Die Bedeutung des Alten Testaments für den Religionsunterricht [Reprint 2019 ed.] 9783111572284, 9783111200422


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German Pages 31 [32] Year 1925

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Table of contents :
Die Spannung zwischen S. T. und Religionslehrer und ihre Ursache
I. Dar Bild der Kulturgeschichte
II. Dar bild der Literaturgeschichte
III. Das bild der Religionsgeschichte
Inhaltsübersicht
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Die Bedeutung des Alten Testaments für den Religionsunterricht [Reprint 2019 ed.]
 9783111572284, 9783111200422

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Die Bedeutung des alten Testaments für den Religionsunterricht

Artur Weiser £ic. theol., Privatdozent für HItes Testament

an der Universität Heidelberg

1925

Verlag von HIfreb Töpelmann in Gießen

(Eine Inhaltsübersicht befindet sich auf Seite 32

Die Angriffe, die gegenwärtig von den verschiedensten Seiten gegen das Alte Testament geführt werden, haben besonders die Verwendung dieses Luches als Lehrstoff im Religionsunterricht zu einem Problem ge­ macht. Ts kann nicht übersehen werden, daß zwischen dem Alten Testa­ ment und dem Religionsunterricht eine starke Spannung besteht, unter der dieser Unterricht weithin zu leiden hat. Und zwar liegt diese Span­ nung mehr in dem Verhältnis des Lehrers zum alttestamentlichen Lehr­ stoff als in den Beziehungen der Schüler zu dem, was ihnen aus dem Alten Testament dargeboten wird. Mit Ausnahme weniger, meist durch Schlagworte beeinflußter Schüler der Gberklafsen höherer Schulen, läßt sich immer wieder die Beobachtung machen, daß die bekannten Geschichten und Gestalten des Alten Testaments sich dem Schüler leicht einprägen und gern von ihm behalten werden. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, daß das innere Verhältnis des Lehrers zu dem alttestamentlichen Lehrstoff durch mancherlei Bedenken gestört ist und unter dieser Spannung der Religionsunterricht nicht fruchtbar gestaltet zu werden vermag. Mr fragen uns daher: I. woher kommt diese Spannung?, um dann II. von den Ergebnissen der alttestamentlichen Wissenschaft aus die ganze im Thema enthaltene $rage zu beleuchten. Denn es läßt sich zeigen, daß die eigentümliche Einstellung auf das Alte Testament auf feiten des Religionslehrers mit den Ergebnissen der neueren Wissenschaft innerlich zusammenhängt, ja daß die Hauptursache des Problems in der durch die historisch-psychologische Religionswissenschaft bedingten Neueinstellung zum Religionsunterricht überhaupt und zum alttestamentlichen Lehrstoff im besondern liegt. wir wollen hier absehen von den rassepolitischen Bedenken, die von einer antisemitischen Propaganda gegen das Alte Testament vorgebracht werden. Solche Bedenken sind für viele vielleicht der Anlaß dafür, daß das Alte Testament gegenwärtig wieder stärker umstritten ist, aber nicht die eigentliche Ursache; diese fällt so wenig mit dem Antisemitismus zusammen, wie der äußere Anlaß des Weltkrieges mit seiner eigent­ lichen Ursache identisch ist. Nur ist es bedauerlich, daß sogar ein hoch­ bedeutender Assyriologe wie Friedr. Delitzsch dieser Propaganda zum Opfer fiel. Sein antisemitisch gehaltenes Buch „Die große Täuschung" ist eine vom wissenschaftlichen Standpunkt aus beklagenswerte Erschei­ nung, die längst bekanntes Gut der Wissenschaft in einseitig tendenziöser, Z. T. recht kritikloser Weise zu unwissenschaftlichen Zwecken mißbraucht. Es sind nicht wenige, die in seinen Spuren folgen: die Gruppe um Dinier,

