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German Pages 422 Year 1995
HENNING VON SETHE
Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung - aus der Sicht des Kindes
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erlebsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp
Band 93
Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der Sicht des Kindes Eine Analyse des geltenden Rechts und Vorschläge für eine künftige Rechtsgestaltung
Von
Henning von Sethe
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Sethe, Henning von:
Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der Sicht des Kindes : eine Analyse des geltenden Rechts und Vorschläge für eine künftige Rechtsgestaltung I von Henning von Sethe. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft ; Bd. 93) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08433-0 NE:GT
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-08433-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säunifreiem) Papier entsprechend ISO 9706 S
Meinen Eltern und meinen beiden Töchtern als Dank für die mir entgegengebrachte Liebe und ihr Verständnis, die mir die Kraft zur Anfertigung dieser Arbeit gaben
Vorwort Diese Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Wintersemester 1994/95 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum Stand Januar 1994 ausgewertet und berücksichtigt worden. Mein herzlicher Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Holzhauer, der die Arbeit angeregt, betreut und stets mit großem Interesse begleitet hat. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Schlüter, der die Arbeit als Zweitgutachter beurteilt hat.
Hattingen, im Januar 1995 Henning von Sethe
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1. Teil
Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Eine rechtstatsächliche Einführung A.
Anwendungsbereiche des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . . . . 24 I.
Das eheliche Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
II. Das nichteheliche Kind .. . .. . ... . .......... . ...... . ...... . . .... . . 26 1.
Das nichteheliche Kind in elterlicher Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Vaterschaftsanerkenntnis ........... . .... . .. . . ...... . . . ..... 28 b) Vaterschaftsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.
Das nichteheliche Kind ohne elterliche Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3. Ergebnis ... .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. .. . . .. . ... . . . . . ... . . .. . . . 31 111. Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I.
Fremdadoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.
Verwandtenadoption . . ... . ... . . . .... . . . . .. . ... . .. . .. ... .. . . .. 33
3.
Adoption des Kindes des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
IV. Fortpflanzungsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 34 I.
Entwicklung, Technik, Indikation und Verbreitung der einzelnen Methoden der assistierten Fortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a)
Insemination (homolog und heterolog) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
b) Post mortem-Insemination . .. ............ . ........ . .. . . . . . . . 37 c)
In-vitro-Fertilisation (IVF) ... .. . . . .. . . . . . . . .. . .. .. . . . . . ..... . 37
d) Embryospende .... . . . . . .. . . . .. .. . ... . ... . ...... . . . . . .... 38
2.
e)
Intratubarer Gametentransfer ... . . .. ... . ... . .. . . . ........ . .. . . 38
f)
Tragemutterschaft und Ersatzmutterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Ergebnis . . ... . ... . .. .. .. . . . . . . . . .. . . .. . .. . . ............. . . 40
V. Sonderfälle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ........ . . . . . .. . . . . . . . . ... 41 I.
Legitimation durch spätere Ehe der Eltern . .... . .. .. . ... . .. . . ... . . .. 42
2.
Legitimation auf Antrag des Vaters . .. . . . .. . . . .... . . . . . ...... . . . . . 42
10
Inhaltsverzeichnis 3.
Legitimation auf Antrag des Kindes ....................... . ...... 42
4.
Ergebnis ........... . ............... . .. . ................... 43
VI. Ergebnis zu A. Anwendungsbereiche des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B.
Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse und Hintergründe ......... . . . . ... 44 I.
Untersuchungen bei Adoptivkindern - Stand der psychologischen und soziologischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I.
Die Verarbeitung durch das Adoptivkind im Kindesalter . . .. . . . . . . . .. . . . 46
2.
Die Verarbeitung durch den jugendlichen Adoptierten . ............ . .... 47
3.
Die Verarbeitung durch den erwachsenen Adoptierten . ........ .. ....... 48
II. Untersuchungen bei Kindem aus künstlicher Insemination mit Spendersamen .. ... 50 1.
Der Bericht von Snowden et al. . ...... ... . ... ........... . . .. .... 51 a)
Auswertung von Interviews
51
b) Ergebnisse der Untersuchungen von Snowden et al. . ....... . ... . . . . 52 2.
Andere Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
III. Exkurs: Untersuchungen bei Wunscheltern und Samenspendern . . . . . . . . . . . . . . 54 1.
Untersuchungen bei Wunscheltern - psychologische Probleme und Patientenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.
Untersuchungen bei den Samenspendern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
IV. Ergebnis zu B. . . . ............ .... ........ . . . ... .. . . . . ...... . .. 57
2. Teil
Die Entwicklung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung A~
Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I.
Entwicklung bis 1980 ... . . . . ............ . .. . . . ... .... . . . . . . .. .. . 60
II. Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung bis 1989 . . . .. . . . . . . ... . ..... 67 1.
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. I GG - allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
2. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. I GG - allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 1 Abs. I GG - Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus anderen Grundrechtsartikeln
74
5.
Gegenpositionen zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung . ... . ... 75
III. Das BVerfG-Urteil vom 31.1.1989 und dessen Kritik in der Literatur .. . .... . . . 76 I.
Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2. Stellungnahmen in der Literatur zum Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in internationalen Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
B.
I.
Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
2.
ON-Konvention über die Rechte des Kindes .... . ........ . ....... . . . . 84
Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und zur Entscheidung des BVerfG vom 31.1.1989 ........... . . . ..... 85 I.
Verfassungsrechtliche Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I . Die verfassungsrechtliche Begründung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.
Zur Einordnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a)
Das psychologische Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 aa) Die Ergebnisse der einzelnen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Die Gegenargumente .......... . . . . . . . .... . ... . ......... 89
b) Das Schutzargument . ... ... . . . ... ... . ......... . .. . . . . .. . .. 92 3.
Träger des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
4.
Exkurs: Kenntnis und Statusänderung ... . . . . . .. . . . .. . .... . . ..... . . 94
II. Schranken des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Folgerungen für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3. Teil
Die Durchsetzbarkeil des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im geltenden Recht A.
Geltendes System der Kindeszuordnung bei nichtehelichen Kindern und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durchsetzung des Kenntnisrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I.
Die Informationsmöglichkeiten des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I.
Auskunftspflicht der Mutter ... . . ... ... . . . . . .. .......... . . . .. . : 100 a) Aufhebung der Amtspflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Auskunftspflicht der Mutter gegenüber dem Amtspfleger und anderen staatlichen Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c)
Direkter Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter .. .. . . . . . . 105
d) Eigene Stellungnahme und 'Ergebnis zur Auskunftspflicht der Mutter .. . 108 e)
Die Durchsetzbarkeil des Auskunftsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Eigene Stellungnahme .. .. . .... . . . ..... .. ....... . .... . . 113
2. Auskunftspflicht anderer Personen als der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.
Vaterschaftsanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a)
Das Anerkenntnis und die Zustimmungspflicht des Kindes .. .... . .... 121
12
Inhaltsverzeichnis b) Die Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes
122
c) Die Wirkungen von Anerkenntnis und Anfechtung des Anerkenntnisses . 123 d) 4.
~~~;~~~t~:Je~a~~rscha~~~e~~~n.n~~i~s~~ i~. H~n~~i~k .a~~ das. K~nnt~~s~
123
Gerichtliche Vaterschaftsfeststellung ..... . .. . ............. . .. . ... 125 a) Grundsätzliche Eignung, Voraussetzungen und Wirkung der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung ........... . . . . .. ......... .. . . . . . . . 125 b) Bewertung der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung im Hinblick auf das Kenntnisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
S.
Isolierte Abstammungsfeststellungsklage ... . . . . . ..... . ....... . . . . . 126
II. Geltendes System der Kindeszuordnung bei nichtehelichen Kindem und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durchsetzung des Kenntnisrechts - Ergebnis . . . . . 127 B.
Geltendes System der Kindeszuordnung bei ehelichen Kindem und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durchsetzung des Kenntnisrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I.
Die Statuszuordnung .... . ....... .. .... . . . .......... . .... . . . . . . . 129
II. Die Informationsmöglichkeiten des Kindes . .... . ........... . ..... . . . .. 129 I.
Auskunftspflicht der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Die Entscheidung des OLG Oldenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Eigene Stellungnahme und Ergebnis zur Auskunftspflicht der Mutter . .. 135
2.
Auskunftspflicht anderer Personen als der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
3.
Die Ehelichkeitsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Das System der Ehelichkeitsanfechtung und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Die Einzelregelungen der Ehelichkeitsanfechtung ........... . ..... 138 aa) Die Entwicklung der Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes seit 1900 139 bb) Das geltende Recht . . . . . . . . .... . . . .... . . ... . ..... . .... 140 cc) Die Folgen des BVerfG-Urteils vom 31.1.1989 für das geltende Recht der Ehelichkeitsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Inhalt der Entscheidung (soweit für den Tenor 2 erheblich) . . .. 141
(2) Die unmittelbaren Folgen für das geltende Recht der Ehelichkeitsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 dd) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.
Ehelichkeitsanfechtung und Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a)
Abstammungsfeststellungsklage mit Statuswirkung ....... . .. . .. . . . 148
b) Isolierte Abstammungsfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) C.
Ergebnis . . ........... . .... . ... . ...... . ... . .... . . . .. . . . 152
Die Sicherung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Adoptionssystem I 52
I.
Die Zuordnung des Adoptivkindes .. . . ..... .. . . . . . . ... .. . ... ... . .. .. !52
Inhaltsverzeichnis II. Informationsmöglichkeiten des Adoptivkindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
13 153
Das Informationsbedürfnis des Adoptivkindes . .. . .... . ...... .. . . ... . 153
2.
Einsichtsrechte in Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
3.
Informationsmöglichkeiten bei nicht festgestellter Vaterschaft .. ... . . ... . 155 a)
Vaterschaftsfeststellung . . .......... .. . . .............. . .. . . 155
b) Auskunftsanspruch gegen die leibliche Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.
Sonderproblem: Das Adoptivkind war ein scheineheliches Kind ... . . . . . .. 157
5.
Aufhebung des Adoptionsverhältnisses ..... . ............... . . . .... 158
6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 D.
Kindeszuordnung und Zuordnungskorrektur bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I.
Gesetzgeberische Maßnahmen und die rechtliche Zulässigkeil der einzelnen fortpflanzungsmedizinischen Methoden . . ......... . . . ............. . ... . . 160 I.
Die Tätigkeit des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
2.
Die Begründung für die rechtliche Zulässigkeil oder Unzulässigkeil der einzelnen Verfahren ....................... .. ...... . ... . ..... .. 162 a) Verbot der postmortalen Insemination und der IVF mit dem Samen eines verstorbenen Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Verbot der Ei- und Embryospende .... . ............... . . . ... . 163 aa) Die Begründung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Das Meinungsbild in der Gesellschaft . . . . . .. . . ... . . . . . . . . . . 164 c) Verbot der Befruchtung einer Ersatzmutter oder Tragemutter . . . . . . . . . 165 d) Zulassung der homologen und heterologen Insemination . . . . . . . . . . . . 165 e) Zulassung der heterologen IVF mit Spendersamen ......... . .... . . 169
II. Zuordnung ,.künstlich" gezeugter Kinder nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . 170 I.
Homologe Insemination I IVF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
2.
Postmortale homologe Insemination . ...... . . . . . . . ...... . ...... . .. 171
3.
Heterologe Insemination I IVF mit Spendersamen . . ............. . . . . . 171
4.
Befruchtung einer gespendeten Eizelle mit dem Samen des Partners der austragenden Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Die gebärende Frau ist die Kindesmutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Die Eispenderin als Kindesmutter ...... . . . . .. . . .... . . . . ..... . 173 c) Doppelmutterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Stellungnahme
174
e) Statuskorrektur
175
5. Befruchtung einer gespendeten Eizelle mit Spendersamen ..... . ... . . . . . 176 Ersatzmutterschaft
176
7. Tragemutterschaft
177
6.
14
Inhaltsverzeichnis 111. Untersuchung denkbarer Informationsbedürfnisse und Informationsmöglichkeiten "künstlich" gezeugter Kinder nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 78
I.
Informationsbedürfnis des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 78 a) Bei der homologen Insemination I IVF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Bei der postmortalen Insemination ..... . . . ............ . . . . . .. 179 c)
Bei der heterologen Insemination I IVF mit Spendersamen ... . . ... .. 179
d) Eispende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 e)
Kombinierte Ei-/ Samenspende ..
f)
Ersatzmutterschaft
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g) Tragemutterschaft h) Ergebnis . 2.
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Informationsmöglichkeiten .............. . . . ............
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a) Heterologe Insemination I IVF mit anonymen Samenspender . . . aa) Eheliches Kind .. . . .. .... . ....
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181 182 182 182
(1) Anspruch auf Akteneinsicht nach § 810 BGB ...... . . . . . ... 183
(2) Ehelichkeitsanfechtung und Vaterschaftsfeststellung bb) Nichteheliches Kind ........... cc) Weitere Informationsmöglichkeiten
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bb) Ehelichkeitsanfechtung . c)
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b) Informationsmöglichkeiten bei einer Eispende .. aa) Auskunftsansprüche . .
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187 189 190 190 190 191
Informationsmöglichkeiten bei kombinierter Ei- I Samenspende
192
d) Informationsmöglichkeiten des aus einer nicht umgesetzten Tragemutterschaftsvereinbarung stammenden Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) Ergebnis zu 2. - Informationsmöglichkeiten ,,künstlich" gezeugter Kinder nach geltendem Recht 0
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Informationsmöglichkeiten in Sonderfällen .... ... ... . ........ I.
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Informationsmöglichkeiten eines nach§ 1719 BGB legitimierten Kindes .... .. . 195
II. Informationsmöglichkeiten eines nach§ 1723 oder§ 1740 a BGB legitimierten Kindes ....... o
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III. Ergebnis . . . . . . . .
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4. Teil
Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung A.
Die staatliche Regelungspflicht . ....
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Inhaltsverzeichnis I.
Die Regelungspflicht des Gesetzgebers und der Schutzbereich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 198
I.
Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
2.
Folgerungen für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung . . . . . . . . 200
II. Der Umfang der Regelungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B.
Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts des ehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I.
Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
II. Ehelichkeitsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I.
Einzelne Anfechtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
2.
Generelle Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
3.
Anfechtungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
III. Abstammungsrecht ...... . ............. . . . ........ . .... . ... . ... 210 IV. Verändertes Einsichtsrecht in den Geburtseintrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 V. Isolierte Abstammungsfeststellungsklage ....... . . . . .. . .......... . .. . . 213 VI. Ergebnis - Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts des ehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 C.
Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts des nichtehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I.
Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
II. Anfechtung der Vaterschaftsanerkennung .. . . . .. . . . . . . . ...... . ........ 217 III. Gerichtliche Vaterschaftsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 IV. Erweiterung personenstandsrechtlicher Einsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 V. Isolierte Abstammungsfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
VI. Ergebnis - Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts des nichtehelichen Kindes .. . .. . . . .... . .... . .. . .. . . .... ... : . . . . . . . . . 222 D.
Feststellung des Regelungsbedarfes und der Regelungsmöglichkeiten im Adoptionsrecht ..................... . ............... . . . ......... . .. . .... . 223
E.
Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts von Kindem aus medizinisch unterstützter Zeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I.
Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts bei heterologer Insemination I IVF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I.
Anonymitätsverbot und Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung durch eine Dokumentationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a)
Regelungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Die Argumente für die Anonymität heterologer Befruchtung . . . . . . 227 (I) Das rechtspolitische Argument
228
(2) Das psychologische Argument
230
16
Inhaltsverzeichnis (3) Das verfassungsrechtliche Argument
231
(4) Ergebnis .................. . .. . ............ . . . ... 233 bb) Hat der Gesetzgeber als Folge des Kenntnisrechts nach dem Urteil des BVerfG vom 31.1.1989 die Anonymität zu verbieten? . ... . ... 233 (I) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
(2) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (a) Vorenthalten von Informationen . . .... . ..... . . . . .... 235 (b) Staatliche Regelungspflicht . . . .................... 236 cc) Exkurs: Wirkung ausländischer Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Regelungsvorschläge für die Dokumentationspflicht .. . .... .. . .. .. . 240 aa) Die Zentralregisterlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Die personenstandsrechtliche Lösung . ... . . . . ........ . ..... . 243 cc) Dokumentation durch Ärzte I Notare .. ................ . . . .. 245 2.
Einschränkung oder Ausweitung des Anfechtungsrechts des Kindes aus heterologer Insemination I IVF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
II. Regelungsbedarf und Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts bei Eispende und Embryospende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 I.
Regelungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
2.
Regelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
5. Teil
Überblick über Lösungen in ausgewählten Auslandsrechten A.
Das eheliche Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I.
Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
II.
Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
111.
Ehemalige DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
IV.
Norwegen ... . ..... . ........... . ....... .. . . .......... . ... . . . 256
V.
Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
VI.
Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
VII. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 VIII. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 IX.
Spanien
X.
Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
XI.
Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
263
I. Das geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Das (möglicherweise) künftige Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 XII. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Inhaltsverzeichnis
17
XIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 B.
Das nichteheliche Kind .... . .. . . . ........... . . . .................... . 270 I.
Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
II.
Schweiz ............. . . . ........... ... . . ...... . ....... . . . . . 271
III.
Ehemalige DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
IV.
Notwegen ............ . . . ........ . .... .. ........... . . . ... . . . 274
V.
Dänemark . ... . ... . . .. ........ . ..... . . . . . ...... . . . ....... . .. 275
VI.
Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
VII. Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 VIII. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IX.
Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
X.
Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
XI.
Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
XII. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 XIII. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
XIV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
C.
Adoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I.
Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
II.
Schweiz ... . ... . .... . . . ...... . . .. . .... . . . ...... . . . .... . .. . . 283
III.
Ehemalige DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
IV.
Notwegen ........... . . . ........ . ...... . . . .............. .. .. 285
V.
Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI.
Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
286
VII. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 VIII. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 IX.
Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
X.
Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
XI.
England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
XII. USA .. . . . ... . . ...... . ..... .. . . .... . .............. . . . .. .. . 291 XIII. Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 XIV. Israel . . . . . . . . .. . ..... . ......... . . . ... . ............ . .. ... . . 293 XV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 D.
Medizinisch unterstützte Fortpflanzung . . . . . . ... . .. . . . . . . . . . . . .. . . . ... . . 296 I.
Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
II.
Schweiz . .. . ...... . . . . . . .. . ... ...... ..... . . ... .. . . . . ...... . 300
2 von Sethe
18
Inhaltsverzeichnis
111.
Ehemalige DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
IV.
Norwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
V.
Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
VI.
Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
VII. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 VIII. Italien ........ . .. .. . .. .............. . . . . ..... . .... ..... . . . 318 IX.
Spanien
320
X.
Belgien
322
XI.
Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
XII. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 XIII. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 XIV. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 XV. Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 XVI. Europarat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 XVII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
6. Teil Regelungsvorschläge ftir die Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung
A.
Regelungskompetenz und Regelungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 I.
Regelungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 1.
Bundeskompetenz
345
2.
Länderkompetenz
345
II. Regelungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 B.
Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung des ehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 I.
Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
II. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Erweiterung des Anfechtungsrechts des volljährigen Kindes . . . . . . . . . . . . . 350 a) Erweiterung des Anfechtungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Beschränkung auf Volljährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c)
Umbenennung des Ehelichkeitsanfechtungsrechts ......... . ... . 354
d) Ablehnung anderer Regelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 2. Vereinheitlichung der Fristenläufe . . ...... . . . ... . .. . .... . . . .... . . 355 3. Einschränkung der pater est-Regel . . . . ....... . . . .. .. .. . .... ..... . 356
Inhaltsverzeichnis 4.
C.
19
Urkundliche Anerkennung eines ehelichen Kindes in Verbindung mit § 1600 Abs. II BGB . . ........... .. . . . . . ...... . ....... . . . 358
Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung des nichtehelichen Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 I.
Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
II. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 D.
Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung des adoptierten Kindes ...... . ...... .. . ............ . . . . . . .. . 361 I.
Übersicht .... . .. . . . .. . . . . . . . ...... . . . ... . . . . .. .. .. ... ... . . . . 361
II. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 E.
Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung des Kindes aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . 365 I.
Vergleich der sozialen Situation von Kindem aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung mit der von Adoptionskindem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
II. Regelungsvorschläge zur Durchsetzung des Kenntnisrechts des Kindes aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung - Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1.
Öffentlich-rechtliche Regelungen .......... . . . . . . . ....... . .. . . . .. 371
2.
Zivilrechtliche Regelungen .............. . . . . . ............ . . . . . 371 a)
Im Verhältnis des Kindes zum Vater . .. . . .... . .... . .. . . ... . 371
b) Im Verhältnis des Kindes zur Mutter . . . . . . ......... . .. . . . . . 372 III. Ausführliche Darstellung der Regelungsvorschläge und Begründung der einzelnen Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 I.
Öffentlich-rechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a)
Lizenzierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 aa) Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 bb) Begründung . . ..... . ......... . . . .. . .... . .. . .... . . 374
b) Lizenzierungskriterien und -bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 aa) Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 bb) Begründung . . ... . ......... . . . . . ................. 377 c)
Dokumentations- und Registrierungspflichten der lizenzierten Einrichtungen . .. .. .. . . .. . . . . . ... . . . . . . . . .. . . . ... . . . . . .. . . 381 aa) Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 bb) Begründung . . .. . .. . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 382
d) Behördenregister und Einsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 aa) Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 bb) Begründung . . . . . .. . . . ..... . . .............. . .. .. . 386 e) 2. 2*
Finanzierung . . . . . . . .. .... . . . .. . . . . . ... . . . .. . . . . . . . .. 390
Zivilrechtliche Regelungen ... . . ... . . . . . . . . . ..... . . . . . .. . . . ... . 391
20
Inhaltsverzeichnis a)
Abstammung vom Vater ......... . . . .. ...... . ..... . . ... 391 aa) Regelungen im Verhältnis zum Wunschvater .. . . . . . ..... . . 391 bb) Regelungen im Verhältnis zum Samenspender ..... . ..... .. 394 cc) Regelungen bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft .. . . ... . . . 397
b) Abstammung von der Mutter .... . ... .. .......... . ... . . . . 400 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
Einleitung Das Kindschaftsrecht befindet sich erneut im Umbruch. Nach der grundlegenden Reform durch die Neuordnung des Nichtehelichenrechts 19701 wird aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren ein Kindschaftsrecht geschaffen werden, das die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Geburt weitgehend aufgibt und Regelungen ausschließlich an der konkreten Lebensund Betreuungssituation eines Kindes ausrichtet. 2 Die Reformbedürftigkeit des Kindschaftsrechts hat mehrere Ursachen. In erster Linie sind gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse zu nennen, die die Lebens- und Betreuungssituation von Kindern geändert haben. Die Scheidungsrate hat seit 1970 erheblich zugenommen, die Zahl nichtehelicher Kinder ist wie die Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften stark angestiegen. Die Wissenschaft brachte neue Erkenntnisse in der Kinderpsychologie; die Fortpflanzungsmedizin ist weiter fortgeschritten.3 In der Folge hat sich die rechtspolitische Einstellung zum Nichtehelichenrecht geändert und das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen eine Änderung oder Ergänzung des bisherigen Rechts gefordert.4 Schließlich ist die Rechtseinheit beider Teile Deutschlands im Familienrecht noch nicht erreicht. Es ist daher richtig, ein umfassendes und nicht nur ein auf das unmittelbar Drängende beschränktes Reformwerk in Angriff zu nehmen. Bei einer der soeben angesprochenen Entscheidungen des BVerfG handelt es sich um das Urteil vom 31.1.1989 zum Ehelichkeitsanfechtungsrecht des er-
Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.8.1969. Diese Reform, die mit erheblicher Verspätung der Rechtsentwicklung in Europa nachfolgt, ist im Rahmen einer Gesamtreform des Kindschaftsrechts in der Koalitionsvereinbarung für die 12. Legislaturperiode vorgesehen, vgl. dazu die Ansprache des ehemaligen BJM Kinkel vor dem Fami1
2
liengerichtstag 1991 (DAV 1992, S. 102) und in: Liberale Rechtspolitik in der 12. Legislaturperiode, ZRP 1991, S. 41 I (412). Eine Auswahl der zahlreichen Reformvorschläge: Beschlüsse des 59. DJT 1992 zur Reform des Kindschaftsrechts, FuR 1992, S. 278-292; Entwurf des Deutschen Juristinnenbundes, FuR info 1992, S. 1-16. 3
Ausführlich dargestellt im I. Teil A IV (Fortpflanzungsmedizin) und B (Kinderpsychologie).
4
Zum Namensrecht, zum Sorgerecht, zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.
22
Einleitung
wachseneo Kindes.5 In diesem Urteil ist das bis dahin noch umstrittene, wenn auch von der überwiegenden Meinung anerkannte Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung vom höchsten deutschen Gericht bestätigt worden. Die Literatur hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich damit beschäftigt, Über die Anerkennung und Begründung des Kenntnisrechts zu streiten. Das Problem, wie dieses Recht in gesetzgebefische Entscheidungen umzusetzen wäre, ist jedoch nur ansatzweise untersucht worden. Viele der Darstellungen, die sich eingehend mit dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung beschäftigen, untersuchen zwar die Fallkonstellationen, in denen Abstammung und Zuordnung nicht übereinstimmen und überlegen, wie die Beteiligten eine Korrektur der Zuordnung erreichen können. Lösungen de lege ferenda, die nach Auffassung der meisten Autoren notwendig sind, werden jedoch meist nur kurz und ohne nähere Begrundung angesprochen. Zudem verfallen diese Arbeiten oft in eine übertriebene Bewertung rein genetischer Elternschaft oder setzen das Kenntnisrecht unkritisch mit einem Anspruch auf Zuordnung zu den genetischen Eltern gleich.6 Die vorliegende Arbeit will Möglichkeiten aufzeigen, die für eine gesetzliche Neuregelung denkbar sind. Der Darstellung der Lösungsmöglichkeiten geht eine Untersuchung der denkbaren Regelungsbereiche und der psychosozialen Hintergründe des Kenntnisrechts voraus. In einem Rückblick wird die Entwicklung des des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung näher dargestellt und mit einer eigenen Einschätzung verbunden. In einem Hauptteil der Arbeit wird sodann die Durchsetzbarkeil des Kenntnisrechts im geltenden Recht untersucht und anschließend der Regelungsbedarf ermittelt. Nach den Lösungen, die von deutschen Autoren vorgestellt worden sind, sollen die Vorschläge untersucht und einer Kritik unterzogen werden, die in anderen Ländern gewählt worden sind oder zur Zeit diskutiert werden. Der eigene Vorschlag steht am Schluß dieser Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit wurde den Fällen medizinisch unterstützter Zeugung geschenkt. In keinem anderen Bereich ist ein gesetzgeberisches Handeln dringender notwendig, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zu sichern, als bei einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung mit Samen oder Eizellen, die nicht von den (Wunsch-)Eltern des Kindes stammen.
5
BVerfGE 79, 256 = NJW 1989, 891 = FamRZ 1989, 255.
6
Z.B. Mansees, Erbrecht, S. 205.
Einleitung
23
Der gelegentlich gegen eine Überbetonung des Problems heterologer künstlicher Befruchtung gerichtete Einwand, daß die Zahl der auf diese Weise erzeugten Kinder sehr gering sei, verkennt nicht nur die Probleme einer vollständigen Spenderanonymität, sondern auch die mögliche Entwicklung dieses Medizinzweiges. Im internationalen Vergleich ist die Zahl heterologer Befruchtungen in Deutschland bisher nur deshalb gering, weil sich die Universitätskliniken nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17 .4. 1983 zum Anfechtungsrecht des Ehemannes freiwillig aus diesem Bereich zurückgezogen haben. Wird, wie es der Gesetzgeber plane, dem Ehemann aufgrund seines Einverständnisses mit der Insemination das Anfechtungsrecht entzogen, ist eine erhebliche Steigerung der Zahl heterologer Befruchtungen zu erwarten.
7
BT-Drs II I 8057, S. 12 f und Bundesrat, in: BRat-Drs 745 /90, s.u. 6. TeilE lll 2 a aa.
1. Teil
Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Eine rechtstatsächliche Einführung A. Anwendungsbereiche des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird relevant, wenn die Kindesabstammung ungeklärt ist. Die Abstammung des Kindes von der Mutter ist praktisch nie unklar. Was die Abstammung des Kindes vom Vater angeht, so kann es sein, daß das Kind gar keinen Vater im Rechtssinne hat. In anderen Fällen, in in denen das Kind einem Mann als ehelichem oder nichtehelichem Vater zugeordnet ist, braucht diese Zuordnung der genetischen Abstammung nicht zu entsprechen. Nur bei einer derartigen genetisch falschen Zuordnung (oder begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Zuordnung) sowie bei einer gänzlich fehlenden Zuordnung kann ein Informationsbedürfnis des Kindes bestehen. Diese Fälle, sollen im folgenden unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Häufigkeit untersucht werden.
I. Das eheliche Kind 1
Nach der Regel "pater est quem nuptiae demonstrant", § 1593 BGB, gilt rechtlich der Ehemann als Vater, unabhängig von seiner tatsächlichen Vaterschaft. Für diese Vermutung spricht die weit überwiegende Wahrscheinlichkeit. Dennoch gibt es Fallgestaltungen, bei denen der Ehemann nicht der genetische Vater des Kindes ist. Bei einer dieser Möglichkeiten handelt es sich um das Ehebruchskind, das in Unkenntnis oder trotz Kenntnis des Ehebruchs vom Ehemann mit aufgezogen
' Da im folgenden das geltende Recht auf seine Reformbedürftigkeit untersucht wird, wird die bestehende Aufteilung in eheliche I nichteheliche Kinder beibehalten, obwohl sich die Probleme oft danach unterscheiden, ob die Familie vollständig ist oder nicht.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
25
wird. Rechtlich gilt es nach der pater est-Regel als eheliches Kind. Verläßliche Daten über die Zahl von Ehebruchskindern gibt es aus einsichtigen Gründen nicht. Bei Blutgruppenuntersuchungen in England sind aber immerhin Werte von 15-30% außerehelicher Zeugungen ehelicher Kinder ermittelt worden. 2 In gleicher Weise gilt nach § 1593 BGB ein Kind als ehelich, das vor der Eheschließung von einem anderen Mann erzeugt worden ist, jedoch erst nach der Eheschließung geboren wird und von dem Ehemann mit aufgezogen wird in Kenntnis oder Unkenntnis der Erzeugung durch einen anderen Mann. Die Zahl dieser Kinder ist ebenfalls nicht zu ermitteln, sie wird aber in den oben wiedergegebenen Werten enthalten sein. In dem o.g. Wert ist auch die Zahl ehelicher Kinder enthalten, die dem Ehemann der Mutter rechtlich zugeordnet werden, obwohl die Eheleute getrennt leben und das Kind einer neuen Beziehung der Mutter entstammt. Es handelt sich hierbei ebenfalls (formal) um Ehebruchskinder, da in den Geltungsbereich der pater est-Regel, § 1593 BGB, auch Kinder einbezogen sind, deren Eltern getrennt leben, die Scheidung beantragt haben oder die bei Geburt des Kindes bereits rechtskräftig geschieden sind, aber noch nicht länger als 302 Tage. 3 Die Zahl dieser scheineheliehen Kinder kann nur indirekt erschlossen werden. So liegt die Zahl der Ehescheidungen seit 1983 zwischen 120.000 und 130.000.4 Von diesen Scheidungen werden jährlich fast 90.000 Kinder betroffen.5 In der Folge hat sich die Zahl der Ehelichkeitsanfechtungen, der einzigen zur Zeit möglichen Zuordnungskorrektur bei ehelichen Kindern (§§ 1594 ff BGB), mittlerweile auf einen Wert von 13.000-14.000 Klagen im Jahr erhöht. 6 Dabei kann die Zahl der Anfechtungsklagen nur einen unvollständigen Einblick geben, da die Anfechtbarkeit durch die Voraussetzungen der §§ 1594-1598 BGB stark eingeschränkt wird und auch tatsächliche Schranken bestehen ...;.. so
2 Nach Campana, in: Koll. Lausanne, S. 36. Die Höhe der Dunkelziffer wird je nach Ort und Untersuchungsgruppe stark variieren.
3
Siehe dazu die Diskussion in: DAV 1988, S. 989 f und 1989, S. 203 ff und 353 f.
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschla1)d 1992, S. 84, und 1988 - alte Bundesländer. 4
5
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 86 - alte Bundesländer.
6
Oberloskamp, FuR 1991, S. 264.
26
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
werden auch bei unstreitigen Sachverhalten meist Blutgruppengutachten angefordert und damit abschreckende Prozeßkosten verursacht. 7 Wie hoch die Zahl nicht vom Ehemann der Mutter abstammender Kinder ist, deren Zuordnung nicht durch Ehelichkeitsanfechtung korrigiert wird, läßt sich nicht bestimmen. Die Dauer der Trennungszeit und der Scheidungsverfahren sind der Grund dafür, daß vor allem unter den nachehelich geborenen Kindem nicht wenige sind, die aufgrund einer Wiederheirat der Mutter bzw. des Vaters in einer Stieffamilie leben8 , tatsächlich Kinder des Stiefvaters sind. So müssen bis zur Scheidung erst einmal ein bzw. drei Trennungsjahre vergehen. Das Scheidungsverfahren selbst ist häufig durch die (oft auch gelöste) Verbindung des Verfahrens mit der Berechnung des Versorgungsausgleichs und Rechtsmittelmöglichkeiten langwierig. Daher ist es durchaus möglich, daß ein Kind noch als ehelich gilt, wenn die Eltern schon seit fünf Jahren getrennt leben. 9 Die Zahl der ehelichen Kinder, die dem Ehemann der Mutter zugeordnet sind, obwohl dieser nicht ihr leiblicher Vater ist, und die daher, auch bei begründeten Zweifeln, ein Informationsbedürfnis über ihre Abstammung haben könnten, läßt sich daher vorsichtig auf 20-30% eines Geburtsjahrganges schätzen.
II. Das nichteheliche Kind
1. Das nichteheliche Kind in elterlicher Gemeinschaft Nichteheliche Kinder werden heutzutage immer häufiger in eine elterliche Gemeinschaft geboren. Die Zahlenangaben für Deutschland sind unsicher. Nach einer Erhebung aus dem Jahre 1990 lebten ca. 963.000 Paare in nichtehelicher Lebensgemeinschaft, davon 107.000 Paare mit Kindern. 10 Insgesamt soll es sich um 155.000 Kinder handeln, von denen aber nur 60.000 gemeinsame Kin-
7 Deinert, DAV 1988, S. 989. Ein Beispiel ist das Urteil des OLG Schleswig DAV 1982, 350 (kritisch zu diesem Urteil Brandstätter DA V 1989, S. 353). Für eine grundsätzliche Blutgruppenuntersuchung in allen Ehelichkeitsanfechtungsfällen sprechen sich Henke und Hoffmann (mit Beispielsfallen, DAV 1989, S. 353 f) aus.
R Schwarz, 9
Zeitschrift für Familienforschung, Heft 3 1989, S. 27 (39).
Deinert, DAV 1988, S. 989.
10
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 70 - alte Bundesländer.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
27
der sind. 11 Diese Zahl entspricht aber ungefähr Schwenzers Schätzung, daß ca. 30-65% aller Eltern nichtehelicher Kinder im Zeitpunkt der Geburt des Kindes zusammenlebten. 12 Die übliche Gleichsetzung von nichtehelichem Kind und unvollständiger Familie aufgrund eines desinteressierten Vaters scheint daher überholt. 13 Die Zahl nichtehelicher Geburten hat prozentual stark zugenommen - zwischen 1965 und 1987 von 4,7 auf 10,5%} 4 Dennoch sollte diese Zunahme nicht überbetont werden, da die Anteile stark an Gewicht verlieren, wenn man die Zahl der durch nachfolgende Eheschließung der gemeinsamen Eltern legitimierten Kinder (ca. 35-40%) abrechnet. Aus einem Vergleich mit weiteren statistischen Zahlen soll sich ergeben, daß die Zahl nichtehelicher Empfängnisse sich nicht geändert hat, man es aber für weniger wichtig als früher hält, im Fall einer nichtehelichen Schwangerschaft noch vor der Geburt des Kindes zu heiraten.15 Dennoch wird das nichteheliche Kind nach der Geburt nur der Mutter zugeordnet. Die Vaterschaft wird rechtlich durch Anerkennung oder gerichtliche
11 Statistisches Jahrbuch flir die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 70. Nach Reinke, S. 127, soll die Quote der Paare mit Kindem bei 13% liegen. Nach dem Überblick im Statistischen Jahrbuch ist diese Quote seit Jahren absinkend. Dies könnte bedeuten, daß sich Lebensgemeinschaften zunehmend zur Ehe entschließen, wenn ein Kind gewünscht wird oder unterwegs ist. V gl. auch die Zahlen von Schwarz, Zeitschrift für Familienforschung, Heft 3 1989, S. 42- bei dem größten Teil der in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsenden Kinder handelt es sich um Kinder aus geschiedenen Ehen.
12 Gutachten 59.DJT 1992, S. 12. Für die ehemalige DDR wurde diese Quote sogar auf 80% geschätzt, Anita Grandke, in: Coester I Zubke (Hrsg.), Das nichteheliche Kind und seine Eltern, Neuwied 1991, S. 13 (24). Bei ca. 18% nichtehelicher Geburten, so das Statistische Jahrbuch flir die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 73, entspricht dies einer tatsächlichen Zahl von 40.000-82.000 Kindem im Jahr (bei einer Gesamt-Geburtenrate von 670.000). 13 Ganz anders noch bei den Vorarbeiten zur Nichtehelichenreform Ende der 60er Jahre: Die dem Reformvorhaben zugrundeliegende soziographische Untersuchung setzte Unehelichkeit mit Vaterlosigkeit gleich. 14 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepu)Jiik Deutschland 1992, Umrechnung der Zahlenangaben aufS. 73: 1965 1.044.000 Geburten, davon 48.977 nichtehelich; 1990 727.199 Geburten, davon 76.300 nichtehelich (alte Bundesländer). In den neuen Bundesländern liegt die Quote erheblich höher: 1990 178.436 Geburten, davon 62.455 nichtehelich - 35% (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1993, S. 75). 11 Schwarz, Zeitschrift für Familienforschung, Heft 1 1992, S. 90; dagegen sprechen aber die in Fußnote 18 erwähnten Zahlen. Die ,,restlichen" Kinder leben bei Stiefvätern durch Heirat der Mutter (ca. 30-35%), bei unverheirateten Müttern (ca. 25-30%, davon t:a. 1 I 3, wie soeben oben erwähnt, gleichzeitig bei ihren mit der Mutter in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebenden Vätern) und in Heimen und anderen Familien (ca. 5%), Schwarz, Zeitschrift für Familienforschung, Heft 3 1989, S. 34 f.
28
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Entscheidung festgestellt, § 1600 a BGB. Diese Zuordnung eines Kindes an einem Vater muß aber nicht der tatsächlichen Vaterschaft entsprechen. So wird, wenn die Familie vollständig ist und die rechtliche Zuordnung nicht den biologischen Tatsachen entspricht, der soziale Vater den Willen gehabt haben, dem Kind durch eine Anerkennung überhaupt einen Vater zu verschaffen oder der Mutter eine Gefälligkeit zu erweisen. Beide Vaterschaftsfeststellungsmöglichkeiten sollen im folgenden eingehender dargestellt werden.
a) Vaterschaftsanerkenntnis Das Vaterschaftsanerkenntnis ist eine öffentlich beurkundete Wissens- und Willenserklärung des Anerkennenden, das Kind auf Grund einer Beiwohnung in der Empfängniszeit als von ihm gezeugt anzusehen. Sie wird als zutreffend angesehen, wenn die Zustimmung des Kindes erfolgt. Die tatsächliche Übereinstimmung wird nicht nachgeprüft, da sich in der Regel nur dann ein Mann zu einer Vaterschaft und den damit verbundenen Folgen bekennt, wenn er sich der eigenen Vaterschaft sicher sein kann. Aber wissentlich oder intümlich falsche Anerkenntnisse sind möglich, zu denen auch die Mutter beitragen kann, indem sie als VertreteTin des Kindes einer Anerkennung durch den tatsächlichen Vater durch Verweigerung der Zustimmung verhindert und das Kind von einem anderen Mann anerkennen läßt. 16 1990 gab es bei 76.300 nichtehelich geborenen Kindern 79.694 Vaterschaftsfeststellungen (von den Jugendämtern erledigte Fälle), davon durch Anerkenntnis 67.367. 17 85% aller nichtehelichen Kinder werden somit anerkannt. 18
16 Beispiel aus Holzhauer, FamRZ 1982, S. 112. In diesem Fall werden auch keine begründeten Zweifel geltend gemacht werden können, da die Erklärung des Mannes mit den Angaben der Mutter übereinstimmen wird.
17 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 73 und 507 - alte Bundesländer. Bei der Zahl der Vaterschaftsfeststellungen liegt vermutlich ein Überhang aus den Vmjahren vor. 1" 70% nach Schwenzer, FamRZ 1992, S. 122, dies., in: Gutachten, A 13, 80-85%; Klaus Barth, Kindschaftsrecht- quo vadis?, DA V 1992, S. 278 (280): 90%.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
29
b) Vaterschaftsfeststellung Die Vaterschaftsfeststellung ist ein gerichtliches Verfahren, in dem das Kind, aber auch der die Vaterschaft in Anspruch nehmende Mann klageberechtigt sind, auch mit dem Ziel einer negativen Feststellung (soweit kein Statusverhältnis besteht). 19 Kern dieses Verfahrens ist in der Regel das Beweisverfahren. Meist ist nicht der Verkehr der Mutter mit dem Mann, sondern die Kausalität dieses Verkehrs (wegen Mehrverkehrs) für die Zeugung streitig. Da aufgrund der heutigen Nachweismöglichkeiten durch Blutuntersuchungen und andere medizinische Verfahren exakte Zuordnungen möglich sind, sind Fehlurteile und damit eine nicht den biologischen Tatsachen entsprechende rechtliche Vaterschaftszuordnung selten und fast ausschließlich dann möglich, wenn das Beweisverfahren ohne Einholung medizinischer Gutachten und Untersuchungen erfolgt ist. 1990 gab es 12.327 Vaterschaftsfeststellungsklagen. 20
2. Das nichteheliche Kind ohne elterliche Gemeinschaft Das nichteheliche Kind in der unvollständigen Familie ist der klassische Bereich, in dem Kinder vermutet werden, die ihre Abstammung nicht kennen. Die Gründe, aus denen die Kinder ihre Abstammung nicht zurückverfolgen können, sind wie folgt zu unterscheiden: die Mutter kann dem Kind nicht den Erzeuger benennen, da sie seinen Namen nicht kennt oder nur den Vornamen 21 ; die Mutter kennt den Erzeuger, will ihn jedoch aus den verschiedensten Gründen nicht benennen: Ablehnung des Kindesvaters und der Versuch, das Kind mit ihm nicht in Berührung kommen zu lassen22; Schutz des Kindes-
19
ErTTUJn I Holzhauer, § 1600 n I 4 und 6.
20
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1992, S. 507 - alte Bundesländer.
Zufallsbekanntschaft für eine Nacht: LG Berlin DAV 1988, S. 833 "Bemd"; Vergewaltigung durch unbekannt gebliebenen Täter; Mehrverkehr mit nicht mehr feststellbaren Männem, z.B. bei Prostituierter. 21
22 Dieses Phänomen wird auch im Ausland festgestellt. So berichtet Shifman, Israel Law Review Vol. 23, S. 41, von der mit Enttäuschung oder Wut über den Kindesvater begründeten Weigerung, den Namen bei der Freigabe zur Adoption mitzuteilen.
