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German Pages 248 [260] Year 1976
V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER
H I S T O R I S C H E N K O M M I S S I O N ZU BERLIN
B A N D 47
w DE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1977
H S I - H U E Y
L I A N G
DIE B E R L I N E R P O L I Z E I IN DER WEIMARER R E P U B L I K
Aus dem Amerikanischen übersetzt von B R I G I T T E u n d WOLFGANG B E H N
w DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1977
Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin Die Schrifteitreihe der Historischen Kommission zu Berlin erscheint mit Unterstützung des Senators für Wissenschaft und Kunst, Berlin Die Originalausgabe erschien 1970 unter dem Titel „The Berlin police force in the Weimar republic" bei University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London
Lektorat der
Schriftenreihe:
C H R I S T I A N SCHÄDLICH
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Liang, Hsi-Huey Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik. — Berlin, New York : de Gruyter, 1977. Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin ; Bd. 47) Einheitssacht.: The Berlin police force in the Weimar republic (dt.). ISBN 3-11-006520-7
© Copyright 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · K a r l J . Trübner · Veit & Comp., Berlin 30 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne aus drück Ii die Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: Saladruck, 1000 Berlin 36 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, 1000 Berlin 61 Printed in Germany.
VORWORT Zur deutschen Ausgabe Seit einigen Jahren nimmt Berlin in der Literatur für englischsprachige Studenten der neueren deutschen Geschichte einen bemerkenswerten Platz ein.1 Diese Entwicklung kann man nur begrüßen. Es versteht sich von selbst, daß solche Veröffentlichungen oftmals nur das wiederholen, was einheimische Berlin-Historiker längst beschrieben haben. Die Bedeutung dieser Publikationen liegt aber hauptsächlich darin, daß sie die Geschichte Berlins einem neuen Leserkreis erschließen; der Reiz für die Autoren besteht darin, lokale Begebenheiten so wiederzugeben, daß sie audi für ausländische Leser verständlich und interessant werden. Unter diesem Gesichtspunkt wurde auch die vorliegende Arbeit geschrieben, da sie als Vorlesungsreihe für amerikanische Studenten gedacht war. Ich wollte den Untergang der Weimarer Republik und das Dilemma der deutschen Demokratie an dem Schicksal ihrer Berliner Polizeibeamten verdeutlichen. Dabei habe ich mich zur Veranschaulichung meiner Aussagen auf die eindrucksvollsten Beispiele beschränkt und die nationalen politischen Ereignisse jener Zeit nur am Rande gestreift. Daraus erklärt sich vielleicht auch die gedrängte Form meiner Darstellung, doch aus der Perspektive eines amerikanischen Colleges gesehen, war der Stoff einfach zu spezifisch, um mehr als einen kleinen Band zu rechtfertigen. Für ein besseres Verständnis der politischen Zusammenhänge habe ich meine Hörer auf die politologischen Standardwerke verwiesen. Da ich mich an einen amerikanischen Leserkreis wandte, konnte ich es mir letztlich auch erlauben, einige BerlinGeschichten mit einzuflechten, mit denen die meisten Berliner natürlich von Kindheit an vertraut sind. Trotzdem glaube ich, daß meine Untersuchung genug Neues bietet, um eine deutsche Ausgabe zu rechtfertigen, zumal die Interpretation 1
Zum Beispiel Walter Henry Nelson, The Berliners; their saga and their city, New York 1969; Gerhard Masur, Imperial Berlin, New York 1970; London 1971, deutsch u. d. T.: Das kaiserlidie Berlin, München-Wien-Zürich 1971; und Otto Friedrich, Before the deluge; a portrait of Berlin in the 1920's, New York 1972.
VI
Vorwort
zur deutschen
Ausgabe
der Berliner Polizeigeschichte von 1918 bis 1933 meine eigene ist und ich audi zum Teil bisher unveröffentlichte Quellen benutzt habe. Dies bezieht sich hauptsächlich auf meine Interviews mit ehemaligen Polizeibeamten, die ich im Jahre 1962 durchgeführt habe. Zitate aus diesen Interviews oder auch aus einigen Dokumenten mögen im Wortlaut nicht ganz genau wiedergegeben sein, da ich meine Aufzeichnungen in Englisch gemacht habe, solche Zitate also ins Deutsche zurückübersetzt werden mußten. An dieser Stelle möchte ich Brigitte und Wolfgang Behn herzlich für ihre Ubersetzung danken, ebenso Frau Inge Tiessen für ihre Korrekturen. Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Hans Herzfeld von der Historischen Kommission zu Berlin gebührt mein bester Dank für sein Interesse an einer deutschen Übersetzung ebenso wie Herrn Professor Dr. Friedrich Zipfel vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin für deren kritische Durchsicht. Dem Lektor der Historischen Kommission, Herrn Christian Schädlich, bin ich für seine wertvolle Unterstützung bei der Drucklegung des Manuskripts sehr verbunden. Als nennenswerte Ergänzungen bzw. Änderungen in der deutschen Ausgabe sind die kurze Behandlung des Themas Polizei und Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, einige zusätzliche Kommentare zu der alten Berliner Beamtenschaft nach 1933 im Nachwort sowie verschiedene Erläuterungen und Anmerkungen im Hauptteil, die meine These bekräftigen oder stellenweise berichtigen sollen, zu erwähnen. Dabei möchte ich den Absatz über Walther Stennes hervorheben. Im Sommer dieses Jahres gelang es mir, den ehemaligen Kommandeur der Hundertschaft z. b. V. persönlich zu sprechen. Nach diesem Gespräch habe ich meine Auffassung über ihn berichtigen können. Später erhielt ich einen Brief von ihm, dessen wesentlicher Inhalt in diesem Buch2 zitiert ist und in dem er seine damalige Position aus seiner Sicht darstellt. Auch jetzt mag Stennes seine Rolle in der Berliner Polizei noch anders sehen, als es hier dargestellt wird, aber das trifft auch auf alle anderen Polizeibeamten zu, die mir ihre Erfahrungen aus dem Polizeidienst mitteilten. Letztlich ist es aber der Verfasser, der die volle Verantwortung für seine Beurteilung der Berliner Polizei in der Weimarer Republik tragen muß. Poughkeepsie, im August
2
Ν. Y.,
USA,
1976
Siehe unten S. 100, Anm. 148 a.
Hsi-Huey
Liang
VORWORT Eine Abhandlung zur modernen deutschen Geschichte setzt voraus, daß die Regeln der deutschen Geschichtsschreibung beachtet werden. Die Mitteilung von Fakten allein genügt hier nicht; man muß auch wissen, wie deutsche Historiker geschichtliche Ereignisse erklärt und periodisiert haben. Noch wichtiger aber ist es, ihre Terminologie zu verstehen und zu wissen, was sie als bekannt voraussetzen. Die besten nicht-deutschen Beiträge auf diesem Gebiet haben sich im allgemeinen stark an der deutschen wissenschaftlichen Denkweise orientiert, und wenn oder wo dies nicht der Fall war, sind sie oft am entscheidenden Moment vorbeigegangen. Solche Methoden wurden aber nicht übernommen, weil die deutschen Historiker Pioniere auf diesem Gebiet waren, sondern vielmehr, weil das Material der modernen deutschen Geschichte an sich, wenigstens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, eine eigenwillige Interpretation weitgehend notwendig macht. Im Gegensatz zu englischen Historikern, die besonders die verfassungsgeschichtliche Entwicklung hervorheben, und zu den französischen, die sich auf nationale Politik konzentrieren, fanden die deutschen Historiker ihre besonderen Aussageformen in abstrakten, manchmal sogar spekulativen geschichtlichen Thesen. Wahrscheinlich war dies die einzige Möglichkeit, die wechselvolle und zerrissene Geschichte ihres Volkes im Zusammenhang darstellen zu können. Die Alternative wären unübersichtliche Einzeldarstellungen gewesen. Durch diese Umstände entstand jedoch eine Neigung zu dogmatischen Verallgemeinerungen. Die deutsche Geschichtsschreibung bereitet Historikern, die mit den deutschen gesellschaftlichen Gepflogenheiten und kulturellen Eigentümlichkeiten nicht vertraut sind, manche Schwierigkeiten. Eine Anzahl theoretischer Begriffe oder einfach Spezialausdrücke schiebt sich als Hindernis zwischen den ausländischen Historiker und das Thema seiner Untersuchung. Um dieser Schwierigkeit Herr zu werden, sind in Amerika wiederholt Stimmen laut geworden, die forderten, die deutsche Kulturgeschichte — insbesondere die des 20. Jahrhunderts — mehr als bisher zu berücksichtigen.1 Herkömmliche Abhandlungen über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nach 1918
VIII
Vorwort
scheinen besonders von den Sdirecken der nationalsozialistischen Herrschaft und den Verwirrungen und der Unentschlossenheit der vorangegangenen Zeit nur ein unvollständiges Bild zu vermitteln. Aus diesem Grunde haben auch in Deutschland Bühnenschriftsteller mit politischen Themen experimentiert, ehemalige Politiker ihre Memoiren geschrieben und Wissenschaftler sich mit kulturgeschichtlichen Themen befaßt. Sie alle hofften, dadurch zu einem besseren Verständnis der historischen Begebenheiten beitragen zu können. 2 Die Kulturgeschichtsforschung hat andererseits darauf hingewiesen, daß der Bedarf an lokalgeschichtlichen Untersuchungen groß ist. Der begrenzte Umfang solcher Untersuchungen ermöglicht die Wiedergabe präziser Beispiele und die Abfassung detaillierter Berichte und erlaubt es, auch solchen paradoxen Umständen nachzugehen, die in den höheren Sphären der historischen Betrachtung nur allzu häufig als belanglose Produkte des Zufalls abgetan werden. Natürlich ist audi manche deutsche Lokalgeschidite in monumentalen Abstraktionen geschrieben. Da gibt es umfangreiche, als Kultur- und Sittengeschichte bezeichnete Werke, die die Sitten und Gebräuche ganzer Epochen zu „symphonischen Bildern" zu verweben beabsichtigen. Doch Lokalgeschichten erscheinen auch in Form von Kleinstadtchroniken, die von ortsansässigen Heimatschriftstellern eifrig zusammengetragen werden. Die erstere Methode stößt bei einem englischsprachigen Betrachter auf Verständnislosigkeit, da die verallgemeinernden Schlüsse den Details zu wenig gerecht werden. Lokalberichte haben andererseits häufig den Nachteil, Darstellungen antiquarischen Charakters zu sein, die nur allzu offensichtlich für einen angestammten Leserkreis gedacht sind. Die recht vielseitige Berliner Geschichtsschreibung umfaßt neben einigen klaren Deutungen der ständig im Wandel begriffenen Stadt 3 1
Hajo Holborn, Research needs in modern German history, Rede vor der Conference Group on Central Europe, gehalten auf der 78. Tagung der American Historical Association, Philadelphia, 28. Dezember 1963. 2
Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter. Ein Schauspiel. Mit einem Vorwort von Erwin Piscator ( = Rowohlt-Paperback 20), Reinbek bei Hamburg 1963; Arnold Brecht, Aus nächster Nähe. Lebenserinnerunzen, 1884—1927, Stuttgart 1966; und William Sheridan Allen, The Nazi seizure of power: The experience of a single German town, 1930—1935, Chicago 1965, sind Beispiele, an die man sofort denkt. ' Besonders Werner Hegemann, Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930. Eine gekürzte Tasdienbuchausgabe erschien bei Ullstein 1963.
Vorwort
IX
und neben einer Unzahl ankedotenhafter Sammlungen, die in den historischen Stadtteilen spielen,4 auch einzelne Untersuchungen, die sich nicht mit der Darstellung subjektiver Eindrücke begnügen, sondern weit über die Erwartungen der Lokalpatrioten hinausgehen.5 Audi einige gute Romane, in denen Berlin der Ort der Handlung ist, enthalten Gedanken und Eindrücke, die den lokalen Rahmen sprengen.® Soziologische Werke der Jahrhundertwende, Abhandlungen über die Stadtverordnetenversammlungen der zwanziger Jahre und die von der Historischen Kommission zu Berlin seit 1959 geförderten Untersuchungen haben bewiesen, daß die gezielte lokalgeschichtliche Behandlung von Themen aus einer einzelnen Stadt die Basis für eine neue Betrachtung der modernen deutschen Kulturgeschichte bilden kann. 7 Berlin bietet viele Vorteile für ein solches Vorhaben. Für den englischsprachigen Wissenschaftler ist die Stadt jedoch keineswegs das natürlichste oder geeignetste Objekt unter den deutschen Städten.8 Im
4 Zu den verschiedenen Arten der Berliner Heimatsdiriftstellerei vgl. Walther Kiaulehn, Berlin. Schicksal einer Weltstadt, München—Berlin 1958, S. 336—338. 5 Das Buch von Hans Otto Modrow, Berlin 1900. Querschnitt durch die Entstehung einer Stadt um die Jahrhundertwende. Erinnerungen und Berichte ( = Das Gesicht der Epochen), Berlin 1936, muß in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden. • Dies sind Romane, deren Schauplatz zwar Berlin ist, in denen die Stadt jedoch niemals namentlich erwähnt wird, als solle die überlokale Bedeutung der Erzählung besonders betont werden: Alfred Döblin, Pardon wird nicht gegeben ( = Ausgewählte Werke in Einzelbänden, in Verbindung mit den Söhnen des Dichters hrsg. von Walter Muschg), Ölten—Freiburg i. Breisgau 1960; Vladimir Sirin [d.i. Vladimir Nabokov], König, Dame, Bube [Korol', dama, valet. deutsch.] Ein Spiel mit dem Schicksal. Von W. Nabokofi-Sirin. Übers, von Siegfried v. Vegesack, Berlin 1930; und Eridi Maria Remarque, Drei Kameraden ( = Ullstein-Bücher 264/265), Frankfurt a. Main 1960. 7 Zum Beispiel E. Hirsdiberg, Die sociale Lage der arbeitenden Klassen in Berlin, Berlin 1897; Hans Brennert / Erwin Stein (Hrsg.), Probleme der neuen Stadt Berlin. Darstellung der Zukunftsaufgaben einer Viermillionenstadt, Berlin-Friedenau 1926; Martin Wagner / Adolf Behne (Hrsg.), Das neue Berlin. Monatshefte für Probleme der Großstadt, Berlin 1929. Siehe auch Hans Zopf / Gerd Heinrich (Hrsg.), BerlinBibliographie (bis 1960). In der Senatsbibliothek Berlin bearb. . . . unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials, Berlin 1965. 8 Ober Berlin wie über die meisten deutschen Städte existiert keine brauchbare Geschidite in englischer Sprache. John Mander, Berlin: The eagle and the bear, London 1959, vermittelt nur ungefähr eine Vorstellung von dem, was soldi ein Buch enthalten sollte. Henry Vizetelly, Berlin under the New Empire, its institutions, inhabitants, industry, 2 vol., London 1879, enthält mehr Informationen, ist aber veraltet.
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Vorwort
Hinblick auf die Vielfalt der sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Deutschland ist es aber fast unmöglich, das ideale Beispiel zu finden. Berlin ist jedoch eine Möglichkeit und meiner Meinung nach eine gute. Eine so junge und ungezwungene Stadt wie Berlin war für die Veränderungen, die die verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte mit sich brachten, besonders empfänglich. Berlins vielseitige Immigrantenbevölkerung hielt fast immer Schritt mit der Zeit. Trotzdem muß festgestellt werden, daß es Berlin selten gelungen ist, sich die Neuerungen, die eine jede Etappe der politischen und kulturellen Entwicklung des modernen Deutschland begleiteten, völlig zu eigen zu machen. Viele dieser Etappen waren natürlich nichts als kurze Episoden. Karl Schefflers oft zitierte Beobachtung, „Berlin ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein",9 scheint Berlin als ein allzu singuläres Phänomen auf der kulturhistorischen Bühne Deutschlands zu disqualifizieren und mag die Nützlichkeit unseres Vorhabens einschränken; die Behauptung von Scheffler trifft aber genauso auf jede andere deutsche Stadt zu. Diese Einschränkung wird jedoch durch Berlins entscheidenden Einfluß auf den Verlauf der deutschen Geschichte zwischen 1871 und 1933 wettgemacht, wenngleich auch die Geschichte des modernen Berlin nicht von einheitlicher historischer Bedeutung ist. Im 17., 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Berlin im großen und ganzen nur passives Objekt für die mächtigeren historischen Kräfte Preußens und Norddeutschlands. Vom historischen Standpunkt aus gesehen, enthalten die Chroniken Berlins kaum mehr als zufällige Beispiele aus dem Leben in einer unter vielen höfischen Residenzstädten Deutschlands. Wenn man jedoch zwei Generationen überspringt und die Geschichte Berlins während des Dritten Reiches und der Nachkriegsjahre betrachtet, findet man Material, das bestens für eine exemplarische Interpretation der zwölfjährigen Diktatur in Deutschland und der ideologischen Spaltung in Europa nach dem Kriege geeignet ist. So bleibt also noch die Zeit von 1871 bis 1933. Während dieser nur wenig mehr als sechzig Jahre umfassenden Zeitspanne war Berlin zu Deutschlands wirklicher, administrativer und politischer Hauptstadt, zum Brennpunkt des wirtschaftlichen Lebens und nach der Jahrhundertwende auch zum wissenschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des Staates geworden. Während des Zweiten Reiches und der Weimarer • Karl Scheffler war bekannt durdi zwei bedeutende Büdier über Berlin: Berlin. Ein Stadtscbicksal, Berlin 1910; und Berlin. Wandlungen einer Stadt, Berlin 1931.
XI
Vorwort
Zeit war Berlin mehr als nur passiv mit seinem Hinterland verbunden, denn die aus den Wirren von Niederlage und Revolution erneut als Metropole hervorgegangene Stadt hat das alte militaristische Preußen fast verschlungen. Berlins dynamisches Wachstum hat sich zudem auf das gesamte Reich ausgewirkt. 10 Die vorliegende Arbeit behandelt einen Teilaspekt der Zeit, in der Berlin seinen größten historischen Einfluß erlangt hatte, nämlidi die Geschichte des Polizeidienstes während der Weimarer Zeit. Die Bedeutung des Themas wird in der Einleitung erläutert werden, doch schon hier möchte ich betonen, daß Untersuchungen zur Berliner Geschichte der zwanziger und frühen dreißiger Jahre gerade jetzt unternommen werden müssen, weil viele Dokumente während des Krieges verlorengegangen sind und solche, die sich in Archiven der DDR befinden, für westlidie Forsdier nicht immer leicht zugänglich sind, so daß der Historiker auf die Erinnerungen älterer Stadtbewohner zurückgreifen muß, deren Berichte festgehalten und gesichtet werden sollten, solange dies noch möglidi ist. Ein Großteil des Materials für diese Arbeit stammt aus persönlichen Interviews mit ehemaligen Beamten der Berliner Polizei, die im Herbst 1962 in Berlin stattfanden. Die Dauer der Interviews schwankte zwischen einer halben Stunde und einem ganzen Nachmittag. Meine Informanten haben nicht immer über ihre persönlichen Erfahrungen gesprochen; einige zogen es vor, nur zur allgemeinen Lage im Polizeidienst während der zwanziger Jahre Stellung zu nehmen und vermieden es, Einzelheiten über Gehälter und Beförderungen mitzuteilen. Bei allen Interviews war vorher abgesprochen worden, keinerlei Fragen über die Tätigkeit dieser Polizeibeamten nach dem 30. Januar 1933 zu erörtern. Die Zusammenarbeit mit den Interviewpartnern war als Quelle für ungezählte Einzelheiten, für Interpretationsvorschläge und für Hinweise auf weitere Untersuchungen unentbehrlich. Eine Liste meiner Gewährsleute und der Themen, über die sie Auskunft erteilten, befindet sich im Anhang. Besonderen Dank schulde ich Polizeimeister Hermann Artner und Inspektionsleiter F. Gediehn für die von ihnen bewiesene Geduld bei ihrer eigenen Befragung, Polizei-Hauptkommissar Willi Lemke für das Uberlassen des Manuskriptes seiner unveröffentlichten Memoiren, Amtsrat Heinz Thiel, Kriminalmeister Teigeier, den Kriminaldirektoren Lehnhoff und Togotzes und Kriminalrat 10
Rolf Italiaander / Willy Haas (Hrsg.), Berliner 1957, S. 12.
Cocktail,
Hamburg—Wien
XII
Vorwort
Hoberg für ihre aufklärenden Einführungen in die Welt der Kriminalisten. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Kommandeur Hans Ulrich Werner und Vizekommandeur Gottfried Miczek von der Schutzpolizei, Oberrat Finger und Oberkommissar Hollstein von der Polizeischule in Spandau und dem Leitenden Kriminaldirektor Wolfram Sangmeister, die es mir ermöglichten, ungehindert mit ihren Untergebenen zu sprechen. Doch vor allem möchte ich dem damaligen Polizeivizepräsidenten Georg Moch danken, der mir im Herbst 1962 die Erlaubnis erteilte, meine Interviews durchzuführen. An dieser Stelle möchte ich auch allen früher oder gegenwärtig bei der Polizei Beschäftigten für die mir bei meiner Arbeit geleistete Unterstützung meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Obwohl die in diesem Buch gegebenen Interpretationen nicht immer mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmen werden, hätte es nicht ohne ihre Hilfe und Unterstützung geschrieben werden können. Die technische Literatur zum preußischen Polizeigedanken und zu den Methoden der Polizei in der Weimarer Zeit wurde mir durdi die freundliche Hilfsbereitschaft der Bibliothekare im Polizeipräsidium der Berliner Polizei in Tempelhof, im Hauptsitz der Kriminalpolizei in Schöneberg und in der Polizeischule in Spandau zugänglich gemacht. Die unveröffentlichten Dokumente über einzelne Polizeibeamte wurden mir im Berlin Document Center, im Bundesarchiv in Koblenz, im Archiv des Landeskriminalgerichts in Berlin-Moabit, im Landesarchiv Berlin und im früheren Preußischen Geheimen Staatsarchiv zur Verfügung gestellt. Leider wurde es mir nicht erlaubt, Dokumente zu benutzen, die sich gegenwärtig in Archiven der DDR befinden. Die Sekundärliteratur zur Berliner Geschichte stammt aus der Senatsbibliothek, dem Landesarchiv und der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Die vorbereitenden Untersuchungen konnten im Herbst 1962 aufgrund eines Urlaubssemesters am Bard College, USA, durchgeführt werden. Das Gros der Arbeit wurde zwischen Oktober 1967 und Juli 1968 durch ein Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht. Während dieser Zeit war Professor Dr. Dr. h. c. Hans Herzfeld von der Freien Universität Berlin mein wohlwollender Mentor. Zuletzt möchte ich Miss Kathryn Pennypacker, meiner student assistant am Vassar College, Poughkeepsie, Ν . Y., im akademischen Jahr 1964/65, meine Dankbarkeit ausdrücken, die die Korrektur eini-
Vorwort
XIII
ger Kapitel las, sowie Mrs. Shirley Warren von der University of California Press, die den letzten Entwurf des englischen Manuskripts gewissenhaft überarbeitet hat. Mein aufrichtigster Dank gilt meinem Freund, Professor Donald J. Olsen, der die englische Ausgabe stilistisch verbesserte und seit Jahren mein Interesse für Stadtgeschichte teilt, am meisten jedoch meiner Frau Francette Liang, durch die die Arbeit an diesem Buch eine Freude war.
Hsi-Huey
Liang
INHALT VORWORT zur deutsdien Ausgabe
V
VORWORT
VII
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
XVII
EINLEITUNG
1
E R S T E S
K A P I T E L
Das historische Erbe der Schutzpolizei Der Polizeigedanke Polizei und Arbeiterschaft vor 1914 ZWEITES
19 28 KAPITEL
Furcht und Unschlüssigkeit 1918 bis 1920 Der Krieg und der Waffenstillstand
37
Die Eidihorn-Episode Rivalität mit dem Militär
41 48 DRITTES
KAPITEL
Die Berliner Schutzpolizei 1920 bis 1932 Organisation, Ausbildung, Ausrüstung Soziale Herkunft, Besoldung, Polizeiverbände, Disziplin Politische Bildung Politische Unterwanderung und Sicherheitsmaßnahmen in der Sthutzpolizei Die Kommunisten Die Reaktionäre Die Nationalsozialisten Die Schutzpolizei im Einsatz: 1920 bis 1932 Phase I : Polizei — Herr der Lage, 1920 bis 1925 Phase II: Neue Formen öffentlicher Unruhen, 1925 bis 1926 Phase I I I : Radikalisierung, März 1927 bis April 1929 Phase IV: Der Kampf gegen die Rote Front, Mai 1929 bis Mai 1930 Phase V: Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten und Kapitulation, 1930 bis 1932
60 67 85 93 95 97 103 108 112 114 117 120 124
Inhalt
XVI
V I E R T E S
K A P I T E L
Die Kriminalpolizei Kriminalität und die Kriminalpolizei in den Augen der Öffentlichkeit Die Kriminalpolizei auf der Suche nach beruflicher Autonomie Erfolg und Integrität innerhalb der Kriminalpolizei Morddezernat Berufsverbrechen FÜNFTES
129 137 146 154 162
KAPITEL
Das Ende einer Polizei-Epoche Vom Papen-Putsdi bis zur Machtergreifung Hitlers Säuberungsaktionen 1933
171 184
EPILOG
194
ANHANG: I n t e r v i e w s
201
BIBLIOGRAPHIE
207
VERZEICHNIS der zitierten Schriften
218
N A M E N - UND SACHREGISTER
225
ABKÜRZUNGEN I. Dienstgrade der Schutzpolizei: Kdr.: PO: POL:
Kommandeur Polize -Oberst
PM: PH: PL:
Polize Polize Polize Polize
PHWM: PO WM: PWM: PUWM:
Polize -Hauptwachtmeister Polize -Oberwachtmeister Polize Wachtmeister Polize -Unterwaditmeister
-Oberstleutnant -Major -Hauptmann -Leutnant
I I . Dienstgrade der Kriminalpolizei: ORR: RR: KD: KPR: KOK: KK: KBS:
Oberregierungsrat Regierungsrat Kriminaldirektor Kriminalpolizeirat Kriminal-Oberkommissar Kriminal-Kommissar Kriminal-Bezirkssekretär
KS: KA:
Kriminal-Sekretär Kriminal-Assistent
I I I . Abkürzungen in den Anmerkungen: Berlin Document Center: O R P O : Ordnungspolizei R U S H A : Rasse- und Siedlungshauptamt N S B A G : Nationalsozialistische Beamten-Arbeitsgemeinschaft Vossische Zeitung (A): Abendausgabe Vossische Zeitung ( M ) : Morgenausgabe Vossisdie Zeitung (S): Sonntagsausgabe
Meinem Vater D r . LONE L I A N G f
chinesischer Charge d'affaires in Berlin 1928—1934
EINLEITUNG Berlin hatte sich in den zwanziger Jahren zum unumstrittenen Mittelpunkt Deutschlands entwickelt und war zum großen, rapide wachsenden Umschlagsort von Gütern und Ideen zwischen Ost und West geworden. Deutschlands bedeutendste Industriestadt und wichtigster Verkehrsknotenpunkt wurde nun auch noch ein Zentrum für Experimente auf allen nur erdenklichen Gebieten.1 Zwar nahmen solche Versuche und Neuerungen in den Jahren nach 1918 in Berlin meist überdimensionale Formen an, doch nach Ansicht der Zeitgenossen war es gerade diese Tatsache, die die Stadt zum geeigneten Ausgangspunkt für Untersuchungen der deutschen Nachkriegsprobleme machte.2 Eine deutsche Durchschnittsstadt — vorausgesetzt, es könnte eine solche geben — hätte diesen Anforderungen nicht genügt. „Nur von ihren Extremen her kann die Wirklichkeit erschlossen werden", schrieb S. Kracauer 1930 in der Einleitung zu seiner soziologischen Studie Die Angestellten in Deutschland. Das Werk beruht größtenteils auf Material, das er in der deutschen Hauptstadt gesammelt hatte. 3 Doch Extreme, die sich mischen, ohne aufeinander abgestimmt zu sein, können leicht Konflikte heraufbeschwören. Zwar erschien Berlin äußerlich als mächtige Metropole, in Wirklichkeit aber wurde ein Großteil seines intellektuellen und materiellen Potentials im gegenseitigen Konkurrenzkampf vergeudet. So ergab es sich, daß Berlin, dessen Führungsanspruch schon in der Kaiserzeit viele Ressentiments erzeugt hatte, in den zwanziger Jahren zum allgemeinen Sündenbock für alle erdenklichen Übel in Deutschland wurde. „Sie sprechen darüber [über Berlin], wie über ein Unglück, das von draußen über sie gekommen ist, durch fremde Schuld, ja durch böse Absicht, durch irgendeine Verschwörung . . . Wird etwas in der Politik, in der Wirtschaftsführung, im sozialen Leben, in der Kulturpolitik verfehlt: natürlich wieder Berlin! 1
Hermann Ullmann, Flucht aus Berlin ?, Jena 1932, S. 44, 71—72. Gustav Böß, Die Not in Berlin. Tatsachen und Zahlen, Berlin 1923, S. 4—5; und Hubert Renfro Knickerbocker, Deutschland so oder so?, Berlin 1932, S. χ—xi. ' Siegfried Kracauer, Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland, Frankfurt a. Main 1930, S. 7. 2
Einleitung
2
Ärgert sich eine Provinz, ein Volksteil, eine Schicht, ein Stamm über Zurücksetzung und Benachteiligung: Schuld hat Berlin. Wird vom Ausland ein unfreundliches Urteil gefällt: der Berliner hat's verursacht." 4 Die politische Bedeutung der Stadt wurde nicht angezweifelt, doch ob sie in der Lage war, der geschlagenen Nation den nötigen Zusammenhalt wiederzugeben, erschien vielen fraglich. Tatsächlich bot Berlin im sogenannten Zwischenreich ein treffendes Bild von Deutschlands Zerrissenheit und von dem Zwiespalt zwischen der Absage an die monarchistische Vergangenheit und den recht unterschiedlichen Vorstellungen von einer demokratischen Zukunft. Sogar die äußere Erscheinung Berlins deutete auf eine abwartende Haltung hin. Fast alle großen Ereignisse in der Geschichte dieser Stadt hinterließen ihre Spuren im äußeren Stadtbild. Man denke nur an den Aufstieg Berlins vom unbedeutenden Fischerdorf zur anspruchsvollen Weltstadt Ende des 19. Jahrhunderts und seine Degradierung zur Frontstadt zwischen Ost und West nach 1945. Nur die Weimarer Zeit bildete hierin eine Ausnahme. Abgesehen von einzelnen modernen Bauten, bietet diese Periode für Architekten und Städteplaner wenig Anschauungsmaterial.5 Inmitten der steinernen Monumente einer einst für unumstößlich gehaltenen und innerhalb eines einzigen Nachmittags zusammengebrochenen Ordnung konnten sich viele Zeitgenossen eines seltsamen Gefühls der Unwirklichkeit nicht erwehren. Wenn es eine Art „weltlicher Andacht" für diese Stadt gegeben hat, so stammte dieses Gefühl — wie zum Beispiel bei dem Altphilologen Wolfgang Schadewaldt — aus Kindheitseindrücken vor dem Ersten Weltkrieg. 6 Der Krieg hatte dieses Verhältnis der Berliner zu ihrer Stadt erschüttert. „Im Berlin des Jahres 1921 schien alles illusorisch. An den Fassaden der Häuser klebten immer noch vollbusige Walküren aus Stein. Die Aufzüge waren in Betrieb, doch in den Wohnungen war es kalt, und das Essen war knapp. Der Straßenbahnschaffner half der Frau Geheimrat diensteifrig beim 4
H. Ullmann, Flucht aus Berlin?
Kundgebung 5
der Humboldt-Akademie,
. . . , S. 7 — 8 . Siehe auch Los von Berlint
Mario Krammer, Berlin im Wandel
deutschen
Hauptstadt,
der Jahrhunderte.
Eine Kulturgeschichte
1920—1933, 1918—1945,
and politics
in
Cambridge, Mass. 1968.
• Wolfgang Schadewaldt, Lob Berlins, gangenheit
Groß-Berliner
Berlin 1951, S. 176. Audi Barbara M. Lane teilt im wesent-
lichen diese Meinung. Siehe S. 103—112 in ihrem Buch Architecture Germany,
der
ergänzt von Paul Fediter, Berlin 1956, S. 2 6 0 ; sowie die
Verteidigung dieses Standpunktes durch Friedrich C. A. Lange in: Tagebuch,
Eine
in: Vossische Zeitung (M), 28. April 1919.
und Gegenwart.
Tübinger
und Politik 14), Tübingen 1961, S. 83.
in: Hans Rothfels (Hrsg.), Berlin
Vorträge
(=
in
Ver-
Tübinger Studien zur Geschichte
3
Einleitung
Aussteigen. Die Streckenführung der Trambahn hatte sich nicht geändert, aber niemand wußte, für welche Strecke sich die Geschichte entscheiden werde." 7 Die Menschen waren sich darüber einig, daß die Stadt ihr früheres Zielbewußtsein verloren hatte. Zeitgenössische Schriftsteller schrieben in einem Stakkato-Stil, charakteristisch für eine Umwelt, die der Durchschnittsberliner nur noch bruchstückweise zur Kenntnis nahm. Sie beschrieben eine aus den Fugen geratene Welt, deren Unsicherheit ihren Ausdruck in psychologischen Studien über persönliche Erfahrungen fand. 8 Sozialkritiker sprachen gern über den Zynismus der Nachkriegsgeneration, über ihre leichte Erregbarkeit und ihr wahlloses Suchen nach neuen Werten und Idealen. 9 „Ah! que faut-il attendre de ces soixante millions d'ämes vacantes, dans lesquelles on peut verser indifferement le bien ou le mal, le vrai ou le faux . . . " , schrieb der Franzose Henri Beraud 1926 nach einem Berlin-Besuch. 10 Das Nebeneinander vieler radikaler Strömungen in dieser Viermillionenstadt war für manchen Zeitgenossen ein Anlaß zur Beunruhigung. Auf Gesellschaften „standen stockkonservative Adlige neben sozialistischen Parlamentariern; ein wilder kleiner Anarchist diskutierte heftig mit einem monokelbewehrten Offizier; selbst ein eingefleischter Judenfeind schwieg für einige Minuten, als ein bekannter jüdischer Strafverteidiger in seine Nähe trat". 1 1 An der Oberfläche gab man sich tolerant; aber wo würden die Konflikte letztlich ausgetragen werden? Doch man sollte nicht übertreiben; denn nicht alles stagnierte oder bewegte sich am Rande des Verfalls. Auch in Berlin gab es Erscheinungen, welche Sozialgeschichtler anderer Länder als charakteristisch für den Fortschritt in den zwanziger Jahren bezeichneten. Die Zunahme des Automobilverkehrs, die neue Filmindustrie, das rege Interesse an englischen Sportarten und amerikanischer Tanzmusik, die zunehmende Bedeutung der Angestellten und der Frauen im beruflichen und wirtschaftlichen Leben sind nur einige Beispiele. Keine dieser sozialen Ent7
Ilya Ehrenburg, Die berühmten
Ehrenburg
Memoiren:
1923—1941,
übers, von
Alexander Kaempfe, München 1965, S. 8. 8
Ernst v. Salomon, Der Fragebogen,
9
Ferdinand Friedensburg, Die Weimarer
Hamburg 1951, S. 248. Republik,
Berlin 1946, S. 19—20.
10
Henri Beraud, Ce que j'ai vu ά Berlin, Paris 1926, S. 48.
11
Axel Eggebredit, Volk ans Gewehr.
Chronik
eines Berliner
Hauses,
1930—34,
Frankfurt a. Main 1959, S. 89. Eine ähnlidie Ansicht vertritt Otto-Ernst Schüddekopf in: Linke Leute von red>ts. Die nationalrevolutionären munismus in der Weimarer
Republik,
Minderheiten
Stuttgart 1960, S. 10.
und der
Kom-
4
Einleitung
Wicklungen besaß jedoch eine überragende Bedeutung für die Gestaltung der Zukunft. Ein Historiker, der sich nicht nur mit dem Bruchteil der sozialen Struktur Berlins befassen will, wie beispielsweise mit dem oft beschriebenen Milieu der prominenten Berliner Schriftsteller, Maler und Schauspieler, muß sich mit einer Vielzahl von Persönlichkeiten, sozialen Gruppen, Berufen, Unternehmen, Einrichtungen und Klassen auseinandersetzen. Eine andere Möglichkeit, das Berlin der zwanziger Jahre historisch zu beleuchten, besteht darin, die Rolle der Berliner Polizei zu untersuchen. Dieses Thema empfiehlt sich erstens deshalb, weil sich die Hoheitsgewalt der Polizei über ganz Berlin erstreckte, zweitens weil die Polizei in den zwanziger Jahren in noch nie dagewesenem Umfang die Verantwortung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung dieser Stadt übernahm und dementsprechend stärkere Beachtung fand und weil drittens die Sicherheit der Regierung in Preußen und im Deutschen Reich zwischen 1918 und 1932/33 von der Haltung der Polizei in Berlin abhing. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Beginn der Hitlerzeit war die Polizei das wichtigste Instrument zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung in Berlin. Sowohl für die Bevölkerung als audi für ihre Ordnungshüter war dies etwas Neues, hatte doch vor dem Ersten Weltkrieg immer das glorreiche kaiserliche Heer die Vorrangstellung eingenommen und dabei die Königliche Schutzmannschaft in den Schatten gestellt. Die Polizei war nur das innenpolitische Werkzeug des preußischen Staates gewesen, dessen politisches und soziales System ein großer Teil der Bevölkerung ablehnte. Die Soldaten dagegen repräsentierten Preußens militärisches Ansehen im Ausland und den erst kürzlich errungenen Sieg des deutschen Nationalgedankens. Auch äußere Eindrücke spielten eine Rolle. Die Garderegimenter mit ihren glanzvollen Paraden hinterließen einen tieferen Eindruck als so manches andere gesellschaftliche Ereignis. Walter Kiaulehn meinte halb scherzhaft, daß die Bedeutung der Arbeiterbewegung im Kaiserreich oft unterschätzt wurde, weil die Sozialisten keine Uniform trugen. 12 Mit dem kaiserlichen Heer konnte nicht einmal die Polizei in ihren blauen Uniformen konkurrieren. 13 12 13
W. Kiaulehn, Berlin ...,S. 172. Ernst van den Bergh, Polizei und Volk — Seelische Zusammenhänge
( = Die
Polizei in Einzeldarstellungen, Bd. 1), Berlin 1926, S. 102. Dies ist nidit als Beurteilung der Leistungen der Königlichen Sdiutzmannsdiaft gedacht.
Einleitung
5
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 verschwand das Heer aus dem Straßenbild Berlins. Vaterländische Feiertage, Festlichkeiten am H o f e und militärischer Pomp gehörten der Vergangenheit an. Kasernen und Kriegsdenkmäler wurden zu historischen Überbleibseln — vielleicht ein Grund dafür, warum ausländische Touristen die Stadt allmählich nicht mehr so attraktiv fanden. 1 4 Für Deutschland lagen die wichtigsten Aufgaben nun nicht mehr in der Außenpolitik, sondern in der Wiederherstellung der inneren Ordnung. Damit wurde die Polizei zum bedeutendsten und sichtbarsten Symbol der Staatsgewalt und deren wichtigstes Instrument zur Bekämpfung der um sich greifenden Gesetzlosigkeit. „Indeed, the armed police in Prussia was meant to offer Germany a surreptitious means for military training outside the limits of the Versailles treaty." 1 5 Alle Abteilungen der Berliner Polizei wurden vergrößert und modernisiert. Einheiten der Schutzpolizei bewachten die Regierungsgebäude, beaufsichtigten die unzähligen politischen Kundgebungen und unternahmen Großfahndungen in Bezirken mit hoher Kriminalität. Die Allgegenwärtigkeit der Polizei versetzte ausländische Besucher in Erstaunen und provozierte viele unzufriedene Einheimische. 16 In der zeitgenössischen Literatur erschien der Polizeibeamte — je nach der politischen Einstellung des Autors — entweder als netter, hilfsbereiter Verkehrspolizist oder als bulliger Wachtmeister. Die einen betrachteten den Schupo als Hüter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit inmitten chaotischer Zustände, die anderen sahen in ihm den letzten Verteidiger eines unentschlossenen Regimes. 17 Ignoriert wurde er von niemandem. „Die Ge14 Franz Lederer, Berlin und Umgebung, 2. Aufl., Berlin [1929], S. 15, 17; und Rumpelstilzchen [d.i. Adolf Stein], Piept es? ( = Rumpelstilzchen-Reihe, Bd. 10), Berlin 1930, S. 75—77. Die erste Schupo-Parade Unter den Linden am Ostermontag 1932 war von den Republikanern der Stadt als willkommener, wenn audi verspäteter Versuch, das Ansehen der Republik zu stärken, begrüßt worden. Vossische Zeitung (M), 29. März 1932. 15 Bernhard Weiß, Polizei und Politik ( = Die Polizei in Einzeldarstellungen, Bd. 3), Berlin 1928, S. 9—10; audi Wilhelm Hartenstein, Der Kampfeinsatz der Schutzpolizei hei inneren Unruhen mit 5 Planspielen und 42 praktischen Aufgaben sowie einer Schilderung der Hamburger Oktoberunruhen 1923, Berlin 1926, S. 3; und John W. Wheeler-Bennett, 7he nemesis of power. The German army in politics 1918—1945, N e w York 1954, S. 98. 16 Polizeimajor Ratcliffe, Wie urteilt das Ausland über die preußische Polizei?, in: Die Polizei, 29. Jg. (1932), Nr. 4 vom 20. Februar, S. 71—72; Rumpelstilzchen [d.i. Adolf Stein], Berliner Allerlei (Rumpelstilzchen-Reihe, Bd. 1), Berlin 1922, S. 304. 17 Zum Beispiel die folgenden Stellen: Hans Fallada [d.i. Rudolf Ditzen],
Einleitung
6
schichte der Republik", schrieb Carl Severing 1929, „ist untrennbar mit der Geschichte der Polizei verbunden." 18 Sogar die politische Polizei und die Kriminalpolizei traten mehr als zuvor in Erscheinung. Es war bekannt, daß die preußische politische Polizei schon kurz nach ihrer Auflösung in den Novembertagen 1918 von der neuen Regierung wieder eingesetzt worden war, und zwar, wie der Journalist Adolf Stein behauptete, in zehnfacher Stärke, um das neue Regime vor linken und rechten Verschwörern zu schützen. Nach seiner Darstellung waren die Männer von der Abteilung IA, wie die politische Polizei nach der Revolution hieß, 19 in jedem Winkel der Hauptstadt tätig; sie suchten nach geheimen Waffenlagern, kontrollierten Briefe und bespitzelten private Vereine und Verbände. 20 Ihre Namen erschienen sogar in der Tagespresse, wenn von politischen Straßenkämpfen und Schlägereien die Rede war. Diese Offenheit bot der Polizeiführung die Möglichkeit, das Dilemma zu umgehen, sich entweder für ihr demokratisches Gewissen entscheiden zu müssen, welches geheime Polizeimethoden verabscheute, oder aber mit gesundem politischem Menschenverstand zu versuchen, die Intrigen ihrer • Gegner zu überwachen.21 Im Jahre 1928 veröffentlichte Polizeivizepräsident Dr. Bernhard Weiß ein populärwissenschaftliches Buch, in dem er die politische Polizei zu rechtfertigen und das allgemeine Mißtrauen gegenüber der Abteilung IA zu entkräften suchte.22 Sein Buch Polizei und Politik sowie andere halboffizielle Veröffentlichungen dieser Art weckten zwar den Anschein von Freimütigkeit in bezug auf das Spitzelwesen, bestätigten jedoch gleichzeitig die allgemeine Vermutung, Kleiner 1932.
Mann Ein
— was
Roman
nun?
der
Roman,
großen
Berlin 1 9 3 2 , S. 2 3 8 — 2 3 9 ; H e i n z Rein,
Arbeitslosigkeit
S. 57 ff.; und K a r l A . Schenzinger, Der
(=
Hitlerjunge
Die
neue Lese),
Quex.
Roman,
Berlin
Berlin 1946,
Berlin—Leipzig
1 9 3 2 , S. 7 — 8 . 18
Carl
Polizei". Gartens,
Severing, Sonnabend,
Die
Polizei
den
7. Dezember
neuen
Staat,
1929,
in den
in:
Almanacb
Festräumen
zum des
„Fest
der
Zoologischen
Berlin 1 9 2 9 , S. 1 2 — 1 3 . Einen sehr ähnlichen Standpunkt vertritt F . Friedens-
burg in seinem Buch Die Weimarer 18
im
Republik
. . ., S. 2 4 3 — 2 4 4 .
D e r Einfachheit halber werden wir diese Bezeichnung auch weiterhin benutzen,
obwohl die politische Polizei im September 1 9 3 1 zur Abteilung I wurde. 20
Rumpelstilzchen, Berliner
21
Eugen Ernst, 1 9 1 9 Polizeipräsident von Berlin, ist der Verfasser des Artikels
Allerlei.
Polizeispitzeleien
und
Bekämpfung
Sozialdemokratie,
der
Ausnahmegesetze,
B . Weiß, Polizei
und Politik
1878—1910.
Ein Beitrag
zur
Geschichte
der
Berlin 1 9 1 1 , in dem die alte politische Polizei
angegriffen wird. 22
. ., S. 5 4 — 5 5 .
...
7
Einleitung
daß die Weimarer Republik eine viel weiter verbreitete Polizeiaufsicht ausübte als die preußische Monarchie. 23 Das soll nicht heißen, daß die Berliner die Polizei ablehnten. Der Kriminalpolizei zum Beispiel kam das große Interesse an Verbrechergeschichten in den zwanziger Jahren sehr zustatten. Fast alle BerlinBeschreibungen aus dieser Zeit enthalten Geschichten über Rauschgifthandel, Prostitution, Mörder und Meisterdiebe. In den Chroniken des Hotels Adlon und anderer erstklassiger Etablissements finden sich unterhaltsame Geschichten über Gentleman-Einbrecher und internationale Schwindler. 24 Hans Falladas Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frißt und Alfred Döblins Berlin-Alexanderplatz schildern das Milieu des Berufsverbrechers. Erich Kästners berühmte Kinderbücher Emil und die Detektive und Pünktchen und Anton behandelten neue und erfolgreiche Diebesmethoden, die der damaligen Polizei viel Sorge bereiteten. 25 Der Durchschnittsberliner zeigte allerdings wenig Interesse, Amateurdetektiv zu spielen. D a f ü r verfolgte er um so eifriger die Zeitungsberichte über die Arbeit einiger hervorragender Kriminalkommissare. So hatte beispielsweise der für seinen Mut bekannte Albert Dettmann Anfang der zwanziger Jahre einige der gefährlichsten Einbrecher eigenhändig zur Strecke gebracht. Die Kommissare Werneburg und Lissigkeit wurden durch die schnelle Lösung einiger Raubmordfälle bekannt. Otto Busdorf machte 1926 mit der Haas-Schröder-Affäre Schlagzeilen; Kriminalrat Ernst Gennat verdankte die Berliner Kripo ihren Weltruf. Verallgemeinernd kann man wohl behaupten, daß dies die einzige Periode in der Geschichte Berlins war, in der eine Anzahl von Kriminalkommissaren stadtbekannt und beliebt war. 26 Die Sportbewegung, Polizei-Konzerte 27 und die Entwicklung der 23
N a c h Ansicht v o n Frank Arnau w a r dies wahrscheinlich der Hauptgrund für
ihr Versagen. Frank Arnau, Das Kriminalpolizei, 24
Auge
des
Gesetzes.
Macht
und
Ohnmacht
der
D ü s s e l d o r f — W i e n 1962, S. 60—61.
H e d d a Adlon, Hotel
Adlon.
Das Haus
1955; oder H a n s Erman, Bei Kempinski.
in dem die Welt
Aus
der
Chronik
zu Gast war, einer
Weltstadt,
München Berlin
1956. 25
Der
erste behandelt
moderne
Eisenbahndiebstähle
und
der
mädchen, die mit Einbrechern gemeinsame Sache machten. Siehe audi Einbrüche,
in: Vossische
Heller, Kinder
der Nacht.
Zeitung, Bilder
zweite
Dienst-
Dienstmädchen-
24. Februar 1920 (M); und Ernst Engelbrecht / Leo aus dem Verbrecherlehen,
N e u - F i n k e n k r u g b. Berlin
[ 1 9 2 6 ] , S. 14. 26 27
Mehr darüber im Vierten Vossische
Zeitung,
Kapitel,
S. 132.
23. Januar 1926 (A): „Es kann um deutsches Wesen nicht
Einleitung
8
Kriminalistik sind nur einige Beispiele, die zeigen, daß die Regierung nach dem Ersten Weltkrieg bemüht war, den vielseitigen Anforderungen durch eine weitgehende Umgestaltung ihrer Polizei gerecht zu werden. Die tägliche Routinearbeit der Verwaltungspolizei, die das Einwohnermeldewesen, die neu eingeführte Arbeitslosenunterstützung, die Überwachung der Brandordnung und die Erteilung von Schankkonzessionen umfaßte, war zu umfangreich, um hier ausführlich behandelt zu werden. „Keine Verwaltung ist in ihrer Gliederung und Zuständigkeit so vielgestaltig wie die Polizei", schrieb ein junger Kriminaloberwachtmeister schon 1919. „Es gibt bald überhaupt nichts, was nicht zu ihrem Pflichtenkreis gehört." 28 Zehn Jahre später bekräftigte der Polizeipräsident von Magdeburg, Menzel, diese Prognose mit den Worten: „Im großen und ganzen aber vertragen die Aufgaben der Polizei im vitalen Interesse des Staates und der Staatsbürger keine Beschränkung. Ja, sie dehnen ihre Grenzen ständig aus, indem sie sich der Entwicklung der Lebensverhältnisse elastisch anpassen . . . Zunehmende Komplizierung der Lebensverhältnisse bedingt Kompliziertheit ihrer Regelung . . . Das zwanzigste Jahrhundert ist und wird sein das Zeitalter revolutionärer Spannungen in der ganzen W e l t . . . Der notwendige Ausgleich dieser Spannungen in ruhiger und überlegter Reformarbeit macht innerpolitische Isolatoren nötig, soll nicht Kurzschluß — Umsturz — eintreten und die Reform vernichtet werden. Der wichtigste Isolator ist die Schutzpolizei." 29 So ist es also nicht verwunderlich, daß die Polizei nach dem Kriege ein neues Selbstbewußtsein zur Schau trug. Dr. Weiß stellte nicht ohne Stolz in Polizei und Politik fest: „Alle politischen Parteien, alle Parteipolitiker ringen um die Seele der Polizei." 30 Doch die polizeiliche Uberwachung Groß-Berlins wurde in dieser Zeit immer komplizierter. gar so schlecht bestellt sein, wenn die Schutzpolizei eine solche Kulturhöhe aufweist, daß aus ihren Reihen ein Sinfonie-Orchester hohen Ranges gebildet werden kann." 28
Kriminal-Oberwachtmeister
Füth, 2ur
Reform
der
Polizei,
in: Die
Polizei,
16. Jg. (1919), N r . 10 vom 14. August, S. 233. Die Tatsache, daß die deutsche Polizei viele Verwaltungsarbeiten
ausführt, bedeutet nicht, daß dadurch die
persönliche
Freiheit mehr eingeschränkt wird, als in anderen modernen Staaten. Siehe Frederick F. Blachly / Miriam E. Oatman, The government
and administration
of
Germany,
Baltimore 1928, S. 4 1 8 — 4 1 9 . 29
Menzel, Reformmöglichkeiten
hei
der
Preußischen
Polizei,
in: Die
Polizei,
25. Jg. (1928), N r . 2 vom 20. Januar, S. 31—12. Menzel spielte bei der Reform der internen Verwaltung der preußischen Polizei während der späten zwanziger Jahre eine führende Rolle. 30
B.Weiß,
Polizei
und
Politik...,
S.U.
Siehe audi Emil Klingelhöller,
Der
9
Einleitung
Groß-Berlin: das waren 883,5 km 2 Mietskasernen und Fabriken, Geschäftsstraßen und Eisenbahngelände, Villenviertel, Schulen und Regierungsgebäude. Groß-Berlin: das hieß auch, vier Millionen Einwohner mit Hilfe von 14 000 uniformierten Schutzpolizisten, 3000 Kriminalbeamten, 300 ΙΑ-Beamten und 4000 Verwaltungsbeamten zu beschützen.31 Im Jahr 1920 waren 8 unabhängige Stadtgemeinden, 55 Landgemeinden und 23 Gutsbezirke zu der neuen Stadtgemeinde Groß-Berlin zusammengeschlossen worden. Dementsprechend mußte auch die Berliner Polizei neu organisiert werden. 32 Der alte „Landespolizeibezirk Berlin" mit seinen fünf verschiedenen Polizeipräsidien verschwand ebenso wie die acht ländlichen Amtsbezirke in den Randgebieten. An ihre Stelle trat das Polizeipräsidium Berlin, zuständig für ganz Groß-Berlin und unmittelbar dem preußischen Innenministerium unterstellt. Damit war die Berliner Polizeibehörde nach 1920 der größte Polizeiapparat in Preußen und Deutschland.38 Berlin bildete innerhalb der städtischen Ringbahn eine geschlossene geographische Einheit. Der Aufgabenbereich der Polizei war jedoch in den verschiedenen Bezirken und Gegenden sehr unterschiedlich. Es gab ruhige Reviere und „Krawallreviere", je nach der sozialen und politischen Struktur ihrer Einwohner und deren Einstellung zu Staat und Gesetz. Da die Polizei auf die Unterstützung des Preußischen Landtages und der Bevölkerung großen Wert legte, war es wichtig, das Image der Polizei grundlegend zu verändern. Der königlich-preußische Schutzmann mit Zwirbelbart, Säbel und einem unwirschen „Drei Schritte vom Leibe!" sollte einem neuen Begriff weichen, dem des Polizisten als „deinem Freund und Helfer". Allerdings war es nicht einfach, den GedanVerband
Preußischer
Polizeibeamten
in seinem
'Werden
und
Wirken.
1926,
Berlin
[ 1 9 2 6 ] , S. 24. 31
Dies sind nur annähernde Zahlen, zitiert von Albert C. Grzesinski, Polizei-
präsident von Berlin in den Jahren 1 9 2 5 — 1 9 2 6 und 1930—1932, in seinem Buch Inside Germany, 32
übers, von Alexander S. Lipsdiitz, N e w Y o r k 1939, S. 117, 124.
Zur Gründung von Groß-Berlin siehe Hans Schulze, 5 Jahre
wirtschaftshistorischer Reichshauptstadt, 33
Rückblick
und Beitrag
zur
Geschichte
und
Groß-Berlin.
Ein
Organisation
der
Phil. Diss., Berlin 1927, gedruckt Neustrelitz 1927.
Der Landespolizeibezirk Berlin bestand aus (1) Berlin, (2)
Charlottenburg,
(3) Neukölln, (4) Schöneberg, Wilmersdorf, Halensee, (5) Lichtenberg,
Boxhagen,
Rummelsburg, Stralau. Die Amtsbezirke, die dem Regierungspräsidenten in Potsdam unterstanden, waren Tegel, Reinickendorf, Pankow, Weißensee, Tempelhof, Britz, Friedenau und Schmargendorf. Der Zusammensdiluß im Jahre 1920 wird treffend erläutert von Heinrich Lindenau, Die Polizei von Groß-Berlin, (M), 18. Februar 1920.
in: Vossische
Zeitung
10
Einleitung
ken einer „Volkspolizei" in einer Bevölkerung durchzusetzen, die — wenngleich äußerlich fügsam — der Polizei von jeher mißtrauisch gegenübergestanden hatte. 34 „Wenn der Berliner Schutzmann vermittelt, regelt, ordnet (und die Gerechtigkeit gebietet zuzugeben, daß der Nachkriegsschupo sein Bestes tut), dann kämpft er, einer behördlichen Erkenntnis und gründlichen Schulung entsprechend, gegen ein Bedürfnis der Bevölkerung, gegen den Lokalkolorit, gegen die Elemente selbst. Er ist ein kleiner Alltagsheld, wo der Pariser oder Londoner oder Wiener Schutzmann Liebling des Volkes zu sein wenig Mühe hat." 3 5 Die Tatsache, daß dieser Millionenstadt ein einheitliches Gepräge fehlte, machte die Dinge nur noch komplizierter. D a waren zunächst die Regierungsbezirke Mitte und Tiergarten. Die ganze Gegend nördlich und südlich der Linden wurde in den zwanziger Jahren sichtlich vernachlässigt, da die Reichen in die westlichen Vororte zogen und die historischen Straßen des kaiserlichen Berlins den Reisebüros und ihren Stadtrundfahrten überließen.36 Sehr zum Ärger konservativer Zeitgenossen versammelten sich marxistische Arbeiter regelmäßig im königlichen Lustgarten, und die Schaufenster in der Friedrichstraße zeigten den Kronprinzen von Meiningen neben „Dokumenten weiblicher Schönheit" — eine groteske „Synthese von Byzantinismus und Pornographie". 37 Gleich nach Kriegsende war es in den Bezirken Mitte und Tiergarten wiederholt zu Schießereien gekommen. Doch der Tag, an dem Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg aus dem Hotel Eden in den Tod gezerrt worden waren, war kaum ein halbes Jahrzehnt später schon fast vergessen. 38 Ein Teil dieser Gegend war nun zur Bannmeile erklärt
34 Auszüge aus K . Jeromes Satire auf das Kaiserreich Three men on the Bummel ( = Collection of British authors 3428), Leipzig 1900, werden in Hermann Degenhardt / Max Hagemann, Polizei und Kind ( = Die Polizei in Einzeldarstellungen, Bd. 8), Berlin 1926, S. 58—60, zitiert.
Η. Ullmann, Flucht aus Berlin? .. ., S. 87. F. Lederer, Berlin und Umgebung..S. 68. Über „Flucht aus der Stadt" siehe audi Willy Mann, Berlin zur Zeit der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Erforschung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der deutschen Hauptstadt ( = Beiträge zur Geschichte Berlins), Berlin 1957, S. 81; und Rumpelstilzchen, Piept es? ..., S. 320. 85
36
37 Leo Lania, To-day we are brothers, in: Harlan R . Crippen (Hrsg.), Germany: A self-portrait. A collection of German writings from 1914 to 1943, London 1944, S. 185—197. 3 8 H. R. Knickerbocker, Deutschland so oder so? . . ., S. 20.
Einleitung
11
worden, in der alle politischen Demonstrationen verboten waren. 39 „Dinge und Menschen werden ein wenig vorgeordnet, vorgesiebt, vorgeprüft, bevor sie hierher in die Wilhelmstraße gelangen, das Chaos brandet nicht bis hierher, und wenn das geschieht, ist's Verletzung der Bannmeile und hat brenzlichen Bürgerkriegsgeruch."40 Das soll jedoch nicht heißen, daß man sich der Illusion hingab, es sei alles in Ordnung, solange nur die Regierungsbezirke von politischen Extremisten reingehalten wurden. Die Ruhe war genauso trügerisch wie der glanzvolle Luxus und die Sittenlosigkeit des Kurfürstendamms in den „goldenen zwanziger Jahren". Der Kurfürstendamm, einst vornehme Residenzstraße des wohlhabenden Bürgertums, wurde nun in der Gegend um die KaiserWilhelm-Gedächtniskirche zu einem umstrittenen Kulturbegriff. 41 Hermann Ullmann und Paul Marcus betrachteten den Kurfürstendamm als den Treffpunkt der talentiertesten Schriftsteller und Künstler in Deutschland.42 Für Friedrich Hussong und Adolf Stein war er der geistige Nährboden ruheloser Bohemiens und einer Klasse ordinärer „Raffkes", das heißt bemittelter Leute, die jedoch weder ihrer Kultur noch ihrer moralischen Auffassung nach den oberen Schichten angehörten, 43 wie Calvin B. Hoover treffend beobachtete. Für die Nationalsozialisten war der Kurfürstendamm die Hauptstraße des internationalen Judentums: nomadenhaft, zynisch und parasitisch und damit- ein geeigneter Schauplatz für antisemitische Ausschreitungen.44 Nachtlokale, Sensationsverbrechen und wiederholte Uberfälle von Nationalsozialisten auf wehrlose Passanten sorgten ständig dafür, daß 39 D i e genaue Grenze der Bannmeile (1920—1934) ist aus der Karte am Ende des Buches ersichtlich. Hitler nutzte die besondere Sicherheit dieser Gegend und wohnte während seiner Berlin-Aufenthalte in den Jahren 1931 bis 1933 im H o t e l Kaiserhof. Julek K. v o n Engelbrechten / Hans V o l z (Hrsg.), Wir wanderten durch das nationalsozialistische Berlin. Ein Führer durch die Gedenkstätten des Kampfes um die Reichshauptstadt. Im Auftrage der Obersten SA.-Führung bearb., München 1937, S. 63. 40
H . Ullmann, Flucht aus Berlin? ...,
S. 21.
41
Diese Gegend, auch Berlin W W genannt, wurde begrenzt v o n der Uhlandstraße, dem Bahnhof Zoologischer Garten und dem Wittenbergplatz. 42 H . Ullmann, Flucht aus Berlin? ..., passim; und Pem [Paul Erich Marcus], Heimweh nach dem Kurfürstendamm. Aus Berlins glanzvollsten Tagen und Nächten, Berlin 1952. Siehe auch M a x Krell, Das alles gab es einmal, Frankfurt a. Main 1961. Friedrich Hussong, „Kurfürstendamm". Zur Kulturgeschichte des Zwischenreichs, Berlin 1934, S. 38. Calvin B. Hoover, Germany enters the Third Reich, N e w York 1933, S. 22. 43
V o n J. K. v. Engelbrechten / Η . Volz, Wir wandern..., S. 213—214; Joseph Goebbels, Kampf um Berlin, 1 5 . - 1 8 . Aufl., München 1940, S. 27. 44
12
Einleitung
der Kurfürstendamm in der Boulevardpresse Schlagzeilen machte. Polizeilich gesehen waren jedoch der Kurfürstendamm und seine Umgebung kein ernsthaft gefährdeter Bezirk. Seine Bewohner waren redliche Bürger, 45 und im übrigen verlieh diese Straße Berlin jenen weltstädtischen Reiz, von dem die Stadt auch finanziell profitierte. Für den Berliner bedeuteten bunte Lichtreklamen, dahinbrausende S-Bahn-Züge und der Spiegelglanz von Limousinen auf regenfeuchtem Asphalt 46 eine gewisse Großstadtromantik; er sah im Kurfürstendamm eine Hauptattraktion für ausländische Besucher. „Une autre ville nait aux lumieres, une ville plus bruyante et aussi plus furtive, oil les gants blancs des schupos prennent un air de gala." 47 Jedoch nur wenige Schritte von der früheren kaiserlichen Residenz und vom weltstädtischen Zentrum entfernt, befanden sich politisch und kriminell stark gefährdete Gegenden. Das größte und gefährlichste Gebiet begann gleich östlich der Bannmeile und dehnte sich bis zur nördlichen Grenze der Friedrichstadt aus. Es umfaßte das historische Gebiet von Alt-Kölln südlich des Alexanderplatzes bis zum unteren Wedding im Norden. Enge Gassen wie die Friedrichsgracht, die Spreestraße, der Molkenmarkt und der Krögel, deren heruntergekommene Behausungen ein trauriges Zeugnis für die städtische Gleichgültigkeit gegenüber historischen Gebäuden waren, 48 eigneten sich bestens als Verstecke für lichtscheues Gesindel jeder Art. Hier herrschte auch der Ringverein Immertreu, während den Kommunisten das historische Gasthaus „Zum Nußbaum" (1517) als Treffpunkt diente. 49 Flüchtige Verbrecher wurden hier nur selten von der Polizei aufgespürt. Mit dem schwerbewachten Polizeipräsidium am Alexanderplatz in der Mitte, setzte sich diese Gefahrenzone nördlich des Schlosses fort. Die Gegend um das KPD-Gebäude am Bülowplatz war während der ganzen Weimarer Zeit ein ständiger Unruheherd. Von ihrem Vereinslokal, dem Restaurant „Bär", aus, begann die Abteilung Mitte des Rot45 Im Jahre 1919 schenkten die Bewohner von Charlottenburg ihrer Kriminalpolizei einen kugelsicheren Wagen. Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 3 vom 8. Mai, S. 66. 46 Friedrich Sieburg, Gott in Frankreich?. Ein Versuch, Frankfurt a. Main 1929, S. 119—120. 47 H. Biraud, Ce que j'ai vu ä Berlin . . . , S. 19. Berlin bei Nacht war ein beliebtes Thema der Berliner Maler in den zwanziger Jahren. Siehe F. Lederer, Berlin und Umgebung . . . , S. 62—63. 48 A. a. O., S. 99; und F. C. A. Lange, Groß-Berliner Tagebuch . . . , S. 38. 49 J. K. v. Engelbrechten / H. Volz, Wir wandern . . S . 74—75.
13
Einleitung
frontkämpferbundes (RFB) hier 1926 ihren Kampf mit der SA um die Vorherrschaft in diesem Viertel. 50 Das Polizeirevier 7 in der Hankestraße befand sich im Kreuzfeuer der beiden Gegner. Gegenseitige Drohungen und bewaffnete Zusammenstöße zwischen Polizei und Kommunisten erreichten schließlich ihren Höhepunkt in der Erschießung der Polizeihauptleute Anlauf und Lenck am 9. August 1931, dem wohl berüchtigsten Anschlag auf uniformierte Polizeibeamte während der gesamten Weimarer Zeit. Die mit Panzerwagen ausgerüstete Elitetruppe der Polizeiinspektion 21 (Alexander) lag in der Kleinen Alexanderstraße bereit, um im Notfalle schnell eingreifen zu können. 51 Die Sicherheit des Bülowplatzes wurde durch seine Nähe zur schlimmsten Verbrechergegend der Stadt weiter beeinträchtigt: Das Scheunenviertel bedeutete für Berlin, was Whitechapel für London oder St. Pauli für Hamburg waren. 52 Seine billigen Mietskasernen und unzähligen Pennen aus den Gründerjahren beherbergten Berlins größte Ansammlung von Armen, Verbrechern und Prostituierten. Viele mittellose jüdische Einwanderer aus Osteuropa wurden von den Behörden hier angesiedelt. In schlechten Zeiten kam es vor dem Städtischen Leihamt in der Münzstraße und dem Zentralen Arbeitsnachweis in der Gormannstraße wiederholt zu Krawallen. 5 3 Für Polizeibeamte waren Straßen wie die Mulackstraße mit ihrem „Ochsenhof" — einem Haus mit Dutzenden von Eingängen und zwanzig Aufgängen — ein Greuel. Haussuchungen waren hier zumeist zwecklos. Kam es zu Zusammenstößen, wurden die Straßenlaternen zerschlagen. Polizeistreifen wagten sich hier nur zu zweit vor. 54 50
H a n n s H e i n z E w e r s , Horst
1 9 3 2 , passim.
Wessel.
D a v i d J . Dallin, Soviet
Ein
deutsches
espionage,
Schicksal,
Stuttgart—Berlin
N e w H a v e n 1 9 5 5 , S. 8 7 — 8 8 . Dallin
beschreibt das K P D - G e b ä u d e als eine regelrechte Festung, die den kommunistischen Parteien anderer europäischer L ä n d e r als Vorbild diente. 51
Interview O t t o Krause.
52
Zu
dieser
Gegend
gehörten
Münzstraße,
Dragonerstraße
(heute
Max-Beer-
Straße), Grenadierstraße (heute A l m s t ä d t e r Straße), Linienstraße, Rückerstraße und Mulackstraße. Siehe Philipp Paneth, Nacht hafte"
City
von
Aschinger
bis Zacharias.
und Ernst Engelbredit, In den großstädtische
Verbrechertum
Spuren
und seine
über Ein
Berlin-Alexanderplatz.
Tatsachenbericht,
des Verbrechertums. Schlupfwinkel,
Ein
Die
„laster-
Leipzig 1932, S. 3 1 ; Streifzug
durch
das
Berlin—Schöneberg, ca. 1 9 3 0 ,
S. 102. 53
betr.
Siehe Staatsanwaltschaft gegen W a l t h e r de L a p o r t e , O k t o b e r 1 9 2 8 , in: Entscheidungen
in förmlichen
Disziplinaruntersuchungssachen,
des Preußischen Oberverwaltungsgerichts; auch Die in Archiv
für Kriminologie
8 9 ( 1 9 3 1 ) , S. 2 3 5 — 2 3 8 .
Raubüberfälle
Bd. 17, der
Akten
1. Senat
Jugendlichen,
14
Einleitung
Zu diesem Hauptgefahrenherd gehörte auch der südliche Teil des Weddings zwischen Hussitenstraße, Kösliner Straße und Wiesenstraße, wo es im Mai 1929 zu einer dreitägigen Straßenschlacht kam. Wahrscheinlich hat es auch hier kriminelle Elemente gegeben, doch die Hauptursache für die Unsicherheit lag zweifellos in der Feindschaft zwischen den gut organisierten kommunistischen Arbeitern und kleinen, aber aggressiven Gruppen von Nationalsozialisten, deren Sitz das Kriegervereinshaus war. Die beiden Gruppen waren sich so ähnlich, daß es Anfang der dreißiger Jahre durchaus keine Seltenheit war, wenn Kommunisten und Nationalsozialisten die Partei wechselten und ins feindliche Lager übertraten. 55 Da die Gefahrenzone zwischen Fischerkietz und Kösliner Straße direkt an das Regierungsviertel grenzte, war sie für die Berliner Polizei natürlich das Sicherheitsproblem Nummer eins. Aber es gab auch andere Gegenden, die gefährdet waren. Die Umgebung des Schlesischen Bahnhofs (heute Ostbahnhof) im Bezirk Friedrichshain war als Verbrechergegend berüchtigt. Im Jahre 1928 mußte die Polizei zugeben, daß sie nicht in der Lage war, die Herrschaft des kriminellen Ringvereins Immertreu zu brechen.56 Selbst die örtliche Revierpolizei, deren Beamte immer nur zu zweit auf Streife gingen, war nicht in der Lage, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. „Mit diesen Leuten konnte man sich nicht einlassen", erinnerte sich Hermann Artner, der 1928 im Revier 88 in der Andreasstraße tätig war. „Die Zustände dort spotteten jeder Beschreibung!" Um die Revierbeamten vor persönlichen Racheakten zu schützen, wurden sie wiederholt von Bereitschaftspolizisten aus der Köpenicker Straße abgelöst. Dagegen war die sogenannte Karpatengegend in Neukölln ein politischer Unruheherd. Bis 1929 war hier die größte Abteilung des Rotfrontkämpferbundes mit ungefähr 2000 Mitgliedern stationiert. Neukölln und Kreuzberg erlebten wiederholt politische Zusammenstöße zwischen den Rotfrontkämpfern und streitsüchtigen Braunhem54
Erich Liebermann v. Sonnenberg / Otto Trettin, Kriminalfälle,
Berlin 1934,
S. 2 2 4 ; und Interview Kurt Fleischer. 55
Interview Teigeier. Audi Wolfgang Ullrich, Verbrechensbekämpfung.
Organisation,
Rechtsprechung,
72; und Klaus Neukrantz, Η . Rein, Berlin
1932...,
Neuwied a. Rh. — Berlin-Spandau Barricades
in Berlin,
New
York,
Geschichte,
1961, S. 71 bis
ca.
1930,
passim.
S. 1 6 8 — 1 6 9 , enthält eine gute Beschreibung der Hussiten-
straße. 59
Verbrecherschlacht
1928 (A).
am Schlesischen Bahnhof,
in: Vossisdie Zeitung,
31. Dezember
Einleitung
15
den im Restaurant „Neue Welt" in der Hasenheide. Während der Kämpfe am l . M a i 1929 „stürzten Kommunisten wie eine Flut von Ratten aus den Mietskasernen", berichtete ein Kriminalbeamter. 57 Nicht alle Arbeiterviertel waren politische Gefahrenherde. Die wirtschaftlichen Konsequenzen von Krieg, Niederlage und Inflation hatten einige der traditionellen Unterschiede zwischen Handwerkern, kleinen Kaufleuten und Angestellten verwischt. Bei manchen Arbeitern kam, bedingt durch die mageren Nachkriegs jähre, ihre ursprüngliche schlesisdie und.pommersche Bauernmentalität wieder zum Vorschein, so daß ihr Denken dementsprechend konservativ war. Die mißliche wirtschaftliche Lage bedeutete für das Kleinbürgertum eine größere Misere als für die Arbeiter. Ende der zwanziger Jahre fingen audi die kleinen Läden in Steglitz und Friedenau an, ihre Waren zu denselben Preisen anzubieten wie im proletarischen Norden und Osten der Stadt. Aus den Steglitzer und Friedenauer Mietshäusern drang derselbe Armeleutemief wie im Wedding, nur daß er dort noch ungewohnt war und deshalb als peinlich empfunden wurde. In den westlidien und südöstlichen Vororten trugen die Männer keine Mützen, sondern Hüte; ihre Kinder träumten nicht von Sowjetrußland, sondern „vom Dritten Reich oder von Auslandspositionen und Erfindungen". 58 Hier hatten die Nationalsozialisten viele Anhänger. Spannungen gab es kaum; denn es fehlte die Konfrontation mit der andersdenkenden Arbeiterschaft. Viele örtliche Polizisten hatten außerdem ähnliche politische Vorstellungen wie die Bewohner. Anderen bürgerlichen Bezirken blieben politische Unruhen allerdings nicht erspart. Das Polizeirevier 156 in Wilmersdorf war an und für sich eine ruhige Gegend, bis auf die Spichernsäle, in denen es regelmäßig zu Tumulten kam. Schöneberg hatte als ständige Quelle von Zusammenstößen den Sportpalast und die „Rote Insel" um den Anhalter Bahnhof. Charlottenburg besaß den „Kleinen Wedding", in dem bis 1933 der Ringverein Libelle und die Kommunisten herrschten. Revierbeamte trugen hier laut Dienstanweisung die Pistole in der Manteltasche, um im Notfall unauffälliger nach der Waffe greifen zu können. Nicht weit vom eleganten Hansaviertel im Tiergarten, in der Gegend um die Beusselstraße, Turmstraße und Sickingenstraße, lag ein Industriegebiet, dessen kommunistische Bewohner ständig mit den Nationalsozialisten 57
Interview Max E. Jadiode. Audi von J. K. v. Engelbrediten / H . Volz, Wir wandern . . . , S. 185—189. 58 H. Ullmann, Flucht aus Berlin? . . S. 22—23.
16
Einleitung
in der Hebbelstraße und den Hohenzollernsälen auf Kriegsfuß standen. Selbst in Friedenau hatte sich 1932 ein Gefahrenherd um den Laubenheimer Platz entwickelt: Hier herrschten Spannungen zwischen linksgerichteten Intellektuellen und Künstlern einerseits und Mitgliedern des Stahlhelms andererseits.59 Kriminalität und politische Gewalttätigkeiten, die fast an Revolten grenzten, beherrschten das Bild während der gesamten Dauer der Weimarer Republik und bedrohten die Sicherheit der Hauptstadt. Der Engländer Christopher Isherwood beschrieb die damalige Situation mit folgenden Worten: „In Berlin herrschte der Bürgerkrieg. Der Haß brach unvorhergesehen und plötzlich hervor; an Straßenecken, in Gasthäusern, in Tanzlokalen und Schwimmbädern, nach dem Frühstück, am Nachmittag... Mitten auf einer belebten Straße konnte es passieren, daß ein junger Mann überfallen, ausgezogen, geschlagen und blutend auf dem Pflaster liegengelassen wurde; in fünfzehn Sekunden war alles vorbei und die Angreifer waren verschwunden."60 Poetischer, wenn audi etwas unheimlicher zeichnete Siegfried Kracauer dieselbe Unruhe in seinen verschiedenen Essays über Berlin, die er zwischen 1926 und 1933 in der Frankfurter Zeitung veröffentlichte, so zum Beispiel in seinem Artikel Schreie auf der Straße: „Heute vermute ich, daß nicht die Menschen in den Straßen schreien, sondern die Straßen selber. Wenn sie es nicht mehr ertragen können, schreien sie ihre Leere heraus. Aber idi weiß es wirklich nicht genau." 60 " Erschwert wurde die Situation weiterhin durch das Ineinandergreifen von politischen und gewöhnlichen Verbrechen, von Routineaufgaben und Ausnahmesituationen. Die Berliner Polizei — bemüht, ein Beispiel demokratischer Toleranz und Gesetzlichkeit zu geben — übte ihre Befugnisse äußerst zurückhaltend aus, selbst auf die Gefahr hin, der 5
* Interview Gottfried Miczek, in den Jahren 1929 bis 1931 im Polizeirevier 156
tätig. Eine Beschreibung des „kleinen Wedding" (zwischen Sophie-Charlotten-Straße, Charlottenburger Ufer, Berliner Straße, Knie [heute Ernst-Reuter-Platz], Bismarckstraße und Kaiserdamm) in J a n Petersen [ d . i . Hans Sdiwalm], Unsere
Straße.
Chronik.
Berlin 1947.
Geschrieben
im Herzen
des faschistischen Deutschland
1933/34,
Eine
In der kommunistischen Hochburg Moabit spielt die Handlung von Κ . A. Schenzingers Roman Der
Hitlerjunge
brecht, Mut und Übermut Berliner Cocktail..., 60
Quex...;
die rote Insel Friedenau wird von Axel Egge-
im Künstlerblock,
in: R. Italiaander / W. Haas (Hrsg.),
S. 4 5 3 — 4 5 6 , erwähnt.
Christopher Isherwood, The last of Mr. Norris
(zuerst 1935 veröffentlicht), in:
The Berlin stories, New Y o r k 1945, S. 86. β0α
Siegfried Kracauer, Straßen
Frankfurt a. Main 1964, S. 30.
in Berlin und anderswo
( = edition suhrkamp 72),
17
Einleitung
Lage nicht mehr Herr werden zu können. In einer bürgerkriegsähnlidien Situation zog sie es bis zum Schluß vor, Einzeltäter zur Verantwortung zu ziehen und individuelle Verstöße gegen das Gesetz zu ahnden, statt durch umfassende Maßnahmen die öffentliche Ordnung zwangsweise wiederherzustellen.61 Selbst politische Parteien, die offen auf den Sturz der deutschen Demokratie hinarbeiteten, wurden beschützt, solange ihnen die Zahl. ihrer Anhänger den Anschein einer „demokratischen" Basis verlieh. „ N i e . . . habe ich an die gefährliche These geglaubt oder sie verteidigt, daß Massenbewegungen durch polizeiliche Maßnahmen eingedämmt oder unterdrückt werden können", versicherte der ehemalige Polizeipräsident Albert Grzesinski 1939. 6 2 Der enorme Kostenaufwand für die republikanische Polizei konnte jedodi auf die Dauer nicht mit Worten wie „Geld regiert die Welt — aber nicht das polizeiliche Notstandsrecht" 63 bagatellisiert werden. Der Preis für die Verschwendung polizeilicher Kräfte wurde schließlich 1932 bezahlt, als die Reichsregierung unter v. Papen dem preußischen Staat die Polizeibefugnisse entzog, da er angeblich nicht mehr in der Lage war, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Später hat man sich oft gefragt, ob die preußische Polizei — und das betrifft besonders die Berliner Polizei — die preußisdie Regierung am 20. Juli 1932 hätte verteidigen können und sollen.64 Es besteht jedodi kein Zweifel, daß die Polizei weder rechtlich befugt noch verpflichtet war, sich den Befehlen der Reichsregierung zu widersetzen. Fast alle preußischen Politiker waren sich außerdem darüber einig, daß ein bewaffneter Widerstand sinnlos gewesen wäre. Da die preußische Regierung nidit willens war zu kämpfen, erübrigt sich die Frage, was die Berliner Polizei ihrerseits hätte unternehmen können, von vornherein. Für den Historiker bleibt somit nur noch die Frage offen, ob die preußische Polizei in Berlin in den zwanziger Jahren tatsächlich als Ordnungsmacht versagt hat und wenn ja, in welcher Hinsicht und warum? Rückblickend haben viele Anhänger der Republik das Ende der deutschen Demokratie als eine Tragödie interpretiert, auf die die M
Heinrich Müller, Über Präventivpolizei,
Züridi 1937, S. 99—101. M A. C. Grzesinski, Inside
Germany
. . . , S. 139.
Η. Müller, Über Präventivpolizei..., Polizeipflicht in politisch bewegten Zeiten. 43
Jur. Diss., Zürich 1937, gedr.: Zollikon-
S. 123; und Wilhelm Troitzsch, Die Akademische Antrittsrede ( = öffentlich-
rechtliche Vorträge und Schriften 13), Königsberg 1933, S. 39. 6 4 Erich Eydt, Geschichte der Weimarer Republik, Bd. 1 u. 2, Erlenbadi—Zürich 1954—1956, Bd. 2, S. 507.
Einleitung
18
Polizei keinen Einfluß hatte und die außerhalb ihrer juristischen Kompetenzen lag. Daditen sie nicht mehr an die ungeheure Verantwortung, die die Polizei zu Beginn der Weimarer Republik so vertrauensvoll übernommen hatte? 65 Carl Severing glaubte noch im Sommer 1932 an die Republiktreue der Mehrzahl seiner Polizeibeamten. Wie aber ist es dann zu erklären, daß die Nationalsozialisten ein halbes Jahr später denselben Polizeiapparat dazu benutzen konnten, ihr antidemokratisches System zu festigen? 66 Die vorliegende Studie befaßt sich mit der Schutzpolizei, der Kriminalpolizei und teilweise auch mit dem Außendienst der politischen Polizei in Berlin. Ihre Beamten waren die sichtbarsten Vertreter der polizeilichen Ordnung in der deutschen Hauptstadt und mit den Problemen des Durchschnittsberliners am besten vertraut. Als Städtehistoriker können wir hier keine größeren nationalen Probleme berühren. Im Mittelpunkt unseres Interesses stehen die Beamten im Außendienst und nicht die Politiker im Polizeipräsidium oder im preußischen Innenministerium.
85
Zu diesem Thema siehe W. Troitzsdi, Die Polizeipfticbt...,
passim, doch be-
sonders S. 26. e ° Carl Severing, Mein Lebensweg, Bd. 1 u. 2, Köln 1950, Bd. 2, S. 82; und Karl Dietrich Bracher / Wolfgang Sauer / Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland. 1933/34 ( = Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft 14), Köln 1960, S. 427—428.