4 der Bund für deutsche Kirche, der die Zersplitterung der Kirche um eine weitere, und zwar eine ganz ungenügend wissenschaftlich fundierte ver­ mehrt. Es wird gerade von den Fachgelehrten der Rassewissenschaft (Ratzel u. a.) immer darauf hingewiesen, daß den Erscheinungen der Rasse Blutmischung zugrunde liegt. Vas ist bei dem Volk Israel nicht anders. So zeigt auch besonders die neuere Forschung, daß die arischen Einflüsse bei den Israeliten stärker gewesen sind, als man bisher ver­ mutete; es ist das Verdienst Beers, einzelne Hinweise auf arische Her­ kunft und Verwandtschaft in Sprache, Kultur, Religion des israelitischen Volkes beigebracht zu haben?) Vas Rite Testament berichtet selbst von einem Volk der Hethiter, dessen Vertreter mit den Israeliten in enger Verbindung standen — man denke an Uria —; dieses Volk war, wie die Ausgrabungen in Boghaz-Köi, dem einstigen hethitischen Kulturzentrum in Kleinasien, und die Verdienste Wincklers um die Entzifferung der dortigen Inschriften ergaben, wohl ein Volk arischer Herkunft, und hat bei jahrhundertelangem Zusammenleben mit dem israelitischen Volk seinen Einfluß auf Blut- und Kulturmischung ausgeübt. Vies zeigt, wie wenig die rassepolitische Gegnerschaft gegen das Alte Testament einen halt in der Geschichte hat; und dabei ist immer zu bedenken, daß es nicht ohne weiteres angeht, das israelitisch-jüdische Volk des Alten Testa­ ments einfach gleich zu setzen mit den gegenwärtigen Vertretern des Judentums. Was aber bei alledem entscheidet, ist die Tatsache, daß der Wert einer Religion, und darum handelt es sich doch letztlich in der Beurteilung des Alten Testaments, mit anderem Maß gemessen wird als mit dem der höchst problematischen Reinheit des Blutes. Vie eigentliche Ursache unseres Problems liegt ganz wo anders: zunächst in der veränderten Stellung zum Religionsunterricht überhaupt. Sah man früher sein Ziel in der gedächtnismäßigen Einprägung der Heilswahrheiten der Kirchenlehre, so sucht man heute ein selbsttätiges religiöses Reagieren anzustreben, zu erreichen, daß der Schüler von den Daten des Religionsunterrichts aus, also von der Geschichte der Religion, die Verbindungslinien zum Gegenwartsleben zieht, und umgekehrt von den Fragen der Gegenwart den Kontakt findet mit den in der Geschichte der Religion lebendigen Kräften; m. a. W. es ist das Ziel des Reli­ gionsunterrichts, die Fähigkeit anzubahnen, das Gegenwartsleben zu deuten und zu durchdringen mit einer an der Geschichte der Religion geschulten und auf sie bezogenen selbständigen Religiosität. Und zwar handelt es sich dabei nicht bloß um die Erziehung des religiösen Indi­ viduums, sondern der Religionsunterricht ist ebenso, was oft unbeachtet bleibt, Erziehung zur religiösen Gemeinschaft, kirchliche Erziehung. Diese veränderte Stellung zum Ziele des Religionsunterrichts be­ dingte auch eine veränderte Stellung zu den geschichtlichen Lehrstoffen dieses Unterrichts. Sah man früher darin lediglich die Bestätigung

l) ®- Beer, Vie Bedeutung des flriertums für die israelitisch-jüdische Kultur. Heidelberger Refttorotsrebe. 1922.

