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German Pages 452 Year 2000
UWE LEBOK
Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Krankenhausverweildauer in Deutschland
Rostocker Beiträge zur Demographie Band! Herausgegeben von Reiner Hans Dinkel, Johannes Huinink und James W. Vaupel
Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Krankenhausverweildauer in Deutschland
Von
Uwe Lebok
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Lebok, Uwe: Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Krankenhausverweildauer in Deutschland I Uwe Lebok. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Rostocker Beiträge zur Demographie ; Bd. 1) Zugl.: Bamberg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-10020-4
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2000 Duncker &
ISSN 1615-7273 ISBN 3-428-10020-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068
Pentru Dodo, Gelu & Mica cu recuno~tintii ~i iubire
Vorwort Als ich mich im Frühjahr 1991 erstmals mit Verweildauerentwicklungen in Krankenhäusern beschäftigte, war nicht absehbar, welche tiefgreifenden Veränderungen im deutschen Krankenhauswesen infolge der Gesundheitsreformen binnen weniger Jahre stattfinden würden. Unter Voraussicht der angestrebten Gesundheitsreform 2000 ist auch rur die Zukunft mit weiteren Änderungen, "Verbesserungen", Experimenten usw. zu rechnen. Zu Beginn meiner Recherchen war zudem nicht vorhersehbar, welch eine Vielzahl an Einzelproblemen bei der Beantwortung von Teilbereichen dieses speziellen und vordergründig eng gefaßten Themas auftreten würden. Im Grunde genommen mußte stets die Komplexität der gesamten Gesundheitsversorgung in die Betrachtung einbezogen werden. Eine bei allen Analysen, die mit dem deutschen Gesundheitssystem zu tun haben, auftretende Schwierigkeit ergibt sich notgedrungen immer bei der Suche bzw. Verwendung adäquater Daten. In der vorliegenden Untersuchung über die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Krankenhausverweildauer in Deutschland wurden möglichst viele der öffentlich zugänglichen Datenquellen genutzt, die bei der Beantwortung der Fragestellung brauchbare Ergebnisse liefern. Zwar sind einzelne Datengrundlagen nicht immer direkt miteinander vergleichbar, doch verdichten sich nach gemeinsamer Auswertung und Vergleich der Einzelergebnisse die Erkenntnisse über mögliche Zusammenhänge und spezielle Entwicklungen. Ergebnis der aufwendigen Untersuchung ist ein ziemlich umfangreiches Manuskript, das in seinen wesentlichen Bestandteilen an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg im Juli 1998 als Dissertation eingereicht wurde. In der vorliegenden Textversion handelt es sich um eine neuerliche Überarbeitung und Aktualisierung. Die Umsetzung des stark interdisziplinär ausgerichteten Forschungsvorhabens, das gleichzeitig die Wissenschaftsdisziplinen Demographie, Statistik, Sozialpolitik und Public Health tangiert, wäre dabei ohne zusätzliche fachliche Anregungen und ohne die Bereitstellung entsprechenden Zahlenmaterials sicherlich nur schwer zu verwirklichen gewesen. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, an vorderster Stelle Prof Dr. Reiner Hans Dinkel zu danken. Während meiner langjährigen Assistententätigkeit
8
Vorwort
in Bamberg, München und Rostock lernte ich ihn nicht nur aufgrund seiner Sachkompetenz und seines unermüdlichen Einsatzes fUr das Fach Demographie als hervorragenden Wissenschaftler schätzen, sondern gewann auch selbst viele neue Einblicke in Demographie und Public Health. Insbesondere durch seine kritische und objektive Begleitung des Forschungsvorhabens erhielt die Untersuchung zusätzliche Anregungen und Impulse. In besonderer Weise danke ich auch Dr. Peter Potthoffund Dipl.-Soz. Udo Müller von I+G Gesundheitsforschung GmbH (ehemals Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung), die mir nicht nur den Datensatz der Diagnoseund Therapie-Indexe (DTI) der Jahre 1978 bis 1989 im Rahmen meiner Dissertation kosten frei zur VerfUgung stellten, sondern auch bei aufkommenden Problemen bezüglich der Auswertungen stets ein offenes Ohr gehabt hatten. Dasselbe gilt auch fUr Herrn Dr. Wolfgang Mey von der Gesellschaft fUr sozialmedizinische Forschung (Suhl), der mir nicht nur wichtiges Zahlenmaterial über das Gesundheitswesen der einstigen DDR zusammenstellte, sondern mir auch bei der Interpretation der DDR-Daten aufgeschlossen mit Rat und Sachverstand zur Seite stand. An dieser Stelle sei auch die Studienstiftung des Deutschen Volkes erwähnt, die mir in der Zeit zwischen dem 01.05.1992 und 31.12.1993 ein Promotionsstipendium gewährte und ohne deren "Anschubfinanzierung" diese Untersuchung wahrscheinlich niemals begonnen worden wäre. Auch danke ich all denjenigen Personen und Institutionen, die mir Datenmaterial fUr spezifische Fragen bereitwillig zur VerfUgung stellten. Besonders hervorheben will ich in diesem Zusammenhang Herrn Dr. Markus Schneider von BASYS (Augsburg), aber auch Frau Mörck, Frau Dr. Oertel, Herrn Hammer, Herrn Müller, Herrn Reister und Herrn Bosse vom Statistischen Bundesamt, die durch die bereitwillige Überlassung von amtlichem Zahlenmaterial zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Schließlich will ich neben den vielen ungenannten Personen, die mir beim Zustandekommen dieser Untersuchung Anregungen und Rückhalt gaben, Dr. German Angele und Herrn Werner Münzel vom Regionalen Rechenzentrum der Universität Bamberg fUr ihre hilfsbereite Unterstützung bei auftretenden technischen Schwierigkeiten der DTIAnalysen danken als auch Prof. Dr. Dieter Schäfer, Dipl.-Soz. Erich Meinl, Dipl.-Betriebswirt (FH) Hans-Jürgen Sauermann, Joe Strummer und John Lydon, meiner Schwester, Dr. med. Tanja Lebok, und auf ganz besondere Weise Herrn Dipl.-Geogr. Marc Luy, meinem damaligen "Hauptkritiker" und Freund aus Evershagener Tagen. Rostock, im August 1999
UweLebok
Inhaltsverzeichnis A.
Einleitung ..... ..... ..... ..... ... .... ............... .... .................. ..........................................
29
B.
Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland................................
33
1.
Einführung in die Thematik .....................................................................
33
II.
Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen .................................
35
1.
Die Hauptakteure im Gesundheitswesen.............. .............................
35
2.
Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen - ein internationaler Vergleich..........................................................................................
40
a)
Die Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit in der Bundesrepublik Deutschland ..................... ...... ........ ......... ....................
40
b)
Internationaler Vergleich ...........................................................
49
c)
Exkurs: Aktuelle Veränderungen im Gesundheitswesen der USA ...........................................................................................
51
3.
Mögliche Ursachen für den Ausgabenanstieg in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).............................................................
55
4.
Die Kostenentwicklung im stationären Bereich des Gesundheitswesens ...................................................................................................
63
a)
Die Entwicklung der Ausgaben rlir die stationäre Behandlung.
63
b)
Krankenhauskostenentwicklung im internationalen Vergleich.
68
5. III.
Zusammenfassung ............................................................................
71
Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland .........
72
1.
Krankenhausfinanzierungssysteme - ein Überblick...... ....................
72
2.
Der Wiederaufbau des Krankenhauswesens in Deutschland nach 1945 ..................................................................................................
75
a)
Exkurs: Historische Entwicklung der stationären Versorgung in Deutschland ...........................................................................
75
b)
Die Ausgangslage der Krankenhausversorgung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.....................................................
77
10
Inhaltsverzeichnis c)
3.
4. IV.
Der Weg zum dualen Finanzierungssystem ..............................
79
d)
Die duale Finanzierung der Krankenhausleistungen .................
80
e)
Die Diskussion um Unwirtschaftlichkeit und Fehlbelegungen .
83
t)
Reformversuche im dualen Krankenhausfinanzierungssystem .
88
Das Gesundheitsstrukturgesetz und die Reformen im Krankenhausbereich ..............................................................................................
93
a)
Die Fallklassifikationssysteme der DRGs und PMCs ...............
93
b)
Der Weg zum monistischen Krankenhausfinanzierungssystem
96
c)
Vergütung allgemeiner Krankenhausleistungen nach BPflV '95 ............................................................................................. 101
d)
Investitionsleistungen im monistischen Finanzierungssystem ..
107
e)
Die Verzahnung der Versorgungsbereiche ................................
108
t)
Ausblick: Aufdem Weg zu einer Gesundheitsreform 2000......
113
Zusammenfassung ............................................................................
115
Die Entwicklung der stationären Versorgungsstruktur in der Bundesrepublik seit Kriegsende .............................................................................. 116 1.
Vorbemerkungen zur Entwicklung der Krankenhausstatistik ...........
116
2.
Die Entwicklung der Krankenhausbettenzahlen in Deutschland......
118
a)
Die Veränderung des Krankenhausbestandes und der Krankenhausbettenzahl ..................................................................... 118
b)
Regionale Unterschiede in der Bettendichte und internationaler Vergleich .............................................................................. 123
c)
Prozesse der Bettenkonzentration .............................................
128
3.
Die Entwicklung der Bettennutzungsquote in bundesdeutschen Krankenhäusern ................................................................................ 130
4.
Die Entwicklung der Krankenhausfallzahlen im früheren Bundesgebiet und in der ehemaligen DDR ................ .......... .... ..................... 134
5.
Die Entwicklung des Personalbestands in bundesdeutschen Krankenhäusern ........................................................................................ 138
6.
a)
Absolute und relative Bestandsveränderungen .........................
138
b)
Gab es eine "Ärzteschwemme" und einen "Pflegenotstand" im Krankenhausbereich? ................................................................
140
Die Entwicklung stationärer Leistungen - eine Folge des medizinisch-technischen Fortschritts? ......................................................... 145 a)
Die Entwicklung des Bestandes an Großgeräten in stationären Einrichtungen ... ...... ..................... ..... ...... .................... .... .... .......
145
Inhaltsverzeichnis b) 7.
C.
11
Einige Anmerkungen zur Leistungsentwicklung in Kranken- 148 häusern ..................................................................................... .
Zusammenfassung ............................................................................
150
Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern ..............................
152
I.
Einführung in die Thematik .....................................................................
152
11.
Datengrundlagen für Verweildaueranalysen in Deutschland ...................
153
1.
Amtliche Daten .................................................................................
153
a)
Amtliche Krankenhausstatistik .............................. ...... ..............
153
2.
3. III.
Krankenhausdiagnosestatistik ...................................................
155
Krankenhausstatistik der ehemaligen DDR ...............................
156
d)
Mikrozensus ..............................................................................
157
Nichtamtliche Daten ................................................................ .........
159
a)
GKV-Krankheitsartenstatistik ...................................................
159
b)
Prozess- und Paneldaten ............................................................
160
c)
Krankenhausstichproben: Der Diagnose- und Therapie-Index (DTI) ......................................................................................... 161
Zusammenfassung............................................................................
163
Definition und Berechnung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer .................................................................................................. 164 1.
2.
3. IV.
b) c)
Definition der durchschnittlichen Verweildauer nach der amtlichen Krankenhausstatistik ......................................................................... 164 a)
Einrichtungsbezogene Verweildauer .........................................
164
b)
Fachabteilungsbezogene Verweildauer .....................................
166
Alternative Verweildauerdefinitionen und deren Unterschiede zur amtlichen Berechnungsmethode ....................................................... 168 a)
Alternative Definitionen ............................................................
b)
Auswirkungen unterschiedlicher Definitionen auf die mittlere Verweil dauer ............................................................................. 170
Zusammenfassung ............................................................................
168
175
Die Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik Deutschland ........................ ...................................... 176 1.
Die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik ............................................. 176 a)
Die Verweildauerentwicklung seit 1877 .. .................................
176
b)
Die Verweildauerentwicklung in den alten und neuen Ländern
178
12
Inhaltsverzeichnis c) 2.
3.
4. V.
183
Regionale Unterschiede der Krankenhausverweildauer ....................
191
a)
Internationaler Vergleich der Verweildauerentwicklung ..........
191
b)
Verweildauerunterschiede auf der Ebene der Bundesländer .....
193
Differentielle Verweildauerentwicklungen im Krankenhaus aus amtlichen Daten ................................................................................ 196 a)
Verweildauerunterschiede nach Trägerschaft und Größe der Krankenhäuser ........................................................................... 196
b)
Verweildauerunterschiede nach Fachabteilungen .....................
199
c)
Sonstige Einflussgrößen auf die Krankenhausverweildauer .....
203
Zusammenfassung.................................. ..........................................
211
Alternative Darstellungsvarianten für Verweildaueranalysen in Krankenhäusern ................................................................................................ 212 l.
2.
3. D.
Ein Vergleich der Verweildauerentwicklung in unterschiedlichen Datenquellen .....................................................................
Verweildauerverteilung und Verweildauermittelwert .......................
212
a)
Die Verteilung der Verweildauer in Krankenhäusern ........ .......
212
b)
Alternative Maße zur Beschreibung von Verweildauerverteilungen ........................................................................................ 217
c)
Die Berechnung von Vertrauensbereichen für Verweildauermittelwerte ................................... ...... ......... ............................... 221
d)
Exkurs: Die Entwicklung der Kurz- und Langliegeranteile ......
224
Die Berechnung von Verweildauerverläufen ....................................
228
a)
Methode.. .............. .............. ........ ........ .....................................
228
b)
Einige Anwendungsbeispiele ....................................................
232
Zusammenfassung ............................................................................
238
Der Einfluss demographischer Parameter auf die Entwicklung der Verweildauer in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik .................. .................. 240 I.
Untersuchungsgegenstand und Vorgehensweise ......................................
11.
Die demographische Entwicklung der Wohnbevölkerung in den alten und neuen Bundesländern ........ ............... ................. ...... .............. ............ 243 I.
240
Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland .................................. ......
243
a)
Die Entwicklung der Gestorbenenzahlen in Deutschland .........
243
b)
Die Entwicklung von Säuglings- und Müttersterblichkeit in den alten und neuen Bundesländern ........ .......... ........................ 246
c)
Die Entwicklung der Lebenserwartung in den alten und neuen Bundesländern .. ....... ..... ................... ......... ........ ........ ........ ......... 249
Inhaltsverzeichnis 2.
3.
4.
5.
III.
13
Die Entwicklung der Fertilität in Deutschland .................................. 257 a)
Die Geburtenentwicklung in Deutschland ..... ............ ................ 257
b)
Fertilitätsunterschiede zwischen alten und neuen Ländern .......
c)
Exkurs: Die Entwicklung von Schwangerschaftsunterbrechungen in den alten und neuen Ländern ....................... ...... ............. 264
260
Die Entwicklung von Zu- und FortzOgen Ober die Grenzen des Bundesgebietes ........... ........ ..... ....... .......... ........ ......... ...... .... ...... ... .... 268 a)
Zahlenmäßige Entwicklung ................. ..... ......... ...... .... ...... ........ 268
b)
Veränderungen der Alters- und Geschlechtsstruktur bei Zuund FortzOgen ........................................................................... 270
Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die AItersstruktur der bundesdeutschen Wohnbevölkerung ....................... 273 a)
Zur Definition und Messung von demographischer Alterung ...
b)
Demographische Alterung der Wohn bevölkerung in Deutschland ............................................................................................ 275
Zusammenfassung ............................................................................
273
279
Die Veränderung der Altersstruktur von Krankenhauspatienten, der Krankenhausmortalität sowie der schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen und ihre Bedeutung flir die Krankenhausverweildauer ............................................................................................................... 280 1.
2.
3.
Demographische Alterung der Krankenhauspopulation in der Bundesrepublik und altersspezifische Verweildauerentwicklung ........... 280 a)
Die Veränderung der Altersstruktur von Krankenhausflillen in den alten und neuen Ländern ................ .... ....... ...... ............ ... .... 280
b)
Die Entwicklung altersspezifischer Verweildauermittelwerte nach verschiedenen Datenquellen ....... ...... ..... ........ ............ ....... 290
Die Entwicklung der Krankenhausmortalität in Deutschland und ihre Bedeutung flir die Krankenhausverweildauer ... ..................... .... 299 a)
Die Bedeutung des Krankenhauses flir die Gesamtsterblichkeit in Deutschland ..... ........... ......... .............. ............. ............ ........... 299
b)
Exkurs: Messung und Entwicklung der Krankenhausmortalitätsrate ..... .... ............... ....... ..... .......... ........... .......... .......... .......... 302
c)
Die Bedeutung der Krankenhausmortalität flir die durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern ........................... 316
Die Entwicklung schwangerschaftsbedingter Krankenhauseinweisungen sowie stationär behandelter Säuglingskrankheiten und ihre Bedeutung für die Krankenhausverweildauer ................................... 32\ a)
Die Bedeutung des Krankenhauses flir Entbindungen in der Bundesrepub\ik ......................................................................... 32\
14
Inhaltsverzeichnis
4. IV.
b)
Die Entwicklung von Zahl und Struktur schwangerschaftsbedingter Krankenhausfälle . ............... ..... ................. .................... 324
c)
Die Entwicklung der stationären Behandlung von Säuglingskrankheiten (bestimmte Affektionen, die ihren Ursprung in der Perinatalzeit haben) und deren Bedeutung fIlr die mittlere Krankenhausverweildauer ......................................................... 338
d)
Die Verweildauerentwicklung bei schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen ........................................................ 342
Zusammenfassung.. ............................. ........ .................... .......... .......
346
Der Einfluss der demographischen Entwicklung auf Fallzahl, Pflegetagevolumen und durchschnittliche Verweildauer in deutschen Krankenhäusern ..................................................................................................... 349 1.
2.
3.
Methode und Annahmen der demographischen Dekompositionsberechnungen ........................................................................................ 349 a)
Die "factorial projection method ".........................................
349
b)
Annahmen der Dekompositionsberechnungen ..........................
355
c)
Annahmen zur Berechnung eines isolierten Effektes einer veränderten Krankenhausmortalität und einer veränderten Häufigkeit schwangerschaftsbedingter Krankenhauseinweisungen ............................................................................................... 361
Ergebnisse der Modellberechnungen ................................................
364
a)
Die Auswirkung einer veränderten Entwicklung der demographischen Parameter seit 1961 auf Bestand und Alterszusammensetzung der Wohnbevölkerung in den alten und neuen Ländern ..................................................................................... 364
b)
Der Einfluss einer veränderten demographischen Entwicklung seit 1961 auf die Fallzahlentwicklung in deutschen Krankenhäusern ...................................................................................... 373
c)
Der Einfluss einer veränderten demographischen Entwicklung seit 1961 auf die Entwicklung des Pflegetagevolumens.. .......... 378
d)
Effekte einer veränderten demographischen Entwicklung auf die Verweildauerentwicklung in deutschen Krankenhäusern im Zeitraum 1961 bis 1996 ....................................................... 383
e)
Effekte veränderter Gestorbenenzahlen im Krankenhaus auf die Verweildauerentwicklung in den alten Ländern bis 1996... 386
t)
Effekte einer veränderten Zahl schwangerschaftsbedingter Krankenhauseinweisungen auf die Verweildauerentwicklung in den alten Ländern bis 1996 ................................................... 390
Welchen Einfluss wird die zukünftige demographische Entwicklung auf die durchschnittliche Krankenhausverweildauer haben?.... 394 a)
Berechnungsannahmen ..............................................................
394
Inhaltsverzeichnis b) 4. E.
15
Ergebnisse .................................................................................
398
Zusammenfassung ........................ ...................................... ..............
403
Zusammenfassung und Ausblick ................................ ....................................... 406
Literaturverzeichnis .................................................................................................. 414
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:
Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10:
Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14:
Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17:
Tabelle 18:
Ausgabenentwicklung für Behandlung zu jeweiligen Preisen nach Hauptbehandlungsarten in den alten und neuen Ländern ................ Durchschnittliche jährliche Gesundheitsausgaben für ausgewählte Industrieländer pro Kopf in DM (in Kautkraftparitäten) ................. Struktur der Leistungsausgaben der GKV, 1970 bis 1996. Früheres Bundesgebiet.................................................................................... Entwicklung der durchschnittlichen allgemeinen Pflegesätze für Regelleistungen in bundesdeutschen Krankenhäusern 1970 bis 1995, ab 1991 incl. neue Länder ...................................................... Die Entwicklung des Anteils der Krankenhauskosten an den Gesundheitskosten in ausgewählten Industrieländern .......................... Formen der Krankenhausfinanzierung im Überblick ....................... Vom dualen zum monistischen Krankenhausfinanzierungssystem .. Veränderungen im Krankenhausbereich durch das Gesundheitsstrukturgesetz 1993 .......................................................................... Entwicklung der Anzahl der stationären Einrichtungen und der aufgestellten Betten in Deutschland seit 1877 .................... ............. Entwicklung der Anzahl der bundesdeutschen Krankenhäuser und der planmäßigen Betten nach der Trägerschaft im Zeitraum 1960 bis 1989 ............................................................................................ Rechenbeispiel zur Bettennutzungsquote ......................................... Entwicklung des Großgerätebesatzes in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik 1991 bis 1997. Alte und neue Länder .............. Ausgewählte Angaben zu Fallzahlen und Pflegetagevolumen in den DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 ................................ Die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer (L) im Akutkrankenhausbereich nach unterschiedlichen Verweildauerdefinitionen auf der Grundlage des DTI .............................................. Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik nach ausgewählten Mikrozensuserhebungen ... Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in der Bundesrepublik nach der Bettenzahl der Allgemeinkrankenhäuser ............. Durchschnittliche fachabteilungsbezogene Verweildauer nach ausgewählten Fachabteilungen in Krankenhäusern der Bundesrepublik Deutschland bis 1996 ........................ ............................................... Verweildauermittelwerte und Standardabweichung bei unterschiedlicher Spannbreite der Verweildauerverteilung in den DTIStichproben der Jahre 1978 bis 1989................................................
45 50 60
65 69 73 97 100 119
122 133 147 171
173 189 198
200
219
Tabellenverzeichnis Tabelle 19:
Tabelle 20: Tabelle 21:
Tabelle 22:
Tabelle 23: Tabelle 24:
Tabelle 25:
Tabelle 26a:
Tabelle 26b:
Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30:
2 Lebok
Vergleich der Verweildauerrnittelwerte mit den Mittelwerten der logarithmierten Verweildauer in den DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 ..... .................... .......................................................... 95-Prozent-Konfidenzintervalle bei Punktschätzwerten der I(t) in Verweildauerverläufen nach Daten des DTI, 1978 bis 1989 ........... Veränderung der Alters- und Geschlechtsstruktur von grenzüberschreitenden Zu- und Fortzügen in den jeweiligen Grenzen der Bundesrepublik ........ .................................... .................................... Entwicklung der altersspezifischen Verweildauerrnittelwerte L und log(L) ftir ausgewählte Altersgruppen in den DTI-Stichproben 1978 bis 1995 ........ .......................................... ................................. Krankenhausmortalität nach dem Wochentag der Einweisung ........ Altersspezifische Unterschiede in der Krankenhausverweildauer von verstorbenen und nichtverstorbenen Patienten nach Ergebnissen der bundesdeutschen Krankenhausdiagnosestatistik .................. Altersspezifische Unterschiede in der Krankenhausverweildauer von verstorbenen und nichtverstorbenen Patienten in den DTIStichproben der Jahre 1978 bis 1989............................................... Entwicklung der Zahl der stationär entbindenden Frauen, der stationär geborenen Kinder und der wegen Fehlgeburt behandelten Frauen seit 1975. Alte Bundesländer ............................................... Entwicklung der Zahl der stationär entbindenden Frauen, der stationär geborenen Kinder und der wegen Fehlgeburt behandelten Frauen seit 1991. Neue Bundesländer .............................................. Struktur der schwangerschaftsbedingten Krankenhausfälle in den DTI-Stichproben 1978 bis 1989....................................................... Der isolierte Effekt einer Altersstrukturveränderung auf die Verweildauer in Krankenhäusem im Modell .. ................................. ..... Annahmen der Bevölkerungsdekompositionsberechnungen ........... Modellannahmen zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung .........
17
223 237
272
295 314
317
318
327
328 337 353 357 397
Abbildungsverzeichnis Abbildung I: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7:
Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
10: 11: 12: 13:
Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16:
Abbildung 17: Abbildung 18:
Das Prinzip des Sozialversicherungsmodells ...... .... ... ............... Marktbeziehungen im Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland .............................................................................. Ausgabenentwicklung rur Gesundheit nach Hauptleistungsarten. Früheres Bundesgebiet 1970-1996 .................................... Ausgabenentwicklung rur Gesundheit nach Hauptbehandlungsarten. Früheres Bundesgebiet 1970-1996 .......... .......... ..... Entwicklung der Preise rur die Lebenshaltung aller Privathaushalte des früheren Bundesgebietes seit 1970 .... ..... ........ .... Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP rur ausgewählte Industrieländer ............... ........................... ................................... Ausgabenentwicklung rur Gesundheit in den gesetzlichen (GKV) und privaten Krankenversicherungen (PKV). Früheres Bundesgebiet 1970-1996 .......................................................... Reale Ausgabenentwicklung rur die stationäre Behandlung in den alten Bundesländern in konstanten Preisen ........................ Ausgaben rur Krankenhausleistungen in Prozent des BIP rur ausgewählte Industrieländer ..................................................... Das duale Finanzierungsprinzip der Krankenhauskosten ..... .... Kostendeckende Verweildauer bei konstantem Pflegesatz....... Der Mechanismus der flexiblen Budgetierung ......................... Formen der Krankenhausbehandlung in Deutschland seit dem GSG .......................................................................................... Allgemeine Krankenhausleistungen nach BPflV 1995 ............. Krankenhausbetten pro 10 000 Einwohner in Deutschland seit 1877 .......................................................................................... Regionale Unterschiede in der Bettendichte. Betten der stationären Gesundheitsversorgung pro 10 000 Einwohner in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen sowie in den Stadtstaaten. ....... ......... .............. ............... .... ...... .... ............ ....... Entwicklung der Bettendichte (Krankenhausbetten je \0 000 Einwohner) in ausgewählten Industrieländern .............. Entwicklung der durchschnittlichen Bettenzahl in stationären Einrichtungen auf dem Gebiet der alten und neuen Länder seit 1950 ..........................................................................................
36 38 41 43 47 49
56 67 70 81 85 91 101 \02 124
125 126
128
Abbildungsverzeichnis Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26:
Abbildung 27: Abbildung 28:
Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31 :
Abbildung 32:
Abbildung 33: Abbildung 34:
Abbildung 35: Abbildung 36:
Veränderung der Bettennutzungsqoute in stationären Einrichtungen. Alte und neue Länder 1950 bis 1997 ........................... Entwicklung der Fallhäufigkeit in den alten und neuen Ländern seit 1954........................................................................... Entwicklung der Fallhäufigkeit in ausgewählten Bundesländern seit 1960........................................................................... Relative Fallzahl- und Bevölkerungsentwicklung in den alten und neuen Ländern seit 1960 ........ ................ ............................ Relative Bestandsänderung ausgewählter Berufsgruppen des Krankenhauswesens in den alten Ländern ................................ Belastungskennziffern des Krankenhauspersonals in den alten und neuen Bundesländern ......................................................... Leistungsentwicklung in bundesdeutschen Akutkrankenhäusem im Zeitraum 1978 bis 1989 ............................................... Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in Deutschland (alle stationären Einrichtungen, ab 1956 alte und neue Länder zusammen) im Zeitraum 1877 bis 1997. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in deutschen Krankenhäusern seit 1950 ............................................... Relative Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer und der Anzahl der Pflegetage seit 1962. Alte und neue Länder im Vergleich ............................................................. Entwicklung der Pflegetagehäufigkeit in den alten und neuen Ländern seit 1954 .............. ....................................................... Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in den neuen Ländern nach verschiedenen Quellen ........ Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer nach der GKV-Krankheitsartenstatistik im Vergleich zur amtlichen Krankenhausstatistik ................................................ Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer im Diagnose- und Therapie-Index (DTI) 1978 bis 1995 im Vergleich zur amtlichen Krankenhausstatistik .................... Verweildauerentwicklung in Krankenhäusern ausgewählter Industrieländer seit 1960 ... ........................................................ Regionale Unterschiede der Krankenhausverweildauer in ausgewählten Ländern der Bundesrepublik (alle stationären Einrichtungen) ................................................................................ Relative Entwicklung des Pflegetagevolumens für ausgewählte Bundesländer.......... ........................ ...... ......................... ....... Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer nach der Trägerschaft der stationären Einrichtungen ........ ................ ......
19
131 134 135 136 139 142 149
177 179
181 182 184
186
190 192
194 196 197
20 Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42:
Abbildung 43: Abbildung 44:
Abbildung 45: Abbildung 46:
Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51 :
Abbildung 52:
Abbildung 53:
Abbildung 54:
Abbildungsverzeichnis Verweildauerentwicklungen ausgewählter Fachabteilungen in Krankenhäusern der ehemaligen DDR 1960 bis 1989 ....... ....... Verweildauerentwicklungen ausgewählter Fachabteilungen in bundesdeutschen Allgemeinkrankenhäusern seit 1965 ............. Einflußfaktoren auf die Verweildauer in Krankenhäusern ....... Verweildauerverteilung von Krankenhausentlassungen in den DTI-Stichproben 1978 bis 1989............................................... Verweildauerverteilungen von Krankenhausentlassungen im DTI der Jahre 1978/79 und 1988/89......................................... Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer, des Modus der Verweildauer und der Medianverweildauer auf der Grundlage des DTI 1978-1989 ...... ..................... Entwicklung der Kurzlieger- und Langliegerquoten in bundesdeutschen Krankenhäusern .................................................. Verweildauerverläufe in den DTI-Stichproben 1978/79, 1982/83 und 1988/89 mit Equal-Precision-(EP-)Konfidenzbändern ...................................................................................... Verweildauerverläufe mit Equal-Precision-(EP-)Konfidenzbändern nach der Art der Krankenhausentlassung .................... Verweildauerverläufe mit Equal-Precision-(EP-)Konfidenzbändern nach Fachabteilungen in bundesdeutschen Akutkrankenhäusern ................................................................................ Entwicklung der Zahl der Gestorbenen in Deutschland seit 1841 .......................................................................................... Entwicklung der rohen Sterberate in Deutschland seit 1841.... Entwicklung der Säuglingssterblichkeit pro 1000 Lebendgeborene in Deutschland .............................................................. Entwicklung der Müttersterblichkeit pro 100 000 Lebendgeborene in Deutschland .............................................................. Einjährige altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeiten nach der abgekürzten Sterbetafel 1994/1996. Deutschland gesamt, logarithmischer Maßstab.. ............ ............... .............................. Verlauf der Erlebenswahrscheinlichkeiten I(x) flir Frauen in den alten Ländern. Sterbetafeln 1950/52, 1960/62 und 1970/72 sowie abgekürzte Sterbetafel 1994/96 ........................ Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung bei Geburt e(O) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen .................................................... ......... .... .......... Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung im Alter 60 e(60) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen ...........................................................................
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 55:
Abbildung 56: Abbildung 57:. Abbildung 58: Abbildung 59: Abbildung 60: Abbildung 61 a: Abbildung 61 b:
Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64: Abbildung 65: Abbildung 66: Abbildung 67:
Abbildung 68:
Abbildung 69:
Abbildung 70:
Abbildung 71:
Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung im Alter 80 e(80) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen............. ......... ... .... .... ........ ......... ......................... Entwicklung der Lebendgeborenenzahlen in Deutschland seit 1841 .......................................................................................... Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland seit 1841 .......... Entwicklung der natürlichen Wachstumsrate in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950 .................................................... Entwicklung der Total Fertility Rate (TFR) in den alten und neuen Ländern seit 1950 .......................... ................................. Altersspezifische Fertilitätsraten im früheren Bundesgebiet in den Jahren 1960, 1975, 1985 und 1996 .................................... Entwicklung der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen in den alten und neuen Ländern seit 1970 .... ................................ Entwicklung der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen je 1000 Lebend- und Totgeborene in den alten und neuen Ländern seit 1970 ............ .................................... ............................ Zu- und Fortzüge über die Grenzen des Bundesgebietes 1950 bis 1998 ... .......... ............. ............... ........... ............... ................. Relative Veränderung der Bevölkerungsanteile ausgewählter Altersgruppen in den alten Ländern seit 1952 .......................... Demographische Alterung in der Logik des Aging Indexes in den alten und neuen Ländern seit 1950 ........ .............. .............. Demographische Alterung in der Logik des Billeter-Maßes in den alten und neuen Ländern seit 1950 ........ ............................ Demographische Alterung der Krankenhauspopulation in den alten und neuen Ländern in der Logik des Aging Indexes ....... Altersspezifische Fallhäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989. Männer und Frauen................................................................... Altersspezifische Fallhäufigkeit in der Bundesrepublik rur die Jahre 1993, 1995 und 1997 auf der Grundlage der Krankenhausdiagnosestatistik ................................................................ Altersspezifische Fallhäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der Mikrozensus-Erhebungen der Jahre 1978, 1982 und 1989 ......................... ....... .......... .......... ................ ............... Altersspezifische Fallhäufigkeit in der Bundesrepublik auf der Grundlage der Mikrozensus-Erhebungen der Jahre 1992 und 1995 .......................................................................................... Altersspezifische Fallhäufigkeit je 10 000 GKV-Versicherte nach der GKV-Krankheitsartenstatistik ....................................
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Abbildung 74: Abbildung 75: Abbildung 76a:
Abbildung 76b:
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Abbildung 78: Abbildung 79: Abbildung 80:
Abbildung 81 :
Abbildung 82: Abbildung 83: Abbildung 84: Abbildung 85: Abbildung 86: Abbildung 87: Abbildung 88:
Abbildungsverzeichnis Altersspezifische Fallhäufigkeit in der ehemaligen OOR 1970 bis 1989 nach Angaben der OOR-Krankenblattstatistik ........... Altersspezifische Fallhäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989. Verstorbene, Schwangerschaften und sonstige Fälle ........... ........... Altersgruppenspezifische Verweildauermittelwerte in Krankenhäusern der ehemaligen ODR ........... .............. ..... ........ ....... Altersgruppenspezifische Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik für die Jahre 1993, 1995 und 1997 ................. Altersspezifische Pflegetagehäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989. Männer und Frauen ......................................................... Altersspezifische Pflegetagehäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989. Verstorbene, Schwangerschaften, und sonstige Fälle ..... Veränderung der altersspezifischen Langliegerquote bei Akutkrankenhauspatienten in den OTI-Stichproben 1978 bis 1989........................................................................................... Veränderung der altersspezifischen Kurzliegerquote bei Akutkrankenhauspatienten in den OTI-Stichproben 1978 bis 1989. Verweildauerverläufe mit 95-Prozent-EP-Konfidenzbändern von Akutkrankenhauspatienten nach Altersgruppen ........ ........ Entwicklung des Anteils der in stationären Einrichtungen Verstorbenen an der Gesamtzahl der Gestorbenen in der Bundesrepublik .. ............. ........ .... ................... .............. ...... ..... .............. Entwicklung des Anteils der in stationären Einrichtungen verstorbenen Männer und Frauen an allen Gestorbenen in der Bundesrepublik bis 1989 .......................................................... Entwicklung der Gestorbenen in Prozent von allen Krankenhausentlassungen in den alten und neuen Ländern ......... .......... Entwicklung der stationär Gestorbenen pro 1000 Pflegetage in den alten und neuen Ländern .................................................... Relative Entwicklung der rohen Krankenhaussterberate und der rohen Sterberate in den alten Bundesländern seit 1953 ...... Geschlechtsspezifische Unterschiede in der in-patient hospital mortality rate ............................................................................. Altersspezifische Unterschiede in der in-patient hospital mortality rate .. ............. ........ .... ........ ............. ........ ...... ........... .... ...... Saisonale Mortalitätseffekte in der Wohnbevölkerung und in der Krankenhauspopulation .... .... ....... .... ......... ................... ....... Verweildauerverläufe mit EP-Konfidenzbändern von in Akutkrankenhäusern verstorbenen und nichtverstorbenen Patienten
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 89: Abbildung 90:
Abbildung 91: Abbildung 92: Abbildung 93: Abbildung 94: Abbildung 95:
Abbildung 96:
Abbildung 97: Abbildung 98: Abbildung 99:
Abbildung 100:
Abbildung 101a: Abbildung 101b: Abbildung 102a: Abbildung 102b: Abbildung 103: Abbildung 104a:
Verweildauerverläufe mit EP-Konfidenzbändern von in Akutkrankenhäusern verstorbenen Patienten nach Altersgruppen .... Entwicklung der Relation Anstaltslebendgeborene der Krankenhausstatistik bezogen auf die Lebendgeborenenzahlen in der Bevölkerungsstatistik in den alten und neuen Ländern ...... Entwicklung der Anteile der Anstalts- und Hausgeburten im Freistaat Bayern 1950 bis 1979 ....... .................... ..................... Entwicklung des Anteils der Entbindungen an allen Krankenhausfällen in den alten und neuen Ländern ......... ................ ...... Entwicklung der Mehrlingsgeburten je 1000 entbundene Frauen in den alten und neuen Ländern .................................... Anteil der schwangerschaftsbedingten Krankenhausfälle an allen Fällen in den alten und neuen Ländern ........... .................... Entwicklung des Anteils der Schwangerschaftskomplikationen an allen schwangerschaftsbedingten Fällen (ICD 640-648, 651-676) in den alten und neuen Ländern ................................ Entwicklung des Anteils der Affektionen mit Ursprung in der Perinatalzeit (ICD 760-779) an allen Krankenhausfällen in den alten und neuen Ländern .... ...... .............. ................... ......... Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer der Diagnosegruppe ICD 760-779 in den alten und neuen Ländern. ......... Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer der Diagnosegruppe ICD 630-676 in den alten und neuen Ländern .......... Verweildauerverläufe mit EP-Konfidenzbändern von Fällen mit Hauptdiagnose aus ICD 630-639, 650 und 640-648/651676 im Zeitraum 1978 bis 1989 ................................................ Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer bei Normalentbindungen,Schwangerschaftskomplikationen und Fehlgeburten in den DTI-Krankenhausstichproben der Jahre 1978 bis 1995 ...... ...... ............. ..... .... ........ .......................................... Relative Entwicklung der Bevölkerungsbestände in den Dekompositionsvarianten. Früheres Bundesgebiet ... .... ................ Relative Entwicklung der Bevölkerungsbestände in den Dekompositionsvarianten. Neue Länder ............................ ........... Demographische Alterung in den Dekompositionsvarianten in der Logik des Aging Index. Alte Länder .................................. Demographische Alterung in den Dekompositionsvarianten in der Logik des Aging Index. Neue Länder ................................. Demographische Alterung in den Dekompositionsvarianten in der Logik des Billeter-Maßes im früheren Bundesgebiet ......... Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl. Früheres Bundesgebiet .............
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 104b:
Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl. Neue Länder ............................. Abbildung 105a: Relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl bei konstanter f(x)-Verteilung in den Dekompositionsvarianten. Früheres Bundesgebiet ............................................................................ Abbildung 105b: Relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl bei konstanter f(x)-Verteilung in den Dekompositionsvarianten. Neue Länder Abbildung 106a: Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung des Pflegetagevolumens. Früheres Bundesgebiet ............. Abbildung 106b: Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung des Pflegetagevolumens. Neue Länder ............................. Abbildung 107a: Relative Entwicklung des Pflegetagevolumens bei konstanter h(x)-Verteilung in den Dekompositionsvarianten. Früheres Bundesgebiet ............................................................................ Abbildung 107b: Relative Entwicklung des Pflegetagevolumens bei konstanter h(x)-Verteilung in den Dekompositionsvarianten. Neue Länder ............................................................................................. Abbildung 108a: Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung der durchschnittlichen Verweil dauer. Früheres Bundesgebiet ........................................................................................ Abbildung 108b: Tatsächliche und demographisch bedingte relative Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer. Neue Länder ......... Abbildung 109: Demographische Effekte der Verweildauerentwicklung in den Dekompositionsvarianten im Vergleich zu Variante DEKIII in den alten Ländern ................................................................. Abbildung 110: Relative Entwicklung der im Krankenhaus Gestorbenen in ausgewählten Dekompositionsvarianten. Früheres Bundesgebiet ............................................................................................ Abbildung 111: Relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl in ausgewählten Dekompositionsvarianten bei veränderter Entwicklung der Gestorbenen in Krankenhäusern. Früheres Bundesgebiet ........ Abbildung 112: Zusätzliche Verweildauereffekte in ausgewählten Dekompositionsvarianten bei veränderter Entwicklung der stationär Gestorbenen. Früheres Bundesgebiet ............................................ Abbildung 113: Relative Entwicklung der schwangerschaftsbedingten Krankenhausfälle in ausgewählten Dekompositionsvarianten. Früheres Bundesgebiet ................................................................... Abbildung 114: Relative Entwicklung der Krankenhausfallzahl in ausgewählten Dekompositionsvarianten bei veränderter Entwicklung der schwangerschaftsbedingten Krankenhausfälle. Früheres Bundesgebiet ...................................................................................
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 115:
Abbildung 116:
Abbildung 117: Abbildung 118:
Abbildung 119:
Abbildung 120:
Abbildung 121:
Zusätzliche Verweildauereffekte in ausgewählten Dekompositionsvarianten bei veränderter Entwicklung der schwangerschaftsbedingten KrankenhausflUle. Früheres Bundesgebiet .... Zukünftige Entwicklung des Parameters Lebenserwartung bei Geburt in den alten und neuen Ländern nach den Berechnungsvarianten I und II ............................................................. Entwicklung des Bevölkerungsbestandes der Bundesrepublik bis zum Jahr 2050 nach den Berechnungsvarianten I und II .... Zukünftige demographische Alterung der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik in der Logik des Aging Indexes nach den Berechnungsvarianten I und II .................................................. Relative Entwicklung der demographisch bedingten Krankenhausfallzahl in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2050 nach den Berechnungsvarianten I und II ..................... :..................... Demographische Alterung der Krankenhauspopulation in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2050 in der Logik des Aging Indexes nach den Berechnungsvariante I und II .......................... Auswirkungen der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung auf die Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik nach den Berechnungsvarianten I und II ..................................................
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Abkürzungsverzeichnis ADL AHB AKV AL ALOS ambo AOK BASYS Beh. BIB BIP BMAS BMFJG BMFuS BMG BPflV BSP CC CI CO CSI CT DDR DKG DKI DRG DTI EBM EEG EKG EP FP GBE GKV GKV-NOG
Activities of Daily Living Anschlussheilbehandlung Arbeitnehmerkrankenversicherung Alte Länder Average Length of (Hospital) Stay, durchschnittliche Verweil dauer ambulant Allgemeine Ortskrankenkasse Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung Behandlung Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung Bruttoinlandsprodukt Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit Bundesministerium für Familie und Senioren Bundesministerium für Gesundheit Bundespflegesatzverordnung Bruttosozialprodukt Comorbidities and Complications (95-Prozent-) Konfidenzintervall Tele-Kobalt-Geräte Computerized Severity Index Computertomographie (-Geräte) Deutsche Demokratische Republik Deutsche Krankenhausgesellschaft Deutsches Krankenhausinstitut Diagnosis Related Groups Diagnose- und Therapie-Index Einheitlicher Bewertungsmaßstab (für Arzthonorare) Elektroenzephalogramm Elektrokardiographie Equal Precision (Konfidenzbänder) Fallpauschale Gesundheitsberichterstattung Gesetzliche Krankenversicherung GKV -Neuordnungsgesetz
27 GKV-SoIG GPV GRG GRV GSG GUV HCFA HMO ICD ICIDH ICPM-GE IMSD KHG KHKG KHNG
KKH
KV KVdR KVKG LHM LIN
LIT MDK MGA MRT NL NRW OECD OP PET PflegeVG PKV PMC PMP PPO PPR Reha SE SED SFHÄndG SGB SOEP
GKV -Solidaritätsstärkungsgesetz Gesetzliche Pflegeversicherung Gesundheitsreformgesetz Gesetzliche Rentenversicherung Gesundheitsstrukturgesetz Gesetzliche Unfallversicherung Hospital Care Financing Administration Health Maintenance Organisation International Classification of Diseases, Injuries, and Causes of Death International Classification of Impairments, Disabilities, and Handicaps International Classification of Procedures in Medicine, German Edition Institut tur Medizinische Statistik und Datenverarbeitung Krankenhausfinanzierungsgesetz Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz Krankenhausneuordnungsgesetz Krankenhaus Kassenärztliche Vereinigung( en) Krankenversicherung der Rentner Krankenversicherungs-Kostendeckungsgesetz Linkskatheder-Meßplätze Linearbeschleuniger Lithropter Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen Multidimensionales Geriatrisches Assessment Magnet-Resonanz-Geräte (Kernspintomographie ) Neue Länder Nordrhein-Westfalen Organisation for Economic Co-Operation and Development Operation (invasiv und nichtinvasiv) Positronen-Emissions-Computertomograph Pflegeversicherungsgesetz Private Krankenversicherung Patient Management Categories Patient Management Paths Preferred Provider Organisation Pflege-Personal-Regelung Rehabilitation Sonderentgelte Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Sozialgesetzbuch Social-Economic Panel
28 StabG StGB TDM TFR USD VO WHO
l\b~gsverzeic~s
Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben Strafgesetzbuch Tausend Deutsche Mark Total Fertility Rate Ultraschalldoppler Verordnung World Health Organisation
A. Einleitung Die demographische Entwicklung hat rur alle sozialen Sicherungssysteme Konsequenzen in ihrer jeweiligen zukünftigen Ausgestaltung. Neben der Renten- und der Pflegeversicherung ist vor allem auch die Krankenversicherung unmittelbar von Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsdynamik betroffen. Wenn es in der Bundesrepublik infolge des "demographischen Wandels" relativ mehr ältere Menschen gibt und davon auszugehen ist, daß in den oberen Altersstufen ein höheres Erkrankungsrisiko besteht, hat eine solche Entwicklung unmittelbare Konsequenzen rur die Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Krankenversicherungen. In der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart - war deshalb die Beitragssatzstabilität der Krankenkassen ein zentrales Anliegen der bundesdeutschen Sozial- und Gesundheitspolitik. Stabile Beitragssätze können von den Krankenversicherungen aber nur dann realisiert werden, wenn sich zum einen das Angebot- und Nachfrageverhalten nach medizinischen und pflegerischen Maßnahmen weitestgehend stabil verhält und zum anderen keine Verschiebungen in der Bevölkerungs- und Sozialstruktur stattfinden. Da sich beides in der Vergangenheit als wenig haltbar erwiesen hatte, konnte die geforderte Beitragssatzstabilität nur rur wenige Jahre erreicht werden. Folge der einzelnen strukturellen Verschiebungen (demographische Alterung, Anstieg der Arbeitslosigkeit, verändertes Nachfrageverhalten usw.) war ein kontinuierlicher (und über den Einnahmen liegender) Anstieg der Ausgaben rur Gesundheit, der sich letztlich nur durch Anhebung der Beitragssätze finanzieren ließ. Wegen der im Vergleich zu anderen Ausgabenentwicklungen als überproportional empfundenen Steigerung der Gesundheitsausgaben wurde in diesem Zusammenhang auch häufig von einer "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen gesprochen. Als einer der Hauptverursacher rur die "dramatische" Ausgabenentwicklung im gegliederten bundesdeutschen Gesundheitswesen wurden von Seiten der Politik und einzelner Kostenträger vor allem die Krankenhäuser gesehen. Zum einen vereinen die stationären Einrichtungen einen bedeutenden Anteil aller Ausgaben rur Gesundheit auf sich, zum anderen liegt die Kostenentwicklung im stationären Bereich über der Entwicklung der Ausgaben rur Gesundheit insgesamt. Zudem wurden von seiten der Krankenkassen zahlreiche Faktoren aus-
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A. Einleitung
gemacht, die auf eine Ineffizienz des deutschen Krankenhauswesens hinweisen sollen und letztlich diesen überproportionalen Ausgabenanstieg begünstigten. Der wichtigste Kritikpunkt der gesundheitspolitischen Auseinandersetzung über die etwaige Unwirtschaftlichkeit und Ineffizienz im Krankenhausbereich, die etwa Mitte der 1970er Jahre begann und bis heute andauert, war sicherlich das in diesem Zeitraum praktizierte Krankenhausfmanzierungssystem. Da nach diesem Finanzierungsprinzip nicht die tatsächlich am Patienten durchgeführten diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen jeweils in eine "leistungsgerechte" Kostenberechnung eingingen, sondern tagesgleiche Pflegesätze erhoben wurden, hielten die Krankenhäuser an einer überhöhten Bettenkapazität fest, wurden nach Auffassung der Kritiker am damaligen Finanzierungssystem die Patienten zum Teil länger als nötig im Krankenhaus behalten und sorgten schließlich dafür, daß die Überkapazitäten an Betten entsprechend (fehl-)belegt wurden. Darüber hinaus ist seit den 1960er Jahren ein kontinuierlicher Anstieg der Krankenhausfalle pro Einwohner zu beobachten gewesen. Mehr Krankenhausfalle und Krankenhaustage verursachen naturgemäß auch zusätzliche Kosten. Fallzahl- und Verweildauerentwicklung hängen dabei eng miteinander zusammen, da sich die mittlere Verweildauer aus der Division der Summe der Pflegetage durch die Krankenhausfallzahl ermittelt. Der demographischen Entwicklung sollte dabei zweifelsohne eine erhebliche Bedeutung für die Fallzahlenentwicklung der Krankenhauspatienten zukommen. Auf der einen Seite erhöht sich mit jeder Bevölkerungszunahme die Zahl der potentiellen Krankenhauspatienten, sofern sich die Fallhäufigkeit der Bevölkerung nicht verändert. Auf der anderen Seite kann sich aber auch die Patientenzahl in Krankenhäusern erhöhen, wenn der Bestand der Wohnbevölkerung stagniert oder gar abnimmt. Dies geschieht dann, wenn diejenigen Altersstufen in einer Bevölkerung relativ und absolut zunehmen, in denen das Risiko einer Krankenhausbehandlung gegenüber anderen Altersgruppen höher ausfallt. Besonders die demographische Alterung der deutschen Wohnbevölkerung wird diesbezüglich als ein wesentlicher kostenerhöhender Faktor im Krankenhausbereich genannt. Auch das Zustandekommen der Anzahl der Pflegetage im Krankenhaus und damit der durchschnittlichen Verweildauer ist von demographischen Faktoren abhängig. Wie auch für die Fallhäufigkeit gilt, daß ältere Patienten relativ mehr Pflegetage verursachen. Außerdem könnte auch eine veränderte Krankenhausmortalität demographische Effekte in der durchschnittlichen Verweil dauer verursachen, wenn sich der Anteil der im Krankenhaus Verstorbenen an allen Krankenhausfallen verändert und signifikante Unterschiede in der Verweildauer der Überlebenden und Verstorbenen bestünden. Auch aufgrund von Fertilitätsveränderungen ändert sich die Struktur der Einweisungen in Krankenhäuser. Mit einem relativen Anstieg von Geburten und schwangerschaftsbedingten
A. Einleitung
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Krankenhauseinweisungen müßte sich deshalb nicht nur die Patientenstruktur im gesamten Krankenhausbereich, sondern auch die Verweildauer verändern. Inwieweit die demographische Entwicklung tatsächlich sowohl die Fallzahlals auch Verweildauerentwicklung beeinflußte, ist bisher wenig untersucht worden. Zwar wurde immer wieder die demographische Entwicklung als ein wesentlicher Faktor für die kostenverursachenden Entwicklung eines Fallzahlanstiegs und der vermeintlich "überhöhten" Krankenhausaufenthalte hervorgehoben, ihre berechenbaren Effekte wurden aber bislang nicht ermittelt. Folglich ist das Ziel dieser Untersuchung (unter Berücksichtigung aller öffentlich zugänglichen Datenquellen) eine Quantifizierung des ausschließlich demographischen Beitrags auf die Verweildauerentwicklung in deutschen Krankenhäusern. Damit soll die Untersuchung einen Beitrag zu der immer noch geführten Diskussion über die vermeintliche Unwirtschaftlichkeit und Ineffizienz im Krankenhaus leisten und die Frage beantworten, ob und in welcher Weise sich die bisherige Bevölkerungsentwicklung auf die Fallzahl- und Verweildauerentwicklung ausgewirkt hatte. Darüber hinaus soll mit Hilfe von Bevölkerungsdekompositionsberechnungen untersucht werden, wie stark diese Effekte variieren, wenn sich die drei demographischen Parameter Mortalität, Fertilität und Wanderungen anders als tatsächlich beobachtet entwickelt hätten. Um auch die bestehenden demographischen Unterschiede zwischen neuen und alten Ländern zu berücksichtigen (sowie die Unterschiede in der Fallhäufigkeit, die sich u. a. aus einer unterschiedlichen Krankenhausversorgung zu Zeiten der staatlichen Trennung ergeben haben), werden die Berechnungen für beide Teilbevölkerungen getrennt durchgeführt. Da trotz dieser sehr speziellen Fragestellung die komplexe Struktur des deutschen Gesundheitswesens nicht außer Acht gelassen werden kann, gliedert sich die Untersuchung in drei große, in sich geschlossene Themenblöcke. Jedes der drei Kapitel behandelt dabei wichtige, für die Hauptfragestellung zu klärende Teilaspekte. Bevor die Analyse der Verweildauerentwicklung und die Berechnung des demographischen Beitrags erfolgt, wird im ersten Kapitel in die Thematik eingeführt und die Entwicklung des deutschen Krankenhauswesens seit dem Zweiten Weltkrieg beschrieben. Zunächst wird dabei ausführlich auf die Ausgabenentwicklung im Krankenhausbereich eingegangen. Ob die Kosten im deutschen Gesundheitswesen gegenüber anderen Industrieländern tatsächlich "explodiert" sind und ob das bundesdeutsche Krankenhaus tatsächlich "zu teuer" ist, soll zu Beginn des Kapitels geklärt werden. Der Schwerpunkt des ersten Kapitels liegt aber in der Analyse der stationären Versorgung in Deutschland, wobei auch hier zwischen alten und neuen Ländern unterschieden wird. Eine besondere Beachtung erhält in diesem Kapitel auch die sozialhistorische bzw. sozialrechtliche Entwicklung des bundesdeutschen Krankenhauswesens, da sich zahlreiche gesetzgeberische
32
A. Einleitung
Initiativen durchaus mit dem Vorwurf der Ineffizienz der Krankenhausbehandlung und der vermeintlich überhöhten Verweildauer begründen ließen. Das GKV-Neuordnungsgesetz als dritte Stufe der dreistufigen Gesundheitsreform bildet dabei eine sinnvolle Grenze des Betrachtungszeitraumes. Die bereits 1999 bekannten Überlegungen der rot-grünen Regierungskoalition für eine geplante "Gesundheitsreform 2000" sind in einem kurzen Abschnitt in Form eines Ausblickes zusammengefaßt. Das zweite Kapitel widmet sich ausschließlich den Verfahren zur Berechnung der Verweildauer und der Interpretation ihrer Durchschnittswerte. Bestehende und nutzbare Datenquellen für repräsentative Analysen der Krankenhausverweildauer in Deutschland werden hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Verwendbarkeit gegenübergestellt und entsprechend genutzt. In diesem Kapitel wird auch der Frage nachzugehen sein, ob die Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich tatsächlich "zu lang" ist, wie von zahlreichen Autoren behauptet. Dabei wird die Verweildauerentwicklung auf der Grundlage der vorhandenen Datenquellen auch nach einzelnen nichtdemographischen Merkmalen differenziert. Der besondere Schwerpunkt dieses Kapitels liegt aber in der Darstellung von unterschiedlichen Meßkonzepten zur Berechnung der mittleren Krankenhausverweildauer, ihrer statistischen Interpretation sowie der Vorstellung von alternativen Darstellungsformen der Verweildauerentwicklung. Indirekt soll dadurch auch die Frage beantwortet werden, ob die Verweildauer ein geeigneter Indikator zur Darstellung von Effizienz der Krankenhausversorgung ist. Im dritten Kapitel wird auf der Grundlage von Bevölkerungsdekompositionen der demographische Beitrag der Verweildauerentwicklung berechnet. Zunächst ist es in diesem Zusammenhang notwendig, die bisherigen Veränderungen in Bevölkerungsstruktur und -dynamik in alten und neuen Ländern herauszustellen, da jede Dekomposition die Kenntnis der vergangenen Entwicklung voraussetzt. Nicht nur die Altersstruktur der Wohnbevölkerung, sondern auch die Altersverteilung der Fallhäufigkeit und der Ptlegetagehäufigkeit (Ptlegetage pro 10000 Einwohner) dürfte sich signifikant verändert haben. Unter Verwendung aller für die eigene Untersuchung zur Verfügung stehenden Daten wird deshalb zu untersuchen sein, inwieweit sich auch die Altersstruktur der Krankenhausfälle verändert hat. Zudem wird die bisherige Verweildauerentwicklung in diesem Kapitel nach einzelnen demographischen Merkmalen analysiert. Nach einer ausführlichen Beschreibung der praktizierten Berechnungsmethode wird schließlich mit Hilfe von demographischen Dekompositionsanalysen der ausschließlich demographische Beitrag der Fallzahl-, der Ptlegetage- und Verweildauerentwicklung in Vergangenheit und Zukunft bestimmt.
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland I. Einf"ührung in die Thematik Unmittelbar nach Kriegsende war der Aufbau einer regional gleichwertigen, möglichst flächendeckenden Gesundheitsversorgung der Bevölkerung eines der wichtigsten Ziele der staatlichen Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik (vgl. u. a. Metze 1982; Goeschel 1984; Neubauer 1984, 1985a; Henke 1985; Riege 1993; Knorr 1994). Nach Überwinden der anfänglichen strukturellen und fmanziellen Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit konnte aufgrund einer bis in die 1970er Jahre ausreichend vorhandenen Finanzierungsgrundlage der Ausbau und die Ergänzung einzelner Versorgungsstrukturen des Gesundheitswesens vorangetrieben werden. Mit den beginnenden konjunkturellen Einbrüchen in der Wirtschaft seit Mitte der 1970er Jahre setzte sich aber das Prinzip einer "einnahmenorientierten Ausgabenpolitik" im Gesundheitswesen durch. Seither wird versucht, die Weiterentwicklung des bundesdeutschen Gesundheitswesens im Interesse einer Kostendämpfung stärker zu steuern und möglichst keine zusätzlichen kosten vermehrenden Strukturveränderungen im Gesundheitswesen vorzunehmen. Dazu wurde u. a. die sog. "Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen"l eingerichtet, um Richtgrößen für eine allgemeine Steuerung der Ausgabenentwicklung zu erarbeiten. Der fortlaufende Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen führte zu verschiedenen Revisionen in der Gesundheitspolitik. Während die Aufrechterhaltung einer möglichst flächendeckenden Gesundheitsversorgung unter Berücksichtigung des medizinisch-technischen Fortschritts nach wie vor ein zentrales Anliegen der deutschen Gesundheitspolitik ist (vgl. Metze 1982; Deppe 1983; Breyer 1984; Arnold 1986; Kirchberger 1988; Knappe 1988; Leu 1988; Neipp 1988b; Deppe / Lehnhardt 1990; Riege 1993), war vor allem der stationäre Versorgungsbereich in der Vergangenheit mehrfach ins Zentrum öffentlicher Kritik geraten, da die Kosten der Krankenhäuser im Vergleich zu anderen Aus-
I Das durch das Kostendämpfungsgesetz von 1977 geschaffene Beratungsgremium vereint Vertreter der Leistungsanbieter, der Kassen und der staatlichen Ministerialbürokratie (vgl. Herder-Domeich 1976; Wiesenthai 1981; Sachverständigenrat 1991, 1996; Alber 1992).
3 Lebok
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
gabenträgem überproportional angestiegen sind. Seit Verabschiedung eines Zehn-Punkte-Programms durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung aus dem Jahr 1985 ist es vorrangiges Ziel der bundesdeutschen Gesundheitspolitik, mit geeigneten Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit des medizinischen Versorgungssystems zu verbessern (vgl. u. a. Siebig 1980a; Metze 1982; Deppe 1983; Breyer 1984; Reinhardt 1985; Herder-Domeich / Wasem 1986; von Ferber 1988; Sachverständigenrat 1989; Dröge 1991; Riege 1993), um mit den zur Verfügung stehenden Geldmitteln mehr als bisher für den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu erreichen. Die Forderung schließt dabei alle Akteure des Gesundheitswesens (Leistungserbringer, Patienten und Kassen) gleichermaßen ein. Mit dieser politischen Maßgabe wird gefordert, dass der fortlaufende zu erwartende wissenschaftliche Fortschritt durch Ausschöpfen der Wirtschaftlichkeitsreserven kostenneutral zu finanzieren ist. Das bedeutet, es müsste im deutschen durch Sozialversicherungen getragenen Gesundheitswesen Beitragssatzstabilitäf gewährleistet werden, um nicht andere Wirtschaftsaufgaben und -bereiche zu gefährden. Beitragssatzstabilität in den Krankenversicherungsbeiträgen wird erreicht, wenn die für das Gesundheitswesen verfügbaren Mittel nur nach Maßgabe der Steigerung der Grundlohnsumme ansteigen und sich damit die Gesundheitsquote nicht erhöht. Der Rahmen der vorliegenden Untersuchung würde aber gesprengt werden, wenn in den folgenden Ausführungen die zahlreichen ökonomischen und sozialpolitischen Zusammenhänge des deutschen Gesundheitswesens seit Kriegsende bis ins Detail behandelt würden. Da das Krankenhauswesen aber untrennbarer Bestandteil des Gesundheitswesens ist, sei es als Arbeitsmarkt, als Kostenfaktor oder sei es auch als wichtigste Institution der medizinischen Versorgung, wird zunächst die Rolle des Krankenhauses bei der Ausgabenentwicklung für Gesundheit untersucht und im Anschluss daran ein Überblick über die Struktur der stationären Versorgung in Deutschland und ihre historische Entwicklung gegeben. In diesem Zusammenhang wird sowohl auf die strukturellen Unterschiede zwischen alten und neuen Ländern als auch auf Veränderungen im Zuge der Gesundheitsreformen eingegangen.
2 Den Krankenkassen ist dabei gesetzlich vorgeschrieben, dass ihre Beiträge so zu bemessen sind, dass sie zur Deckung der Ausgaben und der vorgeschriebenen Rücklage ausreichen, und dass sie das Eineinhalbfache der rur gesetzliche Aufgaben und Verwaltungskosten erforderlichen Mittel nicht überschreiten sollen (SGB V §§ 220 und 260: Grundsatz der Beitragssatzstabilität). Ist das nicht der Fall, sind die Beiträge per Bundestagsbeschluss zu erhöhen.
11. Die finanzieIle Entwicklung im Gesundheitswesen
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11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen 1. Die Hauptakteure im Gesundheitswesen
Das deutsche Gesundheitswesen folgt dem Sozialversicherungsprinzip und repräsentiert einen mittleren Weg zwischen einem staatlichen Versorgungssystem des britischen Typs und einer primär marktwirtschaftlichen Versorgung, wie sie in den USA oder auch in der Schweiz üblich ist (vgl. Deppe 1983; Deppe / Lehnhardt 1990; Reinhardt 1991; Alber / Bernardi-Schenkluhn 1992). In vielen Industrienationen sind in Folge von Gesundheitsreformen zahlreiche Mischformen entstanden, so dass eine eindeutige Zuordnung zu den Idealtypen nicht immer möglich ist. Zentrale Institution im Sozialversicherungsmodell ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), der trotz leichter Rückgänge im Mitgliederbestand in den letzten Jahren immer noch rund 90 Prozent der Bevölkerung angehören.) Charakteristisch rur das Sozialversicherungsmodell ist eine Dreiecksbeziehung zwischen Versicherten, Leistungserbringern und Krankenkassen (Abbildung 1). Die Gesetzgebungskompetenz filr die im Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelte gesetzliche Krankenversicherung liegt dabei allein beim Bund, während medizinische Leistungen überwiegend von privaten Leistungserbringern angeboten werden. 4 Trotz zahlreicher Reformen im deutschen Gesundheitswesen hat sich am Sozialversicherungsprinzip im wesentlichen nichts geändert. Die Finanzierung der Leistungen erfolgt in der Regel über Ptlichtversicherungsbeiträge, die je zur Hälfte von den Versicherten und ihren Arbeitgebern zu entrichten sind. Die Versicherungsbeiträge sind einkommensabhängig und entgegen dem klassischen Marktmodell nicht risikogebunden, sondern orientieren sich am Solidarprinzip. 5
J Zum Jahresbeginn 1998 betrug der Bestand der Hauptversicherungsart der privaten Krankenversicherung (PKV), der Krankheitskostenversicherung, insgesamt 7,1 Mio. VoIlversicherte. Im Gegensatz zur GKV setzte sich in der PKV auch in den Jahren 1995 bis 1997 (in abgeschwächter Form) der Trend eines langsamen Mitgliederzuwachses der letzten Jahre fort. 467 700 voIlversicherte Personen - hauptsächlich Selbständige und Beamte - hatten zum Jahresbeginn 1998 ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern (vgl. Verband der privaten Krankenversicherung 1998). • Man spricht in diesem Zusammenhang auch häufig von einem Dualismus im Gesundheitswesen, der strikt zwischen einer kollektiven Finanzierungsstrukur und einer Versorgungsstruktur mit privaten Leistungserbringern differenziert. S Unter Solidarität wird in der Sozialpolitik die wechselseitige Verbundenheit zwischen einzelnen und bestimmten sozialen Gruppen bzw. zwischen sozialen Gruppen verstanden (Lampert 1985b: 412). Zu den einzelnen Unterschieden zwischen den drei klassischen Modellen des Gesundheitswesens und seinen Mischformen siehe u. a. Wed-
3"
36
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Krankenkassen
BEITRAGE: - einkommensabhSngig - nichtrisikoabhSngig - bei freier Kassenwahl - Versicherungspflicht
Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen nach dem Sachleistungsprinzip
Abbildung 1: Das Prinzip des Sozialversicherungsmodells (Quelle: Schwartz / Busse 1997: 206)
Die Erstattung von Gesundheitsleistungen erfolgt kollektiv über die Kassen. Der Versicherte zahlt im Idealfall nicht selbst und direkt die Leistungen beim Leistungserbringet6, wie dies etwa beim MarktrnodelI' der Fall wäre, sondern nimmt vom Leistungserbringer, dem Arzt, dem Krankenhaus oder der RehaKlinik, allein die Leistungen entgegen. Auch bei der Leistungserbringung steht die kollektive Versorgung der Versicherten im Vordergrund, obwohl sich überall, wo Sachleistungen erbracht werden, Ermessensentscheidungen nach den individuellen Gegebenheiten nie ganz ausschließen lassen. Bei der medizinischen Behandlung stehen Differenzierungen nach persönlichen Merkmalen der
dingen 1957; Albers 1982; Hauff / Bohling 1982; Deppe 1983; Schachtschnabel 1983; Lampert 1985b; Schmäh I 1985; Neipp 1988b; Deppe / Lehnhardt 1990; Molitor 1991; Alber 1992; Alber / Bemardi-Schenkluhn 1992; Frerich 1996; Schwartz / Busse 1997. 6 In der Bundesrepublik hat in Folge der dreistufigen Gesundheitsreform der Versichl!rtl! im Zusammenhang mit der Kostenbeteiligung bei der Verschreibung von Arzneimittel und Leistungen zum Zahnersatz einen nicht unerheblichen Anteil der Kosten selbst zu tragen. 7 Im klassischen MarktrnodelI zahlt der Patient zunächst die Kosten der medizinischen Behandlung selbst und lässt sie sich später von der Versicherung erstatten. Dieses Prinzip gilt in weiten Teilen rur die Bevölkerung der USA (Neipp 1988b; Reinhardt 1991), in der Bundesrepublik ist es aber auch rur Versicherte der Privaten Krankenversicherung (PKV) üblich. Vgl. im Überblick bei: Schwartz / Busse 1997: 208 f.
II. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
37
Betroffenen allein dem behandelnden Arzt zu. Er ist zwar in seiner Entscheidung auch an von den Kassen erstellten Grundsätzen und Richtlinien (z. B. zur Leistungsbegrenzung) gebunden, wenn der Arzt aber eine Krankheit' diagnostiziert hat, so hatte die Versicherung (bis dato) in keiner Weise darüber zu befrnden, inwieweit Patienten unterschiedlich zu behandeln sind (vgl. Schäfer 1966: 183). Neben den gesetzlichen und privaten Krankenkassen (GKV, PKV) und den eigentlichen Hauptakteuren des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik, den Patienten, nehmen als Leistungserbringer (vgl. Abbildung 1) niedergelassene Arzte, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) als Interessensvertretung der ambulant tätigen Ärzteschaft, Krankenhäuser, sowie die Pharmaindustrie am "Gesundheitsmarkt" teil (Abbildung 2). Die Marktbeziehungen in der Bundesrepublik müssten seit der dreistufigen Gesundheitsreform auch noch um andere Akteure wie Einrichtungen der Rehabilitation als Leistungserbringer (und den Rentenversicherungsträgem als leistungserstattende Institution), Pflegeheime usw. ergänzt werden, zumal von Seiten des Gesetzgebers eine bessere Verzahnung der einzelnen Versorgungsbereiche - trotz unterschiedlicher Sozialversicherungen - eingefordert wird. Während die Zuordnung der Pflegekassen zu den jeweiligen Krankenkassen zumindest ihrer Organisationsstruktur nach eine Verzahnung der beiden Versicherungsarten impliziert und eine Überleitung von stationärer Behandlung (= Krankenhaus) in stationäre Pflege (= Pflegeheim) sozialrechtlich eindeutig geregelt ist, wird die Gewährung und Finanzierung von Leistungen der Rehabilitation durch die unterschiedlichen Sozialversicherungen noch immer kontrovers diskutiert.·
3 Zur unterschiedlichen Auslegung des Krankheitsbegriffes in der gesetzlichen Krankenversicherung siehe u. a. Burghardt 1975; Bieback 1978; Sticken 1984. • Für Leistungen der Rehabilitation sind im gegliederten Gesundheitssytem der Bundesrepublik bis dato sieben Trägergruppen zuständig: Rentenversicherung (GRV), Krankenversicherung, Unfallversicherung (GUV), Bundesanstalt rur Arbeit, Kriegsopferversorgung und -rursorge sowie Sozialhilfe, mit Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes (PflegeVG) auch die Pflegeversicherung (GPV). Die Bedeutung der Rehabilitation im Gesundheitssystem der Bundesrepublik ist zwar mit den gesetzlichen Grundsätzen Rehabilitation vor Rente und Rehabilitation vor Pflege eindeutig und unmissverständlich geregelt, die Bereitschaft der Finanzierung von Reha-Leistungen durch die einzelnen Sozialversicherungsträger (GKVIPKV, GRV, GPV, GUV) angesichts unterschiedlicher Einnahmenentwicklungen jedoch unterschiedlich. Zur Diskussion des von der Gesundheitspolitik geforderten Ausbaus der Rehabilitation siehe u. a. Biefang, Gerdes et al. 1990; Schliehe / Weber-Falkensammer 1992; Potthoff / Biefang et al. 1994; Stallmann 1994; Straub 1994; Grigoleit / Wenig 1995; Bundesministerium rur Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1996; Clausing 1996; Grigoleit 1996.
38
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Die ambulante Versorgung ist im Sozialversicherungsmodell der Bundesrepublik (in Abbildung 2 repräsentiert durch KV und niedergelassene Ärzte) im Moment durch vier wesentliche Merkmale gekennzeichnet: 1.
Auf seiten der Patienten herrscht praktisch freie Arztwahl. 1o Dies gilt auch filr die ambulante zahnärztliche Versorgung.
2.
Träger des Angebots sind fast ausschließlich frei niedergelassene Ärzte.
3.
Die Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage wird durch ein System von Gruppenverhandlungen zwischen den Verbänden der Ärzte und Kassen geregelt.
4.
Im Gegensatz zum Primärarztsystem (u. a. Großbritannien, Schweden, Kanada, Italien), wo allein Allgemeinärzte als "gate-keeper" den Zugang zu höheren Versorgungsstufen steuern und über ein Belegarztsystem eine Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gewährleistet ist, wird in der Bundesrepublik (aber auch in Österreich, Frankreich und in der Schweiz) strikt zwischen den beiden Versorgungsbereichen getrennt.
Pharmaindustrie
Kassenarztliche Vereinigungen
Abbildung 2: Marktbeziehungen im Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dröge 1991)
10 Normalerweise benötigt aber ein Kassenpatient eine Überweisung des Allgemeinarztes, um sich von einem Gebiets- oder Facharzt (Internist, Urologe, Radiologe usw.) weiter behandeln zu lassen.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
39
Das Prinzip der freien Arztwahl bedeutet, dass Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich jeden Arzt aufsuchen können, der zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen oder ennächtigt ist. Inwiefern die Kombination von freier Arztwahl und kollektiver Finanzierung der Inanspruchnahme einen Nachfrageschub begünstigt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Für die Bundesrepublik ist aber seit Jahren zu beobachten, dass die Zahl der von Patienten initiierten Arztbesuche zurückging (vgl. Alber 1992). Der Arzneimittelsektor ist im bundesdeutschen Gesundheitssystem vergleichsweise wenig reguliert. In die Abgabenpreise gehen die Herstellerpreise, Großhandelspreise und Einzelhandelsspannen ein. Die Herstellerpreise unterlagen anders als in fast allen europäischen Nachbarländern lange Zeit keiner staatlichen Kontrolle, wobei nur wenige Unternehmen mehr als vier Fünftel der Arzneimittelprodukte auf sich konzentrieren (Alber 1992). Aufgrund der hohen Arzneimittelpreise in Deutschland - u. a. durch den intensiven Werbeaufwand der Pharmaindustrie bedingt - griff der Staat im Zuge der Kostendämpfungspolitik (GRG, GSG) direkt in den Arzneimittelsektor ein, z. B durch gesetzlich verordnete Preisabsenkung und Förderung marktwirtschaftlicher Elemente wie etwa durch Liberalisierung der Re- und Parallelimporte (vgl. Wagner, 1996). Der überwiegende Teil der Verbraucher erhält schließlich die vom Arzt verschriebenen Medikamente über die Apotheken. Nur etwa 20 Prozent der Arzneimittel werden in Krankenhäusern abgegeben. 11 Im Sozialversicherungsmodell der Bundesrepublik sind die Krankenhäuser neben den ambulanten Leistungserbringern ein direkter Anbieter von Gesundheitsleistungen rur die Versicherten. Ihre Rolle im bundesdeutschen Gesundheitswesen wird bestimmt durch die Erbringung von Sachleistungen fUr die selbständig, per Notfall oder über den niedergelassenen Arzt ins Krankenhaus überwiesenen Patienten (= die Verbraucher von Krankenhausleistungen I1), den Kauf von Medikamenten i. w. S. über die Pharmaindustrie sowie die Verrechnung der Ausgaben über die Kassen (die wiederum die entstandenen Kosten auf die Beiträge ihrer Versicherten und die Arbeitgeber umlegen) und direkt über die Patienten in Fonn von Eigenbeteiligung und Steuern (vgl. Abbildung 2). Die zweigeteilte Finanzierung der Krankenhauskosten durch die Patienten über Versichertenbeiträge und über Steuern (= öffentliche Finanzierung der Krankenhausinvestitionen) bildete dabei den wesentlichen Kern der sog. dua-
11 Die starke Stellung der Apotheken ist durch die für die meisten Medikamente geltende Apothekenpflicht bedingt. Zum Apothekenwesen siehe Oberender 1983; Neumann 1986; Schöffski 1995. 12 Zur Organisation des Krankenhauswesens und des Zusammenspiels seiner Anbieter- und Nachfrageseite siehe ausführlich: Sauerzapf 1980: 17 ff. oder Zerche 1988.
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
len Krankenhausjinanzierung im bundesdeutschen Gesundheitswesen vor der dreistufigen Gesundheitsrefonn.
2. Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ein internationaler Vergleich a) Die Entwicklung der Ausgabenfür Gesundheit in der Bundesrepublik Deutschland
Seit Jahren wird argumentiert, die Ausgaben für das Gesundheitswesen seien "explosionsartig" gestiegen und würden weiterhin explosionsartig ansteigen (Schreiber 1970; Vincent 1973; Balthasar 1976; Herder-Domeich 1976; Kühn 1976; Thiemeyer 1978; Knappe 1981; von der Schulenburg 1981 a, 1988; Herder-Domeich / Wasem 1986; Kirchberger 1988). Tatsächlich haben sich die Ausgaben für Gesundheit in den jeweiligen Preisen deutlich erhöht: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (1998) hatten sich die Gesamtausgaben des bundesdeutschen Gesundheitswesens im früheren Bundesgebiet gegenüber 1970 von 69,7 Mrd. DM bis 1996 auf 445,9 Mrd. DM mehr als versechsfacht. Mit der deutschen Einheit und der Integration des Gesundheitswesens der DDR in das bundesdeutsche System (vgl. Manow 1994) erfolgte seit 1991 ein zusätzlicher Ausgabenanstieg. Im Jahr 1996 hätten sich die Ausgaben für Gesundheit unter Einbeziehung der neuen Bundesländer gegenüber dem Jahr 1970 sogar mehr als versiebenfacht. Von den insgesamt 525,6 Mrd. DM, die im Jahr 1996 in der gesamten Bundesrepublik für Gesundheit ausgegeben wurden, entfielen mehr als die Hälfte der Ausgaben auf die medizinische Behandlung (59,0 Prozent). Die zweitwichtigste Hauptleistungsart bilden mit 26,1 Prozent der Gesamtausgaben die Krankheitsfolgeleistungen. 1J Abbildung 3 stellt die Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit nach den einzelnen vorn Statistischen Bundesamt ausgewiesenen Hauptleistungsarten ausschließlich für das frühere Bundesgebiet dar. Dabei ist die Ausgabenent-
lJ Im Jahre 1995 erreichten die KrankheitsfolgeIeistungen einen Ausgabenstand von 137,3 Mrd. DM (der somit gegenüber dem Vorjahr leicht abnahm). 38,1 Prozent wurden für EntgeItfortzahlung im Krankheitsfall aufgewendet, der restliche Anteil verteilt sich auf Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bei Krankheit und Invalidität (etwa Frührente) sowie auf Maßnahmen zur Rehabilitation (vgl. Müller 1998). Einkommensleistungen im Krankheitsfall (z. B. Krankengeld) und Rentenleistungen bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit hatten in den letzten Jahren hohe Zuwachsraten, während bei Entgeltfortzahlungen ein vergleichsweise moderater Anstieg zu beobachten
war.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
41
wicklung in den jeweiligen Preisen als relative Veränderung zum hier gewählten Ausgangsjahr 1970 abgebildet. Selbstverständlich könnte eine Indexdarstellung für jedes beliebige andere Startjahr gewählt werden, und die Resultate würden entsprechend variieren. Das Jahr 1970 bietet sich aber bei den nachfolgenden, vergleichenden gesundheitsökonomischen Darstellungen aus pragmatischen Gründen an, da beginnend mit dem genannten Jahr über einen längeren Zeitraum für jedes einzelne Kalenderjahr vom Statistischen Bundesamt aufbereitetes Datenmaterial über die Ausgabenentwicklung für Gesundheit vorliegt.