ERSTES
KAPITEL
Das historische Erbe der Schutzpolizei Der Polizeigedanke Nach dem Ersten Weltkrieg wurden an die Berliner Polizei weit größere Anforderungen gestellt als je zuvor; ihre Arbeit wurde umfangreicher und komplizierter. Dementsprechend wurden die drei Außendienst-Abteilungen des Polizeipräsidiums in der Weimarer Zeit weitgehend umgestaltet: Die Kriminalpolizei erweiterte ihren Personalbestand und modernisierte ihre Methoden; aus der alten Abteilung V I I , der preußischen politischen Polizei, wurde die Abteilung IA. 1 Nur die Schutzpolizei konnte man nicht mit derselben Leichtigkeit in eine) Institution der Republik umwandeln. Da sie sich ihrer Rolle als vollziehendes Organ des Staates zu sehr bewußt war, konnte sie nicht wie die Kriminalpolizei die bei Kriegsende 1918 entstandenen neuen politischen Verhältnisse einfach ignorieren. Außerdem war die Schutzpolizei zahlenmäßig zu stark, um durch simplen Personalwechsel von innen her erneuert zu werden. Die größte Schwierigkeit bereitete jedoch die lange historische Tradition, von der sich die Schutzpolizei der zwanziger Jahre nicht plötzlich lösen konnte. Das soll nicht heißen, daß ein historisches Erbe immer zu starrem Konservatismus führen muß. Die Königliche Schutzmannschaft des 19. Jahrhunderts wies genug Fehler und Schwächen auf, um drastische Reformen zu rechtfertigen. Als Tatsache bleibt jedoch bestehen, daß die meisten amtlichen oder halbamtlichen Veröffentlichungen der Polizei während der Weimarer Zeit gern auf die historische Kontinuität der Polizei hinwiesen. Sie verneinten sogar, daß die Ereignisse von 1918/19 einen Wendepunkt auch in der Geschichte der Schutzpolizei darstellten. 2 So war zum Beispiel die Definition der Aufgaben der 1 Nach einer englischen Studie bestand das Personal der Jahre 1917 nur aus 21 Beamten. The German police system security in war (1921). The General Staff, War Office (Hrsg.), 2 Kurt Melcher, Die Geschichte der Polizei ( = Die Polizei
politischen Polizei im as applied to military S. 11. in Einzeldarstellungen,
l. Das historische Erbe der Schutzpolizei
20
Polizei, wie sie im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1 7 9 4 niedergelegt worden war, auch nach dem Ersten Weltkrieg noch immer gültig. 3 Das Geschichtsbewußtsein der Schutzmannschaft ist wohl am besten durch ihre Erfahrungen im Herbst und Winter 1 9 1 8 zu erklären. Nach dem plötzlichen Sturz der Monarchie stand sie einer
Bevölkerung
gegenüber, die allen Vertretern des ehemaligen Regimes zutiefst mißtraute. Politische Unruhen vertieften die Unsicherheit der Polizei, die genau wußte, daß die alten Dienstvorschriften überholt waren, sich jedoch auf die Anweisungen der Arbeiter- und Soldatenräte nicht verlassen wollte. U m ihre Autorität zu wahren — ja, um sich gegenüber den Machtansprüchen von revolutionären und reaktionären Rivalen zu behaupten — , konnte die Polizei weder Gewalt anwenden, noch politischen Einfluß geltend machen. Sie konnte höchstens versuchen, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Die Bevölkerung und die provisorische Regierung mußten davon überzeugt werden, daß es politischem Vandalismus gleichkäme, das alte Polizeikorps aufzulösen, da es aufgrund seiner hervorragenden Verdienste um Volk und Vaterland während der letzten zwei Jahrhunderte bestens dazu geeignet war, Ruhe und Ordnung in der Reichshauptstadt zu gewährleisten. O b diese Behauptungen historisch zu rechtfertigen sind und ob sie tatsächlich zum Fortbestehen der Berliner Polizei beitrugen, spielt hier keine Rolle. Ausschlaggebend ist, daß es die Polizei nach 1 9 1 8 , als sie sich den neuen politischen Verhältnissen in Deutschland hätte anpassen können, für richtig hielt, ihre Neutralität zu wahren und sich hinter althergebrachte
Polizeiprinzipien
und
die Polizeiethik
zu
flüchten.
Dieser Professionalismus drängte sie schließlich in das konservative Lager. Die Polizeiethik w a r praktisch nur durch ihre Langlebigkeit zu rechtfertigen, das heißt durch ihre angebliche Bewährung auch unter absoluten und autokratischen Regierungen. Die Behauptung, daß die republikanische Polizei auf eine Tradition selbstlosen Dienstes an der Öffentlichkeit zurückblicken könne, mußte am Beispiel ihrer Vorgänger Bd. 2), Berlin 1926, S. 60—61. 3 Ein Kommentar zum Polizeiverwaltungsgesetz vom l.Juni 1931 lautet: „Das Gesetz ist in wohlerwogener Überlegung in seinen Grundtendenzen konservativ in dem Sinne, daß es alles das, was sich in hundertjähriger Entwicklung als gut und zweckmäßig auch für die Verhältnisse im neuen Staat herausgestellt hat, behält." Erich Klausener / Christian Kerstiens / Robert Kempner (Hrsg.), Das Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931. Textausg. mit Quellenmaterial, kurzen Erläuterungen und Ausführungsbestimmungen, 3., verm. Aufl., Berlin 1931, S. vii.
Der
Polizeigedanke
21
belegt werden. So dauerte es nicht lange, bis die Polizeibehörden der Nachkriegszeit die autoritären Methoden ihrer Kollegen unter der Monarchie entschuldigen oder sogar verteidigen mußten.4 Das soll nicht heißen, daß die Polizeihistoriker der Republik die königliche Polizei des 18. Jahrhunderts unbedingt für gut hielten. Es ist audi nicht zutreffend, daß der historische Polizeigedanke mit einer modernen Demokratie unvereinbar wäre. Der Polizeigedanke war ein viel zu elastischer Begriff, um auf konkrete Situationen ohne weiteres angewandt zu werden. Gerade diese Dehnbarkeit aber war in den unsicheren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sehr bequem. Theoretisch war es so, daß die Hauptaufgabe der Polizei darin bestand, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Begriff der öffentlichen Ordnung jedoch richtete sich allgemein nach den zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen. Die Erhaltung dieser Verhältnisse war wichtiger als die Pflicht, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen; denn es hing von der moralischen Bereitschaft der Bevölkerung ab, die Gesetze „mit lebendigem Inhalt zu erfüllen". 5 Jeder einzelne Polizist mußte also mit den vorherrschenden Sitten und Charaktereigenschaften der bestehenden Gesellschaft und ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit bestens vertraut sein.® Bill Drews verlangte von der Polizei „den Schutz aller Normen über Handlungen, Unterlassungen und Zustände, deren Befolgung — über die Grenzen des geltenden bürgerlichen, kriminellen oder anderen öffentlichen positiven Rechtes hinaus — nach der herrschenden allgemeinen Auffassung zu den unerläßlichen Voraussetzungen gedeihlichen menschlichen und staatsbürgerlichen Zusammenlebens gehört." 7 Die Funktion der Polizei konnte also als kontinuierlich bezeichnet werden, wenn audi die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Strömungen neue Vorschriften und veränderte Machtbefugnisse mit sich 4 Staatssekretär Dr. Wilhelm Abegg sagte am 26. September 1926 vor dem Verband Preußischer Polizeibeamten: „Die vielgescholtene alte Polizei ist durchaus nicht so sdilimm gewesen, wie sie immer hingestellt wird. Sie hat sich eben den damaligen Verhältnissen anpassen müssen." Vossische Zeitung,!'). September 1926 (A).
* E. van den Bergh, Polizei und Volk ..., S. 9—10; siehe audi Η . Degenhardt / Μ. Hagemann, Polizei und Kind . . . , S. 21—22. • Füth, Zur Reform der Polizei, in: Die Polizei, 16. J g . (1919), N r . 10 vom 14. August, S. 233. 7 Bill Drews, Preußisches Polizeirecht. Allgemeiner Teil. Ein Leitfaden für Verwaltungsbeamte, Berlin 1927, S. 13.
I. Das historische Erbe der Schutzpolizei
22
brachten. Man könnte sogar von der ausdrücklichen Pflicht der Polizei spredien, sich nachträglich jeder historischen Veränderung anzupassen. 8 Wenn man die Revolution von 1918 als das Ergebnis grundlegender gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen verstand, so war die republikanische Regierungsform eine neue Art der öffentlichen O r d nung, die vollen Anspruch auf den Schutz der Polizei hatte. Man konnte die Revolution von 1918 natürlich auch als eine öffentliche, an Anarchie grenzende Auflehnung gegen die Staatsgewalt auffassen. Man brauchte dann nur auf andere Grundsätze der Polizeipflicht zu verweisen, um ein unerbittliches Eingreifen in die Geschehnisse zu rechtfertigen. Vorausgesetzt, daß Polizeiarbeit wirklich mehr war, als nur die Einhaltung bestehender Gesetze zu überwachen, so folgt daraus nicht immer, daß die anonymen Massen der Gesellschaft selbst in der Lage wären, sich wirksame Gesetze zu schaffen. „Es ist Aufgabe der Staatsleitung, die Entstehungsursachen der Gedanken zu ergründen, zu beobachten, zu gestalten und die Weiterentwicklung zu beeinflussen."9 Dem Polizeigedanken entsprechend, hatte der Staat eine kulturelle Aufgabe zu erfüllen, und sein wichtigstes Instrument zur Erfüllung dieser Aufgabe war die Polizei. Die moralische Führung, die der Staat und seine Hilfsorgane ständig zu übernehmen hatten, konnte so weit gehen, die Polizei zum „Träger des öffentlichen Gewissens" zu machen. 10 Die logische Folge dieser autoritären Auffassung von der Funktion der Polizei kann dem folgenden Zitat von Ernst van den Bergh (1926) entnommen werden: „Die zusammengeströmte Masse bildet nur zeitweise ein zufällig und bunt organisiertes Wesen, das wieder zerfließt wie es entstanden ist. So können sich bei ihr wohl Massenregungen und seelische K r ä f t e elementarster Art entwickeln, aber nicht ein Gefühl der Verantwortlichkeit... Die Polizeibeamtenschaft . . . ist auch ein Vielheitswesen, in das starke, gemeinsame Lebensantriebe hineingetragen werden. Sie stammen aus dem Gesamtheitsegoismus von Volk und Staat und zielen auf die ungestörte Erhaltung aller Lebensfunktionen des Ganzen. Damit wird in der Polizei das Gefühl der Verantwortlichkeit, das in der zusammengeströmten Masse so leicht verlorengeht, in stärkster Weise entwickelt. Es wirkt in den einzelnen Beamten hinein und gibt ihm eine sittliche und seelische 8
E. van den Bergh, Polizei und Volk . . ., S. 6—7. « A. a. O., S. 86. 10 A. a. O., S. 60.
Der
23
Polizeigedanke
Überlegenheit über jeden Einzelnen aus der Masse. Wenn die Masse gewohnt ist, den Polizeibeamten als Träger der Autorität des Staates und des Verantwortungsgefühls des Volkes anzusehen, so werden durch das bloße Erscheinen der Polizei Gegenvorstellungen gegen den eigenen brutalen Egoismus oder die damit verbundene geistige Verwirrung wachgerufen."11 Die Widersprüche in diesen beiden Auffassungen von der Funktion der Polizei können natürlich nicht einfach als doktrinäre Inkonsequenz abgetan werden.12 Man muß sich vielmehr vergegenwärtigen, daß sich der Polizeigedanke aus den Erfahrungen des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt hatte. Während dieser Zeit war es wenigstens teilweise möglich gewesen, die Polizei als Vermittler zwischen den unterschiedlichen Interessen von „Volk" und „Staat" zu sehen. Die Tatsache, daß einige dieser Prinzipien potentiell demokratischen Charakter hatten, während andere die Vorzüge eines autoritären Staates bestätigten, führte erst im Zusammenhang mit der Politik des 20. Jahrhunderts zu Schwierigkeiten. Außerdem ist zu bedenken, daß es den Polizeitheoretikern nach dem Ersten Weltkrieg nicht in erster Linie um die für ihr Zeitalter gültigen politischen Erkenntnisse ging, sondern vielmehr darum, den traditionellen Polizeigedanken und damit die Autorität ihres Systems aufrechtzuerhalten. Wenn die alte Auffassung aus praktischen Gründen beibehalten werden sollte, ihre Lehren jedoch schlecht in die neue Zeit paßten, mußte man wenigstens eine historische Erklärung für ihre Zweckmäßigkeit abgeben. Durch eine vorsichtige historische Darstellung konnte man vielleicht beweisen, daß die klassischen Polizeiprinzipien durchaus nicht unpraktisch waren, sondern nur durch ungünstige Umstände, die außerhalb des Einflusses der Polizei lagen, während der letzten zwei Jahrhunderte zum Teil mißbraucht worden waren. Die offizielle
Interpretation
der preußischen
Polizeigeschicbte
Die interessanteste Darstellung der preußischen Polizeigeschichte, die während der Weimarer Zeit erschien, ist Ernst van den Berghs Polizei und Volk — Seelische Zusammenhänge (1926). Es war der erste Band » A.a.O., S. 16. 12 yff Troitzsch macht in seiner Untersuchung Die Polizeipflicht...
auf ähnliche
widersprüchliche Polizeiverordnungen in bezug auf die Verunzierung von Häuserfassaden mit politischen Losungen aufmerksam, a. a. O., S. 21—27.
24
I. Das historische Erbe der
Schutzpolizei
einer Serie, die von Wilhelm Ahegg herausgegeben wurde und das Ansehen der preußischen Polizei heben sollte. Diesem Zweck diente audi die Große Polizeiausstellung in Berlin im selben Jahr. Der zweite Band dieser Serie war eine Geschichte der Polizei von Dr. Kurt Melcher; aber die ideologischen Fragen, die van den Bergh so offen behandelte, wurden von Melcher kaum berührt. 13 Nach van den Bergh war es der preußischen Polizei im 18. Jahrhundert tatsächlich gelungen, ihrer Doppelrolle als Instrument des Staates und als Diener des Volkes gerecht zu werden. 14 Strategische Umstände hatten die preußische Monarchie unter Friedrich II. gezwungen, eine Staatsform zu errichten, deren Grundlagen die Bürokratie, das Heer und die Polizei bildeten. 15 Die damalige politische Unmündigkeit der preußischen Untertanen hatte ein System der örtlichen Selbstverwaltung, wie man es in England kannte, unmöglich gemacht. Im Gegenteil, der Staat mußte seinen Bürgern erst einmal die Grundbegriffe staatsbürgerlicher Freiheiten und Pflichten beibringen. Unter dem Schutze einer Polizei, die sicherlich niemals so willkürlich war wie das französische Polizeisystem des anpien regime, hatten die öffentliche Sicherheit und der wirtschaftliche Wohlstand ständig zugenommen, bis im Volk „ . . . das Verständnis für die Notwendigkeit und Nützlichkeit des Einordnens des Einzelegoismus in den G e s a m t e g o i s m u s . . e n t standen war. Die Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Staat erstreckte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch auf die Polizei, der im wesentlichen alle diese Erfolge zu verdanken gewesen waren. 18 Die Leistungen der preußischen Polizei im 19. Jahrhundert zu verteidigen, war schwieriger. Van den Bergh gab zu, daß der Absolutismus — auch ein wohlwollender — nach den Befreiungskriegen nicht länger vertretbar gewesen war. 1813 hatte das Volk durch seinen Patriotismus bewiesen, daß es seine Lektion gelernt hatte. Von diesem Zeitpunkt an konnte das freundliche Verhältnis zwischen Volk und Polizei unter . 1 3 Wilhelm Abegg (Hrsg.), Die Polizei in Einzeldarstellungen, 12 Bde., Berlin 1926—1928. 14 E. van den Bergh, Polizei und Volk . . . , S. 42—88. 15 Aufgrund eines Erlasses vom 16. Januar 1742 wurde die Zuständigkeit für Polizeiangelegenheiten von der Berliner Kommunalverwaltung auf das GeneralDirectorium übertragen. Siehe audi Willy Feigell; Die Entwicklung des Königlichen Polizei-Präsidiums zu Berlin in der Zeit von 1809 bis 1909. Aus Anlaß der hundertjährigen Wiederkehr des Gründungstages der Behörde Zum 25. März 1909 auf Grund amtlichen Materials zusammengestellt, Berlin 1909, S. 5. " E. van den Bergh, Polizei und Volk ..., S. 61.
Die offizielle Interpretation der preußischen Polizeigeschichte
25
einer anhaltenden Bevormundung durch den Staat nur leiden. Obwohl van den Bergh die Kollaboration der preußischen Polizei mit
der
Monarchie während der Metternich-Ära bedauerte, so rechtfertigte er sie doch mit der Unfähigkeit des Volkes, von unten her eine andere Basis für die Autorität des Staates zu finden. E r argumentierte, daß die Verwandlung Preußens in einen konstitutionellen Staat sowohl von den Bemühungen des Volkes als audi von der Monarchie abhängig gewesen sei, und daß das beiderseitige Versagen der Polizei keine andere W a h l gelassen hätte, als ihr Bündnis mit der Monarchie aufrechtzuerhalten. 1 7 Von den letzten fünfzig Jahren v o r dem Ersten Weltkrieg malt van den Bergh ein düsteres Bild. Seiner Meinung nach befand sich die königliche Polizei in einer unangenehmen Zwangslage, da sich die beiden gegensätzlichen Pole in Preußens politischem Spektrum immer weiter voneinander entfernten. Die engstirnige Bürokratie des preußischen Staates konnte mit einem Phänomen wie der Weltstadt Berlin nicht fertig werden. Die zunehmende Industrialisierung schuf soziale Probleme, die man mit konventionellen Polizeimethoden niemals lösen konnte. „Eine ähnliche Spannung, wie sie früher im Staat zwischen Regierenden und Regierten zu überwinden w a r , entwickelte sich jetzt in der W i r t s c h a f t . . . H i e r handelte es sich auch um eine Machtfrage, aber nidit um Autoritätssicherung von der einen und Freiheitssicherung von der anderen Seite, sondern um wirtschaftlichen Erfolg. So wurde auch das Machtmittel nicht die Polizei, sondern das Kapital. A n Stelle von Bevormundung t r a t die Ausnutzung." 1 8 Die Regierung verfolgte eine Politik, die zwischen Versuchen, die Arbeiterverbände
zu unterdrücken,
und unzureichenden
Unterstüt-
zungsmaßnahmen für die Armen schwankte. Sie erkannte nicht, daß der Sozialismus eine elementare historische K r a f t darstellt, die sidi allen
Versuchen
administrativer
Regierung nidit gewillt war,
Eindämmung
widersetzt.
in den Wirtschaftskrieg
Da
die
einzugreifen,
unterstützte sie praktisch das vorherrschende kapitalistische System. Die Konsequenzen aller dieser Fehler mußte die Polizei tragen, die „ . . . ein Organ des Staates (blieb), auch im Empfinden des Volkes. Das Volk selbst hatte die Einheitlichkeit verloren. Der eine Teil stand dem Staate und damit auch der Polizei ablehnend gegenüber, der andere
" A. a. O., S. 67—86. Siehe audi W. Klaulehn, Berlin . . S . 84. E. van den Bergh, Polizei und Volk . . S . 97.
18
26
I. Das historische
Erbe der
Schutzpolizei
Teil verlangte zwar den Schutz der Polizei, ohne ihr aber irgendwelche innere Anteilnahme entgegenzubringen."19 Van den Berghs geschickte Verteidigung der alten preußischen Polizei ist insofern bemerkenswert, als er zwei wichtige historische Themen weithin umging und ein drittes bagatellisierte: Da er sidi an einen Leserkreis wandte, der 1918 den Zusammenbruch der Königlichen Schutzmannschaft erlebt hatte, zögerte er offenbar, das Verhalten der preußischen Polizei während der Revolution von 1848 zu behandeln. Die Unentschlossenheit der Polizei in beiden Krisen hätte leicht als Beweis von politischem Opportunismus ausgelegt werden können. Ferner unterließ er es, das Verhältnis zwischen der preußischen Polizei und dem Heer zu erörtern, wahrscheinlich weil in den zwanziger Jahren schon genug über den Militarismus der Sdiutzpolizei geredet wurde. Und schließlich sprach er die Polizei von aller Verantwortung für die Unterdrückung der Arbeiterbewegung unter Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II. frei. Die Revolution von 1848 und die Rivalität zwischen Polizei und Heer wurden jedoch ausführlicher in Paul Schmidts Buch Die ersten fünfzig Jahre der Königlichen Schutzmannschaft zu Berlin, das 1898 erschienen war, behandelt bzw. aufgedeckt.20 Da er das Buch in der Blütezeit des Zweiten Reiches geschrieben hatte, bestand für Schmidt keine Veranlassung zu verschweigen, daß die Polizei 1848 zuerst den Revolutionären ihre Unterstützung angeboten hatte und sich gegen die Revolution erst wandte, als die königliche Armee die Oberhand gewann. Hatte die Berliner Bürgerwehr bis dahin nicht ihre völlige Unfähigkeit bewiesen, den öffentlichen Frieden zu wahren? Schmidt hatte die feste Absicht, die Polizei in ihrer Rolle als eine der wichtigsten Säulen des triumphierenden preußischen Staates der sechziger und siebziger Jahre zu zeigen. Er gab zu, daß die Schutzmannschaft von Berlin, die im Juli 1848 unter dem Namen Königliche Schutzmannschaft reorganisiert worden war, eine nicht-militärische Organisation mit demokratischen Grundsätzen zu werden versprochen hatte. Schmidt zitierte dazu eine Bekanntmachung aus dieser Zeit, in der die Polizei behauptete, sie sei „weit entfernt davon, die Freiheit A. a. O., S. 102. Paul Schmidt, Die ersten 50 Jahre der Königlichen Schutzmannschaft zu Berlin. Eine Geschichte des Korps für dessen Angehörige und Freunde. Im amtlichen Auftrage und unter Benutzung amtlichen Materials Zusammengest, und bearb., Berlin 1898, S. 17 ff. 19
20
Die offizielle
Interpretation
der preußischen
Polizeigeschichte
27
der Bürger beeinträchtigen oder das ängstliche Bevormundungssystem des Polizeistaates zurückführen zu wollen", und versprach, in Zukunft nur „unbescholtene, wehrhafte und ordentliche M ä n n e r . . . " in ihren Reihen aufzunehmen. Dieses Zugeständnis sollte die allgemein bestehende Furcht beschwichtigen, daß eine Schutzmannschaft, die sich aus ehemaligen Soldaten zusammensetzte, wie bisher der absoluten Monarchie als Werkzeug dienen würde. Mit offensichtlicher Genugtuung zählte Schmidt jedoch nun verschiedene technische Gründe dafür auf, warum die Schutzmannschaft letzten Endes doch halbmilitärischen Charakter annahm. Nicht unwichtig war dabei die Entdeckung, daß eine örtliche Rekrutierung „zu viele wertlose Elemente" 21 in die Polizei gebracht hätte. Für Schmidt hing der Erfolg der Schutzmannschaft nicht so sehr von ihrer Wirksamkeit als Ordnungshüter, sondern vielmehr davon ab, inwieweit sie in Erscheinung und Funktion dem Heer ähnelte. Tatsächlich läßt sein Bericht vermuten, daß sich die Königliche Schutzmannschaft in ihren Handlungen manchmal eher von ihrem Streben nach Prestige als von anderen Erwägungen leiten ließ. Er begrüßte die Einführung der Pickelhaube für die Polizei im Jahre 1850, weil ähnliche Helme auch schon im Heer getragen wurden. Schmidt gab zwar zu, daß Uniformen und militärisches Grüßen selbstverständlich reine Äußerlichkeiten waren, aber „. . . es war doch nicht zu verkennen, daß sie in den Augen der Betheiligten großen Werth hatte(n), und daß sie namentlidi in den vielfachen Lagen, wo die Schutzmannschaft mit militärischen Personen in Berührung kam, ins Gewicht fiel(en)."22 Wahrscheinlich drückte Schmidt die Enttäuschung der Schutzmannschaft aus, niemals zum festen Bestandteil des Heeres geworden zu sein. Allerdings war die Polizei nicht in der Lage, ihren Anspruch auf Ebenbürtigkeit mit dem Heer geltend zu machen; vielmehr war sie dem Heer für seine „freundliche Haltung der Schutzmannschaft gegenüber" während der bedauerlichen Ereignisse von 1848 zu Dank verpflichtet. An Preußens militärischen Triumphen zwischen 1863 und 1871 hatte sie keinen Anteil. In den folgenden Jahrzehnten mußte die Polizei zur Bekämpfung innerer Unruhen oftmals sogar die Hilfe des Heeres in Anspruch nehmen. Die bevorzugte Stellung, die das Heer gegenüber der Polizei in den ersten zwei Jahrzehnten des Zweiten Reiches ein21
A.a.O., S. 17—19, 23—25, 44. Audi E. van den Bergh teilt diese Meinung in Polizei und Volk . . S . 78, doch ist er nidit so bestimmt in seiner Aussage. 22 P. Schmidt, Die ersten 50 Jahre ..., S. 39, 61.
28
I. Das historische Erbe der
Schutzpolizei
genommen hatte, erfüllte Schmidt anscheinend mit einer Spur von Neid, als er die folgenden Zeilen schrieb: „Das Korps [die Schutzmannschaft] hatte vollkommen dieselben Pflichten wie die zum Heer gehörende Gendarmerie, und es stand in seinem Dienste fast täglich dem Feinde, d. h. der Verbrecherwelt, gegenüber. Im Falle einer Mobilmachung durfte die Hauptstadt nicht von der sie schützenden und gleichzeitig militärisch deckenden Schutzmannschaft entblößt werden. Vermöge ihrer Lokal- und Personalkenntnis vermochte diese sogar erheblich Besseres zu leisten als die gewöhnliche Besatzung." 23 Zum dritten Punkt, nämlich den Beziehungen zwischen Polizei und Arbeiterschaft, die van den Bergh 1926 ebenfalls vorsichtig umging, mag der nun folgende Abschnitt von Nutzen sein, besonders hinsichtlich unserer späteren Beurteilung der Berliner Polizei während der Revolution von 1918. Polizei und Arbeiterschaft
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Immer wieder trifft man in der Berlin-Literatur auf Beschreibungen der kaiserlichen Hauptstadt am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Gewöhnlich werden das heiße Wetter erwähnt und die Sommerferien, die seit der Jahrhundertwende für die bürgerlichen Familien zur Mode geworden waren. Man liest, wie die ferienmachenden Berliner von der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo während eines Kurkonzertes in Baden-Baden oder in einer Ferienpension an der See überrascht wurden. Die Bestürzung über die einen Monat später ausbrechenden Feindseligkeiten zwischen Österreich-Ungarn und Serbien wird erwähnt und schließlich die Massenflucht nach Hause, „bevor die Franzosen kommen". Berlin, wegen der Urlaubszeit halb leer, war psychologisch auf den Krieg völlig unvorbereitet. Die Bewohner, abwechselnd besorgt oder aufgebracht, bestürmten die Zeitungsjungen — die letzte Neuheit im Berliner Straßenbild — und wünschten einerseits den Krieg herbei, fürchteten andererseits seinen Preis.24 23
A. a. O., S. 50—51. Gute Beispiele sind August Heinrich Kober, Einst in Berlin. Rhapsodie 14. Nach dem Tode des Verfassers hrsg. und bearb. von Richard Kirn, Hamburg 1956; Bernhard Guttmann, Schattenriß einer Generation. 1888—1919, Stuttgart 1950; Curt Riess, Üb immer Treu und Redlichkeit. Ein deutsches Schicksal zwischen Schwarz und Weiß, Hamburg 1957; und Hans Fallada [d. i. Rudolf Ditzen], Der eiserne Gustav. Roman, Berlin 1938. Stefan Zweig, The world of yesterday: An autobiography, New York 1943, weiß ähnlidies zu berichten, doch ist der Schauplatz seiner Memoiren nicht Berlin. 24
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Es ist interessant, daß dieses Bild, in unzähligen Romanen und Memoiren beschrieben, immer die Haltung und die Ansichten des Mittelstandes widerspiegelt und daß die Furcht vor der Zukunft immer in Zusammenhang mit einer äußeren Gefahr für das Vaterland steht — mit französischen Flugzeugen, englischen Dreadnoughts, russischen Kosaken und ausländischen Spionen — und nicht mit der Arbeiterschaft im eigenen Lande. In Α. H . Kobers Bericht über Berlin am Abend des 31. Juli 1914 wird lediglich ein einsamer Arbeiter erwähnt, der in einer verlassenen Straße einem Gully entsteigt und jene verflucht, die das Land in den Krieg geführt haben. 25 Die Einhaltung eines Burgfriedens nach fünfundzwanzig Jahren gegenseitiger Fehde erforderte Vorsicht und Taktgefühl von Seiten der Regierung und von den Arbeiterführern. Der Historiker Friedrich Meinecke drückte die Situation in einem Sammelband von Kriegsaufsätzen (1915) offen in folgenden Worten aus: „Wir haben in den weitesten Kreisen des bürgerlichen Deutschlands nicht daran gezweifelt, daß der sozialdemokratische Arbeiter im Grunde der Seele deutsch empfindet und seine Pflicht gegen das Vaterland, wenn er in Reih und Glied tritt, erfüllen wird. Aber wir kannten audi die internationalen und pazifistischen Ideale seiner Partei und konnten nicht übersehen, in welchem Grade diese es ihm gestatten würden, seine Pflicht auch mit jener Freudigkeit zu erfüllen, die zum Durchhalten und Siegen in unserer Lage nun einmal notwendig ist." 26 Die Sorge, „Deutschlands ärmste Söhne" in dieser kritischen Stunde nicht zu verlieren, mag auch erklären, warum statt einer mit vollem militärischen Pomp verlesenen, dramatischen Kriegserklärung ein gewöhnlicher Berliner Schutzmann am 31. Juli um fünf Uhr nachmittags beordert worden war, unbedeckten Hauptes der vor dem Königlichen Schloß wartenden Menschenmenge die Mobilmachungserklärung bekanntzugeben. 27 Zu Anfang des Krieges wurde die Berliner Polizei in volle Alarmbereitschaft versetzt, doch besondere Vorkehrungen, um Zusammen25 Α. H. Kober, Einst in Berlin..., S. 253. Sogar Falladas Roman Der eiserne Gustav, der das Milieu der Berliner Arbeiter beschreibt, bringt wenig Neues. Zeitgenössische Polizeiberichte bestätigen, daß eine allgemeine Furcht vor Spionage vorherrschte. Siehe beispielsweise Polizeibericht, in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 11 vom 20. August, S. 273. 2 ' Friedrich Meinecke, Sozialdemokratie und Machtpolitik, in: Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, hrsg. von Friedrich Thimme und Carl Legien, Leipzig 1915, S. 21. " H. Fallada, Der eiserne Gustav..., S. 80—89.
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stoßen mit der Arbeiterschaft zuvorzukommen, wurden nicht getroffen. Statt dessen wurden die Polizeibeamten eingesetzt, um Demonstrationen patriotischer Bürger in geordnete Bahnen zu lenken, Rekruten zu den Wehrämtern zu begleiten und öffentliche Gebäude und Botschaften zu bewachen. Andere Beamte wiederum kontrollierten Lebensmittelgeschäfte und Tanzsäle, entfernten Reklameplakate für ausländische Fabrikate oder bekämpften Schundliteratur und leisteten so auf verschiedene Weise ihren Beitrag zum Krieg. Es meldeten sich so viele junge Polizeibeamte freiwillig an die Front, daß die Berliner Polizei vier Jahre später, als die Revolution ausbrach, an empfindlichem Personalmangel litt. 28 Hätte es wirklich Gründe gegeben, an der Loyalität der Arbeiterklasse zum Deutschen Reich zu zweifeln, so hätte es die Polizei bestimmt zuerst gewußt und dementsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen, denn schon um die Jahrhundertwende hatte die Polizei begonnen, die Überwachung der Zivilbevölkerung weit über den Streifendienst und die Verkehrsregelung auszudehnen. Die Polizei hatte das Einwohnermeldewesen eingeführt, Gesundheitskontrollen durchgeführt, den Schulbesuch kontrolliert, Hotels, Restaurants und das Arbeitshaus in Rummelsburg überwacht und Genehmigungen für alle öffentlichen Veranstaltungen erteilt. Den Ruf einer tyrannischen Polizeiherrschaft handelte sich die preußische Polizei hauptsächlich durch die Arbeit der Abteilung VII, der politischen Abteilung der Polizei in Berlin, ein.29 Für den jungen Bertrand Russell, der Berlin 1895 besuchte, war das Deutsche Reich zweifelsohne ein Polizeistaat. 30 Es muß jedoch betont werden, daß die Abteilung VII in bezug auf Stärke, Brutalität oder Tüchtigkeit auf keinen Fall mit der russischen Ochrana verglichen werden kann. Obwohl die eigentlidie, wenn audi nicht einzige raison d'etre der Abteilung darin bestand, die Sozialdemokratie und den internationalen Anarchismus zu bekämpfen, 31 machte sie sich durch ihre Arbeit lediglich die Führer der sozialistischen Bewegung zum Feind. Diese wurden allerdings durch endlose persön28
Aufgaben der Inlandpolizei im Kriege, in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 11 vom 20. August, S. 255—257; und Die innere Front. Das Königliche Polizeipräsidium in Berlin, Berlin [1917], passim. 29 W. Feigell, Die Entwicklung des Königlidjen Polizei-Präsidiums ..., S. 20. 30 "The emperor is the prisoner of the police, and the people's functions are confined to rejecting new laws of a reactionary tendency. As, however, the police are the only interpreters of existing l a w s . . B e r t r a n d Russell, German social democracy, London 1965 (zuerst London 1896 veröffentlicht), S. 83—84. 31 B. Weiß, Polizei und Politik . . S . 137.
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liehe Schikanen belästigt. So wurde beispielsweise Agnes Wabnitz, eine Schneiderin, die zur prominenten Arbeiterführerin geworden war, im August 1894 in den Selbstmord getrieben, da sie befürchtete, von der politischen Polizei ein zweites Mal in ein Irrenhaus eingeliefert zu werden. 32 Mit Erbitterung erklärte August Bebel auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1903 in Dresden, daß er der Polizei die während der Sozialistengesetzzeit (1878—1890) erlittenen Verfolgungen und Repressalien niemals vergeben würde. Er fügte hinzu, daß er denselben Polizeibeamten die Demütigungen mit gleicher Münze heimzahlen würde, wenn der Tag der Vergeltung kommen sollte.33 Doch im allgemeinen teilte die Arbeiterklasse Bebels Verbitterung nicht, da ihr dazu jeder Grund fehlte. Die Zeit der „Achtgroschenjungen" (kleiner Denunzianten) waren die Jahre zwischen 1840 und 1870 gewesen, als es sogar in Preußen geheime revolutionäre Gesellschaften und Bünde gegeben hatte. 34 Während der zwölf Jahre des Sozialistengesetzes war die Spitzelei im eigenen Land weitverbreitet; der häufige Einsatz geheimer Polizeiagenten war jedoch zu Anfang des 20. Jahrhunderts überflüssig geworden, da sämtliche Aktivitäten der Sozialdemokratischen Partei öffentlich überwacht werden konnten. 35 Vielleicht war es auch die norddeutsche Zurückhaltung gegenüber Fremden, die gegen den Einsatz von Spitzeln in der Berliner Arbeiterschaft sprach, da diese den Stammtisch mit seinen vertrauten Bekannten bevorzugte und Gespräche mit Fremden mied.36 Doch wie dem auch sei, der Polizeibeamte, den die Arbeiterschaft durch täglichen Kontakt am besten kannte, war der uniformierte Gendarm der Königlichen Schutzmannschaft mit seiner Pickelhaube, jedoch nicht der politische Agent der Abteilung VII. Auch der einfache Kriminalbeamte, der sich hauptsächlich mit Berufsverbrechern beschäftigte, war den Arbeitern selten bekannt. Aufgabe des Schutzmannes war es, die Arbeiter auf der Straße zu beobachten und sie bei Aufmärschen von Ausschreitungen 32
Ottilie Baader, Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen, Stuttgart—Berlin 1921, S. 23—24. 33 Heinrich Herkner, Die Arbeiterfrage. Eine Einführung, 4., erw. u. umgearb. Aufl., Berlin 1905, S. 333, Anm. 2. Mehr über die politische Polizei in Berlin in E. Ernst, Polizeispitzeleien ...; und Dieter Fricke, Bismarcks Prätorianer. Die Berliner politische Polizei im Kampf gegen die deutsche Arbeiterbewegung (1871—1898), Berlin 1962. 84
W. Kiaulehn, Berlin ..., S. 112. Siehe den Leitartikel im Vorwärts, 15. September 1905. 3 · W. Kiaulehn, Berlin . . S . 526—527.
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zurückzuhalten oder staatliche Inspektoren bei Fabrikbesichtigungen zu begleiten; auch war er gewöhnlich der erste am Tatort, wenn in seiner Gegend irgend etwas geschah: ein Unfall, ein Selbstmord oder einfach eine „Keilerei mit Tanzvergnügen" in einer Kneipe. Obwohl die Hauptaufgabe der Berliner Polizei darin bestand, die Arbeiterschaft unter Aufsicht zu halten, darf daraus nidit geschlossen werden, daß der Staat wirklich die Absicht hatte, militärische Gewalt gegen die Arbeiter anzuwenden, wenn auch der Kaiser in einer unverantwortlichen Bemerkung gedroht hatte, den Soldaten zu befehlen, auf ihre eigenen Väter und Brüder zu schießen. Die Opposition traf keine Vorbereitungen für Revolution und Bürgerkrieg, obwohl sie mit dem Gedanken spielte, die Straßen für massive Arbeiterdemonstrationen zu benutzen. Der militärische Apparat der Schutzmannschaft war ein naheliegendes Instrument gegen solche Taktiken. 37 Die treffende Bemerkung von Polizeipräsident Traugott von Jagow: „Die Straße dient dem Verkehr! Ich warne Neugierige!", war natürlich auf die Sozialdemokraten gemünzt. 38 Seit der Gründung der Schutzmannschaft im Jahre 1848 war es wiederholt zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Arbeitern und uniformierter Polizei gekommen. Das schwerwiegendste dieser Ereignisse vor dem Ersten Weltkrieg war ein Protestmarsch von 3000 Arbeitslosen am 25. Februar 1892 vom Friedrichshain zum Königlichen Schloß. Der Demonstrationszug war von der berittenen Polizei in der Charlottenburger Straße auseinandergetrieben worden. Während des Abends und am folgenden Tage kam es daraufhin zu vereinzelten Kämpfen in der Nähe des Landsberger und des Rosenthaler Tores. Es gab einige Verwundete. 39 Das zweite Ereignis, das so schnell nicht vergessen wurde, waren die Unruhen in Moabit zwischen dem 25. September und dem 18. Oktober 1910. Auf dem Höhepunkt der Zwischenfälle belagerten mit Gewehren ausgerüstete Polizeibeamte die Wyclefstraße, wo später ein unbewaffneter Arbeiter namens Hermann tot aufgefunden wurde. Die ganze Affäre wurde gerichtlich untersucht, und was dabei ans Tageslicht kam, war für die Polizei nicht gerade schmeichel-
37 Verbot roter Fahnen, revolutionärer oder nationalpolnischer Abzeichen bei öffentlichen Aufziigen (Preußen), in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 7 vom 25. Juni, S. 166—167. 38 Traugott von Jagow war von 1909 bis 1916 Polizeipräsident in Berlin. 3 ® Assessor***, Die Berliner Polizei ( = Großstadt-Dokumente, Bd. 34), Berlin 1907, S. 20—21; und P. Schmidt, Die ersten SO Jahre ...,S. 116—119.
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haft. 40 Natürlich konnten weder die Demonstration von 1892 noch die Unruhen 1910 Aufstände genannt werden. Die Berliner Arbeiter neigten einfach nicht zu Revolutionsromantik. Dies mag auch erklären, warum die Anzahl von Vergehen gegen die Staatsgewalt in Berlin niedriger war als im Reich.41 Die beiden Anschläge auf das Leben Kaiser Wilhelms I. im Jahre 1878 hatten mit Klassenkampf genauso wenig zu tun wie der bizarre Anschlag auf den Kommandeur der Berliner Schutzmannschaft 18 95.42 Sympathiebekundungen für die russischen und polnischen Revolutionäre von 1905 kamen von Seiten esoterischer Gruppen, denen nicht unbedingt Arbeiter angehörten, wie beispielsweise einer Vereinigung, die Lichtbildervorträge des jungen Ernst Reuter unter dem Titel „Aus russischen Kerkern" veranstaltete und zu deren Organisationskomitee Geheimrat Förster, Minna Cauer, der Bankier Carl Simon und Graf G. von Arco gehörten. 43 Zu wiederholten Zusammenstößen zwischen der Berliner Polizei und der Arbeiterschaft kam es, nicht weil die Arbeiter systematisch versuchten, die staatliche Ordnung zu unterminieren, sondern weil die unteren Klassen zum Teil mit Recht glaubten, daß die Polizei bei jeder Auseinandersetzung zwischen Arbeitern und Kapital Stellung gegen sie nehmen würde. Im Berliner Jargon bezeichnete man den Abscheu vor der Schutzmannschaft mit dem Ausdruck „Blaukoller". Wenn die Zeugen eines Streites zwischen einem Droschkenkutscher und zwei Polizeibeamten zu einem aufrührerischen Mob wurden oder wenn die Bewohner einer Mietskaserne einen Polizisten angriffen, der eine Zwangsräumung vollstrecken sollte, so war das alles auf den „Blaukoller" zurückzuführen. Übrigens reichte in beiden Fällen eine Verstärkung von zehn Polizeibeamten, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.44 Streiks gaben des öfteren Anlaß zu Reibereien zwischen Arbeitern und Polizei. Wenn die Polizei in einen Streik eingreifen wollte, 40 Erich Kuttner, Klassenjustiz!, Berlin 1913, S. 13; Henri Moysset, L'esprit public en Allemagne vingt ans apres Bismarck, Paris 1911, S. 109; und Unger, Polizei und Publikum, in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 5 vom 11. Juni, S. 145—146. 41 Gustav Asdiaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung (= Bibliothek der Kriminalistik 3), 3., verb. Aufl., 2. Abdr., Heidelberg 1933, S. 69—73. 42 Hugo Friedländer, Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung. Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Jüngstvergangenheit. Nach eigenen Erlebnissen, hrsg. von Erich Sello, Bd. 1—10, Berlin 1910—1912, Bd. [2] (1911), S. 160—196. 43 Spandauer Zeitung, 1. Beiblatt, Nr. 117 vom 20. Mai 1914. 44 Vossische Zeitung, 9. August 1913 (M), S. 6, und 22. August 1913 (M), S. 5.
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brauchte sie nur die Streikposten zu einer Bedrohung für die Öffentlichkeit zu erklären oder die Gewerkschaftler auf andere Weise zu schikanieren, denn sie wußte, daß die Gerichte die Legalität ihrer Entscheidungen fast immer bestätigen würden. Und die Polizei wollte in der Tat oft eingreifen, ohne erst den Hilferuf der Unternehmer abzuwarten. 45 Schikane ist jedoch nicht mit Unterdrückung gleichzusetzen. Die Polizei konnte erfolgreiche Lohnkämpfe nicht verhindern. Nur zeigte sie im Klassenkampf nach Ansicht der Arbeiterklasse immer wieder ihre Verbundenheit mit der anderen Seite. Die Polizei rief Verbitterung hervor, flößte aber keine Furcht ein, denn die Polizeimethoden konnten es oft genug nicht mit den Taktiken der Gewerkschaftler aufnehmen. 1905 stellte die Schutzmannschaft einen bewaffneten Begleitschutz für ein großes Kontingent von Streikbrechern, die auf dem Schlesischen Bahnhof ankamen, um in einer Zementfabrik in Königswusterhausen eingesetzt zu werden. Doch der Berliner Verband der Fabrik-Landhilfsarbeiterinnen und Arbeiter Deutschlands hatte seine Vertrauensleute in den Transport einschmuggeln können, so daß, noch ehe der Transport am Bestimmungsort angekommen war, mehr als die Hälfte der Leute beschlossen hatte, sich dem Streik anzuschließen.46 Der Kampf zwischen Arbeiterschaft und Polizei hatte während der Wilhelminischen Zeit in Berlin viel Ähnlichkeit mit einem ewigen Katz-undMaus-Spiel, in dem es aber nie zu einer konkreten Konfrontation kam. Wie lächerlich die sozialistischen Arbeiter die pompöse Pedanterie der königlichen Polizei fanden, erkennt man am besten an der gern in Erinnerung gebrachten Affäre Treptower Park im Jahre 1908. Ein viele Wochen vorher im Vorwärts angekündigtes großes Treffen im Treptower Park war in der Nacht davor heimlich in den Tiergarten verlegt worden. Während berittene Polizeibeamte am nächsten Tag vor dem leeren Park Positionen bezogen, jubelten Tausende von Arbeitern den Reden von Karl Liebknecht und anderen sozialistischen Rednern vor dem Reichstag zu. Als die überlistete Polizei in die Stadt 45
Deutscher Metallarbeiter-Verband, Verwaltungsstelle Berlin, Jahresbericht der Ortsverwaltung pro 1907, Berlin 1908, S. 53; und Paul Umbreit / Charlotte Lorenz, Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse ( = Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges. Deutsche Serie = Veröffentlichungen der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abt. für Volkswirtschaft und Geschichte), Stuttgart 1928, S. 13. 46 Siehe den Streik bei Julius Lindenbaum in Adolf Ritter, Die Berliner Schneiderund Schneiderinnen-Organisation vom Anfang der neunziger Jahre bis zur Gegenwart. Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Verbandes, Berlin 1913, S. 92.
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gestürmt kam, löste sich die Versammlung gerade auf und viele Arbeiter waren bereits auf dem Heimweg. 47 Die Berliner Arbeiterbewegung hatte wenigstens in Friedenszeiten keinen Grund, in der Polizei ein ernsthaftes Hindernis bei der Verwirklichung ihrer politischen Aspirationen zu sehen. Die Polizei hatte es auf der anderen Seite aber auch nicht auf einen totalen Kampf mit der organisierten Arbeiterschaft angelegt, deren prinzipielle Friedfertigkeit und Legalität sie respektierte. Wenn die Polizei naturalistische Bühnenstücke zensierte, weil ihr, wie es in der bekannten Bemerkung von Polizeipräsident Jagow heißt, „die ganze Richtung nicht paßte", strich sie nicht nur aufrührerische Stellen, die sich auf den politischen Kampf der Arbeiterschaft bezogen, sondern auch andere, die die Zensoren einfach als unmoralisch betrachteten. 48 Als die Polizei im Dezember 1893 Ottilie Baader, eine bekannte Sozialistin, wegen Anstiftung zum Aufruhr verhaftete und vor Gericht audi Recht bekam, mußte sie trotzdem den leisen Spott des Gerichts hinnehmen: „Die Angeklagte mag wohl ,geistige Waffen' gemeint und bei denjenigen ihrer Zuhörer, welche ihr folgen konnten, eine gleiche Auffassung erzeugt haben, aber die große Menge der Zuhörer steht auf dem gleichen Bildungsniveau wie der Gendarm, bei welchem sie die andere Auffassung hervorgerufen hat." 49 Die spöttische Verachtung der Sozialdemokraten für die Polizei, wie sie aus dem folgenden Leitartikel des Vorwärts von 1908 hervorgeht, war gleichzeitig eine offizielle Absage an revolutionäre Absichten; und das war es, was letztlich zählte. „Ein Gerücht, wonach am gestrigen Tage die vaterlandslosen Gesellen in Rixdorf die öffentliche Gewalt an sich reißen wollten, und dann die Revolutionsheere sofort nach Berlin marschieren sollten, um die Reichshauptstadt zu unterjochen, war offenbar auch nach dem Alexanderplatz gedrungen. Hier sah man der Gefahr mit der altgewohnten Tapferkeit entgegen. Alles wurde aufgeboten, um den heimtückischen Plan der Rixdorfer im Keime zu ersticken. Es gelang denn auch und es gelang gut ohne jede weitere An47
Hermann Rücker, Vom Verband, der Fabrik-, Landhilfsarbeiterinnen und Arbeiter Deutschlands bis zur Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Steine und Erden. Die Geschichte der Zahlstelle Berlin von 1896 bis 1945. (Manuskript im Berliner Büro der I. G. Chemie, Papier, Keramik.) 48 Eine Sammlung von Bühnenstücken von Ibsen, Sudermann, Hauptmann und anderen mit den von der Zensur gestrichenen Stellen ist im Landesarchiv Berlin unter „Polizeipräsident Berlin. Theaterzensurexemplare" erhältlich. 49 O. Baader, Ein steiniger Weg . . S . 38—39.
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strengung, daß den Unbeteiligten die kriegerischen Maßnahmen der Polizei als gänzlich überflüssig erschienen und bei manchem ein höhnisches Lächeln hervorriefen, das wohl soviel sagen wollte wie: Arbeitslose ,überwachen' ist gewiß leichter, als — Mörder fangen." 50 Das historische Erbe der uniformierten Polizei enthielt Erinnerungen an viele unerfüllte Wünsche, die sie in einer vordemokratischen Ära gehegt hatte und 1918 aufzugeben nicht bereit war. Als sich die politische Situation Mitte der zwanziger Jahre relativ stabilisiert hatte, wurde der ursprüngliche Versuch, bestehende Polizeiprinzipien historisch zu verteidigen, fortgeführt und die Traditionen der Polizei wurden weiter gepflegt. Historische Darstellungen dieser Art konnten ihrerseits veraltete Polizeiauffassungen propagieren, die mit Geringschätzung der Massen, Mißtrauen gegenüber der Regierung und Eifersucht auf das Heer belastet waren und einen potentiellen Einfluß auf eine Polizei ausübten, die bestrebt war, ihr 1918 verlorengegangenes Selbstvertrauen wiederzugewinnen und sich plötzlich, weil das Heer im Kriege geschlagen worden war, in die Lage versetzt sah, ihren langgehegten Wunschtraum der Gleichwertigkeit von Heer und Polizei verwirklicht zu sehen.
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Vorwärts, 6. Februar 1908.
ZWEITES
KAPITEL
Furcht und Unschlüssigkeit 1918 bis 1 9 2 0 Der Krieg und der
Waffenstillstand
Die vereitelten militärischen Prätentionen der Berliner Schutzmannschaft aus den Jahren vor 1914 erfüllten sich auch im Kriege nicht. Während das Heer das ganze Land beherrschte, versagte die Polizei nicht nur in ihrer Eigenschaft als Hüter der Ordnung, sondern auch als Institution, deren Eigeninteressen es zu verteidigen galt. Auch die Schutzmannschaft blieb von der wachsenden Kriegsmüdigkeit nicht verschont. Bis 1917 war über die Hälfte ihrer Offiziere eingezogen worden; die jüngeren Beamten hatten sich freiwillig gemeldet.1 Ein Großteil der Mannschaft war stark überaltert und schlecht bewaffnet und ihre Führung im Einsatz größerer Polizeiverbände, wie er jeden Augenblick notwendig werden konnte, nicht genügend geschult.2 Arbeitsüberlastung und ein reduziertes Realeinkommen wirkten sich negativ auf die Moral aus. Jungen Arbeitern in der Rüstungsindustrie verübelte man es, besser bezahlt und ernährt zu werden als Hauptwachtmeister mit vielen Dienstjahren. 3 Es ist bemerkenswert, daß die Polizei-Gewerkschaftsbewegung, die sich vor 1914 überhaupt nicht durchsetzen konnte, während des Krieges zahlreiche Anhänger gewann. 1915 erklärte sich die Polizeiführung bereit, der Gründung einer Ge1 Über den starken Personalrückgang in Berlin siehe The German police system, hrsg. vom Directorate of Military Intelligence, The War Office, pt. 1, suppl. 1 (June 1920), S. 5, 9 ; und Die innere Front..., S. 41—42. 2 Paul Riege, Kleine Polizei-Geschichte ( = Kleine Polizei-Bücherei 15/16), Lübeck 1954, S. 34; und Die Polizei — einmal anders! Geschrieben von der deutschen
Presse zum ,Tag der Deutschen Polizei', hrsg. von Helmuth Koschorke, München 1937, S. 33—34. Seit Ende 1917 verlangte das Reichswehrministerium von der Obersten Heeresleitung die Bereitstellung von Frontverbänden für den eventuellen Einsatz bei inneren Unruhen. Rudolf Coper, Failure 1918—1919, Cambridge 1955, S. 35—36. 3
of
a revolution;
Roland Schönfelder / Karl Kasper / Erwin Bindewald,
deutschen
Polizei,
Leipzig 1937, S. 286.
Vom
Germany
in
Werden
der
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II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
werkschaft, nämlich des „Verbandes der Schutzleute des Landesbezirkes Berlin" zuzustimmen. Dieser Vereinigung gelang es 1917, Kontakte auch zu Schutzmannschaften anderer preußischer Städte aufzunehmen. 4 Es mag sein, daß die russische Oktoberrevolution von 1917 die politische Einstellung der Polizeiführung gegenüber der PolizeiGewerkschaftsbewegung beeinflußte. Sicher aber wurden auch viele Polizeibeamte durch die Ereignisse in Rußland veranlaßt, über ihre Zukunft nachzudenken, sollte dem deutschen Kaiserreich ähnliches widerfahren. 5 Der Krieg hatte in der Schutzmannschaft weder die patriotische Begeisterung der Frontsoldaten noch ein besonderes Gefühl der Verbundenheit mit Hindenburg und Ludendorff hervorrufen können. Die Hoffnung der Polizei bei Kriegsausbruch, eine kriegswichtige Rolle spielen zu können, wich drei Jahre später einem allgemeinen Unwillen über die Gleichgültigkeit, mit der das Land ihre Dienste hinnahm. 6 Als begleitet von großen Demonstrationen in Berlin der Krieg zu Ende ging, setzten sich die Polizei und die Garnison über ihren Treueid hinweg und weigerten sich zu kämpfen. Während des großen Munitionsstreikes im vergangenen Winter noch bereit, mit der blanken Waffe gegen Berliner Arbeiter vorzugehen, setzte sie den Massen, die am 9. November vor dem Rathaus, dem Reichstag, den großen Bahnhöfen und an anderen strategischen Punkten zusammenströmten, keinerlei Widerstand entgegen. In der Alexanderkaserne, nicht weit vom Polizeipräsidium, liefen die berühmten Naumburger Schützen zu den Revolutionären über. Andere Regimenter folgten ihnen. Auch das Polizeipräsidium ergab sich ohne einen einzigen Schuß. 7 Die Geschwindigkeit, mit der die imposante Fassade des preußischen Militärs und Beamtentums zusammenbrach, überraschte viele Beobachter. „Es gab noch vor einer Woche einen militärischen und zivilen Verwaltungsapparat, der so verzweigt, so ineinander verfädelt, so tief eingewurzelt war, daß er über den Wechsel der Zeiten hinaus seine Herrschaft gesichert zu haben schien. Durch die Straßen von E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . . , S. 19—20. A. a. O., S. 24. β Zeitsdiriftenartikel wie der Polizeirat Stephans, Müssen die von den Militärbefehlshabern außer Kraft gesetzten Polizeiverordnungen nach dem Krieg neu erlassen werden?, in: Die Polizei, 11. Jg. (1915), Nr. 26 vom 18. März, S. 611, lassen vermuten, daß die unterdrückte Feindseligkeit der Polizei gegenüber der Armee bis in die Kriegszeit anhielt. 7 R. Coper, Failure of a revolution..., S. 15—16; und W. Mann, Berlin zur Zeit der Weimarer Republik ..., S. 18—20. 4
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Der Krieg und der
Waffenstillstand
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Berlin jagten die grauen Autos der Offiziere, auf den Plätzen standen wie Säulen der Macht die Schutzleute... Gestern früh war in Berlin wenigstens das alles noch da. Gestern nachmittag existierte nichts mehr davon." 8 Die schnelle Kapitulation der Schutzmannschaft vor der Revolution war noch Jahre danach ein Anlaß ständigen Unbehagens für die Polizei. Nur sehr wenige Einzelheiten über die Ereignisse im Polizeipräsidium am 9. November 1918 drangen jemals an die Öffentlichkeit. Tatsachenberichte wurden durch Erklärungen, die das Verhalten der Polizei entschuldigen sollten, ersetzt. In einem Artikel einer Polizeizeitung vom 9. August 1919 wurde zugegeben, daß sich die Polizei der ausdrücklichen Anordnung, „bis zum letzten Mann" gegen die Aufständischen zu kämpfen, widersetzt hatte. Aber wie so viele andere Artikel versuchte auch dieser hauptsächlich, glaubhafte Entschuldigungen für ein Verhalten zu finden, das in Wirklichkeit Gehorsamsverweigerung gewesen war. 9 Einige Beamte behaupteten, die Polizei hätte unnötiges Blutvergießen vermeiden wollen. Andere wiederum sagten, die Polizei sei den zahlenmäßig viel stärkeren Massen nicht gewachsen gewesen. Ernst Schräder von der Polizeigewerkschaft schob die ganze Schuld den Revolutionären zu, die, wie er behauptete, der Schutzmannschaft unter Entlassungsdrohungen das Versprechen abgenommen hätten, sich politisch neutral zu verhalten. 10 Die in Polizeikreisen wohl am weitesten verbreitete Ansicht vertrat Dr. Heinrich Lindenau. In einem Artikel, der 1919 viel Aufsehen erregte, beschuldigte er die Polizeiführung, der Krisensituation nicht gewachsen gewesen zu sein. Der ehemalige Polizeipräsident Matthias von Oppen war nicht aufzufinden gewesen. Sein Nachfolger, Emil Eichhorn, entpuppte sich allmählich als Spartakist. Jedenfalls lag die wirkliche Waffengewalt in den Händen der Volksmarinedivision und anderer revolutionärer Gruppen. „Was war da von der führerlosen, 8 Berliner Tageblatt, 10. November 1918, zitiert in: a.a.O., S. 21. Eine ähnliche Bemerkung bei Theodore F. Abel, Why Hitler came into power. An answer based on the original life stories of six hundred of his followers, New York 1938, S. 16. 9 Die Schutzmannszeitung vom 9. August 1919, zitiert bei Ε. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . ., S. 65—69. 10 A. a. O., S. 69—71; und Mehr Sicherheit in Groß-Berlin!, in: Vossische Zeitung, 20. April 1919 (M). Siehe audi B. Weiß, Polizei und Politik ..., S. 126—127; Der frühere Vizepräsident der Berliner Polizei erzählt aus seinen Erfahrungen, in: RIAS Berlin, Berliner Forum 6 (1950) (November 1949 / Januar 1950), S. 7; und R. Schönfelder / K. Kasper / E. Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei..., S. 286 bis 287.
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II.
Furcht
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1918 bis
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durch den Krieg dezimierten und mit Zustimmung der Regierung entwaffneten Schutzmannschaft zu erwarten?" (schrieb Lindenau). 11 Jedoch weder die Anschuldigungen gegen die Polizeiführung noch die Ausrede von einer „force majeure" konnten die Polizei von dem Vorwurf der Schwäche befreien — jedenfalls nicht, solange dadurch die Darstellung der Ereignisse politischen Gegnern wie Emil Eichhorn überlassen war. Stadtrat Eichhorn war Abgesandter der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und führte am 9. November die Kapitulationsverhandlungen in dem belagerten Polizeipräsidium. 12 In seinen Erinnerungen, die im folgenden Jahr erschienen, berichtet er, daß das Gebäude ausreichend mit Maschinengewehren ausgerüstet gewesen sei und daß die normale Besatzung außerdem durch eine Jägerkompanie und eine Abteilung Infanterie verstärkt worden war. Aber trotz ihrer Stärke hatte die Polizei nicht daran gedacht, irgendeinen Widerstand zu leisten. „Die wachsenden Volksmassen auf den Straßen, ihre begreifliche Erregung, hatten der Polizei nicht nur den letzten Rest von Mut, sondern auch die Besinnung genommen. Das böse Gewissen, die Erinnerung an frühere Attacken gegen die Berliner Arbeiter muß bei ihr eine wilde Furcht vor der Vergeltung erzeugt haben, denn Schutzleute und Offiziere rissen sich, so schnell das nur gehen wollte, die Säbel und Revolver vom Leib . . . die Polizei ist nicht eigentlich entwaffnet worden, aus eigenem Antrieb entfernte sie sich, so rasch das bei den das Gebäude umdrängenden Massen nur gehen wollte, aus dem Präsidium." 13 Dieser geringschätzige Bericht war zweifellos durch Eichhorns Erfahrungen als Berliner Polizeipräsident gefärbt. Er war geneigt, in diesen Berufsbeamten Menschen zu sehen, die in erster Linie ihre Haut zu retten versuchten und in zweiter Linie ihren Posten. 14 Wenn man die Wankelmütigkeit seiner Untergebenen ihm gegenüber während seiner kurzen Amtszeit als Volksbeauftragter für öffentliche Sicherheit bedenkt, dürften seine Auffassungen eigentlich kaum überraschen. 11
Dieser Artikel erschien in: Die Schutzmannszeitung
bei E. Klingelhöller, Der Verband 12
N a c h R . C o p e r , Failure
preußischer
of a revolution
v o m 9. August 1 9 1 9 , zitiert
Polizeibeamten
. . ., S. 5 5 — 5 8 .
. . ., S. 197, hatte das Präsidium bereits
kapituliert, als eine Arbeiterdelegation die U S P D aufforderte, jemanden zu beauftragen, die Polizeigewalt zu übernehmen. 13
Emil Eichhorn, Meine
an den Januar-Ereignissen, 14
A.a.O.,
S. 11, 5 0 .
Tätigkeit
im Berliner
Berlin 1 9 1 9 , S. 8.
Polizeipräsidium
und
mein
Anteil
Die
Eichhorn-Episode
41
Die Eichhorn-Episode Eichhorns Karriere als Polizeipräsident dauerte kaum zwei Monate. Kurz nach seinem Sturz veröffentlichte er eine Verteidigung seiner Amtsführung, die sich allerdings wie ein revolutionäres Pamphlet liest. Sein engagierter Einsatz für die Sache der sozialistischen Revolution stand jedoch in krassem Gegensatz zu der Zurückhaltung seiner Untergebenen.15 Letztere schwankten zwischen Monarchismus aus Loyalität zum König und Demokratie aus Loyalität zur Nation sowie zwischen Sympathien für die politische Rechte wegen ihrer Beziehungen zum Heer und politischer Neutralität aufgrund ihrer Berufsmoral als Beamte. Aber auch höhere Polizeibeamte scheinen unschlüssig gewesen zu sein. Die Herausgeber der Wochenzeitschrift Die Polizei, einer Zeitung, die im allgemeinen die offizielle Haltung der Polizei widerspiegelte,16 begannen das deutsche Experiment mit der Demokratie mit einem großartigen Ausweichmanöver. Die erste Ausgabe, die während der Amtszeit Emil Eichhorns erschien, enthielt den Abdruck von Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, Goethes Gedicht Der Staat, nebst einigen Bekanntmachungen von Befehlen und Verordnungen des Rates der Volksbeauftragten. All dies erstreckte sich über sechs Seiten. Dann folgten ein Artikel über die Schankreformfrage und einige Verwaltungsnachrichten. Erst ganz am Schluß stand die kurze Mitteilung, daß Emil Eichhorn die Leitung der gesamten Polizei im Landesbezirk Berlin übernommen hatte. Außerdem wurden das Ende der Zensur und die Verlängerung der Polizeistunde auf 23 Uhr 30 bekanntgegeben. Polizisten und Feuerwehrleute wurden aufgefordert, auf ihren Posten zu bleiben.17 Dieser letzte Punkt war für die Männer der königlichen Polizei von ganz besonderer Bedeutung; denn das Exekutivkomitee der Volks15 Eichhorn bestätigte zwar seine Verbundenheit mit dem linken Flügel der Sozialisten, bestritt jedoch, Bolschewist zu sein. Siehe Das neue Polizeipräsidium. Präsident Eichhorn über Ziele und Aufgaben seiner Behörde, in: Vossische Zeitung,
14. November 1918 (A). 16 Eridi Klausener bezeichnete Die Polizei als ein unpolitisches Blatt, dessen Aufgabe darin bestand, die Polizeibeamten über relevante technische Entwicklungen zu informieren. Das Innenministerium war laut Klausener weder Auftraggeber der Beiträge dieser Zeitung, nodi zensierte es die Ansichten ihrer Verfasser. „Natürlich benutzten viele meiner Kollegen und audi ich das Blatt, um Polizeibeamten aller Ränge unsere Gedanken und Ansichten mitzuteilen." Die Polizei, 30. Jg (1933), N r . 1 v o m 5. Januar, S. 1. " A. a. O., 15. Jg. (1918), N r . 17 v o m 21. November.
42
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
beauftragten hatte ursprünglich beschlossen, alle Polizeibeamten des gestürzten Regimes sofort zu entlassen. Nur durch den sofortigen Protest des Polizeiverbandes war es gelungen, einen zeitweiligen modus vivendi zwischen Polizei und Regierung herzustellen.18 Am Sonntag, dem 10. November 1918, erschien die folgende Bekanntmachung 19 an den Litfaßsäulen der Stadt: „ARBEITER, SOLDATEN, BÜRGER! Die gesamte Berliner Schutzmannschaft hat sich dem Arbeiter- und Soldatenrat unterstellt. Sie ist beauftragt, von Montag ab in Gemeinschaft mit den Soldaten in ihrer alten Uniform mit roter Armbinde und ohne Waffen den Dienst für die öffentliche Ordnung und Sicherheit wieder aufzunehmen. Der Volkskommissar für den öffentlichen Sicherheitsdienst EMIL E I C H H O R N Alle Beamten der Groß-Berliner Schutzmannschaft werden hiermit aufgefordert, am Montag, dem 11. November, früh 8 Uhr, sich in ihren Dienststellen einzufinden. SCHRÄDER, Verbandsvorsitzender der Schutzleute FRÖHLICH, Polizeioberst MURCHE, Vorsitzender der Wachtmeister E I C H H O R N , Volkskommissar für den öffentlichen Sicherheitsdienst." Es gab jedoch viele Beamte in der Schutzmannschaft, die diesem Aufruf nicht sofort Folge leisteten. Einige nahmen Sonderurlaub, u. a. auch Polizeioberst Fröhlich, obwohl er die oben zitierte Bekanntmachung mit unterschrieben hatte. 20 Aber nach und nach kehrten immer mehr erfahrene Polizisten der unteren Ränge auf ihre Posten zurück — die Revolution und ihre Vertreter scheinbar akzeptierend. 21 Die Anerkennung des neuen Regimes seitens der Polizei schien erreicht zu sein. 18
E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . S . 24. " A. a. O., S. 41. 20 Obwohl Polizei-Major Fröhlich sein Amt als Kommandeur der Schutzmannschaft beibehielt, wurde er bald darauf von Eidihorns Leuten festgenommen, da er an der Organisation einer illegalen studentischen Soldatenwehr beteiligt war, die das Ziel hatte, links-radikale Bestrebungen zu bekämpfen. E. Eichhorn, Meine Tätigkeit ..., S. 41. 21 Die Wirren in der Reichshauptstadt und im nördlichen Deutschland, 1918— 1920 ( = Darstellung aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps 6), hrsg. von der Kriegsgesdiichtlichen Forschungsanstalt des Heeres, Berlin 1940, S. 19—20.
Die
Eichhorn-Episode
43
Am 13. November 1918 fand in Berlin eine Versammlung preußischer Polizeibeamten statt. Diese gaben eine Erklärung ab, die es wert ist, zitiert zu werden. Der unterwürfige Ton, in dem sie verfaßt war, stand in starkem Kontrast zu dem Ton, den die Polizei einige Monate später anschlagen sollte: „ . . . nachdem das alte System zusammengebrochen ist, der Kaiser abgedankt hat und die Beamten der Schutzmannschaft somit von ihrem Treueid entbunden worden sind, werden sie alles tun, was in ihren Kräften steht, um die neue Regierung in der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu unterstützen. Die Wachtmeister und Schutzmänner werden stets bemüht sein, im Verkehr mit ihren Mitbürgern kleinliche Härten zu vermeiden, sowie Höflichkeit und Nachsicht walten zu lassen. Das alte System, das uns stets mit unseren Volksgenossen auseinandergeführt hatte, soll einer neuen Richtung Platz machen, so daß ein besseres, von gegenseitigem Vertrauen getragenes Verhältnis zwischen Sicherheitsbeamten und Publikum herbeigeführt wird. An alle Mitbürger Groß-Berlins aber richten wir die herzliche Bitte, das, was uns früher getrennt hat, zu vergessen und uns in der Ausübung unseres schweren Amtes zu unterstützen, damit in Zukunft alle unliebsamen Vorkommnisse zwischen Sicherheitsbeamten und Bürgern vermieden werden." 22 Ebenso apologetisch klingt auch ein Artikel von Polizeiinspektor Eiben, den dieser in Die Polizei vom 19. November 1918 über Die Polizei-Exekutivbeamten der neuen Zeit veröffentlichte und in dem es heißt: „ . . . so haben wir Polizisten bis zur Erschöpfung für die alte Ordnung gekämpft. Mit ihrem Zerfall, und mit der Einsicht, daß sie sich überlebt hatte und von der Mehrzahl unserer Volksgenossen eine neue Ordnung gefordert wurde, haben wir uns auf den Boden der Tatsachen gestellt, alle wie ein M a n n . . . " Und, so fuhr er fort, die soldatischen Eigenschaften der Polizei — Gehorsam und Unparteilichkeit — seien zweifellos Vorzüge, die auch weiterhin gute Dienste und vor allen Dingen Anpassungsfähigkeit garantierten. Somit bestehe überhaupt kein Grund, die alten Beamten zu ersetzen. „Unser früherer Staat war ein Klassenstaat ( § 1 3 0 St. G. B.), der neue soll es nicht mehr s e i n . . . Nicht selten ist zuviel Rücksicht genommen worden auf 22
Der vollständige Text in Die Polizei,
S. 287. Darauf die Vossische Zeitung
15. Jg. (1918), N r . 17 vom 21. November,
vom 14. November 1918 ( A ) : „Die Bevölkerung
[Berlins] wird das bisher Trennende gern v e r g e s s e n . . . Daß unsere .Blauen', wie der Berliner die jetzigen Wachmänner nicht ohne freundlidies Vertrauen nannte, dieses Umlernen so bereitwillig mitgemacht haben, ist zu begrüßen."
44
II. Furcht und Unsdliissigkeit
1918 bis 1920
die Besitzenden und Höhergestellten. Es wird nicht Absidit, sondern nur Gewohnheit gewesen sein. Dies muß aufhören. Dem Exekutivbeamten wird eine andere Übung, eine gleichmäßigere Behandlung der ihn beschäftigenden F ä l l e . . . nicht schwer fallen, da die frühere Art weniger seinem Willen, als den Anweisungen höherer Stellen entsprungen und häufig recht unbequem für ihn gewesen ist." 2 3 Soviel Reue hatte Eichhorn von den alten Beamten gar nicht verlangt. Ihre Zustimmung, unter ihm zu dienen, und das Versprechen, politische Neutralität zu wahren, schienen ihm zu genügen. Jene radikale Minderheit unter den Polizisten, die die revolutionären Soldatenräte imitieren wollte, unterstützte er nicht. 24 Die Beamten und Angestellten, die sich bereit erklärt hatten, auch unter den „veränderten politischen Verhältnissen" ihre Tätigkeit fortzusetzen, wurden darauf hingewiesen, daß sie nun einer anderen Regierung zu Gehorsam verpflichtet waren. Außerdienstlich wurde ihnen jedoch absolute politische Freiheit garantiert. 25 Eichhorns Versuche, Ende 1918 die Polizei zu demokratisieren, stießen auf keinerlei Widerstand. Im Gegenteil, seine Untergebenen machten weitgehend von ihren neuen Rechten der Versammlungs- und Redefreiheit Gebrauch. Die militärischen Formationen der Schutzmannschaft und der militärische Gruß wurden abgeschafft. Polizeiränge wurden denen in der Zivilverwaltung angeglichen und Vertreter der Öffentlichkeit (hauptsächlich Arbeiter) wurden eingeladen, in allen Polizeirevieren als „Revierbeisitzer" zu fungieren. Die wichtigste Neuerung unter Eichhorn war die Aufstellung einer 1800 Mann starken Sicherheitswehr, der „Sicherheitstruppe Groß-Berlin". Ihre Soldaten waren überall in der Stadt stationiert und führten zusammen mit den alten Schutzpolizisten Straßenpatrouillen durch.26 Die meisten Beamten der Schutzmannschaft akzeptierten diese Veränderungen mit bemerkenswertem Gleichmut. Sie waren sich der weitverbreiteten Feindseligkeit, mit der die Öffentlichkeit allen uniformierten Vertretern des ehemaligen Regimes gegenüberstand, wohl bewußt. Solange sich die gemäßigten und radikalen Vertreter des Rates der Volksbeauftragten die Köpfe über die Gestaltung der Zukunft in 23
Polizei-Inspektor Eiben, Die Polizei-Exekutivbeamten
der neuen
Zeit, in: Die
Polizei, 15. Jg. (1918), Nr. 19 vom 19. Dezember, S. 329—330. 24
A. a. O., 15. Jg. (1918), N r . 19 vom 19. Dezember, S. 3 3 1 — 3 3 2 .
25
A. a. O., 15. Jg. (1918), N r . 18 vom 5. Dezember, S. 297, 303.
26
E. Eichhorn, Meine
Tätigkeit..
., S. 11—14. Über die Sidierheitswehr siehe
a. a. O., S. 23 ff.; und Die Wirren in der Reichshauptstadt...,
S. 20.
Die
45
Eichhorn-Episode
Deutschland zerbrachen und sie selbst dabei nur ihre Stellungen behalten konnten, gaben sich die Beamten sogar mit ihrer bescheidenen Rolle als „Ordnungspolizei" zufrieden. Die Sicherheitswehr stellte zweifellos eine Beschneidung der Vorrangstellung der Schutzmannschaft dar. Aber war es nicht angesichts der Absicht Eichhorns, seine Macht ganz in den Dienst der Unabhängigen Sozialdemokraten zu stellen, besser, einfach der neuen Miliz das Risiko zu überlassen, für eine zweifelhafte Sache zu kämpfen? Ihre Soldaten waren für die normalen Aufgaben der Polizei sowieso schlecht vorbereitet und würden sich wahrscheinlich zurückziehen, sobald sich die Situation wieder normalisierte." Tatsächlich betrachtete man die meisten Reformen Eichhorns als Provisorien. Es war offenkundig so, daß die Revierbeisitzer nur eine Ubergangserscheinung darstellten. Bekannt war auch, daß Eichhorn Schwierigkeiten mit seiner neuen Sicherheitswehr hatte. Diese hatte sehr bald korporative Eigeninteressen entwickelt und widersetzte sich jeglichen Versuchen Eichhorns, unsaubere und undisziplinierte Elemente aus ihren Reihen zu entfernen. 2 8 Die alte Kerntruppe der
Polizei
konnte also den Dingen ihren L a u f lassen, sich sogar intern befehden und den Ausgang der politischen Konflikte abwarten. 2 9 D i e pessimistische Prognose der Schutzmannschaft, die an den Erfolg ihres Chefs nicht glauben wollte, war zweifellos richtig: Eichhorn hatte einfach nicht die Erfahrung, um seine Aufgabe erfolgreich durchführen zu können, und verschwendete zuviel Zeit mit unwichtigen Einzelheiten, wie zum Beispiel Uniformen und Dienstvorschriften. 3 0 Doch die Schutzmannschaft verhielt sich völlig passiv und überließ es ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, Polizeioberst Fröhlich, und den Beamten im Innenministerium, Eichhorns Sturz vorzubereiten. 3 1 Am 29. Dezember 1918 legten die USPD-Mitglieder der Regierung ihr A m t nieder, um gegen die Art und Weise, wie die provisorische deutsche Regierung, das heißt der R a t der Volksbeauftragten, den Aufstand der Marinedivision niedergeschlagen hatte, zu protestieren. Ihre Kollegen von der 27
Siehe
die
Vossische
Zeitung
(A)
vom
2 1 . Dezember
1918
über
Eichhorns
Pressekonferenz. 28
Die Vossische
Zeitung
berichtete über eine mißlungene Meuterei der Sicherheits-
wehr in ihrer Ausgabe (M) v o m 12. D e z e m b e r 1 9 1 8 . Siehe auch E . Eichhorn, Tätigkeit...,
S. 2 3 ; und Die Polizei,
29
E . Klingelhöller, Der Verband
30
Vossische
Zeitung
die politische R e f o r m 31
preußischer
(M), 2 9 . Dezember
Polizeibeamten
Tätigkeit...,
A. a. O . , S. 1 5 ; und Vossische
Zeitung
. . ., S. 2 5 .
1 9 1 8 . Eichhorn glaubte tatsächlich,
der Polizei in drei bis vier M o n a t e n
könnte. E . Eichhorn, Meine
Meine
15. J g . ( 1 9 1 8 ) , N r . 19 v o m 19. Dezember, S. 3 2 6 .
durchgeführt
S. 14. (A), 30. November 1918.
daß
werden
46
II. Furcht und Unscblüssigkeit
1918 bis 1920
preußischen Regierung folgten ihrem Beispiel etwas später. Am 1. Januar 1919 begannen die gemäßigten Mehrheitssozialisten in der Regierung eine Pressekampagne gegen Eichhorn, den einzigen Unabhängigen Sozialdemokraten, der noch eine bedeutsame Stellung in der preußischen Verwaltung innehatte. Die Vorwürfe gegen Eichhorn reichten von illegaler Waffenverteilung an Zivilisten bis zur Veruntreuung öffentlicher Gelder. Der Vorwärts warf ihm vor, Gehälter aus bolschewistischen Quellen in Petrograd zu beziehen. Zwei Tage nach Beginn der Kampagne wurde er vor den Innenminister zitiert, und dieser legte ihm nahe, sein Amt aufzugeben. Als Eichhorn ablehnte, befahl das Ministerium allen Beamten im Polizeipräsidium, ihm den Gehorsam zu verweigern. 32 Eichhorns Zeit war offensichtlich abgelaufen. USPD-Obleute und Spartakisten organisierten zwar noch am 5. Januar 1919 eine Demonstration für ihn; aber wirkliches Ziel dieser Demonstration war der Sturz der provisorischen Regierung unter Friedrich Ebert. Die Revolution war jedoch schlecht organisiert. Sogar die Sicherheitswehr — durch finanzielle Versprechungen seitens der Regierung bestochen und durch die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes mit dem Militär verängstigt 33 — ließ Eichhorn nach einigem Zögern fallen. Die Schutzmannschaft verhielt sich auch weiterhin sehr vorsichtig. Die uniformierten Beamten folgten zwar dem Befehl des Ministeriums, dem Präsidium fernzubleiben, hüteten sich jedoch, offen für die Regierung einzutreten, ehe der Sturz Eichhorns eine vollendete Tatsache war. In der Schlacht um das Polizeipräsidium am 13. Januar 1919 verhielten sich die Berufspolizisten wiederum völlig neutral. Auch Die Polizei war mit ihrer Kritik an Emil Eichhorn lange Zeit sehr zurückhaltend. Noch am 16. Januar 1919 lobte sie seine Erfolge auf dem Sektor der Verbrechensbekämpfung in Berlin, 34 am 13. Februar jedoch bezeichnete sie ihn als den „ Steckbrief lieh verfolgten Herrn Eichhorn" und beschuldigte ihn, die Polizei im Kampf gegen das Verbrechertum behindert zu haben. 35 Am 13. März 1919, als die Eichhorn-Episode längst von
32
Am 4. Januar 1919 begann die Vossische Zeitung
(M), Eichhorns Amtsführung
als skandalös zu bezeichnen. 33
E. Eichhorn, Meine
stadt. ..,
S. 20.
Tätigkeit...,
Fünf Wochen
später
S. 8 1 — 8 2 ; Die Wirren drangen
in der
einige ehemalige
Reichshaupt-
Angehörige
der
Sicherheitswehr in Eichhorns Wohnung ein und stahlen Lebensmittel und Kleidungsstücke. Vossische Zeitung (A), 22. Februar 1919. 34
Die Polizei, 15. Jg. (1918), N r . 17 vom 21. November, S. 2 8 8 — 2 8 9 .
35
A. a. O., 15. Jg. (1919), N r . 23 vom 13. Februar, S. 4 1 0 — 4 1 1 , 417.
Die
Eichhorn-Episode
47
wichtigeren Ereignissen abgelöst worden war, veröffentlichte die Zeitschrift einen sowohl boshaften als auch sinnlosen persönlichen Angriff auf die Person ihres gestürzten Chefs: „Präsident Eichhorn erschien als Neurastheniker höchsten Grades: ein weichlich verschwommenes Gesicht, zerkauter, dünner Schnurrbart, nervöse Fingerbewegungen, unruhiges Auf- und Abtrippeln. Die Anrede ,Herr Präsident' schmeichelte ihn sichtlich. Von den Soldatenräten sprach er immer als von ,meinen Regierungsräten'.. ." 3 6 Nach dem Ende der Eichhorn-Affäre galt es für die uniformierte Schutzmannschaft, ihr verlorenes Prestige und Ansehen wiederherzustellen. In Die Polizei benutzte man jüngste Gerichtsentscheidungen, um die Gehorsamsverweigerung gegenüber Eichhorn rückwirkend zu rechtfertigen. So wurden die Arbeiter- und Soldatenräte, die Eichhorn zum Präsidenten ernannt hatten, zu Usurpatoren ohne rechtliche Machtbefugnis erklärt.37 Die bestehende Regierung andererseits wurde als rechtlicher Nachfolger des Rates der Volksbeauftragten anerkannt, welcher „eine Zeitlang" de facto die Staatsführung in Deutschland übernommen hatte.38 Ein anderer Artikel in Die Polizei vom 2. Mai 1919 über das Streikrecht von Beamten und Angestellten führte aus, daß man Staatsbeamte nicht des Ungehorsams bezichtigen könne, wenn ihr Arbeitgeber (die Regierung) ihnen als Mittel gegen die bolschewistische und kommunistische Unterwanderung empfehle, der Arbeit fernzubleiben.39 Natürlich verloren diese theoretischen Rechtfertigungen für den Gesinnungswechsel der Polizei an Bedeutung, als diese sich ihrer nächsten Aufgabe zuwandte, nämlich, sich mit den vielen bewaffneten Gruppen auseinanderzusetzen, die in der Hauptstadt polizeiähnliche Funktionen ausübten. 3« A.a.O., 15. Jg. (1919), Nr. 25 vom 13. März, S. 464. Die Vossische Zeitung vom 26. Februar 1919, die diesen Artikel auch veröffentlicht hat, vermutete, daß der Verfasser ein höherer Beamter des Berliner Polizeipräsidiums war. 37 Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 8 vom 17. Juli, S. 193. Nach einem juristischen Gutachten vom 4. Oktober 1952 von Prof. Dr. Martin Draht, ehemaligem Richter am Bundesverfassungsgericht, übte Emil Eichhorn die Polizeigewalt in Berlin rechtmäßig zwischen November 1918 und Januar 1919 aus, hatte jedoch nicht das Redit, sich Polizeipräsident zu nennen. [Vervielfältigung in der Bibliothek des Kommandos der Schutzpolizei, Berlin-Tempelhof.] 38 Die Polizei, 15. Jg. (1919), Nr. 13 vom 25. September, S. 323. Siehe audi α. α. Ο., 16. Jg. (1919), Nr. 1 vom 10. April, S. 38; und a. a. O., 17. Jg. (1920), Nr. 3 vom 29. April, S. 63. 39 A. a. O., 15. Jg., Nr. 4 vom 22. Mai 1919, S. 91—92.
48
II.
Furcht
und Unschlüssigkeit
1918 bis
1920
Rivalität mit dem Militär Während der ersten Monate nach der Revolution war die Schutzmannschaft im wesentlichen zur Untätigkeit verurteilt; sie erledigte nur noch vereinzelte
Verwaltungsaufgaben
und versah, zusammen
mit
Eichhorns Sicherheitswehr, den Streifendienst. Z w a r wurde die Sicherheitswehr im März 1919 aufgelöst, doch gab es in Berlin weiterhin polizeiartige Verbände, die unabhängig vom Polizeipräsidium arbeiteten. D a waren zum Beispiel die mit der Zustimmung der Reichswehr aufgestellten Einwohnerwehren, deren Angehörige hauptsächlich aus den konservativen, bürgerlichen Bezirken Berlins kamen. 4 0 In W i r k lichkeit
aber waren
diese Einwohnerwehren
wenig brauchbar
und
stellten die Sonderrechte der Polizei niemals in Frage, obwohl es gelegentlich zu Reibereien kam. 4 1 Bedeutender
als die Einwohnerwehren
war
die
Republikanische
Soldatenwehr unter der Führung von O t t o Wels. Reichswehrminister Gustav Noske betrachtete sie als Interimslösung zum Schutze der öffentlichen Sicherheit, bis ein wirksamer, normaler Polizeidienst gewährleistet war. Obwohl die Republikanische Soldatenwehr dem Oberkommandierenden des Heeres in Brandenburg unterstand, konkurrierte sie mit Eichhorns Sicherheitswehr um die oberste Polizeigewalt in Berlin. Dies führte soweit, daß die Soldatenwehr sogar ihre eigene Kriminalpolizei unterhielt. Doch genau wie die Einwohnerwehren war audi die Soldatenwehr undiszipliniert und gegen politische Einflüsse wenig gefeit. 4 2 Die stärkste Konkurrenz für die Berufspolizei bildeten die Freikorps. 4 3 Diese Freiwilligentruppen, die sich hauptsächlich aus ehemaligen Frontsoldaten zusammensetzten, trugen während der K ä m p f e mit den Spartakisten im Winter und Frühjahr 1 9 1 8 / 1 9 die Hauptlast. 4 4 40
R.
Polizei. 41
Schönfelder
/
K.
Kasper
/
E.
Bindewald,
Vom
Werden
der
deutschen
. ., S. 2 8 8 , verzeichnet alle Werbebüros in Berlin.
So bezeichnete die Schöneberger Polizei die Einwohnerwehren a m 3 0 . J u n i 1 9 1 9
als Dilettanten und das nur wenige Tage, nachdem sie deren H i l f e bei der Verfolgung v o n Plünderern angefordert hatte. Vossische 42
E . Eichhorn, Meine
Tätigkeit...,
Zeitung,
2 4 . — 3 0 . Juni 1919.
