de Rougé (1811–1872), französischer Ägyptologe, gilt als Gründer der ägyptologischen Philologie Frankreichs. 6 Charles Lenormant (1802–1859), französischer Ägyptologe und Numismatiker, begleitete Champollion und Rosselini 1828 auf der französisch-toskanischen Expedition.
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7 David, S. 65; Louis Maurice Adolphe Linant de Bellefonds (1799–1883) war ein französischer Forschungsreisender, der Mitte des 19. Jahrhunderts im Ministerium der ägyptischen Bauverwaltung bis zum Minister aufstieg. Er hatte maßgeblichen Einfluss bei der Planung des Suezkanals. Antoine Barthelemy Clot (1793–1868), französischer Mediziner, war Leibarzt des Vizekönigs Mehmet Ali und unter dem Namen Clot Bey bekannt. Er gründete ein Krankenhaus und mehrere Schulen für Gesundheitswesen in Ägypten. 8 David, S. 66. 9 Ebd., S. 67 und Schulz/Seidel, 2001, S. 202. 10 David, S. 68. 11 Ebd., S. 83. 12 Ebd., S. 78. 13 Der Kult des Apis-Stieres reicht in der Gegend von Memphis (heute Mit Rahina, südlich von Kairo und östlich von Sakkara) bis in die frühesten Epochen der altägyptischen Kultur zurück. Bestattungen der heiligen Stiere sind aber erst seit dem Neuen Reich belegt. Die erste Grabgalerie wurde von Ramses’ II. in der 19. Dynastie gebaut. Heute besichtigt man die größeren Grabgalerien der 26. Dynastie, die später von den Ptolemäern ausgebaut wurden. Die Bestattungen der heiligen Stiere wurden bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. durchgeführt. 14 Gaston Camille Charles Maspero (1846–1916), bedeutender französischer Ägyptologe, arbeitete zunächst als Professor für ägyptische Philologie und Archäologie, bevor er als Nachfolger Auguste Mariettes die Leitung des Ägyptischen Museums in Kairo übernahm und Generaldirektor des Antikendienstes wurde (1881–1886 und 1899–1914). 15 Honoré Théodoric d’Albert de Luynes (1802–1867) war der 8. Herzog von Luynes, Archäologe und Numismatiker. Er unternahm u. a. Reisen nach Petra und entlang des Jordans. 16 David, S. 99. 17 Ferdinand Marie de Lesseps (1805–1894), französischer Diplomat und Sohn von Mathieu de Lesseps (siehe Kap. 1), war bereits unter Mehmet Ali mit der Planung des Suezkanals beschäftigt und vertraut mit dessen Sohn Mehmet Said. Nach der kurzen „rückwärts“ gewandten Regierung Abbas Paschas wurde er von Said Pascha gerufen, um die Planung fortzuführen. Seine Freundschaft zum Vizekönig Said Pascha wurde für Mariette zum großen Vorteil. 18 David, S. 102. 19 Ebd., S. 105. 20 Bonnefoy († 1859), französischer Archäologe und loyaler Assistent Mariettes, grub mit Mariette am Serapeum und leitete selbst eine Grabung in Theben-West (Dra Abu el-Naga). Er stammte wie Mariette aus Boulogne-sur-Mer. 21 David, S. 105–108; Reid, S. 100, 103.