1000
1970=100
900
I
Ausbildung & Forschung
800 Behandlung
700
fvOrbeUg.lBetr.Maßn. (Pravention)
~ /
Insges.mt
600 500 400
Krankheitsfolgeleist.
300 200 100 1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 3: Ausgabenentwicklung für Gesundheit nach Hauptleistungsarten. Früheres Bundesgebiet 1970-1996
Der größte Ausgabenposten, die Ausgaben für Behandlung, hat in der Indexdarstellung von Abbildung 3 seit 1970 überproportional zugenommen, der absolut zweitgrößte Posten, die Krankheitsfolgekosten, unterproportional. Relativ am stärksten nahmen seit 1970 die Ausgaben für Präventiv- und Betreuungsmaßnahmen wie für Ausbildung und Forschung zu, wobei beide Hauptleistungsarten zusammen gerade einmal 10,1 Prozent aller Gesundheitsausgaben des Jahres 1996 umfassten. Der niedrigste Ausgabeposten, die Ausgaben für Ausbildung und Forschung, ist aber für die Interpretation der Kostenentwicklung nicht unerheblich, da er auch die Heranführung des zukünftigen medizinischen Personals an den Arbeitsmarkt beinhaltet. Steigende Ausgaben für
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Ausbildung gehen in der Regel mit einem zu erwartenden Anstieg des Personals im Gesundheitswesen einher. Insbesondere die absolute Zunahme eines demographisch jungen Potentials an Ärzten, Zahnärzten und Apothekern in einer demographisch älter werdenden Bevölkerung wurde für die Bundesrepublik mehrfach problematisiert (vgl. u. v. a. Herder-Dorneich 1975, 1985; Berg / Eberle / Paffrath 1984; Camphausen 1983; Schipperges 1984; Thiemeyer 1985; Arnold 1986; Halfar 1987; Dröge 1991).'4 Wegen der überproportionalen Entwicklung der Ausgaben für medizinische Behandlung - gegenüber 1970 trat eine Versiebenfachung der Ausgaben ein, wogegen es bei Betrachtung aller Gesundheitsausgaben "nur" zu einer Versechsfachung kam - wurde in einzelnen Strukturkomponenten des gegliederten Gesundheitswesens (vgl. Abbildung 2), nach der sich die Ausgaben für medizinische Behandlung in einzelne Behandlungsarten verteilen, ein Schlüssel für die sog. "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen gesehen (vgl. u. a. HerderDorneich 1976, 1986; Thiemeyer 1978; von der Schulenburg 1981a; Metze 1982a, 1982b; Neipp 1988a). Abbildung 4 differenziert nun die Ausgabenentwicklung für die medizinische Behandlung nach Hauptbehandlungsarten. Während die Ausgabenentwicklung für stationäre Kurbehandlung deutlich unter der Durchschnittsentwicklung fur alle Behandlungsarten liegt (vgl. Abbildung 3), führte die Ausgabenentwicklung der Krankenhausbehandlung zu einer Verachtfachung gegenüber dem Ausgangsjahr 1970. Die Ausgabenentwicklung der anderen Hauptbehandlungsarten wie Arzneimittel und ambulante Behandlung l5 (sowie fur Zahnersatz ab 1989) entsprachen weitgehend der Ausgabenentwicklung für medizinische Behandlung insgesamt. Vor allem auf die Ausgabenentwicklung für Arzneien, Heil- und Hilfsmittel wurde bereits in den 1980er Jahren kostendämpfend eingewirkt. Das Prinzip der Therapie- und Verordnungsfreiheit blieb im Grundsatz unangetastet und die Menge verkaufter Medikamente wurde auch weiterhin in erster Linie durch das Verordnungsverhalten der Ärzte bestimmt (Kullmann 1977; Westphal 1977; Andreae / Theurl 1980; Oberender 1983; Breyer 1984; Rahner 1987; Alber 1992; Schöffski 1995; Wagner 1996). Kurzzeitig konnte aber durch die Einführung von Festbeträgen für Arzneimittel als ein Kernstück des Gesundheitsre-
14 Vor allem das Wachstum der Arztzahlen in der Bundesrepublik, das gleichermaßen Krankenhausärzte wie niedergelassene Ärzte betrifft und mit einer steigenden Leistungsmenge pro Arzt korreliert ist (vg!. Alber 1992), wird zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassen kontrovers in Bezug auf die Auswirkungen auf Ärzteeinkommen und Ausgabenentwicklung diskutiert. 15 Zur Bedeutung der Ausgabenentwicklung im ambulanten Bereich (inc!. Arzteinkommen und Zunahme der Arztzahlen) für die gesetzlichen Krankenversicherungen siehe Abschnitt 1I.2.b dieses Kapitels im Anschluß.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
43
formgesetzes von 1988 das Ziel einer Kostendämpfung erreicht werden. Die Preissetzung blieb zwar nach wie vor den Herstellern überlassen, es besteht aber seit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) ein starker Anreiz, die über dem Festbetrag liegenden Preise zu senken, da sonst der Preis oberhalb der Grenze durch private Zuzahlungen der Kassenpatienten zu tragen ist.
800
Zahnersatz
1970=100
700
Ambulante Beh.
600 500
Arzneimittel
400 Stat. Kurbehandlung
300 200 100 1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 4: Ausgabenentwicklung rur Gesundheit nach Hauptbehandlungsarten. Früheres Bundesgebiet 1970-1996
In der Vergangenheit war insbesondere die Ausgabenentwicklung für Zahnersatzleistungen extremen Schwankungen ausgesetzt, die stets im Zusammenhang mit gesetzgeberischen Aktivitäten standen (vgl. Abbildung 4). Im Jahr 1988 fand beispielsweise ein gegenüber dem Vorjahr überproportionaler Ausgabenanstieg für Zahnersatzleistungen statt, der sich eindeutig als "Vorwegnahmeeffekt" auf die im Jahr 1989 einsetzende Selbstbeteiligung der Krankenversicherten bei Zahnersatzleistungen im Zuge des GRG identifizieren läßt. Aufgrund der von seiten der Versicherten bereits 1988 vorweggenommenen zahnärztlichen Leistungen und der mit dem GRG bezweckten Leistungsreduktion auf "notwendige" Maßnahmen erfolgte im Folgejahr ein kurzzeitiger Ausgabenrückgang. In abgeschwächter Form waren solche Vorwegnahmeeffekte für
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Zahnersatz (und Arzneimittel) auch im Jahr 1992 (vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes) zu beobachten. Das (seit 1993 wieder einsetzende) Wachstum der Gesamtausgaben filr die Zahnversorgung geht (im Gegensatz zur ambulanten Versorgung) weit weniger auf erhöhte Zahnarztzahlen als auf wachsende Fallzahlen und die Steigerung der Leistungsmenge pro Fall zurück. Besonders die Mengenausweitung bei Zahnersatzleistungen wurde in der Gesundheitspolitik als mögliches Einsparpotential gesehen. 16 Zum hohen Ausgabenniveau in der zahntechnischen Versorgung der Bundesrepublik tragen aber auch die hohen Zahnarzteinkommen bei, die im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung einnehmen und darüber hinaus auch durch einen Einkommensvorsprung gegenüber den Allgemeinärzten auffallen. Die privilegierte Einkommensposition der Zahnärzte wurde durch lange Zeit stagnierende Zahnarztzahlen begünstigt, die erst seit 1975 zu steigen begannen (Alber 1992). Starke Expansionstendenzen kennzeichnen auch den Bereich der Zahntechnik. Auf der einen Seite verdoppelte sich die Zahl der Zahntechnikerbetriebe zwischen 1970 und dem Ende der 1980er Jahre, gleichzeitig hatte sich die Zahl der in Dentallabors Beschäftigten verdreifacht, so dass die Bundesrepublik wesentlich mehr Zahntechniker als Zahnärzte aufweist. Durch die deutsche Einheit und die Integration der Versorgungsstruktur der ehemaligen DDR in das Bundesgesundheitssystem wurde die Kostenentwicklung filr die gesamte Bundesrepublik durch verschiedene Nachholeffekte in den neuen Ländern überlagert (vgl. Tabelle 1). Zwischen alten und neuen Ländern fallen immer noch deutliche Unterschiede in Struktur und Entwicklung einzelner Behandlungsarten auf, was großenteils auf die Struktur des Gesundheitswesens in der ehemaligen DDR zurückzufilhren sein dürfte, die nur im Ansatz mit dem bundesdeutschen Modell vergleichbar war (Manow 1994). Beispielsweise waren die stationären Behandlungsausgaben in den neuen Ländern bereits zu DDR-Zeiten relativ höher als in den alten Ländern (und im Jahr 1996 mit 45 Prozent - trotz eines zeitweiligen Rückgangs - auch noch gewesen). 17
16 Zur Diskussion über die Mengenausweitung bei Zahnersatz vor der dreistufigen Gesundheitsrefonn folgendes Zitat: "Wenn in der Bundesrepublik für die 32 Zähne eines Bürgers kaum weniger ausgegeben wird als rur die ambulante Behandlung des gesamten übrigen Körpers und wenn die 32 Zähne ein Drittel des Weltverbrauchs an Zahngold verschwenden, so ist das ein eklatantes, große Einsparmöglichkeiten induzierendes Missverhältnis." (Schäfer 1983: 129)
17 Im Gesundheitswesen der DDR wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die strenge Trennung von ambulanter und stationärer Behandlung aufgehoben (vgl. Korbanka 1990: 42). Vielmehr arbeiteten ambulante und stationäre Versorgungseinrichtungen or-
H. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
45
Tabelle I Ausgabenentwicklung mr Behandlung zu jeweiligen Preisen nach Hauptbehandlungsarten in den alten und neuen Ländern Alte LIInder Ambulante Behandlung Stationäre Behandlung Stationäre Kurbehandlung Arzneien, und Hilfsmittel
Heil-
Zahnersatz Neue Länder Ambulante Behandlung Stationäre Behandlung Stationäre Kurbehandlung Arzneien, und Hilfsmittel Zahnersatz Insgesamt
Heil-
1991
1992
1993
1994
1995
1996
I) 60 488 2) 30,545 3) 100,00 1) 72 065 2) 36,416 3) 100,00 1) 7817 2) 3,950 3) 100,00 1) 46195
I) 66 288 2) 30,434 3) 109,66 1) 78 674 2) 36,121 3) 109,17 1) 8705 2) 3,997 3) 111,36 1) 50966
I) 68592 2) 31,204 3) 113,47 1) 83545 2) 38,006 3) 115,93 1) 9 183 2) 4,178 3) 117,47 1) 46 609
I) 71 768 2) 30,901 3) 118,73 1) 88 104 2) 37,935 3) 122,26 1) 9663 2) 4,161 3) 123,62 1)49614
I) 75 390 2) 30,392 3) 124,72 1) 93384 2) 37,646 3) 129,58 1) 9642 2) 3,887 3) 123,35 1) 54376
I) 79 872 2) 30,143 3) 132,13 1) 99 821 2) 37,671 3) 138,52 1) 9738 2) 3,675 3) 124,57 1) 58 876
2) 23,343 3) 100,00 1) 11 370 2) 5,745 3}100,00
2) 23,399 3) 110,33 1)13176 2) 6,049 3}115,88
2) 21,203 3) 100,90 1) 11 889 2) 5,409 3}104,56
2) 21,362 3) 107,40 1) 13 103 2) 5,642 3}115,24
2) 21,921 3) 117,71 1) 15264 2) 6,153 3}134,25
2) 22,219 3) 127,45 1) 16673 2) 6,292 3}146,64
1) 6070 2) 24,038 3) 100,00 1) 11 526 2) 45,644 3) 100,00 1) 393 2) 1,556 3) 100,00 1) 5741
1) 9008 2) 24,941 3) 148,40 1) 14553 2) 40,294 3) 126,26 1) 757 2) 2,096 3) 192,62 1) 8491
1) 10765 2)27,319 3) 177,35 1) 16067 2) 40,774 3) 139,40 1) 1 011 2) 2,566 3) 257,25 1) 9508
1) 11 796 2)27,112 3) 194,33 1) 17 805 2) 40,923 3) 154,48 1) 1314 2) 3,020 3) 334,35 1) 10 356
1) 11 120 2) 25,878 3) 183,20 1) 18 136 2) 42,205 3) 157,35 1) 1 647 2) 3,833 3) 419,08 1)10044
1) 11 062 2) 24,384 3) 182,24 1)20412 2) 44,994 3) 177,10 1) 1 688 2) 3,721 3) 429,52 1) 10222
2) 22,735 2)23,510 2) 24,129 2) 23,802 2) 23,374 2) 22,532 3) 100,00 3) 147,90 3) 165,62 3) 180,39 3) 174,95 3) 178,05 1) 1 522 1) 3308 1) 2054 1) 2238 1) 2024 1) 1 982 2) 6,027 2) 9,159 2) 5,213 2) 5,144 2) 4,710 2) 4,369 3}100,00 3p17,35 3}134,95 3}147,04 3}132,98 3}130,22 1) 223 147 1) 253 926 1) 259 223 1) 275761 1) 291 027 1) 310 346 3} 100,00 3} 113,79 3} 116,17 3} 123,58 3} 130,42 3} 139,08
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten des Statistischen Bundesamtes Anmerkungen: l)inMio.DM 2) in Prozent von allen Behandlungsausgaben 3) 1991=100
ganisatorisch eng zusammen und bildeten eine Einheit (vgl. MUlIer-Dietz 1980). Bestes Beispiel fIlr die organisatorische Überschneidung waren Polikliniken, die als ambulante Einrichtung in Krankenhäusern lokalisiert wurden. Der zunächst von Seiten der in Polikliniken (und Ambulatorien) beschäftigten Ärzten angestrebte Strukturerhalt nach der deutschen Einheit wurde aufgrund der Intervention der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abgewendet und blieb im Einigungsvertrag nur als Übergangslösung berücksichtigt. Zum Gesundheitswesen der DDR und den Umstellungsproblemen im Zuge der deutschen Einheit siehe Ruban 1981; Lampert 1985a; Weidig 1988; Bischof 1990; Korbanka 1990; Deppe 1993; Manow 1994.
46
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Was die Ausgabendynamik in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern seit 1991 anbelangt, sind drei wesentliche Unterschiede festzuhalten: 1.
In allen Hauptbehandlungsarten war der Ausgabenanstieg in den neuen Ländern überproportional hoch (= Nachholeffekte).
2.
Trotz einer anfänglichen Reduktion der Ausgabenanteile der Krankenhausbehandlung in den neuen Ländern zugunsten einer relativen Zunahme der ambulanten Behandlungskosten erhöhten sich die Ausgaben für die Krankenhausbehandlung im Osten seit 1991 überdurchschnittlich. Seit 1993 nimmt der Anteil der Krankenbehandlung in den neuen Ländern sogar wieder deutlich zu. Die Ausgaben für stationäre Kurbehandlung vervierfachten sich in den neuen Ländern sogar seit 1991, wobei zu beachten ist, daß diese Entwicklung von einem extrem niedrigen Niveau aus ihren Ursprung hatte.
3.
Die Vorwegnahmeeffekte vor Inkrafttreten des GSG betrafen bei Arzneimitteln im stärkeren Maße die alten Bundesländer und bei den Zahnersatzleistungen vor allem die neuen Länder. In den neuen Ländern bewirkte die GSG-Verabschiedung im Jahr 1993 kurzfristig fast eine Halbierung der Ausgaben für Zahnersatz gegenüber dem Vorjahr.
Den Ausgabenentwicklungen allein lässt sich nicht entnehmen, "ob ein gesellschaftlicher Sektor zu teuer ist" (Halfar 1987: 761). Alle von Einflüssen wie Kaufkraft, Arbeitsmarkt, Wechselkursen etc. unbereinigten Maße von Gesundheitskostenentwicklungen spiegeln nur ein grob vereinfachtes Bild der Wirklichkeit wider und erlauben letztendlich nur Einschätzungen zur Dynamik bzw. zur relativen Zusammensetzung der Gesamtkosten bzw. einzelner Kostenarten. Um auch verschiedene volkswirtschaftliche Entwicklungen bei der Beurteilung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen zu berücksichtigen, hat sich die Verwendung der Gesundheitsquote als Quotient aus Gesundheitsausgaben und Bruttosozial- oder -inlandsprodukt (BSP, BIPYs durchgesetzt. Die Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich (incl. Einkommensleistungen) zeigen nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes seit Mitte der 1970er Jahre für die Bundesrepublik eine relativ moderate Entwicklung. Von 1970 an stieg der Anteil der Gesundheitsausgaben am BSP von 10,3 Prozent auf 13,1 Prozent (1980) und lag 1990 bei 12,4 Prozent. Nach der deutschen Einheit stieg
.0 Das Bruttosozialprodukt (BSP) als gängigster Wertmaßstab für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft wird gebildet aus Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dem Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt. Das BIP ergibt sich aus der Summe aller Produktionswerte eines Landes abzüglich sämtlicher Vorleistungen aus dem In- und Ausland.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
47
die Quote bis 1995 auf 14,4 Prozent für die gesamte Bundesrepublik und auf 13,7 Prozent für die alten Länder. Mit Hilfe von Preisindizes läßt sich der Einfluss der Preise auf die Ausgabenentwicklung annäherungsweise ausschalten. Abbildung 5 zeigt zunächst die Preisentwicklung für die Lebenshaltung aller Privathaushalte im früheren Bundesgebiet seit 1970. 19 Zusätzlich sind die Preisindizes für Waren und Dienstleistungen für Körper- und Gesundheitspflege und der Preisindex für Arzt-, Krankenhaus- und sonstige Dienstleistungen für Gesundheitspflege dargestellt sowie der Index der Einzelhandelspreise für Gesundheitspflege.
350
1970=100 Arzt-, Krankenhaus- u. sonst. Dienstleistungen tor Gesundheitspflege
300
WarenlDienstleistungen tor Körper- u. Gesundheitspflege
Insgesamt
250
200
150
..-/
1970
1975
1980
//'
~~
Gesundheitspflege (Index d. Einzelhandelspreise)
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 5: Entwicklung der Preise für die Lebenshaltung aller Privathaushalte des früheren Bundesgebietes seit 1970
19 In den neuen Bundesländern und Berlin-Ost ergab sich für die Lebenshaltung aller privater Haushalte im Mai 1997 (Indexstand 138,2; 1991 = 100) mit + 0,4 Prozent die gleiche Preissteigerungsrate gegenüber dem Vorjahresmonat wie im früheren Bundesgebiet, jedoch mit + 1,8 Prozent eine höhere Teuerungsrate gegenüber dem Vorjahresmonat. Der im Vergleich zu den alten Bundesländern höhere jährliche Anstieg der Lebenshaltungspreise ist vor allem auch auf eine im Verhältnis stärkere Verteuerung u. a. bei Gütern für Gesundheits- und Körperpflege zurückzuführen (Weinreich 1997: 441).
48
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Nach eigenen Berechnungen auf der Grundlage amtlicher Daten stieg der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte bis 1996 auf 251 Prozent des Jahres 1970 in den alten Bundesländern, der Preisindex für alle Waren und Dienstleistungen für die Körper- und Gesundheitspflege stieg dagegen auf 263 Prozent. Der Index der Einzelhandelspreise für Waren für die Gesundheitspflege ist deutlich geringer angestiegen als der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte. Die Preise für Arzt-, Krankenhaus- und sonstige Dienstleistungen für die Gesundheitspflege stiegen dagegen von 1970 an stets schneller als die Preise für die Lebenshaltung insgesamt. Der entsprechende Indexwert war 214,5 im Jahr 1980,271,9 im Jahr 1989 und schließlich 317,5 im Jahr 1996. Mit dem Beginn der dreistufigen Gesundheitsreform wachsen die Preise für Arzt- und Krankenhausdienstleistungen allerdings bedeutend langsamer als die Preise für die Lebenshaltung aller Privathaushalte: Während letztgenannte zwischen 1989 und 1996 um 21,4 Prozent zunahmen, lag die Zuwachsrate des Indizes für Arzt-, Krankenhaus- und sonstige Dienstleistungen für die Körper- und Gesundheitspflege bei "nur noch" 16,8 Prozent für denselben Betrachtungszeitraum. Die realen Gesundheitsaufwendungen pro Einwohner der Bundesrepublik als Basisjahr für die Preisbereinigung wiederum das Jahr 1970 gewählt - stiegen von 1149 DM pro Bundesbürger (1970) auf2518 DM (1996, nur früheres Bundesgebiet). Das bedeutet, dass 62,4 Prozent des Nominalbetrags von 6697 DM pro Einwohner im Jahr 1996 (= mehr als Versechsfachung gegenüber 1970, vgl. Abbildung 3) allein aus Preissteigerungen resultierten (vgl. Müller 1997, 1998). Bei Ausgaben für vorbeugende und betreuende Maßnahmen lag der Anteil der Preissteigerungen bei 62,7 Prozent, bei der ambulanten Behandlung sogar bei 68,5 Prozent, dagegen bei Arznei-, Heil- und Hilfsmittel lediglich bei 47,3 Prozent, da in diesem Fall Mengeneffekte und Strukturverschiebungen im Vordergrund standen. 20 Zusammengefaßt bleibt festzuhalten: Die Gesamtausgaben des Gesundheitswesens, die sogar die wachsenden Zahlungen bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, bei Krankheit und Mutterschaft, für berufliche und soziale Rehabilitation, für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, für Pflege, Vorsorge- und Früherkennung sowie für Ausbildungs- und Forschungszwecke, Umweltmaßnahmen und den Verwaltungsaufwand aller beteiligten Einrichtungen umfassen, haben im Verhältnis zum Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte überproportional zugenommen, jedoch nicht in dem Maße, dass es ge-
20 Zur preisbereinigten Kostenentwicklung im stationären Bereich siehe gesonderte Darstellung in Abschnitt I1.4.a dieses Kapitels.
H. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
49
rechtfertigt erschiene, von einer "Kostenexplosion" zu sprechen (siehe auch: von der Schulenburg 1988: 4).
b) Internationaler Vergleich
Eine zusätzliche Blickrichtung erhält die Interpretation der Ausgabenentwicklung im Gesundheitsbereich, wenn die bundesdeutschen Werte rur Gesundheitsausgaben bezogen auf das Volkseinkommen mit entsprechenden Angaben anderer Industrieländer verglichen werden (Abbildung 6). Zunächst ist festzustellen, dass alle Industrieländer seit 1970 einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Anstieg im Anteil des Gesundheitswesens erlebten. Die Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland liegen nach den Berechnungen von BASYS im Jahr 1994 deutlich über den Werten Japans, jedoch weit hinter der Spitzenposition der USA, wo bereits seit Ende der 1980er Jahre mehr als 11 Prozent des Brurtoinlandproduktes fiir das Gesundheitswesen ausgegeben werden (Schneider / Biene-Dietrich et al. 1995: 39 ff.; vgl. Abbildung 6). Erst in den 1990er Jahren beginnen die Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP fiir die Bundesrepublik anzusteigen, obwohl in diese Zeit die zweite Stufe der Gesundheitsreform fiel. Die Bundesrepublik befmdet sich international aber immer noch im Mirtelfeld der Entwicklung der Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP vergleichbarer Industrieländer. 13
in Prozent
1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr
Abbildung 6: Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP rur ausgewählte Industrieländer (Quelle: Daten von BASYS)
4 Lebok
50
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Auch die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in Kautkraftparitäten weisen tUr die Bundesrepublik keine überdurchschnittlichen Werte auf (vgl. Tabelle 2). Der Pro-Kopf-Anstieg der Gesundheitsausgaben ist während der 1980er Jahre in einigen Industriel!indern sogar weitaus stärker ausgefallen als in der Bundesrepublik. Zwar haben sich gegenüber 1980 die Pro-Kopf-Ausgaben bis 1995 nahezu verdoppelt, die Ausgabensteigerungen lagen aber dennoch durchgehend unter dem EU-Durchschnitt oder den Ausgabenzuwächsen in den Vereinigten Staaten, wo sich die Ausgaben gegenüber 1980 verdreifachten. Erst zu Beginn der 1990er Jahre wachsen die Pro-Kopf-Ausgaben überdurchschnittlich. Dies liegt dabei nicht an der deutschen Einheit, sondern vor allem an systemimmanenten Faktoren in Verbindung mit der Gesundheitsreform. 21 Tabelle 2 Durchschnittliche jährliche Gesundheitsausgaben für ausgewählte Industrieländer pro Kopf in DM (in Kaufkraftparitäten)
Bundesrepublik Frankreich Großbritannien Italien
1970
1980
1985
1990
1991
1992
1993
1994
596 617 874 1 922 1
1897 1770 1193 1360 1356 1678 2088 2182 2262
2492 2441 1597 1855 1830 2475 2684 2833 3553
3096 3198 2285 2633 2448 3216 3299 3634 5117
3022 3433 2477 3041 2595 3499 3277 3993 5625
3430 3648 2811 3195 2759 3568 3239 4282 5927
3501 3805 3001 3160 3008 3725 3259 4550 6507
3758 3822 3138 3162 3114 3731 3311 4662 6767
Japan Kanada
1170 1
Schweden Schweiz USA
1590 1 1008
Quelle: Daten von BASYS 1997 1 Angaben fiIr das Jahr 1975
Höhere Ausgaben tUr die medizinische Versorgung hätte man dabei eher in der Bundesrepublik als in den USA erwarten mUssen, da die marktwirtschaftlichen Elemente im bundesdeutschen Gesundheitswesen weitaus schwächer ausgeprägt sind. Zum anderen ist der Versicherungsschutz im System der sozialen Sicherung der Bundesrepublik umfangreicher, so dass in den Vereinigten Staaten eigentlich "Selbstbehalt-Mechanismen" anzunehmen wären (Neipp 1988b:
21 Während rur die neuen Bundesländer die Gesundheitsausgaben pro Kopf von 1629 DM (1991) auf 2973 DM (1994) angestiegen sind, waren die entsprechenden Werte laut Berechnungen des BASYS-Instituts rur die alten Länder 3365 DM bzw. 3943 DM.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
51
12), die wiederum auch zu einem wirtschaftlicheren Verhalten der Versicherten (und folglich auch zu einem geringeren Ausgabenanstieg insgesamt) beitragen müßten. Schließlich ist die stationäre Infrastruktur in Deutschland, die auch von der OECD als einer der expandierenden Versorgungsbereiche im Gesundheitswesen ausgemacht wurde, deutlich dichter und flächendeckender ausgebaut (vgl. Abschnitt IV.2.b: Regionale Unterschiede in der Bettendichte). Grundsätzlich ist aber zu beachten, dass einer direkten Vergleichbarkeit der Daten unterschiedlicher Länder Grenzen gesetzt sind. Einmal sind die Finanzierungssysterne zum Teil sehr verschieden22 , zum anderen sind die einzelnen Versorgungsbereiche unterschiedlich defmiert, so dass die Zuordnung einzelner Posten zu den Ausgaben des Gesundheitswesens nicht immer leicht flillt. Dies gilt auch für das US-amerikanische Gesundheitssystem, nach dem sich die Bundesrepublik seit den Gesundheitsreformen in seinen wichtigsten Passagen orientiert und auf das in seiner Struktur bereits an dieser Stelle eingegangen werden soll.
c) Exkurs: Aktuelle Veränderungen im Gesundheitswesen der USA
Im Gegensatz zur Bundesrepublik kennen die Vereinigten Staaten keine gesetzliche Krankenversicherung als Pflichtversicherung, sondern eine Vielzahl gleichberechtigter Kostenträger rur Gesundheitsausgaben, die sich überdies auch regional deutlich unterscheiden können (Hauser 1981; von der Schulenburg 1982; Neipp 1988): • •
Selbstzahler Private Krankenversicherungen (entsprechend der PKV in der Bundesrepublik)
•
Betriebskrankenkassen ("self-insured health plans")
•
Gemeinnützige, der GKV vergleichbare Krankenversicherungen ohne Beitrittszwang (Blue-Cross-lBlue-Shield-Organisationen)
•
Sozialhilfeprogramme des Bundes (Medicaid), des Bundes und der Länder (Medicare ), der Länder allein und der Gemeinden
22 Prinzipiell läßt sich die Finanzierung von medizinischen Versorgungssystemen nach mindestens drei Typen unterschieden (wobei mittlerweile zahlreiche Mischfonnen existieren). Neben dem Beveridge-Modell steuerftnanzierter Gesundheitsdienste, denen in der Vergangenheit traditionell Länder wie Großbritannien, Schweden und Italien angehörten, gibt es Sozialversicherungsmodelle, denen u. a. Deutschland, Österreich, die Schweiz und Frankreich zuzuordnen sind, als auch Systeme mit stark ausgeprägter marktwirtschaftlicher Komponente (z. B. USA).
4·
52
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Private Krankenversicherungen und Blue-Cross-lBlue-Shield-Organisationen dominieren dabei den US-Gesundheitsmarkt (Amett / Trapnell 1984). Eine Vergleichbarkeit bei der Gesundheitssysteme ist deshalb allein schon aufgrund der unterschiedlichen Versichertenstruktur sehr schwierig (90 Prozent GKVVersicherte in der Bundesrepublik, etwa ein Drittel der US-Bevölkerung in B1ue Cross- bzw. B1ue-Shield-Organisationen versichert) und führt zu Unsicherheiten bei der DateninterpretationY Deutlich anders als in Kanada oder Europa ist das arbeitsplatzgebundene US-amerikanische Krankenversicherungssystem. Die private US-Versicherungswirtschaft24 sieht es grundsätzlich als "unfair" an, wenn Personen mit einem geringen Krankheitsrisiko solche mit einem hohen Risiko (z. B. Arbeitslose, chronisch Kranke etc.) über Versicherungsbeiträge unterstützen. Deshalb hat sich in den USA eine Vertrags- und Preispolitik durchgesetzt, die das Krankheitsrisiko als entscheidende Größe berücksichtigt. Wenn ein Amerikaner aber seinen Arbeitsplatz verliert, verliert er nach einer Übergangszeit auch den Versicherungsschutz. Nach US-amerikanischen Schätzungen ist ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung zeitweise überhaupt nicht versichert und ein noch größerer Teil nur unzureichend (Farley 1985; Sulvetta / Swartz 1986; Pauly 1986; Neipp 1988b; Huber / Köse / Schneider 1991). Besonders aufgrund einer stärker ökonomischen Ausrichtung des US-Gesundheitssystems seit Beginn der 1980er Jahre ist dieser Aspekt sozialpolitisch umso schwerwiegender, da anfallende Behandlungskosten bei mangelhaft Versicherten immer weniger auf die besser Versicherten im Sinne eines Sozialversicherungssystems abgewälzt werden konnten. Seit Mitte der 1960er Jahre bestehen die staatlichen Versorgungsprogramme Medicare (in der Regel für über 65jährige und Behinderte) und Medicaid (für Fürsorgeempflinger), die beide mit erheblichem Aufwand aus öffentlichen Mit-
23 Während sich die jährlichen Berechnungen der US-Behörde Health Care Financial Administration rur pro-Kopf-Gesundheitsausgaben nur minimal von OECD-Berechnungen rur die USA unterscheiden, weichen die Angaben zwischen OECD und Statistischem Bundesamt aufgrund unterschiedlicher Quellenverwendung und unterschiedlicher Begriffsdefinitionen deutlich voneinander ab. Vgl. OECD 1993; Müller 1991, 1993, 1995, 1997 sowie in einer Datengegenüberstellung Neipp 1988b: 20 ff. 24 Privatversicherung meint in den Vereinigten Staaten Versicherungsschutz außerhalb der staatlichen Versorgung über die Medicare- und Medicaid-Programme, sowie außerhalb der Gesundheitsversorgung der Angehörigen von Streitkräften und USVeteranen sowie der indianischen Bevölkerung. Da die Privatversicherung arbeitsplatzgebunden ist, wird die Zugehörigkeit zu den einzelnen Versicherungen stark vom Arbeitgeber beeinflußt, der in der Regel mit den Versicherungen Gruppentarife abschließt. Die Versicherungsbeiträge werden zudem zu rund 70 Prozent vom Arbeitgeber getragen (vgl. Neipp 1988b).
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
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teln fmanziert wurden. Während Medicare-Patienten die Leistungen rur die stationäre Behandlung über Sozialversicherungsbeiträge analog zur GKV abgerechnet werden, wird die ambulante Behandlung - wie bei Medicaid-Patienten insgesamt - über Steuern fmanziert (Feldstein 1983; Raffel 1984). Auch im allgemeinen, staatenübergreifenden Medicare-Programm sind die Versicherungsbeiträge (rur stationäre Behandlung) nur mit Einschränkungen befreit vom Erkrankungsrisiko des Versicherten. Bei einigen älteren Personen, die nur über ein geringes Einkommen verfUgen, kann der Eigenanteil an den Gesundheitskosten durchschnittlich etwas über 20 Prozent ihres Gesamteinkommens ausmachen (Reinhardt 1991: 108). Demgegenüber bietet das Medicaid-Programm rur Fürsorgeempflinger einen umfassenderen Versicherungsschutz (vgl. Feldstein 1983; Raffel 1984; Neipp 1988b). Beide staatlich initiierten Programme wurden in der Folgezeit als kostentreibende Faktoren gesehen, da der Staat - im Gegensatz zum bundesdeutschen Sozialversicherungssystem - bei rund einem Viertel der US-Bevölkerung direkt in die soziale Sicherung (Medicare, Medicaid, US-Veteranen und Angehörige, indianische Bevölkerung) eingreift. Im Jahr 1980 betrug allein der MedicareHaushalt 35 Mrd. Dollar. Nach US-Schätzungen hätte sich der Haushalt binnen einer Dekade ohne die in diesem Zeitraum vorgenommenen Kostendämpfungsmaßnahmen mehr als verdoppelt (vgl. Seitz / König / von Stillfried 1997). Das größte "Sorgenkind" in der Ausgabenentwicklung waren die KrankenhäuseT. Deshalb wurde 1982 ein Finanzierungsreformgesetz fiir die MedicareKrankenhauskosten verabschiedet, der Tax Equity and Fiscal Responsibility Act (TEFRA), mit dem das Krankenhauswesen der USA aufgrund eines Wechsels von einer nachträglichen Erstattung der Selbstkosten eines Krankenhauses zu einer prospektiven leistungsbezogenen Vergütungs form rur Medicare- und Medicaid-Patienten reformiert wurde (vgl. Sloan 1991 sowie ausfUhrlich in Abschnitt III.3.a: Fallklassifikationssysteme der DRGs und PMCs). Der Wechsel wurde dadurch ermöglicht, weil US-Bundesregierung, Länderregierungen und Gemeinden mehr als 40 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen zu tragen hatten und dadurch genügend politische Macht besaßen, den Krankenhäusern Art, Menge und Preis der Gesundheitsleistungen zu diktieren. Konsequenz dieser gesetzlichen Regelung war (die in der Folgezeit auch rur die meisten europäischen Industrienationen als nachahmenswert betrachtet wurde), dass die Krankenhäuser bei höheren als den staatlich festgelegten Kosten die Verluste bei staatlich versorgten Patienten selbst zu tragen hatten. Außerdem ging man in den Vereinigten Staaten bereits in den 1980er Jahren über, die Gesundheitsversorgung der Erwerbsbevölkerung (und ihrer Familienangehörigen) über sog. Managed Care-Konzepte zu strukturieren, die zunächst stark von Arbeitgeberseite forciert wurden. 2S Managed Care beinhaltet dabei
54
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
eine nach Effizienzkriterien geregelte medizinische Versorgung der Versicherten, die alle Versorgungsbereiche beinhaltet (case management). Um eine effizientere und kostengünstigere Versorgung sicherzustellen, schließen Anbieter von Managed Care Verträge mit Ärzten, Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen des Gesundheitswesens ab, bei denen sich ihre Versicherten ausschließlich behandeln lassen dürfen. Zudem können Managed Care-Organisationen direkt in Funktionsabläufe einzelner Versorgungsbereiche (z. B. in das ärztliche Urteil über Weiterbehandlungsmaßnahmen) eingreifen. Zu den bedeutendsten Anbietern von Managed Care in den USA zählen heterogen zusammengesetzte "Dachorganisationen" wie Health Maintenance Organisations (HMO) und Preferred Provider Organisations (PPOY6, in denen 1993 bereits 42 Prozent der Erwerbstätigen versichert waren (Seitz / König / von Stillfried 1997). Trotz staatlicher Eingriffe in das Gesundheitswesens der USA und trotz der Ausbreitung von Managed Care wuchsen aber die Gesundheitsausgaben von 8,3 Prozent des BIP (1980) auf 11,2 Prozent im Jahre 1990 und stiegen auch in den nachfolgenden Jahren (zumindest bis 1993) weiter an (Abbildung 6). Als Fazit der Diskussion um die Gesamtausgabenentwicklung im bundesdeutschen Gesundheitswesen bleibt unter Berücksichtigung der Reformen im US-amerikanischen Gesundheitssystem festzuhalten, dass es die vielzitierte "Kostenexplosion" im deutschen Gesundheitswesen zumindest im Vergleich mit anderen Industrieländern im Grunde genommen (noch) nicht gegeben hat. Das Gesundheitswesen war bisher leistungsfähig genug, dass es ohne größere
2S Die einmal über den Arbeitgeber abgeschlossene Arbeitnehmer-Krankenversicherung hatte verschiedene kostentreibende Nachteile. Bezahlt beispielsweise ein Arbeitgeber den vollen Beitrag, so hatte der Versicherte in der Regel keinen Anreiz selbständig zu alternativen Versicherungen mit niedrigeren Beiträgen zu denselben Konditionen zu wechseln. Zum anderen filhrte die vergangene Praxis auch zu einer übermäßigen Nachfrage nach Versicherungsschutz für die Arbeitnehmer auf Seiten der Arbeitgeber, da die Versicherungsbeiträge der Arbeitnehmer steuerlich voll geltend gemacht werden konnten (vgl. Enthoven 1980; Pauly 1980; Kraft / von der Schulenburg 1986; Neipp 1988b). 26 Zu den Erfahrungen mit HMO und PPO in den Vereinigten Staaten siehe Enthoven 1980; Luft 1981; von der Schulenburg 1982; Selbmann / Überla 1982; Raffel 1984; Gabel / Erman 1985. Ob Managed Care-Konzepte zu Einsparungen im Gesundheitswesen der USA geführt haben, wird derzeit kontrovers diskutiert (Altman / Wallack 1997; Light 1997; Seitz / König / von Stillfried 1997; Wasem 1997). Empirisch belegt ist aber, daß die auf Kostendämpfung ausgerichtete Behandlungspraxis (u. a. durch Pauschalierung des ärztlichen Honorars) zu keinen Qualitätsverlusten führte (vgl. Luft 1981; Neipp 1988b; Bertram 1996; Seitz / König / von Stillfried 1997).
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
55
Ausweitung seines Anteils am Bruttosozialprodukt oder am Volkseinkommen die durch den medizinisch-technischen Fortschritt oder den Anstieg der Rentnerzahlen zusätzlich entstehenden Leistungen und Mehrbelastungen auffangen konnte (vgl. Neipp 1988b; Sachverständigenrat 1996; Schwartz / Busse 1997). Die Ausgabenzuwächse für Gesundheit fielen bis zum Ende der 1980er Jahre weit weniger dramatisch aus als etwa in dem von deutschen Gesundheitspolitikern als nachahmenswert empfohlenen US-Gesundheitssystem. Unbestreitbar in der öffentlichen Diskussion ist aber, dass das Gesundheitswesen der Bundesrepublik während der 1990er Jahre grundsätzlich verschieden ist vom Gesundheitswesen im Jahr 1960 oder 1970. Nahezu alle Bestimmungsgrößen haben sich seither geändert, wobei diese Faktoren teilweise unterschiedlich in Richtung und Bedeutung und zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf das System eingewirkt haben. Das macht es auch so schwierig, die Gründe für die Ausgabensteigerung exakt und isoliert darzustellen. Auf der anderen Seite macht dies auch den Begriff "Kostenexplosion" so problematisch, weil er sich gerade aufgrund seiner Eingängigkeit zur Kennzeichnung der Ausgabenentwicklung in der politischen Diskussion durchgesetzt hat, "in Wirklichkeit aber die komplexe Verursachung der Entwicklung nicht zum Ausdruck bringt' (Arnold 1986: 26).
3. Mögliche Ursachen für den Ausgabenanstieg in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) In Abschnitt 11.1 wurde die zentrale Bedeutung der GKV für das deutsche Gesundheitswesen hervorgehoben. Im Jahr 1996 lagen die Ausgaben für Gesundheit für Gesamtdeutschland laut Statistischem Bundesamt (1998) bei 525,6 Mrd. DM, für das frühere Bundesgebiet bei 445,9 Mrd. DM. Die Hälfte aller Ausgaben im Gesundheitswesen werden von der gesetzlichen Krankenversicherung als Träger von Gesundheitsleistungen bestritten (1996: 50,6 Prozent). Da ihre Zuwächse scheinbar die Steigerungsraten anderer Finanzierungsträger "bei weitem" übertreffen, steht die Entwicklung der GKV-Ausgaben und ihre Beurteilung traditionell im Vordergrund der Betrachtung nach einzelnen Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen lagen im Jahre 1988 bei 131,7 Mrd. DM und sind im Jahre 1989 kurzzeitig in Folge des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) als erste Stufe der Gesundheitsreformen auf 127,6 Mrd. DM gesunken, um dann weiter bis 1996 auf 220,4 Mrd. DM im früheren Bundesgebiet (bzw. auf 266,2 Mrd. DM für Gesamtdeutschland) anzusteigen (vgl. Abbildung 7). Im Hinblick auf den in den Abschnitten zuvor dargelegten Ausgabenanstieg unter Berücksichtigung der Preisentwicklung muss angemerkt werden, dass der Anteil der Leis-
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
tungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung am BSP mit unbedeutenden jährlichen Abweichungen nach oben oder unten bis zum Beginn der 1990er Jahre im Durchschnitt bei 5,7 Prozent lag - trotz des medizinischen Fortschritts vor allem in der Gerätemedizin, einer seit Jahren abnehmenden Mortalität in den höchsten Altersstufen und der daraus sich verstärkenden demographischen Alterung der Bevölkerung (vgl. Wasem 1997). Laut Angaben der amtlichen Statistik ist aber der GKV -Anteil seit Beginn der 1990er Jahre von über sechs Prozent des BIP auf mittlerweile 6,9 Prozent des BIP für die gesamte Bundesrepublik angestiegen. ,---------------------------------------------------------, 1970=100
1000
I
900
i
GKV
I
800
I
PKV
700 600
Insgesamt (= alle AusgabentrIger)
500 PKV
400 300 200 100 1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 7: Ausgabenentwicklung für Gesundheit in den gesetzlichen (GKV) und privaten Krankenversicherungen (PKV). Früheres Bundesgebiet 1970-1996
Neben der GKV erlebte aber auch die private Krankenversicherung (PKV)27 - die rund fünf Prozent der Gesundheitsausgaben trägt - seit Beginn der 1980er
27 Die private Krankenversicherung kann ausschließlich von gesetzlich nichtversicherungspflichtigen Personen als alleinige Krankenversicherungsform gewählt werden. Daneben können aber auch gesetzlich Krankenversicherte in der PKV eine private Zu-
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
57
Jahre enonne Ausgabensteigerungen, die u. a. auch auf Zuwächse in den Mitgliederzahlen zurückzuführen waren: Während 5,8 Mio. Personen im Jahr 1970 gegen Krankheitskosten privat vollversichert waren, ging ihre Zahl aufgrund gesetzgeberischer Initiativen bis 1982 auf 4,2 Mio. zurück, um schließlich zum Jahresende 1996 auf über sieben Mio. versicherte Mitglieder anzusteigen. Die Zugewinne der PKV an neuen Mitgliedern ist dabei zum überwiegenden Teil auf eine langjährige positive Bilanz zwischen Übertritten von der GKV und Abgängen von der PKV zur GKV zurückzuführen. Im Gegensatz zum Sachleistungsprinzip für Kassenpatienten gilt für PKV-Mitglieder das Kostenerstattungsprinzip: Der Versicherte ist verpflichtet, die Ausgaben für Gesundheitsleistungen zunächst selbst zu tragen, erhält aber nach Vorlage der Rechnung eine Kostenerstattung. Die Höhe des erstatteten Betrages hängt von der Ausgestaltung des Versicherungsvertrages ab. Hierbei kann der Versicherte aus einer Vielzahl von Angeboten mit unterschiedlichen Selbstbeteiligungsmodellen wählen. Der Umfang des Versicherungsschutzes und das (z. B. nach dem Alter gestaffelte) Krankheitsrisiko des Versicherten bestimmen die Höhe der Versicherungsprämie, die nach dem versicherungsmathematischen Äquivalenzprinzip berechnet wird. Im Bereich der Krankenhausversorgung genießt allerdings auch der Privatpatient bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Chefarztbehandlung) eine hundertprozentige Abdeckung der anfallenden Kosten (vgl. Fischer 1988). Wenn berücksichtigt wird, dass in der PKV hauptsächlich nicht-sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (u. a. Beamte, Selbständige, "Besserverdienende") vollversichert sind, die in der Regel gegenüber der GKV (insbesondere gegenüber den AOKs) eine "günstigere" Risikostruktur aufweisen, sind aber auch in der PKV die Ausgaben seit Mitte der 1980er Jahre "dramatisch" angestiegen (vgl. Abbildung 7). Von 1970 bis Mitte der 1980er Jahre verlief der Ausgabenanstieg der GKV steiler als bei der PKV. In der Folgezeit kehrte sich aber der Trend um, und die Ausgaben der PKV wuchsen - u. a. aufgrund steigender Mitgliederzahlen - relativ schneller als bei den gesetzlichen Kassen. Während der 1990er Jahre erlebten beide Versicherungsarten einen neuerlichen Anstieg der jährlichen Ausgaben. 2' Seit Mitte der 1990er Jahre steigen die
satzversicherung abschließen. Ende 1990 waren dies in der Bundesrepublik nach Angaben des PKV-Zahlenberichts 1997/98 rund 5,2 Mio. Personen. Nach Hochrechnung auf der Grundlage der Mikrozensus-Erhebung 1995 wird für den Jahresbeginn 1998 eine Zahl der Zusatzversicherten von 7,0 Mio. Personen angenommen. 2. Unterdurchschnittlich verlief die Entwicklung der Ausgaben für Gesundheit in der GUV, in der GRV (nur im System der Krankenversicherung!) sowie der Arbeitgeber, vgl. Müller 1997.
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Ausgaben flir Gesundheit in der GKV wiederum deutlich stärker an als in der PKV.29 Wenn die Gesundheitsausgaben der PKV und der GKV auf die Gesamtzahl ihrer aus den Mikrozensen hochgerechneten Versichertenzahlen bezogen werden, so läßt sich ansatzweise bestätigen, dass der Ausgabenanstieg der PKV in den letzten Jahren u. a. auch auf die Mitgliederzunahme zurückzufUhren ist. Die Ausgaben flir Gesundheit pro Versicherten lagen zunächst in der PKV deutlich über dem Vergleichswert in der GKV. Im Jahre 1977 errechneten sich flir die PKV 1494,-- DM pro Versicherten gegenüber 1179,-- DM in der GKV. Bis Mitte der 1980er Jahre blieb der Pro-Kopf-Unterschied in den Ausgaben erhalten (2430,-- DM gegenüber 2055,-- DM in der GKV im Jahre 1985). Die pro-Kopf-Ausgaben blieben flir die PKV in der Folgezeit weitgehend konstant (2478,-- DM im Jahr 1990), während in der GKV die Ausgaben pro einzelnen Versicherten deutlich bis auf 2573,-- DM (1990) angestiegen sind. Bis zum Jahr 1995 fand in beiden Versicherungsarten gleichermaßen ein zusätzlicher Ausgabenanstieg statt, wobei in den alten Bundesländern kaum noch Unterschiede in den Pro-Kopf-Ausgaben bestehen (3590,-- DM in der GKV bzw. 3499,-- DM in der PKV). Eine wesentliche Ursache im (mitgliederzahlenbereinigten) GKV-Ausgabenanstieg der letzten zehn Jahre wird in der Entwicklung und Zusammensetzung der von Angebot und Nachfrage geprägten Ausgabenstruktur gesehen (vgl. Wasem 1997). In der amtlichen Statistik lassen sich die Ausgabenzuwächse nach verschiedenen Leistungsbereichen differenzieren. Die drei Sektoren ambulanter (ärztlicher und zahnärztlicher Bereich), stationärer und Pharma-Bereich verursachen dabei im Gesamtausgabenvolumen der GKV mehr als 80 Prozent (vgl. Tabelle 3 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, 1998). An der Dominanz dieses Ausgabenblocks (ambulante, stationäre und Arzneimittelausgaben) hatte sich im Laufe der Jahre nur wenig verändert. Erhebliche Veränderungen fanden aber in einzelnen Leistungsbereichen statt. Dabei ist zu beachten, dass Mehrausgaben in einem Leistungsbereich durchaus zu fmanziellen Entlastungen flir die GKV insgesamt fUhren können (vgl. Sachverständigenrat 1991), etwa wenn (kostengÜllstigere) Arzneimitteltherapien denselben Behandlungserfolg am Patienten bewirken würden wie beispielsweise (teurere)
29 Trotz dieser günstigeren Entwicklung ist nach Ansicht der PKV der deutliche Anstieg der Leistungen für die ambulante Arztbehandlung besorgniserr~gend. Als Grund den überdurchschnittlichen Ausgabenanstieg wird der Versuch der Arzte gesehen, finanzielle Einschränkungen im Kassenbereich durch steigende Honorarforderungen bei Privatpatienten zu kompensieren (vgl. PKV-Zahlenbericht 1997/98).
II. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
59
Operationen, was z. B. im Zusammenhang mit Krebstherapien diskutiert wurde. Während die GKV-Ausgaben insgesamt nahezu ununterbrochen ansteigen (vgl. Abbildung 7), sind die Ausgabenanteile fiir die ambulante ärztliche Behandlung in der GKV seit einiger Zeit rückläufig (Tabelle 3), da ihre Ausgaben insgesamt langsamer wachsen als die Gesamtausgaben der GKV. Der ambulante Bereich wird deshalb von Seiten der Kassen weniger als ein primär kostensteigernder Bereich des Gesundheitswesens angesehen, dennoch wird auch dieser Bereich des Gesundheitswesens aufgrund steigender Arztzahlen (bei einer überproportionalen Zunahme von Fachärzten30 ) und der überdurchschnittlich hohen Arzteinkommen31 kritisch beobachtet (vgl. Metze 1975; Neubauer 1985b; Arnold 1987; Alber 1992). Die Strukturvorteile der Kassenärztlichen Vereinigung im Verhandlungssystem gegenüber den Kassen sind vermutlich einer der Erklärungsfaktoren dafilr, dass die Bundesrepublik international durch eine Kombination von hohem Arzteinkommen und gleichzeitig hoher Arztdichte auffällt (vgl. OECD 1993). Marktwirtschaftlieh hätte zwar die Zunahme der Ärztezahlen aufgrund des gestiegenen Angebots zu einer Verringerung der Arzthonorare filbren müssen, doch filhrte die Leistungsausweitung bei niedergelassenen Ärzte zu einer dieser vermeintlichen Gesetzmäßigkeit widersprechenden Entwicklung (Herder-Dorneich 1975, 1985; Metze 1975; von der Schulenburg 1981b; Neubauer, 1985b; Arnold 1986; Dröge 1991; Alber 1992; Klose 1993). Erst in jüngster Zeit zeigt sich eine Trendwende und die Arzteinkommen wachsen langsamer als die Arbeitnehmereinkommen. 32 Zum partiellen Abbau der Einkommensprivilegien
30 Der Anteil der Fachärzte unter den zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten ist zwischen 1970 und 1989 von knapp die Hälfte auf mehr als drei Fünftel gestiegen. Dazu haben auch die im Honorierungssystem verankerten Einkommenschancen der Fachärzte beigetragen (Alber 1992: 90; Klose 1993: 26). 31 "Wenn im Gesundheitswesen gespart werden muß, ist die nächstliegende Möglichkeit, die Einkommen der bestverdienenden Berufsstände, Ärzte und Zahnärzte, zu reduzieren, bevor die Reallöhne der krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und Rentner (zwecks Gewährleistung oder sogar Erhöhung der Ärzteeinkommen) reduziert werden" (Schäfer 1983: 129). 32 Exakte und verläßliche Zahlen hierzu sind aber nur schwer zu erhalten. In Ansätzen lassen sie sich über die Einkommenssteuerstatistik bilden. Demnach lagen 1992 die Einkünfte von Ärzten aus freiberuflicher Tätigkeit bei 158 TOM je steuerpflichtigen Arzt bzw. bei 217 TOM bei Einkünften von Ärzten aus überwiegend freiberuflicher Tätigkeit (1980: 181 TOM). Unter den freien Berufen wurden höhere Einkommen nur von Wirtschaftsprüfern und Zahnärzten mit überwiegend freiberuflicher Tätigkeit erzielt
60
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 3 Struktur der Leistungsausgaben der GKV, 1970 bis 1996. Ausgaben in Mio. DM, Anteil an den Leistungsausgaben in Klammern - Früheres Bundesgebiet Prävention davon: Med. Dienste Gesundheitsvorsorge Mutterschaftshilfe (betreuend) Behandlung davon: Amb.-ärztl. Beh.
1970
1975
1980
1985
1990
1992
1993
1994
1995
1996
838 (3,39)
2200 (3,67)
2603 (2,94)
3264 (2,92)
4637 (3,32)
7928 (4,56)
8085 (4,69)
8933 (4,84)
7419 (3,76)
7447 (3,67)
125 201 255 309 435 551 549 556 390 424 (0,51 ) (0,34) (0,29) (0,28) (0,31) (0,32) (0,32) (0,30) (0,20) (0,21) 248 1058 874 1126 1505 2106 1937 2261 2768 3000 (1,00) (1,77) (0,99) (1,01) (1,08) (1,21) (1,12) (1,22) (1,40) (1,48) 462 917 1342 1418 2157 2507 2590 2657 2783 3454 (1,87) (1,53) (1,52) (1,27) (1,54) (1,44) (1,50) (1,44) (1,41) (1,70) 19440 49310 73367 94750 116560 142856 140825 150866 161072 166695 (78,67) (82,32) (82,97) (84,69) (83,35) (82,12) (81,69) (81,71) (81,69) (82,15)
5638 11256 15521 19859 (22,81) (18,79) (17,55) (17,75) Amb.-zahnärztl. Beh. 1765 4129 5576 6724 (7,14) (6,89) (6,31) (6,01) Stationäre Behandlung 6251 18091 26519 35873 (25,30) (30,20) (29,99) (32,06) 58 1312 149 778 Stat. Kurbehandlung (0,23) (0,25) (0,88) (1,17) Arznei-lHeilmittel (A8901 12639 16657 4682 potheke) (18,95) (14,86) (14,29) (14,89) 4647 Arznei-lHeilmittel 458 1821 3292 (sonstige) (1,85) (3,04) (3,72) (4,15) 4180 7351 7666 Zahnersatz 828 (3,35) (6,98) (8,31) (6,85) 8009 Krankheitsfolgelstg. 3110 5521 8464 (12,58) (9,22) (9,57) (7,16) davon: Krankengeld 2467 4664 6655 6379 (9,98) (7,79) (7,53) (5,70) 639 772 1701 1471 Mutterschaftshilfe (2,59) (1,29) (1,92) (1,31) (Barzahl.) 5862 Übrige Leistungen 1324 2873 3993 (5,36) (4,80) (4,52) (5,24) 1270 2799 3845 5380 davon: Personalkosten (5,14) (4,67) (4,35) (4,81) 24712 59904 88427 111885 Insgesamt
24634 29241 30192 31342 32968 33969 (17,62) (16,81) (17,51) (16,97) (16,72) (16,74) 8260 10268 10516 10992 11312 12203 (5,91) (5,90) (6,10) (5,95) (5,74) (6,01) 46638 56367 60587 65517 69445 69639 (33,35) (32,40) (35,14) (35,48) (35,22) (34,32) 1538 1642 1588 1851 2125 1982 (1,10) (0,94) (0,92) (1,00) (1,08) (0,98) 21939 27222 21922 22986 25157 26889 (15,69) (15,65) (12,72) (12,45) (12,76) (13,25) 5720 7292 7269 8212 9083 9968 (4,09) (4,19) (4,22) (4,45) (4,61) (4,92) 4840 6841 5674 4913 6204 6886 (3,46) (3,93) (2,85) (3,07) (3,15) (3,39) 11015 13742 13916 15055 17039 17282 (7,88) (7,90) (8,07) (8,15) (8,64) (8,52) 8824 11016 10902 11637 12822 12418 (6,31) (6,33) (6,32) (6,30) (6,50) (6,12) 1014 1092 1070 1081 1109 1115 (0,73) (0,63) (0,65) (0,58) (0,55) (0,55) 7631 9427 9789 11635 11500 9572 (5,46) (5,42) (5,55) (5,30) (5,90) (5,67) 7395 8990 9253 9789 10330 11066 (5,29) (5,17) (5,37) (5,30) (5,24) (5,45) 139843 173953 172398 184643 197165 202924
Anmerkung: 1995 und 1996 ohne Ausgaben der Gesetzlichen Pflegeversicherung.
(258 bzw. 231 TDM im Jahre 1992). Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Quellen schätzte Klose (1993) rur 1991 das durchschnittliche (vorsteuerliche) Jahreseinkommen bei Ärzten insgesamt auf 203 TDM, bei Fach-/Gebietsärzten auf 230 TDM und bei Allgemeinärzten auf 162 TDM (Klo se 1993: 37). Allein bei Allgemeinärzten wäre im Jahr 1991 das durchschnittliche Jahreseinkommen dreimal höher als der entsprechende Durchschnittswert rur Arbeitnehmer insgesamt gewesen.
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
61
konnte es nur kommen, weil sich die Ärzteschaft in der Phase der Kostendämpfung einer Koalition von Bundesregierung und Kassen gegenübersah, die beide auf stabile Beitragssätze drängten. Einer dem Ausgabentrend im ambulanten Bereich vergleichbaren Entwicklung folgten auch die Ausgaben rur Mutterschaftshilfe (Barzahlung und betreute Maßnahmen) und rur das Krankengeld in der GKV. Einen von politischjuristischen Entscheidungen stark beeinflußten Verlauf nehmen auch in der GKV die Ausgaben für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel sowie Zahnersatz (vgl. Tabelle 3). Die Arzneimittelausgaben sind beispielsweise bis Mitte der 1980er Jahre unterproportional angestiegen, wuchsen aber seit 1985 rascher als die GKV-Gesamtausgaben. Aufgrund der Selbstbeteiligung der Patienten bei der ambulanten Medikation im Rahmen der beiden ersten Stufen der Gesundheitsreformen kam es bei den Arzneimittelausgaben (und dem Zahnersatz) zu einer stark ged!impften Kostenentwicklung. Mit rund einem Drittel sind die Anteile der Ausgaben für die stationäre Behandlung an den gesamten Leistungsausgaben der GKV nach wie vor der umfangreichste Kostenfaktor. Dabei hat der Anteil der Ausgaben rur stationäre Behandlung von 25 Prozent im Ausgangsjahr 1970 auf 33,7 Prozent im Jahr 1996 zugenommen. Die Ausgaben der GKV im Bereich der Krankenhauspflege sind von 6,3 Mrd. DM im Jahr 1970 auf 35,9 Mrd. DM im Jahr 1985 angestiegen und liegen 1996 bei 74,2 Mrd. DM (Gesamtdeutschland: 90,2 Mrd. DM). Damit verzwölffachten sich die GKV-Krankenhauskosten gegenüber 1970 (vgl. AOK-Bundesverband 1995; Gerdelmann 1995) und haben auch im Vergleich zu allen GKV-Ausgaben überproportional zugenommen (vgl. Abbildung 8).11 Gerade wegen dieser Kostenentwicklungen, die sich letztendlich auch in einem relativen Anstieg der stationären Behandlungskosten an allen GKV -Ausgaben niederschlugen (vgl. Tabelle 3) und wegen einer im Sozialversicherungsmodell der Bundesrepublik vorgegebenen Struktur, welche die Krankenversicherungen zur Zahlung der im Krankenhaus erbrachten Leistungen mehr oder weniger verpflichtet, war das Verhältnis zwischen GKV und Krankenhausträgem nicht immer spannungsfrei und ruhrte zu den später ausruhrlich be-
n Bei Preisbereinigung und Berücksichtigung der veränderten Versichertenstruktur (u. a. höhere Rentnerzahlen) würde sich auch die GKV-Kostenentwicklung weitaus günstiger darstellen. Beispielsweise ist der Anstieg der Krankenhausleistungen der GKV in Prozent des BSP im Zeitraum 1960 bis 1980 bei Mitgliedern und ihren Familienangehörigen so gut wie überhaupt nicht angestiegen, während sich der entsprechende Anteilswert bei Rentnern in der GKV (zzgl. Familienangehörige) im selben Zeitraum verdreifachte. Vgl. ausfllhrlich Wachtel 1984: 39 ff.
62
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
schriebenen Gesundheitsreformen im Krankenhausbereich (vgl. Abschnitt 111.3 in diesem Kapitel). Das Krankenhaus bleibt wegen des überproportionalen Ausgabenanstiegs "primäres Sorgenkind der GKV", da vom Krankenhausbereich nach wie vor erhebliche Gefahren rur die Beitragssatzstabilität der Krankenkassen ausgehen (Gerdelmann 1995: 374). Eine Besonderheit des beitragsgebundenen bundesdeutschen Gesundheitssystems ist dabei, dass Krankenversicherungsbeiträge sowohl vom Versicherten selbst als auch vom Arbeitgeber getragen werden. In einer volkswirtschaftlichen Situation mit Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung funktioniert ein solches System weitgehend störungsfrei. Wenn aber die wirtschaftliche Lage angespannt ist, werden die Arbeitgeber bestrebt sein, zusätzlich entstehende Kosten (insbesondere Sozialversicherungsanteile) möglichst gering zu halten oder gar zu senken. Eine ungünstige Arbeitsmarktlage mit sinkender Erwerbspersonenzahl und steigender Arbeitslosenzahl wirkt sich demnach unmittelbar auf die Einnahmen von Krankenversicherungen aus. 34 Zusätzlich haben demographische Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf Beitragseinnahmen der Versicherungen (aber analog auch auf die Ausgaben).3S Aufgrund der Verschiebung der Altersstruktur hin zu einer stärkeren absoluten und relativen Besetzung der oberen Altersgruppen u. a. auch infolge eines weiteren Anstiegs des hypothetischen Maßes Lebenserwartung der Betagten und Hochbetagten (z. B. e(60) bzw. e(80» erhöht sich mittelfristig auch rur die GKV die Zahl der Rentner (bei konstantem Renteneintrittsalter). Folge davon sind auf der einen Seite relative (und absolute) Einnahmenverluste, auf der anderen Seite relative Ausgabensteigerungen, da ältere Personen im Durchschnitt höhere Kosten fur medizinische Behandlung verursachen (vgl. hierzu auch Kapitel D: Der Einfluss demographischer Parameter auf die Entwicklung
34 Besonders stark von solchen soziostrukturellen Entwicklungen waren die Ortskrankenkassen betroffen. Aufgrund der daraus entstandenen ungünstigen Mitgliederstruktur forderte der AOK-Bundesverband einen Risikostrukturausgleich gegenüber den anderen "günstiger strukturierten" gesetzlichen Krankenversicherungen, den der Gesetzgeber in Fonn des Gesundheitsstrukturgesetzes aus dem Jahr 1992 auch umsetzen sollte (seit Jahresbeginn 1994 fIlr Krankenversicherte, seit Jahresbeginn 1995 fIlr Rentner). J5 Wasem (1997) nennt die demographischen und epidemiologischen Faktoren exogene Einflußfaktoren (zu der auch die Arbeitsmarktlage gezählt werden müßte), während unter endogenen Faktoren Einflußgrößen auf der Angebots- und Nachfrageseite verstanden werden (Wasem 1997: 80 ff.). Der Anstieg des durchschnittlichen GKVBeitragssatzes in der Vergangenheit ist nach von der Schulenburg (1981 a) zu einem erheblichen Teil auf die Zunahme der im Generationenvertrag festgelegten Transferleistungen der Erwerbstätigen an die Rentner (deren Kosten nur zu rund 40 Prozent über Beiträge gedeckt werden) zurückzufllhren (von der Schulenburg 1988: 11).
II. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
63
der Verweildauer). Wenn sich zusätzlich auch ein fUr die Kassen ungünstigeres Konsumverhalten auf Seiten der Versicherten verbreitet (z. B. Moral-HazardPhänomene), verschlechtert sich die GKV-Bilanz weiter. Um geringere Einnahmen gegenüber höheren Ausgaben zu kompensieren, bleibt nur die Möglichkeit, die Beitragssätze anzuheben. Dem Prinzip einer solidarischen Finanzierung folgend, sind die Krankenversicherungsbeiträge der GKV nicht nach Risikogruppen - wie etwa in den Vereinigten Staaten - gestaffelt, sondern richten sich einkommensproportional unter festgelegten Beitragsbemessungsgrenzen nach den beitragspflichtigen Einkommen der Mitglieder. Seit 1970 ist der durchschnittliche Beitragssatz um fast fUnf Prozentpunkte gestiegen, er lag 1989 (vor der deutschen Einheit und dem GSG) bei 12,9 Prozent, und stieg bis zum Jahresende 1996 auf durchschnittlich 13,4 Prozent des Bruttoarbeitslohns an. Da die beitragspflichtigen Einnahmen mit der Entwicklung des Bruttoinlandproduktes weitgehend Schritt hielten, fielen die Beitragssatzanhebungen bisher noch relativ gering aus (Wasem 1997: 78 f.). Das wirtschaftspolitische Ziel, die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten, konnte aber schon in der Vergangenheit nicht realisiert werden. Bereits 1991 wurde vom Sachverständigenrat bezweifelt, dass eine weitere Senkung der Beitragssätze möglich bzw. eine Beitragssatzstabilität dauerhaft erreicht werden könnte. Vor allem sprachen schon damals die Auflagen fUr die GRG-Umsetzung im Hinblick auf die Selbstverwaltung, die Mehrausgaben fUr Pflege Ende der 1980er Jahre (was auch die Einführung einer gesetzlichen Pflegeversicherung beschleunigte), die Kosten aufgrund der deutschen Einigung, die ungünstige konjunkturelle Entwicklung sowie als demographische Komponente die zukünftige Entwicklung der beitragszahlenden Bevölkerung und damit zusammenhängend die Entwicklung der Rentnerzahlen dagegen. Da die GKV kaum Einfluss auf Arbeitsmarkt und demographische Entwicklung nehmen kann, beschränkt sich ihre Ausgabenkontrolle auf den Versuch, die Ausgabenentwicklung zumindest in einzelnen Leistungsbereichen zu steuern. Dass dabei der Krankenhaussektor nahezu ununterbrochen Hauptziel der GKVKostendämpfungspolitik gewesen ist, dürfte nach diesem und den vorausgegangenen Abschnitten kaum verwundern.
4. Die Kostenentwicklung im stationären Bereich des Gesundheitswesens a) Die Entwicklung der Ausgabenfür die stationäre Behandlung
In der Diskussion über gegenwärtige Vor- und Nachteile des deutschen Krankenhauswesens und seine zukünftige Ausgestaltung tritt vor allem die
64
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Kostenentwicklung in den Vordergrund (vgl. u. v. a. Molitor 1984; Wachtel 1984; Wiemeyer 1984; Breyer / Paffrath et al. 1987; Fischer 1988; AOK 1995; Pfaff / Wassener 1995). Oft wird dabei übersehen, dass sich das Krankenhauswesen im Zuge der gesundheitspolitischen Vorgaben sowie des medizinischtechnischen Fortschritts stark gewandelt hatte (vgl. Leu 1988; Neipp 1988a) bzw. verändern musste. War noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Idee der karitativen Krankenhilfe im Vordergrund gestanden, so entwickelte sich das Krankenhaus mehr und mehr zu einem hochspezialisierten, personal- und kapitalintensiven Unternehmen, das Leistungen für Gesundheit gegen Entgelt anbietet. Folge der Spezialisierung und Leistungsintensivierung im Krankenhausbereich musste notgedrungen auch ein Anstieg der Kosten sein. Tabelle 4 zeigt zunächst die Entwicklung der durchschnittlichen allgemeinen Pflegesätze pro Tag seit 1970 (bis 199536) in den jeweiligen Preisen. Die durchschnittlichen Pflegesätze stiegen dabei kontinuierlich von 64 DM im Jahr 1970 auf 174 DM (1980), auf 276 DM (1989) und schließlich auf 431 DM im Jahre 1995. An der Spitze der Skala der Pflegesätze lagen stets die bundesdeutschen Universitätskliniken, die bereits im Jahr 1983 einen Tagessatz von 361 DM aufgewiesen hatten (Kampe / Kracht 1989: 2). Zur Pflegesatzentwicklung ist aber anzumerken, dass die Bedeutung der allgemeinen Pflegesätze mit der Umsetzung des GSG ab dem Jahr 1993 erheblich an Bedeutung verloren hatte, nachdem die Verrechnung der stationären Behandlung nicht mehr über pauschale Tagessätze sondern schwerpunktmäßig über die in Anspruch genommenen Krankenhausleistungen erfolgt. Wie schon in den Indexdarstellungen zuvor muss einschränkend hinzugefügt werden, dass es für die Interpretation der Pflegesatzentwicklung entscheidend ist, welches Ausgangsjahr verwendet wird. Würde etwa das Jahr 1956 (19,39 DM für Patienten dritter Klasse 37 ) gewählt werden, so würde sich das Ergebnis entspre-
J6 Seit 1995 wurde die Berechnung eines durchschnittlichen allgemeinen Pflegesatzes durch den Verband der Privaten Krankenversicherung eingestellt, da die Entgeltberechnung seit dem GSG schwerpunktmäßig über Fallpauschalen und Sonderentgelte (aber auch über Basis- und Abteilungssätze, die mit den durchschnittlichen allgemeinen Pflegesätzen nicht vergleichbar sind) erfolgte. Siehe dazu ausfUhrlich Abschnitt III in diesem Kapitel. 17 Etwa 90 Prozent aller Patienten waren gemäß der damaligen Einteilung nach der Bundespflegesatzverordnung 1954 sozialversicherungspflichtige Patienten (3. Klasse). Während die Preisfreiheit bei der Festsetzung der Pflegesätze fUr Patienten der damaligen ersten und zweiten Klasse die Selbstkosten des Krankenhauses weitgehend deckten, entstanden den Krankenhäusern bei der Behandlung der GKV-Patienten erhebliche Defizite (vgl. Dietrich I Keim 1959).
65
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
chend verändern (Verzweiundzwanzigfachung gegenüber einer Versiebenfachung in Tabelle 4). Tabelle 4
Entwicklung der durchschnittlichen allgemeinen Pflegesätze für Regelleistungen in bundesdeutschen Krankenhäusern 1970 bis 1995, ab 1991 ind. neue Länder Jahr
o Allg.Pflegesatz (in DM)
Index (1970 = 100)
Verlnderung zum Vorjahr (in %)
1970
64,00
100,00
1972 1 1973
97,00 114,00
178,13
17,5
1974
150,11
234,55
31,7
151,56
1975
157,54
246,16
4,9
19762
145,00
226,56
·8,0
1979
157,06
245,41
19803
173,98
271,84
1981
186,15
290,86
7,0
1982
201,88 210,98
315,44 329,66
8,5 4,5
220,16
344,00
4,4
1985
230,60
360,31
4,7
1986
244,40
381,88
6,0
1987
251,43
392,86
2,9
1988
261,04
407,88
3,8
1989
276,03
1990
303,93
431,30 474,89
10,1
1983 1984
10,8
5,7
1991
339,83
530,98
11,8
1992
376,40
588,13
10,8
1993 1994
402,55 407,65
628,98 636,95
6,9 1,3
1995
431,14
673,66
5,8
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage der PKV-Zahlenberichte sowie unveröffentlichter Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, Köln. 1971 lagen rur die meisten Bundesländer keine Angaben vor. 2
1977 und 1978 kam es wegen rückwirkender Erhöhung von Krankenhauspflegesätzen und Unterbringungszuschlägen zu verschiedenen Rechtsstreitigkeiten, aufgrund derer keine Durchschnittswerte flIr die beiden Jabre vorliegen (vgl. PKV-Rechenschaftsberichte 1977 und 1978). Stichtag 30.11.1980.
5 Lebok
66
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Schließlich sind auch die allgemeinen Pflegesätze in ihrer Entwicklung vorsichtig zu interpretieren, da auch hier große Preiseffekte enthalten sind. 3s Umso wichtiger sind dagegen die jährlichen Veränderungsraten zum Vorjahr. Sie lagen in den meisten Jahren seit 1980 deutlich über den Vergleichswerten fUr die Grundlohnsumme, weshalb auch von Seiten der Kassen entsprechend politischer Druck fUr Reformen im Krankenhausbereich ausgeübt wurde. Laut Auswertungen der Kosten- und Leistungsnachweise der DKG blieb die Kostenstruktur der Krankenhäuser je Berechnungstag seit 1980 unverändert, wobei etwa zwei Drittel der Kosten auf die Personal- und knapp ein Drittel auf Sachkosten entfallen, während Zinsen fUr Betriebsmittel und Kosten fUr Ausbildungsstätten wegen der öffentlichen Finanzierung eine vernachlässigbar geringe Rolle spielen. Bei den Personalkosten stehen die Ausgaben fUr den Pflegedienst mit etwa einem Drittel an erster Stelle, gefolgt von den Ausgaben fUr den ärztlichen Dienst im Krankenhausbereich mit etwa einem Fünftel der Kosten. Bei den Sachkosten entflUit die Hälfte der Kosten auf den medizinischen Bedarf'9, während Kosten fUr Wasser, Energie, Brennstoffe, Lebensmittel, Krankenhausverwaltung usw. (bisher) eine vergleichsweise geringe Rolle spielten. Der größte Teil der dem Krankenhaus bei der Leistungserbringung entstehenden Personal- und Sachkosten wurde bis 1993 über Pflegetage abgerechnet. In Zukunft wird sich aber aufgrund der Leistungsberechnung der Krankenhausbehandlung die Analyse der Ausgabenentwicklung im stationären Bereich stärker an der Maßzahl der durchschnittlichen Kosten pro Krankenhausfall orientieren. Abbildung 8 stellt die Ausgabenentwicklung in konstanten Preisen pro Pflegetag seit 1970 den entsprechenden Verläufen der Ausgaben pro Krankenhausfall und Krankenhausbett gegenüber. In der Darstellung fällt sofort der kontinuierliche Anstieg der Ausgaben pro Tag und pro Bett auf, während die Ausgaben pro Krankenhausfall bis 1975 angestiegen sind und auf diesem Niveau (mit Schwankungen) bis 1989 stagnierten. Erst in den 1990er Jahren stiegen die Ausgaben pro Krankenhausfall wieder an und erreichten damit im Jahr
3S Im Jahr 1994 waren beispielsweise 77,1 Prozent des Anstiegs der stationären Ausgaben pro Pflegetag seit 1970 auf Preiseffekte zurückzufilhren (vgl. Gräb / Kühnen 1994; Müller 1994, 1997). 39 Der finanzielle Umfang medizintechnischer Ausrüstungen eines Krankenhausneubaus bewegte sich zu Beginn der 1980er Jahre in einer Größenordnung zwischen zehn und 20 Prozent der Gebäudeausrüstung oder zwischen drei bis zehn Prozent der gesamten Herstellungssumme (Gudat / Rüschmann 1982). Ihr Anteil ist dabei an den Wartungskosten erheblich höher. Die Medizintechnik umfaßt dabei Geräte, Anlagen und Instrumente filr Diagnose, Therapie, Überwachung und (lntensiv-)Pflege sowie spezielle Patienten-Transport- und Lagerungsmittel (z. B. op- Tische).
II. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
67
1996 eine Ausgabensteigerung gegenüber dem Ausgangsjahr von insgesamt 61,3 Prozent. Erst zu Beginn der 1990er Jahre (während der dreistufigen Gesundheitsreform) wurden die Krankenhausflille im Durchschnitt "teurer".
300
1970=100 Ausgaben pro Krankenhausbett
250
200
Ausgaben pro Pflegetag
150
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 8: Reale Ausgabenentwicklung fllr die stationäre Behandlung in den alten Bundesländern in konstanten Preisen (Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes) Im Gegensatz zu den Ausgaben pro Fall stiegen die Ausgaben pro Bett und pro Tag ununterbrochen an. Ohne zusätzliche Informationen könnte man bei Betrachtung dieser beiden Maßzahlen dazu verleitet werden, von einer "Ausgabenexplosion" zu sprechen. Obwohl sich die Ausgaben pro Krankenhausbett und -tag von 1970 ab mehr als verdoppelt hatten, spiegeln die beiden Kurvenverläufe aber nur ein äußerst verzerrtes Bild der Wirklichkeit wider: Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Krankenhausbetten leicht und die durchschnittliche Krankenhausverweildauer umso deutlicher zurück. Die durchschnittliche Verweildauer avancierte während der 1970er und 1980er Jahre zur entscheidenden Variable bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus (vgl. Arnold / Armann 1992), was nicht nur ft1r die Bewertung der Ausgabenentwicklung, sondern auch rur zahlreiche strukturelle Entwicklungen des Krankenhaussektors galt (vgl. Abschnitt IV in diesem Kapitel). Mit der
68
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Umsetzung verschiedener Verordnungen und Gesetze insbesondere während der 1980er Jahre hatte der Gesetzgeber das Ziel, durch Ausschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhausbereich (u. a. Abbau von Fehlbelegungen, Umwidmung von Betten für die FrUhrehabilitation und rur die stationäre Langzeitpflege, Verbesserung des Krankenhausmanagements, Vorgabe von Verweildauerempfehlungen durch das Einhalten einer sog. "Grenzverweildauer") eine deutliche Reduktion der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer zu erreichen und damit auch zu einer Abmilderung des Kostenanstiegs im stationären Bereich beizutragen (vgl. Sachverständigenrat 1991).
b) Krankenhauskostenentwicklung im internationalen Vergleich Der Vergleich der gesamten Ausgabenentwicklung rur Gesundheitsleistungen in der Bundesrepublik mit anderen OECD-Ländern erbrachte als Resultat, dass der Kostenanstieg kein Deutschland spezifisches Phänomen ist, sondern rur alle Industrieländer mehr oder weniger stark zutraf. Auch rur den Krankenhausbereich sollte man deshalb eine ähnliche Entwicklung erwarten, wobei ein internationaler Vergleich mit zahlreichen Vorbehalten versehen werden muss. Aufgrund unterschiedlicher Organisationsstrukturen in den verschiedenen nationalen Gesundheitssystemen und der unterschiedlichen Struktur von ambulanter und stationärer Versorgung unterscheiden sich Definition und AufgabensteIlung der Krankenhäuser in den einzelnen Ländern ganz erheblich (Huber / Köse / Schneider 1991: 27), weshalb auch die Kostenanteile des Krankenhaussektors an den Gesundheitskosten deutlich variieren können. Tabelle 5 vergleicht die Entwicklung der Krankenhauskostenanteile der bundesdeutschen Gesamtausgaben rur Gesundheit mit den Anteilswerten seiner Nachbarländer Schweiz und Frankreich Geweils Sozialversicherungsmodelle), Italien, dem Vereinigten Königreich und Schweden Geweils staatlich organisierte Gesundheitssysteme ) und den Vereinigten Staaten, wo sich die Finanzierung der Krankenhäuser auf eine Vielzahl von Trägem aufgliedert.