5 der Kirchenlehre, die Tatsachenbeweise für das Dogma, und fand die Auswahl solcher Stoffe für den Unterricht nur nach ihrer Beziehung zur Kirchenlehre statt, so erblickt man heute darin die (Quelle eines eigen­ artigen religiösen Lebens. Der religiöse Wert der Bibel kommt in ganz anderer Weise zum Wort, wenn man aufzuspüren beginnt, wo in den Gestalten der Bibel die Religion in einem eigenen Ausdruck hervortritt. Diese Neueinstellung dem biblischen Lehrstoff gegenüber hatte ein eigenes Schicksal. Mit dem Neuen Testament hatte man sich verhältnis­ mäßig rasch abgefunden. Man sah in Jesus den religiösen Heros, eine Idealgestalt, in Paulus den großen Missionar, dessen Lebensbild man der Apostelgeschichte größtenteils entnahm, und man bemerkte dabei kaum, daß ganz wesentliche Stücke neutestamentlicher Frömmigkeit fehl­ ten. Die ganze Thristusfrömmigkeit des Paulus, der Hauptinhalt der paulinischen Briefe, ich möchte sagen, die kosmisch metaphysische Be­ deutung des Christus, wie etwa in der johanneischen Literatur oder im Hebräerbrief von Thristus geredet wird, ist dabei unbeachtet ge­ blieben; und es gibt doch zu denken, daß Karl Barth aus dieser Ein­ stellung der Theologie hervorging. Auch den Schwierigkeiten, die sich gerade aus der neuesten neutestamentlichen Forschung in Formgeschichte und Kultgeschichte für das Bild Jesu ergeben, ist man aus dem Wege gegangen. Anders stellte man sich dem Alten Testament gegenüber, hier wurde die Kritik deutlicher heraus gehört; das Negative haftete — wie auch sonst — fester, und es scheint, daß die positiven Ergebnisse der alttestamentlichen Wissenschaft bis heute noch weithin überhört werden. Vie einzigartige Bedeutung des Alten Testaments, von dem Herder noch mit Ehrfurcht als „der ältesten Urkunde des Menschengeschlechts" reden konnte, schien vernichtet, es ging unter in der Geschichte der neu ent­ deckten orientalischen Literaturen. Man kann es als Zeichen dieser Zeit ansehen, daß ein Aufsatz über die Entstehung der alttestamentlichen Literatur, den Gunkel schrieb, in der Sammlung „Vie orientalischen Literaturen"2), die „Geschichte des Volkes Israel" von Kittel in den „Handbüchern der alten Geschichte"3) erscheinen konnte. Vie Wissen­ schaft hatte das auserwählte Volk, zu einem Volk unter Völkern, die z. T. mächtiger waren als es selbst, herabgedrückt. Erst recht ging das Zutrauen zu dem Altehrwürdigen verloren, als die literaturgeschicht­ liche Forschung zeigte, daß ein großer Teil der alttestamentlichen Ge­ schichtsbücher zu den literarischen Gattungen der Märchen, Mythen, Sagen und Legendenh zu stellen sei, wie sie sich auch bei den Nachbar­ ös Die orientalischen Literaturen in hinnebcrq „Kultur der Gegenwart". Teil I flbt. VII. 1906. S. 51-102. „Die israelitische Literatur". 's Handbücher der Alten Geschichte. I. Serie. III. Abt. „Geschichte der Volkes Israel", von Hub. Kittel. 1923. 4) Dgl. Gunkel, „Genesis". 1922. S. VII —LXXX und den Aufsatz s. Anm. 2, ferner in „Religion in Geschichte und Gegenwart" den Artikel „Sagen usw. Israels". Dazu die (Einleitungen ins Alte Testament.