30
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
vaters, der noch verheiratet ise3 ; allgemeine pädagogische, emanzipatorische oder soziologische Motive24 ; weder Vater noch Mutter sind bekannt, da die Mutter bei der Krankenhausaufnahme einen falschen Namen angegeben hat, um nach der Geburt aus dem Krankenhaus zu verschwinden. 25 Zuverlässige statistische Angaben über die Zahlen nichtehelicher Kinder, deren Väter nicht festgestellt werden können und über die Zahl der Kinder, deren Mütter Angaben über den Kindesvater verweigern, sind nicht vorhanden. Eine mittlerweile zeitlich überholte Untersuchung aus dem Jahre 1961, die auf Akten des Geburtsjahrganges 1952 basiert, ergab eine Quote von über 20%, bei denen ein Vater nicht festgestellt werden konnte (15 % von vornherein unbekannt, 6 % erfolgloses Vaterschaftsfeststellungsverfahren).26 Dieses Ergebnis scheint aber verläßlich zu sein, da es durch eine weitere Untersuchung im Jahre 1971, die auf Akten aus den Geburtsjahrgängen 1965-70 basiert, bestätigt wurde. 27 Wird die oben genannte Quote von ca. 85% anerkannten Kindern zugrundegelegt, wird die relative Zahl heute zwar gesunken sein, aber immer noch eine erhebliche absolute Zahl bilden. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß vielfach die Namensangabe nur dem Jugendamt gegenüber verweigert wird, einige dieser Kinder ihre Väter aber kennen werden. Dennoch verbleibt eine erhebliche Anzahl nichtehelicher Kinder,
23 Evtl. auch gegen höhere Unterhaltszahlungen: BGH 11.11.1981, FamRZ 1982, S. 159 (160); ausführlich zu diesem Problem: Kleinecke, S. 136-143; Reinke, S. 17; Brüggemmm, S. 8.
2A Ein Musterbeispiel sind Vorstellungen einer Mutter in LG Berlin 26.5.1988, FamRZ 1988, S. 1202, die unkommentiert bleiben: "Der Weg der Ehe und Kleinfamilie" führe "zu Neurosen und anderen psychischen Deformationen". Wichtig sei daher "die Unabhängigkeit von dem Vater der Kinder", den diese zwar kennten, nicht jedoch als Vater, damit der "Kontakt in der Praxis kooperativ und frei von sonst üblichen Spannungen" bleibe.
25 Eine zunächst in den USA begonnene neue Entwicklung. Es handelt sich meist um drogensüchtige Frauen, die von Straßenprostitution leben. Allein in New York beträgt die Zahl dieser Babys 4.200 im Jahr. Aus: Westfälische Nachrichten vom 29.7.1992. 26
Sepp Groth, Kinder ohne Familie, München 1961, Schriftenreihe der AGJ Bd. 8, S. 159 f).
Klaus Barth, Die soziale Stellung des nichtehelichen Kindes, ZfJ 1972, S. 80 (87). Eine von Kleinecke, S. 133, zitierte Auskunft eines städtischen Jugendamtes ergab ebenfalls eine Angabe in diesem Bereich- 18%. 27
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
31
die keine Kenntnis von ihrem Vater haben, da die Mütter die Namensangabe und den Kontakt mit dem Vater verweigern. 28
3. Ergebnis Bei einem nichtehelichen Kind ist in folgenden Fällen ein Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft möglich und ein Informationsbedürfnis des Kindes über die Person seines Erzeugers denkbar: bei einem wissentlich oder unwissentlich falschen Anerkenntnis, bei einer unrichtigen Vaterschaftsfeststellung. Ein Informationsbedürfnis ist auch denkbar, wenn das Kind überhaupt keinem Mann zugeordnet ist, insbesondere also bei einer erfolglosen Vaterschaftsfeststellung. elternlos ist, da sich die Mutter einer Feststellung entzogen hat.
III. Adoption Die Adoption ist die Annahme eines Kindes als eheliches Kind durch eine Person oder ein Ehepaar, zu dem eine eheliche Kindschaftsbeziehung vorher nicht bestand.29 Im einzelnen gibt es jedoch sehr verschiedene Fallgestaltungen der Adoption.
28 Die Zahl wird heute bei ca. 8-10% aller nichtehelichen Kinder liegen. Die Angabe des Verbandes Alleinstehender Mütter und Väter, die Hälfte aller nichtehelicher Kinder kenne ihren Vater nicht (Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 30.5.1992), kann nur im Sinne eines fehlenden Umgangs verstanden werden. Von den Kindem wird dieses Verhalten nicht mehr hingenommen. Die Mütter werden auf Auskunft verklagt, wenn sie sich weigern, den Namen des Vaters zu nennen: AmtsG Passau FamRZ 1987, S. 1309; Berufungsurteil LG Passau, FamRZ 1988, S. 210; Nichtannahmebeschluß BVerfG FamRZ 1989, 147; AmtsG Gemünden a.M. FamRZ 1990, S. 200 (in diesem Rechtsstreit klagte allerdings, als Vertreter des Kindes, das Kreisjugendamt).
29
MünchKomm-Lüderitz, vor§ 1741/1.
32
I. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
1. Fremdadoption
Durch die Volladoption wird das Kind nicht nur eheliches Kind der Annehmenden, es entstehen auch verwandtschaftliche Beziehungen des Angenommenen (und seiner Abkömmlinge!) zu der Familie der Annehmenden. Gleichzeitig erlöschen sämtliche Rechtsbeziehungen zu den leiblichen Eltern und deren Verwandten (Volladoption). Die Volladoption führt damit zu einem Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Elternschaft. Die Zahl der zur Adoption freigegebenen, in Deutschland geborenen Kinder ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. 30 Mittlerweile besteht ein Verhältnis von 29 adoptionswilligen Paaren auf ein deutsches Baby.31 Dieser Rückgang ist zum einen auf die Möglichkeiten der Schwangerschaftsverhütung, zum anderen auf die immer stärkere Nutzung des Schwangerschaftsabbruchs mit sozialer Indikation zurückzuführen. Als Folge hat der "Import" zur Adoption freigebener Kinder aus Ländern der Dritten Welt zugenommen. Im Regelfall vollzieht sich die Volladoption vollzieht sich als Inkognito-Adoption. Dabei handelt es sich nicht um eine vorbehaltslose Freigabe eines Kindes an die Vermittlungsstelle, ohne daß schon ein Adoptivelternpaar gefunden worden ist (unzulässige Blanko-Adoption), sondern um die Geheimhaltung der Namen zwischen den leiblichen Eltern (bzw. der leiblichen Mutter) und den von der Vermittlungsstelle vermittelten Adoptiveltern. Das Inkognito kann erst durch das Adoptivkind gelüftet werden. Mit Erreichen des 16.Lebensjahres hat es die Möglichkeit, in das Personenstandbuch Einsicht zu nehmen und so den Namen der leiblichen Eltern zu erfahren, § 61 Abs. II PersStG. Im Alter von 18 Jahren kann es auch Einsicht in seine Adoptionsakte nehmen. 32 Trotz dieser Möglichkeiten fällt es den Kindern oft schwer, mehr als nur den bloßen Namen zu erfahren, da den Akten oft nur wenige Informationen über die
30 Dagegen ist ein kontinuierlicher Anstieg der Stiefkindadoptionen zu verzeichnen, die mittlerweile über 50% der Adoptionen ausmachen. Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1992, s. 507.
31 Nach Siegmund Knippel, Was ist für die ungeborenen Kinder zu tun?, ZRP 1992, 152. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1992, S. 507: 19.576 Bewerber, 711 Kinder (1990). 32 Akteneinsichtsrecht nach § 34 FGG. Die leibliche Mutter kann Einsicht in die Adoptionsakten nur nach Zustimmung der Annehmenden und des Kindes nehmen, wobei der Adoptionsvermittlungsstelle ein pflichtgemäßes Ermessen obliegt, OVG Münster 20.6.1984, NJW 1985, S. 1107.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
33
leiblichen Eltern entnommen werden können33 und die seit der Adoption verstrichene Zeit Nachforschungen erschwert. Besonders problematisch ist jedoch, daß viele Adoptivkinder aus der Adoptionsakte oder dem Personenstandbuch nur den Namen der leiblichen Mutter erfahren können, da es sich bei der weit überwiegenden Zahl der zur Adoption freigegebenen Kinder um nichteheliche Kinder handelt. 34 In diesen Fällen wird vielfach mit der Adoptionsfreigabe die Ermittlung des Vaters bzw. ein gerichtliches Vaterschaftsfeststellungsverfahren von der Adoptionsvermittlungsstelle bzw. dem Jugendamt eingestellt, um die Adoption nicht zu verzögern.35 Diese Kinder können nur über eine Kontaktaufnahme mit der leiblichen Mutter zu einer Kenntnis ihrer väterlichen Abstammung gelangen.
2. Verwandtenadoption Bei der, seltenen36, Verwandtenadoption erlischt ebenfalls das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen leiblichen Eltern, § 1756 Abs. I BGB (Volladoption). Rechtliche und genetische Abstammung stimmen nicht überein. Ein Informationsbedürfnis des Adoptivkindes über die eigene Abstammung wird jedoch regelmäßig schon durch die verwandtschaftliche Nähe befriedigt werden.
3. Adoption des Kindes des Ehegatten Die Stiefkindadoption, § 1754 Abs. I 2.Fall BGB, ist mittlerweile der häufigste Adoptionsfall. 37 Ein Informationsbedürfnis des Kindes besteht in diesen Fällen nicht, da Stiefkindadoptionen nicht anonym durchgeführt werden und es
33
So die Behauptung von Reinke, S. 34.
Nach Klaus Barth, Soziologische Daten zur Adoption Minderjähriger, ZfJ 1978, S. 243 (254), haben nur 13,6% einen ehelichen Status, 19,5% sind von ihren Vätern anerkannt worden, 5,9% der Väter wurden gerichtlich festgestellt. Zum Vergleich mit den allgemeinen Zahlen s.o. 34
3s So auch der Wille des Gesetzgebers, BT-Drs 7 I 5087 S. 15; Beispiel: LG Ellwangen DAV 1988, S. 309 - der Amtspfleger verweigerte die Zustimmung zur Adoption, weil der Kindesvater noch nicht festgestellt war; das Landgericht ersetze die Zustimmung.
36 Der Anteil an der Gesamtzahl der Adoptionen ist gering - nur 5%; Statistisches Bundesamt, Statistik der Jugendhilfe, Teil I, Erzieherische Hilfe 1989, Wiesbaden 1991, S. 7. 37 Statistisches Bundesamt, Statistik der Jugendhilfe, Teil I, Erzieherische Hilfe 1989, Wiesbaden 1991, S. 7: 1986 waren es 3867 von 7875 Adoptionen- über 50%.
3 von Sethe
34
1.
Teil: Rechtstatsächliche Einführung
dem Kind daher regelmäßig bekannt sein wird, wer der leibliche Vater ist oder, wie bei der Verwandtenadoption, ein evtl. Informationsbedürfnis im Falle des § 1756 Abs. II BGB schon durch die bestehenbleibende Verwandtschaft befriedigt werden kann.
IV. Fortpflanzungsmedizin
Die moderne medizinische Technik hat es nicht nur geschafft, Sexualität ohne Fortpflanzung, sondern auch Fortpflanzung ohne Sexualität zu ermöglichen. Für die Ermittlung des möglichen Anwendungsbereichs des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung sind die fortpflanzungsmedizinischen Methoden deutlich in den Bereich der homologen und der heterologen Befruchtungstechniken zu unterscheiden. Bei der homologen Befruchtung werden der Samen und die Eizellen der künftigen Wunscheltern, die auch die rechtlichen Eltern sein werden, verwandt. Eine Trennung von genetischer und rechtlicher Elternschaft findet daher nicht statt. Dieser Bereich ist für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ohne Relevanz. Von Interesse sind allein die heterologen Befruchtungsverfahren. Die einzelnen Methoden medizinisch unterstützter Fortpflanzung sollen jedoch zunächst in einer Art Einführung in die Fortpflanzungsmedizin vorgestellt werden. Gleichzeitig erfolgt eine Begriffsfestlegung, um eine Verwirrung durch die verschiedenen Begrifflichkeiten, die die an der Diskussion der Fortpflanzungsmedizin beteiligten Disziplinen verwenden, zu vermeiden. 38
38 Schon an dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, daß keine direkte Verbindung zwischen der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie besteht. Die fortpflanzungsmedizinischen Methoden beschränken sich beim Menschen auf ärztliche Unterstützung bei der Zuführung von Samenund Eizelle. Es handelt sich auch nicht um eine "künstliche Befruchtung", da die Vereinigung der Keimzellen natürlich erfolgt und sie nicht beeinflußt oder verändert werden. Die vollständige Analyse des menschlichen Genmaterials wird jedoch in wenigen Jahren möglich sein. Dann ist auch die sogenannte gelenkte Vererbung, d.h. Fortpflanzung erst nach ,,Reinigung" des Erbmaterials von Erbkrankheiten und anderen negativen Abweichungen sowie die Einpflanzung gewünschter Merkmale möglich. Sie befindet sich bereits im Versuchsstadium; so Sir Walter Bodmer, einer der führenden britischen Fortpflanzungsmediziner, in der ARD am 10.5.1992.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
35
1. Entwicklung, Technik, Indikation und Verbreitung der einzelnen Methoden der assistierten Fortpflanzung So verschiedenartig die Ursachen für die Kinderlosigkeit eines Paares sein können, so vielfältige Methoden hat die Medizin in den letzten Jahrzehnten entwickelt, um diesen Störungen zu begegnen. Sie wirken sich auf das Recht des noch zu zeugenden Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung unterschiedlich aus. Um die ungefahre Größenordnung für die Anwendungsmöglichkeiten der Portpflanzungsmedizin aufzuzeigen, wird international von einer Zahl von ca. I 015% ungewollt kinderloser Ehepaare in Industrienationen ausgegangen. In absoluten Zahlen ergibt sich damit in Deutschland eine Zahl von ca. 30.000 Ehepaaren jährlich, denen mit verschiedenen medizinischen Methoden geholfen werden kann.39
a) Insemination (homolog und heterolog) Bei einer Insemination wird das zu einem früheren Zeitpunkt gewonnene Sperma eines Mannes künstlich (mittels einer Kanüle) in die Vagina oder die Gebärmutter der Frau eingebracht. Bei einer homologen Insemination handelt es sich um das Sperma des Partners der Frau40, bei einer heterologen Insemination um das Sperma eines anderen Mannes, eines Samenspenders. Die homologe Methode ist in erster Linie bei der Unfähigkeit des Mannes, den Beischlaf so durchzuführen, daß der Samen weit genug in die Vagina eingebracht wird (impotentia coeundi), indiziert; diese Indikation kann aber auch bei einer impotentia generandi, bei der die Samenflüssigkeit Mängel aufweist, gegeben sein. Nur selten liegt die Indikation für eine Insemination bei der Frau, z.B. bei einer Abwehrreaktion in Vagina oder Gebärmutterhals gegen Sperma.41 Die hetero-
39 Diefenbach, S. 7 mwN; Reinke, S. 3; BJM-Broschüre "Der Umgang mit dem Leben", 1987, S. 6; Lanz-Zumstein, S. 237. A.A. nur Cicil Ernst, Neue Zürcher Zeitung 7. I 8. Februar 1988: ca. 25% aller verheirateter Frauen. 40
Teilweise wird dieser Begriff auf den Ehemann verengt.
41
Santaella, S. 57 f.
3*
36
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Ioge Methode ist dagegen notwendig, wenn der Mann gänzlich infertil (unfruchtbar) oder mit Erbkrankheiten belastet ist. 42 Die Insemination kann in ihrer Anwendung schon auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurückgeführt werden; erste umfangreichere Versuche sollen schon 1866 vorgenommen worden sein, in Deutschland um 1910.43 Weltweit sollen bereits über 300.000 Kinder allein nach heterologer Insemination geboren worden sein; die Schätzungen gehen jedoch hier weit auseinander und haben keine zuverlässige Grundlage. 44 Die Zahl der in Deutschland geborenen Inseminationskinder wurde 1983 auf 20.000 geschätzt, wobei ca. 1.000 Kinder jährlich hinzukomen.45 Große Krankenhäuser und Universitätskliniken nehmen eine heterologe Insemination nicht mehr vor, seitdem der BGH 1983 die Ehelichkeitsanfechtung durch den Ehemann trotz dessen vorheriger Zustimmung zur Insemination zugelassen hat. 46 Sie wird, trotzder möglichen Haftungsrisiken, noch in freien Praxen vorgenommen.
42 Umfassend zu Definition und Indikation Joseph Neulen, Insemination, in: Bettendorf I Breckwoldt, S. 512 ff.
43
Vertiefend Brähler, S. 60-62.
Bereits 1941 sollen es weltweit 100.000 Kinder gewesen sein, die durch homologe oder heterologe Insemination gezeugt worden sind, so der Bericht der Bayerischen interministeriellen Arbeitsgruppe, S. 100. Realistisch erscheinen die Zahlen bei Gerhard Simson, Die Insemination, JZ 1953, S. 480 (481), der für die USA 5.800 durch homologe und 3.600 durch heterologe Insemination gezeugte Kinder angibt. Ein Überblick über die Verbreitung heterologer Insemination: USA : 250.000 Kinder aus heterologer Insemination bis 1983, jährlich 20.000 (Eiias I Annas S. 227). Österreich: 1.115 Kinder bis 1985, bei knapp 200 Geburten jährlich ca. 0,23% aller Geburten (so Schick, in: Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, S. 327; diese Zahlen stammen aus einer umfassenden Befragung aller Österreichischen Gynäkologen). Frankreich: 16.500 Kinder in dem Zeitraum von 1973-1989, die Zahl ist gering angesetzt, da es sich ausschließlich um Kinder handelt, die durch eine Samenspende der CECOS gezeugt wurden (zu CECOS siehe 5. Teil D VII, S. 257) (Rubellin-Devichi, Semaine Judiciaire 1991, I 3505, s. 181). Schweiz: Ca. 350 Kinder jährlich, 0,5% der Geburtenrate (Campana, in: Koll. Lausanne, S. 35). Spanien: Ca. 2.000 Kinder insgesamt (Santaella, S. 57). 44
45 Lanz-Zumstein, S. 236 f; W. Spann, Die heterologe Insemination, DMW 1981, S. 195; P.F. Tauber, Insemination aus ärztlicher Sicht, MMW 1983, S. 1086-1089; BMJ-Broschüre "Der Umgang mit dem Leben" S. 8 f. Das sind ca. 0,15% der Geburtenrate. 46 Krebs, 56. DJT 1986, Diskussion K 146; Eser I Koch I Wiesenbart, S. 31; Bericht der Bayerischen interministeriellen Arbeitsgruppe, S. I 01.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
37
b) Post mortem-Insemination Sperma kann tiefgefroren und über Jahre hinweg in sog. Samenbanken eingelagert werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, Sperma auch nach dem Tode eines Mannes zu verwenden. Einen spektakulären Fall gab dazu 1984 in Frankreich. Eine Witwe verlangte von einer Samenbank das eingelagerte Sperma ihres verstorbenen Ehemannes heraus, das dieser wegen einer unheilbaren, seine Fortpflanzungsfähigkeit zerstörenden Krankheit dort eingelagert hatte, um sich damit befruchten zu lassen. Das angerufene Gericht gab der Herausgabeklage der Witwe statt, die Befruchtung war jedoch erfolglos.47 Fälle einer post mortem-lnsemination in Deutschland sind nicht bekannt.
c) In-vitro-Fertilisation (IVF) Liegen bei der Frau anatomische (Tubenverschluß) oder funktionelle (eingeschränkte Tubenmotilität) Sterilitätsursachen vor, die zur Folge haben, daß die Samenzellen nicht bis zu den Eizellen gelangen können, ist eine IVF indiziert. Dazu werden Samen des Mannes und Eizellen der Frau zur Befruchtung in vitro, d.h. im Reagenzglas, zusammengeführt. Die befruchteten Eizellen, drei bis fünf Stück, werden sodann in die Gebärmutter der Frau implantiert.48 Der Embryo kann mittlerweile jedoch auch erfolgreich tiefgefroren eingelagert und zu einem günstigen Einpflanztermin wieder aufgetaut werden.
47 Fall Paraplaix, Tribunal de Grande lnstance de Creteil 1.8.1984, Gaz.Pal. 1984 (2), S. 560; Besprechung von Deutsch in: VersR 1985, 700.
•R Dadurch kommt es zu der vermehrt vorkommenden Zahl von Mehrlingsgeburten (20,5% der IVF-Geburten, Hölzle I Wiesing, S. 23). Andererseits ist die Erfolgschance bei der Implantation einzelner befruchteter Eizellen sehr gering, so daß eine Risikoabwägung notwendig ist. Mittlerweile ist es nicht einmal mehr notwendig, daß sich die Frau selbst noch im gebärflihigen Alter befindet. Nach einer Meldung des Hamburger Abendblattes vom 24.4.1994 ist es gelungen, ein durch IVF befruchtete Eizelle einer 62-jährigen Italienerin erfolgreich einzupflanzen. Kurz vorher hatte der Spiegel (17 /1992, S. 227) die auch erfolgreiche IVF-Schwangerschaft einer 54 Jahre alten Frau noch als "Rekord" gemeldet.
38
I. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Liegt gleichzeitig seitens des Mannes Unfruchtbarkeit vor, wird die IVF heterolog, d.h. mit Hilfe eines Samenspenders, vorgenommen. Die Erfolgsrate von In-vitra-Fertilisationen ist jedoch gering. 49 Das erste IVF-Kind (Louise Brown) wurde 1978 in Großbritannien, das erste in Deutschland 1982 gezeugt; heute existieren bereits weltweit mehrere tausend Kinder, die diesem Verfahren ihre Geburt verdanken. 5° Für eine IVF-Behandlung kommen in Deutschland 4.000-12.000 Ehepaare jährlich in Betracht. 51
d) Embryospende Bei der Embryospende wird in vitro eine Eizelle mit Spendersamen befruchtet und nach der Entwicklung zum Embryo einer Frau eingepflanzt, von der nicht die Eizelle stammt. Es ist aber auch möglich, einer (durch Insemination oder auf natürlichem Wege) schwangeren Frau den Embryo zu entnehmen (Uteruslavage) und einer dritten Frau einzupflanzen. Verschiedene Fälle sind in der Presse berichtet worden. Bekannt geworden ist insbesondere der Fall, daß eine Frau ein Embryo ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns austrägt. 52
e) Intratubarer Gametentransfer In den 80er Jahren ist der intratubare Gametentransfer - Samen und Eizelle werden zusammen oder nacheinander in den Eileiter eingebracht - entwickelt worden. Er hat den Vorteil einer Befruchtung in "natürlicher Umgebung" und soll, soweit möglich, die IVF mit dem Ruf der Retortenzeugung ersetzen. Auch
49 Ca. 20-25%: Dieter Krebs, In vitro-Fertilisation, intratubarer Gametentransfer (GIFT) und intrauterine Insemination, in: Bettendorf I Breckwoldt, S. 525, erst nach mehljähriger Erfahrung der Arbeitsgruppe. Von den damit erreichten Schwangerschaften enden nur 58% in einer Lebendgeburt (Hiilzle I Wiesing, S. 23).
50 Auch hier sind die Zahlen widersprüchlich. Keller berichtet 1988 von ca. 3000 IVF-Kindem weltweit, davon ein Drittel in den USA (MedR 1988, S. 59). In: ESchG, B IV Rn. 14, lautet seine Schätzung beim Stand Frühjahr 1991 dagegen schon ca. 20.000 Kinder. Einbezogen sind jeweils auch homologe IVF'en. 5 1 BJM-Broschüre S. 10 f; mehr als 30 staatliche Kliniken und 3 gynäkologische Privatkliniken befassen sich mittlerweile mit IVF, Busse, S. 21.
52
Lanz-Zumstein, S. 241.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
39
dieses Verfahren ist in allen denkbaren Variationen möglich - homolog, heterolog, mit gespendeten Ei- und Sarnenzellen. 53
t) Tragemutterschaft und Ersatzmutterschaft
Bei der für Dritte übernommenen Mutterschaft (Oberbegriff Leihmutterschaft) handelt es in medizinischer Sicht um keine anderen als die bereits dargestellten reproduktionsmedizinischen Verfahren. Da sich an diesen Verfahren jedoch eine weitere Frau in einer Weise beteiligt, die über eine Eispende hinausgeht, erhalten diese Konstellationen jedoch eine andere rechtliche und soziale Dimension, die eine eigenständige Darstellung rechtfertigt. Eine Ersatzmutterschaft ist indiziert, wenn die Wunschmutter unfruchtbar ist und das Kind zudem nicht selbst austragen kann oder austragen will. Dabei wird entweder der Samen des Mannes wird dabei einer sich als Ersatzmutter zur Verfügung stehenden Frau inseminiert oder die Ersatzmutter im Wege der IVF (Befruchtung einer eigenen Eizelle der Ersatzmutter mit dem Samen des Mannes) befruchtet. Das Kind ist damit genetisch und biologisch Kind des Mannes und der Ersatzmutter. In einer Variation kann eine gleichzeitige Unfruchtbarkeit des Mannes durch den Einsatz von Spendersamen überwunden werden, so daß die Elternschaft vollständig aufgespalten ist. Die bloße Tragemutterschaft (auch Ammenmutterschaft genannt) ist dagegen indiziert, wenn die Frau zwar fruchtbar ist, aber das Kind nicht austragen kann oder will. Nach einer IVF der der Frau entnommenen Eizellen mit dem Sperma des Mannes werden die befruchteten Eizellen der Tragemutter implantiert. Genetisch sind also die Wunscheltern Eltern des Kindes, biologische Mutter ist aber die austragende und gebärende Tragemutter. Die Tragemutter kann sich aber mit gespendeten Keimzellen befruchten lassen. Das Kind hat dann fünf Eltern - die Tragemutter, Eizellspenderin, Samenspender und die "Wunscheltern". Selbstverständlich kann sich die Wunschmutter in diesen Fällen auch auf natürlichem Wege befruchten und anschließend den Embryo im Wege der Uterus-Lavage entnehmen lassen, damit er der Tragemutter eingesetzt werden kann. Dieses Verfahren ist jedoch noch nicht ausreichend entwickelt und bietet daher zu wenig Sicherheit.
53
Santaella, S. 60.
40
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Die medizinischen Methoden, die die Ersatz- und Tragemutterschaft ermöglichen, wurden in den 70er Jahren entwickelt und in den 80er Jahren erstmals erfolgreich eingesetzt. Aufgrund der rechtlichen und moralischen Umstrittenheit sind Ersatz- und Tragemutterschaften in Deutschland vereinzelt geblieben. 54
2. Ergebnis In allen Formen heterologer fortpflanzungsmedizinischer Techniken kommt es zu einem Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft. Zu diesen Formen ist nicht nur die Verwendung von Samenspenden, sondern auch die homologe postmortale Insemination zu rechnen, da nur in seltenen Fällen noch eine rechtliche Vaterschaft des verstorbenen Mannes aufgrund der pater est-Regel vermutet werden kann. 55 Auch die Implantation eines gespendeten Embryos in die Gebärmutter der Ehefrau des Mannes gehört zu diesen Formen heterologer fortpflanzungsmedizinischer Techniken. Zu einem Auseinanderfallen von rechtlicher6 und genetischer Mutterschaft kann es bei der Verwendung von gespendeten Eizellen im Rahmen einer IVF, eines intratubaren Garnententransfers oder einer Embryospende kommen. Derartige Techniken werden sowohl im Rahmen einer Tragemutterschaftsvereinbarung, als auch für eine Ersatzmutterschaftsvereinbarung (falls die Eizellen von einer dritten Frau stammen), aber auch bei Frauen verwandt, die über keine eigenen Eizellen verfügen. Daher ist auch die sog. Tragemutterschaft, bei der eine Frau ein Embryo als Schwangere austrägt, das von einem anderen Elternpaar stammt, als heterologe Befruchtung anzusehen, obwohl aus Sicht des auftraggebenden Paares eine homologe Befruchtung vorliegt. Durch die Embryoübertragung kommt es jedoch zur "Geburtsmutterschaft" einer anderen Frau.
54 Es soll bis 1983 20 Ersatzmütter gegeben haben; andere Quellen sprechen jedoch von 400, siehe Lanz-Zumstein, S. 239. Bach (Leiter der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle der norddeutschen Länder) spricht von einigen Dutzend jährlich, FamRZ 1990, 575. Im Ausland ist die Akzeptanz z.T. größer. In den USA existieren regelrechte Leihmüttervennittlungsbüros, siehe Susan lnce, S. 75 ff, und Lanz-Zumstein, S. 239. Der Spiegel (17 I 1992) berichtet von 500 erfolgreichen Ersatzmutterscharten in den USA.
55 Da die 302 Tage-Frist des§ 1592 BGB (iVm §§ 1591 und 1600 o BGB) nicht eingehalten sein wird.
56 Und damit biologischer und genetischer Mutterschaft, da als rechtliche Mutter die gebärende Frau angesehen wird; im einzelnen s.u. 3. Teil D II 4 d.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
41
In allen Varianten einer heterologen Befruchtung, wie sie soeben definiert worden ist, kommt es daher zumindest zu einem teilweisen Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Elternschaft. In diesen Fällen kann im allgemeinen von einem möglichen Informationsbedürfnis des entstehenden Kindes über seine Abstammung ausgegangen werden. Sie stellen daher einen möglichen Anwendungsbereich für die Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung dar. Statistisch ist die Zahl der Kinder, die aufgrund heterologer Befruchtung entstehen, im Vergleich zur Gesamtgeburtenzahl noch gering. In den 80er Jahren läßt sich jedoch bereits, besonders außerhalb Deutschlands, eine deutliche Steigerung auf einen Anteil von 0,2-0,5% der Geburtenrate erkennen. Gleichzeitig ergibt sich bei einer Quote von 10-15% ungewollt kinderloser Paare, denen zu einem erheblichen Teil durch heterologe Befruchtungstechniken geholfen werden kann, ein großes Marktpotential für die Ärzteschaft Sollte es zu einer gesetzlichen Regelung der (zulässigen) fortpflanzungsmedizinischen Techniken kommen und dabei die Anfechtungsmöglichkeit des konsentierenden Ehemannes in Korrektur der BGH-Entscheidung vom 17.4.1983 eingeschränkt, aber auch die Anonymitätsfrage gelöst werden, wird es in Deutschland wieder zu einer verstärkten Anwendung heterologer Befruchtungstechniken kommen, so daß auch in Deutschland langfristig mit einem Anteil von 0,5% heterolog gezeugter Kinder an der Geburtenrate gerechnet werden kann. 57
V. Sonderfälle
Es gibt noch weitere mögliche Fallgestaltungen, in denen rechtliche und genetische Vaterschaft nicht übereinstimmen. Neben den zu vernachlässigenden Möglichkeiten einer Kindesunterschiebung (z.B. das Kind der jugendlichen Tochter wird von deren Eltern als eigenes Kind ausgegeben) und der Kindesverwechslung58 ist hier vor allem die Legitimation zu nennen. Bei der Legitimation handelt es sich um einen Wechsel des Rechtsstatus eines nichtehelichen Kindes in den eines ehelichen Kindes durch eine spätere Ehe der Eltern(§ 1719
s1 Bei einer Umfrage in Frankreich sprachen sich unter den vorgestellten Lösungen bei ungewollter Kinderlosigkeit 56,6% der Befragten für fortpflanzungsmedizinische Unterstützung, 40,7% für Adoption und 2,3% für Leihmutterschaft aus. 5,4% sprachen sich für das Verbleiben in der Kinderlosigkeit aus. Nach Rubellin-Devichi, Semaine Judiciaire 1991 1., Nr. 3505, S. 181, Fn I. ;• Siehe im einzelnen Reinke, S. 37 f, mit Hinweis auf einen aktuellen KindesverwechslungsfalL
42
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
BGB) oder auf Antrag des Vaters(§ 1723 BGB) oder des Kindes(§ 1740 a BGB) an das Vormundschaftsgericht.
1. Legitimation durch spätere Ehe der Eltern Diese, häufige, 59 Legitimationsform ist möglich, wenn der Ehemann der Mutter Vater des nichtehelichen Kindes ist. Angeknüpft wird an die Anerkennung oder gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. Es ist bereits festgestellt worden, daß insbesondere bei der Anerkennung eines nichtehelichen Kindes Abweichungen von der genetischen Vaterschaft möglich sind. Diese können sich bei einer Legitimation durch spätere Heirat fortsetzen. Sie ist daher eine "Legitimation ohne Garantie einer der biologischen Abstammung entsprechenden Zuordnung".60
2. Legitimation auf Antrag des Vaters Auch die, eher seltene, Legitimation auf Antrag des Vaters gründet sich in der Zuordnungsrichtung auf eine Vaterschaftsfeststellung oder -anerkennung, die mit den Unsicherheiten, die bereits festgestellt wurden, behaftet ist. Daher kann es bei dieser Art der Legitimation Fälle geben, bei denen rechtliche und biologische Vaterschaft nicht übereinstimmen.
3. Legitimation auf Antrag des Kindes Die noch seltenere Ehelicherklärung auf Antrag des Kindes kann erfolgen, wenn die Eltern verlobt waren und das Verlöbnis der Eltern durch den Tod eines Elternteils aufgelöst worden ist. Die Vaterschaft des Verlobten muß allerdings gern. § 1600a BGB infolge Anerkennung oder gerichtliche Feststellung
s9 Wie bereits oben festgestellt, werden 35-40% der nichtehelich geborenen Kinder durch nachfolgende Eheschließung der gemeinsamen Eltern legitimiert bei steigenden Anteilen, da sich viele Eltern erst nach der Geburt zur Heirat entschließen, Schwarz, Zeitschrift für Familienforschung, Heft I 1992, S. 90. In absoluten Zahlen handelt es sich bei 76.000 nichtehelich geborenen Kindern um ca. 30.000 Kinder I jährlich. 60
Gernhuber, Familienrecht, § 61 I, S. 950.
A. Anwendungsbereiche des Kenntnisrechts
43
feststehen. Stammt das Kind tatsächlich jedoch von einem anderen Mann, wird das Kind durch die Ehelicherklärung falsch zugeordnet.
4. Ergebnis Bei der Legitimation eines Kindes kann es (seltene) Fälle geben, bei denen rechtliche und biologische Vaterschaft nicht übereinstimmen und daher ein Informationsbedürfnis des Kindes über seine Abstammung bestehen kann. Im geplanten künftigen Kindschaftsrecht, in dem nicht mehr große Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern bestehen und nicht verheiratete Eltern ein gemeinsames Sorgerecht erhalten können, werden diese Rechtsinstitute entfallen können. 61
VI. Ergebnis zu A. - Anwendungsbereiche des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung
Es gibt eine Vielzahl von Fallgestaltungen, in denen rechtliche und biologische Elternschaft, insbesondere Vaterschaft, nicht übereinstimmen oder einem Kind kein Vater zugeordnet ist. Vom Gesetz werden die Abweichungen vielfach bewußt in Kauf genommen oder sogar durch großzügige Regelungen gefördert, um dem Kind in seinem Interesse einen sozialen Vater geben zu können, aber auch, um die Ehe der rechtlichen Eltern und den Ehelichkeitsstatus zu schützen.62 Bekannt und sehr markant ist die Nicht-Übereinstimmung im Fall der Volladoption. Ebenfalls "klassisch", aber nicht so deutlich im Bewußtsein verankert, ist die mögliche Nicht-Übereinstimmung bei ehelichen Kindern, die tatsächlich nur scheineheliche Kinder sind sowie bei nichtehelichen Kindern bei einem falschen Anerkenntnis oder einer fehlerhaften Vaterschaftsfeststellung. Diese Fälle werden, bedingt durch die steig~nde Scheidungszahl und vermehrte nichteheliche Lebensgemeinschaften mit häufigem Partnerwechsel, noch ansteigen. Insbesondere bei der Zahl nichtehelicher Geburten kann, wenn man ausländi-
"' Siehe auch die Reformvorschläge des Deutschen Juristinnenbundes, in: FuR info 1992, S. 14, zu§§ 1719-1740g BGB. ''2
Kniipfel, FamRZ 1983, S. 320.
44
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
sehe Zahlen als Prognose zugrundelegt, mit einer starken Zunahme gerechnet werden. 63 Zu einer Nichtübereinstimmung von genetischer und rechtlicher Elternschaft kommt es auch bei den fortpflanzungsmedizinischen Verfahren, die Samenoder Eizellen dritter Personen verwenden. Auch diese Techniken werden nach einer gesetzlichen Regelung zur Ehelichkeitsanfechtung des Ehemannes und Spenderanonymität zu einer ansteigenden Zahl von Kindem beitragen, die in einer Familie aufwachsen, in der die Eltern nicht oder nur in einem Elternteil auch die genetischen Eltern sind. Bei Legitimationen kann es in gleicher Weise wie bei Vaterschaftsfeststellungen oder Anerkenntnissen zu einer Abweichung von rechtlicher und genetischer Abstammung kommen. Es handelt sich jedoch nur um seltene Fallgestaltungen. Mit ihrem weiteren Fortbestand ist zudem aus rechtspolitischen Gründen nicht zu rechnen. Auf sie wird daher nur noch kurz bei Prüfung der Möglichkeiten zur Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung eingegangen werden. 64 Wie stark das Informationsbedürfnis der Kinder über ihre biologische Abstammung im einzelnen sein kann, wie die Kinder sich entwickeln und wie sich die Eltern dieser Kinder verhalten, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse und Hintergründe Die juristische Diskussion um die Anerkennung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung war auch eine Diskussion um die Bewertung eines psychologischen Sachverhalts. Die Befürworter verwiesen auf mögliche ldenti-
63 In den alten Bundesländern ca. 10%, in den neuen Bundesländern dagegen fast 34%, Statistisches Jahrbuch 1991 flir die Bundesrepublik Deutschland, S. 79. Im Ausland liegen die Quoten dagegen, mit Ausnahme der Schweiz (6,5% im Jahre 1988), durchweg höher: Österreich 21,5% (1984), Schweden ca. 50%, Frankreich 24,1% (1987), Großbritannien ca. 20% (1985); alle Angaben nach Schwenzer, FamRZ 1992, S. 121, Fn 5. 64
3. TeilE.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
45
fikationsprobleme eines Kindes, das in dem Bewußtsein lebt, seine genetischen Eltern oder einen genetischen Elternteil nicht zu kennen. 65 Die Gegner verwiesen dagegen auf die Gefahr, daß der ldentifikationsprozeß durch eine Kenntnis der genetischen Eltern eher belastet werden könnte, da die leiblichen Vorfahren oftmals negative Identifikationsbilder zeigen würden. Aus biogenetischer Sicht sei die Kenntnis wenig wert, da die Kombinationswirkungen bei der Verschmelzung des mütterlichen und väterlichen Erbguts so erheblich seien, daß die natürlichen Anlagen des Kindes sich von denen der Eltern meist grundlegend unterschieden.66 Zudem zeige schon die Entwicklung der Kinder, die ohne eine Kenntnis ihres Vaters aufwüchsen und keine Identifikationsprobleme hätten, daß die Kenntnis der Abstammung nicht so bedeutungsvoll sein könne. 67 Im folgenden sollen daher die kindschaftsrechtlichen Konstellationen, in denen ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung für ein Kind, das seine leiblichen Eltern bzw. ein leibliches Elternteil nicht kennt, praktische Bedeutung gewinnen kann, näher dargestellt werden.
I. Untersuchungen bei Adoptivkindern Stand der psychologischen und soziologischen Forschung
Im Adoptionsverfahren soll die Anonymität die ungestörte Entwicklung des Kindes in der Adaptivfamilie sichern und eine Einmischung der leiblichen Eltern in das Familienleben des Kindes verhindern sowie vermeiden, daß das Kind von dritter Seite über seine Herkunft informiert wird. 68
65 So z.B. im Urteil des BVerfG vom 31.1.1989: Die Abstammung nehme "im Bewußtsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätstindung und Selbstverständnis ein". Daher umfasse "das Persönlichkeitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Abstammung".
66
Hassenstein, FamRZ 1988, S. 121 f.
67
Ernst, in: Koll. Lausanne, S. 84.
68 Erman I Holzhauer, § 1758/2. Diese Sicht wird heute zunehmend in Frage gestellt und als einseitig charakterisiert (Mechthild Roth, Offene Adoption, ZfJ 1986, S. 258 mit einer Gegenüberstellung der Argumente; Textor, ZfJ 1990, S. 11; ders., Offene Adoption von Säuglingen, Unsere Jugend 1992, S. 530; Baer, FuR 1990, S. 194). Die offene Adoption, bei der der Kontakt zwischen Adaptivfamilie und leiblichen Eltern bzw. der leiblichen Mutter das Kind in der Sozialisation begleitet, stellt jedoch weiterhin den Ausnahmefall dar. Auf sie soll, da die Kenntnis der Abstammung durch den Kontakt schon gesichert ist, nicht weiter eingegangen werden. Wie die Anonymität im Rahmen der Adoption gewahrt wird, ist bereits oben ( 1. Teil A 111 1) erläutert worden.
46
I. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Als Folge der Inkognito-Adoption besitzen nur wenige Adoptierte Informationen über ihre leiblichen Eltern und in der Regel keine über Großeltern und Geschwister. Diese Informationen, z.B. über die Gründe der Kindesfreigabe oder die soziale Herkunft des Kindes, sind meist bei der Kindesübergabe von der Adoptionsvermittlung an die Adoptiveltern weitergegeben worden. 69 Mit den Informationen über die leiblichen Eltern gehen die Adaptivfamilien unterschiedlich um. Es lassen sich drei Gruppen einteilen70: Die Informationen werden an die Kinder weitergegeben, soweit sie nicht inzwischen vergessen worden sind. Die Informationen werden zwar weitergegeben, aber auch im Sinne der jeweiligen eigenen Vorstellungen, Wünsche und Ziele variiert. Ein Teil der Eltern tabuisiert das Thema oder unterdrückt die Information über die Adoption. Erfolgt eine Aufklärung, so ergeben sich häufig entwicklungspsychologischen Verläufe, die belegen, daß das Adoptivkind ein erhebliches Interesse an seiner familiären Herkunft hat, vor allem als Jugendlicher, aber auch noch als junger Erwachsener. Von großer Bedeutung ist dabei der Umstand, wann die Information durch die Adoptiveltern erfolgt. Damit die nachfolgenden Darlegungen jedoch nicht in falschen Relationen erscheinen, ist darauf hinzuweisen, daß auch für diese Kinder die Auseinandersetzung mit den entscheidenden Personen ihrer sozialen Umwelt von größerer Bedeutung ist als die Kenntnis ihrer Abstammung. Die entscheidenden Voraussetzungen für die Herausbildung einer stabilen Identität werden durch die Möglichkeit ungestörter Identifikation mit den sozialen Eltern in der Kindheit und nicht durch die Kenntnis der eigenen Herkunft geschaffen. 71
1. Die Verarbeitung durch das Adoptivkind im Kindesalter
Im Alter von ca. 3 Jahren erkundigt sich das Kind bei der Mutter, ob es auch in ihrem Bauch gewesen sei. Eine verneinende Antwort nimmt das Kind, meist zum Erstaunen der Adoptiveltern, gelassen hin. 72
69
Textor, ZfJ 1990, S. 11. Verpflichtend in England: Cretney I Nasson, S. 705.
70
Textor, ZfJ 1990, S. 11; Hoffmann-Riem, S. 220. Zenz, Referat, S. 3 f.