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22 Gabet (1818–1869), französischer Ägyptologe, wurde erst Inspektor des Antikendienstes, führte selbst Grabungen durch und wurde später Mitarbeiter am ersten Ägyptischen Museum in Kairo-Boulaq. 23 Théodule Charles Devéria (1831–1871), französischer Ägyptologe, studierte unter Lenormant und wurde von de Rougé an den Louvre geholt. 1858 begleitete er Mariette auf Grabungen und kopierte altägyptische Inschriften. 24 David, S. 188. 25 Heinrich Ferdinand Karl Brugsch (1827–1894), deutscher Ägyptologe und Demotist, studierte in Berlin, Paris, Turin und London. 1853 unternahm er seine erste Forschungsreise nach Ägypten und traf hier erstmals auf Mariette. Er lebte mehrere Monate lang in der Villa Mariette in Sakkara und arbeitete dort an den Funden der Grabung. 1868 wurde er Professor für Ägyptologie in Göttingen, kehrte aber 1870 nach Kairo zurück, um die École d’Égyptologie zu leiten. 26 Reid, S. 115. P o r t r ät N r. 5 : William Matthew Flinders Petrie – die (R)Evolution der Archäologie
1 Dieses Problem setzte sich fort, so dass Petrie im Alter von 24 Jahren noch immer keinen anerkannten schulischen Abschluss hatte und seine einzigen universitären Erfahrungen mathematische Aufbaukurse waren (Drower, S. 18). 2 Bereits im Alter von 14 Jahren begann Petrie die antiken Stätten in seiner näheren Umgebung mit einem selbstgebauten Sextanten zu vermessen und zu kartographieren (Drower, S. 21). 3 Hierbei handelt es sich um Augustus Henry Fox Lane (1827–1900), besser bekannt unter dem Namen General Augustus Pitt-Rivers, der als Begründer der britischen Archäologie gilt. 4 Drower, S. 25. 5 Dr. James A. S. Grant wurde 1840 als Sohn eines Bankiers im schottischen Methlick geboren. Er studierte an der Universität Aberdeen Medizin und meldete sich Mitte der 1860 Jahre freiwillig, um eine Choleraepidemie in Ägypten zu bekämpfen. Seine medizinischen Erfolge auf diesem Gebiet verhalfen ihm zu einer Stelle als Arzt am Hofe des ägyptischen Vizekönigs und dem Titel Bey (http:// robertbauval.co.uk/articles/articles/DE49cont.html, abgerufen am 28.11.2013) 6 Drower, S. 47. 7 Diese Organisation wurde teilweise auch als „Delta Exploration Fund“ bezeichnet. 8 Reginald Stuart Poole (1832–1895) war der Neffe des berühmten Orientalisten Edward William Lane. Seit 1852 arbeitete er in der Münzabteilung des British Museum in London, deren Leiter er 1870 wurde. 9 Henri Edouard Naville (1844–1926) besuchte die Universitäten von Genf, London, Bonn, Paris und Berlin. Er begann seine Laufbahn als Philologe und kam erstmals 1865 nach Ägypten, um die Texte im Horustempel von Edfu zu bearbeiten. Verschiedene Forschungsarbeiten erbrachten ihm einen beachtlichen Ruf, bevor
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er als erster Archäologe vom EEF angestellt wurde und 1882 seine Grabungstätigkeit im Nildelta begann. 10 Amelia Edwards (1831–1892) war eine erfolgreiche Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin. Zu ihren bekanntesten Werken gehört ihr Bericht über ihre Ägyptenreise, A Thousand Miles up the Nile, der bis heute zu den Klassikern der Reiseliteratur gehört. Edwards gilt heute als einer der Gründer des EEF. 11 Margaret Alice Murray (1863–1963), britische Ägyptologin und Anthropologin, wurde nach ihrer Tätigkeit als Krankenschwester von Petrie ausgebildet und die „first full-time woman“ der Ägyptologie (Dawson/Uphill, S. 303). Sie studierte in London, wurde später selbst Dozentin und war Petries Vertretung am University College. Sie grub nicht nur in Ägypten, sondern folgte Petrie auch in den Vorderen Orient. Neben der Mitarbeit an seinen Publikationen machte sie sich vor allem mit ihren Arbeiten über das europäische Hexenwesen einen Namen. 