Die Debatte um geistiges Eigentum: Interdisziplinäre Erkundungen. Rechtswissenschaft - Politikwissenschaft - Philosophie [1. Aufl.] 9783839415702

Der Begriff des »Geistigen Eigentums« ist mit den technologischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen im

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German Pages 212 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
I. PHILOSOPHISCHE GRUNDLAGEN
Privileg oder Recht? – ›Geistiges Eigentum‹ bei Hegel
Form Inhalt Produkt
II. JURISTISCHE VORGABEN
Das Geistige Eigentum in der Verfassung
Domains, Accounts und Avatare – wohin steuert das geistige Eigentum im Multimediazeitalter?
»Alles nur geklaut« – Über »Raubkopierer« und »Gedankendiebe«. Zur Rolle des Strafrechts beim Schutze geistigen Eigentums
III. POLITIKWISSENSCHAFTLICHEANALYSEN
Postindustrielle Verteilungskonflikte: Werte, Interessen und Institutionen
Die Kommodifizierung von Wissen: Zur Verwertung universitärer Forschungsergebnisse in Deutschland und den USA
IV. SOZIALPHILOSOPHISCHE DEUTUNG
Das Eigentum am Text
Autorinnen und Autoren
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Die Debatte um geistiges Eigentum: Interdisziplinäre Erkundungen. Rechtswissenschaft - Politikwissenschaft - Philosophie [1. Aufl.]
 9783839415702

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Thomas R. Eimer, Kurt Röttgers, Barbara Völzmann-Stickelbrock (Hg.) Die Debatte um geistiges Eigentum

Sozialphilosophische Studien Herausgegeben von Thomas Bedorf und Kurt Röttgers | Band 1

Editorial Die Reihe Sozialphilosophische Studien siedelt sich auf einem Problemfeld an, das durch das Soziale im weitesten Sinne markiert ist – auf einem offenen Feld, auf dem sich Überschneidungen und Konvergenzen, Konfliktzonen und Kritikpotenziale mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen begegnen. Sozialphilosophie, wie sie die Reihe vertritt, versteht sich demnach nicht als eine philosophische Disziplin unter anderen, sondern als Querschnittsprogramm. Wie »die Kultur« in den Kulturwissenschaften, so ist »das Soziale« ein Operator und kein Gegenstand: Das Soziale lässt sich nicht sagen, sondern es zeigt sich in seinen Vollzugsformen. Entsprechend werden in der Reihe sowohl grundlegende systematische Studien zu den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Sprechens über das Soziale als auch materiale Untersuchungen publiziert, an denen sich Erscheinungsweisen und Strukturformen des Sozialen ablesen lassen. Die Reihe wird herausgegeben von Thomas Bedorf und Kurt Röttgers.

Thomas R. Eimer, Kurt Röttgers, Barbara Völzmann-Stickelbrock (Hg.)

Die Debatte um geistiges Eigentum Interdisziplinäre Erkundungen. Rechtswissenschaft – Politikwissenschaft – Philosophie

Gedruckt mit Unterstützung des Christian-Jakob-Kraus- Instituts für Wirtschafts- und Sozialphilosophie der FernUniversität in Hagen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Kurt Röttgers Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1570-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einführung | 7

I. P HILOSOPHISCHE G RUNDLAGEN Privileg oder Recht? – ›Geistiges Eigentum‹ bei Hegel Elisabeth Weisser-Lohmann | 11 Form Inhalt Produkt

Christian Schmidt | 31

II. J URISTISCHE V ORGABEN Das Geistige Eigentum in der Verfassung Bernd Grzeszick | 57 Domains, Accounts und Avatare – wohin steuert das geistige Eigentum im Multimediazeitalter? Barbara Völzmann-Stickelbrock | 79 »Alles nur geklaut« – Über »Raubkopierer« und »Gedankendiebe«. Zur Rolle des Strafrechts beim Schutze geistigen Eigentums Kathrin Rentrop | 107

III. P OLITIKWISSENSCHAFTLICHE ANALYSEN Postindustrielle Verteilungskonflikte: Werte, Interessen und Institutionen Thomas R. Eimer | 129

Die Kommodifizierung von Wissen: Zur Verwertung universitärer Forschungsergebnisse in Deutschland und den USA Annika Philipps | 161

IV. S OZIALPHILOSOPHISCHE DEUTUNG Das Eigentum am Text Kurt Röttgers | 181 Autorinnen und Autoren | 211

Einführung

Mit den technologischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen der Informationsgesellschaft ab den 1990er-Jahren ist der Begriff des Geistigen Eigentums in den Mittelpunkt einer Debatte gerückt, die immer umfassendere Bereiche des menschlichen Zusammenlebens berührt. Ob Filesharing, Gen- und Softwarepatente, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten oder Produkt- und Markenpiraterie – zahlreiche Themen, die auch in einer breiteren Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden, hängen unmittelbar mit der Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts zusammen. Mit unserem interdisziplinären Band (Philosophie, Rechts- und Politikwissenschaft), der aus einer Tagung des Christian-Jakob-KrausInstituts hervorgegangen ist, verfolgen wir die Absicht, einen Dialog zwischen den beteiligten Wissenschaften anzuregen. Dabei hoffen wir, dass ein multiperspektivischer Ansatz auch in die öffentliche Diskussion einsickert und zu einer stärker fundierten und besser informierten Entscheidungsfindung beitragen kann.

I. Philosophische Grundlagen

Privileg oder Recht? ›Geistiges Eigentum‹ bei Hegel E LISABETH W EISSER -L OHMANN

Das internationale Recht zeigt mit Blick auf die Frage, welches Gut im »geistigen Eigentum« geschützt wird, bemerkenswerte Abweichungen. Während in Deutschland und Frankreich für den Schutz geistigen Eigentums vor allem persönlichkeitsrechtliche Gesichtspunkte geltend gemacht werden, erfolgt der rechtliche Schutz dieser Güter im englischsprachigen Raum in erster Linie unter vermögensrechtlichen Aspekten.1 Beide Schutzkonzeptionen rekurrieren auf unterschiedliche Aspekte des geistigen Eigentums: Für die privatrechtliche Position steht die individuelle Leistung des Individuums im Vordergrund, mit dem vermögensrechtlichen Aspekt rückt dagegen die gesellschaftliche

1

Um welche Marktanteile es hier geht, wird deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass bereits Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die interaktive Multimedia-Industrie ca. 10 % des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftete. Zu den derzeit geltenden Regelungen vgl. August Katern: Copyright und Business eine Sicht der Wirtschaft, in: Gerhard Banse u. Christian J. Langenbach (Hg.): Geistiges Eigentum und Copyright im multimedialen Zeitalter. Positionen, Probleme, Perspektiven. Eine fachübergreifende Bestandaufnahme, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1999.

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Relevanz dieses Gutes ins Zentrum der Begründung der Schutzwürdigkeit. Diese Differenzen zeigen, für eine Auseinandersetzung mit dem »geistigen Eigentum« ist die Klärung der Frage, welches Gut im ‚Geistigen Eigentum’ geschützt werden soll, unverzichtbar. Berücksichtigt man die gesellschaftlichen und technischen Veränderungen des vergangenen Jahrhunderts, so erscheint es allerdings fraglich, ob zu dieser Klärung Eigentumstheorien des 18. Jahrhunderts einen fruchtbaren Beitrag zu leisten vermögen. Inwiefern Hegels Überlegungen hier – trotz der geschichtlichen Distanz – einen entscheidenden Differenzierungsbeitrag leisten, sollen die nachfolgenden Überlegungen zeigen. Bis ins 18. Jahrhundert wird der Schutz geistigen Eigentums überwiegend als Privileg gewährt. Das Anliegen der Verleger, diesen Genuss in ein Recht zu verwandeln, lehnte Ludwig XVI 1777 mit den Worten ab: »Ein Privileg im Buchhandel ist eine Gnade, die sich auf die Gerechtigkeit gründet.«2 Da der Geltungsbereich dieser Privilegien auf den Herrschaftsbereich des Monarchen beschränkt ist, widmet sich jenseits der französischen Landesgrenzen eine ganze Industrie dem Geschäft des Raubdrucks.3 Vom wirtschaftlichen Erfolg abgesehen trägt dieser Industriezweig in entscheidendem Maße dazu bei, die Ideen der Aufklärung unters Volk zu tragen. Bei Autoren und Verlegern stieß diese Praxis modernen »Raubrittertums« allerdings nicht immer auf Wohlwollen. Hegel geht in seinen 1820 erschienenen »Grundlinien der Philosophie des Rechts«4 auf diese Problematik ein, und fordert, der Staat solle Künste und Wissenschaften dadurch befördern, dass er die Autoren vor Diebstahl schützt. Hegels Forderung macht deutlich, für die Frage nach dem Rechtsanspruch auf Schutz von geistigem Eigentum rückt weniger der Schutzanspruch der Autoren als

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Rechtlicher Schutz wurde lediglich in England gewährt, und zwar seit dem

3

Robert Darnton zeigt in seiner Studie zur »Wissenschaft des Raubdrucks«,

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts,

Jahr 1712 durch das Statute of Anne. wie erfolgreich diese Industrie war. Hamburg 51995.

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die politische Zielsetzung in Zentrum. Indem Hegel den Zweck, den ein solcher Schutz verfolgt, in seine Forderung einbezieht, distanziert er sich von dem Anspruch, dieser Schutz sei allein im Rückgriff auf die Rechte der Person begründbar. Dass Hegels Konzeption gleichwohl nicht – wie Ludwig XVI in seiner Stellungnahme – vom rechtlosen auf Gnade angewiesenen Untertanen ausgeht, wird deutlich, wenn seine Forderung in das rechtsphilosophische Gesamtkonzept zurückgestellt wird. Der in den »Grundlinien« entwickelte Rechts- und Eigentumsbegriff reflektiert zum einen den Anspruch des modernen Individuums auf Selbstbestimmung, zum anderen wird dieser Anspruch in den Kontext einer Neubestimmung der gesellschaftlichen Ordnung und der politischen Systeme gestellt. Hegel unterscheidet zwischen den Rechten, die die Individuen aufgrund ihres Person- bzw. Subjektseins einfordern, und den Handlungsformen, die diese Rechte allererst sicherstellen und verwirklichen. Welche Rolle das geistige Eigentum in diesem Zusammenhang hat, soll nachfolgend geklärt werden. Hierfür ist es sinnvoll, zunächst die Rahmenbedingungen des Hegel’schen Eigentumsbegriffs zu skizzieren, um dann die Konzeption des »geistigen Eigentums« in der Rechtsphilosophie zu entwickeln.

D IE R AHMENBEDINGUNGEN E IGENTUMSBEGRIFFS

DES

H EGEL ’ SCHEN

Der Begriff »Eigentum« wird bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein synonym mit »Herrschaft« gesetzt und steht für eine Bedeutungskongruenz von Habe- und Hoheitsrechten. D.h. beide Begriffe erfassen neben der Sachherrschaft auch immaterielle Rechte, so genannte Hoheitsrechte, die die Befugnisse eines Staates, gegenüber dem Bürger tätig zu werden, festschreiben. Ende des 18. Jahrhunderts wird der Begriff »Herrschaft« zunehmend auf den Bezirk des Hoheitsrechtlichen, d.h. die Befugnis, Regeln zu beschließen und durchzusetzen, eingeschränkt. Mit dem »Eigentum« oder »Dominium« wird dagegen – in struktureller Analogie zur (politischen) Herrschaft – die Gewaltfülle

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eines Eigentumssubjekts über die schrankenlos unterworfene Sache beschrieben. Dass diese Unterwerfung als ein Akt der Freiheit des Individuums verstanden wird, verdankt sich einer zunehmenden »Entpolitisierung« des Freiheitsbegriffs: »Freiheiten« sind nicht länger Privilegien, die Berechtigungen erteilen, »Freiheit« steht vielmehr für die Entscheidungssouveränität handelnder Subjekte. Dieser ›entpolitisierte‹ Freiheitsbegriff bildet mit dem auf Sachbesitz reduzierten Eigentumsverständnis eine Einheit. In diesem Sinn formuliert Ernst Ferdinand Klein 1790: »Es ist wahr, die persönliche Freiheit ist ein unverletzliches Menschenrecht, und die Heiligkeit des Eigentums ist nur eine Folge davon.«5 Entscheidend für diese Verknüpfung von Freiheit und Eigentum ist die Überzeugung, dass das Menschenrecht der Freiheit nicht nur einen Schutzanspruch auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung begründet, sondern auch den Anspruch auf Eigentum rechtfertigt. Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist für den Hegel’schen Eigentumsbegriff entscheidend: Kants Kritik an der Arbeits- bzw. Okkupationskonzeption des Eigentums. Für Kant begründet nicht die körperliche Okkupation oder die Arbeit, sondern der Wille6 des Individuums das rechtliche Eigentumsverhältnis. Kants Kritik an der Arbeitskonzeption von Eigentum ist durch das Problem veranlasst, den Rechtsanspruch auf eine Sache, die nicht in meinem unmittelbaren körperlichen

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Ernst Ferdinand Klein: Freiheit und Eigentum, Berlin 1790, 121.

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«Wille« wird von Kant synonym für praktische Vernunft gebraucht. Antike und christliche Motive verbindend bestimmt Kant Wille als vernunftbestimmtes Handlungsvermögen. Zwischen der vernünftigen Handlungsbestimmung durch den Willen und dem trieb- und bedürfnisgeleiteten Handeln bilden die Maximen eine Vermittlung. Maximen (das sind die zur Regel erhobenen Zwecke und Bedürfnisse) bestimmen als »gebildeter Wille« für Kant das Handeln eines nicht notwendig vernünftigen Wesens. Vgl. Oswald Schwemmer: Wille, in: Jürgen Mittelstrass (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart 1996, 704-707, hier 704.

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Besitz ist, zu begründen. Kant macht gegen die Okkupationstheorie geltend, dass für das Vorliegen einer Rechtsbeziehung zwischen Person und Sache nicht die durch das Bedürfnis veranlasste Besitznahme, sondern der freie Wille des Individuums entscheidend ist. »Eigentum« als Rechtstitel geht aus der freien Handlung des Individuums hervor und hat damit losgelöst von der faktischen Innehabung einer Sache Geltung. Dieser Eigentumsbegriff bildet auch die Grundlage für Kants Bestimmung des »geistigen Eigentums«. Am geistigen Eigentum unterscheidet Kant zwischen der »Rede« als dem vom Autor Geschaffenen und dem gegenständlichen, veräußerbaren (Druck-)Werk. Diese Unterscheidung führt dazu, dass Kant mit Blick auf »geistiges Eigentum« von einem gestuften Eigentumsrecht spricht: Die »Rede« ist das geistige Eigentum des Autors, für den Druck dieser Rede benötigt der Verleger die ausdrückliche Vollmacht des Verfassers.7 Gegen das Eigentumsrecht des Autors verstößt, wer Bücher ohne Vollmacht nachdruckt. Der Nachdrucker macht sich eines Rechtsbruchs schuldig, weil er dem rechtmäßigen Besitzer den rechtmäßigen Vorteil entzieht. Die von Kant am geistigen Eigentum unterschiedenen Aspekte fordern unterschiedliche Schutzkonzepte: als öffentliche Rede ist die Handlung des Autors über das Persönlichkeitsrecht zu schützen, als Druckexemplar ist das literarische Erzeugnis dagegen Gegenstand des Sachenrechts. Zusammenfassend kann mit Blick auf den Schutzanspruch geistigen Eigentums festgehalten werden: 1. Die Einschränkung des Eigentumsbegriffs auf die Herrschaft eines Subjekts über eine Sache und 2. Kants Bestimmung des »Eigentums« als Rechtstitel, bilden wie auch die Stufung des geistigen Eigentumsbegriffs den Rahmen für die Hegel’sche Konzeption des geistigen Eigentums.

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Fichte verschärft diese Bedingung noch, wenn er erklärt die Verfügungsbefugnis über den Text des Autors ist jeglicher Zueignung entzogen und ist unveräußerliches Eigentum des Autors.

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D AS »S ELBSTBEWUSSTSEIN «

UND SEIN

›W ERK ‹

In den tagespolitischen Beiträgen – wie etwa der Württemberg-Schrift8 – reflektiert Hegel Mitte der zwanziger Jahre den Wandel im Eigentumsbegriff und die Folgen für das Verfassungs- bzw. Herrschaftsverständnis: Die Neuordnung Württembergs auf der Basis einer Verfassung fordert den Verzicht auf alle ständischen Privilegien und die strenge Trennung von privaten und öffentlichen Rechten.9 Die Beantwortung der Frage, warum der Verzicht auf Eigentum und Herrschaft als Freiheitsverwirklichung zu begreifen ist, gibt Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts. »Recht«, so Hegel einleitend, ist das »Dasein der Freiheit«. »Recht« ist kein idealer Zustand, sondern die Wirklichkeit der Freiheit in konkreten Handlungen. Mit dieser Definition nimmt Hegel eine Kritik auf, die schon früh von Seiten der Jurisprudenz gegen Kants Rechtslehre vorgetragen wurde: Der von Kant entwickelte Rechtsbegriff formuliert ein bloßes Ideal und ist nicht geeignet, als Leitfaden für die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung zu dienen. Kant, so der allgemeine Vorwurf, ist es nicht gelungen, einen Bogen zu schlagen zwischen dem vernünftigen (idealen) Rechtsbegriff und dem faktischen Recht. Hegel teilt diese Kritik und entwickelt einen alternativen

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Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Verhandlung in der Versammlung der Landstände, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 15, Schriften und Entwürfe I (1817–1825), hrsg. v. Friedrich Hogemann u. Christoph Jamme, Hamburg 1990. Zu Hegels politischen Schriften, vgl. E.lisabeth WeisserLohmann: Hegels politische Schriften, in: Paul Cobben (Hg.): HegelLexikon, Darmstadt 2006, 85-91.

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Eigentumsverhältnisse sind von der Herrschaft über Menschen zu trennen. Gegen die württembergischen Stände, die auf ihre angestammten Rechte nicht verzichten wollen, behauptet Hegel der vom königlichen Verfassungsvorschlag geforderte Verzicht auf Privilegien sei als Verwirklichung von Freiheit zu begreifen. Vgl. Hegel: Verhandlung in der Versammlung der Landstände, 126ff.

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Rechtsbegriff. Grundlage dieses Begriffs bildet seine Theorie des Wissens bzw. seine Bewusstseinstheorie. Da sowohl der Hegel’sche Rechtsbegriff als auch seine Eigentumslehre ohne diese Lehre unverständlich bleiben, sollen die Grundzüge dieser Theorie hier skizziert werden. In der 1807 erschienenen Phänomenologie des Geistes fragt Hegel nach den Bedingungen des Wissens, bzw. der Wahrheit. Die Phänomenologie – ursprünglich unter dem Titel »Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins«10 konzipiert – soll zeigen, dass Erfahrung nicht einlinig auf eine bestimmte Erkenntnis festgelegt ist, wie etwa bei Kant auf das Erkennen von Erscheinungen. Hegel unterscheidet vielmehr zwischen einer unmittelbaren, der begriffenen und der wahrhaften Erfahrung. Diese Differenzierung bildet das Instrumentarium zur Prüfung der verschiedenen Wissensansprüche. Leitend ist dabei die Frage nach den Bedingungen unter denen wir davon sprechen, dass jemand über ›Wissen‹ verfügt. Hegel klärt diese Frage am Leitfaden einer stufenförmigen Abfolge von Erfahrungen, die vom ›Meinen‹, das seine Gewissheit aus der sinnlichen Erfahrung schöpft, über die ‚Wahrnehmung’ und den ›Verstand‹ zur ›Gewissheit‹, die das selbstbewusste Denken für sich in Anspruch nimmt, führt. Der Prüfungsprozess zeigt, jede dieser Erfahrungen geht auf frühere Erfahrungen zurück, ja ist ohne diese früheren Erfahrungen gar nicht verständlich zu machen. Die künftigen Erfahrungen zeigen wiederum die nur begrenzte Gültigkeit der gegenwärtigen ›Wahrheiten‹. ›Wahrheiten‹ sind nicht isolierte Erkenntnisleistungen, sondern basieren auf vergangenen Erfahrungen und integrieren diese in spezifischer Weise. Als Bewusstsein bzw. Selbstbewusstsein sucht das Bewusstsein seine ›Wahrheit‹ nicht in den Wahrnehmungen und Erfahrungen der Außenwelt, sondern in sich selbst. Das Selbstbewusstsein tritt mit dem Anspruch auf, der äußere Gegenstand sei das Produkt seiner inneren

10 Zur Titeländerung und zur Frage des Konzeptionswandels siehe Otto Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, Freiburg, München 1993, 156ff.

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Tätigkeit. Als äußerer Gegenstand ist dieser Gegenstand aber auch für andere Subjekte. Auch sie behaupten, dieser Gegenstand sei der ihre und es sei ihnen nur um diesen ihren Gegenstand zu tun. Die Prüfung dieser Ansprüche zeigt allerdings, dass alle irren: Indem die Sache äußerlich ist, kann es nicht um die Sache als diese »einzelne zu tun« sein, vielmehr geht es um die Sache »als [...] ein Allgemeines, das für alle ist«. 11 Die Sache als Produkt der inneren Tätigkeit des Bewusstseins kommt nur als diese einzelne in den Blick. Ihr steht die objektive Allgemeinheit der Sache gegenüber. Dies führt zu Konflikten sowohl zwischen den verschiedenen Ansprüchen der selbstbewussten Individuen als auch der gegenständlichen Objektivität. Die in der »Phänomenologie des Geistes« als Erfahrung des Bewusstseins entwickelte Struktur und Verfassung des Selbstbewusstseins kehrt in der Geistphilosophie, bzw. der späteren Realphilosophie in den »Erfahrungen«, die das Individuum als Person macht, wieder. Diese Wiederkehr logischer Grundstrukturen darf nicht dazu führen, dass die Differenzen zwischen logischen und realphilosophischen Bestimmungen verwischt werden. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die Bestimmungen der praktischen Philosophie (Person, Subjekt, Sittlichkeit) das Resultat der Einführung weiterer Bestimmungen sind, und nicht unmittelbar aus den logischen Strukturen zu gewinnen sind.12 Die Struktur des Bewusstseins bildet in der Eigentumslehre der Rechtsphilosophie den Leitfaden für die Explikation des Rechtsbegriffs.

11 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, 275. Das Selbstbewusstsein setzt voraus, dass die wahre Realität keine gegenständliche sondern vielmehr die Realität des Selbstbewusstseins ist. In der Herrschafts- Knecht-Beziehung wird diese Voraussetzung geprüft. Vgl. Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Zu Hegel Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg 1979. 12 Von zentraler Bedeutung für diese Weiterbestimmung ist zum einen die Einführung der Idee als Form eines Handelns, das sich selbst verständlich ist, zum anderen das Wollen als Zwecktätigkeit.

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Als Personen behaupten Individuen von bestimmten Werken, Gedanken und Ideen, sie seien ihr ausschließliches Eigentum. Dieser Rechttitel berechtige dazu, andere von der Nutzung auszuschließen. Die hier entstehenden Konflikte rekonstruiert Hegel, indem er den hier bestehenden Widerspruch deutlich macht: das von jedem einzelnen in Anspruch genommene Recht ist ein rein auf der individuellen Ebene anerkanntes Recht. Zur Entscheidung der Konflikte ist aber ein allgemeines, von allen anerkanntes Recht notwendig. Dieses allgemeine Recht muss sowohl die individuellen Ansprüche rechtfertigen als auch einen anerkannten Maßstab für die Beurteilung der konkurrierenden Ansprüche bereitstellen.

D AS » INNERE E IGENTUM « IN H EGELS G RUNDLINIEN Vor dem Hintergrund der oben entwickelten Bewusstseinsstruktur verfehlt Kants Lösung der Frage nach dem Schutz von geistigem Eigentum ihr Ziel. Die Unterscheidung zwischen der Rede des Autors und dem durch die Verleger veröffentlichten Werk geht erstens davon aus, dass zwischen individuellem und allgemeinem Anteil an einem Werk genau unterschieden werden kann. Hegels Darstellung des »Werdens des Wissens« in den vielfältigen Erfahrungen hat gezeigt, dass Erfahrung, Wissen und Handeln ohne die Erfahrungen, das Wissen und das Handeln der anderen gar nicht möglich wäre. Kants Unterscheidung zwischen dem schöpferischen Anteil und dem objektiven, gegenständlichen Werk erweist sich in der praktischen Anwendung nicht nur als ungenau. Der Vorwurf des Nachdrucks lässt sich ebenso zurückweisen wie derjenige des Plagiats. In beiden Fällen genügen geringste Änderungen am Original, um den Anspruch, hier handele es sich um ein neues Werk, zu rechtfertigen. Für Hegel wird damit Kants gestufter Eigentumsbegriff der Komplexität geistigen Eigentums nicht gerecht. Darüber hinaus erfasst Kant zwar die Strukturen geistigen Eigentums, die Begründung des jeweiligen Schutzanspruchs bleibt aber hinter den

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moralphilosophischen Ansprüchen Kants zurück, wenn er den Schutzanspruch mit Blick auf die Konsequenzen eines solchen Diebstahls, den dem Autor entstehenden Schaden, begründet. Die von Hegel am Bewusstsein aufgewiesene Struktur zeigt, dass auf beiden Stufen des Eigentums (Rede und Drucktext der Rede) individuelle Bestimmtheit und Allgemeingut ineinander verwoben sind. Unendliche Streitereien lassen sich daher um den berechtigten Anspruch eines Individuums an einer Sache führen. Und diese Prozesse werden im bürgerlichen Recht auch geführt, allerdings ohne dass die Begründung des Rechtsanspruchs auf geistiges Eigentums geklärt ist. Für das Verständnis der Hegel’schen Eigentumskonzeption ist es wichtig, den dreigliedrigen Argumentationsaufbau der Grundlinien im Blick zu haben. Die Behandlung des »Eigentums« im Abschnitt »Abstraktes Recht« darf nicht dazu führen, dass die Auseinandersetzung mit Hegels Eigentumskonzeption auf diesen Abschnitt beschränkt wird. Der Abschnitt »Moralität« insbesondere aber der Abschnitt »Sittlichkeit« ist in die Auseinandersetzung um den Hegel’schen Eigentumsbegriff einzubeziehen. Die argumentative Funktion der einzelnen Abschnitte verdeutlicht diese Notwendigkeit. Die Strukturprobleme, die für das »Selbstbewusstsein« bestimmend waren und die für das Personsein und das Recht auf Eigentum wiederkehren, können nur gelöst werden, wenn es gelingt, einen unabhängigen Inhalt aufzuweisen, der zum einen gegenüber den behaupteten Inhalten befugt ist, als Maßstab zu fungieren, zum anderen aber auch die Geltung dieser Ansprüche sichert. Der im »Abstrakten Recht« entwickelte Rechtsbegriff formuliert lediglich den Anspruch, als Person anerkannt zu werden. Dieses ›Personenrecht‹ bildet aber erstens keine Instanz, die allgemeine Anerkennung geniest und befugt wäre, die hier auftretenden Kontroversen zu lösen. Zum anderen wird dieses »Recht« zwar eingefordert, aber es ist keine Institution, die diese Rechte verwirklicht. Die Verwirklichung meines Anspruchs, als Person anerkannt zu sein, bleibt daher zufällig. Wie die Forderung der Verwirklichung der beiden Rechtsbestimmungen oder Rollen, Person und Subjekt zu sein, und die damit verbundenen Rechte – wie das Recht auf Eigentum

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– eingelöst werden kann, entwickelt Hegel im dritten Abschnitt der Grundlinien. Im ersten Abschnitt der Rechtsphilosophie werden zunächst die mit dem Personsein verbundenen Rechte entwickelt: das Recht auf Eigentum und das Recht Verträge zu schließen. Mit dem Anspruch »Person zu sein« werden alle individuellen Bestimmungen der Individuen ignoriert und Gleichheit erzeugt, insofern hier das Rechtsgebot lautet: »sei eine Person und respektiere die anderen als Personen«13. Als Person kommt jedem das gleiche Recht zu, Dinge in Besitz zu nehmen. Das Verhältnis zu anderen Personen bleibt an die in Besitz genommenen Sachen gebunden. Der andere begegnet mir hier ausschließlich als Eigentümer einer Sache. Diese Personenkonzeption bildet die Ausgangsbasis für die Darstellung des Eigentumsbegriffs. Dabei folgt Hegels Darstellung zwar der tradierten Aufteilung in »Besitznahme«, »Gebrauch der Sache«, »Entäußerung« und »Vertrag«14. Hegel bestimmt diese Aspekte allerdings als Willensmomente, d.h. wie bei Kant ist es nicht die körperliche Okkupation, die mich zum Besitzer einer Sache macht, sondern die Inbesitznahme erfolgt (vorläufig) allein durch den Willen des Besitznehmers. Für die Besitznahme ist die Unterscheidung zwischen körperlicher und geistiger Besitznahme zunächst bedeutungslos. Besitzen kann ich jede Sache, der Selbstständigkeit und Bestimmtheit fehlt. Die Besitznahme ist ein äußerliches Tun und bleibt unvollkommen oder unbestimmt: »Je mehr ich mir die Form der Materie aneigne, desto mehr komme ich in den wirklichen Besitz der Sache«. Das Verzehren von Nahrungsmitteln vollzieht ebenso wie die Ausbildung meines organischen Körpers zu Geschicklichkeiten oder die Bildung meines Geistes eine solche Durchdringung. Ein Unterschied zwischen körperlicher und geistiger Inbesitznahme besteht allerdings insofern, als es

13 Hegel: Grundlinien, 52 (§ 36). 14 Vgl. § 53: Das Verhältnis des Willens zur Sache ist a) unmittelbar in der Besitznahme, b) negativ im Gebrauch und c) reflexiv, in der Veräußerung der Sache, insofern der Wille hier aus der Sache in sich zurückkehrt.

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mein Geist ist, mit dem ich mir eine Sache vollkommen zu eigen mache. Eine Besitznahme ist gegenüber jeder Sache möglich: »Die Person hat das Recht in jede Sache ihren Willen zu legen«, es besteht ein »absolutes Zueignungsrecht des Menschen«15. Als bloßes Ding ist die Sache ohne Bestimmung, erst die Inbesitznahme verleiht ihr eine Bestimmung. Eigentümer dieser Sache werde ich erst über den ganzen Gebrauch der Sache. Bei der Besitznahme bilden der besitznehmende Wille und die Sache eine Einheit. Im Gebrauch der Sache tritt der Besitzende mit seinen besonderen Bedürfnissen an die Sache heran, zwischen Sache und Wille entsteht eine Differenz: Im Gebrauch soll die Sache meine Bedürfnisse befriedigen. Hegel wendet sich mit dieser Eigentumsbestimmung gegen das römische Recht, das am Eigentum die »proprietas semper« und den »ususfructus« unterscheidet. Für Hegel zeugt allein der tatsächliche Gebrauch der Sache für die Realität des Eigentums; »Wenn der ganze Umfang des Gebrauchs mein wäre, das abstrakte Eigentum aber eines anderen sein sollte, so wäre die Sache als die meinige von meinem Willen gänzlich durchdrungen [...] und zugleich darin ein für mich Undurchdringliches, der und zwar leere Wille eines anderen.«

Dieser Widerspruch ist nur durch den Begriff des Volleigentums zu vermeiden: Eigentum ist weder teilweise noch temporär sondern »wesentlich freies, volles Eigentum«. 16

15 Hegel: Grundlinien, § 44. Zum Umfang der Dinge, die geistiges Eigentum werden können, siehe Daniel Stengel: Intellectual Property in Philosophy, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Stuttgart 1990 (2004), 1, 25ff. 16 Hegel: Grundlinien, § 62. Politisch bedeutsam wird diese Eigentumskonzeption in der Auseinandersetzung um den Eigentumsstatus der Lehen: Ist der Grundherr oder aber der seit Generationen den Boden bearbeitende Lehnsnehmer Eigentümer?

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Der Gebrauch eines Eigentums steht unter dem Aspekt seiner Brauchbarkeit. Diese Brauchbarkeit wird durch die spezifischen Bedürfnisse bestimmt. Der Vergleich mit anderen Sachen von derselben Brauchbarkeit ergibt den Wert, die Allgemeinheit der Sache. Der Gesichtspunkt der Brauchbarkeit betrifft nicht nur dingliche Eigentümer, sondern schließt auch Fähigkeiten und Geschicklichkeiten ein, auch diese können versachlicht und als Eigentum veräußert werden.17 Mit Blick auf den »Gebrauch« zeigen körperliche und geistige Besitztümer somit keine Unterschiede. Erst bei der Entäußerung des Eigentums werden die Differenzen zwischen diesen Gütern deutlich. Zunächst stellt Hegel fest, dass »Veräußerbar eine Sache nur [ist], insofern sie ihrer Natur nach ein Äußerliches ist. Güter, welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewusstseins ausmachen, sind unveräußerlich.« D.h. bestimmte »geistige Güter«, wie meine Fähigkeit zur Selbstbestimmung, sind unveräußerbar. Damit schließt Hegel aus, dass die Freiheit zur Selbstbestimmung das Recht einschließt, diese Freiheit zu veräußern, um in Abhängigkeit und Sklaverei zu leben. Geistige Produktionen haben die Eigentümlichkeit, dass hier die »Art und Weise der Äußerung unmittelbar in [eine] solche Äußerlichkeit einer Sache umschlagen kann, die nunmehr ebenso von anderen produziert werden kann.«18 Mit der Veröffentlichung eines Textes eröffnet der Autor die Möglichkeit, dass andere diesen Text gleichfalls produzieren. Indem Hegel den Gebrauch einer in Besitz genommenen Sache zum zentralen Merkmal des Eigentums erklärt, kann der freie Gebrauch einer in Besitz genommenen Sache, etwa die Aufführung eines veröffentlichten Theater- oder Musikstücks, nicht als Eigentumsverlet-

17 Ritter verweist insbesondere auf diese Versachlichung aller menschlichen Beziehungen in der bürgerlichen Gesellschaft. Siehe Joachim Ritter: Person und Eigentum. Zu Hegels »Grundlinien der Philosophie des Rechts« § 34 bis 81«, in: Manfred Riedel: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1975, 162ff. 18 Hegel: Grundlinien, § 68; 74.

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zung gekennzeichnet werden. »Geschicklichkeiten usf. werden erst Sachen durch meine Entäußerung, d. i. die Äußerlichkeit, die ich ihnen in der Äußerung gebe, die sie in der Äußerung erhalten.«19 Eine Rechtsverletzung läge dann vor, wenn dieses Äußerlichmachen als Veräußerung missverstanden und von anderen in Besitz genommen wird. Eine Rechtsverletzung läge dann vor, weil die Sache »dem in der Zeit zufällig Ersten, der sie in Besitz nimmt, gehört und weil ein Zweiter nicht in Besitz nehmen kann, was bereits Eigentum eines anderen ist«.20 Die Kennzeichnung einer Besitznahme erfolgt über äußerlich gegebene Formen und Zeichen, wo diese Zeichen aber ohne die Gegenwart des Willens des Besitzers, d.h. wo dieser Besitz nicht gebraucht wird, wird die Sache herrenlos: »Ich verliere oder erwerbe daher Eigentum durch Verjährung.«21 Gegenüber der römischen Unterscheidung zwischen dem Eigentum an der Sache und dem Eigentum des Gebrauchs vertritt Hegel einen Eigentumsbegriff, der die rechtliche Innehabung an den Gebrauch knüpft. Dieser Eigentumsbegriff bildet die Grundlage für das dritte Moment am Eigentum: die Entäußerung. Erst unter diesem Gesichtspunkt geht Hegel auf die Schwierigkeiten geistiger Produktionen ein. Die Veröffentlichung eines Musikstücks in Form von Noten versetzt den Käufer nicht nur in die Lage, das Musikstück aufzuführen, darüber hinaus lässt sich der Gedanke fassen, die ›Idee‹ des Stücks in Besitz zu nehmen und unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Mit der Veräußerung eines literarischen Werks etwa will der Autor lediglich den vollen Gebrauch und Wert des einzelnen Exemplars veräußern, nicht aber die Befugnis zur Nutzung »der allgemeine Art und Weise«, diese Sache zu vervielfältigen. Ist diese Unterscheidung zwischen der besonderen und der allgemeinen Benutzung mit Hegels Konzeption des Eigentums als Gebrauch vereinbar? Die feste Verbindung von Eigentum und Gebrauch scheint beim geistigen Eigentum aufgelöst, wenn Hegel hier

19 Hegel: Grundlinien, Notizen 330. 20 Hegel: Grundlinien, § 50; 61f. 21 Hegel: Grundlinien, § 64; 71.

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zwischen dem Eigentum der Sache und dem Gebrauch d.h. der mit ihr gegebenen Möglichkeit, sie gleichfalls zu produzieren, unterscheidet. Hegel nimmt diese Unterscheidung aus der Rechtspraxis seiner Zeit auf. Dort wird zwischen der Veräußerung eines einzelnen Exemplars und der Veräußerung der allgemeinen Art und Weise des Gebrauchs unterschieden. Während die Veräußerung eines einzelnen Exemplars, das den vollen Wert dieser Sache besitzt, zum »bloßen« Gebrauch derselben berechtigt und den Erwerber zum vollkommenen und freien Eigentümer derselben macht, befähigt die Veräußerung der allgemeinen Art und Weise des Gebrauchs dazu, dieses Produkt zu vervielfältigen oder gleichfalls zu produzieren. Mit Hegels Eigentumsbegriff, der die rechtliche Innehabung an den Gebrauch der Sache bindet, scheint diese Unterscheidung nicht vereinbar. Hegel übernimmt diese Unterscheidung mit der Begründung, dass diese Unterscheidung nicht dazu führt, dass hier ein Eigentum veräußert wird, unter der Maßgabe, es nicht zu gebrauchen. Ausgeschlossen wird vielmehr nur eine bestimmte Art des äußerlichen Gebrauchs. Hegels Bindung des Eigentumsbegriffs an das Recht zum Gebrauch der Sache bleibt somit in der Unterscheidung zwischen »bloßem« und »allgemeinem« Gebrauch gewahrt. Wie kann diese Unterscheidung aber begründet werden? Zur Begründung eines gestuften Eigentumsrechts verwies Kant auf die Folgen, die eine Nichtunterscheidung für den Schöpfer hat: Seine Interessen würden verletzt. Für Hegel ist die Notwendigkeit, zwischen diesen beiden Gebrauchsformen zu unterscheiden, auf der Ebene des bloßen Sachbegriffs nicht zu leisten. Vielmehr muss der Gesichtspunkt der »Nutzung« oder »Benutzung« einer Sache näher bestimmt werden. Der Gebrauch einer in Besitz genommene Sache endet keineswegs zwangsläufig in der Vernichtung dieser Sache. Was für Nahrungsmittel zutrifft, gilt weder für Sachen, die durch die Bearbeitung erst eine bestimmte Funktion erfüllen (etwa das Stück Holz, das durch die Bearbeitung des Schreiners als Tisch Verwendung findet), noch für Kompetenzen und Fertigkeiten, die der einzelne erwirbt, und die ihn etwa dazu befähigen, einen Tisch anzufertigen. Das Eigentum an solchen

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Besitztümern kann entweder veräußert werden oder aber als bleibender Besitz, als »Vermögen« bewahrt werden. Als »Vermögen« befähigen diese Besitztümer zur »besonderen Art und Weise des Gebrauchs«. Das »Vermögen« ist »bleibender und sicher Besitz«. Besitz wird dort zu einem bleibenden, wo der Einzelne sein besonderes Bedürfnis, seine Begierde auf die Sache zugunsten der Sorge für ein Gemeinsames zurückstellt.22 »Bleibender Besitz« basiert auf gemeinsamen Handlungszwecken. Es ist eine Entscheidung des ersten Produzenten, die Möglichkeit des allgemeinen Gebrauchs »für sich zu behalten, oder als einen Wert zu veräußern oder für sich keinen Wert darauf zu legen und mit der einzelnen Sache auch sie preiszugeben«23. Hegel hält beide Optionen für zulässig. Dass Hegel allerdings die Möglichkeit favorisiert, mit der Veräußerung des bloßen Gebrauchs auch den besonderen Gebrauch preiszugeben, wird deutlich, wenn er darauf verweist, dass diese Möglichkeit an der Sache nicht nur den Aspekt der Besitzung, sondern den Gesichtspunkt des Vermögens hervortreten lässt. Die Frage nach dem rechtlichen Status bzw. der Schutzwürdigkeit »geistigen Eigentums ist für Hegel eine Frage nach der Stellung bzw. Schutzwürdigkeit bestimmter Vermögen. »Vermögen« ist ein Besitz nur dort, wo Fähigkeiten und Talente (aber auch die materiellen Güter) zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke eingesetzt werden.24 Wird der

22 Hegel erläutert dies zunächst mit Blick auf die Familie: »Die Familie hat nicht nur Eigentum, sondern für sie als allgemeine und fortdauernde Person tritt das Bedürfnis und die Bestimmung eines bleibenden und sicheren Besitzes, eines Vermögens ein. Das im abstrakten Eigentum willkürliche Moment des besonderen Bedürfnisses des bloß Einzelnen und die Eigensucht der Begierde verändert sich hier in die Sorge und den Erwerb für ein Gemeinsames, in ein Sittliches. Hegel: Grundlinien § 170, 156. 23 Hegel: Grundlinien, § 69, 75. 24 Bei den Handlungszwecken unterscheidet Hegel – im Abschnitt »Moralität« – zwischen der bloßen Absicht, einem bestimmten eng umgrenzten Zweck (Hegel nennt als Beispiel das Anzünden eines Stück Holzes). Der

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»allgemeine« Gebrauch einer Sache mit dem Verkauf des »bloßen« Gebrauchs preisgegeben, so reflektiert diese Preisgabe, dass der Gebrauch der in die Sache investierten Kenntnisse und Fertigkeiten von allgemeinem Interesse ist. Dieses allgemeine Interesse resultiert zum einen aus der Herkunft der individuellen Leistung, die die Sache hervorgebracht hat. Diese Leistung war nur im Austausch mit anderen Leistungen möglich. Die Allgemeinheit resultiert aber auch aus dem gemeinsamen Nutzen, dem Zweck, dem die Sache dient. Diese ›Brauchbarkeit‹ bestimmt ihren Wert als Vermögen und führt zu der Forderung, dass dieses Gut dauerhaft verfügbar ist. Ihre Verfügbarkeit eröffnet Handlungsoptionen, die das Gut auf Dauer sichern. Im Verzicht auf die Nutzung der besonderen Rechte an einem ›geistigen Eigentum‹ setzt der erste Produzent andere in die Lage, diese gleichfalls zu nutzen, die Brauchbarkeit der Sache wird von der individuellen zu einer allgemeinen, sie dient damit gemeinsamen, ›sittlichen‹ Zwecken. Die Frage nach der Schutzwürdigkeit dieses Vermögens weist damit über das Personenrecht hinaus auf die politische Sphäre. Hegel präzisierte den Begriff des »Geistigen Eigentums« mit Blick auf das in diesen Gütern vorhandene Vermögen, Handlungsspielräume zu stabilisieren oder zu eröffnen. Schutzwürdig sind Vermögen dort, wo gesellschaftlich erwünschte Handlungsspielräume gesichert werden sollen. Hegel diskutiert dieses Problem am Institut des Familienfideikomiß.25 Die Festlegungen der Erbfolge eines Grundbesitzes im Familienfideikomiß auf den Erstgeborenen gehört zur patriarchalischen Familie und

Handelnde hat dabei nicht die Folgen seines Tuns im Blick (die Möglichkeit einen Großbrand auszulösen). Mit seiner Handlung kann das Individuum aber auch ein »Wohl« bezwecken, d.h. der Handelnde ist davon überzeugt, dass das angestrebte Ziel über den Tag und seine Person hinaus von allgemeinem Interesse ist. 25 Wo dieses Vermögen in Gefahr ist wie zufälliger Privatbesitz behandelt zu werden, müssen Regelungen zur Sicherung dieser Vermögen getroffen werden.

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widerspricht der Freiheit des Eigentums und den Grundprinzipien der Bürgerlichen Gesellschaft (Hegel, »Grundlinien«, Notizen 331). Gleichwohl hat diese Einrichtung unter bestimmten politischen Konstellationen ihre Berechtigung, insofern sie etwa die politische Arbeit für das Allgemeine sicherstellt. Zu einem »Vermögen« wird Besitz durch die Verfügung, die Sache in den Dienst des Wohls anderer zu stellen. Gegenüber der für das Abstrakte Recht konstitutiven Beziehung zwischen Person und Sache, die die Beziehung zur anderen Personen über eine Sache definiert, kommt es hier zu einer Umkehrung: In den sittlichen Handlungen ist die Funktion der Sache über das Verhältnis der Individuen zueinander definiert. Welche Konsequenz hat dieser Eigentumsbegriff bzw. diese Vermögenslehre für die Forderung nach dem Schutz von geistigem Eigentum? Die auf der Ebene des abstrakten Rechtsbegriffs erhobenen Ansprüche auf Schutz werden vielfach mit dem Verweis auf die »Ehre« der hier Tätigen beantwortet. Hegel ist, was deren Wirksamkeit betrifft, skeptisch: »Was aber die Wirkung der Ehre gegen das Plagiat betrifft, so ist dabei dies auffallend, dass der Ausdruck Plagiat oder gar gelehrter Diebstahl nicht mehr gehört wird – es sei, entweder dass die Ehre ihre Wirkung getan, das Plagiat zu verdrängen, oder dass es aufgehört hat, gegen die Ehre zu sein und das Gefühl hierüber verschwunden ist, oder dass ein Einfällchen und Veränderung einer äußeren Form sich als Originalität und selbstdenkendes Produkt so hoch anschlägt, um den Gedanken an ein Plagiat gar nicht in sich aufkommen zu lassen.«26

Hegels Skepsis gegenüber einer moralischen Lösung dieses Problems verlagert die Frage auf die Ebene der sittlichen Institutionen. Hegels

26 Hegel: Grundlinien, § 69, 77. »Ehre besteht in der Vorstellung, die ein anderer von mir hat – dabei kann ich mich nicht auf einen objektiven Inhalt berufen.« (Hegel: Grundlinien., Notiz zu S. 48, 533).

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Staatskonzeption sieht hier zum einen den Rechtsapparat der bürgerlichen Gesellschaft gefordert, der eine Lösung der hier entstehenden Konflikte im Rückgriff auf die Kasuistik des abstrakten Rechts sucht. Zum anderen haben diese Institutionen die Aufgabe, allgemeine Zweckbestimmungen sicherzustellen. In diesem Zusammenhang wird eine positive Beförderung »geistiger Eigentümer« politisch einforderbar. Hegel begründet diese Forderung mit der Einsicht, dass diese Eigentümer zum einen Garanten dafür sein können, dass das Personund Subjektsein und die damit verbundenen Rechte auf Dauer sichergestellt wird. Zum anderen übernehmen diese Güter eine weitere zentrale politische Aufgabe, indem sie ein »Umschlagen« des selbstsüchtigen Handelns in ein Handeln aus Einsicht in das allgemeine Vermögen und den Zusammenhang, in dem jeder hier Handelnde steht, befördern. Hegel veranschaulicht die Verantwortung der Politik in dieser Frage am Beispiel der öffentlichen Denkmale, die das Eigentum eines Volkes oder einer Kultgemeinde sind. Deren Benutzung zeigt sich im Erinnern und der Ehre, die diesen Gegenständen entgegengebracht wird. Werden Sie von diesem Geist verlassen, werden sie zu zufälligem Privatbesitz, wie die griechischen und römischen Kunstwerke in der Türkei. Sind diese geistigen Güter nicht mehr Gegenstand des Kultes, wohl aber für das geschichtliche Selbstverständnis bestimmend – wie die christlichen Denkmale um 1800 –, so ist es Aufgabe der Politik, nicht nur diese Gegenstände davor zu bewahren, zufälliger Privatbesitz zu werden, sondern auch deren Verfügbarkeit für die Bildung aller – etwa durch Musealisierung – zu sichern. Hegels Bestimmung des geistigen Eigentums arbeitet in differenzierter Form die Verwobenheit der relevanten Aspekte heraus. Da eine klare Trennung zwischen individuellem und allgemeinem Anteil an einem geistigen Gut kaum möglich ist, weist Hegels Eigentumskonzeption mit der Bindung des Eigentums an den Gebrauch der Sache einen Lösungsweg. Zum einen hat der erste Verfasser das Recht, über die Gebrauchsweisen seines Werkes zu bestimmen. Hegel vertraut hier auf die Einsicht der Produzenten, dass diese Güter sich niemals allein dem schöpferischen Akt des Autors verdanken, dass diese Güter als Eigen-

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tum zweitens durch ihren Gebrauch bestimmt sind und daher auch für diesen zur allgemeinen Verfügung gestellt werden sollen. Wo diese Einsicht fehlt, bzw. wo kein Eigentümer zu ermitteln ist, hat die Politik zu prüfen, inwiefern dieses Gut von allgemeinem Interesse ist und der allgemeine Gebrauch sichergestellt werden muss.

Form Inhalt Produkt C HRISTIAN S CHMIDT

Vor über zehn Jahren erhob James Boyle die Forderung, endlich der Veränderung, die durch die Dynamik des geistigen Eigentums in Gang gesetzt worden war, Rechnung zu tragen und eine »politische Ökonomie zum geistigen Eigentum« zu schaffen. Ziel dieser theoretischen Anstrengung sollte es sein, zu verhindern, dass »die Regelungen zum Eigentumsrecht der Informationsökonomie hinter unserem Rücken getroffen würden«.1 Die in dieser Warnung mitschwingende Marxsche Terminologie drückt sich auch in dem Hinweis aus, die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sei bezogen auf die Public Domain eine »Landnahme«.2 Es ist hier jedoch etwas Vorsicht geboten. Gerade der Ruf nach einer neuen, speziell am Immaterialgüterrecht ausgerichteten politischen Ökonomie ist geeignet, die Konfliktlinien und grundlegenden Dynamiken der Entwicklung geistigen Eigentums zu verdecken. Zu-

1

James Boyle: A politics of Intellectual Property. Environmentalism for the Net, in: Duke Law Journal 47 (1997) 1, 87-116, zit. n. der deutschen Version in: Jeanette Hofmann (Hg.): Wissen und Eigentum. Geschichte, Recht und Ökonomie stoffloser Güter, Bonn 2006, 21-38, hier: 35f.

2

Vgl. ebd., 25.

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nächst ist nämlich der Überlegung von Sabine Nuss zuzustimmen, dass die Grundlagen der politischen Ökonomie – gerade bei einer sich auf Marx berufenden Analyse – auch unter den Bedingungen der Informations- und Kommunikationstechnologien stabil geblieben sind.3 Das Problem vieler Kritiken am geistigen Eigentum sei, so Nuss, dass sie statt auf der Ebene der politischen Ökonomie, also der auf Eigentumsrechten aufbauenden gesamtgesellschaftlichen Produktions- und Verwertungsbeziehungen, ihre Analysen auszuführen, sich bloß auf die materiellen oder eben immateriellen Eigenschaften der produzierten Güter stützten.4 Die besondere Qualität des geistigen Eigentums wird dann aus Eigenschaften wie Immaterialität, Universalität bzw. fehlender Rivalität im Konsum gefolgert. Damit werden die Mythen der Eigentumsordnung, etwa die Erhebung der Tragedy of the Commons zur anthropologischen Grundtatsache, in der Regel aber anerkannt. Ihre Wirkung ist nach diesen Kritiken am geistigen Eigentum jedoch auf das Reich der materiellen Güter beschränkt.5 Zu kurz greifen müssen solche Kritikstrategien – und auch da ist Nuss absolut zuzustimmen –, weil sie die Realität der Integration der geistigen Produktion in den Bereich der gesamten Marktbeziehungen ignorieren. Die politische Ökonomie besteht aber gerade darin, die Systematik der Beziehungen gesellschaftlicher Arbeitsprozesse und der daraus folgenden Möglichkeiten einer Aneignung von Anteilen am gesellschaftlich produzierten Reichtum auch ohne Arbeit – nämlich durch das Eigentum an Produktionsmitteln – aufzuzeigen. Damit kann eine auf die politische Ökonomie abzielende Analyse gerade nicht vernachlässigen, wie Programmiererinnen oder Komponisten in Austauschbeziehungen mit denen treten, die Autos oder Häuser bauen, Schuhe produzieren oder Brot backen.