S. 2 9 ; und Die
Wirren
in der
Reichshaupt-
stadt . . ., S. 16. 43
1 9 1 9 gab es in Deutschland ungefähr 4 0 0 0 0 Freikorpsmitglieder. Die A n z a h l
der polizeiähnlichen Wachmannschaften in Berlin belief sich auf ungefähr 3 0 0 0 M a n n . The German 44
police
system . . ., S. 4 4 — 4 5 .
Eine anschauliche Beschreibung der Freikorps in Berlin bietet Ernst v . Salomon,
Die Geächteten.
Roman
(=
rororo-Taschenbuch. Ausg. 4 6 1 / 6 2 ) , Reinbek b. H a m b u r g
Rivalität mit dem
49
Militär
Der Schutzmannschaft fehlte es einfach an der nötigen Kampferfahrung. Spätere Veröffentlichungen der Polizei waren geneigt, die Freikorps nachträglich als de facto Hilfstruppen anzuerkennen, die angeblich unter der Leitung des Innenministeriums und in enger Zusammenarbeit mit der Polizei gehandelt hätten. Sowohl die Republikanische Sicherheitspolizei von 1919 als auch die Schutzpolizei nach 1920 betrachtete die Freikorps als ihren direkten Vorgänger, besonders, da viele ihrer Mitglieder später der regulären Polizei beitraten. 45 Noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wehrte sich Lothar Danner gegen Kritiker, die „ . . . die Freikorps als wilde, reaktionäre Landsknechtshaufen. . . schilder[te]n; wenn sie das gewesen wären, wäre es kaum möglich gewesen, aus ihnen das Instrument zu schaffen, das die Weimarer Republik . . . gegen jeden gewaltsamen Umsturz bis zum letzten Tage geschützt hat". 4 6 Auch Paul Riege hielt den mutigen und kraftvollen Einsatz der Freikorps — „und der neuen Sicherheitspolizei" — für den Hauptgrund, daß in Deutschland 1919 in „überraschend kurzer Zeit" wieder geordnete Verhältnisse hergestellt wurden. Diese Einheiten, so Schloß er, waren „in der Tat das Beste, was sich ein Staat an Polizei wünschen kann". 4 7 Nun können uns Polizeihistoriker zwar die Meinung der offiziellen Kreise überliefern, doch zur Darstellung der tatsächlichen Ereignisse sind sie weniger gut geeignet. In der Zeit zwischen der EichhornEpisode und der Errichtung der Schutzpolizei im Jahre 1920 konnte man die militärischen Einheiten und die alten Polizeibeamten nicht gerade als Verbündete bezeichnen. Während dieser spannungsvollen Monate hatte sich die Polizei besorgt gefragt, wann ihre alte Machtstellung wiederhergestellt werden würde, und teilweise sogar befürchtet, daß die Soldaten ihre Funktion übernehmen könnten. Als die spartakistische Gefahr im Frühjahr 1919 gebannt war, begann die Polizei, ihre Vorrangstellung vorsichtig wieder auszubauen. Am 13. Februar erschien in Die Polizei ein Artikel von Dr. Haaselau, 1962. Über die Kämpfe im März 1919 siehe W. Mann, Berlin zur Zeit der Republik 45
Weimarer
. . . , S. 50.
W. Hartenstein, Der Kampfeinsatz
der Schutzpolizei..S.
2 7 — 2 8 ; und E. van
den Bergh, Polizei und Volk . . . , S. 114—115. 46
Lothar Danner, Ordnungspolizei
1918—1933,
Hamburg.
Betrachtungen
zu ihrer
Geschichte,
Hamburg 1958, S. 11. Danners Bemerkungen zur Situation in Hamburg
entsprechen häufig den Zuständen und Überzeugungen, die auch bei der preußischen Polizei vorherrschten. 47
P. Riege, Kleine Polizei-Geschichte
. . . , S. 3 4 — 3 5 , 39—40.
50
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
in dem er die Leistungen der Berliner Polizei vor dem Kriege betont höher bewertete als die ihrer Kollegen in Paris und New York. 48 Im April veröffentlichte Polizeikommissar Eiben einen Beitrag über „Die Polizei in einer Demokratie". Im Gegensatz zu seinem Artikel vom November 1918 gab er sich in diesem sehr zuversichtlich. Eiben forderte die sofortige Rehabilitierung der Berliner Polizei und erinnerte seine Leser daran, daß jede zivilisierte Gesellschaft erfahrene Ordnungshüter brauche. Das Problem der Demokratisierung der Polizei sollte auf ganz einfache Art und Weise gelöst werden: Eibens Meinung nach benötigte man lediglich neue Dienstanweisungen für die Schutzpolizei.49 Uber die zukünftige Organisation des Polizeidienstes in Berlin gingen die Meinungen jedoch auseinander. Die jüngsten Ereignisse hatten das Innenministerium sowie die Reichswehr davon überzeugt, daß eine zuverlässige Kampftruppe nötig war, falls es erneut zu bewaffneten Aufständen kommen sollte. Beide befürworteten daher die Ergänzung des regulären Polizeiapparates durch eine militärisch organisierte Polizeitruppe. Zusammen mit dem Reichswehrministerium und den Befehlshabern der Gardekavalleriedivision in Berlin wurden vorläufige Pläne ausgearbeitet, um die militärischen Einheiten im Sicherheitsdienst, das heißt hauptsächlich die Freikorps, in die Polizei einzugliedern. Sie waren dazu bestimmt, den Kern einer speziell für den Straßenkampf ausgebildeten Polizeitruppe zu bilden, die den Namen „Sicherheitspolizei" führen sollte.50 Für die Berliner „Sipo" waren neun Abteilungen von mindestens je 1000 Mann vorgesehen, jede Abteilung zu sechs Hundertschaften und einer technischen Hundertschaft, ausgerüstet mit Maschinengewehren, Granatwerfern und Flammenwerfern. Ihre militärische Kampfstärke sollte außerdem durch ein Geschwader von zehn Flugzeugen erhöht werden. Sipo-Soldaten sollten jägergrüne Uniformen tragen und in Kasernen untergebracht werden. Sie allein waren nach diesen Vorstellungen für die Sicherheit in Berlin verantwortlich. Die alte Schutz48 Haaselau, Die öffentliche Sicherheit, in: Die Polizei, 15. Jg. (1919), Nr. 23 vom 13. Februar 1919, S. 410—411. 49 Polizei-Inspektor Eiben, Die Polizei der Demokratie, in: a.a.O., 16. Jg. (1919), Nr. 1 vom 10. April, S . 9 — 1 0 ; und a.a.O., 16. Jg. (1919), Nr. 2 vom 24. April, S. 31—33. 50 Über die Neuorganisierung der Berliner Polizei, in: a.a.O., 16. Jg. (1919), Nr. 6 vom 19. Juni, S. 132—133; und Das preußische Schutzpolizeibeamten-Gesetz vom 16. August 1922... ( = Büdier für Recht, Verwaltung und Wirtsdiaft, Bd. 28), 2., vollst, neu bearb. Aufl., hrsg. von Ernst van den Bergh und Karl Fahr, Berlin 1925, S. 6.
Rivalität
mit dem
Militär
51
polizei sollte nur noch für ordnungspolizeiliche Aufgaben und die Verbrechensbekämpfung zuständig sein. Anfang Juni 1919 wurden die Vorschläge zur Errichtung einer Sicherheitspolizei in Die Polizei veröffentlicht. 51 Die überwiegende Mehrzahl der Schutzmannschaft sah in den Funktionen der Sipo eine Einschränkung ihrer Privilegien. Audi die Zusicherung des Innenministeriums, daß die ehemaligen Freikorpsmitglieder „sie nicht aus ihren Stellungen herausdrängen würden", 52 konnte die Beamten nicht beruhigen. Sie waren nicht gerade von der Aussicht begeistert, als ältere Beamte zur vorzeitigen Pensionierung gezwungen zu werden oder aber dazu verurteilt zu sein, die zweitrangigen Aufgaben einer „Ordnungspolizei" übernehmen zu müssen.53 Auf einer Protestversammlung der Polizeiverbände teilte Dr. Lindenau einem aufgebrachten Publikum mit, daß die Durchführung des vorgelegten Planes eine Reduzierung der Schutzmannschaft auf 3600 Mann oder die Hälfte ihrer jetzigen Stärke bedeuten und zwei Drittel der Revierbeamten überflüssig machen würde. Die Sicherheitspolizei dagegen würde nach und nach auf 10 000 Mann anwachsen.54 Offensichtlich war es höchste Zeit, den öffentlichen Eindruck von der Untätigkeit der alten Polizei in dem turbulenten halben Jahr seit Kriegsende zu beseitigen. Im Sommer 1919 erschien eine Anzahl offizieller Berichte, die beweisen sollten, daß die Polizei in der Zeit vom 9. November 1918 bis zum 1. Juni 1919 nicht passiv gewesen war. Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Einbrechern und Polizisten wurden statistisch aufgeführt. 55 Die Polizisten, die während des Aufstandes vom März 1919 den Tod gefunden hatten, wurden namentlich geehrt. 56 Manchmal half auch die Tagespresse ein wenig nach, um zu beweisen, 51 R. Schönfelder / K. Kasper / E. Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei. .., S. 291; German police system..., S. 19—31; und Neueinrichtungen des Groß-Berliner Sicherheitsdienstes, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 5 vom 5. Juni, S. 113—114. 52 A.a. O., S. 114. 53 A. a. O., 16. Jg. (1919), Nr. 14 vom 9. Oktober, S. 353. 54 E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten ..., S. 55. 58 Deutsche Polizeibeamtenzeitung, Nr. 13 vom 15. September 1919, zitiert von E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . S . 69—73. Die Sipo antwortete mit einer eigenen Statistik. Die grüne Polizei. Eine Halbjahrs-Statistik, in: Vossische Zeitung (M), 24. Juni 1920. 56 Zum Beispiel Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 1 vom 10. April, S. 21. Im März 1920 wurde auf dem Friedhof in Lichtenrade ein kleines Denkmal zum Gedenken an die fünf Revierpolizisten, die während der Spartakisten-Unruhen des Vorjahres ihr Leben gelassen hatten, enthüllt. Vossische Zeitung (M), 5. März 1920.
52
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
daß Soldaten kein Ersatz für geschulte Polizeibeamte waren, wie zum Beispiel in dem folgenden Artikel aus dem 8 Uhr Abendblatt vom 12. Juli 1919: „Bei einem der Geschäftseinbrüche, wie sie jetzt an der Tages- oder besser gesagt: Nachtordnung sind, gelingt es ausnahmsweise einmal, die Polizei zu benachrichtigen, diese trifft auch rechtzeitig genug ein, die Einbrecher zu stellen, die sich mit lebhaftem ,Schützenfeuer' zur Wehr setzen. Menschen sammeln sich an, die Aufregung steigt aufs höchste — da erscheint die Militärpatrouille, die dem alten Obrigkeitssystem gemäß gegen das Publikum vorgeht und energisch ,absperrt' — und zwar mit solcher Schneidigkeit, daß sie auch die alten Polizeibeamten zurückhält und den Herren Einbrechern das Fortkommen ermöglicht, so daß den armen Schutzmännern schließlich nur übrigbleibt, den total betrunkenen Führer der Husarenpatrouille zu entwaffnen und an die Kommandantur abzuliefern! Es ist eben nicht so einfach, in der Großstadt Polizei zu spielen!" 57 Nach Ansicht der Polizei bestand die größte und auffälligste Schwäche der Sicherheitspolizei darin, daß sie ohne den Rat von Experten geplant worden war. Nicht einmal Eugen Ernst, der Polizeipräsident von Berlin, war um Rat gefragt worden, ehe Einzelheiten des Planes veröffentlicht wurden. 58 Audi aus theoretischen Gründen gab es viele Einwände gegen die Sicherheitspolizei. Lindenau fand es „undenkbar", daß „junge Unteroffiziere mit Silberstickerei, Wickelgamaschen und Handgranaten" der Bevölkerung einer Großstadt zur Seite stehen sollten. Ein ArmeeLeutnant, erklärte er, verängstige den Durchschnittsbürger und könne dessen berechtigte Beschwerden gar nicht verstehen. „ . . . Von den fürchterlichen Folgen, die das Übergreifen militärischer Denk- und Handlungsweise in das Gebiet der Politik und der Staatsverwaltung heraufbeschwört, haben wir doch wirklich genug." 59 Ein anderer Verfasser, Kriminaloberwachtmeister Füth, vertrat den Standpunkt, daß eine kasernierte und militarisierte Polizei keinen Kontakt zur Bevölkerung finden und immer als Träger der Autorität und Instrument des
57
Zitiert von E. Klingelhöller, Der Verband
preußischer
Polizeibeamten
Dieselbe Meinung erschien in einer anderen Fassung in der Vossischen
. . . , S. 54.
Zeitung
(A)
vom 9. Juli 1919. 58
Ein Beritht über die Protestveranstaltung
beamten Deutschlands in Die
Polizei,
16. Jg.
des Reichsverbandes
der Polizei-
(1919), N r . 13 vom 25. September,
S. 319. 59
Schutzmannszeitung,
Der Verband
preußischer
N r . 32 vom 9. August 1919, zitiert bei E. Klingelhöller, Polizeibeamten
. . . , S. 57.
Rivalität mit dem
53
Militär
Zwanges betrachtet werden würde. 60 Dr. Kurt Volzendorf von der juristischen Fakultät der Universität Halle argumentierte, daß die Gründung der Sicherheitspolizei der historischen Entwicklung genau entgegenwirke, die sich immer mehr von einer militärischen Auffassung der Polizeifunktion entferne. Selbst zur Unterdrückung von Aufständen würden seiner Meinung nach in Zukunft Männer benötigt, die eher polizeilich als militärisch ausgebildet wären. 61 Letztlich führte die Polizei auch politische Argumente gegen die Sicherheitspolizei ins Feld. Die Polizeiverbände warnten die Regierung davor, daß der reaktionäre Ruf der Offiziere, die an der Ausarbeitung des Planes beteiligt gewesen waren, die neue Truppe im In- und Ausland kompromittieren würde. 62 Der besondere Groll der Polizei richtete sich gegen Hauptmann Waldemar Pabst von der Gardekavalleriedivision. Zweifelte er etwa an der Kompetenz der Berufspolizei? Hatten seine Leute die Schutzmannschaft bespitzelt, maßten sie sich ein Urteil über deren Leistungen an? War es nicht vielmehr so, daß Pabst und mit ihm noch eine Anzahl anderer Offiziere die bestehende Schutzmannschaft ganz einfach ablehnten, weil diese erstens am 9. November 1918 ein Blutbad erfolgreich verhindert, zweitens sich eine nicht-militärische Auffassung von der Polizeiarbeit angeeignet hatte, drittens während der jüngsten politischen Konflikte neutral geblieben war und viertens ihren Anteil an Bürgerrechten in der neuen Verfassung verlangte? 63 Die im Sommer 1919 mit großer Heftigkeit geführte Polizeikampagne gegen das Heer gipfelte in der direkten Beschuldigung des Militärs, Deutschland in die gegenwärtige Sadigasse geführt zu haben. Zugegebenermaßen hatte die Polizei in letzter Zeit aufgrund einer erzwungenen Inaktivität Schwächen gezeigt. Doch schließlich lag die Verantwortung für die innere Sicherheit des Staates seit 1914 in den Händen des Heeres und nicht der Polizei. Und aus dem Heer — weit
,0
Füth, Zur
Reform
der
Polizei,
in: Die
Polizei,
16. J g . (1919), N r . 10 vom
14. August, S. 236. 61
K u r t Wolzendorf, Die
Exekutive,
in: Die Polizei,
polizeiliche
Bedeutung
der
Neuordnung
62
A. a. O., 16. J g . (1919), N r . 13 vom 25. September, S. 319.
63
Schutzmannszeitung,
Der Verband
preußischer
Erregte
Berliner
N r . 32 vom 9. August 1919, zitiert bei E. Klingelhöller, Polizeibeamten
. . . , S. 6 5 — 6 9 . Auch die Berliner Stadtver-
ordnetenversammlung meldete starke Bedenken an. Siehe Die Zukunft Polizei.
der
16. Jg. (1919), N r . 12 vom 11. September, S. 2 8 9 — 2 9 1 .
Aussprache
in
der
Berliner
Vossische Zeitung (M), 19. September 1919.
der
Berliner
Stadtverordneten-Versammlung,
in:
54
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
entfernt von der Erfüllung dieser Aufgabe — hatten sich die Stoßtruppen der Revolution rekrutiert. 64 Die vielen Proteste der Schutzmannschaft hätten die Aufstellung der Sicherheitspolizei sicher nicht verhindern können, wenn nicht andere Ereignisse hinzugekommen wären. Ende September 1919 befanden sich bereits Sipo-Rekruten in der Westend-Kaserne in Berlin-Charlottenburg. Eine amtliche Bekanntmachung besagte, daß die ersten Einheiten am 10. Januar 1920 zum Einsatz in Berlin-Mitte und Berlin-Neukölln bereitstehen würden. 65 Die jüngeren Mitglieder der Schutzmannschaft sahen die Sinnlosigkeit des Widerstandes ein und bemühten sich um Aufnahme in die grüne Polizei.66 Die Regierung schien sich ihres Erfolges sicher zu sein. Am 28. August 1919 meinte sie zuversichtlich, daß sich die Alliierten, deren Genehmigung noch eingeholt werden mußte, den praktischen Gründen für die Errichtung eines deutschen PolizeiHeeres sicher nicht verschließen würden. 67 Die Alliierten erhoben dennoch Einspruch. Schon im Juli 1919 hatten sie auf einer Konferenz in Spa das Verbot aller paramilitärischen Organisationen in Deutschland gefordert. Am 22. Juni 1920 verlangten sie nun die Entmilitarisierung der Sicherheitspolizei innerhalb einer Frist von drei Monaten. 68 Das war das Ende der Sicherheitspolizei. Viele ihrer Mitglieder traten der Schutzmannschaft bei, die dann zu einer neuen zivilen Polizei, der Schutzpolizei, umgeformt wurde. Die Sicherheitspolizei hatte jedoch lange genug bestanden, um Zweifel an ihrem Wert als Hüterin der öffentlichen Sicherheit aufkommen zu lassen. In den sechs Monaten ihrer Existenz wurde ihre politische Loyalität nur einmal, während des Kapp-Putsches im März 1920, auf die Probe gestellt. Dabei erwies sie sich gegenüber der rechtmäßigen Regierung als ebenso unzuverlässig wie die Königliche Schutzmannschaft gegenüber der Monarchie im November 1918. Der Kapp-Putsch hatte seine Ursachen in der Unzufriedenheit des Heeres über die geplante Abrüstung, die Einführung der neuen 84
L. Danner, Ordnungspolizei Republik . . . , S. 245.
Hamburg . . . , S. 9; F. Friedensburg, Die
Weimarer
«5 Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 16 vom 6. November, S. 411. 69 Bericht über eine Versammlung des Verbandes der Groß-Berliner Schutzmannschaft, in: Vossische Zeitung (M) vom 8. Oktober 1919. 67 Zur Umgestaltung der Polizei in Berlin, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 11 vom 28. August, S. 264. 68
R. Sdiönfelder / K. Kasper / E. Bindewald, Vom Werden zei . . . , S. 293; und Das preußische Schutzpolizeibeamten-Gesetz... von E. van den Bergh und K. Fahr, S. 6—7.
der deutschen 1922...,
Polihrsg.
Rivalität
mit dem
Militär
55
Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold und verschiedene andere Reformen. Unter der Führung von Wolfgang Kapp, einem der Mitbegründer der Vaterlandspartei im Jahre 1916, wurde ein Plan ausgearbeitet, nach dem die bestehende Regierung durch eine Militärdiktatur ersetzt werden sollte. Die vorgewarnte Regierung entließ sowohl Korvettenkapitän Ehrhardt, den Führer einer Marinebrigade in Döberitz bei Berlin, als auch General von Lüttwitz, den Oberkommandierenden in Berlin. Aber nocii bevor die Entlassungen wirksam wurden, marschierte die „Brigade Ehrhardt" gegen Berlin. Als sie die Stadt in den frühen Morgenstunden des 13. März 1920 erreichte, zogen sich die Einheiten der Sicherheitspolizei, ohne Widerstand zu leisten, zurück. Noch während des Vormittages hatten sich die meisten von ihnen den Putschisten angeschlossen. Sowohl die Reichsregierung als auch die preußische Regierung, die sich auf die Verteidigungsbereitschaft des Heeres und der Berliner Polizei verlassen hatten, sahen sich überrumpelt. 69 Ministerialrat Doye, im preußischen Innenministerium für die Sipo verantwortlich, betrachtete die Sicherheitspolizei als seine ganz persönliche Schöpfung. Seit März 1920 gehörte er dem inneren Kreis der Verschwörer an.70 Aber er allein hätte wohl kaum bewirken können, daß sich die Berliner Sipo so schnell hinter Wolfgang Kapp und die Militärdiktatur stellte. Viele Sipo-Offiziere boten den Putschisten spontan ihre Unterstützung an. Von der 1. Abteilung der Sipo lief Walther Stennes, Kommandeur der 8. Hundertschaft z. b. V., sofort zu den Putschisten über. 71 In der Polizeikaserne in der Karlstraße versammelte Hauptmann von Wederstedt seine 7. Hundertschaft und eröffnete ihr, daß das Ende der Republik und ihrer Regierung gekommen sei. Indem er das Haus Hohenzollern seiner Loyalität versicherte, bezeichnete er Kapp und Lüttwitz als „hervorragende Männer" und stellte ihnen seine Hundertschaft zur Verfügung. Wer sich weigerte überzuββ
A. C. Grzesinski, Inside Germany ..., S. 100; W. Mann, Berlin zur Zeit der Weimarer Republik . . . , S. 56; Emil Julius Gumbel, Zwei Jahre Mord, 2., verm. u. verb. Aufl., Berlin 1921, S. 39—40; und S. William Halperin, Germany tried democracy, a political history of the Reich from 1918 to 1933, N e w York 1965, S. 178. 70
Doye an Goring, Brief aus Herischdorf i. Riesengebirge vom 20. Februar 1933 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center; E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . . , S. 74—75; und L. Danner, Ordnungspolizei Hamburg ..., S. 33. Ein anderer Verschwörer war der ehemalige Polizeipräsident in Berlin, Traugott von Jagow. 71 Siehe Walther Stennes handgeschriebenen Lebenslauf vom 11. Juli 1928 in den Akten des Polizeipräsidiums zu Berlin, N S 26/Vorl. 1368 (heute im Bundesarchiv in Koblenz).
56
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
laufen, konnte sich seine Papiere beim Zahlmeister abholen. Wer später desertieren würde, sollte erschossen werden. 72 Die Sicherheitspolizisten teilten nicht unbedingt die politischen Ansichten ihrer Offiziere; aber sie waren meist gediente Soldaten, die aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und Disziplin ausgewählt worden waren. Gehorsam bewachten sie die Regierungsgebäude, führten Straßenpatrouillen durch, bemannten Straßensperren im Namen der Putschisten und stürmten die Gaswerke in Steglitz, die von 500 Arbeitern besetzt gehalten wurden. Zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Brigade Ehrhardt kam es nicht. 73 Dennoch herrschte Unsicherheit bei den Mannschaften. Es war offenkundig so, daß sich die Sicherheitspolizei nicht wie die Schutzmannschaft im November 1918 einer Ubermacht beugte. Denn diesmal verfügte die Sicherheitspolizei über Feldgeschütze und Panzerwagen. Es ging audi nicht darum, ein fait accompli zu akzeptieren, das etwa von der Mehrheit des Volkes bejaht wurde. Offenbar ging die offentliche Meinung in dieser Krise weit auseinander und der Generalstreik wurde ausgerufen. So konnte es beispielsweise geschehen, daß eine SipoPatrouille im Tiergarten von Passanten bejubelt und mit Zigaretten beschenkt und später im Arbeiterviertel Prenzlauer Berg mit offener Feindseligkeit empfangen wurde. In den westlichen Randbezirken war es ruhig, dagegen kam es am Kottbusser Tor am 18. März zu Kämpfen zwischen der Polizei und Zivilisten. Der Polizeidienst war somit nicht länger unparteiische Arbeit im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern wurde zur bewaffneten Verteidigung einer kleinen politischen Gruppe von Aufrührern mißbraucht. 74 In den Reihen der Sicherheitspolizei wurden Uneinigkeit und Unsicherheit immer größer. Eine Sipo-Abteilung, die den Auftrag hatte, in einem Arbeiterviertel Anti-Kapp-Plakate zu entfernen, zögerte beim Anblick aufgebrachter Volksmassen. Als ein Offizier seinen Leuten den Schießbefehl erteilte, gaben sie lediglich Warnschüsse ab. 7 5 Die Männer einer Streife fühlten sich beleidigt, als eine Gruppe von Passanten sie 72
Interviews Kurt Fleischer, F. Gediehn. Ihre Darstellung wird auch von Danner
in seinem Bericht über die Hamburger Geschehnisse bestätigt. L. Danner, polizei Hamburg 73
Interviews Fleischer, Gediehn und Eduard Kolbe. Die Vossische
während
Ordnungs-
. . ., S. 3 5 — 3 6 .
des Kapp-Putsdies
ihr
Erscheinen
eingestellt
hatte,
Zeitung,
die
veröffentlichte
am
24. März 1920 einen eingehenden Bericht über die Ereignisse der vergangenen elf Tage. 74
A. a. O . ; und Interview Fleisdier.
75
Interview Fleisdier.
Rivalität
mit dem
Militär
57
als „Noske-Hunde" beschimpfte. Um zu beweisen, wie wenig sie von der abgesetzten Regierung hielten, nahmen sie die Spötter zur Züchtigung mit aufs Revier. 76 In der Kaserne in der Karlstraße wiederum fand man einen Panzerwagen, der mit einer Loyalitätserklärung für die Regierung Ebert versehen worden war; die Mannschaft wurde sofort festgenommen.77 Das Verhalten der Sicherheitspolizei während der kurzen Regierungszeit von Wolfgang Kapp — er floh am 17. März aus Berlin — führte zu einer Welle von Rechtfertigungsversuchen, nachdem die Ebert-Bauer-Regierung die Staatsgeschäfte wieder aufgenommen hatte. Die Sipo veröffentlichte am 31. März in ihrem offiziellen Organ einen Artikel unter dem Titel „Das Verbrechen am deutschen Volke". Kern dieser Ausführung war die Behauptung, daß die Polizei die Anordnungen der verfassungsmäßigen preußischen Regierung immer befolgt hätte. Es sei unfair zu behaupten, daß die Sipo in diesen schweren Tagen ihre Aufgaben nicht loyal erfüllt hätte. Einzelnen Führern könnte zwar der Vorwurf nicht erspart werden, den Putsch begünstigt zu haben; aber diese würden nun zur Rechenschaft gezogen werden. In der Tat gereichte es der Sipo zur Ehre, alle diejenigen Beamten wieder eingestellt zu haben, die entlassen worden waren, weil sie sich geweigert hatten, die Kapp-Regierung zu unterstützen. „Der Bevölkerung wurde klargemacht, daß die Beamtenschaft der Sicherheitspolizei nicht gewillt ist, durch die von einigen Stellen aus versuchte Beeinflussung sich verleiten zu lassen, die der verfassungsmäßigen Regierung geleistete Treue zu brechen." 78 Ministerialrat Doye hielt sich versteckt; Oberst von Schönstedt wurde als Kommandeur der Sipo durch Major Kurt von Priesdorff ersetzt. 79 Das Innenministerium überprüfte die politische Haltung der bewaffneten Polizei und befahl allen leitenden Sipo-Beamten, ihren Treueid erneut abzulegen. 80 Das war aber auch alles. Hauptmann von Wederstedt blieb im Amt (später wurde ihm sogar die Leitung der Sipo-Hundertschaft z. b. V. übertragen, die die politische Polizei unter-
Interview Gediehn. Interviews Fleischer, Gediehn. 78 Das Verbrechen am deutschen Volke, in: Die Sicherheitspolizei 1920, Zitat bei E. Klingelhöller, Der Verband preußischer S. 75—77. ™ A. a. O., S. 79—80. 80 Vossische Zeitung (M), 27. März 1920. 76
77
vom 31. März Polizeibeamten...,
58
II. Furcht und Unschlüssigkeit
1918 bis 1920
stützen sollte). 81 Albert C. Grzesinski schrieb zwanzig Jahre später über die illoyale Haltung der Armee-Offiziere im Jahre 1920: „The republic, always tolerant towards its enemies, did not find it necessary to punish these o f f i c e r s . . . In mitigation it may be said that the republican government had no loyal troops at its disposal. It had no other alternative than to avail itself of the services of its enemies." 82 Seine Bemerkungen trafen gleichermaßen auf die Sicherheitspolizei zu. Abschließend muß noch festgestellt werden, daß die Berliner Polizei ihre Kritik an der Sipo einstellte, als die Regierung unter dem Druck der Alliierten eingewilligt hatte, diese durch eine zivile Schutzpolizei zu ersetzen. Als sich herausstellte, daß die Polizeitruppen der Sipo mit ihr zusammen die erweiterte Schutzpolizei bilden würden, beeilte sich die alte Garde, ihre ehemaligen Rivalen zu verteidigen. Die Polizeiverbände rechtfertigten das Verhalten der Sipo während des KappPutsches mit folgenden Worten: „Die zuverlässigen Teile der Sicherheitspolizei, und das waren in der Hauptsache die unteren Beamten, lehnten sich gegen den politischen Mißbrauch der Polizei ganz entschieden auf. Nach der Beseitigung der Gefahren der Gegenrevolution bemühten sie sich um eine politische Säuberung der Polizei und bewiesen eine mannhafte Ehrlichkeit gegenüber der Republik. Sie für eine gewisse Zeit zu täuschen, war nur dadurch möglich gewesen, daß die Polizei durch die Kasernierung vom Volk vollständig abgeschlossen war." 8 3 Auch hohe und höchste Beamte bemühten sich, den Ruf der Sipo zu verteidigen. 84 Deren offizielle Auflösung am 4. Oktober 1920 wurde von Lobreden über ihre „großen Verdienste an Staat und Volk" begleitet. 85 In einer illustrierten Polizeiveröffentlichung Ende der zwanziger Jahre stand folgender Text unter einer Abbildung von Straßenkämpfen in Berlin: „Aufruhrl Mögen die Zeiten vorüber sein, in denen der Schrei die deutsche Welt durchhallte! . . . Ehrfürchtig stehen wir vor
81
Walther Stennes' spätere Rolle in der Polizei und der N S D A P wird auf den
Seiten 9 8 — 1 0 1 beschrieben. 82
A. C. Grzesinski, Inside Germany
83
Ε. Klingelhöller, Der Verband
84
Siehe Revanchekrieg
Severing,
in: Vossische Zeitung
Vizepräsident 85
und
der Berliner
Die Auflösung
. . S .
88—89.
preußischer
Polizeibeamten
Sicherheitspolizei.
Eine
. . . , S. 75.
Unterredung
mit
(M), 3. Juli 1920, oder später B. Weiß, Der
Polizei.
. ., in: Berliner
der Sicherheitspolizei
und
Minister frühere
Forum 6 (1950), S. 8. Umbildung
der Polizei
in: Die Polizei, 17. J g . (1920), N r . 16 vom 28. Oktober, S. 334.
in
Preußen,
Rivalität
mit dem Militär
59
den Gräbern jener Braven der damaligen Sicherheitspolizei, der ,Sipo', die mit dem Tode zahlten, damit Deutschland lebe!"8®
88
Volk und Schupo, Köln, ca. 1929, S. 9—10. Siehe auch die Verteidigung der Sipo in Das preußische Schutzpolizeibeamten-Gesetz ... 1922 ..., hrsg. von E. van den Bergh und K. Fahr, S. 6.
DRITTES
KAPITEL
Die Berliner Schutzpolizei 1 9 2 0 bis 1 9 3 2 Organisation, Ausbildung,
Ausrüstung
In den zwanziger Jahren war die Schutzpolizei mit ihrer Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Berlin ganz auf sich gestellt. Mit der Unterstützung der Reichswehr konnte sie nur in Ausnahmefällen rechnen; die Hilfe von paramilitärischen Organisationen, die bestrebt waren, die Funktionen der Bürgerwehren des 19. J a h r hunderts zu übernehmen, lehnte sie ab. 1 Angesichts dieser L a g e konzentrierte sich die Polizeiführung hauptsächlich auf Fragen der technischen Leistungsfähigkeit. 1 9 2 0 begann sie mit dem Aufbau einer Sicherheitstruppe, die sich aus dem Kern der Schutzmannschaft und den Resten der Sicherheitspolizei zusammensetzte. Diese Polizeitruppe mußte sowohl den Vorstellungen der Alliierten von einer
nicht-militärischen
Polizei entsprechen, als audi in der Lage sein, organisierte Aufstände erfolgreich zu bekämpfen. U m dieses Ziel zu erreichen, w a r es notwendig, in kürzester Zeit eine Anzahl administrativer, juristischer und finanzieller
Fragen zu klären und neue Richtlinien für Gehälter, Be-
förderungen und die Pensionierung auszuarbeiten. Außerdem brauchte man neue Ausbildungsstätten und eine moderne Ausrüstung. Auch das Polizeirecht mußte revidiert werden. Angesichts dieser Fülle von P r o blemen w a r es nicht verwunderlich, daß die Wirkung, die diese neuen Bestimmungen auf das politische K l i m a innerhalb der uniformierten Mannschaft haben würden, nicht einkalkuliert w a r . Die technischen Probleme wurden z w a r in den Jahren zwischen 1 9 2 0 und 1 9 2 3 gelöst, die ideologischen Folgen dieser Lösungen fanden jedoch kaum
Be-
achtung.
1 Karl Schröder, Straßenund Häuserkampf, Sonderdruck aus: Die Polizei, 24. Jg. (1927), Nr. 22 vom November, S. 550; und C. Severing, Mein Lebensweg ..., Bd. 2, S. 121.
Organisation,
Ausbildung,
61
Ausrüstung
Die Personalstärke der Schutzpolizei betrug in den zwanziger Jahren etwa 14 000 bis 16 000 Mann, einschließlich der mehr als.500 Offiziere. 2 Das Kommando der Schutzpolizei mit Sitz in Berlin-Mitte, Oberwallstraße 56, wurde von einem Kommandeur im Range eines Generals der Polizei geleitet.3 Sein ständiger Vertreter war ein PolizeiMajor, der auch die Routinearbeiten der internen Verwaltung zu erledigen hatte. Groß-Berlin wurde in sechs Polizeigruppen aufgeteilt — West, Mitte, Süd, Nord, Ost und Südost —, deren Kommandeure alle vierzehn Tage mit dem Kommandeur der Schutzpolizei zu Lagebesprechungen zusammentraten. 4 Die Koordinierung des täglichen Dienstes der Exekutivorgane, das heißt der Bereitschaften und der Revierpolizei, lag in den Händen der Polizei-Inspektionen, die den Polizeigruppen untergeordnet waren. Die 21 Polizei-Inspektionen, deren Bereich sich ganz nach dem Bedarf an Polizeischutz in den einzelnen Bezirken richtete, unterstanden entweder einem Polizei-Major oder einem Polizei-Oberstleutnant. Die PolizeiInspektion 4 („Friedrichshain") war beispielsweise für die Bezirke Friedrichshain, Lichtenberg und Weißensee zuständig, während in dem kleineren, aber turbulenten Bezirk Mitte gleich zwei Polizei-Inspektionen — P. I. 1 („Linden") und P. I. 21 („Alexander") — eingerichtet werden mußten. 5 Die Inspektionen waren in Polizeireviere unterteilt. 1925 gab es in Berlin 161 Polizeireviere, 1933 waren es 166. Jedes Revier hatte seinen Revierposten mit einem Polizeihauptmann als Reviervorsteher und einem Polizeiobermeister als dessen Vertreter. Die einzelnen Reviervorsteher der Inspektionen kamen zweimal wöchentlich zusammen, um die Lage in ihren Bezirken zu besprechen und gemeinsame Sicherheitsmaßnahmen zu planen. Da die Polizeireviere außerdem einen Teil der öffentlichen Verwaltungsaufgaben erledigten und Kriminalbeamte unterer Dienstgrade in ihren Räumen untergebracht waren, konnte man sie als die Augen und Ohren der Polizei in Berlin bezeichnen.6 2
P . Riege, Kleine
3
D e r einzige andere K o m m a n d e u r der preußischen Polizei w a r der Leiter
Polizei-Geschichte
. . . , S. 3 5 — 3 6 .
Sicherheitspolizei in Essen, der für die Sicherheit des umliegenden verantwortlich w a r . Siehe Vossische
Zeitung
der
Industriegebietes
( A ) , 9. J a n u a r 1 9 3 3 .
Siehe K a r t e n a m E n d e des Buches. Die 7. Polizei-Gruppe w a r die Berittene P o l i -
4
zei in der Friesenstraße. 5
P.
Riege,
Preußischen
Kleine
Staat
für
Polizei-Geschichte das
Jahr
192},
1 3 1 . J g . ( 1 9 2 5 ) , Berlin, S. 140. « Volk
und Schupo
. . . , S. 2 7 — 2 9 .
..., hrsg.
S. 3 5 — 3 6 ; vom
auch
Handbuch
Preußischen
über
den
Staatsministerium,
62
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Die Beamten im Streifendienst gehörten zum Außendienst der Reviere und waren entweder Wachtmeister oder Hauptwachtmeister mit mindestens fünf bis sieben Dienst- und Ausbildungsjahren. Obwohl sie inzwischen in den Einzeldienst aufgestiegen waren, konnten sie im Notfall jederzeit zu geschlossenen Einsätzen in den Bereitschaften herangezogen werden. 7 Jeder Polizeibeamte mußte eine militärische Ausbildung absolvieren. Seit 1923 verbrachte jeder Berliner Polizeianwärter sein erstes Dienstjahr in der neueröffneten Polizeischule in Brandenburg an der Havel. Neben der Unterweisung in theoretischen Fächern erhielten die Anwärter hier einen intensiven Unterricht im Waffengebrauch. Während der folgenden vier bis sechs Jahre dienten sie als Beamte zur Anstellung bei einer Bereitschaft, wo sie der Disziplin des Kasernenlebens unterworfen waren und in den verschiedenen polizeilichen Kampfmethoden weiter ausgebildet wurden. Erst nach einem zweiten viermonatigen Lehrgang an der Polizeischule konnte ein Anwärter in den Revierdienst übernommen werden. Vorher durfte er audi nicht heiraten; denn er sollte „ . . . dem Staate und dem Volke möglidhst unabhängig und ohne Sorgen um den eigenen Haushalt zur Verfügung stehen". 8 In den 21 Berliner Polizei-Inspektionen gab es 42 Bereitschaften.9 Sie unterhielten ihre eigenen Unterkünfte — meist in alten Kasernen — und eigene Bezirkswachen. Jede Bereitschaft bestand aus 120 Mann, aufgeteilt in drei Züge, die sich im Dienst abwechselten. Die Züge verbrachten ein Drittel ihrer Dienstzeit auf Wache und ein Drittel in Bereitschaft; das letzte Drittel war dienstfrei. Während des Bereitsdiaftsdienstes mußten sie innerhalb von drei Minuten mit ihren Transportfahrzeugen zum Einsatz bereit sein; außerdem wurden während dieser Zeit Drillübungen durchgeführt. Da der Bereitschaftsdienst die jungen Schupos auf die Revierarbeit vorbereiten sollte, schickten die Bereitschaften ihre Leute im Bedarfsfall als Vertretung oder Verstärkung zu den Revieren. Die Anwärter halfen bei der Regelung des Verkehrs, bewachten wichtige Gebäude 7 Vorschriften für die staatliche Polizei Preußens (V. f. d. P.), Nr. 7, 2: Vorschrift für die Waffenausbildung der Schutzpolizei, T. 2, Berlin 1932, § I, Absatz 2; und Vorschriften für die staatliche Polizei Preußens (V. f. d. P.), Nr. 5 b: Die Körperschulung beim Vollzugsdienst, 2. Aufl., Berlin 1931, S. 10; auch K. Schröder, Straßenund Häuserkampf, Sonderdruck aus: Die Polizei, 24. Jg. (1927), Nr. 22 vom November, S. 550. 8 Volk und Schupo . . . , S. 29. • P. Riege, Kleine Polizei-Geschichte . . . , S. 36. Diese Angabe bezieht sich auf 1926.
Organisation,
Ausbildung,
Ausrüstung
63
und wurden in Überfallkommandos eingesetzt, die 1921 in Berlin eingeführt worden waren. Dodi ihre Hauptaufgabe bestand darin, jederzeit für den polizeilichen Notstand bereit zu sein.10 Die gute körperliche Verfassung der Berliner Schutzpolizei nach dem Ersten Weltkrieg war sicher zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß alle Beamten ihre Ausbildung in den Bereitschaften beginnen mußten. Die Männer, die dann in den Polizeidienst traten, waren nicht wie unter der Monarchie ausgediente Berufssoldaten (sogenannte Kapitulanten), sondern junge Leute zwischen 20 und 22 Jahren. Sie wurden aufgrund einer sehr strengen Diensttauglichkeitsuntersuchung ausgewählt 11 — 1931 wurden 40 von 60 Bewerbern in der Polizeischule Brandenburg aus gesundheitlichen Gründen abgewiesen12 — und mußten größtenteils mit etwa 32 Jahren aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Viel Wert legte man auf die gerade aufkommende Polizei-Sportbewegung. 1920 wurde in Berlin-Spandau eine besondere Polizeischule für Leibesübungen gegründet, in der Sportlehrer für das uniformierte Polizeikorps ihre Ausbildung erhielten. 13 Das Innenministerium subventionierte die Veranstaltungen örtlicher Polizei-Sportverbände. 14 Die Regierung hoffte offenbar, die Popularität ihrer Schutzpolizei durch das sportliche Erscheinungsbild ihrer uniformierten Beamten und durch öffentliche Polizei-Sportveranstaltungen zu fördern. 15 Uberhaupt war das allgemeine Interesse am Sport in den zwanziger Jahren sehr gewachsen. So gab es junge Männer, die sich hauptsächlich deshalb um Aufnahme in den Polizeidienst bewarben, weil sie sportbegeistert waren. 16 Außerdem mag die Regierung gehofft haben, daß sich die Polizei-Sportvereine auch günstig auf die außerdienstlichen Beziehun-
Die Uberfallkommandos, in: Vossische Zeitung (M), 4. September 1921; und Der Fernruf nach Hilfe, in: Vossische Zeitung (A), 2. November 1921. 11 F. Friedensburg, Die Weimarer Republik . . . , S. 246. 12 Von den verbleibenden zwanzig Kandidaten schieden weitere zwölf bei der Eignungsprüfung aus. Willi Lemke, „Memoiren", unveröffentlichtes Manuskript, vom Verfasser freundlicherweise zur Verfügung gestellt. 13 Siehe ί Jahre Preußische Polizeischule für Leibesübungen, in: Die Polizei, 22. Jg. (1925), Nr. 9 vom 5. August, S. 269—270. 14 A.a.O., 18. Jg. (1921), Nr. 3 vom 5. Mai, S. 66; und Volk und Schupo..., S. 51. 15 H. Degenhardt / M. Hagemann, Polizei und Kind..., S. 34. 19 Interviews Trott, Fleischer, Krause und Lemke. 10
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III.
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
gen zwischen den Beamten verschiedener Dienstgrade auswirken würden. 17 Natürlich war die Polizei-Sportbewegung auch von militärischer Bedeutung. Ob dies jedoch in der Absicht der damaligen Polizeiführung gelegen hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. 18 Fest steht, daß körperliche Ertüchtigung und militärische Ausbildung Hand in Hand gingen. Auf der Polizeischule in Brandenburg wurden die Polizeianwärter ermuntert, sich an den Wettkämpfen für das Deutsche Turn- und Sportabzeichen zu beteiligen: „Laut Runderlaß des Innenministers von Preußen mußte für die Trageberechtigung (des Turn- und Sportabzeichens) an der Uniform in jedem Jahr eine Zusatzprüfung gemacht werden, die in Uniform durchgeführt werden mußte. Sie bestand aus einen 3500-m-Lauf . . . Weitsprung und Handgranatenwurf." 1 9 Die Ausbildung in Brandenburg glich in vieler Hinsicht derjenigen in der Armee. Ein Reporter meinte 1928, daß sie genauso hart sei wie im preußischen Heer vor dem Kriege. 20 Willi Lemke, der 1932 in die Polizeischule eintrat, beschrieb seine Ankunft dort folgendermaßen: „Den Ton, in dem man in Zukunft mit uns zu verkehren beabsichtigte, lernten wir gleich in der ersten Stunde unseres Dortseins kennen. Noch in Zivil wurde auf Pfeifzeichen das Raus- und Antreten geübt. Da das alles noch nicht nach dem Geschmack der Ausbilder war, wiederholte sich dieses Spiel dutzendemale . . . Bei all dieser Hast, mit dem nötigen Geschrei der Ausbilder untermalt, kamen wir einfach nicht zum Denken, denn immer war es wieder etwas anderes, was neu auf uns zukam.
17 Am Stammtisch, in: Die Polizei, 22. Jg. (1925), Nr. 3 vom 5. Mai, S. 90. Die Nationalsozialisten standen auf dem Standpunkt, daß die Kameradschaftlichkeit innerhalb der republikanischen Polizeisportbewegung, die den individuellen Wettkampf und die Kontakte mit pazifistischen Arbeitersportvereinen förderte, fehl am Platze war. Die Kommunisten behaupteten jedoch, daß Polizeisport, besonders aber der amerikanische football, der von der Bereitschaftspolizei gespielt wurde, dazu diente, die Beamten zu verrohen. Siehe Roland Schönfelder (Hrsg.), Ii Jahre deutsche Polizei-Sportbewegung, Berlin 1936, S. 37; und W. Duddins, Wir und die Schutzpolizei. Freund oder Feindf (1929). [Eine kommunistische Vervielfältigung im Bundesarchiv, R 58/686/1.] 1 8 R. Schönfelder, 15 fahre deutsche Polizei-Sportbewegung..., S. 19. Siehe auch Rumpelstilzchen [d.i. Adolf Stein], Was sich Berlin erzählt, Berlin 1922, S. 257 bis 258, über die Bedeutung des Sportes für Deutschlands Wehrfähigkeit. 1 9 Lemke, „Memoiren". 20 U. Salingre, Reform des Polizeischulwesens, in: Vossische Zeitung (M), 5. Juni 1928.
Organisation,
Ausbildung,
Ausrüstung
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Es lag meines Erachtens ein System darin, man wollte uns gleich von Anfang an ,das Kreuz brechen'." 21 Das offizielle Handbuch der preußischen Schutzpolizei forderte ausdrücklich die praktische Ausbildung der uniformierten Polizei im Waffengebrauch; denn „theoretische Kenntnisse genügen nicht, um den seelischen Einflüssen, insbesondere des Straßenkampfes, Herr zu werden". 22 Im Einklang damit veröffentlichte Die Polizei in den zwanziger Jahren eine ganze Anzahl von Artikeln über die verschiedenen Methoden der Polizei bei Straßenkämpfen, dem Stürmen von Barrikaden und bei der Niederschlagung von Aufständen. Die Schutzpolizei war normalerweise mit Gummiknüppeln und einer 9 mm Armee-Pistole 0/8 oder einer 7,65 mm Parabellum-Pistole ausgerüstet.23 Schlagstöcke waren seit der Revolution von 1848 in Gebrauch. Damals hatte die Bürgerwehr den „Friedensstab" eingeführt, der ihrer Meinung nach ein demokratischeres Instrument darstellte, als Säbel und Schußwaffen. Die Polizei der Weimarer Republik nach 1918 fand jedoch, daß Gummiknüppel genauso provozierend auf die Bevölkerung wirkten wie Pistolen und genauso gefährlich waren, da sie schwere innere Verletzungen hervorrufen konnten. Sie hatten außerdem den Nachteil, daß man sie nur im Nahkampf verwenden konnte. Bei Zusammenrottungen erwiesen sich Gummiknüppel zudem als gefährlich; denn falls die Menge mit ihnen nicht zu zerstreuen war, konnten die Polizisten nicht mehr zur Schußwaffe greifen, ohne sich gegenseitig zu gefährden. 24 Wirkungsvoller als Gummiknüppel und sicherer für alle Beteiligten sollten die Wasserwerfer sein, die 1930 eingeführt wurden. 25 Bei Notfällen standen der Polizei Karabiner, Maschinenpistolen, Panzerwagen mit schweren Maschinengewehren und Handgranaten zur Verfügung. Nach den Bestimmungen der Alliierten von 1920 durfte die deutsche Polizei jeden uniformierten Polizisten mit einem Bajonett, 21
Lemke, „Memoiren". Vorschrift für die Waffenausbildung . . . , § 1, Absatz 3. 23 Gustav Schmitt, Waffentechnisches Unterrichtsbuch für den Polizeibeamten, 4. Aufl., Berlin 1925, S. 106. Siehe auch Walter Harold Black Smith, Small arms of the world ..., 5th ed., rev. and enl., Harrisburg, Pa. 1957, S. 450 if. 24 G. Schmitt, Waffentechnisches Unterrichtsbuch . . . , S. 18—19. Eine kommunistische Taktik bestand darin, die Kampffähigkeit der Polizei durch gezielte Menschenaufläufe zu neutralisieren. Ratcliffe (Hrsg.), Denkschrift über Kampfvorbereitung und Kampfgrundsätze radikaler Organisationen (1931). [Vervielfältigung im Bundesardiiv Koblenz.] 25 Die Polizei, 17. Jg. (1930), Nr. 12 vom 20. Juni, S. 295. 22
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III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
einer Pistole und einer Handgranate ausrüsten. Auf jeden dritten Polizisten kam ein Gewehr oder ein Karabiner, auf jeden zwanzigsten eine Maschinenpistole und auf jeden tausendsten ein Panzerwagen mit zwei schweren Maschinengewehren.26 Die schweren Waffen der Schutzpolizei befanden sich größtenteils bei den Bereitschaften, um bei geschlossenen Einsätzen verwendet zu werden. Die schwerste Waffe, über die die Polizei verfügte, war der „Sonderwagen", ein Panzerwagen, dessen bedrohliches Aussehen die aufrührerischen Elemente in den Straßen Berlins in die Flucht schlagen sollte, noch ehe es zu Kämpfen kam. Dieser Wagen hatte jedoch als Kampfinstrument viele Nachteile. Obwohl 1924 speziell für den Polizeigebrauch in der Stadt konstruiert, konnte man beispielsweise Heckenschützen, die sich auf Dächern versteckt hielten, mit den Maschinengewehren nur treffen, wenn sie weiter als 100 m entfernt waren. Nicht einmal einfache Hindernisse konnte der Sonderwagen überwinden; schon eine hölzerne Barrikade brachte ihn zum Stillstand. Außerdem dauerte es viel zu lange, den Wagen kampfbereit zu machen. Laut Vorschrift mußten Waffen und Munition nach jedem Gebrauch abmontiert und der Wagen aufgebockt werden, um Reifep und Federung zu schonen. Hinzu kam, daß die Handhabung des Fahrzeuges sehr schwierig war und es zu wenig geschulte Fahrer gab. 27 Moderne Nachrichten- und Verkehrsmittel bildeten den Ausgleich für die Mängel der Waffenausrüstung. Polizeilastwagen gaben der Bereitschaftspolizei ihre vielgerühmte Beweglichkeit. 28 Ende der zwanziger Jahre wurde der Fernschreiber eingeführt, der die veralteten Morseapparate ersetzte. 29 1929 hatte die Berliner Schutzpolizei neun Funkanlagen, um Nachrichten zwischen den sechs Polizeigruppen und den abgelegenen Polizei-Inspektionen zu übermitteln. Im gleichen Jahr wurde der Einsatz von Flugzeugen — 1921 von den Alliierten verboten 30 — zur Bekämpfung des Kommunistenaufstandes vom Mai gestattet. Wie schon zuvor, wenn die Polizei internationale Einwände gegen eine Polizeifliegerformation umgehen wollte, mietete sie für den R. Sdiönfelder, Vom Werden der deutschen Polizei. . . , S. 293. Gustav Schmitt, Der Einsatz der Schutzpolizei im Aufruhrgebiet, 3. Aufl., Berlin 1929, S. 99; ders., Straßenpanzerwagen. Die Sonderwagen der Schutzpolizei, Berlin 1925, passim; und Interview Otto Krause. 26
27
Volk und Schupo ..., S. 34. Polizeioberstleutnant Voit, Einsatz der Nachrichtenmittel der Berliner Polizei am 1. Mai 1929, in: Die Polizei, 26. Jg. (1929), Nr. 11 vom 5. Juni, S. 257—258. 30 Uber die Luftpolizei siehe The German police system .. ., pt. 1, S. 31—32. Über deren Verbot durdi die Alliierten, siehe Vossische Zeitung (A), 3. Januar 1921. 28
29
Organisation,
Ausbildung,
Ausrüstung
67
jeweiligen Einsatz ein Privatflugzeug. 31 Es diente als Aufklärungsflugzeug und unterhielt direkten Funkkontakt zum Schupo-Kommando. 1932 überflogen zwei Flugzeuge der Berliner „Luwa" (Luftpolizeiwache) eine Versammlung der N S D A P in Frankfurt/Oder. Die Nationalsozialisten behaupteten sogar, daß es Polizeipiloten gäbe, die für künftige Bombenflüge gegen die SA ausgebildet würden. 32 Die nationalsozialistische Regierung nach 1933 fand den — wie sie es nannte — Selbsttäuschungsversuch der Republik, den Mythos einer „zivilen" Schutzpolizei aufrechtzuerhalten, einfach lächerlich. Die Tatsache, daß Preußen über einen militärischen Polizeiapparat verfügte, konnte nicht dadurch vertuscht werden, daß man Kompanien als „Hundertschaften", Bataillone als „Polizei-Abteilungen", Regimenter als „Ausbildungsabteilungen" und Panzerwagen als „Sonderwagen" bezeichnete.33 Die nationalsozialistische Regierung machte die Schutzpolizei daher zu einem Zweig ihrer regulären Armee, mit grünen Uniformen, Stahlhelmen und Infanteriewaffen anstatt der blauen Uniformen, Leder-Tschakos und Gummiknüppel. Natürlich konnte man von den Nationalsozialisten nicht erwarten, daß sie für die Bemühungen der Republik, ihre Polizeibeamten mit den Prinzipien der Demokratie vertraut zu machen — nötigenfalls durch Dienstbezeichnungen und -Vorschriften —, Verständnis aufbringen würden.
Soziale Herkunft,
Besoldung, Polizeiverbände,
Disziplin
Die Sicherheit Berlins hing von einer gut organisierten und schlagkräftigen Straßenpolizei ab. Schon deshalb war es für die Regierung von größter Wichtigkeit, sich im Falle ernsthafter innenpolitischer Unruhen unbedingt auf die Loyalität ihrer Schutzpolizei verlassen zu können. Ein gewisses Maß an politischer Schulung war offenbar notwendig. Interview Eridi Jahn, der Mitte der zwanziger Jahre in die Luftpolizeiwache eintrat. 32 Anonymer, schreibmaschinengeschriebener Bericht aus dem Jahre 1933, in dem Oberregierungsrat Paetsch, der Direktor des Polizei-Institutes für Technologie und Verkehr in Berlin, antinazistischer Betätigung beschuldigt wird. (In den ORPO-Akten des Berlin Document Center.) Eine Untersuchung der Polizei im Jahre 1931 hatte andererseits ergeben, daß die Nationalsozialisten beabsichtigten, bei zukünftigen Aktionen Flugzeuge einzusetzen. Ratcliffe (Hrsg.), Denkschrift über Kampfvorbereitung . . . , S. 65. 33 Die preußische Landespolizei, 1933—1935. Ein Rückblick anläßlich ihrer Überführung in das Heer am 1. August 1935. [Vervielfältigung in der Sammlung „Polizei — Verschiedenes" im Berlin Document Center.] 31
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III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Es war jedoch schwierig, für diejenigen, die während der Weimarer Republik in die Polizei eingetreten waren, ein passendes Programm auszuarbeiten. Wie wir gesehen haben, stellte die Schutzpolizei in punkto Tauglichkeit für den Polizeidienst sehr hohe Ansprüche an ihre Polizeianwärter. Die Mehrzahl der Berliner Polizisten stammte in den zwanziger Jahren bemerkenswerterweise aus den ländlichen Bezirken Preußens, wenn audi die Ursachen dafür von unterschiedlicher Art gewesen sein werden. Trotzdem war die soziale Struktur der Nachkriegspolizei vielschichtiger als die ihrer Vorgänger. Die allgemeine Verarmung nach dem Kriege veranlaßte viele ehemalige Studenten, kaufmännische Angestellte und Leute aus freien Berufen, die Polizeilaufbahn einzuschlagen, obwohl die Gehaltsskala, das Beförderungssystem und die Art der Ausbildung schwer mit der sozialen Herkunft und dem Bildungsgrad der Polizeianwärter in Einklang zu bringen waren. 34 Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, daß die Schutzpolizei einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Gesellschaft darstellte oder sich zu einer Art „Volkspolizei" entwickelte. Die Anzahl der städtischen Polizeianwärter blieb immer niedrig. Eine gezielte Personalpolitik mit der Absicht einer Veränderung der sozialen Struktur der Polizei gab es nicht. In den ersten zwei Jahren nach der Gründung der Republik kam der Gedanke auf, organisierte Arbeiter aus der Arbeiterbewegung anzuwerben, um das sozialdemokratische Element in der Polizei zu stärken. 1920 setzten sich sowohl Polizeipräsident Richter als audi der preußische Innenminister Severing dafür ein, mehr Gewerkschaftler in die Schützpolizei aufzunehmen. Aber es war nicht so einfach, fähige Arbeiter für diese Idee zu begeistern.35 Die Berliner Arbeiter waren nicht geneigt, ihre Werkzeuge mit Waffen oder ihre klassenbewußte Politik mit dem Eintritt in den öffentlichen Dienst zu vertauschen. Außerdem konnte es eine große Zahl von ihnen möglicherweise auch gesundheitlich kaum mit der Aus-
34
Das preußische Schutzpolizeibeamten-Gesetz ... 1922 ..., hrsg. von E. van den Bergh und K. Fahr, S. 8; und Albert Horst, Der Dienstvorgesetzte als Lehrer. Methodische Grundsätze für die Erteilung des Unterrichts in Polizei- und Landjägereischulen, bei Polizeiverwaltungen und anderen Behörden ( = Handbücherei des Dienstvorgesetzten 1), Berlin 1927, S. 22. 35 Vossische Zeitung (M), 26. März 1920; und Revanchekrieg und Sicherheitspolizei..., in: Vossische Zeitung (M), 3. Juli 1920. Audi A. Bredit, Aus nächster Nähe . . . , S. 233, 236—237.
Soziale Herkunft,
Besoldung, Polizeiverbände,
Disziplin
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lese der Landjugend aus Schlesien oder Ostpreußen aufnehmen. 36 Unter den 21 ehemaligen Wachtmeistern, die für diese Untersuchung interviewt wurden, waren drei Berliner. Von keinem der drei konnte man behaupten, daß sie die Arbeiterbewegung in Berlin repräsentierten: Erich Jahns Vater war Hausmeister an einer Schule gewesen und hatte seine Kinder mit der Strenge eines kleinen Beamten erzogen; Bruno Schirmers Vater hatte beim 10. Ulanenregiment in Berlin gedient und Otto Krause — von Beruf Metallarbeiter — war der Sohn eines Bauern aus dem Oberbarnim. Seine Beschäftigung in der Berliner Industrie, bei Siemens & Schuckert, hatte nur vier Monate gedauert. 37 Viel typischer für die Herkunft des Durchschnittspolizisten der Weimarer Republik sind die Lebensgeschichten von Kurt Fleischer, F. Gediehn und Hermann Artner. Alle drei wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts geboren und waren vor dem Kriege Lehrlinge in den traditionellen Berufen ihrer Heimatdörfer. Gediehn und Artner bei Stellmachern, der eine in der Nähe von Königsberg, der andere bei Frankfurt/Oder, und Fleischer bei einem Zimmermann in Thüringen. Ihre Kriegserlebnisse zwischen 1914 und 1918 hatten sie völlig entwurzelt. Nach dem Waffenstillstand wollte keiner von ihnen sein früheres Leben wieder aufnehmen; sie wußten, daß hartgesottene Soldaten schlechte Lehrlinge abgeben würden. Fleischer und Gediehn versuchten ihr Glück bei den Freikorps und Artner ging zum Grenzschutz. Soldatsein war das einzige, was sie gelernt hatten. Aber während sie die politischen Probleme nach dem Kriege kaum berührten, machten sie sich doch Gedanken über ihre Zukunft nach der Normalisierung der politischen Lage in Deutschland. Eine militärische Karriere sagte ihnen 36 Interviews Jachode, Tietze, Miczek. In der Zeit vom 1. Oktober 1928 bis zum 30. September 1929 kamen 32,97 °/o der Bewerbungen bei der preußischen Polizei aus Dörfern, 13,43 °/o aus Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern. Damit waren Bewerber aus Landgemeinden und Gutsbezirken gegenüber ihrem Anteil von 44,2 °/o der männlichen Bevölkerung auf dem Lande an der männlichen Gesamtbevölkerung Preußens deutlich unterrepräsentiert. Gemeinden ( = Städte) mit weniger als 10 000 Einwohnern hatten dagegen nur einen Anteil von 8,2 °/o der männlichen Bevölkerung an der männlichen Gesamtbevölkerung Preußens aufzuweisen, während die Städte mit über 10 000 Einwohnern mit 47,6 °/o der männlidien Bevölkerung an der männlichen Gesamtbevölkerung Preußens vertreten waren, aber rund 53,6 °/o der Polizeianwärter stellten. Siehe Statistisches Jahrbuch für den Freistaat Preußen, hrsg. vom Preußischen Statistischen Landesamt, Bd. 26, Berlin 1930, S. 14—15. Nur 6,51 °/o der Bewerber waren Industriearbeiter; 77,31 °/o hatten Volksschulabschluß. Volk und Schupo . . . , S. 41.
®7 Interviews Jahn, Schirmer, Krause. Auch Otto Krauses 1940 Lebenslauf in den Personalakten im Berlin Document Center.
gesdiriebener
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III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
wenig zu; denn „Berufssoldaten haben nach einem verlorenen Krieg wenig Aussichten". Der Dienst bei der Schutzpolizei erschien diesen ehrgeizigen jungen Männern als die beste Lösung. Die Polizei brauchte erfahrene Soldaten, versprach ihnen ein festes Arbeitsverhältnis und die Annehmlichkeiten des Stadtlebens. „Wenn man aus einer Kleinstadt kommt, fasziniert einen eine Stadt wie Berlin", begründete Fleischer seinen Entschluß, zur Polizei zu gehen. Und für Artner war die Berliner Schupo einmal etwas anderes als die Landwirtschaft; „das kannte ich noch nicht". Die Polizisten, die nach 1925 der Schutzpolizei beitraten, waren nicht wie diese drei Männer ehemalige Soldaten, sondern mußten erst auf dem Exerzierplatz der Polizeischule und in den Bereitschaften im Waffengebrauch unterwiesen werden. Aber die meisten von ihnen kamen nach wie vor aus den ländlichen Gegenden Preußens. 38 Politisch waren sie genausowenig engagiert wie die Polizeianwärter von 1920; aber in Deutschland gab es Tausende von arbeitslosen jungen Männern, für die der Polizeidienst die einzige Möglichkeit war, Geld zu verdienen, um nicht auf Erwerbslosenunterstützung angewiesen zu sein.39 „Es war ein Zeichen der Aufrichtigkeit und Strebsamkeit eines jungen Mannes, wenn er die Strenge des Polizeidienstes dem Nichtstun vorzog", erzählte Max Jachode, der während der Inflation zur Polizei gekommen war. Diese Meinung teilte auch Willi Lemke, der 1931, mitten in der Weltwirtschaftskrise, Polizist wurde. „Jeder vernünftig denkende Mensch, der über etwas Selbstachtung verfügte, versuchte damals, bei der Polizei oder bei der Reichswehr unterzukommen", sagte er. Lemkes Ehrgeiz bestand darin, sich vom Landarbeiter zum Beamten im öffentlichen Dienst hochzuarbeiten und dadurch im gesellschaftlichen Ansehen zu steigen. Eine Lehrerausbildung war zu teuer, 38 Anfang 1926 wurden 750 Bereitsdiaftspolizisten aus den ländlichen Bezirken Ostpreußens in die Reidishauptstadt versetzt. Man ließ ihnen eine Woche Zeit, um sich in Berlin zu akklimatisieren. Interview Sendzik; und Berliner Schupo für das Rheinland. Ostpreußischer Ersatz für die Reichshauptstadt, in: Vossische Zeitung (M), 1. Januar 1926. Sechs Jahre später glaubten die Kommunisten, daß aufgrund der Weltwirtschaftskrise junge Arbeiter bereit sein könnten, zur Polizei zu gehen, ohne ihre sozialistische Gesinnung zu ändern. Es gibt jedoch keine Beweise, daß sich solche Hoffnungen erfüllt haben. Richtlinien für Aufbau und Tätigkeit des Spezialressorts zur Arbeit unter den bewaffneten Kräften (Am-Apparat), hrsg. vom Zentralkommittee der KPD. Information, Nr. 2, Februar 1932. [Vervielfältigung im Bundesarchiv Koblenz, R 58/513.] 39
1929 gab es 43 500 Bewerber für den preußischen Polizeidienst. ΙΟ1/? °/o wurden angenommen; siehe Polizeiarbeit in Zahlen. Der neue Wegweiser, in: Vossische Zeitung (M), 23. Januar 1930.
Soziale Herkunft,
Besoldung,
Polizeiverbände,
Disziplin
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und in der Armee war es erst nach zwölf Dienstjahren möglich, in den öffentlichen Dienst übernommen zu werden. So blieb also nur die Polizei übrig. Obwohl Polizisten nicht gut bezahlt wurden und bei der Landbevölkerung auch nicht sehr beliebt waren, repräsentierten sie letztlich doch die Behörde und wurden dementsprechend respektiert, schrieb Lemke in seinen Memoiren, und das war der ausschlaggebende Faktor. Schließlich bestand auch noch die Möglichkeit, Landjäger zu werden und damit mehrere Dörfer unter sich zu haben. „Dann bin ich König in meinem Revier!" Es gab nur wenige Polizisten, die vor Ablauf ihrer normalerweise zwölfjährigen Amtszeit ihren Dienst quittierten. Artner führte dies auf ihren esprit de corps zurück, gab jedoch zu, daß der entscheidende Faktor die Tatsache war, daß ein Stellenwechsel für die Beamten finanziell einfach ohne Reiz war. Ein guter Schutzpolizist wehrte sich sogar dagegen, in eine andere Stadt versetzt zu werden, da die materiellen Vergünstigungen außerhalb Berlins geringer waren und die Arbeit überdies langweilig. Eduard Kolbe, der zwischen 1929 und 1931 die Personalabteilung der Polizei-Inspektion Prenzlauer Berg leitete, erinnerte sich zwar an einige Fälle von Entlassungen wegen Disziplinarvergehen, aber an keine einzige Kündigung eines Beamten auf eigenen Wunsch.40 In den zwanziger Jahren Polizist zu sein, bedeutete relative finanzielle Sicherheit. Die drastischen Folgen der Inflation und der Wirtschaftskrise berührten die Beamten der Polizei viel weniger als die meisten Berliner ähnlicher sozialer Herkunft. Das Gehalt war zwar nicht sehr hoch, aber sie waren von den Gehaltskürzungen, die die Regierung in ihrem Haushaltsplan 1931 und 1932 anordnete und die alle anderen Beamten trafen, ausgenommen, und materielle Sicherheit war schließlich wichtiger als eventueller Wohlstand.41 Einen unverheirateten Polizeianwärter mit freier Verpflegung und Unterkunft konnte man für einen Mann seines Alters und seiner Herkunft fast als wohlhabend bezeichnen, und er wurde von Handelsreisenden und Ladenmädchen gleichermaßen umworben. In den zeitgenössischen Romanen ist der Polizist daher oft Gegenstand des Neids von Arbeitslosen. Der Held in Hans Falladas Roman Kleiner Mann — was nun?, ein arbeits40
Nadi einer Probezeit von einem Jahr hatten Schutzpolizisten bis zu ihrem
zwölften Dienstjahr eine monatliche Kündigungsfrist. 41
Kommunistische Beobachter fanden, daß sich die Stimmung in der
Sdiutz-
polizei 1932 nach Einführung der alten Gehaltsgruppen erheblich verbessert hatten. Richtlinien
für...
(Am-Apparat),
hrsg. vom Zentralkommittee der K P D .
III.
72
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
loser Verkäufer, fühlt sich durch den Anblick eines wohlgenährten und gutgekleideten Schupos provoziert. 42 In Heinz Reins Roman Berlin 1932 wußte Martin, „daß seine Wut wieder auflodern würde, wenn er d a s . . . zufriedene, ein wenig herrische Gesicht (des Polizisten)..., den glänzenden schwarzen Tschako mit der schwarz-rot-goldenen Kokarde, die ruhige, selbstsichere Haltung des Pensionsberechtigten sehen würde". „Ihr (Pensionsberechtigten) habt euer Auskommen und werdet es immer haben, ihr denkt immer, ist ja gar nicht alles so schlimm. Noch ist keiner verhungert. Weil ihr uns niemals verstehen könnt, deshalb könnt ihr ja auch nur als Polizisten herumlaufen, deshalb könnt ihr ja mit euren Gummiknüppeln..." — „Schon gut", unterbricht ihn der Polizist. „Und jetzt gehen Sie weiter!" 43 1919 lag das Anfangsgehalt eines Wachtmeisters bei 160,33 RM im Monat. 44 Als die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hatte, mußten Gehälter wegen der rapiden Geldentwertung manchmal bis zu fünfmal am Tag ausgezahlt werden. Während der Wirtsdiaftskrise schätzte sich Lemke sehr glücklich, 86 RM im Monat plus Unterkunft, Verpflegung und Dienstkleidung zu bekommen. Krause, der bei einer Bereitschaft im Herzen Berlins diente, verdiente in den Jahren von 1929 bis 1931 zwischen 117,50 und 125 RM im Monat, mußte davon aber seine Mahlzeiten in der Kantine selbst bezahlen. Nach Abzug des Essensgeldes und anderer Ausgaben blieben ihm immer noch 70 RM Taschengeld, wovon er normalerweise die Hälfte sparte. Alle ehemaligen Polizisten, die im Rahmen dieser Untersuchung interviewt wurden, stimmten darin überein, daß die Polizisten während der Weimarer Republik ein karges, aber annehmbares Einkommen hatten und in der Mehrzahl auch damit zufrieden waren. „Als Polizist beschwerte man sich nicht über sein Gehalt. Es hatte auch keinen Zweck, mehr zu verlangen; denn die Gehälter waren tariflich festgelegt." 45 Hinzu kam eine Reihe sozialer Vergünstigungen, von der Aussicht auf eine bessere Wohnung für verheiratete Polizisten gegen Ende der zwanziger Jahre bis hin zur kostenlosen Sozial- und Krankenversorgung.46 Der wichtigste Faktor war jedoch die Abfindung bei der Pensionierung oder, als Ersatz dafür, eine Planstelle im öffentlichen Dienst.
42
H . F a l l a d a , Kleiner
43
H . R e i n , Berlin 1932 . . . , S. 5 1 — 5 2 .
44
Mehr Sicherheit
45
Interview Artner.
48
Volk und Schupo . . S . 3 2 — 3 3 .
Mann — was nun? . . . , S. 2 3 8 — 2 3 9 .
in Groß-Berlin!,
i n : Vossische Zeitung
(M), 20. A p r i l 1919.
Soziale Herkunft,
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Die republikanische Schutzpolizei hatte für ihre Beamten eine größere Verantwortung zu übernehmen als die Königliche Schutzmannschaft, da die Beamten jünger waren und sich viele nach ihrer Entlassung eine neue Karriere aufbauen mußten. Die Polizei vermittelte ihnen eine Berufsausbildung außerhalb der Dienstzeit, wobei die Polizei-Berufsschulen weitgehend denselben Zweck erfüllten wie die Schulen für ausgediente Berufssoldaten der alten kaiserlichen Armee. An diesen Berufsschulen war es auch möglich, eine abgeschlossene Mittelschulbildung zu erwerben. 47 Die Oberstufe der Polizei-Berufsschule, deren Abschluß dem Abitur gleichzusetzen war, konnte freiwillig besucht werden. Wachtmeister, die aus dem Dienst ausschieden, erhielten eine Abfindung von 2400 RM. Einige verwendeten das Geld, um den elterlichen Hof zu übernehmen bzw. ein Lebensmittel- oder Tabakwarengeschäft zu eröffnen; die meisten machten sich jedoch im Gaststättengewerbe selbständig. Diese Abfindung konnte auf mehrere tausend R M erhöht werden, wenn der ehemalige Polizeibeamte in seinem neuen Beruf Erfolg hatte. 48 Anstelle einer geldlichen Entschädigung konnte ein Wachtmeister den Polizei-Versorgungsschein erhalten. Nach dem Polizeigesetz vom 19. Juli 1922 berechtigte dieser Schein seinen Träger zum Eintritt in eine Beamtenstellung im mittleren Dienst in der Zivilbehörde seiner Wahl. Zwar mußte er dieselben Voraussetzungen erfüllen wie die anderen Bewerber; aber der Schein schützte ihn vor einer „willkürlichen Abweisung" seiner Bewerbung. 49 Viele Polizisten bewarben sich um Stellungen, die ihrer früheren Beschäftigung entsprachen, wie etwa bei der Luftpolizei, bei der Verwaltungspolizei, beim Zoll oder bei der internen Verwaltung der Schutzpolizei selbst. Diese Entschädigungen für treue Dienste waren in den zwanziger Jahren sehr gefragt — daran änderte auch die etwas entmutigende Tatsache nichts, daß etliche ehemalige Polizisten im Geschäftsleben versagten und andere wiederum monatelang auf eine Anstellung im Staats-
47 Polizeiarbeit in Zahlen. Der neue Wegweiser, in: Vossische Zeitung (M), 23. Januar 1930; und ein Leserbrief von Dr. Krüger, einem Lehrer an der Polizeiberufsschule in Schöneberg, in: Vossische Zeitung (S), 25. Oktober 1931. 48 Vor dem neuen Polizeibeamten-Gesetz, in: Vo5s«cAe Zeitung (M), 23. Februar 1927; und 80 000 Mark Polizeigelder veruntreut, in: Vossische Zeitung (M), 6. Mai 1927. 49 Ratgeber und Musterheft für Bewerbungen der Versorgungsanwärter, hrsg. von der Schriftleitung der Zeitschrift Fortbildung (Zeitschrift zur Förderung des allgemeinen Wissens), 5. Aufl., Berlin 1929, S. 7—8.
74
III. Die Berliner Sd/utzpolizei
1920 bis 1932
dienst warten mußten. 50 Der ehemalige Wachtmeister Karl Gäde von der Polizei-Inspektion Steglitz investierte 1926 sein Trennungsgeld in einer kleinen Schraubenfabrik. Als dieses Unternehmen bankrott machte, arbeitete er eine Zeitlang in einem Fahrradgeschäft. 1929 hatte er 450 RM Schulden und erhielt eine wöchentliche Arbeitslosenunterstützung von 6,55 RM. Obwohl seine Frau etwas dazuverdiente, konnte sich diese Familie mit zwei Kindern nur selten eine warme Mahlzeit leisten.51 Pensionierten Offizieren ging es manchmal nicht besser. Ein illustres Beispiel war Hugo Kaupisch, von 1920 bis 1926 Kommandeur der Berliner Schupo, der zunächst als Journalist und später als Angestellter in einer jüdischen Firma arbeiten mußte, nachdem Severing ihn aus politischen Gründen entlassen hatte — eine sehr schmerzhafte Erfahrung für einen Offizier der kaiserlichen Schule.52 Sowohl Wachtmeister Gäde als audi Oberst Kaupisch wurden übrigens später infolge ihrer mißlichen Lage zu Anhängern des Nationalsozialismus. Die meisten Polizisten waren sich jedoch der Risiken in der freien Wirtschaft wohl bewußt und daher bestrebt, ihre Stellungen solange wie möglich zu behalten. Die für mindestens zwölf Jahre garantierte Sicherheit sorgte für Ehrlichkeit bei der Schutzpolizei. Anlaß zur Besorgnis gaben jene jungen Schutzmänner, die — durch die Überredungskünste von Handelsreisenden verführt — weit über ihre Verhältnisse lebten. Eine Zeitlang war es Händlern erlaubt gewesen, ihre Geschäfte innerhalb der Polizeikasernen abzuwickeln. Angeboten wurden Anzüge, Radios und Fahrräder auf Abzahlung. 1925 nahmen sich ungefähr dreißig Berliner Schupos wegen ihrer Schulden das Leben. In seiner Neujahrsansprache von 1929 sah sich Polizeipräsident Zörgiebel veranlaßt, seine jungen Schupos davor zu warnen, Kredite aufzunehmen, die sie von ihrem normalen Einkommen niemals zurückzahlen könnten. 53 Als am 16. Juni 1926 acht Schupos verhaftet wurden, weil sie von den Besitzern verschiedener Nachtlokale in der Friedrichstadt Trinkgelder angenommen hatten, kommentierte die Vossische Zeitung diesen Vorfall mit der 60
Vor dem neuen Polizeibeamten-Gesetz,
in: Vossische Zeitung (M), 23. Februar
1927. 51
Brief von Karl Gäde aus Liditerfelde vom 22. Februar 1922 an Kurt Daluege, in den ORPO-Akten des Berlin Document Center. 52 Brief von Polizei Kdr. i. R. und Oberstleutnant a. D. Hugo Kaupisch aus Schierke (Harz) vom 29. Januar 1933 an Ernst Röhm. In den ORPO-Akten des Berlin Document Center. 53 W. Mann, Berlin zur Zeit der Weimarer Republik..., S. 111; und Die Polizei, 26. Jg. (1929), Nr. 1 vom 5. Januar, S. 3—4.
Soziale Herkunft,
Besoldung, Polizeiverbände,
Disziplin
75
Bemerkung, daß bei einer Stärke von 20 000 Mann acht bestechliche Polizisten wirklich kein Grund zur Besorgnis seien.54 Mit der Besoldung war die Polizei im allgemeinen zufrieden. Anlaß zur Unzufriedenheit gaben höchstens das manchmal etwas langwierige Beförderungssystem und der Wunsch der älteren Beamten, von dem körperlich anstrengenden Streifendienst befreit zu werden. Die Polizeiverbände hatten bereits 1919 gefordert, ältere Beamte automatisch in die Verwaltung zu versetzen,55 und viele bewarben sich um eine Anstellung im Innendienst, wenn sie nach zehnjähriger Dienstzeit Anspruch auf Versetzung hatten. 56 Die Nationalsozialisten machten sich bei der Polizei 1933 dadurch beliebt, daß sie die sofortige Einschränkung des Streifendienstes anordneten. 57 Bei vielen Polizisten erweckten jedoch das Gefahrenelement und die Entbehrungen, die mit ihrem Dienst verbunden waren, einen gewissen Berufsstolz. Lemke schrieb in seinen unveröffentlichten Memoiren: „Uns kam es nicht in den Sinn, die abgeleisteten Stunden des wöchentlichen Dienstes zusammenzuzählen. Wir waren Polizeibeamte und taten zum Wohle der Bevölkerung unsere Pflicht. Den Begriff des Dienstausgleiches kannten wir nicht." Polizisten wurden angehalten, persönliche Interessen zurückzustellen und nie zu vergessen, daß sich ihr Beruf grundsätzlich von dem eines Angestellten in der Privatwirtschaft oder auch im öffentlichen Dienst unterschied. Die vorbildliche Disziplin innerhalb der Schutzpolizei war mit Sicherheit auf die Bemühungen zurückzuführen, den traditionellen Ehrenkodex des preußischen Beamtentums Wiederaufleben zu lassen.58 Um die Wechselwirkung zwischen materiellen Interessen und beruflichem Verantwortungsgefühl zu demonstrieren, bedarf es einer kurzen Übersicht über die Entwicklung der Polizei-Vereinigungen während der Weimarer Republik. 59 54
Vossische Zeitung (A), 16. Juni 1926. Die Wünsche der Berliner SdiutzmannsAaft, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 1 vom 10. April, S. 42. s> Siehe audi Charakterbeschreibung des Polizei-Wachtmeisters Gubalke in Hans Falladas Buch Wolf unter Wölfen. Roman ( = rororo-Tasdienbuch-Ausgabe 67/68), Hamburg 1952, S. 108—109. 57 Richtlinien für die Neuregelung des Revierdienstes, in: Anlage III zum RdErl. v. 7. 7. 33 — IICI 41 Nr. 189/33, von G. Miczek freundlicherweise zur Verfügung gestellte Vervielfältigung. 58 Walter Rudolf Hermann, Was ist Beamtentum? Rechtlich-soziologische Studie ( = Büdier für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 24), Berlin 1925, S. V; und Füth, Zur Reform der Polizei, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 10 vom 14. August, S. 233—236. 59 Die 1918 gegründeten und schließlich durch den Erlaß vom 15. Januar 1929 55
76
III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Die Polizeiverbände waren gegen Ende des Krieges entstanden. Mitte der zwanziger Jahre waren bereits fast alle Polizisten und Polizeiangestellten in Preußen in Verbänden organisiert — eine bemerkenswerte Tatsache, wenn man bedenkt, wie schwierig es gewesen war, Staatsdiener unter der Monarchie zu organisieren. Der Deutsche Polizeitag, der im Januar 1919 in Berlin stattfand, faßte seine Ansichten über die neue Lage in der folgenden Resolution zusammen: „Die alte Staatsform ist zerbrochen und die neue will werden. Im kommenden Staate wird der Einzelmensch nichts sein, die Organisierten fordern und bestimmen . . . Wollen wir Polizeibeamten uns zur Geltung bringen, unseren Wünschen, Vorstellungen und Forderungen Beachtung erzwingen, dann müssen wir uns zu einem über ganz Deutschland erstreckenden Verband der Polizeibeamtenvereine zusammenschließen, der Oberund Unterbeamte umschließt und seinen Sitz in Berlin hat, damit der Vorstand jederzeit und ohne Zeitverlust persönlich eingreifen kann." 6 0 Der bedeutendste Nachkriegs-Polizeiverband in der Hauptstadt war der Landesbezirk Berlin des Verbandes Preußischer Polizeibeamten, nach seinem Gründer und langjährigen Vorsitzenden, Ernst Schräder, als Schräder-Verband bekannt. 61 Offiziell 1923 gegründet, gingen die Anfänge dieses Verbandes auf das Jahr 1915 zurück, in dem die Polizeiführung widerwillig der Gründung des Verbandes der Schutzleute des Landesbezirks Berlin zugestimmt hatte. 62 Nachdem dieser sich mit ähnlichen Organisationen in anderen preußischen Gemeinden zusammengeschlossen und die Unterstützung einiger mittlerer und gehobener Beamten gewonnen hatte, war der damalige Berliner Verband innerhalb von zehn bis zwölf Jahren auf 60 000 Mitglieder angewachsen und damit zur größten Polizeivereinigung Deutschlands geworden. 63 Der Verband hatte mehrere Fachgruppen, die die speziellen Interessen geregelten Beamtenaussthüsse in der Polizei sollen hier wegen ihrer untergeordneten Bedeutung nicht behandelt werden. Bis 1929 wurden sie größtenteils von der Vereinigung
preußischer
Beamtenausschüsse bestimmungen,
Polizeibeamten
der Schutzpolizei.
Wahlordnung
und
beherrscht.
Weiteres
Erlaß vom Ii. ]anuar Anlagen,
zu
diesem
1929 nebst
Thema
in:
Ausführungs-
hrsg. von Fritz Tejessy und Albrecht
Bähmisch;'Berlin 1929. eo
Die Polizei, 15. Jg. (1919), N r . 20 vom 2. Januar, S. 3 5 4 — 3 5 5 .
81
Eine Zusammenfassung von Schräders Karriere ist der Artikel Ernst
Schräder,
in: Die Polizei, 23. Jg. (1926), N r . 23 (Sonderheft) vom 5. Dezember, S. 705. 62
Die Frühgeschichte der Polizeiverbände ist am besten von E. Klingelhöller, Der
Verband
preußischer
Polizeibeamten
«3 Vossische Zeitung
...,
beschrieben worden.