12 Drower, S. 269. 13 David George Hogarth (1862–1927) war britischer Archäologe mit einem Schwerpunkt in vorderasiatischer Archäologie. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören die Ausgrabungen in Karkemisch. Von 1909 bis zu seinem Tod war er Kurator am Ashmolean Museum in Oxford. 14 Drower, S. 319. 15 Jesse Haworth (1835–1920), britischer Tuchfabrikant, entdeckte seine Begeisterung für die ägyptische Archäologie bei einer Reise im Jahr 1880. Im Zuge seiner Bekanntschaft mit Edwards begann er Petrie und auch den EEF finanziell zu unterstützen. 16 Eugène Grébaut (1846–1915) arbeitete als Leiter des französischen Instituts für orientalische Archäologie und war danach, von 1886 bis 1892, Leiter des ägyptischen Antikendienstes. 17 An dieser Stelle ist zu vermerken, dass Petrie bei der Auffindung davon ausging, dass hier aufgrund der für Ägypten ungewöhnlichen Bestattungsweisen eine neue Bevölkerungsgruppe eingewandert war. Diese neue Kultur wollte er in die sogenannte 1. Zwischenzeit, also den Zeitraum zwischen dem sogenannten Alten Reich und dem Mittleren Reich, datieren. 18 Der Franzose Jacques Jean Marie de Morgan (1857–1924) war Ingenieur, Geologe, Prähistoriker und Archäologe. Er arbeitete als Prospektor in ganz Europa, Ostindien und Malacca und begleitete wissenschaftliche Missionen in den Kaukasus und nach Persien. Von 1892 bis 1897 war er Generaldirektor des Antikendienstes und unternahm Grabungen u. a. in Dashur, Sakkara, Kom Ombo und Nagada. 19 Bis heute spielt Oxyrhynchos in der Ägyptologie, vor allem für die griechisch-römische Epoche, eine wichtige Rolle. Unter Petries Nachfolgern, seinen Freunden und Expeditionsteilnehmern Francis Grenfell und Arthur Hunt, wurde dort eine Vielzahl von Papyrus-Texten mit zum Teil verschollenen Werken antiker Autoren
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gefunden. Deshasheh ist für seine Fundstücke aus dem Alten Reich bekannt, die sich heute im Petrie Museum in London befinden. 20 Drower, S. 243. 21 Émile Amélineau (1850–1915) studierte ursprünglich Theologie, bevor er als Schüler von Maspero und Grébaut in Kontakt mit der Kultur des alten Ägypten kam. Bekannt ist er vor allem durch seine Arbeiten in Abydos und im Fach Koptologie. 22 Inv.-Nr.: JE 36143. 23 Diese Bezeichnung leitet sich vom pharaonischen Wort für „Herrscher der Fremdländer“ ab und bezeichnet eine Bevölkerungsgruppe, die wohl aus dem vorderasiatischen Raum nach Ägypten einwanderte und in der 2. Zwischenzeit (ca. 1650 bis 1550 v. Chr.) das Nildelta und Teile Mittelägyptens kontrollierte. Erst um 1550 v. Chr. gelang es schließlich dem in Theben residierenden Herrschergeschlecht, allen voran dem Pharao Ahmose, die asiatischen Fremdherrscher aus Ägypten zu vertreiben. Diese Ereignisse stellten nach heutiger Sichtweise den Beginn des Neuen Reiches dar. 24 Seit 2007 finden in Tell el-Retaba erneut Ausgrabungen durch das Centre of Mediterranean Archaeology UW und die Slovak Aigyptos Foundation statt. Heute gehen die Ausgräber allerdings verstärkt von einem Siedlungsbeginn im Mittleren Reich aus. 25 Bemerkenswert ist, dass Petrie in dieser extrem kurzen Kampagne 1400 Schädel aus einem eher spät zu datierenden Friedhof barg – nach heutigen Maßstäben eine wissenschaftliche Unmöglichkeit, da eine saubere Dokumentation in einem solchen Zeitraum gar nicht möglich wäre, von den ethischen Richtlinien ganz zu schweigen. 26 Bei den beiden Brüdern handelt es sich um Chnum-Nacht und Nacht-Anch. Eine erste Auswicklung der Mumien erfolgte 1907 unter der Leitung von Murray, die mit einem Expertenteam eine wissenschaftliche Auswertung der Mumien vornahm. Dieser Ansatz wurde 1972 für den gesamten Mumienbestand des Manchester Museums weiterverfolgt (R. David [Hg.], The Manchester Museum Mummy Project, Leeds 1979). 