3

Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges

4

Ebd., 208-212.

5

Ebd., 115-122.

Eigentum im informationellen Kapitalismus, Münster 2006, 241-245.

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In den komplex arbeitsteiligen Gesellschaften, die sich im Anschluss an die bürgerlichen Revolutionen entwickelt haben, werden die verschiedenen Tätigkeiten, die zur individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion und Entwicklung notwendig sind, weder durch unmittelbare Beziehungen der Produzierenden untereinander noch durch das Kommando einer gesellschaftlich legitimierten Institution oder Person aufeinander bezogen. Trotzdem müssen die einzelnen Tätigkeiten und mit ihnen die Aufteilung der einzelnen Arbeiten im gesellschaftlichen Rahmen organisiert werden.6 Der kapitalistische Lösungsversuch dieses gesamtgesellschaftlichen Koordinationsproblems besteht in der institutionell organisierten allgemeinen Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Arbeiten. Dabei werden die Arbeiten nicht direkt aufeinander bezogen, sondern statt der Arbeiten werden ihre Ergebnisse, die Produkte, als Waren zueinander in Beziehung gesetzt. Erst im Verhältnis, in dem sich eine Ware auf dem Markt gegen jede beliebige andere Ware austauschen lässt, vollzieht sich im Nachhinein die Bewertung der Notwendigkeit und Angemessenheit der Leistungen, die zu ihrer Herstellung aufgebracht wurden. Die Ware erhält einen Wert als Signum der Stellung der sie erzeugenden Arbeit im Verhältnis zu allen anderen gesellschaftlich nachgefragten und über den Markt vermittelten Arbeiten. Obwohl die Werte die Grundlage des für die kapitalistische Produktionsweise charakteristischen Vermittlungssystems darstellen, wer-

6

Der außerhalb des Marxismus etwas aus der Mode geratene Begriff »politische Ökonomie« beschreibt besser als die gebräuchlichere Bezeichnung »Volkswirtschaftslehre«, dass in diesem Zusammenhang die Ökonomie nicht einfach ein eigengesetzliches System ist, das erforscht werden kann wie die Bewegung der Planeten, sondern eine fundamental politische Struktur, die einerseits von politischen Grundlagen – etwa dem Schutz des Eigentums, der selbst keine ökonomische Funktion ist – abhängt und andererseits prägend auf die Beziehungen der Menschen wirkt, die dann leicht nur noch als ökonomische Fakten, statt als politische Verhältnisse begriffen werden.

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den aber bei weitem nicht alle gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten über Wertbeziehungen vermittelt. So ist darauf hingewiesen worden, dass mit den Tätigkeiten im Haushalt, die privat und unbezahlt vor allem von Frauen verrichtet werden, ein ganzes Feld unabdingbarer Tätigkeiten nur indirekt über die Abhängigkeit von Lohnarbeit – die im traditionellen Familienmodell von Männern verrichtet wird – mit dem zentralen Vermittlungsmechanismus in Verbindung steht.7 Aber auch im Bereich der als Lohnarbeit organisierten Tätigkeiten selbst müssen sich nicht alle Ergebnisse als Waren auf dem Markt bewähren. So sind die Arbeiten, die unmittelbar aus Steuern und Abgaben finanziert werden, von der Realisierung ihrer Produkte auf dem Markt nicht abhängig. Sie hängen nur insofern vom System der Werte ab, als die Äquivalente, die für den in diesen Bereichen gezahlten Lohn auf dem Markt erworben werden können, dort auch vorhanden sein müssen. Das wird aber dadurch gewährleistet, dass die Steuern und Abgaben in letzter Instanz von der Produktion und Realisierung von Waren abhängig bleiben. Wo die kapitalistische Ökonomie ins Stocken gerät oder gar zusammenbricht, gilt das Gleiche auch für die Einnahmen aus Steuern und Abgaben. Dass das Abhängigkeitsverhältnis der abgabenfinanzierten Tätigkeiten von den wertschaffenden Arbeiten in dieser Weise besteht, folgt aber nicht mit der zwingenden Logik, die hier auf den ersten Blick vorzuliegen scheint. Die Unterordnung der Abgaben unter die Werte ist nur notwendig, weil entscheidende Teile der Produktion kapitalistisch organisiert sind, d.h. unter die Verwertungsbedingungen fallen. Wäre wie im Feudalismus der Warenhandel auf Luxusgüter beschränkt, während die Reproduktion der grundlegenden Lebensbereiche davon unabhängig bliebe, die Abhängigkeit der Steuern und Abgaben von den Prozessen der Marktökonomie verschwände weitgehend, während um-

7

Vgl. Roswitha Scholz: Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats, Bad Honnef 2000; Frigga Haug,: Knabenspiele und Menschheitsarbeit, in: dies.: Frauen-Politiken, Berlin, Hamburg 1996, 125-151.

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gekehrt der Warenhandel wesentlich vom Fluss der Einnahmen aus Steuern und Abgaben bestimmt würde. Diese Variabilität der Abhängigkeitsbeziehungen zusammen mit der Dynamik der kapitalistischen Ökonomie, d.h. der permanenten Neubewertung ganzer Produktionsbereiche entsprechend der Entwicklung von Produktivität und der Veränderung gesellschaftlicher Bedürfnisse, führt dazu, dass die Organisation der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten politisch umstritten ist. Unter der Parole von der Effizienz des Marktes entsteht dabei der Druck, angewachsene Tätigkeitsbereiche öffentlicher Aufgaben den Verwertungsbeziehungen zu unterwerfen. Das Argument, der Markt zwinge zu mehr Effizienz, verdeckt in diesen Zusammenhängen aber oft mehr, als es offenbart. Das Argument unterschlägt nämlich, dass mit der Unterwerfung unter die Verwertungsbeziehungen immer auch eine Veränderung der Zielsetzung der Tätigkeiten einhergeht. Nicht die Gewährleistung der Erzeugung eines notwendigen Gutes steht im Mittelpunkt der kapitalistischen Produktion, sondern die erfolgreiche Verwertung investierten Kapitals. Diese Verwertung ist immer dann erfolgreich, wenn das Kapital nach dem Durchlaufen eines Produktionszyklus wieder bei den Investierenden vorhanden ist und zudem zumindest den Profit abwarf, der gesellschaftlicher Durchschnitt ist. Auf dieses Kriterium allein ist auch die Effizienz bezogen. Die dauerhafte Sicherheit der Versorgung mit dem produzierten Gut ist dagegen – wenn überhaupt ein Ziel – nur ein Mittel zur Erreichung dieses Zwecks. Andererseits gibt es innerhalb der politischen Ökonomie des Kapitalismus eine Dynamik, die zur Unterwerfung (Subsumtion) von Tätigkeiten unter die Regeln der Kapitalverwertung drängt, da allein auf diese Weise grundlegend neue Investitionsfelder für das akkumulierte Kapital geschaffen werden. Die Subsumtion, zu der immer auch die Einführung eines Eigentumsregimes gehört, das einerseits die private Verfügung über die zur Produktion notwendigen Mittel erlaubt und andererseits die Produkte überhaupt erst mit der Eigenschaft ausstattet, übertrag- und damit als Waren handelbar zu sein, lässt sich in einen formalen, wesentlich von der Veränderung der politischen und juristi-

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schen Verhältnisse bestimmten und einen substanziellen (auch »reell« genannten) Prozess unterteilen. Während in der formalen Phase die Tätigkeiten zunächst nur mit einem anderen letzten Ziel – eben der Kapitalverwertung – ausgeführt werden, zeigt sich in der Phase der reellen Subsumtion, dass sich auch die Inhalte der Tätigkeiten mit dieser Neuausrichtung allmählich zu verändern beginnen. In der Gegenwart lässt sich nun eine entsprechende Umorganisation geistiger Tätigkeiten genauso beobachten wie die Privatisierung der ehemals staatlichen Aufgabenbereiche Bahn, Telekommunikation und Post. Bezogen auf die Entwicklung des geistigen Eigentums sind es sowohl die formalen als auch die reellen Aspekte, die dabei heftig diskutiert werden. So ist auch die von James Boyle konstatierte »Landnahme« in der Public Domain der geistigen Güter Ausdruck der Umorganisation der Austauschbeziehungen zwischen den geistigen Tätigkeiten und den über den Markt bewerteten Arbeiten. Durch die Eigentumsschaffung in diesem Bereich wird aber gerade keine neue politische Ökonomie begründet, sondern die Verschiebung der geistigen Tätigkeiten in die Sphäre produktiver Arbeit vorgenommen. Das heißt, durch die »Landnahme«, die mit der Subsumtion dieses Bereichs unter die Bedingungen kapitalistischer Produktion identisch ist, wird die Gratifikationsstruktur geistiger Tätigkeiten8 an die Verwertung ihrer Ergebnisse als Waren auf einem Markt gebunden. Durch diese Verbindung der geistigen Tätigkeit mit den Kategorien von Lohn und Profit wird das Tun zur produktiven, also tatsächlich Waren produzierenden Arbeit, deren Ergebnisse sich anschließend verkaufen müssen. Das unterscheidet sie grundlegend von einer Tätigkeit, wie dem Schreiben dieses Textes, der zwar vielleicht irgendwann als Ware gehandelt und verkauft wird, dessen Erstellung aber von dieser Warenförmigkeit und Verkäuflichkeit unabhängig ist.

8

Vgl. zum Begriff der Gratifikation und ihrer dominanten Form der Entlohnung Angelika Krebs: Liebe und Arbeit, Frankfurt/M. 2002.

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Was im Falle der erfolgten Subsumtion geistiger Tätigkeiten unter die Bedingungen kapitalistischer Produktion als Ergebnis dieser Tätigkeiten schließlich das »Produkt« und mithin die Ware ist, ist auf den ersten Blick nicht immer ganz klar. So produzieren die Angestellten des Privatfernsehens genau genommen nicht ein Programm, sondern das Gut, das als Ergebnis ihrer Tätigkeit verkauft wird, ist Werbezeit in einem attraktiven Umfeld. Das Programm ist folglich nur ein Teil des eigentlichen Produkts, das dessen Gebrauchswert steigern muss. Die Inhalte des Privatfernsehens, die Filme, Shows und Serien sind dort nur Hilfsstoffe zur Erstellung des Produkts im engeren Sinn. Im Gegensatz dazu produziert das öffentlich rechtliche Fernsehen, insofern es gebührenfinanziert ist, überhaupt keine Ware, da es nichts verkauft. Seine Angestellten – obwohl sie vielleicht die gleichen Tätigkeiten ausführen, wie ihre Kollegen bei einem Privatsender – leisten deshalb im Sinne der politischen Ökonomie auch keine produktive Arbeit. Die Angestellten des Pay-TV wiederum, die ebenfalls dasselbe tun, leisten eine produktive Arbeit. Allerdings produzieren sie damit etwas völlig anderes als die Kollegen beim werbefinanzierten Privatsender. In ihrem Fall nämlich wirklich das Programm, das an die Abonnentinnen und Abonnenten verkauft wird. Festzuhalten ist also, erfolgt die Organisation der geistigen Tätigkeit als produktive Arbeit, muss es ein wie auch immer geartetes Produkt geben, das verwertbar ist. Dieses Produkt ist beim frei empfangbaren Privatfernsehen selbst nur ein Hilfsstoff, der in die Produktion anderer – nämlich der beworbenen – Güter eingeht, während es sich beim Bezahlfernsehen um ein Endprodukt handelt. Seine in jedem Produktionszyklus erneut gelingende Realisierbarkeit als verwertete Ware hängt also nicht von der Realisierung weiterer Produkte auf anderen Märkten ab. Die Vielfältigkeit der Produkte als Ergebnis derselben geistigen Tätigkeit und die Unterschiedlichkeit ihrer Realisierungsbedingungen auf dem Markt hat ganz unterschiedliche Positionen zur »Landnahme« in der Public Domain zur Folge. Es macht – um das Beispiel zu wechseln – einen großen Unterschied, ob als Produkt eine Software verkauft

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werden soll oder der Service zu ihr, der in Installation, Anpassung und Pflege der Software oder der Hilfe beim Umgang mit ihr besteht. Im ersten Fall ist es unumgänglich, dass es Eigentumsrechte an der zu verkaufenden Software gibt. Im zweiten Fall kann das Fehlen solcher Eigentumsrechte sogar ein Vorteil sein. Die Software findet so vielleicht eine weitere Verbreitung. Ihre Ausdifferenzierung und Verbesserung wird beschleunigt, was zusätzliche Nachfragen an Dienstleistungen generieren kann. Außerdem verbilligt der freie Zugang zur Software die Kosten, die für die Ermöglichung der Dienstleistungen aufzubringen sind, bzw. sichert er den Zugang zu den für die Dienstleistungen notwendigen Informationen. Allerdings sind Dienstleistungen bezüglich der Thematik des geistigen Eigentums ohnehin weitgehend unproblematisch. Da ihre Produkte die Eigenschaft haben, im Augenblick ihrer Erbringung auch sofort konsumiert zu werden, gibt es bei ihnen keine stabilen Inhalte, die gesondert geschützt werden müssen. Das Bedürfnis nach geistigen Eigentumsrechten entsteht in diesem Bereich nur, wenn andere von der Möglichkeit der Erbringung einer spezifischen Dienstleistung ausgeschlossen werden sollen. Mit anderen Worten, die Problematik geistigen Eigentums taucht immer erst dort auf, wo die Produkte (also die warenförmigen Ergebnisse geistiger Tätigkeit) nicht die Eigenschaft der Flüchtigkeit haben, sondern als zeitlich stabile Inhalte bestimmt sind. In diesem Fall entsteht automatisch die Frage, welches Ergebnis der bereits aufgebrachten Mühe das Produkt ist. Die Intuitionen bei der Beantwortung der Frage sind vielfältig. Sie variieren mit den Gegenständen der Produktion. Statt einfach auf den produzierten »Inhalt« abzuzielen, werden die Bestimmungen so wesentlich subtiler. Bei einer Zeitungsnachricht etwa gilt die Regel, unter den Schutz des Urheberrechts fällt der Text der Nachricht, aber nicht der Inhalt dieses Textes – also die Nachricht selbst. Das scheint zumindest nominell erst einmal ein Widerspruch zu der Beobachtung zu sein, das es vor allem die content industry – also die mediale Inhalte erzeugende Wirtschaft – ist, die ein Interesse an der Ausweitung der Schutzrechte des geistigen Eigen-

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tums hat. Dass hinter diesem nominellen Widerspruch auch tatsächliche Probleme liegen, zeigt sich, wenn wir auf der Ebene der Texte von Zeitungsnachrichten zu Büchern übergehen. Zwar gilt auch hier: geschützt wird die »Form«, also der Text, und nicht der Inhalt, aber die immer wieder auftauchenden Plagiatsvorwürfe machen deutlich, dass sich hier die Fragestellung nicht durch das Kriterium der Identität von Texten oder Textfragmenten erschöpfend lösen lässt. Die Ursache für diese Komplizierungen liegt darin, dass natürlich auch der »Inhalt« eines Romans Ergebnis geistiger Tätigkeit ist. Um die Verwirrung, die sich aus der Ablösung des Inhalts von der Textgestalt ergibt, zu illustrieren, sei hier nur auf den Rechtsstreit zwischen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung auf der einen und dem Internetportal Perlentaucher auf der anderen Seite verwiesen. Die beiden Tageszeitungen wollten verhindern, dass das Internetportal die bei ihnen erschienen Rezensionen zusammenfasste und dann an eine Internetbuchhandlung verkaufte. Das Argument der Zeitungen war dabei natürlich, die Rezensionen seien die eigentliche Arbeit, Veröffentlichung und Verkauf der von den Rezensentinnen und Rezensenten erstellten Beiträge in der Form einer bloßen Zusammenfassung verböte also das erworbene Recht an den Früchten von deren Arbeit. Die Gerichte hingegen betonten in ihrer Entscheidung die intellektuelle »Leistung« der Zusammenfassungen und wiesen die Klage ab.9 Um in der Gemengelage, die das Feld des geistigen Eigentums bildet, die Probleme deutlicher zu sehen, habe ich zu einem früheren Zeitpunkt10 vorgeschlagen, seine Gegenstände als »Formen« zu bestimmen. Das Paradigma, an dem sich dieser Vorschlag orientierte, war der Schutz des technischen Herstellungswissens von Gegenstän-

9

Vgl. Urteile des Landgerichts Frankfurt/M v. 23.11.2006 – Az.: 2/3 O 171/06 u. 2/3 O 172/06 sowie Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt/M v. 9.10.2007 – Az: 11 U 75/06 u. 11 U 76/06.

10 Vgl. Christian Schmidt: Die zwei Paradoxien des Geistigen Eigentums, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 52 (2004) 5, 755-772.

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den. Die Frage, die diesem Zusammenhang nicht hinreichend beantwortet wurde, war die nach der Bestimmung der Formen im Allgemeinen. Damit blieben auch Zweifel an der Übertragbarkeit der technischen Intuition auf die anderen Bereiche des geistigen Eigentums. Was sind also Formen? Zunächst unterscheiden sich die Formen von ihren Inhalten dadurch, dass ein Inhalt immer nur eine Instanziierung der jeweiligen Form ist. Was Formen daher auszeichnet, ist die Wiederholbarkeit ihrer Inhalte. Die Wiederholbarkeit wiederum ist die Grundlage für die Kennzeichnung der Formen als Herstellungsanweisungen. Diese Anweisung kann entweder direkt, etwa als Bauplan oder Partitur, angegeben sein, oder sie ist implizit in mindestens einem Prototyp enthalten, der in der Wiederholung nachgeahmt werden kann. Allerdings gilt auch, dass der Herstellungsplan oder Prototyp allein nicht ausreicht, um eine Form vollständig zu kennzeichnen. Vielmehr beinhaltet die Wiederholbarkeit neben Prototyp oder Plan immer auch die Setzung einer Norm. Mit anderen Worten, Formen funktionieren immer doppelt: Einmal als Anweisung zur Erzeugung eines Inhalts und dann als Kontrolle der Übereinstimmung des Inhalts mit der impliziten – oder bei Beachtung der grundsätzlichen Schwierigkeiten einer umfassenden Explizierbarkeit zumindest praktisch bestimmten (»empraktischen«) – Norm. Auf der pragmatischen Seite der Inhaltskontrolle steht die Form als idealer Gegenstand in den Verhältnissen praktischer Anschlussmöglichkeiten. Ob diese Anschlüsse tatsächlich möglich sind, legt fest, ob eine Entität hinreichend nah am Ideal einer Form ist, um als Repräsentation gewertet werden zu können. Mit anderen Worten: »In der Idealform ist eine vollkommene Erfüllung von Güte-Bedingungen, pars pro toto: das Erreichen eines Ziels, artikuliert. Der Einzelfall, das Einzelding, das einzelne Wesen verweist dann in seinem Sein, seiner Entelechie, auf die

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Erfüllung einer Form oder Norm. Diese Form existiert als Telos oder Ziel bzw. als Idee des hinreichend Guten im Sein des Lebewesens oder Gegenstandes.«11

Weil aber jedes konkrete Ziel, das mit der Erschaffung einer Repräsentation verknüpft wird, nur auf einen Teil der praktischen Anschlussmöglichkeiten Bezug nimmt, die in der Idealform angelegt sind, sind die Normen zur Inhaltskontrolle der Repräsentationen einer Form immer auch variabel. Andere Ziele, also die Einbindung in andere praktische Zusammenhänge, verändern die realen Güte-Bedingungen, mit denen gelungene Repräsentationen von misslungenen unterschieden werden. Ein Beispiel aus dem Umfeld der geometrischen Formen kann diesen allgemeinen Zusammenhang illustrieren: Will eine diskutierende Gruppe sicherstellen, dass der Sichtkontakt zwischen allen Mitgliedern der Gruppe gewährleistet ist, kann sie sich die geometrischen Eigenschaften eines Kreises zunutze machen, bei dem zwei beliebige Punkte auf seiner Begrenzungslinie immer durch eine Gerade verbunden werden können, auf der kein weiterer Punkt der Kreislinie liegt. Es sitzt also niemand zwischen zwei beliebigen Personen. Sobald das gewährleistet ist, ist die Repräsentation des Kreises für das gewünschte praktische Erfordernis hinreichend gut. Soll dagegen eine Scheibe in einer knappen Aussparung rotieren, sind die Güte-Bedingungen an die Kreisrepräsentation ganz anderer Art. Jetzt kommt es darauf an, dass die Abstandsgleichheit des Scheibenrandes vom Rotationszentrum in jedem Punkt nicht das durch die Aussparung vorgegebene Maß überschreitet. Eine Scheibe, die in der Aussparung »aneckt«, ist nicht hinreichend kreisförmig. Der Zusammenhang so vollkommen unterschiedlicher Güte-Bedingungen ist nur in der Idealform erkennbar, die sich gerade dadurch

11 Vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer: Was ist eine Praxisform? Bemerkungen zur Normativität begrifflicher Inhalte, in: Thomas Rentsch (Hg.): Einheit der Vernunft? Normativität zwischen Theorie und Praxis, Paderborn 2005, 181-205, hier: 191.

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auszeichnet, dass mit ihr die Realisierung aller verschiedenen Ziele gewährleistet wäre, die mit einer Form verwirklicht werden können. Diese Idealform ist es also, die es allein rechtfertigt, in Bezug auf die verschiedenen Repräsentationen von einer einzigen zugrunde liegenden Form zu sprechen. Zugleich schränkt die Idealform den Spielraum der Repräsentationen stärker ein als die bloße Kontrolle durch die pragmatische Zielerfüllung. So muss nicht jede Anordnung, die den Angeordneten den direkten Blickkontakt erlaubt, ein Kreis sein. Zum Kreis wird die gebildete Figur erst durch den Bezug auf die Idealform. Die Existenz der Idealformen lässt sich im Bereich der Geometrie noch am leichtesten konstatieren. Obwohl gerade auch für die Geometrie gilt: »Das Hauptproblem der Konstitution idealer Gegenstände und Wahrheiten in der Geometrie besteht darin, von den deiktischen, auf konkrete Anschauungen bezogenen, Bildbeschreibungen bzw. benannten Diagrammen (lettered diagrams) und den in ihnen verwendeten deiktischen Namen zu Formbeschreibungen überzugehen, die dann nicht mehr von den einzelnen Bildern abhängen, insbesondere nicht von ihrer Größe, sprich: der Wahl der Maßeinheit. In ihnen sollen auch die Namen von Teilformen situationsinvariant gedeutet werden können, d.h. als Namen abstrakter resp. idealer Geraden, Punkte und Kreise an sich. Den Sätzen sollen situationsunabhängige, gewissermaßen ewige Wahrheitswerte zugeordnet werden.«12

Ist dieses Hauptproblem aber erst einmal implizit, das heißt im Rahmen der geometrischen Praxis, oder explizit, im Rahmen einer philosophischen Reflexion dieser Praxis, gelöst, sind es die Regeln der geometrischen Wissenschaft, die es erlauben, von den je konkreten Repräsentationen auf die Eigenschaften der niemals in wirkliche Repräsentationen verwandelbaren Idealformen zu schließen, die sich dann unter Kenntnis der jeweiligen Güte-Bedingungen als Anwendungsvorausset-

12 Pirmin Stekeler-Weithofer: Formen der Anschauung. Eine Philosophie der Mathematik, Berlin, New York 2008, 134f.

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zungen der geometrischen Sätze gleichwohl in den realen Figuren erweisen. Für den allgemeinen Fall, der im Rahmen der Diskussionen über die Gegenstände des geistigen Eigentums einschlägig ist, wird die Bestimmung der Praktiken, in denen die Idealformen bestimmbar sind, aber deutlich schwieriger. Trotzdem muss in allen Fällen, in denen Repräsentationen sinnvoll von Formen geschieden werden sollen, neben die pragmatischen Zielbestimmungen auch ein Verfahren treten, dass die über die Verwirklichung einzelner Ziele hinausgehende Stabilität des Zusammenhangs zwischen den Einzelrepräsentationen gewährleistet. Die naive Annahme einer völligen Übereinstimmung zwischen Form und Repräsentation ist für dieses Problem keine Lösung, da die Identität zwischen den einzelnen Repräsentationen nur in Hinsicht auf als wesentlich bestimmte Eigenschaften gültig ist. Völlige Identität ist dagegen ausgeschlossen, da es sich sonst nicht um verschiedene Repräsentationen handeln könnte. Was für die Gleichheit der verschiedenen Repräsentationen aber wesentlich ist, legt gerade die Form als idealer Gegenstand fest. Das heißt, die Form ist nichts anderes als die Sammlung der für die Gleichheit von Repräsentationen wesentlichen Eigenschaften. Die Geometrie – unser bisheriges Paradigma für eine formbestimmende Praxis – besteht aber nicht nur aus der Sammlung der wesentlichen Eigenschaften der geometrischen Formen, sie untersucht auch die sich aus diesen Eigenschaften ergebenden Beziehungen. Und da die Formen gerade durch die Eigenschaften gekennzeichnet sind, die bezüglich der konkreten Repräsentationen invariant bleiben, so sind es auch die geo-metrischen Beziehungen der jeweiligen Figuren. Damit finden sich in der Geometrie zwei gegenseitig aufeinander verweisende Praktiken, die erst in ihrer gegenseitigen Kontrolle die für die Formen so charakteristische Stabilität erzeugen. Diese beiden Praktiken sind die Produktion von Aussagen über die idealen Formen einerseits und die Konstruktion von Repräsentationen andererseits. Dabei bleibt die Konstruktion – wie bereits gesagt – auf die formale Deduktion verwiesen, weil nur die formale Deduktion festzulegen vermag, was die wesentlichen Elemente der Konstruktion sind, die diese erst

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zur Konstruktion eines geometrischen Formzusammenhangs werden lassen. Andererseits wird aber auch die formale Deduktion nur durch die Praxis des Konstruierens verständlich. Gäbe es nämlich die Ebene der Repräsentationen nicht, dann wären nicht nur die Formen »leer«, es wäre nicht einmal verständlich, was diese Formen konstituiert, da die prinzipielle Konstruierbarkeit in der Geometrie mit der Deduzierbarkeit zusammenfällt.13 Die Strenge der Geometrie beruht dabei auch auf der Einschränkung ihres Bereichs auf das Verhältnis von formaler Deduktion und ihr entsprechender Konstruktion, weshalb sie sich aufzulösen beginnt, sobald – wie in den oben genannten Beispielen der Anordnung im Kreis oder der Herstellung einer Kreisscheibe – die geometrischen Formen freier in andere Praktiken eingebunden werden. Diese Auflösung der strengen Beziehungen ist es nun aber gerade, die es ermöglicht, die geometrischen Verhältnisse sich kontrollierender Praktiken auch auf andere Bereiche zu übertragen, in denen sich Formen und ihre Repräsentationen gegenüberstehen. Auch in den nichtgeometrischen Bereichen bleibt ein spezifischer Grad an Strenge notwendig, um die Stabilität der Formen zu gewährleisten. So ist jede Handlung, die hinreichend komplex ist, um als eigenständiges, bestimmtes Tun identifiziert zu werden, Repräsentation der Form dieser Handlung. Die zwei Ebenen der Formbestimmung werden im Fall der Handlungsform zuerst in den Einführungssituationen deutlich, die zur Beherrschung jeder Handlungsform als Handlungsform – im Gegensatz zur bloß zufälligen Ausführung oder reinen Verhaltung – durchlaufen werden müssen. Der Ebene der Deduktion entspricht hierbei die Kontrolle der Ausführungen durch jene, die die Form der Handlung bereits beherrschen. Deren Bewertungen der Güte einer Repräsentation beschränken sich dabei nicht auf die Erfolgskontrolle eines pragmatisch gegebenen Ziels, dessen Erreichen auch von

13 Vgl. ebd., 194: »Wir sagen nun, ein formal wohlgeformter Konstruktionsterm ›t‹ benenne eine Konstruktion oder geometrische Form dann und nur dann, wenn er prinzipiell ausführbar ist.«

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den Lernenden selbst kontrolliert werden könnte. Vielmehr beurteilen sie die Beherrschung der Form auch auf die Möglichkeit ihrer Wiederholbarkeit und Anschlussfähigkeit in anderen Situationen. Die Lehrenden repräsentieren damit die Ebene, die der geometrischen Deduktion vergleichbar ist, während die Lernenden nur dann sinnvollerweise als lernend bezeichnet werden können, wenn die Handlungsform tatsächlich auch als konkrete Handlung repräsentiert werden kann, statt unmöglich zu sein – etwa weil sich die vorgebliche Handlungsform gegen die scheinbare Evidenz von Vorführungen als Scharlatanerie erweist oder die in den Regieanweisungen für eine Opernaufführung enthaltenen Aufforderungen schon rein physiologisch das Singen der Oper unmöglich machen, sodass das komplexe Handlungsziel in seiner Gesamtheit nicht verwirklichbar ist, obwohl seine einzelnen Elemente gut beschreib- und ausführbar sind. Es gibt also eine Art der Beherrschung von Handlungsformen, die sich in ihrer Ausführung zeigt. »Die Formen des Intellektuellen, des Wissens und Handelns, zeichnen sich eben dadurch vor Formen des Verhaltens der Natur aus, dass man sie, wenn man sie gelernt hat und beherrscht, normalerweise nach Belieben (‚at will‘ bzw. auf eine beliebige (Selbst-)Aufforderung hin) performativ aktualisieren können muss.«14

Doch neben der Ebene der praktischen Ausführung gibt es auch noch die selbstständige praktische Ebene der Formkontrolle, zu der auch die am Beispiel der Opernregie bereits eingeführte Fähigkeit zur Formenkombination und -deduktion gehört. Nicht nur die Korrektur im Lernprozess macht das deutlich. Auch dass wir etwa die Form einer Sonate oder eines Romans erkennen können, ohne als Komponierende oder Musizierende bzw. Schreibende selbst in der Lage sein zu müssen, eine Sonate oder einen Roman hervorzubringen, zeigt, dass es sich bei der Beurteilung der Entsprechung zu einer Form um eine eigenständige,

14 P. Stekeler-Weithofer: Was ist eine Praxisform?, 198f.

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von der praktischen Formbeherrschung unabhängige Kompetenz handelt. Das wird noch einmal deutlicher, wenn Formen betrachtet werden, die überhaupt nur erkannt und nicht im Sinne einer auszuführenden Praxis erlernt werden, wie das für die »Lebensformen« natürlicher Arten15 gilt. Auch diese Lebensformen sind Sammlungen wesentlicher Eigenschaften, die es uns erlauben, nicht nur die Arten zu erkennen, sondern auch ihre Beziehungen zum Menschen zu bestimmen. So ist die Fortpflanzung ein so überaus prominentes Merkmal der Lebensformen, weil die Züchtung von Tieren eine menschliche Tätigkeit ist, die nur bei Kenntnis der Voraussetzungen, unter denen lebendige Wesen sich fortpflanzen, erfolgreich sein kann. Gleiches gilt für die wesentlichen Merkmale der Ernährung. Und auch das Verhalten, das entweder nützlich oder bedrohlich sein kann, muss in beiden Fällen beobachtet und so weit als möglich vorhergesagt werden. Damit zerfallen die Bezüge zur Lebensform aber bereits in zwei Klassen. Zum einen werden die formalen Aussagen über Arten, ihre typischen Erscheinungen, Reaktionen und Verhaltensweisen rein beobachtend geprüft. Das heißt, es wird an den tatsächlichen Lebensvollzü-

15 Vgl. Michael Thompson: Three Degrees of Natural Goodness. Discussion Note, http://www.pitt.edu/%7Emthompso/three.pdf (letzter Zugriff: 17.09.2008): Die »Lebensform« einer natürlichen Art »is made articulate in a connected system of tenseless judgments. A collection of true thoughts which completely develop this system we may call a ›natural history‹ of the life form in question. The components of this system, the ‚natural history judgments‘, attribute to the life form, in a logically distinctive way, predicates which can also intelligibly be attributed to individual organisms. ›They have four legs‹, we say of cats or of cat-form; ›They bloom in spring‹, we say of cherries or of cherry-form. ‚›It has four legs‹, we say of this cat hic et nunc; ›It bloomed last spring‹ we say of the cherry tree in the garden. The properties expressed by these predicates may be said to ›characterize‹ the life forms cat and cherry respectively, and to ›hold of‹ the individual cat or cherry tree in question.«

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gen der auftretenden Wesen nachvollzogen, ob die Formaussagen tatsächlich den Bereich der Normalerwartungen abzudecken vermögen oder ob die Wesensbestimmungen korrigiert werden müssen, sei es, weil sich die Art selbst entwickelt hat oder weil die frühere Wesensbestimmung sich als falsch erweist. Eine zweite Klasse von Bezügen auf die »Lebensformen« geht aber über die bloße Beobachtung hinaus. Der aktive Umgang mit den Lebewesen, etwa zum Zweck der Kultivierung oder Züchtung, involviert sowohl die Kenntnis der Lebensformen als auch die Beherrschung der Formen der Intervention. Misslingt die Interaktion mit der Lebensform, können die Korrekturen sowohl auf die Beherrschung der Handlungsform als auch auf die Formen der Handlung aber auch der Bestimmung des Lebewesens gerichtet sein. Solche Komplizierungen der Formbeziehungen sind aber typischer für die Mehrzahl praktisch relevanter Formen als die immer überschaubaren Beziehungen der Kontrollpraktiken in der Geometrie. Gerade neu etablierte Formen, bei denen erst ein Prototyp oder eine paradigmatische Handlungsanweisung existiert, sind in ihren formalen praktischen Beziehungen meist noch weitgehend unerforscht. Gleichwohl setzt die Expertise, die den Prototypen bzw. Handlungsanweisungen zugrunde liegt, eine Form, die in der praktischen Wiederholbarkeit des Prototyps bzw. der prinzipiellen Ausführbarkeit der Handlungsanweisung ihr konstitutives Gegenstück findet. Das bedeutet aber, dass die Form bereits existiert, bevor sie vollständig fixiert ist. Vielmehr setzt ihre erste Hervorbringung erst die praktischen Prozesse und Interaktionen von Praktiken in Gang, die die Form weiter entwickeln. Aus dem doppelten Charakter der Entwicklung einer Form lassen sich schon viele Probleme bei der Bestimmung des konkreten geistigen Eigentums erläutern. Wird nämlich bloß ein Prototyp als Ergebnis der geistigen Produktion erzeugt, ist die Setzung der Norm, was dann als Wiederholung dieses Prototyps gilt, noch weitgehend offen. Ist beispielsweise ein Text keine kalligrafische Übung, dann ist die reine Wiederholung der exakten Buchstabenfolge sicher eine Kopie. Darüber hinaus beginnen aber die Unsicherheiten, was noch als Kopie im weiteren Sinne zu fassen ist. Also die Fragen, inwieweit Bearbeitungen wie

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Kürzungen, die schon erwähnten Zusammenfassungen oder aber Übersetzungen einerseits und freie Nacherzählungen andererseits noch als Wiederholung der gesetzten Form gelten müssen. Offensichtlich liegen dabei die Standards, was als Kopie im weiteren Sinne zu bewerten ist, nicht im Gegenstand des Prototyps, sondern sind Ergebnis eines zwar auf den Gegenstand bezogenen, von ihm aber unabhängigen Prozesses der Normsetzung. Bei der Rechtsprechung auf dem Feld des geistigen Eigentums orientieren sich diese Normsetzungsprozesse an der gängigen Vorstellung der Begründung von Eigentum. Gemäß der dort zugrunde gelegten Arbeitstheorie des Eigentums entstehen Eigentumsansprüche durch produktive Akte. Allerdings wird die Frage, was als produktiver Akt gewertet wird, im Immaterialgüterrecht auf eine besondere Weise beantwortet. Bloße Mühe, wie sie bei jeder Aktualisierung einer Form, sprich: der Erstellung eines ihr entsprechenden Inhalts, aufgebracht werden muss, zählt in diesem Zusammenhang nicht als produktiver Akt. Vielmehr werden solche gegenstandserzeugenden Tätigkeiten als Anteilnahme an der sie leitenden Form gedeutet, die ggf. Eigentumsrechte an solchen Formen berührt. Als produktive Akte gelten dem Immaterialgüterrecht daher nur Akte, die selbst formerzeugend (oder im Sinne der obigen Betrachtungen zumindest forminduzierend) sind. Geistige Tätigkeiten werden damit als produktiv bestimmt, wenn sie einen spezifischen Grad der Abweichung von der Norm, die Realisierung einer in der Norm angelegten Differenz vom Prototyp oder Resultat des regelgerecht, d.h. hinreichend gut ausgeführten Plans erreichen. Da die Festsetzung der Normen aber nicht eindeutig ist und sich auf einen Prototyp oder Plan konkurrierende Normen beziehen lassen, gibt es im Bereich des geistigen Eigentums die bekannten Mischformen. Zu denken ist hier erneut an Übersetzungen, die zwar einerseits die Form des zu übersetzenden Textes in der anderen Sprache möglichst exakt nachzuahmen bemüht sind, andererseits aber gerade bei diesem Bemühen einen eigenen Weg finden, eine eigene literarische Form etablieren müssen. Ähnliches gilt offensichtlich auch für Auffüh-

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rungen, das heißt die Übertragung einer Form von einem in ein anderes Medium, also etwa die »Übersetzung« der Partitur in Töne. Die Eigenständigkeit und Vielfältigkeit der Normen zeigt sich aber auch an Strategien, Wiederholungen zu schaffen, die zwar als Wiederholungen klar erkennbar sind, aufgrund der bestehenden Normen aber nicht als solche gewertet werden. Auf ein gutes Beispiel für eine solche Strategie weisen Friedemann Kawohl und Martin Kretschmer mit ihrer Diskussion der »Sound-alikes« hin, also Musikstücken, die bemüht sind, den »Sound« bekannter Musikstücke nachzuahmen, ohne als Plagiat oder Aufführung mit Rechten behafteter Musik zu gelten.16 Die Diskussion um solche Mischgebilde sollte nun auch verdeutlichen, wie sich das Paradigma der technischen Handlungsanweisungen auf die anderen Gebiete der geistigen Eigentumsrechte übertragen lässt. Die in der Kunst geschaffen Prototypen werden zu Formen, indem ein Feld von Differenzen um sie etabliert wird, das Kopie und Nachahmung von Originalen unterscheidet, aber auch die Persönlichkeitsrechte der Produzentinnen und Produzenten beeinträchtigende Veränderungen definiert. Die Rekonstruktion des Formbegriffs macht deutlich, warum ich davon ausgehe, dass geistiges Eigentum am besten unter Bezug auf diesen Begriff definiert werden kann, obwohl es doch vielfach um den »Content« von Medien geht. Im Unterschied zum Begriff der Kopie erlaubt es das Konzept der Form mit seinen ineinander verschachtelten Ebenen der Bestimmung, Raum für die variablen Normen zu schaffen, die immer erst festlegen, was als Neuerung und was als Partizipation an einer bestehenden Form aufzufassen ist. Die komplexere Auffassung der Gegenstände geistigen Eigentums muss aber auch zu einer Neubewertung einiger prominenten Prognosen führen. So beruht Peter Drahos Warnung vor der Entwicklung eines

16 Friedemann Kawohl u. Martin Kretschmer: Entgrenzung geistiger Eigentumsrechte in der Musik, in: Hannes Siegrist (Hg.): Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen, Leipzig 2007, 202-233, bes. 224.

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»Information Feudalism« wesentlich auf der Analyse der »abstract objects«, auf die das geistige Eigentum die Regelungen der Eigentumsordnung ausdehnt. »Abstract objects by their very nature are capable of being universally accessed. In theory at least every person on the planet could simultaneously use the same algorithm. […] One consequence of this is that the pattern of interference that intellectual property rights set up in the lives of others is far greater than in the case of other kinds of rights.«17

Da nun außerdem gilt: »Abstract objects are vital to all kinds of social, cultural, and economic projects«18, liegt für Drahos der Vergleich zwischen der Verfügung über die abstrakten Gegenstände des geistigen Eigentums und der Verfügung über das zentrale Produktionsmittel Land in den klassisch feudalistischen Gesellschaften nahe. »Drawing an analogy between the ownership of the abstract object and a king’s feudal holdings is appropriate because in both cases the owner has control over a form of capital on which many others inescapably depend. In the case of abstract objects, that dependence may be global rather than just territorial. »19 Eine solche Vorhersage verliert natürlich deutlich an Überzeugungskraft, wenn die abstrakten Objekte, von denen sie ausgeht, erst in pragmatischen Kontexten tatsächlich bestimmt sind. Dann sind die Formen nämlich nicht ganz so »abstrakt«, wie es die Argumentation von Drahos voraussetzt. Es muss also nicht »der« Kreis oder die Form »des« Romans sein, die im Rahmen der Jurisdiktion des geistigen Eigentums als Rechtsobjekt anerkannt werden. Vielmehr besteht die Möglichkeit allgemeine Formen bloß in konkreten praktischen Kontexten zum Eigentum zu erklären, ihre darüber hinausgehende Verwen-

17 Peter Drahos: Information Feudalism in the Information Society, in: The Information Society 11 (1995) 3, 209-222, hier 219. 18 Ebd., 220. 19 Ebd.

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dung aber vom Eigentumsschutz auszunehmen. Die in einem literarischen Werk erstmals angewandte Erzähltechnik kann so von der Deklaration als geistiges Eigentum ausgenommen werden, während die Handlung als Eigentum betrachtet wird, sodass im Falle der Verfilmung Ansprüche entstehen. Trotzdem entstehen natürlich mit der Durchsetzung des Eigentumsregimes auf dem Gebiet der Ergebnisse geistiger Tätigkeiten ganz allgemein Effekte, die zumindest im Ansatz den von Peter Drahos beschriebenen Konsequenzen aus dem Eigentum an abstrakten Objekten gleichen. Allerdings sind diese Effekte bei weitem nicht von der globalen Qualität, die er ihnen zuschreibt. Und auch James Boyles Furcht vor dem »Verschwinden der Public Domain, erst als Begriff, dann zunehmend auch in der Realität«20 verkennt, die sich durch den Charakter der Formen ergebenden Auseinandersetzungen auf dem juristischen Terrain. Die Ausgestaltung der Ordnung des geistigen Eigentums findet keineswegs so statt, dass umstandslos jedes Wissen und jede Form zum Eigentum erklärt wird, selbst wenn sie neu etabliert werden. Aber andererseits wird auch nicht der gesamte Bestand des Wissens grundsätzlich als eigentumsfrei deklariert. Vielmehr werden die Effekte einer Eigentumsdeklaration in den politischen Auseinandersetzungen um die Entwicklung des geistigen Eigentums sehr stark diskutiert. Die drastischen Thesen darüber, welche »Verluste durch die Ausdehnung und Ausübung der Rechte an geistigem Eigentum entstehen«21 und dass »information feudalism, by dismantling the publicness of knowledge, will eventually rob the knowledge economy of much of its productivity«22, spielen dabei die Rolle der Warnung vor zu weit ausgedehnten Eigentumsansprüchen. Als politische Aussagen werden sie in den Prozessen der legislativen und juristischen Bestimmung der erweiterten Eigentumsordnung aber nur als ein Pol der Debatte aufge-

20 J. Boyle, Politik des geistigen Eigentums, 32. 21 Ebd., 31. 22 Peter Drahos u. John Braithwaite: Information Feudalism. Who Owns the Knowledge Economy, London 2002, 219.

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nommen. Sie sind somit zugleich erfolgreich, was ihre Wirkung auf den Anpassungsprozess der Eigentumsordnung an die gegenwärtige ökonomische Entwicklung betrifft, und gerade wegen dieser ökonomischen Dynamik zur Erfolglosigkeit verdammt, was ihre selbst gestecktes Ziel der allgemeinen Verhinderung einer Ausweitung des geistigen Eigentums betrifft. Dieses Schicksal der pessimistischen Erzählungen über die Konsequenzen geistigen Eigentums macht deutlich, dass es sich bei dessen Durchsetzung – wie im Übrigen bei der Einführung von Rechtsnormen überhaupt – nicht um den einfachen Vorgang einer Inkraftsetzung handelt, sondern um einen komplexen Prozess der »Propertisierung«. »Prozesse der Propertisierung sind eingebettet in die Konkurrenz von Institutionen und Praxisformen, die den symbolischen und sozialen Umgang mit Objekten, Rechten Individuen, Gruppen und Organisationen bestimmen und ermöglichen. In modernen Gesellschaften stehen die Institutionen des privaten Eigentums und individuellen geistigen Eigentums im Wettbewerb mit anderen proprietären und nicht-proprietären Institutionen. […] Zur Debatte stehen dabei jeweils Formen, Funktionen, Gegenstände und Rechtfertigungen des Eigentums und dessen Einbettung in das Gesamtgefüge der Institutionen bzw. der Governance von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft.«23

Ein solches Verständnis der Durchsetzung der Rechtsnormen rund um das geistige Eigentum setzt aber voraus, dass auch die Konzeption »Eigentum« ein gewisses Maß an Variabilität aufweist. Es ist deshalb verständlich, wenn im Zuge der Debatte um die Propertisierung auch das Eigentum selbst zu einem »Bündel« an Rechten wird. »Die Bündel bzw. die einzelnen Handlungsrechte repräsentieren in typisierter Form die zu einem bestimmten Zeitpunkt herrschenden sozialen, kulturellen,

23 Hannes Siegrist: Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur. Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der Moderne, in: ders. (Hg.): Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen, 9-52, hier: 35 f.

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moralischen und rechtlichen Vorstellungen und Praxisformen legalen und gesellschaftlich legitimierten Eigentums.«24 Die Gefahr bei einer solchen Perspektive auf das Eigentum ist nur, dass durch dessen Aufspleißen unverständlich wird, was Eigentum wesentlich ausmacht. Deshalb ist es wichtig festzuhalten, dass sich das Rechtebündel »Eigentum« um eine zentrale Praxis entwickelt. »Der Kern des modernen Eigentumsrechts bildet klassischerweise das Recht der Veräußerung«25. Dieses zentrale Eigentumsrecht zieht automatisch weitere Verfügungsrechte nach sich, ohne die gar nichts zu veräußern wäre. Diese Verfügungsrechte können nun aber unterschiedlich ausgestaltet sein. So ist im Bereich des geistigen Eigentums unter Rückgriff auf das Privilegienrecht, aus dem es stammt, in vielen Bereichen noch die Befristung der Verfügungsrechte erhalten, die es im Materialgüterrecht so nicht gibt. Zusammen mit der Variabilität der Formbestimmungen ist es die Ausgestaltung der Verfügungsrechte unter Rückgriff auf Regelungen des alten Privilegienrechts die im Bereich der juristischen Ausgestaltung des »geistigen Eigentums« die nötige Flexibilität schafft, um den widerstreitenden Interessen verschiedener Produktionsmodelle und Produktarten untereinander, der Erhaltung einer für die gesellschaftliche Reproduktion und Entwicklung unabdingbaren Public Domain und dem Subsumtionsdruck der ökonomischen Dynamik nach Eigentum an den Ergebnissen geistiger Tätigkeiten gerecht zu werden. Schon jetzt ist dabei absehbar, dass die Spielräume der Rechtsordnung diese Widersprüche so aufzulösen vermögen, dass von einem Zerbrechen der kapitalistischen ökonomischen Ordnung oder auch nur einer Blockade ihres Potentials zur Erschaffung immer neuer Formen26 nicht länger auszugehen ist.

24 Ebd., 25. 25 Ebd. 26 Vgl. P. Drahos u. J. Braithwaite: Information Feudalism, Who Owns the Knowledge Economy?, 219: »Information feudalism is a regime of prop-

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Das heißt nicht, dass es heute und in Zukunft keine wahrnehmbaren Brüche oder gar eklatante Widersprüche in der Rechtsdogmatik gäbe. Vielmehr sind solche Verwerfungen der Ausdruck dafür, dass die Prozesse der Propertisierung noch längst nicht abgeschlossen sind. Solange diese Prozesse andauern, wird auch die Diskussion um »geistiges Eigentum und vor allem seine sich erst im Zusammenspiel mit den verschiedensten anderen gesellschaftlichen Institutionen erweisenden Möglichkeiten und Gefahren nicht erlahmen. Lockes alte Begründung des Eigentums, dieses sei als Ergebnis menschlichen Mühens zu gewähren, reicht jedenfalls allein für die nötigen Anpassungsleistungen dieser urbürgerlichen Institution bei der Ausweitung auf die Sphäre des Geistigen nicht aus. Die auf ihn zurückgehende Legitimationstheorie des Eigentums und die aus ihm folgende politische Ökonomie beeinflusst das in ihrer Wirksamkeit jedoch kaum.

erty rights that is not economically efficient, and does not get the balance right between rewarding innovation and diffusing it. Like feudalism, it rewards guilds instead of inventive individual citizens.«

II. Juristische Vorgaben

Das Geistige Eigentum in der Verfassung B ERND G RZESZICK

E INLEITUNG : E IGENTUM UND DIE O RDNUNG DER G ESELLSCHAFT

RECHTLICHE

In jeder Gesellschaft ist Eigentum ein zentraler Aspekt der Ordnung des sozialen Zusammenlebens, denn Eigentum ist ein Modell zur Verteilung der Freiheiten der Bürger. Für die rechtliche Ordnung der Gesellschaft hat das Eigentum dabei eine besondere Bedeutung, denn Eigentum ist ein Recht mit einer spezifischen rechtlichen Struktur: Es hat – zumindest partiellen – positiven Zuweisungsgehalt zum Eigentümer und zugleich umfassende negative Ausschlusswirkung gegenüber allen anderen Bürgern. Diese rechtliche Ausschlusswirkung des Eigentums beschränkt alle anderen Bürger in ihrer Freiheit; Eigentum ist deshalb ein »absolutes« Recht. Eigentum bewirkt damit aufgrund seiner Struktur eine klare und strikte rechtliche Freiheitsverteilung. Eigentumsrechte ordnen dem Eigentümer eine Freiheitssphäre exklusiv zur freien Verfügung zu. Eigentum ist im Ergebnis ein Stück geronnener Freiheit und eine soziale Machtposition mit Wirkung gegenüber allen anderen Bürgern.