71 72
Ho.ffmann-Riem, S. 227.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
47
Jahre später, im Alter von ca. 6 Jahren, kommt es zu einer erneuten, tiefergehenderen Beschäftigung mit der eigenen Herkunft. Viele Kindern haben in diesem Alter Traumvorstellungen, das Kind eines reichen Königs oder einer schönen Prinzessin zu sein. Dieser sog. "Familienroman" ist Teil des normalen Identifikationsprozesses und bedeutet eine erste Loslösung von den Eltern. 73 Dem Kind, das weiß, daß es adoptiert ist, kommt es in dieser Phase darauf an zu erfahren, warum die Mutter bzw. die leiblichen Eltern es zur Adoption freigegeben haben. Wird in dieser Phase dem Kind von den Adoptiveltern eine Version genannt, die sein Verständnis wecken kann (Krankheit, Not) und eine gute Absicht der leiblichen Mutter verdeutlicht, kommt das Kind wieder zu innerer Ruhe, da es die Möglichkeit der Identifikation mit dem guten Teil der leiblichen Mutter als befreiend erlebt.74 Aber auch der leibliche Vater wird in diesen Identifikationsprozeß mit eingebunden, wenn auch nur an sekundärer Stelle und vom wiederum älter gewordenen Kind. Wie bei der Beschäftigung mit dem Bild der Mutter wirkt auch bei dem Vater eine wahrheitsgemäße, eine wohlwollend retuschierte wie auch eine phantasierte Herstellung von Akzeptabilität heilsam. Dabei ist die in der Adaptivfamilie erreichte Beziehungsqualität von untergeordneter Bedeutung - das Kind will sich auch als Kind der leiblichen Eltern "annehmen" können. Nur extreme Phänomene wie Vernachlässigung und Mißhandlung als Gründe für die Kindesfreigabe treiben das Kind in eine negative Identifikation mit den leiblichen Eltern und führen zu den entsprechenden Problemen des Kindes, mit sich und seiner Geschichte innerlich klarzukommen. 75
2. Die Verarbeitung durch den jugendlichen Adoptierten Der Jugendliche, der um seinen Adoption weiß, meint, über einen Sonderstatus in der Gesellschaft zu verfügen. Um das "Anders-Sein" verarbeiten zu können, strebt er im allgemeinen nach einer Konkretisierung der Vorstellung von der leiblichen Mutter bzw. den leiblichen Eltern, um über das Wissen von seinem Ursprung seine Identität zu erarbeiten.
73
Reinke, S. 97, Fn 40; Zenz, Referat, S. 4.
74
Hoffmann·Riem, S. 240.
s Ho.ffmann-Riem, S. 242 f.
7
48
I. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Ein Jugendlicher sucht (unbewußt) auf drei verschiedenen Ebenen der Psyche Antworten für seine Identitätsfindung. Bei einer Ebene handelt es sich um die psychohistorische Identitätsfindung, unter der die historische Zeit (der Geburt) und die Einbindung in einen historischen Kontext, aber auch die genealogische Zugehörigkeit verstanden wird. 76 Der Stellenwert, den diese Suche um Einbindung bei den Betroffenen hat, läßt sich aus den Anstrengungen Adoptierter in den USA ableiten, die in den 70er Jahren mit allen Mitteln versuchten, die absolute Geheimhaltung aufzubrechen und Zugang zu den versiegelten Geburtsurkunden zu erlangen. 77 Diese Auseinandersetzung Adoptierter mit der unbekannten Genealogie läßt sich in ihrer emotionalen Stärke nicht mit einer normalen, nur unbewußten und gesicherten Bindung an die genealogische Linie vergleichen.78 Auch für den jugendlichen Adoptierten gilt dabei, daß er das Wissen um seinen Ursprung unabhängig von der Qualität seiner Bindung zu seinen Adoptiveltern sucht. Diese Beziehungsqualität leidet im allgemeinen auch nicht jedenfalls nicht langfristig - unter der Suche des Adoptivkindes nach seiner Herkunft. 79 Es kommt zwar kurzfristig zu einer Distanzierung, da es Schuldgefühle gegenüber den Adoptiveltern entwickelt und diese ihrerseits Probleme mit der Suche des Kindes haben. Da sich in der Regel aber keine intensive Beziehung zu den leiblichen Eltern entwickelt, werden letztendlich die Adoptiveltern vorbehaltlos als Eltern akzeptiert. 80
3. Die Verarbeitung durch den erwachsenen Adoptierten Die erwachsenen Adoptierten, teilweise auch schon ältere Jugendliche, haben in vielen Staaten die Möglichkeit, die ursprünglichen Geburtsurkunden bzw. die Adoptionsakten einzusehen und den Namen ihrer leiblichen Mutter, evtl. auch
16 Hoffrrumn-Riem, S. 247; Erik H. Erikson, Lebensgeschichte und historischer Augenblick, Frankfurt a.M. 1977, S. 18. Bei den beiden anderen Ebenen handelt es sich um die psychobiologische und die psychosoziale Identitätsfindung. Sie weisen keine Anhindung an die Abstammungsproblematik auf. 11 Kleineke, S. 285; Textor, ZfJ 1990 S. 11; HojJmllnn-Riem, S. 248- es handelte sich aber nur um eine vorübergehende Erscheinung, die daher nicht überbewertet werden sollte.
78
HojJmllnn-Riem, S. 249.
19
Hojfmllnn-Riem, S. 248 und 250.
110
Ho./fmllnn-Riem, S. 250 f.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
49
ihres leiblichen Vaters zu erfahren.81 Die Zahl derer, die auch tatsächlich Einsicht nehmen, ist jedoch nicht sehr hoch. Zahlen aus Großbritannien (mit einem zentralen Register) ergeben eine Größenordnung von ca. 7%, sie entsprechen der schwedischen Erfahrung. 82 Für Deutschland liegen keine statistischen Angaben vor, doch kann eine ähnliche Größenordnung angenommen werden. 83 In Großbritannien sind die meisten Antragsteller zwischen 25 und 35 Jahre alt und bereits verheiratet. Ähnliche Angaben liegen auch aus den USA vor. Nach verschiedenen Forschungsergebnissen wurden viele sehr spät, auf traumatische Weise oder durch Dritte (z.B. bei Bestellung des Aufgebots und Überprüfung der Ehehindernisse) über ihren Status als Adoptivkinder aufgeklärt. Der Adoptionserfolg wird von Ihnen häufiger als von anderen Adoptierten als wenig positiv beurteilt. Sie geben zwar an, nur an medizinischen und erbbiologischen Informationen interessiert zu sein oder sich nur ein Bild von den Eltern machen zu wollen (Neugierde) oder, das ist das arn meisten genannte Motiv, die Freigabegründe zu erfahren84; tiefer liegende Gründe sind aber mindestens zum Teil in eigenen Identifikationsproblernen zu suchen, die durch die verspätete Aufklärung über den Adoptivstatus verursacht worden sind. 85
81
Näher dazu im 5. Teil C XV (Zusammenfassung).
Ernst, in: Koll. Lausanne, S. 77 (84); der Wert von 7% bezieht sich auf Schottland, das seine Register bereits seit über fünfzig Jahren geöffnet hat. Die englischen Zahlen aus dem Jahre 1978 sind dagegen nicht repräsentativ, da die englischen Register erst 1975 geöffnet sind und sich ein veröffentlichter Wert von I% Nachfragen auf sämtliche Adoptivkinder und damit alle Alterstufen, nicht auf Jahrgänge, bezieht. Vgl. auch Textor, ZfJ 1990, S. 11; für Schweden: SOU (Statens offentliga utredningar) 1983:42. In der Schweiz liegt die Quote des aufrechterhaltenen Adoptionsgeheimnisses nach Brückner, in: Ko1l. Lausanne, S. 50, bei über 90% und wird von der Zustimmung der leiblichen Eltern abhängig gemacht (Brückner, SJZ 1985, S. 389). 82
83 Eine Studie des Diakonischen Werks Bayern, von der Dietrich, S. 292, berichtet, ergab, daß sich fast die Hälfte der Adoptierten Gedanken über ihre Herkunft und den Freigabegrund machen. 17 der befragten 53 Adoptierten hatte Interesse, die leiblichen Eltern kennenzulernen. Je älter die Gugendlichen) Befragten waren, um so größer war das Interesse an einem Zusammentreffen. Diese Ergebnisse werden durch eine schweizerische Untersuchung aus dem Jahre 1985 bestätigt, nach der die Hälfte der befragten (erwachsenen) Adoptivkinder die leibliche Mutter kennenlernen wollten (ein Drittel auch den leiblichen Vater). Oft fehlte jedoch der Mut, auf die Suche zu gehen (Hegnauer, NZZ 21.5.1986). In diese Richtung auch der Bericht von Jänschl Nutzinger, ZfJ 1987, s. 154. 84 Jänsch I Nutzinger, ZfJ 1987, S. I 53. Zunehmend wird aber das bisher von allen Rechtsordnungen nicht beachtete Interesse des adoptierten Kindes an seinem medizinischen Erbe in den Blickpunkt gerückt; vgl. O 'Donovan, International Journal of Law and the Family, Vol. 2 (1988), s. 29 f. 85
Textor, ZfJ 1990, S. 12; Eekelaar" S. 278; a.A. zu dieser These Reinke, S. 104.
4 von Sethe
50
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Aus der niedrigen Zahl der Antragsteller wird vereinzelt der Schluß gezogen, daß das Wissen um die eigene Abstammung den Adoptierten dann wohl doch nicht so wichtig sei. 86 Diese Argumentation ist jedoch unzulänglich. Sie vernachlässigt, daß es sich für diese 7% um ein eminent wichtiges Lebensproblem handeln kann. Und sie übersieht, daß allein das Wissen um die Existenz des Registers, um die Möglichkeit einer jederzeitigen Einsichtnahme, Probleme vermeiden kann, da die Adopt~erten nicht das Gefühl einer unwiederbringlich verlorenen Information haben - das Interesse wächst mit dem Widerstand, der sich dem Kind auf der Suche nach der Herkunftsfamilie in den Weg stellt. 87 Zudem könnte ein Aufrechterhalten des Adoptionsgeheimnisses manche Adoptiveltern davon abhalten, das Kind über seinen Adoptivstatus aufzuklären. 88 Nach einem Erfahrungsbericht von Jänsch I Nutzinger äußerte eine überwiegende Zahl adoptierter Jugendlicher großes Interesse an mehr Informationen über die Herkunftsfamilie, z.B., um die Herkunft eigener Eigenschaften, die man bei den Adoptiveltern nicht wiederfinden konnte, zu erforschen. Insbesondere für die jungen Männer stand auch die Frage nach dem leiblichen Vater im Vordergrund. Dabei schien den jüngeren Jugendlichen die Information allein noch auszureichen, während die älteren Jugendlichen mit dem Gedanken an ein persönliches Kennenlernen spielten, den Zeitpunkt für ein Kennenlernen aber von der eigenen psychischen Stabilität abhängig machen wollten. 89
II. Untersuchungen bei Kindern aus künstlicher Insemination mit Spendersamen
Untersuchungen zu den psychologischen und soziologischen Erfahrungen mit Kindern, deren Zeugung medizinisch assistiert wurde, liegen erst seit wenigen Jahren vor und können noch nicht als repräsentativ angesehen werden. Ihre Ergebnisse beruhen nicht immer auf wissenschaftlicher Forschung, teilweise haben Mediziner die Wege der mit ihrer Hilfe gezeugten Kinder verfolgt. Klassisch ist in diesem Bereich der Bericht von Snowden aus dem Jahre 1983, der sich auf
86
Ernst, in: Koll. LausanneS. 84.
87
Hoffmmm-Riem, S. 247 f.
88 So sind die meisten Adoptiveltern der Auffassung, daß ihr Kind kaum den Wunsch habe, etwas über seine Herkunft zu erfahren - anders als die Kinder selbst: So die bereits erwähnte Studie, bei: Dietrich, S. 292 und britische Untersuchungen, wiedergegeben bei Haimes, International Journal of Law and the Family Vol. 2 (1988), S. 46 (58). 89
Jänsch I Nutzinger, ZfJ 1987, S. !53 f.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
51
die Aufzeichnungen einer Landärztin stützt, die in Großbritannien zwischen 1940 und 1982 heterologe Inseminationen durchgeführt hat.
1. Der Bericht von Snowden et al. a) Auswertung von Interviews Snowden et al. haben 57 Ehepaare befragt, die über eine heterologe Insemination Kinder bekommen hatten. Von diesen 57 Ehepaaren haben 33 die Behandlung ständig geheim gehalten, d.h. nur die behandelnden Ärzte wußten von der Insemination. Die anderen 24 Paare hatten ausgewählte Freunde oder Verwandte eingeweiht, teilweise auch erst nach der Behandlung oder der Geburt des Kindes. Die Mehrzahl wollte das Geheimnis ursprünglich auch auf Dauer vor den Kindern bewahren.90 Diese Haltung hat sich signifikant bei den 10 Ehepaare mit erwachsenen Kindern geändert. Viele dieser Ehepaare haben ihren ursprünglichen Plan, die Kinder nicht über ihre Herkunft aufzuklären, aufgegeben. In der Regel hatten sie das Gefühl, daß die Kinder Probleme spürten, die durch eine Aufhellung des Geheimnisses gelöst werden könnte. 91 Diese Aufklärung geschah daher meist erst, wenn die Kinder ältere Jugendliche oder junge Erwachsene waren. Einige Kinder berichteten, schon vorher einen unbestimmten Verdacht gehabt, sich jedoch nicht in der Lage gefühlt zu haben, ihre Eltern darauf anzusprechen. Die Autoren verweisen dabei auf ähnliche Erfahrungen mit Adoptivkindern. War das Geheimnis jedoch gelüftet, stellte es keine Belastung für das Kind oder die familiären Beziehungen dar. Sie freuten sich, daß sie das Kind waren, das den Eltern ihren dringenden Wunsch erfüllt hatte. Insbesondere die Beziehung zum Vater verbesserte sich oft. 92
90 91 92
4*
Snowden, S. 44, 52 und 54. Snowden, S. 45. Snowden, S. 46 f.
52
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
b) Ergebnisse der Untersuchungen von Snowden et al. Die Geheimhaltung hat nach Feststellungen von Snowden et al. drei Aspekte. Es geht den Paaren im wesentlichen um die Vertraulichkeit der Beratung durch den Arzt die Anonymität des Spenders und die Absicht, das Kind als Resultat einer natürlichen Empfängnis erscheinen zu lassen. Erstaunlicherweise waren die Eltern in der Regel der Auffassung, keine Geheimhaltung zu betreiben, da sie die Behandlung ihrem privaten Bereich zurechneten (eine Unterscheidung zwischen "private" und "secret"). Sie rechtfertigten ihr Verhalten aber auch mit dem Schutz des Kindes oder mit familiären Problemen. Als weiteren, nicht offen zugegeben Grund vermuten Snowden et al. noch den Schutz der Empfindungen des Ehemannes, dessen Infertilität nicht bekannt werden soll.93 Diese Interessen der Eltern wandeln sich jedoch mit dem Heranwachsen der Kinder. Ihre Rechte werden eher bedacht und das Interesse des Ehemannes an der Geheimhaltung seiner Unfruchtbarkeit und die Verpflichtung der Ehefrau, sie zu verbergen, geringer eingeschätzt. Aufgrund der guten Akzeptanz durch die Kinder, die von ihren Eltern über ihre Herkunft aufgeklärt wurden, glauben daher Snowden et al., daß die Geheimhaltung unnötig und für die Eltern eher belastend sei. Snowden et al. stellen dabei folgende Unterschiede gegenüber der Verarbeitung der eigenen Herkunft durch Adoptivkindern fest: Adoptivkinder müßten mit der Empfindung leben, von den eigentlichen Eltern (bzw. der Mutter) weggegeben worden zu sein, während Kinder aus heterologer Insemination Wunschkinder sind. Diese empfanden eine späte Aufklärung, anders als Adoptivkinder, auch nicht als einen Vertrauensbruch, da sie für das Verhalten der Eltern Verständnis entwickelten und sahen, daß eine Aufklärung über die Zeugungsmethode vor der sexuellen Aufklärung zu frühzeitig und für sie unverständlich gewesen wäre.94
93
Snowden, S. 51.
94
Snowden, S. 60.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
53
Snowden et al. äußern sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob sie es als sinnvoll erachten, daß ein Kind aus heterologer Insemination einmal seinen genetischen Vater kennenlernen kann. In ihren Schlußfolgerungen empfehlen sie, die genetische Vorgeschichte festzuhalten und dem Kind zu gegebener Zeit zugänglich zu machen. Der soziale Hintergrund des Spenders solle jedoch zu dessen Schutz und dem der Familie des Spenders keine Identifizierung ermögIichen.95 Eine Begründung dieses Vorschlags im Sinne einer Abgrenzung gegenüber der Möglichkeit, die Identität auch aufzudecken, erfolgt aber nicht.
2. Andere Untersuchungen
Brähler bestätigt aufgrund eigener Untersuchungen die Feststellung von Snowden et al., daß die meisten Paare mit niemandem aus der Familie oder dem Freundeskreis über die heterologe Insemination gesprochen haben und auch dem Kind seine Entstehungsgeschichte nicht offenbaren wollen.96 Die Entwicklung der Kinder verlaufe weitgehend unauffällig. Problematisch sei in der Regel nur eine fortbestehende Verunsicherung der Väter, die den Jungen eine positive männliche Identifizierung erschwere. 97 Eine amerikanische Studie widersprach einem Ergebnis der Studie von Snowden et al. Sie ergab, daß die Kinder bis zu dem Zeitpunkt normal aufwuchsen, in dem sie über ihre Herkunft aus einer Samenspende aufgeklärt wurden. Anschließend habe sich aber das Verhältnis zum Vater verschlechtert.98 Petersen, Mediziner und Psychosomatiker, hält alle bisherigen Untersuchungen für unzureichend, da sich frühkindliche Traumata häufig erst nach 20 Jahren manifestieren würden. Alle Untersuchungen müßten daher über einen entsprechenden Zeitraum diese Kinder, aber auch Spezifika ihrer Eltern, beobachten, um zu ausreichenden Ergebnissen zu gelangen.99
9S
S. 86.
96
Brähler, S. 195 und die oben in Fn 94 angegebenen Stellen.
97
Brähler, S. 196.
98
Nach Krebs, in: 56. DJT 1986, Diskussion K 147.
99
Sondervotum Benda-Bericht, S. 62.
54
I. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
111. Exkurs: Untersuchungen bei Wunscheltern und Samenspendern
Sowohl die psychischen Probleme, die aufgrund von Kinderlosigkeit und ihrer Behandlung auftreten können, als auch die Einstellung von Samenspendern zur Geheimhaltung ihrer Identität sind bei einer gesetzgebensehen Lösung der sich aus der Fortpflanzungsmedizin ergebenden familienrechtlichen Fragen zu berücksichtigen und sollen daher an dieser Stelle, im Zusammenhang mit den sich für das Kind ergebenden Problemen, dargestellt werden.
1. Untersuchungen bei Wunscheltern psychologische Probleme und Patientenauswahl100
Ungewollte Kinderlosigkeit stellt für die Betroffenen eine schwere Last dar. Das liegt zum Teil daran, daß gesellschaftliche Wertungen die Ehe mit Nachkommenschaft verbinden und Kinderlosigkeit nicht diesem Normaltypus entspricht. Soweit die Gründe der Kinderlosigkeit nicht bekannt sind, kann auch eine Einschätzung als materialistisch und egoistisch vorkommen. Vergessen wird dann, das eine Ehe auch ohne Kind eine sinnerfüllte Gemeinschaft sein kann. Da andererseits jegliches Leben auf die Fortdauer in weiteren Generationen ausgerichtet ist, stellt es für die meisten Menschen eine zentrale Sinngebung ihres Lebens dar, ein Kind zu haben. 101 Häufig hat die Sterilität auch psychische Ursachen. Einem erheblichen Anteil der Sterilitätspatienten, die sich nach fortpflanzungsmedizinischen Hilfen erkundigen, kann schon durch psychologische Behandlung geholfen werden.102
100 An dieser Stelle soll auf einige Probleme hingewiesen werden, die Paare auf sich nehmen, um Kinder zu bekommen. Sie sind für die Beurteilung des Handeins der Eltern, aber auch für eine Abwägung gegenüber Interessen Dritter und den Interessen des Kindes von Bedeutung. Bei der Darstellung wird vorwiegend auf in der Medizin anerkannte Literatur zurückgegriffen; abweichende Auffassungen wie die Stellungnahmen Petersens (Sondervotum im Benda-Bericht, S. 55-65 und Retortenbefruchtung und Verantwortung, Stuttgart 1985, bes. S. 52-59), für den der normale Kinderwunsch von Paaren schon ein pathologisches Phänomen zu sein scheint, werden ausgeklammert. 101
Diefenbach, S. 9-15 und Hölzle I Wiesing, S. 27 ff.
Die angegebenen Zahlen variieren sehr stark: 28% nach Manfred Stauber, Psychosomatische Aspekte der Sterilität, in: Bettendorf I Breckwoldt S. 390; 10% nach BJM-Broschüre S. 39; 50% laut Spiegel 17/1992, S. 240. Petersen beschreibt im Sondervotum zum Benda-Bericht, S. 59, die durchschnittliche Sterilitätspatientin als stark depressiv und narzißtisch gestört. 102
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
55
Hat die Sterilität jedoch physische Ursachen, muß sich das zu behandelnde Paar auf eine Behandlung einlassen, die nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstrengend ist. Schon die einfache Methode der Insemination führt durch die Untersuchung beider Eheleute nach den Sterilitätsursachen, die ausführliche Beratung, monatelanges Führen von Menstruationskalendern, Temperaturmessungen sowie meist mehreren lnseminationsversuchen, die in einer Abbruchblutung münden, zu einem erheblichen Behandlungsstreß. Bei heterologen Inseminationen kommen durch das Heraustreten aus der Familienstruktur zusätzliche psychologische Probleme hinzu. Die Verwendung eines "Leihvaters" löst nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen Depressionen aus, das Kind wird ambivalent aufgenommen, ohne daß es jedoch zu nachhaltigen Problemen kommt. 103 In noch anderem Ausmaß stellt sich die psychische und physische Belastung bei IVF-Patientinnen dar: Zur Eizellenstimulation werden massiv Hormone gegeben, es werden regelmäßig Ultraschalluntersuchungen und Blutentnahmen vorgenommen, die Eierstöcke werden zur Eizellentnahme punktiert, die befruchteten Eizellen in die Vagina übertragen- mit dem Ergebnis, daß es nach zwei Wochen Warten meist zu einer Abbruchblutung kommt. Hinzu kommen, besonders bei einer IVF-Behandlung, weitere Risiken. Die Fehlgeburtenrate ist stark erhöht, ebenso die von Eileiterschwangerschaften, Schwangerschaftserkrankungen, Frühgeburten, Wachstumsverzögerungen, operativen Entbindungen, Fehlbildungen und der Säuglingssterblichkeit. 104 Dennoch wollen 91% aller Paare mit einem IVF-Kind das Verfahren weiterempfehlen. 105 Sie erleben das Kind bewußter als andere Ehepaare, die Ehe wird gestärkt.106
103 Manfred Stauber, Psychosomatische Aspekte der Sterilität, in: Bettendorf I Breckwoldt S. 394; Snowden, et al. S. 42. 104
Hölzle I Wiesing, S. 23-26.
Wilcke u.a., S. 203. Nach Krebs, 56. DJT 1986, Diskussion K 147, wünschen sich 40% ein zweites oder drittes Kind und wollen dafür das Verfahren erneut in Kauf nehmen. lOS
IOfi Nach Untersuchungen zur heterologen Insemination. So ist die Zahl der stillenden Mütter sehr viel höher, Brähler, S. 84 und Wilcke u.a., S. 202. Auch die Scheidungsrate ist, sowohl nach deutschen (Brähler, S. 87 und Lauritzen, Die heterologe Insemination, DMW 1981 S. 195) als auch nach ausländischen Untersuchungen (Krebs, 56. DIT 1986, Diskussion K 147 über eine holländische Studie; Coester-Waltjen, Gutachten B 46 über belgisehe und japanische Studien; Gerhard Simson, Die Insemination, JZ 1953, S. 481 über amerikanische Erfahrungen) sehr gering. A.A. ist in allen diesen Punkten Petersen, Sondervotum Benda-Beeicht S. 61 (Scheidungsrate dreimal größer, geringe Stillhäufigkeit).
56
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
In den Universitätskliniken, die bis zur BGH-Entscheidung vom 17.4.1983 heterologe Inseminationen durchführten, ist daher ein gründliches Auswahlsystem und eine umfassende psychologische Begleitbehandlung entwickelt worden. Durch die Auswahl und gründliche Aufklärung über die ethischen, juristischen, theologischen und psychologischen Probleme sollte sichergestellt werden, daß nur stabile Ehen mit robusten Persönlichkeiten sich der mit der Behandlung verbundenen Belastung aussetzen.107
2. Untersuchungen bei den Samenspendern In mehreren Ländern sind systematische Befragungen von Samenspendern durchgeführt worden. Das Interesse richtete sich dabei besonders auf die Frage der Anonymität und die Möglichkeit einer Identitätsaufdeckung. Alle Untersuchungen kamen dabei zu dem Ergebnis, daß eine Mehrheit der Spender keine Einwände gegen eine Aufdeckung der Identität hat- stillschweigend vorausgesetzt, daß die Aufdeckung nicht mit finanziellen Risiken verbunden ist. So ergab eine Befragung am King's College Hospital in London im Jahre 1989 I 90, daß nur ein Drittel der Samenspender sich gegen eine Identitätsaufdeckung wandten und die anderen zwei Drittel sich für eine Aufdeckung aussprachen oder sich ihre Meinung noch für den konkreten Fall vorbehalten wollten.108 Eineamerikanische Untersuchung aus dem Jahre 1983 ergab, daß 60% der Samenspender auch spenden wollten, wenn ihre Identität dem Kind gegenüber später aufgedeckt würde. 109 Die schwedischen Erfahrungen, die nach der Gesetzesreform 1984, die eine Aufdeckung der Identität ermöglichte, zwar zunächst ein starkes Absinken der Spendebereitschaft, nach einer Gewöhnungs-
107 Sog. Gießen-Test, Meyhöfer I Künze/, S. 5; dort auch ausführlich zum Auswahlverfahren der Beitrag von Meyhöfer I Weiss. In der Schweiz bestehen ähnliche Auswahlverfahren. Die Ablehnungsquote ist jedoch sehr gering (3%, 17% weitere psychologische Besprechungen, die z.T. ebenfalls zur Ablehnung führten), Campana, in: Koll. LausanneS. 35. Es ist daher zu vermuten, daß in den privaten fortpflanzungsmedizinischen Praxen, in denen schon bei der Indikationsstellung für eine IVF-Behandlung großzügige Maßstäbe angelegt werden (Spiegel 17 /1992, S. 240), die Ablehnungsquote verschwindend gering sein wird. 108 Peter Thurnham, in: House of Commons, Official Report 20 June 1990, col. 985, wiedergegeben bei Morgan I Lee, S. 163. 109 R. Rowland, in: P. Singer I D. WeHs (Eds.), The Reproductive Revolution, New York 1984, S. 74, wiedergeben bei E/ias I Annas, (USA) S. 234 und Haimes, Intern. Journal of Law and the Family 2 (1988), S. 59.
B. Soziologische und psychosoziale Erkenntnisse
57
und Umstellungsphase aber eine Normalisierung verzeichnete, bestätigt diese Umfrageergebnisse. 110
IV. Ergebnis zu B.
Festzustellen ist, daß aus soziologischer und psychosozialer Sicht das Wissen um die Herkunft als Element der Persönlichkeit und der Persönlichkeitstindung von wesentlicher Bedeutung ist. Der Mensch kennzeichnet sich als menschliches Wesen durch seinen Drang nach Identifikation, das Wissen um die Abstammung stellt ein wesentliches Stück Selbsterkenntnis dar. Der Einwand, es handele sich um wertloses Wissen, da man aufgrund der Besonderheiten des Vererbungsgeschehens auch aus einer noch so genauen Kenntnis seiner Erzeuger keine Rückschlüsse auf seine eigenen natürlichen Veranlagungen ziehen könne 111 , ist irrelevant. Bei der Identitätssuche handelt es sich um einen seelisch-geistigen Prozeß, für den medizinische und biogenetische Erkenntnisse erst in zweiter Linie bedeutsam sind, soweit der individuelle Mensch, besonders im kindlichen Alter, überhaupt über diese Erkenntnisse verfügt. Eine Argumentation aus biogenetisch-technischer Sicht trifft das Problem daher nicht. Der Einwand, daß das Wissen um die Person der leiblichen Eltern auch eine Belastung sein kann, wenn diese nicht "identifikationswürdig" sind, kann dagegen in Extremfallen zutreffen. Auf dem Weg der Suche nach dem eigenen Ich wird es aber auch wichtig sein, negative Erfahrungen zu verarbeiten und daraus zu lernen. Der Identifikationsprozeß kann auch ohne ein positives Vorbild der leiblichen Eltern erfolgreich sein. 112 Die Abgrenzung gegenüber den leiblichen wie den sozialen Eltern gehört zum Identifikationsprozeß hinzu. Festzustellen ist jedoch auch, daß die Erkenntnisse der Soziologie und der Psychologie, aber auch der begleitenden medizinischen Betreuung bei der Untersuchung von AID-Kindern noch unzureichend sind- anders als bei der Untersuchung von Adoptivkindern. Diese Kritik betrifft sowohl die Tiefe der Untersuchung als auch die Repräsentativität der herangezogenen Interviewpartner.
110
Dazu näher im 5. Teil D VI 2.
111
Hassenstein, FamRZ 1988, S. 121.
112
Schmidt-Didczhun, JR 1989, S. 230.
58
1. Teil: Rechtstatsächliche Einführung
Dieser Mangel bei der Untersuchung von heterolog gezeugten Kindern kann nicht ohne weiteres durch eine Übernahme der Ergebnisse zu Adoptivkindern ausgeglichen werden. Trotz der mangelnden Aussagekraft der Forschungsergebnisse kann schon gesagt werden, daß diese Kinder ihre Entstehungsgeschichte anders verarbeiten als Adoptivkinder. Wesentlicher Unterschied zwischen beiden Gruppen ist in psychologischer Sicht, daß das Adoptivkind von einer anderen Frau als der Adaptivmutter ausgetragen und zumindest kurze Zeit versorgt worden ist und damit eine Elternbeziehung zu dieser Frau bestanden hat. Demgegenüber wird die Vaterrolle des Spenders anders aufgearbeitet. Sie wird als so geringfügig erachtet, daß eine eingehendere Beschäftigung mit der Person des Samenspenders nicht stattfindet. Seine Motivation bietet weniger Anlaß zu Spekulationen und Überlegungen als die Motivation der leiblichen Mutter, ihr Kind zur Adoption freizugeben. 113 In diesem Zusammenhang wird es von Bedeutung sein, daß das Kind zudem noch mit der Mutter genetisch verwandt ist. Daher haben heterolog gezeugte Kinder weniger Probleme mit ihrer Identitätstindung - auch bei einer späten Aufklärung - und sie scheinen sich auch weniger für ihre genetischen Wurzeln zu interessieren.
m Eines der Unterschiede zwischen Adoption und medizinisch unterstützter Fortpflanzung, vgl. O'Donovan, International Journal of Law and the Farnily, Vol. 2 (1988), S. 42.
2. Teil
Die Entwicklung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung A. Rückblick Der erste Leitsatz des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31.1.1989 lautete: ,,Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG) umfaßt auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung." Ein Jahr zuvor hatte das BVerfG in einem weniger beachteten Beschluß festgestellt: ,,Zumindest das nichteheliche Kind hat ein Recht auf Kenntnis des leiblichen Vaters. Dies folgt zum einen aus .. Art. 6 Abs. V GG ... , zum anderen (ist es) auch im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. I GG geschützt".' Beide Entscheidungen entstammen dem 1. Senat und verfolgen eine einheitliche Linie. Der Beschluß von 1988 ist noch vorsichtig, erwähnt Art. 1 Abs. I GG nicht und bezieht sich nur auf das nichteheliche Kind Gedoch mit dem schon die weitere Entwicklung ankündigenden "zumindest"). Der Leitsatz des Urteils von 1989 ist dann aber eindeutig, umfassend und klar - das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird anerkannt und auf das auch aus Art. 1 Abs. I GG abgeleitete Persönlichkeitsrecht gestützt. Die langjährige Diskussion um die Anerkennung und Begründung des Kenntnisrechts wurde damit höchstrichterlich und für alle Gerichte verbindlich(§ 31 Abs. I BVerfGG) entschieden. Die Existenz dieses Rechts und seine verfassungsrechtliche Anhindung ist daher nicht mehr klärungsbedürftig. Es ·sind jetzt vielmehr rechtspolitische Überlegungen de lege ferenda zur Durchsetzung des Kenntnisrechts gefordert, da die Anerkennung des Kenntnisrechts eine Reihe von Widersprüchen zum geltenden Recht auslöst. 2
1
Beschluß vom 18.1.1988, FamRZ 1989, S. 147.
2
So auch vom BVerfG in den Gründen unter C II 3 selbst gesehen.
60
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Verständnis für die notwendigen Überlegungen und für die Problematik, die Grenzen dieses Rechts zu bestimmen und es sinnvoll in ein Gefüge widerstreitender Normen einzubinden, kann sich aber nur entwickeln, wenn die historische Entwicklung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Literatur und Rechtsprechung nachvollzogen worden ist. Dabei soll noch nicht auf die rechtliche Begründung im einzelnen und die erforderliche Kritik eingegangen werden, um die Entwicklungslinien nicht verschwimmen zu lassen.
I. Entwicklung bis 1980
Die Idee des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist relativ jung, da die Frage der biologischen, insbesondere der väterlichen Abstammung, die Rechtsordnung lange Zeit nicht interessiert hat. 3 Sie ist jedoch auch nicht so jung wie die Vielzahl der Veröffentlichungen zu dem Themenkreis Fortpflanzungsmedizin und Abstammungsrecht im letzten Jahrzehnt vermuten lassen, da schon vom lokrafttreten des BGB an bis zum Familienrechtsänderungsgesetz 1961 die Frage erörtert wurde, ob das nichteheliche Kind die Möglichkeit habe, seine Abstammung gerichtlich feststellen zu lassen und diese Feststellung darüber hinaus mit einer rechtlichen Zuordnung verbunden werden könne (sog. Familienstands- oder Statusklage).4 Bei lokrafttreten des BGB bestimmte§ 1589 Abs. II BGB, daß ein nichteheliches Kind und sein Vater nicht als verwandt gelten. Rechtsbeziehungen zwischen ihnen sollten nach den §§ 1708 ff BGB a.F. nur in Gestalt der Unterhaltspflicht des "Zahlvaters" bestehen, um nicht die gesellschaftliche Stellung des Vaters zu gefährden. Diese Zahlvaterschaft war nicht vom Beweis der tatsächlichen Abstammung abhängig; es genügte die in§ 1717 BGB a.F. enthaltene gesetzliche Vermutung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurden diese Bestimmungen von § 644 ZPO a.F. ergänzt, der anordnete, daß die Vorschriften der§§ 640-643 ZPO, die die Familienstandsklagen regelten, nicht auf die Feststellung des Vaters eines nichtehelich geborenen Kindes angewandt werden durften. Dies bedeutete, daß der Vaterschaftsprozeß der Parteimaxime unterworfen war und der wahre Erzeuger damit nur eingeschränkt ermittelt werden konnte. Da für die Väter des BGB die Abstammung nur ein tatsächliches, nicht
3
Gottwald, S. 112.
Siehe dazu und zum folgenden ausführlich Jan Zimmermann, Geschichte der Abstammungsfeststellungsklage, Diss., Kiel 1990, und Frank, Gedächtnisschrift für Arens, S. 68-80. 4
A. Rückblick
61
aber zwingend ein rechtliches Verhältnis darstellte, das der Feststellung unterlag, schied auch die Möglichkeit einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO aus. Aber schon kurz nach lokrafttreten des BGB wurde diskutiert, ob unehelichen Kindern die Möglichkeit einer Statusklage einzuräumen sei, um über die Unterhaltspflicht hinaus weitere rechtliche Beziehungen zwischen dem Kind und seinem Vater herzustellen. Ein immaterielles Interesse wurde nur von einem Autor in dieser Diskussion angesprochen und ohne Begründung bejaht.5 Der Gesetzgeber, aber auch die Gerichte gingen auf diese Diskussion nicht ein. In der Zeit der Weimarer Republik wurde die Diskussion wieder aufgenommen. Auch einige Gerichte sprachen sich nunmehr dafür aus, daß Vater-KindVerhältnistrotz § 1589 BGB a.F. als Rechtsverhältnis im Sinne des§ 256 ZPO anzusehen, da es auch über das Unterhaltsrecht hinaus Rechtswirkungen zeige (Eheverbot, Anerbenrechte, Legitimation).6 Das RG schloß sich dieser Auffassung erst mit dem Vordringen der nationalsozialistischen Rassenideologie an, um ,,Arier" und ,,Blutsfremde" trennen zu können. In einem ersten Schritt ließ es zu, daß die Vaterschaft im Klageverfahren nach § 256 ZPO festgestellt werden konnte7 und bestimmte später, daß diese Klage im Statusverfahren - entgegen dem Wortlaut der§§ 640, 644 ZPO a.F.- durchzuführen war. 8 Nach 1945 blieb es bei der Anwendung des Statusverfahrens. Die Begründung wechselte. Der BGH billigte nunmehr jedem unehelichen Kind, unabhängig von Unterhaltsansprüchen, stets ein rechtliches Interesse an der Feststellung seiner Abstammung zu und berief sich für diese Auslegung des § 644 a.F. ZPO auf den Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. V GG.9 Auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht ging der BGH nicht ein.
5
Ausführliche Nachweise bei Giesen, JZ 1989, S. 365, Fn 5.
6
OLG Frankfurt JW 1930, 1016; OLG Stungart JW 1931, 1386; BayObLG 7, 109.
7
Urteil vom 23.11.1936, RGZ 152,390.
15.6.1939, RGZ 160, 293; wichtig war diese Möglichkeit besonders ftir den Ariernachweis. Die Rechtsprechung des RG, die zunächst zurückhaltend und betont unklar war, wird ausfUhrlieh von Jan Zimmermann, S. 112-121, kürzer von Gottwald, S. 113, und Frank, Gedächtnisschrift ftir Arens, S. 69-73, analysiert. 8
9 BGH vom 28.4.1952, BGHZ 5, 385; bestätigt vom BVerfG, 23.10.1958, BVerfGE 8, 210: Der BGH wird die Entscheidung des RG aber weniger wegen eines verfeinerten Empfindens ftir Persönlichkeitswerte als vielmehr wegen der Fortschritte in der Blutgruppenanalyse, die das Statusverfahren erstmals auf eine objektive Beweisgrundlage stellten, aufrechterhalten haben. Vgl. Gottwald, S. 113.
62
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Zu dieser Zeit finden sich aber auch bereits erste Stimmen für eine Ausweitung des Kenntnisrechts, die sich auf umfassendere Begründungsansätze stützten. Schon 1947 zog Guggumos das Persönlichkeitsrecht des Kindes als Begründung heran und verwies auf dessen Absicherung in Art. 100 der bayerischen Verfassung von 1946 ("Die Würde der menschlichen Persönlichkeit ist in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu sichem"). 10 NeumannDuesberg wählte 1950 dagegen die Analogie zum Namensrecht des§ 12 BGB und qualifizierte die Blutzugehörigkeit als entsprechendes Individualisierungsmerkmal. Später sah er das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung jedoch als Unterfall des avs Art. 2 Abs. I und Art. 1 Abs. I GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht an.n Zahlreiche andere Autoren, aber auch schon Gerichte, schlossen sich diesen Wertungen an und qualifizierten das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. 12 Nur vereinzelt wurde allein Art. 1 Abs. I GG herangezogen. 13 Die Diskussion um die Statusklage des nichtehelichen Kindes und ihre Begründung fand jedoch mit dem Familienrechtsänderungsgesetz 1961 ein vorläufiges Ende. Mit der Änderung der §§ 640-643 ZPO im Jahre 1961 und der 1969 folgenden Neuordnung des Nichtehelichenrechts, die die Statusklage nach Voraussetzungen und Anwendungsbereich genauer definierte, entfiel zunächst der unmittelbare Anlaß, ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu postulieren. In der Folge wandte sich die Diskussion den bisher nicht in den Blickpunkt geratenen Spezialproblemen zu. Brüggemann untersuchte 1964 erstmalig das Problem, daß die Mutter eines nichtehelichen Kindes sich weigert, den Namen des Vaters anzugeben. Auch er gewährte dem nichtehelichen (nicht aber dem scheinehelichen) Kind "ein Recht auf Nennung des Erzeugers durch denjenigen und gegen denjenigen", "der diese Kenntnis kraft Natur der Sache als einziger
10
M. Guggumos, Die Abstammungsklage des unehelichen Kindes, NJW 1947 I 48, S. 59 (60).
Horst Neumann-Duesberg, Die Abstammungs-Feststellungsklage, NJW 1950, S. 14 (15) und Abgrenzbarkeil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und sein Schutz nach § 823 Abs. I BGB, NJW 1957, S. 1341 (1342). 11
12 Genannt werden sollen an dieser Stelle: Dürig, in: Maunz I Dürig, Art. 2 Abs. I GG Rn. 42; Hildegard Krüger, Das Ehelichkeitsanfechtungsrecht der Mutter, NJW 1954, S. 1509 (1511); Nipperdey, in: Ennecerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, I. Halbband, 15. Auf!. Tübingen 1960, § 101 I 2; OLG Oldenburg 6.10.1955, NJW 1956, S. 677. Weitere Nachweise bei Kleineke, S. 12-21; Giesen, JZ 1989, S. 365, Fn 20.
13 Dürig, in: Maunz I Dürig Art. 1 GG, Rn. 39; W. Becker, Zur Rechtsstellung der unehelichen Mutter, RdJ 1960, S. 1 (2).
A. Rückblick
63
zu haben pflegt". 14 Diese Offenlegungspflicht der Kindesmutter sei jedoch nur eine Iex imperfecta - Klage und Vollstreckung seien nicht eröffnet und auch nicht mittelbarer Zwang durch Drohung mit dem Entzug des Personensorgerechts oder Anzeige wegen Personenstandsverfälschung. 15 Die Offenbarungspflicht der Kindesmutter habe aber auch so einen Sinn, da ansonsten "das endlich erkämpfte Recht des unehelichen Kindes· auf Statusklage gegen seinen Vater schon vor dem Beginn der Verwirklichung, ginge es hart auf hart, auf dem Papier" stünde. 16 Die Arbeit von Brüggemann blieb lange Zeit vereinzelt. In der Kommentarund Lehrbuchliteratur war das Problem der die Auskunft verweigernden Kindesmutter ein Spezialproblem der Amtsvormundschaft und wurde nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt. Erst die Diskussion über die Zulässigkeit der sog. künstlichen Befruchtung 17 hat die Frage, ob ein Kind ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung besitzen kann, erneut in die rechtliche Erörterung gebracht. Ansätze finden sich dazu schon in den ersten Untersuchungen über die rechtliche Beurteilung der Fortpflanzungsmedizin in den 50er Jahren von Dölle und Giesen. Während Dölle die Anonymität des Samenspenders, dessen Unterhaltspflicht er bejaht, nicht hinterfragt18, sieht Giesen im Anschluß an Dürig die Problematik in einem Verstoß gegen die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. I GG, wenn der Spermator anonym bleibe, da das Kind systematisch in seinem Recht getroffen werde, seine blutsmäßige Abstammung zu erfahren. 19 In den Dissertationen von Pasquay und Herzog wurde das Problem tiefergehend analysiert. Pasquay stellt 1968 fest, daß die Würde des Kindes verletzt sei, wenn alles getan werde, um die Kenntnis der blutsmäßigen Abstammung unmöglich zu machen, da es zum Wesen des Menschen gehöre, in der Generationenfolge einen festen und auch blutsmäßig bestimmten Platz zu haben. Dieses Recht auf Kenntnis der Abstammung sei Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, das verfassungsrechtlich in Art. 1 Abs. I GG verbürgt sei. 20 In
14
Brüggemann, S. 17.
15
Brüggemann, S. 31 und 37.
16
Brüggemann, S. 17.
17
Zu der Ungenauigkeit des Begriffs bereits oben I. Teil A IV, S. II Fn 44.
18
Hans Dölle, Die künstliche Samenübertragung, in: FS Rabe!, Bd. I. Tübingen 1954, S. 204.
19
Maunz I Dürig, Art. I GG Rn. 39; Giesen, Diss. S. 174 und 176.
20
Pasquay, S. 155 f.