27 Der Begriff Mastaba leitet sich vom arabischen Wort für „Sitzbank“ ab und nimmt Bezug auf die kompakte, rechteckige Bauweise dieser aus Stein gemauerten Grabanlagen. 28 Dieser Ort ist heute als „Skene Mandron“ identifiziert und spielte vor allem in römischer Zeit als Legionslager eine Rolle (http://www.digitalegypt.ucl.ac.uk/ shurafa/index.html, abgerufen am 1.1.2014). 29 Vgl. http://www.dainst.org/de/project/heliopolis-0?ft=33, abgerufen am 1.1.2014. 30 Bei diesen Figuren handelt es sich um sogenannte Scharrbilder, die durch das Abkratzen der Bodenschicht bis auf den Mutterboden entstehen, so dass ein farblicher Unterschied zur normalen Geländeoberfläche entsteht. Während man heute von einer prähistorischen Datierung des Weißen Pferdes ausgeht, ist das Alter des Giganten noch nicht vollständig geklärt.
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31 Der französische Ägyptologe Pierre Lucien Lacau (1873–1963) hatte in Paris Philosophie und orientalische Sprachen studiert. Dank Masperos Einfluss wandte er sich dem Koptischen und Altägyptischen zu, wurde Mitarbeiter des Institut Francais d’Archeologie Orientale (IFAO) und half bei der Katalogisierung der Objekte des Ägyptischen Museums in Kairo. 1912 wurde er Direktor des IFAO in Kairo und 1914 Generaldirektor des Antikendienstes. 32 Guy Brunton (1878–1948) war ein britischer Ägyptologe, der bei Petrie lernte und mit ihm in Ägypten arbeitete, vor allem in Lahun. Er grub dort an verschiedenen Orten und wurde 1931 zum konservatorischen Assistenten der Ägyptischen Museums Kairo. Der britische Ägyptologe Reginald „Rex“ Engelbach (1888–1946) lernte wie Brunton bei Petrie und arbeitete mit ihm als dessen Assistent in Heliopolis, Shurafa, Kafr Ammar, Riqqa, Haraga, Lahun und Gurob. 1919–1920 war er Chefinspektor von Oberägypten beim Antikendienst und in der Folge konservatorischer Assistent und 1931 Konservator am Ägyptischen Museum von Kairo. 33 Neben der Nagada-Kultur zählt die „Badari-Kultur“, wie Petrie sie nannte, zu den frühesten Phasen des alten Ägypten im Raum Oberägypten. Beide hatten großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Landes. 34 Drower, S. 358. 35 Interessanterweise gehörte diese Stadt teilweise zum Hoheitsgebiet der alten Ägypter. 36 Bei Tell Fara handelt es sich um den heute als Tell Fara South bekannten Grabungsort, der sich ca. 22 km südlich von Gaza befindet. 37 Ernest T. Richmond (1874–1955) war gelernter Architekt und gelangte über seine Dienstzeit beim Militär an einen Posten in der britischen Verwaltung Palästinas. Von 1927 bis 1937 war er der leitende Direktor der dortigen Antikenverwaltung. 38 Dieser Ort liegt zwischen Gaza und Tell Fara und ist heute als das antike Scharuhen identifiziert. 39 Der britische Archäologe Ernest John Henry Mackay (1880–1943) wurde bei Petrie ausgebildet und arbeitete auf verschiedenen Grabungen sowie beim fotografischen Survey der thebanischen Nekropole. Nach dem Krieg leitete er archäologischen Unternehmungen in Ägypten, im Vorderen Orient und in Indien. 40 Sein Sohn, der sich bereits vor Kriegsbeginn bei der britischen Armee verpflichtet hatte, geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. 41 Drower, S. 424. 42 Der bedeutende Ägyptologe Francis Llewellyn Griffith (1862–1934) arbeitete von 1884 bis 1888 mit Naville und Petrie auf verschiedenen Grabungen. Später lehrte er in London, Manchester und Oxford. Heute ist nach ihm ein ägyptologisches Forschungsinstitut und Archiv in Oxford benannt. Griffith war Mitinitiator für die Unternehmungen des EEF in Beni Hassan und Deir el-Bershe.