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Diese Beobachtungen zu Struktur und Wirkungen von Eigentumsrechten treffen auch auf das Geistige Eigentum zu. Dass dies so ist, kann am Beispiel des Urheberrechts relativ klar nachvollzogen werden. Das Urheberrecht ordnet die persönliche geistige Schöpfung exklusiv dem Urheber zu. Es gibt ihm das alleinige Recht, über die Veröffentlichung seines Werkes zu entscheiden und Entstellungen sowie andere Beeinträchtigungen zu verbieten, sowie das ausschließliche Recht, sein Werk zu verwerten. Damit wird deutlich: Auch das Geistige Eigentum hat einen positiven Zuweisungsgehalt zum Eigentümer und eine gegenüber allen anderen Bürgern wirkende negative Ausschlusswirkung. Anders als mobiles oder immobiles Sacheigentum ist Geistiges Eigentum aber ohne materiales Substrat. Diese Besonderheit hebt die Grundfragen zur Struktur, zur Legitimation sowie zur verfassungsrechtlichen Unterfangung des Eigentums besonders deutlich hervor. Beispielhafte Konstellationen sind vor allem im Bereich der Stellung und Wirkung des Geistigen Eigentums im wirtschaftlichen Wettbewerb zu finden. Denn das Geistige Eigentum gibt dem Inhaber eine Rechtsposition, deren Ausschlusskomponente gegenüber allen anderen Wettbewerbern wirkt. Der Inhaber des Geistigen Eigentums kann mit dem Ausschlussrecht die Freiheit der anderen Wettbewerber ganz erheblich beschränken. Das Geistige Eigentum steht damit auf den ersten Blick in Spannung zum Grundsatz der liberalen Freiheit der Bürger, die in einem freien Marktwettbewerb stehen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Eigentumsfreiheit des Eigentümers und der darin liegenden Freiheitsbeschränkung der anderen Bürger durch das Geistige Eigentum soll regelmäßig durch die Wirkungen des Geistigen Eigentums aufgehoben werden. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass Geistiges Eigentum den Imitationswettbewerb zu einem Innovationswettbewerb umgestaltet. Damit soll durch Geistiges Eigentum im Ergebnis mehr Wohlstand geschaffen werden als durch einen unregulierten Wettbewerb. Dabei besteht aber die Gefahr, dass die Zuteilung und Ausübung von geistigen Eigentumsrechten kontraproduktiv ist und z.B. zu einer

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unbilligen Behinderung des Wettbewerbs oder einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung führen. Spektakuläres Beispiel wegen eines Bußgeldes in Höhe von knapp 500 Mio. € ist der Fall Microsoft. Microsoft hat nach Ansicht der Europäischen Kommission seine beherrschende Stellung auf dem Markt für PC-Betriebssysteme missbraucht durch eine urheberrechtlich geschützte Gestaltung seines Betriebssystems, die den Gebrauch konkurrierender Netzwerklösungen und media-player erschwert. Die Kommission ist der Ansicht, dass dies die Innovationsbereitschaft bremse und zu Lasten des Wettbewerbs und der Verbraucher gehe, die weniger Auswahl hätten und höhere Preise zahlen müssen. Das Europäische Gericht der 1. Instanz hat diese Sicht in einer Entscheidung vom September 2007 im Prinzip bestätigt.1 Das Fallbeispiel führt damit zur Grundfrage, ob die Rechtsordnung die Freiheit des Inhabers des Geistigen Eigentums und die Freiheit der am Wettbewerb Beteiligten richtig balanciert. Ziel ist die zur Erreichung des gewünschten Wettbewerbs angemessene Balance zwischen dem Schutz des Geistigen Eigentums und dem Schutz des freien Wettbewerbs. Die Frage nach dem richtigen Maß der Freiheitsverteilung ist dabei eine Frage nach dem Maßstab und damit nach der Vorstellung vom guten bzw. richtigen Wettbewerb. Dieser Frage wissenschaftlich nachzugehen ist vor allem Angelegenheit der Ökonomen und der Wettbewerbsrechtler. Auf der politischen Ebene ist dann die Entscheidung des Gesetzgebers gefragt. Der Gesetzgeber kann unterschiedlichen wettbewerbspolitischen Empfehlungen folgen und verschiedene Balancen von Geistigem Eigentum und Wettbewerb einstellen. Der Gesetzgeber ist dabei aber nicht frei: Er unterliegt der Bindung an das Verfassungsrecht. Daraus folgt die Aufgabe, das Geistige Eigentum in der Verfassung zu skizzieren. Dieser Frage wird im Weiteren wie folgt nachgegangen: Zunächst werden die abstrakten verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Recht des Geistigen Eigentums erörtert. Diese werden dann bei-

1

EuG, Urteil des Gerichts erster Instanz vom 17. September 2007, RS.T201/04.

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spielhaft konkretisiert an Konstellationen des Schutzes des Geistigen Eigentums im Wettbewerb. Auf dieser Grundlage werden dann die verfassungsrechtlichen Grenzen des Spielraums des Gesetzgebers herausgearbeitet.

G EISTIGES E IGENTUM

UND

V ERFASSUNGSRECHT

Grundsatz: Schutz durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG Die vermögenswerten Aspekte der Geistigen Eigentumsrechte werden im Grundsatz als Eigentum im Sinne der grundrechtlichen Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (im Folgenden: GG) in Art. 14 GG angesehen. Die Regelung lautet wie folgt: Art. 14 [Eigentum, Erbrecht, Enteignung] (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, dass Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte offen.

Literatur2 und Rechtsprechung gehen grundsätzlich davon aus, dass die vermögenswerten Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums Eigen-

2

Dazu nur Peter Badura: Zur Lehre von der verfassungsrechtlichen Institutsgarantie des Eigentums, betrachtet am Beispiel des »geistigen Eigen-

G EISTIGES E IGENTUM IN DER V ERFASSUNG

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tum im Sinne von Art. 14 GG sind. Diese grundlegende Zuordnung hat ihren Ausgangspunkt in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Urheberrecht3 und wird mittlerweile auf eine Reihe weiterer Rechte ausgedehnt; zu diesen gehören unter anderem das Patent einschließlich der patentfähigen Erfindung von der Patenterteilung,4 die Marke bzw. das Warenzeichen,5 die geschützte Ausstattung6 sowie das Leistungsschutzrecht des ausübenden Künstlers.7 Dabei folgert das Bundesverfassungsgericht in seinen frühen Entscheidungen aus der Bedeutung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie die Zuordnung der Schutzrechte zur Eigentumsgarantie: Aus der Wichtigkeit des Eigentumsschutzes folge, dass auch die Schutzrechte darunter fielen. In der späteren Rechtsprechung hebt das Bundesverfassungsgericht stärker auf Zweck und Funktion der Eigentumsgarantie unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung im Gesamtgefüge der Verfassung ab. Weitergehende Begründungen erfolgen aber nicht.

tums«, in: Peter Lerche (Hg.): Festschrift für Theodor Maunz zum 80. Geburtstag, München 1981, 1 ff.; ders.: Privatnützigkeit und Sozialbindung des geistigen Eigentums, in: Ansgar Ohly u. Diethelm Klippel (Hg.): Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit, Tübingen 2007, 45 ff.; Paul Kirchhof: Der verfassungsrechtliche Gehalt des geistigen Eigentums, in: Walther Fürst (Hg.): Festschrift für Zeidler Bd. 1, Berlin, New York 1987, 1639 ff.; Bernd Grzeszick: Geistiges Eigentum und Art 14 GG, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (51) 2007, 344 ff. Umfassend Frank Fechner: Geistiges Eigentum und Verfassung. Schöpferische Leistungen unter dem Schutz des Grundgesetzes, Tübingen 1999. 3

BVerfGE 31, . 229 ff.; 31, 255 ff.; 31, 270 ff.; 49, 392 ff.

4

BVerfGE 36, 281 ff.

5

BVerfGE 51, 193 ff.

6

BVerfGE 78, 58 ff.

7

BVerfG, ZUM 1990, 285 ff.; BVerfG, ZUM 1990, 351 ff.

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Der normgeprägte Schutzbereich der Eigentumsgarantie Dies ist misslich, denn hinter der Zuordnung des Geistigen Eigentums zum Schutzbereich der Eigentumsgarantie von Art. 14 GG verbirgt sich eine grundsätzliche Unsicherheit im Umgang mit der Eigentumsgarantie. Da die Begründung der Zuordnung des Geistigen Eigentums zu Art. 14 GG aus einer Parallele zum Zweck und zur Funktion der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in den klassischen Bereichen des Eigentums folgt, setzt eine überzeugende Begründung der Zuordnung voraus, dass über die verfassungsrechtliche Dogmatik des Eigentums hinreichende Klarheit besteht. Hier zeigt sich nun ein allgemeines Problem der Eigentumsgarantie. Da die von Art. 14 GG vorausgesetzte Zuordnung eines Rechtsgutes zu einem Rechtsträger stets der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung bedarf, lässt sich die übliche Dogmatik vom Schutz ursprünglicher Freiheit, staatlichen Eingriff in diese Freiheit und Rechtfertigung dieses Eingriffs auf die Eigentumsgarantie so nicht anwenden. Anders als die meisten anderen Grundrechte ist Art. 14 GG ein normgeprägtes Grundrecht. Die von Art. 14 GG vorausgesetzte Zuordnung eines Rechtsgutes zu einem Rechtsträger bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung.8 Dies führt zu einem Problem. Die prinzipielle Funktion der Grundrechte besteht darin, bestimmte Besitzstände bzw. Handlungen des Menschen gegen staatlichen Einfluss abzusichern, indem sie staatliche Eingriffe durch Rechtfertigungslasten begrenzen. Dabei sind die Schutzobjekte in aller Regel der Tatsachenwelt entnommen. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. GG stellt hier nun eine Ausnahme dar, da sein Schutzobjekt nicht der Tatsachenwelt entnommen werden kann, sondern seinerseits schon ein Produkt der Rechtsordnung ist. Der Begriff des Eigentums entstammt der Rechtsordnung und setzt diese voraus. Daraus ergibt sich das Problem, dass das Eigentumsgrundrecht zwar bestimmte Güter gegen den Staat schützen soll, dass es das

8

BVerfGE 31, 229, 240; 31, 270, 272.

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Schutzgut Eigentum aber ohne den Staat überhaupt nicht gäbe, weil es durch ihn erst geschaffen wird. Diese allgemeine Problematik des grundrechtlichen Eigentumsschutzes zeigt sich im Bereich des Geistigen Eigentums in voller Schärfe, da diesem das materiale Substrat fehlt. Dem entsprechend weist das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen stets darauf hin, dass die inhaltliche Ausprägung des Urheberrechts Sache des Gesetzgebers sei. Insbesondere sei nicht jede denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich durch Art. 14 GG gesichert.9 Dies verdeutlicht, dass auch das Geistige Eigentum nicht erst durch Schranken begrenzt, sondern bereits der rechtlichen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürftig und zugänglich ist. Danach ist es vor allem die Aufgabe des Gesetzgebers, den Inhalt dieses Rechts und seine Schranken zu bestimmen. Daher ist entscheidend, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich weitestgehende Gestaltungsfreiheit hat, oder ob er wegen Art. 14 GG einen gewissen Rahmen oder ein gewisses Mindestmaß an gesetzlichen Regelungen zur Schaffung und zum Schutz des Eigentums bereitstellen muss. Das Bundesverfassungsgericht löst dieses Problem wie folgt. Zunächst definiert es den verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums nicht im Sinne bestimmter ausgeformter Rechtspositionen. Stattdessen nimmt das Gericht Strukturmerkmale an, die Eigentum im Sinne von Art. 14 GG ausmachen. Diese Merkmale sind bei privatrechtlich verwurzelten Positionen die Privatnützigkeit10 und grundsätzliche Verfügungsbefugnis.11 Zudem muss die Rechtsposition einen Vermögenswert aufweisen. Weist eine einfachrechtlich zugewiesene Rechtsposition diese Struktur auf, ist sie als Eigentum im Sinne von Art. 14 GG geschützt. Mit dem strukturellen Eigentumsbegriff, den das Bundesverfassungsgericht wegen der Normgeprägtheit des Schutzbereiches an-

9

BVerfGE 31, 229, 240 f.; 49, 382, 392, 394.

10 BVerfGE 79, 292, 304; 81, 29, 33. 11 BVerfGE 52, 1, 30; 79, 292, 304.

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nimmt, ordnet es dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Dieser Eigentumsbegriff hat zur Folge, dass der Schutz des Bürgers im Ergebnis davon abhängt, dass der Gesetzgeber eine entsprechende einfachrechtliche Rechtsposition geschaffen hat. Damit der Bürger aber gegenüber dem Gesetzgeber nicht gänzlich schutzlos ist, hat der letztere bestimmte verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten. Zum einen wird Art. 14 GG vom Bundesverfassungsgericht um eine Institutsgarantie ergänzt. Dem Gesetzgeber ist es verwehrt, solche Sachbereiche der Privatrechtsordnung vorzuenthalten oder zu entziehen, die zum elementaren Bestand einer Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören und ohne die vom Eigentum im Rechtssinn nicht mehr gesprochen werden könnte.12 Zum anderen hat der Gesetzgeber jenseits der Institutsgarantie bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu berücksichtigen, dass einerseits in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG das Privateigentum anerkannt wird, andererseits das Eigentum nach Art. 14 Abs. 2 GG einer Sozialbindung unterliegt. Der Inhalt des Eigentums muss daher im Konflikt zwischen der Bedeutung der Eigentumsposition für den Eigentümer und der sozialen Funktion des Eigentums festgelegt werden.13 Schließlich werden bestehende Rechtspositionen geschützt. Soweit der Gesetzgeber eine Rechtsposition geschaffen hat, die Eigentum im Sinne von Art. 14 GG ist, wird diese Rechtsposition in ihrem Bestand und ihrem Wert geschützt.14

12 BVerfGE 20, 351, 355; 58, 300, 338 ff. 13 BVerfGE 37, 132, 140; 50, 290, 340 f.; 52, 1,29; 58, 137, 147 f.; 68, 361, 367 f.; 70, 191, 200; 79, 174, 198; 87, 114, 138 f.; 95, 64, 84; 100, 226, 240 f.; 101, 54, 75; 101, 239, 259; 102, 1, 17. 14 BVerfGE 58, 300, 322; 100, 226, 245.

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Folgen für den Bereich des Geistigen Eigentums Die Anwendung der allgemeinen Eigentumsdogmatik und deren Folgen prägen auch den verfassungsrechtlichen Schutz des Geistigen Eigentums. Aus der Regelung des Art. 14 GG folgt nicht, dass der Gesetzgeber zu einem umfassenden bzw. optimalen Schutz der vermögenswerten Interessen des Inhabers eines Geistigen Eigentumsrechts verpflichtet ist. Denn der Gesetzgeber hat bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu berücksichtigen, dass das Eigentum nach Art. 14 Abs. 2 GG einer Sozialbindung unterliegt. Der Inhalt des Eigentums muss daher im Konflikt zwischen der Bedeutung der Eigentumsposition für den Eigentümer und der sozialen Funktion des Eigentums festgelegt werden. Beschränkungen von Eigentum sind möglich, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Art. 14 GG verlangt daher nur die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses einer schöpferischen Leistung an den Urheber und seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Bei der Bestimmung dessen, was als angemessen anzusehen ist, hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum. Die Beschränkungen des Eigentums dürfen aber nicht weiter gehen, als es das Allgemeinwohl gebietet. Beide widerstreitenden Belange hat der Gesetzgeber in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Damit entscheidet diese Abwägung über die jeweiligen konkreten Grenzen des gesetzgeberischen Handlungsspielraums. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind dabei gewisse Prinzipien zu erkennen. Beispielhaft sind hier wiederum die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Urheberrecht. Für das Urheberrecht differenziert das Bundesverfassungsgericht bei der Abwä-

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gung regelmäßig zwischen der Verfügungsbefugnis und der Verwertungsbefugnis des Eigentümers. Das Gericht folgt dabei dem allgemeinen Prinzip der Differenzierung nach der Intensität der Beschränkung. Danach gilt, dass je stärker eine gesetzliche Regelung den vom Geistigen Eigentum umschriebenen Individualbereich berührt, desto gewichtiger die Gründe im Sinne des Gemeinwohls sein müssen, welche die Beschränkung rechtfertigen sollen. Das Bundesverfassungsgericht billigt dabei Rücknahmen der Ausschlussbefugnis wegen des durch die Natur des Geisteswerkes veranlassten Interesses der Allgemeinheit am Zugang zum und an der Nutzung des Werkes recht großzügig. Das Allgemeinwohlinteresse am Zugang zum und an der Nutzung des Werkes vermag aber nicht ohne weiteres auch den Entzug des Vergütungsanspruches zu rechtfertigen. Vielmehr ist von der prinzipiellen Zuordnung zumindest des Vergütungsrechts auszugehen. Diese Zuordnung des Vergütungsrechts kann zwar aufgrund hinreichender Gründe gelockert und in andere Formen überführt werden, z.B. durch die Einschaltung von Verwertungsgesellschaften, durch gesetzliche oder Zwangslizenzen mit Lizenzgebühren, durch die Gewährung bereits anderer Vergütungsansprüche sowie der Möglichkeit der Begrenzung der Vergütungshöhe aus Gründen des Allgemeinwohls. Allerdings kann der Vergütungsanspruch nur in engen Ausnahmekonstellationen durch Gründe des Allgemeinwohls ganz ausgeschlossen werden.15

15 Vgl. BVerfGE 79, 29 ff., wonach der Ausschluss des gesonderten Vergütungsanspruchs für Sendungen von Musikwerken in Strafvollzugsanstalten verfassungsgemäß ist.

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W ETTBEWERB

Grundsätze Diese allgemeinen Grundsätze können an Beispielskonstellationen des Geistigen Eigentums im Wettbewerb näher verdeutlicht werden. Dabei steht jeweils die Frage im Mittelpunkt, wie das Verhältnis von Geistigem Eigentum und Wettbewerb aussieht. Anders gewendet: Wo liegen die Grenzen des Schutzes des Geistigen Eigentums in Bezug auf die Wettbewerbsfreiheit? Dabei gilt nach den oben gezeigten Grundsätzen, dass Wettbewerbspolitik im Sinne eines »funktionierenden«, d.h. bestimmten Gemeinwohlzielen entsprechenden Wettbewerbs die Rücknahme des Schutzes des Geistigen Eigentums rechtfertigen kann. Die durch Abwägung zu bestimmende Grenze liegt dort, wo aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ein Verbot des staatlichen Eingriffs in das – Geistige – Eigentum folgt. Die entsprechende Abwägung fragt dabei nach dem Verhältnis zwischen der Intensität des Eingriffs in die Eigentümerinteressen und dem damit erzielten Nutzen für das Gemeinwohlziel. Die daraus folgenden Leitprinzipien entsprechen im Grundsatz der oben skizzierten allgemeinen Dogmatik, wonach die Rücknahme bzw. Einschränkung der Verfügungsbefugnis und damit des Ausschlussrechts durchaus zulässig sein kann, wohingegen bei der Verwertungsbefugnis bzw. beim Vergütungsrecht Einschränkungen schwieriger zu rechtfertigen sind. Insbesondere ein weitgehender oder vollständiger Ausschluss des Vergütungsanspruchs ist nur in Ausnahmekonstellationen zu begründen. Wie aus diesen Grundsätzen in Gerichtsentscheidungen konkretere Grenzen des Abwägungsspielraums zwischen Geistigem Eigentum und Wettbewerbsfreiheit gefolgert werden, wird im Folgenden an zwei Beispielsfällen gezeigt.

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Versuchsprivileg im Patentrecht Eine der Beispielsentscheidungen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 11 Nr. 2 Patentgesetz.16 Diese Regelung enthält ein Versuchsprivileg: Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand einer Erfindung beziehen, sind aus dem Schutzbereich eines auf die Erfindung erteilten Patents ausgenommen. In dieser Regelung nimmt der Gesetzgeber den Schutz des Patents und damit des Geistigen Eigentums zurück, um Verwendungen der patentierten Erfindung einschließlich Folgeerfindungen und damit Innovation zu ermöglichen. Im konkreten Fall ist ein Arzneimittelhersteller Inhaber eines Patents auf einen medizinischen Wirkstoff, ein Interferon. Der Patentinhaber sieht sich durch Versuche eines Konkurrenten, mit denen weitere Anwendungsmöglichkeiten des Wirkstoffs erforscht werden sollen, in seinem Patent verletzt. Die entsprechende Klage wird vom Bundesgerichtshof wegen des in § 11 Nr. 2 Patentgesetz geregelten Versuchsprivilegs zurückgewiesen. Der Patentinhaber legt dagegen Verfassungsbeschwerde ein, weil er dadurch den Schutz seines Eigentums im Sinne von Art. 14 GG verletzt sieht. Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen der Ansicht, dass Art. 14 GG nicht verletzt ist. Aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt zwar die grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite des Patentrechts an den Inhaber des Patents zur freien Verfügung. Der Gesetzgeber kann aber den individuellen Berechtigungen des Eigentümers die im Interesse des Gemeinwohls erforderlichen Grenzen ziehen. Das patentrechtliche Versuchsprivileg stellt deshalb grundsätzlich eine zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Danach kann auch eine Auslegung des Versuchsprivilegs, wonach klinische Erprobungen und Untersuchungen auch dann privilegiert sein können, wenn sie auf eine arzneimittelrechtliche Zulassung zielen, zu-

16 BVerfG, GRUR 2001, 43 ff.

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lässig sein. Entscheidend ist, ob der Ausgleich zwischen Interessen des Patentinhabers und Gemeinwohlziel der Forschung und Entwicklung von Wissenschaft und Technik in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also im Rahmen einer vertretbaren Abwägungsgewichtung liegt. Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass die Freistellung von Versuchshandlungen einem wichtigen Gemeinwohlziel dient. Dagegen werden die Patentinhaberinteressen durch Versuche nur wenig berührt. Insbesondere der Schutz der Vermögenskomponente ist noch hinreichend sichergestellt. Denn ein aus Versuchen möglicherweise folgendes Verwendungspatent ist von Erzeugnispatent abhängig. Eine mögliche Verwertung auf dem Markt ist deshalb von der Zustimmung des Inhabers des Erzeugnispatents abhängig, die in der Regel nur gegen eine entsprechende Lizenzgebühr erfolgen wird. Damit bleibt ein hinreichender bzw. angemessener Marktwert des Erzeugnispatents beim Inhaber des Erzeugnispatents erhalten. Anders wäre die Lage nur, falls unter missbräuchlicher Ausnutzung des Versuchsprivilegs die tatsächliche Verwertung des Wirkstoffs betrieben wird; dann wäre Art. 14 GG verletzt. Ein solcher Missbrauch wäre aber durch § 11 Nr. 2 Patentgesetz nicht gedeckt. Deshalb ist die Regelung des § 11 Nr. 2 Patentgesetz im Ergebnis verfassungsgemäß. Diese Entscheidung ist eine hinreichende Grundlage für allgemeinere Schlussfolgerungen. Die Rücknahme des Schutzes des Geistigen Eigentums zugunsten von Gemeinwohlzielen ist auch dann zulässig, wenn dadurch Wettbewerber profitieren. Entscheidend ist die Grenze des Übermaßverbotes. Dabei kann ein Gemeinwohlziel durchaus Beschränkungen des Ausschlussrechts rechtfertigen, soweit die Vermögenskomponente hinreichend erhalten bleibt. Die Frage, in welchen Grenzen auch Beschränkungen des vermögensrechtlichen Teils zulässig sein können, war dagegen nicht zu entscheiden, da ein mögliches Verwendungspatent weiterhin vom Erzeugnispatent abhängig ist und damit die Vermögenskomponente hinreichend geschützt ist.

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Kurzberichterstattungsrecht im Rundfunkrecht Die aus der Verhältnismäßigkeit folgenden Grenzen der Beschränkung Geistigen Eigentums zugunsten des Wettbewerbs und damit zugleich der Wettbewerber wird deutlich in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur nachrichtenmäßigen Kurzberichterstattung im Fernsehen17. Gegenstand der Entscheidung ist die Regelung eines rundfunkrechtlichen Kurzberichterstattungsrechts über öffentliche Ereignisse von allgemeinem Interesse. Der Veranstalter eines solchen Ereignisses kann danach die Senderechte nicht mehr vollständig exklusiv verwerten bzw. an nur einen Fernsehbetreiber übertragen, sondern muss hinnehmen, dass auch die anderen Fernsehbetreiber einen Kurzbericht über das Ereignis ausstrahlen dürfen, ohne dafür Senderechte erwerben zu müssen. Diese gesetzliche Regelung wird zwar vom Gericht vor allem anhand des Schutzes der Berufsfreiheit durch Art. 12 GG geprüft. Dennoch ist die Entscheidung im hier zu erörternden Kontext von erheblichem Erklärungswert. Denn zum einen betrifft sie eine Konstellation, in der die grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Berufsfreiheit im öffentlichen Interesse eingeschränkt wird mit Wirkung zugunsten der Freiheit der Mitwettbewerber. Zu anderen führt das Bundesverfassungsgericht im Urteil explizit aus, dass das gleiche Ergebnis erzielt würde, falls die Rechtsposition des vom Kurzberichterstattungsrecht betroffenen Veranstalters nicht – nur – als Freiheit des Berufs, sondern als Eigentum i.S.v. Art. 14 GG angesehen wird. Daher lohnt sich ein näherer Blick auf die Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass das Kurzberichterstattungsrecht nur unter zwei Voraussetzungen verhältnismäßig ist. Zum einen muss bei der Einräumung des Kurzberichterstattungsrechts eine zwischen dem Ereignisveranstalter und dem Inhaber des Übertragungsrechts vertraglich festgelegte zeitliche Karenz (Zeitversatz) beachtet werden. Zum anderen ist dem Inhaber des Übertragungs-

17 BVerfGE 97, 228 ff.

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rechts ein Anspruch auf ein angemessenes Entgelt gegenüber dem Kurzberichterstatter einzuräumen. Zur Begründung dieser Voraussetzungen führt das Gericht aus, dass die Grundrechte des Ereignisveranstalters sowie des Inhabers der Übertragungsrechte durch ein Kurzberichterstattungsrecht grundsätzlich eingeschränkt werden können, um das öffentliche Interesse an ausreichender Information über Veranstaltungen von allgemeinem Interesse im Fernsehen sicherzustellen. Dabei ist aber die Grenze der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Diese begrenzt sowohl die Rücknahme des Ausschlussrechts als auch die Rücknahme des Vermögensrechts. In Bezug auf die Ausschlusskomponente folgt daraus eine Pflicht zur Karenzeinhaltung. Denn ein bereits während oder unmittelbar nach Ende der Veranstaltung ausübbares Kurzberichterstattungsrecht beeinträchtigt die Interessen des Ereignisveranstalters und die Interessen des Rechteerwerbers erheblich, falls Ereignisveranstalter und Rechteerwerber zwischen dem Schluss der Veranstaltung und Beginn der Fernsehübertragung eine Karenzzeit vereinbart haben. Dann würde durch ein sofort ausübbares Kurzberichterstattungsrecht zum einen das Interesse des Ereignisveranstalters an einer möglichst hohen Zuschauerpräsenz beeinträchtigt. Zum anderen verlöre das vertragliche Erstverwertungsrecht ganz erheblich an Wert. Dagegen könne ein nachrichtenmäßiges Kurzberichterstattungsrecht seinen Zweck immer noch weitestgehend erfüllen, wenn bei dessen Wahrnehmung eine vertraglich vereinbarte Karenzzeit zu beachten ist. Daher muss bei der Regelung des Kurzberichterstattungsrechts eine zwischen den Vertragspartnern vereinbarte Karenz berücksichtigt werden. In Bezug auf die Vermögenskomponente ist das Gericht der Ansicht, dass die Unentgeltlichkeit des Kurzberichterstattungsrechts eine übermäßige Einschränkung des Rechts des Ereignisveranstalters ist. Die mit einem unentgeltlichen Kurzberichterstattungsrecht verbundenen Einbußen belasten die Veranstalter im Verhältnis zum Zweck der Norm ganz erheblich. Denn der Ertrag der beruflichen Leistung und Investitionen kommt in dieser Konstellation nicht nur der Allgemeinheit zugute, sondern zugleich auch den Konkurrenten des Fernsehsen-

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ders, der vom Ereignisveranstalter die Erstverwertungsrechte erworben hat. Demgegenüber ist den von der Regelung begünstigten Fernsehveranstaltern die Zahlung eines angemessenen Entgelts zuzumuten. Die Bestimmung des Entgelts für die Kurzberichterstattung kann allerdings nicht in das Belieben des Veranstalters gestellt werden. Der Gesetzgeber muss eine Regelung treffen, die sicherstellt, dass das Kurzberichterstattungsrecht grundsätzlich allen Fernsehveranstaltern zugänglich bleibt und nicht durch überhöhte Entgelte ausgehöhlt wird. Demnach ist zwar ein Wertausgleich nötig, da sonst das Recht des Ereignisveranstalters übermäßig beschränkt und die damit verbundene Anreizfunktion übermäßig aufgehoben wird. Der Ausgleich muss aber unterhalb des Marktwertes bleiben, soweit sonst das mit dem Kurzberichterstattungsrecht verfolgte Gemeinwohlziel nicht erreicht wird. In diesem Rahmen hat Gesetzgeber einen Spielraum, den Ausgleich der verschiedenen Belange unter Wahrung des Ziels der Regelung vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit den allgemeinen Grundsatz, wonach die Ausschlusskomponente eines Schutzrechts relativ rasch eingeschränkt werden kann, die Vergütungskomponente dagegen deutlich schwerer. Allerdings sind dabei Differenzierungen nötig. Zum einen können bereits bei der Rücknahme des Ausschlussrechts wegen dessen Bedeutung für den Wert des Eigentums Differenzierungen geboten sein. Insbesondere soweit das Schutzrecht auf Fremdverwertung angelegt ist, kann die Rücknahme der Ausschlusskomponente wegen der Folgen im Wettbewerb aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu begrenzen sein. Zum anderen kann auch die Rücknahme des Vergütungsrechts zu rechtfertigen sein, falls sonst das Gemeinwohlziel nicht erreicht wird. Auch hier ist entscheidend, wie das Vergütungsrecht im Wettbewerb wirkt. Abstrakter gesehen kann das mit dem Gebrauch der Freiheit im Wettbewerb geförderte Gemeinwohlziel demnach sowohl die Rücknahme des Ausschlussrechts als auch die Rücknahme des Vergütungsrechts rechtfertigen. Ein vollständiger Ausschluss der beiden Komponenten ist aber weiterhin nur selten zulässig, da sonst die Wirkung des

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Schutzrechts mit dem hinter diesem stehenden Gemeinwohlziel aufgehoben wird.

AUS

DER ABWÄGUNG FOLGENDE FÜR DEN G ESETZGEBER

G RENZEN

Grundgesetz als Rahmenordnung Damit sind die Vorgaben des Verfassungsrechts für Regelungen des Geistigen Eigentums deutlich. Das Verfassungsrecht enthält keine Volldeterminierung der einfachen Rechtsordnung und damit auch nicht des Geistigen Eigentums. Stattdessen enthält das Grundgesetz vor allem mit Art. 14 GG Rahmenvorgaben für den Gesetzgeber. Im Regelfall hat der Gesetzgeber erheblichen Spielraum bei der Schaffung, Ausgestaltung und Einschränkung des Geistigen Eigentums. Dieser Spielraum wird ihm durch die verfassungsrechtlich vorgesehene Abwägung der Schutzinteressen des Inhabers des Geistigen Eigentums mit anderen Interessen und Rechtsgütern eröffnet. Die Grenzen des Spielraums des Gesetzgebers, also dieser Abwägung werden verfassungsrechtlich vor allem dann relevant, wenn die mit dem Eigentum kollidierenden Positionen ihrerseits durch Grundrechte geschützt sind.18

18 Dazu beispielhaft BVerfG, NJW 1999, 2880 ff., wonach beim Auskunftsanspruch des Urheberrechtsinhabers wegen der Verletzung des Urheberrechts an Photographien gegebenenfalls die Pressefreiheit zu berücksichtigen ist, sowie BVerfG, ZUM 2000, 867 ff., wonach bei der Auslegung der urheberrechtlichen Zitierfreiheit gegebenenfalls die Kunstfreiheit zu berücksichtigen ist.

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Abwägungsrahmen bei Geistigem Eigentum im Wettbewerb Dies führt zu der Frage, wo das Bundesverfassungsgericht die Abwägungsgrenzen zieht, die aus der Kollision des Schutzes des Geistigen Eigentums mit der Wettbewerbsfreiheit der Konkurrenten folgen. In dieser Konstellation kann vor allem die Berufsfreiheit der Wettbewerber als mit dem Eigentumsschutz kollidierendes Grundrecht einschlägig sein. Allerdings ergibt eine Analyse der Entscheidungspraxis des Gerichts, dass diese Grenze bisher nicht explizit herausgearbeitet worden ist. Weshalb dies so ist, zeigt ein Blick auf die Entscheidungen zum Kurzberichterstattungsrecht und zum Versuchsprivileg: Die Beschränkungen des Schutzrechts bzw. des Geistigen Eigentums waren jeweils durch Gemeinwohlüberlegungen gerechtfertigt. Die Rücknahme des Schutzes des Geistigen Eigentums zugunsten eines Gemeinwohlziels fördert in der Konstellation der Konkurrenz stets den freien Wettbewerb und damit auch die Wettbewerbsfreiheit der Konkurrenten. Damit wird aber im Ergebnis zugleich deren Berufsfreiheit geschützt. Dieses Ziel kann daher im Rahmen von Art. 14 GG bereits durch eine Abwägung der Eigentümerinteressen mit Gemeinwohlzielen erreicht werden, ohne dass auf den grundrechtlichen Schutz der Wettbewerber aus der in Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit als kollidierende Grundrechtsposition zurückgegriffen werden muss. In diesen Konstellationen stellt sich daher die Frage, ob neben dem verfassungsrechtlich, im Rahmen von Art. 14 GG, zulässigen Schutz der Wettbewerber vor einer zu starken Position des Inhabers des Geistigen Eigentums aus Gründen des Gemeinwohls, genauer: des politischen Zieles eines bestimmten, »funktionierenden« Wettbewerbs der grundrechtliche Schutz der Berufsfreiheit der Wettbewerber durch Art. 12 GG überhaupt von Bedeutung ist. Vor dem Hintergrund der bereits aus Art. 14 GG folgenden Sozialbindung des Eigentums zeigt sich, dass der Schutz der Wettbewerber durch Art. 12 GG im Regelfall nur einer Hinsicht relevant werden kann: Als Pflicht zum Schutz eines Mindestmaßes an Wettbewerbs-

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freiheit auch zwischen Privaten. Art. 12 GG verpflichtet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts den Staat, die berufliche Freiheitssphäre zu schützen und zu sichern durch Erlass entsprechender Schutzvorschriften. Die Berufsfreiheit hat dabei auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften eine entsprechende Ausstrahlungswirkung. Dieses Mindestmaß bzw. die Schutzpflicht ist aber nur eine äußerte Grenze und in Bezug auf das Geistige Eigentum und das Wettbewerbsrecht regelmäßig nicht relevant. Jenseits des Mindestmaßes im Sinne der aus Art. 12 GG folgenden Schutzpflicht ist der Schutz der Wettbewerber durch Art. 12 GG nicht relevant, denn über das Mindestmaß im Sinne der Schutzpflicht hinaus wird die im Rahmen von Art. 14 GG relevante Abwägung nicht verändert. Insbesondere erhält die Wettbewerbsfreiheit kein zusätzliches Gewicht bei der Abwägung im Rahmen von Art. 14 GG in dem Sinne, dass neben das Gemeinwohl im Sinne eines bestimmten, »funktionierenden« Wettbewerbs die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der Konkurrenten tritt und beide Positionen gemeinsam den Schutz des Geistigen Eigentums weiter zurückzudrängen vermögen. Denn in dieser Konstellation ist das mit dem Gemeinwohl verfolgte Ziel des freien Wettbewerbs mit der Wettbewerbsfreiheit der Einzelnen identisch. Aus der Perspektive der Grundrechte ist der freie Wettbewerb nichts anderes als die Summe der beruflichen Freiheiten der Wettbewerber. Der Gesetzgeber kann den Schutz des Geistigen Eigentums zugunsten des freien Wettbewerbs in der Regel bereits im Rahmen von Art. 14 GG hinreichend beschränken, ohne auf Art. 12 GG als möglicherweise kollidierende Grundrechtsposition der Wettbewerber zurückgreifen zu müssen.

E RGEBNISSE

UND

AUSBLICK

Geistige Eigentumsrechte fallen mit ihrem vermögenswerten Teil regelmäßig unter den Schutz von Art. 14 GG. Art. 14 GG verpflichtet Gesetzgeber aber nicht zu einem optimalen Schutz des Geistigen

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Eigentums, sondern – nur – zu einem angemessenen Schutz in Abwägung mit der Gemeinwohlbindung. Dabei kann der ausschlussrechtliche Teil des Geistigen Eigentums relativ rasch eingeschränkt werden, der vergütungsrechtliche Teil dagegen schwerer. In Bezug auf die Wirkung des Geistigen Eigentums im Wettbewerb ist allerdings auch die Rücknahme des Vergütungsrechts zu rechtfertigen, falls sonst ein Gemeinwohlziel nicht hinreichend erreicht werden kann. Ein vollständiger Ausschluss des Vergütungsrechts ist aber nur selten zulässig, da sonst die Wirkung des Geistigen Eigentums mit den dahinter stehenden Gemeinwohlzielen (Investitionsanreiz, Innovationswettbewerb) aufgehoben wird. Entscheidend jeweils die Abwägung zwischen kollidierenden Gemeinwohlzielen, die hinter dem Geistigen Eigentum und der Wettbewerbsfreiheit stehen. Daher ist eine Differenzierung nach Rechten und deren Wirkungsweisen bzw. Zielen nötig. Für die Bedeutung des Ausschlussrechts ist vor allem maßgeblich, ob das Geistige Eigentum eher auf Fremdverwertung angelegt ist oder ob die legitime Wirkung eher im Ausschluss der Konkurrenten liegt. Je wichtiger für den Eigentümer das – legitime – Ausschlussrecht ist, desto schwerer wird dieses aus Gemeinwohlgründen zu überwinden sein. Zudem kann die Rücknahme des Ausschlussrechts wegen der damit verbundenen Folgen für den Erhalt des Wertes des Vergütungsrechts begrenzt werden. Das Ziel eines freien Wettbewerbs mit der Folge bestimmter Gemeinwohlaspekte kann dabei im Regelfall in Art. 14 GG hinreichend berücksichtigt werden und ist deshalb unabhängig davon, ob eine Kollision des Eigentumsschutzes mit der grundrechtlich durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit der Wettbewerber vorliegt. Der Schutz durch Art. 12 GG kann insoweit relevant sein, als er die Pflicht zu einem Mindestschutz der Freiheit der Wettbewerber vermitteln kann. Dies ist aber zurzeit nicht relevant, da die bestehenden Regelungen zum Geistigen Eigentum das berufsgrundrechtliche Mindest- bzw. Schutzpflichtniveau der Freiheit der Konkurrenten wohl nicht unterschreiten.

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Dieses Ergebnis ist zwar unspektakulär, aber positiv zu sehen. Die Verfassung setzt dem Gesetzgeber Grenzen, die einen Rahmen geben, innerhalb dessen er Spielraum hat. Diese Grenzen werden zurzeit nicht verletzt. Das Verfassungsrecht ist zwar hierarchisch dem einfachen Recht und damit auch dem Zivilrecht übergeordnet. Es bewirkt aber keine vollständige inhaltliche Bestimmung des einfachen Rechts durch das GG. Zwischen einem Mindestmaß an Schutz des Geistigen Eigentums und einem Mindestmaß an Schutz der Freiheiten der anderen Bürger und damit auch deren Wettbewerbsfreiheit hat der Gesetzgeber Spielraum zu einer demokratischen Entscheidung über die Regulierung des Wettbewerbs. Die Frage, ob das Geistige Eigentum stärker geschützt oder die Freiheit der anderen Bürger stärker betont werden sollte, ist daher zur Zeit vor allem eine Frage an Philosophen, Politologen, Ökonomen und Wettbewerbsrechtler.

Domains, Accounts und Avatare – wohin steuert das geistige Eigentum im Multimediazeitalter? B ARBARA V ÖLZMANN -S TICKELBROCK

E INFÜHRUNG Nachdem das geistige Eigentum aus der Sicht des Verfassungsrechts betrachtet und diskutiert wurde, wie das Strafrecht das geistige Eigentum – nicht immer mit Erfolg – gegen unzulässige Eingriffe schützt, ist es nun an mir, last but not least, das geistige Eigentum aus der Sicht des Zivilrechts, zu beleuchten. In diesem Bereich liegt wohl unbestritten das Hauptbetätigungsfeld der in Praxis und Wissenschaft mit dem geistigen Eigentum befassten Juristen. Ich möchte heute gerade im Hinblick auf die Interdisziplinarität unserer Veranstaltung das geistige Eigentum zunächst grundsätzlich in seinem Sprachgebrauch und seiner Einordnung in die Rechtsordnung, insbesondere im Vergleich zum Sacheigentum betrachten. Auf der Basis der charakteristischen Eigenschaften geistigen Eigentums möchte ich dann untersuchen, ob das Verständnis geistigen Eigentums im Multimediazeitalter einem Wandel unterliegt. Exemplarisch dafür sollen die im Titel genannten Gegenstände oder Erscheinungen daraufhin

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überprüft werden, ob es sich hierbei um geistiges Eigentum ihres Schöpfers handelt.

D AS DER

GEISTIGE E IGENTUM IM G EFÜGE P RIVATRECHTSORDNUNG

Sprachgebrauch Üblich ist der Begriff des geistigen Eigentums nur in ausländischen Privatrechtsordnungen. In Deutschland ist dieser Sprachgebrauch dagegen nur im Verfassungsrecht unproblematisch, da dieses Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist.1 Im Zivilrecht steht man dem Begriff hingegen eher ablehnend gegenüber, da man ihn für ungenau und plakativ hält und eine unzulässige Gleichsetzung mit dem Sacheigentum befürchtet.2 Während im angloamerikanischen Rechtsraum der Begriff des »Intellectual Property« zur Bezeichnung des entsprechenden Tätigkeitsbereichs gängig ist, ordnet man in Deutschland das geistige Eigentum daher üblicherweise unter den Oberbegriff des »Gewerblichen Rechtsschutzes« ein. So lautet denn auch die entsprechende Fachanwaltsbezeichnung oder die klassische Lehrbefugnis für dieses Fach im Zivilrecht. Unzweifelhaft fallen hierunter alle subjektiven, wirtschaftlich verwertbaren Rechte an immateriellen Gegenständen. Neben den allgemein bekannten Rechten, wie dem Patentrecht3, seinem »kleinen

1 2

Ansgar Ohly: Geistiges Eigentum?, in: JZ 2003, 545-54, hier, 546. So insbesondere Manfred Rehbinder: Urheberrecht, München 162010, Rdnr. 79.

3

Dieses schützt technische Erfindungen, die neu sind und auf einer über den Stand der Technik hinausgehenden erfinderischen Tätigkeit beruhen, § 1 PatG.

D OMAINS , ACCOUNTS UND A VATARE

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Bruder«, dem Gebrauchsmusterrecht4, dem Geschmacksmusterrecht5 sowie dem Markenrecht6 fallen hierunter auch weniger bekannte, wie das Sortenschutzrecht für neue Pflanzensorten und äußerst entlegene, wie das Topographieschutzrecht für dreidimensionale Strukturen von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen. Unter dem Sammelbegriff des »Gewerblichen Rechtsschutzes« wird dagegen das Urheberrecht, welches persönliche geistige Schöpfungen auf dem Gebiet der Literatur, Wissenschaft oder Kunst schützt, oft nicht mit erfasst, obwohl es sich ebenfalls um ein Immaterialgüterrecht handelt. Dies spiegelt sich in vielen Büchern oder Veranstaltungen durch den Titel »Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht« wieder. Dadurch soll betont werden, dass beim Urheberrecht mehr der Persönlichkeitsschutz des Urhebers als der gewerbliche Charakter des Rechts im Vordergrund steht. Diese Ansicht erscheint aber heute jedoch nicht mehr ganz zeitgemäß.7 Man kann nicht ernsthaft bestreiten, dass auch das Urheberrecht zu einem gewichtigen Teil gewerblichen Interessen dient, was sich beispielsweise in der Einbeziehung des Schutzes von Computerprogrammen und Datenbanken in das UrhG widerspiegelt. Die persönlichkeitsrechtliche Seite des Urheberrechts manifestiert sich im UrhG in den §§ 12 bis 14 UrhG, den Vorschriften über die Veröffentlichung, die Urheberbenennung und den Schutz

4

Bei diesem bestehen geringere Anforderungen an den Begriff der »Neuheit«, § 1 GebrMG.

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Dieses regelt den Schutz von ästhetischen Gestaltungsformen wie Stoffmustern, Schmuck oder Porzellan in ihrer Farbe, Form oder Gestaltung, daher wird vielfach auch von einem sog. »Designschutz« gesprochen, § 1 GeschmMG.

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Geschützt werden hierdurch neben Marken auch geschäftliche Bezeich-

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So im Ergebnis auch Ansgar Ohly: Geistiges Eigentum?, in: JZ 2003, der

nungen und geographische Herkunftsangaben, §§ 1, 5, 126 MarkenG. allerdings den Rechtsbegriff des Immaterialgüterrechts durch den des geistigen Eigentums ersetzen will, um so die Einheitlichkeit von gewerblichem Rechtsschutz und Urheberrecht zu betonen.

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gegen Entstellung des Werkes. Auch die Vorschriften über das Rückrufsrecht des Urhebers, die §§ 41 f. UrhG, haben persönlichkeitsrechtlichen Einschlag. Im Übrigen tritt die Bedeutung des persönlichkeitsrechtlichen Teils des Urheberrechts aber gegenüber der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung der Verwertungsrechte eher in den Hintergrund. Man tendiert daher im Zivilrecht zunehmend dazu, auf die Trennung zwischen dem gewerblichen Rechtsschutz und dem Urheberrecht zu verzichten und zur Charakterisierung dieses Rechtsgebietes einen einheitlichen Oberbegriff für alle Schutzrechte zu verwenden. Ob hierbei nun terminologisch das vielfach in die Diskussion eingebrachte »Immaterialgüterrecht« oder das »geistige Eigentum« zu bevorzugen ist, lohnt meines Erachtens schon deshalb keine erhitzte Debatte, weil der Begriff des Immaterialgüterrechts – wie dies verschiedene Autoren8 in jüngerer Zeit belegt haben – historisch auf denselben Wurzeln beruht. Als ausgesprochen griffige9 Bezeichnung scheint mir der Terminus »geistiges Eigentum« durchaus als geeignet, um die Zuordnung eines Geisteswerkes zu seinem Schöpfer zu beschreiben.10 Zwar normiert das BGB in § 903 nur die Befugnisse des Eigentümers einer Sache, worunter nach § 90 BGB nur körperliche Gegenstände fallen. Es wird damit aber nicht ausgeschlossen, dass ein vom Sacheigentum zu unter-

8

Volker Jänich: Geistiges Eigentum – Eine Komplementärerscheinung zum Sachenrecht?, Tübingen 2002, 103 ff.; Louis Pahlow: »Intellectual Property«, »propriété intellectuelle« und kein »geistiges Eigentum«. Historischkritische Anmerkungen zu einem umstrittenen Rechtsbegriff, in: Archiv für Urheber- und Medienrecht (UFITA) 115 (2006), 705-7256, 706 ff.; HorstPeter Götting: Der Begriff des Geistigen Eigentums, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 2006, 353-358, 355 ff.

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In jedem Fall ist der Begriff besser geeignet, auch Nichtjuristen eine Vorstellung vom Inhalt dieses Rechtsgebiets zu vermitteln, wie H.-P. Götting: Der Begriff des Geistigen Eigentums, 353, 358 zu Recht hervorhebt.

10 Haimo Schack: Urheber- und Urhebervertragsrecht, Tübingen 42007, Rdnr. 23.

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scheidendes Eigentum an nicht körperlichen Gegenständen auch im Zivilrecht anzuerkennen ist. Dass das BGB zur Zeit seiner Entstehung die geistigen Güter, insbesondere das damals bereits wirtschaftlich bedeutsame Patent und das Urheberrecht außer Acht ließ,11 dürfte entscheidend darauf zurückzuführen sein, dass man diese Rechte durch das bereits 1877 in Kraft getretene Patentgesetz und den vom Deutschen Reich 1871 übernommenen Urheberrechtsschutz als ausreichend ansah.12 Eine Entscheidung gegen einen Schutz geistigen Eigentums im Zivilrecht lässt sich daraus aber wohl nicht herleiten. Einordnung und Rechtsnatur Allen Rechten an immateriellen Gegenständen ist gemeinsam, dass diese ausschließlich einer Person zugeordnet sind. Anders als bei bloßen schuldrechtlichen Rechtspositionen, die aufgrund eines Vertragsverhältnisses entstehen und nur »relativ« zwischen den beteiligten Personen (inter partes) wirken, begründet geistiges Eigentum eine gegenüber jedermann (inter omnes) wirkende »dingliche Rechtsposition«. Um die Sonderstellung des Rechtsinhabers zu betonen, wird ein solches Recht als absolutes oder subjektives Recht an einem Gegenstand oder auch als Ausschließlichkeits- oder Monopolrecht bezeichnet, da es erlaubt, Dritte von der Nutzung auszuschließen.13 Unsere Rechtsordnung erkennt aber bei den Sachenrechten des BGB nur eine geschlossene Zahl, einen »numerus clausus an dingli-

11 Dazu H.-P. Götting: Der Begriff des Geistigen Eigentums, 353, 358, der das BGB aus diesem Grund als bereits zum damaligen Zeitpunkt »rückständig« bezeichnet. 12 Bei den Spezialgesetzen, die das geistige Eigentum regeln, wie etwa dem PatG, GebrMG, GeschmMG oder MarkenG handelt es sich trotz der Beteiligung von Behörden am Erteilungsverfahren um Sonderprivatrecht. 13 Volker Jänich, Geistiges Eigentum, 349ff., Fn. 8; Ansgar Ohly: Geistiges Eigentum?, 545, 547.

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chen Rechten an, die vom Gesetzgeber vorgesehen und ausgestaltet worden sind.14 Fraglich ist aber, ob dieser Grundsatz auch für den Bereich des geistigen Eigentums gilt,15 oder ob es auch ohne eine gesetzliche Grundlage, wie sie das UrhG oder das PatG bilden, möglich ist, neue Rechtspositionen als Immaterialgüterrechte anzuerkennen und damit neue Formen geistigen Eigentums zu schaffen.16 Um diese in der Literatur sehr unterschiedlich beantwortete Frage zu klären, muss man sich die Gemeinsamkeiten, vor allem aber die

14 Karl-Heinz Schwab u. Hanns Prütting: Sachenrecht. Ein Studienbuch, München 322006, Rdnr. 17; Julius von Staudinger u. Hans Hermann Seiler: Einl. Sachenrecht 13. Bearb., Berlin 2000, Rdnr. 38. Es mag an dieser Stelle dahinstehen, ob dieses Prinzip nicht auch schon bei den Sachen an manchen Stellen durchbrochen wird, man denke nur an Rechtsinstitute wie das allgemein anerkannte Sicherungseigentum, mit dem letztlich ein vom Gesetz gerade nicht vorgesehenes besitzloses Pfandrecht an beweglichen Sachen begründet wird. 15 So insbesondere Rudolf Busse u. Alfred Keukenschrijver: Patentgesetz, Berlin 62003, § 15, Rdnr. 60; V. Jänich: Geistiges Eigentum, 234 ff.; Mathias Kleespies: Die Domain als selbstständiger Vermögensgegenstand in der Einzelzwangsvollstreckung, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 2002, 764, 766. 16 Dafür Gerhard Schricker: Urhebergesetz, München 32006, vor §§ 28 ff. Rdnr. 52; Stefan Koos: Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut – Begründung und Konsequenzen einer Absolutheit des Rechts an der Domain, in: Multimedia und Recht (MMR) 2004, 359-365, 362; Ansgar Ohly: Gibt es einen Numerus clausus der Immaterialgüterrechte, in: Ansgar Ohly u.a. (Hg.): Perspektiven des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrechts. Festschrift für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005,. 105-121, 115 ff., 121; Barbara VölzmannStickelbrock: Schöne neue (zweite) Welt? – Zum Handel mit virtuellen Gegenständen im Cyberspace, in: Festschrift für Eisenhardt, München 2007, 327 ff., 339.

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Unterschiede zwischen geistigem Eigentum und Sacheigentum, vor Augen führen.17 Geistiges Eigentum und Sacheigentum Neben dem Ausschließlichkeitscharakter gleichen sich geistiges Eigentum und Sacheigentum auch darin, dass die Nutzung durch rechtliche Schranken zugunsten Dritter oder der Allgemeinheit beschränkt wird. Bei Sachen ergeben sich Schranken beispielsweise aus dem Nachbarrecht in Form von Regelungen zu Immissionen, zu Grenzabständen oder Notwegen, um die Verbindung mit einer öffentlichen Straße herzustellen. Typische Schranken des geistigen Eigentums sind die Zwangslizenzen im Patentrecht18 oder im Urheberrecht die Befugnis zu Privatkopien,19 das Zitatrecht20 oder die Vervielfältigung von Werken für den Schul- oder Unterrichtsgebrauch.21 Gleichgültig, ob sich das Ausschließlichkeitsrecht mithin auf körperliche oder unkörperliche Gegenstände bezieht, erfolgt eine Abwägung zwischen den Interessen des Rechtsinhabers an möglichst effektivem Schutz und den Interessen der Allgemeinheit an einem möglichst ungehinderten Zugriff auf dieses Rechtsgut. Während bei körperlichen Gegenständen regelmäßig eine Nutzung auch nur ausschließlich durch eine Person zu einer Zeit möglich ist, können Immaterialrechtsgüter, wie z.B. Werke der Musik, aber auch patentierte Gegenstände natürlich von einer Vielzahl von Personen gleichzeitig genutzt werden. Da zur Nutzung wegen der Möglichkeiten der Vervielfältigung beim geistigen Eigentum nicht der Besitz des Werks erforderlich ist, kann zudem jedermann sehr viel leichter als bei Sacheigentum auf das Immaterialgut zugreifen.

