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German Pages 614 [617] Year 2002
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 72
Andreas Wiebe
Die elektronische Willenserklärung Kommunikationstheoretische und rechtsdogmatische Grundlagen des elektronischen Geschäftsverkehrs
Mohr Siebeck
Andreas Wiehe, geboren 1959; Studium der Rechtswissenschaft in H a n n o v e r ; 1988 LL.M. (Virginia); 1992 P r o m o t i o n ; 2001 Habilitation.
Als Habilitationsschrift auf E m p f e h l u n g des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Universität H a n n o v e r gedruckt mit U n t e r s t ü t z u n g der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
I S B N 3-16-147873-8 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum)
978-3-16-157862-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet ü b e r http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2002 J . C . B . M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen G r e n z e n des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlags unzulässig u n d strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen u n d die Einspeicherung u n d Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch w u r d e von G u i d e - D r u c k in Tübingen aus der G a r a m o n d - A n t i q u a gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt u n d von der G r o ß b u c h b i n d e r e i Heinr. K o c h in T ü b i n g e n gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2001 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover angenommen wurde. Rechtsprechung und Literatur wurden bis März 2002 nachgetragen. Mein großer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kilian, für die langjährige Förderung, Unterstützung und kritische Begleitung. Er weckte mein Interesse für die Rechtsinformatik und deren interdisziplinäre Grundlagen. Während meiner Tätigkeit als Assistent am Institut für Rechtsinformatik stand er stets mit Rat und Hilfe zur Seite. Er gab nicht nur den Anstoss für die Behandlung des Themas. Die produktive Arbeitsatmosphäre und die für wissenschaftliche Arbeit unerläßlichen Freiräume haben die Fertigstellung der Arbeit erst ermöglicht. Die Themenstellung im Dreieck von Recht, Technik und Sozialwissenschaften stellte nicht nur methodisch eine große Herausforderung dar. Die rasante Entwicklung der Technik und die vielfältigen Reaktionen des Gesetzgebers auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene lassen die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Themas erahnen. Mit der Umsetzung der EG-Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung zum 1.1. 2002 ist diese Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluss gekommen, was eine Publikation zum jetzigen Zeitpunkt als günstig erscheinen lässt. Mein herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. Peter Salje für die Mühe des Zweitgutachtens und die vielfältigen nützlichen Anregungen. Zugleich danke ich Herrn Prof. Dr. Bernd Oppermann für die Unterstützung und zügige Durchführung des Habilitationsverfahrens als Dekan des Fachbereichs. Für die Aufnahme in diese Reihe danke ich Herrn Dr. Franz-Peter Gillig sowie dem Verlag Mohr Siebeck. Gedankt sei auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das Erscheinen der Arbeit durch einen Druckkostenzuschuß ermöglicht hat. Gewidmet ist die Schrift meiner Frau Undine und meinem Sohn Renke, die in der nicht immer einfachen Zeit zu mir gestanden haben und ohne deren Rückhalt diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Hannover, im April 2002
Andreas Wiebe
Inhaltsübersicht 1. Kapitel. Einleitung und Grundlegung
1
§1
Problemstellung und Vorgehensweise
1
§2
Kommunikation in Elektronischen Märkten
9
2. Kapitel. Struktur und Funktion der Willenserklärung herkömmlicher Konzeption
nach 31
§3
Vertrag, Vertragsrecht und Vertragsfunktionen
31
§4
Die dogmatische Struktur der Willenserklärung
57
3. Kapitel. Die Elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System des BGB §5 §6
Computereinsatz als Problem der Zurechnung in einem soziotechnischen System
97 97
Elektronische Willenserklärung als Frage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip
140
§7
Tatbestand der elektronischen Willenserklärung
204
§8
Rechtsprinzipien und Wertungen bei der elektronischen Willenserklärung
240
4. Kapitel. Risikostrukturierung §9
und Kommunikationsmodell
Kommunikationsmodell der Willenserklärung
271 271
§10 Technisierung und Kommunikationsmodell
337
§ 11 Risikoverteilung im Phasenmodell der Kommunikation
369
5. Kapitel. Nutzerschutz
457
im elektronischen Geschäftsverkehr
§12 Kompensation von vorvertraglichen Ungleichgewichtslagen im elektronischen Geschäftsverkehr
457
6. Kapitel. Automatisierung des Vertragsrechts
517
von Koordinationsformen
und Funktion
§13 Vertragsmechanismus und elektronische Koordinationsformen . . .
517
VIII
Inhaltsübersicht
7. Kapitel. Schlußkapitel
535
§14 Zusammenfassung
535
Literaturverzeichnis
543
Sachregister
585
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel
Einleitung und Grundlegung
!
§1
Problemstellung und Vorgehensweise
1
§2
Kommunikation
in Elektronischen Märkten
9
I. Das Konzept des Elektronischen Markts
9
1. Allgemeine Beschreibung
9
2. Technische Struktur
10
3. Grundelemente des elektronischen Markts a) Gemeinsame und standardisierte Kommunikationskanäle b) Gemeinsame Marktsprache aa) Formalisierung bb) Struktur von E D I F A C T c) Elektronische Marktdienste d) Marktapplikationen
11
4. Transaktionsphasen und technische Unterstützung a) Marktinformation b) Marktvermittlung c) Partnerinformation d) Aushandlungsebene e) Vertragsabwicklung
13 13 13 15 16 18 . . . .
II. Elektronischer Geschäftsverkehr in geschlossenen N e t z e n
. .
19 19 20 20 20 21 21
1. Just-In-Time-Verträge
22
2. EDI-Verträge
22
III. Das Internet als offenes N e t z f ü r elektronische Märkte und elektronischen Geschäftsverkehr
24
1. Technische Grundlagen
24
2. Dienste a) Diskussionsforen und Videokonferenzen b) Email
25 25 25
X
Inhaltsverzeichnis
c) d) e) f)
Dateiübertragung WWW Marktvermittlungsdienste Intelligente Agenten
3. Marktbeziehungen 2. Kapitel
Struktur und Funktion der Willenserklärung nach herkömmlicher Konzeption §3
Vertrag, Vertragsrecht und Vertragsfunktionen I. Das Verhältnis von Recht und Wirklichkeit als rechtsdogmatisches und methodisches Problem 1. Ontologische Rechtslehre 2. Form/Inhalt-Dichotomie 3. Institutionelles Rechtsdenken II. Funktionen des Vertrags 1. Selbstbestimmung 2. »Richtigkeitsgewähr« 3. Bezug auf Wettbewerbsordnung 4. Korrelierende Funktionen III. Funktionen des Vertragsrechts 1. Vertrag und rechtlicher Rahmen 2. Funktion des Vertragsrechts im Hinblick auf a) b) c) d)
die Informationstechnik Entwicklung eines Funktionsschemas Anpassungsnotwendigkeiten Bewahrungsnotwendigkeiten Gestaltungsnotwendigkeiten
IV. Konzeption der Rechtsgeschäftslehre und funktionaler Bezug 1. »Sozialmodell« und Rechtsgeschäft 2. Der dogmatische Anknüpfungspunkt: Automatisierung als Problem des »Funktionswandels« a) »Funktionswandel« als Grundlage einer Rechtsfortbildung
XI
Inhaltsverzeichnis
b) Automatisierung der Kommunikation und Rechtsfortbildung
§4
54
Die dogmatische Struktur der Willenserklärung
57
I. Vertrag und Rechtsgeschäft
57
II. Geltung und Geltungsgrund der Willenserklärung
59
III. Dualismus von Wille und Erklärung und Auslegungsverfahren
64
IV. Privatautonomie und Rechtsgeschäftslehre
75
V. Wertungsprinzipien und ihr Verhältnis
80
1. Selbstbestimmung
80
2. Selbstverantwortung
81
3. Vertrauen
82
4. Äquivalenz
84
5. Verhältnis der Prinzipien
85
VI. Rechtsprinzipien und Tatbestand der Willenserklärung . . . .
85
1. Regeln und Prinzipien
86
2. System und Tatbestandsbildung
88
3. Tatbestand der Willenserklärung und Wertungsprinzipien
91
3. Kapitel
Die elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System des BGB § 5 Computereinsatz als Problem der Zurechnung in einem soziotechnischen System
97
I. Die soziologische Sicht des Computereinsatzes - »Arbeitsteilung« zwischen Mensch und Maschine 1. Diskussion zur »Mensch-Maschine-Kommunikation« a) Überblick b) Konzeptualisierung von Oberquelle/Kupka/Maaß aa) Mensch-Rechner-»Dialoge« bb) Das Konzept der Delegation cc) Zusammenfassung
97
97 . . . .
99 99 100 100 102 105
XII
Inhaltsverzeichnis
2. C o m p u t e r als Medium a) Computersemiotik b) Mediale Restriktionen c) Techniksoziologie d) Fazit
106 107 109 110 112
3. Der C o m p u t e r als »Kommunikationsteilnehmer« u n d rechtliche Folgerungen
112
II. Konzeption der arbeitsteiligen elektronischen Willenserklärung in der Literatur
115
1. Phasenbezogene Verarbeitung: »Trennungslösungen« . . . a) Zeitliche Entkoppelung aa) Zwischenspeicherung in Automaten bb) Antizipierung durch Globalvereinbarung am Beispiel der Autorisierung bei POS-Systemen . . (1) Rahmenbedingungen der Autorisierung im POS-Verfahren (2) Zur rechtsgeschäftlichen Qualität der Autorisierungsantwort (a) Autorisierung als tatsächlicher Vorgang innerhalb eines antizipierten, globalen Versprechens (b) Autorisierungsantwort als elektronische Willenserklärung (c) Die Kritik von Möschel und Bewertung globalvertraglicher Lösungen b) Zeitliche Entzerrung Willensbildung/Erklärung . . . . aa) Die Meinung von Plath bb) Die Meinung von Schwörbel c) Ablehnung einer Willenserklärung mangels Beherrschbarkeit 2. Funktionsbezogene Verarbeitung a) Parallelen zur typischen Arbeitsteilung aa) Stellvertretung (1) Allgemeine Überlegungen (2) Intelligente Agenten als Anwendungsfall?. bb) Botenschaft b) Parallelen zur Blanketterklärung als F o r m atypischer Arbeitsteilung 3. Zwischenbilanz a) Willensabstraktion b) Grenzen
. .
116 116 116 117 117 119
119 120 123 125 125 126 128 129 129 129 129 130 133 133 136 137 138
XIII
Inhaltsverzeichnis
$6
Elektronische Willenserklärung nach dem Risikoprinzip
als Frage der
Zurechnung 140
I. Zurechnungsmodell der Rechtsgeschäftslehre
141
1. Begriff der Zurechnung
141
2. Zurechnungsmodell der Vertrauenshaftung und der Rechtsgeschäftslehre
142
3. Objektivierung als Grundlage eines integrierenden Konzepts
144
4. Entwicklung eines übergreifenden Zurechnungsmodells der Rechtsgeschäftslehre
146
a) Allgemeine Zurechnungsvoraussetzungen
146
b) Besondere Zurechnungsprinzipien
147
II. Vertrauensschutz und technisierte Kommunikation
148
1. Vom personalen zum Systemvertrauen
149
2. Technisierung und Systemvertrauen
151
I I I . Vom Verschuldens- zum Risikoprinzip - Wege zur Bewältigung technischer Risiken im Vertragsrecht
154
1. Risikoprinzip und technische Entwicklung
154
2. Zurechnungsmodell des Risikoprinzips
156
a) Anknüpfung an Willen
156
b) O b j e k t i v e Zurechnungsgesichtspunkte
157
c) Risikoprinzip und Sphäre
158
3. Risikoprinzip und Rechtsgeschäftslehre
159
IV. Einsatz von Informationstechnologie als F o r m arbeitsteiliger Organisation und Wirkung des Risikoprinzips
164
1. Arbeitsteilige Organisation von Wissen
164
a) Grundsätze der Wissenszurechnung bei arbeitsteiliger Organisation
164
b) Kritische Einwände
168
aa) Gleichstellungsargument
168
b b ) Zur dogmatischen Anknüpfung
168
c) Wissenszurechnung und Zurechnungsprinzipien
. . .
d) Gespeichertes Wissen als Zurechnungsobjekt
169 170
aa) Objektivierung und medienbezogene Erheblichkeitsschwelle b b ) Umstellung auf Risikoprinzip (1) »Erkennbarkeit« als immanente Grenze . . . .
171 173 173
XIV
Inhaltsverzeichnis
(2) Persönliche und zeitliche Grenzen der Zurechnung (a) Informationsweiterleitung (b) Informationsabfrage (c) Notwendigkeit eines veränderten Modells der Informationsverarbeitung (d) Kritik unter dem Gesichtspunkt des Risikoprinzips e) Fazit 2. Die Regelungen von §5 TDG/MDStV a) Unmittelbare Anwendbarkeit auf elektronische Willenserklärungen b) Grundsätze der Regelung und Bedeutung für die Zurechnung elektronischer Erklärungen aa) Allgemeines bb) Abgrenzung »eigene«/»fremde« Inhalte cc) Der Veranlassungsgedanke in der Rechtsprechung zum Urheber- und Wettbewerbsrecht dd) Fortschreibung in §5 TDG/MDStV ee) Zusammenfassung und Bedeutung für die rechtsgeschäftliche Zurechnung 3. Haftung für Computereinsatz als Ausprägung des Risikoprinzips a) Ausgangspunkt b) Gefährdungshaftung analog c) §242 BGB d) §278 BGB e) Bereichshaftung und Risikoprinzip f) Sphärenhaftung V. Risikoprinzip und Funktionswandel VI. Typologische Strukturierung
§7
173 173 174 174 175 175 177 177 178 178 179 179 181 183 184 184 185 186 187 190 192 196 199
1. Die elektronische Willenserklärung als eigener Typus . . . a) Elektronische Kommunikation als Bezugspunkt . . . b) Differenzierung im Lichte europäischen Rechts . . . .
200 200 200
2. Typologie elektronischer Willenserklärungen
202
Tatbestand der elektronischen Willenserklärung I. Fortschreibung der Zurechnungslösung von Kuhn II. Bestimmung des objektiven Tatbestands der elektronischen Willenserklärung
204 204 206
Inhaltsverzeichnis
XV
1. Besonderheiten elektronischer Kommunikation
206
2. Objektivierung und Grenzen
207
3. Elemente des objektiven Tatbestands - das äußere Bild der Regelungsanordnung
210
4. Erkennbarkeit für den Erklärenden als Kriterium für Auslegung oder Zurechnung?
212
5. Mausklick als konkludentes Verhalten oder ausdrückliche Erklärung?
213
III. Zurechnung
214
1. Willen
214
2. Verschulden
214
3. Risikoprinzip
216
a) Kriterien der Risikozurechnung
216
aa) Beherrschbarkeit
216
bb) Weitere Kriterien
219
cc) Ökonomische Fundierung
220
b) Risikoprinzip und elektronische Kommunikation . . .
223
aa) Abstrakte Beherrschbarkeit bei elektronischer Kommunikation
223
bb) Hypertext und die Grenzen abstrakter Beherrschbarkeit
225
cc) Beherrschbarkeit der Rahmenbedingungen
. . . .
230
dd) Abgrenzung der Risikobereiche und Berücksichtigung des Systemcharakters
231
IV. Anwendungsbeispiel: Intelligente Agenten und die neue Relevanz des Autonomieproblems
233
1. Erklärungsrisiken
233
a) Technische Ausgestaltung und Sicherheit b) Agent und Nutzer - Mensch/Maschine-Schnittstelle 2. Rechtliche Bewertung
§8
233 .
235 237
a) Einsatzzweck und Vollmacht
237
b) Zurechnungslösung
238
aa) Tatbestand
238
bb) Beherrschbarkeit als Zurechnungskriterium . . . .
239
Rechtsprinzipien
und Wertungen bei der
Willenserklärung I. Selbstbestimmung
elektronischen 240 240
XVI
Inhaltsverzeichnis
II. Vertrauen und technische Entwicklung
242
1. Ubergang zu Systemvertrauen
242
2. Sicherungsinfrastruktur und -instanzen als »vertrauenswürdige Dritte« - Vertrauen durch Institutionen
243
III. Vertrauen und Vertragsrecht
244
1. Rechtlicher Vertrauensschutz unter funktionaler Betrachtung
245
2. Vertrauensförderliche Technikgestaltung
250
IV. Rechtliche Gestaltung von Vertrauen durch elektronische Signaturen
253
1. Vertrauen und Sicherheit durch elektronische Signaturen .
253
2. Signaturgesetzgebung und rechtliche Funktionen
256
3. Gestaltungsoptionen
257
V. Kommunikationssicherheit als Wertungsfaktor
261
1. Methodische Überlegungen
261
2. Kommunikationssicherheit als Teil des Prinzips Vertrauensschutz und Verkehrssicherheit a) Rechtliche Verankerung von IT- und Kommunikationssicherheit b) Sachstrukturen und funktionale Analyse
262 263
3. Konkretisierung: Schutzziele der IT- und Kommunikationssicherheit
265
262
VI. Persönlichkeitsschutz und Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Element von Vertrauensschutz
267
VII. Selbstschutz als Element von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung
268
4. Kapitel
Risikostrukturierung und Kommunikationsmodell §9
Kommunikationsmodell
der Willenserklärung
I. Kommunikationsmodell als methodisches Instrument
2 7i
271 . . . .
II. Ansätze zur Verarbeitung kommunikationstheoretischer Konzepte
271 276
Inhaltsverzeichnis 1. Von der Geltungstheorie zum Konzept des sozial-kommunikativen Erklärungsbegriffs a) Kohler b) Larenz c) Kramer d) Bailas 2. Sprechakttheorie und Rechtsgeschäft - Möglichkeiten der Integration a) Sprechakttheorie und rechtliche Geltung b) Pragmatische Erweiterung des »empirischen Modells« der Willenserklärung c) Zum »pragmatischen Aspekt« der Willenserklärung . III. Modelle menschlicher Kommunikation
XVII
277 277 278 280 281 284 284 288 293 295
1. Modellbildung und Allgemeine Systemtheorie
296
2. Kommunikationsmodell a) Phasenmodell b) Schichtenmodell
297 297 300
3. Ergänzende pragmatische Kommunikationsaspekte . . . . a) Inhalts- und Beziehungsaspekt b) Digitale und analoge Kommunikation c) Reflexivität d) Reziprozität e) Nicht-interaktive Kommunikation f) Störungen g) Verständigung als Zwischenschritt zur Koordination . h) Zusammenfassung zur pragmatischen Ergänzung des Modells
304 304 305 305 306 307 309 309
IV. Rechtliche Integration des Kommunikationsmodells 1. Allgemein: Willenserklärung und Kommunikationsanalyse
313 316 316
2. Vertrag und Konsens a) Vertragstheorie b) Kommunikation, Konsens und geltendes Vertragsabschlußrecht c) Das Konzept der Verständigung - Rechtliche Verarbeitung von Reflexivität und Reziprozität . . . . d) Vertragsschluß und Regelung e) Fazit
317 317
3. Tatbestandsbildung der Willenserklärung
325
319 320 323 324
XVIII
Inhaltsverzeichnis
a) Struktur des subjektiven Tatbestands
325
aa) Subjektive Tatbestandselemente bb) Bewertung der psychologischen Sichtweise
325 . . . .
cc) Kommunikationstheoretische Strukturierung . . .
326 328
b) Kommunikationsprozeß und Elemente des objektiven Tatbestands
331
aa) Allgemeines
331
bb) Erklärungsvorgang und Wirksamwerden der Willenserklärung in zeitlicher Hinsicht
. . . .
332
cc) Person des Erklärenden
334
dd) §242 B G B als überwölbendes Prinzip
335
5 1 0 Technisierung und Kommunikationsmodell
337
I. Frühere Technisierung der Kommunikation und rechtliche Berücksichtigung
337
1. Technisierung der Kommunikation
337
a) Stufen der Technisierung
337
b) Strukturierung der Sprache durch Technik
340
aa) Technisierung des Symbolsystems
340
bb) Technisierung der Sinneskanäle
341
cc) Technisierung der Situationsbezüge
342
(1) Auflösung der zeitlichen Unmittelbarkeit . . .
342
(2) Auflösung der räumlichen Unmittelbarkeit
. .
343
(3) Auflösung der personalen Unmittelbarkeit. . .
343
2. Medienspezifische Differenzierung in funktionsbezogener rechtlicher Bewertung
344
a) Formvorschriften
344
aa) Formfunktionen
344
bb) Formdifferenzierung
345
b) Auflösung der Unmittelbarkeit
346
II. Automatisierung und Kommunikationsmodell
346
1. Pragmatische Aspekte der computergestützten Kommunikation
346
a) Der Computer als »Metamedium«
346
b) Formalisierung und Dekontextualisierung
348
c) Reflexivität und Reziprozität
353
d) Dialogmetapher und kultureller Aspekt
356
2. Kommunikationsmodell und Computerunterstützung
. .
357
a) Phasenmodell
358
b) Schichtenmodell
358
XIX
Inhaltsverzeichnis
c) Grenzen der Automatisierung anhand von Anwendungsbeispielen aa) Beispiel: »Performative Networks« auf der Grundlage der Sprechakttheorie bb) Beispiel: »Gleichgewichtsmodell für verbindliche Telekooperation« cc) Intelligente Agenten 3. Zusammenfassung
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell der Kommunikation
363 363 364 366 368
....
369
I. Risiken im elektronischen Geschäftsverkehr a) Verfügbarkeit von Informationen, Datenverkehr, Datenzugang b) Integrität der Information und Kommunikation . . . . c) Vertraulichkeit von Information und Kommunikation d) Beweissicherung e) Zuordenbarkeit f) Pragmatische Kommunikationsrisiken
369
II. Willensbildung und Encodierung - Irrtumslehre
370 370 370 370 370 371 371
1. Anfechtung und Zurechnungslehre
372
2. Anfechtung nach §9 BGB und elektronische Erklärung . a) Fehlertypologie und Anfechtung nach Meinungen der Literatur aa) Fehlerhafte Eingabe und Bedienung bb) Fehlerhafte Daten cc) Systemfehler dd) Fehlerhafte Übermittlung b) Analogie zu § 166 Abs. 1 BGB c) Anfechtung nach § 9 Abs. 2 BGB d) Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage e) Anfechtung bei Überschreitung der gesetzten Rahmenbedingungen aa) Problem bb) Die Lösung des UCITA cc) Zurechnungslösung dd) Anfechtung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein als Unterfall f) Bewertung der Irrtumsregeln
372 372 373 375 376 376 377 378 380 381 381 381 382 383 383
XX
Inhaltsverzeichnis
aa) Kommunikationsmodell und funktionale Äquivalenz bb) Bedürfnis für Rechtsfortbildung? (1) Verbraucherschutz bei Fernabsatzverträgen (2) Nutzerschutz nach Art. 10, ECommerceRichtlinie cc) Fazit 3. Anfechtung bei Täuschung und Drohung III. Emission - Wirksamkeitsvoraussetzungen
.
383 384 385 385 386 387 388
1. Abgabe
388
2. Geschäftsfähigkeit
390
3. Stellvertretung im elektronischen Rechtsverkehr
391
IV. Übermittlung V. Perzeption - Zugang
393 396
1. Traditionelle Auffassungen
396
2. Anpassung an moderne Kommunikationsmittel
398
3. Risikoverteilung nach Risikoprinzip
400
4. Zugangshindernisse
402
5. Verschiedene Störungen
403
6. Sonderfall: Interaktivität der Kommunikation
404
7. Elektronische Post
406
8. Automatisierter Zugang
407
9. Anschlußobliegenheit
408
VI. Decodierung - Verständigung und normative Auslegung bei der elektronischen Willenserklärung 1. Normative Auslegung bei der elektronischen Willenserklärung a) Maßstab b) Regelwissen c) Umstandswissen d) Schlußverfahren 2. Differenzierung nach Automatisierungsgrad a) Vollständige Automatisierung (Maschine-Maschine-Kommunikation)
409 409 409 411 411 413 414 414
Inhaltsverzeichnis
b) Einseitige Automatisierung (Mensch-Maschine-Kommunikation) und rechtsgeschäftliche Kommunikation über W W W aa) Allgemeines bb) Maschine-Mensch-Kommunikation cc) Mensch-Maschine-Kommunikation
XXI
...
3. Differenzierungen des Auslegungsmaßstabs bei elektronischer Kommunikation a) Bereichsbezogene Differenzierung b) Internetspezifisches Nutzerleitbild als Auslegungsgrundlage 4. Schweigen im elektronischen Rechtsverkehr a) Schweigen als konkludente Willenserklärung b) Grundsätze zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben 5. Das Problem unbefugten verdeckten Dritthandelns . . . . a) Anscheins- und Duldungsvollmacht b) Lösung über Zurechnung des Erklärungstatbestands . aa) Bestimmung des Erklärungstatbestands bb) Zurechnung des Erklärungstatbestands und Differenzierung der Kriterien VII. F o r m - und Beweisfragen 1. Elektronische D o k u m e n t e und Formvorschriften nach bisheriger Rechtslage a) Gesetzliche Schriftform b) Gewillkürte Schriftform
416 417 418 419 420 420 421 422 422 424 425 425 430 430 431 436 437 437 438
2. Die Reform der Schriftformregelungen a) Funktionsäquivalenz der elektronischen F o r m mit elektronischer Signatur b) Textform im elektronischen Kontext c) Gewillkürte Schriftform § 7 BGB
438 439 441 441
3. Elektronische D o k u m e n t e und Beweisrecht nach bisheriger Rechtslage a) U r k u n d e aa) Beweisregeln bb) Elektronische D o k u m e n t e als U r k u n d e n cc) Computerausdruck als U r k u n d e b) Augenschein c) Vertragliche Regelungen
442 442 442 443 444 445 446
4. Gesetzliche Regelungen zur beweisrechtlichen Stellung elektronischer D o k u m e n t e
446
XXII
Inhaltsverzeichnis
5. Fazit: Rechtliche und technische Risikobewältigung
. . .
VIII. Koordination und Vertragsschluß
447 449
1. Angebot
449
2. Annahme
453 5. Kapitel
Nutzerschutz im elektronischen Geschäftsverkehr § 12 Kompensation von vorvertraglichen im elektronischen Geschäftsverkehr
Ungleichgewichtslagen
I. Allgemeine Informationshaftung aus c.i.c. (§311 Abs. 2 BGB)
457 457
1. Grundsätzliche Zulässigkeit a) Konzeption des Gesetzgebers und »Funktionswandel« b) Kriterien für einen »Funktionswandel« als Grundlegung für die Statuierung von Informationspflichten . aa) Spezialgesetzliche Informationspflichten und »Informationsgrundsatz« bb) Materialisierung der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung cc) Informationspflichten als Ausdruck stärkerer Gewichtung des Vertrauensschutzprinzips . . . . dd) Funktionale Analyse ee) Ergebnis
457
2. Kriterien für eine vorvertragliche Informationshaftung . . a) Informationspflichten im Hinblick auf EDV-Systeme in der Rechtsprechung b) Informationspflichten als »bewegliches System« . . . . aa) Die Konzeption von Breidenbach bb) Korrekturen im Hinblick auf situationsbedingten Verbraucherschutz cc) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . dd) Informationspflichten in den Principles of European Contract Law
469
3. Asymmetrien in der Kommunikationssituation auf elektronischen Märkten a) Strukturelle Beherrschung des Kommunikationsablaufs
457 459 460 461 464 465 468
470 472 472 474 478 480 481 481
Inhaltsverzeichnis b) c) d) e) f) g)
Kommunikative Kompetenz Intransparenz der Vertragsobjekte Intransparenz von Kommunikationsparametern . . . . Vertraulichkeit Gegenläufige Tendenzen Zusammenfassung
4. Informationspflichten von Intermediären am Beispiel der Internet-Auktionsplattformen II. Allgemein: Kompensation von Ungleichgewichtslagen bei elektronischer Kommunikation 1. Einordnung in eine allgemeine Konzeption verbraucherrechtlicher Kompensationsinstrumente und Systematisierung 2. Rechtliche Kompensationsinstrumente im elektronischen Geschäftsverkehr a) Sicherung einer optimalen Entscheidungsgrundlage/Transparenz, Qualität und Quantität der Information aa) Recht auf Information und Transparenzgebot . . . (1) AGB-Gesetzgebung (2) Europäisches Recht und Verbraucherpolitik . bb) Spezialgesetzliche Informationspflichten (1) Vorvertragliche inhaltsbezogene Informationspflichten (2) Werbephasebezogene Informationspflichten. . b) Ubereilungsschutz/Sicherung einer bewußten Entscheidung aa) Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften bb) Widerrufsrecht nach der Fernabsatzrichtlinie . . . cc) Formvorschriften c) Kommunikationsverfahrensbezogene Informationspflichten zur Sicherung der »kommunikativen Kompetenz« aa) Signaturgesetzgebung bb) ECommerce-Richtlinie d) Abschlußbezogene technische Kompensationsmittel . aa) Empfangsbestätigung bb) Korrektur von Eingabefehlern cc) Ausnahme bei elektronischer Post e) Bewertung aa) Vom Verbraucherschutz z u m Nutzerschutz . . . .
XXIII 483 483 484 485 485 486 488
491
492 494
495 495 495 498 499 499 500 502 502 503 504
506 506 506 507 507 509 510 511 511
XXIV
Inhaltsverzeichnis
bb) Technisch bedingtes Ungleichgewicht zwischen Diensteanbieter u n d N u t z e r als Regelungsgrund f) N u t z e r s c h u t z und elektronische Agenten g) Ausnahmebereich f ü r automatisierte Willenserklärungen (§312b Abs. 3 Nr. 7 BGB)?
.
512 514 515
6. Kapitel
Automatisierung von Koordinationsformen und Funktion des Vertragsrechts §13 Vertragsmechanismus und elektronische Koordinationsformen I. Matching-Systeme beim elektronischen Börsenhandel
517 . . . .
1. Organisation und technischer Ablauf 2. Einordnung des Matching-Verfahrens hinsichtlich Abschlußtechnik a) Das Zustimmungsmodell des Vertragsschlusses b) Matching-Systeme als Anwendungsfall der Zustimmungstechnik
517
518 518
. . . .
521 521 524
3. Bewertung des Matching-Verfahrens aus Sicht des Konzepts der elektronischen Willenserklärung
527
4. Automatisierung des Koordinationsmechanismus und vertragsrechtliche Funktionen
529
5. Fazit
531
II. Automatisierung und Vertragsfunktionen
531
7. Kapitel
Schlußkapitel
535
§14 Zusammenfassung
535
Literaturverzeichnis
543
I. Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur II. Informations- u n d kommunikationswissenschaftliche, linguistische, informatikwissenschaftliche und soziologische Literatur Sachregister
543
572 585
1. Kapitel
Einleitung und Grundlegung § 1 Problemstellung und Vorgehensweise Der Einsatzbereich elektronischer Kommunikation nimmt stetig zu und reicht von einem bloßen Transportmittel wie bei Telefax über Zwischenformen wie E Mail und Online-Angeboten bis hin zu weitgehend automatisierten Formen, bei denen Computer, oder genauer, programmgesteuerte Anwendungen, ohne direkte menschliche Beteiligung miteinander »kommunizieren«. Beispielsweise durchsuchen »elektronische Agenten« das Internet nach günstigen Angeboten und schließen nach erfolgreicher Suche Verträge mit den »elektronischen Agenten« der Anbieterseite ab. Die neue virtuelle Netzwelt trifft auf ein Bürgerliches Gesetzbuch, zu dessen Entstehungszeit gerade der Fernsprecher erfunden war. Immer wieder ist es gelungen, neue Entwicklungen in das B G B zu integrieren. Mit der elektronischen Kommunikation, dem Einsatz der Informationstechnologie beim Zustandekommen und der Abwicklung von Verträgen, steht es vor einer weiteren Herausforderung, deren Tragweite erst allmählich klar wird. Die technische Entwicklung erfolgt derart rasant, daß zur Entscheidung anstehende Fälle bereits wieder einen veralteten Stand der Technik betreffen. Auch versuchen die Gerichte oft, durch Anwendung bekannter Grundsätze auf die neuen, technisch geprägten Handlungsformen, deren Vergleichbarkeit mit bekannten Formen man erkannt zu haben glaubt, die bestehenden Interessen zum Ausgleich zu bringen. Motivation für die vorliegende Untersuchung bietet zum einen die zunehmende Prägung des Vertragsrechts im Bereich elektronischer Kommunikation durch eine intensive Regelungstätigkeit des nationalen und vor allem des europäischen Gesetzgebers, die beide die Notwendigkeit der Schaffung eines angemessenen und innovationsfördernden rechtlichen Rahmens für den Einsatz der Informationstechnologie erkannt haben. 1 Die Kehrseite ist, daß die Resultate einerseits oft als unausgereift kritisiert werden, andererseits oft Einzelprobleme regeln, ohne daß
1 Informations- und Komraunikationsdienstegesetz ( I u K D G ) vom 1.8. 1997, B G B l . I 1997, 1870; Richtlinie 9 7 / 7 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.2. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, A B 1 E G Nr. L 144 v. 4 . 6 . 1997, S. 19; Richtlinie 2 0 0 0 / 3 1 / E U vom 8.6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (»Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr«), A B l E G Nr. L 178/1 vom 17.7. 2000, N J W Beilage zu Heft 3 6 / 2 0 0 0 ; Richtlinie 1 9 9 9 / 9 3 / E G vom 13.12. 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, A B l E G Nr. L 13/14 vom 19.1. 2000.
2
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
die systematische Einbindung in ein Gesamtkonzept gewährleistet ist oder auch nur bedacht wurde. Zum anderen wird in der rechtswissenschaftlichen Diskussion die Wirksamkeit einer elektronischen Willenserklärung kaum mehr in Zweifel gezogen. 2 Begründungen dafür werden jedoch entweder nicht gegeben oder erschöpfen sich in allgemeinen Verweisen auf Willensprinzip und Privatautonomie. Diese Situation ist Anlaß für eine tiefergehende Untersuchung, die methodisch geleitet die Veränderungen durch die Informationstechnologie in theoretischer und praktischer Hinsicht analysieren und deren Auswirkungen auf die Konzeption der Willenserklärung beleuchten soll. Angesichts der raschen Veränderungen der Technik muß sich eine solche Untersuchung zwangsläufig auf einem gewissen Abstraktionsniveau bewegen und generellen Strukturfragen widmen. Anders als in der oft hitzigen Diskussion aktueller informationsrechtlicher Probleme sollen deshalb bei der Untersuchung auch die Wertungsgrundlagen des Vertragsrechts, oder für das deutsche Recht allgemeiner der Rechtsgeschäftslehre, im Vordergrund stehen und Grundlinien für die Verarbeitung der Auswirkungen der Informationstechnik herausgearbeitet werden. Verfolgt man die Diskussionen im einschlägigen Rechtsbereich, der heute auch als »Informationsrecht« bezeichnet wird, 3 kann man oft den Eindruck gewinnen, die Erörterung der rechtlichen Probleme finde in einem der »virtuellen Welt« entsprechenden neuen Rechtsraum statt, ohne daß Anschlußmöglichkeiten an bestehende Regeln und Grundsätze erwogen werden. Angesichts der Geschichte des B G B und seiner Anpassungsfähigkeit ist aber eine Rückbindung an die überkommene Dogmatik nicht nur möglich, sondern wird für die vorliegende Untersuchung auch bewußt gesucht. Zum einen darf sich das Informationsrecht nicht isolieren und von der allgemeinen Rechtsentwicklung abkoppeln. Zum anderen werden die derzeit noch eher in speziellen Fachkreisen diskutierten Probleme des Informationsrechts von den jeweiligen traditionellen Rechtsgebieten aufgegriffen und in die überkommene Dogmatik integriert werden. Auch für die Rechtsgeschäftslehre liegt der Grund dafür in der steigenden Bedeutung der Informationstechnologie und elektronischer Kommunikationsformen, die eine entsprechende Integration notwendig machen, will diese ihre Allgemeingültigkeit behalten. Die Rechtsinformatik kann hier eine Bindegliedfunktion haben. 4 Diese Untersuchung soll einen Beitrag zu dem Integrationsprozeß leisten. Die methodische Herausforderung, die eine solche Untersuchung darstellt, kann allerdings leicht den Rahmen auch einer solchen Arbeit sprengen. Neben der rechtlichen Problematik müssen auch die sich rasant verändernde Technik und in-
2 Auch der Bundesgerichtshof hat nunmehr die Wirksamkeit einer elektronischen Willenserklärung ausdrücklich anerkannt, B G H , Urteil vom 7.11. 2001, Az. VIII ZR 13/01, J Z 2002, * = N J W 2002, *. 3 Vgl. dazu Kilian, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechtshandbuch, Einführung, m.w.Nachw. 4 Vgl. Kilian, Warum Rechtsinformatik?, C R 2001, 132, 134f.
§ 1 Problemstellung
und
Vorgehensweise
3
terdisziplinäre Aspekte einbezogen werden. Manches muß dann Fragment bleiben. Norbert Bolz hat die Auswirkungen der technischen Entwicklung wie folgt gekennzeichnet: »Die Welt der neuen Medien hat von Subjekt auf System und von Subjekt-Objekt-Beziehungen auf den Regelkreis Mensch-Welt umgestellt«. 5 Und weiter resümiert er: »Der Mensch ist nicht mehr Werkzeugbenutzer, sondern Schaltmoment im Medienverbund«. 6 Dieser kulturelle Paradigmenwechsel ist wesentlich bedingt durch zwei Arten der »elektronischen Extensionen« 7 des Menschen: der Erweiterung unseres zentralen Nervensystems durch den Einsatz von Elektronik als Hilfsmittel und dem Transfer des Bewußtseins in den Computer durch elektronische Simulation. Damit wird bereits angedeutet, daß die Veränderungen durch den Computer bis hin zu den Möglichkeiten von Erfahrung und Erkenntnis reichen und damit grundlegende philosophische Fragen aufwerfen. Diese sind auch nicht ohne Bedeutung für das Vertragsrecht, wenn man nur bedenkt, daß das »Innen-AußenModell« der Welt, das wesentlichen Einfluß auf die Rechtsgeschäftslehre gehabt hat, bereits in der Philosophie überholt war, als es im 19. Jahrhundert populär wurde. 8 Obwohl diese Thematik einen gewissen Reiz hat, wird sich diese Arbeit nicht mit philosophischen Fragen befassen, sondern einen Beitrag zur Entwicklung der Lehre von Rechtsgeschäft und Vertrag in Anbetracht der Entwicklungen der Informationstechnologie leisten. Die angeschnittene Problematik kann allerdings nicht völlig ausgeklammert werden. Zum einen drängt sich durchaus die Frage auf, warum denn nicht auch eine künstliche Einheit als Rechtssubjekt anerkannt werden könnte. Damit ist letztlich auch die Frage nach dem Charakter der zivilrechtlichen Handelnsordnung aufwirft. Stellt das derzeitige Zivilrecht nach bisheriger Ansicht ein Recht der privaten Rechtsbeziehungen zwischen menschlichen Akteuren dar, so könnte die dadurch geprägte Struktur des Zivilrechts mit Zuschreibung von Verantwortung an Menschen durch eine andere Struktur abgelöst werden, die den sich entwickelnden Mensch-Maschine-Systemen im Medienverbund eher gerecht wird. Damit ist die Frage nach der Methodik der Untersuchung gestellt. Die aufgeworfenen Fragen sind durchaus unterschiedlich zu beantworten, je nachdem ob sie unter philosophischen, ökonomischen oder sozialwissenschaftlichen Perspektiven betrachtet werden. Die philosophischen Grundlagen des B G B sind bekannt und bilden das Fundament der rechtsdogmatischen Ausformung des Vertragsrechts. Zunehmend werden vertragsrechtliche Problemstellungen unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert, wobei aber der Erkenntniswert der verschie-
5 N. Bolz, Computer als Medium - Einleitung, in: Bolz/Kittler/Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, München 1994, S.9. 6 N. Bolz, in: Bolz/Kittler/Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, S.9, 13. 7 N. Bolz, in: Bolz/Kittler/Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, S. 9. 8 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, Tübingen 1986, S.29.
4
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
denen Richtungen unterschiedlich beurteilt wird. 9 Eine sozialwissenschaftliche Theorie des Vertrages existiert allenfalls in Ansätzen. 1 0 D a ß soziale Realität und zivilrechtliches Modell, die bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des B G B auseinanderfielen, sich im Verlaufe dieses Jahrhunderts noch weiter auseinander entwickelt haben, ist ebenso anerkannt, wie die Versuche von Gesetzgebung und Rechtsprechung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Parallel dazu erfolgten Ausdifferenzierungen in der juristischen Methodenlehre und Rechtstheorie. N u n kündigt sich mit der »zweiten industriellen Revolution« im Zuge der Entwicklung und Verbreitung von Informationstechnik ein weiterer grundlegender gesellschaftlicher Wandel an, der die Frage nach den Auswirkungen auch auf das Zivilrecht aufwirft. Gegenstand der Untersuchung ist die Rechtsdogmatik des Vertrags und der Rechtsgeschäftslehre. Die Willenserklärung ist das juristische Konzept, das an menschliches Handeln anknüpft und dieses für das Rechtssystem verwertbar macht, in dieses integriert und darauf eine menschliche Handelnsordnung aufbaut. Damit ist die Unterscheidung von rechtlicher Ordnung und sozialer Wirklichkeit ebenso aufgezeigt wie die Notwendigkeit einer Verknüpfung beider. Juristische Dogmatik muß immer an Erscheinungen der »Realität« anknüpfen, sei es auf der Ebene der Wertungen, sei es auf der Ebene des Tatbestands. Diese fließen in unterschiedlichem Grade, implizit oder explizit, in die juristische Betrachtung ein. Dies wird zum Teil mit dem Konzept eines zugrundeliegenden »Modells« beschrieben, wie etwa bei dem bereits angesprochenen »Sozialmodell« des B G B , dessen mehr oder weniger große Abweichung von der Realität Gegenstand von Untersuchungen war und ist." Vertrag und Vertragsrecht lassen sich in einen funktionalen Bezug stellen, sowohl im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung als auch auf die technische Entwicklung. In das Konzept der Willenserklärung als konstituierendes Element des Vertrags im klassischen Sinne fließen schließlich auch sprachwissenschaftliche Regeln ein, ohne daß dies immer explizit gemacht wird. Für die Untersuchung ergibt sich damit eine doppelte Problemstellung. Zum einen sind die durch die Technik ausgelösten Veränderungen theoretisch zu erfassen und zu beschreiben. Zugleich soll diese Beschreibung an das Recht anschlußfähig sein und zu verwertbaren Erkenntnissen führen. Das Zitat von Norbert Bolz legt es nahe, die Systemtheorie als verbindende Theorie heranzuziehen. Hierbei ist 9 Vgl. aus jüngerer Zeit nur Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 166; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, Tübingen 1995, S. 450ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, Tübingen 1998, S. 162ff.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, Berlin/New York 1997, S. 5ff., jeweils mit umfangreichen weiteren Nachweisen. Eingehend nunmehr auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, München 2001, S.223ff. 10 Vgl. Röhl, in: Festschrift für Helmut Schelsky, Berlin 1978. W. Schmidt, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, Berlin 1983. Letzterer, S. 83, rechnet Kommunikationsmittel zur »kulturellen Matrix« als einer der »Wurzeln des Vertrages«. 11 Vgl. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, in: Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, Frankfurt/Main 1974, S.9, 23ff.; Raiser, JZ 1958, 1 2f.
§ 1 Problemstellung und Vorgehensweise
5
nicht nur an die Luhmannsche Spielart und deren verschiedene Transformationen in die rechtliche Diskussion zu denken, 12 sondern an die frühere allgemeine Systemtheorie, 13 aber auch an spezifisch auf die technische Entwicklung zugeschnittene Forschungszweige wie die Techniksoziologie. 1 4 Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, daß der Medienverbund, zu dessen Teil der Mensch wird, eine Vernetzung von Maschinen, Menschen und Institutionen darstellt, die sich im Grunde nur noch systemtheoretisch erfassen läßt. Ausgehend von der Konzeption eines »soziotechnischen Systems« als »integrierte^) Handlungseinheit« 15 kann man dann nach dem Verhältnis menschlicher Handlungsanteile zu technischen Operationen fragen und diese für eine Integration des Computereinsatzes in rechtliche Handlungskonzepte fruchtbar machen. Anknüpfen läßt sich dabei an die bisher in der wissenschaftlichen Diskussion vertretenen »arbeitsteiligen« Konzepte der elektronischen Willenserklärung. Aus rechtlicher Sicht kann man aber nicht auf einer Gleichbehandlung beider Elemente aufbauen, da der Mensch als Handlungssubjekt im Zentrum zivilrechtlicher Zurechnung steht. In dem Zitat von Bolz kommt die Gefährdung durch die Entwicklung und Verbreitung von Informationstechnologie zum Ausdruck: Der Mensch droht in den Systemen bis zur Unkenntlichkeit zu verschwinden 16 - für eine zivilrechtliche Handelnsordnung ist dies eine Sichtweise, die nicht akzeptabel ist. Für die Zurechnung des Technikeinsatzes im Bereich der Informationsverarbeitung und deren Ergebnisse sind vielmehr angemessene Kriterien zu finden, die den veränderten Bedingungen elektronischer Kommunikation und der diesen entsprechenden Wertungen gerecht werden können. Auch für eine rechtsdogmatisch ausgerichtete Untersuchung kann man aber nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß das Recht außerjuristische Anknüpfungspunkte in der Lebenswelt zugrundelegt und Lebenssachverhalte regelt, also mit einer normativen Ordnung »überzieht«. Von daher besteht die Aufgabe für die Rechtswissenschaft, wie Schapp es ausdrückt, für das Konzept der Willenserklärung »ein gewisses Maß an lebensweltlichen Bezügen« 1 7 sicherzustellen, und sei es nur im Interesse der Praktikabilität des Rechts. Während die Schriftlichkeit bereits eine Form der Strukturierung von Sprache darstellte, hat die Verbreitung der Informationstechnologie den Kommunikationsaspekt deutlich in Erscheinung treten lassen und Bedarf für eine Analyse des Vertragsrechts unter diesem Aspekt erzeugt. 12 Teubner, Recht als autopoietisches System, Frankfurt/Main, 1989; Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, Berlin 1995, S. 107ff.; Gasser, in: Jb. Jg. Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 105, 116ff. 13 Vgl. Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, München/Wien 1979, S.49ff. 14 Vgl. Rammert, Technik aus soziologischer Perspektive, Opladen 1993, S.9ff. 15 Ropohl, Eine Systemtheorie der Technik, S. 181 f. 16 Vgl. Wersig, Fokus Mensch, 1993, S.175, 182; Damm, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, BadenBaden 1996, S. 85, 100. 17 ]. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.49.
6
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
Eine an die Rechtsdogmatik anschlußfähige außerjuristische Theorie zur Beschreibung eines »Kommunikationsmodells« der Willenserklärung und seiner Veränderungen muß vom Individuum und dessen Handlungsfreiheit ausgehen. Eine solche Theorie läßt sich für das Vertragsrecht am ehesten in Bereichen finden, die sich mit Kommunikation und deren Veränderungen auseinandersetzen. Entsprechend sollen hinsichtlich der beschreibenden Bestandteile Kommunikationswissenschaften, symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie und Linguistik auf ihre Verwertbarkeit für juristische Konstrukte hin untersucht werden. Willenserklärung ist nicht nur sprachliche Äußerung, sondern auch Handlung mit rechtlichen Folgen. Die kommunikationstheoretisch begründete Analyse der informationstechnischen Entwicklung soll ein Bindeglied zur vertieften Behandlung rechtsdogmatischer Fragestellungen sein. Trotz aller notwendigen Bezüge auf außerjuristische Theorie soll es sich primär um eine rechtsdogmatische Untersuchung handeln, die sich auf die Entwicklung des Konzepts der elektronischen Willenserklärung richtet. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aus den Besonderheiten der elektronischen Kommunikation, die durch Vereinheitlichung verschiedener kommunikativer Ausdrucksformen in einem digitalen Format auf Speicher- und Transportebene und durch Vernetzung zwischen Computern gekennzeichnet ist. Die mit der Einschaltung von Informationstechnologie verbundenen besonderen Risiken können sich auf den gesamten rechtsgeschäftlich relevanten Erklärungsvorgang auswirken. Auszugehen ist von einer weiten Definition der elektronischen Willenserklärung. Diese umfaßt rechtsgeschäftliche Erklärungen, bei deren Erstellung oder Übermittlung Informationstechnologie in Computernetzwerken eingesetzt wird. 18 Der Einsatz elektronischer Mittel kann dabei lediglich unterstützende Funktion haben, aber auch bis zu einem weitgehend vollautomatischem, programmgesteuerten Ablauf der entsprechenden Prozesse reichen. Mit steigendem Automatisierungsgrad verstärkt sich auch die rechtliche Problematik. Die verschiedenen Abstufungen sind insoweit typologisch zu differenzieren. Ziel der Untersuchung ist dann die Integration der elektronischen Willenserklärung in das innere und äußere System des Zivilrechts. Dies bestimmt auch den Gang der Darstellung. Zunächst soll ein Uberblick über die Besonderheiten der Kommunikation in elektronischen Märkten gegeben werden. Auf der Grundlage der herauszuarbeitenden Struktur der Willenserklärung bei nicht-elektronischer Kommunikation sollen die Besonderheiten elektronischer Kommunikation in eine rechtsdogmatische Ausformung der Konzeption der elektronischen Willenserklärung einfließen. Dies beinhaltet die Bildung des Tatbestands ebenso wie die 18 Vgl. auch die Definition des electronic commerce von Zöllkau, C R 1998, 290: »Vornahme rechtsgeschäftlicher Transaktionen durch unternehmensinterne und -externe Kommunikation über dies ermöglichende Medien«; Smedinghoff, Online Law - The SPA's legal guide to doing business on the Internet, 1996, S. 79: »a contract created wholly or in part through communications over computer networks. Thus, contracts can be created by e-mail, through Web sites, via electronic data interchange and other techniques«.
51 Problemstellung und Vorgehensweise
7
Untersuchung weiterer relevanter Probleme der Rechtsgeschäftslehre. F ü r die B e handlung der bei elektronischer Kommunikation auftretenden Risiken sind bestehende rechtliche Lösungen zu überprüfen und fortzuentwickeln. Z u m anderen sind Auswirkungen auf der Prinzipienebenen zu analysieren und die für die elektronische K o m m u n i k a t i o n relevanten Wertungen herauszuarbeiten. N e b e n der Behandlung von Einzelfragen der Rechtsgeschäftslehre sind auch spezifisch durch elektronische Kommunikation entstehende Ungleichgewichtslagen und ein entsprechendes Bedürfnis nach Verbraucherschutz zu analysieren und angemessene Instrumente zu diskutieren. Besonders in diesem Bereich soll auch der durch den europäischen Gesetzgeber geschaffene rechtliche Rahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr in die Untersuchung einbezogen werden, was auch eine gewisse Systematisierung erforderlich macht. N i c h t außer acht lassen kann man dabei die Bedeutung flankierender technischer Maßnahmen, die auch im H i n b l i c k auf eine rechtliche Absicherung hin zu untersuchen sind. Dies gilt besonders für die elektronische Signatur und die dafür geschaffenen rechtlichen R e gelungen. Mit dem verstärkten Auftreten neuer automatisierter Koordinationsformen stellt sich schließlich auch die Frage nach dem Vertragsmechanismus und der Angemessenheit des herkömmlichen vertragsrechtlichen Instrumentariums. Dies soll am Beispiel von automatisiertem Wertpapierhandel näher beleuchtet werden. I m Laufe der Erstellung dieser Arbeit haben sich nicht nur enorme Veränderungen der Informationstechnologie ergeben, deren sichtbarste die Verbreitung des Internet als Grundlage des elektronischen Geschäftsverkehrs ist. Auch die R e a k tionen des deutschen und europäischen Gesetzgebers ebenso wie entstehende M o dellgesetze auf internationaler Ebene 1 9 waren in die Untersuchung einzubeziehen. Die Schwierigkeiten dieser Arbeit sind damit angedeutet. D e r Wert einer solchen Untersuchung erschöpft sich nicht in dem Versuch einer Integration der neuen Kommunikationsformen in den bestehenden rechtlichen Rahmen. Vielmehr kann sich dabei umgekehrt eine Perspektive von den außerjuristischen Entwicklungen auf das R e c h t ergeben, die auch dazu genutzt werden kann, Struktur und Prinzipien des Vertragsrechts zu überdenken und neu zu bewerten. M i t der Ausrichtung der Arbeit auf Grundlagen und Prinzipien des Vertragsrechts ebenso wie eine Fortbildung der rechtsdogmatischen Ausformung des Konzepts der Willenserklärung im elektronischen K o n t e x t ist die Erwartung ver" U N C I T R A L Model Law on Electronic C o m m e r c e (1996), General Assembly, 51 SI Session, Supp. N o . 17 ( A / 5 1 / 1 7 ) ; dazu v. Bernstorff, R I W 2000, 1 4 , 1 8 f f . Ein U N C I T R A L - M o d e l l g e s e t z zu elektronischen Signaturen wurde am 2 9 . 9 . 2000 angenommen und soll in Wien im Juni/Juli 2001 verabschiedet werden. Besondere Bedeutung hat auch der U C I T A , der ursprünglich als spezieller Abschnitt des U C C , dem U.S.-amerikanischen Handelsgesetz, geplant war, und die B e sonderheiten von Informationsverträgen regelt, vgl. U n i f o r m C o m p u t e r Information Transactions Act, verabschiedet auf der Konferenz der National Conference of Commissioners on U n i form State Laws v o m 2 3 . - 3 0 . 7 . 1 9 9 9 , Final A c t with C o m m e n t s vom 2 9 . 9 . 2000, Text und weiteres Material findet sich unter www.ucitaonline.com.
8
1. Kapitel: Einleitung und
Grundlegung
bunden, daß der Untersuchung eine fortdauernde Bedeutung über tagesaktuelle Gesetzgebungsvorhaben hinaus zukommen kann. Gleichzeitig dient sie der Erarbeitung eines Rahmens, der die Integration vom Gesetzgeber geschaffener neuer Regeln ebenso wie künftiger rechtsdogmatischer Lösungen für die Probleme der Informationstechnologie in das allgemeine Vertragsrecht erlaubt und so Kontinuität und Widerspruchsfreiheit des äußeren und inneren Systems des Privatrechts stärken kann.
§2 Kommunikation in Elektronischen Märkten Der Markt ist der O r t des Austausches von Gütern und Dienstleistungen und der Vertrag das Instrument der Koordination der Marktteilnehmer. In diesem Sinne können Märkte auch als Kommunikationsnetze aufgefaßt werden. 1 Nach dem Beginn mit einzelnen Systemen, etwa elektronische Börsen, computerisierte Reservierungsysteme (CRS), Logistiksysteme und das Videotex-System, 2 hat die Entwicklung auch durch das Internet und den darüber ablaufenden elektronischen Handel (»ECommerce«) eine neue Qualität erhalten. Wegen der rasanten technischen Entwicklung ist es für die vorliegende Untersuchung sinnvoll, auf der Basis entsprechender Forschungen in der Wirtschaftsinformatik zunächst Grundelemente und Strukturen elektronischer Märkte abstrakt herauszuarbeiten, um die technisch bedingten Veränderungen zu analysieren und für eine Untersuchung der rechtlichen Folgen verwertbar zu machen. 3
I. Das Konzept des Elektronischen
Markts
1. Allgemeine Beschreibung Das Konzept des elektronischen Markts bezeichnet die elektronische Unterstützung von Marktprozessen. 4 Elemente eines solchen Marktes sind die Marktteil1 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte und mögliche Infrastrukturen zu deren Realisierung, Bamberg 1992, S. 78. 2 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 64. B. Schmid, Grundlagen und Entwicklungstendenzen Elektronischer Märkte, Bericht Nr. I M 2 0 0 0 / C C E M / 20 vom 1.8. 1993, Hochschule St. Gallen, Institut für Wirtschaftsinformatik, S. 11 ff., gibt eingehende Erläuterungen implementierter Systeme. 3 Hier ließ sich bereits früh auf kommunikationstheoretische bzw. ökonomische Untersuchungen am Kompetenzzentrum Elektronische Märkte des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen zurückgreifen, vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte; B. Schmid, Grundlagen und Entwicklungstendenzen Elektronischer Märkte, Bericht I M 2 0 0 0 / C C E M / 2 0 vom 1.8. 1993; M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, Bericht Nr. I M 2 0 0 0 / C C E M / 1 2 vom 9.7. 1991, Hochschule St. Gallen, Institut für Wirtschaftsinformatik; N. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, Bamberg 1994. 4 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 202. Zur Unterscheidung von elektronischen Märkten im engeren und weiteren Sinne vgl. B. Schmid, Grundlagen und Entwicklungstendenzen Elektronischer Märkte, S., S. 8f. Zur informationstechnischen Unterstützung der Teilphasen vgl. M. Schmid, Kommunikations-
10
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
nehmer und deren wirtschaftliche Beziehungsstrukturen untereinander (Marktkonfiguration) sowie die Organisation der Koordinationsinstitutionen und die institutionalisierten Marktprozesse. 5 Informations- und Kommunikationsprozesse lassen sich durch Übertragung auf ein maschinelles Interaktionsmedium besser in betriebliche Prozesse integrieren, wobei der Grad möglicher Automatisierung unterschiedlich ist. Während dies bei Informationen als Transaktionsobjekten möglich ist, sind Produkte noch physisch zu übertragen und auch Zahlungsvorgänge sind noch nicht vollständig automatisierbar. Grob lassen sich die elektronisch zu unterstützenden Marktprozesse nach Transaktionszyklen in drei Phasen einteilen: - Informationsphase - Kontrahierungsphase - Abwicklung und Vollzug. 6 Etwas differenzierter lassen sich auch fünf Phasen unterscheiden: - Marktinformationsbeschaffung - Marktpartnersuche - Partnerinformationsbeschaffung - Vertragsaushandlung - Transaktionsabwicklung. 7 In diesen Phasen fallen in unterschiedlichem Umfang Aktivitäten der Informationserzeugung, -suche, -Verbreitung und -auswertung an, die zu einer Abstimmung der Pläne der Einzelnen und damit zu einem dezentral gesteuerten Koordinationsprozeß führen. 8 2. Technische Struktur In vereinfachter Form läßt sich die Struktur eines elektronischen Markts als physisch verteilte Stationen, die durch Kommunikationsnetze miteinander verbunden sind, kennzeichnen. 9 Stationen können Marktteilnehmer oder Marktdienste sein. modelle für Elektronische Märkte, S. 23ff.; Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.220ff. Da das Konzept des elektronischen Marktes hier nur zur Verdeutlichung des technischen und ökonomischen Hintergrunds angeführt wird, kommt es auf eine exakte Abgrenzung nicht an, vgl. dazu Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 13 ff., 210, 218 f.; M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.20ff. 5 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.202f. 6 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 162; Picot/Reichwald/Wigand, Die grenzenlose Unternehmung, S.316ff. 7 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 78ff., der den dazugehörigen Ebenen bestimmte Marktstrukturen zuordnet sowie Inhalt und Form der ausgetauschten Informationen und Anforderungen an die Kommunikationskanäle auflistet. 8 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 164. 9 Vgl. M. Sloman/J. Kramer, Verteilte Systeme und Rechnernetze, deutsche Ausgabe, Hanser Wien, Prentice-Hall Int. Inc. London, 1988, S. 1-5.
5 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
11
Dienste können Marktinformations-, Marktvermittlungs- und Partnerinformationsdienste sein. Das Kommunikationsnetz verbindet die Stationen untereinander. Die Stationen bestehen aus Stationshardware, Systemsoftware, Anwendungssoftware und Kommunikationssystem. Anwendungssoftware bedeutet wiederum im Hinblick auf die Marktteilnehmer sog. Marktapplikationen, und bei den Marktdienstleistern elektronische Marktdienste. 10 Die Marktapplikation kann in unterschiedlicher Weise mit der betrieblichen Applikation verbunden sein. Dies kann in der Realisierung von Schnittstellen und betrieblichen Applikationen auf denselben Hardware- und Softwareinfrastrukturen sowie in der Kompatibilität der betrieblichen Datenbestände mit den Marktdaten als In- bzw. Outputdaten bestehen." Denkbar ist auch eine funktionale Integration des elektronischen Marktes in die betriebliche Applikation, so daß etwa aus einem betrieblichen Lagerverwaltungssystem auf einem elektronischen Markt Bestellungen abgesetzt werden können. In diesem Fall erfolgt der Informationsaustausch an der Schnittstelle zwischen Marktapplikation und Teilnehmer nicht über Bildschirm und Tastatur (Mensch-Maschine), sondern durch direkte Anbindung. Schließlich erbringt das Kommunikationssystem als Schnittstelle zum als auch Bestandteil des Kommunikationsnetzes die für die System- und Anwendungssoftware notwendigen Kommunikationsdienste. 12 Das Kommunikationssystem auf den einzelnen Stationen sowie das physische Kommunikationsnetz bilden das gemeinsame Kommunikationssystem. 1 3 Dieses sollte in elektronischen Märkten als offenes System ausgestaltet sein. Ein System läßt sich technisch als offen bezeichnen, wenn es nach festgelegten Standards mit anderen Systemen verbunden werden kann. 14 Zur Verbindung offener Systeme wurde neben anderen ähnlichen Modellen als hersteller-, anwendungs- und übertragungsmedienunabhängiges Modell für die Normung von Kommunikationssy-
10 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 51. 11 Vgl M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.28. Vgl. auch ders., a.a.O., S. 109, wonach die Marktapplikation die Funktion einer Schnittstelle zwischen dem Elektronischen Markt und dem Menschen bzw. der betrieblichen Applikation hat. 12 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 95. 13 Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 204ff., faßt Hardware, Systemsoftware und telematische Kommunikationsinfrastrukturen unter dem Begriff »Kommunikationsplattform« zusammen, die die »Grundfunktionen« zur Verfügung stellen. Nur auf der obersten Kommunikationsschicht müsse ein Unternehmen eigene Systeme betreiben, alle darunter liegenden Schichten könnten von Fernmeldegesellschaften als Mehrwertnetzdienstleistungen angeboten werden. Neben der »Kommunikationsplattform« unterscheidet er Marktapplikation und Teilnehmerbereich. Zur technischen Basisinfrastruktur vgl. ders., S. 38ff. 14 Vgl. P.C. den Heijer/R. Tolsma, DFÜ Datenfernübertragung, Niederhausen 1990, S. 193. Zur Realisierung technischer Offenheit auch durch Gateway-Dienste vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.52.
12
1. Kapitel: Einleitung
und.
Grundlegung
stemen das OSI-Referenzmodell geschaffen. 15 Auf der obersten Schicht 7, in der sich standardisierte Kommunikationsdienste befinden, setzen Marktapplikationen und Marktdienste auf. Der entscheidende Aspekt ist, daß das Kommunikationssystem die Abstraktion v o m physischen Kommunikationsnetz erlaubt und als Medium den Marktapplikationen logische Kommunikationskanäle zur Verfügung stellt. 16 Ein wichtiger Begriff f ü r die Gewährleistung technischer Kommunikation ist der des »Protokolls«. Protokolle sind »eine syntaktische und prozedurale Spezifikation von Vorschriften und Regeln«, die zwei Einheiten, die miteinander kommunizieren wollen, benötigen. 17 A n der dezentralen Wissensverteilung und -Verarbeitung in Märkten ändert sich durch die Übertragung von Marktprozessen auf informationstechnische, räumlich verteilte Systeme grundsätzlich nichts. 18 Insofern sind Client-Server-Konzepte der ökonomischen Realität besser angepaßt als auf Großrechnern (Hosts) basierende Systeme. 1 9 Die Prozeßkontrolle kann bei den angeschlossenen Teilnehmern belassen werden. Ein Teil der Marktprozesse kann dann dezentral auf den Marktapplikationen bei den A n w e n d e r n abgewickelt werden, zentralisierte Marktfunktionen sind auf an das Kommunikationsnetze angeschlossenen Servern abgelegt.
3. G r u n d e l e m e n t e des elektronischen M a r k t s Zur Funktionsfähigkeit elektronischer Märkte werden die im folgenden zu behandelnden vier Grundanforderungen genannt. 20 15 Vgl. dazu Franz-Joachim Kauffels, in: H.-J. Bullinger (Hrsg.), Handbuch des Informationsmanagements im Unternehmen, Bandl, München 1991, 557, 565ff. 16 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 98. Zentral ist der Dienstbegriff. Die »Instanzen« auf einer Schicht erbringen jeweils Dienste für die nächsthöhere Schicht und benutzen dabei Dienste der nächstunteren Schicht. Der Informationsaustausch zwischen Instanzen der gleichen Schicht auf verschiedenen Rechnerstationen erfolgt über sog. »Protokolle« als »Satz von Regeln«, M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 113, die eine vollständige, fehlerfreie und effektive Datenübertragung gewährleisten sollen. Das OSI-Referenzmodell bietet einen Rahmen für die Vereinheitlichung dieser Protokolle, wobei Normen bei allgemeiner Akzeptanz und Verbreitung als Standards bezeichnet werden. Zur Unterscheidung von »Schicht-« und »Diensteprotokoll sowie der Notwendigkeit der Spezifikation von Semantik (abstraktem Datentyp) und Syntax (Protokoll) vgl. B. Schmid, Grundlagen und Entwicklungstendenzen Elektronischer Märkte, St. Gallen 1993, S.31. 17 Vgl. ManningerGöschka/Schwaiger/Dietrich, Electronic Commerce - Die Technik, Heidelberg 2001, S.4, auch zur Funktion von Protokollen im Rahmen des OSI/ISO-Schichtenmodells. 18 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 207f. Zur Verteiltheit auch M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.90f. " Der Server ist ein Programm auf einem Rechner, das einen Dienst anbietet, während ein Anwenderprogramm, der Client, auf den eigenen PC diesen Dienst anfordert. Die Bezeichnung Server steht mittlerweile aber auch für den Rechner, auf dem die entsprechende Server-Software installiert ist. 20 Vgl. M. Schmid/S. Zhornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.55ff.
^ 2 Kommunikation
a) Gemeinsame
und standardisierte
in Elektronischen
Märkten
13
Kommunikationskanäle
Standardisierte Kommunikationskanäle sollen die Kommunikation zwischen Marktteilnehmern und diesen und den elektronischen Marktdiensten sicherstellen. Faßt man auch den Kommunikationskanal als Dienst auf, so läßt sich zwischen Basisdiensten auf den unteren Schichten des OSI-Modells und anwendungsorientierten Diensten auf der oberen Schicht unterscheiden. 21 Grundsätzlich lassen sich Kommunikationsbeziehungen, die über eine einfache 1:1-Beziehung hinausgehen, bereits mittels entsprechender Protokolle in anwendungsorientierten Diensten realisieren, denkbar ist aber auch, daß komplexere Kommunikationsbeziehungen erst durch Marktvermittlungsdienste hergestellt werden und anwendungsorientierte Dienste lediglich l:l-Kommunikation unterstützen. 22 Anwendungsorientierte Dienste sind etwa - Message Handling Service bzw. E-Mail, 23 rechnergestützte asynchrone Übermittlung von Dokumenten, Nachrichten, Mitteilungen, - File Transfer access and Management (FTAM), Zugriff auf Dateien auf entfernten Rechnerstationen ohne Zwischenspeicherung, - Virtual Terminal Service (VTS) Kommunikation zwischen Terminal bzw. Benutzer und entfernten Anwendungen. Für den Wirtschaftsverkehr hat nunmehr das Internet überragende Bedeutung erlangt, das auf dem Protokoll TCP/IP als De-facto-Standard beruht und verschiedene Dienste integriert.
b) Gemeinsame aa)
Marktsprache
Formalisierung
Sollen für die Transaktion wichtige Informationen von elektronischen Marktdiensten und -applikationen verarbeitet werden, so bedarf es einer Formalisierung der Marktsprache, 24 also eines gemeinsamen Datenmodells zur Objektbeschreibung. 21 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 114ff. mit einer ausführlichen Darstellung. Zur Zuordnung von intelligenten Agenten zur siebten Schicht des OSIModells vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, Berlin/Heidelberg 1998, S.43. 22 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 122; Bernhard Hegenharth, EDIFACT Datenübertragung im heterogenen Umfeld und Benutzung von OSI X.400 oder FTAM, in: EDI 92, S.87ff. 23 Der Standard X.400 ist vor allem für den interpersonellen Meldungsaustausch vorgesehen, wobei allerdings mit der Norm X.435 auch ein EDI-spezifisches Protokoll erarbeitet wurde. 24 M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 104, definiert Sprache als »dem Sender und dem Empfänger gemeinsames Repertoire von Zeichen sowie ein Regelsystem (Syntax) zur Bildung von Nachrichten aus diesen Zeichen« und formale Sprachen als solche, die vom Computer interpretiert werden können.
14
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
Dabei geht es nicht nur um die genaue Beschreibung von Gütern und Dienstleistungen, 25 sondern auch um darüber hinaus erforderliche strukturierte Nachrichten und Dokumente im Rahmen einer umfassenderen Marktsprache. Neben den formalen Beschreibungen lassen sich je nach Komplexität der Güter und Dienstleistungen weitere nichtformale Beschreibungen etwa in Form von MultimediaDokumenten hinzufügen, was die Palette elektronisch handelbarer Güter immer mehr erweitert. 26 Formalisierung kann in den Transaktionsphasen in unterschiedlichem Maße notwendig werden. 27 Formale Sprachen zur Beschreibung von Handelsobjekten können entweder auf bekannte Kategorien zurückgreifen oder selbst Beschreibungen konstituieren. 28 Ersteres wird etwa beim Rückgriff auf Artikelnummern nach der einheitlichen E A N - N o r m zur numerischen Artikelbezeichnung praktiziert. Diese besteht aus der Bezeichnung der verantwortlichen nationalen Organisation, der durch diese vergebenen Betriebsnummer des Herstellers, der von diesem vergebenen Artikelnummer sowie einer Prüfziffer. Die damit ermöglichte Identifikation des Objekts ist eine Referenz auf die unternehmensinterne Objektbeschreibung des Herstellers. Demgegenüber hat die ISO unter der Bezeichnung STEP eine Norm zur Beschreibung und Austausch produktdefinierender Daten, die Informationen sowohl zur räumlichen Gestalt als auch zu weiteren Eigenschaften umfassen. Die entsprechende Datei kann mittels der angesprochenen anwendungsorientierten Dienste übertragen werden. Die Informationen können dann durch Anwendungen beim Empfänger interpretiert werden oder auch für den Menschen am Bildschirm dargestellt werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Formalisierbarkeit sämtlicher Informationen, die Bestandteil der Kommunikation in allen Transaktionsphasen sind, also einer Marktsprache. Einen Ansatz dazu kann EDI (Electronic Data Interchange) 29 bieten. Von den Vereinten Nationen initiiert, hat sich mittlerweile EDIFACT als weltweiter Standard durchgesetzt. 30 Dessen Struktur ist näher zu erläutern. 31 Vgl. auch M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 32ff., 140ff. Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 222, dessen Einschätzung in diesem Punkt zu der zurückhaltenderen von M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 156, differiert. Zum ODA/ ODIF-Standard als Format zur hardware- und softwareneutralen Übertragung von Text, Grafik, Bildern und gesprochener Sprache vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 140ff. 27 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 105ff. 28 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 143ff. 29 Nach einer Definition von Kilian/Picot umfaßt EDI »den einseitigen und gegenseitigen Transfer von Geschäftsdaten, die nach standardisierten Formaten strukturiert sind und von Computer zu Computer unter Anwendung offener elektronischer Kommunikationsverfahren zwischen Organisationen mit der Möglichkeit der bruchlosen Weiterverarbeitung ausgetauscht werden«, Kilian/Picot/Neuburger/Niggl/Scholtes/Seiler, Electronic Data Interchange (EDI), BadenBaden 1994, S.26. 30 Vgl. Kilian/Picot u.a., Electronic Data Interchange (EDI), S.23. Zur Zugehörigkeit von 25
26
§ 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
15
bb) Struktur von EDIFACT E D I F A C T besteht aus einem Satz von Datenelementen und einer Syntax als R e gelwerk. Dieses legt die Struktur von Standardnachrichten fest. Die kleinste logische Einheit stellt ein Datenelement dar, das einem Datenfeld entspricht. Diese sind in einem Directory ( E D E D ) aufgeführt, das Teil des United Nations Trade Data Elements Directory ( U N T D E D ) ( I S O 7372) ist. Der Wertebereich dieser D a tenelemente ist entweder offen oder vorgegeben, wobei diese »Codes« in einer Code List aufgeführt sind. Mittels der Datenelemente lassen sich Adressen, Lieferund Zahlungsbedingungen, Mengen-, Preis und Maßangaben, Produktinformationen und weitere Informationen ausdrücken. Die Datenelemente werden zu Datenelementgruppen und diese zu Segmenten zusammengefaßt. Ein Beispiel wäre das Segment » N A M E A N D A D D R E S S « , das Name, Adresse, Funktion einer Person beschreibt. Die aus Service-Datenelementen zusammengesetzten ServiceSegmente haben die Funktion von Kopf- und Endsegmenten von Nachrichten, während die Benutzer-Segmente die geschäftlichen Informationen enthalten. Eine Sequenz von Segmenten bildet dann die Nachricht. Die Nachrichten sind standardisiert und ebenfalls in einem U N / E D I F A C T Directory aufgeführt. 32 Nachrichten des gleichen Typs werden zu einer Nachrichtengruppe zusammengefaßt, wobei das Kopfsegment Informationen zu Sender, Empfänger und Inhalt der Nachricht enthält. Nachrichten und Nachrichtengruppen werden dann zu einer Übertragungsdatei zusammengefaßt, die Informationen zu Sender, Empfänger, Erstellungsdatum und -zeit sowie die Möglichkeit, Paßwörter und Prioritäten zu vergeben, vorsieht. 33 Mit den standardisierten Datenelementen als »Wortschatz« und der Syntax scheint E D I F A C T eine flexible und mächtige formale Marktsprache für elektronische Marktkommunikation darzustellen, die allerdings bei der Produktbeschreibung immer noch schon wegen der Beschränkung auf Text und Zahlen Einschränkungen unterliegt. 34 Natürlich lassen sich nicht alle Datenelemente standardisieren, da oft Datenelemente situativ benötigt werden, so daß stets ein gewisser Ver-
E D I F A C T zu Schicht 7 des OSI-Modells vgl. Erich Rösch, E D I F A C T im Spannungsfeld moderner I+K-Entwicklungen, in: deutsche congress gesellschaft Starnberg mbH (Hrsg.), E D I 89 Report, S.213, 217. 31 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 147ff.; Heiko Mehnen, E D I F A C T - Syntax, Messages, Design, in: E D I 89, S.245ff.; Müller-Berg (Hrsg.), E D I Knigge, Berlin u.a. 1995, S.29ff. 32 Vgl. auch das Verzeichnis von UN/EDIFACT-Publikationen und von DIN-Normen zum UN/EDIFACT-Regelwerk einschließlich EDIFACT-Nachrichtentypen in verschiedenen Sachbereichen in: Deutsche EDI-Gesellschaft e.V. (Hrsg.), EDI-Jahrbuch 96, Berlin/Wien Zürich 1996, S. 473 ff. 33 United Nations Trade Data Interchange Directory ( U N T D I D ) , United Nations Economic Commission for Europe, Trade Division, Genf 1990, Part 4, Chap.2.2. See 6. 34 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 155. Zur Lesbarmachung für den Benutzer können die jeweils gültigen U N / E D I F A C T - N o r m e n aus einer U N / E D I FACT-Normdatenbank abgerufen werden, vgl. Müller-Berg (Hrsg.), EDI-Knigge, S. 135f.
16
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
einbarungsaufwand verbleiben wird. 35 Dieser kann durch Zusammenfassung von Informationsbausteinen zu »Subsets« als spezifizierten Teilmengen reduziert werden, wobei Dokumentationen in allgemein zugänglichen Datenbanken hilfreich sein können. Informationsbedürfnisse können nach Güterart, Leistungsbeziehungen und Transaktionssituationen variieren und zu Gruppen von Kommunikationspartnern mit unterschiedlicher Intensität von Kommunikationsbeziehungen führen. Man spricht bei solchen Gruppen auch von »Kommunikations-Clustern«, die durch Spezialstandards oder regionale Standards eine offenere Kommunikation herstellen. 36 c) Elektronische
Marktdienste
Elektronische Marktdienste 37 bieten den Teilnehmern bisher konventionell erbrachte Dienstleistungen nunmehr in elektronischer Form an. Für die einzelnen Transaktionsphasen lassen sich vielfältige Dienste unterscheiden. Sie sitzen auf Schicht 7 des OSI-Referenzmodells auf. Denkbar ist dabei sowohl eine zentrale als auch eine dezentrale Realisierung. Marktvermittlungsdienste bringen Angebot und Nachfrage von Marktteilnehmern zusammen, die sich in der Regel nicht kennen. Dabei erfolgt ein Abgleich bestimmter Merkmale von Gütern und Dienstleistungen, die jeweils in Angebot oder Nachfrage beschrieben werden. Denkbar ist, daß Anbieter und Nachfrager Informationen jeweils an die Vermittlungsstelle senden, diese in einer Datenbank abgelegt werden und Nachfragen bzw. Angebote mit Hilfe von Abfragekommandos formuliert werden. 38 Denkbar ist auch die Veröffentlichung in einem Bulletin Board System (»BBS«) oder einer elektronischen Konferenz, wobei die Teilnehmer das System nach passenden Angeboten bzw. Nachfragen durchsuchen. Möglich ist auch, daß das System selbst einen Vergleich zwischen Angebot und Nachfrage durchführt und meldet, wenn zwei passende gefunden sind (»Matching-Ma-
35 Vgl. Kilian/Picot u.a., Electronic Data Interchange (EDI), S.46. Vgl. auch §5 des Deutschen EDI-Rahmenvertrags, Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. (Hrsg.), Deutscher EDI-Rahmenvertrag, AWV-Schrift 10 548, Eschborn 1994, S. 36 Vgl. Kilian/Picot u. a., Electronic Data Interchange (EDI), S. 47. Beispiele sind die Branchenstandards V D A (Automobil), SEDAS (Handel), BSL (Transport) und die regionalen Standards ANSI X.12 (U.S.A.), T R A D A C O M S (GB). 37 Zum Begriff der Mehrwertdienstleistungen als solchen, die über reine Datenübertragung und -Vermittlung hinausgehen, vgl. Kräbenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 51 ff. Die technische Integration führt dazu, daß die Abgrenzung zu Ubertragungsgrunddiensten als auch zu höherwertigen elektronischen Diensten fließend und in der Praxis weitgehend bedeutungslos wird, vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.49. 38 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 157ff. Er unterscheidet als Komponenten Beschreibung des Handelsobjekts, der Handelsbedingungen (Preis, Menge, Liefer- und Zahlungsbedingungen), sowie von Anbieter bzw. Nachfrager.
5 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
17
schine«). 39 Ein Marktvermittlungsdienst kann auch räumlich verteilt operieren oder den Abschluß einer Markttransaktion von dem einer anderen abhängig machen. Darüber hinaus werden Konzepte konventioneller Märkte auf elektronische Kontrahierung übertragen. Dies betrifft etwa die Rollenverteilung als Käufer, Verkäufer, Wiederverkäufer oder die Kontrahierungsfiguren. 40 Der Grad der technischen Unterstützung bei der Entscheidungsfindung kann unterschiedlich sein. 41 Denkbar ist zunächst eine Beschränkung auf einen Vorschlag, während die endgültige Entscheidung über das Eingehen eines Vertrags beim Marktteilnehmer bleibt. Dabei kann man weiter danach unterscheiden, ob das System alle benötigten Informationen zur Verfügung stellt oder darüber hinaus gehende Informationen benötigt werden. Denkbar ist aber auch, daß die Entscheidung dem System überlassen wird, also bei Zusammenpassen von Angebot und Nachfrage der Vertrag automatisch geschlossen wird. Schließlich lassen sich sogar Angebot und Nachfrage automatisch generieren, einschließlich von Preisund Mengenentscheidungen. Nach Schmid werden Märkte dann zu »Black B o xes«. 42 Der Grad der Unterstützung hängt natürlich auch von der Möglichkeit der Formalisierung der notwendigen Informationen ab. Allgemein ist der Automatisierungsgrad in der Abwicklungsphase am größten, während die menschlichen Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten in der Kontrahierungsphase am größten sind, was nicht zuletzt auch rechtliche Gründe hat. 43 Zwar bestehen auch unter E D I F A C T die Standard-Nachrichten »Purchase Order« und »Purchase O r der Response«. Soweit aber weitere spezifische Informationen zu Handelsobjekten und Handelsbedingungen noch ausgehandelt werden müssen, stößt die Formalisierung an ihre Grenzen. 4 4 Daneben werden auch weitere elektronische Marktdienste entstehen, die bisher in konventioneller Form kaum realisierbar waren. Genannt werden hier neben Informations- und Ubersetzungsdiensten auch Protokollierungs-, Notariats- und Zertifikationsdienste. 45 Vor allem letztere werden für auf elektronischem Wege geschlossene Verträge von großer Bedeutung sein. Zertifikationsdienste ermöglichen die elektronische Prüfung der Authentizität der Marktteilnehmer, Protokol39 Vgl. M. Schmid/S. Zhornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.45, 59. Zur Möglichkeit der Realisierung durch objektorientierte Datenbanken vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 160f. m.w.Nachw., der die Entwicklung entsprechender Matching-Algorithmen als anspruchsvoll bezeichnet. 40 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.223. 41 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte» S.25. 42 M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.25. 43 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 220. 44 Zur Erweiterung von EDIFACT-Nachrichten unter Einbeziehung auch nicht standardisierter Formate vgl. Schmid, S. 175, 180ff. 45 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 61 ff.
18
1. Kapitel:
Einleitung und
Grundlegung
lierungsdienste übernehmen die Protokollierung der getätigten Transaktionen zu Beweiszwecken. 46 Beide Funktionen erfordern unabhängige Instanzen. Zu erwähnen sind schließlich Gatewaydienste, die den Ubergang zwischen unterschiedlichen elektronischen Marktsystemen oder Marktdiensten gewährleisten und im internationalen Handelsverkehr auch mit Übersetzungsdiensten gekoppelt werden können. 47 Schmid bezeichnet es im übrigen als notwendig, daß »ein Mindestmaß an systemweiter Kontrolle der Abläufe« durch das Marktvermittlungssystem erfolgt. 48 Dies schließe Aktualität und Konsistenz der Angebote ein. Ein weiterer »Aspekt« sei »Fairness«:»Es ist sicherzustellen, daß bei der Vermittlung von Markttransaktionen keine Marktteilnehmer bevorzugt bzw. benachteiligt werden, was sich in der Implementierung von Regeln wie >First come first served< niederschlagen muß«. 49 d)
Marktapplikationen
Marktapplikationen gewährleisten den Zugang zum elektronischen Marktsystem. Dabei lassen sich von allen Teilnehmern benutzte Standardapplikationen, die Grundfunktionen anbieten, von individuellen Marktapplikationen unterscheiden. 50 Standardapplikationen bilden zusammen mit Marktsprache und Kommunikationskomponente die Marktschnittstelle zwischen Diensten und individuellen/ betrieblichen Applikationen. 51 Die Marktapplikation dient der Interpretation bzw. Ubersetzung der in Marktsprache verfaßten Nachrichten in die Sprache der betrieblichen Applikation bzw. Marktteilnehmer, etwa von einer E D I F A C T Nachricht in eine dem Menschen verständliche Darstellung (Editoren) bzw. ein vom betrieblichen System verarbeitbares Format (Konverter). Individuelle Marktapplikationen dienen der Unterstützung und Teilautomatisierung der Handlungen am Markt durch Interaktion zwischen Marktapplikation, betrieblichen Applikationen und den Marktapplikationen anderer Marktteilnehmer.52 Die Funktion der Entscheidungsunterstützung auf der Marktvermittlungsund Aushandlungsebene bedingt auch, daß »ein Teil des ökonomischen Wissens 46 M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.71, nennen drei Ziele: Aufbereitung der Informationen und Zurverfügungsstellung in anonymisierter Form an alle Marktteilnehmer, Grundlage für die Verrechnung der Dienstleistungen durch den Diensteanbieter, Beweisfunktion bei Streitigkeiten zwischen Marktteilnehmern. 47 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.62f. 48 M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 108. 49 M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 108. 50 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.63. 51 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.64. 52 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 165.
5 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
19
und der daraus abzuleitenden Entscheidungsregeln des Marktteilnehmers in seiner Marktapplikation abgebildet sind«, 53 also Expertenwissen in intelligenten Applikationen nutzbar gemacht wird. Das bedeutet aber auch eine teilweise technische Implementierung des Koordinationsmechanismus.
4. Transaktionsphasen und technische Unterstützung Als Grundlegung für die rechtliche Betrachtung soll im folgenden kurz die dargestellte Struktur eines Elektronischen Markts mit den ökonomisch ausgerichteten Transaktionsphasen in Verbindung gebracht werden. 54
a)
Marktinformation
Die Beschaffung von Marktinformationen verschiedenster Art 55 als Grundlage für die Abgabe von Angeboten und Nachfragen erfolgt in erster Linie über Marktinformationsdienste, die idealerweise von unabhängigen Institutionen anzubieten sind, weil andernfalls kartellrechtliche Hindernisse bestehen. 56 Dabei geht es zum einen um Informationen aus dem elektronischen Markt selbst, aber auch um »exogene« Informationen über konventionelle Märkte, so daß die Verbindung zu externen Online-Datenbanken über entsprechende Dienste herzustellen ist. 57 N e ben Datenbanken kommen auch Bulletin Board Systems und Mailboxen in Betracht. Der Zugang zu den Marktinformationsdiensten erfolgt über die Marktapplikationen der Teilnehmer. Mit der Entwicklung des Internet sind zunehmend auch Informationsquellen und -dienste in diesem zu finden. Auch wenn grundsätzlich eine Anwendung des EDIFACT-Standards denkbar ist, sind die in dieser Phase zu beschaffenden Informationen in der Regel zur Interpretation durch den Menschen bestimmt, so daß statt einer natürlichen Sprache eine Übertragung und Darstellung in natürlicher Sprache in Betracht kommt. 5 8 Damit zusammen hängt das bereits angesprochene Problem, daß eine Produktbe53 M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.110. Den individuellen Marktapplikationen kann insoweit eine Koordinationsfunktion im Hinblick auf die funktionale Verbindung der heterogenen Marktdienste zukommen, vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 77. 54 Für eine entsprechende Analyse eines bestehenden schweizerischen Systems, der »EIM Computer Börse« auf der Basis von Videotex vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 79ff. 55 Zur Unterscheidung von Marktinformation und technischer Information vgl. M. Ernst, Neue Informations- und Kommunikationstechnologien und marktwirtschaftliche Allokation, München 1990, S. 59, sowie die Klassifikation der Marktinformaionen in Produkt- und Marktteilnehmerinformationen, Informationen über den Markt und Transaktionsstatusinformationen bei Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.157.
Vgl. Vgl. tronische 58 Vgl. 56 57
Kilian, N J W 1974, 289ff. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für ElekMärkte, S.68f. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 170.
20
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
Schreibung nur eingeschränkt automatisierbar ist. So werden etwa standardisierte Artikelcodes als Suchschlüssel für Datenbankabfragen eingesetzt. 59 Zunehmend werden Produkte auch multimedial präsentiert. Welches Beschreibungsmittel angemessen ist, richtet sich natürlich sehr stark nach der Art der Güter bzw. Dienstleistungen. b)
Marktvermittlung
Das zuletzt angesprochene Problem der Produktbeschreibung wird besonders relevant für die Phase des Zusammenführens von Angebot und Nachfrage durch die bereits erläuterten Marktvermittlungsdienste und sonstigen Marktdienste mit entsprechender Schnittstelle zu Informationsdiensten oder integrierten Informationskomponenten. Werden Marktvermittlungsdienste mit betrieblichen Applikationen gekoppelt, so besteht die Möglichkeit maschineller Erzeugung von Angeboten und Nachfragen. 60 Matching-Dienste etwa können dabei sowohl auf der Ebene der Vermittlung als auch der Aushandlung eingesetzt werden. c)
Partnerinformation
Diese Phase beinhaltet Information über den Marktpartner, die vor einer konkreten Aushandlung angesiedelt ist. Technisch stellen sich hier ähnliche Fragen wie in der Informationsphase. d)
Aushandlungsebene
Auf der Aushandlungsebene bedarf es meist direkter Kommunikationskanäle zwischen den Partnern, die synchron oder asynchron sein können. Für diese Phase wird die Forderung aufgestellt, Aushandlungsprozesses und deren Ergebnisse von einer unabhängigen Instanz protokollieren zu lassen und bei nicht untereinander bekannten Partnern Zertifikations- und Notariatsdienste einzusetzen. 61 Der Grad der Formalisierung der Informationen richtet sich weitgehend nach Art und Gegenstand der Transaktion. Denkbar ist die vollständige Automatisierung des Aushandlungsprozesses, wie er in einigen Märkten, etwa den Finanzmärkten, bereits realisiert ist. Stellt man auf den Preis als wichtigen Koordinationsfaktor ab, so sind verschiedene Grade der Automatisierung realisiert. Automatische Börsen und Auktionssysteme integrieren die Preisbildung, in der Regel aufgrund von preislimitierten Aufträgen, 62 während etwa Buchungs- oder Reser59 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.222. 60 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 71. 61 Vgl. M. Schmid/S. 2hormk, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S.73. 62 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S. 224. Dieser nennt als Synchronisations- und Vermittlungselemente neben Mat-
52 Kommunikation
in Elektronischen
21
Märkten
vationssysteme von fixierten Preisen ausgehen. Elektronische Bestellsysteme beschränken sich auf die zeitliche Dimension bei der Abwicklung und die Aktivierung »vordefinierter Kontrakte«, Vertragskonditionen ebenso wie Vertragspartner stehen bereits fest,63 so daß ,man diese Systeme als »Erweiterung elektronischer Abwicklungsservices zu vorgelagerten Transaktionsphasen« 64 bezeichnen kann. Geht es nur noch um die Übermittlung der Kauf- bzw. Verkaufsentscheidung, so lassen sich diese auch mit formaler Sprache automatisiert übermitteln und verarbeiten, etwa auf der Basis von EDIFACT. 65 e)
Vertragsabwicklung
In der sich an den Vertragsschluß anschließenden Abwicklungsphase ist die Automatisierung am weitesten ausbaubar, nicht zuletzt aufgrund der hohen Formalisierungsmöglichkeiten. Dies umfaßt die Überwachung laufender Verträge, Rechnungsstellung, Lieferung und damit verbundene Dienstleistungen, Bezahlung und Verbuchung. 66 Hier werden mit Zahlungssystemen, Clearingsystemen und Frachtsystemen dritte Instanzen mit eingebunden und auch mit innerbetrieblichen Anwendungen verknüpft. Als Marktdienste können auch in dieser Phase Clearing-, Notariats-, Protokollierungs- und Zertifikationsdienste Anwendung finden. 67 Insgesamt ist ein hohes Maß an Integration der technischen Unterstützung aller Transaktionsphasen mit entsprechenden Schnittstellen bzw. integrierten Komponenten möglich, zumindest wird dieses angestrebt.
II. Elektronischer
Geschäftsverkehr
in geschlossenen
Netzen
Die technische Entwicklung zeigt, daß es verschiedene Grade an technischer Unterstützung des Kommunikationsprozesses gibt, die zudem auf einem Kontinuum anzusiedeln sind. Am weitesten fortgeschritten ist diese Entwicklung dort, wo nicht nur Daten elektronisch übertragen werden, sondern diese auch im gesamten System ohne Medienbruch weiterverarbeitet werden können. Hier wird die direk-
chingsystemen auch Auktionsverfahren und automatisierte Brokerfunktionen. Danach können solche Institutionen auch zur Erhöhung der Transaktionssicherheit beitragen, indem sie formell als rechtliche Kontraktgegenseite sowohl gegenüber Käufer wie Verkäufer »einstehen«. 63 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.220f. 64 Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.221. 65 Vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S. 177. 66 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.225. 67 Vgl. M. Schmid/S. Zbornik, Kommunikationsmodelle und Architekturkonzepte für Elektronische Märkte, S. 73.
22
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
te menschliche Beteiligung an den Prozessen am weitesten zurückgedrängt, so daß sich hier auch für unsere rechtliche Fragestellung die größten Probleme ergeben. In den frühen Zeiten elektronischen Geschäftsverkehrs wurde dieser Grad der Automatisierung innerhalb von »geschlossenen« Netzen abgewickelt. Diese waren gekennzeichnet durch eine »Hierarchisierung« der Vertragsverhältnisse, also einem Zusammenwirken zwischen Rahmenverträgen und konkreten individuellen Geschäftsvorfällen. 1. Just-In-Time-Verträge Zu den ersten Anwendungsfällen automatisierten Geschäftsverkehrs gehören die Vertragsbeziehungen im Rahmen von Just-in-Time-Konzepten. 6 8 Als Rahmenvertrag fungiert hier die Vereinbarung über produktionssynchrone Produktanlieferung. Darin sind die Bedingungen geregelt, unter denen die Parteien berechtigt bzw. verpflichtet sind, sich elektronische Nachrichten zuzurechnen. Bestimmte Abnahmeverpflichtungen sind nicht festgelegt, vielmehr gibt es Vorabinformationen über voraussichtliche Liefermengen. Eine verbindliche Bestellung wird erst kurz vor dem Liefertermin auf Einzelabruf abgeschlossen. Dazu erfolgt elektronisch ein Abruf von Seiten des Bestellers, der elektronisch durch den Lieferanten bestätigt wird. Die jeweiligen automatisierten Abläufe und Erklärungen erfolgen vollautomatisch ohne menschlichen Eingriff. Der rechtliche Rahmen der automatischen Abläufe sowie Bestand und Inhalt der vertraglichen Erklärungen werden bestimmt durch die vereinbarten AGB. Just-In-Time-Anwendungen bilden einen Unterfall der EDI-Vertragsbeziehungen, so daß diese im folgenden allgemein zu untersuchen sind. 2. EDI-Verträge Zu den frühen Formen rechtsgeschäftlich relevanter elektronischer Kommunikation mit hohem Automatisierungsgrad gehört »Electronic Data Interchange«, das zunächst nur innerhalb geschlossener Systeme abgewickelt wurde. Damit ist der Datenaustausch strukturierter Nachrichten zwischen Computeranwendungssystemen mit der Möglichkeit bruchloser Weiterverarbeitung bezeichnet. 69 Gegenüber anderen elektronischen Medien der Transportphase unterscheidet sich EDI durch die Möglichkeit der automatisierten inhaltlichen Interpretation durch Standardisierung und Strukturierung, so daß auch die semantische Ebene der Automatisierung zugänglich wird. Im Prinzip ist die Anwendung von EDI nicht auf den Bereich herkömmlicher Handelsdokumente beschränkt, sondern kann sämtliche zwischenbetrieblichen Vgl. dazu Nagel/Riess/Tbeis, Der Lieferant on line, Baden-Baden 1990, S. 11 ff. Vgl. Kilian/Picot u.a., Electronic Data Interchange (EDI), S.26; U. Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, Braunschweig/Wiesbaden 1997, S.115. 68
69
5 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
23
Informationsprozesse betreffen. In der Praxis liegt der Schwerpunkt aber noch bei den Abwicklungsprozessen, während etwa für die dem Vertragsschluß vorangehende Transaktionsphase auch kaum Standards existieren. 70 Verschiedene VANSBetreiber bieten EDI-Clearingservices an, die die Zahl der erforderlichen Kommunikationsverbindungen auf die zum Dienstleister beschränkt und auch verschiedene Kommunikationsprotokolle anbietet. Dabei werden die Nachrichten beim Dienstleister konvertiert und auch auf Ubertragungsfehler geprüft sowie eventuell zwischengespeichert. 71 Daneben kann er auch weitere Sicherungsaufgaben übernehmen. 72 Als Beispiel für die vertragsrechtliche »Hierarchie« läßt sich der Deutsche EDIRahmenvertrag heranziehen. 73 Dieser soll die »rechtliche Grundlage« 7 4 für den elektronischen Nachrichtenaustausch schaffen und regelt den zu beachtenden Kommunikationsstandard, technische Abläufe, Rechtswirksamkeit von Erklärungen, Vertraulichkeit, Pflichten, Haftungs- und Konfliktlösungsverfahren und enthält Definitionen. Die Regelung dieser Fragen entlastet die später abzuschließenden Einzelverträge, so daß sich der für EDI-Rechtsverkehr entstehende rechtliche Rahmen aus dem Rahmenvertrag als allgemeinerer Ebene und den konkreten Einzelverträgen als konkreter Ebene zusammensetzt. Beide gehören dazu und ergänzen sich. 75 Der Rahmenvertrag schafft zum einen die Voraussetzung, damit elektronische Kommunikation via EDI möglich wird, andererseits regelt er allgemeine Punkte, die auch als Bestandteil der einzelnen Geschäfte vereinbart werden könnten. Zumindest Regelungen der zweiten Gruppe können Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen, 76 zumindest werden sie in vergleichbarer Weise Vertragsbestandteil. Da es sich insoweit um allgemeine Rahmenregeln handelt, ergibt sich das Problem der Antizipierung konkreter Regeln in diesem Zusammenhang nicht. Unter Einbeziehung technischer und organisatorischer Fragen wird quasi die Infrastruktur für die Vertragsbeziehung geschaffen, um diese auf elektronische 70 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.214f. 71 Vgl. Krähenmann, Ökonomische Gestaltungsanforderungen für die Entwicklung elektronischer Märkte, S.216. 72 Vgl. P. Kimberley, Electronic Data Interchange, New York u.a. 1991, Kap. 8,9; Tegethoff, in: Blenheim Heckmann GmbH (Hrsg.), Dokumentation 3. Deutscher Kongress für Elektronischen Datenaustausch, EDI 92, 344, 350f. 73 AWV, Deutscher EDI-Rahmenvertrag, mit Kommentar von Wolfgang Kilian, Eschborn 1994. 74 Kommentar zum EDI-Rahmenvertrag, § 1 Rdnr. 2. Vgl. demgegenüber Art. 1.3 des European Model EDI Agreement, 1995 Computer Law & Practice 8, dazu Waiden, 1995 Computer Law & Practice 2, 3; ders., CR 1994, 1, 3. 75 Vgl. §2 Abs. 12 sowie Kommentar §2 Rdnr. 16; vgl. ferner die Konfliktregeln in § 19. Vgl. auch Kilian, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechts-Handbuch, Kap.23 Rdn. 12; Reiser/ Werner, WM 1995, 1901, 1906ff. Zur angemessenen Regelungsebene hinsichtlich der jeweiligen Problemkreise vgl. Ian "Waiden, 1995 Computer Law & Practice 2, 6. 76 Vgl. auch W. Seiler, EDI-Modellverträge, Vortrag auf dem Deutschen Kongreß für elektronischen Datenaustausch EDI 91, S. 5.
24
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
Kommunikation umstellen zu können. Auch hier wird deutlich, daß diese K o m munikationsform einen erhöhten Regelungsbedarf hervorruft. Mit dem Ubergang zu offenen Umgebungen hat die Notwendigkeit abgenommen, die technischen Parameter im vorhinein bilateral verbindlich zu vereinbaren. Dies betrifft sowohl Kommunikationsprotokolle als auch Standards für die inhaltliche Struktur der Nachrichten. Mit der Entstehung interoperabler und verbundener Computernetze entsteht eine neue Kommunikationsinfrastruktur, deren sich auch der elektronische Geschäftsverkehr bedienen kann. 77
III.
Das Internet als offenes Netz für elektronische und elektronischen Geschäftsverkehr
Märkte
Die Entwicklung des Internet hat zur Verbreitung des »ECommerce« geführt. 78 Im folgenden sollen technische Grundlagen und Struktur des elektronischen Geschäftsverkehrs über das Internet dargestellt werden.
1. Technische Grundlagen Grundsätzlich gibt es für die Nachrichtenübertragung im Internet zwei Prinzipien. 79 Bei der Leitungsvermittlung wird eine direkte Verbindung zwischen den Partnern aufgebaut, was mit einer Telefonverbindung vergleichbar ist. Bei der Paketvermittlung werden die Daten in Blöcke eingeteilt, die aus einem die Adresse und Informationen zur »Reiseroute« enthaltenden Kopfteil und einem Datenteil bestehen. Dieses Datenpaket wird ähnlich einem Brief bei der Post über verschiedenen Teilstrecken an den Empfänger geleitet. Einem verteilten System entsprechend kann bei Ausfall einer Strecke eine Alternativstrecke gewählt werden.
77 Zum Übergang von geschlossenen zu offenen Systemen vgl. auch I C C , G U I D E C , Zi. II.5., HTTP://WWW.ICCWBO.ORG/HOME/GUIDEC/GUIDEC.ASP (Stand: 1.3. 2002). Vgl. für diesen Kontext das E T E R M S Projekt der I C C , dazu Mitrakas, The E D I Law Review 3, S. 249-259 (1997); The I C C Electronic.Commerce Project (ECP), HTTP://WWW.ICCWBO.ORG/HOME/ELECTRONIC_COMMERCE/ELECTRONIC_COMMERCE_PROJECT.ASP (Stand: 1.3. 2002). Zur Verbindung von E D I und Internet vgl. Kollock, E D I und das Internet - Geschäfte gehen neue Wege, in: D I N (Hrsg.), EDI 97 - Deutscher Kongreß für Elektronischen Geschäftsverkehr, Berlin 1997, 4-32, 434; Lenßen, E D I über Internet - Wunsch oder Wirklichkeit? Auswahl von Netzen für EDI, in: D I N (Hrsg.), E D I 97, 5-25 ff. 78 Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S. 16, verwenden folgende Definition: »Electronic Commerce ist der Handel von Geschäftspartnern unter Benutzung von elektronischen Kommunikationsnetzwerken«. Das Internet ist das Hauptanwendungsgebiet des ECommerce, er wird aber nicht darauf beschränkt. Manninger u.a., a.a.O., S. 17f., beschreiben auch weitere der Wortschöpfungen, die in diesem Zusammenhang gebraucht werden; die neueste ist der »M-Commerce«, der den elektronischen Handel über Mobilkommunikation bezeichnet. 79 Vgl. Scheller/Boden/Geenen/Kampermann, Internet: Werkzeuge und Dienste, Berlin u.a. 1994, S.22f.; Gilster, Der Internet-Navigator, München/Wien 1994 S. 18.
§ 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
25
Die Protokolle im Internet lassen sich ebenfalls in einem Schichtenmodell darstellen, das allerdings nur aus vier Schichten besteht (»DoD Protocol Stack«). 80 Unterschiede bestehen vor allem darin, daß die drei oberen Schichten des O S I Modells im Internet-Modell durch eine einzige Prozeß-/Applikationsschicht abgebildet wird, die auch die Internet-Dienste beinhaltet. Das Transmission Control Protocol ( T C P ) auf der Transportschicht und das Internet Protocol (IP) auf der Netzwerkschicht bilden das zentrale Protokoll zum Adressieren von Rechnern und Fragmentieren von Datenpaketen. 81
2. Dienste Im Zuge der raschen Entwicklung des Internet haben sich verschiedene Kommunikationsformen herausgebildet, die zum Vertragsschluß nutzbar gemacht werden können. 82 Dazu gehören: a) Diskussionsforen
und
Videokonferenzen
Newsgroups sind Internet-Foren, in denen zu bestimmten Themenbereichen diskutiert werden kann. 83 Bei Chat handelt es sich um interaktive Kommunikation mit einem unterschiedlichen Grad an Medienunterstützung. Chat ähnelt der Telefonkommunikation, Videokonferenzen nähern sich der face-to-face-Kommunikation, erreichen aber nicht den gleichen Grad an Kontexteinbeziehung und Kanalvielfalt. Schließlich ist auch Internet-Telefonie möglich. b)
E-Mail
E-Mail ähnelt der schriftlichen Kommunikation. Es wird ein dritter Dienstleister eingeschaltet, der die Speicherung und Weiterleitung der Nachrichten übernimmt. Email kann als Vertragserklärung nur von einer Seite dienen, kann aber auch als one-to-many-Kommunikation genutzt werden. c)
Dateiübertragung
Zu den Diensten, die die Übertragung einer Datei von einem anderen Rechner ermöglichen, gehören Telnet, als externem Zugriff auf einen Rechner mittels eines »virtuellen Terminals«, und F T P (»File Transfer Protocol«), bei dem Dateien über das Internet kopiert werden.
Vgl. Scheller/Boden/Geenen/Kampermann, Internet: Werkzeuge und Dienste, S.24. Vgl. dazu Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S. 63f. 82 Vgl. Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 33 ff.; Cavanillas, Deliverable 2.1.7.bis Research Paper on Contract Law, E S P R I T Project 27028 ECLIP, S. Iff. 83 Vgl. Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S.29. 80 81
26 d)
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
WWW
Das World Wide Web tritt als Kommunikationsmedium immer stärker in den Vordergrund. Es handelt sich dabei um ein offenes Netz, das, anders als E D I , nicht nur für dauernde Geschäftsbeziehungen, sondern auch für einmalige Kontakte genutzt werden kann. Es basiert auf der Client/Server-Architektur, so daß der eine Kommunikationspartner Software und Interface des Webangebots des anderen Partners nutzt. 84 Ist der Server des Partners nur noch anhand der U R L zu identifizieren, so verlieren geographische Kontextfaktoren an Bedeutung gegenüber der Schnittstelle. In der gegenwärtigen Phase entwickelt sich das W W W von einem Medium, das vor allem für die Informationsphase genutzt wird, zu einer Abdeckung auch der beiden anderen Transaktionsphasen. Einer Präsentation durch das Webangebot des Verkäufers folgt der Vertragsschluß, der mit Hilfe von Formularen oder ähnlichem vorgenommen, wird, die vom Anbieter auf den Webseiten bereitgestellt werden. Dabei wird auch EMail als Kommunikationsmedium genutzt. Zur Erfüllung kann sich der Nutzer bei digitalen Leistungen diese herunterladen, bei physischen Produkten werden diese auf herkömmlichen Wege geliefert. Eine zunehmende Rolle spielen auch dritte Dienstleister innerhalb des Transaktionsprozesses. Dies betrifft nicht nur die technische Infrastruktur auf den unteren Ebenen des OSI-Modells, sondern direkt vertragsbezogene Dienstleistungen. Dazu gehören Authentifizierungsdienste, die die Möglichkeit der digitalen Signatur unterstützen, und Finanzdienstleistungen, die die Erfüllung unterstützen. Viele Angebote im W W W sind kostenlos nutzbar. Die Finanzierung erfolgt meist über Werbebanner und ist Ausdruck der durch die Eigenschaften des Mediums bedingten strategischen Konsequenzen. 85 e)
Marktvermittlungsdienste
Das Internet ist ein globales Netz und macht Informationsangebote weltweit verfügbar. Hinzu kommt, daß es dezentral strukturiert ist, also im Prinzip jeder ein Informationsangebot veröffentlichen kann. Dies macht Hilfsmittel erforderlich, die die Informationssuche unterstützen. Dazu dienen Suchmaschinen und Directories, also im Internet verfügbare Angebote, die auf Eingabe von Suchworten hin das Netz durchsuchen und eine Liste von Webangeboten als Resultat anzeigen. 86 Zu den nachgewiesenen Angeboten gehören dann häufig Online-Shops und Elec-
84 Vgl. Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S. 78ff. Cavanillas, Deliverable 2.1.7.bis Research Paper on Contract Law, E S P R I T Project 27028 ECLIP, S. 2, spricht hier von asymmetrischer Verteilung der technischen Rollen. 85 Vgl. Zerdick/Picot u.a., Die Internet-Ökonomie, S. 179, die neue Wettbewerbs-, Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Inhaltsstrategien unterscheiden. Vgl. ferner Manninger u. a., Electronic Commerce - Die Technik, S.39f. 86 Vgl. Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S.27ff.
§ 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
27
tronic Mails. 87 Diese stellen eine neue Form eines virtuellen Einkaufszentrums (»virtual malls«) dar, in denen mehrere Webangebote (Online-Shops) auf einer gemeinsamen Plattform angeboten werden. Uber das Bereitstellen von Speicherplatz wird dabei vom Dienstanbieter auch die ECommerce-Anwendung bereitgestellt, die dem Benutzer einheitliche Dienste zur Verfügung stellt, etwa die M ö g lichkeit, mit seinem virtuellen Einkaufswagen mehrere virtuelle Läden zu besuchen. Eine weitergehende Integration findet sich in sog. virtuellen Kaufhäusern, bei denen der Betreiber sich jeweils für die erteilten Aufträge bei Zulieferern eindeckt, aber keine eigenen Lager mehr unterhält, z.B. »Amazon.com«. 8 8 Allgemein erlangen Intermediaries im elektronischen Geschäftsverkehr mit dem Abbau herkömmlicher und Aufbau neuer Wertschöpfungsketten immer größere Bedeutung. 8 9 Die neu entstehenden Dienstleistungen betreffen Bereitstellung von IT-Sicherheit, Vertriebs- und Vermittlungssysteme sowie Werbung und Information. Daneben erlangen wegen der großen Zahl möglicher Handelspartner im Internet auch Auktionen und Handelsplattformen eine immer größere Bedeutung. f) Intelligente
Agenten
Immer größere Bedeutung im W W W erlangen sog. intelligente Agenten. 9 0 Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die bestimmte Funktionen für den Nutzer übernehmen, etwa die Suche nach bestimmten Produktangeboten und auch den Abschluß von Verträgen. In der Informatik werden Agenten von herkömmlichen Softwareprogrammen durch ihre »Intelligenz« unterschieden. 91 Diesen wird insoweit die Eigenschaft zugeschrieben, ihre Aufgaben größtenteils »autonom« zu erfüllen und nur für wichtige Entscheidungen der Intervention des Nutzers zu bedürfen. Die »unabhängige« Erledigung von Aufgaben macht sie vergleichbar mit menschlichen Stellvertretern. 92 Insofern wird auch in der Informatik davon gesprochen, daß der Agent auf der Basis von ihm gesammelter Informationen »Entscheidungen« trifft, bis hin zu Kommunikation bzw. Kooperation mit anderen Agenten bzw. menschlichen Nutzern als Umgebung. 9 3 Vgl. dazu Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S. 33ff. Vgl. Mankowski, C R 1999, 512, 515. 89 Vgl. Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S.47ff. 90 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, Berlin/Heidelberg 1998; Pan/ Tenenbaum, 21 I E E E Transactions on Systems, Man, and Cybernetics 1391, 1403 (1991); Syring 209; Himberger, Der Elektronische Markt als Koordinationssystem, Hallstadt 1994, S.26ff.; Macredie, Mediating Buyer-Seller Interactions: The Role of Agents in Web Commerce, Electronic Markets 1998, No. 3, S.40ff. 91 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.20. 92 Für eine Analogie aus Sicht der Informatik vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.20ff. 93 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 20f., die daraus folgende Definition ableiten: »Intelligent software agents are defined as being a software program that can per87 88
28
1. Kapitel: Einleitung
und
Grundlegung
Zu den »internen« Eigenschaften solcher Agenten werden Lernfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Autonomie und Zielorientiertheit gezählt. 94 Als Elemente maschineller »Intelligenz« gelten dabei die interne Wissensbasis, die darauf basierenden »Uberlegungs-« und »Entscheidungsregeln« mit Ausrichtung an einem Zielsystem und die Lern- und Anpassungsfähigkeit. Der Agent entwickelt dabei ein Nutzerprofil, das sich an den Präferenzen des Nutzers hinsichtlich Interessengebieten und Informationsquellen ausrichtet. Zielorientierung und Lernfähigkeit sind ebenso Voraussetzungen für »autonomes« Verhalten wie die Mobilität innerhalb eines Netzwerks und die Kommunikation mit anderen Agenten. Zugleich erhöht »autonomes« Verhalten wiederum die »Intelligenz« des Agenten. Die Mobilität 95 macht auch asynchrone Kommunikation möglich und reduziert die N o t wendigkeit von Kommunikation über Netzwerke. »Kommunikation« beinhaltet Austausch von genau vordefinierten Fragen und genau definierten Antworten. Kooperation zum Zwecke gemeinsamer Problemlösung durch mehrere Agenten erfordert eine erweiterte Agenten-»Sprache«, die den Austausch von Zielen und Wissen erlaubt. 96 Man spricht hier sogar von »sozialem Verhalten« der Agenten. Nach dem Anwendungszweck kann man unterscheiden zwischen »Informations-«, »Kooperations-« und »Transaktionsagenten«. 97 Ein Informationsagent spürt Informationsquellen auf, entnimmt dort Informationen, filtert diese im Hinblick auf dessen Präferenzen und präsentiert diese dem Nutzer im entsprechenden Format. Kooperationsagenten haben die Aufgabe, komplexe Probleme in K o m munikation und Kooperation mit anderen Agenten, menschlichen Nutzern und externen Ressourcen zu lösen. Die Anwendung von Problemlösungsstrategien und Kooperationsmechanismen macht dessen Einsatz komplexer und weniger vorhersehbar. Transaktionsorientierte Anwendungen erfolgen im Bereich von Datenbanken ebenso wie im sich entwickelnden ECommerce und beinhalten die Durchführung und Überwachung von Transaktionen. Als Anforderungen für solche Agenten werden in der Informatik ein hoher Grad an »Verantwortlichkeit«, Sicherheit, Datenschutz, Robustheit und »Vertrauenswürdigkeit« genannt. 98 Entsprechend werden dem Agenten solche Verhaltenseigenschaften gegenüber dem Nutzer beigegeben, die man als »Charaktereiform specific tasks for a user and possesses a degree of intelligence that permits it to perform parts of its tasks autonomously and to interact with its environment in a useful manner«. Sie entwickeln dann ein Klassifikationsschema anhand der drei Kriterien Intelligenz, Mobilität und Zahl der Agenten, a.a.O., S.29ff. 94 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 23 ff. 1,5 Mobilität bedeutet hier auch physische Bewegung von einem Computer zu einem anderen, vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 53ff. 96 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.27f. 97 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 21 f., 191 ff. Zur Zuordnung der Aufgaben zum Klassifikationsschema vgl. dies., S. 31 ff. Zur Klassifikation von Agententypen zum Einsatz im webbasierten ECommerce vgl. Macredie, Electronic Markets 1998, No. 3, S.40, 41. 98 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 22.
5 2 Kommunikation
in Elektronischen
Märkten
29
genschaften« einstufen könnte, wie Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Verläßlichkeit, ja sogar Emotionen zur Erleichterung der Kommunikation." Auf diese Weise können dreidimensionale virtuelle Persönlichkeiten geformt werden, die auch dem Verbergen der Identität des einsetzenden Partners dienen. In technischer Hinsicht erfolgt eine immer stärkere Verschmelzung von Multimedia- und Agenten-Technologien. 1 0 0 Der Nutzer kann den Grad an »Autonomie« des Agenten bestimmen. So ist denkbar, daß ein Agent über die Informationssuche hinaus auch den Vertragsabschluß tätigen kann, der Nutzer aber Entscheidung und Vertragsschluß selbst vornehmen will. 101 Andererseits entlastet die »Autonomie« den Nutzer von der N o t wendigkeit ständiger Kontrolle. So kann er mobile Agenten ins Netz schicken und dann seine Netzwerkverbindung beenden, um Kosten zu sparen; beim nächsten Einloggen erhält er dann einen Bericht des Agenten. 102 Ökonomische Theorien fließen in vielfältiger Weise in die Konstruktion elektronischer Märkte ein. Bei deren Architektur spielen elektronische Agenten eine zunehmende Rolle. Gegenüber einem menschlichen Akteür zeichnen sie sich durch eine große Datenverarbeitungskapazität und Schnelligkeit aus. Vor allem eliminieren sie Unsicherheiten, die mit menschlichem Handeln am Markt verbunden sind: elektronische Agenten operieren strikt innerhalb der vordefinierten Protokolle für den Datenaustausch, sie operieren immer innerhalb der programmierten Regeln. 1 0 3
Damit lassen sich Märkte anhand bestimmter Theorien, zum Beispiel der Spieltheorie, konstruieren, die dann auch entsprechend funktionieren und dadurch die erhofften Effizienzwirkungen erzielen. 104 Die angesprochenen Eigenschaften sowie die Fähigkeit zu Kommunikation und Kooperation mit anderen Agenten ebenso wie mit menschlichen Nutzern im Umfeld wirft wiederum die Frage auf, ob eine Betrachtung unter dem Aspekt des soziotechnischen Systems mit menschlichen und automatisierten Elementen als Brückenschlag für die rechtliche Einordnung angemessen erscheint, die auch in einer Analogiebildung zwischen Softwareagenten und menschlichen Agenten münden kann.
Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.28f. 100 Yg] Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 140ff. 101 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 26. 102 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.27. 103 Vgl. Nir Vulkan, Economic Implications of Agent Technology and E-Commerce, Economic Journal, 1999 F67. Zu diesen Regeln kann aber auch eine gewisse Lernfähigkeit und »Autonomie« gehören, die sich auf die Vorhersehbarkeit der Operationen auswirkt, s.u. § 7 IV. 1. 104 Vgl. dazu Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 15ff. Sie nennen eine Individualisierung der verfügbaren Information, Geschwindigkeit, Verringerung der Suchkosten, Vollständigkeit der Suche, erhöhte Markttransparenz. 99
30
1. Kapitel: Einleitung und Grundlegung
3. M a r k t b e z i e h u n g e n Gebräuchlich ist neben der Unterscheidung von Transaktionsphasen, wie sie bereits zum allgemeinen K o n z e p t des Elektronischen Marktes angeführt wurden, die Unterscheidung von Transaktionsbeziehungen nach den Rollen, die die Beteiligten jeweils am Markt einnehmen. Als solche lassen sich private Haushalte, U n ternehmen und staatliche Verwaltungen unterscheiden. 1 0 5 Daraus ergeben sich folgende Marktbeziehungen: Business-to-Consumer (B2C), also der Handel zwischen Unternehmen und Konsumenten; Business-to-Business (B2B), also der Handeln zwischen Unternehmen; Business-to-Administration (B2A), also der Handel zwischen Staat und Unternehmen; Consumer-to-Consumer (C2C), also der Handel zwischen Verbrauchern. Relativ geringe Bedeutung hat noch der Handel zwischen Verwaltungen (Administration-to-Administration, A 2 A ) sowie zwischen Verbrauchern und staatlichen Einrichtungen (Administration-to-Consumer, A 2 C ) . Bei dieser Einteilung ist zu beachten, daß die einzelnen Marktteilnehmer je nach Geschäftsfall die Rollen wechseln können. Eine typische B 2 C - T r a n s a k t i o n läuft beispielsweise folgendermaßen ab: D e r Konsument durchsucht das N e t z nach den gewünschten Angeboten, wobei er auch Suchmaschinen einsetzt. D e r Verbraucher wählt dann die W W W - A d r e s s e aus, die er aufsuchen will. E r betrachtet das A n g e b o t im W W W und sucht die gewünschten Waren aus. E r gelangt dann zu einer Bestellseite, in der er die Daten des Produkts und seine persönlichen Daten einträgt. Diese schickt er ab, die Bestellung wird beim Anbieter verarbeitet, und der Käufer b e k o m m t eine Bestätigung per E - M a i l . Später werden die Waren ausgeliefert, soweit sie körperlicher N a t u r sind. Bei digitalisierten Gütern, etwa Software, ist auch ein sofortiges Herunterladen möglich. D i e Bezahlung erfolgt derzeit noch auf herkömmlichem Wege, w o bei auch Kreditkartenzahlung möglich ist. In Zukunft sollen auch elektronische Zahlungsmöglichkeiten über das Internet zum Einsatz kommen. 1 0 6
Vgl. Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S. 18ff. Eine Studie über den Nutzen des ECommerce für den Kunden hat die Stiftung Warentest veröffentlicht, Abschlussbericht zu Untersuchung Elektronischer Einkauf in Europa, http://europa.eu.int/comm/dgs/health_consumer/library/surveys/surl l_de.pdf (Stand: 1.3. 2002); vgl. dazu auch Manninger u.a., Electronic Commerce - Die Technik, S.29f. Vgl. auch Reich/Nordhausen, Verbraucher und Recht im elektronischen Geschäftsverkehr (eG), Baden-Baden 2000, Rdnr. 3. Zu Cybermoney vgl. Manninger u.a., a.a.O., S. 199ff. 105 106
2.
Kapitel
Struktur und Funktion der Willenserklärung nach herkömmlicher Konzeption § 3 Vertrag, Vertragsrecht und Vertragsfunktionen Mit der Beschreibung der Technikentwicklung und ihrer Folgen ist die grundlegende Frage des Verhältnisses von Recht, Rechtsbegriffen und der sozialen W i r k lichkeit angesprochen. 1 Diese Relation beeinflußt zugleich die Methodik der hier durchzuführenden Untersuchung der rechtlichen D o g m a t i k des Vertragsschlusses bei elektronischer K o m m u n i k a t i o n .
I. Das Verhältnis von Recht und Wirklichkeit als und methodisches Problem
rechtsdogmatisches
1. O n t o l o g i s c h e R e c h t s l e h r e Einen ersten Ausgangspunkt bietet die auf der Geschichtenphilosophie
W.
Schapps basierende Ontologische Rechtslehre. 2 Diese richtet ihren Blick auf die soziale Wirklichkeit und als deren Bestandteil den Vertrag, unabhängig von rechtsdogmatischer Begrifflichkeit, und versucht diesen ontologisch zu erfassen. W. Schapp verfolgt als Schüler E . Husserls eine phänomenologische Deutung und weist damit im Ansatz auch eine deutliche N ä h e zur Position A. Reinachs auf, die wiederum grundlegend für die juristische Vertragslehre von Larenz wurde. 3 Ziel der Phänomenologie ist es, die im Zuge des modernen mathematisch-naturwissenschaftlichen D e n k e n s erfolgte Spaltung von Subjekt und O b j e k t zu überwinden und Welt und Subjekt wieder zusammenzuführen. 4 Anders als E . Husserl vollzieht W. Schapp dies aber nicht durch eine abstrakte Wesensanalyse, sondern in einer Betrachtung von »Geschichten« als konkret-individuellen
Lebensge-
1 Vgl. die Nachzeichnung der Sichtweisen dieser Problematik in der zivilrechtlichen Denktradition bei Walz, in: Walz (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Zivilrecht, 1983, S. 1, 6 ff. 2 Vgl. dazu Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S.66ff. 3 Vgl. K. Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, Frankfurt am Main/Berlin 1966, Fotomechanischer Nachdruck der 1. Aufl. von 1930; J4. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Halle 1922. 4 Vgl. Hermann Lübbe, »Sprachspiele« und »Geschichten«, Neopositivismus und Phänomenologie im Spätstadium, Kant-Studien 1960/61, S.220, 232ff.
32
2. Kapitel: Struktur und Funktion der
Willenserklärung
schehnissen. 5 Er setzt sich damit auch in Gegensatz zu Reinachs Ansatz eines Systems synthetisch-apriorischer Sätze als Vorgegebenheiten positiven Rechts. 6 W. Schapp wendet sich gegen die Existenz allgemeiner Gegenstände und das Denken in abstrakt-allgemeinen Gattungsbegriffen und spricht von »Serien« bzw. »Reihen« konkreter Einzelgegenstände. 7 Vielmehr versucht er, den Vertrag als konkret-ganzheitliche Lebensgeschichte zu erfassen. 8 Im Anschluß daran ist auch J. Schapp der Ansicht, daß sich in dieser Geschichte »Vertrag«, »Konsens« und »Willenserklärung« nicht auffinden lassen. 9 Von der Lebenswirklichkeit her gesehen ist die konkrete Vertragsgeschichte zu betrachten, die nur unter dem Gesichtspunkt des Eigentümerwechsels zu verstehen sei. 10 Einzelne Erklärungen oder ein »Konsens« lassen sich danach nicht aus dem »Sinnzusammenhang der ganzen Vertragsgeschichte« 11 und ihrer Entwicklung heraustrennen. Daraus hat sich auch für die abstrakte Begrifflichkeit der Dogmatik die Notwendigkeit von Erweiterungen ergeben, um die in der »Sinnganzheit« des Vertragsgeschehens auftretenden Konflikte juristisch verarbeiten zu können. Mit der Figur der culpa in contrahendo und der Annahme eines entsprechenden Schuldverhältnisses wird über den geschichtlichen Vorgang von Antrag und Annahme hinaus auch dessen Vorgeschichte in juristische Formen gegossen. 12 Eine auf der Geschichtenphilosphie basierende Vertragslehre stellt weitergehend aber auch das juristische Subsumtionsmodell als Entscheidungsbegründungstechnik in Frage, indem sie die Trennung einer sprachlichen und einer außersprachlichen Ebene leugnet. 13 Die ganzheitliche Struktur der Wirklichkeit wird als Geschichte mit den Menschen als »In-Geschichten-Verstrickte« als Mittelpunkt dargestellt, eine darüber hinausgehende außersprachliche Wirklichkeit wird von diesem Ansatz geleugnet. 14 Demgegenüber erscheint die oft beklagte »Inhaltsleere« abstrakter Begriffe als Folge der Entfremdung von der sozialen Wirklichkeit, die jeweils erst durch eine »Konkretisierung« wieder aufgehoben werden kann. 15 J. Schapp bemüht sich nach anfänglicher Ablehnung der herkömmlichen juristischen Vertragslehre 16 dann aber doch um »eine an der Lebenswelt orientierte positive Bedeutung der Begriffe der Rechtswissenschaft« und Relativierung der AbVgl. W. Schapp, In Geschichten verstrickt, 2. Aufl. Wiesbaden 1976, S.85f. Vgl. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, Halle 1922, S.689. 7 Vgl. W. Schapp, In Geschichten verstrickt, S. 38, 57. 8 Vgl. W. Schapp, Philosophie der Geschichten, 2. Aufl., Frankfurt/Main 1981, 46f. 9 Vgl./. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, Den Haag 1968, S. 118f. 10 Vgl./. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 121. '1 Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 90. 12 Vgl. W. Schapp, Philosophie der Geschichten, S. 59ff. 13 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 96ff., insoweit auch ablehnend gegenüber Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin u.a. 1995, S. 99ff., wonach der »Sachverhalt als Geschehnis« in den »Sachverhalt als Aussage« überführt werden müsse. H Vgl. W. Schapp, Philosophie der Geschichten, S. 271. 15 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S.96f. 16 Vgl./. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 140. 5 6
§3 Vertrag, Vertragsrecht
und
Vertragsfunktionen
33
straktionen durch eine »Einbettung in die nächste(n) Zusammenhänge« 17 . Das Recht hat danach die Funktion, Konflikte der Lebenswelt zu entscheiden. 18 Zu diesem Zweck knüpft der Tatbestand eines Gesetzes an Merkmale der Lebenswelt an, aber nicht als Beschreibung von Wirklichkeit, sondern als Begründung einer Entscheidung. 19 Dabei kann nicht die Vielfalt lebensweltlicher Bezüge erfaßt werden, sondern die Anknüpfungen erfolgen spezifisch unter den Zweck der Konfliktbewältigung. Bei der Begründung des Tatbestands »Willenserklärung« knüpft das Gesetz an einen im Vertrag als Lebensgebilde enthaltenen Willen an, der auf die Vertragsbedingungen gerichtet ist. 20 Da dieser Wille aber »begrenzt« ist, muß das Vertragsrecht daneben auch auf ein »Vertragsverhältnis als solches« Bezug nehmen, das im Kernbereich als Verhältnis des Austausches von Eigentum und Vermögen rechtlich unter dem Aquivalenzprinzip steht. 21 Der »Lebenssachverhalt«, also etwa der lebensweltliche Wille, ist nach der Auffassung von J. Schapp zu bewerten, damit der Rechtsanwender zu einem subsumtionsfähigen Untersatz gelangt. 22 Dem Begriff »Willenserklärung« als rein rechtswissenschaftlichem Fachterminus werden Merkmale der Lebenswelt durch Wertung zugeordnet. Sowohl Rechtsfolgen als auch Tatbestand werden durch einen besonderen Entscheidungsakt »zugerechnet«. 23 Schapp macht insofern eine Einschränkung, als sich die zugeordneten Rechtsfolgen aus dem lebensweltlichen Willen »entfalten lassen« müssen, was er an einer Billigung der Zurechnungsentscheidung durch die Vertragsschließenden mißt. 24 Da die lebensweltlichen Zusammenhänge die Basis dieser Wertung bilden, gelangt Schapp auch zur Annahme eines Vorrangs des Vertrages vor dem lebensweltlichen Willen. 25 Der Wille ist notwendig durch den Typus des Vertrags als Austauschverhältnis vorgeprägt und läßt sich erst in diesem Zusammenhang deuten. Im Extremfall kommen lebensweltlicher Wille und Willenserklärung zur Dekkung, ohne zu verschmelzen, etwa bei der notariellen Form mit ausdrücklicher Erläuterung der Rechtsfolgen. Schapps Schlußfolgerung besteht letztlich darin, daß das Recht zum Zwecke der Praktikabilität »ein gewisses Maß an lebensweltlichen Bezügen« 2 6 in die Figur der Willenserklärung aufnimmt. Es erfolgt ein Anpassen rechtlicher Tatbestände an die Wirklichkeit, wie sie von J. Schapp aufgefaßt wird. /. Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, Tübingen 1983, S. 14 Fußn. 12. Vgl./. Schapp, Hauptprobleme, S.14ff., 31 ff. " Vgl./. Schapp, Hauptprobleme, S. 47ff. Ders., S. 26, geht nicht von einer Vorgegebenheit der sozialen Wirklichkeit für das Recht, sondern von einer »Mitgegebenheit« aus. 20 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.4f. 21 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.5f. 22 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 10. 23 So/. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 12 Fußn. 9. 24 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 12. 25 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 14. 26 /. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.49. 17 18
34
2. Kapitel: Struktur
und Funktion
der
Willenserklärung
Damit scheint Schapp nicht nur anerkannt zu haben, daß sich das System des BGB mit seinem Grad an Technizität durchaus in der Praxis bewährt hat und einen wichtigen Beitrag zur Ordnung des Rechtsstoffs, Gleichbehandlung und Rechtssicherheit geleistet hat. Er sieht auch die vielfältigen Probleme einer konsequent durchgeführten ontologischen Rechtslehre, etwa die Frage, ob der urteilende Richter Teilnehmer oder Beobachter der zu beurteilenden Lebensgeschichten sein soll, sowie die damit zusammenhängende erkenntnistheoretische Bedeutung menschlicher Subjektivität. 27 Der tiefere Grund für die letztlich doch einseitige Ausrichtung auf die Wirklichkeitsbeschreibung liegt darüber hinaus bereits in der Prämisse der ontologischen Rechtslehre, daß juristische Begriffe eine vollständige Beschreibung der Wirklichkeit geben müßten. 28 Nicht nur entzieht sich die Lebenswirklichkeit einer vollständigen analytischen Beschreibung. Vielmehr ist es Aufgabe des Rechts, konkrete Konflikte in der Lebenswirklichkeit zu regeln, also Interessensphären abzugrenzen. Damit hat auch die Begrifflichkeit einen normativen Charakter, was etwa die Rechtssoziologie nicht hinreichend herausarbeitet. 29 Insofern hat bereits der Gesetzgeber die Tatbestände im Hinblick auf eine hinter der Norm stehende Wertung geformt 30 und eine vorweggenommene Interessenbewertung vorgenommen. Das dogmatische System steht dazu in einem entsprechenden funktionalen Verhältnis. Tatbestand und Rechtsfolge enthalten danach normative Begriff mit der Aufgabe, »durch den Entwurf gesollten Verhaltens gerechte Regelungen sozialer Konfliktsfälle zu erzielen«. 31 Der Zusammenhang rechtswissenschaftlicher Begriffe mit der sozialen Wirklichkeit wird durch die Anknüpfung des Gesetzgebers an den allgemeinen Sprachgebrauch und die damit verbundene Verstehbarkeit gewahrt. Das sieht Nierwetberg als das deskriptive Element dieser Begrifflichkeit an: »Die Rechtsnorm bzw. die in ihr verwendeten rechtlichen Begriffe können demnach als Deutungsschema der sozialen Wirklichkeit unter spezifisch rechtlichem Blickwinkel aufgefaßt werden ..., und zwar nicht als ein solches, welches willkürlicher Setzung entspringt, sondern welches vielmehr der Versicherung durch unsere kommunikative Erfahrung unterliegt.« 32 Auch bei der Subsumtion wird also an Anhaltspunkte in der sozialen Wirklichkeit angeknüpft. Die Erkenntnis der Funktion rechtlicher Tatbestände als Lösung von Interessenkonflikten und der Ausrichtung des Konzepts der Willenserklärung an der Lebenswelt ist weiterführend, zeigt aber noch keinen Weg auf, wie dieses für die Vgl. Nierwetberg, Rechts wissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 117ff.; 149. Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 126ff. 29 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 127. Vgl. auch Rottleuthner, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Freiburg/München 1981, S. 171ff. 30 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 129f. 31 Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 131. 32 Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 133, w o n a c h letztlich aber doch eine »unaufhebbare Spannungsbeziehung« zwischen rechtswissenschaftlichem Begriff und sozialer Wirklichkeit verbleibt. 27 28
§3 Vertrag, Vertragsrecht
und Vertragsfunktionen
35
rechtsdogmatische Abbildung der informationstechnischen Entwicklung zu erreichen ist.
2. F o r m / I n h a l t - D i c h o t o m i e Die Uberwindung der »Kluft« zwischen rechtswissenschaftlicher Begrifflichkeit und sozialer Wirklichkeit bildet auch die grundlegende Fragestellung des Ansatzes von Simitis. Dieser geht von der sozialen Funktion des Rechts aus und sieht dabei Recht und Wirklichkeit in einer dialektischen Wechselbeziehung. 33 E r versucht dies an dem Modell von Form und Inhalt deutlich zu machen. Die positivrechtliche Gestalt eines Rechtsinstituts bilde dessen Form, die sich allerdings durch eine Statik auszeichne und der Dynamik des gesetzlichen Entwicklungsprozesses nicht gerecht werde. Mit dem dynamischen Element des Inhalts findet die soziale Wirklichkeit Eingang in das Rechtsinstitut. Diese Wirklichkeit bestehe in einer »Wirkungseinheit von tatsächlichen Zuständen und von einer bestimmten Wertordnung in einem konkret-gegebenen Moment der geschichtlichen Entwicklung«, 34 wobei der ökonomische Aspekt bestimmend sei. Der gesellschaftlich bedingte Wandel des Inhalts und damit auch der sozialen Funktion bringe ein Spannungsverhältnis zur Form hervor, die letztlich zu einer Anpassung der Form an die Erfordernisse der sozialen Funktion des Rechtsinstituts führe. 35 Damit ist auch ein Erklärungsrahmen gegeben für die Entwicklung von einem individualrechtlichen zu einem sozialrechtlichen Verständnis des Vertrags und dem Ubergang zu objektiven Wertungen. 36 Ihnen liegt ein Spannungsverhältnis zwischen zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheit und formal-rechtlicher Gleichheit zugrunde. Inhalt und Funktion der Form des Vertragsschlusses durch Antrag und Annahme hätten sich gewandelt, so daß es einer Entwicklung von einer Fiktion zurück zur »Wirklichkeit« bedürfe, weshalb sich Simitis der Lehre Haupts von den faktischen Vertragsverhältnisses anschließt. 37 Auch im Rahmen von Simitis' Ansatz stellt sich das Problem, mit welchen Methoden denn nun die Wirklichkeit zu erfassen und für die rechtlichen Bewertung aufzubereiten ist. Das Herangehen an den Sachverhalt »so wie er ist« ohne »ir-
33 Vgl. S. Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse als Ausdruck der gewandelten Funktion der Rechtsinstitute des Privatrechts, Frankfurt/Main 1957, S.42ff. Für eine monistische Auffassung von Form/Inhalt vgl. R. Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung, 4. Aufl., Berlin/Leipzig 1921, S.212ff. 34 Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, S. 34f. 35 Vgl. Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, S. 55ff. 36 Vgl. Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, S. 77ff.; Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 172ff., geht demgegenüber davon aus, daß es Freiheit und Gleichheit in einem liberalistischen Sinne nie gegeben habe und die positive Regelung der allgemeinen Vertragslehre gegenüber der sozialen Wirlichkeit und dem jeweiligen Wertesystem aufgrund ihrer durch Abstraktion hervorgebrachten Technizität indifferent sei. 37 Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, S. 527f.
36
2. Kapitel: Struktur und Funktion der
Willenserklärung
gendwelche vorgegebenen Begriffe« 3 8 allein ist noch keine Methode. Auch der Wirklichkeit lassen sich solche Begriffe nicht induktiv entnehmen. D i e Unterscheidung von F o r m und Inhalt hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte, Simitis kann sich darauf aber mit seinem Verständnis nicht berufen, wie Nierwetberg nachgewiesen hat. 39 Dies gilt vor allem für die Vorstellung einer quasi selbsttätigen Angleichung der F o r m an den Inhalt, die nicht nur k a n o nischen, sondern auch Hegeischen Vorstellungen widerspricht. Dieses Verwischen der G r e n z e n zwischen N o r m - und Tatsachenwissenschaft geht letztlich methodologisch hinter die Erkenntnisse der Wertungsjurisprudenz zurück. 4 0 F ü r die rechtsdogmatische Erfassung kann dieser Ansatz keine konkreten Hilfestellungen geben.
3. Institutionelles R e c h t s d e n k e n Simitis' Vorstellungen zeigen auch enge Verwandtschaft zum institutionellen Rechtsdenken. Soweit man Institution im normativen Sinne als Bezeichnung sachlich zusammengehörender N o r m e n von einer Institution im faktischen Sinne als gesellschaftlich verwirklichter Verhaltensmuster unterscheidet, 4 1 so vereinigt Simitis in seinem Ansatz beide unter dem Dachbegriff des »Rechtsinstituts«, akzentuiert durch die bei unmittelbarem Rückgriff auf die soziale Wirklichkeit dieser zugeschriebenen normativen Kraft. 4 2 Auch wenn man diesen Ansatz als einseitig kritisiert, kann der institutionelle Ansatz Möglichkeiten bieten, die soziale Wirklichkeit im Recht zu berücksichtigen. L. Raiser hält die Vorstellung von der A u t o n o m i e der Person für eine » A b straktion«, weil das Handeln auf den Mitmenschen bezogen sei. E r geht von einem soziologischen Begriff der Institution aus: »man kann im gegenseitigen Verhalten Handlungsschemata und geläufige, auf Dauer angelegte Beziehungsformen erkennen, die die Soziologie als »Institutionen analysiert... Die Rechtsordnung, die das Zusammenleben in der Rechtsgemeinschaft zu regeln hat, schließt sich weithin an den im sozialen Leben vorgefundenen Bestand solcher Institutionen an, spiegelt sie wieder und befestigt oder verändert sie durch ihre N o r m e n , schafft auch neue Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse, S. 1 f. Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 151 ff. 40 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 161 f. 41 Vgl. Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken im Wandel der Verfassungsepochen, Bad Homburg v.d.H./Berlin/Zürich 1970, S. 34ff. Zu den verschiedenen Verwendungsweisen des Institutionsbegriffs und einer Integration in einem Modell verschiedener Ebenen vgl. Busse, Recht als Text, Tübingen 1992, S.275ff.; Schülein, Theorie der Institution. Eine dogmengeschichtliche und konzeptionelle Analyse, Opladen 1987, S. 130ff. Zum »institutionalistischen Rechtspositivismus« vgl. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987, S. 33. Vgl. ferner Bischoff, Norm und Rechtswirklichkeit im institutionalistischen Rechtsdenken, Diss. Münster 1995. 42 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 167, resümiert hierzu: »Die soziale Wirklichkeit wird damit zum unmittelbaren Bestandteil des Rechtes selbst«. 38
39
$3 Vertrag, Vertragsrecht
und
Vertragsfunktionen
37
Beziehungsformen, wo sich ein Bedürfnis dafür zeigt und durchsetzt, und entwikkelt Verhaltensregeln für typisch wiederkehrende Situationen. Das geschieht in großem Umfang auch im Bereich des Privatrechts, das demnach nicht nur subjektive Rechte zuteilt und Handlungsräume sichert, sondern ebensosehr Beziehungsformen ausgestaltet und damit kraft objektiven Rechts das rechtswirksame Handeln der Einzelnen normiert und gewissermaßen kanalisiert«. 43 Anders als bei Simitis nimmt Raiser aber keine einseitige Wirkrichtung von der Wirklichkeit auf das Recht an, wenn er ausführt, »daß das Recht in jedem Rechtsinstitut ein typisches Lebensverhältnis, eine im soziologischen Sinne institutionalisierte Verhaltensweise, also ein sinnhaftes, von menschlichem Leben erfülltes soziales Gebilde durch rechtliche Anerkennung zugleich wertet und dieser Wertung entsprechend ordnet«. 4 4 In der Ausbildung entsprechender Rechtsinstitute »kraft objektiven Rechts«, zu denen auch der Vertrag gehöre, sieht er den zweiten Systemgedanken des Privatrechts neben »dem Schutz des Wirkungsbereichs der Einzelperson durch die Zuteilung subjektiver Rechte«. 4 5 Die Relevanz dieser Lehre zeigt sich vor allem unter dem Gesichtspunkt des institutionellen Rechtsmißbrauchs, nach der einem funktionswidrigen Gebrauch eines Rechts die Anerkennung versagt wird. 46 Die aus der Institutionenlehre resultierenden immanenten Schranken sind durch die dem Institut durch das Recht zugewiesenen Funktionen bedingt. Durch die im Institutionsbegriff zugrundegelegte Verwobenheit von Recht und sozialer Wirklichkeit bekommt diese Schrankenbestimmung eine über rein rechtliche Erwägungen hinausgehende Grundlage. 47 Auf den ersten Blick weist der Raisersche Institutionsbegriff auch Ähnlichkeit mit der Kategorie der »Struktur« von O . Behrends auf: »Als rechtliche Struktur möchte ich bezeichnen, was in einer rechtlich geordneten Wirklichkeit einem M o dell folgend als eine geschlossene Form betrachtet und als tatsächlich vorhanden behandelt wird, und zwar auf eine Weise, welche die Struktur in merkmalsfester Weise mit den strukturell geordneten und miteinander in Beziehungen gesetzten 43 L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in: Summum Ius Summa Iniuria, Tübingen 1963, S. 124, 125. 44 L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz, S. 124, 126. Vgl. auch Jahr, Funktionsanalyse von Rechtsfiguren als Grundlage einer Begegnung von Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft, in; L. Raiser/'Sauermann/Schneider, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Politik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 33, Berlin 1964, S. 14, 16: Recht als »bindende Ordnung, als wirkende Struktur«. 45 L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz, S. 124, 126. 46 Vgl. L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz, S. 124, 128; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, Bielefeld, 1978, S. 201 ff.; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, Berlin 1992, S.36f. 47 Bei der Prüfung auf institutionellen Rechtsmißbrauch fragen Esser/Schmidt, Schuldrecht A T Teilband 1, 5. Aufl., Heidelberg/Karlsruhe 1976, S.49, u.a. nach der »Übereinstimmung des betr. Vorgehens mit den vorgeprägten Handlungsschemata, die etwa als tragende Grundsätze unserer Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsordnung die Leitlinien für jegliche individuelle Interessenwahrnehmung abgeben«. Vgl. auch Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S.207ff.; Mestmäcker, AcP 168, 225, für eine Orientierung »an der Interdependenz von Privatrechtsordnung und Wettbewerbssystem«.
38
2. Kapitel: Struktur
und Funktion
der
Willenserklärung
Personen und Sachen verbindet«. 48 Allerdings verlagert sich hier die Betrachtung der Struktur als »geschlossene(r) Form«, die »quasiontologisch als gedachte(s) Gebilde in der Welt vorhanden« ist, 49 wieder mehr auf die rein normative Seite. Von Bedeutung ist insofern, daß Behrends der Struktur als »objektiviert gedachtes Ordnungsmodell des Rechts« die Werte gegenüberstellt und diese damit in die Betrachtung der Institution einbezieht. 50 Diese Pole werden dabei mit der Unterscheidung Form/Inhalt in einem insoweit anderen Verständnis als bei Simitis gleichgesetzt. 51 Esser/Schmidt sprechen im Hinblick auf den Institutionsbegriff von »Verhaltensschemata, die als Strukturelemente der gesellschaftlichen Ordnung anerkannt werden«, und bezeichnen diese als »soziale Organisationsformen, deren juristische Ausprägung sich in den verschiedensten >Rechtsinstituten< niederschlägt«. 52 Uber die Gewinnung von immanenten Schranken hinaus ist zu fragen, ob dieser Institutionsbegriff nicht auch für die Erfassung der informationstechnischen Entwicklung fruchtbar gemacht werden kann. Wenn die Institution »Vertrag« eine Wertung eines sozialen Gebildes und eine Ordnung entsprechend dieser Wertung beinhaltet, so läßt sich auch fragen, welche Auswirkungen eine reale Veränderung dieses sozialen Gebildes für die Wertung und die entsprechende Ordnung haben kann. Es gilt also, Handlungsschemata und Beziehungsformen aufzudecken, die das Objekt rechtlicher Ordnung darstellen, und die im geltenden Recht enthaltenen Wertungen und die entsprechende Ordnung herauszuarbeiten. Die Frage könnte dann lauten, inwieweit veränderte Handlungsschemata Auswirkungen auf die bestehende rechtliche Ordnung und ihre Wertungen haben. Die Institutionenlehre beinhaltet eine Sichtweise des Verhältnisses von Recht und sozialer Wirklichkeit, die letztere nicht ausblendet, andererseits aber der Gefahr des Schlusses vom Sein auf das Sollen auszuweichen versucht. 53 Es kann deshalb auch nicht um die einseitige Übernahme sachlogischer Strukturen in das Recht gehen, 54 sondern nur um eine präzisere Analyse des Verhältnisses dieser 48
O. Behrends, Struktur und Wert. Zum institutionellen und prinzipiellen Denken im geltenden Recht, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Göttingen 1990, S.138, 154. 49 Behrends, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Göttingen 1990, S. 138, 155, 159. 50 Vgl. dazu aus soziologischer Sicht Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rethssoziologie, in: Lautmann/Maihofer/Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, Bielefeld 1970, S. 37,49, der zwischen » N o r m e n und Werten« einerseits, die selbst im R a h men einer soziologischen Funktionsanalyse als Funktionen anzusehen seien, und »Leitideen« andererseits differenziert, die erst Funktionen schaffen. 51 Vgl. Behrends, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Göttingen 1990, S. 138,152, der Struktur/Wert, Regel/Prinzip und form/substance syno n y m gebraucht. 52 Esser/Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 46. 53 Vgl. Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S.32ff., 43ff. 54 Vgl. A. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, M ü n c h e n 1970, S. 46. Zumindest mißverständlich insofern Melvin Aron Eisenberg, 36 Stan. L. Rev. 1107, 1109: »It is also
j j Vertrag, Vertragsrecht und
Vertragsfunktionen
39
analytisch zu trennenden Bereiche. 5 5 Erst dann stellt sich die Frage nach einer normativ geleiteten Anpassung rechtlicher Strukturen an veränderte Sachstrukturen. 5 6
II. Funktionen
des Vertrags
D i e funktionale Sichtweise soll im folgenden zur Verdeutlichung der Beziehung zwischen vertraglicher Kommunikation, rechtlicher U b e r f o r m u n g und technischer Entwicklung nutzbar gemacht werden. D e r Vertrag als zentrale Institution beinhaltet im typischen Fall die rechtsverbindliche Regelung der gegenseitigen Austauschbeziehung. Sein Abschluß ist der Vereinbarungsphase zuzuordnen, er enthält Regelungen, die die Abwicklungsphase betreffen, und er strahlt auf die Informationsphase aus. E r wird als Institution betrachtet, weil er rechtliche und tatsächliche Elemente in sich vereinigt. D e r Konsensualvertrag ist ein grundlegendes Element der arbeitsteilig ausdifferenzierten Marktwirtschaft. Vertragsfreiheit führt in einem funktionsfähigen Wettbewerbssystem zu einer effizienten Allokation. D e r Vertrag hat eine doppelte Funktion: einerseits dient er der Selbstbestimmung des Einzelnen und ermöglicht diesem, am Markt seine Präferenzen durchzusetzen und zu sichern. Andererseits dient er als elementarer Baustein der Wettbewerbsordnung der ökonomischen Ansporn-, Steuerungs- und Verteilungsfunktion des Leistungswettbewerbs. 5 7 Die Herausarbeitung der Vertragsfunktionen ist eine wichtige Grundlage für die B e stimmung wirksam werdender rechtlicher Wertungsprinzipien. U b e r den Mißbrauchsgedanken hinaus ermöglicht das institutionelle D e n k e n auch eine Ausrichtung der Voraussetzungen der Entfaltung der Wirkungen des Rechtsinstituts an dessen reibungslosem Funktionieren und lenkt damit den Blick auf die Funktionsvoraussetzungen. 5 8 A u c h wenn nicht generell von diesem A n satz und Funktionsverständnis ausgegangen wird, werden in der zivilrechtlichen Vertragslehre verschiedene Vertragsfunktionen diskutiert. 5 9 I m wesentlichen er-
clear that a behavioristic approach provides a completely unsuitable basis for contract law: Contract is a social institution before it is a legal institution, and the rules of contract law must respond to the social institution, not to autonomous legal conventions«. 55 Vgl. Nierwetberg, Rechtswissenschaftlicher Begriff und soziale Wirklichkeit, S. 169. 56 Mühl, in: Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, Tübingen 1974, S.S. 159, 180, weist auf den engen Zusammenhang mit den Argumenten aus der Natur der Sache, der Lehre vom Idealtypus und der Topik hin. 57 Vgl. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S.4Iff. 58 Vgl. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, Tübingen 1970, S.S.61. 59 Vgl.Jhering, Der Zweck im Recht, Band 1, Nachdruck 1970, S. 107f.; Kramer, Die »Krise« des liberalen Vertragsdenkens, München/Salzburg 1974, S. 35ff.; L. Raiser, JZ 1958,2,6; Mestmäkker, JZ 1964, 441, 443. Zur Institutionenlehre des französischen Rechts vgl. Arndt Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, München 1970, S.26ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, München 1982, S. 35f. m.w.N.
40
2. Kapitel:
Struktur
und Funktion
der
Willenserklärung
gibt sich dabei ein »dualistisches Funktionsmodell der freiheitlichen Vertragsordnung«. 60 Hopt nennt in bezug auf Privatautonomie die »Garantie der wirtschaftlichen Selbstverwirklichung des einzelnen Wirtschaftssubjekts (Systemteil)« auf der einen Seite, »ein zur Steuerung der Wirtschaft (System als Ganzes) eingesetzter und benutzter (Selbst-) Steuerungsmechanismus, der das Wirtschaftssystem von Detailsteuerung entlastet« auf der anderen Seite.61 Damit sind die Pole bezeichnet, zwischen denen sich die Diskussion um die Vertragsfunktionen bewegt. Die damit aufgeworfene Problematik des Verhältnisses von Privatrecht und Wirtschaftsrecht soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.
1. Selbstbestimmung Nahezu unumstritten ist die Funktion des Vertrags, die Gestaltung von Rechtsverhältnissen in Selbstbestimmung zu ermöglichen. 62 Die im Satz »stat pro ratione voluntas« zum Ausdruck kommende Anerkennung der »Selbstherrlichkeit« des einzelnen basiert auf der Privatautonomie als Teil der allgemeinen Selbstbestimmung. 63 Neben Zweckmäßigkeitsüberlegungen, nach denen der Einzelne seine Verhältnisse am besten zu überblicken und zu regeln vermöge, 64 wird die Privatautonomie in erster Linie als Ausdruck der Freiheit der Einzelpersönlichkeit von Bevormundung durch den Staat und Dritte bei der Regelung der eigenen Angelegenheiten angesehen. Als durch Art. 2 I G G geschützter Wert gehört sie durch den Bezug auf Persönlichkeit und Würde des Menschen zu den »tragenden Prinzipien unseres Rechts« 65 und weist insoweit funktionell einen »individualitätsbezogenen Sinngehalt« 66 auf. 60 Vgl. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 171, dessen funktionaler Ansatz auf die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsordnung bezogen ist, a.a.O., S. 86. 61 Vgl. Hopt, BB 1972, 1017, 1019. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 170f., nennt »einen umfassenderen Interessenausgleich, d.h. einen Ausgleich der wirtschaftlichen und der sonstigen. ..Interessen« auf individueller Ebene, die »Integration und Abstimmung ökonomischer Interessen« auf der überindividuellen Ebene, wobei letztere Koordinationsfunktion eine Betrachtung nicht des einzelnen Vertrages, sondern einer Vielzahl von Verträgen erforderlich macht. Steindorff, in: Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, S. 621, 627f., nennt eine aus der Zweckmäßigkeit resultierende Privatrechtsfunktion in der Instrumentierung der Freiheit im Wirtschaftsverkehr mit dem Mittel des Vertrags, der das Vertrauen auf das regelgerechte Verhalten der anderen Teilnehmer ermöglicht. Zum anderen spricht er Privatrecht eine »kanalisierende« oder »gestaltende« Ordnungsfunktion im Hinblick auf den wirtschaftlichen Verkehr zu. Vgl. ferner Baudenbacher, Z H R 144 (1980), 145, 151 f. 62 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Berlin/Heidelberg/New York 1975, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft, §1.5, S. 6ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.59f.; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, Wien u.a. 1967. S.122ff. 65 Vgl. auch BVerfG, N J W 1990, 1469, 1470. 64 Vgl. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 49; Ennecerus, Rechtsgeschäft, Bedingung, Anfangstermin, Marburg 1889; Hans-Martin Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen; (Amts- und Parteinichtigkeit von Rechtsgeschäften). Zum Verhältnis von Parteiwille und Rechtssatz im Bereich des § 139 BGB, Köln, Berlin 1968, S.222f. 65 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.20.
§3 Vertrag, Vertragsrecht
und
Vertragsfunktionen
41
Dies muß aber auch für den Vertragspartner gelten. Die Vertragsfreiheit hat daher die Aufgabe, über den Weg der vertraglichen Einigung die Entfaltung der Selbstbestimmung beider Parteien zu ermöglichen. Das darin liegende Erfordernis der Zustimmung des anderen Partners macht zugleich den »negativen (>abwehrende(n)deutenden< Bewußtsein«, 7 3 die Bedeutung für einen objektivierbaren Personenkreis. Die Geltungstheorie hat deutlich herausgearbeitet, daß an den auf rechtliche Wirkungen gerichteten Willen erst dann anzuknüpfen ist, wenn der Wille »zum Ereignis« geworden ist, das wiederum »nur als Akt der Kommunikation Sinn hat«. 74 Zugleich werde damit die vom Recht anerkannte Regelung in Geltung gesetzt. Vertragsverhandlungen, die zu einer inhaltlichen Ubereinstimmung geführt haben, führen erst mit zwei aufeinander bezogenen Akten des »Ich will hiermit« zu Verbindlichkeit und Vertragsschluß. 75 Larenz bringt als zusätzliches Erfordernis zur normativen Auslegung aus Empfängersicht das Erfordernis einer Zurechenbarkeit der Bedeutung an den Erklärenden ein, die auf der Verantwortlichkeit des Erklärenden für seine Erklärung be67
Leonhard, A c P 120 (1922), 14, 79. Leonhard, A c P 120 (1922), 14, 21. Weitere N a c h w e i s e zur A n n a h m e eines »Gesamttatbestandes« bei Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 128 Fußn. 52. 69 Vgl. M a n i g k , Irrtum und Auslegung, Berlin 1918, S. 193; M a n i g k , Willenserklärung und Willensgeschäft, S.454ff. 70 Vgl. Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S.201. 71 Vgl. Manigk, IheringsJ 75 (1925), S. 127, 215. 72 Larenz, M e t h o d e der Auslegung, S. 69. 73 Larenz, M e t h o d e der Auslegung, S. 71 f. 74 / . Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.47. 75 J. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.47, wobei er von einem »letzten Rest von Feierlichkeit« spricht. Demgegenüber sieht Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 161, dies als » F o r m a l a k t « an, der nicht ausschließt, daß bereits vorher durch Selbstbindung rechtliche Verpflichtungen entstanden sind. Damit verkennt er aber letztendlich die Erforderlichkeit rechtlicher Geltungsanordnung, die an den Tatbestand der » W i l l e n s e r k l ä r u n g « geknüpft ist, ein g r u n d legender Einwand gegen seinen Ansatz. 68
§ 4 Die dogmatische
Struktur der
Willenserklärung
67
ruhe. Maßgeblich ist die Bedeutung, die von dem Gegner der Erklärung »beigelegt werden kann und muß. Aber diese Verständnismöglichkeit des Gegners ist eben nur soweit zu berücksichtigen, als der Erklärende selbst mit ihr rechnen kann ... Dem Erklärenden zurechenbar ist vielmehr nur diejenige Bedeutung, von der er erwarten kann und muß, daß sie sein Gegner versteht - die Bedeutung, die der E r klärende selbst seinen Worten gerade mit Rücksicht auf das Verständnis des Empfängers beilegen darf. Diese Bedeutung ist unabhängig davon, wie der Erklärende seine Worte wirklich gemeint oder der Gegner sie verstanden hat«. 76 Allerdings soll bei der »falsa demonstratio« wiederum die wirkliche übereinstimmende Auffassung beider Partner ausschlaggebend sein, wobei der Widerspruch zu seiner Grundkonzeption durch den Hinweis auf Treu und Glauben nur verdeckt wird. 77 Dieser Widerspruch wird später von Larenz in einer Zweiphasigkeit der Auslegung aufgelöst. 78 Im Gegensatz zur Feststellung eines übereinstimmenden Willens ist die zweite Phase der normativen Auslegung »nicht mehr Tatsachenfeststellung, sondern rechtliche Wertung, ein normatives Urteil«. 7 9 Kramer hat dann den Dualismus bei der Auslegung von Rechtsgeschäften klar herausgearbeitet. 80 Nach § 133 B G B habe der Auslegende alle »äußeren« Indizien, das »Gesamtverhalten« für den »inneren« Erklärungswillen und das Verständnis des Empfängers heranzuziehen und festzustellen, ob ein »natürlicher« Konsens vorliegt. Letztlich ist auch eine solche Erforschung des »inneren« Willens eine nachträgliche Wertung äußerer Umstände im Hinblick auf einen wahrscheinlichen »inneren« Willen. 81 Ein solcher, den »Gesamttatbestand« einbeziehender »intentional-finaler Erklärungsbegriff« 8 2 kann auch die Zweigleisigkeit von ausdrücklicher und konkludenter Willenserklärung überwinden.
76 Larenz, Methode der Auslegung, S. 72. Vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil des B G B , § 16, 3, S. 311; Bickel, Die Methoden der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen, Marburg 1976, S. 153; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, Berlin 1939, S. 96f., wonach sich der Erklärende gegenüber dem Partner »verkehrsmäßig richtig« verhalten müsse, »dh. seinem Willen zureichenden Ausdruck geben«; der Empfänger dürfe sich aber nicht auf den »äußeren Schein der Erklärung schlechthin verlassen«, nur »verkehrsmäßig begründetes, pflichtmäßig gewonnenes Vertrauen« werde geschützt und »nur der so bedingte Inhalt des Vertrauens« sei dann dem Erklärenden zurechenbar. Gegen das Erfordernis der Zurechenbarkeit auch für den Erklärenden Wieser, AcP 184 (1984), 40ff. 77 Vgl. Larenz, Methode der Auslegung, S.78f. Vgl. dazu Wieacker, J Z 1967, 385, 389. 78 Vgl. Larenz, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1980, §19 II. 79 Larenz, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1980, S. 308. Vgl. auch Bartholomeyczik, in: Festschrift für Hans G. Ficker, Frankfurt/Berlin 1967, S.51,55f.\Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.10. 80 Vgl. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 141 ff. Vgl. auch J. Himmelschein, Beiträge zur Lehre vom Rechtsgeschäft, Mannheim 1930, 27f. 81 Vgl. Rhode, Die Willenserklärung und der Pflichtgedanke im Rechtsverkehr, 1938, S. 32; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 321 ff. 82 Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 142 m.w.N. Vgl. Rhode, Die Willenserklärung und der Pflichtgedanke im Rechtsverkehr, S.39, wonach unter »Erklärung ... das ganze Verhalten des Erklärenden, ein umfassender, lebensvoller Gesamttatbestand zu verstehen (ist), dessen Abgrenzung sich erst aus der pflichtgemäßen Wertung des Empfängers ergibt«.
68
2. Kapitel: Struktur und Funktion
der
Willenserklärung
Erst der »Gesamttatbestand der Erklärung« ist für Kramer der »juristisch relevante Wille«, 83 da ein Wille nicht beweisbar sei, wenn er in der Erklärung nicht erkennbar sei. Damit wendet er sich auch gegen ein psychologisches Verständnis des Willens, wie es etwa von Zitelmann zugrunde gelegt wurde, nach dem sich das Recht von der Psychologie den Begriff des Willens vorgeben lassen müsse. 84 Demgegenüber hebt Kramer hervor, das Recht habe eine andere Funktion, und zitiert dazu Windscheids Feststellung, daß »das Wollen als innerer Seelenzustand ... dem Rechte gleichgültig ist. Es ist dem Rechte gleichgültig nicht bloß deswegen, weil das Recht keine Kunde von demselben hat, sondern deswegen, weil seine Qualität ihm nicht genügt«. 85 Der Psychologe hat danach ein anderes Erkenntnisinteresse, während der Jurist bei der Suche nach dem »Willen« bereits die Kategorien Rechtsgeschäft und Vertrag zugrunde lege. 86 Der damit verbundenen »Objektivierung« des »inneren« Willens und seiner Bestimmung durch eine Wertung wird man aber nur begrenzt folgen können, unabhängig davon, ob man sich bei der Bestimmung des Instrumentariums der Psychologie bedient. Vielmehr sind zwei Aspekte auseinanderzuhalten: die Frage der Beweisbarkeit des Willens einerseits und die Frage, ob ein »Wille« erst rechtliche Relevanz erlangt, wenn er irgendwie nach außen hervorgetreten ist. Bei Kramer wird nicht klar, an welcher Art Willen er im Fall des »natürlichen Konsenses« anknüpft, zumal er die Lehre vom unvollkommenen Ausdruck ablehnt. 87 Die Grundsätze der »falsa demonstratio« und die Rechtsprechung dazu ebenso wie die rechtliche Beurteilung des »Irrtums« als Auseinanderfallen von Wille und Erklärung deuten darauf hin, daß nicht immer eine Erkennbarkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Relevanz des Willens maßgeblich ist. Entsprechend behält der »innere« Wille als »psychische Tatsache« seine theoretische und auch seine praktische Relevanz zumindest, solange er sich ermitteln läßt. 88 SiKramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 143. Vgl. Xitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 19. 85 Windscheid, AcP 63 (1880), 72, 76. Vgl. ferner H. Isay, JhJb 44 (1902), S.60; Kellmann, JuS 1971, 609, 611 ; Fiume, Allgemeiner Teil des B G B , § 4, 5, S. 52; Brehmer, Wille und Erklärung, Baden-Baden 1992, S. 63. Vgl. auch R G Z 67,431,433; R G Z 131,343,350. Gegen die Annahme einer »inneren Willensübereinstimmung« ohne Kommunikation auch A. Säcker, Irrtum über den Erklärungsinhalt, Frankfurt/Bern/New York 1985, S.41, Fußn.13, 14, so daß ein an §§133, 157 B G B anknüpfender Gegensatz zwischen subjektiver und objektiver Auslegung nicht bestehe. 86 Vgl./. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S.25f. mit weiterer Kritik an Zitelmanns Ansatz. 87 Vgl. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 140. 88 Vgl. MünchKomm-Mayer-Maly, § 133 Rdnr. 12ff.; Fabricius, JuS 1966, 1, 7; MünchKommSäcker, Einl. Rdnr. 151: »vom Recht vorgefundenen, empirisch mit den Mitteln der Psychologie nachweisbaren anthropologischen Grundtatbestand, nämlich dem empirisch-realen, psychischen Willen des zu sich selbst Stellung nehmenden und sich in seiner Subjektivität erlebenden Menschen« . Vgl. auch Wieser, JZ 1985,407,409, der von »empirischer Auslegung« spricht; Fiume, Allgemeiner Teil des B G B , § 16, 1, in bezug auf das »tatsächliche Verständnis« als »subjektives Faktum«. Vgl. ferner Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.310ff. Vgl. ferner B G H N J W 1984, 721; B G H J Z 1984, 709, wonach der Tatrichter bei einer Testamentsauslegung den »tatsächlich vorhandenen, wirklichen Willen« zu erforschen habe, mit kritischer Anmerkung Leipold, J Z 83
84
5 4 Die dogmatische
Struktur der
Willenserklärung
69
cherlich beinhaltet auch die Ermittlung der für den Erklärungstatbestand maßgeblichen Umstände eine Wertung. 89 Vor allem bei der nachträglichen Ermittlung herangezogene Umstände können aber auch weiter sein als der dem Erklärungsempfänger erkennbare »Gesamttatbestand«, so daß der zu ermittelnde »innere« Wille nicht deckungsgleich sein muß mit dem aus Empfängerperspektive in der Erklärung hervorgetretenen Willen. 90 Versteht der Empfänger die Erklärung trotzdem so, wie der Erklärende sie gemeint hat, obwohl ein übereinstimmender Wille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Inhalt der Erklärung keinen Ausdruck gefunden hat, so besteht auch in diesem Falle keine Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes, so daß das übereinstimmend Gewollte gelten muß. 91 Auch die normative Auslegung knüpft an einen psychologischen Willen an, nur ist dieser hier als Element des objektiven Tatbestands angesprochen. Also nicht dessen tatsächliches Vorliegen beim Erklärenden, sondern der Anschein des Vorliegens aus Sicht des Empfängers ist dann maßgeblich. Maßgeblich sind dann die dem Empfänger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbaren Umstände. 9 2 Dieser Perspektivenwechsel ist aber Ausdruck rechtlicher Wertung bei der Risikoverteilung. 93 Damit steht nicht im Widerspruch, daß es sich bei der Willenserklärung um einen durch Auslegung zu ermittelnden Rechtsbegriff handelt. 94 Denn auch diese Meinung bestimmt nicht, welcher Art, wenn nicht psychologisch, der maßgebliche Rechtsfolgewille beschaffen sein soll. Auch läßt sich dies nicht aus einem Gegensatz zwischen einem inneren und einem nach außen gerichteten Willen begründen. 95 Vielmehr ist zur Herstellung einer rechtlichen Beziehung ein Kommunikationsprozeß notwendig, was den Kern der Auffassung der Willenserklärung als »Sozialakt« ausmacht. Auch der »objektive« Erklärungswert, der »objektivierte Wille« bezieht sich ja auf einen (inneren) Geschäftswillen, nur daß bei den Fällen der normativen Auslegung ein Fehler im Kommunikationsprozeß vorliegt.
1984, 712, wonach der »in der Erklärung zum Ausdruck kommende Wille« maßgeblich sei, was eine rechtliche Bewertung und damit einem Parteiengeständnis nicht zugänglich sei. 89 Vgl. Soergel-Hefermehl, Rdnr. 18 vor § 116. 90 Vgl. auch B G H N J W 1984, 721; B G H N J W 1988,2878,2879; B G H N J W 1992,2489; B G H N J W 1990,1655,1656, für einen Fall des § 151 B G B , bei dem auf den »Standpunkt eines unbeteiligten, objektiven Dritten« und alle äußeren Indizien abzustellen sei. 91 Vgl. B G H N J W 1988, 721; st. Rspr., vgl. B G H Z 20, 110; B G H Z 71, 247; B G H N J W 1996, 1679; B G H N J W 1998, 746, 747. Vgl. für das amerikanische Vertragsrecht auch Randy E. Barnett, A Consent Theory of Contract, 86 Col. L. Rev. 269, 305-308 (1986). 92 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 133 Rdnr. 9. 93 Vgl. MünchKomm-&ic&er, Einleitung Rdnr. 145, zu den drei Alternativen bei der Risikoverteilung. 94 So aber Soergel-Hefermehl, Rdnr. 16 vor §116. Staudinger-Dilcher, Vorbem. 3 zu § § 1 1 6 144, will ebenfalls den Begriff der Willenserklärung freihalten von psychologischen Auffassungen über den menschlichen Willen, gesteht allerdings auch ein Zurückgreifen auf den »psychologisch feststellbaren Willen« zu, allerdings »nur unter rechtserheblichen Aspekten«. 95 So Soergel-Hefermehl, Rdnr. 7 vor § 116.
70
2. Kapitel: Struktur und Funktion
der
Willenserklärung
Vielmehr ist der Wille als Ergebnis einer empirisch-psychologischen Betrachtung zu ergänzen um eine funktionale Betrachtung, wonach der Wille »als Ausfluß und Ergebnis einer privatautonomen Entscheidung verstanden werden muß, deren Umsetzung in rechtlich bindende Folgen die Willenserklärung dient«. 96 Damit sind sowohl der empirisch-psychologische Anknüpfungspunkt, als auch die rechtliche Wertung unter Gesichtspunkten von Privatautonomie und Selbstbestimmung berücksichtigt. Bereits Savigny sah in der Willenserklärung nicht die Mitteilung eines psychischen Faktums, sondern Wille und Erklärung »schon ihrem Wesen nach als verbunden« an, die Willenserklärung als »Offenbarung« des Willens, »wodurch das innere Ereignis des Wollens in die sichtbare Welt als Erscheinung eintritt«. 97 Dies kommt auch bei Windscheid zum Ausdruck: »Die Willenserklärung ist ... Mitteilung ... von einem in ihr enthaltenen, nicht von einem vergangenen, sondern von einem gegenwärtigen Willen. Sie ist daher mehr als Mitteilung des Willens, sie ist der Ausdruck des Willens. Sie ist der Wille in seiner sinnfälligen Erscheinung. In der Willenserklärung wird nicht bloß der auf der Setzung der sinnlich wahrnehmbaren Zeichen gerichtete Wille verwirklicht, sondern zugleich der auf die Hervorbringung der rechtlichen Wirkungen gerichtete Wille«. 98 Das Abstellen auf den »inneren Willen« ist für den Fall der »falsa demonstratio« Ausdruck der Wertung, daß Vertrauensschutz nicht erforderlich ist. 99 Erst wenn kein »natürlicher Konsens« feststellbar sei, ist der nach § 133 B G B »empirisch gefundene Erklärungssachverhalt« im Rahmen von §157 B G B »normativ-individualisierend« vom Empfängerhorizont und vom Standpunkt des Erklärenden aus zu prüfen. 100 Maßgeblich ist die Bedeutung, die ihr nicht ein unbeteiligter Dritter, sondern »der jeweilige aufmerksame Vertragspartner bei pflichtgemäßer Auslegung« 101 zumessen mußte, wobei Kramer auch auf den Heckschen Begriff der »Deutungsdiligenz« 102 verweist. Danach ist eine wie immer zu bestimmende »objektive« Bedeutung nicht für den Vertragsinhalt maßgebend. Larenz bringt dies zum Ausdruck, wenn er die »generelle« objektive Bedeutung, die in der jeweiligen Sprachgemeinschaft herrscht, von der »spezielleren« objektiven Bedeutung als
% Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §24 Rdnr. 12. Die Notwendigkeit der Anknüpfung an die außerrechtliche Realität spricht auch gegen das Konzept des »vernünftigen Willens«, das Pawlowski in Zusammenfassung von Willen und Verantwortung entworfen hat, vgl. Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, Göttingen 1966, S.232ff.; dazu auch MünchKomm-.Sijic&er, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 150ff. 97 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III, S. 237, 258. 98 Windscheid, AcP 63 (1880), 72, 77. Vgl. auch Flame, Allgemeiner Teil des B G B , § 4,4; Lüderitz , Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 314. 99 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S.39. 100 Dabei kommt sowohl der Fall, daß der Erklärende sich im Irrtum über die »objektive« Bedeutung seiner Erklärung befindet, als auch der Fall in Betracht, daß der Empfänger die eindeutige Erklärung mißversteht und daraufhin selbst eine Erklärung abgibt, über deren »objektive« Bedeutung er irrt, vgl. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 176f. 101 Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 145. 102 Heck, AcP 112 (1914), 1, 43.
§4 Die dogmatische
Struktur der
Willenserklärung
71
landesübliche, ortsübliche bis hin zu einer nur zwischen zwei Personen vereinbarten, als verdrängt ansieht. 103 Im Anschluß an Max Weber hat bereits Alfred Schütz herausgearbeitet, daß es eine »objektive« Bedeutung letztlich nicht geben kann. Danach verbindet jeder mit einem verwendeten Zeichen einen besonderen subjektiven Sinn, »der seinen Ursprung in dem besonderen Wie der erfahrenden Akte hat, in denen es sich für ihn in der Weise des Vorwissens konstituierte. Dieser Hintersinn oder Nebensinn umkleidet den objektiven Sinn des Zeichens als identischen Kern«. 1 0 4 Zu dem »subjektiven« Sinn tritt die »okkasionelle Bedeutung«, die sich aus dem »Gesamtzusammenhang meiner Erfahrung im Zeitpunkt des Deutens« 1 0 5 konstituiert und somit auf die Wichtigkeit von Umständen und Situation verweist. Die Erfahrung des objektiven Sinns bleibe ein Postulat, die subjektive und okkasionelle Komponente »mit möglichster Deutlichkeit und Klarheit vermittels rationaler Begriffsbildung« zu explizieren: »Die Rede ist >präzisDurch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklärungen, S. 83 ff. Allgemein zur Blanketterklärung Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 9ff. 172 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, §43, 5, S. 760f., der eine solche Rechtsfigur als überflüssig bezeichnet. Zur Einordnung des Handelns unter fremdem Namen vgl. ders., § 44 IV, S. 778. 173 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, § 1, 2, S.2; Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 140ff. 174 Vgl Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 139ff.
134
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
durch die Zustimmung des Betroffenen gerechtfertigt. 175 Funktional kann das O f fenkundigkeitsprinzip nur soweit reichen, wie der Geschäftspartner die auf der anderen Seite handelnden Personen im Hinblick auf den Inhalt der Regelung kennen muß, also soweit, wie die Einschaltung von Hilfspersonen erhöhte Unwirksamkeitsrisiken mit sich bringt. 176 Die Blanketterklärung wird als atypische Form des rechtsgeschäftlichen Handelns angesehen, weil sie eine Diskrepanz zwischen Form und Funktion aufweist. 177 Von der Funktion her rechtsgeschäftliches Handeln des Blankettnehmers, vollzieht sich dieses in einer Form, die eigentlich vom Gesetz für ein eigenbestimmtes Handeln des Unterzeichnenden vorgesehen ist. Ein methodischer Weg, um diese atypische Arbeitsteilung rechtlich zu erfassen, ist dann die typologische Methode, die das Blankett im Hinblick auf gesetzlich geregelte Rechtsformen als »Zwischenform« begreift. 178 Die Blanketterklärung unterscheidet sich von der bloßen Mitwirkung einer anderen Person bei der Abfassung eines Textes vor Leisten der Unterschrift dadurch, daß hier die Unterschrift selbst als der Akt, der im Rechtsverkehr als entscheidend für die Bestimmung der Erklärungshandlung angesehen wird, vor der Anfertigung der Erklärung geleistet wird, und diese nicht mehr der unmittelbaren Kontrolle und Entscheidung des Ausstellers unterliegt. Der Blankettnehmer erhält eine eigenständige Befugnis zur Rechtsgestaltung in der Rechtssphäre des Ausstellers. Von der Botenschaft unterscheidet sich diese Form der Arbeitsteilung durch die eigene Gestaltungsmöglichkeit. Andererseits tritt der Blankettnehmer nach außen wie ein Bote auf, und wenn man die Einordnung nach dem äußeren Erklärungsverhalten vornimmt, dann liegt eine entsprechende Einordnung nahe. 179 Es gibt aber auch Fälle, in denen der Blankettnehmer überhaupt nicht nach außen in Erscheinung tritt, andererseits kann die Ausfüllung auch in Anwesenheit des Erklärungsempfängers erfolgen. Man kann also einerseits nicht nur auf den äußeren Anschein abstellen. 180 Andererseits gibt es aber auch vielfältige Formen der Blanketterklärung, bis hin zu dem Fall, in dem die Sekretärin nur den vollständig vordiktierten Text einzusetzen hat. Diese Bandbreite spricht dafür, einzelfallbezogen Boten- und Vertretungsrecht in Betracht zu ziehen. 181 175 Vgl. Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 146; Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 26. 176 Vgl. auch Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S.204. 177 Vgl. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 9ff. 178 Vgl. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 8, unter Bezugnahme auf Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 188ff. 179 Vgl. ValznAt-Heinrichs, §§170-173 Anm.3d. iso Vgl. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 12f.; 21f., der wegen des Grundsatzes der Selbstbestimmung von einem Vorrang der Funktion vor der Form ausgeht und insoweit vorrangig zur Anwendung des Stellvertretungsrechts kommt. 181 Vgl. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S.21f.; G. Müller, AcP 181 (1981) 515, 518ff.
5-5 Computereinsatz
als Problem
der Zurechnung
in einem soziotechnischen
System
135
Vom äußeren Handlungsablauf her gibt es Übereinstimmungen zwischen Blankett und Computererklärung. Es handelt sich jeweils um zeitlich aufeinanderfolgende Teilhandlungen bzw. -Operationen, wobei die zeitlich abschließenden Phasen dem Blankettnehmer bzw. der EDV-Anlage überlassen werden. Der Blankettnehmer hat zunächst eine dem Blankettgeber völlig untergeordnete Stellung: er handelt innerhalb des vom Blankettgeber abgesteckten Rahmen, die Erklärung ist vom Partner als eine solche des Blankettgebers aufzufassen. Spricht dies eher für die Anwendung der Regelungen über die Botenschaft, so unterscheidet sie sich von dieser durch die eigenständige Formulierung der Erklärung durch den Blankettnehmer, während der Bote lediglich eine bereits fertige Erklärung überbringt. Die Tätigkeit des Blankettnehmers betrifft sowohl die Phase der Willensbildung als auch der Erklärung. Dessen untergeordnete Position hat aber teilweise zu einer Bewertung als Handeln im rein tatsächlichen Bereich geführt. 182 Darauf aufbauend ist dann eine Gleichbehandlung der Computererklärung befürwortet worden. 1 8 3 Bei tatsächlichem Einsatz bei der Formulierung des Erklärungsinhalts ergebe sich kein Unterschied zwischen dem Einsatz eines Erklärungsgehilfen oder einer Datenverarbeitungsanlage als Erklärungswerkzeug. Dem Anlagenbetreiber obliege die Entscheidung über das » O b « einer Erklärung und die Festlegung der Rahmenbedingungen, die Anlage führt die Inhaltsbestimmung durch. 184 Letztlich soll dann ein nur genereller Willen, eine resultierende Erklärung als eigene gelten zu lassen, ausreichen. 185 Dies wird gegenüber der Blanketterklärung als noch unproblematischer angesehen, da bei einer EDV-Anlage eine größere Beherrschbarkeit vorliege. 186 Gegen diese Ansicht spricht aber bereits, daß eine Bewertung des Handlungsanteils des Blankettnehmers als Handeln im rein tatsächlichen Bereich nicht haltbar ist. Dies zeigt bereits ein Blick auf die verschiedenen, zur Rechtsnatur der Ausfüllungsbefugnis vertretenen Theorien, die bis hin zur Annahme eines Gestaltungsrechts reichen und auch die Notwendigkeit der Geschäftsfähigkeit einschließen. 187
Vgl. Viebcke, »Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklärungen, S. 88. Vgl. Viebcke, »Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklärungen, S. 91 f. Ihm folgend Redeker, N J W 1984,2390, 2392; Köhler, AcP 182 (1982), 126,134; Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 52ff.; Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, Diss. Köln 1986, S. 18; Brehm, in: Festschrift für Niederländer, S.233, 235; Staudinger-Dilcher, Vorbem. zu §§116-144 Rdnr. 6: »berechtigte(r) Maschinenbenutzer« als Erklärender im Rechtssinne. 184 Vgl Viebcke, »Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklärungen, S. 47, der insoweit von einer »Aufspaltung der Willensbildung« in zwei Komponenten spricht. las Ygi Viebcke, »Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklärungen, S.88f. Für die Blanketterklärung vgl. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 87. 186 Vgl. Redeker, N J W 1984, 2390, 2392. 187 Vgl. die Nachweise bei Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 30ff. Zur Einordnung als der Vertretungs- und Verfügungsmacht »verwandtes Institut« Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 56. Vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil des B G B , §15 II 1 d), S.253f. 182
183
136
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
Demgegenüber ist betont worden, daß unter funktionalen Gesichtspunkten der Einsatz der EDV-Anlage der des Erklärungsgehilfen gleiche. 188 Auch würden die DV-Anlagen nur in Bereichen eingesetzt, die nach rein logischen Gesichtspunkten zu bearbeiten seien, so daß keine Wertungen erforderlich würden. In diesen Bereichen würde auch ein menschlicher Bearbeiter nicht andersartige Denkprozesse durchführen, und diese fänden im Programm ihre Entsprechung. 189 Dabei sind aber die Grenzen einer Vergleichbarkeit der Arbeitsteilung Mensch/ Mensch einerseits und Mensch/Maschine andererseits zu wenig beachtet. Unter rein funktionalen Gesichtspunkten läßt sich die wertungsmäßig bestehende Schwelle zwischen Mensch und Maschine nicht überspringen. Die in § 165 BGB enthaltene Anforderung mindestens beschränkter Geschäftsfähigkeit des Vertreters 190 ist Ausdruck der Repräsentationstheorie, nach der der Vertreter der rechtsgeschäftlich Handelnde ist, auch wenn die entstehende Regelung dem Vertretenen zugerechnet wird. Dies gilt in gleicher Weise für die Regelung des §166 Abs. 1 BGB, wonach rechtstechnisch im Rahmen der Arbeitsteilung Abschluß und Inhalt des konkreten Rechtsgeschäfts allein von Bewußtseinslage, Willensbildung und Erklärung des Vertreters abhängen. 191 Das gesetzliche Modell setzt insofern ein eigenverantwortlich handelndes Subjekt voraus, das sich freiwillig an bestehende Vorgaben des Vertretenen hält. Die Rolle des Vertreters in diesem Modell ist nicht mit dem programmgesteuerten EDV-Einsatz bei der Erklärungserstellung vergleichbar. Der durch die Begriffe Handlung und Operation gekennzeichnete Unterschied zwischen menschlichem Handeln und Technikeinsatz muß auch bei der rechtlichen Bewertung beachtet werden, bei der es um Voraussetzungen und Folgen eigenverantwortlichen rechtlichen Handelns geht. Es bedarf daher den Besonderheiten des Technikeinsatzes angepaßter Zurechnungskriterien. 3. Zwischenbilanz Eine auf Phasen der Willenserklärung bezogene Betrachtung ergibt, daß die Automatisierung über die Erklärungsphase hinaus immer stärker »rückwärts« in die 188 Vgl. Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 56. 189 Vgl. Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 57: »Der menschliche Wille erhält durch das Programm also einen vom Menschen abgelösten substantiellen Träger. Das Programm entspricht damit dem Willen, während die Daten Bezugspunkte der Erklärung sind.« Er spricht hier auch von einem »im Programm selbständig gewordenen Willen«. Vgl. demgegenüber Paefgen, JuS 1988, 592,593, der der Maschine ein entsprechendes »Maß an intellektueller Selbständigkeit« abspricht. 1,0 Möschel, AcP 186 (1986), 187, 196, mit dem Hinweis, daß mindestens beschränkte Geschäftsfähigkeit zu fordern sei. Entgegen dem Zitat von Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 58 Fußn. 52, wird dies auch von Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 54f., für den Ausfüllenden beim Blankett betont. Vgl. ferner, Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 52 Fußn. 87; Zuther, Die Auswirkungen der Rationalisierung im Rechtsverkehr, S. 106. 191 Vgl. MünchKomm-Schramm, §166 Rdn.2.
§5 Computereinsatz
als Problem der Zurechnung
in einem soziotechnischen
System
137
Phase der Willensbildung vordringt. Damit läßt sich ein konkreter Wille des menschlichen Anlagenbetreibers, also desjenigen, der die EDV-Anlage zur Erstellung rechtsgeschäftlicher Erklärungen einsetzt, oder seines Gehilfen, dessen Wille dem Anlagenbetreiber nach allgemeinen Grundsätzen zurechenbar ist,192 im Sinne des herkömmlichen Modells immer weniger feststellen. Vielmehr verbleibt ein allgemeiner Handlungswille, ein allgemeiner Geschäftswille und ein allgemeines Erklärungsbewußtsein verbunden mit dem Setzen der organisatorisch-technischen Rahmenbedingungen für die weitere Durchführung des Erklärungsvorgangs. a)
Willensabstraktion
Ein solches »globales« bzw. »Eventualbewußtsein« beinhaltet das Bewußtsein von der rechtlichen Relevanz der Rechneroperationen sowie das »abstrakte« Verarbeitungsprogramm, die »abstrakt« zur Verarbeitung ausgewählten Parameter, den Kreis der potentiellen Erklärungsempfänger und den schuldrechtlichen Typus, auf den sich die zukünftigen Erklärungen richten, verbunden mit einer Antizipation der späteren Erklärungen. 193 Ob ein solcher »Intensitätsverlust« an Bewußtsein gegenüber dem Volltatbestand der Willenserklärung ausreichen soll, ist aber eine Frage rechtlicher Bewertung. Mag man auf dem Boden der bereits im BGB anerkannten Formen der Arbeitsteilung bei Erklärungsabgabe auch atypische Formen der Arbeitsteilung zwischen natürlichen Funktionsträgern anerkennen, so lassen sich die dafür maßgeblichen Erwägungen nicht ohne weiteres auf die andersartige funktionelle Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine übertragen. Die Versuche, die Problemstellung durch eine Gleichstellung menschlicher und automatisierter Informationsverarbeitung oder durch Zuordnung eines irgendwie gearteten »Willens« zur Maschine gerecht zu bewältigen, werden den der Willenserklärung als rechtsgeschäftlichem Handlungsinstrument zugrundeliegenden Wertungen nicht gerecht. Ebensowenig werden die Besonderheiten technischer Informationsverarbeitung durch eine Vernachlässigung des technisierten Kommunikationsanteils unter rechtlichen Gesichtspunkten angemessen verarbeitet. Die herrschende Meinung gründet die Zurechnung auf einen allgemeinen Willen des Betreibers, wonach es für die Annahme einer Willenserklärung genügen soll, wenn der Anlagenbetreiber die Verantwortung trägt und sich die Ergebnisse als eigene Erklärung zurechnen lassen will. 194 Dahinter steht die Auffassung, daß der BeVgl. dazu Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 148f. Vgl. Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 52-55. 194 Vgl. Köhler, A c P 182 (1982), 126, 134; Viehcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene* Willenserklärungen, S. 92; Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 55. Letztlich für die fehlerfreie Willenserklärung auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 72; Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), H a n d b u c h Multimedia-Recht, Kap. 13.1 Rdnr. 42-44; Dörner, A c P 202 (202), 363, 365 g.; Taupitz/Kritter, J u S 1999, 839, 840; Hübner, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 667; Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 256; M ü n c h K o m m - S « & ker, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 164. 192
193
138
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
treiber zur Zeit der Programmierung noch nicht weiß, wann es zu welchen rechtsgeschäftlichen Kontakten kommt, er aber trotzdem den allgemeinen Willen hat, Verträge zu schließen. Mittels der Programmierung kann er alle denkbaren Fälle und die eigene Reaktion darauf durch Bearbeitungsregeln festlegen und als Möglichkeit abspeichern. 195 Wird auf diesem Hintergrund die Anlage willentlich in Betrieb genommen und hat der Betreiber den allgemeinen Willen, sich die Ergebnisse als eigene zurechnen zu lassen, so soll dies in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen der Privatautonomie für die Annahme einer Willenserklärung ausreichen. 196 b)
Grenzen
Nun ist für das herkömmliche Konzept der Willenserklärung die Möglichkeit der Abstraktion von einem konkreten Willen des Erklärenden in verschiedener Hinsicht anerkannt. Die Rechtsprechung hat die Anforderungen an die Willenserklärung als Regelung, also an den Vertragsinhalt, immer stärker gelockert, und läßt insoweit Bestimmbarkeit ausreichen. 197 Damit sind bestimmte Punkte einer konkreten Erklärung zu einem gewissen Grade offengelassen, die Willenserklärung als Akt wird aber vorgenommen. 198 Im Unterschied dazu ist die automatisierte Willenserklärung mit Abschluß des menschlichen Handlungsanteils noch nicht vollständig und somit auch die offengelassenen Elemente nicht bestimmbar. Vielmehr erfolgt die Konkretisierung erst durch den technischen Anteil, und bei Auftreten von Fehlern ist der Inhalt der Erklärung möglicherweise ein anderer als vorausgesehen. Auch lassen die §§315ff. BGB zwar Raum für eine arbeitsteilige Erstellung, das Bestimmungsrecht ist aber auf menschliches Handeln zugeschnitten, das die Ausübung eines Ermessens zu einem Zeitpunkt nach Vertragsschluß beinhaltet. Damit ist der automatisierte Erklärungsanteil der automatisierten Willenserklärung nicht vergleichbar. Auch für die Figur der antizipierten Erklärung gilt nichts anderes. Die Erklärung wird bereits jetzt abgegeben, ihre Wirkung ist aber von einem zukünftigen Ereignis abhängig. So geht es etwa beim antizipierten Besitzkonstitut und der Globalzession vor allem um Fragen der Bestimmtheit im Hinblick auf zukünftig entstehende Forderungen und Eigentumsrechte. 199 Der Erklärungsakt wird aber vollständig vom Erklärenden aktuell abgegeben. Dies gilt auch für die aufschiebende Bedingung gem. § 158 Abs. 1 BGB, bei der nur die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen Ereignis abhängig gemacht wird. Davon unterscheidet sich die automatisierte Willenserklärung durch eine zeitliche Streckung dergestalt, daß die Erklärungsabgabe nicht von einem aktuellen und Vgl. auch Georg Schneider, Die Geschäftsbeziehungen der Banken, S. 67f. So die in Fußn. 194 genannten Autoren. 197 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 145 Rdnr. 1, §241 Rdnr. 2, §315 Rdnr. 1; MünchKomm-Kramer, § 145 Rdnr. 4, jew. m.w.Nachw. 198 Zur Unterscheidung der Willenserklärung als Akt und als Regelung vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, §6 1. 199 Vgl. Palandt-Heinrichs, §398 Rdnr. 11 ff., §930 Rdnr. 9f. 1,5
196
§5 Computereinsatz
als Problem
der Zurechnung
in einem soziotechnischen
System
139
konkreten Willen des »Erklärenden« begleitet ist. Der konkrete Wille richtet sich vielmehr nur auf die Rahmenbedingungen und auf auf das Funktionieren der Technik gegründete Erwartungen über den Ablauf des Erklärungsvorgangs. Die für die Computererklärung angenommene Willensabstraktion spiegelt zwar die Veränderungen der realen Abläufe wider, kann aber innerhalb des herkömmlichen Modells der Willenserklärung nicht problemlos verarbeitet werden. Die Zugrundelegung eines rein abstrakten Willens stellt im Hinblick auf einen psychologisch ausgerichteten Willensbegriff eine Fiktion dar. Läßt man dagegen normativ einen solchen abstrakten Willensbegriff für den Tatbestand einer Willenserklärung ausreichen, so bedeutet das angesichts der funktionalen Bedeutung des subjektiven Tatbestands eine veränderte Konzeption, die zu erörtern ist. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Willensbegriff von seiner psychologischen Fundierung im menschlichen Entscheidungsprozeß zu lösen und um maschinelle Informationsverarbeitung zu erweitern. 200 Darin liegt aber zunächst nichts anderes als eine Problemformulierung. Es muß darum gehen, den technischen Anteil am rechtsgeschäftlich relevanten Kommunikationsprozeß rechtlich angemessen zu integrieren. Das dogmatische Modell der Willenserklärung einschließlich der auf einen konkreten Willen bezogenen subjektiven Elemente ist Ausdruck der Lösung der beim rechtsgeschäftlichen Kommunikationsprozeß bestehenden
Interessenkonflikte
und der dabei vorgenommenen Wertungen, und es hat im Gesetz in den §§ 104 ff. B G B Niederschlag gefunden. Will man für die elektronische Willenserklärung, die wie dargestellt in verschiedener Weise über die bisher anerkannten Ausnahmefälle einer Abstraktion hinausgeht, generell eine Abstraktion als Grundlage für einen immer wichtiger werdenden Teilbereich rechtsgeschäftlicher Erklärungen ausreichen lassen, führt dies zu einer Überdehnung des Konzepts der Willenserklärung, die den Willen als Geltungsgrund zu einer leeren Hülse werden läßt und damit auch dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht gerecht wird. Darüber hinaus vernachlässigt eine solche Willensabstraktion, daß anders als etwa bei der antizipierten Erklärung, zwischen Abschluß des menschlichen Handlungsanteils und Erklärungsabgabe die technischen Operationen treten, die eine neue Risikostruktur beinhalten. Diese gegenüber menschlichen Handeln andersartige Risikostruktur muß durch angemessene Kriterien rechtlich verarbeitet werden. Es bleibt zu prüfen, inwieweit dies im Rahmen der herkömmlichen Konzeption der Willenserklärung durchführbar ist.
200
Vgl. Luhmann,
Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966, S. 33.
§ 6 Elektronische Willenserklärung als Frage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip Man muß sich vergegenwärtigen, daß es beim Konzept der Willenserklärung im Ausgangspunkt um einen »Zweckbegriff« geht, »dessen Funktion sich einheitlich auch dahin formulieren ließe, die vorherrschenden kommunikativen Bedürfnisse des Rechtsverkehrs einer Gesellschaft zu erfassen«. 1 Die Struktur der Willenserklärung ist damit dynamisch auf die jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bezogen. Ihre funktional bestimmte Anpassung kann den Interessen an automatisierter Abwicklung als Ausdruck der Bedürfnisse des Rechtsverkehrs ebenso wie dem Interesse an freier Wahl der Kommunikationstechniken als Ausdruck der Privatautonomie nicht entgegenstehen. 2 Diese auf eine Rechtsfortbildung abzielende Argumentation resultiert in einem Interessenausgleich »unterhalb jenes Volltatbestands«, den die Rechtslehre für die herkömmliche Willenserklärung fordert. 3 Die bisher dargestellten Versuche, die elektronische Willenserklärung im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen der arbeitsteiligen Organisation im rechtsgeschäftlichen Bereich einzuordnen, können nicht vollständig überzeugen. Die immer weitere Bereiche erfassende Automatisierung des Kommunikationsprozesses läßt sich nicht ohne weiteres angemessen mit Kategorien fassen, die auf rein menschliche Kommunikationshandlungen zugeschnitten sind. Das gleiche gilt für Versuche der Einordnung in anerkannte Formen der Arbeitsteilung. Gefunden werden muß vielmehr eine rechtsdogmatische Integration, die dem zunehmenden Anteil technischer Operationen angemessen ist. Es gilt daher, eine überzeugende dogmatische Konzeption zu entwickeln, die den Besonderheiten elektronischer Kommunikation Rechnung trägt. Im folgenden soll die Automatisierung im Sinne des zum soziotechnischen System Ausgeführten als Frage der Zurechnung technischer Operationsanteile an das menschliche Handlungssystem aufgearbeitet werden. Es geht dabei um die Herstellung einer rechtlichen Zuordnung zwischen einem elektronischen Erklärungstatbestand und einem Rechtssubjekt und der Herausarbeitung der für die Zuordnung maßgeblichen Kriterien. Es gilt zu erkennen, daß es sich rechtlich um eine Zurechnungsfrage handelt, die eigenständige Wertungen erforderlich macht. ' Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 52. Vgl. Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 51. 3 Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 52. 2
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
141
Eine entsprechende Zurechnungslösung schafft den Raum für eine rechtsdogmatische Integration, die Wertungsprinzipien und Zurechnungskriterien offenlegt und in deren Rahmen ihre Angemessenheit erörtert werden kann.
I. Zurechnungsmodell
der Rechtsgeschäftslehre
Dazu muß zunächst die Konzeption der Willenserklärung als Zurechnungsfrage dogmatisch abgesichert und ausgeformt werden. Die zur Struktur der Willenserklärung dargestellte Entwicklung der Rechtsprechung, vor allem zum Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins, 4 gibt nicht nur Anlaß, das Modell der pathologischen mit dem der irrtumsfreien Willenserklärung zusammenzuführen, sondern stützt auch Überlegungen, die Bereiche von Rechtsgeschäftslehre und Vertrauenshaftung in ein gemeinsames Modell zurückzuführen. Hierbei spielt der Zurechnungsbegriff eine wichtige Rolle. Damit die Prinzipien der rechtlichen Wertung im zu beurteilenden Einzelfall wirksam werden, bedarf es der rechtstechnischen Umsetzung. Dabei werden - wie bereits angedeutet - die Prinzipien in verschiedenen Zurechnungsprinzipien bzw. -kriterien konkretisiert, die man auch als Unterprinzipien der allgemeinen Rechtsprinzipien ansehen kann, 5 die bei der Zurechnung in unterschiedlicher Weise wirksam werden und in die Tatbestände einfließen. Zu unterscheiden ist zwischen der Zurechnung, die gesetzlichen Tatbeständen zu entnehmen ist, und den diesen zugrundeliegenden Zurechnungs- und Leitprinzipien. 1. Begriff der Zurechnung Zunächst ist der Begriff der Zurechnung näher zu klären. Er wird im geisteswissenschaftlichen Bereich verwendet und beinhaltet hier eine gedankliche Verbindung zwischen zwei Gegenständen, hier der Person und der Erklärung. Uber eine »rein logische« Beziehung hinaus wird durch die Verwendung des Zurechnungsbegriffs im rechtlichen Kontext auch eine sachliche Verbindung bezeichnet, nämlich eine »wertende, beurteilende In-Beziehung-Setzung«. 6 Die verschiedenen Zurechnungsprinzipien haben auch die Funktion eines Korrektivs zum Zwecke eines angemessenen Ausgleichs der Interessen. 7 Beurteilungsgrundlage für die rechtliche Zurechnung bilden die gesetzlichen Tatbestände. Nach diesem Ver-
Vgl. B G H Z 91, 324; B G H Z 109, 177; B G H N J W 1995, 953. Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 57, der darauf hinweist, daß bei der Konkretisierung neue, selbständige Wertungen erforderlich werden. Vgl. ferner Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 136. 6 F. Fabricius, JuS 1966, 1, 5. Vgl. auch H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. Aufl., Tübingen 1923, 2. Neudruck, Aalen 1984, S. 72: »die auf Grund der N o r m vorgenommene Verknüpfung zwischen einem Seinstatbestande und einem Subjekte«. 7 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 219, 222. 4 5
142
J. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
ständnis geht es bei der Zurechnung nicht nur um die außerhalb des Willens bzw. der Rechtsgeschäftslehre stehenden Zurechnungsgründe, 8 sondern jede Form der Zurechnung der Willenserklärung zu einer Person und darüber hinaus im weiteren Sinne auch jedes Verhaltens. 9 Insoweit ist auch einer eingrenzenden Herleitung des Zurechnungsgedankens aus dem Prinzip der Selbstverantwortung nicht zu folgen.
2. Zurechnungsmodell der Vertrauenshaftung und der Rechtsgeschäftslehre Canaris unterscheidet für die Kategorie der »Vertrauenshaftung« allgemeine Zurechnungsprinzipien, also das Bestehen »irgendeiner Beziehung« zwischen Gegenstand der Zurechnung und Verhalten oder Geschäftskreis des Inanspruchgenommenen, womit er vis absoluta und das Verhalten eines Dritten, ausschließt, ergänzt um subjektive Mindestanforderungen, also eine entsprechende Zurechnungsfähigkeit, von besonderen »Zurechnungsprinzipien«, die wiederum von dem »Haftungsgrund« zu trennen sind. 10 Zurechnungsprinzipien konkretisieren das Prinzip der Selbstverantwortung und betreffen die Frage, warum der Verpflichtete mit einer entsprechenden Pflicht belastet wird. Der Haftungsgrund betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen und wann die Rechtsordnung die andere Partei schützt. Canaris unterscheidet dementsprechend auch zwischen dem Vertrauensgedanken als dem Haftungsgrund zurechnend und damit die Schutzwürdigkeit des Vertrauens betreffend und dessen Ergänzung durch besondere Zurechnungsprinzipien, die die entsprechende Verpflichtung eines anderen begründen 11 und zu denen er das Veranlassungs-, Verschuldens- und Risikoprin8 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S. 209,218; F.-]. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 174; Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 12. A.A. Hübner, in: Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bandl, S. 373, 400; dieser spricht auch von »Reflexwirkung aus der Verhaltensweise«, a.a.O., S.378; kritisch zu Hübner insofern Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 162. 9 Vgl. Fabricius, JuS 1966,1, 5; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 96; Kramer, AcP 171 (1971), 422, 434ff.; Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 221; Schmidt-Salzer, J R 1969, 281, 285; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S.76f.; Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 191, der hinsichtlich der Willenserklärung zwischen »objektiver« und »subjektiver« Zurechnung unterscheidet. Auch der B G H hat in B G H Z 91, 324 den Zurechnungsgedanken anerkannt, indem er das Erklärungsbewußtsein als Zurechnungsgrund durch Verschulden ersetzt hat. 10 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.468ff. Bereits Windscheid, AcP 63 (18 ), 72,103, unterscheidet zwischen dem Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers auf der einen Seite und der Zurechnung zum Erklärenden auf der anderen Seite, für die er grobe Fahrlässigkeit fordert. Darüber hinaus bedarf es nach Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 525 ff., einer weiteren Konkretisierung und Differenzierung der einzelnen Tatbestände der Vertrauenshaftung. 11 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.470f. Eine weitere Auffassung ohne diese Trennung vertritt demgegenüber Larenz, JuS 1965,373ff., der strikt zwischen Risikozurechnung, etwa der Gefährdungshaftung, und Garantie- und Vertrauenshaftung, zu denen er die §§ 122 und 179 zählt, unterscheidet. Nach der Konzeption von Canaris sind Gefährdungs-
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
143
zip zählt. N u r ausnahmsweise in Fällen des »reinen Rechtsscheinsprinzips« spielen Zurechnungsgesichtspunkte keine Rolle, etwa in den Fällen des gutgläubigen Erwerbs. 1 2 Versucht man trotz des von Canaris angenommenen grundsätzlich unterschiedlichen Charakters der Haftung bei rechtsgeschäftlichem Handeln in Selbstbestimmung und Zurechnung von Handeln im rechtsgeschäftlichen Bereich »ex lege« 13 eine gemeinsame Struktur herauszuarbeiten, so entspräche dem Haftungsgrund bei der Vertrauenshaftung, also der Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Berechtigten, das Vorliegen des objektiven Erklärungstatbestands im rechtsgeschäftlichen Bereich. Läßt sich dann das Vertrauen als Zurechnungsprinzip ansehen? Auch im Kernbereich des Rechtsgeschäfts entsteht auf der Seite des Erklärungsempfängers Vertrauen. Begrenzt man die Anwendung von Zurechnungsprinzipien auf die Frage, ob der Haftungstatbestand auf den Verpflichteten bezogen werden kann, dann besteht in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen Rechtsgeschäft und »Vertrauenshaftung«. Zudem beruht auch die Geltung der Willenserklärung letztlich auf Gesetz. Auch aus Gründen begrifflicher Klarheit ist einem solchen Verständnis zu folgen. Das Vertrauen wird im rechtsgeschäftlichen Bereich über das Prinzip der Selbstverantwortung als Folgenzurechnung, nämlich die entstandene Vertrauenslage als Folge, 1 4 geschützt. Auch in den Fällen fehlender Zurechnung, also bei fehlendem Handlungswillen oder schuldlos fehlendem Erklärungsbewußtsein, kann auf Seiten des Erklärungsempfängers Vertrauen entstanden sein, das jedoch gegenüber den Interessen des Erklärenden nicht mehr schutzwürdig erscheint. Vertrauen trägt also die Zurechnung nicht allein, sondern dessen Schutz wird im rechtsgeschäftlichen Bereich abgestimmt mit bzw. vermittelt über das Prinzip der Selbstverantwortung. 15 Das Prinzip des Vertrauensschutzes fließt in die Grundsätze der normativen Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen und damit in die Bestimmung von Vorliegen und Inhalt einer Willenserklärung ein. Insofern wird in der Rechtsgeschäftslehre auf Seiten des Berechtigten nur ein normativ »gefiltertes« Vertrauen geschützt. Auch kann die Bindungswirkung der Erklärung nach § 1 3 0 und Vertrauenshaftung Haftungsgründe, Verschuldens- und Risikoprinzip dagegen auf einer anderen Stufe Zurechnungsprinzipien. Auch Esser/Schmidt, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Teilband 1, 7. Aufl., Heidelberg 1992, §8, S. 128ff., trennen zwar »Haftungstatbestände«, die den ersatzfähigen Schaden und die Ersatzgläubiger herausfiltern, von »Zurechnungsprinzipien«, fassen aber letztere auch weiter als Canaris. 12 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 471 f. 13 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 428f. 14 Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 155. 15 Vgl. auch F.-J. Säcker, JurA 1971,509,527, der von einer Intensivierung des Vertrauensschutzes« durch einen nach der Rechtsordnung »echte(n) Bewertungsfaktor« spricht; Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 109; Flume, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bandl, Karlsruhel960, S. 135, 159f. Grundsätzlich gegen ein Vertrauensschutzprinzip Kellmann, JuS 1971,609, 617. Eigenständig tritt der Vertrauensschutz bei § 122 hervor, vgl. Canaris, Systemdenken, S. 55.
144
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Abs. 1 B G B bereits vor Kenntnisnahme eintreten. Man kann insoweit von einem »generalisierenden Vertrauensschutz« sprechen. 16 3. Objektivierung als Grundlage eines integrierenden K o n z e p t s Bei der Entwicklung eines integrierenden Konzepts kann man sich auf eine neuere Strömung stützen, die den Tatbestand der Willenserklärung auf objektive Elemente begrenzt. Brehmer unterscheidet in Anlehnung an die deliktsrechtliche Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Zurechnung zwischen Erfolgszurechnung und Geltungszurechnung 1 7 und legt für erstere einen abstrakten, für letztere eine konkreten Zurechnungsmaßstab zugrunde. Erstere beinhaltet die durch Auslegung erfolgende Feststellung des Tatbestands und die Zuordnung an einen Zurechnungsadressaten. Anknüpfungspunkt ist das »Person-Sein als solches« und die »abstrakte rechtsgeschäftliche Willenserklärungs-Kompetenz«. 1 8 Die Erfolgszurechnung beinhaltet auch die Festlegung von Risikobereichen im Verhältnis zwischen Absender und Empfänger. Bei der Geltung dagegen geht es um Gründe, die die Wirksamkeit der tatbestandlich gegebenen Willenserklärung hindern können, vor allem §§ 104ff., 116-118, 119ff. B G B . Zurechnungsgrund ist nach Brehmer bei der fehlerfreien sowie der irrtümlichen aber nicht angefochtenen Willenserklärung allein die Selbstbestimmung, bei der irrtümlichen Willenserklärung im übrigen die Anfechtbarkeit. Eine Grundlage im Gesetz hat eine solche Unterscheidung insofern, als verschiedene Vorschriften an den Tatbestand der Willenserklärung anknüpfen, 19 aber die endgültige Wirksamkeit von weiteren Voraussetzungen abhängig machen. In der Strukturierung des Tatbestands und der dabei durchgeführten Objektivierung ist dieses Konzept weiterführend, es gilt aber die Relativität von rechtlich relevanter Bedeutung sprachlichen Handelns zu beachten, deren Feststellung durch Auslegung bereits eine wertende Risikoverteilung beinhaltet. Wie Brehmer begrenzt auch Hepting in seiner »Theorie der normativen Verbindlichkeit« den Tatbestand der Willenserklärung auf objektive Elemente, allerdings auf der Basis eines ungestörte und fehlerhafte Willenserklärung integrierenden vertrauenstheoretischen Konzepts. Im Anschluß an B G H Z 91, 324, weist er dem Merkmal der Zurechenbarkeit eine Korrekturfunktion gegenüber einer einseitigen Uberbewertung des Interesses des Erklärungsempfängers zu. 20 Hatte Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 222f. Vgl. Brehmer, Wille und Erklärung, S. 107ff. Vgl. auch Kramer, AcP 171 (1971), 437: »Der objektiven Zurechnung der Tat im Deliktsrecht entspricht die objektive Zurechnung des Wortes im Kontraktsrecht«. 18 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 113f. 19 Zur Widerlegung der an § 105 Nr. 2 B G B anknüpfenden These, daß auch eine nichtige Willenserklärung eine Willenserklärung darstelle, durch eine »semiotische Methode« vgl. Bartholomeyczyk, in: Festschrift für Hans G. Ficker, Frankfurt/Berlin 1967, S. 51, 70f. 20 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S. 209,219. Auch Bydlinski,JZ 1975, 1,4, bezeichnet den Erklärungswillen als »Zurechnungsfaktor«. 16 17
5 6 Elektronische
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nach dem Risikoprinzip
145
nach herkömmlichem Konzept der Wille diese Funktion, so ist der Wille nach Hepting nur noch ein Gesichtspunkt neben anderen bei der Zurechenbarkeit des objektiven Erklärungstatbestands. Konsequenterweise hält Hepting auch den Schein eines Rechtsbindungs- bzw. Erklärungswillens nicht mehr für ein notwendiges Element des objektiven Tatbestands als »äußere(m) Bild einer Regelungsanordnung« und geht insoweit noch über die von ihm »Monisten« genannten Anhänger eines »sozial-kommunikativen Erklärungsbegriffs« hinaus. 21 Nach diesem Konzept folgt die Verbindlichkeit aus dem »Spruch der Rechtsordnung«, die inhaltliche Ausgestaltung bleibt dem autonomen Willen überlassen.22 Letzteres bilde den »Wesenskern« der Privatautonomie, der nach dieser Konzeption unberührt bleibe. Ist auch ein solcher auf den Inhalt bezogener Regelungswille nicht mehr feststellbar, so tritt der Leitgedanke Vertrauen ganz in den Vordergrund, und dann ist auch für Hepting die Grenze zur Vertrauenshaftung überschritten. 23 E r erweitert aber die von ihm angenommene Typenreihe über den Rechtsgeschäftsbereich hinaus auch in den Bereich der Vertrauenshaftung. 24 Die Grenze ist nicht eindeutig zu bestimmen, sondern Ergebnis wertender Zuordnung im Einzelfall. Als Beispiele für den reinen Vertrauensschutz nennt er neben dem Fehlen eines »natürlichen Regelungswillens« auch die Fälle fehlender »normativer Verbindlichkeit«, etwa Gefälligkeiten, die dann noch vertrauensschutzentsprechende Rechtsfolgen auslösen können. Im Rahmen der oben angesprochenen typologischen Strukturbildung ist der Gedanke einer Bandbreite zwischen den Polen Selbstbestimmung und Vertrauensschutz für die Tatbestandsbildung fruchtbar zu machen.
21 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S. 209, 229, 233; ders., Ehevereinbarungen, S.292f. Kritisch dazu Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, München 1996, S. 106; MünchKomm-Kramer, Einleitung Vor §241, Rdnr. 94, der es für den rechtsgeschäftlichen Bereich prinzipiell für unverzichtbar hält, daß sich die Bürger »willentlich, bewußt, der staatlichen Vertragsrechtsordnung unterworfen haben«, zumindest aber der Schein eines solchen Willens zurechenbar vorhanden sein sollte. Ahnlich auch M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 25, für Rechtsfolgewillen als notwendigem Gegenstand des Vertrauensschutzes. Heptings Konzept beruht aber gerade darauf, daß an den Rändern, nämlich im Grenzbereich zur unverbindlichen Gefälligkeit, die für die Feststellung des Willens herangezogenen Kriterien tatsächlich normative Wertungsaspekte darstellen, vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S. 254ff. Darüber hinaus behält ein vorhandener Rechtsbindungswillen auch in der Konzeption von Hepting eine besondere Bedeutung als Bewertungsfaktor von »besondere(m) Gewicht«, Hepting, a.a.O., S.266. 22 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S. 209, 227. 23 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S.296. 24 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen» S.298f.
146
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
4. Entwicklung eines übergreifenden Zurechnungsmodells der Rechtsgeschäftslehre Damit ist die Grundlage für ein übergreifendes Zurechnungsmodell der Rechtsgeschäftslehre in dem weiten Sinne von Hepting 25 gelegt. Hierfür spricht, daß sowohl das fehlerhafte wie das fehlerfreie Rechtsgeschäft Vertrauen hervorruft. Dabei gilt es aber auch die Unterschiede zwischen den Bereichen von Rechtsgeschäftslehre und Rechtsscheinhaftung, etwa zwischen konkretem und abstraktem Vertrauensschutz, zu beachten. 26 Eine Rechtsgeschäftslehre in einem weiten Sinne wird aber zusammengehalten in einem »kombinatorischen System«, wonach stets mehrere Prinzipien in verschiedener Stärke und Kombination eine Bindung begründen. 27 Die Rechtsgeschäftslehre in diesem weiteren Sinne stellt daher ein aufgefächertes Zurechnungssystem von rechtlichen Wirkungen an menschliches Handeln dar, bei dem die Ubereinstimmung von Wille und Erklärung nur noch den Regelfall, aber nicht das einzige privatautonome Gestaltungsmittel darstellt. 28 Die prägende Wirkung des Prinzips der Selbstbestimmung für die Rechtsgeschäftslehre zeigt sich zum einen darin, daß dem natürlichen »Regelungswillen« 29 soweit wie möglich zur rechtlichen Geltung verholfen werden soll, wobei Teil eines solchen Regelungswillens auch ein »realer« Rechtsbindungswille sein kann. Zum anderen wird bei der rechtlichen Bewertung im Rahmen des »kombinatorischen Systems« dem Prinzip der Selbstbestimmung besondere Bedeutung eingeräumt, was dazu führt, daß auch einem vorliegenden Rechtsbindungswillen besonderes Gewicht beigemessen wird. a) Allgemeine
Zurechnungsvoraussetzungen
In Anlehnung an Canaris' System der Vertrauenshaftung kann man auch bei der Zurechnung der Willenserklärung ausgehen von dem objektiven Erklärungstatbe25 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S.296, 298f. Vgl. auch Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 158 Fußn. 166, wonach auch »sonstige normativ festgelegte Vertrauenstatbestände« nicht nur mit den Wertungen des Rechtsgeschäftsrecht abzustimmen sind, sondern auch »äußerlich-systematisch« zum Rechtsgeschäftsrecht zu rechnen sind. 26 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S. 209,223; Leenen, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier, Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, S. 108ff.; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 755. 27 Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 152ff. Zur Abgrenzung ders., 5. 158, Fußn. 166; MünchKomm-Tiramer, Rdnr. 39 vor § 116. 28 Vgl. Bartholomeyczik, in: Festschrift für Hans G. Ficker, S. 51, 62, der von einem »differenzierten Anknüpfungssystem einer privatautonom gestalteten, rechtsgeschäftlich bestimmten Privatrechtsordnung« spricht. Die Willenserklärung als Zurechnungsproblem sehen auch Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 96; Larenz, Methode der Auslegung, S. 70ff.; Fabricius, JuS 1966,1, 5; Schmidt-Salzer, J R 1969,281,285; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 162; Kramer, Zur Theorie und Politik des Privat- und Wirtschaftsrechts, Basel 1997, S. 63; in der Sache auch Kellmann, JuS 1971,609,616. Ablehnend L. Kaiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 167ff., da die »Rechtswirkungen der Sinndeutung« nicht nur den Erklärenden, sondern beide Partner träfen und auch eine Pflicht zur Abgabe einer »richtigen« Erklärung nicht bestünde. 29 Hepting, Ehevereinbarungen, S.269.
§ 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
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stand und das notwendig hinzutretende Element der Zurechnung als Teil der Wirksamkeitsvoraussetzungen ausdifferenzieren. 30 Zu beachten ist, daß im Bereich der Willenserklärungen nicht einfach von einem objektiven Erfolg ausgegangen werden kann, da es für die Sinnermittlung auf den maßgeblichen Standpunkt ankommt, die gesetzlich begründete Maßgeblichkeit der normativen Auslegung also bereits eine wertende Risikoverteilung beinhaltet. 31 Auch die von Canaris für die Vertrauenshaftung auf Seiten des Vertrauenden genannten Erfordernisse des guten Glaubens, der Kenntnis des Vertrauenstatbestands und der Disposition werden durch die normative Bestimmung des Erklärungstatbestands in der Rechtsgeschäftslehre abgedeckt. 32 Bei den allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen ist nach Canaris neben der Geschäftsfähigkeit »irgendeine Beziehung« zwischen Erklärungstatbestand und Verhalten bzw. Geschäftskreis des Inanspruchgenommenen erforderlich. 33 Dieses Erfordernis kann aber nur eine erste grobe Eingrenzung der Inanspruchnahme sein. Betrachtet man die von Canaris angeführten allgemeinen Zurechnungsausschlußgründe wie vis absoluta und mangelnde Geschäftsfähigkeit, so geht es sehr wohl um einen Bezug auf menschliches Handeln. Das Erfordernis des Bestehens irgendeiner Beziehung ist wohl im Sinne von Kausalität zu verstehen. Da darüber hinaus das Vorliegen eines besonderen Zurechnungsprinzips erforderlich ist, kann die bloße Veranlassung, wenn man sie mit Kausalität gleichsetzt, allein keine Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestands begründen. 34 b) Besondere
2urechnungsprinzipien
Bei den besonderen Zurechnungsprinzipien lassen sich das Verschuldens- und das Risikoprinzip heranziehen. Soweit man den Partnerbezug im Kommunikationsverhältnis in den Hintergrund drängt, wird das Verschuldensprinzip auch als O b liegenheitsverletzung, also im Sinne einer mangelnden Sorgfalt gegenüber den eigenen Interessen, formuliert. 35 30 Vgl. bereits Hübner, in: Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bandl, S. 373, 388, wonach die Zurechnungskriterien im Tatbestand der Willenserklärung an die Stelle der subjektiven Willenselemente treten. 31 Vgl. auch Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 192. 32 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 504ff. 33 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 468. Zur Auffassung der allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen als »qualifizierter Veranlassung« vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S.283 Fußn.364; dazu rechnet er auch den Handlungswillen. 34 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 474f. Vgl. auch für den Fall des §122 MünchKomm-Kramer, §122 Rdnr. 3; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.534, der § 179 als einen anderen Fall der negativen Vertrauenshaftung ebenfalls als vom Risikogedanken getragen ansieht. Allgemein zur Unzulänglichkeit der reinen Verursachung unter Gesichtspunkten der Selbstverantwortung Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 2. Aufl., München 1969, S.92f. 35 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 157. Gegen eine Anwendung des Verschuldensprinzips auf rechtsgeschäftliche Zurechnung des Erklärungsverhaltens M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 76, da dieses eine
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3. Kapitel: Die Elektronische
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im inneren und äußeren
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Das Risikoprinzip ist von steigender Bedeutung als Zurechnungsprinzip, und es wird zu untersuchen sein, ob es den Auswirkungen der Automatisierung im K o m munikationsbereich in besonderer Weise gerecht werden kann. Eine bedeutende neuere Strömung hält es in bestimmten Fällen sogar für angemessen, den Handlungswillen als Zurechnungskriterium durch das Risikoprinzip zu ersetzen. 36 Legt man das herkömmliche Verständnis der Willenserklärung zugrunde, bei der der Erklärungstatbestand den Anschein der drei Willenselemente beinhaltet, so könnte ein Verzicht auf deren Vorliegen im subjektiven Tatbestand eine gewisse »Asymmetrie« der Tatbestandsbildung herbeiführen. Andererseits ließe sich diese »Asymmetrie« rechtfertigen, wenn man berücksichtigt, daß es hier um eine wertende Konkretisierung aus der Sicht der unterschiedlichen Parteien (Absender, Empfänger) handelt. Dem Schein einer rechtsgeschäftlichen Regelung als Vertrauenstatbestand aus Sicht des Empfängers, der aufgrund des Verfahrens der normativen Zurechnung einen Sorgfaltsmaßstab beinhaltet, steht die Zurechnung zum Absender gegenüber, die auch aufgrund einer sphärenbezogenen Risikobewertung durchgeführt werden kann. Eine solch unterschiedliche Bestimmung ließe sich auch daraus rechtfertigen, daß die »Gefahr« vom Absender ausgeht, der tätig wird, was sich auch in dem Grundsatz niederschlägt, daß das Ubermittlungsrisiko vom Absender zu tragen ist. U m dem Grundsatz der Privatautonomie, auch in einem weiten Verständnis, und seiner Umsetzung im Recht der Willenserklärungen gerecht zu werden, ist grundsätzlich zwischen den Zuordnungsprinzipien eine Rangordnung dergestalt anzunehmen, daß primär der Wille, dann das Verschulden und schließlich das Risikoprinzip wirksam werden. 37
II. Vertrauensschutz
und technisierte
Kommunikation
Die durch Informationstechnologie bewirkten Veränderungen des Normbereichs im Sinne einer automationsbedingten Arbeitsteilung sind im Sinne eines »Funktionswandels« auf veränderte Wertungen auf der Prinzipienebene hin zu untersuchen. Auf der Wertungsebene ist die technische Entwicklung mit einem verstärkten Bedürfnis nach Vertrauensschutz verbunden. Dieses ergibt sich aus einer Entwicklung von personalen Vertrauen zum Systemvertrauen auch im Hinblick auf technisierte Kommunikation. rechtliche Mißbilligung enthalte, die bei einem erlaubten Verhalten nicht gegeben sei; vgl. auch L. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 168 f. 36 Vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 220. Für Verzicht auf das Erfordernis des Handlungswillens auch Kellmann, JuS 1971, 609, 614; für Annahme einer nichtigen Willenserklärung v. Craushaar, Der Einfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, S. 11. 37 Zum Regel-/Ausnahmeverhältnis von Freiheit und Zwang und dem Kernbestand der Vertragsfreiheit vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 134; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 157.
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nach dem Risikoprinzip
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1. V o m personalen z u m Systemvertrauen M. Weber sprach von Einverständnishandeln im Unterschied zum Verständnis der Komplexität einer rationalen Ordnung. 3 8 Als Gewohnheitshandeln schließt es von der Vertrauenswürdigkeit des Handhabens auf die Vertrauenswürdigkeit nicht-verstandener technischer Abläufe. Ist bei Weber das Vertrauen noch auf Personen bezogen, beschreibt Luhmann die Entwicklung vom persönlichen Vertrauen zum Systemvertrauen. 39 Mit der Zunahme von Wissen und dessen technischer Nutzbarkeit steigt der Anteil des Nicht-Verstandenen in der »Lebenswelt«. Funktional steigt damit der Bedarf an Vertrauen. Erscheint bei Husserl das Verhältnis von Wissenschaft und Technik als »Kontingenzsteigerung und Entlastung«, 4 0 die aus subjektphilosophischer Sicht als Sinnverlust erfahren wird, stellt für Luhmann Technisierung vor allem eine Entlastung in der Lebenswelt dar, die allerdings mit vermehrter und nicht ausschaltbarer Kontingenz verbunden ist und das Vertrauen in das Funktionieren ausdifferenzierter Teilsysteme belastet. 41 Auch die Technisierung der Kommunikation läßt sich in den Kontext des Ubergangs vom personalen zum mit der Technik verbundenen Systemvertrauen stellen. 42 Vertrauen ist allgemein die Basis jeder kooperativen Beziehung: »Es überbrückt die Kluft des Nichtwissens darüber, wie sich der Kooperationspartner verhalten wird«. 43 Vertrauen bedeutet gegenseitige Erwartbarkeit bestimmter Verhaltensweisen der Interaktionspartner, 44 bei geschäftlichen Beziehungen etwa die Erfüllung der 38 M. Weber, Uber einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl. Tübingen 1988, 427, 471. 39 Vgl. zum Systemvertrauen Luhmann, Vertrauen, Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 3 Aufl. Stuttgart 1989, S.50ff. 40 Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung, Band 4, Opladen 1987, S. 48, 50. Zu der der Handlungsentlastung korrespondierenden »motivationalen Relevanz« des Alltagshandelns, dem »pragmatischen Motiv«, vgl. Schütz/Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, Bandl, Frankfurt/ Main 1979, S.28ff. 41 Vgl. auch/. Halfmann, Kausale Simplifikationen, in: Halfmann/Bechmann/Rammert, Technik und Gesellschaft, Jahrbuch 8, Frankfurt/New York 1995, S. 211,218, wonach der Entlastungseffekt auch als »Dekontextualisierung« beschreibbar wird: »Technik ist nun kausal verknüpfte und fixierte Information, die unabhängig von der Angabe des Kontextes gelten soll«. Die »medialen« Eigenschaften sind umso größer, je mehr die Formung durch unterschiedliche Mitteilungsoperationen möglich ist, was am ausgeprägtesten beim Computer der Fall ist. 42 Das Vertrauen in technische Objekte wird herkömmlicherweise als »Verlaß« bezeichnet, vgl. Kumbruck, D u D 1994,20,21, unter Bezugnahme auf E. Diesel, Die Macht des Vertrauens, München 1946, S. 33f. 43 Kumbruck, D u D 1994,20, unter Hinweis auf Petermann, Psychologie des Vertrauens, Salzburg 1985, S. 7ff. Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/Main 1995, S. 33ff., sieht Vertrauen als grundlegend an für »Entbettungsmechnismen«, als das »Herausheben sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen«. Den Begriff »Entbettung« hält er zur Beschreibung der »wechselseitigen Ausrichtungen von Zeit und Raum« für besser geeignet als »funktionale Spezialisierung« oder »Differenzierung«. 44 V g l . J u c h e m , Kommunikation und Vertrauen, S. 98, unter Bezug auf M. Deutsch, Trust and Suspicion, Journal of conflict resolution, Vol. 2,1958, S. 265,266, der den Motivationswert der Er-
150
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
V e r e i n b a r u n g e n . 4 5 D o c h V e r t r a u e n hat W a g n i s c h a r a k t e r . 4 6 E s v e r g r ö ß e r t a b e r die H a n d l u n g s o p t i o n e n u n d d a m i t die M ö g l i c h k e i t e n der B e w ä l t i g u n g v o n K o m p l e xität. D i e damit s u b j e k t i v a n g e n o m m e n e S i c h e r h e i t ist a b e r m i t der o b j e k t i v e n G e f a h r der E n t t ä u s c h u n g v e r b u n d e n , so daß sich der V e r t r a u e n d e a u c h v o n s e i n e m Partner abhängig macht.47 D a d u r c h wiederum wird im Reziprozitätsverhältnis der P a r t n e r zu V e r t r a u e n s w ü r d i g k e i t veranlaßt. 4 8 V e r a n t w o r t u n g ist die »soziale S p i e g e l l e i s t u n g « 4 9 zu V e r t r a u e n . D e m g e g e n ü b e r ist das S y s t e m v e r t r a u e n w e n i g e r e n t t ä u s c h u n g s a n f ä l l i g , da o b j e k t o r i e n t i e r t . 5 0 E s e n t s t e h t allerdings a u c h d u r c h p o sitive N u t z u n g s e r f a h r u n g e n . 5 1 P e r s ö n l i c h e s V e r t r a u e n e n t s t e h t aus gegenseitigen stabilen E r f a h r u n g e n , aus d e n e n M e n s c h e n k e n n t n i s w ä c h s t , die V e r t r a u e n g e g e n ü b e r u n b e k a n n t e n P e r s o n e n e r l a u b t , w ä h r e n d es bei b e k a n n t e n P e r s o n e n a u c h bei f e h l e n d e r U n m i t t e l b a r k e i t ü b e r » w i e d e r k e h r e n d e S p u r e n des G e g e n ü b e r s « , e t w a die U n t e r s c h r i f t , r e p r o d u ziert w e r d e . 5 2 K u m b r u c k / H a m m e r n e n n e n aus s o z i a l p s y c h o l o g i s c h e r S i c h t als v e r t r a u e n s b e g r ü n d e n d e A n h a l t s p u n k t e für d e n E i n z e l n e n : » - die eigene Erfahrung mit einzelnen Personen, mit denen eine Kooperationsbeziehung fortgesetzt wird oder auf Grund von Menschenkenntnis aufgebaut wird. - Riten und Symbole, die sozial eingeübt sind und die in der Folge es in Aushandlungsprozesses Verbindlichkeit ausdrücken. Beispiele sind der Handschlag oder die Unterschrift. - Dritte, die Zusicherungen überwachen und sicherstellen, daß sie erfüllt werden, z.B. N o tare, Banken oder die Schufa. - Kontrollinstanzen oder Aufsichtsbehörden, die prüfen, ob Vorgaben eingehalten werden und öffentlich berichten. Sie selbst sind zwar auch an der sekundären Telekooperationsbeziehung nicht beteiligt, tragen aber zur Kenntnis der Partner über in der Regel berechtigtes Vertrauen oder mögliche Probleme bei. Beispiele sind das Bundesgesundheitsamt oder die Datenschutzbeauftragten. - Hilfsmittel, die dazu beitragen, Unsicherheit zu verringern. Dazu dienen beispielsweise Ausweise. Das Vertrauen wird dann zum Teil in die korrekte Führung des Ausweissystems gesetzt.
Wartung betont. Demgegenüber ist Vertrautheit auf die Vergangenheit bezogen und Grundlage von Vertrauen, vgl. Luhmann, Vertrauen, S.20. 45 Vgl. Kumbruck/Hammer, Psychologische Technikwirkungsforschung und -gestaltung im Bereich Telekooperationstechnologie, Provet Projektbericht Nr. 15, Darmstadt 1995, S. 118, die auch darauf hinweisen daß in diesem Geschäftsbezug das Vertrauen nicht umfassend die Person betrifft. 46 Luhmann, Vertrauen, S. 23, spricht vom »Problem der riskanten Vorleistung«. 47 Vgl. R. Schottländer, Theorie des Vertrauens, Berlin 1957, S.28. 48 Vgl. Deutsch, Journal of conflict resolution, Vol.2, 1958, S.265ff. 49 Kumbruck/Hammer, Provet Projektbericht Nr. 15, S.212. 50 Vgl. Luhmann, Vertrauen, S.63ff. 51 Vgl. Langenheder/Pordesch, it+ti 1996, Heft 4, S.42, 44. 52 So Kumbruck, DuD 1994,20. Daneben sei auch Selbstvertrauen Voraussetzung für Vertrauen in andere. Vgl. ferner Kumbruck/Hammer, Provet Projektbericht Nr. 15, S. 113ff. Nach Luhmann, Vertrauen, S.40, ist persönliches Vertrauen die »generalisierte Erwartung, daß der andere seine Freiheit... im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird ..., die er ... sozial sichtbar gemacht hat«.
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikopriniip
151
- Selbst beeinflußbare Rahmenbedingungen, wie die Möglichkeit, den Kooperationspartner bei Fehlverhalten zu sanktionieren. - Sozial definierte Rahmenbedingungen wie die Rechtsordnung. Sie bietet die Möglichkeit, den Kooperationspartner mit Hilfe festgelegter und von der Gesellschaft durchsetzbarer Regeln zur Verantwortung zu ziehen.« 5 3
Bis auf das erste Merkmal sind die »Vertrauensanker« vor allem dem Systemvertrauen zuzuordnen. 5 4 Diese sichern komplementär das nicht ausreichende personale Vertrauen. 55
2. Technisierung und Systemvertrauen In der sich entwickelnden Techniksoziologie wird Technik vor allem als Medium im soziologischen Sinne gesehen. 56 Technisierung erscheint als »grundlegender sozialer Prozeß, in dem ein Ablauf an Operationen künstlich fixiert, wiederholbar, berechenbar und für andere übernehmbar gemacht wird«. 57 Die technische Ausführung von Operationen erscheint dabei als verläßlicher als die durch einen Menschen. Insofern kann man davon sprechen, daß Handlungserwartungen in technische Realisationen »übersetzt« werden, wobei technische Normen eine integrierende, einen Handlungszusammenhang erst konstituierende Funktion haben. 58 Die technische Normung stellt damit selbst eine vertrauensbegründende Institution dar. Technische Normen haben daher auch ein wichtige Funktion bei der Integration des technischen Artefakte in menschliche Handlungszusammenhänge. B. J o erges unterscheidet zwischen der inneren Struktur, den »Binnenverhältnisse(n)« der Maschinen als nach formalen Regeln ablaufenden Handlungssystemen, und den »Außenbeziehungen«, den »Anschlußverhältnisse(n)« als den ebenfalls formalisierten menschlichen Handlungsstrukturen der Erzeugung und VerwenKumbruck/Hammer, Provet Projektbericht Nr. 15, S.211. Vgl. auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 112ff., der handlungsmäßig konstituiertes Vertrauen von nichtsprachlichem gegenständlich-symbolischem Vertrauen unterscheidet, zu der er die Rechtsscheinhaftungen rechnet und das er dem »Systemvertrauen« bei Luhmann zuordnet. 55 Kumbruck/Hammer, Provet Projektbericht Nr. 15, S. 213, sprechen von »Vertrauenslücke«. 56 Zur Abgrenzung der Medientheorie vgl. Rammert, Technik aus soziologischer Perspektive, Opladen 1993, S.302ff. 57 Rammert, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, S. 128, 162. Technik fungiert danach als Medium der Selektion von sinnvollen Operationen, die die Komplexität des Bereichs möglicher Operationen reduziert. Kritisch zur Ausblendung des in Technik fixierten »ZweckMittel-Schemas« bei Rammert Hennen, Technisierung des Alltags, S. lOOff. Vgl. nunmehr aber Rammert, Technik aus soziologischer Perspektive, S.305. 58 Vgl. G. Wagner, Zeitschrift für Soziologie, Jg. 23, Heft 2,145,154. Darin schlagen sich natürlich auch herrschende soziale Normen nieder. B. Joerges, Soziale Welt, 1989, Heft 1-2, S. 242, bezeichnet Technisierung als »>Externalisierung< sozialer Normen an realtechnische Strukturen«. Vgl. auch ders., a.a.O., S. 250: »Technische Normen sind auf Dauer gestellte Verhaltensanweisungen an Geräte mit Legitimationshintergrund«. Zur Legitimation durch Vertrauen und Wertorientierungen vgl. Hennen, Technisierung des Alltags, S. 75. 53
54
152
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
dung. 59 Beide werden von technischen Normen erfaßt, so daß man von einer »>Verdopplung< technischer Normengefüge« sprechen kann: »>Sozialer Innenraum< und »Handlungsumgebung« stehen danach in einem »Reziprozitätsverhältnis«, einer wechselseitigen Strukturierung. 60 Mit der Regulierung technischer Artefakte werden auch die sozialen Beziehungen von Herstellern und Benutzern reflektiert: »Indem technische Artefakte als Teilhandlungen und menschliches Handeln integriert sind, steuern die hier enthaltenen technischen Normen, von den sozialen Akteuren nicht reflektiert, deren Handeln«. 6 1 Zugleich sind technische Artefakte Objektivationen des Sonderwissens von Experten, verbergen aber ihren »Innenhorizont« und entproblematisieren damit das Handeln mittels der Artefakte und begründen deren Vertrautheit: »Letztlich ist also die Vertrautheit von technischen Artefakten Resultat einer >Idealisierung< des Alltagshandelns. Der Laie als Techniknutzer kann Handlungssicherheit im U m gang mit technischen Artefakten und den praktischen Erfolg seiner routinehaften Anwendung von Technik auf seine alltagspraktischen Probleme deshalb unterstellen, weil er (a) die Relevanz des im technisch-wissenschaftlichen System produzierten Wissens für sein Alltagshandeln und (b) die Anwendung professioneller, institutionalisierter und bewährter Standards bei der Generierung von Wissen unhinterfragt voraussetzt. Man könnte daher mit einem Luhmannschen Begriff von >Systemvertrauen< sprechen, das der Gewährleistung technischer Handlungsentlastung für das Alltagshandeln zugrunde liegt. Aufgrund der wachsenden K o m plexität gesellschaftlicher Verhältnisse, die die Lebenssituation der Individuen bestimmen, ihm aber selbst nicht zugänglich sind (hier der professionalisierte Entstehungs- und Gewährleistungskontext von Artefakten), bezieht sich das Vertrauen in die Stabilität der dem einzelnen aus seiner komplexen sozialen Umwelt zuwachsenden Leistungen (hier die Bereitstellung erfolgreicher technischer Problemlösungen) ... nicht mehr auf die Identität bekannter Personen, sondern auf die Identität sozialer Systeme, die in bestimmten Grenzen durch Formalisierung von Verhaltenserwartungen garantiert ist«. 62
Vgl. B. Joerges, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, S. 44, 63 f. Vgl. BJoerges, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, S. 44, 64. Zu den Vorteilen, dem Nutzer im Rahmen des Konzepts »mehrseitiger Sicherheit« eine Auswahl frei wählbarer Sicherheitsoptionen anzubieten, gegenüber dem Einschreiben von Benutzungsregeln in die technischen Artefakte selbst vgl. Braczyk/Bartbel/Fuchs/Konrad, in: Müller/Stapf (Hrsg.), Mehrseitige Sicherheit in der Kommunikationstechnik, Band2, Bonn u.a. 1999, S. 119, 144. 61 Hennen, Technisierung des Alltags, S. 76, der vor allem eine Strukturierung sozialer Anschlußbeziehungen entsprechend der technisch regulierten Binnenstruktur der Maschinen sieht. 62 Vgl. Hennen, Technisierung des Alltags, S. 195, unter Bezug auf Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisationen, Berlin 1964, S. 72f. Vgl. ferner Luhmann, Vertrauen, S. 65. Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/Main 1995, S. 102ff., spricht von »Vertrauen in abstrakte Systeme«, wobei »Entbettungsmechanismen« in Beziehung stünden zur »Rückbettung« sozialer Beziehungen in lokale raumzeitliche Gegebenheiten; »Zugangspunkte« bildeten einen Berührungsbereich »gesichtsunabhängiger« und »gesichtsabhängiger« Bindungen und damit personengebundenem Vertrauen. 59
60
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
153
Nach Luhmann wird Systemvertrauen über »symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien« vermittelt. 63 Da für unsere Fragestellung nicht so sehr die Symbolfunktion technischer Gegenstände im Vordergrund steht, sondern die Fixierung von »Zweck-Mittel«-Schemata, 6 4 wenn auch zusätzlich im »symbolischen Außerungsbereich«, 6 5 läßt sich Informationstechnologie besser in ihrem Aspekt als »technologisch generalisierte Operationsmedien« 6 6 erfassen. Dieses Systemvertrauen als »Vertrauen in die Bedingungen der Kommunikation« 67 ist bei technisierter Kommunikation Vertrauen in das Funktionieren des technischen Verfahrens, bei dem die Vertrauenswürdigkeit des Partners immer stärker in den Hintergrund tritt. 68 Der Personenbezug bleibt insofern bestehen, als es beim Vertrag weiterhin der sich selbst bindende Partner ist, in dessen Vertragserfüllung der Adressat Vertrauen setzt, also in die Identität und zugesicherte Handlung. 6 9 Je mehr sich aber die Bedingungen der Entstehung der Verpflichtung, also rechtlich gesprochen: der Willenserklärung, von der Person ablösen und auf technische Systeme verlagert werden, desto weniger kann personengerichtetes Vertrauen entstehen bzw. relevant werden. Diese Vertrauensverlagerung umfaßt nicht nur den Bereich der Entstehung der Verbindlichkeit, sondern auch deren Erfüllung. Dies gilt um so mehr, je mehr auch die innerbetrieblichen Applikationen in die zwischenbetriebliche Vernetzung integriert werden und zugleich alle Transaktionsphasen erfaßt werden. Das in personaler Kommunikation an die »Erklärung« geknüpfte Vertrauen wandelt sich in ein Vertrauen in das technische Verfahren einschließlich der organisatorischen Rahmenbedingungen in allen Transaktionsphasen. 70 Vertrauen in Technik beinhaltet dann technische, institutionelle und kulturelle Aspekte. 71
63 Generalisierte Kommunikationsmedien wie Geld, Wahrheit, Macht, schaffen nach Luhmann, Vertrauen, S. 61, »Kapazität für Komplexitätsreduktion«, die wiederum Vertrauen voraussetzt als »Verarbeitung der Selektivität des Erlebens und Handelns anderer«. Vgl. auch Braczyk/ Barthel/Fuchs/Konrad, in: Müller/Stapf (Hrsg.), Mehrseitige Sicherheit in der Kommunikationstechnik, Band 2, S. 119, 132. 64 Vgl. Hennen, Technisierung des Alltags, S. 102. 65 Rammert, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, S. 128, 140. 66 Rammert, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, 1989, S. 128,163. Böhm/ Wehner, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation, S. 150,160, stellen den Computer in den Kontext eines Steuerungsmediums. 67 Juchem, Kommunikation und Vertrauen, S. 102. 68 Vgl. Kumhruck, DuD 1994, 20, 28. 69 Vgl. Kumhruck/Hammer, Provet Projektbericht Nr. 15, S.212. 70 Vgl. Kilian, DuD 1993, 606, 607; ders., in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechtshandbuch, Kap. 20, Rdnr. 14. 71 Vgl. Braczyk/Barthel/Fuchs/Konrad, in: Müller/Stapf (Hrsg.), Mehrseitige Sicherheit in der Kommunikationstechnik, Band 2, S. 119, 124. Günther Müller, in: Freiherr zu Putlitz/Schade (Hrsg.), Wechselbeziehungen Mensch-Umwelt-Technik, Stuttgart 1997, S. 147, 168: »Vertrauen mit Technik« statt nur »Sicherheit durch Technik«. Langenheder/Pordesch, it+ti 1996, Heft 4, S.42, 43, definieren Systemvertrauen als »Vertrauen in das systemische Zusammenwirken von Technik, Menschen, Organisationen und Institutionen«. Langenheder/Pordesch, it+ti 1996, Heft 4, S.42, 44, listen vertrauensbildende Instanzen auf.
154
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Der Übergang zum Systemvertrauen macht rechtlichen Vertrauensschutz notwendig und verstärkt die Wertungsgesichtspunkte Vertrauensschutz und Verkehrssicherheit. Für die Zurechnung einer elektronischen Willenserklärung bedeutet diese Verschiebung auf der Wertungsebene, daß dem Verkehrsschutz angemessene Zurechnungskriterien in den Vordergrund treten müssen. Im folgenden soll begründet werden, daß dies eine Entwicklung von Willens- und Verschuldensprinzip hin zum Risikoprinzip beinhaltet.
III.
Vom Verschuldens- zum Risikoprinzip - Wege zur technischer Risiken im Vertragsrecht
Bewältigung
1. Risikoprinzip und technische Entwicklung Sowohl das Verschuldens- als auch das Risikoprinzip dienen dem Ausschluß oder der Minimierung von Schädigungen 72 . Beide unterscheiden sich jedoch in ihrem grundsätzlichen Ansatz. Meder hat die Entwicklung vom Schuld- zum Risikoprinzip rechtshistorisch nachgezeichnet und einen Zusammenhang zur technischen Entwicklung hergestellt. 73 Während Verschulden die Verletzung einer N o r m oder Pflicht voraussetzt, geht das Risikoprinzip gerade umgekehrt davon aus, daß auch an sich erlaubtes Verhalten Schädigungen herbeiführen kann, deren Folgen privatrechtlich verteilt werden müssen. Die steigende Bedeutung des Risikoprinzips ist eine Folge der zunehmenden Technisierung. Der Einsatz technischer Mittel hat nicht nur Folgen, die sich im Rahmen des Intendierten halten, sondern hat auch ungewollte Konsequenzen, die auch unvorsehbar und unvermeidbar sein können. 7 4 Je mehr die technische Entwicklung dazu nötigte, auch den Betrieb gefährlicher Anlagen zuzulassen, deren Gefährdungspotential nicht völlig ausgeschlossen werden kann, desto mehr verlor das Schuldprinzip an Bedeutung. 75 Wenn ein gewisses Risiko erlaubt ist und damit sozusagen zur Normalität wird, läßt sich ein Schuldvorwurf schwerlich erheben. Die beim Verschuldensprinzip auch an die individuelle Lernfähigkeit anknüpfende Präventionsfunktion läuft dann ins Leere, wenn auch in Zukunft Gefährdungen unvermeidbar erscheinen. 76 Damit ist auch eine Ursache gesetzt für die A b koppelung von Recht und Ethik.
72 Zur Präventionsfunktion des Risikoprinzips im Haftpflichtrecht vgl. Rümelin, Der Zufall im Recht, S.30ff.; Deutsch, J Z 1968, 721, 725. 73 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, Frankfurt/Main 1993. 74 Vgl. Meder, J Z 1993, 539, 540. 75 Vgl. Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 240ff., der auf S. 242 auf den »neuen Tauschzusammenhang ... Gefährdung gegen Schadloshaltung« hinweist. Vgl. auch Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin/New York 1991, S.22. 76 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S.258, spricht von Recht »ohne Gedächtnis«; vgl. auch ders., S.333f.
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
155
Dem Recht kommt nunmehr die Aufgabe zu, die Grenze des noch Tolerablen festzulegen. Der »Entindividualisierung« auf Seiten des Geschädigten in Form des Zwangs zur Hinnahme von Beeinträchtigungen absolut gesetzter Rechtsgüter des Subjekts entspricht auf Seite des Handelnden eine Objektivierung der Verantwortung im Sinne einer Zurechnung auch außerhalb seines »individuellen Horizonts« liegender Handlungsfolgen und damit eine Abkehr vom Schuldprinzip der Zurechnung. 77 Diese Entwicklung drückt sich auch in der Objektivierung der Sorgfaltsanforderungen bei der Kategorie der Fahrlässigkeit aus 78 sowie in der Statuierung umfangreicher Organisationspflichten des Unternehmens. 79 Trotzdem verbleiben nach Ansicht von Meder Anwendungsbereiche für das Verschuldensprinzip bei der privatrechtlichen Zurechnung. 80 Dies ist zum einen bei vermeidbaren Schädigungen der Fall, wo die Zuweisung von Verantwortung an das Individuum gerechtfertigt ist. Aber auch im Bereich immanent riskanten Verhaltens sieht er eine Funktion des Verschuldensprinzips im Schaffen von Anreizen zur Schadensvermeidung und damit einem Ausbalancieren von individuellen und gesellschaftlichen Zuständigkeiten. Praktisch bedeutet dies aber einen Wechsel von einem »vorgeordnete(n) Prinzip« zu einem »Verteilungsregulativ« neben anderen. 81 Insgesamt läßt sich danach eine »Umstellung von Schuld auf Zuständigkeit« 82 feststellen: Von dem autonomen Subjekt als Handlungsträger, der für die von ihm beherrschbare individuelle Sphäre verantwortlich ist, zur Abwicklung von Folgen gefährlichen Handelns durch die Gesellschaft, die dem einzelnen unter verschiedenen Gesichtspunkten Zuständigkeitsbereiche zuweist, die nicht moralisch begründet werden. In diesem Sinne besteht auch eine Wechselwirkung zwischen der Vermehrung von Handlungsmöglichkeiten und zunehmender Verrechtlichung. 83 Gegenüber den verwandten Zurechnungskriterien Wille in der Rechtsgeschäftslehre und Verschulden im Schadensersatzrecht in der klassischen Lehre bildete der »Zufall« die Grenze der Verrechtlichung von Schadensfällen. 84 Nunmehr 77 Vgl. Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S.256f. Vgl. auch Kilian, Gefährdungshaftung, in: Görlitz (Hrsg.), H a n d l e x i k o n der Rechtswissenschaft, Band 1, M ü n c h e n 1972, S. 110, 113. 78 Vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S.42, w o n a c h es nicht mehr um individualethische Bewertung, sondern u m R i s i k o z u r e c h n u n g zwischen »Bestandsinteressen des Geschädigten und den Entfaltungsinteressen des Verkehrs« geht, w e n n auch f ü r Verhaltensfolgen. Zur Rolle des Verkehrs- und Vertrauensschutzes bei § 2 7 6 Abs. 1 S. 1 B G B vgl. auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 175 m . w . N a c h w . 79 Vgl. MünchKomm-Afertens, 3. A u f l . 1997, § 8 2 3 Rdnr. 282ff. 80 Vgl. Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 274ff. 81 Vgl. Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S.277. 82 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S.326. 83 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 331 f., weist aber auch auf das mit der Technisierung einhergehende »Zurücktreten des Staates« hin, das w i e d e r u m zu einer »Reethisierung des Rechts« führen könnte. Ders., JZ 1993, 539, 545, nennt als Grundlage für besondere Einstandspflichten technische, wirtschaftliche oder professionelle Überlegenheit, faktische Normsetzungsmacht und Informationsvorsprung. 84 Vgl. Meder, J Z 1993, 539, 541.
156
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
wird der Bereich der rechtlichen Zuordnung erweitert um einen Bereich, in dem das Risikoprinzip als Zurechnungskriterium wirksam wird. In diesem Bereich läßt sich ein Schaden auf Entscheidung, also »intern«, zurechnen, während im verbleibenden Bereich des Zufalls eine externe Zurechnung auf Umwelt stattfindet. 85 In dem neu hinzugekommenen Bereich ist dann auch nicht mehr das Modell des völlig autonom handelnden Individuums aufrechtzuerhalten. 86 In diesem Sinne läßt sich die Haftungsausweitung nach dem Risikokriterium auch als Ausdruck einer gewissen Aufweichung der Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung ansehen. 2. Zurechnungsmodell des Risikoprinzips a) Anknüpfung
an
Willen
Nun ist es keineswegs so, daß bei der durch das Risikokriterium begründeten Haftung kein Zusammenhang zum Willen und zum Selbstbestimmungsprinzip besteht. 87 So läßt sich die ursprüngliche Entscheidung, ein gefährliches Produkt herzustellen, einen Verkehr überhaupt zu eröffnen oder dritte Personen einzuschalten, als »freie« Entscheidung ansehen. 88 Diese läßt sich als Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Minimaltatbestands an Selbstbestimmungsfreiheit verwenden, der auch für die Vereinbarkeit des Risikoprinzips mit dem Gedanken der Privatautonomie ins Feld geführt werden kann, der die Rechtsgeschäftslehre beherrscht. Letztlich handelt es sich aber um ein sehr schwaches Element, da als Alternative ja nur der Verzicht auf die jeweilige Aktivität verbleibt. 89 So liegt denn gerade der Ausprägung des Risikogedankens in der Gefährdungshaftung ein faktischer sozialer Zwang zur Hinnahme einer Gefahr bzw. zur Inanspruchnahme der Gefahr begründenden Leistung zugrunde. 90 Gerade insofern ist es aber problematisch, mit der zunehmenden Technisierung Handlungsfolgen auf den Willen zurückzuführen. Dies gilt sowohl für den Be-
85 Vgl. Meder, JZ 1993, 539, 543, unter Bezugnahme auf Luhmann, Soziologie des Risikos, S.30ff. Meder, JZ 1993, 539,544, führt als Beispiel für externe Veranlassung die Kriterien der »höheren Gewalt« bzw. des »unabwendbaren Ereignisses« an. 86 Zur Rückführung der Verschuldensformen auf den Willen vgl. Meder, JZ 1993, 539, 541 m.w.Nachw. 87 Vgl. auch Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S.73; a.A. Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S.234ff. 88 Vgl. Meder, JZ 1993, 539, 543f., der diesem »autonomen« Element verschiedene heterogene Elemente der Entscheidung zuordnet. Vgl. auch Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S.94. Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 74, spricht vom Setzen eines gesteigerten Risikos. 89 Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S.31, spricht hier von einem auf das Verschuldensprinzip zielenden »Kryptoargument«. 90 Vgl. H Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, Frankfurt/Main 1980, S.31 ff. Vgl. auch Kilian, Gefährdungshaftung, in: Görlitz (Hrsg.), Handlexikon der Rechtswissenschaft, Band 1, München 1972, S. 110, 113.
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
157
reich des Delikts- als auch des Vertragsrechts. 91 Schon Esser hat darauf hingewiesen, daß die Annahme der »Aktivität der Sache« als einer solchen des Besitzers oder gar einer latenten »Aufspeicherung« der Willensbetätigung des Herstellers in einer Sache auf eine bloße Fiktion hinauslaufe. 92 Diese Überlegung gilt natürlich mindestens ebenso für die Auslagerung intellektueller Funktionen auf Maschinen, wie es im Bereich der Computererklärung der Fall ist. Die Annahme eines »generellen« Erklärungs- bzw. Geschäftswillens ist zwar vielleicht nicht in gleicher Weise fiktiv, kann aber nur dogmatische Umsetzung für eine auf anderen Erwägungen beruhende Zurechnung in einer an das Willensdogma gebundenen Rechtsgeschäftslehre sein. b)
Objektive
Zurechnungsgesichtspunkte
Heteronome Zurechnungselemente in der Gefährdungshaftung beruhen auf der Entscheidung des Gesetzgebers, ein nicht vollkommen beherrschbares Verhalten für zulässig zu erklären, daran aber die haftungsmäßige Überwälzung der Folgen auf den Handelnden als Nutznießer eines solchen Risikos zu knüpfen. 93 Hierin läßt sich ein auf Gerechtigkeitserwägungen zurückzuführendes Prinzip sehen. Die Entwicklung der Gefährdungshaftung war gekennzeichnet durch das Zusammenwirken verschiedener Zurechnungsgesichtspunkte, die je nach Fall unterschiedlich zu gewichten waren. Dies wird auch für andere Ausprägungen des Risikoprinzips angenommen. Mehr oder weniger explizit wird dabei methodisch das Konzept des »beweglichen Systems« im Sinne von Wilburg zugrundegelegt. 94 Köndgen arbeitet für die Gefährdungshaftung folgende Zurechnungskriterien heraus: Schädigung durch besondere Gefahr Gesichtspunkt der verteilenden Gerechtigkeit K o n n e x von Haftung und Interesse Haftung für die eigene Einfluß- und Wirkungssphäre. 9 5
J. Hübner führt folgende Kriterien für eine Abgrenzung der Risikosphären an, allerdings im Kontext der gefahrgeneigten Arbeit:
" In bezug auf eine objektive Zurechnung im Deliktsrecht vom Handlungsbegriff her insofern Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 94. 92 Vgl. Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S.94. 93 O b man hier mit Yang, Risiko als Zurechnungsgrund, Trier 1996, S. 26, von einem »erlaubten Verschulden« sprechen sollte, erscheint aus Sicht dieser gesetzgeberischen Entscheidung zweifelhaft. Yang sieht auch hier ein Element der Vorwerfbarkeit, das zur Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko dienen kann, wodurch das Risiko als Zurechnungsgrund auf dem Prinzip der personalen Veranwortung und letztlich auf dem Schutz der individuellen Handlungsfreiheit beruhe. 94 Vgl. H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 16ff.;/. Hühner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, Berlin 1974, S. 138f.; Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S. 24f. 95 Vgl. Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S.25ff. Davon sei allerdings nur der erste Gesichtspunkt selbständig tragfähig.
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Veranlassung einer gefährlichen Tätigkeit Organisationsgewalt bzw. -bereich Vorteil-Nachteil-Prinzip (Interessentheorie) Kostenabwälzung Versicherbarkeit. 96 H . B e r g e r d i f f e r e n z i e r t f ü r die G e f ä h r d u n g s h a f t u n g z w i s c h e n S c h u t z g r u n d a s p e k t e n , die die S c h u t z w ü r d i g k e i t des A n s p r u c h s t e l l e r s b e t r e f f e n , u n d Z u r e c h n u n g s g r ü n d e n , die die S c h a d e n s v e r a n t w o r t l i c h k e i t des A n s p r u c h g e g n e r s b e g r ü n d e n . 9 7 V. S c h e n c k f ü h r t das a l l g e m e i n e G e s t a l t u n g s p r i n z i p » V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r die eigene R e c h t s s p h ä r e « auf die G r u n d e l e m e n t e » r e c h t l i c h e M a c h t « , also G e f a h r e n beherrschung, sowie »rechtliches Interesse« zurück.98 c) Risikoprinzip
und
Sphäre
O b j e k t i v e T h e o r i e n der Z u r e c h n u n g bei der G e f ä h r d u n g s h a f t u n g b e r u h e n auf der O r g a n i s a t i o n s h e r r s c h a f t des G e f a h r v e r a n t w o r t l i c h e n ü b e r die S a c h e o d e r den B e t r i e b , v o n d e n e n die G e f a h r a u s g e h t « 9 9 b z w . auf der Z u w e i s u n g eines » H e r r s c h a f t s - u n d V e r a n t w o r t u n g s b e r e i c h ( s ) einer P e r s o n « 1 0 0 des
Ersatzpflichtigen,
u n d v e r d ü n n e n d a m i t w e i t e r d e n B e z u g auf m e n s c h l i c h e s V e r h a l t e n h i n z u einer A r t Z u s t a n d s h a f t u n g für b e s t i m m t e » V e r a n t w o r t u n g s k r e i s e « . 1 0 1 E s s e r s p r i c h t i n s o w e i t v o n » E i n s t a n d s p f l i c h t « , zu d e r e n B e g r ü n d u n g n e b e n d e m auf g e r m a n i s c h e s D e n k e n z u r ü c k g e h e n d e n G e w a l t v e r h ä l t n i s in der m o d e r nen Wirtschafts- und Sozialverfassung vorübergehende AbhängigkeitsverhältnisJ. Hühner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 139ff. Vgl. H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 30ff. Schutzgrundaspekte sind danach: Faktischer sozialer Zwang zur Hinnahme einer schwerwiegenden abstrakten Gefahr für körperliche Integrität oder sächliche Rechtsgüter, Keine unmittelbare nutznießende Partizipation des Anspruchstellers ohne echte soziale Notwendigkeit, Kein Einfluß auf Risiko durch Geschädigten, Beweisnot bei fremdem Geschäftskreis. Als Zurechnungsgründe kommen danach in Betracht: Anspruchsgegner fließt Hauptvorteil aus besonders risikoträchtigem Geschäftskreis zu, Bessere Beherrschbarkeit des Risikos, mit den Unteraspekten bessere Vorhersehbarkeit bzw. Kalkulierbarkeit des Risikos, bessere Risikominderungsmöglichkeit durch unmittelbare Einwirkungsgelegenheit kraft Sachnähe, Möglichkeit zur Sozialisierung der Schäden. Bei »Haftungsmischformen« zwischen Gefährdungs- und Verschuldenhaftung soll als Schutzgrund noch der Vertrauensschutz hinzutreten. 98 V. Schenck, Der Begriff der »Sphäre« in der Rechtswissenschaft, insbesondere als Grundlage der Schadenszurechnung, Berlin 1977, S. 380, 404. Vgl. ferner Wilhurg, Die Elemente des Schadensrechts, S.40ff. 99 Deutsch, Haftungsrecht, Erster Band, Köln/Berlin 1976, S.370. 100 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, 2. Band, Besonderer Teil, 2. Halbband, 13. Aufl., München 1994, § 84 I 2., S. 605; Oertmann, Die Verantwortlichkeit für den eigenen Geschäftskreis, »Recht« 1922 Sp.5ff. 101 Weyers, Unfallschäden, Frankfurt/Main 1971, S. 396, unter Bezugnahme auf Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 32. 96
97
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
159
se sowie Interessenbetätigung dienen. 102 Grundgedanke ist der Erwerb einer erhöhten Macht durch Aneignung fremder Kräfte, seien sie menschlicher oder sächlicher Art, dem eine entsprechende Verantwortlichkeit gegenüberstehe. Wilburg hatte bereits versucht, den auch für das Vertragsrecht wirksamen Sphärengedanken zu konkretisieren. 1 0 3 E r rechnete dazu neben dem Handeln der eigenen Person »alles, was den Zwecken der Person dient« 104 und unterschied zwischen Sachen und Personen. Sachen sollen danach der Sphäre desjenigen zugerechnet werden, der sie für seine Zwecke einsetzt. Wilburg spricht insofern von einer »lebenden Beziehung«. 1 0 5 Eine Person soll dagegen dem Unternehmen zugerechnet werden, in dem sie tätig ist. Zu fragen ist dann, wie man den Gesichtspunkt der »Verantwortungskreise« im Sinne einer Einfluß- und Wirkungssphäre konkretisieren kann. Darin steckt der Gedanke einer »Statusbeziehung« unabhängig von konkretem Handeln. 1 0 6 Köndgen sieht darin jedoch keinen eigenen Zurechnungsgesichtspunkt, sondern lediglich einen »formalen Anknüpfungspunkt für die Passivlegitimation des Betriebsherrn«. 107 Der dominierende Gesichtspunkt im »Zurechnungsmodell« der Gefährdungshaftung ist danach die »besondere Gefahr«. Im Rahmen des Konzepts einer »Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen« kommt Prölls zu einer Konzeption der Sphäre als tatsächlichem Lebensbereich eines Schädigers, »den er im Hinblick auf eine mögliche Schädigung des Verletzten diesem gegenüber kraft der ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen und tatsächlichen Mittel im allgemeinen zu beherrschen vermag«. 108 Dazu gehört der von ihm zu beherrschende räumlich-gegenständliche Bereich. Für die Abgrenzung eines Verantwortungsbereichs im Sinne der Zuordnung von Gefahrenbereichen kann es nicht mehr allein auf räumlich-gegenständliche Kriterien ankommen, vielmehr gehen diese im Gesichtspunkt der abstrakten Beherrschbarkeit der Gefahr auf. 109
3. Risikoprinzip und Rechtsgeschäftslehre Der Risikogedanke läßt sich im Schadensersatzrecht an verschiedenen Stellen nachweisen. Dazu gehören neben den Sondertatbeständen einer reinen Gefähr102 Yg] £ s s e r ; Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 99ff. Seine Anknüpfung an »Selbstbezeichnung« und »Sozialstellung« erinnert bereits stark an die von Köndgen ausgearbeiteten interaktionsbezogenen Haftungselemente. Vgl. Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S.40f. Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S.40. 103 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 41. 106 yg] a u c j 1 grundlegend v.Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die die Deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 803. 107 Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S.33. 108 pyglls^ Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, Karlsruhe 1966, S. 82f. 109 Vgl. auch Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, München 1979, S. 87. Zur Beherrschbarkeit als zentralem Kriterum für die Abgrenzung von Sphären auch Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969, S. 18f. 103
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3. Kapitel: Die Elektronische
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im inneren und äußeren
System
dungshaftung die Risikozurechnung an den Geschäftsherrn nach §278 und nach §831 B G B , die Haftung des Geschäftsherrn bei Auftrag und G o A , die Lehre von der gefahrgeneigten Arbeit und die Lehre vom Betriebsrisiko, vertragsrechtliche Gefahrverteilung, Zurechnung von Rechtsscheinstatbeständen sowie Fälle der Beweislastumkehr. 110 Daraus wird ein allgemeines privatrechtliches Prinzip der Schadenszurechnung nach Risikosphären abgeleitet. 111 Wurde auch der Risikogedanke bisher hauptsächlich im Kontext von deliktischer und Gefährdungshaftung diskutiert, so besteht doch grundsätzlich kein Hindernis, die Wirksamkeit dieses Prinzip auch für das Vertragsrecht und die Rechtsgeschäftslehre zu prüfen, ohne dabei die kategorialen Unterschiede zwischen Vertrag und Delikt einzuebnen. 112 Wie bereits oben 1 1 3 angeklungen, ist der Gedanke, die Rechtsgeschäftslehre mit dem Risikogedanken zu verbinden, nicht neu. Bereits Max Rümelin wollte zunächst die Fälle fehlgehender Willenserklärungen der Gefährdungshaftung unterstellen 114 und hat später für den rechtsgeschäftlichen Verkehr, den er von dem Bereich, in dem die Gefährdungshaftung anwendbar ist, getrennt hat, aus der U n möglichkeitslehre den Gedanken der Gefahrenverteilung mit einer Risikozuweisung an denjenigen, »in dessen Einwirkungssphäre« sich Fehler oder Unstimmigkeiten »ereignet oder ergeben haben«, entwickelt. 115 Rolf Raiser hat daran anknüpfend die Auslegung als Risikoverteilung bezeichnet, die Verkehrserfordernisse einbezieht. 116 Wenn Raiser darüber hinaus zusätzlich ein individuelles Ver-
110 Vgl. H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 21 f.; / . Hühner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 77ff.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.480ff.; Larenz, JuS 1965, 373, 374ff. Zum Ursprung des Sphärengedankens bei der Frage der Verteilung des Werklohnrisikos vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 189. 111 V g l . / . Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 137ff., der diese allerdings nicht als subsumtionsfähiges »rechtssatzförmiges Prinzip« im Sinne von Larenz ansieht, a.a.O., S. 55; so auch H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 3. Vgl. ferner Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S.38ff. 112 Vgl. Wilhurg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 282, der von der Möglichkeit einer gemeinsamen »Formel« ausgeht. Vgl. ferner von Bar, in: Winkler/Antoniolli/Raschauer (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, Wien/New York 1986, S. 63, 72ff.; H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 92ff. 113 §4 111. 114 Vgl. Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadenspflicht, Freiburg 1896, S.47ff., im Anschluß an Müller-Erzhach, AcP 106 (1910), 309ff., der allerdings grundsätzlich zwischen Gefährdungshaftung und »Gefahrtragung« als freiwilliger Interessenexponierung unterscheidet, wobei etwa im letzteren Bereich nicht für Fälle »höherer Gewalt« gehaftet werden soll, »in denen ein Risiko sich einer in wirtschaftlichen Grenzen bleibenden Beeinflussung ganz entzieht«, a.a.O., S.417. 1,5 Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, Tübingen 1910, S.42, 45. Vgl. bereits Rudolf Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, Straßburg 1895, S. 173: »Ursprung einer Schädigung in dem Bereiche unserer Macht- und Wirkungssphäre ..., über welche sich unsere Verantwortlichkeit erstreckt«. 116 Vgl. Rolf Raiser, AcP 127 (1927), 1, 26ff., unter Bezugnahme auf Manigk. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 191, spricht diesbezüglich von einer »in sich geschlossene(n),
5 6 Elektronische
Willenserklärung
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nach dem Risikoprinzip
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schulden prüfen will, 117 so ist dem entgegenzuhalten, daß die normative Wertung im Rahmen der Auslegung auch einen Vorwurf an die Empfängerseite impliziert, auch wenn dies ein verobjektivierter Fahrlässigkeitsvorwurf ist. Für einen individualisierenden Fahrlässigkeitsmaßstab ist daneben kein Raum. 118 Allerdings ist Raiser zumindest insoweit zu folgen, als mit der normativen Auslegung noch nicht über das maßgebliche Zurechnungsprinzip auf Seiten des Absenders der Erklärung entschieden ist. 119 Bei der Anwendung des Risikoprinzips im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre, also in der Vertragsabschlußphase, ist auch zu bedenken, daß diese in gewissem Sinne zwischen Delikt und bereits begründeten vertragsrechtlichen Pflichten steht. Einerseits ist die Kontrahierungsphase eher als freiwillige Interessenexponierung zu bewerten als der Bereich der Informationsphase oder der allgemeinen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ohne konkreten Bezug zum rechtsgeschäftlichen Bereich. 120 Andererseits sind natürlich auch hier für den Einzelnen unveränderliche Rahmenbedingungen und Zwänge gesetzt, denen er sich ähnlich wie im deliktischen Bereich nicht entziehen kann, während nach Abschluß des Vertrags die Pflichtenlage und auch die Rahmenbedingungen stärker durch den mehr oder weniger freiwillig vereinbarten vertraglichen Rahmen gekennzeichnet sind. Symptomatisch dafür ist die Haftung aus culpa in contrahendo, die als »gesetzliches Schuldverhältnis« angesehen wird und ein Verhalten voraussetzt, das auf Abschluß eines Vertrags oder Anbahnung geschäftlicher Kontakte gerichtet ist. 121 Canaris sieht als Voraussetzung für eine Vertrauenshaftung die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr und begründet dies mit einer gesteigerten Selbstverantwortung als Korrelat der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit. 122 Dieses Kriterium dient aber eher einer Begrenzung der Haftungsfolgen und läßt sich unauf dem Risiko- und Vertrauensgedanken aufgebaute(n) Theorie der Auslegung«. Vgl. ferner aus Sicht der Erklärungstheorie Bahr, JhJb 14, 393, 407 (1875). 117 Vgl. Rolf Raiser, AcP 127 (1927), 1, 32. 118 Vgl. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 192, unter Berufung auf §276, der mit § 157 und den Kriterien von »Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte« unter dem Aspekt von »Standards« in einem »funktionellen Zusammenhang« stehe, was im Kontext von Delikts- und Vertragsrecht »überspannende(n) Grundprinzipien des Schuldrechts« in Form des Gedankens der objektiven Zurechnung und des Vertrauensprinzips stehe. 119 Sieht man wie Kramer hierin eine Wirkung des Verschuldenselements bereits bei der Prüfung des Vertragsschlusses, so kann man dann auch § 122 als Fall einer echten Verschuldenshaftung ansehen, vgl. Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 193 Fußn.297. Vgl. dazu auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 188, sowie MünchKomm-^ramer, § 122 Rdnr. 3. 120 Von einem »scharfen« dogmatischen Gegensatz zwischen Vertrauens- und Gefährdungshaftung bei freiwilliger Selbstgefährdung geht Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.481 Fußn. 36, aus. 121 Vgl. Begründung zum RegE Schuldrechtsmodernisierung, BT-Drs. 14/6040, S. 162; Pahndt-Heinrichs, §276 Rdnr. 65ff. Vgl. auch Dölle, ZStaatsW 1943, 67: gesteigerter sozialer Kontakt. 122 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.442ff., 538f.
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
ter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Sicherung eines reibungslosen Geschäftsverkehrs nur rechtfertigen, wenn man es objektiv faßt und auf die Perspektive des Kommunikationspartners abstellt. 123 Auch Köndgens Konzept eines »Kontinuums von Beziehungen« 1 2 4 zwischen Vertrag und Delikt entbehrt ja nicht eines gewissen zumindest deskriptiven Realitätsgehalts. U b e r diesen Bereich der Vertragsanbahnung hinaus hat Koller aber die Wirksamkeit des Risikoprinzips in zahlreichen Normen des Vertragsrechts nachgewiesen, wobei dieses nicht immer offen zutage tritt, sich aber viele Problemlösungen von der Wirkung dieses Prinzips her erklären lassen. 125 Canaris hat die Bedeutung des Risikoprinzips für die Vertrauenshaftung herausgestellt. 126 E r betont dabei zutreffend, daß es im einzelnen um die Herausarbeitung der jeweils zu bewältigenden Gefahren und der Gesichtspunkte ihrer Verteilung geht. Ebenso wie bei der Vertrauenshaftung geht es auch in der Rechtsgeschäftslehre um die Verteilung spezifischer Erklärungsrisiken. 127 Canaris geht von einem »allgemeinen Erklärungsrisiko« aus, das jeder selbst tragen müsse. 128 Kommunikation ist elementarer Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, so daß die bloße Tatsache der Abgabe einer Erklärung noch nicht als Anknüpfungspunkt für eine Risikoverteilung genommen werden könne. Allerdings muß man sehen, daß auch der Grundsatz, daß jeder dieses allgemeine Erklärungsrisiko selbst zu tragen habe, ebenfalls eine Risikoverteilung zur Folge hat, die sich nach den tatsächlichen Umständen und den vom Gesetzgeber grundsätzlich getroffenen Wertungen richtet. 129 So ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung 123 Vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 201 f. Zur Verbindung des Prinzips der verschärften Haftung für geschäftlichen Kontakt mit dem Gesichtspunkt der besseren Beherrschbarkeit und dem Zweck des Vertrauensschutzes und der Sicherung der Funktionsfähigkeit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.210. Königen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 420. 125 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 99ff. Gegen eine Abgrenzung nach Risikosphären im Vertragsrecht Joost, Z H R 153 (1989), 237, 248. 126 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 479ff. Vgl. ferner für Ausprägungen des von ihm angenommenen Prinzips abstrakter Beherrschbarkeit Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. lOOff. Für die Blanketterklärung vgl. auch Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 79. Canaris macht hinsichtlich der Anwendbarkeit des Risikoprinzips bei der Zurechnung keinen Unterschied zwischen »positiver« und »negativer« Vertrauenshaftung, vgl. zur »Erklärungshaftung« ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 532ff.; anders Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 315 Fußn. 87, wohl aus seinem unterschiedlichen Ansatz einer subjektiven Zurechnung bei c.i.c., S.89ff., 191f., 288ff., 311 ff. 127 Vgl. auch Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 194, der darauf hinweist, daß es beim Schutz von Vertrauen funktionell um die Verteilung der »spezifischen Risiken des Willenserklärungsverkehrs« geht, sowie ders., S.291. 128 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 481 f. Für eine Verteilung auch des allgemeinen Erklärungsrisikos nach der abstrakten Beherrschbarkeit Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194 Fußn. 309. 129 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044, hat das »allgemeine Lebensrisiko« nicht nur als Bereich fehlender Haftung, sondern als selbständiges Rechtsinstitut und negativen Zurechnungsgrund 124
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der §§116ff. BGB, daß der Absender einer rechtsgeschäftlichen Erklärung das Ubermittlungsrisiko bis zum Eintreffen der Erklärung im Herrschaftsbereich des Empfängers zu tragen hat. Canaris nennt als Hauptgesichtspunkte für eine Risikoverteilung die Schaffung eines erhöhten Risikos und eine größere Beherrschung des jeweiligen Risikos 130 . Dies gelte für das »Irreführungsrisiko« ebenso wie für das »Mißbrauchsrisiko« und das »Richtigkeitsrisiko« bei deklaratorischen Kundgaben gegenüber Dritten. Das Risiko des Abhandenkommens von Urkunden läßt sich mit der Erwägung des Schaffens einer erhöhten Gefahr durch die Unterschrift verteilen. Eine erhöhte Gefahr wird auch durch die Einschaltung eines Stellvertreters geschaffen, an der im Falle des § 179 der Vertreter »näher dran« ist als der Geschäftspartner. 131 Bei Anwendung des Risikoprinzips spielt auch der Gedanke eine wichtige Rolle, daß der Mangel aus der »Sphäre« desjenigen stammt, dem zugerechnet wird, weil er diese jeweilige Gefahr besser beherrscht als der andere Teil.132 Dies gilt nach Canaris beim Vorliegen von Willensmängeln. Demgegenüber steht nach Ansicht von Canaris im Falle fehlenden Erklärungsbewußtseins die gesetzliche Regelung einer entsprechenden Risikoverteilung entgegen, wobei aber eine Ausnahme für den Bereich der spezifischen Organisationsrisiken des kaufmännischen Betriebs gelten soll. Grundlage einer Haftung ist hier die abstrakte Gefahrenbeherrschung durch die Möglichkeit der Auswahl und Überwachung der Mitarbeiter, oder grundsätzlicher die aus der arbeitsteiligen Organisation entstehenden Gefahren wie die Undurchsichtigkeit der internen Funktionsverteilung. Hier spielt auch der Verkehrsschutzgedanke eine wichtige Rolle. Canaris sieht hier sogar ein »allgemeines Haftungsprinzip« in Fällen, in denen die Ungültigkeit einer Erklärung allein aus der Sphäre des Erklärenden stammt. 133 Demgegenüber sieht Canaris in den Fällen der Verschuldenshaftung einen schwächeren Vertrauenstatbestand und die Zurechenbarkeit des Mangels nicht nur zur Sphäre eines Beteiligten, was ein zusätzliches Verschuldenserfordernis rechtfertige und auch der Einzelfallgerechtigkeit diene. 134 Die Unterscheidung der zwei Zurechnungsprinzipien Verschuldens- und Risikoprinzip entspricht auch den zwei Funktionen der von Canaris so genannten
ohne spezifische Kriterien angesehen und geht dabei von einem »dem Rechtsgutträger zugewiesen e ^ ) Risikobereich« aus. Vgl. ferner Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, Berlin 1980, S. 96ff.; Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S.56ff. Einen Uberblick z u m Diskussionsstand gibt Haselblatt, Die Grenzziehung zwischen verantwortlicher Fremd- u n d eigenverantwortlicher Selbstgefährdung im Deliktsrecht, Köln 1997, S. 50f. 130 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 482; zur A n w e n d u n g des Risikoprinzips auf Unterlassen, a.a.O., S.488ff. Vgl. auch Gudian, A c P 169 (1969), 233, 234. 131 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 535. 132 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 535 im Hinblick auf § 122 BGB; M ü n c h K o m m - ^ r a m e r , § 122 Rdnr. 3; v. Craushaar, A c P 174(1974), 1, 11. 133 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 536f. Zur A b g r e n z u n g gegenüber einer Gefährdungshaftung ders., S. 481 Fußn. 36. 134 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 536.
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3. Kapitel: Die Elektronische
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»Erklärungshaftung«: dem Schutz der bona fides auf der einen Seite, dem Verkehrsschutz auf der anderen Seite. 135 Damit wird aber auch deutlich, daß das Vordringen des Risikoprinzips Ausdruck einer zunehmenden Objektivierung im Sinne einer steigenden Bedeutung des Verkehrsschutzes ist. Dies entspricht funktional - wie oben beschrieben - der Umstellung vom Schutz personalen Vertrauens hin zum Schutz von Systemvertrauen. 136 Anknüpfend an §§122, 179 B G B kann man dem Risikoprinzip einen festen Platz auch im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre zubilligen. 137
IV. Einsatz von Informationstechnologie als Form arbeitsteiliger Organisation und Wirkung des Risikoprinzips 1. Arbeitsteilige Organisation von Wissen Daß das Risikoprinzip auch zur Bewältigung von Risiken aus dem Einsatz der Informationstechnologie geeignet ist, zeigt dessen Vordringen in der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung in arbeitsteiligen Organisationen bei Einführung von Informationstechnologie. Auch hier ergeben sich Argumente für einen »Funktionswandel« im Sinne einer steigenden Bedeutung von Vertrauens- und Verkehrsschutz. Zugleich lassen sich die Grundsätze zur Wissenszurechnung auch im Hinblick auf den Aspekt arbeitsteiliger Organisation näher analysieren.
a) Grundsätze der Wissenszurechnung
bei arbeitsteiliger
Organisation
Wissen spielt auch in der Rechtsgeschäftslehre ein wichtige Rolle. Die Willenserklärung enthält eine Informationskomponente und ein performatives Element. Für den subjektiven Tatbestand und die Anfechtung ist die Frage nach dem vorhandenen Wissen ebenfalls von Bedeutung. Schließlich stellt sich die Frage der Wissenszurechnung zwischen Stellvertreter und Vertretenem (§166 Abs. 1, 2 BGB).
Vgl. Canarts, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 534. S.o. S. 149ff. Zum Zusammenhang von Treu und Glauben und dem Entstehen von Pflichten aus der Kommunikation vgl. Druey, Information als Gegenstand des Rechts, S. 313ff. 137 Vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 184ff. Vgl. auch MünchKomm-Äramer, § 122 Rdnr. 3, wonach § 122 Ausdruck des Sphärengedankens sei. Aus der neueren Lehre vgl. Kellmann JuS 1971, 609, 615, im Sinne einer positiven Bindung; Marburger, AcP 173 (1973), 137, 155; Giesen Jura 1980, 23,28f.; Soerge\/Hefermebl, § 122 Rdnr. 1; Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 72f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, 183ff. Vgl. auch Larenz, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1980, S. 40, wonach der Vertrauensschutz im Bereich der Rechtsgeschäftslehre nicht rechtsethisch im Gebot von Treu und Glauben begründet ist, sondern ein »rechtstechnisches Mittel zur Erhöhung der Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs« darstellt,. Bei Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1995, ist auf S. 33 Rdnr. 36, bei der fast wörtlichen Übernahme dieser Passage zwar von »rechtsethische(m) Mittel« die Rede, dies dürfte aber auf einem Redaktionsversehen beruhen. 135
136
5 6 Elektronische
Willenserklärung
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nach dem Risikoprinzip
165
Im Zusammenhang mit der Frage nach der rechtlichen Behandlung von Risiken arbeitsteiligen Handelns hat die Rechtsprechung neben der Zurechnung fremden Handelns im Rahmen des Organisationsverschuldens in letzter Zeit die Entwicklung einer Zurechnungslehre auf mehrere Personen verteilten Wissens bei arbeitsteiliger Organisation vorangetrieben. 138 Dabei richtet sich die konkrete Art der Wissenszurechnung auch nach dem Zweck der jeweiligen »Wissensnorm«. 139 Zunächst hatte der B G H die Frage, inwieweit sich eine Gemeinde das Wissen eines ausgeschiedenen Bürgermeisters im Rahmen der Arglisthaftung (§476 B G B ) zurechnen lassen müsse, als Frage einer »angemessene(n) Risikoverteilung zwischen Bürger und Gemeinde« bezeichnet, letztlich aber als Frage der Organhaftung behandelt. 140 Der B G H hob dabei hervor, daß die Zurechnungskette vom Organvertreter zur juristischen Person auch nach Ausscheiden des Amtsträgers im Interesse des Verkehrsschutzes fortbestehe, wobei er auf das »typischerweise aktenmäßig festgehaltene Wissen« abstellte. In einer weiteren Entscheidung lehnte der B G H die Zurechnung des Wissens eines Sachbearbeiters in einem Baurechtsamt zu dem für den Kaufvertrag zuständigen Liegenschaftsamt ab, da die Gemeinde nicht verpflichtet sei, einen »allgemeinen Informationsaustausch zu organisieren«. 141 Im Jahre 1996 hat der V. Zivilsenat des B G H dann in einem eine G m b H & Co. K G betreffenden Fall eine für alle Verbände geltende pflichtenbezogene Wissenszurechnung im Interesse des Verkehrsschutzes begründet. 142 Der B G H knüpfte zunächst an die vorhergehende Entscheidung an, die für eine Wissenszurechnung eine Anknüpfung daran erwogen hatte, daß die jeweiligen Informationen »verfügbar«, weil »typischerweise aktenmäßig festgehalten«, seien. Er stellte dabei auch klar, daß nicht die Organstellung Grund der Zurechnung sei, sondern der Gedanke des Verkehrsschutzes. Dieser Gedanke äußere sich in einer Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der verbandsinternen Kommunikation, die sich ähnlich einer Verkehrspflicht aus dem Gedanken der Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs ergäbe. Diese Pflicht spaltet sich auf in eine Informationsabfrage- und eine Informationsweiterleitungspflicht. 143 Nunmehr konkretisiert der B G H die Informationsweiterleitungspflicht dahingehend, daß Informationen, deren Relevanz für den konkret Wissenden erkennbar sei, tatsächlich an jene Personen weitergegeben 138 Vgl. Schlechtriem, in: Doerry/Watzke (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heiermann, Wiesbaden, Berlin 1995, S. 281 ff. Bohrer, D N o t Z 1991,124,131, sieht in einem Prinzip der Wissensverantwortung einen Baustein einer zivilrechtlichen Organisationslehre, zu der auch die Verkehrssicherungspflichten und die Vertrauenshaftung zu rechnen sei. 139 Allgemein zu den »Wissensnormen« Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 185ff.; Bohrer, D N o t Z 1991, 124, 125. 140 B G H Z 109, 327, 333. 141 B G H Z 117, 104. 142 Vgl. B G H Z 132, 30, 35; im Anschluß an Medicus, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S.4, 11 ff.; Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, 1994, S. 16, 25f. 143 Vgl. Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 28ff. Zur unterschiedlichen dogmatischen Einordnung als Verantwortlichkeit für eigenes Wissen einerseits und solche für fremdes Wissen andererseits vgl. B G H Z 132, 30, 37; Taupitz, JZ 1996, 734, 736.
166
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
werde. Die Informationsabfragepflicht beinhalte eine Sicherstellung, daß nach erkennbar anderswo innerhalb der Organisation vorhandenen und für den eigenen Bereich wesentlichen Informationen nachgefragt werde. 144 Nach der Entscheidung sollen diese Grundsätze für alle arbeitsteiligen Organisationen gelten, bei denen es zur Wissensaufspaltung kommen kann. 145 Der B G H hatte schon früher nicht die Zurechnung jedes vorhandenen Wissens angenommen, sondern einen konkreten Anlaß gefordert und darauf abgestellt, ob der Informationsaustausch möglich und naheliegend gewesen sei, und dies mit der Gleichstellung mit einer natürlichen Person begründet, die nicht so viele Informationen wie eine öffentliche Behörde erlange. 146 Nunmehr begrenzt er unter Anerkennung einer Notwendigkeit der Gleichstellung mit menschlichen Fähigkeiten die zuzurechnende Information auf das Vorhandensein einer »realen Möglichkeit« und einen »Anlaß« zur Informationsbeschaffung aus Sicht des menschlichen Zurechnungssubjekts. Uber die bereits zuvor anerkannte Zurechnung des Wissens von »Wissensvertretern«, die nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen sind, im Rechtsverkehr als Repräsentanten Aufgaben eigenständig zu erledigen, 147 wird die Zurechnung hier auch auf an dem konkreten Vorgang Unbeteiligte erstreckt. Angeknüpft wird nicht mehr an die Person des Wissensträgers, dessen Wissen dem Verband zugerechnet werden soll, sondern an die Verfügbarkeit und die Pflicht zu deren Organisation. 1 4 8 Die Wissenszurechnung beinhaltet nach dieser Rechtsprechung eine immer offener ausgewiesene Risikoverteilung auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung. 149 Dogmatischer Anknüpfungspunkt war dabei vor allem § 166 Abs. 1 B G B in Analogie, 150 die neueste Entscheidung stützt sich aber direkt auf den Gedanken des Verkehrsschutzes, also auf ein Rechtsprinzip. 151 Für die Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung wird das Entstehen einer Regelungslücke aufgrund fortschreitender Arbeitsteilung angeführt. 152 Es scheint sich dabei um eine gesetzesübersteiVgl. B G H Z 132, 30, 37. Vgl. B G H Z 132, 30, 37; Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 25f.; Medicus, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S.4, 12; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.35. 146 Vgl. B G H N J W 1989, 2879; ders., N J W 1989, 2881. 147 Vgl. Púznát-Heinñchs, § 166 Rdnr. 6. 148 Vgl. B G H Z 132, 30, 35f., sowie bereits B G H Z 117, 104, 107. 149 Vgl. B G H Z 132, 30, 35; so schon B G H Z 109, 327, 329. Vgl. auch Drexl, Z H R 161 (1997), 491, 500, wonach den Interessen der Vertragsparteien und dem Verkehrsschutz einerseits, die Interessen an einer effektiven Arbeitsteilung und der Beherrschung des Organisationsbereichs andererseits gegenüberstehen. 150 Vgl. B G H N J W 1989, 2879; ders., N J W 1992, 1099; ders., N J W 1995, 2159, 2160; ders., N J W 1996, 1205; ders., N J W 1997, 1917. 151 Vgl. B G H Z 132, 30, 37. Einen Uberblick über die dogmatischen Anknüpfungspunkte für die Ausdehnung der Wissenszurechnung und die angeführten Argumente gibt Koller, J Z 1998, 75, 76 f. 152 Vgl. Lang, Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag am 17.Juli 1996, Berlin/New York 1996, S.583, 586, zur Entscheidung B G H Z 117, 318. Kritisch dazu Dauner-Lieb, in: Hönn 144
145
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
167
gende Rechtsfortbildung zu handeln, die über eine Lückenfüllung durch Analogie hinausgeht 153 und sich auf ein eigenständiges Zurechnungsprinzip stützt. 154 Die Wissenszurechnung bei arbeitsteiliger Organisation wird auch in der Literatur mit dem Argument begründet, die arbeitsteilige Organisation dürfe dessen Träger keine Vorteile einbringen. 155 Abgestellt wird auch auf die Erwartungen des Kontrahenten, die zu Recht auf eine ordnungsgemäß organisierte Kommunikation der Vertreter der Organisation gingen. 156 Hier spielt auch die Überlegung eine Rolle, daß die eine Partei durch die arbeitsteilige Aufteilung ein Risiko schaffe, für das sie einstehen müsse. 157 Eine wichtige Rolle spielt das Gleichstellungsargument, nach dem jemand, der mit einer arbeitsteiligen Organisation kontrahiert, nicht schlechter aber auch nicht besser stehen dürfe, als wenn er mit einer einzigen Person Verträge schließt. 158 Dieses Argument hat auch Parallelen zu dem Gleichgewichtsargument bei der Gefährdungshaftung, wonach jemand, der die Vorteile aus einem gefährlichen Tun zieht, auch für die Nachteile einzustehen habe. Dabei steht im Hintergrund der Sphärengedanke, wonach sowohl das gefährliche Tun als auch die arbeitsteilige Organisation in einem bilateralen Verhältnis einer Seite zugute komme, weshalb die andere Seite einen Ausgleich bekommen müsse. Elemente des Risikoprinzips brechen sich also auch im Bereich der Wissenszurechnung im Hinblick auf die Problematik der Arbeitsteilung Bahn. 159
(Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, Neuwied/Kriftel 1998, S.43, 56f.; Flame, AcP 197 (1997), 441, 453. 153 Für eine Analogie zu §166 Abs.l B G B Schilken, Die Wissenszurechnung im Zivilrecht, S.213ff., 302. 154 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 245 ff.; vgl. auch bereits Richardi, AcP 169 (1969), 385, 392, der der von einer »selbständigen Institution der Wissensvertretung« ausging, sowie Waltermann, AcP 192 (1992), 181,197f.; ders., S. 21 Off., arbeitet auch das Bestehen einer Lücke beim Erfordernis positiven Wissens für die hier vorliegenden Fälle der »Aufspaltung« heraus, eine Analogie zu § 166 Abs. 1 B G B scheide aber wegen der auf eine konkrete Rechtsbeziehung beschränkten Rechtsfolgeanordnung aus. 155 Vgl. Medicus, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S.4, II-, Scheuch, G m b H R 1996, 828, 830 m.w.Nachw.; Staub/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 106. 156 ygl Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S.26; Grunewald, Wissenszurechnung bei juristischen Personen, in: Beisse/Lutter/Närger (Hrsg.), Festschrift für Karl Beusch, Berlin/New York 1993, S.301, 311. 157 Vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, Berlin 1999, S.225ff. 158 Vgl. Medicus, Karlsruher Forum, 1994, S.4, 11 ff., 15f. Dies ist tragender Gesichtspunkt auch in B G H Z 132, 3 0 , 3 6 . 159 Baum, Die Wissenszurechnung, S. 264ff., kommt bei seiner eingehenden Untersuchung der Wissenszurechnung in gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung im Rahmen eines das gesamte Privatrecht abdeckenden Systems zu einer »Wissenzurechnung kraft Risikoschaffung« mit der Annahme einer Pflicht zur Speicherung und zum Abrufbarhalten von Wissen von Hilfspersonen im Rahmen eines beweglichen Systems, zu dessen Elementen er auch die »Beherrschbarkeit des Risikos der Wissensaufspaltung« rechnet.
168
3. Kapitel: Die Elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System
b) Kritische aa)
Einwände
Gleichstellungsargument
Gegen das Gleichstellungsargument wird aber eingewandt, daß ja auch der Vertragspartner Vorteile von der Aufspaltung auf der Unternehmensseite habe, und dann auch die Nachteile in Kauf nehmen müsse. 160 Außerdem läge den »Wissensnormen« eine Verbindung von Wissen und Verhalten zugrunde, die eine unmittelbare Steuerung erlaube. D i e arbeitsteilige Organisation werde dann gegenüber einem Einmannunternehmen benachteiligt und die Kosten erheblich erhöht. 1 6 1 Dies gelte auch im Vergleich zwischen den Koordinationsmechanismen Markt und Hierarchie, deren Kostenstruktur einseitig verändert werde. 162 bb)
Zur dogmatischen
Anknüpfung
Während im Grundsatz die Notwendigkeit einer Wissenszurechnung in diesen Fällen kaum bestritten wird, sind die dogmatische Zulässigkeit und die Alternativen umstritten. 1 6 3 Dies richtet sich gegen die Gleichstellung von fahrlässiger U n kenntnis mit Kenntnis beim Arglisttatbestand, 1 6 4 vor allem aber gegen die fehlende Anknüpfung an § 166 Abs. 2 B G B , der ausschließlich für diesen Problemkreis anwendbar sei. 165 Diese Regelung beinhalte weder schuldhafte Pflichtverletzungen, noch sei eine Kenntnis von Seiten des Geschäftsherrn verzichtbar. Beispielhaft sei dabei die alternative Lösung über § 1 6 6 Abs. 2 angeführt, die Altmeppen entwickelt. Diese Regelung setze keine Weisung voraus, sondern sei weit in dem Sinne zu verstehen, daß beim Handeln mehrerer Repräsentanten auch die Kenntnis eines Repräsentanten, der trotzdem mit der Möglichkeit des A b schlusses durch einen anderen (gutgläubigen) Repäsentanten rechne und diesen nicht verhindere, nach § 166 Abs. 2 B G B zurechenbar sei. 166 Verbleibende Beweis-
160 ygi K 0 l] er> JZ 1998, 75, 77f., sowie S. 80 unter Hinweis auf die mit der Arbeitsteilung verbundene Wissensvermehrung. 161 Vgl. Koller, JZ 1998, 75, 78, der von einer »Infektion« mit Wissen spricht. 162 Vgl. Koller, JZ 1998, 75, 79. 163 Vgl. Flume AcP 197 (1997), SA4\f{.; Altmeppen, BB 1999, 749; Reischl, JuS 1997, 783, 787; Dauner-Lieb, in: Hönn u.a. (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft, S.43, 44f.-Jüttner, Die Zurechnung der arglistigen Täuschung Dritter im rechtsgeschäftlichen Bereich unter besonderer Berücksichtigung des Problems der »gespaltenen Arglist«, Diss. Münster 1998, S. 182ff.; weitgehend ablehnend nunmehr Koller, JZ 1998, 75, 81 ff. Für eine gesetzliche Regelung Waltermann, NJW 1993, 889, 895. 164 Dezidiert Koller, JZ 1998, 75, 77 Fußn. 48; Dauner-Lieb, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S.43, 53ff. 165 Vgl. Dauner-Lieb, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S. 43, 50ff.; Altmeppen, BB 1999, 749, 750ff., nach dem allenfalls eine solche Haftung aus c.i.c. mit allen damit verbundenen Problemen möglich sei. Vgl. dazu OLG Oldenburg, NJW 1991, 1187, 1188; Jüttner, Die Zurechnung der arglistigen Täuschung Dritter, S. 198ff. 166 Vgl. Altmeppen, BB 1999,749, 753, unter Bezugnahme auf RGZ 81,433. Ablehnend zu dessen Lösung Dauner-Lieb, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S. 43, 52 Fußn. 46. Für eine auch Organisationspflichten einbeziehende weite Auslegung des § 166
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Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
169
Schwierigkeiten aufgrund der Arbeitsteilung sollten nicht durch eine Risikoverlagerung, sondern durch anerkannte Modifikationen der Darlegungs- und Beweislast aufgefangen werden. 167 Deren Umkehr bei Unaufklärbarkeit tatsächlicher Umstände im Bereich des Gegners sei mit der Beweislastumkehr entgegenzuwirken. Diese dogmatisch argumentierende Lösung verkennt die eigentliche, sich aus der Arbeitsteilung, ergebende Problemstellung, daß ein Bedürfnis der Wissenszurechnung auch für Wissen besteht, das nicht bei einem Vertreter im Sinne des § 166 B G B vorhanden ist oder das aktenmäßig gespeichert ist. cj Wissenszurechnung
und
Zurechnungsprinzipien
Leitender Gedanke der neueren Rechtsprechung ist der Verkehrsschutz. 168 Anders als bei den oben untersuchten Anwendungsfällen des Risikoprinzips verbindet sich scheinbar für die Wissenszurechnung der Vertrauens- und Verkehrsschutz nicht mit dem Risikoprinzip, sondern mit dem Verschuldensprinzip, wie es auch für das Organisationsverschulden anerkannt ist, auch wenn hier starke Objektivierungen erfolgt sind.169 Darauf deuten auch der Vergleich mit Verkehrssicherungspflichten und der Begriff der »ordnungsgemäßen Organisation« hin. Eine Einführung von Verschuldenselementen in die Wissenzurechnung läßt sich aber mit Recht als systemfremd ansehen. Aber auch bei dem von den Kritikern eingeschlagenen dogmatischen Weg bleiben Lücken, was die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung unterstreicht. Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, daß es nicht um Verschuldenskriterien geht. Der B G H vergleicht die auf Wissen bezogene Organisationspflicht mit Verkehrssicherungspflichten, die beide auf der Beherrschung eines selbsteröffneten Verkehrsbereichs beruhen. Taupitz, dem sich die neuere Rechtsprechung angeschlossen hat, weist ausdrücklich darauf hin, daß es bei der verbandsinternen kommunikationsbezogenen Organisationspflicht nicht um eine Verschuldenshaftung, sondern um die Abgrenzung von Risikosphären gehe.170 Danach gehört die Abs. 2 B G B Schultz, N J W 1997, 2093, 2094. Vgl. ferner Jüttner, Die Zurechnung der arglistigen Täuschung Dritter, S.226ff. 167 Vgl. Altmeppen, B B 1999, 749, 753f., der insoweit auch auf die Rechtsprechung zum Organisationsverschulden sowie die Vermutungen in §§38,130 II, 131 II, 132 III, 137 II InsO verweist. 168 Vgl. B G H Z 132, 30, 37. Vgl. auch Bohrer, D N o t Z 1991, 124, 129, wonach Verfügbarkeit, Erfassung und Nutzung von Informationen in juristischen Personen normativen Verkehrschutzanforderungen unterliegen. 169 Vgl. Altmeppen, B B 1999, 749, 750; Scheuch, G m b H R 1996, 828, 831 f., bei der Zuordnung zur Arglist nach §463 S.2 B G B . 170 Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S. 16, 27; Canaris, Karlsruher Forum 1994, S.33, 34. Bohrer, D N o t Z 1991, 124, 129ff., geht soweit, die »Wissensverantwortung« als Strukturprinzip zivilrechtlicher »Verantwortung« anzusehen, das selbständig neben den auf Rechtsgüterschutz bezogenen Verkehrssicherungspflichten und der auf »Willenserklärungsverkehr« bezogenen Vertrauenshaftung stehe. Er unterscheidet dies aber auch von einer Wissenszu-
170
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
d u r c h die A r b e i t s t e i l u n g h e r v o r g e r u f e n e W i s s e n s a u f s p a l t u n g z u m B e t r i e b s - u n d O r g a n i s a t i o n s r i s i k o des U n t e r n e h m e n s . N a c h d e m R i s i k o p r i n z i p w i r d d a n n dieses O r g a n i s a t i o n s r i s i k o d e r O r g a n i s a tion zugerechnet, d o g m a t i s c h hier auf d e m W e g e einer o b j e k t i v e n R e c h t s p f l i c h t , die an die B e h e r r s c h u n g u n d E r ö f f n u n g e i n e s V e r k e h r s b e r e i c h s a n k n ü p f t . 1 7 1 D i e Z w i s c h e n s c h a l t u n g d i e s e r P f l i c h t ist w o h l e h e r als r e c h t s t e c h n i s c h e s I n s t r u m e n t der Z u r e c h n u n g und gleichzeitig zu deren B e g r e n z u n g anzusehen. D i e Z u r e c h nung basiert danach auf d e m G e d a n k e n der Veranlassung und B e h e r r s c h b a r k e i t u n d f ü g t s i c h d a m i t in die Z u r e c h n u n g n a c h d e m R i s i k o p r i n z i p ein. 1 7 2 H i e r lassen s i c h d a n n die o b e n u n t e r s u c h t e n Z u r e c h n u n g s k r i t e r i e n h e r a n z i e h e n . 1 7 3 D a d u r c h w ü r d e auch eine R ü c k k e h r zur O r g a n t h e o r i e u n d der dahinter stehenden Vorstellung einer »Wissensfähigkeit« der juristischen Person vermieden.174 Insofern biet e t die R e c h t s p r e c h u n g u n d h e r r s c h e n d e M e i n u n g z u r W i s s e n s z u r e c h n u n g b e i V e r b ä n d e n auch R a u m für eine weitergehende A n w e n d u n g der o b e n entwickelten Z u r e c h n u n g n a c h d e m R i s i k o p r i n z i p . D e m e n t s p r i c h t es, w e n n a n s t e l l e e i n e r » o r d n u n g s g e m ä ß e n « eine » i d e a l e « O r g a n i s a t i o n g e f o r d e r t w i r d . 1 7 5 d)
Gespeichertes
Wissen
als
Zurecbnungsobjekt
D i e s t e i g e n d e B e d e u t u n g d e r r e c h t l i c h e n B e h a n d l u n g v o n W i s s e n l ä ß t s i c h als Ausdruck
des z u n e h m e n d e n
Einsatzes von
Informationstechnologie
deuten.
rechnung, da nicht das Wissen, sondern Umstände, »aus denen Kenntnis gefolgert werden müßte«, zugerechnet werden. Daß ein solcher Ansatz dem gesetzgeberischen Plan nicht zuwider läuft, zeigt auch die Regelung des §166 Abs. 1 B G B . Müller-Freienfels, Die Vertretung im Rechtsgeschäft, Tübingen 1955, S. 392, hat bereits herausgearbeitet, daß das Abstellen auf das Wissen des Stellvertreters nicht aus der Natur der Sache folgt, sondern Resultat einer Wertung ist. Diese läßt sich als Zuweisungen von Risiken der Arbeitsteilung unter den Gesichtspunkten von Interesse und Beherrschbarkeit ansehen, vgl. Waltermann, AcP 192 (1992), 191, 197. Der danach in §166 Abs. 1 B G B realisierte Gedanke habe als allgemeines Zurechnungsprinzip über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung hinaus Bedeutung. 171 Vgl. Taupitz, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S.50, 51. Bohrer, D N o t Z 1996, 124, 129, benennt ein Informationsdefizit als zuzuweisendes Risiko. Dogmatisch will er die Zurechnung über eine »wertende Öffnung« des Merkmals der Kenntnis in §463 S.2 B G B , also der einschlägigen Wissensnorm, durchführen. 172 Vgl. Drexl, Z H R 161 (1997), 491,505. Grundlegend Staub/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 106, 800a. !" Ygi auch Altmeppen, B B 1999, 749, 754, der, allerdings im Rahmen seiner Lösung nach Beweislastverteilung, auf den Sphärengedanken zurückgreift. Zur Frage der Beherrschbarkeit beim Konzern Drexl, Z H R 161 (1997), 491, 511 ff., der aber bei der Zurechnung von Wissen des herrschenden Unternehmens zum abhängigen im rechtsgeschäftlichen Verkehr aufgrund eines Auftretens als Einheit fehlgeht. Der Gedanke des Vertrauensschutzes, den er dabei heranzieht, gehört nach der oben herausgearbeiteten Zurechnungsdogmatik zur Frage des Haftungsgrundes und ist kein Zurechnungskriterium. 174 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Zweiter Teil, Die juristische Person, Berlin 1983, §111,S.377ff.; Taupitz, J Z 1996,734;/Mttwer,DieZurechnungderarglistigen Täuschung Dritter, S.208ff.; B G H Z 132, 30, 37. 175 Vgl. Canaris, Karlsruher Forum 1994, S.33. 34; Taupitz, J Z 1996, 734, 376: »optimale« Organisation.
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
171
Wurde mit der Entwicklung von unternehmensbezogenen Organisationspflichten die arbeitsteilige Koordination von Personen und Sachmitteln rechtlich verarbeitet, so greift die zivilrechtliche Dogmatik mit der Zurechnung von Wissen das Problem auf, daß sich die Frage der Behandlung von Wissen als gespeicherter Information nunmehr immer mehr auf eine von einem menschlichen »Speicher« losgelöster Form bezieht. 176 aa) Objektivierung
und medienbezogene
Erheblichkeitsschwelle
Das schlägt sich in der neueren Rechtsprechung nieder, nach der Gegenstand der Wissenszurechnung nicht nur das Wissen anderer Personen ist, sondern damit gleichgestellt auch das »Aktenwissen« sein soll, und eher auf die Verfügbarkeit abgestellt wird. Die Rechtsprechung hat damit praktisch eine Objektivierung des rechtlichen Wissensbegriffs durchgeführt, der die immer stärkere Bedeutung technischer Wissensspeicher gegenüber dem menschlichen Gehirn berücksichtigt. Die Anknüpfung der Zurechnung an die Verletzung einer Organisationspflicht dient dabei nicht dem Hereintragen von Verschuldensmerkmalen in Tatbestände, die nur auf Kenntnis abstellen, sondern der Eingrenzung des zuzurechnenden und in der Organisation vorhandenen Wissens nach Kriterien der Beherrschbarkeit auf dem Hintergrund des Gleichstellungsarguments. 177 Die bei der Zurechnung herangezogene Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation des Informationsaustausches setzt allerdings voraus, daß Anlaß zur Speicherung des Wissens bestand, was vor allem bei Wissen gegeben sein soll, das »typischerweise aktenmäßig festgehalten« wird. 178 Es wird also ein objektives Kriterium zur Eingrenzung des zuzurechnenden Wissens eingesetzt und normative Anforderungen im Verkehrsschutzinteresse gesetzt. Dabei ist durch die Schriftlichkeit eine Schwelle für die Bedeutung des Wissens markiert, die mangels genereller Kriterien für die inhaltliche Bewertung der Bedeutung an das Verfahren der Speicherung anknüpft. Nur bei Wissen von einiger Bedeutung wird typischerweise die Mühe aufgewandt, dieses aktenkundig zu machen. Die zunehmende Verbreitung EDV-mäßiger Informationsverarbeitung wird dazu führen, daß elektronische Datenspeicherung als nicht so aufwendig erscheint und auch sehr viel häufiger erfolgen wird als eine schriftliche Speicherung. Wollte man auch diese elektronische Speicherungsform einbeziehen, so würde sich damit eine Senkung der Erheblichkeitsschwelle ergeben. Andererseits steht auch elektronisch gespeichertes Wissen den anderen Mitarbeitern des Unternehmens und dem Computersystem zur Verfügung und bereichert so den Wissensstand, der für 176 Vgl. auch Dauner-Lieb, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S.43, 48. 177 Zur Unterscheidung zwischen normativer Beschreibung einer potentiellen Bewußtseinslage und Zuweisung realen Wissens vgl. Bohrer, DNotZ 1991, 124, 126. 178 Vgl. BGH NJW 1996, 1205, 1206; BGHZ 132, 30, 35. Vgl. auch Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129f., mit dem Merkmal der »typischen Verfügbarkeit«.
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
die Funktionsträger des Unternehmens zugreifbar ist. Dies rechtfertigt grundsätzlich seine Einbeziehung in eine entsprechende Organisationspflicht. 1 7 9 In einer früheren Entscheidung hatte der B G H allerdings einem »handschriftlichen« Kommunikationsweg den Vorrang vor einer Computerspeicherung gegeben und letztere für die Erfüllung der Pflicht zur Organisation der Kommunikation vernachlässigt, unter Verkennung der Vorteile, die sich hinsichtlich Schnelligkeit der Verarbeitung und der Zugriffmöglichkeiten durch die E D V ergeben. 180 Eine entsprechende Zurechnung elektronischer Daten muß sich auch aus der Schutzrichtung der Zurechnung ergeben. Gespeichertes Wissen (oder unter Verletzung einer Organisationspflicht nicht gespeichertes Wissen) 181 wird der Sphäre derjenigen zugerechnet, die sich dieses zunutze machen. Die hier herangezogenen Informationspflichten müssen in einer den Veränderungen der Automatisierung angemessenen Weise weiterentwickelt werden. 182 Gespeichertes Wissen muß daher dem Wissen einer Person gleich behandelt werden. 183 Dies bedeutet für den Einsatz von Informationstechnologie, daß die »Auslagerung« von Wissen von einer Speicherung im menschlichen Gehirn auf Datenspeicher jedweder Art nichts an der Zurechnung des Wissens ändert, in den hier angesprochenen Fällen im Rahmen der Organisationspflicht. Das Risiko ist hier die Wissensaufspaltung durch Arbeitsteilung. 184 Die Zurechnung beschränkt sich auf die Organisation, was als Ausdruck einer Risikoverteilung nach Verantwortungsbereichen anzusehen ist. 179 Vgl. auch Schlechtriem, in: Doerry/Watzke (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heiermann, S.281, 291. 180 Der B G H N J W 1996,1205, 1206, ließ insoweit für den »hausinternen« Gebrauch der Dispositionsabteilung computermäßig gespeicherte Daten für eine Zurechnung außer acht, da eine Informationsweiterleitung von Einkaufs- an Verkaufsabteilung organisatorisch vorgesehen war. Während jedoch die betreffende Information im Computer korrekt gespeichert war, hatte der zuständige Angestellte zeitlich später eine unrichtige Angabe schriftlich festgehalten. Damit wird nicht nur eine Risikoverteilung zulasten des Vertragspartners vorgenommen, obwohl sich das Unternehmen der Vorteile der E D V bedient, sondern es besteht auch die Gefahr des Mißbrauchs. Vgl. aber B G H N J W 1993,2807, wonach bei einem konkreten Anlaß für eine Abfrage einer Versicherung alle in einer Datenbank gespeicherten Daten zuzurechnen seien. 181 Der B G H N J W 1996, 1205, 1206, hat offengelassen, ob bei einem Vergessen durch einen »Wissensvertreter« eine fortdauernde Wissenszurechnung wie beim Ausscheiden eines Organvertreters zuzurechnen sei, da er hier von der Erfüllung der Organisationspflicht durch eine Dokumentationspflicht der einen Abteilung unter Weiterleitung an die andere Abteilung genügt habe. Daß der zuständige Angestellte diese Dokumentationspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt habe, begründe zwar Fahrlässigkeit, aber keine Arglist. 182 Vgl. auch W. Schultz, N J W 1997, 2093, 2094, der von einem grundsätzlichen Vorrang der Speicherung im Computer vor anderen Arten der Dokumentation ausgeht. 183 Vgl. auch Medicus, Versicherungsrecht, Karlsruher Forum 1994, S. 4,7f., 14, unter Berufung auf B G H N J W 1993, 2807, mit Beschränkung auf einen Anlaß zum Abruf, der bei deutlichem Hinweis auf Gegenstand und Ort der Suche gegeben sein soll. 184 Vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, S.226; A.A. Dauner-Lieh, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S.43, 49, die eine solche »Verschiebung der Grenze zwischen Wissen und Wissenmüssen« allenfalls dann für plausibel hält, wenn die betreffende Information einmal bei einer natürlichen Person im Gedächtnis war und der künstliche Speicher bewußt zur Entlastung des Gedächtnisses eingesetzt wurde.
5 6 Elektronische
bb)
Umstellung
auf
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
173
Risikoprinzip
In einer neueren Entscheidung hat der B G H dann den Kommunikationsaspekt (»Informationsaustausch«) herausgestellt. 185 Er konkretisiert die Organisationspflicht und nimmt dabei eine Begrenzung der Zurechnung vor. (1) »Erkennbarkeit«
als immanente
Grenze
Die dabei herangezogenen Kriterien »Erkennbarkeit« der Relevanz der Informationen für andere Personen innerhalb der Organisation, »Erkennbarkeit« des Vorhandenseins der für den eigenen Bereich wesentlichen Informationen erscheint als eine Hinwendung zu einer Eingrenzung nach Gesichtspunkten des Risikoprinzips. Vor allem das Merkmal der »Erkennbarkeit« trägt dem Erfordernis auch der Zurechnung im Rahmen des Risikoprinzips Rechnung, daß dem Entscheidungsträger eine ausreichende Informations- und Kalkulationsgrundlage zur Verfügung stehen muß. Mit der fehlenden Erkennbarkeit und damit letztendlich auch des zu beherrschenden Risikos, hier der Wissensaufspaltung, ist eine immanente Grenze des Prinzips der abstrakten Beherrschbarkeit bezeichnet. 186 (2) Persönliche
und zeitliche
Grenzen
der
Zurechnung
Eine weitere Konkretisierung nimmt die Rechtsprechung vor, wenn sie das Gleichstellungsargument auch in dessen begrenzender Funktion benutzt, wonach juristischen Personen auch das »Vergessen« zu ermöglichen sei. 187 Der B G H hat betont, die Zurechnung dürfe nicht zu einer Fiktion entarten, die die juristische Person weit über jede menschliche Fähigkeit hinaus belaste. 188 Er zog eine Parallele zur biologischen Erinnerung, deren Kapazität sich nach der Wichtigkeit der Wahrnehmung und der verstrichenen Zeit bestimme. Daraus beschränkt er die Zurechnung von Speicherinhalten auf die Fälle, in denen für den Menschen, dem zugerechnet werden soll, ein konkreter Anlaß und eine reale Möglichkeit bestünde, sich den Angaben in einer konkreten Situation noch zu vergewissern. (a)
Informationsweiterleitung
Dies wird zum einen konkretisiert im Hinblick auf eine normative Eingrenzung der zuzurechnenden Information. 189 Der B G H will nur solches Wissen zurechnen, das gespeichert werden mußte, und bestimmt dies danach, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses, vom Zeitpunkt der Wahrnehmung aus beurteilt, später B G H Z 132, 30, 36ff. Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 88f., zum entsprechenden Kriterium der »Unvorhersehbarkeit« einer Störung. 187 Vgl. bereits B G H N J W 1995, 2159, 2161; B G H N J W 1997, 1917, 1918 188 Vgl. B G H Z 132, 30, 38. 189 Dies betrifft eher die Pflicht zur Informationsweiterleitung. 185
186
174
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
rechtserheblich werden konnte. Vom erkennbaren Grad der Wichtigkeit der Information soll die Dauer der notwendigen Speicherung abhängen. Eine danach zu frühe Löschung soll die Zurechnung nicht beenden. Damit wird wieder eine Erheblichkeitsschwelle eingeführt, die nicht medienbezogen an das formale Kriterium der typischerweise aktenmäßigen Speicherung anknüpft, sondern eine normative Bewertung ex ante aus dem Gesichtspunkt der Rechtserheblichkeit vornimmt. Dies trägt zum einen der oben angeführten Entwicklung zur elektronischen Speicherung Rechnung, die als formales Eingrenzungskriterium aufgrund ihrer mit weiteren Verbreitung nicht mehr geeignet ist. Dann wird aber zur Eingrenzung auf ein inhaltliches Kriterium zurückgegriffen, das die Erheblichkeitsprüfung mit den Schwierigkeiten einer solchen Bewertung belastet. 190 (b)
Informationsabfrage
Eine zeitliche Grenze soll sich aus einem Vergleich mit dem Erinnerungsvermögen eines Menschen ergeben, das sich »typischerweise« nach der erkennbaren Wichtigkeit der Wahrnehmung und der vergangenen Zeit richte. Daraus folgert der B G H eine Zurechnung des Inhalts von Speichern nur bei einem besonderen Anlaß, sich in der konkreten Situation (noch) zu vergewissern. 191 Dies bestimme sich nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten, insbesondere der Bedeutung des Anlasses und der Schwierigkeit der Suche. 192 (c) Notwendigkeit
eines veränderten Modells der
Informationsverarbeitung
Dabei liegt eine Vorstellung zugrunde, die sich noch an von Menschen kontrollierten Informationsprozessen orientiert. Die elektronische Speicherung wird sozusagen als »erweitertes Gedächtnis« angesehen, und das Bestehen einer Abfragepflicht wird aus Sicht des menschlichen Benutzers und Entscheiders beurteilt. Damit wird man aber der technischen Entwicklung und dem Systemcharakter der Informationstechnologie zumindest bei höheren Intensitätsgraden der Technisierung nicht gerecht. Das zugrundeliegende Gleichstellungsargument ist insoweit zu stark von dem Modell menschlicher Informationsverarbeitung geprägt. Dieses ist umzustellen auf ein Modell technischer Informationsverarbeitung. Danach kann es für die Zumutbarkeit der Zurechnung nicht darauf ankommen, ob sich ein menschlicher Entscheider an die Information erinnern könnte, sondern welchen Aufwand die Speicherung und Beschaffung der Information auf elektronischem Wege verursacht. Der Entscheider bleibt ein Mensch, aber er kann sich die Möglichkeiten der Informationstechnologie zunutze machen. 190 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 128, hatte das Gleichstellungsargument unter dem Gesichtspunkt des Einfließens auf Wissen bezogener beweisrechtlicher Wertungen dem Merkmal »Kennen-Müssen« angenähert, ohne daß aber ein gesetzlicher Maßstab vorhanden war. 191 Dies betrifft eher die Pflicht zur Informationsabfrage. 192 Vgl. BGHZ 132, 30, 39.
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
175
Da es um eine »ideale Organisation« und eine Anwendung des Risikoprinzips und nicht des Verschuldensprinzips geht, sollte auch keine Begrenzung auf einen zumutbaren Aufwand erfolgen, sondern die Anreizwirkung einer verschuldensunabhängigen Zurechnung auf bei verteiltem Wissen nutzbar gemacht werden. Entsprechend dem Kriterium der abstrakten Beherrschbarkeit 193 sollte danach aber das gesamte gespeicherte Wissen des Unternehmens als präsent anzusehen sein, so daß es mit der technischen Entwicklung zu deutlichen Veränderungen auf der an die technischen Möglichkeiten anknüpfenden Seite der Zumutbarkeitsprüfung kommen wird. Man kann nicht mehr von den Kapazitäten des menschlichen Benutzers, seiner Wahrnehmung der Situation ausgehen, sondern muß die technischen Möglichkeiten einbeziehen, die sich der menschliche Entscheider zunutze machen kann. Die »Fähigkeiten« elektronischer Systeme unterscheiden sich eben erheblich von den Fähigkeiten des menschlichen Gedächtnisses einer Person. Daher kann auch nicht auf der Grundlage eines Gleichstellungsarguments die Grenze der Zurechnung nach den menschlichen Fähigkeiten gezogen werden. Es erscheint in diesem Rahmen durchaus zumutbar, die interne Kommunikation so zu organisieren, daß der gesamte für den konkreten Vorgang relevante Wissensbestand bereitgestellt wird, unabhängig davon, ob ein Mensch sich an die jeweilige Information erinnert hätte. (d) Kritik unter dem Gesichtspunkt des Risikoprinzips Unter dem Gesichtspunkt des Zurechnungsprinzips bezieht sich der B G H zwar im Anschluß an Taupitz ausdrücklich auf die Veranlassung und Beherrschbarkeit des Risikos aus der Wissensaufteilung. Die von ihm dann vorgenommenen Konkretisierungen entsprechen aber nicht dem Prinzip der abstrakten Beherrschbarkeit, das als Merkmal der Zurechnung nach dem Risikoprinzip im Vordergrund steht. In der Analogisierung zu menschlicher Informationsverarbeitung steckt auch eine Zurechnung nach dem eher dem Maßstab objektiver Fahrlässigkeit entsprechenden Kriterium konkreter Beherrschbarkeit. 194 Dem Richter ist es aufgegeben, Wahrscheinlichkeitsurteile vom Standpunkt des Speichernden durchzuführen. Die Abfragepflicht richtet sich nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Dies sind aber Elemente der konkreten Beherrschbarkeit. Demgegenüber entspricht es dem Kriterium der abstrakten Beherrschbarkeit im Rahmen des Risikoprinzips, die Entscheidung über das Ausmaß seiner Anstrengungen dem Träger der Wissensorganisation zu überlassen und ihm rechtlich das gesamte Risiko zuzurechnen.
e) Fazit Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung entspricht einer Durchsetzung des Risikoprinzips bei der Zurechnung des Risikos aus arbeitsteili193 194
Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.78ff. Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 79f.
176
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
ger Organisation von Kommunikation und Wissen. Methodisch ist darin eine Rechtsfortbildung zu sehen, wobei bestimmender Faktor die tatsächliche Veränderung der Informationsflüsse durch die zunehmende Verbreitung von Informationstechnologie ist. Rechtlich läßt sich diese Veränderung mit den Erwägungen zur Interessenlage bei arbeitsteiliger Organisation und den dabei erfolgenden Wertungen erfassen. 195 Bei der Konkretisierung der rechtstechnisch für die Zurechnung herangezogenen Pflicht zur Organisation der internen Kommunikation berücksichtigt die Rechtsprechung allerdings zu wenig die für das Risikoprinzip maßgeblichen Zurechnungskriterien, sondern gestaltet diese objektiven Pflichten eher als Verkehrssicherungspflichten aus. Daß dabei nicht allein auf den tatsächlichen Stand der Automatisierung im Unternehmen abgestellt werden kann, hat die Rechtsprechung mit dem Kriterium des »typischerweise« gespeicherten Wissens bereits deutlich gemacht und mit den nunmehr konkretisierten Kommunikationspflichten bekräftigt. Im Umfang dieser Pflichtenstellung kann sich auch eine Pflicht zur Automatisierung der internen Kommunikation ergeben. 196 In einer derart etablierten »Wissensverantwortung« kann man mit Recht einen Grundsatz sehen, »daß die Teilnehmer des Rechts-(geschäfts-)verkehrs zu dessen Schutz nicht nur für ihre tatsächliche Kenntnis einzustehen haben, sondern schon bei der Informationsentgegennahme, -dokumentation und -nutzung Drittbelange zu berücksichtigen haben«. 197 Die dabei beklagte Aufweichung von Wissensnormen in Richtung auf Pflichtverletzung 198 betrifft eher die allgemeine Aufweichung des Arglisttatbestands, während die normative Wissenszurechnung im Rahmen der Risikoverteilung Ausdruck einer durch die technische Entwicklung bedingten Evolution des Rechts ist. 199
195 Vgl. etwa Waltermann, AcP 192 (1992), 212. Vgl. bereits BGH NJW 1977,581, wo der BGH im Zusammenhang mit §407 BGB hervorhob, daß die Automatisierung des Zahlungsverkehrs nicht zu lasten Dritter gehen dürfe, und sich der Schuldner nicht auf mangelnde Kenntnis berufen könne, wo das Zahlungssystem der Erleichterung seines Zahlungsverkehrs diene und er die Voraussetzungen für Kenntnis durch Organisation schaffen könne. Allerdings zog der BGH hier noch §242 BGB heran. 1,6 Vgl. auch Bohrer, DNotZ 1991,124,129, der eine »normativ-typische Dokumentation und Nutzung von Informationen« als Kern einer »Wissensverantwortung« bezeichnet. 197 Bohrer, DNotZ 1991, 124, 129. 198 Dauner-Lieb, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, S. 43, 55f., beklagt, bezogen auf die Arglisthaftung, eine »ethische Neutralisierung«, die sich im Verzicht auf jedes Manipulationselement und in der Auferlegung einer Nachforschungspflicht nach in seinem Einflußbereich verfügbaren Informationen niederschlage. Dies läßt sich aber als Folge der Wissensaufspaltung ansehen; vgl. auch Jiittner, Die Zurechnung der arglistigen Täuschung Dritter, S.229ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 215f. Bohrer, DNotZ 1991, 124, 125, 130, zeigt insoweit auch Unterschiede zwischen den von ihm so genannten Fälle der »Wissensverantwortung« und den Fällen des »Kennen-Müssens« auf. m Bohrer, DNotZ 1991, 124, 130, nennt insoweit den »erweiterte(n) Informationsstand und das erhöhte Informationsbedürfnis des Rechtsverkehrs in einer Umwelt, deren wachsende Komplexität die unmittelbare (sinnhafte) Wahrnehmung zunehmend entwertet«.
5 6 Elektronische Willenserklärung als Frage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip
177
2. Die Regelungen von § 5 T D G / M D S t V Mit dem § 5 TDG und dem entsprechenden § 5 MDStV hat der deutsche Gesetzgeber bereits 1997 die »Verantwortlichkeit« der Diensteanbieter in Datennetzen geregelt und damit eine Vorschrift geschaffen, die die hier untersuchte Fragestellung der rechtlichen Behandlung des Einsatzes von Informationstechnologie berührt. Sie enthielt jeweils eine abgestufte Verantwortlichkeit von Diensteanbietern in Bezug auf das Anbieten eigener Inhalte (§5 Abs. 1), das Bereithalten fremder Inhalte (§5 Abs. 2) sowie die Zugangsvermittlung (§5 Abs. 3). Nach der entsprechenden Verantwortlichkeitsregelung in Art. 12-15 der ECommerceRL ist die entsprechende Abstufung nunmehr in leicht modifizierter Form in §§ 8-11 TDG n.F. enthalten. 200 Diese unmittelbar auf Informationsdienste bezogenen Regelungen sollen daraufhin überprüft werden, ob sich ihnen Wertungen des Gesetzgebers entnehmen lassen, die auf eine Wirkung des Risikoprinzips hindeuten und das Argument des »Funktionswandels« unterstützen können. a) Unmittelbare Anwendbarkeit auf elektronische Willenserklärungen Eine direkte Anwendung der Regelung auf die Zurechnung von Willenserklärungen kommt nicht in Betracht. Zwar lassen sich diese durchaus unter einen weiten Begriff von »Inhalt« bzw. »eigene Informationen« fassen. 201 Es geht dem Gesetzgeber aber um die Privilegierung von Anbietern elektronischer Informations- und Kommunikationsdienste im Hinblick auf die Haftung für fremde Inhalte, während § 5 Abs. 1 TDG a.F./§8 Abs. 1 TDG n.F. jeweils die ansonsten bestehenden Haftungsregeln für eigene Inhalte unberührt läßt. Die Regelungen begrenzen also das Einstehenmüssen von Diensteanbietern, die bei der Verbreitung von »Inhalten« bzw. »Informationen« mitwirken, für fremde Rechtsverletzungen. Demgegenüber geht es bei der Zurechnung von Erklärungstatbeständen nicht um die deliktsrechtlich begründete Haftung für (fremde) Informationen 202 oder um negatorische oder quasi-negatorische Ansprüche, sondern um die Zurech200 T D G i.d.F. des Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG) v. 14.12. 2001, BGBl. 12001 Nr. 70 v. 20.12. 2001, S.3721. Die Begründung zum RegE, BT-Drs. 14/6098 v. 17.5. 2001, S.22, führt dazu aus, dass die § § 8 - 1 1 » i m Grundsatz« dem bisherigen § 5 entsprechen. 201 Vgl. dazu Stefan Freytag, H a f t u n g im Netz, M ü n c h e n 1999, S. 158ff. Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs des T D G insgesamt sind in § 2 Abs. 2 Nr. 5 bei der Definition von Telediensten ausdrücklich » A n g e b o t e von Waren und Dienstleistungen ... mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit« erwähnt. N a c h der Begründung RegE, BT-Drs. 14/6098, S.23, entspricht die Bezeichnung »Informationen« dem bisher verwendeten Begriff »Inhalte«. 202 N a c h der Entwurfsbegründung, B R - D r s . 966/97, S.21, betrifft § 5 Abs. 1 bis 3 T D G »das Einstehenmüssen für eigenes Verschulden«. Weiter Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), H a n d buch Multimedia-Recht, M ü n c h e n 1999, Kap. 29 Rdnr. 31, der auch »vertragsähnliche« A n s p r ü che einbezieht. Vgl. auch Sieher, Verantwortlichkeit im Internet, Rdnr. 277, w o n a c h die Regelung die Vertragsfreiheit nicht tangieren wollte und daher auf vertragliche Ansprüche nicht anwendbar sei.
178
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
nung von rechtlich verpflichtender Kommunikation. Auch wenn hier eine Zurechnungslösung vertreten wird, so ist diese doch nicht deliktsrechtlicher Natur, sondern der Rechtsgeschäftslehre zuzuordnen. Regelungszweck und Funktion sind unterschiedlich und stehen einer Anwendbarkeit entgegen. Trotzdem ist zu untersuchen, ob der Regelung für die Zurechnung elektronischer Willenserklärungen einschlägige Wertungen entnommen werden können. Die Regelung der Haftungsbeschränkung ist unmittelbar auf Informationstechnologie zugeschnitten, als es die »Verantwortlichkeit« von »Diensteanbietern« von Telediensten bzw. »Anbietern« von Mediendiensten zum Gegenstand hat.203 Hier ist nun, vor allem im Hinblick auf mögliche Analogieschlüsse, von Bedeutung, wie der Gesetzgeber die Frage der Verantwortlichkeit bei elektronischer Kommunikation geregelt hat. Zu untersuchen ist, in welchem Maße der Gesetzgeber technische Besonderheiten berücksichtigt und entsprechende Wertungen durchgeführt hat, und inwieweit sich in diesen Regelungen allgemeine Prinzipien niedergeschlagen haben, was für die hier behandelte Zurechnungsfrage elektronischer Willenserklärungen von Bedeutung sein kann. b) Grundsätze Erklärungen aa)
der Regelung
und Bedeutung
für die Zurechnung
elektronischer
Allgemeines
Dabei ist allerdings zu bedenken, daß man mit gutem Grund die Haftungsregelungen von TDG/MDStV als Ausnahmeregelungen für bestimmte Kommunikationsbeteiligte im Internet ansehen kann, die kein eigenständiges Haftungsrecht für das Internet schaffen wollen und sich deshalb auch gegen eine Analogie weitgehend sperren. 204 Hierfür spricht auch die dogmatische Einordnung als »akzessorische« Regelungen, die keine eigene Anspruchsgrundlage darstellen, sondern die jeweiligen Haftungsvorschriften auf Tatbestandsebene ergänzen. 205 Es geht in diesen Regelungen insoweit um eine »tatbestandsergänzende« gesetzliche Regelung des Zurechnungszusammenhangs bei mittelbaren Rechtsverletzungen zwischen haftungsbegründendem Verhalten und Verletzungserfolg, die im wesentlichen bereits vorher bestehende Grundsätze der Rechtsprechung klarstellt und Unsicherheiten beseitigt. 206 Dabei wird das Vorliegen eines objektiven Verletzungstatbestands und die Kausalität des Verhaltens des Zurechnungsadressaten vorausgesetzt und gefragt, ob diesem der tatbestandliche Erfolg zuzurechnen ist. Auch wenn der Erklärungstatbestand nicht als tatbestandlicher Erfolg im deliktsrechtlichen Sinne anzusehen ist, ergibt sich mit der Konkretisierung der für die Zurechnung des Erklärungstatbestands maßgeblichen Kriterien eine parallele Fragestellung. 203 204 205 206
Vgl. §3 Nr. 1 i.V.m. §2 Abs. 1, 2 TDG/MDStV. Vgl. Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 29 Rdnr. 39. Vgl. Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap.29 Rdnr. 32. Eingehend S. Freytag, Haftung im Netz, 139ff.; Haedicke, C R 1999, 309, 311.
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
179
Für die Reichweite auch der in den Regelungen getroffenen Wertungen ist von Bedeutung, daß es um die »Verantwortlichkeit« der Diensteanbieter geht, die aufgrund ihrer technischen Funktion rechtlich als mittelbare Verletzer oder Störer anzusehen sind. 207 bb) Abgrenzung
»eigene«/»fremde«
Inhalte
Neben der abgestuften Haftungsintensität zwischen Bereithalten von fremden Inhalten zur Nutzung im früheren § 5 Abs. 2 TDG und Zugangsvermittlung fremder Inhalte zur Nutzung in Abs. 3 beinhaltete die Abgrenzung von Abs. 1 und Abs. 2 eine Unterscheidung zwischen »eigenen« bzw. »zu-eigen-gemachten« und »fremden« Inhalten. Diese Abgrenzung soll auch im Rahmen des §8 Abs. 1 TDG n.F. maßgeblich sein, so dass insoweit auf die zum bisherigen Recht angestellten Uberlegungen zurückgegriffen werden kann. 208 Wegen des andersartigen Regelungszwecks hat diese Abgrenzung zwar keine unmittelbare Bedeutung für die Zurechnung von Erklärungstatbeständen im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre. Es lassen sich aber zumindest Wertungen entnehmen, wann der Gesetzgeber, wenn auch unter anderem Regelungszweck, eine Zurechnung von Inhalten zu Personen als eigenem Inhalt annimmt. Die Frage der Zurechnung als eigenem Inhalt weist die größte Nähe zur rechtsgeschäftlichen Zurechnung auf. Bei der Konkretisierung dieses Merkmals wird in der Literatur in Anlehnung an die Rechtsprechung im Pressebereich darauf abgestellt, ob der Haftende »fremd« geschaffene Inhalte so übernimmt, daß er für diese aus Sicht eines objektiven Nutzers die Verantwortung übernehmen will, wobei teilweise über die Kenntlichmachung als fremde Inhalte hinaus eine ausdrückliche Distanzierung gefordert wird. 209 Abgesehen von der Gefahr eines Zirkelschlusses 210 erscheint es aber angesichts der durch die Haftungsregelung zu schützenden Dritt- und Allgemeininteressen nicht überzeugend, die Abgrenzung allein vom (verlautbarten) Willen des Anbieters abhängig zu machen. Vielmehr läßt sich hier auf bereits zuvor bestehende Regeln für mittelbare Verletzungen zurückgreifen. cc) Der Veranlassungsgedanke Wettbewerbsrecht
in der Rechtsprechung zum Urheber- und
Im Rahmen des allgemeinen urheberrechtlichen Haftungstatbestands des §97 Abs. 1 UrhG wird vor allem mit dem Veranlassungsgedanken eine eigene Verantwortlichkeit für fremde unmittelbare Urheberrechtsverletzungen begründet. Im Urheberrecht als erfolgsbezogener Haftung wird der Kreis der unmittelbar Haf207 Damit bleibt der Bereich ausdrücklicher Zurechnungsnormen unberührt, etwa § § 3 1 , 831 BGB, vgl. S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 144. 208 Vgl. Begründung z u m RegE, BT-Drs. 14/6098 v. 17.5. 2001, S.23. 209 Vgl. Sieher, Verantwortlichkeit im Netz, M ü n c h e n 1999, Rdnr. 304; vgl. aber Spindler, N J W 1997, 3193, 3196; Koch, C R 1997, 193, 197f. 210 Vgl. S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 172f.
180
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
tenden durch den originären Verletzungstatbestand des § 97 Abs. 1 sehr weit gezogen. Hier wird diskutiert, inwieweit zum einen bestimmte unmittelbare Verletzer wertungsmäßig aus dem Kreis der Haftenden herauszunehmen sind, weil sie nur untergeordnet und ohne eigenen Entscheidungsspielraum tätig sind, andererseits nicht unmittelbare Verletzer als wirtschaftliche »Nutznießer« in die Haftung einzubeziehen sind, und schließlich, wie mittelbare Mitverursachung bei eigenverantwortlichen Beiträgen der unmittelbaren Verletzer zu behandeln ist. 2 " Hinsichtlich des Problems der Einbeziehung der »Hintermänner« wird bei der Rechtsprechung des B G H zur Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen 212 mit dem Veranlassungsgedanken die fehlende eigene unmittelbare Verletzungshandlung überbrückt. Allerdings wird der Gesichtspunkt der Veranlassung hier mit Wertungen aufgefüllt, die eine Haftung tragfähig machen und eine uferlose Ausdehnung der Haftung verhindern. So wurde eine eigene Haftung des Konzertveranstalters begründet, als »derjenige, der in organisatorischer und finanzieller Hinsicht für die Aufführung verantwortlich ist«. 213 Ein Musikbox-Aufsteller wurde als »Aufführender« im Sinne des früheren §37 KUG angesehen, da er nicht lediglich die erforderlichen äußeren Vorkehrungen getroffen habe, sondern maßgeblichen Einfluß auf die Programmgestaltung habe, den wirtschaftlichen Nutzen aus den Musikaufführungen zöge und mit Treffen der Programmauswahl die rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeiten über das Gerät behalte. 214 Daran änderte nichts, daß die Gäste durch Betätigen der Taste die Aufführung jeweils herbeiführten, zumal dies vom Aufsteller gerade bezweckt sei. Die eigentliche, durch Benutzung technischer Geräte erfolgende Rechtsverletzung wird hier mit den Kriterien Beherrschbarkeit und Interesse dem Aufsteller der Geräte zugerechnet. Die Situation läßt sich in gewisser Weise mit der programmgesteuerten Abgabe von Willenserklärungen vergleichen. Auch dort hat der Betreiber keine unmittelbare Kontrolle über einzelne relevante Tatbestände, nämlich die ausgelösten technischen Vorgänge, die als Abgabe von Erklärungen zu bewerten seien. Da er aber die Rahmenbedingungen setzt, entscheidenden Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung hat und die Verfügungsmöglichkeiten innehat, sprechen die Merkmale Beherrschbarkeit und Interesse auch dort für eine Zurechnung zum Betreiber. Je schwächer jedoch diese Merkmale im Verhältnis zwischen »Hintermann« und unmittelbar Handelndem werden, desto schwächer wird die Zurechnung, bei der dann Elemente wie Möglichkeit der Verhinderung und Zumutbarkeit in den Vordergrund treten. Einschlägig sind hier die Fälle, in denen der mittelbare Verletzer Geräte in den Verkehr gebracht hat, die dem unmittelbaren Verletzer erst ermögVgl. S. Freytag, Haftung im Netz, S.55f., 83ff. Vgl. BGH GRUR 1972, 141, 142; KG GRUR 1959, 150, 151. 213 BGH GRUR 1972, 141, 142. Vgl. Schricker-MW, Urheberrecht, 2. Aufl, München 1999, §97 Rdnr. 36. 214 KG GRUR 1959, 150, 151. 211
212
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
181
licht haben, die Verletzung zu begehen. Für Tonbandgeräte-Hersteller hat der B G H die Störerhaftung herangezogen und diese als Störer angesehen, weil sie Geräte in den Verkehr brachten, ohne Maßnahmen zur Verhütung der unmittelbaren Verletzung durch die Benutzer zu ergreifen. 215 Im Rahmen einer Abwägung von Möglichkeit und Zumutbarkeit der Verhinderung wurde ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer Einwilligung der G E M A für ausreichend gehalten. Tonband-Hersteller wurden verpflichtet, entsprechende Hinweise in ihre Werbung aufzunehmen. 216 Dies entspricht einer Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrspflichten. In weiteren Entscheidungen hat der B G H die Frage der Zumutbarkeit auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen von §242 B G B einbezogen. 217 Eine entsprechende Abstufung der Verantwortungszurechnung ist auch im Wettbewerbsrecht erkennbar. Hier wird ohne weiteres von einem über die akzessorische Störerhaftung hinausgehenden eigenen Wettbewerbsverstoß für den »Hintermann« ausgegangen, wenn dieser den Vordermann nur als »verlängerten Arm« nach eigenem Willen handeln läßt. 218 Handelt der Vordermann selbständig in seinem Verantwortungsbereich, so kommt der Veranlassungsgedanke für den Hintermann insoweit zum Tragen, daß ihm als »mittelbarem Störer« aus der mittelbaren Verursachung eine Pflicht zur Vermeidung weiterer Störungen obliegt, begrenzt durch die wirtschaftliche und rechtliche Unzumutbarkeit der Maßnahmen. 219 Von Bedeutung war hier, daß die mittelbare Verursacherin aus Vertrag über die Rechtsmacht zur Verhinderung der Störung verfügte. In der Sache beinhaltet dies eine Zurechnung nach Verkehrspflichten. 220 In anderen Entscheidungen erfolgt eine entsprechende Eingrenzung der Rechtsfolgen. 221
dd) Fortschreibung in § 5
TDG/MDStV
Diese abgestufte Zurechnung fremder Rechtsverletzungen läßt sich auch für die Auslegung von § 5 T D G / M D S t V a.F. sowie von § 8 Abs. 1 T D G n. F. fruchtbar maVgl. B G H G R U R 1955, 492, 499f. Vgl. B G H G R U R 1964, 91, 92. Auch für Tonbandgeräte-Händler wurde die Anbringung eines Plakats oder ein Hinweis beim Verkaufsgespräch als unzumutbar angesehen, vielmehr ein Hinweis in der schriftlichen Werbung als ausreichend bezeichnet, vgl. B G H G R U R 1964, 94, 96. 217 Vgl. B G H G R U R 1965,104,107; B G H G R U R 1984, 54, 55. In B G H , G R U R 1999, 397ff., hat der B G H nunmehr Prüfungspflichten als Zumutbarkeitselement als Voraussetzung der Störerhaftung etabliert; danach haftet derjenige als Störer, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zu einer Rechtsverletzung beigetragen hat, sofern die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten besteht und ihm eine Prüfung zumutbar war. Eingehend dazu Haedicke, G R U R 1999, 397ff. 218 Vgl. B G H G R U R 1964, 393, 393. 219 Vgl. B G H G R U R 1989, 225, 226. 220 Vgl. auch S. Freytag, Haftung im Netz, S. 103ff. m.w.Nachw. u.a. aus dem Bereich der Pressehaftung. 221 Vgl. S. Freytag, Haftung im Netz, S.106ff. m.w.Nachw. Nach B G H G R U R 1997, 313, 315f., ist die Verletzung von Prüfungspflichten nunmehr Voraussetzung einer Störerhaftung auch im Wettbewerbsrecht; für das Kennzeichenrecht in gleicher Weise klargestellt in B G H C R 2001, 850. 215
216
182
J. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
chen. 222 Ausgehend von einer Verantwortlichkeit in organisatorischer und finanzieller Hinsicht kann man hier abstellen auf einen maßgeblichen Einfluß auf die Gestaltung der Inhalte und ein eigenes wirtschaftliches oder sonstiges Interesse an der Vermittlung der Inhalte. 223 Der Bereich der »strengen« Veranstalter- oder Veranlasserhaftung läßt sich somit wertungsmäßig sowohl dem Merkmal des »Bereithaltens« als auch dem der »eigenen« Inhalte gem. § 5 Abs. 1 T D G / M D S t V a.F. zuordnen. Hier hat der unmittelbar die Verletzungshandlung Begehende keinen eigenen inhaltlichen Entscheidungsspielraum, während für die unmittelbare Haftung des »Organisationsherrn« der Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung und die rechtlichen und technischen Verfügungsmöglichkeiten sprechen. Der maßgebliche Einfluß in diesem Sinne entspricht einer auf die Inhalte bezogenen Beherrschbarkeit, bei der es entsprechend den technischen Gegebenheiten nicht mehr auf die physische Speicherung ankommen kann. 224 Diese Kriterien der Beherrschbarkeit lassen sich um das des Interesses, vor allem des eigenen wirtschaftlichen Nutzens, ergänzen. Zweifel, ob dies noch der nach der Umsetzung der E C o m m e r c e R L geltenden Rechtslage entspricht, könnten sich daraus ergeben, dass die Richtlinie eine § 8 Abs. 1 T D G n.F. entsprechende Abgrenzung eigener und fremder Informationen entsprechend § 5 Abs. 1 und 2 T D G a.F. nicht enthält. Vielmehr wird der Anwendungsbereich des Hosting nach Art. 14 E C R L / § 1 1 T D G n.F. durch die Speicherung »fremder« Informationen im Auftrag des Nutzers bestimmt, während Art. 14 Abs.2 E C R L / § 1 1 S.2 T D G n.F. die Fälle aus dem Bereich des Hosting ausnimmt, in denen der Nutzer »dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird«. Auch wenn bei der Richtlinie stärker die technischen Vorgänge der Speicherung im Vordergrund stehen, geht es auch insoweit um die »Herrschaft« und Beeinflussungsmöglichkeiten in Bezug auf Informationen. 225 Auch bleibt es im Hinblick auf § § 8 Abs. 1/11 S. 1 T D G n.F. bei der Abgrenzung zwischen »eigenen« und »fremden« Informationen. Die angeführten Fälle einer schwächeren Zurechnung mittelbarer Rechtsverletzungen lassen sich für die Verantwortlichkeit für fremde Inhalte nach § 5 Abs. 2, 4
Vgl. 5. Freytag, Haftung im Netz, S. 171; Haedicke, C R 1999, 309, 311f. Vgl. S. Freytag, Haftung im Netz, S. 174. Vgl. auch Sieber, Verantwortlichkeit im Netz, Rdnr. 302f.: bewußte Auswahl und inhaltliche Kontrolle; Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 29 Rdnr. 96, der an die »Entscheidung über die weitere Verbreitung und die Beherrschung über den - zuvor fremden - Inhalt« anknüpft. 224 Vgl. auch 5. Freytag, Haftung im Netz, S. 164ff., wonach es für das »Bereithalten« nach Normzweck und Systematik nicht auf die »Funktionsherrschaft«, also den physischen Ort der Speicherung und damit die physische Herrschaft über den Rechner, auf dem die Inhalte gespeichert sind, ankommt, sondern auch auf fremden Rechnern gespeicherte eigene Inhalte nach §5 Abs. 1 einzuordnen sind, auch wenn dort keine Rechte zur Sperrung oder Löschung bestehen. Vgl. ferner Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 298. 225 Freytag, C R 2000, 600 geht ebenso wie die Begründung zum RegE, BT-Drs. 14/6098, S.23, von dem Fortbestehen der bisherigen Abgrenzung aus. Vgl. aber auch Spindler, M M R Beil. 7/2000, S.4, 18; ders., N J W 2002, 921, 923. 222
223
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
183
TDG bzw. §5 Abs.2 MDStV a.F. bzw. § 11 TDG n.F. heranziehen. 226 Erst in diesem Bereich werden dann nach der Rechtsprechung und auch nach der Wertung des Gesetzgebers des TDG/MDStV die Zurechnungskriterien der Zumutbarkeit und Möglichkeit der Verhinderung wirksam.
ee) Zusammenfassung
und Bedeutung
für die rechtsgeschäftliche
Zurechnung
Im Bereich von §5 Abs. 1 TDG a.F./§8 Abs. 1 TDG n.F., in dem eine volle Verantwortlichkeit nach den allgemeinen Haftungsregeln bestehen bleibt, geht es um die Zurechnung eigener Inhalte bei elektronischen Angeboten. Die dabei herangezogenen Kriterien weisen durchaus Affinität zu den im Rahmen des Risikoprinzips maßgeblichen Erwägungen auf. Dies gilt auch für den bei der Auslegung herangezogenen Veranlassungsgedanken im Rahmen der Bestimmung einer Haftung für eigene Inhalte durch die Rechtsprechung. Auch wenn bei der Übernahme von Wertungen des Gesetzgebers bei der Haftung in die andersartige rechtsgeschäftliche Zurechnung Vorsicht geboten ist, läßt sich doch auch hier das Wirken des Risikoprinzips erkennen, das sich vor allem bei den Veranlassungsfällen auch mit der organisatorischen »Herrschaft« verbindet, wie in den Fällen zur Musikaufführung aufgezeigt wurde. Erst bei der Verantwortlichkeit für »fremde« Inhalte nach § 5 Abs. 2 TDG a.F., die der Gesetzgeber einschränkend regeln wollte, wurden dann zur Begrenzung der Haftung Kriterien verwandt, die auch bei der Bestimmung von Verkehrspflichten oder Verschulden eine Rolle spielen. In dieser »Sphäre« fremder Inhalte geht der Gesetzgeber davon aus, daß eine Zurechnung nach Risikokriterien nicht angemessen ist, sondern nur eine eingeschränkte Zurechnung. Dies gilt auch für den mehr auf den technischen Vorgang der Speicherung »fremder Inhalte« abstellenden §11 TDG n.F., da durch die Beschränkung des Providers auf technische Vorgänge inhaltliche Beherrschungsmöglichkeiten zunächst nicht gegeben sind. 227 Der »Sphärengedanke« im Sinne einer Abgrenzung von Verantwortungsbereichen 228 wird also durch die Abgrenzungen und Systematik des § 5 TDG a.F./ §§ 8-11 TDG n.F. gestützt, als dabei jedenfalls bei einer inhaltsbezogenen Haftung nicht auf die Vornahme der physischen Speicherung und auf die Sachherrschaft über den Speicherbereich abzustellen ist. Für die Konkretisierung des Risikoprinzips nach Kriterien der Beherrschbarkeit im Rahmen der rechtsgeschäftlichen Zurechnung läßt sich daraus ableiten, daß der Gesichtspunkt des maßgeblichen in226 Dies gilt allerdings nicht, w e n n man § 5 Abs. 4 a.F. auch auf die H a f t u n g f ü r eigene Inhalte für anwendbar hielt, vgl. Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), H a n d b u c h Multimedia-Recht, Kap.29 Rdnr. 144ff.; dagegen S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 148ff.; zur Rechtslage nach T D G n.F. vgl. Spindler, N J W 2002, 921, 924f. Selbst w e n n man von einer solchen Position ausginge, stellen die für die A b g r e n z u n g herangezogenen Veranlassungs-Fälle einen eigenen Verstoß dar, vgl. S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 85ff., bei dem zweifelhaft ist, ob dieser noch von dem die Störerhaftung betreffen § 5 Abs. 4 a.F. erfaßt w i r d . 227 Vgl. auch Begründung z u m RegE, BT-Drs. 14/6098, S.25. 228 Vgl. auch Köhler/Arndt, Recht des Internet, 2. Aufl., Heidelberg 2000, Rdnr. 423.
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
haltlichen Einflusses neben den organisatorischen Rahmenbedingungen heranzuziehen ist. 3. H a f t u n g f ü r C o m p u t e r e i n s a t z als A u s p r ä g u n g des R i s i k o p r i n z i p s Als weiterer Bereich, der auf die A n w e n d u n g des Risikoprinzips hin zu untersuchen ist, k o m m t die Haftung für den Computereinsatz selbst, vor allem im Rahmen der A b w i c k l u n g bereits bestehender vertraglicher Beziehungen, in Betracht. Es geht hier nicht u m die dogmatische Begründung der elektronischen Willenserklärung selbst, sondern u m den Nachweis, daß das Risikoprinzip in der Diskussion zur Haftung innerhalb von Vertragsbeziehungen eine wichtige Rolle spielt. A u c h dieser Nachweis stützt das Argument des »Funktionswandels«. a)
Ausgangspunkt
Im Bereich vertraglicher Haftung sind erst zögernd die durch die Technik bewirkten Veränderungen in den Blick gekommen. Während das BGB arbeitsteiliges menschliches Fehlverhalten grundsätzlich mit dem Verschuldensprinzip zu erfassen sucht, wirft die Arbeitsteilung Mensch/Maschine neuartige Probleme auf. Die eingesetzte Technik wird nie völlig fehlerfrei arbeiten, was sie aber noch nicht grundsätzlich von menschlicher Tätigkeit unterscheidet. Die wachsende Abhängigkeit von der Computertechnik sowie die » Ü b e r n a h m e « intellektueller F u n k tionen durch diese, etwa in der Steuerungs- und Überwachungstechnik, hat die Schadenspotentiale vervielfältigt. Im übrigen ergibt sich diese größere Schadensträchtigkeit auch bei menschlichem Fehlverhalten bei der Bedienung solcher M a schinen. Auch w i r d es zunehmend schwieriger, die Fehlerursache dem menschlichen oder technischen Handlungs-/Operationselement eindeutig zuzuordnen. Deliktsrechtlich läßt sich teilweise das durch den EDV-Einsatz erhöhte Risiko auf der Grundlage des Verschuldensprinzips durch die A n w e n d u n g und Fortentwicklung von Verkehrspflichten, insbesondere Organisationspflichten, bewältigen, verbunden mit einem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab. Es bleiben aber die Fälle, in denen dem Technikverwender der Nachweis fehlenden Verschuldens gelingt. Dann bleibt die Frage, ob eine Haftung auch für solches technisches Versagen vorzusehen ist, das sich nicht auf menschliches Versagen zurückführen läßt, und ob technisches Versagen nicht andersartig ist als menschliches Versagen und daher auch andersartige Haftungsregeln erfordert. Reimer Schmidt hat bereits früh eine Haftung ohne Verschulden gefordert und dabei vor allem auf die »psychologische Zwangslage des Nichtnachprüfenkönnens« abgestellt. 229 Im folgenden sollen zunächst bestehende Ansätze zur Bewältigung des Haftungsproblems behandelt und dabei die Wirkungen des Risikoprinzips im vertraglichen Bereich herausgearbeitet werden.
229
R. Schmidt, AcP 166 (1966), 1, 24.
§ 6 Elektronische
Willenserklärung
b) Gefährdungshaftung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
185
analog
Ein dogmatischer Weg zur Begründung einer verschuldensunabhängigen Haftung im außervertraglichen Bereich führt über eine Einzel- oder Gesamtanalogie zu gesetzlichen Tatbeständen der Gefährdungshaftung. 230 Auch die Herstellung und der Vertrieb von Standardsoftware unterliegt dem Produkthaftungsgesetz, das eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung begründet. 231 Allerdings ist umstritten, ob in der Gefährdungshaftung eine eng begrenzte Ausnahme zum Verschuldensprinzip zu sehen ist 232 oder ob sie eine dem Verschuldensprinzip gleichwertige Bedeutung erlangt hat und damit auch analogiefähig sein kann. 233 Sieht man aber in den Gefährdungshaftungstatbeständen eine Ausprägung eines allgemeinen Haftungsprinzips, 234 so ist zu fragen, ob die Sachverhalte des EDV-Einsatzes die Grundlage für eine tragfähige Analogie bilden können. Im Hinblick auf die bereits angeführten Zurechnungsgesichtspunkte der Gefährdungshaftung erscheint eine Ähnlichkeit des Tatbestands im Hinblick auf die für die rechtliche Bewertung maßgebenden Gesichtspunkte vor allem hinsichtlich zweier Elemente nicht generell vorzuliegen. Zum einen dient der EDV-Einsatz nicht immer nur den Interessen der einen Partei, sondern kommt beiden Seiten zugute. Vor allem ist der EDV-Einsatz aber nicht generell mit einer den Gefährdungshaftungstatbeständen
eigenen besonderen
physischen
Gefahr für die
Rechtsgüter Leib, Leben, Gesundheit oder Eigentum verbunden, sondern überwiegend reiner Vermögensschaden. 235 Der Einsatz von Informationstechnik und Informationssystemen hat vielmehr sehr breit gestreute Wirkungen, 2 3 6 kann aber auch technisch bedingte Risiken für Leib und Leben verstärken, weil viele schadensträchtige technische Einrichtungen erst durch Computereinsatz funktionsfähig sind, wie am Beispiel des Betreibens von Atomkraftwerken deutlich wird. 237
230 Vgl. auch Kotz, AcP 170 (1970), lff. Für eine entsprechende Anwendung der verschuldensabhängigen Produzentenhaftung mit Beweislastumkehr auf computerbedingte Schäden im Telefon-Banking-Verkehr Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, Wiesbaden 1998, S. 175ff. 231 Vgl. Palandt-Thomas, § 1 ProdHaftG Rdnr. 1. Zur Anwendbarkeit auf Computersoftware eingehend Taeger, Außervertragliche Haftung für Computerprogramme, Tübingen 1995, S. 108ff., mit w.umfangr.Nachw. 232 Vgl. B G H VersR 1972, 1047, 1049. 233 Vgl. Koziol, in: Festschrift Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, S. 173, 178ff.;/. Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 126; Schwörbel, Automation als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 152. 234 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 208; skeptisch aufgrund der Heterogeneität der Haftungstatbestände J. Hühner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 126. 235 Vgl. Lieser,JZ 1971, 759, 761 \Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.288; C.P. Schneider, Point of Sale-Zahlungen mit der ec-Karte, S. 166. 236 Vgl. Steinmüller, Informationstechnologie und Gesellschaft, Kap. IV. 237 Zum Risikopotential von Computerprogrammen vgl. eingehend Taeger, Außervertragliche Haftung für Computerprogramme, S. 34 ff.
186
J. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Ist damit eine generelle Vergleichbarkeit des Einsatzes von E D V mit anerkannten Tatbeständen der Gefährdungshaftung zweifelhaft, so steht einer Analogie auch die Wertentscheidung des Gesetzgebers in §831 B G B entgegen, der bei den vergleichbaren Risiken der personellen Arbeitsteilung die Haftung des Geschäftsherrn auf eigenes Verschulden bei Auswahl und Leitung des Verrichtungsgehilfen beschränkt. Tritt die E D V in vielen Bereich an die Stelle von Verrichtungsgehilfen, so kann man insoweit aus § 831 B G B auch eine Schranke für eine allgemeine EDVGefährdungshaftung sehen.238 Die Einordnung von Computerprogrammen in die Produkhaftung basiert aber auf einer Bewertung, daß die Erstellung und das Inverkehrbringen von Computerprogrammen ein Gefährdungspotential eröffnet, das für den Anwender nicht überschaubar und auch bei eigener Mitwirkung im Rahmen der Softwareentwicklung nicht beherrschbar ist.239 Die Ersetzung von Maschineneinsatz durch »elektronische Intelligenz« verstärkt eher das Risiko für den Nutzer und begründet nicht nur ein Argument für die Einordnung von Software in die Produkthaftung, 240 sondern spricht auch für ein gesteigertes Risiko beim Softwareeinsatz, dem rechtlich die Verwendung des Risikoprinzips als Zurechnungskriterium entspricht. Aus der Diskussion zur Produkthaftung von Software ist weiterhin besonders das Argument zu beachten, daß Computerprogramme nicht fehlerfrei erstellt werden können. 241 Dies muß auch als zusätzliches Argument für eine Risikozurechnung bei Einsatz von EDV-Systemen herangezogen werden. c) §242
BGB
Zur Begründung einer vertraglichen Haftung für den EDV-Einsatz hat man den Grundsatz von Treu und Glauben gem. §242 B G B direkt oder analog herangezogen.242 Gerechtigkeitsvorstellungen hätten sich verändert, neben die freie Selbstbestimmung seien der Schutz gegen Ungleichheit und der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit getreten. Damit einher gehe eine eher verdeckte Abkehr vom Verschuldensprinzip, das eng mit liberalen Gerechtigkeitsvorstellungen verbunden sei. Mit der Computerisierung habe nun die Entsubjektivierung eine neue Dimension erhalten und zu ökonomischen Ungleichgewichten und neuen Abhängigkeiten des einzelnen von Institutionen wie Banken und Versicherungen geführt. Die Vertragsabschlußfreiheit sei damit praktisch aufgehoben. Das Recht müsse hier mit einer entsprechenden Schadensausgleichsanordnung helfen, geknüpft an bestimmte Zurechnungsgründe, nämlich Zunutzemachen der wirtschaftlichen Vor-
Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.288 239 Vgl. Taeger, Außervertragliche Haftung für Computerprogramme, S. 158. 240 Vgl. Taeger, Außervertragliche Haftung für Computerprogramme, S. 158f. 241 Vgl. Taeger, Außervertragliche Haftung für Computerprogramme, S. 51 f. 242 Vgl. Lieser, J Z 1971, 759, 762ff. 238
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
187
teile, f a k t i s c h e m Z w a n g z u r I n a n s p r u c h n a h m e u n d H e r k u n f t des s c h ä d i g e n d e n E r e i g n i s s e s aus d e r S p h ä r e des » C o m p u t e r b e s i t z e r s « . 2 4 3 D i e A n a l y s e ist n i c h t v o n d e r H a n d z u w e i s e n u n d k ö n n t e a u f d e m H i n t e r g r u n d des b i s h e r g e f ü h r t e n N a c h w e i s e s d e r A n g e m e s s e n h e i t des R i s i k o p r i n z i p s f ü r d e n C o m p u t e r r e i n s a t z a u c h eine e n t s p r e c h e n d e v e r s c h u l d e n s u n a b h ä n g i g e
Vertrags-
haftung rechtfertigen. Eine D u r c h b r e c h u n g der bisher grundsätzlich verschuld e n s a b h ä n g i g e n V e r t r a g s h a f t u n g ist m i t d e m R ü c k g r i f f a u f e i n e relativ u n b e stimmte Billigkeitshaftung im R a h m e n von § 2 4 2 B G B aber schwer zu begründen,244 auch w e n n eine verschuldensunabhängige H a f t u n g für zukünftige R i s i k e n v e r e i n z e l t i m V e r t r a g s r e c h t v o r g e s e h e n ist. 2 4 5 V o n d e r I n t e r e s s e n l a g e ist v i e l m e h r e h e r die R e g e l u n g des § 2 7 8 B G B e i n s c h l ä g i g .
d) §278 BGB F ü r F e h l f u n k t i o n e n b e i m E D V - E i n s a t z w i r d d a h e r v o r a l l e m § 2 7 8 B G B als A u s p r ä g u n g des S p h ä r e n g e d a n k e n s h e r a n g e z o g e n . 2 4 6 D i e s liegt n a h e , w e i l diese R e g e l u n g die A r b e i t s t e i l u n g z w i s c h e n M e n s c h e n b e i d e r V e r t r a g s e r f ü l l u n g b e t r i f f t u n d s o m i t a u c h a u f die A r b e i t s t e i l u n g M e n s c h / T e c h n i k a n w e n d b a r sein k ö n n t e . 2 4 7 D e r Z u r e c h n u n g des F e h l v e r h a l t e n s eines E r f ü l l u n g s g e h i l f e n o h n e e i g e n e s V e r s c h u l d e n des G e s c h ä f t s h e r r n liegt z u m e i n e n die E r w ä g u n g z u g r u n d e , d a ß l e t z t e r e r sein e n G e s c h ä f t s k r e i s i m e i g e n e n I n t e r e s s e e r w e i t e r t , z u m a n d e r e n die H e r r s c h a f t s u n d E i n w i r k u n g s m ö g l i c h k e i t , n ä m l i c h d a ß d i e s e r die G e f a h r e n - u n d B e w e i s l a g e b e i m E i n s a t z des G e h i l f e n b e h e r r s c h t . 2 4 8 D e r G l ä u b i g e r soll d a r a u f v e r t r a u e n d ü r Lieser, J Z 1971, 759, 764f. Vgl. H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 154; C.P. Schneider, Point of Sale-Zahlungen mit der ec-Karte, S. 167; Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.288; Hackemann, in: GRVI e.V. (Hrsg), Neue Medien für die Individualkommunikation. Rechts- und Verwaltungsaspekte, München 1984, S. 43, 51; Koziol, Ö B A 1987, 3, 5; Wolf, JuS 1989, 899, 901; Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, S. 175. 245 Vgl. Köhler, AcP 182 (1982), 126,168; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 119ff. 246 Diese Frage ist zu unterscheiden von der Zurechnung eines Programmierfehlers nach §278 B G B hinsichtich des Verschuldens des Programmierers. Diese sollen trotz des fehlenden sachlichen und zeitlichen Bezugs zum konkreten Vertragsverhältnis als Vorbereitungshandlungen, die zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung noch fortwirken, zumindest beim Telefon-Banking nach §278 B G B zurechenbar sein, vgl. Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, S. 152. 247 Liideritz, N J W 1975,1,4, weist allerdings darauf hin, daß die wirtschaftliche Arbeitsteilung von §278 B G B nur zum Teil erfaßt wird. 248 Vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. München 1987, §20 VIII, S.296ff.; Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S.321, für die negative Vertrauenshaftung; Lüderitz, N J W 1975,1,4f., der den Aspekt der Gefahrenbeherrschung allenfalls typischerweise vorliegen sieht und stärker auf den Gesichtspunkt einer Garantieübernahme abstellt. Möschel, AcP 186(1986), 187,199 f., sieht im Kontext der Wettbewerbsordnung Vorteile auf beiden Seiten und ist insoweit skeptisch gegenüber der Auffassung von der »haftungsrechtlichen Kehrseite der Arbeitsteilung«. Der erste angeführte Aspekt würde eine Zurechnung eher an denjenigen zur Folge haben, der seinen Geschäftsbereich durch Einsatz technischer Mittel erweitert, der zweite Gesichtspunkt würde eher die Frage nach der konkreten Einwirkungsmöglichkeit aufwerfen, wenn man dies im konkreten Sinne verstehen will, vgl. Blaurock, in: Köndgen (Hrsg.), 243
244
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
fen, daß der Gehilfe dieselbe Sorgfalt anwendet wie der Schuldner, und der Schuldner soll das Risiko aus der Erweiterung seines Geschäftskreises nicht auf den Gläubiger verlagern dürfen. Insoweit ist die Regelung Ausdruck des Risikoprinzips und des Vertrauensgedankens. 249 Man kann sogar von einer »Zurechnungseinheit« sprechen. 250 Diese Erwägungen treffen auch auf den EDV-Einsatz zu. Trotzdem wird eine Anwendung der Vorschrift wegen des Verschuldenserfordernisses abgelehnt. 251 Auch wenn man berücksichtigt, daß Erfüllungsgehilfen häufig einfach nur Weisungen ausführen, ist ein EDV-System kein Rechtssubjekt und kann nicht Zurechnungssubjekt eines Verschuldensvorwurfs sein. Larenz hält Verschuldensfähigkeit des Gehilfen nicht für erforderlich, 252 sondern stellt fiktiv darauf ab, ob das Verhalten in der Person des Schuldners, wenn dieser die Verbindlichkeit selbst erfüllt hätte, ein Verschulden begründete. Dagegen spricht bereits, daß die Operationen der E D V von einem Menschen nicht in vergleichbarer Weise ausgeführt werden könnten. Selbst wenn man sich die einzelnen Schritte des Programmablaufs durch den Anlagenbetreiber selbst ausgeführt denken könnte, könnten auftretende Fehler häufig nicht als schuldhaft verursacht angesehen werden. 253 Weiterhin wird gerügt, daß eine Analogie zu einer Ungleichbehandlung zwischen Dienstleistungs- und Produktionsbereich führe, da in letzterem bei Ausfall einer Maschine nur bei Verschulden gehaftet würde. 254 Gegen eine Analogie wird auch die nur teilweise Substitution des Menschen angeführt, die Resultat eines »determinierten Prozesses« sei und die resultierende Erklärung als vorweggenommene eigene Erklärung des Anlagenbetreibers erscheinen lasse, so daß bei Fehlern eine verschuldensabhängige eigene Haftung des Betreibers in Betracht komme. 2 5 5 Allerdings gibt es auch Stimmen, die sich für eine analoge Anwendung des §278 B G B bei Computereinsatz aussprechen. 256 Danach hat sich durch den zunehmen-
Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht, S.35, 42. Gegen das Argument des Ausgleichs für erweiterte Handlungsmöglichkeiten im eigenen Interesse bei §278 B G B Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 180, auch mit dem Argument, daß eine eindeutige Zuordnung des begünstigten Interesses nicht immer möglich sei, sondern häufig auch der anderen Partei Nutzen zukomme. 249 Vgl. Larenz,}uS 1965, 378. 250 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, S.412f. 251 Vgl. C.P. Schneider, Point of Sale-Zahlungen mit der ec-Karte, S. 167f.; Köhler, AcP 182 (1982), 126,168; Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.282; Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, S. 173. Koziol, O B A 1987, 3, 8, stellt unabhängig vom Verschuldenserfordernis auf einen grundlegenden Unterschied der Haftung für menschliches Verhalten und für Sachrisiken ab. 252 Vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band, §20 VIII, S. 296ff. 253 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.282. 254 Vgl. U.H. Schneider, Das Recht des elektronischen Zahlungsverkehrs, Frankfurt/Main 1982, S. 83. 255 C.P. Schneider, Point of Sale-Zahlungen mit der ec-Karte, S. 169f. 256 Vgl. Stauh/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 367; Möschel, AcP 186 (1986), 187, 200; Loewenheim, B B 1967, 593, 597.
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
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den Einsatz von Computern im Rahmen der Vertragserfüllung eine Lücke ergeben, die von der zugrundeliegenden Sachlage dem in § 2 7 8 B G B geregelten Problem des Einsatzes von menschlichen Erfüllungsgehilfen entspreche und auch von den dieser Vorschrift zugrundeliegende Regelungszwecken abgedeckt werde, so daß eine Anwendung des § 2 7 8 B G B auch auf diese Fälle geboten sei. 257 Die andere Behandlung des Dienstleistungsbereichs wird mit der Andersartigkeit des Einsatzes von Computern in diesem Bereich begründet, während der bereits lange selbstverständliche Einsatz von Maschinen im Produktionsbereich vom gesetzlichen Regelungsplan abgedeckt sei. 258 Soweit daher am Verschuldenserfordernis für den »Gehilfen« festgehalten wird, soll im Hinblick auf Sorgfaltsanforderungen auf Leistungen abgestellt werden, »die von einem Automaten aufgrund technischer Standards zu erwarten sind«. 259 Auch soll die Zurechnung nur dann in Betracht kommen, wenn Automaten wirklich den Menschen substituierende Funktion haben. Dies wird bejaht bei solchen Geräten, »die nicht einer ständigen Betreuung bedürfen, sondern bestimmte Tätigkeiten und logische Leistungen eigenständig und in selbständiger Koordination verschiedener Unterfunktionen erbringen können. Zu den Automaten in diesem Sinne gehören etwa Anlagen der elektronischen Datenverarbeitung und Industrieroboter, aber auch Autowaschanlagen. Sie ersetzen heute vielfach den Erfüllungsgehilfen«. 260 Unter dem Gesichtspunkt des Zwecks der Erfüllungsgehilfenhaftung geht es um den haftungsmäßigen Ausgleich für den Vorteil, den der Schuldner aus der arbeitsteiligen Erbringung und der Erweiterung seines Geschäftskreises zieht, die Beherrschungsmöglichkeiten des Schuldners, aber auch den Schutz des Gläubigers vor Verlust von Ansprüchen durch Einsatz einer menschlichen Hilfskraft, was als Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu betrachten ist. 261 Unter letzterem Gesichtspunkt ist eine Analogie nur gerechtfertigt, wenn diese Gefahr beim Einsatz technischer Hilfsmittel in gleicher Weise gegeben ist. Dies betrifft vor allem Fälle, in denen nicht an ein Verschulden des Betreibers oder des Bedienungspersonals für eine Haftung angeknüpft werden kann, wobei dann die Uberschaubarkeit und Kontrollierbarkeit der technischen Einrichtungen eine entscheidende Rolle spielen. 262 Eine vergleichbare Situation läge dann vor, wenn der Maschineneinsatz in einer der selbständigen menschlichen Tätigkeit vergleichbaren Weise erfolgt und auch in vergleichbarer Weise konkret nur sehr begrenzt kontrollierbar wäre. 263 257 Vgl. H. Berger, Schadensverteilung bei Bankbetriebsstörungen, S. 157ff. A.A. Rohe, Netzverträge, Tübingen 1998, S. 293. 258 Vgl. Staub/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 367. 259 M. Wolf, JuS 1989, 899,902. Damit wäre eine Haftung für höhere Gewalt und für »zufällige Störungen außerhalb der Sphäre des Automaten« von vornherein ausgeschlossen. 260 M. Wolf,]uS 1989, 899, 902. Vgl. auch Koziol, S.7. 261 Vgl. M. Wolf, JuS 1989, 899, 901. 262 Vgl. Koziol, Ö B A 1987, 3, 7. 263 Vgl. M. Wolf, JuS 1989, 899,902. Koziol, Ö B A 1987,3, 7, bestimmt diesen Bereich als denje-
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Gegen eine Beschränkung auf eine solche, relativ schmale Analogiegrundlage sprechen aber die anderen Argumente aus dem Zweck des §278 B G B . Während dem Gesichtspunkt des Ausgleichs eines Vorteils der Systemcharakter der Technik entgegengehalten werden kann, wonach die Vorteile nicht immer eindeutig zuzuordnen sind, sondern auch allen Teilnehmern zugute kommen können, hat der § 2 7 8 B G B zugrundeliegende Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit auch für den Computereinsatz seine Bedeutung und ist vielleicht sogar tragender Grund. 2 6 4 Schließlich erweitert der Computereinsatz auch den Geschäftskreis des Einsetzenden. Dies rechtfertigt eine Analogie auch für einen lediglich unterstützenden und kontrollierbaren Computereinsatz. Problematisch für eine Analogie ist allerdings das Verschuldenserfordernis. Auch wenn es auf die Verschuldensfähigkeit bei § 2 7 8 nach überzeugender Ansicht nicht ankommt, 2 6 5 bleibt doch der Unterschied, daß es bei der Haftung für Computereinsatz nicht um menschliches Verhalten, sondern um die Risiken einer Sache geht. Insoweit ist zurecht darauf hingewiesen worden, daß hier zwar mit der sphärenbezogenen Haftung der gleiche Grundgedanke zugrunde liegt, die Ausgestaltung der Haftung im einzelnen beide Fälle aber immer unterschieden hat. 266 Mit der »Übernahme intellektueller Funktionen« dringt der Computereinsatz in einen Bereich vor, der bisher menschlicher Tätigkeit vorbehalten war. Dies spricht für eine Gleichwertigkeit beider Haftungsfälle unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Risikolage durch Anwendung des der Technik angemessenen Risikoprinzips statt des Maschinen nicht zuordenbaren Verschuldens. 267 § 2 7 8 B G B findet nur auf bestehende Schuldverhältnisse Anwendung und könnte für die hier in Rede stehende Vertragsabschlußphase allenfalls im Rahmen eines Anspruchs aus c.i.c. nutzbar gemacht werden. 268 Insoweit bezieht sich die Diskussion nicht auf die Konzeption der elektronischen Willenserklärung, sie läßt sich aber im Hinblick auf die Wirkung des Risikoprinzips als Element des »Funktionswandels« fruchtbar machen. e) Bereichshaftung
und
Risikoprinzip
Als Folge der zunehmenden Technisierung und Arbeitsteilung, der technischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandlungen und der daraus sich ergebenden Wandlungen des Rechtsbewußtseins hat Schwörbel die Einführung einer auf dem Risi-
nigen, in dem »die Computer auch Gedankenarbeit der Menschen ersetzen«, und ihre »Tätigkeit« »selbständig« und nicht hinreichend überprüfbar ist. 264 Vgl. Mäschel, AcP 186 (1986), 187, 200. 265 Vgl. Staub/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 367; Möschel, AcP 186 (1986), 187, 198f. m.w.Nachw. 266 Vgl. Koziol, Ö B A 1987,3,8. Vgl. auch B G H Z 54,322, wonach für die Amtshaftung das Versagen technischer Vorrichtungen nicht menschlichem Versagen gleichgesetzt werden könne. Vgl. ferner L A G E Köln §5 KSchG Nr. 25. 267 Vgl. Koziol, Ö B A 1987, 3, lOf. 268 Vgl. MünchKomm-Grundmann, §278 Rdnr. 16.
§ 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
191
koprinzip beruhenden allgemeinen »Bereichshaftung« des Unternehmens f ü r die unvermeidbaren, aber vorhersehbaren typischen Risiken einer spezialisierten Arbeitsteilung, insbesondere dem Einsatz von Hilfspersonen und Maschinen, gefordert. 269 Die Erhaltung unternehmerischer Bewegungsfreiheit u n d die Verwirklichung des Prinzips der Selbstverantwortung als Grundlagen des Verschuldensprinzips könnten dem nicht entgegengehalten werden. Anders als die Gefährdungshaftung, die an die besondere Gefährlichkeit von Betrieben u n d Anlagen geknüpft ist, sollen hier auch die sich aus Automatisierung und Arbeitsteilung ergebenden normalen Betriebsrisiken erfaßt werden. Zur Begründung wird angeführt, daß die Schadensrisiken arbeitsteiliger und technisierter Betriebe auch in einer modernen Industriegesellschaft nicht z u m allgemeinen Lebensrisiko gehörten, sondern Schädigungen vorhersehbar seien u n d mit der Betriebseröffnung in Kauf genommen würden. 2 7 0 Daraus müsse eine Einstandspflicht des Unternehmers f ü r alle typischen Schadensrisiken resultieren, die ihren U r s p r u n g in dem von ihm beherrschten Betriebskreis hätten. 271 Eine Grenzziehung zwischen vermeidbaren u n d unvermeidbaren Schädigungen sei sowieso nicht mehr möglich. Schwörbel sieht zwar das Risikoprinzip als dem Verschuldensprinzip gleichwertig an, es stelle aber auch keine unmittelbar anwendbare H a f t u n g s n o r m dar.272 Ein wesentliches Hindernis f ü r eine mögliche Rechtsfortbildung in diese Richtung stelle die an Verschulden anknüpfende Regelung des § 831 BGB dar. 273 Diese sollte sich aber nach Ansicht von Schwörbel mit der damals im Entwurf vorliegenden Neufassung von §831 BGB ändern, der z u m Wegfall der Entlastungsmöglichkeit u n d zur Einführung einer »Bereichshaftung« führen sollte. Weitere A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r eine Rechtsfortbildung sah er in verschiedenen Vorschriften, insbesondere §278 BGB. Allerdings ist zweifelhaft, ob sich eine derartige Haftungsausweitung f ü r allgemeine Risiken der Technisierung u n d Automatisierung für das Deliktsrecht im Wege der Rechtsfortbildung entwickeln ließe, zumal die geplante Novellierung von § 831 B G B nicht umgesetzt wurde. Hier wird man vielmehr auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers warten müssen, wie es im Bereich der P r o d u k t h a f t u n g erfolgt ist.
269 Vgl. Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 165ff. Dies geht zurück auf den G e d a n k e n der »Verantwortlichkeit f ü r den eigenen Geschäftskreis« bei Oertmann, Das Recht, 1922, Sp.5. Wer seinen gewerblichen Tätigkeitsbereich mittels f r e m d e r Kraft ausweitet, m u ß auch »aufgrund der damit e r w o r b e n e n Stellung« die H a f t u n g f ü r die sich daraus ergebenden Risiken f ü r Personen ü b e r n e h m e n , mit denen er aufgrund seines Gewerbes in »Verkehrsberührung« k o m m t . 270 Vgl. Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 167. 271 Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 168, spricht auch von einer »soziale(n) Einstandspflicht« u n d der Bewahrung eines rechtlichen »Risikogleichgewicht(s)«. 272 Vgl. auch J. Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 55. 273 Vgl. Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 154ff.
192
f)
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Sphärenhaftung
Gegenüber einer solchen allgemeinen verschuldensunabhängigen Haftung für arbeitsteiligen Einsatz von Maschinen ist eine verschuldensunabhängige sphärenbezogene Haftungsverteilung nach dem Risikoprinzip durchaus möglich, wie vor allem anhand von Beispielen aus dem Bankbereich aufgezeigt werden soll. Der Sphärengedanke wird in verschiedenen Ausprägungen vertreten. Bydlinski hat die Idee einer Haftung für die reine Schadensverursachung aus der Sphäre heraus aufgeworfen. Er geht über das Konzept der abstrakten Beherrschbarkeit hinaus und bezieht auch unerkennbare Gefahren ein. Eine solche Erweiterung hätte im geltenden Recht kaum eine Stütze. Bydlinski hält aber aufgrund der technischen Entwicklung, in deren Gefolge »bestimmte Sache, insbes. Computer, bisher vom Menschen wahrgenommene intellektuelle Funktionen übernehmen und wo sich allein dadurch, normativ also ganz zufällig, die Haftungslage ändern würde«, 274 eine analoge Anwendung der Gehilfenhaftung auf »Sachen mit intellektuellen Funktionen« für denkbar, und zwar bereits im geltenden Recht durch teleologische Reduktion der Möglichkeit des Entlastungsbeweises. Innerhalb vertraglicher Beziehungen wurde die Risikoverteilung nach Sphären vor allem im Rahmen der Sphärentheorie beim Zahlungsverkehr im Bankbereich diskutiert. 275 Dabei wird eine differenzierte Risikoverteilung vorgenommen. So soll beim Einsatz von elektronischen Zahlungsmedien und persönlich zugeordneten Legitimationsmedien das Mißbrauchsrisiko dem Kunden zugeordnet werden, während das »Systemrisiko« beim Systembetreiber verbleiben soll. 276 Blaurock unterscheidet zwischen bankinternem Einsatz und kundenbezogenem Dialog, bei dem der Kunde tätig geworden ist, und nimmt bei letzterem eine Haftungsverteilung nach Einflußsphären vor. 277 Systembedingte Risiken sollen dagegen zu Lasten der Bank gehen. Der Kunde soll nur insoweit haften, als eine Weisung von ihm ausgegangen ist oder ihm Mitverursachung und Mitverschulden angelastet
Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S.215f. (»Funktionswandel«). Vgl. etwa Werner, W M 1998, 338, 340; Rutke, in: Scherer (Hrsg.), Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, Köln 1988, S. 139, 150; Harbeke, W M 1989, 1749, 1751 f., mit dem Argument, die EC-Karte diene der »Vergegenständlichung des Weisungsrechts des Kunden« und werde damit verkörperlicht und beherrschbar. Zurückgehend auf E. Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, Stuttgart/Berlin 1938, S.315ff.; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl., München 1987, S. 169, die beide auf eine Auslegung des Bankvertrags abstellen, Staub/Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 4. Aufl. 1988, Rdnr. 710, unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung. Vgl. ferner Koller, N J W 1981,2433ff., unter Anwendung der Kriterien der abstrakten Beherrschbarkeit und der Risikoabsorption. Gegen eine Anwendung Pichler, Rechtsnatur, Rechtsbeziehungen und zivilrechtliche Haftung beim elektronischen Zahlungsverkehr im Internet, S.47, 67. Ablehnend C.P. Schneider, Point of Sale-Zahlungen mit der ec-Karte, S. 124ff. Zur Risikoverteilung aus ökonomischer Sicht Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, S. 70ff., 168. 276 Vgl. Werner, W M 1998, 338, 340. Vgl. für Btx auch Hellner, in: Hadding u.a. (Hrsg.), Festschrift für Winfried Werner, S.251, 274. 277 Vgl. Blaurock, in: Köndgen (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht, S. 35, 43 ff. 274
275
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
193
werden kann. Zum Teil wird eine Differenzierung zwischen Privatkunden und sonstigen Kunden vertreten. 278 Grundsätzlich wird eine solche verschuldensunabhängige Haftung bereits mit dem Hinweis auf das Verschuldensprinzip abgelehnt. 279 Eine Zuweisung des Fälschungsrisikos an den Kunden unter dem Aspekt der Gefahrenbeherrschung wird auch mit dem Argument abgelehnt, daß die Einführung durch die Bank erfolge und nur diese das System ändern könne. 2 8 0 Demgegenüber könne der Kontoinhaber das Fälschungs- und das Verlustrisiko bei Schecks nicht sicher beherrschen. Das »Anfangsrisiko« werde mit der Ausgabe von Scheckvordrucken durch die Bank gesetzt. 281 Weiterhin entstehe der Schaden als letzte Ursache auch aus der Scheckeinlösung durch die Bank und entstamme damit deren Sphäre. 282 Der Kunde habe lediglich einen gewissen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit von Fälschungen, was aber allenfalls zu einer Schadensteilung führen könne. Auch eine Anreizwirkung zur Schadensvermeidung gehe von einer entsprechenden Risikozuweisung nicht aus. Eine Differenzierung zwischen privater und geschäftlicher Funktion sei schon von der Abgrenzung kaum durchführbar und auch nicht durch eine unterschiedliche Strukturierung der Risikointensität gerechtfertigt. 283 Vor allem im Zusammenhang mit der Haftung für automatisierte Zahlungsvorgänge, die unter Verwendung des Sicherungsmittels der P I N durchgeführt wurden, hat die Frage der Haftung für mißbräuchliche Benutzung eine Rolle gespielt. 284 Eine Haftung des Kunden nach c.i.c. kommt danach auch dann in Betracht, wenn der Kunde die mißbräuchliche Verwendung durch schuldhafte Pflichtverletzung ermöglicht hat. Zwar trägt die Bank für den Pflichtenverstoß die Beweislast, die Rechtsprechung hat aber mit der Annahme eines Anscheinsbeweises geholfen. Die technische Sicherheit entsprechender Verfahren wurde dabei zur Grundlage eines Anscheinsbeweises für eine Pflichtverletzung. In einem Urteil des O L G Hamm konnte die technische Sicherheit des EC-Karten-Verfahrens erschüttert werden mit entsprechenden Folgen auch für den Anscheinsbeweis. 285 Die Gerichte lassen
Vgl. Koller, N J W 1981, 2433, 2435ff. Vgl. Joost, Z H R 153 (1989), 237, 249. 280 Vgl. Joost, Z H R 153 (1989), 237, 249; Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S. 161f. Entsprechend für die Zuweisung computerbedingter Schäden im Telefon-Banking-Verkehr in die Sphäre der Kreditinstitute Zietsch, Die Haftung im Telefon-Banking-Verkehr, Wiesbaden 1997, S. 177f. Schön, AcP 198 (1998), 401,427, weist auf das Fehlen einer klaren Abgrenzung der Verantwortungssphären hin. 281 Vgl. auch Jäkel, Das beleglose Scheckeinzugsverfahren nach dem BSE-Abkommen vom 8.Juli 1985, Baden-Baden 1995, S. 173. 282 Vgl. Jäkel, Das beleglose Scheckeinzugsverfahren, S. 173, unter Hinweis auf Art.4-401(a) 278
279
ucc.
Vgl. Joost, Z H R 153 (1989), 237, 251. Vgl. Hartmann, CI 2000, 113ff. m.w.Nachw. 285 O L G Hamm, N J W 1997, 1711. Dabei wurde von einem Sachverständigen die Ratewahrscheinlichkeit auf 1:150 reduziert und der Investitionsaufwand für die Entschlüsselung des geheimen Schlüssels auf 100.000 D M gegenüber einem Gesamtschaden von 30,8 Millionen D M im Jahre 1995 festgelegt. 283
284
194
3. Kapitel: Die Elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System
jedoch meist lediglich abstrakte Angriffe auf die Sicherheit nicht ausreichen, sondern fordern konkrete Anhaltspunkte für eine Entschlüsselung. 2 8 6 Diese Rechtsprechung ist zurecht unter dem Gesichtspunkt kritisiert worden, daß das Risiko technischer Sicherheit letztlich dem Kunden auferlegt wird, der den Nachweis erbringen muß, daß im konkreten Fall Sicherheitslücken vorhanden waren oder Angriffe stattgefunden haben. 2 8 7 D i e technische Sicherheit des verwendeten Verfahrens sollte aufgrund abstrakter Beherrschbarkeit dem verwendenden Kreditinstitut zugewiesen werden. Dagegen kann man jedoch zum einen einwenden, daß der N u t z e n des Systems allen Beteiligten zugute k o m m t , so daß es schwierig ist, Risikozuweisungen durchzuführen. Z u m anderen kann man aber verschiedene Risiko»sphären« unterscheiden, wobei das Mißbrauchsrisiko in manchen Fällen eher durch den Kunden beherrschbar erscheint. A u f einer anderen E b e n e liegt schließlich die Feststellung, welches Risiko sich überhaupt verwirklicht hat. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde eine auf die Sphärenhaftung gestützte Risikoverteilung mit Hinweis auf das Verschuldensprinzip als allgemeinem Grundsatz des Haftungsrechts und Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots zurückgewiesen und entsprechende Klauseln sowohl im kaufmännischen als auch im nichtkaufmännischen Verkehr als nicht mit § 9 A G B G vereinbar angesehen. 2 8 8 Eine uneingeschränkte Risikoverlagerung auf einen Kreditkartenkunden wurde etwa mit dem Argument abgelehnt, daß das Unternehmen mit der Einrichtung eines mißbrauchsanfälligen Kreditkartensystems das Mißbrauchsrisiko veranlaßt und der Kunde auf dessen Ausgestaltung keinen Einfluß habe. Gegenüber dem kaufmännischen Kunden fiel auch ins Gewicht, daß die Klausel dem Kunden alle Nachteile zuwies, ohne nach der Beherrschbarkeit der Ursachen oder den Sphären, aus denen diese stammen, zu fragen. 2 8 9 Das Risiko sei für den Kunden durch die fehlende betragsmäßige Haftungsbegrenzung unkalkulierbar, und zur Risikostreuung und Versicherung sei das Unternehmen eher in der Lage, das System aber auch ohne die angefochtene Klausel nicht gefährdet. A u c h die B e herrschbarkeit wurde als Argument für die Risikoverteilung herangezogen. O b wohl also der Bundesgerichtshof von einem grundsätzlichen Vorrang des Verschuldensprinzips ausgeht, zieht es für die Prüfung einer ausnahmsweise möglichen verschuldensunabhängigen Risikohaftung Kriterien wie Veranlassung, B e herrschbarkeit und Absorption heran, die durchaus R a u m für eine entsprechende Risikoverteilung lassen. Streckenweise lassen sich die Urteile eher im Sinne einer positiven Risikozuweisung interpretieren und lassen damit durchaus R a u m für weitere Überlegungen in diese Richtung. 2 9 0 286 Vgl. LG Wiesbaden, CR 1998, 691, 692; LG Frankfurt/Main, DuD 2000, 109; anders LG Dortmund, CR 1999, 556; AG Frankfurt/Main, CR 1998, 723. 287 Vgl. Hartmann, CI 2000,113,116. Gegen Anwendung des Anscheinsbeweises auch Bruns, MMR 1999, 19,21. 288 Vgl. BGH WM 1991, 1110, 1112; BGH, WM 1997, 910ff. m.w.N. 289 Vgl. BGH WM 1997, 910, 912. 290 Vgl. auch Werner, WM 1998, 338, 340. Grundsätzlich hält auch Joost, ZHR 153 (1989), 237,
§6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
195
Beispielhaft herangezogen werden kann hier auch eine Entscheidung des O L G Frankfurt, in der es um eine Kreditkartenzahlung im Fernabsatz ging, nämlich per mail-order, wobei die Bestellung schriftlich unter Angabe von Kartennummer und Verfallsdatum der Karte, aber ohne Unterschrift erfolgte. 291 Der berechtigte Karteninhaber machte den unberechtigten Einsatz der Karten geltend, so daß er mangels wirksamer Anweisung nicht in Anspruch genommen werden konnte. Die Besonderheit besteht dabei darin, daß an einen Sorgfaltsverstoß des Karteninhabers nicht angeknüpft werden kann, da die Karte nicht vorgelegt worden ist. Entsprechendes gilt für Kreditkartenzahlungen im Internet. Dem Auftragnehmer wurde der Rechnungsbetrag unter Berufung auf ein Rückbelastungsrecht vom Kreditkartenunternehmen nicht erstattet. Fraglich war, ob eine solche Risikoverteilung einer Prüfung nach § 9 AGBG standhielt. Das Gericht führte zunächst aus, daß der Mißbrauch »eher dem Lager des Vertragsunternehmens als dem Lager des Kreditkartenunternehmens zuzurechnen ist«. 292 da der Vertragspartner des ersteren den Mißbrauch begangen habe. Damit erweist sich auch hier im Ansatz eine Zurechnung nach Sphärengesichtspunkte als angemessen. 293 Vor allem aber hebt das Gericht den Gesichtspunkt der Risikobeherrschung als zentralen Gesichtspunkt der Risikoverteilung hervor. Diese knüpft es an die Entscheidung des Vertragsunternehmens, ob dessen Vertragspartner für das mail-order-Verfahren hinreichend vertrauenswürdig sei. Demgegenüber könne das Kreditkartenunternehmen nur über die Ausgabe der Kreditkarte entscheiden, was aber auf die konkrete Transaktion keinen risikosteuernden Einfluß habe, da im mail-order-Verfahren ein sorgfaltswidriges Verhalten des Karteninhabers nicht Voraussetzung für einen Mißbrauch sei.294 Nur soweit das Kreditkartenun-
265, eine vertragliche Risikoverteilung nach Sphärenbereichen für wirksam durchführbar. Koller folgend enthielten die seit 1.1. 1995 verwendeten Scheckbedingungen der Kreditinstitute in Nr. 3 Abs. 3 eine Fortgeltung der Sphärentheorie für bestimmte kaufmännische Kunden und Kunden des öffentlichen Rechts und wiesen diesen die Haftung für den von ihnen »beherrschbaren Verantwortungsbereich« zu, vgl. auch Bülow, WM 1996, 8, 9. In Umsetzung von Art. 8 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG enthält §676 h BGB nunmehr den Ausschluß eines Erstattungsanspruchs des Kartenunternehmens gegenüber dem Kunden bei mißbräuchlicher Verwendung, vgl. dazu Oechsler, WM 2000, 1613, 1622; Meder, NJW 2000, 2076, 2077. 291 OLG Frankfurt/Main, NJW 2000, 2114, m.Anm. Meder, NJW 2000, 2076. 292 OLG Frankfurt/Main, NJW 2000,2114,2115. Vgl. aber auch den Anfragebeschluß des XI. Zivilsenats des BGH, MMR 2002, 107, 109. 293 Meder, NJW 2000, 2076, 2077, weist in seiner Anmerkung auch darauf hin, daß der Händler beim Fernabsatz im Gegensatz zum herkömmlichen Verfahren keine Pflicht zur Kartenakzeptanz habe, sondern einen Entscheidungsspielraum habe, um Absatzchance und Abwicklungsrisiko abzuwägen, und daß er auch nicht in gleichem Umfang das Vorleistungsrisiko trage. Schließlich würde eine Risikotragung durch den Kartenherausgeber allgemein das Betrugsrisiko erhöhen, da das Risiko des Händlers dann gering sei. Auch letzteres spricht für eine sphärenorientierte Risikoverteilung und dem Gesichtspunkt des »näher-dran« der Risikosteuerung. Eine Risikotragung durch den Kartenherausgeber kommt dagegen hinsichtlich des Bonitätsrisikos in Betracht. 294 Meder, NJW 2000, 2076, 2077 Fußn. 6, weist insoweit zurecht darauf hin, daß es vielfältige Wege zur unbefugten Erlangung der Daten gebe.
196
3. Kapitel: Die Elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System
ternehmen weitere Überprüfungsmöglichkeiten hat, fällt deren Durchführung bzw. Unterlassung in ihre »Risikosphäre«. 2 9 5 Letztlich hat aufgrund der Zwischenschaltung der technischen K o m m u n i k a tionsmittel auch das Vertragsunternehmen nicht die gleichen Kontroll- und B e herrschungsmöglichkeiten wie bei unmittelbarem geschäftlichem Kontakt. Dies erkennt das Gericht auch ausdrücklich an, in dem es ausführt, daß das M i ß brauchsrisiko auch vom Vertragsunternehmen »kaum zu beherrschen« sei. 296 Es läßt sich aber davon leiten, daß dieses eher zur Beherrschung des Risikos in der Lage ist als das Kreditkartenunternehmen, und bringt damit die vordringende B e deutung des Risikoprinzips zum Ausdruck. 2 9 7
V. Risikoprinzip und
Funktionswandel
F ü r die rechtsgeschäftliche Zurechnung ist die »Übernahme«
intellektueller
Funktionen durch »Maschinen« als eine Veränderung im tatsächlichen Bereich zu bewerten, die v o m Gesetzgeber des B G B noch nicht bedacht werden konnte. M e thodisch ist dadurch die Frage aufgeworfen, ob damit eine Gesetzeslücke entstanden und wie diese zu füllen ist. D i e Versuche einer Anwendung der Stellvertreterregeln auf die durch das » D a zwischentreten« des Computers veränderte rechtsgeschäftliche K o m m u n i k a t i o n könnten es nahelegen, hier von einer Gesetzeslücke auszugehen, die durch eine Analogie auszufüllen ist. Anknüpfend an das oben zur methodischen Frage des »Funktionswandels« Ausgeführte läßt sich darin eine tatsächliche Veränderung im N o r m b e r e i c h sehen. Zu einem Fall des »Funktionswandels« im Sinne von B y d linski würde dies erst, wenn neben den durch die faktische Veränderung erfolgenden Änderungen des Auslegungsergebnisses auch Veränderungen der normativen Maßstäbe erfolgen. 2 9 8 Begreift man das rechtliche Konzept der Willenserklärung von der sozialen Funktion her als Instrument zur Zweckverwirklichung im rechtsgeschäftlichen Verkehr, dann sind die veränderten Rahmenbedingungen im elektronischen Rechtsverkehr zu berücksichtigen und in das K o n z e p t einzuarbeiten. D i e »Zwischenschaltung« technischer Infrastrukturen in den
Kommunikationsprozeß
muß einerseits dazu führen, daß auch solche »vermittelten« Kommunikationsakte als Willenserklärung behandelt werden können, will man nicht generell auf einen 2 . 5 O L G Frankfurt, C R 2001,414, 415. In diesem Fall hatte das Kreditkartenunternehmen die Möglichkeit des Vergleichs des Namens von Besteller und Kreditkarteninhaber, die voneinander abwichen, hat aber eine entsprechende Mitteilung an das Vertragsunternehmen unterlassen; demgegenüber liegt dem Vertragsunternehmen bei Bestellungen im Internet die Kreditkarte nicht vor. 2 . 6 O L G Frankfurt/Main, NJW 2000, 2114, 2115. 297 Demgegenüber sieht der XI. Zivilsenat des B G H , MMR 2002,107,109, beim Kartenunternehmen die bessere Absorptionsmöglichkeit hinsichtlich der Risiken, was aber erst nachrangig zu berücksichtigen ist, s.o. §7 III 3.a). 2 , 8 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 574ff.
5 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
197
rechtswirksamen elektronischen Rechtsverkehr verzichten. Ein solcher Verzicht entspricht aber nicht dem Willen des Gesetzgebers. 299 Vielmehr haben der deutsche und der europäische Gesetzgeber deutlich gemacht, daß sie zur Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs die notwendigen anpassenden, bewahrenden und gestaltenden Funktionen des rechtlichen Rahmens wahrnehmen wollen. Dann kann es aber nur um die Art und Weise der Anerkennung auch elektronischer Willenserklärungen unter Beachtung der bisherigen, als schutzwürdig anerkannten Interessen gehen. Teil dieser Anpassungsleistung ist aber die Berücksichtigung der Tatsache, daß die zunehmende Mediatisierung der Kommunikation auch eine abnehmende konkrete Beherrschbarkeit des Kommunikationsvorgangs und eine zunehmende Notwendigkeit des Verlasses auf technische Systeme beinhaltet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Stärkung des Vertrauensschutzes und der Verkehrssicherheit zur Absicherung von Systemvertrauen in technische Systeme, die sich in der Abkehr von Verschuldensprinzip und der Hinwendung zum Risikoprinzip konkretisiert. 300 Funktional muß also die elektronische Willenserklärung als wirksames Instrument der rechtlichen Zweckverfolgung anerkannt werden, das in gleicher Weise wie herkömmliche Willenserklärungen individuelle Zwecke am Markt zur Geltung bringen kann. Aus der Mediatisierung ergibt sich aber die Notwendigkeit erhöhten Vertrauensschutzes, der für die Gewährleistung eines reibungslosen Rechts- und Geschäftsverkehrs erforderlich ist. Erhöhter Vertrauensschutz und Anwendung des Risikoprinzips gründen sich also auf eine Fortschreibung der herkömmlichen Rechtsgeschäftslehre und ihrer Prinzipien unter den Bedingungen elektronischer Kommunikation. Die Subsumtion neuer elektronischer Kommunikationsformen unter das sehr flexibel ausgestaltete rechtsdogmatische Konzept der Willenserklärung trifft sich mit der in die gesellschaftliche Entwicklung eingebetteten Tendenz zur Materialisierung und Objektivierung des Zivilrechts und speziell des Vertragsrechts. 301 Sie knüpft an diese Tendenz an und führt sie auf dem Hintergrund der Technisierung der Kommunikation durch verstärkte Anwendung des Risikoprinzips fort. Insofern ändert sich - bei unverändertem Gesetzeswortlaut - die Gewichtung der in die Konkretisierung einfließenden Wertgesichtspunkte. Die Diskussion zur Haftung für Computereinsatz hat deutlich gemacht, daß der Gedanke der Risikohaftung an vielen Stellen durchscheint und fruchtbar gemacht wird. Aber auch anhand der Entwicklung im Bereich der arbeitsteiligen Organisation von Wissen und der gesetzlichen Regelung der Verantwortlichkeit der Dienste in §5 TDG a.F./§§8-ll TDG n.F. wurde nachgewiesen, daß das Risikoprinzip für die Bewältigung der Auswirkungen der Informationstechnologie auch 299 300 301
Vgl. nur explizit Art. 9 der ECommerce-Richtlinie 2000/31/EG. Vgl. auch Ladeur, Z U M 1997, 372, 381, im Hinblick auf » N e t z w e r k k o m m u n i k a t i o n « . Siehe oben § 3 IV 1 m . w . N a c h w .
198
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
im zivilrechtlichen Bereich wirksam ist. Für den Einsatz von Computertechnik erscheint also primär der Risikogedanke als Zurechnungskriterium angemessen. Das Risikoprinzip ist auch im Vertragsrecht kein neu zu entdeckendes Prinzip, wie die aufgezeigten Anwendungsbereiche deutlich machen. 302 Allerdings hat sich der Anwendungsbereich des Risikoprinzips im Gefolge der technischen Entwicklung immer stärker ausgeweitet. Die Anwendung auch auf die Rechtsgeschäftslehre öffnet das Risikoprinzip für einen neuen Bereich und kommt damit einem Gerechtigkeitsbedürfnis entgegen, das die Uberzeugungskraft der Konzeption vermittelt. 303 Dies rechtfertigt es aber auch, für den Einsatz der Informationstechnik nicht mehr jeweils auf die Schaffung einer besonderen oder erhöhten Gefahr abzustellen, sondern die Durchführung intellektueller Funktionen durch automatisierte Operationen generell als Anwendungsbereich des dem Technikeinsatz angemessenen Risikoprinzips anzusehen. In diesem Kontext gehört auch der Gedanke von Bydlinski, unter dem Gesichtspunkt des »Funktionswandels« die Haftung für die Automatisierung intellektueller Funktionen auch auf unerkennbare Gefahren zu erweitern. 304 Geht man davon aus, daß neben dem Selbstbestimmungsprinzip auch das Prinzip der Selbstverantwortung, aber auch das Prinzip des Vertrauens- und Verkehrsschutzes im Konzept der Willenserklärung als Wertungsgesichtspunkte integriert sind, so kann man die veränderte Kombination dieser Prinzipien bei der Konkretisierung im Hinblick auf elektronische Willenserklärungen auch als »Funktionswandel« bezeichnen, weil sich das Gewicht der verschiedenen Prinzipien untereinander verschiebt und der Risikogedanke sehr viel stärker in den Vordergrund tritt. Eine jeweils unterschiedliche Kombination der Prinzipien im Hinblick auf die konkrete Willenserklärung ist deren Konzeption aber inhärent, so daß es sich »normativ nicht um ein aliud« handelt. 305 In diesem Fall bewegt sich eine Veränderung der normativen Maßstäbe innerhalb des Bereichs der Auslegung der gesetzlichen Regelung zur Rechtsgeschäftslehre. Hier spielt eine Rolle, daß die Abstraktheit des Konzepts der Willenserklärung breiten Raum für die (Gesetzes-)Auslegung läßt, die auch eine Neukonzeptualisierung verkraftet. Insofern kann man von einer Gesetzeslücke, die nach herrschender Methodenlehre Voraussetzung einer Rechtsfortbildung ist, wohl nicht
302 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 241, zur Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein rechtsethisches Prinzip. 303 Vgl. auch Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S. 314, der die Verbindung des Risikoprinzips mit der Haftung aus c.i.c. der Sache nach als »Gefährdungshaftung für bestimmte Formen sozialer Kommunikation« ansieht und insofern, auf der Basis eines anderen Modells, vgl. a.a.O., S. 315 Fußn. 87, eine Ergänzung durch zusätzliche Gesichtspunkte, i.d.R. Verschuldensgedanken, fordert. 304 Vgl. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 216 Fußn. 220, wobei es allerdings um die Schadenshaftung, nicht um die rechtsgeschäftliche Zurechnung geht. 305 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 158.
§ 6 Elektronische
Willenserklärung
als Frage der Zurechnung
nach dem Risikoprinzip
199
sprechen. 306 Zum anderen sind die Unterschiede zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ohnehin nur gradueller Natur. 307 Die durchzuführende Fortentwicklung des Konzepts der Willenserklärung ist daher im Hinblick auf die elektronische Kommunikation unter besonderer G e wichtung des Risikoprinzips als Frage der Auslegung der gesetzlichen Vorschriften zur Willenserklärung anzusehen.
VI. Typologische
Strukturierung
Die durch den »Funktionswandel« bedingte Neukonzeptualisierung des K o n zepts der Willenserklärung im Hinblick auf elektronische Kommunikationsformen rechtfertigt es auch, einen eigenständigen Typus der elektronischen Willenserklärung anzunehmen. Bereits Hepting hat die Typenlehre für das Konzept der Willenserklärung fruchtbar gemacht. 308 Danach wird die tatbestandliche Subsumtion ersetzt durch eine Zuordnung des Sachverhalts zu einem entsprechenden »normativen Realtypus«, und die Willenserklärung ist in ihrer Verbindung normativer und empirischer Elemente als ein solcher »normativer Realtypus« anzusehen. Die typologische Auslegung des »willensorientierten Sinngefüges« mit einzelnen faktischen »Zügen«, 309 gebündelt im Hinblick auf die Leitgedanken Privatautonomie und Vertrauensschutz, wird »überlagert« von der als hermeneutischem Prozeß verstandenen typologisch-wertenden Zuordnung zur »Verbindlichkeit«, die als Rechtsfolge die »sinnhafte Typizität« eines normativen Rechtstypus präge.310 Leitgedanken für die zweite Wertung bilden Privatautonomie, Vertrauensschutz und weitere Gesichtspunkte. 311 Hepting kommt zur Annahme einer Typenreihe zwischen Willens- und Vertrauensprinzip. 312 Anknüpfend an die entsprechende Konzeption von Hepting soll die elektronische Willenserklärung auch unter rechtlichen Wertungsgesichtspunkten als eigener Typus betrachtet werden.
306 Ygj_ Jazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 191 ff. 307 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 188. 308 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S. 270ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 294; Hassemer, Tatbestand und Typus, Köln/Berlin/Bonn/München 1968; Leenen, Typus und Rechtsfindung, Berlin 1971. 309 Hepting, Ehevereinbarungen, S. 276, unter Bezugnahme auf Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.4f. 310 Hepting, Ehevereinbarungen, S. 277f. 311 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S.278. 312 Vgl. Hepting, Ehevereinbarungen, S.298f.
200
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
1. Die elektronische Willenserklärung als eigener Typus a) Elektronische
Kommunikation
als
Bezugspunkt
Legt man das Konzept der Willenserklärung als normativem Realtypus zugrunde, so stellt sich die Frage der Einordnung der elektronischen Willenserklärung auf der Typenreihe zwischen den Polen Willens- und Vertrauensprinzip. 313 Die typologische Ausdifferenzierung von Willenserklärungen erfolgt zwischen den Polen Willens- bzw. Selbstbestimmungsprinzip und Vertrauensschutz. Allerdings ist diese Einordnung nicht problemlos möglich. Der Einsatz der Technik schafft eine Trennung zwischen menschlicher Handlung und »sinnhaltiger Form«, die eine Bewertung des technischen Operationsergebnisses als unmittelbar gesetzter Handlung ausschließt. Dies spiegelt sich in der Diskussion zum konkreten Geschäftswillen und Erklärungsbewußtsein bei der elektronischen Willenserklärung und dem Ausweichen auf einen generellen Willen. Die Rückstufung auf ein generelles Erklärungsbewußtsein verhindert aber eine Zuordnung zum »Willens«-Pol der Typenreihe. Man kann zwar die Ubereinstimmung der resultierenden Erklärung mit dem antizipiert vorgestellten inhaltlichen Rahmen des Handelnden feststellen, ein unmittelbar auf die resultierende Erklärung gerichteter konkreter Wille liegt aber nicht vor. Als Leitgedanke für die Annahme der Verbindlichkeit einer elektronischen Willenserklärung tritt dann stärker der Vertrauensschutz hervor. Die elektronische Willenserklärung verdient Anerkennung, weil auf Seiten des Empfängers schutzwürdiges Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung besteht und aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Funktionsfähigkeit des elektronischen Geschäftsverkehrs eine Anerkennung der Erklärung geboten ist. Der Wille kann hier zwar noch berücksichtigt werden, aber nur in seiner generellen Form. Demgegenüber tritt typologisch stärker der Vertrauens- und insbesondere Verkehrschutzgedanke hervor. Dies schlägt sich auch in den anzuwendenden Zurechnungsgesichtspunkten nieder, indem das Willens- hinter dem Risikoprinzip zurücktritt. In der Zusammenschau von realen und rechtlichen Elementen konstituieren die medienspezifischen Besonderheiten und die darauf beruhenden gemeinsamen Merkmale einen eigenen Typus der elektronischen Willenserklärung. Dieser ist durch die mediale Funktion der Technik gekennzeichnet, die auf besondere Weise die Kommunikation vermittelt. Im Hinblick auf die Pole der Typenreihe ergibt sich eine Nähe zum Leitgedanken des Vertrauensschutzes. Innerhalb der insoweit abgedeckten Bandbreite lassen sich wiederum für verschiedene Formen elektronischer Willenserklärungen eigene Untertypen bilden. b) Differenzierung
im Lichte europäischen
Rechts
Die Typenbildung muß die Abgrenzungen beachten, die der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Schaffung eines Rechtsrahmens für den elektronischen Ge313
Vgl. Hepting,
Ehevereinbarungen, S.298f.
§6 Elektronische Willenserklärung als Frage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip
201
schäftsverkehr vorgenommen hat. Art. 2 a) der ECommerce-Richtlinie verweist für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs mit der Definition der »Dienste der Informationsgesellschaft« auf die Definition der Richtlinie über Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften. 314 Die Definition beinhaltet ein Erbringen »in der Regel« gegen Entgelt, im Fernabsatz, durch elektronische Mittel und auf individuellen Abruf durch den Empfänger. »Fernabsatz« ist näher definiert als der Fall, daß die Parteien nicht gleichzeitig anwesend sind. Die Erbringung »durch elektronische Mittel« wird näher spezifiziert als Absendung sowie Empfang mittels elektronischer Geräte für die Verarbeitung und Speicherung von Daten, sowie der vollständigen Übertragung, Transport und Empfang durch Draht, Radio oder optische oder andere elektromagnetische Mittel. Das in Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie geschaffene Fernabsatzgesetz (FernAbsG) 315 , das mittlerweile in §§312b-d BGB kodifiziert ist, begrenzt seinen Anwendungsbereich auf Verträge, »die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden«, wobei auch ein organisiertes Vertriebssystem vorliegen muß. Auch hier ist die fehlende gleichzeitige Anwesenheit der Partner Voraussetzung für die Anwendbarkeit. Allerdings gibt es keine Beschränkung auf elektronische Datenverarbeitung, so daß auch Briefe, Kataloge, Telefon, Telefax und Rundfunk einbezogen sind (§312b Abs. 2 BGB n.F.). Für das FernAbsG bzw. §312b BGB n.F. ist angesichts des im Vordergrund stehenden Ziels des Verbraucherschutzes ein entsprechend weiter Anwendungsbereich gewählt worden, wobei vor allem das Merkmal des Fernabsatzes die besondere Gefährdungssituation kennzeichnet. Für die ECommerce-Richtlinie stehen hinsichtlich der Regeln für den Vertragsschluss der Verbraucherschutz, die Harmonisierung des Rechts und die Rechtssicherheit im Vordergrund, 316 was sich auch darin äußert, daß eine Einschränkung auf Verbraucherverträge nicht vorgenommen worden ist. Trotz aller Kritik an der Abgrenzung, 317 ist mit der Umsetzung in § 312e BGB n. F., die auf die Nutzung eines Tele- oder Mediendienstes abstellt, auch für die vertragsrechtlichen Regeln der ECommerce-Richtlinie ein klarer Bezug zur elektronischen Kommunikation hergestellt.318 Dies wird in der Umsetzungsregelung des §312e Abs. 1 S. 1 BGB n.F. noch betont durch die ausdrückliche Bezeichnung »Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr«. Die Breite der von der Richtlinie erfaßten Regelungsbereiche ist 314 Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EGv. 22.6.1998, AB1EG Nr. L 204/37 v. 21.7.1998, in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG v. 20.7. 1998, AB1EG Nr. L 217/18 v. 5.8. 1998. 315 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.7. 2000, BGBl. I 2000, S. 897. 316 Vgl. auch Erw.grde. 5-8,34-40 der ECommerce-Richtlinie 2000/31/EU vom 8.6.2000, AB1EG Nr. L 178/1 vom 17.7. 2000, NJW Beilage zu Heft 36/2000, S.3, 4. 317 Vgl. Spindler, MMR-Beilage 7/2000, S.4, 5, mit Kritik an der Herausnahme, sprachgesteuerter Abrufdienste sowie allgemein von Telefon-, Telefax- und Telexdiensten. 318 Vgl. zur Umsetzung in §312e BGB n.F. auch die Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrs. 14/6040, S.170f.
202
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
ein Indiz dafür, daß die elektronische Kommunikation auch unter rechtlichen Gesichtspunkten typbildenden Charakter aufweist. 2. Typologie elektronischer Willenserklärungen Dem graduellen Charakter der Automatisierung entsprechend läßt sich eine Typologie der elektronischen Willenserklärung nach dem Grad Computerunterstützung entwickeln. In der Literatur werden verschiedene Einteilungen verwendet und darüber hinaus sind auch unterschiedliche Begrifflichkeiten üblich. So findet man die Bezeichnungen »automatisierte Willenserklärung«, 3 1 9 »vollelektronische« Willenserklärung, 320 »elektronische« Willenserklärung, 321 »Computererklärung«. 322 Kuhn 323 differenziert zwischen »Telekommunikationserklärung«, bei der eine vom Erklärenden selbst ausformulierte Erklärung mittels Telekommunikation übermittelt wird, als einer dem Erklärungsakt nachfolgenden (oder auch einer vorhergehenden) Substitution des Menschen durch die Technik, einem vom Menschen vollkommen beherrschten EDV-Einsatz (»EDV-unterstützte Erklärung«), wie dem Einsatz der Textverarbeitung mit der Vorhaltung von Textbausteinen, auf der einen Seite, und einer Substitution des Menschen bei der Erklärungserstellung, der »automatisierten Erklärung« oder »Computererklärung«, ohne aktuelle menschliche Mitwirkung oder Kenntnis bei der Erstellung. Mehrings 324 unterscheidet zwischen der »elektronischen Willenserklärung«, die auf normalem Wege hergestellt, aber elektronisch zum Empfänger übermittelt werde, der »automatisierten Willenserklärung«, die von einem Computer nach vorheriger manueller Dateneingabe automatisch erzeugt werde, und der »Computererklärung«, die nicht nur automatisch erzeugt und übermittelt werde, sondern dies auch ohne konkrete und aktuelle menschliche Beteiligung erfolgt, also ohne aktuelle und konkrete Kenntnis und Einfluß. Eine »Steigerung« liege dann vor, wenn die Geschäftsabwicklung auf beiden Seiten vollautomatisiert erfolge. Notwendig erscheint eine Typisierung, die sich an den rechtlich relevanten Elementen des Kommunikationsprozesses und deren Automatisierung orientiert. Da 319 Kilian, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechts-Handbuch, Kap.20, Rdnr. 15f.; Köhler, AcP 182 (1982), 126, 132; MünchKomm-Kramer, § 119 Rdnr. 46; Brehm, Festschrift für Niederländer, S.233; Herget/Reimer, DStR 1996, 1288, 1291; Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr. 667; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr. 256. 320 Möschel, AcP 186 (1986), 187, 192. 321 Clemens, NJW 1985, 1998; Meilulis, MDR 1994, 109; Jochen Schneider, Handbuch des EDV-Rechts, Kap. B Rdnr. 663. Reich/Nordhausen, Verbraucher und Recht im elektronischen Geschäftsverkehr (eG), Rdnr. 12, beschränken die Bezeichnung »elektronische Willenserklärung« auf die Fälle der Abgabe ohne menschliches Zutun im konkreten Fall. 322 Ikas, Zum Recht der elektronischen Zahlung, S.48; Heun, CR 1994, 595, der zwischen »Computererklärung« und »Telekommunikationserklärung« unterscheidet; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 223, die von der »Computererklärung« die »automatisierte Willenserklärung« unterscheiden, bei der nur der Erstellungsprozeß teilweise automatisiert sei. 323 Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 55 f. 324 Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 25ff.
§6 Elektronische Willenserklärung als Frage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip
203
es sich in allen Fällen um elektronische K o m m u n i k a t i o n handelt, erscheint der B e griff der »elektronischen Willenserklärung« als klassifizierende Bezeichnung geeignet. Unterscheiden kann man dann zunächst zwischen dem bloßen »Transport« einer Willenserklärung im digitalen F o r m a t und deren computergestützter »Erzeugung«. 3 2 5 Entscheidend unter rechtlichen Gesichtspunkten ist aber die zunehmende Substitution menschlichen Handelns durch die E D V und die damit verbundene fehlende aktuelle Kontrolle und fehlende aktuelle Kenntnis, die besondere Risiken schafft. U n t e r diesem Gesichtspunkt sind für eine Differenzierung des Konzepts der elektronischen Willenserklärung die Fälle der automatischen Übermittlung und der Erstellung der Erklärung mit der E D V - U n t e r s t ü t zung in einer bloßen Hilfsfunktion einerseits gleich zu behandeln und dem vollautomatischen Erstellungsprozeß als rechtlich relevantem Anknüpfungspunkt ( » E r klärungsakt«) andererseits gegenüberzustellen. F ü r erstere Gruppe bietet sich die Verwendung des Begriffs »computergestützte Willenserklärung« an, mit den U n tergruppen computergestützt erstellte und computergestützt übertragene Erklärung. F ü r die zweite Gruppe erscheint der Begriff der »automatisierten Willenserklärung« angemessen, mit den Untergruppen einseitig automatisierte (»MenschMaschine-Kommunikation«) und zweiseitig automatisierte (»Maschine-Maschin e - K o m m u n i k a t i o n « ) Erklärung. 3 2 6
325 Vgl. Schwerdtfeger, in: Schwarz, Matthias (Hrsg.), Recht im Internet, Loseblatt, Kap. 6-2.3., S. 3, der zwischen »digitalen Willenserklärungen« und »Computererklärungen« unterscheidet. Fritzsche/Malzer, S.7f., unterscheiden insoweit »elektronische Willenserklärungen« von »elektronisch übermittelten« Willenserklärungen. MünchKomm-Säc&er, Einl. Rdnr. 164f., unterscheidet die »elektronisch übermittelte« von der »automatisierten« Willenserklärung. 326 Vgl. auch Kilian, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechts-Handbuch, Kap. 20, Rdnr. 16. Damit würde auch Anschluß gehalten an den internationalen Sprachgebrauch, vgl. die Verwendung der Bezeichnung »Automated transaction« in See. 2(2) des Uniform Electronic Transactions Act der N C C U S L vom 13.12. 1999, sowie Sec. 102(a)(7) des Uniform Computer Information Transactions Act, 2000 Annual Meeting Draft, beide abrufbar unter http://www.law.upenn.edu/bll/ulc/ulc_frame.htm (Stand: 1.3. 2002).
§ 7 Tatbestand der elektronischen Willenserklärung Nunmehr gilt es, aus dem »Funktionswandel« die Konsequenzen zu ziehen und die rechtsdogmatischen Strukturen der elektronischen Willenserklärung zu entwickeln, vor allem das Risikoprinzip zu integrieren. Alle Versuche einer Parallelisierung der elektronischen Willenserklärung zu bisherigen Formen typischer und atypischer Arbeitsteilung erscheinen ebenso unvollständig wie solche Versuche, die bisherige Struktur durch Fiktionen wie den »generellen« Willen fortzuschreiben. Vielmehr ist von der Erkenntnis auszugehen, daß auch das Konzept der Willenserklärung, wie es rechtsdogmatisch strukturiert wird, einen Wertungsprozeß beinhaltet, der durch das rechtliche Instrument der Auslegung umgesetzt wird. Dies wird durch die Zurechnungslösung deutlich ausgewiesen und mit problemangemessenen Kriterien aufgefüllt.
I. Fortschreibung der Zurechnungslösung
von Kuhn
Kuhn hat es ansatzweise unternommen, die bisherigen rechtsdogmatischen Konzepte der Willenserklärung in Bezug auf die elektronische Erklärung in Richtung auf eine Zurechnungslösung fortzuschreiben. 1 Auch er hat sich dabei aber nicht von der zentralen dogmatischen Bedeutung des »Willens« lösen können. Danach soll das Vorliegen eines »generellen« Erklärungsbewußtseins und Geschäftswillens für eine Zurechnung ausreichen. Für den Fall, daß die resultierende Erklärung völlig aus dem Erwarteten herausfällt oder ein generelles Erklärungsbewußtsein nicht mehr feststellbar ist, soll eine normative Zurechnung erfolgen, die sich nicht auf das Verschuldens- sondern das Risikoprinzip stützen soll. 2 Zwar ist auch nach der hier entwickelten Zurechnungslösung Platz für den Willen als Zurechnungskriterium. Die dargestellte Diskussion zur Einordnung der elektronischen Willenserklärung hat aber deutlich gemacht, daß das Band zwischen konkretem Willen und Erklärung durch das Dazwischentreten hochentwikkelter technischer Systeme in mehr oder weniger großem Umfang letztlich generell als derart »verdünnt« anzusehen ist, daß eine Zurechnung nach dem Willensprinzip auch für die fehlerfreie elektronische Willenserklärung weithin als Fiktion
1 2
V g l . Kuhn, R e c h t s h a n d l u n g e n mittels E D V u n d T e l e k o m m u n i k a t i o n , S . 6 9 f f . V g l . Kuhn, R e c h t s h a n d l u n g e n mittels E D V u n d T e l e k o m m u n i k a t i o n , S. 79.
§ 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
205
anzusehen wäre. Die Mittlerrolle der Technik läßt sich rechtlich nicht mehr völlig in eine willensbestimmte Werkzeugperspektive abdrängen. Diese Verselbständigung der technischen Instrumente ist keine neue Erscheinung. Vielmehr haben technische Rationalisierungsmaßnahmen immer stärker den Geschäftsverkehr erfaßt und sind rechtlich als verschiedene Formen der »Selbstbedienung« verarbeitet worden. 3 In diesem Kontext zunehmend automatisierter Vorgänge ist es als Notwendigkeit angesehen worden, daß das B G B mit dem Konzept der Willenserklärung auch ein »generelles« Erklärungsbewußtsein ausreichen läßt. 4 Nicht mehr die gesamte Kommunikationshandlung wird vom aktuellen Willen einer Person beherrscht, subjektive Anknüpfungspunkte finden sich dann vor allem in der willentlichen Organisation der Rahmenbedingungen für die Kommunikation. Neue Risiken entstehen dahingehend, daß die in Gang gesetzten technischen Vorgänge aufgrund technischer Probleme nicht wie vorhergesehen funktionieren und wiederum technische Maßnahmen bereitgestellt werden müssen, um bei Auftreten solcher Risiken Abhilfe zu schaffen. Die mit dem Einsatz von Automaten begonnene und beim Computereinsatz fortgesetzte Bewältigung der automatisierten Erklärung über die Figur des »generellen« Willens bzw, Bewußtseins wird sich jedoch immer mehr als Fiktion erweisen, je mehr der Erklärungsvorgang automatisiert und der konkrete Wille entsprechend zurückgedrängt wird. Dient das Zurechnungskriterium des Willens vor allem der Selbstbestimmung und deren funktioneller Bedeutung in der Wirtschaftsordnung, so müssen statt dieser Fiktion die tatsächlich wirksamen Beziehungen zwischen einer Rahmenordnung, dem tatsächlichen Willen und dem Ergebnis der technischen Operationen Berücksichtigung finden. Die Verbindung zwischen konkretem Willen und technischen Ergebnissen ist technisch vermittelt und beinhaltet die erörterten Folgen im pragmatischen Bereich der Kommunikation. Dies erhöht das Bedürfnis nach Vertrauens- und Verkehrsschutz und deren Bedeutung als Wertungsgesichtspunkt im Konzept der Willenserklärung. Zugleich ist aber auch das Bild einer »Arbeitsteilung« zwischen Mensch und Maschine nicht präzise genug. Dies gilt auch für die Versuche, den Kommunikationsprozeß in einen von menschlichen Handeln beherrschten und einen technisch bestimmten Anteil aufzuteilen und abzugrenzen. Der Mensch steht im Mittelpunkt der zivilrechtlichen Zurechnung, vor allem als Folge der ethischen Fundierung des Privatrechts. Rechtlich läßt sich das Modell des soziotechnischen Systems mit isolierbaren gleichwertigen Anteilen der menschlichen und maschinellen Komponenten nicht adaptieren. Vielmehr ist der technische Kommunikationsanteil im Hinblick auf eine Zurechnung von Verantwortung zu einem menschlichen Subjekt mit Konzepten der Differenzierung nach Sphären der Beeinflussung und Beherrschbarkeit der Abläufe zu erfassen.
3 4
Vgl. A. Schmidt, Rechtsfiguren der Selbstbedienung im Zivilrecht, S. 1 ff. Vgl. A. Schmidt, Rechtsfiguren der Selbstbedienung im Zivilrecht, S. 101 f.
206
J. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
Es ist daher gegenüber der Konzeption von Kuhn bereits einen Denkschritt vorher anzusetzen und für die elektronische Willenserklärung generell eine Zurechnung nach dem Risikoprinzip vorzunehmen, die die subjektiven Tatbestandselemente ersetzen kann. 5 Dabei tritt das Risikoprinzip desto stärker an die Stelle des Willens, je weitere Bereiche des Erklärungsvorgangs von der Automatisierung erfaßt werden. Der Wille wird bei der Zurechnung der elektronischen Willenserklärung tendenziell nur noch mittelbar wirksam, als die Organisation und der Einsatz der Rahmenbedingungen für die Erstellung der Erklärung vom Willen des Zurechnungssubjekts getragen werden. Hier läßt sich eine Grenze ziehen zu einem Erklärungstatbestand, der auch in einem mittelbaren Sinne nicht mehr vom Willensprinzip getragen wird und dann herkömmlich der Vertrauenshaftung zuzuordnen ist. Diese Abgrenzung ist allerdings für die herkömmliche Dogmatik, insbesondere die Anhänger einer strengen Zweispurigkeit von Rechtsgeschäftslehre und Vertrauenshaftung, von größerer Bedeutung als für ein übergreifendes Zurechnungsmodell mit verschiedenartiger Gewichtung der jeweils wirksamen Wertungsgesichtspunkte. In einer solchen Konzeption lassen sich auch diese Fälle mit dem Risikoprinzip angemessen behandeln. 6 Zu fragen ist dann jeweils, welches Risiko sich verwirklicht hat und wer das Risiko besser beherrschen kann.
II. Bestimmung des objektiven Tatbestands der elektronischen Willenserklärung 1. Besonderheiten elektronischer K o m m u n i k a t i o n Bei der Bestimmung des objektiven Erklärungstatbestands als »willentlich gesetzte >sinnhaltige Form«Data message< means informa-
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
207
sich dabei nur um die Form der Information während der Generierung, Übertragung und Speicherung im Empfangsbereich handelt. 9 Damit bleibt es bei der Notwendigkeit einer Interpretation der Nachricht durch einen menschlichen Empfänger oder ein empfangendes Informationssystem. Anders als bei Zurechnungsfragen im Deliktsrecht hat die Zurechnung von Sinn keinen objektiven Ausgangspunkt, sondern der Sinn muß erst in einem wertenden Auslegungsprozeß bestimmt werden. Es ergeben sich aber gegenüber der Eingrenzung des objektiven Tatbestands bei Benutzung herkömmlicher Medien einige Besonderheiten. Zum einen bedarf es bei elektronischen Nachrichten zur Wahrnehmbarmachung für den Menschen besonderer computergestützter Hilfsmittel, die den Wahrnehmungsprozeß beeinflussen. Weiterhin ist die Struktur der Nachricht durch ihre computergestützte Verarbeitungsmöglichkeit geprägt. Beides wirft die Frage auf, ob die in menschlicher Interaktion wichtigen Kontext- bzw. Situationsfaktoren überhaupt, eingeschränkt oder andersartig zu berücksichtigen sind. 2. Objektivierung und Grenzen Zu untersuchen ist nunmehr, welche Auswirkungen die Besonderheiten elektronischer Kommunikation auf die Tatbestandsbildung im Rahmen des dogmatischen Konzepts der Willenserklärung haben. Zu klären ist zunächst, inwieweit die notwendigen Objektivierungen noch innerhalb des bestehenden Konzepts der Willenserklärung aufgefangen werden können. Trotz der von der Rechtsprechung vollzogenen Lösung von der Notwendigkeit des Vorliegens des Erklärungsbewußtseins im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung ist nach weit überwiegender Meinung die ursächliche Rückführbarkeit des Erklärungsakts auf eine tatsächlich vorliegende menschliche Handlung unverzichtbare Voraussetzung für die Annahme einer Willenserklärung. 10 Dies beruht vor allem darauf, daß diese Ausdruck des Prinzips der Selbstbestimmung und der Privatautonomie ist. tion generated, sent, received or stored by electronic, optival or similar means including, but not limited to, electronic data interchange (EDI), electronic mail, telegram, telex or telecopy«; Art. 11 (1) bestimmt für den Vertragsscluß: »In the context of contract formation, unless otherwise agreed by the parties, an offer and the acceptance of an offer may be expressed by means of data messages«. 9 Sec. 102(a)(28) des UCITA definiert »electronic message« als »electronic record or display that is stored, generated, or transmitted by electronic means for purposes of communication to a person or electronic agent«, http://www.ucitaonline.com (Stand: 1.3. 2002). Sec. 2(13) des UETA (1999) legt mit »record« einen breiteren Anknüpfungspunkt zugrunde: »... information that is inscribed on a tangible medium or that is stored in an electronic or other medium and is retrievable in perceivable form«, http://www.uetaonline.com (Stand: 1.3. 2002). Baum/Perritt, Electronic Contracting, Publishing, and EDI Law, New York 1991, §2,5, S.44ff., stellt im Rahmen von EDI ab auf »transaction sets«. 10 Vgl. MünchKomm-Äramer, Vor § 116 Rdnr. 8; Larenz/Wolf., Allgemeiner Teil, §24 Rdnr. 3; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 606.
208
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
Der BGH hat eine Handlung im Rahmen von § 823 BGB definiert als »menschliches Tun, das der Bewußtseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist«. 11 Nun haben einige Autoren, vor allem Hepting, auch den Verzicht auf das Merkmal des Handlungswillens gefordert. 12 Im Lichte der sich entwickelnden elektronischen Kommunikation hat diese Forderung neues Gewicht erlangt. Die technische Mediatisierung führt dazu, daß kommunikatives Verhalten nicht mehr immer als unmittelbar von einem Kommunikationspartner gesteuerte Handlung angesehen werden kann. Vielmehr werden Kommunikationsanteile durch maschinelle Operationen ersetzt, und die Handlungsanteile eines natürlichen Kommunikationspartners beschränken sich auf Abschluß von Rahmenvereinbarungen, Auswahl- bzw. Initialisierungsentscheidung für die konkrete Operation sowie eine Art Rahmenkontrolle unterschiedlicher Intensität. Aus Sicht des Empfängers ist oft nicht mehr zu beurteilen, ob die Erklärung auch nur von einem Handlungswillen getragen ist. Diese veränderte sachliche Gestaltung des Kommunikationsprozesses muß bei der dogmatischen Verarbeitung im Rahmen des Konzepts der Willenserklärung nachvollzogen werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich zumindest auf der Basis einer Grundentscheidung des deutschen und europäischen Gesetzgebers für die Ermöglichung und Förderung elektronischer Kommunikation. Der Verkehrsschutz auch elektronischer Kommunikation wird damit zu einem Prinzip rechtlicher Rahmensetzung und zu einer Funktion der rechtlichen Regulierung. Fraglich ist, ob damit die Grenzen eines Minimaltatbestands der Selbstbestimmung überschritten sind und die Rechtsgeschäftslehre auf eine neue Grundlage gestellt werden muß, die dann aber mit verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen in Konflikt gerät. Kann es noch als privatautonome Regelung betrachtet werden, wenn der natürliche Kommunikationspartner keinen unmittelbaren Einfluß mehr auf den Erklärungsakt hat, sondern nur noch die technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen setzt? Wie bereits ausgeführt, hat aber die herrschende Meinung zur Computererklärung diese Entwicklung längst implizit vollzogen. Mit der Anerkennung des Ausreichens eines »generellen« Erklärungs- und Handlungswillens ist der Weg des Ubergangs von einer willensorientierten Ausrichtung zu einer Zurechnungslösung längst beschritten worden. Die Diskussion verlagert sich dann auf die Frage, welche Zurechnungsgesichtspunkte auf dem Hintergrund eines erforderlichen Minimums an Selbstbestimmung für eine rechtsgeschäftliche Bindung maßgeblich sein sollten. Dabei rückt - wie bereits ausgeführt - das Merkmal der Beherrschbarkeit als Zurechnungskriterium für den Einsatz technischer Mittel in den Vordergrund. Letztlich hat der B G H in der angeführten Definition dieses Merkmal auch für das herkömmliche Handlungskonzept als grundlegend angesehen. BGHZ 39, 103, 106. Brehmer, Wille und Erklärung, S.65ff.; Kellmann, JuS 1971, 609, 612ff.; Hepting, schrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 221. 11
12
in: Fest-
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
209
Die Entwicklung elektronischer Kommunikation ist, auch auf dem Hintergrund der allgemeinen Tendenz im Zivilrecht zu einem Ubergang von einem willensorientierten Verantwortungsprinzip hin zu einer Risikozurechnung, Anlaß, diese Entwicklung offen zu kennzeichnen und explizit als Bestandteil der Rechtsdogmatik der Willenserklärung einzubeziehen. Dies spricht dafür, auch das Merkmal des Handlungswillens nicht für unverzichtbar anzusehen, sondern andere Zurechnungsgesichtspunkte ausreichen zu lassen. 13 Canaris stellt bei der Vertrauenshaftung auf Veranlassung im Sinne von Kausalität ab und systematisiert dies im Rahmen von »allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen«, die er von den Zurechnungsprinzipien unterscheidet. 14 Dazu gehört zunächst eine Verursachung durch eigenes Verhalten oder ein Herrühren aus dem eigenen Geschäftskreis. Ergänzt werden diese allgemeinen Voraussetzungen durch an §§ 104ff., 164ff. B G B anknüpfende »allgemeine Zurechnungsausschlußgründe« wie fehlende und beschränkte Geschäftsfähigkeit, vis absoluta, fehlende Vertretungsmacht. Die Zurechnung des Anscheins der Erklärung eines Geschäftsfähigen wird durch die real nicht vorhandene Geschäftsfähigkeit ausgeschlossen. Die Zurechnung der Erklärung eines scheinbar Bevollmächtigten wird durch die Verweigerung der Genehmigung ausgeschlossen. Allerdings deutet bereits der Bezug auf eigenes Verhalten oder ein Herrühren aus der Sphäre die Unschärfe des Kausalitätsmerkmals an und die Unklarheit eines Bezugs zu rechtsgeschäftlichen Zurechnungsnormen wie § 164 B G B . Reicht es danach aus, wenn die Erklärung real aus dem Unternehmen des vermeintlichen A b senders stammt oder wenn nur der Schein eines solchen Herrührens aus dem U n ternehmen vorhanden ist? Angesprochen ist hier auch die Frage der Abgrenzung von Rechtsgeschäftslehre und Vertrauenshaftung, der durch das hier befürwortete übergreifende Konzept ja gerade ihre Schärfe genommen werden soll. Bei genauerer Überlegung kann das Merkmal der Kausalität keine über die im Rahmen der Zurechnungsprinzipien durchzuführenden Erwägungen hinausgehenden Abgrenzungsfunktionen erfüllen. Hat ein Dritter eine Erklärung unter einem fremden Namen abgegeben und der Namensträger hat keinerlei kausalen Beitrag dazu geleistet, so wird eine Zurechnung zum Namensträger weder unter Verschuldens- noch unter Risikogesichtspunkten in Betracht kommen. Hat dagegen ein entsprechend unbefugt Handelnder die Grundlage für die Erlangung entsprechender Identifikationsmerkmale, die einen vertrauensbegründenden Erklärungstatbestand ermöglichten, durch freiwillige Überlassung oder gar Einbruch oder sonstige eigenmächtige Eingriffe beim Namensträger erlangt, so wird zu bewerten
13 Ähnlich Harting, Internetrecht, Köln 1999, Rdnr. 66. Vgl. auch M. Hassemer, M M R 2001, 635, 640, der das Konzept der Willenserklärung mit zunehmender Automatisierung insoweit in Frage gestellt sieht, als die Wahrnehmbarkeit menschlicher Entscheidungen aus Empfängersicht abnimmt. 14 S.o. S. 146ff. Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 468f.
210
J. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
sein, inwieweit diesen ein Verschulden traf oder ihm das verwirklichte Risiko zuzurechnen ist. 15 Davon zu unterscheiden sind die als Zurechnungsausschlußgründe bezeichneten Erwägungen. Hier geht es um zusätzliche Wirksamkeitserfordernisse, die für Rechtsgeschäftslehre und Vertrauenshaftung gleichermaßen Anwendung finden. 16 Diese sind natürlich auch auf elektronische Willenserklärungen anwendbar, so daß sich zumindest im Ergebnis kein Unterschied zur von der herrschenden Meinung zugrundegelegten Erforderlichkeit des realen Vorliegens eines Handlungswillens ergibt. 3. Elemente des objektiven Tatbestands - das äußere Bild der Regelungsanordnung Die Ersetzung des subjektiven Tatbestands durch technikangemessene Zurechnungskriterien muß auch Auswirkungen auf die Gestaltung des objektiven Tatbestands der Willenserklärung haben, soweit sich dieser herkömmlicherweise als Spiegelbild des subjektiven Tatbestands darstellt. 17 Man kann zunächst entsprechend der herkömmlichen Dogmatik untersuchen, welche der dreigeteilten Willenselemente sich jeweils im Tatbestand einer elektronischen Willenserklärung wiederfinden. Das äußere Bild einer Regelungsanordnung, die »sinnhaltige Form«, ist bei elektronischen Erklärungen geprägt durch das technische Medium. Im W W W - g e stützten elektronischen Handel wird es sich oft um zur Wahrnehmung für den Nutzer oder Diensteanbieter bestimmte Erklärungen handeln, die mittels technischer Mittel dekodiert werden und sich dann hinsichtlich der Auslegung nicht wesentlich von herkömmlichen Erklärungen unterscheiden, auch wenn die multimediale Gestaltung die Komplexität gegenüber herkömmlicherweise hauptsächlich textbasierten Erklärungen erhöhen mag. 18 Es kann sich auch um eine digitale Datei handeln, der entsprechend den EDIKonventionen ein bestimmter Erklärungswert entnommen werden kann und die Angaben zu Absender und Empfänger enthält, die jeweils mit Computerunterstützung wahrnehmbar gemacht oder gleich weiterverarbeitet werden können. Hier ist unter Berücksichtigung des »automatisierten Empfängerhorizonts« und der durch technische Konventionen geprägten Kodierung und durch technische Mittel geprägten Verarbeitung die Bedeutung zu bestimmen. 19 Ergebnis eines sol15 Vgl. etwa Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 229f. Vgl. auch Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S . 2 0 9 , 2 1 9 Fußn. 65, w o n a c h das M e r k m a l der Veranlassung im Risikoprinzip aufgeht. " Für analoge A n w e n d u n g auf die Vertrauenshaftung vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 451 ff. 17 Vgl. etwa Rödig, Einführung in eine analytische Rechtslehre, S. 165. 18 Auf die Bedeutung von Konventionen und verschiedenen Formen der Zuordnung von digitaler Darstellungsform und Erklärungsgehalt weist Horns, Mitt. 1999, 201, 205ff., hin. 19 Vgl. dazu im einzelnen unten § 11 VI.
§7 Tatbestand der elektronischen
Willenserklärung
211
chen Auslegungsprozesses ist wiederum eine bestimmte rechtsgeschäftlich relevante Regelungsanordnung. Diese läßt dann inhaltlich einen auf einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg gerichteten Geschäftswillen erkennen. Impliziert ist damit in der Regel auch der äußere Anschein eines generellen Handlungswillens und E r klärungsbewußtseins. D e r Anschein des Betriebs der Absenderanlage, der programmgesteuerten Erstellung und der Übermittlung der Erklärung läßt diesen Schluß zu. Allerdings sind alle Willenselemente auch dem Schein der äußeren Regelungsanordnung nach technisch vermittelt. D e r Empfänger einer E D I - N a c h r i c h t weiß oder kann erkennen, daß es sich um eine computergenerierte Erklärung handelt. E r kann daraus auch schließen, daß hinter dieser Erklärung dann weder ein k o n kreter Geschäftswille, noch ein konkretes Erklärungsbewußtsein stehen, sondern alle drei Elemente aufgrund technischer Vermitteltheit nur »generell« vorhanden sind. F ü r den Handlungswillen kann er annehmen, daß der Erklärende die R a h menbedingungen einschließlich des Programmeinsatzes gesetzt hat und die C o m puteranlage zur Umsetzung der Rahmenbedingungen in konkrete Erklärungen betrieben hat. Entsprechendes läßt sich für datenbankgestützt automatisiert erstellte Erklärungen annehmen, die im W W W zum A b r u f bereitgestellt oder an den N u t z e r übermittelt werden. Läßt man mit der wohl als herrschend zu bezeichnenden Auffassung zur elektronischen Willenserklärung einen solchen »generellen« Willen hinsichtlich der verschiedenen Willenselemente ausreichen, so ergeben sich auch für den objektiven Tatbestand und seine Feststellung keine besonderen Probleme. Es reicht dann aus, wenn der äußere Anschein der Erklärung einen Schluß auf das Vorhandensein der Willenselemente zuläßt, einschließlich des Schlusses, daß sich der Anlagenbetreiber durch Betrieb der E D V deren Ergebnisse zurechnen lassen wollte, indem er die Anlage betrieben und mit der Programmierung und deren Einsatz Regeln für die Bearbeitung der konkreten Kommunikation vorgegeben und bestimmt hat. Lehnt man jedoch - wie hier vertreten - einen solchen »generellen« Willen als unzureichend für den subjektiven Tatbestand ab und versucht, die technische M e diatisierung über Zurechnungsüberlegungen zu verarbeiten, so wird auch die B e stimmung des objektiven Tatbestands über entsprechende Willenselemente, oder genauer das Vorhandensein deren Anscheins, zweifelhaft. D i e Abkoppelung der elektronischen Willenserklärung von den subjektiven Willenselementen gibt A n laß zur Rückbesinnung auf deren Funktion. Bereits Flume hat festgestellt, daß die F u n k t i o n der Aufgliederung des subjektiven Tatbestands in der Bestimmung von Rechtsfolgen bei einer fehlerhaften Willenserklärung zu suchen ist. 2 0 Wird aber in einer Zurechnungslösung der subjektive Tatbestand ersetzt durch Zurechnungs20 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des B G B , §4, 3, S.48. Vgl. auch Rödig, Einführung in eine analytische Rechtslehre, S. 164, der eine Untergliederung des subjektiven Tatbestands zur Feststellung des »Wesens« der Willenserklärung für »außerordentlich problematisch« hält und stattdessen für eine »rechtliche Wertung der Interessen sämtlicher Beteiligter« plädiert.
212
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Überlegungen, die eine Beeinträchtigung der betroffenen Interessen und die jeweilige Wertungsgesichtspunkte offen ausweisen, so verbleibt für den objektiven Tatbestand der Schein einer natürlichen Regelungsanordnung, die einen bestimmten erstrebten wirtschaftlichen oder rechtlichen Erfolg zum Inhalt hat, 21 ohne daß es notwendig würde, diesen künstlich aufzugliedern. Es geht (bei der empfangsbedürftigen Erklärung) dann um die Ermittlung des Erklärungswerts, der sich aus dem den Erklärungstatbestand konstituierenden Verhalten einschließlich des Anteils maschineller Operationen im Wege der normativen Auslegung ermitteln läßt. Die oben diskutierte Bestätigungsanzeige im POS-Verfahren mag als Illustration dienen. 22
4. E r k e n n b a r k e i t für den Erklärenden als Kriterium für Auslegung oder Zurechnung? Nachdem das Risikoprinzip bisher vor allem als Prinzip der Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestands diskutiert wurde und damit funktional die als Willenselemente betrachteten subjektiven Elemente des rechtsgeschäftlichen Tatbestands ersetzte, ist nun die Frage zu untersuchen, inwieweit die Sicht des Erklärenden auch bereits bei der Bestimmung des »objektiven« Tatbestands der Willenserklärung herangezogen werden kann. Für die herkömmliche Willenserklärung ist anerkannt, daß einerseits die Auslegung sowohl bei der Frage der Inhaltsbestimmung einer Willenserklärung als auch bei der Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, Anwendung findet. Sorgfaltsmaßstäbe werden dabei nicht nur im Rahmen der normativen Auslegung auf Empfängerseite angelegt, sondern, zumindest von Teilen der Literatur, auch die Kommunikationssorgfalt auf Seiten des Erklärenden einbezogen. Dies resultiert in der Annahme eines Dissenses, wenn entweder keinem der Partner oder beiden ein Vorwurf zu machen ist. 23 Gilt für elektronische Kommunikation der Grundsatz der Angemessenheit einer Umstellung von der Verschuldens- auf die Risikohaftung, so legt dies den Verzicht auf eine verschuldensabhängige Anknüpfung der Bestimmung des Erklärungsinhalts auch an die Sicht des Erklärenden nahe. Dafür spricht auch die Deutung der Auslegungsvorschriften als Risikoverteilungsregel, wie sie oben bereits beschrieben wurde. 24 Für den Erklärungstatbestand sollte dann allein auf den
21 Vgl. dazu Flume, Allgemeiner Teil des B G B , §4, 5 S.51. Konsequenterweise muß man ¡m Anschluß an die Konzeption Heptings auch auf den Anschein eines Rechtsfolgewillens im objektiven Tatbestand verzichten, vgl. Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 221, wobei er auf Kelsen verweist. 22 Vgl. oben §5 II 1 a) bb). 23 Vgl. Larenz, Methode der Auslegung, S. 74; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S.152ff. 24 Vgl. oben § 4 III 2. Vgl. auch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 25ff. Auch Larenz ist von dem Erfordernis der Zurechenbarkeit an den Empfänger später wieder abgerückt.
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
213
Empfängerhorizont abgestellt werden 25 und dabei auch dessen »Automatisierung« berücksichtigt werden. Die davon zu trennende Zurechenbarkeit zum A b sender ist dann erst im Rahmen der Zurechnung des »objektiven« Tatbestands zu berücksichtigen, wie er im Wege normativer Auslegung festgestellt wurde, und diese Zurechnung auch für die Anwendung des Risikoprinzips zu öffnen. 26
5. Mausklick als konkludentes Verhalten oder ausdrückliche Erklärung? Gegenüber herkömmlichen sprachlichen Ausdrucksformen unterscheidet sich die elektronische Erklärung dadurch, daß technische Hilfsmittel eingesetzt werden, die den objektiven Tatbestand zunächst als (nicht-rechtsgeschäftliches) Verhalten erscheinen lassen. So wird der Mausklick eingesetzt, um bestimmte Symbole auf der Benutzeroberfläche des jeweiligen Programms zu aktivieren und die entsprechenden Programmfunktionen auszulösen. Sieht man aber die entscheidende A b grenzung darin, daß das konkludente Verhalten »zunächst eine andere selbständige Bestimmung [habe], jedoch so, daß es daneben auch den Ausdruck des Willens in sich schließt« 27 , so muß auch die Computererklärung als ausdrückliche Willenserklärung eingeordnet werden. Der Mausklick hat subjektiv keine andere Bestimmung als Erklärungszeichen zu sein, sondern genau dies ist seine Bestimmung. 2 8 Es muß also nicht neben der primären Handlungsbestimmung eine sekundäre Erklärungskomponente erst aus den Umständen durch Rückschluß ermittelt werden, sondern die Zielrichtung der Handlung geht primär auf eine Erklärung, wenn auch nicht durch Einsatz der dem Menschen unmittelbar eigenen Erklärungsinstrumente wie dem gesprochenen Wort, sondern unter Zuhilfenahme technischer Mittel. Aber die Einbeziehung solcher Mittel erfolgte ja bereits bei der Verbreitung und Anerkennung der schriftlichen Erklärung. Allerdings wird aus dem Vergleich mit der schriftlichen Erklärung auch die geringere Ausdruckskraft des digitalen Mediums deutlich. 29 Es handelt sich um technische Handlungen, deren symbolische Bedeutung technisch vermittelt und kulturell noch nicht verfestigt ist. Diese Verfestigung wird im Zuge der Verbreitung eintreten und die Einordnung als ausdrückliche Erklärung dann deutlicher hervortreten lassen. Trotzdem rechtfertigen die medienspezifischen Besonderheiten die Behandlung der elektronischen Willenserklärung als eigener Typus. So bereits Wieser, AcP 184 (1984), 41, 44. Anders Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 78ff., der für die Zurechnung das Risikoprinzip dem Verschuldensprinzip vorzieht, aber, a.a.O., S. 121 f., für die Auslegung bei einer automatisierten Willenserklärung darauf abstellt, ob diese dem Erklärenden bewußt ist oder er dies zumindest hätte erkennen müssen. 27 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, B a n d i i i , § 131 S.242. 28 Vgl. allgemein Flume, Allgemeiner Teil des B G B , §5, 4. Vgl. auch für Btx Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, S. 11; Kreis, Vertragsschluss mittels Btx, Diss. Marburg 1992, S. 13f.; für die elektronische Erklärung MünchKomm-Kramer, Rdnr. 22 Vor § 116. 29 Vgl. auch Cavanillas/Marinez Nadal, E S P R I T Project 27028, Deliverable 2.1.7bis, S. 10, die von verminderter »expressiveness« sprechen. 25 26
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Da die Kommunikation im W W W programmgesteuert erfolgt und mittels Eingabeformularen und ähnlichen Erklärungshilfsmitteln standardisiert ist, bleibt für konkludentes Handeln im Rahmen einer anderen Verhaltensbestimmung wenig Raum, sieht man vom Bereich des Schweigens als Willenserklärung ab. 30 Die Erklärungsformen beschränken sich weitgehend auf Eingabe von Text sowie Anklikken vorbestimmter Erklärungsmöglichkeiten, etwa in einem Menu. Dies schränkt einerseits die kommunikativen Möglichkeiten des Erklärenden ein, kommt aber andererseits der Bestimmung des Erklärungsinhalts zugute und vereinfacht diese.
III.
Zurechnung
1. Willen Der Wille bleibt auch nach der hier vertretenen Zurechnungslösung von Bedeutung, nämlich als Zurechungskriterium, da die Rechtsordnung die in Selbstbestimmung getroffene Regelung als verbindlich anerkennt. Für die computergestützte Erklärung, bei der sich der Zurechnungsadressat oder dessen Hilfsperson einen konkreten Willen gebildet haben, bleibt dieser als Zurechnungskriterium wirksam. Aufgrund der technischen Mediatisierung ist das Band zwischen Willensbildung und Erklärung vor allem bei der automatisierten Erklärung aber so dünn geworden, daß ein auf die Erklärung bezogener konkreter Wille nicht mehr feststellbar ist, ein solcher sich vielmehr nur im nachhinein bilden läßt. Für die automatisierte Erklärung kann nur noch der Wille zum Ingangsetzen und Betrieb der Anlage und zur Verarbeitung bestimmter Daten herangezogen werden, der aber die konkrete Regelung auch im Falle der »Fehlerfreiheit« nicht mehr trägt. Es bleibt insoweit ein Zurückgehen auf weitere Zurechnungskriterien. 2. Verschulden Geht es im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre um die Anwendung von Sorgfaltsmaßstäben, so wird dies oft als Ausdruck nicht einer fremdgerichteten Rechtspflicht, sondern der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten oder einer Obliegenheitsverletzung angesehen. 31 Wenn man einen solchen Zurechnungsmaßstab annimmt, hat er jedoch seine Grundlage in dem oben angesprochenen »überwölben30 Vgl. auch für Btx Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, S. 11; Kreis, Vertragsschluss mittels Btx, S. 13f. 31 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 157ff.; Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 79, der auch die Annahme einer solchen Obliegenheit aber ablehnt mit Hinweis auf § 119 I B G B und die daraus resultierende Schutzlosigkeit des Empfängers aufgrund der bei EDV-Einsatz bestehenden Nachweisprobleme. Zur notwendigen Drittgerichtetheit auch einer Obliegenheit vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.478.
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
215
den« Prinzip von Treu und Glauben, das zur Entstehung neuer und Adaption außerrechtlicher Kommunikationsnormen dienen kann und auch eine allgemeine Erklärungssorgfalt des Erklärenden begründen könnte. 3 2 Die Frage ist jedoch, welcher Anwendungsbereich für dieses Zurechnungskriterium neben dem für die Automatisierung der Kommunikation als angemessen betrachteten Risikoprinzip zukommen kann. Gegen eine Gleichbehandlung von Erklärungsempfänger, bei dem im Rahmen der normativen Auslegung ein Sorgfaltsmaßstab angelegt wird, und Erklärendem 3 3 spricht bereits die Zuweisung des allgemeinen Erklärungsrisikos an den Absender. Auch hat der Erklärende einen Wissens- und Beherrschbarkeitsvorsprung über den eigenen Einflußbereich. 3 4 Damit muß sich eine Abstufung im Rahmen der Zurechnungserwägungen ergeben. Canaris nimmt im Rahmen der »Erklärungshaftung« eine solche Abstufung vor, indem er das Verschuldenskriterium dann heranziehen will, wenn der Vertrauenstatbestand relativ schwach ist und der Mangel nicht allein der Sphäre einer der Parteien zuzurechnen ist, so daß der Adressat in geringerem Umfang schutzwürdig erscheint. 35 Für die Automatisierung der Kommunikation ist zu berücksichtigen, daß die technische Mediatisierung ein erhöhtes Bedürfnis nach Vertrauens- und Verkehrsschutz hervorbringt. Die Notwendigkeit des Verlasses auf den äußeren Anschein einer Erklärung wird umso wichtiger, je mehr »technisch« die Distanz zwischen den Kommunikationspartnern wächst. Dies rechtfertigt es, mit steigendem Automatisierungsgrad tendenziell nur das Risikoprinzip als angemessen zu betrachten. 36 Für die Anwendung des Fahrlässigkeitsmaßstabs bleibt im Rahmen der Zurechnung der elektronischen Willenserklärung damit Raum bei untergeordneter Computerunterstützung, bei der die Erklärung grundsätzlich durch einen konkreten Wille getragen und damit bei dessen Fehlen im Einzelfall eine Zurechnung entsprechend B G H Z 91, 327 denkbar ist.
32 S.o.6 II.3.b)ee). Vgl. auch Hühner, in: Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, BandI, S.373, 388. 33 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 160. 34 Vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 187f. 35 V g l . Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 536. 36 Vgl. auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 479, der für die Rechtsscheinhaftung generell das Verschuldensprinzip zugunsten des Risikoprinzips ausschließt, auch für die Fälle, in denen das Risiko nicht aus der Sphäre des Zurechnungsadressaten stammt. Die Fälle einer (positiven) Zurechnung der automatisierten Willenserklärung sind vom Verkehrsschutzinteresse eher der Rechtsscheinhaftung vergleichbar als der schwächeren (negativen) »Erklärungshaftung« in der von Canaris verwendeten Terminologie. Auch Hühner, in: Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bandl, S.373, 388, geht zwar grundsätzlich von Verschulden als Zurechnungsmaßstab aus, macht aber zugunsten von Verkehrschutzinteressen Ausnahmen im Sinne eines unbedingten Einstehenmüssens, so etwa im Wertpapierrecht und beim Scheinkaufmann. Vgl. auch Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 161.
216
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
3. Risikoprinzip Für die meisten Fälle der automatisierten Erklärung bleibt die Anwendung des Risikoprinzips mit dem Inhalt, daß der Erklärungstatbestand zugerechnet wird, weil er den Betreiber/Zurechnungsadressaten ausweist und aus seiner Risikosphäre stammt und dieser das Erklärungsrisiko trägt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist bei automatisierten Erklärungen das Band zwischen Wille und Erklärung so schwach, daß die Zurechnung in diesen Fällen auch bei Fehlerfreiheit durch das Risikoprinzip vermittelt wird. a) Kriterien der aa)
Risikozurechnung
Beherrscbbarkeit
Nunmehr geht es darum, dem Risikoprinzip festere Konturen zu geben. Canaris stellt zwei Kriterien für die Anwendung des Risikoprinzips in den Vordergrund: die Schaffung eines erhöhten Risikos oder die größere Beherrschung eines Risikos. Die bloße Teilnahme am Rechtsverkehr oder an rechtsgeschäftlich relevanter Kommunikation mit den damit verbundenen Verständigungsproblemen kann allerdings noch nicht als Schaffung eines Risikos in diesem Sinne angesehen werden. 37 Es geht ja um die Verteilung des Risikos zwischen den Kommunikationsteilnehmern, und ein besonderes Zuweisungskriterium muß dann über die aus der bloßen Teilnahme erwachsenden Risiken hinausgehen. 38 Die Schaffung eines erhöhten Risikos kann bei herkömmlichem Rechtsverkehr etwa darin liegen, daß eine andere Person eingeschaltet und diesem eine »Scheinposition« eingeräumt wird, etwa durch Aushändigung einer Vollmachtsurkunde. 39 Canaris nennt als weitere risikoerhöhende Umstände die Drittrichtung einer rechtlich relevanten Auskunft, sowie das Unterzeichnen von Urkunden vor Inverkehrbringen. Einen besonderen Risikobereich mit typischerweise erhöhten Gefahren bildet auch der kaufmännische Betrieb mit seinen Organisationsrisiken. Die hier im Mittelpunkt stehende Technisierung der Kommunikation läßt sich im Vergleich zur personalen Kommunikation generell als Schaffung eines erhöhten Risikos ansehen, als mit dem »Dazwischenschalten« technischer Mittel auch generell das technische Risiko hinzugefügt und damit eine gegenüber der vom Erklärenden unmittelbar erstellten Erklärung erhöhte Gefahr geschaffen wird. 40 DaVgl. aber Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194. I.E. ebenso Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.481 f. 39 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.482f. 40 Vgl. bereits oben § 6 V. Vgl. ferner Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 80. Gegen die Schaffung eines spezifischen Mißbrauchsrisikos durch den Einsatz einer EDV-Anlage Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 198, der allerdings, S. 194, bereits die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr als gefährliches Handeln einstuft. Zur Bewertung von Software im Rahmen der Produkthaftung vgl. Taeger, Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme, S. 158f. 37 38
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
217
für spricht der Vergleich mit den von Canaris als erhöhter Gefahr bewerteten Organisationsrisiken des kaufmännischen Betriebs. Das Kriterium der Schaffung eines erhöhten Risikos erlangt aber bei Canaris keine klaren Konturen. So scheint es teilweise mit Veranlassung des Risikos und damit dem Sphärengedanken übereinzustimmen und geht z.T. im Gedanken der Beherrschbarkeit auf oder ist zumindest von diesem nicht mehr klar trennbar. 41 Auffällig ist auch, daß Canaris in diesem Zusammenhang auf subjektive Elemente abstellt. So soll ein erhöhtes Risiko gegeben sei, wenn jemand die Fehlerhaftigkeit seiner Erklärung kennt, während das unbewußte Setzen einer fehlerhaften Erklärung (»Richtigkeitsrisiko«) nur bei besonderer »Drittrichtung« der Erklärung ein erhöhtes Risiko darstellen soll. 42 Es erscheint eher so, daß allein die Beherrschbarkeit insoweit das relevante Zuweisungskriterium darstellt und der Aspekt der Information im Sinne von Wissen beim Erklärenden Teil dieses Zurechnungskriteriums ist, und zwar sowohl bei der Begründung als auch bei der Begrenzung dieses Zurechnungskriteriums. Es wird aber dann objektiviert und beinhaltet das Vorhandensein von Informationsmöglichkeiten. 43 Koller hat ebenfalls die abstrakte Beherrschbarkeit als Risikoverteilungskriterium in den Vordergrund gestellt und auch dessen ökonomische Begründung herausgearbeitet. 44 Das Prinzip dient der optimalen Allokation der Ressourcen, indem es zur Steigerung von Präventionsmaßnahmen führt. 45 Zurechnungsadressat soll dann die Partei sein, deren Sphäre die Störung entspringt oder, bei Ursprung aus einer »neutralen« Sphäre, die Partei, in deren Sphäre sich die Störung auswirkt, da sie über einen Informationsvorteil verfügt und diese am schnellsten und exaktesten in Abwehrmaßnahmen umsetzen kann. Dies führt dann oft zu einer sphärenorientierten Verteilung im räumlich-organisatorischen Sinne. Bei dem Gesichtspunkt der größeren Beherrschbarkeit geht es um die Möglichkeit des Erkennens und Vermeidens des Risikos und die Frage, wer von den Beteiligten insoweit »näher dran« ist, das Risiko zu tragen. 46 In diesem Sinne versteht 41 Vgl. etwa Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.486, hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit einer Erklärung. 42 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.482ff. 43 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 85, hinsichtlich der Bestimmung des Zurechnungsadressaten. 44 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.78ff. Vgl. bereits Müller-Erzbach, J h J b . 83, 256, 292, 341: »Gefahrenbeherrschungsgedanke«; ders., A c P 106 (1910), S.309, 413ff. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.205 Fußn. 46, will dabei keine A b s t u f u n g nach dem Grad der Beherrschbarkeit mehr zulassen. 45 Kritisch gegenüber dieser Steuerung aus gesellschaftlicher Sicht w e g e n einer nur geringen Präventivwirkung für den spezifischen vertraglichen Interessenausgleich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 187f. Zur Steuerungs- und A n r e i z f u n k t i o n der R i s i k o z u w e i sung vgl. auch Brehmer, Wille und Erklärung, S.95ff. 46 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 485. Vgl. bereits R. Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, S. 165f., w o er ein »Prinzip des aktiven Interesses« f o r m u liert, das eine Verantwortlichkeit knüpft an die »Machtsphäre«, die durch die »Möglichkeit einer E i n w i r k u n g in abstracto« bestimmt ist.
218
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
C a n a r i s w o h l a u c h d e n G e d a n k e n d e r » S p h ä r e « . I n s o w e i t ist d e r K r i t i k an d e m K r i t e r i u m d e r » S p h ä r e « z u z u g e b e n , d a ß dieses b e g r i f f l i c h u n b e s t i m m t ist u n d w e i t e r e r K o n k r e t i s i e r u n g b e d a r f . 4 7 S o w e i t d a m i t die A s s o z i a t i o n eines r ä u m l i c h - g e g e n s t ä n d l i c h e n L e b e n s - 4 8 u n d H e r r s c h a f t s b e r e i c h s v e r b u n d e n ist, s o e r s c h e i n t es f r a g l i c h , o b dies a u c h a n g e s i c h t s d e r t e c h n i s c h e n E n t w i c k l u n g n o c h a n g e m e s s e n ist. D i e G r e n z e der Zurechnung nach der abstrakten Beherrschbarkeit bilden im k o n k r e t e n F a l l u n v o r h e r s e h b a r e S t ö r u n g e n , d i e a u ß e r h a l b aller W a h r s c h e i n l i c h k e i t liegen u n d d a m i t v o m R i s i k o t r ä g e r n i c h t in s e i n e K a l k u l a t i o n e i n b e z o g e n w e r d e n k o n n t e n . 4 9 K o l l e r v e r s t e h t das M e r k m a l d e r V o r h e r s e h b a r k e i t n o r m a t i v u n d b e z i e h t d a b e i U n t e r s c h i e d e in d e n I n f o r m a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n e b e n s o e i n w i e e i n e Bewertung, welcher Informationsstand erwartet werden kann.50 Bei Störungen aus d e m » O r g a n i s a t i o n s b e r e i c h « des S c h u l d n e r s w i r d m a n dieses M e r k m a l d a h e r h ä u f i g e r b e j a h e n k ö n n e n als b e i s o l c h e n , die aus e i n e r » n e u t r a l e n S p h ä r e « s t a m men.51 K o l l e r v e r n e i n t die a b s t r a k t e B e h e r r s c h b a r k e i t w e i t e r h i n d o r t , w o das R i s i k o »evident u n b e h e r r s c h b a r sei«.52 In diesem Z u s a m m e n h a n g m u ß m a n w o h l auch
47 Vgl. bereits die zweite Gesetzgebungskommission zu §645 B G B , Protokolle, Bd. 2, S.332. Zu den verschiedenen Begrifflichkeiten vgl. auch die Nachweise bei Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, Tübingen 1994, S. 61; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 190, der den Gebrauch des Sphärenbegriffs letztlich auf die »Plausibilität vorrechtlicher Assoziationen« zurückführt. Allgemein ablehnend Nassauer, »Sphärentheorien« zu Regelungen der Gefahrtragungshaftung in vertraglichen Schuldverhältnissen, Marburg 1978, S. 263ff. Zum Sphärengedanken als allgemeinem Prinzip der vertraglichen Risikoverteilung vgl./. Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 56ff. Mangels ausreichender Konturen will auch Hikel, Tragung des EDV-Risikos, S. 122ff. die Zurechnungsprinzipien nur als rechtspolitische Forderungen einstufen, mißt ihnen dann im folgenden aber trotzdem eine gewisse Bedeutung bei der Auslegung von § 9 Abs. 2 A G B G zu. 48 Vgl. Erman,]Z 1965, 657. 49 Zum Erfordernis der Vorhersehbarkeit auch Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 369f.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.50ff. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 184ff., weist darauf hin, daß bei der Bestimmung der Kriterien Vorhersehbarkeit und vor allem auch Beherrschbarkeit notwendigerweise rechtliche Bewertungen und Vorverständnis einfließen, was letztlich auf Schutzwürdigkeitsbewertungen und eine beliebige Begründbarkeit jeder Art von Risikozuweisung hinauslaufe. Daß Zurechnungslösungen wertenden Charakter haben, ist aber immanent; vielmehr geht es um die Offenlegung und Begründung der angewandten Kriterien. Insoweit geht es um eine Konkretisierung des Risikoprinzips. Aus ökonomischer Sicht Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.177f. Demgegenüber sieht Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, S.313, in Fällen des »näher dran« bzw. der Schaffung eines erhöhten Risikos eine Zurechnung nur als gerechtfertigt an, wenn die »Vertrauensumstände« zumindest erkennbar sind. Sein Abstellen auf die Erkennbarkeit der erwartungsbegründenden Umstände, S. 89ff., ist aber durch sein andersartiges Modell der subjektiven Zurechnung von Vertrauen bedingt, vgl. S. 295f., und insofern mit dem hier zugrundegelegten Zurechnungsmodell nicht vereinbar, vgl. auch ders., S. 313 f. Fußn. 77. 50 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.217ff., 222. 51 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.223ff. 52 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 88.
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
219
das nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Mögliche einbeziehen. 53 Häufig wird man sich hier aber bereits in dem Bereich befinden, in dem auch die Vorhersehbarkeit des Risikos nicht mehr gegeben ist. Hier läßt sich auch auf die gesetzgeberische Wertung in § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHG zurückgreifen. Selbst wenn ein Risiko erkennbar ist, kann von abstrakter Beherrschbarkeit nicht mehr gesprochen werden, wo nach dem Stand von Wissenschaft und Technik keine Abwehrmöglichkeiten bestehen.
bb) Weitere
Kriterien
Koller schlägt dann zwei grundsätzlich subsidiäre Zurechnungsprinzipien vor.54 Vor allem für zwar vorhersehbare, aber unbeherrschbare Risiken führt Koller als weiteres Risikoverteilungselement das Absorptionsprinzip an. Danach soll das Risiko der Partei zugewiesen werden, die die besten organisatorischen Mittel hat, das Risiko zu streuen. 55 Er weist dann im Laufe seiner Untersuchung die Wirksamkeit dieses Prinzips im Rahmen von Austauschverträgen nach. Für die Risikoverteilung im Rahmen des Vertragsschlusses läßt sich dieses Prinzip in gleicher Weise fruchtbar machen, wobei es eine Ergänzungsfunktion zur abstrakten Beherrschbarkeit aufweist. Wenn das Risiko schon nicht organisatorisch beherrschbar ist, so soll es wenigstens organisatorisch aufgefangen werden. Das bedeutet, daß prinzipiell neben weiteren organisatorischen Mitteln diejenige Partei Adressat der Risikotragung ist, die das Risiko mit dem geringsten Aufwand versichern kann. 56 Steht eine Versicherung nicht zur Verfügung, kommt es darauf an, welche Partei das Risiko besser zu kalkulieren und entsprechende Vorsorge zu treffen vermag. Hierbei spielt die Informationsbasis eine wichtige Rolle, so daß letztendlich die Partei Adressat ist, die »näher dran« an dem Risiko ist. Das Prinzip der arbeitsteiligen Veranlassung schließlich soll in Fällen eingreifen, in denen die anderen beiden Prinzipien nicht zum Tragen kommen. 57 Dies betrifft vor allem Fälle unvorhersehbarer Risiken sowie solche mit für beide Parteien gleichen Beherrschungs- und Absorptionsmöglichkeiten. Dann soll die Partei die Risiken tragen, die ihr Vertragspartner in ihrem Interesse eingegangen ist. Dem liegt eine Wertung auf Grundlage des Veranlassungsprinzips zugrunde, daß der Gläubiger, wenn er die Leistung selbst beschaffen würde, mit denselben Risiken zu kämpfen hätte, und diese soll er nicht auf den Schuldner abwälzen. Vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 198. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 89ff. 55 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 89ff. Vgl. auch Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 220, der auch die leichtere A b w ä l z b a r k e i t bzw. Absicherungsmöglichkeit gegen die drohenden Nachteile einbezieht. 56 Dabei m u ß das Vermögen unberücksichtigt bleiben, es geht also nicht nach dem »deep p o k k e t « - P r i n z i p , vgl. Koller, Die R i s i k o z u r e c h n u n g bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 90ff. Zur Berücksichtigung der Versicherbarkeit als »bedeutender A b w ä g u n g s g e s i c h t s p u n k t « bei der A G B - K o n t r o l l e vgl. B G H N J W 1992, 1761, 1762.; B G H Z 103, 316, 322, 325f. 57 Vgl. Koller, Die R i s i k o z u r e c h n u n g bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 95ff. 53
54
220
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Das letzte Prinzip ist aber auf Austauschverträge zugeschnitten und stellt darauf ab, wer die jeweilige Leistung »veranlaßt« hat. 58 Dahinter steckt aber letztlich wieder die Frage nach dem Merkmal des Interesses, das als weiteres Kriterium auch der Gefährdungshaftung zugrunde liegt. Hinsichtlich des Technikeinsatzes scheint dieses Merkmal des eigenen wirtschaftlichen Vorteils eher geeignet zu sein als das auf den Austauschcharakter geschlossener Verträge zugeschnittene Prinzip der arbeitsteiligen Veranlassung. 59
cc) Ökonomische
Fundierung
Die Konkretisierung des Risikoprinzips läßt sich auch ökonomisch unter Rückgriff auf die ökonomische Theorie des Rechts fundieren. Der rechtspolitische Wert der ökonomischen Analyse ist relativ unbestritten, und die zuvor angestellten Überlegungen zur Angemessenheit der Risikozuweisung sollen mit einigen »Tendenzaussagen« unterstützt werden. 60 Danach läßt sich auf wohlfahrtsökonomischer Basis unter Anwendung des Pareto-Kriteriums und des Kaldor-Hicks-Kriteriums 6 1 eine Risikozuordnung im Vertragsrecht nach folgenden abgestuften Kriterien durchführen: - vertragliche Vereinbarung - cheapest cost avoider - cheapest insurer - cheapest risk bearer. 62
Bei Fehlen vertraglicher Vereinbarungen soll danach zunächst das Risiko demjenigen zugeordnet werden, der es mit dem geringsten Aufwand beherrschen kann. 63 Letzteres beinhaltet die Kosten der Erkennung und der Vermeidung des Risikos und die Zuweisung des Risikos an denjenigen, der dies mit dem geringsten Aufwand leisten kann. Vorausgesetzt ist dabei nach der sog. »Learned-Hand-Formel«, daß die Vermeidungskosten niedriger sind als der Erwartungswert des Risikos. 64 Ist letzteres nicht der Fall oder haben beide Parteien keinen Einfluß auf das Risiko, so geht es nicht mehr um Vermeidung, sondern um Abfangen des Schadens durch Versicherung. Das Risiko wird dann demjenigen zugewiesen, der dieses Ri-
Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 95f. " Vgl. auch Hepting, in: Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, S.209, 220. 60 Vgl. aus jüngerer Zeit nur Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 166; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.450ff., Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 162ff.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 5ff., jeweils mit umfangreichen weiteren Nachweisen. Eingehend nunmehr auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 223ff. 61 Vgl. dazu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 21 ff. 62 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 339; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, Tübingen 1986, S. 159f. Ausgangspunkt ist das Modell des vollständigen Vertrags. 63 Das Kriterium geht zurück auf Calabresi, The Costs of Accidents, 3. Aufl. 1972, S. 136ff. 61 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.330. 58
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
221
siko mit dem geringsten Aufwand versichern kann. 65 Dies setzt natürlich voraus, daß das Risiko versicherbar ist. Nun fehlen gerade im Bereich von Anwendungen der Informationstechnologie häufig noch standardisierte Versicherungsprodukte. 66 Hier bleibt die Möglichkeit der »Eigenversicherung«, etwa durch Bildung von Rückstellungen. Allerdings besteht nach dem Gesetz der großen Zahl eine bessere Möglichkeit für größere U n ternehmen, das Risiko abzudecken. Dies hat nicht nur mit dem größeren finanziellen Polster zu tun, sondern auch mit der besseren Möglichkeit, Kosten zu verteilen, aber auch mit besseren Informationsmöglichkeiten, etwa bei der Beobachtung von Märkten. 67 Diese grobe Abstufung einer allokationswirksamen Risikoverteilung entspricht der angeführten rechtlichen Abstufung einer Zurechnung nach dem Kriterien Beherrschbarkeit und Absorption. Hinsichtlich des Prinzips der Beherrschbarkeit ist nunmehr genauer zu differenzieren. Die Zuweisung von Kosten nach dem Kriterien des cheapest cost avoider steht auch unter dem Gesichtspunkt der Risikovermeidung. Die darin enthaltene Präventionswirkung kommt beim Einsatz technischer Kommunikationsmittel nicht nur für das Haftungsrecht zum Tragen, sondern auch für die Risikozuweisung im vertraglichen Bereich. 68 Bereits Koller hat insoweit die Präventionswirkungen nach dem Kriterium der abstrakten Beherrschbarkeit denjenigen gegenübergestellt, die bei einem Abstellen auf konkrete Beherrschbarkeit erfolgen. 69 Das Prinzip der konkreten Beherrschbarkeit ist aufwandsabhängig ausgestaltet insofern, als wertend eine Obergrenze der zu fordernden Anstrengungen festgelegt wird, und entspricht damit der »objektiven Fahrlässigkeit«. 70 Dies wurde oben auch als Begrenzung der Zurechnung durch die »Learned-Hand-Formel« angesprochen. 71 Nun läßt sich auf wohlfahrtstheoretischer Grundlage annehmen, daß die Steuerungswirkungen einer verschuldensunabhängigen Haftung denjenigen einer verschuldensabhängigen überlegen sind. 72 Eine verschuldensunabhängige Haftung, die also unabhängig von der Höhe des Vermeidungsaufwands ist, führt dazu, daß 65 Zur Situation, daß cheapest cost avoider und cheapest insurer auseinanderfallen vgl. Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 335f. 66 Vgl. Reinhardt, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechts-Handbuch, Kap. 124. 67 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 337f., auch zum Unterschied dieses durch Rekurs auf den vollständigen Vertrag gewonnenen Kriteriums von einem »deep pocket approach«. 68 Zum Präventionsgedanken im Zivilrecht allgemein vgl./. Schmidt, KritV 1986, 83, 88ff. Zur Steuerungsfunktion des Haftungsrechts im Hinblick auf Technik vgl. Wagner, VersR 1999, 1441 ff. 69 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.78ff. 70 Vgl. auch Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S. 41 ff. 71 Diese liegt auch der Bestimmung eines »objektivierten« Fahrlässigkeitsmaßstabs zugrunde, vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 130ff. 72 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 171 ff.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 164ff.
222
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
der Vermeidungsaufwand durch den Schädiger so lange vergrößert wird, wie dadurch die gesamten Kosten aus Vorsorgeaufwendungen und erwartetem Schaden reduziert werden können. Dies führt unter Einhaltung der »Learned-Hand-Formel« im Hinblick auf den Verhütungsaufwand zu einem Aktivitätsniveau, das im Gegensatz zu einem überhöhten Niveau einer schadensträchtigen Aktivität bei der Verschuldenshaftung unter wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunkten als optimal bewertet werden kann. 73 Hinzu kommen geringere Kosten des Rechtssystems, die beim Nachweis von Verschulden anfallen. Eine verschuldensunabhängige Haftung führt insoweit zu einer Dezentralisierung der Entscheidung über Vermeidungsaufwendungen, weil die zentrale Festlegung von Standards durch die individuell zu treffende Entscheidung des Belasteten abgelöst wird, der hierzu aufgrund besserer Informationsmöglichkeiten auch eher in der Lage sein wird. 74 Die Zurechnung nach der abstrakten Beherrschbarkeit läßt sich von der Vorstellung eines selbststeuernden Systems aus erklären. 75 Werden einem Partner alle Gefahren unabhängig von ihrer konkreten Beherrschbarkeit zugerechnet, so wird dieser versuchen, die Risiken soweit abzuwenden, wie die aufzuwendenden Kosten niedriger als die zu erwartenden Schäden sind. Der Unterschied zum Kriterium der konkreten Beherrschbarkeit und der darauf basierenden, eine Interessenabwägung beinhaltenden Pflichtenbestimmung besteht darin, daß dort die entsprechende Bewertung durch die rechtlichen Instanzen, letztlich durch den Richter ex post durchgeführt wird, 7 6 während hier die Partei selbst dezentral die entsprechenden Risikobewertungen vornimmt und vornehmen soll. Verbleibende Nachteile wird er versuchen, auf den Partner am Markt abzuwälzen. Damit schafft das Recht Anreize, zur Verbesserung und kostengünstigeren Gestaltung von Methoden der Gefahrenabwehr und -Verminderung. 77 Damit wird auch verständlich, warum bei der Zuweisung des Risikos nach dem Kriterium der Beherrschbarkeit auch nach den Informationsmöglichkeiten der 73 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 170-173. Zu differenzieren ist der Fall, daß beide Parteien Einfluß auf das Schadensniveau haben (»Reziprozität des Schadensproblems«). Hier tritt dann bei verschuldensunabhängiger Haftung an die Stelle des Verursachers der cheapest cost avoider, vgl. Schäfer/Ott, a. a. O., S. 189. Komplexer wird die Situation, wenn beide zur Herstellung eines effizienten Zustands zusammenwirken müssen (»bilaterale Schäden«), vgl. dazu Schäfer/Ott, a.a.O., S. 193ff-, und zu einer differenzierten Lösung nach dem sog. »Shavells Theorem«, a.a.O., S. 203. 74 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 173f. Dies soll allerdings dann nicht gelten, wenn Aktivitätsniveau des Einzelnen und Schadenswahrscheinlichkeit gering sind. 75 Vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 80ff.; Trimarchi, ZHR 136 (1972), 118ff. 76 Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S.58ff., weist darauf hin, daß die Gerichte dies nicht leisten können, und auch der Wettbewerb aufgrund der Informationskosten der Nachfrager nicht eine optimale Allokation herbeiführen wird. 77 Vgl. Trimarchi, ZHR 136,129; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 165f., der ebenfalls auf den innovationsfördernden Charakter strikter Haftung hinweist.
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
223
m ö g l i c h e n Adressaten gefragt wird. D i e Partei mit den besseren I n f o r m a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n k a n n ü b e r h a u p t , o d e r j e d e n f a l l s s c h n e l l e r u n d g e n a u e r a u f die e n t s t e h e n d e n G e f a h r e n r e a g i e r e n . Z u g l e i c h b i l d e t die E r k e n n b a r k e i t a u c h aus ö k o n o m i s c h e r S i c h t die G r e n z e e i n e r v e r s c h u l d e n s u n a b h ä n g i g e n R i s i k o z u w e i s u n g . 7 8 Z u g l e i c h w i r d m a n i m I n t e r e s s e d e r R e c h t s - u n d V e r k e h r s s i c h e r h e i t a u f die E n t w i c k l u n g a l l g e m e i n e r R e g e l n n i c h t v e r z i c h t e n k ö n n e n , an d e n e n s i c h die P a r t e i e n o r i e n t i e r e n k ö n n e n . 7 9 H i e r ist a u c h e i n G r u n d f ü r d e n h ä u f i g e n G e b r a u c h des K r i t e r i u m s d e r » S p h ä r e « , b e i d e r die b e s s e r e n B e h e r r s c h u n g s m ö g l i c h k e i t e n
meist
auch mit besseren Informationsmöglichkeiten einhergehen. b)
Risikoprinzip
aa)
Abstrakte
und elektronische Beherrschbarkeit
Kommunikation bei elektronischer
Kommunikation
B e i d e r n ä h e r e n B e s t i m m u n g des b e r e i t s z u r K o n k r e t i s i e r u n g des R i s i k o p r i n z i p s angeführten Kriteriums der Beherrschbarkeit kann man im Ausgangspunkt zunächst danach fragen, o b der A b s e n d e r eine besondere Machtstellung o d e r K o n trollmöglichkeit über einen Gefahrenbereich hat.80 H i e r k ö n n e n Kriterien wie O r g a n i s a t i o n s m a c h t s o w i e » W i r k u n g s - u n d I n t e r e s s e n s p h ä r e « als K o n k r e t i s i e r u n g d i e n e n . 8 1 Z u n ä c h s t g e h t es b e i m E i n s a t z v o n H a r d w a r e u n d S o f t w a r e u m r e c h t l i che und tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten. Soweit der Zurechnungsadressat die O r g a n i s a t i o n s m a c h t i m H i n b l i c k a u f d e n E i n s a t z t e c h n i s c h e r M i t t e l z u r E r s t e l l u n g d e r E r k l ä r u n g a u s ü b t , sei es i m b e t r i e b l i c h e n B e r e i c h , sei es i m p r i v a t e n
Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 177f. Zur bei der Konkretisierung der Zurechnungselemente notwendigen Generalisierung und der Relativierung des Effizienzzieles durch den Gesichtspunkt der Rechts- und Verkehrssicherheit vgl. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 86f. 80 Vgl. für deliktische Verkehrspflichten Christensen, Verkehrspflichten in arbeitsteiligen Prozessen, Frankfurt/Main 1995, S. 113f., unter Hinweis auf §§ 832,833,836 B G B . Das L G NürnbergFürth, W M 2000, 1005, 1106, ging im oben angesprochenen Fall von einer Beweislastverteilung nach Gefahrenkreisen aus, so daß der Beklagte substantiiert darlegen mußte, daß ihn kein Verschuldensvorwurf traf. Grundlage ist, daß das EDV-System zum Risikobereich des Betreibers gehört und er die dabei entstehenden Risiken zu tragen hat, vgl. Krüger/Bütter, W M 2001, 221,225. Kam es hier im Rahmen von § 325 Abs. 1 S. 1 B G B a. F. auf das Vorliegen von Verschulden an, so ist die hier vertretene Zurechungslösung nach dem Risikoprinzip einer Beweislastverteilung nach Risikosphären im Rahmen einer Verschuldenshaftung aus den angeführten Gründen überlegen. 81 Vgl. auch Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 87, der den Begriff der Sphäre im räumlich-organisatorischen Sinne nur als ein Kriterium zur Bestimmung der Beherrschbarkeit ansieht. Kritisch ders., a.a.O., S. 62ff., auch zum Argument des »näher dran seins« im Sinne der Auswirkungstheorie. Vgl. ferner Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, S. 18f.; G. Rümelin, Dienstvertrag und Werkvertrag, 1905, S. 136; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 3,21 f.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 63, nennt als Konkretisierung des von ihm befürworteten Sphärengedankens Veranlassung der Störung, Risikoerhöhung und Organisationsbereich; der Organisations- und Planungsbereich spielt dabei eine wichtige Rolle, was sich inhaltlich weitgehend mit dem Beherrschbarkeitskriterium deckt. Vgl. bereits R. Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, S. 176, wonach bei »Sphäre« nicht an bloß räumliche Beziehungen gedacht sei, sondern an die »Wirkungs- und Interessensphäre einer Person«. 78
79
224
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
Bereich, kann man Beherrschbarkeit annehmen. Der Anlagenbetreiber kann räumliche Sicherungen gegen unbefugten Zugang und unbefugte Nutzung einrichten, etwa gesonderte Unterbringung der EDV, Beschränkung des Zugangs durch Einsatz einer Magnetstreifenkarte, eines Paßwortes oder anderer Sicherungsverfahren, in Zukunft auch biometrischer Verfahren. Die durch Digitalisierung und Vernetzung gekennzeichnete Entwicklung beinhaltet jedoch zunehmend eine Loslösung von physischen Einwirkungen und von Zeit und Raum, 82 und auch die Entwicklung von mechanischer Technik hin zu Informationstechnologie spricht gegen eine alleinige Anknüpfung an körperlich-gegenständliche Kriterien. Daher muß der Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit unter informationstechnisch geprägten Interaktionsbedingungen in einem funktionalen Sinne weiterentwickelt werden. Bei der Erweiterung des Verantwortungsbereichs über die räumlich-gegenständliche Sphäre hinaus lassen sich die für das Vordringen des Risikoprinzips im Zusammenhang mit dem Einsatz von Informationstechnologie angeführten Anknüpfungspunkte heranziehen. 83 Bei der urheberrechtlichen Veranstalterhaftung wurde insoweit auf die organisatorische und finanzielle Verantwortlichkeit, rechtliche und tatsächliche Verfügungsmöglichkeit und das Merkmal des Interesses abgestellt. Vor allem aber die abgestufte Begrenzung der Verantwortlichkeit von Online-Diensten basiert auf Erwägungen von Einflußmöglichkeiten und Kontrolle und kann Anhaltspunkte für eine über räumliche Kriterien hinausgehende Konkretisierung liefern. 84 Die Gleichstellung von zu eigen gemachten Inhalten mit selbst erstellten Inhalten in § 5 Abs. 1 TDG a.F. basierte auf der Annahme eines maßgeblichen Einflusses auf die Gestaltung der Inhalte, die man in die Merkmale inhaltliche Bestimmung, Auswahl, Kontrolle und Verantwortung differenzieren kann. 85 Der maßgebliche Einfluß in diesem Sinne entspricht einer auf die Inhalte bezogenen Beherrschbarkeit, bei der es entsprechend den technischen Gegebenheiten nicht mehr auf die physische Speicherung ankommen kann. 86 Dies gilt auch für die Bestimmung »eigener« Informationen nach §8 A b s . l TDG n.F. Vielmehr kann es nach Normzweck und Systematik nicht auf die »Funktionsherrschaft«, also den physischen Ort der Speicherung und damit die physische Herrschaft über den Rechner, auf dem die Inhalte gespeichert sind, ankommen, sondern auch auf fremden Rechnern gespeicherte Inhalte können als eigene Inhalte nach § 5 Abs. 1 TDG a.F./§ 8 Abs. 1 Vgl. Hoeren, NJW 1998, 2849. S.o.§6 IV. 2. 84 Zur dogmatischen Einordnung des § 5 TDG a.F. als Frage des Zurechnungszusammenhangs im Tatbestand der jeweils haftungsbegründenden Norm vgl. S. Freytag, Haftung im Netz, S. 139ff.; Haedicke, CR 1999, 309, 311 ff. 85 Vgl. Sieber, MMR 1998,438,443; ders., Verantwortlichkeit im Internet, Rdnr. 302f.: bewußte Auswahl und inhaltliche Kontrolle; S. Freytag, Haftung im Netz, S. 174; Spindler, in: Hoeren/ Sieber (Hrsg.), Kap. 29 Rdnr. 96, der an die »Entscheidung über die weitere Verbreitung und die Beherrschung über den — zuvor fremden — Inhalt« anknüpft. 86 Vgl. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 298. 82 85
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
225
TDG n.F. einzuordnen sein, auch wenn dort keine Rechte zur Sperrung oder Löschung bestehen. 87 Etwas anderes gilt für die Zurechnung bei der Speicherung fremder Inhalte nach § 5 Abs. 2 TDG a. F./§ 11 TDG a. F.88 Grundlage dieser Zurechnung ist, daß die Diensteanbieter aufgrund ihrer direkten Einwirkungsmöglichkeit auf das speichernde System Inhalte löschen oder sperren können, nachdem sie von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlangt haben. Nur in diesem Sinne einer nachträglichen Löschungsund Sperrungsmöglichkeit ergibt sich hier eine »Beherrschung der einzelnen gespeicherten Daten«. 89 Mit der Abgrenzung »eigener«/»fremder« Inhalte hat der Gesetzgeber hier eine für die Frage der Zurechnung als Willenserklärung relevante Grenze gezogen. Die weiter in § 5 Abs. 2 TDG a. F./§ 11 TDG a. F. vorgesehenen Einschränkungen, nämlich das Erfordernis der Kenntnis von den Inhalten und der Zumutbarkeit und technischen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Verhinderung der Nutzung liegen außerhalb der Zurechnung nach dem Risikoprinzip und betreffen den Bereich schwächerer Zurechnung nach anderen Zurechnungsprinzipien. 90 Außerhalb der Kontrollmöglichkeit über »fremde« Inhalte in diesem Sinne liegt der Bereich, der durch den technisch zu verstehenden Begriff der Zugangsvermittlung in §5 Abs. 3 TDG a.F. bzw. der reinen Weiterleitung nach § 9 TDG a.F. markiert wird. 91 Hier ist vor allem die Datenübertragung betroffen, deren Kontrolle und Sperrung durch Kommunikationsteilnehmer nicht nur technisch unmöglich ist, sondern der auch rechtlich unter dem Gesichtspunkt des Geheimnisschutzes sowie des Schutzes der Persönlichkeit Grenzen gesetzt sind. 92 In diesen Bereich fallen auch Angriffe Dritter aus dem Netz während der Übertragungsphase. Hier bedarf es besonderer auf den Gesichtspunkt der Willenserklärung als Kommunikationsprozeß bezogener Erwägungen, um eine Zurechnung zu tregen. 93 bb) Hypertext und die Grenzen abstrakter
Beherrschbarkeit
Am Beispiel von Hypertext mit seinen neuartigen Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen im W W W angebotenen Dokumenten läßt sich das Kriterium der BeVgl. S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 164ff. Vgl. BT-Drs. 13/7385 v. 9 . 4 . 1 9 9 7 , S. 51: » D e r Bundesrat geht davon aus, daß ein Bereithalten fremder Inhalte im Sinne des § 5 Abs. 2 beider R e g e l u n g s w e r k e immer dann vorliegt, w e n n die Inhalte auf Medien gespeichert sind, die dem Anbieter zuzurechnen sind.« Die Untersuchung eigener/fremder Inhalte soll auch nach § 8 T D G a.F. möglich sein, vgl. Begr.RegE, BT-Drs. 14/6098, S.25; a A . Spindler, N J W 2002, 921, 923. 89 Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 323. 90 Zum Kriterium der » Z u m u t b a r k e i t « vgl. Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, Rdnr. 403ff. Vgl. auch O L G München, C R 2000, 541: Der unentgeltliche Zugang zu Software-Archiven, die auf einem Universitäts-FTP-Server gespiegelt werden, fällt unter § 5 Abs. 2 T D G . Eine Löschung ist nicht zumutbar, da die Datei bei der Spiegelung einzeln herausgefiltert werden müßte und dies einen erheblichen A u f w a n d erforderte, während die W i r k s a m k e i t durch Zugriff über andere Netzverbindungen mit geringem A u f w a n d umgangen w e r d e n kann. 91 Vgl. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 363ff. 92 Vgl. insoweit Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 365. 93 Insoweit ist die Regelung des § 120 B G B einschlägig, s.u. § 11 IV.. 87
88
226
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
herrschbarkeit im informationellen Kontext deutlich machen. Ausgangssituation ist dabei, daß eine Webseite rechtsgeschäftlich relevante Erklärungen enthält, etwa Angebote zum Online-Bestellen digital abrufbarer Leistungen. Wird auf einer solchen Seite ein Hyperlink auf eine andere Seite angeboten, auf dem Produktinformationen oder andere Informationen vorhanden sind, so stellt sich die Frage, inwieweit die auf der verlinkten Seite vorhandenen Informationen Teil der in der Ursprungsseite enthaltenen Erklärung werden. Ein besonderes Problem unter dem Aspekt der Automatisierung des Kommunikationsprozesses besteht in Bezug auf Hyperlinks als Merkmal des HTML-Formats vor allem bei der Veränderung der verlinkten Seite nach Setzen des Links. Diese Frage hat durch die erweiterte Sachmängelhaftung beim Kaufrecht nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB n.F. zusätzliche Bedeutung erlangt. Auch hier kann die Einordnung in die Systematik des § 5 TDG a.F. weiterhelfen. Zu beachten ist jedoch, dass die E-Commerce-Richtlinie die Frage der Einordnung von Hyperlinks ausdrücklich nicht behandelt hat, sondern die Kommission in Art. 21 Abs. 2 beauftragte, diese Frage später zu prüfen. Auch im Elektronischen Geschäftsverkehr-Gesetz (EGG) wurde diese Frage nicht ausdrücklich geregelt, was vom Bundesrat bemängelt wurde. 94 Da es sich beim TDG n.F. um eine nahezu wörtliche Umsetzung handelt, spricht viel dafür, daß auch der deutsche Gesetzgeber von seinem bestehenden Spielraum zur Regelung dieser Frage keinen Gebrauch gemacht und die Frage der eingeschränkten Verantwortlichkeit für H y perlinks und Suchmaschinen nicht erfassen wollte. 95 Es bleibt dann nach der neuen Rechtslage die Verantwortlichkeit nach den jeweiligen privatrechtlichen Haftungsgrundlagen. Insoweit gewinnt der Vorschlag von Schack große Aktualität, statt der Anwendung der besonderen Privilegierungsvorschriften, orientiert an der Struktur der Haftungsregelung, ein auf Links zugeschnittenes System von Pflichtenstellungen im Rahmen der Störerhaftung zu entwickeln. 96 Das bedeutet nicht notwendig ein völliges Zurückgehen auf die allgemeinen Haftungsgrundsätze, wie sie vor Erlaß des IuKDG diskutiert wurden, vor allem unter Bezug auf die Pressehaftung. 97 Vielmehr ist die bisherige Rechtsprechung zu §5 TDG a.F. bei der Entwicklung von Sorgfaltspflichten einzube-
Stellungnahme des Bundesrates vom 30.3. 2001, BR-Drs. 136/01, S.6. So auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTDrs. 14/6098, S. 37, wonach die Richtlinie die Frage bewußt nicht geregelt habe.und auch die Bundesregierung von einer Aufnahme von Regelungen abgesehen habe, um die weitere Entwicklung in Wissenschaft und Rechtsprechung zu verfolgen und eine generelle Regelung auf europäischer Ebene anzustreben. Es bleibe somit für Hyperlinks bei der Haftung nach allgemeinen Vorschriften. Vgl. auch Spindler, NJW 2002,921,924. Anders dagegen der österreichische Gesetzgeber, der in §17 des ECommerce-Gesetzes (EGG) das Setzen eines Links ausdrücklich dem Hosting gleichgestellt hat, vgl. BGBl, für die Republik Österreich, 2001 Teil I 152/2001 v. 21.12. 2001. 96 Vgl. Schack, MMR 2001, 9, 15f. 97 Vgl. Spindler, ZUM 1996, 533, 534; Sieber, JZ 1996, 429, 435ff. Zur Eingrenzung der Haftung auf grobe, unschwer zu erkennende Verstöße vgl. BGH GRUR 1990,1012,1014-Pressehaftung I; BGH GRUR 1992, 618, 619 - Pressehaftung II. 94
95
§7 Tatbestand der elektronischen
Willenserklärung
227
ziehen und zu verarbeiten. 98 Nach den Entscheidungen zum Urheber- und Wettbewerbsrecht ist der dogmatische Standort der Entwicklung solcher Pflichten die Störerhaftung. 99 Für die hier zu behandelnde Frage der Zurechnung kann man für den Anwendungsbereich des Risikoprinzips jedoch auf die bisherigen Kriterien zu § 5 Abs. 1 TDG a.F. abstellen, während der Bereich von § 5 Abs. 2 TDG a.F. anderen Zurechnungskriterien zuzuweisen ist. Allerdings war die Einordnung von Hyperlinks in die abgestufte Verantwortung nach § 5 TDG a.F. sehr streitig. Zu einer grundsätzlichen Einordnung als Zugangsvermittlung nach § 5 Abs. 3 TDG a.F. kommt man vor allem, wenn man diesen inhaltsbezogen und nicht technisch versteht. 100 Dies ist aber bereits auf dem Hintergrund der Gesetzesbegründung abzulehnen. 101 Aber ebenso kann ein Hyperlink nicht grundsätzlich dem Vorhalten eigener Inhalte gleichgestellt werden. 102 Vielmehr ist zu differenzieren. Hyperlinks dienen dem leichterem Auffinden themenverwandter fremder Inhalte und sind daher mit Fußnoten in wissenschaftlichen Texten vergleichbar. Sie sind insoweit grundsätzlich als fremde Inhalte anzusehen. 103 Der Verlinkende erhält mit dem Setzen des Links noch nicht automatisch Kenntnis von den fremden Informationen. Da aber das Setzen eines Link meist eine Auswahl der fremden Seite durch den Anbieter voraussetzt, ist von einer grundsätzlichen Einordnung nach §5 Abs. 2 TDG a.F. auszugehen. 104 Eine weitergehende Verantwortlichkeit des Linksetzenden nach §5 Abs. 1 TDG a.F. kann sich ergeben bei zusätzlichen Umständen, die verdeutlichen, dass sich der Anbieter den Inhalt der fremden Seite kommunikativ zu eigen macht. Das kann zum einen bei maßgeblichem Einfluß auf die Gestaltung der fremden Seite der Fall sein. 105 Das Landgericht Lübeck stellte darauf ab, ob das verlinkte Angebot eine Vervollständigung des auf eigenen Seiten angebotenen Inhalts darstellte, etwa zur Vermeidung von Kosten ein Verzicht auf eigene Seiten erfolgte. 106 In dieZu einem solchen Vorgehen bereits O L G H a m b u r g , C R 2000, 385, 386. Vgl. B G H , G R U R 1999, 418ff.; B G H G R U R 1997, 313, 315f 100 Vgl. Spindler, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Kap.29 Rdnr. 132, 319ff.; Koch, C R 1997, 193, 200; ders., N J W - C o R 1998, 45, 48; Eichler/Helmers/Schneider, Supp. K & R 1998, 25. 101 Vgl. Sieher, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 363. 102 Vgl. Pankoke, Von der Presse- zur Providerhaftung, M ü n c h e n 2000, S. 129ff.; Flechsig/Gabel, C R 1998, 351, 354; L G H a m b u r g , M M R 1998, 547f.; L G Frankfurt, C R 1999, 45. Vgl. auch Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, Rdnr. 308, w o n a c h die A n w e n d u n g von Abs. 1 auf die erste Linkebene u n d auf leicht zu beurteilende nicht umfangreiche fremde Webseiten zu beschränken ist. 103 Vgl. auch Schack, M M R 2001, 9, 15. 104 Vgl. Schack, M M R 2001, 9, 15; Plaß, W R P 2000, 599, 608; S. Freytag, H a f t u n g im Netz, S. 231 f.; Bettinger/Freytag, C R 1998, 549; Waldenherger, M M R 1998, 124, 128. Vgl. auch O L G H a m b u r g , M M R 2 0 0 0 , 9 2 , 9 3 : mehr als rein technische M i t w i r k u n g , inhaltsbezogene Komponente. A . A . Köhler/Arndt, Recht des Internet, Rdnr. 430. Vgl. auch L G Frankenthal, Urteil v o m 28.11. 2000, A z . 6 O 293/00, w o n a c h H y p e r l i n k s grundsätzlich die » F u n k t i o n eines Türöffners« erfüllen u n d daher nach § 5 Abs. 3 T D G einzuordnen seien.; in der Begründung stellt das Gericht allerdings zu sehr auf den Ort der Speicherung ab. 105 Vgl. Bettinger/Freytag, C R 1998, 545, 550. 106 L G Lübeck, N J W - C o R 1999, 429 - Fit durch Sauerstoff. 98
99
228
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
sem Fall waren fremde Werbeaussagen in das inhaltliche Angebot eingebettet und vervollständigten dieses. Dies bewertete das Gericht so, daß ohne das fremde Angebot die referierende Site seine »Bestimmung« der Information und Werbung nicht erfüllen konnte. Damit hatte der Verlinkende die fremden Seiten zum Bestandteil des eigenen Angebots gemacht, so daß im Ergebnis § 5 Abs. 1 T D G a.F. angewendet wurde. Von Bedeutung war hier auch, daß die verlinkte Seite unter derselben Domain zu erreichen war und so den Eindruck einer inhaltlichen oder sogar unternehmerischen Verbundenheit erweckte. Unerheblich war insofern, dass anhand des Logos die fremde Herkunft erkennbar war. Allgemein sind für eine Einordnung der Kontext und die sonstigen Inhalte der Homepage, die Begleitumstände des Links in Form von Erläuterungen sowie der konkrete Zielort auf der verlinkten Seite relevant, etwa wenn ein bestimmter Inhalt, z.B. mittels einer Sprungmarke, sofort angesprochen wird und nicht erst gesucht werden muß. 1 0 7 Allerdings sind für die rechtliche Bewertung auch zwischen verschiedenen Formen von Hyperlinks zu differenzieren, wobei man vier verschiedene Arten derartiger Verknüpfungen unterscheiden kann. 108 In der Form der einfachen Hyperlinks oder »Surface Links« wird im Quelltext eine einfache Verknüpfung zu einer anderen Datei/Dokument hergestellt, die für den Nutzer erkennbar ist und die dieser durch Anklicken aktivieren kann. Wenn überhaupt ein Vergleich zu herkömmlichen Medien angemessen ist, ist er am ehesten mit einem Fundstellennachweis in Büchern vergleichbar, allerdings mit erleichterter Zugangsmöglichkeit. »Deep Links«, also Links auf Seiten innerhalb des fremden Angebots bzw. unterhalb der fremden Homepage, sind aus technischer Sicht eigentlich auch zu den einfachen Hyperlinks zu rechnen. Allerdings werfen sie wirtschaftlich und rechtlich wegen der Umgehung der Homepage besondere Fragen auf und sind daher als eigener Typus zu behandeln. Bei einem »Inline-Link« wird dagegen ein »fester« Link bereits in die verweisende Seite eingebunden, so daß ohne weiteres Anklikken des Nutzers die fremde Datei bereits beim Seitenaufbau durch den Browser des Nutzers in die Seite des Anbieters integriert wird. Hier kann man aus Sicht des Nutzers sagen, daß die fremde Datei in das Angebot integriert wird, zumal der Nutzer nicht immer erkennen kann, daß es sich um eine fremde Datei handelt. Dabei können auch Bilddateien ( » I M G - L i n k « ) einbezogen werden. »Frames« beinhalten eine Unterteilung des Bildschirms in verschiedene Rahmen. Hier können in einen einzelnen Rahmen fremde Dateien fest eingebunden werden. Die FrameTechnik ermöglicht aber auch Gestaltungen, bei denen in den Frames ein Hyper107 Vgl. Ernst, N J W - C o R 1999, 431. Vgl. auch O L G Schleswig, M M R 2001,399, 400. Das Gericht führt hier als Kriterien für eine Zurechnung fremder Seiten die inhaltliche Einbettung der Aussage fremder Seiten in das eigene Angebot, den Einfluß auf die Gestaltung der fremden Seite, die Kommentierung der Verweisung an. 108 Vgl. Koch, Internet-Recht, 1998, S.465ff.; Bechtold, Z U M 1997, 427, 432ff.; Kochinke/ Tröndle, C R 1999,190ff.; Ernst, K & R 1998,536,538ff.; Plaß W R P 2000,599f.; Wiehe, W R P 1999, 734f.
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
229
link vom Nutzer aktiviert werden muß. Für die rechtliche Bewertung problematisch ist bei Frames vor allem, daß in der Browser-URL-Zeile des verweisenden Sites die fremde U R L nicht angezeigt wird. 109 Zu beachten ist aber auch, daß die verschiedenen Formen von Hyperlinks, wie sie üblicherweise differenziert werden, bereits von Natur aus einen unterschiedlichen Intensitätsgrad der Bezugnahme aufweisen. Frames und Inline-Links, bei denen die fremde Herkunft meist nicht mehr erkennbar ist, müssen i.d.R. als Zu-eigen-Machen durch den Link- oder Framesetzenden angesehen werden. 110 Dies kann aber auch für »Deep Links«, im Ausnahmefall auch für Surface Links zutreffen. Die Grenze der Zurechenbarkeit wird bei Suchmaschinen erreicht. Diese erfassen und indizieren bestimmte Schlagworte oder ganze Webseiten mittels automatisierter Verfahren, wobei auch Computerprogramme eingesetzt werden, die das Netz nach Informationen durchsuchen (»Robots«). 1 1 1 Grundsätzlich ist es denkbar, daß Suchmaschinen bestimmte Einträge dauerhaft löschen und sperren können, was nach den oben Gesagten für eine Einordnung nach § 5 Abs. 2 TDG a.F. spricht. 112 Funktionell betrachtet erschließen Suchmaschinenbetreiber aber den gesamten Inhalt des Internet, so daß hier keine menschlich gesteuerte Auswahl von Inhalten erfolgt, sondern der Datenbestand des Internet in einem automatisierten Verfahren erschlossen und bestimmte Seiten auf Suchwortanfrage des Nutzers hin mittels Hyperlinks zugänglich gemacht werden. Insoweit kommt nur eine Einordnung nach § 5 Abs. 3 TDG a.F. in Betracht, so daß die automatisch erschlossenen Inhalte außerhalb des für die rechtsgeschäftliche Zurechnung hier als relevant angesehen Bereichs des §5 Abs. 1 TDG a.F. anzusiedeln sind. 113 In gleicher Weise sind grundsätzlich auch Daten auf der zweiten oder weiteren »Link-Ebenen« nicht mehr als zurechenbar anzusehen. 114 Sie sind mit auf jeder Ebene exponentiell ansteigender Zahl der verlinkten Seiten nicht einmal mehr einsehbar. Auf diesen Ebenen trifft der den ersten Link Setzende keine Auswahl mehr und kann auch keine Sperrung oder Löschung vornehmen. Die insoweit vorhandenen Inhalte liegen außerhalb seines »Herrschaftsbereichs« im virtuellen Raum. 115 Eine Zurechnung solcher Inhalte bei der Prüfung von Inhalt und Zurechnung einer elektronischen Willenserklärung nach dem Risikoprinzip kommt nicht in Betracht. Vgl. Koch, Internet-Recht, S.228. Vgl. Koch, CR 1997, 200; Sieber, Verantwortlichkeit im Internet, Rdnr. 310f., mit differenzierender Bewertung für Bannerwerbung mittels Inline-Links; Schack, M M R 2001, 9, 16f.; Plaß, WRP 2000, 601, 608f. Vgl. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 332; S. Freytag, Haftung im Netz, S.234. 112 So S. Freytag, Haftung im Netz, S.235; v.Lackum, M M R 1999, 697, 700. 113 Vgl. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 334; Schack, M M R 2001, 9,15; Koch, CR 1997, 193, 200. 114 Vgl. Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 326ff. 115 So Sieber, Veranwortlichkeit im Internet, Rdnr. 330. Natürlich kann im Einzelfall eine andere Beurteilung gegeben sein, etwa wenn eine klare Umgehungsabsicht erkennbar ist, vgl. auch Sieber, Rdnr. 331, mit dem Hinweis auf Dazwischenschalten von »Tarnseiten« bei »linearen« Verweisungen. 109
110
230
3. Kapitel: Die Elektronische
cc) Beherrschbarkeit
der
Willenserklärung
im inneren und äufleren
System
Rahmenbedingungen
Im elektronischen Geschäftsverkehr geht es häufig um von einer der Parteien oder Dritten formulierte Erklärungen, denen der andere Partner durch einfache Erklärung zustimmt, wobei er häufig keinerlei Einflußmöglichkeit auf den Inhalt der Erklärung hat. 116 Dies ist für die Risikoverteilung ein entscheidender Faktor. Wenn der Anbieter Geschäftsbedingungen vorgibt und der Kunde durch einen Mausklick zustimmt, gibt er zwar eine wirksame Willenserklärung ab, deren Inhalt aber nicht immer zurechenbar ist. Als Beispiel kann die Bestellung in einem Lokal aufgrund einer dort von einem Gast liegen gebliebenen älteren Speisekarte mit niedrigeren Preisen dienen. Der Gast hält die Speisekarte für gültig, der Wirt durfte von einer Bestellung nach den aktuellen Preisen ausgehen. 117 Nach dem Risikoprinzip ist auf die Beherrschbarkeit der das Risiko bedingenden Umstände abzustellen. Wenn der Inhalt einer Erklärung maßgeblich durch den Anbieter bestimmt wird, so hat dieser auch das entsprechende Risiko zu tragen, wobei hier neben der Beherrschbarkeit auch der Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Interesses zum Tragen kommt. Dieser Grundsatz drückt sich bereits in dem Auslegungsgrundsatz der interpretatio contra proferentem ebenso wie in §305c Abs. 2 BGB (§5 A G B G a.F.) sowie der Einbeziehung von Drittbedingungen in §310 Abs.3 BGB (§24a A G B G a.E) aus.118 Für den Beispielsfall bedeutet das, daß der Wirt das Risiko für die in seinem Lokal ausliegenden Karten zu tragen hat, so daß der Vertrag zu den niedrigeren Preisen zustanden gekommen ist. Vergleichbare Fälle können sich bei Webangeboten ergeben, wenn der Inhalt des Leistungsangebots oder der Lieferbedingungen geändert wird und der Kunde glaubt, zu den alten Bedingungen zu bestellen, etwa weil die Änderung während des Bestellvorgangs erfolgte oder weil der Kunde die alten Version auf einem Proxy-Cache-Server 119 gespeichert hatte und nicht vor der endgültigen Bestellung aktualisiert hat. Der erste Fall läßt sich in der Regel über die normative Auslegung lösen, da für den Empfänger aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens von Bestellung und Änderung ein Verständnis der Erklärung auf der Basis der bisherigen Bedingungen angenommen werden muß. Gleiches gilt, wenn der Anbieter in keiner Weise auf die Änderung hingewiesen hat und er daher davon ausgehen konnte, daß nicht alle Kunden die Änderung wahrgenommen haben. Dieses Wissen ist Teil des Empfängerhorizonts. Schließlich trägt der Anbieter das Risiko auch, wenn er die Ände116 D e r U C I T A stellt diesen Fall sogar in den Mittelpunkt, vgl. See. 112. Vgl. auch das O n l i n e Bestellformular im Fall L G M ü n c h e n I, N J W 1999, 2127. 117 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, S.28 Rdnr. 26. 118 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 28. Vgl. auch M.ünc\iY^omm-Mayer-Maly, allerdings unter Einschränkung auf die Fälle, in denen Bestimmungen unter Einsatz wirtschaftlicher U b e r m a c h t durchgesetzt werden; im R a h m e n elektronischer K o m m u n i k a t i o n kann hier ein technisch bedingtes Wissens- u n d Erfahrungsgefälle berücksichtigt werden, s.u.§12 I 3. Zu §5 A G B G vgl. Pnizndt-Heinrichs, A G B G , §5 Rdnr. 8ff. 119 Vgl. dazu Sieber, Verantwortlichkeit im N e t z , Rdnr. 22.
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
231
rung nicht veranlaßt hat, sondern diese durch Manipulation erfolgte, die aber in seinen Risikobereich fällt. Diese Fallgestaltung ist dem genannten Beispielsfall der Bestellung auf der Grundlage einer veralteten Karte vergleichbar. Handelt es sich um A G B , so wird ergibt sich die Lösung bereits aus §305 Abs. 2 B G B (§2 Abs. 1 A G B G a.F.), soweit es sich bei den Kunden nicht um Unternehmer handelt. Anders ist die Situation im zweiten Fall, da der Empfänger davon ausgehen kann, daß der Kunde aufgrund eines aktuellen Abrufs der Webseiten seine Bestellung durchführt. Dies gilt zumindest bei größerem zeitlichen Abstand zwischen Änderung und Bestellung. Die Aktualisierung der Informationen fällt hier in den Risikobereich des Kunden. dd) Abgrenzung
der Risikobereiche
und Berücksichtigung
des
Systemcharakters
Ein gewichtiger Einwand gegen eine Risikoverteilung nach Einflußbereichen liegt in der sich dabei ergebenden Schwierigkeit der Abgrenzung. So wird gegen die Haftungsverteilung nach Risikosphären im Scheckverkehr angeführt, daß systembedingt typische Gefährdungslagen entstehen, die aber nie allein der Sphäre des Kunden zugeordnet werden könnten. 120 Das Betreiben und die Kontrolle über das System liege beim Kreditinstitut. Das Diebstahlsrisiko bei Schecks sei für den Kunden nicht voll beherrschbar und der Schaden entstehe bei der Einlösung durch die Bank. Diese Argumente betreffen allerdings die konkrete Beherrschbarkeit, während die hier zugrunde gelegte abstrakte Beherrschbarkeit eine andersartige Steuerungswirkung entfaltet. 121 Richtig ist, daß bloßes Herrühren des Umstand aus der »Sphäre« eines Beteiligten oder bloße Veranlassung nicht ausreichen. Vielmehr beinhaltet auch die Risikozuweisung nach der abstrakten Beherrschbarkeit eine Bewertung. Neben der Abgrenzung der Risikosphären ist es aber als ein grundlegendes Problem bei automatisierter Kommunikation anzusehen, ob die Vor- und Nachteile der Verwendung automatisierter Systeme allein einer Seite zuzuordnen sind oder ob der Systemcharakter der Technik sich gegen eine einseitige Risikozuweisung sperrt. Bereits Brinckmann hat auch unter Bezugnahme auf das OSI-Schichtenmodell der Kommunikation darauf hingewiesen, daß mit Annäherung an die höchste Schicht die Intensität der Dienstleistungen, also die Verlagerung und damit Determinierung der Kommunikation durch das Netz und deren Dienste zunehme. 122 Immer wieder wird unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Interesses ins Feld geführt, daß ja beide Seiten von dem Einsatz technischer Systeme profitieren und dies für eine gleichmäßige Verteilung der Risiken spricht. Möschel hat die120 Vgl. Joost, S. X73f. Oechsler, 121 Siehe oben 122 Brinckmann, Darmstadt 1986,
Z H R 153 (1989), 237, 249f.; Jäkel, Das beleglose Scheckeinzugsverfahren, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 195f. § 7 III 3.a) cc). in: Brinckmann/Kilian (Hrsg.), Kommunikationstechnische Vernetzung, S.25, 26f.
232
3. Kapitel: Die Elektronische Willenserklärung im inneren und äußeren System
se Frage im Zusammenhang mit dem von ihm so genannten »Netzvertrag« problematisiert und die Frage nach einer entsprechenden Reduzierung individueller Warnpflichten oder abgeschwächter Inhaltskontrolle hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des Systems aufgeworfen. 1 2 3 N u n ist der Einsatz technischer Systeme keine neue Erscheinung. Zwar sind computergestützte und computergesteuerte Systeme ungleich komplexer als etwa das Telefon, dies ist aber kein Grund, von einer individualisierenden Sichtweise bei der Risikozurechnung abzugehen. Andernfalls müßte man zu einer auf soziotechnische Systeme gegründeten Sicht übergehen, in der der Mensch Schaltelement eines übergreifenden Systems ist, das auf der Basis kollektiver Lösungen funktioniert. Dies ist aber mit den ethischen Grundannahmen der Privatrechtsordnung und Prinzipien wie Selbstbestimmung und Selbstverantwortung nicht in Einklang zu bringen. D e r Mensch ist selbstverantwortliches Handlungs- und Zurechnungssubjekt auch bei elektronischer Kommunikation. 1 2 4 Diese ethisch geprägte Grundwertung ist rechtlich nicht disponibel, weil sonst ein Verstoß gegen Art. 1 und 2 G G vorläge. Aufgefangen wird der Systemaspekt vielmehr durch die normative Bestimmung des Auslegungsmaßstabs der elektronischen Erklärung. I m Ergebnis bedeutet dies die Auferlegung von Sorgfaltspflichten auf die Empfängerseite. Das bedeutet auch, daß die Zurechnungslösung, bei der es um die Zurechnung des Erklärungstatbestands zum Absender geht, nicht, wie es zunächst den Anschein haben mag, zu einer einseitigen Zuweisung aller Risiken an die Absenderseite führt. D e r Systemcharakter der eingesetzten Informationstechnologie läßt unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Interesses nicht immer eine eindeutige Zuordnung zu einer Seite zu. A b e r auch die Beherrschbarkeit des jeweiligen Risikos ist nicht immer eindeutig einer Seite zuzuordnen. D a m i t ist die N u t z u n g der Informationstechnologie der Situation des »bilateralen Schadens« vergleichbar, für den in der ökonomischen Analyse effiziente Schadensvermeidung nur dann angenommen wird, wenn beide Parteien Abwehraufwendungen leisten. 1 2 5 Gefährdungshaftung mit dem Einwand des Mitverschuldens wird im Haftungsrecht als effiziente L ö sung angesehen. 1 2 6 Ein vergleichbares K o n z e p t wird hier mit der Zurechnungslösung des normativ zu bestimmenden Tatbestands der Willenserklärung verfolgt. D e r strengere Zurechnungsmaßstab auf Seiten des Erklärenden gegenüber dem Sorgfaltsmaßstab auf Empfängerseite läßt sich zusätzlich damit begründen, daß dieser das allgemeine Erklärungsrisiko zu tragen hat.
123 Möschel, AcP (1986), 187,211 ff. Vgl. ferner Teubner, ZHR 154 (1990), 295ff.; ders., in: Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, Baden-Baden 1991, S. 105ff., der von einer Doppelzurechnung zum Netz als dezentral organisierter Kooperationsform autonomer Handlungseinheiten und zur einzelnen Person ausgeht. Vgl. dazu die Kritik von Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 3 81 ff. 124 Vgl. Larenz/Canans, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, §2 1. 125 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 193 ff. 126 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 199 ff.
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
233
Demgegenüber widerspricht es nicht der dem B G B zugrundeliegenden Konzeption, bei Kommunikation über Datennetze generell einen die Einzelverträge übergreifenden einheitlichen Netzzweck anzunehmen, der in die rechtsgeschäftlichen Handlungen der Beteiligten einfließt. 127 Rohe versteht dies als gemeinsamen Geschäftszweck der Netzbeteiligten, der im Weg ergänzender Auslegung umzusetzen ist.128 Er beschränkt dies allerdings auf die Sekundärtransaktionen, die durch die Beteiligung Mehrerer nur koordiniert zu erreichende Kostenvorteile beinhalten. 129 Mit der Entwicklung hin zu mehrpoliger und technisch mediatisierter Interaktion mit eingeschränkten subjektiven Erkenntnismöglichkeiten steigt die Notwendigkeit »objektivierter und damit zweckorientierter Interpretation« 130 und das Gewicht des Verkehrsschutzinteresses. Konkret kommt auch Rohe dabei zu einer Risikozuweisung von Risikosphären bzw. Kriterien der Beherrschbarkeit, wie sie hier vertreten werden.131
IV. Anwendungsbeispiel:
Intelligente Agenten und die neue des Autonomieproblems
Relevanz
Kritik und angenommene Grenzen des Konzepts der elektronischen Willenserklärung beziehen sich vor allem auf die zunehmende Autonomie und »Intelligenz« elektronischer Systeme, 132 die das implizit von der »Werkzeug«-Perspektive der herrschenden Meinung geprägte Konzept des generellen Willens oder eines allgemeinen Zurechnungswillens in bezug auf die Ergebnisse elektronischer Verarbeitung immer stärker in Frage stellen. Ein wichtiges Beispiel stellen die »intelligenten« Softwareagenten dar. Sie eignen sich als fortgeschrittene Erscheinung des Einsatzes von I T im rechtsgeschäftlichen Bereich gut, die entwickelte Zurechnungslösung zu überprüfen. 133
1. Erklärungsrisiken a) Technische Ausgestaltung
und
Sicherheit
Für die rechtliche Beurteilung ist wiederum ein Blick auf die technische Funktionsweise unabdingbar. Mobile Agenten müssen sich »identifizieren«, bevor sie 127 Vgl. Rohe, Netzverträge, S. 154, der von einem »überpersonalen Erwartungshorizont« spricht. 128 Vgl. Rohe, Netzverträge, S.148ff. 129 Vgl. Rohe, Netzverträge, S.492. 130 Rohe, Netzverträge, S. 157. 131 Vgl. Rohe, Netzverträge, S.219ff. 132 Vgl. bereits Clemens, N J W 1985, 1998, 2001 f. 133 Zur ausdrücklichen Regelung des Einsatzes elektronischer Agenten im U.S.-amerikanischen Vertragsrecht vgl. Wiehe, in: Lejeune (Hrsg.), Der E-Commerce-Vertrag nach amerikanischem Recht, Köln 2001, Kap. E Rdnr. 38ff., F Rdnr. 38ff.
234
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren und äußeren
System
Funktionen auf einem Computersystem ausführen können. 1 3 4 Dazu gehört die Agenten-Identifikationsnummer, die mit Schaffung des Agenten initiiert wird und den Agenten während seines »Lebens« begleitet. Außerdem muß der Agententyp sowie der persönliche Identifikationsschlüssel des Nutzers angegeben werden. Letzterer wird für jeden Nutzer vom System ausgegeben und vom Agenten mitgeführt, um seine Identifikation zu validieren. E r wird dann in eine lokale Liste der aktiven Agenten eingetragen, die auch dazu dient, den anderen Agenten Informationen über die Funktionen ihres Gesprächspartners zu verschaffen, etwa Informations- oder Transaktionsagent. Dagegen wird die Identität des Agenten und seines Nutzers von diesem »agent layer« als Teil der Basissoftware des Agentensystems 135 den darauf aufbauenden Anwendungen nicht bekanntgegeben, vielmehr bedarf es dazu einer entsprechenden Nachricht des Agenten. Die Fragen von Identifikation und Sicherheit sind eng verknüpft. Auch für intelligente Agenten wird daher Verschlüsselung als Sicherheitsmaßnahme eingesetzt. Insbesondere der Einsatz mobiler Agenten beinhaltet neue Risiken: Identifikation und Autorisation der Agenten, Schutz gegen Agenten mit virenähnlichen Funktionen, Schutz von Agenten gegen störende Computersysteme, Gewährleistung von Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft der Agenten. 1 3 6 Bereits bei Eintritt in ein fremdes Computersystem muß dieses den Agenten und seinen Benutzer identifizieren, bevor diesem »Einlaß gewährt« wird. In gleicher Weise muß das »empfangende« Computersystem sich gegenüber dem Agenten identifizieren. Bevor der Agent seine Operationen beginnen kann, müssen weitere Informationen über die geplanten Operationen (»Intentionen«) bzw. die interne Struktur des Agenten gegenüber dem Server offengelegt werden. Auf dieser Basis entscheidet der Server, wieviel Speicherkapazität dem Agenten zugeteilt wird, ob dieser Schreib- oder nur Leseberechtigung bekommt. Dies hängt weitgehend von der Nutzerautorisation ab, im Hinblick auf Schreibberechtigung, Berechtigung zu finanziellen Transaktionen, Höchstbetrag etc. 137 Uber die Kenntnis von der Autorisation des Agenten durch den Nutzer hinaus wird sozusagen eine »Pflicht« des Servers angenommen, den Programmcode des Agenten zu prüfen, etwa im Hinblick darauf, ob es sich um einen getarnten Virus handelt. Dies ist allerdings schwierig, da es z.B. »selbstmodifizierende« Agenten gibt, die während der Programmausführung dynamisch ihre Strukturen ändern und sich während der Operationen auf dem Server als »bösartig« herausstellen
Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.63ff. Der »agent layer« ist Teil der Basissoftware. Zur technischen Ausgestaltung der Basissoftware und Verteilung der Funktionalitäten zwischen Agent und Basissystem vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.61 ff., 125ff.; danach sollten allgemein notwendige Dienste im Basissystem, Funktionalitäten mit spezieller Bedeutung für den Agenten in diesem selbst realisiert werden. 136 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 121 ff. 137 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S, 122. 134
135
5 7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
235
können. Auch sind sie in einer offenen Umgebung anfällig für Computerviren. Die ursprüngliche Zugangsberechtigung und die damit verbundenen Rechte werden in Zugangslisten dokumentiert. Dann operiert der Agent in einer sicheren Umgebung, wobei er keinen Zugang zu außerhalb liegenden Ressourcen erhält. Möglich ist aber auch eine kontinuierliche Überwachung der Operationen des Agenten durch ein spezielles Sicherheitsmodul, das über die geplanten Arbeitsschritte des Agenten unterrichtet wird und entscheidet, ob sich diese innerhalb der »Erwartungen« halten oder unvorhergesehene Aktionen beinhalten. 138 Im zweiten Fall kann das Sicherheitsmodul die Zugangsrechte des Agenten zurücksetzen oder dessen weiteres Operieren untersagen. Die Bestimmung der erwarteten Aufgaben und der Eingriffsschwelle bleiben dabei ein Problem, will der Server nicht völlig von den vom Nutzer bereitgestellten Informationen abhängig sein. 139 Ein weiteres Problem stellt die Vergütung für die vom Agenten in Anspruch genommenen Ressourcen bzw. Informationen dar. Optimalerweise werden die Beträge vor der Operation transferiert. Deutlich wird insoweit die Notwendigkeit eines »Interessenausgleichs« zwischen dem Server auf der Seite des einen Partners und dem Agenten auf der Seite des anderen Partners. So ist es etwa notwendig, vertrauliche Informationen des Nutzers, wie Kreditkartennummern, vor dem Zugriff durch andere Agenten (»Spione«) und auch den Server zu schützen. Schließlich wird auch die Möglichkeit aufgeführt, daß die Agenten selbst vertrauliche Informationen »veruntreuen« können. 1 4 0 Daraus wird die Folgerung abgeleitet, daß der Nutzer seinem Agenten ein großes Maß an »Vertrauen« beim Anvertrauen persönlicher Information für finanzielle und rechtlich relevante Operationen entgegenbringen muß und diese von Anbietern mit absoluter Integrität kommen sollten. Das gleiche gilt für den Server und den elektronischen Marktplatz, auf dem der Agent operiert. b) Agent und Nutzer -
Mensch/Maschine-Schnittstelle
Neben der reinen Informationsfunktion, zu der auch der Einsatz von Suchmaschinen gerechnet werden kann, werden Agenten zunehmend auch zum Vertragsabschluß eingesetzt. Ziel ist eine einfache, gut verständliche Gestaltung, die eine wirksame Kontrolle und Einsatz der Funktionen ermöglicht. 141
138 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 123. Zu »Intelligenz« und »Autonomie« bei solchen Agenten vgl. auch Kuhlen, Die Konsequenzen von Informationsassistenten, S.227ff. 139 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 124. HO Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 124. 141 Vgl. Macredie, Electronic Markets 1998, No. 3, S.40ff. Abad Peiro/Steiger, Electronic Markets 1998, No. 3, S. 8,10, nennen fünf Eigenschaften zur Verbesserung der Schnittstelle zwischen User Interface und den darunter liegenden ECommerce-Diensten: Identifikation des Nutzers, Sichtbarkeit für andere Nutzer, Präsenz des Nutzeres, Vertrauen in andere Marktteilnehmer, Anzahl der Repräsentationen des Nutzers gegenüber einem oder mehreren anderen Nutzern.
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3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
In der Literatur wird als Beispiel das System Kasbah als elektronischem Marktplatz beschrieben, der auf dem Einsatz von Agenten basiert. 142 Danach hat der Nutzer die Möglichkeit, über ein Fenster die Parameter für den einzusetzenden Kauf-, Verkaufs- oder Informationsagenten zu spezifizieren. Dazu gehört der Name des Agenten, eine Beschreibung des Produkts, Angaben zu Datum, Preis, einschl. Mindest- bzw. Höchstpreis sowie der durchzuführenden Preisstrategie. Außerdem kann der Nutzer die Häufigkeit der Übermittlung eines Statusreports durch den Agenten bestimmen. Mit Anklicken des Symbols »Create Agent« wird der Agent aktiviert. Bei Finden eines Handelspartners erfolgt eine Mitteilung und eine Anfrage, ob die Transaktion getätigt werden soll. Bei positiver Antwort schließt der Agent die Verhandlungen ab und übermittelt die Ergebnisse. Der Nutzer kann sich dann direkt mit dem Partner wegen der Abwicklung in Verbindung setzen. Einfache Kaufagenten können nur die statischen Produktbeschreibungen der Verkäufer einsehen, während auf einem agentenbasierten Marktplatz beide Partner durch Agenten »repräsentiert« werden, die auch Verhandlungen oder andere komplexe Aufgaben ausführen können. 143 Solche Verhandlungen können in mehreren Schritten etwa über Preis und andere Konditionen geführt werden. Allgemein kann der Nutzer anhand eines Statusreports die gerade aktiven Agenten und den Grad der Aufgabenerfüllung überprüfen. Außerdem kann er auch andere auf dem Marktplatz aktive Agenten betrachten. Die Funktionen eines Softwareagenten sind dem Nutzer ebenso bekannt wie die eines herkömmlichen Softwareprogramms. Die diese kennzeichnende relative Autonomie drückt sich auch darin aus, daß der Nutzer ein gewisses »Vertrauen« in seinen Agenten entwickeln soll, da er diesem einen selbständigen Entscheidungsbereich überläßt, etwa im finanziellen Bereich. Mit Blick auf diese »höheren« Kommunikationsformen wird es essentiell wichtig, daß die »Benutzerschnittstelle« so gestaltet wird, daß die Präferenzen der Benutzer klar und möglichst unmißverständlich umgesetzt werden können. Dies ist besonders relevant bei Entscheidungen, bei denen vielfältige Eigenschaften und Parameter zu berücksichtigen sind. Dann ist der Einsatz von automatischen Agenten mit der Unsicherheit belastet, daß sich der Nutzer über seine Präferenzen klar wird und diese in einer Form ausdrücken oder den Agenten so einstellen kann, daß diese bei der Umsetzung in eine automatisierte Form voll zu Geltung kommen. Diese an der Benutzerschnittstelle angesiedelten Risiken in der Einsatzphase werden ergänzt um Risiken, die sich aus der relativen Autonomie bei der Operation der Agenten ergeben. Aufgrund der begrenzten Lernfähigkeit der Agenten ist es denkbar, daß diese nach einiger Zeit in einer Weise operieren, die nicht mehr mit dem aktuellen Willen des Nutzers übereinstimmt, obwohl dieser die ursprüngliche Einsatzentscheidung getroffen hat. 142 143
Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 284ff. Zur Architektur vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 298f.
§7 Tatbestand der elektronischen Willenserklärung
237
2. R e c h t l i c h e B e w e r t u n g
a) Einsatzzweck und Vollmacht Zur Verdeutlichung der Problematik sei von einem Beispiel ausgegangen. Das O n line-Auktionshaus Primus-Auktionen bietet die Möglichkeit, Agenten zum Bieten einzusetzen. 1 4 4 Dabei kann der N u t z e r einen Höchstpreis festlegen, bis zu dem der Agent automatisch mitbietet. Auch die jeweiligen Bietschritte können festgelegt werden. H a t der N u t z e r noch ein aktuelles G e b o t , Paßwort und Benutzername eingegeben, kann er auf einen B u t t o n » G e b o t abgeben« klicken. N a c h der A n leitung von Primus-Auktionen ist die Aktivierung des Agenten gleichbedeutend mit der Abgabe eines Gebotes und kann nicht rückgängig gemacht werden. D i e Automatisierung der Teilnahme an der Auktion bedeutet für den Bieter, daß er die freie Entscheidung über Teilnahme, Bietschritte und Höchstpreis hat, aber ab dem Zeitpunkt der Aktivierung keine weiteren Einwirkungsmöglichkeiten für ihn mehr bestehen. Auch hier zeigt sich wieder die typische Folge der Automatisierung, daß die menschlichen Entscheidungsteile an den Beginn des Prozesses verlagert werden. Ein Mindestmaß an Selbstbestimmung ist durch die Auswahlparameter und die Entscheidung zum Einsatz des Agenten gewährleistet. Andererseits gebietet der Vertrauensschutz des Vertragspartners, die Operationen dem Einsetzenden zuzurechnen. Als Zurechnungskriterium könnte hier der Einsatzzweck verwendet werden. Dieser ließe sich anhand des Kontextes, der konkreten Versteigerung, in deren Rahmen der Agent eingesetzt wird, sowie der Parameter, die der Teilnehmer in bezug auf den Agenten gesetzt hat, konkretisieren. Man könnte hier an eine analoge Anwendung der Vertretungsregeln denken. Soweit der Agent von den vorgegebenen Parametern abweicht, käme eine analoge Anwendung der § § 1 7 7 f f . B G B in Betracht. Dies würde nicht nur erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen, sondern auch eine Analogie erforderlich machen, die oben bereits abgelehnt wurde. D e n k b a r wäre auch die Anwendung der Grundsätze zur Rechtscheinsvollmacht. G r o ß e Ähnlichkeit weist der Einsatz von Agenten dann mit der A n scheinsvollmacht oder der Scheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung auf. Anknüpfend an § 56 H G B haben Lehre und Rechtsprechung die Regel entwickelt, daß die Übertragung einer Aufgabe, die nach der Verkehrsauffassung eine Vollmacht voraussetzt, den mit der Aufgabe Betrauten als bevollmächtigt gelten lassen muß, es sei denn, daß deren Fehlen oder Einschränkung für den anderen Teil un-
144 Vgl. http://wwwl.auktionen.de Auktionsanleitung Punkt D.5 (Stand: 1.4. 2001). Vgl. ferner den Auktionsmechanismus bei »Clickwaste - the quality auction«, Eine Einführung zum Bieten und Starten von Auktionen bei Clickwaste, S. 9, http://www.clickwaste.de/service/de/manual.pdf (Stand: 1.3. 2002).
238
3. Kapitel: Die Elektronische
Willenserklärung
im inneren
und äußeren
System
schwer zu erkennen war. 145 Damit kommt es darauf an, ob die entsprechende Stellung verkehrstypisch eine entsprechende Vollmacht einschließt. 146 Wenn Canaris die Anwendung der eng verwandten Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht nicht für notwendig hält und diese auf das Handelsrecht beschränken will, da es um den Schutz des Verkehrs vor den Risiken der arbeitsteiligen Organisation des kaufmännischen Unternehmens, der Einordnung in einen Funktions- und Herrschaftsbereich, gehe, 147 so gelten die zuletzt genannten Gründe auch für die arbeitsteilige Organisation Technik/Mensch. Bei elektronischen Agenten etwa ist für den Kommunikationspartner die interne »Instruktion« durch den Einsetzenden nicht ohne weiteres erkennbar. Die durch die Undurchschaubarkeit der internen Funktionsverteilung im kaufmännischen Betrieb hergestellte organisatorische Distanz zwischen den Partnern wird hier ersetzt durch die technische Distanz, die in gleicher Weise für einen der Partner undurchschaubar ist. Der Verkehr muß sich darauf verlassen können, daß solche Agenten mit Willen des Betreibers eingesetzt werden. Das rechtfertigt auch die Auferlegung der entsprechenden Organisationsrisiken nach dem Risikoprinzip. 148 Die technische Mediatisierung der Kommunikation ist hinsichtlich des Gewichts des Verkehrsschutzes und der Typisierung mit dem kaufmännischen Verkehr vergleichbar.
b)
Zurechnungslösung
aa)
Tatbestand
Der im Wege der Auslegung ermittelte Erklärungstatbestand mit den Elementen der vom Agenten durchgeführten Operation und der von diesem an das Empfängersystem übermittelten Informationen wird letztendlich nach dem Risikoprinzip zugerechnet. Der Zugrundelegung des »automatisierten Empfängerhorizonts« entsprechend sind die durch das empfangende EDV-System, häufig ebenfalls ein elektronischer Agent, verarbeitbaren Parameter zugrundezulegen. 149 Damit werden die technischen Spezifikationen, die von dem Agenten gegenüber dem System oder Partner-Agenten offengelegten Informationen über Identifikation des Agenten, Autorisation durch den Nutzer, interne Struktur etc. Grundlage der Erklärungsbestimmung. Kritisch sind die dargestellten Fälle, in denen aufgrund der dynamischen Struktur solcher Agenten diese sich während der Operation verändern und »bösartig« werden. Bei der Zuordnung dieses Risikos ist zu berücksichtigen, daß das technische System, in dem oder mit dem der Agent kommuniziert, Vorkehrungen treffen kann, um die Wirksamkeit solcher Operationen auszuschließen. Dies ist möglich
Vgl. VnXznAt-Heinrichs, § 173 Rdn.21 m.w.Nachw. Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 190. 147 Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.51f., 191 ff. «s Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 195. 149 Dazu eingehend unten § 11 VI 2a. 145
146
§7 Tatbestand
der elektronischen
Willenserklärung
239
etwa durch Dokumentation der Zugangsberechtigung und Zurücksetzung der Zugangsrechte oder Überwachung durch ein Sicherheitsmodul. Fällt die Operation solcher Agenten in dieser Weise aus dem Rahmen des Erwarteten, so stellt sich bei der Bestimmung des Tatbestands die Frage, ob das Empfängersystem diese Abweichung erkennen mußte. Das ist wiederum davon abhängig, ob bestimmte Sicherheitsvorkehrungen aus technischer Sicht als Teil des »automatisierten Empfängerhorizonts« zu betrachten sind. Dies ist im Einzelfall zu bestimmen, wird aber nach den angesprochenen Möglichkeiten der Sicherung auf Empfängerseite häufig vorauszusetzen sein. 150 War die Abweichung des Agenten von den Vorgaben nach den vom Empfänger vorzuhaltenden Vorkehrungen nicht zu erkennen, so ist die vom Agenten »abgegebene« Erklärung nach dem Risikoprinzip zur Person des den Agenten Einsetzenden zuzurechnen.
bb) Beherrschbarkeit
als
Zurechnungskriterium
Intelligente Agenten stellen nicht nur von Programmierern erstellte Software dar, sondern eliminieren auch in fortgeschrittener Form nicht völlig die Notwendigkeit menschlicher Interaktion und menschlicher Beteiligung am Kommunikationsprozeß und einen Rest an notwendiger menschlicher Kontrolle. 151 Auch solche Agenten sind als Bestandteil eines soziotechnischen Systems anzusehen. Der verbleibende Rest an notwendiger menschlicher Beteiligung läßt eine Zurechnung der vom Agenten »abgegebenen« Erklärung nach dem Risikoprinzip angemessen erscheinen. Diese knüpft an den Einsatz solcher Agenten an, ohne technisch fragwürdige Analogien zur Vollmachtserteilung zu erfordern, fördert die risikomindernden Anstrengungen auf Seiten des Einsetzenden und ermöglicht eine differenzierte Zuweisung der Risiken. Dabei ist allerdings die Grenze der Vorhersehbarkeit zu beachten. Ist ein derartiges Abweichen der Agenten von den programmierten Vorgaben nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht vorhersehbar oder nicht zu verhindern, greifen subsidiär das Absorptionsprinzip sowie das Prinzip des wirtschaftlichen Interesses ein, die oft in gleicher Weise eine Zurechnung zum Einsetzenden begründen werden.
Siehe unten § 11 VI 2. a). Vgl. Pan/Tenenbaum, 21 I E E E Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, 6/1991, S. 1391, 1407: »there will always be the need for a human >safety valveMethodisierung< von Kommunikationsabläufen, »d.h. ihrer Umformung in Sequenzen rein formaler Aussagen, die von anderen Sinnbezügen entlastet sind und die nach Operationsregeln eindeutig und automatisch verarbeitet werden können«. 22 Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S.32. 18 19
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
341
kommen mit einem geringeren Zeichenvorrat aus, allerdings um den Preis längerer Zeichenketten, etwa beim Binärsystem, das eine leichtere Ubertragbarkeit ermöglicht. Sprachtheoretisch besteht das Problem der Bildung diskreter Elemente, das bereits durch schriftsprachliche Konventionen über die Setzung willkürlicher Lautgrenzen bei der Kodierung der Alphabetschriften gelöst wird. Weiterhin erfordert Kodierung eindeutige Zuordnungsverfahren zwischen den Elementen der Systeme. Die Zuordnungen zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem können willkürlich, arbiträr, oder ähnlich, ikonisch sein, was im wesentlichen der Unterscheidung digital-analog entspricht. 23 Die Schrift als Kommunikationstechnologie macht eine Trennung von Form und Bedeutung möglich. Die Kodierung kann rein mental erfolgen, etwa bei der Verbalisierung visueller Komponenten am Telefon, während die nachfolgende Übertragung sich dann technischer Hilfsmittel bedient. Automatisierung bedeutet dann, daß auch die eigentlich mentale Ubersetzungsleistung durch die Maschine erfolgt. So wird etwa beim Telefon die lautliche Form der Sprache ikonisch kodiert. Ziel der »Künstlichen Intelligenz« ist es, auch die Kodierung von Bedeutung zu automatisieren. Der Bezug zu einer Primärsprache ebenso wie Formen und Funktionen der Sprache sind in unterschiedlichem Maße festgelegt. 24 Teilweise sind sie unmittelbar Bestandteil des technischen Systems, etwa bei Datenbankabfragesprachen. Bei einem zweiten Typ ist die Festlegung nicht technisch bedingt sondern normativ, etwa beim Morsekode. Beim dritten Typ schließlich erfolgt keine Festlegung, dem das Telefon nahe kommt. Die für den Steuerteil der Technologie verwendeten Sprachen sind dabei generell stärker festgelegt als die Ubertragungsteile. Vorstrukturierungen erfassen dabei auch verschiedene Ebenen: phonetisch, graphetisch, Orthographie, Wortschatz und Syntax. 25 Sieht man in Kommunikationstechnologien Sprache auch als Handlungssystem implementiert, so ergibt sich neben einer Dominanz der Mitteilungs- gegenüber der Beziehungsfunktion auch eine Vorstrukturierung von Handlungstypen und -mustern. Diese sind teilweise, etwa bei Datenbankabfragen, technisch implementiert, teilweise, wie beim Telefon, auf Konventionen begründet. Teilweise ist auch das Sprecherwechselsystem technisch reguliert, etwa bei schriftlichem online-Dialog in Form des Computer conferencing. Schließlich kann es Anwendungsrestriktionen durch technische, normative oder ökonomische Zugangsbeschränkungen geben. bb) Technisierung der Sinneskanäle Technisierung der Kommunikation bedeutet auch Auflösung oder Ersetzung der dabei benutzten Sinneskanäle und Auflösung eines gemeinsamen Wahrnehmungsraumes der Interaktionsbeteiligten.
23 24 25
Vgl. Weingarten, Vgl. Weingarten, Vgl. Weingarten,
Die Verkabelung der Sprache, S.35. Die Verkabelung der Sprache, S. 39. Die Verkabelung der Sprache, S. 39ff.
342
4. Kapitel: Risikostrukturierung und
cc) Technisierung
der
Kommunikationsmodell
Situationsbezüge
Technisierung bedeutet auch eine Entkoppelung der Rede von der Situation ihrer Entstehung und der gemeinsamen Sprechsituation als Bedingung der Möglichkeit von Verstehen. 2 6 Dies läßt sich als Loslösung einer Äußerung aus dem »Zeigfeld« und Ersetzung durch das »Symbolfeld« beschreiben. 2 7 Dieser Aspekt hat drei D i mensionen: Zeitüberwindung durch Speichertechnologie,
Raumüberwindung
durch Ubertragungstechnologie, Personenersetzung durch Verarbeitungstechnologie. So stellt die Briefpost primär eine Ubertragungs-, sekundär eine Speichertechnologie dar. D i e gegenwärtige Entwicklung der Informationstechnologie hat die Verbindung aller drei Aspekte in einem großtechnischen System zur Folge. Weingarten sieht darin den Trend zu einer Formatierung des kulturellen Wissens sowie des Symbolfelds als sprachimmanenter Definition von Bedeutungen ohne notwendig außersprachliche Sprechsituation, wobei sich absolute und kontextfreie Klassifikationsschemata bilden. 2 8 Z u m anderen sieht er eine Dezentrierung der K o m m u nikation, von der Organisation »um die Person des Sprechers herum« hin zu der Objektivität einer scheinbar unabhängig von der Sprechsituation verstehbaren Information, dem Verständnis einer Aussage als gültig unabhängig von Person, Zeit und O r t der Äußerung. (1) Auflösung
der zeitlichen
Unmittelbarkeit
D i e Auflösung der zeitlichen Unmittelbarkeit erfolgt vor allem durch technische Speichermedien mit verschiedenen Eigenschaften. Eine Konservierung erfolgt durch arbiträre oder analoge Abbildsysteme und ist bezogen auf ein absolutes, metrisiertes Zeitkonzept. Sie war eine wichtige Voraussetzung dafür, daß Texte einen Charakter als Waren annehmen konnten. Technische Reproduzierbarkeit wurde vor allem durch den Buchdruck ermöglicht und erlangte durch neuere R e produktionstechniken eine neue Dimension. Erst durch Speichermedien wurde es möglich, den linearen zeitlichen Ablauf der Kommunikation zu durchbrechen und die Steuerbarkeit des zeitlichen Ablaufs zu erlangen, bis hin zur Aufhebung der Zeitstruktur eines Textes. Schließlich hat die Möglichkeit des Retrieval eine weitere Formatierung des Symbolfelds im Hinblick auf die Systematik des Wissensgebiets zur Folge, und zwar nicht nur als Konventionen sondern unabhängig von den Beteiligten technisch implementiert.
26 Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S.44ff. Zum Zusammenhang von Auflösung der situativen Bezüge und Verrechtlichung der Kommunikation vgl. den., Die Konstruktion von Sprache im technischen Medium, Habilitationsschrift, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld, 1991, S.276ff. 27 Vgl. K. BUhler, Sprachtheorie, Die Darstellungsfunktion der Sprache, Frankfurt/Main 1978, S. 255, nach dem allerdings immer eine Ergänzung durch das Wissen als gemeinsam unterstelltem Erfahrungshintergrund einer kulturellen Gemeinschaft erforderlich sei. 28 Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 50.
§10 Technisierung
(2) Auflösung
der räumlichen
und
Kommunikationsmodell
343
Unmittelbarkeit
Die Technologien, die Kommunikation in räumlicher Hinsicht über den gemeinsamen Wahrnehmungsraum hinaus ermöglichen, lassen sich nach verschiedenen Eigenschaften beschreiben. 29 Übertragungstechnologien lassen sich in zeitlicher Hinsicht in solche mit Zwischenspeicherung (offline) und direkte Übertragung (online) unterteilen. Erstere basiert auf der Entwicklung der Speichertechnologien und einer Infrastruktur, dem Verkehrsnetz und zunehmend den Kommunikationsnetzen. Online-Übertragungen sind weniger flexibel aber schneller. Bei Übertragung mittels Elektrizität, terrestrischen Wellen und Lichtwellen ist die Übertragungszeit für den Benutzer nicht mehr wahrnehmbar. Daneben entwikkeln sich Zwischenformen, bei denen zunächst ein Zwischenspeicher zum Absenden oder Empfangen benutzt wird. Die Übertragungstechnologien weisen unterschiedliche Netzarchitekturen auf, die auch eine soziale Ordnung widerspiegeln, aber für den Benutzer nicht unbedingt erkennbar sein müssen. Daneben unterscheidet man nach dem Vorhandensein von Wechselseitigkeit Verteil- und Vermittlungsnetze. In einem Local Area Network sind beide Netztypen anzutreffen. 30 Eine weitere differenzierende Eigenschaft stellt die Gerichtetheit dar, die die Möglichkeit der Beschreibung der Zielgruppe bedeutet und zumindest empirisch in umgekehrtem Verhältnis zur Anzahl der Teilnehmer steht. Weingarten resümiert, daß die »Formatierung des räumlichen Symbolfelds ihre dingliche Existenz in den Übertragungsnetzwerken« 31 hat. Diese sind bereits vor Aufnahme der Kommunikation vorhanden und damit von den handelnden Personen verselbständigt. (3) Auflösung
der personalen
Unmittelbarkeit
Dies gilt auch für die mit Zeit und Raum verbundenen personalen Komponenten als Kategorien des Handelns. Datenverarbeitung ermöglicht eine Technisierung auch kognitiver Prozesse. Weitere personale Komponenten, die eine unabhängige Existenz in technischen Systemen erlangen, sind zum einen die Personenerfassung durch Kodifizierung personaler Daten, die bis zu einer automatischen Datenerfassung etwa in Personalinformationssystemen, die auch die Deutung von Verhaltensweisen automatisieren. Extrempunkt der Automatisierung des Kommunikationsprozesses ist schließlich die Ersetzung eines Partners durch eine Maschine. Nach einer eingehenden Analyse verschiedener moderner Kommunikationstechnologien nach den zuvor herausgearbeiteten Aspekten kommt Weingarten zu dem Resümee, daß die Zergliederung des Kommunikationsprozesses zunehmend
Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 54ff. Vgl. die Abbildung in Kubicek/Rolf, Mikropolis, Mit Computernetzen in die »Informationsgesellschaft«, Hamburg 1985, S. 162. 31 Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 60. 29
30
344
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
ausdifferenziert wird und immer mehr Komponenten durch die Technisierung erfaßt werden. 32 Der größeren Vielfalt der Kommunikationsleistungen stünden mögliche funktionale Eingrenzungen gegenüber. Zu ergänzen wäre, daß Folgen auch die zunehmende Anonymisierung, zunehmende Einseitigkeit und abnehmende Wechselseitigkeit der Erwartungen darstellen, was zwar vor allem für Massenmedien zutrifft, aber auch computergestützte Zwischenformen betrifft. 33 2. Medienspezifische Differenzierung in funktionsbezogener rechtlicher Bewertung Grundsätzlich liegt dem Konzept der Willenserklärung das Modell der Verständigung in der face-to-face-Kommunikation zugrunde. 34 Die Auflösung der face-toface-Situation der Kommunikation und Interaktion mit dem Verlust verschiedener Kategorien der Unmittelbarkeit hat das Bedürfnis nach rechtlicher Kompensation durch das Schriftformerfordernis hervorgerufen. Mit der Schrift als Technisierung der Sprache ist der Einsatz von Schriftformfunktionen als rechtliche Verarbeitung der Technisierung verbunden. 35 a)
Formvorschriften
aa)
Formfunktionen
Eine besondere rechtliche Behandlung der Schriftform läßt sich nachweisen vor allem in §§130,147,126f. BGB, 416 ZPO. Die Beweisfunktion ist auch eine wichtige Funktion für den Einsatz von Formvorschriften durch das Zivilrecht. Dies ist vor allem durch die Speicherfunktion und die damit verbundene situationsübergreifende Dauerhaftigkeit der Kommunikation bedingt. In einem weiteren Schritt dient die Verbindung von Schriftlichkeit mit der eigenhändigen Unterschrift der Identitäts- und Authentifizierungsfunktion. Die Schriftformfunktionen verdeutlichen auch die zugrundeliegenden, durch die Loslösung von der Face-to-faceKommunikation entstehenden Risiken für ein Gelingen der Kommunikation und eine Risikoverteilung bei Mißlingen der Kommunikation:
32
Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 71 ff. Vgl. Luckmann, in: Borbe (Hrsg.), Mikroelektronik, Berlin 1984, S. 75, 82. Empirische U n tersuchungen finden sich bei Schmale, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte K o m m u n i k a tion, S.9; Grabowski-Gellert/Harras, in: Weingarten /Fiehler (Hrsg.), Technisierte K o m m u n i k a tion, O p l a d e n 1988, S.31. 34 Vgl. auch Brinckmann, in: Brinckmann/Kilian (Hrsg.), Kommunikationstechnische Vernetzung, Darmstadt 1986, S.25, 29f. 35 D e n Einfluß der Schrift auf das Recht kennzeichnet Goody, Die Logik der Schrift u n d die Organisation von Gesellschaft, F r a n k f u r t / M a i n 1990, S.222ff., mit den Gestaltungsmerkmalen Formalisierung, Universalisierung und Rationalisierung des Rechts. Zu den A u s w i r k u n g e n der elektronischen Medien auf das Rechtssystem vgl. Katsh, T h e Electronic Media and T h e Transf o r m a t i o n of Law, N e w Y o r k / O x f o r d 1989; ders., Law in a Digital World, N e w Y o r k / O x f o r d 1995. 33
§10 Technisierung und -
Kommunikationsmodell
345
Abschlußfunktion die eigenhändige Unterschrift signalisiert als räumlicher Abschluß des Textes den A b schluß des Kodierungsvorgangs und damit der Willensbildung;
-
Perpetuierungsfunktion
-
Identitätsfunktion
Schriftlichkeit sichert Dokumentation und fortdauernde Verfügbarkeit der Erklärung; die Unterschrift macht die Person des Ausstellers deutlich und schafft mit der U n t e r schrift als personengebundenem Merkmal eine Verbindung zwischen Namensangabe und realer Person; -
Echtheitsfunktion mit der räumlichen Verbindung v o n Unterschrift und U r k u n d e soll auch eine Verbindung zwischen Inhalt und Person hergestellt werden;
-
Verifikationsfunktion der Empfänger des D o k u m e n t s hat die Möglichkeit, die Erfüllung der beiden vorhergehenden Funktionen zu überprüfen;
-
Beweisfunktion das unterschriebene D o k u m e n t erleichtert die Beweisführung und dient dauerhafter Dokumentation;
-
Warnfunktion der A k t des Unterzeichnens macht dem Erklärenden die rechtliche Tragweite und die Zurechenbarkeit deutlich und dient dem Ubereilungsschutz. 3 6
bb)
Formdifferenzierung
Aus ökonomischen Gründen scheint es dem Gesetzgeber nunmehr geboten, die an die Schriftlichkeit anknüpfenden Funktionen, etwa Beweis- und Warnfunktion, von den weitergehenden Funktionen, etwa Echtheits- und Verifikationsfunktion, zu trennen und letztere nur bestimmten Fallgestaltungen mit besonderem Sicherheitsbedürfnis zuzuweisen. D i e moderne Technik macht es möglich, schon immer bestehende Bedürfnisse nach Ausdifferenzierung nun auch rechtlich zu verarbeiten und in verschiedenen »Formstufen« gesetzlich zu verankern. D e m Gesetzgeber geht es dabei um die Beseitigung rechtlicher Schranken für den E i n satz abgestufter F o r m e n und die Schaffung eines rechtlichen Rahmens. Entsprechend hat das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr v o m 13.7. 2001 in § 126b B G B eine Textform als Differenzierung der Schriftform unterhalb eigenhändiger Unterschrift eingeführt. 3 7 Dadurch ergibt sich eine bessere Verkehrsfähigkeit im Allgemeininteresse in Fällen geringer Beweis- und Warnfunktion, bei denen es um nicht erhebliche oder leicht rückgängig zu machende Rechtsfolgen geht. Kennzeichen dieser Textform ist die Fixierung einer Mitteilung oder Erklärung in lesbaren Schriftzeichen und Verzicht auf Bindung an Papier. Dazu gehören Telefax, aber auch die Bildschirmdarstellung, soweit die Möglich36 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drs. 14/4987 v. 14.12. 2000, S. 15ff. 37 B G B l . I 2001 Nr.35 v. 18.7. 2001, S.1542.
346
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
keit des Empfängers zum Lesen sichergestellt ist. Mindestanforderung ist, daß die Erklärung beim Empfänger wieder in lesbare Schriftzeichen umwandelbar ist. Für die rechtliche Verarbeitung ergibt sich mit der Änderung noch einmal eine Bestätigung der funktionalen Sichtweise durch den Gesetzgeber. Die Ausdifferenzierung der Formerfordernisse entsprechend kommunikativer Bedürfnisse steht dabei im Spannungsfeld der Interessen der Kommunikationspartner und dem Interesse der Allgemeinheit an Verkehrssicherheit einerseits und Senkung von Kommunikationskosten andererseits. 38 Die Differenzierung nach unterschiedlichen Bedürfnissen kann den Anschein einer effizienten Lösung für sich in Anspruch nehmen. b) Auflösung
der
Unmittelbarkeit
Mit der in § 130 BGB angelegten Unterscheidung der Kommunikation unter Anwesenden und Abwesenden wurde die beschriebene Auflösung der Unmittelbarkeit der Kommunikation aufgegriffen und eine gesonderte Risikoverteilung hinsichtlich der Wirksamkeit getroffen, die die unterschiedlichen Eigenschaften von face-to-face-Kommunikation und schriftlicher Kommunikation berücksichtigt. Mit der Zugrundelegung der eingeschränkten Vernehmungstheorie im ersten Fall wird der Möglichkeit direkter Interaktion Rechnung getragen, die eine Rückfragemöglichkeit des Empfängers erlaubt, so daß der Absender bei deren Ausbleiben von einem Verständnis ausgehen kann. Im zweiten Fall reicht die Verfügbarkeit des Dokuments, die dem Empfänger die Kenntnisnahme ermöglicht. In dieser Zweiteilung hat der Gesetzgeber das Telefon wegen der Interaktivität, die es ermöglicht, der mündlichen Kommunikation gleichgestellt (§ 147 Abs. 1 S.2 BGB).
II. Automatisierung
und
Kommunikationsmodell
1. Pragmatische Aspekte der computergestützten K o m m u n i k a t i o n Die Schriftlichkeit ist bereits als erste Stufe der Technisierung anzusehen. Mit Blick auf das Kommunikationsmodell ist nun herauszuarbeiten, welche Auswirkungen spezifisch der Computerunterstützung der Kommunikation zuzuschreiben sind. a) Der Computer als
»Metamedium«
Kommunikation kann in verschiedenen medialen Ausdrucksformen erfolgen. Diese lassen sich in vier Gruppen typisieren. 39 Bei der Sprachkommunikation 38 Vgl. B e g r ü n d u n g (Fußn. 36), S. 18: »Erleichterung des Rechtsverkehrs«, »Vertragspartner vor Schädigungen ... schützen«, »Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen u n d eventuelle Prozesse zu vereinfachen«. 39 Vgl. R. Reichwald, in: Vahlens K o m p e n d i u m der Betriebswirtschaftslehre, Band 2, 2. Aufl., M ü n c h e n 1990, S.413, 420ff.; Wersig, Die kommunikative Revolution, S.94ff.
§10 Technisierung und
347
Kommunikationsmodell
dient die gesprochene Sprache als Medium, vor allem unmittelbar oder telefonisch. Bei der Textkommunikation werden sprachliche Inhalte in schriftlicher F o r m übermittelt. Bei der Datenkommunikation werden Daten vom Rechner verarbeitet und zwischen Mensch und Maschine oder nur zwischen Rechnern übermittelt. Die Übertragung von Bildern erfolgt entweder als Festbildkommunikation (Faksimile, Telefax) oder als Bewegtbildkommunikation
(Videokonferen-
zen). Medien eignen sich zu Gestaltfixierungen durch Auflösung in viele lose Elemente und Verknüpfung zu komplexeren F o r m e n , wie es etwa bei der Schrift deutlich wird. Bereits auf M c L u h a n geht dabei die Erkenntnis zurück, daß der Inhalt jedes Mediums immer ein anderes Medium ist. 40 Wegen seiner Universalität läßt sich der C o m p u t e r auch als »Metamedium, das alle klassischen Medien in sich aufhebt« 4 1 ansehen. Die Entwicklung hin zu »Multimedia« zeigt, daß der C o m p u ter als »Hypermedium« zum »Medium der Medienintegration« wird. 42 Dies hat mit der Vernetzung von Computern durch das Internet seinen Kulminationspunkt erreicht. Computergestützte Kommunikation führt die oben für die Schriftlichkeit dargestellten Technisierungsmerkmale fort und radikalisiert sie. Sie führt zu einer E r weiterung der energetischen Übertragungsmöglichkeiten,
der
Überwindung
räumlicher Distanzen, einer Zeitpunktunabhängigkeit, der Wahl der Rezipientenmenge, der Bandbreite der Übermittlungswege und der Interaktivität. 4 3 Allgemein führt die E n q u e t e - K o m m i s s i o n folgende Veränderungen an: Unsichtbarkeit, Flüchtigkeit, immaterieller Charakter, Veränderungen zeitlich-räumlicher Relationen. 4 4 Technische Voraussetzung sind Digitalisierung und Vernetzung. D u r c h Digitalisierung werden die unterschiedlichen Medien, Text, Sprache, Daten und Bilder, in ein einheitliches digitales F o r m a t gebracht, das die N u t z u n g der verschiedenen Darstellungsformen in derselben Speicher- und Übermittlungseinrichtung erlaubt. Das digitale Format existiert physisch in flüchtiger F o r m , wenn Dateien über N e t z e transportiert werden oder Daten im Arbeitsspeicher eines Computers verarbeitet werden. Digitale Daten können auch auf einem Datenträger dauerhaft gespeichert werden. In beiden Fällen sind in stärkerem Umfang als früher technische Instrumente (Hardware, Software, Peripheriegeräte) zur Kommunikation erforderlich. M i t der Verschmelzung von Datenverarbeitungs- und K o m m u n i k a tionstechnologie ergibt sich eine Tendenz zur technischen Integration von N e t zen, Diensten und Endgeräten. 4 5 Vgl. McLuhan, Die magischen Kanäle, Düsseldorf, 1968, S. 14. U. Klotz, Neue Leitbilder für EDV und Organisationentwicklung, CR 1994, 570, 578. 42 Bolz, in Bolz/Kittler/Tholen (Hrsg.), Computer als Medium, S. 15. 43 Vgl. Wersig, Die kommunikative Revolution, S. 135ff.; Döring, Sozialpsychologie des Internet, S.210. 44 Enquete-Kommission Zukunft der Medien, Sicherheit und Schutz im Netz, S.41f. 45 Vgl. R. Reichwald, in: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Band 2, S. 434ff. 40
41
348
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Zum Nachrichtenaustausch in den verschiedenen Netzen stellen Kommunikationsdienste bestimmte Leistungsangebote zur Verfügung. 46 So dienen etwa Message-Handling-Systeme zur Übertragung von Text, Daten und Sprache, die eine Speicherfunktion beinhalten. Informationen können in einem persönlichen elektronischen Briefkasten (»Mailbox«) gespeichert und dann individuell abgerufen werden. Neben die beiden Kommunikationspartner können dann weitere Beteiligte mit verschiedenen großem Beitrag zur Kommunikation treten. Mit der Vernetzung gewinnt zugleich die technische und organisatorische Infrastruktur an Bedeutung. Diese setzt die Rahmenbedingungen der Kommunikation und bedarf zusätzlicher Maßnahmen technischer, organisatorischer und rechtlicher Art, etwa zur Herstellung von Standardisierung als Voraussetzung einer gelungenen Bedeutungsübertragung und zur Gewährleistung von Kommunikationssicherheit. 47 Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen es, daß die Einführung der Informationstechnologie nahezu alle Bereiche gesellschaftlicher Kommunikation erfassen wird, auch solche, die bisher in personaler Kommunikation abgewickelt wurden. Zudem geht es nicht einfach um die Einführung einer neuen Technik, wie etwa beim Buchdruck, sondern es wird ein ganzes Bündel untereinander vernetzter Systeme eingeführt. 48 Diese Quantität hat auch qualitative Auswirkungen, die Technisierung einzelner Komponenten hat Folgewirkungen auch für andere Komponenten des Kommunikationssystems. Variabilität und Modulationsfähigkeit bewirken einen »qualitativen Sprung der Technisierung«. 49 Auch verbinden sich bisher als Massenmedien angesehene Kommunikationsformen mit bisherigen Formen der Individualkommunikation. b) Formalisierung und
Dekontextualisierung
Der Computereinsatz setzt aufgrund seiner technisch bedingten formalen Funktionsbedingungen voraus, daß die betreffenden Handlungen und Arbeitsprozesse computergerecht beschrieben und formalisiert werden. 50 Nimmt man Formalisie46 Eine Ubersicht über Kommunikationsformen und ihre Zuordnung zu Diensten, Netzen und Endgeräten gibt R. Reichwald, in: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Band 2, S.427. 47 Vgl. etwa Bormann/Bormann/Schindler, in: Bullinger (Hrsg.), Handbuch des Informationsmanagements im Unternehmen, Bandl, München 1991, S.771 ff.; Meinter, in: Bullinger, a.a.O., S.719ff.; K a u f f e l s , in: Bullinger, a.a.O., S.555ff. 48 Vgl. Weingarten, in: Weingarten/ Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 57. Zur Unterscheidung von Gruppen- und Massenkommunikation vgl. M. Schmid, Kommunikationsmodelle für Elektronische Märkte, S.47. 49 Vgl. Kiibler, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 137, 147. 50 Allgemein zu Technisierung und Formalisierung vgl. E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, 2. Aufl. Hamburg 1982, S. 46ff. Zu Technisierungsprozessen als »Spezialfall der Sozialisierung von Handlungsstrukturen« vgl. B.Joerges, in: P. Weingart (Hrsg.), Technik als sozialer Prozeß, Frankfurt/Main 1989, S.44,64f., wobei einerseits Maschinen selbst ein nach formalen Regeln ablaufendes Handlungssystem darstellen, andererseits auch formalisierte Anschlußhandlungen der Nutzer und Infrastruktur, Organisation
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
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rung als Oberbegriff, so ergeben sich drei Komponenten des Definitionsprozesses: Quantifizierung, Standardisierung von Daten und Befehlen und Algorithmisierung als eindeutige und formallogisch richtige Festlegung im Sinne einer deterministischen Steuerung. 51 Speziell im Hinblick auf Kommunikation beinhaltet Formalisierung eine »Reduktion von Kommunikation auf ein sachlich-rationales, exaktes, algorithmisches Skelett - ohne emotionale, bildliche, ganzheitliche und persönliche Bestandteile«. 52 Durch Verlagerung vom Beziehungs- auf den Inhaltsaspekt entwickeln sich rationalisierte soziale Beziehungen, die von »alltagskommunikativen Geltungsansprüchen« 53 entkoppelt werden. Konstituierende Wahrnehmungsprozesse hinsichtlich körperlichem Ausdrucksverhalten bei Anwesenheit laufen leer und lassen sich nur eingeschränkt in die verbleibenden Kommunikationsparameter integrieren. In der Interaktion zwischen Mensch und Maschine sollen diese kompensiert werden durch formale und abstrakte Nutzersprachen, »die als Antwort auf das Problem zu verstehen sind, daß in Interaktionen zwischen Mensch und Maschine ein Bedarf an Vorkenntnissen für situationsunabhängige Verstehensgarantien besteht. Der Nutzer tritt in ein hochselektives Sprachspiel ein, indem die Uberprüfung und Weitergabe von Informationen vom technischen Medium übernommen wird«. 5 4 In abgeschwächter Form gilt dies auch für computergestützte Kommunikation zwischen Menschen. Die Aktualisierung der Selektionsleistung beim Empfänger bedarf im Vergleich zu Schrift und Buchdruck nicht nur technischer Hilfsmittel, sondern sie hat auch automatisiert verarbeitete Daten zum Gegenstand. 55 Ein Aspekt der Formalisierung ist dann auch die Umwandlung von Informationen in Daten und deren Verarbeitung, die ein wesentliches Element der dargestellten Strukturierung der Sprache darstellt. Krämer-Friedrich arbeitet heraus, daß die Übertragung einer Handlung auf eine Maschine eine Umwandlung in eine Operation voraussetzt, also eine Verobjektivierung einer jederzeit wiederholbaren Regel. 56 Bei der Verarbeitung von Informationen führt dies zur Eliminierung und rechtliche Regulierung erfordern. Die normativen Strukturen des »sozialen Innenraums« von Maschinen stehen danach in einem Reziprozitätsverhältnis zu ihrer »Handlungsumgebung«. 51 Vgl. Kubicek/Rolf, Mikropolis. Mit Computernetzen in die Informationsgesellschaft, Hamburg 1985, S. 59, 260; Welter, Technisierung von Information und Kommunikation in Organisationen, S.37ff. Vgl. auch Steinmüller, Informationstechnologie und Gesellschaft, Darmstadt 1993, S. 461 ff. 52 Giese/Januschek, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S.55,57. Zur »Algorithmisierung« im Kontext des Internet vgl. auch Schweiger/ Brosius, in: Beck/Vowe (Hrsg.), Computernetze - ein Medium öffentlicher Kommunikation?, S. 159, 162f.; Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 210f. m.w.Nachw. 53 Böhm/Wehner, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S. 150, 161. 54 Vgl. Böhm/Wehner, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S. 150, 162. 55 Die Auswirkungen der Automatisierung auf das bei der Aktualisierung auch eingesetzte Wissen sollen hier außer Betracht bleiben. 56 Vgl. S.Krämer-Friedrich, in: Huning/Mitcham (Hrsg.), Technikphilosophie im Zeitalter der
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
der Bedeutungsdimension, und es bleiben »Zeichenreihengestalten« und die Regeln ihrer Verarbeitung. Durch Loslösung von einem Handlungszweck des Benutzers werden Informationen zu Zeichen/Daten. Wo der Mensch symbolisch handelt, simuliert der Computer eine »kalkülmäßig beschreibbare symbolische Operation«. 5 7 Relevant werden hier die Eigenschaften komplexerer Syntax und unzulänglicher Semantik, die digitaler Kommunikation zugeschrieben werden. Zemanek unterscheidet drei Formen von Semantik: die inhärente Semantik der Schaltprozesse wie Addieren, Drucken etc., die formale Semantik der entworfenen Modelle, der formal definierten Strukturen sowie die »Wolke der mitreißenden allgemeinen Semantik, die dem Computer unzugänglich bleibt«. 58 Bedeutungszusammenhänge lassen sich für den Computer nur in syntaktischen Modellen darstellen, die darüber hinaus bei Datenlieferant, Programmlieferant und Nutzern von verschiedener Güte sein können. Die Verarbeitung durch den Computer als rein »syntaktisches Gerät« kann zum Verlust der der Information vom Sender assoziierten Semantik führen. 59 »Die alte Nachrichtentechnik diente wie Handschrift und Buchdruck nur der getreuen Übertragung informationsführender Signale über Raum und Zeit von Mensch zu Mensch, und der Mensch hatte die Kontrolle von Bedeutung und Sinn der Nachrichten. Die Kanäle waren in gewisser Weise sprachunabhängig. Beim Computer hingegen kommt beim Empfänger grundsätzlich etwas anderes an, als beim Sender abgeht: die Veränderung kann nicht verfolgt werden, ihre Richtigkeit muß abstrakt garantiert sein«. 60 Insoweit stellt sich die Frage nach technischen oder rechtlichen Mitteln der Garantie. Dies läßt sich an einer einfachen Online-Bestellung verdeutlichen. Auch der Mausklick ist ja zunächst nur eine technische Handlung, die in einem bestimmten Kontext, etwa einem Online-Formular, vorgenommen wird und in diesem Rahmen für den Nutzer eine bestimmte Bedeutung erlangt. Es erfolgt dann eine U m wandlung in elektronische Signale und Übertragung zum Empfänger, der diese Signale decodiert und im Kontext seiner eigenen EDV-Anlage »entschlüsselt«. Die Bedeutungskonstituierung ist hier technisch vermittelt. Die Herstellung der Übereinstimmung zwischen der Bedeutung auf Absender- und Empfängerseite basiert auf technischen Verfahren. Sozial und kulturell etablierte Konventionen, Informationstechnik, S. 81, 85 f. Zur Unterscheidung Handlung/Operation vgl. auch Schmitz, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 159, 161. 57 5. Krämer-Friedrich, in: Huning/Mitcham (Hrsg.), Technikphilosophie im Zeitalter der Informationstechnik, S. 81, 87. 58 Zemanek, in: Folberth/Hackl, Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft, S. 17, 42ff. Vgl. ferner die Unterscheidung von »interner« und »externer Semantik« bei R. Rheinwald, Kognitionswissenschaft 2 (1991), S.37, 40ff. und der entsprechenden Unterscheidung von »abstrakten« und »konkreten« Computerprogrammen, a.a.O., S.46. 59 Vgl. Zemanek, in: Folberth/Hackl, Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft, S. 17, 40ff., der unter Hinweis auf den »späteren« Wittgenstein auf die Sprachspielrelativität der Information hinweist. 60 Zemanek, in: Folberth/Hackl, Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft, S. 17, 35.
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
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die bei der Sprache und auch bei konkludenten Handlungen auf beiden Seiten zur Bedeutungsermittlung unterstellt werden können und eine eindeutige Handlungszuschreibung erlauben, sind bei elektronischer Kommuniktion (noch) nicht vorhanden. In bezug auf in Dateien gespeicherte Daten hat Januschek festgestellt, daß nicht nur die Situationen von Speicherung und Abfrage verschieden sind, sondern auch deren Zweck. 61 Die Fähigkeit, die Information dann so zu verstehen, wie sie gemeint ist, schwindet im umgekehrten Verhältnis zur Zahl der Nutzer, denen sie über Netze zugänglich gemacht wird. Verstehen wird dann zum statistischen »Zufallsprodukt«. Gespeicherte Daten verlieren ihre Bedeutung. 62 Im Unterschied zu traditionellen schriftlichen Dateien steht hier die gespeicherte Ausdrucksform nicht mehr zur Verfügung, um nach Motiven der Einspeicherung zu fragen. Kontextrelevante Informationen sind durch die Verarbeitung gelöscht. Januschek resümiert, daß dann Information nicht mehr als Resultat von Verständigungsprozessen aufgefaßt werden kann und die »Wahrheit von Informationen« nur noch als »kalkulierte Wahrscheinlichkeit« in Betracht kommt. 6 3 Dieser Aspekt betrifft auch die Wissenskomponente der Kommunikation. Für von Computersystemen bereitgestellte Informationen, etwa eines Expertensystems, läßt sich feststellen, daß diese »perspektivenneutral, wertfrei, von subjektiver Bedeutsamkeit entschlackt« 64 sind. Der Interpretationsaufwand sinkt, der für Abstimmung subjektiver Perspektiven zur Verständigung in Alltagskommunikation charakteristisch ist. Die Maschine suggeriert autonome Bedingungen der Datenerhebung, des Vergleichs und der Korrektur von Informationen, was den Nutzer von Verantwortungs- und Begründungsverpflichtungen entlasten kann. Es wird schwieriger, die Plausibilität und Korrektheit der vom Computer gelieferten Daten nach menschlichen Maßstäben und Urteilen abzuschätzen. Die Formalisierungserfordernisse sind in bezug auf die verschiedenen Kommunikationsformen unterschiedlich. Sie haben vor allem Bedeutung für die Datenkommunikation. Sie ist weniger relevant bei Nachrichten, die nicht als Daten, sondern in Form von Texten, Bildern und Sprache übertragen werden und die einer maschinellen Verarbeitung hinsichtlich ihres semantischen und pragmatischen Aspekts nicht zugeführt werden. Auch hier steigen aber die Formalisierungserfor-
Vgl Januschek, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 123, 124. Zum Ursprung des von gegenteiligen Annahmen ausgehenden »formorientierten Sprachbegriffs« aus der gesellschaftlichen Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, der Entwicklung der Schrift und der Entfaltung der Warenwirtschaft vgl .Januschek, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 123, 129. 63 Januschek, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 123, 128. Zur geistesgeschichtlichen Entwicklung zunehmender Abstraktion hin zur Information als »Nachricht von der Eigenschaft von Dingen« als Grundlage für die »synthetische Herstellung von Realität« durch Informationstechnologien vgl. Musto, in: Borbé (Hrsg.), Mikroelektronik, S. 109, 113 £f. 64 Vgl. Böhm/Wehner, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S. 150, 162. 61
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
dernisse mit der zunehmenden Integration der Datenverarbeitung mit den verschiedenen Formen der Kommunikation, 6 5 der Digitalisierung und Computersteuerung von Netzen und Diensten und der zunehmenden Bedeutung von Kommunikationsdiensten. 66 Allgemein kann man den Prozeß der Dekontextualisierung bei Informationsdienstleistungen in Netzwerken anhand von vier Kategorien kennzeichnen. 67 Dislozierung bezeichnet die Trennung von Informationsobjekt und Ort und der Nutzung. Nicht-Authentizität bezeichnet die häufig unklare Herkunft der Objekte. Virtualisierung bezeichnet das Zusammensetzen eines Informationsobjekts aus Teilobjekten und das anschließende Wiederauflösen. Nicht-Exklusivität bezeichnet die Eigenschaft von Information, durch Gebrauch nicht abzunutzen und gleichzeitig vielfach nutzbar zu sein. Im Informationsbereich werden allgemein für technische Systeme geltende Folgen der Auflösung eines Kontextes der Unmittelbarkeit für die zugrundeliegenden sozialen Beziehungen noch verschärft wirksam. 6 8 Dies hat Konsequenzen für die Funktion des Rechts, die im Rahmen des Wertungsgesichtspunkts »Vertrauen« zu untersuchen sind. Aus der mit der Digitalisierung verbundenen »Dekontextualisierung« bei der »Verwandlung« von Informationen in Daten ergibt sich, daß für deren »Rekontextualisierung«, also die Rückverwandlung von Daten in Informationen, »stabile, intersubjektiv geteilte Interpretationsregeln entwickelt werden, in deren Rahmen die technisch gespeicherten und errechneten Daten erst >sinnvoll< interpretierbar sind«. 69 Die bei persönlicher Kommunikation noch mögliche »Aushandlung« von Bedeutung, die wechselseitige Uberprüfung des Verstehens, wird ersetzt durch einen »gemeinsam geteilten Interpretationsrahmen«, der formalisierten und mediatisierten Kommunikationsbeziehungen, den in Algorithmen und Datenstrukturen durch die Systementwickler »eingefrorenen« Bedeutungen und Verhaltensprämissen, 70 erst »Sinn« verleiht, andererseits aber auch »Mehrdeutigkeiten« in »Eindeutigkeiten« verwandelt. 71 Diese Funktion übernehmen Standards der Vgl. Syring, Wirtschaftsinformatik 1992, S.201, 203ff. Vgl. Welter, Technisierung von Information und Kommunikation in Organisationen, S. 41, der zudem darauf hinweist, daß es sich auch bei Videokonferenzen und Bildtelefon um gerichtete und geplante Kommunikation über entsprechende Endgeräte handelt, die nicht einen ganzheitlichen Kommunikationsprozeß ersetzen kann, a.a.O., S.45. 67 Vgl. Kuhlen, Die Konsequenzen von Informationsassistenten, Frankfurt/Main 1999, S. 295f. 68 Vgl. Kuhlen, Die Konsequenzen von Informationsassistenten, S.90, unter Bezugnahme auf Giddens, Die Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/Main 1995, S. 33 ff. 69 Heidenreich, Informatisierung und Kultur, Opladen 1995, S. 47. 70 Heidenreich, Informatisierung und Kultur, S. 62. 71 Vgl. auch Heidenreich, Informatisierung und Kultur, 61: »Formalisierte Strategien der Informationsverarbeitung sind dadurch gekennzeichnet, daß die Art der relevanten Daten und der Umgang im ihnen situationsunabhängig festgelegt werden; eine Formalisierung bedeutet immer eine Standardisierung von Wahrnehmungsweisen und eine Routinisierung von Problemlösungsstrategien«, der aber im Hinblick auf die Rekontextualisierung die Notwendigkeit nichtformalisierter und -mediatisierter Kommunikation betont. 65
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§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
353
Marktsprache und der Sicherheit, wobei diese Standards technischer Natur sind und insoweit auf einem anderen Entstehungsprozeß beruhen. Für die Auslegung ließe sich aus der Verwendung einer formalisierten Marktsprache folgern, daß die bei direkter Kommunikation zu berücksichtigenden situationsbedingten Faktoren in ihrer Bedeutung zurücktreten gegenüber den Konventionen, die darüber hinaus die Festlegung der Bedeutung auch eindeutiger erlauben als umgangssprachliche Konventionen. Mit dieser Berücksichtigung der Formalisierung der verwendeten Sprache würde man jedoch übersehen, daß die formalisierte Marktsprache zur automatischen Verarbeitung bestimmt ist und sich damit sozusagen an die Maschine »richtet«. Damit stellt sich die Frage, wie diese Tatsache für die juristische Auslegung zu behandeln ist. Zum anderen rückt aber der Verbundcharakter von Kommunikationsnetzwerken in den Mittelpunkt. Dies bedeutet zum einen eine Verrechtlichung von Kommunikationsregeln in dem Sinne, daß soziale Normen durch technische Normen ersetzt oder ergänzt werden. 72 So muß in Kommunikationsnetzen die Kompatibilität durch Verwendung einheitlicher Protokolle und technischer Standards gesichert werden. Der Einsatz elektronischer Unterschriften muß durch Standards und rechtliche Vorschriften abgesichert werden. Zugleich bedeutet Vernetzung eine Zunahme von Dezentralisierung. Bei der automatischen, »bruchlosen« innerbetrieblichen Weiterverarbeitung werden darüber hinaus durch den Computer des Absenders automatisch innerbetriebliche Vorgänge beim Empfänger ausgelöst. Damit aber erhält die übermittelte Information eine erweiterte Funktion, da sie nicht nur der Übermittlung von Intentionen des Absenders an den Empfänger dient, der dann über seine Reaktion entscheiden muß, sondern sie diese pragmatischen Vorgänge selbst auslöst, ohne daß eine weitere Entscheidung eines menschlichen Empfängers zwischengeschaltet ist. Damit geht diese technische Kommunikationsform in Reichweite und Funktion weit über das herkömmliche Konzept der Willenserklärung hinaus, das sich wesentlich an sprachlichem Handeln orientierte. Sind Absender und Empfänger damit Teilnehmer an einem technischen Kommunikationsnetz, so stellt sich die Frage, ob und wie Verantwortung zugeteilt werden kann und ob dies im Rahmen des herkömmlichen Konzepts der Willenserklärung durchgeführt werden kann. c) Reflexivität
und
Reziprozität
Sieht man Kommunikation als Interaktion von sprach- und handlungsfähigen Subjekten, die eine Verständigung über relevante Geltungsansprüche, über Situationsinterpretationen und ihre Handlungskoordinierung zu erreichen suchen, 73 so wird neben den vorbestehenden Konventionen die Bedeutung von Aushandlung Vgl. auch Weingarten, Die Konstruktion von Sprache im technischen Medium, S. 276ff. Vgl. Weingarten, in: R. Weingarten/R. Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S.57, 63 unter Bezug auf Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, S. 126. 72
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
in der Kommunikationssituation deutlich, 74 die eng mit den hier zugrundegelegten pragmatischen Aspekten von Reziprozität und Reflexivität verbunden sind. Im Sinne von Maaß u.a. ist hier die Absicherung von Partnerbildern als Voraussetzung von Verstehen betroffen. Vor allem die dargestellte Technisierung der Situationsbezüge hat eine graduell unterschiedliche Aufhebung der Aushandlungsmöglichkeiten zur Folge, die Auswirkungen auf Reziprozität, Reflexivität und Symmetrie haben. Das Zusammentreffen der Auflösung von zeitlicher, räumlicher und personaler Unmittelbarkeit und der Grad an Formalisierung lassen computergestützte Kommunikation in dieser Hinsicht von anderer Qualität erscheinen als etwa Technisierung durch Schrift oder auch durch Telefon. Es entfallen für die Beziehungsebene konstitutive Wahrnehmungskanäle, die nur teilweise ersetzbar sind. 75 Damit ist Reflexivität als Bestandteil von Kommunikation gefährdet. 76 Die Bedeutung von situationsbedingten Umständen nimmt ab. Vor allem die Möglichkeit, situative Umstände als Strukturhilfe zur Sicherung der Reflexivität heranzuziehen, nimmt ab. Es erfolgt eine »Substitution alltagssprachlicher Handlungskoordination durch mediengesteuerte Interaktionen«. 77 Dies legt den Schluß nahe, daß entweder andere Strukturhilfen zur Kompensation herangezogen werden müssen, oder die Störungen rechtlich zu kompensieren sind. Die Verkürzung des analogen Kommunikationsbestandteils erhöht die Störanfälligkeit von Kooperationsprozessen, da das den Inhaltsaspekt ergänzende beziehungsrelevante Element nicht ausreichend wirksam wird und damit auch die Erwartungen an den Partner nur unzureichend verdeutlicht werden können. 78 Auch das Axiom von der Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, gilt unter den Bedingungen computergestützter Kommunikation nicht in gleicher Weise. 79 Die möglichen Störungen bedingen gesteigerte Anforderungen an die Handlungskoordination. Mag auch bei computergestützter Kommunikation grundsätzlich das Bezogensein auf den vorgestellten Partner und ein Antizipieren der wechselseitigen HandVgl. dazu Schmale, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 9, 10. Vgl. auch die Media-Richness-Theorie, erläutert bei Pribilla/Reichwald/Goeke, Telekommunikation im Management, Stuttgart 1996, S. 21. Differenziert Döring, Sozialpsychologie des Internet, S.209ff. 76 Vgl. auch Paetau in: Paetau/Pieper, GMD-Arbeitspapier Nr. 144, St.Augustin 1985, S.27, 46ff. 77 Vgl. Böhm/Wehner, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation, S. 150,160. 78 Vgl. Paetau/Pieper, in: Paetau/Pieper, GMD-Arbeitspapier Nr. 144, St.Augustin 1985, S. 56, 76ff., die darüber hinaus auch auf Störungen in der Akzentuierung von Kommunikationssequenzen (»Interpunktion von Ereignisfolgen«) abstellen, die für die Beziehungskonstitution in der Kommunikation von Bedeutung sind. Die Partner gehen dabei fälschlicherweise von identischen Wahrnehmungsgrundlagen in der Situationsdeutung aus, die dann auch verhaltensrelevant werden. Eine verkürzte Analogiekommunikation kann darüber hinaus auch zu Störungen im Prozeß der Ausbildung symmetrischer bzw. komplementärer Beziehungen führen. 79 Vgl. Paetau/Pieper, in: Paetau/Pieper, GMD-Arbeitspapier Nr. 144, St.Augustin 1985, S.56, 83, was aber für die Koordination positive Auswirkungen haben kann. 74 75
§10 Technisierung und
Kommunikationsmodell
355
hingen möglich sein, so werden diese Kommunikationselemente durch den »Filter« der Formalisierung bei E n - und Decodierung sowie Übermittlung beeinträchtigt. D e m Kommunizierenden steht nicht wie bei natürlicher Sprache, auch in Schriftform, deren Vielfalt zur Verfügung, sondern er muß sich einer mehr oder weniger formalisierten Sprache mit unterschiedlichem Grad an Standardisierung bedienen. D i e Bildung von Konventionen wird aus der Situation und kommunikativen Beziehung herausgelöst und auf vollzieht sich zunehmend in F o r m von technischen Standards, die auch vorab erfolgen kann. Dies gilt grundsätzlich auch für neue computererzeugte Kommunikationsräume, kommunikative »Umgebungen«. 8 0 Es entstehen neue künstlich erzeugte Situationen und Kontexte, die als Ausdrucksform für Intentionen dienen und deren Eigenschaften bei der Betrachtung der Kommunikation zu berücksichtigen sind. Hier entstehen zwar neue Ausdrucksformen, die aber nicht die Bandbreite einer face-to-face-Interaktion erreichen. 8 1 Daran ändert auch nichts, daß elektronische K o m m u n i k a t i o n zu einem unterschiedlichen Grad Interaktivität ermöglicht. 8 2 Reflexivität ist technisch mediatisiert und nur eingeschränkt möglich. Dies ist auch durch technisch vermittelte »Interaktivität« nicht vollständig wettzumachen. E s ist nicht immer klar, ob man mit einem menschlichen Kommunikationspartner oder einem
Computerpro-
gramm »kommuniziert«. Es ist nicht erkennbar, o b etwa der Partner in einem C h a t - R a u m gleichzeitig mit einem anderen kommuniziert. D e r Einblick in die Kommunikationssituation des Partners bleibt eingeschränkt. D i e Identität des Partners ist nicht verifizierbar. K o m m u n i k a t i o n im N e t z bietet die Möglichkeit, anonym oder unter Pseudonym zu handeln oder über einen elektronischen Agenten ein virtuelles Abbild oder eine virtuelle Repräsentation zu schaffen, die jedoch die Vermitteltheit bezüglich des realen Kommunikationspartners erhöht. 8 3 D i e am Anderen orientierte Identitätsbildung ist nicht in gleicher Weise möglich, man bleibt auf die eigenen Erfahrungen zurückgeworfen oder entwickelt in der Interaktion in virtuellen Räumen ein durch deren Eigenschaften bedingtes neues K o n zept von Identität und »Person«. Inwieweit die Computerisierung sich auf die Symmetrie der beiderseitigen Kommunikation auswirkt, dazu lassen sich bei M e n s c h - M a s c h i n e - M e n s c h - K o m munikation keine generellen Aussagen treffen. Unerfahrenheit im Umgang mit 80 Vgl. Krotz, Kommunikation in den Datennetzen aus der Perspektive der Nutzer, in: Beck/ Vowe (Hrsg.), S.115f. 81 Vgl. Krotz, in: Beck/Vowe (Hrsg.), Computernetze - ein Medium öffentlicher Kommunikation?, S. 105, 121 ff. Uber neue Entwicklungen berichten Bullinger/Rathke/Ziegler, in: Reichwald/Lang, Anwenderfreundliche Kommunikationssysteme, Heidelberg 2000, S. 25ff. Vgl. ferner Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 222, mit Verweis auf Konzeptionen »elektronischer Nähe«. 82 Vgl. L. Goertz, Rundfunk und Fernsehen 1995, S.477ff., 480 auch zum Zusammenhang von Interaktivität und Reflexivität;/.B. Walther, 19 Communication Research 52ff. (1992). 83 Vgl. zum folgenden Krotz, in: Beck /Vowe (Hrsg.), Computernetze - ein Medium öffentlicher Kommunikation?, S. 105, 124 : »Körper und Kommunikation entkoppeln sich«.
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
den neuen Medien erzeugt zunächst ein Informationsungleichgewicht zwischen den Partnern. Bei webbasiertem ECommerce kann man eine »technische Asymmetrie« feststellen, die sich auch auf die oberen Schichten des Kommunikationsmodells in Form des Schichtenmodells auswirken kann. So kann etwa die Client/ Server-Architektur in technischer Hinsicht als asymmetrische Kommunikation anzusehen sein - der Anbieter beherrscht die Regeln. Er definiert die Online-Formulare, die der Nutzer nur noch mit einem Mausklick ausfüllen kann. Dadurch können bereits bestehende Ungleichgewichte, etwa bei Verbraucherverträgen, verstärkt werden. Andererseits bietet der Einsatz elektronischer Agenten das Potential, durch Mobilität bedingte asynchrone Kommunikation auch für den Einsetzenden vorteilhaft zu nutzen. 84 Nicht-Interaktivität der Kommunikation hatte bereits vor der computergestützten Automatisierung Folgen in Form größerer Störanfälligkeit beim Transfer von Selektionsleistungen und deren Aktualisierung. 85 Merten weist darauf hin, daß bei sprachlicher Kommunikation eine Absicherung der »sozialen« Wiedergabetreue durch verstärkt angeforderte Vertrauensleistungen erfolgte, vor allem als Absicherung der Glaubwürdigkeit von Aussagen durch Meta-Aussagen wie Hoheitszeichen, Eide, Siegel, denen Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird. 86 Bei Schrift treten weitere Vertrauensleistungen hinzu, wie Briefköpfe, Stempel etc. Die technische Mediatisierung der Kommunikation bedeutet, daß nicht mehr so sehr »soziales« Rauschen zu Störungen führt, sondern die technischen Veränderungen der Information entsprechende Vertrauensleistungen erforderlich machen, die der veränderten Kommunikation entsprechen. d) Dialogmetapher
und kultureller
Aspekt
Durch die zunehmende Bedeutung technischer Aspekte darf nicht die MenschMaschine-Schnittstelle und die kulturelle Komponente ausgeblendet werden. In diesem Bereich hat sich ergeben, daß bei der Deutung und Erschließung der neuen Technologien durch die Benutzer eine metaphorische Übertragung von Kommunikationskonzepten erfolgt. 87 Dies beinhaltet die Gefahr, daß sie zu einem falschen Verständnis der tatsächlichen Prozesse und Strukturen und falschen Erwartungen der Benutzer führen. Die Verwendung von Programmiersprachen« beinhaltet eine instrumenteile Verwendung von Sprache in bezug auf eine Maschine als O b -
Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.27. Merten, Kommunikation, eine Begriffs- und Prozeßanalyse, S. 139, bezeichnet dies als »soziales Rauschen«. 86 Merten, Kommunikation, eine Begriffs- und Prozeßanalyse, S. 139, bezeichnet es als »paradox«, daß hier eine Absicherung nicht durch die Begrenzung von Vertrauen auf ein bestimmtes Maß erfolgt. 87 Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 86ff.; U. Schmitz, Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 159, 162ff. Vgl. ferner Ein Beispiel technisierter Kommunikation, in: Weingarten/Fiehler (Hrsg.), Technisierte Kommunikation, S. 179ff., sowie die sich anschließenden Kommentare. 84 85
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
357
jekt, also nicht-soziales Handeln. Damit verbunden ist eine weitere Ausdifferenzierung des Sprachbegriffs in formale und natürliche Sprache, wobei letztere schriftliche und mündliche Sprache enthält. 88 Beide Sprachtypen werden als einer gemeinsamen Klasse angehörig angesehen. Mit »natürlichsprachlichen Systemen« wird das Konzept von Natürlichkeit umdefiniert, und bei »technischer Kommunikation« zwischen Maschinen wird eine Verwendung von Sprache unabhängig von menschlichem Handeln angenommen. Die Dialogmetapher suggeriert wechselseitige Kommunikation, ein zu sprachlichen Handlungen und Problemlösungen fähiger Agent bzw. »persönlicher Handlungsbevollmächtigter« wird simuliert, w o es letztlich um einseitige Anpassung des Benutzers an die Vorgaben des Programms geht. Weingarten wirft hier auch die Frage nach den Rückwirkungen auf Konzepte von Handlung, Willen, Kontrolle und Verantwortlichkeit auf, die bisher allein mit menschlichen Akteuren verbunden sind. 89 Insofern könnte sich ein allmählicher Wandel des Sprachbewußtseins und eine Anpassung der subjektiven Theorien über Sprache an die Maschine ergeben. 90 Jedenfalls werden wichtige gesellschaftliche Aufgaben technisch-kommunikativ abgewickelt werden. Tendenziell ergibt sich damit eine Reduktion der kommunikativ-sozialen Funktion von Sprache und eine Verarmung der sprachlichen Ausdrucksformen. Wegen des Zusammenhangs von Sprache und Bewußtsein erfolgen Veränderungen der Wahrnehmungs-, Denk- und Verständigungsformen: »Der Mensch beginnt über sich selbst und andere in Begriffen zu denken, die ursprünglich nur Eigenschaften und Funktionen der Maschine bezeichneten«. 91 Es ergeben sich also »kulturelle Brüche«. Früheres vertragsrelevantes Verhalten entsprach kulturell verfestigten Konventionen und wurde kaum ohne entsprechende Absicht durchgeführt, zumindest konnte man diese unterstellen; diese kulturelle Konventionalität besteht für elektronische Kommunikationshandlungen noch nicht und muß erst aufgebaut, bzw. rechtlich abgesichert werden 2. Kommunikationsmodell und C o m p u t e r u n t e r s t ü t z u n g Die technischen und medialen Aspekte der Kommunikation erlangen bei der Computerunterstützung eine immer größere Bedeutung und verringern die Gestaltungs- und Steuerungsmöglichkeiten der jeweiligen Partner. Bedeutung kann Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 92. Vgl. Weingarten, Die Verkabelung der Sprache, S. 113. Als eine Ursache der Analogiebildung führt Weingarten die auf Chomsky zurückgehende Theorie der Sprache als vom Handlungskontext unabhängiges, strenges Regelwerk an, vgl. a.a.O., S. 124. 90 Vgl. auch G. Johnson, Kursbuch 75, Berlin 1984, S.38, 49ff., der auch auf Untersuchungen zurückgreift, wonach Menschen in natursprachlicher Kommunikation mit dem Rechner deutlich weniger Fehler machen als in telekommunikativer Kommunikation zwischen Menschen, was er mit »Uberanpassung« erklärt. 91 Vgl. Turkle, S., Die Wunschmaschine, Vom Entstehen der Computerkultur, Reinbek 1984, S. 14. 88
89
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4. Kapitel: Risikostrukturierung und
Kommunikationsmodell
in diesen Fällen nicht ausgehandelt werden, sondern ist standardisiert und teilweise auch technisch implementiert vorgegeben. Das bedeutet nicht, daß das zugrundegelegte Kommunikationsmodell bis hin zum Intentionsabgleich als höchster Stufe für computergestützte Kommunikation keine Gültigkeit mehr haben kann. A b e r deren Eigenschaften führen zu Veränderungen auf den einzelnen Stufen der Kommunikation. a)
Phasenmodell
Betrachtet man das oben dargestellte Kommunikationsmodell in der F o r m des Phasenmodells von Wersig, so betrifft die Computerunterstützung alle Phasen des Kommunikationsprozesses. 9 2 Dies wird besonders deutlich bei der weitestgehenden F o r m der Computerunterstützung, der » K o m m u n i k a t i o n « zwischen Maschinen. H i e r wird der gesamte Kommunikationsprozeß automatisch durchgeführt, einschließlich der als Daten gespeicherten internen Modelle, bis hin zur Auslösung von Operationen des Empfängercomputers. Weniger weit gehende F o r m e n der Computerunterstützung erfassen nicht alle Phasen des Kommunikationsprozesses. Bei der Übermittlung von Texten und Graphiken mittels Telefax handelt es sich um die nachrichtentechnische Ü b e r m i t t lung von Festbildern. Die Bildvorlage wird abgetastet und Punkt für Punkt übertragen. Hier betrifft die Computerunterstützung nur die reine Übermittlungsphase einschließlich der Sende- und Empfangsphase, während Zeichenproduktion und Zeichenformerkennung durch Sender und Empfänger erfolgen. Ähnlich wie das Telefon ist das Faxgerät ein Kommunikationsmittler, der einen Wechsel in der Signalform (Zeichenkörper) - Kodierung Bildpunkte in elektrische Impulse - bewirkt. 9 3 A u f Empfängerseite beinhaltet das Faxgerät die Perzeption von Signalen und deren Umwandlung, es findet keine symbolische Interpretation als ZeichenPerzeption statt. A u c h ein Bezug der Signale auf Perzeptionsobjekte als D a t e n Perzeption wird v o m Empfangsgerät nicht durchgeführt. 9 4 Betrachtet man die Veränderungen aus Sicht des Schichtenmodells, so bleiben diese auf der Signalebene und betreffen damit lediglich die erste und zweite E b e n e des Schichtenmodells. b)
Schichtenmodell
Analysiert man die Kommunikation auf elektronischen Märkten mit Hilfe des Schichtenmodells, so lassen sich die unteren sechs Schichten des O S I - R e f e r e n z modells den syntaktischen E b e n e n zuordnen, also bis E b e n e fünf des Wersig92 Vgl. auch das Kommunikationsmodell bei Kilian, in: Kilian/Heussen, ComputerrechtsHandbuch, Kap. 20, Rdnr. 1-3, in dem die Auswirkungen der Automatisierung schematisch angedeutet sind und das als Basis für weitere Differenzierungen im Hinblick auf Phasen- und Schichtenmodell dienen kann. 93 Vgl. Wersig, Information - Kommunikation - Dokumentation, S. 102f. Es handelt sich dabei um einen Signalmittler, der nicht die Transmission von Bedeutungsgehalten beinhaltet. 94 Vgl. Wersig, Information - Kommunikation - Dokumentation, S. 90.
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
359
Schichtenmodells ansiedeln. Die erste, physikalische Schicht, dient der physischen Verbindung. Die Schichten zwei bis sechs bezeichnen die effektivierende Technologie, und diese lassen sich als »Systemschicht« bezeichnen. 95 Der semantische Aspekt von Schicht sechs des Wersig-Modells läßt sich der Anwendungsschicht sieben des OSI-Modells sowie der darauf aufliegenden Marktapplikation zuordnen, während die Schicht sieben und darüberliegende Schichten (pragmatischer Aspekt), also Intentionsabgleich und Handlungskoordinierung, der Mensch-Maschine-Schnittstelle bzw. der direkt verbundenen betrieblichen Applikation zuzuordnen ist. Das Schichtenmodell im Sinne von Wersig erlaubt es, Art und Umfang der Technisierung der Kommunikation näher zu bestimmen. So erscheinen etwa Veränderungen im rein technischen Bereich, die sich den Schichten eins bis sechs zuordnen lassen, zunächst ohne Einfluß auf das Problem der Verständigung in semantischer und pragmatischer Hinsicht, sondern betreffen nur das Risiko rein technischer Störungen. Was den semantischen Aspekt betrifft, so sind die Veränderungen durch eine Formalisierung gekennzeichnet, die durch die automatisierte Verarbeitung bedingt ist und die die elektronische Kommunikation von früheren Technisierungsgraden wie Schrift und Telefon unterscheidet. Im Hinblick auf die zuvor erörterten Merkmale der computergestützten Kommunikation lassen sich im Hinblick auf den Automatisierungsgrad grundsätzlich zwei Kategorien elektronischer Kommunikation unterscheiden. Diese Unterscheidung bildet die Grundlage für die Typologie elektronischer Willenserklärungen und die Differenzierung in »computergestützte« und »automatisierte« Willenserklärung. 96 Soweit die übertragenen Daten zur Wahrnehmbarmachung für den Menschen bestimmt sind, wirken sich die Veränderungen der Kommunikation vor allem an der Mensch-Maschine-Schnittstelle und den mit der entsprechenden »Kommunikation« verbundenen Problemen aus. Da Verständnis und Verarbeitung der übertragenen Informationen hier aber durch den menschlichen Bediener erfolgen und dieser die eventuell beabsichtigten weiteren Schritte einleitet, etwa eine Bestellung beantwortet und bearbeitet, sind der semantische und pragmatische Aspekt der Kommunikation nicht automatisiert. Zwar hat die digitale Datenübertragung aufgrund der EDV-mäßigen Verarbeitungsmöglichkeiten eine andere Qualität als eine solche in analoger Form, etwa beim Telefon. Aber bei Fax, E-Mail und Übertragung von Multimediadokumenten bedeutet die elektronische Übermittlung grundsätzlich keine Operation auf semantischer Ebene. Vielmehr soll auf der Basis technischer Standardisierung die entsprechende Information beim Empfänger in einer Form dargestellt werden, die die gleiche Bedeutung hat wie für den Absender. 95 Vgl. Haie/Hurd./.Kasper, 21 IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics 555,558 (1991), unter Bezugnahme auf das Targowski/Bowman-Modell, vgl. Targowski/Bowman, 25 The Journal of Business Communication vol. 1, S. 5, 16 (1988). 96 Siehe oben §6 VI.
360
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Daß dies aufgrund des Dazwischentretens eines technischen Mediums nicht immer gewährleistet ist, wird deutlich etwa bei Hypertext-Dokumenten, die ja eine Auflösung der sequentiellen Ordnung eines sprachlichen Textes beinhalten, also einen »mehrdimensionalen« Text darstellen. 97 Dessen Struktur bedeutet eine Vergrößerung der Differenz von Meinen und Verstehen, wie sie im Hinblick auf die Dekontextualisierung auch bei Datenbanken vorliegt. Diese Differenz hat auch eine technische Variante. So ist die Darstellung eines H T M L - D o k u m e n t s abhängig vom jeweiligen Browser sowie dessen Einstellungen, und sogar bei einfachen Textdateien kann die Verwendung unterschiedlicher Programmversionen auf verschiedenen Betriebssystemen zu unterschiedlichen Bildschirmanzeigen führen. 98 Die Differenz zwischen Meinen und Verstehen besteht aufgrund des Charakters des Kommunikationsprozesses auch bei direkter menschlicher Kommunikation, worauf bereits Schütz mit dem Verweis auf »subjektiven Sinn« und »okkasionelle Bedeutung« hingewiesen hat. 99 Bei dieser allerdings kommen der »Beziehungs-Kanal« der Kommunikation sowie Situation und Kontext als zusätzliche und reflexive Komponenten des Verständigungsprozesses hinzu. Deren Wegfall oder Zurücktreten muß kompensiert werden. 100 Mit der Verlagerung für das Verständnis bedeutsamer Umstände allein auf sprachliche Kommunikation wächst auch die Verantwortung des Sprechers, was sich rechtlich in der Auferlegung des Erklärungsrisikos ausdrückt. Allerdings scheint die technische Entwicklung hier auch in die andere Richtung zu wirken. Mit zunehmender Interaktivität und der Erschließung neuer Kommunikationskanäle auch für die elektronische Übertragung, z.B. durch Multimedia, wächst die Vielfalt der Ausdrucksformen und wird die Beziehungsebene auch für elektronische Kommunikation wieder »erschlossen«, so daß insoweit auch der begrenzende Einfluß der elektronischen Übertragung auf die Verständigung wieder abnimmt. Die neuen computererzeugten Kommunikationsräume ermöglichen neue Ausdrucksformen in künstlich erzeugten Situationen und Kontexten. 1 0 1 Die dabei aber nur eingeschränkte Reflexivität erschwert aber weiterhin die E r fassung des Partners und der Situation. Anonymes Handeln oder die Möglichkeit neuer virtueller Identitäten schaffen Unsicherheiten. 1 0 2 Es bleibt der Faktor der
97 Esposito, Z.f Soziologie, Jg. 22, Heft 5,1993, S. 338,353. Vgl. auch Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 233ff., wonach »Hypertextualisierung« neben erhöhter Transportgeschwindigkeit und vollständiger Dokumentation Kennzeichen der Digitalisierung sind. 98 Vgl. Fox, D u D 1998, S. 386. Danach ist es möglich, daß ein Text von Winword anders dargestellt wird als von der Word-Version für den Apple Macintosh. Vgl. auch Bizer in: Kröger/Gimmy, Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl., S. 37, 47 99 A. Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, S. 174. 100 Zur Kompensation vgl. Döring, Sozialpsychologie des Internet, S.226ff. 101 Vgl. auch Döring, Sozialpsychologie des Internet, S. 243 ff., die versucht, die verschiedenen theoretischen Modell der Internetkommunikation in einem »medienökologischen Rahmenmodell« zu erfassen; zur »These vom Beziehungsverlust« durch computervermittelte Kommunikation differenziert dies., a.a.O., S.330ff. 102 Zu »Hyperpräsenz« vgl. Döring, Sozialpsychologie des Internet, S.228ff. Im Mittelpunkt
510 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
361
technischen Mediatisierung mit der in den Kommunikationsprozeß »eingebauten« Datenverarbeitung strukturell bestehen. Auch hier wird deutlich, daß für die Verständigung notwendiges personales und symbolisch ergänztes Vertrauen durch Vertrauen in Technik ergänzt oder ersetzt werden muß und Recht dabei eine unterstützende Rolle zu spielen hat. 103 Grundlegend von der zur Wahrnehmung durch einen Menschen bestimmten computergestützten Kommunikation zu unterscheiden ist der Fall, daß betriebliche Applikationen direkt mit dem elektronischen Markt verbunden sind. Hier werden semantische und pragmatische Ebene teilweise automatisiert. 104 Die Initiierung der Kommunikation und die bruchlose Weiterverarbeitung mit automatischer Auslösung der inhaltlich bezweckten Reaktion des Empfängers bedeutet, daß auch der Handlungsaspekt der Kommunikation von der Automatisierung erfaßt wird. Was bei der face-to-face-Kommunikation durch natürlich-sprachliche oder außersprachliche symbolische Handlungen beim Empfänger der Nachricht an Reaktion ausgelöst wird und als Perlokution nicht konventionell ist, wird hier automatisch aufgrund der Vernetzung durch die verarbeitende innerbetriebliche Applikation technisch ausgelöst. Diese Automatisierung des pragmatischen Aspekts betrifft - aus der Perspektive des Vertragsrechts - nicht nur die schuldrechtliche Ebene, also etwa die Abgabe/Annahme eines Vertragsangebots, sondern derselbe technische Vorgang kann auch die Erfüllungshandlung beinhalten, also etwa die Auslösung der Lieferung von bestellten Objekten, etwa in der Justin-Time-Produktion. Der illokutionäre und perlokutionäre Akt werden also automatisiert. Hätte man oben eine pragmatisch erweiterte Handlungslehre für das Konzept der Willenserklärung zugrunde gelegt, 105 so wäre es unproblematisch möglich, die damit erfaßten, durch sprachliche Äußerungen ausgelösten Verpflichtungen und weiteren Reaktionen als Teil sozialen Handelns nunmehr als durch technische Verfahren ersetzt anzusehen und diese technische Operationen in gleicher Weise als neue Handlungsform, als soziale Fakten, vorauszusetzen und zu übernehmen. Dies verkennt aber, wie bereits oben ausgeführt, das Verhältnis von Kommunikation und rechtlicher Bindung. Computerkommunikation kann die beiden oberen Ebenen des Schichtenmodells aber nicht vollständig erfassen. Der Computereinsatz wirkt sich zwar auf der semantischen und pragmatischen Ebene aus, der Computer als datenverarbeitendes Medium ist aber ein rein syntaktisches Gerät. Zemanek faßt dies so zusammen: der Untersuchung von Döring steht der Einfluß der Internetkommunikation auf die Herausbildung von Identitäten, vgl. a.a.O., S.265ff. 103 Siehe oben §8. 104 Vgl. auch Müller-Berg (Hrsg.), EDI-Knigge, Berlin/Heidelberg/New York 1995, S. 18, wonach der Hauptunterschied zu E-Mail und Telefax darin liegt, daß bei EDI »strukturierte Informationen ... automatisch inhaltlich interpretiert werden können« und »für die Weiterverarbeitung im Computer direkt verfügbar« sind. Allgemein zur Entwicklung »pragmatischer Informationsmaschinen« Kuhlen, Die Konsequenzen von Informationsassistenten, S. 140ff. 105 S.o.§9 II.2.b).
362
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
»Der Computer ist ein syntaktisches Gerät, und zwar ist er dies kompromißlos und ausschließlich - aus seiner logischen Natur heraus. Alle seine Informationsverarbeitungsmethoden sind rein syntaktischer Natur, die Computersemantik beschränkt sich auf die Exekution von Maschinenbefehlen ..., aber es fehlen die begleitende Bildvorstellung und die Kontrollfunktion des Bewußtseins. Wo immer eine Beziehung zur wirklichen Welt hergestellt werden muß, ist ein Modell syntaktischen Charakters erforderlich, in welchem der Computer mit reiner Zeichenmanipulation auskommt. Denn er kann nichts anderes«. 106 Am Anfang und Ende der Informationsverarbeitung ist danach immer der menschliche Geist beteiligt, »ein Phänomen höherer Ordnung als die Phänomene der Mathematik und der Naturwissenschaften«. 107 Vor allem in der Forschung zur »künstlichen Intelligenz« wird vorgebracht, daß es sich bei der Annahme einer eigenen Semantik der Maschine um eine unzulässige logische Grenzüberschreitung handele, da bereits das Konzept der »Repräsentation« eine menschliche Interpretation darstelle. 108 Dies wird auch bezeichnet als die »Blindheit« des Kl-Ingenieurs: »Wenn der Kl-Ingenieur sich dessen bewußt wäre, daß der Weltbezug der Maschine immer nur ein geborgter ist, dann könnte diese uns in unserem In-der-Welt-sein unterstützen (uns als Werkzeug dienen), ohne es ersetzen zu wollen«. 1 0 9 Das Computersystem reagiert zwar auf semantischer Ebene, aber die Semantik einer symbolverarbeitenden Maschine ist nur eine »geborgte«. 110 Die bisherige Forschung zur »Künstlichen Intelligenz« hat deutlich gemacht, daß zumindest die Vorgabe von Zielen und Werten für künstliche Systeme dem Menschen vorbehalten bleibt. Aber auch die Bedeutungsebene ist keine eigenstän106 Zemanek, in: Folberth/Hackl, Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft, München 1986, S. 17, 40. G. Johnson, Kursbuch 75, S.38, 46, faßt prägnant zusammen: »Man könnte die Geschichte der Artificial Intelligence auch als die Geschichte des Scheiterns an der Kontextualität schreiben«. 107 Zemanek, in: Folberth/Hackl, Der Informationsbegriff in Technik und Wissenschaft, S. 17, 42. Die grundsätzliche Kritik von Dreyfus an der »KI« geht dahin, daß menschliche Intelligenz immer in praktischen Handlungszusammenhängen eingebunden ist und daß menschliches Verhalten nicht vollständig auf kontextfreie formale Regeln rückführbar ist, vgl. Dreyfus, Die Grenzen künstlicher Intelligenz. Was Computer nicht können, Königstein/Ts. 1985, S. 151. Zur Programmiersprache LISP vgl. Switalla, in: Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S. 165, 202. ms Vgl. Leidlmair, in: Käser/ Wallmansberger (Hrsg.), Recht, Sprache und Elektronische Semiotik, S. 159,161. Zum »Geheimnis der ursprünglichen Bedeutung« vgl. Haugeland, Künstliche Intelligenz - Programmierte Vernunft?, Hamburg 1987, S.21. Zur Unreflektiertheit des Repräsentationskonzepts der Kognitionswissenschaft aus Sicht der Sprachtheorie vgl. Switalla, in: R. Weingarten (Hrsg.), Information ohne Kommunikation?, S. 165, 203. 109 Leidlmair, in: Käser/ Wallmansberger (Hrsg.), Recht, Sprache und Elektronische Semiotik, S. 159, 162. 110 P.B. Andersen, ATheory of Computer Semiotics, Cambridge 1990, S. 137 resümiert: »I have nothing against the idea that machines may think, talk, feel, and reason, I just believe that what they do today is too different from what humans do. A strict functional analysis of what happens when machines seem to exhibit intelligence or master a language, will give the result that it is really the designer or programmer that shows his faculties through the machine«.
§10 Technisierung und
363
Kommunikationsmodell
dige des Computersystems. 1 1 1 Diese Tatsache wird von Bedeutung sein, wenn es um die Frage der Zurechnung von (Kommunikations-) Handlungen geht.
c) Grenzen der Automatisierung anhand von
Anwendungsbeispielen
D a ß es sich bei der Automatisierung der pragmatischen Kommunikationsebene auch nur um eine teilweise Automatisierung handelt, die weiterhin eine, wenn auch technisch stark mediatisierte Beteiligung eines natürlichen K o m m u n i k a tionspartners, erfordert, soll an einigen Beispielen aus der Forschung verdeutlicht werden.
aa) Beispiel: »Performative Networks« auf der Grundlage der
Sprechakttheorie
Die Konzeption der »Performative N e t w o r k s « bezeichnet den Versuch, in der Forschung im Bereich der Informatik direkt auf die Sprechakttheorie zurückzugreifen. 112 So versucht man bei der Kommunikation zwischen intelligenten Agenten in Multi-Agenten-Systemen mit Hilfe der Sprechakttheorie auch Intentionen und die illokutionäre und perlokutionäre Seite von Sprechakten einer automatisierten Datenverarbeitung zugänglich zu machen. D a z u werden im Rahmen der Definition von Kommunikationsprotokollen Sprechakttypen gebildet, die die »Intention« der Kommunikation deutlich machen und entsprechende Reaktionen auslösen können. 1 1 3 D a m i t sollen Dialogsituationen zwischen Agenten erfaßt werden, bei denen sich Intentionen oder Situation während der K o m m u n i k a t i o n ändern. D i e K o m m u n i k a t i o n zwischen Agenten basiert auf Kommunikationsprotokollen. 1 1 4 A u f dieser Basis sind auch Modelle für automatisierte elektronische Vertragsschlüsse entwickelt worden, teilweise auf der Basis von E D I . 1 1 5 Innerhalb solcher l n Vgl. Searle, Spektrum der Wissenschaft 3/1990, 40, 43f.; Görz, in: Beckmann Rammert (Hrsg.), Jahrbuch Technik und Gesellschaft 4, Frankfurt/New York 1987, S. 178, 183; a.A. P.M. Churchland/P.S. Churcbland, Spektrum der Wissenschaft 3/1990, S.47, 50f.; R. Rheinwald, Kognitionswissenschaft 2 (1991), S. 37,44 (1991); Dennett, Fast Thinking, in: Dennett, The Intentional Stance, Cambridge, Mass. 1987, S.323, 326ff. 112 Dewitz, Contracting on a Performative Network: Using Information Technology as a Legal Intermediary, Diss., Austin, Texas, 1992; Dewitz/Lee, Legal Procedures as Formal Conversations: Contracting on a Performative Network, Proceedings of the tenth International Conference on Information Systems, 1989. 113 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.89ff., am Beispiel der Knowledge and Query Manipulation Language (KQML). Der Sprechakttyp ist dabei auf einer mittleren Ebene angesiedelt, darunter befinden sich die technischen Parameter der Komunikationsschicht, darüber die Inhaltsschicht, mit freier Wahl der Sprache. 114 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S.95ff. 115 Dewitz, Contracting on a Performative Network: Using Information Technology as a Legal Intermediary, Diss., Austin, Texas, 1992; Dewitz/Lee, Legal Procedures as Formal Conversations: Contracting on a Performative Network, Proceedings of the tenth International Conference on Information Systems, 1989; Kimhrough/Lee, On illocutionary Logic as a Telecommunications Language, Proceedings of the International Conference on Information Systems, 1986. Vgl. auch Lee, Towards open Electronic Contracting, Electronic Markets 1998, No. 3, S.3ff.; Lee/De-
364
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Netzwerke können auch das Entstehen rechtlicher Verpflichtungen, Nachweisfragen usw. automatisiert werden, soweit damit Interaktionen zwischen Komponenten elektronischer Systeme, etwa elektronischer Agenten, bezeichnet werden. In diesem Rahmen gibt es Modelle, wie auch Kontextfaktoren automatisiert erfaßt werden können, etwa mit Hilfe von »Mapping«. 1 1 6 Die Voraussetzungen und Gelingensbedingungen rechtlicher Sprechakte sollen automatisiert implementiert werden. 117 Allerdings basieren solche Systeme auf vordefinierten Operationen, Interpretationen und Folgen, die rechtliche Wirkung vor allem aufgrund eines Rahmenvertrags erlangen. 118 Darin werden die technischen Standards und Protokolle innerhalb des Netzwerks spezifiziert. Darüber hinaus werden auch »semantische« Regeln expliziert, etwa die Voraussetzungen für wirksame rechtliche Sprechakte und deren Folgen. Entsprechend sind solche Systeme als Dienstleistung von dritter Seite konzipiert. 119 Ihre rechtliche Wirksamkeit wird am besten gewährleistet, indem sie zur Bedingung zur Teilnahme am System gemacht und damit als Rahmenregelungen allgemein akzeptiert werden. 120 Darüber hinaus ergeben sich daraus aber auch genau definierte Konventionen, die für die Auslegung entsprechender Erklärungen zugrunde gelegt werden können. bb) Beispiel: »Gleichgewichtsmodell
für verbindliche
Telekooperation«
Ein weiteres Beispiel für die Grenzen der Automatisierung bilden technische Konzepte zur Realisierung offener Kooperationssysteme. So wurde etwa bei der G M D ein Sicherheitsmodell für eine Kooperationstechnik zur Unterstützung verbindlicher Kommunikation entwickelt. 121 Es basiert auf dem Kooperationsprinzip und berücksichtigt die Veränderungen, die sich bei technisierter Kommunikation gegenüber herkömmlicher Kommunikation ergeben. Dabei werden auch rechtliche Verpflichtungen und deren Veränderungen im System abgebildet. Das System geht von einer Prämisse aus, die zugleich die Grenzen der Technisierung andeutet: Semantik ist nicht vollständig spezifizierbar und damit auch nicht durch Systemzustände vollständig ausdrückbar. 122 Die Arbeitsteilung witz, Facilitating International Contracting, AI Extensions to EDI, International Information Systems 1992; Lee, A Logic Model for Electronic Contracting, Decision Support Systems 4 (1988), 27ff., mit einem auf Petri-Netzen basierenden Modell. 116 Vgl. Dewitz, Contracting on a Performative Network, S. 124 ff. 117 »Institutionelle Regeln« nach MacCormick/Weinberger, Institutionelle Rechtstheorie, 1986, vgl. Dewitz, Contracting on a Performative Network, S. 128. 118 Vgl. Dewitz, Contracting on a Performative Network, S.92ff., 163ff.: »umbrella contract«. Ein Beispiel ist der EDI-Rahmenvertrag, AWV, Deutscher EDI-Rahmenvertrag, mit Kommentar von Wolfgang Kilian, Eschborn 1994. 119 Vgl. Dewitz, Contracting on a Performative Network, S. 167: »Legal intermediary in business procedures«. 120 Vgl. Dewitz, Contracting on a Performative Network, S.92. 121 Vgl. Grimm, DuD 1993, 94ff. 122 Vgl. Grimm, DuD 1993, 93, 103f.
§10 Technisierung
und
Kommunikattonsmodell
365
Mensch/Maschine bedingt, daß sich die »computerexterne« Welt bei der Kommunikation nicht völlig ausblenden läßt, sondern das System muß ein Verbindung zu dieser herstellen. 123 In diesem Konzept werden die Verpflichtungszustände daher behandelt als Bestandteil der »wirklichen Welt« außerhalb des implementierenden Systems. 124 Die Verbindung »zwischen System und Wirklichkeit« wird hergestellt durch das »Konzept der Gleichgewichtsbedingungen«. Dieses geht davon aus, daß eine Kooperation in einem offenen System nicht durch einen zentralen technischen Mechanismus gesteuert werden kann, sondern Integrität durch eine nachträgliche Beweisbarkeit gesichert wird. Danach bestehen für jeden Verpflichtungszustand zugehörige Beweismittel, die technisch auf kryptographischen Verfahren beruhen. Verpflichtungen und Beweis stehen in einem Gleichgewicht, dadurch, daß jede Veränderung eines Verpflichtungszustands durch ein zugehöriges Beweismittel »kompensiert« wird und damit zu jedem Zeitpunkt nachprüfbar ist. Das zugrundeliegende »Telekooperationsmodell« bezieht die menschlichen Benutzer als »Personen« ein. Es enthält einen formalen und informellen Anteil, die sich auf das implementierte System und seine »reale Umgebung« beziehen: »Der formale Anteil enthält gemeinsame Kooperationsregeln und Kooperationsziele, z.B. eine formale und verbindliche Weise für den Austausch von Geld gegen Ware. Sie sind in sogenannten >Rollen< als Handlungsmuster spezifiziert. Der informelle Anteil enthält die Personen, ihr semantisches Verständnis und ihre Interessen. Dieser Teil ist natürlich nicht spezifiziert. Die Personen formulieren und interpretieren die Inhalte der formalen Ziele, indem sie von ihren individuellen Interessen gesteuert werden, etwa um einen ökonomischen Handel nicht nur formal korrekt, sondern auch vorteilhaft zu gestalten. Personen treten temporär in Rollen ein und werden für die Dauer der Aktivität zu Akteuren. Syntaktisch sind die verbindlichen Kooperationsregeln konfliktfrei. Die Rollen enthalten aber nicht-deterministische Verzweigungspunkte, an denen zwar die verschiedenen Alternativen syntaktisch spezifiziert sind, zwischen welchen aber ein Akteur aufgrund seiner persönlichen Kompetenz frei auswählen kann. An diesen Verzweigungspunkten werten die Personen die bis dahin vorhandene Information inhaltlich aus und entscheiden sich für das weitere Vorgehen. Auf diese Weise gestalten sie den Inhalt des Kooperationsziels und bringen ihr persönliches Interesse in eine Kooperation ein. Der Konflikt besteht in bezug auf die Inhalte, nicht auf den Wortlaut oder die Regeln. Semantik und Pragmatik liegen außerhalb der Regeln, aber sie steuern eine bestimmte Benutzung der Regeln. Das ist wie in einem Spiel: Alle spielen nach denselben Regeln, aber die einen gewinnen, und die anderen verlieren.« 125 123 Grimm, DuD 1993, 93,104, führt an, daß das Verhalten der Partner in einer offenen Umgebung nicht vollständig beherrschbar sei und Aktivitäten außerhalb des Systems nicht ausschließbar seien. 124 Vgl. Grimm, DuD 1993, 93, 194. 125 Grimm, DuD 1993, 93, 96.
366
4. Kapitel:
Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Entsprechend wird auch die Entscheidung über Bestehen und Veränderung einer Verpflichtung als von »semantisch-pragmatischer Natur« angesehen und der »persönlichen Kompetenz« zugeordnet. 126 Dieser persönlichen Kompetenz ist auch die Entscheidung an nicht-deterministischen Verzweigungspunkten im Akteursprotokoll überantwortet, d.h. hier besteht die Möglichkeit freier Entscheidung des menschlichen Benutzers zwischen Alternativen. Allerdings ist diese freie Entscheidung eingeschränkt durch das Kooperationsziel, auf das sich die Teilnehmer vorher geeinigt haben. 127 In diesem Rahmen wird die Verpflichtung mit Hilfe der deontischen Logik formal beschrieben. Die »semantische Auswertung« der formal abgebildeten »Verpflichtungszustände« und ihrer »syntaktischen« Beweise obliegt aber der »persönlichen Kompetenz« der Partner oder neutraler Dritter, so etwa auch die »inhaltliche Klärung«, ob Angebot und Annahme sich decken. 128 Die automatische Durchsetzung von Verpflichtungen wird ersetzt durch »persönliche Verantwortung«. Diese umfaßt auch die Verantwortung des Teilnehmers, »seinen« Verpflichtungsausdruck im Zustand »wahr« zu halten, die durch Zustellung syntaktischer Beweise an den jeweils begünstigten Partner abgesichert wird. 129 Es wird deutlich, daß die Abbildung der Kooperationsbeziehung im technischen System sich vor allem auf syntaktischer Ebene vollzieht und hauptsächlich die Beweismittel erfaßt, deren Anerkennung aber auf vorherigem Konsens beruht. Letzteres gilt auch für die anzuwendenden Regeln. Dem autonomen Willen bzw. der Verantwortung verbleiben Entscheidungen im »semantisch-pragmatischen« Bereich. cc) Intelligente
Agenten
Auch die Automatisierung des pragmatischen Apekts führt also nicht dazu, daß menschliche Beteiligung völlig ausgeblendet wird. Sowohl auf der Ebene der Bedeutungsübertragung als auch auf der Ebene des Intentionsabgleichs bleibt ein menschlicher Handlungsanteil. Dieser besteht, oft auf dem Hintergrund einer Rahmenvereinbarung, in der Programmierung, in der Entscheidung zum Programmeinsatz, in der Auswahl unter vom Programm bereitgestellten Optionen und in der Überwachung und Steuerung des Programmeinsatzes. Dies stützt die bereits oben zugrundegelegte Sichtweise, die Automatisierung auch im Hinblick auf die rechtliche Konzeption der Willenserklärung als Problem einer »Mensch/ Maschine-Arbeitsteilung« aufzufassen. 130 Dies wird noch deutlicher bei einem Blick auf intelligente Agenten als fortgeschrittenste Form der Übertragung menschlicher »Eigenschaften« auf Software. 126 Grimm, DuD 1993, 93, 100, führt die Geltung der »initialen Verpflichtungszustände« auf Gesetz, langfristige Regelung oder explizite Vereinbarung zurück. 127 Vgl. Grimm, DuD 1993, 93, 97. 128 Vgl. Grimm, DuD 1993, 93, 103. 129 Grimm, DuD 1993, 93, 98. 130 S.o. § § 5 , 6 .
§10 Technisierung
und
Kommunikationsmodell
367
Ein Blick auf die Architektur solcher Agenten zeigt allerdings, daß man, wenn man deren Operationen als Black B o x konzipiert, von einer »intelligenten« Informationsverarbeitung sprechen kann. 131 Bringt man Licht in diese Black Box, so tauchen Elemente auf, die menschlicher Interaktion und Kommunikation entsprechen. Dabei bezeichnet man die Struktur solcher Agenten auf den oberen Ebenen des Schichtenmodells mit Begriffen wie Wissen, Glauben, Wünsche, Ziele, Intentionen, Pläne, die den entsprechenden Konzepten im Modell menschlicher Kommunikation analog sind. 132 Diese Struktur ist Kennzeichen sog. »deliberative agents«. Diese stehen in der Tradition der klassischen K I und basieren auf einer im vorhinein konzipierten Wissensbasis, die auch die Umwelt des Agenten modelliert. Dadurch sind die Freiräume für eine Anpassung des internen Modells an die Erfordernisse der aktuellen externen Situation sehr beschränkt. 133 Da dynamische Umgebungen schnelle Entscheidungen erfordern, setzt ein alternatives Konzept den Schwerpunkt auf die Interaktion mit der Umgebung und verzichtet auf interne Modelle. 134 Diese »reactive agents« funktionieren vor allem nach dem Reiz-Reaktions-Mechanismus und basieren auf aufgabenspezifischen Kompetenzmodulen. Diese erfordern allerdings eine genaue Spezifizierung von Aufgaben und Lösungen. Die Vorteile beider Arten sollen bei sog. »hybriden« Agenten genutzt werden. 135 Auch die Zielorientiertheit, die auf dem Schichtenmodell der Kommunikation auf der obersten Ebene anzusiedeln ist, ist durch Programmierung vorgegeben. Trotz der Funktionalitäten wie Kommunikation, Kooperation, Lernfähigkeit und Autonomie bleibt aber ein Rest an menschlicher Kontrolle, die sich manifestiert in der Notwendigkeit der Programmierung solcher Agenten, des Einsatzes für spezifische Aufgaben und der Kontrolle deren Operationen. Die Analogie zwischen menschlichen und maschinellen Fertigkeiten mag aus technischer Sicht immer mehr zu einer Angleichung führen. Aus rechtlicher Sicht ist die Wertungsfrage aufgeworfen, ob eine solche technische Analogie auch aus rechtlicher Sicht zu einer Gleichbehandlung führen soll. Diese Frage bedarf - wie bereits ausgeführt 136 - eigenständiger Erwägungen aus rechtlicher Sicht. Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 44. Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 47, zur Beschreibung des »mental State« eines solchen Agenten. Dies., S.67ff., schildern als Beispiel das BDI-Modell von Rao/Georgeff, die auf der Annahme von Umwelt und Agent als jeweils nicht-deterministischen Systemen basieren, die durch Entscheidungsbäume beschrieben werden, die Bildung von »Intentionen« des Agenten basiert auf einer formalen Logik, vgl. auch Rao/Georgeff., in: Proeceedings of the First International Conference on Multi-Agent-Systems (ICMAS), San Francisco 1995. 133 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 49. 134 Vgl. Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 49ff. 135 Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 74ff., beschreiben die »Interrap«-Architektur von J.P. Müller, bei der die verhaltensbezogene Schicht als reaktive Komponente und die Planungsschicht als deliberative Komponente um eine dritte Schicht der kooperativen Planung ergänzt wird, die die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten innerhalb von Multi-Agenten-Systemen beschreibt. 136 Siehe etwa unten S. 129ff., 137, 205. 131
132
368
4. Kapitel: Risikostrukturierung und
Kommunikationsmodell
3. Z u s a m m e n f a s s u n g Im Hinblick auf die rechtliche Konzeption der elektronischen Willenserklärung ist ein kurzes Zwischenfazit zu ziehen. Die Automatisierung der Kommunikation führt zu einer Zweiteilung in Bezug auf den pragmatischen Aspekt und bestätigt insofern die oben durchgeführte typologische Strukturierung der elektronischen Willenserklärung. Zu unterscheiden sind die Mensch/Maschine-Schnittstelle und die dort auftretenden Probleme sowie die bruchlose automatische Weiterverarbeitung. Kontexte sind Automaten prinzipiell unzugänglich, die Übertragung von K o m m u n i k a t i o n auf ein maschinelles System ändert zwangsläufig den Kontext. N e u e Regeln für den Umgang mit Informationen müssen sich herausbilden. D i e Ablösung der K o m m u n i k a t i o n von der Unmittelbarkeit der face-to-faceSituation erfordert erhöhte Vertrauensleistungen, die durch Technik und R e c h t erbracht werden müssen und Defizite im pragmatischen Bereich der K o m m u n i k a tion kompensieren müssen. Dies bestätigt die oben bereits festgestellte verstärkte Wertung zugunsten von Vertrauensschutz und Verkehrssicherheit aufgrund des Übergangs von personalem zu Systemvertrauen. Die Ablösung von sozialen K o n texten und die Mediatisierung der K o m m u n i k a t i o n führt aber auch stärkerer F o r malisierung und Technisierung von Konventionen. Ein fortgeschrittenes Stadium der Automatisierung liegt in der technischen A b bildung von Teilen des Koordinationsmechanismus. Hier stellt sich zum einen die Frage nach der verbleibenden Funktion des vertragsrechtlichen Rahmens, zum anderen nach Art und Ausmaß der Implementierung rechtlicher Regeln in den technischen Anwendungen.
§11 Risikoverteilung im Phasenmodell der Kommunikation Auf der Grundlage der kommunikationstheoretischen Fundierung des Konzepts der Willenserklärung und einer Analyse der Veränderungen durch die Technisierung der K o m m u n i k a t i o n ist nunmehr aus rechtlicher Sicht die Verteilung einzelner Risiken in den einzelnen Phasen des rechtsgeschäftlichen Kommunikationsprozesses näher zu untersuchen. Dabei wird von dem bereits entwickelten K o n zept der elektronischen Willenserklärung ausgegangen und dieses im Hinblick auf Einzelfragen der Rechtsgeschäftslehre ausdifferenziert. 1
I. Risiken im elektronischen
Geschäftsverkehr
Canaris hat für den herkömmlichen Geschäftsverkehr spezifische »Erklärungsrisiken« analysiert: Irreführungsrisiko (Kenntnis der Unrichtigkeit und Fehlerhaftigkeit), Mißbrauchsrisiko, Richtigkeitsrisiko (bei Wissenserklärungen), Fehlerhaftigkeit (Willensmangel), fehlendes Erklärungsbewußtsein,
Abhandenkom-
men/Diebstahl, Verfälschungsrisiko. 2 Diese Differenzierung eignet sich nur bedingt für den elektronischen Geschäftsverkehr. D i e aufgeführten Risiken müssen unter dem Gesichtspunkt der Technisierung der K o m m u n i k a t i o n um technikspezifische Besonderheiten ergänzt und neu strukturiert werden. Die bei automatisierter Kommunikation auftretenden Risiken lassen sich zunächst in solche aufgrund der personellen Arbeitsteilung und solche aufgrund der technischen »Arbeitsteilung« unterscheiden. 3 A u c h wenn die personelle Arbeitsteilung in Organisationen grundlegend für die heutige Wirtschaftstätigkeit ist, sind die spezifischen Risiken der Automatisierung der K o m m u n i k a t i o n durch die technische »Arbeitsteilung« entstanden und stehen hier im Vordergrund. 4 Die mit dem Einsatz von Informationstechnologie verbundenen Risiken sind nicht nur rein technischer Natur, etwa das Auftreten von Störungen durch Fehler in Hardware und Software. Vielmehr sind insoweit die durch das Entstehen soziotechnischer Systeme insgesamt auftretenden Risiken zu betrachten. Die elektronische K o m m u n i k a t i o n eröffnet Eingriffs- und Mißbrauchsmöglichkeiten für D r i t S.o. §§7, 8. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 481 ff. 3 Vgl. auch Rohe, Netzverträge, S.286ff. 4 Zur personellen Arbeitsteilung vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 148ff.; Brehm, Festschrift für Niederländer, S.233, 236ff. 1
2
370
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
te, etwa die Abgabe von Erklärungen unter falscher Identität, die inhaltliche Fälschung fremder Erklärungen oder den Bruch der Vertraulichkeit von Daten. Gleichzeitig ist über die Verteilung von Risiken zwischen den Kommunikationspartnern hinaus die Minimierung von Risiken eine rechtliche, organisatorische und technische Aufgabe. Angelehnt an die in der Diskussion zur IT-Sicherheit vertretenen Schutzziele lassen sich die Risiken systematisieren: 5 a) Verfügbarkeit
von Informationen,
Datenverkehr,
Datenzugang:
Dazu gehört die technische Funktionsfähigkeit von Hardware und Software, die durch technisches Versagen, unbeabsichtigte menschliche Fehler bei Bedienung und Wartung sowie durch absichtliche Manipulationen, etwa Zerstörung von Daten oder Hardware, Einbau von Softwarefehlern, bedroht sein kann; entsprechende Risiken können beim Nutzer, bei einem Dritten oder im Netzwerk auftreten; b) Integrität
der Information
und
Kommunikation:
Hier ist die inhaltliche Korrektheit der Informationen angesprochen, die vor allem von Bedeutung für die Weiterverarbeitung ist; entsprechende Fehler können durch Bedienungsfehler, technische Defekte oder absichtliche Integritätsverletzungen bedingt sein; c) Vertraulichkeit
von Information
und
Kommunikation:
Der Schutz von Daten gegen unbefugte Einsichtnahme bekommt in digitalen Datennetzen besondere Bedeutung und ist vor allem eine technische und organisatorische Aufgabe, wobei die elektronische Signatur hier ein wichtige Funktion übernehmen kann. Rechtlich ist die Vertraulichkeit durch Datenschutzrecht, Geheimnisschutz und Kommunikationssicherheit als Wertungsfaktor abgesichert; d)
Beweissicherung:
Technische Mediatisierung und die damit verbundene Intransparenz erschwert den Nachweis von Vorgängen elektronischer Kommunikation; entsprechende Risiken können sich in allen Phasen der Kommunikation und bei allen Beteiligten ergeben; technisch kann man dem Risiko durch lückenlose Protokollierung entgegenwirken; e)
Zuordenbarkeit:
Eng verbunden mit dem Problem der Intransparenz und der Frage der Beweissicherung ist die Zuordnung von Handlungen zu bestimmten Personen, also die Sicherung der Authentizität und der Autorisierung; 5 Vgl. Enquete-Kommission Zukunft der Medien, Sicherheit und Schutz im Netz, S. 107ff. Vgl. auch Rannenberg/P fitzmann/Müller, in: Müller/Pfitzmann (Hrsg.), Bd. I, S.21, 26.
§11 Risikoverteilung
f) Pragmatische
im Phasenmodell
der
Kommunikation
371
Kommunikationsrisiken:
Dazu gehören an der Mensch-/Maschine-Schnittstelle entstehende Risiken, die sich vor allem auf die Willensbildung, also im rechtlichen Sinne die Motive, auswirken. Dazu gehören die fehlende Möglichkeit, angebotene Leistungen persönlich in Augenschein zu nehmen sowie Wissen und Erfahrung im Umgang mit dem Medium, die man als kommunikative Kompetenz bezeichnen kann. 6 Auf der pragmatischen Ebene liegt auch das Risiko fehlerhafter Verständigung, das durch technische Mediatisierung verstärkt werden kann. Für eine eingehendere Untersuchung der bei elektronischer Kommunikation in ihrem rechtsgeschäftlichen Bezug bestehenden Risiken und ihrer Verteilung kann man wegen seines Bezugs zum Konzept der Willenserklärung an das Kommunikationsmodell in seinem Phasenbezug anknüpfen und die rechtlichen Risikozuweisungen in diesem strukturieren. 7 Im folgenden sollen, orientiert an den Erklärungsphasen, Risiken herausgearbeitet und die Zurechnung im Rahmen elektronischer Kommunikation diskutiert werden.
II.
Willensbildung
und Encodierung
-
Irrtumslehre
Der Regelung der §§ 119ff. läßt sich zunächst entnehmen, daß die interne Willensbildung beim Erklärenden mit Ausnahme von § 119 Abs. 2 und § 123 B G B rechtlich als irrelevant gesehen wird, vielmehr erst die Phasen der Encodierung und der Emission von den Anfechtungsregeln erfaßt werden. Dies gilt sowohl für die A b weichung von Wille und äußerem Erklärungstatbestand als auch zwischen Wille und Bedeutung der Erklärung. Zur Phase der Willensbildung sind auch die angesprochenen, im pragmatischen Bereich liegenden Risiken zu rechnen. Allerdings hat die enge Fassung der Irrtumslehre zu einer »Auslagerung« der Bewältigung der entsprechenden Risiken auf benachbarte Institute, vor allem die Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo geführt. Durch elektronische Kommunikation bewirkte oder verstärkte Informationsasymmetrien und situationsbedingte Ungleichgewichte haben eine erhebliche Verrechtlichung zur Folge, die sich vor allem in der Statuierung von Informationspflichten für Diensteanbieter durch den deutschen und europäischen Gesetzgeber konkretisiert. Diese sind im Zusammenhang im Kapitel zum Nutzerschutz zu behandeln. 8 Elektronische Kommunikation entzieht sich stärker direkter menschlicher Kontrolle als das gesprochene oder geschriebene Wort. Das wirft die Frage auf, inwieweit die auf menschliche »Willensmängel« zugeschnittenen Anfechtungsre-
6 7 8
Vgl. eingehend unten § 12 1.3. im Zusammenhang des Nutzerschutzes. S.o. § 9 III. 2. a). Vgl. ferner Rödig, Einführung in eine analytische Rechtslehre, S. 172ff. Siehe unten § 12.
372
4. Kapitel: Risikostrukturierung und
Kommunikationsmodell
geln auch auf die durch Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine gekennzeichneten, E D V - g e s t ü t z t abgegebenen Willenserklärungen passen.
1. A n f e c h t u n g u n d Z u r e c h n u n g s l e h r e Das Anfechtungsrecht und die Irrtumslehre sind rechtsdogmatisch eng verknüpft mit der Bildung des Tatbestands der Willenserklärung. Soweit trotz Mängeln auf der subjektiven Seite des Tatbestands eine wirksame Willenserklärung anzunehmen ist, räumt das Gesetz dem Erklärenden mit dem Anfechtungsrecht eine zusätzliche Entscheidungsmöglichkeit ein, die Erklärung trotz des Vorliegens von Willensmängeln gelten zu lassen, was als Ausdruck der Selbstbestimmung auch nach dem Erklärungsakt angesehen werden kann. D i e psychologische Grundlegung Zitelmanns und die spätere U b e r f o r m u n g durch Aspekte des Vertrauensschutzes sind bereits dargestellt worden. 9 F u n k t i o nal beinhaltet das Anfechtungsrecht eine Risikoverteilung für bestimmte Risiken, die innerhalb der Sphäre des Erklärenden in zeitlicher Hinsicht den K o m m u n i k a tionsprozeß bis zur Abgabe der Erklärung betreffen. Aus Sicht der hier vertretenen Zurechnungslösung handelt es sich im rechtsgeschäftlichen Bereich nicht um eine Einschränkung der Zurechnungsgründe, sondern um eine nachträgliche Lösungsmöglichkeit von einem einer Person zugerechneten Tatbestand einer Willenserklärung. D e r Gesetzgeber hat die die Frage des Vorliegens und der Wirksamkeit einer Willenserklärung klar getrennt von der nachträglichen, privatautonom ausgeübten Möglichkeit der Lösung von der E r klärung in bestimmten Fällen. 1 0
2. A n f e c h t u n g n a c h § 119 B G B und e l e k t r o n i s c h e E r k l ä r u n g Die bereits bei der Tatbestandsbildung der elektronischen Willenserklärung erörterten Probleme tauchen bei der Irrtumslehre wieder auf. Die oben als »Arbeitsteilung« betrachtete zeitliche und funktionale Aufteilung von menschlicher Handlung und maschineller Operation könnte dazu führen, daß im Rahmen der herkömmlichen Irrtumslehre die meisten für die elektronische Willenserklärung in Betracht kommenden Fehlerquellen als Motivirrtümer außerhalb des rechtlich relevanten Bereichs verwiesen werden. a) Fehlertypologie
und Anfechtung
nach Meinungen
der
Literatur
Üblicherweise werden in der informationsrechtlichen Literatur verschiedene Typen möglicher Fehler unterschieden, wobei auf die Fehlerquelle und die jeweilige
Siehe oben § 9 IV. 3. a). Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S.454ff., der grundsätzlich die Anwendbarkeit der Vorschriften über Willensmängel auch auf die Vertrauenshaftung bejaht. 9
10
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
373
Erklärungsphase abgestellt wird. Üblicherweise wird dabei unterteilt in Eingabefehler, fehlerhaftes Datenmaterial, Systemfehler (Hardware- und Softwarefehler) sowie Übermittlungsfehler. 11 aa) Fehlerhafte
Eingabe
und
Bedienung
Eine erste Fallgruppe bilden die Fälle, in denen sich der Bediener der Anlage vertippt, etwa bei der Eingabe von Auftragsnummern und Bestellmengen, oder ihm ein sonstiger Bedienungsfehler unterläuft. Wird dabei die E D V nur als Hilfsmittel zur Übermittlung benutzt, wie bei der computergestützt übertragenen und teilweise bei der computergestützt erstellten Willenserklärung, so daß die eingegebenen Daten unverändert in die Erklärung eingehen, handelt es sich um einen Erklärungsirrtum i.S.v. §119 Abs. 1 2. Alt. B G B . Dies betrifft auch die Fälle, in denen sich der Nutzer bei einer Bestellung im W W W vertippt und das Formular dann dem Anbieter übermittelt hat. Einen Erklärungsirrtum hat auch das O L G Hamm im Hinblick auf einen Versicherungsschein angenommen, bei dessen Erstellung versehentlich die Erlebensfallsumme i.H.v. D M 3098,- in die Spalte für die jährliche Rente eingegeben und dem Kläger später mitgeteilt wurde, daß ihm eine Kapitalabfindung in Höhe von 47433,- D M zustehe, obwohl dies tatsächlich nur 4225,- D M waren. Die Klage auf Erhalt der restlichen Summe wurde abgewiesen. Der Irrtum bei der Dateneingabe habe nicht nur fortgewirkt, sondern sei unverändert in den Versicherungsschein mit eingegangen 12 . Bei der automatisierten Willenserklärung dagegen erfolgt trotz fehlenden konkreten Rechtsfolgewillens eine normative Zurechnung der Willenserklärung. Wenn der Anlagenbetreiber aber keinen konkreten Geschäftswillen hat, kann auch kein Willensmangel vorliegen, der auf einer Abweichung des Erklärten vom Gewollten beruht. Allerdings hat auch der Anlagenbetreiber Vorstellungen über den fehlerfreien Verarbeitungsprozeß und die daraus resultierende Erklärung. Nach der Irrtumslehre hat sich die Behandlung bei der automatisierten Willenserklärung auftretender Fehler daran zu orientieren, ob diese zu einem Auseinanderfallen von Wille und Erklärung führen. Abzustellen ist dabei auf den Willen des Anlagenbetreibers oder analog § 166 Abs. 1 B G B seiner Angestellten und sonstigen Hilfspersonen 13 , nicht aber auf einen wie immer gearteten, in der EDV-Anlage verselbständigten »Willen«. 14 Das Gesetz macht dabei eine Unterscheidung ent11 Vgl. Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 96ff. Vgl. ferner Börms, in: Geis (Hrsg.), Die digitale Kommunikation, Eschborn 1997, S. 89,90ff.; Kilian/Picot u.a., Electronic Data Interchange (EDI), Baden-Baden 1994, S. 119ff.; Taupitz/'Kritter, JuS 1999, 839, 843 MünchKomm-Ävfeer, Einl. Rdnr. 174. 12 Vgl. O L G Hamm, N J W 1993, 2321f. 13 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S.148ff. Das O L G Hamm stellt ab auf Vorstellung und Absichten des Handelnden bei der »letzten menschlichen Entscheidung«. 14 So aber in der Tat Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene« Willenserklä-
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
sprechend der kommunikationstheoretischen Phasen der Willensbildung und der Erklärungshandlung. Erstere ist vor allem aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Verkehrssicherheit weitgehend von der Anfechtungsmöglichkeit ausgenommen, mit der wesentlichen Ausnahme des § 119 Abs. 2. Unbeachtlich für die Anfechtung wegen Irrtums sind also bei § 119 Abs. 1 BGB Fehler bei der Willensbildung aufgrund der zugrundeliegenden Beweggründe (»Motivirrtum«). Durch die Bereitstellung von Hardware, Programmierung und Dateneingabe werden die Ausgangsgrößen festgelegt, aus denen die EDV programmgesteuert die jeweiligen automatisierten Erklärungen erstellt. Vergleicht man dies mit »herkömmlichen« Willenserklärungen, so lassen sich diese als Ausgangsdaten und Programmparameter den Beweggründen gleichsetzen, die der Erklärende seiner Willensbildung zugrundelegt und die seine Willensbildung bestimmen. Eine darauf bezogene Fehlvorstellung ist dann als ein unbeachtlicher Motivirrtum anzusehen. 15 Dies wäre also im obigen Beispiel der Fall, wenn der Fehler auf einem Vertippen des mit der Eingabe der Lagerbestandsdaten beauftragten Bediensteten des Anlagenbetreibers beruhte. Der maßgebliche Anlagenbetreiber oder seine Hilfspersonen haben nur einen allgemeinen Geschäftswillen, die Erklärung wird durch die EDV-Anlage konkretisiert. Der Betreiber kennt zwar die Entstehungsvoraussetzungen der späteren Erklärung - Hardware, Programm, Daten - aber Abgabe und Inhalt der späteren Erklärung ist nicht eindeutig voraussehbar. »Die Vorstellung, daß bei Vorliegen bestimmter, programmierter Bedingungen eine gewisse Erklärung entstehe, kann nicht mit einem unmittelbar auf die konkrete Erklärung gerichteten Willen gleichgesetzt werden« 1 6 . Eine Diskrepanz besteht nicht zwischen Wille des Anlagenbetreibers und Erklärung, sondern zwischen Wille und Entstehungsbedingungen der Erklärung. Der Anlagenbetreiber irrt weder über die Bedeutung der Erklärung noch bei der Erklärungshandlung. Als Folge davon, daß der Anlagenbetreiber nur einen allgemeinen Geschäftswillen bildet und die »Willensformulierung« 1 7 automatisiert durchführen läßt, scheidet eine Irrtumsanfechtung aus. Man kann entsprechende Fehler auch insoweit als Motivirrtum auffassen, als die Erwartungen, wie die EDV die ihr vorgegebenen Bedingungen und Grundlagen umsetzt, nur der Beweggrund für den Anlagenbetreiber sind, diese Bedingungen der EDV vorzugeben, die Erklärungserstellung der EDV zu überlassen und die Geltung der entstehenden Erklärungen zu wollen. 18 rungen, S.101; Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 57. 15 Vgl. Köhler, AcP 182 (1982), S.135f.; Kohl, in: Scherer (Hrsg.), Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, S. 91, 102f.; Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 93ff.; Münc\\K-omm-Kramer, § 119 Rdnr. 72; a.A. Staudinger/£);7cher, 12. Aufl. 1980, Vor §§116-144 Rdnr. 5. 16 Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 152. Vgl. demgegenüber Zuther, Die Auswirkungen der Rationalisierung im Rechtsverkehr, S. 103 ff. 17 Schwörbel, Automation als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S.52. 18 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 152.
§ 11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
375
Der »arbeitsteilige« Erstellungsprozeß einer elektronischen Willenserklärung spricht aber auch gegen die Auffassung, die die Willensbildung bereits mit der Bereitstellung des Programms und Verarbeitungsmaterials als abgeschlossen betrachtet und die bei der Phase der Erklärungserstellung auftretenden Fehler der Erklärungshandlung zuordnet. 19 Der natürliche Betreiber legt nur die allgemeinen Rahmenbedingungen fest, die auf eine konkrete Erklärung gerichtete Willensbildung, vergleicht man diese mit der herkömmlichen Erklärungserstellung, ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Vielmehr wird der letzte Abschnitt der Willensbildung automatisiert durchgeführt. Da man die Irrtumsregeln nicht direkt auf die EDV-Anlage anwenden kann und es einen wie immer zu bestimmenden »Willen« einer solchen Anlage nicht gibt, ist die aus den von Menschen geschaffenen Ausgangsbedingungen automatisiert erfolgende Konkretisierung der Erklärung grundsätzlich dem Bereich des unbeachtlichen Motivirrtums zuzurechnen und unterliegt nicht der Anfechtung. Wenn der Erklärende durch den Einsatz technischer Mittel zusätzliche Fehlermöglichkeiten in seinem Einflußbereich schafft, entspricht es dem Schutzzweck der geltenden Irrtumsregeln und ihrem Ausgleich zwischen Selbstbestimmung, Vertrauensschutz und Verkehrssicherheit, dieses Risiko weitestgehend beim Anlagenbetreiber zu belassen20. Danach sind Eingabe- und Bedienfehler im Bereich der automatisierten Willenserklärung grundsätzlich als unbeachtlicher Motivirrtum anzusehen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Fehler unverändert in die Erklärung eingeht, etwa bei einem Fehler in einem vorformulierten und abgespeicherten Erklärungstext, der von der EDV später nur mit Daten zu Lieferanten, Warennummer, Menge und Preis ergänzt wird. 21 Der entsprechende Teil der Erklärung wäre in diesem Fall vom Anlagenbetreiber selbst konkretisiert worden. bb) Fehlerhafte
Daten
Liegt der Fehler in der Verwendung fehlerhaften Datenmaterials, so liegt nach übereinstimmender Ansicht ein Fehler in der Willensbildung vor, der nicht zur
" So Plath, Zu den rechtlichen A u s w i r k u n g e n betrieblicher Rationalisierungsmaßnahmen, S. 109ff. Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 52ff., faßt dies als eigene Phase der »Willensformulierung« auf, rechnet diese aber weitgehend d e m Bereich des M o tivirrtums zu. 20 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 179f.; Schwörbel, A u t o m a t i o n als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 59ff. Die vereinzelt vertretene Ü b e r tragung der G r u n d s ä t z e z u m offenen bzw. erkannten Kalkulationsirrtum trägt schon deshalb meist nicht, weil keine O f f e n l e g u n g der Berechnungsgrundlagen erfolgt, vgl. Mehrings, in: H o e ren/Sieber (Hrsg.), H a n d b u c h Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 101; i.ü. ist diese Rechtsprechung abzulehnen, vgl. Palandt-Heinrichs, § 119 Rdnr. 18, sowie n u n m e h r auch B G H D B 1999, 1909. 21 Vgl. Köhler, AcP 182 (1982), 126,136; Friedmann, Bildschirmtext u n d Rechtsgeschäftslehre, S. 37; Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V u n d Telekommunikation, S. 153.
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Anfechtung nach § 119 Abs. 1 B G B berechtigt. 22 Entsprechend hat das A G Frankfurt in einem Fall entschieden, in dem der Kläger auf eine Buchung eines Ferienhauses in Frankreich eine Bestätigung bekam, die einen wöchentlichen Reisepreis von 777,- D M enthielt 23 . Diese war automatisiert anhand der eingegebenen Nummer des Objekts, des Reisezeitraums sowie des Reisepreises ermittelt und ausgedruckt worden. Offensichtlich war der Preis aber veraltet, so daß der Kunde eine Woche später eine neue Reisebestätigung mit einem wöchentlichen Reisepreis in Höhe von 1554,- D M zugeschickt bekam. Auf die Feststellungsklage hin lehnte das Gericht die Möglichkeit einer Anfechtung ab, da es sich um einen Motivirrtum handele. cc)
Systemfehler
Liegt der Fehler bei der Verarbeitung der Ausgangsdaten durch ein fehlerhaftes Programm, so ist auch durch diese fehlerhafte Umsetzung der der E D V vorgegebenen Arbeitsgrundlagen nicht der auf die Erklärung selbst bezogene Geschäftswille des Anlagenbetreibers betroffen, sondern es handelt sich nach weit überwiegender Ansicht um einen Motivirrtum. 24 Soweit es bei der Erstellung der Erklärung, also etwa der Ausgabe auf den Drukker, zu einem Fehler kommt, wird teilweise eine Parallele zum Erklärungsirrtum gezogen und eine Anfechtbarkeit bejaht. 25 Eine Analogie zwischen menschlicher Kommunikationshandlung und automatisierter Operation ist aber abzulehnen, so daß auch Fehler in der Ausgabeeinheit als unerheblicher Irrtum anzusehen sind. 26 dd) Fehlerhafte
Übermittlung
Bei der Abgrenzung von § 119 Abs. 1 und § 120 B G B geht es um die Abgrenzung des eigenen Verantwortungsbereichs des Erklärenden von Risiken der Ubermittlungsphase, die zwar der Verantwortung eines Dritten unterliegt, aber dem Erklärenden deshalb zugerechnet werden, weil dieser das allgemeine Erklärungsrisiko trägt. Treten Ubermittlungsfehler im eigenen Telekommunikationsnetz oder in zu diesem Zwecke eingesetzten EDV-Einrichtungen auf, so handelt es sich um einen
22 Vgl. MimchKomm-Kramer, § 119 Rdnr. 72; Palandt-Heinrichs, § 119 Rdnr. 10; Taupitz/Kritter, }uS 1999, 839, 843; Hahn, in: Hoeren/Queck (Hrsg.), Rechtsfragen der Informationsgesellschaft, Berlin 1999, S. 146, 162. 23 Vgl. A G Frankfurt, C R 1990, 469. Vgl. ferner L G Frankfurt, N J W - R R 1997, 1273. 24 Vgl. Köhler, AcP 182 (1982), 126, 135; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839, 843; Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 108;; für Programmfehler im Gegensatz zu »Maschinenfehlern« auch Staudinger/DzMer, 12. Aufl. 1980, Vor §§116-144 Rdnr. 5 25 Vgl. Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 108; Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 106; Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 66; Plath, Zu den rechtlichen Auswirkungen betrieblicher Rationalisierungsmaßnahmen, S. 113. 26 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 162.
511 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
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Erklärungsirrtum nach §119 Abs. 1 2. Alt. Bei fehlerhafter Übermittlung unter Zuhilfenahme fremder technischer Einrichtungen im Netz handelt es sich um einen Erklärungsirrtum oder einen Fall des § 120, je nachdem wie man die Vorschriften abgrenzt. 27 Eine Anwendung des § 120 ist dann anzunehmen, wenn der Empfänger nach Zwischenspeicherung eine reproduzierte Erklärung erhält, wobei sich das Ubermittlungssystem nicht auf die sofortige und unmittelbare Ausführung der Steuerbefehle des Erklärenden beschränkt. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob es sich um eine »herkömmliche« oder automatisierte Willenserklärung handelt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Regelung aber auf jegliche Störungen in der Phase nach Verlassen des Machtbereichs des Absenders bis zum Erreichen des Machtbereichs des Empfängers anzuwenden. 28 Insgesamt entspricht es einer phasenorientierten Sichtweise, Programmierfehler und fehlerhaftes Datenmaterial der Phase der Willensbildung zuzurechnen, bei der Erklärungserstellung auftretende Fehler, etwa Bedienungsfehler, teils als Erklärungs-, größtenteils aber als Motivirrtum oder zumindest nicht zur Anfechtung berechtigendem Irrtum zu behandeln. 29 Ubermittlungsfehler sind nach § 120 B G B einzuordnen. b) Analogie
zu §166 Abs. 1 BGB
Eine andere Meinung folgt einem funktionsbezogenen, auf den Aspekt der Arbeitsteilung abstellenden Ansatz, und kommt teilweise zu abweichenden Ergebnissen. Die E D V wird einem Erklärungsgehilfen gleichgestellt, im Programm erhalte der menschliche Wille einen »vom Menschen abgelösten substantiellen Träger«. 30 Auf der Basis einer analogen Anwendung des § 166 Abs. 1 B G B wird dann bei der Frage nach dem Vorliegen eines Willensmangels auf die »Vorstellungen« der E D V abgestellt. 31 Dem Wissen des Erklärenden sollen dann die der Verarbeitung zugrundegelegten Daten entsprechen. Anders als beim abredewidrigen Ausfüllen einer blanko unterschriebenen Urkunde oder einer ungelesen unterschriebenen Urkunde könne man wegen der Programmierung nicht davon sprechen, der Betreiber habe das entsprechende Risiko bewußt in Kauf genommen. 32 Daraus Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 172ff. m.w.Nachw. Siehe unten §11 IV. 29 Vgl. Plath, Zu den rechtlichen Auswirkungen betrieblicher Rationalisierungsmaßnahmen, S. 109ff.; Schwörbel, Automation als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 47ff. 30 Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 57; Viebcke, »Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 101, spricht sogar von einem »verselbständigten, von der Person des Willensbildenden vollkommen unabhängige(n) Wille(n)«; vgl. ferner G. Schneider, Die Geschäftsbeziehungen der Banken, S. 113 f. 31 Vgl. Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 97f. 32 Vgl. Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 95. Allerdings soll nach Flume, Allgemeiner Teil des B G B , S. 454f., der in den genannten Fällen gegen eine Anfechtung Stellung bezieht, im Falle des Irrtums des Ausfüllenden entsprechend § 166 eine Anfechtung in Betracht kommen. 27 28
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
ergibt sich dann eine abweichende Behandlung der verschiedenen Fehlertypen. Wird in der Zentraleinheit ein Zeichen in einer vom Verkehrsverständnis abweichenden Bedeutung verwandt, so soll ein »Computer-Inhaltsirrtum« vorliegen. Tritt der Fehler bei der Ausgabe einer Erklärung auf, etwa über einen Drucker, so soll ein »Computer-Erklärungsirrtum« vorliegen. 33 Gegen eine Analogie zu § 166 Abs. 1 B G B sprechen aber die bereits oben angeführten Argumente, wonach das Modell der Stellvertretung nicht auf eine Maschine ohne Bewußtsein und eigenen Willen paßt. Vor allem wird dieses Zurechnungsmodell nicht dem Einsatz technischer Mittel gerecht, der nach anderen Kriterien bewertet werden muß als bewußtes menschliches Handeln. Aber auch von den Folgen her betrachtet erscheint es problematisch, mangels geeigneter technischer Abgrenzungskriterien weite Bereiche möglicher Computerfehler in den Bereich eines relevanten Erklärungs- oder Inhaltsirrtums zu bringen und damit die gesetzlichen Abgrenzungen aufzuweichen. 34 Die Konzeption des geltenden Anfechtungsrechts stellt allein auf die Abweichung des Erklärungstatbestands von den Vorstellungen des Erklärenden über Erklärungstext und Erklärungsinhalt ab. Nach dem geltenden Anfechtungsrecht ist daher eine Anfechtung automatisiert erstellter Erklärungen nur insoweit möglich, als sie Ausdruck eines konkret gebildeten menschlichen Willens sind. Soweit die Arbeitsteilung Mensch/Maschine dieses Band zwischen menschlichem Willen und erstellter Erklärung auf einen bloß abstrakten Willen reduziert, ist dies dem Risiko des Erklärenden zuzuordnen, da lediglich die Entstehungsbedingungen der Erklärung, nicht die Erklärung selbst betroffen ist. 35 Das Anfechtungsrecht erfaßt dieses technische Risiko nicht mehr, vielmehr bleibt es insoweit bei der auf die Risiken der Automatisierung zugeschnittenen Zurechnung des Erklärungstatbestand nach dem Risikoprinzip als Ausdruck des Vertrauensschutzes. 36 Die Automatisierung kann kein Anlaß für eine Ausweitung der Anfechtungsmöglichkeiten sein, da dies auch Rückwirkungen auf die Rechtssicherheit hätte. 37
c) Anfechtung nach §119 Abs. 2 BGB Das Gesetz läßt in § 119 Abs. 2 B G B ausnahmsweise eine Anfechtung auch im Bereich des Motivirrtums zu. Nach dem zuvor Gesagten fallen darunter zunächst die Sachverhalte, in denen eine natürliche Bedienperson, deren Handlungen dem BeVgl. Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 103ff. Vgl. auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 161 f.; im Ergebnis auch Schwörbel, Automation als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 59f. 35 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 151 f.; Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 108. 36 Vgl. auch Schwörbel, Automation als Rechtstatsache des bürgerlichen Rechts, S. 60. 3 ; Interessanterweise enthalten die Principles of European Contract Law eine von rein subjektiven Voraussetzungen gelöste Verobjektivierung, die auf vertrauenstheoretischen Grundlagen basiert und auch den Aspekt der Risikoübernahme und Risikozuweisung einbezieht, vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S.962f. mit dem Text zu Art.4:103 der Principles und auch einem Bezug auf die UNIDROIT-Prinizpien. 33
34
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Kommunikation
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treiber nach § 166 Abs. 1 B G B zugerechnet werden, sich in einem entsprechenden Eigenschaftsirrtum befindet und dieser direkt auf die resultierende Erklärung durchschlägt. Wenn der Angestellte eines Versandhandels fälschlicherweise die Bonität eines Kunden positiv beurteilt und ihm eine Kundennummer in der E D V Verwaltung zuteilt, so handelt es sich um einen ausnahmsweise beachtlichen Irrtum bei der Willensbildung, der sich direkt auf den Inhalt der später v o m A n b i e terrechner mit dem Kunden abgeschlossenen Kaufverträge auswirkt. 3 8 Problematisch für die elektronische Willenserklärung sind aber vor allem die Fälle, in denen der inhaltliche Fehler erst bei der programmgestützten Datenverarbeitung auftritt, etwa wenn die Bonität aus zuvor erhobenen und eingegebenen Daten aufgrund eines Programmfehlers falsch bewertet wurde oder die h e r k ö m m lich als verkehrswesentlich angesehenen Eigenschaften der Person oder Sache fehlerhaft automatisch erhoben oder verarbeitet wurden. Dies kann etwa eintreten, wenn Information und Abschluß weitgehend einem intelligenten Agenten überlassen werden, während der diesen einsetzende N u t z e r nur einen bestimmten R a h m e n vorgibt. A u c h wenn man nach der gesetzlichen Regelung die meisten während der automatisierten Phasen der Erklärung auftretenden Fehler dem Bereich des Motivirrtums zuordnen muß, so können diese Fälle § 119 Abs. 2 B G B ausnahmsweise relevant sein. Ein Problem liegt aber darin, daß es sich hier nicht um einen menschlichen Irrtum handelt. K u h n will für diesen Fall, anders als bei § 1 1 9 Abs. 1, eine Analogie zu § 1 6 6 Abs. 1 B G B zulassen und einen E D V - » F e h l e r « in der Phase der Willensbildung als Anfechtungsgrund anerkennen. 3 9 E r setzt sich damit in Widerspruch zu der zuvor auch von ihm ausgeschlossenen Vergleichbarkeit menschlicher und E D V - g e s t ü t z ter Willensbildung sowie seiner Ablehnung einer phasenorientierten Betrachtung. 4 0 Wenn man nicht der E D V - A n l a g e einen wie immer gearteten eigenen Willen wie einem Vertreter zusprechen will, erscheint aber auch hier eine Analogie zu § 1 6 6 Abs. 1 nicht tragfähig. A u c h wenn man die technischen Verarbeitungsschritte dem Motivbereich zuordnet, ergibt sich für die hier angesprochenen Fallgestaltungen kein relevanter Motivirrtum, denn der Irrtum des Betreibers richtet sich hier auf die fehlerfreie Verarbeitung, nicht aber auf die nach § 119 Abs 2 relevanten inhaltlichen Elemente. Kramer nimmt - anders als bei § 119 Abs. 1 - für die weitgehend als mißglückt angesehene Regelung in Absatz 2 die Möglichkeit einer Interpretation im Sinne einer vertraglichen Risikotragung an, die auch die Fälle einbezieht, in denen der Kontrahent den Irrtum veranlaßt hat oder ihm dieser offensichtlich erkennbar war. 41 A u c h wenn diese Interpretation eine gewisse Überzeugungskraft aufweist, 38 39 40 41
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 168f. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 168f. insoweit Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 161. MünchKomm-Äramer, §119 Rdnr. 101 ff.
380
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
ist doch der Anwendungsbereich des §119 Abs. 2 B G B auf einen Irrtum über einen zugrundeliegenden Wirklichkeitssachverhalt beschränkt, der den Inhalt der Erklärung betrifft. 42 Wenn man aber eine analoge Anwendung des § 166 B G B ablehnt, handelt es sich bei einem Fehler während der automatisierten Kommunikationsphase um einen Irrtum des natürlichen Betreibers darüber, wie die E D V die Grundlagen der Erklärung in eine konkrete Erklärung umsetzt. Aus Sicht des Betreibers geht es also um den Anwendungsbereich eines Erklärungs-, nicht eines Inhaltsirrtums. Ausnahme sind solche Erklärungsbestandteile, die unverändert in die endgültige Erklärung eingehen. Eine erweiterte Anfechtbarkeit von Computererklärungen kann deshalb über § 119 Abs. 2 nicht eröffnet werden. d) Grundsätze über den Wegfall der
Geschäftsgrundlage
Die engen Grenzen der Anfechtungsregeln haben zu einem Ausweichen der Rechtsprechung auch auf die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, nunmehr kodifiziert in §313 B G B n.F., geführt. 43 Ein gemeinschaftlicher Irrtum könnte bei automatisierter Kommunikation darin zu sehen sein, daß beide Parteien vom einwandfreien Funktionieren der Datenverarbeitung ausgehen und diese Vorstellung dem angestrebten Vertrag zugrundelegen. Da eine fehlerfreie Erstellung von Software aus Sicht der Informatik nicht möglich ist,44 bringt die Automatisierung der Kommunikation erhöhte technische Risiken mit sich, die nicht völlig beherrschbar sind. Da diese Situation aber vorhersehbar ist, ist bereits aus diesem Grund die Anwendung der Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zweifelhaft. Von zentraler Bedeutung für die Anwendbarkeit der Lehre von der Geschäftsgrundlage sind aber Risikozuweisung und die Abgrenzung der Risikosphären. Nach der oben als »Systemaspekt« angesprochenen Eigenschaft technisierter Kommunikation kommt der Nutzen technischer Kommunikationsnetze allen Beteiligten zugute, und der Anschluß an ein solches System ist dann nicht als einseitige Risikoübernahme zu interpretieren. Dieser Systemaspekt wird aber überlagert durch die gesetzlichen Grundentscheidungen mit Bezug auf rechtsgeschäftlich relevante Kommunikation. Danach gibt es eine unterschiedliche Risikozuweisung in den Phasen Erklärung, Übermittlung und Empfang einer Willenserklärung. Diese Aktivitäten müssen jeweils für sich betrachtet werden und führen nicht wegen Benutzung desselben Mediums zu einer Risikogemeinschaft. Eine Anwen42 Vergleichbares gilt für den auf eine sprachwissenschaftliche Analyse gestützten Vorschlag von A. Säcker, Irrtum über den Erklärungsinhalt, S. 362ff., eine Fallgruppe eines geschäftlichen Sachverhaltsirrtums in § 119 Abs. 1 B G B einzuführen, der ebenfalls nicht Fehler in der Phase der Willensbildung betrifft. 43 Nach der Begründung zum RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 174ff., soll an den Ergebnissen der bisherigen Ausformung des Instituts durch die Rechtsprechung inhaltlich nichts geändert werden. Zur Fallgruppe des gemeinschaftlichen Irrtums vgl. Palandt-Heinrichs, §242 Rdnr. 149ff. m.w.Nachw. 44 Vgl. Taeger, Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme, S. 51.
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der Kommunikation
381
dung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist deshalb ausgeschlossen. e) Anfechtung aa)
bei Überschreitung
der gesetzten
Rahmenbedingungen
Problem
Fraglich ist, ob dann eine Anfechtungsmöglichkeit gegeben sein soll, wenn die Erklärung aus dem Rahmen dessen fällt, was der Betreiber an denkbaren Fallkonstellationen erwartet und gewollt hat. Kuhn führt dafür das Beispiel an, daß der Rechner eines Versandhändlers, der seinen Warenverkauf über Btx vollautomatisch abwickelt, versehentlich eine Annahmeerklärung nicht in die Mailbox eines Bestellers, sondern aufgrund einer Nummernverwechslung in den Briefkasten eines Geschäftspartners versandte, mit dem Vorverhandlungen über einen Unternehmensverkauf geführt worden waren. 45 Hier liegt kein Irrtum über einen als feststehend in die endgültige Erklärung eingehenden Erklärungsbestandteil vor, sondern über den inhaltlichen Bereich, den die automatisierte Abgabe abdecken soll und über den sich der Betreiber konkret und abschließend eine Meinung gebildet hat. Insofern könnte man den bereits behandelten Fall der Unveränderlichkeit von Erklärungsteilen als Sonderfall einer Rahmensetzung ansehen. 46 Da es sich nicht mehr um ein im Versandhandel übliches Geschäft handelt, soll unabhängig davon, ob es sich um einen Eingabe-, Programm- oder Datenfehler handelt, eine Anfechtung wegen Erklärungs- oder Inhaltsirrtums möglich sein.47 Dagegen wäre nach der herrschenden Meinung eine Anfechtung ausgeschlossen, soweit es sich nicht um einen Eingabefehler hinsichtlich eines Textbestandteils handelt, der unverändert in die fertige Erklärung eingehen soll. 48 Bei persönlicher Erklärungsabgabe wird man in diesem Fall dagegen oft zu einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum kommen. bb) Die Lösung des
UCITA
Die Problematik stellt sich auch im Bereich der automatisierten Willenserklärung. Hier ist wiederum ein vergleichender Blick auf die im U.S.-amerikanischen Modellgesetz U C I T A gefundene Lösung weiterführend. Der U C I T A erkennt die sich entwickelnde Praxis vollautomatischen Vertragsschlusses ausdrücklich an und knüpft dabei, wie oben ausgeführt, an eine dem Stellvertreterrecht entsprechende Behandlung an.49 Dieses Konzept der funktionalen Äquivalenz in der
Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 155. Vgl. auch Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 86f., für die mißbräuchlich ausgefüllte Blanketterklärung; a.A. insoweit Flume, Allgemeiner Teil des B G B , S.454. 47 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 155. 48 Vgl. Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimediarecht, Kap. 13.1 Rdnr. 97, 108. 49 Siehe oben §7 IV.3. 45 46
382
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Gleichbehandlung des Einsatzzwecks mit einer Vollmacht wirft erhebliche Abgrenzungs- und Beweisschwierigkeiten auf. See. 206 des U C I T A bestätigt wie schon See. 107(d) und See. 202(a) den Grundsatz, daß auch elektronische Agenten für einen wirksamen Vertragsschluß eingesetzt werden können. Während eine einseitig automatisierte Interaktion vor allem im Rahmen von Auslegungsgrundsätzen behandelt wird (See. 206(b)), wird bei einer »vollautomatisierten« Interaktion auch auf Anfechtungsgrundsätze aus dem C o m m o n Law verwiesen. 50 Neben Manipulationen ist hier vor allem der Fall fehlerhafter Programmierung oder einer unerwarteten Interaktion zweier Agenten von Bedeutung. Dann liegt die Einigung nicht mehr innerhalb der vernünftigen Erwartungen der Partei oder Parteien, die den Agenten einsetzt oder einsetzen. Dies läßt sich als Fall beiderseitigen Irrtums ansehen. Dieser wird im Common Law nach Grundsätzen behandelt, die der Figur des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im deutschen Recht sehr ähnlich sind. 51
cc)
Zurechnungslösung
Ein Bezug zum Willen des Betreibers läßt sich bei Einsatz von Programmen in zweierlei Hinsicht herstellen. Zum einen gilt dies im Hinblick auf den konkreten Einsatzzweck. In dem Beispiel des elektronischen Agenten beträfe dies etwa das Einholen von Angeboten und den Abschluß eines Geschäfts innerhalb eines bestimmten Preislimits. Zum anderen läßt sich an die insgesamt denkbaren Einsatzmöglichkeiten eines solchen Agenten anknüpfen. Beide Zielvorgaben lassen sich anhand der Programmdokumentation auch nachweisen. Die vorausgesetzten Operationsmöglichkeiten sind weiter als der Einsatzzweck und die mit diesem vergleichbaren rechtlich bestimmten Grenzen einer Vollmacht bei einer natürlichen Hilfsperson. Uberschreitet ein »selbstmodifizierender« Agent die zugrundegelegten und damit »erwarteten« Grenzen seiner Operationsmöglichkeiten, 5 2 so ergibt sich der Fall, den der U C I T A als »unerwartete Interaktion« bezeichnet und in dem er eine Lösungsmöglichkeit für die Parteien bereitstellt. Demgegenüber kann von einer »fehlerhaften Programmierung« nicht gesprochen werden, wenn aufgrund der »Intelligenz« dieser Agenten, deren »selbstmodifizierendem« Charakter, ein solches »Verhalten« als möglich anzusehen ist. Wenn man für das deutsche Recht einen generellen Willen als subjektives Tatbestandsmerkmal für die elektronische Willenserklärung ablehnt und auch eine Analogie zum Stellvertretungsrecht nicht vertreten kann, so ist für eine Anfechtung kein Raum. Vielmehr geht es wiederum um die Feststellung des Erklärungstatbestands und dann um die Zurechnung zum vermeintlichen Erklärungsabsender. Beide genannten Fälle lassen sich damit bewältigen. Ist mit den vom Empfänger vorzuhaltenden »Empfangsvorrichtungen« 50 51 52
erkennbar, daß der elektronische
Vgl. See. 206 Comment 3. Vgl. Farnsworth, Contracts, §9.3, S. 653 ff. Vgl. dazu Brenner/Zarnekow/Wittig, Intelligent Software Agents, S. 122f.
511 Risikoverteilung
im Phasenmodell der
Kommunikation
383
Agent von den programmierten Vorgaben abweicht, so ist die Annahme einer Willenserklärung des erkennbaren Absenders ausgeschlossen. Ist dies für den Empfänger nicht erkennbar, so kommt eine Zurechnung der vom Agenten abgegebenen Erklärung nach dem Risikoprinzip oder subsidiär nach dem Absorptionsprinzip oder dem Gesichtspunkt des eigenen wirtschaftlichen Interesses in Betracht. 53 Mit dem Abstellen auf den normativen Empfängerhorizont verwirklicht sich ebenso der durch die Automatisierung der Kommunikation zu fördernde Vertrauensschutz wie durch die Anwendung der angemessenen Zurechnungskriterien. dd) Anfechtung
bei fehlendem Erklärungsbewußtsein
als Unterfall
Bei direkter Erstellung einer elektronischen Erklärung durch den Betreiber wäre auch die Berufung auf fehlendes Erklärungsbewußtsein denkbar, wenn etwa eine Chipkarte für die Erstellung einer elektronischen Signatur eingesetzt werden kann, diese aber auch multifunktional verwendbar und für Funktionen ohne Rechtsbindungswillen einsetzbar ist, etwa als Zugangskontrolle zu internen Rechnern. Der Benutzer könnte sich dann darauf berufen, er habe irrtümlich die Unterschriftsfunktion freigegeben. 54 Hier läßt sich ohne weiteres ein menschlicher Irrtum annehmen, der unmittelbar in die Erklärung eingeht und damit auch die Anfechtbarkeit analog § 119 Abs. 1 2. Alt. begründet. 55 Uberläßt aber der Betreiber die Erstellung einer Erklärung der Anwendungssoftware, so wird die oben angeführte Abgrenzung zwischen rechtlich unerheblichem Motivirrtum und erheblichem Inhalts- oder Erklärungsirrtum auch für den Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins entsprechend relevant. Wie zu § 119 Abs. 1 ausgeführt, ist ein entsprechender Fehler bei der Verarbeitung unbeachtlich. Von einem fehlenden Erklärungsbewußtsein kann nicht gesprochen werden, wenn die DV-Anlage sowohl zum Erstellen rechtsgeschäftlich erheblicher als auch unerheblicher Erklärungen eingesetzt wird. 56 Sind dagegen die Rahmenbedingungen der EDV durch Anwendungssoftware auf eine rechtlich nicht erhebliche Erklärung eingestellt, so liegt ein Fall vor, in dem die Verarbeitung durch die EDV den gesetzten Rahmen überschreitet. Dann geht es wieder allein darum, normativ das Vorliegen einer Willenserklärung zu bestimmen und die Zurechnung zu prüfen. f ) Bewertung der
Irrtumsregeln
aa) Kommunikationsmodell
und funktionale
Äquivalenz
Mit der Regelung des §119 BGB hat der Gesetzgeber versucht, einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Erklärenden an Selbstbestimmung und dem Vertrau53 54 55 56
S.o. §12 1112. Vgl. Hammer/Bizer, D u D 1993, 689, 696. Zum Meinungsstand vgl. Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rdnr. 17. Vgl. insoweit auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 167.
384
4. Kapitel:
Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
ens- und Verkehrsschutz zugunsten des Erklärungsgegners und des Rechtsverkehrs zu finden, der sich vor allem in der Abgrenzung zwischen einem nach § 119 Abs. 1 relevanten Irrtum und einem unbeachtlichen Motivirrtum ausdrückt. Die Lösungsmöglichkeit wurde insoweit begrenzt auf die Kommunikationsphasen der Encodierung und Signalproduktion, während die Willensbildung grundsätzlich dem Bereich des unbeachtlichen Motivirrtums zuzuordnen ist, mit Ausnahme des § 119 Abs. 2 BGB. Trotz der daran geübten Kritik 57 besteht daher ein Zusammenhang der Anfechtungsmöglichkeiten zu Kommunikationsphasen und Fehlerquellen. Einem methodischen Interpretationskonzept der funktionalen Äquivalenz folgend könnte man auch die automatisiert erfolgenden Teile des Kommunikationsprozesses den entsprechenden Phasen zuordnen und auf die Möglichkeit einer der menschlichen Kommunikationshandlung entsprechenden rechtlichen Behandlung hin untersuchen. Eine automatisiert durchgeführte Phase der Bildung von Begriffsstrukturen und der Encodierung ließe sich danach unterscheiden von im Kommunikationsmodell vorgelagerten Phasen der »Willensbildung«. Erstere wären dann grundsätzlich dem Bereich von §119 Abs. 1 BGB zuzuordnen. Gegen diese Gleichbehandlung der Kommunikationsphasen bei persönlicher und automatisierter Kommunikation sprechen aber die bereits im Zusammenhang mit einer Analogie zu § 166 angeführten Gründe. Die gesetzliche Regelung ist auf menschliche Irrtümer zugeschnitten, die bei der Formung der Erklärung auftreten können. An diesen soll der Erklärende nicht festgehalten werden. Setzt der Erklärende aber technische Mittel ein, um Teile der Kommunikationshandlung ganz oder teilweise zu übernehmen, so werden die subjektiven Elemente der Kommunikationshandlung technisch vermittelt und der eigene Willensanteil des natürlichen Absenders reduziert sich auf die ursprüngliche Einsatzentscheidung und die Überwachung der technischen Vorgänge. Das in den Vordergrund tretende technische Risiko wird aber nicht mehr von Sinn und Zweck des § 119 erfaßt. bb) Bedürfnis für
Rechtsfortbildung?
Im Ergebnis erweist sich, daß die zugrundegelegte Trennung zwischen Willensbildung und Erklärung und der Bezug auf einen menschlichen Irrtum die Regelung des §§119 BGB zur Erfassung der Problematik technischer Fehler weitgehend ungeeignet erscheinen läßt. 58 Dies gilt um so mehr als die zur elektronischen Willenserklärung entwickelte Fehlertypologie angesichts der technischen Entwicklung, die immer größere Bereiche des Kommunikationsmodells automatisiert, nicht mehr angemessen erscheint. Menschliche Fehler, die direkt in die endgültige Erklärung eingehen, werden mit zunehmender Automatisierung immer seltener.
57 58
Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 144f. Vgl. bereits R. Schmidt, AcP 166 (1966), 21f.
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
385
Der EU-Gesetzgeber hat in jüngster Zeit erhebliche Aktivitäten im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs entwickelt. Zu untersuchen ist insoweit, ob daneben noch Bedarf für eine Ausweitung nationaler Anfechtungsregeln besteht. Während die durch das Fernabsatzgesetz (FernAbsG) 5 9 eingeführten Informationspflichten und das Widerrufsrecht nur auf Verbraucherverträge Anwendung finden, sind die Regelungen der ECommerce-Richtlinie auf jeden »Nutzer« anwendbar und schließen damit auch gewerbliche Nutzer ein. (1) Verbraucherschutz
bei
Fernabsatzverträgen
Ein Teil der aufgrund der Analyse der Irrtumsregeln verbleibenden Problematik wird bereits durch das an keine inhaltlichen Voraussetzungen geknüpfte Widerrufsrecht gem. §312d B G B gelöst, soweit es Verbraucher betrifft. Die in §312c B G B enthaltenen Informationspflichten betreffen überwiegend den Vertragsinhalt, aus Sicht der Irrtumsregeln also den Bereich der Willensbildung, der im Rahmen von § 119 Abs. 2 relevant sein kann. Die Informationspflichten können »vorbeugend« im Vorfeld der Erklärung Fehlvorstellungen entgegenwirken und den Bedarf an Irrtumsregeln verringern. Die Informationspflichten können auch in »automatisierter« Form erfüllt werden. Dies kann dadurch erfolgen, daß die Informationen beim Empfänger automatisiert empfangen und verarbeitet werden, ohne daß der Verbraucher sie noch zur Kenntnis nimmt. Zu denken ist auch hier an den Einsatz intelligenter Agenten auf Empfängerseite. Je nach Grad der Automatisierung auf Empfängerseite wird auch dadurch den Informationspflichten genügt, etwa wenn der Käufer nur einen bestimmten Rahmen vorgibt und ansonsten Informationssammlung und Vertragsabschluß dem elektronischen Agenten überläßt. Hat der Informationspflichtige fahrlässig falsche Informationen geliefert oder eine gebotene Aufklärung unterlassen, so bleiben Ansprüche auf Vertragsaufhebung aus culpa in contrahendo (§311 Abs. 2 BGB). 6 0 Anders als bei dem auf menschliche Irrtümer beschränkten Anfechtungsrecht besteht der Haftungsgrund hier in der Veranlassung einer fehlerhaften Verarbeitungs- und Entscheidungsgrundlage des automatisierten Verfahrens, das zur Erstellung einer elektronischen Willenserklärung führt. Die gesetzliche Regelung erübrigt weitgehend die Anwendung von Irrtumsregeln. (2) Nutzerschutz
nach Art. 10, 11
ECommerce-Richtlinie
Informationen über das technische Verfahren benötigen alle Nutzer, unabhängig davon, ob sie ansonsten typischerweise geschäftlich unerfahren sind oder nicht. 59 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.7. 2000, BGBl. I 2000, S. 897. 60 Vgl. zur herrschenden Rechtsprechung im Anschluß an B G H N J W 1962, 1196 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 12 m.w.Nachw. sowie zu den Rechtsfolgen ders., S.137ff. Hinzuweisen ist auch auf die Lösungsrechte nach § 13a U W G und §495 Abs. 1 B G B .
386
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Der EU-Gesetzgeber hat insoweit in Art. 10(1) der ECommerce-Richtlinie 6 1 spezifisch auf das technische Verfahren zum Vertragsabschluß bezogene Informationspflichten vorgesehen, die in §311e Abs. 1 Nr. 2 B G B ins deutsche Recht umgesetzt wurden. 62 Außerdem müssen nach Art. 11 die Diensteanbieter nach Eingang einer Bestellung eine Empfangsbestätigung übersenden und »angemessene, wirksame und zugängliche« Mittel zum Erkennen und zur Korrektur von Eingabefehlern vor Abgabe der Bestellung bereithalten (§312e Abs. 1 S. 1 Nr. 1 B G B ) . Die Regelung will ersichtlich Systemvertrauen herstellen. Sie wird ergänzt durch technische Gestaltungen, flankiert entweder durch technikregulierende Vorschriften oder Regelungen, die Selbstschutz ermöglichen sollen. Besonders die Verpflichtung, entsprechende Fehlererkennungs- und Korrektursysteme vorzuhalten, verringert die Gefahr, daß der Nutzer aus Unachtsamkeit oder Unerfahrenheit technische Operationen anstößt, die er nicht überblickt und nicht gewollt hat. Soweit sich diese Regelungen auf »Eingabefehler« beziehen, kommt nach derzeitiger Rechtslage eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums in Betracht, da es in der Regel um eigenes Handeln des Nutzers geht. 63 Für die hier problematisierten Fälle der automatisierten Willenserklärung schaffen die Regelungen keine Abhilfe. D a für diesen Bereich aber eine Zurechnung nach dem Risikoprinzip als angemessen erachtet wurde, besteht für eine weitergehende Lösungsmöglichkeit insoweit kein Bedürfnis. cc) Fazit Die gesetzlichen Neuregelungen betreffen vor allem die Mensch/MaschineSchnittstelle und schaffen in diesem für die Willensbildung zentralen Bereich »vorbeugend« durch Auferlegung von Informationspflichten sowie nachträglich durch ein Widerrufsrecht Abhilfe für entstehende Asymmetrien. Zusammen mit der der grundlegenden Zuweisung des allgemeinen Erklärungsrisikos an die Seite des Erklärenden, läßt sich ein Bedarf an weiterer Rechtsfortbildung nicht feststellen.
61 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (»Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr«) vom 8.6. 2000, AB1EG Nr. L 178/1 vom 17.7. 2000. 62 §312e B G B i.d.E des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11. 2001, BGBl. I, S. 3138, vgl. die Bekanntmachung der Neufassung des B G B v. 2.1. 2002, BGBl. Tei11 2002 v. 8.1. 2002, Nr. 2 S.42; die Informationspflichten sind im einzelnen geregelt in §3 der BGB-InformationspflichtenVO (InfoV) v. 2.1. 2002, BGBl. Teil I 2002 v. 8.1. 2002, Nr. 2 S.342, 343. 63 Hat eine unterlassene Aufklärung oder fehlende technische Korrekturmöglichkeiten nach Art. 10, 11 der ECommerce-RL zum Irrtum beigetragen, kann ein zumindest teilweiser Ausschluss des Schadensersatzanspruchs gem. § 122 B G B in Betracht kommen, vgl. Glatt, Z U M 2001, 390, 395, unter Verweis auf R G Z 81, 395, 398f.; B G H N J W 1969, 1380. Vgl. ferner unten S.510.
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
387
Die entsprechenden Interessen finden ihre Berücksichtigung vielmehr in den in die Zurechnung des Tatbestands nach dem Risikoprinzip einfließenden Erwägungen. Die entsprechende Zurechnung schafft Anreize zur Risikoverminderung und verteilt die jeweiligen Risiken nach auf den technischen Charakter der automatisiert ablaufenden Vorgänge zugeschnittenen Erwägungen. Wie bereits ausgeführt ist dabei auch dem Prinzip der Selbstbestimmung Genüge getan. Eine Korrektur der Zurechnungsentscheidungen über die auf menschliches Handeln zugeschnittene Irrtumslehre ist weder gesetzlich noch per Analogie erforderlich. 64
3. Anfechtung bei Täuschung und D r o h u n g § 123 B G B schützt die Entschließungsfreiheit des Erklärenden und bezieht sich auf alle Tatsachen, soweit die Täuschung oder Drohung für die Erklärung ursächlich wird. Besondere Probleme wirft der Tatbestand des § 123 B G B im digitalen Kontext vor allem dann auf, wenn nicht der Erklärende als natürliche Person einer entsprechenden Täuschung oder Drohung unterliegt, sondern die E D V entsprechend manipuliert wird. Kuhn nennt als Beispiel den Fall einer bewußt unrichtigen Selbstauskunft durch den Kunden bei automatisierter Bonitätsprüfung. 6 5 Hier fehlt es an einer Beeinflussung der Willensbildung des Betreibers oder seines Gehilfen. Bei Manipulationen der E D V könnte man aber an eine mittelbare Täuschung des Anlagenbetreibers im Hinblick auf den ordnungsgemäßen Betrieb des Systems denken, aber es fehlt dann an einer Ursächlichkeit dieser mittelbaren Täuschung für die Erstellung der Erklärung, wenn ein rechtzeitiger Eingriff des Betreibers nicht mehr möglich ist. 66 Kuhn will auch hier wie bei der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 B G B wegen der Vergleichbarkeit der Situation zur Täuschung gegenüber dem Erklärenden § 166 Abs. 1 analog anwenden. 67 Auch im U C I T A ist in See. 206 eine Lösungsmöglichkeit bei elektronischem »Fraud« vorgesehen. Gemeint sind dabei die Fälle, in denen eine Partei oder ein von dieser eingesetzter elektronischer Agent die Programmierung oder das Antwortverhalten eines anderen elektronischen Agenten derart manipuliert, daß von einer Täuschung gesprochen werden kann. 68 Zwar steht im Rahmen von §123 nicht das Argument einer Aufweichung der Abgrenzung zwischen Motiv- und Erklärungs- oder Inhaltsirrtum gegen eine Anwendung im elektronischen Kontext. Allerdings spricht auch hier die oben be-
64 I.E. ebenso Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 192. Auf vertragliche Möglichkeiten der Risikoreduzierung, vor allem im Zusammenhang mit EDI-Musterverträgen, weist Börms, in: Geis (Hrsg.), Die digitale Kommunikation, S. 89, 103 ff., hin. 65 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 170. 66 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 171. 67 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 171; vgl. ferner Viebcke, >Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene< Willenserklärungen, S. 114f. 68 Vgl. See. 206 Comment Zi. 3.
388
4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
gründete Ablehnung einer Vergleichbarkeit menschlicher und automatisierter Willensbildung und Erklärungserstellung zunächst gegen eine Anwendung auch auf Manipulationen im Hinblick auf den automatisierten Teil rechtsgeschäftlicher Kommunikation. Anders als im Rahmen von § 119 B G B ist bei der Prüfung eines Analogieschlusses jedoch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Manipulation der Datenverarbeitung der Täuschung eines Menschen gleichgestellt und damit eine Strafbarkeitslücke bei §§263, 267 durch §§263a, 2 6 8 - 2 7 0 , 303a, 303b S t G B geschlossen hat. Dies rechtfertigt es, neben einer Anwendung von §823 Abs. 2 B G B auch eine Analogie zu § 123 im Hinblick auf den Betreiber ausnahmsweise zuzulassen und dem Betreiber eine Berufung auf § 123 B G B zuzugestehen.
III.
Emission -
Wirksamkeitsvoraussetzungen
1. Abgabe Der weitere Kommunikationsverlauf im Phasenmodell läßt sich innerhalb der engeren Rechtsgeschäftslehre erfassen. Hier gilt zunächst der Grundsatz, daß der Absender das allgemeine Erklärungsrisiko trägt. Die Phase der Erklärungsbildung wird sowohl in syntaktischer als auch in semantischer Hinsicht durch die beiden Fälle des § 119 Abs. 1 B G B erfaßt. § 1 3 0 beinhaltet die Abgabe als erkennbare willensgesteuerte Entäußerung, so daß an der Endgültigkeit der Willenserklärung kein Zweifel mehr besteht. 69 Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen muß der Absender das nach den U m ständen zu Erwartende getan haben, um die Erklärung dem Empfänger nahe zu bringen. 70 Der Erklärende wird also als »Herr« des Kommunikationsverlaufs auch insoweit betrachtet, als ihm eine bewußte Entscheidung über das Inverkehrbringen der Erklärung eingeräumt und zugleich zugerechnet wird. Die schriftliche Niederlegung einer Erklärung mittels technischer Hilfsmittel ist zwar eine Zeichenproduktion im kommunikationstheoretischen Sinne, sie wird aber auch rechtlich noch als Bestandteil einer internen »Erklärungssphäre« betrachtet. Erst mit der Sendung werden die produzierten Zeichenformen einem Kommunikationskanal überlassen. Für fehlerhafte Kommunikationsverläufe im Stadium der Abgabe einer Willenserklärung war auch bei herkömmlichen Medien bereits eine Risikoverteilung vorzunehmen. So wird etwa der Fall, daß der Verfasser eines Briefentwurfs diesen auf dem Schreibtisch liegen ließ und die Sekretärin versehentlich den Brief abschickte, dem Verfasser zugerechnet. 71 Bei dieser Zurechnung wird auf das Her-
So Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 4. Vgl. Larenz/Canaris, §26 I 1; B G H Z 65, 13, 14. 71 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §26 Rdnr. 5 m.w.Nachw.; AK-Hart, § 130 Rdnr. 3, in Parallele zum Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins; so auch Palandt/-Heinrichs, § 130 Rdnr. 4; 69
70
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
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rühren aus dem Herrschafts- und Organisationsbereich des Erklärenden abgestellt, aber überwiegend das Verschuldensprinzip als Zurechnungsmaßstab herangezogen. Nach anderer Ansicht kommt in diesem Falle keine Zurechnung als Abgabe, sondern nur ein Anspruch gem. § 122 in Betracht. 7 2 Ein Vertretenmüssen wird etwa dann ausgeschlossen, wenn der Brief gestohlen wurde. Uberwiegend will man dem Empfänger aber auch in diesem Fall einen Anspruch analog §122 geben und damit dem Risikoprinzip Geltung verschaffen. Darüber hinaus wird teilweise auch eine Anrechnung nach § 2 5 4 durchgeführt, weil das Risiko von beiden gemeinsam zu tragen sei. 73 Damit hat man im Grunde bereits für herkömmliche Kommunikationsvorgänge das Risikoprinzip nutzbar gemacht. Für die elektronische Kommunikation ist die Frage der Abgabe der Erklärung Teil der auf den Tatbestand bezogenen Zurechnungserwägungen und ihrer Ersetzungsfunktion hinsichtlich des Willensmoments. 74 Damit ist auch insoweit statt einer Prüfung des Vorliegens eines »generellen Abgabewillens« eine Zurechnung nach dem Risikoprinzip durchzuführen. 75 Für die Risikozuweisung ist jeweils genauer die Beherrschbarkeit durch die Parteien zu hinterfragen, die aber in der Regel beim Absender liegen wird. 76 Dies gilt etwa in dem Fall, in dem ein elektronisch abgespeicherter Erklärungsentwurf aufgrund eines Programmierfehlers vorzeitig abgeschickt wird. Für Web-Angebote wird die »interne Erklärungssphäre« verlassen, wenn dem Nutzer die Zugriffsmöglichkeit eingeräumt wird. Für den Abgabezeitpunkt ist also auf das Freischalten eines Angebots im Netz abzustellen. Das bedeutet, daß unabhängig von den Besonderheiten der Client-Server-Technik, aufgrund der die Webseite erst beim Nutzer generiert wird, die Abgabe bereits mit der Abrufbarkeit der Daten von dem Rechner eintritt, auf dem sie der Anbieter zum Abruf bereitstellt. Erfaßt ist aber auch der Fall, daß der Absender versehentlich auf die Eingabetaste drückt und damit einen Sendebefehl auslöst. 77
Flume, Allgemeiner Teil des B G B , S.226 Fußn. 10; Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 266; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839, 840. A.A. 72 Vgl. Staudinger/Dilcher, Vor §§116ff. Rdnr. 18; M ü n c h K o m m - £ i W e , §130 Rdnr. 14; B G H Z 65, 13, 14f. 73 Vgl. B G H N J W 1969, 1380; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §26 Rdnr. 5; a.A. MünchKomm-Kramer, § 122 Rdnr. 12, gegen eine Abwägung im Rahmen von § 122 Abs. 1 und 2 B G B . 74 Zur Vergleichbarkeit der fehlerhaften Abgabe mit dem fehlenden Erklärungsbewußtsein vgl. Flume, Allgemeiner Teil des B G B , § 14, 2, S.227f. 75 Vgl. auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 89f., der das Beispiel einer vorzeitig durchgeführten Uberweisung aufgrund einer fehlerhaften Termineingabe bzw. eines Programmfehlers bringt. I.E. ebenso Harting, Internetrecht, Köln 1999, Rdnr. 72. 76 Vgl. auch Lutter-Gehling, JZ 1992, 155, der danach fragt, aus welcher »Risikosphäre« der Defekt stammt. I.E. auch Harting, Internetrecht, Rdnr. 72. Vgl. ferner zur Uberweisung B G H Z 103,143,147f. Vgl. auch Art. 15(1) das U N C I T R A L Model Law on Electronic Commerce (1996), wo auf den Zeitpunkt abgestellt wird, an dem die Nachricht »enters an information system outside the control of the originator ...«. 77 Vgl. MünchKomm-Sac&er, Einl. Rdnr. 166.
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
Vor allem bei Online-Kommunikation fallen oft Kodierung und Absenden zeitlich fast zusammen. Dies erhöht gegenüber schriftlicher Kommunikation die Fehleranfälligkeit. Gleichzeitig ergibt sich aus der Schnelligkeit der Übertragung, daß das Widerrufsrecht nach § 130 Abs. 1 S.2 B G B praktisch leer läuft. 78 Soweit dies generell als Problem der elektronischen Erklärung anzusehen ist, ist zu prüfen, inwieweit rechtliche Kompensationsmaßnahmen erforderlich sind. 79
2. Geschäftsfähigkeit Die technisch mediatisierte Kommunikationssituation wirft auch besondere Probleme hinsichtlich der Wirksamkeitsvoraussetzung der Geschäftsfähigkeit auf. Das teilweise oder völlige Fehlen eines persönlichen Kontakts, der arbeitsteilige Erstellungsprozeß mit einer zeitlichen Streckung und möglichen Beteiligung verschiedener Personen begründet eine besondere Gefahr, daß f ü r einen K o m m u n i kationspartner ein Mangel in der Geschäftsfähigkeit nicht erkennbar ist. D e n n o c h hat der Schutz des nicht voll Geschäftsfähigen nach der gesetzgeberischen Wertung absoluten Vorrang auch vor Erwägungen des Verkehrsschutzes, die aufgrund der Kommunikationssituation hier besonderes Gewicht erlangen mögen. 80 Eine Zurechnung an einen nicht voll Geschäftsfähigen k o m m t also nur im Rahmen der §§ 104ff. sowie des § 165 B G B in Betracht. Rechtsdogmatisch stellt sich hier die Frage nach dem Zeitpunkt des Vorliegens der Geschäftsfähigkeit. Während man bei herkömmlichen Willenserklärungen entsprechend der Regelung des § 130 Abs. 2 B G B an die Abgabe anknüpft u n d dies im Hinblick auf die Endgültigkeit des Rechtsbindungswillens auch sachgerecht erscheint, 81 ergibt sich bei elektronischen Willenserklärungen das Problem, daß die Willensbildung des Zurechnungsadressaten entweder bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen ist oder nur ein genereller Wille vorliegt. Dies wird dann relevant, wenn Geschäftsunfähigkeit zwischen Abschluß der Willensbildung und Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung eintritt. Der hier vertretenen Zurechnungslösung mit dem im Mittelpunkt stehenden Kriterium der Beherrschbarkeit entspricht es, auf den Zeitpunkt der Abgabe abzustellen. 82 Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Betreiber in den technischen Ablauf der Erklärungserstellung eingreifen oder die Wirksamkeit der Erklärung durch Widerruf ausschließen. Wird das Risiko des Technikeinsatzes im allgemeinen der »Sphäre« des Absenders zugerechnet, besteht andererseits kein G r u n d , zu seinen Lasten von der gesetzlichen Risikoverteilung im Hinblick auf den Eintritt der Ge78 Vgl. Kilian, in: Kilian/Heussen (Hrsg.), Computerrechts-Handbuch, Kap. 20 Rdnr. 46f.; ders., in: Weyers (Hrsg.), Electronic Commerce - Der Abschluß von Verträgen im Internet, Baden-Baden 2001, S. 9, 29. 79 Siehe unten. § 12. 80 Vgl. MünchKomm-Sdbmi'tf, Rdnr. 7 Vor §104. 81 Vgl. MünchKomm-Einsele, § 130 Rdnr. 15. 82 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 109f.
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
391
schäftsunfähigkeit abzuweichen. 83 Das muß in gleicher Weise für den Tod des Betreibers gelten. 84 Von großer praktischer Bedeutung ist das Problem mangelnder Erkennbarkeit einer nicht vorhandenen Geschäftsfähigkeit. In dieser Hinsicht kann der Einsatz technischer Schutzmechanismen Abhilfe schaffen, die eine Nutzung durch nicht voll Geschäftsfähige ausschließen sollen. Eine technische Lösung besteht bei Anwendung elektronischer Signaturverfahren darin, Angaben zum Geburtsdatum sowie Art und Umfang der zugelassenen Anwendung in einem Attribut-Zertifikat nach § 7 Abs. 1 Nr. 7, 9, Abs. 2 SigG festzuhalten. 85 Damit werden die entsprechenden Einschränkungen ebenso wie die im folgenden zu behandelnden Angaben zur Vertretungsmacht Dritter im Rechtsverkehr erkennbar gemacht. 3. Stellvertretung im elektronischen Rechtsverkehr Für die Einschaltung von Stellvertretern und Hilfspersonen besteht zunächst kein Anlaß für eine besondere Behandlung, soweit es um befugtes Handeln der Hilfsperson geht. Die Erklärung einer Person, die sich als Stellvertreter zu erkennen gibt, wird nach den §§ 164 ff. zugerechnet. 86 Allerdings ist aufgrund der gesteigerten Intransparenz der Kommunikationssituation bei elektronischer Kommunikation auch eine gewollte Stellvertretung nicht immer erkennbar. 87 In technischer Hinsicht bietet §5 Abs. 2 SigG die Möglichkeit, Angaben über die Vertretungsmacht für eine dritte Person ausdrücklich in ein Zertifikat aufzunehmen. Dadurch wird die Anwendung von §§ 170-173 BGB eröffnet. Von großer Bedeutung ist dabei auch die Begrenzung der Verfügungsmöglichkeiten bei qualifizierten Zertifikaten, bei denen die Nutzung des Signaturschlüssels nach § 7 Abs. 1 Nr. 7 SigG auf bestimmte Anwendungen nach Art und Umfang beschränkt werden kann. Das gibt dem Vertretenen auf technischem Wege Möglichkeiten der Begrenzung des Risikos aus der Anwendung der Signatur. Wird die Vertretung nicht aufgedeckt, kann auch im elektronischen Rechtsverkehr eine Anwendung der Grundsätze zum Handeln unter fremdem Namen in Betracht kommen, die von der Rechtsprechung ebenfalls entsprechend §§164ff. BGB behandelt werden. 88 Dabei ist dann aus Sicht des Empfängers zu differenzie83 Vgl. auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 110, der zutreffend darauf hinweist, daß insoweit die Anwendung der Regeln für die Vollmacht (§ 168 i.V.m. §§672, 675 BGB) nicht angemessen ist. 84 Vgl. Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138f. 85 Vgl. dazu auch Begründung zum Entwurf IuKDG, BR-Drs. 966/96, S. 35. Vgl. ferner, Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, Braunschweig/Wiesbaden 1997, S. 54-57. 86 Zur Frage, inwieweit bei offengelegtem Dritthandeln allein das Auftreten unter fremder Kennung bereits als Rechtsschein einer Vollmacht angesehen werden kann, vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S.223. 87 Vgl. auch Hoeren/Oberscheidt, VuR 1999, 371, 373f.; Reich/Nordhausen, Verbraucher und Recht im elektronischen Geschäftsverkehr (eG), Rdnr. 86. 88 Vgl. Palandt-Heinrichs, §164 Rdnr. 10; Thot/Gimmy, in: Kröger/Gimmy (Hrsg.), Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 3, 31. Vgl zum Handeln unter fremder Btx-Ken-
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
ren, ob dieser mit dem Namensträger abschließen wollte oder mit dem tatsächlich Handelnden. Bei elektronischer Kommunikation wird in der Regel das erstere in Betracht kommen, soweit diese nicht einen Grad an Interaktivität erreicht, daß die Namensträgerschaft aus der Sicht des Kommunikationspartners hinter der handelnden Person zurücktritt. 8 9 Dies ist etwa bei E-Mail durchaus denkbar, wenn der unter fremder Kennung Handelnde besondere Aussagen oder Versprechungen macht, die eine persönliche Beziehung entstehen lassen. Letzteres wird auch bei Geschäften anzunehmen sein, die unter Pseudonym oder anonym geschlossen werden. Dies ist im herkömmlichen Geschäftsverkehr anerkannt, und für den elektronischen Geschäftsverkehr sind keine Gründe für eine abweichende Beurteilung anzunehmen. Zwar ist die Intransparenz der Personenidentität bei elektronischer Kommunikation möglicherweise höher, aber ebenso wie bei herkömmlichen Medien weiß der Empfänger in diesem Fall um die Risiken und bedarf daher keines besonderen Schutzes. Dabei können im elektronischen Geschäftsverkehr auch dritte Instanzen eine vertrauensbildende Rolle spielen. So ist bei Internet-Auktionen ein Auftreten unter Pseudonym sehr häufig. Da aber alle Teilnehmer sich vor der Teilnahme an einer solchen Auktion registrieren lassen müssen und der Veranstalter sich regelmäßig verpflichtet, bei Vertragsschluß den Kontakt zwischen den Parteien herzustellen, ist diese Möglichkeit nicht durch strengere Anforderungen an den Vertragsschluß einzuschränken. 90 Dabei ist auch von Bedeutung, daß anonymes und Pseudonymes Handeln dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Grundsatz der Vertraulichkeit der Kommunikation entspricht. 91 Hinsichtlich der Person des Zurechnungsadressaten und damit Vertragspartners kommt weiterhin die Anwendung der Grundsätze des Geschäfts für den, den es angeht, in Betracht. 9 2 Dabei ist aber zu beachten, daß sich diese nur auf Bargeschäfte beziehen, während derzeit bei Online-Verträgen noch keine vergleichbare Interessenlage gegeben ist. Die Identität des Vertragspartners wird in der Regel aufgrund der Distanz und Unpersönlichkeit der Kommunikation für die Partner von Bedeutung sein, da für die Erfüllung und Abwicklung der Transaktion eine Erreichbarkeit gegeben sein muß. Auch wenn heute digitale Güter wie Software bereits über das Netz bezogen werden, sind Bezahlsysteme, die ein sofortiges Bezahlen ermöglichen, noch nicht weit verbreitet. Solange entsprechende technische Systeme, die eine sofortige Erfüllung oder sogar anonyme Transaktionsmöglichnung auch Brinkmann, B B 1981, 1186; Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, S. 70ff.; Paefgen, Bildschirmtext aus zivilrechtlicher Sicht, Weinheim 1988, S. 61 f.; Kreis, Vertragsschluss mittels Btx, S. 63ff. 89 Vgl. auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 195f. 90 Zur Prüfungspflicht des Auktionshauses hinsichtlich der Identität der Teilnehmer s.u. § 1 2 1 4). 91 Vgl. auch provet/GMD, Die Simulationsstudie Rechtspflege, Berlin 1994, S. 21 Off., auch zu rechtlichen Grenzen des Einsatzes. 92 Vgl. Paefgen, Btx aus zivilrechthcher Sicht, S. 59, für den entgeltlichen Informationsabruf; Wildemann, Vertragsschluss im Netz, München 2000, S. 25.
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
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keiten beinhalten, nicht im Einsatz sind, wird man ein Geschäft des jeweils Handelnden nicht annehmen können. 93 Anwendbar sind schließlich auch die Grundsätze der Zurechnung an den Betriebsinhaber bei unternehmensbezogenen Geschäften, sofern diese als solche für den Empfänger erkennbar sind. 94
IV.
Übermittlung
§ 120 B G B regelt die Verteilung des Risikos der Fehlübermittlung einer Erklärung durch eine Person oder Anstalt und betrifft damit im Ausgangspunkt zunächst vor allem einen Fall der personellen Arbeitsteilung während der Übermittlungsphase. Verschulden des Boten ist nicht Voraussetzung für eine Haftung. § 120 erfaßt nach bisher herrschender Auffassung nur die mit einer Reproduktion verbundenen zusätzlichen Gefahren, während ein telefonischer oder telegrafischer Kontakt nicht mehr unter § 120 fallen soll. 95 Etwas anderes wiederum soll für die Übermittlung mittels Fax gelten. 96 Zu prüfen ist, ob die Entwicklung elektronischer Kommunikationsformen es erforderlich macht, die auf personelle Risiken zugeschnittene Regelung fortzuschreiben und den Fall automatisierter Übermittlung einzubeziehen, auch wenn aufgrund der Anwendbarkeit von § 119 Abs. 1 2. Alt. B G B die praktischen Auswirkungen weniger gravierend sind. Unter dem Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit kann man die Übermittlungsphase als eigenständig zu regelnden Risikobereich ansehen. Wird die Erklärung in einer »Übermittlungsanstalt« zwischengespeichert, so bekommt die Übermittlungsphase unter Risikogesichtspunkten eigenständige Bedeutung und wird innerhalb des Kommunikationsverlaufs zu einer eigenständigen Risikosphäre, die vom Betreiber des Dienstes beherrscht wird. 97 Daher könnte auch bei Einsatz technischer Übertragungsmittel der Fall des Bestehens eines direkten Übermittlungskontakts, der vollständig unter der Steuerung des Absenders steht, anders zu behandeln sein als der Fall, daß eine Erklärung zwischengespeichert und aus dem Speicher weiterübertragen wird, auch wenn dies vollautomatisch erfolgt. 98 Die Re93 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 197; A. Schmidt, Rechtsfiguren der Selbstbedienung im Zivilrecht, S. 162. 94 Vgl. B G H Z 91,152; B G H N J W 1995,44; B G H N J W 1996,1054; B G H N J W - R R 1997,527. 95 Vgl. Staudinger-Dilcher, § 120 Rdnr. 7, wonach die übermittelte Erklärung der »inhaltlichen Beeinflußbarkeit« durch den Boten ausgesetzt sein muß; MünchKomm-Kramer, § 120 Rdnr. 2. 96 Vgl. Fritzsche/Malzer, D N o t Z 1995, 3, 15. 97 Vgl. auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 174, der S. 176 letztlich für eine analoge Anwendung plädiert, da der von § 120 vorausgesetzte konkrete Rechtsfolgenwille bei der Computererklärung nicht vorhanden sei. 98 Vgl. insoweit die Differenzierungen der vermittelnden Instanzen bei Wersig, Die kommunikative Revolution, S. 35f., zwischen die Darstellungsform nicht verändernden Instanzen wie Verstärker und Aufladestationen einerseits, und die Darstellungsformen verändernden Instanzen mit zwei Hauptformen, nämlich »Kanalwechsler« und »Mediatoren«. Letztere nehmen eigenständig Zeicheninterpretation und - produktion vor und entsprechen insoweit der aus rechtlicher Sicht angespochenen Differenzierung.
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4. Kapitel:
Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
gelung erfaßte dann nicht so sehr personelle Risiken, sondern die sich aus einer Zwischenspeicherung in einer nicht beherrschten Sphäre ergebenden Verfälschungsrisiken. Die Übermittlung per Fax dürfte damit nicht dem Anwendungsbereich des § 120 unterfallen. Es ist aber sehr fraglich, ob eine solche Differenzierung angesichts des Gesetzeszwecks und der technischen Entwicklung noch tragfähig ist. Eine Speicherung erhöht zwar das Risiko der Verfälschung, dieses besteht aber auch bei einem direkten Ubermittlungskontakt. Auch hier können während des Datentransports technische Probleme auftreten, die zu einer Verfälschung der Nachricht führen. Vor allem läßt sich sowohl aus Sicht des Absenders als auch des Empfängers nicht erkennen, wo die Störung entsteht und worauf sie beruht. Noch weniger läßt sich dies aus Sicht des Absenders bzw. durch seine EDV steuern, denn dieser hat trotz eines direkten Kommunikationskontakts keinen Einfluß auf in der Transportphase auftretende technische Störungen. Es ist insoweit zu unterscheiden zwischen der unmittelbaren Steuerung des Kommunikationsvorgangs und dem Ursprung einer technischen Störung, die wirksam wird. Eine Differenzierung zwischen Speicherung/Reproduktion und direkter Datenübermittlung erscheint nicht sinnvoll. Dies gilt auch für eine rein auf die Signalebene beschränkte Transportphase. Auch dort können Störungen oder Eingriffe zu Veränderungen führen, die sich auch auf höheren Schichten des Kommunikationsmodells auswirken. Probleme während des Datentransports sind daher unter dem Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit dem Betreiber des Telekommunikationswegs zuzuordnen. Dabei ist allerdings genau zu untersuchen, welcher Fehler jeweils wirksam geworden ist und ob dieser der Sphäre des Ubermittlungsdienstes entstammt. Es entstehen aber mit dem Internet weitere technisch bedingte Zweifelsfragen. Durch die Eigenart des Datentransports im Internet werden nur Datenpakete verschickt, die sich erst beim Empfänger mit Hilfe des Browsers zu einer für den Menschen wahrnehmbaren Erklärung zusammensetzen. Ist etwa die Präsentation auf einer Webseite als verbindliches Angebot anzusehen, so fragt sich, ob eine Datenverfälschung auf dem Transportweg zum Empfängercomputer mit vielen ephemeren Zwischenspeicherungen dem Bereich von § 120 BGB zuzuordnen ist. Die Unterscheidung zwischen technischer Vervielfältigung und deren rechtlicher Bewertung ist aus dem Urheberrecht bekannt und hat sich auch in der Richtlinie zum Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten in der Informationsgesellschaft niedergeschlagen." Nach Art. 5 Abs. 1 sind ephemere Zwischenspeicherungen wie Caching und Routing nicht den Verwertungsrechten des Urheberrechts unterstellt, da sie keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben, weil sie inhaltlich nicht verwertet werden können. 99 Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, AB1EG Nr. L 167 vom 22.6. 2001, S. 10.
§11 Risikoverteilung
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der
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Demgegenüber ist nach dem Zweck des § 120 B G B auf die Beherrschbarkeit abzustellen, und auch diese Zwischenspeicherungen sind in den Anwendungsbereich einzubeziehen. Sie lassen sich nicht der Phase der Erstellung zuordnen, wie es etwa für die Übermittlung von Ausgangsdaten an einen Beauftragten angenommen wurde, der aus diesen Daten die fertige Erklärung, auch programmgesteuert, erstellte. 100 Vielmehr sind die fertigen Anweisungen zur Erstellung der Webseite bereits im Rechner des Absenders gespeichert und werden nur in einzelne Datenpakete zwecks Transports zerlegt und dann auf dem Empfängerrechner wieder »zusammengesetzt«, möglicherweise auch unter Einbeziehung von Dateien von dritten Quellen, etwa bei »Inline-Links«. Die Veränderungen zwecks Transports beschränken sich auf die rein syntaktische Ebene und lassen sich daher nicht mehr der Erstellungsphase einer elektronischen Willenserklärung zuordnen. Begrenzt wird die Anwendung insofern von der bisher herrschenden Meinung durch das Vorliegen einer absichtlichen Verfälschung. 101 Diese Gefahr sei für den Absender typischerweise nicht mehr beherrschbar. Vom Standpunkt des Risikogedankens kann man jedoch auch für diesen Fall eine Zurechnung vornehmen, da der Absender durch die Einschaltung eines Boten die Gefahr eines Fehlers oder Mißbrauchs erhöht. 1 0 2 Dies entspricht auch der Änderung von § 120 durch das Formanpassungsgesetz. 103 Dort wird nicht nach dem Grund der Veränderung differenziert, so daß sowohl Irrtum, technischer Defekt als auch Eingriffe Dritter, auch von außen, in den Anwendungsbereich fallen. 104 Daß diese Sphäre, wenn auch mit Anfechtungsmöglichkeit, zunächst dem Absender zugerechnet wird, erklärt sich neben der Schwierigkeit des Nachweises der Fehlerursache daraus, daß dieser mit der Initialisierung der Kommunikation und der Wahl der Kommunikationsmittel eine für die Risikozurechnung relevante Gefahr geschaffen hat. 105 Die Regelung des § 120 B G B bestätigt damit auch die hier zugrunde gelegte Zurechnung nach dem Risikoprinzip. Sie ist nicht nur auf technische Störungen anzuwenden, sondern auch auf jegliche Störungen in der Phase nach Verlassen des Machtbereichs des Absenders bis zum Erreichen des Machtbereichs des Empfän100 Vgl. Kuhn, Rechtshandlungen mittels E D V und Telekommunikation, S. 176; Zuther, Die Auswirkungen der Rationalisierung im Rechtsverkehr, S. 109f., nimmt hier bereits einen Anwendungsfall von § 120 B G B an, allerdings für den Fall von an einen selbständigen Subunternehmer übersandten Lochkarten, aus denen dieser dann die Erklärung erstellt. 101 Vgl. Soergel-Hefermehl, § 120 Rdnr. 4; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 20 II Rdnr. 44; für die elektronische Erklärung auch Hahn, in: Hoeren/Queck (Hrsg.), Rechtsfragen der Informationsgesellschaft, S. 146, 156. 102 Vgl. Marburger, AcP 173 (1973), S. 147,155; MünchKomm-Äramer, § 120 Rdnr. 3; Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 748; Pawlowski, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 698. 103 Das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr v. 13.7. 2001, BGBl. Teil I 2001 N R . 35 v. 18.7. 2001, S. 1542 bezweckt eine Fortschreibung auf moderne Kommunikationsmittel, indem der Begriff »Anstalt« durch »Einrichtung« ersetzt wird; die Begründung, BT-Drs. 14/4987 v. 14.12. 2000, S. 14, spricht allgemein von »fehlerhafter telekommunikativer Übermittlung«. 104 So ausdrücklich die Begründung, BT-Drs. 14/4987 v. 14.12. 2000, S. 14. 105 S.o. §7 III.3.a)aa). Vgl. ferner Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 273.
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
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Kommunikationsmodell
gers.106 Daß hier die Beherrschbarkeit als Zurechnungskriterium gegenüber der erhöhten Gefahr zurücktritt, wirkt sich darin aus, daß der Absender generell ein Lösungsrecht nach § 120 BGB bekommt. Mit Zugang der Erklärung wechselt das Risiko dann auf die Empfängerseite. Das Risikoprinzip gibt zugleich die Begründung für die Begrenzung des Anwendungsbereichs von §120 BGB. Die Regelung erfaßt nämlich nur das Risiko der Verfälschung einer tatsächlich abgesandten Nachricht, nicht aber den Fall, daß ein Dritter eine Erklärung unter dem Namen des Zurechnungsadressaten erstellt.107 Da im letzteren Fall der Namensträger nicht durch Erstellung und Absendung einer Erklärung zur Risikoerhöhung beigetragen hat, kann ihm die mißbräuchlich erstellte Erklärung nicht mehr zugerechnet werden. Sie ist also auf Mißbrauchsrisiken in Fällen beschränkt, in denen ein Kommunikationsvorgang aus dem Machtbereich des Absenders tatsächlich vorliegt. Damit fällt auch die Einschaltung verschiedener Dienste unter § 120 BGB. Der Access Provider ist auf der syntaktischen Ebene für den Datentransport verantwortlich. Der Presence Provider stellt vom Absender erstellte Webseiten ins Netz. Er ist damit Erklärungsbote. 108 Erstellt dagegen der Provider die Erklärung im Auftrag des Content Providers, so kann dieser meist als einem Boten gleich zu behandelnder Erklärungsgehilfe angesehen werden, da ihm für die rechtsgeschäftlich relevanten Teile der Erklärung keine eigene Gestaltungsbefugnis eingeräumt sein wird. 109
V. Perzeption - Zugang Rechtliche Funktion des § 130 BGB ist die Festlegung der Voraussetzungen, von Ort und Zeit des Wirksamwerdens einer Willenserklärung. Gleichzeitig erfolgt damit eine Risikoverteilung zwischen Absender und Empfänger, vor allem im Hinblick auf das Transportrisiko. 110 Die Veränderung der Kommunikationsmittel hat auch Einfluß auf die Interpretation der Regelung und die darin getroffene Risikoverteilung. 1. Traditionelle Auffassungen Der Gesetzgeber hat sich in § 130 Abs. 1 S. 1 BGB hinsichtlich der Frage des Wirksamwerdens empfangsbedürftiger Willenserklärungen grundsätzlich für die Emp106 Vgl. auch Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Kap. 13.1. Rdnr. 109; Fritzsche/Malzer, D N o t Z 1995, 3, 13f. 107 Vgl. auch insoweit die Begründung, BT-Drs. 14/4987 v. 14.12. 2000, S. 14. los Ubergabe der Erklärung an den Erklärungsboten ist die Abgabe erfolgt, vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, § 14 2, S.225. 109 Vgl. dazu Gerfried Fischer, Die Blanketterklärung, S. 11. 110 Vgl. Burgard, AcP 195 (1995), 74, 95.
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fangstheorie entschieden. 111 Der Begriff des Zugangs wurde von Rechtsprechung und Literatur im Sinne einer räumlichen Beziehung mit Merkmalen wie »Machtbereich« und »tatsächliche Verfügungsgewalt« aufgefüllt. 112 Anknüpfend an den Wortlaut des Gesetzes hat man eine grundlegende Unterscheidung zwischen Erklärungen unter Abwesenden und unter Anwesenden einerseits und schriftlichen und mündlichen Erklärungen getroffen. Dem liegt kommunikationstheoretisch zugrunde, daß gegenüber der face-to-face-Situation die energetische Informationsübertragung die Uberwindung des Parameters Raum ermöglicht, während die Fixierung in einem materiellen Träger die Uberwindung von Raum und Zeit ermöglicht. 113 Für schriftliche Erklärungen soll sowohl unter Abwesenden wie unter Anwesenden die Empfangstheorie gelten, die auf den Macht- oder Einwirkungsbereich des Empfängers abstellt. Mündliche Erklärungen unter Anwesenden gehen mit akustisch richtigem Verständnis zu (Vernehmungstheorie), nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie aber bereits dann, wenn der Absender von einem richtigen akustischen Verständnis ausgehen konnte. Bei mündlichen Erklärungen unter Abwesenden, also mittels Empfangsboten oder technischer Übermittlung, wird sowohl die Empfangstheorie als auch die Vernehmungstheorie vertreten. 114 Einigkeit besteht insoweit, daß die Kenntnisnahme durch den Empfänger als spätester Zeitpunkt für das Wirksamwerden einer Erklärung anzusehen ist. 115 Dies scheint auch die Grundvorstellung des Gesetzgebers gewesen zu sein. 116 O b bei bestimmten Arten von Erklärungen ein früherer Zeitpunkt anzunehmen ist, ist eine Frage des Interessenausgleichs der beiden Kommunikationspartner. D e m Interesse des Absenders am Wirksamwerden der Erklärung steht dasjenige des Empfängers an tatsächlicher Kenntnisnahme gegenüber. Welchen Aufwand kann man Absender und Empfänger jeweils zumuten und welche Kontrollmöglichkeiten stehen beiden Partnern jeweils zur Verfügung? Bei Erklärungen unter Abwesenden erscheint danach ein Abstellen auf die tatsächliche Vernehmung nicht nur für den Absender unzumutbar, sondern würde auch Verkehrsbedürfnissen nicht gerecht. Dies kann man auch für eine nach der eingeschränkten Wahrnehmungstheorie anzunehmende Obliegenheit zur Nachfrage und Vergewisserung sagen. 117 § 130 Abs. 1 ist so zu interpretieren, daß die Regelung einen einheitlichen Interes-
111 Vgl. Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bandl, 1888, S. 156f.; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, I. Band, 1899, S.438f. 112 Vgl. MünchKomm-£zHje/e, §130 Rdnr. 16 m.w.Nachw. 113 Vgl. Wersig, Die kommunikative Revolution, S. 35. 114 Vgl. Palandt-Z/eiimc/w, §130 Rdnr. 7, 9. 115 Vgl. auch Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 276: »Kenntnisnahme als Idealziel«. 116 Vgl. Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bandl, 1888, S. 156.; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, I. Band, 1899, S.438. 117 Vgl. Burgard, AcP 195 (1995), 74, 93.
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4. Kapitel: Risikostrukturierung
und
Kommunikationsmodell
senausgleich auf der Basis der Zuweisung von Gefahrenbereichen gewählt hat. 118 Das Gesetz ging dabei von der Notwendigkeit einer räumlichen Beziehung und einer räumlichen Nähe zum Empfänger aus, in die die Nachricht gebracht werden sollte.
2. Anpassung an moderne Kommunikationsmittel Diese Wertentscheidung bedarf der Anpassung an neue Kommunikationsmittel und einer entsprechenden Interpretation. Als Folge der Entwicklung der Medien wurde zunächst von einigen Autoren die Unterscheidung anwesend/abwesend durch die allgemeinere Abgrenzung verkörpert/unverkörpert abgelöst, wobei auf die dauerhafte Niederlegung von Erklärungszeichen abgestellt wurde. 119 Die U n terteilung anwesend/abwesend wurde zunächst im Sinne einer räumlichen Trennung interpretiert. Mit der Verbreitung technischer Kommunikationsmittel wie Telefon, Telefax und Telex war dieses Kriterium aber nicht mehr eindeutig. Unter dem Ziel der Kenntnisnahme erschien das Abstellen auf einen »direkten Ubermittlungskontakt« angemessener. 120 Aus Sicht des Empfängers besteht hier idealerweise die Möglichkeit unmittelbarer Kenntnisnahme, sowohl Absender als auch Empfänger können direkt nachfragen und die Kenntnisnahme kontrollieren. Damit ist der Gesichtspunkt der Interaktivität der Kommunikation angesprochen, der Reflexivität ermöglicht und kennzeichnend für face-to-face-Kommunikation ist. Schon der Gesetzgeber, zu einer Zeit, als das Telefon gerade erfunden war, hat unter Anwesenheit den Fall verstanden, daß die Parteien »von Person zu Person verhandeln«. 121 Wo Abgabe und Vernehmen der Erklärung zeitlich fast zusammentreffen, schien sich für den Gesetzgeber ein Wirksamwerden »aus der Natur der Sache« zu ergeben und insofern nicht gesondert regelungsbedürftig zu sein. 122 Aber auch hier ist eine Risikoverteilung für den Fall des Eintritts von Störungen erforderlich. Zudem sind nicht alle Fälle eindeutig zu erfassen, etwa Telefax oder E-Mail-Kommunikation, bei denen Interaktivität zwar möglich erscheint, aber nicht die Regel ist. Wie die Gleichbehandlung der verkörperten Erklärung unter Anwesenden mit derjenigen unter Abwesenden zeigt, ist das Merkmal des direk-
Vgl. auch Burgard, AcP 195 (1995), 74, 93f. Vgl. Staudinger/Dilcher, 12.Aufl. Berlin 1980. § 130 Rdnr. 9ff.; MünchKomm-£inse/e, § 130 Rdnr. 2; sowie bereits Oertmann, Allg. Teil, 3. Aufl. 1927, §130 Anm.4 a . 120 Vgl./oÄ«, AcP 184 (1984), 385, 391; F.-J. Brinkmann, Der Zugang von Willenserklärungen, 1984, S.23, 85. 121 Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band I, 1888, S. 160; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, I. Band, 1899, S.440. 122 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, I. Band, 1899, S. 685; Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. I 1897, S.69. 118
119
§11 Risikoverteilung
im Phasenmodell
der
Kommunikation
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ten Übermittlungskontakts kein ausreichendes Abgrenzungskriterium für einen Interessenausgleich. Deshalb wurde mit dem Merkmal der Verkörperung zugleich die Verfügbarkeit der Information und die Nachholbarkeit der Kenntnisnahme berücksichtigt. Anders als in diesen Fällen muß dem Absender bei einer mündlichen Erklärung, die »wirkungslos verhallt, wenn sie nicht alsbald wahrgenommen wird«, 1 2 3 ein höheres Maß an Anstrengungen zugemutet werden. Unter Einbeziehung des dargestellten Kommunikationsmodells ließe sich zunächst jede elektronische Erklärung als verkörpert ansehen, da keine direkte Wahrnehmbarkeit der elektronischen Signale möglich ist.124 Insoweit kommt es aber nicht so sehr auf das Format der Erklärung in der Übermittlungsphase an, sondern auf deren Zustand im Machtbereich des Empfängers. So ist eine schriftliche Erklärung, die der Erklärende dem Empfänger vorlegt, aber alsbald wieder mitnimmt, eher einer mündlichen Erklärung vergleichbar. 125 Stellt man daher aus Sicht der Kommunikationsbeziehung der Partner auf die »fortgesetzte Verfügbarkeit der Information im Zugriffsbereich des Empfängers« ab, so ist mit John das Kriterium der »Speicherung« eher funktionsgerecht und wird auch der technischen Entwicklung moderner Kommunikationstechnologien eher gerecht. 126 So ist etwa bei Telefax jedenfalls mit einem Ausdruck beim Empfänger Zugang anzunehmen. 127 Fraglich ist, ob insoweit weiterhin nach der Übermittlung in flüchtiger oder gespeicherter Form zu differenzieren ist128 und ob im Sinne der eingeschränkten Vernehmungstheorie auf die Sicht eines sorgfältigen Erklärenden bzw. eine hinreichende Vergewisserung durch den Absender abzustellen und damit das Verschuldensprinzip einzubeziehen ist. Festzuhalten bleibt zunächst, daß unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen sowie der Verkehrsbedürfnisse neben der Kenntnisnahme auch die zuverlässige Speicherung einheitlich Zugang bewirken sollte. 129
John, AcP 184 (1984), 385, 388. So MünchKomm-5i'c^f?r, 4. Aufl., Einl. Rdnr. 167. 125 Beispiel von John, AcP 184(1984), 385, 395. 126 John, AcP 184 (1984), 385, 395; ihm folgend MünchKomm-£i»i