64
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
seinen Überlegungen de lege ferenda schlägt er zur Lösung des Problems eine gesetzliche Regelung vor, durch die eine Eintragung des Samenspenders in das Geburtenbuch neben der Eintragung des Ehemannes der Mutter vorgeschrieben wird. 21 Herzog untersucht die heterologe Insemination ebenfalls auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit und auch er stellt einen Verstoß gegen die Menschenwürde des Kindes durch die Anonymität des Spenders fest. Das Recht, seine blutsmäßige Abstammung kennenzulernen, folge "aus Art. 1 Abs. I GG und findet seine Grenzen in den Schranken des Art. 2 Abs. I GG". Zur Begründung verweist er auf die Persönlichkeits- und Identitätstindung eines Menschen, die mit der Kenntnis der von den Eltern ererbten Anlagen zusammenhinge sowie auf eine Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes.Z2 Dabei prüft Herzog auch den möglichen Gegensatz zwischen dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dem Recht der Mutter auf Wahrung ihrer Intimsphäre und nimmt einen Vorrang des Kindesrechts mit dem Argument an, daß das Kind die Unkenntnis seines Erzeugers nicht selbst zu vertreten habe, da seine Mutter die Ursache zu seinen Lasten gesetzt habe. 23 Als erste grundlegende Monographie über das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist die gleichnamige Dissertation von Kleineke aus dem Jahr 1976 zu nennen. Kleineke leitet ein Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. I und Art. 2 Abs. I GG ab. Zur Begründung verweist er auf die Persönlichkeitstindung des Menschen als Teil des Sozialisationsprozesses. Zu dem, was die Persönlichkeit des Menschen ausmacht und ihn befähigt, sich selbst zu bestimmen und sich seiner selbst bewußt zu werden, gehöre auch das Wissen um die Herkunft des Menschen. Dieses Phänomen dürfe nicht als "Stimme des Blutes" verstanden werden, sondern als psychologisches Problem.24 Dieses Recht auf
21
Pasquay, S. 191.
Herzog, S. 36 f. Diese Aussage berücksichtigt nicht, daß nach den Erkenntnisse der Vererbungslehre und Anthropologie aus den Anlagen der Eltern nicht auf Anlagen der Kinder geschlossen werden kann. Diese Aussage Herzog's zeigt aber auch, daß diese These Hassenstein's (s.o. 1. Teil B lll) so wissenschaftsorientiert ist, daß sie nur auf rational denkende, mit diesen Erkenntnissen vertraute, erwachsene Menschen Anwendung finden kann - dem identitätssuchenden Jugendlichen wird dieser Stand der Forschung noch nicht bekannt sein(es ist im Gegenteil eher davon auszugehen, daß der Jugendliche - irrational - annimmt, daß von den Anlagen der Eltern auf die des Kindes geschlossen werden kann). 22
23
Herzog, S. 39.
24
Kleineke, S. 50.
A. Rückblick
65
Kenntnis der eigenen Abstammung werde im Bereich des Nichtehelichenrechts durch Art. 6 Abs. V GG verstärkt. Die Feststellung des Erzeugers sei für das ohne einen ehelichen Vater aufwachsende Kind von zentraler Bedeutung und Ersatz für die Abstammungsgewißheit, die das eheliche Kind in der Regel habe. 25 Die Rechtsprechung äußerte sich nach den Reformen von 1961 und 1969 nur vereinzelt zu der Frage eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung. In einem Urteil des BVerfG aus dem Jahre 197326 wurde es mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt, daß auch in Statussachen ein Prozeßvertreterverschulden der vertretenen Partei zugerechnet wird (§ 232 Abs. II ZPO a.F.). Das BVerfG betonte zwar den hohen Wert einer authentischen Klarstellung der wirklichen Abstammungsverhältnisse, hielt jedoch den Kernbereich des allein herangezogenen Art. 2 Abs. I GG (allg. Handlungsfreiheit) nicht für verletzt. Eine weitere Prüfung war nicht notwendig, da eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit schon durch die verfassungsgemäße Ordnung zulässig ist und es dem Gesetzgeber nicht verwehrt war, sich zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit für die Rechtssicherheit zu entscheiden. Im Jahre 1974 hatte der BGH die Frage zu entscheiden, ob einem Kind zur Entscheidung über die Erhebung der Ehelichkeitsanfechtungsklage automatisch ein Ergänzungspfleger zu bestellen sei, wenn dem geschiedenen Ehemann der Mutter das Sorgerecht zusteht. Der BGH entschied, daß im Einzelfall ein Interessengegensalz zwischen dem Kind und dem Sorgeberechtigten bestehen muß. Liege die Anfechtung nicht im Interesse des Kindes, könne keine Pflegschaftsbestellung erfolgen. Der BGH begründet seine Auffassung damit, daß die Scheinehelichkeit trotz der erheblichen Bedeutung der Klärung der Abstammung nicht stets so unerträglich sei, daß es gerechtfertigt sein könne, ein Kind aus einer gesicherten familiären Umwelt herauszureißen. 27 In einem kurze Zeit später ergangenen Urteil gab der BGH dagegen der Klärung der wirklichen Abstammung den Vorrang. Er hielt eine Zustimmung des Kindes zu einer nach ausländischem Recht erfolgten Legitimation durch Heirat und Anerkenntnis für erforderlich, da die Legitimation nicht die für das Kind beste Lösung zu sein habe, wenn der Mann nicht der leibliche Vater des Kindes
25 Kleineke, S. 24 und 26- auch die Begründung des BGH im Urteil vom 4.7.1956, FamRZ 1956, S. 313. 26
Urteil vom 8.5.1973, BVerfGE 35, 41.
27
Urteil vom 27.11.1974, NJW 1975, S. 345 (346).
5 von Sethe
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2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
ist. 28 Aus beiden Urteilen läßt sich jedoch nicht eine grundsätzliche Anerkennung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung ableiten, da sie sich nur mit den Grenzen dieses Rechts befassen. 29 Keine direkte Verbindung zum Kenntnisrecht ist von der Rechtsprechung auch bei ihrer nahezu einheitlichen Haltung zu der Möglichkeit der Kindesmutter, dem Amtspfleger den Namen des Kindesvaters zu verheimlichen, gezogen worden. Diese Auffassung wird überwiegend damit begründet, daß der (unterstellte) Auskunftsanspruch des Kindes nicht vom Pfleger wahrgenommen werden könne und diesem auch kein eigenes Recht zustünde, da insoweit der Schutz der Intimsphäre der Mutter vorrangig sei.30 Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung war in diesen Entscheidungen daher nicht selbst entscheidungserheblich. In diesem zunächst skizzierten Zeitraum bis zum Beginn einer breiten Diskussion über die Zulässigkeit fortpflanzungsmedizinischer Techniken meldeten sich aber auch entschiedene Gegner eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu Wort. So wandte sich Bosch im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Vaterschaftsfeststellungsrecht des nichtehelichen Kindes gegen die Inanspruchnahme von Art. 2 Abs. I und 1 Abs. I GG und sah allein Art. 6 Abs. V GG als einschlägige Norm für das Recht eines nichtehelichen Kindes auf Feststellung der Vaterschaft an? 1 Zippelius qualifizierte die Ablehnung der Spenderanonymität als Weltanschauungsfrage und verwies zum Vergleich auf die Promiskuität oder Polyandrie von Naturvölkern. Er wandte sich daher ebenfalls gegen eine Inanspruchnahme des Menschenwürdeartikels.32 Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dessen Ablehnung findet sich bei Beitzke in einem Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des § 232 Abs. II ZP0. 33 Beitzke weist darauf hin,
28
Urteil vom 5.2.1975, BGH NJW 1975, S. 1072.
29
So auch die Schlußfolgerung von Kleineke, S. 41.
30 BGH 20.10.1958, FamRZ 1959, S. 16; OLG Frankfurt 2.10.1961, FamRZ 1961, S. 539; OLG Stuttgart 27.6.1963, FamRZ 1963, S. 525; BVerwG 3.9.1970, FamRZ 1971, S. 163. 31
Friedrich Wilhelm Bosch, Gutachten, 44. DJT 1962, S. 52 f.
32
Bonner Kommentar zum GG, Art. 1, S. 17 f, Zweitbearbeitung 1966, Hamburg, Loseblatt
33 Gutachten zum BVerfG-Verfahren, das zum Urteil vom 8.5.1973 (BVerfGE 35, 41) ftihrte, s.o. Fn 26, Bonn 1972, unveröffentlicht. Bei Kleineke, S. 33-37, im einzelnen wiedergegeben.
A. Rückblick
67
daß der Gesetzgeber nirgendwo zum Ausdruck gebracht habe, daß er ein Recht auf Feststellung der blutsmäßigen Abstammung generell anerkenne und untersucht diese These an ausgewählten Regelungen des Abstammungsrechts. Trotz dieser Gegenstimmen kann für die Zeit bis 1979 festgestellt werden, daß Literatur und Rechtsprechung darin weitgehend übereinstimmten, dem nichtehelichen Kind die Feststellung seiner Abstammung zu ermöglichen und dazu ein, wenn auch nicht einklagbares oder durchsetzbares, Recht auf Auskunft über die eigene Abstammung gegen die Mutter gewährten. Die Rechtsprechung und die Stimmen in der Literatur, die das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ausdrücklich bejahten, verwiesen überwiegend auf Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht). Zu beachten bleibt jedoch, daß die Diskussion nach 1961 nur auf einer schmalen Ebene geführt wurde und daher kein allgemeines Meinungsbild gezeichnet werden kann. Es war bis zum Beginn der 80er Jahre auch nicht notwendig, daß sich die Rechtsprechung zu den anderen Anwendungsbereichen eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung wie Adoption und Fortpflanzungsmedizin äußerte. 34
II. Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung bis 1989
Als der Europarat sich 1979 erstmals damit befaßte, ein einheitliches Recht zur Regelung der Methoden der Fortpflanzungsmedizin zu schaffen und dabei die Anonymität des Samenspenders sichern wollte35, stieß er im In- wie im europäischen Ausland eine Diskussion an, die nicht mehr detailliert dargestellt werden kann, sondern wie folgt zusammenzufassen ist: Als erster Beitrag ist die Arbeit von Balz anzuführen, der sich mit dem Entwurf des Europarates kritisch auseinandersetzt Balz geht ohne eingehendere Prüfung von der Existenz eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus und überprüft daran die Frage der Anonymität des Spenders bei einer heterologen Insemination. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung sei zwar nicht lückenlos und absolut gesichert, die Bevorzugung des Samenspen-
34 Eine Ausnahme stellt die schon vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit dar, wegen der fortbestehenden Sonderbeziehungen auch noch nach einem Adoptionsbeschluß noch eine Vaterschaftsfeststellungsklage durchzuführen. Siehe dazu unten 3. Teil C II 3 a. 35 Draft Recommendation on Artificial Insemination of Human Beings, 5.3.1979. Abdruck u.a. in Eser I Koch I Wiesenbart, S. 287-289.
s•
68
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
ders gegenüber den Eltern eines zur Adoption freigegebenen Kindes sei jedoch nicht zu rechtfertigen, da der Samenspender keine verfassungsrechtlich besonders schützenswerten Interessen habe. Keine Verletzung des Gleichheitssatzes stelle es dagegen dar, daß andere Kinder ihre Erzeuger aus tatsächlichen Gründen nicht feststellen könnten, da das Recht in diesen Fällen, anders als bei einer bewußten Verschleierung von Abstammungsverhältnissen, faktische Grenzen nicht überschreiten könne. 36 In der Folge äußern sich zahlreiche Autoren zu diesem Thema, in erster Linie bei der Diskussion von rechtlichen Regelungen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin. Auch eine Abteilung des Deutschen Juristentages widmet sich 1986 diesen Fragen. Die im Verlaufe der Diskussion vorgetragenen Einschätzungen lassen sich wie folgt gruppieren: Eine weit überwiegende Gruppe bejaht ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Hinblick auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung und verbindet damit ein Verbot der anonymen Keimzellenspende. Die wiederum weit überwiegende Zahl an Autoren dieser Gruppe sieht dabei das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, daß systematisch aus Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG abgeleitet wird. 37 Andere Überlegungen leiteten das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung dagegen nur aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. I GG her, die schon durch die "verfassungsmäßige Ordnung" eingeschränkt werden kann.38 Nach einem anderen Modell ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung direkt aus dem Menschenwürdegebot des Art. 1 Abs. I GG abzuleiten -ein Eingriff in das auf diese Weise absolut geschützte Recht ist damit nur unter schwersten Voraussetzungen zulässig.39 Nur eine Mindermeinung wandte sich schon vor dem Urteil des BVerfG vom 31.1.1989 gegen ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung; aufgrund
36
Balz, S. 17.
Die Eingriffsvoraussetzungen sind durch den Rückgriff auf Art. I Abs. I GG und dessen besonderes Gewicht enger als bei einer Ableitung nur aus Art. 2 Abs. I GG; diese Position wurde bereits von v. Schlabrendoiff, in BVerfGE 35, 41 (51 - Sondervotum) vertreten; so auch jetzt BVerfG 31.1.1989, Leitsatz 1 und C !I I; Kleineke, S. 24; Reinke, S. 106; Schmidt-Didczuhn, s. 229. 37
38
So noch BVerfG 8.5.1973, BVerfGE 35, 41 (49).
Starck, Gutachten, A 24; Laufs, Arztrecht, 4. Auf!. München 1988, Rn. 279; Mansees, NJW 1988, S. 2984 f; Dürig, in: Maunz-Dürig, Art. 1 I 39. 39
A. Rückblick
69
der mit der Anerkennung des Rechts verbundenen Konsequenzen haben sich jedoch nunmehr auch andere Kritiker zu Wort gemeldet.40 Die Argumente, die diese einzelnen Gruppen jeweils für ihre Auffassung anführen, sollen im folgenden aufgezeigt und gegenübergestellt werden:
1. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. I GG - allgemeine Handlungsfreiheit Nur vereinzelt ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der allgemeinen Handlungsfreiheit abgeleitet worden. Hauptsächlich ist dabei die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zu nennen, die bereits kurz dargestellt worden ist.41 Die Begründung ist überwiegend auf Ablehnung gestoßen.42 Dennoch plädieren auch Autoren noch in neuester Zeit unter Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht für eine Anhindung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung an das Gebot der allgemeinen Handlungsfreiheit. So untersucht Waibl die Regelung der Ehelichkeitsanfechtung im BGB und stellt fest, daß diese keinen lückenlosen Schutz des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung gewährleisten. Um den damit verbundenen Verfassungsverstoß zu vermeiden, zu dem es bei einer Ableitung des Kenntnisrechts aus dem Persönlichkeitsrecht wegen dessen strenger Eingriffsvoraussetzungen kommt, könne das Kenntnisrecht, so Waibl, nur als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit angesehen werden.43
40 Gottwald, S. 119; Deichfuß, NJW 1988, S. 113 (116); Frank, FamRZ 1988, S. 113 (120); Hassenstein, FamRZ 1988, S. 120 (121); Koch, FamRZ 1990, S. 569 (570); kritisch auch Smid, JR 1990, 221 (222).
s.
41
Urteil vom 8.5.1973, BVerfGE 35, 41; s.o. 2. Teil AI.
42 Jörg Berkemann, Anwaltsverschulden bei Rechtsmitteleinlegung in Statussachen, FamRZ 1974, 294; BVerfG 8.5.1973, BVerfGE 35, 51 (Sondervotum Schlabrendoiff); Kleineke, S. 73. 43
S. 217 unter Berufung auf BVerfG, 23.10.1958 und 8.5.1973, BVerfGE 8, 210 und 35, 41.
70
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
2. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 2 Abs. I GG - allgemeines Persönlichkeitsrecht Rechtsprechung und herrschende Lehre leiten aus Art. 1 Abs. I in Verbindung mit Art. 2 Abs. I GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht ab. Es ergänzt als unbenanntes Freiheitsrecht die spezielleren Freiheitsrechte (Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit), die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit über die Gewährleistung der aktiven allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus schützen und füllt die Lücke, die zu den besonderen Persönlichkeitsrechten (Namensrecht, Recht am eigenen Bild) besteht.44 Mit dem Interpretationsrückgriff auf Art. 1 Abs. I GG und dabei insbesondere auf die Schutzpflicht des Staates für den Einzelnen gern. Art. 1 Abs. I S. 2 GG soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen gewährleisten. 45 Aus der Ableitung aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde ergibt sich für die zahlreichen Vertreter dieser Auffassung, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht die menschliche Personalität in ihrer Gesamtheit und damit auch ihre konstitutiven und kennzeichnenden Elemente schützt. Hierzu zählten insbesondere auch die Entwicklung der Identität und die Wahrung der Individualität.46 Diese Argumentation wird von einigen jedoch nicht weiter abgestützt. Es wird kaum begründet, warum der Mensch seine Abstammung kennen muß, um Identität entwickeln zu können und eine eigene Individualität finden und wahren zu können. Soweit nicht der Wert der Kenntnis der eigenen Abstammung nur mit einem Hinweis auf das Ehe- und Inzestverbot (§ 4 EheG, § 173 StGB), die mögliche finanzielle Absicherung (Unterhaltsansprüche, Erbrecht, Sozialrenten) und soziale Schwierigkeiten des Kindes, das gegenüber Behörden und anderen Institutionen keinen Vater angeben kann, belegt wird, sondern auch psychologische Aspekte genannt werden, wird nur auf das Interesse hingewiesen, sich in eine Geschlechterfolge einreihen zu können.47 Andere jedoch, die sich mit der apodiktischen Feststellung des Wertes der Identitätstindung und Individualitätswahrung nicht begnügen, versuchen, mit
44
Jarass, NJW 1989, S. 857; Giesen, JZ 1989, S. 367; Reinke, S. 93 f.
45
BVerfG-Urteile vom 3.6.1980 und 31.1.1989, BVerfGE 54, 148 (153) und 79, 256 (268).
46
Giesen, JZ 1989, S. 368; Reinke, S. 94.
47
So z.B. Balz, S. 16.
A. Rückblick
71
Hinweisen auf psychologische und soziologische Untersuchungen oder Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus den Wert der Kenntnis der eigenen Abstammung zu untermauem.48 So hatte schon Krüger im Jahre 1960 auf die irrationalen Bezüge der Kenntnis der eigenen Abstammung verwiesen. Ohne diese Kenntnis werde dem Kind die Möglichkeit vorenthalten, "sich in einem Teil der guten und schlechten Tendenzen seines Erzeugers wiederzuerkennen und dieser Erkenntnis gemäß sich selbst - durch Unterdrückung bestimmter und durch Pflege und Förderung anderer Tendenzen - zu entfalten".49 Auch der BGH hatte schon 1958 anerkannt, daß das Kind nicht finanzielle Interessen vorbringen müsse, um eine Feststellung zu ermöglichen, da bereits die Feststellung eines Vaters zur Gleichstellung gegenüber dem ehelichen Kind beitrage.5° Kleineke hat dagegen zum Beleg seiner These, daß Name und Abstammung zur Persönlichkeit des Menschen gehören, in erster Linie auf die Zeit des Nationalsozialismus verwiesen, in der versucht wurde, durch Namensänderung und Unterdrückung der wahren Abstammung Menschen ihrer ursprünglichen Persönlichkeit zu berauben.51 In der späteren Literatur und Rechtsprechung werden diese Argumente immer wieder aufgegriffen und ergänzt. Der Stand der Diskussion im Jahre 1981 wird in einem Urteil des BGH deutlich, in dem entschieden wurde, daß es in der Regel dem Wohl des Kindes widerspreche, die Amtspflegschaft aufzuheben, wenn die Mutter eines nichtehelichen Kindes den Namen des Vaters verschweigt. 52 Der BGH, der sich in den Gründen auf eine weitgehend einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung stützte, bezog in die Interessenahwägung die Frage ein, ob dem Kind aus dem Unterbleiben der Vaterschaftsfeststellung ideelle Nachteile entstehen könnten, da der Aufgabenbereich des Amtspflegers auch das Recht des Kindes auf Feststellung der blutsmäßigen Abstammung umfasse. Ausdrücklich wies der BGH darauf hin, daß dieses Recht als Bestandteil des
48
So z.B. Reinke, S. 94-106.
Hildegard Krüger, Uneheliche Kinder, in: Kar! August Bettermann I Hans Carl Nipperdey I Ulrich Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV 1, Berlin 1960, S. 325 (362). 49
50
BVerfG, 23.10.1958, BVerfGE 8, 210 (215).
Er meint die Kinder der Freiheitskämpfer vom 20.Juli 1944, die ihren Familien weggenommen und umbenannt wurden, sowie die SS-Organisation ,,Lebensbom e.V.", die ausländische Kinder und Besatzungskinder in eigenen Heimen zu Deutschen umerziehen wollte, S. 44 f. Damit läßt es Kleineke zur sachlichen Begründung des Wertes der Kenntnis der eigenen Abstammung, abgesehen von allgemein geäußerten Hinweisen auf Inzestgefahr, Erbkrankheiten und äußeren sozialen Problemen, aber auch bewenden. 51
52
Urteil vom 11.11.1981, FamRZ 1982, S. 159.
72
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 1 und 2 GG geschützt sei und die Rechtsprechung schon früh zur Anerkennung der positiven Statusklage des nichtehelichen Kindes bewogen habe. Dieses Kindesinteresse wird im weiteren mit der Gefahr inzestuöser Verbindung, möglichen Schwierigkeiten in der Persönlichkeitsentwicklung und der Notwendigkeit, im Krankheitsfall seine Erbanlagen zu kennen, begründet. Im Rahmen der Diskussion um die modernen Befruchtungstechniken intensivierte sich die Erörterung. Es wurden die bereits genannten Argumente verwandt, um der Anonymisierung der Keimzellspenden ein aus Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG begründetes Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung entgegenzustellen.53 Zunehmend wird aber das Argument der möglichen Selbstfindungsprobleme zur wesentlichen Stütze der Befürworter eines Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.54 Als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, darauf ist soeben schon hingewiesen worden, steht das Kenntnisrecht nicht unter dem weiten Schrankenvorbehalt wie die allgemeine Handlungsfreiheit, da der Rückgriff auf Art. 1 Abs. I GG dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein stärkeres Gewicht verleiht und die Einschränkungsmöglichkeiten verringert. Andererseits schützen Art. 2 Abs. I und Art. 1 Abs. I GG die Persönlichkeitssphäre des Menschen, vom unantastbaren innersten Lebensbereich abgesehen, nicht absolut. 55 Da das Individuum nach dem Menschenbild des Grundgesetzes auch gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden ist, muß das Persönlichkeitsrecht Einschränkungen hinnehmen, je stärker im Einzelfall die soziale Komponente ist. Unter diesem Abwägungsmaßstab sind Einschränkungen des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung bei einer Ableitung aus dem allgemeines Persönlichkeitsrecht in einer den jeweiligen Umständen des Falles entsprechenden Flexibilität möglich.56 Zu beachten sind aber auch konkurrierende verfassungsrechtlich geschützte Rechtswerte, die im Kollisionsfall gegen das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung abgewogen werden müssen. Dabei verleiht jedoch der Rückgriff
53
Bericht Benda-Kommission S. 14; Kol/hosser, JA 1985, S. 557; Coester-Waltjen, Gutachten
B 53.
s. Adam, S. 57 f; Eser, in: Koll. Lausanne, S. 154; LG Berlin 17.12.1987, DAV 1988, S. 834; Schmidt-Didczuhn, JR 1989, -S. 229. 55 BVerfG 5.6.1973, BVerfGE 35,202 (220); Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230; Jarass, NJW 1989, S. 861. 56
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230; Ostendorfer, in: Jüdes, S. 187; Enders, NJW 1989, S. 882.
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auf Art. I Abs. I GG dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung einen so hohen Stellenwert, daß es nur gegenüber anderen Grundrechtpositionen von hohem Wert zurücktreten muß. 57 Derartige konkurrierende Grundrechtspositionen können im einzelnen Art. 6 GG, Schutz der intakten bZw. faktischen Familie, Persönlichkeitsrechte anderer Beteiligter, z.B. für die Mutter Schutz ihrer Intimspäre, oder für das Kind andere, im Einzelfall für das Kindeswohl bedeutendere Umstände als das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung oder der Gleichheitssatz nach Art. 3 GG (keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der verschiedenen Fallgruppen bei der Gewährung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung) sein.58
3. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 1 Abs. I GG - Menschenwürde Nicht im Sinne einer h.M., aber doch von einer Vielzahl von Autoren wird das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, mehr oder weniger deutlich59, dem Menschenwürdeprinzip des Grundgesetzes entnommen. Nach der in der Literatur vorherrschenden sog. anthropologischen Sicht der Menschenwürde60 soll Art. 1 Abs. I GG das schützen, was den Menschen in seinem Wesen ausmacht und ihn von anderen Lebewesen unterscheidet, aber auch seine unverwechselbare Individualität, also das, was die Menschen voneinander unterscheidet. Hierzu gehöre auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, da es sich bei der Fähigkeit des Menschen, sich in seinem geschichtlichen Kontext zu begreifen und zur Selbsterkenntnis zu gelangen, um ein wesentliches Merkmal des menschlichen Wesens handele, für das das Wissen um die eigene Herkunft von hervorragender Bedeutung sei. 61
57
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 231; OsteT}dorfer, in: Jüdes, S. 187.
58
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230; Giesen, JZ 1989, S. 370.
Einige Autoren beziehen sich zwar ausschließlich auf Art. 1 Abs. 1 GG; ihre Stellungnahme ist jedoch nicht eindeutig, da sich ihre Begründung nicht allein auf Art. 1 Abs. 1 GG stützt, so z.B. Giesen, 56. DJT, Diskussion (Referat) K 65. 59
60
Mansees, NJW 1988, S. 2985; Starck, Gutachten, A 24; Holzhauer, FamRZ 1986, S. 1162.
Starck, Gutachten, A 24 (mittlerweile Meinungsänderung ~ allg. Persönlichkeitsrecht - in: JZ 1989, S. 338); Mansees, NJW 1988, S. 2985; Podlech, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Neuwied, Darmstadt 1984, Art. 1/51 ; Dürig, in: Maunz I Dürig, Art. 1/39; Laufs, Arztrecht, 4. Aufl. München 1988, Rn. 279. 61
74
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Schranken gibt es für den Schutz der Menschenwürde nicht. Kommt es zu einer Kollision mit konkurrierenden Rechtsgütern Dritter, ist die Abwägung schon in den Bereich der Normbestimmung zu verlegen. Auf diese Weise kommen auch die Vertreter der Auffassung, die zur Begründung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung unmittelbar und ausschließlich auf Art. 1 Abs. I zurückzugreifen, zu einer Einschränkung des absoluten Schutzes durch Art. 1 Abs. I GG.62
4. Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus anderen Grundrechtsartikeln Vereinzelt werden auch die Art. 3 Abs. I bzw .III und 6 Abs. V GG zur Begründung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstanunung bemüht. Dabei handelt es sich jedoch nur um Versuche, den schon anderweitig abgeleiteten Schutz für die besonders betroffenen Fallgruppen noch zu verstärken. Da es sich bei diesen Grundrechtssätzen um Gleichheitssätze handelt, wird jeweils die besondere Fallgruppe (nichteheliche Kinder, Adoptierte, Kinder aus künstlicher Befruchtung) mit der Gruppe der Kinder verglichen, die aufgrund ihrer ehelichen I natürlichen Abstammung in der Regel ihren Erzeuger kennen.63 In dieser Weise wird auch zwischen den einzelnen Fallgruppen verglichen, so z.B. die Möglichkeiten scheinehelicher und adoptierter Kinder, ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung durchsetzen zu können, gegenüber Kindern aus einer anonymen heterologen Insemination.64 Diese Hinweise auf grundgesetzliche Gleichheitssätze eignen sich aber nicht zu einer eigenständigen Begründung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung, da nach dieser Auffassung auch das Kind, das seinen Erzeuger kennt und für das das Recht ohne Bedeutung ist, ein Kenntnisrecht haben muß. Es ist daher die Sonderstellung der Kinder, die ihren Erzeuger nicht kennen, die Anknüpfungspunkt für die Ableitung eines besonderen, möglicherweise ver-
62 Mansees, NJW 1988, S. 2985; Starck äußert sich in seinem Gutachten, A 24, ausschließlich zum Verbot der Spenderanonymität und geht daher auf die Grenzen des Kenntnisrechts nicht ein; zum absoluten Schutz der Menschenwürde und seinen faktischen Schranken eingehend Vitzthum, in: Das Verfassungsrecht vor der Herausforderung, S. 279, und Enders, NJW 1989, S. 881 f. 63 BVerfG 18.1.1988, FamRZ 1989, S. 147; AmtsG Passau 15.7.1987, FamRZ 1987, S. 1309; Kleineke, S. 26. 64
Balz, S. 18 f; Busse, S. 171; Müller" FamRZ 1986, S. 635.
A. Rückblick
75
stärkenden Rechts auf gleichen Zugang zu kenntnisverschaffenden Daten sein muß. Die angesprochenen Gleichheitspositionen haben daher vorwiegend Bedeutung für die Umschreibung des gesetzgebefischen Gestaltungsspielraums bei der Regelung der Möglichkeit, ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wahrnehmen zu können. 65
5. Gegenpositionen zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Von verschiedenen Seiten werden Bedenken gegen ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung vorgebracht. So sieht Koch einen Widerspruch zu familienrechtlichen Leitbildern und tragenden Überzeugungen des Privatrechts. Die Anerkennung eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung führe zu einer stärkeren Betonung der Blutsbande, die im Widerspruch dazu stünde, daß in familienrechtlichen Zusammenhängen, auch im Abstammungsrecht, nach langen Diskussionsprozessen der biologischen Komponente des Eltern-Kind-Verhältnisses eine immer geringere Bedeutung eingeräumt worden sei.66 Auch Ramm beurteilt das Kenntnisrecht als fragwürdige, überkommene Abstammungsideologie und zweifelt an der sozialwissenschaftlichen Meinung, die die Abstammung als persönlichkeitsprägend ansieht. 67 Aber auch schon vor diesen ablehnenden Stellungnahmen zum BVerfG-Urteil vom 31.1.1989 gab es Autoren, die sich vehement gegen ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aussprachen. Zu nennen sind insbesondere Gottwald, Frank, Hassenstein und Deichfuß.68 Sie bringen im wesentlichen vier Argumente gegen eine Anerkennung ·des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung vor, die sich z.T. mit den schon bei Koch und Ramm erwähnten Argumenten decken. a) Auf biologisch-genetischer Ebene stelle die Kenntnis der Abstammung wertloses Wissen dar, da das Vererl;mngsgeschehen durch Kombinationswir-
65
In diese Richtung auch Busse, S. 170.
66
FamRZ 1990, S. 570. Auch Deichfuß, NJW 1988, S. 114.
67
JZ 1989, S. 870.
Gottwald, in: FS Hubmann, S. 111; Frank, FamRZ 1988, S. 113; Hassenstein, FamRZ 1988, S. 120; Deichfuß, NJW 1988, S. 113. 68
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
76
kungen, dominante Gene und Determinanten zu einer wesentlichen Verschiedenheit zwischen dem Erbgut des Kindes und dem seiner Eltern führe. 69 b) Es sei fragwürdig, ob die Kenntnis der eigenen Abstammung für die Identitätssuche des jungen Menschen wirklich wichtig sei, da Untersuchungen bisher keine klaren Ergebnisse gezeitigt und adoptierte Kinder in der Regel kein Interesse an einer Kenntnisnahme hätten, wenn sie sich in ihrer Aufnahmefamilie geborgen fühlten. 70 Deichfuß ergänzt diesen Gedanken durch einen Hinweis auf das Adoptionsrecht, nach dem eine Einsichtnahme erst mit 16 Jahren erfolgen kann: Ginge es um die Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Erkenntnisse, müsse die Altersgrenze niedriger angesetzt werden. 71 c) Die Kenntnis der eigenen Abstammung könne eher eine Belastung sein, wenn die leiblichen Vorfahren nicht identifikationswürdig sind, wie dies insbesondere für den anonymen Samenspender und die ihr Kind zur Adoption freigebende Mutter angenommen wird. Die Anonymität fördere dagegen den familiären Zusammenhalt und damit auch das Kindeswohl.72 d) Allen Gegnern gemeinsam ist das meist am ausführlichsten begründete Argument, daß das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung keine Ausprägung im geltenden Recht gefunden habe. Insbesondere Gottwald und Frank überprüfen die konkreten Lösungen des einfachen Gesetzesrechts und stellen deren Sachgerechtigkeit fest. 73
III. Das BVerfG-Urteil vom 31.1.1989 und dessen Kritik in der Literatur
Dem BVerfG-Urteil74 lag ein Vorlagebeschluß des AmtsG Harnburg zugrunde, in dem die Beschränkung der Ehelichkeitsanfechtung für das Kind auf die gesetzlichen Tatbestände des § 1596 Abs. I BGB als Verstoß gegen Art. 1, 2 und 3 GG angesehen wurde.
69
Hassenstein, FamRZ 1988, S. 121.
°Frank, FamRZ 1988, S. 120.
7
71
NJW 1988, S. 115.
72
Jan Zimmermann, S. 234; Hassenstein, FamRZ 1988, S. 123; Scholz, in: FS Lukes, S. 218.
73
Gottwald, in: FS Hubmann, S. 111 ff; Frank, FamRZ 1988, S. 113 ff; vgl. auch Zimmermann,
74
BVerfGE 79, 256 ff = FamRZ 1989, 255
s. 234 ff.
= NJW 1989, 891 = JZ 1989, 335.
A. Rückblick
77
Das BVerfG hat im Vorfeld der Entscheidung einen Fragenkatalog ausgearbeitet und verschiedene Institutionen und Organisationen um Stellungnahme gebeten. 75 Alle Stellungnahmen sprachen sich für ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, abgeleitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, aus. Zusätzlich wurde ein rechtsvergleichendes Gutachten des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Privatrecht in Harnburg in Zusammenarbeit mit Coester-Wal~en zu Rechtsauffassungen und Lösungen im europäischen Rechtsraum eingeholt. Diese Gutachten haben in den Urteilsgründen kaum sichtbaren Niederschlag gefunden.76
1. Inhalt der Entscheidung17 Zentraler Punkt der Entscheidung war nach der Entwicklung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Literatur und Rechtsprechung trotz der vorhandenen Gegenstimmen nur noch, mit welcher Begründung das Gericht das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung anerkennen und wie es Schutzbereich und Schranken des Grundrechts bestimmen würde. Das Bundesverfassungsgericht leitete das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab. Auf die Möglichkeit einer Ableitung allein aus Art. 1 Abs. I GG (ohne eine Verbindung mit Art. 2 Abs. I GG) ging es nicht ein. In der ausführlichen Begründung verwies das Gericht zunächst auf die Entwicklung und Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als "unbenanntes Freiheitsrecht", dessen Inhalt nicht abschließend umschrieben, sondern in seinen Ausprägungen jeweils anband des zu entscheidenden Falles herauszuarbeiten sei, insbesondere im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit. Das Recht solle jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung sichern, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren könne. 78
75 Abdruck des Fragenkataloges bei Giesen, JZ 1989, S. 364 und Reinke, S. 112; Zusammenfassung der Stellungnahmen in BVerfGE 79, 256 (259-263). 76
So auch die Kritik von Dopffel, S. 10.
77
Soweit für die Begründung des Kenntnisrechts von Interesse.
78
sub C II 1 a und b.
78
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Mit diesem letzten Satz ging das Gericht zur unmittelbaren Begründung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung über. 79 Verständnis und Entfaltung der Individualität seien mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen konstitutiven Faktoren zähle neben anderen auch die Abstammung. Die Abstammung lege nicht nur die genetische Ausstattung des einzelnen fest und präge so die Persönlichkeit mit, sondern nehme auch im Bewußtsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätstindung und Selbstverständnis ein. Insoweit handele es sich um einen vielschichtigen Vorgang, für den nicht nur Kenntnisse der Biologie über die Erbanlagen des Menschen ausschlaggebend s.eien. Auch so gehöre die Abstammung als Individualisierungsmerkmal zur Persönlichkeit und die Kenntnis der eigenen Herkunft biete dem Einzelnen wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daher umfasse das Persönlichkeitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Abstammung. Im Anschluß an dieses Prüfungsergebnis, noch im seihen Absatz und vor der Prüfung des tatsächlichen Schutzbereichseingriffs und der Schrankenprüfung stellt das Bundesverfassungsgericht einen Satz auf, der von vielen Kritikern als wichtigster Satz der Feststellungen zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung bezeichnet worden ist. 80 Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG verleihe kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung, sondern könne nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen.81 Eine Begründung dieses Satzes folgt nicht. Im Textzusammenhang folgt er als Gegenargument zu dem Vorbringen, daß es Fälle gebe, in denen die Abstammung unaufklärbar bleibe und die Persönlichkeitsentfaltung ohne diese Kenntnis erfolgen muß. Die tatsächliche Prüfung des geltenden Rechts an dem Schutzbereich des soeben anerkannten Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung fiel kurz aus. Soweit der Gesetzgeber den familienrechtlichen Status eines ehelichen Kindes unangreifbar ausgestalte und mit dem Verbot einer Abstammungsklage verbinde, beeinträchtige er die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes.82 Zur Schrankensystematik verwies das Gericht nur auf den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. I GG - die gerichtliche Klärung der
79
sub C li 1 b.
80
Enders, NJW 1989, S. 882; Giesen, JZ 1989, S. 368; Reinke, S. 118.
81
sub C II 1 b a.E.
82
sub C II 1 c.
A. Rückblick
79
eigenen Abstammung sei nur im Rahmen der gesetzlichen Regelung möglich. Diese gesetzliche Ausgestaltung müsse verfassungsgemäße Zwecke verfolgen und verhältnismäßig sein. 83 Höhere Anforderungen an die möglichen Einschränkungen formuliert das Gericht nicht und überließ einen möglichen Rückgriff auf Art. 1 Abs. I GG · der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Kollisionsfall.84
2. Stellungnahmen in der Literatur zum Uneil Grundsätzliche Kritik schon am Verfahren übte Ramm. 85 Er wies darauf hin, daß die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des LG Passau, die zum Kammerbeschluß vom 18.1.1988 führte, erst nach dem Vorlagebeschluß des AmtsG Hamburg, der zum Senatsurteil vom 31 .1.1989 führte, eingereicht wurde. Es wäre daher sachgerechter gewesen, beide Verfahren miteinander zu verbinden und so die Entscheidungsgrundlage des Gerichts zu verbreitern. So sei es aber zu einem Widerspruch zwischen beiden Entscheidungen gekommen, da im Beschluß vom 18.1.1988 das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung unbeschränkt als Teil des allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannt, im Urteil vom 31.1.1989 jedoch auf den Schutz vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen beschränkt worden sei. Letztere Formulierung sei aber unsinnig, da alle Informationen von der Mutter erlangbar seien - insbesondere über den Geschlechtsverkehr in der Empfängniszeit. Ramm wendet sich auch gegen die vom BVerfG gegebene Begründung für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Das BVerfG habe Erkenntnissen der Biologie über die Erbanlagen des Menschen nicht genügend Beachtung geschenkt und auch nicht auf eindeutige Erkenntnisse sozialwissenschaftlieber Disziplinen zurückgegriffen.86 Im Ergebnis werde damit, ohne eine Notwendigkeit darzutun, private Neugier rechtlich anerkannt und über die konkreten Persönlichkeitsrechte der Mutter gestellt. Zudem sei das Urteil auch nicht
83
sub C II 2.
84
sub C II 2 b.
85
NJW 1989, S. 1594.
Kritik an den "sozialwissenschaftlich keineswegs belegten Behauptungen" auch von Koch, FamRZ 1990, 573. 86
80
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
mit unserer individualistisch-freiheitlichen Ordnung vereinbar, zu der die Irrelevanz der Abstammung als ein Stück sozialer Friedensordnung gehöre. 87 Reinke wies darauf hin, daß die Bezeichnung "Kenntniserlangung" unzutreffend sei, da im konkreten Fall das Kind durchaus Kenntnis besessen habe, mit der Ehelichkeitsanfechtung daher vielmehr eine Statuskorrektur gemeint gewesen sei.88 Andere Kritik setzt mehr bei der Schranken- und Verhältnismäßigkeitsprüfung an. So ist Enders der Auffassung, das BVerfG habe den Begriff der "erlangbaren Informationen" rein tatsächlich verstanden und ihn auf das bei den Parteien bereits vorhandene Wissen beschränkt. Da der Schutz des allgemeines Persönlichkeitsrechts sich in erster Linie gegen staatliche Eingriffe richte, könne aus dem Urteil nicht auf einen Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen die Mutter geschlossen werden. 89 Gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird gleich von mehreren Seiten vorgebracht, daß das BVerfG Fallgestaltungen vorgeführt habe, die in der Praxis der Ehelichkeitsanfechtung durch das Kind seltene Ausnahmen darstellten. Es sei daher problematisch, wegen derartiger Fallgestaltungen einen bewährten Normenverbund mit verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklicher Zielsetzung für grundgesetzwidrig zu erklären.90 Mit Ausnahme von Ramm und Smid, die sich grundsätzlich gegen das allgemeines Persönlichkeitsrecht wenden91 bzw. eine andere Konzeption dieses Rechts vertreten92 , unterstützen jedoch alle Autoren die grundsätzliche Einordnung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Art. 2 Abs. I GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG.
87 NJW 1989, S. 1595 f. Von Reinke, S. 133, wird zusätzlich darauf hingewiesen, daß das Argument der Persönlichkeitstindung auch zu einem Mißbrauch der Anfechtungsmöglichkeiten benutzt werden könne. 88
S. 132 f. Diese Ungenauigkeit wird auch von Smid, JR 1990, S. 221 kritisiert.
Enders, NJW 1989, S. 883 f; anderer Auffassung ist Smid (JR 1990, S. 224): Im Beschluß vom 18.1.1988 sei es um die Abwehr staatlicher Zwangsvollstreckung und damit um den Schutz gegen einen staatlichen Eingriff gegangen. 89
90
Giesen, JZ 1989, S. 373; Ramm, NJW 1989, S. 1594.
91
Ramm, NJW 1989, S. 1595.
92
Smid, JR 1990, S. 225.
A. Rückblick
81
Uneingeschränkte Zustimmung findet das Urteil bei Starck und Münder. 93 Münder meint, daß das BVerfG hinreichend zwischen der Lebenslage eines minderjährigen und der eines volljährigen Kindes sowie zwischen der Anfechtung der Ehelichkeit und der Feststellung der genetischen Vaterschaft unterscheide. Beide Bereiche seien vom geltenden Recht jeweils miteinander verqickt, da z.B. das Abstammungsrecht und das Recht der Statuszuordnung nicht nach dem Alter des Kindes differenziere. Da aber der zentrale Begriff auch des Statusrechts der des Kindeswohls sei, bestünde bei einem volljährigen Kind insoweit eine Regelungslücke. In ähnlicher Weise habe der Gesetzgeber die Feststellung der genetischen Elternschaft mit der Festlegung der Ehelichkeit verknüpft. Gelobt wird, daß das BVerfG sich von "biologistischen Argumentationsmustern" gelöst und die psychologische Seite der Identitätstindung herangezogen habe.94 Das Urteil stehe in der Tradition der bisherigen Entwicklung - der zunehmenden Anerkennung von Rechten des Kindes und der Sicherung der Individualität der einzelnen Mitglieder in Ehe und Familie und nicht mehr Sicherung der Institution Familie. Abschließend kann zur Kritik der Literatur festgestellt werden, daß, abgesehen von den wenigen Stimmen, die sich grundsätzlich gegen das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wenden, die Anerkennung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und die Einordnung in das allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie die Einschränkung auf den Schutz vor Vorenthaltung erlangbarer Informationen gebilligt wird. Kritik setzt erst ein, soweit es im konkreten Fall um die Güterahwägung bei der zur Entscheidung stehenden Ehelichkeitsanfechtung ging und damit um die Auswirkungen des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung auf die bestehende Gesetzeslage.
IV. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in internationalen Vereinbarungen
Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in internationalen Vereinbarungen kann für die deutsche Rechtsentwicklung von Interesse sein, soweit sich in diesen Vereinbarungen eine auch für das deutsche Recht verbindliche
93
Starck, JZ 1989, S. 338; Münder, RdJ 1989, S. 459.
94
Ganz anderer Ansicht Smid, JR 1990, S. 224.