69
1I. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen Tabelle 5
Die Entwicklung des Anteils der Krankenhauskosten an den Gesundheitskosten in ausgewählten Industrieländern
Jahr
D1
CH
1970
33,17
1975
35,56
47,02
48,28
44,41
50,86
1980
34,30
53,86
48,09
49,38
50,85
1981
34,33
53,35
48,60
49,19
50,92
58,14
47,64
1982
34,92
50,27
48,59
49,49
49,92
46,75
48,35
F
UK
S
40,10
USA 49,76 51,30
47,91
47,30
1983
34,74
50,56
48,95
48,62
49,33
46,29
47,72
1984
35,52
48,54
48,59
48,47
48,55
45,78
46,49
1985
35,51
47,24
48,29
47,67
47,45
43,16
45,14
1986
35,76
46,89
47,98
46,57
47,11
43,41
44,23
1987
35,52
44,28
48,50
46,51
46,89
43,62
43,55
1988
34,02
43,34
49,01
45,19
45,96
43,06
42,91
1989
35,19
43,22
49,35
44,85
45,48
42,91
42,16
1990
35,15
43,07
49,69
44,82
44,24
41,87
41,19
1991
34,07
43,92
51,79
44,38
43,86
41,14
40,70
1992
34,34
43,83
51,68
44,47
43,21
40,98
40,12
1993
35,92
43,48
52,29
44,70
42,59
41,90
39,89
1994
35,80
43,50
52,24
45,08
41,05
39,61
39,33
1995
35,18
Quelle: Huber / Köse / Schneider 1993; Unveröffentlichte Daten von BASYS, 1997 Ab 1991 alte und neue Länder zusammen (Gebietsstand vom 3.\0.1990)
Seit 1970 hat sich der Anteil der Krankenhauskosten an den gesamten Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik kaum verändert und hatte vom Beginn der Betrachtung an unter den berücksichtigten OECD-Ländern die niedrigsten Anteilswerte. In mit der Bundesrepublik vergleichbaren Ländern wie Österreich und der Schweiz lagen die Ausgabenanteile der stationären Versorgung bei weitem über den Werten der Bundesrepublik. In Schweden, wo die ambulant-fachärztliche Versorgung in Krankenhäusern erfolgt, und in den USA gingen die Anteilswerte der stationären Versorgung deutlich zurück. In den Vereinigten Staaten wird dieser Rückgang in erster Linie der erfolgreichen Umsetzung von Managed Care zugeschrieben (vgl. Bohm / Schräder 1995; Ar-
70
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
nold / König / Seitz 1996; Federwisch 1996; Sing 1996; Wenzel/ Wettke 1996; Seitzl König / von Stillfried 1997). Um bei einem internationalen Vergleich die "tatsächliche" Kostenentwicklung im Krankenhausbereich darzustellen, sind die Krankenhausleistungen in Prozent des Bruttoinlandproduktes ein aussagekräftiger Indikator (Huber / Köse / Schneider 1993). Danach hat die Bundesrepublik einen der niedrigsten Werte, der im Jahre 1994 bei 3,3 Prozent des BIP lag (Abbildung 9). Nur Japan hätte in dieser Darstellung niedrigere stationäre Ausgaben. Die Vereinigten Staaten, aber auch die Schweiz, würden dagegen am meisten rur Krankenhausleistungen aufwenden.
5,5
in Prozent USA
5
eH
4,5
F
4 3,5 3 2,5
J
2 1,5 1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr
Abbildung 9: Ausgaben für Krankenhausleistungen in Prozent des BIP für ausgewählte Industrieländer
Für die Mehrzahl der in Abbildung 9 ausgewählten Länder gilt, dass der Ausgabenanstieg rur Krankenhausleistungen erst gegen Ende der 1980er Jahre stattfand und infolge von Kostendämpfungsmaßnahmen vorübergehend gestoppt oder abgemildert werden konnte (z, B. USA, Schweiz, Frankreich, Italien, Großbritannien, früheres Bundesgebiet). Besonders hervorzuheben ist aus Abbildung 9 der enorme Ausgabenanstieg in den Vereinigten Staaten (trotz
11. Die finanzielle Entwicklung im Gesundheitswesen
71
Entstehung von Krankenhausketten, trotz staatlicher Eingriffe in die Kostenentwicklung und trotz Managed Care) und in der Schweiz, die in vielen Punkten ein mit der Bundesrepublik vergleichbares Krankenhauswesen aufweist (vgl. Alber / Bernardi-Schenkluhn 1992). Eine Ausnahme stellt dagegen die Entwicklung in Schweden dar. Hier sank der Anteil der Krankenhausleistungen am Bruttoinlandsprodukt von 4,3 Prozent (1980) auf 3,8 Prozent (1994) und erreichte damit fast Werte wie in Italien oder Großbritannien.
5. Zusammenfassung In der Bundesrepublik Deutschland steigen seit Jahren die Ausgaben für Gesundheit. Die Gesundheitsausgaben stiegen zwar auch in konstanten Preisen, jedoch nicht in dem Maße, dass es gerechtfertigt erschiene, von einer "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen zu sprechen. Bisher war das bundesdeutsche Gesundheitswesen leistungsflihig genug, zusätzlich entstandene Kosten (u. a. infolge des medizinisch-technischen Fortschritts) zu kompensieren und hatte auch im internationalen Vergleich einen relativ moderaten Ausgabenanstieg zu verzeichnen. Von einer weiteren Verwendung von Schlagworten wie "Kostenexplosion" oder "Ausgabenexpansion" in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion sollte deshalb in Zukunft abgesehen werden, da solche Begriffe eher polemisierend einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem tatsächlich beobachtbaren Ausgabenanstieg entgegenwirken und wohl kaum zu Lösungen beitragen dürften. Nicht nur von Seiten der Kassen wurde der stationäre Bereich des Gesundheitsversorgungssystems als der wesentliche "kostentreibende" Ausgabenposten genannt. Tatsächlich lag die Ausgabenentwicklung im Krankenhausbereich über den Werten der gesamten Gesundheitsausgaben, wobei aber Preis- und Leistungseffekte wesentlich waren. Auch wenn die Gesundheitssysteme anderer OECD-Länder teilweise sehr verschieden zum bundesdeutschen sind, bleibt bei einem internationalen Vergleich des Anteils der Krankenhausleistungen am BIP festzustellen, dass bis Ende der 1980er Jahre der Anteil in der Bundesrepublik weitgehend konstant blieb und auch in den 1990er Jahren ein vergleichsweise moderater Anstieg der Krankenhauskosten zu beobachten war. Ausgabenanteil und -anstieg der bundesdeutschen Krankenhausleistungen befmden sich dabei weit hinter den entsprechenden Werten in den Vereinigten Staaten und vielen europäischen Nachbarstaaten. Das soll auf keinen Fall die bisherige Ausgabenentwicklung beschönigen. Natürlich fUhrt ein Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen der Bundesrepublik unter gleichzeitiger Beachtung der anderen sozialen Sicherungssysteme zu einer starken Belastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Selbstverständlich
72
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
muss es Ziel der Gesundheitspolitik sein, die Beitragssätze weitgehend stabil zu halten (oder wenn möglich zu reduzieren), auch wenn einschränkend angemerkt werden muss, dass dieses hehre Ziel in den letzten Legislaturperioden von keiner Regierung eingehalten werden konnte. Soll auch in Zukunft am Sozialversicherungssystem in seinem Grundprinzip festgehalten werden, so müssen sicherlich auch neue Wege in der Gesundheitsversorgung gegangen werden, die z. T. auch zu erheblichen Einschnitten führen dürften. Ob aber eine bedingungslose Orientierung an reformfreudigen "Vorzeigesystemen" (wie etwa dem der Vereinigten Staaten) mittelfristig zum Erfolg führen wird, mit dem Ziel, die Entwicklung der Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik erheblich abzumildern, dürfte infolge der Verschiedenartigkeit der Gesundheitssysteme, ihrer bisherigen historischen Entwicklung und dem Selbstverständnis der beteiligten Akteure im deutschen Gesundheitssystem mehr als fraglich sein.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland 1. Krankenhausfinanzierungssysteme - ein Überblick
Nach Breyer und Paffrath (1991) besitzen Entgeltsysteme im Krankenhauswesen je zwei Ziele und zwei Nebenbedingungen, die den Zielen übergeordnet sind, und unbedingt erfilllt sein müssen. Ziele für ein Krankenhaus-Entgeltsystem sind die Vermittlung von Anreizen zur Wirtschaftlichkeit und eine Leistungsgerechtigkeit der Honorierung, Nebenbedingungen sind die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen und die Qualitätssicherung (Aufrechterhaltung der medizinischen Qualität). Das Wirtschaftlichkeitsprinzip entspricht dabei der Maximierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag. Während unter Aufwand bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit der Verbrauch produktiver Ressourcen mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten verstanden wird, ist der Ertrag im Gesundheitswesen äußerst schwer zu messen (Breyer / Paffrath 1991: 457). Als Bemessungsgrundlage für Entgeltsysterne im Gesundheitswesen gelten: •
die Anzahl der behandelten Patienten (Krankenhausfalle),
•
die Anzahl der erbrachten Pflegetage (Krankenhaustage),
•
die Bereitstellung (Vorhaltung) von Behandlungskapazitäten u. a. für mögliche Notfälle (Krankenhausbetten),
•
die Menge der dabei verabreichten Einzelleistungen (wie Operationen, Injektionen, Medikationen etc.).
Nach diesen Kriterien orientieren sich im wesentlichen auch die möglichen Vergütungsformen im Krankenhauswesen. Der in Tabelle 6 erstgenannte Ty-
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
73
pus der Krankenhausfmanzierung, der sich die Verbesserung eines Gesundheitszustandes in Fonn einer Erfolgsprämie bezahlen lässt, dürfte heute das am wenigsten in der Praxis umzusetzende Vergütungssystem darstellen. Die Anwendung scheitert allein schon an der Schwierigkeit, den Gesundheitszustand vor und nach einer medizinischen Behandlung operational zu messen. Das andere Extrem beinhaltet die feste Budgetierung eines Krankenhauses über einen defmierten Zeitraum. Im Falle eines fest budgetierten Krankenhausfmanzierungssystems wird die Bereitschaft zur Leistungserbringung einem starren, auf die Nachfrage unflexibel reagierenden Budget gleichgesetzt (vgl. Breyer 1985: 746).
Tabelle 6
Formen der Krankenhausfinanzierung im Überblick Outputebene
VergUtungsform
Verbesserung des Gesundheitszustands
Erfolgsprllrnie
2
Behandlungsfall
Fallpauschale
3
Ptlegetag
pauschaler Tagesptlegesatz
4
einzelne medizinische Behandlungen
(Einzel-)Leistungsentgel t
5
Bereitschaft zur Patientenaufnahme
festes Budget je Periode
Quelle: Breyer I Paffrath 1991
Im Grunde genommen bleiben demnach nur drei Typen von Finanzierungssysternen übrig, wobei das eine System über Fallpauschalen die entstehenden Kosten eines Behandlungsfalles deckt, ein weiteres die durchschnittlichen Kosten eines Pflegetages durch Tagessätze und ein drittes jede Leistung durch Gebühren (Leistungsentgelte) verrechnet. Daneben bestehen zahlreiche Mischfonnen. Zwei wichtige Mischkonzepte, von denen im Zusammenhang mit Refonnen im bundesdeutschen Krankenhauswesen noch die Rede sein wird, sind zum einen die Methode der flexiblen BudgetierunifO und zum anderen ein Mischsystem der Krankenhausfmanzierung, das sowohl Leistungsentgelte,
74
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Fallpauschalen als auch tagesgleiche Abteilungspflegesätze rur die Unterbringung der Patienten berechnet. Bei leistungsorientierten Entgeltsystemen werden durch das Entgelt rur Krankenhäuser nicht einfach deren angefallene oder in Fonn eines Budgets projizierten Kosten erstattet, sondern ihre Leistungen honoriert, die folglich Preischarakter haben. Als Bemessungsgrundlage filr das Entgelt sind vor allem die Anzahl der Pflegetage und die Menge der Einzelleistungen problematisch, weil das Krankenhaus selbst die Menge der Leistungen weitgehend steuern kann. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur vor allem die Gefahr der Leistungsausweitung diskutiert (vgl. u. a. Breyer 1984; Robinson / Luft 1985; Breyer / Paffrath, 1991; Rodrigues 1991; Neubauer / Rehennann, 1994). Dagegen ist die Zahl der Patienten überwiegend exogen detenniniert, nämlich durch die Entscheidungen der einweisenden Ärzte bzw. der weiter überweisenden Krankenhäuser, aber auch durch die demographische Struktur der Wohnbevölkerung. Eine Entgeltfonn, die der Bemessungsgrundlage der Zahl der Krankenhausrulle entspricht, ist die Fallpauschale. Aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit wird der Preis pro Behandlungsfall nach Krankheitsart und etwaigen weiteren Behandlungskriterien (z. B. nach Krankenhaustyp und Versorgungsstufe des Krankenhauses) differenziert. Das international bedeutendste Fallpauschalensystem, die pauschale Vergütung von Krankenhausaufenthalten bei US-amerikanischen Medicare-Patienten (nach den sog. Diagnosis Related Groups, vgl. Abschnitt II1.3.a in diesem Kapitel) orientiert sich dabei weitgehend an den Hauptdiagnosen gemäß ICD-Klassifikation. Daneben werden filr manche Diagnosen nach Fachabteilungen, Altersgruppen und sonstigen Patientenmerkmalen differenzierte Fallpauschalen berechnet. Schwierigkeiten bei der erfolgreichen Umsetzung eines Fallpauschalensystems filr die Krankenhausfmanzierung bilden die Defmitionen einzelner Fälle und die damit zusammenhängenden Probleme der Abgrenzung einzelner Patientenprofile. Dies betrifft beispielsweise diagnostizierte Fälle, die zum Zweck der Beobachtung in ein Krankenhaus überwiesen und bereits nach wenigen Tagen entlassen werden. In solchen Fällen wäre die Bemessung des Aufenthaltes über Leistungsentgelte erheblich kostengünstiger. Als eine Manipulationsmöglichkeit des Systems durch das Krankenhaus wird in diesem Zusammenhang der sog. "Drehtüreffekt" beschrieben (vgl. Breyer 1985), wo ein Patient nach
40
Siehe Abschnitt 1I.2.f in diesem Kapitel.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
75
kurzer Zeit entlassen und wenige Tage später als Neuaufnahrne wiederbestellt wird. Auch ist die Bemessung der Kosten in einem über Fallpauschalen berechneten Krankenhausfmanzierungssystem schwierig, wenn häufige Überweisungen zwischen den Krankenhäusern bestehen. Schließlich besteht als Alternative der Krankenhausfinanzierung die Vergütung über pauschalierte Tagespjlegesätze. In diesem Fall wird rur jeden Aufenthaltstag ein durchschnittlicher Pflegesatz bestimmt, der nicht unterscheidet, welche Leistungen der Patient am jeweiligen Aufenthaltstag tatsächlich in Anspruch nimmt. Dieser Typus der Krankenhausfinanzierung prägte mit der Umsetzung des sog. Selbstkostendeckungsprinzips bis in die 1980er Jahre das Geschehen des Krankenhauswesens in der Bundesrepublik nachhaltig. Sein größter Nachteil bestand darin, dass bei dieser Finanzierung ein Anreiz der Krankenhäuser zu nicht notwendigen Aufenthaltsverlängerungen gegeben ist.
2. Der Wiederaufbau des Krankenhauswesens in Deutschland nach 1945 a) Exkurs: Historische Entwicklung der stationären Versorgung in Deutschland Die Vorläufer der Krankenhäuser, die zur Versorgung von Armen und Sterbenden (nicht von Kranken) eingerichtet wurden, waren kirchliche Gründungen des Mittelalters an Bischofssitzen oder in Klöstern. Die ersten Häuser, die ausschließlich rur die Pflege von Kranken und Aussätzigen bestimmt waren, entstanden im 11. und 12. Jahrhundert (u. a. Heilig-Geist-Spitäler). Die Vergütung der Pflege leistungen sowie die Vorhaltung der Unterkünfte erfolgte dabei fast ausschließlich über Spenden. Im Spätmittelalter kam es aber infolge Glaubensstreitigkeiten, einer abnehmenden christlich-caritativen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung und später infolge der Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu einem Niedergang dieser ersten "Krankenanstalten" auf deutschem Boden (vgl. Meffert 1927; Fischer 1933; Starke 1962; Rüther 1973; Rohde 1974). Mit zunehmender Vormachtstellung des Staates gegenüber der Kirche kam es im Zeitalter des Absolutismus zur Errichtung staatlicher Krankenanstalten, meistens in Verbindung mit Universitäten. Die berühmteste Gründung dieser Zeit dürfte die 1710 in Berlin eröffnete Charite sein (vgl. Murken 1995). Aus dieser Zeit stammten auch erste Überlegungen über die Deckung der vom Staat getragenen Krankenhauskosten, und die Erhebung von Pflegesätzen dürfte in öffentlichen Krankenhäusern zur Regel geworden sein. 41 Durch die Säkularisation (1803) wurden zahlreiche kirchliche Einrichtungen der Krankenpflege in
76
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
der Ausübung ihrer Tätigkeit entmündigt und die Hauptverantwortung der Spitäler fiel den Gemeindeverwaltungen zu. "Da Stiftungsgründungen ausblieben und die Gemeinden mit ihrem Etat viele (zusätzliche sozialpolitische) Aufgaben zu erfüllen hatten, ist diese Zeit eigentlich für das deutsche Krankenhauswesen die dunkelste gewesen." (Rüther 1973: 46).
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen neben den öffentlichen Krankenhäusern allmählich nichtstaatliche, von gemeinnützigen Vereinigungen und Privatpersonen getragene Krankenhäuser auf. Das "modeme" Krankenhaus entstand dabei erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit ist eine kontinuierliche und auch (aufgrund der beginnenden amtlichen Reichsstatistik seit 1872) quantifizierbare Verbesserung der stationären Versorgung (insbesondere aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts in der kurativen Medizin und in der Medizintechnik) zu verzeichnen. Seit der Reichsgründung erfolgte die Finanzierung der Krankenhausleistungen grundsätzlich über Pflegesätze. Für die Krankenhäuser bestand aber seit Einfilhrung der Krankenversicherung durchgehend Zuschuss bedürftigkeit durch die öffentliche Hand, da die Krankenhäuser nur in den seltensten Fällen ihre durchschnittlichen Ausgaben je Pflegetag mit ihren durchschnittlichen Einnahmen decken konnten (vgl. Starke 1962: 27). Die Pflegesatzpolitik stand seit Einfilhrung des Sozialversicherungsmodells filr die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung des Deutschen Reiches unter dem Vorzeichen einer sozialen Ausgestaltung zugunsten der bedürftigen Bevölkerungsgruppen. Eine zu große Annäherung an die Selbstkosten der Krankenhäuser wurde als soziale Beeinträchtigung "eines rechtzeitigen Zugangs der Krankenkassenmitglieder" bewertet (Hähn 1951: 64). Eine mögliche und öffentlich diskutierte Weiterentwicklung der Pflegesätze bei freier Preisbildung wurde schließlich mit der Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen aus dem Jahre 1936 endgültig gestoppt (vgl. Eichhorn 1991). Die Pflegesätze waren in der Folgezeit in ihrer jeweiligen Höhe reichseinheitlich gebunden und Änderungen wurden behördlich nur in Ausnahmeflillen gestattet.
4\ Dies wird bestätigt durch eine Aufstellung bei Fischer (1933), die bereits für das Jahr 1790 die Patienten des Allgemeinen Krankenhauses in Bamberg nach dem jeweiligen Kostenträger ausgliedert (Fischer 1933: 396).
IlI. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
77
b) Die Ausgangslage der Krankenhausversorgung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Flächenbombardierung brachte große Zerstörungen filr die Krankenhäuser mit sich, über die aber keine Gesamtstatistik erstellt wurde (Rüther 1973: 48). Die Zerstörungen konzentrierten sich dabei auf die verdichteten Regionen und die Großstädte. Für den deutschen Caritasverband (als einer der freigemeinnützigen Träger von Krankenhäusern) waren 1945 etwa filnf Prozent des Bestandes an Krankenhäusern total zerstört, 19 Prozent schwer beschädigt (über 25 Prozent des Aufbauaufwands) und 16 Prozent mittelschwer beschädigt (10 bis 25 Prozent des Aufbauaufwands ). Der Wiederaufbau der stationären Einrichtungen in den vier Besatzungszonen unmittelbar nach Kriegsende ist dabei eine der wichtigsten Aufgaben der Gemeinden und freien Träger gewesen. Für die bundesdeutsche Statistik jener Zeit ergab sich aber die Schwierigkeit, dass zwischen Notbetten und "Aushilfskrankenhäusern" und deren Ersatz durch Wiederaufbau normaler Einrichtungen nicht deutlich unterschieden werden konnte (Rüther 1973: 48). In den westlichen Besatzungszonen und Berlin-West hatte die PreisstoppVerordnung von 1936 als Finanzierungsgrundlage der Krankenhausleistungen weiterhin Gültigkeit. Zwar wurden in einer kurzen Phase zwischen dem 25.6. und 1.12.1948 die Pflegesätze gemäß Preisfreigabe-Anordnung preisfrei (vgl. Starke 1962; Wiemeyer 1984; Fischer 1988; Eichhorn 1991), doch unmittelbar nach der Währungsunion wurden die Pflegesätze wieder Gegenstand der Preisbindung (Verabschiedung der Anordnung über die Pflegesätze in Krankenund Heilanstalten vom 18.12.1948). Diese Verordnung war filr die weitere Entwicklung im Krankenhauswesen vor allem deshalb entscheidend, da mit ihrer Verabschiedung eine Vorentscheidung filr die (vorläufige) Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien im Krankenhauswesen getroffen wurde. 42 Auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR blieben die Preise der Krankenhausleistungen gebunden, wobei filr diese Entwicklung in erster Linie die Neuordnung des Gesundheitswesens nach sowjetischem Vorbild (1947-1952) entscheidend war. 4J
42 Letztendlich wurde der Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom Gesetzgeber eine höhere Priorität eingeräumt als dem Grundsatz einer freien Preisbildung im Krankenhauswesen (vgl. Fischer 1988). •, Auch das Gesundheitssystem der DDR ruhrte im Prinzip das Sozialversicherungsmodell des ehemaligen Deutschen Reiches fort, richtete aber die Struktur der Gesundheitsversorgung nach sowjetischem Vorbild aus (u. a. Zusammenfassung aller Versicherungsträger und Vereinheitlichung des Sozialversicherungsbeitrages). Wie in der Bundesrepublik bestand aber auch in der DDR das Sachleistungsprinzip fort, indem Mit-
78
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Eine Änderung der Finanzierung von Krankenhausleistungen in der Bundesrepublik erfolgte nach Verabschiedung der Bundespjlegesatzverordnung 1954 (BPjlV '54). Sie bekennt sich zwar grundsätzlich zum Prinzip der Selbstkostendeckung, jedoch wird dieses Prinzip in verschiedenen Punkten eingeschränkt. Aufgrund der Inkonsequenz dieser Verordnung ergab sich ein gemischtes Finanzierungssystem für Krankenhausleistungen. Ein Teil der mit der Bereitstellung von Krankenhausleistungen verbundenen Kosten wurde durch tagesgleiche Pflegesätze abgegolten, die unter Berücksichtigung der fmanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherungen wie schon zu Zeiten des Deutschen Reiches behördlich (nämlich durch Preisbildungsstellen der Länder) festgelegt wurden (Fischer 1988; Eichhorn 1991).44 Der über die Pflegesätze nicht gedeckte Rest der dem Krankenhaus für die Patientenbehandlung entstandenen Kosten wurde über öffentliche Zuschüsse gedeckt, die aber weder auf einen festen Prozentsatz der gesamten Krankenhauskosten noch aufgrund eindeutig bestimmbarer Leistungen festgesetzt wurden. Im Durchschnitt aller Krankenhausanstalten wurden die laut BPflV '54 anrechnungsfiihigen Kosten zu rund 80 Prozent durch die Einnahmen der Krankenhäuser gedeckt, die tatsächlich mit der Bereitstellung von Krankenhausleistungen verbundenen Kosten jedoch nur zu rund 60 bis 65 Prozent (Starke 1962: 58). Die Defizite variierten dabei in ihrer Höhe zwischen Krankenhäusern unterschiedlicher Größe und verschiedener Träger. Schon zu dieser Zeit gab es wiederholt Überlegungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Pflegesätze, die vorsahen, Krankenhäuser in eine vollständige Selbstkostendeckung überzuleiten. Die Kassen sprachen sich aber zu jener Zeit gegen solche Vorschläge aus, da ihrer Auffassung nach eine Umstellung auf die vollständige Deckung der laufenden Krankenhauskosten über Pflegesätze zu einer Ausgabenmehrbelastung in der GKV führen würde und die Beitragssätze entsprechend angehoben werden müssten (vgl. Starke 1962: 56). Die wichtigsten Merkmale der Krankenhausfinanzierung nach BPflV '54 waren regional deutlich abweichende defizitäre Entwicklungen im Kranken-
glieder der DDR-Sozialversicherung bzw. deren Familienangehörige zeitlich unbegrenzten Anspruch auf unentgeltliche ambulante und stationäre Behandlung sowie auf eine unentgeltliche Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmittel hatten. Die Leistungserbringung (sowie zu einem bedeutenden Anteil die Leistungserstattung) wurde aber vom Staat geregelt (vgl. u. a. Ruban 1981; Lampert 1985a; Korbanka 1990). 44 Die eigentlich zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherungen definierten "Selbstkosten" der Krankenhäuser wichen aber deutlich vom betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff ab, da es dem Krankenhaus u. a. verwehrt war, bestimmte Kostenarten wie die Verzinsung des Eigenkapitals in die Kalkulation aufzunehmen und die zulässige Abschreibung auf Abnutzung deutlich unterhalb der Substanzerhaltung blieb.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
79
hausbereich, die nur durch öffentliche Zuschüsse gedeckt werden konnten. Insbesondere die Mehrzahl der öffentlichen Krankenhäuser war nicht mehr in der Lage, aus den rechtlich gesicherten Pflegesatzeinnahmen die laufenden Betriebskosten zu decken, und arbeitete folglich ständig mit öffentlichen Betriebszuschüssen. Umgekehrt erreichten einige (zumeist unter freigemeinnütziger Trägerschaft stehende) Krankenhäuser über die Deckung ihrer laufenden Betriebskosten sogar noch eine Deckung ihrer Anlagekosten (Starke 1962: 126). Da zudem die Pflegesatzstruktur nicht proportional zur (regionalen) Kostenstruktur in den Krankenanstalten war, waren finanziell starke Gemeinden eher in der Lage, laufende Zuschüsse zu gewähren, als finanziell schwächere Gemeinden. Folge dieser Entwicklung war eine regionale Disproportionalität in Qualität und Ausstattung der medizinischen Versorgung, die letztlich die Diskussion um die vollständige Selbstkostendeckung der Krankenhäuser neu entfachte. c) Der Weg zum dualen Finanzierungssystem
Aufgrund der zu knapp bemessenen Abschreibungsbeträge ftlr den Krankenhausbetrieb überraschte es nicht, dass die Kosten ftlr die stationäre Behandlung im Akutbereich durch den Pflegesatz allein nicht mehr gedeckt werden konnten. Die Differenz zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und den Erträgen aus den Pflegesätzen mussten immer häufiger durch Zuschüsse der Krankenhausträger, der öffentlichen Hand sowie durch Spenden oder Entnahmen aus der Krankenhaussubstanz (z. B. Unterlassung von notwendiger Anlagenerneuerung und Instandhaltung) gedeckt werden (Eichhorn 1991: 848). Verschiedene Mängel im Krankenhauswesen bzw. in dessen Finanzierungssystem ftlhrten u. a. dazu, dass im medizinisch-technischen Bereich ein Teil der Krankenhäuser nicht mehr dem aktuellen Stand der Medizin und Medizintechnik gerecht wurde. Ende der 1960er Jahre wurde deshalb von Sozialpolitikern von einer "Strukturkrise des Krankenhauses" gesprochen (Wiemeyer 1984). Die Forderung der Krankenhäuser nach Eigenwirtschaftlichkeit wurde dabei bereits zu diesem Zeitpunkt von allen Seiten anerkannt. Es konnte aber zunächst keine Einigung über die Frage erzielt werden, wer die entstehenden Kosten erstatten soll. Zur damaligen Zeit gab es zwei Vorschläge zur Kostenerstattung, entweder über den Preis durch Patienten und Krankenkassen oder über Steuermittel durch Bund und Länder. Um die Unzulänglichkeiten der BPflV '54 zu beseitigen, wurde 1965 ein Verordnungsentwurf vorgelegt, der die Krankenhausfinanzierung auf (vollständige) kostendeckende Pflegesätze abstellen sollte. Dieser Entwurf scheiterte aber am massiven Widerstand der Sozialversicherungsträger, der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (Thiemeyer 1975) und wurde schließlich zu-
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
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rückgezogen. Da Schätzungen jener Zeit von Defiziten der Krankenhäuser von bis zu 20 Prozent bei öffentlichen und rund zehn Prozent bei freigemeinnützigen Trägem ausgingen, wurde im Juli 1966 eine Enquete-Kommission für das Krankenhauswesen eingerichtet, um exakte Anhaltspunkte über die Defizitstruktur und mögliche Lösungsansätze zu erhalten. Die Enquete ermittelte dabei in ihrem Abschlußbericht 1969 ein Defizit von zwei Mrd. DM, wovon nach Abzug von herkömmlichen Betriebszuschüssen und Zuschüssen aus Landeshaushalten rund 840 Mio. DM übrigblieben (Thiemeyer 1975: 101). In den dem Abschlußbericht folgenden langjährigen Diskussionen im Bundestag ging es um die Deckung dieser Defizite über Pflegesätze. Dabei wurden insgesamt drei Lösungsansätze unterschieden, wobei zwei auf einem zweigeteilten und einer sogar auf einem dreigeteilten Pflegesatz für Krankenhausleistungen basierte. In einem ersten Vorschlag sollte das Gesamtentgelt eines Krankenhausfalles in eine einmalige Aufnahmegebühr (oder eine einmalige Abgeltung der diagnostischen und therapeutischen Leistungen) und einen relativ niedrigen Tagespflegesatz zur Abgeltung der "Hotelkosten" und "Basispflegekosten" aufgeteilt werden. Dieser von der DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft) vorgeschlagene Ansatz orientierte sich vor allem am degressiven Verlauf des Entgelts pro Pflegetag (vgl. Abschnitt III.2.e weiter hinten). Der zweite Vorschlag für einen zweigeteilten Pflegesatz sah vor, dass die Investitions- oder Vorhaltekosten von öffentlichen Haushalten übernommen und die Benutzerkosten den Patienten bzw. den Kostenträgem angerechnet werden. Die von Herder-Domeich (1970) vorgeschlagene Alternative eines dreigeteilten Pflegesatzes unterschied schließlich zwischen Vorhaltungskosten, Kosten des Dienstleistungsbetriebs (Ärzte, Pflegepersonal, usw.) und den Kosten des "gewerblichen Bereichs" (u. a. Hotelkosten). Nachdem die stationäre Versorgung der Bevölkerung durch eine Grundgesetzänderung bereits 1969 zur "öffentlichen Aufgabe" deklariert wurde, entschieden sich Bundestag und Bundesrat für den zweiten Vorschlag einer Pflegesatzreform.
d) Die duale Finanzierung der Krankenhausleistungen
Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Pflegesätze (abgekürzt: Krankenhausfinanzierungsgesetz, KHG) am 29.6.1972 und der dazugehörigen Bundespflegesatzverordnung (BPflV '73) wurde die Finanzierung der Krankenhausleistungen in Form der "dualen Finanzierung" festgeschriebenY Danach wurden die
'S
Zur Entstehungsgeschichte siehe ausführlich Harsdorf / Friedrich 1972.
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Investitionskosten (Kosten der Ersterrichtung sowie der Wiederbeschaffung von kurz- und mittelfristig nutzbaren Anlagegütern) und Fördermittel durch die öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden) als Vorhaltekosten fmanziert (vgl. Abbildung 10).46
Investitionen
PflegesItze
I
I I
Bund Länder Kommunen
Steuern
I
-~
Krankenhau.träger
,
I
~
Krankenver.Icherungen
Krankenhausleistungen
Beitrilge
BEVÖLKERUNG DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
Abbildung 10: Das duale Finanzierungsprinzip der Krankenhauskosten (Quelle: Fischer 1988: 35)
Die Betriebskosten einschließlich der Instandhaltung wurden dagegen aus Umsatzerlösen, die in Form von "einheitlich zu bemessenden" Pflegesätzen verrechnet wurden, fmanziert und damit von den Benutzern bzw. deren Krankenversicherungen getragen.· 7 Neben der Sicherstellung einer "bedarfsgerechten Versorgung" der Bevölkerung mit leistungsfllhigen, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zielten die Vorschriften des Kranken-
46 Das KHG von 1972 betrachtete die Bereithaltung von Krankenhäusern (und deren Finanzierung) als öffentliche Aufgabe von Bund und Ländern mit dem Ziel einer optimalen stationären Versorgung der Bevölkerung (Gleichwertigkeitsgrundsatz der Raumordnung). 47 Konnten vorher Selbstzahlern andere Pflegesätze in Rechnung gestellt werden, waren nach dem KHG die allgemeinen Krankenhausleistungen durch einen for alle gleichen Pflegesatz abzugelten. Das Liquidationsrecht der Arzte für Patienten der höher verdienenden Selbstzahler wurde damit stark eingeschränkt. Zu den Auswirkungen "gleicher" Pflegesätze auf Ärzteeinkommen und Ärztemotivation siehe Thiemeyer 1975; Sauerzapf 1980.
6 Lebok
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
hausfmanzierungsgesetzes auch darauf ab, die Voraussetzungen rur "sozial tragbare Pflegesätze" zu schaffen (§ 1 KHG 1972). Aufgrund des Prinzips eines dualen Krankenhausfinanzierungssystems mussten öffentliche Fördennittel und Umsatzerlöse aus den Pflegesätzen zusammen die Selbstkosten des Krankenhauses decken. Zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Krankenhausversorgung wurden die Länder verpflichtet, Krankenhauspläne und Investitionsprogramme aufzustellen. Die Ennittlung des Bettensollbestandes ist damit ein wesentlicher Bestandteil der Krankenhausplanung (vgl. Sauerzapf 1980). Darüber hinaus sind die Länder auch rur die Festsetzung der Pflegesätze zuständig. Voraussetzung fUr die öffentliche Förderung von Investitionsmaßnahmen gemäß § 8 KHG ist die Aufnahme des einzelnen Krankenhauses in den Landeskrankenhausplan. War dies der Fall, so hat das Land bei entsprechender Haushaltslage die erforderlichen Finanzmittel rur die Errichtung von Krankenhäusern und die Wiederbeschaffung von Anlagegütern mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von mehr als drei Jahren (§ 9 Abs. 2 und 3 KHG) in Fonn von Zuschüssen zur VerfUgung gestellt. Wurde einem Krankenhaus die Aufnahme in den Krankenhausplan versagt, so waren die Investitionskosten aus eigenen Mitteln aufzubringen. Nichtöffentlich geförderte Krankenhäuser konnten einen vollkostendeckenden Pflegesatz berechnen, ausgenommen in den Fällen, in denen Sozialleistungsträger die Kostenträger waren. In der Folgezeit stiegen die Krankenhauspflegesätze (vgl. Tabelle 4), so dass die GKV die Krankenhausbetriebskosten nur unter Aufgabe des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität decken konnte. Hinzu kam, dass mit der beginnenden Rezession ab 1975 Bund und Länder ihren Verpflichtungen zur Bereitstellung von Fördennittein weder in dem notwendigen Umfang noch zeit- und bedarfsgerecht nachkamen (Eichhorn 1991 ) ... Insgesamt enthielt das Krankenhausfinanzierungsgesetz zahlreiche Elemente, die einem wirtschaftlichen Handeln im Krankenhaus entgegenstanden (vgl. ausfUhrlich Thiemeyer 1975; Sauerzapf 1980; Wachtel 1984; Wiemeyer 1984; Breyer / Paffrath et al. 1987; Neubauer 1989; Adam 1991; Huber / Köse / Schneider 1993; Pfaff / Wassener, 1995). Die in der Literatur am häufigsten genannten Argumente fUr Unwirtschaftlichkeit im dualen Finanzierungssystem waren (in Anlehnung an Adam 1991):
•• Die Investitionsaufwendungen der Länder lagen beispielsweise im Jahr 1989 mit ca. 4,8 Mrd. DM - trotz Preissteigerung und Investitionslücke - nur um ca. 200 Mio. höher als im Jahr 1988 (Sachverständigenrat 199\). Die kaum noch realisierbare Unterstützung von Modernisierungen, Krankenhausneu- und -umbauten mit öffentlichen Geldern verstärkte dadurch den Ruf der Kassen nach monistischer Finanzierung.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
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•
Erreichte ein Krankenhaus keine Kostendeckung, resultierte hieraus selbst bei dauerhafter Verlustsituation nicht die Gefahr, das Krankenhaus schließen zu müssen, da Träger diese Verluste durch entsprechende Kapitalzufuhren ausgleichen konnten. Die Verlustübernahme ist eines der gravierendsten Hemmnisse filr eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus gewesen.
•
Mit der Bindung der Investitionsfmanzierung an die Bezugsbasis ,,Krankenhausbett' wurden die Akteure im Krankenhaus u. a. dazu verleitet, entbehrliche Bettenkapazitäten weiterhin aufrechtzuerhalten. Eine hohe Bettenauslastung in einem Krankenhaus war filr die öffentliche Hand allein schon ein Indikator filr zusätzliche Investitionen und filr einen anschließenden Bettenausbau gewesen (vgl. Tischmann 1993).
•
Die duale Finanzierung von Investitions- und Betriebskosten verhinderte, in der Betriebsfilhrung die Interdependenzen beider Kostensektoren zu berücksichtigen. Investitionen erfolgten nicht nach dem Gesichtspunkt, ob dadurch Rationalisierungspotentiale bei den Betriebskosten geschaffen wurden. Zudem trugen die Krankenhäuser keinerlei Verantwortung filr die Investitionskosten. Förderte der Staat die Investitionsvorhaben, war automatische Deckung dieser Kosten über den Fördermechanismus erreicht.
•
Die Pflegesätze waren strikt an den Selbstkosten der Vergangenheit orientiert. Erreichte ein Krankenhaus über Rationalisierungen Kostensenkungen, kamen die Rationalisierungserfolge in vollem Umfang den Kassen zugute. Weil das Krankenhaus über keine Möglichkeiten verfllgte, Rationalisierungen in Gewinne zur Stärkung der eigenen Wirtschaftskraft umzusetzen, fehlte insoweit jede Motivation zu wirtschaftlichem Verhalten.
•
Pflegesätze auf der Basis von Istkosten der letzten Abrechnungsperiode flihrten in den Krankenhäusern zu Verlusten, wenn die Zahl der Pflegetage hinter jener der letzten Abrechnungsperiode zurückblieb. Die Krankenhäuser hatten dadurch wenig Interesse, die Zahl der Pflegetage über kürzere Verweilzeiten zu reduzieren. Das KHG "provozierte" sozusagen zu lange Krankenhausaufenthalte und Fehlbelegung.
e) Die Diskussion um Unwirtschaftlichkeit und Fehlbelegungen
Als größte Schwierigkeit einer Quantifizierung angenommener Ineffizienz ist anzusehen, dass man die ineffiziente Produktion des Gutes "medizinische Versorgung" üblicherweise mit dem Erbringen "unnötiger" Leistungen begründet (Neipp 1988b: 14). Was aber unnötig ist, lässt sich mit objektiven Kriterien nur schwer bestimmen (vgl. Pauly 1986). Nach Bölke (1975) wird Wirtschaft-
6·
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
lichkeit im Krankenhaus dann erreicht, wenn die in der AufgabensteIlung festgelegte Leistung (in diesem Fall: bedarfsgerechte Versorgung) mit einem geringstmöglichen Mitteleinsatz, d. h., mit einem möglichst geringen Aufwand an Personal-, Sach- und Kostenrnittel erreicht wird (Bölke 1975: 196). Ein Problem in der gesamten Diskussion um die Ineffizienz bundesdeutscher Krankenhäuser ist aber, dass in der Bundespflegesatzverordnung nahezu selbstverständlich der Begriff Wirtschaftlichkeit verwendet wird, jedoch an keiner Stelle unwirtschaftliches Verhalten der Krankenhäuser exakt defmiert ist (Wachtel 1984: 160 ff.). Während Länder mit staatlichen Gesundheitssystemen vor allem damit beschäftigt sind, die sog. Mikroeffizienz der stationären Versorgung zu verbessern, geht es Ländern mit Sozialversicherungsmodellen in erster Linie um die Gewährleistung einer Makroeffizienz, die im wesentlichen auf eine Stabilisierung der öffentlichen Gesundheits- bzw. Krankenhausausgaben am Anteil des BSP oder BIP zielt (Schneider 1996: 213). Als Instrumente der Steuerung von Krankenhausleistungen stehen der Gesundheitspolitik insgesamt drei Möglichkeiten zur Verfilgung (vgl. Schneider 1996): Während die Installierung eines internen Marktes über Verhandlungsmechanismen eine Abstimmung zwischen den verfilgbaren Mitteln auf der Makroebene und den Leistungen und Preisen der Krankenhäuser erzielt (sog. Budgetierung), bemüht sich das Konzept der Managed Care um eine Regelung der Mengen- und Strukturkomponente. Daneben werden auch noch Vergütungsregelungen als Alternative betrachtet, die über Preiskomponenten einen möglichst kostengünstigen Faktoreinsatz erreichen sollen. Alle drei Regelungsinstrumente sollten in der Bundesrepublik Verwendung finden, je nachdem, welches "Symptom" rur Unwirtschaftlichkeit im Krankenhaus behandelt wurde. Der wohl bedeutendste Vorwurf rur Unwirtschaftlichkeit des Selbstkostendeckungsprinzips im dualen Krankenhausfmanzierungssystem dürfte in der Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten gelegen haben, da über den tagesgleichen Pflegesatz dem Krankenhaus jegliche Motivation zu einer wirtschaftlichen Leistungserstellung gefehlt hatte (vgl. Wachtel 1984: 185). Hatte beispielsweise ein Krankenhaus die Absicht, "Unwirtschaftlichkeit" über eine Verweildauerreduktion abzubauen, so wurde es im Grunde genommen darur "bestraft", da es pro Patient und Tag einen geringeren Pflegesatz abrechnen musste, weil die Pflegesätze auf der Grundlage der krankenhausindividuellen Selbstkosten der Vorperiode kalkuliert wurden. Die Verlängerung der durchschnittlichen Verweildauer beeinflusste deshalb sowohl die Höhe der Durchschnittskosten pro Pflegetag als auch die Zahl der Pflegetage als Grundlage des erstattungsflihigen Leistungsumfangs. Letztendlich hatte die Einft1hrung des Selbstkostendeckungsprinzips dazu gefllhrt, dass sich das Krankenhausmana-
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gement weniger auf die Kostenreduzierung als vielmehr auf den Nachweis der über Pflegesätze zu erstattenden Betriebskosten konzentrierte. Da die höchsten Kosten der Patientenbehandlung im Krankenhaus bereits in den ersten Aufenthaltstagen anfallen und mit zunehmender Verlängerung der Krankenhausverweildauer die durchschnittlichen Tageskosten je Fall sinken (Abbildung 11), konnte ein Krankenhaus durch eine Verlängerung der Verweildauer Kostendeckung erreichen. Von daher verstärkte die pflegetag-proportionale Vergütung die bereits von der Bindung der Investitionsfmanzierung an die Zahl der Krankenhausbetten ausgehende Gefahr, entbehrlich werdende Betten nicht abzubauen und unnötige Behandlungstage zu produzieren. Idealtypisch erfasst Abbildung 11 den Kostenverlauf bei konstantem Pflegesatz. In den ersten Tagen fallen durch Untersuchungen, Operationen usw. relativ hohe Kosten an, welche die Höhe des Pflegesatzes deutlich übersteigen. Im Laufe des Aufenthaltes verringern sich die Kosten und sinken ab dem Zeitpunkt x unter den Pflegesatz (gestrichelte Linie) und entsprechen in der Folgezeit den (postoperativen) Aufwendungen fiir Pflege und Betreuung (u. a. Kosten fiir Verpflegung und Unterkunft, Pflege, Medikation sowie Arztvisiten).49 DM
Kostendeckende Verweildauer
VERLUST Konstanter Pflegesatz
o
x
Verweildauer (in Tagen)
Abbildung 11: Kostendeckende Verweildauer bei konstantem Pflegesatz (Quelle: Herder-Domeich/Wasem 1986: 319)
49 Eine Ausnahme bilden lediglich die letzten beiden AufenthaItstage, an denen in der Regel diverse Abschlussuntersuchungen stattfinden und dadurch einen leichten Anstieg der Tageskosten bewirken.
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
An die Diskussion der unnötig verlängerten Patientenaufenthalte in Krankenhäusern aufgrund der KHG-Bestimmungen schloss sich die Diskussion um Fehlbelegungen an. Unter Fehlbelegung wird eine aus medizinischen Gründen nicht angemessene Nutzung des Krankenhauses verstanden. Die Unangemessenheit der Nutzung lässt (in der Terminologie des Nutzungsgrades quasi eine Überdeckung der vorhandenen Betten) sich dabei in drei Bestandteile zerlegen (vgl. Kehr 1988; Hailer 1994): •
Unangemessenheit von Aufnahmen,
•
Unangemessenheit von einzelnen Pflegetagen im Krankenhaus,
•
Unangemessenheit der Versorgungsstufe im Krankenhaus.
Unangemessene Aufnahmen entstehen in Situationen, in denen eine medizinische Versorgung auch hätte ambulant erfolgen können und in denen eine Akutbehandlung im Krankenhaus zu keinem Zeitpunkt notwendig gewesen wäre. Unter unangebrachten Pflegetagen werden solche Krankenhausaufenthaltstage verstanden, die durch Verzögerungen im Krankenhaus oder bei der Organisation der nachstationären Behandlung entstehen. Schließlich werden unter einer unangemessenen Stufe der Versorgung im Akutkrankenhaus alle unter medizinischen Gesichtspunkten nicht angebrachten Einweisungen auf eine Intensivstation verstanden. Die wichtigsten Maße rur Fehlbelegung sind die Feh/belegungsquote (Fehlbelegungstage bezogen auf die Gesamtheit aller Pflegetage) und drei Maßzahlen, die sich auf Patienten beziehen. Während Fehlbelegungstage pro Patient bzw. pro Patient mit Fehlbelegung die Anzahl der Fehlbelegungstage von allen Patienten (bzw. Patienten mit Fehlbelegungstagen) wiedergibt, wird häufig auch ein Anteilsmaß berechnet, das den Anteil der Patienten mit verlängerter Verweildauer unter allen Patienten darstellt. Zur Ermittlung der Fehlbelegung werden in der Literatur verschiedene Methoden angewandt, die zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen fUhren können. so Um ein klareres Bild über den Umfang von Fehlbelegungen zu erhalten wurde vom Gesetzgeber eine Studie bei Infratest Epidemiologie & Gesundheitsforschung in Auftrag gegeben. Dabei wurden repräsentative Krankenhausdaten aus dem Jahr 1986 ausgewertet und rur die Beurteilung einer Fehlbelegung externe Gutachten von Ärzten über die Patientengeschichten eingeholt (Infratest Gesundheitsforschung / Klar 1988).sl Als wichtigste Ursachen von
Siehe ausfllhrlich bei Hailer 1994: 29 ff. Bei den genannten Daten handelt es sich um die 1986er Krankenhausstichprobe des sog. Diagnose- und Therapie-Index (DTI). so
SI
IlI. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
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Fehlbelegung wurden Gründe genannt, die mit der stationären Infrastruktur, mit wirtschaftlichen und sozialen Gründen der Patienten und mit den Aufnahmemodalitäten der Krankenhäuser in Verbindung standen (vgl. Infratest Gesundheitsforschung / Klar 1988; Kehr 1988; Klitzsch 1988; Hailer 1994). Die in der Studie ermittelten Ursachen lagen 1986 schwerpunktmäßig außerhalb des Krankenhausbereichs. Dies galt im besonderen tUr die oftmals fehlenden Kapazitäten der nachstationären Versorgung, was sowohl stationäre Pflegeeinrichtungen als auch Pflegemöglichkeiten von Familienangehörigen (unter Aufgabe bzw. Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit) betraf. Deutliche Unterschiede in den Fehlbelegungsquoten bestanden nach Ergebnissen der Fehlbelegungsstudie zwischen dem Alter und Geschlecht der Patienten. Während beispielsweise nur 14 Prozent der männlichen Patienten im Alter 60 und darüber fehlbelegte Pflegetage aufwiesen, lag die Quote rur Frauen bei 19,2 Prozent (Infratest Gesundheitsforschung / Klar 1988: 38). Nach Fachabteilungen differenziert hatten Chirurgie und Innere Medizin den größten Anteil an Patienten mit Fehlbelegungstagen (zusammen ca. 40 Prozent), obwohl die OP-Rate in der Chirurgie besonders hoch istY Darüber hinaus korreliert die Fehlbelegungsquote mit der Krankenhausgröße: Mit 22 Prozent war die Quote in den kleinen Krankenhäusem mit weniger als 200 Betten im Jahr 1986 am höchsten. Auch Selbsteinweisungen als Aufnahmeanlass und Überweisung in andere Versorgungseinrichtungen zur weiteren Behandlung fUhren zu auffallend hohen Fehlbelegungsquoten. Auf die bundesdeutschen Akutkrankenhäuser hochgerechnet ergaben sich insgesamt 26,6 Millionen fehlbelegte Pflegetage (von insgesamt 144,5 Millionen) und 85 000 fehlbelegte Betten (von 461 000 insgesamt zum damaligen Zeitpunkt). Dieses Ergebnis verleitet auch heute noch viele Gesundheitspolitiker, die Schlussfolgerungen dieser Studie aus dem Jahre 1986 auf aktuelle Entwicklungen im Krankenhauswesen anzuwenden. Eine Nachfolgeuntersuchung im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Jahr 1995 zeigte, dass die 1986 ermittelte Anzahl an fehlbelegten Tagen neun Jahre später in nahezu allen relevanten Unterscheidungsmerkmalen deutlich unterschritten wurde. Der zum Teil überproportionale VerweildaueITÜckgang von mehr als zehn Aufenthaltstagen (z. B. bei älteren Patienten, die in ein Pflegeheim überwiesen wurden) kann dahingehend interpretiert werden, dass die für 1986 festgestellten Gründe für die hohe Fehlbelegung heute weitestgehend nicht mehr
n Zwischen durchgeführten Operationen während eines Krankenhausaufenthaltes und der Fehlbelegungsquote konnte ein eindeutig negativer Zusammenhang ermittelt werden (vgl. Infratest Gesundheitsforschung / Klar, 1988).
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
existieren (Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung / DKG 1996: 341).
Dagegen ermittelte eine gemäß § 275a SGB V vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) in den Jahren 1994 und 1995 auf Länderebene durchgefiihrte Studie ein zwanzigprozentiges Substitutionspotential in Krankenhäusern (MDS 1997), d. h., bei mehr als 20 Prozent der Patienten, die vollstationär behandelt wurden, wäre die Aufnahme aus medizinischer Sicht vermeidbar gewesen. Da in dieser Studie lediglich die ersten drei Tage des Krankenhausaufenthaltes in "Modellkrankenhäusern" überprüft wurden, um festzustellen, ob die Krankenhausaufnahme notwendig war oder nicht und welche Alternativen zur stationären Behandlung denkbar wären, handelt es sich bei diesem Verfahren um keine Fehlbelegungsprüfung im eigentlichen Sinne.
f) Reformversuche im dualen Krankenhausjinanzierungssystem
Bereits im Zusammenhang mit dem Krankenversicherungs-Kostendekkungsgesetz (KVKG) aus dem Jahre 1977 wurde in der Gesundheitspolitik eine Richtung eingeschlagen, die nach dem Regierungswechsel im Jahre 1981 über GRG und GSG in ein monistisches Finanzierungssystem n fiihren sollte. Erstmals wurde in dies~m Gesetz die Forderung nach Beitragssatzstabi/ität erhoben (Hinderer 1988). Anlass waren die steigenden Beitragssätze und vor allem ihre dadurch wachsende Bedeutung als Lohnnebenkosten und Wettbewerbsfaktor. Die in der Folgezeit ausbrechenden Diskussionen über die Kostendämpfung im Gesundheitswesen hatten somit ihre Ursache weniger in der tatsächlichen Höhe der Kosten als vielmehr in ihrer Auswirkung als Lohnnebenkosten (Bruckenberger 1992b: 25). Letztendlich bewirkte der Passus zur Beitragssatzstabilität im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches ein verstärktes Interesse an jährlichen Ausgabenvergleichen der einzelnen Leistungsbereiche in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
~3 Manche Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von einem "Wiedereinstieg" in die monistische Finanzierung (u. a. Bruckenberger 1992b; Pfaff / Wassener, 1995). Die bisherigen Ausfilhrungen dürften aber gezeigt haben, dass sich seit Bestehen der Bundesrepublik (im Grunde genommen sogar seit 1936) eine gemischte Finanzierung der Krankenhausleistungen in Deutschland etabliert hatte, die aufgrund mangelnder Preisfreiheit der Krankenhauspflegesätze stets auf Subventionen von Seiten der öffentlichen Hand angewiesen war. Eine eindeutige Monistik war demnach vor 1972 auch nie gegeben.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
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Mit der Verabschiedung des Krankenhaus-KostendämpjUngsgesetzes (KHKG) vom 22.12.1981 wurden die im ambulanten Sektor erprobten Verbandsverhandlungen auf den Krankenhaussektor ausgedehnt. Die Krankenhäuser wurden seitdem ausdrücklich in die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen einbezogen. Gleichzeitig wurde die Position der Kassen gestärkt. So sah das Gesetz die Mitwirkung der Krankenhausträger und Kassen bei der Bedarfsplanung vor, führte paritätisch besetzte Ausschüsse zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit ein und machte Vorgaben für Rahmenverträge über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhauspflege. Darüber hinaus wurden die Spitzenverbände der Krankenhäuser und Krankenkassen mit der Aufgabe betraut, Empfehlungen über Maßstäbe und Grundsätze für die Leistungsfiihigkeit und Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu entwickeln (Alber 1992: 123). Die Ausgabensteigerungen der GKV konnten aber nicht gebremst werden, so dass weitere Beitragserhöhungen vorgenommen werden mussten. Im Zuge der immer lauter werdenden Forderung nach Einhaltung der BeitragssatzstabilitätS4 wurde der Krankenhausbereich in die Kostendämpfungspolitik einbezogen. Durch das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz (Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausjinanzierung, KHNG) vom 20. Dezember 1984 wurde deshalb das KHG novelliert. Die wesentlichen Punkte des Gesetzes sind: •
Krankenhauspläne und Investitionsprogramme werden weiterhin von den Ländern aufgestellt, wobei einvernehmliche Regelungen mit der Krankenhausseite und der Krankenkassenseite anzustreben sind.
•
Die Investitionskosten werden nunmehr allein von den Ländern getragen (Aufhebung der Mischfinanzierung durch Bund und Länder).ss
Die Novellierung konzentriert sich somit schwerpunktmäßig auf die Bereiche, die einen starken Einfluss auf das Management im Krankenhaus hatten. Hierzu zählen die Krankenhausplanung, die Finanzierungsform und mit Verabschiedung der Bundespjlegesatzverordnung 1985 (BPjlV '85) die Pflegesatzgestaltung. Mit der Umsetzung dieser Gesetzesnovelle wurde der Forderung Rechnung getragen, die im Grunde genommen seit Einführung des KHG
S4 Vor allem die Arbeitgeber forderten eine stärker einnahmenorientierte Ausgabenpolitik im Gesundheitswesen, um die Lohnnebenkosten nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Im Zusammenhang mit der von Arbeitgeberseite geführten Kampagne der Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland wurde auf die Gesundheitspolitik und die einzelnen Akteure des Gesundheitssystems ein immer größer werdender Druck ausgeübt, mit dem Ziel sichtbare Einsparungen vorzunehmen. ss Damit wies der bundesdeutsche Krankenhaussektor im Bericht der Investionsförderung Analogien zum ebenfalls föderal strukturierten Schweizer Krankenhauswesen auf (siehe ausführlich bei Alber / Bernardi-Schenkluhn 1992).
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schwelte, nämlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen grundlegend neu zu ordnen und die Akzente stärker auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und einer bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungstahigen Krankenhäusern bei sozial tragbaren Pflegesätzen zu setzen. Dies betrifft vor allem die Modifizierung des Selbstkostendeckungsgrundsatzes im Rahmen der Anpassung der Bundespflegesatzverordnung (BPflV '85) an das KHNG, indem seit 1985 die Pflegesätze nicht mehr an den nachgewiesenen Kosten, sondern an vorauskalkulierten Selbstkosten bemessen wurden. Durch Kostenplanung, die an die Stelle vergangenheitsorientierter Istkostenerstattung tritt, sollte das Kostenbewusstsein verbessert werden. Es wird nicht mehr rückwärts gerichtet auf die Selbstkostendeckung als Ergebnis einer bereits abgelaufenen Periode abgestellt, sondern die Selbstkosten werden vorausschauend für einen künftigen Pflegesatzzeitraum als Grundlage des Budgets und der Pflegesätze festgelegt. Zudem mussten bei der Berechnung der tagesgleichen Pflegesätze die Kosten und Leistungen vergleichbarer Krankenhäuser berücksichtigt und Grundsätze zur Wirtschaftlichkeit und Leistungstahigkeit der Krankenhäuser nach § 19 KHG stärker beachtet werden. s6 Gemäß BPflV '85 hatten die Pflegesatzparteien für die zukünftige Abrechnungsperiode einen Gesamtbetrag (oder Budget) zu vereinbaren, mit dem sämtliche allgemeinen Krankenhausleistungen einschließlich der durch die Vorhaltung bedingten Betriebskosten vergütet werden. Der Pflegesatz pro Tag verlor damit seine Bedeutung als maßgebliches Verhandlungsziel und alles entscheidende Entgeltgröße. Er hat nur noch die Bedeutung einer "Abschlagszahlung" auf das Budget, wobei das Budget nicht unabhängig von Belegungsschwankungen ist und diesen jeweils nachträglich angepasst wird. Der Gesetzgeber ging bei der Anpassung der Belegungsschwankungen davon aus, dass im Krankenhaus 75 Prozent der Kosten fix und etwa 25 Prozent variabel sind. Die Variation der Budgetsumme in Abhängigkeit von unterschiedlichen Auslastungsgraden ist dabei das entscheidende Element der sog. flexiblen Budgetierung nach BPflV '85. Diese Variante des Tagespflegesatz-Vergütungssystems wurde dabei im Nachbarland Frankreich bereits einige Jahre erprobt und später
56 Die Vergleichbarkeit von Krankenhäusern in ihrer Qualität, Leistungs- und Kostenentwicklung wurde vor allem im Zuge des Gesundheitsstrukturgesetzes in der BPflV '95 als ein wichtiges Kontrollinstrumentarium der Kassen wieder aufgegriffen. Krankenhausvergleiche zur Überprüfung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der je~ei ligen Einrichtungen sind in § 5 der BPflV ab dem 1. Januar 199~ (nach S~haff~ng emer ausreichend dichten Datengrundlage) vorgesehen. Sollte Unwirtschaftlichkeit festgestellt werden, so wird den Kassen ein restriktiverer Umgang mit ineffizient arbeitenden Krankenhäusem (u. a. Vertragskündigung) nahegelegt.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
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allerdings zu Gunsten einer "globalen Budgetierung"57 im Jahr 1983 wieder aufgegeben (vgl. Neubauer / Mages 1991). Das Prinzip der flexiblen Budgetierung lässt sich an Abbildung 12 grob skizzieren (vgl. Fischer 1988: 39 f.). Ausgangspunkt ist das zum Beginn eines Pflegesatzzeitraumes zwischen Kassen und Krankenhausträgern vereinbarte Budget. Stimmte am Ende der Berechnungsperiode die vorauskalkulierte Belegung BV mit der tatsächlichen Belegung BE überein, entfiel die Notwendigkeit einer Budgetanpassung, da die von den Versicherungsträgern entrichteten Pflegesätze in diesem Fall mit dem vereinbarten Budget übereinstimmten. KostenIErlöse
Erlöse vereinbartes Budget
BE· BV. BE. BE" ÄZ. ÄZ."
BA. BA"
BV
in Prozent
vorauskalkulierte bzw. tatsAchliche Belegung Ausgleichszahlung des Krankenhauses an die Sozialleistungstrager Ausgleichszahlung der SozialieistungstrAger an das Krankenhaus Budgetanpassung
Abbildung 12: Der Mechanismus der flexiblen Budgetierung (in Anlehnung an Fischer 1988)
57 Die Ausgaben der Krankenhäuser haben sich dabei an den Mitteln zu orientieren, die ihnen Krankenkassen oder wie in Frankreich der Staat durch öffentliche Mittel zur Verfllgung stellen (vgl. Alber / Bemardi-Schenkluhn 1992). Das Prinzip der "globalen Budgetierung" sollte auch in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Kostendeckelung im Krankenhausbereich im Zuge des Gesundheitsstruktur- und Stabilisierungsgesetzes (GSG, StabG) fIlr den Zeitraum 1993 bis 1997 Verwendung finden.
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Wurde der Pflegesatzzeitraum mit einer höheren Belegung (z. B. mit BE) abgeschlossen, hat das Krankenhaus nur einen Anspruch auf die Budgetanpassung BA in Höhe der variablen Kosten, und war folglich zur Ausgleichszahlung AZ gegenüber den Sozialleistungsträgem verpflichtet. Blieb die tatsächliche Belegung unterhalb der Erwartungen, z. B. auf BE*, wurde ebenfalls das Budget nur in Höhe der variablen Kosten angepasst (BA *). Das Krankenhaus hat demgemäß einen Anspruch auf Erstattung der nicht gedeckten Fixkosten, also nur auf eine Ausgleichszahlung durch die Sozialleistungsträger in Höhe von AZ*. Anstelle des allgemeinen für sämtliche Krankenhausleistungen geltenden Pflegesatzes konnten besondere Pflegesätze (u. a. für die Behandlung von Querschnittsgelähmten, Schwerverbrannten, Dialyse-Patienten usw.) als Verrechnungsgröße für das flexible Budget vereinbart werden. Dies sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die abteilungsspezifischen Kosten in einem Krankenhaus teilweise deutlich voneinander abwichen. Neben dem Budget und der Erweiterung um besondere Pflegesätze konnten Sonderentgelte auf der Grundlage vorauskalkulierter krankenhaus individueller Kosten bemessen werden. Anders als beim flexiblen Budget erfolgt jedoch keine Flexibilisierung der Mengenkomponente. Prognosefehler oder nicht vorhersehbare Nachfrageentwicklungen führten bei Leistungen, die durch ein Sonderentgelt vergütet werden, unmittelbar zu Überschüssen, je nachdem ob eine positive oder eine negative Mengenabweichung eingetreten ist (Sieben / Philippi 1991: 99). Häufigste Beispiele für Sonderentgelte nach § 5 Abs. 2 BPflV '85 waren Herzschrittmacheroperationen und Gelenkprotheseimplantationen. Bereits im dualen System war aber eine wachsende Bereitschaft der Krankenhäuser für die Abrechnung von Sonderentgelten erkennbar. Auch das Instrument der flexiblen Budgetierung war aber letztendlich unzureichend, um zu einem wirtschaftlicheren Verhalten im Krankenhaus (im Sinne einer Kostendämpfung) beizutragen. Es bestand beispielsweise keine Gewähr dafür, dass Gewinne bei wirtschaftlich sinnvollem und Verluste bei unwirtschaftlichem Verhalten auftraten. Je mehr Patienten bei reduzierten Krankenhausaufenthalten behandelt wurden, desto höher fielen die krankenhausindividuellen Verluste aus (Adam 1991). Wurde dagegen die Verweildauer gegenüber den Planwerten verlängert, stieg mit jedem behandelten Patienten der Gewinn. Deswegen griff der Gesetzgeber auf ein Finanzierungssystem zurück, das in den USA als DRG-Konzept jahrelang erprobt und bereits 1970 als DKGVorschlag zur Pflegesatzreform eingebracht wurde, das leistungsgerechte Finanzierung vorschreibt, mit der die Verweildauer als Effizienzkriterium an Bedeutung verliert und schließlich ein positiver Effekt auf die Kostenentwicklung eintreten soll.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
93
3. Das Gesundheitsstrukturgesetz und die Reformen im Krankenhausbereich a) Die Fallklassifikationssysteme der DRGs und PMCs
Im konkreten Fall des Krankenhauswesens beinhaltet ein Fallklassiftkationssystem, dass Patienten mit einem im Durchschnitt ähnlichen LeistungsbÜDdel in Fallgruppen zusammengefasst werden (vgl. Abschnitt 111.1). Ein solches Klassiftkationssystem stellen die DRGs (diagnosis related groups) dar, die Ende der 1960er Jahre an der Yale University als Instrument zur Qualitätskontrolle in der Krankenhausversorgung entwickelt wurden und die Krankenhausleistungen in Form von Patientenklassen defmieren (vgl. Rodrigues 1993). Nach seiner Erprobungsphase in New Jersey wurde das DRG-Konzept seit 1983 als Fallpauschalenvergütungssystem in den USA rur das Medicare-Bundesprogramm eingesetzt. Nachfolgend erlebte das DRG-Konzept verschiedene Ergänzungen und Erweiterungen um neue Diagnosen (etwa HIV-Infektion), neue medizinische Prozeduren, den Ort der Behandlung im Krankenhaus, eine Zusatzvergütung bei sog. Ausreißern (Fälle mit stark überdurchschnittlicher Verweildauer und/oder überdurchschnittlichen Fallkosten) usw. (vgl. Kampe / Kracht 1989; McGuire 1993). Auch die meisten europäischen Staaten testeten bzw. übernahmen amerikanische DRG-Konzepte. Eine Homogenisierung der verschiedenen Konzeptionen (mit entsprechend unterschiedlichen nationalen Defmitionen) wird seit einigen Jahren auf verschiedenen Ebenen angestrebt (vgl. Wiley 1990; France 1993). Grundsätzlich verfolgt dieses Konzept eine top-down-Strategie, indem zunächst Hauptdiagnosegruppen gebildet werden (die wiederum in nahezu 500 Diagnosegruppen untergliedert wurden), denen verschiedene DRGs zugeordnet werden. DRGs befinden sich auf einem Informationsniveau, das gleichermaßen rur Ärzte und Pflegepersonal, Verwaltungsangestellte und Ökonomen verständlich ist (Jenkins 1991). Die international gängigsten Kriterien rur eine homogene DRG-Gruppenbildung sind (Rodrigues 1993): •
Hauptdiagnose
•
Nebendiagnosen (Multimorbidität) oder Komplikationen
•
Demographische Patientenangaben (Altersgruppenzugehörigkeit: unter 18, 18 bis 69, 70 und älter; Geschlecht)
•
Behandlungsart (Operation)
•
Entlassungsstatus (geheilt, überwiesen, verstorben)
Eine der wichtigsten Aufgaben des DRG-Konzeptes ist die Herstellung von Vergleichbarkeit der Patienten behandlung in unterschiedlichen Krankenhäu-
94
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
sem, Abteilungen oder Regionen (McGuire 1993). Die Beurteilung der Kostenentwick1ung orientiert sich dabei eng an der Verweildauerentwicklung (sog. ALOS-homogenity, vgl. Sanderson 1993) und an der medizinischen Kohärenz der stationären Behandlung (vgl. Rodrigues 1991). Empirische Untersuchungen in den USA konnten wiederholt belegen, dass die Verweildauer als relativ brauchbarer Indikator rur den Ressourcenverbrauch pro Behandlungsfall eingeschätzt werden kann (Horn / Roveti / Kreitzer 1980; List / Fronczak et al. 1983; Arons 1984; Berki / Ashcraft / Newbrander 1984; Neubauer / Demmler 1989; Cleary / Greenfield et al. 1991). Der Zusammenhang zwischen Verweildauer und Fallkosten ist jedoch nicht eng genug, um den Krankenhausaufenthalt als alleiniges Maß zur Konstruktion homogener Fallgruppen verwenden zu können. In der Verweildauer des DRG-Konzepts bleiben beispielsweise Unterschiede in Pflege und ärztlichen Leistungen pro Patient unberücksichtigt, obwohl sie bekanntermaßen einen erheblichen Einfluss auf den Ressourcenverbrauch ausüben (z. B. Unterschiede eines Aufenthaltstages mit Intensivbzw. Normalpflege). Ein alternatives Konzept, das der ebenfalls in den USA entwickelten PMCs (patient management categories), ergänzt die Informationen von DRG-Auswertungen. In diesem Fallklassifikationssystem, das im Zeitraum 1978 bis 1984 in Pittsburgh entwickelt wurde, standen die Qualitätssicherung und die Messung des Gesundheitszustandes im Vordergrund (Rodrigues 1993: 26). In den PMCs sind Gruppen von Krankenhausfällen zusammengeschlossen, die aus der (rein medizinischen) Sicht von Krankenhausärzten typische (normative) Behandlungswege im Krankenhaus aufweisen (vgl. Taroni 1990). Analog zum DRG-Konzept werden auch bei der PMC-Fallklassifikation zunächst Krankheitsartengruppen (sog. "Module") ausgewiesen und PMCs zugeordnet. Die Krankenhauspatienten werden mit Hilfe typischer Diagnosekombinationen bestimmten PMCs zugeordnet, wobei die Reihenfolge der Diagnosen keinen Einfluss auf die Einordnung hat. Das Fallklassifikationssystem der PMCs unterscheidet sich dabei in drei wesentlichen Eigenschaften von den DRGs: •
PMCs bilden krankheitsartenbezogene Patientenkategorien ab, die neben Einweisungsgrund, Diagnostik und Symptomen mögliche therapeutische Behandlungsbiographien berücksichtigen (NeubauerlDemmler, 1989:47 f.). Aus der PMC-Systematik mit ihrer Unterscheidung der Behandlungsarten werden PMPs (patient management paths) entwickelt, die als SollLeistungsbündel die erwartete stationäre Behandlung abbilden.
•
PMCs berücksichtigen (im Gegensatz zu DRGs) den Schweregrad der Erkrankung. Kriterien rur die Bestimmung sind in den einzelnen Fallgruppen
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
95
das Sterberisiko, das Risiko einer eingeschränkten Lebensführung und die Komplikationswahrscheinlichkeit bei der Behandlung. •
PMCs trennen mehrere Diagnosen (Multimorbidität) voneinander und unterscheiden sie jeweils nach der Krankheitsschwere (bzw. sonstigen Faktoren für Komplikationen wie Alter usw.). Das Auftreten mehrerer Diagnosen auf dem Krankenblatt löst nicht automatisch eine Zuordnung in mehrere "Module" aus, da die wenigen PMC-Krankheitsartengruppen mit ihren Schlüsselcodes verschiedene (wahrscheinliche) Einzeldiagnosen beinhalten.
Die medizinisch häufig schwierige Trennung in Haupt- und Nebendiagnosen spielt in der PMC-Klassifikation für die Zuordnung der Patienten in einzelne Krankheitskategorien keine Rolle. Viel wichtiger für die Interpretation von PMC-Kategorien sind die im System enthaltenen PMPs, die einen Behandlungsleitfaden für den behandelnden Arzt von der Diagnose bis hin zu den therapeutisch wahrscheinlichen Leistungskomplexen erbringen. Während die PMCs in erster Linie durch Einweisungsgrund, Krankheitsbilder, Symptome und Diagnosen definiert werden, übernehmen die PM Ps eine BrUckenfunktion von den PMCs zur spezifischen Leistung im Krankenhaus. Bei vergleichenden Studien über die PMC- bzw. DRG-Klassifikation wurde mehrfach das Ergebnis bestätigt, dass - trotz des scheinbar methodischen Vorsprungs der PMCs - nur wenig Unterschiede in der Erklärungskraft für die Krankheitsschwere zwischen den DRGs und PMCs existieren (vgl. dazu Neubauer / Demmler 1989). Dies ist u. a. auch für das deutsche Gesundheitswesen in der Diskussion über die Einführung einer leistungsgerechten Vergütung im Krankenhaus nicht unerheblich gewesen, da sich Klassifikationssysteme auf der Grundlage des DRG-Konzeptes leichter konstruieren lassen. 58 Auch wenn Erfahrungen mit Fallpauschalen aus den USA nach Auffassung der Bundesregierung als nur begrenzt auf das deutsche Gesundheitswesen übertragbar angesehen wurden, weil sich gesellschaftliche Bedingungen, das Versicherungssystem, die Versorgungsstrukturen und auch die Datenlage unterscheiden (Tuschen / Nierhoff et al. 1994), war die langjährige Erfahrung der USA mit Fallklassifikationssystemen entscheidend für die Bundesrepublik und verschiedene andere europäische Länder, in Anlehnung an die US-Konzeptionen eigene Fallklassifikationen zu entwickeln (vgl. Sloan 1991).
5" In einer Untersuchung Ober die mögliche Übertragbarkeit des PMC-Konzeptes auf das deutsche Krankenhauswesen von Neubauer I Demmler I Rehermann (1991) zeigte sich, dass zur Eingruppierung der Patienten in PMCs nur klinisch erfahrene Ärzte geeignet sind und dass gerade bei der Eingruppierung durch die behandelnden Kliniker in unterschiedlichen Krankenhäusern erhebliche Abweichungen entstehen.
96
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
b) Der Weg zum monistischen Krankenhausjinanzierungssystem
Seit dem Jahr 1972, als mit dem KHG die duale Krankenhausfmanzierung auf der Grundlage des Selbstkostendeckungsprinzips eingeführt wurde, um die Krankenhäuser auf eine vermeintlich bessere wirtschaftliche Basis zu stellen, wurde schrittweise sowohl das Grundprinzip der dualen Finanzierung als auch das Selbstkostendeckungsprinzip abgeschafft (vgl. die Übersicht in Tabelle 7). Eine "Rückkehr" zur monistischen leistungsbezogenen Krankenhausjinanzierungs 9 schien das geeignete Konzept zu sein (vgl. Knorr 1994), um stärkere kostendämpfende Wirkungen im Krankenhausbereich zu erreichen. Hierzu verabschiedete der Bundestag im Jahre 1988 das GesundheitsreJormgesetz (GRG) als erste Stufe einer großangelegten Gesundheitsreform mit dem Ziel, das Selbstkostendeckungsprinzip im Krankenhauswesen abzuschaffen. Nach Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) im Jahr 1992 wurde schließlich ein mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz 1972 (KHG) installiertes Krankenhausfinanzierungssystem endgültig rückgängig gemacht (vgl. Tabelle 7). Der entscheidende strategische Ansatz für eine zentralstaatlich gelenkte Selbstverwaltungsläsung sollte mit dem Gesundheitsreformgesetz aufgrund der Einbindung der Krankenhäuser in ein öffentlich-rechtliches Vertragssystem mit seinem Geflecht von Richtlinien und Rahmenbedingungen erreicht werden. Der Öffentlichkeit wurde vom Gesetz her eher der Eindruck vermittelt, der Krankenhausbereich wäre vom GRG gar nicht betroffen und vielmehr sollte der Versicherte einen größeren Beitrag zur Ausgabenbegrenzung leisten. Ohne die organisatorischen Vorgaben im GRG wären die nachhaltigen Änderungen durch das Gesundheitsstrukturgesetz aber nicht möglich gewesen (vgl. Bruckenberger 1992b). Zur Sicherung einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung hatten die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Bundesrahmenverträge abzuschließen, die Versorgungs- und Behandlungsstandards sowie Prüfungsgrundsätze enthalten (Hinderer 1988; Alber 1992). Diese Rahmenverträge waren dann auf der Landesebene zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und der Krankenhausträger zu konkretisieren. Auf der Grundlage dieser Rahmenverträge wurden schließlich von den Kassen mit den Krankenhäusem Versorgungsverträge abgeschlossen.
~9 Faktisch hatte aber schon vor 1972 duale Finanzierung stattgefunden, da die Krankenhäuser nicht in der Lage waren, über die Leistungsabrechnung allein Gebäude und Krankenhausinventar zu modernisieren.