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43 Der britische Ägyptologe Battiscombe George Gunn (1883–1950) war in alten Sprachen bewandert und studierte Altägyptisch bei Murray. Er arbeitete in Haraga, Amarna und Sakkara und wurde später Professor in Oxford. 44 Percy Edward Newberry (1868–1949), seines Zeichens Ägyptologe und Botaniker, arbeitete als Sekretär und später als Archäologe für den EEF. Er lehrte in Liverpool, London und Kairo und kaufte Antiquitäten im Auftrag der Familie Tyssen-Amherst für deren Sammlung. 45 Der britische Ägyptologe James Edward Quibell (1867–1935) wurde in Oxford ausgebildet, bevor er bei Petrie auf einigen Grabungen mitarbeitete. Quibell leitete selbst mehrere Unternehmungen, besonders erfolgreich in Hierakonpolis. 46 Der britische Ägyptologe Gerald Avery Wainwright (1879–1964) studierte mit Mackay in Bristol, bei Petrie und Murray in London und bei Griffith in Oxford. Er assistierte Petrie auf vielen Grabungen und trug zu dessen Publikationen bei. Von 1921 bis 1924 war er Chefinspektor des Antikendienstes für Mittelägypten. 47 Quibell, Hierakonpolis I, S. 5. 48 Bis heute ist die Narmer-Palette eines der Prunkstücke des Ägyptischen Museums Kairo (CG 14716). Sie stellt die Siege des Königs Narmer dar, der als der erste Herrscher gilt, der Ober- und Unterägypten vereinte. 49 Inv.Nr. AN1896–1908.E3632. 50 Ägyptisches Museum Kairo (CG 14717/52701). 51 http://www.hierakonpolis-online.org/nekhennews/nn–24–2012.pdf, am 5.2.2014.
abgerufen
52 Drower, S. 219. 53 Cecil Mallaby Firth (1878–1931) arbeitete zuerst als Rechtsanwalt auf Zypern, bevor er 1907 seine archäologische Karriere in Nubien begann. 1913 wurde er vom Antikendienst zum Inspektor für die Region Sakkara ernannt. 54 Walter Bryan Emery (1903–1971) begann seine archäologische Karriere im Alter von 20 Jahren mit Ausgrabungen in Amarna. Es folgten Grabungen in Luxor, Theben, Armant und Nubien. 1934 übernahm er die Grabungsleitung in Sakkara. Während des Krieges wechselte Emery zur Military Intelligence und wurde in der Folge Attaché für die britische Botschaft in Kairo. Erst 1952 konnte er mit seiner Ernennung zum Grabungsleiter des EEF und der Berufung zum Professor für Ägyptologie an der Universität London seine archäologische Karriere wieder aufnehmen. P o r t r ät N r. 6 : Ernesto Schiaparelli – Ägypten am Rande der Pharaonen
1 Schiaparelli war Mitglied der Accademia dei Lincei und der Accademia della Scienze in Turin. 2 Francesco Ballerini (1877–1910) arbeitete von 1902 bis 1910 unter Schiaparelli am Ägyptischen Museum in Turin und begleitete seinen Chef auf mehreren Grabungskampagnen der MAI.