(A), 2. Oktober 1926. 1928 behauptete Sdirader, daß 90 °/o
aller bei der Polizei Beschäftigten Mitglieder seines Verbandes wären. Siehe Vossische Zeitung (A), 29. Oktober 1928.
Soziale Herkunft,
Besoldung,
Polizeiverbände,
Disziplin
77
zum Beispiel der Schupos, der Kriminalbeamten, der Verwaltungspolizei und der Landjäger vertraten. Eine Spezialabteilung befaßte sich mit dem Studium der Polizeiwissenschaft. 64 Auf nationaler Ebene war der Schräder-Verband mit dem Reichsverband der Polizeibeamten Deutschlands und mit dem Deutschen Beamtenbund verbunden. Die Bedeutung der Polizeivereinigungen in den zwanziger Jahren wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß es außer Schräders Verband Preußischer Polizeibeamten noch den Allgemeinen Preußischen Polizeibeamtenverband (oft als „Betnarek-Verband" bezeichnet), den Verband der Schutzpolizeibeamten Preußens (oder „Josupeit-Verband"), den Verband der mittleren Polizeivollzugsbeamten (oder „Murche-Verband") und die Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere gab. Es ist daher kaum verwunderlich, daß Dr. Bernhard Weiß sich manchmal darüber beklagte, daß das Los eines Polizeipräsidenten seit 1918 viel schwerer geworden sei; denn während ein Polizeipräsident in der Kaiserzeit absoluter Herr im eigenen Hause gewesen war, mußte sich sein republikanischer Nachfolger, wie Dr. Weiß sagte, nicht nur mit Parlamentariern und Journalisten, sondern auch mit organisierten Beschwerdeausschüssen und Verbandsdelegierten auseinandersetzen. 65 Seine Bemerkungen bezogen sich insbesondere auf Polizeipräsident Zörgiebel, dessen Auseinandersetzungen mit dem Schräder-Verband dazu führten, daß die Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem Verband 1930 für kurze Zeit völlig abbrachen. Zörgiebels heftige Zurechtweisung war jedoch genauso nutzlos wie Severings zeitweilige Boykottierung des Verbandes Preußischer Polizeioffiziere im darauffolgenden Jahr. 6 6 Weder Polizeipräsidenten noch Innenminister konnten es sich erlauben, die Verbände längere Zeit zu ignorieren. Die Polizeiverbände, besonders aber der Schräder-Verband, hatten außerdem erheblichen politischen Einfluß. Es war der Schrader-Verband, der 1918 die Kapitulationsverhandlungen zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und der Polizeibeamtenschaft führte. Außerdem rief er die Bevölkerung auf, der Schutzmannschaft auch weiterhin ihr Vertrauen zu schenken.67 Beunruhigt über die zunehmende Gesetzlosigkeit in Berlin, wandte sich der Verband 1919 mit einer Bitte um Hilfe 64
Vereinigung für polizeiwissenschaftliche Fortbildung.
• 5 Bernhard Weiß, Unser
Chef,
in: Vossische
Zeitung
(M), 30. September 1928.
Audi gab es einen Verband ehemaliger Polizeibeamten Preußens, dodi war die Zahl der Mitglieder unerheblich. ·· Vossische Zeitung (A), 10. März 1930. «7 Siehe S. 4 3 — 4 4 .
78
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
sogar an die Nationalversammlung in Weimar. 68 Keiner der Polizeiverbände rüttelte jedoch jemals an dem fundamentalen Prinzip, daß die Polizei das Exekutivorgan der Regierung darstellte und verpflichtet war, deren Anordnungen Folge zu leisten und sich ihren disziplinarischen Maßnahmen zu unterwerfen. Die meisten Politiker erkannten, daß es für sie vorteilhaft war, die Polizeiverbände auf ihrer Seite zu haben, und waren gewillt, ihnen einige Gunstbeweise zu liefern, beispielsweise indem sie an ihren offiziellen Veranstaltungen teilnahmen. 69 Daraus ergab sich für die Verbände ein gewisses Maß an Manövrierfähigkeit. Ein Severing, der den Polizeiverbänden 1931 das Recht bestritt, ihm das Vertrauen auszusprechen oder zu entziehen, tat dies in diesem Falle offensichtlich nur, weil die Vereinigung der Polizeioffiziere sein Urteil in einem Disziplinarverfahren kritisiert hatte. 70 Das Vertrauensvotum des Schräder-Verbandes und des BetnarekVerbandes, die es sowohl 1926 als audi 1930 begrüßt hatten, ihn in seinem Amt als preußischer Innenminister bestätigt zu sehen, hatte Severing nicht zurückgewiesen.71 Bei diesen beiden Verbänden konnte man sich schließlich darauf verlassen, daß sie die Regierung immer unterstützen würden, auch wenn sie deren Entscheidungen nicht immer gutheißen konnten. 72 Da der Schräder-Verband zahlenmäßig sehr stark war und die verschiedensten Interessen vertrat, mußte er sich hauptsächlich mit allgemeinen personellen und innerpolizeilichen sozialen Aufgaben, wie Gehältern, Sozialversicherung, Beförderungsangelegenheiten usw., befassen. Darüber hinaus hatte er sich die Aufgabe gestellt, eine ganz bestimmte berufsständische Mission zu erfüllen. 73 Diese Mission bestand nidit etwa darin, eine aufgeblasene Berufsbedeutung zur Schau zu tragen — „das stößt ab" —, sondern darin, das öffentliche Ansehen der Polizei als Verkörperung der Staatsgewalt durch andauernde und aktive Bestrebungen zu fördern. Entscheidungen des Innenministeriums 88
Vossische Zeitung (A), 27. Februar 1919. ® Reichspräsident Hindenburg entschuldigte sich persönlich, als er am Verfassungstag 1925 verhindert war, dem Aufmarsch des Schräder-Verbandes beizuwohnen. Vossische Zeitung (M), 12. August 1925. e
70
C. Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 295. Vossische Zeitung (M), 30. September 1926; und Vossische Zeitung tober 1930. 71
(A), 28. Ok-
72 Zum Beispiel der Schräder-Verband über die Sipo, Vossische Zeitung, 8. Oktober 1919; oder Schräder- und Betnarek-Verband zu Grzesinskis Entscheidung, den Stahlhelmtag nicht zu verbieten. Vossische Zeitung (A), 27. April 1927. 73 E. Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten . . . , S. 3.
Soziale Herkunft, Besoldung, Polizeiverbände, Disziplin
79
durften nur angefochten werden, wenn dies im Interesse der Öffentlichkeit notwendig war. „Vieles läßt sich mit Idealismus erreichen... Durdi diesen Umstand sind wir bis jetzt audi den materiellen Kämpfen nicht erlegen, sind wir nicht der Jdi-Sudit' zum Opfer gefallen.. ." 74 Die Auffassung des Schräder-Verbandes von den „gewerkschaftlichen Rechten" der Berufsbeamtenschaft spiegelt sich in der folgenden Ausführung über das Streikrecht der Polizeibeamten wider: „ . . . Der Beamte der öffentlichen Körperschaft... sdiließt mit seiner anstellenden Behörde keinen bürgerlich-rechtlichen Dienstvertrag . . . Also . . . kann ein Streikrecht nicht zuerkannt werden, soweit es zur Erlangung besserer Einkommens- und Dienstverhältnisse geltend gemacht werden möchte. Man könnte in Erwägung ziehen, daß das Streikrecht der Beamten nicht aus eigennützigen Gründen einzutreten braucht, sondern politische Voraussetzungen haben kann, indem ζ. B. gegen Maßnahmen Verwahrung eingelegt werden soll, die einen für das Gemeinwesen unentbehrlichen Stand, eben den der Beamten, in seinen Grundfesten erschüttern könnten, oder die von einer Regierung ausgehen, der Gefolgschaft zu leisten das Beamtentum oder ein Teil davon sich weigerte. Dann, so könnte man schlußfolgern, spräche durchaus ein öffentliches Interesse für und nicht gegen den Beamtenstreik. Nun wird sich nicht verkennen lassen, daß bei einem soldien Tatbestand die Sachlage in der Tat anders l i e g t . . . Aber soldie aus Grundsatztreue ausgefochtenen Beamtenstreiks werden sehr selten sein, und man darf sie nicht verwechseln mit solchen Streiks, für die jenes geltend gemachte öffentliche Interesse nur Vorwand und ein privates Interesse zu verdecken bestimmt i s t . . . Was in Wirklichkeit vorliegt, müßte aber stets festgelegt werden in einem Disziplinarverfahren, das jedesmal beim grundsätzlich unerlaubten Beamtenstreik einzuleiten wäre . . ." 75 Die Ziele des Sdirader-Verbandes gingen also über die rein materiellen Angelegenheiten hinaus; denn er war bestrebt, die Stellung der Polizei innerhalb des deutschen Rechtsstaates zu stärken. Der Verband zog eine Länderpolizei einer Kommunalpolizei und eine Reichspolizei einer Länderpolizei vor. Er trat für die Demokratisierung des Polizeikorps ein und war bemüht, die kastenartigen Unterschiede zwischen Offizieren und Gemeinen abzubauen. Bei der Wahl eines Polizeipräsidenten sollten seiner Meinung nach polizeiliche Fähigkeiten und nicht 74
A. a. O., S. 4. Uber das Streikrecht der Beamten, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 4 vom 22. Mai, S.91— 92. 75
III.
80
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
politische Überzeugungen ausschlaggebend sein.76 Parteipolitisch verhielt sich der Verband jedoch völlig neutral. Während der zwanziger Jahre hatte die preußische Regierung im allgemeinen keinen Grund, sich über die Politik des Schräder-Verbandes zu beklagen. 77 Die Unzulänglichkeit seiner fundamentalen Prinzipien wurde erst offenkundig, als die deutsche Demokratie Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre in eine akute Krise geriet. Nach 1930 war politische Neutralität einfach nicht mehr zu verantworten. Ein Polizist, dem man Verbindungen zu den Nationalsozialisten vorwarf, war politisch wenig glaubwürdig, wenn er zu seiner Verteidigung vorbrachte, daß er „auf dem Boden der Verfassung stehe und seit längerer Zeit dem Schräder-Verband angehöre". 78 Es war an der Zeit, daß sich die preußische Polizei offen zu der bestehenden, in der sozialdemokratischen Regierung verkörperten demokratischen Ordnung bekannte. Im Mai 1931 schloß sich daher der Verband Preußischer Polizeibeamten mit dem zahlenmäßig zwar kleineren, aber politisch profilierteren Allgemeinen Preußischen Polizeibeamtenverband, dem Betnarek-Verband, zusammen. 79 Der Betnarek-Verband war 1927 auf dem Boden der Grundsätze der freien Gewerkschaftsbewegung ins Leben gerufen worden und galt daher als Verbündeter der Sozialdemokratischen Partei. 80 Unter seinen Fürsprechern befanden sich Innenminister Grzesinski, Staatssekretär Abegg, Ministerialdirektor Klausener, Ministerialdirektor van den Bergh, Polizei-Vizepräsident Dr. Weiß, Schupo-Kommandeur Heimannsberg sowie zahlreiche Abgeordnete des preußischen Landtags. 81 76 Berichte über Versammlungen des Verbandes in Vossische Zeitung (M), 20. April 1919; Vossische Zeitung (M), 9. Dezember 1919; und Vossische Zeitung (M), 23. Oktober 1928. 77 Sogar Die Rote Fahne, Nr. 353 vom 5. August 1922, mußte anerkennen, daß der Verband sich nicht der Reaktion beugte. ( „ . . . der sogenannte Schräder-Verband, die Organisation der Schutzpolizeibeamten, der erfreulicherweise sich von der Reaktion bisher nicht mißbrauchen ließ und deshalb von ihr bekämpft wurde.") 78 Bericht der Untersuchungsbeamten der politischen Polizei vom 13. November 1930, in: Blattsammlung der Staatsanwaltschaft hei dem Landgericht I Berlin, Strafsache gegen Grigutsch wegen . . ., 5 J. Nr. 725/31. 79 Innenminister Severing und Vize-Polizeipräsident Weiß gaben diesen Zusammenschluß persönlich bekannt. Vossische Zeitung (A), 20. Mai 1931; und Vossische Zeitung, 24. Mai 1931. Nach dem Interview mit Artner zu urteilen, ist dieser Zusammenschluß jedoch niemals verwirklicht worden.
Interviews Artner, Krause. Tagung des Allgemeinen Preußischen Zeitung (M), 18. April 1928. 80 81
Polizeibeamtenverbandes,
in:
Vossische
Soziale Herkunft,
Besoldung, Polizeiverbände,
Disziplin
81
Den Zusammenschluß des Schräder-Verbandes mit dem Betnarek-Verband — nun die stärkste Vereinigung mit einer bedeutend klareren, demokratischen Zielsetzung — bezeichnete Carl Severing als „eine geschlossene Zusammenfassung fast aller Beamten der Polizeiexekutive in einer betont radikal-republikanischen Organisation". 82 Doch war das genug? Das Gros der Berliner Polizeibeamten stand nur bedingt hinter den unmißverständlichen Sympathiebezeugungen ihrer Verbandsleitung für die sozialdemokratische Regierung. Hochverräter fanden sich auch noch nach 1931 in den Reihen des Sdirader-Verbandes.83 Die militanten Elemente im Polizeikorps waren in kleineren, aber politisch stärker engagierten Verbänden organisiert. Von diesen war aber nur einer wirklich regierungstreu. Im Februar 1928 hatte der Vorsitzende des Verbandes Preußischer Polizeibeamten, Ernst Schräder, an der ersten Versammlung der neuen Vereinigung republikanischer Polizeibeamten teilgenommen. 84 Auf weiteren Versammlungen kamen Polizeibeamte aller Dienstgrade zusammen und hörten Referate über die rechtliche Stellung des Beamten in einer Demokratie oder über die Republik als Beschützerin des preußischen Beamtentums. 85 Wie sehr die Versammlungen auch dieser Vereinigung den damaligen politischen Kundgebungen in Berlin ähnelten, zeigt ein Vorfall vom 30. März 1931, als fünfzig bis sechzig junge Nationalsozialisten im Publikum eine regelrechte Saalschlacht entfachten und mit Stühlen und Bierflaschen um sich warfen — ein Ereignis, das in der Geschichte anderer Polizeiorganisationen ohne Beispiel ist. 86 Die Vereinigung republikanischer Polizeibeamten Schloß sich im November 1931 mit der Deutschen Staatspartei zusammen und nannte sidi fortan Polizeibeamten-Vereinigung der Deutschen Staatspartei. Drei Monate später erklärte sie ihre Solidarität mit der Eisernen Front in dem gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus.87 Es gab aber auch eine Anzahl nationalistischer Polizeibeamten, deren Loyalität gegenüber dem preußischen Staat zweifelhafter war. Sie Vossische Zeitung (A), 20. Mai 1931. Siehe den Fall Kurt Lange und Hans Schulz-Briesen, in: Vossische Zeitung 10. März 1932. 82
83
Löhe hei den 23. Februar 1928. 84
85
republikanischen
Polizeibeamten,
Siehe die Berichte in: Vossische Zeitung
in: Vossische
(M), 17. Mai 1928; Vossische
CA), 5. Dezember 1928; und Vossiscbe Zeitung (M), 8. April 1930. 86 Vossische Zeitung (Μ), 1. April 1931. 87 Vossische Zeitung (M), 18. November 1931; und Vossische 11. Februar 1932.
Zeitung
Zeitung
(A), (M),
Zeitung
(M),
III.
82
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
waren in zwei anderen Organisationen vertreten, nämlich in dem Verband der Schutzpolizeibeamten Preußens (Josupeit-Verband) und in der Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere. Der erstere hatte den größten Zuspruch aus den unteren Rängen der Schutzpolizei. Er sympathisierte mit der Deutschnationalen Volkspartei ( D N V P ) und der N S D A P , konnte aber zahlenmäßig nicht mit der Bedeutung des Verbandes Preußischer Polizeibeamten konkurrieren. 88 Dagegen hatte die Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere neunzig Prozent des Offizierskorps hinter sich.89 Es ist interessant und wird von ihren eigenen Wortführern zugegeben, daß die Offiziersvereinigung während der gesamten Weimarer Zeit unter dem anhaltenden Verdacht politischer Opposition stand, obwohl ihre Mitglieder der Verfassung wiederholt die Treue geschworen hatten. 90 Vielleicht waren diese zu stolz auf ihr traditionelles preußisches Bewußtsein von Pflicht und Beamtentum, um die demokratischen Ziele der Regierung zu unterstützen. Krampfhaft versuchte die Vereinigung, sich eine ähnliche Stellung in der vornehmen Berliner Gesellschaft zu schaffen, wie sie das Offizierskorps des Heeres vor dem Kriege innegehabt hatte. 91 Die prominenten Persönlichkeiten an der Spitze der Vereinigung waren für ihre konservative — wenn nicht reaktionäre — politische Haltung bekannt. Polizeioberst Otto Dillenburger, in den zwanziger Jahren Vorsitzender der Vereinigung, gehörte zum rechten Flügel des Offizierskorps, obwohl er die Republik öffentlich niemals ablehnte. 92 Polizei-Major a. D. Eldor Borck, der inoffizielle Sprecher der Vereinigung im Preußischen Landtag, war Mitglied der D N V P und außerdem mit dem Josupeit-Verband verbunden. Borck warf Schräder öffentlich vor, der Königlichen Schutzmannschaft in den Rücken gefallen zu sein und sich im Winter 1918 mit den Feinden verbündet zu haben. Er beschuldigte die Polizeipräsidenten Friedensburg, Zörgiebel und Weiß des heimlichen Einvernehmens mit den Kommunisten. 93 In allen Landtagsdebatten über Polizeiangelegenheiten Anfang der dreißiger Jahre unterstützte Borck die Abgeordneten der N S D A P , und ab Juli 1932 88
Interview Artner.
89
Vossische Zeitung
(A), 10. Dezember 1931. Einige der Fellmann unterstellten
Offiziere gehörten zum Schrader-Verband und eine andere kleine Gruppe zum Verband der mittleren Polizeivollzugsbeamten (Murche-Verband). 90
Vossische Zeitung
91
Vossische Zeitung (M), 22. Januar 1926.
(M), 30. Januar 1931.
82
Vossische Zeitung (A), 2. April 1929.
93
Polizeioffiziere
und
Republik,
in: Vossische
Zeitung
(M), 26. Januar
1926;
Soziale Herkunft,
Besoldung,
Polizeiverbände,
Disziplin
83
war er als möglicher Kandidat für das Amt des Chefs der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium im Gespräch.94 Die Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere war inzwischen noch weiter nach rechts abgewandert als ihr Sprecher Borck. Am 5. Januar 1933 wählte sie Polizei-Major Walther Wedke zu ihrem neuen Vorsitzenden — einen Beamten, der bereits die Fachgruppe Schutzpolizei in der Nationalsozialistischen Beamten-Arbeitsgemeinschaft Berlin geleitet hatte und sehr bald an der politischen Säuberung der preußischen Polizei beteiligt sein sollte.95 Zur Ehre des Verbandes Preußischer Polizeibeamten muß gesagt werden, daß er sich von dem allgemeinen politischen Umschwung zugunsten des Nationalsozialismus zwischen dem 20. Juli 1932 und dem 30. Januar 1933 nicht beeinflussen ließ. Im Gegenteil, als Ernst Schräder zur Pensionierung gezwungen wurde und die Abgeordneten der NSDAP im Preußischen Landtag anfingen, die Auflösung des Verbandes „ . . . aus Gründen der politischen Sauberkeit und Moral" 96 zu fordern, rief der Verband seine Mitglieder auf, sich auch weiterhin zu den Grundsätzen der Demokratie zu bekennen.97 Kurz ehe Hitler Reichskanzler wurde, wählte der Verband den abgesetzten SchupoKommandeur Heimannsberg zu seinem neuen Vorsitzenden — eine noble Geste der Auflehnung. Wir sind mit unserer Untersuchung an einem Punkt angelangt, an dem wir uns mit der politischen Bildung der Polizei in der Weimarer Zeit befassen müssen. Doch ehe wir dazu übergehen, hier noch einige abschließende Bemerkungen zur internen Demokratisierung der Schutzpolizei nach dem Ersten Weltkrieg. Wenn die Polizei in der Weimarer Republik eine neue Rolle übernehmen sollte, mußte das Verhältnis zwischen Offizieren und Gemeinen innerhalb der Polizei ebenfalls liberalisiert werden. Das war die grundlegende Uberzeugung der zivilen Führung in den zwanziger Jahren. Die Verwirklichung demokratischer Ideen in einer Institution,
Das Ergebnis der Polizeibeamtenwahlen, in: Vossische Zeitung (A), 23. Mai 1929; und Vojsiscfee Zeitung (A), 7. April 1932. Siehe auch Bordes Entwurf einer Rede, die er am 30. Juni 1925 in Berlin-Wilmersdorf gehalten hat, im Borck-Nachlaß im Bundesarchiv in Koblenz. 84 Vossische Zeitung (M), 3. Januar 1933. 95 Siehe S. 192. »o Vossische Zeitung (M), 4. Juni 1932. 87 Bericht über eine Rede von Ministerial-Direktor Dr. Graeser, in: Vossische Zeitung (A), 23. Januar 1933.
III. Die Berliner Schutzpolizei
84
1920 bis 1932
deren Funktionsfähigkeit so sehr von militärischer Disziplin abhing, wie die der Schutzpolizei, war jedoch schwierig. Die Gründung von Polizeiverbänden und die Einrichtung von Beschwerdeausschüssen könnte den Machtbereich der Offiziere einschränken. Die Solidarität innerhalb der Polizei, die nicht, wie ein Rundschreiben des Innenministeriums vom 18. April 1928 forderte, auf „starrem Zwang (beruhen), sondern aus dem einheitlichen Willen aller ihrer Teile, aus gewollter Ein- und Unterordnung" 98 hervorgehen sollte, wurde durch diese Einrichtungen nicht gerade gefördert. Offiziere konnten zwar angewiesen werden, sich ihren Untergebenen gegenüber höflich zu verhalten und sie, soweit es ging, zu belehren, anstatt zu bestrafen. Die Mannschaften konnten angehalten werden, ihre Vorgesetzten nicht mehr in der dritten Person anzureden und nicht jedesmal beim Eintreten eines Offiziers strammzustehen." Aber all dies konnte in den Rängen der republikanischen Polizei nicht die „Liebe und Sympathie" hervorrufen, die Severing erhofft hatte. Grzesinski war in dieser Hinsicht realistischer als Severing. Er erklärte die traditionellen Leitvorstellungen, Bereitschaft zu dienen, Intelligenz, Mut und Disziplin, zum Motto der demokratischen Schutzpolizei. 100 Glücklicherweise hatten die unteren Ränge der Schupo gegen Disziplin nichts einzuwenden. Fälle von Befehlsverweigerung kamen nur selten vor. Die Angehörigen des Offizierskorps der Berliner Schupo waren zwar konservativer als die unteren Dienstränge, zeigten aber nicht denselben Standesdünkel wie ihre Kollegen in der Provinz. Wenn die Polizei öffentlich kritisiert wurde, versuchten die Mannschaften, ihre eigenen Exzesse mit dem Militarismus ihrer Offiziere zu entschuldigen. Es geschah jedoch nur selten, daß einzelne Offiziere bei ihren Mannschaften auf Widerstand stießen; es sei denn, ihr Verhalten war bereits Gegenstand eines Disziplinarverfahrens. 101 Trotz der ständigen 88
Disziplin
und Höflichkeit
in der Polizei,
in: Vossische Zeitung
(M), 18. April
1928. * Weniger Disziplinarverfahren:
9
in: Vossische Zeitung
Der Neujahrserlaß
des Innenministers
Grzesinski,
(A), 3. Januar 1927.
100
Vossische Zeitung (A), 27. Februar 1927.
101
Zum Beispiel die Kommandeure Fröhlich und von Heinrichs im Jahre 1919.
Siehe audi Vossische Vossische Zeitung
Zeitung
(M), 7. April 1920; Militarismus
(M), 22. Mai 1929; und Vossische Zeitung
in der Polizei,
in:
(A), 7. Oktober 1932.
Nicht wesentlich anders war die Sachlage im Oktober 1967, als die West-Berliner Polizei öffentlich kritisiert wurde, weil sie während der Studentenunruhen Demonstranten erschossen hatte. Polizeigewerkschaft Morgenpost
vom 28. September 1967.
sucht
Ursadien,
in:
einen
Berliner
Politische
Bildung
85
Anspannung und der vielen Enttäuschungen herrschte eine fundamentale Solidarität innerhalb der Polizei. Die Frage war nur, wie weit diese Solidarität über die Grenzen der Mannschaft hinausging und ob sie die Bewohner Groß-Berlins, die preußische Regierung und die deutsche Republik einschloß. Politische
Bildung
Die Regierung erwartete von ihren Polizeibeamten Loyalität gegenüber der Republik; aber diese Loyalität sollte ihrer innersten Uberzeugung entsprechen. Für die polizeiliche Führung bedeutete Demokratie in erster Linie politisches Verantwortungsbewußtsein auf der Grundlage der persönlichen Freiheit und der Achtung vor dem Gesetz. Konservatismus und politische Unmündigkeit paßten nicht in ihr liberales Konzept. Diese tolerante Haltung fand bei einer Anzahl ehemaliger Offiziere der Schutzmannschaft schnell ein positives Echo. Polizei-Oberst Stelse, Polizei-Oberst Hellriegel und der bekannte Kommandeur Heimannsberg selbst — alle aus der Königlichen Schutzmannschaft hervorgegangen — wurden zu treuen Anhängern der Republik und trugen bis zum Sdiluß in allen strategischen Positionen in Berlin zu ihrer Verteidigung bei. Anderen, die der Republik noch zweifelnd gegenüberstanden, gab man genügend Zeit, um ihre persönlichen Bedenken zu überwinden. Erst 1931 rief Polizei-Hauptmann Fellmann, der der Offiziers-Unterabteilung des Schräder-Verbandes vorstand, die Regierung auf, diejenigen Polizeioffiziere zu entlassen, die sich nach zehnjähriger Dienstzeit immer noch weigerten, die Republik zu akzeptieren. 102 Etwa zur gleichen Zeit ordnete Innenminister Severing endlich an, daß in Zukunft alle Polizeianwärter ihre politische Loyalität konkret unter Beweis stellen müßten, um die Aufnahmeprüfung zu bestehen. 103 Während der gesamten zwanziger Jahre hatte sich die Regierung gegenüber dem Polizeinachwuchs recht liberal gezeigt. Polizeianwärter mußten sich lediglich einer sehr oberflächlichen Prüfung ihrer Vergangenheit unterziehen. Sie benötigten nur ein durchschnittliches Abgangszeugnis und ein polizeiliches Führungszeugnis. 104 Körperliche 108 103 104
Vossische Zeitung (M), 29. Oktober 1931. C. Severing, Mein Lebensweg ..., Bd. 2, S. 275. Interview Eduard Kolbe.
86
III. Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
Eignung war wichtiger als eine demokratische Gesinnung, solange die Anwärter gewillt waren, ihren Treueid auf die preußische und die Weimarer Verfassung zu schwören. Anschuldigungen von Seiten der politischen Rechten, daß SPD-Mitglieder bei der Polizei mit Vorzugsstellungen bedacht würden, wies die Regierung entschieden zurück. 105 Diese Unterstellung mag in einigen Fällen zutreffend gewesen sein; 106 aber grundsätzlich war es so, daß die Anhänger der Republik im Gegensatz zu ihren nationalsozialistischen Nachfolgern eine solche Personalpolitik offiziell als unvereinbar mit ihren politischen Prinzipien ablehnten. Als 1921 die Hundertschaft z. b. V. (zur besonderen Verwendung) unter Walther Stennes aufgelöst wurde, weil sie der Verschwörung gegen die Republik verdächtig war, sagte Polizei-Oberst Weber vor Gericht aus, daß die Hundertschaft ζ. Β. V., die als SonderElitetruppe zum Schutz der Regierung aufgestellt worden sei, jeden einstellte, der kam, und niemanden nach seiner politischen Gesinnung fragte. 107 Anstatt bereits bei der Rekrutierung eine Auslese zu treffen, baute die Polizei darauf, ihren Nachwuchs politisch zu bilden, wenn er bereits der Polizei angehörte. Eine geeignete Gelegenheit bot sich in den Polizeischulen in Brandenburg und Eiche bei Potsdam. Diese Möglichkeit wurde jedoch niemals richtig genutzt. Die meisten Anwärter waren kaum in der Lage, schwierigen Vorlesungen über Verfassungsrecht und andere Probleme der deutschen Rechtsordnung zu folgen; ihnen war der unkomplizierte Unterricht ihrer Feldwebel lieber. Ihre Lehrer waren meist Offiziere, die sich in den theoretischen Fächern selbst nicht auskannten, den Unterricht rein mechanisch gestalteten und dadurch jegliches unabhängige Denken von vornherein erstickten. Viele von ihnen waren als Ausbilder pflichtversetzt worden, weil ihre feindselige Einstellung zur Republik sie für den aktiven Dienst untauglich gemacht hatte. Unter der Leitung von Graf Poninsky, einem heimlichen Anhänger des rechtsgerichteten Stahlhelms, war die Polizeischule in Brandenburg ein Hort des Militarismus und autoritärer Staatsvorstellun105
Rumpelstilzchen, Was sich Berlin erzählt...,
109
Nach dem 30. Januar 1933 fanden die Nationalsozialisten in den Papieren
S. 9 0 — 9 1 .
von Staatssekretär Abegg eine Anzahl persönlicher Beförderungsgesuche, die sozialdemokratische Polizeibeamte an ihn gerichtet hatten. [Siehe die ORPO-Akten im Berlin Document Center.] 107
Berliner
Tageblatt
vom 2. Dezember 1921. Am 30. März 1927 bestritt Innen-
minister Grzesinski auch vor dem preußischen Landtag, daß Polizeibewerber von ihren Prüfern über ihre politisdie Uberzeugung befragt würden. Grzesinski Polizei, in: Vossische Zeitung
(Μ), 1. April 1927.
über
die
Politische
Bildung
87
gen.108 Poninsky wurde zwar 1928 pensioniert, doch an den preußischen Polizeischulen lehrte audi weiterhin eine große Anzahl nationalistischer Offiziere, deren unverhohlene Abneigung gegen die Demokratie — wie Severing richtig erkannte — ein ernsthaftes Problem für die Republik darstellte. 109 Eine bessere Einführung in die Grundsätze der Demokratie boten die von Zivilisten ehrenamtlich abgehaltenen Abendkurse an den Berufsschulen,110 die Vorlesungen und Diskussionen der Vereinigung republikanischer Polizeibeamten 111 und die halboffiziellen Schriften, die in den Gemeinschaftsräumen der Kasernen und Reviere auslagen.112 Diejenigen Polizisten, die solche Vorlesungen besuchten oder sich mit dem empfohlenen Lesestoff befaßten, taten dies aus eigener Initiative, ihre Zahl war nie sehr groß. Die politischen Ideen, die die Polizei während der Weimarer Republik sich zu verbreiten bemühte, waren angesichts des geringen Bildungsstands der Anwärter einfach zu abstrakt. Inhaltlich ähnelte ihre Vermittlung eher akademischen Streitgesprächen, die mangels konkreter Schlußfolgerungen in der militärischen Atmosphäre der Polizeikasernen fehl am Platze waren. Überdies gab es drei verschiedene Methoden, um die Funktionen der Polizei den Erfordernissen einer demokratischen Regierungsform anzupassen. Die erste Methode betonte die Notwendigkeit der politischen Selbständigkeit eines jeden Polizeibeamten. Anstatt Befehle blindlings auszuführen, sollte ein Polizist in der Praxis seinem politischen Fingerspitzengefühl vertrauen und darauf achten, daß seine Handlungen mit dem Geist des Gesetzes übereinstimmten. 113 Um das notwendige Einfühlungsvermögen und Selbstvertrauen zu erwerben, brauchte er Erfahrung im politischen Leben. 108 In den Zeitungen gab es darüber verschiedentlich Klagen. Zum Beispiel, Rekrutendrill bei der Schutzpolizei, in: Die Welt am Abend, Nr. 80 vom 7. April 1926; U. Salingre, Reform des Polizeischulwesens, in: Vossische Zeitung (M), 5. Juni 1928; F. O'Mon., Polizeioffiziere beim „Stahlhelm", in: Vossische Zeitung (M), 29. Januar 1930; und Hans Lange, Polizeierziehung — Polizeierfahrung, in: Die Menschenrechte, Berlin, Nr. 9/10 vom 1. Oktober 1929, S. 11.
• 109 C. Severing, Mein Lebensweg, Bd. 2, S. 294. 110 Brief von Herrn Krüger in Vossische Zeitung (S), 25. Oktober 1931. 111 Vossische Zeitung (M), 23. Februar 1928. 112 Interview Kolbe. 113 K. Wolzendorf, Die polizeiliche Bedeutung..., in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 12 vom 11. September, S. 290; und H . Degenhardt / M. Hagemann, Polizei und Kind . . . , S. 21.
88
III.
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
Der Staat forderte seine Polizeibeamten daher auf, von ihren politischen Rechten Gebrauch zu machen, wie sie im § 130 Absatz 2 der Weimarer Verfassung von 1919 verankert waren. Sie wurden daran erinnert, daß es ihnen als deutschen Staatsbürgern gesetzlich garantiert war, ihre eigenen politischen Ansichten zu haben und auch zu äußern. Sie konnten wählen, wen sie wollten, und sich audi politisch organisieren, solange die Partei ihrer Wahl auf dem Boden der Verfassung stand. „Es müßte auf das Entschiedenste dagegen eingeschritten werden, wenn einem Beamten aus der Zugehörigkeit zu irgendeiner Partei oder der Vertretung irgendeiner politischen Forderung behördlicherseits Nachteile erwachsen sollten." 114 Mit Rücksicht auf die starken Oppositionsparteien mußte die Regierung diese Freiheit jedoch durch den Vorbehalt, die Interessen einer bestimmten Partei nicht über das Allgemeinwohl zu stellen, einschränken. Ein Beamter hatte „ . . . sich durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die sein Beruf erfordern, nicht unwürdig zu zeigen". 115 Ein Erlaß von 1921 untersagte es allen preußischen Beamten, sich solchen politischen Organisationen anzuschließen, „ . . . deren Ziele nicht offenkundig und einwandfrei verfassungstreu..." waren. 116 Noch deutlicher machte dies eine Vereinbarung zwischen dem Reich und der preußischen Regierung vom 1. April 1928, die besagte, daß sich alle Beamten bei der Ausübung ihres Dienstes absolut unpolitisch zu verhalten hatten. 117 Aber erst ein Dekret vom 25. Juni 1930 verbot allen preußischen Staatsangestellten die Zugehörigkeit zur kommunistischen oder zur nationalsozialistischen Partei. 1 1 8 Die Grenze zwischen den politischen Rechten eines Polizisten als Staatsbürger und seinen Pflichten als Beamter blieben während der zwanziger Jahre verschwommen. Es gab verunglückte Versuche, zwischen Meinungsfreiheit und politischer Meinungsäußerung, 114
Die Polizei, 15. Jg. (1918), N r . 18 vom 5. Dezember, S. 303.
115
B. Weiß, Polizei und Politik . . . , S. 12.
"« A.a.O., 117
S.Ii.
Claus Kaestl, Reich und Länderpolizeien
in der "Weimarer Republik,
in:
Die
Polizei, 53. Jg. (1962), Nr. 10 vom 8. Oktober, S. 3 0 2 — 3 0 4 . 118
(St Μ I Nr. 7683/MBliV.
Schweigen.
Das Ende
der deutschen
S. 59).
Siehe auch Arnold Brecht, Vorspiel
Republik,
zum
Wien 1948, S. 70. Dies bedeutet nidit,
daß Polizeibeamte, die offen eine dieser Parteien unterstützten, vor 1930 nicht mit Disziplinarstrafen zu redinen hatten. Zum Beispiel Linthe, S. 106. 1931 verlangten einige leitende Polizeibeamte, daß Polizisten während ihrer Amtszeit das Wahlrecht entzogen werden sollte. Vossische Zeitung (M), 16. Dezember 1931.
Politische
Bildung
89
zwischen Politik im allgemeinen und Parteipolitik im besonderen zu unterscheiden.119 Um das „kollegiale Gemeinschaftsgefühl" in der Mannschaft zu fördern, war es verboten, innerhalb des Polizeigeländes politische Propaganda zu treiben; die Freiheit der politischen Meinungsäußerung wurde jedoch weiterhin garantiert. Das Verteilen bzw. das Aushängen von Propagandamaterial und politischen Plakaten war zwar untersagt, doch stand es jedem Beamten frei, sich parteipolitisch orientierte Literatur zur eigenen Lektüre mitzubringen. 120 Das Ergebnis dieser unklaren, wenn nicht widersprüchlichen Instruktionen war, daß das politische Klima in den einzelnen Abteilungen ganz von den persönlichen Auffassungen des leitenden Offiziers abhing. Die unzulängliche politische Interpretation der Funktionen demokratischer Polizeiarbeit mag Schuld daran gewesen sein, daß man bürokratische Polizeimethoden bevorzugte. Diese Methoden beruhten auf der praktischen Erfahrung, daß Polizisten. es vorzogen, direkte Befehle auszuführen, wobei ihnen deren Legalität wichtiger war, als ihre politische Vertretbarkeit. 121 Die gesetzlichen Richtlinien konnten jedoch ebenso ungenau sein, wie die politischen Verhaltensmaßregeln verwirrend waren. So wurde jedem Polizeianwärter beigebracht, § 10 II 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 zu respektieren, obwohl dieses Gesetz die Polizei lediglich in der allgemeinsten Form dazu bestimmte, „ . . . die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen . . ." 122 Als nach endlosen Debatten eine neue Fassung dieser Definition in dem Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 eingeführt wurde, war der Machtbereich der Polizei noch umfassender geworden. Artikel 14 des neuen Gesetzes besagte: 1. Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen,
"· Vossische Zeitung (A), 5. Dezember 1928. 120 B. Weiß, Polizei und Politik . . S . 11—13; auch Interview Kolbe. 121 Interview Krause; F. Friedensburg, Die Weimarer Republik..., S. 244; u n d K a r l v. Oven, Straßenkampf. Gedanken zur Polizeiführerausbildung..., 4. Aufl., Berlin—Lübeck 1931, S. 20. 122 P. Riege, Kleine Polizei-Geschichte..., S. 25; auch Bill Drews, „Die nötigen Anstalten" im Sinne von 10, II, 17, ALR, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 50 (1929), S. 2 ff.
90
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Ordnung oder Sicherheit bedroht wird. 2. Daneben haben die Polizeibehörden diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihnen durdi Gesetz besonders übertragen sind.123 Wenn bei polizeilichen Notsituationen die routinemäßige Polizeiarbeit den Maßnahmen zur Bekämpfung von Aufruhr und Zusammenrottungen weichen mußte, hätten daher die überaus weitgefaßten rechtlichen Machtbefugnisse der Polizei sehr leicht auch auf alle möglichen anderen Bereiche ausgedehnt werden können. In den Augen der Kommunisten gab dieses Gesetz der Polizei unbeschränkte Vollmachten, um gegen die organisierten Massen der Arbeiterklasse einschreiten zu können; denn „ . . . da, wo der gewöhnliche Sterbliche keine Spur einer Gefahr erkennt, sieht die Polizei oft sehr gern schon eine riesengroße Gefahr". 124 Die Nationalsozialisten andererseits bedauerten die Schutzpolizei wegen ihrer Hilflosigkeit in einem Rechtssystem, das ihr zwar die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vorschrieb, es aber an genauen Instruktionen fehlen ließ. So stand die Polizei „vielfach vor unlöslichen Widersprüchen . . . und mußte wohl oder übel in vielen Fällen entweder untätig zusehen, oder, wenn sie eingriff, die übelsten Angriffe für pflichtgemäßes Vorgehen über sich ergehen lassen".125 Die juristischen Vorstellungen der Regierung bedeuteten für die meisten Schutzpolizisten, die sich einer außergewöhnlichen Situation gegenübergestellt sahen, kaum eine Hilfe, so daß es verständlich ist, wenn der offizielle Kommentar zu § 14 des Gesetzes von 1931 das folgende praktische Argument für seine Nützlichkeit anführte: „Die eingeschalteten Worte ,nach pflichtmäßigem Ermessen' haben ihre Bedeutung nur hinsichtlich der Frage, was die Polizeibehörden tun müssen. Sie sollen die Polizeibehörden vor zu weit gehenden Schadenersatzansprüchen schützen, wenn sie bei pflichtmäßigem Ermessen einmal nicht das objektiv sicherste Mittel zur Verhütung von Gefahren zur Anwendung gebracht haben." 126 123
Der Wortlaut des Gesetzes in Das Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni hrsg. von E. Klausener, Chr. Kerstiens und R. Kempner, 3., verm. Aufl. 124 A.a.O., S. 112. 126 H a n s Kehrl, Die Polizei, in: Die Verwaltungs-Akademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat, Bd. 2: Der Aufbau des nationalsozialistischen Staates, Gruppe 1: Der verwaltungsrechtliche Aufbau, 27, ca. 1938, S. 8. 128 Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931..., hrsg. von E. Klausener, Chr. Kerstiens und R . Kempner, S. V I I I . Dieselbe Feststellung trifft Robert Kempner in Schadenersatzpflicht der Polizei bei politischen Zusammenstößen, in: Die Polizei, 27. Jg. (1930), N r . 14 vom 20. Juli, S. 333. 1931...,
Politische
91
Bildung
Die ständigen Straßenunruhen während der letzten Jahre der Republik ließen den Polizeichefs oft keine andere Wahl, als die Funktionstüchtigkeit ihrer Beamten über das Ideal der absoluten Rechtmäßigkeit zu stellen. Immer wieder zeigte sich, daß es sinnlos war, juristische Unterschiede zwischen gewöhnlichen und politischen Verbrechern zu machen, wenn es darum ging, aufrührerische Zusammenrottungen zu zerstreuen. 127 Politische Versammlungen brachten die diensthabenden Beamten in eine mißliche Lage; denn einerseits mußten sie das Hausrecht der Organisatoren, eventuelle Störenfriede selbst zu entfernen, respektieren, andererseits waren sie jedoch zum Eingreifen verpflichtet, wenn die Organisatoren ihr Hausrecht als Vorwand benutzen sollten, um unliebsame Opponenten zu verprügeln. 128 Wie schwierig es war, die republikanische Schutzpolizei zu demokratisieren, kann man den wiederholten Versuchen entnehmen, Demokratie einfach mit Popularität gleichzusetzen. Popularität bedeutete nicht wie in den Jahren um 1848 Verbundenheit mit dem Volke oder eine Polizei, die sich aus der Berliner Bevölkerung rekrutierte. Popularität bedeutete lediglich die Notwendigkeit der öffentlichen Anerkennung und Unterstützung, die sich die Polizei durch Höflichkeit und Kompetenz bei der Erledigung ihrer Aufgaben, durch geschmackvolle Uniformen, öffentliche Konzerte, Wohltätigkeitsbälle und andere Arten der Öffentlichkeitsarbeit erwerben mußte. 129 Den Höhepunkt der Kampagne um die Gunst der Bevölkerung bildete die Große Polizeiausstellung von 1926. Severing hielt dieses Ereignis für so bedeutend, daß er seinen Rücktritt als preußischer Innenminister um mehrere Wochen verschob, um den Eröffnungsfeierlichkeiten beizuwohnen. 130 Nur wenig später erschien ein amtlicher Bericht, in dem offen erklärt wurde, daß es das Ziel der Ausstellung gewesen sei, diejenigen Gruppen der Bevölkerung anzusprechen, die anfingen, in der Polizei mehr zu sehen als die lästige Autorität, die immer nur ermahnte und belehrte. Die Ausstellung sollte die Wieder127
Vorschrift
128
K. Schönner, Versammlungs-
habung
für die Waffenausbildung
und Wirkung,
und
in: Die Polizei,
. . . § I,
1—4.
Zeitungsverbote.
Voraussetzungen,
Hand-
26. Jg. (1929), N r . 8 vom 20. April, S. 177
bis 179. 129
Die meisten Lehrbücher der Polizei betonten besonders in den frühen zwanziger
Jahren die Bedeutung, die dem guten Verhältnis zur Bevölkerung beigemessen wird. Siehe zum Beispiel das Standardwerk, Das Lehrbuch
für die Polizeischulen,
hrsg. von
Willi Neese, Bd. 1, Berlin 1921. Zehn Jahre später hatte sich das Schwergewicht auf das Verhältnis der Polizei zur Regierung verlagert. · 1,0
C . Severing, Mein Lebensweg
...,
Bd. 2, S. 8 3 — 9 3 .
92
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
annäherung demonstrieren, die sich nach dem Sturz der Monarchie zwischen Polizei und Volk angebahnt hatte. Ihr Erfolg wurde an den 50 000 Besuchern gemessen, die das Messegelände am Kaiserdamm betreten hatten. Einen Beweis für die wachsende Popularität der Schutzpolizei sah man auch in der Tatsache, daß in den Spielwarengeschäften Weihnaditen 1926 zum ersten Male Puppen in Polizeiuniformen angeboten wurden. 131 Eine Popularität, die nur auf dem einseitigen Werben um Anerkennung beruhte, konnte man jedoch bestenfalls als einen Aspekt demokratischer Polizeiarbeit bezeichnen. Der Wunsch nach öffentlichem Vertrauen ging beispielsweise nicht einmal so weit, daß die Polizei ihre Schupos mit Dienstnummern an den Uniformen versehen hätte. 132 Versuche, das Bild der Polizei auch bei den Kindern zu verbessern, resultierten in dem folgenden Entwurf für einen Schulbuchtext: „Viele Leute mögen schon das Wort ,Polizei' nicht hören. Das sind nicht die Besten. Es sind die, die die Polizei fürchten. Solche gibt es. Du hast ja schon gehört, was für Gesindel umherläuft: Einbrecher, Diebe, Mörder. Neulich hat sogar einer ein kleines Mädchen ermordet. Der Kerl muß doch gefaßt werden." 133 Durch diese Art von Verängstigung wurde versudit, in den Kindern den Wunsch nach Polizeischutz zu wecken und sie gleichzeitig anzuregen, als Erwachsene nach einer vergleichbaren Autorität zu streben. „Der Schupo ist der König der Straße . . . Alles gehorcht seinem Winke. Ich möchte wohl auch Schupo werden . . . Sieh Dir den Schupo nur nochmal an, wem der alles befiehlt." 134 Die Erklärungen der damaligen Regierungsvertreter enthielten immer einen Hauch von Wunschträumerei, wenn sie die politisdie Loyalität der Schutzpolizei lobten. Carl Severing und Wilhelm Abegg wurden 1929 etwas voreilig gepriesen, „ . . . die Schutzpolizei mit dem Geiste der unbedingten Treue zum republikanischen S t a a t e . . . erfüllt zu haben". 135 Ein Bericht über die Verfassungsfeier der Schutzpolizei 1924 ist von übertriebener Fröhlichkeit erfüllt: „Heiterer Sonnenschein strahlte über Berlin am 11. August, als die Berliner Schutzpolizei die 131 Hans Emil Hirschfeld / Karl Vetter (Hrsg.), Tausend. Bilder. Große PolizeiAusstellung Berlin 1926, Berlin 1927, S. 5—7; und Große Polizei-Ausstellung Berlin — Internationaler Polizeikongreß, hrsg. von Oskar Dressler, Wien 1927, S. 23. 182 Siehe Vossische Zeitung, 14. März 1930, 5. April 1930, 10. April 1930, 15. September 1932. 183 H . Degenhardt / M. Hagemann, Polizei und Kind . . . , S. 50. 134 A. a. O., S. 51. 135 Volk und Schupo . . . , S. 38—39. „
Politische Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der
Schutzpolizei
93
Verfassungsfeier auf dem Schloßplatz beging. Mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, die man mehr und mehr als eine Schöpfung des wiedererwachenden deutschen Nationalgefühls und keineswegs etwa als ein Produkt des Zusammenbruchs des Deutschen Reiches betrachtet, waren Beleuchtungsmasten, Bäume und Terrassen auf das Reichste geschmückt . . . Wir bedauern, daß derartige Feiern der Schutzpolizei noch nicht in den früheren Jahren stattgefunden haben." 136 ^ Die Polizeichefs ignorierten 1924 die politische Gleichgültigkeit der Mannschaft genauso, wie sie auch später die Bedeutung des nationalsozialistischen Einflusses auf die Polizei unterschätzen sollten. Auch weitere Loyalitätskundgebungen konnten die Sympathien des Durchschnittsbeamten für die Republik kaum beeinflussen. So blieb die Androhung von Disziplinarstrafen für illoyales Verhalten als Abschrekkungsmittel übrig — aber durfte die Regierung den so schwer bestrafen, der nicht lernen wollte, was sie selbst nicht lehren konnte?
Politische Unterwanderung und in der Schutzpolizei
Sicherheitsmaßnahmen
Das Berliner Polizeipräsidium verließ sich darauf, durch die laufenden Berichte der leitenden Beamten oder durch gelegentliche Denunziationen auf Fälle politischer Unterwanderung aufmerksam gemacht zu werden. Man stand auf dem Standpunkt, daß ein antidemokratischer Beamter in seiner unmittelbaren Umgebung sehr bald auffallen würde. Diese Annahme war an sich richtig; aber nicht die Schlußfolgerung, daß illoyale Beamte automatisch angezeigt werden würden. Der Korpsgeist innerhalb der Schutzpolizei verhinderte es, daß Untergebene ihre Offiziere anzeigten. Diese wiederum zogen es vor, sich persönlich mit den republikfeindlichen Beamten auseinanderzusetzen; es sei denn, sie teilten deren politische Ansichten. Anzeigen aus der Bevölkerung — oftmals anonym oder zweifelhaften Ursprungs — wurden nur ernst genommen, wenn die Voruntersuchungen stark belastendes Beweismaterial lieferten. 137
138 Die Verfassungsfeier der Berliner Schutzpolizei, in: Die Polizei, 21. Jg. (1924), Nr. 10 vom 20. August, S. 239. Bemerkungen über die bedrückte Stimmung an Verfassungstagen finden sich bei H. Beraud, Ce que j'ai vu α Berlin . . . , S. 77—78; und Rumpelstilzchen, Piept esf . . . , S. 13. 137 Interviews Johannes Stumm, Eduard Kolbe. Ernst Schräder vom Verband Preußischer Polizeibeamten klagte, daß die automatische Suspendierung vom Dienst
94
III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Bis zum Januar 1932 bestand in der politischen Polizei (Abteilung IA) keine Sonderabteilung, um die politische Unterwanderung in der Schutzpolizei zu bekämpfen. Dann erst wurde das „Dezernat 4" gegründet, dessen Leitung Regierungs-Assessor Dr. Schnitzler übertragen erhielt. Mit nur acht Mitarbeitern konnte er jedoch kaum mehr ausrichten, als die neuesten, für die Polizei bestimmten kommunistischen Flugblätter entgegenzunehmen, die pflichtbewußte Polizisten bei ihm ablieferten. Die Abteilung IA hatte daher immer noch keine Möglichkeit, das Polizeipersonal systematisch zu überwachen oder eine Großfahndung nach politisch Abtrünnigen durchzuführen. Wie schon in den vorausgegangenen zwölf Jahren mußte sie auf gut Glück jeden einzelnen Fall untersuchen, wann und wo er auftrat. 138 Die politische Polizei war unterbesetzt, und die Disziplinargerichte des Präsidiums zeigten sich im allgemeinen ziemlich nachsichtig. Meistens wurden Beamte mit unerwünschten politischen Ansichten einfach dorthin versetzt, wo sie weniger Schaden anrichten konnten. Eine Untersuchung von ungefähr zwanzig politischen Fällen, in die Schupobeamte zwischen 1920 und 1932 verwickelt waren, deutete an, daß Beamte nur unter den folgenden Bedingungen wegen illoyalen Verhaltens entlassen wurden: 1. Wenn die Anklage einen klaren Verstoß gegen die Dienstvorschriften beinhaltete, und der Angeklagte aufgrund seiner Leistungen keinen Anspruch auf Milde geltend machen konnte. 2. Wenn gegen den Angeklagten unwiderlegbare Beweise vorlagen, oder wenn er geständig war. 3. Wenn der Angeklagte der groben Befehlsverweigerung bezichtigt werden konnte, oder wenn sein Fall öffentliches Aufsehen erregt hatte. 4. Wenn kein Polizeiverband für ihn eintrat. In einigen Fällen schien die Polizei geneigt, Disziplinarverfahren in der Hoffnung fallenzulassen, das Ausmaß politischer Unzufriedenheit in der Mannschaft vertuschen zu können. Hauptsächlich waren es drei Gruppen, von denen eine politische Unterwanderung drohte: die Kommunisten, die reaktionären Monarchisten und die Nationalsozialisten. Innerhalb der Polizei waren diese Gruppen verschieden stark vertreten; die Schärfe, mit der sie verfolgt bei jeder anonymen Anzeige die Moral der Polizei untergrabe. Vowt'jo&e Zeitung 31. Januar 1928.
(A),
188 Siehe Briefwechsel zwischen dem Preußischen Innenministerium und dem Berliner Polizeipräsidium im Bundesarchiv Koblenz, R 58/423; insbesondere ein Bericht von Füth über das Dezernat 4 vom 30. August 1932; und R 58/669.
Politische Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
95
wurden, stand jedoch in keinem Verhältnis zu ihrer Stärke. Natürlich gab es außerdem Polizeibeamte, die sich politisch überhaupt nicht festlegten und von denen man annehmen mußte, daß sie die Republik in einer Krise jederzeit im Stich lassen würden. Gegen diese letzte Art von Unterwanderung waren die Disziplinargerichte natürlich maditlos. Die Kommunisten Von den drei antirepublikanischen Gruppen waren die Kommunisten am stärksten daran interessiert, die Schutzpolizei durch Unterwanderung zu schwächen. In Restaurants und auf Sportplätzen, durch gemeinsame Hobbys und Bekannte versuchten Parteiagenten, Kontaktleute in der Polizei anzuwerben. Die Aufgabe dieser Kontakte war Spionage: Die Parteiführung suchte Informationen über IA-Agenten und die Stimmung in den Bereitschaften, über Änderungen der Dienstvorschriften und den Standort von Verteidigungsanlagen zu erlangen. Da die Kommunisten kaum hoffen konnten, eine größere Anzahl von Schupos für sich zu gewinnen, beabsichtigten sie, ein Netz von Geheimzellen aufzubauen, die aus jeweils höchstens vier Leuten zu bestehen hatten. Die Mitglieder dieser „Roten Schupo-Zellen" sollten ihre zahlenmäßige Schwäche durch revolutionären Elan ausgleichen. So forderte man sie beispielsweise auf, auch innerhalb der Polizeigebäude, trotz des Risikos entdeckt zu werden, kommunistische Schriften zu studieren.139 Aber kam dieses Netz der „Roten Schupo-Zellen" jemals wirklidi zustande? Es scheint, daß die Tagung der ersten Reichs-Konferenz Roter Schupo-Zellen im Jahre 1931 hauptsächlich dazu diente, Unruhen innerhalb der preußischen Polizei vorzutäuschen, um die kommunistischen Kampfgruppen anzuspornen. Das Manifest „Schupos rufen zum 1. Mai: Her zur KPD!", 1932 in Die Rote Fahne veröffentlicht, enthielt 29 Unterschriften, von denen aber nur eine einzige von einem Berliner Polizisten stammte, und zwar von Fritz Müller, der aber bereits zwölf Jahre zuvor aus der Polizei ausgeschieden war. 140 Die Akten des Berliner Polizeipräsidiums über die kommunistische Unterwanderung, die sich heute im Bundesarchiv in Koblenz befinden, Richtlinien für... (Am-Apparat), hrsg. vom Zentralkommittee der KPD. Siehe auch Jan Valtin [d. i. Richard Julius Hermann Krebs], Out of the night, New York 1941, S. 199, 420; und Walter G. Krivitsky, Ich war in Stalins Dienst [/ was Stalin's agent, deutsch], Amsterdam 1940, S. 36. 140 Ein Bericht über dieses Manifest ist vom Landeskriminalamt I (Berlin) am 8. September 1933 angefertigt worden. Siehe Bundesardiiv Koblenz, R 58/547. 139
96
III.
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
enthalten die Namen von sieben Berliner Polizisten, die wegen angeblicher Verbindungen zur Kommunistischen Partei zwischen 1924 und 1933 angezeigt worden waren. N u r zwei von diesen sieben Anzeigen wurden von dem Untersuchungsführer der Abteilung I A nicht sofort als völlig unbegründet verworfen. Man muß also annehmen, daß die kommunistische Gefahr innerhalb der Polizei hauptsächlich auf kommunistischer Propaganda, Gerüchten und persönlichen Spekulationen beruhte. In einer Rede am 30. Juni 1925 „schätzte" Polizei-Major Eldor Borck beispielsweise den Anteil der Beamten, die mit den Kommunisten sympathisierten, auf zehn Prozent, doch blieb er den Beweis für diese Behauptung schuldig. 141 1962 bestätigte Polizei-Major Eduard Kolbe in einem Interview, daß es in den frühen zwanziger Jahren Schupo-Beamte gegeben habe, die der K P D angehörten, doch namentlich konnte er keinen nennen. Verspottet und zahlenmäßig unterlegen, hätten sie sich sehr zurückgehalten, meinte er. 1 4 2 In einem Bericht an die Abteilung I A schrieb SchupoKommandeur Kaupisch 1 9 2 5 : „Ich möchte stark bezweifeln, daß es bei Demonstrationen zu einer Verbrüderung zwischen Kommunisten und Schutzpolizei gekommen ist. Wenn es KPD-Anhänger in der Polizei gibt, würden sie ihre Sympathien sicher nicht offen zeigen." 1 4 3 Kriminal-Kommissar Wilhelm Bonatz von der Abteilung I A äußerte 1926 Zweifel an der Existenz einer „Gemeinschaft proletarischer Polizeibeamten", auch als „Kommunistische Schupo-Fraktion" bekannt. Diese Organisation soll in jenem Jahr 150 R M für die Internationale Arbeiterhilfe gespendet haben, und Bonatz argumentierte, daß bei dem bescheidenen Taschengeld eines Schupo-Beamten mindestens 3 0 0 Spender notwendig gewesen wären, um diese Summe aufzubringen. W a r es denkbar, daß von diesen dreihundert Leuten kein einziger der politischen Polizei aufgefallen sein sollte? 144
141
Borck schätzte, daß 50 °/o der Schupos mit den rechten Parteien
sympathi-
sierten, 35 °/o mit der SPD, 5 °/o mit der Zentrumspartei und 10 °/o mit der K P D . Der Schreibmaschinenentwurf seiner Rede befindet sich im Borck-Nachlaß im Bundesarchiv Koblenz. 142
Interview Kolbe.
143
Kaupisch an Abteilung IA, Berlin, 25. Februar
1925, Tgb. N r . 715/25,
im
Bundesarchiv Koblenz, R 58/686/1. 144
Bericht von Bonatz aus Berlin vom 1. Juni 1926, III. G. St. Außend.,
desarchiv Koblenz, R 58/686/1. Siehe auch Werner T. Angress, Stillborn the
communist
S. 3 4 2 — 3 4 4 .
bid
for
power
in Germany,
1921—1923,
Princeton,
im Bunrevolution;
N. J.
1964,
Politische Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
97
Die Tatsache, daß es praktisch keine kommunistischen Elemente in der Polizei gab, kann sicher nicht auf die Wirksamkeit ihrer Sicherheitsmaßnahmen zurückgeführt werden. Wahrscheinlicher ist, daß die provinzielle Erziehung des Durchschnittsschupos ihn für die Argumente der kommunistischen Agitatoren, mit denen er in Berlin konfrontiert wurde, ganz einfach unempfänglich machte. Im Gegenteil, seine national-konservativen Vorstellungen von Zucht und Ordnung wurden durch die täglichen Zusammenstöße mit den militanten Elementen in den Berliner Arbeiterbezirken noch verstärkt. Als Folge der dauernden Straßenkämpfe mit den Kommunisten während der zwanziger Jahre entwickelte sich bei der Schutzpolizei eine Tradition unversöhnlichen Hasses auf alles, was mit Marxismus, Kommunismus, dem Proletariat oder ganz einfach dem Vierten Stand zusammenhing. 145 Dieser H a ß wurde durch offizielle Kampfanweisungen indirekt noch geschürt. In den technischen Handbüchern über den Gebrauch von Feuerwaffen im Polizeieinsatz bei inneren Unruhen fanden sich abfällige Bemerkungen über die Rote Front, in deren Reihen die „unsaubersten, kriminellen Elemente der Gesellschaft" und „der nur auf Eigennutz bedachte Abschaum des Volkes" zu finden sein sollten.146
Die Reaktionäre Die Demokratisierung der Schutzpolizei wurde zu keinem Zeitpunkt durch die Kommunisten untergraben, sondern durch die reaktionären Elemente im Offizierskorps und — gegen Ende der zwanziger Jahre — auch durch die Anhänger des Nationalsozialismus in den Mannschaften. Man kann die reaktionären Polizeioffiziere kaum als Verschwörer bezeichnen; denn sie versuchten nur selten, ihre politischen Ansichten zu verbergen und hatten nicht die Absicht, den Polizeiapparat zu sabotieren, oder ihn als Instrument für einen direkten Angriff auf die Regierung zu benutzen. Vielmehr brachten sie die Republik durch die Verachtung ihrer Führer, ihrer Fahne und ihrer Prinzipien in Verlegenheit und machten die Bemühungen der Regierung, die Polizei zu Zu der besonderen Feindschaft zwischen Sdiupo und Rotfront siehe H . R . Knickerbocker, Deutschland so oder so? . . . , S. 28. 14® Zum Beispiel Polizei-Oberst Sdiützinger, Neue Kampfformen der KPD, i n : Die Polizei, 21. J g . (1924), N r . 11 vom 5. September, S. 266—268; M. Rittau, Verhalten des „proletarischen Kämpfers" gegenüber Polizei und Justiz im politischen Strafverfahren, i n : Die Polizei, 22. J g . (1925), N r . 4 vom 20. Mai, S. 102—104; und W . Hartenstein, Der Kampfeinsatz der Schutzpolizei..S. 19, 26, 28. 145
98
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
demokratisieren, durch ihre betont gleichgültige Haltung unglaubwürdig. Ihr ganzes Benehmen ließ die Behauptung der Regierung, über eine zuverlässige Schutzpolizei zu verfügen, sehr zweifelhaft erscheinen. Selten war es notwendig, die Reaktionäre heimlich zu überwachen; aber es war wichtig, sie sehr vorsichtig zu behandeln. Man konnte sie nicht einfach entlassen, ohne das gesamte Offizierskorps aufzubringen. Die Androhung von Disziplinarstrafen hätte sie lediglich veranlaßt, ihre Ansichten in Zukunft zu verbergen und sich der extremen Rechten anzuschließen. Eine tolerante Behandlung hingegen bewirkte bei einigen von ihnen ein unerwartet loyales Verhalten in den Jahren 1932 und 1933. Der wohl schwerwiegendste Fall politischer Unzuverlässigkeit in den zwanziger Jahren war die Stennes-Affäre. Die folgenden vier Punkte zeigen, daß ihr Verlauf typisch für derartige Fälle war: 1. Opposition gegen die Republik ohne eine klare Alternative; 2. offener Widerstand gegen die Staatsgewalt — von den Vorgesetzten geflissentlich übersehen; 3. Disziplinarmaßnahmen von seiten der Regierung werden nur widerstrebend und unter dem Druck der öffentlichen Meinung eingeleitet; 4. es folgt die Entwicklung des Betreffenden zum SA-Führer. Die Hundertschaft z. b. V. war eine Elitetruppe der bewaffneten Polizei, deren Unterkunft sich in der Schloßkaserne in Charlottenburg befand. Ihre Aufgabe war es, bei einem polizeilichen Notstand zusammen mit der politischen Polizei das Regierungsviertel zu sichern. Diese Truppe und ihr Kommandeur, Polizei-Hauptmann Walther Stennes, waren im November und Dezember 1921 in zwei öffentliche Prozesse verwickelt, die einige sehr beunruhigende Tatsachen aufdeckten. Der erste Prozeß betraf einen unaufgeklärten Fall von Brutalität gegenüber einem harmlosen Fußgänger. Angeklagt waren einige Mitglieder der Hundertschaft. Am Abend des 3. Februar 1921 hatte Polizei-Wachtmeister Schutte in der Lohmeyerstraße einen Passanten festgehalten, ihn mißhandelt, mit der Schußwaffe bedroht und schließlich mit in die Kaserne genommen. Hier schlugen Schutte und einige seiner Kameraden den Mann bewußtlos. Am 16. November 1921 wurden die betreffenden Polizisten wegen Amtsmißbrauchs angeklagt und zu Strafen zwischen 100 RM Geldbuße und 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Bei dem zweiten Prozeß eine Woche später ging es um den Mord an Polizei-Oberwachtmeister Johannes Buchholz im Sommer 1921. Buchholz hatte in der Schloßkaserne in der Buchhaltung gearbeitet. Kurz vor seinem Tode hatte ihn Walther Stennes beschuldigt, 173 385 RM
Politische Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
99
aus der Kasse der Hundertschaft veruntreut zu haben. Da Hauptmann Stennes diese Behauptung nicht beweisen konnte, hatte Buchholz nach einer kurzen Beurlaubung seinen Dienst wiederaufgenommen. Aber — so wurde gemunkelt — er war entschlossen, sich zu rächen und wollte einige interne Geheimnisse der Hundertschaft publik machen. Angeblich wußte er von heimlichen Zahlungen an politische Agenten, von geheimen Waffenlagern in der Schloßkaserne und von einer geheimen Verbindung, dem Bund der Ringmannen, zu berichten, der die Solidarität seiner Mitglieder durch nächtliche „Ehrengerichte" erzwang. Am 15. Juni 1921 wurde Buchholz in seinem Büro erschossen. In dem darauffolgenden Prozeß spielte der Mord an Polizei-Oberwachtmeister Buchholz jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Den prominentesten Zeugen, wie Regierungsrat Mösle vom Polizeipräsidium, Sdiupo-Kommandeur Kaupisch und Geheimrat von Priesdorff, ehemaliger Kommandeur der Sicherheitspolizei und kurz zuvor noch Inspekteur der Schutzpolizei, ging es in der Hauptsache darum, der gesamten Hundertschaft politische Zuverlässigkeit zu bescheinigen.147 Alle betonten, daß sich die Hundertschaft als „ausgezeichnete Kampfgruppe" bewährt hätte und „der Republik loyal ergeben" sei. Aber ihre Aussagen waren nicht sehr überzeugend. Priesdorff beschrieb Polizei-Hauptwachtmeister Meyer, den Hauptangeklagten, als „eine Landsknechtsnatur, aber von glühendem Vaterlandsgefühl beseelt". Kaupisch erklärte, daß die „Vertrauensleute" der Hundertschaft lediglich mögliche Verschwörer gegen die Republik bespitzelt hätten, deren Weiterbeschäftigung Polizeipräsident Richter ohnehin schon untersagt hatte. 1 4 8 Der inzwischen suspendierte Kommandeur der Hundertschaft, Walther Stennes, trat ebenfalls als Zeuge auf. Als ehemaliger Kriegsteilnehmer und Freikorpsführer in Westfalen und überzeugter Nationalist hatte er an gesetzlichen Feiertagen in der Schloßkaserne die Fahne des Kaiserreiches gehißt. Einmal hatte er geprahlt, daß die Hundertschaft ihm so ergeben sei, daß seine Leute zu Verbrechern werden würden, wenn ihm das Kommando abgenommen würde. Während des 147
„Major von Prießdorff bewies den besten Willen, die vorgeschriebene
Ent-
militarisierung der Sicherheitspolizei durchzuführen, dodi zeigte es sich, daß ihm dabei militärische Gewohnheiten und Gebräuche hindernd im Wege standen." C. Severing, Mein Lehensweg 148
...,
Bd. 1, S. 314.
Aufgrund eines Ministerialerlasses vom 6. Januar 1921 war es der uniformier-
ten Polizei strikt untersagt, einen eigenen Nachrichtendienst zu unterhalten. B. Weiß, Polizei und Politik . . . , S. 137.
100
III. Die Berliner Sdjutzpolizei
1920 bis 1932
Kapp-Putsches im vorangegangenen Jahr hatte er auf der Seite der Rebellen gestanden. Damals hatte die Regierung nichts gegen ihn unternommen; aber jetzt versetzte dieser Haudegen,1480 der über Panzerwagen, Flammenwerfer, Maschinengewehre und leichte Artillerie im Herzen Berlins verfügte, die Öffentlichkeit in Unruhe. Als die Regierung eine Gruppe von Schupos und ΙΑ-Leuten entsandte, um das geheime Waffenlager in der Schloßkaserne auszuheben, wurden diese mit Maschinengewehren bedroht, bis Kommandeur Kaupisch die Männer persönlich aufforderte, sich zu ergeben. Nach Ansicht des Berliner Tageblattes vom 3. Dezember 1921 war diese Demonstration von Aufsässigkeit der beste Beweis dafür, daß die Hundertschaft z. b. V. eine Bedrohung und keinen Schutz für die Republik darstellte. Die beiden Wachtmeister, die wegen Mord an Johannes Buchholz angeklagt waren, wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen; Stennes wurde jedoch nach seiner Suspendierung vom Polizeipräsidium nicht wieder eingestellt. Er trat am 28. Februar 1922 aus der Polizei aus. Kurz darauf löste Severing die Hundertschaft z. b. V. auf (sie wurde durch die Polizei-Abteilung Zentrum ersetzt). Als Vorwand diente ihm jener Überfall auf einen Passanten in der Lohmeyerstraße.149 Die Stennes-Affäre hatte ein merkwürdiges Nachspiel. Stennes versuchte zuerst, in der Industrie unterzukommen. Dann wurde ihm eine Stellung im Reichswehrministerium angeboten; er führte vertrauliche Aufträge a'us, nahm Flugunterricht und trat schließlich in die SA ein. Seit 1927 war er Oberster SA-Führer in Nordostdeutschland. Im Spätsommer 1930 führte er eine kurze Meuterei in der Berliner SA an, und nach einem zweiten Zusammenstoß mit Hitler wurde er 1931 aus der NSDAP ausgeschlossen. Kurz darauf wurde Stennes in Goebbels' Angriff beschuldigt, ein Agent der Geheimpolizei zu sein. Die einzigen Beweise waren anscheinend zwei Briefe, die der ehemalige PolizeiHauptmann an zwei heimliche Anhänger der NS-Bewegung in der Reichswehr und in der Schutzpolizei geschrieben hatte: Sein Briefparti48a j n e ; n e m bemerkenswerten Brief an Stennes aus dem Jahre 1949 schreibt Carl Severing über ihn: „ein schlimmer Wildfang, der wohl befehlen, aber nicht gehorchen konnte." Brief im Besitz von Walther Stennes. 149 Eine kurze Darstellung dieser Affäre findet sich in E. J. Gumbel, Zwei Jahre Mord..., S. 54—55. Die beiden Strafverfahren können im Berliner Tageblatt vom 4. November bis zum 3. Dezember 1921 verfolgt werden. Zur Stennes-Affäre äußerten sich in Interviews Stumm, Miczek, Kolbe und Bauer. Bauer diente 1922 in der Polizei-Abteilung Zentrum. Stennes Lebenslauf befindet sich in den Polizeiakten im Bundesarchiv Koblenz, NS 26/Vorl. 1368.
Politische
Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
101
ner in der Polizei war Ρ W M Gildisch, auf den wir noch später eingehen werden. Diese Briefe waren der politischen Polizei während einer Razzia auf die Gauleitung der N S D A P am 12. Februar 1931 in die Hände gefallen. Stennes verklagte den Angriff
wegen Beleidigung und
gewann seinen Prozeß mit Leichtigkeit, da Goebbels ihn offensichtlich nur der Spionage bezichtigt hatte, um die Glaubwürdigkeit der gefundenen Dokumente in Frage zu stellen. 150 Auf die Stennes-Affäre folgten andere Vorfälle, die dazu beitrugen, den Ruf der Schupo als Verteidigerin der Republik zu unterminieren. D a war Polizei-Major Alfred von Majewski, 1927 und 1928 K o m mandeur der Polizei-Inspektion Charlottenburg, dessen offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber nationalsozialistischen Ausschreitungen auf dem Kurfürstendamm die liberale Presse in Wut versetzte. So schrieb die Vossische Zeitung
vom 13. Mai 1 9 2 7 : „Seine (Majewskis) politi-
schen Ansichten interessieren uns nicht; aber wenn er sich weigert, seine Pflicht zu erfüllen und durchzugreifen, wenn es um rechtsradikale Elemente geht, sollte er auf einen weniger verantwortungsvollen Posten versetzt werden." Es dauerte noch ein ganzes Jahr und bedurfte weiterer öffentlicher Proteste, bis Majewski endlich versetzt wurde, und zwar an die Höhere Polizeischule in Eiche bei Potsdam — was in der Schupo einer Beförderung gleichkam. Wahrscheinlich war es seiner
1 5 0 Siehe Vossisthe Zeitung (A), 12. Februar 1931; 7. April 1931 (M); 23. Mai 1931 (A); 16. Januar 1932 (A); und 17. Januar 1932 (M). Audi C. Severing, Mein Lebensweg ..., Bd. 1, S. 268. In einem Brief an den Verfasser vom 10. Oktober 1973 schreibt Stennes: „Ich war immer ein Patriot, aber nie ein fanatischer Nazi, sonst hätte idi Hitler nicht seit 1931 unter Einsatz meines Lebens bekämpft, als sichtbar wurde, daß er die Alleinherrschaft anstrebte. — Die Sache mit dem Polizeispitzel verhält sich so und ist auf die ungeschickte Abfassung eines Schreibens des Polizeipräsidenten zurückzuführen. Bei der Festnahme eines Sturmführers wurden bei ihm zwei offizielle Schreiben des Osafstellvertreters-Ost — das war ich — gefunden und darauf bezog sich der Polizeipräsident, indem er sein Schreiben begann: ,Durch Schreiben des Osafstellvertreters-Ost ist mir bekannt geworden, daß . . . ' Bei meiner Rebellion gegen Hitler veröffentlichte die Partei das Rundschreiben des Polizeipräsidenten, das ihr durch einen Nazianhänger zugespielt worden war, um meine Anhänger zu' verunsichern. Tatsächlich hat mir die Veröffentlichung sehr geschadet, denn viele Leute kehrten daraufhin in die Partei zurück. Goebbels wurde sofort von seiner S. A. gezwungen, eine Berichtigung zu bringen. Hitler mußte ich verklagen. Er wurde in Berlin zu 1000,— Mark oder 6 Wochen Haft verurteilt. Ging in die Berufung und wurde zu 300,— Mark oder 14 Tagen Haft verurteilt. Er legte erneut Berufung ein und wurde vom Kammergericht freigesprochen, weil er nur Herausgeber des ,Völkischen Beobachters', aber nicht der verantwortliche Chefredakteur sei."
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III. Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
führenden Rolle in der Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere zuzuschreiben, daß ihm das Präsidium auf diese Weise entgegenkam. 151 Noch toleranter war die Behandlung von Polizei-Oberst Otto Dillenburger. 1928 leitete er die Polizeigruppe Ost und war also für die Disziplinlosigkeit der Polizei verantwortlich, die im Frühjahr jenes Jahres zu einer Reihe von Zusammenstößen
mit
kommunistischen
Demonstranten geführt hatte. Am 2. Juni 1928 wurde Vizepolizeipräsident Dr. Weiß bei einem dieser Straßenkämpfe in der Frankfurter Allee von einem Polizisten geschlagen. Nach einer ausgedehnten Untersuchung dieses Vorfalles beschloß das Polizeipräsidium, Dillenburger seines Amtes zu entheben. Dieser veranlaßte daraufhin die Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere, gegen den Beschluß Protest einzulegen, und wurde wiedereingestellt, allerdings nur in Oberhausen. Nach diesem Sieg trat er aus der Polizei aus, bewarb sich um den Posten des Ersten Vorsitzenden der Offiziersvereinigung und benutzte diese Position, um eine ausgedehnte Fehde mit Innenminister Severing zu beginnen. E r unterstützte hauptsächlich gleichgesinnte Offiziere in der Schutzpolizei, wie beispielsweise Polizei-Major Levit. 1 5 2 Von seinen politischen Ansichten einmal abgesehen, war Levit auch kein sehr fähiger Offizier. E r machte von sich reden, als er 1931 die Festnahme einer Gruppe von Zivilisten befahl, die der Republik und dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun in der Nähe des Regierungsviertels zugejubelt hatten. Was Levit später als strikte Einhaltung der Bannmeilen-Bestimmungen auslegte, wurde allgemein als vorsätzliche Nichtachtung der Regierung betrachtet. Es folgte eine parlamentarische Anfrage im Preußischen Landtag und Levit
wurde
suspendiert. Daraufhin schrieb Dillenburger einen offenen Brief an Severing, in dem er diesen beschuldigte, im Interesse seiner Partei Polizeioffiziere zu schikanieren. Audi diese Runde wurde von Dillenburger und der Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere
gewonnen;
Levit wurde wiedereingestellt und bekam einen neuen Posten in Gleiwitz. 1 5 3
151
Vossische Zeitung
(A), 13. Mai 1 9 2 7 ; 6. Juni 1928 ( M ) ; und 30. Januar 1931
(M). Siehe audi Majewskis Beitrag in Die Polizei, 27. Jg. (1930), N r . 1 vom 5. Januar, S. 1—5. 152
Polizeioffiziere
gegen Polizeipräsidenten,
1929; und Vossische Zeitung 153
C. Severing, Mein
in: Vossische Zeitung
(Μ), 1. Februar
(A), 2. April 1929.
Lehensweg
...,
Bd. 2, S. 2 9 4 — 2 9 5 , und Vossische
(A), 10. Dezember 1931; 6. Januar 1932 (M); und 8. Oktober 1932 (M).
Zeitung
Politische
Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
103
Es ist sehr einfach, die Kompromißbereitschaft des Innenministeriums und des Polizeipräsidiums gegenüber konservativen Offizieren zu kritisieren. Zugeständnisse erschienen als Zeichen der Schwäche und verhinderten nicht, daß sich Majewski, Dillenburger und Levit bei der ersten Gelegenheit nach dem 30. Januar 1933 um die Mitgliedschaft in der NSDAP bewarben. Andererseits mag diese Politik der Regierung dazu beigetragen haben, ernsthafte Unruhen innerhalb des Offizierskorps zu verhindern und die Gefahr eines Zusammenschlusses der unzufriedenen Offiziere mit der radikalen Minderheit in den unteren Rängen, die die nationalsozialistische Bewegung lange vor der Machtergreifung Hitlers unterstützte, abzuwenden.
Die Nationalsozialisten Die Zahl der Anhänger der NSDAP in der Berliner Schutzpolizei lag bei ungefähr 200 bis 300 Mann. Im Berlin Document Center in Dahlem befinden sich 48 von SA-Führern verschiedener Berliner Bezirke im Dezember 1934 verfaßte Berichte, die die Namen aller Schupos anführen, die während der Weimarer Zeit mit der Hitler-Bewegung sympathisiert und sie unterstützt hatten. 154 Außerdem lagert dort eine Anzahl von Briefen Berliner Polizeibeamter, die 1933 als Belohnung für ihre Verdienste um den Nationalsozialismus Beförderungen oder andere Vergünstigungen zu erlangen suchten. Die Gesamtzahl der in diesen Dokumenten namentlich aufgeführten Anhänger des Nationalsozialismus beträgt 216 Mann. 155 Diese Zahl stimmt wahrscheinlich nicht ganz. Eine sorgfältige Uberprüfung ist schwierig, da die SA-Führer manchmal entweder die Namen der einzelnen Polizisten falsch schrieben oder die Polizeieinheiten, denen diese angehörten, durcheinanderbrachten. Eifrig bemüht, so viele Anhänger wie möglich nachzuweisen, haben einige Berichterstatter wahrscheinlich audi die Namen von Schutzpolizisten genannt, deren Sympathien für den Nationalsozialismus vor 1933 höchst zweifelhaft waren. Andererseits können natürlich auch einige Listen verlorengegangen oder zusätzliche Namen aus Versehen, Nachlässigkeit oder Ge154
Aufgrund eines Rundschreibens des Leiters der preußischen Polizei, Nr. 270/34
(G.-)· 155
Hiermit sind nicht die Polizeibeamten gemeint, die eingeschriebene Mitglieder der N S D A P waren; davon gab es in der ganzen preußischen Schutzpolizei nur wenig mehr als 300. Namentliche Übersicht der Alt-Pg. vor 1932 (ohne 1932) der Offiziere der Schutzpolizei und Gendarmerie, Vervielfältigung im Berlin Document Center.
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III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
hässigkeit nicht aufgeführt worden sein. Die meisten Beamten, die aus Anlaß dieser Untersuchung interviewt wurden, meinten, daß es mindestens ebensoviele pronazistische Polizisten gab wie Beamte, die 1933 der Säuberungsaktion zum Opfer fielen, und deren Zahl wird offiziell mit 445 angegeben.156 Es scheint daher ratsam, die nationalsozialistische Unterwanderung innerhalb der Schutzpolizei mit Skepsis zu betrachten; denn unter den 216 aufgeführten Polizisten waren viele, deren Verhalten kaum als Sabotage an der Republik ausgelegt werden konnte. P H Koblin vom Polizeirevier 13 wurde beispielsweise als Anhänger aufgeführt, weil „man keinen Zweifel über seine Einstellung haben konnte, obwohl er sich immer sehr vorsichtig ausdrückte". PO WM Otto Sievert vom Polizeirevier 32 wurde seine „völlig neutrale und manchmal entgegenkommende Haltung gegenüber SA-Leuten" positiv angerechnet. POWM Nippold, der später die NSBAG in Berlin leitete, wurde gelobt, SALeute in seinem Bezirk auf der Straße gegrüßt zu haben, „obwohl er damit riskierte, erkannt zu werden". 157 Es gab allerdings Polizeibeamte, die aufgrund ihrer reditsradikalen Sympathien ihre Pflichten vergaßen, wenn es um nazistische Übeltäter ging. Hier einige Beispiele: POWM Otto Stascheit vom Polizeirevier 127 weigerte sich bei einem Einsatz, mit Gummiknüppeln gegen nationalsozialistische Demonstranten vorzugehen, die 1930 gegen die amerikanische Verfilmung von Remarques Roman Im Westen nichts Neues (1930) protestierten. 158 Polizei-Hauptmann Andrees unterließ es während des Streiks der öffentlichen Verkehrsbetriebe wiederholt, Streikende zu verhaften, obwohl ihn rechtlich nichts daran gehindert hätte. 159
156
Diese Angabe beruht auf dem Verzeichnis der auf Grund des Gesetzes (vom 7. 4. 1933) zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassenen Polizei-Offiziere und Polizei-Wachtmeister der preußischen Schutzpolizei. Vervielfältigung befindet sich im Berlin Document Center. 157 Siehe die Berichte der Berliner SA-Stürme 99/6, 3/2 und 1/6 vom 12. Dezember 1934. [In den ORPO-Akten im Berlin Document Center.] Ein literarisches Portrait eines republikanischen Polizeibeamten mit Sympathien für den Nationalsozialismus gibt Stefan Heym, Hostages, a novel, Garden City, Ν . Y. 1943, S. 39—40. 158 Bericht der SA-Brigade 25 an die Gruppe Berlin-Brandenburg, aus BerlinFriedenau, vom 17. Dezember 1934, Tgb. Nr. G. 20/34 SB., in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 159 Bericht der SA-Brigade 29, Standarte 12, Berlin-Pankow, vom 14. Dezember 1934, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.