17 Umfassend dazuV. Jänich: Geistiges Eigentum, 185 ff. 18 § 24 PatG. 19 § 53 Abs.1 UrhG. 20 § 51 UrhG. 21 § 46 UrhG.

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Über das Ausschließlichkeitsrecht wird eine künstliche Knappheit erzielt, die der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Schöpfers dient. Aus diesem Grund ist das geistige Eigentum zeitlich begrenzt,22 während Sacheigentum hingegen bis zum Untergang der Sache bestehen bleibt. Der entscheidende Unterschied, welcher es rechtfertigt, bei unkörperlichen Gegenständen den sachenrechtlichen Typenzwang abzulehnen, liegt meines Erachtens gerade darin, dass bei körperlichen Sachen die ausschließliche Zuordnung zum Eigentümer in der Natur der Sache liegt, während es beim geistigen Eigentum auf die Zuweisung eines solchen absoluten Rechts durch die nähere Ausgestaltung auf einfachgesetzlicher Ebene ankommt. Für den Nutzer, etwa den Leser eines Buches, ist nicht ohne weiteres erkennbar, ob es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt oder ein sog. gemeinfreies Werk, dessen Schutzdauer abgelaufen und das daher frei weiterzuverwerten ist. Über eine Zuweisung ausschließlicher Befugnisse durch die Rechtsordnung erscheint es daher möglich, neue Immaterialgüterrechte zu schaffen. An die These, dass es keinen abschließenden Katalog von Rechten geistigen Eigentums gibt, schließt sich unmittelbar die Frage an, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine Rechtsposition als geistiges Eigentum absolut gegenüber Eingriffen durch Dritte zu schützen. Dies möchte ich anhand zweier Beispiele beleuchten, bei denen diskutiert wird, ob geistiges Eigentum oder nur eine vertragliche Rechtsposition vorliegt.

22 Vgl. etwa § 16 PatG, § 64 UrhG.

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Die wirtschaftliche Bedeutung von Internet-Domains Die These, dass es sich bei einem Internet-Domainnamen um geistiges Eigentum handelt, vermag auf den ersten Blick überraschend erscheinen. Allerdings wird wohl kaum jemand bezweifeln, dass es sich bei der Domain heutzutage nicht mehr nur um eine technische Adresse im Internet handelt, die der leichteren Merkbarkeit gegenüber der IPAdresse dient. Eine dem Firmennamen entsprechende oder leicht einprägsame Internet-Domain stellt vielmehr den ersten und wichtigsten Schritt hin zu einem erfolgreichen Internetauftritt dar.23 Einem »guten« kurzen und leicht merkbaren Domainnamen kann daher ein erheblicher wirtschaftlicher Wert zukommen. Der stetig wachsenden Zahl an Registrierungen steht nur eine begrenzte Zahl an noch verfügbaren, werbewirksamen Domainnamen gegenüber, so dass Domains heutzutage in zahlreichen Börsen wie sonstige materielle oder immaterielle Güter an- und verkauft werden. Insbesondere aus den USA hört man immer wieder von astronomischen Summen, die für Domainnamen gezahlt werden, z.B. wurden bereits im Jahre 1999 umgerechnet 5,9 Mio. € für die Domain »business.com« gezahlt. Die bislang teuerste Domain »sex.com« wechselte Anfang 2006 für 11 Mio. € den Besitzer.24 Aber auch für unspektakulärere Domains wie z.B. »pizza.com« wurde im Dezember 2006 rund 2,6 Mio. € gezahlt. In Deutschland ist die Preisentwicklung noch gemäßigt. Die Verkaufspreise beim Handel mit Domains haben aber auch für de-Domains, die hinter den führenden com-

23 Siehe dazu auch Olaf Sosnitza: Die Einlagefähigkeit von Domain-Namen bei der Gesellschaftsgründung, in: GmbHR, 2002, 821; Robert Kazemi u. Anders Leopold: Die Internetdomain im Schutzbereich des Art. 14 GG, in: MMR 2004, 287. 24 www.focus-online.com, www.sedo.com, www.united-domains.com; www. domain-recht.de/handel/preise.php.

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Domains an zweiter Stelle der Nachfrage stehen,25 stark angezogen. So wurde beispielsweise für die Domain »chat.de« ein Verkaufspreis von 360.000 € erzielt, für die Domain »IQtest.de« 123.625 € und für »sexkontakte.de« 110.000 €, gefolgt von mehreren hundert de-Domains, die in den letzten Jahren für fünfstellige Eurobeträge den Inhaber wechselten.26 Domainnamen haben sich folglich von einem bloßen Ersatz für die technische IP-Adresse zu einem der wichtigsten Kommunikationsinstrumente zwischen Kunden und Unternehmen entwickelt. Insbesondere die sog. Gattungsdomains, wie z.B. lastminute.de, rechtsanwaelte.de, oder mitwohnzentrale.de, deren Registrierung der BGH im Grundsatz nicht für wettbewerbswidrig hält,27 haben immer wieder die Gerichte beschäftigt.28 Diese sog. »Gattungsdomains« haben für Unternehmen aufgrund der mit ihnen verbundenen Kanalisierung von Kundenströmen eine hohe Attraktivität. Die Vergabe von Internet-Domains Voraussetzung für die Domainvergabe ist der Abschluss eines Vertrages zwischen demjenigen, der den Domainnamen künftig nutzen möchte und der DENIC eG, der für de-Domains zuständigen zentralen Vergabestelle in Karlsruhe, dessen Inhalt sich nach den Registrierungsbedingungen29 und -richtlinien30 der DENIC eG richtet. Danach

25 www.denic.de/de/domains/statistiken/domainvergleich_tlds/index.html. 26 www.domain-recht.de/handel/preise.php. 27 Zur Zulässigkeit von Gattungsdomains BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061 = NJW 2001, 3262 = MMR 2001, 666, 667 ff. (mitwohnzentrale.de); zu Umlaut-Domains OLG Köln v. 2.9.2005, 6 U 39/05, JurPC Web-Dok. 116/2005 (schlüsselbänder.de). 28 Siehe etwa BGHZ 148, 1 = NJW 2001, 3262 (lastminute.de); OLG Stuttgart, NJW 2006, 2273. 29 www.denic.de/doc/agb.html. 30 www.denic.de/doc/faq/vergaberichtilinie.html.

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schuldet die DENIC eG im Gegenzug für eine jährliche Zahlung des Domaininhabers während der gesamten Vertragslaufzeit die Übersetzung eines Domain-Namens in die vom Domaininhaber benannte IPAdresse, die sog. Konnektierung. Diese Verpflichtung erfüllt die DENIC eG durch den Betrieb des primären Domain-Name-Servers, der auf eingehende Übersetzungsanfragen zu einem Domainnamen die korrespondierende IP-Adresse zurückmeldet. Als administrative Nebenleistung registriert die DENIC eG den Domaininhaber in ihrer Whois-Datenbank, einer allgemein zugänglichen Kundenkartei.31 Die Konnektierung und Registrierung der Domain durch die DENIC eG hat rechtsbegründende Wirkung. Ohne diese technische Leistung ist es nicht möglich, unter der betreffenden Adresse auf die Website einer Person zu gelangen. Vermögenswert kommt daher nur einer durch die DENIC eG registrierten de-Domain zu. Die rechtliche Einordnung von Internet-Domains a) Meinungsstand Einige Stimmen in der Literatur – und dazu zähle ich mich auch – treten seit Jahren dafür ein, die Internet-Domain als ein absolutes Recht anzusehen, das ebenso wie eine Lizenz übertragbar und damit auch pfändbar und verwertbar ist.32 Nach anderer Ansicht handelt es sich bei

31 www.denic.de/de/whois/index.jsp. 32 LG Essen, CR 2000, 247 = GRUR 2000, 453 = JurBüro 2000, 213 mit Anm. Schmittmann = MMR 2000, 286 mit Anm. Viefhues; LG Düsseldorf, CR 2001, 468 mit Anm. Hartmann = JurBüro 2001, 548 mit Anm. Schmittmann; Schneider, ZAP 1999, Fach 14, 355, 356; Plaß, WRP 2000, 1077, 1081; Schmittmann, DGVZ 2001, 177, 179; Barbara Stickelbrock: Die Zwangsvollstreckung in Domains, in: Michael Hohl u.a. (Hg.): Domains, Frames und Links, Stuttgart 2002, 49, 56 ff.; St. Koos: Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut, 364; Barba-

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den mit der Konnektierung und Registrierung einer Domain durch die DENIC eG, erlangten Ansprüchen nur um schuldrechtliche Ansprüche.33 Dabei stützt man sich vor allem darauf, dass das Prinzip der Einmalvergabe einer Internet-Domain allein technisch bedingt sei. Die DENIC eG könne durch ihre technische Dienstleistung kein neues Immaterialgüterrecht schaffen.34 Dieser Ansicht hat sich der VII. Senat des BGH in seinem Beschluss vom 5. Juli 200535 angeschlossen. Er stellt fest, dass eine Internet-Domain als solche kein »anderes Vermögensrecht« i.S.v. § 857 I ZPO ist. Die Entscheidung des BGH war nicht überraschend, nachdem bereits das BVerfG mit Beschluss vom 24. November 200436 auf die Verfassungsbeschwerde eines Domaininhabers festgestellt hat, dass der Inhaber einer Domain weder das Eigentum noch ein sonstiges absolutes Recht an der Domain erwirbt. Er erhalte vielmehr als Gegenleistung für die an die DENIC eG zu zahlende Vergütung ein relativ wirkendes, vertragliches Nutzungsrecht, welches seinerseits einen rechtlich geschützten Vermögenswert darstelle.37

ra Völzmann-Stickelbrock: Die Internet-Domain in Zwangsvollstreckung und Insolvenz , in: MarkenR 2006, 2, 3. 33 AG Langenfeld, CR 2001, 477; LG Mönchengladbach, NJW-RR 2005, 439 = MMR 2005, 197 = MDR 2005, 118 = Rpfleger 2005, 38; Hanloser, Rpfleger 2000, 525 ff.; ders., CR 2001, 456, 458; Berger, Rpfleger 2002, 181, 182, Kleespies, GRUR 2002, 764, 766. 34 Hanloser, Rpfleger 2000, 525 ff.; ders., CR 2001, 456, 458. Berger, Rpfleger 2002, 181, 182. 35 BGH, NJW 2005, 3353 = MMR 2005, 685 mit Anm. Hoffmann = EWiR 2005, 811 (Beyerlein). 36 BVerfG, NJW 2005, 589 = MMR 2005, 165; St. Koos: Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut, 359 ff. 37 BVerfG, NJW 2005, 589 = MMR 2005, 165; R. Kazemi u. A. Leopold: Die Internetdomain im Schutzbereich des Art. 14 GG , 287, 290; Karsten Nowrot: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz von Internet-Domains, Halle 2002, 9 ff.

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b) Konsequenzen der unterschiedlichen Einordnung Die Frage nach der rechtlichen Einordnung der Domain ist dabei nicht lediglich akademischer Natur, sondern hat erhebliche Konsequenzen auch für die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Domain-Namens. Dies zeigt sich insbesondere dort, wo es nicht mehr um eine privatautonome Veräußerung, sondern um eine Übertragung der Domain im Wege staatlichen Zwangs in der Einzelzwangsvollstreckung oder der Insolvenz des Domaininhabers geht.38 Eine Verwertung der Domain durch Überweisung an Zahlung Statt zum Schätzwert oder die Versteigerung in spezialisierten Internetbörsen nach § 844 ZPO ist nämlich – und dies verkennt der BGH in seinem Beschluss vom 5. Juli 2005 – nur dann uneingeschränkt möglich, wenn die gesamte Rechtsstellung des Schuldners übertragen wird und nicht lediglich ein vertraglicher Anspruch gepfändet worden ist. Nur wenn man die Domain folglich als ein Immaterialgüterrecht ansieht, kann man sie unproblematisch im Rechtsverkehr übertragen, ebenso wie dies bei Marken oder Patenten der Fall ist. c) Stellungnahme Dass zwischen dem Domaininhaber und der DENIC eG ein werkvertragliches Dauerschuldverhältnis besteht, dessen Gegenstand die Konnektierung während der Vertragslaufzeit ist, soll nicht bezweifelt werden. Dennoch erscheint mir äußerst fraglich, ob es dem Wesen der Domain gerecht wird, diese rein als ein Bündel vertraglicher Ansprüche anzusehen. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie wie ein Patent auf eine Erfindung oder eine Marke nur einmal in dieser Form existiert. Der Inhaber der Domain befindet sich in der virtuellen Welt in einer ganz ähnlichen, eher noch stärkeren Position wie der Inhaber einer Marke, da nicht nur kein anderer exakt dieselbe Bezeichnung für

38 Umfassend dazu , 364; B. Völzmann-Stickelbrock: Die Internet-Domain in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, 2 ff.

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sich verwenden darf, sondern kein anderer dies überhaupt kann.39 Die Absolutheit des Domainrechts lässt sich daher aus der nach außen bestehenden faktischen Alleinstellung begründen. Die gegen den Charakter eines absoluten Rechts vorgebrachten Argumente vermögen nicht durchgehend zu überzeugen. So beruht etwa das im Gegensatz zu Patent und Marke fehlende vorherige Prüfungsverfahren nicht auf einer unterschiedlichen rechtlichen Einordnung,40 sondern allein auf praktischen Bedürfnissen. Ein anderes Verfahren als die weltweit anerkannte Registrierung nach dem Prioritätsprinzip könnte bei der Vielzahl der Registrierungsanträge eine funktionierende Versorgung mit Domainnamen gar nicht leisten. Von Telefonnummern oder Hausnummern, mit denen die Domain oft verglichen wird, unterscheidet sie sich durch die in § 6 I der DENIC-Domainbedingungen41 angeordnete generelle Übertragbarkeit der Domain. Zwar hängt die Rechtsausübung zugegebenermaßen von der Mitwirkung der DENIC eG ab. Diese hat aber eine Monopolstellung hinsichtlich der Registrierung und Konnektierung der de-Domains inne, welche den Abschluss des Vertrags zwischen dem Domaininhaber und der DENIC eG nur noch in sehr reduziertem Maße als privatautonome Vertragsvereinbarung erscheinen lässt. Es erscheint formalistisch, den Charakter als absolutes oder relatives Recht letztlich allein davon abhängig zu machen, ob die »Vergabe« des gewünschten Domainnamens durch eine staatli-

39 So schon B. Stickelbrock: Die Zwangsvollstreckung in Domains, 49, 56; vgl. dazu auch Stephan Welzel: Zwangsvollstreckung in Internet-Domains, in:, MMR 2001, 131-139, 133. 40 So aber A. Ohly: Gibt es einen Numerus clausus der Immaterialgüterrechte, 105, 115, der einen Domainnamen dann als ein echtes Immaterialgüterrecht ansehen würde, wenn die DENIC eG ein materielles Prüfungsverfahren durchführt. 41 Abrufbar unter www.denic.de/de_1/bedingungen.html.

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che Stelle oder eine im öffentlichen Interesse tätige private Vergabestelle erfolgt.42 Ergebnis Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass durch • • •

den aufgrund der Monopolstellung der DENIC eG bestehenden Kontrahierungszwang, die Übertragbarkeit der Domain und schließlich die Ausgestaltung als Dauerschuldverhältnis, das seitens der DENIC eG nicht ordentlich gekündigt werden kann,43

das Verfahren so stark der »Verleihung« eines Rechts angenähert ist, dass man den Domainnamen angesichts der faktischen Alleinstellung des Rechtsinhabers mit guten Gründen trotz der Mitwirkung einer im öffentlichen Interesse tätigen privaten Vergabestelle als ein absolutes Recht einordnen kann.

V IRTUELLE S ACHEN

ALS GEISTIGES

E IGENTUM

Anwendungsbereich und wirtschaftliche Bedeutung virtueller Sachen Eine weitere, noch recht neue Erscheinung im Internet, bei der man erwägen kann, ob es sich um geistiges Eigentum handelt, sind die sog. virtuellen Sachen. Ihren Einsatzbereich haben diese vor allem in Onlinespielen, die mit bis zu tausenden von Spielern gleichzeitig über das Internet gespielt werden. Vor allem in den sog. Massen-Mehrspieler-

42 Umfassend dazu St. Koos: Die Domain als Vermögensgegenstand zwischen Sache und Immaterialgut , 359, 361. 43 § 7 II DENIC-Domainbedingungen,www.denic.de/de_1/bedingungen.html.

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Online-Rollenspielen (MMORS)44 wird dabei fleißig gehandelt. Die Spieler erwerben und veräußern über das Internet z.B. bei Ebay oder in professionellen Börsen für Spieler virtuelle Güter für echtes Geld.45 Das können zum einen ganze Spielcharaktere sein, zum anderen Items wie Waffen oder Werkzeuge, von der Berserker-Axt bis zum Spinnenmonster-Netz, sowie virtuelles Geld oder Gold. Angeboten werden in den Spielbörsen aber auch höhere Level, Berufe oder Reiserouten für die Spielfigur, den sog. »Avatar«. Viele dieser Online-Spiele sind zwar grundsätzlich kostenlos. Um alle Features des Spieles nutzen zu können, bedarf es aber zumeist eines kostenpflichtigen PremiumAccounts; so auch beim wohl bekanntesten Onlinespiel »Second Life«, wo ein solcher Zugang erforderlich ist, um Land erwerben zu können.46 Gerade beim Handel mit virtuellen Grundstücken fallen oftmals größere Summen an. So ging beispielsweise vor kurzem im Onlinespiel »Entropia«, bei dem die Spieler um den ständig wachsenden Planeten »Calypso« handeln, eine Raumstation für 85.000 € über den virtuellen Ladentisch.47 Auch wenn die Umsätze mit derartigen Waren vor allem in den USA bereits im mehrstelligen Millionenbereich liegen,48 hat

44 Bekannter ist die englische Bezeichnung MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game) oder allgemeiner MMOG (Massively Multiplayer Online Game). Zu den bekanntesten und meistverkauften Spielen zählt etwa World of Warcraft, Everquest 2 oder auch die in Verbindung mit den entsprechenden Filmwelten entstandenen Star Wars Galaxies oder The Matrix Online. 45 In Deutschland z.B. www.ingameparadise.de; www.gameeconomy.de. 46 Umfassend dazu B. Völzmann-Stickelbrock: Schöne neue (zweite) Welt?, 327, 328 ff. 47 Kissling, Beitrag vom 30.10.2006 in: www.computerwelt.at; ausführlich dazu auch Ströh, »Jede Menge Kohle«, Spiegel-Online v. 25.5.2005. 48 Dazu Andrea Lober u. Olaf Weber: Money for Nothing? Der Handel mit virtuellen Gegenständen und Charakteren, in: MMR 2005, 653; Benedikt Wemmer u. Kai Bodensiek: Virtueller Handel – Geld und Spiele, in: Kommunikation & Recht 2004, 432.

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man das Phänomen des Handels mit real nicht existierenden Gegenständen in Deutschland bislang nur am Rande wahrgenommen. Die Rechtsfragen, die sich beim Handel mit virtuellen Gütern stellen, sind vielfältig und sie werden umso zahlreicher, je mehr sich der Cyberspace zu einem echten Wirtschaftsraum entwickeln. Besonders deutlich wird dies bei Spielen wie dem in den letzten Jahren verstärkt in die Schlagzeilen geratenen »Second Life«, welche ein Abbild der realen Welt darstellen, in der sich die virtuellen Weltbürger nach ihren eigenen Wünschen eine zweite Existenz aufbauen können. Erstellt und vermarktet wird die virtuelle Spielwelt von dem im Jahre 1999 gegründete Unternehmen Linden Lab des Amerikaners Philip Rosedale, der für seine Geschäftsidee mit dem Ebay-Gründer Pierre Omidyar und dem Amazon-Erfinder Jeffrey Bezos zwei visionäre und finanzkräftige Investoren fand. »Second Life« hat anders als die meisten Online-Rollenspiele keine Mission, sondern bietet dem Spieler die Möglichkeit, seinen Avatar in einer scheinbar realistischen dreidimensionalen Welt leben zu lassen. Dazu erhält der Spieler ein 3-DProgramm zum Erstellen von virtuellen Dingen aller Art. Mit diesem Konstruktionswerkzeug können praktisch sämtliche Gegenstände von den Bewohnern selbst geschaffen und gestaltet werden. Eine Besonderheit des Online-Universums liegt darin, dass anders als bei herkömmlichen Computerspielen die Urheberrechte an jedem der virtuell erstellten Produkte dem Schöpfer und nicht der Betreiberfirma zustehen. Dies hat zur Folge, dass ein virtuell erschaffenes Produkt nicht nur in »Second Life« verkauft werden kann, sondern auch im richtigen Leben. Große Unternehmen wie Adidas oder IBM entdecken daher zunehmend das Paralleluniversum als Plattform für einen Probelauf und eine Vermarktung ihrer Produkte. So hat beispielsweise der Autokonzern Nissan eine Insel in »Second Life« gekauft und wirbt dort mit einem riesigen Fahrparcours für den Nissan Sentra. Ebenso hofft Toyota durch die Produktion virtueller Autos auf eine Nachfrage für die reale Welt. Speziell die Musikindustrie hat schnell reagiert. Sony-BMG präsentiert in »Second Life« seine populärsten Künstler. Etliche Musiker wie die Sängerin Suzanne Vega oder die Band Duran Duran gaben

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bereits Online-Konzerte in der virtuellen Welt.49 Für Aufsehen hat auch der britische Sender BBC gesorgt, der im Mai 2006 eine tropische Insel in »Second Life« gemietet und dort ein Wochenend-Musikfestival veranstaltet hat, bei dem rund 400 Online-Spieler nach dem Einlass durch virtuelle Türsteher auf der Cyberbühne Life-VideoAufnahmen verschiedener Bands miterleben konnten, die in der realen Welt zeitgleich bei einem Open-Air-Festival im schottischen Dundee auftraten. Weitere ähnliche Veranstaltungen sind geplant.50 Der Nachrichtenkonzern Reuters hat seit Oktober 2006 ebenfalls eine eigene Insel, auf der sich die Spieler auf Anzeigetafeln die neuesten Schlagzeilen aus der realen Welt ansehen können und von der aus der virtuelle Korrespondent Adam Pasick auf die Jagd nach News aus dem virtuellen Wirtschaftsleben geht.51 Auch Politiker nutzen schließlich die virtuelle Welt bereits für ihre Kampagnen und es wird in der virtuellen Welt für Spenden in echtem Geld geworben, wie im August 2005 beim Sponsorenlauf der American Cancer Society, wo Einwohner in »Second Life« ihre Spielfiguren zu einem guten Zweck auf die virtuelle Laufbahn schickten. Bislang herrscht in der virtuellen Welt reiner Kapitalismus, irgendeine Form der Regulierung oder Kontrolle gibt es nicht. Welche Gesetze in der Spielwelt des »Second Life« gelten, ist völlig offen. Im Mai 2006 erhob erstmals ein Second-Life-Bewohner in Pennsylvania Klage gegen das Unternehmen, da sein Account von Linden Lab wegen vermeintlich illegaler Bodenspekulationen mit Second-Life-Land gesperrt worden war. Mit Spannung wird erwartet, ob und inwieweit die USGerichte Vertrags- und Verbraucherrechte der realen Welt auf die Transaktionen in der nicht existenten Welt des »Second Life« anwenden werden.

49 www.pressetext.de v. 30.10.2006. 50 www.netzeitung.de/internet/398619.html v. 15.5.2006. 51 Radler: Virtuelles Wirtschaftswunderland, tagesschau.de v. 19.10.2006; Zimprich: Inflationsangst in der Parallelwelt, in: Financial Times Deutschland vom 1.11.2006.

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Pro Tag werden in den künstlichen Welten des »Second Life« z.B. mit virtueller Kleidung, Fahrzeugen, Waffen und Grundstücken rund 600.000 US-Dollar umgesetzt. Das Wirtschaftswachstum beträgt zwischen 10 und 15 Prozent im Monat. Innerhalb des Spiels zahlt man dabei mit einer eigenen Währung, dem Linden-Dollar (L$). Diese lassen sich für echte US-Dollar an der Linden-Börse LindeX erwerben und wieder zurücktauschen. Der Umtauschkurs, den Linden Lab bestimmt, schwankte in den Jahren 2005 und 2006 zwischen etwa 250 bis 350 Linden Dollar zu einem US-Dollar. Der aktuelle Kurs wird inzwischen bereits in einigen amerikanischen Börsenradios täglich in einem Atemzug mit Yen, Euro und Dollar genannt.52 Ein 500 QuadratmeterGrundstück im »Second Life« gibt es schon für umgerechnet 10 USDollar. Für eine kleine Privatinsel von 65 Quadratkilometern zahlte der Kunde bislang 1250 US-Dollar für die Anschaffung. Hinzu kommt eine monatliche Pacht von 195 US-Dollar, die die Grundstückseigner an Linden Lab entrichten müssen.53 Das Bruttosozialprodukt dieser virtuellen Miniatur-Volkswirtschaft lag im Jahr 2005 bei rund 64 Millionen (realer) US-Dollar.54 Für eine zunehmende Zahl der mittlerweile fast 1,4 Millionen Bewohner wird die Scheinwelt mehr und mehr zur Realität. Rund 3000 Einwohner sollen inzwischen von ihrem virtuellen Beruf in der Zweitlebenswelt ihren Lebensunterhalt bestreiten.55 Eine der bekanntesten ist dabei die äußerst erfolgreiche Grundstücksspekulantin Anshe Chung, eine aus China stammende Lehrerin aus Hessen, die inzwischen mehr als acht Millionen Quadratmeter Bauland in »Second Life« erworben hat. Indem sie dieses Land als Themenparks ge-

52 Radler,ebd. 53 Nach der Gebührenerhöhung im November 2006 beträgt der Anschaffungspreis nunmehr 1950 US-Dollar, die monatliche Pacht 295 US-Dollar. Laufende Verträge sind nicht betroffen. 54 Nehmzow: Bummel durch die Pixel-Stadt – das zweite Leben im Web, in: Hamburger Abendblatt vom 30.10.2006. 55 Moorstedt: Bis später, im zweiten Leben, in: Süddeutsche Zeitung vom 12.10.2006.

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staltet und weiterveräußert, soll sie bislang einen Gewinn von rund 200.000 US-Dollar erwirtschaftet haben. Im Angebot sind 100 verschiedene Simulationen, vom japanischen Garten bis zur karibischen Landschaft, auf Wunsch inklusive passendem Haus.56 Der amerikanische Kongress beschäftigt sich bereits mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie man das virtuelle Vermögen und die virtuellen Kapitalgewinne, die in »Second Life« erwirtschaftet werden, zukünftig besteuern könnte.57 Die genannten Zahlen verdeutlichen, dass virtuellen Gegenständen ein bedeutsamer Vermögenswert zukommen kann. Für den Spieler eines Online-Rollenspiels ist daher von erheblicher Bedeutung, welche Rechtsposition er an seinen virtuellen Gegenständen innehat. Meinungsstand a) Einordnung als Sache Nach § 90 BGB sind Sachen im Sinne des BGB nur körperliche Gegenstände. Bei virtuellen Gegenständen, die in einem Computerspiel auftauchen, handelt es sich um eine bestimmte Datenmenge innerhalb eines Computerprogramms. Zwar bejaht die Rechtsprechung in einigen Entscheidungen die Sachqualität von Software dann, wenn Softwaredaten auf einem Datenträger gespeichert sind.58 Diese Entscheidungen sind jedoch vor dem Hintergrund des alten Schuldrechts zu sehen und dienten dem Schutz der Käufer, da nur mit Bejahung der Sachqualität von Software Gewährleistungsansprüche bei fehlerhafter Software geltend gemacht werden konnten. Wegen des nach neuem Schuldrecht auch bei Rechten bestehenden Gewährleistungsanspruchs sollte man auf die künstliche Differenzierung zwischen Software, die auf einem

56 www.cyberpunk-community.de, Reichtum aus dem Nichts, vom 16.1.2006. 57 Zimprich: Inflationsangst in der Parallelwelt, ebd. 58 BGHZ 102, 135, 144 = NJW 1988, 406; BGH, CR 1990, 112; BGH, NJW 2000, 1415. In neueren Entscheidungen wird hierzu nicht mehr klar Stellung bezogen, vgl. etwa BGHZ 133, 155 = NJW 1996, 2924.

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Datenträger gespeichert ist und solcher, die im Internet zum Download bereitgestellt wird, künftig verzichten.59 Letztlich ist eine Software ohne Speichermedium nicht denkbar. Ob der Käufer ein mobiles Speichermedium wie eine Diskette, CD, USB-Stick etc. erhält, oder die Daten lediglich von einem Server auf seinen Rechner herunterlädt, rechtfertigt keine unterschiedliche rechtliche Einordnung der übertragenen Daten. Sache im Sinne des BGB ist nur der Datenträger selbst, nicht hingegen die auf ihm gespeicherten Daten. Die für eine Einordnung als Sache im Sinne des § 90 BGB notwendige Körperlichkeit erfordert eine räumliche Abgrenzbarkeit und Beherrschbarkeit des Gegenstands. Maßgebend dafür ist die Verkehrsanschauung.60 Daten sind nach herrschender Lehre keine Sache, sondern das Ergebnis einer geistigen Schöpfung des Urhebers und damit ein Immaterialgut.61 Virtuellen Gegenständen, die in einem Computerspiel auftauchen, fehlt es an einer räumlichen Abgrenzung ebenso wie an der Beherrschbarkeit des Gegenstands. Da dieser nur in einer Anzahl von Daten und Pixels innerhalb eines Spiels besteht, kann der Betreiber faktisch jederzeit durch Beendigung des Spielbetriebs die Gegenstände »verschwinden« lassen. Eine Datenmenge hat mithin nicht die für die Sacheigenschaft erforderliche Körperlichkeit. An nur virtuell existierenden Gegenständen ist folglich genauso wie an Elektrizität, Wind- oder Sonnenenergie kein Eigentum oder Besitz möglich. Ebenso wie die durch technische Anlagen gewonnene Energie Gegenstand von Rechts-

59 So auch B. Wemmer u. K. Bodensiek: Virtueller Handel – Geld und Spiele, 432, 436. 60 Barbara Völzmann-Stickelbrock, in: Hanns Prütting, Gerhard Wegen u. Gerd Weinreich (Hg.): BGB, Neuwied 52010, § 90 Rdnr. 2. 61 Helmut Redeker: Wer ist Eigentümer von Goethes Werther?, in: NJW 1992, 1739; Abbo Junker: Die Entwicklung des Computerrechts in den Jahren 1991 und 1992, in: NJW 1993, 824; Jörg Fritzsche, in: Heinz Georg Bamberger u.Herbert Roth (Hg.): Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. München 22008, § 90 Rdnr. 25; B. Völzmann-Stickelbrock, ebd. [Anm. 60], 52010, § 90 Rdnr. 5.

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geschäften sein kann,62 schließt die fehlende Körperlichkeit auch bei virtuellen Gegenständen Rechtsgeschäfte über die ihnen zugrunde liegenden Daten nicht aus. Eine Regelungslücke, welche die analoge Anwendung des § 90 BGB auf virtuelle Sachen erforderlich machen würde, ist daher zu verneinen. Unabhängig davon, ob es sich bei den in der virtuellen Welt veräußerten Gegenständen um Kleidung, Tiere oder Grundstücke handelt, finden daher de lege lata weder die Vorschriften über bewegliche noch über unbewegliche Sachen unmittelbar oder entsprechend Anwendung. b) Einordnung als Immaterialgüterrecht Befürworter Aufgrund der Tatsache, dass der virtuelle Gegenstand mangels Körperlichkeit als immaterielle Sache zu betrachten ist, haben sich einige Stimmen in der Literatur für einen zumindest immaterialgüterrechtsähnlichen Schutz der Beziehung des Spielers zu den von ihm aufgebauten Gegenständen ausgesprochen.63 Für eine Einordnung als Immaterialgüterrecht mit einer absoluten Wirkung wird angeführt, dass der Spieler die virtuellen Gegenstände – und damit einen abgrenzbaren Teil eines Computerprogramms – aufgrund seiner alleinigen Zugriffsmöglichkeit auf den Account faktisch ausschließlich nutzen könne. Andererseits besteht die Rechtsposition als Inhaber eines Immaterialgüterrechts nur innerhalb des Schuldverhältnisses zwischen dem Spieler und Betreiber der virtuellen Welt, also nur relativ. Auch relative Rechtspositionen sind aber generell übertragbar.64

62 BGH, NJW-RR 1993, 1160. 63 A. Lober u. O. Weber: Money for Nothing?, 653, 655. 64 Ebd.

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Gegner Nach der Gegenauffassung erfolgt keine absolute Zuordnung der virtuellen Gegenstände an den Spieler. Da eine Einstellung der Dienst-/ Werkleistungen oder eine Veränderung der Spielwelt und damit auch der Gegenstände dem Anbieter grundsätzlich jederzeit offen stehe, sei nicht von einer dem § 903 BGB ähnlichen, den Anbieter ausschließenden, Eigentumsposition auszugehen.65 Dem Spieler wird nach dieser Ansicht lediglich ein vertragliches Nutzungsrecht an seinem Account eingeräumt. Vermittelnde Ansicht Eine vermittelnde Ansicht differenziert schließlich nach der Art des Spiels. Maßgebend soll danach sein, ob dem Spieler die virtuellen Gegenstände vom Spielbetreiber durch die Programmierung vorgegeben sind oder er diese selbst erschafft. Bei Waffen, Rüstungen etc., welche vom Betreiber entwickelt worden sind, habe der einzelne Spieler grundsätzlich keine direkte Einflussmöglichkeit auf die Beschaffenheit des virtuellen Objekts. Diese seien Massenkonstrukte eines Spielherstellers. Auch wenn diese virtuellen Items individualisierbar seien, liege kein Immaterialgüterrecht des Nutzers vor, da ihre Verwendungsmöglichkeit nur eine Leistung im Rahmen der Software bzw. des Plattformnutzungsvertrages darstelle.66 Anders sei dies aber bei Spielen wie »Second Life« zu beurteilen, wo die Spieler erhebliche zeitliche und finanzielle Aufwendungen für den Aufbau virtueller Spielgegenstände tätigen, die eine individuelle, kreative Leistung darstellen. Abgestellt wird dabei vor allem auf die Spielfigur, den Avatar. Da dieser in seinem Erscheinungsbild äußerlich wie auch charakterlich der Fantasie des einzelnen Spielers entspringt

65 B. Wemmer u. K. Bodensiek: Virtueller Handel – Geld und Spiele, 432, 436. 66 Pamela Koch: Die rechtliche Bewertung virtueller Gegenstände auf OnlinePlattformen, JurPC Web-Dok. 57/2006, http://www.jurpc.de/aufsatz/20060057.htm Abs. 34 f., 44.

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und sich nur nach dessen Geschick, Kreativität und Zeitaufwand weiterentwickeln kann, werde der Spieler schöpferisch tätig und schaffe einen Mehrwert, der über die Nutzung der zur Verfügung gestellten Software hinausgehe und von dieser abgrenzbar sei.67 Dass die Spielfigur in ihrer Nutzungsmöglichkeit vom Bestehen des Vertrags über die Nutzung der Software und des Servers mit dem Betreiber abhängig ist, soll der Qualifikation als absolut wirkendes Vermögensrecht nicht entgegenstehen. Dem Spieler komme ähnlich einem Domaininhaber eine gewisse faktische Monopolstellung zu, denn nur er könne über seine persönlichen Zugangsdaten jederzeit auf seine virtuellen Güter zugreifen und andere von deren Nutzung ausschließen.68 Ihm stehe daher eine Rechtsposition zu, die aus tatsächlichen Gründen als ein zeitlich begrenztes Immaterialgüterrecht zu qualifizieren sei.69 Stellungnahme Vergegenwärtigt man sich die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Rechts als geistiges Eigentum, so erscheint die Einordnung von virtuellen Sachen als geistiges Eigentum als äußerst bedenklich. Kennzeichnend für ein absolutes Recht ist, dass der Berechtigte allein über sein Recht bestimmen und seine Herrschaftsbefugnisse ausüben sowie Dritte von jeder Einwirkung ausschließen kann, ohne dabei auf die Mitwirkung anderer Personen angewiesen zu sein.70 Auf der Grundlage dieser Definition kann ein virtueller Gegenstand auch dann nicht als Immaterialgüterrecht angesehen werden, wenn der Spieler diesen Gegenstand aus seiner eigenen Fantasie erschafft und nicht lediglich im Verlauf des Spiels erlangt. Denn der Zugang zur virtuellen Welt

67 Ebd., Abs. 42, 45. 68 Ebd., Abs. 43 f. 69 Ebd., Abs. 46. 70 Otto Palandt u. Peter Bassenge: Bürgerliches Gesetzbuch. München 692010, Einf. Vor § 854 Rdnr. 2.

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und die Möglichkeit, dort im Rahmen des Spiels kreativ tätig zu werden, stehen und fallen mit dem Vertragsverhältnis zum Spielbetreiber. Dem einzelnen Spieler ist lediglich eine vertragliche Nutzungsberechtigung bezüglich der zur Programmierung der virtuellen Gegenstände erforderlichen Software eingeräumt. Auch ein Vergleich mit der Internet-Domain führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwischen der Domain und einem von dem Spieler eines Online-Rollenspiels erschaffenen virtuellen Objekt bestehen beachtliche Unterschiede. Ebenso wie bei den sonstigen Immaterialgüterrechten, etwa bei Marken und Patenten, erfolgt eine Registrierung und Vergabe der Domain durch eine im öffentlichen Interesse tätige private Vergabestelle. Anders als bei einer Domain, bei der die Abhängigkeit vom Vertragsschluss mit der DENIC ein rein formales, auf der technischen Umsetzung beruhendes Erfordernis ist, liegt im Verhältnis zwischen dem Spielbetreiber, der die Plattform zur Verfügung stellt und dem einzelnen Spieler eine rein vertragliche Beziehung vor. Gleiches gilt auch für die Beziehung zwischen den einzelnen Spielern bei der Übertragung von virtuellen Sachen.71 Zwar ist die Software, mit welcher der Spieler in die Lage versetzt wird, nicht nur die eigene Spielfigur sondern deren gesamten virtuellen Lebensraum selbst zu erschaffen, ein urheberrechtlich und ggf. auch patentrechtlich geschütztes Immaterialgut.72 Der Spieler hat aber an den von ihm kreierten virtuellen Gegenständen kein absolutes Recht. Dies zeigt sich schon daran, dass der Spielbetreiber es immer in der

71 Zu deren rechtlicher Einordnung umfassend B. Völzmann-Stickelbrock: : Schöne neue (zweite) Welt? – Zum Handel mit virtuellen Gegenständen im Cyberspace, 341ff. 72 Zur umstrittenen Frage der Patentierbarkeit von Software in Europa und den USA zuletzt etwa Andreas Wiebe / Roman Heidinger: Ende der Technizitätsdebatte zu programmbezogenen Lehren?, in: GRUR 2006, 177; Christoph Laub: Patentfähigkeit von Softwareerfindungen: Rechtliche Standards in Europa und in den USA und deren Bedeutung für den internationalen Anmelder, in: dass. Int. 2006, 629.

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Hand hat, durch technische Maßnahmen das Spiel einzustellen oder den Account zu löschen. Es erscheint allerdings als fraglich, ob eine Klausel, die dies jederzeit und ohne Grund zulässt,73 einer AGB-Prüfung standhalten würde. Wie sich gerade am Beispiel von »Second Life« deutlich zeigt, entwickelt sich in der Online-Welt eine eigene virtuelle Volkswirtschaft. Wenn die Nachfrage unverhältnismäßig steigt und mehr Gegenstände und eine größere Geldmenge ins Spiel kommen als zunächst vorausgesehen, hat dies eine regelrechte Inflation zur Folge.74 Um das virtuelle Wirtschafts- und Sozialsystem aufrecht zu erhalten und damit letztlich die Funktionsfähigkeit des Spiels zu sichern, ist dem Betreiber ein schützenswertes Interesse an Beschränkungen der Rechtsgeschäfte seiner Spieler untereinander zuzubilligen.75 Eine entschädigungslose Löschung des Accounts dürfe jedoch – jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis – zu weit gehen. Unabhängig davon kann der Spieler aber im Falle der Einstellung des Spiels durch den Betreiber von diesem jedenfalls nicht die »Herausgabe« der virtuellen Gegenstände, sondern allenfalls eine Entschädigung für den Gegenwert des Accounts verlangen. Ihm stehen folglich nur die typischen relativen Rechte eines Vertragspartners zu. Damit soll nicht geleugnet werden, dass der Spieler mit der Erschaffung neuer virtueller Gegenstände eine schöpferische Leistung erbringt. Wenn beispielsweise im Online-Spiel »Second Life« Nissan in der virtuellen Welt ein virtuelles Modell seines neuen, noch nicht

73 So sehen es etwa die AGB von Second Life vor: Terms of service 2.6 Linden Lab may suspend or terminate your account at any time, without refund or obligation to you. 74 Linden Labs versucht, den Wechselkurs des Linden-Dollar konstant zu halten, durch Vergrößerung oder Verkleinerung der Geldmenge über UploadGebühren, An- und Verkauf von Linden-Dollar über die Devisenbörse »LindeX« etc. Dazu Zimprich, »Inflationsangst in der Parallelwelt«, a.a.O. 75 So auch B. Wemmer u. K. Bodensiek: Virtueller Handel – Geld und Spiele, 432, 437.

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auf dem Markt befindlichen, Fahrzeugs präsentiert, ist als geistiges Eigentum die dahinter stehende Idee, das Design urheberrechtlich geschützt. Dieser Schutz besteht nach § 11 UrhG unabhängig davon, in welcher Form der Schöpfer sein Werk nach außen transportiert, sei es z.B. durch ein reales Concept-Car, eine Zeichnung, ein Modell oder wie in der virtuellen Welt durch die Programmierung einer Datenmenge. Wenn – wie in letzter Zeit vermehrt geschehen76 – die Bewohner des »Second Life« mit der Software »Copybot« Kopien beliebiger Gegenstände anlegen, liegt darin eine Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts des Urhebers aus § 16 UrhG, gegen welche sich dieser mit dem Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch des § 97 UrhG zur Wehr setzen kann.77 Ein Bedürfnis dafür, die Datenmenge, durch deren Verarbeitung eine Grafik auf einem Bildschirm dargestellt wird, selbst als Immaterialgüterrecht zu schützen, besteht darüber hinaus aber nicht.

F AZIT Die geschilderten Beispiele der Domainnamen wie auch der virtuellen Sachen zeigen sehr deutlich, dass das Internet den Kreis der Güter erweitert, denen nicht nur im Online-Universum sondern auch im realen Leben ein Vermögenswert zukommt. Da das geistige Eigentum anders als beim Sacheigentum keine abgeschlossene Kategorie von Rechten bildet, kann es insbesondere im multimedialen Umfeld zur Herausbildung und Anerkennung neuer Immaterialgüterrechte kommen. Dabei ist jedoch genau zu prüfen, ob die Voraussetzungen, die an ein solches absolutes Recht zu stellen sind, im Einzelfall erfüllt wer-

76 www.meinsecondlife.de/2006/11 Bericht vom 15.11.2006. 77 Der Second Life-Betreiber Linden Lab reagiert auf derartige Verstöße unter Berufung auf das in den Spielbedingungen niedergelegte Urheberrecht des Spielers mit einer Sperrung des entsprechenden Nutzer-Accounts. http:// www.netzeitung.de/internet/ 455223.html

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den. Anderenfalls besteht die Gefahr eines ausufernden Schutzes jedweder geistigen Leistung, einer Monopolisierung des Denkens,78 die dem deutschen Recht fremd und im Sinne einer gerechten Balance zwischen den Interessen des Rechtsinhabers am Schutz seiner Leistung und denen der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugriff auch weder erforderlich ist, noch wünschenswert wäre.

78 Gert Kolle: Technik, Datenverarbeitung und Patentrecht – Bemerkungen zur Dispositionsprogramm-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in: GRUR 1977, 58, 62.

»Alles nur geklaut« Über »Raubkopierer« und »Gedankendiebe«. Zur Rolle des Strafrechts beim Schutze geistigen Eigentums1 K ATHRIN R ENTROP

»Alle halten mich für klug, hoffentlich merkt keiner den Betrug. Denn das ist alles nur geklaut, das ist alles gar nicht meine, [...] doch das weiß ich nur ganz alleine, das ist alles nur geklaut und gestohlen und gezogen und geraubt. Entschuldigung, das hab‘ ich mir erlaubt.«2

So der Refrain eines deutschen Popsongs aus den 90er Jahren. Der IchErzähler und Protagonist umschreibt sich hierin zwar selbst als »Raubkopierer« oder »Gedankendieb«, bringt aber zugleich zum Ausdruck, dass er sein Tun wohl eher als »Kavaliersdelikt«, denn als »echte Straftat« begreift: »Entschuldigung, das hab‘ ich mir erlaubt [...]«3 – und nicht zuletzt, so singt er weiter:

1

Der Beitrag berücksichtigt die Rechtslage bis Mai 2008, auf wesentliche neue Rechtsentwicklungen wird hingewiesen.

2

Refrain des Songs »Alles nur geklaut« von »Die Prinzen«, vgl. etwa http://german.about.com/library/blmus_prinzen03.htm

3

Vgl. ebd.

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»Auf Deinen Heiligenschein fall’ ich auch nicht mehr rein, denn auch Du hast, Gott sei Dank, garantiert noch was im Schrank.«4

Ja also, die anderen machen es doch auch...! Jene Mentalität scheint – inzwischen mehr denn je – repräsentativ zu sein für einen Großteil der Bevölkerung. Denn: Das illegale Downloaden urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet, darunter insbesondere Musik, Filme und Computersoftware, aber beispielsweise auch die Verwendung von Plagiaten im schulischen und wissenschaftlichen Bereich – etwa das Vorlegen von im Internet »abgekupferten« Seminar- und Prüfungsarbeiten – kann nach den bisherigen Ergebnissen empirischer Studien als Massenphänomen bezeichnet werden5. In einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages im Sommer 2007 beklagte sich die Buch- und Phonowirtschaft, allein in Deutschland seien in einem Jahr rund 370 Millionen Musiktitel illegal aus Internet-Tauschbörsen heruntergeladen worden; fast 4 Millionen Personen hätten Tauschbörsen für illegale Angebote genutzt.6 Vom neuesten »Harry Potter«-Roman in Hörbuchform seien innerhalb von vier Monaten 110.000 Exemplare als Bit-TorrentDateien über Internet-Tauschbörsen und nur 24.000 Exemplare, also knapp ein Fünftel dessen, legal über die Ladentheke verkauft worden.7 Zu nennen ist schließlich der Bereich der »Produkt- und Markenpirate-

4 5

Vgl. ebd. So auchJohannes Kasper, »Das Phänomen der ›Cyber-Piraterie‹«, in: Kriminalistik 60 (2006), 42.

6

Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Rechtsausschuss, 70. Sitzung vom 20. Juni 2007, Öffentliche Anhörung zum Thema »Geistiges Eigentum« betr. den von der Bundesregierung vorgelegten »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums«, BT-Drs. 16/5048, Wortprotokoll, S. 28, vgl. http://www.bundes tag.de/ausschuesse/a06/anhoerungen/22_Geistiges_Eigentum/05_Protokoll. pdf.

7

Ebd., 11.

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rie«, wo es vornehmlich um den Handel mit gefälschten prestigeträchtigen Lifestyle-Produkte wie Uhren, Kosmetikartikeln und Textilien geht.8 »Das macht doch jeder!« – »Das schadet doch niemandem!« – »Die erwischen mich eh nicht!« Unter diesem Titel wird seit einiger Zeit ein empirisches Forschungsprojekt9 betrieben, das aus kriminologischer Perspektive der Frage nachspürt, warum in den genannten Bereichen gesellschaftliche Realität und gesetzliches Verbot offenbar so deutlich auseinander fallen. Doch um welches gesetzliche Verbot geht es hier überhaupt? In erster Linie sicherlich um ein ganzes Konglomerat von Verboten zivilrechtlicher Natur. Aber gibt es auch strafrechtliche Konsequenzen? Und wenn ja: Wie sind diese beschaffen? Im folgenden gilt es, in einer tour d’horizon zu eruieren, welche Rolle das Strafrecht beim Schutze geistigen Eigentums spielt – und – spielen sollte. Dabei ist geplant, zunächst kursorisch die geltende nationale Rechtslage zu schildern, in einem zweiten Schritt die Ebene des Gemeinschaftsrechts zu betreten und dort kurz internationale bzw. europarechtliche Vorgaben und Entwicklungen zu beleuchten sowie einige rechtsvergleichende Überlegungen anzustellen. In einem dritten Schritt sollen schließlich Konsequenzen und Perspektiven für die Gestaltung der Rechtslage de lege ferenda in der Bundesrepublik Deutschland aufgezeigt werden. Ausgangspunkt der Untersuchung sei wiederum ein Zitat: »Raubkopierer sind Verbrecher«.10 Mit diesem Slogan wurde man eine Zeitlang als Kinobesucher in einem vor der eigentlichen Filmvorführung ausgestrahlten Spot kon-

8

Vgl. dazu etwa Ernst Hunsicker, »Marken- und Produktpiraterie – Feindliche Globalisierungsphänome mit gefährlichen Folgen«, in: Kriminalistik 2007, 25 ff.

9

Vgl. dazu Kasper, »Das Phänomen der ‚Cyber-Piraterie’«, a.a.O., 42 ff.

10 Vgl. Internet-Auftritt der Initiative zum Schutz des Originals »Hart aber gerecht: Raubkopierer sind Verbrecher«, http://www.hartabergerecht.de/

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frontiert – eine Kampagne, initiiert u.a. vom Verband der Filmverleiher (VdF). Motivation und Intention dieser Aussage sind eindeutig. Aber trägt sie bei genauerer Betrachtung auch in juristischer Hinsicht? Sind Raubkopierer also tatsächlich Verbrecher? Die Frage zu stellen heißt, sie zu verneinen: Gemäß § 12 Abs. 1 StGB sind Verbrechen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Ein klassisches Verbrechen ist etwa der Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB. Doch selbst der juristische Laie wird nicht ernsthaft annehmen, etwa das illegale Herunterladen von Musik oder Filmen im Internet falle unter den Tatbestand des Raubes, der ja die Gewaltanwendung gegen eine Person zum Zwecke der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache verlangt und deshalb hier evident nicht einschlägig ist. Um es kurz zu machen: Im gesamten Kern- und Nebenstrafrecht findet sich keine Bestimmung, die eine wie auch immer geartete Verletzung des geistigen Eigentums als Verbrechen im Sinne des § 12 StGB unter Strafe stellt. Gleichwohl geraten »Raubkopierer«, »Gedankendiebe« und »Produktpiraten« mit dem Strafrecht in Konflikt, denn jede vorsätzliche Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums11 ist als Vergehen strafbar, § 142 Patentgesetz, § 25 Gebrauchsmustergesetz, § 10 Halbleiterschutzgesetz, § 39 Sortenschutzgesetz, § 106 ff. Urheberrechtsgesetz, § 51 Geschmacksmustergesetz, §§ 143, 144 Markengesetz. Die Strafrahmen sind – nunmehr seit dem Jahre 199012 – einheitlich ausgestaltet: Für das Grunddelikt wird eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, für den qualifizierten Fall des »gewerbsmäßigen« Handelns eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe angedroht. Des Weiteren ist jeweils der Versuch der Schutzrechtsverletzung strafbar. Die genannten Strafvorschriften lassen sich

11 Vgl. zum Begriff des Geistigen Eigentums allgemein: Hans-Peter Götting: Der Begriff des Geistigen Eigentums, in: GRUR 2006, 353-358. 12 Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7. März 1990 (BGBl. I , 422).