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3 Evaristo Annibale Breccia (1876–1967) arbeitete direkt nach seinem Studium in Rom für Schiaparelli und die MAI in Giza und Hermopolis, bevor er 1904 Direktor des Griechisch-Römischen Museums ins Alexandria wurde. 4 Moiso, S. 207. 5 Der britische Archäologe Arthur Edward Pearse Brome Weigall (1880–1934) begann seine Karriere als Mitarbeiter des EEF unter Petrie und war 1905–1914 Chefinspektor des Antikendienstes. 6 Moiso, S. 141. P o r t r ät N r. 7 : Howard Carter – ein Archäologe neuer Schule
1 Samuel Carter entwarf u. a. die großen Löwenstatuen am Fuß der Nelsonsäule am Trafalgar Square und stellte jährlich auf der Royal Academy Summer Exhibition aus. 2 James, S. 7. 3 William Amhurst Tyssen-Amherst (1835–1909), Baron Amherst of Hackney, wurde in Eton und Oxford ausgebildet und sammelte Bücher, Manuskripte, antike Möbel und Kunst, darunter auch altägyptische Objekte, die er in seinem Landsitz ausstellte. 4 Lady Amherst veröffentlichte 1904 A Sketch of Egyptian History from the Earliest Times to the Present Day, ein durchaus populäres und dickes Werk (James, S. 10), und ihre Tochter Mary, verheiratet als Lady William Cecil, untersuchte im Winter 1901/02 und im Frühjahr 1904 eine Reihe von Gräbern auf der Qubbet el-Hawa bei Assuan (Lady William Cecil, Report of the Work Done at Aswan, in: ASAE 4 [1903] und 6 [1905]). 5 George Willoughby Fraser (1866–1923) arbeitete als Zeichner für den EEF u. a. im Faijum, in Beni Hassan, Deir el-Bersche und Hatnub. 6 Ein Gräberfeld ca. 20 km südlich von Minya, das vor allem für seine Felsgräber aus der 1. Zwischenzeit und dem Mittleren Reich bekannt ist. Bestattet wurden hier die Fürsten des „Gazellengaus“. 7 Ein Gräberfeld südlich von Scheich Abade (früher Antinoopolis), das vom Alten Reich bis in die griechisch-römische Epoche genutzt wurde. 8 James, S. 20. 9 Marcus Worsley Blackden (1864–1934) war ein britischer Künstler und hatte an der Royal Arts Academy studiert. 10 James, S. 21. 11 Ebd., S. 22. 12 Ebd., S. 28. 13 Ebd., S. 36. 14 Arthur Surridge Hunt (1871–1934) ist vor allem für seine Arbeit mit altägyptischen Papyri u. a. aus Sammlungen (z. B. der Amherst-Sammlung) und Grabungen (Oxyrhynchos-Papyri aus dem Faijum) bekannt.
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15 James, S. 46. 16 Ebd., S. 50–51. 17 Ebd., S. 57. 18 Rosalind Frances Emily Paget (1844–1925) besuchte mehrfach Ägypten und arbeitete u. a. als Epigraphikerin im Grab des Ptahhotep in Saqqara. 19 Der bereits erwähnte Bruder von Percy Newberry. 20 James, S. 63. 21 Ebd., S. 68–69. 22 Ebd., S. 74–75. 23 Jan Herman Insinger (1854–1918), holländischer Händler, lebte ab 1879 in Luxor als Geldleiher und Antikenhändler, der hauptsächlich das Reichsmuseum in Leiden bediente. Nach ihm ist ein demotischer Papyrus benannt, den er in Achmim 1895 angekauft hatte. 24 Heute im Kairener Museum, JE 36195. Die Grabanlage wird heute als „Osirisgrab“ bezeichnet, ein Kultbau, der als Ort der Regeneration des Totengottes Osiris diente (dem altägyptischen Glauben gemäß wurde der verstorbene König zu Osiris). 25 Theodore Monroe Davis (1837–1915), amerikanischer Geschäftsmann und Finanzier, wurde von Sayce und Newberry für die Ägyptologie begeistert. Er finanzierte Grabungen von Newberry und anderen und arbeitete selbst im Tal der Könige von 1903 bis 1912. Er fand diverse königliche Gräber, und seine Objekte zieren zahlreiche Museen. 26 James, S. 93. 27 Ebd., S. 113. 28 Ebd., S. 125. 29 George Edward Stanhope Molyneux Herbert (1866–1923), 5th Earl of Carnarvon, war ein wohlhabender britischer Sammler und Ausgräber, der vor allem zusammen mit Howard Carter in der thebanischen Nekropole bedeutende Arbeit geleistet hat, die 1922 mit dem Fund des Grabes des Tutanchamun gekrönt wurde. 30 James, S. 138–139. 31 Ebd., S. 142. 32 Ebd., S. 164. 33 Ebd., S. 168–169. 34 Ebd., S. 172. 35 Der britische Ägyptologe Sir Alan Henderson Gardiner (1879–1963) studierte in Oxford klassische Sprachen, Hebräisch und Arabisch und bei Griffith (University College, London) und Maspero (École des Hautes Études und Collège de France, Paris) Altägyptisch. Er arbeitete unter dem deutschen Ägyptologen Adolf Erman
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am Wörterbuch der Ägyptischen Sprache in Berlin mit, war Herausgeber des Journal of Egyptian Archaeology und Teil des Teams der Tutanchamun-Grabung unter Carter. Gardiner ist vor allem für seine Arbeiten zur altägyptischen Sprache und Geschichte bekannt. 36 Vor allem in den Jahren nach dem Krieg unterstütze er z. B. die Familie Amherst beim Verkauf ihrer Sammlung (1920/1921) oder er katalogisierte Antiquitäten für Sotheby’s (1922). 37 James, S. 185. 38 Vgl. Malek/Neunert, page 8. 39 G. Neunert, Zu den „Carter-Carnarvon-Ostraka“ aus dem Tal der Könige, in: A. Dorn/T. Hofmann (Hgg.), Living and Writing in Deir el-Medine. A Socio-historical Embodiement of Deir el-Medine Texts, Aegyptiaca Helvetica 19, Basel 2006, S. 119–133. 40 Arthur Robert Callender (1876–1936), britischer Architekt und Ingenieur, hat an verschiedenen Projekten in Ägypten mitgearbeitet, u. a. bei der Untersuchung des Grabes des Tutanchamun. Er hatte einen Wohnsitz südlich von Luxor in Armant. 41 James, S. 215. 42 Malek/Neunert, 4th Excavation Season, page 17–24. 43 James, S. 218. 44 Malek/Neunert, page 28.
142 Literatur
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Personenregister 143
P e r s o n e n r e gi s t e r
Abbas Hilmi I. (Pascha) 59 f. Amélineau, Émile 77 Amherst, Lady 79 f., 98 Amherst, Lord William A. 98, 102, 111 Annesley, George 16 Athanasi, Giovanni d’ 17 Ballerini, Francesco 92−94 Bane, Sarah 26 Bankes, William J. 15, 37 Beechey, Henry W. 31, 33, 36 Bellefonds, Linant de 54 Belzoni, Giovanni B. 17, 19, 26−41 Biondi, Giacomo 93 Blackden, Marcus W. 99−101, 103 Bonnefoy, Yves 61 Bonomi, Joseph 46 Breccia, Evaristo 92 f. Brugsch, Heinrich 64 f. Brunton, Guy 82, 85, 87 Burckhardt, John L. 15, 27, 30 f., 36 Burton, James 43−46, 49, 40 Cailliaud, Frédéric 14 f., 17−19, 32, 36 f. Callender, Arthur R. 122 Carnarvon, Lord George E. Herbert 116−120, 122−124 Carter, Howard 82, 87, 97−125 Carter, Vernet 106 f. Casati, Alessandro 94 f. Catherwood, Frederick 46 Champollion, Jean-François 7, 17, 23 f., 47, 51 Clot, (Bey) Antoine B. 54 f. Colli, Luigi 10 Davis, Theodore M. 110 f., 115, 119 f., 123 Denon, Dominique Vivant 6 f., 52 Deval, Pierre 129
Devéria, Théodule 62, 64 Drovetti, Bernardino 9−26, 28., 29−34, 37−39, 41, 93 f. Edmonstone, Archibald 19 Edwards, Amelia 72 , 74 f. Emery, Walter 89 Engelbach, Rex 82, 85, 87 Fianti, Giovanni 131 Firth, Cecil 89 Fox Lane, August H. 69 Fraser, George W. 98−101, 103 Gabet 61 Gardiner, Alan H. 120 Gell, William 42, 44, 46 f. Grant, James A. S. 70 f. Grébaut, Eugène 74 f. Griffith, Francis L. 87, 98, 100 Gunn, Battiscombe 87 Harding, Gerald L. 83 Haworth, Jesse 74 Hay, Robert 46, 49, 99 Hogarth, David G. 73 Hôte, Nestor l’ 51 Hunt, Arthur S. 104 Hussein (Pascha) 129 Insinger, Jan H. 109 Irby, Charles L. 32 Ismail (Pascha) 62 f., 65 f. Jomard, Edmé F. 19 Lacau, Pierre 82, 121 f. La Hoz, Guiseppe 9 Lane, Edward W. 46 f., 69
144 Personenregister
Lebolo, Antonio 14, 37 f. Lenormant, Charles 52 f. Lepsius, Richard 25, 48, 94 Lesseps, Matthieu de 10 f., Lesseps, Ferdinand de 59 f. Lucarini, Fabrizio 94 Luynes, Honoré d’Albert de 58 Mackay, Ernest 85, 87 Mackenzie-Fraser, Alexander 12 Mangles, James 32 Mariette, Auguste 50−67, 71, 77, 90, 125 Maspero, Gaston 58 f., 63, 71 f., 77, 82, 90, 95, 107 f., 111, 113−117, 119−121, 133 Mehmet Ali (Pascha) 11−14, 17−20, 22−25, 27, 44 f., 58 Minutoli, Johann H. von 20 Misset, Ernest 12, 16 Montet, Pierre 21 f. Morgan, Jacques de 75, 103 Murat, Joachim 10 Murray, Margaret 73, 85, 87
Quibell, James E. 87−89, 108, 111 Ricci, Alessandro 36 f. Richmond, Ernest T. 84 Rifaud, Jean-Jacques 14 f., 21 f. Riley, N. T. 68 Roger, Guthrie 104 Rosignani, Giuseppe 14 Rossellini, Ippolito 23 Rougé, Emmanuel de 52, 58, 60 (Mehmet) Said (Pascha) 59−62 Salt, Henry 15−17, 27, 29, 31, 34−40, 42 f., 45 Savina, Benvenuto 94 f. Sayce, Archibald 72 Schiaparelli, Ernesto 90−96 Soane, John 40 Starkey, J. 83 f., 87 Thédénat-Duvent, Pierre 14 Thompson, Donald 43 Triantaphyllos, Thomas 17
Napoleon Bonaparte 6 f., 9−11, 14, 26, 125 Naville, Édouard 72, 74, 103−110 Nelson, Horatio 126 Newberry, John 107 f. Newberry, Percy E. 87, 98−105
Vidua, Carlo 14 f.
Paget, Rosalind 107 Petrie, Hilda (geb. Urlin) 76, 79−82, 84, 86, 89 Petrie, William M. Flinders 21, 67−90, 99 Piccinini 15 Poole, Reginald S. 72, 74
Yanni („der Grieche“) 31−f., 36 Young, Thomas 7, 41 f., 47 Youssef 15
Wainwright, Gerald A. 87 Weigall, Arthur 94 f., 116 f. Wilkinson, John G. 41−49, 94, 125 William Cecil, Lady Mary 139