Politische Unterwanderung und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
105
Praktisch unterstützten nationalsozialistisch gesinnte Polizeibeamte die örtlichen Sturmabteilungen dadurch, daß sie ihnen diskret Informationen über bevorstehende Polizeieinsätze zukommen ließen. Doch nahm die aktive Unterstützung auch andere Formen an. So gab es Polizeibeamte, die die Entlassung von SA-Gefangenen anordneten und dann einen falschen Bericht verfaßten, statt solche Leute in das Präsidium am Alexanderplatz einzuliefern. Andere Offiziere wiederum ließen bestimmte Gegenden von kommunistischen Banden räumen, obwohl sie genau wußten, daß diese sehr bald durch NS-Schläger ersetzt werden würden. Wenn politische Versammlungen zu Tumulten ausarteten, entfernten sie nur die NS-Gegner. Die Anhänger der NSDAP unter den Polizisten waren es auch, die den Völkischen Beobachter auf ihren Revieren zirkulieren ließen. Ab und zu verteilten sie außerdem nationalsozialistische Flugblätter in ihren Bezirken oder klebten nachts Propagandaplakate an Hauswände. Ein Wachtmeister in Neukölln versorgte arbeitslose SA-Leute mit Lebensmitteln, und zwei Beamte vom Polizeirevier 8 nahmen obdachlose Braunhemden in ihre Wohnungen auf, nachdem deren SA-Heime von der politischen Polizei geschlossen worden waren.160 Die Zahl der Schutzpolizisten, die in ihrer Unterstützung der Nationalsozialisten so weit gingen, war jedoch sehr klein. Ausnahmen waren PO WM Matzke, der an der Kampfausbildung der SA in Berlin-Britz beteiligt war, 161 sowie PL Kurt Lange und POWM Hans Schulz-Briesen, die der NS-Gauleitung in Berlin 1932 die Lage von Verteidigungsanlagen in den Polizeikasernen verraten wollten.162 Diese Leute waren jedoch nicht unbedingt überzeugte Nationalsozialisten. Sie gehörten zu jener Gruppe von Sonderlingen, Unzufriedenen und politischen Abenteurern, die Dr. Johannes Stumm als die geeignetsten Opfer nationalsozialistischer Unterwanderung in der Weimarer Polizei bezeichnete. 160
Dies waren die Polizeimeister Giessmann und Junghans. Siehe Bericht des SA-
Sturmes 1/6, Berlin, vom 17. Dezember 1934, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. Zu den SA-Heimen in Berlin zwischen 1931 und 1932 siehe Heinrich Bennecke, Hitler 161
und die SA, München—Wien 1962, S. 175.
Bericht aus Berlin-Neukölln vom 17. Dezember 1934, Tgb. N r . 10/34, G . D .
I I / l , in den O R P O - A k t e n im Berlin Document Center. 162
Siehe die Briefe von Schulz-Briesen aus Brandenburg (H.) vom 6. November
1933 und von Lange aus Berlin vom 2. Februar 1934 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. Die Vossische
Zeitung
berichtete über den Fall am 10. März 1932
(A) und am 11. März 1932 (M). Der Polizei-Wachtmeister, der Schulz-Briesen bei der politischen Polizei denunzierte und der einige Monate später audi Polizei-Major Encke bei den Militärbehörden anzeigen wollte, war Heinz Schumacher. Siehe S. 175.
106
III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Ein solches Beispiel war auch Polizeimeister Albert Becker, der der Königlichen Schutzmannschaft seit 1905 angehört hatte und den Anforderungen moderner Polizeiarbeit nicht gewachsen war. 163 Ein weiteres war P W M Kurt Gildisch, ein junger Ostpreuße, der der Berliner Schupo 1925 beigetreten war und dessen Ruf bei der Polizei-Inspektion Mitte unter seiner „furchtbaren Unachtsamkeit und seinem Hang zum Trinken" litt. Becker und Gildisch wurden 1929 bzw. 1931 wegen ihrer Verbindungen zur N S D A P entlassen. Nachdem Gildisch sich einige Monate lang an den politischen Terroraktionen der Nationalsozialisten beteiligt hatte, trat er in die SS ein. 164 In den Akten im Berlin Document Center wird nur ein einziger wirklich überzeugter Nationalsozialist angeführt: P O W M Linthe vom Polizeirevier 87. Dieser trat im Dezember 1925 in die N S D A P ein, als die Mitgliedschaft für Polizeibeamte noch legal war. Nachdem das Präsidium erfahren hatte, daß er in seiner Freizeit einen SA-Trupp am Alexanderplatz leitete, wurde er 1926 entlassen. 165 Es ist unumstritten, daß es in den letzten fünf Jahren der Weimarer Republik nationalsozialistische Zellen in der Schutzpolizei gegeben hat. Im Verhältnis zur Stärke der gesamten Polizei war ihre Zahl jedoch gering, und bei vielen Anhängern der N S D A P blieb es bei einem Lippenbekenntnis zu den Zielen und Grundsätzen des Nationalsozialismus. Dem Durchschnittspolizisten erschienen diese Kollegen als ziemlich harmlos. Was war schon dabei, wenn ein paar Wachtmeister bei einem Glas Bier die abgedroschenen Phrasen der NS-Presse wiederholten? War die Republik gefährdet, wenn einige Polizisten auf dem Wege zum Schießstand das Horst-Wessel-Lied sangen? Dies war natürlich ein gefährlicher Irrtum. Die Anhänger der Nationalsozialisten in der Schutzpolizei stellten sehr wohl ein Sicherheitsproblem dar; denn sie verbreiteten Mißtrauen in ihren Abteilungen,
163 Brief von Daluege an den Leiter der Privatkanzlei des Führers, Berlin, den 20. August 1934, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 164 Der Fall Gildisch kann anhand der Akten des Verfahrens aus dem Jahre 1951 wegen Mordes an Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener am 30. Juni 1934 verfolgt werden. Siehe Strafsache gegen Gildisch, Kurt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Moabit 1 P. Ks 4/51, Bd. I. Zusätzliche Informationen betreffend Gildisdis Entlassung aus der Polizei stammen von Dr. Stumm, der die Untersuchungen 1930 bis 1931 leitete. Siehe auch Vossische Zeitung (A), 23. Mai 1931. 165 Brief von Otto Linthe an Kurt Daluege, Berlin, vom 4. Februar 1933 mit Anlagen in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.
Politische
Unterwanderung
und Sicherheitsmaßnahmen
in der Schutzpolizei
107
verursachten leidenschaftliche Debatten und bewirkten bei den ängstlicheren Beamten politische Zurückhaltung. Dies traf ganz besonders auf politisch explosive Bezirke wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain zu. Aus SA-Berichten von 1934 geht hervor, daß die größte Anzahl von Anhängern der NSDAP in der Polizei aus Bezirken kam, in denen die kommunistische Partei schwach war. 166 In Spandau, einer der ersten Bastionen der NSDAP in Berlin, dominierten 1933 deren Gefolgsleute in den Revieren 141 bis 145. Ähnlich war es in vielen Revieren in Wilmersdorf, Schöneberg und Steglitz. Dagegen bemühte sich das Polizeipräsidium, die Reviere der PolizeiInspektion Mitte von rechtsradikalen Elementen wie PWM Gildisch zu säubern und sie mit zuverlässigen Sozialdemokraten zu besetzen. In den Arbeiterbezirken, die nach 1927 sowohl von nationalsozialistischen als audi von kommunistischen Banden umkämpft waren, griffen die sonst auf den Straßen ausgetragenen politischen Auseinandersetzungen auch auf die Polizeireviere über. Hier standen die Hitler-Anhänger einer Minorität von Polizisten gegenüber, die über die wachsende Oberherrschaft von SA-Kommandos in ihren Revieren besorgt waren und die die liberale Haltung ihrer Vorgesetzten zu politischen Gegnern in der Polizei ablehnten. Diese Gegner des Nationalsozialismus traten oftmals in die SPD und in den Wehrverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ein. Sie versuchten die Anhänger und Sympathisanten der NSDAP unter ihren Kollegen durch Androhung von Denunziationen zu erpressen und sie zu Verletzungen der Dienstvorschriften zu provozieren. Auch die Reviere 82, 85 und 88 der PolizeiInspektion Friedrichshain — wo nach 1929 der kommunistische Wohnungsschutz vom Trupp 34 der SA-Standarte 5 („Horst-Wessel") angegriffen und POWM Emil Kuhfeld getötet wurde — waren in zwei feindliche Lager gespalten. Politisch unentschlossene Offiziere, wie beispielsweise P H Fränkel vom Polizeirevier 85, waren nicht in der Lage, sich bei ihren Mannschaften durchzusetzen.167
1M 1,7
Siehe Karte am Ende des Buches.
Interview Hermann Artner, der v o n 1928 bis 1930 im Polizeirevier 88 und v o n 1930 bis 1933 im Polizeirevier 85 diente. Zu Fränkel siehe Seite 189. Informationen über die politischen Auseinandersetzungen im Polizeirevier 88 findet man in einem dringenden Bericht der N S D A P - G a u l e i t u n g Groß-Berlin an Daluege, Berlin, vom 15. Februar 1933 mit Anlagen. [In den O R P O - A k t e n im Berlin Document Center.]
III. Die Berliner
108
Schutzpolizei
1920 bis 1932
Die Regierung weigerte sich, entscheidende Schritte zu unternehmen, obwohl sie genau wußte, mit welchen internen Problemen die Polizei zu kämpfen hatte. Als im September 1930 ein Kellner prahlte, daß 14 Beamte der Polizei-Inspektion Friedrichshain der N S D A P angehörten, untersuchte die Abteilung IA zwar den Fall, gab sich aber zufrieden, als die Betroffenen die Anschuldigungen zurückwiesen, obwohl die Indizien und das Gerede der Kameraden darauf hindeuteten, daß der Kellner recht hatte. Um den Anschein von Republiktreue in dieser Inspektion wiederherzustellen, drohte die Abteilung IA dem Kellner einfach mit einem Gerichtsverfahren, wenn er seine Behauptungen nicht zurücknehmen würde. 168
Die Schutzpolizei im Einsatz: 1920 bis 1932 Während der gesamten Weimarer Zeit war es die Hauptaufgabe der Berliner Schutzpolizei, die Stadt vor dem ständig drohenden politischen Chaos auf den Straßen zu bewahren. Auf der Großen Polizeiausstellung von 1926 nahmen daher die Ausrüstungen für den Kampfeinsatz einen besonderen Platz ein, und in Presseerklärungen versicherte die Polizei, daß ihr ausgezeichnetes Ausbildungsprogramm einen Schutz gegen einen Bürgerkrieg darstelle. 169 Die schwelende Gewalttätigkeit bei Tausenden von politischen Veranstaltungen zu zügeln war zwar schwierig; aber es sind nicht diese technischen Probleme gewesen, die letztlich dazu geführt haben, daß die Schutzpolizei in dieser Auseinandersetzung unterlag. Das Versagen im Sommer 1932 ist vielmehr auf ihre politische Erschöpfung zurückzuführen. Trotz ihrer zahlenmäßigen und technischen Stärke war die Sdiutzpolizei den zersetzenden Folgen eines Kampfes, in dem ein wirklicher Erfolg nicht erwünscht war und in dem jeder Einsatz eine Vorbereitung auf den nächsten darstellte, nicht gewachsen. Gezwungen, die 168
Dieses Gerede wird audi in dem in Anm. 167 zitierten Dokument erwähnt.
Die Untersuchung kann verfolgt werden in Strafsache Blattsammlung
der Staatsanwaltschaft
gegen Grigutsch
bei dem Landgericht
I Berlin,
wegen . . ., in: 5 J N r . 725/31.
Die beiden Hauptverdäditigten, P O W M Wilhelm Heitmann vom Polizeirevier 83 und P W M Berthold Wichmann vom Revier 86, wurden für ihre Dienste für die Nationalsozialisten später in einem Beridit der SA-Standarte 5 („Horst
Wessel")
(Berlin, den 13. Dezember 1934) namentlich gelobt. In den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 169
Zum
Beispiel Albert
Vossische Zeitung
Grzesinski,
Polizei
und
(M), 15. Juni 1926; und Bierabend
in: Vossische Zeitung
(A), 4. November 1927.
Straßendemonstrationen,
des Berliner
in:
Polizeipräsidenten,
Die Schutzpolizei
im Einsatz
109
öffentliche Ordnung und Sicherheit mit einem Minimum von Gewalt aufrechtzuerhalten und in jedem Aufrührer einen irregeleiteten Mitbürger zu sehen, der „aus höheren Beweggründen handelte", war die Polizei selten in der Lage, den Ablauf der Dinge zu bestimmen. Die beiden extremen Lager brachten die Polizei durch ständig wechselnde Taktiken aus dem Gleichgewicht. Auf friedliche Demonstrationen folgten Gewalttätigkeiten und bewaffnete Anschläge, auf Angriffe gegeneinander Tätlichkeiten gegen neutrale Bürger, auf den Kampf gegeneinander das Bündnis gegen die Staatsgewalt. Zeigte sich die Schutzpolizei tolerant und überließ sie den politisierten Massen die Straße, machte man sie für die entstehenden Tumulte verantwortlich; ging sie mit Gewehren und Gummiknüppeln gegen die Demonstranten vor, wurde sie der Provokation und des Militarismus beschuldigt. Die Auswirkungen von zwölf Jahren dieser Taktik waren an der Polizei nicht spurlos vorübergegangen; sie war enttäuscht und resignierte. Der ständigen Beschuldigungen müde, war sie bereit, eine grundlegende Änderung des politischen Systems zu akzeptieren. Von den beiden Hauptgegnern waren es die Kommunisten, die in der Polizei den unvermeidlichen Feind sahen. Dabei war es ihnen gleichgültig, ob deren Kommandeur Polizei-Major Haupt oder der liberalere Heimannsberg war; die Polizei war für die KPD eine „freiwillige Söldnertruppe des K a p i t a l s . . . die unmöglich ,herüberzuziehen', sondern die zu desorganisieren i s t . . ." 170 Glücklicherweise — so meinten die Kommunisten nicht ganz unberechtigt — „ . . . gibt es keine unüberwindlichen Polizeien. Die Polizei wird sich nur bei einem uneinheitlichen, seine Kräfte verzettelnden Gegner auf die Dauer halten können. Vor allem wird sie es nie auf einen Kampf bis zum letzten Mann ankommen lassen können, weil die hierzu erforderliche Idee fehlt. Dem Polizeibeamten ist seine Tätigkeit Beruf. Er wird, wenn es für ihn gefährlich wird, nicht seine Person bis zum Letzten einsetzen. Auch Teile der Führung stehen nicht fest und würden sofort zum Gegner gehen, wenn dieser ihnen eine Chance gibt." 171 Die Kommunisten hielten auch die Sonderwagen der Regierungstruppen für relativ ungefährlich, solange diese von Männern eingesetzt wurden, denen das politische Engagement fehlte. Außerdem würde 170
Rücktritt des Polizeikommandeurs Haupt, in: Die Rote Fahne, N r . 129 vom 3. Juni 1927; und Krieg dem imperialistischen Krieg!, in: Oktober, 5. Jg. (1930), Nr. 4 vom August. 171 Zitat aus einem kommunistischen Dokument in Ratcliffe (Hrsg.), Denkschrift über Kampfvorbereitung . . . , S. 53.
110
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
„ein Gegner, der mit den Besonderheiten eines Panzerwagens vertraut ist . . . moralisch von dem nutzlosen, munitionsvergeudenden Geknalle und Gerassel nicht beeindruckt werden". Nur weil sie für einen Aufstand militärisch noch nicht stark genug waren, gaben sich die Kommunisten mit Guerillaangriffen kleiner Gruppen zufrieden. 172 Dagegen waren die Nationalsozialisten niemals an einem offenen Konflikt mit der Polizei interessiert. Im Gegensatz zu den Kommunisten konnten sie nicht mit der massiven Unterstützung einer bestimmten Bevölkerungsschicht rechnen, und deshalb auch keinen Aufstand in einem oder mehreren Teilen der Stadt inszenieren.173 In seinen „Richtlinien für den SA-Mann" (1927) betonte Joseph Goebbels daher ausdrücklich: „Widerstand gegen die Polizei- und Staatsgewalt ist heute immer Unsinn, weil Du ja doch in jedem Falle der Unterlegene bist. Gleichgültig, ob Du recht oder unrecht hast, der Staat rächt sich an Dir und uns mit Gefängnis und hohen Geldbußen. Darum, wenn es nicht anders geht, füge Dich der Gewalt; aber tröste Dich, wir rechnen später einmal ab." 174 Wenn die Nationalsozialisten überhaupt bewaffnete Aktionen gegen die Polizei planten, dachten sie weniger an Guerillakämpfe oder Aufstände, sondern mehr an einen Putsch. Ihre große Stunde, so glaubten sie, würde im Falle einer Krise schlagen, wenn die Regierung das Vertrauen der Polizei bereits verloren hätte und ein überrasdiender Überfall auf sämtliche Polizeianlagen der Stadt kaum auf Widerstand stoßen würde. 175 Nur so ist es zu erklären, daß die Nationalsozialisten ihren Kampf mit der Polizei während dieser ganzen Zeit auf Defensivaktionen und Propaganda beschränkten. Auch ihr späterer Sieg in den Straßenschlachten um Berlin wird leichter verständlich, wenn man bedenkt, daß die größte Schwäche der Schutzpolizei in ihrer mangelnden politischen Ausrichtung lag. In einem offenen Kampf mit dem Gegner konnte sie sich jederzeit behaupten: aber gegen einen Feind, der mit der „Kunst der Tarnung und mit der Tugend der Beharrlichkeit" kämpfte, war sie machtlos.176
A. a. O., S. 43—44, 48. 173
J. Goebbels, Kampf um Berlin . . . , S. 70. Vossische Zeitung (A), 6. Mai 1927; und Ratcliffe (Hrsg.), Denkschrift Kampfvorbereitung . . . , S. 77. 174
175 17
A. a. O., S. 78—79.
· J. K. von Engelbrechten / H . Volz, Wir wandern . . . , S. 19.
über
Die Schutzpolizei
im Einsatz
111
Der kommunistische Propagandakrieg gegen die Polizei hatte keine Aussicht auf Erfolg. Er reichte von vergeblichen Appellen auf Unterstüzung („Schupobeamter! Auch Du gehörst in die rote Klassenfront!") über primitive Angebote, wie „Gehaltserhöhung, Organisationsfreiheit, Arbeit, Brot, Freiheit" in einem sozialistischen Deutschland, bis hin zu einfachen Drohungen und Verhöhnungen: „Wir fürchten nicht den Donner der Kanonen, wir fürchten nicht die grüne Polizei!" 1 7 7 Die Nationalsozialisten verstanden sich auf die Mentalität der Schutzpolizisten weitaus besser. Ihre Redner äußerten sich anerkennend über die Vaterlandsliebe und die Disziplin der Polizisten; sie sprachen von ihnen als deutschen Volksgenossen, deren soldatische Fähigkeiten leider von gewissenlosen politischen Bonzen ausgenutzt würden. Auf jeden Wachtmeister, der sich dazu hergäbe, einen SA-Mann zu schlagen, so behaupteten sie, käme ein guter Polizist, der sich schämte, ein „Zörgiebel-Kosak" zu sein. D a sie von Offizieren geführt würden, die ihnen sinnlose Befehle erteilten und sie gegen patriotische Bürger aufhetzten, wäre es kein Wunder, daß Polizisten vom Begleitschutz der Demonstrationszüge ihre Schützlinge im Stich ließen, wenn Gefahr drohte. 178 Die Behauptung einiger NS-Propagandisten, daß die Polizei bei politischen Zusammenstößen wenig Mut bewiesen habe, entbehrt jeder Grundlage. Es gibt keinerlei Beweise, daß die Berliner Schutzpolizei in den zwanziger Jahren oder Anfang der dreißiger Jahre jemals vor physischem Einsatz zurückschreckte, auch wenn sie zahlenmäßig unterlegen war. 1 7 9 Ob ihre Qualitäten als Ordnungstruppe sinnvoll genutzt wurden, ist natürlich eine andere Frage. 177
Interview B a u e r ; und B. Weiß, Polizei und Politik . . . , S. 13—15. Eine S a m m -
lung von kommunistischen Flugblättern an die Adresse der Berliner Schupo befindet sich in der Blattsammlung
der
Strafsache gegen Unbekannt,
1 pol J . 2470/32.
178
R.
S.A.
geförderten erobert
Schönfelder,
Veröffentlichungen
Berlin. Vom
Ein
Werden
ersichtlich.
Tatsachenbericht, der
deutschen
Koschorke (Hrsg.), Die Polizei — einmal anders!..., 179
bei dem
Landgericht
I
Berlin,
D i e Einstellung der N a z i s zur Polizei ist aus den verschiedenen, v o n
NSDAP Die
Staatsanwaltschaft
Zum
München
Beispiel:
Wilfrid
1933, S. 201,
Polizei...,
S. 2 9 8 ;
der
Bade,
211—212;
oder
Helmuth
S. 3 5 — 3 6 .
D a ß die Schupo um solche Anschuldigungen wußte, geht aus einem sehr a u f -
sdilußreichen Bericht in Die Polizei
h e r v o r : Ein Zivilist beobachtete, wie Polizei-
w a g e n die Marschroute eines politischen Aufmarsches verlassen und lächelt:
„Aha!
Sie haben genug und verschwinden!" — „ G a n z im Gegenteil", antwortet sein Freund v o n der Polizei, „sie schneiden nur ein Stück v o m Wege ab, u m an der nächsten Straßenkreuzung f ü r Sicherheit zu s o r g e n ! " Ulli A m m a n , Eine Fahrt in: Die Polizei, 25. J g . (1928), N r . 13 v o m 5. J u l i , S. 4 3 5 — 4 3 6 .
durch
Berlin,
112
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Zeitungsberichten aus der Zeit von 1920 bis 1932 kann man entnehmen, daß der Einsatz der Schutzpolizei gegen die radikalen Elemente in den Straßen Berlins fünf verschiedene Phasen durchlief. 180 Phase I: Polizei — Herr der Lage, 1920 bis 1925 Während der ersten fünf Jahre der Weimarer Zeit war die Sicherheitspolizei und ihre Nachfolgerin, die Schutzpolizei, in Berlin völlig Herr der Situation. Die Spartakistenunruhen von 1919 waren vorüber, es herrschte Inflation, und die Kommunistenaufstände in Mitteldeutschland (1921) und in Hamburg (1923) führten nur vereinzelt zu Zwischenfällen in der Hauptstadt. Bei Großfahndungen der Polizei im September und Oktober 1920 fielen ihr große Mengen von Waffen in die Hände, die sich seit Kriegsende illegal im Besitz von Zivilisten befunden hatten. 181 Seine wiedererlangte äußere Ruhe verdankte Berlin der Stärke seiner Schutzpolizei, die bereits 1921 14 000 Mann umfaßte. Alle politischen Kundgebungen wurden polizeilich strengstens überwacht. Versammlungen unter freiem Himmel mußten 48 Stunden vorher angemeldet werden; andere Versammlungen bedurften einer Erlaubnis, die nur selten erteilt wurde. Am 15. Januar 1921 — dem zweiten Jahrestag der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs — fand ein großer Aufmarsch. kommunistischer Arbeiter statt, der vom Lustgarten zum Brandenburger Tor führte. Einige Schüsse, abgegeben von einem Schupo-Offizier und fünf Wachtmeistern, genügten bereits, um die Massen zu zerstreuen. Diese Position der Stärke erlaubte es der Regierung, das Versammlungsverbot hin und wieder aufzuheben. Im Mai 1919 wurden die Berliner aufgerufen, ihrem Ärger über die alliierten Friedensbedingungen Luft zu machen, und im Januar 1923 durften sie gegen die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen demonstrieren. 182 Kurz vor den Stadtverordneten wählen im September 1921 lud Polizeipräsident Rich1 8 0 Die folgende Darstellung beruht auf den Tagesberichten dieser zwölfjährigen Periode in der Vossischen Zeitung. N u r zusätzliche Bemerkungen und weitere V e r -
weisungen werden in den Anmerkungen vermerkt. 1 8 1 Hans Roden, Polizei greift ein. Bilddokumente
der
Schutzpolizei,
Leipzig,
ca. 1934, S. 4 5 ; und F. Friedensburg, Die Weimarer Republik ..., S. 1 2 6 — 1 2 7 . 1 8 2 Siehe auch den öffentlichen A p p e l l des Berliner Polizeipräsidenten in: Die Polizei, 16. Jg. ( 1 9 1 9 ) , N r . 5 v o m 5. J u n i ; und B. Weiß, Polizei und Politik..., S. 1 6 — 1 7 .
Die Schutzpolizei
im
Einsatz
113
ter Vertreter der politischen Parteien zu einer Besprechung über gemeinsame Sicherheitsvorkehrungen bei Wahlversammlungen ein. In der ersten Hälfte der zwanziger Jahre gab es nur einen einzigen ernsthaften Zusammenstoß zwischen Polizei und den politisierten Massen, als am 13. Januar 1920 eine große Anzahl von Arbeitern aus den nördlichen Bezirken Berlins zum Reichstag marschierte, um gegen das ihrer Meinung nach unzureichende neue Betriebsrätegesetz zu demonstrieren. Um Zwischenfälle zu vermeiden, stationierte die Sicherheitspolizei den größten Teil ihrer Truppen am Rande des Königsplatzes und stellte lediglich einige Posten am Eingang des Reichstages auf. Um 16 Uhr versuchten die Arbeiter, das Gebäude zu stürmen. Einige der Sipo-Posten wurden entwaffnet und mißhandelt. Als ihre Kameraden daraufhin Warnschüsse abgaben, gingen die Arbeiter zum Großangriff über. Nun umzingelten die Sipo-Reserven den Königsplatz und gingen mit Maschinengewehren und Handgranaten gegen die Arbeiter vor. Die Verluste der Polizei beliefen sich auf einen Toten und fünfzehn Verletzte; die Opfer der Demonstranten wurden auf zwanzig Tote und ungefähr 100 Verletzte geschätzt.183 Die Erinnerung an den „13. Januar" wirkte sich noch jahrelang belastend auf die Stimmung in der Berliner Polizei aus. Als Kurt Fleischer einige Wochen nach dem Zwischenfall in den Polizeidienst eintrat, zürnten seine neuen Kameraden ihren Offizieren immer noch, weil diese den Gegenangriff zu spät befohlen hatten. Als die Posten vor dem Reichstag an jenem Abend in ihre Kasernen zurückgekehrt waren, hatten sie wie Kinder geweint; sie konnten es nicht verwinden, daß sie vom Pöbel derartig gedemütigt worden waren. Ihre Verbitterung über die Linksradikalen war grenzenlos.184 Wenn auch die einfachen Polizisten in dem Zwischenfall vom 13. Januar eine Niederlage sahen, so war doch die Position der Polizei niemals stärker als in jenen ersten Jahren der Republik. Polizeipräsident Ernst lobte die Sipo öffentlich „für ihre unerschütterliche Ruhe und Besonnenheit unter derart schwierigen Verhältnissen, aber auch für ihr energisches Durchgreifen im rechten Augenblick". Dankbare Berliner sammelten zehntausend Mark für die Hinterbliebenen der Opfer unter der Sicherheitspolizei. Da die Spartakistenunruhen des Vorjahres noch frisch in Erinnerung waren, verurteilten nur wenige Berliner den Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten gegen iss s. W. Halperin, Germany 105 Verwundete. 184
Interview Fleischer.
tried democracy
...,
S. 164, erwähnt 42 Tote und
114
III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
unbewaffnete Zivilisten. Eine starke Polizei schien ihnen der beste Schutz vor einem erneuten Bürgerkrieg zu sein. Man erhält übrigens einen recht guten Eindruck von den Jahr für Jahr wechselnden Sicherheitsproblemen der Stadt, wenn man die Änderungen in den Dienstvorschriften für den Waffengebrauch verfolgt. Als die Polizei im Januar 1919 wieder mit Pistolen bewaffnet wurde, hatte man die Beamten strengstens angewiesen, von der Waffe nur Gebrauch zu machen, wenn sie selbst gefährdet waren. Diese Einschränkung wurde am 15. Januar 1921 aufgehoben, wahrscheinlich um der neugegründeten Schutzpolizei die Möglichkeit zu geben, ihre Waffen wirkungsvoll gegen aufständische politisierte Massen einsetzen zu können. Die Polizei forderte das Recht, im gegebenen Fall das Feuer eröffnen zu können, ohne den ersten Schuß der Aufständischen abwarten zu müssen. Sie wollte in ihren Aktionen nicht behindert sein, wie es ihrer Ansicht nach die Pariser Polizei während der Revolutionen von 1830 und 1848 gewesen war. 185
Phase II: Neue Formen öffentlicher Unruhen, 1925 bis 1926 Diese zweite Phase dauerte etwa zwei Jahre. In den Jahren 1925 und 1926 traten drei neue Sicherheitsprobleme an die Stelle der Aufruhrgefahr in den Berliner Industriebezirken: das Rowdytum auf den Straßen, die Arbeitslosigkeit und die fortgesetzte Gewaltanwendung bei politischen Veranstaltungen. Die Polizei bemühte sich mehr oder weniger erfolgreich, geeignete Mittel zur Lösung dieser Probleme zu finden. Am Sonntag, dem 9. August 1925, ereigneten sich auf dem Kurfürstendamm die ersten Terroranschläge. Kleine Gruppen nationalsozialistischer Rowdys mit Hakenkreuzarmbinden beleidigten Spaziergänger und rempelten sie an. Ein Passant, der ein republikanisches Abzeichen trug, wurde so sehr bedrängt, daß er aus Angst um sein Leben die Pistole zog und einen der Angreifer erschoß. Mit Unterbrechungen dauerten diese Unruhen drei Tage an, bis endlich starke Polizeistreifen in dieser Gegend eingesetzt wurden. Die Unruhestifter am Kurfürstendamm waren nicht von der Art, die man umzingeln und mit Waffengewalt niederzwingen konnte. Sie 195 K. Schröder, Straßen- und Häuserkampf, in: Die Polizei, 24. Jg. (1927), Nr. 22 vom November, S. 490—491; und Schützinger, Neue Kampjformen der KPD, in: Die Polizei, 21. Jg. (1924), Nr. 11 vom 5. September, S. 266—268.
Die Schutzpolizei
im
Einsatz
115
mischten sich unter die Passanten und waren verschwunden, sobald eine Polizeistreife auftauchte. Vielleicht war es zu jenem Zeitpunkt noch nicht deutlich, daß diese jungen Rowdys neue revolutionäre Kampfmethoden in Berlin einführten: Sie verbreiteten Unsicherheit, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu zerstören. Durch das passive Verhalten der Revierpolizei — das Revier 157 in der Nestorstraße hatte auf die Zwischenfälle erst reagiert, nachdem sich der Passant, der zu seiner Selbstverteidigung die Pistole gezogen hatte, gestellt hatte — war bereits die gewünschte Wirkung erzielt worden. Jugendliche Rowdys auf den Straßen des vornehmen Berliner Westens waren die eine Erscheinung. Eine andere bildeten die Arbeitslosen. Bei der Lösung dieses Problems war die Polizei erfolgreicher. Einige ernsthafte Zusammenstöße zwischen Polizei und arbeitslos^ Arbeitern im Sommer 1926 hatten gezeigt, daß die herkömmlichen Polizeimethoden in solchen Situationen fehl am Platze waren. Die Polizei lernte sehr schnell, daß die Arbeitslosen keine hartnäckigen Kämpfer waren. Erfahrene Revierpolizisten konnten besser mit ihnen umgehen als die mit Karabinern bewaffnete Bereitschaftspolizei. Diese diplomatische Behandlung der Arbeitslosen durch die Schupo machte sich später bezahlt, als es während der Weltwirtschaftskrise vereinzelt zu Plünderungen kam und Nationalsozialisten und Kommunisten versuchten, die Arbeitslosen vor den Arbeitsämtern aufzuwiegeln. Die KPD organisierte Hungermärsche mit Sprechchören wie „Nieder mit der Polizeidiktatur!" (20. März 1931), aber zu ernsthaften Zusammenstößen zwischen Polizei und Arbeitslosen kam es nicht.1850 Sehr zum Ärger der Kommunisten sammelten Polizisten außerhalb ihrer Dienstzeit Geld zur Unterstützung der Notleidenden und verteilten in den Polizeikantinen Mahlzeiten an unterernährte Kinder. „Die Polizei ist sich der Not der hungernden Massen bewußt", sagte Minister Severing auf der Beerdigung von Hauptmann Anlauf am 18. August 1931. „Sie hat oft Teile ihres kärglichen Gehalts gegeben, um den Hunger Erwerbsloser zu stillen. Aber sie kann verlangen, daß ihre Arbeit anerkannt wird." 186 Viel wichtiger ist, daß es in den Jahren 1925 und 1926 erstmals zu regelrechten Gewalttätigkeiten zwischen Anhängern der KPD, der NSDAP und — ebenfalls zu dieser Zeit — den Organisationen Stahl1850
Siehe auch Margarete Buber-Neumann, Von Potsdam ηαώ Moskau. Stationen eines Irrweges, Stuttgart 1957, S. 251. 189 Siehe auch Richtlinien für... (Am-Apparat), hrsg. vom Zentralkommittee der KPD, betreffend die angeblidie Verstimmung wegen obligatorischer Spenden.
116
III.
Die Berliner
Schutzpolizei
1920 bis 1932
heim und dem sozialistischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold kam. Spät abends, wenn erregte Gruppen von verschiedenen politischen Veranstaltungen heimkehrten, gingen gegnerische Parteien mit Fahnenstangen, Fahrradketten, Schlagringen und Messern aufeinander los. In den Polizeiberichten jener Zeit waren Körperverletzungen und Totschlag an der Tagesordnung. Anfangs versuchte die Polizei, das Problem mit einem Erlaß zu lösen, der allen Teilnehmern von politischen Veranstaltungen das Tragen von Waffen inklusive „schwerer Stöcke" verbot (16. Februar 1926). 1 8 7 Außerdem machte sie bei jedem Handgemenge vom Gummiknüppel Gebrauch und versuchte, der Anführer habhaft zu werden. Aber diese Methoden waren natürlich auf die Dauer keine Lösung. Am 27- Januar 1926 hatte sich auf dem Wilhelmplatz in Charlottenburg eine drohende Menschenmenge versammelt. Die Bereitschaftspolizei versuchte mehrmals, den Platz zu räumen; aber jedesmal wenn sie abgefahren war, versammelte sich die Menge von neuem. An diesem Abend konnten Gewalttätigkeiten nicht verhindert werden. Als nächstes führte die Schupo einen Begleitschutz für Teilnehmer politischer Demonstrationen ein; aber auch das war eine undankbare Aufgabe. Oft wurden Polizeibegleiter von ihren eigenen Schützlingen angegriffen, weil sie diese davon abhalten wollten, eine Schlägerei mit einem politischen Gegner anzufangen. Im Polizeipräsidium erwog man getrennte Anmarschwege und Versammlungsorte, um Zusammenstöße zwischen den feindlichen Parteien zu vermeiden. Die Jahre 1925 und 1926 hatten neue Probleme gebracht und mit ihnen die Notwendigkeit neuer Maßnahmen der Polizei. Die Polizeiführer waren jedoch immer noch so sehr von ihrem Erfolg überzeugt, daß sie Berlin als Tagungsort für den Internationalen Polizeikongreß vorschlugen. Die Kommunisten hatten ihre frühere militante Haltung gegenüber der Polizei inzwischen aufgegeben. Die große RFB-Kundgebung zu Pfingsten 1926 verlief ohne Zwischenfälle. Auf einer Pazifistenkundgebung im Lustgarten drei Monate später schützte Ernst Thälmann, der Vorsitzende der K P D , Polizei-Vizepräsident Friedensburg persönlich vor den Ausschreitungen seiner radikalen Anhänger.
187
Polizeiverordnung
Polizeiverordnungen
betreffend
für Berlin
(=
Waffentragen
vom
16. Februar
1926,
in:
und der deutsdien Länder 2 C), hrsg. Bernhard Weiß, Bd. 1 u. 2, Berlin Bd. 1, Abschnitt 2, S. 3.
Die
Die Polizeiverordnungen des Deutsdien Reidies 1931,
Die Schutzpolizei
im Einsatz
117
Phase I I I : Radikalisierung, März 1927 bis April 1929 Die dritte Stufe begann unheilvoll mit einer kurzen, aber äußerst heftigen Schlacht zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten auf dem Bahnhof Lichterfelde-Ost. Diese Schlägerei führte zu einem abrupten Ende der vorangegangenen Reformen und schädigte das bis dahin ständig wachsende Ansehen der Berliner Polizei schwer. Durch die plötzliche Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen aus dem Gleichgewicht gebracht, reagierte die Polizei manchmal mit brutaler Gewaltanwendung. Die Aktionen der Polizei hatten wiederum zur Folge, daß sich die politischen Parteien in zwei Lager spalteten: Die einen wollten jede organisierte Gewaltanwendung vorläufig vermeiden, die anderen aber versuchten die Gesetzeshüter durch schwer zu ahndende Angriffe kleiner Terroristenbanden zu desorientieren. Zu der Schlägerei am 21. März 1927 in Lichterfelde-Ost war es gekommen, als ein paar hundert SA-Leute, die sich auf der Rückreise von Trebbin befanden, einen Wagen mit 23 uniformierten Kommunisten überfielen. Die Ortspolizei und ein Überfallkommando aus Lichterfelde sahen sich außerstande, gegen 600 bis 700 brüllende SA-Leute einzuschreiten. Als schließlich eine Bereitschaft von der Polizei-Inspektion Steglitz am Schauplatz eintraf, war die Schlacht bereits vorüber. Siegestrunken marschierten die SA-Leute nun in geschlossener Formation vom Bahnhof in die Innenstadt. Sie machten die Gegend um die KaiserWilhelm-Gedächtniskirche unsicher und pöbelten jüdisch aussehende Passanten auf dem Kurfürstendamm an. Einige stiegen am Wittenbergplatz in die U-Bahn und terrorisierten die Fahrgäste. Die Polizei sah diesem Geschehen den ganzen Abend lang praktisch tatenlos zu. Albert Grzesinski, der damalige preußische Innenminister, erkannte sofort, daß die Arbeit der Schutzpolizei während der letzten Jahre aufgrund eines derart schwerwiegenden Vorfalls sehr schnell zunichte gemacht werden könnte. Um das Ansehen einer Stadt wiederherzustellen, die sich gerade von Revolution und Bürgerkrieg erholte, genügte es nicht, die Anführer dieses Gewaltaktes zu verfolgen oder einige Beamte wegen Unfähigkeit zu bestrafen. Die Zügellosigkeit eines einzigen SA-Bataillons hatte bei den Verantwortlichen die Furcht vor ähnlichen unkontrollierbaren Ausschreitungen der gesamten Berliner SA ausgelöst. Grzesinskis Besorgnis galt jedoch nicht nur den Anhängern der N S D A P . Er sah eine zunehmende Tendenz zur Gewaltanwendung im
118
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
allgemeinen politischen Klima Berlins voraus und befahl daher der Schutzpolizei, sowohl die Kommunisten als auch die Nationalsozialisten von nun an schärfer zu überwachen. Die ersten, die diese verschärften Sicherheitsmaßnahmen zu spüren bekamen waren die K o m munisten. Nach dem Zwischenfall in Lichterfelde-Ost wollte die K P D , die sich als unschuldiges Opfer der SA-Brutalität fühlte, eine Protestkundgebung organisieren. In Anbetracht der Lage war die Polizei jedoch nicht geneigt, ihre Erlaubnis zu irgendwelchen provozierenden Demonstrationen zu geben. A m 22. März 1 9 2 7 versuchte sie, eine kommunistische Protestkundgebung auf dem Wilhelmplatz in Charlottenburg aufzulösen. Bei einem Handgemenge erschoß dabei ein Polizist einen der Demonstranten und löste damit einen allgemeinen Tumult aus. Die Kommunisten suchten zwischen fahrenden Straßenbahnen und Autos Deckung, während die Polizei die Panik durch weitere Schüsse und das Vordringen in Schützenlinie noch erhöhte. Diesmal war wenig von der „Ruhe und Umsicht" zu spüren, die die Sipo einst am 13. Januar 1920 bewiesen hatte. Bei einem ähnlichen Ereignis im folgenden Jahr verlor die Polizei abermals die Selbstbeherrschung. A m 26. Mai 1928 versuchte sie in der Bismarckstraße einen kommunistischen Demonstrationszug
aufzuhal-
ten, um die Kreuzung für den Verkehr aus der Krummen Straße frei zu machen. Dabei wurde die Marschkapelle getrennt. Bei dem Versuch zusammenzubleiben, durchbrachen einige Musiker die Polizeikette und rannten in den Verkehr. Daraufhin ging die Polizei zum Angriff über. Als einer der Offiziere zu Boden stürzte, gab ein anderer den Schießbefehl. Eine Frau und ein Kind wurden verwundet und ein kommunistischer Arbeiter getötet. 1 8 8 Diese Brutalität der Polizei war völlig fehl am Platze gewesen, zumal sich die Kommunisten sehr zurückgehalten hatten, schon um nicht ein Verbot ihrer Partei zu riskieren. 189 Nach der Schießerei in der Bismarckstraße setzten sich einige KPD-Funktionäre mit der Polizei in Verbindung, um gemeinsam eine Lösung der Verkehrsprobleme bei zukünftigen Demonstrationen zu erreichen. In diesem Wunsch nach Zusammenarbeit sah die Polizeiführung den Beweis, daß die Politik der Stärke ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. Das Vertrauen in ihre 18S
Am 2. Juni 1928 kam es bei dem Begräbnis dieses Arbeiters zu weiteren
Zwischenfällen, wobei Vize-Polizeipräsident Weiß von einem Polizisten angegriffen wurde. 189
Die Reidisregierung hat den R F B im April 1928 verboten.
Die Schutzpolizei
im Einsatz
119
durchgreifenden Maßnahmen schien gerechtfertigt, da sowohl die Maifeiern von 1927 und 1928 als audi der gefürchtete „Stahlhelmtag" am 8. Mai 1927 und die etwas späteren Sympathiekundgebungen für Sacco und Vanzetti ohne Zwischenfälle verliefen. Dabei wurde vergessen, daß es nichts Ungewöhnliches war, wenn Gewerkschaftsveranstaltungen friedlich verliefen, daß die Veteranen am Stahlhelmtag meist aus der Provinz kamen und durch die Feindseligkeit der Berliner Arbeiter völlig eingeschüchtert waren und daß sich in Berlin — ganz im Gegensatz zu Paris — kaum jemand für die beiden amerikanischen Anarchisten Sacco und Vanzetti interessierte. Das Prestige der Schutzpolizei wurde durch die übertriebene Gewaltanwendung bei friedlichen politischen Demonstrationen nicht gerade gefördert. Die sinnlose Schießerei auf kommunistische Demonstranten ließ in der Öffentlichkeit die Frage aufkommen, ob die Polizei nicht zu einer reinen Kampftruppe entartet war. Kostspielige Sicherheitsmaßnahmen am Stahlhelmtag und bei den Parlamentswahlen im Mai 1928 hinterließen den Eindruck, daß es der Polizei an Selbstvertrauen fehlte. Bei einer politischen Demonstration am 5. Februar 1928 war beispielsweise das Polizeiaufgebot stärker als der ganze Demonstrationszug. 2300 Demonstranten waren von 3500 Schupos umgeben, die die Zuschauer mit gezogenen Gummiknüppeln alle fünf Minuten auf die Bürgersteige zurücktrieben.190 Einige Offiziere begannen einzusehen, daß diese Zurschaustellung der Stärke der Schutzpolizei schaden könnte. Man fing an, mit „unsichtbaren" Methoden zu experimentieren. So wurden bei einer Massenkundgebung alle Sicherheitsmannschaften, außer den notwendigen Verkehrsposten, unauffällig in einiger Entfernung postiert, so daß sich das Publikum frei bewegen konnte. Diese Methode bewährte sich zum Beispiel bei einer Protestkundgebung für Sacco und Vanzetti am 25. August 1927 und bei einer kommunistischen Kundgebung am 19. April 1928. Gegen den immer weiter um sich greifenden Terror rechter Extremisten nützte jedoch weder unauffällige Überwachung noch energisches Durchgreifen. Nach den Ausschreitungen in Lichterfelde-Ost hatte der Polizeipräsident die NSDAP in der Hauptstadt verboten. Aber auch dieses Verbot konnte nicht verhindern, daß es im Bereich des Kurfürstendamms immer wieder zu Tätlichkeiten gegen politisch Andersden1,0
Statistische Angaben über die Anzahl der politisdien Demonstrationen und die Polizeieinsätze im Jahre 1927 findet man in Heimannsberg, Rückschau 1927 — Vorschau 1928, in: Vossische Zeitung (S), 1. Januar 1928.
120
III. Die Berliner Schutzpolizei 1920 bis 1932
kende und jüdische Passanten kam. Auch gelang es nicht, die Polizei dazu zu bewegen, gegen diese Art von Rowdytum schärfer vorzugehen als bisher. In der Zeit zwischen März 1927 und April 1929 war die Schutzpolizei ihrer ersten großen Bewährungsprobe ausgesetzt, und es stellte sich heraus, daß sie ernsthaften Zwischenfällen kaum gewachsen war. Auf Kosten ihres Ansehens bei der Bevölkerung hatte sie versucht, den Schaden durch durchgreifende Maßnahmen wiedergutzumachen. Um die Lage zu entspannen, hob die Regierung den Schießbefehl vom 15. Dezember 1921 wieder auf. Am 14. Juli 1928 wies das Innenministerium die Polizei erneut an, ihre Schußwaffen lediglich zur Selbstverteidigung und zum Schutz von Personen, für die sie unmittelbar verantwortlich war, sowie zur Verhinderung von Gefangenenflucht einzusetzen. Unter keinen Umständen durfte auf Kinder geschossen werden, und ehe scharf geschossen wurde, mußten Warnschüsse abgegeben werden.
Phase I V : Der Kampf gegen die Rote Front, Mai 1929 bis Mai 1930 In einer Zeit, in der die politischen Gewalttätigkeiten in Berlin die Ausmaße eines regelrechten Bürgerkrieges annahmen, war es für die Polizei sehr schwierig, die Einschränkungen im Waffengebrauch zu befolgen. Nur um im Falle eines plötzlichen Angriffs das Feuer eröffnen zu können, gaben übernervöse Polizisten oftmals völlig verfrüht Warnschüsse ab, die dann verheerende Folgen hatten. Die K P D verstieß wiederholt gegen das Demonstrationsverbot unter freiem Himmel, das kurz vor Weihnachten 1928 erlassen worden war. Als die Polizei im April 1929 versuchte, illegale Versammlungen aufzulösen, reagierten kommunistische Demonstranten mit Stein würfen. Kurz vor dem 1. Mai 1929 schienen die Kommunisten dann zum Angriff überzugehen. Am 30. April brachen in ganz Berlin kleinere Kämpfe aus. Hunderte von RFB-Mitgliedern und Jungspartakisten erschienen plötzlich an irgendeiner Kreuzung, überrumpelten den diensttuenden Polizisten und verschwanden wieder, ehe das Überfallkommando zur Hilfe kommen konnte. Die Haltung der Kommunisten gegenüber der Polizei wurde zunehmend hartnäckiger. Aus Berichten von Agenten der Abteilung I A geht jedoch hervor, daß die KPD-Funktionäre ihre Anhänger aufgefordert hatten, die Polizei am 1. Mai weder herauszufordern noch anzu-
Die Schutzpolizei
im
Einsatz
121
greifen; es sei denn, die Polizei griffe zuerst zur Gewalt. 191 Die Polizei hätte die Kämpfe am 1. Mai 1929 vermeiden können, wenn sie wie in vergangenen Jahren Demonstrationen unter freiem Himmel erlaubt hätte; aber Schupo-Kommandeur Heimannsberg hatte den Auftrag, das Verbot unter allen Umständen durchzusetzen. Also machte er seine Mannschaften für den Notstand einsatzbereit.192 Am Abend des 1. Mai kam es in Teilen des Scheunenviertels, in der Nähe der Kösliner Straße im Wedding und in der Hermannstraße in Neukölln zu schweren Kämpfen zwischen aufgebrachten Polizisten und kommunistischen Einwohnern. Barrikaden wurden errichtet und in der Kampfzone wurde der Ausnahmezustand erklärt. Das Polizeirevier 220 wurde von Aufständischen belagert. 193 Seit dem Jahre 1919 waren dies die heftigsten Unruhen in Berlin, mit dem einen Unterschied, daß der Ausgang der Kämpfe diesmal zu keinem Zeitpunkt fraglich war. 194 Da sich die meisten Arbeiter an den Kämpfen nicht beteiligten, waren die Aufständischen den Kampftruppen audi zahlenmäßig unterlegen. In anderen Stadtteilen fanden zur gleichen Zeit friedliche KPD-Kundgebungen statt, auf denen die einzelnen Redner die „5000 Kameraden grüßten, die zu dieser Stunde in den Straßen der Stadt mit der Polizei kämpften". Anschließend gingen die Zuhörer dieser Veranstaltungen ruhig nach Hause. 195 Am zweiten Abend der Kämpfe mußte die Polizei einen Panzerwageneinsatz in der Hermannstraße unterbrechen, weil gerade eine Kinovorstellung zu Ende war und die Menschen auf die Straße strömten. Den Kommunisten fehlte es außerdem an Waffen. Den Verhören von Personen, die verdächtigt wurden, am Barrikadenkampf teilgenommen zu haben, entnahm die Abteilung IA, daß die meisten von ihnen mit Steinen, Messern und anderen improvisierten Waffen gekämpft hat-
191 Siehe den Bericht von KBS Köhn an Abt. I, Berlin, vom 13. April 1929, A. D. II G. St. im Bundesarchiv Koblenz, R 58/744. 192 Heimannsberg an Abt. IA vom 28. April 1929, Tgb. Nr. 1562/29, im Bundesarchiv Koblenz, R 58/744. 193 Die kommunistische Version dieser Geschehnisse schildert W. Mann in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik..., S. 141—143; siehe jedoch besonders K. Neukrantz, Barricades . . . 194 Die Rote Fahne, 25. Mai 1929. 195 Beridit von KA Ludwig und K A Radioff an Abteilung IA über die Versammlung der 17. Bezirksleitung der K P D in Berlin-Lichtenberg am l . M a i 1929, im Bundesarchiv Koblenz, R 58/331.
III. Die Berliner Schutzpolizei
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1920 bis 1932
ten. 196 Von den 51 verwundeten Polizisten hatte nur einer eine Schußverletzung. 197 Ein maschinegeschriebener Bericht mit dem Titel „Einige Erfahrungen des l . M a i " , der angeblich bei einer Durchsuchung der KPD-Zentrale am 18. Februar 1930 gefunden worden war, forderte eine bessere Schießausbildung für die kommunistischen Schützen; denn „während der dreitägigen Kämpfe hatte kein einziger einen Polizisten getroffen". 198 Man mag die Echtheit dieses Dokumentes anzweifeln, die große Überlegenheit der Schutzpolizei gegenüber den Demonstranten an Stärke und Ausrüstung steht jedenfalls fest. Der offensichtlich unverhältnismäßig scharfe Einsatz der Schutzpolizei war in den folgenden Wochen oft Anlaß öffentlicher Kritik. Als die Schlacht am 3. Mai endlich vorüber war, stellte sich heraus, daß die 25 Toten ausschließlich Aufständische oder aber unbeteiligte Passanten waren. 199 Unter den Opfern befanden sich auch Nichtkombattanten, die entweder das Aufstandsgebiet nicht schnell genug verlassen oder aber einen Polizeibefehl falsch verstanden hatten. 200 Die Polizei untersuchte zwar ordnungsgemäß jeden einzelnen Fall, weigerte sich jedoch, die Verantwortung zu übernehmen, und zwar jedesmal aus einem der folgenden drei Gründe: 1. war es sehr schwierig festzustellen, welcher Polizist den tödlichen Schuß abgegeben hatte, 2. hatte sich das Opfer unnötigerweise einer Gefahr ausgesetzt und 3. bestand die Möglichkeit, daß nicht die Schüsse, sondern irgendeine Krankheit zum Tode geführt hatte. Eine Kommission, der unter anderem Heinrich Mann, Carl von Ossietzky und Professor Emil Gumbel angehörten, sollte das Vorgehen der Polizei während der Maiunruhen untersuchen. In ihrem Bericht verurteilte diese Kommission die Gewaltmaßnahmen der Polizeieinheiten, die mit „außergewöhnlicher Begeisterung" gekämpft hatten — so Grzesinski in einer Rede vor dem Preußischen Landtag. Die ganze 196
Die
Berichte
über
die
Verhöre
befinden
sich
im
Bundesarchiv
Koblenz,
R 58/529. 197
Heimannsberg, Der
l.Mai
und
seine
Folgeerscheinungen
in Berlin,
in:
Die
Polizei, 26. Jg. (1929), N r . 10 vom 20. Mai, S. 232. 198
Einige Erfahrungen
des 1. Mai. Vervielfältigung ohne Datum und Herausgeber
im Bundesarchiv Koblenz, R 58/513. 199
Laut Angaben der politischen Polizei wurden zwischen dem 1. und 6. Mai 1929
1228 Personen in H a f t genommen; 194 Personen wurden verwundet, davon 48 Polizisten, und 25 Zivilisten getötet. Abt. I, Berlin, vom 8. Mai 1929, III G. St., Betr.: Unruhen aus Anlaß der Maifeier; im Bundesarchiv Koblenz, R 58/513. 200 B e r i e t e der Abteilung IA über Menschenverluste befinden sich im Bundesardiiv Koblenz, R 58/574.
Die Schutzpolizei
im Einsatz
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Zeit über hatte sich kein einziger Polizist krankgemeldet und niemand hatte sich geweigert, Befehle auszuführen. 201 In den Polizeikasernen hatte eine regelrechte Kriegspsychose geherrscht. „Wer zum Einsatz nach dem Wedding oder Neukölln fuhr, dachte, dort ist Krieg! Und im ,Kampfgebiet' eingetroffen, betätigte man sich dann eben kriegerisch."202 Die Polizei befaßte sich in ihren nächsten Ausgaben ausgiebigst mit den technischen Erfahrungen des Einsatzes, ohne auch nur im geringsten auf die Tragik des jüngsten Blutbades einzugehen.203 Nach ihrem leichten Sieg in Wedding und Neukölln wiegte sich die Schutzpolizei im Glauben an ihre eigene Stärke. Nachdem am 6. Mai 1929 der Rot-Frontkämpfer-Bund, die Rote Jugend-Front und die Rote Marine in ganz Preußen verboten worden waren, drang die Polizei zweimal in die Parteizentrale am Bülowplatz ein. Am 31. Januar 1930 nahm sie 76 leitende KPD-Funktionäre unter dem unglaubwürdigen Verdacht fest, diese hätten einen weiteren Aufstand geplant. Am 27. März 1930 berichtete die Vossische Zeitung, daß die KPD Anweisungen aus Moskau erhalten habe, den offenen Kampf gegen die Vertreter der Bourgeoisie einzustellen.2030 Die Kommunisten gaben ihren Kampf gegen die Polizei auf und wandten sich nun den Anhängern der NSDAP zu. Im September und Dezember 1929 kam es wiederholt zu schweren Zusammenstößen zwischen den beiden feindlichen Lagern. Die politischen Leidenschaften auf beiden Seiten erreichten ihren Höhepunkt, als SA-Führer Horst Wessel am 17. Januar 1930 von den Kommunisten ermordet wurde. Inzwischen versuchte die Polizei, ihre Vermittlerrolle zwischen Rechts- und Linksradikalen wiederaufzunehmen. Sie ging zu der neuen 201
Die Welt am Abend, Nr. 112 vom 16. Mai 1929; und Die Ergebnisse der Maiuntersuchung, in: Die Menschenrechte, Berlin, 4. Jg. (1929), Nr. 9/10 vom 1. Oktober. 202 Die Ergebnisse der Maiuntersudhung, in: Die Menschenrechte, 4. Jg. (1929), Nr. 9/10 vom 1. Oktober, S. 11. 203 Zum Beispiel Voit Einsatz der Nachrichtenmittel..., in: Die Polizei, 26. Jg. (1929), Nr. 11 vom 5. Juni, S. 257—258; oder A. Gutknedit, Material und Personal des Kraftfahrtechnischen Sonderdienstes der Polizeiverwaltung Berlin. Betrachtungen und Erfahrungen während der Maiunruhen 1929, in: Die Polizei, 26. Jg. (1929), Nr. 12 vom 20. Juni, S. 290—294. 208a D 0 ch bei der Moskauer Mai-Demonstration 1929 wurde eine häßlidie Karikatur von Polizeipräsident Zörgiebel gezeigt, der eine Arbeiterdemonstration in Berlin verboten hatte. Siehe Gustav Hilger, Wir und der Kreml. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1918—1941. Erinnerungen eines deutschen Diplomaten, 2. Aufl., Frankfurt a. Main — Berlin 1956, S. 217.
124
III.
Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
Taktik über, Teilnehmer politischer Versammlungen nach Waffen zu durchsuchen, um bewaffnete Zusammenstöße zwischen den politischen Gegnern von vornherein unmöglich zu machen. Aber die jüngsten Auseinandersetzungen mit militanten Arbeitern waren nicht ohne Einfluß auf das politische Klima in der Schutzpolizei geblieben; die meisten heimlichen NS-Anhänger der uniformierten Polizei stammen aus dieser Zeit.204 Die Berliner SA, die niemals mit Waffengewalt gegen die Polizei gekämpft hatte, wurde zu einer Art inoffiziellem Verbündeten der Schutzpolizei. Die Beamten vom Revier 111 in Kreuzberg beispielsweise betrachteten die Nähe des hier gelegenen Goebbels-Hauptquartiers als willkommene Aussicht auf SA-Unterstützung, falls es in ihrem Gebiet erneut zu kommunistischen Unruhen kommen sollte.205
Phase V: Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten und Kapitulation, 1930 bis 1932 In den letzten beiden Jahren der sozialdemokratischen Regierung in Berlin nahm die Polizei endlich den Kampf gegen die Nationalsozialisten auf. Das offizielle Verbot der Partei war am 31. März 1928 aufgehoben worden, und während die Polizei mit ihrem traditionellen Gegner, den Kommunisten, beschäftigt gewesen war, hatte die Stärke der NSDAP ständig zugenommen. Ehe jedoch die Kampagne gegen die Nationalsozialisten zu irgendwelchen Erfolgen führen konnte, begingen die Kommunisten den Fehler, die Polizei hinterrücks anzugreifen. Kurz hintereinander töteten sie vier Polizeibeamte. Die anschließende Empörung über die Kommunisten nahm der Kampagne ihre Schärfe. Von nun an war die Polizei geneigt, sich in die Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten nicht mehr einzumischen. Der jetzt folgende Straßenterror trug dazu bei, das Vertrauen der Berliner in ihre Polizei zu untergraben. Diese Tatsache war unter anderem ein Grund für den Sturz der sozialdemokratischen Regierung in Preußen. Die Notwendigkeit einer Kampagne gegen die Nationalsozialisten ergab sich aus einer Reihe von Ausschreitungen, die weder von der
204
Siehe auch F. O'Mon., Nationalsozialistische Zellen, in: Vossische Zeitung (M), 16. April 1930. 205 Interview Eduard Kolbe, der von 1928 bis 1932 Leiter des Polizeireviers 111 war. Kolbe war weder damals noch später Mitglied der N S D A P .
Die Schutzpolizei
im Einsatz
125
Öffentlichkeit noch von der Polizei ignoriert werden konnten. Hier nur einige Beispiele: Am 16. Mai 1930 machten zwölf SA-Leute Jagd auf einen kommunistischen Zeitungsverkäufer am Innsbrucker Platz und trampelten ihn zu Tode. Am 14. Oktober 1930, nach dem Wahlsieg ihrer Partei, durchstreiften Nazi-Rabauken das Geschäfts viertel zwischen Reichstag und Potsdamer Platz, belästigten Passanten, schlugen Schaufenster ein und schrien „Deutschland erwache!" und „Juda verrecke!"206 Am 23. November 1930 verübten fünfzehn Mitglieder des SA-Sturmes 33 (Maikowski) einen bewaffneten Uberfall auf die Mitglieder eines Arbeiterklubs, die im Eden-Palast in Charlottenburg gerade einen Tanzabend veranstalteten. Im Dezember 1930 organisierte Goebbels wilde Demonstrationen gegen die Aufführung des pazifistischen Films Im Westen nichts Neues. Am 8. Dezember kam es deswegen zu einem ernsthaften Zusammenstoß mit der Polizei. Silvester 1930 töteten mehrere Nationalsozialisten bei einem wahllosen Uberfall zwei Reichsbannermitglieder in der Hufelandstraße. Die NS-Überfälle ließen dann vorübergehend etwas nach, während andererseits der Kampf zwischen Polizei und Kommunisten wieder aufflackerte. Doch am 12. September 1931 kam es am Kurfürstendamm erneut zu schweren Ausschreitungen der Nationalsozialisten. Am 19. Januar 1932 überfielen ungefähr 150 von ihnen die Gartenkolonie Felseneck, die als kommunistische Hochburg bekannt war. Zwei Menschen wurden getötet. Am 31. Mai 1932, dem Jahrestag der Schlacht am Skagerrak, kam es zu Tumulten, als die Nationalsozialisten versuchten, in die Bannmeile des Regierungsviertels einzudringen. In Anbetracht dieser Situation traf die Polizei eine Reihe von Maßnahmen, um das politische Rowdytum in Berlin einzudämmen. Die Vorschriften über den Verkauf und Besitz von Handfeuer- und anderen tödlichen Waffen wurden 1930 und 1931 erheblich verschärft. Richtlinien für Versammlungen unter freiem Himmel wurden neu aufgestellt, um der Polizei eine bessere Überwachung zu ermöglichen. Am 12. Juni 1930 verbot der preußische Innenminister Waentig das Tragen von SA-Uniformen (Braunhemdenverbot). Sturmlokale und SAHeime wurden schärfer kontrolliert. Einige wurden ganz geschlossen, 206
Audi C. Severing, Mein Lebensweg..., Zwischenfall.
Bd. 2, S. 258, berichtet über diesen
126
111. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
andere durften abends nicht mehr geöffnet haben. Audi die Zentrale der NSDAP in der Hedemannstraße bildete keine Ausnahme. Am 3. April 1931 verfolgten Polizisten eine Gruppe von SA-Schlägern, die zuvor zwei Reichsbannermitglieder überfallen hatten, direkt bis in das Gebäude. 1932 wurden in Berlin zwei Großrazzien auf NS-Hochburgen durchgeführt. Sie bewiesen, daß die Polizei sehr wohl in der Lage war, schnell und erfolgreich zuzuschlagen, wenn sie nur wollte, und daß die Nationalsozialisten angesichts dieses entschlossenen Eingreifens nicht zu kämpfen bereit waren. Am 17. März 1932 stürmte die Polizei sechzig SA-Stützpunkte, um einem möglichen Staatsstreich zuvorzukommen. 207 Als Reichspräsident Hindenburg am 14. April 1932 die SA und die SS auflöste, führte die gesamte politische Polizei sowie ein großer Teil der Schupo diesen Beschluß sofort aus. Motorisierte Abteilungen von Schupos und Kriminalbeamten durchsuchten zweihundert Gebäude, darunter die Wohnung des SA-Führers Helldorf und die jeweiligen SA-Heime, beschlagnahmten Dokumente und anderes Parteieigentum, versiegelten die Türen und ließen die Gebäude und Wohnungen bewachen. Die Kampagne der Polizei gegen den Nationalsozialismus ermutigte jedoch audi die Kommunisten wieder zur Offensive. Sie inszenierten die üblichen Angriffe auf rechtsradikale Aufmärsche und versuchten arbeitslose Arbeiter gegen die Polizei aufzuwiegeln. Die Zusammenstöße zwischen Polizei und kommunistischen Demonstranten forderten in kurzer Zeit vier Todesopfer aus den Reihen der Polizei. Am 29. Mai 1931 kam PHWM Paul Zänkert vom Polizeirevier 72 (Prenzlauer Berg) auf dem Senefelderplatz ums Leben, als er versuchte, einen kommunistischen Überfall auf eine Gruppe von Stahlhelmern zu verhindern. Einen Monat später, am 30. Juni 1931, fiel POWM Emil Kuhfeld an der Spitze seines Uberfallkommandos, als er versuchte, einige hundert Kommunisten auseinanderzutreiben, die sich in der Frankfurter Allee zusammengerottet hatten. Beide Todesfälle empörten sowohl die Polizei als auch die Bevölkerung. Tausende von Berlinern gaben Zänkert das letzte Geleit, und auch Polizeipräsident Grzesinski war anwesend. Über Kuhfelds Beerdigung hieß es in der Vossischen Zeitung vom 8. Juli 1931: „Noch nie207 1 931 g a jj e s 108 SA-Heime in Groß-Berlin. Weitere Einzelheiten über diese Razzia findet man bei H. Bennecke, Hitler und die SA..., S. 178 ff. Die Gefahr eines Staatsstreiches wird von J. W. Wheeler-Bennett bestätigt. Siehe sein Buch The nemesis of power..., S. 239.
Die Schutzpolizei
im Einsatz
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mals hat ein Polizeiwachtmeister ein solches Leichenbegräbnis erhalten Dies war Berlins Protest gegen den Straßenterror." 208 Es mag sein, daß die Kommunisten nicht die Absicht gehabt hatten, die beiden Polizisten zu töten. Es ist sogar möglich, daß sie an dem Tod von Kuhfeld unschuldig waren. 209 Aber es besteht kein Zweifel, daß die Erschießung der Polizeihauptleute Anlauf und Lenck am 9. August 1931 Mord war. Die Revierpolizei in der Gegend um den Bülowplatz war wochenlang wiederholt von Kommunisten bedroht worden. Beide Opfer wurden auf einer Streife von hinten erschossen; ein dritter Polizist, der sie begleitet hatte, wurde verwundet. Auf diesen Anschlag folgte eine dreistündige Schießerei um die nahe gelegene Zentrale der KPD, die die Polizei schließlich besetzen konnte. Einhundert Kripobeamte wurden mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt, außerdem wurde eine Belohnung von 3000 RM ausgesetzt.210 Zu weiteren Polizistenmorden kam es nicht; aber die Unruhen in Berlin hielten an. Im Frühjahr 1932 erforderten drei innerhalb von 52 Tagen aufeinanderfolgende Wahlkampagnen 183 000 Einsätze der bewaffneten Schupo.211 Dann, am 14. Juni 1932, entschloß sich die Reichsregierung, das am 13. April 1932 erlassene SA-, Uniform- und Demonstrationsverbot wieder aufzuheben. Sofort kam es erneut zu Gewalttätigkeiten. In Moabit riefen die Kommunisten die Arbeiter zu den Waffen und begannen, Barrikaden zu errichten. Sämtliche vorhandenen Polizeifahrzeuge befanden sich im Einsatz. Unter solch chaotischen Umständen beschuldigten Abgeordnete
208
Vossische Zeitung (M), 8. Juli 1931. Die Kommunisten behaupteten, daß der Mörder ein Nationalsozialist namens Grabsdi gewesen sei, der in der Kadinerstraße gewohnt und am folgenden Tag Selbstmord begangen hatte. Diese Meinung teilt audi Hermann Artner (Interview), der damals im Polizeirevier 85 diente. Artner brachte Kuhfeld zur Erste-HilfeStation, wo er starb. Seiner Meinung nadi wurde sein schriftlicher Bericht von KripoBeamten des Reviers 85 unterschlagen, die mit den Nationalsozialisten sympathisierten. 210 Eine Abschrift des Gerichtsurteils des Schwurgerichts I beim Landgericht Berlin gegen Kuntz, Klause, Broede u. a. wegen Mordes an den Polizei-Hauptleuten Anlauf und Lenck vom 19. Juni 1934, (500) 1 pol. a. K.7.34(41.34), wurde mir freundlicherweise von Generalstaatsanwalt a. D. Wilhelm Kühnast zur Verfügung gestellt. Siehe auch Chr. Isherwood, The Berlin stories..., S. 272. Einen ausführlichen Bericht gibt die deutsche antistalinistische Kommunistin M. Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau ..., S. 257—260. 211 Albert C. Grzesinski, Die Leistung der Berliner Polizei im Wahlkampf, in: Die Polizei, 29. Jg. (1932), Nr. 10 vom 20. Mai, S. 221—222. 209
128
III. Die Berliner Schutzpolizei
1920 bis 1932
der NSDAP im Preußischen Landtag den Polizeipräsidenten und den Schupokommandeur der Korruption und Unfähigkeit. Am 8. Juli 1932 gab Polizeipräsident Grzesinski der Vossischen Zeitung ein Interview. Als ob er geahnt hätte, daß das Ende einer Ära bevorstand, rekapitulierte er noch einmal die Ereignisse der letzten zwölf Jahre, in denen die Polizei versucht hatte, sich in Berlin durchzusetzen. Seiner Meinung nach hatte sich der Dreieckskampf zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und Polizei ziemlich in Grenzen gehalten, bis die Kommunisten versucht hatten, die Polizei durch mehrere gezielte Mordanschläge aus dem Kampf auszuschalten; doch diese Strategie war wenig erfolgreich gewesen. Die darauffolgende Ruhepause hatten die Nationalsozialisten genutzt, um sich nun auch in den ehemals kommunistischen Bezirken Berlins auszubreiten. Der politische Kampf ging weiter, wobei die Anhänger der NSDAP versuchten, die Polizei zu schwächen. Sie entfesselten Straßenkämpfe, um zu beweisen, daß die Schutzpolizei nicht mehr Herr der Lage war. Ihre Motive lägen klar auf der Hand, meinte Grzesinski, hatte doch Goebbels seinen Unmut über die Tatsache nie verhehlt, daß die Politik der Berliner Polizei so lange von der SPD bestimmt worden war. Es lag ein Hauch von Resignation über diesem kurzen Bericht des Polizeipräsidenten. Er versicherte dem Interviewer, daß in Berlin zwar kein Bürgerkrieg herrschte, gab aber zu, daß die Polizei am Ende ihrer Kräfte war. Sie hatte sogar dazu übergehen müssen, junge, unerfahrene Anwärter mit schwierigen Sicherungsaufgaben zu betrauen. Solange die gegnerischen Parteien nicht gewillt waren, ihre politischen Auseinandersetzungen ohne Mord und Gewaltanwendung auszutragen — Schloß er —, bestand keine Hoffnung, die Ordnung in Berlin wiederherzustellen. Die Polizei kapitulierte am 20. Juli 1932. An jenem Morgen erschien in der Vossischen Zeitung ein Artikel mit der Überschrift: Dienst am Volk. Die Arbeit des unbekannten Schupomannes, der die Tapferkeit der Bereitschaftspolizei würdigte. Einige Stunden später wurde die Polizei vom Befehlshaber im Wehrkreis III, Generalleutnant Gerd von Rundstedt, als Inhaber der vollziehenden Gewalt übernommen. Die sechs Tage des militärischen Ausnahmezustandes genügten, um das demokratische Experiment der Weimarer Polizei in Berlin zu beenden.
VIERTES
KAPITEL
Die Kriminalpolizei Kriminalität und die Kriminalpolizei in den Augen der Öffentlichkeit In den zwanziger Jahren w a r die Berliner Bevölkerung besser über die Kriminalität in der H a u p t s t a d t informiert als jemals zuvor. Besonders die Nachkriegs jähre boten selbst dem flüchtigen Beobachter reichlich Gelegenheit, die Schliche und die Unverfrorenheit der Schieber zu beobachten, wenn sie ihre W a r e n — Rauschgift, Frauen, Diebesgut — anboten. I m „ K a k a d u " , im „Esterhazy-Keller", in der „Goldenen Spinne" und in der „Kolibri B a r " wußten sich die Stammgäste des Berliner Nachtlebens in Gesellschaft der H a l b - und Unterwelt, was ihnen nicht etwa Furcht einflößte, sondern für sie einen besonderen Reiz darstellte. In den besseren Kreisen gab es Leute, die es besonders reizvoll fanden, einen Abend in Berlins berüchtigtstem
Viertel
in der Gegend um den Schlesischen Bahnhof zu verbringen, 1 „um den Kitzel des gefährlichen Lebens zu spüren". Der junge Klaus Mann schrieb 1 9 2 3 über seinen Besuch in der H a u p t s t a d t : „Die Romantik der Unterwelt w a r unwiderstehlich. Berlin . . . enthusiasmierte midi durch seine schamlose Verruchtheit." 2 Die Tagespresse tat das Ihre, um die Verruchtheit dieser J a h r e noch aufzubauschen. So berichteten die Zeitungen beispielsweise in allen Einzelheiten über die Affäre der „Gräfin C o l o n n a " , einer gewöhnlichen Trickdiebin, fanden,
3
deren Hochstapeleien bei den Lesern großen
Anklang
sowie über die Meistereinbrecher Emil und Erich Strauß 4 und
die Hoteldiebe Paul und Willi Kassner,
deren
Fassadenklettereien
1 Bei der Berliner Unterwelt. Reportage vom Schlesischen Bahnhof, in: Vossische Zeitung (M), 6. August 1930; Pem, Heimweh ηαώ dem Kurfürstendamm . . . , S. 40— 41; und Eridi Frey, Ich beantrage Freispruch. Aus den Erinnerungen des Strafverteidigers Prof. Dr. Dr. Erich Frey, Hamburg 1959, S. 102. 2 Klaus Mann, Siebzehnjährig in Berlin, in: Berliner Cocktail..., S. 337—339. * Vossische Zeitung (M), 10. November 1919; und Vossische Zeitung, 2.—3. Juli 1920. Bei E. Frey, Ich beantrage Freispruch . . . , S. 120—135, wird sie Gräfin Caletta genannt. 4 Emil Strauß war durch seinen Diebstahl von Einbrecherwerkzeug aus dem
IV.
130
Die
Kriminalpolizei
zum Thema von romantischen Legenden und Groschenromanen wurden.5 Sensationelle Berichte über Autofallen (schwere Kabel, die außerhalb Berlins quer über verlassene Landstraßen gespannt wurden) führten zu einer Welle von vorgetäuschten Überfällen, oftmals von unehrlichen Chauffeuren und leichtsinnigen Töchtern aus gutem Hause erfunden, um kleinere Eskapaden zu vertuschen.® Selbst die sonst so nüchterne Vossische Zeitung ließ es sich nicht entgehen, ihre Leser verbaliter über die Schreie zu unterrichten, die einige Zeugen am Ort eines Verbrechens gehört hatten. Polizei-Vizepräsident Dr. Weiß, der die entrüsteten Vorwürfe lebensfremder Idealisten über „die volksverderblichen Presseveröffentlichungen in Kriminalsachen"7 wohl kannte, versuchte die erregten Gemüter mit der Versicherung zu beruhigen, daß die Kriminalberichterstattung in den USA, in Frankreich und in Österreich nodi viel schlimmer sei. Berichte über Mordtaten waren schon eher geeignet, in der Bevölkerung Entsetzen über den sittlichen Verfall der Nation hervorzurufen. Da war zum Beispiel Friedrich Schumann, der 1920 angeklagt wurde, 11 Morde und 13 versuchte Morde, Vergewaltigungen und Brandstiftungen begangen zu haben.8 Im darauffolgenden Jahr wurde Karl Großmann verhaftet und gab zu, 23 Frauen in seiner Wohnung in Friedrichshain ermordet und verstümmelt zu haben.9 Der Name Fritz Haarmann rief eine Mischung von Entsetzen und Ungläubigkeit hervor; die „Schülertragödie von Steglitz" vom 27. Juni 1927 erweckte Verzweiflung und Mitleid. Die Steglitzer Affäre war eine Geschichte jugendlichen Leichtsinns, elterlicher Nachlässigkeit und der verzweifelten Suche nach einem ideellen Sinn des Lebens.10 Paul Krantz und Günther Schelling, Schüler der Kriminalmuseum der Kripo im Jahre 1919 bekannt geworden. Vossische Zeitung
(M),
4. Januar 1919. 5
Ministerialrat Kurt Richter, Der Kampf
Preußen.
gegen Schund-
und Schmutzscbriften
in
. . ( = Veröffentlichungen des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt
aus dem Gebiet der Jugendpflege 8), Berlin 1929, S. 31; und Paul Reiwald, Gesellschaft
und ihre Verbrechen
(=
Die
Internationale Bibliothek für Psychologie und
Soziologie 5), Zürich 1948, S. 118—119. 8
Kriminalkommissar
Monatshefte, 7
Werneburg,
Bernhard Weiß, Kriminalsensationen,
• Vossische Zeitung 9
Ludwig
Die
Autofalle,
in:
Vossische Zeitung
in: Vossische Zeitung
(M), 16. Januar 1927.
(M), 11. April 1920. (A), 22. August 1921. Siehe auch E. Frey, Ich beantrage
spruch ...,
S. 7 9 — 8 1 ; und Siegfried Fischer-Fabian, Müssen Berliner
Bekenntnis
in Portraits, Berlin 1960, S. 34.
19
Kriminalistische
5. Jg. (1931), H . 11 vom November, S. 2 5 4 — 2 5 7 .
so sein...
FreiEin
Eine ausführliche Darstellung findet man in den Memoiren von Paul Krantz'
Kriminalität,
Kriminalpolizei
und
Öffentlichkeit
131
Oberrealschule in Mariendorf, hatten beschlossen, Günthers Schwester und ihren Freund umzubringen und anschließend Selbstmord zu begehen, da Günther den Freund in einer Juninacht bei seiner Schwester überrascht hatte. Günther erschoß tatsächlich seine Schwester und beging dann Selbstmord; Paul kamen jedoch noch rechtzeitig Bedenken, so daß er den Plan nicht zu Ende führte. Er wurde der Beihilfe zum Mord angeklagt und sein Prozeß füllte ganze Seiten der Tageszeitungen. Es fehlte nicht an Versuchen, die Affäre für politische Zwecke auszunutzen, da Krantz Mitglied einer deutschnationalen Organisation gewesen war, von der auch der Revolver stammte. Die Deutschnationalen wiederum nutzten diesen Prozeß zu einer Kampagne gegen die geplante Schulreform. Aber, wie Pem 25 Jahre später schrieb, „angeklagt stand in jenem Prozeß eigentlich die Zeit. Alle Beteiligten, die beiden Toten und die beiden Uberlebenden, waren Produkte der Nachkriegsjahre. Die ganze große Verwirrung, die der Wechsel der Moralanschauungen mit sich gebracht hatte, starrte den Zuhörern im Gerichtssaal ins Gesicht." Die Umstände des Mordes „ . . . erschienen unwichtig angesichts der großen Anklage gegen die veränderte Zeit". 11 Zwei Dinge müssen an dieser Stelle herausgestellt werden. Politische Kriminalität fand in den zwanziger Jahren kaum mehr Beachtung als gewöhnliche Verbrechen. „In jenen Jahren herrschte die Ansicht vor, daß politische Verbrechen nur einen kleinen Kreis von Eingeweihten betrafen", sagte Dr. Johannes Stumm in einem Interview einige Jahrzehnte später. Viele Menschen waren geneigt, die Schuld für Gewalttaten, wie die Ermordung von Außenminister Rathenau oder die Fememorde an Verrätern innerhalb extremistischer Gruppen, der unverständlichen Welt der politischen Machtkämpfe zuzuschreiben. Es waren jedoch die gewöhnlichen Verbrechen, in denen die Probleme des Durchschnittsbürgers zum Ausdrude kamen. Ganz abgesehen davon, daß die Bevölkerung nach 1918 bei der Wahl neuer Idole nicht gerade einen guten Geschmack bewies. Ein Preisboxer oder ein Filmstar hatten da dieselben Chancen wie etwa der Kommunistenführer Max Hölz oder der Juwelenräuber von der Tauentzienstraße. 12 Verteidiger E. Frey, leb beantrage Freispruch ..., S. 269—384. Interessante Bemerkungen zu diesem Fall bei W. Kiaulehn, Berlin ..., S. 262—263; F. Hussong, „Kurfürstendamm" ..., S. 76—78; S. Fischer-Fabian, Müssen Berliner so sein..., S. 41 bis 43; und Werner Mahrholz, Politisierung der Verbrechen, in: Vossische Zeitung (M), 10. Juli 1927. 11 Pem, Heimweh nach dem Kurfürstendamm ..., S. 102—103. 12 Interview Stumm; und F. Hussong, „ K u r f ü r s t e n d a m m " . . . , S. 40.
IV.
132
Die
Kriminalpolizei
Außerdem muß man berücksichtigen, daß nur ein sehr geringes Interesse daran bestand, die individuellen Motive der Verbrecher zu erkennen oder sich über moderne Polizeiarbeit zu informieren. Nur wenige deutsche Kriminalromane zeichneten sich durch eine wohldurchdachte Handlung und komplizierte Ermittlungsverfahren aus. 13 Das Publikum war vielmehr an Beschreibungen von waghalsigen Abenteuern, zügellosen Ausschreitungen, die sich gegen die bestehenden gesellschaftlichen Normen richteten, oder makabren Geschichten über wahnsinnige Sadisten interessiert. Wenn sich überhaupt jemand für die öffentliche Sicherheit und Ordnung interessierte, dann beschränkte sich dieses Interesse meistens auf die Kripo und ihre Leistungen. Die Kriminalpolizei — oder Kripo — kannten die Berliner hauptsächlich durch die Erfolge einiger Kriminalkommissare. Die Polizeiführung begrüßte es, wenn erfolgreiche Kriminalbeamte in den Nachrichten erwähnt wurden. Bereitwillig wurde Kommissaren die Genehmigung erteilt, ihre kriminalistischen Erfahrungen in Zeitungsartikeln oder populären Büchern zu publizieren. 14 Diese Erlaubnis wurde jedoch 1930 eingeschränkt, als die Kripo immer heftiger angegriffen wurde, und im Oktober 1932 von Polizeipräsident Melcher endgültig außer Kraft gesetzt. Die Öffentlichkeitsarbeit hatte sich insofern gelohnt, als durch sie die Berliner Bevölkerung mit der Arbeit der Kriminalpolizei vertraut gemacht worden war. Auch die Große Polizeiausstellung von 1926 sowie Kripo-Feste und die Besichtigung des Kripo-Präsidiums durch Charlie Chaplin und Heinrich Mann taten das Ihre, um das Interesse der Öffentlichkeit an der Verbrechensbekämpfung zu wecken. 15 Die Kripo hielt eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens für unbedingt erforderlich, um die Untersuchung ungelöster Fälle schneller voranzutreiben. Von August 1919 an wurden sämtliche Kapitalverbrechen 13
P. Reiwald, Die Gesellschaft
Vorgeführt 14
und ihre Verbrecher...,
erscheint. Erlebte Kriminalistik,
S. 116; Franz v. Schmidt,
Stuttgart 1955, S. 23.
So veröffentlichten Ernst Engelbrecht / Leo Heller, Berliner
Finkenkrug b. Berlin 1924; und Kinder
der Nacht...·,
Fünfzehn
und In den Spuren
Jahre
Kriminalkommissar...;
Ulrich Possehl schrieb Moderne
Betrüger,
15
Zeitung
des Verbrechertums
...;
sogar Ernst Gennat schrieb für die
(Μ), 1. Januar 1931, den populären Bericht Spuk im
Das Fest der Kriminalpolizei,
Neu-
Berlin 1928; E. Liebermann v. Sonnen-
berg / Otto Trettin schrieben Kriminalfälle...·, Vossische Zeitung
Razzien,
E. Engelbrecht allein schrieb
in: Vossische Zeitung
(M), 12. März 1931; und Vossische Zeitung
Alltag.
(Μ), 1. Juli 1928; Vossische
(A), 22. Januar 1931. Die Kom-
munisten beschwerten sich natürlich, daß die Kapelle der Kripo nur alte preußische Märsche spielte. Marschmusik 1927.
der Kripo, in: Die Rote Fahne, N r . 195 vom 20. August
Kriminalität,
Kriminalpolizei
und Öffentlichkeit
133
sofort der Presse gemeldet, da man hoffte, auf diese Weise nützliche Informationen aus der Bevölkerung zu erhalten. 16 Für Hinweise, die zur Verhaftung von Verbrechern führten, wurden Belohnungen ausgesetzt. In den Kinos zeigte man in den Pausen Fotos von steckbrieflich gesuchten Personen, und in einem Fall wurden in einem Schaufenster am Alexanderplatz sogar einige Gegenstände gezeigt, die am Tatort eines Mordes sichergestellt worden waren. 17 Außerdem unterhielt die Kripo eine Beratungsstelle zum Schutz gegen Verbrechen, und Kriminalkommissare hielten Vorträge in Schulen und Bezirksämtern. Alle diese Beispiele zeigen, daß die Kriminalpolizei nicht nur der Öffentlichkeit diente, sondern auch zur allgemeinen Information über Methoden der Verbrechensbekämpfung wesentliche Beiträge leistete.18 Wissen und Vertrauen gingen jedoch nicht immer Hand in Hand. Die Großrazzien, die die Kripo während der ersten beiden Nachkriegsjahre durchführte, waren sehr auffällig und zogen die öffentliche Kritik auf sich. Dutzende von Polizisten in Zivil, unterstützt von großen Kontingenten von Soldaten oder uniformierter Polizei, umzingelten plötzlich mehrere Häuserblocks, nahmen Hunderte von Verdächtigen fest und transportierten sie zum Verhör ins Polizeipräsidium. Der Erfolg dieser Aktionen war von Anfang an fragwürdig. Solche Razzien ersetzten schließlich keine regelmäßigen Streifen in den Verbrechergegenden.19 Der schwarze Markt, verbotenes Glücksspiel und Diebstahl konnten nun einmal nicht ausgemerzt werden, solange sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht besserte. Nach 1920 bediente man sich dieser Razzien nur noch, um politischer Straftäter habhaft zu werden, zur Bekämpfung der gewöhnlichen Kriminalität wurde diese Methode nicht mehr herangezogen.20
u Vossische Zeitung (A), 14. August 1919; und W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung . . . , S. 66, 70. 17 E. Liebermann v. Sonnenberg / O. Trettin, Kriminalfälle . . . , S. 158, 222—224. 18 W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung. . ., S. 70—72; Kriminalkommissar Geissei, Die Berliner Kriminalberatungsstelle, in: Kriminalistische Monatshefte, 4. Jg. (1930), H. 4 vom April, S. 86—88; Sigmund Nelken, Publikum und Verbrechen. Praktische Ratschläge für den Selbstschutz, Berlin 1928. 19 Vossische Zeitung (A), 14. November 1919. 20 In einem Sonderfall durchkämmten mehrere Tausend Schupos und hunderte von Kriminalbeamten die Gegend um den Sdilesischen Bahnhof in der Nadit vom 15. zum 16. Januar 1929, um zu zeigen, daß die Polizei nicht gewillt war, eine Wiederholung der jüngsten Verbrecherschlacht zu dulden. Vossische Zeitung (M), 16. Januar 1929.