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sämtlich als »offene Tatbestände« oder »Blankettnormen«, mithin als akzessorisch bezeichnen. Dazu folgendes Beispiel: Gemäß § 106 Abs. 1 UrhG macht sich strafbar, wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung des Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt. Was also etwa eine unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke im Sinne des § 106 UrhG ist, ergibt sich nicht aus dieser Strafnorm selbst, sondern nur im Rückgriff auf andere Vorschriften des UrhG: Nach dem durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 200713 geänderten § 53 Abs. 1 UrhG sind zulässig einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird. Im Klartext heißt das: Seit Inkrafttreten des so genannten »Zweiten Korbes«14 der Reform des UrhG zum Januar 2008 laufen die Nutzer von Internet-Tauschbörsen noch leichter Gefahr, strafbares Terrain zu betreten. Um derartige Tauschbörsen zu nutzen, muss man in der Regel Teile der eigenen Festplatte für andere Nutzer zugänglich machen. Wer »den falschen Klick« ausführt, öffnet – und sei es nur unbewusst – sein Musik-Archiv, macht damit unter Umständen urheberrechtlich geschützte Werke öffentlich zugänglich und sich selbst strafbar. Grundsätzlich sind die Strafvorschriften des Nebenstrafrechts, also der genannten Sondergesetze zum geistigen Eigentum, leges speciales im Verhältnis zu den Tatbeständen des Kernstrafrechts: Wer z.B. wegen »bloßer« Markenrechtsverletzung bestraft wird, kann zunächst

13 Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl. 2007 I, 2513 ff.), in Kraft getreten am 1. Januar 2008. 14 Ebd.

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nicht automatisch auch wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB belangt werden. Anders liegt der Fall, wenn der Täter zwecks Täuschung im Rechtsverkehr auf der gefälschten Urkunde nicht nur die gefälschte Marke angegeben, sondern weitere Angaben, die angeblich vom Aussteller der Urkunde stammen, gemacht hat. Ebenso kann sich derjenige, der markenrechtsverletzende Ware vertreibt und diese dem Abnehmer als Originalware zum Originalpreis anbietet, diesen also täuscht, zusätzlich wegen Betruges gemäß § 263 StGB strafbar machen. Stets müssen also neben die bloße Schutzrechtsverletzung noch weitere Tatbestandselemente treten, um eine Strafbarkeit auch nach den Vorschriften des Kernstrafrechts auszulösen. In allen Fällen der strafrechtsrelevanten Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums können Tatwerkzeuge und schutzrechtsverletzende Ware gemäß §§ 74 ff. StGB eingezogen werden. Mit der Einziehung wird die schutzrechtsverletzende Ware Eigentum des Staates. Dieser darf die Ware jedoch nur dann veräußern, wenn sie keine Schutzrechte mehr verletzt. Als weitere Nebenfolge der Tat kommt auch eine Abschöpfung des Verletzergewinns durch den Staat nach den Vorschriften über den Verfall, §§ 73 ff. StGB, in Betracht, dies allerdings nur subsidiär zu dem zivilrechtlichen Anspruch des Schutzrechtsinhabers gegen den Täter auf Herausgabe des Verletzergewinns als Schadensersatz. Soweit die materiell-rechtlichen Aspekte. Nun zur strafprozessualen Seite der Problematik.15 Beim Grunddelikt einer jeden Schutzrechtsverletzung hängt die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft davon ab, dass der Verletzte innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten seit Kenntnis von Tat und Täter einen Strafantrag stellt (z.B. § 109 UrhG). Bei gewerbsmäßiger Begehung, also im qualifizierten Fall, findet die Strafverfolgung stets von Amts wegen statt. Der verletzte Schutzrechtsinhaber

15 Vgl. hierzu insgesamt Richard Cremer: Strafrechtliche Sanktionen bei der Verletzung von Rechten des Geistigen Eigentums, in: GRURInt 2002, 511 (512).

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kann aber als »Nebenkläger« im Strafverfahren mitwirken, §§ 395 ff. StPO. Auch wenn er darauf verzichtet, stehen ihm im strafprozessualen Ermittlungsverfahren bestimmte Informationsrechte in seiner Eigenschaft als »Verletzter« zu, §§ 406 ff. StPO, etwa das Recht auf Akteneinsicht über einen Strafverteidiger. Das so gewonnene Tatsachenmaterial besitzt vor allem Relevanz für die Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche des Schutzrechtsinhabers gegen den Täter.16 Bei den einzelnen Grunddelikten führt die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung nur dann ex officio durch, wenn sie hieran das »öffentliche Interesse«17 bejaht. Verneint die Staatsanwaltschaft beim Grunddelikt im Einzelfall das öffentliche Interesse, verweist sie den Verletzten auf den Weg der Privatklage, §§ 374 ff. StGB. Abhängig von der Bedeutung des Falles – konkret: der zu erwartenden Höhe der Strafe – wird die Sache vor dem Amtsgericht oder der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts angeklagt und verhandelt. In der Praxis ist die Anklage vor dem Amtsgericht mit einer Strafgewalt von maximal vier Jahren weitaus häufiger, so dass selbst bei gewerbs-

16 Dies spiegelt die bis September 2008 noch geltende Rechtslage wider. Seit Einführung des »neuen« Auskunftsanspruchs gem. § 101 UrhG zum 1.9.2008 hat das Verfahren nach § 406e stopp deutlich an Relevanz verloren. 17 Näheres zu diesem Terminus findet sich in Nr. 86 RiStBV: »(2) Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z.B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Roheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist«.

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mäßiger Schutzrechtsverletzung die Höchststrafe von fünf Jahren eine eher theoretische Größe bleibt.18 Kleine Fälle können in einem schriftlichen Verfahren beim Amtsgericht, in dem »Strafbefehlsverfahren«, §§ 407 ff. StPO, erledigt werden. Hat der Täter »mit geringer Schuld« gehandelt, kann die Staatsanwaltschaft bereits das Ermittlungsverfahren ohne Geldbuße, § 153 StPO, oder gegen Zahlung einer Geldbuße, § 153a StPO einstellen. Im gerichtlichen Verfahren kann auch das Strafgericht mit Einwilligung der Staatsanwaltschaft diese Rechtsfolgen aussprechen. Bemüht sich der Täter ernsthaft um Schadensersatz für den verletzten Schutzrechtsinhaber, so kann das Strafgericht die Strafe mildern oder in bestimmten Fällen – wenn eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr verwirkt wäre – sogar ganz von Strafe absehen, § 46a StGB. Ein »Adhäsionsverfahren« schließlich ermöglicht es dem verletzten Schutzrechtsinhaber, im Strafverfahren zugleich seine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Das Strafgericht muss über diese Ansprüche allerdings nicht entscheiden, wenn sie sich für eine Beurteilung im Strafverfahren nicht eignen. Entspricht diese – soeben kursorisch nachgezeichnete – deutsche Rechtslage im Bereich des Strafrechts nun auch den internationalen und europarechtlichen Vorgaben? Welche Entwicklungen sind hier zu verzeichnen? Und wie sieht es in anderen Mitgliedstaaten der EU aus? Antworten hierauf ergeben sich durch eine Beleuchtung der Ebene des Gemeinschaftsrechts: Zu nennen ist zunächst das »Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums« im Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation vom 14.

18 R. Cremer: Strafrechtliche Sanktionen bei der Verletzung von Rechten des Geistigen Eigentums, 511f.

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April 1994 (so genanntes TRIPS-Abkommen)19 mit gegenwärtig 151 Mitgliedstaaten, darunter alle EU-Mitgliedstaaten und die EU selbst. Spezifisch strafrechtliche Bestimmungen bilden den Regelungsgegenstand von Art. 61 TRIPS-Abkommen. Danach sollen die Mitgliedstaaten strafrechtliche Maßnahmen einführen, die zumindest in Pirateriefällen, also dem gewerbsmäßigen Handel mit Markenfälschungen, anzuwenden sind. Dazu gehören insbesondere Freiheits- und Geldstrafen, die der Höhe nach dem Strafmaß vergleichbarer Straftaten entsprechen müssen. Auch sollen in geeigneten Fällen die Beschlagnahme und die Vernichtung der Güter und Materialien vorgesehen werden. Nach dem zuvor Gesagten lässt sich konstatieren, dass das geltende Recht der Bundesrepublik Deutschland die Anforderungen des Art. 61 TRIPS-Übereinkommen erfüllt, stellenweise sogar noch darüber hinaus geht – möglicherweise aber mit einer Ausnahme: So gibt es die Auffassung, die deutschen Strafrahmen von einheitlich bis zu drei respektive fünf Jahren Freiheitsstrafe entsprächen nicht denjenigen von Delikten vergleichbarer Bedeutung.20 Demonstriert wird dies am Beispiel der Produkt- und Markenpiraterie als einer Form des »Diebstahls geistigen Eigentums« im Wege eines Vergleichs mit den Strafvorschriften über den Diebstahl, §§ 242, 243 StGB. Bereits der einfache Diebstahl kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden; der gewerbsmäßige Diebstahl wird in der Bundesrepublik Deutschland mit Freiheitsstrafe von drei bis zu zehn Jahren bestraft. Zum Vergleich herangezogen wird des weiteren die Hehlerei, §§ 259, 260, 260a StGB,

19 Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation vom 15. April 1994 (BGBl. II, 1625) 20 Cremer ist der Ansicht, der Schutzrechtsverletzer sei etwa dem Dieb gegenüber deutlich privilegiert: Historisch gesehen liege dies daran, dass – vom Urheberrecht abgesehen – bis 1990 die Höchstfreiheitsstrafe bei Schutzrechtsverletzungen nur sechs Monate betragen und der historische Gesetzgeber des Jahres 1990 sich gescheut habe, die Höchstfreiheitsstrafe von sechs Monaten sofort auf zehn Jahre anzuheben. R. Cremer, ebd.

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die im Grunddelikt ebenfalls mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, im Falle gewerbsmäßigen Handelns mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden kann. Unabhängig von gravierenden Zweifeln, ob die angestellten Vergleiche in dogmatischer und kriminologischer Hinsicht tragfähig sind, sei eine Bewertung der zumindest formell nicht zu leugnenden Diskrepanz der Strafrahmen – ebenso wie die Frage nach möglichen hieraus erwachsenden kriminalpolitischen Konsequenzen – zunächst zurückgestellt und statt dessen vorab auf weitere gemeinschaftsrechtliche Aspekte eingegangen: Strafrecht und Strafprozessrecht fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten der EU.21 Dennoch wird auch dieser Bereich zunehmend vom Gemeinschaftsrecht berührt und kann daher im Einzelfall die Regelungszuständigkeit der EU begründen.22 Ein Eckpfeiler der EU-Normsetzung in diesem Sektor ist die so genannte »Enforcement-Richtlinie« vom 29. April 2004 (2004/48/EG) zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.23 Diese stellt primär ein modernes zivilrechtliches Schutzinstrumentarium zur Verfügung; strafrechtliche Bestimmungen fehlen indes. Besagte Richtlinie musste bis zum 29. April 2006 in nationales Recht transformiert werden. Mit einer Verspätung von rund zwei Jahren hat der Deutsche Bundestag nunmehr am 11. April 2008 das von der Bundesregierung im Jahre 2007 zwecks Umsetzung der Richtlinie als Entwurf24 vorgelegte »Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums«25 verabschiedet.

21 Vgl. etwa Bernd Hecker: Europäisches Strafrecht, Berlin, Heidelberg, New York 2007, § 4 Rn. 72 22 Ebd.§ 1 Rn. 7ff. 23 ABl. EU Nr. L 195 S. 16. vom 2.6.2004. 24 BT-Drs. 16/5048. Der Entwurf ist einzusehen unter der Adresse http://dip.bundestag.de/btd/16/050/1605048.pdf. 25 BT-Drs. 16/8783: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), einzusehen unter der Adresse http://dip21.bundestag.de/

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Generell soll mit den in diesem Gesetz vorgesehenen Änderungen, insbesondere durch die Verbesserung der Stellung der Rechtsinhaber beim Kampf gegen Produktpiraterie, ein Beitrag zur Stärkung des geistigen Eigentums geleistet werden.26 Zusätzlich dient das Gesetz auch der Anpassung des deutschen Rechts an die Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel:27 Mit Hilfe der Ergänzung des Markengesetzes intendiert der Gesetzgeber die Schließung einer Strafbarkeitslücke in diesem Bereich:28 Künftig macht sich gemäß § 144 MarkenG strafbar, wer im geschäftlichen Verkehr entgegen den Bestimmungen der Richtlinie eine eingetragene Bezeichnung für ein dort genanntes Agrarerzeugnis oder Lebensmittel verwendet oder sich eine eingetragene Bezeichnung aneignet oder sie nachahmt. Zu den auf europäischer

dip21/btd/16/087/1608783.pdf. Das Plenarprotokoll vom 11.04.2008 in vorab veröffentlichter Version ist einzusehen unter http://www.bundestag. de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16155.html 26 Vgl. BT-Drs. 16/5048. Der Entwurf ist einzusehen unter der Adresse http://dip.bundestag.de/btd/16/050/1605048.pdf 27 ABl. EU Nr. L 93, 12. 28 Vgl. BT-Drs. 16/8783 vom 9. April 2008: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/5048 – Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums: Artikel 4 Änderung des Markengesetzes 13. »§ 144 wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst: «(2) Ebenso wird bestraft, wer entgegen Artikel 13 Abs. 1 Buchstabe a oder Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz vor geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. EU Nr. L 93 S. 12) im geschäftlichen Verkehr 1. eine eingetragene Bezeichnung für ein dort genanntes Erzeugnis verwendet oder 2. sich eine eingetragene Bezeichnung aneignet oder sie nachahmt. b) Absatz 6 wird aufgehoben«.

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Ebene nach der in Bezug genommenen Verordnung geschützten geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen gehören die Bezeichnungen zahlreicher landwirtschaftlicher Produkte wie z.B. die berühmten »Spreewälder Gurken«; bisher gab es einen solchen Schutz nur für die nach rein innerstaatlichem Recht geschützten Bezeichnungen.29 Ein weiteres Standbein der Europäischen Union im Kampf gegen Verletzungen geistigen Eigentums ist die Strafrechtsrichtlinie (2006/ 168) vom 26. April 2006, genauer: der von der Kommission vorgelegte, geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.30 Am 25. April 2007 hat das Europäische Parlament diesen Richtlinienvorschlag mit gewissen Modifikationen in erster Lesung gebilligt.31 Die Zentralnorm dieser Richtlinie – Art. 3 – bestimmt, dass jede vorsätzliche und bewusste, in gewerbsmäßigem Umfang begangene Verletzung eines Rechts am geistigen Eigentum als Straftat gilt, ebenso deren Versuch sowie Beihilfe oder tatbezogene Anstiftung dazu. Erläuternd hierzu enthält Art. 2 der Richtlinie in der vom Europäischen Parlament gebilligten Fassung nunmehr einige zentrale Begriffsbestimmungen:

29 Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 11. April 2008, vgl. http://www.bmj.bund.de/enid/aa1851295437cf05f6b90bb20edc3756,0/Pres sestelle/ Pressemitteilungen_58.html. 30 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, COM 2006/168, vormals COM 2005/276 vom 12. Juli 2005. 31 Einzelheiten zu Entwicklung und Stand der Gesetzgebung sind dokumentiert in einem »procedural file«, zu finden unter: https://www.europarl. europa.eu/oeil/file.jsp?id=5263692. Eine »offizielle« Version der Richtlinie findet sich nunmehr im »Official Journal of the European Union« vom 20. 3.2008 (C 74 E/527).

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Im Sinne der Richtlinie bedeuten »Rechte am geistigen Eigentum« eines oder mehrere der folgenden Rechte, die hier umfassend genannt seien: Urheberrechte, diesen verwandte Schutzrechte, Schutzrechte sui generis der Hersteller von Datenbanken, Schutzrechte der Schöpfer der Topographien von Halbleitererzeugnissen, Markenrechte – soweit die Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes auf sie nicht die Regeln des freien Marktes und die Forschungstätigkeit behindert –, Schutzrechte an Geschmacksmustern, geographische Herkunftsangaben, Handelsnamen – soweit es sich bei letzteren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedsstaates um ausschließliche Rechte handelt – und schließlich die Rechte, insoweit sie auf Gemeinschaftsebene vorgesehen sind, an Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte des geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, aber mit Ausnahme von Patenten. Die Richtlinie gilt hingegen nicht für Verletzungen eines Rechts an geistigem Eigentum im Zusammenhang mit Patentrechten, Gebrauchsmustern und Sortenschutzrechten sowie für Parallelimporte von Originalwaren aus einem Drittland, die vom Rechtsinhaber zugelassen sind. Des Weiteren ist laut Art. 2 unter der »Verletzung in gewerbsmäßigem Umfang« jede Verletzung eines Rechts an geistigem Eigentum zu verstehen, mit der gewerbliche Vorteile erzielt werden sollen. Handlungen privater Nutzer für persönliche und nicht gewinnorientierte Zwecke sind davon nicht umfasst. Art. 4 der Strafrechtsrichtlinie führt neben der Freiheitsstrafe für natürliche Personen und der Geldstrafe für natürliche und juristische Personen insbesondere auch die Gewinnabschöpfung und Einziehung obligatorisch ein; die Vernichtung von Gegenständen und Produktionsmaschinen, die Geschäftsschließung, das Berufsverbot sowie die Urteilsveröffentlichung hingegen sind »geeigneten« Fällen vorbehalten. Art. 5 bestimmt den Strafrahmen: Danach muss die Freiheitsstrafe im Höchstmaß mindestens vier Jahre betragen; die Geldstrafe im

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Höchstmaß mindestens 100.000 €, bei kriminellen Vereinigungen oder Gesundheitsgefährdungen mindestens 300.000 €. Im übrigen können gemäß Art. 9 die betroffenen Rechteinhaber an den Ermittlungen direkt beteiligt werden; zudem wird in Art. 11 ausdrücklich festgelegt, dass es sich bei Verletzungen gewerblicher Schutzrechte nicht um Antragsdelikte handelt. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, lässt sich in rechtsvergleichender Hinsicht sagen, dass zur Zeit nur ein gutes Viertel der Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten den neuen Vorgaben gerecht wird, so etwa die Niederlande, Spanien, Frankreich, Großbritannien und mit gewissen Einschränkungen die Bundesrepublik Deutschland.32 Viele andere Mitgliedstaaten, darunter Österreich, Italien oder Dänemark, müssten im Falle des Inkrafttretens der Richtlinie bei den Freiheitsstrafen, bei den Geldstrafen oder bei beiden z.T. noch umfassende Neuregelungen vornehmen. Allgemein ist festzustellen, dass in vielen EULändern die vom Gesetz vorgesehenen Freiheitsstrafen oder auch hohen Geldstrafen in der Praxis so gut wie nie ausgesprochen werden.33 Oft bewegt sich der Strafrahmen in der Größenordnung von 500 € bis 2000 €, in schwereren Fällen werden in der Regel Bewährungsstrafen verhängt; zur Verhängung von Freiheitsstrafen kommt es regelmäßig erst bei Wiederholungstätern.34 Vor allem Gewinnabschöpfung, Betriebsuntersagung und Urteilsveröffentlichung sind bisher nur vereinzelt geregelt.35 Auffällig ist auch, dass fast überall das Urheberrecht wesentlich stärker geschützt ist als Marken oder Patente.36 Im allgemeinen hat die geplante Strafrechtslinie schon im Vorfeld massive Kri-

32 Jan Wrede: Strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen Geistiges Eigentum in Europa, in: MarkeangenRecht 2006, 469 (473). 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Ebd. 569 (473).

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tik erfahren: Dem Max-Planck-Institut37 zufolge treten im Zusammenhang mit der Strafrechtsrichtlinie Kompetenzprobleme auf, weil die Regelungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips nicht unerlässlich seien, unter anderem wegen der ohnehin schon bestehenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 61 TRIPS-Übereinkommen. Die deutsche Bundesregierung38 befürwortet die Strafrechtsrichtlinie zwar im Grundsatz, betrachtet aber die Umschreibung des Tatbestandes in Art. 3 als zu unpräzise und die Einführung von Mindesthöchstgeldstrafen als »nicht akzeptabel«, das diese nicht mit dem in Deutschland geltenden Tagessatzsystem vereinbar seien. Der deutsche Bundesrat merkt an,39 dass – sofern mit den (auch) für juristische Personen vorgesehenen Geldstrafen echte Kriminalstrafen gemeint seien – dies für Deutschland als systemfremde Regelung abgelehnt werden müsse. Insbesondere könne die Regelung in Art. 9 der Richtlinie – wonach die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen sollen, dass die betroffenen Inhaber von Rechten geistigen Eigentums oder ihre Vertreter sowie Sachverständige an den von gemeinsamen Ermittlungsgruppen durchgeführten Untersuchungen mitwirken können – unter bestimmten Umständen eine Verletzung des den Ermittlungsbehörden obliegenden Gebotes der Unparteilichkeit bzw. einen Verstoß gegen die Wettbewerbsfreiheit bedeuten. Der

37 Reto Hilty, Annette Kur, Alexander Peukert: Stellungnahme des MaxPlanck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, in: KOM (2006), 168 endgültig, in: GRUR Int. 2006, 722 ff. 38 Vermerk der deutschen Delegation in Brüssel Nr. 15798/05 vom 19. Dezember 2005. 39 Vgl. dazu und zu weiteren Einzelheiten: Deutscher Bundestag. Wissenschaftliche Dienste Nr. 35/06 vom 22. Juni 2006, zu finden unter http:// www.bundestag.de/wissen/analysen/2006/Geaenderter_Richtlinienvorschla g_-_Geistiges_Eigentum.pdf.

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Europäische Rat selbst hält inzwischen ebenfalls Kompetenzprobleme für möglich und hat angeregt, diesen Aspekt sowie die Auswirkungen der Durchsetzungsrichtlinie vor einer Verabschiedung der Richtlinie zunächst noch näher zu untersuchen.40 Doch es gibt auch weniger moderate Stimmen: Der Markenverband e.V. etwa fordert die Einführung von »abschreckenden« Mindeststrafen,41 das Risiko einer Freiheitsstrafe müsse mehr als nur eine theoretische Option sein. Inzwischen, das heißt Ende September 2007, hat die Europäische Kommission in Reaktion auf die Entschließung des Europaparlaments vom 25. April 2007 sowie die zahlreichen kritischen Stellungnahmen einen Fragenkatalog an alle EU-Mitgliedstaaten übermittelt, um so eine umfassende, vergleichende Studie über die Situation des derzeit bestehenden strafrechtlichen Schutzes von Rechten des geistigen Eigentums in den einzelnen Mitgliedstaaten zu erstellen. Von den Ergebnissen dieser Erhebung, deren bisheriges Fehlen insbesondere von den Mitgliedstaaten selbst immer wieder moniert worden war, soll das weitere legislative Vorgehen abhängig gemacht werden. Der Gesetzgebungsprozess ist damit also zunächst ins Stocken geraten; die geplante Strafrechtsrichtlinie liegt vorerst auf Eis. Zusätzliche Unsicherheit hat ein Ende 2007 ergangenes EuGH-Urteil42 gebracht, mit dem der Ge-

40 Pressemitteilung Nr. 13068 vom 6. Oktober 2006. 41 Pressemitteilung vom 4. Juli 2006, unter http://www.markenverband.de 42 EuGH C-440/05 – Urteil vom 23. Oktober 2007 (Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union), u. a. zu finden unter http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/eugh/05/c-440-05.php. Einer der entscheidenden, für die hiesige Problematik relevanten Leitsätze lautet: »Bestimmungen wie die Art. 4 und 6 des Rahmenbeschlusses 2005/667, die Art und Maß der strafrechtlichen Sanktionen betreffen, fallen nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft und hätten daher von dieser nicht wirksam erlassen werden können. Da die Art. 4 und 6 des Rahmenbeschlusses 2005/667 untrennbar mit dessen Art. 2, 3 und 5 sowie alle vorgenannten

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richtshof den Rahmenbeschluss 2005/667 der EU zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung wegen Verstoßes gegen den Vorrang des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, Art. 47 EU-Vertrag, für nichtig erklärt hatte. Welche Perspektiven und Konsequenzen ergeben sich aus dem soeben Dargelegten mit Blick auf die künftige Ausgestaltung des deutschen Strafrechts im Bereich des Schutzes geistigen Eigentums? In strafrechtlicher Hinsicht kann der in Deutschland gewährte Schutz des geistigen Eigentums derzeit im europäischen und internationalen Vergleich aus Sicht europa- und welthandelsrechtlicher Vorgaben als beinahe »mustergültig« bzw. »vorbildlich« bezeichnet werden. Getrübt wird dieses Bild einzig durch den aufgezeigten Umstand, dass in diesem Bereich die deutschen Strafrahmen von einheitlich bis zu drei respektive fünf Jahren Freiheitsstrafe auf nationaler Ebene entgegen Art. 61 TRIPS-Abkommen möglicherweise nicht denjenigen von Delikten vergleichbarer Bedeutung – etwa denen des Diebstahls oder der Hehlerei – entsprechen. Wäre dies ein nun ein Grund für die Erhöhung der derzeit geltenden Strafrahmen? Besteht gar insgesamt und unabhängig von dieser konkreten Fragestellung die Notwendigkeit einer Verschärfung der nationalen strafrechtlichen Maßnahmen? Welche Rolle sollte das Strafrecht beim Schutze geistigen Eigentums ganz grundsätzlich spielen? Gewiss stellt der Verstoß gegen Schutzvorschriften des geistigen Eigentums keine Bagatelle dar. Ein lapidares »Entschuldigung, das hab’ ich mir erlaubt« genügt als Antwort auf begangene Verletzungen in diesem Bereich zweifelsohne nicht. Anlässlich des Welttags des Schutzes des geistigen Eigentums am 26. April 2008 betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sowohl Erfindungen als auch künstlerische Leistungen einen besonderen Respekt in unserer Gesellschaft verdienten; ihr Diebstahl sei nicht etwa ein Bagatelldelikt, sondern es

Artikel untrennbar mit den Art. 7 bis 12 des Rahmenbeschlusses verbunden sind, ist dieser insgesamt für nichtig zu erklären«.

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müsse ein sorgfältiger Umgang mit diesen Leistungen in unserer Gesellschaft verankert werden.43 Gleichwohl ist hier wie andernorts das Strafrecht oder gar dessen viel beschworene »Verschärfung« weder der Weisheit letzter Schluss noch Mittel der Wahl, um bestehende gesellschaftliche Missstände zu beheben. Im Reigen der in Betracht kommenden Reaktionsmöglichkeiten auf Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums kann und darf das Strafrecht – wie in allen Bereichen – immer nur ultima ratio sein. Primär Platz zu greifen hat stattdessen das Zivilrecht mit seinen spezifischen Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere dem System der Schadensersatzleistungen, das seinerseits sehr nachhaltige Wirkungen zeitigen kann. Umso erfreulicher und zugleich erstaunlicher – da dem gegenwärtigen Trend in vielen anderen Bereichen entgegengesetzt – ist insofern die relative Zurückhaltung, die derzeit sowohl von der Legislative auf Europaebene als auch vom deutschen Gesetzgeber bei der (Neu-) Ausgestaltung strafrechtlicher Bestimmungen gegen Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums geübt wird. So enthält beispielsweise der »Zweite Korb«44 der Reform des UrhG keine die Strafvorschriften in den §§ 106 ff. UrhG unmittelbar betreffenden Änderungen wie etwa eine Ausweitung der Strafrahmen. Auch die durch das »Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums« bewirkten Änderungen auf strafrechtlichem Gebiet sind – wie gerade gesehen – nur marginal.45

43 Vgl. Video-Podcast der Bundeskanzlerin vom 26. April 2008, zu finden unter: http://www.bundeskanzlerin.de/nn_46996/Content/DE/Podcast/ 2008/2008-04-26-Video-Podcast/ 2008-04-26-video-podcast.html. 44 Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl. 2007 I, S. 2513 ff.), in Kraft getreten am 1. Januar 2008. 45 Vgl. oben.

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Es bleibt zu wünschen, dass die Forderung nach einer Verschärfung des Strafrechts, die von seiten der Interessenverbände46 der Inhaber geistiger Eigentumsrechte ebenso vehement und mit Nachdruck geäußert wird wie die Forderung nach einem Zugriff auf die Daten aus der zur Terrorbekämpfung geplanten Vorratsdatenspeicherung47 zwecks Erleichterung der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche48 – kein grundsätzliches Abrücken von diesem verhältnismäßig moderaten legislativen Kurs zu bewirken vermag. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die Notwendigkeit, dem massenhaften Missbrauch auf allen Feldern des geistigen Eigentums präventiv entgegenzuwirken und einen grundlegenden Mentalitätswandel beim Konsumenten herbeizuführen. Wichtig und unabdingbar sind insoweit die verstärkte Aufklärung und Sensibilisierung des Verbrauchers auf der Grundlage einer koordinierten internationalen Zusammenarbeit von Regierungen und Interessenverbänden.49 Es bedarf einer gesellschaftlichen Diskussion die deutlich macht: Das Erstellen von Raubkopien ist kein Kavaliersdelikt. Zu denken ist ferner an die Entwicklung neuer Technologien, die unter anderem das illegale

46 Vgl. etwa BDI, Stellungnahme zum geistigen Eigentum vom 23. August 2005, unter http://www.bdi-online.de/de/fachabteilungen/5495.htm. 47 Die konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung ist vom BVerfG für nicht verfassungsgemäß erklärt worden; vgl. BVerfG, Urteil v. 2. März 2010, BVerfG 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08. 48 Vgl. http://www.tagesschau.de/inland/vorratsdatenspeicherung42.html: Die Juristen beklagen, dass bislang kein direkter Zugriff auf die Daten für zivilrechtliche Zwecke vorgesehen ist: »Leider wird zur Abfrage der Adressen der jeweiligen Rechteverletzer nach wie vor ein Umweg über die Strafverfolgungsbehörden erforderlich sein.« Schon jetzt verschaffen sich Anwälte also durch Strafanzeigen Einsicht auf Verbindungsdaten. Künftig könnten die Informationen aus der Vorratsdatenspeicherung, ursprünglich zur Terrorbekämpfung gespeichert, auf diesen Weg ebenfalls zur Musikindustrie wandern. 49 Ebenso Wrede, a.a.O., 469 (476).

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Herunterladen und Kopieren rein tatsächlich verhindern können. Nicht zuletzt sollte beispielsweise auch über eine bessere materielle und personelle Ausstattung der Zollbehörden nachgedacht werden, bevor man auf eine verstärkte Appell- und Prophylaxewirkung durch erhöhte Strafandrohungen setzt und hofft. Eine solche Hoffnung – dies zeigt alle Erfahrung – wird nicht weit tragen.

III. Politikwissenschaftliche Analysen

Postindustrielle Verteilungskonflikte: Werte, Interessen und Institutionen T HOMAS R. E IMER

E INLEITUNG 1 Bis in die späten 1980er-Jahre galt die Regulierung Geistiger Eigentumsrechte als ein eher obskures Spezialgebiet, das fernab der öffentlichen Wahrnehmung von versierten Juristen, Ministerialbeamten und Fachpolitikern dominiert wurde. Seit Anfang des neuen Jahrtausends kann davon keine Rede mehr sein. Zwar werden rechtliche Detailfragen immer noch hauptsächlich in Fachkreisen erörtert, deren Auswirkungen jedoch werden gesellschaftlich immer kontroverser diskutiert. Die Debatten kreisen dabei um ethische Fragen wie etwa die Patentierung des menschlichen Genoms oder Lizenzgebühren für patentge-

1

Der Beitrag fasst vorläufige Ergebnisse aus einem von der ThyssenStiftung geförderten Projekt (Copyleft, Copytheft – Copyright? Die Regulierung von Eigentumsrechten im Bereich der Softwareentwicklung in den USA und der EU, Projektnummer 53240309) zusammen. Für wertvolle Hinweis und Unterstützung danke ich Sebastian Haunss (Universität Konstanz), Susanne Lütz (Freie Universität Berlin), Ingrid Schneider (Universität Hamburg) und Ken Shadlen (London School of Economics).

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schützte Medikamente, mit denen der Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln in den Entwicklungs- und Schwellenländern erschwert wird.2 Aber auch für die industrialisierte Welt wird der Nutzen temporärer Monopole immer stärker hinterfragt, wenn es bspw. um mögliche Wettbewerbsverzerrungen durch den Patentschutz auf Softwareprogramme geht.3 Ferner wird an der Debatte um die Verhinderung illegalen File-Sharings deutlich, dass der Schutz Geistiger Eigentumsrechte auch in der westlichen Welt mit anderen für wichtig erachteten Werten wie etwa dem Schutz der Privatsphäre oder der Meinungs- und Pressefreiheit kollidieren kann.4 Für Moíses Naím, den ehemaligen Direktor der Weltbank, zählt die Auseinandersetzung um das Geistige Eigentum zu den großen Kriegen des 21. Jahrhunderts.5 Die drastisch gesteigerte Konfliktintensität um die Regulierung Geistiger Eigentumsrechte erklärt sich aus handelspolitischen und technologischen Umwälzungen, die häufig unter dem Schlagwort der

2

John Barton, u.a.: Integrating Intellectual Property Rights and Development Policy, Report of the UK Sekretary of State for International Development Commission on Intellectual Property Rights, London 2002, 29ff.

3

Reinier Bakels: Study of the effects of allowing patent claims for computer-implemented inventions, Maastricht 2005; James Bessen u. Robert M. Hunt: An Empirical Look at Software Patents, in: Journal of Economics and Management Strategy 16 (2007) 157-189; Florian Müller: Die Lobbyschlacht um Softwarepatente, download unter http://www.heise.de/ software/download/dwl50839; Dietmar Harhoff, Intellectual property rights in Europe – where do we stand and where should we go?, Contribution to the project: Globalisation Challenges for Europe and Finland, 2006, 9, DIME Working Papers unter http://www.dime-eu.org/working-papers/ wp14 .

4

Matthew David u. Jamieson Kirkhope: New Digital Technologies: Privacy/Property, Globalization, and Law, in: Perspectives on Global Development and Technology 3 (2004), 437-449.

5

Moisés Naím: The Five Wars of Globalization, in: Foreign Policy, 2003: January/February, 29-37.

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»postindustriellen Gesellschaft« zusammengefasst werden. Zum einen führt die Globalisierung von Handelsbeziehungen dazu, dass der relative Preis für die klassischen Produktionsfaktoren, d.h. menschliche Arbeit, natürliche Ressourcen und Kapital, deutlich absinkt.6 Damit aber steigt die relative ökonomische Bedeutung des Wissens darüber, wie diese Faktoren zu neuen Produkten und in immer kostengünstigeren Fertigungsprozessen zusammengesetzt werden können.7 Für den Bereich literarischer oder musikalischer Werke gilt analog, dass die Kosten für die Fertigung der Medienträger kaum mehr eine Rolle spielen, so dass die Wertschöpfung sich auf die Inhalte konzentriert. Nicht mehr ein berührbares Objekt, sondern der immaterielle Inhalt gilt für Produzenten und Verleger als schützenswert. Gleichzeitig werden viele Inhalte – gleich ob es sich um Musikstücke, Texte oder technologische Innovationen handelt – in digitalisierter Form über das Internet kommuniziert. Mit der beschleunigten Verbreitung ist aus Sicht von Rechteinhabern die Gefahr verbunden, dass ihre Werke ohne Bezahlung herunter geladen, genutzt, modifiziert und eventuell sogar unautorisiert weiterverbreitet werden.8 Neben Forderungen nach höheren rechtlichen Schutzstandards setzen sie auch tech-

6

Robert W. McChesney (1998), »The Political Economy of Global Communication«, in: McChesney, Robert W. et al. (eds.), Capitalism and the Information Age. The Political Economy of the Global Communication Revolution, New York, 1-26. Douglass C. North u. John J. Wallis (1994), »Integrating Institutional Change and Technical Change in Economic History”, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 150(4), 609624.

7

Christopher May: The World Intellectual Property Organization and the Development Agenda, in: Global Governance 13 (2007), 161-170, hier 3ff. Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Münster 2006.

8

Lillian R. Bevier: Copyright, Trespass, and the First Amendment: An Institutional Perspective, in: Social Philosophy and Policy 21(2), (2004), 104147.

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nologische Hilfsmittel ein, um die perzipierte »Piraterie« einzudämmen. Diese wiederum aber bedrohen die Rechte der Konsumenten, wenn etwa sensible Daten ausgespäht werden oder auch Inhalte weggeschlossen werden, zu denen ein öffentlich ungehinderter Zugang eigentlich erlaubt wäre.9 Die Kommunikation geschützter Inhalte über das Internet führt auch dazu, dass Rechteinhaber weltweit einheitliche Schutzstandards fordern, um der Gefahr von Produkt- und Prozessimitationen jenseits der eigenen Landesgrenzen zu begegnen.10 Diesen Forderungen wird entgegen gehalten, dass damit entwicklungspolitischen Zielsetzungen etwa zur Verringerung des »digitalen Grabens« zwischen Nord und Süd unterminiert werden11 und die neuen Schutzstandards für Immaterialgüter – nicht nur in Diktaturen – dazu missbraucht werden können, um unerwünschte Meinungsäußerungen im Internet zu unterdrücken.12

9

Erwin Arkenbout et al.: Copyright in the information society: Scenarios and Strategies, in: European Journal of Law and Economics 17 (2004), 237-249; Ian Brown: The Evolution of Anti-Circumvention Law, in: International Review of Law, Computers and Technology 20(3 (2006), 239-260, hier 247.

10 Olivier Bomsel u. Anne-Gaelle Geffroy: DRMs, Innovation and Creation, in: Communications & Strategies 62 (2006), 35-47. 11 Gillian Davies: The public interest in public domain, in: Charlotte Waelde u. Hector MacQueen (Hg.): Intellectual Property. The Many Faces of the Public Domain, Cheltenham 2007, 86-97; Anuradha S. Chagti: Intellectual Property Rights and Development: Strategies for Developing Countries, in: Journal of Development and Social Transformation 3 (2007), 27-35; Margaret Chon: Copyright and Capability for Education. An Approach from Below, in: Tzen Wong u. Graham Dutfield (Hg.): Intellectual Property and Human Development. Current Trends and Future Scenarios. Cambridge 2010. 12 Hillary E. Pearson: Intellectual Property and the Internet, in: The Journal of World Intellectual Property 1 (1998), 827-840, hier 829f.; Julie E. Cohen:

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Insgesamt geht es in der Debatte um Anpassung von Schutzrechten an die neuen technologischen und ökonomischen Gegebenheiten also um die »autoritative Zuweisung von Werten«, mithin also um einen politischen Verteilungskonflikt. Die sozialwissenschaftliche Aufbereitung und Reflexion dieser Problematik hat jedoch erst in den letzten Jahren begonnen. Von daher soll in diesem Beitrag keine abgeschlossene Analyse des Politikfeldes vorgelegt werden. Vielmehr geht um einen Problemaufriss, innerhalb dessen erste Erkenntnisse und daran anschließende Forschungsfragen vorgestellt werden sollen. Dabei orientiert sich die Darstellung an drei zentralen Variablen – normativen Wertvorstellungen (1), Interessenkonstellationen (2) und institutionellen Konfliktbearbeitungsmechanismen (3). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der bislang vorliegenden Erkenntnisse und leitet daraus Desiderate für die weitere sozialwissenschaftliche Forschung ab.

W ERTVORSTELLUNGEN Soziale Konflikte können nur vor dem Hintergrund kulturell geprägter Wertvorstellungen verstanden werden, da nur so die Motivation politischer Akteure einigermaßen vollständig erfasst werden kann. Wertvorstellungen kommt dabei eine zweifache Wirkungsweise zu. Zum einen prägen sie die Problemwahrnehmung der am politischen Prozess Beteiligten. Sie dienen der Vergewisserung darüber, was eigentlich Gegenstand der Debatte sein soll und determinieren damit die Ontologie eines Konfliktgegenstands.13 Zum anderen verbinden Wertvorstellungen die diskutierte Problemlage mit darüber hinausreichenden Zielset-

Pervasively Distributed Copyright Enforcement, in: Georgetown Law Journal 95 (2006), 1-48, hier 40f. 13 Carter A. Wilson: Policy Regimes and Policy Change, in: Journal of Public Policy 20 (2000), 247-274, hier 257.

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zungen in Form einer Mittel-Zweck-Relation.14 In der Verknüpfung bestimmter regulativer Praxen mit allgemein für sozial wünschenswert gehaltenen Entwicklungen liegt die teleologische Funktion normativer Wertvorstellungen. Diese ist im öffentlichen Diskurs zumeist weit deutlicher wahrnehmbar als der ontologische Gehalt, da letzterer häufig implizit vorausgesetzt wird oder auf Traditionen zurückgeht, auf die die am Entscheidungsprozess beteiligten Akteure unreflektiert rekurrieren. Unter der Gefahr der Vereinfachung lassen sich für den Bereich Geistiger Eigentumsrechte vier voneinander verschiedene Komplexe von Wertvorstellungen unterscheiden. Diese können grob geografischen Räumen zugeordnet werden, innerhalb derer sich bestimmte Sichtweisen oft über Jahrhunderte hinweg fortentwickelt haben. Besonders deutlich wird dies im angloamerikanischen Rechtsraum, in dem ontologische und teleologische Grundannahmen bis heute eine spezifische Ausgestaltung aufweisen, die sich von den in anderen Weltgegenden dominanten Perspektiven signifikant unterscheiden. Grundlegend für das im Rechtsraum des Common Law vorherrschende Verständnis ist die als relativ problemlos angenommene Gleichsetzung von Eigentumsrechten für physische und immaterielle Güter.15 In beiden Bereichen wird basierend auf der eigentumsrechtlichen Theorie John Lockes (1632-1704) davon ausgegangen, dass dem Menschen ein »natürliches Recht« auf alles zukomme, was er durch

14 Judith Goldstein u. Robert O Keohane: Ideas and Foreign Policy: An Analytical Framework, in: dies. (Hg.): Ideas and Foreign Policy. Believes, Institutions, and Political Change, Ithaca 1993, 3-30; J. Rogers Hollingsworth: Doing institutional analysis: implications for the study of innovations, in: Review of International Political Economy 7 (2000), 595-644. 15 William Blackstone: Commentaries of the Law of England, 1765-1769, Buch II, 1. Kapitel, unter http://www.lonang.com/exlibris/blackstone/bla000.htm (Zugriff am 2. Januar 2007).

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seine Arbeit erwirtschaftet habe.16 Eigentum, und insbesondere auch Geistiges Eigentum, wird als konstitutiv für den Erhalt der eigenen Existenz angesehen17 und erhält damit, wie bspw. in den Vereinigten Staaten, Verfassungsrang. Die Analogie zwischen tangiblen und intangiblen Besitztümern wird dabei im US-Patentrecht besonders deutlich, wenn die Verletzung von Rechtstiteln in den Gesetzestexten metaphorisch mit dem unerlaubten Betreten eines Grundstückes (»trespassing«) gleichgesetzt wird.18 Dem Staat kommt in dieser Logik lediglich die Aufgabe zu, das (geistige) Eigentum seiner Bürger zu schützen und die Übertretungen dieser Rechte wirksam zu verhindern.19 Die ontologische Bestimmung von Eigentum als Freiheitsrecht wird teleologisch fortentwickelt.20 So wird, erstmals in der schottischen Moralphilosophie expliziert, das individuelle Streben nach Eigentum als gesamtgesellschaftlich wünschenswert gedeutet. Die Gier des Einzelnen nach Besitz, so die Grundannahme, dient als Motivation zur Arbeit und damit zur Produktion und vor allem auch Innovation von Gütern, die der Gesellschaft als Ganzes zugutekommen.21 Im Bereich menschlicher Erfinder- und Urhebertätigkeit ist es dadurch nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern utilitaristisch sogar geboten, die Ergebnisse individueller kreativer Tätigkeit vor einem finanziell unentgoltenen Zugriff zu schützen und denjenigen, der die Gesellschaft um

16 John Locke: Two Treatises of Government, London1978, 129f.. Peter Drahos: A Philosophy of Intellectual Property, Aldershot 1996, 32f. 17 Thomas Hobbes: Leviathan, Hamburg1996. 18 Sam Williams: Das Lieblingsgericht der Patentpiraten«, in: Technology Review,

13.02.2006,

http://www.heise.de/tr/Das-Lieblingsgericht-der-

Patentpiraten--/artikel/69502, abgerufen am 20.03.2007. 19 J. Locke a.a.O., 188. 20 P. Drahos, a.a.O., 25ff. 21 Victor Mayer-Schönberger: In search of the story: narratives of intellectual property, in: Virginia Journal of Law and Technology 10 (2005), 1-19.

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wichtige technologische Neuerungen bereichert, mit einem temporären Veräußerungsmonopol, z.B. einem Patent, zu belohnen.22 Bei aller empirisch vorfindbaren Varianz lassen sich für den kontinentaleuropäischen Raum insgesamt deutliche Abweichungen von den angloamerikanischen Wertvorstellungen konstatieren. Die eigentumsbezogenen Rechtstraditionen des Mittelalters und der frühen Neuzeit schließen hier ungebrochen an Vorstellungen des Römischen Rechts an, nach denen dem Souverän einer territorialen Einheit ein Obereigentum (»dominium directum«) zukommt, dem individuelle Eigentumstitel untergeordnet bleiben.23 Im Zeitalter der Aufklärung wird lediglich die Vorstellung des Souveräns demokratisiert und der Fürst durch die »volonté générale« ersetzt.24 Es bleibt aber dabei, dass die Berechtigung zu Eigentumstiteln als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Individuum und Gesellschaft gedeutet wird.25 Die enge Bindung von Eigentumsansprüchen an das Gemeinwohl prägt auch das Rechtsverständnis der Redaktoren des Bürgerlichen Gesetzbuches im

22 Thomas R. Eimer u. Annika Philipps: Cooperation without harmonization: The U.S. and the European patent system, Konferenzpapier für: ECPR Joint Sessions, Workshop Nr. 14: The Politics of Intellectual Property, vom 11. bis 16. April 2008 in Rennes. 23 Hugo Grotius: Vom Recht des Krieges und des Friedens, Tübingen1950, 158ff., Samuel Pufendorf: Die Verfassung des deutschen Reiches, Stuttgart 1994, 200f.; Manfred Brocker: Arbeit und Eigentum: Der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie, Darmstadt1992, 73 ff. 24 Michaela Rehm: ’Ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem’: Rousseaus bedingte Legitimation des Privateigentums, in: Andreas Eckl, u. Bernd Ludwig (Hg.): Was ist Eigentum? Philosophische Positionen von Platon bis Habermas, München 2005, 103-117, hier 104ff. 25 Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, Hamburg1966, 73 ff. et pass.

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19. Jahrhundert26 und behält auch bei der Formulierung des Grundgesetzes der Bundesrepublik (Art. 14 GG) ihre Wirksamkeit. Mit dieser Verzahnung wird im Gegensatz zur Rechtstradition des Common Law auch eine teleologisch-utilitaristische Rechtfertigung Geistigen Eigentums verunmöglicht. Im kontinentaleuropäischen gesamtgesellschaftlichen Klima des 19. Jahrhunderts bleibt die Legitimität vor allem von Patentrechten überaus strittig27 wie sich bspw. an der kompletten Abschaffung des Patentwesens in den Niederlanden oder in der Schweiz zeigen lässt.28 Wenn überhaupt, so lassen sich hier temporäre Monopole als Gegenleistung des Staates für die Offenlegung technologischen Wissens rechtfertigen.29 Auf die Fiktion eines Sozialkontrakts zwischen Patentanmelder und Öffentlichkeit berufen sich Akteure im Bereich der EU auch noch heute.30 Während die ökonomische Rechtfertigung von Monopolrechten in Europa nur bedingt Fuß fassen kann, erhält aber ein anderer Gedankengang eine deutliche Prägekraft. Aus der Tatsache, dass menschliche Kreativität eng an den individuellen Schöpfergeist gebunden ist, wird

26 Reinhold Johow: Sachenrecht. Teil 1 Allgemeine Bestimmungen, Besitz, und Eigentum, in: Werner Schubert (Hg.): Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1982, § 85. 27 Z.B. Pierre Joseph Proudhon: System of Economical Contradictions: or, The Philosophy of Poverty, 5. Kapitel, Abs. 3, unter http://www.marxists. org/reference/subject/economics/Proudhon/philosophy/index.htm

letzter

Zu-griff am 3.12.2006. 28 Fritz Machlup u. Edith Penrose: The Patent Controversy in the Nineteenth Century, in: Ruth Towse, u. , Rudi Holzhauer (Hg.): The Economics of Intellectual Property II, Cheltenham 2002, 8-36, hier 12. 29 Mariam Schamlu: Patentschriften – Patentwesen. Eine argumentationstheoretische Analyse, München1985. 30 European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission: Opinion on the Ethical Aspects of Nanomedicine, Luxemburg 2007.

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in Frankreich und Deutschland, nachfolgend auch in anderen kontinentaleuropäischen Staaten, abgeleitet, dass Urheber künstlerischer und wissenschaftlicher Werke vor der Ausbeutung ihrer Persönlichkeit durch die gesellschaftliche Nutzung ihres Schaffens geschützt werden müssen, selbst wenn sie eine ökonomische Entlohnung erhalten haben.31 Die hieraus gerechtfertigten Persönlichkeitsrechte (etwa zum Schutz vor Verfremdung oder Zerstörung eines Werkes) bilden das teleologische Korrelat zum ontologisch angenommenen Interessenausgleich zwischen Individuum und Gesellschaft. Für den angloamerikanischen Rechtsraum, in dem Geistige Eigentumsrechte als Stimulus von Innovationstätigkeit zwecks Hebung des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts gedeutet werden, machen sie keinen Sinn und sind hier auch nur rudimentär nachweisbar.32 Bei allen Unterschieden zwischen dem angloamerikanischen und dem kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis besteht doch ein grundlegender Konsens darüber, dass Innovationen und kreative Leistungen einem einzelnen Individuum zugeordnet werden können. Hierin unterscheiden sich die Ansätze beider Rechtsräume deutlich von Vorstellungen, die in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern dominieren. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Betonung von individueller Originalität in eher gemeinschaftsbezogenen

31 P. Drahos, a.a.O.,75ff.; Jane Ginsburg: Une Chose Publique? The Author's Domain and the Public Domain in Early British, French and US Copyright Law, in: Cambridge Law Journal 65 (2006), 636ff.; Pascal Oberndörfer:, Die philosophische Grundlage des Urheberrechts, Baden-Baden 2003, 102ff. 32 Jochen Dieselhorst: Was bringt das Urheberpersönlichkeitsrecht? Urheberpersönlichkeitsrechte im Vergleich: Deutschland – USA, Frankfurt a. M. 1994, 13f.; Annabelle Littoz-Monnet: Copyright in the EU: droit d'auteur or right to copy?, in: Journal of European Public Policy 13 (2006), 438455, hier 440f.; Shelly Warwick: Is Copyright Ethical?, in: Richard A. Spinello u. Herman T. Tavani (Hg.): Readings in CyberEthics, Sudbury 2001, 263-279, 273.

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Gesellschaftsordnungen in den Hintergrund tritt und die Imitation von Ideen und Werken somit kaum als moralisch verurteilenswert gilt, sondern eher als Kompliment für den ersten Erfinder bzw. Urheber verstanden werden kann.33 An dieser Stelle ist es nicht möglich, einen Überblick über die in den verschiedenen Kulturräumen Asiens, Afrikas und Südamerikas vorherrschenden Vorstellungen von menschlicher Kreativität und die darauf bezogenen eigentumsrechtlichen Regulierungsdesiderate zu geben. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist dies aber auch gar nicht erforderlich, da die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer zunächst durch die Kolonialisierung und im späten 20. Jahrhundert durch die Einbeziehung in das westliche Handelsregime meist gar nicht erst in die Lage versetzt worden sind, eigene eigentumsrechtliche Regulierungen zu entwerfen und fortzuentwickeln.34 Vor dem Hintergrund der Aufoktroyierung westlicher Standards und den häufig als nachteilig empfundenen Folgen westlicher Patentund Urheberrechtsansprüche35 wird jedoch nachvollziehbar, dass die westliche Regulierungspraxis von den Entscheidungsträgern der südlichen Hemisphäre häufig als Instrument zur Aufrechterhaltung der

33 Bruce G. Carruthers u. Laura Ariovich: The Sociology of Property Rights, in: Annual Review of Sociology 30 (2004), 23-46. 34 Peter Drahos: An Alternative Framework for the Global Regulation of Intellectual Property Rights, in: Journal für Entwicklungspolitik 21 (2005), 44-68. 35 Ugo Pagano: Cultural globalisation, institutional diversity and the unequal accumulation of intellectual capital, in: Cambridge Journal of Economics 31 (2007), 649-667; Tomas A. Lipinski u. Johannes J. Britz: Rethinking the ownership of information in the 21st century: Ethical implications, in: Ethics and Information Technology 2 (2000), 49-71,63; Carlos M. Correa: Traditional Knowledge and Intellectual Property. Issues and options surrounding the protection of traditional knowledge, Disussion Paper commissioned by The Quaker United Nations Office. Genf 2001.

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westlichen ökonomischen Dominanz gedeutet wird.36 An diese ontologische Fundamentannahme schließt sich häufig die teleologische Deutung an, dass die Rechtsinstitute westlichen Zuschnitts abgelehnt oder, wo dies aufgrund von wirtschaftlichen Zwänge nicht möglich ist, zumindest in ihrer Wirksamkeit beschränkt werden müssten, um die Verbreitung von Wissen nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen.37 Von den Wertvorstellungen der Entscheidungsträger in Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Perspektive dort lebender indigener Bevölkerungsgruppen noch einmal abzugrenzen. Gerade in diesen häufig im eigenen Land marginalisierten Gruppen haben sich Wissensbestände bspw. über die Fertigung von Heilmitteln und Kosmetika oder zur künstlerischen Bearbeitung natürlicher Materialien sowie Überlieferungen musikalischer und lyrischer Ausdrucksweisen erhalten, die in den letzten Jahren von westlichen Unternehmen der Life Sciences oder Unterhaltungsindustrie systematisch aufgespürt und einer ökonomischen Verwertung in der OECD-Welt zugeführt werden.38 Dabei haben indigene Gruppen eigene Ansichten zur Genese von Wissen wie auch zu Modalitäten der Verbreitung und Verknappung dieser Wissensbestände entwickelt. So geht es hier ontologisch gerade nicht um die Definition von individuell zuordnungsfähigen Rechtstiteln, sondern um kollektive Schöpfungen, bei denen die Urheberschaft häufig transzendentalen Entitäten (Göttern, Dämonen oder

36 M. Chon: Copyright and Capability for Education; Joseph Straus u. NinaSophie Klunker: Harmonisierung des internationalen Patentrechts, in: GRURInt 72 (200), 91-104. 37 Pedro de Paranagua Moniz: The Development Agenda for WIPO: Another Stillbirth? A Battle Between Access to Knowledge and Enclosure (July 1, 2005), unter : http://ssrn.com/abstract=844366 38 Correa., a.a.O.; Horst-Peter Götting: Biodiversität und Patentrecht, in: GRURInt 9 (2004), 731-736.

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einer pantheistisch gedeuteten Natur) zugeschrieben wird.39 In teleologischer Perspektive geht es nicht darum, Wissensbestände durch Eigentumstitel in eine Warenform zu überführen und dem Markttausch zugänglich zu machen. Ganz im Gegenteil dienen indigene Immaterialgüterregulierungen dem Erhalt sozialer Kohäsion innerhalb einer Stammesgruppe und konstituieren die Identität von an sich bedrohten Gesellschaften.40 Derartige Vorstellungen sind mit dem westlichen Verständnis immaterialgüterrechtlicher Regulierung kaum kompatibel. In der Zusammenschau aller Wertvorstellungen zur Regulierung Geistiger Eigentumsrechte ergibt sich somit eine verwirrende Varianz. In ontologischer Hinsicht lässt sich ein Spektrum von rein individuellen, quasi naturrechtlichen Schutzansprüchen (angloamerikanische Tradition) bis hin zu rein kollektivistischen Zuschreibungen (indigene Bevölkerungen) aufweisen. Die teleologische Rechtfertigung immaterialgüterrechtlicher Regulierungen reicht von der Annahme der Gemeinwohlförderung durch Innovationsstimuli über regulative Ausgleichserfordernisse (Europa) bis hin zur grundlegenden Ablehnung temporärer Monopole aus der angenommenen Priorität einer möglichst ungehinderten Verbreitung technologischen und kulturellen Wissens (Entwicklungs- und Schwellenländer). Dieser Befund wirft verschiedene Fragen auf, die nur durch weitere Forschung beantwortet werden können. So gilt es zu klären, welche Rolle die verschiedenen Wertvorstellungen für die politischen Aushandlungsprozesse auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene spielen. Damit verbunden ist die Frage danach, inwieweit diskursive, aber auch persuasive oder ggf. auch manipulative Strategien

39 Stephen B. Brush: Whose Knowledge, Whose Genes, Whose Rights?, in: ders. u. Doreen Stabinsky (Hg.): Valuing Local Knowledge. Indigenous People and Intellectual Property Rights, Washington1996, 1-24. 40 Sabil Francis: IPR in Traditional Knowledge: Looking at the »arogyapacha« Case in Kerala, India, Paper prepared for the ECPR Joint Sessions, Workshop No. 14 »The Politics of Intellectual Property«, Rennes, vom 11. bis 16. April 2008. (2008),

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die Wahrscheinlichkeit bestimmter Politikergebnisse im Bereich der Immaterialgüterregulierung beeinflussen können. Schlussendlich ist auch danach zu fragen, ob die andauernde globale Auseinandersetzung über die Wert- und Schutzzuweisungen für Immaterialgüter zu einer Annäherung oder gar Konvergenz der diesbezüglichen ontologischen und teleologischen Vorstellungen führt.

I NTERESSENKONSTELLATIONEN Wertvorstellungen und Interessen teilen die Eigenschaft, dass sie nicht unabhängig von Akteuren wirken können, von denen sie vorgetragen und in die Debatte um regulative Standards eingebracht werden. Im Gegensatz zu Wertvorstellungen, die potenziell auch dem Nutzenkalkül von Akteuren entgegenstehen können, sind Interessen jedoch eng verbunden mit der Aussicht auf persönliche Vorteile, die ihre Protagonisten mit bestimmten Politikergebnissen verbinden. Dabei geht es nicht zwangsläufig um materielle Profite, wenn diese auch vielfach im Vordergrund stehen und am einfachsten nachzuvollziehen sind. Häufig korrelieren bestimmte Interessen mit der Rolle, die Akteure in Produktions- und Konsumptionsprozessen einnehmen. Dies gilt auch für den Bereich Geistiger Eigentumsrechte, in dem sich, stark vereinfacht, drei verschiedene Akteursgruppen ausmachen lassen, deren nachfolgende Darstellung sich an der Fiktion einer chronologischen Abfolge von Kreation, Distribution und Konsumption immaterieller Güter orientiert. So stehen, idealtypisch betrachtet, die Urheber/Erfinder am Anfang der Wertschöpfungskette. Als »Wissensarbeiter«41 bestreiten Schriftsteller, Wissenschaftler, Komponisten, Musiker und Erfinder ihren Lebensunterhalt damit, dass sie die jeweilige Gesellschaft mit technologischen Neuerungen versorgen, Wissensbestände systematisieren, neue Erkenntnisse generieren oder mit ihren Schöpfungen kulturelle Be-

41 Susan Strange: The Retreat of the State: The Diffusion of Power in the World Economy, Cambridge 1996, 52.

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dürfnisse befriedigen. Sofern ein direkter Bezug zwischen der Bereitstellung von Wissensinhalten und der Entlohnung von Wissensarbeitern dominiert, haben Urheber und Erfinder ein Interesse an Regulierungen, die den Zugang zu ihren Erzeugnissen verknappen und ihnen damit einen Warencharakter verleihen, für den dann im Zuge marktwirtschaftlicher Tauschprozesse ein Preis verlangt werden kann.42 Wenn Urheber und Erfinder direkt vom Verkauf ihres Geistigen Eigentums leben, sind sie somit an möglichst umfassenden und effektiven Schutzstandards interessiert. Allerdings ist der direkte Bezug zwischen der Bereitstellung von Wissen und materieller Entlohnung nicht unbedingt der Regelfall. Wissenschaftler beziehen in Form eines Gehalts von Seiten der öffentlichen Hand eine Pauschalzahlung unabhängig vom direkten Markttausch. Die Verbreitung ihrer Schriften führt zu einer Erhöhung des Sozialprestiges, das wiederum den Karriereaufstieg begünstigt. Open Source Programmierer leben nicht von der Entwicklung ihrer Programme, sondern von Beratungsleistungen oder nutzen die frei zugängliche Präsentation des von ihnen geschaffenen Quellcodes als »Visitenkarte« für eine Anstellung in einem Unternehmen.43 Und weniger bekannte Musiker finanzieren sich nicht über Lizenzzahlungen für die Reproduktion ihrer Werke, sondern über Life-Konzerte. In all diesen Fällen steht die Verbreitung der generierten Inhalte für die Urheber im Vordergrund, selbst wenn damit keine finanzielle Entlohnung verbunden ist. Im Gegenteil kann durch eine allzu effektive Verknappung –

42 F. Willem Grosheide:In search of the public domain during the prehistory of copyright law, in: Ch. Waelde u. H. MacQueen (Hg.), Intellectual Property a.a.O., 2; Ferdinand Melichar: Verleger und Verwertungsgesellschaften, in: ders. (Hg.): Urheberrecht in Theorie und Praxis. Beiträge zum Urheberrecht 1975-1998, Tübingen 1999, 74-86, hier 74f. 43 James Bessen: Open Source Software: Free Provision of Complex Public Goods, in: Open Source 7 (2005), 1-29; Birger P. Priddat, u. Alihan Kabalak: Open Source als Produktion von Transformationsgütern, in: Bernd Lutterbeck, et al. (Hg.): Open Source Jahrbuch 2006, Berlin 2006, 109-122.

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etwa durch technologische Schutzmaßnahmen, die den Zugang zu Film- oder Musikwerken blockieren – für Urheber ein Popularitätsverlust eintreten, der sie erheblich stärker schädigt als die unautorisierte Reproduktion ihrer Werke.44 Wenn für Urheber/Erfinder die Aufrechterhaltung oder Steigerung des Sozialprestiges entweder in Fachgemeinschaften oder der breiten Öffentlichkeit im Vordergrund steht, haben sie allerdings ein starkes Interesse daran, dass bei der Verbreitung ihrer Werke die Integrität ihres Schaffens bewahrt wird. Von daher drängen Urheber häufig auf den Erhalt oder ggf. auch Ausbau der Urheberpersönlichkeitsrechte, mit denen die Verfremdung, Sinnentstellung oder Zerstörung ihrer Werke unterbunden wird. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass für das Publikum die Authentizität des Werkes und die Zuordnung zu einem bestimmten Urheber/Erfinder klar erkennbar ist. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil die auf Sozialprestige beruhenden Geschäftsmodelle45 nur bei einer eindeutigen Zuordnung von Werk und Urheber funktionieren können.46 Einen Spezialfall in dieser Logik bilden die Interessen der Bewahrer traditionaler Wissensbestände in indigenen Bevölkerungen (Schamanen, Medizinmänner etc.). Hier dient die Authentizität der überlieferten Inhalte dazu, die soziale Rolle ihrer Bewahrer innerhalb der Stammesgemeinschaft sicherzustellen.

44 Volker Grassmuck: Of Price Discrimination, Rootkits and Flatrates, in: Hans-Jörg Kreowski (Hg.): Informatik und Gesellschaft, Bd. 4: Verflechtungen und Perspektiven, Berlin 2008, 83-102. 45 Matthias Stürmer u. Thomas Myrach: Open Source Community Building, in: Lutterbeck, Bernd et al. (Hg.), B. Lutterbeck, et al. (Hg.): Open Source Jahrbuch 2006, 219-234; Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution – Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern, Hannover 2005, 67f. 46 Brendan Scott: BSD – The Dark Horse of Open Source, unter http:// www.groklaw.net/articlebasic.php?story=20070114093427179;

Kimmo

Nikulainen: Open Source Software: Why is it here and will it stick around?, in: Scricpt-ed 1 (2004), 136-159.

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Während also die Interessen von Urhebern und Erfindern sehr heterogen sind, kann für die Akteursgruppe der Wissensverwerter davon ausgegangen werden, dass ihr Hauptaugenmerk auf der Realisierung direkter finanzieller Vorteile liegt. Das heißt nicht unbedingt, dass sie die Werke geistigen Schaffens per se schützen wollen. Ganz im Gegenteil versuchen sie, die Preise für das »Rohmaterial« möglichst gering zu halten, wenn sie bspw. Regulierungen ablehnen, bei denen die Nutzung traditionaler Wissensbestände an eine ökonomische Entschädigung der indigenen Bevölkerungen geknüpft wird. Wissensverwerter sind aus nahe liegenden Gründen erst dann an einem eigentumsrechtlichen Schutz interessiert, wenn sie selbst über die weitere Verwendung von kreativen Inhalten verfügen können. Die Bedeutung von Medien- und Industrieunternehmen liegt in erster Linie darin, dass sie eine Organisationsstruktur bereitstellen, innerhalb derer sich größere Projekte zur Generierung neuer Inhalte bewerkstelligen lassen und die tangiblen Medien technologischer Innovationen und kultureller Kreationen (z.B. Software, Pharmazeutika, Bücher, CDs etc.) industriell gefertigt werden. Daneben übernehmen sie aber auch Marketingfunktionen, durch die überhaupt gewährleistet wird, dass die kreativen Inhalte der Urheber und Erfinder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die oft mit hohem Aufwand verbundenen Investitionen können nur getätigt werden, wenn eine finanzielle Entschädigung von Seiten der konsumierenden Öffentlichkeit gewährleistet ist. Vor diesem Hintergrund drängen die Wissensverwerter auf Regulierungen, mit denen die Zugangsmöglichkeiten zu den von ihnen kontrollierten Erzeugnissen kreativen Schaffens beschränkt werden.47 Ihre

47 Olga Drossou u.a.: Der Kampf um die Innovationsfreiheit: Der Bit Bang des Wissens und seine Sprengkraft, in: dies. (Hg.): Die wunderbare Wissensvermehrung. Wie Open Innovation unsere Welt revolutioniert, Hannover 2006, 1-10, hier 1 f.; Ian Kerr u. Jane Bailey: The Implications of Digital Rights Management for Privacy and Freedom of Expression, in:

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Geschäftsmodelle basieren darauf, dass die Nutzung von Inhalten an die Zahlung von Lizenzgebühren gebunden wird oder aber – im Falle technologischer Innovationen – Nachahmerprodukte sowie die Imitation von Produktionsprozessen zumindest für eine gewisse Zeit vom Markt ferngehalten werden können, so dass sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung amortisieren lassen. Dabei verlassen sich die Verwerter kreativer Inhalte nicht ausschließlich auf rechtliche Regulierungen, sondern bauen auch auf technologische Zugangssperren, mit denen bspw. der Zugriff auf digitalisierte Werke im Internet erschwert wird. Da diese technologischen Schutzmechanismen aber immer wieder von versierten Nutzern überwunden werden können, drängen sie darauf, dass die Zugangssperren selbst rechtlich geschützt werden. Die Interessen der Wissensverwerter stehen häufig in diametralem Widerspruch zu denen der konsumierenden Öffentlichkeit. Diese ist hauptsächlich an einem kostengünstigen, wenn nicht sogar kostenlosen Zugriff auf die Erzeugnisse kreativen Schaffens interessiert.48 In Bezug auf Unterhaltungsgüter (Musik, Filme, Computerspiele etc.) wird dies zumeist mit den überzogenen Preisvorstellungen der Wissensverwerter begründet, die ihre Produkte aufgrund von oligopolistischen Marktkonstellationen häufig weit über den Grenzkosten anbieten. Im Hinblick auf existenziell wichtige Wissensgüter (z.B. Schul- und Lehrbuchmaterialien, Artikeldatenbanken) wird dagegen meist darauf verwiesen, dass der gesellschaftliche Bedarf an einem erleichterten Zugriff höher zu gewichten sei als ökonomische Partikularinteressen. Oft werden beide Argumentationsstränge auch miteinander verbunden, wenn es bspw. um lebenswichtige Medikamente geht, die aufgrund ihres Patentschutzes für die Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern unerschwinglich bleiben. In all diesen Fällen steht das Gewinnstreben marktwirtschaftlich organisierter Wissensverwerter

Journal of Information, Communication & Ethics in Society 2 (2004), 8797, hier 88f. 48 David Vaver: Publishers and Copyright: Rights without Duties?, in: Bibliotheksdienst 40 (2006), 743-750.

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gegen den Bedarf der Öffentlichkeit an einem möglichst ungehinderten Zugang zu Wissensgütern. Dieser wird häufig auch damit gerechtfertigt, dass die Entwicklung kreativer Inhalte nur auf Basis der Nutzung von Ideen möglich sei, die bereits in der Öffentlichkeit zirkulieren. Vor allem die Bestrebungen der Verwertungsindustrie, Inhalte durch technologische Sperren vor einem unautorisierten Zugriff zu schützen, werden häufig als gegenläufig zu öffentlichen Interessen betrachtet. So wird darauf verwiesen, dass diese häufig die Nutzerdaten von Internetdiensten ausspähen oder aber ohne explizite Einwilligung des Nutzers in die Tiefenschichten eines Computerbetriebssystems integriert werden. In beiden Fällen droht damit eine Verletzung der Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, wenn etwa Nutzerdaten ausgespäht werden oder die Konfiguration eines Computers ohne Zustimmung seines Besitzers einen Selbstzerstörungsmechanismus in Gang setzt, wenn der Nutzer vermeintlich oder tatsächlich geschützte Medieninhalte unautorisiert verwendet.49 Insgesamt wird kritisiert, dass die von der Verwertungsindustrie geforderten Schutzvorkehrungen – sei es die Preisgabe von IP Adressen durch Internetprovider oder gar die Sperrung von Internetseiten im Verdachtsfall von Schutzverletzungen – ein Klima der permanenten Kontrolle evoziere, mit dem letztlich die Grundwerte der Demokratie wie etwa Meinungs- und Pressefreiheit in Frage gestellt würden.50 Insgesamt lassen sich also höchst divergierende und höchst heterogene Interessen von Urhebern/Erfindern, Wissensverwertern und Öffentlichkeit konstatieren. Diese betreffen sowohl die Definition von Schutzstandards als auch die Frage nach der Priorität ihrer Durchset-

49 V. Grassmuck: Of Price Discrimination, Rootkits and Flatrates, 83ff. . 50 Lars Bretthauer: Intellectual Property in the Digital Movie Industry – Conflicts between Artists, Companies and Consumers in Germany, Paper prepared for the ECPR Joint Sessions, Workshop No. 14 »The Politics of Intellectual Property«, Rennes, 11-16 April 2008, 9f. et pass; Julie E. Cohen: Pervasively Distributed Copyright Enforcement, in: Georgetown Law Journal 95 (2006), 1-48, hier 40f.

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zung im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Grundwerten. Angesichts der verflochtenen Konfliktlage stellt sich die Frage nach der Organisationsfähigkeit der einzelnen an bestimmten Politikergebnissen interessierten Akteure. Diese determiniert ihre Fähigkeit, ihre Interessen überhaupt in politische Entscheidungsprozesse einbringen können. Damit verknüpft ist die Frage, welcher Durchsetzungsinstrumente sich die verschiedenen Interessengruppen bedienen können, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Von der Beantwortung beiden Fragen hängt wiederum ab, wie die Machtverhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren eingeschätzt werden können. Hierbei ist zu beachten, dass Macht nicht automatisch aus der Verfügbarkeit materieller Ressourcen zur Beeinflussung von Entscheidungsträgern abgeleitet werden kann. Vielfach ist es wesentlich wichtiger, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, inwieweit das Verhalten von Akteuren die Präferenzbildung, Handlungsoptionen und strategischen Bündnismöglichkeiten ihrer Gegenspieler beeinflusst. Nur unter Berücksichtigung dieser strukturellen Machtkomponente können die Akteurskonstellationen adäquat bestimmt und kausal mit Politikergebnissen verknüpft werden.51 Eine weitere wichtige Frage ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive, welche Rolle dem Staat bei der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte zugeschrieben wird. Für viele Konflikte ist er nach wie vor das klassische Forum, innerhalb dessen ein Ausgleich zwischen divergierenden Interessen geschaffen wird. Aus dieser Perspektive steht der Staat für das Gesamt aller mit der Regulierung befassten Institutionen. Angesichts der zunehmend übernationalen Verregelung Geistiger Eigentumsrechte bspw. durch völkerrechtliche Verträge kann der Staat jedoch auch als Akteur angesehen werden, wobei empirisch zu überprüfen ist, welche – und wessen – Interessen er in die diesbezüglichen internationalen Verhandlungen einbringt. Diese Frage kann jedoch nur im Rückgriff auf die Analyse der mit der Regulierung befassten Institutionen beantwortet werden, um die es nachfolgend geht.

51 S. Strange: The Retreat of the State.

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I NSTITUTIONELLE K ONFLIKTBEARBEITUNG Institutionen können im weitesten Sinne als eine Art »Spielregeln« aufgefasst werden, unter denen die Konflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen ausgetragen werden.52 Die spezifische Ausgestaltung dieser Spielregeln hat einen starken Einfluss auf die Realisierungschancen bestimmter Politikergebnisse, da sie je nach Ausprägung bestimmte Akteurstrategien begünstigen, benachteiligen oder gar verunmöglichen. Dies gilt auch, wenn der Begriff von Institutionen enger gefasst wird und nur Organisationen, Gremien und Foren darunter verstanden werden, in denen politische Entscheidungen getroffen werden. Die Wahrscheinlichkeit bestimmter Politikergebnisse hängt somit davon ab, wie offen Institutionen sich aufgrund ihres Eigeninteresses gegenüber bestimmten Akteuren verhalten (Responsivität53) und welche Entscheidungsregeln (Mehrheitsbeschluss, Einstimmigkeit etc.) in den beteiligten Institutionen Anwendung finden.54 Die Analyse der institutionellen Konfliktbearbeitung kann dabei noch, wie etwa im Bereich der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte, dadurch erschwert werden, dass eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Entscheidungsgremien auf nationalstaatlicher, supra- und internationaler Ebene ineinander verflochten sind und auf die Regulierung der Konfliktstruktur einwirken. Nach wie vor werden immaterialgüterrechtliche Standards letztlich auf nationalstaatlicher Ebene formuliert und auch durchgesetzt. Dies

52 Douglass C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990, 3. 53 Mit Alemann wird hier Responsivität als »das Antworten, das Eingehen auf Bedürfnisse, die von der Gesellschaft artikuliert werden« verstanden. Ulrich von Alemann: Parteien und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Rekrutierung, Konkurrenz und Responsivität, in: polis-Heft 12 (1989), FernUniversität in Hagen. 54 Ellen M. Immergut: Health Politics. Interests and Institutions in Western Europe, Cambridge 1992.

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gilt selbst in besonders stark integrierten Räumen wie der Europäischen Union.55 Von daher spielt die institutionelle Ausgestaltung der nationalen Politikarena eine große Rolle. So kann bspw. der nationalstaatliche Parteienwettbewerb bei Europawahlen in Verbindung mit dem Verhältniswahlrecht öffentliche Interessen eher begünstigen,56 wenn etablierte Parteien die Konkurrenz neuer Gruppierungen wie etwa die in allen europäischen Staaten entstehenden Piratenparteien berücksichtigen müssen.57 Anders herum kann eine starke Stellung von Spezialgerichten für Geistiges Eigentum dazu führen, dass diese die Schutzstandards durch die Rechtsprechung erhöhen; um ihre Bedeutung zu steigern.58 Speziell für die Nationalstaaten in der EU gilt, dass die Kontrollmöglichkeiten der nationalen Legislativen über die exekutiven Verhandlungen im Rat der EU die endgültigen Politikergebnisse stark beeinflussen können. Umso offener und transparenter die nationa-

55 Guido Westkamp: The implementation of directive 2001/29/EC in the member states, Brüssel 2007; CEIPI : Impacts de la contrefacon et de la piraterie en Europe, Rapport Final. Strasbourg 2004 (Centre d'études internationales de la propriété industrielle). 56 Irina Michalowitz: EU Lobbying. Profis mit begrenzter Wirkung – warum der Einfluss der Interessensvertreter in Brüssel überschätzt wird, Deutsches Institut für Public Affairs, Working Paper No. 1 (2004); Richard Whitaker: National Parties in the European Parliament. An Influence in the Committee System?, in: European Union Politics 6 (2005), 5-28, hier 25; Pierre Hausemer: Participation and Political Competition in Committee Report Allocation. Under What Conditions Do MEPs Represent their Constituents?, in: European Union Politics 7 (2006), 505-530, hier 508. 57 Thomas R. Eimer: Decoding Divergence in Software Regulation: Paradigms, Power Structures, and Institutions in the U.S. and the EU, in: Governance 21 (2008), 275-296. 58 Adam B. Jaffe u. Josh Lerner: Innovation and its discontents. How Our Broken Patent System Is Endangering Innovation and Progress, and What To Do About It, Princeton, Oxford 2004; Ben Klemens: Math you can’t use. Patents, Copyright, and Software, Washington, D. C. 2006.

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le Gesetzgebung das Verhalten ihrer Regierung in europäischen Verhandlungen gestaltet, desto schwieriger ist es, Entscheidungen gegen den Willen größerer Teile der einheimischen Bevölkerung zu unterstützen. Generell gilt, dass die meisten Entscheidungsforen auf übernationaler Ebene einen intergouvernementalen Charakter aufweisen. Die Europäische Patentkonvention bspw. ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Revision auch nach der neuesten Fassung durch jeden beteiligten Unterzeichnerstaat blockiert werden kann.59 Damit sind den Bestrebungen der auf der Konvention beruhenden Europäischen Patentorganisation (EPO), Entscheidungskompetenzen an sich zu ziehen, enge Grenzen gesetzt, selbst wenn es der EPO gelingt, gesellschaftliche Akteure wie etwa Patentanwaltsvereinigungen durch eine substanzielle Erhöhung von Schutzstandards an sich zu binden.60 Eine bedingte Ausnahme von intergouvernementalen Entscheidungsmodalitäten stellt die Regulierung des Urheberrechts im Rahmen der Europäischen Union dar. Die hybride Konstruktion der EU enthält eindeutig supranationale Elemente, womit eine überdurchschnittliche Offenheit für gesellschaftliche Akteure verbunden ist.61 Da diese aber, wie im zweiten Abschnitt dargestellt, selber höchst heterogene Interessen vertreten, bilden die Nationalregierungen im Rat der EU das Zünglein an der

59 Simon Klopschinski: Die Implementierung von Gemeinschaftsrecht und internationalen Verträgen in das Europäische Patentübereinkommen nach der Revisionskonferenz im Jahr 2000, in: GRURInt 7 (2007), 555-562. 60 Susana Borràs: The governance of the European patent system: effective and legitimate?, in: Economy and Society 35 (2006), 594-610; Jochen Pagenberg: Industry, Legal Profession and Patent Judges Press for Adoption of the European Patent Litigation Agreement (EPLA), in: International Review of Industrial Property and Copyright Law 1 (2006), 46-49; Th. Eimer: Decoding Divergence in Software Regulation: Paradigms. 61 Abraham L. Newman: Transatlantic Flight Fights: Multi-level governance, actor entrepreneurship and international anti-terrorism cooperation, in: Review of International Political Economy (2010).

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Waage. Hier sind zwar Mehrheitsentscheidungen möglich, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass die existenziellen Interessen von Mitgliedsstaaten damit überstimmt werden.62 Sobald jedoch diese Gefahr besteht, können nationale Ratsvertreter gewissermaßen über Bande spielen und die mit ihren Anliegen sympathisierenden gesellschaftlichen Akteure dazu nutzen, um missliebige Entscheidungen abzuwenden. Vor diesem Hintergrund sind in der EU eher vage Richtlinien mit höchst elastischen Bestimmungen zu erwarten, bei deren Implementierung dann doch wieder die nationalstaatliche Ebene die wesentlichen Akzente setzen kann.63 Allerdings sind die Nationalstaaten keineswegs frei in der Gestaltung immaterialgüterrechtlicher Regulierungen, sondern an Standards gebunden, denen sie völkerrechtlich verbindlich auf internationaler Ebene zugestimmt haben. Schon im 19. Jahrhundert haben sich die meisten heutigen Industriestaaten mit der Pariser Verbandübereinkunft (1883) und der Berner Übereinkunft (1868) zur Wahrung von Mindestschutzstandards für technologische Innovationen sowie literarische und musikalische Werke verpflichtet. In diesen Verträgen ist auch das Prinzip der Inländerbehandlung kodifiziert, mit dem sich die Staaten verpflichten, ausländische Innovationen und kreative Schöpfungen mit den gleichen Schutzrechten zu versehen wie inländische Erzeugnisse.64 Nachdem sich am Ende des 20. Jahrhunderts die USA diesem Prinzip –

62 Dorothee Heisenberg: The institution of ›consensus‹ in the European Union: Formal versus informal decision-making in the Council, in: European Journal of Political Research 44 (2005), 65-90, hier 65. 63 Thomas R. Eimer: Combating piracy – undermining privacy? The harmonization of IP enforcement in Europe, Konferenzpapier für European Consortium for Political Research, Joint Sessions, Helsinki 7. – 12. 5. 2007. 64 Julian R. Pardo; Copyright and Multimedia, Den Haag, London, New York 2003, 53f.; Graeme B. Dinwoodie: Private Ordering and the Creation of International Copyright Norms: The Role of Public Structuring, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 161 (2004), 160ff.

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von einigen Ausnahmebeständen abgesehen – unterworfen haben65 und auch fast alle Entwicklungs- und Schwellenländer diesen Verträgen beigetreten sind, ist eine rein protektionistische Strategie für die Nationalstaaten nicht mehr möglich.66 Die Berner und das Pariser Abkommen bilden auch den Grundstein für die Regulierung Geistiger Eigentumsrechte auf globaler Ebene, mit denen die World Intellectual Property Organization (WIPO) befasst ist. Innerhalb dieser Spezialorganisation der Vereinten Nationen werden mit einer wichtigen Ausnahme fast alle Verträge zum Geistigen Eigentumsrecht administriert.67 Seit Ende der 1990er lassen sich innerhalb dieses Entscheidungsorgans Versuche nachweisen, das Immaterialgüterrecht weltweit zu harmonisieren und an die neuen technologischen Entwicklungen anzupassen. Allerdings sind die Entscheidungsmodalitäten innerhalb der WIPO rein intergouvernemental, so dass faktisch jedem Mitgliedsstaat eine Vetomöglichkeit zukommt oder ihm zumindest die Möglichkeit bleibt, Verträge in ihrer Gänze oder missliebige Vertragspassagen nicht zu ratifizieren. Bei größeren Konflikten entweder zwischen den Entwicklungsund Schwellenländern auf der einen und den OECD-Staaten auf der anderen Seite, aber auch bei einem Dissens zwischen den Industriestaaten selbst erweist sich die WIPO häufig als ungeeignetes Forum zur Erlangung von Kompromissen. Ihre Einbettung in das System der Vereinten Nationen erweist sich dabei als nicht sonderlich hilfreich, da die verschiedenen Organisationen (UNESCO, UNCTAD etc.) aus ihrer

65 Michael D. Birnhack: Trading Copyright: Global Pressure on Local Culture, in: Neil Netanel (Hg.): The Development Agenda: Global Intellectual Property and Developing Countries, Oxford 2009, 363-400. 66 Steve Charnovitz: Patent Harmonization under World Trade Rules, in: The Journal of World Intellectual Property 1 (1998), 127-137. 67 Chr. May: The World Intellectual Property Organization and the Development Agenda.

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Sicht wichtige weitere Aspekte in die Debatte einbringen,68 womit der Dissens innerhalb der WIPO noch mehr gesteigert wird.69 Die größte Schwäche der WIPO ist jedoch darin zu sehen, dass sie über keinerlei Durchsetzungsinstanz verfügt, die die Signatarstaaten dazu zwingen könnte, sich an die von ihnen unterzeichneten Verträge zu halten. Vor diesem Hintergrund haben Wirtschaftsakteure der USA und die nordamerikanische Regierung mit Unterstützung gesellschaftlicher und staatlicher Akteure aus der EU in den 1990ern das Forum verlagert und Mindeststandards zum Schutz westlicher Innovationen unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbart.70 Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer haben 1994 dem Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am Geistigen Eigentum (TRIPS) zugestimmt, weil sie von den Industrieländern massiv unter Druck gesetzt und mit Versprechungen zur Öffnung westlicher Märkte für ihre Agrar- und Textilprodukte gelockt wurden.71 Da das TRIPS Abkom-

68 Christopher May: Cosmopolitan legalism meets ›thin community‹: problems in the global governance of intellectual property, in: Government and Opposition 39 (2004), 393-422; Alan Story: Intellectual Property and Computer Software: A Battle of Competing Use and Access Visions for Countries of the South, ICTSD-UNCTAD Issue paper No. 10 (2004) http://www.iprsonline.org/unctadictsd/docs/CS_Story.pdf;

Christopher

Garrison: Exceptions to Patent Rights in Developing Countries, ICTSDUNCTAD Issue Paper No. 17 (2006). 69 Thomas R. Eimer: Regime failure and bilaterialization. The Millennium Goals and the Substantive Patent Law Treaty, Konferenzpapier für: Making Sense of a Pluralist World: Sixth Pan-European Conference on International Relations, Turin 12. – 15. 9. 2007. 70 Peter Drahos u. John Braithwaite: Information Feudalism, London 2002, 61ff. 71 P. de Paranagua Moniz: The Development Agenda for WIPO; JeanChristoph Graz: Transnational mercantilism and the emergent global trading order, in: Review of International Political Economy 11 (2004), 597617, hier 610.

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men in die Schiedsgerichtsbarkeit der WTO eingebunden ist, können Industriestaaten Entwicklungs- und Schwellenländer zur Achtung westlicher Patent- und Urheberrechte faktisch zwingen, indem sie ihnen bei Missachtung mit schiedsrechtlich sanktionierten Vergeltungsmaßnahmen (z.B. Strafzöllen) drohen können. Allerdings ist auch die Reichweite des TRIPS Abkommens begrenzt. Zum einen sind zahlreiche Formulierungen aufgrund der fortbestehenden Konflikte zwischen der EU und der USA sehr vage gehalten und lassen den Unterzeichnerstaaten beachtlichen Gestaltungsspielraum.72 Zum anderen haben sich die Industrieländer nicht an ihre Versprechungen gegenüber der südlichen Hemisphäre gehalten,73 so dass diese eine Fortentwicklung der vereinbarten Rahmenbestimmungen mit ihrer Vetomacht verhindern – oder zumindest mit Forderungen verbinden, dass die westlichen Staaten auch traditionale Wissensbestände in die Schutzbestimmungen aufnehmen. Angesichts einer derartigen Konfiguration gerät die WIPO in ein Dilemma. Einerseits kann sie versuchen, die Welthandelsorganisation in der Konkurrenz um das entscheidende Verhandlungsforum wieder einzuholen, indem sie über das TRIPS Abkommen hinausgehende

72 Jerome H. Reichmann: From Free Riders to Fair Followers: Global Competition under the TRIPS Agreement, in: Ruth Towse u. Rudi Holzhauer (Hg.): The Economics of Intellectual Property. Competition and International Trade, Vol. IV, Cheltenham, Northhampton2002, 446-527, hier 462f.; Kyle B. Usrey: The New Information Age and International Intellectual Property Law – Emerging and Recurring Issues for the Next Millennium, in: Accounting Forum 23 (1999), 378-407, hier 393f.; E. Richard Gold u. Daniel K. Lam: Balancing Trade in Patents. Public NonCommercial Use and Compulsory Licensing, in: The Journal of World Intellectual Property 6 (2003), 5-31. 73 J.-Chr. Graz: Transnational mercantilism and the emergent global trading order; Wilfred J. Ethier: Intellectual Property Rights And Dispute Settlement in the World Trade Organization, in: Journal of International Economic Law 7 (2004), 449-458.

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Schutzstandards initiiert. Andererseits benötigt sie aber dazu die Zustimmung derjenigen Entwicklungsländer, die die Verhandlungen in der Welthandelsorganisation lahm legen. Sofern sie diesen jedoch zu sehr entgegenkommt, werden die Industrieländer nicht bereit sein, rein auf Entwicklungsländerinteressen abgestimmte Vertragswerke zu unterzeichnen.74 Somit scheinen sowohl die WTO als auch die WIPO als Foren für die Aushandlung weltweit verbindlicher immaterialgüterrechtlicher Standards derzeit durch die Vetomacht der Nationalstaaten blockiert. Vor diesem Hintergrund versuchen sowohl die EU als auch die USA auf Bestreben der heimischen Verwertungsindustrie, einzelne Entwicklungs- und Schwellenländer mit bilateralen Verträgen auf Schutzstandards zu verpflichten, die über den in TRIPS vereinbarten Minimalkonsens hinausgehen.75 Inwieweit sie dabei Erfolg haben, hängt von der relativen Wirtschaftsmacht und der geopolitischen Bedeutung der betroffenen Schwellenländer ebenso ab wie von den Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteure. Diesen haben zwar kein direktes Stimmrecht in völkerrechtlichen Verhandlungen, können aber vor allem in der industrialisierten Welt auf die aus ihrer Sicht nachteiligen Wirkungen höherer immaterialgüterrechtlicher Standards hinweisen. Mitunter führt dies in einzelnen Bereichen wie bspw. bei Pharmazeutika dazu, dass nationale oder regionale Legislativkörper ihre Bedenken aufgreifen und die Verhandlungen torpedieren.76 Weiterhin profitieren zivilgesellschaftliche Akteure sowohl der nördlichen wie auch der südlichen Hemisphäre von einer relativ hohen Responsivität der UN Or-

74 Th. R. Eimer (2007), a.a.O. 75 Frederick M. Abbott: Intellectual Property Provisions of Bilateral and Regional Trade Agreements in Light of U.S. Federal Law, UNCTAD – ICTSD Project on IPRs and Sustainable Development, Issue Paper No. 12 (2006). 76 José M. Viana: Intellectual property rights, the World Trade Organization and public health: the Brazilian perspective, in: Connecticut Journal of International Law 27 (2002), 311-318.

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ganisationen (WHO, UNESCO etc.), indem sie diese als Foren zum Widerstand gegen einen weiteren Ausbau Geistiger Eigentumsrechte nutzen.77 In der Gesamtschau ergibt sich ein höchst verwirrendes Bild verschiedenster Institutionen, die mit der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte befasst sind. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in den meisten Institutionen intergouvernementalen Entscheidungsregeln mit Einstimmigkeitserfordernissen gelten, bei denen allen beteiligten Nationalstaaten formal eine Vetomöglichkeit zukommt. Inwieweit diese aber auch wirklich realisierbar ist, hängt von der relativen wirtschaftlichen Macht und geopolitischen Bedeutung der Staaten ab. Ob das stark ausdifferenzierte Geflecht der an der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte beteiligten Organisationen schwächeren Staaten bei der Durchsetzung ihrer Interessen hilft oder sie eher benachteiligt,78 gilt derzeit noch als umstritten. Hier scheint weitere empirische Forschung nötig. Ferner gilt für die meisten Institutionen mit Ausnahme der EU, dass gesellschaftliche Akteure nicht direkt an Entscheidungsprozessen beteiligt sind, gleichwohl aber über den Umweg benachbarter Organisationen oder nationaler bzw. regionaler Legislativkörper ihre Standpunkte in die Debatten einbringen können.79 Auch hier ist zu wenig über die Mechanismen und Instrumente bekannt, die gesellschaftliche Akteure einsetzen, um die Responsivität der einzelnen Organisationen für ihre Belange nutzen zu können. Insgesamt kann als Trend festgestellt werden, dass den Nationalstaaten in der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte trotz einer stark

77 Thomas R. Eimer (2007), a.a.O. 78 Daniel W. Drezner: Globalization and Policy Convergence, in: International Studies Review 3 (2001), 53-78; ders.: All politics is global: explaining international regulatory regimes, Princeton 2007; ders.: Institutional Proliferation And World Order: Is There Viscosity In Global Governance?, Unpublished manuscript, Tufts University 2007. 79 Duncan Matthews: Globalising intellectual property rights: the TRIPs agreement, London 2006.

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entwickelten internationalen Verregelung ein beachtlicher Gestaltungsspielraum bleibt, und dass Nationalstaaten andersherum auch einen wesentlichen Einfluss auf die Fortentwicklung inter- und supranationaler Standards ausüben können. Von welchen Faktoren die substanzielle Nutzung dieses Gestaltungsspielraums abhängt, ist bislang nur für wenige Ausschnitte immaterialgüterrechtlicher Regulierung untersucht worden, und die wenigen Studien beziehen sich fast ausschließlich auf Industrieländer. Von daher besteht ein enormer Forschungsbedarf im Hinblick auf die Entscheidungsprozesse zur immaterialgüterrechtlichen Regulierung, insbesondere auch in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Z USAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Die Zusammenschau der unter den drei Variablen Wertvorstellungen, Interessen und Institutionen zusammengetragenen Ergebnisse lässt erkennen, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch viele Fragen offen sind. Dies gilt auch für die Einschätzung materieller Politikergebnisse. Als Trend lässt sich festhalten, dass die vereinbarten Regulierungen bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts wohl eher die Interessen der Verwertungsindustrie aus den Industrieländern begünstigt haben. Bis etwa zum neuen Jahrtausend lässt sich tatsächlich von einer zunehmenden »Kommodifizierung«80 sprechen, bei der die Ergebnisse kreativen Schaffens zunehmend mit Regulierungen überzogen worden sind, die eine Betrachtung als Wirtschaftsgut ermöglichen und somit dem Austausch über Marktprozesse zugänglich gemacht werden. Die spezielle Form immaterialgüterrechtlicher Regulierung hat dabei dazu geführt, dass nicht einfach nur eine neue Kategorie von Waren geschaffen wur-

80 Christopher May: A Global Political Economy of Intellectual Property Rights. The new enclosures?, London, New York 2000; Chr. May: Cosmopolitan legalism meets ›thin community‹: problems in the global governance of intellectual property.

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de, sondern der Verwertungsindustrie in vielen technologischen und kulturellen Bereichen Oligopol- oder sogar Monopolstellungen in Teilmärkten eingeräumt wurden. Gegen diese Monopolstellungen jedoch hat sich zwischenzeitlich ein massiver Protest erhoben. Dieser speist sich aus vier Quellen. Erstens treten Urheber bzw. Erfinder vor allem, aber nicht nur im Softwareentwicklungsbereich auf, um gegen die Gefahr von »Patentdickichten« ins Feld ziehen. Der eher wirtschaftspolitisch motivierte Widerstand wird zweitens in Schwellenländern durch die Fundamentalablehnung westlicher Standards verstärkt, da die Folgen der marktbeherrschenden Stellung westlicher Industrien als nachteilig für die eigenen Entwicklungschancen angesehen werden. Drittens wehren sich zunehmend zivilgesellschaftliche Akteure sowohl in der südlichen als auch der nördlichen Hemisphäre gegen die aus der Durchsetzung immaterialgüterrechtlicher Standards, weil sie hierin eine Verletzung anderer Grundwerte (Recht auf Bildung, Meinungs- und Pressefreiheit) sehen. Zivilgesellschaftliche und indigene Akteure weisen viertens auch darauf hin, dass die Regulierung Geistiger Eigentumsrechte bislang recht einseitig von westlichen Wertvorstellungen ausgegangen ist und alternative Sichtweisen damit unterdrückt worden sind. Ob der immer deutlicher werdende Widerstand den Trend zur Kommodifizierung aufzuhalten oder gar umzukehren vermag, kann derzeit nicht beurteilt werden.81 Fest steht, dass alle mit der Regulierung befassten Institutionen momentan blockiert erscheinen. Die DohaRunde der Welthandelsorganisation ist festgefahren, der Vertrag über Rundfunksignale in der WIPO scheint vorerst auf Eis gelegt, und die geplanten strafrechtlichen Regulierungen in der EU stecken zwischen Rat und Europäischem Parlament fest. Offensichtlich gelingt es den inter- und supranationalen Institutionen nicht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu moderieren. Von daher lässt sich die Hypothese aufstellen, dass die Bedeutung der Nationalstaaten

81 Chr. May: The World Intellectual Property Organization and the Development Agenda.

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in der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte mittelfristig eher zu- als abnehmen wird. Wenn dies sich bewahrheiten sollte, dürfte die Heterogenität immaterialgüterrechtlicher Regulierung aufgrund der mannigfaltigen Variationen in den je nationalen Konfiguration von Wertvorstellungen, Interessenkonstellationen und institutioneller Konfliktbearbeitung noch weiter ansteigen. Zur Bestätigung oder Widerlegung dieser These ist jedoch weitere Forschung erforderlich. Für weitere Analysen scheint sich die Heuristik der hier verwendeten drei zentralen Variablen anzubieten, weil durch sie bislang alle beobachtbaren Phänomene abgedeckt werden können. Was allerdings fehlt, ist eine theoretische Verknüpfung zwischen Wertvorstellungen, Interessen und Institutionen. So wurden in diesem Beitrag Interessen relativ problemlos bestimmten Akteursgruppen zugeordnet. Für Wertvorstellungen hingegen wurde zwar ebenfalls konstatiert, dass deren Formulierung an Akteure gebunden ist, gleichwohl aber wurden sie auch als unabhängige, quasi transzendentale Entitäten betrachtet, die sich in bestimmten Rechts- und Kulturräumen manifestieren. Diese Setzung erscheint in theoretischer Hinsicht problematisch. Eine andere ungelöste Frage ist die nach dem Verhältnis von Institutionen zu Interessen und Wertvorstellungen. In der bisherigen Betrachtung wurden Institutionen lediglich als Opportunitätsstrukturen für die Durchsetzung bestimmter Akteurspositionen gedeutet. Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass Institutionen selbst durch die Interaktion mit Akteuren verändert werden. Wie lässt sich diese dynamische Komponente in ein theoretisches Rahmenwerk einbringen? Schlussendlich stellt sich die Frage, ob die theoretischen und empirischen Befunde, die sich aus der Analyse der Regulierung Geistiger Eigentumsrechte ergeben, auf andere Politikfelder übertragen werden können und somit generalisierte Aussagen über die Wirkweise von Interessen, Werten und Institutionen ermöglicht werden. Bevor diese Frage jedoch auch nur ansatzweise erörtert werden kann, bedarf es noch vieler weiterer empirischer Studien und theoretischer Analysen.

Die Kommodifizierung von Wissen Zur Verwertung universitärer Forschungsergebnisse in Deutschland und den USA A NNIKA P HILIPPS

E INLEITUNG Lange Zeit galten Universitäten als Hort der freien Wissenschaft und Forschung sowie als tragende Säule des tertiären (Aus-)Bildungssystems. Doch der gesamtwirtschaftliche Strukturwandel, dem alle Industrienationen unterworfen sind, lässt auch das Bild der Hochschule und deren Forschung nicht unberührt. Während traditionelle Industriebereiche vermehrt in den Hintergrund treten, gewinnen technologieund wissensbasierte Branchen an Bedeutung. Im Zuge dieses Prozesses wird vielfach vom Übergang zu einer »Wissensgesellschaft« gesprochen, in der geistige Leistungen als wichtige Produktionsfaktoren gelten und die gewerbliche Anwendung von Wissen mehr und mehr in den Vordergrund rückt.1 In der Folge pochen

1

Vgl. Andreas Bielig u. Heiko Haase:, Patente aus Hochschulen: Die Intellectual Property Rights-Frage, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 53 (2004), 228.

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die Gesetzgeber der führenden Industriestaaten auf normative sowie gesetzliche Veränderungen, die den Auftrag und die Bedeutung von Hochschulen in den letzten Jahren maßgeblich verändert haben und weiterhin verändern. Jahrzehntelang lag die originäre Aufgabe von Hochschulen in der Generierung und Vermittlung von Wissen. Seit geraumer Zeit herrscht jedoch in der politischen Diskussion die Auffassung vor, dass das an Universitäten generierte Geistige Eigentum – vornehmlich in Form von Patenten – im Rahmen eines Transferprozesses der Wirtschaft als marktfähiges Produkt zur Verfügung gestellt werden soll. Somit müssten auch Universitäten der Aufgabe nachkommen, mithilfe ihrer erzielten Forschungsergebnisse zur Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft beizutragen.2 Vor diesem Hintergrund entschloss man sich sowohl in den USA als auch in Deutschland, diese neue Rolle von Universitäten durch Gesetzesinitiativen zu befördern. In den Vereinigten Staaten war bereits die Verabschiedung des so genannten Bayh-Dole Acts im Jahr 1980 diesem Vorhaben geschuldet. In Deutschland beschloss man unterdessen zwanzig Jahre später, und ebenfalls zur besseren Verwertung von Forschungsergebnissen, die Abschaffung des »Hochschullehrerprivilegs«. Im Mittelpunkt beider Gesetzesinitiativen steht dabei die Übertragung von Eigentumstiteln an die jeweiligen Universitäten. Die damit geschaffenen Verfügungsrechte sollen es den Universitäten erleichtern, Forschungsergebnisse in Form von Patenten zu verwerten und schließlich dem Markt zuzuführen. Beide Gesetzesinitiativen werden 2 vergleichend im zweiten Teil des vorliegenden Beitrags näher beleuchtet. Dabei wird anschließend der Frage nachgegangen, warum beide Gesetzesnovellen, die im Kern beide eine vermehrte Patentierungsaktivität von Universitäten zum Ziel haben, zu unterschiedlichen Ergebnissen auf beiden Seiten des Atlantiks führen. Während nämlich in den USA der Bayh-Dole Act tatsächlich eine stimulierende Wirkung auf das Patentierungsverhalten von Universitäten hatte, blieben die Erfolge der

2

Vgl. Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen, Drucksache 14/5975, 09.05.2001.

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deutschen Gesetzesnovellierung verhalten. Verantwortlich dafür zeigen sich drei intervenierende Variablen, die im dritten Teil des vorliegenden Beitrags einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung und stellt Anknüpfungspunkte für eine weiterführende sozialwissenschaftliche Analyse vor.

D IE V ERWERTUNG UNIVERSITÄRER F ORSCHUNGSERGEBNISSE IN DEN USA UND IN D EUTSCHLAND Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich US-amerikanische Universitäten in der politischen Wahrnehmung zu einem wichtigen Motor der amerikanischen Innovationsfähigkeit. Oft geht die historische Analyse jenseits des Atlantiks gar davon aus, dass das amerikanische Hochschulwesen einen erheblichen Beitrag zur Innovationskraft der Vereinigten Staaten beigetragen hat. Die ökonomisch verwertbaren Innovationen der amerikanischen Wissenschaft reichen dabei über den Agrarsektor vor dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu Entwicklungen in der Pharmaindustrie in den letzten 20 Jahren.3 Grundsätzlich gehörten dabei alle Erfindungen, die im Rahmen von staatlich finanzierten Fördermaßnahmen entstanden, dem Staat. Die Universität als Empfänger staatlicher Fördergelder erhielt lediglich eine Lizenz. Erst der so genannte Bayh-Dole Act4 aus dem Jahr 1980 sollte diesen Sachverhalt ändern, indem er alle Verwertungsrechte an die Universitäten übertrug.

3

Vgl. Bhaven N. Sampat: Patenting and US academic research in the 20th century: The world before and after Bayh-Dole, in: Research Policy 35 (2006), 773.

4

Der offizielle Titel des Gesetzes lautet: »P.L. 96-517, Amendments to the Patent and Trademark Act«. Bekannt wurde die Novelle allerdings unter dem Namen Bayh-Dole Act, benannt nach ihren beiden Hauptinitiatoren, den ehemaligen Senatoren Robert Dole (Republikaner) und Birch Bayh (Demokrat).

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Bis in die 1970er Jahre des vergangen Jahrhunderts vermieden es amerikanische Universitäten, sich direkt mit der Lizenzierung und Patentierung ihrer Forschungsergebnisse zu befassen. Vielmehr beauftragten sie unabhängige Patentagenturen, die an einer Patentierung universitärer Forschungsergebnisse interessiert waren. Darüber hinaus etablierten sich bereits in den 1930er Jahren Stiftungen, die den Universitäten angegliedert, aber rechtlich unabhängig waren und dem Zweck dienten, die Patentportfolios von Universitäten zu verwalten. Diese Outsourcing-Strategie zeigt, dass Universitäten einerseits nicht abgeneigt waren, finanziellen Nutzen aus den Lizenzen für ihre Erfindungen zu ziehen, gleichzeitig jedoch auch auf eine klare Trennung zwischen der Kommerzialisierung ihrer Forschungsergebnisse und der freien, unabhängigen Forschung an den Universitäten bedacht waren.5 Ein Wechsel setzte in den 1970er Jahren ein, als sich die bis dahin bestehende Distanz zwischen akademischer Forschung und der Industrie zu verringern begann.6 In jenen Jahren gewann eine nutzenorientierte Basisforschung, wie z.B. in der Molekularbiologie, vermehrt an Bedeutung. Gleichzeitig kam es zu jener Zeit zu einem Rückgang an öffentlicher Förderung für die universitäre Forschung, so dass Universitäten und öffentlich geförderte Forschungseinrichtung an Lizenzen ihrer Forschungsergebnisse auch als einer Form des Einkommens mehr und mehr interessiert waren. Im Zuge dieser Entwicklungen begannen viele Universitäten ihre Patentpolitik zu überdenken und verließen sich nicht mehr ausschließlich auf die Lizenzverwaltung an außeruniversitären Patentagenturen. Vermehrt legten sie nun ihr Augenmerk auf die Etablierung eigener, inneruniversitärer Patentierungseinrichtungen und Technologietransferbüros. Nicht zuletzt getrieben durch eine erstar-

5

Vgl. Henry Etzkowitz: Knowledge as property: The Massachusetts Institute for Technology and the Debate of Academic Patent Policy, in: Minerva 32(1994), 390.

6

Vgl. Georg Krücken, Frank Meier, Andre Müller: Information, cooperation, and the blurring of boundaries – technology transfer in Germany and American discourses, in: Higher Education 53 (2007), 683.

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kende japanische Wirtschaft, entschloss sich der US Kongress diese Patentierungsbestrebungen der amerikanischen Universitäten zu befördern und verabschiedete im Jahr 1980 den Bayh-Dole Act. Im Fokus dieser Gesetzesnovelle stand dabei die Schaffung weiterer Innovationsanreize: »It is the policy and objective of the Congress to use the patent system to promote the utilization of inventions arising from federally supported research or development«.7 So beinhaltete die Gesetzesnovelle die vollständige Übertragung aller Schutzrechte an Erfindungen, die mithilfe staatlicher Finanzierung entstanden waren, an die Universitäten. Im Blick hatte der Gesetzgeber dabei eine schnellere Kommerzialisierung der Ergebnisse aus universitärer Forschung, welche so der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft zugutekämen.8 Inhaltlich ermöglichte der Bayh-Dole Act den Hochschulen, ihre Erfindungen als Patente anzumelden und so die Rechte an den Erfindungen ihrer Mitarbeiter zu beanspruchen und in der Folge selbst zu verwalten. Zwar ist es den amerikanischen Hochschulen dabei untersagt, ihre Rechte vollständig an Privatunternehmen abzutreten; elementar ist jedoch, dass ihnen die Wahlmöglichkeit eingeräumt wird, einfache Lizenzen ihrer Erfindungen an Wirtschaftsunternehmen zu übertragen. Dem Vorhaben, mithilfe des Gesetzes die US-amerikanische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken ist es dabei geschuldet, dass bei dieser Lizenzvergabe amerikanische Unternehmen zu bevorzugen sind.9 In der deutschen Diskussion zeichnete sich vor allem in den 1990er Jahren, befeuert durch einen Diskurs auf europäischer Ebene, ein neues Bild universitärer Forschung im Allgemeinen und von universitären Patenten als rentables geistiges Eigentum im Besonderen

7

US Code, Title 35, Part II, Chapter 18, § 200.

8

Vgl. Stefan Schwarz: Erfindungen an amerikanischen Hochschulen: Patentschutz, rechtliche Zuordnung und wirtschaftliche Verwertung, München 1997, 76.

9

Vgl. Heike Rösler: Bestand, Reform und Abschaffung des § 42 ArbNErfG, München 2001, 154.

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ab.10 So hält der »Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands« im Jahr 1996 fest: »Öffentliche Forschungsinstitutionen nehmen vielfältige Aufgaben war. Eine Aufgabe ist es, verwertbare Ergebnisse zu erzielen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse direkt aus dem Wissenschafts- in das Wirtschaftssystem zu vermitteln. Ein Indikator für die Verwertungsrelevanz der öffentlichen Forschung wären z.B. Patentanmeldungen.«11

Überzeugt davon, dass für viele Ergebnisse der Hochschulforschung nur dann eine faktische Umsetzung erreicht werden kann, wenn die Universität ein exklusives Nutzungsrecht als Innovationsanreiz erhält, entschloss sich die Bundesregierung im Jahr 2001 zur Abschaffung des so genannten Hochschullehrerprivilegs (§ 42 ArbNerfG). Bis dahin galt dieses Hochschullehrerprivileg Jahrzehnte als Ausnahme innerhalb gesetzlicher Regelungen zu Arbeitnehmererfindungen. Wurde bei Arbeitnehmererfindungen grundsätzlich ein Rechtserwerb des Arbeitgebers angenommen, so waren »staatlich angestellte Gelehrte« von dieser Regelung ausgenommen. »Selbst eine fiskalische Beteiligung an den Erfindungen der Hochschulgelehrten wurde, vorwiegend im Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit, abgelehnt.« 12 Bereits der Entwurf des Arbeitnehmererfindungsgesetzes aus dem 1955 sieht kein originäres Hochschullehrerprivileg vor. Doch durch den Druck von Hochschullehrern, die befürchteten das Privileg der freien Verwertung ihrer Erfindungen möglicherweise zu verlieren, wurde eine Sonderregelung im Gesetz von 1957 aufgenommen.13 Untermauert wurde die Auffassung der Hochschullehrer durch Art. 5 III GG und

10 Vgl. G. Krücken, F. Meier, A. Müller: Information, cooperation., 687. 11 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Zur technischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Aktualisierung und Erweiterung 1996, Hannover, Berlin, Karlsruhe, Mannheim1996. 12 H. Rösler: Bestand, Reform und Abschaffung,, 21. 13 Vgl. ebd, 23ff.

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den darin enthaltenen Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit. Der Grund für die Sonderregelungen des Arbeitnehmererfindungsgesetzes leitete sich folglich aus dem Grundgesetz ab und sollte den Schutz einer unabhängigen Lehre und Forschung garantieren. So fiel nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz in seiner Fassung aus dem Jahr 1957 das Recht auf die Patentierung oder Lizenzierung einer Erfindung gänzlich dem Angestellten einer Universität zu, obgleich die Mittel zur Erlangung seiner Forschungsergebnisse aus öffentlichen Töpfen stammten. Trotz dieser Regelung waren Hochschulmitarbeiter zurückhaltend, ihre Forschungsergebnisse selbst als Patent anzumelden. Es wird davon ausgegangen, dass sich der kostenintensive sowie bürokratische Patentierungsprozess in Deutschland mit dafür verantwortlich zeigt. Denn obwohl vor der Gesetzesnovelle der Mitarbeiter einer Hochschule der einzige »Verwertungsbevollmächtigte« seines geistigen Eigentums war, scheuten die meisten Erfinder an Universitäten den bürokratischen und zeitintensiven Aufwand einer Patentierung, den sie als Einschränkung ihres Forschungsalltags ansahen.14 Ferner ist die Patentanmeldung, -erteilung, -aufrechterhaltung und -verteidigung so kostenintensiv, dass Hochschullehrer das finanzielle Risiko einer privaten Vorauszahlung dieser Prozedur nicht bereit waren zu tragen. Faktisch machten Bedienstete von Universitäten so nur selten Gebrauch von ihrem »Hochschullehrerprivileg«. Vielmehr übernahm meist eine dritte Partei, hier gewöhnlich ein Kooperationspartner aus der Industrie, die Patentierung und Lizenzierung. In der Folge verwundert es nicht, dass etwa 90 % aller Erfindungen, die dem Deutschen Patent- und Markenamt zur Patentierung vorgelegt wurden, von Angestellten aus Privatunternehmen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen stammten.15

14 Vgl. Gerhard Becher u.a.: Patentwesen an Hochschulen: Eine Studie zum Stellenwert gewerblicher Schutzrechte im Technologietransfer Hochschule-Wirtschaft, hrsg. v. BMBF, Bonn 1996, 126. 15 Vgl. Christian Kilger u. Kurt Bartenbach: New Rules for German Professors, in: Science 298 (2002), 1173.

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Seit dem Inkrafttreten des veränderten § 42 des Arbeitnehmererfindungsgesetzes im Jahr 2002 müssen Forscher ihre Universität als ihren Dienstherren nun über eine Erfindung informieren und ihr diese zur Inanspruchnahme anbieten. Dies muss auch unabhängig davon geschehen, ob sie beabsichtigen, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.16 Als Ausgleich zum Verlust des Hochschullehrerprivilegs erhalten nun Bedienstete der Universitäten 30 % der Verwertungserlöse ihrer Erfindung. In der Konsequenz beinhaltet die Gesetzesänderung eine Neuausrichtung deutscher Universitäten und staatlich finanzierter Forschungseinrichtungen. Da sie sich nun für eine bessere Verwertbarkeit geistigen Eigentums verantwortlich zeigen sollen, sprechen einige Wissenschaftler bereits von einem Trend hin zu einer »unternehmerisch handelnden Universität«. 17 Im Gegensatz zu den USA waren deutsche Universitäten lange nicht auf die Patentierung und Lizenzierung von Erfindungen ausgelegt. Schließlich war die Verwertung von Forschungsergebnissen durch das Hochschullehrerprivileg (Privat-)Sache der Professoren. Durch den Wegfall des Hochschullehrerprivilegs und die veränderte Ausgangslage sind Universitäten nun angehalten für die nötige Infrastruktur zu sorgen. Dies geschieht vornehmlich durch die Etablierung so genannter Patentverwertungsagenturen (PVA), die auf der Ebene der Bundesländer angesiedelt sind.18

16 Kurt Bartenbach u. Franz-Eugen Volz: Erfindungen an Hochschulen, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 2002, 743ff. 17 Vgl. G. Krücken, F. Meier, A. Müller: Information, cooperation; Sheila Slaugthter u. Larry L. Leslie: Academic Capitalism. Politics, Policies and the Entrepreneurial University, Baltimore1997; Henry Etzkowitz: The norms of entrepreneurial science: Cognitive effects of the new universityindustry linkages, in: Research Policy 27 (1998). 18 In Berlin etwa entstand im Zuge der Gesetzesänderung im Jahr 2001 die ipal GmbH (Innovationen, Patente, Lizenzen), welche von den Berliner Hochschulen FU, HU, TU, FHTW und TFH sowie der Investitionsbank

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Festzuhalten ist, dass beide Gesetzesänderungen, der Bayh-Dole Act in den USA und die Änderung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes in der Bundesrepublik, eine Übertragung von Eigentumstiteln an die jeweilige Universität vorsehen. In den Vereinigten Staaten lagen die Verwertungsrechte vor der Gesetzesnovellierung beim Staat; in Deutschland verfügte der Bedienstete der Universität über diese Rechte. Nach den jeweiligen Gesetzesänderungen ist nun die Universität für die Verwertung des geistigen Eigentums zuständig, so dass man heute, zumindest gesetzlich, eine ähnliche Ausgangslage auf beiden Seiten des Atlantiks vorfindet.

B ESTEHENDE D IVERGENZEN : AUSWIRKUNGEN VON G ESETZESÄNDERUNGEN IN DEN USA UND IN D EUTSCHLAND Sowohl in den USA als auch in Deutschland strebte der Gesetzgeber durch eine Modifizierung bestehenden Rechts das gleiche Ziel an, nämlich die Transformation von öffentlich geförderten Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte. Augenscheinlich fühlte sich die deutsche Bundesregierung im Jahr 2001 bei ihrem Gesetzesvorschlag zur Abschaffung des Hochschullehrerprivilegs dabei von den Erfolgszahlen, die im Patentbereich durch die Einführung des Bayh-Dole Acts erzielt wurden, angezogen. Vor Verabschiedung des Bayh-Dole Acts fanden in den USA lediglich 5 % aller Patente, die auf finanzielle Förderung des Staates zurückgingen, den Weg in die Industrie.19 Nachdem

Berlin (IBB) getragen wird. Im Rahmen der Patentverwertung wird sie dabei finanziell vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterstützt. 19 Wendy H. Schacht: The Bayh-Dole Act: Selected Issues in Patent Policy and the Commercialization of Technology, CRS Report for the Congress,

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das Gesetz im Jahr 1980 verabschiedet wurde, entschlossen sich zahlreiche Universitäten, sich intensiv der Patentierung und Lizenzierung ihrer Forschungsergebnisse zu widmen. Dabei stand vor allem die Einrichtung universitäts- und institutsinterner Technologietransferstellen im Vordergrund. Wie bereits beschrieben, begann diese Entwicklung bereits in den 1970er Jahren, wurde durch die Verabschiedung des Bayh-Dole Acts jedoch nennenswert forciert:20 Im Zeitraum von 19761980 verfügten etwa zehn US-amerikanische Universitäten über interne Patentierungs- und Lizenzierungsbüros. Nach Verabschiedung des Bayh-Dole Acts kam es in diesem Bereich zu einem nennenswerten Anstieg, so dass im Jahr 1990 bereits über 40 amerikanische Universitäten über Stellen dieser Art verfügten. Ein ähnlicher Trend lässt sich aus den Zahlen der Patentanmeldungen aus amerikanischen Universitäten ablesen. Auch hier begann der Trend ab Mitte der 1970er Jahre mit etwa 200 Patentanmeldungen im Jahr 1975 und einem merklichen Anstieg nach dem Bayh-Dole Act auf knapp 1600 Patentanmeldungen im Jahr 1995.21 Vor diesem Hintergrund wurde die Gesetzesnovelle weithin als Erfolg gewertet. So schreibt etwa der Economist in seiner Ausgabe vom 12 Dezember 2002: »[the Bayh-Dole Act] is possible the most inspired piece of legislation to be enacted in America over the past half-century« 22 Da in Deutschland das novellierte Arbeitnehmererfindungsgesetzes erst im Jahr 2002 in Kraft trat, blickt man hierzulande auf einen weitaus kleineren Erfahrungsschatz mit der Patentierung und Lizenzierung von Forschungsergebnissen aus Universitäten zurück. Daher sind Aussagen über den Erfolg ungleich schwieriger zu treffen als im Falle der USA. Zwar weisen die Patentanmeldungen aus deutschen Universitäten sechs Jahre nach der Gesetzesnovelle einen moderaten Anstieg auf, dennoch zeigt man sich weitaus zurückhalten-

The Library of Congress 2005, http://italy.usembassy.gov/pdf/other/ RL32076.pdf. 20 B. N. Sampat: Patenting, 781. 21 Ebd. 22 The Economist, 12. Dezember 2002.

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der in Deutschland, von einem durchschlagenden Erfolg zu sprechen.23 So meldeten im Jahr 2002, also dem Jahr der Umsetzung des novellierten Arbeitnehmererfindungsgesetzes, die 359 deutschen Hochschulen 401 Patente an. Im Jahr 2007 waren es 616 Patente, die den Weg aus den Hochschulen fanden.24 Da sowohl in den USA als auch in Deutschland ähnliche gesetzliche Bestrebungen unternommen wurden, Geistiges Eigentum aus Universitäten in die Wirtschaft zu transferieren, stellt sich nun die Frage, warum es auf beiden Seiten des Atlantiks zu recht unterschiedlichen »policy outcomes« kommt. Dazu sollen im Folgenden drei intervenierende Variablen näher beleuchtet werden, die sich für die Divergenz auf beiden Seiten verantwortlich zeigen. Zunächst weisen das US-amerikanische und das deutsche Hochschulwesen strukturelle Unterschiede bezüglich ihrer Größe, ihrer Verwaltungsstrukturen sowie ihrer internen Organisation auf. Darüber hinaus sind sie kulturell und traditionell verschieden verortet.25 Die aus diesen Unterschieden resultierenden Werte und Normen haben einen direkten Einfluss auf den Umgang mit Geistigem Eigentum und zeigen sich somit mit verantwortlich für den differierenden Umgang mit dem Transfer desselben in die Wirtschaft. Die USA blicken auf eine lange Tradition der Kommodifizierung universitärer Forschungsergebnisse zurück. Diese »praktische« Orientierung US-amerikanischer Universitäten steht in einem direkten Zusammenhang mit der dezentralen Organisation des amerikanischen

23 Vgl. Ulrich Schmoch: Patentanmeldungen aus deutschen Hochschulen. Analysen im Rahmen der jährlichen Berichterstattung zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 20 (2007), Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, 5ff. 24 Deutsches Patent- und Markenamt: Jahresbericht 2007, im Internet unter: http://presse.dpma.de/docs/pdf/jahresberichte/jb2007_dt.pdf, download am 31.08.2008. S. 17f. 25 Vgl. G. Krücken, F. Meier, A. Müller: Information, cooperation, 676.

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Bildungswesens. Sieht man einmal von Universitäten wie Harvard oder Yale ab, die eindeutig nach europäischem Vorbild gegründet wurden, fällt der starke regionale Bezug der meisten amerikanischen Universitäten auf.26 Die daraus resultierende Abhängigkeit gegenüber regionaler Politik und regionaler finanzieller Unterstützung förderte schon früh den Wettbewerb zwischen den einzelnen Instituten um Ressourcen und Prestige.27 Im Zuge dessen begannen amerikanische Hochschulen damit, Verbindungen zur Industrie zu suchen, um im Wettbewerb um Ressourcen ihr Wissen als rentables Produkt am Markt anzubieten. So ist es auch zu erklären, dass amerikanische Universitäten früh, d.h. bereits vor Verabschiedung des Bayh-Dole Acts, die Patentierung ihrer Ideen als Einnahmequelle sahen und in der Folge etwaige Bedenken um die Unvereinbarkeit von unabhängiger Wissenschaft und Industrie abbauten. In Deutschland zeigt sich indes ein anderes Bild. Hier sind die Einflüsse des Humboldtschen Bildungsideals des 19. Jahrhunderts, welches auf den preußischen Reformer Wilhelm von Humboldt zurückgeht, auch heute noch spürbar. Dieses Bildungsideal weist traditionell eine starke Ablehnung gegenüber wirtschaftlicher Einflussnahme auf das universitäre Bildungswesen auf. Die Universität und ihre Wissenschaftler seien demnach vor allem der Freiheit und Unabhängigkeit der Lehre und Forschung verpflichtet.28 Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem eine starke industrielle Mobilisierung der Hochschulforschung durch die Nationalsozialisten einherging, erfuhr das Humboldtsche Ideal eine erneute starke Bestätigung in der Bundesrepublik. Dass dies auch heute noch Bestand hat und für viele Wissenschaftler eine essentielle Bedeutung aufweist, bestätigen Aussagen des Deutschen Hoch-

26 Nathan Rosenberg u. Richard R. Nelson: American universities and technical advance in industry, in: Research Policy 23 (1994), 325. 27 David C. Mowery u.a.: Ivory Tower and Industrial Innovation. UniversityIndustry Technology Transfer Before and After the Bayh-Dole Act in the United States, Stanford 2004, 33. 28 Vgl. G. Krücken, F. Meier, A. Müller: Information, cooperation, ebd.

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schulverbandes29 während der Debatte um die Änderung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes und der damit einhergehenden Abschaffung des Hochschullehrerprivilegs: »Der Hochschullehrer forscht nicht im Auftrag des Staates. Der Hochschullehrer forscht vielmehr selbstverantwortlich, ausschließlich um der Erkenntnis willen.«30 Für viele Wissenschaftler an Universitäten haben so auch im 21. Jahrhundert die individuelle Lehr- und Forschungsfreiheit sowie eine gewisse intrinsische Motivation Vorrang vor der Patentgewinnung. Oftmals wird gar die Anwendung wirtschaftlicher Gesichtspunkte auf die universitäre Wissenschaft als Grundproblem der Reformdebatte angesehen.31 Eine weitere intervenierende Variable betrifft die eigentliche Fähigkeit der universitären Forschung, ihre Erfindungen als Patente anzumelden und so als Produkte am Markt zu präsentieren. Dafür benötigt die jeweilige Hochschule eine breit angelegte Infrastruktur an Patentverwertungsagenturen und Technologietransferstellen. Wie bereits erwähnt, kann man hierbei in den Vereinigten Staaten auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann man hier sein Patentmanagement an außeruniversitäre Patentagenturen zu übertragen. Das prominenteste Beispiel ist die Research Corporation, die im Jahr 1912 von dem kalifornischen Chemiker Frederick Gardner Cottrell gegründet wurde. Cottrell gilt in den USA daher heute als einer der ersten professionellen Patentmanager. Später folgten die Gründungen unabhängiger, aber der jeweiligen Universität

29 Der Deutsche Hochschulverband ist neben dem Hochschullehrerbund die Interessenvertretung der deutschen Hochschullehrer. 30 Deutscher Hochschulverband: Neuregelung des Patentrechtes durch Änderung des Verwertungsrechts der Hochschullehrer. Pressemitteilung. Bonn 30.06.2000, im Internet unter: http://www.hochschulverband.de/cms/ index.php?id=131, download am 02.09.2008. 31 Gerd Roellecke: Theoretische Überlegungen zur Patentverwertung im Hochschulbereich, in: Hellmut Wagner, u. Rudolf Fisch (Hg.): Patentverwertung in Wissenschaft und Wirtschaft nach Wegfall des Hochschullehrerprivilegs, Bonn 2004, 81.

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angegliederter Stiftungen, die sich dem Management von Patentportfolios verschrieben. Eine der ersten dieser Stiftungen, ist die Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF), die im Jahr 1925 gegründet wurde. In den 1970er Jahren widmeten sich die US-amerikanischen Hochschulen dann erstmals einer inneruniversitären Verwertung ihres geistigen Eigentums. Diese Entwicklung wurde schließlich durch den Bayh-Dole Act im Jahre 1980 forciert und vereinheitlicht. Abgesehen von ausgegliederter Patentverwertung blicken die USA demnach auf über 30 Jahre der inneruniversitären Patentierungs- und Lizenzierungspraxis zurück. Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts, als die Abschaffung des Hochschullehrerprivilegs kurz bevorstand, zeigte man sich in Deutschland besorgt um die Patentierungsfähigkeiten an deutschen Hochschulen. So konstatierte Wolfgang Multhaupt, Leiter der Forschungsabteilung der Freien Universität in Berlin in der Berliner Zeitung vom 14. April 2000: »90 Prozent der deutschen Unis sind nicht in der Lage, Patente anzumelden und zu vermarkten.«32 Tatsächlichen beginnen Technologietransferstellen und Patentverwertungsagenturen (PVA) an deutschen Hochschulen erst in den letzten fünf Jahren an Bedeutung zu gewinnen. Dabei arbeiten diese Transferstellen derzeit unter den schwierigen Bedingungen einer Übergangsphase. Im Gegensatz zu den USA lagen vor der Gesetzesnovellierung die Verwertungsrechte beim Wissenschaftler und gehörten nicht, wie jenseits des Atlantiks, dem Staat. Vor der Gesetzesnovellierung richteten sich Professoren – sofern sie denn überhaupt Patentierungsabsichten hegten – direkt an die Unternehmen. Nach einer Umfrage des Stifterverbandes der deutschen Wissenschaft empfinden daher sowohl die Unternehmen als auch viele Wissenschaftler die neu geschaffenen PVA als störend, schließlich würden sie einer »eingespielten Kooperation von Unternehmen und Hochschulmitarbeitern« gegenüberstehen.33 Von den Mitarbeitern der neuen PVA wird indes viel abverlangt. Sie sollen gleichzeitig sowohl

32 Berliner Zeitung, 14. April 2000. 33 Vgl. Stifterverband für die deutsche Wissenschaft 2006, 20.

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juristische und wirtschaftliche Themenkomplexe beherrschen als auch die komplexe wissenschaftliche Lage der jeweiligen Hochschule überblicken können. Die vollständige Übertragung der Patentierungs- und Lizenzierungsrechte an die Universitäten kam so nicht nur für die Wissenschaftler, sondern auch für die Mitarbeiter der neu geschaffenen Stellen einem Sprung ins kalte Wasser gleich. Folglich kam es in der direkten Folge der Abschaffung des Hochschullehrerprivilegs und dem damit zusammenhängenden Aufbau neuer bürokratischen Hürden zunächst zu einem Patentierungsrückgang.34 In Zukunft bleibt es abzuwarten, wie die Hochschulen und die ihnen angegliederten Technologietransferstellen sowie die PVA diese Herausforderungen meistern werden. Eine dritte intervenierende Variable, die sich für die unterschiedlichen policy outcomes verantwortlich zeigt, ist die verschiedenartige Ausgestaltung eines Anreizsystems. In den USA besteht das Anreizsystem zur Patentierung von Forschungsergebnissen für Wissenschaftler in der Gewährung einer so genannten Neuheitsschonfrist (»grace period«). Mit dieser Neuheitsschonfrist kommt man den Publikationsgepflogenheiten von Wissenschaftlern außerordentlich entgegen, da dank ihr in einem Zeitraum von zwölf Monaten auch nach der Veröffentlichung einer Erfindung in Fachzeitschriften o.ä. die generelle Möglichkeit einer Patentierung besteht. Die Neuheitsschonfrist hat vor allem für Forscher an Universitäten eine besondere Bedeutung. Einerseits müssen sie nicht auf eine frühe Publikation und den damit einhergehenden wichtigen Reputationsgewinn verzichten. Auf der anderen Seite verlieren sie durch das Publizieren ihrer Ergebnisse nicht die Möglichkeit einer womöglich lukrativen Patentierung ihrer Erfindung zu einem späteren Zeitpunkt.

34 Vgl. U. Schmoch: Patentanmeldungen, 18. Sowie Gottfried Freier: Durch unwegsames Gelände. Das neue Arbeitnehmererfindergesetz wirft rechtliche Probleme bei der Drittmittelforschung an Hochschulen auf, in: Wissenschaftsmanagement 6 (2003), 15.

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Für amerikanische Wissenschaftler kann also durchaus die Prämisse »publish and patent« gelten. Ganz anders gestaltet sich die Ausgangslage in Deutschland. Sowohl das deutsche als auch das europäische Patentrecht sieht keine solche Neuheitsschonfrist vor. Somit gilt hier eine absolute Neuheitserfordernis, die beinhaltet, dass nur für solche Erfindungen Patentschutz erteilt wird, die »vor dem Zeitpunkt der Anmeldung nicht veröffentlicht oder der Öffentlichkeit zugänglich waren«.35 Dies führt in zweierlei Hinsicht zu ungünstigen Anreizmechanismen für den Wissenschaftler an einer deutschen bzw. europäischen Universität. Einerseits »zwingt« dieses absolute Neuheitserfordernis den Wissenschaftler zu einer Abwägung zwischen einer Patentanmeldung und einer Publikation seiner Forschungsergebnisse. Dabei muss bedacht werden, dass vor allem durch Veröffentlichungen und nicht durch Patente ein Hochschullehrer seine Reputation als Wissenschaftler innerhalb der »scientific community« verbessert.36 Dass sich diese Tatsache eindeutig zu Ungunsten einer Patentierung auswirkt, verdeutlicht eine Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Demnach entscheiden sich deutsche Wissenschaftler im Zweifel für eine Publikation und verzichten auf eine Patentanmeldung.37 Andererseits unterliegt man als Wissenschaftler der Geheimhaltungspflicht sobald man seine Forschungsergebnisse einem Industriepartner zur Umsetzung anbietet. Auch das beschneidet die Publikationsfreiheit eines Wissenschaftlers: »[…] das geht soweit, dass man fünf Jahre oder länger über Ergebnisse nicht sprechen darf, sie auch in seinen Vorlesungen nicht verwenden darf und auch nicht in Publikationen, nun werden aber Wissenschaftler an Publikation und an ihrem Zitationsindex gemessen.«38 In Deutsch-

35 BMBF 2002, 11. 36 Vgl. H. Rösler: Bestand, Reform und Abschaffung, 360. 37 BMBF 2002, 2. 38 Ursula Haufe, Geschäftsführerin von ipal im Gespräch mit Inforadio Berlin, Sendung »Apropos Wirtschaft« vom 08.07.2007, 12:25 Uhr.

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land muss sich ein Wissenschaftler folglich entscheiden: »patent or publish«.

Z USAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Der vorliegende Beitrag verdeutlicht, dass die bloße Ermöglichung einer Kommodifizierung in Form von Gesetzesinitiativen noch nicht dazu beiträgt, dass auf beiden Seiten des Atlantiks mit einer vermehrten Verwertbarkeit von Geistigem Eigentum zu rechnen ist. Denn obwohl sowohl der Bayh-Dole Act als auch die Abschaffung des »Hochschullehrerprivilegs« die Übertragung von Eigentumstiteln zu Folge haben, ist das Vorhaben einer besseren Kommodifizierung in den USA weitaus erfolgreicher als in Deutschland. Verantwortlich für diese divergierenden »policy outcomes« zeigen sich auf bundesdeutscher Seite die drei beschriebenen intervenierenden Variablen, nämlich (1) eine traditionell eher dem Humboldtschen Bildungsideal verpflichtete Hochschulforschung, (2) die rudimentäre Patentierungsinfrastruktur sowie (3) eine fehlende Neuheitsschonfrist im deutschen bzw. europäischen Patentrecht. Sowohl die erste als auch die zweite Variable stellen dabei keine statischen Gebilde dar und im Zeitverlauf werden beide eventuell einer Veränderung unterworfen sein. Weitaus problematischer erscheint jedoch eine fehlende Neuheitsschonfrist im deutschen und europäischen Patentrecht. Ein absolutes Neuheitserfordernis verhindert so auf lange Sicht die Lösung des Zielkonflikts »patent or publish«. Sicherlich könnte die Einführung einer Neuheitsschonfrist nach US-amerikanischem Vorbild auf europäischer und bundesdeutscher Ebene bis dato ungenutzte Potentiale freisetzen. Initiativen, die in diese Richtung abzielen, scheinen jedoch auf europäischer Ebene am Widerstand der forschenden Industrie zu scheitern. Diese scheint einerseits von den frei verfügbaren Ergebnissen öffentlich geförderter Basisforschung zu profitieren, während sie andererseits marktsensible Forschungsergebnisse aus den eigenen Firmenlabors patentieren lässt. Die Einführung einer Neuheitsschonfrist und eine damit einhergehende

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vermehrte Patentierung universitärer Forschungsergebnisse auf europäischer Ebene würden für diese Unternehmen bedeuten, dass sie zukünftig nicht mehr von der freien Verfügbarkeit dieser Forschungsergebnisse profitieren könnten.39 Der vorliegende Beitrag soll verdeutlichen, das im Kern ähnliche Gesetzesinitiativen durch die Einwirkung von intervenierenden Variablen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Unbeachtet bleibt bei dem vorliegenden Beitrag die Frage nach etwaigen negativen Effekten, die eine verstärkte Kommodifizierung universitärer Forschungsergebnisse mit sich bringt. So gehen einige Studien davon aus, dass Gesetzesinitiativen, die auf dieses Ergebnis abzielen, die gesamte öffentlich geförderte Forschungslandschaft nachhaltig verändern könnten.40 In den vergangenen Jahren wurden darüber hinaus Stimmen laut, dass gesetzliche Anreize zur besseren Kommodifizierung »Kommerzialisierungsmotive«41 von Universitäten dahingehend befördern, so dass damit eine Behinderung von weniger lukrativer, dafür aber essentieller Basisforschung verbunden ist.42 Ob und inwieweit diese Bedenken auf einer wissenschaftlichen Basis beruhen, bedarf weiterer empirischer Forschung und bietet in der Folge zahlreiche Anknüpfungspunkte einer weiterführenden sozialwissenschaftlichen Analyse.

39 Thomas R. Eimer u. Annika Philipps: Cooperation without harmonization: The U.S. and the european Patent System, Conference Paper, 12f. 40 Vgl. Rebecca Henderson, Adam B. Jaffe, Manuel Trajtenberg: Universities as a Source of Commercial Technology: A Detailed Analyses of University Patenting, 1965-1988, in: Review of Economics and Statistics 80 (1998). 41 David C. Mowery u. Bhaven N. Sampat: The Bayh-Dole Act of 1980 and University – Industry Technology Transfer: A Model for other OECD Governments?, in: Journal of Technology Transfer 30 (2005), 122. 42 Vgl. Janet Rae-Dupree: When Academia Puts Profit Ahead of Wonder, in: The New York Times, 07.09 2008.

IV. Sozialphilosophische Deutung

Das Eigentum am Text K URT R ÖTTGERS

F RAGE : W IE LÄSST BEGRÜNDEN ?

SICH

»G EISTIGES E IGENTUM «

Es ist gewiss schwierig, wenn nicht unmöglich, (heute noch) eine naturrechtliche Begründung eines Begriffs wie »Geistiges Eigentum« aufrechtzuerhalten. Begibt man sich jedoch auf den Boden des positiven Rechts, dann wird man schnell zugestehen müssen, dass die Gründe, die für die Annahme eines Eigentums an Geistigem und an Werken geistiger Tätigkeit auf reichlich tönernen Füßen stehen und dass die Normen ihre Geltung sehr profanen und gar nicht geistigen Interessen verdanken. In jenen Zeiten, als die Bibel das meistgelesene und meistgedruckte Buch war, beanspruchte niemand ein Recht auf geistiges Eigentum an diesem Werk,1 weder Gott noch seine Stellvertreter. Der unendliche Nachdruck dieses Buchs galt nicht als Unrecht, sondern als erwünscht. Und auch weltliche Schriftsteller waren eher an der Verbreitung ihrer für wahr oder gut oder schön gehaltenen Schriften interessiert. Noch

1

Eine berühmte Ausnahme ist die Bibel-Übersetzung von König James von 1611, für die es ein ewiges Copyright der englischen Krone gibt.

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im 18. Jh. äußerte beispielsweise von Ludewig die Ansicht: »Die Absicht des Bücherschreibens ist nicht unedler Gewinn, sondern Wahrheit und Weisheit auszubreiten. Diese müssen nicht zurück gehalten, sondern jedem die freieste Gelegenheit, sie zu erlangen, eröffnet werden.«2 Erst seit Lessings Zeiten, der ja, wenigstens zeitweilig, der erste freie Schriftsteller in Deutschland war, gab es ein materielles Interesse der Schriftsteller an Einkünften aus ihrer Tätigkeit, erst jetzt mussten Verleger, Buchdrucker und Buchhändler, oftmals in einer Person vereinigt, die Honorare den Herstellungskosten zurechnen. Da war es dann kein Wunder, dass sie mit ihren Zahlungen für ein Manuskript das Privileg erwerben wollten, die einzigen zu sein, die das Recht hätten, das betreffende Buch zu drucken und zu verkaufen. Die so genannte »Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks«3 wurde nun erfunden und auch von den Schriftstellern des bürgerlichen Zeitalters verteidigt.

2

Zit. bei Hermann Samuel Reimarus: Der Bücherverlag in Betrachtung der Schriftsteller, der Buchhändler und des Publikums abermals erwogen, in: Deutsches Magazin 1 (1791), 383-414, hier 387, Anm. 2.

3

Immanuel Kant: Von der Unrechtmäßgkeit des Büchernachdrucks [1785], in: Immanuel Kant: Gesammelte Schriften, hg. v. d. Königl.-Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910ff., VIII, 79ff. An Kant anknüpfend wird die Unrechtmäßigkeit mit der Verletzung von Autorenrechten begründet, entgegen der historischen Genese und auch entgegen der heutigen amerikanischen Rechtsauffassung. Ein Verleger hat danach nicht ein immaterielles Gut erworben, sondern er ist im Interesse und Auftrag eines Verfassers tätig, verletzt werden also die Rechte eines Verfassers. Lichtenberg notiert in den Sudelbüchern I (F 60), daß die Engländer die Nachdrucker Piraten nennen. Georg Christoph Lichtenberg : Schriften und Briefe, hg. v. W. Promies, München 21975, Sudelbücher I, 470. Immerhin nannte sich Christian Jakob Kraus selbst einen Freibeuter im Reich des Geistes. Christian Jakob Kraus: Vermischte Schriften, hg. v. H. v. Auerswald, Königsberg 1809-1819, VIII, 93, zitiert und interpretiert bei Kurt Röttgers: Kants Kollege und seine ungeschriebene Schrift über die Zigeuner, Heidelberg, 1993, 34; zum »epistemischen Freibeutertum« als Mani-

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Geistiges als immaterielles Gut ist, wie Ulrich Steinvorth gesagt hat,4 etwas von der Art der Platonischen Ideen. Ideen in diesem Sinne lassen sich nicht verkaufen, und selbst wenn jemand einen fände, der eine Idee kaufte, dem Verkäufer würden sie durch den Verkauf nicht abhandenkommen. So konnte man auf den Gedanken kommen, zwar nicht die Idee selbst, wohl aber den öffentlichen Gebrauch der Idee durch den Kaufakt zu privilegieren, vielleicht nicht immer durch Urheberrecht oder durch Patentrecht, aber doch mindestens durch Gebrauchsmusterschutz oder durch Geschmacksmusterschutz. Durch letzteren ist z.B. die Verwendung des Grußbuchstabens »T« in der Farbe Magenta geschützt. Amerikanische Witzbolde haben die Verwendung der Wortfolge »freedom of thought« zum Schutz angemeldet, und als verabredungsgemäß ein Freund die Worte gebrauchte, haben sie ihn verklagt. Die Klage wurde immerhin vom Gericht angenommen, bevor sie dann zurückgezogen wurde. Jedenfalls so viel ist deutlich: Ideen müssen sich inkarnieren, müssen materielle Gestalt annehmen, bevor sie justiziabel werden können; »freedom of thought« nur zu denken gehört zur nicht verfolgbaren »freedom of thought«. Aber wie restlos geht eigentlich die Idee in ihre Inkarnation ein? Verbraucht sie sich in der Materialisierung,5 so dass ein weiterer öffentlicher Gebrauch nicht mehr möglich ist oder sein darf? Wohl kaum. Die meisten Ideen bleiben trotz Materialisierung als Idee erhalten. Also kann sich auch der Begriff des »Geistigen Eigentums« eigentlich nicht auf geistige Gegenstände beziehen, »Geistiges Eigentum« in diesem Sinne gibt es gar nicht. Der Begriff bezeichnet immer nur eine fiktive Zuschreibung.

festation einer nomadischen Vernunft s. auch ders.: Zwei Königsberger ‚Bäume’«, in: Joseph Kohnen ( Hg.): Königsberg-Studien. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. und angehenden 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M. u. a. 1998, 273-293, hier 283. 4

Ulrich Steinvorth: Natürliche Eigentumsrechte, Gemeineigentum und Geistiges Eigentum«, in: Dt. Zs. f. Philosophie 52 (2004), 717-738, hier 728.

5

Vgl. auch: Hans Ulrich Gumbrecht u. K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt/M. 1988.

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Mit dieser Auskunft ist allerdings wenig gewonnen; denn natürlich ist auch der Eigentumsbegriff als solcher eine fiktive Zuschreibung. Keinem Ding kommt phýsei die Eigenschaft zu, Eigentum zu sein. Aber hier, wie auch sonst gilt: Fiktive Zuschreibungen schaffen Realitäten, hier Realitäten des Rechtsraumes. Frage kann also nur sein, welchen Sinn es machen kann, den rechtlich verstandenen Begriff des Eigentums auf solche Güter und Produkte auszuweiten, die nicht exklusive Inkarnationen sind mit der Konsequenz, dass sie jederzeit und überall erneut inkarniert werden könnten. Aber auch das ist noch eine ziemlich naive Formulierung. Inzwischen wissen wir ja von der Tendenz, auch indigenes Wissen auf Vorrat patentieren zu lassen. Wenn diese Tendenz um sich greifen sollte, dann wird man in Zukunft nicht nur die Gen-Maus patentieren können, sondern auch die vom Herrgott oder der Evolution geschaffene Feldmaus und nicht nur den unkrautvernichtungsmittelresistenten Mais von Monsanto, sondern auch die von Menschen in einem lediglich zeitaufwendigeren Verfahren geschaffene Kulturpflanze Mais. Und dann wird jeder, der Saatgut selbst zieht, an irgendwen Tantiemen zu zahlen haben und nicht nur jener kanadische Farmer, der durch Kontamination unfreiwillig teilweise genmanipulierten Mais zusammen mit dem selbstgezogenen Saatgut aussäte. Schreitet dann auch nur die Kontamination schrittweise immer weiter fort, wird am Ende jeder Maisanbauer tributpflichtig. Und das gleiche gilt selbstverständlich auch für die Ideen-Kontamination der Produkte geistigen Eigentums, konkret: wie lang darf ein Zitat sein, um im Rahmen des Urheberrechts als zulässig zu gelten?

I DEENVERKÖRPERUNGEN Ihrer ersten Erscheinungsweise nach begegnen uns Texte als Ideeninkarnationen von der Art der Platonischen Ideen. Dieser Auffassung nach, die auch dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) zugrunde liegt, sind Texte Produkte eines Verfassers irgendeiner Art. Er hat – man weiß nicht woher, vielleicht ist er ein Genie – eine Idee, manchmal, das soll

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vorkommen, sogar mehrere, benutzt dann eine Sprache, deren er mächtig ist, wie ein Werkzeug und eine Schrift, die ihm zur Verfügung steht, wie ein Gefäß. Als Effekt haben wir dann einen Text, dieser will zwar zur Aktualisierung noch gelesen werden, aber wer ihn liest und wann, ist mehr oder weniger ohne Belang. Wenn ich eine Idee habe, wie der Hausfrau geholfen werden kann, die in vollständiger Dunkelheit Strümpfe stopfen möchte und dann das Patent des beleuchtbaren Stopfpilzes anmelde wie seinerzeit Konrad Adenauer, dann ist schon einigermaßen klar, was die Realisierung notwendigerweise enthält, wenigstens eine Batterie, eine Glühbirne, Drähte und ein Etwas von der Form eines Stopfpilzes. Aber woraus besteht notwendigerweise ein Text materiell? Tinte oder Druckerschwärze auf Papier, Schallwellen im Raum, Magnetspuren auf einem Magnetband, elektromagnetische Ladungen auf einer Festplatte, Modifikationen von Gehirnzellen? Aus Zeichen bestehen Texte, sagen wir. Zeichen sind Zwischenwesen wie Engel, weder reiner Geist noch, da in verschiedener und ineinander übersetzbarer materieller Gestalt begegnend, reine Materie. Das könnte, so mag man nun vermuten, der Ansatzpunkt für »Geistiges Eigentum« sein: auf Materialität überhaupt angewiesen, aber anders als materiale Güter auf keine bestimmte. Schon die Zuordnung dieses Zwitterwesens auf Geist und Materie ist allerdings nicht so einfach und eindeutig; aber es wird noch komplizierter. Auch die eindeutige Zuordnung zu Autor und Leser scheitert. Wenn die bestimmte Materialität mehr oder weniger gleichgültig ist, nicht aber die Materialität als solche, das Wesentliche aber der Gehalt des Textes ist, dann gewinnt das rezeptionsästhetische Argument an Kraft, dass die lesende Aktualisierung die Wirklichkeit des Textes sei, nicht die irgendwie zuvor gehabten Ideen eines kreativen Genies, unabhängig von der Niederschrift und auch nicht die Aufzeichnung oder eine der austauschbaren Materialisierungen, ohne dass irgendjemand sie zur Kenntnis nähme. Aber ich gehe noch weiter und werfe ein zweites Problem auf mit der Frage: Wer ist der Autor eines Briefwechsels? In einer kuriosen Verschreibung an einen Geniekult, der allen Gesichtspunkten eines Historischen Materialismus widerspricht, haben die Editoren des Briefwechsels in-

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nerhalb der Marx-Engels-Werk-Ausgabe ausschließlich die Briefe von Marx und Engels aufgenommen. So wird das Ganze ziemlich unverständlich. Aber selbst Texteditionen, wie z.B. die Novalis-Ausgabe, die die Korrespondenten-Briefe mit abdrucken, lassen doch wegen der Zentrierung auf Novalis die Briefe der Korrespondenten untereinander aus, selbst wenn sie für die abgedruckte Korrespondenz von Belang gewesen wären. Wegen des wissenschaftsmoralischen Anspruchs und Erfordernisses, den Forschungsstand zu berücksichtigen, ist jeder wissenschaftliche Text von der Art eines Briefes im Totalgeflecht der Korrespondenzen, und wenn ein Text Sinn hat oder Sinn macht, dann genau dadurch, dass er Anschlüsse ermöglicht, d.h. das auf ihn geantwortet werden kann. Allgemein gesagt: Texte sind Texte innerhalb eines Textgeflechts, das selbst den Charakter eines Textes hat. Wenn Kleist von der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden sprach, wussten es die Frühromantiker noch besser: die allmähliche Verfertigung eines gemeinsamen Textes beim Miteinander-Reden, das nannten sie das Symphilosophieren und trauten dieser gemeinsamen Wahrheitssuche mehr zu, als wenn jeder alleine versuchte, auf die Wahrheit loszumarschieren.6 Die République des Lettres oder heute sagt man die Scientific Community macht genau dieses zum Prinzip. Allgemein und radikalisiert formuliert: Kein Verfasser ist Autor eines Textes. Das zwingt nun dazu, die Perspektive einmal umzukehren. Nicht vom einsamen Menschen auszugehen, dem (irgendwie) eine Idee in den Sinn kommt und der sich dann entschließt, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, um ihnen diese Idee via Text zu übermitteln, sondern auszugehen vom verbindenden Medium, vom Text, und die Rollen und Rechte von dorther zu untersuchen.

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Zum Symphilosophieren der Frühromantiker s. Kurt Röttgers: Texte und Menschen, Würzburg1983, 84-118.

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Also versuchen wir doch einmal die dritte Kopernikanische Wende und denken nicht mehr von den Polen her, sondern von der Mitte, vom Feld zwischen den Polen, vom Medium aus. Für eine solche Wende gibt es in unserer Zeit einige Vorbilder, von denen ich nur wenige nennen möchte. Für Derrida beispielsweise sind alle Texte mit allen Texten verwoben, so dass es keinen originären Text und keinen originalen Texturheber mehr gibt.7 Den Textanschluss, den ich als Sinn bezeichne,8 charakterisiert Derrida als Zitat, als Aufrufen, als Einfügen fremder Texte und verwendet allgemein dafür die hortikulturelle Metapher der Pfropfung9. In dieser alltextuellen Welt gibt es ein Text-Äußeres nicht mehr.10 Oder wiederum mit den Worten eines anderen, nämlich des Ethnologen Clifford Geertz: »Die Kultur eines Volkes besteht aus einem Ensemble von Texten, die ihrerseits wieder Ensembles sind [...]«11 In solcher intertextueller Unordnung, soviel ist jetzt schon absehbar, gerät der Begriff des »Geistigen Eigentums« unter Druck. Es hilft aber nichts: Schon Martin Heidegger verstand das Miteinandersprechen als den Spielraum des In-der-Welt-Seins. Im Miteinandersprechen, letztlich im Mitsein haben wir nach ihm eine Voll-

7

Vgl. Lutz Ellrich u. Nikolaus Wegmann: Theorie als Verteidigung der Literatur? Eine Fallgeschichte: Paul de Man, in: Deutsche Vierteljahresschr. f. Literaturwiss. u. Geistesgesch. 64 (1990), 467-513, hier bes. 494.

8

Vgl. Jürgen Frese: Ideologie. Präzisierungsversuch an einem wissenssoziologischen Begriff, Münster, 1965, 42.

9

Jacques Derrida: Dissemination, Wien 1995, 226, 402; s. dazu auch Sarah Kofman: Derrida lesen, Wien1988, 15f.

10 Jacques Derrida: Positionen, Wien1986, 67; ders.: Grammatologie, Frankfurt/M. 1974, 274 (dort allerdings noch bezogen auf die Welt Jean-Jacques Rousseaus); ders. im Gespräch mit Peter Engelmann, in: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion, Stuttgart 1990, 20f. 11 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung, Frankfurt/M. 31994, 259.

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zugsform der Selbstauslegung des Daseins.12 Und Paul Ricœur formulierte: »Was der Text [...] aussagt, zählt mehr als das, was der Autor damit auszusagen meint, und jede Exegese entfaltet sich in einem Umkreis von Bedeutungen, die ihre Verankerung in der Psyche des Autors verloren haben.«13 Gadamers Verstehensbegriff explizierend formuliert Heike Kämpf: »Nicht meine Rede und die des anderen treffen aufeinander, sondern wir sprechen miteinander und etablieren ein Zwischenreich des Sprechens, in dem keiner von beiden aufgeht.«14 Der Text ist – und ich nenne ihn deshalb in meiner Sozialphilosophie den kommunikativen Text – eine Architektur eines Zwischenraumes. In ihm kann allerlei gesagt werden, nur nicht ein Individuum, dieses und sein ineffables Innen bleibt im Außerhalb des Textes. Ein Autor wird unter diesen Umständen eine »Rolle« im Text, wie Max Frisch gesagt hat,15 oder genauer: eine Funktionsposition im Text, die eine Rolle bereitstellt.16 Nach diesem kleinen Panorama von sozusagen Weggenossen auf dem Weg der Entwicklung eines sozialphilosophischen Konzepts des kommunikativen Textes möchte ich jetzt dieses Konzept selbst vorstellen. Wir gehen also im Folgenden vom kommunikativen Text als dem Zwischenbereich aus. Kommunikativer Text soll dieser Bereich deswegen heißen, weil er erstens syntagmatisch (prozessual) ist (im Unterschied zum Paradigma oder Sprachsystem), weil er zweitens tat-

12 Martin Heidegger: Der Begriff der Zeit, hg. v. Hartmut Tietjen, Tübingen 1989, 12f. 13 Paul Ricœur: Der Text als Modell: Hermeneutisches Verstehen, in: HansGeorg Gadamer u. Gottfried Boehm (Hg.): Seminar: Die Hermeneutik und die Wissenschaften, Frankfurt/M. 1978, 83-117, hier 89. 14 Heike Kämpf: Die Exzentrizität des Verstehens, Berlin2003, 175. 15 Max Frisch: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, Bd. III, Frankfurt/M 1986., 416. 16 Zum Autor im Text s. Kurt Röttgers: Das Leben eines Autors, in: Dialektik 2005/1, 5-22.

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sächlich sprachlich (kulturell: symbolisch und normativ) verfasst ist (im Unterschied zur bloßen Leib-Vermittlung, als welche ein Teil der Phänomenologie diesen Zwischenbereich als Leitbegriff für die Wahrnehmung genommen hat) und weil er drittens von Anfang an ein soziales Phänomen ist. Der kommunikative Text entfaltet sich also zugleich in den drei Dimensionen der Zeit, der Symbole und Normen und des Sozialen. So wie aber Zeitlichkeit sich von Anfang an in zwei entgegengesetzte Richtungen entfaltet (Zukunft und Vergangenheit), von der Aktualität, das heißt Gegenwart des Textes aus gesehen, so stehen im Symbolisch-Normativen sich die beiden Richtungen des Symbolischen (bei Kant die »Kritik der reinen Vernunft«) und des Normativen (bei Kant die »Kritik der praktischen Vernunft«) entgegen. Im Sozialen wollen wir diese zwei Pole nach der Innen/Außen-Differenz markieren.17 Das Selbst im kommunikativen Text ist mit seinem Inneren und mit seinem Äußeren konfrontiert, wobei das Selbst den Indifferenzpunkt bezeichnet, dem in der Zeitdimension die Gegenwart entspricht. Den Husserlschen Zeitanalysen zu folgen, heißt aber auch, zwei Formen von Vergangenheit auseinanderzuhalten: die mit der Gegenwart mitgegebene Retention und die durch eine eigene Intention konstituierte Reproduktion. Die Mitgegebenheit können wir als Nähe apostrophieren, wenn wir nicht eine vermeintlich objektiv vorgegebene Zeit als Maß von Nähe und Distanz verwenden, sondern die Qualität eines ungebrochenen Kontinuums. Die Reproduktion als eigener intentionaler Akt dagegen setzt immer eine über die Wahrnehmungsgegenwart und ihre Nähe der Retentionen hinausgehende zweite Intention voraus, die sich zu der ersten als ein Bruch verhält. Durch die Reproduktion wird die Nähe des Kontinuums zerbrochen und zu einer neuen (konstruierten) Kontinuität zusammengefügt. Das gleiche gilt für die Zukunft: protentional mitgegebene Zukunft, also (in der klassischen Harmonik) das Schon-Erwarten des auflösenden Grundakkords beim Er-

17 Vgl. auch Dieter Wyss: Beziehung und Gestalt. Entwurf einer anthropologischen Psychologie und Psychopathologie, Göttingen 1973, 147-189.

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klingen des Quintseptakkords einerseits, die explizite Vorstellung zukünftigen Geschehens andererseits: wird er mich nach dem Konzert zu einem Drink einladen? Beide Erwartungen können enttäuscht werden, da ja die Zukunft offen ist, aber sie ist in beiden verschiedenen Erwartungen auf verschiedene Weise offen. Diese Analyse-Struktur (bidirektional und gebrochen/ungebrochen) lässt sich nun auch auf die anderen beiden Dimensionen des kommunikativen Textes erfolgreich übertragen, wobei uns hier im Moment nur die soziale Dimension zu interessieren braucht. Begrifflich können wir dabei folgende Analoga feststellen: Dem Begriff der Gegenwart (bezogen auf den kommunikativen Text) lassen wir den Begriff des Selbst entsprechen, beide sind nichts anderes als zentrierende Funktionsorte für die Differenzierung der Richtungen. Wollen wir so vorgehen, so muss dem Selbst jegliche Substantialisierung oder feste Verbindung mit einer Substanz abgesprochen werden. So wie Gegenwart nicht heißt 7.30 Uhr, oder allenfalls zweimal am Tag (wenn man die Zuordnung auf eine objektive Zeit einen Moment für zulässig erklärt), so heißt »Selbst« natürlich nicht Kurt Röttgers, ja sogar das Fichtesche Ich oder das Subjekt der Moderne können hier nicht eintreten. So wie die Gegenwart von eben, was den substantiellen Gehalt betrifft, jetzt Vergangenheit ist, so ist auch das Selbst abgeschattet in sein Anderes. Und damit haben wir sogleich den relationalen Gegenbegriff zum Selbst eingeführt. Der temporalen Nicht-Gegenwart entspricht das Andere des Selbst, das mit diesem zusammen changiert. So wie wir aber keine Mühe haben, in der Nicht-Gegenwart Zukunft und Vergangenheit auseinander zu halten, obwohl doch beide nicht zuhanden sind, haben wir ebenfalls keine Probleme, den Anderen als einen inneren und als einen äußeren Anderen des (wechselnden) Selbst zu betrachten. Wenn wir diese beiden Richtungen des Nicht-Selbst wiederum nach »ursprünglichem« Kontinuum und reflektierter Kontinuität differenzieren, so entstehen uns vier zu besetzende Begriffsfelder. Den äußeren Anderen nach Nähe und Distanz zu differenzieren, ist nicht besonders schwierig, weil F. Tönnies mit seiner Unterscheidung von Gemein-

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schaft und Gesellschaft18 die entscheidende Vorarbeit geleistet hat, die in ihrer Differenziertheit und vor allem in ihrer funktionalen Begründung durch »Willen«-Manifestationsformen von der Kommunitarismus-Debatte überhaupt noch nicht eingeholt worden ist, vor allem aber weil diese sich des Abgleitens in substanzmetaphysische Begründungen oft nicht zu erwehren weiß. Etwas schwieriger wird es – wie sollte es auch anders sein –, wenn wir nach innen blicken. Zuvor aber noch eine Vorbemerkung zur obigen Verwendung des Wortes »ursprünglich«. Ursprünglichkeit ist nichts unmittelbar Gegebenes, sondern eine hoch vermittelte Fiktion. Wir kommen nicht aus dem Heil (aus dem biblischen Paradies, der Rousseauschen Natur o. ä.), sondern wir leben (notwendigerweise?) in und aus dem Glauben, wir kämen aus dem Heil. Damit ist der Ursprung nichts Ursprüngliches, sondern der Reflexionsinhalt »Unreflektiertes«. Schon an dem Begriff der Retention ließe sich das aufweisen. Das retentional Mitgegebene einer intentionalen Wahrnehmungsgegenwart liegt außerhalb des Intendierten (Husserl spricht vom »Hof« der Gegenwart, wie vom Hof des Mondes). Erst die Reflexion darauf, sei es die Reflexion in Gestalt einer intentionalen Reproduktion auf das zuvor retentional Noch-Mitgegebene, sei es in philosophischer Reflexion der phänomenologischen Analyse fördert diese »ursprüngliche« Vergangenheit zu Tage. – So darf auch die soziale Analyse von Gemeinschaft nicht zu dem Irrtum verleiten, die Grundlage aller sozialen Beziehungen sei letzten Endes die Gemeinschaft.19 Wenn wir uns nun auf die Suche nach der Begrifflichkeit für den inneren Anderen machen, so können wir vielleicht diesen insgesamt als

18 Ferdinand Tönnies: Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt 31991. 19 Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft, in: ders.: Gesammelte Schriften, Frankfurt/M. 1980ff., I, 7-133; anders bereits John Dewey, der von der »Great Community« (statt Great Society) sprach, und heute natürlich die Kommunitaristen; zu John Dewey s. Tanjev Schultz: Die »Große Gemeinschaft«. Kommunikation, Demokratie und Öffentlichkeit im Pragmatismus von John Dewey, Essen 2001.

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»Seele« bezeichnen, aber so wie dieser Begriff in der heutigen Psychologie weitgehend verfemt oder ignoriert ist, so lässt uns die Psychologie in der begrifflichen Erschließung dieser Dimensionsrichtung des kommunikativen Textes weitgehend allein. Ich habe daher vorgeschlagen, für die Nähefunktion des Seelischen den alten deutschen Begriff des Gemüts wieder einzuführen. Nach Auskunft der Etymologen bezeichnet das seit dem 9. Jahrhundert belegte Wort als Kollektivbildung zu »Mut« anfänglich »die Gesamtheit aller Sinnesregungen und seelischen Kräfte«, eine Einengung der Bedeutung auf affektive Regungen sei erst seit ca. 18. Jahrhundert vonstattengegangen.20 Diese Sprachverwendung folgt nicht vollständig dem älteren Sprachgebrauch,21 wo Gemüt oftmals lateinisch mens entspricht, was dann heute eher mit »Geist« wiedergegeben wird. Man vergleiche jedoch Meister Eckhart: »Ein kraft ist in der sêle, diu heißet das gemüete …«22 Und an anderer Stelle spricht er sogar vom Gemüt als »dem innersten wesen der sêle«, der Ort, an dem Gott zur Seele spricht. Eine frühe deutliche Separierung von Gemüt und Verstand findet sich bei F. Schlegel: »Sinn der sich selbst sieht, wird Geist; Geist ist innre Geselligkeit, Seele ist verborgene Liebenswürdigkeit. Aber die eigentliche Lebenskraft der innern Schönheit und Vollendung ist das Gemüt. Man kann etwas Geist haben ohne Seele, und viel Seele bei weniger Gemüt. Der Instinkt der sittlichen Größe aber, den wir Gemüt nennen, darf nur sprechen lernen, so hat er Geist. … Gemüt ist die Poesie der erhabenen Vernunft […]«23

20 Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin 1989, I, 534. 21 S. Grimmsches Wörterbuch, Bd. V, Sp. 3297. 22 Zit. ebd, Sp. 3295. 23 Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe, Bd. II, hg. v. Ernst Behler, München u.a. 1967, 225 (Ath. fr. 339); in seiner Charakteristik Lessings bezeichnet er Gemüt als »lebendige Regsamkeit und Stärke des innersten, tiefsten Geistes« (ebd, 106).

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Wenn also Gemütskrankheit ziemlich eindeutig die deutsche Bezeichnung für Melancholie ist, so handelt es sich vermutlich um eine Störung der inneren Nahbeziehungen, die natürlich24 mit Störungen äußerer Nahbeziehungen eines Selbst in Verbindung stehen können. Wir wollen demgegenüber die auf einem Bruch und Reflexion beruhenden Seelen-Teile Selbstbewusstsein nennen. In dem Begriff deutet sich auch die (explizite) Bezogenheit des inneren Anderen auf ein Selbst an, zugleich aber bleibt deutlich mit der gesamten philosophischen Tradition der Reflexionstheorie, dass reflektierendes und reflektiertes Selbst nie identisch sind, so dass Selbstbewusstsein etwas ganz anderes ist als die Bewusstheit eines Selbst (von etwas). Andererseits bleibt in der Bezogenheit aufeinander deutlich, dass es sich nicht um Substanzen handelt, sondern um wechselbare Positionen in der sozialen Dimension des kommunikativen Textes. Nun baut sich aber die soziale Welt, wie gesagt, nicht aus Dyaden oder Dyadenverkettungen auf. Diesem Grundirrtum unterliegen Kontraktualismus und Anerkennungstheorie in gleicher Weise. Keine Gesellschaftsstruktur lässt sich aus lauter Zwischenmenschlichkeit aufgebaut denken. Erst die Figur des Dritten25, der mehr ist als bloß ein weiterer Anderer, konstituiert das Soziale. Er stört, er vermittelt, er verbindet, er trennt, er wird eingeschlossen, er wird ausgeschlossen. Auf jeden Fall begründet er eine weitere Ebene: Er beobachtet und beurteilt die Beziehung von Selbst und Anderem. Aber es gibt keinen Grund, nun voreilig den Egalitarismus (von Kontraktualismus und Anerkennungstheorie) zu verabschieden und sich einem hierarchischen Schema zu verschreiben. Denn der Dritte ist ebenso wenig substantiell festgelegt, wie Selbst und Anderer. Insofern wechselt auch die Position des

24 Die so genannten reaktiven Depressionen. 25 Michel Serres: Der Parasit, Frankfurt/M 1981.; Georg Simmel: Gesamtausgabe, Bd. XI, hg. v. Otthein Rammstedt, Frankfurt/M. 1992, 63-159; Kurt Röttgers: Kategorien der Sozialphilosophie, Magdeburg 2002, 245-271; Thomas Bedorf: Dimensionen des Dritten, München 2003; Pascal Delhom: Der Dritte, München 2000.

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Dritten. In der Ehe scheint das Kind, als Neuankömmling einer weiteren Generation, der Dritte zu sein. Achtet man jedoch auf die vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Mutter-Kind-Beziehungen, so scheint eher der Vater der Dritte zu sein. Achtet man auf Geschlechtsgenossenschaft etwa eines Sohnes, dann ist die Mutter die Dritte; achtet man auf die ödipalen Verhältnisse kehrt sich letzteres um. An diesem Punkt kann aber auch die strikte Trennung von Innen und Außen nicht aufrechterhalten bleiben.26 Denn in die innere SelbstBeziehung kann sehr wohl ein äußerer Dritter intervenieren. Alle Erziehungsprozesse, insofern sie sich nicht extrem rousseauistisch selbst missverstehen, sind von der Art der Intervention in die Beziehung eines Selbst zu seiner Seele. Und wenn ein Selbst seine Beziehung zu einem Anderen »selbstkritisch« prüft, dann tut es nichts anderes, als in die äußere Beziehung von der Position eines inneren Dritten aus zu intervenieren. Wir wollen aber auf eine weitere Figur des Sozialen hinweisen und nach ihren psychischen Analoga fragen. Es ist dieses die Gestalt des

26 Kritisch dazu bereits Novalis: Sämtliche Schriften, Bd. II, Stuttgart1965, 419: »Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg […]« (Ath. fr. 16) und: »Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Puncte der Durchdringung.« (Ath. fr. 19) Sowie schließlich die Reziprozitäts-These von Ath. fr. 45: »In sich zurückgehn, bedeutet bey uns, von der Außenwelt abstrahiren. Bey den Geistern heißt analogisch, das irdische Leben eine innere Betrachtung, ein in sich Hineingehn, ein immanentes Wirken. So entspringt das irdische Leben aus einer ursprünglichen Reflexion, einem primitiven Hineingehn, Sammeln in sich selbst das so frey ist, als unsre Reflexion. Umgekehrt entspringt das geistige Leben in dieser Welt aus einem Durchbrechen jener primitiven Reflexion. Der Geist entfaltet sich wiederum, geht aus sich selbst, wieder heraus, hebt zum Theil jene Reflexion wieder auf, und in diesem Moment sagt er zum erstenmal Ich. Man sieht hier, wie relativ das Herausgehn und Hineingehn ist. Was wir Hineingehn nennen, ist eigentlich Herausgehn, eine Wiederannahme der anfänglichen Gestalt.«

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Fremden. Und unter Fremdem wollen wir etwas anderes verstehen als nur einen Anderen, der noch ein bisschen mehr anders ist als andere Andere. Die xenologische Beziehung eines Selbst ist etwas anderes als bloß eine Steigerung der Alteritätsbeziehung, so dass wir bei entsprechender Gutwilligkeit jeden Fremden als einen Anderen behandeln und verstehen könnten, also gewissermaßen ein-andern könnten. Anders als »ursprüngliches Kontinuum« und rekonstruierte Kontinuität liegt zwischen Eigenem und Fremdem eine nicht überbrückbare Grenze. Zur Herausbildung des Bewusstseins von Eigenheit (inklusive Eigentum) gehört die Ausgrenzung des Fremden. Zwar kann jeder konkrete (vormalige) Fremde verstanden und damit zu einem Anderen gemacht werden, mit einer solchen Einzelmaßnahme erübrigt sich aber nicht die Notwendigkeit der Unterscheidung von Eigenem und Fremdem und damit die Aufrechterhaltung irgendeiner Art von Abgrenzung. Das »Fremdeln« ist unverzichtbar für die Begründung und Aufrechterhaltung von Eigenheitsbewusstsein. Der/das oder die Fremde ist das Jenseits der Grenze des Verstehens, es ist zugleich bedrohlich, weil es die Gestalt der Frage an das Selbstverständliche ist, aber darin genau ist es auch faszinierend und verführerisch. Diese Wilden stehen außerhalb des kommunikativen Textes, in dem sich die Positionen von Selbst und Anderem bewegen. Das Wichtige ist aber hier, wie bisher schon, dass es nicht substantiell festmachbare Eigenschaften sind, die den Fremden zum Fremden machen. Denn fremd ist er ja immer nur in Bezug auf eine Sphäre der Eigenheit. Ob er sich selbst oder seinesgleichen fremd ist, eben das wissen wir genau deswegen nicht, weil wir seine Fremdheit-zu-uns nicht verstehend an-eignen können – wenn er denn noch ein Fremder ist. Da aber diese Fremdheitsgrenze weder substantiell festliegt noch auch in modernen und postmodernen Gesellschaften stabil ist, kann die Grenze auch plötzlich ganz in der Nähe auftauchen. So kann es sein, dass uns die Lebensgefährtin, mit der wir jahrelang Tisch und Bett in großer Vertrautheit geteilt haben, jäh ganz fremd erscheint. Wir glaubten sie zu kennen und zu verstehen, und plötzlich ist sie uns faszinierend oder bedrohlich fremd. Das ist unter anderem der Grund, warum

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es unangemessen erscheint, Fremdheit als Steigerung von Alterität zu begreifen. Mit den gesellschaftlichen Anderen sind wir in einen Text eingebunden, in dem Verträge, Normen etc. die gegenseitigen Erwartungen steuern und absichern. Mit dem oder der Fremden ist nur etwas Atextuelles möglich: Sex oder Gewalt – in ihrer textualitätsfreien Form, das heißt als sinnlose Gewalt und als liebelose Leidenschaft, wobei in der Tat die Beziehungen der Nähe eher durch zügellosen Sex, die gesellschaftlichen Beziehungen eher durch terroristische Gewalt bedroht zu sein scheinen. Nun haben wir uns zu fragen, welche seelischen Analoga wir für die Figur des Fremden ansetzen dürfen. Wo werden in der Seele Grenzen gezogen, jenseits derer das Verstehen aufhört? Ich glaube, dass dieses die eigentliche Funktion des psychoanalytisch geprägten Begriffs des Unbewussten ist, das Jenseits der Grenze des Verstehens zu markieren. Auch hier liegt die Grenze nicht durch Substantielles fest, wie Freud teilweise noch mit seiner triebtheoretischen Interpretation des Unbewussten und seiner Lokalisierung des Es im Gehirn zu unterstellen schien, so dass er – gemäß der Devise »wo Es war, soll Ich werden«, die Expeditionen ins Unbewusste mit dem Großprojekt des Trockenlegens der Zuidersee verglich.27 Angemessen wäre der Vergleich mit dem Trockenlegen »des« Meeres gewesen, das heißt jeglichen Meeres, was offenkundig Unsinn ist. Bestimmte Küstenlinien sind veränderbar, die Grenze zwischen Land und Meer wird dadurch aber nicht überhaupt aufgehoben. So versuchen Abraham und Torok mit Hilfe des Begriffs der »Krypta« zu zeigen,28 wie dann, wenn Unbewusstes zur Sprache kommt (zum Sprechen gebracht wird in der psychoanalytischen talking cure), sich neue, kryptische Strukturen aus dem Jenseits des kommunikativen Textes der Seele herausbilden. Das aber geschieht genauso wenig aus einer – etwa in seiner somatischen Triebhaftigkeit gegründeten – Eigendynamik des Unbewussten, wie es

27 Sigmund Freud: Gesammelte Werke, Bd. XV, Frankfurt/M1978., 86. 28 Nicholas Abraham u. Maria Torok: Kryptonymie. Das Verbarium des Wolfsmanns, Frankfurt/M. 1979.

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auch nicht die Indianer waren, die sich Jahrtausende vor den Spaniern versteckt hielten, bis Kolumbus sie dann doch fand, woraufhin sich einige noch tiefer im Urwald versteckten (in diesem Sinne sprach ja Freud irreführenderweise von dem inneren Afrika). Vielleicht ist es eher so wie der Horizont, der eine jeweilige Grenze ist, was die genaue Lage betrifft, überschreitbar, aber nicht abschaffbar, weil anderes in unserem Rücken hinter der Horizontlinie verschwindet, während wir vorne wandernd Unsichtbares sichtbar machen. Und im Begriff der Verdrängung hatte ja Freud begrifflich vorgesehen, dass Bewusstes im Unbewussten verschwindet. Und vielleicht ist ja die Angst vor dem Land, in dem »die wilden Kerle wohnen«29, die gleiche Angst, die uns vor unserem inneren Chaos erschreckt. Der kommunikative Text operiert nicht im Außerhalb seiner selbst. Anschließbarkeits-Gewissheiten gibt es nur innerhalb, außerhalb ist für den Text das Chaos.

E IGENTUM Wenn also gemäß in diesem Konzept des kommunikativen Textes im Gewebe der Texte, d.h. in Intertextualität, jeder Text mehrere Autoren hat, dann ist die Frage, wen man hier noch als Eigentümer bezeichnen darf. Generell steht der Begriff des Eigentums jenseits der Sphäre des kommunikativen Textes; er wird nicht auf ein Selbst oder den Anderen als Positionen im kommunikativen Text zugerechnet, sondern auf ein Umfassenderes, dessen Abgrenzung nur noch durch die Figur des Fremden erfolgt. Anders als Selbst, dessen Besetzung als Position variabel ist, ist die Eigenheitssphäre, zu der auch Eigentum gehört, durch Identität gekennzeichnet und, sofern die Identität in der Zeit als Kontinuität aufrechterhalten wird, durch Handlungsmodalisierung durch Macht. Der Eigentümer ist mächtig, als Eigentümer verfügungsmäch-

29 Maurice Sendak: Wo die wilden Kerle wohnen, Zürich 1967.

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tig. Die klassische Eigentumsdefinition der bürgerlichen Moderne ist von Locke formuliert worden und an das Personsein gebunden. Mit der Zumutung, eine individuelle Person in der Gesellschaft sein zu sollen, geht einher die Berechtigung, Eigentum haben zu dürfen. Was heißt das nun für den Begriff des Eigentums am Text? Zunächst folgt als erste zwangsläufige Aussage: Es gibt in diesem Sinne kein Eigentum am Text, weil die Begriffe auf verschiedenen analytischen Ebenen liegen. Wenn wir hier auf dieser Tagung miteinander reden, diskutieren und so in einen gemeinsamen kommunikativen Text eingebunden sind, dann kann keiner von uns ein Eigentum an diesem gemeinsamen Text, den wir kollektiv weben, reklamieren, und zwar nicht nur aufgrund des Fehlens einer Rechtsgrundlage, sondern weil es begrifflich unmöglich und unsinnig ist. Aber – wird man dieser negativen Auskunft hinzufügen müssen – ein solches Eigentum kann sehr wohl begründet werden, und zwar genau dadurch dass eine Demarkation vollzogen wird, d.h. durch Definitionen und Festlegungen von Ausschlüssen. Wenn – normalerweise mithilfe des Rechts – markiert werden kann, wer von diesem Text und seiner Intertextualität ausgeschlossen sein soll, dann ist dadurch mit markiert der Eigentümer des Textes, der als eine Person identifiziert werden kann, und sei es im Begriff des Gemeineigentums als eine kollektive Person. Die Ausschlüsse können verschiedene Ausmaße annehmen. Erstens kann der Zugang überhaupt gesperrt sein, z.B. durch Regelungen des Jugendschutzes oder durch Geheimhaltungs- und Staatsschutzbestimmungen; zweitens kann aber auch der Zugang privilegiert werden, z.B. bei Software durch eine Verpflichtung zur Registrierung, d.h. durch eine Identitätszuweisung; es kann aber drittens auch eine Demarkation durch Kultur erfolgen. An einem georgischen Text können nur des Georgischen Mächtige teilnehmen. Ob man die Eigentümlichkeit des Georgiertums der Georgier bereits als Eigentum bezeichnen darf, mag man bezweifeln; unzweifelhaft ist jedoch, dass diese Eigentümlichkeit in ihrer Erzeugung, bzw. Erwerbung den gleichen Mechanismen der Differenz von propre et l’étranger verdankt und dass sie sich ebenfalls des Rechts (als Minderheitenschutz oder als Staatsbürgerrecht) bedient. Eine

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Eigenheitssphäre zu haben und mit ihr Eigentum, schließt die Fremden von der Nutzung dieses Eigentums und der Zugehörigkeit zu dieser Eigenheitssphäre aus. Rein begrifflich gesehen sind solche Exklusionen keine generellen, sondern jeweils spezifische. Je mehr aber die Eigenheitssphäre bestimmter Personen ausgedehnt werden, desto geringer werden tendenziell die Chancen der Ausgeschlossenen, je eigene Eigenheitssphären auszubilden, die so genannte soziale Marginalisierung. Es ist prinzipiell möglich, auch die Ebene geistiger Gehalte so zu verknappen, Foucault hat auf die Mechanismen hingewiesen30, dass, obwohl geistige Sachverhalte beliebig vermehrbar sind, die Zugänge gleichwohl mächtigen Einschränkungen unterliegen. Tritt aber dieser Fall zunehmend auf, d.h. wird immer mehr zu »Geistigem Eigentum« deklariert, dann werden die Chancen zur Ausbildung von Eigenheit minimiert, d.h. die sozialen Bedingungen der Moderne werden selbst unterminiert, worauf Christan Schmidt hingewiesen hat.31 Nun braucht man den Untergang der Moderne natürlich nicht unbedingt zu beweinen, aber man sollte auf jeden Fall die Augen nicht wünschend davor verschließen, dass es so ist. Es gibt also kein Eigentum am Text, weil der Text herrenlos ist, aber es lässt sich – wie auch bei sonstigen herrenlosen Sachen, Eigentum erwerben, und zwar über Identifikationen. Enzyklopädisches Wissen der Menschheit gehört nach den Ansprüchen der bürgerlichen Aufklärung allen Vernünftigen zugleich und gemeinsam. Die Privilegierung von Wissen als Arkan-Wissen stand dementsprechend immer unter Verdacht. Und diejenigen, die aus dem Besitz und der Weitergabe von Wissen ein Geschäft machten, standen folglich immer schon unter Verdacht, seien es nun die Sophisten im alten Griechenland,32

30 S. insbes. Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1977. 31 Christian Schmidt: Die zwei Paradoxien des Geistigen Eigentums, in: Dt. Zs. f. Philosophie 52 (2004), 755-772. 32 Vgl. Kurt Röttgers: Der Sophist, in: Ralf Konersmann (Hg.): Das Leben denken – Die Kultur denken, Freiburg, München 2007, I, 145-175.

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seien es die Prozesskrämer der frühen Neuzeit, die aus dem Verkauf von Rezepturen für chemische Prozesse eine Erwerbsquelle machten.33

AUTORENRECHTE ? Wenn wir den kommunikativen Text als seiner Natur nach eigentumsunfähig bezeichnet haben, aber durch Demarkationen dann eben sekundär doch mittels Identitätszuweisungen als eigentumsfähig, so bleibt jetzt allerdings noch die Frage, die sich nicht mehr auf die Performanz des sozialen Prozesses bezieht, sondern auf dessen Gehalt. Im Text wird Wissen generiert; ich sage bewusst »generiert« und nicht »übermittelt«, wie mancher wohl vermuten möchte, weil ich, diesmal mit Niklas Luhmann, davon ausgehe, dass Wissen nicht an Bewusstsein, sondern an Kommunikation gekoppelt ist.34 Ein nicht in Kommunikationsprozesse eingelassener Bewusstseinsinhalt, wenn so etwas überhaupt vorstellbar ist und nicht wie mystisches oder kynisches Wissen als bloße Negation kommunizierten Wissens auftritt, wäre gewiss kein Wissen. Wissen ist es nur als im kommunikativen Text geteiltes Wissen real. Das aber heißt nichts anderes als dass Wissen von der gleichen Art ist wie der kommunikative Text generell. Wahrnehmen, was der Fall ist, darin sind sich sogar Hegel und Luhmann einig, täuscht im Begriff. Zum Ergreifen des Wahren, zum Begriff bei Hegel, zum Wissen mit rechtfertigbarem Wahrheitsanspruch also, wird es erst auf der Konsistenzebene des kommunikativen Prozesses. Nur geteiltes (shared) Wissen ist überhaupt Wissen. Subjektzentrierte Theorie könnten nun auf den Einfall verfallen, dass, selbst wenn wir erst geteiltes Wissen als Wissen bezeichnen dürfen, es doch so etwas wie einen vorherigen Bewusstseinsinhalt geben müsse, der dann ein potentielles, also potentiell kommunizierbares

33 Ders.: Der Ursprung der Prozeßidee aus dem Geiste der Chemie, in: Archiv f. Begriffsgesch. 27 (1983), 93-157. 34 Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1990.

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Wissen bilden müsse, der dann in einem Austauschprozess der Subjekte zum gegenseitig akkreditierten Wissen würde. Es bliebe für diese Sicht der Dinge aber zu begründen, welche Vorteile eine subjektzentrierte Theorie des Wissens böte gegenüber einer medialitätstheoretischen und ob die Kosten, die dafür in Kauf genommen werden müssen (also der ganze Problemkomplex der Intersubjektivitätstheorie und das Problem des Verstehens, vor allem anderen) nicht viel zu hoch sind, den scheinbaren Vorteil größerer Nähe zu alltagsweltlichen Intuitionen auszugleichen. Ich habe keine Erklärung dafür, dass dieses Argument alltagsweltlicher Intuitionen in philosophischen und sozialphilosophischen Kontexten immer noch ernsthaft vorgebracht wird. Denn erstens ist diese Intuition ein kulturelles Spätprodukt der europäischen Neuzeit, also in seiner Geltungsgenese kontingent, zweitens aber und viel wichtiger, würde man dieses Argument auch in den Naturwissenschaften ernst nehmen, dann würden wir heute noch Anhänger des ptolemäischen Weltbildes sein, denn das sieht man doch, dass die Sonne tatsächlich jeden Morgen aufgeht und das spürt man doch, dass die Erde sich nicht dreht, und wir wären noch Anhänger der Phlogiston-Theorie der Verbrennung, denn das sieht man doch, dass in Feuer, Flamme und Rauch etwas in den brennbaren Stoffen frei wird. Wissenschaftlich organisiertes Wissen ist allemal kontraintuitiv, und der methodische Ausgang vom kommunikativen Text beruft sich demgemäß nicht auf angebliche Intuitionen, sondern auf die Kraft und Reichweite des Beschreibungs- und Erklärungspotentials. Nehmen wir die Perspektive des Bewusstseins ein, so werden wir sagen müssen, Bewusstseine sind füreinander intransparent. Nicht was wir denken oder wahrnehmen, hat Relevanz für die anderen, sondern was gesagt wird.35 Wenn jemand mit Täuschungsabsicht irrtümlich etwas sagt, was als wahres Wissen im kommunikativen Text akzeptabel ist, d.h. als Sinnstruktur an-

35 Rosenstock-Huessy meinte sogar: »Jeder von uns wird in das Buch des ewigen Lebens nur für das eingetragen, was er gesagt hat, für nichts anderes!« Eugen Rosenstock-Huessy: Das Geheimnis der Universität, Stuttgart 1958, 121.

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schlussfähig, dann spielt seine böse Absicht keine Rolle. Und selbst später als Irrtümer anerkannte Überzeugungen können sich im kommunikativen Text als uneingeschränkt anschlussfähig erweisen, so wie wir die einheimischen Bewohner des Vespucci-Kontinents weiter als Indianer oder Indios bezeichnen, auch wenn Indien ganz woanders liegt. Die Intransparenz der Bewusstseine füreinander oder dass zwei Subjekte nicht ohne Kommunikation füreinander oder miteinander Sinn bilden können, lässt den kommunikativen Text als den einzigen Ort der Emergenz von Sinn als Kommunikationsanschlüssen erscheinen. Wissen ist als Kommunikations-Gehalt nur an Wissen sinnhaft anschließbar. Weil Individuen füreinander intransparent sind, d.h. weil sie in einem pseudo-emphatischen Sinne sich nicht verstehen können, deswegen ist Verstehen durch Missverstehen möglich und nötig. Identitätszuweisungen und Demarkationen ermöglichen Eigentum am Text. Wissen als Kommunikationsgehalt ist von dieser Struktur mitbetroffen. So ist Eigentum an Wissen möglich, aber nur genau dadurch, dass Exklusionen vollzogen werden, und zwar durchaus wiederum auf unterschiedliche Art und Weise. Wenn der Inhalt eines Bewusstseins nicht in Kommunikation eingehen kann, dann heißt das genau, dass Eigentum an Wissen, »Geistiges Eigentum« also, sich nicht auf Bewusstseinsinhalte beziehen kann. Das, wozu sowieso niemand anderes per se einen Zugriff hat, z.B. mystische Erlebnisse, lassen sich daher nicht als »Geistiges Eigentum« deklarieren.36 Nur kommuniziertes Wissen ist eigentumsfähig. Die Rezeptur von Coca-Cola oder von Heinz Tomatenketchup oder der Inhalt der Bundeslade sind im Prinzip problemlos kommunizierbar, aber viele oder alle sind davon ausgeschlossen. Um den Begriff des »Geistigen Eigentums« zu spezifizieren, benötigen wir also den allgemeineren Begriff des Geheimwissens

36 Vgl. auch zur Nichtkommunizierbarkeit von Schmerz Elaine Scarry: Der Körper im Schmerz. Die Chiffren der Verletzlichkeit und die Erfindung der Kultur, Frankfurt/M. 1992, bes. 11-34. Der eigene Schmerz ist absolut evident, der fremde Schmerz unterliegt einem generellen Zweifel.

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oder des privilegierten Wissens. Zum »Geistigen Eigentum« wird ein Geheimwissen jedoch erst dadurch, dass die Bedingungen der Demarkation im Prinzip rechtsförmig sein können.

D IE W ISSENSGESELLSCHAFT Michel Serres, der französische Wissenschaftshistoriker und Philosoph, Mitglied der Académie française, hat in einem Interview gesagt: »In meinen Augen ist es niemals ein Verbrechen, Wissen zu stehlen. Es ist ein guter Diebstahl. Stehlen Sie doch den Lehrsatz des Pythagoras, das würde mir gefallen. – Der Pirat des Wissens ist ein guter Pirat.« Er hat diese These in keiner Weise eingeschränkt. Als Begründungshintergrund steht bei ihm eine geschichtsphilosophische These, die die Geschichtsphilosophie Auguste Comtes weiterentwickelt. Sie lautet: Seit ca. 50 Jahren sind unsere Gesellschaften im Übergang von der produzierenden Gesellschaftsformation, dessen Symbolfigur Prometheus war, zur Formation der Informations- und Wissensgesellschaft, deren Symbolfigur Hermes, der Götterbote ist, der Botschaften überbringt, Hermes der Übersetzer, der Schutzgott zugleich der Kaufleute und Diebe. Es ist unpassend und auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten, Botschaften und Wissenstransformationen nach dem Modell des Eigentums an produzierten Gütern zu behandeln. Marxistisch gesprochen, was Serres natürlich nicht tut, könnte man hier den klassischen Fall des Widerspruchs einer veränderten gesellschaftlichen Basis praktischer Prozesse und den dagegen aufrechterhaltenen ideologischen Formationen sehen. Denn der Eigentumsbegriff gehört seiner Genese nach zur bürgerlichen, Dinge produzierenden Gesellschaft. Dort hatte er eine ausgesprochen progressive Funktion, weil er sowohl zur Produktion als auch zur Innovation der Produktion motivierte. Diese Konzeption begriff Eigentum als durch produzierende Bearbeitung in eine Sache gesetzten Willen einer Person. Auch Botschaften nach diesem Eigentumsmodell zu behandeln ist zwar prinzipiell möglich und für extreme Sonderfälle auch vielleicht auch einzig sinnvoll, aber für den

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Normalfall von Kommunikationsprozessen unpassend und für eine sich als Wissensgesellschaft formierende Gesellschaft entwicklungshinderlich. Die Denkform des »Geistigen Eigentums« versucht, diese im Grunde unausweichliche Entwicklung aufzuhalten oder wenigstens zu hemmen. Für M. Serres ist der Anspruch der Konzerne, »Geistiges Eigentum« zu erwerben und andere von dessen Nutzung auszuschließen, für die Informationsgesellschaften völlig unangemessen, weil schon die Rechtsform des Vertrages die Struktur von Kommunikation nicht abbilden kann. Die Struktur von Kommunikation – das ist eine der Grundthesen von Serres – ist das Netz, in dem es von einem Knoten zu einem anderen wie bei den Synapsen im Gehirn immer eine Vielfalt von möglichen Wegen gibt. Der echte, der restriktive Dialog ist gar nicht möglich, denn jeder Kanal, der Zwei miteinander verbindet, ist zugleich der Ort des Dritten, der einen Umweg oder einen Abweg einrichtet, des Parasiten. Wissen auf den InformationsAutobahnen ist nicht mehr zentralistisch oder zentralisierbar; wenn ein Server ausfällt, treten andere für ihn ein, genau das war ja bei dem militärischen Vorläufer des Internets strategische Absicht. Es wäre aber auch, wie zuvor schon im Telefonnetz nach Ersetzung der Handvermittlung, ohnehin unaufhaltsam gewesen. Das ist, allgemein gesprochen, deswegen so und problemlos so, weil Information, anders als die Ökonomie produzierter Güter, nicht auf Knappheit basiert. Das Konzept »Geistigen Eigentums« versucht nun, Wissen gesellschaftlich als Knappheit zu organisieren, was aber nur solange funktionieren kann, wie die Ökonomie selbst noch als Ökonomie knapper, weil knapp produzierter Güter funktioniert. Heute aber sind bereits ca. 80 % des Welthandels reine Geldgeschäfte, denen keine Waren- oder Dienstleistungstransfers mehr entsprechen, d.h. 80 % der Ökonomie ist auch nichts anderes mehr als ein reiner Fluss von Informationen über Zahlungen und Zahlungsfähigkeiten. Manchmal gibt es zwar noch ein Scheitern, aber eigentlich ist keine dieser Informationskanäle mehr geheim, d.h. ermöglicht eindeutige Eigentumszuweisungen an identifizierbare Personen. Überall sitzen die Parasiten und zweigen sich ihren Teil ab, ob das nun die Mehrwertsteuer oder andere Steuern und Abga-

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ben seien, oder der Bundes-Trojaner, oder aber die Hacker und Netzpiraten. Transparenz ist allgemein gefordert und wird von den Betroffenen auch mit der Versicherung ermöglicht, sie hätten nichts zu verbergen. Letztlich wird es wahrscheinlich keine Geheimnisse mehr geben, und wir alle arbeiten dieser Entgrenzung entgegen, indem wir bereitwillig Mobil-Telefone und andere Ortungssysteme nutzen, mit Kundenkarten und Kreditkarten unsere Wünsche preisgeben und im Internet wissentlich die vielfältigsten Spuren unsrer Kommunikationsverbindungen hinterlassen. Wissen wird immer schwerer zu hüten sein und Ansprüche auf »Geistiges Eigentum« vor den Wissens-Piraten immer schwerer zu schützen sein. Dabei sollte man doch vermuten, dass die Hemmschwelle der Enthüllung persönlicher, ja sogar intimer Dinge höher liegt als die Verletzung der Ansprüche auf »Geistiges Eigentum«. Der allseits zu beobachtenden Bereitwilligkeit, sich selbst zu entblößen – der »pornographic turn« – entspricht aber auf der anderen Seite die Bedenkenlosigkeit der Verletzung der Rechte anderer, incl. des Rechts auf »Geistiges Eigentum«, was natürlich einer allgemeinen Nivellierung entspricht, die eben keine Fremdheit mehr kennt oder anerkennt und damit auch keine Eigenheitssphäre. Der Nichtschützbarkeit der Exklusivität von Wissen antworten solche Strategien, die bewusst auf das Gegenteil setzen. »Open Source« kann von jedem genutzt und weiterentwickelt werden, was sich in der Sache sogar als recht effektiv erwiesen hat. Auch Wikipedia, so sehr man z. Zt. noch an der Qualität so mancher Eintragung zweifeln kann, setzt als Prinzip die freie Ausbreitung von Wissen. Niemand kann mehr, und wenn er noch so viel zu einer Seite beigetragen hat, diese Seite als sein Eigentum reklamieren und etwa bei VG WORT zur Tantiemenausschüttung anmelden.

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H INWEIS AUF DIE HISTORISCHEN E NTSTEHUNGSBEDINGUNGEN Das Recht auf »Geistiges Eigentum« wird oft als Schutzrecht der Rechte der Verfasser ausgegeben. Das ist nicht nur der Geschichte nach falsch. Das Urheberrecht ist zunächst ein Recht des Verlegers, das ihn vor Büchernachdruck schützen soll. In einem anonymen Aufsatz eines Verlegers, der 1787 in der Zeitschrift »Neue Litteratur und Völkerkunde«37 erschienen ist, wird unter der Überschrift »Gedanken über Buchhandlung und Nachdruck«, der sich gegen eine Schrift von Reimarus38 wendet, kommt das überdeutlich zum Ausdruck. Der Originaldrucker geht mit jedem neuen Buch ein neues ökonomisches Risiko ein, denn er weiß nie, ob es sich gut verkaufen wird, der Nachdrucker aber beginnt sein schändliches Werk erst dann, wenn sich ein Werk schon als erfolgreich herausgestellt hat. Er trägt also ein geringeres Risiko und kann daher den Verkaufspreis niedriger kalkulieren; der Originalverleger bleibt schließlich auf der 2. Hälfte seiner ersten Auflage sitzen, zumal er – und das Argument kommt erst jetzt – ja auch dem Verfasser für seine Mühe ein Honorar gezahlt hat. Natürlich gab es dann im Vorfeld der Einrichtung eines Urheberrechts in Deutschland auch bald Philosophen, die die ideologische Rechtfertigung des Urheberrechts als eines Verfasserrechts übernommen haben, ich nenne nur Kant und Fichte. Kant allerdings macht in seiner kleinen Schrift »Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks« von 1785 keinen Versuch, von den Rechten der Verfasser her die Unrechtmäßigkeit zu begründen. Für ihn ist klar, dass das »Eigentum des Verfassers an seinen Gedanken« unveräußerlich sei. Was er also reklamiert, sind verletzte Rechte der Verleger, nicht der Verfasser. Was aber Kant, darin bemerkenswerterweise ganz Aufklärer, in einer »Allgemeinen Anmer-

37 1. Jg., 189-216. 38 Hermann Samul Reimarus: Der Bücherverlag, in Betrachtung der Schriftsteller, der Buchhändler und des Publikums erwogen, Hamburg 1773.

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kung« hinzufügt, ist das Recht des Publikums auf ein Werk. Daraus folgt z.B. das Verbot für den Verleger, ein ihm anvertrautes Werk, z.B. wenn der Verfasser stirbt, zu unterdrücken. Fichte allerdings, der die Kantische Philosophie allenthalben weiter treibt, d.h. übertreibt, macht zur Grundlage eine Unterscheidung von Materie, Gehalt und Form eines Werks. Die Materie eines Exemplars eines Buchs geht durch Kauf ganz und gar in das Eigentum des Erwerbers über, er kann damit machen, was er will, es verbrennen, es vor Wut zerreißen, es verleihen usw. Der Gehalt eines Buches hört durch Publikation auf, Privateigentum zu sein, es wird Gemeineigentum »vermöge seiner geistigen Natur«, wie Fichte sagt. Es gehört allen, die es sich geistig angeeignet haben. »Was aber schlechterdings nie jemand sich zueignen kann, weil dies physisch unmöglich bleibt, ist die Form dieser Gedanken, die Ideenverbindung in der, und die Zeichen, mit denen sie vorgetragen werden.«39 Dieses letztere ist für Fichte die Grundlage eines ausschließenden unveräußerlichen Eigentumsrechts des Verfassers. Da der Verleger nicht dieses »Geistige Eigentum« erwirbt, was gar nicht möglich ist, sondern nur Nutzungsrechte eines Manuskripts, verletzt der Nachdrucker, der diese Nutzungsrechte nicht erworben hat, Rechte des Verfassers. Was aber, wenn ein Erwerber eines Buches dieses zur Gänze oder auch nur teilweise handschriftlich abschreibt? Nach Fichte verletzt auch der die Rechte des Verfassers, und dass Antike und Mittelalter dieses unentwegt taten, beweist nicht die Rechtmäßigkeit dieser Praxis, sondern nur, dass die antiken Abschreiber nicht darüber nachdachten oder aber implizit auf die Ausübung ihrer Rechte verzichtet hatten. Denn, so Fichte im Geiste des Naturrechts: »was heute Recht ist, war es ewig.« Es fehlte aber auch nicht an Verteidigern des Nachdrucks, die genau das zum Argument machen, dass es sich ausschließlich um ökonomische Vorteile dabei handele. So fragt sich Stavenhagen, warum in der Antike das Kopieren kein Verbrechen gewesen sei, also das Kopieren der Schriften von Platon, Aristoteles, Cicero

39 Johann Gottlieb Fichte: Sämmtliche Werke, Bd. VIII, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, Berlin1845f., 223-244, hier 227.

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oder anderen. Und er kann sich keine Andere Antwort ausdenken als: »Die Alten trieben mit ihren Geistesproducten keinen Handel.«40 Wenn es so wäre, sagt er weiter, dass ein Verfasser mit einem Verleger einen Vertrag des Inhalt es abschlösse, dass der Verfasser, bisheriger Alleineigentümer seiner Gedanken, diese einem Verleger gegen Honorar bekannt macht und ihm zweitens die Erlaubnis gibt, diese Gedanken einer begrenzten Anzahl von Menschen durch den Druck des Buches ebenfalls bekannt zu machen, d.h. dass der Verfasser ein Geheimnis verkauft. Der Käufer des Buchs hat nun zwar ein Geheimnis käuflich mit dem Exemplar erworben, aber es soll ihm aus unerfindlichen Gründen verboten sein, nun seinerseits dieses käuflich erworbene Geheimnis der Gedanken eines Autors seinerseits zu verkaufen. Warum eigentlich? Und wenn man es legitim fände, dann müsste eigentlich jeder andere Verrat dieses Geheimnisses der Gedanken des Autors mit verboten sein, also Zitieren, Exzerpieren, Referieren Vorlesen, all das wäre Diebstahl am Autor und dem Verleger, dem er seine Gedanken verkauft hätte. Ja, selbst Vorlesungen der Professoren nach Lehrbüchern anderer Gelehrter, was in jener Zeit der Normalfall war, wären eigentlich Verbrechen gewesen. Heute dagegen ist, ich nehme die Produktion philosophischer Bücher als Beispiel, ein Großteil der Publikationen durch so genannte Druckkostenzuschüsse finanziert, die zuweilen, vor allem bei Förderung aus öffentlichen Mitteln so kalkuliert sind, dass der Verlag im Grunde allein dadurch auf seine Kosten kommt und kein einziges Exemplar zu verkaufen braucht. Werden aber tatsächlich Honorare gezahlt, so sind diese im Vergleich zum Arbeitsaufwand eines hochqualifizierten Wissenschaftlers so gering, dass es wirklich ein Hohn wäre, das Urheberrecht als ein Verfasserschutzrecht auszugeben. Immerhin hat nach dem deutschen Urheberrecht der Autor einige Einspruchsrechte gehabt, was die Integrität seines Werks betrifft, was dann in der Rechtstradition des Copyright auch noch weg-

40 J. C. D. Stavenhagen: Zur Vertheidigung des Nachdruks, in: Monatsschrift von und für Mecklenburg 4 (1791), 663-668, hier 663.

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fällt, denn dieses regelt eindeutig ein Wirtschaftsgut ohne Rücksicht auf einen ideellen Gehalt. Auf der Grundlage der oben entwickelten medialitätstheoretischen Konzeption des Ausgangs vom kommunikativen Text ist es zweckmäßig, zwischen dem Autor als einer Textfunktion und der Person oder gar dem Menschen zu unterscheiden, der etwas gesagt oder geschrieben hat. In diesem Sinne hatte Nietzsche am Ausgang der Moderne gesagt, dass der Täter zum Tun hinzugedichtet sei. Der Täter ist Täter nur im Tun,41 nicht vorher oder außerhalb, so wie der Satz »Der Blitz leuchtet« nicht ein Etwas benennt, den Blitz nämlich, und von ihm dann außerdem noch feststellt, dass er leuchtet, so als könne es Blitze außerhalb eines Leuchtens geben. In genau diesem Sinne wollen wir einen Autor das nennen, was nur als Textfunktion vorkommt. Wenn man das aber tut, dann ist, weil es danach zunächst kein Eigentum am Text gibt, auch klar, dass der Autor, in diesem Sinne verstanden, nicht Eigentümer des Textes ist. Aber wie oben schon erwähnt, man kann in einer zusätzlichen demarkierenden Operation Texteigentümer ernennen. Ein ganz anderes als das ökonomische Interesse an der Nutzung der Eigentumsrechte könnte etwa auch die Möglichkeit einer Verantwortungszuschreibung als Motiv der Zuweisung von Eigentumsrechten sein. So wie im Strafprozess ein Täter ernannt wird, so wird im »Geistigen Eigentum« auch ein Urheber ernannt. Das ist allerdings nicht notwendigerweise so. Und nicht, weil ein kommunikativer Text als solcher kein Privateigentum sein kann, ist er deswegen schon automatisch Gemeineigentum. Auch dieser Begriff eines Gemeineigentums setzt einen, wenngleich jetzt kollektiven Eigentümer voraus, zu dem nicht alle gehören, der also exkludiert. Es lässt sich also am Ende fragen, wie zweckmäßig und für wen es zweckmäßig ist, oder wo es unzweckmäßig scheint, Personen Eigentumsrechte an Texten zu verleihen. Das sind jedoch praktische, politi-

41 Vgl. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausg., Bd. V, hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München, Berlin, New York 1980, 279; ferner Bd. X, 324, Bd. XIII, 258.

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sche Fragen, die ohnehin ohne Beteiligung der Interessen der Autoren oder des wissenshungrigen Publikums entschieden werden.

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AN GENETISCHER I NFORMATION

Wenn der kommunikative Text nicht »Geistiges Eigentum« sein kann, noch aus seiner Logik allein heraus eine solche Demarkation erfolgen kann, die Eigenheitssphären, Eigentümer und die entsprechenden Ausschließungen darstellen, dann transformiert sich die entscheidende Frage. Wir müssen dann nicht nachdenken, welche Gegenstände »ihrer Natur« nach »Geistiges Eigentum« sein können und welche nicht, sondern wir müssen darüber nachdenken, aufgrund welcher WertePolitiken Gesellschaften Eigentumsrechte zuweisen, d.h. die Verfahren geraten in den Blick und nicht mehr die Gegenstände. Und wenn sich Genmais und Genmaus patentieren lassen in einer Ausdehnung des Begriffs des »Geistigen Eigentums«, weil natürlich auch genetische Codes wie Texte gestaltet sind, dann werden wir letztlich nicht hindern können, auch zu therapeutischen Zwecken vorgenommene Eingriffe in die genetische Information von Menschen zu »Geistigem Eigentum« anderer Menschen, oder zumeist natürlich von Konzernen, zu erklären. Zum Urheber wird auch der ernannt, der etwas unterlässt. Und so wird der genetische Text, der ich bin und der nicht in meiner eigenen Verfügung stand, der aber wie Michel Serres es genannt hat, mein eigentlicher, weil absolut unverwechselbarer Name ist,42 Urhebern und ihrer Verantwortung zugeschrieben werden, die entweder es unterließen, den Text zu verbessern, der ich bin, und mich dadurch einem bestimmten Krebsrisiko aussetzten, oder die als Genmanipulateure meiner Erbinformation »Geistiges Eigentum« an dem haben, als wer ich bin.

42 Michel Serres: Hominescence, Paris 2001, 103ff.

Autorinnen und Autoren

Eimer, Thomas R., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle für Internationale Politische Ökonomie, FU Berlin Grzeszick, Bernd, Prof. Dr., LL.M.(Cambridge), Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Internationales Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Direktor des Mainzer Medieninstituts Philipps, Annika, Dipl.-Politikwissenschaftlerin, Mag. rer. publ., Mitarbeiterin in der Gruppe Stategieentwicklung und EU-Förderpolitik des European Project Center der Technischen Universität Dresden Rentrop, Kathrin Dr., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und juristische Zeitgeschichte, FernUniversität in Hagen Röttgers, Kurt, Prof. Dr., FernUniversität in Hagen Schmidt, Christian, Dr., Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig

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Völzmann-Stickelbrock, Barbara, Prof. Dr., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Gewerblichen Rechtschutz, Urheberrecht und Zivilprozessrecht, FernUniversität in Hagen Weisser-Lohmann, Elisabeth, PD Dr., Institut für Philosophie, FernUniversität in Hagen