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
97
Tabelle 7
Vom dualen zum monistischen Krankenhausfinanzierungssystem Jahr
Gesetzgeberische Initiative
Wichtige Inhalte rur den stationiren Bereich
1972
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG)
1977
Einstieg in die duale Finanzierung • Selbstkostendeckung • vollpauschalierte tagesgleiche Pflegesätze Grundsatz der Beitragssatzstabilität
Krankenversicherungs-Kostendeckungsgesetz (KVKG) Krankenhauskostendämpfungs-ge- Mitwirkung von Kassen und Krankenhausträgern setz (KHKG) bei der Bedarfsplanung Krankenhausneuordnungsgesetz Investionskosten ausschließlich von den Ländern (KHNG) getragen Bundespflegesatzverordnung Einfilhrung der flexiblen Budgetierung und zu(BPflV'85) sätzlicher Sonderentgelte filr ausgewählte Leistungen Erste Stufe der Gesundheitsreformen Gesundheitsreformgesetz (GRG) (l988-/997):Einbindung der Krankenhäuser in ein öffentlich-rechtliches Vertragssystem
1981 1984 1985
1988
1992
1992 1994 1995 1995 1995 1996 1997 1997
7 Lebok
Zweite Stufe der Gesundheitsreformen: Ausstieg aus der Selbstkostendeckung • Ausgabendeckelung bis 1995 (KHG) • Einfilhrung neuer Entgeltformen • Medizinische Dokumentation Q Ausstieg aus der dualen und Einstieg in die monistische Finanzierung Bundespflegesatzverordnung Katalog der Sonderentgelte und Fallpauschalen (BPflV'93) (freiwillig filr Krankenhäuser) Bundespflegesatzverordnung Katalog der Sonderentgelte und Fallpauschalen (BPflV'95) (bindend filr Krankenhäuser) I. AnderungsVO BPflV '95 Erweiterung der Entgeltkataloge 2.13. AnderungsVO BPfV '95 Erweiterung der Med. Dokumentation um ICDund ICPM-Kataloge 4. AnderungsVO BPflV '95 Streichung der Gewährung zusätzlicher Finanzmittel (5% der Erlöse aus FP u. SE) Stabilisierungsgesetz (StabG) Begrenzung des Gesamterlöses 1996 in der Höhe des Erlösbetrages 1995 Beitragsentlastungsgesetz Entlastung der GKV-Ausgaben im Krankenhausbereich durch die GPV (Abbau v. Fehlbelegung) Erstes und Zweites Gesetz zur Dritte Stufe der Gesundheitsreformen: Neuordnung von Selbstverwaltung • Begrenzung des Zuwachses des KKH-Budund Eigenverantwortlichkeit in der gets auf die Grundlohnsummenentwicklung gesetzl ichen Krankenversicherung • Abschaffung der Rechtsverordnungen Pflege(I. & 2. NOG) Personalregelung (PPR) und Gro6geräteVO • Regelungen filr FP und SE Ober DKG und Kassen • Finanzierung von größeren Instandhaltungsmaßnahmen Ober Budgetzuschläge im Pflegesatz
Gesundheitsstrukturgesetz (GSG)
98
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Nur wenige Jahre nach Verabschiedung des GRG lagen die Ausgaben der Krankenkassen wiederum über den Einnahmen, so dass der aIIgemeine Beitragssatz 1992 im Durchschnitt auf 13,2 Prozent angehoben werden musste. Die Ursachen fUr die Mehrausgaben im Gesundheitswesen sind bekanntermaßen vielfliltig60 , hauptsächlich wurden aber die Ausgabensteigerungen durch systemimmanente Faktoren wie ein Überangebot an Leistungserbringern (insbesondere in der Apparatemedizin) und einem unwirtschaftlichen Verhalten der Beteiligten (insbesondere im Krankenhaus) begründet (Pick 1993; Zipperer 1993). Angesichts der überproportionalen Ausgabenentwicklung im Krankenhausbereich war das erste Gebot der Reformen eine Stabilisierung der Ausgaben. Sie hatte Vorrang vor längerfristig wirksamen struktureIIen Maßnahmen und soIIte sofort einsetzen: Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) als zweite Stufe der dreistufigen Gesundheitsreform in der Bundesrepublik aus dem Jahre 1993 setzte deshalb auf die Budgetierung, die als Maßgabe vorsah, dass die Ausgaben der Krankenkassen in den Jahren 1993 bis 1995 höchstens in dem Umfang wachsen dürften wie die beitragspflichtigen Einnahmen. Selbst Verwaltungsausgaben der Krankenkassen und des Medizinischen Dienstes wurden in der Budgetierung berücksichtigt. Nach dem GSG wurde 1996 das Stabilisierungsgesetz (StabG) verabschiedet, das die Deckelung der Krankenhausausgaben gemäß GSG filr das Jahr 1996 noch restriktiver fortschrieb. Um die zusätzliche Belastung der Lohnnebenkosten durch die im Jahr 1995 eingefUhrte gesetzliche Pflegeversicherung (GPV) teilweise abzufangen, soIIte mit Verabschiedung des Beitragsentlastungsgesetzes 1997 die GKV durch den Abbau von Fehlbelegungen entlastet werden. Durch eine stärkere Verzahnung der Krankenhäuser mit Einrichtungen der Pflegeversicherung und der ambulanten Versorgung erwartete sich der Gesetzgeber zusätzliche Einsparpotentiale. 61 Mit Verabschiedung des ersten und zweiten GKV-Neuordnungsgesetzes (NOG) am 20.3.1997 als dritte und vorerst letzte Stufe der Gesundheitsreform, das fUr den Krankenhausbereich rückwirkend zum 1.1.1997 in Kraft trat, und der im Gesetz beschriebenen UmsteIIung der bisher aus Ländermitteln finanzierten krankenhausindividueIIen Einzelförderung auf eine pauschale Finanzie-
60 Die bisher nur am Rande berücksichtigten demographischen Faktoren der Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen werden ausführlich in Kapitel D im Zusammenhang mit der Entwicklung der Krankenhausverweildauer behandelt. 61 Das Krankenhaus ist nach § 112 SGB V verpflichtet, bei erkennbarer PflegebedUrftigkeit möglichst nahtlos den Übergang in eine geeignete Behandlung bzw. Unterbringung sicherzustellen. Um eine optimale Verzahnung von Krankenhaus- und Pflegeversorgung zu erreichen, muss eine maximal zeitnahe Begutachtung der Patienten auf Anschlussbehandlung erfolgen (Wollny / Schink 1997: 164).
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
99
rung über Pflegesätze ist ein weiterer Schritt in Richtung monistische Finanzierung getan worden (Tuschen 1997: 184). Erstmals wird die leistungsorientierte Vergütung der BPflV '95 umgesetzt. Die in den letzten Jahren ohne Leistungsbezug "gedeckelten" Krankenhausbudgets wurden wieder für zusätzliche Leistungen geöffnet. Außerdem wurden die Großgeräte-Verordnung und die PflegePersonal-Regelung (PPR) abgeschaffi und der individuellen Planung der Krankenhäuser (mit der Möglichkeit auf Pflegesatzanrechnung) überlassen. Das prospektiv zu bemessende Gesamtbudget der Krankenhäuser hat sich dabei an der Grundlohnentwicklung zu orientieren. Bereits mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 und den daraus resultierenden Folgeregelungen im Krankenhausfinanzierungsgesetz und den Bundespflegesatzverordnungen 1993 und 1995 (BPflV '93 bzw. '95, sowie deren Änderungsnovellen) wurden die Reform der Krankenhausfinanzierung und der Übergang zu einer leistungsorientierten Kostenerstattung festgelegt (Tabelle 8). In diesem Finanzierungssystem haben die Krankenhäuser nun keinen Anspruch mehr auf Erstattung der geltend gemachten Kosten, sondern sie müssen nachweisen, dass die geltend gemachten Kosten zur Erfüllung des Versorgungsauftrages erforderlich und leistungsgerecht sind. Die im GSG enthaltenen Regelungen zur Reform des stationären Bereichs können in zwei Maßnahmenbündel unterteilt werden. Es wird zum einen eine Reform der Leistungsfinanzierung im Krankenhaus (Finanzreform: globale Budgetierung; Einführung von Fallpauschalen und Sonderentgelten) und zum anderen eine stärkere Vernetzung des stationären Sektors mit anderen Bereichen (Funktionalreform) - insbesondere mit Einrichtungen der Pflegeversicherung und der (geriatrischen) Rehabilitation - angestrebt. Darüber hinaus wurde mit Verabschiedung des GSG quasi auch eine "Verwaltungsreform" eingeleitet, deren Tenor die Dokumentation einer Vielzahl von medizinischen und gesundheitspolitisch relevanten Daten ist. Weiterhin gilt die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (§ 141 Abs. 2 SGB V) als Gebot für den gesamten stationären Versorgungsbereich. Wie auch vor der drei stufigen Gesundheitsreform wird die Krankenhausbehandlung in Deutschland vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht (Abbildung 13). Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V sind aber alle anderen Krankenhausbehandlungsformen nun der vollstationären Krankenpflege vorzuziehen. Vorstationäre Krankenhausbehandlung erfolgt dabei ohne Unterkunft und Verpflegung, um die Erforderlichkeit einer volIstationären Krankenhausbehandlung zu prüfen oder vorzubereiten. Die Vergütung erfolgt - soweit keine Landesvereinbarungen vorliegen - mit einer bundeseinheitlichen Fallpauschale. Eine nachstationäre Krankenhausbehandlung wird im Anschluss an eine vollstationäre Behandlung durchgeführt, um den Behandlungserfolg zu sichern bzw. zu festigen. Analog zur vorstationären Krankenbehandlung wird auch sie mit einer Tagespauschale verrechnet
7'
100
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland Tabelle 8
Veränderungen im Krankenhausbereich durch das Gesundheitsstrukturgesetz 1993 1.
Fundamentale Ä:nderung des bisherigen Finanzierungs- und Entgelt-systerm (Finanuejorm): • durch Aufhebung des sog. Selbstkostendeckungsprinzips • durch gesetzliche Deckelung des Krankenhausbudgets 1993-1995 1 • durch das neue Entgeltsystem ab 1.1.1996 - bundesweit verbindliche Fallpauschalen und Sonderentgelte anstelle des tagesbezogenen Pflegesatzes zunächst im operativen Bereich - tagesgleiche Abteilungs-, Basis- und teil stationäre Pflegesätze • durch neue Kosterstattungsregelung bei Chefarztabgaben differenziert nach Alt- und Neuverträgen sowie unterschiedlichen Kostensätzen während der Deckelungsphase und danach • durch den schrittweisen Übergang zum monistischen Finanzierungsprinzip
2. Neue AujgabenftJr das Krankenhaus (Funktionalrejorm) • gesetzliche Möglichkeit und Verpflichtung zur vor- und nachstationären Behandlung (§ 115a SGB V) • durch die gesetzliche Zulassung zum ambulanten Operieren (§ 115b SGB V) gleichberechtigt neben dem niedergelassenen Ant
3. Umfangreiche Dokumentations- und Berichtspj1ichten ("Statistikrejorm'? • neue Pflege-Personal-Regelung (nach GKV -NOG 1997 hinfllllig) • umfangreiche Dokumentations- und Berichtspflichten (§ 301 SGB V): Diagnose nach 4stelligem ICD-SchlUssel und Operationen nach 5stelligem SchlUssel der ICPM zu erstellen, was uberhaupt Grundlage rur fallspezifische Kostenermittlungen erlaubt I Fortsetzung der Dccke\ung erfolgte 1996 durch die Vorgaben des Stabilisierungsgesetzcs
(vgl. Abbildung 13). Daneben wurde über Bundesvereinbarungen ein Katalog ambulant durchftlhrbarer Operationen und einheitliche Vergütungen ftlr Krankenhäuser und Vertragsärzte festgelegt (Asmuth / Blum 1996a, 1996b, 1996c; Enders 1996; Busch / Pfaff, 1997).
101
1II. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
I
KRANKEN HAUS BEHANDLUNG
vorstationär
vollstationär
nach stationär
teilstationär
Pauschale pro Fall
Pflegesätze (§ 11 BPflV): Fallpausch. bevorzugt
Pauschale pro Tag
Pflegesatze (§11 BPftV): Fallpausch. bevorzugt
1,8 • jahresdurchsch. allg.Pllegesatz 1994
I-
-
-
-
Tagesgleiche Pflegesätze (§13 BPIIV)
0,6 • jahresdurchsch. allg.Pllegesatz 1994
-
-
-
-
I
ambul. OP
Einzelvergütung nach EBM
Teilstation. tagesgleiche Pflegesatze (§13 BPftV)
Abbildung 13: Fonnen der Krankenhausbehandlung in Deutschland seit dem GSG
c) Vergütung allgemeiner Krankenhausleistungen nach BPflV '95
Seit der BPflV '95 werden die allgemeinen voll- und teilstationär erbrachten Krankenhausleistungen (ohne ambulante Operationen) nach dem neuen Entgeltsystem vergütet (Abbildung 14), Ein Krankenhausaufenthalt in der Bundesrepublik wird heute im einzelnen in Form von •
Fallpauschalen und Sonderentgelten (§ 11 BPflV),
•
einem Gesamtbetrag nach § 12 BPflV (Budget), der anteilig dem Patienten als tagesgleicher Abteilungspflegesatz fUr die ärztliche und pflegerische Tätigkeit (§ 13 Abs, 2 BPflV) und als Basispflegesatz fUr nicht durch ärztliche und pflegerische Tätigkeit veranlaßte Leistungen des Krankenhauses zugeordnet wird (§ 13 Abs. 3 BPflV),
berechnet.
102
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
BUNDESPFLEGESATZVERORDNUNG1995
I
I
Vergütungsformen für allg. Krankenhausleistungen
I I
!
1
PflegesAtze nach §11
1 Fallpauschalen
flexibles Budget nach § 1~
1 Sonderentgelte
1 tagesgleiche Pflegesatze
1 Abteilungspflegesatze
1 Basispflegesatz
I Abbildung 14: Allgemeine Krankenhausleistungen nach BPflV 1995
Während nach den Bestimmungen des GSG rur die Krankenhäuser die Möglichkeit bestand, etwaige Defizite über die Pflegesätze (bei Aufgabe der Ausgabendeckelung) auszugleichen, sind nach dem 1. & 2. NOG Kostensteigerungen in Krankenhäusern nur noch im begrenzten Umfang über Pflegesätze finanzierbar. Maßgeblich rur die Begrenzung der Pflegesatzentwicklung ist eine von DKG und Krankenkassen vereinbarte Veränderungsrate. Zudem werden im Budgetbereich nach § 12 BPflV Mindererlöse der Krankenhäuser aufgrund einer geringeren Zahl von Berechnungstagen (bei vorgeschriebener Senkung der Verweildauer) nur noch zu 50 Prozent (bisher 75 Prozent) von den Krankenkassen ausgeglichen (Tuschen 1997: 182). Seit 1995 konnten in Anlehnung an die DRG- und PMC-Fallklassifikationssysteme erstmals auch in der Bundesrepublik zunächst 40 Fallpauschalen rur 26 Krankheitsarten und 106 Sonderentgelte als leistungsgerechte Vergütungsform im Krankenhaus abgerechnet werden, die nach Verabschiedung diverser Änderungsverordnungen zur Bundespflegesatzverordnung um weitere Fallpauschalen und Sonderentgelte ergänzt wurden. Neben einer erhöhten Kosten- und Leistungstransparenz sollen Fallpauschalen und Sonderentgelte dazu beitragen, aus betriebswirtschaftlicher Sicht reellere Preise rur die stationären Krankenhausleistungen zu bilden. Die Krankenhäuser brauchen sich demnach
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
103
nun nicht mehr veranlasst sehen, überdurchschnittlich hohe fallflXe Kosten ei-
ner Operation durch eine Verlängerung der Krankenhausverweildauer zu kompensieren (Eichhorn 1993: 118). Unabhängig von der Verweildauer und dem Ressourcenverbrauch des Einzelfalles und unabhängig von der Versorgungsstufe des Krankenhauses wird die Leistung mit einem einheitlichen Preis abgerechnet. Das bedeutet, dass z. B. ein Universitätsklinikum denselben Preis rur eine Appendektomie zu berechnen hat wie ein Kreiskrankenhaus (Scheinert 1994; GenzeI1995b).
Da im Gegensatz zur Bundesrepublik in verschiedenen Ländern bereits seit mehreren Jahren etablierte KlassifIkationssysteme wie DRGs und PMCs eingesetzt wurden, richtete sich die Auswahl der Fallgruppen gemäß BPflV mitunter auch nach dem Kriterium einer internationalen Vergleichbarkeit. Der generelle Unterschied der US-amerikanischen DRGs zu den deutschen Fallgruppen besteht darin, daß bei den DRGs •
in der Regel keine Differenzierung der Therapie vorliegt (z. B. laparoskopischJoffen chirurgisch),
•
eine Altersdifferenzierung bei 17 Jahren (und nicht bei 14 Jahren wie in der BPflV) vorgenommen wird und
•
eine Differenzierung nach Komplikationen und Multimorbidität (= gleichzeitiges Auftreten mehrerer Erkankungen) besteht, die aber im deutschen System durch Mischkalkulation und bei ExtremflilIen durch die Grenzverweildauerregelung Berücksichtigung fInden kann (Neubauer / Rehermann 1994).
Untersuchungen konnten bereits nachweisen, dass die bisher geltenden deutschen Fallpauschalen keine Sonderstellung im internationalen Vergleich einnehmen und durchaus mit Fallpauschalensystemen anderer Industrieländer vergleichbar sind (Neubauer / Rehermann 1994; Düllings 1995). Bei Überschreiten der Grenzverweildauer wird ein Fallpauschalenpatient fUr seinen weiteren Krankenhausaufenthalt ein Budget-Patient. Zwischen der den Bewertungsrelationen zugrundegelegten Verweildauer und dem zusätzlich ersten abrechenbaren Tag besteht eine Differenz von mehreren Tagen, um keinen falschen Anreiz zur Verlängerung der Verweildauer des Patienten rur die Krankenhäuser zu schaffen. Wird ein Patient später wegen irgendwelcher Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen und ist fUr ihn zuvor bereits eine Fallpauschale berechnet worden, darf rur die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer dieser Fallpauschale kein tagesgleicher Pflegesatz berechnet werden, um dem sog. "Drehtüreffekt" vorzubeugen (Genzel 1995b: 47).
104
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Eine besondere Problematik ergibt sich in der Anwendung der Fallpauschalensystematik, wenn an der Behandlung der Erkrankung eines Patienten, die mit einer Fallpauschale abgegolten wird, mehrere Krankenhäuser beteiligt sind. Werden die mit einer Fallpauschale zu vergütenden Leistungen ohne Verlegung des Patienten durch mehrere Krankenhäuser erbracht, so wird die Fallpauschale durch die Klinik berechnet, die den Patienten stationär aufgenommen hat (§ 14 Abs. 4 Satz 3 BPflV). Generell wird die Kooperation von Kliniken in den verschiedenen Fachgebieten erhebliches Gewicht in einem System der abgestuften, leistungsflihigen und wirtschaftlichen Versorgung der Patienten gewinnen. Das neue Pflegesatzrecht will dieser Entwicklung dadurch Rechnung tragen, dass Fallpauschalen bei Verlegungen im Rahmen einer Zusammenarbeit berechnet werden können. In solch einem Fall rechnet diejenige Klinik die Fallpauschale ab, welche die filr die Fallpauschale maßgebende Behandlung erbracht hatte. Im Gegensatz zu Fallpauschalen beinhalten Sonderentgelte allein den leistungsbezogenen Aufwand, der im Operationssaal erforderlich ist. Daher erstrecken sich die Homogenitätskriterien bei Sonderentgelten nur auf den Operationsbereich mit •
einheitlichem Operationsverfahren,
•
einheitlicher OP-Besetzung,
•
einheitlicher OP-Dauer und
•
einheitlichem Verbrauch an medizinischem Bedarf im OP-Bereich.
Philosophie der "alten" Sonderentgelte nach der BPflV '85 vor dem Gesundheitsstrukturgesetz war es, dass besonders teure Krankenhausleistungen nicht über den Umlageschlüssel "Pflegesatz" allen, sondern gleichsam nach dem Verursacherprinzip denjenigen Zahlungspflichtigen berechnet werden sollten, die diese Leistungen erhalten haben. Die mit dem GSG eingefilhrten Sonderentgelte haben mit den bislang bekannten Entgelten lediglich den Namen gemeinsam. Ziel der "neuen" Sonderentgelte ist nicht mehr eine verursachergerechte Kostenzuordnung einzelner besonders "teurer" Leistungen, sondern die Vergütung möglichst vieler Krankenhausleistungen mit vorgegebenen Entgelten ohne Bezugnahme auf die krankenhausindividuell entstehenden Kosten filr diese Leistungen (Götz / Sorgatz 1994). Der Katalog der Sonderentgelte soll dabei stets erweitert werden und wurde bereits mit Verabschiedung der Änderungsverordnungen um weitere Sonderentgelte filr die Bereiche Herz- und Thoraxchirurgie sowie Geburtshilfe ergänzt. Nach Verabschiedung der Dritten Änderungsverordnung wurden die Entgelte auch um den Bereich der Transplantationsmedizin ausgeweitet (vgl. Tabelle 8).62
III. Die Krankenhausfinanzierung in der Bundesrepublik
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Neben der Einführung leistungsbezogener Entgelte bestand nach der BPflV '95 auch noch die Budgetierung der Krankenhausleistungen fort. Nach einer Übergangsphase in den Jahren 1993 bis 1995, in der unter Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips die Steigerungen der Budgets der Krankenhäuser mit nur wenigen Ausnahmen an den Anstieg der Grundlohnsumme gekoppelt waren (sog. festes Budget), sollten die Krankenhäuser spätestens seit dem 1. Januar 1996 ihre Leistungen nach dem neuen Entgeltsystem der BPflV abrechnen. Da trotz des festen Budgets in den Jahren 1993 bis 1995 nach dem Willen des Gesetzgebers geschätzte "absehbare zusätzliche Ausgaben" der Krankenkassen im Kalenderjahr 1996 vermieden werden sollten, wurde vom Bundestag im Frühjahr 1996 rückwirkend zum 1.1.1996 das Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben (Stabilisierungsgesetz 1996, StabG '96) beschlossen. Dieses Gesetz beinhaltete eine Begrenzung des Gesamterlöses des einzelnen Krankenhauses für das Jahr 1996 in der Höhe des Erlösbetrages von 1995, angepasst um die Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Dienst.63 Eine vollständige Umstellung auf leistungs bezogene Finanzierung erfolgte eigentlich erst mit dem GKV-Neuordnungsgesetz, wobei auch in diesem Gesetz die Budgetierung der Krankenhauserlöse (incl. Fallpauschalen und Sonderentgelte) aus Furcht vor einem neuerlichen Ausgabenanstieg nur wenig gelockert wurden. Wird ein Patient wegen verschiedener Erkrankungen stationär behandelt, wird die Hauptleistung erst bei der Entlassung festgelegt. Bei Patienten mit verschiedenen schweren und aufwendig zu behandelnden Erkrankungen, die nicht in einer Fallpauschale berücksichtigt sind, kann der Patient folglich auch keiner Fallpauschale zugeordnet werden. Bei alten, multimorbiden Patienten ist die erschwerende Genesung bereits in der Kalkulation der Fallpauschale teilweise berücksichtigt, soweit dies bei bestimmten Hauptleistungen häufig der Fall ist. In der Praxis können sich aber dennoch erhebliche Abgrenzungsprobleme ergeben, weshalb gerade der Definition der Hauptleistung bei der Umsetzung der
(,2 Mittlerweile trat u. a. eine 4. Änderungsverordnung in Kraft, die vor allem Krankenhäuser als auch Krankenkassen gegen Fehler bei der Vorausschätzung der aus dem Budget auszugliedernden Leistungs- und Entgeltmengen schützen soll. Mit der 5. Änderungsverordnung (1997) wurde die Selbstverwaltung der Kassen und der DKG bei der Festsetzung von Punktwerten für Fallpauschalen und Sonderentgelte festgeschrieben. Bund und Länder ziehen sich demnach aus der aktiven Einflussnahme auf die Preisbestimmung zurück. 63 Zu den vieWUtigen Problemen bei den Erlösabgleichen nach StabG '96 siehe u. a. Düllings 1996; Herbold / Horstmann et al. 1996; Knorr / Leber 1996; Mohr 1996b; Kröger / Lipp 1996; Postier 1996; Seiler 1996; Schmidt 1996.
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Bundespflegesatzverordnung 1995 eine wesentliche Bedeutung zukam. Als Hauptleistung wird in der Regel diejenige Leistung verstanden, die nach objektiven Kriterien den höheren Aufwand verursacht. Wenn Krankenhäuser zukünftig ihre Leistungen vollständig über Fallpauschalen und Sonderentgelte berechnen könnten, wären Budgetverhandlungen hinfällig. Weil jedoch auf nicht absehbare Zeit die meisten Kliniken nur einen Teil ihrer zu erbringenden Krankenhausleistungen über Fallpauschalen und Sonderentgelte abrechnen werden (die Schätzungen gehen von 20 bis 30 Prozent aus), ist hinsichtlich der übrigen Entgelte rur den Pflegesatzzeitraum auf der Grundlage der voraussichtlichen Leistungsstruktur und Leistungsentwicklung ein externes Gesamtbudget rur das gesamte Krankenhaus zu vereinbaren. Dieses Budget ist verbindlich und kann nur auf Verlangen einer Vertragspartei bei wesentlichen Änderungen in den der Vereinbarung zugrundegelegten Annahmen rur den laufenden Pflegesatzzeitraum geändert werden. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BPflV sind als Entgelt rur die ärztliche und pflegerische Tätigkeit für jede organisatorisch selbständige bettenführende Abteilung, die von einem fachlich nicht weisungsgebundenen Arzt mit entsprechender Fachgebietsbezeichnung geleitet wird, Abteilungspjlegesätze rur die Leistungen zu vereinbaren, die nicht über Fallpauschalen und Sonderentgelte vergütet werden. Im Gegensatz zum leistungsunabhängigen, pauschalen Tagespflegesatz im dualen System können Abteilungspflegesätze aufgrund unterschiedlicher (durchschnittlicher) Leistungsangebote differieren. Schließlich ist ein Basispjlegesatz für die noch verbleibenden Leistungen des Krankenhauses, insbesondere Unterkunft und Verpflegung, zu vereinbaren. Nicht zu den pflegesatzfiihigen Leistungen und deren Kosten gehören dagegen vor- und nachstationäre Behandlung, die einheitlich rur alle Benutzer im Rahmen von Vereinbarungen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern nach § 115a SGB V vergütet werden. Auf die Einruhrung externer, von den Pflegesatzparteien zu vereinbarender Abteilungsbudgets wurde vom Gesetzgeber verzichtet, um die wirtschaftliche Einheit des Krankenhauses zu erhalten. Es ist allein Aufgabe des Krankenhauses, das Gesamtbudget in sachgerechte Vorgaben rur die einzelnen Abteilungen umzusetzen. Abteilungspflegesätze sollen darüber hinaus auch rur besondere Einrichtungen des Krankenhauses (vor allem Intensivabteilungen) vereinbart werden, die ausschließlich oder überwiegend der Behandlung von Querschnittsgelähmten, Schwerst-Schädel-Hirn-Verletzten, Schwerbrandverletzten, AIDS-Patienten, onkologisch zu behandelnden Patienten, Dialyse-Patienten oder der neonatalogischen Intensivbehandlung von Säuglingen dienen (Genzel 1995b). Neben den medizinisch-technischen Diensten können auch Funktionsdienst und Technischer Dienst (Instandhaltung) entsprechend der Personalbindung einzelnen Abteilungen und somit den Abteilungspflegesätzen zugeordnet
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werden. Hinsichtlich der Personal- und Sachkosten der Ausbildungsstätten sieht die Erläuterung zur Leistungs- und Kalkulationsaufstellung vor, dass diese nach Berechnungstagen den einzelnen Abteilungen zuzuordnen sind (Lenke/ Graf 1994: 472).
d) Investitionsleistungen im monistischen Finanzierungssystem
Mit dem GKV-Neuordnungsgesetz wurde der (vorerst) letzte Schritt in Richtung Monistik getan: Rückwirkend zum 1. 1.1997 sind auch Investitionsaufwendungen der Krankenhäuser grundsätzlich über Pflegesätze und Entgelte abrechenbar. Die Krankenhausfinanzierung wird nur noch auf einer Säule stehen. Aufgrund der in den 1980er und 1990er Jahren zum Teil nur im begrenzten Umfang erfolgten Investitionskosten der Länder und der bis Anfang 1997 praktizierten festen Budgetierung der Krankenhauserlöse wird nach dem GKVNOG - zumindest für eine Übergangszeit - öffentliche Förderung gewährt. Um notwendige Modernisierungen durchführen zu können (die nicht unmittelbar Auswirkungen auf Pflegesatz- und Entgeltentwicklungen haben), gewährt der Gesetzgeber für den Zeitraum 1997 bis einschließlich 1999 öffentliche Zuschüsse von jährlich 1 Mrd. DM (vgl. Tuschen, 1997). Trotz der konsequenten Ausrichtung der Krankenhausfinanzierung auf ein monistisches System bleibt die wichtige Frage nach der Bedarfsplanung offen (Bruckenberger 1994a; Gerdelmann 1995; Lohmann / Mellmann 1995). Mit der angestrebten Selbstverwaltung der Krankenhausfinanzierung durch Kassen und DKG geben die Länder zunächst ihre in der bundesdeutschen Raumordnungsgesetzgebung festgelegten Kompetenzen auf, über die Regional- und Landesplanung gleichwertige Lebensbedingungen und Versorgungsstrukturen zu schaffen. Eine vorübergehende Ausnahme der Investitionsleistungen bilden die neuen Bundesländer. Mit der deutschen Einheit erhielt das Bundesgebiet insgesamt 422 Krankenhäuser (plus 126 Einzelkliniken der Universitäten und medizinischen Akademien) mit rund 165 000 Betten und einem Durchschnittsalter der Einrichtungen von 56 Jahren hinzu (Korneli 1991: 165). Etwa 40 Prozent der Krankenhausgebäude auf dem Gebiet der neuen Bundesländer wurden vor 1919 errichtet und hatten deutliche Mängel in Bausubstanz, im krankenhaushygienischen Zustand sowie einen hohen Verschleiß der bis dahin genutzten technischen Anlagen aufgewiesen. Als erste Maßnahmen erfolgten deshalb nach der Einheit Aktivitäten, die eine schrittweise Anhebung auf den Standard der alten Bundesländer bei Berücksichtigung des dort erreichten Niveaus der Gerätemedizin zum Ziel hatten. Der sog. "investive Nachholbedarf' der neuen Länder ist durch ein Investitionsprogramm mit Beteiligung des Bundes von jährlich 700 Mio. DM für den Zeitraum 1995 bis 2004 festgelegt (Prößdorf 1993). Die Länder bringen zusätzliche Mittel in mindestens derselben Höhe auf
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(Pfaff / Wassener, 1995). Danach sollen in den neuen Ländern Investitionen im Einvernehmen zwischen Krankenhausgesellschaften und Kassenverbänden der Länder fortgeruhrt werden. Die von den Kassen zu erbringenden Mittel werden im Zeitraum 1995 bis 2014 über eine Pauschale von DM 8,-- je Berechnungstag aufgebracht. Für die neuen Länder wird auch eine stärkere räumliche Konzentration der Krankenanstalten angestrebt, die bei verbesserten Verkehrs- und Transportbedingungen sowie einer stärkeren interdisziplinären Zusammenarbeit der medizinischen Disziplinen dem regionalen Bedarf an stationären Leistungen genügen soll. Der Fördermittelbedarf rur die Krankenhäuser der neuen Bundesländer wird dabei rur die nächsten Jahre vor allem davon abhängen, welche Bettenkapazitäten unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung und auch der Auswirkungen des GSG (u. a. Abbau von Fehlbelegungen durch Umwidmungen und bauliche Veränderungen in den Krankenhäusern) als bedarfsnotwendig einzuschätzen sind. 64
e) Die Verzahnung der Versorgungsbereiche Die bisherige AufgabensteIlung der Krankenhäuser vor der Gesundheitsreform war gesetzlich auf die vollstationäre Behandlung ausgerichtet. Das GSG eröffnet nunmehr zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten (vgl. Abbildung 13), die Vorrang vor der vol/stationären Behandlung haben. Der Sachleistungsanspruch des sozialversicherten Patienten auf vollstationäre Krankenhausbehandlung besteht nur noch dann, wenn das Behandlungsziel nach Prüfung durch das Krankenhaus nicht durch tei/stationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. 65 Eindeutiges Gesetzesziel ist es deshalb, durch Zulassung anderer Versorgungsformen zu einer Verringerung der Bettenkapazitäten und damit zu Kosteneinsparungen im stationären Bereich zu kommen. Vor allem um zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven im Krankenhauswesen zu erschließen, wurde besonders von den Krankenkassen ein Ausbau des am-
l>4 Zur Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser in den neuen Bundesländern, siehe u. a. Vollmer 1991 und Bruckenberger 1994a. 65 Die vorstationäre Behandlung ist auf drei Tage innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der vollstationären Pflege begrenzt und die nach stationäre auf sieben innerhalb von 14 Tagen (§ 115a SGB V; Zur Vergütung siehe Abbildung 13). Durch das GSG sind zudem nach § 115b SGB V ambulante Operationen als Institutsleistung möglich. Die für eine ambulante Durchführung geeigneten Operationen sind in einem gesonderten Katalog aufgelistet und die dafür abrechenbaren Gebühren bundeseinheitlich festgelegt.
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bulanten Operierens gefordert, dem der Gesetzgeber mit dem GSG auch folgte. 66 Ambulantes Operieren war bis Ende 1992 auf die vertrags ärztliche Versorgung (Arztpraxen, Belegärzte, ermächtigte Krankenhausärzte) beschränkt. Mit § 115b SGB V eröffnete sich nun auch Krankenhäusern die Möglichkeit, von dieser Behandlungsform Gebrauch zu machen. Ambulante Operationen sind dabei als Eingriffe definiert, bei denen der Patient die Nächte vor und nach der Operation zu Hause verbringt. Hier verlässt der Patient unmittelbar nach dem Eingriff das Krankenhaus, oder er muss nach der Operation noch einige Stunden im Krankenhaus bleiben, was auch als tages-chirurgischer Eingriff bezeichnet wird. 67
Der Ausbau ambulant erbrachter operativer Leistungen sollte vor allem kosten- und verweildauersenkend wirken, da grundsätzlich die Kosten rur eine ambulante Operation um ein Vielfaches niedriger sind als bei stationären Operationen mit dem damit verbundenen Krankenhausaufenthalt. Die Art des chirurgischen Eingriffs, insbesondere unter Anwendung minimal-invasiver OPVerfahren, macht zudem die Patienten rascher wieder mobil. Die zu erwartenden Spareffekte würden dann nicht nur in der Reduktion um weitere stationäre Pflegetage, sondern auch in der Verkürzung der Arbeitsunfähigkeit61 liegen (Zoike 1994: 91). Ziel der Verzahnung von ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen ist eine Umschichtung der Leistungsstruktur im Gesundheitswesen, so dass vollstationäre Leistungen, die ambulant möglich sind, auch ambulant erbracht werden. Der Grundsatz ,,soviel ambulant wie möglich, soviel stationär wie nötig" wird dabei besonders von den Krankenkassen als zukünftige Strategie zur Ausgabenbegrenzung favorisiert, um die "teure stationäre Versorgung auf ein Minimum zu begrenzen" (Gerdelmann 1995: 375). Der Anteil der Krankenhäuser mit vorstationärer Behandlung ist dabei seit den Gesundheitsreformen signifikant gestiegen: Von 6,3 Prozent im Jahr 1993 auf 38,7 Prozent im Jahr 1995. Auch bei der nachstationären Behandlung ver-
M, Die finanziellen Rahmenbedingungen sind während der DeckeJungsphase 1993 bis 1995 zunächst dadurch bestimmt gewesen, dass die Erlöse flir ambulante Operationen zu 100 Prozent vom Budget abgezogen wurden und insofern kein finanzieller Anreiz (aber auch kein finanzielles Risiko) flir die Einflihrung des ambulanten Operierens im Krankenhaus gegeben war. Zur kontrovers geflihrten Diskussion über den Ausbau des ambulanten Operierens in Krankenhäusern siehe u. a. Arnold 1992a; Robbers 1993; Gräb / Kühnen 1994; Scheinert 1994; Düllings 1994; Zoike 1994; Gerdelmann 1995; Infratest et al. 1995; Mursa / Löptien 1995; Düllings 1995; Pfaff / Wassener 1995; Asmuth / Blum 1996a, 1996b, 1996c; Robbers 1996a, 1996b. ',7 Bleibt er nach einem ambulanten Eingriff bis zu 48 Stunden in einem Krankenhaus, so wird in der Literatur von einer "short stay surgery" gesprochen (Wiley 1990). 6" Arbeitsunflihigkeitstage beinhalten Krankenhausaufenthalt und/oder den Zeitraum, der flir die häusliche Krankenpflege benötigt wird.
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lief die Entwicklung ähnlich (1993: 5,4 Prozent, 1995: 37,5 Prozent). Der Anteil der Krankenhäuser mit ambulanten Operationsleistungen nach § 115b SGB V ist dabei nach Untersuchungsergebnissen der DKG kontinuierlich gestiegen: Von 10,9 Prozent im Jahre 1993 auf 24,8 Prozent (1994) und auf 32,8 Prozent im Jahre 1995. Für das Jahresende 1996 wurde von der DKG der erwartete Anteil der ambulanten Operationen auf über 38 Prozent aller operativen Leistungen geschätzt (Düllings 1995). Ein Ausbau wird aufgrund der dreiseitig zu erstellenden Vertragsbedingungen zwischen DKG, Kassen und Kassenärztlicher Vereinigung über Standards und Leistungsberechnung der ambulanten Operationen weiter erwartet. Nach Untersuchungen von Busch und Pfaff (1996) sind die Einsparpotentiale aber - trotz der Euphorie von Gesetzgeber und Kassen - verhältnismäßig gering (Busch / Pfaff 1996: 146). Ein weiterer struktureller Wandel der stationären Versorgung und der Gesundheitsversorgung insgesamt erfolgte mit Einführung der Pflegeversicherung, die nach über zwanzigjähriger Diskussion im Mai 1994 als Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) durch den Bundestag verabschiedet wurde. Ausgangspunkt dieses Gesetzes war eine bereits auf das Jahr 1969 zurückgehende Initiative des Deutschen Städtetages, der eine Neuregelung rur pflegebedürftige und alte Menschen in Heimen forderte."· Auf der einen Seite wurde durch die Gemeinden auf die angespannte Situation in den Heimen hingewiesen, da hier in der Regel in der Mehrzahl Sozialhilfeempfiinger lebten, zum anderen wollten die Städte ihre eigene finanzielle Belastung durch die aufgrund der geschilderten Heimsituation relativ hohen Sozialhilfeleistungen reduzieren. Ziel des Pflegeversicherungsgesetzes, das am 1. Januar 1995 in Kraft trat, ist es einerseits, die Lage der Pflegebedürftigen, der pflegenden Angehörigen und der sonstigen nicht berufsmäßig tätigen Pflegepersonen zu verbessern, zum anderen aber auch die Krankenversicherungen durch den Abbau von Feh/befegungen im Krankenhaus finanziell zu entlasten. Wie auch die anderen Sozialversicherungen beruht auch die soziale Pflegeversicherung auf dem Solidarprinzip und dient nicht nur der unmittelbaren Sicherung gegen individuelle Notlagen, sondern bezweckt auch den Schutz der Allgemeinheit vor mangelnder Individualvorsorge (Bloch 1994: 239). Die Pflegeversicherung erbringt
6. Schon lange Zeit vor Einftlhrung einer gesetzlichen Pflegeversicherung gab es Überlegungen ftlr eine einzige übergreifende Versicherung gegen "soziale Schäden" (Pflege, soziale Annut, Invalidität, Langzeiterkrankung mit dauerhaften Einkommensausfällen u. ä.). Bereits 1972 erkannte dabei Schäfer, dass nach Einftlhrung einer solchen Sozialversicherung große organisatorische und finanzielle Abstimmungs- und Abgrenzungsprobleme bei der Berechnung und Gewährung von Leistungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung entstehen würden, zumal diese über ein historisch gewachsenes Selbstverständnis verfugt (vgl. Schäfer 1972: 23 ff.).
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Sach- und Geldleistungen bei häuslicher und stationärer Pflege, wobei die Leistungen stufenweise eingeruhrt wurden. Hierzu wurden von den Pflegekassen Beiträge von einem Prozent des Bruttoarbeitslohns erhoben, die dann seit Eintritt der stationären Pflege zum 1.7.1996 auf 1,7 Prozent angehoben wurden. 70 Die politisch erwünschte Folgewirkung der Pflegeversicherung für die Krankenhäuser ist aber von Beginn an der "Abbau von Fehlbelegungen" gewesen, um eine Reduktion der unsachgemäßen Versorgung von hochbetagten, multimorbiden Patienten in Krankenhäusern zu erreichen. 71 Darüber hinaus ist auch § 5 PflegeVG rur Krankenhäuser von Bedeutung, da in diesem Artikel der Vorrang einer in der Regel stationär zu erfolgenden Rehabilitationsleistung gegenüber Pflege leistungen festgeschrieben ist. Seit Einführung der Pflegeversicherung ist vom Krankenhausträger nach § 7 PflegeVG sicherzustellen, dass mit Einwilligung des Versicherten unverzüglich die zuständige Pflegekasse zu benachrichtigen ist, sollte ein Patient während seiner Krankenhausbehandlung zum Pflegefall werden. Streng genommen dürften Krankenhäuser seit 1995 Patienten nicht mehr versorgen, wenn diese keine Akutbehandlung mehr benötigen, weil sie ein "Pflegefall" geworden sind und quasi Fehlbelegungen im Krankenhaus verursachen. 71 Insgesamt gilt es auch als relativ unwahrscheinlich, dass mit Einruhrung der Pflegeversicherung der erforderliche zusätzliche Bedarf an stationärer Pflege durch Umwidmungen im Krankenhausbereich geschaffen werden kann, obwohl dieser nach § 9 Abs. 2 Nr. 6 KHG aus Landesmitteln bevorzugt zu fördern ist. Im Unterschied zur voll- und teilstationären Krankenhausbehandlung
70 Auch in der Pflegeversicherung gilt der Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Zur Diskussion über die langfristige Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung und dem zu erwartenden Pflegebedarf im Hinblick auf die demographische Alterung siehe beispielsweise Krug / Reh 1992; Dinkel 1993; Schneekloth / Potthoff 1993; Schmäh I 1993; Heigl / Rosenkranz 1994; Pfaff 1994; Schneekloth 1996; Dinkel / Hartmann / Lebok 1997. 71 Ausgangspunkt aller Diskussionen ist die Begründung zu Art. 17 des PflegeVG. Hier ist die Rede von erwarteten Einsparungen im Krankenhausbereich im Umfang von 2,7 Mrd. DM. Dieser Summe liegen 40 000 fehlbelegte und damit abzubauende Krankenhausbetten zugrunde (Ergebnisse der Infratest-Fehlbelegungsstudie aus dem Jahre 1986, sie!), die bei einer jahresdurchschnittlichen Belegung von 80 bis 85 Prozent und bei Ansatz eines durchschnittlichen Pflegesatzes von 300 DM ein Einsparungsvolumen von 3,6 Mrd. DM ergeben würden (Simon 1994; Knorr 1995a). 12 Eine wichtige Bedeutung wird beim Abbau von Fehlbelegungen im Krankenhaus der sog. Pflege-Uberleitung beigemessen (vgl. Knorr 1995a; Mursa / Löptien 1995). Ziel dieser unterstützenden Tätigkeit durch das Pflegepersonal ist die Beratung und fachliche Begleitung der Patienten und Angehörigen in der Übergangsphase von der stationären Pflege und Versorgung in den häuslichen Bereich (vgl. Kötter / Focke 1995; Pötzl 1996).
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(oder zur geriatrischen Rehabilitation, §§ 39 und 40 SGB V) ist die medizinische Betreuung der Pflegebedürftigen in vollstationärer Pflege eindeutig dem ambulanten Bereich zugewiesen und eine Behandlung durch Krankenhausärzte ist auf einfachem Wege nicht möglich (Geiser / Kontermann 1996: 352). Es ist deshalb vielmehr davon auszugehen, dass in erster Linie vorhandene Wohnheimplätze umgerüstet werden. Weiterer Bedarf an stationärer Pflege im Hinblick auf die Pflegeversicherung besteht aber sicherlich im Bereich der Kurzzeitpflege sowie der teilstationären und ambulanten Pflege. Bisher liegen aber noch keine repräsentativen Daten vor, die erkennen lassen, inwieweit dadurch stationäre Leistungen zu ersetzen sind. Ein großer Einfluss auf zukünftige strukturelle Veränderungen in der Krankenhausversorgung wird auch dem Bereich der Rehabilitation beigemessen. Im Unterschied zur akut- und kurativmedizinischen Behandlung liegt der Schwerpunkt der Rehabilitation nicht in erster Linie in der (ursächlichen) Behandlung und Beseitigung einer Krankheit, sondern in der Vermeidung, Verminderung und Kompensation der individuellen und sozialen Krankheits/olgen. Mit dieser Zielperspektive verbindet sich zum einen die Notwendigkeit, die psychosoziale Situation des Patienten in die Behandlungskonzeption einzubeziehen. Rehabilitation umfasst dabei alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Schädigungen und daraus folgende Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen zu reduzieren und die Behinderten auch zur sozialen Integration zu beflihigen. Zum anderen soll aufgrund der verhaltensbedingten Entstehung vieler Erkrankungen der Patient aktiv und selbstverantwortlich während seiner Behandlung mitwirken. In der Bundesrepublik ist eine differenzierte Struktur der gesundheitlichen und rehabilitativen Versorgung entstanden, die sich dabei deutlich von der vom Medizinsystem und dessen Organisationsstrukturen geprägten ambulanten und stationären Krankenbehandlung unterscheidet. Ein wesentliches Merkmal besteht darin, dass die Aufgabenschwerpunkte unterschiedlichen Trägerorganisationen und Versorgungsinstitutionen zugeordnet sind. Die Aufgabenschwerpunkte sind im Grundsatz dabei derart verteilt, dass derjenige Träger, der das wirtschaftliche Risiko für das Eintreten eines Versicherungsfalles trägt, auch die Leistungen zu erbringen hat. Dieser gesundheitsökonomische Grundsatz auf der Trägerebene hat die bestehende arbeitsteilige und spezialisierte Struktur auf der Versorgungsebene wesentlich mitbestimmt. Zuständigkeiten auf der Trägerebene haben in der Vergangenheit Entwicklungen auf der Versorgungsebene geprägt (vgl. Schliehe / Weber-Falkensammer 1992), wobei sich vor allem medizinische Rehabilitationsleistungen im System der Rentenversicherung gegenüber anderen am stärksten durchgesetzt haben. In ihrem Versorgungsangebot zur Rehabilitation konzentrieren sich die Träger der Rentenversicherung auf die Auswirkungen von Krankheit und/oder Behinde-
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rung auf die berufliche Integration der Betroffenen (Lauffer 1991; Schliehe / Weber-Falkensammer 1992; Stallmann 1994; Clausing 1996). Bei Rentnern entfallt der Gesichtspunkt der Wiedereingliederung in einen Arbeitsprozess als Rehabilitationsziel. In den Vordergrund TÜcken bei der Rehabilitation alter Menschen die Wiederherstellung und Stabilisierung notwendiger körperlicher, geistiger und psychischer Funktionen mit dem Ziel einer möglichst selbständigen Lebensführung in gewohnter Umgebung und die Vermeidung der Pflegebedürftigkeit (Stichwort: Reha vor Pflege). Trotz bestehender Reha-Potentiale und der Forderung zahlreicher Gesundheitspolitiker nach einer verstärkten geriatrischen Rehabilitation und einer stärkeren Verzahnung mit anderen Versorgungsbereichen dürfte sich der Ausbau der Rehabilitation nicht nur aufgrund der Diskussion über ihre Finanzierbarkeit noch Jahre hinziehen. 7)
j) Ausblick: Aufdem Weg zu einer Gesundheitsreform 2000 Auch mit dem Regierungswechsel im Herbst 1998 findet die unendliche Geschichte der Gesundheitsreformen in Deutschland wohl kaum ein Ende. Auch die rot-gTÜne Bundesregierung ist dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität verpflichtet, wobei laut Koalitionsvereinbarung Gesundheit in Zukunft filr alle Bundesbürger bezahlbar bleiben soll und jeder den gleichen Anspruch auf eine qualitativ hochstehende medizinische Versorgung hat. Insbesondere der hohe bundesweite Durchschnittsbeitragssatz von 13,6 Prozent im Jahre 1998 stimmte mehr als bedenklich, da durch einen weiteren Anstieg des Beitragssatzes um insgesamt 0,5 Prozentpunkte seit Beginn des Jahres 1995 eindeutig das Ziel des 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetzes sowie des Beitragsentlastungsgesetzes verfehlt wurde, das Beitragsniveau der Kassen zu senken.
7) Als das gemeinhin am meisten favorisierte Konzept hat sich das sog. Multidimensionale Geriatrischen Assessment (MGA) durchgesetzt (vgl. u. a. Füsgen / Naurath 1989; Meier-Baumgartner 1991; Kapitza 1992; Bruder 1995; Parsons / Higley et al. 1996), eine in verschiedene Versorgungsbereiche übergreifende Behandlungsform für betagte Patienten, die im Akutbereich (oder in einer Rehabilitationseinrichtung) begir~nt und schließlich im optimalen Fall bei ambulanter Nachbetreuung zu Hause endet. Ziel dieser Methode ist die Vermeidung von Mortalität und Pflegebedürftigkeit sowie die Erhaltung einer möglichst lang andauernden Selbständigkeit und einer vergleichsweise hohen Lebensqualit!lt im Alter (vgl. u. a. Stuck 1995: 4). Zur Diskussion über RehaPotentiale in der gesetzlichen Pflegeversicherung siehe auch Kirch 1997 sowie Dinkel / Lebok / Nafziger 1998.
8 Lebok
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Stärker als in der vorangegangenen Regierungskoalition sollen Gesundheitsförderung, Gesundheitsvorsorge (Prävention) und Rehabilitation berücksichtigt werden und das Instrument der Selbsthilfe soll einen höheren Stellenwert erhalten. Um unter Beachtung der absehbaren demographischen Entwicklung die Ziele Beitragsentlastung ohne Qualitätsverlust in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitiger Stärkung der Solidargemeinschaft durch Beseitigung "unsozialer Komponenten" der dreistufigen Gesundheitsreform Voraussetzungen filr eine groß angelegte und alle Betroffenen in die Diskussion einschließende Gesundheitsreform 2000 zu schaffen, wurde noch im Jahr 1998 ein Vorschaltgesetz (Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-SoIG) verabschiedet. Die wesentlichen Inhalte des Gesetzes sind •
eine vorläufige Ausgabenbegrenzung mittels des bereits bekannten Methode der Ausgabendeckelung
•
Abschaffung als unsozial deklarierter Inhalte des Beitragsentlastungsgesetzes wie Einschränkungen der Zahnersatzleistungen filr Versicherte, die nach dem 31.12.1978 geboren sind, und Arzneimittelzuzahlungen bei chronisch Kranken und älteren Patienten
•
Aussetzung des sog. "Krankenhaus-Notopfers" von DM 20,-- pro Versicherten (rUckwirkend zum 1.1.1998)
U. a. wurde auch der sog. "Koppelungsmechanismus" abgeschafft, der ab dem Jahr 2000 im Falle von Beitragssatzerhöhungen einzelner Krankenkassen automatisch zu Zuzahlungserhöhungen der Versicherten gefilhrt hätte. Die BegrUndung ftlr die ZurUcknahme lag auf der einen Seite in "inakzeptablen Mehrbelastungen" der betroffenen Versicherten und vor allem in einer dadurch vermeintlich entstehenden "Wettbewerbsverzerrung" zwischen den Krankenkassen. Auch verschiedene andere der Privatversicherung entnommene Mechanismen, die noch 1997 und 1998 eingeftlhrt wurden, sind von der rot-grUnen Bundesregierung wieder rUckgängig gemacht worden. Insgesamt tangierte das GKV -SoIG unter den Hauptakteuren des Gesundheitswesens weniger die Krankenhäuser als vielmehr die Kassen, die Ärzte (insbesondere die Zahnärzte) und den Arzneimittelsektor. Zum 1.1.2000 soll ein Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft treten. Was in der Öffentlichkeit aber als "Gesundheitsreform 2000" zur Annahme tiefgreifender Veränderungen verleitet, stellt sich als Initiative heraus, die im Grunde genommen an den Reformen der Minister Blüm und Seehofer anknüpft. Im Prinzip wird aber am Sozialversicherungsmodell festgehalten und an einzelnen Modulen der Gesundheitsversorgung in der Hoffnung gedreht, dadurch ein Überleben dieses Systems auch im nächsten
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Jahrhundert sichern zu können. Konkrete vorgesehene Maßnahmen des Gesetzes sind: •
bessere Verzahnung des ambulanten und stationären Sektors
•
Stärkung des Hausarztes als Lotsen durch das Gesundheitssystem (Einfilhrung der gate-keeper-Funktion)
•
mehr Flexibilität in der Finanzierung sowohl zwischen den Sektoren als auch innerhalb einzelner Sektoren
•
Stärkung der Rehabilitation und Prävention
Ein wirklich "neuer" Ansatz in der geplanten Gesundheitsreform 2000 ist aber nur die "Wiederentdeckung" des sog. Hausarztmodells, mit dem die Einfilhrung von Therapieleitlinien verknüpft ist. Parallelen zum US-amerikanischen Konzept der Managed Care sind damit durchaus zu erwarten. Für den Krankenhausbereich ist wesentlich, dass auch die rot-grüne Bundesregierung am Grundsatz des Übergangs von der dualen zur monistischen Krankenhausfmanzierung festhält. Auch in dieser Regierung wird wie schon zuvor kritisiert, dass die Ausgabenentwicklung im stationären Sektor zu Lasten der übrigen Bereiche gewachsen ist. Da nach Aussagen des Gesundheitsministeriums ein immer größerer Teil der GKV-Ausgaben durch den Krankenhausbereich gebunden wird (was aber nach Tabelle 3 nur bedingt zutriffi), ist auch ftlr die Zukunft davon auszugehen, dass dem stationären Sektor eine zentrale Rolle in den Reformvorschlägen zugewiesen wird.
4. Zusammenfassung Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges musste das bundesdeutsche Krankenhauswesen wiederhergestellt und vor allem unter Berücksichtigung des medizinisch-technischen Fortschritts modernisiert werden. Die Krankenhausfinanzierung wurde aber bereits seit 1936 von Pflegesatzverordnungen bestimmt, in denen eine Preisfreigabe der Krankenhausleistungen zu Gunsten der Krankenhäuser nicht vorgesehen war. In den 1950er Jahren entsprach die Finanzierung in etwa einem über Pflegesätze fmanzierten monistischen Finanzierungssystem, in welchem die Vergütung der Krankenhausleistungen ausschließlich über die Kassen erfolgte. Die Krankenkassen sahen sich aber in jener Zeit finanziell nicht in der Lage, zusätzlich zu den erbrachten Krankenhausleistungen auch Investitionen im stationären Bereich zu tragen. Der ftlr eine optimale Versorgung der Bevölkerung angesehene Ausbau und die Modernisierung stationärer Kapazitäten konnte deshalb während der 1950er Jahre nicht erfolgen.
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Wegen der ausbleibenden Investitionen wurde von damaligen Gesundheitspolitikern von einer Strukturkrise des bundesdeutschen Krankenhauswesens gesprochen. Verschiedene Finanzierungsmodelle wurden unter den Akteuren der Krankenhausversorgung kontrovers diskutiert, bis sich schließlich die Bundesregierung im Jahre 1972 zur dualen Krankenhausfmanzierung entschloss, die faktisch bereits in den Jahren zuvor praktiziert wurde: Während die im Krankenhaus erbrachten Leistungen weiterhin über Pflegesätze von den Kassen getragen wurden, erfolgte die Finanzierung der Krankenhausneu- und -umbauten über Steuermittel. Bereits wenige Jahre nach Verabschiedung des Krankenhausfmanzierungsgesetzes wurde von den Krankenkassen beklagt, dass die duale Finanzierung eine der Hauptursachen rur den Kostenanstieg im Krankenhausbereich sei, Fehlkapazitäten schaffe und zur Ineffizienz in der Krankenhausversorgung beitragen würde. Seit 1972 wurde den Bedenken der Krankenkassen durch den Gesetzgeber Rechnung getragen und die duale Finanzierung nach der dreistufigen Gesundheitsreform wieder abgeschafft. Der Übergang von der dualen Finanzierung in ein über Fallpauschalen, Sonderentgelte, Abteilungs- und Basispflegesätze finanziertes monistisches Krankenhausfinanzierungssystem konnte vor allem deshalb weitgehend störungsfrei erfolgen, weil das bundesdeutsche Krankenhaus der 1990er Jahre in den Jahrzehnten zuvor modernisiert wurde bzw. in den neuen Ländern aufgrund der dortigen Sondersituation bis ins nächsten Jahrhundert über öffentliche Mittel modernisiert wird. Dieser momentane "Sättigungseffekt" könnte aber dazu beitragen, dass zukünftig Krankenhausmodernisierungen im monistischen Finanzierungssystem ausbleiben oder auf spätere Zeitpunkte verschoben werden, so dass in zehn bis 20 Jahren wiederum der Ruf nach Steuerfinanzierung der Investitionen im stationären Sektor lauter werden könnte.
IV. Die Entwicklung der stationären Versorgungsstruktur in der Bundesrepublik seit Kriegsende 1. Vorbemerkungen zur Entwicklung der Krankenhausstatistik
Seit der ReichsgTÜndung liegt jährlich amtliches Zahlenmaterial über das deutsche Krankenhauswesen vor, das sich in der Struktur über Jahrzehnte hindurch nur wenig veränderte und in der Bundesrepublik (als Nachfolgerin des Deutschen Reiches) erst in den letzten Jahren zur Beantwortung zusätzlicher Fragestellungen von der Bundesstatistik um weitere Erhebungsprogramme ergänzt und entsprechend aufbereitet wurde. Von 1877 an liegen Angaben über die Anzahl der Krankenhäuser, ihre Bettenzahl, die Anzahl der stationär be-
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
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handelten Kranken sowie die Anzahl der in Krankenhäusern verbrachten Pflegetage vor. Aufgrund dieser Angaben lassen sich seit dieser Zeit relative Maße wie die Bettendichte (Betten auf 10 000 der mittleren Bevölkerung), die Belegungsquote und die durchschnittliche Krankenhausverweildauer berechnen. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine weitere Systematisierung der amtlichen Statistik über das deutsche Krankenhauswesen. Neben Anzahl der Krankenhäuser, Bettenzahl, Trägerzugehörigkeit (öffentlich, freigemeinnützig, privat), Zweckbestimmung und Größenklassen der Krankenhäuser zum jeweiligen Stichtag am 31.12. eines Kalenderjahres wurden die Krankenbewegung, die Patiententage, stationär erfolgte Geburten und Sterbefillle sowie im Krankenhaus beschäftigte Personen erfasst. Krankenhäuser im Sinne der statistischen Erhebung waren seit jener Zeit alle Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt werden, Geburtshilfe geleistet wurde und die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden konnten. In der Bundesrepublik wurden die Krankenhäuser seit den 1950er Jahren (bis einschließlich 1989) unterschieden nach Akutkrankenhäusern (alle Allgemeinkrankenhäuser mit bzw. ohne abgegrenzte Fachabteilungen unterschiedlicher Träger zur ausschließlichen Behandlung von Akutkranken) und Sonderkrankenhäusern, die sich auf die Behandlung bestimmter Erkrankungen wie Rheuma oder psychiatrische Krankheiten spezialisiert haben oder auf die Behandlung spezieller Patientengruppen wie chronisch Kranke (vgl. Statistisches Bundesamt: Fachserie 12, Reihe 1, 1990). Auch in der DDR wurde im Prinzip an einer auf die Reichsstatistik zurückgehenden Einteilung festgehalten, weshalb die meisten Strukturmerkmale des Krankenhauswesens der früheren DDR mit denen der früheren Bundesrepublik vergleichbar sind.
Mit der Krankenhausstatistikverordnung 1990 wurde entsprechend dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuches fiir die Leistungszuweisung in der stationären Versorgung nur noch zwischen Krankenhäusern auf der einen Seite und Rehabilitations- oder Vorsorgeeinrichtungen auf der anderen unterschieden. Folglich wechselten zahlreiche psychiatrische Einrichtungen von den Sonderkrankenhäusern zu der neuen Kategorie "Krankenhäuser". Neu war an dieser Verordnung auch, dass Einrichtungen mit sog. Doppelcharakter (Kur- und Krankenhausbetten) tUr jede Behandlungsform getrennt melden mussten, was wiederum zu einer leichten Erhöhung der Zahl der Krankenhäuser tUhrte. Die Gesamtzahl der stationären Einrichtungen ist somit die einzige Maßzahl, die durchgängig tUr Vergleiche geeignet erscheint (vgl. Baumann / Wölfle 1995). Bei der seit 1991 tUr alte und neue Länder geltenden reformierten Krankenhausstatistik handelt es sich um eine Totalerfassung der Krankenhäuser und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen (ausgenommen Krankenhäuser in Straf- und Maßregelvollzug sowie Polizeikrankenhäuser), deren organisatori-
118
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
sehen Einheiten, personeller und sachlicher Ausstattung sowie der von ihnen erbrachten Leistungen. Daneben werden Angaben über die Krankenhauskosten und über die Zahl der Patienten erfasst. Das Erhebungsprogramm der Krankenhausstatistik seit 1990 umfasst drei Teile: Grunddaten, Diagnosen (seit 1993)74 und Kostennachweise. Während Krankenhäuser in der Defmition nach § 107 Abs. I SGB V verpflichtet sind, Angaben zu allen Erhebungsteilen zu liefern, besteht die Auskunftspflicht der Vorsorge- und Reha-Einrichtungen (§ 107 Abs. 2 SGB V) nur für die Grunddaten und hierbei auch nur für einen eingeschränkten Merkmalskatalog.
2. Die Entwicklung der Krankenhausbettenzahlen in Deutschland a) Die Veränderung des Krankenhausbestandes und der Krankenhausbettenzahl
Nach ReichsgrUndung wurden die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland eingetUhrt. Teil dieser umfassenden Maßnahmen zur sozialen Sicherung der Bevölkerung war auch die Gesundheitsversorgung und als eine wesentliche Komponente davon die stationäre Versorgung. Gab es im Jahr 1877 auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches nur 2357 Krankenhäuser mit insgesamt 107 337 Betten, so erfolgte bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ein Ausbau der stationären Kapazitäten (vgl. Tabelle 9). In diesen 60 Jahren wurde der Bestand an Krankenhäusern verdoppelt, die Bettenkapazitäten fast versechsfacht. Dabei kam der Krankenhausausbau in erster Linie den öffentlich getragenen Einrichtungen zugute (vgl. Abschnitt I11.2.a).
74 Zur EinfUhrung der Krankenhausdiagnosestatistik im Jahre 1993 und ihrer Verwendung siehe ausfUhrlich Gräb 1996.
119
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik Tabelle 9 Entwicklung der Anzahl der stationiren Einrichtungen und der aufgestellten Betten in Deutschland seit 1877
Jahr 1877 1880 18904 1900 1910 1920 1930 1939
Anzahl der stationiren Einrichtungen l insges. Alte Neue Llnder Llnder2
4608 1063
1970
4213 4058 3783
3587 3481 3234
626 577 549
3635
3098
537
3612 3592 3590
3092 3096 3104
3599 3666 3698 3673
3127 3191 3214 3180
520 496 486 472
3645
3148
1996s 1997 s
Neue Llnder
603497 3395 3604
1995 s
Alte Llnder
107337 119 172 188518 255957 407576 475 183 591 920
4458 4426
1990s 1991 s 1992 s 1993 s 1994 s
insges. 3
2357 2544 3053 3816 4805 4512 4774
1950 1960 1975 1980 1985
Anzahl der vorgehaltenen Betten
822
475 484 493 497
725788 788280
538569 583513
187219 204 767
873279 912011
683254
190025 182220 171 895 169 112
879605 843584 824640 809737 796905 784289 790852 790756
729791 707710 674472 661 335 657240 657 160 653203
163305 152497 139745 131 086 131424
783631
659428 658 148 648325
132608 135306
769294
634 181
135 113
Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes I In der jeweiligen Definition von stationIIren Einrichtungen. 2 In der DDR gab es eine von der Bundesstatistik abweichende Zählmodalitllt ftIr stationIIre Einrichtungen. Bis einschließlich 1990 wurde jede Fachklinik an einer Universität oder Medizinischen Akademie als ein einzelnes Krankenhaus registriert. 3 In der Reichsstatistik bis 1939 "planmäßige Betten" . 4 1891. 5 Gemäß Krankenhausstatistikverordnung 1990 Krankenhäuscr und Vorsorge- und Rehabilitationscinrichtungen.
Wegen einer intensiven Phase des Wiederaufbaus der stationären Einrichtungen nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs wurde bereits um 1950 ungeflihr der Krankenhausbestand der Vorkriegszeit (in Bundesrepublik und DDR
120
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
zusammen) erreicht. 7s Im Jahr 1960 gab es laut amtlicher Statistik in der Bundesrepublik Deutschland 3604 Krankenanstalten, und bis 1965 wuchs ihre Zahl auf 3639. Seitdem ging aber die Anzahl der Krankenhäuser kontinuierlich zurück und lag bereits 1985 bei nur noch 3098 Krankenanstalten. Bis zum Jahr 1989 ging ihre Zahl nochmals um weitere 52 Häuser zurück. Dagegen erhöhte sich die Zahl der bereitgestellten (vorgehaltenen) Betten zwischenzeitlich noch einmal bis zum Jahr 1975. Erst in der Folgezeit stellte sich allmählich ein Rückgang der vorgehaltenen Krankenhausbetten ein, der bis in die Gegenwart anhält. 7• In der DDR fand der Rückgang in der Anzahl der Krankenhäuser bereits in den 1950er Jahren statt. Hier wurden im Zuge einer staatlich durchgefilhrten stärkeren Zentralisierung kleinere Krankenhäuser geschlossen, vor allem konfessionelle und private aber auch einzelne örtlichgeleitete Einrichtungen. Die staatlichen Einrichtungen (örtlich- bzw. zentralgeleitete Krankenhäuser sowie Universitätskliniken und Fachkrankenhäuser Medizinischer Akademien) erlebten in derselben Zeit eine Phase eines intensiven Krankenhausausbaus, was sich im Aufbau neuer Bettenkapazitäten bis 1960 bemerkbar macht (Tabelle 9). Auch in der DDR wurde aber in der Folgezeit die Bettenzahl reduziert, so dass die Anzahl der VOn Krankenhäusern bereitgestellten Betten zur Zeit der deutschen Einheit nur noch bei knapp 165 000 lag. Aufgrund der Krankenhausstatistikverordnung aus dem Jahre 1990 würde die Betrachtung der Krankenhäuser in der Definition des SGB V filr die nachfolgende Zeit deutlich niedrigere Zahlen ergeben. Beispielsweise bestünden zum Jahresende 1997 exakt 1932 Krankenhäuser in den alten und 326 in den neuen Ländern mit insgesamt 580 425 Betten. Die aus diesen Zahlenangaben
7S Planbetten, die in der Reichsstatistik zugrundegelegt wurden, errechnen sich aus den durchschnittlich im Monat belegten Betten. Wurden beispielsweise in einer Abteilung mit 20 Betten vom 1.4. bis 25.4. Renovierungsarbeiten durchgeführt, so dass diese Betten in dem fiktiven Zeitraum nicht genutzt werden konnten, so errechnet sich eine (durchschnittlich belegte) Planbettenzahl rur den Monat April aus fünf Tage multipliziert mit der Bettenzahl (hier: 20) und dividiert durch die Anzahl der möglichen Krankenhaustage (hier: 30 Tage). Die Planbettenzahl eines Jahres errechnet sich aus den gewichteten (ein Zwölftel) Monatsmittelwerten. Die Planbettenzahl ist folglich nicht exakt mit der Zahl der vorgehaltenen Betten vergleichbar. 76 Analog zur Diskussion um die sog. "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen (vgl. Abschnitt 11.2) war ein Auslöser dieser abrupten Trendwende die ebenfalls öffentlich geführte Diskussion über den sog. "Bettenberg" in bundesdeutschen Krankenhäusem (siehe u. a. Altenstetter 1985). Mit diesem Negativbegriff wird eine (überflüssig) zu große Zahl an vorgehaltenen Krankenhausbetten verstanden, die zu einer unnötig verlängerten Verweildauer, zu Fehlbelegung und schließlich zu einem unsachgemäßen Kostenanstieg im Krankenhausbereich führen (vgl. Fritz 1972).
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
121
abzuleitenden Werte für die Bettendichte (vgl. Abbildungen 15 und 16) erbrächten dann ein deutlich abweichendes Ergebnis, als man bei Berücksichtigung der Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen erhalten würde. Da in der Zeit vor 1990 solche Einrichtungen schwerpunktmäßig unter die Sonderkrankenhäuser als eine Kategorie des damaligen Krankenhausbegriffs der amtlichen Statistik fielen, wird im weiteren dem Vorschlag von Baumann und Wölfte (1995) gefolgt, bei Langzeitbetrachtungen über das Jahr 1990 hinaus alle stationären Einrichtungen zusammen zu betrachten. Auch in der Zeit der dreistufigen Gesundheitsreform erfolgte ein von den Gesetzgebern und Kassen geforderter weiterer Abbau von Krankenhausbetten, wobei hiervon die neuen Länder weitaus stärker betroffen waren. Da in diese Zeit aber gleichzeitig auch der Ausbau der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen fiel, welche im Vergleich zu den Krankenhäusern im Durchschnitt niedriger Bettenzahlen aufweisen, wird der tatsächlich stattgefundene Kapazitätenabbau durch Tabelle 9 verzerrt. Dies wird vor allem im Anstieg der Anzahl der stationären Einrichtungen ab 1993 und dem Anstieg der Bettenzahlen im Jahre 1994 deutlich. Bei ausschließlicher Betrachtung der Krankenhäuser hätte der Bestand gegenüber 1990 von 2029 Einrichtungen im Westen und 496 im Osten auf insgesamt 2258 Krankenhäuser (1997) abgenommen. Zudem wurden bis zu diesem Zeitraum insgesamt 114 094 Krankenhausbetten (in der Definition nach SGB V) abgebaut. Hinsichtlich der Überlegungen in der aktuellen gesundheitspolitischen Auseinandersetzung wird wohl auch in Zukunft von einem weiteren Krankenhausbettenabbau auszugehen sein. In welchem Umfang dabei Kapazitäten einesteils abgebaut werden, um später im Reha-Bereich neu geschaffen zu werden, lässt sich mit dem amtlich verfügbaren Zahlenmaterial nicht überprüfen. Da später auf einen Datensatz zurückgegriffen wird, bei dem es sich um eine jährliche Repräsentativstichprobe von Patienten in bundesdeutschen Akutkrankenhäusern handelt, soll zur Vollständigkeit auch die Entwicklung der Akutkrankenhäuser dargestellt werden. Tabelle 10 zeigt dabei die Entwicklung der Anzahl aller Krankenhäuser und davon der Akutkrankenhäuser in den alten Bundesländern bis 1989 sowie die Entwicklung der Krankenhaus- und Bettenzahlen nach der Trägerschaft. Gegenüber 1960 gingen bis 1989 sowohl die Zahl der Akutkrankenhäuser als auch ihre Bettenzahl deutlich zurück. Insgesamt dienten 1989 etwas weniger als zwei Drittel aller Krankenhäuser der Versorgung akutkranker Patienten. Während 1980 knapp ein Drittel der Akutkrankenhäuser weniger als 100 Betten hatte (31,3 Prozent), verringerte sich ihr Anteil bis 1989 weiter auf nur noch 26,0 Prozent. Der Bettenanteil dieser Größenklasse betrug dabei lediglich 4,7 Prozent. Dagegen stellten Krankenhäuser mit 1000 und mehr Betten, deren Anteil 1989 nur drei Prozent betrug, insgesamt 16,1 Prozent der Betten zur Verfügung. Große Krankenhäuser mit mehr
122
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
als 500 Betten werden dabei zum überwiegenden Teil von öffentlichen Trägern betrieben (u. a. Universitätskliniken). Der Anteil kleinerer Akutkrankenhäuser mit weniger als 100 Betten ist dagegen bei den privat gefUhrten mit mehr als drei Viertel besonders hoch. Tabelle JO Entwicklung der Anzahl der bundesdeutschen Krankenhäuser und der planmäßigen Betten nach der Trägerschaft im Zeitraum 1960 bis 1989 (Bettenzahl in Klammern) Jahr
1960 1965 1 1970 1 1975 1 1980 1 1985 1989
Krankenhäuser 3604 (583 513) 3619 (631447) 3587 (683254) 3481 (729791) 3234 (707710) 3098 (674742) 3046 (669750)
davon: AkutkrankenHäuser 2678 (406022) 2540 (423219) 2441 (457004) 2260 (489756) 1991 (476652) 1825 (462 124) 1735 (452283)
Öffentliche Träger 1385 (326413) 1354 (348364) 1337 (373 137) 1297 (389429) 1190 (370714) 1104 (343044) 1046 (333239)
Freigemeinn. Träger
Private Träger
1307 (215 120) 1288 (230787) 1270 (249357) 1187 (257365) 1097 (248717) 1049 (237565) 1021 (230728)
912 (41 980) 977 (52296) 980 (60760) 997 (82997) 947 (88279) 945 (94133) 979 (105783)
Quelle: Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes I In Bayern 1965 = 20, 1970 = 12 , 1975 = 9 und 1980 = 5 Krankenhäuser ohne planmäßige Betten.
Zwischen 1960 und 1975 erfolgte zunächst ein weiterer Bettenautbau im Akutbereich, der am stärksten in den öffentlich getragenen Einrichtungen stattfand (vgl. Tabelle 10). Dies hing sicherlich auch mit der unterschiedlichen Ausrichtung der öffentlichen (aber auch der freigemeinnützigen) Träger von Krankenhäusern zusammen. Im Gegensatz zu den privaten Trägern disponieren sie weniger betriebswirtschaftlich, "sondern in erster Linie bedarfswirtschaftlich, d. h., es ging ihnen um eine optimale Bedarfsdeckung unter bestimmten, auch die Finanzierung betreffenden Nebenbedingungen" (Thiemeyer 1975: 97).77 Da seit Mitte der 1970er Jahre besonders in den von Bund, Ländern und Gemeinden getragenen Einrichtungen "Einsparungen" im Sinne von Bettenab-
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
123
bau durchgeführt werden mussten, hat sich der Anteil der Bettenkapazitäten privater Träger bis 1989 deutlich erhöht. Auch in der ehemaligen DDR wurde die Trägerschaft nach denselben Einteilungskriterien unterschieden. Im Jahre 1960 befanden sich von den 822 Krankenhäusern nur 88 in konfessioneller Trägerschaft (Diakonie oder Caritas) und nur 55 in privater Hand. Mehr als 90 Prozent aller vorhandenen Krankenhausbetten waren aber staatlich. Auch im Jahre 1989 hatte sich an dieser Konstellation nur wenig geändert: Von 539 Krankenhäusern waren 75 unter freigemeinnütziger (konfessioneller) und nur zwei unter privater Trägerschaft. Insgesamt 93,1 Prozent aller von Krankenhäusern bereit gestellten Betten befanden sich in staatlich geleiteten Einrichtungen.
b) Regionale Unterschiede in der Bettendichte und internationaler Vergleich
Der Rückgang der Anzahl der Kranken- bzw. Akutkrankenhäuser sowie ihrer Bettenzahlen vollzog sich regional in den verschiedenen Bundesländern, nach Krankenhausart und nach Trägerschaft völlig unterschiedlich. Bis Ende 1989 waren nach der alten Krankenhausstatistikverordnung in der Bundesrepublik für jeweils 10 000 Einwohner 108 Betten verfügbar, von denen rund zwei Drittel der Akutversorgung zuzuordnen waren. Die Bettendichte, die im Jahr 1960 noch 105 Betten je 10 000 Einwohner betragen hatte, erreichte im Jahr 1976 mit 118 ihren bisherigen Höchststand, um sich schließlich 1997 (nur alte Bundesländer) auf 95,2 Betten pro 10 000 Einwohner zu reduzieren. Trotz verschiedener Hindernisse, die in der Vergangenheit gegen einen Bettenabbau sprachen (u. a. Bestandswahrungspolitik der Krankenhäuser), setzte die Reduktion der Bettenzahlen bereits während der dualen Krankenhausfinanzierung ein.
77 Dies wird u. a. damit begründet, dass (öffentlich-rechtliche und freigemeinnützige) Krankenhäuser in der Regel Non-Profit-Unternehmen (mit einer Tendenz zu qualitativ übertrieben "guter" Ausstattung) und zu einem überwiegenden Teil "Prestige-Investitionen" sind. Sie sind "Statussymbole" von Gemeinden und ihren sonstigen Trägem. Außerdem gilt die Größe von Abteilungen und Krankenhäusern als Prestigeindex für die leitenden Ärzte. Auf der Seite der Patienten ist häufig zu beobachten, dass ein Krankenhaus als um so bedeutender eingeschätzt wird, je größer seine Bettenkapazität und Geräteausstattung ist (vgl. Fritz 1972; Thiemeyer 1975). Kurz gesagt: Ein (zu berechnender) Bettenbedarf auf der Grundlage einfacher deskriptiver Angaben der amtlichen Statistik kann voll von sozialen und subjektiven Detenninanten sein (Roemer 1961: 37).
124
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
In Abbildung 15 ist die Veränderung der Bettendichte filr Deutschland in seinen jeweiligen Grenzen seit 1877 dargestellt. Deutlich erkennbar ist die lang andauernde Phase des Bettenausbaus in Deutschland, die sich in seiner Struktur zu einem "Bettenberg" mit Maximum im Jahre 1975 aufkumuliert. Zudem differenziert die Graphik zwischen alten und neuen Bundesländern. Der Anstieg der Bettendichte in der DDR während der 1950er Jahre lässt sich eindeutig als demographischer Effekt bestimmen: Aufgrund der hohen Abwanderungszahlen in Richtung Westen nahm die Bevölkerung in diesem Zeitraum in ihrem Bestand stark ab, wogegen der Bettenbestand bis in die 1960er Jahre vergrößert wurde (vgl. Tabelle 9). Während sich im nachfolgenden Zeitraum der bereits früh begonnene Kapazitätenabbau in einer abnehmenden Bettendichte niederschlägt und bereits im Jahr 1970 der Wert filr das frühere Bundesgebiet unterschritten wird, ist auch der drastische Einbruch in der Bettendichte nach 1989 vor allem auf die (kurzfristige) Bevölkerungsentwicklung in den neuen Ländern zurUckzufilhren (Ost-West-Wanderung, Geburtenrückgang).
140
Betten pro 10 000 der mittleren Bevölkerung
o 120
o (AL)
100
o (NL) 80
60
40
1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhauser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 15: Krankenhausbetten pro 10 000 Einwohner in Deutschland seit 1877
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
125
Abbildung 16 vergleicht regionale Unterschiede der Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausbetten (exakt: Betten in Krankenhäusern und Rehaoder Vorsorgeeinrichtungen). Als Länderbeispiele der Bundesrepublik sind die Entwicklungsverläufe der Bettendichte filr Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen als die drei bevölkerungsreichsten Flächenstaaten sowie der Verlauf der drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg zusammen dargestellt. Dabei wird die bis in die 1990er Jahre andauernde höhere Bettendichte in städtisch-verdichteten Regionen ersichtlich. Teilweise sind die vergleichsweise hohen Bettenkapazitäten in Verdichtungsregionen (hier: die Länder Ber\in, Bremen und Hamburg) auch auf regionenübergreifende Versorgungsstrukturen zurückzufilhren (z. B. höhere Anteile aus anderen Regionen mitversorgter Patienten). Seit dem Beginn der 1980er Jahre ging aber die Bettendichte in den Stadtstaaten stark zurück und liegt heute bereits deutlich unter dem Mittelwert filr die alten Bundesländer. Insgesamt sind die regionalen Unterschiede gegenüber den 1950er Jahren Mitte der 1990er Jahre nur noch gering. Auch in den Flächenstaaten vollzog sich seit Mitte der 1970er Jahre ein allmählicher Rückgang in der Bettendichte, der seit 1988 (Gesundheitsreformen) intensiviert wurde und bis heute anhält. Nur in Bayern wurde dieser Trend zwischenzeitlich unterbrochen, als bei steigender Bevölkerungszahl in den Jahren 1993 bis 1995 zusätzliche Betten im Vorsorge- oder Reha-Bereich aufgebaut wurden (vgl. dazu Lebok / Mey 1999). 150
Betten pro 10000 der mittleren Bevölkerung
140 130 120 110 100 90 80 1950
1955
1960
1985
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
-----------------
Anmerkung:
-------------
Seit 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen;ab 1991 Berlin-West und -Ost zusammen
Abbildung 16: Regionale Unterschiede in der Bettendichte. Betten der stationären Gesundheitsversorgung pro 10 000 Einwohner in BadenWürttemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen sowie in den Stadtstaaten
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
126
160
Betten pro 10 000 der mittleren Bevölkerung
---.--
140
120
----~ -
-== /'
100 --~
- -
---
80
-
-----
eH D (AL)
s ------
"'-
D (NL)
------
60
------
-
"-.