6 Völkern Israels, ja in der gesamten Weltliteratur nachweisen lassen. Und endlich, je mehr man mit dem an der Geschichte geübten Auge das Ulte Testament betrachtete, desto mehr trat der Abstand zwischen einst und jetzt — denn Abstand ist ja der Kernpunkt jeder Geschichts­ betrachtung — zwischen filtern Testament und Heuern Testament in den Vordergrund. Man fühlte das Fremdartige heraus in alttestamentlicher Religion und Sittlichkeit, und damit war das lebendige religiöse Interesse an diesem Ruch zum rein wissenschaftlichen Interesse des Historikers herabgesunken. Und es ist nicht zum verwundern, wenn man allmählich immer deutlicher und immer weiter um sich greifend das Resultat vernahm: Die Wissenschaft vernichtet den re­ ligiösen wert des filten Testaments, Auf dieser Basis ist dann der Sturmlauf erfolgt: von der einen Seite gegen die Wissenschaft, da man in ihr die Gefahr für die Religion erblickte und nicht imstande war, Glauben und wissen in ein erträgliches Verhältnis zu einander zu bringen; von der anderen Seite gegen das filte Testament. So stehen wir gegenwärtig in einer Krisis der Wissenschaft — auch auf andern Gebieten der Theologie und soviel ich sehe, auch über die Grenzen der Theologie hinaus — einer Krisis, die vielleicht am bittersten von dem angehenden Studierenden empfunden wird; aber ich glaube, die Wissen­ schaft wird, nicht ohne von ihren Gegnern zu lernen, den Gesetzen ihrer Geschichte folgend, auch durch diese Krisis hindurch ihren weg weitergehen der Wahrheit entgegen. So bliebe also in unserer Frage nur noch die zweite Möglichkeit: die Gegnerschaft gegen das filte Testament, hier scheint mir der geistesgeschichtliche Ursprung der Span­ nung zu liegen, von der wir eingangs geredet haben. Aus dieser Lage heraus klingt uns das oft gehörte Schlagwort entgegen: weg mit dem filten Testament! Und es ist ganz folgerichtig gedacht, wenn dieses Buch aus dem Unterricht einmal verbannt ist, dann wird in verhältnismäßig kurzer Zeit seine Rolle in dem Gegenwartsleben ausgespielt sein, dann gehört es nur noch dem Fachgelehrten, aber nicht mehr dem Volk. Aber nun scheint mir gerade die vorausseheng dieser beiden so ver­ schieden gerichteten Angriffsbewegungen falsch zu sein: (Es ist nicht wahr, daß die Ergebnisse der neueren Wissenschaft den Wert des Alten Testamentes vernichten, das Gegen­ teil ist richtig: Die Wissenschaft vermag den wert des A lten Testamentes er st recht herauszu st eilen, und zwar gerade in dem Sinne der für die neueren Erziehungs­ tendenzen von Bedeutung ist. Für diese Behauptung gilt es, den Beweis zu erbringen. Voraussetzung hierfür ist, daß wir dabei immer wieder auf die Bibel selbst, das protestantische Formalprinzip, zurückgehen. Die „Biblische Geschichte" ist ein nicht gerade glücklicher Kompromiß, die den Schwer­ punkt immer noch zu stark auf den äußeren Verlauf der Geschichte, den sie oft gewaltsam in das Schema „Verheißung-Erfüllung" hineingepreßt hat,

legt und damit an vielen Stellen zu Verzeichnungen führt und manches Gute übergeht. (Es müßte sich viel mehr um eine Geschichte der Religion, der Innenseite, handeln, wie sie in einzelnen Persönlichkeiten und Zeiten fortschreitend einen neuen Ausdruck gefunden hat. Deshalb ist es eine Unmöglichkeit, der Bibel eine einheitliche Weltanschauung — etwa die einer bestimmten liirchenlehre — aufoktroieren zu wollen, das wäre nichts anderes als protestantischer Katholizismus, wenn die liirchenlehre über der Bibel steht. Und ebensowenig kann es die Aufgabe des Reli­ gionslehrers sein, sich erfolglos darum zu bemühen, daß er die Kirchenlehre mit der Bibel in Einklang bringt, sondern es gilt einen lebendigen Eindruck zu gewinnen und weiterzugeben von der INannigfaltigkeit des religiösen Lebens, das in der Bibel quillt, denn der Gang der Wirklich­ keit, in dem wir doch Gottes Walten am lebendigsten spüren, ist nie so geradlinig wie irgend eine Kirchenlehre. Und die Bibel selbst ist ja viel weitherziger als wir alle ohne Ausnahme, ganz gleichgiltig von welcher geistigen oder religiösen Einstellung her wir an sie herantreten. 3n ihren beiden ersten Kapiteln stehen zwei einander widersprechende Schöpfungs­ berichte nebeneinander (1. Mose 1 u. 2). 3n den Kapiteln 8—10 des 1. Samuelbuchs wird das israelitische Königtum von zwei entgegengesetzten Gedanken aus ganz verschieden beurteilt, und man braucht nur den be­ kannten 51. Psalm aufmerksam zu lesen, um zu sehen, daß dort anti­ kultische Frömmigkeit der prophetischen Geistesart (D. 18 f.) und die kultfrohe Denkart des „kirchlichen" Juden (D. 21) ungestört nebenein­ ander Platz fanden. (Oder will man vergessen, daß neben dem Bild Jesu, das die drei ersten Evangelien geben, das völlig andersartige des Joh. Evangeliums auch sein biblisches Recht hat? Und auch die Ge­ schichte der apostolischen Zeit spiegelt sich anders in den Augen des Paulus als in dem Verfasser der Apostelgeschichte. 3n diese Erkenntnis ist auch die eigene freie Stellung zur Bibel mit eingeschlossen. Diese hat schon Luther in gewissem Sinne eingenommen; und wir gehen in seinen Spuren, wenn wir sie beurteilen als das, was sie ist: das Zeugnis von Menschen, die in ihrer persönlichen Eigenart verschiedenen Ausdruck fanden für das religiöse Leben, das in ihnen sich regte, von diesem Blickpunkt aus werden wir keinen Anstoß nehmen an den verschiedenen Weltanschauungen, vorstellungs- und Glaubensformen, an den mannigfachen Ausdrucksweisen verschiedener religiöser Gedanken, wenn wir dabei herausfühlen, wie sie getragen sind von tiefem religiösen Ernst und Glauben. Es gilt auch hierfür das Wort des Paulus: „Wir haben solchen Schatz in irdenen Gefäßen". Daß auch im Alten Testament, das eine Geschichte von 1000 Jahren begleitet, die Widersprüche und Fehler des Menschlichen uns begegnen, ist nichts anderes als ganz natür­ lich. Aber es hieße Götzendienst treiben, wollte man diese bunte Mannig­ faltigkeit in allem als Norm betrachten; das fällt unter dasselbe Urteil wie der versuch, eine einseitige Auffassung in alles hineinzutragen. Denn die Aufgabe der religiösen Erziehung darf nicht aus dem Auge verloren