134
IV. Die
Kriminalpolizei
Die Leistungen der Kripo in den zwanziger Jahren ließen sich schwer beurteilen, da die Bevölkerung dazu neigte, Erfolge den Talenten einzelner Kommissare, Mißerfolge jedoch dem gesamten Kriminalpolizeiapparat zuzuschreiben. Man hatte wenig Verständnis dafür, daß auch die hohen Belohnungen, die für die Wiederbeschaffung von Diebesgut ausgesetzt waren, die Einbrecherbanden nicht an ihrer Arbeit hindern konnten. 21 Hohngelächter erscholl, wenn die Kripo monatelang nach einem einzigen Verbrecher suchte oder wenn das Beweismaterial nicht ausreichte, einen Angeklagten zu verurteilen, an dessen Schuld überhaupt kein Zweifel bestehen konnte. Auch das hohe Ansehen, das Kriminalrat Ernst Gennat oder die Kommissare Ludwig Werneburg und Erich Anuschat bei der Bevölkerung genossen, konnte die Kripo nicht vor Kritik schützen. Wenn auch bestimmte Verbrecher und einzelne Kommissare fair und sozusagen nach sportlichen Spielregeln beurteilt wurden, richtete sich die Beurteilung der Kripo als Ganzes jedoch völlig nach den politischen Anschauungen jedes einzelnen Kritikers. 22 Die Kriminalabteilung des Berliner Polizeipräsidiums war schließlich ein Exekutivorgan der Regierung. Allgemein bestand die Ansicht, daß der Kollektivfeind der Kripo nicht die Summe aller kriminellen Elemente in der Stadt war, sondern das politische und soziale Elend in Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Arbeitslosigkeit, Revolution und nationale Verzweiflung standen mit den meisten Verfehlungen in engem Zusammenhang. Angesichts des sozialen Elends hatten die konventionellen Normen wie Recht und Unrecht ihre Gültigkeit verloren. 23 „Hungernde Kinder vor den Brotläden, verelendete Männer und Frauen auf den Straßen" bedeuteten 1923 für einen Stadtrat die natürliche Erklärung für die täglichen Selbstmorde, Raubüberfälle und Morde. 24 So erklärt es sich wahrscheinlich audi, daß die Bewohner der ärmeren Gegenden im Norden und Osten der Stadt in den schlimmsten Notzeiten gewöhnliche Diebe spontan vor dem Zugriff der 21
Rumpelstilzchen, Berliner Allerlei..S. 81. Kriminaldirektor Kleinschmidt, Wahrheit und Irrtum im kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren, in: Kriminalistische Monatshefte, 6. Jg. (1932), H. 10 vom Oktober, S. 225. 23 Im Jahre 1928 wurde Hans Possendorfs „Klettermaxe". Eine Berliner Kriminalgescbichte zwischen Kurfürstendamm und Scheunenviertel, München 1927, verboten, „ . . . weil e r . . . das Verbrechen und die moralische Lumperei als etwas Verzeihliches, Selbstverständliches und zum Teil Scherzhaftes darstellt." Siehe K. Richter, Der Kampf gegen Schund- und Schmutzschriften..., S. 31; auch W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung . . . , S. 71—72. 24 W. Mann, Berlin zur Zeit der Weimarer Republik . . . , S. 69. 22
Kriminalität,
Kriminalpolizei
und
Öffentlichkeit
135
Polizei sdiützten. 25 Aber während es bei der Kripo Beamte gab, die verstanden, daß die Polizei von der Bevölkerung aus sozialen Gründen abgelehnt wurde, wollten nur wenige Mitbürger zugeben, daß das Versagen der Kripo teilweise auch auf mangelnde Unterstützung durch die Öffentlichkeit zurückzuführen war. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß die Kommissare der politischen Polizei noch schlechter beurteilt wurden als ihre Kollegen von der Kripo. Die Neigung der Bevölkerung, Vergehen, die sich gegen die Gesellschaft richteten, zu entschuldigen, erstreckte sich nach dem Krieg besonders auch auf politische Verbrechen. Die Beamten der Abteilung IA mußten überdies natürlich diskreter vorgehen als Beamte, die gewöhnliche Verbrechen aufzuklären hatten, und konnten daher wenig tun, um ihren Ruf zu heben. In einem Zeitungsartikel erklärte Regierungsdirektor Wündisch 1926, daß präventive Polizeiarbeit, wenn sie Angriffe auf den Staat verhindern sollte, schließlich kaum von Publizität profitieren würde. Man konnte die Bevölkerung nicht zur Mithilfe aufrufen, wenn man ihr nichts über das Verbrechen selbst, die Umstände oder die möglichen Verdächtigen sagen konnte. 26 Diese Regel traf natürlich nicht auf die Untersuchung bereits begangener politischer Delikte zu. Doch obwohl die Namen von Beamten der Abteilung IA in der Weimarer Zeit nicht wie im Dritten Reich geheimgehalten wurden, erregten ihre Erfolge nicht im selben Maße die öffentliche Aufmerksamkeit, wie das bei den Kriminalkommissaren der Fall war. Die Tageszeitungen brachten nur kurze Mitteilungen über personelle Umbesetzungen in der Führung der politischen Polizei oder erwähnten beiläufig, welcher Kriminalkommissar einen bestimmten Fall bearbeitete. Erwähnt wurden zum Beispiel Kriminalkommissar Mühlfriedel wegen seines Beitrages zur Überführung der Bombenattentäter, die 1929 eine Anzahl von Anschlägen verübt hatten, ferner Kriminalkommissar Teichmann, dem es 1930 gelang, die Mörder von Horst Wessel aufzuspüren, und Kriminalkommissar Dr. Stumm, der von einer Untersuchungskommission des Preußischen Landtages über die berüchtigten „Fememorde" in der Schwarzen Reichswehr von 1926 aussagte.27 Doch keiner dieser Beamten wurde deshalb populär. 25 Die Vossiscke Zeitung berichtete über solche Vorfälle am 18. März 1921, 23. Oktober 1928 und 12. Januar 1932. 26 Regierungsdirektor Wündisch, Die Aufdeckung der Fememorde. Hat die Polizei versagt?, in: Vossische Zeitung (S), 28. März 1926. 27 Über Fememörder siehe Friedrich Karl Kaul, Der Pitaval der Weimarer Republik, Bd. 1: Justiz wird zum Verbrechen, Berlin 1953, S. 285—353.
136
IV.
Die
Kriminalpolizei
Die Öffentlichkeit akzeptierte die politische Polizei nur zögernd als eine notwendige und wünschenswerte Einrichtung. 28 Die Aufgaben der Abteilung IA wurden oft für genauso überflüssig und unerträglich gehalten wie etwa die Pressezensur und die Überwachung von Dienstboten — beides Gepflogenheiten einer Autokratie, die 1918 abgeschafft worden war. Die Schutzpolizei hatte des öfteren Gelegenheit, die Bedeutung ihres Beitrages zur Verteidigung der bestehenden Gesellschaftsordnung unter Beweis zu stellen. Die vorbeugende Arbeit der Abteilung IA jedoch zeitigte keine sichtbaren Resultate, und audi ihre Erfolge bei der Jagd auf Terroristen waren wenig geeignet, den Durchsdinittsbürger zu beruhigen. Schupobeamte, die bei ihrer Pflichterfüllung den Tod fanden, wurden dadurch nicht unbedingt populär, doch hatten sie wenigstens ihre Treue und Opferbereitschaft unter Beweis gestellt. Die Abteilung IA hatte keine solchen Verluste aufzuweisen, jedenfalls keine, von denen die Öffentlichkeit etwas erfuhr. 29 Folglich war die politische Polizei das einzige Exekutivorgan, das seine Arbeit der Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen hatte. Das führte manchmal fast so weit, daß sie ihre Existenzberechtigung nachweisen mußte. Leitende Beamte der Abteilung IA erklärten, daß die politische Polizeiarbeit infolge der Vielfalt und Unberechenbarkeit der deutschen Nachkriegsverhältnisse notwendiger sei, als jemals unter der Monarchie.30 Das Sicherheitsproblem vor 1914 hatte sich auf die Routineüberwachung sozialistischer Veröffentlichungen und Veranstaltungen beschränkt; die jetzige Situation brachte jedoch unzählige neue Gefahren mit sich. Doch war die Polizeiführung bemüht, der Bevölkerung zu versichern, daß sich die politische Polizei genauso im Rahmen der Legalität bewegte, wie ihre Vorgängerin vor dem Kriege. Sie ver28
Von den politischen
Kriminalpolizei taktik,
2.,
unter völlig
Verbrechen,
besonderer
umgearb.
in: Wilhelm Stieber, Praktisches
Berücksichtigung
Aufl.,
hrsg.
der
von
Kriminologie
Hans
Sdineickert,
Lehrbuch und
der
Kriminal-
Potsdam
1921,
S. 180—181. 29
B. Weiß berichtet in Polizei
und Politik
. . . , S. 57, daß nur ein Beamter v o n der
Abteilung I A in eine andere Stadt versetzt wurde, da sein Leben in Berlin gefährdet erschien. Ausnahmsweise berichtete audi die Vossische
Zeitung
(M) am 13. Mai 1927,
daß ein nationalsozialistischer Agitator seine Zuhörer aufgefordert habe, sich bei der nächsten politischen Versammlung die Männer v o n der Abteilung I A vorzunehmen, um sich für das jüngste Verbot der N S D A P zu rächen. 30
B. Weiß, Polizei
Zeitung
gegen
Staatsverbrecher.
Saubere
Kampfmittel,
in:
Vossische
(M), 30. März 1928; und Albert Grzesinskis Rede auf der 10. Preußischen
Polizei-Woche in Düsseldorf in Die Polizei, S. 520. Siehe auch Wadienfeld, Politische 2. Jg. (1928), H . 2 v o m Februar, S. 38—40.
26. Jg. (1929), N r . 20 v o m 20. Oktober, Polizei,
in: Kriminalistische
Monatshefte,
Die Kriminalpolizei
auf der Suche nach beruflicher
Autonomie
137
teidigte die unerläßliche Arbeit von Geheimagenten und V-Leuten, fügte jedoch schnell hinzu, daß der größte Teil des Informationsmaterials der Abteilung IA Hinweisen aus der Bevölkerung entstammte. 31 Als die politische Polizei am 1. Januar 1932 einen Luftgewehranschlag auf zwei Schülerinnen in der Kreuzberger Schönleinstraße untersuchen sollte, stellte sie fest, daß die Schüsse aus einem gegenüberliegenden kommunistischen Restaurant abgegeben worden waren. Es war schon seit einiger Zeit gemunkelt worden, daß der Vater des einen Mädchens ein Spitzel der politischen Polizei sei. Die Abteilung IA wies diese Anschuldigung zwar zurück, räumte jedoch in ihrem Bericht ein, daß der Verdacht, ein Bewohner der Gegend könnte ein Polizeispitzel sein, ein verständliches Tatmotiv wäre. 32 Außerdem versicherte die politische Polizei immer wieder, daß sie weiter nichts war, als eine ganz normale Ermittlungsabteilung, deren Spezialgebiet eben politische Verbrechen waren, genauso, wie es andere Dezernate gab, die sich mit Rauschgiftdelikten oder Mord befaßten. Die Öffentlichkeit versuchte man davon zu überzeugen, daß auch die Beamten der politischen Polizei denselben rechtlichen Bestimmungen und Prinzipien unterworfen waren, wie die anderen Beamten des Berliner Polizeipräsidiums. 33 Die Abteilungen IA und I V (Kripo) hatten tatsächlich vieles gemeinsam. Ihre Mitarbeiter stammten aus ein und demselben Bewerberkreis, sie benutzten dieselben technischen Einrichtungen und arbeiteten oft gemeinsam an der Untersuchung derselben Straftaten. Als sich die politische Situation in der Republik gegen Ende der zwanziger Jahre immer mehr verschärfte, wurde ihre Zusammenarbeit noch enger. Um die Gründe für die Meinungsverschiedenheiten und die Unzufriedenheit in der Abteilung IA der Berliner Polizei während der letzten Jahre der Weimarer Republik erforschen zu können, müssen also beide Abteilungen zusammen untersucht werden.
Die Kriminalpolizei auf der Suche nach beruflicher
Autonomie
Die Geschichte der Berliner Kriminalpolizei vor 1918 ist für eine Beurteilung ihrer Leistungen in der Weimarer Zeit völlig belanglos. Die 31
B. W e i ß , Polizei und Politik ...,
32
Strafsachen
Staatsanwaltschaft 33
gegen
Unbekannt
S. 102. wegen
bei dem Landgericht
Körperverletzung,
i n : Blattsammlung
Η Berlin, I I . P . J . 180/32.
B. Weiß, Polizei und Politik . . ., S. 25; audi Interviews Teigeier, Kuckenburg.
der
138
IV. Die
Kriminalpolizei
Aufklärung krimineller Delikte stellte zwar schon seit 1811 eine Sonderfunktion der Polizeibehörde dar, die Polizeidetektive waren jedoch bis 1872 der uniformierten Polizei untergeordnet. Nicht einmal in der Strafprozeßordnung oder im Gerichts Verfassungsgesetz des Zweiten Reiches wurde die Kriminalpolizei als selbständige Einrichtung anerkannt. Sie existierte vielmehr unter der vagen Bezeichnung „Sicherheitspolizei". Erst 1919, als Oberregierungsrat Hoppe die ganze Abteilung neu organisierte, wurde die Kriminalpolizei den Erfordernissen der modernen Zeit angepaßt. 34 Nach dem Krieg hatte die Kripo allen Grund, sich von der uniformierten Straßenpolizei und von deren Kapitulation während der Novembertage zu distanzieren. Im Gegensatz zur Schutzmannschaft stand die Kripo auf dem Standpunkt, daß eine neutrale Haltung in dem politischen Umbruch von 1918 möglich gewesen war. Es war wenig wahrscheinlich gewesen, daß die bewaffneten Matrosen, die sich in jenen Wintermonaten mit Räuberbanden herumschlugen, die Rolle von Kripo-Beamten übernommen hätten. 35 Auch später war nicht anzunehmen, daß die Soldaten der Sicherheitspolizei die Kripo in ihrer Funktion der Verbrechensbekämpfung ersetzen würden. Tatsächlich wurden die Beamten der Kripo bereits zehn Tage nach dem Sturz der Monarchie wiederbewaffnet. 36 Im Präsidium am Alexanderplatz und in ihren Amtsbezirken setzten sie ihre Arbeit fort, als sei nichts geschehen.37 Nicht einmal die Besetzung des Polizeipräsidiums durdh die Spartakisten am 4. Januar 1919 veranlaßte sie, ihre Arbeit zu unterbrechen. Die Mordkommission — mit dem Mord an einem Briefträger im Hotel Adlon beschäftigt — untersuchte den Tatort mit gewohnter Gründlichkeit, ohne sich im geringsten um den Lärm der Straßenkämpfe zu kümmern, der vom Pariser Platz und von der Wilhelmstraße herüberdrang. 38 34 Adolf Stein bedauerte, daß die Ära des „Herrn Nachtrat" vor dreißig Jahren, als das Verbrechen nodi in den Kinderschuhen steckte, zu Ende gegangen war. Rumpelstilzchen [d. i. Adolf Stein], Bei mir — Berlin! ( = Rumpelstilzchen-Reihe, Bd. [4]), Berlin 1924, S. 210. Audi Kriminal-Direktor Wolfram Sangmeisters Memorandum zum 150. Jahrestag der Berliner Kriminalpolizei am 1. April 1961 (K 10 30/1 61); und Menzel, Die Entstehungsgeschichte der deutschen Kriminalpolizei (1957). [Manuskript in der Polizeischule Berlin-Spandau.] 35
W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung . . . , S. 64—65. Auch die Sipo bearbeitete Kriminalfälle. Siehe Die grüne Polizei. Eine Halbjahrs-Statistik, in: Vossische Zeitung (M), 24. Juni 1920. 37 Interviews Kuckenburg, Togotzes. 38 H. Adlon, Hotel Adlon . . . , S. 120—131; auch Vossische Zeitung, 3.—4. Januar 1919. 36
Die Kriminalpolizei
auf der Suche nach beruflicher
Autonomie
139
Zweifellos hatte die Unfähigkeit von Erich Prinz, Eichhorns zweifelhaftem Kripochef von November 1918 bis Januar 1919, einige Verwirrung in der Kriminalpolizei hervorgerufen. 39 Während dieser unruhigen Monate wurden mehrere Fälle von Korruption bekannt, normalerweise eine Seltenheit bei der Berliner Polizei. Starke Bedenken wurden laut, als Eichhorn die preußische politische Polizei abschaffte und ihre Aufgaben der Kripo übertragen wollte. Die Kripo sollte in Zuk u n f t für die Aufklärung von Hochverrat, feindlichen Handlungen gegen befreundete Staaten, Vergehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, Verrat militärischer Geheimnisse sowie von Aufständen und der Anstiftung zu Aufständen verantwortlich sein.40 Auf einer Protestversammlung Berliner Kriminalbeamter am 5. Dezember 1918 wurde daraufhin eine Resolution angenommen, in der gefordert wurde, Kriminalbeamte nicht zu politischer Arbeit zu „mißbrauchen" und Direktoren aus den Reihen erfahrener Kriminalisten zu berufen, um die politische Neutralität der Kriminalpolizei zu gewährleisten. 41 Beiden Forderungen kam Eichhorn sofort nach, und spätere Polizeipräsidenten folgten diesem Beschluß. Polizei-Vizepräsident Dr. Weiß war immer bemüht, die Kriminalpolizei vor den „bei der politischen Polizei unausbleiblichen Anfeindungen" zu bewahren. So bestand er darauf, daß die politische Polizei in Zukunft nicht nur f ü r die Verhütung politischer Verbrechen, sondern auch f ü r deren Aufklärung verantwortlich sein sollte, eine Aufgabe, die in manchen anderen Ländern der gewöhnlichen Kriminalpolizei zufiel. 42 Eine Verordnung des preußischen Innenministeriums von 1923 sah vor, daß als Leiter der Abteilung IV außer Verwaltungsbeamten mit juristischer Ausbildung auch Kriminalisten berufen werden konnten. 43 Noch während im Januar und Februar 1919 eine politische Polizei geschaffen wurde, war es Aufgabe der Kripo, nach dem ehemaligen
39 Erich Prinz, ein gelernter Maler, wurde wegen allgemeiner Unfähigkeit und Unterschlagung öffentlicher Gelder am 28. November 1918 entlassen, wiedereingestellt und am 2. Januar 1919 wieder entlassen. Wegen Betruges wurde er einmal im Mai 1920 und noch einmal im November 1930 verurteilt. 40 Die Polizeischule. Systematische Darstellung und Erläuterung des deutschen Polizeirechts, hrsg. von Max Weiss, Bd. 2, Dresden 1920, S. 671—672; und B. Weiß, Polizei und Politik . . ., S. 133. 41 Die Polizei, 15. Jg. (1919), Nr. 21 vom 16. Januar, S. 377. 42 B. Weiß, Polizei und Politik . . . , S. 64, 134. 43 Regierungsrat Amelung, Soll der Chef der Kriminalpolizei Volljurist sein ?, in: Kriminalistische Monatshefte, 5. Jg. (1931), H. 10 vom Oktober, S. 219—221.
140
IV. Die
Kriminalpolizei
Polizeipräsidenten Eichhorn und dem flüchtigen Agenten der kommunistischen Internationale, Karl Radek, zu fahnden. 4 4 Vom Herbst 1919 an hatte sie jedoch einige Jahre Ruhe, in denen sie sich ausschließlich der Verbrechensbekämpfung widmen konnte. Diese Jahre ungestörten Arbeitens nutzte die Kripo voll aus, so daß die zwanziger Jahre zu einer Periode fruchtbarer Experimente und Reformen wurden. Zwischen 1919 und 1927 wurden die Auswertung von Fingerabdrücken und ballistische Untersuchungen eingeführt, eine neue Mordinspektion und die weibliche Kriminalpolizei geschaffen, und in Charlottenburg entstand ein Institut f ü r Polizeiwissenschaft. Das wichtigste Ereignis war jedoch die Gründung des Landeskriminalamtes (LKA) in Berlin, das am 1. Juni 1925 seine Arbeit aufnahm. Es hatte die Aufgabe, die Methoden der Kriminalpolizei in den preußischen Provinzen zu standardisieren und die von den untergeordneten Landeskriminalpolizeistellen (LKP) eingehenden Informationen über kriminelle Aktivitäten zu koordinieren. Die wichtigste Funktion dieser neuen Dienststelle bestand jedoch darin, die Verbindung zu ähnlichen Einrichtungen in anderen deutschen Ländern aufrechtzuerhalten. 45 Die Errichtung eines preußischen Landeskriminalamtes, einer bedeutenden Neuerung in der Geschichte der deutschen Polizei, fand in Fachkreisen große Beachtung. Die damit verbundenen politischen Probleme wurden jedoch interessanterweise in keinem der vielen Kommentare berührt. Statt dessen betonte man den im 20. Jahrhundert notwendigen schnellen Informationsaustausch zwischen den örtlichen Kriminalämtern und erörterte die Schwierigkeiten, die sich bei der Verbrecherfahndung im Reichsgebiet ergeben hatten, wie zum Beispiel bei der Fahndung nach Mördern wie Sternickel und Haarmann zwischen 1905 und 1924. 46 Betont wurde außerdem die offensichtliche Bedeutung, die dem Landeskriminalamt als nationaler Sammelstelle von Nachrichten für die kriminalpolizeilidhe Verbrechensbekämpfung und deren Verarbeitung zukam. Nach dem neuen Geschäftsverteilungsplan führte die Berliner Dienststelle die zentrale Fingerabdruckkartei für 44 Vossische Zeitung (M), 13. Januar 1919; und Vossische Zeitung (M) und (A), 13. Februar 1919. 45 Regierungsrat Paetsch, Die Errichtung der Landeskriminalpolizei im Rahmen der Neuordnung des Polizeiwesens in Preußen, in: Die Polizei, 21. Jg. (1925), Nr. 20 vom 20. Januar, S. 506—509; und Willy Gay, Die preußische Landeskriminalpolizei. Ihre Errichtung, ihre bisherige und beabsichtigte Entwicklung, ihre Aufgaben ( = Landeskriminalpolizei, Erl. = Vorschriften für die staatliche Polizei Preußens, H . 32), Berlin 1928, sind zeitgenössische Grundwerke. 49 W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung..., S. VII.
Die Kriminalpolizei
auf der Suche nach beruflicher
141
Autonomie
das ganze Reich und registrierte alle Fälle von Falschmünzerei, Verbrechen in Schnellzügen, Banküberfällen, Mädchenhandel und Pornographie. München war für Zigeunerangelegenheiten zuständig, und Dresden spezialisierte sich auf die Ermittlung von Zivilvermißten und die Identifizierung von Leichen. Kommentatoren wie Willy Gay erwähnten jedoch nicht, daß die Ermordung Walther Rathenaus im Jahre 1922 den Hauptanstoß zu dieser Planung gegeben hatte und daß seine Verknüpfung mit dem Gesetz zum Schutze der Republik zu politischen Komplikationen zwischen Berlin und den süddeutschen Staaten geführt hatte. 47 Gay ließ auch die Tatsache unerwähnt, daß die Deutsche Kriminalpolizei-Kommission, die 1925 in Karlsruhe getagt hatte, um die letzten Einzelheiten des Projekts auszuarbeiten, hauptsächlich daran interessiert war, die Verfolgung von Verbrechen gegen die Staatssicherheit zu beschleunigen. Dr. Weiß wußte aber nur zu gut, daß eine Verbindung kriminalpolizeilicher und politischer Polizeiarbeit von den Kriminalisten abgelehnt wurde, „gleichsam, als könnte man sich durch die Berührung politisch oder gar moralisch bloßstellen". 48 Die Hartnäckigkeit sowie der ausgeprägte Förderalismus der Länderregierungen machten es schließlich notwendig, die Zuständigkeit der Landeskriminalämter auf allgemeine kriminelle Delikte zu beschränken, obwohl eine Standardisierung und Zentralisation der Ermittlungsarbeiten dringend notwendig gewesen wären, um gerade dem politischen Terror ein Ende zu bereiten. 49 Da die Kripo es ablehnte, sich mit politischen Angelegenheiten zu befassen, konnte sie sich lange Zeit von der Abteilung IA distanzieren. Die Kripo behauptete, daß politische Polizeiarbeit mit den objektiven Maßstäben von Kriminalisten unvereinbar sei. Ihr Argument war, daß ein Kriminalkommissar das Mandat erhielt, Untersuchungen nach eigenem Ermessen und aufgrund genau festgelegter Vorschriften durchzuführen, während sich ein Beamter der politischen Polizei nach den ständig wechselnden Anweisungen seiner politischen Vorgesetzten zu 47
Veröffentlichungen
nach dem Kriege sind umfassender.
J o a d i i m N e u f e l d t / J ü r g e n Huck / Georg Tessin, Zur Geschichte 1936—1945
der
Beispiel
Hans-
Ordnungspolizei,
( = Schriften des Bundesarchivs 3), K o b l e n z 1 9 5 7 , S. 5.
48
B . Weiß, Polizei
49
B e r n h a r d Weiß, Grundgedanken
polizei,
Zum
in: Die
und Politik
Polizei,
. . ., S. 2 5 . für
die
Reform
der
preußischen
Kriminal-
2 1 . J g . ( 1 9 2 5 ) , N r . 2 0 v o m 2 0 . J a n u a r , S. 5 0 3 — 5 0 6 . In den
z w a n z i g e r J a h r e n w a r das L a n d e s k r i m i n a l a m t in Berlin nur eine Briefkastenbehörde, die allerdings für einen lebhaften Austausch von K r i p o - P e r s o n a l in Preußen sorgte. 1 9 2 8 untersuchten K r i p o - B e a m t e 8 7 M o r d f ä l l e in den P r o v i n z e n ; 1 9 2 9 w a r e n es 55. Kriminalistische
Monatshefte,
4. J g . ( 1 9 3 0 ) , H . 3 v o m M ä r z .
142
IV. Die
Kriminalpolizei
richten hatte. Während der ganzen zwanziger Jahre lehnten Kriminalbeamte es gewöhnlich ab, sich in die politische Abteilung des Polizeipräsidiums versetzen zu lassen; bemerkenswerte Ausnahmen bildeten Emil Klingelhöller und Dr. Rudolf Braschwitz.50 Kriminalkommissar Togotzes verglich die Beziehungen zwischen seiner Abteilung und der Abteilung IA mit denen zweier Konkurrenzunternehmen. Kein Kriminalbeamter, meinte er, der sich freiwillig für die politische Arbeit entschieden hatte, wäre von seiner alten Abteilung wieder aufgenommen worden, genausowenig wie ein Geschäftsmann einen Verkäufer wiedereinstellen würde, der vorher zur Konkurrenz übergewechselt war. Obwohl die Abteilungen IA und IV in dem ausgedehnten Backsteingebäude am Alexanderplatz nur durch eine Etage voneinander getrennt waren, zogen es die Mitarbeiter vor, ihre eigenen Wege zu gehen. „Die da oben waren für uns nicht da", erinnerte sich Fräulein Bomke, die lange Jahre als Stenotypistin bei der Kriminalpolizei gearbeitet hatte und ihren ehemaligen Vorgesetzten loyal ergeben war. 51 Die beträchtliche Stärke der Kriminalpolizei — im Jahre 1932 waren es ungefähr 2360 Beamte gegenüber 300 Beamten in der Abteilung IA 52 — war natürlich ein Vorteil gegenüber der „Konkurrenz". Die politische Polizei konnte es sich nicht leisten, genauso viele Spezialdienste zu unterhalten wie die Kripo; so war sie auf den Erkennungsdienst und die Schulungseinrichtungen der Kripo angewiesen. Andererseits konnte die Abteilung IA aufgrund ihrer zahlenmäßigen Schwäche aber auch erwarten, von der Kripo unterstützt zu werden, wenn irgendein unvorhergesehener Notstand eintrat oder wenn die täglich einlaufenden politischen Fälle aus Personalmangel einfach nicht bewältigt werden konnten. 53 Kripo-Expertengruppen halfen der Abteilung IA beispielsweise bei den Voruntersuchungen von so außergewöhnlichen Fällen wie der Ermordung des ehemaligen Reichsfinanzministers Erzberger (26. August 1921) und des Außenministers Rathenau (24. Juni 1924).54 Kripobeamte des einfachen Dienstes wurden herangezogen, um die vielen lästi50 Denkschrift des Bundes Deutscher Polizeibeamten e. V. über die Geheime Staatspolizei ..., Kassel 1953. 51 Interviews Togotzes, Bomke, Stumm, Lehnhoff. 52 Diese Angaben stammen von A. C. Grzesinski, Die Leistungen der Berliner Polizei im Wahlkampf, in: Die Polizei, 29. Jg. (1932), Nr. 10 vom 20. Mai, S. 221 bis 222. 53 Interview Teigeier; und B. Weiß, Polizei und Politik . . . , S. 136—137. 54 Vossische Zeitung (M), 30. August 1921; und Vossische Zeitung (A), 24. Juni 1922.
Die Kriminalpolizei
auf der Suche ηαώ beruflicher
143
Autonomie
gen Beschwerden über angebliche Polizeibrutalität bei politischen Demonstrationen zu untersuchen oder bei der Fahndung nach Anstiftern von Straßenkämpfen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten zu helfen. Da man nie wußte, ob ein Verbrechen wirklich politische Motive hatte, war die Mitarbeit der Kripo oftmals gerechtfertigt. In solchen Fällen folgten die Kripobeamten jedoch genau den Anweisungen der Abteilung IA, betrachteten sich also nicht wie bei der normalen Verbrechensverfolgung voll für ihre Arbeit verantwortlich. Die anhaltenden Spannungen Anfang der dreißiger Jahre bedeuteten für die Kripo das Ende ihrer so geschätzten Freiheit, sich aus der politischen Arbeit heraushalten zu können. An der Razzia auf das Karl-Liebknecht-Haus, die kommunistische Parteizentrale, am 18. Februar 1930 waren 140 Kripobeamte beteiligt. 55 Im Januar 1932 setzte die Kripo auf dem Gelände der Friedrich-Wilhelms-Universität Spitzel ein, um politische Unruhestifter zu entlarven. 56 Bei den Wahlen im März und April 1932 hielten sich sämtliche Kripobeamten „freiwillig" in Bereitschaft, um die Beamten der Abteilung IA im Notfall unterstützen zu können. 57 Zu dieser Zeit war sich die Kripo längst darüber im klaren, daß sie sich den politischen Aufgaben ihrer Kollegen in der Berliner Polizei, das heißt der Abteilung IA, aber auch der uniformierten Schutzpolizei, nicht länger entziehen konnte. Schon während der Mai-Unruhen 1929 waren bewaffnete Kriminalpolizisten in Zivil eingesetzt worden, um die Schutzpolizei im Straßenkampf gegen Barrikadenkämpfer in der Kösliner Straße zu unterstüzten. 58 Vor 1929 war die Kripo nur selten zur Unterstützung der Schutzpolizei herangezogen worden, auch war sie von der Straßenpolizei ziemlich unabhängig gewesen, da sie eigene ständige Posten in allen Stadtteilen unterhielt. 59 Außerdem war die Kripo seit Kriegsende zahlenmäßig derart gewachsen, daß sie Großeinsätze mit Hunderten von 55
Vossiscbe Zeitung (A), 18. Februar 1930.
58
Vossische Zeitung (A), 23. Januar 1932.
57
A. C. Grzesinski, Die Leistungen
der Berliner
Polizei im Wahlkampf,
in: Die
Polizei, 29. Jg. (1932), N r . 10 vom 20. Mai, S. 222. 58 59
Vossische Zeitung (A), 3. Mai 1929. Siehe Hermann Zanck, Wegweiser
1922, S. 2 6 — 2 7 ; und Handbuch
durch das polizeiliche
über den Preußischen
Groß-Berlin
Staat für das Jahr
. . ., Berlin 1925
...,
S. 140. Ortsinspektionen der Kripo wurden in allen 20 Polizeiämtern von GroßBerlin erriditet und beaufsichtigten
die Kriminalbeamten
der
Polizeireviere
auf
Bezirksebene. Im Gegensatz dazu waren die Beamten vom Außendienst der politischen Polizei immer auf Anweisungen vom Polizeipräsidium angewiesen.
IV.
144
Die
Kriminalpolizei
Beamten ohne die Unterstützung der Schupo durchführen konnte. Allerdings mußte sie in solchen Fällen deren Transportmittel in Anspruch nehmen. 60 Bei Routineüberwachungen von Menschenansammlungen und der Unterdrückung von Aufständen arbeitete die Kripo mit der Schutzpolizei zusammen. Laut Vorschrift mußten Zivilbeamte der Kripo oder der Abteilung IA bei Unruhen Gefangene und Zeugen verhören und alle Haussuchungen überwachen. 61 Außerdem gab es natürlich die normalen Beziehungen zur Revierpolizei, da diese gewöhnlich zuerst am Tatort eines Verbrechens eintraf. 62 Bei solchen Gelegenheiten übernahmen jedoch die Kriminalbeamten schon deshalb die Leitung, weil sie einen höheren Rang als die Schupo-Beamten hatten. Dieses Ubergewicht der Zivilbeamten und die Überzeugung, daß die Arbeit der Kripo wichtiger war als der Streifendienst, stießen bei der uniformierten Schutzpolizei auf Unverständnis. Es gab Schupo-Beamte, die sich weigerten, eine Position in der Kriminalpolizei zu übernehmen, da die „saubere und soldatische Atmosphäre" in der Schutzpolizei für besser gehalten wurde, als der Verkehr mit „Spitzeln aus der Unterwelt". 6 3 Natürlich blieb die Kripo auch weiterhin von ihrer intellektuellen und sozialen Überlegenheit überzeugt. In der Weimarer Zeit kamen nicht mehr so viele Kriminalbeamte aus den Reihen ehemaliger Schutzpolizisten wie vor dem Kriege. 64 Ehemalige Revierpolizisten, die in Lehrgängen in die grundsätzlichen Fragen des Polizeirechts und der Strafprozeßlehre eingeführt worden waren, wurden meistens im einfachen und mittleren Dienst eingesetzt; ihre Chancen, zum Kriminalkommissar befördert zu werden, waren jedoch sehr gering. Die Beamten im gehobenen und höheren Dienst kamen meist aus gebildeten Bevölkerungskreisen. 65 Sie übersprangen die 60
Dies konnte sehr zeitraubend sein, da das V e r f a h r e n bürokratisch
wurde. Siehe Die Kriminalpolizei
klagt
an, in: Vossische
Zeitung
gehandhabt
(M), 2 3 . N o v e m b e r
1928. 61
M . Weiss (Hrsg.), Die
Waffenausbildung
Polizeischule...,
der Schutzpolizei...,
B d . 1, S. 3 8 3 ; und Vorschrift
62
Interviews Togotzes und Lehnhoff.
63
Interviews Kolbe, Miczek, Sangmeister.
84
M. Weiss, (Hrsg.), Die Polizeischule
65
Zur Ausbildung der Kriminalkommissare siehe W . G a y , Die Preußische
kriminalpolizei
. . .,
S. 1 7 — 1 8 .
Es
für
die
T . 2, § I I I , N r . 1 2 5 und 158.
gab
..., die
B d . 1, S. 3 7 8 . folgenden
Laufbahnen;
(1)
Landeseinfadier
Dienst: Kriminal-Assistenten; (2) mittlerer Dienst: K r i m i n a l - S e k r e t ä r e und K r i m i n a l B e z i r k s - S e k r e t ä r e ; (3) gehobener Dienst: K r i m i n a l - K o m m i s s a r e und K r i m i n a l - O b e r kommissare; (4) höherer D i e n s t : K r i m i n a l - P o l i z e i r ä t e und K r i m i n a l - D i r e k t o r e n .
Die Kriminalpolizei
auf der Suche nach beruflicher
145
Autonomie
unteren Ränge und legten sofort die Eignungsprüfung für Kriminalkommissar-Anwärter ab. Das Abitur war Voraussetzung, doch eine ganze Anzahl hatte außerdem einige Semester studiert, einige hatten sogar promoviert. 66 Die wenigen Kommissare, die noch der Königlichen Polizei angehört hatten und ohne höhere Bildung in den gehobenen Dienst aufgestiegen waren, fühlten sich in der Gesellschaft weit jüngerer Männer, die zudem in freien Berufen ausgebildet waren und traditionsgemäß wohl kaum eine Polizeikarriere eingeschlagen hätten, fehl am Platze. Auch in dem Kampf um persönliche Anerkennung und berufliches Fortkommen waren sie benachteiligt. Die Voraussetzung für jede Art Erfolg war Spezialisierung. 67 Für einen Kommissar bedeutete dies die Weiterbildung in fachwissenschaftlicher Hinsicht durch Lehrgänge über Polizeirecht und Kriminologie. Alle wichtigen Vorlesungen, die in den zwanziger Jahren an der Höheren Polizeischule in Eiche oder im Kripo-Präsidium in Berlin abgehalten wurden, waren jedoch auf die Beamten des höheren Dienstes mit akademischer Vorbildung zugeschnitten. Das Polizei-Institut in Charlottenburg, das am 1. September 1927 eröffnet worden war, hatte die Aufgabe, leitende Beamte „durch Kurse auf Universitätsebene" über Fortschritte auf dem Gebiet der Kriminalistik zu informieren. 68 Einige Kripobeamte sahen ihre berufliche Selbständigkeit nicht etwa durch die Schupo oder die Abteilung IA bedroht, sondern vielmehr durch die Staatsanwaltschaft. Rechtlich gesehen war die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin für alle kriminalpolizeilichen Angelegenheiten zuständig und daher auch berechtigt, Verordnungen zu erlassen oder anderweitig in die Arbeit der Kripo einzugreifen. Theoretisch waren Kriminalbeamte, genau wie alle anderen Polizeibeamten, Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft. 69 Praktisch war die Kripo jedoch mehr de jure als de facto von der Staatsanwaltschaft abhängig. Letztere verββ
22
Von den 132 Kriminal-Kommissaren, die 1932 bei der Polizei waren, hatten
promoviert.
Preußens
Siehe
Dienstaltersliste
der
«7 M. Weiss (Hrsg.), Die Polizeischule..., Vorgeführt 68
Volk
staatlichen
höheren
Kriminalbeamten
und des Freistaates Danzig, Essen 1932, S. 8—12. erscheint.
Bd. 1, S. 3 8 4 — 3 8 5 ; und F. v. Schmidt,
. ., S. 2 2 9 — 2 3 0 .
und Schupo . . . , S. 5 3 — 5 4 . Das Institut förderte außerdem die wissen-
schaftliche Bearbeitung grundsätzlicher Fragen des Polizeirechts, der Kriminologie, Berufspsychologie, Polizei-Organisation und -Verwendung und sammelte
Informa-
tionen über die polizeiwissenschaftliche Entwicklung im Ausland und arbeitete an der Verbesserung
des
Polizeiverwaltungsgesetzes
und
der
Ausbildungsmethoden
Rekruten. «» M. Weiss (Hrsg.), Die Polizeisd/ule
..Bd.
1, S. 3 8 2 — 3 8 3 .
für
146
IV.
Die
Kriminalpolizei
faßte am Ende einer Polizeiuntersuchung lediglich die Anklageschrift. 7 0 1 9 2 7 konnte Kriminalrat Gennat mit Genugtuung feststellen: „ A n und für sich ist ja strafprozessual die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht H e r r des V e r f a h r e n s . . . Soweit Groß-Berlin in Frage kommt,
darf
ich die erfreuliche Tatsache hervorheben, daß der Kriminalpolizei diese Selbständigkeit auf dem Gebiet der tatsächlichen Feststellungen in vollem Umfange gewährt ist." 7 1 Es bestand auch kein Grund, warum zwischen Justiz und Kriminalpolizei ernsthafte Differenzen bestehen sollten, außer vielleicht in bezug auf technische Einzelheiten; denn schließlich lag ihrer Arbeit dasselbe Gesetzbuch zugrunde. 7 2 U n d doch hegten einige Kripobeamte den Verdacht, daß sich die Staatsanwaltschaft die K r i p o unterordnen wollte und uneingeschränkt über ihr Personal zu verfügen suchte. 73
(Wenn
dies tatsächlich der Fall wäre, sinnierte D r . Friedersdorf von der Berliner Staatsanwaltschaft 1 9 2 9 , gäbe es wohl weniger Freisprüche vor Gericht.) 7 4 Die Selbständigkeit der K r i p o wurde von Außenstehenden z w a r anerkannt, aber nicht immer gutgeheißen.
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
Kriminalpolizei
Die Berliner Kriminalkommissare, die sich ganz besonders bei der Aufklärung von Mordfällen bewährt hatten, genossen in Fachkreisen den Ruf, die besten in Deutschland zu sein. Von den vierzig Morden, die v o m 1. J a n u a r bis zum 31. Dezember 1 9 2 8 in Berlin verübt wurden, konnte die K r i p o 3 9 bis zum Jahresende aufklären, in zwanzig weiteren Fällen des versuchten Mordes kam es zur
Anklageerhebung. 7 5
Auch das Morddezernat der Abteilung I A konnte fast alle schwereren politischen Verbrechen aufklären. 7 6 Beruflich weniger zufriedenstellend w a r für die K r i p o die Aufklärung von Eigentumsdelikten und für die 70
W. Ullridi, Verbrechensbekämpfung
71
E r n s t G e n n a t , Die Bearbeitung
. . ., S. 43.
von Mordsachen,
i n : Kriminalistische
Monats-
hefte, 1. Jg. (1927), H. 4 vom 1. April, S. 81. 72 Interviews Kühnast, Lehnhoff. 73
M e n z e l , Reformmöglichkeiten
bei der Polizei,
i n : Die Polizei,
25. J g . (1928),
Nr. 2 vom 20. Januar, S. 33; und W. Ullridi, Verbrechensbekämpfung . . ., S. 61—62. 74
Friedersdorf,
Die
Zusammenarbeit
zwischen
Polizei
und
Staatsanwaltschaft,
in: Kriminalistische Monatshefte, 3. Jg. (1929), H . 5 vom Mai, S. 105—106. 75
Mit welchem Erfolg
arbeitet die Polizeif,
i n : Vossische Zeitung
(M), 15. J a n u a r
1929. 76
Gegen
das politische
Rowdytum,
u n d Grzesinski will durchgreifen,
i n : Vossische
Zeitung
(S), 7. F e b r u a r
i n : Vossische Zeitung (A), 2. F e b r u a r 1931.
1926;
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
147
Kriminalpolizei
Beamten der Abteilung IA die Verhinderung von Tumulten. 77 Doch im Gegensatz zu politischen oder gewöhnlichen Morden waren es gerade diese beiden letzteren Delikte, die die Bevölkerung in den zwanziger Jahren zu entschuldigen bereit war. Das Ansehen sowohl der Kripo als auch der Abteilung IA beruhte zweifellos auf den Leistungen einzelner Beamten, war also nicht etwa auf besonders gute Organisation, Ausrüstung oder moderne Arbeitsmethoden zurückzuführen. 78 Dies ist nicht verwunderlich; denn die peinlich genaue Untersuchung der einzelnen Verbrechen mußte von kleinen Expertengruppen durchgeführt werden. Spezialisierung wurde daher gefördert, zumal dies auch den neuesten Erkenntnissen der Kriminalistik und der Polizeiwissenschaft entsprach. Ehrgeizige Kommissare versuchten sich auf einem Spezialgebiet einen Namen zu machen, um dann ihrer Abteilung ihren persönlichen Stempel aufzudrücken, wie ja starke Charaktere die interne Struktur einer Institution immer entscheidend beeinflussen. Bei der Kripo führte ein solches Arbeitsklima zu einer Vielzahl von Methoden und Erfolgen. Die Kriminalpolizei bildete den Kern der Abteilung IV des Berliner Polizeipräsidiums. 79 Sie war in örtliche und in Fach-Inspektionen aufgegliedert. Die örtlichen Inspektionen spielten nur eine Nebenrolle: Beamte, die im Präsidium in Ungnade gefallen waren, wurden manchmal dorthin verbannt. Erst gegen Ende der Weimarer Republik reiften Pläne, den örtlichen Inspektionen mehr Selbständigkeit zu gewähren. 80 77
1928 konnte die Berliner Polizei weniger als die H ä l f t e der Diebstähle und
versuchten Diebstähle a u f k l ä r e n . Siehe Vossische Zeitung 78
D a s Archiv
(M), 15. J a n u a r 1929.
e m p f a h l K r i m i n a l - K o m m i s s a r e n ein intensiveres
für Kriminologie
Studium der Entwicklungen in der Polizeiwissenschaft, d a sie mit ihrem technischen Wissen u n g e f ä h r f ü n f z i g J a h r e im Rückstand waren. Siehe R o b e r t Heindl, 200jährigen logie
Geschäfts jubiläum
des Verlages
F. C. W. Vogel,
in: Archiv
für
Zum
Krimino-
87 (1930), S. 8 5 — 8 7 . Siehe auch Heinrich M a n n s Urteil, nachdem er einige
Wochen im Polizeipräsidium Recherchen angestellt hatte, in: Vossische 22. J a n u a r 1931, und in Essays
(=
Zeitung
(A),
A u s g e w ä h l t e Werke in Einzelausgaben, B d . 12),
Berlin 1956, S. 2 2 3 — 2 3 1 . 79
Zur Abteilung I V gehörten auch das Preußische L a n d e s k r i m i n a l a m t ( L K A ) , die
Preußischen
Landeskriminalpolizeistellen
(LKP)
für
Groß-Berlin,
die
Allgemeine
Sicherheitspolizei, die Gefangenen-Transportstelle, Polizeigefängnis und G e w a h r s a m und das Leichenschauhaus. D e r Einfachheit halber hält sich der V e r f a s s e r an Struktur und Terminologie der Polizei, wie sie im J a h r e 1926 gegeben und üblich war. Siehe Geschäftseinteilung
und Straßenverzeichnis
des Polizeipräsidiums
Berlin,
Berlin 1926.
Dieselbe Q u e l l e beschreibt audi die genaue O r g a n i s a t i o n der Abteilung I V . 80
Die Polizeiämter
ber 1929.
werden
zusammengelegt,
in: Vossische
Zeitung
(A), 10. D e z e m -
148
IV. Die
Kriminalpolizei
Den Kern der Berliner Kripo im Polizeipräsidium bildeten die FachInspektionen. Im ganzen gab es neun Fach-Inspektionen, jede nach einem Buchstaben des Alphabets benannt. Die Inspektion Α bearbeitete alle Fälle von Mord und Körperverletzung, Inspektion Β war für Raubüberfälle, Inspektion C für Diebstahl, Inspektion D für Betrug, Schwindel und Falschmünzerei verantwortlich und die Inspektion Ε war die Sittenpolizei. Die Inspektion F war auf Verstöße gegen die Gewerbe- und Konkursordnung spezialisiert und Inspektion G (nach 1927 hauptsächlich mit weiblichen Kriminalbeamtinnen besetzt) beschäftigte sich mit Vergehen, in die Kinder und weibliche Jugendliche verwickelt waren. Außerdem gab es noch zwei Inspektionen, die hauptsächlich Hilfsdienste leisteten: Inspektion Η organisierte den regelmäßigen Streifendienst der Kripo und führte Fahndungen nach Personen und Gegenständen durch und die Inspektion I war der Erkennungsdienst (kurz E. D.) der Polizei; sie führte auch das Verbrecheralbum. Der Aufgabenkreis der einzelnen Inspektionen w a r natürlich längst nicht immer so eindeutig abgesteckt wie in diesem kurzen Überblick. Wiederholt führten die besonderen Fähigkeiten eines Beamten zu strukturellen Veränderungen. So hatte Kriminalrat Ernst Gennats besonderes Talent bei der Lösung von Mordfällen und Brandstiftungen zur Folge, daß diese zweite Kategorie ebenfalls der Inspektion Α zugeteilt wurde. (Gennat leitete diese Inspektion nicht nur, sondern hatte sie 1926 selbst organisiert.) Kriminalkommissar Otto Busdorfs Erfahrungen als ehemaliger Gutsinspektor veranlaßten seine Vorgesetzten, eine Sonderabteilung für ihn einzurichten, die sich mit der Ermordung von Förstern sowie mit Wilddieberei befaßte. Besonders tüchtige Beamte wurden nicht nur mit Aufgaben betraut, die ihren individuellen Fähigkeiten entsprachen; sie konnten ihren Einfluß auch außerhalb ihrer Fach-Inspektionen geltend machen. Der normale Arbeitsablauf am Alexanderplatz brachte es mit sich, daß die Beamten der einzelnen Inspektionen vielfachen Kontakt miteinander hatten. Gewisse Expertengruppen wurden oftmals f ü r einige Zeit der Inspektion Α zur Verfügung gestellt, wo sie als Mitglieder von ad hoc Mordkommissionen zusammenarbeiteten. Bei komplizierten Fällen wurden Experten anderer Abteilungen zu Rate gezogen. Sogar der Wettstreit um die besten Stenotypistinnen trug zu einem regen Verkehr zwischen den neun Inspektionen bei. 81 81 Interviews Bomke, Elsler; W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung..., M. Weiss (Hrsg.), Die Polizeischule ..., Bd. 1, S. 384—385.
S. 73; und
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
149
Kriminalpolizei
Besonders willensstarke und ehrgeizige Persönlichkeiten konnten unter diesen Umständen auch nicht durch die bürokratische Struktur des Polizeiapparats gebremst werden. Mit aller gebotenen Fairneß muß man aber hinzufügen, daß die Autorität eines Beamten bei der Kripo immer in erster Linie auf seinen kriminalistischen Fähigkeiten beruhte. Gute Erfolge in besonders schwerwiegenden Fällen wurden öffentlich erwähnt, vom Innenministerium mit Geldprämien belohnt und führten außerdem meistens zu Beförderungen. Beruflich erfolgreiche Kriminalisten, wie zum Beispiel Otto Trettin, waren bei ihren Kollegen sehr angesehen, so daß diese auch bereit waren, persönliche Eigenarten zu tolerieren und manchmal sogar Verstöße gegen die Dienstvorschriften geflissentlich zu übersehen. Doch wie sollte sich ein junger, unerfahrener Beamter in der KripoHierarchie durchsetzen? Die Konkurrenz war groß, und im gehobenen und höheren Dienst gab es einfach nicht genug Stellen, um all die ehrgeizigen jungen Kripobeamten unterzubringen. Die Gepflogenheit der Kripo, Erfolge mit Beförderungen zu belohnen, hatte sowieso Ende der zwanziger Jahre zu einer Uberzahl an Führungskräften geführt. 8 2 Alte Hasen, von denen manche sich schon vor der Gründung der Republik bewährt hatten, konnten es sich leisten, Tag f ü r Tag, jahrein, jahraus ausschließlich an der Lösung einzelner Fälle zu arbeiten. Einige dienstältere Beamte, wie Dr. Heinrich Kopp und Max Bünger, waren nach dem Kriege nur noch in beschränktem Umfang als Ermittlungsbeamte tätig. Andere wiederum, wie Dr. Erich Anuschat, waren zwischen 1919 und 1928 maßgeblich an der Aufklärung verschiedener Mordfälle beteiligt. Ähnlich verhielt es sich mit Ludwig Werneburg, der während der zwanziger Jahre nicht nur die Inspektion Β leitete, sondern auch stellvertretender Leiter von Ernst Gennats Inspektion A war. 8 3 Gennat, der große Mordexperte der Kripo, war das typische Beispiel eines Empirikers der alten Schule. Er war drei Jahre länger im Dienst als Anuschat und Werneburg und bereits 1906 Kommissar geworden. Sein legendärer Ruf als Ermittlungsbeamter beruhte auf seiner außerordentlichen Ausdauer, seinem ungeheuren Gedächtnis und seinem 82
H.R.B.,
Die
sparsame
Kriminalpolizei,
in: Vossische
Zeitung
(M), 11. Sep-
tember 1929. 83
Der
folgende
Abschnitt
über
die beruflichen Erfolge
der
beruht zum größten Teil auf den Kriminalberichten der Vossischen
Kriminalbeamten Zeitung
1918 und 1932. Anuschat wird auch in E. Engelbrecht / L. Heller, Berliner passim, erwähnt.
zwischen
Razzien
...,
150
IV. Die
Kriminalpolizei
psychologischen Scharfblick — alles Eigenschaften, die es ihm ermöglichten, über 90 Prozent seiner Fälle aufzuklären. Von seinen Kollegen wurde er wegen seiner Korpulenz und seiner Vorliebe für Kaffee und Buttercremetorte gern „der volle Ernst" genannt. Popularität war nicht die geringste seiner Qualitäten. 84 Ein Mann wie Gennat hielt immer an dem Grundsatz fest, daß jeder Fall besondere Aufmerksamkeit verdient. Die allgemeinen Theorien über Kriminalität und Kriminologie betrachtete er als schädlich für das Berufsniveau. Auch haßte er öffentliche Auseinandersetzungen. Gennat lehnte es ab, politische Fälle zu bearbeiten und ging auch dem HellingProzeß in Magdeburg, der 1926 die Gemüter erregt hatte, aus dem Weg. Bei theoretischen Auseinandersetzungen unter Kriminologen verhielt er sich immer neutral. 85 Er hat sich niemals um ein Amt in seiner Berufsvereinigung oder im Innenministerium beworben. Für die jüngeren Beamten war es nidit einfach, mit dem beruflichen Aplomb der „reinen Kriminalisten" zu wetteifern. Karl Draeger (Jahrgang 1896 und 1921 zum Kommissar befördert), der unter Gennat an Mordsachen arbeitete, und Rudolf Lissigkeit (Jahrgang 1896, 1928 befördert) versuchten 1932 einen gewöhnlichen Mord in Tegel und 1933 einen Uberfall auf die Berliner Verkehrsgesellschaft aufzuklären — ohne sich durch den Staatsstreich Papens und die Ernennung Hitlers zum Kanzler stören zu lassen. Draeger, als junger Mann dem Umbruch der zwanziger Jahre ausgesetzt, war während seiner Studienzeit an Damaschkes Bodenreformbewegung beteiligt gewesen und hatte auch kurze Zeit der SPD angehört: 1933 mußte er dann seine politische Vergangenheit durch den Eintritt in die NSDAP wettmachen, was ihm übrigens eine Beförderung zum Kriminalrat einbrachte. Lissigkeit andererseits fiel 1932 bei den Nationalsozialisten in Ungnade, die ihm angebliche Vorstrafen und seine Schulden vorwarfen. 86 Jüngere Beamte konnten eben nicht wie die alten Kriminalisten die politische Heraus84
Ernst Gennat wurde in Interviews mit Lehnhoff, Bomke und Eisler beschrieben; siehe auch F. v. Schmidt, Vorgeführt erscheint..., S. 177—178, 217, 235; E. Frey, Ich beantrage Freispruch . . . , S. 234; Der Spiegel, 3. Jg. (1949), Nr. 40 vom 29. September, S. 22—25; und Nr. 41 vom 6. Oktober, S. 22—27. 85 Siehe seine bemerkenswerte Stellungnahme zur Anwendung des Hellsehens bei der Verbrechensaufklärung. Rechtsprechung, in: Kriminalistische Monatshefte, 3. Jg. (1929), H. 2 vom Februar, S. 45. 86 Aus Karl Draegers handgeschriebenem Lebenslauf (ca. 1938) in den SS-Akten im Berlin Document Center; und eine von Kurt Daluege im Jahre 1932 mit der Schreibmaschine geschriebene „Notiz für die Presse" über Lissigkeit in den ORPOAkten des Berlin Document Center.
Erfolg und Integrität innerhalb der
Kriminalpolizei
151
forderung einfach ignorieren, ohne ihre Karriere dabei aufs Spiel zu setzen. Diejenigen, die sich durch ihre kriminalistischen Erfolge einen Namen machen wollten, brauchten dazu natürlich passende Gelegenheiten. Es bedeutete wenig, bei großen Fällen wie etwa der Schießerei zwischen Ringvereinlern und Zimmerleuten nahe dem Schlesischen Bahnhof 1928/29 oder dem Fall der Gebrüder Saß 1929/30 eingesetzt zu werden, wenn man dabei in großen Ermittlungsgruppen arbeiten mußte. Es war ebenso bedeutungslos, wenn man sich in ein oder zwei Fällen einen Namen gemacht hatte und dann gleich wieder in Vergessenheit geriet. Ein gutes Beispiel dafür waren die Kriminalkommissare Erich Lipik, Johannes Müller und Hans Salaw. Lipik und Müller gelang 1927 die Aufklärung des Mordes an Elisabeth Stangierski — ein Fall, der die Berliner Kriminalpolizei zwei Jahre lang beschäftigt hatte. Im Januar 1931 übernahm Müller die Aufklärung des Mordes an Direktor Schmoller vom Mercedes-Palast, der in der Presse und in kriminalistischen Kreisen viel Aufsehen erregt hatte. 8 7 Die Öffentlichkeit wurde 1928 auf Lipik und Salaw durch eine Mörderjagd in einer Mietskaserne aufmerksam. Die Vossische Zeitung lobte ihre Arbeit mit folgenden Worten: „Wie gelang es der Polizei so schnell, auf die richtige Spur zu kommen? Wie war es möglich, schon zwölf Stunden nach einer T a t , die keine Zeugen hatte, den Täter zu ermitteln? Zwei Berliner Kriminalkommissare, deren Namen man sich merken wird, Lipik und Salaw, haben durch kriminalistische Feinarbeit einen Erfolg zu verzeichnen gehabt, auf den die Berliner Kriminalpolizei stolz sein d a r f . " 8 8 Leider waren Müller, Lipik und Salaw keine weiteren Erfolge vergönnt. Die Versuchung war daher groß, sich durch andere Mittel und Wege Anerkennung zu verschaffen. Persönliche Tapferkeit war ein solches Mittel, obwohl sie nicht immer zum Erfolg führte. Kriminal-Oberwachtmeister Albert Dettmann, der später als erster Berliner Beamter berühmt werden sollte, 89 erschoß im Februar 1919 einen notorischen Einbrecher im Cafe National und fing 1920 die gefährlichen Brüder Strauß, nachdem er sie zuvor mit Handgranaten bedroht hatte. Seine Heldentaten brachten ihm zwar Bewunderung, aber keine Beförderung 8 7 Siehe B. Kraft, Zur Mordsache Schmoller. Die Wichtigkeit kriminalwissenschaftlicher Lektüre für den Praktiker, in: Archiv für Kriminologie 88 (1931), S. 123—125. 88 Vossische Zeitung (M), 14. März 1928. 8 9 F. v. Schmidt, Vorgeführt erscheint..., S. 37—38, 176; E. Frey, Ich beantrage Freispruch ..., S. 100—101.
152
IV. Die
Kriminalpolizei
ein. Drei Kriminalbeamte, die am 10. November 1930 in einen Verbrecher-Schlupfwinkel eindrangen, ohne vorher die Bereitschaftspolizei benachrichtigt zu haben, ernteten Lob für ihre Kühnheit, aber nicht für ihre mangelnde Umsicht. Und Kriminalkommissar Busdorf, der im persönlichen Einsatz viel Mut bewiesen hatte, beklagte sich, daß die Tatsache, daß „er f ü r die Republik o f t seine H a u t zu Markte getragen hatte", niemals anerkannt worden war. Wir werden später noch auf Busdorf zurückkommen. 90 Die neue Generation von Kriminalbeamten unterschied sich in ihrem Verhalten ganz erheblich von ihren Vorgängern: Sie war aktiv in den Polizeiverbänden tätig, politisch engagiert und interessierte sich für kriminologische Theorien. So spielte Dr. Georg Bartsch eine maßgebliche Rolle in der Vereinigung zur Förderung der Polizeiwissenschaft, einer Unterabteilung des Schräder-Verbandes. Emil Klingelhöller, der 1928 von der Essener Polizei nach Berlin gekommen war, hatte eine kritische Geschichte des Verbandes Preußischer Polizeibeamten geschrieben und sprach häufig auf Verbandsveranstaltungen. Dr. Emil Berndorf unterbreitete radikale Pläne, um die Kriminalität an ihren Wurzeln zu bekämpfen, 9 1 und Hans Salaw veröffentlichte 1927 einen Artikel über die psychologischen Voraussetzungen f ü r den Kriminaldienst, in dem es unter anderem heißt: „Da der Beamte infolge seiner Tätigkeit auf allen Gebieten des praktischen Lebens mit den verschiedensten Bevölkerungsschichten in Berührung kommt, muß er seine Gefühlswelt mit der der Allgemeinheit in Übereinstimmung setzen können . . . Trotz aller sozialen Gefühle darf der Kriminalbeamte nicht die Aufgabe, zu der er da ist, nämlich Schuldige der Bestrafung zuzuführen, vernachlässigen . . ." 92 Natürlich hing die Skepsis, mit der die Empiriker unter den Kriminalisten die Theoretiker betrachteten, zum Teil mit deren plumpen Binsenweisheiten zusammen, von ihrer kriminologischen Sophisterei ganz zu schweigen. 93 90
Siehe das Gerichtsverfahren gegen Busdorf nach dem Krieg in Anklageschrift gegen Plönzke und andere — Köpenicker Blutwoche (35. P. Js 77.48/35. Ρ Kls. 32.50), S. 79. Vervielfältigung im Archiv der Staatsanwaltschaft, Berlin-Moabit, Turmstr. 91. 91
E. Frey, Ich beantrage Freispruch . . . , S. 261. Hans Salaw, Psychologische Voraussetzungen für den Kriminaldienst, in: Kriminalistische Monatshefte, 1. Jg. (1927), H. 2 vom 1. Februar, S. 39—41. 93 Besonders bemerkenswert die lange Debatte über die Vorzüge der kriminalistischen Anthropologie in den Kriminalistischen Monatsheften von Februar bis Dezember 1927 und die verschiedenen Artikel über Hellseherei wie Die Hellseherin bei der Mordaufklärung, in: Kriminalistische Monatshefte, 2. Jg. (1928), H. 8 vom 82
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
153
Kriminalpolizei
Dr. Rudolf Braschwitz und Hubert Mühlfriedel wechselten zur politischen Polizei über. Weniger bedeutende Beamte intrigierten. Die Kriminalkommissare Philipp Greiner und Georg Kanthak verrieten während einer Gerichtsverhandlung im Oktober 1932 Vizepräsident Weiß an die Nationalsozialisten. Wieder andere, wie Dr. Werner Kattolinsky (Jahrgang 1901, Kriminalkommissar seit 1930), sahen den einfachsten Weg für eine erfolgreiche Zukunft in heimlicher Mitarbeit bei den Nationalsozialisten. Aber es waren keinesfalls immer nur jüngere Beamte, die sich noch einen Namen machen mußten und deshalb mit der N S D A P sympathisierten. 94 Fast alle, die dies taten, hatten entweder persönliche Gründe, die sie um ihre Karriere besorgt sein ließen, oder mußten mit erheblichen beruflichen Enttäuschungen in ihrem Arbeitsbereich fertig werden. Eine wichtige Rolle für die Anhänger der N S D A P spielte auch die relativ tolerante Haltung der „unpolitischen" Kripo gegenüber andersdenkenden Kollegen, es sei denn, daß es sich um Beamte der unteren Dienstränge handelte. 95 Auf diese Weise konnte die nationalsozialistische Zelle in der Kripo zu einer bedeutenden Informationsquelle für die N S D A P in Berlin und zu einem Treffpunkt für die geheimen Parteianhänger in der politischen Polizei werden, deren Beamte ja schärfer überwacht wurden. 96 1933 beteiligten sich ihre Mitglieder an der Säuberung des Polizeiapparates, und einige von ihnen wechselten zu der neugeschaffenen Geheimen Staatspolizei über. Die persönlichen und beruflichen Enttäuschungen, die zu der politischen Illoyalität gewisser Kriminalkommissare geführt hatten, kann man am besten verstehen, wenn man die Aufgaben des Morddezernats mit denen der Fachinspektion für Eigentumsdelikte vergleicht.
August, S. 1 8 2 — 1 8 3 ; oder Kriminalkommissar Schneider, „Hellsehen", listische Monatshefte, 94
in:
Krimina-
7. J g . ( 1 9 3 3 ) , Η . 1 v o m J a n u a r , S. 2 0 — 2 1 .
D a s erste Mitglied der Nationalsozialistischen Beamten-Arbeitsgemeinschaft
in
der K r i p o w a r wahrscheinlich Kriminalpolizeirat A l f r e d Mündt ( 1 8 7 5 geboren). Es gab keine kommunistischen Sympathisanten in der K r i p o . 95
Siehe die Disziplinarmaßnahmen
gegen die Kriminal-Wachtmeister
Kurt
Kri-
scher ( 1 9 2 7 ) und H a n s Mulack ( 1 9 3 1 ) , beide Revierbeamte, in den O R P O - A k t c n im Berlin D o c u m e n t Center. 911
U m sich bei seinen Vorgesetzten beliebt zu machen, wurde D r . R u d o l f Brasch-
witz v o n der Abteilung I A Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, der S P D und der Vereinigung Republikanischer Polizeibeamten. Bei der ersten
Gelegenheit
t r a t er 1 9 3 3 der N S D A P bei. Siehe seinen handgeschriebenen Lebenslauf v o m J a h r e 1 9 4 3 in den R U S H A - A k t e n im Berlin D o c u m e n t Center.
154
IV. Die
Kriminalpolizei
Morddezernat Als Ernst Gennat 1926 seine eigene Inspektion organisierte, tat er dies mit dem Ziel, der unzulänglichen Arbeit der Mordkommissionen ein Ende zu setzen. 97 Bis dahin war es üblich gewesen, im Falle eines Mordes eine ad hoc Kommission aus Kriminalbeamten der verschiedensten Inspektionen zusammenzustellen. Die Untersuchungsmethoden dieser Kommissionen hingen ganz davon ab, wer sie leitete. Selten war es möglich, eine ergebnislos gebliebene Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen. Außerdem war bis dahin nichts unternommen worden, um die gesammelten Erfahrungen auszuwerten. Gennats neue Inspektion, die Kriminalinspektion A, diente als ständiges Kontrollorgan für alle Morduntersuchungen. Hier wurden alle ungelösten Fälle registriert und eine Statistik der verschiedenen Mordarten in Berlin geführt. Vor allem gab diese Inspektion Gennat die Möglichkeit, die Arbeit aller laufenden Untersuchungen zu koordinieren. Ein weiterer Fortschritt war die Einrichtung von drei Mordkommissionen, die immer in Bereitschaft waren: eine Mordkommission im aktiven Dienst und zwei weitere als Reserven. Diese Mordkommissionen setzten sich aus Beamten der verschiedenen Inspektionen zusammen, die sich aber turnusmäßig im Dienst ablösten, so daß jeder Kriminalbeamte von vornherein wußte, wann er in der Mordkommission Dienst zu tun hatte. Zwei Gründe sprachen gegen die Einrichtung einer ständigen Mordkommission: 1. meinten die Polizeichefs, daß der wiederholte Einsatz im Morddezernat für jeden Kriminalbeamten einen wichtigen Teil der Berufserfahrung darstellte, und 2. wurden Morde als Fälle betrachtet, die mit einem organisierten kriminellen Verhalten am wenigsten zu tun hatten. Da die meisten Morde aufgrund besonderer Lebensumstände begangen werden, betrachtete man Mord nicht als ein Verbrechen, das durch Routineüberwachung oder kriminalpolizeiliche Vorbeugungsmaßnahmen zu verhindern war. Diese Annahme wurde durch die Erfahrungen in Berlin größtenteils bestätigt. 98 Im allgemeinen stellte man in den zwanziger Jahren fest, daß die Berufsverbrecher in Berlin nur selten Gewalt anwendeten. Reiwald fand sogar, daß die Gesamtzahl der Fälle von Mord und Körper97 E. Gennat, Die Bearbeitung von Mordsachen, in: Kriminalistische Monatshefte, 1. Jg. (1927), H. 4 vom 1. April, S. 81—83. 98 Von den vierzig 1928 in Berlin begangenen Morden waren 32 auf Familienstreitigkeiten zurückzuführen. Siehe Vossische Zeitung (M), 15. Januar 1929.
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
155
Kriminalpolizei
Verletzung während der Weimarer Zeit in Berlin geringer als früher gewesen wäre, wenn die politischen Kämpfe nicht so viele Opfer gefordert hätten. Geisteskranke Mörder wie Großmann sowie all diejenigen, die die alltäglichen Fälle von Kapitalverbrechen begingen, gehörten nur selten den Kreisen der Gewohnheitsverbrecher an. Berliner Verbrechertypen machten bei Einbrüchen von der Schußwaffe wenig Gebrauch." Von den neun Fach-Inspektionen der Kripo hatte die Inspektion A daher die größte Veranlassung, jedes Verbrechen mit der größtmöglichen Sorgfalt zu untersuchen, ganz gleich wie unscheinbar das Opfer auch sein mochte. Als im Januar 1926 ein alter Schuhmacher ermordet worden war, besichtigten Polizeipräsident Grzesinski und Dr. Weiß als Chef der Berliner Kripo persönlich den Tatort. Im Juni desselben Jahres inspizierten hohe Beamte des Präsidiums zusammen mit Weiß und Gennat einen Selbstmordfall in der Heerstraße. Im Mai 1931 wurde der Mord an einem Postbeamten gemeinsam von Regierungsdirektor Scholz von der Abteilung IV und Beamten des Innenministeriums voruntersucht. Zu jener Zeit wurde die Arbeit der Mordkommissionen durch den täglichen politischen Straßenterror in Berlin allerdings schon sehr erschwert. Anders als 1918 oder 1919 war es am Ende der Weimarer Zeit sehr schwierig, den politischen Charakter eines Kapitalverbrechens mit Sicherheit festzustellen, auch wenn es während politischer Unruhen verübt worden war. 100 In diesem Bürgerkrieg gab es weder militärische Operationen noch Versuche eines organisierten Umsturzes, und politische Morde waren nicht gegen bekannte Persönlichkeiten gerichtet. Kleine Gruppen politischer Rivalen gingen an den Straßenecken aufeinander los, und in der Hitze des politischen Gefechtes geschah es dann, daß Zivilisten den Tod fanden. Jeder Zwischenfall wies eine solche Vielfalt von Details auf, daß sorgfältige Untersuchungen notwendig waren, ehe man ihn mit Sicherheit als politisches Verbrechen bezeichnen und damit an die Abteilung IA abgeben konnte. Nach der 99
Siehe P. Reiwalds Statistik für 1882 bis 1928 in seinem Buch Die
und ihre
Verbrecher
...,
S. 160; und W. Ullrich, Verbrechensbekämpfung
Gesellschaft . . . , S. 49.
O b w o h l keiner der 1962 interviewten Kriminalbeamten zu den allgemeinen Merkmalen der Kriminalität in Berlin Stellung nehmen wollte, stimmten sie in diesem Punkte überein. 100
Zu den Ansichten eines Kriminalisten über die politischen Unruhen nach dem
Ersten Weltkrieg
siehe Erich Wulffen, Verbrechen
S. 439; und Wilhelm Sauer, Kriminalsoziologie. terentwicklung S. 224.
und in die Hilfswissenschaften
und
Zugleich
Verbrecher,
eine Einführung
des Strafrechts,
Berlin in die
1925, Wei-
Berlin—Leipzig 1933,
156
IV.
Die
Kriminalpolizei
Schlacht in der Laubenkolonie Felseneck in den frühen Morgenstunden des 19. Januar 1932, in der ein Nazi und ein Kommunist den Tod gefunden hatten, half die Kriminalpolizei der Abteilung IA, die ganze Gegend mit Scheinwerfern nach Beweisstücken zu durchkämmen und über 200 Zeugen zu vernehmen. 101 Aber gerade weil die meisten dieser Totschlagsdelikte bei spontanen Zusammenstößen begangen wurden, also keine persönliche Verbindung zwischen Mördern und Opfern bestand, blieben konventionelle Untersuchungsmethoden oft ohne Ergebnis. Man mußte die Täter auf frischer Tat fassen, sonst konnten sie leicht entkommen. Die Liste der nassen Fische (ungelöster Fälle) wurde immer umfangreicher. Die politische Polizei stand den Problemen der Mordkommissionen nicht gleichgültig gegenüber. Sie bediente sich des Personals der Kripo, übernahm aber gewöhnlich die Verantwortung für die Aufklärung der von ihr untersuchten politischen Verbrechen selbst. In Grenzfällen wurden manchmal gemischte Kommissionen eingesetzt, und als im Frühjahr 1932 die politischen Spannungen ihren Höhepunkt erreichten, wurden Beamte der Abteilung IA bis auf weiteres ganz den Kripo-Mordkommissionen zur Verfügung gestellt. 102 Die Kriminalpolizei war sowieso nur widerstrebend bereit gewesen, ihre Führungsrolle bei der Untersuchung von Kapitalverbrechen abzutreten. Bei ihr kam der Verdacht auf, daß sich den bewaffneten politischen Banden immer mehr Vorbestrafte anschlossen. Wenn die Berliner Berufsverbrecherringe auch versuchten, sich aus der Politik herauszuhalten, so nahm man doch an, daß einige ihrer Mitglieder Mordaufträge für die politischen Gruppen ausführten. 103 Die Tatsache, daß die Straßenviertel, die von RFB-Anhängern bzw. den Verbrecherbanden beherrscht wurden, geographisch nahe beieinander lagen, schien die Annahme der Kripo, daß zwar nicht jeder Kommunist ein Verbrecher, aber jeder Verbrecher ein möglicher Kommunist war, noch zu bekräftigen. Die K P D sollte sich angeblich die Unterstüzung von „Dieben, Mördern und Huren", der Aussätzigen der bürgerlichen Gesellschaft,
101
Vossische
Zeitung
(A),
19. Januar
1932;
Vossische
Zeitung
(M), 20. Januar
1932. 102
Interview Teigeier; und Albert Grzesinski, Die Leistung
im Wahlkampf, 103
der Berliner
Polizei
in: Die Polizei, 29. Jg. (1932), N r . 10 vom 20. Mai, S. 222.
Interviews Bauer, Lehnhoff, Togotzes, Teigeier. Hans Langemann, Das
tat. Eine kriminalwissenschaftliche burg [1957], S. 29.
Studie
zum politischen
Kapitalverbrechen,
AttenHam-
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
157
Kriminalpolizei
gesichert und ihnen Rechtsbeistand versprochen haben. 104 Doch der Abschaum der Berliner Unterwelt fand sich natürlich auch in den Reihen der SA. 1 0 5 Gegen Ende der zwanziger Jahre war die Mischung von kriminellen und politischen Elementen und Motiven jedenfalls so groß, daß die Kripo an ihrem Prinzip festhielt, in den meisten Mordsachen den „ersten Angriff" (Voruntersuchung) zu übernehmen, ganz gleich, wie überlastet sie auch sein mochte. Der Dienst im Morddezernat hatte jedoch kaum berufliche Unzufriedenheit zur Folge, wie man dies vielleicht hätte erwarten können. Es lag in der Natur der Sache, daß die zeitliche Begrenzung ihrer Aufträge es den Beamten der Kripo und der Abteilung IA leichter machte, Mißerfolge hinzunehmen, wenn Mangel an Beweisen sie zwang, einen Fall aufzugeben. Sie fühlten sich nicht allzusehr unter Druck gesetzt, da die täglichen Uberfälle zu zahlreich und zu verworren waren, um die Öffentlichkeit mehr zu beunruhigen, als es durch die allgemeine Unsicherheit in Berlin ohnehin geschah. Aber immerhin hatte die Polizei in einer Anzahl politischer Mordfälle in erstaunlich kurzer Zeit sehr gute Erfolge zu verzeichnen. Polizeimeister Teigeier, seit 1928 in der politischen Polizei und 1932 einer Kommission der Kripo zugeteilt, wurde in der Silvesternacht 1932 nicht weniger als viermal an den Ort von Verbrechen gerufen. Hier die vier Fälle: Die Erschießung von Frau Künstler in der Ackerstraße im Wedding durch einen SA-Radfahrer, der wahllos auf die Passanten schoß, als jemand in Frau Künstlers Nähe die Nationalsozialisten beleidigte; der Totschlag eines kommunistischen Arbeiters, namens Erich Hermann, in Lichtenrade; die Erstechung von Walter Wagnitz, eines Hitlerjungen, in der Utrechter Straße im Wedding; der Tod eines Unbekannten auf einer Landstraße außerhalb Berlins, der kurz zuvor an einer politischen Diskussion teilgenommen hatte. Zunächst schien es gänzlich an Beweismaterial zu fehlen, doch wurden die Mörder von Frau Künstler und Erich Hermann innerhalb der nächsten zwei Wochen gefaßt. 1 0 6 104
Siehe Karte am Ende des Buches; auch Interviews Teigeier, Lehnhoff; F. v.
Schmidt, Vorgeführt der Nacht..., 105
Die
erscheint..
., S. 3 9 7 — 3 9 8 ; und E. Engelbrecht /L. Heller,
Kinder
S. 123—127. kriminellen
Elemente
unter
den im Februar
1933
zum
Polizeidienst
abgeordneten SA-Männern mußten im April entfernt werden. Siehe Feststellung Vorstrafen
von Hilfspolizisten,
S. 1 a. / Hipo. 01/33 (Berlin, den 7. April
der
1933).
[Vervielfältigung freundlichst von G. Miczek zur Verfügung gestellt.] 109
Interview Teigeier; Vossische Zeitung
(M), 4. Januar 1933; Vossische
Zeitung
158
IV. Die
Kriminalpolizei
Die Identifizierung der Mörder war oftmals nur der Anfang einer Untersuchung. Der Mordfall Hermann Kleier ist dafür ein gutes Beispiel. Als Kriminalkommissar Dr. Stumm mit seinem Kollegen Braschwitz jenen Rotfrontkämpfer verhaftet hatte, der den Stahlhelmer auf der Straße erschossen hatte, entdeckten sie, daß der Mann wegen tätlicher Angriffe schon mehrmals vorbestraft war und daß ein gewöhnliches, kriminelles Motiv zu seiner Tat geführt haben konnte. Diese Tatsache verlängerte die Untersuchung um mehrere Wochen und veranlaßte den ehemaligen Polizei-Major Eldor Borck, im Landtag ein Mißtrauensvotum gegen den preußischen Innenminister einzubringen.107 Der wohl berüchtigtste Fall während der Straßentumulte in Berlin war zweifellos der Mord an Horst Wessel. Wessel wurde am 17. Januar 1930 in seinem Zimmer in der Großen Frankfurter Straße erschossen. Die Mörder waren Stammgäste des Restaurants „Bär", das in dieser Gegend als Kommunistenlokal bekannt war. Sowohl bei der Kripo als audi in der Presse kursierten Gerüchte, daß der Kommunist Albert Höhler, der die Schüsse abgegeben hatte, mit dem SA-Führer Horst Wessel in einen Dreieckskampf um eine Prostituierte verwickelt gewesen war. Die Kriminalisten stellten jedoch fest, daß das Tatmotiv viel komplizierter war. Höhler und seine Komplizen wollten Horst Wessels Wirtin, der Witwe eines ehemaligen KP-Genossen, einen Gefallen tun. Diese hatte sie um Hilfe gebeten, weil sie mit Wessel ständig wegen der Miete im Streit gelegen hatte. Die Untersuchung dieses Falles und die Jagd nach den Tätern im In- und Ausland dehnte sich über mehrere Monate aus.108 Im Heimbürger-Fall — am 16. Mai 1930 wurde ein kommunistischer Zeitungsverkäufer von zwölf uniformierten Nazischlägern gelyncht — führten geduldige Verhöre und Hausuntersuchungen bereits zehn Tage nach der Tat zur Verhaftung von acht Verdächtigen.109 Unter den Kriminalkommissaren, die in dieser Zeit einige der schwierigen Mordfälle bearbeiteten, gab es nur wenige heimliche Anhänger der NSDAP. Kriminalkommissar Wilhelm Meyer von der politischen Polizei, Kriminalkommissar Brandt vom Morddezernat und Kriminal(M), 8. Januar 1933; Vossische Zeitung (M), 11. Januar 1933. 107 Vossische Zeitung (Μ, A), 23. Februar 1929; Vossische Zeitung 1929. 108
(A), l . M ä r z
Interviews Togotzes, Teigeier; Vossische Zeitung (A), 17. Januar 1930 bis 23. September 1930 (M). 109 Vossische Zeitung, 24. Mai 1930 (M) bis 15. Juli 1930 (A).
Erfolg und Integrität
innerhalb
der
159
Kriminalpolizei
direktor Fritz Scherler, Leiter des Straßendienstes der Abteilung IA, waren als überzeugte Hitlergegner bekannt. Kriminalpolizeirat Reinhold Heller untersuchte den Mord an dem Hitlerjungen Herbert Norkus (1932) mit derselben Objektivität, mit der er die Mörder der Polizeihauptleute Anlauf und Lenck (1931) verfolgt hatte. Kriminalkommissar Teichmann, der den Fall Horst Wessel löste, war Vorsitzender der Polizeibeamten-Vereinigung der Deutschen Staatspartei, und Kriminalkommissar Stumm war einer der ersten Beamten in der Abteilung IA, der nach dem Staatsstreich Papens 1932 degradiert wurde. Eine Ausnahme bildete Kriminalkommissar Harry Geisler, ein Kriminalist, der 1932 in politische Fälle hineintrieb und, obwohl er zwischen 1930 und 1933 dem Schräder-Verband angehörte, 1932 heimlich in die N S B A G eintrat. 110 Auch bei der Kriminalpolizei gab es nur wenige Mordkommissare, die mit den Nationalsozialisten sympathisierten, denn der Einfluß Gennats auf die Inspektion war sehr zu spüren. Seine Kollegen bezeichneten Gennat als „demokratisch bis auf die Knochen", obwohl er sich niemals für Politik interessierte und vom Nationalsozialismus soviel wie nichts wußte. Für sie war er die Personifizierung des klassischen Kriminalisten: undogmatisch, unbestechlich,111 immer bereit, die persönlichen Rechte jedes einzelnen zu verteidigen und sehr argwöhnisch gegenüber jeglicher Form von Reglementierung. Für seine Kollegen war es undenkbar, daß Gennat jemals eine andere politische Richtung als die der liberalen Demokraten unterstützen könnte. 112 Wenn überhaupt jemand Gennats Supremat in der Inspektion A herausforderte, dann war es Kriminalkommissar Otto Busdorf. Von persönlichem Ehrgeiz besessen, versuchte er jahrelang, seine bescheidenen Anfänge als Sohn eines Dorfbäckers und Polizeispitzels im Kaiserreich vergessen zu machen. Nur zwei Jahre nach Gennat war Busdorf 1907 zur Berliner Kripo gekommen, wurde aber erst 1925 zum Kriminalkommissar befördert. 113 110
Diese Angaben beruhen auf der Auswertung von Dokumenten in den N S D A P -
Akten, den R U S H A - A k t e n und den ORPO-Akten
im Berlin Document
Center,
aber auch auf zufälligen Bemerkungen über diese Beamten in der Vossischen
Zeitung
von 1920 bis 1933. 111
Obwohl Gennat Verständnis für seinen Freund, Kriminal-Kommissar Peters,
einen der wenigen korrupten Kripo-Beamten während der Weimarer Zeit, hatte, blieb er 1926 hart. Siehe Vossische Zeitung vom 13. und 14. April 1926. 112
Interview Lehnhoff; F. v. Schmidt, Vorgeführt
erscheint...,
Spiegel, 3. Jg. (1949), N r . 49 vom 1. Dezember, S. 22. 113
Siehe Anklageschrift
gegen Plönzke und andere, passim.
S. 2 3 5 ; und Der
160
IV. Die
Kriminalpolizei
1926 bot sich Busdorf die Gelegenheit, seine Fähigkeiten in dem viel beachteten Helling-Mordfall in Magdeburg unter Beweis zu stellen. Trotz der Obstruktionsversuche des Untersuchungsrichters und Kommissar Tenholts von der örtlichen Polizei gelang es ihm, den Täter zu finden. Aber persönliche Eifersüchteleien und Intrigen beeinträchtigten Busdorfs Stunde des Triumphes. Um zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln, bedurfte es dreier Besuche von Dr. Bernhard Weiß aus Berlin; sogar das Innenministerium war gezwungen einzugreifen, und schließlich mußte Busdorf nach Berlin zurückkehren, ehe er den Fall abschließen konnte. 114 Um seine Beförderungschancen zum Kriminalrat zu verbessern, versuchte dieser unglückliche Mann, die Erfolge seiner Kollegen und Untergebenen durch die Verbreitung boshafter Gerüchte zu schmälern. Schließlich wandte er sich politischen Intrigen zu. Er besuchte oft die Beamten in der Abteilung IA, trat 1928 in die SPD ein, und als all dies nichts fruchtete, begann er 1931 damit, der NSDAP kleine Geldspenden zu machen. Boris Grams, ein NS-Spitzel, berichtete Dr. Goebbels im Oktober desselben Jahres, daß Busdorf möglicherweise Gennat als Chef der Inspektion Α ablösen würde, wenn auch nur deshalb, weil Gennat in den Augen seiner politischen Vorgesetzten an Beliebtheit verloren habe. 115 Leute, die durch ihre demokratische Gesinnung auffielen, waren nicht mehr gefragt. In den Kreisen der alten Berliner Kripo waren natürlich Versuche, den Individualismus von der kriminalistischen auf die politische Sphäre auszudehnen, selten. Einer der wenigen, die dies versuchten, war Kriminalpolizeirat Dr. Hans Schneickert, bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1931 wohl die bedeutendste intellektuelle Persönlichkeit in der Kripo. Viele Jahre Leiter des Erkennungsdienstes, war er als Kriminalist weniger ein Empiriker, als vielmehr ein Experte der Polizeiwissenschaft und ein Theoretiker. Er veröffentlichte ein Anzahl von Artikeln in Fachzeitschriften und hielt regelmäßig Vorlesungen an der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität. 116 114 Vossische Zeitung vom 16. Juli bis 10. August 1926. Der Fall Helling ist wegen der zwei Hauptverdächtigen auch als Fall „Haas-Schröder" bekannt. Dadurch kamen Befürchtungen auf, daß es zu einer deutschen Affäre Dreyfus kommen könnte. Die Handlung des DEFA-Films A f f ä r e Blum beruht auf dieser Begebenheit. 1 1 5 Brief von Boris Grams, Berlin-Wilmersdorf, 23. Oktober 1931, an Joseph Goebbels, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 1 1 6 Lothar Philipp, Hans Schneickert 50 Jahre alt!, in: Kriminalistische Monatsh e f t e , 1. Jg. (1927), H. 3 vom 1. März, S. 49—50.
Erfolg und Integrität
innerhalb
der
Kriminalpolizei
161
Schneidkert war über die „blinde und maßlose Leidenschaft", die der politische Kampf in Deutschland entfesselt hatte, beunruhigt.117 1927 veröffentlichte er einen Artikel über die Todesstrafe und nutzte diese Gelegenheit, eine der eindrucksvollsten Erklärungen politischer Überzeugung in der Polizei-Fachliteratur dieser Zeit abzugeben. Schneickert warnte, daß die Rechtsordnung eines demokratischen Staates in Frage gestellt sei, wenn wichtige Gesetzesänderungen in Zeiten politischen Umschwunges vorgenommen würden. Wenn man heute die Todesstrafe abschaffen würde, meinte er, könne sie sehr leicht morgen aus politischen Gründen wieder eingeführt werden. „Ist das nicht eine schlimme und höchst ungerechte Sache, seine Feinde durch Mord oder auf formal-gesetzlichem Wege durch die plötzlich wiedereingeführte Todesstrafe zu beseitigen? Die bei Einführung eines Staatsverfassungswechsels oder zur Erhaltung einer Staatsform eingeführte oder wiedereingeführte Todesstrafe läßt am deutlichsten das Ziel der Abschreckung und Sicherung erkennen und stellt die Gewähr der Gerechtigkeit und des Vertrauens in die Rechtspflege stark in den Hintergrund . . . Die Wiedereinführung einer abgeschafften Strafe trägt das deutliche Kennzeichen der Schwäche einer Regierung oder eines Bedürfnisses der Machtsteigerung."118 Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß Schneickerts eindringliche Verteidigung der Rechtsordnung auf die Todesstrafe Bezug nahm, die nur bei Kapitalverbrechen verhängt wurde. In einer 1935 erschienenen Neuausgabe seiner Einführung in die Kriminalsoziologie fügte er Behauptungen ein, die seinen 1927 geäußerten Ansichten völlig widersprachen.119 Jetzt billigte er die umfassenden Polizeimaßnahmen, die die Nationalsozialisten im November 1933 und im Februar 1934 angeordnet hatten, um das Berliner Berufsverbrechertum durch „Vorbeugungshaft" und massenweise Verbannungen in die Konzentrationslager auszurotten. Mit Verachtung sprach er von der Feigheit der alten Kripo, gegen jeden einzelnen Gesetzesbrecher nur im Rahmen der legalen Grenzen vorzugehen. „Eine solche Toleranz steht der Bekämpfung des Berufsverbrechertums in der gegenwärtigen Zeit selbstverständlich im Wege." 120 W. Stieber, Praktisches Lehrbuch der Kriminalpolizei. . ., S. 180. Hans Schneickert, Für und wider die Todesstrafe, in: Kriminalistische Monatshefte, 1. Jg. (1927), H. 3 vom 1. März, S. 50—52. 119 Hans Schneickert, Einführung in die Kriminalsoziologie und Verbrechensverhütung, Jena 1935, S. 70—73. 120 A. a. O., S. 54. 117
118
162
IV. Die
Kriminalpolizei
Es wäre einfach, Schneickerts Gesinnungswechsel dem Beginn der NS-Ära zuzuschreiben. Die Tatsache, daß sich die neuen Polizeimaßnahmen gegen den Kern der Berliner Berufsverbrecher — Diebe, Einbrecher, Zuhälter und Schwindler — richteten, mag ebenfalls von Bedeutung gewesen sein. 121 Es ist nicht sicher, ob Schneickert seinen Glauben an die Unverletzlichkeit der persönlichen Rechte auch für den Fall aufgegeben hatte, daß es um Mord ging — ein hinsichtlich der Motive und Umstände so unvergleichbares Verbrechen. Wäre es nicht denkbar, daß ein Kriminalist auf seine individualistischen Arbeitsmethoden nur bei Eigentumsdelikten oder bei organisierten Angriffen auf die bestehende Gesellschaftsordnung zu verzichten bereit war?
Berufsverbrechen Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen während der Weimarer Zeit befiel gerade diejenigen Kriminalkommissare, die für den Kampf gegen die organisierte Berliner Unterwelt verantwortlich waren. Philipp Greiner arbeitete im Glücksspieldezernat, Günther Braschwitz (der ältere Bruder von Dr. Rudolf Braschwitz) war auf Einbrüche, Max Bünger auf Geldschrankknacker spezialisiert und Ernst Engelbrecht war Experte für Bandenverbrechen. In einem Artikel äußerte er sich 1924 bewundernd über den Kampf gegen das Verbrechertum im faschistischen Italien; kurz darauf verließ er die Kripo wegen politischer Differenzen mit Dr. Weiß. Helmut Müller und Hubert Geißel waren in Berufsverbrecherkreisen gefürchtet, ebenso auch das enfant terrible der Kripo, Kriminalkommissar Otto Trettin. Dr. Werner Kattolinsky, einer der jüngsten Kommissare, arbeitete im Raubdezernat, das sich mit Einbrüchen in Privathäuser befaßte, und Arthur Nebe war mehrere Jahre im Rauschgiftdezernat tätig. Liebermann von Sonnenberg war Diebstahls- und Fälschungsexperte und Ulrich Possehl war auf Betrug spezialisiert. 122 121
Schneickert ist niemals Mitglied der N S D A P gewesen.
Informationen über diese Männer stammen aus dem Berlin Document Center, aus Berichten in der Vossischen Zeitung und aus allgemeinen Darstellungen über die Kriminalität in Berlin, die zum Teil von diesen Beamten selbst verfaßt worden sind. Ernst Engelbrechts Artikel Das Verbrechertum Italiens erschien in: Die Polizei, 21. Jg. (1924), Nr. 18 vom 20. Dezember. Gegen den Kommandeur der PolizeiInspektion Tempelhof, der sich im November 1922 ähnlich äußerte, wurde vom Kommando der Schutzpolizei ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Siehe Bundesarchiv Koblenz, R 5 8 / 6 8 6 / 1 . 122
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
163
Kriminalpolizei
Die Versuchung ist groß, die politische Unzufriedenheit dieser Männer sowie ihre Sympathien für den Nationalsozialismus lange vor 1933 auf ihre mehr oder weniger ähnlichen Berufserfahrungen zurückzuführen. Eigentumsdelikte hatten gleich nach dem Kriege alarmierende Ausmaße angenommen. In den drei Jahren zwischen 1919 und 1921 stieg die Zahl der Verurteilungen wegen einfachen Diebstahls gegenüber den Jahren von 1911 bis 1913 um 81 Prozent; für schweren Diebstahl verzeichnete die Statistik eine Zunahme von 163 Prozent und für Hehlerei sogar 245 Prozent. 123 In der Reichsbahnverwaltung und im Postdienst richtete die Kripo Sonderabteilungen ein, um die Zunahme von Unterschlagungen und Diebstählen zu bekämpfen. Technische Fortschritte und ein verändertes Geschäftsgebaren boten gerissenen Gaunern neue Gelegenheiten zu skrupelloser Bereicherung. Jetzt kamen die Verbrecher audi aus den Reihen verarmter Intellektueller und ehemaliger Offiziere, Betriebsangehöriger und Staatsangestellter. Ein neuer Verbrechertyp — der „Gentleman-Verbrecher" — entstammte den „gehobenen Kreisen" und war darauf bedacht, die englischen und amerikanischen Meisterverbrecher zu imitieren. Er mied die traditionellen Treffpunkte der kleinen Diebe und fuhr luxuriöse Wagen. 124 Die Berliner, die sich für Verbrechergeschichten interessierten, betrachteten jedoch auch weiterhin die „Ringvereine" als das klassische Milieu der Berufsverbrecher. Der Ausdruck Ringverein bezog sich genaugenommen nur auf die regionalen Vereine, denen die örtlichen Unterweltvereine untergeordnet waren. In Berlin gab es drei solcher Ringvereine: den „Großen Ring", den „Freien Bund" und die „Freie Vereinigung". Die drei Ringvereine handelten im Namen eines größeren deutschen Syndikats, des „Mitteldeutschen Ringes". Sie unterwarfen die örtlichen Vereine strengen Regeln, kontrollierten ihre Aktivitäten und kassierten Gelder für das Syndikat. 125 123 ρ Friedensburg, Die Weimarer 124
Republik
. . S . 20.
Siehe unter anderem E. Wulffen, Verbrechen
Erich Liebermann v. Sonnenberg, Von Einbrechern Kriminologie
77 (1925), S. 1 3 — 1 8 ;
Archiv für Kriminologie der
Weimarer
Robert
und Verbrecher..., und ihren Wegen,
Heindl, Kriminalität
S. 4 4 7 — 4 5 2 ; in: Archiv und
Krieg,
78 (1926), S. 6 3 — 6 4 ; und Friedrich K a r l Kaul, Der
Republik,
Bd. 2 :
Verdienen
wird
groß
geschrieben,
Berlin
für in:
Pitaval 1954,
S. 6 5 — 6 7 . 125
Über die Klubs der Berliner Unterwelt siehe besonders H . R . B., Wie ist die
Berliner
Unterwelt
organisiertf,
brecht, In den Spuren
in: Vossische Zeitung
des Verbrechertums
(M), 5. Januar 1929; E. Engel-
. . S . 8 3 — 9 0 ; W. Ullrich,
Verbrechens-
164
IV. Die
Kriminalpolizei
Die örtlichen Vereine waren offiziell als Sportclubs, Geselligkeitsvereine, Sparvereine und dergleichen eingetragen. Sie waren genau das, was sich die Berliner Öffentlichkeit unter der Berliner Unterwelt vorstellte. Als eine gesellschaftliche Enklave in der Stadt, mit eigenen Bräuchen und einem eigenen Ehrenkodex, erregten sie ein viel größeres Aufsehen als die eigentlichen Ringvereine. Bald nannten sich die örtlichen Vereine selbst Ringvereine und ihre Mitglieder wurden zu Ringvereinlern oder Ringbrüdern. Es steht nicht genau fest, wieviele Ringvereine es zu ihrer Blütezeit im Berlin der zwanziger Jahre gab. Vorsichtigen Schätzungen eines Polizeiberichtes aus dem Jahre 1933 zufolge waren es 85. Auch bei der Schätzung ihrer Mitgliederzahl gingen die Meinungen auseinander; sie reichten von 1000 bis hin „zur überwiegenden Mehrzahl aller Verbrecher in Berlin". Ein Journalist behauptete, daß sich Berlin-Mitte bei Nacht praktisch in den Händen von Verbrecherbanden befand: Portiers, Schuhputzer, Straßenverkäufer, Prostituierte und Toilettenfrauen waren alle zahlende Mitglieder in einem der Unterweltvereine. Die Frage, ob man die Ringvereine unterdrücken oder sie nur strengen Kontrollen unterwerfen sollte, war während der Weimarer Zeit bei der Berliner Kripo ein umstrittenes Problem. Eine gewisse Toleranz von sehen der Polizei schien schon deshalb angebracht, weil die Ringvereine einen mäßigenden Einfluß auf den Kreis der ihnen angehörenden Berufsverbrecher ausübten. Viele dieser Vereine waren bemüht, einen gewissen Schein bürgerlicher Achtbarkeit zu wahren, und Namen wie „Immertreu", „Heimatklänge" oder „Hand in H a n d " sollten Behaglichkeit und Biederkeit vortäuschen. Sie waren stolz darauf, ihre jährlichen Bankette in den besseren Berliner Restaurants abhalten zu können, und auf eine standesgemäße Beerdigung ihrer verstorbenen Mitglieder legten sie großen Wert. Natürlich war es ein offenes Geheimnis, daß hinter dieser harmlosen Fassade die ungeschriebenen Gesetze des Verbrechens galten; die Mitgliedschaft war auf Vorbestrafte beschränkt; jeden Bruder, der einen anderen an die Polizei verriet, trafen die Sanktionen des Vereins. In den verschiedenen Vereinen trafen sich die Einbrecher, um Erfahrungen bekämpfung ..., S. 74; und Kurt Daluege, Nationalsozialistischer Kampf dem Verbrechertum, München 1936, S. 15. Ein sehr guter Aufsatz des Kriminal-Anwärters Kuban Ringvereine und ihre Bekämpfung (1956) ist als Manuskript in der Polizeischule Berlin-Spandau erhältlich. Auf Interviews mit früheren Gangstern beruht der Bericht von Frank Ruhla [d. i. Werner Dopp], Wir sind doch kein Gesangverein, sagten die Ganoven, und so war es auch, Rosenheim 1971.
Erfolg und Integrität
innerhalb der
Kriminalpolizei
165
und Tips auszutauschen; den Angehörigen inhaftierter Brüder gewährten sie finanzielle Hilfe und versorgten sie mit falschen Zeugen. Die Ringvereine waren auch in kleinere Bandenkriege mit nicht organisierten Verbrechern verwickelt. Gastwirte sahen sich gezwungen, an die Ringbrüder Mitgliedsbeiträge zu zahlen, um sich vor unliebsamen Zwischenfällen zu schützen. Andererseits waren Personen, die wegen Mord, Totschlag oder sexueller Delikte vorbestraft waren, von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Ringvereinler machten fast niemals von der Waffe Gebrauch, ganz besonders nicht gegen Polizeibeamte. Verhaftungen widersetzten sie sich nicht, im Gegenteil, oft benahmen sie sich ihren Lieblingskommissaren gegenüber höflich, manchmal sogar loyal. 126 Konservative Kriminalisten der alten Schule befürworteten eine Politik der Toleranz. Lieber wollten sie es immer wieder mit derselben Gruppe von Verbrechern aufnehmen, als Pauschalmethoden zur Unterdrückung des gesamten Verbrechertums anzuwenden. Sie glaubten sowieso nicht, daß die Kriminalität in der menschlichen Gesellschaft ausgerottet werden könnte und warnten in Anbetracht der Situation vor einer plötzlichen Änderung der Polizeistrategie, die die kriminellen Elemente leicht ins politische Fahrwasser treiben könnte. 127 Als erfahrene Ermittlungsbeamte wußten sie im Verhalten der Unterwelt eine gewisse Stabilität zu schätzen; denn sie erleichterte die polizeiliche Überwachung und das Sammeln von Anhaltspunkten bei der Bearbeitung eines bestimmten Falles. Die Gegner der Ringvereine vertraten die Ansicht, daß deren Verhalten eine ständige Herausforderung des Gesetzes darstellte und die öffentliche Ordnung gefährdete. Sie protestierten dagegen, daß Kriminalbeamte sich in „eingetragenen Einbrecherclubs" mit Vertrauensmännern trafen, um zweifelhafte Abmachungen auszuhandeln. Hatten nicht einige von ihnen ihr Urteilsvermögen verloren, wenn es galt, zwischen den gesetzlichen Rechten eines Verbrechers und der Begünstigung seines Verbrechens nach begangener T a t zu unterscheiden? 128 Sie 128 Interview Togotzes; und E. Engelbrecht, In den Spuren des Verbrechertums..., S. 18—19. 127 Es mag Ausnahmen gegeben haben. Die Wedding-Kolonne, ein bekannter Einbrecherring, soll die K P D unterstützt haben: siehe Rumpelstilzchen, Berliner Allerlei..., S. 43; und F. v. Schmidt, Vorgeführt erscheint..., S. 398. In Sturm 33, Hans Maikowski. Geschrieben von Kameraden des Toten, Berlin-Schöneberg 1942, S. 33—34, wird ein Ringverein als Helfer kommunistischer Banden erwähnt. 128 Interviews Teigeier, Togotzes; auch F. K. Kaul, Der Pitaval..., Bd. 2: Verdienen wird groß geschrieben ..., S. 108—110.
166
IV. Die
Kriminalpolizei
ärgerten sich über die Ängstlichkeit der Kriminalgerichte, die von der Kripo verlangten, gegen anmaßende Banditen und verantwortungslose Journalisten äußerst vorsichtig vorzugehen. 129 Vor allem befürchteten diese Kriminalisten jedoch, daß die Autorität der Polizei untergraben werden könnte. Die Öffentlichkeit amüsierte sich über die auffällige Geselligkeit der Ringvereine und über die raffinierte Vereinsregel, derzufolge Ringbrüder, die nachts „ein Ding drehen" wollten, während dieser Zeit aus dem Verein austreten mußten. Die Ringvereine bedienten sich derselben Taktiken wie die beiden Meistereinbrecher Franz und Erich Saß, deren entwaffnende Methode der Polizei gegenüber darin bestand, einfach alles abzustreiten und sich dumm zu stellen. Jedermann wußte, daß die beiden am 28. Januar 1929 die Disconto Bank am Wittenbergplatz ausgeraubt hatten, und doch gelang es der Polizei niemals, ihnen ihre Schuld nachzuweisen. 130 Nach einer ihrer kriminellen Heldentaten schrieb die Vossische Zeitung: „Es ist anzunehmen, daß die Brüder Saß wieder offiziell in den Tanzdielen sitzen werden, ihre Limonade trinken und sich inoffiziell damit beschäftigen, erschreckliche unterirdische Gänge auf unheimlichen Friedhöfen zu graben, ohne erkennbaren Sinn in dunklen Kellern in Moabit ihr Unwesen treiben — und inzwischen wird ein ganzer Stab von Beamten fieberhaft arbeiten, das Rätsel zu lösen, das die Brüder zu ihrer eigenen Erheiterung und zum Entsetzen der Behörden ersonnen haben." 1 3 1 Unter den Beamten, die die liberalen Polizeimethoden der Weimarer Republik ablehnten, waren unter anderem Erich Liebermann von Sonnenberg und Otto Trettin. Beide waren beruflich sehr angesehen; der eine hatte sich auf Fälschungen spezialisiert, der andere auf Juwelenund Museumsdiebstähle. Liebermann war aber auch bekannt dafür, unkonventionelle Methoden zur Bekämpfung der Kriminalität zu propagieren. So trat er f ü r die Zwangssterilisation von Alkoholikern, 129 Delius, Wie wird das Verbrechertum erfolgreicher als bisher bekämpftin: Die Polizei, 17. Jg. (1920), Nr. 3 vom 29. April; Albert Hellwig, Richter und Presse, in: Archiv für Kriminologie 87 (1930), S. 220—224; und E. Wulffen, Verbrechen und Verbrecher . . . , S. 460. 130 Die Gebrüder Saß werden fast in jedem Buch erwähnt, das sich mit der Kriminalität dieser Zeit befaßt. Der Banküberfall am Wittenbergplatz wird im Archiv für Kriminologie 84 (1929), S. 152—157 besprochen und in Kriminalistische Monatshefte, 3. Jg. (1929), H. 2 vom Februar, S. 34—37. Sogar in Erich Kästners Buch Emil und die Detektive. Ein Roman für Kinder, Berlin-Grunewald 1929, unterhalten sich Fahrgäste in einer Straßenbahn über dieses Thema. 131 H. R. B., Brüder Saß machen Spaß, in: Vossische Zeitung (A), 30. April 1930.
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
Kriminalpolizei
167
Epileptikern und Schwachsinnigen ein. Solche Erwägungen wurden damals gerade heftig diskutiert, entsprachen jedoch nicht den liberalen Prinzipien der alten Berliner Kripo. Als Liebermann 1933 die Abteilung I V übernahm, war er maßgeblich an der Einführung nationalsozialistischer Methoden in dieser Abteilung beteiligt. 132 Anläßlich seiner Pensionierung im Jahre 1936 dankte er dem Chef der deutschen Ordnungspolizei, Kurt Daluege, mit folgenden Worten: „In den letzten drei Jahren habe ich . . . an der Bekämpfung des Verbrechertums nach Methoden mitarbeiten dürfen, die mir stets als die richtigen erschienen waren, die aber ohne die nationale Erhebung und ohne Sie niemals Wirklichkeit geworden wären." 1 3 3 Vom 11. Januar 1932 an war Liebermann der inoffizielle Vertreter der N S B A G im Preußischen Verband der Höheren Kriminalbeamten. Liebermann und Trettin arbeiteten oft zusammen, aber Trettin war zweifellos der interessantere und lebhaftere der beiden. Seine Kollegen fanden ihn laut und anmaßend, respektierten jedoch seine beruflichen Erfolge. Während sich ein Kriminalist vom Range Gennats mit gewöhnlichen Mordfällen in obskuren Mietskasernen befaßte, untersuchte Trettin Diebstähle in den vornehmen Geschäften Unter den Linden und in der Motzstraße. Gerade während der Großen Polizeiausstellung 1926 gelang es Trettin, einen sensationellen Überfall auf das Juwelengeschäft Marotti und Freink in der Tauentzienstraße aufzuklären. Ein Einbruch in das Hohenzollern-Mausoleum im Charlottenburger Schloß, zwei Diebstähle im preußischen Staatsarchiv und ein bedeutender Kunstdiebstahl, bei dem einer der bekanntesten Berliner Kunsthändler beschuldigt wurde — die Lösung aller dieser Fälle geht auf das Konto seiner kriminalistischen Erfolge. 1 3 4 Diese veranlaßten Trettin, sich auf die Seite der Empiriker zu stellen, zumal er Liebermanns theoretische Neigung, Verbrechen mit nationalsozialistischen Methoden zu bekämpfen, offenbar nicht teilte. Aber Trettin war auch ein maßloser Mensch. So versuchte er, den Widerstand 132
Interview Lehnhoff; Liebermann ist audi in F. v. Schmidt, Vorgeführt
er-
scheint . . . , S. 168—169, beschrieben. Auch eine Dokumentensammlung in den O R P O Akten des Berlin Document Centers trägt seinen Namen. Über seinen Erfolg bei der Aufklärung eines politischen Falles von Falschgeldschmuggelei im Jahre 1929 siehe W. G. Krivitsky, Ich war in Stalins Dienst! . .., S. 139. 133
Brief von Liebermann an Daluege, Berlin, den 27. November 1936, in den
O R P O - A k t e n des Berlin Document Center. 134
Trettin wurde in Interviews mit Bomke, Eisler, Lehnhoff, Togotzes, Teigeier,
Kuckenburg beschrieben. Uber die von ihm bearbeiteten Fälle beriditete die Vossische Zeitung.
168
IV. Die
Kriminalpolizei
der Brüder Saß durch physisdie Gewaltanwendung zu brechen, eine Methode, die einen ernsthaften Verstoß gegen die Polizeiethik darstellte. 135 (1920 wurde ein Kriminalbeamter, den man verdächtigte, den Massenmörder Friedrich Schumann während eines Verhörs geschlagen zu haben, von seinen Vorgesetzten sofort bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.) 136 Außerdem wurde Trettins Ehrlichkeit in finanziellen Angelegenheiten mehrmals in Zweifel gezogen. Die Gehälter bei der Kripo waren nicht hoch, so daß Trettin von seinen Kollegen verdächtigt wurde, nicht nur die Spesen für seine Dienstreisen, sondern audi Geldspenden, die manchmal nach dem erfolgreichen Abschluß einer Untersuchung von Privatleuten eingingen, zu veruntreuen. 137 Trettins politisches Verhalten während der Weimarer Zeit war sehr widersprüchlich und obwohl er erst 1937 in die N S D A P eintrat, neigte er dazu, seine deutschnationale Gesinnung und die Verachtung, die er für die Regierung empfand, lautstark zu bekunden. Arthur Nebes politischer Werdegang mag durch charakterliche Defekte und berufliche Enttäuschungen zu erklären sein. 138 Den meisten anderen Unzufriedenen in der Kripo war er geistig weit überlegen. Bürgerlicher H e r k u n f t und mit sehr guter Schulbildung, gelang es ihm sehr viel besser als den anderen Kollegen, die Nationalsozialisten davon zu überzeugen, daß es ihm um ihre politischen Ideen und nicht um sein berufliches Fortkommen ging, wenn er sich ihnen anschloß. U m seine langjährige ideologische Ubereinstimmung mit den Zielen der N S D A P zu beweisen, führte er seine Vergangenheit als Mitglied eines Freikorps an und verwies auf seine frühe Vorliebe für die „Tugenden" des Patriotismus, Militarismus und Antisemitismus.
185
Sling [Paul Schlesinger], Detektiv, Polizei, Staatsanwalt, In: Vossische Zeitung (M), 25. April 1928; siehe auch den Erlaß des Innenministeriums, über den die Vossiscbe Zeitung (M), 14. Juli 1927, berichtet. 136 Vossische Zeitung (M), 13. Juli 1920. 137 Das Problem der Belohnung behandelt B. Weiß, Kriminalbeamte und Feuersozietät, in: Vossische Zeitung (M), 28. Juli 1927; ein Brief von Dr. Loewenthal, in: Vossische Zeitung (M), 2. August 1927; H. R. B., Die sparsame Kriminalpolizei, in: Vossische Zeitung (M), 11. September 1929; und Dr. Wartenberg, Brandursachenermittlung durch Versicherungsgesellschaften, in: Kriminalistische Monatshefte, 1. Jg. (1927), H. 3 vom 1. März, S. 56—58. 138 Die folgende Darstellung beruht im wesentlichen auf den Akten über die N S D A P im Berlin Document Center. Hans Bernd Gisevius gibt eine sympathische Beschreibung von Nebe in Bis zum bittern Ende, Bd. 1 u. 2, Hamburg 1947, und in Wo ist Nebef Erinnerungen an Hitlers Reichskriminaldirektor, Züridi 1966. Beide Bücher behandeln allerdings nur die Zeit nadi 1933.
Erfolg
und Integrität
innerhalb
der
169
Kriminalpolizei
Und doch war er unaufrichtig. Wenn er wie in einem handgeschriebenen Lebenslauf von 1936 behauptete, die Reichswehr 1920 verlassen zu haben, weil er es nicht ertragen konnte, unter einem sozialdemokratischen Reichswehrminister zu dienen, dann ist sein Entschluß, zur Weimarer Polizei zu gehen, völlig unverständlich. Es stimmt, daß er 1923 privat eine deutschnationale Gruppe im Bezirk Prenzlauer Berg organisierte; auch sammelte er einige wenige „verläßliche" Kripobeamte um sich, die eine völkische Gruppe bilden sollten, um gegen Juden und Freimaurer zu agitieren; wie aber ließ sich dies mit seinem Bestreben vereinbaren, die Anerkennung seiner Kollegen bei der Polizei zu gewinnen, von denen die meisten neutral bleiben wollten? Und warum suchte er die Freundschaft des jüdischen Polizei-Vizepräsidenten Dr. Bernhard Weiß? Vielleicht wollte sich Nebe durch seine politische Tätigkeit auf seine Art dafür rächen, daß seine Vorgesetzten und Kollegen ihm so lange ihre Anerkennung vorenthalten hatten.139 Bei seiner Eignungsprüfung für den Posten eines Kriminalkommissars 1922 hatte er keine besonderen Leistungen erbracht, und er machte erst 1931 von sich reden, als er den Mord an einem Chauffeur aufklärte und maßgeblich an der Festnahme des gefährlichen Banditenführers Franz Spernau beteiligt war. 140 Zu dieser Zeit hatte er durch seine Frau insgeheim bereits Verbindung zur NSDAP aufgenommen. Die juristische Korrektheit der politischen Polizei ließ jedoch ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht zu; denn das Parteiverbot für Beamte galt natürlich nicht für deren Ehefrauen. 1931 trat Nebe dann selbst heimlich in die NSDAP ein. 1932 war er einer der Hauptgründer der NSBAG und diente als Verbindungsmann zwischen der Berliner Polizei und dem künftigen Polizeigeneral Kurt Daluege. Eine Untersuchung der Berliner Kripo in den zwanziger Jahren ist viel komplizierter als eine Untersuchung der uniformierten Straßenpolizei. Jene Gruppe — so viel kleiner als die Schutzpolizei — stand weit mehr als diese unter dem Einfluß einzelner Persönlichkeiten. Auch Charakterstudien der 150 Beamten des gehobenen und höheren Dienstes vermitteln lediglich ein Kaleidoskop subjektiver Eindrücke. In der 138
Interviews Stumm, Lehnhoff, Bauer, Ehler, Bomke. Siehe auch Der
Spiegel,
3. Jg. (1949), N r . 42 vom 13. Oktober, S. 29. 140
Vossische Zeitung
(A), 24. März 1931; und Vossische Zeitung
(M), 8. Mai 1931.
In jenem J a h r fand einer der von ihm bearbeiteten Mordfälle audi in Fachkreisen Beachtung. Siehe B. Kraft, Notwehr, Kriminologie
89 (1931), S. 33 ff.
Totsdilag
oder
Muttermord?,
in: Archiv
für
170
IV. Die
Kriminalpolizei
Hoffnung, eine objektive Erklärung für das politische Verhalten wenigstens einiger Kripobeamter zu finden, wurde daher versucht, die Wechselbeziehungen zwischen den bekannten Charakteristika der prominentesten Kommissare und allgemeinen Berichten über das Verbrechertum in Berlin aufzuzeigen. Die Wechselbeziehung, wie sie bei der Kripo zwischen antirepublikanischen Gefühlen einerseits und beruflicher Unzufriedenheit andererseits bestand (wobei es unwichtig ist, ob diese Unzufriedenheit von persönlichen Mißerfolgen oder beruflichen Enttäuschungen herrührte), könnte auch bei der politischen Polizei vorausgesetzt werden. Aber hier zu einem korrekten Schluß zu kommen, wäre noch schwieriger als im ersten Falle. Verallgemeinerungen sind bei der Abteilung IA noch unangebrachter als bei der Abteilung IV. Während sich viele Beamte der Abteilung IA der parlamentarischen Demokratie gegenüber loyal verhielten und auch gute Kriminalisten waren — und die erfolgreichste politische Polizeiarbeit war die Überführung politischer Mörder —, kann man die Illoyalität von anderen nicht einfach mit beruflichem Versagen erklären. Präventive Polizeiarbeit läßt sich nicht an der Zahl von Verhaftungen und Verurteilungen messen. Im übrigen gab es bei der Abteilung IA sowieso nur wenige Uberläufer. Ihre Motive entziehen sich der Kenntnis des Kulturhistorikers.
FÜNFTES
KAPITEL
Das Ende einer Polizei-Epoche Vom Papen-Putsch bis zur Machtergreifung
Hitlers
Im späten Frühjahr des Jahres 1932 wurde zunehmend von einem Rechtsputsch oder von drastischen Eingriffen der Reichsregierung gemunkelt, um den totalen Zusammenbruch der Ordnung in Berlin zu verhindern. Die Sozialdemokraten, die Zentrumspartei und die Demokraten hatten bei den preußischen Landtagswahlen vom 24. April erhebliche Verluste hinnehmen müssen, und von da an konnte keine arbeitsfähige preußische Regierung mehr gebildet werden. Neue Reichstagswahlen waren für den 31. Juli ausgeschrieben; wenn auch aus diesen Wahlen ein arbeitsunfähiges Parlament hervorgehen sollte, mußte mit ernsthaften politischen Unruhen gerechnet werden. Auf Tumulte war man jedoch in jedem Falle gefaßt, da die Reichsregierung die preußische Regierung in eine gefährliche Situation gebracht hatte. Reichsinnenminister Freiherr von Gayl bestand auf der Aufhebung des SA- und SS-Verbots in Preußen (14. Juni 1932), obwohl das erneute öffentliche Auftreten dieser Verbände mit Sicherheit zu weiteren Unruhen führen würde. Die preußische Regierung war schon jetzt kaum in der Lage, in den größeren Städten Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.1 Die Krise, zu der es dann im Sommer 1932 kam, war eine Krise der öffentlichen Sicherheit. So ist es kaum verwunderlich, daß das preußische Innenministerium bei der Planung von Gegenmaßnahmen hauptsächlich an Polizei-Aktionen dachte. Am 16. Juli 1932 besprach Carl Severing mit einigen SPD-Führern die Möglichkeit, die Polizei und die Massen der Eisernen Front einzusetzen, falls die Reichswehr versuchen sollte, die Macht in Preußen an sich zu reißen. Natürlich würde es sich lediglich um einen pro forma Widerstand handeln, sagte er, da ein offener Kampf gegen die mächtige Reichswehr aussichtslos wäre. Er 1
A. C. Grzesinski, Inside
weg ...,
Germany...,
S. 152 ff.; C. Severing, Mein
Bd. 2, S. 3 4 0 — 3 4 1 ; A. Brecht, Vorspiel zum Schweigen . . S . 94.
Lebens-
172
V. Das Ende einer Polizeiepoche
ließ diesen Plan jedoch sofort wieder fallen, nachdem seine Kollegen sich geweigert hatten, das Leben von Schupoleuten aufs Spiel zu setzen.2 Trotzdem stand die preußische Polizei im Mittelpunkt der nun folgenden Ereignisse. Sie war dann auch die Zielscheibe einer Propagandakampagne, die die Abgeordneten der NSDAP im Preußischen Landtag im Juni begannen. Sie forderten die Verhaftung von und ein Verfahren gegen den Polizeipräsidenten von Berlin, Albert Grzesinski, wegen Unfähigkeit; Dr. Weiß, sein Stellvertreter, wurde in rüdester Weise mit Beleidigungen überschüttet.3 Joseph Goebbels und seine Mitarbeiter bereiteten in der Redaktion des Angriff einen massiven Angriff auf den verhaßten jüdischen Polizeichef „Isidor" Weiß vor. In seinem Tagebuch schrieb Goebbels am 24. Juli 1932: „Der muß nun zur Strecke gebracht werden. Sechs lange Jahre kämpfe ich gegen ihn. Er ist für jeden Berliner Nationalsozialisten der Repräsentant des Systems. Wenn er fällt, dann ist audi das System nicht mehr lange zu halten." 4 Am 20. Juli wurde die Reichsregierung aktiv. Reidiskanzler von Papen entließ das Kabinett Otto Braun und übernahm als Reichskommissar die Exekutivgewalt in Preußen. Zu seinem Stellvertreter ernannte er Dr. Bracht, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Severing im Amt des Innenministers abzulösen. Generalleutnant v. Rundstedt, als Befehlshaber im Wehrkreis III zum „Militärbefehlshaber für GroßBerlin und die Provinz Brandenburg" ernannt, zog sofort die Kontrolle über die Polizei in der Hauptstadt an sich. Bewaffnete Reichswehrsoldaten erschienen im Polizeipräsidium am Alexanderplatz, um die Absetzung des Polizeipräsidenten Grzesinski, seines Stellverteters Weiß sowie des Schupokommandeurs Heimannsberg durchzusetzen. Die beiden letzteren wurden vorübergehend verhaftet. Ersetzt wurden die drei durch Dr. Kurt Melcher, den Polizeipräsidenten von Essen, Dr. Mösle, den Chef der Berliner Verkehrspolizei, und Oberst Poten, den Direktor der Polizeischule in Eiche. Als Rechtfertigung für das Eingreifen in die preußische Länderhoheit führte die Reichsregierung die folgenden drei Hauptgründe an: 1. Ihrer Meinung nach hatte die preußische Polizei bei ihrer Aufgabe versagt, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. 2. Die Führung der preußischen Poli-
2
C. Severing, Mein Lebensweg ..., Bd. 2, S. 347. ® Ο. H., Attacke gegen Preußens Polizei, in: Vossische Zeitung (A), 29. Juni 1932; Vossische Zeitung (M), 6. Juli 1932; Vossische Zeitung (A), 11. Juli 1932. 4 Joseph Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei, München 1934, S. 117.
Vom Papen-Putsch
bis zur Machtergreifung
Hitlers
173
zei war schlaff und ohne Koordination. 3. Die preußische Regierung hatte das Vertrauen der Bevölkerung verloren. 5 Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Severing seinen Entschluß, die Schutzpolizei am 20. Juli 1932 nicht einzusetzen, zu rechtfertigen. 6 Nach der Verhängung des Ausnahmezustandes, so erklärte er, war die preußische Regierung im juristischen Sinne ihrer Polizeigewalt verlustig gegangen, so daß alle Polizeibeamten direkt der Armee unterstanden. Diese Meinung teilte auch Dr. Arnold Brecht, der in den nachfolgenden Bemühungen der preußischen Regierung um Rechtshilfe eine bedeutende Rolle spielte. Nach Brecht hatte der Reichspräsident nicht nur verfassungsmäßig die Verfügungsgewalt über die preußische Polizei. „Bei aller Pflichttreue und loyalen Ergebenheit gegenüber Severing wußten doch die preußischen Polizeioffiziere sehr wohl, daß die Sache so war. Im Falle eines bewaffneten Widerstandes gegen ihn wäre also der Reichspräsident nicht nur von der Reichswehr, dem Stahlhelm und den Sturmabteilungen der NSDAP, sondern auch von der Beamtenschaft und der Polizei unterstützt worden." 7 Severing vertrat außerdem den Standpunkt, daß die Berliner Polizei technisch gar nicht in der Lage gewesen wäre, die preußische Regierung zu schützen. Der Schutzpolizei fehlte es nicht nur an schweren Waffen, sondern der plötzliche Führungswechsel hatte audi die interne Befehlskette durcheinandergebracht. Sich unter diesen Umständen zur Wehr zu setzen, hätte unweigerlich zu einer katastrophalen Niederlage geführt. Wie denn auch Grzesinski 1939 sagte: „To believe that the Reichswehr would not have fired upon their fellow comrades, the police, is merely wishful thinking." 8 Zu den juristischen und taktischen Argumenten kommt als dritter Faktor der psychologische Aspekt. In zwölf Jahren war es der Polizei nicht gelungen, zu dem politischen Selbstvertrauen zu finden, das ihre Gründer Anfang der zwanziger Jahre gepredigt hatten. Als sich die rechtmäßige Regierung in einer Krisensituation befand, zog es die Polizei wie in der Vergangenheit vor, neutral zu bleiben. Ganz abgesehen 5 Vossische Zeitung (A), 20. Juli 1932. Einen guten Oberblick über die Ereignisse in Berlin bietet Helmuth Klotz, The Berlin diaries, May 30, 1932 — January 30, 1933, N e w York 1934, S. 61 ff. ' C. Severing, Mein Lebensweg ..., Bd. 2, S. 352—355. 7 A. Brecht, Vorspiel zum Schweigen . . . , S. 99. Hervorhebung vom Verfasser. 8 A. C. Grzesinski, Inside Germany . . . , S. 161; und Theodor Wolff, Der Marsch durch zwei Jahrzehnte, Amsterdam 1936, S. 364. Willy Brandt war einer der wenigen, der für die Mobilmachung der bewaffneten Polizei plädierte. Siehe Willy Brandt, My road to Berlin, Garden City, Ν . Y. I960, S. 51—53.
174
V. Das Ende einer
Polizeiepoche
davon, gab es nur wenige Schupobeamte, die politisch von der Sache der Demokratie so überzeugt waren, daß sie für diese Uberzeugung audi gekämpft hätten. Doch kein Schupo vergaß die praktische Lehre jeglicher Polizeiausbildung: Befehlsgehorsam. Alles verlief wie normal, solange keiner der alten Polizeiführer die Autorität der Reichswehr in Frage stellte. Zeugen der Ereignisse im Polizeipräsidium waren überrascht, wie gelassen Grzesinski am 20. Juli reagierte, als man ihm befahl, seinen Posten zu räumen. Im Verlauf jenes Morgens bat er zweimal seine Abteilungsleiter in sein Büro, jedoch jedesmal in Gegenwart der neuernannten Polizeichefs Melcher, Mösle und Poten. Die Tatsache, daß Poten bis 1930 die Berliner Polizeigruppe West geleitet hatte und Mösle zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bei der Berliner Polizei gewesen war, trug wahrscheinlich erheblich dazu bei, daß diese Angelegenheit als eine interne Personalumbesetzung betrachtet wurde. Schon bei der ersten Zusammenkunft wünschte Grzesinski seinen Untergebenen alles Gute, und der dienstälteste Abteilungsleiter drückte in höflichen Worten sein Bedauern aus. Noch am selben Abend feierte Dr. Mösle seine Beförderung zum stellvertretenden Polizeipräsidenten mit dem Chef der Kriminalpolizei und einem anderen Kollegen bei einer Flasche Wein. 9 Die einzigen Anzeichen von Widerstand sind bei Heimannsberg und insbesondere bei Weiß zu erkennen. Zwar dachte keiner von beiden an bewaffnete Gegenwehr; aber Weiß erhob schärfsten Einspruch und stellte die Legalität des gesamten Vorganges in Frage. Beide wurden daher wegen Widerstandes gegen die militärische Befehlsgewalt verhaftet. Unter Bewachung wurden sie aus dem Präsidium abgeführt, jedoch einige Stunden später wieder freigelassen. Die Verhaftung Heimannsbergs war möglicherweise eine Vorbeugungsmaßnahme der Militärbehörden. Es kursierten nämlich Gerüchte, denen zufolge die Berliner Schupo neue Schießbefehle erhalten habe
9
Interview Bomke; und zwei Dokumente mit der Signatur Z » Z. 3494 II in den
ORPO-Akten im Berlin Document Center: Niederschrift Polizeivizepräsidenten präsidium
in Berlin;
Dr.
Mösle über
und Abschrift
Scholz über die politischen
Vorgänge
die Vorgänge
über
über die Vernehmung
am 20. Juli
die Vernehmung
des
1932
des Gesetzes...,
des
Polizei-
Regierungsdirektors
am 20. 7. 1932 im Polizeipräsidium
Zwar behauptet F. Arnau in Das Auge
im in
Berlin.
S. 61, daß Grzesinski und
Heimannsberg Severing darum gebeten hätten, die bewaffnete Polizei einzusetzen, doch bleibt er den Beweis für diese Behauptung sdiuldig.
Vom Papen-Putsch
bis zur Machtergreifung
Hitlers
175
und einige besonders zuverlässige Bereitschaften bei einem gewaltsamen Gegenputsch eingesetzt werden sollten.10 Tatsächlich gab es einige Elemente in der Schupo, die spontan an einen bewaffneten Aufstand zugunsten Heimannsbergs, wenn nicht gar zugunsten des gestürzten Kabinetts Otto Braun, dachten. Hermann Artner sagte 1932, daß er und eine Handvoll gleichgesinnter Schupos den Nationalsozialisten brennend gern einen Schlag versetzt hätten. Einem geheimen Plan zufolge sollten die SPD-Anhänger in der Schutzpolizei aufgefordert werden, in ihren jeweiligen Revieren alle bekannten NS-Sympathisanten zu entwaffnen und sich die Unterstützung ihrer 'unabhängigen Kollegen zu sichern. Zusammen mit einigen kasernierten Polizeieinheiten unter dem Kommando republikanischer Offiziere, wie zum Beispiel Polizci-Oberwachtmeister Fritz Krumbachs Einheit in der Maikäferkaserne, hätten sie dann sämtliche SA- und SS-Stützpunkte in Groß-Berlin angreifen sollen. Der Plan wurde durch den Allgemeinen Preußischen Polizeibeamtenverband (Betnarek-Verband) an die SPDFraktion im Preußischen Landtag weitergeleitet — und ward nie mehr gesehen. Die hilflose Lage, in der sich die Polizei befand, machte eine spontane Reaktion von unten her natürlich sehr schwierig. Die Tatsache, daß es an entschlossenem Widerstand mangelte, spiegelte sich in der halbherzigen „Verschwörung" wider, die Polizei-Major Walther Encke inszenierte, um Kommandeur Heimannsberg zu rehabilitieren. Encke wohnte im selben Haus wie Heimannsberg, in Berlin-Schöneberg, Apostel-Paulus-Straße 8. Die beiden Männer waren befreundet. Als Heimannsberg verhaftet wurde, schwankte Encke kurze Zeit zwischen persönlicher Loyalität und seinem Pflichtbewußtsein gegenüber den neuen Vorgesetzten. Am Abend des 21. Juli fragte er einen Wachtmeister von der Zehlendorfer Bereitschaft vorsichtig über die politische Stimmung in dessen Einheit aus. Er beauftragte den Wachtmeister, heimlich einen Kreis von Heimannsberg-Anhängern zu bilden und mit dem Gauvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Verbindung zu treten. Der Wachtmeister war POW Heinz Schumacher, der im März desselben Jahres Polizei-Oberwachtmeister Schulz-Briesen als NS-Spitzel denunziert hatte. Diesmal zeigte er Encke beim Wehrkreiskommando als Verräter an. 11
10
Das Verhör von Dr. Mösle und Reg. Dir. Scholz in den ORPO-Akten im Berlin Document Center, Zu Z. 3494 II. 11 Siehe Seite 105.
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V. Das Ende einer
Polizeiepoche
Die Militärbehörden hätten es sich sparen können, rechtliche Sdiritte gegen Encke zu unternehmen. Da er Schwierigkeiten erwartete, gab er am nächsten Tag in einem Brief an das Wehrkreiskommando eine rückhaltlose schriftliche Erklärung für sein Verhalten ab. Darin bestritt er die Absicht der Gehorsamsverweigerung auf das entschiedenste. „Daß ich innerlich sehr aufgewühlt und in einer Konfliktstimmung war, kann mir wohl kaum als schlechtes Zeugnis gedeutet werden", schrieb er. Alle Versuche, Heimannsberg mit Hilfe von Schupo-Einheiten rehabilitieren zu wollen, bezeichnete er als ein „Verbrechen am Ganzen" und versicherte der Armee ehren wörtlich seine Ergebenheit „als ehemaliger Offizier des früheren Feldheeres, sowie als Polizeioffizier". 12 Wer aber war dieser Heimannsberg? Zu den großen Polizeireformern seiner Zeit gehörte Polizei-Oberst Magnus Heimannsberg sicher nicht. Als die republikanische Schutzpolizei geschaffen wurde, war er Ausbilder an einer Polizeischule in Münster. Später diente er als Oberstleutnant bei der Polizei in Potsdam. 1927 wurde er zum Kommandeur der Berliner Schutzpolizei ernannt. Während der nun folgenden fünf schweren Jahre, in denen die republikanische Regierung mehr denn je auf ihre Sicherheitsorgane angewiesen war, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, war er es, der die bewaffnete Berliner Polizei durch diese ihre kritischste Zeit führte. 13 Bei den einfachen Schupos war Heimannsberg sehr beliebt; denn sie wußten, daß er seine Karriere auf der untersten Stufe begonnen hatte und seinen Erfolg lediglich persönlichen Leistungen verdankte. Als SchupoKommandeur war er immer um das persönliche Wohlergehen seiner Untergebenen besorgt. Heimannsberg, eine „ungemein fesselnde Erscheinung von ungewöhnlicher Willensstärke", wurde als Prototyp des zukünftigen „Volksoffiziers" angesehen.14 Heimannsberg machte sich weder die konservative Haltung des Polizei-Offizierskorps zu eigen, noch teilte er dessen gesellschaftliche Aspirationen. Anders als viele seiner Kollegen, scheute er sich nicht, sich politisch zu engagieren, wenn es ihm notwendig und sinnvoll erschien. Als die Republik gegen Ende der zwanziger Jahre politisch in eine Strafsache gegen Encke wegen Vergehen gegen die Not V. v. 20/7. 32, in: Blattsammlung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht II in Berlin, II P. J. 1388/32. Die Anklage gegen Encke wurde am 19. November 1932 zurückgezogen. Siehe Vossische Zeitung (A), 19. November 1932. 12
F. O'Mon., Heimannsberg, in: Vossische Zeitung (M), 13. August 1931. Reformen bei der Schupo, in: Vossische Zeitung (M), 31. März 1927; und C. M., Der Kommandeur, in: Vossische Zeitung (M), 27. Februar 1930. 13 14
Vom Papen-Putsch bis zur Machtergreifung
Hitlers
177
Krise geriet, wurde er zu einem ihrer freimütigsten Verfechter, so daß die Nationalsozialisten ihn der Diskriminierung von SA-Leuten bei öffentlichen Unruhen beschuldigten.15 Wenn Heimannsberg auch nicht über die gleiche Beredsamkeit wie der geistige Vorkämpfer demokratischer Polizeiprinzipien Dr. Weiß verfügte, so hatte er doch wenigstens den Mut, für eine streitbare Demokratie einzutreten, und zwar zu einer Zeit, als viele andere Offiziere sich bereits in aller Stille auf das Kommen des Dritten Reiches vorbereiteten. Die andere bedeutende Persönlichkeit, die die Berliner Polizei durch den Papen-Putsch einbüßte, war Dr. Bernhard Weiß. Dieser ist sehr lange Zeit auf seine Art einer der treuesten Diener der Berliner Polizei während der Weimarer Republik gewesen. Weiß wußte sehr wohl, daß er unter den Polizeiführern seiner Zeit einen Einzelfall darstellte: Ein Staatsdiener der alten preußischen Schule mit deutschnationalen Neigungen in der Gesellschaft von Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern; ein Jude in einer Umgebung, in der Juden selten anzutreffen und nicht sonderlich willkommen waren. Wir dürfen annehmen, daß Dr. Weiß keinen Zweifel daran hegte, daß auch er sein hohes Amt allein seinen beruflichen Fähigkeiten zu verdanken hatte. Seine vielversprechende Karriere als Jurist wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Nach dem Kriege — aus dem er mit einem ΕΚ I zurückgekehrt war — trat der 38jährige ehemalige Amtsrichter in den Dienst der Berliner Polizei. Zuerst stellvertretender Chef der Kripo, wurde er 1920 beauftragt, die politische Polizei zu organisieren. Nach einer fehlgeschlagenen Razzia auf die sowjetische Handelsmission im Mai 1924 wurde er in die Abteilung IV zurückversetzt, doch diesmal als ihr Chef. In dieser Position war er 1925 an dem Aufbau des Systems der Landeskriminalämter und an der Modernisierung der gesamten Kriminalpolizei beteiligt. 1927 wurde er zum Regierungsdirektor und Polizei-Vizepräsidenten befördert, ein Amt, das er bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung am 20. Juli 1932 innehatte. Als Chef der Kriminalpolizei und später als Polizei-Vizepräsident erwies sich Dr. Weiß nicht nur als ein äußerst fähiger und fleißiger, sondern auch als ein vielseitiger Mann. Er versuchte, alle ihm direkt unterstellten Beamten persönlich kennenzulernen, und nahm an vielen ihrer Veranstaltungen teil. Er war immer bereit, Kriminalbeamte auf Inspektionsreisen zu begleiten und den Einsatz der Schutzpolizei bei politischen Demonstrationen zu beobachten. Er sprach auf zahllosen 15
Vossische Zeitung (M), 15. September 1932; und 29. September 1932 (A).
178
V. Das Ende einer
Polizeiepocbe
öffentlichen Veranstaltungen, gab die Kriminalistischen Monatshefte heraus und publizierte Artikel, die dazu beitragen sollten, das öffentliche Ansehen der Polizei zu heben. Sein 1928 veröffentlichtes Buch Polizei und Politik war kein sehr profundes Werk und stimmte nicht ganz mit den historischen Tatsachen überein; die leidenschaftliche Verteidigung der Notwendigkeit einer politischen Polizei in einem demokratischen Staat war nichtsdestoweniger bemerkenswert. Präsident Kleiber von der Stuttgarter Polizei bezeichnete das Werk als ein ausgezeichnetes Plädoyer, räumte aber ein, „ . . . daß einige nicht besonders freundliche Seitenblicke auf andere hätten vermieden werden können". 1 6 Dr. Weiß war tatsächlich nicht sehr gut auf jene zu sprechen, die die Autorität und Integrität seiner Polizei in Frage stellten und bedrohten. Dies galt insbesondere für Kritiker aus den eigenen Reihen. Kritiker, die außerhalb des Staatsdienstes standen, wurden natürlich etwas anders behandelt. Zeitungsangriffe auf die Polizei wurden höflich und sachlich widerlegt. Zwei Autoren, die 1928 die Polizei wegen des Jakubowski-Mordfalles angriffen, verzieh er die polemischen Bemerkungen; „ . . . denn jeder Unbefangene wird zugeben müssen, daß nicht Bösartigkeit der Gesinnung, sondern Leidenschaftlichkeit des Herzens den Autoren die Feder geführt hat". 1 7 Aber ein Landgerichtsrat, der es 1932 wagte, die Kompetenz der Berliner Kripo anzuzweifeln, erhielt folgende vernichtende Antwort: „Wie ich höre, steht Hildsberg im 60. Lebensjahre und war fast 30 Jahre hindurch in einer sächsischen Kleinstadt beim Amtsgericht als Strafrichter tätig; dort hatte er sich als seinen engsten Mitarbeiter den unfähigsten Kriminalbeamten des dortigen Kriminalpostens ausgesucht. Als Schriftsteller oder als Vortragender ist Hildsberg . . . bisher noch nicht in Erscheinung getreten." 18 Sein Zynismus ließ Weiß oft als unbarmherzig erscheinen, doch war er nicht der hartgesottene Polizeibeamte, als der er manchmal hingestellt wurde. 19 Das Urteil seiner Untergebenen in der Polizei über ihn war ihm durchaus nicht gleichgültig, und es betrübte ihn, daß es ihm nicht gelingen wollte, ihre spontane Zuneigung zu gewinnen. Durch eine 18
Die Polizei, 25. Jg. (1928), N r . 20 vom 20. Oktober, S. 6 5 7 — 6 5 8 .
17
Kriminalistische
18
B. Weiß, Angriffe
Monatshefte, gegen
2. Jg. (1928), H . 8 vom August, S. 191.
die Kriminalpolizei,
in: KriminalistisAe
Monatshefte,
6. Jg. (1932), H . 4 vom April, S. 86. 19
Rumpelstilzdien
[ d . i . Adolf Stein],
Reihe, Bd. 3), Berlin 1923, S. 197.
Un
det jloobste?
(=
Rumpelstilzchen-
Vom Papen-Putsch
bis zur Machtergreifung
179
Hitlers
gleichbleibende Höflichkeit und großzügige Geschenke verpflichtete er sich seine Assistenten im Präsidium, konnte es aber nicht verhindern, daß auch sie ihn — allerdings hinter seinem Rücken — „Isidor" nannten. 2 0 Die Kripobeamten respektierten zwar seine Erfolge als Jurist und Administrator, akzeptierten ihn jedoch nicht als Kriminalisten. „Er mischte sich in Dinge ein, die für einen Nicht-Kriminalisten sehr gefährlich waren", bemerkte ein alter Kripobeamter Jahre später. 2 1 Die Offiziere und Beamten der Schupo sahen in ihm einen guten Politiker und korrekten Vorgesetzten, ärgerten sich jedoch über seine Inspektionsreisen und seine offiziösen Verbesserungsvorschläge. Bei offiziellen Paraden machte dieser schmächtige Vizepräsident mit seiner altmodischen Brille an der Spitze des Führungsstabes der Schupo eine komische Figur, und man traute ihm die Führung einer so furchterregenden Truppe einfach nicht zu. Die bösartige Hetzkampagne der Nationalsozialisten gegen „Isidor" Weiß war von Goebbels insofern sehr geschickt eingefädelt worden, als er versuchte, Weiß als „Bonze" hinzustellen, dem es nicht gelingen wollte, seinen Untergebenen den nötigen Respekt vor ihm als Vorgesetztem einzuflößen. 22 Als Heimannsberg 1932 seines Postens als Kommandeur enthoben wurde, fürchteten seine Feinde, daß seine Leute gegen diesen Beschluß rebellieren würden. Als Weiß abgesetzt wurde, dachte keiner seiner Untergebenen daran, etwa für ihn zu kämpfen. Seine Mitarbeiter im Amt brachten ihm zwar eine Ovation dar; aber gleichzeitig nutzten 16 Kripobeamte, darunter vier Kriminalkommissare, die Gelegenheit, ihm „Begünstigung im A m t " vorzuwerfen. 2 3 Kurz nach dem Papen-Putsch zog eine trügerische Ruhe ein. Der Ausnahmezustand in Berlin wurde am 26. Juli 1932 aufgehoben und zehn Tage später auch die Urlaubssperre für die Schupo, die das Militär während der Krise verhängt hatte. 2 4 Im Oktober wurden die Kla20
Interview Bomke.
21
Interview Lehnhoff.
22
A m 5. Juli 1923 erschien audi in Die
„Isidor"
wegen seiner undeutschen
Rote
Erscheinung
Fahne
ein Gedicht, in welchem
angegriffen wurde. Doch
waren
antisemitische Angriffe dieser Art in der kommunistischen Propaganda selten. Siehe W. T. Angress, Stillborn
revolution
. . . , S. 340. A m 30. September 1933 entzog die
Nazi-Regierung Bernhard Weiß schließlich seine deutsche Staatsbürgerschaft. 23
Vossische
wegen §346,
Zeitung
(M), 20. Oktober 1932; und Strafsache
in: Blattsammlung
der Staatsanwaltschaft
1 pol. J . 3003/32. 24
Vossisthe Zeitung
(M), 23. Juli und 3. August 1932.
gegen
Weiß,
bei dem Landgericht
I
Dr., Berlin,
V. Das Ende einer
180
Polizeiepocbe
gen gegen Dr. Weiß und Heimannsberg stillschweigend zurückgezogen. 25 In der Stadt munkelte man, daß Weiß bald eine eigene Rechtsanwaltspraxis eröffnen würde. 26 Im Preußischen Landtag versuchte der NSDAP-Abgeordnete Kurt Daluege, eine Untersuchung gegen Heimannsberg wegen angeblicher Vetternwirtschaft und Korruption während seiner Amtszeit zu veranlassen, und zwar wohl hauptsächlich deswegen, um dessen Pensionsansprüche zu unterhöhlen. 27 Polizeipräsident Grzesinski begab sich auf eine Vortragsreise, um seine Politik der Gewaltlosigkeit während der jüngsten Krise zu verteidigen. Als er am 19. Januar 1933 auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung der Vereinigung kraftfahrender Journalisten in Berlin erschien, an der auch hohe Polizeibeamte teilnahmen — unter anderen Polizei-Vizepräsident Mösle, der stellvertretende Schupokommandeur Gentz und Regierungsdirektor Scholz von der Kripo — , wurde ihm ein sehr herzlicher Empfang bereitet. 28 Innerhalb der Polizei hatte sich das politische Klima jedoch merklich geändert, obwohl der Kern der leitenden Beamten die Krise unbeschadet überstanden hatte. Regierungsdirektor Goehrke, der die Abteilung I A seit Januar 1931 geleitet hatte, kehrte in sein früheres Amt in der Abteilung I I (Ausländerpolizei) zurück. 29 Dr. Stumm, der fast zehn Jahre lang eine führende Rolle im Kampf gegen den Rechtsradikalismus gespielt hatte, wurde in die Kriminalpolizei-Inspektion Friedrichshain versetzt. Viele seiner Mitarbeiter wurden beauftragt, die linken Gegner der neuen preußischen Regierung zu bekämpfen. 30 Dazu gehörten jetzt auch die S P D und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Erstmalig seit 1918 wurden die Aktivitäten der Sozialdemokraten regelmäßig polizeilich überwacht. Zu diesem Zweck wurde eine neue Gruppe von Vertrauensleuten gebildet. 31 Außerdem wurde eine Sonderabteilung eingerichtet, um der kommunistischen Unterwanderung im Heer 25
Vossische Zeitung (M), 11. Oktober und 2. November 1932.
26
Vossische Zeitung (A), 11. November 1932.
27
Siehe Konzept eines Briefes von Kurt Daluege an Wilhelm Kube, den damaligen
Vorsitzenden
der NSDAP-Fraktion
im Preußischen Landtag,
vom
13. Dezember
1932, Tgb. N r . 840 Ha/G., in den ORPO-Akten des Berlin Document Center. 28
Vossische
Zeitung
(A), 25. Juli 1932, und Vossische
Zeitung
(M), 20. Januar
1933. 29
Vossische Zeitung
(A), 5. September 1932 und Vossische Zeitung
(M), 6. Okto-
ber 1932. 30
J. Goebbels, Vom Kaiserhof
31
Siehe zwei Berichte der Abteilung IA, Dezernat 6, beide aus Berlin, vom
zur Reichskanzlei...,
16. August 1932 im Bundesardiiv Koblenz, R 58/409.
S. 135.
Vom Papen-Putsch bis zur Machtergreifung
Hitlers
181
und in der Schupo Herr zu werden. 32 Um diesen politischen Kurswechsel durchzusetzen, bedurfte es lediglich einer diskreten Umgruppierung des Personals. Die meisten ΙΑ-Beamten waren nur allzubereit, die neuen Verordnungen durchzuführen, und beobachteten die Zeichen der Zeit mit größter Wachsamkeit. 33 Nicht einmal ihre Kollegen von der Abteilung I V blieben von den Folgen des Regierungswechsels verschont. Obwohl hier keine Umbesetzungen vorgenommen wurden, machte es sich doch bemerkbar, daß die N S B A G jetzt offen für ihre politischen Ziele werben konnte und daß Liebermann und Nebe die Führung übernommen hatten. Die empirischen Kriminalisten der alten Schule mußten den Strategen der Verbrechensbekämpfung weichen, da Polizeipräsident Melcher eine umfassende Kampagne gegen Berlins lasterhaftes Nachtleben angeordnet hatte und ankündigte, daß die Kripo in Zukunft als große Arbeitsgemeinschaft vor die Öffentlichkeit treten würde: Die Namen erfolgreicher Kriminalbeamten durften in Presseberichten nicht mehr hervorgehoben werden. 34 Die Schutzpolizei hatte Heimannsberg verloren. Einige andere Offiziere, die von der NS-Presse als begeisterte Republikaner angegriffen worden waren, wurden ebenfalls suspendiert, unter anderen auch Polizei-Major Karl Heinrich, viele Jahre lang Kommandeur der PolizeiInspektion Mitte und seit kurzem Kommandeur der Polizei-Inspektion Schöneberg. 35 Gleichzeitig wurden alle Disziplinarverfahren gegen Schupos mit Verbindungen zur N S D A P eingestellt. Endlich konnten sich die Anhänger dieser Partei offen zu ihr bekennen; das Verbot der Mitgliedschaft in der N S D A P wurde für preußische Staatsbeamte durch einen Erlaß vom 29. Juli 1932 aufgehoben. 36 Polizisten nahmen offen an nationalsozialistischen Veranstaltungen teil, allerdings bat Reichskommissar Bracht darum, sich dabei auch weiterhin nicht in Uniform zu zeigen. 37 Diejenigen, die für die Sicherheit auf diesen Veranstaltungen verantwortlich waren, hörten nun den Rednern aufmerk-
Siehe S. 93. Interview Eisler. 34 Vossische Zeitung (M), 5. Oktober 1932; und Präsident Melcher über seine Tätigkeit, in: Vossische Zeitung (M), 13. Oktober 1932. 35 Vossische Zeitung (A), 1. August 1932; auch Ein Kämpfer für die Freiheit. Karl Heinrich, der 1. Kommandeur der Berliner Schutzpolizei nach dem Kriege, in: Berliner Polizei, 10. Jg. (1962), Nr. 9 vom 9. September, S. 1. 3 6 RdErl. d. Mdl v. 29. 7. 1932 — Pd 1045 I V u. I V a I 542. 37 Vossische Zeitung (M), 9. August 1932. 32
33
182
V. Das Ende einer
Polizeiepocbe
sam zu. Die Mitgliederzahl des Verbandes der Schutzpolizeibeamten Preußens (Josupeit-Verband) nahm plötzlich ungemein zu. 38 Die Polizeistreifen schritten zwar noch gegen Braunhemden und SSLeute ein, wenn diese bei irgendwelchen Ausschreitungen in flagranti ertappt wurden, aber ebenso oft geschah es auch, daß man derartige Exzesse einfach ignorierte. 39 SA-Leute, die sich polizeiähnliche Funktionen anmaßten und SPD- und KPD-Plakate herunterrissen oder Passanten kontrollierten, wurden nicht mehr zur Rechenschaft gezogen.40 Nach einem Schußwechsel zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten in Gesundbrunnen am 6. September 1932 wurden die verhafteten Nationalsozialisten bereits auf dem Polizeirevier wieder freigelassen, während man die Kommunisten ins Präsidium abtransportierte. 41 Mit Hilfe der Schutzpolizei ging auch der Bülowplatz, das letzte Bollwerk der Kommunisten im Herzen Berlins, am 22. Januar 1933 in den Einflußbereidi der SA über. 1400 schwerbewaffnete Polizisten riegelten an diesem Tage den Platz ab und besetzten das KPD-Gebäude, so daß die Nationalsozialisten ungestört einen Gedenkmarsch für Horst Wessel durchführen konnten. Den Erfolg dieses Unternehmens schrieb Graf Helldorf an jenem Abend der „vorwiegend nationalsozialistischen Einstellung" der Polizei zu.42 Seine Behauptung war zwar übertrieben, aber man konnte es der Bevölkerung kaum verübeln, wenn sie ihm glaubte. Der Druck von rechts ging nicht nur von der neuen Polizeiführung aus, die zumindest eine Fassade politischer Objektivität aufrechtzuerhalten versuchte, sondern kam auch von außen, so zum Beispiel von Seiten des Untersuchungsausschusses, der sich im Preußischen Landtag mit Unregelmäßigkeiten innerhalb der Polizei beschäftigte und von Kurt Daluege beherrscht wurde. 43 Dieser Ausschuß lud ein ganzes Uberfallkommando der Schupo vor, das wegen angeblicher Brutalität gegenüber SA-Leuten bei einer Aktion zwei Monate zuvor zur Verantwortung gezogen werden sollte.44 Eine Woche später beschäftigte 38
Interview Artner. Interview Fleischer. 40 Vossische Zeitung (A), 25. Juli 1932. 41 Vossische Zeitung (A), 6. September 1932. 42 Vossische Zeitung (A), 23. Januar 1933. Christopher Isherwood hat dieses Geschehnis in The Berlin stories..., S. 309—310, beschrieben. Er stellt den Marsch der Nationalsozialisten zum Bülowplatz als falschen Triumph dar. 39
43 Siehe Dalueges Brief an Oskar Schoenherr, Berlin, vom 7. März 1934. [D. 1123 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.] 44 Vossische Zeitung (A), 8. September 1932.
Vom Papen-Putsch
his zur Machtergreifung
Hitlers
183
er sich mit den Ereignissen des vorjährigen Skagerragtages (31. Mai 1932), als die Polizei die Verletzung der Bannmeile durch nationalsozialistische Demonstranten zu verhindern versucht hatte. 4 5
Diese
Untersuchungen dienten offensichtlich dazu, die uniformierten Mannsdiaften zu verunsichern. Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Wachtmeister vor jedem selbständigen Eingreifen zurückscheuten und sich mehr denn je auf die Dienstanweisungen verließen. Das Offizierskorps wählte gleichwohl den Nationalsozialisten Walther Wecke zum Vorsitzenden der Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere und ihres Beamtenausschusses. Walther Wecke leitete außerdem den Schupo-Verband der N S B A G . Jetzt, als die Offiziere sich anschickten, die Hitlerbewegung zu unterstützen, konnte man die Mannschaft als Kampfinstrument
gegen
den
Kommunismus
einsetzen.
Reichskommissar
Bracht erteilte der Schupo am 26. Juli 1932 neue Schießbefehle: „Ein Beamter, der nicht rechtzeitig und ausreichend von seinen Waffen Gebrauch macht, verletzt seine Pflicht. Dem pflichtgemäß handelnden Beamten werde ich dagegen meinen Schutz nicht versagen." 4 6 Dies deckte sich inhaltlich im wesentlichen mit dem Befehl, den dann auch Hermann Göring der Polizei am 25. Februar 1933 erteilen sollte, um seinen Kampf gegen die Feinde des Dritten Reiches zu beginnen. Aber dieser Kampf konzentrierte sich nun nicht mehr nur auf Berlin. Politisch motivierte Tumulte in Altona oder Greifswald forderten weit mehr Opfer als in Berlin. 47 Der Nazifizierungsprozeß der Polizei in Mecklenburg oder Thüringen übertraf den der Hauptstadt. 4 8 In dem Maße, wie Berlin der Herrschaft des Nationalsozialismus verfiel, häuften sich die Anzeichen, daß die Stadt die führende Rolle, die sie in der Geschichte des Deutschen Reiches seit 1871 gespielt hatte, verlieren würde. Bald würde der Exodus der Intellektuellen und Künstler beginnen. Adolf Stein triumphierte am 6. Oktober 1 9 3 2 : „Der Kurfürstendamm erzittert vor Angst und Wut. Es sei direkt zum Auswandern. Bitte sehr! Wir haben nichts dagegen." 4 9 Vossische Zeitung (A), 14. und 15. September 1932. Vossisthe Zeitung (A), 26. Juli 1932. 4 7 C. M., Schluß jetzt, in: Vossische Zeitung (A), 8. Juli 1932; und A. Bredit, Vorspiel zum Schweigen . . . , S. 93—94. 4 8 Brief von Oberstleutnant Albrecht von der Schutzpolizei in Schwerin (Mecklenburg) an Kurt Daluege vom 23. Mai 1935 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 4 9 Rumpelstilzdien [d.i. Adolf Stein], Mang und mang ( = RumpelstilzdienReihe, Bd. 13), Berlin 1933, S. 38. 45
46
184
V . Das Ende einer
Polizeiepoche
A l s Hitler am 30. Januar 1933 als Reichskanzler die Macht übernahm, gab es keinen Belagerungszustand, keine Angst vor einem A u f stand oder Bürgerkrieg, keine Mobilmachung der Polizei, um die neue Regierung zu schützen oder die Rückkehr der alten zu erzwingen. A n jenem Abend — kurz nach dem großen Fackelzug — kam es in der Wallstraße in Charlottenburg zu einem letzten Zusammenstoß z w i schen der Sturmabteilung 33 und den kommunistischen Bewohnern. Dabei kamen sowohl Wachtmeister Josef Zauritz als auch SA-Führer Hans Maikowski ums Leben, die man nach ihrem Tode zu Märtyrern der nationalsozialistischen Bewegung erklärte. Dabei war Zauritz, wie so mancher ungenannte Schupo vor ihm, einer verirrten Kugel zum O p f e r gefallen, in einem politischen K a m p f , mit dem er gar nichts zu tun haben wollte. 50
Säuberungsaktionen
1933
Gleich nach der Machtergreifung beeilten sich viele Polizeibeamte, ihre angeblich seit langem gehegten Sympathien für den Nationalsozialismus zu bekunden. Männer, die man für absolut republiktreu gehalten hatte, überraschten ihre Kameraden im Polizeiklub
„Kame-
radschaft" mit ihrem prahlerischen Gerede von einem Wiedererwachen Deutschlands. Denunziationen und Verrat, selbst unter Brüdern, waren an der Tagesordnung. 51 Noch bemerkenswerter war, daß der Prozeß der politischen Gleichschaltung in den ersten Monaten des Dritten Reiches zum größten Teil von der Polizei selbst abgewickelt wurde. Zuverlässige Offiziere wie Polizei-Hauptmann Garski und die Majore Wecke und Jacoby überwachten vom Innenministerium aus die Säuberung der Schupo von Gegnern des Nationalsozialismus. 52 Polizei-Major Dr.
Wolfstieg
vom
Charlottenburger
Kommando
bearbeitete
alle
Rehabilitierungsanträge von Beamten, die während der Weimarer Zeit wegen ihrer Sympathien für die N S D A P des Amtes enthoben worden 50
Eine
eingehende
Darstellung
dieser
Ereignisse
findet
man
bei
J.
Petersen,
Unsere Straßen . . . , S. 34 ff. D i e Version der Nationalsozialisten wird v o n J. K . von Engelbrechten / H . V o l z , Wir 51
wandern . . . , S. 117—120; und Sturm
33, Hans
Mai-
Zum Beispiel Günther Braschwitz, der seine frühere Freundschaft mit
Weiß
kowski ...,
gebracht.
bestritt und den ihn Verhörenden glaubhaft machen wollte, daß sie ihn mit seinem Bruder Rudolf verwechselten. Siehe den Brief von Günther Braschwitz, Essen, den 1. M ä r z 1933, in den O R P O - A k t e n im Berlin Document Center. 52
Vossiscbe Zeitung
( A ) , 2. und 13. Februar 1933.
Säuberungsaktionen
1933
185
waren. 53 Regierungsrat Dr. Nicolai und Kriminalrat Liebermann von der Kripo berieten die neuen Polizeichefs in Personalfragen. Plötzlich tauchten längst vergessene Gestalten aus den Tagen der Sipo und den Anfängen der Schupo wieder auf, um bei den neuen Herren der preußischen Polizei um deren Gunst zu werben. Ein gewisser Polizeirat Rollin von der Verwaltungspolizei berief sich darauf, während des Kapp-Putsches einen Beamtenstreik abgewendet zu haben.54 Geheimrat Doye, der Held der alten Sipo, bot seine Dienste als nationalgesinnter Mann im besten Alter und mit jahrelanger Erfahrung in der Polizeiverwaltung an. 55 Hugo Kaupisch, der erste republikanische Schupo-Kommandeur, schrieb direkt an Ernst Röhm, Rudolf Heß und Hitler, daß er der NSDAP nie feindlich, sondern lediglich gleichgültig gegenübergestanden habe; daß außerdem München weit von Berlin entfernt und die Berliner NSDAP bis 1926 relativ unbedeutend gewesen sei.56 Nachdem Dr. Bernhard Weiß nun nicht mehr im Amt war, bewarb sich auch Kriminalkommissar Ernst Engelbrecht um Wiederaufnahme in die Kripo. 57 Kurt Gildisch — inzwischen SS-Offizier —, der 1931 entlassen worden war, weil er in Polizeikasernen tendenziöse Lieder gesungen hatte, zwang seinen Vorgesetzten, seine Personalakte bei der Schupo zu revidieren. 58 Das Schicksal der politischen Polizei war offensichtlich besiegelt, wie ja auch die königliche politische Polizei nach der Revolution von 1918 untragbar geworden war. Am 21. Februar 1933 befahl Reichskommissar Göring die sofortige Versetzung aller SPD-Mitglieder der Abteilung IA auf Posten, wo sie mit Politik nichts zu tun haben würden. 59 Prominente Beamte, wie die Regierungsdirektoren Goehrke, Scherler 63 SA-Standarte 6 an Polizei-Hauptmann Kopiin, Berlin, den 14. Juli 1933; Nr. 257/11/33 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 64 Brief von der NSBAG, Fachgruppe Verwaltungspolizei, Berlin, den 4. März 1933, Nr. 2312 in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 55 Doye an Göring, Herischdorf i. Riesengebirge, den 20. Februar 1933; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 58 Brief von Hugo Kaupisch an Ernst Röhm, Schierke (Harz), den 29. Januar 1933; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 57 Brief vom Kommissar z. b. V. (Kurt Daluege) an die Ortsgruppe der N S D A P , Berlin-Charlottenburg, den 28. Februar 1933; Tgb. Nr. Rü 332 Dr. E/B, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 58 Otto Freys Zeugenaussage bei dem Gerichtsverfahren gegen Gildisch im Jahre 1949. Siehe Strafsache . . . gegen Gildisch, Kurt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in: Staatsanwaltschaft bei dem Landgeridit Moabit, 1 P. Ks 4/51, I; 8. 58 Erlaß von Göring, Berlin, den 21. Februar 1933, I 1000/49, unter „Polizei — Verschiedenes" im Berlin Document Center.
186
V . Das Ende einer
Polizeiepoche
und Wündisch, sowie Polizeirat Stumm wurden gleich ihrer Ämter enthoben und entlassen. Den restlichen Beamten der Abteilung IA bot man die Möglichkeit, in die neue Geheimpolizei überzuwechseln. Dazu gehörten beispielsweise NS-Sympathisanten wie die Polizeiräte Helmut Heisig und Wilhelm Bonatz. 6 0 Aber auch einigen anderen, deren berufliche Fähigkeiten eine Mitarbeit wünschenswert machte, bot man diese Möglichkeit, vorausgesetzt, daß sie nun dem Dritten Reich zu dienen bereit waren. Zu dieser Gruppe gehörten beispielsweise Hubert Mühlfriedel und Dr. Rudolf Braschwitz. 61 Andere Gestapo-Anwärter kamen aus dem Kreis der NS-Anhänger in der Abteilung IV. Die Kriminalkommissare Erich Lipik, Harry Geisler, Hubert Geißel 62 und vor allem Arthur Nebe zogen in die Prinz-Albrecht-Straße um. Arthur Nebe wurde am 1. April 1933 zum Kriminalrat befördert, am 29. August stieg er zum Regierungs- und Kriminalrat auf und einen Monat später hatte er es bis zum Oberregierungs- und Kriminalrat gebracht. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er 1935, als er zur regulären Kriminalpolizei zurückkehrte und Chef der gesamten preußischen Kriminalpolizei wurde. NS-Anhänger, die nicht in die Gestapo übernommen wurden, entschädigte man durch ansehnliche Beförderungen. Polizeirat Alfred Mündt, ein alter Sympathisant der N S D A P , übernahm die Exekutivabteilung der Kripo. Philipp Greiner wurde mit den Personalangelegenheiten betraut und avancierte bald zum Polizeirat (1934). Im Juli 1933 wurde Erich Liebermann von Sonnenberg zum Chef der Berliner Kriminalpolizei ernannt und löste Regierungsdirektor Scholz ab, der angeblich wenig Eignung für die Untersuchung politischer Fälle gezeigt haben sollte. Ein höherer Beamter des Polizeipräsidiums erklärte in diesem Zusammenhang 1933, daß die Kriminalpolizei jetzt für die Aufklärung einer großen Anzahl politischer Vergehen verantwortlich sei und daher von einem Manne geleitet werden müsse, der die politische Situation übersehen könne und in der Lage sei, ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens herzustellen und mit allen nationalen Organisationen (zum Beispiel SA, SS, Stahlhelm) zusammenzuarbeiten. 63 eo
Autobiographische Erklärungen von Helmut Heisig und Wilhelm Bonatz aus
der Mitte der dreißiger Jahre befinden sich in den Akten im Berlin Document Center. 61
Zu Mühlfriedel siehe die Korrespondenz über ihn zwischen Daluege und der
N S D A P , Gau Groß-Berlin, vom 25. September und 24. Oktober 1934 in den O R P O Akten im Berlin Document Center. 62
Siehe audi Η . Β. Gisevius, Bis zum bittern Ende .. ., Bd. 1, S. 69 ff.
63
Brief vom Leiter der Abteilung II an Min. Dir. Schellen, Berlin, den 18. Juli
1933, Tgb. N r . SD. 3104 N/Schg.; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.
Säuberungsaktionen
1933
187
Es stellte sich jedoch heraus, daß selbst Liebermann nicht ganz frei von der professionellen Haltung der alten Kripo war. Als er drei Jahre später gezwungen wurde, sein Amt niederzulegen, schrieb Polizeipräsident Graf Helldorf an Kurt Daluege, daß Liebermann als Opfer der Umstände betrachtet werden müsse. Er sei nicht in der Lage gewesen, auf jenen Individualismus zu verzichten, der traditionsgemäß die Methoden und die Organisation der Kripo bestimmt hatte. 64 Liebermann mußte gehen — wie auch Otto Trettin später zum Selbstmord getrieben wurde —, weil sie während der Weimarer Zeit nicht aus politischer Uberzeugung, sondern wegen beruflicher Unzufriedenheit zu Anhängern der Rechten geworden waren und die Nazis reine Kriminalisten politischen Mitläufern vorzogen. Der Grund für ihre Entlassung war die bekannte Explosion in der Munitionsfabrik in Wittenberg 1935, die Goebbels aus Propagandagründen als Sabotage hinstellte, obwohl diese beiden erfahrenen Berliner Kriminalkommissare versicherten, es handele sich lediglich um einen Unfall. 640 Einen fähigen Mann wie Ludwig Werneburg wußten sie zum Beispiel zu schätzen. Er war kein „alter Kämpfer" und wurde erst am 1. Mai 1933 in die Partei aufgenommen. Ernst Gennat blieb bis zu seinem Tode am 21. August 1939 im Polizeidienst; er war inzwischen zum Regierungs- und Kriminalrat avanciert und Stellvertretender Chef der Berliner Kriminalpolizei geworden. 65 Gennat war nie Parteigenosse gewesen. Otto Busdorf wurde am 1. April 1933 Mitglied der NSDAP, aber seine Forderung, als „einer der ersten Anhänger des Nationalsozialismus in der Kripo" anerkannt zu werden, brachte ihm schon bald die Verachtung der Nationalsozialisten ein. Zynisch zwangen sie ihn im Februar 1933 noch, an einem brutalen Einsatz gegen Kommunisten und Sozialdemokraten in Köpenick teilzunehmen; danach nutzten sie seine frühere Verbindung zur SPD als Vorwand, um ihn im April 1933 seines Amtes zu entheben. 1935 wurde er aus der SA ausgestoßen. Sonst hatten die politischen Ereignisse von 1933 weiter keine schwerwiegenden Folgen für die Abteilung IV. Natürlich wurden Kripö84
Brief von Polizeipräsident Graf Helldorf an Kurt Daluege, Berlin, den 25. November 1936; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. Liebermann erlag am 11. März 1941 einer Krankheit. 640 Siehe Η . B. Gisevius, Wo ist Nebe? . . . , S. 88—92; und Interview Bomke. Fräulein Bomke war Stenotypistin bei der Kripo und ist mit Trettin und Liebermann nach Wittenberg gefahren. 65 Berliner Lokal-Anzeiger, 22. August 1939.
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beamte, die man der Republiktreue verdächtigte, schnell aus dem aktiven Dienst entlassen. Zu dieser Gruppe gehörten Veteranen wie Oberregierungsrat Heinrich Kopp, Anhänger des Schräder-Verbandes wie Emil Klingelhöller und auch ein junger Inspektoranwärter namens Wilhelm Rodenberg, der das Pech hatte, Grzesinskis Schwiegersohn zu sein.66 Aber das war kaum mehr als ein Dutzend. Wie schon 1918 und 1919 war die Schutzpolizei aus technischen Gründen am wenigsten geeignet, sich dem neuen Regime anzupassen. Alten Parteigenossen, auch wenn sie nicht gerade die besten Polizeibeamten waren, konnte man eine Belohnung für geleistete Dienste nicht einfach abschlagen. Polizei-Meister Albert Becker, der seine Stellung 1929 verloren hatte, konnte nicht rehabilitiert werden, weil seine Leistungen sehr zu wünschen übrig ließen, aber man löschte wenigstens seine Disziplinarstrafen aus der Weimarer Zeit, um ihm die Pensionsberechtigung zu erhalten. Polizei-Leutnant Kurt Lange, der im vorangegangenen Jahr Verteidigungsanlagen der Schupo an die Ortsgruppe der N S D A P verraten hatte, wurde befördert, nicht aber sein Komplize Hans Schulz-Briesen, den man als „übertrieben eitel" und als disziplinarisches Risiko beurteilte. Allerdings wurden beide für ihre Haftzeit finanziell entschädigt. Hier ein letztes Beispiel: Polizei-Hauptmann Arved von Knobeisdorff, Leiter des Polizeireviers 145 in Spandau und ein Protege von Gauleiter Wilhelm Kube, wurde in der Polizeischule in Eiche einem besonders einfachen Examen unterzogen, um ihn zum Polizei-Major befördern zu können. Als er nicht einmal diese Fragen beantworten konnte, gestattete man ihm — Parteigenosse oder nicht —, sein Amt niederzulegen. Das Innenministerium verfuhr bei der Vergabe politischer Auszeichnungen durchaus nicht wahllos. Man wußte sehr wohl, daß nicht jeder Anti-Republikaner automatisch eine Stütze der nationalsozialistischen Polizei darstellte. So gab man zum Beispiel Polizei-Major Andrae die Möglichkeit, seine vaterländische Gesinnung auch unter dem Dritten Reich zu beweisen, obwohl er 1928 auf einer Versammlung des Offiziersverbandes die Weimarer Regierung verteidigt hatte. 67 Polizeiββ Brief von der NSDAP-Ortsgruppe Wildenbrudiplatz, Neukölln, an Kurt Daluege, 22. November 1932; und ein Bericht der SS-Gruppe Ost, Pressestelle, Berlin, 2. März 1933; beide in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 67 Beamte im Stahlhelm, in: Vossische Zeitung (M), 3. November 1928; und eine wahrscheinlich am 1. Februar 1933 sdireibmaschinegesdiriebene Liste, die die politische Beurteilung der Angestellten der Polizeischule Eiche (Potsdam) enthält; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.
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Major Levit wurde dagegen wegen seiner alkoholischen Exzesse entlassen. 68 Die Polizei-Hauptleute Boecker und Richter sowie PolizeiOberst Jager fielen trotz ihrer NS-Verbindungen der Säuberung zum Opfer, weil sie Mitglieder des Schräder-Verbandes gewesen waren. Dieses Schicksal teilte auch Polizei-Oberstleutnant Ferdinand Kronberger, der der N S D A P seit 1931 heimlich angehört hatte (Deckname Krohne) und eine einflußreiche Stellung als Kommandeur der PolizeiInspektion Charlottenburg innehatte. Kronberger war ebenfalls Mitglied des Schrader-Verbandes gewesen. 69 Ein besonder erbärmliches Beispiel f ü r die Art von Opportunismus, den die Nationalsozialisten am wenigsten schätzten, bot Hauptmann Walther Fränkel vom Polizei-Revier 85. Er war bereits 1924 in die N S D A P eingetreten. 1928 wurde er von seinen Vorgesetzten disziplinarisch bestraft, weil er in seinem Bewerbungsschreiben für die Aufnahme in den Polizeidienst im Jahre 1920 falsche Angaben gemacht hatte. Daraufhin trat er 1928 in die SPD ein, der er bis 1931 angehörte, um seine Beförderungschancen zu verbessern. Seine Lage verschlechterte sich 1933 noch dadurch, daß ihn die Nationalsozialisten verdächtigten, Jude zu sein. Trotz seiner heimlichen Unterstützung der NSBewegung während der beiden letzten Jahre vor 1933 kam Fränkel genauso auf die Säuberungsliste wie sein eigensinniger Untergebener, der sozialdemokratische Polizei-Wachtmeister Hermann Artner. 7 0 In den ersten Monaten des Jahres 1933 fielen 445 Beamte der Berliner Schupo den Säuberungsaktionen zum Opfer, darunter 63 Offiziere. 71 Unter ihnen befanden sich Kommandeur Heimannsberg, der bereits am 20. Juli 1932 suspendiert worden war, und andere Anhänger der Republik, deren politische Haltung während der letzten zehn Jahre 68
Ein Bericht vom 26. November 1934, Reg. Nr. D 2660, über Pol. Oberstleutnant a. D. Levit; in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 69 Siehe Kronbergers Artikel über Kampftaktiken für die Polizei, in: Die Polizei, 22. Jg. (1925), Nr. 13 vom 5. Oktober, S. 355 ff. 70 Anfang 1933 fiel Fränkel einer Säuberungsaktion zum Opfer. Danach wurde sein Fall in einem Brief des SA-Sturmbannes 1/5 (Horst Wessel), Berlin, den 5. Juli 1933, Tgb. Nr. 1112/33, behandelt; darüber hinaus in einem Schreiben der N S D A P Gauleitung Groß-Berlin vom 24. September 1934, einer Antwort an die Gauleitung von Min. Rat Hall vom 2. Januar 1935 (Ref. ZuD. 1810) und in einem Brief von Fränkel selbst an Hall, 6. Januar 1935. Alle Dokumente in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 71 Siehe Verzeichnis der auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wegen politischer UnZuverlässigkeit entlassenen Polizei-Offiziere und Polizei-Wachtmeister der preußischen Schutz-Polizei. Vervielfältigung im Berlin Document Center.
190
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aufgefallen war. Die Polizei-Majore Erwin Blell und Karl Heinrich waren in Zeitungsmeldungen erwähnt worden. Die Polizei-Hauptleute Fellmann und Gallewski waren wegen ihrer offiziellen Funktionen im Schräder-Verband bekannt, Polizei-Oberstleutnant Meyer wegen seiner Betätigung in der Vereinigung Republikanischer Polizeibeamten. Von den Mannschaften hatten sich zum Beispiel die Brüder Fritz und Wilhelm Krumbach als militante Antifaschisten einen Namen gemacht.72 Die Haltung der Schupo im Jahre 1933 unterschied sich kaum von der der Schutzmannschaft nach dem Sturz der Monarchie vierzehn Jahre zuvor. Es gab Versicherungen, daß sich die neue Regierung auf die Unterstützung ihrer Polizei verlassen könnte, und Versprechungen, daß sich die Schupo nun wirklich zu einer wahren „Polizei des Volkes" entwickeln würde. Doch gleichzeitig beobachtete die Schupo argwöhnisch jede potentielle Konkurrenz hinsichtlich ihrer öffentlichen Autorität. Wenn SA- und SS-Kolonnen polizeiliche Sondereinsätze durchführten, um die Autorität des nationalsozialistischen Regimes zu festigen, hatte die Schupo nichts dagegen, versuchten jene aber, die Rolle einer ständigen Ordnungspolizei zu übernehmen, stießen sie auf Widerstand. Am 17. Februar 1933 erhielt die preußische Polizei den Befehl, in Zukunft mit allen Einheiten der SA, der SS und des Stahlhelms eng zusammenzuarbeiten. Am 22. Februar 1933 kam dann diese unheilvolle Meldung: „Die zunehmenden Ausschreitungen von linksradikaler, insbesondere kommunistischer Seite haben zu einer unerträglichen ständigen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, wie des Lebens und Eigentums der staatsbewußten Bevölkerung geführt. Die vorhandenen Polizeikräfte, deren ausreichende Vermehrung zur Zeit nicht angängig ist, werden seit langem über ihr Leistungsvermögen beansprucht und durch häufige Notwendigkeit des Einsatzes außerhalb der Dienstorte ihrem eigentlichen Tätigkeitsgebiet oft zur Unzeit entzogen. Auf die freiwillige Unterstützung geeigneter, als Hilfspolizeibeamte zu verwendender Helfer kann daher nicht mehr verzichtet werden." 73 Am 4. März 1933 standen bereits 5000 Hilfspolizisten (Hipo) für den Dienst in Groß-Berlin bereit. Die Hilfspolizei setzte sich aus ganzen Einheiten der SA, SS und des Stahlhelms zusammen. Ihre Aufgaben bestanden hauptsächlich in der Bewachung von Regierungsgebäuden und Parteibüros, außerdem führten sie motorisierte Straßenstreifen durch. 72 75
Fritz Krumbach floh ins Ausland; sein Bruder wurde verhaftet. Erlaß des Innenministeriums, Berlin, den 22. Februar 1933, II C I 59 N r . 40/33.
Säuberungsaktionen
191
1933
Solange sich die Hilfspolizei damit begnügte, den letzten Rest von Opposition gegen Hitler zu beseitigen, war die Schupo bereit, passiver Zuschauer zu sein. So begleitete Willi Lemkes Bereitschaft SA-Kommandos in das Dorf Nowawes und stand tatenlos dabei, als ihre Proteges kommunistische Banden mit Gummiknüppeln und Gewehren zusammenschlugen und ihre Häuser in Brand steckten. „Von uns Polizisten war niemand ernsthaft verletzt worden. Wie die SA Herr der Lage zu werden schien, ließ Hauptmann Dreier uns herauslösen und wir begutachteten nun vom Fahrzeug aus den weiteren Ablauf der Geschehnisse." Schließlich baten die Kommunisten um Polizeischutz. „Wohl oder übel mußten wir diese Leute mit unseren Fahrzeugen nach Hause fahren. U m diese Aufgabe kamen wir nicht herum, denn diese Leute hatten sich unter unseren Schutz gestellt und damit waren wir für deren Sicherheit verantwortlich." 7 4 Doch einem Bericht Lemkes zufolge war dieselbe Polizeieinheit am 30. Juni 1934 drauf und dran zu rebellieren, als SS-Truppen während des Röhm-Putsches vorübergehend ihre Polizeikasernen in Lichterfelde besetzten und es den Anschein hatte, als ob die Berliner Polizei bald durch Himmlers Schutzstaffeln ersetzt werden würde. Die Unterstützung der Hilfspolizei bei der täglichen Polizeiarbeit war nicht erwünscht. Die Schupos beschwerten sich über deren Brutalität und Unwissenheit und schämten sich, mit Leuten auf Streifendienst zu gehen, „von denen viele eine kriminelle Vergangenheit hatten". Wie schon 1 9 1 9 und 1920 blieben die beruflichen Interessen der Schutzpolizei jedoch gewahrt, weil ausländische Mächte gegen die Bewaffnung der SA und SS und die Aufstellung der Hilfspolizei Einspruch erhoben, da dies ihrer Meinung nach eine Verletzung des Versailler Vertrages darstellte. 75 Auch die persönliche Rivalität zwischen Himmler und Göring und der esprit de corps selbst der überzeugtesten Nationalsozialisten in der Schupo kamen ihnen zugute. Der prominente Nationalsozialist im Polizei-Offizierskorps war 1933 Polizei-Major Walther Wecke. In Erwartung von Hitlers Machtergreifung hatte Wecke bereits im März 1932 politische Dossiers über Schupobeamte zusammengestellt. A m 1. November 1932 trat er offiziell in die N S D A P ein und übernahm die Führung der NSBAG-Fachgruppe 7 4 Willy Lemke, „Memoiren", unveröffentlichtes freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Manuskript,
vom
Verfasser
Depesche des Außenministeriums an das Reichsinnenministerium, Berlin, den 15. Mai 1933, II F 1370; in der Sammlung „Polizei — Verschiedenes" im Berlin Document Center. 75
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Schupo. Gleich nach dem 30. Januar 1933 wurde er in das preußische Innenministerium berufen, um als Verbindungsmann zwischen Polizei und N S D A P zu fungieren. Außerdem beauftragte man ihn, alle Gegner des Nationalsozialismus aus dem Offizierkorps der Schupo zu entfernen. Ende Februar 1933 übernahm Wecke die Führung einer Elitetruppe z. b. V., die die NS-Regierung vor bewaffneten Überfällen schützen sollte. 76 Die sogenannte „Landespolizeigruppe Wecke z. b. V . " oder „Stabswache Göring" hatte dieselben Aufgaben wie Walther Stennes' Hundertschaft z. b. V. in den Jahren 1920/21. Und wie bei Walther Stennes sah sich das politische Regime einer eigensinnigen bewaffneten Truppe gegenüber, deren Eigeninteressen stärker waren, als ihre Loyalität gegenüber der Regierung. Die SA-Gauleitung von Groß-Berlin und die NSDAP-Organisation der Schupo denunzierten Wecke als politischen Opportunisten und Judenfreund. 77 Im Juni und Juli 1933 wurden Kurt Daluege sechs Listen mit den Namen von etwa zwei Dutzend Angehörigen von Weckes Polizeitruppe mit dem Kommentar überreicht, daß „diese Männer nicht bereit waren, ihr Leben für den Führer zu opfern". Warum in Weckes Truppe so zweifelhafte Gestalten wie PolizeiHauptmann Hermann Seupel — Gildisch's Saufkumpan von 1930 — oder ehemalige Sozialdemokraten wie P H Gallewski (ehe er entlassen wurde) und P H Schüler aufgenommen wurden, ist nicht bekannt. Es ist auch schwer festzustellen, ob die bitteren Worte von P H Hans Oelze, als er 1934 aus Weckes Polizeitruppe in die Reichswehr übertrat, gerechtfertigt waren: „Die Reichswehr ist unpolitisch, da gilt es nicht, was man politisch ist. In der Polizei aber ist der verfemt, der früher Nazi war." 7 8 Polizei-Major Wecke wies sämtliche Beschuldigungen gegen sich oder seine Leute als Intrigen unzufriedener und eifersüchtiger Elemente auf das entschiedenste zurück. In einem Brief vom 28. Oktober 1933 betonte er, daß die politische Säuberung der Polizei lange genug gedauert 7 6 Wecke wird in den folgenden Ausgaben der VossisAen 5. Januar, 31. Januar, 2. Februar und 4. Februar 1933.
Zeitung
(A) erwähnt:
In einer handschriftlichen Notiz, wahrscheinlich vom 19. Mai 1933 aus Berlin, wurde Wecke von Franz Nippold, dem Leiter der NSBAG, angezeigt; außerdem erscheint sein Name ungefähr zur gleichen Zeit auch noch auf einer anonymen Liste, auf der 15 „unzuverlässige" Polizeioffiziere namentlich erwähnt werden. Beide Schriftstücke im Berlin Document Center. 77
7 8 Brief von Hans Oelze, Hauptmann der Landespolizei, Berlin, den 21. August 1934, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center.
Säuberungsaktionen
1933
193
habe und nun beendet sei. Er sehe keinen Grund, die Untersuchungen wegen einiger vager Denunziationen wiederaufzunehmen. 79 Fünf Wochen später, als in der Gauleitung der NSDAP zwei weitere Klageschriften eingegangen waren, schrieb Wecke ungeduldig an Daluege: „Wir haben jetzt eine nationalsozialistisch geführte Polizei. Damit ententfällt nach meiner Auffassung jetzt für die Partei . . . jeder Grund, sidi in rein dienstliche Dinge zu mischen."80 Die Parteiführer waren jedoch anderer Meinung. Indem er auf Weckes Rolle bei der Säuberung der SA am 30. Juni 1934 Bezug nahm, fand es Gauleiter Wilhelm Kube angebracht, seine Freunde daran zu erinnern, daß „wir . . . ja schließlich das Dritte Reich nicht mit der Polizei, sondern mit der SA gewonnen [haben] und mit dem Einsatz aller alten Parteigenossen". 81 Im Hinblick auf die Ansichten über die Gesellschaft wird das Urteil von Politikern und Polizisten wohl immer auseinandergehen: Die Politiker sind bestrebt, ihre Macht zu rechtfertigen, während die Polizei ihre Autorität als selbstverständlich verstanden wissen will und sich lediglich bemüht, deren Anwendung zu rechtfertigen.
n
In den ORPO-Akten im Berlin Document Center. Brief von Wecke an Daluege, Berlin, den 2. Dezember 1933, in den ORPOAkten im Berlin Document Center. 81 Wilhelm Kube an Kurt Daluege, Berlin, den 6. Juli 1934, in den ORPO-Akten im Berlin Document Center. 80
EPILOG Zweifellos wird eines Tages auch die Geschichte der Berliner Polizei nach 1933 geschrieben werden. Einige zeitgenössische Historiker, die sich mit der Politik des Dritten Reiches befassen, haben bereits Abhandlungen über die innenpolitischen Schutzorganisationen Hitler-Deutschlands veröffentlicht. 1 Besonders Polizeihistoriker müßten daran interessiert sein, diesen Aspekt der Geschichte Berlins über den Zweiten Weltkrieg hinaus bis zur Wiederherstellung der demokratischen Polizei unter Dr. Johannes Stumm in den Westsektoren und bis zu der Formierung der Volkspolizei östlich des Brandenburger Tores zu verfolgen. Wie unterschieden sie sich voneinander in bezug auf Rekrutierung, Ausbildung und ihre Auffassung von den Polizeiaufgaben und wie von der Polizei unter der Herrschaft des Nationalsozialismus? In welchem Verhältnis standen sie zueinander und wie verhielten sie sich während der Krisen am 17. Juni 1953 und am 13. August 1961 ? 2 Gute Polizeihistoriker werden darüber hinaus die prinzipiellen Unterschiede im Verhalten der Polizei des zwanzigsten Jahrhunderts bei politischen Krisen ähnlichen Ausmaßes in Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien oder der Tschechoslowakei untersuchen wollen. 1
H . - J . Neufeldt / J. Hude / G. Tessin, Zur Geschichte
Hans Budiheim, Die Höheren geschichte,
SS- und Polizeiführer,
der Ordnungspolizei.
in: Vierteljahrshefte
für
11. Jg. (1963), H . 4 vom Oktober, S. 3 6 2 — 3 9 1 ; Hans Buchheim, SS
Polizei im NS-Staat
(=
und
Staatspolitische Schriftenreihe 13), Duisburg b. Bonn 1964;
Gerhard F. Krämer, The influence
of National
Socialism on the courts of justice and
the police in the Third Reich, London 1955; und Shlomo Aronson, Reinhard und die Frühgeschichte
. .; Zeit-
von Gestapo
und SD ( =
Heydrich
Studien zur Zeitgeschichte), Stutt-
gart 1971. 2
Einige vorläufige Schlußfolgerungen sind möglich auf Grund von ostdeutschen
Veröffentlichungen wie Waldemar Bergmann / Günter Malitz, demokratischen
Polizei
in Berlin
1945,
in: Zeitschrift
13. Jg. (1965), H. 3, S. 4 4 6 — 4 6 3 ; und Angehörige in der Westberliner
Polizei,
desrepublik.
Wirtschaft,
Staat,
in: Braunbuch. Armee,
Kriegs-
für
der Gestapo,
Der
Justiz,
der
des SD und der SS
und Naziverbrecher
Verwaltung,
Aufbau
Geschichtswissenschaft, in der
Wissenschaft.
BunHrsg.:
Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, Dokumentationszentrum der Staatlichen Arthivverwaltung der D D R , 2. Überarb. Aufl., Berlin [Ost] 1965, S. 9 3 — 9 4 .
Epilog
195
Man könnte beispielsweise fragen, ob es 1940 für die Pariser Polizei von Bedeutung war, daß ihre Traditionen bis in die Zeit Richelieus zurückreichten. Oder: Wie verhielt sich die Prager Polizei während der vielen Wendungen in der Geschichte ihres Landes zwischen 1918 und 1968? Eine Untersuchung der Berliner Polizei nach 1933 wird jedoch den Kern der historischen Gegebenheiten dieser Stadt nicht mehr berühren, denn die Geschichte des nationalsozialistischen Berlin kann man nicht durch das Prisma seines öffentlichen Sicherheitssystems erfassen. Das Polizeiproblem, wie es die neuen Herren verstanden, bestand darin, ihre doktrinären Vorstellungen von Ordnung durchzusetzen, nicht aber eine vorhandene individualistisch bürgerliche Gesellschaft zu verstehen und zu formen. Diese letztere tolerantere Einstellung hatte die Arbeit der republikanischen Polizei für den Sozialhistoriker so interessant gemacht. In den ersten Monaten nach jenem schicksalhaften 30. Januar war die Berliner Polizei natürlich den kritischen Blicken vieler Berufs- und Amateurbeobachter ausgesetzt. Dem französischen Botschafter fielen die schneidigen Schupoverbände mit Stahlhelm auf, die am Tag von Potsdam stolz vor den Einheiten der SA und SS marschierten.3 Andere Beobachter bemerkten vereinzelte Zusammenstöße zwischen Braunhemden und der alten Polizei, insbesondere das Eingreifen von Weckes „Landespolizeigruppe z. b. V." bei der Gauleitung der NSDAP in der Hedemannstraße, wo Gefangene illegal eingesperrt gehalten und gefoltert wurden. 4 Vielen Menschen fielen die teilnahmslosen Mienen der Schupos bei öffentlichen Versammlungen auf. „The police were strange these days", schrieb Peter de Mendelssohn 1938 in seinem halb-autobiographischen Roman All that matters. „Some were like devils, and some simply seemed to overlook everything. One never knew." 5 Während der dreißiger Jahre kursierten unter den Journalisten in Berlin, die keine Nationalsozialisten waren, Geschichten über Unzufriedenheit und Mißmut innerhalb der alten Polizeigarde. Louis P. Lochner, der Leiter des Büros der Associated Press, kannte einen Berliner, der sich speziell damit befaßte, unzufriedene Polizeibeamte für die Opposition zu gewinnen. Jener Bekannte versicherte Lochner, daß es noch „Tau1938, Paris 1946, S. 107. 4 Joe J. Heydecker / Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozeß. Bilanz der Jahre, Köln—Berlin 1958, S. 137. 5 Peter de Mendelssohn, All that matters, N e w York 1938, S. 194.
tausend
196
Epilog
sende" von republikanisch gesinnten Polizeibeamten gäbe, die gegen die ideologischen Indoktrinationsversuche der Nationalsozialisten immun geblieben wären und unter einer zukünftigen demokratischen Regierung als zuverlässige Polizeikräfte verwendbar wären.® Verallgemeinerungen hinsichtlich der Verhältnisse bei der Berliner Polizei unter Hitler aufgrund einzelner, in der Berlin-Literatur verstreut anzutreffender Fakten oder Thesen sind jedoch nicht angebracht. Um zu verstehen, was es bedeutete, daß prominente Berliner Polizeibeamte wie Reichskriminaldirektor Nebe, Polizeipräsident Helldorf und sein Stellvertreter Schulenburg dem nationalsozialistischen Regime den Rücken kehrten, müßten diese Fälle im einzelnen untersucht werden.7 Man ist aber geneigt, sich der Betrachtung Heinz Reins in seinem Roman Finale Berlin anzuschließen, in dem die Mentalität eines Berliner Schupos unter Hitler so beschrieben wird: „Er ist einer der vielen Millionen Deutscher, denen der Nationalsozialismus zwar Lebenselement geworden ist, die sich aber doch eigene kleine Privatanschauungen bewahrt haben . . . , denen sie, teils aus Gewohnheit, teils aus Eigensinn anhängen, und die sich diese Vorbehalte als Individualismus auslegen."8 Als selbst die Nationalsozialisten 1933 die ambivalente Einstellung der alten Polizeigarde bemerkten und einsahen, daß es schwierig sein würde, jemals mit deren uneingeschränkter Loyalität rechnen zu können, entschlossen sie sich, die Polizei bei passender Gelegenheit durch ein modernes, ihren eigenen Zielen entsprechendes Polizeisystem zu ersetzen. Erich Gritzbach schrieb 1938 in seiner offiziellen GöringBiographie: „Mit einer regulären Polizei war hier nicht auszukommen. Im Nachtwächterstaat, der jeden Bürger nach seiner Fasson selig werden lassen will, der eine Vielheit von Parteien und Anschauungen duldet, wenn sie parlamentarisch genehmigt sind, genügt die Sorge für Ruhe und Ordnung. Nicht aber in einem Staate, der sich in seinem verfassungsmäßigen Aufbau von der parlamentarischen Demokratie abge6
Louis P. Lochner, What about GermanyNew
7
Über Nebes Fall hat sein Freund berichtet — vielleicht zu einseitig. Η . B. Gise-
vius, Wo ist Nebe?...
Zu Helldorf und seinem Stellvertreter Sdiulenburg siehe
Η . B. Gisevius, Bis zum Berlin social diary, Sdiulze-Wilde],
York 1942, S. 2 2 7 — 2 2 9 .
bittern
Ende...;
Bella Fromm, Blood
and banquets:
A
New York — London 1942, S. 2 8 0 ; H . S. Hegner [d. i. H a r r y
Die
Reichskamlei,
1933—1945.
Anfang
und
Ende
des
Dritten
Reiches. 3., verb. u. erw. Aufl., Frankfurt a. Main 1960, S. 3 0 2 — 3 0 3 ; und Ursula von Kardorff, Berliner
Aufzeichnungen
aus den Jahren
1942 bis 1945,
1962, S. 74. 8
Heinz Rein, Finale Berlin. Roman, Berlin 1948, S. 294.
3. Aufl., München
Epilog
197
wandt und für eine straffe Uber- und Unterordnung aller staatlichen Gewaltträger nach dem Führerprinzip entschieden hat und zur Vernichtung aller Staatsfeinde entschlossen war. Der autoritäre Staat des neuen Dritten Reiches bedarf besonderer Einrichtungen. Er hat Werte zu schützen und sicherzustellen, die kostbares Volksgut sind. Er hat eine Weltanschauung aufzurichten, er hat diese Weltanschauung vor Lüge und Verletzung und ihre Träger vor tätlicher Bedrohung durch verbrecherische Elemente in Obhut zu nehmen." . . . Die Zentralisation der Polizei 1933 wurde notwendig, „weil in den ersten Monaten der Durchführung der Uberwachungsmaßnahmen der politischen Gegner in der Gemeindepolizei der größte Widerstand entgegengesetzt w u r d e . . . Mit den vorhandenen polizeilichen Kräften war nicht auszukommen. Nur wer einwandfrei zuverlässig war, konnte in die Geheime Staatspolizei eingegliedert werden." 9 Zu den zweifelhaften Errungenschaften des nationalsozialistischen Regimes muß der Historiker zweifellos auch den „Erfolg" rechnen, daß in Deutschland endlich ein völlig zentralisiertes Polizeisystem existierte. Dies war deshalb ein „Erfolg", weil seit dem 17. Jahrhundert alle modernen Territorialstaaten bestrebt gewesen waren, sich eine eigene effektive regionale Polizei zu schaffen. Natürlich kann es nur ironisch vermerkt werden, daß die Nationalsozialisten die professionellen Polizeimethoden und die Polizeiethik, wie sie in Europa in den vorangegangenen drei Jahrhunderten entwickelt worden waren, den Zielen eines „Großdeutschen Reiches" nicht für angemessen hielten und daß ihr System der nationalen Überwachung gerade diese Errungenschaften eines modernen Staates preisgab oder zerstörte. Die nationalsozialistischen Polizeiführer waren nicht die einzigen, die vor diesem Dilemma standen. Eine umfassende Studie über die moderne europäische Polizeigeschichte würde zeigen, daß mit dem ständig wachsenden Umfang effektiver territorialer Kontrolle die lokalen, regionalen, nationalen und sogar internationalen Aufgaben der Polizei während eines Zeitraumes von ungefähr 250 Jahren immer mehr ineinander übergingen, bis im zwanzigsten Jahrhundert die Unterschiede zwischen außen- und innenpolitischen Belangen, das heißt zwischen den Bereichen der Armee und der Polizei, oftmals bedeutungslos wurden. Die existierenden technischen und gesetzlichen Grenzbereiche verschwammen in dem Maße, wie die Notwendigkeit polizeilicher Zusammenarbeit wuchs. In unserer Zeit wurden Polizeibeamte über die ' Eridi Gritzbadi, Hermann S. 32, 34.
Göring.
Werk
und Mensch, 2. Aufl., München 1938,
198
Epilog
Landesgrenzen hinweg zu Kriegseinsätzen geschickt, während Fallschirmjäger in der Heimat die Funktion der Polizei ausüben und über jeden Verletzten einen schriftlichen Bericht einreichen mußten. Alle revolutionären Regimes seit 1848 haben ihren Anhängern eine Volkspolizei versprochen, deren Angehörige die Rolle des Gendarmen, des Soldaten, des Revolutionärs und manchmal sogar des Kriminalisten in sich vereinigen sollten. In vielen Ländern wurde zwischen den beiden Weltkriegen die Polizeiarbeit auf nationaler und internationaler Ebene neuen Einrichtungen übertragen: den Parteikadern der Faschisten und Kommunisten, der Komintern und dem NS-Sicherheitsdienst, den Blockwarten und Jugendführern, Angehörigen der Fünften Kolonne und Kollaborateuren. Richard Grunberger deutet dies sehr treffend in einem Abschnitt über die Psychologie des deutschen Kleinbürgers an, von dem 1933 plötzlich verlangt wurde, die Aufgabe eines revolutionären Volksgenossen zu übernehmen, ausgerüstet mit latenten Polizeivollmachten: Hitlers Machtergreifung „afforded unique opportunities for enjoying the liberating frisson of a revolution and the reassurance of police protection at one and the same time. Throughout its subsequent existence the Third Reich continued to exert this initial appeal to the law breaker (not to say the criminal) and the policeman who slumbers inside many a citizen's breast." 1 0 Die Vorrangstellung der herkömmlichen Polizei gehörte also nach dem Sturz des republikanischen Regimes der Vergangenheit an. Zugegebenermaßen waren Ruhe und Ordnung in der Reichshauptstadt wiederhergestellt, und die Kriminalität nahm drastisch ab. 11 Doch die Zeiten militärischer Aufmärsche kehrten wieder: Zuerst waren es die braunen, schwarzen und feldgrauen Uniformen des Dritten Reiches, danach dann die Uniformen der vier Besatzungsmächte. Welches Thema ein Berlinhistoriker wählen würde, um das Schicksal dieser Stadt im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts exemplarisch zu beleuchten, ist schwer zu sagen. Die Jahre von 1933 bis 1945 waren Jahre der Reglementierung und Entbehrungen, die schließlich in Zerstörung und Verzweiflung endeten. Aber für Kultur- und Sittenhistoriker sind Diktaturperioden niemals sehr ergiebig. 1945 begann das internationale Tauziehen um Berlin. In der Zeit zwischen der 10
Richard Grunberger, The
1933—1945, 11
12-year
Reich:
Α social history
of Nazi
Germany,
N e w Y o r k 1971, S. 20.
Nicht nur Kriminalität, sondern auch Interesse an Kriminalgeschichten. In bezug
auf deren Unterdrückung siehe Joachim Remak (Hrsg.), The mentary history, Englewood Cliffs, N . J . 1969, S. 85—86.
Nazi
years.
A
docu-
Epilog
199
Blockade 1948 und dem Aufstand in der Stalinallee 1953 erlangte die Stadt eine verspätete Beliebtheit, weil sie zum Symbol westlichen Widerstandes gegen die kommunistische Welt geworden war. Gerade die internationale Bedeutung Berlins machte es denjenigen, die über das Berlin der Nachkriegszeit schreiben wollten, besonders schwer, den kalten Krieg nicht zum Hauptthema ihrer Abhandlungen werden zu lassen: Berlins Schicksal hängt inzwischen von der halben Welt ab. 12 Pessimismus in bezug auf die Zukunft Berlins mag die erstaunliche Zunahme der Berlinliteratur während der fünziger und sechziger Jahre erklären. Und mit sicherem Instinkt konzentrierte sich diese Publikationswelle hauptsächlich auf die zwanziger Jahre als die fruchtbarste Periode in der Geschichte des modernen Berlin, einer Zeit, als sich die ganze Welt um die Spree zu drehen schien. „Von Shanghai bis nach Buenos Aires, jeder einmal in Berlin!" hieß ein Werbeslogan aus jener Zeit. Berlin besaß den Reiz einer Weltstadt. Vibrierend vor Aktivität, tief gespalten, geeint durch allgemeine Besorgnis und beherrscht von der Gestalt des Verkehrspolizisten in flotter Uniform, der mit leicht gezwungenem Lächeln versicherte, daß alles genau nach Vorschrift ablaufen würde, was auch immer die Zukunft bringen möge.
12 Ein gutes Beispiel ist Leon M. Uris, Armageddon: A novel of Berlin, Garden City, Ν. Y. 1964. Natürlich gibt es Romane, in denen es den Verfassern gelungen ist, das tägliche Leben der Nadikriegsberliner zu schildern, unter anderem Erich Wildberger, Ring über Ostkreuz. Roman. Ungekürzte Ausg. ( = rororo-TaschenbudiAusgabe 88), Hamburg 1953; und Ingeborg Wendt, Notopfer Berlin. Ein FamilienRoman aus unseren Tagen, Hamburg 1956.
ANHANG Interviews Die folgende Liste enthält die Namen von Personen, die durdi ihre Aussagen einen wesentlichen Beitrag zu dieser Untersudiung geleistet haben. Sie verzeichnet darüber hinaus in kurzer Zusammenfassung die jeweiligen Interview-Themen. Angaben zur Person sowie das Datum beziehen sidi auf Zeit und Ort des Interviews. Bei der in Klammern gesetzten Jahreszahl handelt es sich um den Zeitpunkt des Eintritts der Befragten in die Berliner Polizei. 1. Polizeimeister Hermann Artner (1924) Berlin-Steglitz Muthesiusstraße 35 27. September 1962. Lebensgeschichte. Früher Dienst bei der Bereitschaft Berlin-Friedridishain. Beziehungen zu den Polizeibezirken. Kriminalität in Berlin. Politische Auseinandersetzungen in den Polizeirevieren Anfang der dreißiger Jahre. Die kommunistische und die nationalsozialistische Einstellung zur Polizei. Gehälter und Beförderungen. Der Papen-Putsch 1932 und die Säuberung 1933. Polizei-Hauptmann Fränkel. Die Brüder Krumbach. Der Mord an Emil Kuhfeld. 2. Kriminalrat Adolf Bauer (1922) Berlin-Zehlendorf Jugenheimer Weg 9 22. November 1962. Bereitschaftspolizeidienst in der Abteilung Zentrum. Polizeiverbände. Monarchisten im Polizeioffizierskorps. Nationalsozialistische Unterwanderung der Mannschaften. Kommunistische Provokationen. Wirksamkeit der KPD. Dr. Bernhard Weiß und die Kriminalbeamten Arthur Nebe, Teidimann, Helmuth Müller und Albert Dettmann. Der Fall Walther Stennes. 3. Polizeiangestellte Grete Bomke (1929) Berlin-Steglitz Albrechtstraße 73 a 17. Oktober 1962. Die Polizeiführer Grzesinski, Zörgiebel, Heimannsberg, Weiß und Goehrke. Arbeitsroutine in der Präsidialabteilung des Polizeipräsidiums und in der Abteilung IA vor 1933. Die Rivalität zwischen der Kripo und der Abteilung IA. Zu den Personen Trettin, Liebermann, Gennat und Nebe. Die Vorgänge am 20. Juli 1932 im Büro von Polizeipräsident Grzesinski. 4. Polizeiangestellte Charlotte Elsler (1922) Berlin-Kreuzberg Lilienthalstraße 12 28. Oktober 1962.
202
Anhang
Büroarbeit unter Riemann, Gennat, Liebermann und Trettin von der Abt. IV zwischen 1922 und 1929; nach 1929 unter Wündisch, Goehrke und Stumm in der Abt. IA. 5. Polizei-Oberrat Finger, Leiter der Polizeisdiule Berlin-Spandau Hohenzollernring 124 18. September 1962. Die Polizeisdiulen vor und nach 1933. 6. Polizei-Obermeister Kurt Fleischer (1920) In seiner Wohnung Berlin-Spandau 19. September 1962. Persönliche Karriere. Beziehungen zwischen der Sipo und der „blauen" Schutzmannschaft. Politische Atmosphäre in der Sipo. Der Schräder-Verband. Kapp-Putsch. Der Mord an Anlauf und Lenck. Papen-Putsch. Säuberung des Polizeikorps im Jahre 1933. Popularität des Vize-Schupokommandeurs Gentz, der Polizeipräsidenten Weiß und Zörgiebel. Uberwachungstaktiken bei politischen Versammlungen. 7. Inspektionsleiter F. Gediehn (1920) Berlin-Dahlem Ladenbergstraße 24 26. September 1962. Persönliche Karriere. Politische Atmosphäre in der Polizei 1920. Polizeiausbildung 1922 bis 1923. Kapp-Putsdi. Soziale Herkunft der Rekruten. Vergleich der kommunistischen und nationalsozialistischen Taktiken gegenüber der Schupo. Die Erfolge von Severing, Weiß und Heimannsberg. Der Mord an Anlauf und Lende. Die Ohnmacht der Polizei während der Weimarer Zeit. 8. Kriminalrat Hoberg Kripo-Zentrale Berlin-Schöneberg Gothaer Straße 19 6. November 1962. Entwicklung der Kriminologie in den zwanziger Jahren. Die Arbeit von Hans Schneickert, Robert Heindl, Erich Liebermann. 9. Kriminal-Hauptmeister Max Jachode (1924) und 10. Kriminal-Obermeister Herbert M. Tietze (1923) Kripo-Zentrale Berlin-Schöneberg Gothaer Straße 19 25. Oktober 1962. Schupo-Dienst im Wedding und in Neukölln Anfang der zwanziger Jahre. Gehälter. Politische Gesinnung in den Polizeirevieren. Der Mord an Anlauf und Lenck und an Horst Wessel. Kommunistische Demonstranten und die Polizei. Kommunisten, die der NSDAP beitraten. Die Ringvereine. Polizeiverbände. Soziale Herkunft der Polizeibeamten. Fritz Krumbach. Der 20. Juli 1932. 11. Polizei-Hauptwachtmeister Erich Jahn (1919) Bibliothek des Polizeipräsidiums Berlin-Tempelhof Tempelhofer Damm 1—7 3. Oktober 1962.
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Lebensgeschidite. Sipo-Dienst 1920. Fortbildungsmöglidikeiten bei der Polizei. Uniformen und Ausrüstung. Beförderungen und Gehälter. Beamtenstellen für pensionierte Polizeibeamte. Luftpolizei. 12. Polizei-Major a. D. Eduard Kolbe (1920) Berlin-Tempelhof Thuyring 28 3. Oktober 1962. Jugend, Kriegsdienst 1914 bis 1918. Sipo und Kapp-Putsdi. Kommunistische Propaganda. Nationalsozialisten in der Schupo. Polizeiverbände. Walther Stennes. Polizeibeamte in Zivil auf politisdien Versammlungen. Zeitschrift Die Polizei. SchupoBeziehungen zur Kripo und der Abteilung IA. Heimannsberg, Weiß, Helldorf. Mord an Anlauf, Lendt und Zauritz. Papen-Putsch. Säuberungsaktion 1933. 13. Regierungs- und Kriminalrat Paul Kuckenburg (1912) Berlin-Wilmersdorf Landhausstraße 32 16. Oktober 1962. Theoretische Grundlagen des Kriminaldienstes. Aufstieg und Beförderungen in der Kripo. Kripo-Beziehungen zur Schupo und der Abteilung IA. Trettin, Liebermann. Kommunisten unter den Polizeiangestellten, kriminelle Elemente unter den Kommunisten. 14. Generalstaatsanwalt a. D. Wilhelm Kühnast. In seiner Wohnung. 12. und 17. Oktober 1962. Der Mord an Anlauf und Lende. Der Fall Kurt Gildisch. Dr. Bernhard Weiß. Kripo und Abteilung IA. 15. Kriminalmeister Otto Krause (1928) Berlin-Charlottenburg Mindener Straße 4 2. November 1962. Lebensgeschidite. Polizeisportbewegung. Polizeischule für Leibesübungen. Bereitschaftspolizeidienst in Berlin-Mitte. Der Tod von Anlauf und Lende. Unruhen im Sdieunenviertel. Politische Diskussionen in der Bereitschaftspolizei. Papen-Putsch. Heimannsberg, Grzesinski, Weiß. Polizeiverbände, Gehälter, Sondervergünstigungen. 16. Polizei-Oberkommissar Rolf Kurzidim (1936) Polizeischule Berlin-Spandau Hohenzollernring 124 19. September 1962. Ländliche Herkunft vieler Berliner Polizeibeamten. Nationales Ansehen der Berliner Polizei. Politische Neutralität der Polizei während der Weimarer Republik. Weiß, Heimannsberg, Zörgiebel als Polizeiführer. 17. Kriminaldirektor Albert Lehnhoff (1929) Berlin-Friedenau Menzelstraße 25. 22. Oktober 1962. Ansehen der Berliner Kripo in den zwanziger Jahren, ihre Struktur und Organisation. Ausbildung bei der Kripo. Beziehungen zur Abteilung IA und zur Staatsanwaltschaft. Mord an Horst Wessel. Ringvereine. Verbrecher und Politik. Schräder-Ver-
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band. Die Persönlichkeiten von Grzesinski, Weiß, Liebermann, Trettin, Nebe, Gennat und Geißel. 18. Polizei-Hauptkommissar Willi Lemke (1932) Polizeisdiule Berlin-Spandau Hohenzollernring 124 18. September 1962. (Interview wurde durch Einsichtnahme in Lemkes Entwurf seiner Autobiographie ergänzt.) Lebensgeschichte. Ausbildung in der Polizeischule 1932 bis 1933. Dienst bei der Bereitschaftspolizei in Potsdam. Zusammenstöße mit nationalsozialistischen und kommunistischen Demonstranten. Politische Ansichten bei den Mannschaften. Uniformen, Bewaffnung. 1933 eingeführte Änderungen. 19. Inspektor Richard Lindner Polizeifortbildungsschule Berlin-Tempelhof 7. September 1962. Administrative Struktur und Organisation der Berliner Polizei. 20. Polizei-Oberrat Gottfried Miczek (1924) Kommando der Schutzpolizei Berlin-Tempelhof Tempelhofer Damm 1 24. Oktober 1962. Herkunft.
Rekrutierung
der
Polizeiangestellten
und
Polizeiausbildung
in
den
zwanziger Jahren. Politische Unruhen in Berlin. Berufsverbrecher und Kommunisten. Walther Stennes. Monarchistische Offiziere. Schupos in Zivil auf politischen
Ver-
sammlungen. Verbindungen zwischen Schupo und Abteilung I A . Die Einstellung der Nationalsozialisten und der Kommunisten zur Polizei. Der Mord an Horst Wessel. Erschießung von
Anlauf
und Lenck. Sicherheitsprobleme
in Charlottenburg
und
Wilmersdorf. Offiziersausbildung in Eidie. Beziehungen der Schupo zur Kripo. Ernst Gennat. Die Säuberung 1933. Nationalsozialisten unter den Polizeioffizieren. 21. Polizei-Oberkommissar Richard N a ß (1923) Polizeischule Berlin-Spandau Hohenzollernring 124 20. September 1962. Sipo und Schutzmannschaft zwischen 1919 und 1920. Polizeiausbildung in Brandenburg. Voraussetzungen für die Beförderung bei der Berliner Schupo während der zwanziger Jahre. 22. Oberinspektor Paris 23. Oberinspektor Mach 24. Oberinspektor V o l l e n Polizeischule für Verwaltungspolizei Berlin-Tempelhof Columbiadamm 7. September 1962. Polizeigeschichte. Polizeigedanke. Die rechtlichen Grundlagen für Polizeieinsätze bei politischen Unruhen.
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25. Leitender Kriminaldirektor Wolfram Sangmeister Kripo-Zentrale Berlin-Sdiöneberg Gothaer Straße 19 25. Oktober 1962. Rechtliche Grundlagen der kriminalpolizeilichen Arbeit in Deutschland. Beziehungen zur Justiz. Die Stellung der politischen Polizeiarbeit in einer Demokratie. Spezialisierung der Kripobeamten. 26. Polizei-Obersekretär Bruno Schirmer (1921) Polizeipräsidium Berlin-Tempelhof Tempelhofer Damm 1—7 11. Oktober 1962. Lebensgeschichte. Bereitschaftsdienst im Bereich Prenzlauer Berg. Sicherheitsprobleme in diesem Bezirk. Politische Sympathien bei der Bereitschaft. Gehälter. Abfindung. Planstellen f ü r ausscheidende Polizeibeamte. Fortbildungskurse bei der Schupo. Zusammenarbeit von Schupo und Kripo am Tatort eines gewöhnlichen Verbrechens und bei politischen Unruhen. 27. Kriminal-Hauptkommissar Schuchardt Kripo-Zentrale Berlin-Schöneberg Gothaer Straße 19 27. September 1962. Rekrutierung, Ausbildung und Beförderung der Kripobeamten während der Weimarer Republik. 28. Polizei-Oberwachtmeister Alfred Sendzik (1926) Berlin-Neukölln Boddinstraße 24 a 14. November 1967. Persönliche Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges und zwischen 1920 und 1925 bei der Schutzpolizei in Osterode/Ostpreußen. Versetzung nach Berlin im Jahre 1926. Polizeischule Brandenburg. Schräder-Verband und Betnarek-Verband. Streifendienst in Tempelhof. Polizeiausrüstung. Die Säuberung von 1933. 29. Polizeipräsident a. D. Dr. Johannes Stumm (1921) Berlin-Grunewald Menzelstraße 14 19. September und 27. November 1962. Überwachung subversiver Elemente in der Polizei. Walther Stennes, Kurt Gildisch, O t t o Busdorf, Arthur Nebe, O t t o Trettin, Erich Liebermann. Vergleich mit Ernst Gennat. Überwachung von politischen Versammlungen durch die Abteilung IA. Beziehungen zwischen der Abteilung I A und der Kripo. Polizeiverbände. PapenPutsch. Säuberung 1933. 30. Kriminalmeister Teigeier (1932) Berlin-Mariendorf Dachsteinweg 6 11. Oktober 1962. Organisation des LKA Berlin. Bekannte Kriminalfälle: die Brüder Saß, Ringvereine, der Mord an Horst Wessel, Anlauf und Lenck, der Kampf in der Kolonie
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Felseneck. Zusammenarbeit zwischen der Kripo und der Abteilung IA. Überwachung politischer Versammlungen durch die Abteilung IA. Die politische Atmosphäre in der Abteilung IA. Einige Polizeipersönlichkeiten: Bernhard Weiß, Otto Trettin, Albert Dettmann. 31. Kriminaldirektor a. D. Werner Togotzes (1927) Im Cafe Schmidt Berlin-Schöneberg Hauptstraße 77 10. Oktober 1962. Das LKA Berlin: Vogel, Gay, Hasenjäger. Vergleich zwischen der Berliner und der Dresdener Kripo. Trettin und Gennat. Maßstäbe für Erfolge bei der alten Kripo. Die Brüder Saß. Der Mord an Horst Wessel. Ringvereine. Der begrenzte Wert von Kriminalstatistiken. 32. Hauptkommissar Otto Trott (1941) Polizeischule Berlin-Spandau Hohenzollernring 124 18. September 1962. Vergleich zwischen dem Polizeidienst in Berlin und anderen Gegenden. Juristische Vorrechte von Polizeibeamten. Routinemäßige Polizeiarbeit. Politische Einstellung bei den Mannschaften.
BIBLIOGRAPHIE Diese Bibliographie stellt lediglich eine Einführung in die wichtigste Literatur zur Geschidite Berlins und der preußischen Polizei in der Weimarer Republik dar. Zeitschriftenartikel und Werke zur allgemeinen politischen Lage in Deutschland während dieser Zeit, aber auch Spezialabhandlungen von nur beiläufiger Bedeutung für unser Thema sind — soweit sie in den Anmerkungen zitiert wurden — in dem anschließenden VERZEICHNIS DER ZITIERTEN S C H R I F T E N aufgeführt. Berlin Bibliographien Gandert, Otto-Friedrich / Sdiulze, Berthold / Kaeber, Ernst [u.a.], Heimatchronik Berlin ( = Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebietes, Bd. 25), Köln 1962. [Siehe die Bibliographie von Konrad Kettig.] Kuhn, Waldemar, Berlin. Stadt und Land. Handbuch des Schrifttums, Berlin 1952. Zopf, Hans / Heinrich, Gerd (Hrsg.), Berlin-Bibliographie (bis 1960). In der Senatsbibliothek Berlin bearb. . . . unter Verwendung des von Waldemar Kuhn gesammelten Materials ( = Veröffentlidiungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedridi-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 15: Bibliographien, Bd. 1), Berlin 1965. Allgemeine geschichtliche
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und des
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Schriften
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223
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Schüddekopf, Otto-Ernst, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960. Schützinger (Polizei-Oberst), Neue Kampfformen der KPD, in: Die Polizei, 21. Jg. (1924), Nr. 11 vom 5. September, S. 266—268. Die Schutzmannszeitung. Severing, Carl, Die Polizei im neuen Staat, in: Almanach zum „Fest der Polizei Sonnabend, den 7. Dezember 1929, in den Festräumen des Zoologischen Gartens, Berlin 1929, S. 12—13. Die Sicherheitspolizei. Sieburg, Friedrich, Gott in Frankreich? Ein Versuch, Frankfurt a. Main 1929. Smith, Walter Harold Black, Small arms of the world; the basic manual of military small arms, American, British, Russian, German, Italian, Japanese, and all other important nations, 5th ed., rev. and enl., Harrisburg, Pa. 1957. Sonnenberg, Erich Liebermann v., Von Einbrechern und ihren Wegen, in: Archiv für Kriminologie 77 (1925), S. 13—18. Spandauer Zeitung. Am Stammtisch, in: Die Polizei, 22. Jg. (1925), Nr. 3 vom 5. Mai, S. 90 f. Stephan (Polizeirat), Müssen die von den Militärbefehlshabern außer Kraft gesetzten Polizeiverordnungen nach dem Krieg neu erlassen werden?, in: Die Polizei, 11. Jg. (1915), Nr. 26 vom 18. März, S. 611. Über das Streikrecht der Beamten, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 4 vom 22. Mai, S. 91—92. Umbreit, Paul / Lorenz, Charlotte, Der Krieg und die Arbeitsverhältnisse ( = Wirtsdiafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges. Deutsche Serie = Veröffentlichungen der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Abt. für Volkswirtschaft und Geschichte), Stuttgart 1928. Zur Umgestaltung der Polizei in Berlin, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 11 vom 28. August, S. 263—265. Unger, Polizei und Publikum, in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 5 vom 11. Juni, S. 145—146. Uris, Leon M., Armageddon: A novel of Berlin, Garden City, Ν. Y. 1964. Verbot roter Fahnen, revolutionärer oder nationalpolnischer Abzeichen bei öffentlichen Aufzügen (Preußen), in: Die Polizei, 11. Jg. (1914), Nr. 7 vom 25. Juni, S. 166 f. Die
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224
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Schriften
Dr. Wartenberg, Brandursachenermittlung durch Versicherungsgesellschaften, in: Kriminalistische Monatshefte, 1. Jg. (1927), H . 3 vom 1. März, S. 56—58. Weiß, Bernhard, Grundgedanken für die Reform der preußischen Kriminalpolizei, in: Die Polizei, 21. Jg. (1925), Nr. 20 vom 20. Januar, S. 503—506. Weiß, Bernhard, Angriffe gegen die Kriminalpolizei, in: Kriminalistische Monatshefte, 6. Jg. (1932), H . 4 vom April, S. 85—88. Die Welt am Abend. Wendt, Ingeborg, Notopfer Berlin. Ein Familien-Roman aus unseren Tagen, Hamburg 1956. Werneburg, Ludwig (Kriminalkommissiar), Die Autofalle, in: Kriminalistische Monatshefte, 5. Jg. (1931), H . 11 vom November, S. 254—257. Wheeler-Bennett, John W., The nemesis of power. The German army in politics 1918—1945, New York 1954. Wildberger, Erich, Ring über Ostkreuz. Roman. Ungekürzte Ausg. ( = rororoTaschenbuch-Ausg. 88), Hamburg 1953. Die Wirren in der Reichshauptstadt und im nördlichen Deutschland, 1918—1920 ( = Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps 6), hrsg. von der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres, Berlin 1940. Wolff, Theodor, Der Marsch durch zwei Jahrzehnte, Amsterdam 1936. Wolzendorf, Kurt, Die polizeiliche Bedeutung der Neuordnung der Berliner Exekutive, in: Die Polizei, 16. Jg. (1919), Nr. 12 vom 11. September, S. 289—291. Die Wünsdie in bezug auf Organisation, Ausbau, Ausbildung usw. der gesamten Deutschen Polizei, in: Die Polizei, 26. Jg. (1929), Nr. 1 vom 5. Januar, S. 2—6. Zweig, Stefan, The world of yesterday: An autobiography, New York 1943.
NAMEN- UND SACHREGISTER Zahlen, die in Klammern stehen, geben die Nummer der Fußnote an, in der das Stichwort auf der unmittelbar vorher genannten Seite zu finden ist. Abegg, Wilhelm 24, 80, 86 (106), 92 Abfindung 72—74 Achtgroschenjungen 31 Adlon (Hotel) 7, 138 Affäre Blum (Film) 160 (114) Affäre Treptower Park 34 Albrecht (Pol.-Oberstleutnant) 183 (48) Alexanderkaserne 38 Allgemeiner Preußisdier Polizeibeamtenverband 77, 78, 80, 81, 82, 175 Allgemeines Landredit (1794) 20, 89 Alliierte 54, 58, 60, 65, 66, 112 Alt-Kölln 12 Anarchismus siehe Radikalisierung Andrae (Pol.-Major) 188 Andrees (Pol.-Hauptmann) 104 Der Angriff 100, 101, 172 Anhalter Bahnhof 15 Anlauf (Pol.-Hauptmann) 13, 115, 127 159 Antisemitismus 11, 125, 169, 192 Anuschat, Erich 134, 149 Anwärter 62, 63, 64, 68, 85, 86 Arbeiter- und Soldatenräte 20, 42, 44, 47 Arbeiterschaft 4, 14, 28—35, 68, 90, 121, 124, 126 Arbeitslosenunterstützung 8, 74
Baader, Ottilie 35 Bär (Restaurant) 12, 158 Ballistische Untersuchungen 140 Banküberfälle 141 Bannmeile 10, 11, 12, 102, 125, 183 Bartsch, Georg 152 Bebel, August 31 Becker, Albert 106, 188 Beförderungen 75, 101, 145, 149 Begleitschutz 34, 111, 116 Belohnungen 127, 133, 134 Beratungsstelle zum Schutz gegen Verbrechen 133 Bereitschaftsdienst 61, 62, 63 Bergh, Ernst van den 26, 80 Berittene Polizei 32, 61 (4) Berlin Document Center X I I , 103, 106 Berndorf, Emil 152 Berufsverbrechen siehe Unterwelt Besoldung 71, 72, 75, 96 Bestechungen 75, 139 Betnarek-Verband siehe Allgemeiner Preußisdier Polizeibeamtenverband Betriebsrätegesetz 113 Blaukoller 33 Blell, Erwin 190 Bodenreformbewegung siehe Landreformbewegung
Arbeitslosigkeit 32, 70, 105, 114, 115, 134
Boecker
(Pol.-Hauptmann) 189
Arco, Graf G. v. 33
Bomke,
Grete 142
Artner, Hermann 14, 69, 70, 175, 189
Bonatz, Wilhelm 96, 186
Associated Press 195
Borde, Eldor 82, 83, 96, 158
Ausbildung 62, 63, 64, 70, 73, 86, 87, 89
Bracht, Franz 172, 181, 183
Ausrüstung 65, 66
Brandenburg
Autofallen 130
Brandordnung 8
(Havel)
62, 63, 64, 86
226
Namen-
Brandt (Kriminalkommissar) 158 Braschwitz, Günther 162, 184 (51) Braschwitz, Rudolf 142, 153, 158, 186 Braun, Otto 102, 172, 175 Braunhemdenverbot 125, 127, 171 Brecht, Arnold 173 Brigade Ehrhardt 55, 56 Britz 105 Buchholz, Johannes 98, 99, 100 Bülowplatz 12, 13, 127 Bünger, Max 149, 162 Bürgerwehr 26, 60 Bund der Ringmannen 99 Busdorf, Otto 7, 148, 152, 159, 160, 187 Cafe National 151 Cauer, Minna 33 Chaplin, Charlie 132 Charlottenburg 15, 101, 116, 118, 140, 145, 184, 189 Colonna („Gräfin") 129 Daluege, Kurt 167, 169, 180, 182, 187, 192, 193 Damaschke, Adolf 150 Danner, Lothar 49 Demokratisierung 44, 50, 79, 83, 86, 91, 97 Demonstrationen 32, 96, 113, 115, 116, 119, 121 Demonstrationsverbot 112, 120 Denunziationen 93, 107 Dettmann, Albert 7, 151 Deutsche Demokratische Partei 153 (96) Deutsche Demokratische Republik XI, XII Deutsche Kriminalpolizei-Kommission 141 Deutsche Staatspartei 81 Deutscher Beamtenbund 77 Deutschnationale Volkspartei 82, 131 Diebesgut 129, 134 Diebstahl siehe Eigentumsdelikte Dienstnummern 92 Dillenburger, Otto 82, 102, 103 Ditzen, Rudolf 7 Döheritz 55 Döblin, Alfred 7 Doye, Ministerialrat 55, 57, 185
und
Sachregister Draeger, Karl 150 Dresden 31 Drews, Bill 21 Ebert, Friedrich 46, 57 Eden (Hotel) 10 Eden-Palast 125 Ehrhardt, Hermann 55 Eiben (Pol.-Kommissar) 43, 50 Eiche b. Potsdam 86, 101, 145, 188 Eichhorn, Emil 39—47, 139, 140 Eigentumsdelikte 52, 134, 147, 148, 162, 163 Einwohnermeldewesen 8, 30 Einwohnerwehr 48 Eiserne Front 171 Encke, Walther 175 Engelbrecht, Ernst 162, 185 Ernst, Eugen 52, 113 Erster Weltkrieg 29, 30, 37, 38 Erzberger, Matthias 142 Essen 152, 172 Exekutivkomitee der Volksbeauftragten 41 Fahndungen 5, 140, 143, 148 Fallada, Hans siehe Ditzen, Rudolf Falschmünzerei 141, 148 Fellmann (Pol.-Hauptmann) 85, 190 Felseneck (Gartenkolonie) 125, 156 Fememorde 131, 135 Feuerwehr 41 Fingerabdrücke 140 Fischerkietz 14 Fleischer, Kurt 69, 113 Flugblätter 94, 105, 111 .(177) Flugzeuge 67 Förster (Geheimrat) 33 Frankel, Walther 107, 189 Frankfurt/Oder 67 Freikorps 48, 49, 50, 51, 69, 99 Freimaurer 169 Friedenau 15, 16 Friedensburg, Ferdinand 82, 116 Friedersdorf (Dr.) 146 Friedrichshain 14, 32, 107, 108, 130, 180 Friedrichstadt 12, 74 Fröhlich (Pol.-Oberst) 42, 45, 84 (101)
Namen- und Sachregister Gäde, Karl 74 Gallewski (Pol.-Hauptmann) 190, 192 Gardekavalleriedivision 53 Garski (Pol.-Hauptmann) 184 Gaswerke Steglitz 56 Gay, Willy 141 Gayl, Frh. v. 171 Gediehn, F. 69 Geheime Polizeiagenten siehe Spitzelwesen Geheime Staatspolizei 153, 186, 197 Geisler, Harry 186 Geißel, Hubert 162, 186 Gemeinschaft proletarischer Polizeibeamten 96 Gennat, Ernst 7, 134, 146, 148, 149, 150, 154, 159, 160, 187 Gentz (Schupo-Kommandeur) 180 Gesundbrunnen 182 Gesundheitskontrollen 30 Gildisch, Kurt 101, 106, 107, 185, 192 Gleiwitz 102 Glücksspiel 133 Goebbels, Joseph 100, 101, 110, 125, 128, 160, 172, 179, 187 Goebbels-Hauptquartier 124 Goehrke (Reg.-Dir.) 180, 185 Göring, Hermann 183, 185, 191 Grams, Boris 160 Greifswald 183 Greiner, Philipp 153, 162, 186 Grenzschutz 69 Große Polizeiausstellung (1926) 91—92, 108, 132, 167 Großmann, Karl 130, 155 Grzesinski, Albert 17, 58, 78 (72), 80, 84, 117, 122, 126, 128, 155, 172, 173, 174, 180, 188 Gumbel, Emil 122 Gummiknüppel 65, 67, 104, 116, 119 Haarmann, Fritz 130, 140 Haas-Schröder-Affäre siehe Helling-Prozeß Haaselau (Dr.) 49 Hamburg 13, 56 (72), 112, 183 Hansaviertel 15 Hasenheide 15
22 7
Haupt (Pol.-Major) 109 Hauptmann, Gerhard 35 (48) Heer 26—28, 36, 37, 53, 54 Heimannsberg, Magnus 80, 83, 85, 109, 121, 172, 174, 175, 176, 189 Heimbürger (Mordfall) 158 Heinrich, Karl 84 (101), 181, 190 Heisig, Helmut 186 Helldorf (Graf) 126, 182, 187, 196 Heller, Reinhold 159 Helling-Prozeß 7, 150, 160 Hellsehen 150 (85) Hermann, Erich 158 Heß, Rudolf 185 Hilfspolizei 190—191 Himmler, Heinrich 191 Hindenburg, Paul v. 38, 78 (69), 126 Hipo siehe Hilfspolizei Hitler, Adolf 11 (39), 83, 100, 150, 184 f. Hochverrat 139, 141 Höhler, Albert 158 Holz, Max 131 Hohenzollern-Mausoleum 167 Hohenzollernsäle 16 Hoppe (OReg.-Rat) 138 Hussong, Friedrich 11 Ibsen, Henrik 35 (48) Im Westen nichts Neues (Film) 104, 125 Immertreu (Ringverein) 12, 14 Immigranten X, 13 Inflation 15, 70, 71, 72 Innendienst 73, 75 Innere Unruhen 56, 97, 108—128, 171 Institut für Polizeiwissenschaft 140 Intellektuelle 3, 4, 16 Internationale Arbeiterhilfe 96 Jachode, Max 70 Jacoby (Pol.-Major) 184 Jager (Pol.-Oberst) 189 Jagow, Traugott v. 32, 35, 55 (70) Jahn, Erich 69 Jakubowski (Mordfall) 178 Josupeit-Verband siehe Verband der Schutzpolizeibeamten Preußens Juden 3, 13, 177 Justiz 145—146
228
Namen- und Sachregister
Kästner, Eridi 7 Kaiser-Wilhelm-Gedäditniskirche 11 Kaiserhof (Hotel) 11 (39) Kaiserreich X, 1, 4, 7, 21, 24, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 33, 34, 136, 138 Kameradschaft (Polizeiklub) 184 Kampfanweisungen 97 Kanthak, Georg 153 Kapitalverbrechen 130, 132, 134, 146, 155, 156 Kapitulanten 63 Kapp, Wolfgang 55, 57 Kapp-Putsch 54—57, 100, 185 Karl-Liebknecht-Haus 143 Karlsruhe 141 „Karpatengegend" 14 Kassner, Paul u. Willi 130 Kattolinsky, Werner 153, 162 Kaupisch, Hugo 74, 96, 99, 100, 185 Klausener, Erich 80, 106 (164) Kleier, Hermann 158 „Kleiner Wedding" 15 Klingelhöller, Emil 142, 152, 188 Knobeisdorff, A r v e d v . 188 Kober, Α. H . 29 Kob'lin{ PH) 104 Königliche Schutzmannsdiaft 4, 19, 26, 27, 28, 31, 54, 73, 82, 85, 106 Köpenick 187 Kolbe, Eduard 71, 96 Kommunisten 95—97, 109—111, 118, 120—123, 127—128, 182 Kommunistische Schupo-Fraktion 96 Kopp, Heinridi 149, 188 Korruption siehe Bestechungen Krantz, Paul 130—131 Krause, Otto 69, 72 Krawallreviere 9 Kreuzberg 14, 124, 137 Kriegervereinshaus 14 Kriminalität 5, 7, 12, 16, 91, 129 ff., 152 Krögel 12 Kronberger, Ferdinand 189 Krumbach, Fritz 175, 190 Kube, Wilhelm 188, 193 Künstler 4, 16 Künstler (Mordfall) 157 Kuhfeld, Emil 107, 126, 127
Kundgebungen siehe Versammlungen Kurfürstendamm 11, 12, 101, 114, 117, 119, 125 Landeskriminalämter 140, 141, 177 Landeskriminalpolizeistellen 140 Landespolizeibezirk Berlin 9 Landespolizeigruppe Wecke z. b. V. 192 Landjägerei 77 Landreformbewegung 150 Lange, Kurt 105, 188 Lemke, Willi 64, 70, 71, 72, 75, 191 Lenck (Pol.-Hauptmann) 13, 127, 159 Levit (Pol.-Major) 102, 103, 189 Libelle (Ringverein) 15 Lichtenrade 51 (56) Lichterfelde 117, 118, 119, 191 Liebermann von Sonnenberg, Erich siehe Sonnenberg, Erich Liebermann v. Liebknecht, Karl 10, 34, 112 Lindenau, Heinrich 39, 51, 52 Linthe, Otto 106 Lipik, Erich 151, 186 Lissigkeit, Rudolf 7, 150 Literatur 3, 130, 132 LKA siehe Landeskriminalamt LKP siehe Landeskriminalpolizeistelle Lochner, Louis P. 195 Lohmeyerstr. 98, 100 Loyalität siehe Verfassungstreue Ludendorff, Erich 38 Lüttwitz, Walther Frh. v. 55 Luftpolizei 67, 73 Lustgarten 10, 12, 112, 116 Luxemburg, Rosa 10, 112 Magdeburg 8, 150, 160 Maikäferkaserne 175 Maikowski, Hans 184 Majewski, Alfred v. 101, 103 Mann, Heinrich 122, 132 Mann, Klaus 129 Marcus, Paul 11, 131 Marotti und Freink (Juwelier) 167 Matzke (POWM) 105 Mehrheitssozialisten 46 Meinecke, Friedrich 29 Meltber, Kurt 24, 132, 172, 174, 181
Namen- und Sachregister Menzel, Hans 8 Mercedes-Palast 151 Meyer (PHWM) 99 Meyer (Pol.-Oberstleutnant) 190 Meyer, Wilhelm 158 Mitte (Bezirk) 10, 107, 181 Moabit 16 (59), 32, 127 Monarchisten 94 Moral 71, 72, 75, 108, 109, 110, 119, 123, 144, 173 Morde siehe Kapitalverbrechen Mösle (Reg.-Rat) 99, 172, 174, 180 MUhlfriedel, Hubert 135, 153, 186 Müller, Fritz 95 Müller, Helmut 162 Müller, Johannes 151 Münster/Westf. 176 Mulackstr. 13 Mündt, Alfred 186 Murche (PWM) 42 Murche-Verband siehe Verband der mittleren Polizeivollzugsbeamten Nachrichtendienst 66, 99 (148), 140 Nationalsozialisten 14, 75, 90, 103—108, 110—111, 124—129 Nationalsozialistische Beamten-Arbeitsgemeinschaft Berlin 83, 104 Nationalversammlung (Weimar) 78 Naumburger Schützen 38 Nazifizierung 182—183 Nebe, Arthur 162, 168—169, 181, 186, 196 Neue Welt (Hasenheide) 15 Neukölln 14, 105, 121, 123 Nicolai (Reg.-Rat) 185 Nippold, Franz 104, 192 (77) Norkus, Herbert 159 „Noske-Hunde" 57 Nowawes 191 Oberhausen 102 Odhrana 30 „Ochsenhof" 13 öffentliche Aufzüge siehe Demonstrationen öffentliche Ordnung 21, 60, 90 Öffentlichkeitsarbeit 63, 91, 92, 132, 133, 136, 137
229
Oelze, Hans 192 Oppen, Matthias v. 39 Organisation 9, 50, 52, 60—61, 84, 147—148 Ossietzky, Carl v. 122 Pabst, Waldemar 53 Panzerwagen 13, 56, 57, 66, 100, 110 Papen, Franz v. 17, 150 Papen-Putsch 171—172, 177, 179 Parteipropaganda 89 Partei verbot 124, 169, 181 Parteizugehörigkeit 88 Pem siehe Marcus, Paul Pennen 13 Pickelhaube 27 Politische Gesinnung 18, 80, 81, 85, 86, 89, 93, 97, 103, 104, 105 Politische Polizei 6, 9, 19, 30, 31, 94, 96, 100, 105, 108, 135—137, 139, 142, 156 Politische Rechte 53, 88 Die Polizei (Zeitschrift) 41, 43, 46, 47, 65, 123 Polizei-Ausstellung siehe Große Polizeiausstellung Polizeibeamten-Vereinigung der Deutschen Staatspartei 81 Polizeibrutalität 94 (101), 118, 119, 122, 123, 143, 168 Polizeipräsidium 9, 12, 19 Polizeisport 7, 63, 64 Polizeistaat 27, 30 Polizeistunde 41 Polizeiverbände 37—38, 75—84 Polizeiverwaltungsgesetz (1931) 20 (3), 89, 90 Poninsky (Graf) 86, 87 Pornographie 141 Possehl, Ulrich 162 Poten (Oberst) 172, 174 Potsdam 176 Präventive Polizeiarbeit 135, 136, 161 Prenzlauer Berg 56, 71, 107, 126, 169 Presse 6, 7, 12, 46, 51, 77, 101, 106, 108, 112, 129, 130, 133, 135, 136, 181 Prestige 9, 47, 51, 117, 119, 120, 134, 147
230
Namen-
und
Preußischer Verband der Höheren Kriminalbeamten 167 Preußen allgemein 4, 27, 31 Innenministerium 9, 84, 103, 139, 149, 171 Landtag 9, 82, 83, 102, 135, 158, 180, 182 Polizei 5, 6,9, 17,24, 26 Regierung 4, 17, 24, 25, 55, 80, 108 Preußisches Staatsarchiv 167 Priesdorff, Kurt v. 57, 99 Prinz, Erich 139 Prostitution 7, 13, 129, 141, 158, 164 Putsch siehe Staatsstreich Radek, Karl 140 Radikalisierung 95, 96, 108, 109, 110, 113, 115, 117, 119, 120, 123, 124, 136 Rat der Volksbeauftragten 41, 44, 45, 47, 77 Rathenau, Walther 131, 141 Rauschgift 7, 129 Razzien 101, 112, 126, 133, 143 Reaktionäre Elemente 53, 82, 97—98, 103, 104 Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 107, 116, 125, 126, 175, 180 Reichspräsident 173 Reichstag 34, 38, 113, 125 Reichsverband der Polizeibeamten Deutschlands 77 Reichswehr 48, 50, 60, 70, 100, 169, 171, 172, 173, 174, 192 Republikanische Soldatenwehr 48 Reuter, Ernst 33 Revierbeisitzer 44 Revolution (1848) 26, 27 Revolution (1917), russische 38 Revolution (1918) 5, 19, 22, 26, 28, 36, 38, 39, 40, 43, 48, 53, 77, 82, 138, 185 Richter (Pol.-Hauptmann) 189 Richter, Wilhelm 68, 99 Riege, Paul 49 Ringvereine 12, 14, 15, 151, 163—166 Rixdorf 35
Sachregister Rodenberg, Wilhelm 188 Rühm, Ernst 185 Röhm-Putsch 191 Rollin (Polizeirat) 185 Rote Front 120 „Rote Insel" (Schöneberg) 15 Rote-Jugend-Front 123 Rote Marine 123 Rote-Schupo-Zellen 95 Rotfrontkämpferbund 12, 14, 97, 116, 118 (189), 123, 156, 158 Rowdytum 13, 14, 105, 106, 108, 114— 120, 125 Ruhrbesetzung 112 Rummelsburg 30 Rundstedt, Gerd v. 128, 172 Russell, Bertrand 30 SA 13, 67, 103, 105, 107, 124, 126, 157, 190 SA-Heime 105, 125, 126 Sacco und Vanzetti 119 Salaw, Hans 151, 152 Saß (Gebrüder) 151, 166, 168 Schadenersatzansprüche 90 Schankkonzessionen 8 Schankreform 41 Schelling, Günther 130—131 Scherler, Fritz 159, 185 „Scheunenviertel" 13, 121 Schießbefehl 56, 120 Schirmer, Bruno 69 Schlesischer Bahnhof 14, 34, 129, 133 (20)
Schloß (königliches) 12, 32 Schloßkaserne 98, 99, 100 Schmidt, Paul 26, 27, 28 Schneickert, Hans 160—162 Schnitzler (Reg. Assessor) 94 Schöneberg 15, 107, 181 v. Schönstedt (Pol.-Oberst) 57 Scholz (Reg.-Direktor) 180, 186 Schräder, Ernst 39, 42, 76, 81, 82, 83 Schräder-Verband siehe Verband Preußischer Polizeibeamten Schüler (PH) 192 Schulenburg 196 Schulreform 131
NamenSchulz-Briesen, Hans 105, 175, 188 Schumacher, Heinz 105 (162), 175 Schumann, Friedrich 130 Schutte (PWM) 98 Schutzstaffel siehe SS Schwarzer Markt 133 Schwarze Reichswehr 135 Schwerin 183 (48) Sensationsblätter siehe Presse Seupel, Hermann 192 Severing, Carl 6, 18, 68, 74, 77, 78, 81, 84, 87, 91, 92, 100, 102, 115, 171, 172, 173 Sicherheitspolizei 50—58 Sicherheitsprobleme 113—114 Sicherheitstruppe Groß-Berlin 44 Sicherheitswehr 45, 46, 48 Sievert, Otto 104 Simon, Carl 33 Skagerraktag 125, 183 Soldatenwehr siehe Republikanische Soldatenwehr Sonderwagen siehe Panzerwagen Sonnenberg, Erich Liebermann v. 162, 167, 181, 185, 186, 187 Soziale Probleme (allgemein) 13, 15, 24, 25, 134 Soziale Struktur 68, 69, 97, 144—145 Sozialisten 25, 35, 80, 86, 107, 180 Sozialistengesetz 31 Spa, Konferenz (1919) 54 Spandau 107, 188 Spartakisten 39, 46, 48, 49, 51 (56), 112, 113, 138 Spezialisierung (Kripo) 145, 147—149 Spichernsäle 15 Spitzelwesen 6, 31, 95, 105, 137, 143 Sportpalast 15 SS 106, 126, 190 Staatsstreich 110, 126 Stadtverordnetenversammlung 53 (63) Städtisches Leihamt 13 Stahlhelm 16, 86, 115, 126, 158, 173, 186, 190 Stahlhelmtag 78 (72), 119 Stangierski, Elisabeth 151 Stascheit, Otto 104 Steckbriefe 133
und
Sachregister
231
Steglitz 15, 107, 117 Stein, Adolf 6, 11, 183 Stennes, Walther VI, 55, 86, 98—100, 192 Stennes-Affäre 98—101 Sternickel (Mordfall) 140 Straßenterror 16, 124—128 Strauß, Emil u. Erich 129, 151 Streiks 33, 34, 38, 79, 104 Stumm, Johannes 105, 131, 135, 158, 180, 186, 194 Sturmabteilung siehe SA Sturmlokale 125 Sudermann, Hermann 35 (48) Teichmann, Walter 135, 159 Teigeier (Pol.-Meister) 157 Tenholt (Kriminalkommissar) 160 Terroristen siehe Rowdytum Thälmann, Ernst 116 Tiergarten 10, 15, 34, 56 Todesstrafe 161 Togotzes, Werner 142 Trebbin 117 Treptower Park 34 Trettin, Otto 149, 162, 167, 187 Treueid 43, 86 Überfallkommandos 63 Ulimann, Hermann 11 Unabhängige Sozialdemokraten 40, 45, 46 Uniformen 42 Unterwanderung 93, 94—97, 104—106, 153, 180 Unterwelt (s. a. Ringvereine) 7, 13, 14, 129, 156, 157, 162 Vaterlandspartei 55 Veranstaltungen siehe Versammlungen Verband der mittleren Polizeivollzugsbeamten 77 Verband der Schutzleute des Landesbezirks Berlin 38, 76 Verband der Schutzpolizeibeamten Preußens 77, 82, 182 Verband ehemaliger Polizeibeamten Preußens 77 (65)
232
Namen- und Sachregister
Verband Preußischer Polizeibeamten 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 85, 152, 188, 189, 190 Verbrechen siebe Kriminalität Verbrechensaufklärung 147 (77), 150 (85) Verbrechensbekämpfung 46, 133—134, 138, 140, 143, 167 Verbrechersyndikate siehe Ringvereine Vereinigung kraftfahrender Journalisten 180 Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere 77, 78, 82, 83, 101, 183 Vereinigung republikanischer Polizeibeamten 81, 87, 190 Vereinigung zur Förderung der Polizeiwissenschaft 152 Verfassungstreue 18, 80, 82, 85, 86, 88, 92, 98, 100, 106, 108, 188, 196 Versailler Vertrag 5, 112, 191 Versammlungen 5, 33, 81, 91, 108, 112, 114, 116, 118, 119, 120, 121, 124, 136 Versorgungsscheine 73 Verwaltungspolizei 8, 9, 73 Vö/^iicfeer Beobachter 105 Volksmarinedivision 39, 45 Volkspolizei 194 Vorbeugehaft siehe präventive Polizeiarbeit Vorwärts 34, 35, 46 Vossische Zeitung 56 (73), 130 Wabnitz, Agnes 31 Waenting, Heinrich 125 Waffengebrauch 15, 65, 114, 120 Wagnitz, Walter 157
Wahlen 113, 119, 127, 143, 171 Warnschüsse 56, 112, 113, 120 Wasserwerfer 65 Weber (Pol.-Oberst) 86 Wecke, Walther 83, 183, 184, 191—193. 195 Wedding 12, 14, 15, 121, 123, 157 v. Wederstedt (Pol.-Hauptmann) 55, 57 Weiß, Bernhard 6, 8, 77, 80, 82, 102, 118 (188), 130, 139, 141, 153, 155, 162, 169, 172, 174, 177—179, 185 Weltwirtschaftskrise 15, 70, 71, 72, 115 Werbebüros 48 (40) Werneburg, Ludwig 7, 134, 149, 187 Wessel, Horst 123, 135, 158, 182 Westend-Kaserne 54 Wilmersdorf 15, 107 Wittenberg 187 Wolf stieg (Pol.-Major) 184 Wolzendorf, Kurt 53 Wündisdi (Reg.-Direktor) 135, 186 Zänkert, Paul 126 Zauritz, Josef 184 Zeitungen siehe Presse Zensur 35, 41, 134 (23), 136 Zentraler Arbeitsnachweis 13 Zigeunerangelegenheiten 141 Zivilvermißte 141 Zörgiebel, Karl 74, 77, 82, 123 (203 a) „Zörgiebel-Kosak" 111 Zoll 73 Zum Nußbaum (Gasthaus) 12 Zwangssterilisation 166 Zweites Reich siehe Kaiserreich „Zwischenreich" 1, 2
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G r e n z e n der Verwaltungsbezirke fkl-d-Z-Z-I>j
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S-Bahn
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Parks
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Kommunistische Hochburgen
G e g e n d mit hoher Kriminalität D i e S y m b o l e für die Polizeireviere bezeichnen -soweit bekannt- die dort herrschenden politischen Tendenzen
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Polizeirevier 4 S P D vorherrschend
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Polizeirevier 12 N S D A P vorherrschend
KÖSLINER STRASSE
Polizeirevier 7 S P D dominiert über die N S D A P Polizeirevier 85 N S D A P dominiert über die S P D
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Polizeirevier 88 politisch gespalten Beamtenschaft
Putlitzstrasse.
Wichtige öffentliche G e b ä u d e \
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FLUGHAFEN TEMPELHOF
NEUKÖLLN
HISTORISCHE KOMMISSION ZU BERLIN Tietzenweg 79 · 1000 Berlin 45
(Lichterfelde)
Vorstand: HANS HERZFELD / OTTO BÜSCH WOLFRAM FISCHER / GERD HEINRICH GEORG KOTOWSKI / DIETRICH KURZE HANS-DIETRICH LOOCK / ILJA MIECK FRITZ MOSER / HENRYK SKRZYPCZAK WILHELM TREUE / KLAUS ZERNACK
Das periodische
Publikationsorgan
der Historischen Kommission zu Berlin ist das JAHRBUCH MITTEL-
FÜR
UND
DIE
GESCHICHTE
OSTDEUTSCHLANDS
Herausgegeben
von
WILHELM BERGES · HANS HERZFELD HENRYK SKRZYPCZAK
Redaktion: SABINE
WILKE
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN
Band 1 OTTO BÜSCH
Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in der Weimarer Epoche Mit einem Vorwort von H a n s H e r z f e l d Geleitwort zur Publikationsreihe von W i l l y Brandt Groß-Oktav. X I I , 230 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 29,— I S B N 3 11 000445 3 B a n d 14 ERNST KAEBER
Beiträge zur Berliner Geschichte Ausgewählte Aufsätze Mit einem Vorwort von Johannes Sdiultze Bearbeitet und mit einer biographischen Darstellung versehen von Werner Vogel Groß-Oktav. VIII, 392 Seiten. 1964. Ganzleinen D M 44,— I S B N 3 11 000458 5 Band 15
Berlin-Bibliographie (bis 1960) In der Senatsbibliothek Berlin bearbeitet von Hans Zopf und Gerd Heinrich unter Verwendung des von W a l d e m a r Kuhn gesammelten Materials. Mit einem Vorwort von H a n s H e r z f e l d und R a i n a l d Stromeyer Mit einem Geleitwort von W i l l y Brandt Groß-Oktav. X X X I , 1012 Seiten. 1965. Ganzleinen D M 118,— I S B N 3 11 000902 1 (Bibliographien 1) Band 25
Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert Mit Beiträgen von R . Böschenstein-Schäfer, W. Bollert, R . Dietrich, P. Dittmar, E. Dovifat, P. Goeldel, G. Heinridi, H . Herzfeld, H. Knudsen, G. Kotowski, K. Kupisch, K. Müller-Dyes, P. O. R a v e , Μ. Sdimidt, Ε. Schmieder. Herausgegeben von H . H e r z f e l d unter M i t w i r k u n g von G. Heinrich Groß-Oktav. X I I , 1034 Seiten. Mit einer Kartenbeilage. 1968. Ganzleinen D M 58,— I S B N 3 11 000471 2 P r e i s ä n d e r u n g e n vorbehalten
W A L T E R DE G R U Y T E R · B E R L I N · N E W Y O R K
V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER H I S T O R I S C H E N KOMMISSION ZU BERLIN
Band 38 HANS HERZFELD
Berlin in der Weltpolitjk 1945—1970 Mit einem Geleitwort von Klaus Schütz Groß-Oktav. X X I V , 666 Seiten. 1973. Ganzleinen D M 118,— ISBN 2 11 003890 0 Band 42 DIETHELM PROVE
Weltstadt in Krisen Berlin 1 9 4 9 - 1 9 5 8 Mit einem Vorwort von H a n s Herzfeld Groß-Oktav. X, 359 Seiten. 1973. Ganzleinen D M 86,— ISBN 3 11 003876 5 Band 36 DENNIS L. BARK
Die Berlin-Frage 1949—1955 Verhandlungsgrundlagen und Eindämmungspolitik Mit einem Vorwort von Hans Herzfeld Groß-Oktav. XVI, 544 Seiten. 1972. Ganzleinen D M 116,— ISBN 3 11 003639 8
Band 43
Berlin-Bibliographie (1961 bis 1966) In der Senatsbibliothek Berlin bearbeitet von Ursula Scholz und Rainald Stromeyer. Unter Mitwirkung von Edith Scholz. Mit einem Vorwort von H a n s Herzfeld und Rainald Stromeyer Groß-Oktav. X X I V , 406 Seiten. 1973. Ganzleinen D M 89,— ISBN 3 11 004060 3 (Bibliographien 4)
Preisänderungen vorbehalten
WALTER DE GRUYTER · BERLIN · N E W YORK