- I UK USA
40
20 1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr
Abbildung 17: Entwicklung der Bettendichte (Krankenhausbetten pro 10000 Einwohner) in ausgewählten Industrieländern (Quelle: BASYS)
Im internationalen Vergleich der Werte für die Bettendichte befindet sich die Bundesrepublik - trotz des in der Öffentlichkeit dramatisierten Bettenberges und trotz des begonnenen Bettenabbaus - im Mittelfeld vergleichbarer Länder (Abbildung 17).78 Die Bettendichte der Bundesrepublik entspricht ungefähr derjenigen in Frankreich, liegt deutlich hinter der Schweiz, den Niederlanden und Japan", aber deutlich vor der Bettenversorgung in Großbritannien. Auch die Vereinigten Staaten haben beispielsweise deutlich weniger Krankenhausbetten
78 Die in Abbildung 17 verwendeten Werte rur die Bundesrepublik weichen dabei von den Angaben des Statistischen Bundesamtes ab. Zur Berechnung der Bettendichte für internationale Vergleichszwecke siehe Schneider / Biene-Dietrich et al. 1995. 7. In Japan resultiert die hohe Bettenzahl pro Kopf der Bevölkerung aus einer "Versorgungslücke" im Pflegebereich. Der Großteil der in Japan stark anwachsenden Zahl älterer Menschen wird hauptsächlich in Krankenhäusern versorgt. "Diese Fehlbelegung stellt auch in kostentechnischer Sicht ein großes Problem dar, dessen Ursache in der unterschiedlichen Höhe des Selbstkostenanteils und den unterschiedlichen Leistungserbringungsverfahren liegt." (Matsumoto 1997: 39) Der Selbstkostenanteil (1997) lag im Pflegeheim mit durchschnittlich 45 000 Yen pro Monat deutlich über dem Selbstkostenanteil in Krankenhäusern (39 000 Yen pro Monat).
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
127
pro 10 000 Einwohner als die Bundesrepublik. Dabei ist aber zu beachten, dass US-Krankenhäuser reine Akutkrankenhäuser sind. Für langwierige Behandlungen steht ein ganz anderer Typ von stationärer Einrichtung zur VerfUgung. Eine direkte Vergleichbarkeit der Bettenversorgung in der Bundesrepublik mit Werten der Vereinigten Staaten ist deshalb nur mit großen Vorbehalten möglich. An dieser Stelle muss aber auch besonders hervorgehoben werden, dass in den Jahren vor 1970 in nahezu allen Industrieländern ein Bettenausbau durch staatliche Ausbauprogramme bzw. in Folge von regionalen Entwicklungsplänen vorgenommen wurde. 80 Eine hohe Bettenkapazität wurde damals als Erfolg rur die Versorgung einer Bevölkerung mit stationären Leistungen gesehen (Studt 1967: 2). Die Bundesrepublik folgte diesem Trend in den Nachkriegsjahren und konnte erst aufgrund stärkerer "staatlicher" Eingriffe in die Autonomie der Krankenhäuser (vgl. Abschnitt II.2.c) seit dem Ende der I 960er Jahre eine forcierte Modernisierung des Krankenhauswesens mit zahlreichen Neubauten vorantreiben. Bereits Mitte der 1950er Jahre wurde aber in der internationalen (vor allem britisch und US-amerikanisch dominierten) Diskussion eine Beschränkung des Bettenangebots empfohlen, da in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, dass sich mit einem höheren Bettenangebot auch die Nachfrage (Inanspruchnahme) erhöht (vgl. u. a. Shain / Roemer 1961). Auch in diesem Falle (wenngleich etwas verspätet) reagierte die Bundesrepublik, indem seit 1975 ein Bettenabbau erfolgte. Die hohe Bettendichte (unter Einschluss der Sonderkrankenhäuser) in der Bundesrepublik scheint dabei im Widerspruch zu der weiter oben beschriebenen relativ moderaten Kostenentwicklung im Krankenhaussektor zu stehen (vgl. Abbildung 9). Der sog. "Bettenberg" war demnach unter Berücksichtigung der bisherigen Resultate kein wesentlicher Grund rur den Kostensanstieg im Krankenhauswesen. Bereits in den 1960er Jahren wurde in internationalen Publikationen mehrfach auf den Umstand hingewiesen werden, dass keine direkten kausalen Beziehungen zwischen Bettenzahl eines Krankenhauses und den Durchschnittskosten bestehen (lngbar / Taylor 1968; Mann / Yett 1968).
so Zur bundesdeutschen Beuenbedarfsplanung als Teil der Regionalplanung in der Vergangenheit siehe u. a. Boustedt / Ranz 1957; Keyl 1958; Bopp 1970; Boesler 1982; Goeschel 1984.
128
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
c) Prozesse der Bettenkonzentration
In den 1960er Jahren setzte sich u. a. als Reaktion auf den Bevölkerungsanstieg (Stichwort: geburtenstarke Jahrgänge) beim Krankenhausneu- und -umbau (wie auch im Wohnungsbau) zusehends die Hochgeschossbauweise durch, weshalb sich letztendlich auch die Durchschnittsgröße der Krankenhäuser erhöhte (Abbildung 18),81 So stehen seit den 1980er Jahre mehr Betten in Krankenhäusern der Größenklasse 200 bis 800 Betten zur Verftlgung als im Jahr 1960.
350
Durchsehn. Bettenzahl einer stat. Einrichtung
300
250
200
Alte Länder
150~~~::~~~~~~~~~~~~~~~ 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 18: Entwicklung der durchschnittlichen Bettenzahl in stationären Einrichtungen auf dem Gebiet der alten und neuen Länder seit 1950
KI Während 1970 ein Krankenhaus der Bundesrepublik im Durchschnitt 190 Betten umfasste, waren es 1985 im Durchschnitt 218 Betten, 1989 im Durchschnitt 220 Betten und schließlich im Jahr 1997 nach Krankenhausstatistikverordnung 1990 nur noch 211 Betten flir alle Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. In Krankenhäusern allein standen 1997 im früheren Bundesgebiet im Durchschnitt 246 Betten. In den neuen Ländern ist die Bettenkonzentration auch 1997 weitaus stärker ausgeprägt als im Westteil der Bundesrepublik: Im Durchschnitt umfasste ein Krankenhaus in den ostdeutschen Ländern 322 Betten (1997).
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
129
Der Trend zum größeren Krankenhaus und damit zu einer Bettenkonzentration ist dabei auch eine Folge des grundsätzlichen Wandels im Leistungsspektrum der Medizin. In der Konzentration der Betten in größeren Häusern kam der Wunsch nach einer höheren Wirtschaftlichkeit bei der Mittelanwendung zum Ausdruck."2 Bei vielen kostenintensiven neuen Techniken lohnte sich in der Vergangenheit die Einfilhrung und der Betrieb nur dann, wenn sie entsprechend stark genutzt wurden. Die Maximen bei baulichen Veränderungen am Krankenhaus lauteten deshalb Zentra/isierung und - vor allem aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts - Automatisierung. Aufgrund dieser stark ökonomisch geprägten Ausrichtung in der Krankenhausplanung bildeten sich filr die größer werdenden Krankenhäuser zwei Betriebsbereiche heraus (Murken 1995: 234), einmal die zentralen Einrichtungen filr den medizinischen Bereich (Diagnostik und Therapie), zum anderen die zentralen Einrichtungen filr die Grundversorgung der Patienten und des Klinikpersonals. Die Leistungsfähigkeit eines Allgemeinkrankenhaus wurde in der Vergangenheit erst mit einer Bettenzahl von mehr als 200 Betten als gewährleistet erachtet. Der Umfang einzelner Pflegestationen lag zwischen 25 und 35 Betten. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden diejenigen Arbeitsplätze zusammengelegt, die gleichartige bzw. aufeinanderfolgende Aufgaben zu erfilllen hatten. Die damit einhergehende Konzentration des Krankenhauswesens bedingte in den 1970er Jahren auch eine Normierung nach Bettenzahl und Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser filr Akutkranke nach vier Kategorien (vgl. Studt 1967; Sauerzapf 1980): 1. Krankenhäuser der Grundversorgung mit bis zu 200 Betten, 2. Krankenhäuser der Regelversorgung mit bis zu 350 (oder 400) Betten, 3. Krankenhäuser der Zentralversorgung mit bis zu 600 Betten, 4. Krankenhäuser der Maximalversorgung mit bis zu 1200 Betten. Auch in der ehemaligen DDR bestand eine Unterscheidung der Krankenhäuser nach Versorgungsstufen. In der Gruppe A befanden sich Orts- und Stadtkrankenhäuser zur Betreuung der örtlichen Bevölkerung (Abteilungen Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe, Pädiatrie), in Gruppe B größere Kreiskrankenhäuser als Zentren der medizinischen Versorgung eines Kreises (Gruppe A übergeordnet, und zusätzlich mit Fachabteilungen Augenheilkunde, HNO, Infektions-
82 In der Planungspraxis wurde die Auffassung vertreten, dass hauptsächlich wegen Raumeinsparungen bei technischen und wirtschaftlichen Versorgungseinrichtungen, z. B. ein 600-Betten-Krankenhaus billiger zu betreiben sei als drei Krankenhäuser mit jeweils 200 Betten (Bopp 1970: 38).
9 Lebok
130
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
und Hautkrankheiten sowie Pflegestationen rur chronisch Kranke), in Gruppe C Bezirkskrankenhäuser - mit den bundesdeutschen Krankenhäusern der Zentralversorgung vergleichbar - als Leitkliniken eines Bezirkes zur Behandlung schwerer Fälle (zzgl. Orthopädie, Neurologie, Urologie und Strahlenheilkunde) und in Gruppe D Universitätskliniken (in der Regel Großkliniken), medizinische Akademien und Forschungsinstitute mit klinischen Abteilungen zur Spezialbehandlung seltener Krankheiten. Daneben wurde gesondert eine Gruppe E "Fachkrankenhäuser" ausgewiesen (Sonderkrankenhäuser zur Behandlung von Krankheiten spezieller Fachrichtungen).
3. Die Entwicklung der Bettennutzungsquote in bundesdeutschen Krankenhöusern
Der Nutzungsgrad r B(Bettennutzungs- oder Bettenauslastungsquote) gibt die prozentuale Auslastung der aufgestellten Betten eines Krankenhauses an und errechnet sich aus den Variablen Summe der Pflegetage (H) und der Zahl der vorgehaltenen Betten (B) nach Formel I: (1)
H
rB
=
(B.365)
wobei: H Summe der Pflege- oder Verweildauertage (hospital days) B Summe der in stationären Einrichtungen bereitgestellten Betten (beds)
Ein Wert von Eins (= hundertprozentige Bettenauslastung) würde in der Logik dieses Maßes bedeuten, dass alle aufgestellten Betten eines Jahres vollständig belegt wären. Selbst Betten, die als "Reserve" nur vorgehalten werden, würden voll belegt sein. Ein Wert von Eins (bzw. von 100 Prozent bei rB·IOO) ist fUr die Krankenhausplanung ebenso wenig erstrebenswert wie ein Wert, der auf eine niedrige Bettenauslastung hinweist. Ein Wert um 80 bis 85 Prozent wurde deshalb in der Vergangenheit von Regional- und Krankenhausplanern als sinnvolle Sollgröße betrachtet (U. S. Public Health Service 1961; Bailey 1962; Eichhorn 1967), da bei solchen Werten ein Krankenhaus nicht nur weitgehend ausgelastet ist, sondern bei kurzfristigem und unvorhersehbarem Bedarf auch noch zusätzliche Kapazitäten zur VerfUgung gestellt werden können. Abbildung 19 stellt den Verlauf der Bettennutzungsquote in den alten und neuen Ländern bis zum Jahr 1996 gegenüber. Für die alten Länder ist zwischen 1955 und 1968 eine Situation zu beobachten, in der - nach damaliger Sicht - zu wenig Betten fUr eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung zur VerfUgung standen. D. h., in den alten Ländern waren die fUr die stationäre Versorgung der Bevölkerung vorgehaltenen Krankenhausbetten zu mehr als 90 Pro-
131
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
zent belegt. Aufgrund des weiter oben beschriebene Kapazitätenausbaus kam es dann in der Folgezeit zu einer Reduktion der Bettennutzungsquote. 100
in Prozent
95 90
+---~~~----~~------------------------------
Neue~ .. ~
85 80
+-------------------~~----------------_,~r_--
75
70
.~~~------~----~--------~--~--~----~--~
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 19: Veränderung der Bettennutzungsquote in stationären Einrichtungen. Alte und neue Länder 1950 bis 1997
In den 1980er Jahren (Beginn des Bettenabbaus) pendelte sich die Nutzungsquote trotz leichter Schwankungen bei etwa 85 Prozent ein (Abbildung 19). Bezogen auf alle stationären Einrichtungen ist die Quote bis 1989 stets etwas höher gewesen als bei alleiniger Betrachtung von Akutkrankenhäusern. 83 Sonderkrankenhäuser (seit 1990 vor allem Reha- oder Vorsorgeeinrichtungen) besaßen grundsätzlich eine höhere Auslastung. Zudem "mussten" insbesondere Akutkrankenhäuser Überkapazitäten (z. B. Notfallbetten aber auch Geburtshilfebetten) vorhalten, um bei unvorhersehbarem lokalen Mehrbedarf ausreichend Betten bereitstellen zu können. Auffallend ist, dass auf dem Gebiet der früheren DDR die Auslastung durchgehend niedriger war als im Westen. Trotz· des weiter oben beschriebenen
., 1970 lag die Nutzungsquote für Akutkrankenhäuser bei 86,8 Prozent, 1985 bei 85,0 Prozent und 1989 bei 85,2 Prozent.
9'
132
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Bettenabbaus in der DDR lag die Nutzungsquote während der 1970er Jahre und 1980er Jahre deutlich unter der unteren "Sollwertgrenze" von 80 Prozent, die erst nach der deutschen Einheit infolge eines weiteren Bettenabbaus (und einer weiteren Verweildauerreduktion) überschritten wurde. Sowohl alte als auch neue Länder folgten dabei - zumindest filr den Zeitraum zwischen 1960 und 1980 - einer bereits filr die 1950er Jahre beschriebenen These, dass ein Ausbau der Bettenkapazitäten stets eine Reduktion der Bettennutzungsquote nach sich zieht (Roemer 1961: 37; siehe auch London / Sigmond 1961). Im Jahr 1995 haben sich alte und neue Länder in der Bettennutzungsquote angeglichen. Grund filr die Unterschiede in der Folgezeit ist vor allem der "Einbruch" in der Bettennutzungsquote in den alten Bundesländern in Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen: Gegenüber 1995 fiel die Bettenauslastung in diesen Einrichtungen von 88,7 auf 83,1 Prozent (1996) und 1997 deutlich unter 60 ProzentU, was zum großen Teil auf die verstärkten Zuzahlungen der Kassenpatienten bei einem stationären Aufenthalt im Zuge der dreistufigen Gesundheitsreform zurückzufilhren sein dürfte. Nicht nur zwischen alten und neuen Ländern bestehen erhebliche Unterschiede im Auslastungsgrad der vorgehaltenen Betten, sondern auch zwischen einzelnen Bundesländern und differenziert nach Fachabteilungen in den Krankenhäusern. Im Jahre 1997 schwankt beispielsweise die Bettennutzungsquote in Krankenhäusern zwischen 83,3 Prozent im Saarland und 76,7 Prozent in Thüringen, während filr alle bundesdeutschen Krankenhäuser (nach SGB V) eine Durchschnittsquote von 80,7 Prozent vom Statistischen Bundesamt (1998) errechnet wurde. Differenziert nach Fachabteilungen wurde im Jahre 1997 in einigen Abteilungen eine überdurchschnittliche Nutzungsquote gemessen, u. a. Neurologie mit 87,3 und Psychiatrie mit 86,6 Prozent Auslastung. Unterdurchschnittliche Bettennutzungsquoten bestanden u. a. in den Abteilungen Chirurgie (77,8 Prozent), Augenheilkunde (72,1 Prozent), HNO (75,2 Prozent), Frauenheilkunde und Geburtshilfe (70,3 Prozent) sowie in der Abteilung KinderheilkundelPädiatrie (72,1 Prozent). Das Zustandekommen eines Wertes der Nutzungsquote kann aber stark beeinflusst werden, was an einem fiktiven Beispiel verdeutlicht wird (Tabelle 11).as
U Besonders drastisch fiel der Rückgang der Bettennutzungsquote im Freistaat Bayern aus, wo während der I 990er Jahre zusätzliche Kapazitäten an Reha-Betten erst geschaffen wurden. Im Jahr 1996 wurde fIlr Bayern eine Nutzungsquote fIlr Reha- oder Vorsorge-Einrichtungen von 78,0 Prozent, im Jahre 1997 sogar nur noch von 58,0 Prozent gemessen. Nur in vier der fIlnfneuen Länder (mit Ausnahme von Sachsen) wurden fIlr das Jahr 1997 niedrigere Auslastungsquoten ermittelt. I~ Die Berechnung der Bettennutzungsquote ist neben der Krankenhausfallzahl und der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer der Krankenhausflllle ein entscheiden-
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
133
Würde eine Region 800 Betten fiir die stationäre Versorgung der Wohnbevölkerung bereit halten und hätte sich zu einem gegebenen Kalenderjahr die Zahl der Pflegetage (H) auf insgesamt 250 000 summiert, dann würde sich ein von Seiten der Krankenhausplanung erwünschter Wert fiir die Bettenauslastung von knapp über 85 Prozent errechnen. Würde die Zahl der Pflegetage um zehn Prozent gesenkt werden, die Bettenkapazitäten aber konstant auf dem Bestand des Fallbeispieles I von Tabelle 11 gehalten, so sinkt die Bettennutzungsquote auf 77,1 Prozent (Fall 2). Im Falle eines zehnprozentigen Bettenabbaus und konstanten Pflegetagen (Fall 3) käme es zu einer "Unterversorgung" der Bevölkerung mit Krankenhausbetten, da die Nutzungsquote auf über 95 Prozent ansteigen würde. Selbst bei gleichzeitiger Abnahme der Betten und Pflegetage um jeweils zehn Prozent (Fall 4) steigt die Quote gegenüber dem Ausgangsbeispiel an. Die Verweildauer bzw. die Zahl der Pflegetage ist jolglich die entscheidende Größe beim Zustandekommen der Bettennutzungsquote. Durch die Veränderung der Dauer von Krankenhausaufenthalten kann ein Krankenhaus selbst direkt Einfluss auf das Zustandekommen der Nutzungsquote nehmen. Trotz dieser inhaltlichen Schwäche des Maßes lassen sich unter Berücksichtigung zusätzlicher Informationen (Personalentwicklung, Verweildauer- und demographische Entwicklung) durchaus Anhaltspunkte fmden, wo (in welchen Regionen, in welchen Fachabteilungen) ein Kapazitätenabbau vertretbar und sinnvoll erscheint. Tabelle JJ Rechenbeispiel zur Bettennutzungsquote
Fall \ Fall 2 Fall 3 Fall 4 Fall 5 Fall 6 Fall 7
"Betten (B)
Pflegetage (H)
rB ,100
800 800 720 720 800 880 880
250000 225000 250000 225000 275000 250000 275000
85,6 77,\ 95,\ 87,5 94,2 77,8 85,6
der Parameter rur die Berechnung des zukünftigen Bettenbedarfs der Krankenhausplanung nach der sog. "analytischen Bedarfsfonnel". Der zukünftige BettenbedarfB zu einem Zeitpunkt t+ \ resultiert nach dieser Berechnungsmethode aus: Bt+ \ = (Ct+ \' Lt+ \ )/(365'rs,t+ J} wobei: L (durchschnittliche Verweildauer), C (Fallzahl),
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
134
4. Die Entwicklung der Krankenhausfallzahlen im früheren Bundesgebiet und in der ehemaligen DDR
Die wichtigste Größe der Krankenhausinanspruchnahrne ist neben der Verweildauer die Anzahl der Patienten. Die Zahl der Krankenhausfälle schließt in der amtlichen Statistik alle Patienten ein, die im Laufe eines Kalenderjahres in einer stationären Einrichtung (Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen) stationär behandelt wurden. Stunden fälle (Patienten ohne Übernachtung) werden hierbei nicht als Fall mitgezählt. Im früheren Bundesgebiet ist seit 1954 ein kontinuierlicher Anstieg der Fallzahl zu beobachten: Sie stieg von 6,3 Mio. (1954) über 7,4 Mio. (1960), 9,3 Mio. (1970) und 11,6 Mio. (1980) auf 13,1 Mio. (1990) und lag im Jahre 1997 bei 14,0 Mio. stationär behandelten Personen. Insgesamt verdoppelte sich die Fallzahl gegenüber dem Jahr 1954. In den neuen Bundesländern fiel der relative Anstieg der Krankenhausfallzahlen weitaus geringer aus: Hier erhöhte sich die Fallzahl von 2,0 Mio. im Jahre 1960 über 2,3 Mio. (1970) und 2,4 Mio. (I980) auf 2,5 Mio. im Jahre 1990. Erst seit der deutschen Einheit steigt die Fallzahl in den ostdeutschen Bundesländern wieder stärker und erreichte im Jahr 1997 einen Wert von 3,1 Mio. stationär behandelten Personen.
KKH-Fälle je 10000 der millI. Bevölkerung
2500
Alle Länder 2000
1500
1000
~~~~~--~r-~~~~~~--~r-~~~-r~~
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Anmerkung~
Seil 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 20: Entwicklung der Fallhäufigkeit (Fallzahl pro 10000 Einwohner) in den alten und neuen Ländern seit 1954
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
135
Die absoluten Zuwächse in den Fallzahlen wirken sich unmittelbar auf die Fallhäufigkeit aus (Anzahl der vollstationär behandelten Fälle bezogen auf die Jahresdurchschnittsbevölkerung), die eine aussagekräftigere Infonnation über die Fallzahlenentwicklung abgeben (Abbildung 20). Demnach entwickelte sich die Fallhäufigkeit auf dem Gebiet der alten und neuen Länder ab Mitte der 1960er Jahre auseinander. Während im Jahr 1965 gleichennaßen in den alten und neuen Ländern jeder achte Einwohner im Durchschnitt stationär behandelt wurde, war es im früheren Bundesgebiet im Jahre 1990 bereits jeder filnfte, in den neuen Ländern dagegen nur jeder siebte. Nach der deutschen Einheit stieg aber die Fallhäufigkeit in den neuen Ländern rasch an, so dass in wenigen Jahren auch in Ostdeutschland Werte wie im früheren Bundesgebiet zu erwarten sind.
2400
KKH-Falle je 10 000 der mittl. Bevölkerung Baden-WOrt1emb.
2200 -'
2000
Alte Lander
Berlin/Bremen/Hamburg
1800
I :
~-
I
1600 1400
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhlluser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 21: Entwicklung der Fallhäufigkeit in ausgewählten Bundesländern seit 1960 Auch zwischen einzelnen Bundesländern variiert die Fallhäufigkeit im Zeitverlauf, wobei die Unterschiede weniger deutlich ausgeprägt sind als zwischen alten und neuen Ländern. Während bis zum Jahr 1990 NordrheinWestfalen von den drei bevölkerungsreichsten westdeutschen Bundesländern die niedrigste Fallhäufigkeit aufgewiesen hatte, ist es seit dieser Zeit das Land Baden Würt-
136
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
temberg. Nur die Stadtstaaten weisen nach Abbildung 21 niedrigere Werte auf. Mit 2183 stationär behandelten Fällen pro 10 000 Einwohner wies Bayern im Jahr 1997 unter den bevölkerungsreichsten Ländern die höchste Fallhäufigkeit auf. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern (des früheren Bundesgebiets) sind aber seit Jahrzehnten vergleichsweise gering und liegen vor allem in den unterschiedlichen Fallzahlen infolge der regionalen Ausstattung mit Kapazitäten der Vorsorge oder RehaEinrichtungen begründet (Lebok 1999b). Der am häufigsten genannte Grund für den Anstieg und die Unterschiede in der Entwicklung der Krankenhausfallzahlen wird in der demographischen Entwicklung gesehen. Eine "rein demographisch" bedingte Erhöhung der Fallzahl kann dabei unter zwei unterschiedlichen Bedingungen eintreten (vgl. Dinkel / Görtler 1991): Einmal steigt die Zahl der KrankenhausflilIe, wenn bei konstanter Altersverteilung die Wohnbevölkerung an Bestand zunimmt, da dann mehr potentielle KrankenhausflilIe zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite können die KrankenhausflilIe auch unabhängig von der Bevölkerungszahl zunehmen, wenn beispielsweise die Zahl der Personen in einer Altersgruppe durch Altersstrukturverschiebungen zunimmt, die durch eine besonders hohe Fallhäufigkeit gekennzeichnet ist.
200
1960=100
180
160
KKH-Fälle (NL)
140
~
120
-J
100 1""'-~-------
---------Mittl.
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
Wohnbev.
1995
Jahr Abbildung 22: Relative Fallzahl- und Bevölkerungsentwicklung in den alten und neuen Ländern seit 1960
(NL)
2000
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
137
In Abbildung 22 ist am Beispiel der alten und neuen Bundesländer jeweils der relative Entwicklungsverlauf der Krankenhausfallzahlen und der des jahresdurchschnittlichen Bevölkerungsbestandes gegenübergestellt. Würde eine hohe positive Korrelation zwischen Zunahme der Fallzahl und der Bevölkerungsentwicklung bestehen, dann müssten beide Verläufe relativ parallel verlaufen. Sowohl für die alten als auch für die neuen Länder scheinen sich dagegen die relativen Entwicklungen des Bevölkerungsbestandes und der während eines Jahres vollstationär behandelten Fälle stärker auseinander zu entwickeln. Die Veränderung des Bevölkerungsbestandes hat somit einen weniger starken Einfluss auf die Fallzahlenentwicklung seit 1960 gehabt. Selbst Altersstrukturverschiebungen in der Wohnbevölkerung dürften deshalb in der Vergangenheit nur zu einem vergleichsweise geringen Anteil zum Fallzahlenanstieg beigetragen haben (vgl. Dinkel / Görtler 1991: 25). Neben demographischen Ursachen des Fallzahlenanstiegs werden zahlreiche strukturelle Gründe genannt, die mit der Versorgungsstruktur eines Landes bzw. einer Region zusammenhängen. Beispielsweise setzt die Aufnahme in ein Krankenhaus in der Regel die Einweisung durch niedergelassene Arzte voraus, sofern es sich bei den Patienten nicht um Notflille handelt (vgl. u. a. Düllings 1991; Alber 1992). Geht man davon aus, dass die Zahl der Notflille (Verkehrsunflille, Einweisungen per Rettungsdienst usw.) nicht überproportional zugenommen hat, wird unmissverständlich deutlich, dass der ambulante Sektor eine Schlüsselstellung für die (nicht demographisch bedingte) Entwicklung der Fallzahl in Krankenhäusern besitzt (Fritz 1972).86 Insbesondere bei niedergelassenen Allgemeinärzten wurde gegenüber Gebietsärzten eine deutlich höhere Überweisungsquote in Krankenhäuser festgestellt (Klo se 1993). Wegen der hohen Arztdichte im niedergelassenen Sektor wird darüber hinaus angenommen, dass Kassenärzte bei unzureichenden eigenen Diagnostikmöglichkeiten Patienten eher in Krankenhäuser als an andere niedergelassene Fachärzte (die Konkurrenten) überweisen, um nach entsprechender Rücküberweisung eine zukünftige Weiterbehandlung dieser Patienten zu gewährleisten. Es wird angenommen, dass bei verbesserter technischer Ausstattung im ambulanten Bereich die Zahl der "überflüssigen Krankenhauseinweisungen" zurückgeht (Klose 1993). Als eine der wichtigsten Ursachen für den Fallzahlenanstieg in stationären Einrichtungen wird die überproportionale Zunahme der Patienten mit maximal dreitägiger Verweil dauer (sog. Kurzliegerpatienten, vgl. Abschnitt V.l.d im nächstfolgenden Kapitel) angesehen. Der Anstieg der Kurzlieger wird wie-
86 Zum internationalen Fallzahlenvergleich siehe u. a. OECD 1993; Jelastopulu / Arnold 1995; Schneider / Biene-Dietrich et al. 1995.
138
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
derum damit begründet, dass ein Großteil der niedergelassenen Ärzte nicht über die fur bestimmte Diagnostiken benötigte apparative Ausstattung verfugt und somit bei Unsicherheit der Diagnose den Patienten ins Krankenhaus einweist. Weitere (nichtdemographische) Gründe fur den Anstieg der Kurzliegerfälle gehen auf Veränderungen in der Verweildauerstruktur (z. 8. verkürzte Krankenhausaufenthalte aufgrund nichtinvasiver Operationen) im Krankenhaus sowie auf Selbsteinweisungen von Patienten zurück.
5. Die Entwicklung des Personalbestands in bundesdeutschen Krankenhäusern a) Absolute und relative Bestandsveränderungen In der Bundesrepublik nahm die Zahl der im Krankenhaussektor Beschäftigten gegenüber den 1950er Jahren enorm zu. Waren im Jahr 1960 in stationären Einrichtungen gemäß der "alten" Krankenhausstatistikverordnung 363 036 Personen beschäftigt, so stieg ihre Zahl in den nachfolgenden Jahrzehnten kontinuierlich an: 1970 lag die Zahl der Beschäftigten bereits bei 547 283 Personen, 1980 bei insgesamt 814 938 Beschäftigten, im Jahr 1989 waren es schließlich 878 012 Personen. Im Jahr 1997, sieben Jahre nach Inkrafttreten der Krankenhausstatistikverordnung 1990 und deutscher Vereinigung, waren bereits weit über eine Million Personen in Krankenhäusern und Vorsorge oder Rehabilitationseinrichtungen beschäftigt (I 129 543 Personen in alten und neuen Ländem).K7 Gegenüber dem Jahr 1970 hat sich die Anzahl der im Krankenhaus beschäftigten Erwerbstätigen somit mehr als verdoppelt (mit einem Ausgangsjahr in den 1950er Jahren ließe sich sogar eine Verdreifachung feststellen), wogegen fur die meisten anderen Berufszweige die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik relativ konstant blieb oder gar abnahm (z. 8. im produzierenden Sektor). Der Anstieg verlief fur einzelne Berufsgruppen unterschiedlich, weshalb sich auch die relative Zusammensetzung der Beschäftigten nach einzelnen Berufsgruppen veränderte. Der Anteil des Pflegepersonals hat dabei von 30,5 Pro-
K7 In den alten Bundesländern waren 1996 gemäß Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes I 071 840 Personen in Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen beschäftigt (vgl. Statistisches Bundesamt: Fachserie 12. Reihe 6.1, 1998). Eine weitere Unterscheidung zwischen alten und neuen Ländern ist ab 1997 nicht mehr exakt möglich. da die Angaben des Landes Berlins komplett den alten Ländern zugeordnet werden.
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
139
zent (1960) deutlich bis 1997 auf 39,1 Prozent fllr das gesamte Bundesgebiet zugenommen. Der Anteil der Ärzte vergrößerte sich vergleichsweise geringfllgig von 8,5 Prozent im Jahre 1960 auf 10,1 Prozent im Jahre 1997, wobei im Jahre 1989 der Anteil im früheren Bundesgebiet bereits bei 10,5 Prozent gelegen hatte. Während der Anteil der im Verwaltungsdienst Beschäftigten trotz der zahlreichen Krankenhausreformen relativ konstant zwischen sechs und sieben Prozent lag, hatte der Anteil der im Wirtschaftsdienst beschäftigten Personen (vor allem Küchen und Reinigungspersonal) stark abgenommen. Er ging von 38,2 Prozent (1960) auf 24,3 Prozent im Jahre 1980 zurück und lag 1997 bei nur noch 13,7 Prozent. Sicherlich ist diese Entwicklung auch als ein Indikator fllr die fortschreitende Rationalisierung im Krankenhausbereich zu interpretieren, mit dem im Zeitverlauf immer mehr hochqualifiziertes Fachpersonal im medizinisch-technisch-pflegerischen Bereich benötigt wurde, während das Wirtschaftspersonal unterdurchschnittlich zunahm.
1960=100
450
Sonstiges Personal, insb. Med.Techn.P.
(1960: 58 029)
400
Pflegepersonal
350
(1960: 110 570)
Krankenhausärzte
(1960: 30 767) 300 250
Verwaltungspers.
(1960: 24 984)
200
Wirtschaftspers.
150 100
________________-----'(c:...196=-=-:.0: 138 706) +-~~--------------------------------------
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 23: Relative Bestandsänderung ausgewählter Berufsgruppen des Krankenhauswesens in den alten Ländern
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B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Besonders rasant entwickelte sich der Bestand des medizinisch-technischen Personals (in Abbildung 23 aufgrund von definitorischen Problemen unter sonstigem Personal subsummiert). In ihrer Auswirkung auf die Personalkosten sicherlich am bedeutsamsten war aber der Anstieg der absolut und relativ größten Berufsgruppe, des Pflegepersonals, und der kostenintensivsten Berufsgruppe, der Krankenhausärzte. Beide hatten sich in ihrem Bestand gegenüber dem Jahr 1960 verdreifacht. Der zwischenzeitliche Einbruch im Anstieg der Arztzahlen im früheren Bundesgebiet seit 1990 darf nicht darUber hinwegtäuschen, dass auch ihr Bestand weiter zunahm. Während im Westen ein Rückgang stattfand, wuchsen im selben Zeitraum die Arztzahlen in den neuen Ländern deutlich gegenüber den Vorjahren an.
b) Gab es eine "Arzteschwemme" und einen "Pflegenotstand" im Krankenhausbereich?
Wenn an dieser Stelle der provozierende und negativ besetzte Begriff der sog. Arzteschwemme (vgl. u. v. a. Labisch-Ziesmann / Labisch 1984; Beske 1985; Gitter / Oberender / Wannegat 1985; Herder-Dorneich 1985; Müller 1985; Neubauer 1985b; Schipperges 1985; von der Schulenburg 1985; Thiemeyer 1985; Wirzbach 1985; Klose 1993) zur Beschreibung eines überproportionalen Anstiegs der (Krankenhaus-)Ärztezahlen eingeführt wird, kann bei einem Vergleich der Arztzahlenentwicklung mit anderen Berufsgruppen des Krankenhauswesens zwar nicht das Argument der Kostensteigerung ausgeräumt werden (da bekanntlich Arzteinkommen im Durchschnitt deutlich über den Einkommen anderer im Krankenhaus beschäftigter Berufsgruppen liegen)88, jedoch aber die Vorstellung einer überproportionalen Entwicklung der Arztzahlen im Krankenhaus. Während 1970 auf einen Krankenhausarzt 3,6 Pflegepersonen entfielen, erhöhte sich diese Relation bis 1997 nur unwesentlich auf 3,8. Die Entwicklung der Arztzahlen folgte im Grunde genommen der allgemeinen Personalentwicklung im Krankenhauswesen (Abbildung 23).
88 Knapp \06000 in Krankenhäusern beschäftigte Ärzte (rund zehn Prozent aller Beschäftigten des bundesdeutschen Krankenhauswesens) verursachten 1997 nach Angaben der Krankenhauskostenstatistik des Statistischen Bundesamtes 13,8 Mrd. DM, umgerechnet 21, I Prozent der gesamten Personalkosten (Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.3, 1997). Zur Entwicklung der ärztlichen Honorare siehe auch: HerderDorneich 1975; Metze 1975; von der Schulenburg 1981; Männer 1983; Reinhardt 1983; Berg / Eberle / Paffrath 1984; Wittig 1985; Neubauer 1989; Brenner 1990; Klose 1993; Pfaff / Nagel / RindsfUsser 1993.
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
141
Dennoch war es eine der wesentlichen Strategien der deutschen Gesundheitspolitik, die im internationalen Vergleich überhöhte Zahl der Medizin-Studienanflinger zu senken (vgl. u. a. Arnold 1986; Dröge 1991). Durch eine begrenzte Zulassung als Kassenarzt mit Beschränkungsmaßnahmen wie Numerus Clausus und die Approbationsordnung sollte eine Einengung des Angebotes im Gesundheitswesens erreicht werden, die aber bekanntlich während der 1980er Jahre nicht zum gewünschten Erfolg fUhrte. 19 Der Anstieg der Arztzahlen scheint aber vorerst aufgrund verschiedener flankierender Maßnahmen infolge der dreistufigen Gesundheitsreformgesetzgebung (1988 bis 1997) unter Kontrolle geraten zu sein (vgl. Abbildung 23), und es spricht vieles dafUr, fUr die Zukunft gemäßigte Zuwachsraten anzunehmen (Pfaff / Nagel / RindsfUsser 1993; Gräb / Kühnen 1994). Allein aufgrund steigender Ärztezahlen wären aus der Sicht der Kassen erhebliche Beitragssatzsteigerungen zu erwarten gewesen (Pfaff / Nagel / RindsfUsser 1993). Mit dem GSG konnten aber die Rahmenbedingungen fUr die Arztzahlentwicklung wesentlich verändert werden, so dass zukünftig weit weniger zusätzliche Ärzte dauerhaft im Krankenhaus beschäftigt werden. Die verringerte Aufnahmefilhigkeit fUhrt aber auch zu einer erheblichen Steigerung der Zugänge im niedergelassenen Bereich, die durch eine Ausdehnung der Weiterbildungszeit auf drei Jahre und die EinfUhrung einer Altersgrenze von 68 Jahren nur zum Teil aufgefangen werden kann, so dass unbedingt eine Bedarfsplanung der Ärztezahlen 90 - mit den daraus resultierenden gesetzlichen Konsequenzen (u. a. Restriktionen der Freizügigkeit) - vorgenommen werden muss (Pfaff / Nagel / RindsfUsser 1993). Mittlerweile wird aufgrund der verschärften Maßnahmen des Gesetzgebers, die Arztzahlen zu begrenzen, insbesondere von Seiten der Ärzte, vor einer "Versorgungslücke" im ärztlichen Bereich aufgrund
09 In einer Untersuchung von Camphausen (1983) wurden bei alternativen Annahmen über die Entwicklung des Versorgungsniveaus (z. B. konstant 10,5 Krankenhausärzte je 10 000 Einwohner bzw. Anstieg bis auf 29,3 je 10 000 Einwohner im Jahr 2030) die prognostizierten Werte rur den zukünftigen Bedarf an Krankenhausärzten bereits zu Beginn der 1990er Jahre von der Realität übertroffen (vgl. Camphausen 1983: 170). 90 Bereits in den Gründungsjahren der Bundesrepublik wurde kontrovers über die rur eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung ausreichende oder notwendige Zahl an ärztlichem Krankenhauspersonal debattiert: "Wie man auch die Frage des echten Bedarfs der Krankenhäuser an tariflich besoldeten nachgeordneten Ärzten lösen mag: es wird auf lange Sicht hinaus noch eine übergroße Zahl junger Ärzte vor den Toren der Krankenhäuser stehen, die weder vom Kranken her benötigt werden, noch die das Krankenhaus angesichts seiner beschränkten Mittel zusätzlich besolden kann, auch dann nicht, wenn es seine selbstverständliche Pflicht in vollem Umfange erfüllt". (van Aubel1950: 219)
142
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
rückläufiger Neueinsteigerzahlen und Einsparungen im medizinisch-technischen Bereich gewarnt (Schacher 1996). Insgesamt erhöhte sich aber seit Gründung der Bundesrepublik der Personaleinsatz pro 100 Betten von 53 Beschäftigten (1954) bzw. 80 Beschäftigten (1970) bis auf 160 Beschäftigte im Jahre 1996. Im Jahre 1997 - nach drastischem Personalabbau (vgl. Abbildung 23) - lag die Relation bei 147. Trotz der generellen Zunahme in der Personalintensität in stationären Einrichtungen seit 1970 nimmt Deutschland nach Japan und Frankreich einen der hinteren Plätze in der Liste vergleichbarer Länder ein. Die Vereinigten Staaten filbren dabei die OECD-Länder mit mehr als 300 Beschäftigten pro Bett an (vgl. JelastopuluJ Amold 1995), was sicherlich auch ein Beleg filr die höhere Ausgabenentwicklung in den USA sein dürfte (vgl. Abschnitt II.4.b). Auch das Verhältnis Krankenhausärzte zu Krankenhausbetten hatte sich in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 1996 stark verändert. 1960 betreute ein Arzt 17,6 belegte Betten, 1970 waren es 13,0 Betten, 1980 hingegen nur noch 8,3 Betten und 1997 schließlich auf dem Gebiet der alten Länder 6,6 belegte Betten (Abbildung 24) bzw. nach der Personal-Fallzahl-Relation weniger als 148,7 Krankenhauspatienten.
30
Durchsehn. belegte Krankenhausbetten pro Arzt bzw. Pflegepersonal
25 Krankenhausltrzte (NL)
20 15 10 5 --_._-
1960
1965
1970
1975
1980
1985
Pflegepersonal (AL) -----._----
1990
1995
Jahr
Anmerkung: Seit 1990 Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen
Abbildung 24: Belastungskennziffern des Krankenhauspersonals in den alten und neuen Bundesländern
2000
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
143
In den neuen Ländern reduzierte sich die Arzt-Betten-Relation gegenüber 1960 deutlich aufgrund des forcierten Bettenabbaus in der DDR und der gleichzeitigen Bestandsvergrößerung an ärztlichem Krankenhauspersonal. Im lahre 1990 - nach neuerlichem Bettenabbau und Personalautbau bei den Krankenhausärzten - wurden bereits die Werte des westlichen Teils der Bundesrepublik erreicht (Abbildung 24). Noch deutlicher flUIt die Personal-Betten-Relation zugunsten des Personals bei der Betrachtung des Pflegepersonals aus. In Abbildung 24 ist aufgrund der NichtverfUgbarkeit von Daten aus den neuen Ländern ausschließlich die Langzeitentwicklung fUr die alten Bundesländer dargestellt. 91 Demnach nahm das Verhältnis von fUnf Pflegekräften pro Bett (1960) auf weniger als zwei Pflegepersonen pro belegtem Bett in stationären Einrichtungen (1997) ab. Der sich bis 1996 fortsetzende Mehreinsatz von Personal in Krankenhäusern 92 (bei gleichzeitigem Rückgang der wöchentlichen Arbeitszeit) galt deshalb auch als eine wesentliche Ursache fUr die Kostensteigerungen in Krankenhäusern (Breyer / Paffrath et al. 1987). Der in der Literatur häufig genannte Begriff "Pflegenotstand" ist dabei fUr die Beurteilung der Entwicklung des Pflegepersonals unter Berücksichtigung der tatsächlichen Bestandsverdreifachung seit 1960 widersprüchlich (siehe ausführlich dazu: Dinkel / Görtler / Milenovic 1991 c) und zugleich irrefilhrend, da er vorgibt, einen allgemein vorhandenen Zustand zu beschreiben, obwohl es große regionale, fach- und abteilungsabhängige Unterschiede gibt (Arnold 1992b). Außerdem wird der sog. "Pflegenotstand" meistens als Faktum behandelt, ohne dass eindeutig geklärt wurde, wo tatsächlich die Grenze zwischen befriedigenden und unbefriedigenden Zuständen oder gar Mangelsituationen zu ziehen ist (Pfaff / Was sen er 1995). Entscheidend für die Einschätzung eines "Pflegenotstands" ist die Zahl der tatsächlich fUr die Pflege verfUgbaren Kräfte, die sich aber nicht nur aus der Personal-Betten- bzw. Personal-Fallzahl-Relation absehen lässt, wie sie sich aus der Gegenüberstellung von Betten- bzw. Patientenzahl und Planstellen ergibt (vgl. u. v. a. Buttler 1985; Alber 1989; Dahlern 1989; Dieck 1990; Arnold 1991 b, 1992b). So ist beispielsweise zu berücksichtigen, dass nahezu ein Drittel aller Pflegekräfte teilzeitbeschäftigt ist. Außerdem ist bei einem Vergleich mit früheren lahren die Verkürzung der effektiven lahresarbeitszeit von ca. 1700 Stunden (1974) auf 1600 Stunden (1989) aufgrund verlängerten Urlaubs, kürzerer Arbeitszeit und höherer Fehl-
91 Aus der DDR-Statistik war eine ausschließliche Analyse des in Krankenhäusem beschäftigten Pflegepersonals nicht möglich, da in der amtlichen (öffentlich zugänglichen) Statistik der ehemaligen DDR dieser Personenkreis unter der Kategorie "Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen der DDR" subsumiert wurde. 92 Nur in Frankreich kam es Mitte der 1980er Jahre aufgrund der Umstellung der Krankenhausvergütung auf ein Globalbudget zu einem Personalabbau.
144
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
zeiten zu beachten. Zusätzlich verbirgt sich hinter dem Schlagwort "Pflegenotstand" das Problem der überdurchschnittlich hohen Fluktuation im Krankenpflegebereich, aufgrund dessen Stellen häufig nicht sofort wieder zu besetzen sind. 93 Der Personalbestand im Pflegebereich der Krankenhäuser wurde zwar erheblich aufgestockt (wenn vom Ausnahmejahr 1997 abgesehen wird), doch werden die beruflichen Anforderungen in den sozialen Berufen zunehmend als beschwerlich erlebt (mangelnde berufliche Selbstverwirklichung, tarifliche Vergütung). Neben einem subjektiv niedrigen Einkommen werden vor allem die ungünstigen Arbeits- bzw. Rahmenbedingungen in den Pflegeberufen (psychische und physische Belastung, Schichtarbeit, usw.) als Kriterien rur den nachhaltigen Imagewandel innerhalb der Berufsgruppe selbst und den daraus resultierenden "Pflegenotstand" betrachtet, der regional (in Ballungsräumen) als auch abteilungsspezifisch (im OP-Bereich oder auf Intensivstationen) durchaus unterschiedlich ausfallen kann (vgl. Engelke 1994). Für die höhere Belastung des Pflegepersonals wird neben der Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer der Krankenhauspatienten (Engelke 1994; Lind 1995; Jost! Offer 1995) und dem nach Art und Umfang weiterentwickelten bzw. spezialisierten Leistungsgeschehen im Krankenhaus auch die sich aufgrund des demographischen Wandels stattfindende Veränderung in der Patientenstruktur (Case Mix) verantwortlich gemacht (Lauffer 1991; Luithlen 1991; Rückert 1995). Ferner hat auch der Rückgang der Zahl von Zivildienstleistenden (und Nachwuchskräften) einen nicht unerheblichen, aber schwer quantifizierbaren Einfluss auf den Pflegebereich im Krankenhaus, der zwangsläufig zu einer weiteren Verschärfung beitragen wird (Jeschke / Erhardt 1992).94 Bei der Entlohnung der Pflegeberufe im Krankenhaus ist rur das zurückliegende Jahrzehnt ein erheblicher Autholeffekt zu konstatieren (Erhardt / Gliemann / Jeschke 1992). Gegenüber 1986 steigerte sich das durchschnittliche reale Einkommen bis 1991 rur OP-Schwestern um 6,5 Prozent und rur Krankenschwestern bzw. -pfleger um jährlich 6,2 Prozent. OP- und Krankenschwestern hielten somit verglichen mit anderen Berufsgruppen die Spitzenplätze bei Einkommenszuwächsen (50 Prozent und mehr Einkommenssteigerung innerhalb
93 Zu den Belastungsdimensionen, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten bei Krankenpflegeberufen siehe u. a. McCloskey 1974; Price / Mueller 1981; Pröll / Streich 1984; Beennann / Schmidt 1991; Büssing / Perrar 1991. 94 Eine Alternative fllr die Kompensation des Personalbestandes u. a. aufgrund des Rückgangs bei Lehrlingen (Gräb / Kühnen 1994) wird in der Beschäftigung häufig überqualifizierter ausländischer Fachkräfte gesehen (vgl. Pfaffeneder / Gottesleben 1991).
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
145
von fünf Jahren). Die Bezahlung dürfte - zumindest was die letzten Jahre betrifft - nicht die Ursache des sog. "Pflegenotstands" sein. Auch nimmt das Pflegepersonal unter den Personalkosten mit zwei Drittel der Gesamtkosten im Krankenhausbereich den mit Abstand größten Anteil filr sich in Anspruch. Nach der deutschen Einheit vergrößerte sich sein Kostenanteil infolge von NeueinsteIlungen und Lohnerhöhung von 36,4 Prozent (1991) auf 37,4 Prozent (1995) und lag im Jahre 1997 bei 39,5 ProzenU'
6. Die Entwicklung stationärer Leistungen eine Folge des medizinisch-technischen Fortschritts? a) Die Entwicklung des Bestandes an Großgeräten in stationären Einrichtungen
Die Zunahme der Arztzahlen ilirderte im stationären und ambulanten Bereich den vennehrten Einsatz von Großgeräten sowie im niedergelassenen Bereich auch den Trend zu Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften96, die sich durch eine relativ große Personaldecke an Arzthelferinnen und einem relativ großen Angebot an medizinisch-technischen Kapazitäten auszeichnen. Die verbesserte Ausstattung mit Personal und Gerät im ambulanten Bereich schlägt sich statistisch im wachsenden Anteil der Praxiskosten an den Umsätzen nieder. Allein die Labordiagnostik und die Material- und Wartungskosten beanspruchten 1991 im niedergelassenen Bereich etwa zehn Prozent der Ausgaben.·7 Der mit der Beschaffung von Geräten einhergehende Amortisationsdruck ilirdert die Tendenz zur Mengenexpansion. Das zeigt sich z. B. daran, dass Internisten mit eigenen Röntgengeräten ein Vielfaches der Röntgenleistungen von Kollegen ohne eigene Geräte veranlassen (Klose 1993).
•, Bei Krankenhausärzten vergrößerte sich der Anteil an den gesamten Personalkosten von 20,3 Prozent (1991) über 20,9 Prozent (1995) auf 21,1 Prozent im labre 1997 (vgl. Krankenhauskostenstatistik 1997). 96 Der Unterschied besteht darin, dass Gemeinschaftspraxen eine tatsächliche "Haushaltsgemeinschaft" praktizierender Ärzte darstellen, die Gewinne und Verluste der Praxis untereinander aufteilen, während Praxisgemeinschaften getrennte Haushaltsftlhrungen verlangen . • 7 Bei Arztpraxen unter einer lahreseinnahme von 900 Mio. DM lagen die Materialund Laborkosten unter runf Prozent aller Kosten, bei einer lahreseinnahme von 900 Mio. bis unter drei Mrd. DM zwischen runf und zehn Prozent, bei Einnahmen von drei Milliarden und mehr pro lahr bei mehr als zehn Prozent (vgl. Kostenstrukturstatistik 1991 rur Arztpraxen, Zahn- und Tierärzte, hrsg. vom Statistischen Bundesamt 1995).
10 Lebok
146
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Auch im Krankenhausbereich vergrößerte sich der Bestand an Großgeräten kontinuierlich (vgl. Gräb / Kühnen 1994; DKG 1996b; Tabelle 12) und weitaus früher als im ambulanten Bereich. Unter medizinisch-technischen Groß geräten werden in der Regel folgende Geräte zusammengefasst: Linkskatheder-Messplätze (LHM), Computer-Tomographie-Geräte (CT), Magnet-Resonanz-Geräte (MRT), Positronen-Emissions-Computertomographen (PET), Hochvolttherapiegeräte wie Linearbeschleuniger (LIN) und Tele-Kobalt-Therapie-Geräte (CO) sowie Lithropter (LIT, Gallenstein- und NierensteinzertrUmmerer). Gegenüber 1972 hat sich die Zahl der Großgeräte in deutschen Krankenhäusern bis zum Jahresbeginn 1996 fast verneunfacht (DKG 1996b: 73), wobei in den neuen Ländern Großgeräte erst ab 1990 hinzukamen. Die Entwicklung verlief vor allem deshalb so rasant, da zu Beginn der 1970er Jahre nur 76 LHM, 48 LIN und 198 CO als Großgeräte den Krankenhäusern zur VerfUgung standen. Für den enormen Anstieg der Großgerätedichte mit einem Standort nach § 122 SGB V sorgte vor allem der medizinisch-technische Fortschritt im Zusammenhang mit der Entwicklung der CTs und MRTs (vgl. Bruckenberger 1992a, 1994b, 1996; PreiBler / Cramer 1995; DKG 1996b).'8 Für die Computertomographen konnte das zunächst bestehende Gefälle zwischen alten und neuen Ländern bis 1995 vollständig beseitigt werden (Bruckenberger 1996: 282). Der Bestand an Kernspintomographen wurde in den alten Bundesländern zwischen 1991 und 1997 nahezu verdoppelt (Tabelle 12).60,6 Prozent der Geräte befanden sich 1997 in Einrichtungen mit einer Bettenkapazität von 600 und mehr Betten. Ähnlich hohe Anteilswerte, die damit auf eine Konzentration der medizin technischen Ressourcen hinweisen, besaßen im gleichen Betrachtungsjahr die CO-Geräte (58,6 Prozent) und die Linearbeschleuniger (76,8 Prozent). Starke Konzentration auf größere Krankenhäuser weisen auch die Linkskathedermessplätze mit 52,3 Prozent auf, die aufgrund einer Anschlussheilbehandlung (z. B. nach Akuttherapie bei Herzinfarkten) auch in Rehabilitationseinrichtungen relativ häufig vorzufinden sind. Nahezu tlächendeckend ist dagegen die Verbreitung von CTs, die im Jahre 1996 nur zu 34,9 Prozent in Krankenhäusern mit 600 Betten und mehr aufgestellt waren .
• 1 Am 1.1.1996 befanden sich im früheren Bundesgebiet 1139 und in den neuen Ländern 205 CTs sowie 414 MRTs in den alten und 51 in den neuen Ländern (DKG 1996b: 73).
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
147
Tabelle 12 Entwicklung des Großgerätebesatzes in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik 1991 bis 1997. Alte und neue Länder (AL, NL, jeweils zum 31.12. eines Jahres) 1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
Computertomogra-
AL: 398
AL: 455
AL: 507
AL: 540
AL: 560
AL: 591
AL: 624
phen (CT)
NL: 73
NL: 96
NL: 124
NL: 128
NL: 142
NL: 151
NL: 163
AL: 31
AL: 31
Positronen-Emiss-
AL: 38
AL: 33
AL: 32
ions-CT (PET)
NL:
NL:
NL:
Kemspitomo
AL: 82
AL: 92
AL: 100
AL: 127
AL: 160
AL: 196 AL: 219
graphen (MRT)
NL:
NL:
6
NL: 15
NL: 20
NL: 24
NL: 36 NL: 40
Koronarangiogr..
AL: 290
AL: 304
AL: 308
AL: 322
AL: 332
AL: 336
AL: 359
Meßplätze (LHM)
NL: 20
NL: 31
NL: 36
NL: 45
NL: 47
NL: 53
NL: 60
5 3
5
I
AL: 32 NL:
I
AL: 34 NL:
I
NL:
2 NL:
2
Tele-Kobalt-Thera-
AL: 152
AL: 143
AL: 157
AL: 152
AL: 133
AL: 108
AL: 78
pie-Geräte (CO)
NL: 14
NL: 17
NL: 16 NL: 15
NL: 13
NL: 11
NL: 15
Linearbeschleu-ni-
AL: 148
AL: 153
AL: 157
AL: 165
AL: 179
AL: 204
AL: 228
ger (LIN)
NL: 26
NL: 29
NL: 30
NL: 32
NL: 37
NL: 39
NL: 44
Nierensteinzer-
AL: 72
AL: 80
AL: 94
AL: 96
AL: 100
AL: 109 AL: 121
trümmerer
NL: 21
NL: 23
NL: 29
NL: 33
NL: 33
NL: 36
Gallensteinzer-
AL: 23
AL: 19
AL: 20
AL: 19
AL: 19
AL: 19
AL: 20
trümmerer
NL:
NL:
NL:
NL:
NL:
NL:
NL:
4
7
4
3
3
2
NL: 40 3
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten des Statistischen Bundesamtes
Werden alle in der amtlichen Krankenhausstatistik ausgewiesenen Geräte zum Jahresende 1997 auf die Krankenhausfallzahl bezogen, so besteht ein dichtes Netz an CTs (22 466 Fälle pro CT-Gerät in stationären Einrichtungen der alten und 18 817 Fälle pro CT in den neuen Ländern) und MRT-Geräten (64013 FällelMRT in den alten und 76679 FällelMRT in den neuen Ländern), wobei ein MRT erstmals im Jahr 1983 in einem bundesdeutschen Krankenhaus aufgestellt wurde (DKG 1996b: 72).99 Innerhalb kürzester Zeit haben dabei auch die neuen Länder den Versorgungsvorsprung des Westens fast aufgeholt. Gerade im Hinblick auf den medizinisch-technischen Fortschritt wird je nach Sichtweise aber ganz unterschiedlich argumentiert. Während der Einsatz der Großgerätemedizin einen unbestreitbaren Beitrag zur Qualitätsverbesserung des stationären Leistungsangebots leistet, ruhrt die Expansion der Hochleis-
99 Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes weichen von der DKG-Statistik ab, da die DKG auch abgestimmte und noch nicht genehmigte Geräte berücksichtigt (vgl. DKG 1996b). 10·
148
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
tungsmedizin in Krankenhäusern auch zu Mengenausweitung und damit zu Kostensteigerung.
b) Einige Anmerkungen zur Leistungsentwicklung in Krankenhäusern
In der Vergangenheit lagen nur spärliche Angaben über die Leistungsentwicklung im stationären Sektor des Gesundheitswesens vor. Mit EinfUhrung der Krankenhausdiagnosestatistik und einer umfangreicheren Krankenhauskostenstatistik werden seit den I 990er Jahren dem Gesetzgeber und den einzelnen Akteuren des bundesdeutschen Gesundheitswesens Entscheidungshilfen in die Hand gelegt, die einer ungerechtfertigten Leistungsausweitung vorzubeugen helfen sollen. Für den Zeitraum vor der Gesundheitsreform konnte dagegen nur auf Krankenhausstichproben zurückgegriffen werden, wie z. B. den sog. Diagnose- und Therapie-Index (DTI).IOO Auf der Grundlage der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 vergleicht Abbildung 25 als Indexdarstellung die relative Entwicklung der durchschnittlichen Zahl der Operationen bzw. nichtinvasiven Operationen pro Fall, der durchschnittlichen Zahl der diagnostischen Maßnahmen sowie des durchschnittlichen Pflegeaufwands pro Krankenhausfall. 101 Deutlich zu erkennen ist in dieser Darstellung, dass sich die Zahl der durchgeftlhrten Operationen um rund 30 Prozent gegenüber dem Ausgangsjahr erhöht hatte. Bei den nichtinvasiven Operationen als Teil aller operativen Eingriffe (unter Verwendung modernster Medizintechnologie) hat sich ihre Anzahl bis 1986 nahezu verdoppelt und nahm in der Folgezeit etwas ab.
100 Zur Verwendung des DTI für Fragen des Krankenhauswesens und der Interpretation der Ergebnisse im Hinblick auf Repräsentativität und Stichprobenfehler siehe ausführlich Abschnitt C.II.2.c: Krankenhausstichproben. 101 Zur Berechnung des durchschnittlichen Pflegeaufwands siehe Dinkel / Görtler / Milenovic 1991 c.
149
IV. Stationäre Versorgungsstruktur der Bundesrepublik
200
1978=100
180
Operationen insges.
160 Diagn.Maßnahmen
140
Pflegeaufwand
120 100
60
~,----~---------r--------------r--------------,
1975
1960
1965
1990
Jahr
Abbildung 25: Leistungsentwicklung in bundesdeutschen Akutkrankenhäusem im Zeitraum 1978 bis 1989 (Quelle: Eigene Berechnungen nach dem DTI)
Für die Zukunft wird der Gesetzgeber noch stärker auf eine bessere Verzahnung zwischen ambulanten und stationären Versorgungsbereichen drängen. Im Rahmen eines Ausbaus der ambulanten Operationsmöglichkeiten sollte dabei eine ambulante Nutzung von Großgeräten geilirdert werden. Zum Nachweis der Mitnutzung müssen aber verschiedene Bedingungen erftlllt sein wie Ort und Zeitpunkt der Benutzung von Großgeräten durch Dritte, Kostenbeteiligung (Raummiete, Betriebskosten) oder Fragen des Weisungsrechts gegenüber dem Personal (Bruckenberger 1994b). Die ErfUllung dieser Kriterien ft1hrt zwar zu einem Verwaltungsmehraufwand im Krankenhaus. Dennoch verspricht sich der Gesetzgeber durch die Möglichkeit des ambulanten Operierens eine Abmilderung der Kostenentwicklung. Strukturverändemde Einschnitte sind auch durch die kurzstationäre Chirurgie (short-stay-surgery) zu erwarten, die in den USA inzwischen bei etwa 50 Prozent der operativen Eingriffe praktiziert wird. Insbesondere bei minimal-invasiven endoskopischen Operationstechniken sind die Eingriffe rur den Patienten weniger belastend und komplikationsärmer. Angesichts der Tatsache, dass die minimal invasive Chirurgie eine schnellere Genesung des Patienten ermöglicht (und dadurch die Verweildauer senkt), "wird der Druck auf die Krankenhäuser zur Anwendung dieser Operationstechniken zunehmen" (Lohfert / Muschter 1992: 816).
150
B. Das Krankenhauswesen der Bundesrepublik Deutschland
Trotz Verweildauerreduktion wird von manchen Autoren aufgrund der Fallpauschalensystematik auch mit einem erheblichen Kostenanstieg gerechnet. Beispielsweise wäre in Zukunft durchaus auch davon auszugehen, "dass die sog. akute Galle (Fallpauschalen-Nr. 12.01 und 12.02) häufiger abgerechnet wird als die elektive Galle (FP-Nr. 12.03 und 12.04), weil erstgenannte einen um ca. 800 bis 1000 DM höheren Erlös für ein Krankenhaus erwirtschaftet" (Scheinert 1994: 216). Ähnliche Entwicklungen lassen sich für zahlreiche andere chirurgische Eingriffe vermuten. Auch bei Appendektomien dürften laparoskopische Operationen (FP-Nr. 12.06) gegenüber offen chirurgischen Eingriffen (FP-Nr. 12.05) bevorzugt werden, was sich nicht nur auf die besondere Technik der Laparoskopien zurückführen ließe, sondern eben auf den höheren Punktwert der Laparoskopien.102 Folglich hätte der medizinisch-technische Fortschritt im über Entgelte finanzierten System eine doppelseitige Wirkung auf das Leistungsgeschehen: Einmal werden verbesserte modeme (aber auch teurere) Techniken gegenüber anderen vermehrt angewandt, zum anderen verleitet die höhere (finanzielle) Einstufung der moderneren Techniken zu einer entsprechend häufigeren Nutzung gegenüber billigeren und möglicherweise gleichwertigen Techniken.
7. Zusammenfassung Das deutsche Krankenhauswesen befmdet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Unter Beibehaltung des Postulats einer bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen soll das Krankenhaus stärker betriebswirtschaftlich handeln und dadurch zu einer abgemilderten, den Beitragssatz der Kassen nicht zusätzlich belastenden Kostenentwicklung beitragen. Das Krankenhaus war dabei aber weit weniger aus eigenem Antrieb Verursacher verschiedener struktureller Entwicklungen, die später als unwirtschaftlich oder ineffizient deklariert wurden, sondern es reagierte vielmehr auf die gesetzlichen Vorgaben. In einer Zeit, als von einer Krise des deutschen Krankenhauswesens gesprochen wurde, sind zusätzliche Bettenkapazitäten geschaffen worden. Infolge des zwanzig Jahre später als "Bettenberg" kritisierten Bettenausbaus weist die Bundesrepublik Werte in der Krankenhausbettendichte auf, die vergleichbar sind mit der Bettendichte anderer Industrieländer. Im Zuge des medizinisch-
102 Für die gesamte Bundesrepublik repräsentative Ergebnisse über das Verhalten des im Krankenhaus beschäftigten Personals bei veränderten Rahmenbedingungen der Leistungsabrechnung liegen aber bis dato noch nicht vor.
IV. Stationäre Versorgungs struktur der Bundesrepublik
151
technischen Fortschritts erfolgte ein Ausbau und eine Konzentration der baulichen, technischen und personellen Ressourcen im Krankenhauswesen. Auch hielten sich die bundesdeutschen Krankenhäuser an den von der Regionalplanung avisierten Vorgaben einer "optimalen" Bettennutzung. Einzig und allein problematisch erschien (zunächst) der Anstieg der Krankenhausfallzahlen, dessen Ursachen aber multifaktoriell sind und mit größter Sicherheit nicht allein auf das duale Krankenhausfinanzierungssystem zu schieben sind. Inwieweit das monistische Finanzierungssystem und die von zahlreichen Wissenschaftlern päferierte marktorientierte Ausrichtung zu einer wie auch immer gearteten Kostenentiastung im Krankenhauswesen beiträgt, muss die Zukunft noch zeigen. Auch lässt sich heute mit Gewissheit nicht prognostizieren, ob sich unter diesen Vorgaben der im internationalen Vergleich hohe Standard des deutschen Krankenhauswesens ohne Qualitätseinbußen halten lässt. Zumindest hat der Gesetzgeber Restriktionen auf den Weg gebracht, die all diejenigen als negativ bewerteten Entwicklungen im stationären Bereich aus der Vergangenheit eindämmen sollen. Neben der Reduktion um überflüssige Betten, um Fehlbelegung und übermäßige Krankenhausnutzung sowie einer stärker gesteuerten Bedarfsplanung des Krankenhauspersonals soll vor allem die Verweildauer weiter gesenkt werden. Viele dieser Entwicklungen haben dabei aber bereits zu Zeiten des dualen Finanzierungssystems ihren Anfang genommen.
c. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern I. Einf"ührung in die Thematik Die durchschnittliche Verweildauer gibt für den Krankenhausbereich an, wie lange Behandlungsfälle im Durchschnitt ein Bett belegen. Sie wird gebildet aus der Anzahl der Krankenhausflille und der Anzahl der Pflegetage (in der Literatur auch als Pflegetagevolumen bekannt). In Zeiten, als die Effizienz des deutschen Krankenhauswesens kontrovers diskutiert wurde, geriet vor allem die durchschnittliche Verweildauer wegen ihrer als "zu hoch" bewerteten Mittelwerte ins Zielfeuer öffentlicher Kritik. I Neben dem sog. "Bettenberg" und der dualen Finanzierung mit tagesgleichen Pflegesätzen galt sie als einer der Hauptindikatoren für ein "ineffizient handelndes Krankenhaus". Eine Veränderung in der durchschnittlichen Verweildauer korreliert dabei nicht nur mit der krankenhausinternen Organisations- und der regionalen Versorgungsstruktur sondern auch mit der Patienten struktur (Case Mix). Je (demographisch) älter eine Bevölkerung in einer Region beispielsweise ist, desto größere demographische Effekte könnten auf das Zustandekommen der durchschnittlichen Verweildauer einwirken. Die rein demographische Komponente der Verweildauerentwicklung soll ausführlich im dritten Kapitel (D. Der Einfluss der demographischen Parameter auf die Entwicklung der Verweildauer) thematisiert werden. In diesem Kapitel wird in erster Linie davon zu sprechen sein, wie Verweildauermittelwerte berechnet werden und worauf zu achten ist, wenn das Maß "durchschnittliche Verweildauer" für Fragen des Gesundheitswesens interpretiert wird.
I Zur Kritik an der Verweildauerentwicklung in bundesdeutschen Krankenhäusern siehe u. v. a. Schmid 1962; Döttl / Renner 1976; Siebig 1980a, 1980b; Wachtel 1984; Wiemeyer 1984; Arnold 1986, 1992a; Breyer / PaiTrath 1986; Herder-Dorneich / Wasem 1986; Hinderer 1988; Infratest Gesundheitsforschung / Klar 1988; Neubauer / Demmler 1989; Sachverständigenrat 1989, 1991; Klitzsch 1988; Adam 1991; Dröge 1991; Düllings 1991; Bruckenberger 1992b; Eichhorn 1993; Pfaff / Wassener 1995; Buck 1997.
H. Datengrundlagen für Verweildaueranalysen
153
Auch wenn die durchschnittliche Verweildauer in der Vergangenheit häufig als ein wichtiges Strukturmaß rur die bundesdeutsche Krankenhausversorgung verwendet wurde, um internationale Vergleiche anzustellen, kann der uneingeschränkte Vergleich der Mittelwerte zu zahlreichen Fehlschlüssen fUhren. Kaum beachtet wird in der gegenwärtigen Literatur über Verweildauerentwicklungen im Krankenhaus, dass es verschiedene Verweildauerdefmitionen gibt, die im Ergebnis mehr oder weniger stark voneinander abweichen können. Wie stark letztlich die Verweildauermittelwerte je nach verwendeter Verweildauerdefmition variieren, wird rur die Bundesrepublik mit Hilfe von Krankenhausstichproben zu zeigen sein. Ein filr das weitere Vorgehen der eigenen Untersuchung wesentlicher Aspekt ist die ausruhrliche Beschreibung der in der Bundesrepublik bestehenden Datenlage, auf deren Grundlage differentielle Verweildauerentwicklungen vorgestellt und später im dritten Kapitel eigene Verweildaueranalysen unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung angestellt werden. Unter Verwendung der zugänglichen Daten wird allgemein die Verweildauerentwicklung in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik (und der ehemaligen DDR) beschrieben und in Bezug auf die Ausfilhrungen des ersten Kapitels (Kostenentwicklung, Reformansätze der Gesundheitspolitik) diskutiert. Schließlich wird in einem abschließenden Abschnitt des zweiten Kapitels zu klären sein, ob die Betrachtung der durchschnittlichen Verweildauer allein ausreicht, um das Verweildauergeschehen in Krankenhäusern abzubilden. In diesem Zusammenhang werden generelle Probleme bei der Interpretation von Mittelwertmaßen erörtert und alternative Darstellungsmöglichkeiten vorgestellt, die zusammen mit Verweildauermittelwerten einen klareren Einblick in Verweildauerstrukturen erlauben.
11. Datengrundlagen für Verweildaueranalysen in Deutschland 1. Amtliche Daten a) Amtliche Krankenhausstatistik Die zeitlich am weitesten zurückreichende Quelle rur Verweildaueranalysen des deutschen Krankenhauswesens ist die Krankenhausstatistik der Bundesrepublik, die eine Fortsetzung der bereits im Deutschen Reich 1877 begonnenen Reichskrankenhausstatistik ist. In ihr wird die Patientenbewegung in stationären Einrichtungen des jeweiligen Kalenderjahres erfasst, wobei zu Zeiten des Deutschen Reiches zeitweise einzelne Krankenhausfachabteilungen unberücksichtigt blieben. Die Krankenhausstatistik über die Krankenbewegung in statio-
154
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
nären Einrichtungen enthält Angaben über die Zahl der Aufnahmen, der Entlassungen, der Stundenfälle, der im Krankenhaus Verstorbenen sowie Angaben über die Zahl der Pflegetage. Für die Fallzahl der amtlichen Bundesstatistik seit 1954 gilt, dass sie als Grundgesamtheit aller auf dem Gebiet der Bundesrepublik (in seinen jeweiligen Grenzen) stationär behandelten (Krankenhaus)Fälle aufzufassen ist. Mit der amtlichen Krankenhausstatistik sind Aussagen über die Verweildauerentwicklung in der Bundesrepublik nach den Trägem eines Krankenhauses, nach Fachabteilungen und nach Bundesländern (seit 1965) möglich. Seit 1990 wird zwischen der Art der stationären Einrichtung in der Definition gemäß Krankenhausstatistikverordnung 1990 unterschieden (Krankenhäuser nach SGB V und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen) sowie nach der Bettenzahl der Einrichtungen (vgl. Statistisches Bundesamt: Grunddaten der Krankenhausstatistik, verschiedene Jahre). Die zuvor gültige Unterscheidung der Allgemeinkrankenhäuser nach Krankenhäusern der Akutversorgung und Sonderkrankenhäusern wurde aufgegeben. Wie bereits weiter oben beschrieben sind Langzeitbetrachtungen der Verweildauer wegen der definitorisch bedingten Verschiebungen in der Zuordnung der Krankenhaustypen laut Krankenhausstatistikverordnung nur auf der Ebene der Fachabteilungen oder auf der Aggregatebene "Gesamtheit aller stationären Einrichtungen" möglich. Weitere Unterscheidungen rür Verweildaueranalysen sind mit der amtlichen Krankenhausstatistik, die in erster Linie Auskunft über Patientenbewegung, Bettenzahl und Bettenbelegung, Großgeräteausstattung sowie Personalbestandsveränderungen in stationären Einrichtungen liefern soll, nicht möglich. Für demographische Fragestellungen kann bei Verwendung der amtlichen Krankenhausstatistik folglich nur auf undifferenzierte Gesamtzahlen (Fallzahlen, Pflegetage, usw.) zurückgegriffen werden. Neben Angaben zur Altersstruktur fehlen auch Angaben zur Geschlechterverteilung vollständig. Eine Ausnahme bildet lediglich die der Krankenhausstatistik zugeordnete Statistik über Entbindungen und im Krankenhaus geborene Säuglinge. Nur in diesem Fall erfolgt eine kontinuierliche Differenzierung der Säuglinge nach dem Geschlecht2 •
2 Auch die im Krankenhaus verstorbenen Krankenhausfälle wurden in der Krankenhausstatistik bis einschließlich 1989 nach dem Geschlecht differenziert. Mit der Krankenhausstatistikverordnung 1990 wurde diese obligatorische Auswertung eingestellt.
11. Datengrundlagen für Verweildaueranalysen
155
b) Krankenhausdiagnosestatistik
Da die amtliche Krankenhausstatistik in ihrem Grundprogramm den Einsatz multivariater Analysemethoden kaum zuließ und keine alters-, diagnose- und behandlungsspezifischen Aussagen erlaubte, wurde im Zuge der Diskussion um eine Nationale Gesundheitsberichterstattung3 die amtliche Krankenhausdiagnosestatistik eingeftlhrt. Die Krankenhausdiagnosestatistik nach der Krankenhausstatistikverordnung von 1990 ist eine auf den Krankenhausaufenthalt bezogene Erhebung, bei der fiir jeden aus dem Krankenhaus entlassenen Patienten (incl. der im Krankenhaus Verstorbenen) ein Datensatz erhoben wird (Gräb 1996: 75). Bei mehrfach im Jahr vollstationär behandelten Patienten wird jeder Krankenhausaufenthalt einzeln nachgewiesen. Bei der Fallzahlberechnung nicht berücksichtigt werden dagegen vor- oder nachstationäre, teilstationäre und ambulante Behandlungen. Die altersgruppen- und diagnosespezifische Verteilung teilstationärer Patienten erfolgt aber in gesonderten Tabellen der Krankenhausdiagnosestatistik. Insgesamt werden folgende Patientenmerkmale erfasst: Geschlecht; Geburtsmonat und -jahr; Zugangs- und Abgangsdatum (Tag, Monat, Jahr); Sterbefall Ga, nein); Hauptdiagnose; Operation im Zusammenhang mit der Hauptdiagnose; Fachabteilung, in welcher der Patient am längsten gelegen war; Wohn- und Behandlungsort des Patienten (Postleitzahl, Gemeindename). Die monokausale Verschlüsselung der Hauptdiagnosen erfolgt bis dato nach dem dreistelligen Code der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen (lCD), 9. Revision. Für die Formulierung der Hauptdiagnose in der Krankenhausdiagnosestatistik ist bei Entlassung des Patienten der fiir die Behandlung zuständige Arzt verantwortlich. In den nächsten Jahren soll die umfangreich erprobte ICD-10 als Klassifikation ftlr Mortalität und Morbidität zum Einsatz kommen und letztendlich auch in der Gesundheitsberichterstattung die ICD-9 ablösen. Die neue Bezeichnung "Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" spiegelt die erweiterten Anwendungsgebiete der ICD-10 wider (Braun / Diekmann 1991). Insgesamt ist die ICD-lO inhaltlich deutlich differenzierter ausgestaltet und ist trotz gleicher Grundprinzipien strukturell anders gegliedert!
J Zur Einführung einer Nationalen Gesundheitsberichterstattung und der Rolle der Krankenhausstatistik siehe u. a. Hoffmann 1990, 1993; Fidler 1993; Hoffmann / Böhm 1995; Murza / Hurrelmann 1996. 4 Die wichtigsten Änderungen der ICD-I0 gegenüber der ICD-9 sind die alphanumerische Notation, die eine statistisch explizitere Diagnosefeststellung erlaubt, die teilweise Nichtbesetzung dreistelliger Codes, um bei Folgerevisionen größere Umstellungen zu
156
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
Die Krankenhausdiagnosestatistik ist rur die Bundesrepublik ab dem Jahr 1993 öffentlich zugänglich. Während es sich bei der Krankenhausstatistik (Erhebungsprogramm: Grunddaten) um eine Totalerhebung aller Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen handelt, liefert die Krankenhausdiagnosestatistik nur Angaben der Krankenhäuser nach SGB V. Die Auskunftspflicht der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen bezieht sich ausschließlich (und nur eingeschränkt) auf die Grunddaten (Gräb 1996; Reister 1997). Die AntwortausflUle, die noch 1993 bei 3,8 Prozent aller Krankenhausfälle lagen, werden kontinuierlich reduziert, indern Abgrenzungsprobleme weiter ausgeräumt werden (Gräb 1996: 76). Mit der Krankenhausdiagnosestatistik sind aber insgesamt repräsentative Aussagen über die Verweildauer in Krankenhäusern nach Einzelalter, Geschlecht, Diagnosegruppen und EinzeIdiagnosen möglich. Zudem können Verweildauerunterschiede diagnose- und altersspezifisch zwischen operierten und nichtoperierten Patienten, zwischen verstorbenen und nichtverstorbenen Behandlungsfällen, nach der regionalen Herkunft der Patienten, nach Fachabteilungen und in Kombination der Variablen miteinander festgestellt werden. Erstmals besitzt die Bundesstatistik ein Instrumentarium ftlr die Dokumentation von Entwicklungen im Krankenhauswesen, mit dem auch multivariate Analysen zu einern sinnvollen Einsatz kommen könnten. Die Unterscheidung zwischen alten und neuen Ländern wird dagegen in den amtlichen Publikationen nicht mehr ausgewiesen, wäre aber über den Postleitzahlenschlüssel möglich.
c) Krankenhausstatistik der ehemaligen DDR
Eine Unterscheidung der Daten nach alten und neuen Ländern ist vor allem rur alters- und diagnosespezifische Langzeitbetrachtungen der Verweildauer empfehlenswert, da ftlr das Gebiet der ehemaligen DDR entsprechende Daten ftlr einen langen Zeitraum vorliegen. In der DDR bestanden zwei Erhebungsprogramme zur Krankenhausstatistik, die Statistik zur Bettenmeldung in Kran-
vermeiden und notwendige Erweiterungen vornehmen zu können, die Eingliederung der Zusatzklassifikationen der ICD-9 in die Gesamtstruktur der ICD-IO, die Neueinteilung mancher Hauptdiagnosegruppen (z. B. Immunopathien, Krankheiten der Augen und Ohren), die veränderte Reihenfolge der Anordnung bestimmter Kapitel (Urogenitalsystem, Schwangerschaften), die Berücksichtigung von Erkrankungen, die nach Operationen oder medizinischen Maßnahmen auftreten und inhaltlich zum jeweiligen Kapitel gehören, und vor allem die neue Logik der ICD-Klassifikation (vgl. Braun /Diekmann 1991).
H. Datengrundlagen flir Verweildaueranalysen
157
kenhäusern der DDR (seit 1952), die mit der bundesdeutschen Krankenhausstatistik vergleichbar ist, und die Statistik zum dokumentationsgerechten Krankenblatt (seit 1969), die in etwa der amtlichen Krankenhausdiagnosestatistik entspricht. Beide Programme wurden auf dem Gebiet der neuen Länder nach der deutschen Einheit und nach Übernahme der amtlichen Bundesstatistik eingestellt (vgl. Institut rur Medizinische Statistik und Datenverarbeitung 1990). Während Auswertungen der Bettenmeldestatistik Verweildaueranalysen nach Bettenzahl, Trägerschaft, Bezirken und Kreisen und nach Art und Fachabteilungen der Krankenhäuser zulassen Gedoch ohne demographische und diagnosebezogene Angaben), erfasste die Krankenblattstatistik der DDR alle Patienten in stationären Einrichtungen der DDR und differenzierte diese nach einem relativ breiten Merkmalskatalog.
Mit diesem Instrumentarium sind seit 1969 rur das Gebiet der neuen Länder Aussagen über die Entwicklung der Krankenhausverweildauer nach Alter, Geschlecht, Diagnosegruppen und Einzeldiagnosen möglich und Unterscheidungen nach spezifischen Merkmalen wie Mortalität, durchgefiihrte Operation (incI. präoperative Verweildauer), Bettenzahl, Fachabteilung und Region können getroffen werden. Wie rur die (Bundes-)Krankenhausdiagnosestatistik seit 1993 gilt auch rur die Krankenblattstatistik der ehemaligen DDR, dass Monokausalität besteht, so dass bei multivariaten Verweildaueranalysen der Aspekt der Multimorbidität nicht berücksichtigt werden kann. Auch sind die Defmitionen der Verweildauer in beiden DDR-Erhebungsprogrammen unterschiedlich gewesen: In der Krankenblattstatistik wurde die durchschnittliche Verweildauer fachabteilungsbezogen errechnet, in der Bettenmeldestatistik einrichtungsbezogen (vgl. Abschnitt IV .l.c). Eine direkte Vergleichbarkeit der beiden Datenquellen ist somit nur mit zahlreichen Einschränkungen möglich. Ein anderes Problem stellte sich zu Zeiten der DDR bei der Berechnung krankheitsbezogener Verweildauerangaben ein: Die Umstellung der Diagnosestatistik infolge von ICD-Revisionen. Dies geschah in der Krankenblattstatistik der DDR im Jahre 1979, als von der ICD-8 auf die ICD-9 umgestellt wurde, was rur eine diagnosespezifische Auswertung zur Folge hatte, dass es Probleme in der Zuordnung von Krankheiten nach Diagnosegruppen gab.
d) Mikrozensus
Eine weitere repräsentative Quelle der amtlichen Statistik rur Verweildaueranalysen liegt mit dem Mikrozensus vor. Bei diesem Datensatz handelt es sich um eine einprozentige, über Haushaltsbefragungen gewonnene repräsentative Bevölkerungsstichprobe der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1957 wurde diese Erhebung regelmäßig rur jedes Kalenderjahr (bis auf wenige Ausnahmen) durchgeruhrt (Emmerling / Riedel 1997). Für die Mikrozensusbefragungen be-
158
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
steht grundsätzlich Auskunftspflicht. Die entsprechenden Regularien regelt das Mikrozensusgesetz.' Der Mikrozensus hat aufgrund seiner sozioökonomischen Grundstruktur vor allem die Aufgabe, kontinuierliche Informationen über die HaushaItsstrukturen und die Erwerbstätigkeit der Bevölkerung zu liefern (vgl. Esser / Grohrnann et al. 1989). Neben den arbeitsmarktbezogenen Analysen hat der Mikrozensus aber auch die Funktion, ergänzende und vertiefende Informationen aus bestimmten Einzelbereichen wie Bildung, Wohnung aber auch Gesundheit bereitzustellen. Insbesondere die gelegentlich durchgefUhrten Fragen zur Gesundheit im Mikrozensus (die Erhebungsjahre 1963, 1966, 1968, 1970, 1972, 1973, 1974, 1976, 1978, 1980, 1982, 1986, 1989, 1992, 1995, 1999) ermöglichen zusätzliche Untersuchungen zur Krankenhausverweildauer (vgl.u.a. Heim 1994). Der Zusatzfragebogen "Fragen zur Gesundheit" ist dabei eine 0,5 prozentige (Personen-)Stichprobe, deren Bestandteil seit 1986 freiwillig ist. Konsequenz der Freiwilligkeit in der Auskunft ist, dass auch AusflilIe im AntwortverhaIten festzustellen sind." Da in der Regel von den in die Erhebung gelangenden Probanden nur eine Minderheit tatsächlich einen KrankenhausaufenthaIt (mit Angaben über die AufenthaItsdauer) hatte, sind bei der Interpretation der Ergebnisse aus den Mikrozensus-Erhebungen Stichprobenfehler u. ä. zu berücksichtigen. Die Altersstruktur der KrankenhausflilIe und die daraus resultierende altersspezifische Krankenhausverweildauer können daher aus den genannten Gründen von der Krankenhausdiagnosestatistik eines gesamten Kalenderjahres abweichen. Dennoch kann eine Auswertung des Mikrozensus ergänzende Informationen zur Entwicklung der Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik liefern, zum al vor 1993 in der amtlichen Bundesstatistik fUr das Gebiet der früheren Bundesrepublik keine geschlechts- und alters spezifischen Angaben vorlagen. Ein weiteres auf dem Mikrozensus aufbauendes Instrumentarium ist das in allen EU-Mitgliedsländern erstmals seit 1994 durchgefUhrte sog. Europäische
5 Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchfllhrung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt vom 17.12.1990 stellt unter der Prämisse eines Schutzes der Persönlichkeitsrechte eine Wende dar: Seit der Umsetzung des Gesetzes ist die Beantwortung zahlreicher Frage freiwillig (Riedel / Emmerling 1994a, 1994b; Emmerling / Riedel 1997). " In der seit 1986 freiwilligen Zusatzbefragung "Fragen zur Gesundheit" lag die Ausfallquote z. B. im Rahmen der Mikrozensus-Befragung 1992 bei 10,3 Prozent (Riedel / Emmerling I 994a: 734). Zur Schwierigkeit der Freiwilligkeit und der damit verbundenen Qualitätseinbuße in der statistischen Datenautbereitung (insbesondere auch bei Gesundheitsfragen) siehe Brennecke 1981; Esser / Grohmann et al. 1989; Riedel / Emmerling, 1994a, 1994b.
11. Datengrundlagen für Verweildaueranalysen
159
Haushaltspanel. In Deutschland werden in diesem Erhebungsprogramm ca. 5000 Haushalte nach sozialen Indikatoren befragt. In dieser Befragung ist auch ein Teil mit Fragen zur Gesundheit integriert (Fragen über subjektiven Gesundheitszustand, Krankheit, Krankenhausaufenthalt, psychosoziale Beschwerden), weIche europaweite Vergleiche erlauben. Erste Auswertungen des EUHaushaltspanels wurden filr die Bundesrepublik erstmals im Jahr 1997 veröffentlicht (vgl. Stirn er 1997).
2. Nichtamtliche Daten a) GKV-Krankheitsartenstatistik
Bereits seit 1937 existiert eine von den gesetzlichen Krankenkassen gefilhrte Krankheitsartenstatistik (Statistik über Arbeitsunfähigkeits- und Krankenhausfälle nach Krankheitsarten). Grundlage der Krankheitsartenstatistik ist die Geschäftsstatistik über die Leistungsfiille der Krankenkassen. Während die vom Bundesminister filr Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Jahresberichte über die gesetzliche Krankenversicherung nur die Gesamtzahl der von allen Krankenkassen erfassten Leistungsfälle und -tage enthalten, gibt die Krankheitsartenstatistik7 die Fälle und Tage der Arbeitsunfiihigkeit und Krankenhausbehandlung (seit 1950) zusätzlich auch nach Krankheitsarten und dem Alter der Versicherten wieder. Die Krankenhausfiille sind dabei ein Teil der Arbeitsunfiihigkeitsfiille und somit in ihrer Zahl enthalten. Bei der Verwendung der GKV-Krankheitsartenstatistik sind zahlreiche Unwägbarkeiten zu beachten. Zunächst erfasst diese Statistik Leistungsfälle, d. h., Krankenhausfiille erscheinen dementsprechend erst dann in der Statistik, wenn sie abgeschlossen sind, und zwar mit der Gesamtzahl der zu einem Leistungsfall gehörenden Tage (Leistungstage). Wenn die Kosten nicht vollständig oder teilweise von den Krankenkassen getragen wurden (sondern von Trägem der Renten- oder Unfallversicherung), so werden diese Fälle nicht nachgewiesen. Ein großes Problem besteht in der Repräsentativität der GKV-Krankheitsartenstatistik, da erst mit Verabschiedung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Statistik in der gesetzlichen Krankenversicherung von 1984 die GKVKrankheitsartenstatistik verpflichtend fur alle Krankenversicherungsträger ab 1986 auszuweisen war. Beispielsweise beteiligten sich 1984 freiwillig nur die
7 Seit 1995 wird die Krankheitsartenstatistik vom Bundesministerium rur Gesundheit herausgegeben, die Jahrzehnte davor vom Bundesministerium rur Arbeit und Sozialordnung.
160
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die landwirtschaftlichen Krankenkassen, die Seekrankenkasse und die Bundesknappschaft, nicht aber die Ersatzkassen. In den 1950er und 1960er Jahren waren sogar noch weniger Kassenarten beteiligt, was sich dementsprechend auch auf die Repräsentativität dieser Daten für Verweildauervergleiche niederschlägt. Eine weitere Schwierigkeit bei der Interpretation der Krankheitsartenstatistik besteht darin, dass die monokausalen diagnosebezogenen Angaben keine Vollerfassung darstellen, sondern in Form von Stichprobenerhebungen und Hochrechnungen der Kassen gewonnen wurden. Wie bei der amtlichen Statistik werden Mehrfacheinweisungen jeweils einzeln gezählt. Fälle von Entbindungsanstaltspflege werden erst vom siebten Tag nach der Entbindung zum Krankenhausfall und entsprechend mit den dazugehörigen Trägern als Krankenhausbehandlung gezählt (Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1990: 9). Schließlich wurde die Tabellenstruktur in der GKV-Krankheitsartenstatistik mehrfach abgewandelt, was eine durchgehende Darstellung von Entwicklungen nach einzelnen Merkmalen erschwert.
b) Prozess- und Paneldaten
Neben den aufgezählten amtlichen Datenquellen und der GKV-Krankheitsarten statistik gibt es eine Reihe von nichtamtlichen Krankenhausdaten, mit denen sich die Verweildauerentwicklung analysieren lässt. Bedeutende "halbamtliche" Daten sind Sonderauswertungen der GKV-Krankheitsartenstatistik, die für einzelne Krankenkassen durchgeführt wurden sowie Auswertungen von PKV-Versichertendaten (vgl. PKV-Zahlenbericht 1995/96; Wasem 1997) 8. Während einige Autoren ausschließlich Versicherten daten gegenüberstellen (z. B. Pfeiffer 1991; Zoike 1991; Meierjürgen / Schulte 1994; Wasem 1997), versuchen andere Autoren Routinedaten der GKV versicherten-, fall- und personenbezogen auszuwerten, um differenzierte Angaben zur stationären Versorgung zu erhalten (Dörning / Blitzer et al. 1995). Mit einer personenbezogenen Analyse der Krankenversichertendaten einzelner Kassen lassen sich u. a. Rehospitalisierungsraten (Wiedereinweisungsquoten) diagnosespezifisch berechnen. Einen anderen Ansatz verfolgen Swart / Robra et al., die in Zusammenarbeit mit der AOK Magdeburg die Daten sämtlicher Krankenhausfälle von Versi-
• Zu einzelnen Ergebnissen solcher Sonderauswertungen siehe u. a. Zoike 1991; Meierjürgen / Schulte 1994; Döming / Blitzer et al. 1995; Swart / Böhlert et al. 1996; Swart / Robra / Leber 1997.
11. Datengrundlagen tur Verweildaueranalysen
161
cherten der AOK Magdeburg im Jahr 1995 in Anlehnung an die GKV-Routinestatistik erhoben und auswerteten, um zu einer statistisch gestützten Qualitätssicherung beizutragen. Ziel der Untersuchungen war, eine Grundlage ftlr eine regionale Vergleichbarkeit von GKV-Prozessdaten zu schaffen, die es erlaubt, Unterschiede in Patienten- und Versorgungsstruktur einzelner Krankenhäuser in einer Region herauszufinden. Beispielsweise kann mit Hilfe der personenbezogenen Prozessdaten der Frage nachgegangen werden, ob eine vergleichsweise hohe Krankenhausverweildauer auf einen hohen Anteil an älteren, multimorbiden und chronisch kranken Patienten in einem Krankenhaus hindeutet (Swart / Robra / Leber 1997: 13). Die Gegenüberstellung der Resultate aus diesen Datenanalysen soll unter Hinzuziehen von amtlichen Strukturdaten der Gesundheitsversorgung die Regional- und Krankenhausplanung erleichtern. Eine weitere wichtige Datenquelle ftlr Verweildaueranalysen liefert das Sozioäkonomische Panel (SOEP). Seit 1984 (Erste SOEP-Welle) wurden jährlich mehr als 10 000 Personen im Alter von 16 und älter in rund 6000 Haushalten befragt. Die Besonderheit des SOEP ist dabei, dass aufgrund der Wiederholungsbefragung der Haushalte Längsschnittuntersuchungen möglich sind. Zu beachten ist aber bei Analysen mit dem SOEP, dass die Repräsentativität der Daten stark vom jeweiligen Untersuchungsziel abhängt. Beispielsweise wurde in den ersten beiden Wellen (1984 bis 1985) ein überdurchschnittlicher Ausländeranteil befragt, um auf unterschiedliche Verhaltensmuster von Einheimischen und Ausländern zu schließen (Düllings 1991: 99 f.). Dennoch sind auch auf der Grundlage des SOEP Verweildaueranalysen über die in den jeweiligen Haushalten erfassten Personen möglich, wurden aber bislang kaum durchgeftlhrt. Prinzipiell von der Erhebung im SOEP ausgeschlossen sind Haushaltsangehörige mit Krankenhausaufenthalt, die im Krankenhaus gestorben sind, da sie vom Erhebungsdesign nicht erfasst werden. Im Gegensatz zur GKV-Krankheitsartenstatistik sind Entbindungsflille unter den Krankenhausflillen im SOEP vollständig erfasst.·
c) Krankenhausstichproben: Der Diagnose- und Therapie-Index (DTI)
Neben den genannten Prozess- und Paneldaten bestehen zahlreiche Krankenhausstichproben, die von medizinischen Untersuchungen mit geringer Fallzahl und Repräsentativität bis zu sehr großen Datensätzen reichen. Ein solches Datenerhebungssystem ist beispielsweise der Diagnose- und Therapie-Index
9 Zur Analyse des Gesundheitsverhaltens und der Krankenhausinanspruchnahme mit Daten des SOEP siehe Düllings 1991.
11 Lcbok
162
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
(DTI) der Fa. Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung (seit 1998: G+I Gesundheitsforschung GmbH), der auf der Basis einer jährlichen Stichprobe von ca. 6000 Fällen regelmäßig über die Struktur der Krankenhausfälle, ihrer Diagnosen und Therapien in Allgemeinkrankenhäusern lO der Bundesrepublik Deutschland berichten soll. Seit 1978 erhebt Infratest diese Krankenhausstichproben auf dem Gebiet der alten Bundesländer und West-Berlin und setzt damit eine bereits in den 1950er Jahren begonnene Tradition umfangreicher Krankenhausanalysen des Deutschen Krankenhausinstituts (0 KI) fort. 11 Ausschließlich rur das Jahr 1990 wurde die Datenerhebung um das Gebiet der neuen Bundesländer erweitert (vgl. Infratest Gesundheitsforschung 1991).
Die Grundgesamtheit dieser jährlichen Stichproben besteht jeweils aus allen Patienten in Krankenhäusern rur Akutkranke mit mindestens 50 Betten auf dem Gebiet der alten Bundesländer. Neben der Inneren Medizin (incl. Infektionskrankheiten, Allgemeinmedizin und Intensivpflege ), der Säuglings- und Kinderheilkunde, der Chirurgie, Urologie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe sind im Datensatz auch Stationen der Fachrichtungen Orthopädie, HNü-Erkrankungen, Haut- und Geschlechtserkrankungen und Augenkrankheiten berücksichtigt. Die hieraus zu ziehende Stichprobe ist eine mehrstufig geschichtete Zufallsstichprobe. Die erste Stufe basiert auf der Grundlage der Krankenhausverzeichnisse des Statistischen Bundesamtes und differenziert die Krankenhäuser nach Bundesländern, zehn Bettengrößenklassen und der Zweckbestimmung (Fachrichtung). Die zweite Stufe besteht aus der Stationenstichprobe und einer Patientenerhebung in den ausgewählten Stationen (vgl. Infratest Gesundheitsforschung 1989: Anhang; Völlink 1991). In systematischer Zufallsauswahl wird pro Krankenhaus die gleiche Zahl von Pflegeeinheiten (Stationen) ausgewählt, wobei die Schichtung über Größenklassen und regionale Verteilung berücksichtigt wird. Auch werden alle Daten von entlassenen bzw. verstorbenen Patienten nach Zufallsauswahl bestimmter Wochen erhoben. Die Erhebungswochen decken insgesamt für jedes Jahr den Berichtszeitraum gleichmäßig ab. Vor Beginn eines jeden Kalenderquartals wird die Stationenstichprobe nach den beschriebenen Kriterien gezogen und die ärztlichen Leiter sowie die Ver-
10 In erster Linie wurde der DTI als Repräsentativstichprobe fIlr die Darstellung der Entwicklung der Struktur und Behandlung von Patienten in bundesdeutschen Akutkrankenhäusern eingerichtet. 11 Vom Deutschen Krankenhausinstitut wurden bereits seit 1956 jährlich Erhebungsprogramme über die Krankenbewegung und Krankheitsarten in Krankenhäusern durchgefUhrt. Das sog. DKI-Lochkartensystem wurde aber Mitte der 1960er Jahre eingestellt. Ergebnisse des DKI-Programmes finden sich bei DKI 1958; Fehler 1961, 1962; Fehler I Leich I Vonessen 1964; Fehler I Kandziora I Neuhaus 1969.
11. Datengrundlagen für Verweildaueranalysen
163
waltungsleiter der in die Stichprobe gefallenen Krankenhäuser benachrichtigt, in welcher Station und welcher Woche erhoben werden soll. Die Krankenhausstichproben des DTI enthalten neben soziodemographischen Variablen (Alter, Geschlecht, Familien- und Versicherten status) und Angaben zur Typisierung des Krankenhauses bzw. der Station, in welcher der Patient behandelt wurde (Bettenzahl, regionale Zuordnung, Fachabteilung), alle wichtigen Informationen zur Krankenhausbiographie der gezogenen Patienten. Im einzelnen sind folgende Informationen verfilgbar: Angaben zu Körpergröße und Körpergewicht; Angaben über alle getroffenen Haupt- und Nebendiagnosen sowie deren Bestätigung und Dauer; Angaben zu Aufnahmeursache, Entlassungsart und Verweildauer; Angaben zu Pflegeintensität, gemessener Körpertemperatur und Blutdruckwerte; Angaben zu allen durchgefiihrten medizinischen Therapien (incl. operative Eingriffe) und diagnostischen Maßnahmen (inel. Verschreibung und Dosierung von Arzneimitteln), woraus Relevanzzeit und Erfolg der Behandlung ableitbar sind. Im Gegensatz zu den meisten anderen Quellen erlaubt der DTI eine Verweildaueranalyse unter Berücksichtigung der Stundenfillle und der Multimorbidität. 12 Wegen der vielfilltigen Erhebungsmerkmale wird der DTI im weiteren Verlauf der Untersuchung genutzt, um vor allem auf die Fragestellungen Antworten zu erhalten, die mit Daten der amtlichen Statistik nicht zu beantworten sind.
3. Zusammenfassung Für Verweildaueranalysen in deutschen Krankenhäusern stehen mehrere Dateninstrumente zur Verfilgung. Das Spektrum reicht von wenig repräsentativen Krankenhausstichproben mit kleiner Fallzahl bis hin zur Totalerhebung aller in einem Jahr registrierten Fallzahlen und Pflegetage durch die amtliche Krankenhausstatistik. Da die Fallzahlendefmition sowie die Erhebungsprogramme in den verschiedenen Quellen voneinander abweichen, sind auch unterschiedliche Verweildauermittelwerte zu erwarten. Ein großes Problem bei der Verwendung der verschiedenen Datenquellen besteht darüber hinaus in der Kontinuität der Erhebungsprogramme. Nur in den seltensten Fällen liegen stärker differenzierte Verweildauerangaben fiir einen längeren Beobachtungszeitraum vor. Nach Alter und Diagnosen differenzierte Fallzahlen und Pflegetagevolumina gibt es in der Bundesstatistik erst nach Einfilhrung der Krankenhausdiagnosestatistik im
12 Für die vorliegende Untersuchung wurde von Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung der Diagnose- und Therapie-Index der Jahre 1978 bis 1989 für Verweildaueranalysen zur Verfugung gestellt. Berechnungen nach 1989 basieren dabei auf von Infratest durchgeführte Auswertungen.
11"
164
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
Jahre 1993. Für die Jahre zuvor können zur Beschreibung demographischer und epidemiologischer Sachverhalte im Fall der alten Bundesländer ausschließlich Stichprobenergebnisse verwendet werden.
m.
Definition und Berechnung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer 1. Definition der durchschnittlichen Venveildauer nach der amtlichen Krankenhausstatistik a) Einrichtungsbezogene Verweildauer
Die Krankenhausverweildauer ergibt sich aus der Anzahl der stationären Pflegetage und der Fallzahl (Summe der BehandlungsflUlell ) eines Berichtszeitraumes (in der Regel eines Kalenderjahres). Das Maß durchschnittliche Verweildauer L (eng!.: average length 0/ hospital stay, ALDS) gibt dabei die Anzahl der Tage an, die ein Behandlungsfall im Durchschnitt stationär behandelt wurde. Die durchschnittliche Verweildauer eines Berichtszeitraumes t wird demnach wie folgt berechnet: (2)
L,
=!.!J.... C,
wobei: Ht Summe der Pflegetage eines Berichtszeitraumes (hospital days) Ct Summe der (Krankenhaus)Fallzahlen eines Berichtszeitraumes (cases)
Pj1egetage (H) sind nach der Mitternachtsstatistik in der amtlichen Bundesstatistik all diejenigen Verweildauertage, an denen ein Patient über Nacht in einem Krankenhaus verweilt (= Summe der an den einzelnen Tagen eines Kalenderjahres um 24.00 Uhr stationär untergebrachten Personen). Stundenfälle (z. B. Krankenhauseinweisung um 8.00 Uhr und Entlassung nach erfolgter Untersuchung um 15.00 Uhr) verursachen somit laut Mitternachtsstatistik keine
Il Die Summe der Patienten eines Krankenhauses in einem Jahr t muß nicht identisch sein mit der Summe der Behandlungsfltlle. Beispielsweise könnte ein Patient X in einem Jahr aufgrund irgendeiner chronischen Erkrankung dreimal im Krankenhaus behandelt worden sein. Die Zahl der Patienten wäre in diesem Beispiel eins, die Zahl der Behandlungsfltlle aber drei.
III. Definition und Berechnung der Verweil dauer
165
Pflegetage und werden bei der Fallzahlberechnung von der Gesamtzahl aller Krankenhausbehandlungsfiille subtrahiert. Grundsätzlich lässt sich die durchschnittliche Verweildauer nicht nur direkt über Pflegetagevolumen und Fallzahlen berechnen (Formel (2», sondern auch indirekt über die Fallhäufigkeit f (frequency) und die Relation Pflegetage pro Bezugsbevölkerung h (Pflegetagehäufigkeit). Die Bezugsbevölkerung wäre im Falle der amtlichen Krankenhausstatistik die mittlere Wohnbevölkerung P.'· Die Fallhäufigkeit f (gelegentlich auch als "Krankenhaushäufigkeit" bezeichnet) über alle Altersstufen x und rur beide Geschlechter (M, F) wird dabei gebildet aus: 100
LC{'1·F (x) (3)
I,
=
I~O
·10000
L~M.F(x)
o Die Relation Pflegetage pro 10 000 Einwohner der mittleren Bevölkerung P oder Pflegetagehäufigkeit h errechnet sich dementsprechend: 100
LH{'1·F (x) (4)
h, =
o
·10000
100
LP,M.F (x)
o Wenn gilt, dass L = H / C, errechnet sich die durchschnittliche Verweildauer auch aus den beiden reIationalen Maßen hund f: (5)
h, L,=-
I,
Die Fallzahl der vollstationär in stationären Einrichtungen (seit 1991: Krankenhäuser plus Reha- oder Vorsorgeeinrichtungen) behandelten Patienten wird nach der amtlichen Krankenhausstatistik aus Krankenhauszu- und -abgängen gebildet (vgl. Formel (6». Stundenfiille bleiben sowohl bei Aufnahmen als auch bei Entlassungen unberücksichtigt. Auch teilstationär und ambulant behandelte Patienten wie gesunde Neugeborene gehen in die Berechnung der
'4 In der GKV-Krankheitsartenstatistik werden die stationären Behandlungsfl111e und Krankenhaustage der LeistungsflilIe auf die Gesamtzahl der gesetzlich Versicherten bezogen.
166
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
Krankenhausfallzahl nicht ein. Ergibt sich aber filr ein Neugeborenes eine Behandlungsbedürftigkeit (z. B. bei Affektionen, die ihren Ursprung in der Perinatalzeit haben), wird es in der entsprechenden Fachabteilung (und damit in der gesamten stationären Einrichtung) als Patientenzugang gefilhrt. In der amtlichen Krankenhausstatistik wird zwischen einrichtungs- und fachabteilungsbezogener Fallzahl unterschieden (Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.1, 1998). Die einrichtungsbezogene Fallzahl eines Kalenderjahres C(inst,t) errechnet sich aus:
c.
(6)
ms','
= A,
-z, + E, +D, -z, 2
2
wobei: At Krankenhauseinweisungen im Jahr t (= Aufnahmen von außen) Et Krankenhausentlassungen im Jahr t (= Überlebende) Zt Stundenfälle Dt Krankenhaussterbefälle Nach der bundesdeutschen Krankenhausstatistik wird die durchschnittliche (einrichtungsbezogene) Verweildauer (L) demnach aus allen in stationären Einrichtungen gezählten Pflegetagen, Zugängen und Abgängen (incl. Sterbefälle) eines Jahres gebildet. Wird Formel (6) in Formel (2) eingesetzt, ergibt sich L auch: (7)
"Patienten, die vor Beginn des Berichtsjahres in ein Krankenhaus aufgenommen wurden und erst nach Beendigung des Berichtsjahres aus einem Krankenhaus entlassen werden, bleiben wie der Anfangs- und Endbestand des Jahres unberücksichtigt. Patienten, die nur über einen Jahreswechsel in einem Krankenhaus liegen, werden (n!1herungsweise) zur Hälfte berücksichtigt". (Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 6.1, 1996: 8) Eine vollständige Erfassung aller Fälle tritt nach dieser Formel nur dann ein, wenn die Zahl der vor dem 1.1. eingewiesenen Personen gleich der Zahl der nach dem 31.12. im Krankenhaus verbliebenen Patienten ist.
b) Fachabteilungsbezogene Verweildauer In Analogie zur einrichtungsbezogenen Fallzahl setzt sich die fachabteilungsbezogene Fallzahl aus den Aufnahmen in die Fachabteilung von außen (außerhalb der Fachabteilung, ohne Stundenfälle), den Entlassungen aus der
III. Definition und Berechnung der Verweil dauer
167
Fachabteilung (ohne Stundenfälle) und den Sterbefällen innerhalb der Fachabteilung jeweils desselben Kalenderjahres zusammen. Zusätzlich zur einrichtungsbezogenen Fallzahldefinition berücksichtigt die fachabteilungsbezogene Fallzahl die internen Verlegungen stationärer Einrichtungen zwischen den Fachabteilungen. In den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen gibt es in der Regel keine Stundenfälle und interne Verlegungen, weshalb die fachabteilungsbezogene Fallzahl in diesem Fall um die genannten Größen bereinigt wird (vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie, 12, Reihe 6.1, 1997). Die fachabteilungsbezogene Krankenhausfallzahl wird wie folgt berechnet: (8)
Cdepl/ =
A, +MA,-Z,
,
2'
E, +M E , +D,-Z,
+ - - - - -2" - - - -
wobei: At Einweisungen (= Aufnahmen von außen) Et Krankenhausentlassungen Zt Stundentalle Dt Krankenhaussterbetalle MA,t Verlegungen aus anderen Abteilungen ME,t
Verlegungen in andere Abteilungen
Entsprechend der Fonnel (8) errechnet sich eine fachabteilungsbezogene durchschnittliche Verweildauer aus der Summe der in einer Fachabteilung gemessenen Pflegetage und der in Fachabteilungen registrierten Behandlungsfälle (z. B. durchschnittliche Verweildauer von in Geburtshilfeabteilungen behandelten Frauen). Bei einem Vergleich der einrichtungs- und fachabteilungsbezogenen Fallzahl (und der daraus abgeleiteten durchschnittlichen Verweildauer) ist zu beachten, dass die Summe der Behandlungsfälle in Krankenhäusern und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen kleiner ist als die Summe aller Fachabteilungsfälle, da die einrichtungsbezogenen Fallzahlen keine internen Verlegungen enthalten. Folglich reduzieren Verlegungen zwischen Fachabteilungen auch die durchschnittliche Verweildauer in den an der Verlegung beteiligten Fachabteilungen. Darüber hinaus sind fachabteilungsspezifische Verweildauerangaben aus Abteilungen mit relativ langen Behandlungszeiträumen (z. B. Psychiatrie) vorsichtig zu interpretieren, da nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes die Personengruppen mit "überlanger" (mehrjähriger) Verweildauer bei den Mittelwertsberechnungen häufig unberücksichtigt bleiben.
168
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
Die amtliche Krankenhausstatistik verwendet bei der Verweildauerberechnung sowohl Einweisungen als auch Entlassungen als Mitternachtsbestände und bezieht diese auf die Summe der Verweildauertage. 1S Mit dieser Vorgehensweise erhofft man sich eine näherungsweise Erfassung der Fälle, die zu Beginn eines Kalenderjahres bereits im Krankenhaus gelegen waren bzw. zum Ende des Beobachtungszeitraumes (zum 31.12. eines Jahres) noch nicht entlassen wurden. Die amtliche Verweildauerdefinition der bundesdeutschen Krankenhausstatistik (Formel (7)) ist aber längst nicht die einzige existierende Methode, Verweildauermittelwerte zu berechnen. Verschiedene Alternativvorschläge sind bekannt, die zu verschiedenen Zwecken auch zur Anwendung gelangen können (Studienstiftung der Verwaltungsleiter Deutscher Krankenanstalten 1958; Fehler / Leich / Vonessen 1964).
2. Alternative Verweildauerdefinitionen und deren Unterschiede zur amtlichen Berechnungsmethode a) Alternative Definitionen Eine alternative Methode zur Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer in einem Kalenderjahr t dividiert die Anzahl der Pflegetage durch den Anfangsbestand T~ 11 eines Krankenhauses an Patienten zum 1.1. eines Kalenderjahres plus aller weiteren Zugänge im Jahr t (Formel (9)). Eine weitere Variante dividiert das gesamte Pflegetagevolumen eines Jahres durch die Summe der Zugänge desselben Jahres (Formel (10), vgl. Fehler / Leich / Vonessen 1964). Eine vierte Berechnungsvariante teilt das Pflegetagevolumen des Berichtsjahres plus die Anzahl der Pflegetage des Anfangsbestandes des Vorjahres minus die Anzahl der Pflegetage des Endbestandes aus dem laufenden Jahr durch die Zugänge plus Anfangsbestand minus Endbestand (vgl. Formel (11)). Schließlich wird in einer ftlnften Berechnungsalternative die Summe der Pflegetage aller Entlassenen H(E,t) durch die Anzahl aller Entlassenen E(t) dividiert (Formel (12)) :
IS Wenn beispielsweise drei Personen in einem Krankenhaus vollstationär behandelt wurden, PI vom 27.12 im Jahrt - 1 bis zum 2.1. im Jahrt, P2 vom 3.3. bis zum 10.3. im Jahr t und P3 vom 27.12. im Jahr t bis zum 10.1. im Jahr t + 1, so errechnet sich nach Formel (6) eine Fallzahl im Jahr t von 2. Die Anzahl der Pflegetage H(t) ist 1 + 7 + 5. Der noch ausstehende Behandlungstag des Einweisungsfalles PI des Jahres t-l ist bei der Berechnung von H(t) mitberücksichtigt. Unberücksichtigt bleiben dagegen die im Jahr t + 1 erfolgten Behandlungstage von P3. Nach Formel (7) errechnet sich somit eine durchschnittliche (einrichtungsbezogene) Verweil dauer von 6,5 Tagen.
III. Definition und Berechnung der Verweildauer
,
(12)
(T"I.1. +A,-Z , )
H,
L, =----'-(A, -Z,)
(10)
(11)
H,
L -_
(9)
169
L _ (H, + H ,_I,I.1. - H ,,31.12') (A, - Z, + T,- I ,1.1. - T, ,31.12')
,-
H
E,' ,- E,+D,-Z,
L _
Da es m.E. in Formel (10) wenig plausibel erscheint, die Gesamtzahl aller Pflegetage eines Jahres auf die Summe der Krankenhauseinweisungen zu beziehen, wird vom Verfasser in Anlehnung an Formel (12) eine weitere Berechnungsformel vorgeschlagen, in der ausschließlich die Summe der Pflegetage von Aufnahmen eines Jahres t H(A,t) auf die entsprechende Zahl der Aufnahmen A(t) bezogen wird (Formel (13». Zusätzlich wurde Formel (9) vom Verfasser modifiziert, indem neben der Summe der Pflegetage im Berichtsjahr auch die bisher erlebten Pflegetage der Stichtagsbevölkerung Berücksichtigung finden (Formel (14». (13)
(14)
L _ I -
L _ I -
H A,I (A,-Z,) H , + H O .1.
(T" I.I. +A, -Z,)
Alle genannten Formeln könnten in verschiedenen Quellen angewandt werden. Es dürfte dabei kaum anzunehmen sein, dass beispielsweise in Länderstatistiken ausschließlich Formel (7) bei der Berechnung einrichtungsbezogener Verweildauermittelwerte zum Einsatz gelangt, zumal selbst die amtliche Bundesstatistik zwei unterschiedliche Formeln anwendet (Formeln (7) und (12». Beispielsweise wird die durchschnittliche Krankenhausverweildauer der seit 1993 eingefilhrten Krankenhausdiagnosestatistik nach Formel (12) berechnet. Diese Formel wurde im übrigen auch in den DDR-Statistiken verwendet und müsste angewendet werden, wenn aus den Angaben des Mikrozensus und der GKV-Krankheitsartenstatistik Verweildauermittelwerte filr Personen mit Krankenhausaufenthalt gebildet würden, da sich in diesen Quellen die Angaben zu Pflegetagevolumen und Fallzahl ausschließlich auf Krankenhausentlassungen beziehen. Wie stark die Verweildauermittelwerte unter Anwendung der verschiedenen Definitionen in der Vergangenheit voneinander abgewichen sind, kann letztlich mit Sicherheit nicht bestimmt werden, da die hierfUr notwendi-
170
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
gen Angaben in den entsprechenden Publikationen des Statistischen Bundesamtes unvollständig sind, um alle Definitionen rur die mittlere Verweildauer anwenden zu können. Einzig und allein mit Hilfe von Krankenhausstichproben, wie beispielsweise mit dem DTI rur die Jahre 1978 bis 1989, können die anzunehmenden Unterschiede im Mittelwertergebnis überprüft werden.
b) Auswirkungen unterschiedlicher Definitionen auf die mittlere Verweildauer
Bereits in den 1960er Jahren wurde die amtlich gewählte Definition der durchschnittlichen Verweildauer kritisiert und als Alternative Formel (12) empfohlen (vgl. Fehler / Leich / Vonessen 1964). Diese Formel soll nach einer Untersuchung des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) eine genauere Berechnung der durchschnittlichen Verweil dauer erbringen, da nur die Pflegetage aller entlassenen Patienten durch die Anzahl der Entlassenen eines Jahres dividiert werden (Fehler / Leich / Vonessen 1964: 5). Um dies zu überprüfen, werden am Beispiel der DTI-Stichproben rur die Jahre 1978 bis 1989 die verschiedenen Alternativen zur Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer in der Logik der Mitternachtsstatistik angewendet. Um eine exakte Anwendbarkeit der Verweildauerberechnungsmethoden zu erreichen, muss der DTI neu strukturiert werden, da im DTI das Stichprobenjahr nicht immer mit dem Behandlungsjahr identisch ist. In Tabelle 13 sind in Spalte (I) rur jedes Jahr die jeweilige Stichprobengröße und in Spalte (2) die Anzahl der Pflegetage aller im Stichprobenjahr registrierten Krankenhausfälle dargestellt. Die durchschnittliche Verweildauer der DTI-Stichproben resultiert aus der Division der Spalte (2) durch Spalte (1). Im Zähler und Nenner sind beispielsweise rur das Jahr 1978 die Angaben der in die Stichprobe gelangten Krankenhausfälle enthalten, ganz gleich, ob ein Fall tatsächlich im Jahr 1978 eingewiesen wurde oder bereits 1977 oder noch früher und unabhängig davon, in welchem Jahr der Fall das Krankenhaus verließ. Für die Anwendung der verschiedenen Verweildauerformeln werden aus den einzelnen DTI-Stichproben (nach Erhebungsjahr) neue Stichproben (nach Aufnahme bzw. Entlassungsjahr) gebildet. Diejenigen Fälle in einer DTIStichprobe des Erhebungsjahres t, die beispielsweise in einem Jahr t - n eingewiesen und in einem Jahr t - n aus dem Krankenhaus entlassen wurden, werden bei Aufnahmen und Entlassungen dem Behandlungsjahr t-n zugewiesen. Fälle, die im Erhebungsjahr t bereits in t - n eingewiesen und erst in t aus dem Krankenhaus entlassen wurden, werden bei Aufnahmen dem Jahr t-n, bei Entlassungen dem Jahr t zugeordnet. Fälle, die aber vor 1978 in ein Krankenhaus eingewiesen und auch vor 1978 entlassen wurden, bleiben bei der Neudefinition der
III. Definition und Berechnung der Verweildauer
171
Tabelle 13 Ausgewählte Angaben zu Fallzahlen und Pflegetagevolumen in den DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 (Mitternachtsbestände, ohne Stundenflllle) (I)
(2)
(3)
(4)
Jahr t
Stichpr.
Pflegetage
Durchsehn. Verweild.
Aufnahme im Jahrt
(n)
(Hn)
(L=Hjn)
(AJ
1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989
4694 5164 4122 5184 5980 5997 6017 5933 5431 5441 5478 5493
71660 77375 62866 81425 86002 80363 78970 74184 65538 63468 61623 63455
15,27 14,98 15,25 15,71 14,38 13,40 13,12 12,50 12,07 11,66 11,25 11,55
5094 5206 3760 5393 5744 6779 5793 5623 4912 5546 5515 5249
5045 5230 3789 5288 5792 6823 5742 5676 4951 5486 5566 5328
76226 74785 54758 80607 78864 88345 74221 67932 58165 63316 61642 60295
78087 78042 57203 83044 83120 90980 75761 69876 59614 64159 62884 61229
64934
866929
13,35
64614
64716
839156
863999
insges.
(5)
(6)
(7)
Entlass. Pflegetage Pflegetage im Jahrt im Jahrt d. Entlass. im Jahrt (HJ (EJ (HEJ
Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten des DTI, 1978 bis 1989
Aufnahmen und Entlassungen in den DTI-Stichproben 1978 bis 1989 unberücksichtigt. Die Anzahl der Ptlegetage H setzt sich entsprechend der Terminologie der amtlichen Statistik aus allen Patiententagen eines Kalenderjahres t zusammen. Ein Patienten- oder Verweildauertag ist in diesem Fall jeder einzelne Tag im Jahr t, den ein Patient im Krankenhaus verbracht hatte. Falls ein Patient A zum Beispiel am 20.12.1977 eingewiesen wurde und seine Entlassung zum 5.1.1979 erfolgte, so errechnen sich filr den Patienten A im Behandlungsjahr 1978 insgesamt 365 Patiententage. Die Tage vor dem 1.1.1978 und nach dem 31.12.1978 bleiben bei H{l978) unberücksichtigt. Für das Jahr 1979 müssten die im Jahr 1979 registrierten filnf Aufenthaltstage bei der Berechnung von H( 1979) nach Formel (7) berücksichtigt werden. Spalte (7) in Tabelle 13 beinhaltet die Summe der Ptlegetage aller im Berichtsjahr aus dem Krankenhaus entlassenen Patienten H(E,t). Im Gegensatz zu Spalte (6) gehen in diese Ptlegetageberechnung auch die Aufenthaltstage der entlassenen Krankenhauspatienten ein, die vor
172
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
dem Berichtsjahr stattgefunden hatten. Im Fall des oben genannten Beispiels eines Patienten A würden das Jahr 1979 insgesamt 12 + 365 + 4 Tage verrechnet werden. Entsprechend der Angaben in Tabelle 13 lassen sich insgesamt drei Verweildauermittelwertvarianten berechnen. Neben der Berechnungsformel der amtlichen Krankenhausstatistik kann die durchschnittliche Verweildauer nach Formel (10) aus den Aufnahmen eines Berichtsjahres (Krankenhauseinweisungen zwischen dem 1.1 und 31.12. eines Jahres) und der Gesamtzahl aller zwischen dem 1.1 und 31.12. registrierten Patiententage berechnet werden, als auch ein ausschließlich auf Entlassungen bezogener Verweildauermittelwert. Allein schon aufgrund der unterschiedlichen Fallzahlen bei Aufnahmen und Entlassungen (vgl. Tabelle 13) müssen sich leichte Unterschiede in den Verweildauermittelwerten ergeben.
In Tabelle 14 sind alle Ergebnisse der Verweildauerberechnungen auf der Grundlage der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 zusammengestellt. 16 Dabei wurden Verweildauermittelwerte fllr jedes einzelne Kalenderjahr t berechnet sowie fllr den Gesamtbetrachtungszeitraum 1978 bis 1989. Wenn die einzelnen Verweildauerergebnisse bewertet werden, gilt zunächst festzuhalten, dass die durchschnittliche Verweildauer im Beispiel der DTI-Stichproben 1978 bis 1989 je nach verwendeter Definition zwischen 12,65 und 13,35 Tagen schwankt. Die Verweildauer der vom Statistischen Bundesamt verwendeten Definition (Formel (7)) erbringt im Durchschnitt Verweildauermittelwerte, die sich ungefähr in der Mitte des Spektrums möglicher Werte befindet. Es ist folglich auch anzunehmen, dass auch die veröffentlichten Mittelwerte der amtlichen Krankenhausstatistik stets im mittleren Bereich der möglichen Werte nach anderen Verweildauerdefinitionen lagen. Das Ergebnis ist dabei durchaus plausibel, da nach der Logik der Formel (7) auf der einen Seite Aufnahmen und Entlassungen nur hälftig berücksichtigt sind. Zudem setzt sich die Anzahl der Pflegetage in Formel (7) aus Aufenthaltstagen zusammen, die von Patienten stammen können, die nicht als Aufnahmen oder Entlassungen im Berichtsjahr registriert wurden.
16 Weil rur die Berechnung nach Fonnel (11) die Stichtagsbevölkerung zum 1.1. des Vorjahres mitsamt dem bis zu diesem Stichtag realisierten Pflegetagevolumen bekannt sein müssen, ist die durchschnittliche Krankenhausverweildauer in dieser Variante erst mit dem Jahr 1979 beginnend berechenbar.
III. Definition und Berechnung der Verweildauer
173
Tabelle 14
Die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer (L) im Akutkrankenhausbereich nach unterschiedlichen Verweildauerdefinitionen auf der Grundlage des DTI (Mitternachtsbestände, ohne Stundenfälle)
L (11)
L (12)2
14,33
14,31
15,48 14,92
14,56
14,45
14,60
15,10
14,95
15,26 13,58
15,70
13,73
15,38 13,44
13,02
13.,3
12,92
13,09
13,33
12,81
12,84
12,95
13,19
11,61
12,93 11,94
12,08
12,00
12,00
12,31
11,48
11,76
11,84
11,71
11,69
12,04
L (7) 1
L (9)
L (14)
L (10)
1978
15,04
14,80
15,14
14,33
13,88
15,16 14,48
14,96
1979 1980
14,37
14,51 15,09
13,95 14,95
14,58
1981
15,40
1982
13,67
13,13
13,84
1983
12,99
12,64
1984
12,87
12,66
1985
12,02
1986
11,79
L (13)
14,35
1987
11,48
11,39
11,55
11,42
11,53
11,57
11,70
1988
11,13
10,79
1I,ül
11,18
11,09
11,09
11,30
1989
11,40
11,14
11,31
11,49
11,31
11,23
11,49
12,98
12,65
13,03
12,99
12,96
12,91
13,35
19781989
Quelle: Eigene Berechnungen mit Daten des DTI, 1978 bis 1989 1
Definition der Krankenhausstatistik (Erhebungsprogramm: Grunddaten)
2 Definition der Krankenhausdiagnosestatistik, DDR-Statistiken, im Mikrozensus und in der GI(V-Krankhcitsartcnstatistik
Die höchsten Verweildauermittelwerte erhält man nach Anwendung der vom Deutschen Krankenhausinstitut favorisierten Formel (12). Bei einer ausschließlichen Berücksichtigung von Entlassungen (und aller Pflegetage der im Jahr t entlassenen Fälle) liegt nach dem DTI der Jahre 1978 bis 1989 die gewonnene durchschnittliche Verweildauer im Mittel um 2,9 Prozent über den Verweildauermittelwerten nach Formel (7). Die Abweichungen von Formel (12) sind dabei gegenüber Formel (7) um so stärker, je weiter zurück das betrachtete Kalenderjahr liegt. Dabei gilt: Je größer der Anteil der Aufnahmen mit einem Beginn der stationären Behandlung zu einem Zeitpunkt ton ist, desto stärker flUIt in einem Jahr t die Abweichung zwischen Formel (12) und Formel (7) aus. 17
17 Eine entscheidende Rolle spielen in diesem Zusammenhang die sog. Langliegerquoten (Anteil der Langzeitpatienten mit 28 und mehr Krankenhausaufenthaltstagen an allen Krankenhausfällen), vgl. Abschnitt V.I.d.
174
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
Im Fall der Formel (10) verkleinert sich insgesamt der Nenner gegenüber Formel (7), da nur die Aufnahmen eines Jahres durch die Gesamtzahl aller Patiententage in einem Kalenderjahr dividiert werden. Somit liegen die Werte im Durchschnitt geringfügig über den Verweildauermittelwerten nach Formel (7). Ein etwas abweichendes Resultat erhielte man, wenn ausschließlich die Pflegetage der im Berichtsjahr aufgenommenen Fälle H(A) gezählt würden (Formel 13): Gegenüber Formel (7) lägen dann die Werte für den Gesamtbetrachtungszeitraum um 0,2 Prozent darunter. Niedrigere Mittelwerte als in Formel (7) resultieren aus fast allen Berechnungen, in denen Stichtagsbevölkerungen in Krankenhäusern zu berücksichtigen sind. Gemäß Formel (9) errechnen sich Verweildauerdurchschnittswerte, die im Mittel um 2,6 Prozent niedriger sind als in Formel (7) und damit insgesamt zu den niedrigsten Mittelwerten führen. Dies ist allein dem Umstand zuzuschreiben, dass in dieser Formel die Fallzahlen (= der Nenner in Formel (9)) erhöht wurden, indem zu den Aufnahmen die Fallzahl der Stichtagsbevölkerung zum 1.1. addiert wurde. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Pflegetagevolumens der Fälle, die zum 1.1. eines Jahres bereits x Tage im Krankenhaus liegen (Formel (14)), würden sich die Mittelwerte im Durchschnitt knapp über den Werten von Formel (7) befinden, wobei die Ergebnisse stark von der jeweiligen Stichprobengröße zum l.l (oder 3l.l2.) eines Jahres abhängen. Würden zudem nach Formel (11) die Stichtagspopulationen zum l.l des Vorjahres und zum 3l.l2. des Berichtsjahres in die Berechnung eingehen, würden annähernd Verweildauermittelwerte ermittelt wie in Formel (13) (vgl. Tabelle 14). Als Fazit bleibt aus den Berechnungen mit den Daten der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 festzuhalten, dass bei Anwendung der Verweildauerdefinitionen nach Formel (10), (14) und vor allem (12) die vergleichsweise höchsten Mittelwerte resultieren, die Anwendung der Formel (9) erbringt dagegen die niedrigsten Verweildauerdurchschnittswerte. In der Mitte des Spektrums möglicher Verweildauermittelwerte befinden sich die nach Formel (7) berechneten Werte. Es spricht folglich auch nichts dagegen, die Definition der amtlichen Krankenhausstatistik im weiteren Verlauf zu verwenden. Zum einen liegen mit der Krankenhausstatistik die am weitesten in die Vergangenheit zuTÜckreichenden Informationen über die Verweildauerentwicklung in Krankenhäusern vor, zum anderen - und das ist der wesentliche Aspekt - erbringt diese Formel durch die hälftige Berücksichtigung der "Ausreißer" am Beginn und am Ende eines Betrachtungsjahres Verweildauermittelwerte, die ungefähr dem Durchschnitt aller möglichen Verweildauerergebnisse entsprechen. Insgesamt weichen aber die Ergebnisse nach den unterschiedlichen Berechnungsformeln relativ geringfügig voneinander ab. Die Abweichung gegenüber der "amtlichen" Verweildauerdefinition ging dabei mit den Jahren zurück, was damit zu-
III. Definition und Berechnung der Verweildauer
175
sammenhängt, dass der Anteil der Personen, deren Krankenhausbehandlung bereits in einem Vorjahr begann (im weitesten Sinne: Langlieger) abgenommen hat.
3. Zusammenfassung Ein häufig bestehendes Problem bei der Interpretation von Verweildauerdurchschnittswerten aus unterschiedlichen Quellen ist die Auswahl an verschiedenen Verweildauerdefinitionen. Neben der amtlichen Bundesstatistik, die in der Krankenhausstatistik sowohl Aufnahmen als auch Entlassungen bei der Verweildauerberechnung berücksichtigt, dürften vor allem Formeln Verbreitung gefunden haben, die entweder nur die Aufnahmen oder nur die Entlassungen eines Kalenderjahres in den entsprechenden Formeln berücksichtigen. Mit den Daten der OTI-Stichproben konnte fUr den Zeitraum 1978 bis 1989 veranschaulicht werden, dass beide Varianten im Durchschnitt niemals mehr als drei Prozent von den Werten der von der amtlichen Krankenhausstatistik gewählten Verweildauerberechnungsmethode abweichen. Die Unterschiede in den verschiedenen Verweildauerdefinitionen nehmen dabei mit Rückgang der Fälle ab, die über die Grenzen eines Berichtszeitraumes hinweg im Krankenhaus liegen. Die durchschnittliche Verweildauer dürfte gegenwärtig nur noch relativ geringfUgig in den einzelnen Berechnungsmethoden schwanken. Je weiter aber in die Vergangenheit zurückgegangen wird, desto größer dürften die Abweichungen der jährlichen Mittelwerte aufgrund unterschiedlicher Formelanwendungen ausfallen.
176
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
IV. Die Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik Deutschland 1. Die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik
a) Die Verweildauerentwicklung seit 1877
Wie bei der Entwicklung der Fallzahlen lässt sich auch die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer fi1r Deutschland (Deutsches Reich als GesamteinheitlB ) auf der Grundlage der Krankenhausstatistik bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Einschränkend zur Datensituation muss aber angemerkt werden, dass erst ab 1910 in den verwendeten Angaben der Reichsstatistik Entbindungskrankenhäuser berücksichtigt sind. In den Jahren 1878 bis 1880 fehlen zudem die Angaben über Krankenhäuser rur Augenkrankheiten. Abbildung 26 zeigt den Entwicklungsverlauf der durchschnittlichen Verweildauer in stationären Einrichtungen nach Formel (7) rur das Deutsche Reich bis 1939 und ab 1956 fUr das Gebiet der Bundesrepublik vom Gebietsstand 3.10.1990 (alte und neue Länder bzw. ehemalige DDR zusammen). Unmissverständlich bringt die Graphik zum Ausdruck, dass die durchschnittliche Verweildauer seit Beginn des 20. Jahrhunderts sinkt. Während in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg noch Bruchstellen im Verlauf der Verweildauermittelwerte zu beobachten sind (die an der Grundtendenz aber nur wenig verändert hatten), vollzieht sich der Verweildauerrückgang seit 1956 permanent und systematisch.
18 Für einzelne deutsche Länder sind auch Angaben vor 1877 (vor Gründung des Deutschen Reichs und vor Einführung einer reichseinheitlichen Statistik) erhältlich. Die Erstellung einer langen Reihe ist aber nur für die Länder auf Anhieb rekonstruierbar, die in ihren "historischen" Grenzen weitgehend unverändert blieben (z. B. Bayern, Baden, Württemberg, Sachsen).
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweil dauer in Deutschland
60 55
177
Tage Beginn des Rückgangs
Erster
Weltkrieg
(1902)
50 45 40 Zweiter Weltkrieg
35 30
Deutsche Einheit
25 20 15 10
1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr
Abbildung 26: Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer (alle stationären Einrichtungen, ab 1956 alte und neue Länder zusammen) in Deutschland im Zeitraum 1877 bis 1997
In der Zeit vor dem ersten leichten Rückgang lag die durchschnittliche Krankenhausverweildauer relativ konstant bei rund 48 Aufenthaltstagen. Mit dem Ausbau der stationären Versorgung im Zuge des medizinisch-technischen Fortschritts und dem beginnenden Anstieg der Fallzahlen ging erstmals die Krankenhausverweildauer in Deutschland zurück, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen wurde. Den mit diesem Ereignis in Verbindung stehende historisch extremsten "Ausreißer" markiert das Jahr 1915. In der Nachkriegszeit sank die durchschnittliche Verweildauer trotz einer Phase wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen zu Beginn der Weimarer Republik im Jahr 1920 auf ihren ersten historischen Tiefstwert von durchschnittlich 38 Aufenthaltstagen. Ab 1923 setzt sich der Verweildauerrückgang in deutschen Krankenhäusern fort, der sich bis 1939 (Ausbruch des Zweiten Weltkriegs) statistisch belegen lässt. Für die Zeit während des Zweiten Weltkriegs, die unmittelbare Nachkriegszeit und die ersten Jahre der staatlichen Koexistenz von DDR und Bundesrepublik liegen keine bzw. keine für das gesamte Bundesgebiet vollständigen Angaben über die Zahl der Pflegetage vor, so dass sich auch keine durchschnittliche Verweildauer berechnen lässt. Mit dem Jahr 1956 beginnt schließ12 Lebok
178
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
lich die letzte Phase der Verweildauerentwicklung in deutschen Krankenhäusern, die bis heute andauert. Im Jahr 1956 lag die durchschnittliche Verweildauer noch bei 30 Tagen, fiel aber in der Folgezeit systematisch bis auf 12,5 Tage im Jahre 1997 (Krankenhäuser und Vorsorge- oder Reha-Einrichtungen). Die durchschnittliche Verweildauer aller stationären Einrichtungen hatte sich demnach im Nachkriegsdeutschland in 35 Jahren mehr als halbiert.
b) Die Verweildauerentwicklung in den alten und neuen Ländern Die Entwicklung der Verweildauermittelwerte verlief trotz unterschiedlicher politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen in alten und neuen Bundesländern nahezu synonym. Seit dem Beginn der 1960er Jahre fiel die Verweildauer in beiden deutschen Teilbevölkerungen fast kontinuierlich (Abbildung 27). Während sich der Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer in der ehemaligen DDR zunächst stärker vollzog, war der Verweildauerrückgang während der 1980er Jahre in den alten Ländern deutlicher. Die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer filr das Bundesgebiet in den Grenzen von 1990 wurde dabei von den alten Ländern aufgrund ihres größeren Gewichtes geprägt. Der kurzfristige Verweildaueranstieg im Jahr 1990 gegenüber dem Jahr 1989 war ausschließlich Folge der Umcodierungen infolge der Krankenhausstatistikverordnung. Im Gegensatz zu den Verweildauermittelwerten der amtlichen Krankenhausstatistik basieren die Berechnungen filr die neuen Länder auf Angaben der DDR-Bettenmeldestatistik, in der bekanntlich die durchschnittliche Verweildauer nach Formel (12) berechnet wurde. 19 Für die Ergebnisinterpretation bedeutet dies, dass die mittlere Verweildauer der ehemaligen DDR nach Anwendung von Formel (7) etwas niedriger ausfallen müsste, als es die Ergebnisse in Abbildung 27 vorgeben. Für die 1980er Jahre dürfte deshalb auch die durchschnittliche Verweil dauer in alten und neuen Ländern annähernd gleich hoch gewesen sein. In Abbildung 27 ist filr das frühere Bundesgebiet auch die Verweildauerentwicklung in Akutkrankenhäusern 20 dargestellt. Wie nicht anders zu erwarten,
19 Diese Angaben wurden aber auch von der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes zur Berechnung einer gesamtdeutschen Verweildauerentwicklung übernommen und in der Fachserie 12, Reihe 6.1: Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen publiziert. 20 Zur Definition der unterschiedlichen Krankenhaustypen siehe Abschnitt IV.2 im ersten Kapitel. Die Darstellung der Verweildauerentwicklung in Akutkrankenhäusern verdient vor allem deshalb eine gesonderte Berücksichtigung, da die Ergebnisse der DTI-Stichproben später mit diesen Verweildauermittelwerten zu vergleichen sind.
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
179
waren die Verweildauennittelwerte tUr diesen Krankenhaustyp stets um bis zu tUnf Tage unter den Verweildauerdurchschnittswerten aller stationären Einrichtungen. Die durchschnittliche Verweildauer fiel in Akutkrankenhäusern von 21,6 Tagen (1960) auf 12,4 Tage im Jahre 1989. Die Kategorie "Krankenhäuser" erlebte nach Vollzug der Krankenhausstatistikverordnung 1990 einen Rückgang um fast eine Woche. In der Kategorie "Allgemeine Krankenhäuser" (als Teil der Krankenhäuser, aber ohne psychiatrische und neurologische Fachabteilungen), die häufig den Akutkrankenhäusern gleichgesetzt werden, befand sich die durchschnittliche Verweildauer zum Zeitpunkt 1990 auf einem höheren Ausgangsniveau als tUr Akutkrankenhäuser im Jahr 1989 gemessen. In der Folgezeit setzte sich aber auch tUr diese Kategorie der allgemeine VerweildaueITÜckgang fort, und im Jahr 1997 errechnete sich tUr diese Krankenhaus-Untergruppe eine durchschnittliche Verweil dauer von 10,5 Tagen.
35
Tage Alle stationären Einrichtungen (Nl)
30
Alle stationären Einrichtungen (Al+Nl)
25 Krankenhausstatistikverordnung 1990
20
15 1 2
10 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
Jahr
1990
1995
2000
(AL+NL)
1 = Krankenhäuser (als Teil aller stationären Einrichtungen) 2 = Allgemeine Krankenhäuser (als Teil von 1)
Abbildung 27: Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in deutschen Krankenhäusern seit 1950
12"
180
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
Der Verweildauervergleich zwischen alten und neuen Ländern soll nochmals aufgegriffen werden, da der geringe Unterschied zwischen beiden Teilregionen - trotz verschiedener Verweildauerberechnungsformeln - doch etwas überrascht. In der vormaligen DDR gab es eigentlich keine stark differenzierte Versorgungsstruktur wie in den alten Ländern. Bis zu 30 Prozent der Betten eines DDR-Akutkrankenhauses sollen von Pflegeflillen belegt worden sein (Rörig 1991: 30), weil Ausweicheinrichtungen mit kommunaler oder freigemeinnütziger Trägerschaft (Altenpflegeheime, Rehabilitationseinrichtungen usw.) in der ehemaligen DDR in ausreichender Form nicht zur Verfügung standen (vgl. Vollmer 1991). Der Aufbau neuer Versorgungsstrukturen nach der Einheit könnte aber zumindest ein Grund rur den forcierteren Verweildauerrückgang auf dem Gebiet der neuen Bundesländer im Zuge der drei stufigen Gesundheitsreform gewesen sein. In den neuen Ländern sank die durchschnittliche Verweildauer in stationären Einrichtungen von 17,5 Tage (1990) um 30,3 Prozent auf 12,2 Tage (1997), in den alten Bundesländern von 15,7 Tage (1990) um 19,7 Prozent auf 12,6 Tage (1997). Damit liegt die durchschnittliche Verweildauer der neuen Länder wiederum unter den entsprechenden Werten der alten Länder (diesmal bei Verwendung derselben Verweildauerdefinition). Dass es dennoch in der Verweildauerentwicklung erkennbare Unterschiede zwischen alten und neuen Ländern gab und gibt, die auf den ersten Blick nicht klar erkennbar sind, wird ersichtlich, wenn neben der Entwicklung der mittleren Verweildauer auch die Entwicklung des Pflegetagevolumens (Anzahl der Krankenhauspflegetage ) betrachtet wird. Sie bilden bekanntlich den Zähler bei der Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer, wogegen die Krankenhausfallzahl den Nenner stel1t. Abbildung 28 vergleicht die relative Entwicklung des Pflegetagevolumens al1er stationären Einrichtungen (H) und der durchschnittlichen Verweildauer (L) rur alte und neue Länder seit 1962. Die Ergebnisse sind nicht ganz einfach zu interpretieren, da die relative Entwicklung eines relationalen mit der eines absoluten Maßes verglichen wird. Nur eine Indexdarstel1ung erlaubt die Gegenüberstel1ung der Dynamik beider Strukturvariablen von einem festen Zeitpunkt ab. Da der Verweildauerrückgang der Nachkriegszeit beider Subpopulationen besonders zu Beginn der 1960er Jahre einsetzte, ist die Fixierung auf den Startwert 1962 geradezu ideal. Analog zu den Ergebnissen aus Abbildung 27 verlaufen die Indexwerte der durchschnittlichen Verweildauer in alten und neuen Ländern nahezu identisch, obwohl in der ehemaligen DDR und in der Bundesrepublik zwei unterschiedliche Berechnungsformeln in der Krankenhausstatistik angewandt wurden. Erst wahrend der 1980er Jahre beginnen die Verläufe etwas stärker voneinander abzuweichen, da sich der Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer in der ehemaligen DDR in abgeschwächter Form fortsetzte. Nach der "Integration" der neuen Länder in das bundesdeutsche Gesundheitswesen (und der Über-
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
181
nahrne der in der amtlichen Krankenhausstatistik verwendeten Verweildauerdefmition) sanken die Verweildauermittelwerte von 1990 an weitaus stärker als im früheren Bundesgebiet. Völlig unterschiedlich verlief dagegen die relative Entwicklung des Pflegetagevolumens seit 1962 (Abbildung 28). In den alten Ländern stieg die Zahl der Krankenhauspflegetage zunächst von 203,5 Mio. (1962) auf 224,2 Mio. (1972) an und fiel dann in der Folgezeit auf den Ausgangswert von 1962. In den neuen Ländern hatte sich dagegen das Pflegetagevolumen gegenüber dem Jahr 1962 (= 62,6 Mio.) um knapp 40 Prozent bis 1992 reduziert. Nach einem kurzzeitigen Anstieg zwischen 1993 und 1996 auf 39,9 Mio. Pflegetage geht das Pflegetagevolumen auch in den neuen Ländern wieder zurück und lag 1997 bei 37,9 Mio. Pflegetagen.
120
1962=100
110 100 Durchschn. Verweildauer (AL)
90
Pftegetage (AL)
80 70 60 50 40~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 28: Relative Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer und der Anzahl der Pflegetage seit 1962. Alte und neue Länder im Vergleich
Dieses Ergebnis wirkt irritierend, da zunächst auch beim Pflegetagevolumen ein ähnlicher Verlauf zwischen alten und neuen Ländern zu vermuten gewesen wäre. Die durchschnittliche Verweildauer hängt aber sowohl von der Anzahl der Pflegetage ab, als auch von der Entwicklung der Fallzahlen (ab 1990: voll-
182
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
stationär behandelte Fälle in Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen). Beide Größen sind aber zugleich abhängig von Veränderungen in der Bevölkerungsdynamik und Bevölkerungsstruktur. Die Zahl der Pflegetage kann sich erhöhen, wenn eine Bevölkerung in Struktur und Besetzungszahl konstant bleibt, sich aber die Pflegetagehäufigkeit erhöht. Bei jeder Veränderung der Bevölkerung in Bestand und Struktur müssen sich aber notgedrungen auch Fallhäufigkeit und Pflegetagevolumen anders entwickeln. Ein Maß, das diesen Zusammenhängen annähernd gerecht wird, ist in Analogie zur Fallhäufigkeit die Relation Krankenhaustage pro mittlere Bevölkerung (in Abbildung 29: h(t)/l 0 000). Das Maß steigt, wenn die Zahl der Pflegetage zunimmt und gleichzeitig der Bevölkerungsbestand stagniert oder abnimmt, oder wenn das Pflegetagevolumen konstant bleibt und die Bevölkerung im Bestand schrumpft. Umgekehrt folgt das Maß einem abnehmenden Verlauf, wenn die Anzahl der Krankenhaustage konstant bliebe oder abnehmen würde, gleichzeitig aber die mittlere Bevölkerungszahl steigen würde. In Anwendung auf die alten und neuen Länder ist in Abbildung 29 zu erkennen, dass wiederum beide Teilregionen deutlich in ihrem jeweiligen Verlauf voneinander abweichen. Während in den neuen Ländern bereits seit 1965 ein fast durchgängiger Rückgang der Krankenhaustage pro Einwohner stattfand, sank die Relation in den alten Ländern erst zu Beginn der 1980er Jahre.
KKH-Tage pro mittlere Bevölkerung
4
3,8 3,6 3,4 3,2
3
2,8 2,6 2,4
Neue Länder
2,2
2
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 29: Entwicklung der Pflegetagehäufigkeit in den alten und neuen Ländern seit 1954
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
183
Wie ist diese Entwicklung nun im Kontext zu Abbildungen 27 und 28 zu verstehen? In den neuen Ländern nahm einesteils die Zahl der Pflegetage (H) ab (vgl. Abbildung 28), weil sich kontinuierlich die individuelle Verweildauer von Patienten reduzierte (die sich wiederum auf eine sinkende durchschnittliche Verweildauer auswirkt). Gleichzeitig nahm aber die Fallhäufigkeit in der ehemaligen DDR weitaus weniger stark zu als in den alten Bundesländern (vgl. Abschnitt B.lV.4). In den alten Bundesländern dagegen wurde die Nachfrage nach Krankenhausleistungen (ohne auf die Gründe näher einzugehen) deutlich gesteigert. Da in derselben Zeit die Bevölkerung der früheren Bundesrepublik aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge und der Zuwanderung an Bestand stark zunahm, wirkte sich die abnehmende individuelle Verweildauer infolge der gesteigerten Krankenhausnachfrage in der Wohnbevölkerung erst viel später als Rückgang in der Anzahl der Krankenhauspflegetage aus. 21 Ab Mitte der 1990er Jahre ist ein rascher Angleichungsprozess in den Verläufen rur alte und neue Länder erkennbar, weshalb bereits in wenigen Jahren ähnliche Werte in der Relation Pflegetage pro mittlere Bevölkerung rur beide Teilpopulationen zu erwarten sein dürften. 2l
c) Ein Vergleich der Verweildauerentwicklung in unterschiedlichen Datenquellen
Vier der in Abschnitt II dieses Kapitels erwähnten Datensätze werden weiter unten rur eine Verwendung in den Dekompositionsberechnungen geprüft, da sie differenziertere (demographische) Informationen zur Verweildauerentwicklung besitzen als die amtliche Krankenhausstatistik. Insbesondere Angaben zur Alters- und Geschlechtsstruktur, zur Mortalität und Geburtenentwicklung in Krankenhäusern als auch zur Diagnosestruktur in einer längerfristigen Betrachtung werden als Anhaltspunkte rur Dekompositionsberechnungen demographischer Effekte auf die Verweildauerentwicklung benötigt. Solche Angaben liegen in den amtlichen Statistiken erst ab dem Jahr 1993 vor, als die Krankenhausdiagnosestatistik eingeftlhrt wurde. In der Vergangenheit wurden demographische Merkmale rur die neuen Ländern in der DDR-Krankenblatt-
21 Diese Aussage läßt sich an selbst gewählten Beispielen leicht überprüfen. Wenn gilt, dass L = H1C, läßt sich H ausdrücken als: H = L . C = L . f· P; Wenn L sinkt, gleichzeitig aber fund P ansteigen, wird zunächst auch noch das Pflegetagevolumen H zunehmen. 22 Die Zunahme der Pflegetagehäufigkeit in den neuen Ländern ist vor allem auf den relativ starken Anstieg der Fallhäufigkeit f seit 1990 zurückzufllhren.
184
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
statistik erhoben, ftir die alten Länder im Mikrozensus und in der GKV-Krankheitsartenstatistik. Zusätzlich können für die Darstellung demographischer Effekte auf die Verweildauerentwicklung in den alten Ländern die Krankenhausstichproben des Diagnose- und Therapie-Index (DTI) genutzt werden. Um die Gewissheit zu haben, dass die später verwendeten Alters- und Geschlechtsstrukturen ungefähr der Struktur aller im Krankenhaus behandelten Patienten ftir jedes Kalenderjahr entsprechen, sollte die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in den ausgewählten Datensätzen dem amtlich ermittelten Verlauf annähernd entsprechen.
30
Tage Eigene Berechnungen (PflegetagelBehandlungsfälle)
28
Bettenmeldestatistik (Offizielle Werte)
26 24 22 20 18
Krankenhausstatistik d. Bundesrepublik (seit 1990)
16 14 12 10 1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 30: Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in den neuen Ländern nach verschiedenen Quellen
Abbildung 30 vergleicht zunächst die Verweildauermittelwerte der offiziellen DDR-Bettenmeldestatistik (die auch von der Bundesstatistik übernommen wurde) mit den Ergebnissen aus der DDR-Krankenblattstatistik und eigenen Berechnungen aus veröffentlichten Angaben zum Pflegetagevolumen und der Anzahl der BehandlungsflUle. Alle drei Mittelwerte basieren auf der Verweildauerdefmition, die sich ausschließlich auf Entlassungen bezieht. Die in Abbildung 30 zusätzlich angegebene Entwicklung der durchschnittlichen Verweil-
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
185
dauer nach 1990 erfolgte dagegen nach Formel (7) (Krankenhausstatistik der Bundesrepublik mit Einschluss der Reha- oder Vorsorgeeinrichtungen). Insgesamt fallen in der Graphik drei wesentliche Aspekte auf: •
Ab 1980 weichen die Mittelwerte der drei verwendeten Quellen nur noch wenig voneinander ab.
•
Die eigenen Berechnungen der durchschnittlichen Verweildauer aus Pflegetagen und Fallzahl erbrachte bis zum Beginn der 1980er Jahre eine im Durchschnitt um einen Tag höhere Verweildauer als die offiziellen Berechnungsergebnisse.
•
Die DDR-Krankenblattstatistik, die Angaben über Alters- und Diagnosestruktur der Behandlungsfälle enthält, wich bis 1979 deutlich von der offiziellen Verweildauerentwicklung ab. Ursache rur die unterdurchschnittlichen Werte im Zeitraum zwischen 1969 und 1978 ist die Nichterfassung von länger liegenden Patientengruppen gewesen (z. B. chronisch Kranke), die erst nach 1978 im Zuge der ICD-Umstellung berücksichtigt wurden (vgl. Lebok / Mey 1999: 283).
Auch die GKV-Krankheitsartenstatistik unterscheidet für das frühere Bundesgebiet die gesetzlich versicherten Krankenhauspatienten u. a. nach Alter und Geschlecht sowie Hauptdiagnosen. Die neben der GKV-Krankheitsartenstatistik bestehende GKV-Versichertenstatistik, die eine für alle gesetzlichen Kassen verpflichtende Jahresstatistik über alle Versicherten ist und u. a. auch eine durchschnittliche Krankenhausverweildauer rur alle GKV -Versicherte ausweist (aber ohne Alters- und Geschlechtsdifferenzierung), bleibt im weiteren unberücksichtigt. Gegenüber der amtlichen Krankenhausstatistik sind Unterschiede in den Verweildauermittelwerten zu erwarten, weil erstens in der GKV-Berechnungsformel nur Entlassungen berücksichtigt wurden (Formel (12», zweitens in der Vergangenheit die Angaben über die Krankenhausbehandlung in der Krankheitsartenstatistik der GKV meistens freiwillig, teilweise auf Stichprobenbasis erfolgten und drittens bis 1986 nicht alle gesetzlichen Krankenversicherungen berücksichtigt wurden.
186
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
30
Tage
28 26 24
ab 1986 rar alle gesetz/. Kassen verpflichtend
22
I
20
i
GKV-Krankheitsartenstatistik
18 16 14 12 10 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr
Abbildung 31: Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer nach der GKV-Krankheitsartenstatistik im Vergleich zur amtlichen Krankenhausstatistik
Tatsächlich unterscheiden sich die Ergebnisse der GKV -Krankheitsartenstatistik von den Verweildauerdurchschnittswerten der Krankenhausstatistik. In den 1950er Jahren weicht der Entwicklungsverlauf der durchschnittlichen Verweildauer der Krankheitsartenstatistik sogar deutlich von der Entwicklung der amtlichen Krankenhausverweildauer ab, was sicherlich nicht nur auf die Verwendung einer anderen Berechnungsfonnel zuTÜckzuruhren ist (Abbildung 31) Die Ursache dürfte vielmehr in der Struktur der Versicherten stichproben liegen. Bis einschließlich 1957 wurden beispielsweise nur die Angaben der Pflicht- und freiwillig versicherten Mitglieder statistisch erfasst, jedoch nicht die Angaben der Rentner (KV dR). Mitte der 1960er Jahre liegt die aus den Angaben der GKV-Krankheitsartenstatistik gewonnene durchschnittliche Verweildauer (Krankenhausverweildauer der gesetzlich Versicherten, ohne Ersatzkassen und ohne den jeweiligen Familienangehörigen) nahe den amtlichen Werten. Nach einer Unterbrechungsphase (keine Datenerhebung 1970 bis 1978) befanden sich die GKV-Mittelwerte bis zum Jahr 1985 über den Werten der amtlichen Krankenhausstatistik. Da aus den DTI-Berechnungen in Abschnitt II1.2.b bekannt ist, dass Fonnel (12) zu etwas höheren Verweildauennittelwerten ruhrt als Fonnel (7), müsste die nach der amtlichen Definition berechnete Verweildauer auf der Grundlage der GKV -Daten rur den Zeitraum 1963 bis 1985 ungefähr den amtlichen Werten entsprochen haben.
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
187
Mit dem Jahr 1986 sind die Angaben der Ersatzkassen erstmalig in der GKV-Krankheitsartenstatistik enthalten. Außerdem entspricht die GKV-Krankheitsartenstatistik seit diesem Zeitpunkt einer Vollerhebung der Krankenhausfalle aller gesetzlich Krankenversicherten (AKV und KV dR) plus ihrer Familienangehörigen. Mit Berücksichtigung der Ersatzkassen und der Familienangehörigen weist die GKV-Statistik (die sich aber nur auf LeistungsflilIe bezieht) niedrigere Verweildauermittelwerte auf als die amtliche Bundesstatistik, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Familienangehörigen und Ersatzkassenmitglieder zu vergleichsweise niedrigeren Verweildauermittelwerten tendieren. Bei Beachtung der Ergebnisunterschiede zwischen Formel (7) und Formel (12) müssten die Unterschiede sogar noch etwas deutlicher ausfallen, wenn für die GKV-Daten die amtliche Verweildauerdefmition verwendet würde. Eine weitere Quelle mit amtlichen (alters- und geschlechtsspezifischen) Angaben zur Krankenhausverweildauer ist der Mikrozensus. In einer freiwilligen, 0,5 prozentigen repräsentativen Bevölkerungsstichprobe wird seit 1978 dreibis vierjährig im Zusatzprogramm "Fragen zur Gesundheit" eine im Haushalt angetroffene volljährige Person über Krankenhausbehandlungen aller im Haushalt lebenden Personen in den letzten vier Wochen befragt. Erstmals mit dem Jahr 1992 beinhalten die Fragen der Gesundheit alte und neue Länder. In den Mikrozensen werden einzelne Kategorien der Aufenthaltsdauer unterschieden, die zwischen einem bis drei, vier bis sieben, acht bis 14, 15 bis 21 Tage sowie mehr als 21 Tage variieren. Zusätzlich werden die Fälle gesondert ausgewiesen, bei denen die stationäre Behandlung noch andauert oder für die keine Angaben über die Länge des Krankenhausaufenthaltes vorliegen. Über diese Angaben lässt sich näherungsweise die durchschnittliche Verweildauer von den Fällen bestimmen, bei denen die stationäre Behandlung bereits abgeschlossen wurde (Pflegetage der aus dem Krankenhaus entlassenen Fälle nach Formel (12». Fickel (1994) schlägt als Vorgehensweise der Verweildauerberechnung vor, dass Fälle mit einem bis drei Krankenhausaufenthaltstagen ein Gewicht von Zwei erhalten, Fälle mit vier bis sieben Tagen werden mit dem Faktor Fünf multipliziert, die nächste Kategorie mit dem Faktor Elf, die Kategorie 15 bis 21 Tage Krankenhausaufenthalt mit dem Faktor 18 und schließlich die Fälle mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als 21 Tagen erhalten das Gewicht 25. Die Anzahl der Pflegetage (in 1000) im Jahre 1978 errechnet sich nach dieser Vorgehensweise näherungsweise aus (vgl. Variante 1 in Tabelle 15):
188
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
(97·2) + (132·5) + (247· 11) + (167· 18) + (501 ·25) = 19102. Da diese Umrechnungsmethode Normalverteilung in den einzelnen vom Statistischen Bundesamt vorgegebenen Verweildauerkategorien der Mikrozensusergebnisse voraussetzt, die aber in der Realität wenig wahrscheinlich ist, wird zusätzlich eine durchschnittliche Verweildauer aus den Zahlenangaben der Mikrozensusergebnisse berechnet, in der die im Mikrozensus enthaltenen Fallzahlen nach der Dauer des Krankenhausaufenthaltes entsprechend einer beobachteten Verweildauerverteilung verteilt sind (Variante 2 in Tabelle 15).2J Die Angaben über die Verteilung der Patienten nach Aufenthaltstage wurde über die Daten der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 gewonnen. Vorausgesetzt die in den Haushalten befragten Personen hatten genaue Kenntnis über die Dauer der Krankenhausbehandlung der Haushaltsmitbewohner, errechnet sich eine durchschnittliche Verweildauer aus den beiden Berechnungsvarianten, wo näherungsweise die Anzahl der Pflegetage der im April/Mai eines Jahres stationär behandelten Fälle in den jeweiligen Mikrozensuserhebungen bestimmt wurde. Die Verweildauermittelwerte der Mikrozensen sind in beiden Varianten gegenüber der amtlichen Verweildauerdefmition leicht überhöht. Variante 1 weicht dabei im Zeitraum 1978 bis 1986 um zwei bis drei Tage von den amtlichen Werten ab. Im Jahr 1995 dagegen wären die Mittelwerte der Krankenhausstatistik und des Mikrozensus in der Methode nach Fickel (1994) unter Beachtung der Berechnungsunterschiede in den Verweildauerdefmitionen fast identisch.
Von beispielsweise 70 000 Patienten, die eine Krankenhausaufenthaltsdauer von acht bis 14 Tagen hatten, haben in der Regel nicht 10 000 Fälle eine Verweil dauer von acht Tagen, 10000 Fälle eine Verweildauer von neun Tagen, ... , und 10000 Fälle eine Verweildauer von 14 Tagen. Näheres zu Verweildauerverteilungen in Abschnitt V.I dieses Kapitels. 2)
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
189
Tabelle 15 Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer in der Bundesrepublik nach ausgewählten Mikrozensuserhebungen (Fallzahl und Pflegetage in 1000, Erhebungen jeweils im AprillMai des Jahres)
1978
1980
1982
1986
1989
1992 1
1995 1
Dauer des KKH-Aufenthaltes: 1-3 Tage
97
111
83
39
50
39
51
4-7 Tage
132
119
84
98
247
221
152
165
101 161
I1I
8-14 Tage
105 189
151
15-21 Tage
167
136
109
111
104
100
>21 Tage
501
159 474
350
208
198
191
184
129
129
124
109
9
9
13
8
Behandlung dauert an o. Angaben Ober die Verweildauer Fälle mit Angaben 1144
1084
863
592
622
596
596
Anzahl der Pflegetage (Var. I)
19102
17960
13968
9332 10410
9353 10379
9000
8703
9995
15,76
15,11
9687 14,61
16,77
16,23
15,6
14,2
Ober die Verweildauer: Anzahl der Pflegetage (Vari. 2)
21996
20470
Durchsehn. Verweildauer (Var. I)
16,70
16,57
15812 16,19
Durchsehn. Verweildauer (Var. 2)
19,23
1B,BB
1B,32
17,59
15,04 16,69
20,3
19,7
18,7
17,5
16,2
Durchsehn. Verweildauer (Amtliche Krankenhausstatistik)
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten des Mikrozensus 1978 bis 1995 I Alte und neue Länder zusammen.
Dennoch dürfte die Vorgehensweise bei der Verweildauerberechnung nach Variante 2 eher der tatsächlichen Verweildauerverteilung im Mikrozensus entsprechen. In den Jahren 1978 bis 1989 weicht die durchschnittliche Krankenhausverweildauer der Berechnungsvariante 2 nur geringftlgig von den amtlichen Mittelwerten der Krankenhausstatistik ab. Die stärker werdenden Unterschiede nach 1989 sind voraussichtlich darauf zurUckzuftlhren, dass sich die Struktur der Verweildauerverteilung (u. a. alte und neue Länder) gegenüber der verwendeten der OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 geändert hatte. Eine exakte ÜberprUfung der Verweildauerdurchschnittswerte in den Mikrozensen wäre im Prinzip möglich, wenn fur jedes einzelne Jahr Verweildauerverteilungen (z. B. aus der Krankenhausdiagnosestatistik oder aus Krankenhausstichproben) bekannt wären.
190
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
Schließlich sind in Abbildung 32 die Ergebnisse der Verweildauerberechnungen nach Fonnel (7) in den DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 sowie ftlr die Jahre 1990 bis 1995 dargestellt. Die über Mitternachtbestände gewonnenen Verweildauennittelwerte in den DTI-Stichproben (vgl. Spalte 2 in Tabelle 14) werden filr die Jahre 1978 bis 1989 mit den amtlichen Verweildauermittelwerten filr Akutkrankenhäuser verglichen, die exakt nach derselben Berechnungsfonnel gebildet wurden. Für den Zeitraum 1990 bis 1995 liegen nur Auswertungen von Infratest Epidemiologie & Gesundheitsforschung vor (Anzahl der Pflegetage der jeweils in den Jahresstichproben erfassten Mitternachtsbestände), die den entsprechenden Werten filr Allgemeinkrankenhäuser der Krankenhausstatistik gegenübergestellt wurden (Abbildung 32). Auch die auf der Grundlage der DTI-Stichproben gewonnenen Verweildauennittelwerte weichen in der getroffenen Definition von den entsprechenden amtlichen Werten des Statistischen Bundesamtes ab. Noch mehr als filr alle anderen Datenquellen gilt fur den DTI, dass die Ergebnisse stark von der jeweiligen Patientenstruktur in den Stichproben abhängen.
Tage
20 18 16 14 12 . 10 . 8
.~~~~~--~~~~~-r--~~,-~~~~~--~
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 32: Entwicklung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer im Diagnose- und Therapie-Index (DTI) 1978 bis 1995 im Vergleich zur amtlichen Krankenhausstatistik
Es bleibt als Fazit festzuhalten, dass zwar in allen verwendeten Datenquellen analog zur Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes ein Rückgang
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
191
der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer stattfand. Im Ergebnis weichen aber die Verweildauermittelwerte der GKV-Krankheitsartenstatistik, der Mikrozensen und der DTI-Krankenhausstichproben mehr oder weniger stark von den amtlichen Werten ab. Insbesondere die GKV-Krankheitsartenstatistik und der DTI weisen im Ergebnis besonders deutliche Unterschiede gegenüber den amtlichen Verweildauermittelwerten auf. Dies dürfte aber weit weniger auf die unterschiedlichen Berechnungsformeln zurückzufilhren sein als vielmehr auf Unterschiede in der jeweiligen Fallzusammensetzung, was die Repräsentativität dieser Quellen tUr Verweildaueranalysen mehr als fraglich erscheinen lässt. Das unterschiedliche Case Mix ist auch der Grund dafür, dass die DDRKrankenblattstatistik bis zu Beginn der I 980er Jahre deutlich verschiedene Mittelwerte erzeugte als die DDR-Bettenmeldestatistik.
2. Regionale Unterschiede der Krankenhausverweildauer a) Internationaler Vergleich der Verweildauerentwicklung
Die mit Abstand am häufigsten verwendete Darstellung, die auf regionale Verweildauervergleiche zielt, ist die Gegenüberstellung internationaler Verweildauerentwicklungen. Besonders anhand solcher Darstellungen zeigte sich tUr zahlreiche Kritiker des deutschen Gesundheitswesen der "Nachteil" deutscher Krankenhäuser gegenüber anderen OECD-Ländern, wobei nur selten ein Wort darüber verloren wurde, ob die Berechnungsformeln identisch sind oder ob die Gesundheitssysteme überhaupt direkt miteinander vergleichbar sind. Abbildung 33 dokumentiert nochmals den enormen Verweildauerrückgang in deutschen Krankenhäusem und vergleicht diesen mit den Länderentwicklungen der USA, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und der Schweiz auf der Grundlage von Berechnungen des BASYS-Instituts. Auffallend ist in der Graphik, dass ein VerweildauerrUckgang in allen ausgewählten Staaten stattfand, in der Schweiz aber zeitversetzt und am spätesten. Der Unterschied in der durchschnittlichen Verweil dauer der Bundesrepublik konnte dabei gegenüber den Vereinigten Staaten, Frankreich und Italien vermindert werden. Der Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer vollzog sich dabei in der Bundesrepublik stetig, weshalb der Verlauf auch vergleichsweise glatt ausfiUlt. Die Kritik an einer "dramatisch" überhöhten Krankenhausverweildauer im internationalen Maßstab trifft aber in dieser Darstellung - wenn überhaupt - nur
192
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern 40
Tage
35
30
25 20
15
10
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
Jahr
Abbildung 33: Verweildauerentwicklung in Krankenhäusern ausgewählter Industrieländer seit 1960 (Quelle: BASYS)
fUr die 1960er Jahre zu. In den 1980er und 1990er Jahren ist der Verweildauerunterschied zwar weiterhin signifikant, aber auf keinen Fall können bundesdeutsche Krankenhäuser (wobei auch Reha-Einrichtungen mit vergleichsweise hoher Verweildauer enthalten sind) überlanger Krankenhausaufenthalte bezichtigt werden. In den USA, die gegenüber der Bundesrepublik eine um fast eine Woche reduzierte durchschnittliche Verweildauer aufweisen, lassen sich seit Jahren - trotz zahlreicher Gesundheitsreformen (u. a. Managed-Care-Programme) - kaum noch nennenswerte Fortschritte im VerweildauerrUckgang erzielen, was sich möglicherweise auch als Indiz dafUr werten lässt, dass eine weitere Verweildauerreduktion in den Vereinigten Staaten ohne Einbußen in der Qualitätssicherung kaum mehr umzusetzen ist. Der Vergleich der Verweildauerentwicklungen zeigt aber durchaus, welche Absenkung an Krankenhausaufenthaltstagen zu realisieren ist. Besonders deutlich wird dies fUr das Vereinigte Königreich ersichtlich, das 1960 unter allen industrialisierten Ländern eine der längsten Verweildauermittelwerte hatte, zu
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
193
Beginn der 1980er Jahre die damals gemessene Verweildauer der Bundesrepublik unterschritt und in den 1990er Jahren bereits Verweildauermittelwerte wie in den USA aufweist (u. a. aufgrund des Ausbaus der short stay surgery) und damit international die niedrigsten überhaupt (Abbildung 33). Die Verweildauer wird in der Bundesrepublik aber nur in der Geschwindigkeit sinken, in der Einrichtungen tUr die Nachsorge geschaffen werden, wie sie beispielsweise in den USA bestehen (Neubauer / Rehermann 1994: 567). Dennoch wird die bundesdeutsche Krankenhausverweildauer im internationalen Vergleich immer noch als sehr hoch angesehen (z. B. Sachverständigenrat 1996). Die rur Frankreich, tUr Großbritannien oder vor allem filr die USA niedrigeren Verweildauerwerte dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Unterschiede weniger medizinisch begründet als vielmehr als Ergebnis verschiedener Finanzierungspraktiken der Krankenhäuser anzusehen sind (Arnold 1986: 57). Die Vereinigten Staaten weisen gegenüber der Bundesrepublik zwar eine deutlich niedrigere Bettendichte auf, aber auch eine viel höhere Personalintensität, was letztlich zu einer viel niedrigeren Gedoch kostenintensiveren) Verweildauer beiträgt (vgl. Schneider / Biene-Dietrich et al. 1995: 54 f.). Dabei ist aber auch unbedingt zu beachten, dass die Gesundheitssysteme der USA und Europas nicht direkt miteinander vergleichbar sind (Klarman 1965: 132 ff.): In Europa befanden (und befinden) sich die medizinischen Spezialisten vor allem in Krankenhäusern (als Vollzeit-Krankenhausärzte), in den USA überwiegen in den Krankenhäusern Belegärzte mit Fachgebietsspezialisten, die lediglich u. a. in Krankenhäusern behandeln.
b) Verweildauerunterschiede auf der Ebene der Bundesländer Unterschiede in der Verweildauerentwicklung bestehen nicht nur zwischen verschiedenen Ländern, sondern können auch in einem bestimmten Land zwischen unterschiedlichen Regionen und Gebietseinheiten mehr oder weniger stark ausgeprägt vorkommen. Für die Bundesrepublik wurden relativ früh Verweildauerunterschiede auf der Ebene der Bundesländer analysiert (vgl. DKI 1958; Hadrich 1965). Regionale Variationen in der Verweildauer können aber bereits in einer Großstadt zwischen einem innenstädtischen Universitätsklinikum und einem Kreiskrankenhaus im Stadtrandgebiet auftreten und lassen sich als Kriterium rur unterschiedliche Organisations- und Alltagspraktiken in Krankenhäusern interpretieren (Beech / Withey / Morris 1995; Swart / Böhlert et al. 1996; Swart / Robra et al. 1997). Insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Qualitätssicherung genießen regionale Verweildauervergleiche (zusammen mit Vergleichen über die Krankenhausmortalität in Krankenhäusern) besondere Aufmerksamkeit.
13 Lebok
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
194 35
Tage Baden-Württ.
30
NRW D (AL)
Bayem- - - -
25
20
15 (AL)
\ 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 34: Regionale Unterschiede der Krankenhausverweildauer in ausgewählten Ländern der Bundesrepublik (alle stationären Einrichtungen)
Abbildung 34 zeigt auf der Ebene der Bundesländer, dass in der Bundesrepublik zumindest rur die Flächenländer nicht allzu große regionale Verweildauerunterschiede festzustellen waren. In Anlehnung an Abbildung 21 sind in dieser Darstellung die Entwicklungsverläufe der mittleren Verweildauer rur die drei bevölkerungsreichsten Flächenländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg dargestellt sowie der Verlauf der Stadtstaaten zusammen (Bremen, Berlin und Hamburg). Während noch zu Beginn der 1960er Jahre erhebliche Abweichungen zwischen diesen Ländern bestanden - zwischen den Stadtstaaten und Bayern lag die Verweildauerdifferenz bei rund sechs Aufenthaltstagen -, veränderte sich die Situation in den Folgejahren ganz wesentlich. Während alle drei Flächenländer relativ schnell maximal zwei Aufenthaltstage vom Bundesdurchschnitt (ab 1990: alte Länder) abwichen, lagen die Stadtstaaten bis zum Beginn der 1990er Jahre noch deutlich über den Werten der anderen Bundesländer. Möglicherweise in Folge der Auswirkungen der dreistufigen Gesundheitsreform auf den Krankenhaussektor wurde aber auch in Berlin, Bremen und Hamburg der VerweildaueTTÜckgang seit 1990 forciert, so dass
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland
195
Mitte der 1990er Jahre regionale Verweildauerunterschiede zwischen Bundesländern weitgehend verschwunden sind.2~
Immer noch bestehen aber erhebliche Unterschiede in der Fallhäufigkeit der einzelnen Bundesländer. Eine Ursache hierfUr können regionale Unterschiede im Krankheitsspektrum und der Erkrankungshäufigkeit sein, die wiederum durch die Bevölkerungsstruktur beeinflusst werden (Gräb 1996: 82). Allerdings ergeben sich regional unterschiedliche Behandlungszahlen auch durch unterschiedliche Versorgungsstrukturen und ein unterschiedliches Einweisungsverhalten der niedergelassenen Ärzte. Beispielsweise könnte sich ein Einzugsgebiet einer "besser stationär versorgten" Region weit über das eigentliche Planungsgebiet erstrecken, so dass auch schwere Fälle aus anderen Versorgungsregionen mitbehandelt werden und sich das Pflegetagevolumen erhöhUs Folge eines über die eigene Versorgungsregion hinausreichenden Fallzahl- und Pflegetageanstiegs könnte u. a. auch eine regionale Abmilderung des VerweildaueITÜckgangs gewesen sein. Die beschriebenen Unterschiede werden annähernd transparent, wenn die relative Entwicklung des Pflegetagevolumens in den ausgewählten Regionen betrachtet wird (Abbildung 35). Während vor allem die anteilig stärker mit Rehaund Kurkliniken ausgestatteten Länder Bayern und Baden-Würtemberg die Anzahl der Pflegetage um fast 20 Prozent bis Mitte der I 970er Jahre steigerten, verlief der Anstieg in NRW und in den Stadtstaaten abgeschwächter und bis 1995 konnte sogar in beiden Regionen eine deutliche Reduktion des Ausgangswertes im Pflegetagevolumen aus dem Jahre 1960 erreicht werden. Im Gegensatz zu dieser Entwicklung stagnierte das Pflegetagevolumen unter Schwankungen in Baden-Württemberg und Bayern seit 1985 (bei gleichzeitigem Anstieg der Fallhäufigkeit) und befand sich bis 1996 noch um mehr als runf Prozent über dem Wert des gewählten Startjahres 1960. Erst infolge der Auswirkungen des GKV-NOG (insbesondere im Reha-Bereich) erfolgte auch in Bayern und Baden-Württemberg ein Rückgang der Pflegetage.
2~ Das bedeutet dabei nicht, dass es z. T. deutliche Verweildauerunterschiede zwischen Kreiskrankenhäusern unterschiedlicher Landkreise geben kann. Die Unterschiede lassen sich dabei weniger auf regionale Begebenheiten zurückführen als vielmehr auf Unterschiede in den Versorgungsstufen der Einrichtungen (Lebok / Mey 1999) oder bei vergleichbarer Stufe auf unterschiedliche Behandlungspraktiken des im jeweiligen Krankenhaus tätigen Personals (v gl. Swart / Böhlert et al. 1996). 2S Untersuchungen zum Problem der Krankenhausversorgung Ober die Grenzen einer Planungs- oder Versorgungsregion hinaus finden sich u. a. bei McPherson / Strong et al. 1981; Wachtel 1984; Black 1985; Schieritz 1985; Morgan / Paul / DevIin 1987; Epstein / Sterns et al. 1988; Hughes / Gamick et al. 1988; Morgan / Beech 1990; Hermesse / Lewalle / Palm 1997; France 1997; Starmans / Leidl / Rhodes 1997.
13·
196
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern 120
1960=100 Baden-Württemberg
115 110 105 100 95 90 85
Stadtstaaten (ohne Bertin-Ost) \'
NRW
80 75
Stadtstaaten '-
70 +-~~~~~~~-r~~~~~~~-,~~-r~~ 1965 1970 1975 1980 1985 1960 1990 1995 2000 Jahr
Abbildung 35: Relative Entwicklung des Ptlegetagevolumens rur ausgewählte Bundesländer
3. Differentielle Verweildauerentwicklungen im Krankenhaus aus amtlichen Daten a) Verwei/dauerunterschiede nach Trägerschaft und Größe der Krankenhäuser
Im Ersten Kapitel wurde bereits auf eine Besonderheit des bundesdeutschen Gesundheitswesens hingewiesen, nämlich dass die Krankenhäuser nicht etwa wie in Großbritannien großenteils staatlich oder in den USA hauptsächlich privat organisiert sind, sondern dass neben diesen bei den Trägergruppen auch noch freigemeinnützige Träger (Wohlfahrtsverbände und Kirchen) Krankenhäuser besitzen. Diese Gruppe weist neben den öffentlichen Einrichtungen die zweitgrößte Bettenkapazität auf. Abbildung 36 vergleicht die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer fUr diese drei Trägergruppen und setzt diese ins Verhältnis zur allgemeinen Verweildauerentwicklung in alten und neuen Ländern.
IV. Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in Deutschland 35
197
Tage Alle stationären Einrichtungen (bis 1990: nur AL)
30
25
20 Öffentliche Träger
15
10 Freigerneinnützige Träger
5
+-________ 1960
1965
~~,~
1970
__
~~~
1975
__
~~~
1980
__
1985
~~~--~~~
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 36: Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer nach der Trägerschaft der stationären Einrichtungen (ab 1991 alte und neue Länder zusammen)
Bis 1973 lag dabei die Verweildauer der öffentlichen Krankenanstalten über der durchschnittlichen Verweildauerentwicklung der Bundesrepublik. In der Zeit davor wiesen die privat gefilhrten Einrichtungen und Krankenhäuser unter freigemeinnütziger Trägerschaft deutlich niedrigere Werte auf. Bis zum Jahr 1980 wurde aber die durchschnittliche Krankenhausverweildauer in öffentlichen Einrichtungen gegenüber dem Ausgangsjahr 1960 um mehr als zehn Aufenthaltstage gesenkt, während der VerweildaueITÜckgang bei freigemeinnützig getragenen Krankenhäusern geringer ausfiel (ca. sechs Aufenthaltstage, vgl. Abbildung 36). Bei Privatkrankenhäusern kam es sogar im selben Zeitraum zu einem leichten Verweildaueranstieg und erst Ende der 1980er Jahre nahm die Verweildauer ab. Während sich die Unterschiede in der durchschnittlichen Verweildauer zwischen Krankenhäusern öffentlicher und freigemeinnütziger Träger minimiert haben (auf maximal einen Aufenthaltstag Verweildauerunterschied seit 1973), bestehen zwischen diesen beiden Trägergruppen und privaten Krankenhausträgern drastische Verweildauerunterschiede von mehr als einer Woche. Dieses Ergebnis darf aber nicht zu der Annahme verleiten, Privatkliniken würden die Patienten bewusst länger im Krankenhaus behalten, als für ihre Behandlung
198
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
notwendig wäre (zumal die Gesundheitspolitik spätestens seit der dreistufigen Gesundheitsreform besonders auf solche Fragestellungen sensibilisiert ist). Vielmehr unterscheiden sich die stationären Einrichtungen der einzelnen Trägergruppen auch untereinander nach Krankenhaustyp und Bettenzahl. Werden Allgemeinkrankenhäuser (in der Terminologie der Krankenhausstatistikverordnung 1990) mit größerer Bettenkapazität (> 600 Betten) vor allem von öffentlichen Trägem gefilhrt, tragen die freigemeinnützigen Träger in erster Linie stationäre Einrichtungen der mittleren Versorgungsstufen und private Träger schwerpunktmäßig kleinere Einrichtungen mit weniger als 200 Betten. Darüber hinaus ist in den privat geführten Einrichtungen ein Gros der bestehenden Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen enthalten, in denen vor allem Langzeitpatienten behandelt werden (u. a. Kurkliniken, Einrichtungen der AHB nach Schlaganfall, Herzinfarkt, Schädel-Hirn-Trauma usw.). Tabelle 16 Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer in der Bundesrepublik nach der Bettenzahl der Allgemeinkrankenhäuser
. IOD
LC,(x) L,=\
wobei: Li
Individuelle Verweildauer der Einzelfälle (in Tagen)
Ct(x)
Krankenhausfälle im Alter x zum Zeitpunkt t
(23)
Bei zweipunktverteilten (dichotomen) Variablen wie der Kurzlieger- oder Langliegerquote bestehen nur zwei Möglichkeiten als Ereignisausprägung (entweder ist ein Fall Kurzlieger bzw. Langlieger oder er ist es nicht). Es handelt sich folglich um eine sog. Binomialverteilung. Häufig kommt diese bei Mortalitätsanalysen (gestorben, nicht gestorben) aber auch bei anteiligen Dar-
V. Alternative Darstellungsvarianten
225
stellungen zur Anwendung, wenn eine Fallgruppe (z. B. Kurzlieger) von allen anderen Fällen einer Stichprobe unterschieden wird. Im Falle der Kurzlieger würde sich ein Anteil von A in einer Stichprobe errechnen, der entsprechende Anteil aller anderen Fälle ist dementsprechend (1- A ), wobei die Werte I und (1- A) als Wahrscheinlichkeiten im Gegensatz zu Prozentwerten in Formeln (22) und (23) ausgedrückt sind. Die Standardabweichung cr bei binomialverteilten Anteilswerten A errechnet sich aus: (24)
O'(A)=~A'(~-A)
Auf der Grundlage der Standardabweichung von Anteilswerten lässt sich unter Anwendung von Formel (21) das entsprechende 95-Prozent-Konfidenzintervall fUr Punktschätzwerte berechnen. Eine höhere Langliegerquote fuhrt prinzipiell zu einer vergleichsweise höheren durchschnittlichen Verweildauer, eine höhere Kurzliegerquote fUhrt umgekehrt zu einer niedrigeren Verweil dauer. Durch Berechnung beider Anteilswerte können mit relativ einfachen Mitteln grobe Anhaltspunkte über die Verweildauerstruktur formuliert werden. Da besonders den Langliegern im Zusammenhang mit der Diskussion um Fehlbelegungen in bundesdeutschen Krankenhäusern eine bedeutende Rolle beigemessen wurde4', ist eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Lang- und Kurzlieger nach wie vor von großer gesundheitspolitischer Relevanz.
4' In der internationalen Literatur hat sich für die Charakterisierung der Langzeitpatienten der Negativbegriff der sog. "bed-blockers" durchgesetzt. Hierunter fallen alle Patienten, die im Krankenhaus ungewollt Unterkunft und Verpflegungskosten verursachen, weil für ihre spezifische bzw. nachfolgende Behandlung in anderen Versorgungseinrichtungen keine Plätze zur Verfllgung stehen (Namdaran / Burnet / Munroe 1992: 225). Meistens beschränkt sich die Analyse dieses Phänomens auf ältere Patienten (vgl. Kidd 1962; Mezey / Hodkinson et al. 1968; Dodd / Clarke / Palmer 1980; Donaldson 1983; Styrborn / Thorslund 1993; MiIler / MiIler et al. 1994).
15 Lebok
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
226
30
in Prozent von allen KKH-Fällen Kurzlieger (Krankenhausdiagnosestatistik)
25 20 15 10 5 -
Kurzlieger (OTI)
~ -'" .--
..-
...-'-
-
>~:c->~: -: ~ ~ ~ //-'-/
'/>
/
~
,v /
.
1980
- '.'
--- -
- - --
/ ,
,4
,-/,,/
_/ /
/
/
"---
Langlieger (GKV-Krankheitsartenstatistik)
~.~~:..-:_~:-=:~~~: ~-=:-:-~~~., 1985
1990
Langlieger (OTI)
1995
2000
Jahr
Abbildung 43: Entwicklung der Kurzlieger- und Langliegerquoten in bundesdeutschen Krankenhäusem (Anteile und 95-Prozent-Vertrauensbereiche der Stichproben)
Nach Auswertung aller verfügbaren Quellen für Verweildaueranalysen lässt sich für die Bundesrepublik eindeutig festhalten, dass sich der Anteil der Langzeitpatienten an allen Entlassungen deutlich verringert hatte"· Im DTI fiel er von 13,2 Prozent (1978) auf rund sechs Prozent (1995). Auch die GKV -Statistik Uber Arbeitsunflihigkeit und Krankenhausbehandlung deckt sich zumindest dem Trend nach mit den DTJ-Berechnungen (Abbildung 43). Der Anteil der Langlieger in dieser Datenquelle liegt für alle bisher publizierten Jahrgangsstatistiken49 aber deutlich Uber den DTI-Stichprobenergebnissen. Während der DTI einer Repräsentativstichprobe aller in Akutkrankenhäusern behandelten Patienten entsprechen soll, berUcksichtigt die GKV-Krankheitsartenstatistik nur die Leistungsfälle aller Versichten innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, jedoch keine ausschließlich privat krankenversicherten Patienten. Im Gegensatz zu den Langliegem hatte der Anteil der Kurzlieger deutlich zugenommen. Nach den DTI-Stichproben lag 1995 fast jeder ftlnfte Patient
48 Alle verwendeten Quellen beziehen sich bei der Berechnung von Langlieger- und Kurzliegerquoten ausschließlich auf Krankenhausentlassungen. 49 Die Darstellung der Langlieger (Patienten mit einem Krankenhausaufenthalt von 29 und mehr Tagen) ist in der GKV-Krankheitsartenstatistik erst seit 1986 in tabellarischer Form publiziert.
V. Alternative Darstellungsvarianten
227
nicht länger als drei Tage in einem Krankenhaus (Abbildung 43). Vergleicht man auch bei den Kurzliegeranteilen einzelne Kalenderjahre mit amtlichen Daten (die aber erst seit 1993 mit der Krankenhausdiagnosestatistik vorliegen), so ist erkennbar, dass sich die aus den DTI-Stichproben gewonnene Kurzliegerquote zumindest für das Jahr 1995 nicht signifIkant vom Wert der Krankenhausdiagnosestatistik unterscheidet. Als wesentliche Gründe für den Anstieg der Kurzliegeranteile - nach Angaben der Krankenhausdiagnosestatistik 1997 bereits auf mehr als 26,0 Prozent gelten nach verschiedenen Quellen (Scheidler 1964; Infratest Gesundheitsforschung 1989; Sachverständigenrat 1991; Arnold / Armann 1992): •
eine Zunahme der Patienten, die nur zur Diagnostik bzw. Befundabsicherung ins Krankenhaus eingewiesen werden (u. a. Stundenfälle),
•
eine Zunahme der regelmäßig einbestellten Patienten zur kurzzeitigen Behandlung, z. B. von malignen Tumoren,
•
eine Verkürzung der Verweildauer mit der Folge, dass bei einem immer größeren Teil der Patienten die Krankenhausbehandlung innerhalb von drei Tagen abgeschlossen werden kann,
•
verdeckte Kapazitätsprobleme im Krankenhaus aufgrund von Mangel an freien Betten, an verfügbaren op- Terminen wegen unerwartet auftretender Notfälle oder fehlendem Pflegepersonal und schließlich
•
die im Rahmen der ambulanten Krankenversorgung "unnötig" stationär behandelten Patienten, die beispielsweise auch bei spezialisierten niedergelassenen Ärzten hätten behandelt werden können (z. B. onkologische Schwerpunktpraxen und andere Praxiskliniken).
Der Anstieg der Kurzlieger betraf nach Ergebnissen einer Untersuchung von Infratest aus dem Jahre 1989 beide Geschlechter und alle Altersgruppen, wobei Kurzlieger relativ häufIger in den jüngeren und mittleren Altersstufen anzutreffen sind. Nicht nur hinsichtlich des Alters waren Unterschiede in den Kurzliegeranteilen zu beobachten sondern auch nach den Einweisungsursachen. Patienten, die ausschließlich zu Diagnosezwecken (ohne Terminzwang) in ein Krankenhaus überwiesen wurden, hatten die mit Abstand höchsten Kurzliegerquoten (Infratest Gesundheitsforschung 1989). Überproportionale Kurzliegerquoten hatten auch diejenigen Patienten, die entweder in ein anderes Krankenhaus zur Weiterbehandlung oder aber zur therapeutischen Nachbehandlung verlegt wurden. Zudem errechneten sich für Krankenhäuser mit größerer Bettenzahl höhere Kurzliegerquoten. Im Zeitraum 1978 bis 1989 lag beispielsweise rur die DTIStichproben die Kurzliegerquote in Akutkrankenhäusern mit 600 und mehr Betten bei 18,4 Prozent (CI: 18,12; 18,78), in Akutkrankenhäusern mit weniger
228
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
als 200 Betten bei nur 13,2 Prozent (CI: 12,92; 13,78). Ein Grund für die niedrigeren Kurzliegeranteile in den "kleineren" Krankenanstalten dürfte dabei in der zum damaligen Zeitpunkt für die Verweildauer nicht unbedeutenden Systematik der Krankenhausfinanzierung liegen: Krankenhäuser der höheren Versorgungsstufe konnten es sich wohl eher leisten, bestimmte Patientenkategorien bei nicht zwingend notwendiger stationärer Behandlung rasch zu entlassen. Auf der anderen Seite verleitete auch das medizinisch-technische (Über-)Angebot der "größeren" Krankenhäuser viele ambulante Ärzte, Patienten gerade in solche Versorgungseinrichtungen zu überweisen, und verstärkte dadurch gewissermaßen die Nachfragesituation nach stationären Leistungen. Auch die Struktur der Langlieger wurde in zahlreichen internationalen Untersuchungen ausführlich analysiert. Die einzelnen Ergebnisse stimmten dabei weitgehend darüber überein, dass sich Langlieger als homogene Patientengruppe charakterisieren lassen, die sich in der Regel zu mehr als zwei Dritteln aus älteren Patienten zusammensetzt (u. a. Coid / Crome 1986; Seymour / Pringle 1987). so Von diesen warten mehr als zwei Drittel auf eine Überweisung in eine Versorgungseinrichtung der Langzeitversorgung. Die Höhe der Langliegerquote selbst hängt aber auch von der jeweiligen Versorgungseinrichtung ab. In einer Untersuchung aus Schottland konnte veranschaulicht werden, dass die Langliegerquote in Krankenhäusern umso höher ausflillt, je größer der Bettenanteil von Abteilungen des geriatrischen Assessments und orthopädischer Stationen ist (Namdaran / Burnet / Munroe 1992).
2. Die Berechnung von Verweildauerverläufen a) Methode
Eine alternative Darstellung des Verweildauergeschehens in Krankenhäusern ist die Berechnung von Verweildauerverläufen. Diese sind in Anlehnung an Sterbetafelverläufen so konstruiert, dass die gesamte Risikopopulation der nach Krankenhauseinweisung vollstationär behandelten KrankenhausflilIe, die das Krankenhaus zum Zeitpunkt t+~ verlässt, zum Startpunkt der Beobachtung (t=O) auf 1000 normiert wird. Im Laufe der Krankenhausbehandlung reduziert sich der normierte Bestand um die jeweiligen Abgänge ,:1Dt (= die zum jeweili-
so Aus einem Rückgang der Langliegerquote kann aber nicht geschlossen werden, dass sich die Patientenstruktur insgesamt demographisch verjüngte. Vielmehr kann eine Reduktion der Langliegerquote auch bei Anstieg der Anteile der älteren Patienten erzielt werden, wenn bei dieser Fallgruppe die Akutbehandlung schneller abgeschlossen wird und eine Weiterbehandlung in anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens erfolgt.
V. Alternative Darstellungsvarianten
229
gen Zeitpunkt t aus den Krankenhäusern entlassenen Patienten der nonnierten KrankenhauspopulationSI). Die (eintägige) Abgangswahrscheinlichkeit q zum Zeitpunkt t (am t-ten Aufenthaltstag) ist der Quotient aus den beobachteten Abgängen des Intervalls zwischen Zeitpunkt t und t+~ und den zum Zeitpunkt t im Krankenhaus liegenden Fällen. Sie errechnet sich aus: (25)
lEI
lql=--
NI
wobei: AEt
Zahl der Krankenhausabgänge zwischen Zeitpunkt t und t+A
Nt
Zahl der Krankenhausentlassungen, die zum Zeitpunkt null eingewiesen wurden und zum Zeitpunkt t noch im Krankenhaus liegen
Sämtliche Verweildauertafelfunktionen hängen dabei von den Abgangswahrscheinlichkeiten ab. Die Größe q(t) gibt die Wahrscheinlichkeit daftlr an, dass die exakt t-Tage lang behandelten Fälle einer Ausgangsgesamtheit von 1000 Krankenhauseinweisungen, die zu Beginn der Zählung im Krankenhaus vollstationäre Patienten waren, vor Erreichung des Aufenthaltstages t+~ das Krankenhaus verlassen. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit p(t) (in Anlehnung an die Überlebenswahrscheinlichkeit in der Tenninologie der Sterbetafelkonstruktion) beschreibt im Umkehrschluss zur Abgangswahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit, auch nach Ende des Aufenthaltstages t zum Zeitpunkt t+~ im Krankenhaus zu verweilen. Die (eintägige) Aufenthaltswahrscheinlichkeit IPt' die definitionsgemäß nach Abgang des letzten Krankenhausfalles einer Betrachtungskohorte (z. B. eines Sarnples, eines Kalenderjahres, usw.) gleich null ist, wird gebildet aus: (26)
Aus den eintägigen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten leitet sich die Zahl der zum Zeitpunkt t im Krankenhaus verbliebenen Personen ab. Mit I(t) werden dabei wiederum in Analogie zur Sterbetafelberechnung diejenigen Personen bezeichnet, die von einem fest vorgegebenen Bestand aus nach Ablauf eines Aufenthaltstages gemäß Mitternachtsstatistik noch im Krankenhaus als Fälle registriert sind. Der Anfangsbestand 10 ist als Radix eine willkürlich festgelegte Größe. In den eigenen Berechnungen mit den Daten des Diagnose- und Therapie-Index (DTI) wird hierfilr die Zahl 1000 gewählt. Die I(t)-Werte ftlr jeden
SI Diese Personengruppe umfasst alle Krankenhausentlassungen und enthält neben den Fällen, die nach Hause oder in andere Versorgungseinrichtungen zur Weiterbehandlung entlassen wurden auch diejenigen Fälle, die zum jeweiligen Zeitpunkt im Krankenhaus verstorben sind.
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
230
Aufenthaltstag t+~ ergeben sich dabei aus der Multiplikation der Anzahl derjenigen KrankenhausflilIe, die zum Zeitpunkt t noch im Krankenhaus liegen, und der Wahrscheinlichkeit, von diesem Zeitpunkt t an auch noch zum Zeitpunkt t+~ als Krankenhauspatient geführt zu werden: (27)
Die Verbindung sämtlicher I(t)-Werte erbringt den aus Sterbetafeln bekannten Survivalverlauf. Aus den I(t)-Einzelwerten lässt sich überdies die jeweilige Verweildauerwahrscheinlichkeit (eigentlich: Erlebenswahrscheinlichkeit) bilden, von einem Aufenthaltstag t aus an einem Aufenthaltstag t+~ noch im Krankenhaus zu verweilen. Die Wahrscheinlichkeit, von Aufenthaltstag t zu einem späteren Zeitpunkt t+~ weiterhin als Krankenhauspatient zu "überleben" (= Survivalrate s), wird gebildet aus dem Quotienten der zum Zeitpunkt t+~ und zum Zeitpunkt t "überlebenden" Personen (= der im Krankenhaus weiterhin vollstationär behandelten Fälle) und dem festgelegten Radix): (28)
S
1
='I+I!. --
I1
Die eingangs erwähnte Zahl der Abgänge 0 zwischen t und t+~ einer auf 1000 normierten Ausgangspopulation im Krankenhaus berechnet sich schließlich aus: (29)
oder (30)
Auch bei Verlaufsdarstellungen aus von Fallzahlen abhängigen Stichproben ist die Berücksichtigung von statistischen Testverfahren über den Vertrauensbereich der Verläufe zwingend notwendig. Dabei können verschiedene Tests gewählt werden: •
Tests auf Identität bzw. Verschiedenheit einzelner Abgangswahrscheinlichkeiten q(t),
•
Tests auf Identität bzw. Verschiedenheit der bedingten Verweildauerwahrscheinlichkeiten set),
•
Tests auf Verschiedenheit von Survivalverläufen in ihrer Gesamtheit.
Die beiden erstgenannten Testverfahren berechnen Konfidenzintervalle basierend auf Punktschätzwerten, während die letztgenannte Gruppe Konfidenzbänder für Verlaufsschätzungen berechnet. Auch wenn aus der Literatur bekannt ist, dass nichtsignifikante Unterschiede zwischen q(t)-Werten zweier Untersuchungspopulationen durchaus zu signifikanten Unterschieden zwischen
V. Alternative Darstellungsvarianten
231
den entsprechenden l(t)-Werten filhren können (vgl. Dinkel 1997), wird sich im weiteren die Berechnung ausschließlich auf die Analyse der SignifIkanz einzelner l(t)-Punktwerte und der Verweildauerverläufe insgesamt beschränken. Grundlage aller Tests auf SignifIkanz von Punktschätzwerten in VerlaufsdarsteIlungen ist wiederum die Berechnung von Varianz und Standardabweichung. Das KonfIdenzintervall der I(t)-Werte zu einem exakten Aufenthaltstag t wird mit Hilfe der sog. Greenwood-Formel (Formel (31» berechnet, die ursprünglich der Bestimmung der Standardabweichung der Survivalrate diente. n Da die Survivalrate (Verweildauerwahrscheinlichkeit) die "Überlebensfunktion" der I(t) in Wahrscheinlichkeiten ausdrückt, entsprechen sich aber beide Größen. Die Standardabweichung der zu einem Zeitpunkt t+L\ noch im Krankenhaus behandelten Fälle wird berechnet aus: (31)
(TI =1 I+ll . ( I+ll)
L I (I I
llDy
- D ) y=oyylly
wobei: I t+ö
Zahl der zum Zeitpunkt t+ö noch im Krankenhaus behandelten Fälle einer auf 1000 normierten Ausgangspopulation
y
Alle vor t liegenden Aufenthaltstage
Iy
Beobachtete Zahl der zum Zeitpunkt y noch im Krankenhaus behandelten Fälle
öDy
Beobachtete Zahl der Krankenhausabgänge zwischen den Zeitpunkten y und y+ö
Das KonfIdenzintervall eines l(t)-Punktschätzwertes in einem Verweildauerverlauf wird - wiederum unter Annahme der Normalverteilungsapproximation gebildet aus: (32)
Wenn beispielsweise überprüft werden soll, ob sich die Survivalfunktion eines Krankenhauses A von einem Krankenhaus B am 20. Aufenthaltstag signifIkant unterscheidet, so dürften sich unter Anwendung von Formel (32) die Wertebereiche beider Krankenhäuser zum Zeitpunkt t = 20 nicht überschneiden bzw. der Wert filr A im KonfIdenzbereich von B liegen. Sollten sich aber die
~2 Nach M. Greenwood (1926). Zur Herleitung und Anwendung der Formel siehe Harris / Albert 1991: 30 ff.
232
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
Intervalle überlappen, so könnte ein Verlaufsunterschied zwischen beiden Krankenhäusem zu diesem Zeitpunkt nicht mit statistischer Sicherheit festgestellt werden. Dieses Testverfahren kann aber nicht angewandt werden, wenn Krankenhäuser (oder einzelne Fallgruppen) auf die Signiftkanz des gesamten Verweildauerverlaufs hin überprüft werden sollen. Ein mögliches Testverfahren fUr die Verschiedenheit von Survivalverläufen ist das auf der Varianzformel binomialverteilter Größen aufbauende Equal Precision Konjidenzband (Nair 1984)S3 (vgl. Formel (33)). Die Breite des Equal-Precision-Bandes verändert sich dabei mit der Erlebenswahrscheinlichkeit s(t) und hat auf diese Weise fUr alle beobachteten s(t)-Werte und gleichzeitig fUr alle I(t)-Werte die gleiche Genauigkeit (equal precision). Das EP-Konftdenzband wird dabei auf der Grundlage der Survivalraten St gebildet. Für den lt-Verlauf erhält man das Equal PrecisionBand durch Multiplikation der berechneten Grenzwerte fUr den s(t)-Verlaufmit dem Wert der zugrundegelegten Radix. Der Verweildauerverlauf einer Fallgruppe würde sich entsprechend der bereits fUr die I(t)-Punktschätzwerte dargestellte Logik nur dann signiftkant von demjenigen einer Vergleichsgruppe unterscheiden, wenn sich die zu berechnenden Konftdenzbänder nicht überlappen. Für unzensierte DatenS4 wird das beidseitige 95-Prozent-Equal PrecisionKonftdenzintervall berechnet aus: (33)
EP(s,)=s,
[
~J
± 3,06·V~
wobei n die Anzahl der zum Zeitpunkt t=0 in der Berechnung berücksichtigten realen Fälle einer Ausgangspopulation ist.
b) Einige Anwendungsbeispiele Mit Hilfe von Verlaufsdarstellungen lassen sich zahlreiche Fragestellungen differentieller Verweildauerentwicklungen analysieren und nach statistischer Interpretation der Ergebnisse Handlungsstrategien fUr die zukünftige Kranken-
S3 Daneben bestehen zahlreiche weitere Methoden zur Berechnung von Konfidenzbändern (bei unzensierten und zensierten Daten), von denen sicherlich das Konfidenzband nach Kolmogorov-Smimov das bekannteste und am häufigsten verwendete bei unzensierten Daten sein dürfte. Eine ausführliche, kritische Gegenüberstellung der für demographische Verlaufsdaten verwendbaren Konfidenzintervallberechnungen siehe u. a. Chiang 1984; Nair 1984; Harris I Albert 1991. S4 Unzensierte Daten liegen im Fall von Verweildauerverlaufsdarstellungen vor, wenn fUr alle n bekannt ist, wann ein Fall exakt das Krankenhaus verlässt.
V. Alternative Darstellungsvarianten
233
hausplanung ableiten. Auch die zeitliche Entwicklung, die bereits aus der Mittelwertbetrachtung ersichtlich wurde, lässt sich mit Hilfe von Verlaufsanalysen detaillierter darstellen. Abbildung 44 vergleicht auf der Grundlage der DTIStichproben die Verweildauerverläufe der in den Jahren 1978/79, 1982/83 und 1988/89 entlassenen Krankenhausfälle. Insbesondere die "rohe" Verweildauerverteilung der Jahre 1978/79 und 1988/89 war bereits aus Abbildung 41 bekannt. Auch in der Survivalverlaufdarstellung von Abbildung 44 ist zunächst der VerweildaueITÜckgang im· Zeitraum 1978 bis 1989 nachvollziehbar: Gegenüber 1978/79 wurde der Verweildauerverlauf im Jahr 1988/89 wesentlich steiler. Aus der Berechnung der kalenderjahrbezogenen Verweildauerverläufe und der entsprechenden Equal Precision-Konfidenzbänder kann folglich ftir die Entwicklung der durchschnittlichen Verweildauer konstatiert werden, dass sich die Verweildauerverläufe zwischen 1978/79 und 1988/89 signifikant unterscheiden und sich die Verweildauerstrukturen signifikant. verändert haben. Aufgrund des Wandels in der Verweildauerstruktur wurden Patienten des Jahres 1988/89 im Durchschnitt früher aus dem Krankenhaus entlassen als 1978/79 oder 1982/83.
o
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Aufenthaltstag Abbildung 44: Verweildauerverläufe in den DTI-Stichproben 1978/79, 1982/83 und 1988/89 mit Equal-Precision -(EP-) Konfidenzbändern
In Abschnitt IV.3.c wurden bereits verschiedene (potentielle) Einflussfaktoren auf die Verweildauer in Krankenhäusern erörtert und die bis dato unzu-
234
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusem
reichende (von amtlicher Seite zur Verftlgung gestellte) Datengrundlage kritisiert. Mit Hilfe der DTI-Stichproben wurde in Abbildung 45 eine Verlaufsberechnung nach der weiter oben als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal geforderten Entlassungsart der Krankenhauspatienten vorgenommen. ss
1000 900 nach Hause
800 700
Weilerbehandlung in einem anderen Krankenhaus
600 500
in Pftege/Reha-AHB
400 300 200 100 0 0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Aufenlhallslag
Abbildung 45: Verweildauerverläufe mit EP-Konfidenzbändem nach der Art der Krankenhausentlassung (Quelle: DTI, 1978-1989; n = 64716)
Im Fall der nach Hause und in Pflege bzw. Reha-Anschlußheilbehandlung entlassenen Patienten unterscheiden sich die Verläufe signifikant, da sich Verlauf und Konfidenzbänder nicht überlappen. In Pflege entlassene Patienten hatten im Zeitraum 1978 bis 1989 die mit Abstand längste Krankenhausverweildauer, was daraufzuruckzufUhren ist, dass sich deren Verweildauerstruktu-
SS Ebenso wären zahlreiche andere Unterscheidungskriterien möglich. In der Epidemiologie dürften dabei Vergleiche von Verweildauerverläufen einzelner Diagnosegruppen am weitesten Verbreitung gefunden haben. Auf der Grundlage von DTIAuswertungen erfolgte eine diagnosespezifische Verweildauerverlaufsanalyse rur Krankenhauspatienten mit diagnostizierter Altersdemenz, vgl. dazu Dinkel / Lebok, I 997c.
V. Alternative Darstellungsvarianten
235
ren signifikant von denen anderer Fallgruppen unterscheiden. S6 Ganz anders sieht der Verlauf der zur akuten Weiterbehandlung in andere Krankenhäuser überwiesenen Patienten aus. In der ersten Aufenthaltswoche unterscheiden sich die Verläufe der direkt nach Hause entlassenen und in andere Krankenhäuser überwiesenen Patienten noch, indem weiterbehandelte Patienten rascher das Krankenhaus verlassen. In der Folgezeit lassen sich aber keine Unterschiede gegenüber nach Hause entlassenen Patienten erkennen." Folglich gilt filr beide Verläufe, dass sie sich insgesamt nicht mit statistischer Signifikanz voneinander unterscheiden.
1000 900 800
Innere Medizin
700
Gynäkologie & Geburtshilfe
600 500 Chirurgie
400 300 200 100 0 0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Aufenthaltstag
Abbildung 46: Verweildauerverläufe mit EP-Konfidenzbändern nach Fachabteilungen in bundesdeutschen Akutkrankenhäusern (Quelle: DTI, 1978-1989; n = 64716) Auch nach Fachabteilungen ließen sich Verweildauerverläufe differenzieren. In Abbildung 46 sind die Verweildauerverläufe der in der Bundesrepublik am
S6 Sicherlich ist die Verweildauerstruktur aber auch Ergebnis der unterschiedlichen Patientenstrukturen (Case Mix) in den einzelnen Vergleichspopulationen. S7 Leider lässt sich mit den vorliegenden Daten keine Berechnung anstellen, ob die Gesamtkrankenhausverweildauer der in mehr als einem Krankenhaus behandelten Fälle im Durchschnitt höher ist, als bei denjenigen, die nur in einem einzigen Krankenhaus behandelt wurden.
236
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
häufigsten frequentierten Fachabteilungen von Krankenhäusern - Gynäkologie/Geburtshilfe, Chirurgie und Innere Medizin - dargestellt. Unschwer zu erkennen sind die signifikanten Verlaufsunterschiede zwischen allen drei Abteilungen. Da alle drei Verläufe sich ganz erheblich voneinander unterscheiden und darüber hinaus relativ hohe Fallzahlen aufweisen, erbringt die Berechnung eines 95-Prozent-Konfidenzbandes an dieser Stelle nur einen geringftlgigen Erkenntnisfortschritt: Die Verläufe unterscheiden sich bereits ohne statistische Tests derartig stark voneinander, dass sich auch nach Berechnung der Konfidenzbänder nichts an der Signifikanz dieses Ergebnisses ändert. Viel wichtiger bei Vergleichen von Verweildauerverläufen nach Fachabteilungen (aber auch nach der Entlassungsart) ist die Frage, wie stark die Anzahl der zu einem Zeitpunkt t noch im Krankenhaus befindlichen Patienten (oder die Survivalrate) einer jeweils auf 1000 normierten Ausgangspopulation differiert. Für die Beantwortung solcher Fragestellungen wird aber die Berechnung von Punktintervallen mit Hilfe der Greenwood-Formel benötigt. Tabelle 20 vergleicht dabei die l(t) der Fallgruppen aus den Abbildungen 45 und 46 zu verschiedenen Zeitpunkten. Die jeweils zur Anzahl der noch stationär behandelten Fälle zu einem Zeitpunkt t berechneten Konfidenzintervalle sind in der Tabelle kursiv hervorgehoben. Wenn beispielsweise überprüft werden soll, wie hoch der Anteil der Patienten in den sechs Fallgruppen ist, die nach Vollendung des 30. Aufenthaltstages noch im Krankenhaus liegen, so müssen die 1(30)-Werte unter Beachtung der Konfidenzintervalle verglichen werden. Nach 30 Aufenthaltstagen sind bereits 99,2 Prozent aller Frauen, die in der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe behandelt wurden, aus dem Krankenhaus entlassen worden (Spalte 6 in Tabelle 20). Dieses Ergebnis unterscheidet sich signifikant von allen anderen Fallgruppen (CI 1(30): 9,9; 14,8). Der höchste Anteil an noch zu behandelnden Patienten befindet sich bei Patienten, die nach der Krankenhausbehandlung in Einrichtungen der Pflege oder Rehabilitation zur Weiterbehandlung überwiesen wurden (28,6 Prozent, vgl. Spalte 2 in Tabelle 20). Dagegen ist der Ergebnisunterschied zwischen nach Hause und in ein anderes Krankenhaus zur Weiterbehandlung entlassenen Patienten nicht signifikant, da sich die Vertrauensbereiche überlagern.
237
V. Alternative Darstellungsvarianten
Tabelle 20 95-Prozent-Konfidenzintervalle bei Punktschätzwerten der I(t) in Verweildauerverläufen nach Daten des DTI, 1978 bis 1989 (Verläufe nach Art der Entlassung und ausgewählten Fachabteilungen) (I)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
I(t)
I(t)
I(t)
I(t)
I(t)
I(t)
Nach Hause
In Pflege/
In anderes
Abt.
Abt. Innere
Abt. Gynll-
entlassen
Reha-Beh.
KKHUberw.
Chirurgie
Medizin
kol./Geburts -hilfe
0
3
5
10
20
30
40
50
1000 957
1000 985
1000 881
1000 959
1000 948
1000 971
(955,7;
(979,4;
(867,5;
(956,3;
(944,8;
(967,0;
958,9)
991,5)
895,3)
962,1)
951,6)
974,6)
860
941
729
865
872
897
(857,5;
(928,6;
(709,9;
(860,5;
(867,3;
(890,4;
863, I)
952,5)
748,2)
870,3)
877,6)
904,1)
749
896
623
768
799
725
(745,2;
(880,9;
(602,1;
(762,4;
(793,3;
(714,5;
752,2)
911,7)
643,8)
774,5)
805,6)
734,6)
447
769
426
491
620
191
(442,5;
(747,6;
(404,5;
(484,1;
(613,0;
(181,8;
450,5)
790,1)
447,0)
498,4)
627,9)
199,5)
176
493
199
187
311
31
(172,7;
(468,2;
(181,9;
(180,9;
(303,9;
(27,0;
178,8)
518,6)
216,3)
192,1)
318,1)
34,8)
74
286
88
93
140
12
(72,1;
(263,2;
(75,6;
(88,7;
(134,2;
(9,9;
76,3)
308,8)
99,9)
97,0)
144,9)
14k8)
35
158
40
52
67
6
(33,4;
(139,5;
(31,6;
(48,5;
(58,2;
(4,3;
36,3)
176,2)
48,5)
54,9)
65,6)
7,8)
18
95
23
29
28
3
(16,7;
(80,3;
(16,7;
(27,0;
(25,9;
(1,8;
18,8)
109,9)
29,6)
31,8)
31,0)
4,3)
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten des DTI, 1978-1989 (n = 64716)
238
C. Verweildauerentwicklungen in deutschen Krankenhäusern
3. Zusammenfassung Die durchschnittliche Verweildauer wurde in der Vergangenheit kommentarlos als das Strukturmaß rur die Beurteilung der Dauer von Krankenhausaufenthalten verwendet. Wie bei jedem Mittelwertvergleich ist aber auch bei der durchschnittlichen Verweildauer darauf zu achten, weIche Verteilungen um den Mittelwert vorliegen. Aufgrund der linksschiefen Verteilung der Krankenhausverweildauer und der daraus resultierenden hohen Standardabweichung erlaubt die alleinige Betrachtung der Verweildauermittelwerte nur einen groben Einblick in die tatsächlich stattgefundenen Veränderungen bei Krankenhausaufenthalten. Um das Problem der Linksschiefe bei der Mittelwertinterpretation einigermaßen in den Griff zu bekommen, ist die Berechnung zusätzlicher Streuungs- und Lageparameter der Verweildauerverteilung erforderlich. Neben der Standardabweichung sollte zumindest auch der Median der Verweildauer berechnet werden, da er vor allem Auskunft über Veränderungen der Aufenthaltsdauer während der ersten Krankenhaustage gibt. Konfidenzintervalle lassen sich rur die Verweildauermittelwerte in Stichproben nicht direkt ermitteln, sondern nur über den Umweg einer logarithmischen Transformation der Randomvariable. Wenn die aus Stichproben gewonnenen Verweildauermittelwerte mit amtlichen Daten verglichen werden sollen, um Anhaltspunkte über die Repräsentativität der Ergebnisse zu erhalten, müssten vom Statistischen Bundesamt zusätzlich auch logarithmierte Verweildauermittelwerte in ihren Fachserien veröffentlicht werden. Relativ einfach zu berechnende Strukturmaße, die außerdem einen Einblick über die Struktur der Verweildauermittelwerte verschaffen, sind die Kurzlieger- und Langliegerquoten. Je niedriger dabei die Langliegerquote ausflillt, desto weniger stark streuen die einzelnen (individuellen) Verweildauerwerte um das arithmetische Mittel. Zumindest Kurzliegerquoten werden rur den Krankenhausbereich seit Einfilhrung der Krankenhausdiagnosestatistik jährlich vom Statistischen Bundesamt publiziert. Eine alternative Darstellungsform von Verweildauerentwicklungen ist die Berechnung von Verweildauerverläufen. In Anlehnung an die Sterbetafelkonstruktion werden rur jeden Aufenthaltstag Abgangswahrscheinlichkeiten berechnet, die schließlich nach Verknüpfung der einzelnen Verweildauerfehlfunktionen einen typischen Survivalverlauf ergeben. Im Gegensatz zur Darstellung der Entwicklung der "rohen" Verweildauermittelwerte entlang einer Zeitachse enthält die graphische Gegenüberstellung von Verweildauerverläufen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zusätzliche Informationen zur Verweildauerstruktur in Krankenhäusern. Da die Berechnungen in der Regel auf Stichproben basieren, sind aber stets entsprechende statistische Testverfahren zur ÜberprU-
V. Alternative Darstellungsvarianten
239
fung der Signifikanz der gewonnenen Ergebnisse fUr einzelne Punktschätzwerte oder für den Gesamtverlauf anzuwenden. Mit dem derzeit erhobenen amtlichen Datenmaterial der Krankenhausdiagnosestatistik dürfte eine Berechnung von Verweildauerverläufen fUr wichtige Merkmalsgruppen (z. B. nach Fachabteilungen, bedeutenden Diagnosegruppen, Krankenhausgrößenklassen, Bundesländern etc.) durch das Statistische Bundesamt im Prinzip unproblematisch sein. Die Bereitstellung normierter Verweildauertafeln durch die amtliche Statistik könnte dann tatsächlich auch eine der wenigen Möglichkeiten darstellen, die Verweildauer als Indikator fUr Unterschiede in der Krankenhausbehandlung zu nutzen.
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Entwicklung der Verweildauer in stationären Einrichtungen der Bundesrepublik J. Untersuchungsgegenstand und Vorgehensweise In jeder Bevölkerung finden demographische Prozesse statt, die das Gesundheitswesen und die damit verbundene Ausgabenentwicklung eines Landes nachhaltig beeinflussen. Besonders die Bundesrepublik folgt seit Jahrzehnten einer demographischen Entwicklung, die nach den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen die Marktmechanismen im Gesundheitswesen bereits in der jüngeren Vergangenheit in Richtung einer "ungünstigeren" Kostenentwicklung gelenkt haben soll. I Tatsächlich vollzog und vollzieht sich ein "demographischer Wandel" in der Bundesrepublik, der im Ergebnis zu einem deutlichen Anstieg der Seniorenanteile bis zum Jahr 2025 fUhren wird. Außerdem wird sich aufgrund der demographischen Alterung das Krankheitspanorama durch Zunahme chronischer Krankheiten und Multimorbidität verändern. Im Zuge dieser Veränderungen sind auch VerhaItensänderungen von Seiten der Nachfrager (Patienten) und der Leistungserbringer zu erwarten und die bestehenden Versorgungsstrukturen dürften den sich verändernden Gegebenheiten angepasst werden. Schließlich beeinflusst die sich verändernde Nachfragestruktur nach Gesundheitsleistungen in der Bevölkerung die zahlenmäßige und strukturelle Entwicklung einzelner Berufsgruppen (u. a. Ärzte, Pflegepersonal). Der Zusammenhang zwischen veränderter Nachfragestruktur einer demographisch älter werdenden Gesellschaft und der Angebots- und Leistungsentwicklung betrifft dabei den ambulanten wie stationären Bereich gleichermaßen. Aus dem ersten und zweiten Kapitel ist ftlr das bundesdeutsche Krankenhauswesen bereits bekannt, dass die durchschnittliche Verweil dauer seit Jahren
I Untersuchungsergebnisse zur Auswirkung der demographischen Entwicklung auf die Kostenentwicklung einzelner Teilbereiche des bundesdeutschen Gesundheitswesens finden sich u. v. a. bei Camphausen 1983; Lefelmann / Borchert 1983; Hofmann 1990; John / Wolter 1990; Buttler / Fickel 1992; Dinkel 1993; Schmähl 1993a, 1993b; Bruckenberger 1994d; Fickel 1994; Pfaff 1994; Zweifel/Felder et al. 1994; Düllings 1995b; Pfaff / Wassener 1995; Sachverständigenrat 1996; Schneekloth 1996.
I. Untersuchungsgegenstand
241
sank, während umgekehrt die Zahl der Krankenhausflllle anstieg. Bisher nahezu unberücksichtigt bei der Betrachtung dieser gegenläufigen Entwicklungen blieben mögliche demographische Ursachen. Um die Wirkung der vergangenen demographischen Entwicklung auf die durchschnittliche Verweildauer in den alten und neuen Ländern von einem festgelegten Zeitpunkt ab zu quantifizieren, werden zum Ende dieses Kapitels demographische Dekompositionsberechnungen auf der Grundlage des filr die eigene Untersuchung vorliegenden Datenmaterials und mit Hilfe des sog. DEPOP-Bevölkerungsprognosemodells durchgeftlhrt (Abschnitt IV). Dabei wird untersucht, wie sich die Fallzahl, das Pflegetagevolumen und die Verweildauermittelwerte abweichend vom "tatsächlich beobachteten" Verlauf bis zum Jahr 1996 entwickelt hätten, wenn die demographischen Parameter Mortalität, Fertilität und Wanderung einzeln oder in Kombination alternativen Entwicklungspfaden gefolgt wären. Die Bevölkerungsentwicklung in den alten und neuen Bundesländern wird folglich von einem festen Startpunkt aus in seine einzelnen Komponenten zerlegt und in ihrem jeweiligen Ergebnis analysiert. Der isolierte Effekt der "tatsächlich beobachteten" Mortalitätsentwicklung auf Fallzahl-, Pflegetage- und Verweildauerentwicklung entstünde beispielsweise, wenn von einem in der Vergangenheit liegenden Ausgangsjahr t-n die Fertilität des Jahres t-n konstant geblieben wäre, keine Zu- und Fortzüge auf allen Altersstufen und ft1r beide Geschlechter stattgefunden hätten und ausschließlich die Mortalität der tatsächlich beobachteten Entwicklung gefolgt wäre. Um zu verstehen, warum die aus den einzelnen Dekompositionsberechnungen resultierende Verweildauer von den tatsächlich beobachteten Werten abweicht, erfolgt zu Beginn des Dritten Kapitels eine ausftlhrliche Analyse der bisherigen Bevölkerungsbewegung in alten und neuen Ländern, wobei die Veränderungen der demographischen Parameter Mortalität, Fertilität und grenzüberschreitende Wanderungen im Vordergrund stehen (Abschnitt 11). Folgen der Parametervariationen sind ein in den Jahren (t-n)+i von der tatsächlichen Entwicklung abweichender Bevölkerungsbestand und eine veränderte Bevölkerungsstruktur. Dies ist vor allem im Hinblick auf die bis dato stattgefundenen Altersstrukturveränderungen in der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik zu beachten. Wäre beispielsweise die Wohnbevölkerung aufgrund eines (hypothetischen) isolierten Fertilitätseffektes bis zum Endjahr der Betrachtung im Jahre 1996 stärker demographisch gealtert als die tatsächliche Bevölkerung, d. h., der Anteil von Personen in einem Alter von 60 und älter fiele in dieser Dekompositionsvariante höher aus, so wirkt sich dies auch unmittelbar auf eine veränderte Krankenhausfallzahl und ein verändertes Pflegetagevolumen aus, da beide Größen alters- und geschlechtsabhängig sind. Aus der Division der Summe der (altersspezifischen) Pflegetage durch die Summe der (altersspezifischen) Kran-
16 Lebok
242
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
kenhausfiille resultieren schließlich auf der Grundlage der einzelnen demographischen Dekompositionsvarianten neue Verweildauermittelwerte, die mehr oder weniger stark von der beobachteten Entwicklung abweichen. Für die Ermittlung der über die Dekompositionsberechnungen gewonnenen fiktiven Verweildauermittelwerte ist es aber ganz entscheidend, welche relativen altersspezifischen Fallhäufigkeiten f(x) und welche altersspezifischen Pflegetagehäufigkeiten h(x) zu Beginn der Berechnung bzw. welche Veränderungen angenommen wurden. In diesem Zusammenhang wird in Abschnitt III.I auf der Grundlage des für die eigene Untersuchung vorliegenden Datenmaterials die Veränderung der Altersstruktur der jährlichen Krankenhausfallzahl analysiert und Ergebnisse über die Entwicklung der altersspezifischen Verweildauer vorgestellt. Daneben ist aber bereits aus der fachabteilungsspezifischen Betrachtung der Verweildauerentwicklung bekannt, dass beispielsweise die Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe permanent unterdurchschnittliche Verweildauerwerte aufgewiesen hatte. 2 Da diese Abteilung ganz entscheidend von der Geburtenentwicklung und der Zahl der "potentiellen" Mütter in der Wohnbevölkerung abhängt, wird in gesonderten Berechnungen am Beispiel der alten Länder berücksichtigt, welche Verweildauereffekte entstünden, wenn sich das Patientenmix alternativ zur tatsächlich beobachteten Entwicklung aufgrund veränderter Anteile schwangerschaftsbedingter Krankenhauseinweisungen sowie auch einer veränderten Krankenhausmortalität zusammengesetzt hätte. Zu diesem Zweck wird deshalb in den Abschnitten 111.2 und III.3 die bisherige Entwicklung von Fallzahl und Verweildauer der im Krankenhaus Verstorbenen sowie der schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen und der stationär behandelten Säuglingskrankheiten (bestimmte Affektionen mit Ursprung in der Perinatalzeit) rur alte und neue Länder beschrieben.
1 Siehe dazu die Ausfilhrungen in Abschnitt C.lV.3.b: Verweildauerunterschiede nach Fachabteilungen.
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
243
11. Die demographische Entwicklung der Wohnbevölkerung in den alten und neuen Bundesländern 1. Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland
a) Die Entwicklung der Gestorbenenzahlen in Deutschland Seit 1841 wird jährlich die Zahl der Gestorbenen und Lebendgeborenen in Deutschland statistisch erfasst. Die Entwicklung der Gestorbenenzahlen folgte dabei seit der statistischen Erfassung einem "wellenartigen" Verlauf (Abbildung 47). In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die für die eigene Untersuchung in erster Linie von Interesse ist, fand in der deutschen Wohnbevölkerung (alte und neue Länder zusammen) zwischen 1950 und 1970 ein Anstieg der Gestorbenenzahl statt. Gegenüber dem Nachkriegsmaximum von 989 649 Gestorbenen im Jahre 1972 ging die Zahl der Gestorbenen für alte und neue Länder zusammen in den 1980er und 1990er Jahren deutlich zurück (1997: 812 173)' . Die Betrachtung der Gesamtzahl der in einem Kalenderjahr Gestorbenen erlaubt noch keine differenzierte Aussage über die Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland und dient letztlich nur als Referenz für die später vorzunehmende Analyse der Entwicklung der Krankenhausmortalität und ihrer Bedeutung für die Gesamtsterblichkeit. In diesem Kontext werden die absoluten Gestorbenenzahlen benötigt, um festzustellen, wie hoch der Anteil derjenigen unter allen in einem Jahr Verstorbenen war, die in stationären Einrichtungen verstarben. Die Absolutwerte enthalten selbstverständlich keine zusätzlichen Informationen über die Mortalitätsentwicklung. Um etwa die zahlenmäßige Veränderung der Bevölkerungsbestände zu berücksichtigen, wird als einfach zu berechnendes Sterblichkeitsmaß die sog. rohe Sterberate (crude death rate) verwendet, die definiert ist als Division der Zahl der Gestorbenen eines Kalenderjahres durch die Zahl der mittleren Bevölkerung (= Zahl der durchlebten Jahre).
1 Als vorläufiger Wert der amtlichen Bevölkerungsstatistik für das Jahr 1998 wurden 812 173 Gestorbene genannt (Stand: September 1999).
16'
244
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
1800
in Tausend
Erster Weltkrieg
1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1840
1860
1880
1900
1920
1940
1960
1980
2000
Jahr Anmerkung: 01.09.1939 bis 31.12.1944 ohne Sterbefälle von WehrmachtsangehOrigen
Abbildung 47: Entwicklung der Zahl der Gestorbenen in Deutschland seit 1841
Abbildung 48 zeigt den Verlauf der rohen Sterberate fUr das Deutsche Reich bis 1944 und ab 1946 nach alten und neuen Bundesländer differenziert. Die Sterberate der neuen Länder liegt dabei durchgehend über den entsprechenden Werten der alten Länder. Nach einem kurzfristigen Anstieg der Sterberate in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt katastrophalen Versorgungssituation wurde bereits 1950 der Vorkriegsstand von 13,2 Gestorbenen pro 1000 Einwohner in den alten und neuen Ländern unterschritten. Während der 1950er und 1960er Jahre erfolgte aber ein neuerlicher Anstieg der Sterberate, der vor allem auf Altersstruktureffekte zurückzufUhren war. In dieser Zeit traten die von Kriegseinflüssen weniger stark beeinflussten Geburtsjahrgänge in die höchsten Altersstufen mit dem höchsten Sterberisiko. Dabei wirkten sich diese Effekte wiederum stärker in der Bevölkerung der neuen Länder aus. Mit dem Beginn der 1980er Jahre fand aber in bei den Teilpopulationen ein leichter Rückgang in der Sterberate statt, da nun die zahlenmäßig schwächer besetzten Jahrgänge (die durch Kriegseinfluss stark dezimierten Geburtskohorten 1917 bis 1923) in die höchsten Altersstufen traten.
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern 35
245
Gestorbene pro 1000 Einwohner
30
25
Neue länder
20
15
10
Alte länder
5
1840
1860
1880
1900
1920
1940
1960
1980
2000
Jahr Anmerkung 01.09.1939 bis 31.12.1944 ohne Sterbefälle von Wehrmachtsangehörigen
Abbildung 48: Entwicklung der rohen Sterberate in Deutschland seit 1841
Die hohe Sterberate ist aber wie die Absolutzahl der jährlich Gestorbenen ein wenig aussagekräftiges Maß zur Beschreibung der Mortalitätsdynamik in alten und neuen Ländern, da sie die Altersstruktur der Bevölkerung völlig unberücksichtigt lässt. Nur bei Kenntnis der Veränderungen in der Altersstruktur der Wohnbevölkerung lässt sich jeweils die Entwicklung beider Mortalitätsmaße annähernd genau interpretieren und altersstrukturbedingte Veränderungen der Sterberate werden erklärbar. Da rur die eigenen Dekompositionsberechnungen mit Hilfe des DEPOP-Bevölkerungsprognosernodells (vgl. Abschnitt IV) ohnehin Angaben über die Zahl der Überlebenden der jeweiligen Sterbetafelbevölkerung (die l(x)-Werte einer auf 100 000 normierten Sterbetafelpopulation') als Input-Dateien benötigt werden, ist eine altersspezifische Betrachtung der Sterblichkeitsentwicklung in den alten und neuen Ländern nicht nur sinnvoll, sondern rur das weitere Vorgehen sogar notwendig.
, Im Gegensatz zur rohen Sterberate ist die Zahl der Überlebenden im Alter x aus den Sterbetafeln von Altersstruktureffekten der Wohnbevölkerung bereinigt und wird ausschließlich von der Mortalitätsentwicklung bestimmt.
246
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
b) Die Entwicklung von Säuglings- und Müttersterblichkeit in den alten und neuen Bundesländern
Zur Konstruktion einer (Perioden-)Sterbetafel werden Mortalitätsangaben rur alle einzelnen Altersstufen in einem Kalenderjahr benötigt, um altersspezifische Sterbe- und Überlebenswahrscheinlichkeiten zu bilden, aus denen sich letztlich das in der Öffentlichkeit häufig verwendete, rein hypothetische Maß "Lebenserwartung im Alter x" e(x) errechnet. Ein wichtiges altersspezifisches Mortalitätsmaß rur die Konstruktion von Sterbetafeln, aber auch rur regionale Mortalitätsvergleiche, ist die Säuglingssterberate. Sie wird rur internationale Vergleiche gebildet aus der Zahl der Säuglingssterbefalle (Zahl der nach Lebendgeburt bis zum ersten Geburtstag verstorbenen Säuglinge) bezogen auf 1000 Lebendgeborene eines Jahres.' Bei der Interpretation der Säuglingssterberate ist es in jeder Berechnungsmethode entscheidend, wie eine Lebendgeburt definiert wird und wie sich diese per definitionem von einer Totgeburt unterscheidet. Fälle, die als Totgeburt registriert wurden, dürfen eigentlich bei der Berechnung einer Säuglingssterberate nicht berücksichtigt werden, was aber dennoch in verschiedenen nationalen Statistiken getan wird. In der amtlichen Statistik der Bundesrepublik werden seit 1957 all diejenigen Säuglinge als lebendgeboren bezeichnet, bei denen nach der Entbindung das Herz zu schlagen begonnen oder die Atmung eingesetzt oder die Nabelschnur pulsiert hat. Alle anderen Geborenen wurden von der amtlichen Statistik zunächst aufgrund ihrer Körpergröße, später aufgrund ihres Körpergewichtes als totgeboren definiert. Zwischen 1979 und 1991 wurden Totgeborene ab einem Geburtsgewicht von mehr als 1000 Gramm statistisch erfasst, ab 1991 mit einem Geburtsgewicht von mehr als 500 Gramm. In der ehemaligen DDR wurde ein Säugling als lebendgeboren registriert, wenn Herztätigkeit und Lungenatmung einsetzten und - falls eines oder beide der genannten Lebenszeichen nicht vorhanden waren - das Gewicht der Säuglinge mindestens 1000 g betrug (Statistisches Bundesamt: Sonderreihe mit Beiträgen über das Gebiet der ehemaligen DDR, Heft 27,1995: 191).
, Zu den verschiedenen Messkonzepten der Berechnung von Säuglingssterblichkeit und die Bedeutung des Körpergewichtes von Säuglingen für die Mortalität im ersten Lebensjahr wird ausführlich im demnächst erscheinendenden zweiten Band des Demographie-Lehrbuches von R. H. Dinkel Stellung bezogen (Demographie. Band 2: Mortalität. München: Vahlen, in Vorbereitung).
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
247
260 Säuglingssterberate 240 220
120 100 80 60 40 20
o
,
1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr -------------
Abbildung 49: Entwicklung der Säuglingssterblichkeit pro 1000 Lebendgeborene in Deutschland
Die strenge Definition der Lebend- und Totgeborenen in der amtlichen Bundesstatistik dürfte auch ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass die ehemalige DDR in den 1970er Jahren eine niedrigere Säuglingssterblichkeit aufwies als das frühere Bundesgebiet (Abbildung 49).6 Trotz unterschiedlicher Definitionen der Lebend- und Totgeborenen in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik führte die in der Öffentlichkeit Anfang der 1970er Jahre als zu hoch bewertete Säuglingssterberate zu zahlreichen, staatlich geförderten Interventionen in der Perinatalmedizin (die ausschließlich in Krankenhäusern erfolgten), so dass die Bundesrepublik heute (alte und neue Länder zusammen) über eine der weltweit niedrigsten gemessenen Säuglingssterberaten überhaupt verfügt. Der Unterschied in den Säuglingssterberaten der alten und neuen Län-
" Im Jahre 1960 lag die Säuglingssterberate im früheren Bundesgebiet mit 33,8 noch deutlich unter den Werten der ehemaligen DDR (38,8). Im Jahre 1970 befand sich die Säuglingssterberate der alten Länder mit 23,6 über dem in der DDR gemessenen Wert von 18,5, wobei stets die unterschiedlichen Definitionen zu beachten sind.
248
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
der ist bereits im Jahr 1998 marginal (4,6 in den alten und 4,8 in den neuen Ländern). Mit der Säuglingssterblichkeit eng verknüpft ist die Müttersterblichkeit, die ebenso unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Entbindung einsetzt und in Form des Kindbettfiebers über Jahrhunderte die für erwachsene Frauen wichtigste Todesursache bildete. Während sich die Säuglingssterblichkeit ausschließlich auf die Nulljährigen bezieht, erfolgt die Berechnung der Müttersterblichkeit über altersspezifische Mortalitätsangaben der Frauen in den reproduktiven Altersstufen (Alter 15 bis 49). Im Gegensatz zur Säuglingssterblichkeit, die über die Bevölkerungsstatistik gemessen wird, gewinnt man in der Bundesrepublik die Angaben über die Müttersterblichkeit über die Todesursachenstatistik. Wegen des direkten Zusammenhangs der Müttersterblichkeit mit der Geburtenentwicklung wird die Müttersterblichkeit in der amtlichen Statistik in der Form gemessen, dass die Müttersterbefälle (Sterbefälle von entbundenen Frauen mit der Hauptdiagnose aus IeD 630-676 der Todesursachenstatistik) auf 100 000 Lebendgeborene (aus der Bevölkerungsstatistik) bezogen werden. Wie tUr die Säuglingssterblichkeit gilt auch für die Müttersterblichkeit, dass sich die Verhältnisse gegenüber dem 19. Jahrhundert grundlegend verändert hatten (Abbildung 50). Müttersterblichke~sziffer
600 550 500 450
Deutsches Reich
400 350 300 250 AHe länder
200
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
Jahr
Abbildung 50: Entwicklung der Müttersterblichkeit pro 100 000 Lebendgeborene in Deutschland
2000
H. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
249
Bemerkenswert an der Entwicklung ist dabei die verhältnismäßig lange andauernde Beständigkeit der Müttersterblichkeit auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts, obwohl die Säuglingssterblichkeit auch schon zu dieser Zeit kontinuierlich abnahm. Die entscheidende Ursache für die relativ hohe Müttersterblichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag - wie bereits von damaligen Medizinern erkannt - in dem überhöhten Infektionsrisiko in Krankenhäusern, so da die Reduzierung der Müttersterblichkeit trotz der Verringerung der Hausgeburten zur Jahrhundertwende erst durch Verbesserungen im Bereich der Krankenhaushygiene erreicht werden konnte. Danach nahm aber die Müttersterblichkeit rapide ab, was sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte. Im Jahre 1997 starben in Deutschland bezogen auf 100 000 Lebendgeborenen gerade noch 6,0 Frauen im Zusammenhang mit Entbindung oder Schwangerschaft (insgesamt 49 Fälle). Das Risiko einer Frau, während einer Schwangerschaft, unmittelbar vor, während oder nach der Entbindung zu versterben, liegt somit in den alten und neuen Ländern nahe Null.
c) Die Entwicklung der Lebenserwartung
in den alten und neuen Bundesländern
Folge des Rückgangs der Säuglings- und Müttersterblichkeit ist eine gegenüber den 1950er Jahren deutlich veränderte Struktur der alters spezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten", in der die einjährigen Sterbewahrscheinlichkeiten im Alter 0 für Männer und Frauen sowie in den Altersstufen 15 bis 49 für Frauen deutlich abgenommen hatten. Ein Vorteil der Verwendung altersspezifischer Sterbewahrscheinlichkeiten gegenüber der rohen Sterberate ist, da sie die Überlebensverhältnisse der einzelnen Altersstufen genau (d. h., von Einflüssen ungleich besetzter Altersgruppen bereinigt) abbilden und keine multiplikative Verknüpfung der einzelnen Altersangaben wie etwa beim hypothetischen Maß Lebenserwartung bei Geburt erfolgt. In Abbildung 51 werden die altersspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten q(x) von Männern und Frauen exemplarisch auf der Grundlage der abgekürzten. Sterbetafel 1994/1996 des Statistischen Bundesamtes verglichen.' Um überhaupt Unterschiede zwischen Männern und
7 In der Terminologie bei der Konstruktion von Verweildauerverläufen (Abschnitt V.2.a im vorangegangenen Kapitel) entspricht die Berechnung der altersspezifischen einjährigen Sterbewahrscheinlichkeit q(x) in Sterbetafeln den tagesspezifischen Abgangswahrscheinlichkeiten q(t). M Im Gegensatz zu vollständigen, aus Volkszählungsergebnissen gewonnenen Sterbetafeln "kürzt" eine abgekürzte Sterbetafel auf der Grundlage der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung die Berechnung der Sterblichkeit ab Alter 90 ab.
250
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
Frauen - vor allem in den unteren Altersstufen - zu erkennen, wurde fiir diese Darstellung ein logarithmischer Maßstab gewählt. Die Sterbewahrscheinlichkeiten von Männem liegen für alle Altersstufen über den Werten der Frauen. Bei Männem würde nach dieser Sterbetafelberechnung eine einprozentige Sterbewahrscheinlichkeit ab dem Alter 56 erreicht werden, bei Frauen ab dem Alter 64.
Altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeit
~UEN
0,1
MÄNNER
0,01
0,001 /"/
0,0001
o
10
20
30
//
/"
/
40
50
60
70
80
90
Alter
Abbildung 51: Einjährige altersspezifische Sterbewahrscheinlichkeiten nach der abgekürzten Sterbetafel 1994/1996. Deutschland gesamt, logarithmischer Maßstab
Nur in den hohen und höchsten Altersstufen werden für beide Geschlechter größere Sterbewahrscheinlichkeiten errechnet. Selbst der früher stärker ausgeprägte "Unfallbuckel" bei Männem im jungen Erwachsenenalter (vor allem Verstorbene aufgrund von Verkehrsunfällen) ist mittlerweile (zumindest fiir das gesamte Bundesgebiet) stark zurückgegangen und die altersspezifischen einjährigen Sterbewahrscheinlichkeiten liegen fiir Männer im Alter 18 bis 22 bei Werten um 0,001. Für die demographische Dekomposition der Bevölkerungsentwicklung in den alten und neuen Bundesländern mit Hilfe des später verwendeten Prognosemodells wird die jeweils aus den verschiedenen Periodensterbetafeln der amtlichen Statistik gewonnene Zahl der Überlebenden einer auf 100 000 normierten Sterbetafelpopulation (= Erlebenswahrscheinlichkeit I(x)) benötigt. Ei-
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
251
ne umfassende Beschreibung der Problematik bei der Verwendung von Periodenwerten in der Mortalitätsanalyse kann an dieser Stelle aus thematischen Gründen nicht vorgenommen werden, weshalb auf die entsprechende deutsche und internationale Literatur verwiesen wird (u. a. Chiang 1984; Esenwein-Rothe 1984; Harris / Albert 1991; Dinkel 1992, 1996).
Überlebende Frauen in Tausend
100 ·k~~======----_ _ 90 . . ·.cc=. -':'-~_=_~-~~=:~.
1960/62 1970/72
80 -
70 60 50
40 30 -
20 . 10
o ;
o
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
I
Alter II ________________________________________________________
~
Abbildung 52: Verlauf der Erlebenswahrscheinlichkeiten I(x) flir Frauen in den alten Ländern. Sterbetafeln 1950/52, 1960/62 und 1970/72 sowie abgekürzte Sterbetafel 1994/96
Abbildung 52 vergleicht am Beispiel der Frauen in den alten Ländern die l(x)-Verläufe der vollständigen Sterbetafeln 1950/52, 1960/62 und 1970/72 sowie der abgekürzten Sterbetafel 1994/96. Da die Sterbewahrscheinlichkeiten in den unteren Altersgruppen - insbesondere bei den Sterbetafeln 1960/62, 1970/72 und 1994/96 - sehr niedrig sind, fallen die Unterschiede zwischen den Sterbetafeln erst in den oberen Altersstufen auf. Vor allem in den Altersstufen oberhalb Alter 50 ist im l(x)-Verlauf der abgekürzten Sterbetafel 1994/96 das Ausmaß des allgemeinen Sterblichkeitsfortschritts gegenüber den Tafeln davor ersichtlich: Von 100 000 Personen erleben nach dieser Periodensterbetafelberechnung bereits 83 404 Frauen das 70. Lebensjahr, nach der Periodensterbetafel 1970/72 waren es dagegen nur 73 157 Frauen.
252
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
Um die zeitliche Veränderung in der altersspezifischen Mortalität zwischen Männern und Frauen anschaulicher zeigen zu können, wird in den nachfolgenden drei Abbildungen das Maß Lebenserwartung bei Geburt (bzw. im Alter 60 und Alter 80) verwendet! Durch die Interpretation der e(O)-Werte aus den einzelnen Periodensterbetafeln werden bestehende Mortalitätsunterschiede zwischen alten und neuen Ländern sowie deren Veränderung bis zum Jahr 1996 ersichtlich, die später in Abschnitt IV.2 für eine Bewertung des isolierten Effektes der Mortalitätsentwicklung auf die durchschnittliche Krankenhausverweildauer von Bedeutung sein werden. Auch ist die vergangene Mortalitätsentwicklung nach den verschiedenen Sterbetafelberechnungen der amtlichen Statistik Grundlage für Annahmen über die zukünftige Mortalitätsentwicklung (vgl. Abschnitt IV.3).
Abbildung 53 vergleicht zunächst das Maß Lebenserwartung bei Geburt e(O) (in Periodenmessung) aus den amtlichen Sterbetafelberechnungen für die alten und neuen Länder nach dem Geschlecht. Frauen haben gegenüber Männern eine deutlich höhere Lebenserwartung bei Geburt, wobei sich der Abstand in den 1950er und 1960er Jahren vergrößert hatte und seitdem ungefahr konstant blieb. Zunächst überraschend ist aber in dieser Graphik, dass nach Überwindung der schwierigen ersten Autbaujahre nach Kriegsende der Anstieg des Maßes Lebenserwartung bei Geburt in alten und neuen Ländern zunächst annähernd gleichwertig verlief. 1O
• Zur Berechnung des Maßes Lebenserwartung in einem bestimmten Alter x siehe Chiang 1984; Esenwein-Rothe 1984; Harris / Albert 1991. Das Maß Lebenserwartung bei Geburt in Periodenbetrachtung ist dabei niemals mit dem Wert einer in ihrer Mortalität durchgängig erfassten Geburtskohorte gleichzusetzen. Zur Berechnung und Verwendung von Kohortensterbetafeln siehe Dinkel 1992, 1996; Schott 1996. Es muss an dieser Stelle aber ausdrücklich betont werden, dass das Maß "Lebenserwartung bei Geburt" (oder "ferne Lebenserwartung" von irgendeinem anderen Alter aus) in Periodenschreibweise einen ausschließlich hypothetischen Charakter besitzt. Auch wenn dies in der demographischen Literatur ausführlich beschrieben ist, wird dieses Maß von Nichtdemographen häufig unsachgemäß interpretiert. Hl Beispielsweise lag e(O) nach der amtlichen Sterbetafel 1960/62 bei 66,9 Jahre für Männer und bei 72,4 Jahre für Frauen. Nach der DDR-Sterbetafel 1961 fiel der Unterschied zu dieser Zeit gegenüber den alten Ländern verhältnismäßig gering aus: Das Maß Lebenserwartung bei Geburt nahm für Männer in der damaligen DDR einen Wert von 67,1 Jahren, für Frauen von 72,0 Jahren an.
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
85
~
253
e(O) in Jahren
FRAUEN
:80 Alte Länder (AL)
75
MÄNNER
70
!60
Neue Länder (NL)
45 1945
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 53: Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung bei Geburt e(O) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen
Erst im Jahr 1975 bei Frauen und im Jahr 1977 bei Männern begannen sich die Verläufe des früheren Bundesgebiets und der ehemaligen DDR auseinanderzuentwickeln. Seit der deutschen Einheit reduzierte sich aber der Abstand der Werte für diesen demographischen Parameter zwischen neuen und alten Ländern binnen kürzester Zeit. Nach der abgekürzten Sterbetafel 1995/97 des Statistischen Bundesamtes wurde für Frauen in den neuen Ländern eine Lebenserwartung bei Geburt von 79,0 Jahren und für Männer von 71,8 Jahren (im früheren Bundesgebiet: 80,2 Jahre für Frauen und 74,1 Jahre für Männer) berechnet. Da die Säuglingssterblichkeit der ehemaligen DDR verglichen mit dem früheren Bundesgebiet in den 1970er Jahren infolge unterschiedlicher Definitionen niedriger war, muss die Ursache der Auseinanderentwicklung in anderen Altersstufen zu suchen sein. Abbildung 54 stellt deshalb (wieder in Periodenbetrachtung) das Maß Lebenserwartung im Alter 60 für Frauen und Männer in alten und neuen Ländern dar." Auch in dieser Darstellung ist die Auseinanderentwicklung der Verläufe eindeutig zu erkennen. Bei Frauen öffnet sich die
254
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
Schere zwischen den Verläufen der alten und neuen Länder ab 1964, bei Männem unterscheidet sich die Lebenserwartung im Alter 60 ab 1975.
25
e(60) in Jahren FRAUEN
AL
NL 20
MÄNNER
I
AL
NL
15
10 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 54: Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung im Alter 60 e(60) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen
11 Bereits im Zusammenhang mit der Interpretation des Maßes Lebenserwartung bei Geburt e(O) wurde darauf hingewiesen, dass in Periodenbetrachtung nicht der Verlauf einer durchgängigen Geburtskohorte dargestellt wird. Das Maß Lebenserwartung im Alter 60 mit einem Wert von beispielsweise 20 Jahren im Jahre 1970 bezieht sich auf einen fiktiven Geburtsjahrgang 1970, von dem angenommen wird, dass die auf den einzelnen Altersstufen gemessenen Mortalitätsverhältnisse dauerhaft konstant blieben. Nur in diesem konstruierten Fall wäre e(60) einer Periodensterbetafel aus dem Jahr 1970 identisch mit der tatsächlichen (erst in 60 Jahren messbaren) e(60) des Geburtsjahrganges 1970.
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
255
In einer Untersuchung von Dinkel (1992) konnte mittels Kohortenanalyse anschaulich belegt werden, dass die Auseinanderentwicklung alle Altersstufen betraf und nicht auf einzelne Altersgruppen konzentriert war (Dinkel 1992: 112). Die Abweichung der Überlebenswahrscheinlichkeiten nach Geburtsjahrgängen erfolgte dabei immer altersversetzt. Beispielsweise verschlechterte sich die Überlebenssituation der 1950 in der ehemaligen DDR geborenen Männer gegenüber den alten Bundesländern ab Alter 27, bei den 1949 geborenen Situation erfolgte eine Auseinanderentwicklung ab Alter 28, usw. Die Ursache rur die Abweichung der Mortalitätsverhältnisse konnte deshalb eindeutig als Periodeneffekt identifiziert werden: Ab einem Zeitpunkt (oder einem Zeitraum von wenigen Jahren) veränderten sich die Lebensbedingungen zwischen beiden Teilräumen derartig stark, so dass die Mortalitätsverbesserung in der ehemaligen DDR mit den Entwicklungen im früheren Bundesgebiet nicht mehr Schritt halten konnte (vgl. Dinkel 1992, 1996; Scholz 1996). Abbildung 55 zeigt schließlich die Entwicklungsverläufe der (hypothe-tischen) Lebenserwartung im Alter 80 in der jeweiligen Sterbetafelberechnung des Statistischen Bundesamtes und des Amtes rur Statistik der früheren DDR. Im Vergleich zu den vorangegangenen Abbildungen setzt die Auseinanderentwicklung zwischen alten und neuen Ländern viel früher ein. Während in der ehemaligen DDR im Zeitraum 1950 bis etwa 1980 kein Mortalitätsfortschritt fur Hochbetagte erzielt werden konnte, stieg die Lebenserwartung im Alter 80 (nach der jeweiligen Periodensterbetafel) in den alten Ländern bereits ab 1960 flir Frauen und ab 1969 fur Männer an. Nach der deutschen Einheit vollzieht sich gerade bei Hochbetagten ein besonders schnelles Angleichen der Lebensverhältnisse in alten und neuen Ländern, im besonderen bei Frauen. Nach der abgekürzten Periodensterbetafel 1995/97 des Statistischen Bundesamtes errechnet sich fur Frauen eine feme Lebenserwartung im Alter 80 von 8,2 Jahre in den alten und 7,8 Jahre in den neuen Bundesländern. 12 Folge des Mortalitätsfortschritts in den höchsten Altersstufen in beiden Teilen der Bundesrepublik wird es letztendlich sein, dass immer mehr hochbetagte Männer und Frauen immer länger in diesen Altersstufen verweilen werden (vgl. dazu Abschnitt HA).
12 Im Vergleich dazu lagen die Werte der e(80) nach der Sterbetafel 1960/62 für Frauen in den alten Ländern und nach der Sterbetafel der DDR aus dem Jahre 1961 jeweils bei 5,9 .lahre.
256
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
10 -
e(80) in Jahren
9
FRAUEN AL NL
8
MÄNNER 7-
AL NL
6
5 -
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 55: Entwicklung des hypothetischen Maßes Lebenserwartung im Alter 80 e(80) in den alten und neuen Ländern nach amtlichen Berechnungen
Die bisherige Sterblichkeitsentwicklung hat gezeigt, dass es für den Zeitraum der staatlichen Trennung von neuen und alten Ländern deutliche Unterschiede in der Mortalität beider Bevölkerungen gegeben hatte. Dies betraf zum einen die Säuglingssterblichkeit (die ohnehin unterschiedlich gemessen wurde), zum anderen und weitaus stärker die Sterblichkeit der Erwachsenen, insbesondere in den oberen Altersstufen. Die hypothetische "Restlebenserwartung" betagter Männer und Frauen war in den Periodensterbetafeln der alten Länder bis 1989 deutlich höher als in den neuen Ländern. Nach der Einheit vollzieht sich aber in der Wohnbevölkerung der neuen Länder ein rascher Anpassungsprozeß, von dem zu erwarten ist, dass bereits in einigen Jahren keine Mortalitätsunterschiede zwischen beiden Teilpopulationen auftreten werden. Trotz des Anstiegs in der Lebenserwartung vollzog sich in der Vergangenheit bei den Gestorbenenzahlen und den jährlichen rohen Sterberaten eine Auf- und Abbewegung im Zeitverlauf. Diese Entwicklung ist dabei in erster Linie Resultat ungleich besetzter Geburtsjahrgänge, welche sich (in Vergangenheit und Zukunft) unmittelbar auf die jeweilige Höhe der Gestorbenenzahlen auswirken.
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
257
2. Die Entwicklung der Fertilität in Deutschland a) Die Geburtenentwicklung in Deutschland Bereits in Abschnitt II.I.b wurde bei der Beschreibung der Entwicklung der Säuglingssterblichkeit indirekt darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff "Geburten" mehrere Sachverhalte gleichzeitig gemeint sein können. Geburten schließen in der amtlichen Statistik sowohl die lebend- als auch die totgeborenen Säuglinge ein. Entbindungen (vgl. Abschnitt I1I.3.a) beziehen sich dagegen auf die Anzahl aller entbundenen Frauen, ganz gleich ob es sich bei der Geburt um eine Lebend-, Tot- oder auch Mehrlingsgeburt (Zwillings-, Drillingsgeburt usw.) handelt. Für eine Bevölkerungsprognose (wie auch rur eine demographische Dekompositionsberechnung) wird aber ausschließlich die Zahl der Lebendgeborenen in einem Kalenderjahr benötigt. In Abbildung 56 ist zunächst die Entwicklung der Lebendgeborenenzahlen in Deutschland in seinen jeweiligen Grenzen seit 1841 dargestellt, wobei wiederum ab 1945 zwischen den Lebendgeborenenzahlen 13 in den alten und neuen Ländern unterschieden wird. Gegenüber 1841 stiegen die Lebendgeborenenzahlen zunächst von 1,2 Mio. auf über zwei Mio. gegen Ende des 19. Jahrhunderts an. Seit dieser Zeit ging aber die Anzahl der Lebendgeborenen kontinuierlich zurück, wobei kurzzeitige Einbrüche wie der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik den allmählichen und kontinuierlichen Rückgang jeweils abrupt unterbrachen und im Anschluss zu etwas höheren Geburtenzahlen infolge später realisierter Kinderwünsche filhrten. 14 Der Zweite Weltkrieg verursachte gegenüber dem Ersten Weltkrieg eine etwas veränderte Wirkung auf die Geburtenentwicklung: Zunächst stiegen die Lebendgeborenenzahlen in den Jahren 1939 und 1940 an, bevor sie bis Kriegsende um fast 500 000 zurückgingen. Das Ausmaß des Ersten Weltkrieges, als sich die Lebendgeborenenzahl zwischen 1914 und 1917 mehr als halbierte, wurde aber nicht erreicht.
11 Bei den Lebendgeborenen ist dabei seit dem 19. Jahrhundert für die meisten Jahrzehnte ein Geschlechterverhältnis männlich:weiblich von 105 bis 106: 100 zu beobachten. I. Zur deutschen Bevölkerungsgeschichte - speziell zur Geburtenentwicklung - siehe ausführlich Köllmann 1959; Schmid 1975; Bolte / Kappe / Schmid 1980; Marschalck 1984.
17 Lebok
258
2200
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweil dauer in Tausend
2000 1800 1600 1400
Neue Länder
1200
{_ J\\
1000 800
AL + NL
~Ite Länder
r-
600
J"\./"\.
400 200 1840
1860
1880
1900
1920
1940
1960
1960
2000
Jahr
Abbildung 56: Entwicklung der Lebendgeborenenzahlen in Deutschland seit 1841
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich im Grunde genommen rur alte und neue Länder zusammen der Jahrzehnte zuvor begonnene Rückgang der Lebendgeborenenzahlen fort, der zwischenzeitlich nur durch den sog. Babyboom der 1960er Jahre mit einem neuerlichen Anstieg unterbrochen wurde. Für das frühere Bundesgebiet wurde dabei im Jahr 1964 das Nachkriegsmaximum von 1,065 Mio. Lebendgeborenen erreicht. Bis zum Jahr 1975 reduzierte sich die Lebendgeborenzahl um rund 44 Prozent auf exakt 600512. In Abbildung 56 ist nur schwer zu erkennen, dass bis zu dieser Zeit die Entwicklung in den alten und neuen Ländern (wenn auch auf unterschiedlichem Niveau) annähernd parallel verlief. Dies kommt klarer zum Ausdruck, wenn die sog. rohe Geburtenrate (Zahl der Lebendgeborenen bezogen auf 1000 der mittleren Bevölkerung) gebildet wird. Nach den Verläufen der Geburtenraten (die wegen der Nichtbeachtung von Altersstrukturen auch noch keine eindeutige Erklärung von Verhaltensänderungen zulassen) weichen die neuen Länder von der Entwicklung des früheren Bundesgebietes seit dem Jahr 1975 ab (vgl. Abbildung 57). Seit dieser Zeit schwanken die Geburtenraten im früheren Bundesgebiet um Werte zwischen 10 und 11, während die Geburtenrate in der ehemaligen DDR zwischenzeitlich
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
259
angestiegen ist. Ursache für den schnellen Wiederanstieg der Geburtenrate auf Werte um 14 Lebendgeborene pro 1000 Einwohner waren verschiedene familienpolitische Maßnahmen der SED-Regierung (u. a. Arbeitsplatzsicherung bei Mutterschaft, Verbesserungen im Wohnrecht, Ausbau der Kinderkrippen), die umgehend von der Bevölkerung angenommen wurden (vgl. Schott 1984; Akademie der Wissenschaften der DDR 1989; Wendt 1991). Ab 1990 fiel im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs seit der deutschen Einheit die Geburtenrate der neuen Länder rapide ab und erreichte im Jahr 1994 ihren historischen Tiefststand von 5,4 Lebendgeborenen pro 1000 Einwohner. Seitdem steigen aber Geburtenzahl und -rate in den neuen Ländern wieder an.
45
Lebendgeborene pro 1000 Einwohner
40
35 30 25 20 15 10
5
Neue Länder
o 1640
1660
1660
1900
1920
1940
1960
1960
2000
Jahr -
----
---------------------------------'
Abbildung 57: Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland seit 1841
Aufgrund der Entwicklung der Geburtenrate und der Sterberate kann sich die Bevölkerung der alten und neuen Länder zusammen seit 1971 auf natürlichem Wege nicht mehr "reproduzieren" und müsste seitdem jährlich um etwa ein bis zwei Prozent im Bestand geschrumpft sein (Abbildung 58). Der zahlenmäßig hohe Wanderungsgewinn hatte aber bis dato die Bestandsabnahme verhindert (vgl. Abschnitt 11.3). Wenn später der isolierte Effekt der Fertilität auf die Bevölkerungsentwicklung berechnet wird, so sind infolge der tatsächli17'
260
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
chen Geburtenentwicklung (bei konstanter Mortalität und "Nullwanderung") deutlich niedrigere Bevölkerungsbestände zu erwarten. Da Sterbe- und Geburtenrate gegenwärtig von Altersstruktureffekten beeinflusst werden (aufgrund der dünner besetzten Geburtsjahrgänge in den oberen Altersstufen ging seit Mitte der 1980er Jahre die Sterberate zurück, während umgekehrt die Geburtenrate aufgrund des Hereinwachsens der geburtenstarken Babyboom-Jahrgänge in die reproduktiven Altersstufen zunahm), wurde zwischenzeitlich rur das frühere Bundesgebiet ein natürliches Bevölkerungswachstum ermittelt (vgl. Abbildung 58).
Geburtenrate minus Sterberate
10 8
6 4
2
-2
-4
Neue Länder
-6 -6
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 58: Entwicklung der natürlichen Wachstumsrate in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950
b) Fertilitätsunterschiede zwischen alten und neuen Ländern
Soll der offensichtliche Geburtenrückgang interpretiert werden, so reicht eine Gegenüberstellung von absoluten Zahlen oder einfachen Raten wie in Abbildung 57 nicht aus. In die Geburtenrate würden beispielsweise zu viele andere demographische Effekte einwirken, die mit dem generativen Verhalten ei-
H. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
261
ner Bevölkerung überhaupt nichts zu tun haben (z. B. Veränderung der Altersstruktur in den höchsten Altersstufen). Ein Maß, das die Lebendgeborenenzahl altersbereinigt und nur auf die Frauen in den jeweiligen reproduktiven Altersstufen zwischen Alter 15 und 49 bezieht, ist die altersspezifische Fertilitätsrate m(x), die gewöhnlich auch für die Berechnung von Bevölkerungsprognosen (und später für die eigene Dekompositionsberechnung) verwendet wird. Die sog. Total Fertility Rate (TFR) gibt als Summe der altersspezifischen Fertilitätsraten die Zahl der lebendgeborenen Kinder von einer festen Anzahl von Frauen im Alter 15 bis 49 an. 15 Sollte eine natürliche Bestandserhaltung der Bevölkerung in der Bundesrepublik (ohne Berücksichtigung von Zu- und Fortzügen) gesichert werden, so müsste die TFR unter aktuellen Mortalitätsbedingungen Werte um 2100 (bezogen auf 1000 Frauen im Alter 15 bis 49) annehmen. Wie bereits bei der Beschreibung der Mortalitätsverhältnisse ist auch bei der Interpretation der Fertilitätsentwicklung unbedingt darauf zu achten, ob die TFR in Perioden- oder Kohortenbetrachtung berechnet wurde. In Perioden betrachtung ist sie eine synthetische Messzahl, da die alters spezifischen Fertilitätsraten so aufgefasst werden, als würden sie für eine fiktive Generation im Lebenslauf gelten (BMJFG 1983: 43). In einen Wert für die TFR etwa im Jahr 1998 fließen sowohl die altersspezifischen Fertilitätsraten des Geburtsjahrgangs 1983, die als 15jährige Teenager noch am Anfang ihrer reproduktionsfähigen Lebensphase stehen, sowie der Geburtskohorte 1949 ein, die im Jahr 1998 als 49jährige ihre gesamte Fertilitätsphase abgeschlossen haben. Es liegt auf der Hand, dass die 15jährigen im Jahr 1998 einem anderen Fertilitätsmuster folgen werden, als die 1949 geborenen Frauen, die im Jahr 1964 das Alter 15 erreicht hatten. Wenn folglich Veränderungen im Fertilitätsverhalten sichtbar gemacht werden sollen, wäre' letztlich nur die Kohortenanalyse das zulässige Mittel (Dinkel 1983, 1984b). Mit Hilfe der Kohortenbetrachtung ließe sich leicht ablesen, dass der Fertilitätsrückgang eigentlich schon viele Jahre zuvor "angelegt" war, bevor er in Periodenbetrachtung als "Pillenknick" Ende der 1960er Jahre erkennbar wurde. 16
15
Die TFR wird demnach gebildet aus: 49
49
TFR= Lm(x)= L 15
15
~~x)
P0 (x)
wobei: B(x) Zahl der Lebendgeborenen x-jähriger Frauen. 16 Der höchste Geburtenertrag errechnete sich rur die Kohorten 1932 bis 1934, die kurz nach dem Krieg in die reproduktiven Altersstufen traten (Dinkel 1984b: 30). Nur diese Kohorten erreichten im 20. Jahrhundert das natürliche Bestandserhaltungsniveau.
262
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweil dauer
In Abbildung 59 ist die Summe der alters spezifischen Fertilitätsraten für einzelne Kalenderjahre in Periodenschreibweise dargestellt. Nach dem Anstieg der TFR seit 1957 und dem Ausklingen der Babyboom-Jahre ab 1969 ging die Fertilität im früheren Bunqesgebiet deutlich zurück und schwankte seit 1975 nur noch um Werte zwischen 1250 und 1450. Von den vielfältigen in der Literatur genannten biologischen, medizinischen und sozialökonomischen Ursachen in der generativen Verhaltensänderung wirkte die schrittweise Einführung der Kontrazeptiva am nachhaltigsten. 17
TFR
2600
2200 -
1800 Alte Länder
1400 .
1000
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 59: Entwicklung der Total Fertility Rate (TFR) in den alten und neuen Ländern seit 1950
Alle nachfolgenden Geburtsjahrgänge, die ihre reproduktionsfähige Phase bereits abgeschlossen hatten, lagen dagegen unter dem Reproduktionsniveau. Auch fli~ spätere G~ burtsjahrgänge ist die Annahme eines Erreichens des Bestandserhaltungsmveaus wellig realistisch. 17 Zu den Ursachen des Geburtenrückgangs siehe u. v. a. Birg 1975; Höhn 1976; Feichtinger 1977; Schwarz 1977, 1979; BMFJG 1979; Bolte 1980; Bolte / Kappe / Schmid 1980; Dinkel 1983, 1984b; Schmid 1984; Kiefl / Schmid 1985; Schmid / Schwarz 1985; Huinink 1989; Lengsfeld / Linke / Pohl 1989; Wendt 1991; Höpflinger 1997.
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
263
Auch in der DDR wurden schwangerschaftsverhütende Maßnahmen Anfang der 1970er Jahren legalisiert, und die Total Fertility Rate sank nahezu identisch zur westdeutschen Entwicklung. Nach Einführung verschiedener familienpolitischer Maßnahmen stieg aber die Fertilität in den 1970er Jahren auf nahezu allen Altersstufen (unterschiedlicher Geburtsjahrgänge) an. Auch der dramatische (zwischenzeitliche) Fertilitätsrückgang seit dem Jahr 1990 betraf nahezu alle Altersstufen. Seit 1994 steigt aber die Fertilität wieder an, so dass in wenigen Jahren mit ähnlichen Werten in der Gesamtfertilität zu rechnen ist wie im früheren Bundesgebiet. Die Frauen der ehemaligen DDR unterschieden sich nicht nur hinsichtlich der TFR sondern auch in ihrem Fertilitätsmuster deutlich von westdeutschen Frauen, da sie ihre Geburten im Durchschnitt viel früher bekamen (vgl. Dinkel 1983). Zu Zeiten der DDR lag das Durchschnittsalter der Mütter bei etwa 21 Jahren. Erst zu Beginn der 1990er Jahre begann sich auch in den neuen Ländern das Durchschnittsalter der Mütter in höhere Altersstufen zu verlagern, wobei sich die Fertilitätsverteilungen in alten und neuen Ländern im Jahre 1996 immer noch deutlich voneinander unterschieden. Abbildung 60 stellt exemplarisch für Frauen im früheren Bundesgebiet die Veränderung des Fertilitätsmusters dar. Offensichtlich ist auch in dieser Darstellung der enorme Rückgang der Gesamtfertilität (= das Integral der jeweiligen Fertilitätsverteilung) zwischen 1960 und 1975. Seit dieser Zeit hat sich an der Gesamtfertilität der Frauen in den alten Bundesländern nur wenig verändert, jedoch ist das Durchschnittsalter von etwa 26 Jahren (1975) aufrund 30 Jahre (1996) deutlich angestiegen (vgl. Abbildung 60).
264
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
175
Altersspezifische Fertilitätsraten
mIx)
150 125 100 75
50 25
10
15
25
30
35
40
45
50
Alter
Abbildung 60: Altersspezifische Fertilitätsraten im früheren Bundesgebiet in den Jahren 1960, 1975, 1985 und 1996
c) Exkurs: Die Entwicklung von Schwangerschaftsunterbrechungen in den alten und neuen Ländern
Um in Abschnitt IV.2.f die Effekte einer veränderten Fallzahlentwicklung schwangerschaftsbedingter Krankenhauseinweisungen infolge alternativer Bevölkerungsentwicklungen auf die mittlere Krankenhausverweildauer zu berechnen, reicht die alleinige Betrachtung der Geburtenzahlen nicht aus. Neben der Zahl der Entbindungen sind hierbei auch sonstige schwangerschaftsbedingte Krankenhausflille wie etwa Komplikationen vor, während und nach der Entbindung als auch Fehlgeburten und Schwangerschaftsunterbrechungen zu berücksichtigen. Von Beginn an war dabei die Interpretation der Schwangerschaftsunterbrechungen ein rein gesellschaftliches Problem, das politisiert und letztlich in Form von Gesetzen juristisch fundamentalisiert wurde. Insbesondere die von der Bundesrepublik abweichende Rechtsgrundlage in der DDR entfachte nach Ablauf der im Einigungsvertrag festgelegten Übergangsregelung eine neuerliche und heftige Auseinandersetzung, die schließlich mit Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHAndG) vom 21. August 1995 (vorerst) abgeschlossen wurde. Ein legaler Schwangerschaftsabbruch erfolgt seitdem entweder auf der Grundlage einer Indikation oder ohne Indikation nach Anwendung der sog. Beratungsregelung.
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
265
Eine allgemeinmedizin ische und psychiatrische Indikation liegt nach § 21 8a Abs. 2 StGB vor, wenn nach ärztlicher Erkenntnis der Schwangerschaftsabbruch notwendig ist, um eine Gefahr für das Leben der Schwangeren oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes abzuwenden. Die ethische (kriminologische) Indikation liegt vor, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat (z. B. Vergewaltigung) begangen wurde. Die vor 1995 bestehende eugenische Indikation wurde mit dem SFHÄndG außer Kraft gesetzt. Neben den beiden Indikationsregelungen besteht auch noch die sog. Beratungsregelung: Nach Angabe einer Begründung verlangt die Schwangere vom Arzt den Abbruch, nachdem sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Stelle hat beraten lassen. Während Schwangerschaftsabbrüche nach den bei den Indikationsregelungen von den Kassen vollständig getragen werden, erfolgt eine Kostenerstattung durch die Krankenversicherung bei Anwendung der Beratungsregelung nur in Ausnahmefällen. Auch in der DDR gab es unmittelbar nach der Staatsgründung eine restriktive Handhabung der Schwangerschaftsunterbrechung wie in der Bundesrepublik, in der nach wie vor Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch geregelt sind. Die restriktive Phase betraf vor allem die Zeit zwischen 1950 und 1965, als nach Verabschiedung des "Gesetzes zu Mutter- und Kindschutz und die Rechte der Frau" im September 1950 ein Totalverbot von Schwangerschaftsunterbrechungen (mit Ausnahme bei medizinischer Indikation) ausgesprochen wurde. Die Gründe für diese Vorgehensweise des Staates lagen vor allem im Bevölkerungsrückgang in der DDR zur damaligen Zeit, der bedingt war durch die anhaltende Abwanderung junger Familien in die frühere Bundesrepublik und die oben beschriebenen abnehmenden Geburtenzahlen. Nachdem der Flüchtlingsstrom gen Westen durch den Mauerbau 1961 zum Stoppen kam, wurden auch die Belange der Schwangerschaftsunterbrechung in der DDR "liberalisiert". Im März 1972 wurde in der DDR. das "Gesetz zur Schwangerschaftsunterbrechung" verabschiedet, das innerhalb einer Zwölf-Wochen-Frist den Abbruch einer Schwangerschaft ohne jegliche Indikation legalisierte, wobei die anfallenden Kosten (wie für die Beschaffung von Kontrazeptiva) vom Staat übernommen wurden (vgl. Mahrad 1987). Aufgrund der Legalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung kam es in den Jahren 1972 und 1973 zu einem enormen Anstieg der legalen Unterbrechungen, die in der Folgezeit - parallel zum Rückgang der Geborenenzahlen - wieder etwas zurückgingen (Abbildung 61 a). Nachdem Mitte der I 970er Jahre im Zuge der pronatalen Politik der SED die Geburten wieder anstiegen, erhöhte sich auch die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche. Folgerichtig ging die Anzahl der legalen Abbrüche nach der
266
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
deutschen Einheit in den neuen Ländern zurück, als sowohl Fertilität als auch Heirats- und Scheidungsneigung drastisch abnahmen. Auch im früheren Bundesgebiet stieg infolge einer allmählichen "Liberalisierung" des Strafrechts (u. a. in Zusammenhang mit dem Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechtes 1974) die Zahl der Schwangerschaftsunterbrechungen zunächst deutlich an, wobei zu beachten ist, dass die Werte vor 1976 auf Schätzungen basieren. Auch die Statistikergebnisse der Folgezeit sind mit Vorbehalt zu betrachten, da viele Ärzte ihrer gesetzlichen Auskunftspflicht nicht oder nur unzureichend nachkamen (vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 3, 1997). Im Gegensatz zur DDR-Statistik wurden deshalb in den alten Ländern bis 1995 die legalen Schwangerschaftsabbrüche untererfasst. Mit Verabschiedung des SFHÄndG 1995 ist aber die Auskunftspflicht für alle Leiter der Krankenhäuser und alle Inhaber von Arztpraxen zwingend vorgeschrieben. Prompt stieg deshalb auch die Zahl der Schwangerschaftsunterbrechungen gegenüber dem Jahr 1995 an.
in Tausend
120 110 -
Alte Länder
100 .90 80 70 60 50 40 c
Neue Länder
30 20 10
o
-~~~~~~~'-~~~~~~~~~~'-~~I 1975 1980 1985 1990 1995__ 2000
1970
Jahr
Abbildung 61 a: Entwicklung der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen in den alten und neuen Ländern seit 1970
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
267
Im Jahre 1998 wurden für das gesamte Bundesgebiet insgesamt 131 795 legale Schwangerschaftsunterbrechungen gemeldet. Das Durchschnittsalter der betroffenen Frauen betrug 28 Jahre (bei Lebendgeburten 29 Jahre). In 3,4 Prozent der Fälle handelte es sich um Minderjährige. Mehr als die Hälfte der Frauen (66,3 Prozent) waren verheiratet, 42,1 Prozent ledig. Dabei hatten 37,2 Prozent aller Frauen zum Zeitpunkt der Schwangerschaftsunterbrechung noch keine Kinder (25,2 Prozent hatten ein, 37,6 Prozent mehr als ein Kind). Die Struktur der Schwangerschaftsunterbrechungen hat dabei seit 1996 kaum nennenswerte Änderungen erfahren. Immer noch weist die jährliche Zahl der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen stärkere regionale Unterschiede zwischen alten und neuen Ländern auf: Während in den alten Ländern nur knapp 27 Prozent aller Abbrüche in Krankenhäusern vorgenommen wurden, erfolgten 1998 in den neuen Ländern 72,2 Prozent aller Schwangerschaftsunterbrechungen stationär (im Jahre 1996: 81,0 Prozent, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 3, 1997). Auch ist die Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen in alten und neuen Ländern nach wie vor unterschiedlich. In Abbildung 61 b ist die Entwicklung der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen je 1000 Lebend- und Totgeborene seit den 1970er Jahren dargestellt. Während in den alten Ländern im Zeitraum 1980 bis 1989 pro 1000 Geborene durchschnittlich rund 150 Unterbrechungen kamen, lag die Relation im selben Zeitraum in der ehemaligen DDR zwischen 350 und 400, nachdem Mitte der 1970er Jahre der sog. "Legalisierungseffekt" (Mahrad 1987) abgeklungen war. I. In den Jahren 1991 und 1992 erfolgte in den neuen Ländern bei stark abnehmender Geburtenzahl ein kurzfristiger Anstieg der Abbrüche pro Geborene, der sich somit als Vorwegnahmeeffekt identifizieren lässt, bevor die Übergangsregelung für Schwangerschaftsunterbrechungen 1992 in Kraft trat. Seit jener Zeit fallen aber auch in den neuen Ländern die Schwangerschaftsunterbrechungen pro Lebend- und Totgeborene. Im Jahr 1996 erfolgte ein leichter Wiederanstieg, der aber im Vergleich zum früheren Bundesgebiet geringer ausfiel, da die Untererfassung der Abbrüche vor allem auf die ambulant erfolgten Unterbrechungen zurückzuführen ist, die in den neuen Ländern immer noch relativ selten praktiziert wurden.
I' Die ehemalige DDR hatte aber unter den ehemals sozialistischen Ländern eine vergleichsweise niedrige Indikationsrate (vgl. Mahrad 1987). Nur Polen hatte noch niedrigere Werte. Raten von 1000 und mehr wurden dagegen zeitweise in Bulgarien, Rumänien und in der ehemaligen Sowjetunion erreicht.
268
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer 600 550 500 450 400 350
Neue Länder
300 250 200 Me Länder
150 100 50 0 1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 61 b: Entwicklung der legalen Schwangerschaftsunterbrechungen je 1000 Lebend- und Totgeborene in den alten und neuen Ländern seit 1970
3. Die Entwicklung von Zu- und Fortzögen über die Grenzen des Bundesgebietes a) Zahlenmäßige Entwicklung
Nachdem die natürliche Bevölkerungsbewegung zu Beginn der 1970er Jahre unter das Bestanderhaltungsniveau fiel, ist der dennoch stattgefundene Bevölkerungsanstieg in der Bundesrepublik ausschließlich auf Wanderungsgewinne zurückzuführen. Für die jüngere Bevölkerungsgeschichte der Bundesrepublik sind folglich die jährlichen Zu- und Fortzüge über die Grenzen des Bundesgebietes (Außenwanderung) der wesentliche demographische Parameter für das Wachstum im Bevölkerungsbestand und daraus resultierend zum Teil auch für Veränderungen in der Bevölkerungsdynamik gewesen. I9
19 Zur Bedeutung der Außenwanderung für die Bevölkerungsdynamik in schrumpfenden Bevölkerungen siehe vor allem Dinkel 1990.
H. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
269
Auch in der ehemaligen DDR waren die jährlichen Zu- und Fortzüge häufig die bestimmenden Größen für Veränderungen im Bevölkerungsbestand. Während aber in der Vergangenheit (bis auf wenige Ausnahmejahre ) ein nahezu durchgängiger positiver Außenwanderungssaldo zu einem deutlichen Bevölkerungsanstieg im früheren Bundesgebiet beigetragen hatte (vgl. Dinkel / Meinl 1992), verursachte die Nettoabwanderung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in den Jahren 1946 bis 1961 (aufgrund derer schließlich der Mauerbau als bevölkerungspolitische Maßnahme beschlossen und vollzogen wurde) sowie in den Jahren unmittelbar vor und nach der deutschen Einheit erhebliche Bevölkerungsverluste. Eine "Nichtbeachtung" der tatsächlich stattgefunden Bevölkerungsumverteilungen durch die Außenwanderungsbewegungen (bzw. Binnenwanderungen zwischen den bei den deutschen Teilpopulationen) in den später durchzuführenden Dekompositionsberechnungen muss deshalb zwangsläufig zu deutlich abweichenden Ergebnissen in Bevölkerungsbestand und Bevölkerungsstruktur führen.
Deutsche Einheit
in Tausend
1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200
Fortzüge
o 1950
1955
1960
-
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Jahre mit Nettoabwanderung (Fortzüge > Zuzüge)
Abbildung 62: Zu- und Fortzüge über die Grenzen des Bundesgebietes 1950 bis 1998
270
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
In Abbildung 62 sind die Veränderungen der jährlichen Zu- und Fortzüge für die Bundesrepublik in ihren jeweiligen Grenzen (ab 1990 alte und neue Länder) zusammengefasst. Insgesamt erlebte die Bundesrepublik bisher nur drei kurze Phasen mit Nettoabwanderung, ansonsten aber durchgängig Außenwanderungsgewinne, die im Durchschnitt eine Personenzahl von annähernd 300 000 jährlich neu hinzugewonnenen Bürgern im Zeitraum 1950 bis 1998 erbrachten. Die Bundesrepublik zählt deshalb heute zu den bedeutendsten Zuwanderungsländern weltweit (vgl. Dinkel / Lebok 1994b).2° Das Wanderungsvolumen (Zuzüge plus Fortzüge) ist dabei gegenüber den 1950er und 1960er Jahren deutlich angestiegen. Auffallend ist in dieser Darstellung außerdem, dass gewöhnlich jeder Anstieg bzw. jeder Rückgang der Zuwanderungszahl in den Folgejahren eine Zu- bzw. Abnahme der Fortzüge nach sich zieht. In der Bevölkerungsgruppe der Abwanderer befinden sich hauptsächlich Personen, die einige Jahre zuvor in die Bundesrepublik eingereist sind und nun wieder in ihre Herkunftsgebiete remigrieren. 21
b) Veränderungen der Alters- und Geschlechtsstruktur bei Zu- und Fortzügen
Für die langfristige Bevölkerungsentwicklung viel wichtiger als die jährliche Zahl der Zu- und Fortzüge ist die Struktur der Migranten. Selbst aus einem ausgeglichenen Wanderungssaldo (z. B. 500 000 Zuzüge und 500 000 Fortzüge) könnte ein langfristig positiver demographischer Effekt resultieren, wenn sich die Zuwanderungspopulation bei weitgehend ausgeglichenem Geschlechterverhältnis mehrheitlich aus jugendlichen Altersgruppen zusammensetzt, während die Abwanderungspopulation im Durchschnitt demographisch älter ist. 22 Aus der Literatur ist bekannt, dass sich neben der jährlichen Zahl der Zu-
2U Würde allein der (Brutto)Zuwanderungsstrom betrachtet werden, so wäre die Bundesrepublik sogar seit einigen Jahrzehnten das weltweit größte Zuwanderungsland (Lebok / Scholz / Luy 1999). Tatsächlich muss aber in der Migrationsanalyse immer auch die jährliche Abwanderung berücksichtigt werden, was aber beispielsweise in den Wanderungsstatistiken der USA und Kanadas nicht erfolgt. 21 In erster Linie handelt es sich bei dieser Personen gruppe um nichtdeutsche Staatsbürger ("Ausländer"). Da in den letzten zehn Jahren die Zuwanderung in großen Teilen auch vom Aussiedlerzuzug bestimmt wurde, wird der Nettowanderungssaldo dadurch mehrheitlich von "Deutschen" getragen. Dies liegt vor allem daran, dass nur eine verschwindend kleine Minderheit der Aussiedler (im Gegensatz zu nichtdeutschen Migranten) nach erfolgter Einreise in die Bundesrepublik zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Herkunftsgebiete zurückwandert. 22 Das für diese Betrachtung zugrundeliegende demographische Konzept ist der sog. "reproductive value" nach Fisher (1930). Wenn beispielsweise Jugendliche aus einem Land A in ein Land B wandern, so entnehmen sie dem Herkunftsland A die zukünftig
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
271
und Fortzüge über die Grenzen des Bundesgebietes auch die Alters- und Geschlechtsstruktur der Migranten verändert hatten (vgl. Dinkel! Lebok 1993b). Um nicht jede sich für einzelne Kalenderjahre ergebende Altersstruktur der Zu- und Abwanderer im Zeitraum 1960 bis 1996 darzustellen (die aber für die Dekompositionsberechnungen Grundlage sind), enthält Tabelle 21 als Übersicht die für die Interpretation der Außenwanderungsbewegung seit 1960 wesentlichen Informationen. Neben der absoluten Zahl der Zu- und Fortzüge (vgl. Abbildung 62) sind in der Tabelle die Anteile der Frauen, die Anteile der 0 bis 24jährigen sowie der zu- und abwandernden Personen in einem Alter von 50 und älter berechnet. Dabei flUIt auf, dass Frauen im Vergleich zu früheren Jahren stärker an Wanderungsprozessen partizipieren. Dies trifft dabei in größerem Umfang für Zuwanderungen zu. Ohne im Detail auf die Veränderung der Alterszusammensetzung der Zuund Fortzüge sowie deren Ursachen einzugehen, ist festzuhalten, dass die Nettozuwanderungspopulation insgesamt im demographischen Sinne ,jünger" wurde. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass zum einen der Anteil der Personen im Alter 50 und älter bei den Fortzügen gegenüber den I960er und 1970er Jahren angestiegen ist. Zum anderen ging bei den Fortzügen der Anteil der P(0-24) zurück. Zu einem überwiegenden Anteil handelt es sich bei der Personengruppe der P(50+) um ehemalige nichtdeutsche Arbeitsmigranten (sog. "Gastarbeiter"), die ihren Lebensabend in ihrer Heimat verbringen wollen. Folge dieser Altersstrukturveränderung bei Zu- und Fortzügen für die unterhalb des natürlichen Bestandeserhaltungsniveaus liegende Bevölkerungsdynamik der bundesdeutschen Wohnbevölkerung sind langfristig immer stärker wirkende (direkte und indirekte) Effekte der Wanderungsbewegung auf die gegenwärtige und zukünftige Bevölkerungsentwicklung.
von dieser Bevölkerungsgruppe zu erwartenden Geburten und nehmen diese in das Zuwanderungsland B mit (sofern sie nicht sofort wieder zurückwandern). Zur Berechnung, Anwendung und Interpretation des reproductive value-Konzeptes siehe Keyfitz 1985; Dinkel 1989, 1990; Lilienbecker 1991; Lebok 1993; Mueller 1993.
272
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
Tabelle 2/ Veränderung der Alters- und Geschlechtsstruktur von grenzüberschreitenden Zu- und Fortzügen in den jeweiligen Grenzen der Bundesrepublik Anzahl
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1 1992 1 1993 1 1994 1 1995 1 1996 1 1997 1 1998 1
651583 736112 620833 664658 778159 839914 745693 431786 686080 1012245 1072442 987685 903076 967907 629786 456112 498667 539898 575904 666716 753436 625053 420754 372027 457093 512108 598479 614603 903802 1522190 1651593 1134791 1028092 1268004 1070037 1096048 959691 840633 802456
Zuzüge Fortzüge Anteil Anteil Anteil Anteil Anzahl Anteil Anteil d. Frau- P(0-24) P(50+) d. Frau- P(0-24) P(50+) en en 34,63 42,46 37,42 12,66 278696 48, 15 7,97 33,53 41,49 11,24 300403 7,11 31,66 43,36 28,95 38,57 8,99 337610 27,36 41,03 6,32 31,65 37,49 11,77 441 \39 25,96 38,36 6,56 29,48 36,76 10,00 476679 27,71 37,50 7,20 30,69 36,30 9,44 496162 26,72 34,38 7,27 34,56 39,29 9,50 614074 27,06 33,77 6,80 40,97 41,35 12,85 608705 33,92 32,77 6,36 36,78 42,03 35,48 8,39 407940 37,90 7,56 41 ,33 33,95 33,61 6,29 439946 39,46 7,14 33,49 43,73 5,87 498397 31,72 40,05 6,43 35,68 46,83 6,41 30,70 557018 40,52 6,13 50,47 37,82 4,96 572301 32,32 41,77 6,43 49,83 37,68 6,15 583874 34,07 43,53 6,73 45,51 56,15 8,41 639136 35,23 42,60 6,87 47,11 54,11 10,74 655290 38,53 42,87 6,97 46,07 54,20 41,20 10,73 570888 44,47 7,90 54,23 42,22 10,41 507246 45,42 46,69 8,71 54, 11 10,10 460528 41,81 43,62 44,89 9,92 40,37 54,49 9,27 420714 41,27 45,29 10,57 53,28 . 38,43 9,00 441489 38,73 43,42 10,90 42,02 48,44 38,20 41,79 11,33 10,88 472719 44,61 45,81 38,52 14,15 496145 42,65 11,01 41,30 45,57 42,83 15,28 489162 42,33 12,17 45,72 42,25 43,37 13,95 608240 40,20 12,38 44,45 44,01 43,28 12,82 428717 14,81 38,92 44,61 45,05 43,65 12,15 410096 38,07 15,52 46,85 43,24 44,35 13,68 400932 36,43 16,35 44,26 46,90 43,28 \3,08 421947 34,39 17,27 45,85 44,30 43,82 34,33 11,27 544967 17,18 44,47 42,45 43,83 12,00 610595 35 ,69 16,16 41,14 43,86 10,67 555592 33,92 \3,21 37,46 38,78 43,52 11,51 9,18 496484 35,77 34,91 39,19 41,93 10,00 796859 31,77 33,17 10,24 40,57 34,67 40,97 10,93 740526 32,55 11,48 40,64 34,93 30,81 12,00 40,53 10,41 6981 \3 12,05 40,41 40,84 9,72 677494 34,71 30,43 40,93 40,21 14,70 36,06 30,98 10,08 746969 755358
Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten des Statistischen Bundesamtes I Alte und neue Länder zusammen; vorläufige Ergebnisse im Jahre 1998
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
273
4. Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Altersstruktur der bundesdeutschen Wohnbevölkerung a) Zur Definition und Messung von demographischer Alterung
Neben der öffentlich geführten politischen Auseinandersetzung über die zukünftige (gesellschaftlich tragbare) Zuwandererzahl ist die Debatte um die Auswirkungen der sog. demographischen Alterung ein aktuelles demographisches Thema in der bundesdeutschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Diskussion focussiert sich dabei - wie die Diskussion über die Effizienz im Krankenhauswesen - auf die zukünftige Kostenentwicklung und ihre vermeintlichen Ursachen. Auch wenn "Alterung" 23 an sich natürlich ist und als Begriff wertneutral behandelt werden müsste, sind die Auswirkungen einer älter werdenden Gesellschaft für ein Sozialsystem ohne entsprechende flankierende Maßnahmen prekär. Die Bundesrepublik weist neben einer Fertilität unterhalb des natürlichen Bestandserhaltungsniveaus eine steigende Lebenserwartung (insbesondere in den höchsten Altersstufen) auf, so dass die gesamte Population (ohne Berücksichtigung von Zu- und Abwanderungseffekten) "älter" im demographischen Sinne werden muss. Proportional nehmen dabei die höheren Altersstufen einer Bevölkerung (z. B. Personen im Alter 60 und älter) gegenüber den jüngeren zu. Aus der beschriebenen Altersstrukturverschiebung leiten sich auch die verschiedenen Definitionen und Messkonzepte für demographische Alterung (bzw. Verjüngung) ab (Dinkel 1989: 245 ff.). Meistens ist die Definition der demographischen Alterung in der jeweiligen Terminologie der Messkonzepte festgelegt. Die Diskussion aller bestehenden Messkonzepte für demographische Alterung würde in diesem Zusammenhang sicherlich zu weit führen, weshalb an dieser Stelle auf einzelne Literaturstellen verwiesen wird. 24 Wichtig für die Beurteilung von demographischen Alterungsprozessen sind aber dennoch einige Anforderungen an das gewählte Maß. Für eine möglichst exakte Darstellung von Altersstrukturverschiebungen sollte das gewählte Maß die gesamte Altersstruktur erfassen sowie zusätzlich auch bevölkerungsdynamische Aussagen er-
21 Jedes Lebewesen wird älter und "altert". Für die Betrachtung des Älterwerdens auf Individuenebene wird in der Regel der Begriff des biologischen oder chronologischen Alterns verwendet (vgl. dazu Dinkel 1989). 24 Eine Übersicht über bestehende Konzepte zur Messung demographischer Alterungs- und Verjüngungsprozesse liefert Dinkel (1989, 1992). Beispiele für die Anwendung ausgewählter Messkonzepte für die Bundesrepublik finden sich u. v. a bei Dinkel 1989; Dinkel / Lebok 1993a, 1997; Bucher 1996; Andres / Dinkel / Lebok 1998, 1999; Heigl 1998; Heigl / Mai 1998; Lebok / Scholz / Luy 1999.
18 Lebok
274
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
möglichen (vgl. Dinkel 1989). Für eine Interpretation der Stärke der demographischen Alterung ist es wichtig, dass auch Veränderungen im Fertilitäts-, Mortalitäts- und Außenwanderungsverhalten unmittelbar zum Ausdruck gebracht werden können. Teilweise reagieren aber die Maße unterschiedlich auf die einzelnen demographischen Komponenten. Ein relativ leicht zu berechnendes Maß für demographische Alterung ist die Berechnung von Altersgruppenanteilen der höheren Altersstufen und die Beobachtung ihrer Veränderung. Demographische Alterung in der Terminologie dieser Maße findet dann statt, wenn der Anteil der betrachteten höheren Altersgruppe zwischen zwei Zeitpunkten zunimmt. Viele andere Maße schließen sich als Indexdarstellungen an die altergruppenspezifische Betrachtung an, indem unterschiedliche Altersgruppenanteile gegenübergestellt werden. 25 Die bloße Betrachtung von Anteilswerten (z. B. Anteile der P(50+), der P(60+), der P(65+) usw.) kann aber zu Interpretationsfehlern führen, da wie bei der rohen Sterbe- und Geburtenrate nicht die komplette Altersstruktur berücksichtigt wird. Kurzfristig könnte beispielsweise die Situation entstehen, dass trotz Fertilität unterhalb des Reproduktionsniveaus und sich fortsetzendem Mortalitätsfortschritt in den höchsten Altersstufen eine demographische Verjüngung im Ergebnis entsteht. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn bestimmte Jahrgänge in die Gruppe der älteren Bevölkerung hineinwachsen, die deutlich dünner besetzt sind als die Jahrgänge zuvor. Zwei Maße, die um Altersstruktureffekte einigermaßen "bereinigt" wurden, sind das sog. Billeter Maß J und der Aging Index A. Während das Billeter Maß (Formel (34)) sofort auf Fertilitätsveränderungen und Struktureffekte infolge unterschiedlicher alters spezifischer Zu- und Abwanderungen reagiert, ist der Aging Index ein Maß zur Messung von demographischer Alterung, in dem sich vor allem Mortalitatseffekte aufgrund eines Mortalitätsrückgangs bei Hochbetagten unmittelbar bemerkbar machen. Der Aging Index wird eigentlich laut UN-Definition gebildet aus der Relation P(65+)/P(O-14). Da im weiteren die demographische Alterung der jährlichen Krankenhauspopulation unter Berücksichtigung der Altersangaben in den verschiedenen Quellen verfolgt werden soll, wird der Aging Index in der eigenen Untersuchung abweichend zur UNDefinition nach Formel (35) berechnet.
H Der bekannteste Index ist dabei der in der Rentenversicherung häufig verwendete sog. "Alterslastquotient", bei dem die Anzahl der potentiellen Rentner (Personen im Alter 60 oder 65 und älter) auf die Personenzahl im Erwerbsalter bezogen wird.
II. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
(34)
(35)
275
J= (P(O-14)-P(50+)) P(l5 - 49)
A=( P(75+)
P(O-14)
)
Zur Interpretation der beiden vorgestellten Alterungsmaße sei nur anzumerken, dass demographische Alterung in der Logik des Aging Index analog zu den Anteilsmaßen - z. B. P(60+)/P - dann gegeben ist, wenn die Werte zunehmen. Umgekehrt findet dagegen demographische Alterung im Sinne des Billeter-Maßes statt, wenn J im Zeitverlauf abnimmt.
b) Demographische Alterung der Wohnbevölkerung in Deutschland
Das Phänomen der aus Altersstruktureffekten entstehenden Interpretationsfehler wird für die Bundesrepublik in Abbildung 63 verdeutlicht, in der die relative Veränderung unterschiedlicher Altersgruppenanteile gegenübergestellt wurden. Gegenüber 1950 hätte zwar in allen Maßen Alterung stattgefunden, das Ausmaß ist aber je nach gewählten Maß unterschiedlich. Beim Maß P(50+ )/P fiel die demographische Alterung vergleichsweise gering aus. Bei Betrachtung des Maßes P(65+)/P ist zunächst ein relativ rascher Anstieg erkennbar (d. h., zwischen 1950 und 1979 wurde die Bevölkerung im früheren Bundesgebiet demographisch älter), danach stagnierten aber die Anteile (d. h., die Bevölkerung alterte seit 1980 in der Logik dieses Maßes nur unwesentlich).
18"
276
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer 1952=100
700
P(85+) 600 500 400 .
P(50+)
300 P(75+) 200 ..
~
100
o -~~~~~~~r-~~~~~--~~~--~~----~ 1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 63: Relative Veränderung der Bevölkerungsanteile ausgewählter Altersgruppen in den alten Ländern seit 1952
Im Maß P(75+)/P fand zwischen 1989 und 1994 sogar eindeutig eine demographische Verjüngung in der Logik dieses Maßes statt (trotz eines Anstiegs des Maßes Lebenserwartung im Alter 75). Diese Entwicklung ist allein auf den weiter oben geschilderten Altersstruktureffekt zurückzufUhren, indem die dünn besetzten, aufgrund von Kriegseinfluss stark dezimierten Jahrgänge in die Altersgruppe P(75+) hineingewachsen sind, was insgesamt eine Reduktion des Bevölkerungsanteils dieser Altersgruppe verursachte. Bisher ununterbrochen stieg der Anteil der P(85+) in den alten Ländern an, wobei auch hier ab Mitte der 1990er Jahre aus dem genannten Grund mit kurzfristig andauernden Verjüngungseffekten zu rechnen ist. Ein weitaus genaueres Bild über die strukturelle Veränderung der Alterszusammensetzung der Wohnbevölkerung in den alten und neuen Ländern liefern die beiden oben vorgestellten Alterungsmaße, da diese neben Altersstruktureffekten auch Veränderungen in Mortalität, Fertilität und altersspezifischer Wanderung berücksichtigen. In Abbildung 64 ist zunächst fUr beide Teilpopulationen der Aging Index in (selbst gewählten) Definitionen berechnet.
H. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
277
Aging Index P(75+}/P(0-14}
0,8
Frauen
Männer
o
~--
1950
__
~
____ 1960
~~~~~
__
~~~~~~
1970
1980
__
~~~~~
1990
2000
Jahr
Abbildung 64: Demographische Alterung in der Logik des Aging Indexes in den alten und neuen Ländern seit 1950
Wie nicht anders zu erwarten hatten alte und neue Länder noch zu Beginn der 1950er Jahre nahezu identische Altersstrukturen aufgewiesen, die sich in der Folgezeit auseinanderentwickelten. Zunächst war die Bevölkerung der neuen Länder für beide Geschlechter bis 1977 demographisch älter als die Männer und Frauen des früheren Bundesgebietes. Infolge des Wiederanstiegs der Geburtenzahlen und der nur moderaten Fortschritte in der Mortalität in der DDR alterte aber die Bevölkerung der alten Bundesländer in der Folgezeit schneller. Die Verbesserungen der Lebensbedingungen unmittelbar nach der Wende und der damit zusammenhängende Mortalitätsrückgang bei Männern und Frauen (sowie auch der drastische Rückgang der Geburtenzahlen) waren die Hauptursachen für den deutlichen Anstieg des Aging Indizes in den neuen Ländern seit 1989. Aufgrund der höheren Lebenserwartung für Frauen "altem" weibliche Populationen in jedem Alterungsmaß stets schneller als männliche. Im Falle des Aging Indizes vervierfachte sich der Wert bei Männern gegenüber dem Ausgangswert im Jahre 1950, bei Frauen trat dagegen rur denselben Betrachtungsraum eine Verachtfachung ein. Gegenüber dem Aging Index berücksichtigt das alternativ hierzu behandelte Billeter Maß stärker Veränderungen in der Fertilität und in der Altersstruktur von Zu- und Fortzügen. Abbildung 65 kommt da-
278
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
bei fast einer Zusammenfassung aller bisher in Abschnitt 11 geschilderten demographischen Entwicklungen auf dem Gebiet der alten und neuen Länder gleich.
0
Billeter J
-0.05 -0.1 -0.15 Neue Bundesländer
-0.2 -0,25 -0,3 -0,35 -0,4 -0,45 -0,5 1950
1960
1970
1980
1990
2000
Jahr
Abbildung 65: Demographische Alterung in der Logik des Billeter-Maßes in den alten und neuen Ländern seit 1950
Zunächst alterten beide Subpopulationen zu Beginn der 1950er Jahre, was aber in erster Linie auf Altersstruktureffekte zurückzuführen ist (= aufgrund der infolge von Kriegseinwirkung relativ geringen Besetzungsstärke der Personen im Erwerbsalter und des gleichzeitig stattgefundenen Anstiegs der P(50+)). In den neuen Ländern verstärkte sich die demographische Alterung in der Logik des Billeter-Maßes infolge der zahlenmäßig starken Abwanderung junger Bevölkerungsgruppen bis zum Mauerbau. Danach erfolgte sowohl in der DDR als auch im früheren Bundesgebiet eine Phase der demographischen Verjüngung zu Zeiten des Babybooms. Der anschließende Fertilitätsrückgang führte aber im früheren Bundesgebiet zu einer erneuten Phase der demographischen Alterung der Wohnbevölkerung, welche erst gegen Ende der 1980er Jahre (vorübergehend) unterbrochen wurde. Ursache dafür waren wiederum Altersstruktureffekte, da zu dieser Zeit auf der einen Seite sowohl die Null- bis 14jährigen als auch die Personen im Alter 50 und älter gleichermaßen anteilig schwächer besetzt sind als die Jahre zuvor, zum anderen aber die geburten star-
11. Die demographische Entwicklung in den alten und neuen Ländern
279
ken Jahrgänge in die Population der 15 bis 49jährigen Bevölkerung hereingewachsen sind, die zudem durch die starken (altersspezifischen) Wanderungsgewinne jener Zeit im Bestand vergrößert wurden. Infolge des Fertilitätseinbruchs und der starken Abwanderung während und unmittelbar nach der politischen Wende in der ehemaligen DDR hatten die neuen Länder in der Terminologie des Billeter-Maßes im Jahre 1996 bereits eine demographisch ältere Bevölkerung als die alten Länder.
5. Zusammenfassung Die Bevölkerungen der alten und neuen Länder haben sich gegenüber der Ausgangssituation während der 1950er und 1960er Jahre hinsichtlich Struktur und Bevölkerungsdynamik stark verändert. Zu Beginn der 1960er Jahre "verjüngten" sich demographisch beide Populationen aufgrund des Geburtenanstiegs. Gleichzeitig ging auch die Mortalität auf allen einzelnen Altersstufen zurück. Der Mortalitätsfortschritt setzt sich dabei auch heute noch in den höchsten Altersstufen fort, während sich die Fertilität fUr die gesamtdeutsche Wohnbevölkerung seit Mitte der 1970er Jahre deutlich unter dem fUr eine natürliche Bestandserhaltung notwendigen Niveau befindet. Während die Wanderungsgewinne in den alten Bundesländern die zu erwartende natürliche Bevölkerungsabnahme kompensierten und die demographische Alterung abgemildert hatten, führten Nettoabwanderung und Fertilitätseinbruch in den neuen Bundesländern im Zuge der deutschen Einheit zu einem strukturellen Wandel in der Bevölkerungszusammensetzung. Folge dieser drastischen Veränderungen war schließlich, dass die zuvor demographisch jüngere Bevölkerung der ehemaligen DDR bereits· im Jabre 1996 eine demographisch genauso alte Bevölkerung aufweist wie das frühere Bundesgebiet. Den stattgefundenen Veränderungen von Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsdynamik muss im Zusammenhang mit den demographischen Dekompositionsberechnungen und Bevölkerungsvorausschätzungen in besonderer Weise Rechnung getragen werden. Die Analyse der vergangenen Entwicklung von Mortalität, Fertilität und Außenwanderungen sind dabei ohnehin Grundlage fur jede seriöse Bevölkerungsvorausberechnung. Für die Dekomposition der vergangenen Bevölkerungsentwicklung ist die Kenntnis der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung sogar notwendig, um die Effekte einzelner Modellannahmen auf die jeweils daraus resultierende Bevölkerungsstruktur richtig interpretieren zu können.
280
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
111. Die Veränderung der Altersstruktur von Krankenhauspatienten, der Krankenhausmortalität sowie der schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen und ihre Bedeutung f"ür die Krankenhausverweildauer 1. Demographische Alterung der Krankenhauspopulation in der
Bundesrepublik und altersspezifische Verweildauerentwicklung a) Die Veränderung der Altersstruktur von Krankenhausfällen in den alten und neuen Ländern Wie in der Wohnbevölkerung sollte sich auch in der Krankenhauspopulation die Altersstruktur der 1990er Jahre gegenüber den 1960er Jahren infolge der demographischen Entwicklung verändert haben. Wenn die Wohnbevölkerung demographisch altert, so sollte angenommen werden, dass auch die Krankenhauspopulation allein aufgrund der demographischen Entwicklung in der Wohnbevölkerung demographisch älter wird. Diese Schlussfolgerung trifft aber nur dann vollständig zu, wenn sich die Fallhäufigkeit fiir jedes Alter und fiir beide Geschlechter im Beobachtungszeitraum nicht verändert hat und soll in Abschnitt IV ausfiihrlich mit Hilfe demographischer Dekompositionsberechnungen untersucht werden. Im Gegensatz zur Altersstrukturveränderung in der Wohnbevölkerung, die allein von den Parametern Fertilität, Mortalität und Migration bestimmt wird, können Veränderungen in der Altersstruktur der Krankenhausfallzahl aber auch auf andere Ursachen zurückgefiihrt werden. Beispielsweise könnte die Nachfrage nach stationärer Behandlung patienten- oder arzt induziert in einzelnen AIterstufen ansteigen, so dass sich auch bei einer (hypothetischen) konstanten Alterszusammensetzung der Wohnbevölkerung die Struktur der Krankenhauspopulation dennoch im Zeitverlauf verändert. Die Krankenhauspopulation könnte deshalb auch infolge einer beobachteten demographischen Alterung in der Wohnbevölkerung und eines gleichzeitigen Anstiegs der Fallhäufigkeit in den oberen Altersstufen stärker demographisch altem. Abbildung 66 stellt den Verlauf des Aging Index in der gewählten Defini tion der Formel (35) filr verschiedene Quellen von Krankenhausdaten dar. 26
26 Analog könnte auch das Billeter-Maß zur Darstellung der demographischen Alterung der Krankenhausfallzahl berechnet werden. Da aber die rur die Berechnung des Billeter-Maßes nötigen Altersgruppenangaben in der Krankenhausdiagnosestatistik nicht veröffentlicht sind, wird ausschließlich der Aging Index berechnet.
III. Altersstruktur von Patienten, Krankenhausmortalität, Entbindungen
281
Einschränkend muss aber tUr die Interpretation dieser Darstellung angemerkt werden, dass das Maß im Falle der Krankenhauspopulation nur Informationen über den Trend der demographischen Alterung liefert. Ein berechneter Wert von 1,0 zu einern Zeitpunkt t+n in Abbildung 66 darf aber nicht mit dem ermittelten Wert des Aging Indizes tUr die Wohnbevölkerung im selben Kalenderjahr verglichen werden, da in der Registrierung der Krankenhausfallzahl auch Mehrfacheinweisungen enthalten sind. Zudem ist zu erwarten, dass die Ergebnisse je nach verwendeter Quelle stark variieren. 4
Aging Index P(75+)/P(0-14)
3.5
/ 3 -
/
2.5
Mikrozensus . (ab 1992: AL +NL)
/
21,5
;'
/"/
~
Alte Läl!der _ / "
r/
j V~L+NL
(KKH-Diagnosestat.)
(DTI)/'v/~
0,5
Neue Länder __---. (DDR-KranKanblaiiStat.) 1965
1970
1975
~~--------- - 1980
1985
1990
1995
2000
Jahr
Abbildung 66: Demographische Alterung der Krankenhauspopulation in den alten und neuen Ländern in der Logik des Aging Index
Dennoch gewinnt man durch Abbildung 66 einen Einblick in die Dynamik der demographischen Alterung der Krankenhauspopulation in der Bundesrepublik. In der Abbildung wurden die Entwicklungsverläufe des Aging Index auf der Grundlage der Krankenhausdiagnosestatistik, des Mikrozensus und des DTI tUr die alten Länder sowie der DDR-Krankenblattstatistik im Zeitraum 1969 bis 1989 tUr die neuen Länder berechnet. In dieser Darstellung nicht enthalten sind die Ergebnisse der GKV-Krankheitsartenstatistik, in der sich deutlich nach oben abweichende Werte ergaben, da die Personengruppe der 0- bis 15jährigen (in der Regel Familienangehörige der Versicherten) in der Versichertenstatistik stark untererfasst ist.
282
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
Wie erwartet fallen in Abbildung 66 die deutlichen Unterschiede im Ergebnis zwischen den verwendeten Datenquellen und insbesondere zwischen alten und neuen Ländern auf. Obwohl die durchschnittliche Verweil dauer in alten und neuen Ländern während der 1980er Jahre fast genauso lang war, lässt sich aus der Abbildung folgern, dass entweder weitaus weniger hochbetagte Menschen in der DDR stationär behandelt wurden oder weitaus mehr Kinder und Jugendliche als im früheren Bundesgebiet. Nach Auswertung der OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 (sowie auf der Grundlage von Auswertungen von Infratest für die Jahre 1990 bis 1995) hat sich der Wert des gewählten Alterungsmaßes im Jahre 1995 gegenüber dem Jahr 1978 fast vervierfacht. Im Jahre 1995 entspricht der Aging Index der OTI-Stichprobe desselben Jahres in etwa dem Wert der Krankenhausdiagnosestatistik 1995. Auch im Mikrozensus erfolgte bis 1995 eine Vervierfachung gegenüber dem Wert des Jahres 1978, wenn auch auf einem gegenüber der Krankenhausdiagnosestatistik und dem OTI stark abweichenden Niveau. Für die eigene Untersuchung im Hinblick auf die Dekompositionsberechnungen wesentlicher als die Entwicklung der Werte von Alterungsmaßen (oder Altersgruppenanteilen) ist die altersspezifische Fallhäufigkeit, da aus diesen Angaben letztlich die Ergebnisse der noch zu berechnenden Verweildauerunterschiede aufgrund einer veränderten demographischen Entwicklung basieren. Für die meisten Datenquellen ist eine Darstellung nach Formel (3) nur auf der Grundlage publizierter Angaben für einzelne Altersgruppen möglich. Mit den OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 kann aber die Fallhäufigkeit für beide Geschlechter und für jedes Einzelalter berechnet werden. Dabei wurde die prozentuale Altersverteilung der Entlassungen in den OTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 zunächst auf die mittlere amtlich veröffentlichte Fallzahl des Zeitraums 1978 bis 1989 bezogen und in einem zweiten Schritt zur Berechnung der f(x)-Werte die sich ergebenden Fallzahlen in den einzelnen Altersstufen durch jeweils 10 000 Einwohner der mittleren Wohnbevölkerung des früheren Bundesgebietes der Jahre 1978 bis 1989 der jeweiligen Altersstufe dividiert. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist in Abbildung 67 im ungeglätteten und geglätteten Zustand dargestellt.
III. Altersstruktur von Patienten, Krankenhausmortalität, Entbindungen
7000 6500 6000 5500 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0
283
f(x)
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90 95+
Alter
Abbildung 67: Altersspezifische Fallhäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989. Männer und Frauen
Die geglätteten Werte der nach Männer und Frauen differenzierten Einzelaltersangaben werden in Abschnitt IV auch filr die Dekompositionsberechnungen verwendet. Die Berechung erfolgt dabei nach viermaliger Anwendung der sog. Altenburger-Formel (36), wobei a(x) die gemessene bzw. (zum ersten, zweiten oder dritten Mal) geglättete altersspezifische Fallhäufigkeit im Alter x ist. Die Werte für die Altersstufen 0, 1 und 2 sind wie die Werte der letzten drei Altersstufen (im Fall von Abbildung 67 Alter 93, 94 und 95+) vom Verfasser gesetzt. (36)
Die Fallhäufigkeit ist filr beide Geschlechter nach den Daten des DTI besonders hoch in der Altersstufe der Nulljährigen Geder zweite Säugling wurde im Zeitraum 1978 bis 1989 als Krankenhausfall behandelt) und in den Altersstufen 70 bis 90. In den allerhöchsten Altersstufen (nach Abbildung 67 Alter 85 und älter) nimmt die Fallhäufigkeit wieder ab. Geschlechterspezifische Unterschiede bestehen vor allem in der Altersgruppe 15 bis 50, in denen die Fallhäufigkeit entscheidend von Frauen aufgrund der schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen (Entbindungen, Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüche, Einweisungen wegen Schwangerschaftskomplikationen) ge-
284
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
prägt wird. Weitere Unterschiede in der altersspezifischen Fallhäufigkeit bestehen zwischen Männern und Frauen im Alter Zwei bis 14 und im Alter 55 bis 90, wo Männer eindeutig eine höhere Fallhäufigkeit aufweisen als Frauen. Im Prinzip hat sich an den geschlechterspezifischen Unterschieden nur wenig bis Mitte der 1990er Jahre geändert. Dies wird auch mit den Daten der Krankenhausdiagnosestatistik bestätigt. Abbildung 68 vergleicht die jeweilige altersgruppenspezifische Fallhäufigkeit rur Männer und Frauen basierend auf den Zahlenangaben der amtlichen Krankenhausdiagnosestatistik der Jahre 1993, 1995 und 1997. Im Gegensatz zu Abbildung 67 bezieht sich diese Darstellung auf die Krankenhauspopulation der alten und neuen Länder zusammen. Auffallend ist, dass gegenüber den Ergebnissen aus den DTI-Stichproben der Jahre 1978 bis 1989 die Fallhäufigkeit in den höchsten Altersstufen bereits im Jahre 1993 deutlich über den Werten der Abbildung 67 liegt. Bis zum Jahr 1997 erfolgte in den Altersgruppen oberhalb Alter 45 rur beide Geschlechter ein neuerlicher Anstieg der Fallhäufigkeit. Diese Entwicklung ist dabei zunächst unabhängig von der demographischen Entwicklung in der Wohnbevölkerung, d. h., bei betagten und hochbetagten Personen stieg die Nachfrage nach Krankenhausleistungen (bzw. wurde von ambulant-ärztlicher Seite aus gesteigert). In den unteren Altersstufen änderten sich dagegen die f(x)-Werte zwischen 1993 und 1997 kaum.
f(x)
6000
1997. M
5500 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 .. 1000 500 -
o
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Alter i ~
Abbildung 68: Altersspezifische Fallhäufigkeit in der Bundesrepublik für die Jahre 1993, 1995 und 1997 auf der Grundlage der Krankenhausdiagnosestatistik
III. Altersstruktur von' Patienten, Krankenhausmortalität, Entbindungen
285
Abbildungen 69 und 70 zeigen Veränderungen in der Struktur der altersspezifischen Fallhäufigkeit der alten Bundesländer auf der Grundlage von Mikrozensus-Auswertungen (jeweils auf 10 000 der Wohnbevölkerung bezogen) . Gegenüber den Auswertungen des DTI und der Krankenhausdiagnosestatistik weicht die altersspezifische Fallhäufigkeit deutlich in den Altersgruppen unterhalb Alter 40 ab. Sowohl Säuglinge als auch Entbindungsfälle sind im Gesundheitsfragenteil des Mikrozensus untererfasst, was zur Folge hatte, dass bereits in Abbildung 66 die Aging-Index-Ergebnisse der Mikrozensus-Erhebungen deutlich von den anderen Resultaten für die alten Länder abwichen. In Abbildung 69 werden die Altersstrukturen der Fallhäufigkeit der Mikrozensus-Erhebungen 1978, 1982 und 1989 für beide Geschlechter zusammen verglichen. Deutlich erkennbar ist der Rückgang der Krankenhausfallhäufigkeit für die meisten Altersstufen. Nur in den allerhöchsten Altersstufen nahm gegenüber dem Jahr 1982 die Fallhäufigkeit bis zum Jahr 1989 zu.
f(x)
5500 5000 .
MZ/_~
4500 4000
/
3500
LMZ1989
3000 2500 2000 1500 1000
--~
500 0 0
5
10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85+ Alter
- _.... -
-_
. . . _._-~
..
_------- .. _-----_._._. - - - - - - - - - - - - - - - '
Abbildung 69: Altersspezifische Fallhäufigkeit in den alten Ländern auf der Grundlage der Mikrozensus-Erhebungen der Jahre 1978, 1982 und 1989 (Geglättete Verläufe)
In Abbildung 70 werden für die beiden letzten Mikrozensus-Erhebungen mit Fragen zur Gesundheit die Altersstrukturen für Männer und Frauen verglichen. Besonders deutlich kommt in dieser Darstellung die Untererfassung der Entbindungen im Mikrozensus zum Vorschein, da kaum Unterschiede in der Fallhäu-
286
D. Der Einfluss demographischer Parameter auf die Verweildauer
figkeit zwischen Männem und Frauen im Alter 20 bis 40 bestehen. Gegenüber der 1992er Erhebung nahm aber nach den Daten des Mikrozensus die Krankenhausfallhäufigkeit in den höchsten Altersstufen rur beide Geschlechter nur geringrugig zu. Auch in diesem Punkt weichen folglich die Mikrozensus-Angaben von den Ergebnissen der Krankenhausdiagnosestatistik ab.
5000
f(x)
4500 4000 -
Männer
3500 3000 2500 2000 . 1500 1000
o -~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ o 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85+ Alter
I ---------------------------------------~
Abbildung 70: Altersspezifische Fallhäufigkeit in der Bundesrepublik auf der Grundlage der Mikrozensus-Erhebungen der Jahre 1992 und 1995. Männer und Frauen (geglättete Verläufe) Abbildung 71 zeigt schließlich auch die altersgruppenspezifische Fallhäufigkeit pro 10 000 GKV-Versicherte nach den Angaben der GKV-Krankheitsartenstatistik der Jahre 1982, 1986, 1989 und 1991. Wie weiter oben ausgeruhrt erfolgt in der GKV -Krankheitsartenstatistik eine Untererfassung der schwangerschaftsbedingten Krankenhauseinweisungen sowie der Säuglinge, da sich die Zahlen ausschließlich auf die Leistungsfalle der Versicherten der jeweiligen Krankenversicherung beziehen (ohne Familienangehörige, ohne Leistungen außerhalb der Krankenversicherung wie Mutterschutz u. ä.). Dennoch ist auch für die GKV-Angaben der deutliche Anstieg der Fallhäufigkeit in den oberen Altersgruppen erkennbar. Gerade wegen dieses Anstiegs wurden Vertreter der Kassen häufig zur Aussage verleitet, dass die demographische Entwicklung bereits in der Vergangenheit ein wesentlicher Grund für den Ausgabenanstieg im Krankenhausbereich gewesen sei.
III. Altersstruktur von Patienten, Krankenhausmortalität, Entbindungen
5000
287
KKH-Fälle pro 10 000 GKV-Versicherte 1991
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500
o ~--~~--~~--~--r-~--~~r--r--~~--~~
.....
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