8 werden: das eigene Urteil des Schülers zu wecken in Übereinstimmung, aber auch im Unterschied zu dem im Lehrstoff gebotenen, wir müssen Gutes gut und Böses böse nennen und dürfen nicht mit der Erwartung das Ulte Testament zur Hand nehmen, darin christliche Sdealgestalten zu finden. Ruf diesem Boden wird es nun möglich, von der Bedeutung des Ulten Testaments zu reden, zunächst mittelbar, wie sie bedingt ist durch das Verhältnis des Ulten Testament zum Neuen Testament und zur Kirche. Selbstverständlich steht das Neue Testament im Mittelpunkt des christlichen Religionsunterrichts. Uber die Religion des Neuen Testament ist auf dem Boden alttestamentlicher Frömmigkeit gewachsen. Vas Ulte Testament ist die Bibel des ersten Lhristentums gewesen, in den urchristlichen Gottes­ diensten wurden die Psalmen gesungen und die Schriften der Propheten gelesen, wir müssen doch noch soviel Ehrfurcht vor der Geschichte haben, um es richtig zu schätzen: Jesus lebt in diesem Buch, Paulus ist darin groß geworden, und er schätzt es auch als Christ hoch, wir brauchen nur an die Urt seines Schriftbeweises zu denken,- und der Verfasser des He­ bräerbriefs, ein Mann, der wie seine Sprache vermuten läßt, auch in der Geisteswelt der griechischen Kultur zu Hause war, mißt dem Ulten Testament eine ganz eigenartige Bedeutung zu. Es ist aufs Ganze ge­ sehen doch Erfüllung trotz aller Gegnerschaft, was das Neue Testament mit dem Ulten Testament verbindet. Und wenn wir die Verinnerlichung der Ethik der Bergpredigt verstehen wollen, so ist das doch nur möglich auf dem Hintergrund des Ulten Testaments. Wohl besteht auch eine Kluft zwischen Neuem Testament und Ulten Testament, wohl haben Jesus und Paulus gegen alttestamentliche Urt gekämpft, aber das war doch ein Kampf gegen Entartung und Veräußer­ lichung der Frömmigkeit, wir dürfen dabei doch nicht übersehen, daß eine direkte Linie von den Höhepunkten alttestamentlicher Religion, von Mose, über die Propheten zu Jesus und, wenn man will, zur Wieder­ entdeckung seines Evangeliums durch Luther führt, und daß diesen Höhe­ punkten immer wieder Epochen der Erstarrung religiösen Lebens folgten, so im Volk Israel die Volksreligion der nachmosaischen Zeit, die kultisch­ kirchliche Gesetzesreligion der nachprophetischen Epoche, und in diesem Zusammenhang kann auch die Entstehung der katholischen Kirche als Erstarrung lebendiger Religiosität zur Institution zu den Tiefpunkten der Religionsgeschichte gerechnet werden. Ja man kann sagen, daß die Höhepunkte religiöser Lebendigkeit hervorgegangen sind aus dem Kampf mit der zur Form erstarrten Religion, und dieser Kampf wird nicht erst zwischen Rltem Testament und Neuem Testament, sondern schon im Riten Testament selbst ausgefochten, man denke nur an die Propheten, wir werden das Neue Testament nie ganz verstehen ohne den Hintergrund des Riten Testaments- und erst auf diesem Hintergrund tritt die alttesta­ mentliche Frömmigkeit plastisch heraus. Ruht das Neue Testament auf alttestamentlichem Grunde, so ist das-