6 von Sethe
82
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Anerkennung dieses Rechts findet. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Art. 8 EMRK und die UN-Konvention über die Rechte des Kindes zu überprüfen.95
1. Europäische Menschenrechtskonvention
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich im Fall Marckx zu der Regelung des belgiseben Rechts geäußert, die erst durch eine Anerkennung durch die Mutter verwandtschaftliche Rechtsbeziehungen zwischen der Mutter und ihrem nichtehelichen Kind (nicht jedoch zu den Verwandten der Mutter) entstehen ließ. Der Gerichtshof interpretierte in diesem Zusammenhang Art. 8 EMRK mit der Verpflichtung der Vertragsstaaten zur ,,Achtung des Familienlebens" in der Weise, daß familienrechtliche Verhältnisse so normiert werden müßten, daß den Betroffenen die Führung eines normalen Familienlebens ermöglicht werde.96 Balz hat aus dieser Entscheidung gefolgert, daß die Vertragsstaaten verpflichtet sind, die Rechtsstellung von Kindern aus heterologer Insemination so abzusichern, daß ihnen ein normales Familienleben möglich ist. Ein Abschneiden von Rechtsbeziehungen zum Vater sei danach nicht erlaubt.97 Es ist aber sehr fraglich, ob sich die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes im Fall Marckx auf die heterologe Insemination übertragen lassen.98 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß vieles in der Entscheidung auf eine Interpretation des Begriffs des Familienlebens im Sinne einer sozialen,
95 Der bereits erwähnte Regelungsvorschlag des Europarals von 1979, s.o. 2. Teil A li, als auch ein späterer Entwurf aus dem Jahre 1987, dazu eingehender im 5. Teil D XVI, hat sich nicht durchsetzen und damit auch keine Verbindlichkeit erreichen können. Seide Regelungsvorschläge sprachen sich indirekt gegen ein Kenntnisrecht aus. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zur künstlichen In-vivo- und In-vitro-Befruchtung vom 16.3.1989, BRats-Drs 219/89 vom 13.4.1989, äußert sich dagegen nur zu einem "Recht auf genetische Identität" (und richtet sich damit gegen das Klonen von Genen) und zur Vorteilhaftigkeil eines Zusamrnenfallens von biologischer, affektiver und legaler Elternschaft (D. und E. der Entschließung).
96 Urteil vom 13.6.1979, EuGRZ 1979, S. 454 ff = NJW 1979, S. 2449 ff. Die MRK hat zwar innerstaatlich nur den Rang eines einfachen Gesetzes, die Iex posterior-Regel findet wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit auf sie aber keine Anwendung (Michael Börgers, Die Europäische Menschenrechtskonvention als Rechtsquelle des deutschen Familienrechts, FuR 1990, S. 142).
97
s. 33 f.
98
Kritisch zur Interpretation von Balz auch Buch/i-Schneider, S. 198 f.
A. Rückblick
83
nicht einer genetischen Gemeinschaft hinweist und das Gericht den belgiseben Staat nur verpflichtet hat, die soziale Gemeinschaft auch in rechtlicher Hinsicht abzusichern. Eine Verpflichtung zur rechtlichen Zuordnung des Kindes zum genetischen Vater kann aus der Entscheidung daher nicht gefolgert werden. Zum anderen setzt der Gerichtshof eine bereits bestehende Familie voraus, so daß einem vaterlosen Kind kein Anspruch auf Zuordnung eines Vaters gewährt wird.99 Ein Verbot der heterologen Insemination unverheirateter Frauen und auch ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung kann somit aus dem Marckx-Entscheid nicht gefolgert werden. Allerdings spricht vieles in der Entscheidung für eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, eine Ehelichkeitsanfechtung durch den Ehemann der Mutter bei Zustimmung zur heterologen Insemination auszuschließen. 100 Jüngst hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut zu diesen Fragen geäußert und Art. 8 EMRK in der Weise interpretiert, daß jedermann das Recht gegeben sein soll, in Akten einsehen zu können, die höchstpersönliche Informationen über die eigene Kindheit und Entwicklung enthalten, wenn der Anspruchsteller diese Informationen nicht von den eigenen Eltern erhalten kann. Der Entscheidung lag das Ersuchen eines britischen Staatsbürgers zugrunde, der in verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen war und in seine staatlich geführten Akten Einsicht nehmen wollte. 101 Für diese Entscheidung des EGMR war entscheidend, daß das Gericht die Akten als Ersatz dafür ansah, daß Kinder, die in Fürsorgeerziehung oder verschiedenen Pflegestellen aufwachsen, sich nicht auf die Erinnerungen der Eltern stützen können. Da diese Informationen das private und familiäre Leben betrafen, fiel der Anspruch in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK. Eine erweiternde Auslegung dieser Entscheidung fällt nicht schwer. Hat das Kind Anspruch auf Einsicht der staatlichen Akten, die seine Kindheit betreffen und auf die er wegen Fürsorgeerziehung nicht anderweitig zugreifen kann, muß es, in entsprechenden Fällen, auch Einsicht in die (vorhandenen) staatlichen Akten erhalten können, die Informationen über seine Abstammung enthalten insbesondere über die Identität seiner leiblichen Eltern. Auch diese Informatio-
99
EuGRZ 1979, S. 455, Erwägungsgrund 31.
So die Betonung des Rechts eines Kindes auf die Begründung eines festen rechtlichen Bandes zu seinen Eltern (Erwägungsgrund 39), das Recht auf Führung eines normalen Familienlebens (Erwägungsgrund 31) und der Bedeutung der Verwandtschaft für das Kind (Erwägungsgrund 36). 100
101
6*
Gaskin I Vereinigtes Königreich, EGMR 7.7.1989, FJR 1990, S. 201-207.
84
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
nen betreffen das private und familiäre Leben und können im Einzelfall ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus Art. 8 EMRK begründen.
2. UN-Konvention über die Rechte des Kindes 102
Art. 7 der Konvention gibt dem Kind das Recht, soweit möglich seine Eltern zu kennen und verpflichtet die Vertragsstaaten, dieses Recht künftig sicherzustellen. Nach Art. 9 der Konvention hat das Kind, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, das Recht, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen. 103 Die Konvention klärt nicht, ob unter Eltern die sozialen, biologischen oder genetischen Eltern zu verstehen sind. Der Begriff wird aber bewußt weit gefaßt worden sein, um einen weitestgehenden Schutz des Kindes zu erreichen. 104 In der deutschen Literatur ist zu Art. 7 bereits die Auffassung geäußert worden, daß das geltende Adoptionsrecht diesem Anspruch genügen wird. 105 Meines Erachtens ist die Tragweite dieser Bestimmungen, insbesondere das Zusammenspiel der beiden Artikel, noch nicht gesehen worden. 106 Es gibt keine Anhaltspunkte für eine Annahme, daß sich die Bestimmungen nur auf Pflegekinder o.ä. beziehen sollen. Die Konvention bringt vielmehr deutlich zum Ausdruck, daß allen Kindern, gleich, ob ehelich, nichtehelich, adoptiert oder mit Hilfe der Fortpflanzungsmedizin gezeugt, das Recht zustehen soll, ihre Eltern,
102 Vom 20.11.1989, BGBI. II 1992, 121 ff = ZO 1990, S. 578 ff. Eine ähnliche Konvention fordert das Europäische Parlament als "Europäische Charta der Rechte des Kindes", Beschluß vom 8. Juli 1992, BuH. EG 7 I 8-1992, 1.3.238., S. 76. 103 Ähnliche Bstimmungen sind für eine Europäische Charta der Rechte des Kindes gefordert wor· den, so eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8.7.1992, Amtsblatt C 241 vom 21.9.1992.
104 Auslegung nach dem Ziel der Konvention, eine bei der Auslegung internationaler Verträge zulässige und übliche Interpretationsmethode. 105
Baer, FuR 1990, S. 194.
Das zeigt besonders die Bemerkung von Stöcker, FamRZ 1992, S. 248: "Das ... Recht ... erfü1lt sich in intakten Familien von selbst". Für diese Kinder ist die Konvention erst in zweiter Linie verfaßt worden. Weiter scheint man in den Niederlanden zu sein. Dort wird ein (gegenseitiger) Informationsanspruch diskutiert, der in besonderem Maße das Verhältnis geschiedener Väter zu ihren Kindern betrifft, für diese sie kein Personensorgerecht haben, Koens, FJR 1991, S. 212. Angesprochen erstmals bei C. Steindorff, Familienrechtsreform in Frankreich, FuR 1993, S. 320. 106
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
85
auch wenn es sich "nur" um die genetischen Eltern handelt, zu kennen und Kontakte zu ihnen pflegen zu können. Eine Einschränkung sollte nur durch die Macht tatsächlicher Verhältnisse stattfinden - gemeint sind damit die bereits angesprochenen Fälle, in denen auch die Mutter keine Kenntnis vom Vater hat. Mit dieser Einschränkung ist aber nicht der Fall einer von den Ärzten geheimgehaltenen heterologen Befruchtung gemeint, da insoweit eine Staatenverpflichtung besteht, das Kenntnisrecht des Kindes sicherzustellen. Die Konvention hat allerdings nach Auffassung der Bundesregierung aufgrund eines Vorbehalts der deutschen Seite keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung und begründet nur völkerrechtliche Staatenverpflichtungen. Diese Auffassung ist sehr fragwürdig, da der Vorbehalt den Verpflichtungen der Konvention entgegensteht und daher mit Ziel und Zweck der Vereinbarung unvereinbar ist. Für eine innerstaatliche Justitiabilität spricht nicht nur die Nennung zahlreicher Individualrechte, sondern auch die gängige völkerrechtliche Doktrin, nach der das Zustimmungsgesetz einen völkerrechtlichen Vertrag in innerstaatliches Recht transformiert und für alle staatlichen Organe, also auch Gerichte, verbindlich werden läßt. 107
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und zur Entscheidung des BVerfG vom 31.1.1989 I. Verfassungsrechtliche Ableitung
1. Die verfassungsrechtliche Begründung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung Die Ansiedlung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Bereich des allgemeines Persönlichkeitsrecht durch das BVerfG ist sehr zu begrüßen. Eine direkte Ableitung aus Art. 1 Abs. I GG hätte zu verschiedenen Problemen geführt und wäre dem tatsächlichen Gewicht des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht gerecht geworden.
107 BVerfG 21.3.1957, BVerfGE 6, 290, 294. So auch: Ullmann, FamRZ 1992, S. 892 ff; Wolf, ZRP 1991, S. 374 ff; Schwenzer, Gutachten A 17; a.A. Stöcker, FamRZ 1992, 245 ff. Der Vorbehalt ist abgedruckt in FamRZ 1992, S. 266 f.
86
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Der Rückgriff auf die Fundamentalnorm unserer Verfassung ist wegen ihrer überragenden Bedeutung nur angebracht, wenn die letztlich auf Art. 1 GG beruhenden besonderen Grundrechte keinen hinreichenden Schutz gewähren.108 Dieser Subsidiaritätsgedanke ist besonders deshalb von großer Relevanz, weil die Menschenwürde keiner Güterahwägung zugänglich ist und einen nahezu unantastbaren Schutz verschafft - ein Ergebnis, das für die Sicherung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht notwendig ist und auch nicht sachgemäß wäre. Auch die Vertreter einer direkten Ableitung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der Menschenwürde haben sich kaum je direkt gegen eine Ansiedlung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung im allgemeines Persönlichkeitsrecht gewandt, auch nicht nach der Entscheidung des BVerfG. Ihren früheren Stellungnahmen kann vielmehr entnommen werden, daß es Ihnen in erster Linie auf die grundsätzliche Anerkennung dieses Rechts und gegen eine Ansiedlung nur in der allgemeinen Handlungsfreiheit mit ihrer weiten Einschränkbarkeit ankam - daher die Argumentation mit der Menschenwürde. Aber auch die zusätzliche Argumentation mit Art. 3 oder Art. 6 Abs. V GG ist nicht notwendig. Sie ist zudem nur für Teilbereiche des Kenntnisrechts verwendbar. So kann Art. 6 Abs. V GG gerade bei ehelichen Kindem keine Rolle spielen - um Fragen der Ehelichkeitsanfechtung ging es aber in der Entscheidung des BVerfG. Das Gericht tat daher gut daran, diese Fragen nicht näher zu prüfen. Dasselbe gilt für die früher einmal vom BVerfG 109 vorgenommene Ansiedlung im Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Sie konnte weder dem Wert der Abstammungskenntnis für die Persönlichkeitsentfaltung und Identitätstindung des Menschen noch einer sinnvollen Schutzbereichseinordnung und Schrankensystematik gerecht werden - dieser Bereich menschlicher Personalität wird schon inhaltlich nicht durch die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern durch das Persönlichkeitsrecht geschützt. Eine Einschränkung durch die verfassungsmäßige Ordnung wäre auch dem Gewicht der zu schützenden Werte nicht gerecht geworden.
108 Giesen, JZ 1989, S. 367; Scholz. in: FS Lukes, S. 215; Reinke, S. 106; Vitzthum, ZRP 1987, S. 36. 109
S.o. 2. Teil A I und II I.
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
87
2. Zur Einordnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Zwei Argumente, die für die Einordnung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung in das allgemeines Persönlichkeitsrecht sprechen, sind so entscheidend, daß sie näher zu begründen sind. Zum einen geht es um die Tragfahigkeit des Arguments, daß das Wissen um die eigene Herkunft für die Persönlichkeitsentfaltung und die Identitätstindung notwendig sei (psychologisches Argument). Dieses Argument wird von den Gegnern des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in der Regel bestritten oder zumindest in Frage gestellt. 110 Zum anderen wird die konkrete Einordnung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht damit begründet, daß dieses Rechtsinstitut einen hinreichenden und sachgemäßen Schutz des Kenntnisrechts biete (Schutzargument). Ohne schon im einzelnen auf die Schranken des Grundrechts einzugehen, soll auch dieses Argument kurz näher begründet werden.
a) Das psychologische Argument Die Persönlichkeit eines Menschen wird im wesentlichen von seiner Eigenart, Originalität und seinen individuellen Werten bestimmt. Die Ausbildung dieser Persönlichkeitszüge wird durch die geistige Fähigkeit eines Menschen mitbestimmt, sich seiner selbst bewußt zu werden, sich mit seiner eigenen Sozialisation auseinanderzusetzen und eigene Werte herauszubilden. Diese Entwicklung wird zu einem Teil durch den Drang nach Identifikation gekennzeichnet.111 Dabei handelt es sich nicht nur um eine oft plakative Identifikation mit Vorbildern des öffentlichen Lebens (Popstars, Sportler, Filmschauspieler), sondern auch um den besonders wichtigen, aber eher unbewußt stattfindenden Prozeß der Identifikation mit der eigenen Familie. Unter Familie sind dabei in erster Linie die erziehenden Eltern zu verstehen, erst in zweiter Linie die weitere Verwandtschaft. Dabei will das Kind sich nicht nur an Werten orientieren, sondern auch eine Einordnung in eine geschichtliche Dimension erfahren, die einem Kind erst in dieser Phase bewußt wird. Dabei ist es auch an einer Kenntnis seiner Ahnenreihe und damit seiner Herkunft, seiner
110
S.o. 2. Teil A II 5.
Aus der juristischen Literatur Rein/ce, S. 94; Schmidt-Didczulm, S. 229 und Herzog, S. 24; aus sozialwissenschaftlicher Sicht Textor, Zß 1990, S. 11 sowie die sogleich unten angeftihrten Studienergebnisse. 111
88
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
konkreten Abstammung, interessiert. Daher ist es für ein Kind auch wichtig zu erfahren, ob seine sozialen Eltern auch seine biologischen Eltern sind. 112 Es geht somit um einen komplexen psychologischen Vorgang, bei dem das Gewicht einzelner Komponenten, auch das der Kenntnis der Abstammung, nicht genau festgelegt werden kann und auch bei den einzelnen Menschen individuell verschieden sein wird.
aa) Die Ergebnisse der einzelnen Studien Wie bereits im I. Teil unter B. im einzelnen dargestellt, gibt es mehrere Untersuchungen, die sich aus psychosozialer Sicht mit der Kenntnis der eigenen Herkunft beschäftigen. Diese Studien sind zwar vom Zahlenmaterial her oft nicht sehr repräsentativ. Die Ergebnisse können jedoch zu einer Auswertung herangezogen werden, da sie gleichzeitig den Erfahrungen von Sozialarbeitern aus der Adoptionsvermittlung (die jedoch in der Regel mit den problematischen Fällen in Berührung kommen) und ausländischen Untersuchungsergebnissen entsprechen. 113 (1) Die bereits dargestellten deutschen Untersuchungen vor allem von Hoffmann-Riem betonen neben der psychosozialen auch die psychobiologische und psychohistorische Identitätsfindung.114 Dabei geht es um das Wissen um die eigenen biologischen Wurzeln und um die genealogische Zugehörigkeit. Die Bedeutung solchen Wissens wird deutlich, wenn die Kinder erst sehr spät von ihrer Abstammung erfahren. Dann kommt es nicht nur durch den Vertrauensbruch, den die Verheimlichung gegenüber dem Kind darstellt, zu Problemen, sondern auch durch die Lücke, die in das Selbstfindungsfundament des Kindes gerissen worden ist und erst wieder gefüllt werden muß. 115
112 Reinke, S. 95; Jänsch I Nutzinger, ZfJ 1987, S. 153; ein schönes Beispiel bieten die Lebenserinnerungen von Erik H. Erikson, Lebensgeschichte und historischer Augenblick, Frankfurt I M ., S. 25 f. 113 Zum Zahlenmaterial zur Einsichtnahme in Geburtsurkunden s.o. I. Teil B I 3. Aus der Zahl von Einsichtnahmen kann jedoch nicht auf die Notwendigkeit eines Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung geschlossen werden, siehe sogleich unten S. 91. 114
S.o. I. Teil B I, und Stauber I Maaßen, in: Bettendorf I Breckwoldt, S. 207.
So erklärt sich auch das besondere Interesse der Adoptivkinder an einer Aufdeckung ihrer Abstammung, die erst im Erwachsenenalter von ihrem Adaptivstatus erfahren haben (siehe I. Teil BI 3). 115
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
89
Beide Problematiken, die psychobiologische und die psychohistorische Identitätsfindung, treffen grundsätzlich auf alle Anwendungsbereiche des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu. Psychologisch gibt es dennoch Unterschiede. So ist es ein wesentliches Anliegen von Adoptionskindern, die Gründe für die Adoptionsfreigabe zu erfahren. Ähnliche Fragen nach den Beweggründen können sich zwar in gleicher Weise nach der Motivation einer Keimzellenspende ergeben oder bei einem nichtehelichen Kind nach den Gründen des Vaters, die Mutter mit dem Kind "sitzenzulassen" - ihre Qualität ist jedoch eine andere, da das adoptierte Kind das Bewußtsein hat, noch eine Zeit lang von der leiblichen Mutter aufgezogen worden zu sein und mit der Schwangerschaft auch eine körperliche Verbundenheit gegeben ist. Da die dargestellten sozialwissenschaftliehen Erkenntnisse aber nicht nur auf Adoptionskinder zutreffen, sondern grundsätzlich für alle kindlichen und jugendlichen Entwicklungsprozesse gelten, kann auf der Basis dieser Untersuchungen zur kindlichen und jugendlichen Persönlichkeitsentfaltung festgestellt werden, daß die Kenntnis der eigenen Abstammung für die Entwicklung des Kindes eine nicht unbedeutende Rolle spielt. (2) Auch die Erfahrungsberichte und Stellungnahmen von Sozialwissenschaftlern und Sozialarbeitern, hauptsächlich aus dem Adoptionsbereich, stellen fest, daß adoptierte Kinder bei der Suche nach einer festen persönlichen Identität und sozialen Plazierung unsicherer sind als andere Kinder. Für sie könne es hilfreich sein, Lücken in ihrem Wissen um die eigene Abstammung zu schließen, Kontinuität zwischen Gegenwart und Vergangenheit herzustellen sowie ein Gefühl der genealogischen Zugehörigkeit gewinnen zu können. 116 So wurde auch festgestellt, daß es ein Kennenlernen der leiblichen Eltern oft die Beziehung zu den Adoptiveltern stärkt und die Kinder anschließend weniger unter Identitätskonflikten leiden. 117
bb) Die Gegenargumente Gegen diese Feststellungen werden verschiedene Argumente vorgetragen, die im einzelnen schon vorgestellt worden sind. 118
116
Textor, ZfJ 1990, S. 12; Jänsch I Nutzinger, ZfJ 1987, S .. 153.
Auskunft eines Jugendamt und des Sozialdienstes katholischer Frauen, wiedergegeben von: Reinke, S. 104; vgl. auch: Hoffmann-Riem, S. 250 f und Bernat, MedR 1986, S. 250. 117
118
S.o. 2. Teil A II 5.
90
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
(1) Das Argument, es handele sich bei der Kenntnis der Abstammung um wertloses Wissen, kann schon dadurch widerlegt werden, daß Identitätstindung und Persönlichkeitsentfaltung psychologische Vorgänge sind, für die Kenntnisse der Biologie nur von untergeordneter Bedeutung sind. Soweit der irrationale Vorgang durch rationales Wissen beeinflußt werden könnte, wäre es zudem notwendig, daß ein Kind frühzeitig mit diesen Erkenntnissen der Biologie vertraut ist. Dies wird aber kaum der Fall sein.
(2) Das weitere Argument, die Kenntnis der eigenen Abstammung könne auch die Persönlichkeitsbildung und Identitätstindung erschweren, da besonders bei Adoptionskindem die leiblichen Eltern oftmals keine guten Vorbilder und daher nicht identifikationswürdig seien, ist zutreffend. Aber auch das Gegenargument, das auf die Bedeutung verweist, auch negative Erfahrungen verarbeiten zu können und aus ihnen zu lernen, ist zutreffend. Der Identifikationserfolg hängt nicht davon ab, daß die leiblichen Eltern positive Vorbilder darstellen- eigene Fehler legt man oft erst dann ab, wenn man sie an anderen gesehen hat. 119 Letztlich ist dieses Argument aber deshalb nicht durchschlagend, weil die Ausübung des Kenntnisrechts von der Entscheidung des Einzelnen abhängt und niemand verpflichtet ist, das Recht auch auszuüben. Wer es aber ausübt, muß sich über die möglichen Folgen selber im Klaren sein. Die Rechtsposition selbst kann dadurch aber, wie auch sonst bei anderen Rechtsausübungen, nicht in Frage gestellt werden. 120 (3) Auch der Einwand, die Realisierbarkeil des Rechts sei nicht gewährleistet, ist grundsätzlich zutreffend. 121 Es gab zu allen Zeiten und in allen gesellschaftlichen Schichten Kinder, die ihre leiblichen Eltern nie kennengelernt haben und auch ohne dieses Wissen ihre Persönlichkeit bilden konnten. Es werden sich darunter auch nicht zwangsläufig mehr Menschen mit erheblichen Persönlichkeitsdefiziten befinden. 122 Da es sich um einen vielschichtigen Vor-
119
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230.
120
Schmidt·Didczuhn, JR 1989, S. 230.
Ramm, NJW 1989, S. 1595. Auch das BVerfG hat festgestellt, daß die Persönlichkeitsentfaltung auch ohne die Abstammungskenntnis erfolgen könne. Ramm kritisiert aber zu Recht, daß das BVerfG keine Ausführungen dazu gemacht hat, warum diese Tatsache ohne Einfluß auf die Begründung des Kenntnisrechts bleibe. Diese Begründung soll an dieser Stelle versucht werden. 121
122 Ernst, in: Koll. Lausanne, S. 84: "A vast majority of adopted people have a firm and secure sense of self'; die Kinder, die Einsicht in die Adoptionsakten nähmen, seien Kinder, die: - keine nachvollziehbaren Erklärungen und Informationen über ihre Eltern bekommen haben, - kürzlich durch ein bestimmendes Lebensereignis oder eine Lebenskrise gegangen sind, - mit den Umständen, unter denen sie aufgewachsen sind, nicht zufrieden waren.
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
91
gang handelt, können aber andere Faktoren einen Ausgleich schaffen. Dennoch spüren diese Menschen, gerade wenn es sich um schicksalshafte Trennungen von den leiblichen Eltern handelt, diesen Mangel und wollen ihre Abstammung erfahren. Diese Argumentation soll näher begründet werden: Kleineke hat auf die Trennung von Familien durch die NS-Organisation Lebensborn e.V. und von Familien der Verschwörer des 14. Juli 1944 hingewiesen und festgestellt, daß viele dieser Kinder noch heute auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern seien. Ähnlich wird es bei Kindern sein, die aufgrund von Flucht und Vertreibung von ihren Eltern getrennt werden. Schon weniger stark hingegen scheint die Zahl der Adoptivkinder zu sein, die sich auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern begeben. 123 Diese relativ geringen Zahlen können dennoch nicht nur im Sinne eines mangelnden Interesses der Adoptivkinder verstanden werden, da es vielfätige Gründe dafür gibt, nicht die Auskunft über die eigene Abstammung zu verlangen. Es handelt sich dabei um Rücksichtnahme auf die Adoptiveltern, um die Befürchtung, in seinen Phantasie-Vorstellungen enttäuscht zu werden oder einfach um Fälle, in denen schon die Adoptiveltern oder die zuständigen Behörden ein ausreichendes Bild von den leiblichen Eltern vermittelt haben. 124 Daher ist es verständlich, daß Triseliotis in seiner großen Studie über Adoptivkinder zu dem Schluß kommt, daß Adoptivkinder zwar "a deep psychological need in every adoptee to know about his background and personal history" hätten, ohne daß sich dies in einer entsprechenden Zahl von Einsichtnahmen in die Geburtsregister niederschlage. 125 Der Einwand, daß die Realisierbarkeit des Kenntnisrechts nicht gewährleistet sei und die betroffenen Menschen dennoch nicht unter Persönlichkeitsdefiziten litten, kann daher nicht mit der Feststellung verbunden werden, dieses Recht sei für die Persönlichkeitsentfaltung und Identitätstindung nicht notwendig, da das, nicht immer zum Handeln führende, Verlangen nach Kenntnis der Abstammung in jedem dieser Menschen vorhanden_ist. Soweit mit dem Argument allerdings
Etwas anders Hojfmann-Riem, S. 245: Zwar könne ein Mensch auch ohne sichere Kenntnis seiner Herkunft Persönlichkeit entwickeln, doch sei die vorhandene Kenntnis entwicklungspsychologisch ein die Persönlichkeit prägendes und stabilisierendes Element. 123
Die konkreten Zahlen sind bereits im 1. Teil, B I 3, aufgeführt worden.
124
Textor, ZfJ 1990, S. 11; Reinke, S. 102.
125
Nach Ernst, in: Koll. Lausanne, S. 84.
92
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
überhaupt nur gemeint ist, daß eine Rechtsordnung ein Recht nur gewähren solle, soweit dies lückenlos durchsetzbar ist, wird verkannt, daß jede Rechtsposition ihre faktischen Grenzen hat. 126 (4) Das meist am breitesten begründete Argument, der Hinweis auf die noch nicht erfolgte Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung auf der einfach-gesetzlichen Ebene 127 , ist schon in systematischer Hinsicht unbegründet. Die Umsetzung eines Recht auf der gesetzlichen Ebene folgt nun mal der verfassungsrechtlichen Ebene nach und hat sich nach dieser auszurichten - das Verfassungsrecht richtet sich nicht nach dem, was die Gesetze vorsehen. 128 Die vorgetragenen Argumente gegen das psychologische Argument vermögen daher nicht zu überzeugen und die Hauptbegründung für das Kenntnisrecht und seine Ableitung aus dem allgemeines Persönlichkeitsrecht zu erschüttern.
b) Das Schutzargument Neben dem psychologischen Argument als inhaltlichem Argument wird die konkrete Einordnung des Kenntnisrechts in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch damit begründet, daß dieses Rechtsinstitut hinreichenden, aber auch nicht zu weitgehenden Schutz biete. Ohne dabei schon auf die Schranken des Grundrechts einzugehen, soll kurz auch auf dieses, mehr zweckgerichtete Argument eingegangen werden: Eine Einordnung in Art. 1 GG hätte den erheblichen Nachteil, daß die Grundrechtspositionen anderer Beteiligter wie die Persönlichkeitsrechte der Eltern (leibliche I faktische), des Scheinvaters oder des Spenders keine Berücksichtigung mehr finden könnten, da der Schutz der Menschenwürde in der Abwägung gegenüber konkurrierenden Persönlichkeitsrechten der Vorrang zukommt. Einen derartig weiten Schutz des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung hatten aber auch, wie schon oben festgestellt, die Vertreter der Ableitung aus Art. 1 GG nicht beabsichtigt. Eine Einordnung in Art. 2 Abs. I GG mit seiner weiten Einschränkbarkeil hätte dagegen bedeutet, daß das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung an
126
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230.
127
So Frank, FamRZ 1988, S. 114 ff; Deichfuß, NJW 1988, S. 113 ff; Gottwald, S. 113 ff.
128
Schmidt-Didczuhn, JR 1989, S. 230.
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
93
die bestehende Gesetzeslage gebunden gewesen wäre und nur mit einem schwachen Gewicht in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden kann ein Ergebnis, das angesichts der meist auf Persönlichkeitsrechte stützenden Gegenrechte anderer Beteiligter zu einer Schutzverweigerung für das Kind geführt hätte.
3. Träger des Grundrechts Das BVerfG hat sich nicht zu der Frage geäußert, wer Träger des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist, da es sich auf den zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt beschränkt und nur zum Anfechtungsrecht Volljähriger Stellung bezogen hat. Aus den Urteilsgründen ist aber zu erkennen, daß das Gericht Volljährige wie Minderjährige als Träger dieses Grundrecht angesehen hat. Es betonte mehrfach den Wert des ungestörten Aufwachsens in einer Familie und stellte diesen Wert in der Verhältnismäßigkeitsabwägung vor das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Bei Volljährigen beurteilt es die Lage dagegen anders, da diese des Schutzes eines ungestörten Aufwachsens in der Familie nicht mehr bedürften und auch die Konsequenzen der von ihnen betriebenen Statusänderung überblicken könnten. Diese Differenzierung des BVerfG ist überzeugend: Grundsätzlich steht das allgemeines Persönlichkeitsrecht allen natürlichen Personen, auch Kindern und Minderjährigen, zu. Es setzt nicht eine ausgebildete Persönlichkeit, sondern nur das Person-Sein voraus. 129 Die Unterscheidung zwischen Volljährigkeit und Minderjährigkeit ist dennoch sachgerecht. Für Minderjährige ist das Aufwachsen in einer intakten Familie für ihre Persönlichkeitsentwicklung von einem so hohen Wert, daß das Aufwachsen in einer intakten Familie in der Verhältnismäßigkeitsabwägung über das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu stellen ist. 130 Diese Wertung wird außerdem durch das gleichfalls zu beachtende Recht der Eltern auf Schutz ihrer Ehe unterstützt. 131 Mit Erreichen der Volljährigkeit ist die Abwägung dagegen
129
Jarass, NJW 1989, S. 859.
Der Schutz des Kindeswohls stellt letztendlich ja auch eine besondere Form eines Persönlichkeitsschutzes in der Sozialisation und damit ein Persönlichkeitsrecht dar, Moritz, S. 222. 130
131 Die polemische Kritik von Ramm (in: NJW 1989, S. 1596), die Unterscheidung sei sachlich nicht gerechtfertigt, ist daher nicht stichhaltig.
94
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
anders vorzunehmen: Da dann nicht mehr das Kindeswohl, sondern der Kindeswillen zu berücksichtigen ist132, ist nur noch das Rechtsgut des Schutzes der Ehe der Eltern zu beachten. Ein anderes Problem bleibt hingegen die genaue altersmäßige Zäsur. Ramm hat selbstverständlich recht mit seinem Hinweis, daß gerade im Jugendalter die Kenntnis der eigenen Abstammung die größte Bedeutung hat, da sich gerade in diesem Alter die Persönlichkeit herausbildet. Andererseits muß ein bestimmtes Maß an Einsichtsfähigkeit und Reife gegeben sein, um Schritte zur Kenntniserlangung vornehmen und die eventuellen Folgen beurteilen zu können. Da die rechtlichen Folgen z.B. einer Ehelichkeitsanfechtung aber sehr bedeutend sind, ist es durchaus sinnvoll, an die Volljährigkeitsgrenze anzuschließen. Sind die rechtlichen Folgen dagegen nicht so bedeutend, und ist gleichzeitig keine erhebliche Beeiträchtigung der Persönlichkeitsrechte der (faktischen) Eltern zu befürchten 133, läßt sich auch eine frühere Altersgrenze gut vertreten - wie z.B. bei der Einsichtnahme von Adoptierten in die PersonenstandsbücheL
4. Exkurs: Kenntnis und Statusänderung Von einigen Seiten ist darauf hingewiesen worden, daß der Begriff des Kenntnisrechts mit dem vom BVerfG entschiedenen Fall keinen Zusammenhang gehabt habe, da in dem zur Entscheidung vorliegenden Fall die Antragstellerio durchaus Kenntnis ihres (außerehelichen) Erzeuger hatte und diesen nur als Vater rechtlich festgestellt sehen wollte - wozu sie nach geltendem Recht zunächst ihre Ehelichkeit anfechten mußte. 134 Dieser Einwand ist berechtigt, da das psychologische Argument, das auch das BVerfG zur Begründung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung benutzt, über die Kenntniserlangung hinaus keine weiteren Schritte erfordert und
132
So die Gegenüberstellung von Münder, in: RdJ 1989, S. 459.
Da z.B. kein Ehebruch aufgedeckt wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Giesen (JZ 1989, S. 373) zu bedenken, daß auch die Persönlichkeitsrechte ruindeijähriger Geschwister betroffen sein können, die durch die Anfechtung des volljährigen Geschwisterteiles in ihrem Recht auf das ungestörte Aufwachsen in einer intakten Familie gestört werden könnten. Andererseits verbietet aber auch niemand Eltern ruindeijähriger Kinder, sich scheiden zu lassen. Unsere auf Förderung des Individualismus gerichtete Gesellschaftsordnung hat so ihre Schattenseiten, zu deren Vermeidung nur an die Einsicht der Agierenden, hier des die Anfechtung betreibenden Geschwisterteiles, appelliert werden kann. 133
134
Ramm, NJW 1989, S. 1596; Smid, JR 1990, S. 221.
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
95
rechtfertigt. Die Persönlichkeitsentfaltung und Identitätstindung eines volljährigen Kindes, das mit Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr unter dem Sorgerecht eines Scheinvaters steht, hat keinen Zusammenhang mit der Statuszuordnung zum Erzeuger. Etwas anderes kann jedoch für ein minderjähriges Kind gelten. Auch bei Kenntnis der eigenen Abstammung kann es in seiner Persönlichkeitsentwicklung durch die Zuordnung zu einem Scheinvater gestört werden, aus dessen Kreis es sich, anders als ein volljähriges Kind, nicht von selbst lösen kann. Dabei handelt es sich aber nicht nur um ein Problem des Abstammungsrechts oder der Abstammungskenntnis, sondern auch um ein von den Eltern zu lösendes und von ihrer Erziehungseignung abhängiges Erziehungsproblem. Dennoch kann für diese Fallgruppe das psychologische Argument verwandt werden, da es minderjährigen Kindern in der Regel noch nicht möglich sein wird, die rechtliche und oft auch soziale Zuordnung zum Scheinvater mit der Kenntnis um die tatsächliche Herkunft emotional und rational verbinden zu können. Andererseits wird dieses Zwiedenken nicht allein durch die Möglichkeit einer Zuordnungsänderung gelöst werden können. Hier wird in die Abwägung mit einzubeziehen sein, ob es dem Wohl des Kindes nicht eher entspricht, es nicht zu einer Auflösung des bestehenden Familienverbundes kommen zu lassen. Das Ergebnis dieser Abwägung wird bestimmen, ob aus dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Folgerungen für die Statuszuordnung des minderjährigen Kindes gezogen werden können. 135 Zu berücksichtigen ist auch, daß die existierenden Verfahren zur Statuszuordnung de lege lata die einzigen Möglichkeiten darstellen, das Kenntnisrecht in der Praxis auch durchsetzen zu können, da eigenständige Verfahren zur Kenntniserlangung nicht bestehen. Das Interesse eines Kindes, eine sichere Kenntnis der eigenen Abstammung zu erlangen und diese auch schriftlich und verbindlich nachweisen zu können, hat daher einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Durchsetzung des Kenntnisrechts. De lege ferenda wird dem Gesetzgeber hierbei ein Spielraum einzuräumen sein, inwieweit er Kindern, die ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung auf gerichtlichem Wege durchsetzen wollen, entsprechende Verfahren zur Verfügung stellt. Er wird dabei, insbesondere wenn eine Kenntnisnahme auf andere Weise möglich ist, wie z.B. für adoptierte Kinder, auf die bestehenden Verfahren verweisen können, soweit
135 In diese Richtung ist wohl auch die Anmerkung von Koch, FamRZ 1990, S. 570, Fn 7, zu sehen. Näher zu diesem Widerstreit im 6. Teil, B II 1.
96
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
diese nicht, wie im konkret vom BVerfG entschiedenen Sachverhalt, unverhältnismäßige Beschränkungen vorsehen.
II. Schranken des Grundrechts
Wie soeben angesprochen, ist unterliegt auch das allgemeines Persönlichkeitsrecht Einschränkungen und damit auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Sie begründen sich daraus, daß sich die Persönlichkeitssphäre des Menschen nicht isoliert }?estimmen läßt, sondern gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden ist, so daß jeweils im einzelnen abzuwägen ist, ob der Schutz der Privatsphäre, der Schutz anderer Grundrechtspositionen oder das Interesse der Allgemeinheit Vorrang hat. 136 1. Zu beachten sind daher, wie schon angesprochen, koiiidierende Persönlichkeitsrechte der Mutter, ihres Ehemannes und der Keimzellenspender zum Schutz ihrer Intimsphäre, aber auch Belange der AIIgemeinheit, wie der Schutz der Institution von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. I und der Gleichsteiiungsauftrag nach Art 6 Abs. V GG. Hier muß eine Abwägung widerstreitender Rechte nach dem Grad ihrer Schutzwürdigkeit vorgenommen werden, wie sie vom Gesetzgeber u.a. in den §§ 1593 ff BGB versucht worden ist- nach den Feststeilungen des BVerfG im Urteil vom 31.1. 1989 für bestimmte Ausnahmefälle aber nicht im ausreichenden Maß. Im einzelnen kommt es auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an, wie sie vom BVerfG zum geltenden Abstammungsrecht vorgenommen worden ist. Die Prüfung des BVerfG ist an späterer Steile zu untersuchen. 2. Unklar erscheint jedoch, was das BVerfG mit dem Satz gemeint hat, daß das angerneines Persönlichkeitsrecht kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung verleiht, sondern nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen kann. Nach seinem direkten inhaltlichen Bezug ist nur etwas selbstverständliches gemeint - es kann kein Recht auf die Aufklärung unaufklärbarer Abstammun-
136 BVerfG, 5.6.1973 und 31.1.1973, BVerfGE 35, 202 (220 und 225) und 34, 238 (245). Dies wird von Baumann, Gedächtnisschrift für Arens, S. 537 ff, verkannt. Baumann kritisiert, offenbar in Unkenntnis des BVerfG-Urteils vom 31.1.1989, den Beschluß dieses Gerichts vom 29.7.1968 (BVerfGE 24, 119 ff), der die Kenntnis der Abstammung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezeichnet habe, und geht davon aus, daß das Recht auf Kenntnis der Abstammung in diesem Fall uneingeschränkt Geltung besitze (S. 541).
B. Eigene Stellungnahme zur Annahme eines Kenntnisrechts
97
gen geben. Da der Satz selbst jedoch weiter gefaßt ist und niemand vom BVerfG Banalitäten erwartet, werden in der Literatur die verschiedensten Deutungen vorgenommen. So wenden Starck und Oiesen in ihren Urteilsbesprechungen die Formulierung auf die heterologe Insemination und auf die von ihnen gewünschte Verpflichtung der Ärzte an, die Namen der Spender zu dokumentieren. Nur durch eine entsprechende Dokumentationspflicht schütze der Staat vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen über die Abstammung. Diese Information sei erlangbar, weil der behandelnde Arzt die Kenntnis besäße oder zumindest den Zugriff auf diese Information habe. 137 Eine andere Meinung vertreten in diesem Zusammenhang Enders, CoesterWaltjen und Reinke. Der Gesetzgeber könne zwar nach dem Urteil des BVerfG nicht mehr die Anonymität gesetzlich festschreiben, andererseits sei er aber auch nicht unbedingt verpflichtet, durch Festschreibung von Informationspflichten quasi im Vorhinein dafür zu sorgen, daß das Kind die Informationen über seine Abstammung später auch erlangen kann. 138 Die Unterscheidung zwischen "Schutz vor Vorenthaltung" und "Recht auf Kenntniserlangung" hält Ramm dagegen für unsinnig, da beide Formulierungen ein und dasselbe seien. Erlangbar seien alle Informationen von der Mutter, die sie nicht verschweigen könne, da sie dann Informationen vorenthalte.139
III. Folgerungen für den Gesetzgeber
Die Entscheidung des BVerfG hat Gesetzeskraft(§ 31 Abs. II S. 1 in Verbindung mit § 13 Nr. 11 BVerfGG), die Ausführungen des Gerichts zur Einordnung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung in das allgemeines Persönlichkeitsrecht mit der daraus folgenden Schrankensystematik haben eine entsprechende faktische Wirkung.
137
Starck, JZ 1989, S. 339; Giesen, JZ 1989, S. 369.
Enders, NJW 1989, S. 884; Coester-Waltjen, Jura 1989, S. 523 = FamRZ 1992, S. 373; Reinke, S. 124. 138
139 NJW 1989, S. 1595. Diese Argumentation kann bei der Fortpflanzungsmedizin entsprechend auf den Arzt angewandt werden. Auf diese Diskussion und die Problematik des obiter dictums des BVerfG soll an dieser Stelle zunächst nur hingewiesen werden. Eine eigene Stellungnahme folgt später im 4. Teil A I 2 und E I I a bb (2) (a).
7 von Sethe
98
2. Teil: Entwicklung des Kenntnisrechts
Das Gericht hat in seiner Entscheidungsformel festgestellt, daß die §§ 1593, 1598 in Verbindung mit§ 1596 Abs. I BGB mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, soweit sie dem volljährigen Kind die Statusänderung und die gerichtliche Klärung seiner Abstammung ausnahmslos verwehren. 140 Es hat dem Gesetzgeber die Entscheidung überlassen, die Anfechtungsgründe in den §§ 1598, 1596 Abs. I BGB zu erweitern oder eine von § 1593 BGB bisher ausgeschlossene Klageart neu einzuführen (Abstammungsfeststellungsklage). Seitdem ist in der Literatur die Auseinandersetzung um die Vor- und Nachteile einer dieser Alternativen entbrannt. 141 Auf diese Auseinandersetzung wird später, wie auch auf die weiteren Folgerungen, die aus diesem Urteil zu ziehen sind, eingegangen werden. 142
140
Verkürzter Leitsatz 2.
Für die Abstammungsfeststellungsklage: Oberloskamp, FuR 1991, S. 268 f; Koch, FamRZ 1990, S. 570 Fn 7; Münder, RdJ 1989, S. 461; Ramm, NJW 1989, S. 1597 (nach Ramms Ausdrucksweise sind seine Vorschläge aber eher ironisch gemeint). Für eine grundsätzliche Feststellung von Amts wegen: Coester-Waltjen, FarnRZ 1992, S. 373 (mit Eintrag ins Geburtenbuch entsprechend der Adoption) und Ramm, s.o. Eine ähnliche Lösung schwebt Giesen vor, der jedoch freiwillige Angaben der Mutter über den Erzeuger dem Geburtenbuch beischreiben will: JZ 1989, S. 376. Für eine Erweiterung des§ 1596 Abs. I BGB: Smid, JR 1990, S. 226. 141
142
Im 4. Teil.
3. Teil
Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung im geltenden Recht Nachfolgend werden zunächst die Informationsmöglichkeiten des nichtebeliehen Kindes untersucht (A). Erst anschließend wird auf die Durchsetzbarkeil des Kenntnisrechts für eheliche Kinder eingegangen, da es seine Informationsmöglichkeiten weitgehend von den sehr viel weiter entwickelten Anspruchsmöglichkeiten des nichtehelichen Kindes ableiten kann (B). In der weiteren Prüfung verbleibt es bei der bisher geübten Reihenfolge von Adoptionsrecht (C) und Fortpflanzungsmedizin (D) sowie Sonderfallen (E).
A. Geltendes System der Kindeszuordnung bei nichtehelichen Kindern und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durchsetzung des Kenntnisrechts Das nichteheliche Kind ist seiner Mutter fest zugeordnet, § 1705 BGB. Eine Zuordnung zu einem Vater ist dagegen, da kein Rechtsverhältnis der Mutter zu einem Mann besteht, zunächst nicht möglich. Es gilt die Vermutung des§ 1600 o Abs.ll S. 1 BGB, daß das Kind von dem Manne stammt, der der Mutter in der Empfangniszeit beigewohnt hat. Vater und Kind werden aber erst dann rechtlich einander zugeordnet, wenn der Mann das Kind anerkannt hat oder gerichtlich als Vater festgestellt wurde. Diese Zuordnung muß nicht immer der tatsächlichen biologischen Vaterschaft entsprechen, wie bereits im 1. Teil festgestellt worden ist. Zu einer Abweichung zwischen biologischer und rechtlicher Vaterschaft kommt es danach: bei einem (wissentlich oder unwissentlich) unrichtigen Anerkenntnis, bei einer unrichtigen Vaterschaftsfeststellung. Als eine weitere Gruppe nichtehelicher Kinder, die ein Informationsbedürfnis über die Person ihres Erzeugers haben können, sind die Kinder zu erwähnen,
,.
100
3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
denen aufgrund verschiedenster Ursachen ein Vater weder durch Anerkennung noch durch gerichtliche Feststellung zugeordnet worden ist. Alle drei Fälle unterliegen den gleichen rechtlichen Regelungen über die nichteheliche Abstammung. Sie können daher weitgehend gemeinsam untersucht werden.
I. Die Informationsmöglichkeiten des Kindes
Dem Kind stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, seine Abstammung von einem Mann zu erfahren. Es kann, soweit es Kenntnis von der Person des fraglichen Erzeugers hat, diesen zur Anerkennung veranlassen oder eine gerichtliche Klärung und Feststellung einleiten. Hat es aber keine Kenntnis von der Person des möglichen Erzeugers, ist es zunächst vorrangig, von der Mutter Auskunft über den fraglichen Personenkreis zu verlangen. Kennt hingegen nicht einmal die Mutter selbst den Namen des Vaters, z.B. bei einer anonymen Zufallsbekanntschaft, ist das Kenntnisrecht des Kindes nicht durchsetzbar und das Recht muß vor den Tatsächlichkeiten des Lebens kapitulieren. 1
1. Auskunftspflicht der Mutter Die Frage, ob das nichteheliche Kind von der Mutter Auskunft über den biologischen Vater verlangen kann, ist Gegenstand einer breiten Diskussion gewesen. Diese Diskussion stand lange in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Amtspflegschaft.2 Fraglich war dabei zum einen, ob der Amtspfleger während der Minderjährigkeit des Kindes einen eigenen oder einen Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber der Mutter ausüben kann, zum anderen, ob einem Antrag der die Auskunft verweigernden Mutter auf Aufhebung der Pflegschaft und volle Übertragung des Sorgerechts auf sie stattzugeben ist. Diese Problematiken werden in die Untersuchung miteinbezogen, da sich aus ihnen die wesentlichen Leitlinien in Rechtsprechung und Literatur für die Klä-
1
Siehe dazu schon oben 2. Teil B I 2 a bb (3).
Das nichteheliche Kind bekommt gemäß § 1706 BGB einen Pfleger zugeteilt, der neben der Durchsetzung materieller Interessen und Rechte auch ideelle Zwecke, wie z.B. die Feststellung der Abstammung, verfolgen soll, § 1706 Nr. 1-3 BGB. 2
A. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei nichtehelichen Kindem
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rung der Frage ergeben, ob das nichteheliche Kind einen eigenen Auskunftsanspruch gegen seine Mutter hat. Sie werden in Literatur und Rechtsprechung zu Unrecht weitgehend miteinander vermengt. Gemeinsam ist allen Stellungnahmen zu der Frage eines Auskunftsanspruches des Kindes gegen seine Mutter die Ansicht, daß die Mutter während der Minderjährigkeit des Kindes nach eigenen erzieherischen Grundsätzen verfahren und bestimmen kann, wann und wie sie das Kind über seine Abstammung aufklärt.3 Diese Ansicht berücksichtigt das durch Art. 6 Abs. ll GG geschützte elterliche Erziehungsrecht, das mit der Anerkennung eines Auskunftsanspruches schon Minderjähriger ohne ausreichende Rechtfertigung untergraben würde. Erst mit Erreichen der Volljährigkeit stellt sich daher für das Kind die Frage, ob es die Mutter, wenn sie sich weigert, den Namen des biologischen Vaters zu nennen4, gerichtlich zur Nennung des Erzeugers verpflichten kann. 5 Ob das Kind diesen Anspruch gegen die Mutter rechtlich verpflichtend besitzt und ob der Anspruch auch einklagbar und durchsetzbar ist, ist seit jeher umstritten und auch nicht in jeder Hinsicht durch das Urteil des BVerfG vom 18.1. 1988 abschließend geklärt. Die Meinungslage wird im folgenden getrennt zu den einzelnen Diskussionspunkten dargestellt.
a) Aufhebung der Amtspflegschaft Einem Antrag der Mutter eines nichtehelichen Kindes auf Aufhebung der Amtspflegschaft ist nach § 1707 Abs. II BGB stattzugeben, wenn die Aufhebung der Pflegschaft nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. 6
3 Schon 1964 eindrucksvoll von Brüggemann ausgearbeitet, S. 19 ff; so auch Gernhuber, § 58 IV 2. 4 Die Weigerungsmotive sind vielfältig, können aber nur vermutet werden. Nur ein Grund unter vielen wird es sein, eine Kontaktaufnahme des Kindes zu seinem leiblichen Vater zu vermeiden. Zu anderen Gründen Kleineke, S. 136-143; Brüggemann, S. 8 f; Reinke, S. 17.
~ Damit wird gleichzeitig eine Konkordanz zum System der Amtspflegschaft hergestellt; das nichteheliche Kind kann mit Erreichen der Volljährigkeit selbst die Aufgaben des Amtspflegers übernehmen und sich um die Feststellung seiner Abstammung kümmern und die Mutter um Auskunft ersuchen. 6 Die grundsätzliche Anordnung der Amtspflegschaft unterliegt inzwischen starken rechtspolitischen, aber auch rechtlichen Zweifeln. Es kann davon ausgegangen werden, daß im Zuge der Reform des Nichtehelichenrechts die Zwangsbeistandschaft abgeschafft und allen Eltern ein Beratungsund Hilfeangebot zur Verfügung gestellt wird. Zu dieser Diskussion u.a. Brötel, FamRZ 1991, S.
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Den Anträgen der Mütter auf Aufhebung der Pflegschaft hat die Rechtsprechung nicht stattgegeben, wenn die Kindesmutter sich weigerte, den Namen des Vaters zu benennen. Die feststehende obergerichtliche Rechtsprechung wurde 1981 vom BGH bestätigt.7 Das Urteil faßt die noch heute geltende Rechtsprechungsauffassung zusammen, die auch von den Verwaltungsgerichten geteilt wird. 8 Grundlage der BGH-Entscheidung war der Antrag der Mutter eines nichtebeliehen Kindes auf Aufhebung der Amtspflegschaft. Den Namen des Vaters des Kindes hatte sie nicht offenbart, ihn aber in einem verschlossenen Umschlag notariell hinterlegt. Nach ihrem Tod sollte das Kind diesen Umschlag öffnen dürfen. Der BGH hat entschieden, daß es zum grundrechtlich geschützten Bereich der Intimsphäre der Mutter gehöre, den Namen des Vaters nicht preisgeben zu müssen. Andererseits sei mit Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes die rechtliche Beziehung des Kindes zu seinem Vater verstärkt worden, so daß dem Kind bei einer fehlenden Vaterschaftsfeststellung mehr rechtliche Chancen vorenthalten würden (Unterhalts- und Erbersatzansprüche). Weigere sich die Mutter, die Vaterschaftsfeststellung zu fördern, widerspreche dies dem Wohl des Kindes in einem der Aufgabenbereiche des Amtspflegers. In einem derartigen Interessenwiderstreit komme dem Wohl des Kindes der Vorrang zu. Für diesen Vorrang sprächen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideelle Interessen des Kindes an der Feststellung seiner blutsmäßigen Abstammung. Auch der Umstand, daß die Mutter den Namen des Vaters in einem verschlossenen Umschlag hinterlegt hatte, bewog den BGH nicht zu einer Meinungsänderung. Es sei ungewiß, ob zu dem Zeitpunkt der Umschlagsöffnung mit Volljährigkeit des Kindes oder nach dem Tod der Mutter noch eine Vaterschaftsfeststellung möglich sei. Aber auch im Hinblick auf die ideellen Interessen des Kindes sei es zweifelhaft, ob ihm durch die schriftliche Angabe der Mutter die
775 ff; Bosch, FamRZ 1991, S. I 129 f und bes. Barth, DAV 1992, S. 278 mit einem sinnvollen Regelungsvorschlag (S. 282). 7 11.11.1981, BGHZ 82, 173 = FamRZ 1982, S. 159. Aus der älteren Rechtsprechung BayObLG 6.6. 1972, FamRZ 1972, S. 523; OLG Karlsruhe 23.12.1971, FamRZ 1972, S. 96; LG Mannheim 25.9.1969, NJW 1970, S. ISO. 8 BVerwG 21.11.1991 , FuR 1992, S. 117. In der Zivilrechtsprechung besonders BGH 20.10. 1958, DÖV 1959, S. 947 und zuletzt LG Berlin 17.12.1987, DAV 1988, S. 833, sowie LG Tübingen 15.7.1992, DAV 1992, S. 975.
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gleiche Gewißheit über die eigene Herkunft verschafft werde wie durch eine rechtlich gesicherte Vaterschaftsfeststellung. In der Literatur wurde diese Frage kontrovers diskutiert. Die überwiegende Auffassung folgt der Linie der Rechtsprechung und stellte das vom Amtspfleger wahrgenommene Kindesinteresse grundsätzlich vor das Interesse der Mutter auf volle Übertragung der elterlichen Sorge.9 Gegen die Aufrechterhaltung der Amtspflegschaft wird zunächst vorgebracht, daß die Auskunftsverpflichtung der Mutter aufgrund der mangelnden und auch nicht einführbaren Sanktionierbarkeit zwecklos sei. In der Praxis könne der Amtspfleger ohne die Mitwirkung der Mutter den Vater ohnehin nicht feststellen.10 Nachforschungen des Amtspflegers könnten zudem das Mutter-Kind-Verhältnis belasten. 11 Und Gernhuber meinte, daß "die Interessen des Kindes keineswegs um jeden Preis auf die Feststellung der Vaterschaft gerichtet" seien. Es seien auch Rücksichtspflichten der Kinder gegenüber ihren Eltern anzuerkennen; der Staat habe sich in diesem Bereich jeden mittelbaren Zwanges zu enthalten.12 Der BGH hat in seinem Urteil vom 11.11.1981 zu diesen Argumenten Stellung genommen und darauf verwiesen, daß die Bemühungen des Amtspflegers nicht von vomherein zum Scheitern verurteilt seien, da auch andere Feststellungswege möglich seien, so z.B. die Auskunft Dritter. Das Argument einer möglichen Belastung des Mutter-Kind-Verhältnisses und die Interessenwertung Gernhubers hat das Gericht nicht akzeptiert.
b) Auskunftspflicht der Mutter gegenüber dem Amtspfleger und anderen staatlichen Stellen Die Frage, ob der Amtspfleger die Mutter des nichtehelichen Kindes zur Erfüllung seiner Aufgaben auf Auskunft über den Kindesvater verklagen kann, ist 9 Staudinger I GlJppinger, 12. Aufl., § 1707 /27; Soergell Strlitz, § 1707 /7-9; Palandt I Diederichsen, § 1707 I 2.
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Simitis, StAZ 1970, S. 262; Frank, FarnRZ 1988, S. 116.
Giseta Zenz. Volle elterliche Gewalt für die Mutter, die den Vater ihres Kindes nicht nennen oder feststellen Jassen will?, StAZ 1974, S. 281 (288 f); Barrels, S. 363-365. 11
12 § 58 III 5. Das weitere Argument Gottwalds, S. 116, das Recht der Mutter sei vorrangig, da es dem Wohl des Kindes entsprechen könne, wenn ihm seine väterliche Abstammung verborgen bliebe, ist schon im 2. Teil B I 2 a bb (2), als zweifelhaft zurückgewiesen worden.
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in der Rechtsprechung ständig verneint worden. Zugelassen wurde nur, daß der Mutter, nicht aber dem Kind, aus dieser Weigerung indirekte Nachteile durch Versagen staatlicher Hilfen erwachsen können. 13 Dieser Rechtsprechung liegt die Auffassung zugrunde, daß der Staat verpflichtet ist, die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft auch im immateriell-persönlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren. Diese Verpflichtung würde bei einer Auskunftsklage durch das Jugendamt als Vertreter des Kindes aber unterlaufen. In jüngster Zeit hat allerdings der Beschluß des BVerfG vom 18.1.1988, auf den sogleich näher eingegangen wird, für Irritation gesorgt. So meinte das LG Landau 14, sich direkt gegen den BVerfG-Beschluß wenden zu müssen, obwohl der Beschluß den direkten Auskunftsanspruch des Kindes gegen die Mutter betraf und nicht, wie im Fall des LG Landau, den Anspruch des Amtspflegers gegen die Mutter, wenn auch im Namen des Kindes. Im Ergebnis verneinte das LG, auf der Grundlage der unbestrittenen Rechtsprechungsmeinung, eine Offenbarungspflicht der Mutter gegenüber staatlichen Stellen. Diese Irritation zeigt sich aber besonders daran, daß mittlerweile Gerichte die Mutter zur Auskunft gegenüber dem Amtspfleger verpflichten. 15 Die Gerichte beriefen sich dabei auf die vom BVerfG gebilligte Interessenahwägung zugunsten des Kindes, die allerdings den direkten Anspruch des Kindes betraf, und verwiesen zusätzlich darauf, daß die Kinder in ärmlichen finanziellen Verhältnissen lebten und diese Lage durch einen Unterhaltsanspruch gegen den Vater verbessert werden könnte.
13 Schon RG 25.3.1942, RGZ 169, 48; BGH 20.10.1958, DÖV 1959, S. 946 (947); BayObLG 14.5.1963, FamRZ 1963, S. 527. Zuletzt OLG Hamm 22.3.1991 , FamRZ 1991, S. 1229, und LG Stuttgart, 13.3.1992, DAV 1992, S. 978. Mittelbarer Zwang ist zu Recht durch Nachteile in anderen Bereichen, z.B. bei der Gewährung von Sozialhilfe und Unterhaltsvorschüssen, möglich, damit der Bürger sich in seinen Beziehungen zum Staat nicht nur die "Rosinen herauspicken" kann. So hat das BVerwG jüngst seine bisherige Rechtsprechung (bes. 5.5.1983, BVerwGE 67, 163, 167), die die Mutter auf die Möglichkeit der Selbsthilfe verwies, fortgeführt und eine Hilfekürzung soweit zugelassen, wie davon die Mutter, nicht aber die Kinder betroff~n sind, 21.11.1991, FuR 1992, S. 116 (117 f).
14 13.4.1989, DAV 1989, S. 634. Auch in der Berufungsinstanz, OLG Zweibrücken, 19.10. 1989, NJW 1990, S. 719, ist der Beschluß des BVerfG vom 18.1.1988 herangezogen worden. 15 AmtsG Gemünden a.M. 2.8.1989, FamRZ 1990, S. 200; AmtsG Duisburg 21.8.1992, DAV 1992, S. 1129.
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In der Literatur ist eine Offenbarungspflicht der Mutter gegenüber staatlichen Stellen, auch wenn diese als Vertreter des noch minderjährigen Kindes handelten, ebenfalls allgemein abgelehnt worden. 16
c) Direkter Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter Die .Diskussion um den Auskunftsanspruch des Kindes gegen seines Mutter ist, darauf wurde schon hingewiesen, immer in Verbindung mit den beiden oben dargestellten Problemkreisen geführt worden. Die fehlende Differenzierung zwischen dem höchstpersönlichen Anspruch des Kindes und dem Anspruch des für das Kind handelnden Amtspflegers 17 hat dann im Gefolge des BVerfG-Beschlusses vom 18.1.1988 in der Rechtsprechung, wie die amtsgerichtliehen Urteile aus Gemünden a.M. und Duisburg zeigen, und in der Literatur zu Irritationen geführt. Mehrere Autoren zogen den voreiligen und undifferenzierten Schluß, das BVerfG habe die Basis der langjährigen, einheitlichen Rechtsprechung zum Auskunftsrecht verlassen. 18 aa) Der Fall einer direkten, eigenen Klage des Kindes gegen die Mutter war vor dem noch zu erwähnenden Passauer Rechtsstreit aus dem Jahre 1987, der dann zum BVerfG-Beschluß führte, nur einmal vor ein Gericht gebracht worden.19 Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 18.1.1988 über die Verfassungsbeschwerde der Mutter einer nichtehelichen Tochter zu befinden. Die
16 So schon 1962 ein Beschluß des 44. DJT, Bd. 2, C 221 (B III) = FamRZ 1962, S. 401; Kriiger, S. 78; Braggemann, S. 23 (Amtspfleger muß die Information ftir sich behalten, dürfte also keine Feststellungsklage anstrengen); Herzog, S. 38. In neuerer Zeit: Maller, FamRZ 1986, S. 636; Deichfuß, NJW 1988, S. 116; Adam, S. 58; Brötel, FamRZ 1991, S. 776 Fn 26.
17
Siehe nur Kleineke, S. 147.
18
Hilger, FamRZ 1988, S. 764; Koch, Fa~ 1990, S. 570.
19 Es handelt sich um die Entscheidung OLG Düsseldorf 20.9.1939, HRR 1940, Nr. 73. Bei der Entscheidung OLG Celle 27.11.1905, Das Recht 1906, S. 54 Nr. 51 handelte es sich dagegen um einen Fall, in dem das Kind durch den Vormund vertreten wurde (Sachverhalt nach Das Recht 1904, S. 571: Die minderjährige uneheliche Tochter einer Dienstmagd klagte gegen die Mutter mit dem Antrag, ihr den Namen ihres Erzeugers zu benennen). Die Feststellung von Frank in FamRZ 1988, S. 116, "die Rechtsprechung habe seit jeher das Interesse des Kindes nicht nur am Wissen um seine Abstammuhg, sondern auch an der unterhaltsrechtlichen Absicherung hinter den Schutz der Intimsphäre der Mutter zurücktreten lassen", entbehrt daher einer Tatsachengrundlage, soweit es um den direkten Anspruch des Kindes gegen die Mutter geht.
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Mutter war von ihrer 30 Jahre alten Tochter auf Nennung des Namens des Vaters verklagt und in beiden Instanzen auch verurteilt worden. Rechtliche Grundlage des Anspruchs war § 1618 a BGB i.V.m. §§ 1934 a ff BGB und Art. 6 Abs. V GG, da mit der Klage auch Erb- bzw. Erbersatzansprüche vorbereitet werden sollten.20 Das juristische Hauptproblem dieser Entscheidungen lag in der erstmaligen Heranziehung des § 1618 a BGB als Anspruchsnorm, die in der Literatur sehr umstritten ist, an dieser Stelle jedoch nicht näher interessiert.2 1 Von Interesse ist hier die Abwägung der gegenseitigen Interessen, die die Passauer Gerichte innerhalb der Norm des § 1618 a BGB vornehmen mußten, da diese Norm gegenseitige Beistands- und Rücksichtspflichten statuiert. In der Abwägung zwischen dem Auskunftsinteresse der Tochter und dem Recht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre ließen die Passauer Gerichte die Interessen der Tochter vorgehen und beriefen sich auf die tragenden Gründe der BGHEntscheidung vom 11.11.1981. Im einzelnen bewerteten sie das Verhalten der den Vater verschweigenden Mutter als einen Erbverzicht zu Lasten des Kindes und dessen Entrechtung von den durch Art. 6 Abs. V GG geschützten Ansprüchen aus § 1934 a ff BGB. Zudem seien die Eltern dem Kind gegenüber verpflichtet, die Nachteile, die sich aus seiner Nichtehelichkeit ergeben, auszugleichen, da sie die Existenz des Kindes und die Tatsache seiner Nichtehelichkeit zu vertreten hätten. Eine andere Abwägungslösung sei nur sachgerecht, wenn besondere Umstände wie Zeugung durch Vergewaltigung, Blutschande oder ein anderes Verbrechen zu e~ner erhöhten Schutzbedürftigkeit der Mutter führten. Das BVerfG billigte diese Rechtsprechung. Das Persönlichkeitsrecht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre sei durch das Recht des nichtehelichen Kindes, das aus der Verbindung, die ansonsten vor Offenbarung gegenüber anderen geschützt sei, mit eigenen Rechten hervorgegangen sei, eingeschränkt. Zu diesen Rechten gehöre, zumindest für das nichteheliche Kind, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Dieses Recht leite sich zum einen aus dem
20 AmtsG Passau 15.7.1987, FamRZ 1987, S. 1309; LG Passau 26.11.1987, FamRZ 1988, S. 210 = NJW 1988, S. 144; BVerfG 18.1.1988, FamRZ 1989, S. 147 = NJW 1988, S. 3010. Das Kind war bei Pflegeeltern aufgewachsen, ohne adoptiert zu werden. Die Mutter gab an, den Namen des Vaters zu wissen. 21 Siehe dazu die ausführlichen Erörterungen von Knöpfe/, FamRZ 1985, S. 554; Moritz, Jura 1990, S. 134; van Eis, DAV 1991, S. 123 und die Nachweise im Urteil des AmtsG Passau unter BI b.
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allgemeinen Persönlichkeitsrecht, zum anderen aus Art. 6 Abs. V GG ab, der dem nichtehelichen Kind die Möglichkeit verschaffen wolle, wie ein eheliches Kind persönliche Beziehungen zu seinem Vater aufbauen zu können. Diese Möglichkeit sei wichtig, damit das Kind nicht unter dem Verhalten seiner Eltern und daraus erwachsender gesellschaftlicher Diskriminierung leide. In gleicher Weise sei die Kenntnis notwendig, um unterhaltsrechtliche und erbrechtliche Ansprüche durchzusetzen zu können. bb) In der Rechtsprechung haben diese Entscheidungen, soweit sie gleichgelagerte Fallgestaltungen betrafen, Zustimmung gefunden.22 Das LG Münster hat die Begründung bezüglich des Erbersatzanspruchs noch zusätzlich auf Art. 14 Abs. I GG gestützt und auch die Belange des Vaters in die Abwägung einbezogen - er habe keinen Anspruch auf Geheimhaltung seiner Vaterschaft. cc) In der Literatur hat der Beschluß des BVerfG sehr widersprüchliche Reaktionen gefunden, die sich aber zu einem wesentlichen Teil mit der fehlerhaften Gleichsetzung des Auskunftsanspruches des Kindes und des für das Kind handelnden Amtspflegers erklären lassen. Wird von diesen Stimmen abgesehen23 , halten sich Zustimmung24 und Kritik die Waage. Die kritischen Äußerungen haben mehrere Gründe. Sie resultieren z.T. aus einer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und kommen daher zu einem anderen Abwägungsergebnis25 oder sie weisen auf verfahrensrechtlichen Probleme, insbesondere in der Zwangsvollstreckung, hin. 26 Das zuletzt genannte Problem, ob der Auskunftsanspruchs zwangsweise vollstreckt werden kann, bedarf einer näheren Erörterung. Zu dieser Frage haben schon Brüggemann und 1940 das OLG Düsseldorf die Auffassung vertreten, daß eine Vollstreckung des Anspruchs nach § 888 ZPO gegen die sittlichen
22 LG Münster 21.2.1990, FamRZ 1990, S. 1031; LG Saarbrücken 13.12.1990. DAV 1991, S. 338. Die ablehnenden Entscheidungen des LG Landau und des OLG Zweibrücken bezogen sich auf den Auskunftsanspruch eines Jugendamtes; siehe dazu direkt oben b.
23 Hilger, FamRZ 1988, S. 764, und Koch, FamRZ 1990, S. 572 ff. Besonders Koch bringt zahlreiche Gegenargumente, die sich aber alle auf das Verhältnis Staat-Mutter und nicht Kind-Mutter beziehen. 24 Palandt I Diedericlzsen, 51. Aufl., Einfvor § 1591 /2; Morjtz, Jura 1990, S. 139; Münder, RdJ 1989, s. 462. 25
Deiclzfuß, NJW 1988, S. 116; Frank, FamRZ 1988, S. 116.
26
Hilger, FamRZ 1988, S. 764 f.
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Anschauungen der Bevölkerung verstoßen würde. Der Anspruch sei rechtlich unvollkommen und der Klageweg nicht eröffnet.27 Knöpfe! leitete zwar aus § 1618 a BGB ebenfalls einen Rechtsanspruch ab. Dieser Rechtsanspruch sei aber nicht einklagbar, wie sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 888 Abs. II ZPO ergebe, da erzwungener Beistand und erzwungene Rücksicht die Familienbeziehungen mehr belasten als fördern würde.28 Nur Kleineke bejahte die grundsätzliche Klagbarkeit, schloß aber eine Durchsetzbarkeit aufgrundeiner Analogie zu § 888 Abs. II ZPO aus und forderte eine Bußgeldbestimmung wie im dänischen Recht. 29 Hitger und Reinke wiesen auf das mehr praktische Problem bei der Durchsetzung des Anspruchs hin, daß die Mutter leicht auf eine Lüge ausweichen und behaupten könne, den Namen des Vaters nicht zu kennen. 30 Allein Münder sieht, allerdings ohne nähere Begründung, bei der Vollstrekkung des Auskunftsanspruchs keine Probleme und fordert eine gesetzliche Regelung in den §§ 1600 a-1600 o BGB.31
d) Eigene Stellungnahme und Ergebnis zur Auskunftspflicht der Mutter aa) Die Entscheidung des BVerfG vom 18.1.1988 stellt nicht die grundsätzliche Abkehr von einer lange gefestigten, einhelligen Rechtsprechungsmeinung dar, wie es in der Urteilskritik teilweise heißt. 32 Eigene Klagen des Kindes gegen die Mutter können schon deshalb nicht ausnahmslos abgewiesen worden sein, wie es heiße3, weil es sie vorher fast gar nicht gab. Die Autoren meinen auch nicht den Fall einer direkten, eigenen Klage des Kindes gegen die Mutter,
27 Brüggemmm, S. 26; OLG Düsseldorf20.9.1939, HRR 1940 Nr. 73; ähnlich Bosch, Gutachten zum 44. DJT 1962, S. 86; gegen eine Zwangsvollstreckbarkeit auch Frank, FamRZ 1988, S. 116. 28
FamRZ 1985, S. 560 f .
S. 125 ff und S. 194. Gemeint ist § 10 Abs. I KinderG vom 18.5.1960 (lov Nr. 200). Auch Moritz, Jura 1990, S. 140 scheint einen zwar klagbaren, aber nicht durchsetzbaren Anspruch anzunehmen, da er den Auskunftsanspruch als "stumpfe Waffe" bezeichnet. 29
30
Reinke, S. 23; Hilger, FamRZ 1988, S. 765.
31
RdJ 1989, S. 462.
32
Siehe schon oben Fn 18.
33
Frank, FarnRZ 1988, S. ll6; Reinke, S. 18; Koch, FarnRZ 1990, S. 571.
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sondern den vorn Amtspfleger für das Kind erhobenen Anspruch und trennen nicht zwischen diesen Fallkonstellationen. Eine einhellige Rechtsprechung gab es aber nur zu dem Fall, daß der Amtspfleger die Mutter des nichtehelichen Kindes auf Auskunft über den Kindesvater verklagen will. Diese Auskunftsklagen sind in der Rechtsprechung ebenso ständig abgelehnt worden wie die Anträge von Müttern, die den Namen des Kindesvaters verschwiegen, auf Aufhebung der Amtspflegschaft Schon aus dem Urteil des BGH vom 11.11.1981 gehen die Gründe für die Differenzierung hervor. Der BGH wies ausdrücklich darauf hin, daß er das Kindesinteresse an der Nennung des Vaters höher bewerte als die Interessen der Mutter, den Namen zu verschweigen. Soweit aber der Staat in Gestalt des Amtspflegers von der Mutter Auskunft verlange, würden staatliche Interessen miteinbezogen, auch wenn diese das Kindeswohl wahren wollten. Eine Offenbarungspflicht der Mutter sei dann zu verneinen. Aber auch die Entscheidungen, die der Mutter, die dem Amtspfleger die Auskunft verweigert, staatliche Hilfen versagen, lassen keine andere Wertung erkennen. Der Umkehrschluß ergibt nur ein Schweigerecht der Mutter gegenüber staatlichen Stellen. Die eigentliche Begründung für die Beschränkung des Auskunftsanspruchs ausschließlich auf das Kind selbst, wie sie das BVerfG im Beschluß vom 18.1. 1988 ausgesprochen hat, liegt aber in der Höchstpersönlichkeit des Anspruchs. Die Höchstpersönlichkeit ist der Grund, warum der Anspruch nicht vom Pfleger wahrgenommen werden kann; der Pfleger muß, um seine Aufgabe aus § 1706 Nr. 1 BGB erfüllen zu können, seine Informationen über die Person des Vaters aus anderen Quellen beziehen.34 Aber auch eine persönliche Mitwirkung des Kindes in dem vom Pfleger angestrengten Verfahren, wie es das OLG Ramm für ausreichend häle5, kann nicht genügen, da sich die Höchstpersönlichkeit nicht mit der Beteiligung Dritter verträgt. Die Höchstpersönlichkeit des Anspruchs ist zunächst in der Ableitung des Kenntnisrechts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. I und Art. 1 Abs. I GG, begründet. Das Persönlichkeitsrecht ist durch seiner Anbin34 Zu den beschränkten Möglichkeiten des Pflegers BGH 11.11.1981, FamRZ 1982, S. 161. Die Möglichkeiten sind so geringfügig, daß auch die Jugendämter in der Praxis vielfach für eine Aufhebung eintreten, vgl. die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesens in DAV 1989, S. 184. Eine Änderung ist daher rechtspolitisch sinnvoll und wird schon mit der geplanten Aufhebung der Zwangsbeistandschaft herbeigeführt.
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Obiter dictum, 22.3.1991, FamRZ 1991, S. 1229.
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dung an die Menschenwürde personengebunden und kann nicht von Dritten, auch nicht als gesetzliche Vertreter, geltend gemacht werden. Zum anderen ist, innerhalb der Interessenabwägung, das Element der familiären Situation zu berücksichtigen. Die Mutter kann nicht verpflichtet werden, Tatsachen aus ihrem Intimbereich zu offenbaren, wenn diese im außerfamiliären Bereich kundgetan werden sollen. Eine andere Bewertung ist jedoch möglich, wenn sie diese Tatsachen nur dem Kind, das ja aus dem von der Mutter verschwiegenen Geschehen entstanden ist und zum familiären Bereich gehört, offenbart.36 Diese familiäre Situation liegt jedoch bei dem Anspruch des Amtspflegers oder anderer staatlicher Stellen nicht vor. Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte z.B. das LG Landau37 das von ihm gewünschte Ergebnis auch durch eine Qualifizierung des Klageanspruchs als höchstpersönlich und durch Berücksichtigung der Tatsache in der Interessenabwägung erreichen können, daß die Mutter ihre Intimsphäre nicht nur gegenüber dem Kind, sondern auch gegenüber dem Staat öffnen sollte. Ein Abwarten des Kindes mit dem gerichtlichen Auskunftsverlangen bis zur Volljährigkeit hätte der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Intimsphäre der Mutter mehr entsprochen. bb) Diesen Auskunftsanspruch des Kindes kann die Mutter nicht dadurch erfüllen, daß sie den Namen in einem Briefumschlag notariell hinterlegt. Diese Lösung ist, bei einer Öffnung erst nach dem Tode der Mutter, zeitlich unzureichend, da das Kind in diesem Falle schon lange volljährig sein wird und es dann auch ungewiß ist, wie auch der BGH argumentiert hat, ob eine Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen des Kindes dann noch möglich ist. Hinzukommt die Unsicherheit, ob die Mutter in dem Brief auch tatsächlich den Namen hinterlassen hat, soweit sich nicht der Notar darüber vergewissern darf. cc) Das BVerfG hat im Beschluß vom 18.1988 indirekt ein von den Passauer Vorinstanzen für möglich gehaltene anderes Ergebnis der Interessenahwägung in den Fällen, in denen besondere Gründe wie eine Empfängnis durch eine Vergewaltigung oder in Blutschande ein besonderes Schweigeinteresse der Mutter rechtfertigen, gebilligt. In diesem Fall müßte die Mutter sich auf Tatsachen berufen, die, ohne nähere Angaben machen zu müssen, eine entsprechende Behauptung glaubhaft und für eine ablehnende Interessenahwägung ausreichend erscheinen läßt. Mehr könnte von der Mutter nicht gefordert werden.
36
A.A. Zenz. Referat, S. 4.
37
13.4.1989, DAV 1989, S. 634.
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e) Die Durchsetzbarkeil des Auskunftsanspruchs
aa) Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur Die Literatur hält den Auskunftsanspruch, auch den höchstpersönlichen Anspruch des Kindes, einhellig für nicht durchsetzb~8 , ohne dies in der Regel, bis auf einen Hinweis auf die sittliche Fragwürdigkeit, näher zu begründen. Nur Müller verweist auf die §§ 383 Abs. I Nr. 3 und 385 Abs. I Nr. 2 ZPO als gesetzliche Wertung, die ersehen ließe, daß das Interesse der Mutter auch in der Durchsetzbarkeil Vorrang vor dem Interesse des Kindes habe. Einzig Kleineke ist, bei Ablehnung einer Vollstreckbarkeit de lege lata, de lege ferenda für eine Zwangsvollstreckungsmöglichkeit und hat eine gesetzliche Auskunftspflicht, die mit der Möglichkeit einer einmaligen Geldbuße versehen ist, vorgeschlagen in Nachbildung einer dänischen Regelung. 39 Die Rechtsprechung hat sich bisher nur selten zu diesem Problem geäußert. Es handelte sich bei den wenigen Äußerungen nur um obiter dicta, da die Vollstreckbarkeit erst im Falle eines Vollstreckungsantrags entscheidungserheblich wird. Eine erste Stellungnahme findet sich aus dem Jahre 1904 in einem Rechtsprechungsbericht Ein nicht näher bezeichnetes Landgericht lehnte den Auskunftsanspruch eines minderjährigen, unehelichen Mädchens (vertreten durch den Vormund) gegen seine Mutter (auch) unter Hinweis auf§ 888 ZPO ab- die Zwangsvollstreckung sei problematisch, falls die Mutter bei Mehrverkehr nicht in der Lage sei, den Erzeuger zu benennen. Sie könne zudem aus Furcht vor Zwangsmaßregeln oder absichtlich einen falschen Namen angeben.40 Gegen diese Wertung des Gerichts wendet sich Seifarth. Aus der Pflicht zur Sorge für die Person des Kindes fließe auch die Pflicht zur Namensnennung, da das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Herkunft anzuerkennen sei. Das Kind habe daher einen klagbaren Anspruch, der in der Vollstreckung der Zeugnispflicht unterworfen sei, da die Regel des § 383 Abs. I Nr. 3 wegen § 385
38 Kollhosser, JA 1985, S. 557; Balz, S. 17; Staudinger I Göppinger, 10./11. Aufl., 1707 I 12a; Kleineke, S. 125 ffund 194; Müller, FamRZ 1986, S. 636; Frank, FamRZ 1988, S. 116; Deichfuß, NJW 1988, S. 116. 39 Kleineke, S. 197. § 20 lov Nr. 200 (Kindergesetz) vom 18.5.1960- noch heute gültig. A.A. Münder, RdJ 1989, S. 462- Zwangsvollstreckung bereits de lege lata möglich, ohne Begründung, s.o. 3. Teil A I 1 c a.E. 40
Seifarth, Das Recht 1904, S. 572. S.o. S. 74, Fn 19.
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
Abs. I Nr. 3 ZPO nicht angewandt werden könne. Falsche Angaben seien nicht zu erwarten, weil die Mutter sich damit strafrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Konsequenzen aussetze. Das OLG Düsseldorf lehnte 1939 ebenfalls eine Rechtspflicht der Mutter zur Offenbarung des Erzeugers unter Hinweis auf die Problematik der Vollstreckung ab. Ein Zwang zur Auskunftserteilung durch Geldstrafen oder Haft würde den im Volke herrschenden sittlichen Anschauungen widersprechen und sei zudem sinnlos, da die Mutter auch eine negative Auskunft geben könne.41 Eine andere Stellung z_ur Frage des Zeugnisverweigerungsrechts der Kindesmutter als Seifarth nahm 1942 das RG ein und stellte fest, daß die blutmäßige Abstammung keine durch das Familienverhältnis bedingte Vermögensangelegenheit im Sinne des § 385 Abs. I Nr. 3 ZPO betreffe. Zur Anwendung von § 888 ZPO äußerte es sich jedoch nicht.42 Die allgemeine zivilprozeßrechtliche Literatur hat die Frage der Durchsetzbarkeil des Auskunftsanspruchs ebenfalls nicht vertieft. Es lassen sich nur Ansätze für eine eingehendere Behandlung des Problems gewinnen. So wird eine Vollstreckbarkeit abgelehnt, wenn die vorzunehmende Handlung gegen die guten Sitten verstößt bzw. die zwangsweise Durchsetzung mit den sittlichen Anschauungen unvereinbar ist43 , die Religionsfreiheit durch die erzwungene Teilnahme an einer religiösen Veranstaltung44 oder die persönliche Freiheit verletzt wird. 45 Einig ist sich die Literatur darin, daß § 888 Abs. II ZPO einen allgemeinen Rechtsgedanken darstellt und analoger Ausweitung zugänglich ist.46
41
OLG Düsseldorf 20.9.1939, HRR 1940, Nr. 73.
42
25.3.1942, RGZ 169, 48 (50).
43
LG Zweibrücken 30.9.1975, MDR 1976, S. 144.
44 Brox, Hans I Walker, Wolf-D., Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. Köln u.a. 1988, Rn. 1082; SteinJonas, Zivilprozeßordnung, 2. Auf!., Tübingen 1988, 4. Bd., Tb. li, § 888 I 38; Baumbach I wuterback I Albers I Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Auf!. München 1991, § 88814c.
45 Wieczorek, Bernhard I Rössler, Georg F. I Schütze, Rolf A., Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl. Berlin, New York 1981 , § 888 B III. 46 Stein-Jonas, Zivilprozeßordnung, 2. Auf!., Tübingen 1988, 4. Bd., Tb. li, § 888 I 38; Baumbach I wuterbach I Albers I Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl. München 1991, § 888 I 4e.
A. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei nichtehelichen Kindem
113
bb) Eigene Stellungnahme
Eine Argumentation muß bei der Auslegung von § 888 Abs. li ZPO beginnen. Der Wortlaut von § 888 Abs. II ZPO ist zunächst eng und auf die Verurteilung zur Eingebung einer Ehe, zur Herstellung des ehelichen Lebens und zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag begrenzt. Aus systematischer Sicht ergibt sich eine weitere Einschränkung daraus, daß ausschließlich die Vollstreckung unvertretbarer Handlungen im Sinne von § 888 Abs. I ZPO gemeint ist, so daß z.B. eine Vollstreckung von Unterhaltspflichten nach § 887 ZPO oder von Auskunftspflichten nach § 888 Abs. I ZPO weiterhin in Betracht kommt. 47 Sinn und Zweck der Vorschrift ist es allerdings, nach klassischer Definition, Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern, die gegen sittliches Empfinden verstoßen. Dies wird besonders deutlich bei Verurteilungen zur Herstellung des ehelichen Lebens, deren zwangsweise Durchsetzung grundlegend gegen das Bild der Ehe als einer freiwillig gewählten, auf gegenseitiger Zuneigung beruhenden Lebensgemeinschaft verstoßen würde. Mit der Begrenzung auf unvertretbare Handlungen wird dabei aber nur der engste Kern der zum ehelichen Leben gehörenden Handlungen einbezogen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht bietet § 888 Abs. li ZPO eine einfachgesetzliche Stütze für ein Verbot von Vollstrekkungshandlungen, deren Durchführung Grundrechte verletzen würde. Diese Fälle bieten jedoch wenig Anhaltspunkte für die Auslegung von § 888 Abs~ II ZPO, da derartige Vollstreckungshandlungen, gäbe es § 888 Abs. II ZPO nicht, schon aus rechtlichen und nicht nur sittlichen Gründen nach Art. 1 Abs. III GG undurchführbar wären. Die verfassungsrechtliche Argumentation zeigt aber einen Weg auf, der das Verständnis von § 888 Abs. li ZPO in rechtlicher Hinsicht erleichtern kann. Die sittlichen Erwägungen, die gegen eine zwangsweise Vollstreckung der genannten Handlungen sprechen, stehen immer im Zusammenhang mit Persönlichkeitsaspekten der betroffenen Personen, die, zumindest gegenüber einer staatlichen Vollstreckung, für schutzwürdiger als der Anspruch der berechtigten Person auf Zwangsvollstreckung des festgestellten Anspruchs erachtet werden. In allen Fällen handelt es sich zwar um echte Rechtspflichten mit einem materiellen Erfüllungsanspruch und nicht nur um sittliche Pflichten, wie besonders bei dem
47
Löwisch, S. 186.
R von Seihe
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
Anspruch auf Dienste deutlich wird. 48 Sie sind jedoch auf das zweiseitige Verhältnis beschränkt, höchstpersönlich und unübertragbar und vertragen daher keine staatliche Zwangsdurchsetzung, weil diese staatliche Zwangsdurchsetzung nicht nur das dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegende Verhältnis verzerren würde49, sondern gleichzeitig dadurch auch Persönlichkeitsrechte verletzt würden - so z.B. bei einem Urteil, das den Ehemann verpflichtet, wieder in die eheliche Wohnung zurückzukehren. Daher ergeben sich gerade im Familienrecht mit seinem starken Anteil höchstpersönlicher Beziehungen, in die der Staat nicht näher eingreifen soll und, wegen des Schutzes nach Art. 6, aber auch Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 1 Abs. I GG, auch nicht näher eingreifen kann, viele Bereiche, die sich mit einer Zwangsvollstreckung nicht vereinbaren lassen. Angewandt auf den Auskunftsanspruch des Kindes gegen seine Mutter bedeutet dies, daß der sich aus § 1618 a BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebende materiellrechtlichen Auskunftsanspruch des Kindes erneut gegen die Persönlichkeitsrechten der Mutter abzuwägen ist. Die Abwägung ist um den Gesichtspunkt zu erweitern, daß der Anspruch zwangsweise durch Dritte durchgesetzt werden soll. Der Schutz der Intimsphäre der Mutter muß daher eine größere Bedeutung zukommen. Wie bei der bereits vorgenommenen Abwägung gegen den Anspruch des Amtspflegers auf Auskunft über die Person des Kindesvaters ist dann die Persönlichkeitssphäre der Mutter schutzwürdiger als das Recht des Kindes, seinen Auskunftsanspruch mit staatlichen Mitteln durchsetzen zu lassen.50
48 Daher ist die in einigen der oben dargestellten Urteile und Literaturäußerungen vorgenommene Verrnengung des§ 888 Abs. II ZPO mit der grundsätzlichen Klagbarkeil eines Anspruch verfehlt. Neben der Sache liegt nicht nur die mangelnden Differenzierung von Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren, sondern auch die V01wegnahme sittlicher Erwägungen für die Beurteilung des materiellen Anspruchs. So noch neuestens LG Landau 13.4.1989, DAV 1989, S. 634. Es verneinte die Eignung von § 1618 a BGB als Anspruchsgrundlage für den Auskunftsanspruch des Kindes wegen mangelnder Durchsetzbarkeil nach § 888 II ZPO verneinte. Unsinnig ist daher der Vorwurf an das BVerfG, nicht über die Durchsetzungsprobleme seines Beschlusses vom 18.1.1988 nachgedacht zu haben- auch das BVerfG kann von einer Iex imperfecta ausgegangen sein. 49
So /.jjwisch, S. 184.
so Daher ist auch der Hinweis auf § 383 ZPO im Kern zutreffend. Auch das Zeugnisverweige-
rungsrecht gilt im Verhältnis zu einem außerhalb der geschützten Beziehung stehenden Dritten, zu dem eine Auskunft verlangenden Staat, und soll die Sphäre der besonderen, persönlichen Beziehungen in der Familie und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen schützen. Soweit der Gedanke allerdings dazu eingesetzt wird, den materiellen Erfüllungsanspruch zu verneinen, wird wiederum die Ebene der Rechtspflichtbegründung mit der der zwangsweisen Durchsetzbarkeil verwechselt, da
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Nun wird daran gezweifelt, ob der materielle Erfüllungsanspruch dann noch einen Sinn hat, wenn eine Durchsetzung nicht möglich ist. Aber auch Ieges imperfectae können einen Sinn haben, weil sie den von der verpflichtenden Norm angesprochenen Personen einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen vorstellen und so Werte prägen und moralische Verpflichtung wiedergeben und festhalten können. Abzulehnen ist daher Kleinekes Vorschlag, einen Bußgeldtatbestand einzuführen, da es auf diese Weise wieder zu einem mit staatlicher Hilfe erzwingbarem Offenbarungsanspruch kommt. Es ist sinnvoller, durch eine rechtliche Aufwertung des Auskunftsanspruchs des Kindes einen Einstellungswandel in der Gesellschaft dahin herbeizuführen, daß es richtig ist, dem Kind den Namen seines leiblichen Vaters mitzuteilen, wie es in Dänemark durch die rechtliche Verpflichtung, weniger durch die selten durchgeführte Vollstreckung, auch bewirkt worden sein soll.51
2. Auskunftspflicht anderer Personen als der Mutter Kann das Kind von der primär um Auskunft ersuchten Mutter keine Angaben erhalten - der Mutter ist der Name des Vaters verborgen geblieben, sie verschweigt den Namen oder ist verstorben-, kann es im Einzelfall möglich sein, eine Auskunft über die Person des Vaters von dritter Seite zu erhalten, ist zu überprüfen, ob eine Auskunftspflicht dieser dritten Person bestehen kann. a) Eine Anspruchsgrundlage läßt sich nicht schon in einer Parallele zum Auskunftsanspruch gern. § 1618 a BGB i.V.m. Art. 2 Abs. I, Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, und Art. 6 Abs. V GG bilden52, da§ 1618 a BGB nur auf eine bereits bestehende Eltern-Kind-Beziehung anwendbar ist. Sie kann jedoch aus allgemeinen Normen gebildet werden. 53 Es ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß auch außerhalb der gesetzlich speziell geregelten Fälle durchsetzbare Auskunftspflichten bestehen, soweit
das Zeugnisverweigerungsrecht nicht die Zeugnispflicht bseitigt, sondern nur die Rechtsfolgenlosigkeit einer Aussageverweigerung statuiert. 51
Kleineke, S. 197.
52
Wie vom BVerfG in seinem Beschluß vom 18.1.1988 gebilligt.
53
In diese Richtung auch schon LG Passau 26.11.1987, NJW 1988, S. 144.
s•
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sind.54 Die Auskunftspflichten werden unter Anwendung des Gebots von Treu und Glauben, § 242 BGB, und unter Berücksichtigung der Grundgedanken gesetzlich geregelter Auskunftverpflichtungen aus einer zwischen den Parteien bestehenden Sonderverbindung für den Faii abgeleitet, daß der Auskunftsverlangende entschuldbar über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, sich die Information nicht in zurnutbarer Weise selbst besorgen kann und der Auskunftsverpflichtete die zur Beseitigung der Ungewißheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Auskunftspflichtig ist grundsätzlich nur der Schuldner des Hauptanspruchs. Es ist aber gleichfalls anerkannt, daß auch derjenige zur Auskunft verpflichtet ist, der ailein die Person des Schuldners kennt, soweit auch für diesen Auskunflsanspruch eine Sonderbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner besteht.55 Für die geforderte Sonderbeziehung genügt jede, sei es durch Gesetz oder Vertrag geschaffene besondere Rechts- und Pflichtenbeziehung. Hierbei kann es sich um eine vertragliche Verbindung oder ein gesetzliches Schuldverhältnis, aber auch um eine rein sachen-, familien- oder erbrechtliche Rechtsbeziehung handeln.56 b) In einer Entscheidung des LSG Hessen ist eine für einen Auskunftsanspruch auf Nennung des Namens des Vaters ausreichende Sonderbeziehung angenommen worden. 57 Ein nichteheliches, volljähriges Kind beanspruchte nach dem Tod seiner Mutter eine Voilwaisenrente. Der Vater war dem Kind unbekannt. Nur der ehemalige Vormund, eine Schwester der Mutter, wußte den Namen des Vaters, schwieg jedoch, da dies der Wille der Verstorbenen gewesen sei. Das LSG lehnte die Klage auf Zahlung einer Vollwaisenrente ab und verwies die Klägerirr auf eine zivilrechtliche Auskunftsklage gegen den ehemaligen Vormund. Diese Auskunftsklage habe Aussicht auf Erfolg. In seiner Entscheidung betonte das Gericht, daß der Vormund weder gegenüber dem Rentenversicherungsträger noch im Rechtsstreit des Kindes gegen den Rentenversicherungsträger auskunftspflichtig sei, da der Vormund als naher
54
Palandt I Heinrichs, § 261 I 2d, Rn. 8-14.
55
Palandt I Heinrichs, § 261 I 2d dd, Rn. 14; Münch-Komm I Keller, § 260 I 11 .
Palandt I Heinrichs,§ 261 I 2 d bb, Rn. 9; BGH 29.10.1981, BGHZ 82, 132 ff (137 f) für den Fall einer gesetzlich nicht geregelten Auskunft über den Vermögensbestand anläßlich einer Scheidung; LG Passau 26.11. 1987, NJW 1988, S. 144. 56
57
20.4.1989, NJW 1989, 2710.
A. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei nichtehelichen Kindem
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Verwandter ein Zeugnisverweigerungsrecht besitze und der Auskunftsanspruch nur höchstpersönlich vom Kind erhoben werden könne. Wenn aber die Mutter ihrem nichtehelichen Kind gegenüber zur Auskunft über die Person des leiblichen Vaters verpflichtet sei, wie es das BVerfG bestätigt habe, könne für den Vormund nicht anderes gelten. Der Vormund könne sich nicht nach dem Tod der Mutter auf deren Motive und Interessen, den Namen des Vaters zu verschweigen, nicht mehr beufen. Als Rechtsgrundlage dieses Auskunftsanspruchs wurde auf die Ableitung aus den analog anzuwendenden §§ 259-261 i.V.m. 242, 1934 a ff BGB, Art. 6 Abs. V GG hingewiesen. Dieser Entscheidung des LSG Hessen ist in Ergebnis und Begründung zuzustimmen. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 31.1. 1989 können nur mindestens gleichrangige, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Interessen eine Einschränkung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung rechtfertigen. Ein Dritter kann daher, soweit eine Sonderbeziehung zwischen ihm und dem kind besteht, das Kind unverschuldet über seine Abstammung im Unklaren ist und der Dritte die Auskunft geben kann, den Auskunftsanspruch nur verweigern, wenn er höherwertige Interessen als das Interesse des Kindes an der Kenntnis der eigenen Abstammung geltend machen kann. Eine ausreichende Sonderbeziehung hat das LSG zu Recht in der früher bestehenden Vormundschaft erblickt, zumal der Vormund die Kenntnis von der Abstammung auch in der Zeit seiner besonderen Pflichtenstellung gegenüber dem Mündel erlangt hatte. Er konnte sich auch nicht, und diese Wertung läßt sich auf andere auskunftsverpflichtete Personen übertragen, auf den Schutz der Interessen der Mutter berufen, da sich, wie schon festgestellt, auch der Schutz der Intimsphäre der Mutter und ihre Gründe, die Abstammung des Kindes zu verschweigen, grundsätzlich dem Kenntnisinteresse des Kindes unterzuordnen haben. Beruft sich dagegen der Dritte auf besondere Gründe, die in der Interessenabwägung möglicherweise auch der Mutter ein vorrangiges Schweigerecht gegeben hätten, wie z.B. Empfängnis in Blutschande, so werden auch diese Interessen noch nach dem Tode der Mutter zu berücksichtigen sein, da das Persönlichkeitsrecht postmortal weiterbesteht Da es sich in seiner Wirkung aber abschwächt, wird das Bestehen eines Auskunftsanspruchs von der Interessenabwägung im Einzelfall abhängen.
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeil im geltenden Recht
c) Auch der mutmaßliche Erzeuger des Kindes kann als auskunftsverpflichteter Dritter in Betracht kommen. 58 Diese Möglichkeit ist für das Kind besonders dann interessant, wenn es aufgrund anderweitiger Informationen (im Nachlaß der Mutter gefundene Briefe etc.) einen bestimmten Mann als Erzeuger vermutet. Es kann so weitgehende Klarheit über die eigene Abstammung gewinnen, das Prozeßrisiko einer Feststellungsklage vermeiden und auch die Lösung von einer eventuell bestehenden rechtlichen Zuordnung zu einem Mann (durch Anerkenntnis I Legitimation, falsche Feststellung) vermeiden. Der mutmaßliche Erzeuger kann sich nicht auf den Schutz seiner Intimsphäre berufen. Die Ausführungen des BVerfG im Beschluß vom 18.1.1988 zum grundsätzlichen Vorrang des Kenntnisrechts beziehen sich nicht nur auf die Mutter, sondern ausdrücklich auf die Eltern des Kindes. Folgende Einzelfragen bleiben noch zu klären: Im Unterschied zur Mutter und zum Vormund, deren Sonderbeziehung zum Kind feststeht, ist die Erzeugerschaft eines bestimmten Mannes nur vermutet. Für eine Auskunftsverpflichtung ist daher, schon nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen, zumindest ein schlüssiger, glaubhaft gemachter Klagevortrag des Kindes erforderlich, um den vermuteten Mann zu einem gerichtlichen Aussagetermin zu laden. Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Mannes liegt in der Auskunftsverpflichtung nicht. Ist er nicht der Erzeuger, genügt seine abstreitende Tatsachenaussage. Aber auch die Offenbarung eines Intimverkehrs mit der Mutter in der Empfängniszeit ist ihm zumutbar, da diese Offenbarung auch in einem gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahren vorgenommen werden müßte. Die Auskunftsklage des Kindes ist gegenüber der Feststellungsklage zwar von geringerer rechtlicher Bedeutung, andererseits bedarf es aber auch nicht, wie bei der Feststellungsklage, eines Eindringens in die körperliche Sphäre des Mannes durch eine Blutuntersuchung nach § 372a ZPO iVm § 1600 o BGB. Zudem hat der Mann den Anlaß zum Eindringen in seine Intimsphäre durch den Intimverkehr mit der Mutter selbst gesetzt. Mit der gleichen Argumentation ist auch der Einwand, daß der Schutz der Familie des Erzeugers zu berücksichtigen sei59, zurückzuweisen. Sollte diesem
58 Ohne daß der Vater erst festgestellt worden sein muß. Auch hier ist eine Verwechslung mit Auskunftsansprüchen staatlicher Stellen zu vermeiden. Korrekt ist daher die Entscheidung des Bay ObLG vom 16.5. 1991, FamRZ 1992, S. 118, daß der noch nicht festgestellte Vater eines nichtehelichen Kindes (das Gericht sprach vom "unehelichen Vater") nicht auskunftspflichtig im Sinne des § 19 Abs. I BKGG sei.
59
Giesen, JZ 1989, S. 370.
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Interesse der Vorrang zukommen, wäre auch eine Feststellungsklage gegen diesen Mann nicht mehr möglich, zumal die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung durch die damit verbundene Zuordnung stärkere Wirkungen auf den bestehenden Familienverbund hat als die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung. Eine Auskunftsverpflichtung des Mannes kann auch dann noch angenommen werden, wenn die Mutter noch lebt und in gleicher Weise in Anspruch genommen werden könnte, da der Mann als mutmaßlicher Erzeuger ebenfalls sog. Hauptschuldner des Auskunftsanspruchs ist. Es wird daher nicht notwendig sein, den Anspruch zunächst gegen die Mutter gerichtlich auszufechten. Die Inanspruchnahme des mutmaßlichen Erzeugers wird aber besonders dann interessant. sein, wenn die Mutter ihr Schweigen auch nicht im Rahmen einer versuchten gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung bricht, die beantragt wird, um einen anderen Weg für die nicht mögliche zwangsweisen Durchsetzung des Auskunftsanspruchs zu finden. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, ob der Auskunftsanspruch gegen dritte Personen, anders als gegen die Mutter, zwangsweise durchgesetzt werden kann, weil möglicherweise Persönlichkeitsrechte dieser Personen in einem geringeren Maße zu berücksichtigen sind. Das kann jedoch nicht für den mutmaßlichen Erzeuger gelten, da seine Intimsphäre in gleicher Weise wie die der Mutter davon betroffen ist, über sein Geschlechtsleben Auskunft zu erteilen, so daß die Erfüllung der auch für ihn geltenden Auskunftspflicht nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Anders ist die zwangsweise Durchsetzbarkeit des Auskunftsanspruches jedoch bei dritten Personen zu beurteilen, die, wie z.B. der Vormund in der oben erwähnten Entscheidung des LSG Hessen, nur über Beobachtungen oder Mitteilungen Auskunft erteilen sollen. Ihre Persönlichkeitsrechte sind daher in einem weitaus geringerem Maße betroffen; sie können sich aufgrund der Höchstpersönlichkeit dieser Recht auch nicht auf eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Mutter oder des Vaters berufen, so daß gegen diese Personen der Auskunftsanspruch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. d) Auskunftsansprüche sind gegen Dritte aber auch in der Form von Einsichtsrechten in Urkunden auf der Grundlage des Anspruchs aus§ 810 BGB denkbar. Diese Urkunden müßten eine für den Rechtsverkehr gedachte Aussage über die Abstammung des Kindes enthalten und, § 810 l.Alt. BGB, (auch) im Interesse des Kindes errichtet worden sein. In Betracht kommen z.B. Unterlagen einer Wohlfahrtsorganisation, der gegenüber die Mutter nach der Geburt des Kindes Angaben über den Erzeuger gemacht hat (soweit nicht eine Geheimhaltungspflicht nach § 203 StGB gegeben ist).
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
e) Ein Auskunftsanspruch kann selbstverständlich auch gegen den Scheinvater gerichtet werden, falls dieser von der Mutter in die Abstammung des Kindes eingeweiht worden ist, da über die Verpflichtung des § 1618 a BGB eine ausreichende Sonderbeziehung zum Kind besteht. Auch dieser Anspruch ist gern. § 888 Abs. I ZPO durchsetzbar, da keine wesentlichen Persönlichkeitsrechte des Scheinvaters betroffen sind. f) Ein von der Rechtsprechung im einzelnen noch auszufeilender Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen dritte Personen ist daher grundsätzlich anzuerkennen. Es kann sich nicht nur gegen Vormünder, sondern auch gegen den mutmaßlichen Erzeuger wenden. Sonderbeziehungen zu weiteren Personen, z.B. im Erbfall, sind ebenfalls denkbar. Die Ansprüche sind im Wege der Zwangsvollstreckung in der Regel durchsetzbar.
In ihrer Stellung gegenüber der Feststellungsklage wird die Auskunftsklage speziell dadurch gerechtfertigt, daß sie dem Kind eine Möglichkeit bietet, seine Abstammung weitgehend sicher kennenzulemen, ohne eine mögliche rechtliche Zuordnung zu einem sozialen Vater lösen zu müssen.60
3. Vaterschaftsanerkenntnis
Das Vaterschaftsanerkenntnis kann dem Kenntnisrecht des Kindes in zweierlei Hinsicht dienlich sein. Zum einen kann das Vaterschaftsanerkenntnis dem Kind dazu dienen, dem tatsächlichen Vater auch rechtlich zugeordnet zu werden. Die öffentlich beurkundete Wissens- und Willenserklärung des Mannes, das Kind aufgrund einer Beiwohnung in der Empfängniszeit als von ihm gezeugt anzusehen, bietet eine weitgehend sichere Grundlage für die Annahme, daß es sich bei dem anerkennenden Mann auch um den richtigen biologischen Vater handelt. Andererseits kann das Kind sich von einem Mann, der wahrheitswidrig eine Anerkennung erklärt hat, unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Anfechtung des Anerkenntnisses lösen und auf diese Weise seinen Kenntnisstand
60 Ein Vorschlag der SPD-Fraktion im Bundestag zur Reform des Kindschaftsrechts, BT-Drs 12 I 4024 vom 17.12.1992, ohne die Begründung abgedruckt in FamRZ !993, S. 278 ff, sieht (Nr. I 0) vor, daß das Auskunftsrecht des volljährigen Kindes gegenüber seinen Eltern gesetzlich festgeschrieben werden soll. Die Vollstreckbarkeit wird ausgeschlossen; die Klage soll nur zulässig sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Kind nicht von dem als Vater geltenden Mann abstammt.
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zumindest in dem negativen Sinne fördern, daß der Anerkennende als Vater ausgeschlossen wird. Aus diesen Gründen soll nachfolgend das System der Anerkennung, insbesondere die Widerspruchs- und Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes und die Wirkungen eines Anerkenntnisses, dargestellt werden.
a) Das Anerkenntnis und die Zustimmung des Kindes Das Anerkenntnis ist ein einseitiges, formgebundenes Rechtsgeschäft, das von keiner Stelle auf seine Richtigkeit hin überprüft wird. In der Mehrzahl der Fälle wird das Anerkenntnis dennoch richtig sein: Zunächst entspricht es der Lebenserfahrung, daß ein Mann sich nur dann zu einer Vaterschaft und den damit verbundenen Folgen bekennt, wenn er sich der eigenen Vaterschaft sicher sein kann. Zum anderen setzt § 1600 c BGB die Zustimmung des Kindes zur Anerkennung voraus. Diese Zustimmung ist vom Kind grundsätzlich höchstpersönlich zu erklären; für das noch nicht vierzehn Jahre alte Kind liegt die Zustimmungsverantwortlichkeit jedoch beim gesetzlichen Vertreter (in der Regel das Jugendamt als Pfleger,§§ 1706 Nr. 1, 1709 S. 1 BGB, das dazu die Mutter befragt; nach der vorgesehenen Abschaffung der Amtspflegschaft61 nur noch, wenn Beistandsschaft beantragt worden ist); beim über vierzehn Jahre alten, nicht voll geschäftsfähigen Kind hat der gesetzliche Vertreter der Zustimmungserklärung des Kindes zuzustimmen(§ 1600 d BGB). Ist das Kind noch nicht vierzehn Jahre alt, hängt der Erfolg der Vaterschaftsanerkennung daher hauptsächlich von den Angaben der Mutter gegenüber dem Jugendamt ab. Die Mutter wird in der Regel der Anerkennungserklärung zustimmen, wenn die Anerkennung den Tatsachen entspricht; nicht selten werden jedoch die Fälle sein, in denen sie wahrheitswidrige Angaben macht, um ihr Kind dem anerkennenden Mann als rechtlichen Vater zuordnen zu können. Das
61 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Drs 890/1993 vom 24.12.1993; keine Verabschiedung mehr in der 12. Legislaturperiode (Beschluß des Rechtsausschusses vom 16.6.1994, DAV 1994, 571).
122
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Kind kann sich gegen eine entsprechende Erklärung seiner Mutter kaum zur Wehr setzen.62 Das über vierzehn Jahre alte Kind kann dagegen, wie das volljährige Kind, die Anerkennung durch einen Mann, der nicht sein biologischer Vater ist, durch eine Zustimmungsverweigerung verhindern und sich dadurch die Möglichkeit, den biologischen Vater gerichtlich feststellen zu lassen, offenhalten.
b) Die Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes Das wirksame, auch das wahrheitswidrige Vaterschaftsanerkenntnis kann auf eine Anfechtungsklage hin aufgehoben werden. Zu beachten sind verschiedene materielle und formelle Voraussetzungen. In materieller Hinsicht trägt der Anfechtende die Feststellungslast dafür, daß der anerkennende Mann nicht der Vater des Kindes ist, da § 1600 m BGB die gegenteilige Tatsache vermutet und damit den Bestand eines falschen Anerkenntnisses fördert. Die Anfechtungsberechtigung des Kindes ist nicht an besondere Voraussetzungen, wie z.B. bei der Ehelichkeitsanfechtung, geknüpft. Das beschränkt geschäftsfähige, minderjährige Kind kann die Anfechtung jedoch nur durch den gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes erklären, § 1600 k Abs. I BGB. Da das Vormundschaftsgericht dem Kindeswohl verpflichtet ist, ist die Frage, ob der Anerkennende der biologische Vater ist, nicht allein ausschlaggebend.63 In formeller Hinsicht hat das Kind die Fristvorschrift des § 1600 i BGB zu beachten. Grundsätzlich kann das Kind binnen zweier Jahre nach Kenntnis der Anerkennung und der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände anfechten. Diese Frist beginnt neu, wenn die Mutter den anerkennenden Mann geheiratet hat und diese Ehe wieder geschieden worden ist, § 1600 i Abs. II BGB, wenn
62 Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, daß es sich dabei meist um Anerkenntnisse handelt, die dem Kindeswohl dienen und eine faktische Vaterschaft zu einer rechtlichen Vaterschaft werden Jassen. Aus diesem Grunde wird auch der Pfleger einer wahrscheinlich oder sicher falschen Anerkennung zustimmen, wenn das Kind sonst vaterlos bliebe oder der Anerkennende die Mutter heiraten will und eine dauernde Lebensgemeinschaft zu erwarten ist. Vgl. auch Gottwald, FS Hubmann, S. 115. Frank, FamRZ 1992, S. 1366, zweifelt daran, daß die Jugendämter in diesen Fällen zustimmen würden - sie verhinderten offensichtlich falsche Anerkenntnisse.
63
Gottwald, FS Hubmann, S. 115.
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die Mutter einen anderen als den anerkennenden Mann geheiratet hat64 und wenn das Kind volljährig geworden ist, § 1600 k Abs. IV S. 2 BGB.
c) Die Wirkungen von Anerkenntnis und Anfechtung des Anerkenntnisses Die Anerkennung der Vaterschaft bewirkt als rechtlich konstitutiver Akt die Herstellung verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem anerkennenden Mann und dem Kind. Es gelten zwischen ihnen, mit Ausnahme der Modifikationen der §§ 1934 a ff und 1615 a ff BGB, vom Zeitpunkt der Wirksamkeit der Anerkennung die gleichen Verwandtschaftsvorschriften wie bei ehelichen Kindern. Die erfolgreiche Anfechtung führt dagegen zu einer rückwirkenden Feststellung der Unrichtigkeit des Anerkenntnisses und damit auch der Rechtsfolgen des Anerkenntnisses. 65
d) Bewertung des Vaterschaftsanerkenntnisses im Hinblick auf das Kenntnisrecht des Kindes aa) Das Vaterschaftsanerkennungsverfahren stellt das bevorzugte und einfach zu handhabende Instrument dar, um ein nichteheliches Kind in den überwiegenden Fällen dem tatsächlichen biologischen Vater auch rechtlich zuzuordnen. Soweit ein nichteheliches Kind seinen Erzeuger ermittelt hat und noch keinem anderen Mann rechtlich zugeordnet ist, kann es diesen möglicherweise zu einer Anerkennung bewegen und sein Kenntnisrecht auf diese Weise klärend ausüben. Von besonderer Zuverlässigkeit ist dieses Verfahren jedoch nicht, da es von den Angaben des anerkennenden Mannes und meistens auch der Mutter abhängig ist und beide aufgrundeines gemeinsamen Interesses oder Irrtumes wahrheitswidrige Angaben machen können.
64
Um eine Legitimation zu ermöglichen.
Ob die erbrachten Leistungen damit ihren Rechtsgrund verlieren, ist streitig. Dafür Ja11emig, §§ 1600 g-1600 m I 1. A.A. Andreas Roth, FuR 1991, S. 86: Auch bei einer Täuschung durch die Mutter hat der Scheinvater für eine Zeit Elternverantwortung übernommen, an die die Unterhaltsverpflichtung gekoppelt ist und nicht rückwirkend fortfallen kann. Eine Schutzwürdigkeit des Anerkennenden verneint auch Küppers, NJW 1993, S. 2919. 65
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Vor einem entsprechenden Zusammenwirken der prospektiven Eltern kann sich, soweit nicht das Jugendamt als gesetzlicher Vertreter den Wahrheitsgehalt der Angaben bezweifelt, nur das über vierzehn Jahre alte Kind durch eine Zustimmungsverweigerung schützen. Erst mit diesem Alter wird das Kind aber auch die Vorteile einer Anerkennung durch einen anderen als den tatsächlichen Vater beurteilen können. Einschränkungen durch die Verfahrensregelungen bestehen kaum. So ist z.B. der Fall, daß das Kind einer Anerkennung durch seinen tatsächlichen Vater zustimmt, die Mutter aber, soweit sie die gesetzliche Vertreterin ist, widerspricht, durch die Möglichkeit einer Pflegerbestellung (§ 1707 S. 3 BGB) überwindbar. Das Vaterschaftsanerkennungsverfahren ist daher für die Klärung der eigenen biologischen Abstammung ein nur bedingt geeignetes, aber rechtlich unkompliziertes Verfahren, da keine objektive Überprüfung der Abstammung erfolgt. In Fällen, in denen die Abstammung z.B. wegen eindeutiger äußerer Tatsachen (vererbte Merkmale) oder aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum prospektiven Vater unbezweifelt sind, kann die Anerkennung für eine schnelle Übereinstimmung von rechtlicher und tatsächlicher Vaterschaft sorgen. bb) Bei einer Anfechtung eines Vaterschaftsanerkenntnisses hat das anfechtende Kind zu bedenken, daß es damit alle Ansprüche gegen den bisherigen Scheinvater verlieren und nur bei einer weitgehenden Gleichzeitigkeit von Anfechtung und Feststellungsklage gegen den mutmaßlichen Erzeuger sich dagegen absichern kann, nicht anschließend vaterlos zu sein und evtl. in materi~lle Not zu geraten. Die Einzelregelungen schränken das Anfechtungsrecht kaum ein. Das beschränkt geschäftsfähige Kind kann selbst klagen, die Fristenregelungen sind großzügig und ermöglichen insbesondere eine erneute Anfechtungsmöglichkeit nach Erreichen der Volljährigkeit. Die Beweislast obliegt nach § 1600 m BGB zwar dem Kind. Diese Hürde ist aber im Interesse des Kindes, nur bei bewiesener Sachlage rechtlich vaterlos zu werden, gerechtfertigt. Dem nichtehelichen, anerkannten Kind steht mit der Möglichkeit einer Anfechtung des Vaterschaftsanerkenntnisses ein sicheres gerichtliches Verfahren zur Klärung seiner Abstammung von dem Manne, der es als eigenes Kind anerkannt hat, ohne wesentliche Einschränkungen zur Verfügung.
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4. Gerichtliche Vaterschaftsfeststellung
a) Grundsätzliche Eignung, Voraussetzungen und Wirkung der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung Die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung hat nach § 1600 o Abs. I BGB das Ziel, den tatsächlichen biologischen Vater festzustellen. Neben dieser positiven Feststellung ist bei entsprechendem Klageantrag auch die negative Feststellung zulässig, nicht Vater des Kindes zu sein. 66 Die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung stellt daher für das nichteheliche Kind grundsätzlich das direkteste und sicherste Verfahren zur Klärung der eigenen Abstammung dar. Zur Klage berechtigt ist u.a. das Kind. Gesetzlicher Vertreter ist in der Regel das Jugendamt als Pfleger (nach der vorgesehenen gesetzlichen Neuregelung nur, wenn Beistandsschaft beantragt worden ist), die Mutter ist nur zu laden, § 640 e S. 1 ZPO. Das Kind muß seine Abstammung von dem beklagten Mann beweisen. Dabei hilft ihm die Vermutung in § 1600 o Abs. II S. 1 BGB - der Nachweis der Beiwohnung genügt. Aufgrund der modernen medizinischen Nachweismethoden ist ein positiver Vaterschaftsnachweis jedoch kein Problem mehr und in entsprechenden Verfahren die Regel. Die Klage ist auch noch nach dem Tod des Mannes möglich, § 1600 n Abs. II BGB. Das feststellende Urteil wirkt inter omnes und führt zu den gleichen Verwandtschaftswirkungen wie das Vaterschaftsanerkenntnis. Eine gleichzeitige Klage gegen mehrere Männer ist daher, wie auch bei einem Kind, das schon einen Vater rechtlich zugeordnet hat, aufgrund des dann fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig. Nach Rechtskraft des Feststellungsurteils ist durch die inter omnes-Wirkung bei Klagemißerfolg eine Wiederholung der Klage gegen den beklagten Mann ebenso ausgeschlossen, wie bei Klageerfolg eine weitere Klage gegen einen anderen Mann. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer unrichtigen Vaterschaftsfeststellung ist, abgesehen von den allgemeinen Regelungen (§ 578 Abs. I ZPO),
66 Str., siehe Felix Odersky, Nichtehelichen-Gesetz, 4. Aufl., Sielefeld 1978, § 1600 n I IV 1 mwN und Erman I Holzhauer, § 1600 n I 6.
126
3. Teil: Die Durchsetzbarkeil im geltenden Recht
durch den besonderen Restitutionsgrund des § 641 i ZPO möglich, wenn ein neues Vaterschaftsgutachten die Abstammung von dem festgestellten Mann widerlegt bzw. nachweist, daß die frühere Feststellung, daß der Mann nicht der Vater des Kindes ist, falsch war. Hier überwiegt das Ziel der Ermittlung der wahren Abstammung das Streben nach Rechtsfrieden.
b) Bewertung der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung im Hinblick auf das Kenntnisrecht Die Feststellungsklage ist verbunden mit einer rechtlichen Zuordnung des Kindes zum tatsächlichen Vater und daher nur für das noch oder wieder vaterlose Kind zulässig. Abgesehen von diesen Einschränkungen tatsächlicher Art ist die Feststellungsklage für das nichteheliche Kind, das seinen mutmaßlichen Erzeuger benennen kann, das sicherste Verfahren zur Klärung der eigenen Abstammung, das zudem ohne nennenswerte Hindernisse materieller und formeller Art in Anspruch genommen werden kann.
5. Isolierte Abstammungsfeststellungsklage
Eine weitere Möglichkeit des Kindes, sichere Kenntnis über seine eigene Abstammung zu erhalten, ohne riskieren zu müssen, dadurch eine bestehende Zuordnung zu verlieren, kann eine isolierte, also ohne rechtliche Konsequenzen bleibende Abstammungsfeststellungsklage sein. Für die Durchsetzung des Kenntnisrechts des ehelichen Kind hat das BVerfG auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen, die Problemlösung aber dem Gesetzgeber überlassen und insoweit eine Zulassung dieses Weges de lege lata ausgeschlossen. 67 Für das nichteheliche Kind ist ein derartiges Verfahren von der geltenden Regelung der Vaterschaftsfeststellungsklage abzugrenzen. In den§§ 1600 n und 1600 o BGB werden andere Verfahren zur Vaterschaftsfeststellung weder nach Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Regelungen ausgeschlossen. Anderes ergibt sich dagegen aus der allgemeinen Norm des § 1600 a BGB. § 1600 a BGB beschränkt, wie die entsprechende Regelung des § 1593 BGB,
67
Urteil vom 31.1.1989. Im einzelnen dazu unten 4. Teil B V.
A. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei nichtehelichen Kindem
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die Vaterschaftsfeststellungsmöglichkeiten exklusiv auf die beiden bereits genannten Verfahren. Diese Beschränkung läßt sich auch nicht mit dem Argument aufheben, daß § 1600 a BGB damit nur Verfahren mit Wirkung für und gegen alle meine, da die Möglichkeit der Geltendmachung von Statuswirkungen erst aus den Feststellungen folgen soll und daher nicht als parallele Voraussetzungen angesehen werden können. Sinn und Zweck der Bestimmung des § 1600 a BGB war es, eine isolierte Abstammungsfeststellungsklage auszuschließen, um die vor der Nichtehelichenreform mögliche Zweiteilung der Vaterschaft in eine rechtliche Vaterschaft ("mit Wirkung für und gegen alle") und in eine Zahlvaterschaft (als einzelne - "isolierte" - Rechtswirkung) und die damit verbundene Widersprüchlichkeit zu vermeiden. Dieser Gesetzeszweck hat weiterhin Gültigkeit. Die in der Literatur z.T., aber nur andeutungsweise, vorgetragenen Äußerungen zu einem isolierten Abstammungsfeststellungsrecht des Kindes, das sich auf die Wirkungen des § 4 EheG, das Inzestverbot und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung beschränkt68, sind daher nur de lege ferenda von Interesse. Da bereits das BVerfG eine verfassungskonforme Interpretation des § 1593 BGB in dem Sinne, das die Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung dennoch möglich bleibt, abgelehnt hat, wird auch eine entsprechende Interpretation des § 1600 a BGB, die über dessen Wortlaut hinausginge69, ausscheiden müssen.
ß. Geltendes System der Kindeszuordnung bei nichtehelichen Kindem und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durchsetzung des Kenntnisrechts - Ergebnis
Das nichtehelichen Kind, das seinen Vater nicht kennt, hat einen Auskunftsanspruch sowohl gegen seine Mutter als auch gegen seinen vermuteten Erzeuger sowie gegen jeden Dritten, zu dem das Kind in einer rechtlich fixierbaren Sonderbeziehung steht oder gestanden hat. Dieser Auskunftsanspruch ist aufgrund der vorzunehmenden Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten der Mut-
68 Hohloch, StAZ 1986, S. 159; Gemhuber, § 45 IX; Erman I Holzhauer, § 1593 I 12 (zur Wirkung von § 4 EheG). 69 So aber Erman I Holzhauer, § 1593 I 25a (8. Aufl., in der 9. Aufl. aufgegeben), für das eheliche Kind: Aufgrund der Entscheidung des BVerfG zur Anerkennung des Rechts der eigenen Abstammung müsse§ 1593 BGB so ausgelegt werden, daß diese Bestimmung einer Klage des Kindes nicht entgegensteht.
128
3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
ter jedoch nicht mit Mitteln der Zwangsvollstreckung nach § 888 Abs. I ZPO zwangsweise staatlich durchsetzbar. Hat das Kind eine Vermutung, wer sein Vater ist, ist sich der tatsächlichen Vaterschaft aber nicht sicher und will es daher ein rechtlich klärendes gerichtliches Verfahren in Anspruch nehmen, steht ihm nur die Möglichkeit offen, eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung zu beantragen. Es wird damit diesem Manne aber zugleich rechtlich zugeordnet. Wünscht es diese Folge dagegen nicht, weil es eine bereits vorhandene Zuordnung nicht abbrechen will, steht ihm eine Durchsetzungsmöglichkeit nicht zur Verfügung, da die Sperrwirkung des § 1600 a BGB, die nach den Feststellungen des BVerfG im Urteil vom 31.1. 1989 nicht durch verfassungskonforme Interpretation überwunden werden kann, eine isolierten Abstammungsfeststellungsklage ausschließt.
B. Geltendes System der Kindeszuordnung bei ehelichen Kindern und Möglichkeiten der Statuskorrektur zur Durcbsetzung des Kenntnisrechts Auch bei ehelichen Kindem gibt es, wie im 1. Teil unter A. ausgeführt, Fälle, bei denen die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern von der genetischen Abstammung abweicht. Diese Fälle sollen zunächst anhand des geltenden Zuordnungssystems näher dargestellt werden, um anschließend die Möglichkeiten des Kindes zur Information über seine genetische Abstammung zu untersuchen. Zur Erinnerung: Festgestellt worden war, daß bei einem ehelichen Kind eine Scheinehelichkeit, also ein Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft, und ein Informationsbedürfnis des Kindes über die Person seines Erzeugers in drei Fällen denkbar ist, wenn es während der (äußerlich intakten) Ehe der Mutter mit dem Scheinvater vor der Heirat der Mutter mit dem Scheinvater oder während des Scheidungsverfahrens bzw. des Trennungsjahres von einem anderen Mann gezeugt worden ist. Fälle medizinisch unterstützter Fortpflanzung werden in diesem Zusammenhang nicht betrachtet. Da alle drei Fälle den gleichen Regelungen über die eheliche Abstammung unterliegen, sollen sie nachfolgend gemeinsam untersucht werden.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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I. Die Statuszuordnung
Nach der Regel "pater est quem nuptiae demonstrant", § 1593 BGB, gilt rechtlich der Ehemann als Vater, unabhängig von seiner tatsächlichen Vaterschaft. Für diese Regel spricht eine große tatsächliche Wahrscheinlichkeit und rechtfertigt sie damit in der Lebenswirklichkeit Eine der Ausnahmen stellt das Ehebruchskind dar, das in Unkenntnis oder trotz Kenntnis des Ehebruchs vom Ehemann mit aufgezogen wird. Rechtlich gilt es nach der pater est-Regel als eheliches Kind, da es nach der Eheschließung geboren wurde. Auf diese Weise wird dem Ehemann auch das Kind zugeordnet, das vor seiner Heirat mit der Kindesmutter von einem anderen Mann gezeugt worden ist, wenn es nach der Eheschließung geboren wurde. Auch für diesen Fall gilt zunächst die Beiwohnungsvermutung des§ 1591 Abs. II BGB zugunsten des Ehemannes. Ein Kind, daß während des Scheidungsverfahrens bzw. des Trennungsjahres von einem anderen Mann gezeugt worden ist, gilt ebenfalls als ehelich, da ein Getrenntleben vom deutschen Abstammungsrecht nicht beachtet wird und noch jedes bis zu 302 Tage nach der Beendigung der Ehe geborene Kind als in dieser beendeten Ehe empfangen gilt und ihr damit zugerechnet wird, §§ 1591, 1592 BGB. Etwas anderes gilt nur bei Wiederverheiratung der Mutter vor Geburt des Kindes, § 1600 BGB.
Il. Die Informationsmöglichkeiten des Kindes
Dem Kind stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, seine Abstammung von einem anderen Mann als dem Ehemann der Mutter zu erfahren. Vorausgesetzt ist in der Lebenswirklichkeit, daß das Kind auf irgendeine Weise Zweifel an seiner Abstammung vom Ehemann der Mutter bekommen hat (z.B. durch eine abweichende Augenfarbe). Die einfachste Möglichkeit ist zunächst, die Mutter um Auskunft zu bitten. Das Kind kann aber auch gegen einen von ihm als Vater vermuteten Mann eine gerichtliche Feststellungsklage erheben, um
9 von Sethe
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
Gewißheit über die Erzeugerschaft zu erhalten. Nach geltendem Recht ist jedoch zunächst die Ehelichkeit anzufechten, § 1593 BGB.70
1. Auskunftspflicht der Mutter Die Frage, ob das Kind von der Mutter Auskunft über den biologischen Vater verlangen kann, ist bisher nur für das nichteheliche Kind erörtert worden. Ob die Lage des ehelichen Kindes der des nichtehelichen Kindes entspricht, dessen Mutter in gleicher Weise die Auskunft über den Erzeuger verweigert und es daher ebenfalls die Auskunft verlangen kann, wird nachfolgend geprüft. Wie bereits für den Anspruch des nichtehelichen Kindes erwähnt, ist es der gemeinsame Nenner aller Auffassungen zur Frage eines Auskunftsanspruches des Kindes, daß die Mutter während der Minderjährigkeit des Kindes nach eigenen erzieherischen Grundsätzen verfahren und bestimmen kann, wann und wie sie das Kind über seine Abstammung aufklärt. 71 Daher stellt sich auch für das eheliche Kind mit Erreichen der Volljährigkeit die Frage, ob es die Mutter, wenn diese den Namen des Erzeugers verschweigt, gerichtlich zur Nennung des Erzeugers verpflichten kann.72 Diese Frage soll an dem Beispiel einer Entscheidung des OLG Oldenburg untersucht werden.
a) Die Entscheidung des OLG Oldenburg73 Das OLG Oldenburg hatte über eine Kostenentscheidung der Vorinstanz nach beiderseitiger Erledigungserklärung gern. § 91 a ZPO zu befinden. Der 1938 nichtehelich geborene, aber durch Eheschließung legitimierte Kläger des Ausgangsverfahrens erfuhr bei der eigenen Eheschließung von der ursprünglichen
70 Treffender wäre die Bezeichnung ,.Anfechtung der - ehelichen - Vaterschaft" wie in den §§ 61 ff des FamGB der ehemaligen DDR. Zur allgemeinen Verständlichkeit soll es flir die Darstellung des geltenden Rechts jedoch bei dieser Terminologie bleiben. 71 S.o. 3. Teil A I Art. 6 Abs. II GG schützt das elterliche Erziehungsrecht, das mit der Anerkennung eines Auskunftsanspruchs Minderjähriger ohne ausreichende Rechtfertigung untergraben würde. 72 Bei minderjährigen ehelichen Kindem stellen sich nicht die Probleme wie bei nichtehelichen Kindern, bei denen der Amtspfleger oft versucht, den Auskunftsanspruch im Namen des Kindes geltend zu machen.
73
17.7.1990, FamRZ 1992, S. 351.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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Nichtehelichkeit Jahre später verlangte er von seiner Mutter die Auskunft, ob ihr mittlerweile verstorbener Ehemann sein leiblicher Vater gewesen sei. Das Gericht lehnte das Begehren des Klägers ab. Zunächst setzte sich das Gericht mit der Entscheidung des BVerfG vom 18.1. 1988, in der das BVerfG den Auskunftsanspruch des volljährigen, nichtebeliehen Kindes gebilligt hatte, auseinander. Es verwies darauf, daß das BVerfG in dieser Entscheidung das Recht auf Kenntnis des leiblichen Vaters nicht nur aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sondern auch aus dem Gleichstellungsgehot nichtehelicher mit ehelichen Kindern, Art. 6 Abs. V GG, gefolgert habe. Da der Kläger aber den Status eines ehelichen Kindes innehabe, sei das Kenntnisrecht schon nach der Begründung des BVerfG nicht auf ihn anwendbar. Zudem habe mit der Legitimation (das Gericht wird die der Legitimation vorausgehende Feststellung der Vaterschaft gemeint haben) ein dem Auskunftsanspruch mindestens wirkungsgleicher und den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Klägers genügender Offenbarungsakt vorgelegen. Neben diesem Offenbarungsakt bestehe kein schutzwürdiges Interesse für eine ausdrückliche Benennung des mütterlichen Ehemannes als leiblichen Vater. In einem zweiten Argumentationsstrang meint das Gericht, daß es dem Kläger nicht um die Benennung eines ,,richtigen" leiblichen Vaters ginge, sondern um die Klärung seiner Zweifel an der Richtigkeit der bislang "unstreitigen" Annahme, der frühere Ehemann sei auch biologisch Vater des Klägers. Dieser Auskunftsanspruch sei nach geltendem Recht aber nur im Rahmen der Ehelichkeitsanfechtung zu klären. Die exklusive Stellung dieses Verfahrens zur Klärung der Abstammung ehelicher Kinder erkläre sich aus der Regelung der Ausschlußfristen in den §§ 1596 Abs. II und 1598 BGB und könne nicht durch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und einen Anspruch aus § 1618 a BGB im Sinne einer verfassungskonformen Interpretation der Ehelichkeitsanfechtungsregeln abgeändert werden. Diese Änderung sei nach der Entscheidung des BVerfG vom 31.1.1989 dem Gesetzgeber vorbehalten, dem auch die Einführung eines allgemeinen Auskunftsanspruches überlassen bleibe. Die einleitende Argumentation des Gerichts vernachlässigt, daß das BVerfG im Urteil vom 18.1.1988 Art. 6 Abs. V GG nur mitentscheidend angeführt hat. Da sich der zu entscheidende Sachverhalt auf ein nichteheliches Kind bezog, lag es nicht fern, Art. 6 Abs. V GG zu zitieren. Die Argumentation mit Art. 6 Abs. V GG besagt aber noch nicht, daß das eheliche Kind keinen Anspruch auf Kenntnis seiner Abstammung hat. An dieser Stelle hätte das Gericht prüfen müssen, ob die Ableitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, die das 9*
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
BVerfG auch angeführt hat, nicht schon allein den klägerischen Auskunftsanspruch begründet. Schon an dieser Stelle hätte das OLG Oldenburg auf das BVerfG-Urteil vom 31.1.1989 eingehen müssen. In dieser Entscheidung hat das BVerfG das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung sehr viel gründlicher analysiert und als verfassungsrechtliche Grundlage nur noch Art. 2 Abs. I, jedoch nicht mehr Art. 6 Abs. V GG genannt. Es hat das Kenntnisrecht damit auch ehelichen Kindern eröffnet- das OLG hätte somit zu einer anderen Wertung der in die Abwägung einzustellenden Interessen gelangen müssen. Die These des OLG Oldenburg, die der Legitimation vorausgehende Feststellung der Vaterschaft sei ein dem Benennungsanspruch wirkungsgleicher und dem Auskunftsinteresse genügender Offenbarungsakt, ist allerdings zunächst überzeugend. Zwar sichert die Legitimation nicht, wie bereits festgestellt worden ist, daß der ,,Legitimierende" auch der leibliche Vater ist. Die Anerkennungserklärung des Mannes wie auch die Zustimmungserklärung des Kindes bzw. der das Kind vertretenden Mutter stellen jedoch in gleicher Weise eine "Auskunft" dar, deren Wahrheitsgehalt nicht anders sein muß als bei einer Auskunft, die auf der Grundlage des Benennungsanspruchs erteilt worden ist. In beiden Fällen können andere Motivationen wesentlicher sein als der Wille, das Kind auch dem leiblichen Vater zuzuordnen, und die Beteiligten zu einer Falschangabe verleiten. Angreifbar ist jedoch die damit vom Gericht vorgenommene Differenzierung zwischen dem Auskunftsanspruch eines aufgrund Legitimation ehelichen und eines nichtehelichen Kindes. Das Auskunftsinteresse des legitimierten Kindes kann sich von dem Auskunftsinteresse des bis dahin vaterlosen nichtehelichen Kindes zwar dadurch unterscheiden, daß das legitimierte Kind bereits einen Vater rechtlich zugeordnet bekommen hat. Darum geht es einem Kind bei dem Verlangen nach Auskunft aber nicht unbedingt. Eine rechtliche Zuordnung mag zwar erwünscht sein, wenn es um die Geltendmachung finanzieller Ansprüche geht; andererseits ist vom BVerfG aber ausdrücklich das ideelle Interesse als genügend anerkannt worden. Und dieses ideelle Interesse kann bei allen Kindern bestehen, deren Abstammung zweifelhaft ist - auch bei legitimierten Kindern. Die Legitimation ist daher kein einer Auskunft wirkungsgleicher Offenbarungsakt, die dem Interesse an der Kenntnis der eigenen Abstammung genügt, da sie keine Auskunft der Mutter über die Person des leiblichen Vaters enthält und Abweichungen möglich sind. Diese Argumentation genügt daher nicht dazu,
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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den vom Kläger geltend gemachten Auskunftsanspruch gern. § 1618 a BGB i.V.m. dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu Fall zu bringen. Der zweite Argumentationsstrang des Gerichts ist dagegen überzeugend. Der Auskunftsanspruch, der mit der Entscheidung des BVerfG vom 18.1.1988 dem nichtehelichen Kind eingeräumt worden ist, stößt beim ehelichen Kind auf die speziellen Vorschriften der Ehelichkeitsanfechtung, die die Feststellung eines anderen Mannes als Erzeuger erst nach wirksamer Anfechtung der Ehelichkeit ermöglicht. Dadurch soll eine Zweigleisigkeit vermieden werden, wie sie bis zum Familienrechtsänderungsgesetz 1961 mit der Möglichkeit einer rechtlich festgestellten tatsächlichen und einer bloßen Zahlvaterschaft gegeben war. § 1593 BGB hat aber auch die andere Aufgabe, den Ehelichkeitsstatus des
Kindes zu sichern. Da das Kind mit der Auskunftsklage indirekt seine Nichtehelichkeit behauptet, kann schon damit der Anwendungsbereich von § 1593 BGB betroffen sein. Es ist dennoch fraglich, ob diese Regelung dem Ausschluß einer Auskunftsklage nach sich ziehen muß. § 1593 BGB verbietet ein "Geltendmachen" der Nichtehelichkeit Gemeint sind damit die rechtlichen Folgen der Nichtehelichkeit. Eine Auskunftsklage bleibt aber ohne rechtlichen Folgen - sie soll nur das bloße Kenntnisinteresse befriedigen.74 Aber auch der weitere Zweck von § 1593, zu vermeiden, daß das Kind als nichtehelich zu gelten hat und daher früher oft diskriminiert wurde, wird nicht in Frage gestellt, soweit das Kind seinen Ehelichkeitsstatus selbst anzweifeln will und es mit seiner Volljährigkeit zudem selbst über die Vorschriften, die sein Kindeswohl sichern sollten, verfügen können muß.75 Zuzugeben ist jedoch, daß einer der Mängel des Zweigleisigkeitsmodells von vor 1961 die nur schwer einsehbare Widersprüchlichkeit zwischen einer rechtlich festgestellten tatsächlichen und einer Zahlvaterschaft war. Schwer einsehbar war dabei aber auch, daß der Zahlvater oft - außer Pflichten - nichts vom Kind hatte. Diese Widersprüchlichkeit ist bei einer Auskunftsklage eines ehelichen Kindes nicht zu erwarten, da mit der Auskunftsklage keine Feststellung verbunden ist und alle Rechte und Pflichten beim Scheinvater verbleiben. Es läge dann bei dem Kind, ob es aufgrund der Auskunft in einem weiteren Schritt
74 Die Nichtehelichkeit darf daher auch in Scheidungsverfahren "geltend gemacht werden": BayObLG 5.12.1961, FamRZ 1962, 169; Staudinger I Göppinger, 12. Aufl., § 1593/32; ähnl. Erman I Holzhauer, § 1593/18 und Gemhuber, § 45 I 7, S. 649.
75
Zur teleologischen Einschränkung von § 1593 BGB auch Feuerbom, FamRZ 1991, S. 517.
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeil im geltenden Recht
die Bande zum Scheinvater über den Weg der Ehelichkeitsanfechtung löst. Ein Gegeneinander von Ehelichkeitsanfechtung und Auskunftsklage ist daher nicht gegeben, beide Verfahren können sich vielmehr ergänzen. Fraglich ist jedoch, ob das Gericht Rücksicht auf die umfassende Beauftragung des Gesetzgebers durch das BVerfG nehmen mußte. Das BVerfG hatte nämlich nicht nur, wie es im Urteil des OLG heißt, eine Ergänzung der Ehelichkeitsanfechtungsgründe für denkbar erachtet, sondern auch (aber wohl alternativ) die Einführung einer Abstammungsfeststellungsklage. Aber auch die Abstammungsfeststellungsklage unterscheidet sich wesentlich von der Auskunftsklage, selbst wenn sie in gleicher Weise wie eine Auskunftsklage keine rechtlichen Wirkungen nach sich zieht. Die Feststellungsklage ist gegen einen konkret benannten möglichen Erzeuger zu richten, die Auskunftsklage richtet sich dagegen primär gegen die Mutter, die erst den Erzeuger benennen soll, eher selten gegen eine dritte Person oder den evtl. Erzeuger. Die Feststellungsklage kann ein Beweisverfahren zur Folge haben, die Auskunftsklage nur die Vernehmung der Mutter. Auch der zweite Argumentationsstrang des OLG ist daher unzureichend - das Gericht hätte vielmehr dem klägerischen Auskunftsverlangen gern. § 1618 a BGB i.V.m. dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zustimmen müssen. 76 Andere Gerichtsurteile zu dem Auskunftsanspruch eines ehelichen Kindes sind, wie auch Literaturstimmen, nicht ersichtlich.77 76 Die Auffassung des OLG Oldenburg wird von Palandt I Diederich.sen, Einf vor§ 1591 I 2, und Erman I Holzhauer, § 1596/ 2 a.E., geteilt.
77 In einem vom AG Phillipsburg (11.2.1987, DAV 1988, S. 425) zu entscheidenden Fall hatte der frühere Ehemann nach erfolgreicher Anfechtung der Ehelichkeit eines bis dahin gemeinsamen Kindes von der Mutter Auskunft über den Erzeuger des Kindes verlangt, um diesen sodann auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung gewährten Unterhalts verklagen zu können. Das Gericht gab der Klage statt. Der Kläger habe einen Ausgleichsanspruch gegen den Erzeuger des Kindes nach§ 1615 b Abs. I S. 1 BGB. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs sei der Kläger auf die Benennung angewiesen; eine Sonderbeziehung sei dadurch gegeben, daß die Beklagte laufend konkludent erklärt habe, das Kind sei der Sohn des Klägers. Das Gericht nahm keine Stellung dazu, wie es sich die Durchsetzung des Urteilsspruchs vorstellt. Das Gericht nahm aber eine Interessenahwägung vor, in die es zu Lasten der Klägerin ihr vorangegangenes Tun und die drohende Rechtlosstellung des Klägers einstellte. Im Ergebnis stellte es damit die finanziellen Interessen des Mannes vor den Schutz der Intimsphäre der Frau. In einem ähnlichen Sachverhalt hat ein anderes Gericht dagegen gleich einen Ausgleichsanspruch gegen die Ehefrau anerkannt und das Problem eines Auskunftsanspruchs damit vermieden (LG Baden-Baden 29.11.1991, NJW 1992, S. 15I4). Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist allerdings ein deliktischer Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer sich auf den innerehelichen Bereich beziehenden Pflicht ausgeschlossen (zuletzt 19.12.1989, FuR 1990, S. 170 = FamRZ 1990, S. 367). soweit es sich nicht um eine sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung handelt (§ 826 BGB); dazu Andreas Roth, FuR 1991, S. 86.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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b) Eigene Stellungnahme und Ergebnis zur Auskunftspflicht der Mutter Es bestehen keine rechtfertigenden Gründe, zwischen dem Auskunftsanspruch eines ehelichen und dem eines nichtehelichen Kindes zu differenzieren. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das dem Auskunftsanspruch als wesentliches Abwägungskriterium zugrundeliegt, steht in seiner Ableitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht allen Kindern, die ihre Abstammung nicht kennen, in gleicher Weise zu. Die vorgetragenen Gegenargumente können nicht überzeugen. Eine Berufung auf Art. 6 Abs. V GG kann nur den Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes unterstützten und hervorheben, daß es unter nichtebeliehen Kindern mehr Kinder geben wird, die ihre Abstammung nicht kennen, als unter ehelichen. Darüber hinaus hat sich die Situation nichtehelicher Kinder mittlerweile so verändert, daß sie keiner Vorrechte mehr zum Ausgleich ihrer früher gegebenen Benachteiligung bedürfen -und ein Vorrecht würde es darstellen, wenn nur sie von ihrer Mutter Auskunft über ihren Erzeuger verlangen dürften. 78 Entsprechend hat das BVerfG in seinem Urteil vom 31.1.1989 das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung auch nicht mehr auf Art. 6 Abs. V GG gestützt. Aber auch die These, die Legitimation stelle ein dem Benennungsanspruch wirkungsgleichen und dem Auskunftsinteresse des, damit ehelichen, Kindes genügenden Offenbarungsakt dar, überzeugt insoweit nicht, als das Kind trotz der durch die Legitimation erfolgten Zuordnung zu einem Mann in gleicher Weise wie ein nichteheliches Kind ein Auskunftsinteresse haben kann, das nicht schon durch die Zuordnung beseitigt worden ist. Auch die Ehelichkeitsanfechtungsregeln stehen einem Auskunftsanspruch des ehelichen Kindes nicht entgegen. Der Auskunftsanspruch stellt nur eine vorbereitende Maßnahme dar, die noch keine rechtlichen Folgen nach sich zieht und nicht die von § 1593 BGB verbotene "Geltendmachung der Nichtehelichkeit" darstellt, da sie die Nichtehelichkeit nicht sicher feststellt.
78 Nach der bevorstehenden, die rechtliche Trennung ehelicher und nichtehelicher Kinder aufgebenden Reform ist die Argumentation mit Art. 6 Abs. V GG zudem kaum noch möglich. Zum heutigen Inhalt von Art. 6 Abs. V GG vgl. besonders Andreas Roth, FamRZ 1991, S. 139 (140 f).
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeil im geltenden Recht
Dem Gesetzgeber wird mit der Anerkennung des Anspruchs nicht vorgegriffen. Die vom BVerfG im Urteil vom 31.1.1989 genannte Möglichkeit einer isolierten Feststellungsklage unterscheidet sich von der Auskunftsklage in mehrfacher Hinsicht - bezüglich des Klagegegners, der Beweismöglichkeiten und der rechtlichen Wirkungen, da die Feststellung zumindest für abstammungsrechtliche Fragen, z.B. beim Eheverbot, Nutzung finden kann. Auch das eheliche Kind hat daher einen einklagbaren, höchstpersönlichen, aber nicht mit Mitteln der Zwangsvollstreckung durchsetzbaren Auskunftsanspruch gegen seine Mutter. Der Anspruch kann aufgrund der Erziehungsprärogative der Eltern, aber auch aufgrund der Höchstpersönlichkeit erst mit Erreichen der Volljährigkeit geltend gemacht werden.
2. Auskunftspflicht anderer Personen als der Mutter Da keine rechtfertigenden Gründe für eine Differenzierung zwischen ·dem Auskunftsanspruch eines ehelichen und eines nichtehelichen Kindes bestehen, kann auch das eheliche Kind dritte Personen mit Ausnahme des mutmaßlichen Erzeugers unter den bereits genannten Voraussetzungen zur Auskunft über seine Abstammung verpflichten und diesen Anspruch auch mit Zwangsmitteln durchsetzen.79 Im weiteren kann das Kind gemäß § 810 BGB und den dort genannten Voraussetzungen Einsicht in Urkunden nehmen, die Aussagen über seine Abstammung enthalten.
3. Die Ehelichkeitsanfechtung Ein eheliches Kind kann neben der Auskunftsklage gegen seine Mutter oder Dritte auch versuchen, sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung über eine Ehelichkeitsanfechtung und eine nachfolgende Vaterschaftsfeststellung durchzusetzen. Dazu ist zunächst zu klären, inwieweit überhaupt eine Ehelichkeitsanfechtung bei der Durchsetzung des Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung helfen kann und inwieweit die geltenden Regelungen die Durchsetzungsmöglichkeiten einschränken.
79
Vgl. zum nichtehelichen Kind 3. Teil A I 2.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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a) Das System der Ehelichkeitsanfechtung und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Die Beseitigung des Rechtsscheines der Ehelichkeit eines Kindes und damit auch der Vaterschaft des Muttergatten geschieht durch gerichtliche Anfechtung der Ehelichkeit. Wird vom Gericht die Nichtehelichkeit festgestellt, wird rückwirkend zum Zeitpunkt der Geburt der Status als eheliches Kind aufgehoben. Das Kind ist dem Muttergatten nicht mehr rechtlich zugeordnet, Unterhalts- und Erbansprüche gegen den bisherigen Scheinvater erlöschen. Als nunmehr nichteheliches Kind erwirbt das Kind Unterhaltsansprüche und Erb- bzw. Erbersatzansprüche gegen seinen biologischen Vater, vorausgesetzt, das Kind kann seinen biologischen Vater ermitteln und eine Feststellung im Sinne von§ 1600 a BGB erreichen. Im bisherigen System ist die Ehelichkeitsanfechtung, verbunden mit einer nachfolgenden Vaterschaftsfeststellung, der gegebene Weg für eheliche Kinder, die über den Auskunftsanspruch hinaus oder aufgrund verbleibender Zweifel bzw. Unzulänglichkeiten dieses Anspruchs ihre Abstammung von einem anderen Mann gerichtlich und sicher klären wollen. Andere Möglichkeiten, insbesondere eine Abstammungsfeststellungsklage ohne rechtliche Folgen für das Verhältnis sowohl zum Scheinvater wie zum biologischen Vater sind durch§ 1593 BGB ausgeschlossen und zur Zeit auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung einführbar, wie weiter unten noch auszuführen ist. Das System selbst hat mehrere innere Bedingungen, die sich auf die Möglichkeiten, Kenntnisse der eigenen Abstammung zu erlangen, auswirken. Die Ehelichkeitsanfechtung ist nicht zwingend mit der zeitlich nachfolgenden Feststellung des außerehelichen Erzeugers so verbunden, daß sie nur zustandekommt, wenn zugleich einer anderer Mann als Vater zugeordnet wird. Kommt es nicht zu einer (tatsächlichen, nicht rechtlichen) Verbindung beider Verfahren, geht das Kind mit der Anfechtung das Risiko ein, wegen mangelnder Ermittelbarkeit des Vaters oder sonstiger Feststellungshindernisse80 faktisch vaterlos zu werden. Es wird sich daher gut überlegen, ob es die Ehelichkeit anficht, um sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wahrzunehmen. Das Kind muß nicht nur gewillt sein, seine rechtliche Bindung zum Scheinvater und dem damit meist auch langjährigen faktischen Vater zu.lösen, sondern auch das Ri-
80
Auch bei einem Fristversäumnis des Prozeßbevollmächtigten, BGH 16.12.1959, BGHZ 31, 347.
3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
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siko einzugehen, bei der anschließenden Vaterschaftsfeststellung erfolglos zu sein - mit der Folge, die Prozeßkosten zu tragen und rechtlich vaterlos zu sein. Die Ehelichkeitsanfechtung wird daher nur in Betracht kommen, wenn erstens die Vater-Kind-Beziehung gestört ist oder dem Kind wenig an der Erhaltung der rechtlichen Bindung gelegen ist und zweitens das Kind sicher mit einer Feststellung des außerehelichen Erzeugers rechnen kann oder materiell so unabhängig ist, daß es auf Unterhaltsansprüche gegen den Scheinvater verzichten kann. Es ist daher für alle Kinder, die ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung durchsetzen möchten, äußerst unattraktiv, das Ehelichkeitsanfechtungsverfahren mit dem ausschließlichen Zweck einzuleiten, die biologische Abstammung klären zu lassen. Von daher ist es nicht erstaunlich, daß es bis zum Jahr 1986 gedauert hat, bis ein Ehelichkeitsanfechtungsverfahren mit diesem ausschließlichen Ziel (und Anfechtungshindemissen, die nur durch verfassungsgerichtliche Prüfung überwunden wurden) geführt wurde. Und es ist vielleicht auch nicht erstaunlich, daß dieses Verfahren "ausgerechnet im grauen Hamburg, der kühl-vernünftigen Handelsmetropole"81 angestrengt worden ist, da der Sachverhalt, der der Entscheidung des BVerfG vom 31.1.1989 zugrundelag, eine kühle Sicht bestehender Familienbeziehungen veranschaulicht. 82 Als Ergebnis bleibt jedoch zunächst festzustellen, daß die Ehelichkeitsanfechtung zwar ein Schritt auf dem Weg zur Kenntnis der eigenen Abstammung sein kann, die inneren Bedingungen dieses Instituts, das zur Zuordnungskorrektur und nicht zur Durchsetzung des Kenntnisrechts geschaffen worden ist, jedoch die weitaus meisten Interessenten von der Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abschrecken wird.
b) Die Einzelregelungen der Ehelichkeitsanfechtung Nachfolgend sollen die Einzelregelungen der Ehelichkeitsanfechtung dargestellt und unter dem Aspekt geprüft werden, inwieweit sie über die faktischen, bereits oben dargestellten Einschränkungen hinaus die Inanspruchnahme der Ehelichkeitsanfechtung als Verfahren zur gerichtlichen Abstammungsklärung weiter begrenzen. Dabei sollen hier ausschließlich die Aspekte interessieren, die
81
Dopffel, S. 3.
82
Siehe sogleich unten b cc.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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die Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes betreffen. Die Anfechtung durch andere Personen vermag dem Kind zwar auch zu einer Kenntnis der eigenen Abstammung zu verhelfen, dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Bereich, der dem höchstpersönlichen Recht auf Kenntnis der eigenen ·Abstammung zugerechnet werden kann. 83
aa) Die Entwicklung der Anfechtungsmöglichkeiten des Kindes seit 1900 Nach der ursprünglichen Fassung des BGB konnte allein der Ehemann der Mutter binnen eines Jahres seit Kenntnis der Geburt die Ehelichkeit eines Kindes anfechten. Nur wenn der Mann gestorben war, ohne das Anfechtungsrecht verloren zu haben, konnte die Nichtehelichkeit von jedermann in jedem Verfahren geltend gemacht werden, also auch vom Kind selbst.84 Begründet wurde dieser fast vollständige Ausschluß des Kindes von der Ehelichkeitsanfechtung mit dem regelmäßigen Interesse des Kindes, als eheliche Kind behandelt zu werden. 85 In der nationalsozialistischen Zeit wurde durch das FamRÄndG 1938 das Anfechtungsrecht des Staatsanwalts, das dieser im öffentlichen Interesse, im Interesse des Kindes oder (seit 1943) seiner Nachkommenschaft auszuüben hatte, neben das Anfechtungsrecht des Ehemannes gestellt- Ausdruck des Versuches, das "deutsche Volk rassenrein zu halten" und zu diesem Zweck die Abstammungsverhältnisse klären zu können. Gleichzeitig entfiel die Möglichkeit, die Nichtehelichkeit nach dem Tode des Ehemannes unbeschränkt geltendzumachen. Die Anfechtungsfrist des Ehemannes wurde dadurch faktisch verlängert, daß die Jahresfrist erst von der Kenntnis der Umstände an zu laufen begann, die für die Nichtehelichkeit sprachen.86 Das FamRÄndG 1938 vervollständigte auf diese Weise den Ausschluß des Kindes von der Ehelichkeitsanfechtung.
83 Zu den ebenfalls interessanten und zur Einführung vorgeschlagenen Anfechtungsmöglichkeiten für die Mutter, aber auch für den außerehelichen Erzeuger siehe Lange, NJW 1962, S. 1697; Finger, NJW 1984, S. 846; Schwenzer, FamRZ 1985, S. 1; Beitzke, FS Müller-Freienfels, S. 31 ff; Deichfuß, FuR 1991, S. 275; BGH 25.3.1981, FamRZ 1981, S. 538 und die Verfassungsbeschwerde I BvR 92 I 88, FuR 1990, S. 54.
84
Dopffel, S. 4; Lange, NJW 1962, S. 1697.
Dopffel, S. 4. Diese Vermutung hatte zur Jahrhundertwende einen anderen rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund (weitgehende Diskriminierung des unehelichen Kindes) als in heutigen Zeiten. 85
86
Dopffel, S. 5; Lange, NJW 1962, S. 1697.
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
bb) Das geltende Recht Das geltende Recht beruht auf dem FamRÄndG 1961. Die Anfechtungsfrist des Ehemannes wurde um ein Jahr verlängert und das Anfechtungsrecht des Staatsanwalts abgeschafft. Zum Ausgleich wurden die Befugnisse der Eltern des verstorbenen Ehemannes und des Kindes gestärkt. Das Anfechtungsrecht des Kindes wurde jedoch auf besonders genannte Fallkonstellationen beschränkt. Diese Fallkonstellationen sind in§ 1596 Abs. I BGB abschließend aufgezählt. Leitgedanke ist es, Prozesse des Kindes zu venneiden, welche die Ehe der Mutter oder den Familienfrieden gefährden könnten. Daher darf das Kind anfechten, wenn die Ehe der Mutter gescheitert ist (Nr. 2), der Muttergatte vor Verlust des Anfechtungsrechts gestorben ist (Nr. 1) oder wenn die Mutter später den Erzeuger geheiratet hat (Nr. 3). Die Sonderfälle einer "sittlich gerechtfertigten" Anfechtung (Nr. 4-5) sind dagegen von dem Gedanken bestimmt, dem Kind eine auch rechtliche Trennung aus in der Person des Scheinvaters liegenden Gründen, die eine Distanzierung gerechtfertigt erscheinen lassen, zu ermöglichen. Zeitlich unbefristet kann nur in den Sonderfällen angefochten werden, sonst ist eine zweijährige Frist zu beachten, die mit der Kenntnis der Umstände, die für die Nichtehelichkeit sprechen und und von dem Sachverhalt, der nach den Nr. 1-3 Voraussetzung für die Anfechtung ist, zu laufen beginnt, § 1596 Abs. II BGB. Diese Frist beginnt nach Eintritt der Volljährigkeit erneut zu laufen, soweit der gesetzliche Vertreter die Ehelichkeit nicht vorher angefochten hat. Für jedes fristgebundene Anfechtungsrecht läuft dabei eine eigene Anfechtungsfrist, nach Ablauf der zwei Jahre ist keine Anfechtung mehr möglich, § 1598 BGB.87 Für das minderjährige Kind handelt, mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, der gesetzliche Vertreter. Für die Kenntnis und damit den Fristbeginn ist auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, meist die Mutter(§ 1671), abzustellen. Die Mutter ist während des Bestehens der Ehe von der Vertretung ausgeschlossen, der Mann generell, da er Anfechtungsgegner ist(§§ 1599 Abs. I, 1629 Abs. II S. 1, 1795 Abs. II, 181 BGB).
87 So der Wonlaut von§ 1598 BGB und die h.M. Zur a.A. (ergänzende Auslegung entsprechend § 1594 und§ 1595 Abs. li S. 2 BGB) siehe unten 4. Teil B li 3 b.
B. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindern
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cc) Die Folgen des BVerfG-Urteils vom 31.1.1989 für das geltende Recht der Ehelichkeitsanfechtung Im Jahre 1986 hat eine Hamburger Schülerin, die während der Ehe der Mutter geboren war, kurz nach Erreichen der Volljährigkeit Klage beim Amtsgericht Harnburg zur Feststellung ihrer Nichtehelichkeit erhoben. Es lag keiner der in § 1596 Abs. I BGB bezeichneten Tatbestände vor, insbesondere bestand die Ehe der Mutter ohne jedwede Scheidungserwägungen. Die Klägerin trug vor, ihr selbst und ihrem gesetzlichen Vater sei seit langem bekannt, daß ihr wirklicher Vater ein bestimmter anderer Mann sei. Mit der Anfechtungsklage seien keine materiellen Interessen verbunden, sie wolle nichts weiter als die gerichtliche Klärung ihrer biologischen Abstammung erreichen. Die Mutter und ihr Ehemann versicherten dem Gericht, daß sie gegen die Durchführung des Ehelichkeitsanfechtungsverfahrens nichts einzuwenden hätten. In seinem hier interessierenden zweiten Entscheidungstenor88 erklärte das BVerfG die "§§ 1593, 1598 i.V.m. § 1596 Abs. I BGB. .. " mit dem Grundgesetz für " ... unvereinbar, soweit sie dem volljährigen Kind, von den gesetzlichen Anfechtungstatbeständen abgesehen, nicht nur die Änderung seines familienrechtlichen Status, sondern auch die gerichtliche Klärung seiner Abstammung ausnahmslos verwehren".
(1) Inhalt der Entscheidung (soweit für den Tenor 2 erheblich)
Das BVerfG bejahte zunächst die Vereinbarkeil der §§ 1593, 1598 BGB i.V.m. § 1596 Abs. I BGB mit Art. 6 Abs. I GG. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Schutzes von Ehe und Familie schließe nicht aus, das VaterKind-Verhältnis abweichend von der natürlichen Abstammung zu regeln, soweit die leibliche Abstammung des Kindes von dem Ehemann seiner Mutter als Regelfall anerkannt bleibe. Mit der Möglichkeit zur Ehelichkeitsanfechtung habe der Gesetzgeber den vorkommenden Abweichungen vom Regelfall Rechnung getragen. Die Beschränkungen des Anfechtungsrechts des Kindes im Interesse der Ehe der Mutter und seiner eigenen Familie auf die Fallkonstellationen des § 1596 Abs. I BGB seien durch Art. 6 Abs. I GG gerechtfertigt.
88 Zum Entscheidungstenor l schon im 2. Teil A 111 (allgemeines Persönlichkeitsrecht und Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung).
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3. Teil: Die Durchsetzbarkeit im geltenden Recht
Es verstoße jedoch gegen das allgemeines Persönlichkeitsrecht, daß ein volljähriges Kind durch die genannten Regelungen seine Abstammung ausnahmslos nur dann gerichtlich klären lassen könne, wenn - soweit die übrigen Anfechtungstatbestände nicht gegeben seien - die Ehe seiner Mutter geschieden, aufgehoben oder für nichtig erklärt ist oder die Ehegatten seit drei Jahren ohne Aussicht auf Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft getrennt leben. Nur in den Sonderfällen des § 1596 Abs. I Nr. 4-5 BGB habe der Gesetzgeber das Interesse des Kindes an einer Korrektur seines familienrechtlichen Status höher als den Bestandsschutz von Ehe und Familie bewertet. Diese Entscheidung begründete das BVerfG im einzelnen wie folgt: Ob die dargestellten weiten Vorbehalte für eine Ehelichkeitsanfechtung das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung verletzten, hänge davon ab, ob der Gesetzgeber mit diesen Vorbehalten einen verfassungsmäßigen Zweck verfolge und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalte. Dazu stellte das BVerfG fest, daß der Vorbehalt, die Anfechtung nur zuzulassen, wenn die Ehe der Mutter gescheitert sei, der Erhaltung des Ehe- und Familienfriedens diene und damit seine Rechtfertigung in Art. 6 Abs. I GG finde. Die gesetzliche Regelung sei jedoch unverhältnismäßig, soweit sie die Möglichkeiten beschränke, unter denen ein Volljähriger die Klärung seiner Abstammung herbeiführen könne. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Kindes entspreche nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn er zur Erreichung des angestrebten Zwecks, d.h. zur Erhaltung der Ehe und der Wahrung des Familienfriedens, beitrage, sein Ziel nicht mit weniger fühlbaren Beschränkungen des Persönlichkeitsrechts erreichen könne und bei Abwägung der Gesetzeszwecke und des eingeschränkten Grundrechts auch zurnutbar erscheine. Das Gericht stellte zunächst fest, daß das Gesetz zur Erreichung seines Zwecks hinreichend geeignet sei. Der Ausschluß des Anfechtungsrechts führe zwar nicht zu einem absoluten Schutz der Ehe der Mutter und des Familienfriedens, da das Kind dennoch einen Verdacht über seine außereheliche Abstammung zur Sprache bringen könne - wie auch der arglose Ehemann, wenn dieser Informationen über die wahre Vaterschaft erhalte. Die bestehende Regelung verhindere jedoch, daß die Vaterschaftsfrage aus der Familie hinausgetragen und vor einem staatlichen Gericht erörtert werde. Darin könne eine selb-
8. Kindeszuordnung und Statuskorrektur bei ehelichen Kindem
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ständige Gefahr für Ehe und Familie liegen, vor der die geltende Regelung schütze. Diese Regelung der Ehelichkeitsanfechtung sei auch, gemessen an den Interessen des Ehemannes an der Erhaltung der bisherigen sozialen Familienbeziehungen, zumutbar. Er habe zwar, als gesetzlicher Vater, dem Kind gegenüber Pflichten übernommen und den Kindesunterhalt gesichert. Auch seien Kinder mit zunehmendem Alter verpflichtet, ihrerseits den Eltern Beistand zu gewähren (§ 1618 a BGB). Die Interessen des Ehemanns seien auch insoweit betroffen, als er bei einer erfolgreichen Ehelichkeitsanfechtung unterhalts- und erbrechtliche Ansprüche gegen das Kind verliere. Aber auch bei Berücksichtigung dieser Interessen des Scheinvaters könne dem Persönlichkeitsrecht des volljährigen Kindes die geltende Beschränkung des Anfechtungsrechts nicht zugemutet werden. Anders als das minderjährige könne man das volljährigen Kind nicht zur weiteren rechtlichen Einbindung in eine Familie gezwungen werden, die nur durch die gesetzlich verordnete Stellung als eheliches Kind des Mannes seiner Mutter gebildet worden sei. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten könne daher nur das gesetzgebensehe Anliegen, Störungen des Familienfriedens und der Ehe der Mutter zu vermeiden, erheblich sein und eine Einschränkung des Anfechtungsrechts auch des volljährigen Kindes rechtfertigen. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung fehle jedoch in den Fällen, in denen nicht einmal eine abstrakte Gefahr für die Ehe oder den Familienfrieden zu erwarten sei. Ein Beispiel sei das vorliegende Verfahren, in dem die Eltern das Anfechtungsverfahren mittrügen - eine Entscheidung der Eltern, deren freie Fassung vermutet werden müsse, da der Staat durch Art. 6 Abs. I GG verpflichtet sei, die Familiengemeinschaft als eigenverantwortlich zu respektieren. Denkbar sei aber auch, daß das Kind schon vor seiner Volljährigkeit enge menschliche Beziehungen zu seinem vermutlichen leiblichen Vater entwickelt habe, die den Wunsch nach einer rechtlichen Klärung begründen könnten, oder, daß das Kind in einer Pflegefamilie aufgewachsen sei und niemals der Familie, dessen Interessen berücksichtigt werden soll, angehört habe. Diese Fälle, in denen ein Ausschluß der gerichtlichen Klärung nicht mehr mit dem allgemeines Persönlichkeitsrecht vereinbar sei, könnten nicht durch eine verfassungskonforme Interpretation der gesetzlichen Regelung gelöst werden. Wegen ihrer Unvollständigkeit müsse sie daher mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt werden.
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(2) Die unmittelbaren Folgen für das geltende Recht der Ehelichkeitsanfechtung Das Gericht hat die Ehelichkeitsanfechtungsregeln nicht generell für nichtig, sondern nur für "unvereinbar" erklärt. Die beanstandeten Vorschriften bleiben daher zunächst bestehen, der Gesetzgeber ist aber zur Schaffung einer verfassungskonformen Rechtslage verpflichtet. Dadurch wird der Eintritt eines Rechtsvakuums vermieden, der dem vom Grundgesetz gewollten Zustand noch weniger entspricht als die Verfassungswidrigkeit des überprüften Gesetzes.89 Bis zum Erlaß einer neuen Regelung sind die Gerichte aber verpflichtet, die für unvereinbar erklärten Bestimmungen nicht weiter anzuwenden und die Anlaßfälle, aber auch Parallelfalle in der Übergangszeit auszusetzen.90 Die Gerichte dürfen der Entscheidung des Gesetzgebers nicht vorgreifen91 und z.B., über die direkten Folgerungen aus dem BVerfG-Urteil hinaus, neue Verfahren, die eine zweckmäßige Lösung bieten könnten, einführen. Den Gerichten verbleibt allein die Möglichkeit, in den vom BVerfG ausdrücklich aufgeführten Beispielsfallen eine Anwendungserlaubnis zu sehen. Sie können aber nicht einem volljährigen Kind eine Ehelichkeitsanfechtung abseits der Vorbehalte des § 1596 Abs. I BGB ermöglichen. Ramm prognostizierte bereits in seiner Urteilsbesprechung, daß die Untergerichte mit dieser Unvereinbarkeitserklärung nicht zurecht kommen und allen volljährigen Kindern die Anfechtung ermöglichen würden. Insbesondere seien sehr unterschiedliche Anforderungen bei der Prognose, ob der Ehe- und Familienfriede gestört würde und ob ein formloses Einverständnis der Ehegatten genügt, zu erwarten.92 So hat ein Gericht bereits die vom BVerfG als entscheidungserheblich genannten Gedanken auf einen weiteren, nicht vom BVerfG genannten Fall erweitert und einem Kind, einer 28-jährigen Klägerin, deren familiäre Beziehungen zu ihren Eltern schon seit Jahren so nachhaltig gestört waren, daß nach Meinung des Gerichts durch die Anfechtung weder eine Beeinträchtigung des Familienfriedens noch der Ehe der Mutter zu erwarten war, die Anfechtung er-
Rn. 366 und 389. Rn. 368 und 378. 91 Schlaich, Rn. 391. Auch nicht bei Untätigkeit des Gesetzgebers- dann ist aber ein Schadens89
Schlaich,
90
Schlaich,
ersatzanspruch denkbar. 92
NJW 1989, S. 1594.
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möglicht. Dazu nahm es eine "verfassungskonforme Auslegung" von § 1596 vor und schränkte den Anwendungsbereich von § 1596 Abs. I Nr. 2 BGB teleologisch ein.93 Es ist zu erwarten, daß weitere mögliche Fallkonstellationen auftauchen. 94 Das BVerfG hat für diese erweiternde Handhabung seiner eigenen Entscheidung aber auch selbst den Boden bereitet, indem es zum einen nicht klargestellt hat, wie die Gerichte, ohne die Verfahren über Jahre aussetzen zu müssen, bis zur Entscheidung des Gesetzgebers vorgehen sollen und zum anderen die vom Gericht gewählten Beispielsfalle selbst heterogen sind. So geht es in den Fällen, in denen die Mutter und der Scheinvater mit der Anfechtung ausdrücklich einverstanden sind oder eine persönliche Hinwendung zum leiblichen Vater bereits erfolgt ist oder die familiären Beziehungen des Kindes zur Mutter und deren Ehemann so nachhaltig gestört sind, daß eine Gefährdung der Ehe der Mutter ausgeschlossen ist (OLG Düsseldort), um einen Ausschluß einer konkreten Gefährdung der zu schützenden Rechtsgüter; bei der Möglichkeit, daß das Kind nicht in der Familie der Mutter und ihres Ehemannes aufgewachsen ist, tritt dagegen das Interesse an der Erhaltung dieser Rechtsgüter zurück.95
dd) Eigene Stellungnahme Es wäre sinnvoller gewesen, wenn das BVerfG die Norm des § 1596 Abs. I Nr. 2 BGB nach allgemeinen Regeln auf die oben genannten Fallkonstellationen ausdehnend ausgelegt und damit in den Erlaubnisbereich der Nr. 2 einbezogen, oder, wie es das OLG Düsseldorf vorgeschlagen hat, das grundsätzliche Verbot der Ehelichkeitsanfechtung nach dem Sinn und Zweck dieses Verbots einschränkend interpretiert hätte. Das BVerfG hätte somit abseits vom Wortlaut des § 1596 BGB zu einer verfassungskonformen Lösung gelangen können.96 Es hat diesen Weg aber ohne nähere Begründung abgelehnt und die Möglichkeit verbaut, die Weiterentwicklung der Ehelichkeitsanfechtungsregeln zunächst
93
OLG Düsseldorf 14.2.1990, NJW 1990, S. 1736.
94
OLG Schleswig 30.8.1993, FamRZ 1994, S. 122: Die Mutter ist verstorben.
95
Vgl. Coester-Waltjen, Jura 1989, S. 522.
Oder, dies ist eine weitere Möglichkeit, § 1593 BGB so einschränkend interpretiert wird, daß sie einer isolierten Feststellungsklage nicht mehr entgegensteht, Erman I Holzhauer, 8. Aufl., § 1593 I 25a. Siehe auch gleich unten 4. 96
10 von Sethe
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der Rechtsprechung zu überlassen, damit der Gesetzgeber nach Sammlung ausreichenden Tatsachenmaterials eine Neuregelung in Angriff nehmen kann. Da eine Neuregelung in naher Zukunft jedoch nicht zu erwarten ist97 , werden die Gerichte sich zunehmend zu eigenständigen Lösungen durchringen, um dem rechtssuchenden Bürgern die gerichtliche Hilfe nicht über einen unzurnutbaren Zeitraum zu verweigern. In materieller Hinsicht ist die vom BVerfG vorgenommene Verhältnisrnäßigkeitsprüfung weitgehend zu begrüßen. Insbesondere die, wie schon im Beschluß vorn 18.1.1988 zur Auskunftsklage, Trennung zwischen der Ehelichkeitsanfechtung Minderjähriger und Volljähriger ist zu begrüßen, da sie den besonders schützenswerten Interessen des Kindesam Erhalt einer Vater-Kind-Beziehung, aber auch der anzuerkennenden Eigenständigkeit mit Erreichen der Volljährigkeit gerecht wird. Solange das Kind noch ruindeijährig ist, wird eine Ehelichkeitsanfechtung vom Vormundschaftsgericht nur dann gestattet werden können, wenn das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung die Vorteile, die es aus der Verwandtschaftsbeziehung zum Scheinvater ziehen kann, übersteigt.98 Mit Erreichen der Volljährigkeit kann das Kind aber nicht mehr mit Kindeswohlgründen an einer Ehelichkeitsanfechtung gehindert werden. Den Konflikt zwischen dem Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung und dem Interesse der Mutter, daß ihre Ehe nicht gefahrdet und der Familienfrieden nicht gestört werde, hat das BVerfG auch unter dem Blickwinkel beurteilt, daß die Störung nicht erst durch das gerichtliche Verfahren auftritt. Diese Einschätzung ist realistisch. Es werden bereits im Vorfeld der Ehelichkeitsanfechtung innerfamiliär die Verdachtsmomente bekannt geworden und diskutiert worden sein, die für eine anderweitige Herkunft des Kindes sprechen. Das BVerfG hat aber in der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens eine zusätzliche Gefahr für die Ehe der Mutter und den Frieden der betroffenen Familie gesehen. Auch diese Einschätzung ist realistisch, da das Auftreten des außerehelichen Erzeugers, die Verhandlung intimer Details vor dritten, außerfamiliären Personen und generell die durch die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfen entstehende Verhärtung der Familienbeziehungen zu einer erheblichen Belastung führen können.
97 Ramm, NJW 1989, S. 1597, sprach bereits von mindestens vier Jahren; nach gegenwärtigem Stand wird der Erlaß eines Gesetzes noch erheblich länger auf sich warten Jassen.
98
Staudinger I Göppinger, 12. Auf!., § 1597 I 8; Junghans, S. 267.
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Wie erheblich diese Gefahr sein mag, kann sozialwissenschaftlicher Prüfung überlassen bleiben. Es ist auch nicht Aufgabe des BVerfG gewesen, dazu Stellung zu nehmen, ob diese Gefährdungsmöglichkeit zu einer Beschränkung der Ehelichkeitsanfechtung auch für Volljährige zwingt. Es hat nur darauf hingewiesen, daß die Gefahrdungsmöglichkeit in der Abwägung gegenüber dem Interesse an der Kenntnis der eigenen Abstammung eine Einschränkung rechtfertigen kann. Dem Gesetzgeber steht es damit offen, Volljährigen ein unbeschränktes Anfechtungsrecht zu gewähren, wenn er sich für einen begründeten Vorrang des Kenntnisrechts entscheidet. Auch diese Zurückhaltung des BVerfG ist zu begrüßen.
ee) Ergebnis Bereits bei der Untersuchung der generellen Eignung des Systems der Ehelichkeitsanfechtung ist als Ergebnis festgestellt worden, daß die Regelung der Ehelichkeitsanfechtung zwar zur Feststellung des Vaters und damit zur Durchsetzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung verhelfen kann, die inneren Bedingungen des Systems, das zur Zuordnungskorrektur und nicht zur Durchsetzung des Kenntnisrechts geschaffca worden ist, jedoch die weitaus meisten Interessenten von der Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abschrecken wird. Nach der Untersuchung der Einzelregelungen der Ehelichkeitsanfechtung ist festzustellen, daß weitere, strikte Einschränkungen der Anfechtungsberechtigung des Kindes bestehen, die nur für wenige Ausnahrnef