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selbe auch bei der Kirche der Fall. Zweimal in der Geschichte der christ­ lichen Religion ist es die Eigenart alttestamentlicher Religion gewesen, die unsere Religion im Daseinskampf der Religionen gerettet hat. Lin gewiß unverdächtiger Zeuge, Rlax Weber, sieht darin die Bedeutung des Paulus, daß er dem jungen Christentum bei seinem weg zur Weltreligion das Alte Testament fest verankert mitgab zum Kampf mit dem hellenisti­ schen Geist. Er wagt in seinem interessanten Buch über das „Antike Ju­ dentum" die scharfe Antithese: „Ghne die Übernahme des Alten Testa­ ments als heiligen Buches hätte es auf dem Boden des Hellenismus zwar pneumatische Sekten und Rlqsteriengemeinschaften mit dem Kult des Kprios Thristos gegeben, aber nimmermehr eine christliche Kirche und eine christliche Alltagsethik." (S. 7.) Was gerade diese innerweltliche Ethik des Alten Testaments für die Kulturfragen der Kirche bedeutete, das zeigt der andere Existenzkampf der Kirche in der Zeit der Gegen­ reformation. Vas Erbe Luthers ist dadurch der römisch-katholischen Feind­ schaft nicht unterlegen, daß die Ausprägung der evangelischen Frömmig­ keit durch den Geist Kalvins standhalten konnte. Vie Kraft kalvinischer Organisation, die das Kulturleben durchdrang bis zur Regelung privater Lebensführung, die aus einem unerbittlich ernsten Glauben an die Ver­ wirklichung göttlicher Majestät und Erwählung in diesem Leben sich nährte, hat die evangelische Kirche gerettet. Unb diese Kräfte stammen nachweisbar aus dem Alten Testament! Das Verständnis unserer eigenen Religion, wenn es nicht lückenhaft bleiben soll, fordert geradezu die Kenntnis und Wertung der alttestamentlichen Religion um des Reuen Testaments, um der Kirche willen. Wichtiger jedoch ist nicht diese mittelbare Bedeutung des Alten Testa­ ments durch Neues Testament und Kirche bedingt, sondern der durch sich selbst heute noch gütige Eigenwert des Alten Testaments, abgelöst von seinen historischen Beziehungen zur christlichen Kirchengeschichte, hier ge­ rade ist ja dies Buch am meisten angefochten, und seine Bedeutungslosig­ keit als Ergebnis der Wissenschaft oft genug betont, von hier aus wird es so leicht als dogmatische Befangenheit erklärt, wenn jemand es wagt, die Geltung des Alten Testaments auch ohne Neues Testament und Kirche zu behaupten. Das Bild, das die Wissenschaft von der Kultur, der Lite­ ratur und der Religion des Volkes Israel zeichnet, scheint diese Bedeu­ tungslosigkeit des Alten Testaments immer besser zu illustrieren. I. Dar Bild der Kulturgeschichte. Ausgrabungen und die Entwicklung der Sprachwissenschaft während der letzten Jahrzehnte haben die hervorragende Stellung des Volkes Is­ rael und seiner Kultur erschüttert: